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German Pages 582 [584] Year 2013
Festschrift für Artur-Axel Wandtke zum 70. Geburtstag
Festschrift für
ARTUR-AXEL WANDTKE zum 70. Geburtstag am 26. März 2013 herausgegeben von
Winfried Bullinger Eike Grunert Claudia Ohst Kirsten-Inger Wöhrn
De Gruyter
ISBN 978-3-11-028346-4 e-ISBN 978-3-11-028350-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Abbildung Frontispiz: Dr. Ferdinand Grassmann Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Artur-Axel Wandtke zum 26. März 2013 Ulrich Battis/Vera Battis Reese Matthias Berberich Winfried Bullinger / Katharina Garbers-von Boehm Ilja Czernik Christian Czychowski Katharina de la Durantaye Adolf Dietz Thomas Dreier Michael Fricke Tilo Gerlach Hans Joachim von Gottberg Horst-Peter Götting Albrecht Götz von Olenhusen Eike W. Grunert Helmut Haberstumpf Bernd Heinrich Thomas Hoeren Ole Jani Caroline Leinemann Ulrich Loewenheim Jürgen Marten Ferdinand Melichar Maja Murza Bernd Neumann Anke Nordemann-Schiffel
Jan Bernd Nordemann Wilhelm und Axel Nordemann Eva Inés Obergfell Claudia Ohst Stephan Ory Christoph G. Paulus Karl-Nikolaus Peifer Alexander Peukert Gerhard Pfennig Jan Pohle Peter Raue Manfred Rehbinder Cornelius Renner Haimo Schack Martin Schaefer Gernot Schulze Sebastian Schunke Hans-Peter Schwintowski Reinhard Singer/ Jan Wünschmann Gerald Spindler Robert Staats Axel von Walter Michel M. Walter Marcus von Welser Kirsten-Inger Wöhrn
Inhaltsverzeichnis Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII
1. Systematische Fragen zum Urheberrecht Christoph G. Paulus Mobilien, Immobilien, Forderungen – und jetzt Wissen als Rechtsgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Haimo Schack Weniger Urheberrecht ist mehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Thomas Dreier Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn? Anmerkungen zu einer statistischen Rechtswissenschaft am Beispiel des Urheberrechts . .
21
2. Literatur, Theater, Tanz und Kunst Jürgen Marten Denn man siehet das im Lichte, das im Dunkeln sieht man nicht – eine urheberrechtliche Fußnote zum Werk von Bertolt Brecht . . .
39
Eike W. Grunert Urhebererben und Regietheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Ulrich Battis/Vera Battis Reese Tanz und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Maja Murza Ist das mein Tanz oder dein Tanz? Welcher Maßstab gilt für das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung an choreografischen Werken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Eva Inés Obergfell Das Zitat im Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
Gerhard Pfennig Kunstfälschung – eine besondere Art der Werkrezeption . . . . . .
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VIII
Inhaltsverzeichnis
Winfried Bullinger/Katharina Garbers-von Boehm What you see is what you get? Zur Bedeutung von Lizenzen beim Kunstkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Karl-Nikolaus Peifer Appropriation und Fan Art – geknebelte Kreativität oder klare Urheberrechtsverletzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
3. Urhebervertragsrecht/Arbeitnehmerurheberrecht Reinhard Singer/Jan Wünschmann Plagiarism and its effects on the German Ph.D. . . . . . . . . . . .
113
Helmut Haberstumpf Plagiatorische Erscheinungsformen im Arbeitnehmerurheberrecht
121
Claudia Ohst Open Access – Enteignung des Urhebers oder wissenschaftliche Notwendigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
Wilhelm und Axel Nordemann Die zeitliche Dauer der Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143
Christian Czychowski AGB Kontrolle von umfassenden Nutzungsrechtsklauseln, die sog. Zweckübertragungslehre und das urheberrechtliche Vergütungsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
Thomas Hoeren Was bleibt von §§ 32, 32a, 36 UrhG? Überlegungen zur Zukunft des Urhebervertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159
Jan Bernd Nordemann Die Beendigung urheberrechtlicher Verträge: Automatischer Rechterückfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187
Ulrich Loewenheim Rückruf des Nutzungsrechts nach § 41 UrhG und Fortbestehen der Enkelrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
Inhaltsverzeichnis
IX
4. Kollektive Rechtewahrnehmung Robert Staats Verwertungsgesellschaft – Was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . .
211
Matthias Berberich Rechtsfragen des Gesamtvertrags. Zu Beteiligungsgrundsatz und prozeduraler Effizienz in der kollektiven Rechtewahrnehmung . .
219
Tilo Gerlach Fragwürdige Kriterien des europäischen Gerichtshofs bei den Vergütungsansprüchen der ausübenden Künstler für öffentliche Wiedergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
233
Ferdinand Melichar § 63a UrhG – die Chronik einer Panne . . . . . . . . . . . . . . . .
243
Martin Schaefer Gehen Vergütungsansprüche im Sinne von § 63a UrhG bei einer Gesamtrechtsübertragung unternehmensbezogener Leistungsschutzrechte gemäß §§ 85 Abs. 2 S. 1, 87 Abs. 2 S. 1 oder 94 Abs. 2 S. 1 UrhG mit über? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
251
5. Einzelfragen der Immaterialgüterrechte Horst-Peter Götting Sanssouci? – Bemerkungen zur BGH-Entscheidung „Preußische Gärten und Parkanlagen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
Kirsten-Inger Wöhrn Das Architektenurheberrecht und das Regelungsinteresse des Eigentümers in Grundstückskaufverträgen . . . . . . . . . . . . . .
269
Albrecht Götz von Olenhusen Urheber vs. Eigentümer et vice versa? Zur Problematik des urheberrechtlichen Zugangsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
Peter Raue Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht . . . . . . . .
287
Hans-Peter Schwintowski Urheberrechtsschutz für Allgemeine Versicherungsbedingungen .
297
X
Inhaltsverzeichnis
Katharina de la Durantaye Hitlers „Mein Kampf“ und der urheberrechtliche Schutz von Werken Staatenloser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319
Ole Jani Bis zur Erschöpfung? Zur Zulässigkeit des Weiterverkaufs von Dateien gem. Richtlinie 2001/29/EG nach dem Urteil C-128/11 des EuGH (Usedsoft ./. Oracle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
Sebastian Schunke Die Schrankenregelungen im Urheberrecht auf dem Prüfstand . . .
341
Michel M. Walter Die neue Schutzdauer für Musikwerke mit Text . . . . . . . . . . .
357
Gernot Schulze Einheitlich lange Schutzdauer für alle Werkverbindungen? . . . . .
373
Anke Nordemann-Schiffel Kein Freibrief zur Ausforschung: Der Besichtigungsanspruch nach § 101a UrhG im einstweiligen Verfügungsverfahren . . . . . .
385
Adolf Dietz Das Urheberpersönlichkeitsrecht in der kodifizierten Neufassung des russischen Urheberrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393
Bernd Heinrich Aufnahme der Strafvorschriften des Urheberstrafrechts ins StGB?.
413
Hans Joachim von Gottberg Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern lähmt Reform des Jugendschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431
Marcus von Welser Generika im Transit: Welche Neuerungen bringt die geplante Reform der Grenzbeschlagnahme-Verordnung? . . . . . . . . . . .
439
Ilja Czernik Der Erschöpfungseinwand im Pirateriewarenprozess . . . . . . . .
449
Inhaltsverzeichnis
XI
6. Medienurheberrecht Alexander Peukert Der digitale Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
459
Bernd Neumann Schutz des geistigen Eigentums auch im Internetzeitalter . . . . . .
469
Stephan Ory Massenabmahnungen schaden der Akzeptanz des Urheberrechts .
475
Cornelius Renner Das Gedächtnis des Internets. Online-Archive im Presse- und Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
483
Michael Fricke Gegendarstellung im Internet – Anspruchsverpflichtung und Platzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
497
Caroline Leinemann Der Pinterest-Boom aus dem Blickwinkel des deutschen Urheberrechts – Eine Analyse unter Berücksichtigung der aktuellen deutschen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
505
Manfred Rehbinder Digitale Programmführer im Blickfeld des Urheberrechts . . . . .
511
Gerald Spindler Web-Radios und Aufnahmesoftware – Probleme der Ausnutzung von Schrankenbestimmungen und rechtspolitische Optionen . . .
517
Axel von Walter Medienspezifisches Haftungsregime für Content-Plattformen . . .
545
Jan Pohle Nutzungsrechte bei agiler Softwareprogrammierung . . . . . . . .
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Geleitwort Mit dieser Festschrift gratulieren 50 Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Anwaltschaft, Verwertungsgesellschaften, Wirtschaft, Politik, Kulturinstitutionen und Justiz Artur-Axel Wandtke zu seinem 70. Geburtstag am 26. März 2013. Unter ihnen befinden sich ehemalige und aktuelle Mitstreiter aus der Wissenschaft und Praxis, Mitautoren und -herausgeber gemeinsamer Lehrbücher und Kommentare, zahlreiche Doktorschüler sowie weitere Weggefährten des Jubilars. Dieses Buch ist also ein liber amicorum im besten Sinne, ein Buch von Freunden für einen Freund. Artur-Axel Wandtke wurde am 26. März 1943 in Lauenburg (Pommern) geboren. Von 1959 bis 1964 absolvierte er eine Ausbildung zum Balletttänzer an der Staatlichen Ballettschule in Berlin, bis 1967 war er dann an der Deutschen Staatsoper in Berlin Unter den Linden als Bühnentänzer engagiert. Nach diesem künstlerischen Fundament folgte das Recht: Zunächst ein Studium der Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät der HumboldtUniversität zu Berlin von 1967 bis 1971, anschließend eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter, eine Promotion zum Dr. jur. über „Arbeitsrechtliche Konflikte und Schlussfolgerungen für die Betriebe“ 1974, und die Vorbereitung der Habilitation. 1978 zog es ihn für kurze Zeit erneut zur Praxis, als Justiziar der Komischen Oper Berlin unter der Intendanz von Joachim Herz. 1980 habilitierte sich der Jubilar zum Dr. sc., über das Thema „Zum Normbildungsprozess in der ILO auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und einige Schlussfolgerungen für das nationale Arbeitsrecht“. Einer Tätigkeit als Dozent am Institut für Kulturforschung in Berlin folgte 1988 die Berufung zum ordentlichen Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1993 bis zu seiner Emeritierung 2011 als Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Seit 2010 ist Artur-Axel Wandtke im Vorstand der Verwertungsgesellschaft Wort. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als überaus engagierter Hochschullehrer vor allem des Zivilrechts, des gewerblichen Rechtsschutzes und des Medienrechts sowie als Vortragender und Autor befasste sich Artur-Axel Wandtke auch weiterhin aktiv wie passiv mit der Kunst, vornehmlich der Bühnentanzkunst, und trat als Librettist mehrerer Balletproduktionen hervor, etwa Apocalyptica mit Musik von Milko Keleman 1983 in Dresden, sowie Lear nach Shakespeare mit Musik von Friedbert Wissmann 1990 an der Sächsischen Staatsoper Semperoper in Dresden und 1992 am Deutschen Nationaltheater in Weimar. Sein zusammen mit Eberhardt Schmidt verfasstes
XIV
Geleitwort
Libretto Mephisto harrt nach einigen Anläufen im In- und Ausland noch der Uraufführung. Über lange Jahre verantwortete Artur-Axel Wandtke zusammen mit Kollegen aus dem Professorium und akademischen Lehrkörpern das unter Urheberrechts-Insidern und sonstigen „grünen“ Rechtswissenschaftlern berühmte „Montagsseminar“ des Instituts für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Hier gaben sich neben Studenten und Professoren anderer Fakultäten auch zahlreiche hochrangige Praktiker des Immaterialgüterrechts aus dem In- und Ausland die Klinke in die Hand. Daneben begründete Artur-Axel Wandtke eine Reihe von hochrangigen Fachsymposien, u.a. über „Die rechtliche Dimension der Tanzkunst“ (2005), und „Die Leiden der jungen Komponisten und Musiker – Irrwege des Urheberrechts“ (2006), um nur zwei der Themen zu nennen. Im Mai 2012 hielt er im Rahmen einer Feierstunde zur Eröffnung des von ihm mit initiierten und geleiteten Joseph-Kohler Instituts für Immaterialgüterrechte den Einführungsvortrag über Joseph Kohler und seine Bedeutung für die Berliner Fakultät und das Immaterialgüterrecht. Beginnend mit dem letzten Jahrzehnt seines aktiven Forscherlebens an der Hochschule begann Artur-Axel Wandtke eine ganze Reihe von umfangreichen monographischen Publikationsvorhaben aus der Taufe zu heben. Als Beispiele seien nur die Folgenden genannt: Die zunächst für den studentischen Bereich gedachte Fallsammlung zum Urheberrecht (1999), die sich in nunmehr 3. Auflage zu einem Lehrbuch zur Ausbildung zum Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht gemausert hat, der große Praxiskommentar zum Urheberrecht (2002), der 2013 nach gerade einmal gut 10 Jahren schon in 4. Auflage erscheint, das Handbuch zum Medienrecht (2008), seit 2011 in 2. Auflage in gleich 5 (!) Bänden erhältlich, und sein Lehrbuch zum Urheberrecht, das seit dem ersten Erscheinen 2009 beinahe jährlich eine Neuauflage erfahren hat. Bei vielen dieser Vorhaben hat es Artur-Axel Wandtke vielleicht wie kein zweiter verstanden, ein hochmotiviertes Team sowohl junger wie auch arrivierter Wissenschaftler und Praktiker um sich zu scharen, und mit Hilfe eines verlässlichen Lehrstuhlteams sowie Charme, hohem persönlichen Engagement sowie zahllosen freundlich aber bestimmt an die bevorstehende oder bereits verstrichene Abgabefrist erinnernden Telefonaten und fachlichen Gesprächen mit allen Autoren in kürzester Zeit innovative Buchprojekte zu realisieren und am Leben zu erhalten. Wer immer Artur-Axel Wandtke bei einer dieser zahlreichen Aktivitäten begleiten durfte und darf, erlebt einen engagierten Anwalt der Kulturschaffenden, der gerade und auch bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Lehre und Forschung die Praxis der Kunst nie aus dem Blick verliert, und bei allen dogmatischen Feinheiten und rechtlichen Herausforderungen das Urheberrecht als Recht der Kulturschaffenden im besten Sinne begreift, als Instrumentarium zur Sicherung des Lebensunterhalts schöpferisch tätiger Men-
Geleitwort
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schen. In diesem Sinne war und ist Artur-Axel Wandtke ein angesehener und vielgefragter Experte des Gesetzgebers im Rahmen der zahlreichen Gesetzesänderungen der jüngeren Vergangenheit und der nahen Zukunft. Die Bandbreite der in dieser Festschrift versammelten Autoren und Themen spiegeln das bewegte Leben Artur-Axel Wandtkes zwischen den sich stets gegenseitig befruchtenden Spannungspolen Kunst und Recht wieder. Diese Festschrift ist ein Dank an Artur-Axel Wandtke, verbunden mit den besten Wünschen für viele weitere Jahre ungebremster und innovativer Schaffenskraft, zum Wohle der Kunst, und zum Wohle des Rechts. Unser Dank gilt der VG Wort, deren Druckkostenzuschuss die Finanzierung dieser Festschrift ermöglicht hat. Ein weiterer herzlicher Dank gebührt Frau Sabine Begemann, die uns mit gutem Rat bei der Zusammenstellung der persönlichen Angaben des Jubilars zur Seite stand. Berlin und München, im Januar 2013
Die Herausgeber
1. Systematische Fragen zum Urheberrecht
Mobilien, Immobilien, Forderungen – und jetzt Wissen als Rechtsgut? Christoph G. Paulus I. Die im Titel dieses Beitrags aufgelisteten ersten drei Kategorien sind jedem angehenden Juristen geläufig, haben wir es dabei doch mit der klassischen Einteilung der Vermögensgüter zu tun. Mobilien, Immobilien und Forderungen finden sich zwar nicht einheitlich im 3. Buch des BGB, dem Sachenrecht, – bekanntlich ist es Savignys Klassifikation zu verdanken, dass die Forderungen außer in § 194 BGB noch im Allgemeinen Teil des Schuldrechts, in den §§ 398 ff. BGB, geregelt sind –; doch im 8. Buch der ZPO, dem Zwangsvollstreckungsrecht, stehen sie beieinander: in den §§ 808 ff. die Mobilien, in den §§ 828 ff. die Forderungen und in den §§ 864 ff. die Immobilien. Das ist wenig verwunderlich, konstituiert sich doch typischerweise das Vermögen eines Schuldners aus eben diesen Vermögensgütern, so dass der zwangsweise Zugriff auf sie geregelt werden muss. Es ist ein bemerkenswerter Beleg für die konzeptionelle Offenheit des Gesetzgebers von 1877, dass er unbeschadet des im hiesigen Kulturkreis tief verankerten Empfindens einer mit einer Dreiteilung einhergehenden Vollkommenheit und Endgültigkeit1 in Gestalt des § 857 ZPO ein „Öffnungsventil“ in diese Trias der vollstreckbaren Gegenstände eingefügt hat, indem er auch die Vollstreckbarkeit in „andere Vermögensgüter“ geregelt hat. Dort finden sich so unterschiedliche Vermögensgegenstände zusammen wie Patent- oder Urheberrechte, Gesellschaftsanteile, Anwartschaftsrechte oder Eigentümergrundschulden. Vom Wissen ist dort allerdings – zumindest bislang noch – nicht die Rede; und das, wo wir doch allerorten vernehmen können, dass wir uns in einer Wissensgesellschaft befinden – will sagen: in einer Gesellschaft oder Wirtschaftsordnung, in der das Wissen das maßgebliche Wirtschaftsgut ist (quartärer Wirtschaftssektor). Dass dieses Wirtschaftsgut noch nicht im Rahmen des § 857 ZPO auftaucht, soll hier nicht weiter thematisiert werden. Stattdessen sollen, ungleich bescheidener, nur ein paar Gedankenbruchstücke vorgetragen werden dazu,
1 Zum beständigen Versuch, Dinge in ein Dreierschema zu bringen, und den möglichen Gründen dafür etwa Marti, Geprägtes Recht, in: Zollinger (Hg.), C. G. Jung im Leben und Denken unserer Zeit, 1975, 58. S. auch H. Goudy, Trichotomy in Roman Law, 1910 (Neudruck 1980).
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Christoph G. Paulus
wie man sich vielleicht einer juristisch fassbaren Konturierung dieses neuen, bislang noch im Unbestimmten wabernden Begriffs annähern könnte. Das geschieht in der Hoffnung, damit der wissenschaftlichen Neugier des hochverehrten Jubilars und einzigartigen Kenners des Immaterialgüterrechts ein wenig Futter bieten zu können. 1. In Anbetracht dieser ebenso schlichten wie grundlegenden Aufgabenstellung ist es aufschlussreich, sich überhaupt einmal vor Augen zu führen, wie die Rechtsordnung vorgeht, wenn sie jemandem (rechtstechnisch gesprochen: einem Rechtssubjekt) ein individuelles Recht zuweist. Etwas anders formuliert: Was ist der spezifische Beitrag des Rechts, wenn ein derartiges Rechtssubjekt sagt, ihm gehöre dieses Bild, dieses Grundstück oder er habe eine Forderung etwa gegen seine Bank? Natürlich sind diese drei Beispiele nicht ohne Bedacht so gewählt, wie sie hier vorgetragen werden. Wie schon einleitend erwähnt, repräsentieren diese drei Gegenstände Objekte (rechtstechnisch gesprochen: Rechtsobjekte), die seit langem schon jeweils gesonderter juristischer Behandlung unterworfen werden. Der spätklassische Jurist Ulpian hat die Grundlagen zu der seit dem Mittelalter eingeschworenen Trias ‚mobilia, immobilia et nomina‘ gelegt, also Mobilien, Immobilien und Forderungen.2 2. Das ist im vorliegenden Kontext insofern erheblich, als (deutsche) Juristen nur von Mobilien und Grundstücken sagen, dass man Eigentum daran habe; bei Forderungen ist der entsprechende Ausdruck – etwas unbeholfen – „Innehaben“. Das hängt mit Geschichtlichem zusammen, genauer: mit der letzten Endes zufälligen Beschränkung unseres Sachenrechts (also derjenigen Materie, die für die Zuordnung von Rechtsobjekten an Rechtssubjekte hauptsächlich zuständig ist) auf eine außerordentlich enge Bedeutungsvariante des lateinischen, alt-römischen Wortes res im Sinne von körperlicher Sache. Diese körperliche Sache ist gemäß § 90 BGB der Ausgangspunkt sachenrechtlicher Zuordnung – und nur sie allein. Schaut man sich auf der Grundlage dieser Einengung zunächst einmal eine körperliche Sache – also ein Bild oder ein Grundstück – und die damit einhergehende Aussage näher an, dass diese Sache im Eigentum einer bestimmten Person stehe, so stellt man überrascht fest, dass eben dieses Eigentum außerordentlich unkörperlich ist, recht eigentlich sogar eine Fiktion. Das erkennt man, wenn man sich spaßeshalber einmal die Kontrollfrage stellt, ob man denn schon einmal „Eigentum“ gesehen habe? Natürlich nicht: Was man sieht, ist das Bild, und wenn man die Hand daran legt, so hat man dieses Bild in Besitz. Besitz ist übrigens eine weitere juristische Kategorie, die (zumindest in ihrem Ausgangspunkt) mit der tatsächlichen Herrschaft über eine Sache zu tun hat. Das Eigentum dagegen ist eine davon gesonderte Angele-
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Vgl. D 42.1.15.2 (Ulp).
Mobilien, Immobilien, Forderungen – und jetzt Wissen als Rechtsgut?
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genheit; Eigentum an dem Bild bleibt auch dann bestehen, wenn der Eigentümer sich gerade auf der diametral entgegengesetzten Seite des Globus befindet. Eigentum ist mithin nichts weiter als ein Gedankenkonstrukt, mit dessen Hilfe Juristen bestimmte Seiten des menschlichen Zusammenlebens konstruieren. Wenn allerdings sogar Juristen von einer Eigentumsverletzung sprechen, weil beispielsweise ein Irrer das Bild beschädigt hat, so ist diese Terminologie – streng genommen – falsch; denn anders als der tatsächliche Gegenstand (= Bild) kann ein Gedankenkonstrukt schwerlich verletzt werden. Es ist allerdings so, dass die Tatsache, dass jemand das Eigentum an dem Bild hat, dazu führt, dass dem Grundsatz nach allein diese Person das Recht hat, Ersatz für den von ihm erlittenen Schaden zu verlangen. 3. Irritierender werden derartige Überlegungen, wenn man sich nunmehr das Pendant zum Eigentum, also die Innehabung von Forderungen, genauer ansieht. Während man nämlich im Vorangehenden wenigstens noch Konkret-Gegenständliches, d.h. ein Bild oder ein Grundstück, als Grundlage juristischer Überlegungen vor Augen haben konnte, geht nunmehr auch dieser greifbare Fundus verloren. Das erkennt man erneut, wenn man sich auch hier der Kontrollfrage zuwendet, ob man je schon eine Forderung zu Gesicht bekommen habe? Auch hier: natürlich nein. Denn die Forderung ist lediglich ein Recht, von jemand anderem – wie es in der einschlägigen Norm heißt – „ein Tun oder Unterlassen“ zu verlangen; §§ 194, 241 BGB. Ein Recht ist aber erneut nichts weiter als ein Gedankenkonstrukt, dem in der realen Welt kein greifbares Pendant entspricht. Freilich – schon seit Jahrtausenden bemühen sich die Juristen darum, die Fiktionalität einer Forderung zu vergegenständlichen: Der für die Rechtsentwicklung unserer Welt unendlich bedeutsame frühmittelalterlich-oströmische Kaiser Justinian kennzeichnete eine Forderung als ein vinculum iuris,3 also als eine vom Recht angelegte Fessel; in der heutigen Zeit hat sich dieses Sprachbild etwas humanisiert, indem man eine Forderung nunmehr gern als ein „Band zwischen Gläubiger und Schulder“ verbildlicht. Aber natürlich gibt es in der Realität kein wirkliches Band, das mich mit meiner Bank verbinden würde; das sind allein Erklärungsversuche, um Fiktives vorstellbar zu machen. An der Tatsache, dass es sich bei der Forderung einzig und allein um Gedachtes-Ungegenständliches handelt, vermögen alle Sprachbilder nichts zu ändern; auch nicht, wenn ich etwa ein Schriftstück (d.h. Wertpapier) aufsetze, das diese Forderung repräsentieren soll. Diese letztere Aussage führt zu der sich aus den voranstehenden Überlegungen gespeisten Einsicht, dass die Innehabung einer Forderung so etwas ist wie ein Konstrukt – nämlich „Eigentum“ – an einem Konstrukt – nämlich
3
Iust. Inst. XIII pr.
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Christoph G. Paulus
„Forderung“. Mit anderen Worten, die juristische Welt operiert hier auf einer Weltschau, die lediglich in den Köpfen der Menschen existiert, der aber keine konkret-gegenständliche Substanz entspricht. Ohne das hier weiter vertiefen zu wollen, sei aber immerhin darauf verwiesen, dass sich die bisherigen Irritationen noch steigern lassen – dann nämlich, wenn man der (wirklichen und praktischen Bedürfnissen entsprechenden) Frage nachgeht, wie denn die Eigentumsverhältnisse an Gegenständen sind, die es lediglich in Internetspielen gibt.4 Parallelwelten wie „Second Life“ machen diese Frage auch heute schon zum teilweise erbittert umkämpften Problem.5 Hier sind die in Frage stehenden Rechtsobjekte digitalisierte, auf irgendwelchen Speichermedien irdendwo festgehaltene Magnetisierungszustände, die sich mit einer spezifischen Zusammenstellung von Einsen und Nullen beschreiben lassen. II. Bislang war die Rede nur von den herkömmlichen, d.h. schon im antiken römischen Recht operationabel gemachten Rechtsobjekten. Deren Präsentation und Erläuterung ist als Vorbild vonnöten, um anhand dessen erkennen zu können, auf welche Weise die Rechtsordnung verfährt, wenn es Einzelrechte einem Rechtssubjekt zuordnet. Sie erreicht dies gleichsam mit einem Trick, indem sie nämlich lediglich gedachte – und damit fiktive – labels schafft, die den betreffenden Gegenstand (sei er konkret existent oder sei er nur gedacht) als dem oder dem zugeordnet ausweisen. Sehe ich beispielsweise die Armbanduhr am Handgelenk meines Gegenüber, bin ich dazu in der Lage und befugt, mir sogleich dazuzudenken, dass er auch Eigentum daran haben müsse (kompliziert – und für die vorliegenden Zwecke uninteressant – wird es, wenn diese Schlussfolgerung einmal unrichtig ist). Hieran schließt sich nunmehr die Frage an, ob sich dieser Befund auf das Wissen übertragen lässt. Die zunächst einmal ernüchternde Antwort auf diese Fragen kann gar nicht anders als verneinend sein – denn zunächst muss einmal geklärt sein, was man unter Wissen verstanden wissen will. 1. So wie man kein Eigentum an irgendwelchen Uhren haben kann, sondern nur an konkreten – und seien sie auch noch so viele –, kann man auch nicht „das Wissen“ als solches zuordnen. Was nämlich soll davon erfasst sein? Bei der UNESCO in Paris wurde 2010 „die französische Küche“ zum Weltkulturerbe ernannt; derzeit streitet man sich – ernsthaft! – um die gleiche Qualifikation der „Pizza Napoletana“ (sic!). Auch wenn ein derartiger „Ritterschlag“ selbstverständlich mit massiven finanziellen Implikationen einhergeht, bedeutet der Kampf darum aber auch zugleich, dass es hierbei gleichfalls um Wissen geht. Dieses Beispiel lädt ein zu allen möglichen Weiterun-
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Dazu etwa Berberich, Virtuelles Eigentum, 2010; Schneider, Virtuelle Werte, 2010. In insolvenzrechtlicher Hinsicht s. etwa Paulus, A Bank’s Insolvency: Irritating Connections between a Virtual and the Real World in Second Life, IILR 2010, 10 f. 5
Mobilien, Immobilien, Forderungen – und jetzt Wissen als Rechtsgut?
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gen: Wissen ist dann also nicht mehr allein das, was an höheren Bildungsanstalten wie Universitäten oder Akademien mühsam angeeignet wird, oder doch zumindest das, was in mindestens Jahre währender Ausbildung erworben wird; Wissen ist dann, Kochrezepten vergleichbar, auch das, was den Improvisationskünstler in diesem Moment umtreibt, was den erfolgreichen Krieger, den Sportler, kurz: jeden einzelnen Menschen auszeichnet. Die Beispiele zeigen, gerade in der Willkür ihrer Auswahl, dass man eingrenzen muss, wenn man ernsthaft von rechtlicher Zuordnung von Wissen sprechen will. Genau dies tut die Rechtsordnung seit einiger Zeit. Dabei ist an dieser Entwicklung insbesondere der geistesgeschichtliche Hintergrund aufschlussreich; zeigt sich doch an ihm, wie sich im Laufe der Zeit das Bedürfnis entwickelt, bestimmtes Wissen dem Schutz des Rechts zu unterstellen und damit auch zugleich einen ökonomischen Regeln gehorchenden Markt für eben dieses Wissen zu schaffen. Das schlagendste Beispiel dafür ist die Entwicklung des Urheberrechts:6 Das Empfinden, dass der Plagiator sich die Sache auf Kosten des Original-Schaffenden einfach macht oder gar einen Diebstahl begeht – dieses Wissen bzw. Missvergnügen hat man bereits in der griechischen und römischen Antike empfunden. Berühmt ist das Epigramm des römischen Dichters Martial aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert, in dem er einen seiner Plagiatoren öffentlich anprangert. Schutzbedürfnis empfand man also durchaus, jedoch instrumentalisierte man dafür nicht das Recht.7 Auf gerade rechtlichen Schutz baute man erst sehr viel später, basierend auf einem komplexen Amalgam von diversen Entwicklungen – etwa im 17. und 18. Jahrhundert. Wie wir aus rückblickender Perspektive erkennen können, war die entscheidende Weichenstellung für die Emanation des Urheberrechts, dass aus der Fülle des Wissens dasjenige individualisiert wurde, das sich in einem Werk verkörperte. Dieser Terminus – „Werk“ – ist denn bis heute auch der Zentralbegriff dieses Rechtsgebietes. Wenn es ein Werk gibt, kann der rechtliche Schutz des Urhebergesetzes eingreifen. 2. Wenn man in Parallele dazu etwa das Patentrecht betrachtet und dessen Zentralbegriff „technische Erfindung“, der allein – aber eben auch: immerhin – juristischer Schutz zuteil wird, zeigt sich deutlich, welche Vorarbeit geleistet werden muss, um im juristisch relevanten Sinne der Frage nachgehen zu können, wem das Wissen gehört. Wenn man über den vorhandenen Schutz des Urheber- und Patentrechts oder der sonstigen, jetzt schon geschützten Wissenskategorien hinausgelangen will, benötigt man mithin zuerst eine wie auch immer zu definierende Eingrenzung dieses Wissens; es muss eine den Begriffen „Werk“ bzw. „technische Erfindung“ vergleichbare
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Zum Folgenden s. nur Wandtke, Urheberrecht, 3. Aufl, 2012, 1. Kap, Rz. 2 ff., S. 4 ff. Hierzu aufschlussreich Schickert (de la Durantaye), Der Schutz literarischer Urheberschaft im Rom der klassischen Antike, 2005. 7
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Christoph G. Paulus
Kategorie gefunden werden, um mit ihrer Hilfe dann einen entsprechenden Schutz zu entwickeln. Die historische Erfahrung zeigt freilich, dass ein solcher Schritt nicht gewissermaßen „am Reissbrett“ entworfen werden kann; vielmehr entwickelt sich Recht üblicherweise so, dass sich das Bewusstsein einer Regelungslücke allmählich verdichtet; hunderte, tausende, ja sogar abertausende Einzelfälle sind nötig, um das Bewusstsein zu schärfen, dass sie alle ein Gemeinsames, noch auf einen gemeinsamen Nenner zu Bringendes verbindet. Als ein herausragendes Beispiel für diese Mühseligkeit mag der (an sich überhaupt nicht in den vorliegenden Kontext passende) Begriff der Fahrlässigkeit dienen: In dem XII-Tafelgesetz aus dem Jahre 450 v. Chr. umschreiben die alten Römer das adressierte Phänomen so, dass „der Speer die Hand mehr flieht, als dass er geworfen wird“.8 Sie, die die Lehrmeister des rechtlichen Denkens sind – in weiten Teilen des Zivilrechts sogar noch in die heutige Zeit hinein wirkend –, haben es in tausendjährigem Schaffen nicht vermocht, zu der heute gültigen Definition zu kommen, dass Fahrlässigkeit dann vorliegt, wenn man „die im Verkehr übliche Sorgfalt außer Acht lässt“, § 276 BGB. III. Mit diesen skizzenhaften Überlegungen soll es hier sein Bewenden haben. Das ist zwar ernüchternd und ein wenig unbefriedigend, doch in Anbetracht der enormen Herausforderung, das Wissen juristisch operationabel und zuordnenbar zu machen, ist der Rückblick auf bisheriges, vergleichbares Vorgehen vielleicht doch ein wenig hilfreich. Der Jubilar jedenfalls ist dank seiner Interessenausrichtung auf das Immaterialgüterrecht einer der Vorkämpfer für diese Aufgabe. Möge er die vorstehenden Gedanken mit Gewinn, und sei er noch so gering, lesen.
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Tab. VIII 24a: Si telum manu fugit magis quam iecit, aries subicitur.
Weniger Urheberrecht ist mehr Haimo Schack I. Handlungsbedarf Das Urheberrecht befindet sich in einer Legitimationskrise. Um die richtige Balance zwischen den Interessen der Urheber, der kommerziellen Verwerter und der Kulturverbraucher wird so heftig gestritten wie nie zuvor. Manche Widersprüche sind offensichtlich: Einerseits ist die Politik sich der Gefahr einer „Hypertrophie der Schutzrechte“ bewusst,1 andererseits werden Schutzfristen immer weiter verlängert 2 und die Einführung immer neuer, fragwürdiger Leistungsschutzrechte vorbereitet3 oder gefordert.4 Einerseits will man die Medienkompetenz der Bevölkerung stärken, andererseits werden die Nutzer einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt, wenn sie etwa ihren WLAN-Anschluss nicht ausreichend sichern5 oder fremde Texte und Bilder ins Internet stellen. Einerseits soll das Urheberrecht besondere schöpferische Leistungen belohnen und Investitionen absichern, andererseits setzen viele digitale Bild- und Tonaufnahmen heute weder besondere Fertigkeiten noch Investitionen voraus, die ein Schutzrecht rechtfertigen könnten. Das Internet leistet einen fundamentalen Beitrag zur Meinungs-, Informations- und Kunstfreiheit, indem jeder Nutzer als Autor, Verleger oder Künstler ohne großen finanziellen und technischen Aufwand ein unbegrenztes Publikum erreichen kann. Während der Aufwand für die Schaffung6 und
1 Vgl. den Vortrag der damaligen Bundesjustizministerin Zypries auf der GRUR-Jahrestagung am 17.9.2004, GRUR 2004, 977–980. 2 So für ausübende Künstler und Tonträgerhersteller von 50 auf 70 Jahre durch die bis zum 1.11.2013 umzusetzende Richtlinie 2011/77/EU vom 27.9.2011, EU-ABl. L 265, S. 1. 3 Für Presseverleger im Regierungsentwurf vom 29.8.2012 (§§ 87f–87h UrhG-E). 4 Für Sportveranstalter z.B. von Hilty/Henning-Bodewig, Leistungsschutzrechte zugunsten von Sportveranstaltern?, 2007 (Rechtsgutachten); hierzu Heermann, GRUR 2012, 791–799. Vgl. auch EuGH GRUR 2012, 156 Tz. 100 ff., 103 – Football Association Premier League und Murphy. 5 BGHZ 185, 330 = GRUR 2010, 633 mit Anm. Stang/Hübner – Sommer unseres Lebens. 6 Vor allem in der Remix-Kultur; vgl. Lessig, Remix: Making Art and Commerce Thrive in the Hybrid Economy, New York 2008. Kritisch Wandtke, UFITA 2011-III, 649, 650 ff.
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Verbreitung neuer Werke drastisch sinkt, steigt im weltumspannenden Medium des Internets das Risiko, fremde Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechte zu verletzen, exponentiell. Dieses Risiko versucht man mit einer gesetzlichen Haftungsprivilegierung von Internet Service Providern einzudämmen7 und bei der Störerhaftung durch eine mühsame richterrechtliche Konkretisierung von Prüfungspflichten.8 Auf der Strecke bleiben jedoch die Anbieter eigener Inhalte, § 7 I TMG. Ihnen kann man nur helfen, indem man das Dickicht der Immaterialgüterrechte lichtet. Der folgende Beitrag will nicht die Axt an das Urheberrecht legen, sondern aufzeigen, wie man diesen wild gewachsenen Obstbaum so zurückschneiden kann, dass er weniger Schatten wirft, bessere Früchte trägt und wieder mehr geschätzt und respektiert werden kann. Die gegenwärtige Diskussion beschränkt sich regelmäßig auf die Einführung neuer oder die Erweiterung bestehender Schranken. Doch ist es mit einer solchen Schrankenkosmetik, dem Abschneiden einzelner äußerer Zweige, nicht getan. Um den Baum wieder in eine überzeugende Form zu bringen, müssen vielmehr ganze Äste entfernt werden. Gefragt ist also die Säge und nicht die Heckenschere. Meine These, von der ich glaube, dass sie auch bei Artur Wandtke auf Zustimmung stößt,9 lautet: Weniger Urheberrecht ist mehr.10
II. Lichtbilder, Laufbilder, einfache Datenbanken 1. Das Missverhältnis von Schutzbedürftigkeit und Störpotenzial ist besonders groß bei einfachen Lichtbildern, die im deutschen Recht gemäß § 72 I UrhG wie Lichtbildwerke (§ 2 I Nr. 5 UrhG) geschützt werden. Der Grund hierfür liegt außer in der starken Fotografenlobby in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts11 in den angeblich „unüberwindlichen Abgrenzungsschwierigkeiten“.12 Indes kann man dieser Abgrenzung schon wegen der unterschiedlichen Schutzfrist in § 72 III UrhG und wegen des fehlenden Schutzes von Lichtbildern auf internationaler Ebene nicht ausweichen.13
7 Vgl. §§ 7 II, 8–10 TMG und Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 6. Aufl. 2013, Rn. 771 f. 8 Vgl. OLG Hamburg MMR 2012, 393 – Rapidshare II; Schack, UrhR, Rn. 767; ders., Täter und Störer: Zur Erweiterung und Begrenzung der Verantwortlichkeit durch Verkehrspflichten, in FS Reuter 2010, S. 1167–1182. 9 Vgl. zuletzt Wandtke, Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?, UFITA 2011-III, 649–684. 10 Mit der Devise „weniger ist mehr“ strebte der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) die Reduktion auf das Wesentliche an. 11 Vgl. Schack, in GedS Eckert 2008, S. 725, 736. 12 RegE BTDr. IV/270, S. 89. 13 Schack, UrhR, Rn. 720.
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Das Urheberrecht schützt keine handwerklichen, sondern nur künstlerische Leistungen, nur „persönliche geistige Schöpfungen“ (§ 2 II UrhG). Von ihnen kann bei banalen Urlaubsfotos so wenig die Rede sein wie bei professionellen Produktfotos. Die rein handwerkliche Leistung eines Reproduktionsfotografen verdient verglichen mit der von Malermeistern oder technischen Zeichnern keinen besonderen Schutz, nur weil Ersterer sich bei seiner Arbeit des Lichts oder einer anderen strahlenden Energie bedient. Allen Fotografen unter dem Mantel der „verwandten Schutzrechte“ (nahezu) vollen Urheberschutz zu gewähren, war deshalb ein schwerer Fehler. Die negativen Auswirkungen dieses unverdienten Schutzes auf die Kommunikationsfreiheit zeigen sich, wenn im Internet frei zugängliche, aber de lege lata nach § 72 I UrhG geschützte Produktfotos zur Illustration eines Verkaufsangebots auf eBay oder zu ähnlichen Zwecken genutzt werden.14 Die Meinungs- und Kunstfreiheit (Art. 5 I, III GG) wird empfindlich getroffen, wenn über den Lichtbildschutz von Reproduktionsfotografien die Zitierfreiheit (§ 51 UrhG) der abgebildeten Kunstwerke unterlaufen werden kann.15 Die unhaltbare Situation wird dadurch noch verschärft, dass manche Untergerichte die (angeblich) angemessene Lizenzgebühr wegen unterlassenen Bildquellennachweises (§ 13 UrhG) pauschal verdoppeln.16 Hier haben die Reproduktionsfotografen und ihre Anwälte im Internet eine lukrative Einnahmequelle entdeckt, die spürbar dazu beiträgt, dass das Urheberrecht insgesamt unter den Internetnutzern in Misskredit geraten ist. 2. Für den Schutz einfacher Laufbilder durch §§ 95, 94 UrhG gilt das Gleiche. Anders als ambitionierte Filmwerke (§ 2 I Nr. 6 UrhG) lassen sich Laufbilder heute ohne großen technischen Aufwand herstellen. Das gilt für die Bedienung eines Handys oder einer Digitalkamera wie für die Bearbeitung der Digitalisate. Wenn der Fotograf vor der Kamera kein Werk inszeniert, gibt es keinen Grund, die mechanisch-handwerkliche Ablichtung der Realität mit einem urheberrechtsähnlichen Monopolrecht (§ 94 UrhG) zu belohnen. Das wird die Pornofilmindustrie naturgemäß anders sehen; doch wo künstlerische Ambitionen fehlen, hat das Urheberrecht nichts verloren. Und vor schmarotzenden Konkurrenten schützt das Lauterkeitsrecht (s. unten VII). 3. Im Hinblick auf die Informationsfreiheit (Art. 11 GRCh, Art. 5 I GG) bedenklich ist auch der von der EU befohlene sui-generis-Schutz einfacher Datenbanken in §§ 87a ff. UrhG.17 Hier werden nicht nur Werke, sondern 14
OLG Braunschweig MMR 2012, 328 – Produktfotos bei eBay; BGH GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de. 15 So die wohl noch h.M.; dagegen Schack, Bildzitate zu Lasten der Fotografen?, in FS Pfennig 2012, S. 207–215, 210 m.w.N., und in UrhR, Rn. 550. 16 Nachweise bei Schack, UrhR, Rn. 784. Dogmatisch richtig ist der Weg über den Ersatz des immateriellen Schadens gemäß § 97 II 4 UrhG. 17 Beruhend auf Art. 7 der RL 96/9/EG vom 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, EG-ABl. 1996 L 77, S. 20.
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auch schlichte, aber womöglich wichtige Daten mittelbar monopolisiert, wenn diese nämlich außerhalb der geschützten Datenbank nicht oder nur schwer zugänglich sind. Für ein Leistungsschutzrecht fragwürdig ist schon der Schutzgegenstand, die „wesentliche Investition“ des Datenbankherstellers.18 Nur weil etwas Geld gekostet hat, muss es noch lange nicht immaterialgüterrechtlich geschützt werden. Auch hat die EU-Kommission ihr Ziel, die europäische Datenbankindustrie zu stärken, nach eigenem Eingeständnis nicht erreicht,19 während die Konkurrenz in den USA auch ohne ein Datenbankherstellerrecht floriert. Die logische Konsequenz, ein nutzloses Schutzrecht, das auf nationaler wie europäischer Ebene unzählige Gerichtsentscheidungen provoziert, wieder abzuschaffen, hat die EU-Kommission dennoch nicht gezogen. Das ist ein Beispiel dafür, wie schwer die Korrektur verfehlter Immaterialgüterrechte fällt, wenn sich die Rechteinhaber erst einmal an sie gewöhnt haben. Mit der Abschaffung dieses Sonderschutzes entstehen im Internet Freiräume für Linksammlungen und andere nicht urheberschutzfähige Zusammenstellungen von Daten.
III. „Kleine Münze“ des Urheberrechts 1. Lichten muss man nicht nur den Wildwuchs der Leistungsschutzrechte (oben II), sondern auch die „kleine Münze“ des Urheberrechts.20 Bedienungsanleitungen, Formulare, einfache Computerprogramme und andere Erzeugnisse des menschlichen Geistes, die allenfalls Spurenelemente einer schöpferischen Tätigkeit enthalten, verdienen keinen absoluten, immaterialgüterrechtlichen Schutz, erst recht nicht für die Dauer von 70 Jahren post mortem auctoris. Die „Schöpfer“ solcher Allerweltsprodukte sind meist unbekannt, auch interessiert sich niemand für sie. Das Urheberrecht dient hier nur als Waffe der Verwertungsindustrie, es wird wirtschaftspolitisch instrumentalisiert. Die Masse der alltäglichen Erzeugnisse kann nicht den gleichen Schutz und erst recht nicht den gleichen Respekt der Bevölkerung verlangen wie die große Kunst, in deren Gefolge die kleine Münze mitschwimmt. Völlig mit Recht setzt die Rechtsprechung deshalb die Schutzschwelle bei Werken der angewandten Kunst deutlich höher an,21 und auch an die Individua18
§ 87a I 1 und II UrhG; vgl. Schack, UrhR, Rn. 744. Vgl. den Evaluierungsbericht vom 12.12.2005 zur Datenbank-RL und die Stellungnahme des MPI für Geistiges Eigentum in GRUR Int. 2006, 725–728. 20 Für deren Zurückdrängung Schack, UrhR, Rn. 297 f. m.w.N.; Wandtke, UFITA 2011-III, 658; Rehbinder, Urheberrecht, 16. Aufl. 2010, Rn. 61; Gernot Schulze, Die kleine Münze und ihre Abgrenzungsproblematik bei den Werkarten des Urheberrechts, 1983, S. 279 ff.; Peifer, Das Urheberrecht und die Wissensgesellschaft, UFITA 2007-II, 327, 354; Ulf Müller, in FS Pfennig 2012, S. 179, 192, 198. 21 Schack, UrhR, Rn. 232 m.w.N. Das ist verfassungsgemäß, BVerfG GRUR 2005, 410 f. – Laufendes Auge. 19
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lität von wissenschaftlichen Werken, Anwaltsschriftsätzen und Briefen stellt sie deutlich höhere Anforderungen.22 Bei anderen Sprachwerken und bei Musikwerken23 großzügiger zu sein, besteht kein Anlass. Dass Werke der „kleinen Münze“ nur einen kleinen, dem geringen Gestaltungsspielraum entsprechenden Schutzumfang aufweisen, macht ihren urheberrechtlichen Schutz darum längst noch nicht harmlos. Zum einen partizipieren sie zu Lasten der übrigen Urheber an dem Aufkommen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen, das von den Verwertungsgesellschaften verteilt wird. Zum anderen entfalten Urheberrechte an Werken der kleinen Münze, auch wenn sie praktisch oft nicht durchgesetzt werden, ein erhebliches Abschreckungspotenzial. Viele Nutzer und Urheber werden von einer Nutzung oder Bearbeitung vorsichtshalber Abstand nehmen, wenn sie nicht sicher abschätzen können, ob ein Werk urheberrechtlich geschützt ist und die Rechte auch geltend gemacht werden. Die Profit maximierenden Abmahnwellen mancher Anwälte24 tragen zusätzlich zur Einschüchterung (und Empörung) der Bevölkerung bei. Die Lösung kann hier nur in einer deutlichen Heraufsetzung der Schutzschwelle bestehen. Nur wenn für jedermann offensichtlich ist, dass eine schutzwürdige, besondere schöpferische Leistung vorliegt, kann man Respekt für das Urheberrecht erwarten. 2. Während Leistungsschutzrechte nur vom Gesetzgeber geschaffen und wieder abgeschafft werden können, hätte die Rechtsprechung es grundsätzlich selbst in der Hand, die Schutzschwelle des § 2 II UrhG anzuheben. Adressat für solche Forderungen ist heute allerdings immer weniger der deutsche Bundesgerichtshof als vielmehr der EuGH in Luxemburg. Denn der Werkbegriff ist in wichtigen Teilbereichen durch EU-Richtlinien vorgegeben. So ist die nötige Individualität von Computerprogrammen und Lichtbildwerken zu bejahen, wenn „sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind“.25 Diese eher niedrige Schutzschwelle will der EuGH auch auf andere Werkarten anwenden.26 Diese über den sektoralen Geltungsbereich der EU-Richtlinien hinausgehende Rechtsangleichung durch Richterrecht setzt sich über den begrenzten Regelungswillen der Mitgliedstaaten hinweg. Hier erweist sich der EuGH einmal mehr als selbstständiger Integrationsmotor der EU. Das wird bedenklich, wenn der EuGH durch seine Rechtsprechung die Schlagseite der ver-
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Schack, UrhR, Rn. 205, 296 m.w.N. Restriktiv für „unwesentliche“ Bearbeitungen von Werken der Volksmusik auch § 3 Satz 2 UrhG; vgl. Schack, UrhR, Rn. 272 f. 24 Hierzu etwa Malkus, Harry Potter und die Abmahnung des Schreckens, MMR 2010, 382–388. 25 Art. 1 III 1 Computerprogramm-RL, Art. 6 Schutzdauer-RL. 26 So für die Vervielfältigung von Werkteilen in Art. 2 Harmonisierungs-RL EuGH GRUR 2009, 1041 mit Anm. Gernot Schulze 1019 – Infopaq I. 23
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werterfreundlichen EU-Gesetzgebung noch verstärkt. Beispiele sind die unzureichende Berücksichtigung der Nutzerinteressen in der abschließenden, unflexiblen Regelung der Schranken in Art. 5 Harmonisierungs-RL, aber auch das von der EU ausgehandelte Anti-Counterfeiting Trade Agreement27 (ACTA), das zum Glück im Juni 2012 im EU-Parlament gescheitert ist. Wenn die EU immer wieder einseitigen Verwerterinteressen nachgibt, wie zuletzt bei der Schutzfristverlängerung zugunsten von ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern (s. unten V), vergrößert das die Akzeptanzprobleme nicht nur des Urheberrechts, sondern auch der Europäischen Union. Der Aufgabe, das hypertrophe Urheberrecht auf eine konsensfähige Form zurückzuschneiden, müssen sich deshalb auch die EU und insbesondere der EuGH stellen.
IV. Andere Monopolisierungsversuche Das Urheberrecht gerät auch dadurch in Misskredit, dass immaterialgüterrechtsgleiche Befugnisse sachfremd aus anderen Rechten hergeleitet werden. 1. Dazu kann es leicht unter dem Mantel des Schutzes nachgelassener Werke (§ 71 UrhG) kommen. So hat das LG Magdeburg dem Land SachsenAnhalt als Eigentümerin der 3600 Jahre alten Himmelsscheibe von Nebra, die (auf 25 Jahre befristeten) Verwertungsrechte gemäß § 71 UrhG zugesprochen.28 Das war gleich doppelt verfehlt: Zum einen erfasst § 71 I 2 UrhG in richtlinienkonformer Auslegung von Art. 4 Schutzdauer-RL überhaupt nur solche Werke, die irgendwann einmal urheberrechtlich geschützt gewesen sind.29 Zum anderen ist Inhaber dieses Leistungsschutzrechts niemals der Eigentümer als solcher,30 sondern der Verleger, der die schutzwürdige Leistung des Erscheinenlassens erbracht hat.31 Aus dem Sacheigentum allein folgen bei § 71 UrhG so wenig wie sonst irgendwelche urheberrechtlichen Befugnisse. 2. Die grundverschiedenen Ebenen des Sachenrechts und des Immaterialgüterrechts vermischt hat der für das Grundstücksrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH, wenn er dem Grundstückseigentümer „das ausschließliche Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien von Bauwerken und
27 Zu ihm Stieper, Das [ACTA] – wo bleibt der Interessenausgleich im Urheberrecht?, GRUR Int 2011, 124–131. 28 LG Magdeburg GRUR 2004, 672, 673 – Himmelsscheibe von Nebra. 29 Ausführlich Eva Langer, Der Schutz nachgelassener Werke, 2012, S. 86 ff., 160; a.A. Waitz, Das Leistungsschutzrecht am nachgelassenen Werk, 2008, S. 78 f. 30 Gegen das LG Magdeburg mit Recht Langer (vorige Fn.), S. 151; Waitz (vorige Fn.), S. 57; Stieper, GRUR 2012, 1083, 1085. 31 Schack, UrhR, Rn. 738, 740; Langer aaO, S. 152 f.; Stieper, GRUR 2012, 1085.
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Gartenanlagen [zuspricht], soweit diese Abbildungen von seinem Grundstück aus angefertigt worden sind“.32 An einer Eigentumsbeeinträchtigung (§§ 823 I, 1004 I 2 BGB) fehlt es jedoch nicht nur dann, wenn das Objekt vom öffentlichen Raum aus gemäß § 59 UrhG frei fotografiert und solche Fotos auch kommerziell genutzt werden dürfen,33 sondern generell. Die Fotografie greift weder in die Substanz noch in die Nutzungsmöglichkeit der abgebildeten Sache ein. Genutzt wird nur das Grundstück, das der Fotograf betreten hat. Das Betreten kann der Grundstückseigentümer verbieten, darum aber längst noch nicht den Erlös aus allen ungenehmigten Handlungen beanspruchen, die auf seinem Grundstück vorgenommen worden sind.34 Die Bildrechte stehen allein dem Fotografen zu und vorrangig dem Urheber, wenn das fotografierte Objekt (noch) urheberrechtlich geschützt ist, niemals jedoch dem Grundstückseigentümer. Die Gefahr, die von dieser verfehlten Rechtsprechung des V. Zivilsenats für die Urheber und die Allgemeinheit ausgeht, hat sich bereits realisiert: Gestützt auf das Grundeigentum der Berliner Verkehrsbetriebe BVG an ihren Bahnhöfen und U-Bahn-Waggons hat das LG Berlin dem Produzenten des Filmwerks „Unlike U-Trainwriting in Berlin“ jede Vervielfältigung und Verbreitung der ungenehmigten Filmaufnahmen der Verkehrsmittel und der Betriebsanlagen der Klägerin verboten.35 Die beiden inkriminierten Filmszenen zeigen vermummte Personen, die einen U-Bahn-Waggon im Bahnhof von außen und unterwegs von innen mit Graffiti besprühen. Dem BGH36 folgend meint das LG Berlin, dass der Verwertung der ungenehmigten Abbilder „gegenüber ihrer Herstellung ein eigener – zusätzlicher – Unrechtsgehalt inne wohnt mit der Folge, dass auch die isolierte Verwertung fremder Bilder für sich genommen eine Eigentumsstörung darstellt“.37 Aber wer eine fremde Straftat filmt, wird dadurch noch nicht zum Mittäter einer Sachbeschädigung oder eines Hausfriedensbruchs, und ein Filmregisseur bzw. Produzent, der solches Filmmaterial in ein Filmwerk integriert, handelt erst recht nicht unerlaubt, sondern im Rahmen seiner grundrechtlich garantierten Kunstfreiheit. 3. Gegenüber dem Urheberrecht bedenklich verselbstständigt hat sich auch der Schutz technischer Maßnahmen durch den 2003 eingefügten § 95a
32 BGH (V ZR 45/10 – Preußische Schlösser und Gärten) JZ 2011, 371, 1. Leitsatz, mit abl. Anm. Schack = GRUR 2011, 323 mit abl. Anm. H. Lehment = ZUM 2011, 327 mit abl. Anm. Stieper. Kritisch auch Dreier, in FS Pfennig 2012, S. 15, 22 f. 33 BGH (vorige Fn.), Tz. 12; BGH NJW 1989, 2251, 2252 – Friesenhaus (I. ZS). 34 Schack, JZ 2011, 376; Stieper, ZUM 2011, 332; vgl. auch H. Lehment, Das Fotografieren von Kunstgegenständen, 2008, S. 106. 35 LG Berlin ZUM 2012, 815 = KUR 2012, 178 mit Anm. B. Raue 166. 36 Oben Fn. 32 Tz. 17. 37 LG Berlin KUR 2012, 178, 181.
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UrhG.38 Während Art. 11 WCT die Vertragsstaaten nur zum Schutz solcher technischer Maßnahmen verpflichtet, „die Handlungen in Bezug auf ihre Werke einschränken, die die betreffenden Urheber nicht erlaubt haben oder die gesetzlich nicht zulässig sind“, schützen Art. 6 Harmonisierungs-RL und der sie umsetzende § 95a UrhG technische Schutzmaßnahme um ihrer selbst willen, also auch dann, wenn sie die Nutzung von gemeinfreien Werken oder solche Nutzungshandlungen verhindern sollen, die von den gesetzlichen Schranken des Urheberrechts gedeckt wären.39 Das Ergebnis ist ein „PseudoUrheberrecht“, das die vom Urheberrechtsgesetzgeber angestrebte Balance von Monopolisierungs- und Allgemeininteressen zum Vorteil von Verwertern verschiebt, die technische Schutzmaßnahmen einsetzen.40 Damit geht faktisch ein weiteres Stück Gemeinfreiheit verloren.
V. Sicherung der Gemeinfreiheit Immer wieder gibt der Gesetzgeber dem Drängen der Verwertungsindustrie nach, indem er urheberrechtliche Schutzfristen ein ums andere Mal verlängert und neue Schutzrechte schafft. Dadurch wird im Interesse individueller Monopole die Gemeinfreiheit Stück für Stück zurückgedrängt und die Allgemeinheit um ihren Teil des Deals – zeitlich und inhaltlich begrenzte Monopolrechte gegen anschließende freie Nutzung für alle – betrogen. Die jüngste Verlängerung der Schutzfrist für ausübende Künstler und (primär) für Tonträgerhersteller durch die Richtlinie 2011/77/EU41 war deshalb ein Fehler, ebenso die Heraufsetzung der allgemeinen Schutzfrist des Urheberrechts von 50 auf 70 Jahre post mortem auctoris in § 64 UrhG durch den deutschen Gesetzgeber von 1965. Dass sich der europäische Gesetzgeber dem mit der Schutzdauer-RL von 1993 angeschlossen hat,42 macht die Sache nicht besser. Die Enkel und Urenkel von Urhebern verdienen kein arbeitsloses Einkommen, und die legitimen Amortisationsinteressen der Verwerter sind 50 Jahre nach dem Tode des Urhebers längst befriedigt. Geboten ist deshalb eine Verkürzung der Schutzfrist auf die international üblichen 50 Jahre post mortem auctoris.43 38 Verstöße hiergegen werden nicht durch § 97 UrhG, sondern über § 823 II BGB sanktioniert; BGH GRUR 2008, 996, 997 – Clone-CD; Schack, UrhR, Rn. 839 m.w.N., und sogar mit den Mitteln des Strafrechts in § 108b UrhG. 39 § 95b UrhG privilegiert auf technisch fragwürdige Weise nur einzelne Schrankennutzungen („Schranken erster Klasse“), zu denen jedoch z.B. weder die Zitierfreiheit noch digitale Vervielfältigungen zum privaten Gebrauch zählen; vgl. Schack, UrhR, Rn. 835 ff. 40 Schack, UrhR, Rn. 838, 829. Vgl. auch Stieper, Rechtfertigung, Rechtsnatur und Disponibilität der Schranken des Urheberrechts, 2009, S. 433 ff., 537. 41 S. oben Fn. 2. Kritik an den Plänen schon bei Klass, ZUM 2008, 663, 673. 42 Art. 1 I der RL 93/98/EWG, heute RL 2006/116/EG, EU-ABl. 2006 L 372, S. 12. 43 Schack, UrhR, Rn. 518 (seit der 5. Aufl. 2010); vgl. auch Chr. Seidel, Die zeitliche
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Immaterialgüterrecht und Gemeinfreiheit sind komplementäre Werte, die in einen gerechten Ausgleich gebracht werden müssen.44 Dabei sind die Interessen der Allgemeinheit in den letzten 25 Jahren deutlich zu kurz gekommen. Das ist ein wesentlicher Grund für die sehr kritische bis ablehnende Haltung weiter Teile der Öffentlichkeit gegenüber dem Urheberrecht. Mit der Gemeinfreiheit muss man Ernst machen, indem man die Zahl und den Inhalt der Schutzrechte nicht ausufern lässt, und erst recht nach Ablauf der Schutzfrist.45 Das gilt besonders für die Vermeidung eines mittelbaren Produktschutzes durch Formmarken (vgl. § 3 II Nr. 3 MarkenG). Generell ist die Nachahmung fremder Waren oder Dienstleistungen nach Ablauf der Schutzfrist nicht per se unlauter, sondern nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen von § 4 Nr. 9 UWG.46 Dann lässt sich die Unlauterkeit auch nicht mehr über § 3 UWG auf das Einschieben in eine fremde Serie stützen.47 Den Domaine public sichert und vergrößert man am besten durch die strikte Begrenzung der Immaterialgüterrechte. Die sie umgebenden Grauzonen vor allem des Lauterkeitsrechts müssen so klein wie möglich gehalten werden, damit gemeinfreie Immaterialgüter nicht aus Angst vor Rechtsverletzungen ungenutzt bleiben. Abzulehnen sind allerdings Vorschläge, den Domaine public mittelbar dadurch zu vergrößern, dass man entgegen Art. 5 II 1 RBÜ die Gewährung von Urheberrechtsschutz wieder an die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten knüpft.48 Das träfe nur die Urheber „großer Kunst“, ohne das Problem der „kleinen Münze“ zu lösen (s. oben III 1).
VI. Spielraum für Reformen durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung Der Spielraum für den notwendigen Rückbau des Urheberrechts wird durch verschiedene international-, europa- und verfassungsrechtliche Vorgaben eingeschränkt. Begrenzung des Urheberrechts, 2002, S. 161, 145 (50 Jahre p.m.a. „am ausgewogensten“). Nils Beier, Die urheberrechtliche Schutzfrist, 2001, S. 135 (besprochen von Schack, RabelsZ 67 [2003] 628–631) hält eine Schutzfrist von 40 bis 90 Jahren p.m.a. für interessengerecht. 44 Vgl. Peukert, Die Gemeinfreiheit, 2012; Peifer, UFITA 2007-II, 327, 355 f. 45 Ausführlich Benjamin Raue, Nachahmungsfreiheit nach Ablauf des Immaterialgüterrechtsschutzes?, 2010. 46 Schack, UrhR, Rn. 79 ff.; Sambuc, in Harte/Henning, UWG, 2. Aufl. 2009, § 4 Nr. 9 Rn. 15; vgl. BGH GRUR 2007, 339, 342 Tz. 24 – Stufenleitern. 47 Im Ergebnis richtig BGHZ 161, 204, 212 ff. – Klemmbausteine III; vgl. Julia Deufel, „LEGO“ im Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht, 2011, S. 226 ff., 235; Raue (Fn. 45), S. 171. 48 Gegen Stef van Gompel, Formalities in Copyright Law, Alphen 2011, S. 8, 285 (besprochen von Schack in UFITA 2012-III).
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1. Die großen internationalen Konventionen zum Schutz des Urheberrechts – die RBÜ, TRIPs und der WCT – haben sich bewährt und dürfen nicht angetastet werden, müssen dies für unsere Zwecke aber auch nicht. Der Werkbegriff in Art. 2 RBÜ ist offen im Sinne einer persönlichen geistigen Schöpfung, ohne jedoch Aussagen über die Höhe der nach nationalem Recht zu bestimmenden Schutzschwelle zu treffen.49 Vorgegeben sind die in Art. 2 I RBÜ genannten Werkarten; ob auch Erzeugnisse der kleinen Münze geschützt werden sollen, bleibt offen. Art. 7 I, VI RBÜ verlangt auch nur eine Mindestschutzfrist von 50 Jahren post mortem auctoris. Auch die großen Übereinkommen über den Leistungsschutz für ausübende Künstler, Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen – das Rom-Abkommen, Art. 14 TRIPs und der WPPT – erfassen schon von ihrem Regelungsgegenstand her nicht die hier problematischen einfachen Lichtbilder, Laufbilder und Datenbanken (oben II). Internationalrechtlich ist die Bahn für Reformen also frei. 2. Europarechtlich ist der Spielraum dagegen deutlich enger. Die Abschaffung des sui-generis-Schutzrechts für einfache Datenbanken (s. oben II 3) setzt eine Änderung der Datenbank-RL voraus. Für die Zurückdrängung der kleinen Münze hingegen müssten keine EU-Richtlinien geändert werden. Hier wäre es Aufgabe des EuGH, die Anforderungen an eine „eigene geistige Schöpfung des Urhebers“ anzuheben. So muss Art. 6 Schutzdauer-RL nicht zwingend zu einer Absenkung der Schutzuntergrenze führen, wenn der EuGH stärker den Erwägungsgrund 16 der Schutzdauer-RL 2006/116/EG betont, der eine „eigene geistige Schöpfung des Urhebers, in der seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt“,50 verlangt.51 Gefordert ist der EU-Gesetzgeber wieder bei einer Reduzierung der 70-jährigen postmortalen Schutzfrist in Art. 1 Schutzdauer-RL und bei der Rückführung des Schutzes von technischen Maßnahmen in Art. 6 Harmonisierungs-RL auf den berechtigten Kern von Art. 11 WCT (s. oben IV 3). 3. Heikler sind von Grundrechten gezogene Schranken (Art. 17 GRCh, Art. 14 I GG), wenn Schutzfristen verkürzt oder ein bisher gewährter Urheberrechtschutz zurückgenommen werden sollen. Was Gegenstand und Inhalt des Eigentums ist, bestimmt ganz wesentlich der Gesetzgeber. Während es bei der Ausgestaltung der Schranken des Urheberrechts um die Institutsgarantie geht,52 ist bei einem Eingriff in bestehende Rechte die Bestandsgarantie betroffen. Das bedeutet nicht, dass eine einmal gewährte Rechtsposition für
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Vgl. Schack, UrhR, Rn. 952, 954, 1033. Hervorhebung von mir. 51 Das tut EuGH GRUR 2012, 166 Tz. 88 ff. – Painer/Standard (Porträtfoto), mit Anm. Seiler K&R 2012, 104–108; leider nicht jedoch BGH GRUR 2000, 317, 318 – Werbefotos; öst. OGH GRUR Int. 2002, 865, 866 f. – Eurobike. 52 Vgl. Schack, UrhR, Rn. 92 ff. 50
Weniger Urheberrecht ist mehr
19
alle Zeiten unantastbar ist;53 der Gesetzgeber kann vielmehr „individuelle Rechtspositionen umgestalten, ohne damit gegen die Eigentumsgarantie zu verstoßen.“54 Hierfür bedarf es jedoch sachlicher „Gründe des öffentlichen Interesses“, die einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten müssen.55 In Fällen einer echten Rückwirkung kann dies, abhängig vom Ausmaß und Wert der bisher geschützten Leistung, Ausgleichs- und Übergangsregelungen erfordern.56 Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Reduzierung einer als zu lang erkannten Schutzfrist möglich.57 Das BVerfG hatte auch nichts dagegen, den fremdenrechtlichen Schutz US-amerikanischer ausübender Künstler über das fiktive Bearbeiterurheberrecht zum 1.1.1966 ersatzlos entfallen zu lassen.58 Dann kann die Bestandsgarantie des Art. 14 GG erst recht einer Herausdrängung der „kleinen Münze“ aus dem Urheberrecht nicht entgegenstehen, zumal bei diesen „geistigen“ Erzeugnissen weder die Kunstfreiheit noch persönlichkeitsrechtliche Interessen ernstlich betroffen sind. Im Ergebnis kann der Gesetzgeber daher Leistungsschutzrechte (§§ 72, 87a, 95 UrhG) auch wieder zurücknehmen (oben II), und parallel dazu kann die Rechtsprechung, wenn sie will, die Schutzschwelle deutlich anheben und die „kleine Münze“ aus dem Urheberrecht entfernen (oben III).
VII. Ausblick Die hier vorgeschlagene Radikalkur löst längst nicht alle Probleme des Urheberrechts im digitalen Zeitalter, insbesondere nicht die illegale Nutzung von Musik- und Filmwerken im Internet. Doch reduziert sie das Haftungspotenzial ganz erheblich, wenn die Hersteller von Lichtbildern, Laufbildern, einfachen Datenbanken und sonstiger „kleiner Münze“ die Kommunikationsfreiheit nicht mehr durch ungerechtfertigte Ausschließlichkeitsrechte behindern können. Wenn sich das Urheberrecht auf seine Kernaufgabe besinnt, besondere, schöpferische Leistungen zu schützen,59 kann es auch 53 BVerfGE 31, 275, 284 = GRUR 1972, 491 – Schallplatten; BVerfG GRUR 2010, 332, 335 – Filmurheberrecht (zur Aufhebung von § 31 IV UrhG). 54 BVerfGE 31, 275, 285 zur Umformung des fiktiven Bearbeiterurheberrechts in § 2 II LUG in die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler gemäß §§ 73 ff. UrhG. 55 BVerfGE 31, 275, 289 f., 294; BVerfG GRUR 2010, 332, 335. 56 Vgl. Grzeszick, Geistiges Eigentum und Art. 14 GG, ZUM 2007, 344, 349 f., 353; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 2010, Art. 17 Rn. 39. 57 BVerfGE 31, 275, 291 f. Hierbei hat das BVerfG 1971 die damals geltende Schutzdauer von nur 25 Jahren für ausübende Künstler als angemessen akzeptiert, aaO 288 f. 58 BVerfGE 81, 208, 217 = GRUR 1990, 438, 440 – Bob Dylan. Vgl. Schack, UrhR, Rn. 934. 59 Vgl. auch die Erläuterungen (Art. 52 VII GRCh) zu Art. 17 II GRCh, die das Urheberrecht als literarisches und künstlerisches Eigentum bezeichnen.
20
Haimo Schack
leichter bei der Rechtsdurchsetzung von der breiten Öffentlichkeit den Respekt und den Schutz einfordern, den die Schöpfer „von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst“ (§ 1 UrhG) verdienen. Für wirtschaftlich relevante Erzeugnisse, die nicht von der Persönlichkeit ihres Schöpfers geprägt sind und deshalb aus dem Urheberrecht herausfallen, bleibt immer noch der lauterkeitsrechtliche Schutz über §§ 3, 4 Nr. 9 UWG.60 Auf diesem Wege lassen sich flexibel und für einen begrenzten, kürzeren Zeitraum legitime besondere Amortisationsinteressen vor schmarotzender Nachahmung durch Konkurrenten schützen. Wenn man die ausschließlich wirtschaftlich relevanten Leistungen aus dem Urheberrecht verabschiedet, könnte man endlich auch die anachronistischen fremdenrechtlichen Schranken des Urheberrechts aufgeben und über § 121 VI UrhG hinaus allen in- wie ausländischen Werkschöpfern den vollen Urheberschutz gewähren.61 Auch das wäre ein großer Fortschritt.
60 61
Vgl. Schack, UrhR, Rn. 297. Schack, UrhR, Rn. 1380; dafür auch Wandtke, UFITA 2011-III, 682.
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn? Anmerkungen zu einer statistischen Rechtswissenschaft am Beispiel des Urheberrechts Thomas Dreier * I. Widmung und Anlass Es gibt vielfältige Konstellationen der Verbindung zwischen Jubilar und Gratulant. Im vorliegenden Fall besteht die wohl engste Verbindung im Wettbewerbsverhältnis der beiden in Bezug auf „Ihren“ Kommentar. Seit Anbeginn wetteifern „Wandtke/Bullinger“ und „Dreier/Schulze“ um Aufmerksamkeit und Käuferschaft im Marktsegment „Urheberrecht“. Diesen Wettbewerb hat der Verleger geschickt als hausinternen Binnenwettbewerb organisiert: Unablässig feuern miteinander konkurrierende Lektorate des gleichen juristischen Fachverlages Herausgeber und Autoren an, bei der jeweils nächsten Auflage die Nase vorn zu haben. Die periodische Aktualisierungsarbeit an einem Kommentar gibt nicht nur Anlass zur fortwährenden wissenschaftlichen Durchdringung des Rechtsgebietes. Angesichts eines Turnus von drei bis vier Jahren bis zur jeweiligen Neuauflage verschafft sie zugleich einen recht guten Überblick über Ausmaß und Aufteilung der aktuellen Aktivitäten von Gesetzgeber, Gerichten und der Literatur. Das gibt Anlass, einen Festschriftenbeitrag einmal nicht einer konkreten und inhaltlich begrenzten juristischen Fragestellung, sondern ihn den Entwicklungen des Rechtsgebietes „Urheberrecht“ in der jüngsten Zeit insgesamt zu widmen. Nun ließe sich dies durchaus deskriptiv erledigen, indem die technischen Veränderungen der letzten Jahre sichtbar gemacht, der gesellschaftspolitische Druck auf Teile des Urheberrechts, wenn nicht gar das Urheberrecht insgesamt – Stichworte Piratenpartei und (erfolgreiche) AntiACTA-Demonstrationen – in seinen Ursachen und Wirkungen analysiert und die Entwicklung von europäischer sowie nationaler Gesetzgebung und Rechtsprechung nachgezeichnet würden. Im vorliegenden Beitrag sei jedoch – fast ist man versucht zu sagen: zur Abwechslung – einmal eine andere Methode gewählt, die im Wesentlichen auf der Auswertung statistischer Zah* Prof. Dr. iur. M.C.I. (New York University); Leiter des Instituts für Informationsund Wirtschaftsrecht, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe, und Honorarprofessor Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg.
22
Thomas Dreier
len beruht. Grund war, dass im Zuge der Aktualisierung der dritten Auflage des Dreier/Schulze aus dem Jahr 2008, dessen 4. Auflage Anfang 2013 erscheint, die zu jedem Gesetzesparagrafen ergangenen Entscheidungen und Aufsätze sowie Anmerkungen gesondert bibliografisch aufgelistet vorlagen. Das führte zu der Idee, einmal anhand dieses überschaubaren Zeitraums und des durch das Urheberrecht inhaltlich abgegrenzten Gebiets Möglichkeiten und Grenzen eines im Wesentlichen statistischen rechtswissenschaftlichen Erkenntnisgewinns auszuloten.1 Nach rund vierzig Jahren eines alle anderen Methoden – darunter auch Jurimetrics2 – dominierenden Law and Economics könnte eine solche Vorgehensweise durchaus vielleicht einen neuen Ansatz für den Gewinn neuer Erkenntnisse liefern. Immerhin finden sich auch international – wenn auch noch vereinzelt, so doch zunehmend – neuere juristische Arbeiten, die sich vergleichbaren Fragestellungen mit ähnlicher Methodik annehmen.3
II. Methodische Fragen Jede Ableitung möglicher Schlussfolgerungen aus erhobenen Zahlen bedarf zunächst der Versicherung über Umfang und Qualität des statistischen Ausgangsmaterials sowie über die Methode der Datenerhebung. 1. Ausgangsdatenbestand Im Zuge einer Kommentierung besteht für den Bearbeiter einer Neuauflage zum einen die Möglichkeit, aktuelle Literatur und Rechtsprechung sogleich nach Erscheinen in die Kommentierung einzuarbeiten. Die Alternative ist, Literatur und Rechtsprechung für jede der zu kommentierenden Vorschriften bis zu einem bestimmten Datum zu sammeln und dann geschlossen einzuarbeiten. Beide Methoden haben ihre Vor- und ihre Nachteile: Bleibt die Kommentierung bei der ersten Methode fortwährend aktualisiert, ermöglicht die zweite Methode aus einem gewissen zeitlichen Abstand eine Gewichtung der einzelnen Einfügungen; überdies ist bei Rechtsstreitigkeiten, 1 Die Auswertung der Daten haben die Mitarbeiter des Instituts für Informationsrecht und Wirtschaftsrecht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weitgehend selbständig vorgenommen. Frau Ref. iur. Jennifer Dunker, Herrn Philipp Nauerth, B. Sc., und Herrn Ref. iur. Andreas Wedde, LL.M., bin ich zu großem Dank verpflichtet. 2 Zur Definition s. etwa legal-dictionary.thefreedictionary.com/Jurimetrics. 3 S. nur etwa zum Urheberrecht Beebe, An Empirical Study of U.S. Copyright Fair Use Opinions, 1978–2005, 156 University of Pennsylavania Law Review 549 (2008). – Zu früheren empirischen Untersuchungen im deutschen Sprachraum s. Stauder, Patent- und Gebrauchsmusterverletzungsverfahren in der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien, 1985, und Bastian, Der Markenverletzungsprozeß in ausgewählten Ländern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1993.
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
23
die über mehrere Instanzen gehen, nicht mehrmals nachzuarbeiten. Nur bei der zweiten Methode ergibt sich – sozusagen als Abfallprodukt – hinsichtlich der einzelnen Paragrafen zahlenmäßig auswertbares Ausgangsmaterial. Bei der ersten Methode hingegen lassen sich Zahlen für die einzelnen Paragrafen lediglich im Nachhinein – und letztlich losgelöst von der Kommentierungsarbeit – durch eine systematische Abfrage automatisiert abfragbarer Datenbanken, insbesondere also „juris“ und „beck-online“, in Erfahrung bringen. Hier ergibt sich bereits ein erster Unterschied in Bezug auf den Versuch, aus den im Zuge der Vorbereitung der 4. Auflage des Dreier/Schulze angefallenen Daten Schlüsse abzuleiten. Denn nur der Verfasser ist nach der zweiten Methode vorgegangen, der Co-Kommentator hingegen nach der ersten. Damit war die zahlenmäßige Auswertung der Rechtsprechung und Literatur, die für die Kommentierung als relevant erachtet und diesem Beitrag zugrunde gelegt worden ist, auf die Einleitung sowie die §§ 4–6; 15 II, III; 19–22; 43; 44a–60; 64–71; 73–84; 87–87e; 96–103; 106–111c und 120–143 UrhG beschränkt.4 Die absoluten Zahlen auch der übrigen Vorschriften des Urheberrechtsgesetzes nachträglich aus den Korrekturfahnen des Co-Kommentators herauszulesen, erwies sich angesichts des Aufwandes, den dies erfordert hätte, letztlich als nicht durchführbar. Das mag zwar den absoluten Wert der aus den Daten abgeleiteten Aussage mindern. In methodischer Hinsicht allerdings lag darin zugleich jedoch ein gewisser Vorteil: Es ließen sich nämlich nicht nur die Ergebnisse der automatisierten Abfrage verschiedener Datenbanken ermitteln und miteinander vergleichen, sondern es ergab sich auf diese Weise zumindest für die Hälfte der zu kommentierenden Paragrafen des Urheberrechtsgesetzes auch die Möglichkeit eines Vergleichs zwischen automatisierter Rechtsprechungs- und Literaturrecherche zum einen und händischer Auswertung von Zeitschriften zum anderen. 2. Auswahlkriterien Damit ist in methodischer Hinsicht als erstes der Maßstab für die Datenauswahl angesprochen. Ausgangspunkt für die händische Auswertung waren die deutschsprachigen juristischen Zeitschriften zum Urheberrecht, zum Recht des geistigen Eigentums, zum Computer- und zum Medienrecht, unter Ausschluss der vornehmlich auf Praktiker ausgerichteten Zeitschriften, in denen Urteile 4 Die vom Verf. in der 4. Auflage zusammen mit Dr. Louisa Specht ebenfalls kommentierten Vorschriften des Rechts am eigenen Bild (§§ 22–24, 33 ff. KUG) sind in die vorliegende Auswertung nicht mit einbezogen worden. – Im Vergleich zum Urheberrecht ist aufgrund der in Folge der Caroline-Rechtsprechung des EGMR zahlreichen unter- wie höchstrichterlichen Rechtsprechung deutscher Gerichte im hier in den Blick genommenen Zeitraum zwischen 2008 und 2012 ein weiterer, zahlenmäßig bedeutsamer Schwerpunkt gerichtlicher Tätigkeit zu verzeichnen.
24
Thomas Dreier
lediglich kurz zusammengefasst kommentiert werden, jedoch ergänzt um die Rubrik „3.11 – Gewerblicher Rechtsschutz, Urheber- und Verlagsrecht“ der Karlsruher Juristischen Bibliographie (KJB), mittels derer vor allem das monografische Schrifttum erfasst wurde. Aus diesen Zeitschriften wurden Entscheidungen, Aufsätze und Urteilsanmerkungen bibliografisch erfasst und – teils unter Mehrfachnennung – den einzelnen zu kommentierenden Paragrafen zugeordnet. Vorrangiges Kriterium für die Zuordnung zu den einzelnen Paragrafen war zunächst die zu Beginn des Urteilsabdrucks angegebene Paragrafenkette, ergänzt allerdings um die Schwerpunkte, die sich aus der Formulierung der amtlichen sowie redaktionellen Leitsätze ergaben. Enthielt das Dokument darüber hinaus – was allerdings seltener vorkam – zusätzlich längere, oder aussagekräftige Ausführungen zu weiteren Paragrafen, so wurde das betreffende Dokument auch dort vermerkt. Nicht erfasst wurde hingegen, wenn ein bestimmter Paragraf lediglich im Zuge der Subsumierung genannt wurde, also etwa § 97 UrhG als Anspruchsgrundlage oder § 19a in Filesharing-Fällen, bei denen es schwerpunktmäßig um die Störerhaftung ging. Insoweit lag also bereits der Eingrenzung des in die Kommentierung einfließenden Ausgangsmaterials keine schematische, sondern eine über weite Strecken wertende und gewichtende Auswahl zugrunde. Diese Ausgangsdaten waren nachfolgend zunächst vor der Kommentierung auf Doubletten hin bereinigt worden. Im Rahmen eines Gesamtvergleichs aller Vorschriften des UrhG5 wurde auch auf die Datenbasis der elektronischen Datenbanken von „juris“ und „beck-online“ zugegriffen. Dabei ergab sich, dass Suchabfragen nach Urteilen zu einer bestimmten Vorschrift innerhalb eines genau definierten begrenzten Zeitraums bei den beiden Datenbanken zu durchaus erheblich voneinander abweichenden Ausgabezahlen führten, die ihrerseits nicht mit den im Wege händischer Auswahl ermittelten Zahlen übereinstimmen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Test einer Suche nach „Rechtsprechung“ zu „§ 97a UrhG“ mit einem Zeitraumfilter „01.07.2008–01.06.2012“ ergab bei „juris“ lediglich 24 Treffer. „beck-online“ hingegen lieferte 96 Entscheidungen, während die händische Auswertung 50 Entscheidungen auflistete. Lässt sich die größere Zahl der händischen Auswertung gegenüber der Trefferliste von „juris“ möglicherweise noch damit erklären, dass die inhaltliche Vorselektion auch solche Entscheidungen mit in den Blick genommen hat, die obwohl sie ihren Schwerpunkt im UWG oder im Markenrecht haben, auch für das Urheberrecht von Bedeutung erschienen, lenken die unterschiedlichen Zahlen den Blick doch auf das grundsätzlich Problem statistischer Erhebungen auf der Grundlage elektronischer Datenbanken hin, dass nämlich hinsichtlich deren Datenbasis regelmäßig keine Informationen veröffentlicht sind. Mit anderen Worten: Solange unklar ist, welche Daten überhaupt 5
S. dazu nachfolgend III.1.
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
25
in die Datenbank aufgenommen worden sind, so lange mögen Trefferzahlen allenfalls als Grundlage für einen relativen Vergleich dienen; verlässliche absolute Zahlen dagegen lassen sich ihnen wenn überhaupt, so nur mit großem Vorbehalt entnehmen. 3. Suchalgorithmen Das gilt auch in Bezug auf die unterschiedliche Verschlagwortung und die unterschiedlichen Suchalgorithmen, soweit diese – wie regelmäßig – ebenfalls nicht öffentlich einsehbar sind. So lässt die im Vergleich zu „beck-online“ geringere Trefferzahl bei „juris“ im angeführten Beispiel allenfalls vermuten, dass bei „juris“ hauptsächlich die Anspruchsgrundlagen als Schlüssel verwandt werden, wohingegen „beck-online“ wohl auch bei einem viel weiteren Bezug zur Norm eine Verknüpfung herstellt. Möglicherweise enthält „beck-online“ aber tatsächlich mehr Ausgangsdokumente als „juris“, vielleicht trifft ja sogar beides zu. Überdies ergeben sich aufgrund der Suchalgorithmen bei unterschiedlich formulierten Suchanfragen nach einem bestimmten Dokument selbst innerhalb ein- und derselben Datenbank unterschiedliche Ergebnisse etwa hinsichtlich der Zitierung in Zeitschriften, der sonstigen Veröffentlichung sowie dem Vorhandensein von Anmerkungen und Entscheidungsbesprechungen. Dazu nur ein zufällig herausgegriffenes Beispiel: Für das Urteil BGH I ZR 204/05 vom 3.7.2008 – Musical Starlights ließen sich insgesamt 12 Veröffentlichungen sowie zwei Entscheidungsbesprechungen ermitteln. Zwar wiesen „juris“ und „beck-online“ mit 9 eine identische Zahl von Veröffentlichen auf, doch wurden dabei nur teilweise auf dieselben Fundstellen verwiesen, und von den beiden Entscheidungsbesprechungen fand „juris“ nur eine. Darüber hinaus wurden bei der Suche eines Urteils mit Hilfe des Aktenzeichens teilweise andere Veröffentlichungen ausgegeben, als bei der Recherche nach demselben Urteil mittels einer Fundstelle. Mit anderen Worten: Die Ausgabeergebnisse elektronischer Datenbanken sind alles andere als verlässlich. Auch wenn die technische Anmutung elektronischer Datenbanken den Benutzer allzu leicht glauben macht, die vorgeblich neutrale, durch keine Fremdinteressen beeinflusste Suche anhand formalisierter und nachprüfbar definierter Suchkriterien weise in der Trefferliste einen exakten Ausschnitt aus der Wirklichkeit aus, so hängt das Resultat doch immer von einer Reihe vorgelagerter Auswahlentscheidungen ab, die für den Nutzer im Einzelnen nicht nachvollziehbar sind. Wollte man elektronische Datenbanken für Schlussfolgerungen aufgrund belastbarer Ausgangszahlen heranziehen, so müssten zu allererst also die Kriterien für die Aufnahme von Dokumenten in die Datenbasis, deren Verschlagwortung und die Vorgehensweise der Suchalgorithmen in Erfahrung gebracht werden. Zugleich liefern diese theoretischen Überlegungen eine schöne Rechtfertigung für die von vorne herein wertende, weil auswählende händische Ermitt-
26
Thomas Dreier
lung der für eine Kommentierung einschlägigen Dokumente. Die Auswahl der Kommentatoren mag subjektiv sein, doch gründet sie eben auf der über Jahre hin erworbenen inhaltlichen Kenntnis des zu behandelnden Rechtsgebiets und die dadurch unter den Lesern erworbenen Kompetenz und Autorität. Kommentare werden schließlich zu Recht von juristischen Spezialisten und nicht von Dokumentaristen erstellt. Das haben die Verleger juristischer Kommentare – ganz ohne größeren theoretischen Überbau – zutreffend erkannt.
III. Gesamtvergleich Immerhin vermag der Vergleich mit den Trefferlisten von Abfragen elektronischer Datenbanken auch dazu beitragen, die Belastbarkeit und Konsistenz der subjektiven Auswahlkriterien zu erhärten. 1. Datenbankabfrage („beck-online“) Um einen solchen Gesamtvergleich in Bezug auf alle Vorschriften des UrhG durchzuführen, wurden die Zahlen der im genannten Vierjahreszeitraum pro Paragraf des UrhG veröffentlichten Entscheidungen in einer Datenbank anhand einer für jeden Paragrafen gleichartigen Suchanfrage ermittelt. Dabei fiel die Wahl angesichts der nur begrenzten Ausgaben bei „juris“6 auf „beck-online“. Das Ergebnis zeigt die Häufigkeit, mit der sich 1200 § 97
1000 800 § 31
600 §2
400
§ 19a § 17 §16 § 23
§ 101 § 53 § 69c
200
1 7 13 19 22 28 32a 37 42a 47 52a 54b 57 63 68 69e 73 79 85 87d 92 95c 99 102a 108 111a 115 121 127 132 137 137f 138
0
Abb. 1: Anzahl der in „beck-online“ veröffentlichten Entscheidungen7 zu den einzelnen Paragrafen des UrhG (Zeitraum 1.7.2008–1.6.2012) 6
S. oben II.3. Die Werte geben die „Treffer“ bei einer auf Rechtsprechung begrenzten Suche wieder, also die Summe aller Einzeleinträge. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die absolute 7
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
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die Gerichte im genannten Zeitraum mit den einzelnen Paragrafen zu befassen hatten und gibt damit Auskunft über die „Gerichtsmassigkeit“ der einzelnen, in den jeweiligen Paragrafen verorteten Rechtsprobleme (Abb. 1). Mit Abstand eindeutiger „Spitzenreiter“ ist danach § 97 UrhG (dessen Zahl aufgrund der Kappung die „beck-online“ bei der Ausgabe vornimmt, wenn eine Suche mehr als 1.000 Treffer anzeigt, sogar noch höher ist). Das verwundert freilich nicht, handelt es sich hierbei doch um die urheberrechtliche Anspruchsgrundlage für die negatorischen Ansprüche auf Unterlassen und Beseitigung ebenso wie für den Ersatz des materiellen und auch des immateriellen Schadens. Die nähere Aufschlüsselung zeigt jedoch, dass sich ein nicht geringer Teil dieser Entscheidungen mit der Störerhaftung im Urheberrecht befasst.8 Mit Abstand zeigen sich dann aber recht deutlich einige weitere Schwerpunkte richterlicher Tätigkeit, so – in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit – beim Urhebervertragsrecht (§ 31 UrhG), beim Verbreitungsrecht (§ 17), beim Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG), beim Auskunftsanspruch (§ 101 UrhG), beim Vervielfältigungsrecht (§ 16), beim Werkbegriff des § 2 UrhG, bei § 15 UrhG, bei den Bearbeitungen und Umgestaltungen (§ 23 UrhG) und bei den Schrankenbestimmungen nicht allein, aber insbesondere bei § 53 UrhG. Das belegt zu einem gewissen Maß – wenngleich vielleicht nicht in dem Ausmaß wie vermutet – die These, dass heutzutage bei der Bestimmung der Ausschließlichkeit weniger die Ausschließlichkeitsrechte selbst als vielmehr die Schrankenbestimmungen im Vordergrund stehen. Allerdings bedürfte es hier wohl einer genaueren Auswertung der insoweit als Ergebnisse einer automatisierten Datenbankabfrage angezeigten Treffer, um etwa diejenigen Nennungen der §§ 15 Abs. 1 und 2 i.V.m. §§ 19–22 auszuschließen, bei denen das betreffende Ausschließlichkeitsrecht lediglich betroffen ist, es in der Entscheidung selbst aber um dessen konkrete Reichweite im Lichte einer Schrankenbestimmung geht. Weit kleinere Spitzen finden sich schließlich noch hinsichtlich der Leistungsschutzberechtigten (ausübende Künstler, Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und Datenbankhersteller). Kaum eine Rolle spielen hingegen beispielsweise die Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 110 ff. UrhG, die Maßnahmen der Zollbehörde nach §§ 111a und 111b UrhG, weitestgehend die Zwangsvollstreckungsvorschriften der §§ 112 ff. UrhG und der Großteil der Übergangs- und Schlussbestimmungen.
Anzahl der Urteile. Die reine Anzahl Urteile ließe sich in „beck-online“ wohl nur mit einer händischen Nachbearbeitung der Trefferliste ermitteln, bei der Doppelangaben entfernt werden müssten. 8 S. nachfolgend IV.1.
28
Thomas Dreier
2. Händische Auswertung Für den Teil der Kommentierung des UrhG, für den der Verfasser verantwortlich zeichnet, stimmt dieses im Wege maschineller Suchabfragen gewonnene Ergebnis mit den aufgrund händischer Auswertung in Erfahrung gebrachten Zahlen hinsichtlich der verhältnismäßigen Häufigkeit im Wesentlichen überein. Die absoluten Zahlen der händischen Auswertung dagegen liegen – wie oben gezeigt9 – aufgrund der inhaltlichen Vorauswahl zum Teil erheblich darunter. Hier konnten anhand der präziseren Zahlen nicht nur die absolute Zahl der Urteile miteinander verglichen werden, die in den Kommentar eingearbeitet wurden, sondern diese ließen sich darüber hinaus mit dem über alle Abschnitte des vom Verfasser bearbeiteten Kommentarteils gebildeten Mittelwert der Urteile sowie mit der jeweiligen Häufigkeit der Veröffentlichung der einzelnen Entscheidungen in Beziehung setzen (Abb. 2). 350 300 250 200 150 100 50 0 § 97 Anz. Urt.
§ 97a
Vor §§ 120 ff.
§ 19a
§ 69c
§ 53
§ 54
103
50
42
41
29
22
20
Anz. Veröff./10 280,40
87,80
45,20
42,60
34,30
22,00
17,90
14,10
Mi
5,96
5,96
5,96
5,96
5,96
5,96
5,96
lw. Urt.
289
§ 101
5,96
Abb. 2: Anzahl der Urteile und deren Veröffentlichung sowie deren Mittelwert10
Auch hier ist „Spitzenreiter“ wiederum § 97 UrhG, zu dem ca. 35 % aller eingearbeiteten Urteile einen Bezug hatten. § 101 UrhG, der Platz zwei belegt, betrafen hingegen nur noch etwa 12 % der Urteile und § 97a UrhG erreicht mit 6 % Rang drei. Dieser regressive Verlauf setzt sich fort: Die restlichen 47 % der Urteile verteilen sich auf 65 Paragraphen, für die übrigen 70 ergab die Zählung gar keine Urteile. Immerhin aber liegen die ersten acht Paragrafen (§§ 97, 101, 97a, Vor 120 ff.11, 19a, 69c, 53 und 54 UrhG) noch sig9
S. vorstehend II.2. In dem vom Verf. kommentierten Teil; s. II.1. 11 In der Vorbemerkung zu §§ 120 ff. UrhG finden sich die Entscheidungen zum anwendbaren Recht sowie zur internationalen Zuständigkeit. 10
29
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
nifikant über dem über alle ausgewerteten Paragrafen gebildeten Durchschnitt der Entscheidungen pro Paragraf. Interessanterweise zeigt der Vergleich zur Anzahl an Veröffentlichungen dagegen keine deutlichen Abweichungen, sondern erscheint bei allen Entscheidungen konstant. Hinsichtlich der Anzahl der Veröffentlichung ergibt sich, dass die Urteile zu allen Gruppen im Schnitt jeweils gleich oft – nämlich in rund 9 verschiedenen Quellen – veröffentlicht worden sind.
IV. Einzelfragen Im Folgenden seien noch eine Reihe weiterer Einzelergebnisse kurz vorgestellt. In die grafische Visualisierung sind dabei jeweils nur diejenigen Paragrafen mit den jeweils höchsten Werten eingeflossen. 1. Entscheidungen zu § 97 UrhG Schaut man sich die Zahl der zu § 97 UrhG ergangenen Urteilen an, die im Wege der händischen Auswahl für die Einarbeitung in die Kommentierung vorgesehen waren, so ergibt sich die nachfolgende Aufteilung (Abb. 3). Dabei ist neben der absoluten Zahl der Urteile auch die absolute Zahl der Veröffentlichungen, reduziert um den Faktor zehn, zum Vergleich daneben gestellt. 160 140 120 100 80 60 40 20 0
II. I.
mi lbare Verletzungen
III. Unterlassen
IV. (Dreifache) Schadensberechnung
Anz. Urt.
152
110
31
24
Anz. Veröff./10
110
112,1
30,4
27,9
Abb. 3: Aufteilung der Entscheidungen zu § 97 UrhG
Der wohl naturgemäß größte Block „Sonstiges“ umfasst sämtliche Entscheidungen zu § 97 UrhG, die nicht in den nachfolgenden Blöcken gesondert ausgewiesen sind, die also die Verletzung des Urheberrechts oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Rechts, den Schutzumfang, die
30
Thomas Dreier
Widerrechtlichkeit, die Aktiv- und Passivlegitimation (mit Ausnahme der Störerhaftung), die zivilrechtlichen Ansprüche wie Beseitigung, Schadensersatz (ohne dreifache Schadensberechnung), die Übertragbarkeit der Ansprüche, die Aufrechnung und weitere Einwendungen sowie prozessuale Aspekte betreffen. Von dieser Gruppe entfällt der größte Einzelanteil der im erfassten Zeitraum zu § 97 ergangenen Entscheidungen also auf die Störerhaftung. Sie macht 34,7 % aller Entscheidungen zu § 97 aus. Darin spiegelt sich recht deutlich die Bedeutung der Intermediäre im Onlinebereich wie auch die Tatsache wieder, dass sich der Kreis potenzieller Störer im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung in den letzten Jahren erheblich erweitert hat, und den Rechtsinhabern eine wirksame Bekämpfung der großen Zahl individueller Rechtsverletzungen mit verhältnismäßigem Aufwand nur insoweit möglich ist, als sie die häufig allein lokalisierbaren Service-Provider in Anspruch nehmen, die überdies zumeist über technische Mittel verfügen, um Rechtsverletzungen jedenfalls in ihrem Einflussbereich zu unterbinden. Zugleich spiegelt sich in der vergleichsweise großen Zahl das Bemühen der Rechtsprechung wieder, die Störerhaftung nicht allzu weit ausufern zu lassen, sondern durch die Umschreibung von Prüfungspflichten zu begrenzen und zugleich hinreichend auszudifferenzieren.12 Dass es sich hierbei um ein Phänomen der jüngeren Vergangenheit handelt, zeigt sich u.a. daran, dass der Störerhaftung im Kommentar entsprechend der seit der ersten Auflage aus dem Jahr 2004 weitgehend unverändert beibehaltenen Randnummernzählung lediglich vier von insgesamt 89 Randnummern gewidmet sind (zur Wiedergabe der Ausdifferenzierung sind die Verfasser stattdessen auf Spiegelstriche ausgewichen). Die Zahl durchschnittlicher Veröffentlichungen der einzelnen Urteile liegt – mit Ausnahme der Gruppe Sonstiges, deren Urteile sich vergleichsweise etwas geringer veröffentlicht finden – sogar noch etwas über den in Abb. 1 ausgewiesenen Werten. Das dürfte mit dem Neuigkeitswert und dem praktischen Interesse von Entscheidungen zur Störerhaftung zu erklären sein. 2. Höchstrichterliche Entscheidungen Interessant ist auch zu sehen, wie sich die höchstrichterlichen Entscheidungen auf die einzelnen Normen verteilen. Hier wurden die Entscheidungen des BGH, des BVerfG und des EuGH jeweils zusammengezählt. Zugleich wurde der Mittelwert wiederum über alle Abschnitte gebildet (Abb. 4). 12 S. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zuletzt insbesondere BGH GRUR 2012, 311 – Blog-Eintrag; GRUR 2011, 1038 – Stiftparfum; GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet; GRUR 2007, 724 – Meinungsforum; GRUR 2007, 708 – Internetversteigerung II; GRUR 2004, 860 – Internetversteigerung I.
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80 70 60 50 40 30 20 10 0 § 97 Anz. Entsch. Mi
lw.
Vor §§ 120 ff.
§ 53
§ 101
§ 54
§ 97a
§ 19a
74
17
17
15
15
13
11
1,96
1,96
1,96
1,96
1,96
1,96
1,96
Abb. 4: Anzahl höchstrichterlicher Entscheidungen
Dass § 97 auch hier wiederum als „Spitzenreiter“ auftaucht, vermag angesichts der absoluten Höchstzahl der für diese Vorschrift verzeichneten Entscheidungen (Abb. 1) nicht wirklich zu verwundern. Dass sich bei § 101 UrhG weit weniger höchstrichterliche Urteile finden, als dies der absoluten Häufigkeit der zu dieser Vorschrift ergangenen Entscheidungen (s. auch insoweit Abb. 1) entsprechen würde, erklärt sich letztlich daraus, dass der BGH in den vergangenen Jahren vergleichsweise häufig zur Störerhaftung Stellung bezogen hat, wohingegen die durch § 101 UrhG aufgeworfenen Rechtsfragen großenteils noch der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Im Einzelnen aufgeschlüsselt ergibt sich folgendes Bild: Zu § 97 UrhG zeigen sich insgesamt 64 BGH-Entscheidungen, 5 Entscheidungen des BVerfG und 5 für § 97 bedeutsame EuGH-Entscheidungen (davon entfallen auf die Störerhaftung 23 BGH-Entscheidungen, eine Entscheidung des BVerfG und zwei des EuGH). Immerhin jedoch waren zu § 101 UrhG noch 5 BGH-Entscheidungen, 6 Entscheidungen des BVerfG und 4 § 101 betreffende Urteile des EuGH zu verzeichnen. 3. Verhältnis von Anmerkungen und Entscheidungsbesprechungen zu Urteilen Interessant erscheint es auch, die Resonanz der Entscheidungen zu den einzelnen Vorschriften in der Literatur rein zahlenmäßig zu ermitteln. Gegenübergestellt wurden daher die Anzahl von Urteilsanmerkungen und Entscheidungsbesprechungen der Anzahl der veröffentlichten Urteile (Abb. 5).
32
Thomas Dreier
400 350 300 250 200 150 100 50 0 § 97
Vor §§ 120 ff.
§ 101
§ 53
§ 54
§ 97a
59
§ 19a
111c
Anz. Anm. und Bespr.
337
85
51
36
26
25
21
19
15
Anz. Urt.
289
42
103
22
20
50
5
41
6
Abb. 5: Verhältnis Anmerkungen und Besprechungen zu Urteilen
Hier ergibt sich kein einheitliches Bild. Vielmehr lassen sich recht deutlich drei unterschiedliche Gruppen von Vorschriften ausmachen: Zum einen gibt es Paragrafen (§§ 97, 53, 54 UrhG), bei denen die Anzahl der Anmerkungen und Besprechungen ungefähr der Zahl an Entscheidungen entspricht bzw. diese leicht überwiegt. Bei anderen Paragrafen (Vor §§ 120 ff.,13 59, 111c UrhG) übersteigt die Zahl der Anmerkungen die Zahl der Entscheidungen deutlich. Je größer hier das Ungleichgeweicht zu Gunsten der Literatur ausfällt, desto mehr haben einzelne Entscheidungen zu umfangreicheren Stellungnahmen und Auseinandersetzungen in der Literatur Anlass gegeben. Das Gegenteil ist bei der Gruppe von Paragrafen (§§ 101, 97a sowie 19a UrhG) der Fall, bei denen die Zahl der Urteile die der Anmerkungen und Besprechungen übersteigt. 4. In der Literatur am häufigsten angesprochene Paragrafen im Verhältnis zu den dazu jeweils ergangenen Urteilen Weiterhin konnte aus der händischen Auswertung die Zahl der zu den einzelnen Paragrafen veröffentlichten Literaturbeiträge (Aufsätze und Monografien) ermittelt und den zu den einzelnen Paragrafen jeweils ergangenen Entscheidungen gegenüber gestellt werden (Abb. 6).
13
S. Fn. 11.
33
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
350 300 250 200 150 100 50 0 § 97
§ 69c
Vor §§ Vor §§ § 101 § 19a 120 ff. 44a ff.
§ 53
§ 69a
Vor §§ § 97a 70 ff.
§ 51
Anz. Beitr. Lit.
134
88
79
55
48
45
41
41
36
31
30
Anz. Urt.
289
29
42
3
103
41
22
12
4
50
7
Abb. 6: In der Literatur am häufigsten angesprochene Paragrafen im Verhältnis zu den dazu jeweils ergangenen Urteilen
Hier ist die Aufteilung in die drei im vorigen Abschnitt genannten Gruppen noch markanter. Offenbar gibt es eine Reihe von Vorschriften, bei denen die dazu ergangenen Urteile in ganz besonderem Ausmaß zum Verfassen von Aufsätzen oder gar zur Abhandlung in Monografien angeregt haben (§§ 69c, Vor §§ 120 ff., 53, 69a, 51 UrhG). Dahinter verbergen sich vor allem die Auseinandersetzungen um den Weitervertrieb von bzw. den Handel mit „Gebrauchtsoftware“, zu der inzwischen ein Urteil des EuGH ergangen ist,14 ebenso wie die in der Literatur vermehrt stattgefunden habende Auseinandersetzung mit den von der Rechtsprechung noch kaum aufgegriffenen Entwicklungen und urheberrechtlichen Fragestellungen im Bereich des Cloud und Grid Computing sowie der Software as a Service (SaaS). Hinter den Veröffentlichungen zu den §§ 53 ff. UrhG verbergen sich die Fragen der Privatkopie in Folge – aber nicht ausschließlich – der Padawan-Entscheidung des EuGH. Bei anderen Paragrafen vermag die Zahl der Veröffentlichungen in der Literatur hingegen teils bei weitem nicht an die Zahl der veröffentlichten Urteile heranreichen (§§ 97, 101 und 97a UrhG). Lediglich bei § 19a UrhG ergibt sich von den in Abb. 6 aufgelisteten Vorschriften ein ausgewogenes Verhältnis.
14
EuGH Rs C-128/11 – UsedSoft.
34
Thomas Dreier
5. Allgemeine Fragen in der Literatur Schließlich sei noch genannt, in welchem Umfang sich die Literatur mit den in der Einleitung des Dreier/Schulze angesprochenen Themenfeldern befasst (Abb. 7). 70 70 60 60 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 W irt sc ha ft l. Be de ut un g/ A na ly se
00
Abb. 7: Literatur zu übergreifenden Themen
Hier zeigt sich ganz deutlich die bedeutsame Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der europäischen Harmonisierung (61 Quellen); nimmt man das EU-Kartellrecht hinzu (7 Quellen), so fällt dies sogar noch deutlicher aus. Zweiter thematischer Schwerpunkt waren – ebenfalls nicht anders zu erwarten – die Herausforderungen durch Digitalisierung und Vernetzung (34 Quellen). Der erhebliche Abstand zur Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit europäischen Fragen befassen, rührt wohl vornehmlich daher, dass für die Einleitung nur die Quellen erfasst waren, die sich allgemein mit den Auswirkungen der digitalen Technologie auf das Urheberrecht befassen, wohingegen Veröffentlichungen zu Einzelfragen (z.B. zur Störerhaftung oder zum Auskunftsanspruch) bei den jeweiligen Paragrafen des UrhG vermerkt wurden. Stark vertreten waren auch Abhandlungen zu Fragen des internationalen Urheberrechts (30 Quellen) und stärker als vielleicht erwartet war auch die Zahl von Veröffentlichungen, die sich mit kartellrechtlichen Fragestellungen des Urheberrechts befassen (17, zusammen mit Veröffentlichungen zum EU-Kartellrecht 24 Quellen). Im Weiteren finden sich im Zeitraum der letzten vier Jahre 21 Quellen, die sich auf abstrakterer Ebene mit Funktion, Schutzgründen und Inhalt des Urheberrechts befassen. Weiterhin waren der Geschichte des deutschen Urheberrechts (ohne Überblicksaufsätze über die neuere Rechtsprechung) noch 13 Quellen gewidmet, dem Verhältnis des Ur-
Erbsenzählerei oder Erkenntnisgewinn?
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heberrechts zu anderen Vorschriften insgesamt 12 (Abgrenzung des Urheberrechts zum UWG: 7; zu den gewerblichen Schutzrechten: 3; zum Deliktsrecht 2). Eine etwas überraschend nur geringere Bedeutung kommt dagegen Ausführungen zur wirtschaftlichen Bedeutung und ökonomischen Analyse des Urheberrechts (6 Quellen), dem Verfassungsrecht (6 Quellen) und dem Dritten Korb (5 Quellen) zu. Lässt sich letzeres durchaus mit dem langen Ruhen der Arbeiten am Dritten Korb erklären, so erscheint gleichwohl fraglich, ob aus der vergleichsweise geringen Anzahl von Veröffentlichungen zur ökonomischen Analyse des Rechts auf ein gewisses Abklingen der Aktualität dieser Methode geschlossen werden kann.
V. Fazit Man mag nun möglicherweise einwenden, dass die vorliegend erläuterten Ergebnisse insgesamt – oder zumindest hinsichtlich des damit verbundenen Aufwandes – einen vergleichsweise nur geringen Erkenntnisgewinn hervorgebracht haben. Die verwandten Zahlen, auf deren Grundlage die Schlüsse gezogen worden sind, sind nicht wirklich belastbar, sei es weil die händische Auswertung juristischer Zeitschriften und Bibliografien stark subjektiv geprägt ist, sei es weil – und solange – die Kriterien für die Aufnahme von Dokumenten in die Datenbasis elektronischer Datenbanken sowie für die Verschlagwortung und die Suchalgorithmen nicht bekannt sind. Immerhin, ein wenig an methodischem Erkenntnisgewinn sollte doch – zumindest für Juristen – dabei herausgekommen sein, sowie einiges Erhellende und vielleicht ja auch Überraschende im Hinblick auf die zahlenmäßige Verteilung der Rechtsprechungsaktivität, die in dieser Zusammenschau so vielleicht nicht immer bewusst gewesen sein mag. Zugleich hat der Beitrag einige der Schwierigkeiten aufgezeigt, mit der eine solche statistische Methode der Rechtswissenschaft zu kämpfen hat und er dürfte auch Grenzen eines möglichen Erkenntnisgewinns angedeutet haben. Der Beitrag war ja auch eher als Anregung gedacht, in dieser Richtung weiter zu forschen. Zusätzliche Fragestellungen sind jedenfalls denkbar. So könnten sich etwa die Prozentzahlen zugelassener Revisionen an der Zahl erstinstanzlicher Urteile und von Berufungsentscheidungen messen lassen; die Häufigkeit, mit der eine Klage im Urheberrecht stattgebenden wird; ob sich hier je nach Gerichtsstand statistische Unterschiede ergeben, usw. Vor allem könnte es auf diese Weise gelingen, das oft bemängelte Defizit des Fehlens ausreichender entscheidungserheblicher Daten zumindest zu verringern. Die Unterfütterung des Entscheidungsprozesses der offenen Fragen hinsichtlich Leistungsfähigkeit und eventuellen Fehlfunktionen des gegenwärtigen Urheberrechtsgesetzes könnte durchaus zu einer Qualitätssteigerung der rechtspolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers führen.
36
Thomas Dreier
Soziologische Fragen dürften sich in Deutschland im Gegensatz zu den USA dagegen nur in einem weit geringeren Umfang beantworten lassen. Einer Auswertung von Urteilen in Bezug etwa auf die Abhängigkeit der Urteilsergebnisse von Parteizugehörigkeit und Geschlecht der Richter, von Funktion und sozialer Stellung von Kläger und Beklagten u.a. stehen in Deutschland vor allem der Datenschutz und das Persönlichkeitsinteresse der am Prozess Beteiligten entgegen. Viele der Daten werden hier entweder von vorne herein gar nicht oder aber – wie insbesondere die Namen der Prozessparteien – in den Urteilsveröffentlichungen nur anonymisiert veröffentlicht.
2. Literatur, Theater, Tanz und Kunst
Denn man siehet das im Lichte, das im Dunkeln sieht man nicht – eine urheberrechtliche Fußnote zum Werk von Bertolt Brecht Jürgen Marten Der Autor Bertolt Brecht starb am 14. August 1956. Seinen literarischen Nachlass betreffend gab es einige juristische Auseinandersetzungen, die mittlerweile beigelegt zu sein scheinen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass entsprechend § 64 UrhG seine Urheberrechte Ende des Jahres 2026 erlöschen und dann alle seine Werke gemeinfrei sein werden. Das mag prinzipiell zutreffen. Eine, einzelne Werke betreffende Betrachtung begründet jedoch Zweifel. Bekanntlich entstanden die Werke des Stückeschreibers Brecht vor allem dann, wenn sie mit praktischer Theaterarbeit verbunden waren, häufig innerhalb eines kollektiven Arbeitsprozesses. Allerdings ist bis heute nicht eindeutig geklärt, wo die Beteiligung Dritter an diesen kollektiven Arbeitsprozessen über bloße Anregung und kritische Anmerkung hinaus urheberrechtlich als inhaltliche Mitarbeit, ja Miturheberschaft i. S. von § 8 UrhG zu bewerten ist. Die literaturwissenschaftliche Forschung hat vieles ans Licht gebracht. Manches ist jedoch auch heute noch im Dunkeln. Eine, auf den bisherigen literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen aber auch Irrtümern und wohl auch bewussten Verdunkelungen sich begründende urheberechtliche Bewertung der Bertolt Brecht zugeschriebenen Werke ist bisher nur unvollständig geleistet. Die Beantwortung der damit verbundenen Fragen wird allerdings mit fortschreitender Zeit nicht einfacher. Umso mehr wohl auch, weil ein subjektgebundenes Interesse an den sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen offensichtlich nicht zunehmen wird. Brecht selbst hat an der Verdunkelung der tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhänge mitgewirkt. Bekannt und wohl auch hingenommen – von der Allgemeinheit wie von seinen Mitarbeitern – ist, dass Brecht, auf seine grundsätzliche „Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums“ verweisend1, urheberrechtlichen Regelungen keine allzu große Bedeutung beigemessen hat. Vor allem, wenn es sich um die Rechte Dritter handelte. Auf die Siche-
1 Bertolt Brecht Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 21, Suhrkamp Verlag 2000, S. 316.
40
Jürgen Marten
rung seiner in seinem Verständnis eigenen Rechte achtete er – mehr noch aber seine Erben – sehr viel nachdrücklicher. Ein gutes Jahr vor seinem Tod, am 15.05.1955, hat Brecht seinen letzten Willen formuliert und dabei auch einige urheberrechtlich relevante Fragen berührt. Eine frühe Biografie Brechts vermerkt, er habe dieses Testament seiner ihm eng verbundenen Mitarbeiterin Isot Kilian diktiert und diese beauftragt, es abzuschreiben und bei einem Notar beglaubigen zu lassen. Durch Nachlässigkeit sei die Sache unerledigt geblieben.2 Diese Darstellung ist später ohne genaue Überprüfung übernommen und mit der Behauptung erweitert worden, dass Helene Weigel, die Witwe Brechts, dieses Testament, weil es „nicht mehr rechtzeitig beglaubigt“ wurde, „erfolgreich anfechten“ konnte.3 Tatsächlich existiert ein maschinenschriftlich verfasstes Testament, das auch von Brecht unterschrieben worden ist.4 Allerdings war eine Anfechtung nicht erforderlich, da das staatliche Notariat Mitte von Berlin mit ausreichender juristischer Sachkenntnis dieses Testament aufgrund der Tatsache, dass es nicht, wie rechtlich erforderlich, handschriftlich verfasst war, wegen Formmangels für ungültig erklärte5 und in einem sechs Tage nach seinem Tod von seiner Witwe Helene Weigel und seinen drei Kindern Hanne, Stefan und Barbara beantragten Erbschein diese als gesetzliche Erben Brechts feststellte. Das aus dem Jahre 1955 stammende Testament, bei dem zu vermuten ist, dass Brecht sich aufgrund seiner nicht geringen juristischen Kenntnisse durchaus seiner Unwirksamkeit bewusst war, ist unter urheberrechtlichen Aspekten vor allem auch deshalb interessant, weil Brecht in ihm die Verteilung von Einnahmen aus seinen Arbeiten und Stücken verfügt, ohne nur im geringsten eine Miturheberschaft von Dritten in Erwägung zu ziehen. Das entsprach seinem Verhalten zu Lebzeiten und auch dem späteren Verhalten seiner Erben. Obwohl die damit verbundenen urheberrechtlichen Fragestellungen wesentlich umfassender und im Einzelnen nicht nur juristisch, sondern auch sozial erheblich komplizierter sind, wird folgend, um das urheberrechtliche Problem deutlich zu machen, lediglich auf zwei Stücke Bezug genommen: „Don Juan von Moliere“ und „Pauken und Trompeten“ nach „The Recruiting Officer“ von George Farquhar. Beide Stücke sind in ihrer Entstehung 2 Klaus Völker Bertolt Brecht: Eine Biographie, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1976, S. 388. 3 Sabine Kebir Ich fragte nicht nach meinem Anteil, Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000, S. 210; ebenso: John Fuegi Brecht & Co., Ullstein, 1999, S. 825. 4 Vgl. zu dessen Inhalt: John Fuegi a.a.O. Das Testament ist jedoch nicht nur, worauf Fuegi verweist, von Isot Kilian, sondern auch von Peter Palitzsch als Zeugen unterzeichnet. 5 Ebenso wie ein weiteres maschinenschriftlich eingereichtes Nottestament, das Brecht am Todestag seinem Freund Otto Müllereisert diktiert hatte und das von diesem mit der Schreibmaschine abgefasst und als einzigem Zeugen unterschrieben wurde.
Denn man siehet das im Lichte, das im Dunkeln sieht man nicht
41
ganz wesentlich durch zwei Mitarbeiter Brechts geprägt: Elisabeth Hauptmann6, Brecht über Jahrzehnte nicht immer nur durch Arbeit, durch diese aber bis zum Tode verbunden und durch den Regisseur Benno Besson, den Brecht nach dem Krieg in der Schweiz kennenlernte und nach Berlin holte. Der wesentliche Anteil von Hauptmann und Besson wird auch in den Editionsberichten der „Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe“ hervorgehoben. Zu „Don Juan“ wird vermerkt: „Als dem Regisseur und Schauspieler Benno Besson 1951 angeboten wird, eine Gastinszenierung am Volkstheater Rostock zu übernehmen, beschließt er, Don Juan (1665) von Moliere für die Bühne neu zu bearbeiten […] Elisabeth Hauptmann ist von Beginn an dem Projekt beteiligt. Brecht greift erst unmittelbar vor der Uraufführung (25. Mai 1952) in den Arbeitsprozess ein […] Im Programmheft von 1952 wird sein Name nicht genannt. Dort heißt es: „Für die deutsche Bühne eingerichtet von Elisabeth Hauptmann und Benno Besson, […] Die Neustrukturierung sowie die gegenüber der Moliereschen Komödie konstatierbaren Akzentverschiebungen bei Fabelführung und der Figurengestaltung sind im wesentlichen als Werk von Elisabeth Hauptmann und Benno Besson zu betrachten.“7 Wenngleich in die „Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe“ nicht die „Rostocker Fassung“, an der Brecht nur in geringem Umfang teilgenommen hat, sondern eine spätere „Berliner Fassung“ aufgenommen worden ist8, besteht, obgleich Erben und auch der Suhrkamp-Verlag das zeitweilig bestreiten, kein Zweifel daran, dass Hauptmann und Besson Mitautoren des Stückes sind. Vom beiden stammt auch die der Bearbeitung zugrunde liegende Übersetzung. Das trifft in gleicher Weise für das Stück „Pauken und Trompeten“ zu. Anfang 1954 übersetzen Hauptmann und Besson „The Recruiting Officer“ von George Farquhar und beginnen mit der Bearbeitung. „Die Initiative, The Recruiting Officer (1705/06) zu bearbeiten, ist nach Auskunft des Regisseurs Benno Besson von Elisabeth Hauptmann ausgegangen. … Wann genau sich Brecht in den Bearbeitungsprozess eingeschaltet hat, konnte nicht ermittelt werden.“9 Die Mitautorenschaft von Hauptmann und Besson ist auch das Stück „Pauken und Trompeten“ betreffend offensichtlich. Auf die Mitautorenschaft von Besson hat zudem Brecht selbst ausdrücklich hingewiesen. Auf dem Deckblatt des ersten im Nachlass erhaltenen Typoskripts von 1955 bezeichnet Brecht handschriftlich als Autoren: „brecht besson“.10 6 Elisabeth Hauptmann ist auch an anderen Stücken Brechts, z. B. der „Dreigroschenoper“ beteiligt. Vgl. dazu Sabine Kebir Ich fragte nicht nach meinem Anteil, a.a.O., insbes. S. 211 ff. 7 Bertolt Brecht Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 9, Suhrkamp Verlag 1992, S. 417 ff. 8 Ebenda, S. 423. 9 Ebenda, S. 431 ff. 10 Bertolt Brecht Archiv 198/01.
42
Jürgen Marten
Diese Mitautorenschaft hat rechtliche Konsequenzen. Zum einen sind die Urheber entsprechend den urheberrechtlichen Beteiligungsgrundsätzen an allen Verwertungen ihres Werkes zu beteiligen, zum anderen haben sie als Ausdruck ihres Urheberpersönlichkeitsrechts den Anspruch, als Urheber genannt zu werden. Entscheidenden Einfluss darauf, wie diese rechtlichen Konsequenzen realisiert wurden, hatten nicht nur die in der Literatur umfassend beschriebenen persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Brecht und seinen Mitarbeitern, sondern auch die von seinen Erben geschaffenen Machtverhältnisse bei der Verwertung seiner Werke. Darauf kann hier nicht weiter eingegangen werden. Was die genannten beiden Stücke betrifft, sind Hauptmann und Besson an den Aufführungstantiemen beteiligt worden. Und zwar in einem Verhältnis, das von Brecht, der als Autor und Vertragspartner auftrat, bestimmt – nicht etwa mit seinen Mitautoren vereinbart – worden ist. Nach welchen Grundsätzen das geschah, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Zunächst erfolgte die Übertragung von Aufführungsrechten ohne Vermittlung eines Verlages unmittelbar durch Brecht. In einem mit dem Berliner Ensemble abgeschlossenen Aufführungsvertrag über „Pauken und Trompeten“ vom 31.08.1955, der Brecht als alleinigen Autor bezeichnet und die Beteiligung von Hauptmann und Besson lediglich als Mitarbeit erwähnt, ist festgelegt, dass von dem für Brecht vereinbarten Urheberanteil 50 % an ihn, 30 % an Besson und die verbleibenden 20 % an Hauptmann ausgezahlt werden sollen. Die „Kammerspiele“ München forderte Brecht am 08.06.1956 auf, die Aufführungstantiemen für „Pauken und Trompeten“ zwischen ihm und Besson zur Hälfte zu teilen.11 Später erhielten – was bis in die Gegenwart praktiziert wurde – Hauptmann und Besson an den Aufführungstantiemen für „Pauken und Trompeten“ jeweils 30 %. Der Anteil an den Aufführungstantiemen für „Don Juan“ belief sich für Besson auf 25 %, für Hauptmann auf 20 %.12 Wohlgemerkt: Diese Verteilung betraf nur die Einkünfte aus den Aufführungsrechten. Die Einnahmen aus anderen Verwertungen der Werke, etwa aus Vervielfältigungen, fielen allein den Erben Brechts zu, die sich konsequent weigerten, eine Mitautorenschaft von Hauptmann und Besson anzuerkennen und eine Beteiligung an allen Verwertungserlösen zu akzeptieren. Einnahmen aus allen über die Aufführungsrechte hinausgehenden Rechtseinräumungen werden von den Verwertern allein mit den Erben Brechts abgerechnet und an diese ausgezahlt. Auch hinsichtlich der Urheberpersönlichkeitsrechte von Hauptmann und Besson bedarf es einer Anmerkung. In der von Elisabeth Hauptmann erst-
11
Bertolt Brecht Archiv 766/54. Elisabeth Hauptmann hat testamentarisch verfügt, dass ihre Tantiemenanteile für die beiden Stücke an Benno Besson fallen sollen. 12
Denn man siehet das im Lichte, das im Dunkeln sieht man nicht
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mals edierten Fassung der Stücke von Brecht wird, wenngleich zurückhaltend, die Miturheberschaft wie folgt gekennzeichnet: „DON JUAN, Mitarbeiter: B. Besson, E. Hauptmann“13, „PAUKEN UND TROMPETEN, Mitarbeiter: B. Besson, E. Hauptmann“.14 In der „Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe“ ist dieser persönlichkeitsbezogene Mitarbeiter- (Mitautoren-) Hinweis durch die urheberrechtlich völlig untaugliche Kennzeichnung „in der Bearbeitung des Berliner Ensembles“ ersetzt worden.15 Als alleiniger Autor wird Brecht bezeichnet. Die Miturheber Hauptmann und Besson werden als Urheber – bis auf die Beschreibung ihrer Arbeit in den Editionsberichten – nicht ausdrücklich genannt. Diese Unterlassung der Mitautorenbenennung in Verbindung mit dem Werk ist unter Berücksichtigung des belegbaren tatsächlichen Anteils von Hauptmann und Besson an der Werkschöpfung ganz offensichtlich als Verletzung von § 13 UrhG zu qualifizieren. Bereits diese kurzen Anmerkungen zu den beiden hier erwähnten Stücken machen ein wesentliches urheberechtliches Problem klar erkennbar. Mit § 64 UrhG ist die Regelschutzdauer von urheberrechtlichen Werken auf 70 Jahre post mortem auctoris festgelegt. Steht das Urheberrecht mehreren Miturhebern zu, so erlischt es gem. § 65 des UrhG jedoch erst siebzig Jahre nach dem Tode des längstlebenden Miturhebers. Bezogen auf die hier betrachteten Werke „Pauken und Trompeten“ und „Don Juan“ muss davon ausgegangen werden, dass Bertolt Brecht nicht der alleinige Urheber ist – was im Übrigen auch auf verschiedene andere der ihm zugeschriebenen Werke zutrifft. Alle bekannten Tatsachen und die Erkenntnisse der literaturwissenschaftlichen Forschung sprechen, wenngleich einzelne konkrete Fragen nicht abschließend beantwortet werden können, dafür, dass Elisabeth Hauptmann und Benno Besson gem. § 8 UrhG Mitautoren der beiden genannten Werke sind. Sie haben zu den Werken ganz unbezweifelbar einen eigenen schöpferischen Beitrag geleistet. Nicht nur sind sie Urheber der als vorbestehende Werke existierenden Übersetzungen, die Grundlage der Stückentwicklung waren. Ihr Beitrag an dieser Stückentwicklung, also an der Werkschöpfung, ist wesentlich und kann nicht auf bloße Mitarbeit oder gar Gehilfenschaft reduziert werden. Wie umfassend der Beitrag der beteiligten einzelnen Urheber war und welche Bedeutung der dabei zweifellos existierende und von den Miturhebern auch anerkannte kreative Einfluss Brechts auf den gesamten Schaffensprozess hatte, ist für die rechtliche Bewertung nicht maßgeblich. Hauptmann und Besson sind Miturheber auch der beiden hier genannten
13
Bertolt Brecht Stücke Bd. XII, Aufbau Verlag 1962, S. 80. Ebenda, S. 188. 15 Bertolt Brecht Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 9, S. 199 u. 259. 14
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Jürgen Marten
Stücke. Elisabeth Hauptmann verstarb am 20.04.197316, Benno Besson am 23.02.2006. Damit läuft die Schutzfrist erst am Ende des Jahres 2076, also 120 Jahre nach Brechts Tod ab.17 Die rechtlichen Folgen, d.h. Rechte und Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, sind offensichtlich und nicht negierbar. Es bleibt abzuwarten, wer sich wie und mit welchem Ergebnis darauf beziehen wird. Ein Anlass zur weiteren juristischen Beschäftigung mit dem Werk Bertolt Brechts sollte darin allemal gesehen werden.
16 Nur angemerkt sei, dass insofern die Schutzfrist für die „Dreigroschenoper“ erst 2043 endet. 17 Das gilt auch für das Werk „Der Prozess der Jeanne d’Arc“, dessen Mitautor Benno Besson ebenfalls ist.
Urhebererben und Regietheater Eike W. Grunert I. Anlass und Widmung 1. Der Jubilar und die Bühne Der Jubilar Artur Wandtke ist der Bühne in vielfacher Weise verbunden. Vor Beginn seines juristischen Werdegangs absolvierte er zunächst eine fünfjährige Ausbildung zum Balletttänzer an der Staatlichen Ballettschule in Berlin, und war dann über drei Spielzeiten an der Deutschen Staatsoper in Berlin Unter den Linden als Bühnentänzer engagiert. Nach anschließendem juristischem Studium sowie Promotion zu einem arbeitsrechtlichen Thema zog es Artur Wandtke erneut zum Theater zurück, als Justiziar der Komischen Oper Berlin unter der Intendanz von Joachim Herz, bevor er sich mit seiner Habilitation und Lehrtätigkeit wieder verstärkt der Rechtswissenschaft widmete. Er blieb jedoch auch künftig weiterhin der Bühne treu, sei es als Librettist mehrerer Balletproduktionen (etwa Apocalyptica mit Musik von Milko Keleman 1983 in Dresden sowie Lear nach Shakespeare mit Musik von Friedbert Wissmann 1990 an der Sächsischen Staatsoper Semperoper in Dresden und 1992 am Deutschen Nationaltheater in Weimar), sei es als Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu rechtlichen Problemen der Bühnenproduktion, etwa des urheberrechtlichen Schutzes der Choreographie, sowie als Initiator, Veranstalter und Redner einschlägiger urheberrechtlicher Symposien. Als akademischer Lehrer und Leiter der urheberrechtlichen Seminarveranstaltungen der Humboldt-Universität zu Berlin sorgte er unermüdlich dafür, seinen Studierenden auch das Theater als Kunstform nahe zu bringen, etwa indem er über Jahre seine vielfältigen Kontakte in die Theaterwelt dazu nutzte, um gemeinsame Proben- und Aufführungsbesuche, Führungen und Diskussionen mit Produktionsbeteiligten zu organisieren, und seinen Studentinnen und Studenten so den berühmten „Blick hinter die Kulissen“ zu ermöglichen. Die Wege des Verfassers dieses Beitrages und des Jubilars kreuzten sich, als der Verfasser, als vormaliger Laienschauspieler und späterer Opernproduzent selbst dem Theater leidenschaftlich verbunden, auf der Suche nach einem theater-nahen eigenen Promotionsthema auf einschlägige Veröffentlichungen des Jubilars aufmerksam wurde.1 Hieraus entwickelte sich ein 1 U.a. Wandtke Urheberrecht pro Kunstfreiheit, ZUM 1991, S. 484 ff.; Wandtke/Fischer/ Reich (Hrsg.) Theater und Recht, Hamburg 1994.
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Eike W. Grunert
spannender Dialog, und es entstand eine Dissertation über den urheberrechtlichen Gestaltungspielraum der Bühnenregie,2 die der Jubilar überaus kenntnisreich und engagiert begleitet hat. Aktuelle Fälle seien ein willkommener Anlass, dem Jubilar hieran anknüpfend mit herzlichem Dank und in freundschaftlicher Verbundenheit diesen kleinen Beitrag zu widmen. 2. Dresdner „Weber“ und Münchner „Karmelitinnen“ Zwei Fälle aus der jüngeren und jüngsten Vergangenheit zeigen beispielhaft, dass die Auseinandersetzung über die „richtige“ Umsetzung eines Bühnenwerkes (Theaterstück, Libretto, Musiktheaterkomposition) oft erst nach dem Ableben des Urhebers gerichtlich ausgetragen wird: a) Bekanntermaßen stellt das 1893 uraufgeführte Stück „Die Weber“ von Gerhard Hauptmann (1852–1946) die soziale Not schlesischer Weber dar. Historisches Vorbild der Handlung war ein Aufstand der schlesischen Leinenweber im Juni 1844. Im Rahmen einer Inszenierung 2004 für das Dresdner Staatsschauspiel fügte Regisseur Volker Lösch dem Stück unter anderem einen „Chor der Arbeitslosen“ aus 33 Bürgern hinzu, um eine Aktualisierung und Fortschreibung „des verzweifelten wütenden Gestus des Stücks in die heutige Zeit“3 zu erreichen, und „Stammtischparolen und Gewaltphantasien auch als solche zu entlarven“.4 Dieser Chor gestaltete in neu eingefügten Chorszenen teils sehr provokative Texte, die auf aktuelle gesellschaftliche und politische Verhältnisse Bezug nahmen, darunter deftige Beschimpfungen von Politikern, aber auch Gewalt- und Tötungsphantasien in Bezug auf prominente Medienvertreter sowie Sachbearbeiter in Arbeitsämtern.5 Die Enkelin Hauptmanns und der Bühnenverlag Felix Bloch Erben sahen in den Ergänzungen jedoch „Beleidigungen, Morddrohungen und Gewaltphantasien“, „die mit dem Original nichts zu tun hätten und unter Berufung auf Haupt2 Grunert Werkschutz contra Inszenierungskunst – Der urheberrechtliche Gestaltungsspielraum der Bühnenregie, München 2002; Teile dieses Beitrages beruhen auf einem Vortrag des Verfassers im Ballsaal der Stadthalle Heidelberg am 6. September 2008, der unter dem Titel „Hauptmanns „Weber“ und Hartz IV“ – Strenger Werkschutz des Autors oder freier Gestaltungsspielraum der Bühnenregie?“ in Weller/Kemle/Lynen (Hrsg.) Kulturgüterschutz – Künstlerschutz, Baden-Baden 2009, S. 147–155 veröffentlicht wurde. 3 So Regisseur Volker Lösch, zitiert bei Schönfeld Weber – subversiv oder volksverhetzend?, Stern v. 29.11.2004; ähnlich auch Dramaturg Stefan Schnabel, wiedergegeben bei Broder Geisterbahn Ost, Spiegel-Online vom 26. November 2004, 15:03 Uhr. 4 So die Laiendarsteller in einem Interview, vgl. http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/ 73479/index.html. 5 Vgl. nur die wenigen Zitate bei Schönfeld (Fn. 3): „Das Verräterschwein Schröder wird wie ein Hamster in ein Laufrad gesperrt… Gemisch aus Diktatur und Demokratie muss her. Hartz IV-Befürworter, Anhänger großer Parteien werden interniert und mit Peitschen zur Arbeit getrieben. (…) Wen ich sehr schnell erschießen würde, das wäre Frau X, weil sie so oft die Chance gehabt hätte, eben diese Leute auch wirklich zu schlagen.“.
Urhebererben und Regietheater
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mann ausgelebt würden“.6 Der Verlag erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen weitere Aufführungen,7 das Landgericht Berlin bestätigte die Verfügung anschließend durch Urteil.8 In einem den Rechtsstreit im Berufungsverfahren abschließenden Kostenbeschluss gab das Kammergericht Berlin dem Verlag im Ergebnis Recht,9 wenn auch mit einer vom Landgericht abweichenden Begründung: das Theater hatte bei der Anfrage der Aufführungsrechte dem Verlag die Inszenierungsidee mitgeteilt und der Verlag hatte dieser auch – mündlich – zugestimmt. Das Landgericht wollte hierin dennoch keine wirksame Änderungsvereinbarung nach dem Aufführungsvertrag erblicken. Das Kammergericht hingegen nahm eine wirksame Änderungsvereinbarung an, welche die eingefügten Chorszenen einschließlich (fast) aller dort ergänzten Texte deckte. Die Morddrohungen und Tötungsphantasien jedoch überschritten nach Ansicht des Kammergerichts das vereinbarte Änderungsrecht des Theaters, weil sie der geistigen Tendenz des Stückes und der Intention Hauptmanns zuwider liefen, für das Anliegen der Weber beim Publikum um Wohlwollen zu werben. b) Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses für diesen Beitrag gerichtlich noch nicht entschieden war ein aktueller Fall an der Bayerischen Staatsoper in München. Hier hatte der Regisseur Dmitri Tcherniakov in der Spielzeit 2010/2011 die Oper „Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc (1899– 1963) inszeniert. Das Werk behandelt die historischen Ereignisse vor der Hinrichtung von 16 Karmelitinnen 1794 in Paris, weil diese nicht bereit waren, zugunsten der Revolution ihr Gelübde zu brechen. Während am Ende des Werkes von Poulenc alle Karmelitinnen in den Märtyrertod durch die Guillotine gehen und ihr Lobgesang dadurch im buchstäblichen Sinne mehr und mehr erstirbt, rettet in der Münchner Inszenierung von Tcherniakov die Hauptfigur Blanche de la Force ihre Mitschwestern vor dem geplanten gemeinsamen Selbstmord (durch eine Gasexplosion in der gemeinsamen Unterkunft), und geht alleine in den Tod – ob freiwillig oder unfreiwillig, bleibt dabei offen.10 Kurz vor der Wiederaufnahme des Stückes Ende Okto6
Siehe Zitate bei Broder (Fn. 3), Schönfeld (Fn. 3) sowie 3Sat Kulturzeit (Fn. 4). LG Berlin, Beschlussverfügung vom 23.11.2004 (nicht veröffentlicht). 8 LG Berlin, Urteil vom 11.1.2005 (16 O 708/04 – nicht veröffentlicht). 9 KG Berlin, Beschluss zu 5 U 15/05 vom 21. Juni 2005, ZUM-RD 2005, S. 381 ff. 10 Vgl. nur die Premierenkritiken von Beate Kayser „Dialogues des Carmélites“: Die Überwindung der Angst, Münchner Merkur vom 29. März 2010 („um dann als einzige hineinzugehen und sich sprengen zu lassen“), sowie von Alviano auf www.capricciokulturforum.de vom 2. April 2010 („nur für Blanche ist es zu spät, mit einem gewaltigen Knall explodiert das Haus der Frauen, Blanche ist im Haus geblieben“); Focus Online vom 25. Oktober 2012 („Blanche rettet ihre Mitschwestern, bevor sie sich selbst in die Luft sprengt“); Egbert Tholl Stirb nicht allein!, Süddeutsche Zeitung vom 26. Oktober 2012 („Blanche [rettet] ihre Kolleginnen und geht alleine in den Tod, das „Veni creator spiritus“ auf den Lippen. Im Prinzip begeht sie also Selbstmord, …“); nach eigener Anschauung des Verfassers bei der Premiere im Nationaltheater München am 28. März 2010 enthält die In7
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ber 2012 klagten die Erben Poulencs vor einem französischen Gericht auf Unterlassung der Wiederaufnahme in der Form der Inszenierung durch Tcherniakov mit der Begründung, die Schlussszene entstelle das Werk Poulencs, da sie Deutungsmöglichkeiten eröffne, die der Kernaussage des Werkes nicht gerecht würden.11 Vielmehr sei der gemeinsame Märtyrertod zwingend, ein mehr oder weniger verklausulierter Selbstmord mit dem religiösen Weltbild Poulencs nicht vereinbar.12
II. Umfang des Urheberpersönlichkeitsrechtes in der Hand der Urhebererben Beide Fälle zeigen exemplarisch den in der Bühnenpraxis durchaus nicht seltenen Konflikt zwischen dem Urheberrechtsinhaber an einem Bühnenwerk und dem das Werk realisierenden Theater, und werfen erneut die Frage auf, (1) wie dieser Konflikt urheberrechtlich angemessen zu lösen ist, und (2) ob in solchen Fällen bei der Geltendmachung von Ansprüchen zum Schutz der Werkintegrität durch Erben Besonderheiten zu beachten sind. 1. Der rechtlicher Rahmen für den Gestaltungsspielraum der Bühnenregie a) Der Gestaltungsspielraum der Bühnenregie hat keine positive gesetzliche Regelung erfahren, sondern ist vielmehr indirekt aus seiner Begrenzung durch die Urheberrechte und etwaige sonstige Rechte des oder der Urheber des Bühnenwerkes zu ermitteln. Wie anderweitig ausführlich dargelegt,13 sollte dabei gedanklich unterschieden werden zwischen dem Werk der Bühnenurheber (Theaterstück bzw. Libretto als literarischer Text, Komposition als Partitur) einerseits, nachfolgend Spielvorlage genannt, sowie dem typischerweise unter maßgeblicher Leitung des Regisseurs erprobten Ergebnis des arbeitsteiligen Schöpfungsprozesses bei der Theaterproduktion andererseits, nachfolgend Aufführung genannt. Im Zentrum der Lösung des beschriebenen Konfliktes stehen die Werkschutznormen § 39 UrhG und § 14 UrhG. Nach § 39 UrhG darf der Inhaber eines Nutzungsrechts (in unserem Fall das Theater) ein Werk (in unserem Fall den Text bzw. die Partitur, genauer deren geistiges Substrat)14 nicht ändern, wenn (i) nichts anderes vereinszenierung keine eindeutige Aussage oder Deutung dazu, warum Blanche am Ende alleine im Haus zurückbleibt, und wodurch die Gasexplosion letztlich ausgelöst wird, ob durch eine externe (Staats-)Macht, ein Versehen, oder willentlich durch Blanche selbst. 11 Vgl. nur: Poulenc-Erben klagen gegen Münchner Operninszenierung, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 25. Oktober 2012; Focus Online vom 25. Oktober 2012. 12 So Egbert Tholl Stirb nicht allein!, Süddeutsche Zeitung vom 26. Oktober 2012. 13 Grunert (Fn. 2) S. 71 ff. 14 Vgl. Grunert (Fn. 2) S. 85 ff.
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bart ist (§ 39 Abs. 1), oder (ii) der Urheber seine Einwilligung zu Änderungen nach Treu und Glauben nicht versagen kann (§ 39 Abs. 2). Nach § 14 UrhG hat der Urheber das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigungen seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, „seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk“ zu gefährden. In beiden Fällen kommt es im Ergebnis zu einer Interessenabwägung durch das Gericht. b) Die Rechtsprechung ist dabei in der Tendenz autorenfreundlich, wegweisend ist nach wie vor das bisher einzige Urteil des Bundesgerichtshofes zur Fragestellung.15 Demnach habe der Regisseur zwar einen gewissen „Modernisierungsspielraum“, dieser sei aber durch das Urheberecht des Autors begrenzt, wobei der „Wesensgehalt“ des Stückes als Grenze anzusehen sei. Im Zweifel sei bei Meinungsverschiedenheiten stets die Auffassung des Autors maßgebend, wenn die vom Regisseur gewünschte Form das Werk in seinem wesentlichen Aussagegehalt verändert.16 c) Zunächst sind bei der Abwägung die Besonderheiten des arbeitsteiligen Schöpfungsprozesses bei der Theaterproduktion zu berücksichtigen. Das Werk des Urhebers (die Spielvorlage) muss bei jeder Inszenierung erneut „realisiert“, also von der abstrakt-schriftlichen Geistesgestalt in ein sinnlich fassbares lebendiges Spiel umgesetzt werden. Schon hieraus ergibt sich eine weitestgehende Freiheit in Bezug auf die realisierenden Elemente.17 d) Darüber hinaus erfordert das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Absatz 3 Satz 1 GG) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über das Verhältnis des Urheberrechts an vorbestehenden Werken zur Kunstfreiheit nachschaffender Künstler eine kunstspezifische Betrachtung urheberrechtlicher Normen, denn „das Urheberrecht dürfe die Möglichkeit nachschaffender Künstler, sich mit schon vorhandenen Werken künstlerisch auseinanderzusetzen, nicht zu sehr einschränken“. Vielmehr habe der Künstler in gewissem Maße Eingriffe in sein Urheberrecht durch andere Künstler als Teil der sich mit seinem Kunstwerk auseinander setzenden Gesellschaft hinzunehmen.18 In der hier untersuchten Konstellation leisten Regie und Theater ihren Anteil an der Aufführung in Ausübung ihrer Kunstfreiheit. Diese hat nach zutreffender Ansicht auch Auswirkungen auf private Rechtsverhältnisse, insbesondere müssen Zivilgerichte nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Auslegung von Generalklauseln Verfassungsrecht und Grundrechte beachten.19 Vorliegend geht es um die Anwendung zweier urhe15 BGH GRUR 1971, 35 ff. (Maske in Blau); das Urteil betraf allerdings einen Extremfall, in dem die Regisseure bewusst eine „Verhohnepiepelung“ und Verdeutlichung der fragwürdigen literarischen, künstlerischen und dramatischen Qualität und Oberflächlichkeit des Stückes anstrebten, vgl. Grunert (Fn. 2) S. 52 mit weiteren Nachweisen. 16 BGH GRUR 1971, 35, 39 (Maske in Blau). 17 Dazu näher Grunert (Fn. 2) S. 103 ff., 174 ff. 18 BVerfG GRUR 2001, 149, 151 f. (Germania 3). 19 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 7, 198, 204 ff. (Lüth).
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berrechtlicher Generalklauseln, nämlich § 39 Abs. 2 (Änderungen durch Werknutzer zulässig nach „Treu und Glauben“) sowie § 14 UrhG (Schutz nur der „berechtigten Interessen“). Die berechtigten Interessen des Autors können bei deren grundrechtskonformer Auslegung nicht so weit gehen, dass die freie Interpretation der Spielvorlage durch den Regisseur nach dessen eigenem Verständnis und künstlerischem Anliegen unmöglich würde.20 Aus der kunstspezifischer Betrachtung (im Sinne einer grundrechtskonformen Anwendung) der urheberrechtlichen Generalklauseln unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit der nachschaffender Theaterkünstler folgt vielmehr die Freiheit des Regisseurs, ein Werk auch anders als der Urheber zu verstehen und zu lesen, „gegen den Strich“ zu inszenieren und dabei auch Anpassungen für die eigene Inszenierung vorzunehmen. e) Die Grenze der Freiheit der Regie folgt aus dem gegenseitigen Rücksichtnahmegebot nach Treu und Glauben (§ 242 BGB, § 39 Abs. 2 UrhG). Danach muss sich der Urheber keinen Missbrauch gefallen lassen, etwa wenn der Regisseur die geistige Aussage des Stückes in ihr Gegenteil verkehrt. Bei der Bestimmung hat aber nicht etwa „im Zweifel der Autor (bzw. dessen Erbe) Recht“. Vielmehr ist eine objektive Entscheidung durch das Gericht erforderlich, wie sich beanstandete Änderungen konkret auf das geistige Substrat der Spielvorlage auswirken, und ob die Missbrauchsgrenze überschritten wird. 2. Besonderheiten bei der Ausübung des Integritätsschutzes durch Erben? a) Das Urheberrecht geht auf den oder die Rechtsnachfolger des Urhebers über. Nach der dem deutschen Urheberrecht zugrunde liegenden monistischen Theorie umfasst dies auch die Urheberpersönlichkeitsrechte. In Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor umstritten, ob zum einem Urhebererben bei der Ausübung von Urheberpersönlichkeitsrechten an Entscheidungen des Urhebers gebunden oder in der Ausübung dieser Rechte vollständig frei sind,21 und ob darüber hinaus die durch die Integritätsschutznormen geschützten persönlichen und ideellen Interessen des Urhebers am Werk mit zunehmendem Abstand vom Tode an Bindekraft verlieren.22 20
Ausführlich zur Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen der Abwägung nach § 14 UrhG Grunert (Fn. 2) S. 169 ff., 201 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen. 21 Für eine Bindung an die Interessen des Urhebers etwa v. Welser Die Wahrnehmung urheberpersönlichkeitsrechtlicher Befugnisse durch Dritte, Berlin 2000, S. 148 m.w.N.; für die vollständige Entscheidungsfreiheit der Erben Bullinger Kunstwerkfälschung und Urheberpersönlichkeitsrecht, Berlin 1997, S. 197 ff.; ausführlich zum Meinungsstand Schricker/ Loewenheim/Dietz/Peukert Vor §§ 12 ff. Rn. 30 m.w.N. 22 So insbesondere BGH GRUR 1989, 106 – Oberammergauer Passionsfestspiele; Schricker/Loewenheim/Dietz/Peukert Vor §§ 12 ff. Rn. 31 m.w.N.; a.A. Wandtke/Bullinger/Bullinger Vor §§ 12 ff. Rn. 10.
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b) Der Rechtsnachfolger rückt im Wege der Gesamtrechtsnachfolge vollständig in die Rechtsposition des Urhebers ein (§ 1922 Abs. 1 BGB). Mangels anderweitiger Regelungen ist der Erbe bei der Ausübung dieser Rechte nach eigener Anschauung und Wahl frei, auf die Interessen des verstorbenen Urhebers kommt es dabei – rechtlich – nicht mehr an.23 Zwar schützt § 14 UrhG „seine“ (d.h. die des Urhebers) berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk; durch die Rechtsnachfolge geht aber auch dieses Recht ungeschmälert auf den Erben über, welcher dieses Recht nach eigenem Gusto ausüben kann, denn insoweit ist gesetzlich „nichts anderes bestimmt“ (§ 30 UrhG).24 c) Die Rechtsprechung und eine gewichtige Meinung in der Literatur geht zu Recht davon aus, dass die – durch § 14 UrhG primär geschützten – persönlichen und ideellen Interessen des Urhebers am Werk nach dessen Ableben und mit zunehmendem Abstand vom Tode an Bindekraft verlieren und mehr und mehr zurücktreten.25 Eine starre Bindung der Werkinterpretation an die historischen Wertvorstellungen des Urhebers über Jahrzehnte ist auch kaum praktikabel. Es ist weder feststellbar noch vorhersehbar, wie sich die geistigen und persönlichen Interessen des Urhebers an seinem Werk entwickelt hätten, würde dieser zum Zeitpunkt der heutigen Realisierung für die Bühne noch leben. Möglicherweise hätte Gerhard Hauptmann die „Hartz IV“ Reformen zum Anlass genommen, seine „Weber“ selbst zu aktualisieren? Vielleicht hätte Francis Poulenc es ausdrücklich begrüßt, wenn ein Regisseur sein Werk umfassender und allgemeiner versteht, und bei der szenischen Umsetzung nicht sklavisch an einem historischen Geschehen festhält, welches der Vorlage für das Libretto ursprünglich zugrunde lag? Je länger das Werk und der Tod des Urhebers zurückliegen, desto eher sollte es den Lebenden möglich sein, sich – zunehmend freier – mit dem Werk auseinanderzusetzen. d) Dies gilt in gesteigertem Maße für Bühnenwerke als realisationsbedürftige Werke, die jeweils zum Zeitpunkt ihrer erneuten Realisation regelmäßig vor einem anderen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrund neu gelesen, interpretiert, und als lebendiges Bühnenspiel im Hier und Jetzt realisiert werden. Insoweit handelt es sich insbesondere bei einem Bühnenwerk um ein Kunstwerk par excellence im Sinne des vom Bundesverfassungsgericht angewandten offenen Kunstbegriffs. Demnach ist für ein Kunstwerk kennzeichnend, dass es wegen der Mannigfaltigkeit seines Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Inter23 Ausnahme ist der – hier nicht einschlägige – § 42 Abs. 1 S. 2 UrhG (Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung). 24 Vgl. schon Ulmer Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage Berlin 1980, S. 257; ausführlich Grunert (Fn. 2) S. 115 ff. m.w.N. 25 Siehe die Nachweise in Fn. 22.
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pretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen.26 Denn bei einem Bühnenwerk treten zahlreiche in der Kunstform begründete und notwendige Interpretationsschritte zwischen die ursprüngliche Schöpfung des Bühnenurhebers (die Spielvorlage) und die beim Zuschauer durch die konkrete Aufführung erzeugte Aussage. e) Zwar gelten im Verhältnis zu den Erben grundsätzlich dieselben urheberrechtlichen Bestimmungen wie zu Lebzeiten des Urhebers. Im Rahmen der Interessenabwägung kann sich hier aber ein durchaus umfangreicherer Gestaltungsspielraum der Bühnenregie ergeben: erstens kann man den Erben keine irgendwie höher zu bewertende Aussage über die wahren Intentionen des Urhebers und den geistigen Gehalt des Bühnenwerkes zugestehen, als etwa den beteiligten Fachleuten (Regisseur, Theaterintendanz, Dramaturgen, Kritiker) oder auch dem einzelnen Zuschauer. Auch die Meinung der Erben hat demnach bei der objektiven Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen der urheberrechtlichen Schutznormen durch das Gericht kein höheres Gewicht. Zweitens nehmen wie ausgeführt die ideellen Interessen des Urhebers nach richtiger Auffassung mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Tode des Urhebers mehr und mehr ab.
III. Zur Bewertung der Fälle 1. Dresdner „Weber“ Im „Weber“ – Fall hatte das Kammergericht nicht etwa einen Missbrauch oder eine Verkehrung der Tendenz des Stückes angenommen. Es hat vielmehr das Änderungsverbot des Aufführungsvertrages geprüft und aus dem vertraglichen Rücksichtnahmegebot eine Pflicht des Theaters konstatiert, im Falle von „nicht in Kontinuität mit der geistigen Tendenz“ des Werkes stehenden Änderungen nochmals gesondert die Erlaubnis des Rechteinhabers einzuholen.27 Das ist dogmatisch gut begründet und vertretbar. In der Sache hätte man aber auch anders entscheiden können. Wenn das Kammergericht schon so weit geht und mit Recht konstatiert, der Verlag habe aufgrund der ihm mitgeteilten Inszenierungsidee durchaus und gerade auch mit akzentuierten Äußerungen zur aktuellen politischen Lage in Deutschland zu Zeiten emotionaler Diskussionen um Arbeitslosigkeit und „Hartz IV“ rechnen müssen, erscheint es nicht zwingend, in den besonders akzentuierten Textstellen dann doch eine Überschreitung des vereinbarten Änderungsrechtes zu sehen. Darüber hinaus erscheint die vom Kammergericht in der tragenden Begründung vorgenommene Reduzierung des geistigen Aussagegehaltes 26 27
Grundlegend BVerfGE 67, 213, 225 ff. – Anachronistischer Zug. KG ZUM-RD 2005, S. 381 ff.
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des Stückes auf die Erzeugung von Sympathie beim Zuschauer für das Anliegen der Weber durchaus diskussionswürdig. 2. Münchner „Karmelitinnen“ In Anbetracht des in Frankreich anhängigen Rechtsstreits hatte die Bayerische Staatsoper angekündigt, die im Rahmen der Wiederaufnahme schon vor der zu erwartenden gerichtlichen Entscheidung angesetzten Aufführungstermine wie geplant durchzuführen, und dabei das Publikum mit Handzetteln sowie auf der Website darauf hinzuweisen, dass sich die Erben von der Inszenierung distanzieren.28 Soweit dies in Abstimmung mit den Erben geschehen ist, ist eine solche Lösung einem etwaigen gerichtlichen Aufführungsverbot vorzuziehen.29 Soweit dies gegen den Willen der Erben geschieht, kann der öffentliche Hinweis auf die Distanzierung die in den Aufführungen der möglicherweise werkentstellenden Produktion liegende Rechtsverletzung allenfalls abmildern, aber nicht beseitigen. Das Gericht wird hier letztlich entscheiden müssen, ob und inwiefern die von Poulenc, der auch das Libretto selbst verfasst hat,30 vorgesehene und auch in die Musik geradezu hinein komponierte Hinrichtung aller Karmelitinnen, eine nach der anderen, den wesentlichen Geistesgehalt der Oper prägend bestimmt, oder ob Poulencs Kunstwerk insoweit offener ist, als es ohne Schaden am geistigen Substrat eine andere Interpretation sowie einen offeneren, weniger historischen sondern eher allgemeingültigen Schluss zulässt.31
28
Vgl. nur Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 25. Oktober 2012 (Fn. 11). Vgl. zu Vorschlägen eines Distanzierungsanspruchs Grunert (Fn. 2) S. 256 m.w.N. 30 Nach einem gleichnamigen Drama von Georges Bernanos. 31 In diesem Sinne etwa Egbert Tholl Stirb nicht allein!, Süddeutsche Zeitung vom 26. Oktober 2012; vgl. auch die zahlreichen Stellungnahmen von Opernliebhabern unter www.capriccio-kulturforum.de unter dem Thread Poulenc: „Dialogues des Carmélites“ – Bayerische Staatsoper München, 01.04.2010“, zuletzt abgerufen am 28.10.2012. 29
Tanz und Urheberrecht Ulrich Battis/Vera Battis Reese Der berufliche Werdegang des verehrten Jubilars und Freundes ist einzigartig: Vom klassischen Tänzer in frühen Jahren über die Ausbildung zum Juristen in der DDR zu einem akademischen Meister des Urheberrechts vor und nach der deutschen Einigung. Die Autorin dieses Beitrags hat immerhin Erfahrungen mit der Anwendung des Urheberrechts in einer Tanzcompany, der Autor ist ein urheberrechtlicher Laie, der seine Verlagsverträge stets „blind“ unterschrieben hat. Aber die fröhliche Zugewandtheit und die großherzige Toleranz von Artur-Axel Wandtke lassen uns nicht zögern beim derzeitigen aufgeregten Tanz ums Urheberrecht, das Urheberrecht im Tanz aufzurufen, zumal dieses Thema in der Vergangenheit eher „stiefmütterlich“1 behandelt worden ist. Im Vorfeld der nie mit dieser Publizität und Rigidität geführten nationalen (Piratenpartei, 12 Thesen für ein faires und zeitgemäßes Urheberrecht der SPD, Aufruf „Wir sind alle Urheber“)2 und internationalen Grundsatzdebatte (verkürzt Silicon Valley vs. Hollywood) um das Urheberrecht an Werken der Literatur und Musik titelte der Berliner Tagesspiegel: „Können Tänze Plagiate sein? Beyoncé schlägt ein neues Kapitel im Urheberrecht auf.“3 Auch Werke der Tanzkunst zählen zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG geschützten Werken. Umstritten ist aber vor allem die Schutzfähigkeit einzelner Teile einer Choreografie. Die amerikanische Sängerin Beyoncé Knowles hat 2011 ein Video zu ihrem Song „Countdown“ veröffentlicht. In diesem Video tritt die Sängerin und eine Gruppe von Hintergrundtänzerinnen in verschiedenen Tanzszenen auf. Gefilmt werden die Szenen, die in einer alten Industriehalle stattfinden, durch eine Fensterscheibe. Die belgische Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker hat in den 80er und 90er Jahren zwei Chreografien, „Rosas Danst Rosas“ und „Achterland“, geschaffen, die später verfilmt wurden. Sie wirft der amerikanischen Sängerin Beyoncé vor, mehrere Passagen ihrer Choreografien ungenehmigt genutzt zu haben.4 Zudem 1 So R. Grohmann, WK legal vom 29.11.2011, http://www.wkblog.de (aufgerufen am 20.05.2012); s.a. Kanzlei Hoesmann, google (aufgerufen am 6.6.2012); eher randständig OLG Köln GRUR-RR 2007, 263. 2 Z. B. Kramm, FAZ vom 20.05.2012; Küchermann, FAZ vom 22.05.2012. 3 Der Tagesspiegel vom 13.10.2011. 4 Presseerklärung 10.10.2011 Anne Teresa de Keersmaeker; http://www.rosas.be/news.
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gebe es eine große Ähnlichkeit zwischen den Kostümen, dem Bühnenbild und der Art der Filmaufnahmen.5 Beyoncé Knowles erwiderte in einem Interview, dass „Rosas danst Rosas“ eine von vielen Referenzen und Inspirationsquellen für ihr Video „Countdown“ gewesen sei.6 Die Meinungen zu dem Fall gehen auseinander: Die Tanzkritikerin Wiebke Hüster äußert in ihrem Blog die Ansicht, dass die Nutzung der in Rede stehenden Elemente keine Urheberrechtsverletzung von Anne Teresa de Keersmaekers Choreografien darstelle, weil die gezeigten Abläufe oder Bewegungen im zeitgenössischen Tanz zu den gebräuchlichen Phrasen wie das Gehen, Laufen, Hüpfen, Drehen und laut Atmen gehörten und diese nicht dem Urheberschutz unterlägen.7 Einige Sequenzen aus „Rosas danst Rosas“ könne man sogar in noch älteren Choreografien von Pina Bausch oder Reinhild Hoffmann entdecken.8 Andere Stimmen gehen hingegen von einer Urheberrechtsverletzung aus: So äußern Madeline Ritter und Ingo Diehl, die sich mit dem „Tanzfonds Erbe“ für die Kulturstiftung des Bundes mit dem Thema Urheberschutz im Tanz auseinandersetzen, dass mit dem Video von Beyoncé Knowles eine Grenze überschritten werde, da in dem Video nicht nur einzelne Schritte, sondern ganze Passagen kopiert würden und auch die Kostüme, das Setting und sogar die Kameraposition und -perspektive sehr ähnlich seien.9 Als Konsequenz sei eine Information von Anne Teresa de Keersmaeker durch Beyoncé Knowles sowie die Zahlung eines Nutzungsentgelts erforderlich gewesen.10 Rolf Bolwin, der Vorsitzende des Rats für darstellende Kunst und Tanz, ist der Meinung, dass ein Hinweis im Programmheft bzw. in diesem Fall am Ende des Videos fair gewesen wäre.11 Der Choreograf Christoph Winkler setzte mit seinen in den Berliner Sophiensälen im Mai 2012 mit großem Erfolg12 aufgeführten Stück „Dance! Copy! Right?“ einen eigenen künstlerischen und intellektuellen Akzent. Als Rahmenhandlung seines Stückes diente ein Rechtsstreit aus dem Jahre 2010, in dem Winkler als Gutachter geladen war. Im Streit war ein URBAN-
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Ebenda. The New York Times, 10.10.2011; dazu 25 Kommentare, Archiv der New York Times (aufgerufen am 23.8.2012). 7 FAZ Blog Aufforderung zum Tanz vom 10.10.2011; in diese Richtung auch Alastair Macaulay in der „The New York Times“ vom 21.11.2011 „In Dance, Borrowing is a Tradition.“ 8 Ebenda. 9 Der Tagesspiegel vom 13.10.2011 sowie „Spiegel online“ vom 14.10.2011. 10 Der Tagesspiegel vom 13.10.2011. 11 Ebenda; zum Bearbeitungszitat bei einem Bühnenstück s. OLG München v. 20.05. 1999, 29 U 3513/96. 12 S. K. B. Müller, TAZ-plan vom 26.05.2012. 6
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DANCE-Video, an dessen Choreografie das Copyright ein Unternehmen erworben hatte. Das Unternehmen verklagte eine Tanzschule, die das Video im Unterricht benutzt hatte. K. B. Müller weist zu Recht darauf hin, dass nicht ein Künstler gegen einen anderen klagt, sondern ein Verwerter gegen einen anderen Verwerter. Winklers Statement lautet: „Das Zitieren und Kopieren im Tanz geht fast immer auch mit der Verschiebung in einen anderen Kontext einher. Deshalb ist es … oft nicht sinnvoll, als Künstler etwa auf Urheberrechten zu bestehen, wenn ein anderer Künstler die gleichen Bewegungen macht.“13 Wenn es „oft“ nicht sinnvoll ist, auf Urheberrechten zu bestehen, so kann es im Umkehrschluss zumindest in anderen Fällen doch sinnvoll sein, vorausgesetzt es besteht überhaupt ein Urheberrecht an einer Choreografie oder an einzelnen ihrer Teile. Prinzipiell gelten für Tanzchoreografien keine anderen Auslegungsregeln zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG als bei anderen Werkarten. Es kommt auch beim Tanz darauf an, ob das Werk, also die Choreografie, eine persönliche geistige Schöpfung ist. „Durch das Werk müssen ‚Empfindungen‘ zum Ausdruck gebracht werden.“14 Ob die Choreografie eine derartige „Schöpfungshöhe“ aufweist, ist – worauf Grohmann zutreffend hinweist – eine im Einzelfall zu fällende wertende Entscheidung, die auch den Schutz der „kleinen Münze“ nicht ausschließt. Schwieriger ist die Frage zu entscheiden, ob und wann einzelne aneinander gereihte Bewegungsabläufe bereits den Charakter eines eigenständigen Werkes haben und damit schutzfähig sind. Beim Tanz unabdingbar gebräuchliche Phrasen wie Gehen, Laufen, Hüpfen, Drehen, laut Atmen schützt nach allgemeiner Meinung § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG nicht, ebenso wenig wie in der Musik drei bis vier Tonfolgen. Anders ist es, wenn einzelne Szenen „die klare Handschrift“ des Choreografen erkennen lassen.15 Die von Christoph Winkler geschaffene Choreografie ist als solche trotz ihrer urheberrechtlich skeptischen Intention16 ein Schutzwerk des Rechts i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG. Für welche einzelnen Bewegungsphrasen des Stückes dies auch gilt, ist im Vergleich etwa zur Musik schwerer zu beantworten.17 Wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass in der Vergangenheit die Notation von Tanzwerken trotz der Verdienste von Marius Petipa und trotz des Siegeszuges von Film und Video deutlich weniger entwickelt ist als
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TAZ-plan a.a.O. So Grohmann, WK legal vom 13.10.2011. 15 So Hoesmann a.a.O. 16 S. auch die Ingolstädter Resolution des Deutschen Bühnenvereins zu einer behutsamen Lockerung des Urheberrechts. 17 Skeptisch zum Wert von Dokumentationen beim Tanz Francis Yeoh, critical dance 7/2007. 14
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in anderen Künsten. In den Worten von Hortensia Völckers und Alexander Farenholtz: „Im Unterschied zu den anderen Künsten – wie beispielweise die Literatur und die Musik – sind die vorhandenen Notations-Systeme für den Tanz nicht sehr bekannt und anwendbar. Daher begegnet der Tanz der Herausforderung, die ungeheuere Komplexität der choreografischen Werke darzustellen und die Tänzer zu unterstützen, wie es etwa eine musikalische Partitur übernimmt, in eine leicht verständliche Darstellung der räumlichen Organisation und ihrer Entfaltungen.“18 Das Zitat findet sich in der von der Forsythe Company Motion Bank-Broschüre: In der Einführung von Motion Bank heißt es: „Motion Bank ist eine vier Jahre (2010–2013) angelegtes Projekt der Forsythe Company, in dem die choreografische Praxis in einem breiten Kontext erforscht werden soll. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Erstellung digitaler online-Partituren von Choreografien in Zusammenarbeit mit ausgewählten Gastchoreografen. Die Partituren werden anschließend in dem digitalen Archiv Motion Bank zugänglich gemacht. Neben der Produktion dieser neuartigen online-Partituren sieht das Projekt auch die Entwicklung von auf deren praktische Anwendung bezogenen Lehrformaten vor.“19 Das Projekt Motion Bank hat viel weitergehende Ziele als den besseren Schutz von Urheberrechten im Tanz. Es soll aber auch Tanz dokumentieren, analysieren, notieren und präsentieren, „es geht um den Prozess der Erstellung einer Partitur.“20 Ein Partner der zahlreichen beteiligten Hochschulen und sonstigen wissenschaftlichen Institutionen, die von zahlreichen öffentlichen und privaten Förderern unterstützt werden, das Institut für grafische Datenverarbeitung in Darmstadt beschreibt seinen von einem multidisziplinären Team aus Informatikern, Mathematikern und Interaction-Designern zu erstellenden Beitrag: „In enger Zusammenarbeit mit den Gastchoreografen von Motion Bank und den Designern der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main analysieren wir die spezifischen Erfordernisse der unterschiedlichen Partituren, entwickeln jeweils eigene Ansätze für die Aufzeichnung und Visualisierung signifikanter Bewegungsparameter. Dazu gehört auch, dass die Position, Bewegung und Haltung von Tänzern auf Video aufgenommen werden. Im Ergebnis werden unsere visuellen Computermethoden zur dreidimensionalen Dokumentation und Erhaltung und Erhaltung von Tanz und Choreografie beitragen …“21 Ungeachtet der viel weitergehenden Ziele liegt es nahe, Ergebnisse des Projekts für die wertende Entscheidung zu nutzen, ob eine Choreografie oder einzelne Bestandteile derselben und wegen ihrer „Schöpfungshöhe“, 18 19 20 21
In The Forsythe Company Motion Bank oJ, S. 6. Motion Bank, S. 4. Partituren, Motion Bank S. 12. Michael Zöllner/Jens Keil, Motion Bank S. 22.
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ihrer „erkennbaren Handschrift“ von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG geschützt werden. Einmal mehr würden durch interdisziplinäre Zusammenarbeit erzielte Durchbrüche aus Wissenschaft und Kunst auch der Jurisprudenz zugute kommen.
Ist das mein Tanz oder dein Tanz? Welcher Maßstab gilt für das Vorliegen einer Urheberrechtsverletzung an choreografischen Werken? Maja Murza Prof. Dr. Artur-Axel Wandtke ist seit vielen Jahren der Tanzkunst, den Tänzern und Choreografen eng verbunden. Er hat sich insbesondere für die Anerkennung der Rechte derjenigen, die für das Gelingen einer Tanzproduktion verantwortlich sind, eingesetzt. Dieser Aufsatz ist seinem Engagement für die Durchsetzung des Urheberrechtsschutzes und der Vergütungspflicht für die Nutzung choreografischer Werke durch Theater und andere Veranstalter gewidmet. Seit etwa 100 Jahren sind choreografische Werke im deutschen Urheberrechtsgesetz geschützt.1 Trotz der gesetzlichen Anerkennung als schutzfähige Werkart2 kommen so gut wie nie urheberrechtliche Fälle, deren Streitgegenstand ein choreografisches Werk ist, vor Gericht. Das könnte zu der Vermutung verleiten, dass für Werke der Tanzkunst urheberrechtlich gesehen eine „heile Welt“ herrscht, in der keine rechtlichen Probleme auftreten und alle gegenseitig ihre jeweiligen schöpferischen Leistungen respektieren. Der Rea1
Die Entwicklung der Kinematographie führte 1908 nicht nur zu einer Revision der Berner Übereinkunft in Berlin, sondern veranlasste ebenfalls den deutschen Gesetzgeber bei der Novellierung des Literatururheberrechtsgesetzes (LUG) 1910, choreografische und pantomimische Werke ausdrücklich in den Kreis der geschützten Werkarten aufzunehmen. Das Urheberrechtsgesetz von 1965 führt in § 2 UrhG als geschützte Werkart auch Werke der Tanzkunst auf. Für einen historischen Abriss zur Entwicklung des Urheberrechtsschutzes choreografischer Werke s. auch Murza, Urheberrecht der Choreografen, 26 ff.; Schlatter-Krüger, Zur Urheberrechtsfähigkeit choreografischer Werke in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, GRUR Int. 1985, 299, 301. 2 Zu den Anforderungen an die Schutzfähigkeit eines choreografischen Werkes im deutschen Urheberrecht s. Loewenheim/Schlatter, Handbuch des Urheberrechts, § 9 Rn. 82 ff.; Mestmäcker/Schulze/Obergfell, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, § 2 Rn. 93; Murza, Urheberrecht der Choreografen, 59 ff.; Obergfell, Tanz als Gegenwartskunstform im 21. Jahrhundert, Urheberrechtliche Betrachtungen einer vernachlässigten Werkart, ZUM 2005, 621 ff.; Schlatter-Krüger, Zur Urheberrechtsfähigkeit choreografischer Werke in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, GRUR Int. 1985, 299 ff.; Wandtke/Bullinger/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 2 Rn. 74, Wandtke, Choreografische und pantomimische Werke und deren Urheber, FS Raue, 745 ff.; ders., Der Schutz choreografischen Schaffens im Urheberrecht in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, ZUM 1991, 115 ff.
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lität kommt jedoch folgendes Szenario näher: Für Ballett und Tanz stehen die geringsten finanziellen Mittel zur Verfügung und dementsprechend gering fällt auch die Vergütung für Tänzer und Choreografen aus.3 Aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen, mangelnder Rechtswahrnehmung durch Theaterverlage bzw. praktisch nicht existenter Interessenvertretung durch die Verwertungsgesellschaften4 ist es für die meisten Choreografen kaum wirtschaftlich vertretbar, bei einer urheberrechtlichen Streitigkeit den Rechtsweg zu beschreiten.5 Bei Theatern und sonstigen Veranstaltern hat sich, z.T. bedingt durch finanzielle Zwänge, noch nicht überall die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Choreograf wie ein Komponist oder Librettist die Position eines Urhebers genießt. Aber auch die Choreografen sind sich über ihre Rechte und Pflichten als Urheber oft nicht im Klaren. Stellvertretend für die Meinung des einen oder anderen Choreografen sei an dieser Stelle die Tänzerin und Choreografin Martha Graham (1894–1991) zitiert. Sie hat gegenüber ihren Tänzern deutlich auf den Punkt gebracht, was sie davon hält, fremde Bestandteile in ihre Choreografien zu integrieren: “Don’t show me anything you wouldn’t want me to borrow!” 6 Aber wo ist die Grenze zu ziehen zwischen einer Urheberrechtsverletzung an einem choreografischen Werk und einer freien Benutzung gem. § 24 UrhG, bei der sich ein Choreograf von einem anderen Werk inspirieren lässt? Genügt es bereits für die Annahme einer Urheberrechtsverletzung einzelne Schritte oder Posen aus einer anderen Choreografie zu verwenden oder ist die Übernahme einer Bewegungssequenz erforderlich? Anhand ausgewählter Gerichtsentscheidungen aus Deutschland, Frankreich, Belgien und den USA soll diesen Fragen im Folgenden exemplarisch nachgegangen werden. 1. Urheberrechtsverletzung durch Fotografien eines choreografischen Werkes? Die Entscheidungen „Godspell“ und „Horgan v. MacMillan Inc.“ Sowohl in Deutschland als auch in den USA hatten sich Gerichte mit der Frage zu beschäftigen, ob die Verwendung von Fotografien einzelner Szenen 3 Trotz Vereinheitlichungsbestrebungen differiert die Mindestvergütung zwischen einzelnen Künstlergruppen am Theater aufgrund der verschiedenen Tarifverträge. Vergleicht man die durchschnittlichen Ausgaben pro Tänzer und Orchestermusiker zeigt sich folgendes Bild: Im Land Berlin z.B. entstanden in der Spielzeit 2010/2011 Personalausgaben von durchschnittlich rund 53.700 Euro pro Tänzer und in Höhe von rund 70.684 Euro pro Orchestermusiker (Quelle: Deutscher Bühnenverein, Theaterstatistik 2010/2011, Summentabellen erhältlich unter http://www.buehnenverein.de/de/publikationen-und-statistiken/ statistiken/theaterstatistik.html (zuletzt besucht am 31.8.2012). 4 Murza, Urheberrecht von Choreografen, 306 ff. 5 Zum Wert des Tanzes vgl. Ritter/Vogel, Wert des Tanzes: Notizen zum Urheberrecht, GRUR-Prax 2012, 340545. 6 Übersetzung: Zeig mir nichts, von dem Du nicht möchtest, dass ich es verwende!
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aus choreografischen Werken eine Urheberrechtsverletzung darstellen kann7. Anlass für den Rechtsstreit, den das LG München 1979 zu entscheiden hatte, war eine Fotografie der Gruppe „Brasiliana“, die auf der von der Beklagten herausgegebenen Schallplatte „Godspell“ abgebildet wurde. Das Gericht urteilte, dass mittels des Fotos nicht das choreografische Werk in seiner originalen Form wiedergegeben wird, weil es sich bei Schöpfungen der Tanzkunst in erster Linie um die Darstellung eines Geschehens mittels Körperbewegungen handele.8 Der geistige Gehalt dieser Werke wird also durch die Bewegungsund Gebärdensprache ausgedrückt.9 Richtigerweise kam das Gericht deswegen zu dem Ergebnis, dass durch eine fotografische Momentaufnahme, die den Bewegungsablauf statisch wiedergibt, ein choreografisches Werk nicht wahrnehmbar gemacht werden kann und deswegen auch keine Urheberrechtsverletzung daran vorliegt.10 Auf dieser Basis ist auch festzuhalten, dass das Fotografieren eines choreografischen Werkes auch nicht den Tatbestand einer Bearbeitung oder die Voraussetzungen einer Vervielfältigung gemäß § 16 UrhG erfüllt. Das Vervielfältigungsrecht kann zwar auch durch Werkauszüge tangiert werden. Dafür ist eine gewisse Erheblichkeit erforderlich, weil sonst die Vervielfältigung nicht als ein gegenständliches Werkexemplar angesehen kann.11 Mit einer fotografischen Momentaufnahme wird jedoch nur ein minimaler Ausschnitt aus einer Choreografie festgehalten, anhand dessen nicht mit Sicherheit rekonstruiert werden kann, welche Bewegungen davor oder danach erfolgten. Anderer Auffassung ist Wandtke, der die Möglichkeit einer Vervielfältigung dann bejaht, wenn das Foto eine Bewegung oder Sprungvariation zeigt, die über genügend Originalität verfügt.12 Da7 In Frankreich musste sich der Cour d’Appel Orlè aus 2010 am Rande mit der Frage beschäftigen, ob Fotografien eine Urheberrechtsverletzung an einer Choreografie darstellen können. Das Gericht verneinte dies im Urteil (Juris-Data 2010 – 028481). 8 LG München, GRUR 1979, 852, 853; zu den Anforderungen an die Urheberrechtsschutzfähigkeit einer Choreografie vgl. auch Nachweise in Fn. 2. 9 LG München, GRUR 1979, 852, 853; Dreier/Schulze/Schulze, Urheberrechtsgesetz Kommentar, § 2 Rn. 143; Loewenheim/Schlatter, Handbuch des Urheberrechts, § 9 Rn. 88; Mestmäcker/Schulze/Obergfell, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, § 2 Rn. 97; Murza, Urheberrecht der Choreografen, 64 f.; Wandtke/Bullinger/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 2 Rn. 74; Wandtke, Der Schutz choreografischen Schaffens im Urheberrecht in der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, ZUM 1991, 115, 117. 10 LG München, GRUR 1979, 852, 853. 11 Zur Vervielfältigung von Werkteilen s. BGH GRUR 1988, 533, 535 – Vorentwurf II; OLG München, ZUM 1998, 417, 420 – Brechttexte; OLG Köln, GRUR 2001, 97, 98 – Suchdienst für Zeitungsartikel; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht Kommentar, § 16 Rn. 14; Wandkte/Bullinger/Heerma, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 16 Rn. 4; speziell für choreografische Werke: Murza, Urheberrecht der Choreografen, 249 ff. 12 Wandtke, Choreografische und pantomimische Werke und deren Urheber, FS Raue, 741, 752. Ähnlich Loewenheim/Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, § 20 Rn. 8, der die Momentaufnahme eines bewegten Geschehensablaufes genügen lassen will.
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durch würde man jedoch – zumindest in Ausnahmefällen – bereits einzelnen Körperbewegungen urheberrechtlichen Schutz zubilligen.13 In der Entscheidung Horgan v. MacMillan Inc. aus den USA14 kam die Berufungsinstanz zu einem anderen Ergebnis als im Urteil „Godspell“. Der Fall basiert auf folgenden Fakten: Der Verleger MacMillan Inc. plante ein Kinderbuch über das Ballett „Der Nussknacker“, wobei ein Teil auch die jährliche Nussknackeraufführung des New York City Ballets (NYCB) beschreiben sollte. 1981 registrierte Balanchine seine Nussknackerchoreografie für das NYCB beim Copyright Office, deren Verwertungsrechte Barbara Horgan nach seinem Tod erbte. Die offiziellen Fotografen des NYCB schufen ungefähr 60 Bilder für das geplante Kinderbuch. Horgan sah in der Buchpublikation eine unautorisierte Bearbeitung der Balanchine Choreografie. Der District Court15 konnte in dem geplanten Kinderbuch keine Urheberrechtsverletzung erkennen. Das Gericht unterstrich, dass sich eine Choreografie durch „die Schrittfolgen in einem Ballett“16 auszeichnet, jedoch die Fotografien die Tänzer nur in „verschiedenen Posen zu einem bestimmten Zeitpunkt“ abbilden.17 Diese Auffassung wurde vom Second Circuit nicht geteilt.18 Dort befand man, dass es für die Prüfung, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt, nicht relevant sei, ob die Choreografie, d.h. die Bewegungssequenz(en), anhand der Fotos nachgeahmt werden kann. Ent13 Mehr dazu in Abschnitt 3. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des OLG Köln, 6 U 189/97 interessant, in der es um die Urheberrechtsverletzung an einem Lichtbildwerk ging, das eine Klammerpose einer Tänzerin darstellte. Das Gericht entschied u.a. über die Eigenart und Üblichkeit dieser Klammerposen im modernen Tanz. Es urteilte, dass es sich bei der streitgegenständlichen Pose nicht um eine solche handelt, die üblicherweise im modernen Ballett zu finden ist, so dass dem Lichtbildwerk des Klägers Urheberrechtsschutz zugebilligt wurde. Allgemein zur Schutzfähigkeit einzelner Schritte und Bewegungen s. auch Murza, Urheberrecht der Choreografen, 74 f. 14 Zu den Anforderungen an Schutzfähigkeit als choreografisches Werk unter US-amerikanischem Federal Copyright s. bspw. Abitabile/Picerno, Dance and the Choreographer’s Dilemma: A Legal and Cultural Perspective on Copyright Protection for Choreographic Works, Campbell Law Review 2004, 39 ff.; Cook, Moving to a New Beat: Copyright Protection for Choreographic Works, UCLA Law Review 1977, 1287 ff.; Fisher, The Copyright in Choreographic Works: A Technical Analysis of the Copyright Act 1976, 31 ASCAP Copyright Law Symposium 1984, 145 ff.; Murza, Urheberrecht der Choreografen, 90 ff.; Sadtler, Preservation and Protection in Dance Licensing: How Choreographers Use Contract to Fill in the Gaps of Copyright and Custom, Columbia Journal of Law & the Arts 2012, 253 ff.; Singer, In Search of Adequate Protection for Choreographic Works: Legislative and Judicial Alternatives v. the Custom of the Dance Community, University of Miami Law Review 1984, 287 ff.; Yeoh, Choreographers’ Copyright Dilemma, Entertainment Law Review 2012, 201 ff. 15 621 F. Supp. 1169 (S.D.N.Y. 1985). 16 Übersetzung: „the flow of steps in a ballet“. 17 621 F. Supp. 1169, 1170 (S.D.N.Y. 1985) Übersetzung: „various attitudes at specific instants of time“. 18 789 F. 2d 157 (2d Circ. 1986).
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scheidend sei nur, ob sich die streitgegenständliche Schöpfung als „substantially similar“ zum ursprünglichen choreografischen Werk herausstellt.19 Maßstab dafür ist, „… whether the ordinary observer, unless he sets out to detect the disparities, would be disposed to overlook them, and regards their aesthetic appeal as the same.“20 Dieser Maßstab wird jedoch zu Recht dafür kritisiert, dass er „amorph und schwer anzuwenden“21 ist, da die Änderung des Mediums (statt einer bühnenmäßigen Aufführung die Verwendung von Fotografien) bei der Betrachtung außen vor bleiben muss.22 Außerdem müssten bei der Anwendung dieses Tests auch das Bühnenbild oder die Ausstattung außer Betracht bleiben, weil sie nicht zur choreografischen Schöpfung von Balanchine gehören. Eine Bewertung mit Hilfe eines Durchschnittsbetrachters hätte also auf einer sehr abstrakten Ebene stattfinden müssen. Ein derartiger Transfer ist für einen normalen Betrachter aber realistischerweise kaum zu leisten. Deswegen erscheinen bei einer Anwendung dieses Tests im Sinne des Berufungsgerichts nur wenig verlässliche Ergebnisse möglich.23 Insgesamt wird der Maßstab für die Annahme einer Urheberrechtsverletzung viel zu niedrig angesetzt, wenn der „substantial similarity Test“ in Bezug auf choreografische Werke allein durch die Vorlage einer größeren Anzahl von Fotografien mit Ausschnitten des Werks als erfüllt angesehen wird.24 Das Berufungsgericht führte dazu in wenig überzeugender Art aus, dass „a snapshot of a single moment in a dance sequence may communicate a great deal.“25 Aber damit lässt das Gericht das Element Zeit, d.h. die Abfolge der Bewegungen, bei der Betrachtung außen vor. 2. Unautorisierte Verwendung einer Bewegungssequenz: Die Entscheidung „Der grüne Tisch“ Der erste bedeutende in Deutschland dokumentierte Rechtsstreit über ein choreografisches Werk wurde im Jahr 1951 vom LG Essen entschieden.26 In 19
789 F. 2d 157, 162 (2d Circ. 1986). 789 F. 2d 157, 162 (2d Circ. 1986). Übersetzung: ob der durchschnittliche Zuschauer, wenn er sich nicht darauf konzentriert Unterschiede zu entdecken, sie übersehen würde und den ästhetischen Eindruck beider Werke gleich ansehen würde. 21 Hilgard, Choreography and Copyright, UC Davis Law Review 1994, 757, 773. Das Zitat lautet im Original: „The substantial similarity test is amorphus and difficult to apply“. 22 S. auch Murza, Urheberrecht von Choreografen, 282. 23 Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen von Gennerich, One Moment in Time: The Second Circuit Ponders Choreographic Photography as a Copyright Infringement, 53 Brooklyn Law Review 1987, 379, 396 ff. 24 A. A. ist Alcalbes, die in Bezug auf Theaterproduktionen den „substantial similarity test“ wie im Fall Horgan v. MacMillan Inc. verstanden wissen will (Unauthorized Photographs of Theatrical Works: Do they Infringe the Copyright?, 87 Columbia Law Review 1987, 1032, 1042 ff.). 25 789 F. 2d 157, 163 (2d Circ. 1986). 26 LG Essen, UFITA 18 (1954), 243 ff. 20
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dem einstweiligen Verfügungsverfahren hatten die Richter über eine Verletzung der Urheberrechte des Choreografen Kurt Joos an seinem Werk „Der grüne Tisch“ zu entscheiden. Das Werk behandelt die Schrecken des Krieges. In der Anfang- und Schlussszene versinnbildlichen Tänzer in rhythmischen Bewegungen mit stilisierten schwarzen Gehröcken und weißen Gamaschen eine erfolglose diplomatische Beratung an einem grünen Tisch. Diese Szene wurde nach Auffassung des Gerichtes bis hin zur Bekleidung der Interpreten nahezu identisch übernommen, auch wenn die entsprechende Filmszene das Treffen einer Sittlichkeitskommission zur Zulässigkeit eines neuen Tanzes darstellen sollte. Das Gericht subsumierte das choreografische Werk damals noch unter § 1 Abs. 2 LUG (1910) und billigte ihm urheberrechtlichen Schutz zu. Bemerkenswert an dem Urteil ist sein Umgang mit dem im LUG noch verankerten Fixierungserfordernis. Dem Gericht genügte dazu die Vorlage eines Manuskripts zur Choreografie von Joos. Zunächst bestimmte das Gericht genauer, welche Elemente bei einem Werk der Tanzkunst schutzfähig sind: „… Geschützt ist nicht die Idee, verhandelnde Männer an einem Beratungstisch dazustellen, sondern die Formgestaltung. Nicht darauf kommt es an „was“ dargestellt wird, sondern „wie“ es dargeboten wird. … Beim Tanze vollzieht sich die Gestaltung des gedanklichen Inhalts durch die Aufeinanderfolge rhythmischer Bewegungen und Gesten, wobei der Wechsel von Verharren und Bewegung, die Abstimmung des gleichzeitigen Verhaltens mehrerer Personen zueinander und der einzelnen nacheinander den in der Vorstellung des Schöpfers lebenden Empfindungs- und Gedankengehalt sinnfällig machen soll.“27 Aufgrund der Beweisaufnahme durch einen Vergleich der Filmsequenz und der entsprechenden, zu Beweiszwecken vorgetanzten, Ballettszene entschied das Gericht, dass in allen eben genannten Punkten eine „auffällige Übereinstimmung“ besteht.28 Ist es für den durchschnittlichen Betrachter nur schwer möglich zu erkennen, ob einzelne Bewegungsabläufe übereinstimmen und Gleichheit in der Formgestaltung vorliegt oder ob die streitgegenständliche Schöpfung überhaupt die Anforderungen für den Schutz als choreografisches Werk erfüllt, bietet sich der Sachverständigenbeweis an. 3. Urheberrechtsverletzung durch Übernahme einzelner Schritte und Bewegungen? Die Entscheidung „Lergenmuller v. Decouflé“ Weitgehende Übereinstimmung besteht in der deutschen Rechtsliteratur, dass das Bewegungsvokabular, mit dem Choreografen arbeiten, keinem urheberrechtlichen Schutz zugängig ist.29 Das LG Essen hat ähnlich geurteilt, 27
LG Essen, UFITA 18 (1954), 243, 247. LG Essen, UFITA 18 (1954), 243, 248. 29 Vgl. Nordemann/Axel Nordemann Urheberrecht Kommentar, § 2 Rn. 27; Mestmäcker/Schulze/Obergfell, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, § 2 Rn. 102; 28
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als es befand, dass „… die Ausdrucksmittel, hier der Tanz, und die einzelne tänzerische Bewegung oder Gebärde... nicht dem Urheberrechtsschutz unterliegen.“30 Choreografische Grundelemente wie Schritte, Drehungen, Hebungen oder andere Bewegungen können also ebenso wenig geschützt werden wie eine besonders außergewöhnliche Pose, denn für ein Werk der Tanzkunst ist gerade die Bewegungsabfolge in Raum und Zeit charakteristisch.31 Aus der Gemeinfreiheit einzelner Schritte und Bewegungen folgt, dass auch ein durch eine besondere Technik gekennzeichneter Tanzstil oder eine bestimmte Lehre nicht urheberrechtsschutzfähig sein können, wie z.B. die Methode der „Spannung-Entspannung“ von Martha Graham. Bei der Auslegung des französischen Art. L. 111-1 Abs. 1 Code Propriété Intellectuelle wird ebenfalls diskutiert, ob Schritten, bestimmten Gesten oder Tanztechniken urheberrechtliche Schutzfähigkeit zukommen kann.32 Das Tribunal de Grande Instance von Nanterre musste sich 1994 im Fall Lergenmuller v. Decouflé mit dieser Fragestellung ausführlicher befassen.33 Das Gericht hatte über einen Auszug der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele von Albertville 1992 zu entscheiden, der von Decouflé geschaffen wurde. Streitgegenstand war ein Teil des Aufmarsches, bei dem Tänzer so mit elastischen Bändern verbunden waren, dass sie wie „menschliche Jojos“ in die Luft flogen, während andere sie am Boden stabilisierten und für die Dehnung der elastischen Bänder sorgten. Lergenmuller von der Vereinigung der „Elastonauten“ warf Decouflé vor, seine choreografischen Werke verletzt zu haben, weil er schon seit langer Zeit die Technik der elastischen Bänder nutzte. Das Gericht befand jedoch, dass die Technik selbst nicht geeignet ist, jemandem ein geistiges Eigentum daran zu verschaffen und deswegen auch keinen urheberrechtlichen Schutz erhalten kann.34 Decouflé hat also kein choreografisches Werk Lergenmullers Obergfell, Tanz als Gegenwartskunstform im 21. Jahrhundert, Urheberrechtliche Betrachtungen einer vernachlässigten Werkart, ZUM 2005, 621, 623; Schlatter-Krüger, Zur Urheberrechtsfähigkeit choreografischer Werke in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, GRUR Int 1985, 305; Wandtke, Der Schutz choreografischen Schaffens im Urheberrecht der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, ZUM 1991, 115, 117; ders., Choreografische und pantomimische Werke und deren Urheber, FS Raue, 745, 749; Wandkte/Bullinger/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, § 2 Rn. 80. 30 LG Essen, UFITA 18 (1954), 243, 247. Vgl. auch OLG München UFITA 74 (1975) – Brasiliana, 320, 322. 31 Vgl. die Ausführungen in Fn. 7 und 11. 32 Einen Überblick über die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit eines choreografischen Werks im französischen Urheberrecht bieten bspw. Alsne, La Chorégraphie et le Droit d’Auteur en France, RIDA Nr. 161, 1994, 2 ff.; Kéréver, Anmerkung zum Urteil des Tribunal Grande Instance Paris, RIDA Nr. 190, 1990, 315; Murza, Urheberrecht von Choreografen, 76 ff. 33 Das Urteil wurde nicht veröffentlicht. Fakten und Urteilsgründe wurden aus Bozzoni, Le Droit d’Auteur du Chorégraphe, 114 ff. entnommen. 34 Vgl. Bozzoni, Le Droit d’Auteur du Chorégraphe, 115.
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allein durch die Verwendung einer bestimmten Technik verletzt. Die Einschätzung des Gerichts ist aus urheberrechtlicher Sicht zu begrüßen, denn sie stellt klar, dass einzelne Bewegungstechniken bzw. der Formenschatz an Bewegungen nicht zum Schutzgegenstand des Urheberrechts gehören und deswegen auch nicht mit einem urheberrechtlichen Monopol versehen werden können35. Sicherlich ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass derjenige grds. schutzwürdig ist, der eine besondere Bewegungstechnik als erster entwickelt. Allerdings muss man sich dann auch die berechtigte Frage stellen, ob eine derartige Monopolisierung gewollt sein kann, weil sie eine Weiterentwicklung der Kunst behindern würde, wenn nur Einzelne gewisse Techniken verwenden dürften und alle anderen teure Lizenzen beschaffen müssten. 4. Urheberrechtsverletzung durch Übernahme von Ausstattungselementen? Die Entscheidung „Flamand v. Béjart“ 1998 musste der Cour d’Appel de Bruxelles darüber entscheiden, ob eine Choreografie von Maurice Béjart mit dem Titel „Le Presbytère“ aus dem Jahre 1996 eine urheberrechtsverletzende Nachahmung des Werkes „La Chute d’Icare“ von Frédéric Flamand aus dem Jahre 1989 darstellt.36 Im „Flug des Ikarus“ trat ein geflügelter Tänzer mit Fernsehern auf, die an seine Füße gefesselt waren, und überquerte damit das Plateau einer Bühne. Bei Béjart hatte der Tänzer Flügel und außerdem Fernseher als Schuhe, die Videos der Gruppe Queen zeigten. Er überquerte damit ebenfalls die Bühne. Das Gericht urteilte, dass die Gestaltung eines Tänzers mit Flügeln und Fernsehern an den Füßen durch Flamand eine intellektuelle Anstrengung („effort intellectuel“) zeigt, die urheberrechtlichen Schutz rechtfertigt. Das Gericht unterstrich, dass es bei der Prüfung der Schutzfähigkeit der Choreografie nicht nur um das visuelle Bild des geflügelten Tänzers mit Fernsehern anstatt Schuhen ging, sondern um die neue Interpretation der Ikarussage durch Flamand.37 All diese Elemente formen ein Ganzes, dem urheberrechtliche Schutzfähigkeit zukommt.38 Ihre Gesamtheit darf für die rechtliche Beurteilung nicht in ihre Einzelteile zerlegt werden – auch wenn die Elemente für sich betrachtet ggf. nicht urheberrechtsschutzfähig sind.39 Anhand dieses Maßstabs war die gewählte Szenerie von Béjart als Urheberrechtsverletzung anzusehen, weil sie die charakteristischen Merkmale in ihrer Gesamtheit aus der Choreografie Flamands übernimmt. Die Entscheidung ist unter zwei
35 Vgl. zur Urheberrechtsfähigkeit einer Tanzshow, die aus traditionellen Tänzen besteht die Ausführungen des Cour d’Appel Aix-eu-Probleme (Juris-Data 2011 – 018280). 36 RIDA Nr. 179 Januar 1999, 372 ff. 37 RIDA Nr. 179 Januar 1999, 372, 373. 38 RIDA Nr. 179 Januar 1999, 372, 373. 39 RIDA Nr. 179 Januar 1999, 372, 374.
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Gesichtspunkten besonders interessant. Zum einen wird klar gestellt, dass für den Schutz choreografischer Werke nicht die einzelnen Schritte oder Körperbewegungen relevant sind, sondern ihre Anordnung im Bewegungsablauf. Zum anderen überdehnt das Gericht den Prüfungsmaßstab jedoch, indem es Teile der Ausstattung (Flügel bzw. Fernseher) in die Bewertung der Originalität der choreografischen Schöpfung einbezieht, weil die Richter der Auffassung waren, dass ihnen für das Werk große Bedeutung zukommt.40 Damit wurden Elemente aufgegriffen, die mehr der Regie/Ausstattung als der Choreografie (Kreation der Bewegungsfolgen) zuzuordnen sind. Sie hätten streng genommen bei der Beurteilung einer Urheberrechtsverletzung der Choreografie nicht einbezogen werden dürfen. Zu Recht wurde von den Gerichten in den Fällen „Godspell“ und „Der grüne Tisch“ entschieden, dass sich bei Werken der Tanzkunst der Urheberrechtsschutz nicht auf die Kostüme, Maske oder Gestaltung der Bühne bezieht.41 Klare richterrechtliche Kriterien zur Beurteilung, wann eine Urheberrechtsverletzung vorliegt oder nicht, lassen sich anhand der vorgestellten Entscheidungen noch nicht aufstellen, weil aufgrund der nur vereinzelt vorliegenden Urteile nicht von einer gesicherten Rechtsprechung gesprochen werden kann. Allerdings lassen sich einige Indikatoren ableiten. Bei der Prüfung, ob eine Urheberrechtsverletzung an einem choreografischen Werk vorliegt, haben „äußerliche“ Faktoren wie Bühnenbild, Kostüme etc. außen vor zu bleiben. Choreografische Werke sind durch ihre Bewegungsabläufe in Raum und Zeit charakterisiert42 und nur diese dürfen deswegen konsequenterweise in die Bewertung einfließen. Aus diesem Grund können auch statische Momentaufnahmen wie bspw. Fotografien noch keine Urheberrechtsverletzung konstituieren. Sie zeigen nur einen Bewegungsausschnitt, wobei in den meisten Fällen unklar ist, was davor oder danach passiert ist. Weiterhin ist festzuhalten, dass das von einem Choreografen genutzte Bewegungsvokabular in aller Regel gemeinfrei ist und allein seine Benutzung für eine Urheberrechtsverletzung ungeeignet ist. Erst die Kombination des Formenschatzes durch den Choreografen vermag zu einem urheberrechtsfähigen choreografischen Werk zu führen. Je nach Grad der Eigentümlichkeit und der Unterscheidungskraft der Choreografie genügt es für die Annahme einer Urheberrechtsverletzung dann bereits, wenn eine kürzere Bewegungsfolge in ein anderes Werk der Tanzkunst ungefragt integriert wird.
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Vgl. Murza, Urheberrechtsschutz der Choreografen, 82 f. LG München, GRUR 1979, 852, 853; LG Essen, UFITA (Nr. 18) 1954, 243. 42 LG Essen, UFITA 18 (1954), 243, 247; LG München, GRUR 1979, 852, 853; s. auch die Quellenangaben zur Rechtsliteratur in Fn. 2. 41
Das Zitat im Tanz Eva Inés Obergfell Artur-Axel Wandtke, der Jubilar dieser Festschrift, ist ohne Tanz nicht zu denken. Sein Wirken an der Humboldt-Universität zu Berlin (seit nunmehr einem Vierteljahrhundert), sein wissenschaftliches Œuvre, welches unzählige Publikationen in Aufsatzform, in Form von Praxiskommentaren, Lehrbüchern wie selbständigen Monografien umfasst, und auch seine Mitwirkung an den unterschiedlichsten urheberrechtlichen Konferenzen und Expertengruppen sind immer wieder eng verknüpft mit dem Thema „Tanz und Urheberrecht“. Den Einband seines mittlerweile in dritter Auflage erschienenen Lehrbuchs zum Urheberrecht ziert eine graziös schwebende Balletttänzerin. Artur-Axel Wandtke reflektiert und schreibt1 allerdings nicht nur über den Tanz, sondern die Tanzkunst ist ihm auch aus der Innenschau bestens bekannt – er war selbst einmal Balletttänzer an der Staatsoper Berlin. Seine Erfahrung als Tänzer lässt der engagierte Hochschullehrer Wandtke wie selbstverständlich in seine Lehre einfließen. Sein Herz schlägt für die Urheber und ausübenden Künstler. Zu Ehren von Artur-Axel Wandtke stellt dieser Beitrag den Tanz ins Zentrum. Dabei wird eine Problematik herausgegriffen und beleuchtet, von der es den Anschein haben mag, sie könne als neuartiges Phänomen bewertet werden. Die Rede ist von Plagiatsfällen, die in jüngster Zeit auch im Tanzgenre gehäuft auftreten. Bei Lichte betrachtet erscheint das Kopieren von tänzerischen Vorbildern jedoch seit jeher als gängige Praxis. Plagiat und Zitat liegen hier eng beieinander. Eine Trennlinie zu ziehen, bereitet meist Schwierigkeiten. Denn ist ein Zitat im Tanz überhaupt denkbar? Dies mag man sich fragen, wenn man gedanklich am typischen Schriftzitat verhaftet bleibt, welches durch Anführungszeichen kenntlich gemacht zu werden pflegt (obwohl auch dies nicht zwingend ist). Im Tanz ist dies nicht möglich. Scheidet deshalb ein Tanzzitat aus? Wo liegt die Grenze zwischen freier und unfreier Benutzung? Lassen sich abstrakte Formen zeitgenössischen Tanzes überhaupt noch in urheberrechtliche Kategorien pressen? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgespürt werden. Dabei werden zunächst die Grundlagen des Urheberrechtsschutzes für choreographische 1 Siehe z.B. Wandtke, Choreografische Werke und pantomimische Werke und deren Urheber, in: Jacobs/Papier/Schuster (Hrsg.), FS für Peter Raue, 2006, S. 745 ff.; ders., Der Schutz choreographischen Schaffens im Urheberrecht der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, ZUM 1991, 115 ff.
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Werke oder – wie es im Gesetz heißt: – „Werke der Tanzkunst“ kurz dargestellt (I.), bevor das Phänomen der tänzerischen Übernahmen untersucht und dessen Einordnung in das Kategorienpaar Plagiat – Zitat versucht wird (II.). Denn ein der Frage der möglichen Urheberrechtsverletzung zwingend vorangehender Prüfungsschritt ist die Qualifizierung als urheberrechtlich schutzfähiges Werk. Die abschließenden Überlegungen dieses Beitrags sind der Zukunft der Tanzwerke im praktischen wie rechtlichen Kontext gewidmet (III.).
I. Urheberrechtlicher Schutz für Werke der Tanzkunst 1. Klassische Tanzformen – klassische Werkabgrenzungen Als der Tanz noch einem strengen Vokabular körpersprachlicher Formen folgte,2 war die Trennung von individuell durch den Choreographen geprägten Elementen und schulmäßigem „Tanzvokabular“ noch vergleichsweise einfach. Im klassischen Ballett lässt sich bis heute für das geschulte Auge erkennen, wo diese Trennlinie verläuft: „Arabesque“ und „Pas de chat“ gehören zum Grundvokabular des klassischen Balletts. Einzelne Posen, Schritte, Sprünge und Hebungen sind nach urheberrechtlicher Bewertung nicht schutzfähig.3 Es fehlt an einer persönlichen geistigen Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG, die neben einer menschlich-gestalterischen Schöpfung mit geistigem Gehalt und in einer wahrnehmbaren Form vor allem das schwer fassbare Kriterium der Individualität erfordert.4 Die kreativen Anordnungen dieser Figuren in Raum und Zeit offenbaren hingegen die je nach Choreograph individuelle schöpferische Kraft, durch die eine Komposition5 tänzerischer Elemente ein urheberrechtlich schutzfähiges choreographisches Werk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG entstehen lässt. Gleiches gilt für die Verwendung von (für sich genommen gemeinfreien) Schritten aus Volks- und Gesellschaftstänzen, die erst infolge ihrer individu-
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Siehe zur (Fort-) Entwicklung des klassischen Balletts Kieser/Schneider, Reclams Ballettführer, 13. Aufl. 2002, S. 21 ff.; zur Entwicklung eines Urheberrechtsschutzes für choreographische Werke Wandtke, (o. Fn. 1), FS für Peter Raue, 2006, S. 745 ff.; Loewenheim/Schlatter, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 9 Rn. 84 ff. 3 Wandtke, ZUM 1991, 115, 117; Obergfell, ZUM 2005, 621, 623. 4 Siehe allgemein zu den Voraussetzungen des urheberrechtlichen Werkbegriffs Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 UrhG Rn. 3 ff.; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl., 2008, § 2 UrhG Rn. 8 ff.; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 2 UrhG Rn. 11 ff.; Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 2 UrhG Rn. 15 ff. 5 Wandtke/Bullinger, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 74.
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ellen Kombination urheberrechtliche Schutzfähigkeit erlangen können.6 Genau betrachtet ist auch nicht die tänzerische „Schule“, also ein bestimmter Tanzstil, urheberrechtlich schutzfähig, sondern erst die Anwendung des Stils bzw. die dabei konkret gefundene tänzerische Formensprache.7 Dass es im Bereich urheberrechtlicher Schutzfähigkeit naturgemäß nicht um die körperliche, d.h. sportliche oder akrobatische Leistung des einzelnen Tänzers geht, erschließt sich ohne Weiteres mit Blick auf das Abgrenzungskriterium des für ein urheberrechtliches Werk konstitutiven geistigen Gehalts.8 2. Abstrakte Tanzformen – Grenzen des urheberrechtlichen Werkbegriffs Im zeitgenössischen Tanz9 lösen sich die klassischen Tanzformen, bei denen tänzerische Figuren isoliert wahrnehmbar sind, bisweilen gänzlich auf. Tänzerische Bewegung und Alltagsbewegung verschwimmen oftmals derart, dass sie sich kaum noch voneinander differenzieren lassen. Dieser Effekt ist gewollt. Betrachtet man die Choreographien der Gegenwart z.B. von Sasha Waltz oder Christoph Winkler, so verschwindet das klassische und selbst das durch Isadora Duncan, Rudolf von Laban, Mary Wigman und Kurt Jooss „befreite“ Tanzvokabular von Bewegungen, die als „tänzerisch“ identifiziert werden können. Übrig bleiben Alltagsbewegungen und vor allem auch (scheinbar) unkontrollierte Bewegungen eines möglicherweise „krankhaft gestörten“ Körpers. Es wird nach Blutbahnen und entlang des Knochengerüsts „getanzt“. Für manche Zuschauer mag dieses Gebaren schlicht unverständlich und kein „Tanz“ mehr erkennbar sein. Wie lassen sich diese Erscheinungsformen zeitgenössischen Tanzes in urheberrechtliche Kategorien einordnen? Vergleichbar mit einem in der Bildenden Kunst bekannten Ready Made evoziert der Kontext die Kunst. In ähnlicher Weise, wie Marcel Duchamp einen Flaschenhalter künstlerisch „auflädt“ und zur Kunst erklärt, vollziehen sich auch im zeitgenössischen Tanz künstlerische, gedankliche Aufladungen einfachster Alltagsbewegungen. Hier wie dort ist die Frage der Kunst von der Frage nach dem Urheberrecht strikt zu trennen.10 Im Falle der Ready Mades wie auch der „Aller-
6 OLG München UFITA 74 (1975) 320, 322 – Brasiliana; Büscher/Dittmer/Schiwy/ Obergfell, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 40 f.; Schricker/Loewenheim, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 131 f.; Wandtke/Bullinger, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 80. 7 Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 41. 8 Ganz h.M.; vgl. nur Dreier/Schulze, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 146; Loewenheim/ Schlatter, (o. Fn. 2), § 9 Rn. 88; Obergfell, ZUM 2005, 621, 623; Schlatter(-Krüger), GRUR Int. 1985, 299, 307; Wandtke, ZUM 1991, 115, 118. 9 Siehe zu den Erscheinungsformen des zeitgenössischen Tanzes und ihrer rechtlichen Bewertung auch Obergfell, ZUM 2005, 622 ff. 10 Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 11; Schricker/Loewenheim, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 45.
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weltsbewegungen“ im zeitgenössischen Tanz muss im Prinzip das Gleiche gelten: nämlich, dass die bloße, vom Künstler intendierte Aufladung und Präsentation als Kunstwerk nicht den Anforderungen genügt, die an ein urheberrechtliches Werk im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG zu stellen sind. Im Falle der Ready Mades entspricht diese Sichtweise der überwiegenden Meinung im Schrifttum, die sich beinahe geschlossen gegen die einen Urheberrechtsschutz zuerkennende sog. Präsentationslehre11 von Max Kummer gewendet hat.12 Der entscheidende Unterschied wird allerdings darin liegen, dass sich eine Choreographie (anders als das Ready Made, welches meist als Einzelstück präsentiert wird) nicht in einzelnen Bewegungen erschöpft, sondern typischerweise ihre künstlerische Kraft aus der Abfolge und Anordnung dieser Bewegungen in Raum und Zeit gewinnt. Dieses kann wiederum schutzbegründend für ein choreographisches Werk im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 3 UrhG sein.
II. Der schmale Grat zwischen Plagiat und Zitat im Tanz Selbst wenn die abstrakten Formen zeitgenössischen Tanzes im Prinzip und in ihrer Gesamtheit einem urheberrechtlichen Schutz durchaus zugänglich sind, liegt eine weitere urheberrechtliche Schwierigkeit darin, den Verletzungsfall im Bereich der Übernahmen aus choreographischen Werken genau zu lokalisieren. Denn häufig wird die Schutzfähigkeit der übernommenen (regelmäßig kurzen) Tanzsequenz zweifelhaft sein. Es kommt dabei nach dem zuvor Dargestellten darauf an, dass die Sequenz noch Raum für choreographische Individualität bietet. Ob die tänzerischen Fähigkeiten eines „nachtanzenden“ Tänzers qualitativ ausreichend sind, um das Original überhaupt kopieren zu können,13 ist dabei aus urheberrechtlicher Sicht nicht von Bedeutung. Denn die Übernahme – in der Terminologie des § 16 UrhG: die Vervielfältigung – umfasst auch Festlegungen mit leichten Abweichungen, also nahezu identische Vervielfältigungen.14 Mit anderen Worten: Die Kopie in „unzureichender Qualität“ bleibt dennoch Kopie.
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Kummer, Das urheberrechtlich schützbare Werk, 1968, S. 75 f. Siehe z.B. Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 4; Fromm/ Nordemann/A. Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 2 UrhG Rn. 16; Schricker/ Loewenheim, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 16 ff.; Wandtke/Bullinger, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 15; anders allerdings Dreier/Schulze, (o. Fn. 4), § 2 UrhG Rn. 9. 13 So die zweifelnde Argumentation von Christoph Winkler, vgl. das Interview von Klaus Kieser in: tanz, Ausgabe: Mai 2012, S. 22 ff. 14 BGH GRUR 1991, 529, 530 – Explosionszeichnung; Dreier/Schulze, (o. Fn. 4), § 16 UrhG Rn. 10. 12
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1. Das Phänomen der Übernahme: Choreographen als Plagiatoren? In der Tanzkunst verhält es sich wie prinzipiell in jeder Kunst. Wer in der Tanzkunst reüssieren will, muss nicht nur die Disziplin für ein hartes Training aufbieten, sondern auch durch beständiges Imitieren großer Künstler seine Ausdrucksfähigkeit schulen.15 Die Imitationslust oder -gewohnheit scheint sich auf Choreographenebene auch nach Abschluss der Tanzausbildung fortzusetzen. Aus jüngster Zeit können etwa die Plagiatsvorwürfe der belgischen Choreographin Anne Teresa De Keersmaeker gegen den Popstar Beyoncé angeführt werden.16 Ein klassischer Fall ist der Plagiatsprozess um das Ballett „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss, aus dem Szenen in den Film „Sensation in San Remo“ mit Marika Rökk übernommen wurden.17 Auch Michael Jackson hat sich reichlich aus dem choreographischen Werk berühmter Tänzer wie z.B. Fred Astaire bedient; selbst sein berühmter „Moonwalk“ soll von einer Street Dance-Gruppe entlehnt sein. John Crankos „Onegin“ diente offenbar als Vorbild für Günter Picks „Werther-Szenen“.18 Die Reihe ließe sich mühelos fortsetzen. 2. Freie oder unfreie Benutzung? Ob sich der Choreograph von einem tänzerischen Vorbild lediglich inspirieren lässt oder unter Ersparung eigener Mühen (denn der Begriff „Kunst“ kommt nach einem geflügelten Wort noch immer von „Können“) das choreographische Werk eines anderen aneignet, bedeutet im rechtlichen Kontext die Abgrenzung von freier und unfreier Benutzung gemäß §§ 23, 24 UrhG. Die unfreie Benutzung stellt eine zustimmungsbedürftige Bearbeitung im Sinne von § 23 UrhG dar und rückt die Übernahme in die Sphäre des Plagiats. Davon zu trennen ist die freie Benutzung gemäß § 24 UrhG, die nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben ist, wenn das spätere Werk vom früheren einen äußeren oder zumindest inneren19 Abstand hält und die individuellen Züge des früheren Werkes im späteren „verblassen“.20
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Hierauf weist auch Kieser, Plagiat im Tanz, tanz, Ausgabe: Mai 2011, S. 68, hin. Siehe Gardner, Why an Allegation that Beyoncé Plagiarized Dance Moves is Truly Unique, http://www.hollywoodreporter.com/thr-esq/why-an-allegation-beyonc-plagiarized248208 (zuletzt abgerufen am 3.9.2012). 17 LG Essen UFITA 18 (1954) 243 ff. – Der Grüne Tisch. 18 Siehe dazu Kieser, Plagiat im Tanz, tanz, Ausgabe: Mai 2011, S. 68. 19 BGH GRUR 2003, 956, 958 – Gies-Adler. 20 BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen; BGH GRUR 1994, 206, 208 – Alcolix; s.a. Obergfell, KUR 2005, 46. 16
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3. Das Tanzzitat als rechtliche Alternative? Scheint das Originalwerk in der nachgeschaffenen Choreographie deutlich in der Art durch, dass schöpferische Tanzsequenzen erkennbar werden, und fehlt eine Zustimmung des Urhebers des Originalwerks, so bleibt allein die Zitierfreiheit als Rechtfertigung des Urheberrechtseingriffs. Nach der Generalklausel des § 51 S. 1 UrhG ist es zulässig, ein veröffentlichtes Werk zum Zwecke des Zitats zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben, wenn „die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist“. Zusätzlich muss nach Lesart des deutschen Schrifttums das zitierende Medium ein selbständig urheberrechtlich schutzfähiges Werk sein.21 Die Neuregelung des § 51 UrhG im Zuge der Urheberrechtsreform von 2007 hat die Zitierfreiheit hinsichtlich der zitierfähigen Werkarten geöffnet,22 so dass der Gesetzeswortlaut einem Tanzzitat prinzipiell nicht entgegensteht. Zwei Probleme lassen sich jedoch ausmachen. Zum einen muss als entscheidende Zulässigkeitsvoraussetzung des Zitats auch bei einem denkbaren Zitat im Tanz der Zitatzweck erfüllt sein und zum anderen ist nach § 63 UrhG stets die Quelle des zitierten Werks deutlich anzugeben. Das erste Problem erweist sich im Lichte der „Germania“-Rechtsprechung des BVerfG23 als lösbar. Denn nach der Entscheidung des BVerfG ist ein Zitat nicht nur dann zulässig, wenn es eine Belegfunktion erfüllt, sondern auch im Falle der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem zitierten Werk im Wege der Collage.24 Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG gebiete eine kunstspezifische Betrachtung. Unabhängig davon, ob diese Rechtsprechung aus europäischer Perspektive haltbar ist, liegt eine künstlerische Auseinandersetzung im Rahmen eines Tanzzitats durchaus im Rahmen des Vorstellbaren.25 Schwieriger ist indessen das Problem der Quellenangabe zu beurteilen. Wie soll die Quelle des Zitats in einem Tanzzitat deutlich angegeben werden? Schließlich lassen sich die beim Sprachzitat üblichen Anführungszeichen kaum tänzerisch darstellen. Das Problem ist jedoch aus dem in vielerlei Hinsicht ähnlichen Musikbereich bekannt. Auch bei einem Musikzitat können Anführungszeichen nicht hörbar gestaltet werden. Einerseits genügt hier, die Quellenangabe in sprachlicher Form etwa auf dem Booklet oder sonstigen Schriftstück nachzureichen. Doch bleibt andererseits die Vorgabe, das Zitat als „fremde Zutat“ erkennbar zu machen.26 Das Tanzzitat muss sich also 21 Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 6; Wandtke/Bullinger/ Lüft, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 8. 22 Büscher/Dittmer/Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 11. 23 BVerfG GRUR 2001, 149 – Germania 3. 24 BVerfG GRUR 2001, 149, 151 f. – Germania 3. 25 Siehe etwa die Äußerungen des Choreographen David Dawson im Interview von Klaus Kieser, tanz, Ausgabe: Februar 2012, S. 22 f. 26 KG ZUM-RD 2002, 462, 469 – Das Leben, dieser Augenblick; Büscher/Dittmer/ Schiwy/Obergfell, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 4; Dreier/Schulze, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 3.
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ebenso vom zitierenden Werk abheben wie Richard Wagners „Walhall“Motiv in der „Feuersnot“ von Richard Strauß.27 Ob dies gelingt, hängt letztlich auch von der Bekanntheit des zitierten Tanzwerkes ab, obwohl die Bekanntheit oder Berühmtheit eines Werkes urheberrechtlich grundsätzlich irrelevant ist. Zieht man die Parallele zu den seit jeher anerkannten Musikzitaten, so wird für das Tanzzitat letztlich ein ähnlicher Maßstab gelten können.
III. Schlaglicht auf die Zukunft der Tanzwerke im praktischen und rechtlichen Kontext Für die choreographische Praxis darf vermutet werden, dass über bloße Inspiration hinausgehende Entlehnungen weiterhin eine unübersehbare Realität darstellen, aber wie bisher das Bewusstsein auf Seite der Choreographen hinsichtlich einer dadurch bewirkten Urheberrechtsverletzung eher gering ausgebildet sein wird. Auch die Thematisierung von Urheberrecht im Rahmen einer Choreographie – wie durch das Stück „Dance! Copy! Right!“ von Christoph Winkler (2011) – wird hieran vermutlich kaum etwas ändern. Dies bedeutet für den rechtlichen Kontext, dass gerichtliche Entscheidungen nach wie vor Seltenheitswert haben. Soweit überhaupt ein Streit vor Gericht gebracht wird, scheint – aus der Erfahrung der Vergangenheit – ein Vergleich das bevorzugte Ergebnis der Prozessparteien zu sein. Setzt sich die (prozessökonomisch begrüßenswerte) Tendenz außerrechtlicher Handhabung des Phänomens fort, so wird sich auch im Hinblick auf die Frage des Tanzzitats in absehbarer Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach keine Spruchpraxis herausbilden können. Dies ändert freilich wenig an der rechtlichen Möglichkeit eines Zitats im Tanz.
27 Siehe das Beispiel bei Schricker/Loewenheim/Schricker/Spindler, (o. Fn. 4), § 51 UrhG Rn. 50.
Kunstfälschung – eine besondere Art der Werkrezeption Gerhard Pfennig Fälschungsskandale erregen die Öffentlichkeit, wie der jüngst in Köln abgehandelte Fall „Beltracci“ gezeigt hat. Es geht um viel Geld, große Häuser, schöne Frauen, angeblich bestechliche Gutachter, und meist verliert jemand dabei seinen Ruf. Der Fälscher dagegen geht als Lichtgestalt aus der Arena, muss evtl. für eine kurze Zeit in den – meist offenen – Vollzug und gilt, wenn er sich richtig verkauft hat, als moderner Robin Hood, der es dem verdorbenen Kunstbetrieb mal so richtig gezeigt hat – die Sympathie der Medien ist ihm allemal sicher. Im Folgenden soll untersucht werden, in welcher Verbindung dieses im Kern kriminelle, meist nur im Rahmen des Strafrechts verfolgte Verhalten zum Urheberrecht steht, das im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Schaffens unseres Freundes Artur Wandtke steht.
I. Die Welt der Bildenden Kunst im Wandel Die Welt der Bildenden Kunst ist in ständiger Bewegung, das ist eines ihrer Charakteristika und macht sie spannend und interessant für viele. In der jüngeren Vergangenheit zeichnete sich allerdings eine Trennung in zwei Strömungen ab, die sich insbesondere im Jahr 2012 an zwei Entwicklungen ablesen lässt. Der Kunstmarkt erreicht, auch angesichts allgemeiner wirtschaftlicher Ungewissheit in Bezug auf den Bestand und die Entwicklung von materiellen Werten, ungeahnte Höhen, wenn es sich um die Veräußerung von gesicherten Positionen des jüngeren und jüngsten Kunstschaffens dreht: in New York wurde im Mai 2012 in Auktionshaus Sotheby’s für eine 1895 gemalte, nicht die bedeutendste Version des berühmten „Schrei“ von Edvard Munch der Rekordpreis von 119,9 Mio $ erzielt, und die Konkurrenz, das Auktionshaus Christies, erzielte im gleichen Frühjahr für das Werk des Zeitgenossen Mark Rothko für ein im Jahr 1961 gemaltes Werk ebenfalls einen Rekordpreis, nämlich von 87 Mio $. Beide Werke gehören dem sicheren und marktfähigen Genre der „Öl- und Essig-Malerei“ an, bergen also nur geringe Risiken des Preisverfalls. Die Erwerber blieben weitgehend im Dunkel, und es ist ungewiss, ob die Werke nun im sicheren Banksafe ihrer weiteren Wertsteigerung entgegen schlummern oder eines Tages in einer Luxuswohnung oder in
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einem der wie Spargel sprießenden Privatmuseen neureicher Milliardäre wieder ans Licht der Öffentlichkeit gelangen werden. Dieser Kunstmarkt mit meist gesicherten Werken bewegte im Jahr 2011 ein Volumen von 45 Milliarden Euro weltweit. Im Kontrast dazu boten die im Frühjahr und Sommer 2012 in Deutschland als Highlights angekündigten Ausstellungen ein völlig anderes Bild. In Berlin fand die mit 2.5 Millionen von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Ausstellung „Berlin-Biennale“ statt. Eine ihrer Kuratorinnen definierte den Gegenstand der Ausstellung, Bildende Kunst, so: „Alles was keine Politik ist, ist keine Kunst, sondern nur eine tote Vogelscheuche, gefüllt mit Scheiße und Reflektion.“ Die Werke von Munch und Rothko hätten hier also keine Chance gehabt. Kunst und Leben werden in dieser kuratorischen Sicht auf eine Ebene gehoben, der Horizont wird dabei nicht von den Künstlern bestimmt, sondern von einer neuen Generation von Kuratoren, die bestimmen, was in ihr meist ideologisch gefärbtes Weltbild passt und, in diesem Falle, „Politik“ und damit Kunst ist oder nicht. Konsequent war deshalb, dass im Hauptausstellungsraum der „Kunstwerke“ in Berlin als Lebendzoo ein Camp der „Occupy“-Bewegung eingerichtet wurde, das die ehrenwerten Ziele dieser Bewegung eher diskriminierte als förderte, was den Beteiligten schließlich selbst klar wurde und in einer mittleren Revolte der Ausgestellten gegen die Ausstellungsmacher endete. Die in Kassel veranstaltete Documenta 13 machte zumindest im Vorfeld mehr durch Statements der Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev als durch die ausgestellten Werke, die sich später großenteils bravourös den kuratorischen Vorgaben entzogen, auf sich aufmerksam. Der Höhepunkt wurde erreicht, als in der Süddeutschen Zeitung am 31.5.2012 ein Interview mit der Ausstellungsmacherin unter der Überschrift „Hunde sind die neuen Frauen“ veröffentlicht wurde, in dem, verkürzt zitiert, die Emanzipation der Frau für beendet und die Emanzipation der Tiere und Erdbeeren im Sinne der Aufklärung zum nächsten Ziel erklärt wurde. Die Künstler sollten sich begreifen als Partner zur wissenschaftlichen Durchdringung der Ursachen der gegenwärtigen Krisen und zur Entwicklung von Strategien zu ihrer Überwindung. Damit bot sie, wie übrigens auch ihre Kollegen in Berlin, letztlich nur alten Wein in neuen Schläuchen, denn bereits im Jahr 1977 hatte in Kassel im Rahmen der Documenta 6 Joseph Beuys in seinem Werk „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ den Zusammenhang von Kunst und Leben am Beispiel der arbeitsteiligen Honigproduktion eines Bienenvolkes demonstriert. Übertragen auf das seiner Ansicht nach dringend reformbedürftige Leben der Gesellschaft fand er zu der noch heute gültigen, und, wie man sieht, von zeitgenössischen Kuratoren durchaus beherzigten Forderung „Jeder Mensch ein Künstler“. Damit war nicht anderes gemeint als die Aufforderung, die menschliche Kreativität nicht zu bremsen, sondern zum Wohle der Gemeinschaft zu aktivieren und zu nutzen und darin zugleich die Chance zu sehen,
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diese Kreativität auch im Sinne der Herstellung des Endprodukts „Kunst“ zu nutzen bzw. anzuerkennen. Insofern enthält auch die Definition des gegenwärtigen Leiters des Kölnischen Kunstvereins, Søren Grammel, „Gegenwartskunst ist ein assoziatives Verfahren kultureller Grundlagenforschung, das emotionale und visionäre Bereiche erfassen kann, die anderen Ansätzen immer verschlossen bleiben werden“1 nichts wirklich Neues, ist nur wesentlich verschlüsselter formuliert. Diese Entwicklung des herkömmlichen Begriffs von Kunst als Definition von etwas Auratischem und aus dem alltäglichen Leben des Durchschnittsmenschen Herausgehobenen hin zu einer Gleichsetzung von Kunst und Leben hat zu vielen Missverständnissen geführt und würde, wäre ihr letztlich Erfolg beschieden, zur Beendigung des Berufsbildes „Künstlers“ mangels Bedarf führen. Zum Glück wird das nicht eintreten, weil es neben den staatlich geförderten klassischen Werten der Kultur- und Museumspolitik die eingangs beschriebene Eitelkeit der Vermögenden gibt, die in der Rolle der bedeutenden Erwerber von Kunstwerken längst an die Stelle der Herrschenden oder demokratisch legitimierten Verwalter öffentlicher Kulturgüter getreten sind. Sie brauchen zu ihrer Selbstdarstellung den „klassischen“ Kunstbegriff und Werke, die diesem Anspruch genügen. Ob es ihnen auch gelingt, mit ihren privaten Museumsbauten an die Stelle der klassischen Pinakotheken und National- bzw. Staatsgalerien zu treten, ist noch nicht entschieden. Neben die beschriebene zeitgenössische Differenzierung der Bildenden Kunst in einerseits im kommerziellen und andererseits im politischen Sinne werthaltige Objekte, wird, bedingt durch die technische Revolution der digitalen Gesellschaft, eine weitere Herausforderung erkennbar, die beide Phänomene gleichermaßen bedrohen könnte. Es handelt sich um den Angriff auf die Authentizität des Kunstwerks als persönliche geistige Schöpfung im Sinne des klassischen juristischen Originalbegriffs.2 In einer Vorfassung des Berichts der Projektgruppe Urheberrecht der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft vom Stand 22. Juni 2011; 14.00 findet sich in Ziff. 1, 1.1 unter der Überschrift „Internet und digitale Technologien als Mittel für kreatives Schaffen, Selbstmarketing und Vertrieb / veränderte Akteurskonstellationen“ folgende Formulierung: „Werkschaffen erfolgt seit jeher durch das Aufbauen auf vorbestehende Werke mittels Bearbeitung, Verknüpfung, Entlehnung oder bloßer Inspiration. Hierzu bieten das Internet und andere digitale Technologien einen attraktiven und bequemen Zugang und befördern so kreatives Schaffen“. Klar ist, dass diese Formulierung den klassischen urheberrechtlichen Originalbegriff im zentralen Element der „Schöpfung“ in Frage stellt, und 1 2
Rundschreiben an die Mitglieder des Kölnischen Kunstvereins vom 16. März 2012. Für alle: Wandtke/Bullinger, UrhG § 2 Rdnr. 15–32.
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dies mit dem Zweck, die Nutzung neuer technischer Mittel zur einfachen Aneignung von Bestandteilen vorbestehender Werke zur erleichterten Produktion abgeleiteter Werke juristisch zu rechtfertigen; die herkömmlichen Begriffe der „Bearbeitung“ gemäß § 23 und der „Freien Benutzung“ gemäß § 24 werden aufgelöst, indem die Originalität bei der technischen Herstellung der nach bisher gültigem Gesetz geschaffenen Werke schlicht geleugnet und durch den Begriff des „Aufbauens“ auf vorbestehende Werke, also die unterschiedslose „Freie Benutzung“ zurück geführt wird. Die Aura des Schöpfers wird mit einem Federstrich zerstört; jeder, der eine ComputerMaus bedienen kann und die „Copy and Paste“ Programme der modernen PCs beherrscht, wird kreativ; dass er damit allerdings seinerseits Urheber wird, kann nicht im Interesse der Verfasser dieser Formulierung liegen. Der Enquete – Bericht in seiner endgültigen Fassung liegt noch nicht vor; bisher beschäftigen wir uns also mit Szenarien. Wie schon eingangs bei der Beschreibung der neuen Arbeitsansätze jüngerer Kuratoren erwähnt, ist nicht alles neu, was auf den ersten Blick revolutionär beschreibt. Insofern ist es verdienstvoll, dass die Kunsthalle Karlsruhe in einer ebenfalls im Jahr 2012 veranstalten Ausstellung die Phänome des „Déjà-vue“ (Untertitel: „Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube“) analysiert hat und zu dem Ergebnis kommt, dass die Wiederholung bekannter Bildmotive ein bekanntes Motiv künstlerischen Schaffens bis in die jüngste Vergangenheit ist. Nicht nur wird deutlich gemacht, dass seit den frühen Meistern wie Cranach d.Ä. die Selbstkopie ein beliebtes Mittel der Befriedigung hoher Nachfrage nach Porträts war, sondern dass auch die Kopie anderer Meister ein Mittel der Kunstproduktion war, allerdings meist unter deutlicher Erweisung der Referenz an den früheren Schöpfer. Neuere Phänomene wie die „Approriation Art“, auf die noch zurückzukommen ist, beruhen ebenfalls auf vorbestehenden Originalen. Für die im Enquete – Berichtsentwurf aufgestellte These des selbstverständlichen Aufbaus aktueller Werke, zu welcher Zeit sie entstanden sein mögen, auf frühere Werke liefert der Katalog allerdings ebenso wenig wie die Ausstellung Belege.3
II. Störfaktor Kunstfälschung Mag der Kunstbegriff in Bewegung geraten sein und der Kunstmarkt alle Grenzen sprengen: ein Phänomen, das zum Kunstbetrieb gehört wie die Krankheit zum Leben wird, auch in Ausstellungen wie der in der Kunsthalle Karlsruhe, gern ausgeblendet: die Kunstfälschung. Leider zwingen die Ab-
3 Déjà-vue? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis zu YouTube – Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Kerber Art 2012.
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läufe zumindest den kommerziell ausgerichteten Teil des Kunstbetriebs von Zeit zu Zeit, dieser unschönen Erscheinung dennoch und gewissermaßen widerwillig seine Aufmerksamkeit zu widmen, meist mit dem Resultat ,dass Schadenfreude und Häme gegenüber den darin verwickelten Personen entstehen. Eine solche Gelegenheit bot sich, als die Affäre um den Fälscher Wolfgang Beltracci und seine Bande im Laufe des Jahre 2011 aufflog und vom Herbst 2011 bis zum Frühjahr dieses Jahre vor dem Landgericht Köln verhandelt wurde. Die Affäre ist, was den Sachverhalt, die Beteiligten und die finanziellen Aspekte dieses Kriminalfalls angeht angeht, umfassend in einer Publikation der Autoren Stefan Koldehoff und Tobias Timm unter dem Titel „Falsche Bilder – Echtes Geld“ 4 aufgearbeitet worden. Eine Fälscherclique um einen genialischen Fälscher hatte fleißig Bilder in Umlauf gebracht, angeblich Bestände aus vor den Nazis verborgenen Privatsammlungen „entarterter“ Kunstwerke, die erstaunlicherweise auch seither unbekannt und unerschlossen geblieben waren und nach und nach in den Betrieb eingeschleust wurden, begleitet von Gutachten namhafter Kunsthistoriker. Die ganze Sache flog auf, weil ein Erwerber aus dem Kreise der Kunstspekulanten seine Beute unabhängigen Gutachtern vorlegte, die den Schwindel aufdeckten. Was hier interessiert, sind die urheberrechtlichen und möglichen sonstigen Aspekte dieser Affäre. Das Phänomen der Fälschung ist dem Kunstbetrieb spätestens seit Albrecht Dürer bekannt, der im Jahr 1506 in Venedig erfolgreich einen Prozess gegen Plagiatoren führte, die zu Unrecht, nämlich ohne seine Genehmigung, seine Signatur auf Stichen nach seinen Werken verwendeten. Bereits in diesen Verfahren wird eine der Hauptfragen berührt: Was ist eine Fälschung eigentlich, welche Produkte sind von dem Begriff umfasst? 1. Fälschungen in Form von Reproduktionen Im Falle Dürers hatten die Angegriffenen Werke des Meisters, wie damals durchaus bei den Künstlern üblich, in Form von Stichen reproduziert und Druckauflagen hergestellt, allerdings ohne Einwilligung des Meisters. Heute würde man solche ungenehmigten Reproduktionen unter den Begriff der Urheberrechtsverletzung subsumieren und nicht unbedingt von „Fälschungen“ reden, allerdings nur, soweit es sich um Reproduktionen handelt, die dem Original nahe kommen und in einer klassischen Reproduktionstechnik, also mit mehreren oder vielen Vervielfältigungen auftreten. Problematisch ist die Beurteilung solcher Fälle deshalb, weil es im Bereich der multiplen Kunst keine allseits anerkannte Definition des Originals gibt.
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Koldehoff/Timm: Falsche Bilder – Echtes Geld, 2012.
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Es gehört zur Ironie des heutigen Kunstmarkts, dass die unter dem Begriff „Originallithografie“ von seriösen Adressen angebotenen Objekte häufig Reproduktionen sind, die in hohen Auflagen nach Originalgemälden bekannter Künstler unter Erwerb der Reproduktionsrechte hergestellt werden. „Original“ ist daran, dass ihnen ein Werkoriginal zu Grunde liegt und dass sie tatsächlich in einer der vielen technisch gebräuchlichen Formen der Lithografie hergestellt wurden. Dem Kunden aber wird durch Auflagenbezeichnungen suggeriert, dass es sich um vom Künstler festgelegte Auflagen multipler Kunst handele. Insofern könnte Klarheit nur durch verbreitete und allseits beachtete Branchenregelungen geschaffen werden, die bei Verletzung ggf. juristische Interventionen im Rahmen des Wettbewerbsrechts ermöglichen würden; bisher hat der deutsche Handel allerdings solche Festlegungen gescheut. Lediglich die vom Kunsthandel und der VG Bild-Kunst zur Abwicklung der Folgerechts nach § 26 gegründete „Ausgleichsvereinigung Kunst“ hat sich eine Regel gesetzt. Sie lautet: „Werke, die in mehreren Exemplaren hergestellt werden, gelten insoweit als Originale, als auch die Hilfsmittel der Vervielfältigung entweder von ihm selbst oder unter seiner Aufsicht durch Dritte vorgenommen worden ist; bei vom Künstler signierten Exemplaren wird dies unwiderleglich vermutet.“5 Anders verhielt es sich bei Arbeiten des in der jüngeren Vergangenheit zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten Fälschers Konrad Kujau: dieser hatte bekanntlich 1983 angebliche Tagebücher Adolf Hitlers erstellt und dem „Stern“ zum Abdruck angeboten. Er wurde wegen vermögensrechtlicher Delikte verurteilt. Als er im Jahre 1985 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, begann er eine neue Karriere als offizieller Kunstfälscher und eröffnete unter Beteiligung des Oberbürgermeisters Rommel, der nicht als Kunstfreund bekannt war, eine „Galerie für Fälschungen“. Im Anfang beging er den Fehler, Werkoriginale geschützter Künstler nachzumalen, was ihn mit dem Urheberrecht in Konflikt brachte, zumal seine Straftaten unter den wachsamen Augen der sehr effizienten Kunstabteilung des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg begangen wurden. Zwar ist die Vervielfältigung eines Kunstwerks zum privaten Gebrauch gemäß § 53 UrhG zulässig, jedoch nur, soweit der Gebrauch in der Privatsphäre erfolgt. Durch Veröffentlichung und Vervielfältigung seiner Fälschungen kam Kujau deshalb mit dem Urheberrecht in Konflikt. Kujau lernte schnell und spezialisierte sich auf Reproduktionen von gemeinfreien Werken bedeutender Meister, die auf der Rückseite mit dem eindeutigen Hinweis „gefälscht von Konrad Kujau“ gekennzeichnet waren und in der Regel keine Signaturen trugen, um dem „Nolde-Urteil des BGH6 Referenz zu erweisen. 5 § 4, 2 des Rahmenvertrags der Ausgleichsvereinigung Kunst vom 29.9.1980 in der Fassung vom 30. November 2011. 6 BGH ZUM 1990, 180, 182 – Emil Nolde.
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2. Fälschungen, die nicht auf Originalvorlagen zurückgehen Im Nolde – Urteil hatte der BGH zu einer weiteren Fallgruppe entschieden, nämlich Fälschungen im Stile bekannter Meister, die keine Vervielfältigung eines bestehenden Originals darstellten. Sehr restriktiv und nicht ohne kritische Kommentare wurde festgestellt, dass die Herstellung von Fälschungen im Stil bekannter Künstler, solange sie nicht signiert waren und nicht veröffentlicht wurden, die Rechte der Urheber nicht berührten. Bei Vorliegen (vom Fälscher) signierter Fälschungen konnte lediglich die Entfernung der Signatur zur Beseitigung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts auf Anerkennung der Urheberschaft durchgesetzt werden. In diese Kategorie von Fälschungen gehörten auch die Falsifikate des Kölner Angeklagten Beltracci, der angebliche Werke geschützter Meister gemalt hatte – nach Schätzungen etwa 85, von denen im Rahmen eines „Deals“ nur 18 verfahrensgegenständlich gemacht wurden –, die „im Œuvre der Künstler fehlten“. Lücken konnten, das wurde im Prozess deutlich, auf zwei Arten entstanden sein: einmal dadurch, dass die Bilder im Laufe des 2. Weltkriegs unwiederbringlich verloren gegangen waren. Teilweise war dann nur noch der Titel bekannt, weil die Vorkriegsgalerien ihre Kataloge nicht vollständig bebilderten; teilweise erfolgte die Wiederherstellung nach alten Reproduktionen. In diesem Falle bestand die Fälschung in der Herstellung einer ungenehmigten Bearbeitung des Originals unter Nutzung einer Reproduktion unter weiterer Vorspiegelung der Originalität in Form einer Urkundenfälschung. Die dritte Variante war die freie Nachempfindung von angeblichen Werken, die Lücken in bestehenden Motivreihen füllen sollten; hier blieb, wie erwähnt, nur die Strafbarkeit wegen Anbringung einer falschen Signatur nach § 107 UrhG. 3. Fälschung und Appropriation Art Der Fälscher versucht, zumindest in einer Spielart, ein Originalwerk so exakt wie möglich herzustellen und damit den Anschein zu erwecken, es handele sich um das Original. Je perfekter seine Technik, möglicherweise, wie auch bei Beltracci, unter Nutzung alter Materialien, umso perfekter gelingt die vom Fälschungs- also mindestens Betrugsvorsatz geleitete Tat. Im Ergebnis liegt ein Falsifikat vor, dass dem Original täuschend ähnlich ist. Der Täter erreicht damit objektiv das, was auch Künstler anstreben, die im Stil der „Appropriation Art“ arbeiten, deren Ziel es also zunächst ebenfalls ist, eine möglichst echt gestaltete „Wiederholung“ (so die bekannteste Künstlerin dieser Richtung, Elaine Sturtevant) des Werks eines Meisters zu schaffen. Es ist umstritten, ob es sich beim Ergebnis um eine Reproduktion handelt.7 7 So zustimmend Schack, FS Nordemann 2004, S. 107; dagegen Fuchs, Avantgarde und Erweiterter Kunstbegriff, 2000.
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Jedenfalls aber wird dem Appropriationist, der sich nach den Regeln dieser Kunstform durch Anbringung seiner eigenen Signatur oder jedenfalls durch Namensnennung und Verweis auf zugrunde liegenden Autor und Werk outet im schlimmsten Fall das mildere Delikt der Urheberrechtsverletzung vorgeworfen, während der Fälscher, der im Ergebnis nichts anderes als ein möglichst werkgetreues Abbild produzieren wollte, aber zumeist mit seiner Tätigkeit Betrugs- und andere Delikte verwirklichen will, zurecht kriminalisiert wird. Die Frage wird heikel, wenn die nur im Subjektiven unterschiedlichen Ergebnisse beider Schaffensprozesse sich verselbständigen und die Produkte ohne Berücksichtigung der Entstehung von Dritten im Markt in Verkehr gebracht werden, und zwar als Originale des Schöpfers des ursprünglichen Werks. 4. Fälschung und Posthume Werke Eine große Grauzone eröffnet sich im Blick auf Werke der Bildhauerkunst, die erst nach dem Tode des Künstlers unter Verwendung der Gussform hergestellt werden. Da der Künstler persönlich nicht mehr an der Herstellung des Vervielfältigungsstücks teilnehmen kann, liegt es nahe anzunehmen, dass in diesem Fall kein Original vorliegt.8 Ähnliche Festlegungen wurden zur Abrechnung von Folgerechtsansprüchen in der Ausgleichsvereinigung Kunst von Vertretern des Kunsthandels und der VG Bild-Kunst getroffen. Der Handel tut sich allerdings immer noch schwer mit dieser Definition. Das Problem ließe sich im Markt mit einer präzisen Beschreibung der erforderlichen Daten – Entstehungsjahr der Form, Gussjahr es jeweiligen Exemplars – leicht lösen9, aber jeder aufmerksame Besucher eines Bildhauermuseums wird wissen, dass es selbst in Häusern, die mit dem Anspruch der wissenschaftlichen Genauigkeit außerhalb des Handels arbeiten, mit der Auszeichnungspflicht nicht immer gut bestellt ist. Das Ergebnis sind Skandale wie die, die lange Jahre das Museum im Bahnhof Rolandseck bei Bonn nahezu gelähmt haben, in denen es um unautorisierte Nachgüsse und den Handel mit diesen Objekten ging; der Vorwurf der „Fälschung“ wurde immer wieder erhoben und steht weiter im Raum, bis eindeutige Standards in Handel und Wissenschaft gefunden sind und damit die aus juristischer Sicht eindeutig erscheinende Definition auch im gesellschaftlichen Raum verankert werden kann.
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Pfennig, Posthume Güsse, 2009, 18. Ganteführer, Posthume Güsse, 2009, 24 ff.
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5. Fälschung und Gutachter Kein „marktfrisches“ Werk von erheblichem Wert gelangt in den Handel ohne Expertise über Provenienz und Echtheit. Je teurer die Objekte, umso größer die Bedeutung des Echtheits- und damit Wertgutachtens, und umso größer die Verantwortung der Gutachter. Im Beltracci – Fall gelang der erste Fälschungsnachweis erst, als einem Drittgutachter auffiel, dass ein auf der Rückseite mehrerer Falsifikate angebrachter Aufkleber der in der Vorkriegszeit bedeutenden Galerie Flechtheim nicht existiert hatte, also gefälscht war. Da die Provenienz der Werke aus zwei angeblichen, bis dahin nicht bekannten Privatsammlungen von den mit den Verkäufen befassten Auktionshäusern bzw. Galeristen aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht problematisiert worden war, kam den Gutachtern, die zusätzlich hinzugezogen wurden, wesentliche Bedeutung zu. Es stellte sich im Laufe der Ermittlungen heraus, dass der eine, ein weltberühmter Experte für Werke von Max Ernst, sich bei seinen Prüfungen stets nur auf seine Intuition verließ und darauf verzichtete, die Rückseiten der ihm vorgelegten Gemälde zu prüfen bzw. farbtechnische Analysen zu verlangen.10 Dies ist für sich genommen schon ungewöhnlich. Im vorliegenden Fall allerdings nahm er Honorare von den Fälschern für seine Gutachten entgegen; in diesem Zusammenhang ist der Verzicht auf Nachforschungen nach der Provenienz, die angesichts des Auftauchens zweier bisher gänzlich unbekannter Privatsammlungen auf der Hand gelegen hätten, schon fragwürdiger. Immerhin erklärte der Gutachter in keinem Fall ein Werk ausdrücklich für „echt“. Er kündigte lediglich an, es in das vom ihm als einziger Autorität erstellte Werkverzeichnis aufzunehmen, was der Szene als Echtheitsbeweis ausreichte. Das Problem der Gutachten liegt darin, dass es bis heute keine verbindlichen Handreichungen für die Durchführung von Gutachten zur Feststellung der Echtheit von Kunstwerken gibt, was der „Bundesverband der vereidigten Sachverständigen“ aus gegebenem Anlass am 15.6.2012 in einem Infobrief beklagte. So ist bis heute manchem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. 6. Zivilrechtliche Aspekte Je nach Ausgestaltung der Vertragsbedingungen haften Veräußerer von Fälschungen nach den Regeln des BGB über Sachmängel (§§ 434 ff. BGB); allerdings verwenden Versteigerer meist Geschäftsbedingungen, die die Haftung begrenzen. In einer ersten Entscheidung in der Sache Beltracci verurteilte das LG Köln im September 2012 in erster Instanz das Kölner Auktionshaus Lempertz, das das angeblich von Heinrich Campendonck stammende Werk 10
Koldehoff, aaO., 138.
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„Rotes Bild mit Pferden“ versteigert hatte, zu Schadensersatz in Höhe von ca. 2 Mio Euro. Ausweislich der Versteigerungsbedingungen war das Auktionshaus nur verpflichtet, „bei erwiesener Unechtheit“ innerhalb von drei Jahren die Kommission zurückzuzahlen und ggf. gegen den Einlieferer vorzugehen und dem Käufer den gezahlten Preis zu erstatten. Mängelhaftung war ausgeschlossen. Der Käufer, eine internationale Kapitalanlagegesellschaft, hatte das Werk ersteigert und es erst danach prüfen lassen, wobei die Fälschung erkannt wurde. Sie trat zunächst vom Vertrag zurück und focht ihn anschließend wegen arglistiger Täuschung an, obwohl die Täuschungshandlung vom Fälscher begangen worden war. Das LG erkannte fahrlässiges Verhalten des Auktionshauses, weil dieses die in diesem Fall „erforderlichen“ Sorgfalt nicht aufgewendet hatte: was erforderlich ist, soll in jedem Einzelfall zu prüfen sein. Vorliegend hätte die Höhe des Schätzpreises, so die Argumentation, weitere Nachforschungen über Provenienz etc.erfordert, die aber unterlassen worden waren. Wie das Gericht entscheiden hätte, wenn der Kaufpreis niedriger gelegen hätte, ist eine offene Frage. 7. Versicherungsrelevante Aspekte Werden Fälschungen als Originale versichert, liegt ein Betrugstatbestand vor, wenn im Schadensfall in Kenntnis des Fälschungstatbestandes Ersatzleistung von der Versicherung in Höhe des Verlustes des Originals beansprucht wird. Ist der Fälschungstatbestand nicht bekannt, liegt ein Fall von Wegfall bzw. notwendiger Korrektur der Geschäftsgrundlage des Versicherungsvertrags vor, wenn der Schadensfall eintritt und sich herausstellt, dass das versicherte Objekt eine Fälschung war. Zu beachten ist, dass Versicherungen durch die Vereinbarung oder Festsetzung von Versicherungswerten Vertrauenstatbestände schaffen können, die im Fälschungsfall eine Rolle spielen können. Hier ist also Sorgfalt anzuraten. 8. Fälschung und Strafrecht Während, wie gezeigt, die Frage, welches Objekt unter welchen Umständen als Originalkunstwerk einzuschätzen ist, im Markt in einer Reihe von Fällen nicht immer leicht zu klären ist, sind die strafrechtlichen Konsequenzen jedenfalls im Rahmen der Delikte des Betrugs und der Urkundenfälschung sowie der Urheberrechtstraftatbestände der §§ 106 und 107 leicht fassbar. Wünschenswert wäre die Erweiterung der Tatbestände um einen eigenen Fälschungstatbestand.11 11
Sandmann, Die Strafbarkeit der Kunstfälschung, 2004.
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III. Kunstfälschung und Internetkriminalität Kunstfälschung, so gravierend auch die Schäden sein mögen, die sie besonders im Bereich der Vermögensbeeinträchtigung anrichten mag, gilt nach wie vor als Kavaliersdelikt; Herr Beltracci, der als Freigänger seine Fans am Kölner Rheinufer begrüßt, wird in absehbarer Zeit sein Geld mit Originalfälschungen verdienen. Die Akzeptanz der Fälschungen geht sogar soweit, dass die Nichte des Fälschers Kujau, die sein Geschäft mit (deklarierten) Fälschungen fortsetzte, deshalb ihrerseits mit dem Gesetz in Konflikt geriet, weil sie als Erbin wegen der großen Nachfrage „Originalfälschungen“ ihres Onkels nach dessen Tod in China herstellen ließ und wegen Urkundenfälschung strafbar wurde, weil sie diese reproduzierten Fälschungen mit der Signatur ihres Vaters versah, um ihren Marktwert zu erhöhen. Es wäre zu wünschen, dass die Diskussion über rechtswidrige Vervielfältigungen von Werken mit Hilfe des Internets bzw. digitaler Technologien und den Umgang mit ihnen im Rahmen des Strafrechts auch einen neuen Blick auf die Kunstfälschungen eröffnen und zumindest das Bewusstsein dafür schärfen würden, dass es hierbei nicht nur um Vermögensdelikte geht, sondern oft auch um Persönlichkeitsrechtsverletzungen großen Ausmaßes durch diejenigen, die sich unter Einsatz von krimineller Energie die Urheberpersönlichkeit desjenigen aneignen, dessen Werk sie fälschen.
What you see is what you get? Zur Bedeutung von Lizenzen beim Kunstkauf Winfried Bullinger / Katharina Garbers-von Boehm Einleitung Der Kunstkauf ist ein Sachkauf. Der Kunstsammler erwirbt das Kunstwerk als Gegenstand. Das Urheberrechtsgesetz regelt den Kunstkauf als Verwertungsform des Werkes nur am Rande. Der Käufer darf das Kunstwerk öffentlich ausstellen. Im Übrigen verbleiben die Urheberrechte an dem Werk bei dem Künstler (dazu unter I.). In der Praxis werden zunehmend Sachverhalte kritisch diskutiert, die es interessant werden lassen, über die hergebrachte Praxis nachzudenken und diese zu hinterfragen. Viele Künstler setzen ihre Werke heute mit technischen Mitteln um und nutzen Materialien, deren Lebensdauer sehr begrenzt ist. Aktuell gibt es Diskussionen um die Frage, wie Sammler mit großformatigen Farbfotografien umgehen sollen, die aus den 90iger Jahren stammen und deren Farben mit der Zeit ins Kippen geraten sind. Soll der Sammler etwa das stark rotstichige Farbbild als Vintage-Print weiterzeigen oder darf er es durch einen neuen Print ersetzen? Zu nennen sind beispielsweise auch Arbeiten, die Materialien wie Neonröhren oder Werkstoffe aus Plastik einsetzen, die nach ein bis zwei Jahrzehnten verfallen. In diesen Konstellationen sollte über eine sachgerechte Lösung nachgedacht werden, die die Interessen des Käufers und des Künstlers in Einklang bringt (dazu unter II.1.). Das Thema Kunstkauf und Lizenzeinräumung wird weiter virulent, wenn Sammler ihre Bestände medial präsent halten wollen (dazu unter II.2.) oder wenn Kunstwerke nur rein aus einem Konzept bestehen (dazu unter II.3.). Dieser Beitrag befasst sich mit dem möglichen Zusammenspiel von Kunstkauf und Lizenz.
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I. Die Befugnisse des Eigentümers von Kunstwerken ohne Lizenz Der Käufer von Kunst erwirbt einen Gegenstand – das Kunstwerk. Das Kunstwerk wird gekauft wie besehen.1 Mängelgewährleistungsrechte bestehen in der Regel für zwei Jahre ab Übergabe der Kaufsache, § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Die Dimension Urheberrecht hat der Erwerber bei diesem Geschäft oft nicht im Bewusstsein. Urheberrechtliche Relevanz hat der Kunstkauf daher in der Regel kaum: Erwirbt der Käufer ein Werkoriginal, so erwirbt er das Ausstellungsrecht, § 18 UrhG, d.h. er erwirbt die Befugnis, das Original aufzuhängen, selber – auch erstmalig – auszustellen oder zu Ausstellungszwecken zu verleihen. Weitergehende Rechte werden häufig auch nicht benötigt, da der Werkgenuss als solcher frei ist.2 Das Urheberrecht des Künstlers an dem Werk besteht neben dem Eigentumsrecht des Käufers fort, § 44 Abs. 1 UrhG. Die Rechte an ein- und demselben Gegenstand fallen also auseinander. Grundsätzlich ist das Kunstwerk also Eigentum wie jeder andere Gegenstand auch: Der Erwerber ist nicht verpflichtet, sich um den Zustand des Kunstwerkes zu kümmern. Er muss nicht besonders sorgfältig mit dem Werk umgehen. Dunkeln beispielsweise die Farben nach, braucht er es nicht zu restaurieren. Dieser Grundsatz erfährt allerdings einige Einschränkungen: Solange das Werk urheberrechtlich geschützt ist, darf der Käufer es weder verändern noch umgestalten (§§ 23 Satz 2, 39 UrhG) oder gar entstellen (§ 14 UrhG). Beispielsweise ist es ihm untersagt, ein Wandgemälde teilweise zu übermalen oder Teile eines aus verschiedenen Bestandteilen, Materialien oder Objekten bestehenden Gesamtkunstwerks zu entfernen. Das Urheberrecht schützt den Urheber zwar vor Veränderungen des Werkes und vor Entstellungen; die vollständige Zerstörung/Vernichtung durch den Eigentümer wird vom Gesetz jedoch nicht ausgeschlossen.3 Außerdem kann der Erwerber das Werk auf all diejenigen Arten nutzen, welche die gesetzlichen Lizenzen und Schranken des Urheberrechts (§§ 44a ff. UrhG) vorsehen. Ein Museum darf Exponate auch unter bestimmten Voraussetzungen in Ausstellungskatalogen zeigen (§ 58 UrhG). Befindet sich das Kunstwerk bleibend an öffentlichen Plätzen, darf auch dessen Eigentümer hiervon Postkarten herstellen und vertreiben (§ 59 UrhG). Ein Museum darf Werke aus seinem Bestand an andere Museen verleihen, muss aber hierfür eine angemessene Vergütung zahlen (§ 27 Abs. 2 UrhG). 1
Elbing/Schulze-Schulze, Kunstrecht, 2007, S. 157. Vgl. BGH GRUR 1994, 363/364 f. – Holzhandelsprogramm. 3 Siehe dazu auch BR-Drucks. 1/62, 45 zu § 14 (1965). Zu dem Streit, ob die Vernichtung eines Werkes das Urheberrecht des Schöpfers beeinträchtigt: Wandtke/Bullinger-Bullinger, 3. A., § 14 Rn. 22 ff. 2
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Darüber hinausgehende Rechte erwirbt der Käufer in der Regel nicht. So hat er beispielsweise nicht das Recht, das Werk zu verändern (z.B. das Format zu beschneiden oder das Werk teilweise zu übermalen) oder das Recht, das Werk zu vervielfältigen, beispielsweise Postkarten des Werkes zu vermarkten oder eine Abbildung des Werkes auf seiner Website einzustellen.
II. Lizenzen beim Kunstkauf Tatsächlich besteht auf Käuferseite häufig das Bedürfnis, mit dem Werk mehr zu machen, als eigentlich nach dem Urheberrechtsgesetz erlaubt ist, also die urheberrechtlichen Befugnisse an dem Werk zu erweitern. Der Sammler möchte Fotos der eigenen Sammlung ins Netz stellen, Wandgemälde nach Umzug oder Renovierung an anderer Stelle aufbringen, vielleicht ein Videokunstwerk öffentlich vorführen oder auf YouTube stellen. Außerdem möchte der Eigentümer sich für den Fall absichern, dass beispielsweise eine von ihm erworbene Fotoarbeit verbleicht oder der Datenträger, auf dem sich ein Video-Kunstwerk befindet, an Qualität einbüßt. Nachfolgend werden drei Konstellationen beleuchtet, in denen Lizenzen beim Kunstkauf bereits eine Rolle spielen oder künftig verstärkt spielen sollten, um Konflikten vorzubeugen. 1. Das Werk ist auf hochempfindlichen Materialien verkörpert Bei hochempfindlichen Materialien oder verderblichen Bestandteilen ist absehbar, dass das Werk sich verändern wird. Manchmal ist beim Kauf jedoch noch nicht klar, wie sich bestimmte Materialien entwickeln werden, beispielsweise wenn das Material neuartig ist. Sammler haben – auch über die gesetzlichen Gewährleistungsfristen hinaus – ein Interesse daran, dass das Werk oder Teile dessen ersetzt werden können, wenn ein Schaden entsteht oder das Werk verfällt. Bei Werken aus hochempfindlichen Materialien ist danach zu unterscheiden, ob die Empfindlichkeit nur Begleiteffekt ist (z.B. bei Videokunst, Fotografien), oder ob der Verfall des Materials selbst zum Konzept des Werkes gehört. Handelt es sich um eine technisch bedingte Empfindlichkeit, wie z.B. bei Fotos, die naturgemäß verblassen oder rotstichig werden, dann kann sich der Käufer absichern, indem er mit dem Künstler bzw. seinem Galeristen vereinbart, dass gleich eine Sicherheitskopie mitgeliefert wird, die erst dann zum „Original“ wird, wenn das Werk Schäden aufweist und die Vernichtung des beschädigten Prints bescheinigt wurde. Alternativ ist es denkbar, dass sich der Käufer von dem Künstler bei digitalen oder digitalisierten Fotos gleich eine Datei auf einem Datenträger mitlie-
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fern lässt, verbunden mit der Lizenz, nach vom Künstler festgelegter Maßgabe (oder sogar bei einem festgelegten Labor) einen weiteren Ausdruck zu erstellen, den der Künstler dann gegebenenfalls auch signiert – selbstverständlich wieder unter der Voraussetzung, dass der beschädigte Print vernichtet wird. Der so entstandene Ausdruck rückt in der Edition an die Stelle des vernichteten Ausdrucks. Diese Konstruktion möchten wir als Replacement Lizenz bezeichnen. Vorteil dieser Konstruktion ist, dass keine sachgemäße Lagerung einer zweiten Arbeit notwendig ist und dass die Edition nicht vergrößert wird. Die Replacement Lizenz soll mit dem körperlichen Werk übertragbar sein: Wird die Arbeit verkauft, erhält der Käufer neben dem körperlichen Werkstück den Datenträger, der mit der Replacement Lizenz verknüpft ist. Beispielhaft sei folgende Konstellation genannt: Seit dem Durchbruch der Farbfotografie in den 1980er Jahren erfreuen sich großformatige Farbdrucke besonderer Beliebtheit. Hierbei wird häufig ein Verfahren verwendet, bei dem die Farbaufnahme mit Plexiglas verschmolzen wird. Dieses Verfahren wurde allerdings in der Vergangenheit in seiner Haltbarkeit überschätzt. In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, was zu tun ist, wenn nach 20–25 Jahren, also wenn die kaufrechtlichen Gewährleistungsfristen bereits längst verstrichen sind, überraschende Haltbarkeitsschwächen auftauchen, wie z.B. das Verbleichen oder das Kippen/Rotstichigkeit von Farben. In diesem Fall möchte der Eigentümer das Werk, möglichst ohne dafür ein weiteres Vermögen ausgeben zu müssen, ersetzt bekommen. Viele Künstler gewähren in diesem Fall – ob hierauf ein Anspruch besteht oder nicht – dem Sammler oder Museum einen Ersatzprint, den sie auch signieren. Wenn die Parteien die Möglichkeit eines weiteren Abzugs bzw. Prints – unter der Bedingung, dass der verblichene Abzug bzw. Print zerstört wird – von vornherein im Wege einer Replacement Lizenz regeln, muss der Sammler künftig in einer solchen Konstellation nicht auf den goodwill des Künstlers hoffen, sondern kann den Anspruch rechtssicher aus der Lizenz herleiten. Gleichzeitig setzt sich der Künstler nicht dem Vorwurf aus, die Edition durch die Ersatz-Prints zu „verwässern“, da dies von Anfang an transparent ist. Eine Lizenzkonstruktion bietet sich auch bei Videos oder Magnetbändern an, die mit der Zeit aus technischen Gründen ihre Schärfe und Qualität verlieren: Der Käufer hat in diesem Fall größtes Interesse an einer Lizenz, das Werk einmal kopieren bzw. digitalisieren zu dürfen, es damit dauerhaft abspielbereit zu sichern. Im Bereich der Videokunst ist das dem Trägermedium beigefügte Zertifikat bereits stark verbreitet. In Abgrenzung dazu dürfte es bei Verfallskunst und Eat Art eher schwierig sein, den Künstler von der Idee einer solchen Replacement Lizenz zu überzeugen: Bei dieser Kunstrichtung wird der Verfall von Materialien, die in Werken verwendet werden, gerade in das Werk einbezogen. Das Werk
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„Strange Fruit (For David“) der New Yorker Künstlerin Zoe Leonard, das 1999 vom Philadelphia Museum of Art gekauft wurde4, besteht aus mehreren hundert Einzelteilen: zunächst ausgehölte Schalen von Avocados, Apfelsinen, Bananen, Grapefruit und Zitronen wurden von der Künstlerin mit verschiedenfarbigen Fäden, teilweise Reißverschlüssen, teilweise Knöpfen wieder geschlossen. Die Künstlerin verarbeitete auf diese Weise den Tod eines engen Freundes. Es ging ihr gerade darum, in der Tradition der „nature morte“ den langfristigen Verfall sichtbar zu machen. Eine ähnliche Problematik stellt sich für Eigentümer der SchokoladenArbeiten des Künstlers Dieter Roth: Die Schokolade wird fleckig, zersetzt sich oder wird von Schädlingen befallen. Die Verfallsästhetik gehört bei den Arbeiten von Roth jedoch dazu: Durch den Verfall findet eine Verwandlung des Materials statt, wodurch das Material selbst andere und neue ästhetische Werte erhält. In diesen letztgenannten Fällen, in denen der Verfall selbst etwas ausdrückt, verbietet sich die Idee einer Replacement Lizenz. Selbst eine Restaurierung sollte in diesen Fällen möglichst zurückhaltend und möglichst nur im Einvernehmen mit dem Künstler erfolgen. 2. Der Käufer möchte das Werk öffentlich zugänglich machen Eine weitere Konstellation, in der der Erwerb einer Lizenz neben dem Erwerb des körperlichen Werkes sinnvoll sein kann, ist die Sammler-Homepage: Immer mehr Sammler oder institutionelle Sammlungen möchten ihre Neuerwerbungen oder ihren gesamten Bestand im Internet in Form von Bilddateien der Öffentlichkeit zugänglich machen. In diesem Fall kann der Sammler bereits beim Kauf des Werkes eine Lizenz hierfür gegen eine angemessene Vergütung erwerben, d.h. mit dem Künstler selbst eine Nutzungsvereinbarung abschließen. In der Regel wird für die Zwecke des Sammlers eine einfache Lizenz ausreichend sein. Andernfalls sind die entsprechenden Rechte in der Regel im Nachhinein mit der Verwertungsgesellschaft Bild Kunst zu klären. 3. Kunst, die sonst nicht fungibel ist/Konzeptkunst Bei Konzeptkunst spielen Lizenzen seit jeher eine zentrale Rolle. Da die Idee bei dieser Kunstgattung wichtiger ist als die Verkörperung der Idee, ist es manchen Arbeiten immanent, dass die materialisierte Erschaffung des Kunstwerkes nicht durch den Künstler selbst, sondern durch Dritte ausgeführt wird: Der Künstler räumt also einem Dritten eine Lizenz ein, seine Idee nach seinen Anweisungen zu materialisieren. 4
http://www.philamuseum.org/collections/permanent/92277.html
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Beispielhaft seien die wall drawings von Sol LeWitt, mit denen er 1968 begann, genannt. Diese Arbeiten weisen die Besonderheit auf, dass sie nicht durch körperliche Übergabe des Gemäldes oder der Wand, sondern durch Übergabe eines Zertifikats und einer Gebrauchsanweisung des Werkes veräußert werden. Die wall drawings werden grundsätzlich von Sol LeWitts Assistenten bzw. eigens hierfür ausgebildeten Künstlern nach seinen schriftlichen Anweisungen ausgeführt. Es ging Sol LeWitt, der im Jahr 2007 verstarb, hierbei um das Prinzip der Zusammenarbeit. LeWitt formulierte seine wall drawings als eine Gebrauchsanweisung, in der er die Künstler anwies, Farben, Formen und Muster auf eine Wand statt eine Leinwand oder einen freistehenden Baukörper zu malen. Das Werk besteht also neben dem wall drawing aus einer Zeichnung LeWitts und einem Echtheitszertifikat. Dieses fungiert quasi als Signatur des wall drawings und gewährleistet, dass das Werk an einem neuen Ort wieder hergestellt werden kann, ähnlich einer Musikkomposition, die an verschiedenen Orten von verschiedenen Musikern aufgeführt werden kann. Die Werke sind ortsgebunden. Das heißt, dass der Besitzer eines wall drawings bei einem Umzug das Werk zerstören kann und das Recht besitzt, dieses nach der Originalanleitung von den LeWitt-Assistenten wieder neu malen zu lassen. Die Dokumentation des Werkes ist also der Schlüssel dafür, es zu bewegen bzw. es zu verkaufen. In dem Zertifikat, das neben der Gebrauchsanweisung an den Käufer übergeben wird, heißt es: This is to certify that the Sol LeWitt wall drawing number […] evidenced by this certificate is authentic. […] This certification is the signature for the wall drawing and must accompany the wall drawing if it is sold or otherwise transferred. Durch diese Konstruktion ist die Fungibilität derartiger Konzeptkunst gesichert: Durch das Zertifikat, das eine Lizenz zur Reproduktion des wall drawings – unter der Bedingung, dass das ursprüngliche wall drawing zerstört wird – darstellt, ist das wall drawing veräußerbar. Die Kehrseite der Medaille ist, dass derartige Werke auf dem Markt ohne dazugehöriges Zertifikat nur schwer veräußerbar sind: So hat sich der New Yorker Supreme Court mit der Schadensersatzklage eines Sammlers gegen eine Chicagoer Galerie auseinanderzusetzen, weil das Zertifikat, das zu einem Sol LeWitt wall drawing gehört, bei der Galerie nicht mehr auffindbar ist.5
5 Heather Gillers, Chicago gallery lost part of Sol DeWitt piece, Chicago Tribune vom 30.Mai2012, http://articles.chicagotribune.com/2012-05-30/entertainment/chi-chicago-artgallery-sued-lewitt-20120530_1_art-collector-suit-drawings
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Fazit Beim Kauf von zeitgenössischer Kunst könnte ein Paradigmenwechsel bevorstehen. Der Erwerb eines Kunstwerkes könnte in Zukunft immer häufiger mit dem Erwerb einer urheberrechtlichen Lizenz einhergehen. Sowohl für den Künstler, den Galeristen als auch den Käufer des Kunstwerkes könnte eine solche Lizenzregelung von Vorteil sein. Die Lizenz kann helfen, klare Regelungen im Verhältnis Künstler, Galerie und Käufer zu schaffen und Konflikte zu vermeiden. Die Untersuchung hat ergeben, dass sich eine Lizenzregelung insbesondere in den nachfolgenden drei Fallgruppen anbietet: Bei Kunstwerken, die wie Fotografien mit einem technischen Verfahren hergestellt werden, kann eine Befugnis des Käufers sinnvoll sein, das ursprüngliche Werkexemplar durch ein neu gefertigtes zu ersetzen. Die Neuanfertigung des Werkexemplars muss im Einvernehmen und nach den Vorgaben des Künstlers geschehen. Das ursprüngliche Exemplar muss vernichtet werden, so dass sich immer nur ein Exemplar in der Hand des Käufers befindet. Auf diese Weise lässt sich das Problem lösen, dass manche Kunstwerke eine sehr beschränkte Lebensdauer haben. Neben Fotografien gehören dazu insbesondere Arbeiten, die auf Neoröhrentechnik basieren oder Videoarbeiten. Wir bezeichnen eine solche Lizenz als Replacement Lizenz. Immer mehr Kunstsammler nutzen die neuen Medien zur Vermittlung ihrer Sammlung. Eine eigene Homepage über die Sammlung gehört dazu ebenso wie Produkte zur medialen Vermittlung, etwa Sammlungskataloge zum Download. Es liegt nahe, die dafür notwendigen Urheberrechte vom Künstler bereits beim Kunstkauf in Form einer entgeltlichen Lizenz mit zu regeln. Immer häufiger erwirbt der Sammler das vom Künstler geschaffene Konzept, ein Werk bei sich einmal ausführen (lassen) zu dürfen. Das körperliche Werkexemplar tritt dabei in den Hintergrund oder aber wird gar nicht mitverkauft. Im letzteren Fall kann der Käufer nach den Plänen des Künstlers das Werk frei einmal ausführen. Diese Form der Kunstveräußerung basiert auf einer urheberrechtlichen Lizenz zur Vervielfältigung des Werkes.
Appropriation und Fan Art – geknebelte Kreativität oder klare Urheberrechtsverletzung? Karl-Nikolaus Peifer I. Einleitung Das Urheberrecht soll Kreativität schützen und anreizen. Eine geläufige Kritik behauptet hingegen, dass das geltende Urheberrecht Kreativität hemmt und insbesondere neue Formen des künstlerischen Ausdrucks behindert.1 Sie hat auch die Politik bereits erreicht, die neuerdings diskutiert, ob „transformative Werknutzungen“ in erleichtertem Umfang als bisher zugelassen werden sollen.2 Diese Initiative zielt auf die begrenzte Zulassung von Werken wie sog. Mash-Ups und Remixes, die auch von Comic-, Film- und Musikanhängern aus vorbestehendem Originalmaterial erzeugt und anschließend – oft zu kommunikativen Zwecken – in sozialen Netzwerken oder auf Plattformen wie Youtube eingestellt werden.3 Die Ansichten über die kreativitätsfördernde oder -hemmende Wirkung des Urheberrechts prallen frontal aufeinander, wenn es um die Beurteilung von Kunstformen in der sog. Postmoderne geht, die davon ausgehen, dass es in der Kultur weder gänzlich Neues noch persönlich Geprägtes gibt, sondern Kultur durch die Verwendung vorbestehender Bausteine entsteht. Am deutlichsten argumentiert so die Appropriation Art, zu deren Schaffensprogramm die neu präsentierte Kopie oder Teilkopie von bereits bestehender Kunst gehört.4 Gerade diese Kunstrichtung wird daher zum Teil als klar urheberrechtsverletzend angesehen.5 Nicht wesentlich anders fällt das Urteil 1 Z.B. Gehlen, Mashup – Lob der Kopie, 2011, S. 17; vorher Lessig, Free Culture, 2004, S. 184 (im Netz abrufbar unter http://www.free-culture.cc/freeculture.pdf). 2 Im Diskussionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der digitalen Gesellschaft vom Juli 2012 wird vorgeschlagen, § 24 um folgende Formulierung zu ergänzen: „Sofern es sich um ein neues Werk handelt und der Eindruck des Originals gegenüber demjenigen des neuen Werkes „verblasst“, darf das Original frei bearbeitet werden. Eine stumpfe Kopie ist dagegen keine schützenswerte Leistung.“ 3 Dazu C. A. Bauer, User Generated Content, 2011; Kreutzer, Verbraucherschutz im Internet, 2011, S. 73 (mit Formulierungsvorschlag für „transformative Werknutzungen“). 4 Rebbelmund, Appropriation Art – die Kopie als Kunstform, 1998, S. 11–13. 5 Schack, Kunst und Recht, Rn. 351: „geistiger Diebstahl“; ders., FS Nordemann, 2004, S. 107, 113; Raue, FS Pfennig, 2012, S. 199, 202.
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für die sog. Fan Art in Form von Mash-Ups und Remixes aus, die im frei zugänglichen Teil des Internet reichlich vorhanden sind.6 Mit dem Verhältnis des Urheberrechts zur Kunstfreiheit hat sich Artur Wandtke mehrfach auseinandergesetzt.7 Auf diesem Feld zeigt sich sehr klar der klassische Konflikt zwischen Freiheit und Eigentum, zwischen künstlerisch inspirierter Handlungsfreiheit des Schaffenden und persönlicher Eigenart des bereits Geschaffenen. Daher ist zu hoffen, dass auch dieser Beitrag sein Interesse finden wird. Der Beitrag geht kurz auf die neuen Erscheinungsformen kreativer Werknutzung im Internet ein (unten II.), erörtert den Meinungsstand zu ihrer urheberrechtlichen Zulässigkeit (III.) und die auf dem Spiel stehenden Interessen (IV.), um ein urheber- und verfassungsrechtlich harmonisches Ergebnis zu formulieren (V.). Verfolgt wird die These, dass ein scharfes Verbot der neuen Nutzungen verfassungsrechtlich zwar nicht stets, wohl aber dort haltbar ist, wo sich neue Kunstformen bewusst und gezielt gegen den urheberrechtlichen Grundansatz richten (VI.). Das betrifft die Appropriation Art. Für Fan Art bestehen durchaus Möglichkeiten lizenzfreier Benutzung, daneben hilft ein über Verwertungsgesellschaften erreichbares Vergütungsmodell oder eine kontrollierte Lizenzierung über Creative Commons Lizenzen.
II. Kreativität in der Postmoderne – Erscheinungsformen Bei der Appropriation Art ist die Aneignung vorbestehender Werke Schaffensprogramm, die Kopie erfolgt bewusst, wobei der Akt künstlerischen Ausdrucks gerade darin gesehen wird, dass das Vorbestehende neu präsentiert wird. Dieses „Konzept“ beinhaltet, dass Kunst nicht als Geschaffenes versteinert nur in Form des Originals existiert, sondern kontextverändert durch bewusste Gegenüberstellung zum Original Kommunikationsbeitrag neu entsteht.8 Nicht ganz unähnlich zu den sog. „ready-mades“ wird auch bei der Appropriation Art das Statische gewissermaßen durch das Performative, das Werk durch seine Darbietung erneuert. Appropriation Art ist daher
6 Knopp, GRUR 2010, 28, 30, der zum Ergebnis kommt, dass die meisten Schöpfungen unfreie Bearbeitungen seien. 7 Vgl. etwa Wandtke, Grenzenlose Freiheit der Kunst und Grenzen des Urheberrechts, ZUM 2005, 769; ders., Copyright und virtueller Markt in der Informationsgesellschaft – oder das Verschwinden des Urhebers im Nebel der Postmoderne?, GRUR 2002, 1. 8 Vgl. Rebbelmund, Appropriation Art – die Kopie als Kunstform, 1998, S. 18, wonach das Konzept von Appropriation Art die Gegenüberstellung von Original und Kopie, die Simulation einer tatsächlich nicht gegebenen Realität, die Kunstform eine Negierung fester Eigentumsstrukturen beinhalte. Die Kopie solle den Betrachter zu einer Auseinandersetzung mit dem Original selbst, ohne den Schatten des großen Namens seines Urhebers, führen.
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im Ansatz Vervielfältigung,9 die Frage ihrer urheberrechtlichen Zulässigkeit stellt sich überhaupt nur, weil dieses Vorgehen als künstlerisches Programm, gewissermaßen also als Kunstgattung angesehen wird. Fan Art ergibt sich dagegen als kreative Auseinandersetzung mit einer Vorlage, die der Nachschöpfende aus kommunikativen Gründen oder schlicht, um dem Originalurheber eine Hommage zu erweisen, kopiert, nachschafft und/oder bearbeitet.10 Eine besondere Stellung nehmen dabei „Slash-Werke“ ein. Bei ihnen verändert der Fan die Tendenz des Ursprungswerkes, typischerweise indem er fiktiven Charakteren des Originals (z.B. Asterix und Obelix11) eine homoerotische Beziehung andichtet.12 Typisch für Fan Art ist, dass der Nachschaffende in der Regel keine kommerziellen Zwecke verfolgt,13 durchaus denkbar ist aber, dass mittelbar kommerzielle Zwecke eines Providers gefördert werden, der die Werke des Fans hostet. Mash-Ups, Samplings und Remixes sind Arbeitstechniken, die darin bestehen, dass vorbestehende Werke oder Werkteile, seien es audiovisuelle oder literarische Vorlagen collagenartig zu einer neuen Gestaltung verbunden werden. Diese Techniken sind im digitalen Zeitalter schnell und einfach verfügbar, so dass auch der künstlerisch weniger Begabte durch „copy & paste“ (höflicher: „capture and share“14) digital leisten kann, was er analog niemals vermochte.
III. Urheberrechtliche Einordnung Appropriation Art wird teilweise als blanke Vervielfältigung angesehen,15 Fan Art kann Umgestaltung oder – wenn ausreichend schöpferisch – auch Bearbeitung sein.16 Die urheberrechtliche Klassifikation ist nach herkömmlichem Verständnis einfach. Die blanke Kopie ist Rechtsverletzung nach § 15 Abs. 1 Nr. 1, 16, ihr Vertrieb verletzt § 17 UrhG. Appropriation Art, die dem 9
Allerdings häufig auch Umgestaltung, insoweit selten bis nie nur „stumpfe Kopie“, vgl. etwa die Umgestaltung eines Fotos in eine Skulptur durch den vielzitierten Fall Rogers v. Koons, 960 F.2d 301 (2nd Cir. 1992). 10 Schwabach, Fan Fiction and Copyright, 2011, S. 1. 11 In der Filmliteratur betraf dies die Serie „Raumschiff Enterprise“ und dort Captain Kirk und den ersten wissenschaftlichen Offizier Mr. Spock, im Comic-Bereich etwa Batman und Robin; der Begriff „Slash“ weist darauf hin, dass typischerweise Paare gleichen Geschlechts (Kirk/Spock) „Opfer“ solcher Fanfiction werden. 12 Vgl. dazu Katyal, 14 Am.U.J. Gender, Soc. Pol’y & Law 461 (2006). 13 Allerdings gibt es etwa in Japan einen eigenen Markt für sog. Doujinshi (Fan Comics), vgl. Lessig, Free Culture, 2004, S. 26. Auch in Deutschland gibt es Comickünstler, die auf Messen Fan Art verkaufen. 14 Lessig, Free Culture, 2004, S. 184. 15 Oben Fußn. 6. 16 Oben Fußn. 7.
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Vorbestehenden etwas hinzufügt ist, ebenso wie Fan Art abhängige Bearbeitung und daher von einer Lizenz des Originalurhebers oder Rechteinhabers abhängig ist. Das führt im Wesentlichen dazu, dass das Urheberrecht diese Form kreativer Nutzungshandlungen verhindert. Kritiker dieser starren Lösung versuchen, die Appropriation Art mit einem erweiterten Verständnis des § 24 UrhG zu legitimieren,17 bei Fan Art jedenfalls § 24 UrhG in Betracht zu ziehen, im Übrigen eine Schrankenbestimmung einzuführen,18 die nutzergenerierte Werke jedenfalls dann legalisieren soll, wenn die Schwelle der Schöpfung überschritten wird, die Verwertung aber im Übrigen keine kommerziellen, sondern nur kommunikative Zwecke verfolgt.
IV. Interessen Wer Appropriation und Fan Art die Zulässigkeit generell abspricht, kann sich ohne weiteres darauf berufen, dass das Urheberrecht nach seinem traditionellen Verständnis den Einfluss des Schöpfers nicht nur für das Original, sondern auch für die Folgemärkte, nämlich die Derivate des Originals, schützen möchte.19 Das hat wirtschaftliche Gründe, denn Bearbeitungen bilden einen eigenen Lizenzmarkt.20 Gelegentlich ist dieser Lizenzmarkt sogar ertragsreicher als der Ursprungsmarkt, wenn es nämlich gelingt, eine fiktive Persönlichkeit, einen „Character“, zu schaffen, der merchandisingtauglich ist, wie dies bei Comicfiguren, etwa den Disney-Charakteren der Fall ist.21 Aber auch das Interesse, intellektuell den Folgemarkt einer auf den Urheber zurückgehenden Fabel zu reservieren, wird geschützt.22 Beide Erscheinungsformen, der Schutz von fiktiven Persönlichkeiten23 und der Fabel, des Gewe-
17 Huttenlauch, Appropriation Art, 2010, S. 148; ähnlich Czernik, Die Collage in der urheberrechtliche Auseinandersetzung zwischen Kunstfreiheit und Schutz des geistigen Eigentums, 2008, S. 290, 336 (für die Collage); Fuchs, Avantgarde und Erweiterter Kunstbegriff, 2000, S. 139 (neuer Werkbegriff); in den USA ähnlich („fair use“) Ames, Beyond Rogers v. Koons: A Fair Use Standard for Appropriation, 93 Columbia Law Review 1473, 1518 (1993). 18 Tushnet, 70 Law & Contemp. Problems 135, 144 ff. (2007); Craig, Copyright, Communication And Culture, 2011, S. 174 (flexible „fair use“-Schranke). 19 Vgl. Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 23 Rn. 1; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 23 Rn. 1. 20 Schack, FS Nordemann, S. 107, 110. 21 Paradigmatisch daher das Vorgehen gegen die Verwässerung oder Rufbeeinträchtigung solcher Märkte, etwa in den USA Walt Disney Productions v. Air Pirates, 581 F.2d 751 (1978), in Deutschland BGH GRUR 1994, 191 – Asterix-Persiflagen. 22 Stellvertretend BGH GRUR 1999, 984 – Lara’s Tochter. 23 Vgl. in Deutschland nur BGH GRUR 1958, 500, 502 – Mecki-Igel; in den USA Burroughs v. Metro-Goldwyn-Mayer, Inc. 519 F.Supp. 388, 391 (S.D.N.Y. 1981).
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bes aus Handlung und Personen, sind Ausdehnungen des urheberrechtlichen Schutzes, die nicht selbstverständlich sind, aber dazu führen, dass die Abgrenzung zwischen grundsätzlich ungeschützter Idee und grundsätzlich geschütztem Ausdruck („idea-expression“)24 löchrig wird, der Urheber eine Art intellektuelle Erzählhoheit selbst über das behält, was er noch nicht geschaffen hat. Beide Gesichtspunkte, die wirtschaftliche und die intellektuelle Kontrolle von „Folgemärkten“ erzeugen Probleme, sei es im Hinblick auf die Wettbewerbsfreiheit, sei es im Hinblick auf die Kunstfreiheit. Man befindet sich jeweils auf der Ebene konfligierender Verfassungsinteressen. Im ersten Bereich hat der Gesetzgeber Inhalt und Schranken des Eigentums in ein harmonisches Verhältnis zu bringen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG), im zweiten Bereich geht es um die Abgrenzung konfligierender Persönlichkeitsinteressen, nämlich zum einen dem Schutz der entäußerten Persönlichkeit (§ 2 Abs. 2 UrhG mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG)25, zum anderen um dem Schutz der sich äußernden Persönlichkeit (Art. 5 Abs. 1 mit Abs. 3 GG).26 Starre Lösungen im Sinne eines „in dubio pro auctore“27 sind auf der Ebene des Verfassungsrechts daher schwer zu begründen.28
V. § 24 UrhG und sein Potential für eine „fair use“-Schranke Eine gängige Verteidigung des Grundsatzes „in dubio pro auctore“ lautet, dass aus Gründen der Meinungs- und Kunstfreiheit auch nicht auf körperliches Eigentum frei zugegriffen werden könne.29 Isoliert ist der Satz zutreffend, bezogen auf das Werk als Geistiges Eigentum lässt er aber unberücksichtigt, dass der Gegenstand des Ausschließlichkeitsrechts Besonderheiten aufweist, die einen Vergleich zur körperlichen Sache erschweren. Insbesondere als Kommunikationsgegenstand „tritt es bestimmungsgemäß in den gesellschaftlichen Raum und kann damit zu einem eigenständigen, das kultu-
24
Vgl. etwa Kohler, Urheberrecht an Schriftwerken und Verlagsrecht, 1907, S. 128 ff. BGHZ 13, 334, 339 – Leserbrief, Wandtke/Bullinger, Vor §§ 12 ff. Rn. 16. 26 Vgl. zur persönlichkeitsrechtlichen Deutung der Meinungsfreiheit BVerfGE 7, 198, 208 – Lüth: „unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit“; zust. von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 1; von Münch/Kunig/ Wendt, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 5 Rn. 1; im US-amerikanischen Recht Emerson, The System of Freedom of Expression, 1970, S. 6: “freedom of expression is essential as a means of assuring individual self-fulfilment.” 27 Vgl. für die Schutzfähigkeit G. Schulze in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 9 Rn. 195; Dreier/Schulze, Urheberrecht, 3. Aufl. 2008, § 2 Rn. 172. 28 Dazu ausführlich BVerfG NJW 2001, 598 – Germania 3. 29 Vgl. Schack, FS Nordemann, S. 107, 113: „Auch die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG gibt keinen Freibrief, Leinwand und Farbe zu stehlen …“. 25
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relle und geistige Bild der Zeit mitbestimmenden Faktor werden. Es löst sich mit der Zeit von der privatrechtlichen Verfügbarkeit und wird geistiges und kulturelles Gemeingut“.30 Zwar bleibt es dabei, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG „die grundsätzliche Zuordnung der vermögenswerten Seite dieses Rechts an den Urheber (gebietet)“, doch ist „damit nicht jede denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert“.31 Die Ausführungen des BVerfG dokumentieren, was auch wettbewerbsrechtlich gesicherte Erkenntnis ist. Eigentumsrechte sind keine absoluten umfassenden Monopole, sondern sie bedürfen der passgenauen Ausgestaltung, um den mit ihnen gewünschten Anreiz nicht durch eine übermäßige Beschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten von konkurrierenden Anbietern zu erdrosseln.32 Das Nämliche gilt für die „intellektuelle Kontrollmöglichkeit“ des Urhebers. Sie ist offensichtlich in Fällen der „Slash-Works“, in denen Fans die Tendenz des Werkes, etwa in sexueller Hinsicht verändern und aus den männlichen Kämpfern für Recht und Ordnung die Protagonisten einer homoerotischen Beziehung machen.33 Allerdings ermöglicht § 14 UrhG – und auf einer vorgelagerten Stufe auch § 23 UrhG – unerwünschte und entstellende Änderungen des geschützten Werkes zu untersagen. Das Urheberrecht schützt das Interesse des Urhebers, sein Werk in der von ihm geschaffenen Form zu erhalten und auch in dieser Form zu vermitteln,34 verschafft aber kein Recht, die geistige Auseinandersetzung, insbesondere die (auch harte) Kritik an dem Werk zu untersagen.35 Die Änderungsabwehrrechte richten sich gegen werkfeindliche, die Vermittlung der dem Urheber selbst zugeschriebenen Werkfassung hindernde Handlungen.36 Dazu gehören Kürzungen, Unterbrechungen, durchaus potentiell auch die Tendenz des Werkes verändernde Handlungen, etwa die Aufführung politisch links ausgerichteter Lieder durch einen die Ziele des Nationalsozialismus unterstützenden Liedermacher37 oder das Abdrucken eines erotischen Gedichts in einem porno-
30 BVerfG NJW 2001, 598, 599 – Germania 3 (zu den Zugriffsbefugnissen bei der literarischen Collage). 31 BVerfGE 31, 229, 240. 32 Vgl. Prosi, FS Hoppmann, 1993, S. 127, 130: „Grundlage der Vielfalt ist die Freiheit, mit einer neuen Idee von der herrschenden Meinung abzuweichen. Wettbewerbsfreiheit heißt auch Gedankenfreiheit und Recht auf freie Meinungsäußerung.“ 33 Bsp. bei Schwabach, Fan Fiction, S. 95 f. 34 Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, S. 73. 35 Peifer aaO., S. 104. 36 Peifer, Werbeunterbrechungen in Spielfilmen, 1994, S. 206 f.; ebenso Schack, Urheberund Urhebervertragsrecht, Rn. 392. 37 So wurde die deutsche Fassung des Hannes Wader-Liedes „Es ist an der Zeit“ durch einen politisch der NPD nahestehenden Liedermacher eingespielt, vgl. Klaus Walter, Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ’ne Kuschelrock-LP, Jungle World Nr. 23 v. 7.6.2012, http://jungle-world.com/artikel/2012/23/45606.html.
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grafischen Kontext.38 Gleichwohl verschaffen auch diese Befugnisse keine Interpretationshoheit. Die Abgrenzung zwischen lizenzpflichtiger Bearbeitung und freier Benutzung hat diese Grenze von Änderungsbefugnissen zu wahren. Hier nämlich findet in erster Linie die verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung zwischen Kontrollbefugnis und künstlerischer Freiheit statt. Einigkeit besteht insoweit darin, dass jede Änderung unzulässig wird, wenn sie den Eindruck erweckt, vom Urheber zu stammen oder von ihm autorisiert zu sein, insbesondere gar die Bezeichnung des Originalurhebers gebraucht oder jedenfalls nicht auf die Originalurheberschaft hinweist (§§ 13, 63 UrhG).39 Die Pflicht zur Quellenangabe ist unbestritten selbst für Creative Commons-Projekte,40 sie belastet wenig, stellt aber die Abgrenzung zwischen Original und Nachschöpfung und damit die Verantwortlichkeit für die jeweilige Fassung klar. Es bleibt die schwierige Konkretisierung der „freien Benutzung“ (§ 24 UrhG). Das Gesetz definiert den Begriff nicht, sondern überlässt ihn der Rechtsprechung. Das schafft Flexibilität, gefährdet aber die Rechtssicherheit und sorgt für einen „chilling effect“ gerade dort, wo die Freiheit des Kulturschaffenden auf eine Leitplanke angewiesen wäre.41 In einem Diskussionspapier der CDU/CSU-Fraktion42 wird daher vorgeschlagen, im Text des § 24 UrhG klarzustellen, dass die „stumpfe Kopie“ keinesfalls freie Bearbeitung ist und es im Übrigen darauf ankommt, ob das Original hinter der Bearbeitung verblasst.43 Diese „Verblassensformel“ zu kodifizieren, hilft allerdings wenig. In den kritischen Fällen hilft sie nämlich nicht. Nicht einmal die Parodie wäre damit gerechtfertigt worden, so dass es hier nötig war, einen „inneren Abstand“ durch antithematische Behandlung der Vorlage als „verblassensgleiches“ Zurücktreten anzusehen.44 Bei der literarischen Collage, der Zusammenstellung von Textfragmenten aus Brecht-Stücken zu einem neuen
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Vgl. Peifer, Werbeunterbrechungen in Spielfilmen, 1994, S. 202. Zu dem Gesichtspunkt des Schutzes der Wiedererkennbarkeit der Gedankenwelt des Autors de Cupis, I diritti della personalità, 2. Aufl. 1982, S. 605. 40 Die Berliner Erklärung zum Open Access definiert den Begriff gar durch die Wahrung der Pflicht zur “proper attribution of authorship.” Im Software-Bereich sieht die GNU General Public License (version 3) in Artikel 4 eine Pflicht zum Hinweis auf frühere Bearbeitungen vor. Auch § 6 der deutschen Digital Peer Publishing License (Version 3) verlangt Angaben über die Originalquelle. 41 Ladeur, KUR 2009, 181. 42 Oben Fußn. 3. 43 Damit wird auf die gebräuchliche Grenzziehung durch die Rechtsprechung abgestellt, vgl. RGZ 129, 252, 256 – Operettenführer; BGH GRUR 1958, 402, 404 – Lili Marleen; BGH GRUR 1994, 191, 193 – Asterix-Persiflagen. 44 BGH GRUR 1994, 191, 193: „Verblassen im weiteren Sinn“ = „rein geistiger Abstand“, wenn der eigenschöpferische Gehalt des neuen Werkes das bestehende Werk überlagert. Für Hess, Urheberrechtsprobleme der Parodie, 1993, S. 40 ist dies nur eine sprachliche Variante der Verblassensformel. 39
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Werk half sie daher zunächst wenig. Die Gerichte vermissten hier sowohl ein Verblassen als auch die antithematische Behandlung des Originals.45 Erst das BVerfG stellte fest, dass eine Auslegung urheberrechtlicher Schrankenbestimmungen (geprüft wurde § 51 UrhG), die dazu führt, dass eine ganze Kunstgattung (nämlich die literarische Collage oder das „Zitat als Stilmittel“) stets unzulässig wird, den Wesensgehalt der Kunstfreiheit verkennen würde.46 Dabei spielte es eine Rolle, dass 1) die Urheberschaft der Collage klar erkennbar war, 2) die Collage keine platte Kopie, sondern künstlerisches Stilmittel wurde, die als solche auch inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Original darstellte, aber 3) schließlich auch, dass nur „ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile … der künstlerischen Entfaltungsfreiheit“ gegenüberstand.47 Diese Kriterien entsprechen in der Tendenz durchaus einigen Faktoren der „fair use“-Klausel des US-amerikanischen Rechts.48 Interessanterweise hat daher gerade § 24 UrhG das Potential, zu der von vielen herbeigesehnten flexiblen Schrankenbestimmungen zu werden, die angeblich dem deutschen Recht fehle.49 Damit dies gelingt, ist ein besserer Kriterienkatalog erforderlich, als ihn die Rechtsprechung mit der Verblassensformel geprägt hat. Die drei obengenannten Kriterien Erkennbarkeit – Eigenständigkeit – Marktneutralität mögen dafür als Anregung dienen. Es handelt sich dabei – entgegen einer weit verbreiteten Ansicht – nicht um eine Schrankenbestimmung,50 sondern um eine Begrenzung der Reichweite des Urheberrechts,51 also – verfassungsrechtlich gesprochen – um eine Inhaltsbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die freie Benutzung eines Werkes unterliegt von vornherein nicht der Kontrolle des Urhebers.
45 BGH GRUR 1994, 191, 193: „Verblassen im weiteren Sinn“ = „rein geistiger Abstand“. 46 BGH NJW 2001, 598, 599 re. Sp. 47 BGH NJW 2001, 598, 599 li. Sp. 48 17 U.S.C.A. § 107: Natur des nachschöpfenden Gebrauchs, Natur des kopierten Werkes, Art und Umfang der Übernahme, Auswirkungen auf den Markt des Originals; zur transformativen Werknutzung durch Neuerzählung einer Geschichte aus anderer Perspektive insbesondere Suntrust Bank v. Houghton Miffling Co. 268, F.3d 1257 (11th Cir. 2001); im Musikbereich Campbell v. Acuff-Rose Music, Inv. 510 U.S. 569 (1994) (Verballhornung des Liedes „Pretty Woman“). 49 So Dreier/Schulze, Vor §§ 44a ff. Rn 7. Differenzierend Dietz, ZUM 1993, 309, 316: „letztlich Ausdruck einer Art von Fairneß.“ 50 So aber etwa Mestmäcker/Schulze/Haberstumpf, § 24 UrhG Rn. 1; Bauer, User Generated Content, S. 330; Garloff GRUR 2001, 476, 477; Stuhlert, Die Behandlung der Parodie im Urheberrecht, 2002, S. 15. 51 So richtigerweise Wandtke/Bullinger, § 24 Rn. 1; Chakraborty, Das Rechtsinstitut der freien Benutzung im Urheberrecht, 1997, S. 25 f.; Czernik, Die Collage, S. 302; Ruijsenaars, GRUR Int. 1993, 981, 923; Slopek, WRP 2009, 20, 22.
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Daher stellen sich auch keine Probleme im Hinblick auf den abschließenden Schrankenkatalog der EU-Informationsrichtlinie 2001.52 Die Einschränkung der Bearbeitungsfreiheit betrifft nur das klassische Urheberrecht. Falsch ist es, sie auch gegenüber Leistungsschutzrechten, wie etwa dem Tonträgerherstellungs-, Laufbild- oder Lichtbildschutz anzuwenden.53 Die Verwendung kleinster Töne zu Zwecken des Samplings ist schöpferisch, der Tonfetzen ist es nicht. Auch für den Einbau von Lichtbildern oder Laufbildern in Collagen der genannten Art gilt nichts anderes. Die Tendenz, den Leistungsschutz besser als den Urheberschutz auszugestalten,54 ist ein Irrweg, der kreative Freiheiten sehr viel stärker einschränkt als dies zum Schutz von verwandten Schutzrechten, die dem Urheber dienen, ihn aber nicht knebeln sollen, erforderlich ist.
VI. Ergebnis Appropriation Art könnte einer verfassungsrechtlich gestützten Interpretation des § 24 UrhG standhalten, wenn man sie als eigene Kunstrichtung interpretiert, sie im konkreten Fall den Markt des Originals nicht stört und sie Ergebnis einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Original darstellt. Diese Auseinandersetzung kann durchaus auch durch Präsentation und Bezeichnung erfolgen. Regelmäßig wird es daran fehlen, wenn die Auseinandersetzung mit dem Original nicht erkennbar ist und wenn zu viele Übereinstimmungen mit dem Original bestehen. Appropriation Art urheberrechtlich zu untersagen ist gleichwohl verfassungsrechtlich vertretbar, wenn man davon ausgeht, dass diese Kunst sich bewusst gegen die Überzeugung von der subjektiv beeinflussten Urheberschaft eines Originals richtet. Mit eben dieser Begründung geht es auch an, dem „ready-made“ oder der bloßen Präsentation von Vorgefundenem die urheberrechtliche Werkqualität abzuerkennen, denn die hiermit experimentierenden Künstler argumentieren gerade, dass Kunst unabhängig von persönlicher Prägung durch einen natürlichen Schöpfer existiert. Sie bezweifeln selbst, ein Werk im Sinne des § 2
52 Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 1 6/71 (2002, bereinigte Fassung). Die Richtlinie befasst sich ohnehin nur mit Schranken zu Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Wiedergaberechten und harmonisiert insbesondere nicht das urheberrechtliche Bearbeitungsrecht. 53 So etwa BGH GRUR 2009, 403 Tz. 21 – Metall auf Metall; BGHZ 175, 135 = GRUR 2008, 693 Tz. 24 – TV Total (Filmträger); ebenso (mit Differenzierungen) Rehbinder, UrheberR, 16. Aufl. 2010, Rn. 815. 54 Auf die dem Urheberschutz untergeordnete Funktion des Leistungsschutz hat bereits hingewiesen Goldbaum, Schöpfung oder Leistung?, 1957, S. 20: „In seiner Tragweite muss (das Leistungsschutzrecht) aber hinter dem Urheberrecht zurückbleiben.“
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Abs. 2 UrhG durch die bloße Präsentation zu schaffen. Das Urheberrecht muss dieser Interpretation nicht widersprechen. Fan Art kann nach dem Dargestellten zulässig sein, allerdings nur wenn sie ausreichend schöpferisch ist und die genannten drei Kriterien erfüllt. Als Beispiel für eine zulässige Form der Fan Fiction mag die folgende Zeichnung dienen:55
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Urheberin der Bearbeitung: Claudia Summerer.
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Regelmäßig wird Fan Art abhängige Bearbeitung bleiben. Dafür eine Vergütungsregelung zu schaffen oder sie faktisch dadurch zu ermöglichen, dass man Verwertungsgesellschaften gestattet, Fan Art zu lizenzieren, könnte ein Kompromissweg in der Zukunft sein. Zu beobachten ist allerdings auch jetzt bereits, dass die Urheber durchaus großzügig sind, wenn es um die Bearbeitung ihrer Vorlagen durch Fans geht.56 Denkbar ist daher auch eine Creative Commons-Lizenzlösung,57 durch die Urheber Regeln für Bearbeiter vorgeben, gleichzeitig aber auf eine Vergütung für die Verwertung solcher Bearbeitungen in bestimmten sozialen Netzwerken oder Fanzirkeln verzichten.
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Beispiele Schwabach, Fan Fiction, S. 1. Hatcher, SCRIPT-ed, Vol. 2:4, December 2005, S. 514, 526 (http://www.law.ed.ac.uk/ ahrc/SCRIPT-ed/vol2-4/hatcher.asp). 57
3. Urhebervertragsrecht / Arbeitnehmerurheberrecht
Plagiarism and its effects on the German Ph.D. Reinhard Singer/Jan Wünschmann
Das Urheberrecht bildet eines der Hauptforschungsgebiete des Jubilars. Insofern könnte die allgegenwärtige Diskussion über die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und insbesondere die Bemühungen zur Bekämpfung des Plagiats als derjenigen Urheberrechtsverletzung, bei der sich jemand eine fremde Urheberschaft bewusst anmaßt 1, auch sein Interesse finden. Im folgenden Beitrag soll es allerdings nicht in erster Linie um die urheberrechtlichen Fragen gehen, sondern um die Eigenschaft der Doktorarbeit als schöpferische Leistung, mit der die Fähigkeit zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit nachgewiesen werden soll. Die Dissertation muss daher den – strengeren – Maßstäben guter wissenschaftlicher Praxis entsprechen. Angestoßen durch die Debatte um Leitlinien der Promotionskultur an der HumboldtUniversität zu Berlin werden deshalb nachfolgend vor allem die jüngsten hochschulpolitischen Entwicklungen in diesem Zusammenhang diskutiert.
I. Introduction 2 Germany has a long cultural and scientific tradition which is reflected in the fact that doctoral education has existed since the Middle Ages.3 Nowadays, over 25.000 scholars are awarded doctorates in Germany every year.4 Not long ago, different concerns about quality, supervision and the time taken to gain a doctorate have been raised by various institutions, such as the German Council of Science (Wissenschaftsrat) and the University Principals Conference (Hochschulrektorenkonferenz, HRK).5
1
Von Weschpfenning, HFR 2012, pp. 84 (92). Der Beitrag ist in englischer Sprache verfasst, weil er ursprünglich für die von der Renmin Universität in Peking veranstaltete 2nd Joint Conference of China-Europe Law School Deans konzipiert und dort am 21. September 2012 vorgetragen wurde. 3 Kehm, Barbara, Doctoral education in Germany: between tradition and reform, in: The Doctorate Worldwide, 2007, pp. 52. 4 Statistisches Bundesamt, Bestandene Prüfungen, https://www.destatis.de/DE/Zahlen Fakten/Indikatoren/LangeReihen/Bildung/lrbil11.html, Status: October 17, 2012. 5 Cf. Bosbach, Eva/Michalk, Barbara (Hrsg.), Quo vadis Promotion? Doktorandenausbildung in Deutschland im Spiegel internationaler Erfahrungen, Beiträge zur Hochschul2
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In recent times the debate has become heated and emotional after some prominent cases of plagiarism were revealed. One of the most famous cases is that of the former German Minister of Defence Karl Theodor zu Guttenberg last year. Meanwhile, other politicians are suspected of plagiarism, such as ironically the Federal Minister of Education and Research, Annette Schavan. However, her case is not closed. With Guttenberg having a legal educational background and a reputable supervisor, Peter Häberle, the case did not leave the legal science unaffected.
II. Public debate amongst law professors There have been several reactions from politicians, the administration and the general public to the Guttenberg case. A group of doctoral candidates wrote an open letter, which has been signed by more than 60.000 people, to the German chancellor Angela Merkel, criticising how the German government dealt with Guttenberg’s plagiarism.6 In their opinion, considering plagiarism a minor or trivial offence harmed Germany’s reputation as one of the leading countries in science. Furthermore, also prompted by the recent cases of scientific misconduct, many scientific institutions such as the German Research Foundation (DFG) and the University Principal’s Conference (HRK) have issued recommendations and position papers.7 However, I shall confine myself to the heated exchange amongst some law professors. The debate was triggered by an article with the title “Culture of Cronyism“ (Kultur der Kumpanei).8 In this article Michael Heinig and Christoph Möllers identified various reasons for our discipline’s susceptibility to plagiarism.
politik, 2007; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, 1998; Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Neustrukturierung der Doktorandenausbildung und -förderung, in: Empfehlungen zur Doktorandenausbildung und zur Förderung des Hochschullehrernachwuchses, 1997. 6 Causa Guttenberg, Offener Brief von Doktoranden an die Bundeskanzlerin, http:// offenerbrief.posterous.com/, Status: October 17, 2012. 7 Zur Qualitätssicherung in Promotionsverfahren, Empfehlung des Präsidiums der HRK vom 23. April 2012 an die promotionsberechtigten Hochschulen, http://www. hrk.de/de/beschluesse/109_6791.php, Status: October 17, 2012; Deutsche Forschungsgemeinschaft, Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“, 1998, www.dfg.de/download/pdf/ dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_0198.pdf, Status: October 17, 2012. 8 Heinig, Michael/Möllers, Christoph, Kultur der Kumpanei, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung dated March 23, 2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/gastbeitrag-kultur-der-kumpanei-1610253.html, Status: October 17, 2012.
Plagiarism and its effects on the German Ph.D.
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First, they argue that the German legal educational system is not scientific enough. The educational emphasis is placed on resolving cases, which is in fact a very important skill for a jurist, yet does not constitute a scientific achievement. The ability to develop questions and formulate theses is neglected in the current educational system. As a consequence, they say, students are unable to develop an awareness of their own scientific accomplishments. Another problem they have identified is the number of external doctoral candidates. Those students are not integrated into any institutional research context and finance their doctorate by having a regular part-time job outside the university. According to Michael Heinig and Christoph Möllers, these doctoral candidates are often driven by the expectation of higher salaries and the improvement of their social status and prestige attached to a doctorate. Of course, this publicly expressed criticism did not go unnoticed.9 In particular, Claus-Wilhelm Canaris and Reiner Schmidt found plain words to defend the existing educational system. Unlike their colleagues they think that the case-based approach is innovative and sets the standard for scientific argumentation. They claim that one can identify a good lawyer by his ability to solve cases. Regarding the criticism of the external doctoral candidates, they argue that it demonstrates a lack of practical orientation of the others and that external candidates are one of the primary reasons for the constructive collaboration between jurisprudence and legal practice. I’m not entirely convinced by the criticism voiced and would like to comment briefly on a few points. In my view, the reproach that the current system of legal studies suffers from a lack of scholarliness is only partly true. On the one hand, most law professors usually offer seminars every semester. The general aim of these seminars is (among other things) to train students in scientific methods and to teach them how to develop questions and formulate theses. Normally, the participants must submit a written paper which does not correspond to a case study but rather to a “mini-dissertation”. Almost all Professors require Ph.D. candidates to have attended one or two seminars. Moreover, since the study reform in 2003, law students are obliged to write a thesis up to 50 pages to pass the university part of their final examination. Secondly, it should be kept in mind that most of my colleagues and I myself usually only accept candidates with high grades in the final exam. These
9 Canaris, Claus-Wilhelm/Schmidt, Reiner, Hohe Kultur, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung dated April 06, 2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/gastbeitraghohe-kultur-1624499.html, Status: October 17, 2012; Huber, Peter M./Radtke, Henning, Leistungsfähig und vorbildlich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung dated April 06, 2012, http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/gastbeitrag-leistungsfaehig-undvorbildlich-1620058.html, Status: October 17, 2012.
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candidates usually rank among the top 15 % of all law school graduates.10 In my experience, those candidates have the scientific capacity to produce acceptable work or even better. Finally, I do not support the scepticism towards the external doctorate. I agree with the view of the proponents that external doctoral candidates who do not want to become academics but rather lawyers, judges, public prosecutors, in-house lawyers, etc. are one of the reasons for the continuing high quality and effectiveness of the legal culture in Germany. On the other hand, the supervision and mentoring of internal doctoral candidates working within the university as research assistants is not necessarily more easily achieved. Often, the supervision and exchange between the internal candidate and the supervisor is limited to research colloquiums once or twice a year. In addition, it should be noted that very few of the internal doctoral candidates eventually seek an academic career, but eventually become practitioners. Probably one of the main disadvantages for external candidates is that they have less chances to talk with other candidates. In general, I think it is less a question of internal or external doctorates than a question of attitude and commitment of the respective supervisor and doctoral candidates. However, it cannot be denied that the supervision of Ph.D. candidates could be improved. I myself would suggest establishing special courses like “Introduction in Legal Research” and offering more seminars in cooperation with colleagues and practitioners. In many universities some of these seminars have a long tradition and are well attended by the students. These seminars are perfect research workshops, as well as springboards for junior researchers. Because of their importance, I would like to see the administration recognize these courses as part of the teaching assignment of the professors.
III. Reactions at the Humboldt-University – Guidelines of the Humboldt-University regarding an academic culture (culture of doctoral education and training) In the context of the public debate and in order to preserve and develop its ambitious and internationally competitive doctoral education, the Humboldt-University has recently passed the so-called “Leitlinien der Promotionskultur” (Guidelines for doctoral education and training).11 To ensure good quality of supervision, it is recommended that each doctorate will be
10
Schröder/Klopsch, HFR 2012, pp. 33 (53). Leitlinien der Promotionskultur an der Humboldt-Universität zu Berlin dated June 26, 2012, http://www.hu-berlin.de/forschung/wiss_nachw/leitlinien-promotionskultur/ view, Status: October 17, 2012. 11
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accompanied by two supervisors from whom the doctoral candidates shall receive advice on a regular basis.12 The content and form of the supervision should be set out in a binding agreement between the candidate and the supervisors and should be adjusted annually in response to the requirements of the doctoral process.13 In principle, I think that decent supervision is fundamental for the success and the quality of a doctorate. Therefore, I generally support the idea of improving supervision. However, it should be noted that every doctoral candidate needs a different form of support and supervision. Some candidates prefer to work rather independently and hardly want any interference from the supervising professor. Others need and want more support in terms of content, work methods and sometimes even personal guidance. In this respect, I welcome the fact that the wording of these provisions is sufficiently broad and flexible. Yet I remain sceptical about the effectiveness of the recommended supervision agreements. They will possibly contribute to a certain self-commitment on the part of the candidate and the supervisor. However, what will be the consequences in the case of an infringement? The doctoral student is unlikely to sue his supervisor for breach of the supervision agreement. Compliance with the terms of the agreement will ultimately depend on the commitment and attitude of the parties to the agreement. Finally, I want to highlight some of the changes concerning the correction and evaluation of doctoral theses. In addition to the written form, the thesis should also be submitted in electronic format in order to review whether a candidate has commited scientific misconduct.14 With respect to the utilisation of anti-plagiarism software, I know that the opinions in the academic community differ. Some critics think that it should be used very restrictively and only in case of suspected scientific misconduct. However, I’m rather positive about these new technical resources. I believe that it is a good possibility for self-monitoring and gives the doctoral candidates a certain level of security against the accusation of plagiarism. In fact, it should not be forgotten that plagiarism carries a high risk of social and legal consequences, as demonstrated in the case of Guttenberg. Plagiarism is a matter of copyright, and may cause civil actions for injunction or damages or, in case of intentional copyright infrigement, may even result in criminal sanctions (§ 106 UrhG). Furthermore, the doctorate can be denied because of fraudulent misrepresentation. This may even happen several years after the awarding of the doctorate, since malicious deceit is not subject to
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Leitlinien (Fn. 11), No. 6. Leitlinien (Fn. 11), No. 8 f. Leitlinien (Fn. 11), No. 12.
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the statute of limitations. Annette Schavan, for example, wrote her Ph.D. thesis about 30 years ago – yet she still might lose her doctoral degree if the investigation reveals that she has plagiarized. The next point concerns the independence of the evaluation of the dissertation and the grading. The assessment should always be done independently by at least two experts, one of whom should be external.15 Grades are still assigned in the traditional Latin form, ranging from summa cum laude (best) to rite (worst). Yet in the future, the final mark shall only be summa cum laude if all individual performances (written thesis, oral examination) are graded as summa cum laude and the written thesis is reviewed by at least three examiners.16 Two professors doing the evaluation of the thesis independently is already supposed to be the common practice in the field of law and is generally welcomed. However, it would be a case of whitewashing to allege that the second evaluation is always entirely independent from the first opinion, especially if the primary and the secondary reviewer know each other very well and sometimes even have been friends for a long time. Yet I’m not sure whether having an external supervisor will solve this problem. It will also be possible to ask a befriended professor from another university to do the assessment of the thesis. The same argumentation applies to the idea that a Ph.D. can only be awarded with summa cum laude if at least three examiners give the highest grade.
IV. Conclusion In conclusion it should be stressed that the structure for organising doctoral education has been in flux for quite a while now. Yet it cannot be denied that there are still concerns about the quality of supervision which have not been completely resolved yet and will keep us busy for some time. One last aspect that has not been mentioned so far, but in my view plays a crucial role in ensuring high quality and preventing plagiarism, is the duty of the candidates to make their theses available publicly to an academic audience by printing or equivalent forms of publication.17 Giving the general public the chance to evaluate theses creates a powerful mechanism of self-regulation by the academic community, as has been demonstrated by the Guttenberg case.
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Leitlinien (Fn. 11), No. 13. Leitlinien (Fn. 11), No. 15. 17 Cf. Promotionsordnung der Humboldt-Universität zu Berlin dated 17 February 2005, § 17, http://www.rewi.hu-berlin.de/sv/pra/, § 17, Status: October 17, 2012. 16
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It should also be noted that the cases of plagiarism which have recently been disclosed by anonymously run websites such as “VroniPlag” had occurred in the past. As a result of these disclosures and the awareness of scientific misconduct created hereby, I assume and hope that the number of cases of plagiarism has in fact decreased and will decrease further in the future.
Plagiatorische Erscheinungsformen im Arbeitnehmerurheberrecht Helmut Haberstumpf I. Einleitung Nicht immer sind die Fälle, in denen sich jemand mit fremden Federn schmückt, so spektakulär und folgenreich wie die in der letzten Zeit bekannt gewordenen Beispiele von Dissertationen prominenter Personen oder jener Vorfall, von dem Vitruv 1 berichtet: Bei einem Dichterwettstreit im Rahmen von Spielen, die König Ptolemäos zu Ehren der Bibliothek von Alexandria gestiftet hatte, gab einer der literarischen Schiedsrichter, fleißiger Besucher der Bibliothek, zum Erstaunen der Anwesenden sein Votum für den Dichter ab, dessen Vortrag dem Volk am wenigsten gefallen hatte, weil nur er ein Dichter sei, die anderen aber bloß fremde Werke vorgetragen hätten. Zum Beweis ließ er die betreffenden Bücher aus der Bibliothek herbeischaffen und zwang so die Überführten, sich des Plagiats schuldig zu bekennen. Der König befahl daher, ihnen als Dieben den Prozess zu machen, und entließ sie mit Schimpf und Schande. Einen Bereich, wo die Übernahme fremder Gedanken und Vorarbeiten gleichsam institutionalisiert und deshalb die Grenze zum unzulässigen Plagiat nicht so eindeutig zu ziehen ist, bildet das Arbeitnehmerurheberrecht. Im Rahmen dieses Beitrages soll der Frage nachgegangen werden, wann der Arbeitgeber oder Dienstherr bzw. der Vorgesetzte ein urheberrechtlich unzulässiges Plagiat begeht, wenn er von seinen weisungsabhängigen Mitarbeitern geschaffene Pflichtwerke verwertet. Wir hoffen, die richtungsweisenden Arbeiten des Jubilars zum Thema des Arbeitnehmerurheberrechts um eine kleine Nuance ergänzen zu können.
1 Reber (Übers.), DE ARCHITECTURA LIBRI DECEM, Marix-Verlag, 2004, S. 224 f.
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II. Was ist ein Plagiat und in welchen Erscheinungsformen kommt es vor? Der Begriff des Plagiats ist kein Rechtsbegriff. Er hat seinen rechtlichen Schwerpunkt im Urheberrecht. Deshalb finden sich in allen namhaften Kommentaren2 und Lehrbüchern3 Ausführungen zur Einordnung des Plagiats und seiner Erscheinungsformen in das System des Urheberrechts. Eine einheitliche Linie hat sich dabei nicht durchgesetzt. Gemeinsamer Nenner aller Definitionsvorschläge ist aber, dass mindestens eine Anmaßung der Urheberschaft vorliegt und dadurch das Urheberrecht rechtswidrig verletzt wird.4 Von diesem weit gefassten Begriff soll im Folgenden ausgegangen werden, wobei auch die Streitfrage, ob er Vorsatz erfordert, unentschieden bleibt. Davon ausgehend können zwei verschiedene Erscheinungsformen des urheberrechtlichen Plagiats unterschieden werden: 1. Jemand behauptet fälschlich, er sei Urheber oder Miturheber eines bestimmten Werkes. Wer sich so der Urheberschaft berühmt, reklamiert nicht nur für sich, Inhaber des Urheberrechts an dem betreffenden Werk zu sein, sondern auch, es geschaffen zu haben. Das negative Spiegelbild der Anmaßung ist das Bestreiten der Urheberschaft eines anderen, wenn sich aus den Umständen der Äußerung ergibt, dass der Äußernde für sich reklamiert, das in Frage stehende Werk geschaffen zu haben. 2. Jemand verwertet ein Werk unter einer falschen Urheberbezeichnung. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Verwertende dadurch stets zum Plagiator wird. Durch die Art der Namensnennung und der Werkverwertung kann nämlich im Einzelfall klargestellt sein, dass der Handelnde sich nicht die Urheberschaft anmaßt. Ähnlich liegt es bei der Verwertung eines fremden Werkes ohne Nennung dessen Urhebers. Zum Plagiat wird diese Erscheinungsform vor allem dann, wenn der Verwerter fremde Werke befugt oder unbefugt ganz oder teilweise in ein eigenes einbaut, ohne kenntlich zu machen, dass er fremdes geistiges Eigentum benutzt.
2 Z.B. Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 24 UrhG Rn. 12; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 23 UrhG Rn. 27 f.; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 23 UrhG Rn. 28 ff.; Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2. Aufl. 2009, Anh. zu §§ 23, 24 UrhG Rn. 1 ff. 3 Rehbinder, Urheberrecht, 16. Aufl. 2010, Rn. 12, 14, 217, 385, 402; Schack, Urheberund Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 282 ff.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, § 57 III; Haberstumpf, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2000, Rn. 292. 4 Näher Waiblinger, UFITA 2011/II, 323, 324 ff. mit umfangreichen Nachweisen.
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III. Zulässigkeit des Plagiats im Arbeitnehmerurheberrecht Das Arbeitnehmerurheberrecht ist durch eine Zweierbeziehung gekennzeichnet. Auf der einen Seite steht der abhängig Beschäftigte, der geschützte Werke schafft und nach dem Schöpferprinzip des § 7 UrhG Urheber ist. Auf der anderen Seite steht sein Arbeitgeber oder Dienstherr bzw. die für ihn die Weisungsbefugnis ausübenden Vorgesetzten, denen der angestellte Urheber nach Maßgabe der §§ 43, 69b UrhG Nutzungsrechte an Werken, die er in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat (Pflichtwerke), einräumen muss. 1. Anmaßung und Bestreiten fremder Urheberschaft a) Unverzichtbarkeit des Rechts nach § 13 S. 1 UrhG („Kerntheorie“) Reklamieren der Arbeitgeber oder Dienstherr bzw. die für ihn Handelnden fälschlich die Urheberschaft an Werken von Mitarbeitern für sich, dann greifen sie zweifellos in das Recht des § 13 S. 1 UrhG ein. Diese Handlung ist rechtswidrig, wenn ihr nicht ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Bietet der Inhalt oder das Wesen des bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses einen solchen Rechtfertigungsgrund? Das wäre zu bejahen, wenn aus ihm für den betroffenen Mitarbeiter eine Verpflichtung zur Einwilligung und damit zur Duldung der Urheberschaftsanmaßung resultieren würde. Die h.M.5 ist da ganz eindeutig. Das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft gemäß § 13 S. 1 UrhG wird zum unverzichtbaren Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts gezählt. Um den Urheber vor der Aufgabe dieses Rechts zu schützen, ist es unübertragbar und unverzichtbar. Ein bindender Verzicht ist daher nicht möglich, so dass er auch nicht schuldrechtlich verpflichtet sein kann, in die Anmaßung seiner Urheberschaft durch den Vorgesetzten einzuwilligen. In neuerer Zeit wird jedoch die Lehre vom unverzichtbaren Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts als nicht mehr zeitgerecht in Zweifel gezogen. Vor dem Hintergrund eines liberalen Grundrechtsverständnisses sei es nicht einleuchtend, warum der Urheber gegen seinen Willen vor sich selbst geschützt werden müsse.6 Wenn man auch geneigt ist, dieser großzügigeren Haltung im Grundsatz zuzustimmen, hilft sie für die diskutierte Problematik nicht weiter, weil sie sofort die Vorfrage aufwirft, ob ein Arbeitnehmerurheber 5 Wandtke/Bullinger, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 88; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), Vor §§ 12 ff. UrhG Rn. 27 f.; Dreier/Schulze, (Fn. 2), Vor § 12 UrhG Rn. 12; Haberstumpf in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 2. Aufl. 2011, Vor §§ 12 ff. UrhG Rn. 6; Dreyer/Kotthoff/Meckel, (Fn. 2), Vor §§ 12 ff. UrhG Rn. 6. 6 Vor allem Obergfell Zeitschrift für geistiges Eigentum (ZGE) 2011, 202 ff.
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mit der Übernahme von urheberrechtlich relevanten Pflichten sich willentlich und damit rechtsverbindlich verpflichtet, die fälschliche Anmaßung der Urheberschaft durch Vorgesetzte zu dulden. Gerade das aber erscheint sehr zweifelhaft, auch wenn man nicht auf die Kerntheorie zurückgreift. Zum einen dürfte es schwerfallen, dem angestellten Urheber generell den Vertragswillen zu unterstellen, sein Interesse, sich innerhalb und außerhalb seiner betrieblichen Organisation als kreativer Geist empfehlen zu können, zugunsten von Karriereinteressen vorgesetzter Personen zurückzustellen. Zum anderen verpflichtet das Arbeitnehmerurheberrecht den abhängig Tätigen nicht, sämtliche Rechte an seinem Arbeitsergebnis zugunsten des Arbeitgebers oder Dienstherrn aufzugeben, sondern nur in dem Umfang, wie dieser sie zur betrieblichen oder behördlichen Nutzung braucht. Und dazu scheint es nicht erforderlich zu sein, bestimmten Personen innerhalb der Betriebsorganisation das Recht zu geben, über die Urheberschaft an dem in Frage stehenden Werk die Unwahrheit zu sagen. Diese Interessenlage besteht auch bei der Verwertung von Computerprogrammen angestellter Programmierer. Um dies zu rechtfertigen, bedarf es daher besonders triftiger Gründe. b) Vorrang des Arbeitsrechts? In einigen Diskussionsbeiträgen zu diesem Thema wird die Problematik in das Arbeitsrecht verschoben und darauf hingewiesen, dass das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft durch den arbeitsrechtlichen Anspruch, dem Mitarbeiter seine erbrachten kreativen Leistungen innerbetrieblich im Rahmen der dienstlichen Beurteilung zuzurechnen, verdrängt wird. Denn es könne nicht sein, dass einer Klage des Urhebers auf Feststellung seiner Urheberschaft oder auf Unterlassung der Urheberschaftsberühmung desjenigen, dem diese Berühmung im Arbeitsvertrag gestattet ist, stattzugeben sei.7 Mit dieser Argumentation haben wir einen Zirkelschluss vor uns, weil sie als gegeben voraussetzt, dass der angestellte Urheber seinen Vorgesetzten gestattet, über ihn etwas Falsches zu behaupten und damit sein Recht nach § 13 S. 1 UrhG zu verletzen. Die entscheidende und nicht beantwortete Frage ist aber, ob diese als Prämisse gesetzte Annahme zutreffend ist. Wenn es für sie keine überzeugenden Gründe gibt, dann wird der Argumentation ihre Grundlage entzogen mit der Folge, dass der gegebene arbeitsrechtliche Anspruch auf eine zutreffende dienstliche Beurteilung nicht das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft ersetzt, sondern ihm zur Seite tritt.8
7 So Zöllner in Forkel/Kraft (Hrsg.), Festschrift für Heinrich Hubmann zum 70. Geburtstag, 1985, S. 523, 536 f.; ebenso Rojahn in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 78. 8 Dass beide Rechtsinstitute sich gegenseitig ergänzen, gilt generell; vgl. Schacht, Die Einschränkungen des Urheberpersönlichkeitsrechts im Arbeitsverhältnis, 2004, S. 61 ff.,
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c) Der angestellte Urheber als Ghostwriter Von diesen Versuchen abgesehen, die Einschränkung des Rechts nach § 13 S. 1 UrhG im Arbeitnehmerurheberrecht zu begründen, ist demgegenüber der Hinweis auf die grundsätzliche Zulässigkeit von sog. Ghostwriter-Abreden eine gewisse Plausibilität nicht abzusprechen. Ghostwriter kommen nämlich in Unternehmen und im staatlichen Bereich in allen Varianten vor. Sie bereiten die Geschäftskorrespondenz vor, fertigen Planungsunterlagen und Entwürfe für Geschäftsberichte, schreiben Artikel für Unternehmenszeitungen usw.9 Auf ihre Tätigkeit kann nicht verzichtet werden. Wesensmerkmal des Ghostwriterwerkes ist die Zuordnung des Werkes an einen anderen. Dies erfordert in rechtlicher Hinsicht, • dass der Ghostwriter einer anderen Person gestattet, sich unter seinem Namen als Autor des Werkes zu bezeichnen, • dass er sich verpflichtet, den Abwehranspruch nach § 13 S. 1 UrhG nicht geltend zu machen und • dass er sich verpflichtet, seine wahre Urheberschaft geheim zu halten.10 Beim freiberuflichen Ghostwriter erfolgt diese Ghostwriterabrede in einem Vertrag. Solche Verträge werden bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB für zulässig angesehen.11 Geht man von dieser Rechtslage aus, dann dürfte es auch grundsätzlich zulässig sein, wenn ein Mitarbeiter und ein Vorgesetzter eine solche Abrede ausdrücklich vereinbaren, wie es in einem kürzlich ergangenen Urteil des OLG Frankfurt mit dem Stichwort „betriebswirtschaftlicher Aufsatz“12 entschieden wurde. Im Normalfall des Mitarbeiters, der verpflichtet ist, seinen Vorgesetzten zuzuarbeiten, fehlen jedoch solche expliziten Abreden. Es ist also zu fragen, ob aus dem Wesen oder Inhalt des Arbeits- oder Dienstverhältnisses eine solche Einschränkung seiner Befugnisse ableitbar ist. Dabei stehen der Gestattung der Verwendung eines fremden Namens keine unüberwindlichen dogmatischen Hindernisse entgegen. Denn auch der angestellte Urheber hat nach § 13 S. 2 UrhG das Recht zu bestimmen, welche Urheberbezeichnung für das Werk zu verwenden ist. Über dieses Recht kann er verfügen, so dass er rechtlich in der Lage
171; Wandtke GRUR 1992, 139 ff.; v.Olenhusen ZUM 2010, 474, 480; Fintel ZUM 2010, 483, 485. 9 Leuze, Urheberrechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, 3. Aufl. 2008, S. 90 f. 10 Eingehend Stolz, Der Ghostwriter im deutschen Recht, 1971, S. 16 ff.; vgl. auch Groh GRUR 2012, 870, 871. 11 OLG Frankfurt GRUR 2010, 221, 222 f. – betriebswirtschaftlicher Aufsatz; Wandtke/ Bullinger, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 22; Dietz/Peukert in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 9; Dustmann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 13 UrhG Rn. 19; Dreyer/Kotthoff/Meckel, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 11, 32, 41. 12 OLG Frankfurt GRUR 2010, 221 ff. Ablehnend Leuze GRUR 2010, 307 ff.
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ist, einem anderen zu gestatten, seinen Namen zu verwenden bzw. den Namen des wahren Urhebers zu unterdrücken (vgl. § 39 Abs. 1 UrhG). Problematischer sind dagegen der Verzicht auf die Geltendmachung der Abwehrrechte nach § 13 S. 1 UrhG und die Verpflichtung zur Geheimhaltung der eigenen Urheberschaft. Wie bereits betont, erfordert die betriebliche oder behördliche Verwendung auch von sog. Ghostwriterwerken im Normalfall nicht, dass Inhaber von Unternehmen, Vorstände, Geschäftsführer, Behördenleiter oder allgemein Vorgesetzte über die geistige Zuordnung von im Betrieb entstandenen Werken die Unwahrheit sagen und der angestellte Urheber lügen muss. Denn diese Personen sind ja ebenfalls kraft Vertrages oder Gesetzes verpflichtet, die Interessen der Organisation, der sie angehören, zu fördern. Wenn sie als Teil dieser Organisation auftreten, etwa die Ausarbeitungen ihrer Mitarbeiter durch ihre Unterschrift signieren oder sie in einem persönlichen Vortrag verwenden, dann verfolgen sie keine eigennützigen Interessen, sondern sind ebenfalls in Erfüllung der Pflichten tätig, die sich aus ihrer Stellung in der Organisation ergeben. Durch Verwendung kreativer Arbeiten der Mitarbeiter in dieser Weise maßen sie sich deshalb nicht die Urheberschaft an.13 Sie lügen nicht, sondern bringen nur zum Ausdruck, dass sie die Verantwortung für deren Inhalt übernehmen. Das ist auch für politische Reden und Texte, die auf Vorlagen von dafür engagierten Redenschreibern oder Verfassern basieren, anzunehmen, vor allem weil allgemein bekannt ist, dass Parlamentarier und Minister nicht ausreichend Zeit haben, ihre Reden und Verlautbarungen eigenhändig zu verfassen.14 Vorgesetzte haben ferner auf Grund ihrer Stellung in der Organisation auch Fürsorgepflichten gegenüber untergebenen Mitarbeitern und dürfen deshalb deren berufliches Fortkommen und Reputation innerhalb und außerhalb der Organisation nicht durch falsche Behauptungen schmälern.15 Maßt sich also ein Vorgesetzter fälschlich die Urheberschaft an und bestreitet damit gleichzeitig die des Mitarbeiters, dann verletzt er somit nicht nur die Fürsorgepflicht, sondern entfernt sich auch aus der betrieblichen Sphäre und handelt eigennützig zur Steigerung seiner persönlichen Reputation. Das Arbeits- oder Dienstverhältnis kann dafür keine Rechtfertigung abgeben, sondern allenfalls ein gesondert abzuschließender Vertrag. Ein Beispiel, an dem diese Fallgestaltung gut demonstriert werden kann, bietet der schon erwähnte Fall „betriebswirtschaftlicher Aufsatz“.16 Der dortige Kläger war Leiter des Researchteams einer Aktiengesellschaft. Dieses hatte eine Marktstudie durchgeführt, die von der AG publiziert wurde. Einige
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Vgl. Rojahn in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 80. Vgl. Schacht, (Fn. 8), S. 170 ff. Dazu eingehend Leuze, (Fn. 9), S. 93 f. OLG Frankfurt GRUR 2010, 221 – betriebswirtschaftlicher Aufsatz.
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Zeit später trat der Beklagte, Mitglied des Vorstands und Leiter des Geschäftsbereichs, dem das Researchteam angehörte, an den Kläger wegen der Abfassung eines Artikels auf der Grundlage der Studie heran. Nach Ablieferung wurde der Artikel des Klägers mit ganz geringfügigen Änderungen in einer externen Zeitschrift unter dem Namen des Beklagten veröffentlicht. In der ersten Fußnote wurde der Kläger mit einer Danksagung erwähnt. Der Beklagte, der gleichzeitig Honorarprofessor war, nahm diesen Aufsatz in seine Veröffentlichungsliste auf. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Kläger aufgrund seines Anstellungsvertrages zur Abfassung von Zeitschriftenartikeln für seinen unmittelbaren Vorgesetzten verpflichtet gewesen wäre, dann verlässt jedenfalls die Veröffentlichung des Artikels in einer betriebsexternen Zeitschrift die betriebliche Sphäre und ist der privaten Nebentätigkeit des Vorgesetzten zuzuordnen. Um zu einer urheberrechtlichen Zulässigkeit des Vorgehens des Beklagten zu kommen, bedurfte es somit einer expliziten Ghostwriterabrede, die allerdings nach den Feststellungen des OLG Frankfurt in diesem Fall auch tatsächlich getroffen wurde.17 Eine Ausnahme könnte man allenfalls dort annehmen, wo der angestellte Ghostwriter für ein Unternehmen arbeitet, das für gestresste Studenten, Diplomanden, Doktoranden und Managern Hausarbeiten, Abschluss- und Doktorarbeiten verfasst. Das kann aber wirklich nur die Ausnahme bilden. So sind beispielsweise die Angehörigen der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages verpflichtet, Ausarbeitungen zu verfassen und andere Informationsangebote zu erarbeiten, um u.a. die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Da aber die Bundestagsverwaltung betont, dass solche Ausarbeitungen nicht die Auffassung des Bundestages oder eines seiner Organe wiedergeben, sondern in der fachlichen Verantwortung ihrer Verfasser liegen, auch wenn sie später mit Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag veröffentlicht und verbreitet werden, wird für diesen markanten Fall der beamteten Ghostwritertätigkeit klar zum Ausdruck gebracht, dass von einem Verzicht der Urheber auf das Recht nach § 13 S. 1 UrhG keine Rede sein kann. Für die behandelten Fallgruppen ist also festzuhalten, dass ohne eine gesonderte Ghostwriterabrede auch ein Mitarbeiter, der zu Ghostwritertätigkeiten verpflichtet ist, die fälschliche Anmaßung der Urheberschaft nicht dulden muss.
17 Eine andere Frage ist, ob eine solche Abrede gem. § 138 BGB unwirksam ist; dazu ausführlich Leuze GRUR 2010, 307 ff.
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2. Verwertung von Pflichtwerken unter einem anderen Namen oder unter Unterdrückung des Namens des angestellten Urhebers (§ 13 S. 2 UrhG) a) Verwertung eines Pflichtwerkes unter einem anderen Namen Eine andere rechtliche Situation ist gegeben, wenn der Arbeitgeber oder Dienstherr ein Pflichtwerk unter einem anderen Namen verwertet. Die Zueignung des geistigen Inhalts des Werkes an sich ist nämlich nicht rechtswidrig, weil der Arbeitgeber oder Dienstherr die zur Auswertung des Werkes erforderlichen Nutzungsrechte besitzt. Erfolgt die Verwertung im Rahmen des Betriebszwecks oder des amtlichen Zwecks, erscheint das Werk auch nicht als Ergebnis des Schaffens einer einzelnen Person, sondern als Leistungsergebnis des Unternehmens oder der Behörde, so dass im Normalfall eine fälschliche Anmaßung durch die im Zusammenhang mit der Verwertung genannten Personen nicht vorliegt. Hier geht es somit vordringlich um das Namensnennungsrecht des § 13 S. 2 UrhG. Anders als das Recht aus § 13 S. 1 UrhG zählt die herrschende Lehre18 das Namensnennungsrecht nicht zum unverzichtbaren Kern des Urheberpersönlichkeitsrechts, so dass der Urheber über es verfügen und auf es verzichten kann. Die Frage, die sich jetzt stellt, geht dahin, ob und wann der Inhalt oder das Wesen des Angestelltenverhältnisses es erfordert, dass der abhängig tätige Urheber die Nennung eines anderen Namens bei der zulässigen Verwertung seines Werkes dulden muss, ohne dass eine Anmaßung seiner Urheberschaft stattfindet. Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Entscheidend sind wie üblich die Umstände des Einzelfalles. Da auch der angestellte Urheber nicht verpflichtet ist, sämtliche Rechte an einem Pflichtwerk zugunsten des Arbeitgebers oder Dienstherrn aufzugeben, kommt es auch hier darauf an, ob die angemessene Auswertung seines Arbeitsergebnisses die Duldung der Verwendung eines fremden Namens unbedingt erfordert. Deshalb kann eine Verfügung über dieses Recht oder ein Verzicht auf es nur dann angenommen werden, wenn die Nennung des wahren Urhebers der angemessenen wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes entgegensteht oder sie spürbar schmälert.19 Ist der Mitarbeiter z.B. verpflichtet, Werke zu verfassen, die in seinem Unternehmen unter einem bestimmten Verlagspseudonym veröffentlicht werden, dann wird er das hinnehmen müssen. Ebenso zu beurteilen ist, wenn sich z.B. der Name des Firmengründers zu einem Markenzeichen entwickelt hat, unter dem die Produkte des Unternehmens erfolgreich vermarktet wer-
18 Wandtke/Bullinger, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 24; Dreier/Schulze, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 25 ff.; Peukert/Dietz in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 22 ff.; Dreyer/ Kotthoff/Meckel, (Fn. 2), § 13 UrhG Rn. 29 ff. 19 Vgl. Schacht, (Fn. 8), S. 159 ff.
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den. Der Mitarbeiter, der im Rahmen eines solchen Unternehmens künstlerische Produkte zu entwickeln hat, wird es dulden müssen, dass der Name des Firmeninhabers bei der Vermarktung verwendet wird. Dies entspricht der Übung, dass bei künstlerischen Industrie-Erzeugnissen die Produkte regelmäßig nur mit dem Namen des Herstellerunternehmens gekennzeichnet werden.20 b) Pflicht zur Angabe des Namens des angestellten Urhebers Eine wieder andere Frage ist es dagegen, ob der Arbeitgeber oder Dienstherr gehalten ist, bei der Vermarktung von Werken seiner Mitarbeiter diese als Urheber auf den Werkstücken oder in der Werbung zu nennen. Diese Frage betrifft nicht die Verwendung eines anderen Namens, sondern die Frage, ob und wann eine Unterdrückung der Urheberbezeichnung aus dem Wesen oder Inhalt des Arbeits- oder Dienstverhältnisses gerechtfertigt ist. In der Literatur wird hier gelegentlich eine großzügige Haltung eingenommen und insbesondere aus bestehenden Branchenübungen ein weitgehender Verzicht auf das Namensnennungsrecht abgeleitet. Dem ist zu widersprechen. In Branchenübungen können sich nämlich Unsitten eingeschlichen haben.21 Gegen die Annahme eines weitgehenden Verzichts spricht die Interessenlage, die aus Fürsorgegesichtspunkten grundsätzlich die Rücksichtnahme auf die Urheberehre und das berufliche Fortkommen von Mitarbeitern gebietet. Auch hier ist deshalb maßgebend, ob die Nennung des Urhebers aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen einer wirtschaftlichen Verwertung des Pflichtwerkes entgegen steht. Letztlich entscheidet eine Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall. Einen Verzicht auf die Namensnennung wird man z.B. annehmen können, wenn zu Pflichtwerken wie im Fall der Entwicklung umfangreicher Computerprogramme eine Vielzahl von Personen Beiträge geleistet hat, deren Abgrenzung und urheberrechtliche Beurteilung auf Schwierigkeiten stößt. Alle Mitarbeiter zu nennen, kann die Verwertung beeinträchtigen, und nur einzelne herauszugreifen, kann zu Unruhe unter den Mitarbeitern führen und dem Betriebsfrieden abträglich sein. Von dieser Produktentwicklung in großen Teams abgesehen, kann aber in den Normalfällen dem Interesse der Mitarbeiter, als Urheber bezeichnet werden, in der Regel auch im Fall der Verwertung von Computerprogrammen 22 entsprochen werden, ohne dass eine Schmälerung der Verwertungsmöglichkeiten und Absatzchancen zu befürchten ist.
20
Rojahn in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 82. Schacht, (Fn. 8), S. 155 f. 22 Vgl. OLG Hamm GRUR-RR 2008, 154, 155 – Copyrightvermerk; ebenso Leuze GRUR 2006, 552, 558; Wandtke/Bullinger, (Fn. 2), 43 UrhG Rn. 94. A.A Wandtke/Bullinger/Grützmacher, § 69b UrhG Rn. 41. 21
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Daraus folgt z.B., dass im Hochschulbereich nicht von einem stillschweigenden Verzicht auf Namensnennung durch wissenschaftliche Mitarbeiter auszugehen ist, die auf Weisung ihres Lehrstuhlinhabers schöpferische Beiträge zu Werken leisten.23 Ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung des Nennungsrechts kann im Bereich des Kunstgewerbes oder serienmäßig hergestellter Gebrauchsgegenstände oder in der Werbebranche dagegen angenommen werden, bei denen die Anbringung auf den einzelnen Produkten aus technischen Gründen erschwert, unmöglich ist oder nur unter besonderen wirtschaftlichen Aufwendungen erreicht werden kann. Ausnahmen werden allerdings für diejenigen Künstler gemacht, die sich zumindest in Fachkreisen einen Namen gemacht haben.24 Im Rundfunk- und Fernsehbereich ist tarifvertraglich geregelt, dass die Nennung der Urheber und sonstiger Mitwirkender erfolgen soll, wenn dies rundfunküblich ist. Hier haben sich einheitliche Übungen entwickelt, die z.B. die Nennung von Nachrichtensprechern, Korrespondenten, Kommentatoren, Verfassern von Beiträgen, Drehbüchern, Regisseuren usw. vorsehen. Ebenso im Filmbereich.25 Im Pressebereich gibt es dagegen keine einheitlichen Übungen. Die Tendenz geht aber dahin, bei Textbeiträgen, Zeichnungen, Karikaturen und Fotografien die Namen der Urheber anzugeben. Handelt es sich dagegen um rein informelle Nachrichtentexte, wird dagegen deren Autor weitgehend verschwiegen.26 Zusammenfassend ist für diese Fallgestaltungen zu betonen, dass zwar bei der Verwertung von Pflichtwerken durch den Arbeitgeber oder Dienstherrn das Namensnennungsrecht von abhängig Tätigen in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt sein kann. Hierbei ist allerdings Zurückhaltung geboten. Erschwert die Nennung des Urhebers bei bestimmten Verwertungsformen die wirtschaftliche Auswertung des Werkes, muss dies bei anderen Verwertungsformen nicht der Fall sein, so dass hier das Recht des § 13 S. 2 UrhG zu beachten ist.27 Auf keinen Fall darf aber die Angabe eines anderen Namens oder die Unterdrückung des Namens des wahren Urhebers den falschen Eindruck erwecken, dass eine mit dem Urheber nicht identische natürliche Person das Werk eigenhändig geschaffen hat. Dies würde nämlich eine rechts-
23 So nachdrücklich Leuze, (Fn. 9), S. 147 ff.; ders. GRUR 2006, 552, 555 f.; Wandtke/ Bullinger, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 90. 24 Rojahn in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 82. 25 Wandtke/Bullinger, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 96; Rojahn in Schricker/Loewenheim, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 82. 26 Wandtke/Bullinger, (Fn. 2), § 43 UrhG Rn. 97. 27 Schacht, (Fn. 8), S. 179.
Plagiatorische Erscheinungsformen im Arbeitnehmerurheberrecht
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widrige Anmaßung eigener Urheberschaft und das Bestreiten der Urheberschaft des wahren Schöpfers bedeuten. Dies kann ohne eine gesonderte Vereinbarung, wie bereits gesagt, auch vom angestellten Urheber gemäß § 13 S. 1 UrhG stets abgewehrt werden.
Open Access – Enteignung des Urhebers oder wissenschaftliche Notwendigkeit? Claudia Ohst
Das Schlagwort „Open Access“ im Urheberrecht beschäftigt seit mehreren Jahren die Rechtspolitik. Schon bei der Definition des Begriffs gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Open Access, wie es hier verstanden sein soll, meint nach der Budapester Open-Access-Initiative, „dass [= Peer-ReviewFachliteratur] kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich sein sollte, sodass Interessenten die Volltexte lesen, herunterladen, kopieren, verteilen, drucken, in ihnen suchen, auf sie verweisen und sie auch sonst auf jede denkbare legale Weise benutzen können, ohne finanzielle, gesetzliche oder technische Barrieren jenseits von denen, die mit dem Internet-Zugang selbst verbunden sind. In allen Fragen des Wiederabdrucks und der Verteilung und in allen Fragen des Copyrights überhaupt sollte die einzige Einschränkung darin bestehen, den Autoren Kontrolle über ihre Arbeit zu belassen und deren Recht zu sichern, dass ihre Arbeit angemessen anerkannt und zitiert wird.“1
I. Der Goldene und der Grüne Weg im Urheberrecht Im Wesentlichen werden unter dem Schlagwort „Open Access“ zwei Strategien verfolgt: Als „Goldener Weg“ werden Erstveröffentlichungen wissenschaftlicher Artikel in Open-Access-Zeitschriften bezeichnet. Finanziert werden diese Zeitschriften durch Publikationsgebühren – „author pays“, institutionelle Mitgliedschaften sowie kombinierte Modelle. Die Zahl der Open-Access-Zeitschriften steigt stetig: Das Directory of Open Access Journals (DOAJ) verzeichnet in Deutschland derzeit 256 qualitätsgeprüfte Zeitschriften.2 Unter dem „Grünen Weg“ wird die Archivierung und Bereitstellung wissenschaftlicher Dokumente parallel zu geplanten oder schon vorhandenen Printveröffentlichungen auf Dokumentenservern (Repositorien) verstanden.
1
http://www.soros.org/openaccess/boai-10-translations/german-translation. http://www.doaj.org/doaj?func=journalsByCountry&cId=73&year=2012&ui Language=en (Stand Oktober 2012). 2
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Claudia Ohst
Solche Dokumentenserver werden von einzelnen Institutionen (z.B. Universitäten oder Akademien) oder als disziplinäre Server institutionsübergreifend eingerichtet und betrieben.3 Der Grüne Weg ist mit der Regelung des § 38 UrhG vergleichbar. Als Zweifelsregelung formuliert, gibt er dem Verleger bei Aufnahme eines Werkes in eine periodisch erscheinende Sammlung mit Gestattung des Urhebers für ein Jahr ein ausschließliches Recht; ein Jahr nach Erscheinen darf der Urheber dann das Werk anderweitig vervielfältigen und verbreiten. Der Wortlaut stellt dabei zwar nur auf das Vervielfältigen und Verbreiten ab, teilweise wird jedoch vertreten, dass § 38 UrhG analog 4 auch für die öffentliche Zugänglichmachung gilt oder zumindest bei der Auslegung von Verträgen herangezogen5 werden kann.6 Die Zweifelsregelung kommt allerdings in der Praxis nicht oft zur Anwendung, da ausdrückliche Vereinbarungen geschlossen werden, die den Zweifel nicht aufkommen lassen (sollen). Deshalb wurde schon mehrfach (in verschiedenen Varianten) gefordert, § 38 UrhG nicht als Zweifels-, sondern als zwingende Regelung auszugestalten7, was jedoch europarechtlichen Bedenken im Hinblick auf die abschließende Regelung des Schrankenkatalogs der Informationsrichtlinie 2001/29/EG begegnet 8 und auf dem globalen Wissenschaftsmarkt auch nur als internationale Lösung erfolgversprechend wäre.9 Mit Hilfe der SHERPA/ROMEO-Liste kann aber rein praktisch (natürlich nicht rechtsverbindlich) recherchiert werden, welche Verlage die Selbstarchivierung wissenschaftlicher Publikationen regelmäßig gestatten.10
3
Das Directory of Open Access Repositories (OpenDOAR) bietet eine Auflistung aller weltweit existierenden Dokumentenserver; hier sind mehr als 2.000 Repositorien registriert (Stand Oktober 2012). 4 Ehmann/Fischer GRUR Int. 2008, 284, 288; Schricker/Schricker/Peukert § 38 Rn. 10a. 5 Dreier/Schuler/Schulze § 38 Rn. 11. 6 Dagegen Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 38 Rn. 6; Heckmann/Weber GRUR Int. 2006, 995, 996. 7 BR-Drucks. 514/12 (Beschluss); BT-Drucks. 17/5479; BT-Drucks. 17/5053; BT-Drucks. 17/7031; BT-Drucks. 17/7864; Hansen, GRUR Int. 2005, 378, 386 f.; Hansen GRUR Int. 2009, 799; Hilty, GRUR 2009, 633; Ehmann/Fischer GRUR Int. 2008, 284, 293; Heckmann/Weber GRUR Int. 2006, 995, 997 ff.; Pflüger ZUM 2010, 938, 941. 8 Hirschfelder MMR 2009, 444, 447. 9 So Hilty GRUR 2009, 633, 638; Der Bundestag bat jedoch auch um die Prüfung eines Zweitverwertungsrechts für Urheber von wissenschaftlichen Beiträgen, die überwiegend im Rahmen einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Lehr- und Forschungstätigkeit entstanden sind (§ 38 UrhG), unter Einbeziehung eines internationalen Vergleichs (BT-Drucks. 16/5939, 3). 10 http://open-access.net/de/allgemeines/rechtsfragen/sherparomeo_liste/.
Open Access – Enteignung des Urhebers oder wissenschaftliche Notwendigkeit?
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II. Die Interessenlage Die Interessenlage beim Open Access ist mannigfaltig. Die Verlage argumentieren beispielsweise, dass, auch wenn die Wissenschaftler heutzutage vielfach bereits die PDFs selbst an den Verlag liefern, sie dennoch die Tätigkeiten der Vorphase (Sichten, Bewerten, Ordnen), das Verbreiten und Sichtbarmachen und – neu – die Metadatenanreicherung übernähmen. Außerdem würde Open Access dazu führen, dass ein Leistungsschutzrecht für Verlage (nicht nur für Presseverlage) eingeführt werden müsste.11 Bei den Wissenschaftlern spaltet sich die Gemeinde im Wesentlichen in zwei Lager. Die Wissenschaftler, die sich für Open Access einsetzen und vor allem für den Goldenen Weg12 plädieren, gehen von der wissenschaftlichen Notwendigkeit einer Veröffentlichung aus, d.h. dass alle Wissenschaftler die Pflicht haben, ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit bekannt zu geben.13 Diese Forderung geht so weit, dass es heißt: „sofort, jederzeit, überall und kostenlos“.14 Die Vorteile von Open Access liegen eigentlich auf der Hand: kostenloser Zugang zu wissenschaftlicher Information, erhöhte Sichtbarkeit und Zitierhäufigkeit von Publikationen, Internationalisierung der Wissenschaft, um nur einige zu nennen. Das andere Lager der Wissenschaftler befürchtet hingegen eine Abschaffung des Urheberrechts, eine Enteignung des Urhebers und Qualitätsverlust in der Wissenschaft. Vielfach wird sich für die klassische Printpublikation ausgesprochen, da diese besser geprüft und weniger fehleranfällig sei. Außerdem beziehen sich die Reputationsmärkte fast ausschließlich noch immer auf den Bereich der Printpublikationen.15 Im Heidelberger Appell16 wenden sich daher Wissenschaftler, aber auch nicht-wissenschaftliche Autoren gegen Open Access.
III. Neue Entwicklungen in Europa Der Goldene Weg soll künftig in Großbritannien gefördert werden. Innerhalb von zwei Jahren sollen die aus der öffentlich finanzierten Forschung hervorgegangenen Publikationen für jedermann frei zugänglich und das wis-
11
Vgl. nur ausführlich v. Lucius, Debatte (Hrsg. BBAW), Heft 7/2008, 25, 26 f. Vgl. Großmann Gegenworte Heft 21/2009, 78. 13 Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen (http://www.allianzinitiative.de/ de/handlungsfelder/open_access/); Berliner Erklärung (http://oa.mpg.de/lang/de/berlinprozess/berliner-erklarung/); Gemeinsame Erklärung der Wissenschaftsorganisationen: Open Access und Urheberrecht: Kein Eingriff in die Publikationsfreiheit vom 25. März 2009. 14 Grötschel Gegenworte Heft 8/2001, 9. 15 Vgl. Reuß Gegenworte Heft 21/2009, 58 ff.; vgl. zu weiteren Problemen auch Sietmann c’t Heft 14/2009, 154, 158. 16 Heidelberger Appell (http://www.textkritik.de/urheberrecht/). 12
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senschaftliche Publikationswesen vom System „subscriber pays“ auf „author pays“ umgestellt sein.17 Das Modell „author pays“ geht davon aus, dass die Kosten der kommerziellen Verlage für das Begutachten, die Publikation, die Bearbeitung und Veröffentlichung im Netz von den Forschungseinrichtungen zu tragen sind. Die Forschungseinrichtungen verwenden hierfür das Geld, das sie durch die Kündigung der traditionellen Zeitschriftenabonnements aus den Etats der Bibliotheken sparen, denn die Zeitschriften werden ihnen ja dann kostenfrei zur Verfügung stehen.18 Rein finanziell kann es dadurch sogar zu Einsparungen bei den Universitäten kommen.19 Auch die EU-Kommission scheint in diese Richtung zu gehen.20 Ab 2014 müssen Autoren alle Artikel, die im Rahmen des Programms „Horizont 2020“ bzw. durch dessen Mittel zustande gekommen sind, entweder „Golden“ oder „Grün“ veröffentlichen, wobei beim Grünen Weg eine „Embargo Period“ von sechs Monaten (zwölf Monate im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften21) gilt. Die Kommission hat ferner den Mitgliedstaaten empfohlen, ähnlich vorzugehen, so dass bis 2016 von den veröffentlichten Ergebnissen der in Europa öffentlich geförderten Forschung 60% frei zugänglich sein sollen.
IV. Auswirkungen auf Deutschland Ungeklärt bei der britischen Lösung ist u.a. jedoch die Beteiligung ausländischer Autoren und deren Vergütung. Lt. Finch-Report 22 beruhten 46 Prozent der Publikationen britischer Wissenschaftsverlage in 2010 auf einer internationalen Zusammenarbeit, so dass in vielen Fällen unklar sein wird, wie zu vergüten ist, wenn die nicht-britischen Rechteinhaber dem Modell nicht positiv gegenüberstehen. 17 http://news.bis.gov.uk/Press-Releases/Government-to-open-up-publicly-fundedresearch-67d1d.aspx. 18 Dieses Modell wurde unter der Leitung der Soziologieprofessorin Janet Finch von der Universität Manchester unter Mitarbeit von Vertretern der Verlage, Bibliotheken und wissenschaftlichen Vereinigungen entwickelt und im sog. Finch-Report (Accessibility, sustainability, excellence: how to expand access to research publications Report of the Working Group on Expanding Access to Published Research Findings, http://www.researchinfonet. org/wp-content/uploads/2012/06/Finch-Group-report-FINAL-VERSION.pdf.) vorgestellt. 19 http://www.guardian.co.uk/science/2012/jul/15/free-access-british-scientific-research. 20 European Commission, Scientific data: open access to research results will boost Europe’s innovation capacity, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-12-790_en.htm. 21 Der Unterschied in der Sperrfrist erklärt sich dadurch, dass es in den Geistes- und Sozialwissenschaften für die Verlage länger dauert, die Kostendeckung zu erreichen, als in den anderen Wissenschaften (European Commission, Open access to scientific data – Communication and Recommendation – background, MEMO/12/565 vom 17. Juni 2012.). 22 Siehe Fn. 18.
Open Access – Enteignung des Urhebers oder wissenschaftliche Notwendigkeit?
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Der Gedanke des britischen und europäischen Weges ist, dass in der öffentlich geförderten Forschung die gesamte Kette der Wissensverwertung, von der Informationsbeschaffung über die erste Lektüre und die ersten Laborversuche bis hin zum Kauf der mit öffentlichen Mitteln erstellten Publikationen, letztlich vom Steuerzahler finanziert wird.23 Der Bürger bezahlt quasi bereits durch seine Steuern die Forschung, und das sogar dreifach, denn die Grundausstattung der Hochschulen, die Personalkosten der Wissenschaftler und auch die Druckkostenzuschüsse werden öffentlich finanziert.24 Entsprechend müssten die Ergebnisse der Forschung für jedermann sofort verfügbar sein. Urheberrechtlich stellt sich dabei nach § 12 Abs. 1 UrhG, Art. 5 Abs. 3 GG die Frage, ob ein Arbeitnehmer einer Forschungseinrichtung sich dem Open Access verschließen und auf einer Printpublikation oder gar Nicht-Publikation bestehen könnte. 1. Pflichtwerke Gemäß § 43 UrhG kann sich der Erwerb der Nutzungsrechte durch den Arbeitgeber aus der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsaufgabe ergeben, wenn diese das Schaffen urheberrechtlich relevanter Werke zum Inhalt hat.25 Bei Professoren, gleich ob hauptamtlich, Junior-, Honorar- oder Gastprofessor, die nicht dem Weisungsrecht der Universität unterliegen, handelt es sich aber um freie Werke.26 Bei wissenschaftlichen Mitarbeitern sieht das anders aus; bei einer z.B. institutionseigenen Publikationsreihe für die erarbeiteten wissenschaftlichen Werke werden die hier geschriebenen Artikel zu den Pflichtwerken gehören, deren Nutzungsrechte dem Arbeitgeber zustehen.27 Das gilt für universitäre und außeruniversitäre wissenschaftliche Mitarbeiter gleichermaßen.28 Auch § 40 UrhG wird hier regelmäßig ausgeschaltet 29, sodass auch keine schriftliche Vereinbarung erforderlich ist. In den Fällen der Pflichtwerke werden die Nutzungsrechte daher den Universitäten, Akademien und Institutionen bzw. den Dienstherren zustehen. Auch § 12 Abs. 1 UrhG, der Ausgangspunkt der Überlegungen, dürfte bei den Pflichtwerken in der Regel durch den Arbeitsvertrag geklärt sein. Es wird allgemein – ohne speziell auf den Wissenschaftsbetrieb abzustellen – 23 Vgl. Gemeinsame Erklärung der Wissenschaftsorganisationen: Open Access und Urheberrecht: Kein Eingriff in die Publikationsfreiheit vom 25. März 2009. 24 Vgl. Pflüger/Ertmann ZUM 2004, 436, 439. 25 Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 46. 26 Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 40; Dreier/Schulze/Dreier § 43 Rn. 12; Fahse GRUR 1996, 331, 336 ff.; BGH NJW 1991, 1480, 1481 – Grabungsmaterialien; zwischen den einzelnen Werken unterscheidend KG NJW-RR 1996, 1066, 1067 – Poldok. 27 Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 40. 28 Leuze Urheberrechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, 3. Auflage, 2008, 171. 29 Schricker in: Hartmer/Detmer (Hrsg.), Hochschulrecht, 419, 440.
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angenommen, dass dem Arbeitgeber sogar das Recht der Entscheidung über die Verwertungsreife zustehe.30 Auch für die wissenschaftlichen Institutionen ist die Forschung natürlich nur dann interessant, wenn die Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Für die Drittmittelforschung heißt es in § 25 HRG sogar: „die Forschungsergebnisse sollen in der Regel in absehbarer Zeit veröffentlicht werden.“ Würde diese Formulierung allerdings als echte Pflicht verstanden werden, könnte hierin eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG zu sehen sein.31 Überwiegend wird § 25 HRG jedoch als verfassungskonform angesehen.32 Dies zu Recht, denn allein schon die Formulierungen „sollen“, „in der Regel“ und „in absehbarer Zeit“ geben dem Wissenschaftler genügend Spielraum zu entscheiden, ob und wann seine Ergebnisse publiziert werden. Es ist selbstverständlich, dass eine Publikationspflicht nur dann eintreten kann, wenn der Wissenschaftler das Ergebnis als publikationswürdig einstuft 33, wodurch die Entscheidung des Arbeitgebers eingeschränkt wird. Diese „Pflicht“ ist aber dadurch rechtlich gestützt, dass der grundsätzliche Wille zur Publikation Voraussetzung dafür ist, dass ein Forscher in den Genuss der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG kommen kann.34 Art. 5 Abs. 3 GG (bei verbeamteten Wissenschaftlern auch Art. 33 Abs. 5 GG) fordert damit bereits mittelbar die Veröffentlichung.35 Auch in der Aufgabenbeschreibung der Deutschen Forschungsgemeinschaft heißt es: „Die Veröffentlichung der Ergebnisse des geförderten Forschungsvorhabens ist wesentlich für dessen Bewertung durch die internationale Fachöffentlichkeit. Die Publikationen sollen mit dem Arbeitsbericht vorgelegt oder später nachgereicht werden. Darauf kann verzichtet werden, sofern auf extern vorhandene Nachweissysteme (wie Volltext im Internet) zugegriffen werden kann.“36 Insofern kann auch bei einem in einem Drittmittelprojekt angestellten Wissenschaftler davon ausgegangen werden, dass er mit der Veröffentlichung seiner Erkenntnisse einverstanden ist, da ohne die Drittmittel seine Forschung unmöglich wäre. Da die Veröffentlichungsreife aber der freien Würdigung des Wissenschaftlers unterliegt, wird die 30
Dreier/Schulze/Dreier § 43 Rn. 34; Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 87. Schricker (Fn. 29) 436. 32 Leuze (Fn. 28) 134; Löwer in: Hailbronner/Geis (Hrsg.), Hochschulrecht in Bund und Ländern, Mai 2012, § 25 Rn. 46 ff.; Lux, Rechtsfragen der Kooperation zwischen Hochschulen und Wirtschaft: ein Rechtsvergleich: Deutschland – USA, München 2002, 102 ff.; wohl auch Reich, Hochschulrahmengesetz mit Wissenschaftszeitvertragsgesetz, 10. Auflage 2007, § 25 Rn. 6. 33 Vgl. BVerfG NJW 1978, 1621, 1624 – zum Umfang der Wissenschaftsfreiheit; weitergehend Fahse GRUR 1996, 331, 336, der wohl von einer Veröffentlichungspflicht bei Berichten über Drittmittel-Forschungsergebnisse ausgeht. 34 Lux (Fn. 32) 102 ff. 35 Lux (Fn. 32) 103. 36 DFG, Aufbau und Aufgaben, http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/ geschaeftsstelle/publikationen/aufbau_aufgaben.pdf 31
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„Pflicht“ ganz erheblich abgeschwächt und gewissermaßen zur Disposition des Urhebers gestellt. Grundsätzlich könnte dem Wissenschaftler quasi auch die Freiheit über die Form der Veröffentlichung zustehen.37 Allerdings hat der Arbeitgeber/ Drittmittelgeber nicht nur die Anstellung und Bereitstellung der Arbeitsmittel für die Erstellung des Pflichtwerkes aufgewendet, sondern er stellt auch die Mittel für die Veröffentlichung – entweder im Modell „author pays“ oder als Druckkostenzuschuss oder Abnahmeverpflichtung für das Printwerk – zur Verfügung. Außerdem liegen die Nutzungsrechte hierfür bereits beim Arbeitgeber. Die Entscheidung des „wie“ muss daher – jedenfalls bei Pflichtwerken – dem Dienstherrn obliegen.38 Rein praktisch wird es hier ohnehin selten zum Konflikt kommen, denn der Arbeitgeber wird die Mittel für eine andere als die von ihm gewünschte Publikationsform nicht zur Verfügung stellen und dem Mitarbeiter dürften für eine eigene Veröffentlichung die entsprechenden Nutzungsrechte fehlen. Anders mag es sein, wenn der Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts betroffen ist, beispielsweise bei einer völlig unpassenden Art der Veröffentlichung, die mit einer Rufschädigung des Arbeitnehmers o.ä. einhergehen könnte. In diesem Fall könnte man auch ein Namensunterdrückungsrecht des Wissenschaftlers andenken.39 Wenn aber die üblichen wissenschaftlichen Standards, z.B. Qualitätssicherung durch ein Peer-Review-Verfahren etc. eingehalten werden, kann es – bei Pflichtwerken – aber keine Einschränkungen des Arbeitgebers geben. Im Ergebnis wird der britische/europäische Weg bei Pflichtwerken, insbesondere bei der Drittmittelforschung, von den deutschen Forschungseinrichtungen, sofern gewünscht, mitgegangen werden können, sofern die betroffenen Wissenschaftler ihre Ergebnisse als publikationsfähig einstufen. 2. Freie Werke Bei den freien Werken sieht dies sicher anders aus. Das betrifft jedenfalls alle von Hochschulprofessoren geschaffenen Werke. Zu den freien Werken eines angestellten wissenschaftlichen Mitarbeiters gehören z.B. seine Dissertation und auch Fachbeiträge, die er in Nebentätigkeit zur Förderung seiner Karriere außerhalb der Arbeitszeit verfasst.40 Dass die freien Werke mit Mitteln des Arbeitgebers erstellt wurden, begründet an sich keine urheberrechtliche Nutzungsrechtsübertragung, kann aber in der Praxis einfach entweder zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich oder konkludent vereinbart 37
Lux (Fn. 32) 22. Im Ergebnis wohl auch Möhring/Nicolini/Kroitzsch § 12 Rn. 22; Dreier/Schulze/ Dreier § 43 Rn. 34; Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 87. 39 Vgl. hierzu auch Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 87; BGH GRUR 2008, 150, 152 – Kniegelenk. 40 Vgl. nur Leuze GRUR 2006, 552, 553. 38
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sein41 (ggf. mit Nutzungsrechtsübertragung oder Vereinbarung einer Anbietungspflicht) oder aber auch bei Nicht-Absprache zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Freie Werke sind damit selbstverständlich auch von der Publikationspflicht ausgeschlossen. Der Arbeitgeber hat hieran keine Rechte und erst recht nicht die Zustimmung zur Veröffentlichung nach § 12 UrhG. Eine Anbietungspflicht für freie Werke als Treuepflicht, die der BGH bei Professoren statuiert 42 und die bereits hier überwiegend zu Recht von der Literatur abgelehnt wird 43, ist ebenfalls bei wissenschaftlichen Mitarbeitern nicht anzunehmen.44 Die wissenschaftlichen Autoren sind entsprechend frei, ihre freien Werke zu veröffentlichen oder auch nicht. Aus der wirtschaftlichen Argumentation heraus wurde entsprechend eine an das Arbeitnehmererfinderrecht und die BGH-Entscheidung „Grabungsmaterialien“45 anlehnende Regelung vorgeschlagen, die eine Veröffentlichungsoption zu Gunsten der Hochschulen vorsieht.46 Diese hätten damit z.B. die Möglichkeit der Veröffentlichung auf ihren hochschuleigenen E-docServern. Zu diesem Vorschlag äußerte die Bundesregierung jedoch bislang nur, dass hier noch erheblicher Erörterungsbedarf bestünde und die Entwicklung abzuwarten sei.47 Bei einer solchen gesetzlichen Regelung müsste aber, wie bereits oben ausgeführt, Voraussetzung sein, dass der Wissenschaftler seine Arbeit für publikationsfähig hält. Außerdem dürfte die Grundlagenforschung nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass dem Wissenschaftler beispielsweise nur noch die Schaffung von wirtschaftlich effizient verwertbaren Werken aufgetragen wird, und die Fristenregelung zur Anzeige muss flexible Lösungen zulassen.48 Auch dann kann die Anbietungspflicht sich aber nur darauf erstrecken, was mit Mitteln der Forschungseinrichtung geschaffen wurde. Reine „Freizeit“Werke können hiervon nicht erfasst sein.
V. Ergebnis Im Ergebnis ist die Veröffentlichung öffentlich finanzierter Forschung wissenschaftliche Notwendigkeit. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, der für ein Drittmittelprojekt angestellt ist, hat kein Recht, eine Open-Access-Publikation zu verhindern, wenn er seine Ergebnisse im Grundsatz für publika41 42 43 44 45 46 47 48
Vgl. KG NJW-RR 1996, 1066 – Poldok. BGH NJW 1991, 1480 – Grabungsmaterialien. Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 34; Fahse GRUR 1996, 331, 337; Leuze S. 136 f. So auch Wandtke/Bullinger/Wandtke § 43 Rn. 36. BGH NJW 1991, 1480 – Grabungsmaterialien. Pflüger/Ertmann ZUM 2004, 436, 441. BT-Drucks. 16/1828, 47. Vgl. BGH GRUR 2008, 150, 153 – Kniegelenk.
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tionswürdig hält. Durch diesen Vorbehalt liegt auch keine „Enteignung“ vor, denn mit dem Arbeitsvertrag hat er bereits entschieden, dass er ein publikationswürdiges Ergebnis veröffentlichen will, sich den Bedingungen des Drittmittelprojekts unterwerfen möchte und entsprechend die Nutzungsrechte am künftigen Werk einräumt.49 In der Entscheidung, den Arbeitsvertrag zu unterzeichnen oder nicht, liegt auch keine ungerechtfertigte Übervorteilung des Arbeitnehmers, denn der Arbeitgeber würde mit dem Abschluss eines Vertrags mit einem grundsätzlich publikationsunwilligen Wissenschaftler gegen die Vorgaben des Drittmittelprojekts verstoßen. Außerdem genießt ein Wissenschaftler, der nicht veröffentlichen möchte, hier nicht mehr den Schutz des Art. 5 Abs. 3 GG. Mit externen Mitarbeitern eines wissenschaftlichen Projekts sowie anderen Schöpfern freier Werke, wie Professoren, sollte vorab ein separater Vertrag mit Bezug auf das betreffende Projekt geschlossen werden, um die nachfolgende Publikation, wie sie gewünscht ist, unter Beachtung der Wissenschaftsfreiheit zu sichern. In vielen Fällen wird bzgl. des Projektleiters hierzu aber bereits die eigene unterschriebene Antragstellung des Professors bei der DFG o.ä. genügen, sofern der Projektantrag einen entsprechenden Publikationsplan enthält.
49 Das Werk dürfte insofern hinreichend bestimmbar sein (vgl. Wandtke/Bullinger/ Wandtke/Grunert Vor §§ 31 ff. Rn. 33).
Die zeitliche Dauer der Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis Wilhelm und Axel Nordemann
In der urheberrechtlichen Literatur ist umstritten, ob im Arbeitsverhältnis im Anwendungsbereich von § 43 UrhG Nutzungsrechtseinräumungen grundsätzlich unbefristet erfolgen oder ob die Nutzungsrechtseinräumung endet, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. Während der Jubilar früher die Auffassung vertreten hat, dass die Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis grundsätzlich unbefristet erfolge,1 vertritt er heute die These, dass § 43 UrhG eine zeitlich unbeschränkte Nutzbarkeit von Arbeitnehmerwerken durch den Arbeitgeber nicht zu entnehmen sei; nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei auch der Nutzungsrechtseinräumung der Boden entzogen, so dass die Nutzungsrechtseinräumung entsprechend ende.2 Das ist Grund genug, dem einmal nachzugehen. I. Allgemeine Einordnung von § 43 UrhG Das Urhebervertragsrecht spielt im UrhG eine zentrale Rolle: Es regelt – wenn auch rudimentär – das Rechtsverhältnis zwischen dem Urheber als Schöpfer des Werkes und seinem Vertragspartner, der das Werk verwerten soll. Es erfüllt zugleich eine Schutzfunktion zugunsten des Urhebers: Die Nutzungsrechtseinräumung bestimmt sich gem. § 31 Abs. 5 UrhG nach dem von beiden Parteien zugrunde gelegten Vertragszweck mit der Folge, dass die Spezifizierungslast der Nutzungsrechtseinräumung im Hinblick auf die Art des Nutzungsrechtes sowie des Umfanges der Einräumung in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht beim Verwerter liegt; darin kommt der Grundsatz zum Ausdruck, dass die urheberrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, so weit wie möglich beim Urheber zurück zu bleiben.3 Darüber 1
Wandtke GRUR 1992, 139, 144. Wandtke/Bullinger/Wandtke Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 43 Rn. 76. 3 Vgl. nur BGH GRUR 2010, 623, 624 Tz. 20 – Restwertbörse; BGH GRUR 2008, 357, 359 Tz. 32 ff. – Planfreigabesystem; BGH GRUR 2007, 693, 695 – Archivfotos; BGH GRUR 2004, 938, 938 f. – Comic-Übersetzungen III; BGH GRUR 2002, 248, 251 – Spiegel-CD-ROM. 2
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hinaus stellen die §§ 32 und 32a UrhG seit der großen Urhebervertragsrechtsreform des Jahres 2002 sicher, dass die Urheber von ihren Verwertern stets eine angemessene Vergütung erhalten und darüber hinaus auch an der unerwartet erfolgreichen Verwertung ihrer Werke angemessen beteiligt werden.4 § 43 UrhG bestimmt demgegenüber relativ unscheinbar, dass die Vorschriften des Urhebervertragsrechts auch dann anzuwenden seien, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeitsoder Dienstverhältnis geschaffen hat, soweit sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt. Damit schafft die Vorschrift, deren Neufassung bei der Urhebervertragsrechtsreform 2002 trotz entsprechender Vorschläge ausgespart worden ist, mehr Unklarheiten als Klarstellungen.5
II. Schutzbedürfnis des Arbeitnehmerurhebers Die voranstehend dargelegte Schutzfunktion des Urhebervertragsrechts soll u.a. sicherstellen, dass die Urheber sich ihren Lebensunterhalt verschaffen und ihre Existenz sichern können.6 Das ist vor allem darin begründet, dass die meisten Urheber freiberuflich tätig sind und sie daher das volle Risiko ihres künstlerischen Schaffens tragen; wenn sie keine Abnehmer für ihre künstlerischen Leistungen finden, haben sie keine Einkünfte.7 Insoweit ist die Situation bei Arbeitnehmerurhebern allerdings eine grundsätzlich andere: Wer in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis steht, erhält von seinem Arbeitgeber einen monatlichen Lohn oder ein monatliches Gehalt und ist deshalb regelmäßig in seinem Lebensunterhalt und seiner Existenz abgesichert, und zwar auch dann, wenn zu den Aufgaben des Arbeitnehmers die Schaffung urheberrechtlich relevanter Werke gehört, diese aber entweder gar
4 Vgl. zu § 32 BGH GRUR 2011, 328, 332 Tz. 30 – Destructive Emotions; BGH GRUR 2009, 1148, 1150 f. Tz 24 – Talking to Addison. Zu § 32a: BGH GRUR 2012, 496, 497 Tz. 10 – Das Boot; BGH GRUR 2009, 1148, 1150 Tz. 19 – Talking to Addison. Zum Hintergrund der Vorschriften Wilhelm Nordemann, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Einf. S. 55 f. und § 32 Rn. 1 sowie § 32a Rn. 1 ff. 5 Vgl. Wandtke/Bullinger/Wandtke a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 2 sowie Fromm/Nordemann/Axel Nordemann, Urheberrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2008, § 43 Rn. 1. 6 Vgl. BGH GRUR 2009, 53, 55 Tz. 22 – PC; BGH GRUR 2008, 993, 995 Tz 25 – Kopierstationen; BGH GRUR 2002, 248, 251 – Spiegel-CD-ROM; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2010, Einl. Rn. 14; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 4. Aufl. 2010, Rn. 10 ff.; Wandtke UFITA 123 (1993) 5, 5 ff.; Hasselblatt/A. Nordemann/Czychowski, Münchener Anwaltshandbuch Gewerblicher Rechtschutz, 4. Aufl. 2012, § 44 Rn. 7; Wilhelm Nordemann, a.a.O. [Fn. 4], Einf. S. 56. 7 Vgl. Schack, a.a.O. (Fn. 6), Rn. 10.
Die zeitliche Dauer der Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis
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nicht oder nicht immer für den Arbeitgeber brauchbar sind. Urheber in Arbeits- oder Dienstverhältnissen sind deshalb auch nicht ohne Weiteres „tunlichst an dem wirtschaftlichen Nutzen zu beteiligen, der aus ihren Werken gezogen wird“.8
III. Umfang der Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis Zwar bestimmt § 43 UrhG, dass die Vorschriften des Urhebervertragsrechts auch dann anzuwenden seien, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat. Der Kern der Vorschrift besteht jedoch nicht in diesem allgemeinen Obersatz, sondern eher in der Einschränkung „soweit sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt“. Diese Einschränkung führt nämlich in der Praxis dazu, dass sich hinter der Vorschrift das glatte Gegenteil verbirgt, was sie zunächst verheißt: Das Urheberrecht hat hier nämlich nicht die Tendenz, soweit wie möglich beim Urheber zurückzubleiben, sondern an allen in Erfüllung der Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffenen Werken stehen die Nutzungsrechte grundsätzlich dem Arbeitgeber oder Dienstherrn so weit zu, wie er sie für den Betriebs- und Dienstzweck benötigt.9 Die Zweckübertragungslehre aus § 31 Abs. 5 UrhG findet so Anwendung in ihrer wohl am weitesten zugunsten des Verwerters gehenden Form.10 Maßgebend ist dabei zunächst der Betriebszweck im Zeitpunkt des Rechteübergangs, und zwar so weit, wie er dem Arbeitnehmer bekannt ist oder bekannt sein konnte;11 die Gegenansicht, die davon ausgeht, dass sich der Betriebszweck ändern und der Arbeitgeber deshalb auch noch nachträglich weitere Nutzungsrechte erwerben könne,12 berücksichtigt nicht ausreichend, dass die
8 Vgl. RegE UrhG BT-Drucks. IV 270, S. 61 ff.; Loewenheim/A. Nordemann, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 63 Rn. 2 f.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. 1980, S. 24 und 403 f. 9 Vgl. aus der Rechtsprechung BGH GRUR 1974, 480, 482 f. – Hummelrechte; BGH GRUR 1991, 523, 527 – Grabungsmaterialien; OLG München, Urteil vom 2.5.2012 – 15 U 1624/11, BeckRS 2012, 09673; OLG Jena GRUR-RR 2002, 379, 380 – Rudolstädter Vogelschießen; aus der Literatur: Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 51; Dreier/Schulze/Dreier, Urheberrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 43 Rn. 20; Wandtke/ Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 55 ff.; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 1 und 27 ff. 10 Vgl. Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 1. 11 Vgl. Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 30. 12 So wohl Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 54.
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Nutzungsrechtseinräumung zwar über § 43 UrhG im Arbeitsvertrag angelegt ist, aber für die Nutzungsrechtseinräumung nach der Schaffung des Werkes wohl noch eine Handlung des Arbeitnehmerurhebers erforderlich ist, die in der Regel in der Abgabe des Werkes an den Arbeitgeber liegen wird.13 Die Einräumung der Nutzungsrechte erfolgt also erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber das Werk übergibt; dieser Zeitpunkt bestimmt auch den Umfang der Rechtseinräumung nach dem dann bestehenden Betriebszweck. Der Betriebszweck entscheidet über den Umfang der Nutzungsrechtsreinräumung im Übrigen nicht nur in inhaltlicher, sondern nach allgemeiner Auffassung auch in räumlicher und zeitlicher Hinsicht (§ 31 Abs. 1 S. 2 UrhG).14 Ein nur lokal tätiges Unternehmen, das auch nur lokal wirbt, benötigt für Fotografien auch nur lokal begrenzte Nutzungsrechte, eine Lokalzeitung für die in ihr veröffentlichten Artikel aber heute auch solche für das Internet.15 Der Betriebszweck schließt grundsätzlich eine gewisse Dynamik des Unternehmens mit ein, so dass Produkterneuerungen, Erweiterungen des Geschäftsbetriebes und des Umfangs der Tätigkeit noch von der Nutzungsrechtseinräumung mit umfasst sind, sofern der Arbeitnehmerurheber damit rechnen konnte.16 Die hM geht ferner davon aus, dass der Arbeitgeber die von seinen Arbeitnehmern geschaffenen Werke nicht auch in anderen konzernangehörigen Unternehmen nutzen könne.17 Das ist aber wohl nicht konsequent, weil sich aus dem Betriebszweck auch eine Nutzung im Konzern ergeben kann und sowohl Rspr. als auch hM die Auffassung vertreten, dass der Betriebszweck auch die Weitergabe der Nutzungsrechte an Dritte umfassen könne.18 Wenn sich aber aus dem Betriebszweck die Berechtigung des
13 Vgl. BGH GRUR 1974, 480, 483 – Hummelrechte; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 30; a.A. Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 51. 14 Vgl. Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 57; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 31. 15 Vgl. Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 31. 16 Vgl. Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Schricker/Loewenheim/ Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 54; Loewenheim/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 31; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 31. 17 So zurückgehend auf BGH GRUR 1978, 244, 246 – Ratgeber für Tierheilkunde; Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 58 und Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 30; Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 53; Loewenheim/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 31. 18 Vgl. BGH GRUR 2005, 860, 862 – Fash 2000; OLG Jena GRUR-RR 2002, 379, 380 – Rudolstädter Vogelschießen; Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 81; Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 57; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 47; Loewenheim/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 34.
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Arbeitgebers ergeben kann, die Nutzungsrechte zu übertragen, muss aus dem Betriebszweck eben auch folgen können, dass der Arbeitgeber die von seinem Arbeitnehmer geschaffenen Werke konzernweit verwenden kann.
IV. Nutzungsrechtseinräumung nach dem Betriebszweck in zeitlicher Hinsicht Wie voranstehend erwähnt bestimmt der Betriebszweck grundsätzlich die Nutzungsrechtseinräumung auch in zeitlicher Hinsicht.19 Bei § 43 UrhG handelt es sich nämlich letztendlich nur um eine besondere Ausprägung der Zweckübertragungslehre aus § 31 Abs. 5 UrhG20 mit der Folge, dass sie sich gem. § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG auch auf die Reichweite des Nutzungsrechtes und damit auf den zeitlichen Aspekt der Nutzungsrechtseinräumung gem. § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG bezieht. Richtet sich die Nutzungsrechtseinräumung aber auch in zeitlicher Hinsicht nach dem Betriebszweck, wird man wohl davon ausgehen müssen, dass sich eine zeitliche Befristung der Nutzungsrechtseinräumung auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses, wie sie der Jubilar vertritt,21 mit dem Betriebszweck im Regelfall nicht wird in Übereinstimmung bringen lassen: Der Betriebszweck wird nämlich regelmäßig unabhängig davon definiert und zu bestimmen sein, welche Dauer die Arbeitsverhältnisse in dem Betrieb aufweisen. So wird der Betriebszweck etwa immer voraussetzen, dass für die Firmen-Homepage oder die Produktdarstellung im Internet angefertigte Werbefotos auch über das Ende des Anstellungsverhältnisses des Fotografen hinaus benutzt werden können, das etwa eine von einem angestellten Designer entworfene Produktserie dauerhaft und unabhängig vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses weiter hergestellt und vertrieben werden kann und das der von einem angestellten Redakteur verfasste Artikel einer Tageszeitung in der Online-Ausgabe dauerhaft abrufbar gehalten werden kann. Dies wird auch für Fälle gelten, in denen das Arbeitsverhältnis von vornherein befristet gewesen ist, weil sich die Nutzungsrechtseinräumung auch dann nach dem Betriebszweck richtet, vorausgesetzt allerdings, dass der Arbeitnehmer den Betriebszweck und somit auch die auf Dauer angelegte Nutzung der von ihm geschaffenen Werke bei der Abgabe des Werkes kennt bzw.
19 Vgl. Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 57; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 31. 20 Vgl. Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 55 ff.; Dreier/Schulze/ Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 48; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 1 und 27; Loewenheim/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 31. 21 Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 76.
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erkennen kann.22 Das Argument des Jubilars, mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses sei auch der Nutzungsrechtseinräumung die vertragliche Grundlage entzogen,23 ist zwar mehr als beachtlich, zumal im Urheberrecht das Abstraktionsprinzip wohl nicht gilt und die Nutzungsrechte ohne das Erfordernis eines weiteren Rechtsgeschäftes grundsätzlich an den Urheber automatisch zurückfallen, wenn der schuldrechtliche Vertrag endet.24 Diese Auffassung entspricht der Regelung aus § 9 VerlG, wonach das Verlagsrecht mit Beendigung des schuldrechtlichen Verlagsvertragsverhältnisses automatisch erlischt. Allerdings ist auch anerkannt, dass die Verfügung über das Urheberrecht entscheidend durch den Zweck des zugrundeliegenden schuldrechtlichen Rechtsgeschäftes geprägt wird;25 der Bundesgerichtshof hat deshalb einem Unterlizenznehmer auf Basis einer Interessenabwägung einen Sukzessionsschutz gewährt, obwohl die Nutzungsberechtigung des Hauptlizenznehmers erloschen war.26 Da sich die Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis grundsätzlich und auch unbestritten nach dem Betriebszweck richtet, muss die Nutzungsrechtseinräumung selbst dann für die im Betriebszweck angelegte Dauer der Nutzung gelten können, wenn das Arbeitsverhältnis vorher endet.27 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Interessenlage beim Arbeitnehmerurheber eine andere ist als beim freien Urheber, weil er durch die fortlaufenden Lohn- und Gehaltszahlungen des Arbeitsgebers in gesicherten Einkommensverhältnissen lebt und das Risiko des künstlerischen Schaffens nicht beim Urheber, sondern beim Arbeitgeber liegt; dieser schuldet nämlich die Lohn- und Gehaltszahlungen auch dann, wenn er die von dem angestellten Urheber geschaffenen Werke nicht verwenden kann.
V. Interessenausgleich über §§ 32, 32a Die Auffassung, dass die Nutzungsrechtseinräumung im Arbeitsverhältnis auf der Basis des Betriebszwecks nicht auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt ist, führt auch in solchen Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis nur von sehr kurzer Dauer war oder die Nutzung der Schöpfungen des 22
Vgl. Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 30. Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 76. 24 Vgl. BGH GRUR 2012, 916, 917 f. Tz. 19 f. – M2Trade; OLG Hamburg, GRUR 2002, 335, 336 – Kinderfernseh-Sendereihe; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 31 Rn. 30; Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, a.a.O. (Fn. 6), vor § 28 f. Rn. 100. 25 Vgl. Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 31 Rn. 32. 26 BGH GRUR 2012, 916, 918 Tz. 23 ff. – M2Trade; BGH GRUR 2012, 914, 915 Tz. 16 – Take Five. 27 So auch Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 20; Fromm/Nordemann/ A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 32. 23
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Arbeitnehmerurhebers entweder von sehr langer Dauer oder von sehr großem Erfolg ist, nicht zu unzuträglichen, den Urheber benachteiligenden Ergebnissen. Denn auch im Arbeitsverhältnis gilt nach ganz hM, dass der Arbeitnehmerurheber Anspruch auf eine angemessene Vergütung nach § 32 UrhG sowie einen Fairnessausgleich nach § 32a UrhG besitzt.28 Zwar wird dem Arbeitnehmerurheber neben Lohn und Gehalt für die von ihm zu schaffenden bzw. geschaffenen Werke von der hM kein gesonderter Vergütungsanspruch zugestanden.29 Da jedoch die §§ 32, 32a UrhG zwingend sind, bleiben sie anwendbar, wenn Lohn und Gehalt keine angemessene Vergütung für die Werknutzung darstellen,30 beispielsweise wenn das Arbeitsverhältnis nur von kurzer Dauer war, aber die Nutzungsrechtseinräumung nach dem Betriebszweck dauerhaft und über das Ende des nur kurzen Arbeitsverhältnisses hinaus ging. Entsprechend ist im Rahmen des Fairnessausgleiches aus § 32a UrhG bei der Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses sowohl der vereinbarte Arbeitslohn als auch die Dauer der Alimentation des Arbeitnehmerurhebers durch seinen Arbeitgeber zu berücksichtigen31 mit der Folge, dass der Fairnessausgleich des § 32a UrhG je eher zur Anwendung kommen wird, je länger die Nutzung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus andauert. Die Schutzfunktion des Urheberrechts, die der Jubilar stets zu Recht mit im Auge hat, kommt so trotz einer arbeitgeberfreundlichen Auslegung der Nutzungsrechtseinräumung auf der Basis des Betriebszwecks im Hinblick auf die Dauer der Nutzungsberechtigung über die §§ 32, 32a UrhG am Ende dann doch auch dem Arbeitnehmerurheber zugute.
28 Vgl. Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 134; Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 64; Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 30; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 5), § 43 Rn. 59 f.; Loewenheim/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 66 und 70. 29 Vgl. Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 64; Dreier/Schulze/ Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 30; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 43 Rn. 58; differenzierend Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 134. 30 Vgl. Wandtke/Bullinger/Wandtke, a.a.O. (Fn. 2), § 43 Rn. 145 f.; Schricker/Loewenheim/Rojahn, a.a.O. (Fn. 6), § 43 Rn. 64 ff.; Dreier/Schulze/Dreier, a.a.O. (Fn. 9), § 43 Rn. 30; Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 43 Rn. 59; Loewenheim/ A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 66. 31 Vgl. Fromm/Nordemann/A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 43 Rn. 60; Loewenheim/ A. Nordemann, a.a.O. (Fn. 8), § 63 Rn. 70.
AGB Kontrolle von umfassenden Nutzungsrechtsklauseln, die sog. Zweckübertragungslehre und das urheberrechtliche Vergütungsrecht Christian Czychowski
Nach langem Dornröschenschlaf ist das AGB-Recht auch für das Urheberrecht neu entdeckt worden. Ob damit allerdings die in der Praxis üblichen umfassenden Nutzungsrechtsklauseln per se unwirksam werden – wie einige hoffen, andere bangen – darf bezweifelt werden. Trotz dessen sind – um ein wesentliches Anliegen des Jubilars in den Blick zu nehmen – Urheber nicht schutzlos, denn das neue Vergütungsrecht bietet bei wohlverstandener Anwendung hinreichend Schutz.
I. Bisherige Anwendung des AGB-Rechts im Urheberrecht Lange Zeit spielte das AGB-Recht im Urheberrecht keine Rolle. Hintergrund war eine Entscheidung des BGH zu den Honorarbedingungen des Senders SFB.1 Danach war die im Streit beanstandete Klausel einer Inhaltskontrolle nach AGB-Recht entzogen, weil reine Leistungsbeschreibungen grundsätzlich nicht kontrollfähig sind und kein inkongruenter gesetzlicher Leistungsinhalt bestehe. Denn die als Leitbild ins Feld geführte Norm sei kein Leitbild im Sinne des AGB-Rechts § 31 Abs. 5 UrhG. Denn eine gesetzliche Bestimmung, die besagt, dass eine Nutzungsrechtsübertragung über den die (im Fall im Streit stehende) Funksendung betreffenden Vertragszweck hinaus unzulässig sei, besteht nicht. Auch aus dem Schutzgedanken des § 31 Abs. 5 UrhG könne nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. In letzter Zeit deutete sich aber bereits an, dass es keineswegs sicher war, dass die Rechtsprechung noch an dieser vom Bundesgerichtshof vorgegebenen strengen Auffassung uneingeschränkt festhalten würde.2 Dies zeigen nun
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BGH GRUR 1984, 45 – Honorarbedingungen Sendevertrag. OLG Zweibrücken ZUM 2001, 346, 347 – ZDF-Komponistenverträge; LG München I K&R 1999, 522, 523 – Focus-TV. 2
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auch neuere Entscheidungen des BGH.3 Die Rechtsprechung hat sogar die Leitnorm des § 11 UrhG, auch vor deren Änderung, fruchtbar gemacht: Eine AGB-Klausel sei unwirksam, mit der die inhaltliche Gestaltung eines Filmes allein nach den Vorstellungen und Weisungen des Produzenten zu erfolgen hat und der Regisseur damit „zum reinen Erfüllungsgehilfen des Produzenten“ gemacht wird; dies sei mit der grundsätzlichen gesetzgeberischen Entscheidung in § 11 UrhG nicht vereinbar.4
II. Neuere Entwicklungen bei der Anwendung des AGB-Rechts im Urheberrecht Mittlerweile gibt es auch nach der Novelle des § 11 UrhG neue obergerichtliche Rechtsprechung, auch wenn höchstrichterlich immer noch nicht endgültig entschieden ist, welche Regelungen gesetzliche Leitbilder im Urheberrecht sind. Einige Gerichte sehen als gesetzliches Leitbild den in §§ 11 S. 2, 32 ff. UrhG niedergelegten Grundsatz einer angemessenen Vergütung sowie die Zweckübertragungslehre an.5 Das OLG München ist etwas vorsichtiger und erlaubt eine Inhaltskontrolle aller Rechtseinräumungen, die nicht erforderlich sind, um die Bestimmtheit oder die Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhaltes eines wirksamen Vertrages zu bestimmen.6 Das Kammergericht bleibt auf der (alten) Linie des BGH und vertritt die Auffassung, der Übertragungszweckgedanke könne im Rahmen der AGB-Kontrolle keine Anwendung finden.7 Neben diesem gerät zunehmend § 31 Abs. 5 UrhG die Frage in den Blick, ob auch Vergütungsabreden einer AGB-Kontrolle unterliegen.8 Das gilt zwar nicht für die verabredete Vergütung als solche, aber für die damit verbundene Abrede, dass mit dieser Vergütung pauschal auch Zweitverwertungen abgegolten sind. Solche Regelungen sollten AGB-rechtlich unwirksam sein, wenn sie dem Leitbild der angemessenen Beteiligung des Urhebers widersprechen (§ 11 S. 2 UrhG).9 Beispielsweise ist nach der Rechtsprechung 3 BGH ZUM 2010, 796 ff. – Half Life 2, der eine Klausel des Verbots des „Verkaufs“ eines Benutzerkontos für AGB-rechtlich zulässig hielt, diese aber auch an §§ 17, 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG prüfte. 4 LG München I v. 24.02.2000 ZUM 2000, 414, 417 – Down Under. 5 Vgl. zu Letzterem OLG Zweibrücken ZUM 2001, 346, 347 – ZDF-Komponistenvertrag; nun auch OLG Hamburg AfP 2011, 385 Tz. 129 ff. – . 6 OLG München GRUR-RR 2011, 401, 403. 7 KG ZUM 2010, 799. 8 OLG Celle ZUM 1986, 213 – Arno Schmidt; jetzt auch LG München I ZUM 2010, 285, 827. 9 KG ZUM 2010, 789; LG Berlin ZUM-RD 2008, 18 OLG Hamburg AfP 2011, 385 Tz. 133 ff.; dagegen OLG München GRUR-RR 2011, 401, 403: §§ 32, 32a UrhG nicht leges speciales im Verhältnis zu dem § 307 ff. BGB; LG Rostock AfP 2011, 397.
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des Kammergerichts eine Vergütungsregelung AGB-rechtlich unwirksam, die eine Vergütung für weitergehende Nutzungen von einer „Absprache“ abhängig macht.10 Das Gleiche gilt für eine Klausel, nach der das vereinbarte – angemessene – Honorar pauschal um 50% gekürzt wird, wenn eine Auftragsarbeit aus nicht vom Verlag zu vertretenen Gründen zu dem vom Verlag vorgesehenen Zeitpunkt veröffentlicht wird.11 Auch das OLG Hamburg hat es als Verstoß gegen § 11 S. 2 UrhG und damit auch gegen § 307 BGB gewertet, wenn ein Verlag sich vom Urheber sämtliche relevanten Rechte gegen ein Pauschalhonorar einräumen lässt.12 Eine pauschale Aussage zu Vergütungsabreden und AGB-Recht erscheint jedoch fragwürdig. Vergütungsabreden dürften generell nicht kontrollfähig sein, denn einerseits ist die Vergütung eines Vortrages grundsätzlich AGBkontrollfrei und andererseits kann für Vergütungsfragen ohne Weiteres auf die §§ 32, 32a UrhG zurückgegriffen werden, die im individuellen Verhältnis dem Urheber eine Vertragsanpassung hin zu einer angemessenen Vergütung erlauben. Einer AGB-Kontrolle von Vergütungsregelungen bedarf es insoweit nicht. Die hier beschriebene Gemengelage zwischen Vergütungsrecht und AGB-Recht macht eine genauere Untersuchung sinnvoll.
III. Vorschlag zur Unterscheidung Man wird wohl unterscheiden müssen: Klauseln, die eine Vergütung ausschließen oder erst einer späteren Absprache vorbehalten, sind wegen Verstoßes gegen §§ 11, 2 und 32 UrhG unwirksam. Sie tangieren nämlich das „Ob“ einer Vergütung. Eine inhaltlich Kontrolle des Wie, also der Höhe der Vergütung, hingegen kann man mit AGB-Recht nicht erreichen. All dies betrifft jedoch im Wesentlichen einzelne Klauseln und stellt (noch nicht) die eingangs beschriebene Systemfrage, ob die weitverbreiteten umfassenden Rechteeinräumungsklauseln mit seitenlangen Rechtekatalogen der AGB-Rechtsprechung stand halten. Hierfür ist ein genauerer Blick auf § 31 Abs. 5 UrhG und § 32 UrhG sinnvoll:
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KG ZUM 2010, 700 Tz. 37. KG ZUM 2010, 799 Tz. 50, unter Berufung auf § 32 Abs. 1 S. 1 UrhG. OLG Hamburg AfP 2011, 385 Tz. 139 ff.
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IV. Das Verhältnis von § 31 Abs. 5 UrhG und § 32 UrhG im AGB-Recht 1. Zunächst muss man dann klären, ob (die vorangingen Fragen der überraschenden Klauseln und der Einhaltung des Transparenzgebots einmal dahingestellt) in solchen umfassenden Rechtekatalogen eine Leistungsbeschreibung liegt, die der AGB-Kontrolle entzogen ist. Die Bestimmung von Leistung und Gegenleistung obliegt allein den Vertragsparteien, sie ist von der Vertragsfreiheit umfasst. Ein etwaiges Marktversagen in diesem Bereich kann nicht im Wege der AGB-Kontrolle beseitigt werden.13 Der kontrollfreie Raum ist allerdings auf den Bereich der Leistungsbeschreibungen beschränkt, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann.14 Was konkret die Hauptleistungspflichten, ohne die der wesentliche Vertragsinhalt nicht mehr bestimmt werden kann, bei gesetzlich nicht geregelten Vertragstypen (zu solchen zählen aufgrund des nur fragmentarisch geregelten Urhebervertragsrechts auch die einzelnen Urhebernutzungsverträge) sind, ist auch unter Berücksichtigung des Vertragszwecks zu bestimmen.15 Den Vertragszweck eines urheberrechtlichen Nutzungsvertrages wird man nur individuell bestimmen können; daher verbieten sich auch generalisierende Aussagen, ob Rechteeinräumungsklauseln Leistungsgegenstand sind oder Begleitregeln. Beispielhaft sei daher ein Blick auf die Vertragsbeziehungen im Synchrongewerbe geworfen: Gegenstand eines Synchronsprechervertrag ist die Erstellung einer Synchronfassung eines Filmwerkes. Was er genau umfasst, lässt sich erst durch einen Blick auf den vorgeschalteten Vertrag zwischen Synchronfirma und deren Auftraggebern bestimmen: Diese Synchronfassung wird durch die Synchronfirma im Auftrag des Filmproduzenten bzw. der Vertriebs- oder Verleihfirma erstellt. Rechtlich handelt es sich um eine echte Auftragsproduktion, für die die Regeln des Werkvertragsrechts Anwendung finden. Die Synchronfirma schuldet ihrem Auftraggeber neben der Herstellung der Synchronfassung und der Übergabe der hergestellten Materialien auch die Übertragung aller Rechte (auch der filmfremden Verwertungsrechte, insbesondere der Merchandisingrechte). Bei der Synchronfirma verbleiben keine Rechte mehr. Selbst bei einer fehlenden Abrede hierüber wird konkludent von einer solchen Übertragung ausgegangen.16 Um diese Anforderungen zu erfüllen, muss die Synchronfirma selbst alle Rechte von den Synchronsprechern übertragen bekommen. Der Vertrag 13 14 15 16
Ulmer/Brandner/Hensen/A. Fuchs AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 BGB Rn. 21. BGH NJW 2008, 360, 362. Ulmer/Brandner/Hensen/A. Fuchs AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 BGB Rn. 20. Vgl. v. Hartlieb/Schwarz/U. Reber/Schwarz, 100. Kap. Rn. 9.
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zwischen Synchronunternehmen und Filmproduzenten bzw. Vertriebs- oder Verleihfirma bestimmt somit auch den Inhalt des Vertrages mit dem Synchronsprecher. Aus diesem Grund ist nicht nur die Sprecherleistung Hauptleistungspflicht, sondern auch die umfassende Rechtseinräumung inkl. der filmfremden Verwertungsrechte und der Merchandisingrechte. 2. Sollte man daher das Vorliegen einer Leistungsbeschreibung verneint, ist zu fragen, ob die solche umfassenden Rechteklauseln von Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweichen (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Untersucht werden soll hier § 31 Abs. 5 UrhG, der lautet: „Sind bei der Einräumung eines Nutzungsrechts die Nutzungsarten nicht ausdrücklich einzeln bezeichnet, so bestimmt sich nach dem von beiden Partnern zugrunde gelegten Vertragszweck, auf welche Nutzungsarten es sich erstreckt. Entsprechendes gilt für die Frage, ob ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, ob es sich um ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht handelt, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht reichen und welchen Einschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt.“ Wie oben dargestellt, hat der BGH bisher die Eignung des Übertragungszweckgedanken als gesetzliches Leitbild verneint. Hieran ist vielfach Kritik geäußert worden.17 Jedenfalls seit der Urhebervertragsrechtsreform 2002 sprechen einige Gründe für eine grundsätzliche Berücksichtigung des Übertragungszweckgedanken bei der AGB-Kontrolle, etwa die Einführung des § 11 Satz 2 UrhG. Dies führt jedoch nicht zu eine per se Unwirksamkeit pauschaler Rechtseinräumungen. Denn auch unter dem Eindruck des neuen § 11 Satz 2 UrhG kommt der Übertragungszweckgedanke allenfalls für solche Nebenrechte in Betracht, die vom Vertragszweck nicht gedeckt sind.18 Selbst wenn man den Übertragungszweckgedanke als gesetzliches Leitbild auf alle Nutzungsrechtseinräumungen anwenden wollte, kann auch eine umfassende Rechteübertragung diesem Leitbild entsprechen. § 31 Abs. 5 UrhG verlangt eine umfangreiche Auslegung des Vertrages und aller Begleitumstände, so dass auch die umfassende Rechteübertragung der Normalfall sein kann, wie etwa im Filmbereich.19 Auch in anderen Bereichen der Urheberrechtsindustrie übersteigen die eingeräumten Nutzungsrechte den Vertragszweck im engeren Sinne.20 Dem Rechteverwerter muss es auch aufgrund seines berechtigten Interesses
17 Statt vieler Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, 4. Auflage vor §§ 28 ff. Rn. 14. 18 Berberich ZUM 2006, 205, 208 ff. 19 Vgl. v. Hartlieb/Schwarz/U. Reber/N. Reber, Kap. 40 Rn. 2. 20 Vgl. etwa für den Musikbereich Loewenheim/Rossbach, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl., § 69 Rn. 14; für den Pressebereich Loewenheim/Nordemann-Schiffel, a.a.O., § 67 Rn. 7.
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an einer umfassenden Auswertung des Werkes grundsätzlich möglich bleiben, sich Rechte einräumen zu lassen, die nicht unmittelbar dem Vertragszweck dienen.21 Einer umfassenden Spezifizierung einzelner Rechte widerspricht der Übertragungszweckgedanke jedenfalls nicht; es besteht in diesem Fall nach herrschender Meinung kein Raum für ihre Anwendung.22 Im Ergebnis ist die AGB-Kontrolle nach der Zweckübertragungslehre auf Ausnahmefälle zu begrenzen, in denen ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt. Vor allem völlig unbedeutende Nebenrechte können außerhalb der Hauptleistungspflicht stehen und damit kontrollfähig sein,23 insbesondere wenn eine Nutzung ersichtlichermaßen objektiv ausscheidet.24 Würde dagegen der Übertragungszweckgedanke als gesetzliches Leitbild für alle Nutzungsrechtseinräumungen eine umfassende Spezifizierung von Rechten völlig unmöglich machen, müsste § 31 Abs. 5 UrhG lauten: „Der Urheber [… ausübende Künstler] kann immer nur die Nutzungsrechte seinem Vertragspartner einräumen, die nach dem Vertragszweck unbedingt erforderlich sind.“ Für die hier untersuchten pauschalen Rechteeinräumungen bedeutet dies folgendes: Da die einzelnen eingeräumten Rechte sehr wohl spezifiziert sind und dem Vertragszweck entsprechen, jedenfalls – wie bereits dargelegt – nicht unbedeutend für den Verwender sind, besteht für die Anwendung des Übertragungszweckgedanken als gesetzliches Leitbild kein Raum. 3. An dieser Lage hat auch die Urhebervertragsrechtsreform 2002 nichts geändert. Der Gesetzgeber hat sich eben in Kenntnis dieser Rechtslage entschieden, die Vergütungsregeln zu ändern, nicht die Rechteübertragungsregeln. Dennoch wird von denen, die pauschale Rechteeinräumungen als AGBrechtwidrig auffassen, das Vergütungsrecht, insbesondere § 11 S. 2 UrhG ins Feld gebracht. Damit zeigt sich die eingangs erwähnte Verknüpfung vom Vergütungsrecht und AGB-Recht und es zeigt sich, worum es den Verfechtern der AGB-Rechtswidrigkeit von pauschalen Rechteinräumungen wirklich geht, nämlich um eine höhere Vergütung für die Urheber. Das ist ein verständliches Ansinnen, nur scheint das AGB-Recht dafür das falsche Vehikel. In der Tat ist in der Gesetzesbegründung zu dieser Norm davon die Rede, dass sie als Leitbild eingeführt wurde. Bei ihr geht es aber ausschließlich um
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Castendyk ZUM 2007, 169, 173. Statt vieler Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, § 31 Rn. 71; Fromm/Nordemann/J. Nordemann, 10. Aufl. § 31 Rn. 181 ff.; Loewenheim/J. B. Nordemann, a.a.O. § 60 Rn. 7. 23 Castendyk ZUM 2007, 169, 175. 24 Fromm/Nordemann/J. Nordemann, 10. Aufl., § 31 Rn. 183; Loewenheim/J. B. Nordemann, a.a.O., § 64 Rn. 80. 22
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Fragen der Vergütung, um die es hier nicht geht. Dies kann z.B. Fälle wie den des LG Berlin, Urteil vom 5. Juni 2007 – 16 O 106/07, zitiert nach Juris, betreffen, in dem eine Klausel per se die Vergütung ausschließt. Dies kann ohne weiteres mit § 11 S. 2 UrhG kollidieren. Soweit weiter argumentiert wird, die Honorarbedingungen Sendevertrag-Entscheidung des Bundesgerichtshof sei aus Rücksichtnahme auf eine damals noch avisierte Kodifizierung des Urhebervertragsrechts erfolgt, ist dem folgendes entgegen zu halten: Der Gesetzgeber hat sich sehr wohl einer Kodifizierung des Urhebervertragsrechts zugewandt. Nicht zuletzt aufgrund des Gedankens des mehrdimensionalen Ansatzes von Dietz 25 hat der Gesetzgeber in der Urhebervertragsrechtsnovelle von 2002 entschieden, einen wesentlichen Teil des sogenannten besonderen Urhebervertragsrechts den beteiligten Kreisen zu überlassen und über §§ 36, 36a UrhG im Wesentlichen über die Vergütung das Vertragsrecht zu regeln. Umgekehrt könnte man also argumentieren: Der Gesetzgeber hat nur das Vergütungsrecht als so wesentlich angesehen, dass er eine Kodifikation vorgenommen hat und diese zudem noch im Wesentlichen in die Hände der beteiligten Kreise (§§ 36, 36a UrhG) gelegt. Er hat also gerade kein Leitbild für den Umfang der Rechteeinräumung schaffen wollen.26 Auch gegen § 11 S. 2 UrhG verstoßen die hier diskutierten Klauseln nicht. Einige meinen, derartige Klauseln führen strukturell zu einem Verstoß gegen das Vergütungsrecht. Die bereits erwähnte Entscheidung des Landgerichts Berlin ist soweit ersichtlich die erste und einzige, die dazu nachvollziehbar ausgeführt hat, dass (nur) eine Klausel, die einen Vergütungsanspruch generell ausschließt, gegen § 11 S. 2 bzw. § 32 UrhG verstößt. Gerade eine solche Situation liegt im vorliegenden Fall aber nicht vor. Diese Meinung scheint vielmehr zu unterstellen, die in jedem Einzelfall individuell vereinbarte Vergütung (die ggfs. nach § 32 UrhG überprüfbar ist) wäre unangemessen. Selbst wenn das der Fall wäre kann das nicht zu einer generellen Unwirksamkeit der Rechteeinräumung führen, also der Gegenleistung. Das wäre etwa so, als ob man einem Warenhaus wie Karstadt in seinen Einkaufsbedingungen eine Klausel verböte, die formuliert, dass mit dem Kaufpreis auch die Anlieferung abgegolten ist. 4. Schließlich führt eine Abwägung der branchenspezifischen Gewohnheiten und Bräuche zu der Feststellung, dass die verwendeten AGB angemessen sind. Diese Abwägung ist im Bereich der Verträge zwischen Unterneh-
25 Vgl. Dietz in: Baier/Götting/Lehmann/Moufang, Festgabe für Gerhard Schricker zum 60. Geburtstag, Seiten 1, 9, 22 f., der neben dem Ausbau eines allgemeinen Teils des Urhebervertragsrechts eine gesamtvertragliche bzw. kollektivvertragliche Gestaltungslösung suchte. 26 So nunmehr auch BGH Urteil vom 31.05.2012, I ZR 73/10 – Honorarbedingungen freier Journalisten, GRUR 2012, 1031 und dazu J. Nordemann, NJW 2012, 3121.
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mern, auf die § 307 BGB grundsätzlich Anwendung findet,27 anzustellen. Dies kann dazu führen, dass eine Klausel, die von einem wesentlichen Grundgedanken eines Gesetzes abweicht, als wirksam angesehen wird.28 Dieser Grundgedanke ist auch in § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB verankert. Urheber sind beim Abschluss von Verpflichtungsverträgen gem. § 14 BGB Unternehmer, denn sie handeln dabei in Ausübung ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit. Es kommt also auf eine Betrachtung der branchenspezifischen Gewohnheiten und Bräuche an. Diesbezüglich ist im vorliegenden Fall insbesondere zu berücksichtigen, dass umfassende Rechteeinräumungen inkl. aller Nebenrechte gegen eine einmalige pauschale Vergütung in allen Branchen durchaus üblich 29 und auch notwendig sind, um eine umfassende Auswertung und die Refinanzierung der Produktions- und Werbekosten zu sichern. Entsprechend verlangen die Auftraggeber der hier beispielhaft diskutierten Filmsynchronisation vom Synchronproduzenten, wie bereits geschildert, eine vollständige Rechteübertragung inklusive aller Neben- und filmfremden Verwertungsrechte. Dies kann nur erfüllt werden, wenn der Synchronproduzent zuvor die entsprechenden Rechte vom Synchronsprecher erworben hat.
V. Ergebnis Vor diesem Hintergrund können pauschale Rechteeinräumungsklauseln in AGB nicht als unangemessen angesehen werden. Vergütungsabreden sind nur AGB-kontrollfähig, wenn sie das „ob“ der Vergütung betreffen. Den berechtigten Anliegen der Urheber nach einer angemessenen Vergütung ist in Individualprozessen über §§ 32, 32a UrhG nachzukommen.
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Vgl. MüKo/Kieninger, § 307 BGB Rn. 70. Vgl. MüKo/Kieninger, § 307 BGB Rn. 75. Vgl. v. Hartlieb/Schwarz/U. Reber/N. Reber, Kap. 40 Rn. 2.
Was bleibt von §§ 32, 32a, 36 UrhG? Überlegungen zur Zukunft des Urhebervertragsrechts Thomas Hoeren
Artur Wandtke ist einer der großen Kämpfer für ein urheberfreundlicheres Vertragsrecht. Immer wieder hat er sich dazu geäußert, hat gekämpft für eine Besserstellung der Kreativen im Kampf gegen übermächtige Verwerter.1 Deshalb lieber Artur, voller Respekt und Bewunderung, aber auch mit bestem Glückwunsch zum runden Geburtstag einige Überlegungen zu Deinem Kampf-Thema. Mit der Reform des Urheberrechts im Jahre 2002 sollte die Stellung der Urheber und ausübenden Künstler gestärkt werden. Anlass für eine gesetzliche Regelung war das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen Urhebern und Verwertern. Mit Instrumenten des Urhebervertragsrechts sollte die Vertragsparität hergestellt und den Urhebern eine angemessene Vergütung gesichert werden. Der Gesetzgeber nimmt hier einen aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) folgenden Auftrag wahr.2 Ob durch die vorgenommenen Änderungen des Urheberrechts tatsächlich die beabsichtigte Stärkung der Urheber erreicht werden konnte, bedarf jedoch genauer Untersuchung. Erweisen sich die Maßnahmen dabei als unzureichend, sind Änderungen oder Ergänzungen des bestehenden Urhebervertragsrechts zu treffen. Dabei sollte an der grundsätzlichen Entscheidung für eine gesetzliche Grundlage des Anspruchs auf angemessene Vergütung festgehalten werden.
1 Etwa in Wandtke, Der Anspruch auf angemessene Vergütung für Filmurheber nach § 32 UrhG Beitrag zum Symposium „Bildgestaltung und Urhebervertragsrecht“ des Bundesverbandes Kamera (bvk) am 23. Januar 2010 in Berlin, GRUR Int. 2010, 704 ff. 2 BVerfG, Beschl. v. 05.08.1994 – 1 BvR 1402/89, NJW 1994, 2749.
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I. Bestandsaufnahme des geltenden deutschen Urhebervertragsrechts Das deutsche Urheberrecht schützt neben den persönlichen Interessen auch die materiellen Interessen des Urhebers an der Nutzung seines Werkes. § 11 S. 2 UrhG bringt das Leitbild einer angemessenen Vergütung des Urhebers zum Ausdruck. Hierauf stützen sich die Regelungen des Urhebervertragsrechts in §§ 31 ff. UrhG, die dem Ausgleich gestörter Vertragsparität dienen.3 Dabei gehen die deutschen Regelungen in ihrer allgemeinen Anwendbarkeit über die sektoralen Vorgaben des europäischen Rechts hinaus. § 32 Abs. 1 UrhG garantiert dem Urheber eine angemessene Vergütung. Dieser vertragliche Anspruch des Urhebers soll durch ein mehrstufiges Schema gesichert werden. Ausgangspunkt ist dabei die vertraglich vereinbarte Vergütung (§ 32 Abs. 1 S. 1 UrhG). Eine abweichende Vergütung wird nur geschuldet, wenn die Parteien entweder keine derartige Regelung getroffen haben (§ 32 Abs. 1 S. 2 UrhG: Fiktion der angemessenen als vertraglich vereinbarte Vergütung) oder die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist (§ 32 Abs. 1 S. 3 UrhG: Anspruch des Urhebers gegen Vertragspartner auf Einwilligung zur Vertragsänderung unter dem Vorbehalt tarifvertraglicher Bestimmungen4). Die gesetzliche Vorgabe soll damit sicherstellen, dass der Urheber stets einen Anspruch auf die angemessene Vergütung erhält. Die Pflicht zur angemessenen Vergütung ist gem. § 32 Abs. 3 UrhG grundsätzlich zwingendes Recht und erlaubt nur eine Ausnahme bei unentgeltlichen einfachen Nutzungsrechten an jedermann. Das Gesetz trifft jedoch nur beschränkt Aussagen über Kriterien zur Feststellung der Angemessenheit einer Vergütung. In der Gesetzesbegründung wird auf „alle relevanten Umstände“ verwiesen wozu Art und Umfang der Nutzung, Marktverhältnisse, Investitionen, Risikotragung, Kosten, Zahl der hergestellten Werkstücke oder öffentlichen Wiedergaben und die zu erzielenden Einnahmen zählten.5 § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG stellt die unwiderlegliche Vermutung 6 der Angemessenheit einer gemeinsamen Vergütungsregel auf. Mangels einer gemeinsamen Vergütungsregel ist die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses übliche und redliche Vergütung angemessen.
3 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 7. 4 Dabei ist der Grad der Unterschreitung ohne Relevanz, vgl. BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 334. 5 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 14. 6 Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32 Rdnr. 24; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 32 Rndr. 30.
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Gemeinsame Vergütungsregeln nach § 36 UrhG wurden bislang nur in wenigen Fällen abgeschlossen.7 Nach intensiven Verhandlungen konnten der Verband Deutscher Schriftsteller in ver.di (VS) und einige Belletristikverlage dank unterstützender Mediation durch das Bundesjustizministerium gemeinsame Vergütungsregeln für den Bereich der Belletristik abschließen.8 Weiter einigten sich der Deutsche Journalisten-Verband e.V. und die Gewerkschaft ver.di mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. nach sechsjähriger Verhandlungsdauer auf gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen.9 Weitere Vergütungsregeln konnten bislang nicht erarbeitet werden.10 Divergierende Interessen der Urheber und der Nutzer stehen einer gemeinsamen Festlegung von Vergütungen entgegen. Mangels gesetzlicher Vorgaben über zu berücksichtigende Kriterien gestalten sich Verhandlungen als besonders komplex. Damit bleibt es in vielen Fällen bei der üblichen und redlichen Vergütung i.S.d. § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG. Im Ergebnis fällt so den Gerichten die Aufgabe zu, einen von Gesetzgeber und interessierten Parteien nicht erzielten Interessenausgleich durch die Festlegung geeigneter Vergütungssätze vorzunehmen. Eine wichtige Orientierung gibt der Bundesgerichtshof mit den Urteilen Talking to Addison 11 und Destructive Emotions 12 zur angemessenen Vergütung für die Einräumung von Nutzungsrechten an Übersetzungen. Das Gericht verlangt darin eine angemessene Beteiligung des Urhebers an jeder wirtschaftlichen Nutzung seines Werkes.13 Der Gesetzesbegründung folgend, sei die angemessene Vergütung kein fester Wert sondern lasse eine Bandbreite von möglichen angemessenen Vergütungen zu.14 Dabei können die Vertragsparteien zwischen einer erfolgsabhängigen Absatzvergütung, einer Pauschalvergütung oder einer Kombination beider Modelle wählen. Bei einer
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Dazu ausführlich S. 17 ff. Gemeinsame Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache v. 09.06.2005, aufgestellt durch den Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und einzelne Verlage. 9 Gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen v. 29.01.2010, aufgestellt durch den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. und den Deutschen Journalisten-Verband e.V. – Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten und ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. 10 Zu der Bedeutung von Tarifverträgen siehe S. 15 ff. 11 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07, BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148. 12 BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09, GRUR 2011, 328. 13 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 346 = GRUR 2009, 1148, 1150. 14 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 360 f. = GRUR 2009, 1148, 1154 mit Verweis auf die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 14. 8
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fortlaufenden Nutzung des Werkes werde der geforderten Beteiligung zwar am besten durch eine erfolgsabhängige Vergütung entsprochen.15 Eine Pauschalvergütung könne dennoch ebenso dem Beteiligungsgrundsatz genügen, wenn sie zu einer angemessenen Vergütung führt.16 Um aber angemessen zu sein, muss die Pauschalvergütung die gesamte Schutzrechtsdauer in Betracht ziehen, also die Zeit ab Vertragsschluss bis zum Erlöschen des Urheberrechts siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers.17 Aufgrund der langen Schutzdauer dürfte das Risiko einer angemessenen Vergütung und somit einer Vertragsanpassung nach § 32 UrhG bei einer Pauschalvergütung damit deutlich höher sein als bei einer absatzbezogenen Vergütung. Der Bundesgerichtshof legt den Werknutzern zur Begrenzung dieses Risikos eine absatzabhängige Vergütung nahe.18 Klare Kriterien zur Angemessenheit einer Vergütung der in den Verfahren betroffenen Übersetzer vermag aber auch der Bundesgerichtshof nicht zu finden. Ausgehend von der gesetzlichen Orientierung an Art und Umfang der Verwertung (§ 32 Abs. 2 S. 2 UrhG) lässt das Gericht eine Vielzahl von Faktoren zu, die sich aus der der Gesetzesbegründung, § 36 UrhG (Struktur und Größe der Verwerter) sowie den vereinbarten gemeinsamen Vergütungsregeln19 ergeben.20 Bezugspunkt der Angemessenheit ist dabei die Verwertung, nicht aber der Arbeitsaufwand eines Urhebers.21 Auf der Grundlage der gemeinsamen Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke stellt das Gericht einen Abschlag der Vergütung für Übersetzer fest und hält im Ergebnis eine Vergütung der Übersetzer in Höhe eines Fünftels der Vergütung von Autoren für angemessen.22 Dies gelte auch für die Beteiligung an
15 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 346 = GRUR 2009, 1148, 1150; eine erfolgsabhängige Beteiligung neben einem festen Sockelbetrag im Rahmen von Bestellverträgen präferierend bereits BGH, Urt. v. 17.06.2004 – I ZR 136/01 (Oceano Mare) = GRUR 2005, 148, 151. 16 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 347 = GRUR 2009, 1148, 1150. 17 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 347 = GRUR 2009, 1148, 1151. 18 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 346 f. = GRUR 2009, 1148, 1151. 19 Verkaufserwartung, Vorliegen eines Erstlingswerkes, Möglichkeiten der Rechteverwertung, Lektoratsaufwand, Notwendigkeit umfangreicher Lizenzeinholung, genrespezifische Entstehungs- und Marktbedingungen, besonders hoher Aufwand bei Herstellung, Werbung, Marketing, Vertrieb oder bei wissenschaftlichen Gesamtausgaben. 20 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 358 = GRUR 2009, 1148, 1153. 21 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 358 f. = GRUR 2009, 1148, 1154. 22 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 353 = GRUR 2009, 1148, 1152.
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der wirtschaftlichen Verwertung von Nebenrechten, die ferner nicht über dem verbleibenden Anteil des Verlages liegen dürfe.23 Bemessungsgrundlage bildet dabei der Nettoladenverkaufspreis. Die divergierende Vergütungshöhe rechtfertigt das Gericht mit Unterschieden bei dem Maß schöpferischer Leistung und der Kausalität am wirtschaftlichen Erfolg.24 Dies sei Ausdruck der Stellung einer Übersetzung als abhängiges und nachgeordnetes Werk.25 Bei steigendem Verkaufserfolg wird dem Interesse des Verlages an der Finanzierung weniger erfolgreicher Titel Vorrang gegenüber dem Interesse des Übersetzers an einer steigenden Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg des Buchabsatzes eingeräumt.26 Auch rechtfertige die Übernahme des Verwertungsrisikos durch den Verlag eine Verminderung des Vergütungssatzes.27 Eine Absatzbeteiligung der Übersetzer sei daher erst ab dem 5000. Exemplar einer Ausgabe erforderlich. Bis zu dieser Grenze sei der Absatz von Büchern für Verlage zumeist nicht profitabel. Wenn Gerichte die angemessene Vergütung ermitteln und so den in parteiautonomen Verhandlungen nicht gefundenen Konsens ersetzen, wird die beabsichtigte Selbstregulierung nicht erreicht. Die Orientierung an gemeinsamen Vergütungsregeln über nahestehende Werkbereich unter Berücksichtigung von Divergenzen durch den einen konkreten Einzelfall entscheidenden Richter, kann das Verfahren zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln nicht ersetzt. Die Ermittlung einer angemessenen Vergütung durch andere Personen als Urheber und Nutzer wird sich stets als schwierig gestalten. Eine Erleichterung könnte dabei die grundsätzliche Einführung einer proportionalen Beteiligung der Urheber an dem Nettoerlös der Verwertung bringen. Sie wird bereits in anderen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angewandt.28 Der Bundesgerichtshof hat ebenfalls deutlich gemacht,
23 BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 333. Anders noch BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 359 = GRUR 2009, 1148, 1153: hälftige Beteiligung von Übersetzer und Verlag. 24 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 354 = GRUR 2009, 1148, 1152. 25 BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 331. 26 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 354 = GRUR 2009, 1148, 1152 f; bestätigt in BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 331. 27 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 354 = GRUR 2009, 1148, 1153; bestätigt in BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I ZR 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 331 f. A.A. noch OLG München, Urt. v. 15.07.2010 – 6 U 5785/07, GRUR 2011, 337, 338 (nicht rechtskräftig). 28 Vgl. Art. L.131-4 des französischen Code de la propriété intellectuelle (CPI), dazu: Andernach, Die vertragliche Beteiligung nach dem neuen Urhebervertragsrecht Deutschlands und dem Urheberrecht Frankreichs, 2004, S. 68 ff.; Art. 46.1 des spanischen Texto Refundido de la Ley de Propiedad Intelectual (TRLPI), dazu: Steinhaus, Urhebervertragsrecht in Spanien im Vergleich zum deutschen Recht, 2004, S. 115 ff.
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dass eine absatzabhängige Vergütung regelmäßig zur angemessenen Beteiligung des Urhebers besser geeignet sein wird. Eine verhältnismäßige Beteiligung hat für Urheber und Nutzer im Allgemeinen auch wirtschaftliche Vorteile: Urheber werden direkt, d.h. ohne eine möglicherweise riskante gerichtliche Geltendmachung, an dem wirtschaftlichen Erfolg des Werkes beteiligt. Verwerter gewinnen demgegenüber Planungssicherheit und werden von der Gefahr eines unerwartet niedrigen wirtschaftlichen Erfolges zumindest teilweise befreit.29 Zwar wird auch die Bestimmung des angemessenen Verhältnisses eine von unterschiedlichen Interessen geleitete Auseinandersetzung hervorrufen. Allerdings kann eine objektiv-generalisierende Festlegung leichter erfolgen. Auch ist zu erwägen, nach Anhörung betroffener Parteien einen Katalog angemessener Beteiligungssätze zu entwickeln. Die staatliche Festsetzung einer angemessenen Vergütung ist als subsidiäres Mittel gegenüber der bisher nicht erfolgreichen Parteivereinbarung im europäischen Recht ausdrücklich vorgesehen. Die zu berücksichtigenden Kriterien können sich dabei an den gesetzlichen Vorgaben in §§ 32 Abs. 1, 36 Abs. 1 UrhG und den bislang durch die Rechtsprechung entwickelten Maßstäben orientieren. Zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips sollten die Parteien in einem gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit zur Widerlegung der Angemessenheit dieser Beteiligungssätze haben. Weiter sollte eine Pauschalvergütung ausnahmsweise in besonderen Situationen zulässig sein, in denen die proportionale Beteiligung nicht praktikabel ist oder zu einer übermäßig starken Belastung des Nutzers führt.30
II. Probleme bei Abschluss und Ausgestaltung von Verträgen 1. Umfang der Nutzungsrechtsübertragung, insbesondere „Buy-Out“-Verträge Gem. § 31 Abs. 1 S. 1 UrhG kann der Urheber einem Verwerter ein Nutzungsrecht über einzelne oder alle Nutzungsarten einräumen. Dieses Nutzungsrecht kann nach § 31 Abs. 1 S. 2 UrhG ein einfaches oder ausschließliches Recht sein. Eine zeitliche oder inhaltliche Beschränkung ist zwar zulässig, aber nicht notwendig. Bei fehlender ausdrücklicher Bezeichnung der Nutzungsarten folgt der Umfang der Einräumung von Nutzungsrechten dem Vertragszweck, § 31 Abs. 5 UrhG (Zweckübertragungsregel). Danach ist der Urheber grundsätzlich nicht gehindert, ein ausschließliches Nutzungsrecht über alle Nutzungsarten einzuräumen ohne diese ausdrück29 Zu den Vorteilen der Verwerter bei einer proportionalen Beteiligung der Urheber Berger, ZUM 2003, 521, 525. 30 Vgl. die Ausnahmetatbestände in Art. L.131-4 CPI; Art. 46.2 TRLPI.
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lich zu benennen. Allerdings würde dies dem Schutzzweck des § 31 Abs. 5 UrhG widersprechen, wonach der Rechtserwerber die Spezifizierungslast über einzuräumende Nutzungsrechte trägt.31 Unterlassen die Parteien eine ausdrückliche Bezeichnung der Nutzungsarten, erhält der Erwerber nur die zur Erreichung des Vertragszwecks unbedingt erforderlichen Rechte.32 Enthält der „Buy-Out“-Vertrag aber einen umfassenden Katalog aller denkbaren Nutzungsarten, wird eine Reduktion des Umfangs der Nutzungsrechte nicht erreicht. Zur Stärkung der Position des Urhebers wird diskutiert, ob § 31 Abs. 5 UrhG als Ausdruck eines allgemeinen Schutzgedankens zwingenden Charakter hat. Der Umfang eingeräumter Nutzungsrechte wäre unabhängig von einer weitergehenden vertraglichen Vereinbarung stets auf den Vertragszweck begrenzt.33 Nach der bislang herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur erfüllt § 31 Abs. 5 UrhG jedoch nur die Funktion einer Auslegungsregel im Falle fehlender Bezeichnung der Nutzungsarten.34 Mit dem Anspruch auf eine angemessene Vergütung nach §§ 32 Abs. 1, 32a Abs. 1 UrhG für die Gesamtheit der übertragenen Nutzungsrechte hat diese Diskussion zwar an Bedeutung verloren.35 Allerdings verleiht ein bestehendes Nutzungsrecht dem Urheber eine stärkere Position als ein Anspruch auf angemessene Vergütung für ein bereits übertragenes Nutzungsrecht.36 Einen Anspruch auf Vertragsanpassung hat der Urheber bei nachvertraglichen Entwicklungen ferner nur, wenn zwischen der erhaltenen Gegenleistung und den Erträgen, sowie Vorteilen aus der Werknutzung, ein auffälliges Missverhältnis besteht. Allein dem Erwerber der Nutzungsrechte kommt also eine positive Entwicklung zugute, die zwar ein Missverhältnis, nicht aber ein auffälliges Missverhältnis begründet. Gerade dann aber würde der Urheber für die Einräumung von Nutzungsrechten eine höhere Gegenleistung erhalten. Die Angemessenheit einer Vergütung i.S.d. § 32 Abs. 1 UrhG ist stets in Bezug auf die eingeräumten Nutzungsrechte und ihre ex ante erwartete Verwertung zu ermitteln. Bei umfassender Einräumung von Nutzungsrechten 31
Schricker/Loewenheim, in: dies., Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 31 Rndr. 69. Zur Beschränkung auf die „unbedingt“ erforderlichen Rechte vgl. BGH, Urt. v. 05.07.2001 – I ZR 311/98 (Spiegel-CD-Rom), GRUR 2002, 248, 251. 33 Schricker, ZUM 2001, 453, 456; Berberich, ZUM 2006, 205, 207; wohl auch Dreier/ Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 31 Rndr. 116, der dies auf das Prinzip der angemessenen Vergütung nach § 11 S. 2 UrhG stützt; ferner OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09, ZUM 2011, 846, 852. 34 BGH, Urt. v. 22.01.1998 – I ZR 189/95 (Comic-Übersetzungen I), ZUM 1998, 497, 500; BGH, Urt. v. 15.09.1999 – I ZR 57/97 (Comic-Übersetzungen II), GRUR 2000, 144, 145; BGH, Urt. v. 22.04.2004 – I ZR 174/01 (Comic-Übersetzungen III), GRUR 2004, 938, 938 f.; Schricker/Loewenheim, in: dies., Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 31 Rndr. 72, die ferner auf den Vorteil gesteigerter Transparenz für den Urheber auch im Falle einer über den Vertragszweck hinausgehenden Einräumung von Nutzungsrechten aufmerksam machen. 35 Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 31 Rndr. 44. 36 So auch Schricker/Loewenheim, in: dies., Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 31 Rndr. 73. 32
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gegen ein Pauschalhonorar muss dieses dem wirtschaftlichen Wert der Nutzung insgesamt entsprechen. Wird in einem „Buy-Out“-Vertrag die Vergütung nicht für alle umfassten Nutzungsrechte geschuldet (z.B. bei einer pauschalen Vergütung trotz Einräumung von weiteren noch nicht konkret absehbaren Nutzungen), verstößt dies gegen § 32 Abs. 1 UrhG und wurde als Allgemeine Geschäftsbedingung bereits wiederholt von Gerichten für unwirksam erklärt.37 Lässt eine umfassende Einräumung von Nutzungsrechten schon gar keine Abschätzung über die Nutzung aus der ex ante-Perspektive zu, kann die Angemessenheit der Vergütung nicht ermittelt werden. Eine angemessene Pauschalvergütung kann nicht festgelegt werden.38 Die proportionale Beteiligung des Urhebers würde eine angemessene Beteiligung an jeder Verwertung ermöglichen. Wo diese zu aufwändig ist, etwa bei Filmwerken mit Beteiligung einer Vielzahl von Urhebern, könnte eine Pauschalvergütung ausnahmsweise für zulässig erachtet werden. Gefahren umfassender Einräumung von Nutzungsrechten könnte durch die Einführung einer zeitlichen Begrenzung der Rechtseinräumung 39 oder eines einseitigen Kündigungsrechts 40 des Urhebers begegnet werden. Der Vorteil einer Begrenzung läge in der automatischen erneuten Verfügungsmöglichkeit des Urhebers.41 Allerdings ist die Erforderlichkeit dieser Begrenzung angesichts der Möglichkeit einer Kündigung als milderes Mittel zweifelhaft. Ferner sollte der Urheber zur Wahrung der Investitionssicherheit von Verwertern grundsätzlich verpflichtet sein, Verhandlungen über die erneute Einräumung von Nutzungsrechten gegen angemessene Vergütung aufzunehmen. Durch das einseitige Kündigungsrecht erhält der Urheber eine gestärkte Verhandlungsposition gegenüber dem Nutzer. Insoweit geht es über das allgemeine Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 1 BGB und dem Kündigungsrecht nach dem ursprünglichen Gesetzesentwurf 42 hinaus. 37 OLG München, Urt. v. 21.04.2011 – 6 U 4127/10, ZUM 2011, 576, 581; OLG Hamm, Urt. v. 27.01.2011 – I-4 U 183/10; LG Berlin, Urt. v. 05.06.2007 – 16 O 106/07, ZUM-RD 2008, 18, 19 f. (nicht rechtskräftig). 38 Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09, ZUM 2011, 846, 856 f. 39 So Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 31 Rndr. 44. 40 So etwa Schack, ZUM 2001, 453, 460; ders., GRUR 2002, 853, 858; Leistner, in: Riesenhuber/Klöhn, Das Urhebervertragsrecht im Lichte der Verhaltensökonomik, 2009, S. 148 f. Das Widerrufsrecht wäre dem Rückrufsrecht nach § 41 UrhG, das zumindest auch wirtschaftliche Interessen des Urhebers schützt (dazu Wandtke, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 41 Rndr. 2) angenähert. 41 Die Wirksamkeit des Widerrufsrechts ist aus verhaltensökonomischen Gesichtspunkten zweifelhaft, vgl. Riesenhuber, in: Riesenhuber/Klöhn, Das Urhebervertragsrecht im Lichte der Verhaltensökonomik, S. 107 f. 42 § 32 Abs. 5 des Entwurfes eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern, BT-Drucks. 14/6433. Dieses Kündigungs-
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2. Anspruch auf Vertragsanpassung bei auffälligem Missverhältnis, § 32a UrhG Begründen Entwicklungen nach Vertragsschluss ein auffälliges Missverhältnis, verleiht § 32a Abs. 1 UrhG dem Urheber ein Anspruch auf Vertragsanpassung. Im Unterschied zu § 32 UrhG erfolgt die Betrachtung bei der nachträglichen Vertragsanpassung gem. § 32a UrhG ex post.43 Dabei ist gem. § 32a Abs. 1 S. 2 UrhG ausdrücklich ohne Bedeutung, ob die Vertragspartner die Höhe der erzielten Erträge oder Vorteile vorhergesehen haben oder hätten vorhersehen können. § 32a UrhG hat damit geringere Voraussetzungen als § 36 UrhG a.F. und verteilt so im Wege eines „Fairnessausgleiches ex post“44 die Früchte einer erfolgreichen Verwertung stärker zu Gunsten des Urhebers. Ein auffälliges Missverhältnis ist nur bei evidenter und objektiv erheblicher Abweichung von der Angemessenheit anzunehmen.45 Ungeklärt ist das konkrete Maß des auffälligen Missverhältnisses. Eine ausdrückliche Festlegung enthält das Gesetz im Gegensatz etwa zum französischen Recht (7/12 der Einkünfte des Verwerters 46) nicht. Der Gesetzesbegründung zufolge ist ein Missverhältnis jedenfalls dann auffällig, wenn die vereinbarte Vergütung um 100 % von der angemessenen Beteiligung abweicht, der Urheber also nur 50 % der angemessenen Vergütung erhält.47 Nach Maßgabe der Umstände könnten aber auch bereits geringere Abweichungen ein auffälliges Missverhältnis begründen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu dem (strengeren) Begriff des „groben Missverhältnisses“ i.S.d. § 36 UrhG a.F. wird zum Teil bereits eine Abweichung von der angemessenen Vergütung um 20 % bis 30 % für ausreichend erachtet.48 Allerdings wurde diese Grenze nur aufgrund besonderer Umstände (Honorarsatz von recht beider Parteien wurde aufgrund der Einführung des § 314 BGB nicht eingeführt, vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 19. 43 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 19. 44 Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32a Rndr. 1. 45 Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32a Rndr. 19; dazu auch Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 32a UrhG Rndr. 37. 46 Art. L.131-5 des französischen Code de la propriété intellectuelle (CPI), dazu: Andernach, Die vertragliche Beteiligung nach dem neuen Urhebervertragsrecht Deutschlands und dem Urheberrecht Frankreichs, 2004, S. 91. 47 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 19. 48 Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 32a Rndr. 20 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 27.06.1991 – I ZR 22/90 (Horoskop-Kalender), BGHZ 115, 63, 67 = GRUR 1991, 901, 903.
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3 % als unterste Grenze der angemessenen Vergütung) angenommen.49 Derartige besondere Umstände sind aber wenig geeignet, eine allgemeine Orientierung für den Begriff des auffälligen Missverhältnisses zu geben.50 Ein auffälliges Missverhältnis muss mindestens so hoch sein, dass eine nachvollziehbare Differenzierung zu dem von § 32a UrhG noch nicht erfassten „einfachen“ Missverhältnis getroffen werden kann. Andererseits darf es nicht die Schwelle zur Sittenwidrigkeit des Vertrages über die Einräumung der Nutzungsrechte nach Maßgabe des § 138 Abs. 1 BGB erreichen, die regelmäßig bei etwa 100 % des Wertes der Gegenleistung liegt.51 Eine ausdrückliche Festlegung könnte die notwendige Rechtssicherheit insbesondere für Urheber bringen. Die Übertragung des Nutzungsrechts an Dritte und die Einräumung weiterer Nutzungsrechte zugunsten Dritter begründet eine unmittelbare Verpflichtung52 des Dritten zur angemessenen Beteiligung des Urhebers, § 32a Abs. 2 UrhG.53 Die Verpflichtung des Dritten tritt an die Stelle der Verpflichtung des ursprünglichen Vertragspartners des Urhebers. Dabei umfasst der Anspruch des Urhebers gegen den Dritten allein Erträge und Vorteile des Dritten selbst. Überträgt der Dritte das Nutzungsrecht an weitere Personen oder räumt er ihnen weitere Nutzungsrechte ein, setzt sich die Durchgriffshaftung bei diesen fort. Auf diese Weise können komplexe Lizenzketten entstehen, deren Glieder dem Urheber zur angemessenen Beteiligung an Erträgen und Vorteilen verpflichtet sind. § 32a Abs. 2 S. 1 UrhG fordert ausdrücklich die Berücksichtigung derartiger Lizenzketten. Zur Feststellung des auffälligen Missverhältnisses sind nur die Erträge und Vorteile des Dritten selbst heranzuziehen.54 Dabei ist auch der Anteil des Urhebers und
49 BGH, Urt. v. 27.06.1991 – I ZR 22/90 (Horoskop-Kalender), BGHZ 115, 63, 67 = GRUR 1991, 901, 903. 50 Zu Recht daher ablehnend auch Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2003, Rndr. 283; Höckelmann, ZUM 2005, 526, 528. 51 BGH, Urt. v. 22.12.1999 – VIII ZR 111/99, NJW 2000, 1254, 1255: „grobes, besonders krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“, das den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung zulässt und damit gem. § 138 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages führt. 52 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 19. Diese Durchgriffshaftung war bereits unter § 36 UrhG a.F. anerkannt, vgl. OLG München, Urt. v. 20.12.2007 – 29 U 5512/06 (Pumuckl-Illustrationen), GRUR-RR 2008, 37, 42. 53 Unklar ist, ob § 32a Abs. 2 einen auf die Gewährung einer angemessenen Beteiligung gerichteten Vertrages (so etwa Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 32a Rndr. 48) oder einen gesetzlichen Anspruch unmittelbar auf Zahlung der angemessenen Beteiligung (so etwa Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32a Rndr. 34) begründet. 54 Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 32a Rndr. 28; Höckelmann, ZUM 2005, 526, 530.
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seines Werkes an den Erträgen und Vorteilen des Dritten zu berücksichtigen.55 Ferner werden nur Erträge und Vorteile erfasst, die ein Nutzer vertragsgemäß erzielt.56 Zwar hat der Urheber einen Anspruch auf Auskunft über sämtliche mit der Nutzung erzielten Bruttoeinnahmen und sonstigen Vorteilen gegen den jeweiligen Verwerter.57 Ergibt sich dieser aber mangels ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarung nur auf Grundlage des allgemeinen Gebotes von Treu und Glauben nach § 242 BGB, setzt er einen zumindest dem Grunde nach bestehenden Anspruch auf angemessene Vergütung voraus. Mangels klarer Kriterien zur Ermittlung eines auffälligen Missverhältnisses i.S.d. § 32a Abs. 1 UrhG, bleibt dem Urheber nur ein unsicheres Vorgehen.58 Ein Teil der Literatur möchte zur Stärkung des Urhebers eine gesamtschuldnerische Haftung aller Nutzer annehmen.59 Der Urheber könnte somit von jedem Nutzer den gesamten Differenzbetrag zur angemessenen Vergütung verlangen. Zwischen den Nutzern erfolgt danach ein Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis nach § 426 Abs. 1 BGB bzw. auf Grundlage einer vertraglichen Freistellungsklausel. Das Bestehen einer gesamtschuldnerischen Haftung der einzelnen Nutzer wird von anderen bestritten.60 Der Urheber hat nach dieser Ansicht jeweils einen Teilanspruch gegen einzelne Nutzer. Er tritt an die Stelle des jeweiligen Lizenzgebers, der einen Anspruch auf angemessene Vergütung (allein) gegenüber dem jeweiligen Lizenznehmer erhebt. Die Lizenzkosten sind dabei von den Erträgen und Vorteilen des Lizenznehmers abzuziehen und können von dem Urheber nur auf vorangegangener Stufe (d.h. als Erträge und Vorteile des Lizenzgebers) geltend gemacht werden. Im Ergebnis stellt sich die Realisierung des Anspruchs auf angemessene Vergütung nach dieser Ansicht als aufwendig und risikoreich dar. 55 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 19: „Bei untergeordneten Beiträgen wird § 32a aber zurückhaltend anzuwenden sein.“ 56 Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 32a Rndr. 28; Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32a Rndr. 33. 57 Ein solcher Auskunftsanspruch kann im Lizenzvertrag ausdrücklich geregelt sein. Mangels ausdrücklicher Vereinbarung besteht er ferner als lizenzvertragliche Nebenpflicht und aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Dazu Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 307; vgl. auch OLG München, Urt. v. 17.06.2010 – 29 U 3312/09 (Das Boot), ZUM 2010, 808, 816; KG, Urt. v. 13.01.2010 – 24 U 88/09, ZUM 2010, 346, 355. 58 Die Bedenken eines derart vom Zufall abhängenden Vorgehens beschreibt auch das OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09, ZUM 2011, 846, 857. 59 Höckelmann, ZUM 2005, 526, 531; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. 2010, Rndr. 1100; wohl auch Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 32a Rndr. 51 f. 60 Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 32a Rndr. 34; Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 293.
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III. Stärkung des Urhebers in der Vertragspraxis? Mit Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf angemessene Vergütung (§§ 32, 32a UrhG) wurde erwartet, dass sich die Vergütungspraxis an gemeinsamen Vergütungsregeln orientieren, Transparenz schaffen und den Beteiligten Rechtssicherheit geben werde.61 Dabei bleibt die Stärkung grundsätzlich beschränkt auf die Tätigkeit von Urhebern und ausübenden Künstlern. Insbesondere vor dem Hintergrund der geringen Anforderungen an die Qualität schöpferischen Schaffens ist zweifelhaft, ob die Interessen der allein Leistungsschutzberechtigten (mit Ausnahme der ausübenden Künstler, § 79 Abs. 2 UrhG) hinreichend berücksichtigt wurden.62 Von Urhebern und Nutzern wird die Entwicklung seit der Reform des Urhebervertragsrechts erwartungsgemäß unterschiedlich gesehen: während Urheber die eingetretenen Änderungen begrüßen63, ist die Reform in den Augen der Verwerter misslungen.64 Die als besonders schutzbedürftig beschriebenen Übersetzer erhielten im Jahre 2002 von der literarischen Gattung (Belletristik/Sachbuch) und der Erscheinungsweise (Hardcover/ Taschenbuch) abhängige Normseitenhonorare.65 Eine laufende Beteiligung der Übersetzer an dem Buchabsatz oder an der Verwertung von Nebenrechten wurde überwiegend nicht vereinbart.66 Nach der Reform des Urhebervertragsrechts erfolgte eine Entwicklung hin zur kombinierten Vergütung, bestehend aus einem Normseitenhonorar und einer absatzabhängigen Beteiligung an dem Buchabsatz.67 Während der Verhandlungen um gemeinsame Vergütungsregeln wurde 2008 das sog. „Berliner Modell“ der Übersetzerhonorierung entwickelt. Danach sollten Übersetzer eine Grundvergütung
61 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 2. 62 Zu der Situation von Filmproduzenten etwa Hoeren, in: Loewenheim, Festschrift Nordemann, 2004, S. 181 ff. 63 Schimmel, ZUM 2010, 95, 106. 64 Schwarz, ZUM 2010, 107, 116; Sprang, ZUM 2010, 116, 123 f. 65 Homburg, Gutachten: Betriebswirtschaftliche Auswirkungen möglicher Veränderungen der Honorarsituation in Verlagen als Folge der Urheberrechtsnovellierung (im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.), 2003, S. 32, zeigt als durchschnittliche Normseitenhonorare auf: 16,60 Euro (Belletristik-Hardcover), 12,80 Euro (Belletristik-Taschenbuch), 15,70 Euro (Sachbuch-Hardcover), 12,50 Euro (SachbuchTaschenbuch) – jeweils für Übersetzungen aus allen Sprachen, während bei hohem Anspruch an den Übersetzer ein höheres durchschnittliches Normseitenhonorar galt. Im Wesentlichen bestätigt in Nies/Rehberg, Zur Honorar- und Einkommenssituation der Übersetzerinnen und Übersetzer (Studie im Auftrag des VdÜ), S. 16. 66 Homburg, Gutachten: Betriebswirtschaftliche Auswirkungen möglicher Veränderungen der Honorarsituation in Verlagen als Folge der Urheberrechtsnovellierung (im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.), 2003, S. 29. 67 Sprang, ZUM 2010, 116, 119 f.
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abhängig von der Anzahl übersetzter Normseiten und der Erscheinungsweise des Buches erhalten sowie, zusätzlich, nach einem „progressiv-degressiven“ Staffelmodell am Umsatz beteiligt werden.68 Eine allgemeine Beteiligung am Netto-Verlagsanteil der Erträge aus der Verwertung von Nebenrechten wurde eingeführt. Das Urteil Talking to Addison des Bundesgerichtshofs69 bezüglich der angemessenen Vergütung von Übersetzern führte im Jahre 2009 zu einer allgemeinen Orientierung der Verlage an dem dort festgesetzten Beteiligungsmodell.70 Übersetzer erhalten danach eine nicht verrechenbare, einzelfallbezogene Grundvergütung nach Anzahl der übersetzten Normseiten sowie eine zusätzliche lineare Beteiligung von 0,8 % (Hardcover) bzw. 0,4 % (Taschenbuch) des Nettoladenverkaufspreises ab dem fünftausendsten verkauften, bezahlten und nicht remittierten Exemplar des übersetzten Werkes.71 In der Vertragspraxis werden keine wesentlichen Abweichungen zu dem bereits zuvor verbreiteten „Berliner Modell“ festgestellt.72 Eine Absatzbeteiligung ab dem fünftausendsten verkauften Exemplar begründet wirtschaftliche Bedenken auf Seiten der Verlage.73 Es wird daher erwartet, dass Verlage die zusätzliche Absatzbeteiligung mit einer Verringerung des Grundhonorars auszugleichen versuchen.74 Hier hat der Bundesgerichtshof bislang eine Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren genannt, ohne eine genaue Festlegung zu treffen. Im Ergebnis liegt somit eine Zunahme der Auseinandersetzungen zwischen Verlag und Übersetzer über das garantierte Grundhonorar nahe. Auch könnten Verlage von Büchern absehen, deren wirtschaftlicher Erfolg riskant ist.75 Tarifverträgen und gemeinsamen Vergütungsregeln kommt hier als verbindliche und vorrangige Instrumente zur Festlegung der angemessenen Vergütung eine wichtige Bedeutung zu. Die Pflicht zur proportionalen Vergütung könnte Probleme der Bemessung eines Grundhonorars ausräumen.
68 69 70 71
Sprang, ZUM 2010, 116, 120. BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07, BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148. Sprang, ZUM 2010, 116, 120. BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07, BGHZ 182, 337, 353 = GRUR 2009, 1148,
1152. 72 73 74 75
Dresen, GRUR-Prax, 2009, 4. Dresen, GRUR-Prax, 2009, 4. v. Becker, GRUR-Prax 2011, 96. Dresen, GRUR-Prax, 2009, 4; Sprang, ZUM 2010, 116, 123 f.
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IV. Sicherung der angemessenen Vergütung durch Tarifverträge, gemeinsame Vergütungsregeln, AGB-Kontrolle oder das Lauterkeitsrecht? 1. Qualität bestehender Tarifverträge Tarifverträge enthalten für die Tarifvertragsparteien unmittelbar und zwingend geltende Rechtsnormen über Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen.76 Die näheren Umstände der Einräumung von Nutzungsrechten können als Inhalt eines Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Ist die Vergütung für die Nutzung tarifvertraglich normiert, gilt sie als angemessen und hat Vorrang auch gegenüber gemeinsamen Vergütungsregeln (§ 36 Abs. 1 S. 3 UrhG). Die nur für Tarifvertragsparteien verbindlichen Vergütungssätze können für die Vergütung nicht tarifgebundener Urheber Indizwirkung entfalten.77 a) Umfang der Nutzungsrechtseinräumung Im Bereich des Rundfunks sind nur bei öffentlich-rechtlichen Sendeunternehmen Tarifverträge mit urheberrechtlichen Klauseln weit verbreitet.78 Nahezu alle Rundfunkanstalten haben entsprechende Klauseln in ihre Manteltarifverträge für fest angestellte Arbeitnehmer aufgenommen.79 Daneben haben WDR80 und NDR81 Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen abgeschlossen.82 Der Umfang der Nutzungsrechtseinräumung unterscheidet sich zwischen den fest angestellten Arbeitnehmern und den auf Produktionsdauer Beschäftigen. Während erstere der Rundfunkanstalt ein ausschließ-
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§ 1 Abs. 1 TVG; § 4 Abs. 1 TVG. LG Stuttgart, Urt. v. 28.10.2008 – 17 O 710/06, ZUM 2009, 77, 82. 78 Bei privaten Fernsehsendern dominieren Fremdproduktionen. Soweit Eigenproduktionen (z.B. Nachrichten, Talksendungen) hergestellt werden, kommt diesen regelmäßig nur Laufbildcharakter zu. Daher haben die Regelungen zum Urhebervertragsrecht hier geringe Bedeutung. Der am 01.01.2010 in Kraft getretene Tarifvertrag für auf Produktionsdauer befristet beschäftigte Film- und Fernsehschaffende enthält nach der Kündigung einer urheberrechtlichen Klausel weiterhin keine entsprechende Regelung. Dazu Castendyk, in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2010, § 75 Rndr. 286 ff. 79 Eine ausführliche Übersicht gibt Czychowski, in: Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl. 2008, § 32 Rndr. 79 ff. Vgl. auch die Informationsseite der Gewerkschaft ver.di unter www.rundfunkfreiheit.de. 80 Tarifvertrag über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR i.d.F. v. 01.04.2001. 81 Tarifvertrag über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des Norddeutschen Rundfunks i.d.F. v. 01.04.2001. Die Tarifverträge von WDR und NDR sind nahezu identischen Inhalts. 82 Daneben existiert ein Entwurf zu einem Tarifvertrag über die Urheberrechte freier Mitarbeiter des MDR. 77
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liches und unbeschränktes Nutzungsrecht für Rundfunkzwecke einräumen, erfolgt die Einräumung von Nutzungsrechten bei arbeitnehmerähnlichen Beschäftigten grundsätzlich zeitlich befristet.83 Die Nutzungsrechte werden jeweils in umfassenden aber nicht abschließenden Katalogen aufgeführt. Für andere als Rundfunkzwecke erhalten die Rundfunkanstalten ebenfalls ausschließliche, unbeschränkte Nutzungsrechte, die aber ausdrücklich und abschließend aufgeführt werden.84 Für die Tätigkeit von Journalisten bestehen ebenfalls nach dem Beschäftigungsverhältnis getrennte Tarifverträge. Die Redakteure von Tageszeitungen und Zeitschriften räumen dem Verlag ein ausschließliches und unbeschränktes Nutzungsrecht an Urheberrechten und verwandten Schutzrechten aus dem Arbeitsverhältnis ein.85 Die Nutzungsrechte werden in einem weiten Katalog ohne Bindung an einen bestimmten Zweck eingeräumt. Redakteure haben jedoch ein Rückrufsrecht für den Fall unzureichender Ausübung der Nutzungsrechte seitens des Verlages.86 Nach erfolgtem Rückruf verbleibt den Verlagen ein einfaches Nutzungsrecht und die Verwertung durch den Redakteur darf die berechtigten Interessen des Verlages nicht beeinträchtigen. b) Gegenleistung für die Nutzungsrechtseinräumung Die Urheberrechtstarifverträge der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden für die Vergütung der arbeitnehmerähnlichen Personen um Vergütungstarifverträge ergänzt. Mit der dort vereinbarten Vergütung ist die Einräumung der Nutzungsrechte für Rundfunkzwecke abgegolten.87 Für Wiederholungen erhält der Urheber eine zusätzliche Vergütung, die nach der
83 Vgl. etwa § 34.2.1 MTV-WDR und Nr. 3.2.1 des Tarifvertrages über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR. 84 Für andere als Rundfunkzwecke erhalten die Sendeunternehmen in bestimmten Fällen auch nur ein einfaches Nutzungsrecht. Sofern ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt wird, erlöscht dieses wenn nicht innerhalb von fünf Jahren nach der Erstsendung oder Weiterübertragung mit der Nutzung begonnen wurde (vgl. Nr. 4.9 des Tarifvertrages über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR). Nahezu identische Regelungen finden sich in den Manteltarifverträgen und Tarifverträgen über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen der weiteren Rundfunkanstalten. 85 § 18 Abs. 1 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen i.d.F. v. 01.01.2003; § 12 Abs. 1 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften i.d.F. v. 22.12.2004. Der Umfang ausdrücklich genannter Nutzungsrechte ist in § 18 Abs. 1 MTV-Zeitungen um das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG erweitert. 86 § 18 Abs. 5 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen; § 12 Abs. 5 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften. Im Einzelnen ist ein Redakteur an Zeitungen bereits nach sechs, ein Redakteur an Zeitschriften erst nach zwölf Monaten zum Rückruf berechtigt. 87 Vgl. etwa Nr. 16.2.1 des Tarifvertrages über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR.
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Erstvergütung und in Abhängigkeit der Sendezeit und des Senders bemessen wird.88 Es erfolgt somit eine Vergütung in Abhängigkeit des wirtschaftlichen Wertes der Nutzung. Bei entgeltlicher Verwertung der Nutzungsrechte ist eine Beteiligung der Urheber und Leistungsschutzberechtigten von insgesamt 35 % des Nettoerlöses vorgesehen.89 Dieser Anteil wird zunächst zwischen Urhebern und Leistungsschutzberechtigten hälftig, sodann innerhalb dieser Gruppen im Verhältnis der Erstvergütung zueinander aufgeteilt. Nach den Manteltarifverträgen für Redakteure an Zeitungen und an Zeitschriften erfolgt die Einräumung der im Rahmen des Arbeitsvertrages begründeten Nutzungsrechte vergütungsfrei.90 Darüber hinaus hat der Redakteur einen Anspruch auf eine zusätzliche angemessene Vergütung für näher bestimmte Nutzungen. Als angemessen gilt dabei „eine Vergütung von mindestens 40% des aus der Verwertung erzielten, hilfsweise des üblicherweise erzielbaren, um Aufwand und Mehrwertsteuer verminderten Nettoerlöses“.91 2. Gemeinsame Vergütungsregeln a) Bestehende gemeinsame Vergütungsregeln Von Urhebern mit Vereinigungen von Werknutzern oder einzelnen Werknutzern aufgestellte gemeinsame Vergütungsregeln sollen Vergütungen ermitteln, deren Angemessenheit nach § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG unwiderleglich vermutet wird.92 Die Einführung gemeinsamer Vergütungsregeln als Instrument der Selbstregulierung war mit großen Erwartungen an die Urheberverbände und Nutzerverbände verbunden.93 Dennoch konnten bislang nur zwei gemeinsame Vergütungsregeln vereinbart werden: für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache94 und für freie hauptberufliche Journa88 So erhält der Urheber z.B. grundsätzlich 75 % der Erstvergütung bei einer Wiederholung im Fernsehgemeinschaftsprogramm der ARD-Rundfunkanstalten (Nr. 16.2.2), aber nur 15% der Erstvergütung bei einer Sendezeit während des Nachtprogramms (Nr. 16.2.3). 89 Vgl. etwa Nr. 16.5.1 des Tarifvertrages über die Urheberrechte arbeitnehmerähnlicher Personen des WDR. 90 § 18 Abs. 6 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen; § 12 Abs. 6 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften. 91 § 18 Abs. 6 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen; § 12 Abs. 6 Manteltarifvertrag für Redakteurinnen und Redakteure an Zeitschriften. 92 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 17; ferner Schricker/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 1. 93 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 1. 94 Gemeinsame Vergütungsregeln für Autoren belletristischer Werke in deutscher Sprache v. 09.06.2005, aufgestellt durch den Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und einzelne Verlage.
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listinnen und Journalisten an Tageszeitungen.95 Entwürfe weiterer gemeinsamer Vergütungsregeln (darunter z.B. Übersetzer und Fotografen) blieben bislang erfolglos. Die Vergütungsregeln für belletristische Literatur treffen detaillierte Regelungen über die Beteiligung des Urhebers an dem wirtschaftlichen Erfolg des Buches. Die Beteiligung erfolgt auf Grundlage der in dem (nicht verbindlichen) Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen96 eingeräumten Nutzungsrechte. Richtwert für den Normalfall ist ein Honorar von 10% für jedes verkaufte, bezahlte und nicht remittierte Exemplar bezogen auf den um die darin enthaltene Mehrwertsteuer verminderten Ladenverkaufspreis (§ 3 Abs. 1). Eine Beteiligung von 8% bis 10% kann bei Vorliegen beachtlicher Gründe, die nicht abschließend genannt werden, vereinbart werden (§ 3 Abs. 2).97 Eine Beteiligung von weniger als 8 % ist nur bei außergewöhnlichen Ausnahmefällen noch angemessen (§ 3 Abs. 3).98 Die zu berücksichtigenden, näher aufgeführten Umstände bestätigte der Bundesgerichtshof als für die Angemessenheit einer Vergütung relevante Umstände des Einzelfalls.99 Bei der Verwertung eines Buches als Taschenbuch erfolgt die Beteiligung des Urhebers nach einem an der Anzahl verkaufter Exemplare orientierten progressiven Staffelmodell in Höhe von 5% bis 8% des Nettoladenverkaufspreises (§ 4 Abs. 1). Die geringere Beteiligung des Urhebers bei einer Taschenbuchausgabe wurde von dem Bundesgerichtshof ebenfalls unter Verweis auf eine geringere Gewinnspanne bestätigt.100 Sonderausgaben rechtfertigen eine Beteiligung des Urhebers in Höhe von 5% bis 6%, wenn der Verkaufspreis mindestens ein Drittel unter dem Verkaufspreis der Normalausgabe liegt. Auch hier dürfte eine geringere Gewinnspanne anzuneh-
95 Gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen v. 29.01.2010, aufgestellt durch den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. und den Deutschen Journalisten-Verband e.V. – Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten und ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. 96 Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen, Rahmenvertrag zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. – Verleger-Ausschuss i.d.F. v. 01.04.1999. 97 Als Gründe werden genannt: Struktur und Größe des Verwerters; mutmaßlich geringe Verkaufserwartung; Vorliegen eines Erstlingswerkes; beschränkte Möglichkeit der Rechteverwertung; außergewöhnlicher Lektoratsaufwand; Notwendigkeit umfangreicher Lizenzeinholung; niedriger Endverkaufspreis; genrespezifische Entstehungs- und Marktbedingungen. 98 Als besondere Umstände, die einen außergewöhnlichen Ausnahmefall begründen können, wird ein besonders hoher Aufwand bei der Herstellung, Werbung, Marketing, Vertrieb oder bei wissenschaftlichen Gesamtausgaben genannt. 99 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 358 = GRUR 2009, 1148, 1153 f. 100 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 358 = GRUR 2009, 1148, 1153 f.
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men sein. Die Beteiligung des Urhebers an einem Erlös des Verlages durch die Verwertung von Nebenrechten erfolgt bei buchfernen Nebenrechten101 in Höhe von 60 % des Erlöses, bei buchnahen Nebenrechten102 in Höhe von 50 % des Erlöses (§ 5 Abs. 1). Dies steht jedoch unter dem Vorbehalt der Berücksichtigung weiterer Rechtsinhaber. Insbesondere die Wahrnehmung und Verwertung buchferner Nebenrechte dürfte oftmals nicht durch den Autor des Buches möglich sein, sodass die festgelegten Beteiligungssätze regelmäßig nicht einzuhalten sein werden. Für Rechte an neuen Nutzungsarten verpflichtet sich der Verlag zur angemessenen Beteiligung am Erlös unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Nutzung (§ 8). Kriterien zur Angemessenheit werden insoweit aber nicht genannt und es ist zu erwarten, dass die Beteiligung sich an den bereits dargestellten Grenzen orientieren wird. Die Gemeinsamen Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen103 geben ebenfalls ein progressives Staffelmodell zur Vergütung der Urheber vor. Als Kriterien zur Festlegung einer angemessenen Vergütung dienen die Auflagenstärke, die Art eingeräumter Druckrechte (Erst-/Zweitdruckrecht) sowie die Gattung des Beitrages104 (§ 3). Allerdings erfolgt die Berechnung der angemessenen Vergütung hier in Pauschalbeträgen. Eine prozentuale Beteiligung an dem Verkaufserlös ist nur für den Erwerb weiterer Nutzungsrechte vorgesehen (§ 9 Abs. 7). Zwar kann auch eine Pauschalvergütung grundsätzlich eine angemessene Beteiligung darstellen.105 Allerdings ist die Beteiligung auf Grundlage des Beitrags zum wirtschaftlichen Erfolg der Verwertung zu bemessen.106 Der Pauschalvergütung liegt hier wohl eine Orientierung an dem Aufwand und der Schöpfungshöhe des Werkes zu Grunde, wenn Interviews oder wissenschaftliche Aufsätze etwa 60% höher vergütet werden als Nach-
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Als buchferne Nebenrechte werden insbesondere Medien- und Bühnenrechte ange-
führt. 102 Als buchnahe Nebenrechte werden beispielhaft Übersetzungen in andere Sprachen und Hörbucher genannt. 103 Gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen v. 29.01.2010, aufgestellt durch den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. und den Deutschen Journalisten-Verband e.V. – Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten und ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. 104 Differenziert wird zwischen (a) Nachrichten und Berichten; (b) Reportagen, Gerichtsberichte, Spitzen, Glossen, unterhaltenden Aufsätzen und Kurzgeschichten; (c) Kommentaren, Leitartikel, Interviews, fachlichen und wissenschaftlichen Aufsätzen, Kunstkritiken, Essays und Alleinveröffentlichungsrechten. 105 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 347 = GRUR 2009, 1148, 1150. 106 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 358 f. = GRUR 2009, 1148, 1154.
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richten und Berichte. Aufgrund der besonderen Umstände des Tageszeitungsmarktes wie etwa dem schnellen Bedeutungsverlust vergangener Nachrichten können diese Unterschiede jedoch gerechtfertigt sein. b) Wirkung gemeinsamer Vergütungsregeln Gemeinsame Vergütungsregeln entfalten keine unmittelbaren Verpflichtungen der sie aufstellenden Verbände und deren Mitglieder.107 Ihre Wirkung tritt hinter derjenigen von Tarifverträgen zurück. Durch die unwiderlegliche Vermutung ihrer Angemessenheit gem. § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG108 kommt ihnen aber eine mittelbare Wirkung zu. Auch können sie eine Branchenüblichkeit i.S.d. § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG aufzeigen. Damit gehen sie geht über die Wirkung einer bloßen Empfehlung hinaus.109 Eine Abweichung von der gemeinsamen Vergütungsregel zu Gunsten des Urhebers ist allerdings stets zulässig, da die Angemessenheit der Vergütung nur eine Mindestbeteiligung fordert.110 Gemeinsame Vergütungsregeln können aber auch über ihren Anwendungsbereich hinaus Bedeutung erhalten. Deutlich wurde dies als der Bundesgerichtshof die angemessene Vergütung von Übersetzern unter Rückgriff auf die gemeinsamen Vergütungsregeln der Autoren gleicher Buchgattung festlegte.111 Damit hat das Gericht nicht nur eine gemeinsame Vergütungsregel in ihrer Wirkung einem Tarifvertrag angenähert. Es hat darüber hinaus keine klaren Grenzen der Orientierung an gemeinsamen Vergütungsregeln gezogen. Eine vergleichbare Situation von Autoren und Übersetzern nahm das Gericht bereits an, weil beide „ihre Werke jeweils dem Verlag gegen Zahlung einer Vergütung zur Verwendung überlassen“.112 Diese pauschale Betrachtung lässt erwarten, dass sich Gerichte zur Bemessung der Vergütung von Urhebern eines nachgeordneten Werkes stets an etwaigen Vergütungsregeln für das ursprüngliche Werk orientieren werden. 107 So auch Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 15; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 36 Rndr. 15; a.A. wohl Schmitt, GRUR 2003, 294, 295: Parteiwille zur gegenseitigen Bindung. 108 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 17; ferner Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 1. Voraussetzung ist dabei jedoch stets, dass der Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte dem Bezugspunkt der gemeinsamen Vergütungsregel entspricht. 109 So auch Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 16. 110 Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 191. 111 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 354 = GRUR 2009, 1148, 1151; BGH, Urt. v. 20.01.2011 – I Z R 19/09 (Destructive Emotions), GRUR 2011, 328, 330 f. 112 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337, 354 = GRUR 2009, 1148, 1152.
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c) Probleme der Vereinbarung gemeinsamer Vergütungsregeln Bereits im Jahre 2002 entwickelt der Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. (VdÜ) gemeinsame Vergütungsregeln für Übersetzer.113 Die Vergütung eines Übersetzers sollte sich hiernach aus einer aufwandsabhängigen Grundvergütung und einem zusätzlichen absatzbezogenen Honorar zusammensetzen (§ 3 Abs. 1, 2).114 Die Beteiligung des Übersetzers an Bruttoerlösen aus der Verwertung von Nebenrechten lag über dem Anteil des Verlages und ist von der Art der Nebenrechte (buchnah/buchfern) abhängig (§ 4).115 Die entworfenen gemeinsamen Vergütungsregeln konnten jedoch nicht in Kraft treten. Von Verlegern gegründete Vereinigungen zeigten sich nur zu informellen Gesprächen mit den Übersetzern bereit. Der Aufforderung zur Beteiligung an einem Schlichtungsverfahren (§ 36a Abs. 1 UrhG) kamen weder die eigens gegründeten Verlegervereinigungen noch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels nach. Bis zu dem folgenden Verfahren vor dem Kammergericht Berlin lösten sich die Verlegervereinigungen auf, sodass ein gegen sie gerichteter Antrag unzulässig war. Bezüglich eines Antrags gegen den Börsenverein erklärte sich das Kammergericht mangels Zuständigkeitsnorm für unzuständig und verwies an das zuständige Landgericht Frankfurt/Main.116 Dieses wies die Klage gegen den Börsenverein mangels bestehender Ermächtigung oder Befugnis zum Abschluss von Vergütungsregeln als unbegründet ab.117 Das Gericht ließ dabei letztlich offen, wann eine Vereinigung nach § 36 Abs. 2 UrhG zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln ermächtigt ist. Denn der Börsenverein wurde von seinen Mitgliedern hierzu weder ausdrücklich ermächtigt, noch bestand eine konkludente Ermächtigung (mangels vorheriger Vergütungsregeln118) oder zumindest eine generelle dem Ver113 Gemeinsame Vergütungsregeln für Übersetzer zwischen dem Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) sowie dem Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. (VdÜ) und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. – Verlegerausschuss. 114 Das absatzbezogene Honorar in Höhe von 3% des Nettoladenverkaufspreises ab dem ersten verkauften Exemplar liegt deutlich über dem Anteil, den der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung Talking to Addison (BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07, BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148) festsetzte. Allerdings legt der Bundesgerichtshof dabei ein für sich genommen angemessenes Seitenhonorar als Garantiehonorar zu Grunde. 115 Eine Beteiligung des ursprünglichen Autors wird dabei nicht berücksichtigt. Dies widerspricht den Vorgaben des Bundesgerichtshofs, wonach eine Beteiligung an Erlösen aus Nebenrechtsverwertung zwischen Verlag und Übersetzer erst nach Abzug der Vergütungen weiterer Rechtsinhaber (Nettoerlös) erfolgen soll. Die Beteiligung des Übersetzers soll ferner von dem Grad des Beitrags zur Verwertung abhängen. 116 KG, Beschluss v. 12.01.2005 – 23 SCHH 7/03, ZUM 2005, 229, 230. 117 LG Frankfurt, 04.10.2006 – 2/6 O 9/06, ZUM 2006, 948. 118 Hier setzt sich das LG Frankfurt Bedenken aus, wenn es für die Annahme einer konkludenten Ermächtigung das Bestehen einer vorherigen Übung bei Vergütungsregeln
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bandszweck entsprechende Befugnis. Übersetzer hatten damit nur die Möglichkeit einer Individualklage auf Anpassung ihrer Verträge nach § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG mit den damit verknüpften Nachteilen bei zukünftigen Auftragsvergaben. Die sich anschließenden Gerichtsverfahren zwischen einzelnen Übersetzern und ihren Vertragspartnern führten zur Vorgabe eines Rahmens der angemessenen Vergütung durch den Bundesgerichtshof.119 Bemühungen des Übersetzerverbandes VdÜ zur Vereinbarung einer auf dem Urteil des Bundesgerichtshofs basierenden gemeinsamen Vergütungsregel werden von den Verlegern weiterhin nicht unterstützt. Aufgrund mangelnden Konsenses verliefen auch die Bemühungen um gemeinsame Vergütungsregeln für Fotografen bislang erfolglos. Im Rahmen der Verhandlungen zu einer gemeinsamen Vergütungsregel für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen konnte allein eine Absichtserklärung erzielt werden, Honorare nach einem bestimmten Staffelmodell nicht zu unterschreiten.120 Die Empfehlung der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM) wird dabei deutlich unterschritten.121 d) Möglichkeiten zur Stärkung des Einigungsverfahrens? Die bei Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern in das Instrument der gemeinsamen Vergütungsregeln gesetzten Hoffnungen wurden bislang enttäuscht. Weder kam es zu einer verbreiteten Anwendung noch zur beabsichtigten Rechtssicherheit. Die Ersetzung des notwendigen und differenzierenden Interessenausgleiches durch ein gerichtliches Verfahren widerspricht dem Anliegen um eine geordnete Selbstregulierung der Urheber und Nutzer. Für diese Situation hat der Rechtsausschuss des Bundestages ausdrücklich
verlangt und vergleichbare Honorarverhandlungen nicht genügen lässt. Gerade mit Blick auf die Neuartigkeit des Instruments gemeinsamer Vergütungsregeln scheint die Argumentation des Gerichts als zu streng. 119 BGH, Urt. v. 07.10.2009 – I ZR 38/07 (Talking to Addison), BGHZ 182, 337 = GRUR 2009, 1148. 120 Anlage zu Gemeinsame Vergütungsregeln aufgestellt für freie hauptberufliche Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen v. 29.01.2010, aufgestellt durch den Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. und den Deutschen Journalisten-Verband e.V. – Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten und ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft. 121 Foto-/Bildhonorare – MFM-Empfehlung 2012, in Auszügen abrufbar unter http:// www.mediafon.net. Zur fehlenden Bedeutung der MFM-Empfehlungen bei der Ermittlung der üblichen Vergütung LG Stuttgart, Urt. v. 28.10.2008 – 17 O 710/06, ZUM 2009, 77, 82. Zur Frage der Angemessenheit der empfohlenen Vergütungen im Rahmen der Festsetzung einer fiktiven Lizenzgebühr vgl. BGH, Urt. v. 06.10.2005 – I ZR 266/02 (Pressefotos) = GRUR 2006, 136, 138: Möglichkeit ihrer Anwendung zur Ermittlung der üblichen Vergütung unter Berücksichtigung etwaiger angebotener Gegenbeweise.
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den Gesetzgeber zu erneutem Handeln aufgerufen.122 Die Zusage der Verwerter, freiwillig gemeinsame Vergütungsregeln mit Urhebern vereinbaren zu wollen, war Grundlage für die Wahl des Schlichtungsverfahrens als milderes Mittel gegenüber dem zunächst entworfenen verbindlichen Schiedsverfahren.123 Nachdem der erwartete Erfolg gemeinsamer Vergütungsregeln nicht eintrat, steht die Ungeeignetheit des Schlichtungsverfahrens als freiwilliges Verfahren fest. Die Einführung des ursprünglich geplanten Schiedsverfahrens ist damit erforderlich und sollte erneut in Betracht gezogen werden. Im Falle der Beibehaltung des Schlichtungsverfahrens nach § 36a UrhG ist dessen Effizienz zu steigern. Dies könnte durch eine weitergehende Verpflichtung der Vereinigungen erreicht werden. Nach § 36 Abs. 2 UrhG können Vereinigungen nur gemeinsame Vergütungsregeln aushandeln (und im Schlichtungsverfahren mitwirken), wenn sie von ihren Mitgliedern dazu „ermächtigt“ sind. Die Voraussetzungen der Ermächtigung sind bislang unklar. Überwiegend wird ein ausdrücklicher Auftrag in der Satzung oder ein Beschluss der Mitglieder gefordert.124 Die Gesetzesbegründung trifft hierzu keine näheren Aussagen, weist aber auf das Recht der Vereinigungen zur jederzeitigen Erklärung mangelnder Bereitschaft als Ausdruck der negativen Koalitionsfreiheit nach Art. 9 GG hin.125 Jedenfalls Vereinigungen, die zum Abschluss von (vorrangigen und rechtlich unmittelbar bindenden) Tarifverträgen ermächtigt wurden, sollten als zum Abschluss von gemeinsamen Vergütungsregeln ermächtigt gelten.126 Die bloße Ermächtigung zum Abschluss von Normverträgen ist davon zu unterscheiden und kann aufgrund des rechtlich unverbindlichen Charakters von Normverträgen nicht ausreichen.127 Dies allein hilft jedoch nicht bei Vereinigungen von Nutzern, die nicht tariffähig i.S.d. § 2 Abs. 1 TVG sind, wie etwa dem Börsenverein des
122 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 20. 123 § 36 des Entwurfes eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433. 124 Wandtke/Grunert, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 36a Rndr. 10; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 36 UrhG Rndr. 23; Ory, AfP 2002, 93, 101; wohl auch Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 58. 125 Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern v. 26.06.2001, BT-Drucks. 14/6433, S. 17. Zu den Fragen der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG die Ausführungen bei Thüsing, GRUR 2002, 203. 126 Unzureichend ist daher die Ablehnung einer Ermächtigung mangels Tarifvertragscharakter der gemeinsamen Vergütungsregeln bei Ory, AfP 2002, 93, 101; Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 58. 127 So auch Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 36 Rndr. 23. Allein Normverträge betraf das Urteil des LG Frankfurt v. 04.10.2006 – 2/6 O 9/06, ZUM 2006, 948.
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deutschen Buchhandels. Hier kann eine geänderte Auslegung des Begriffs „ermächtigt“ oder ein Verzicht auf diese Voraussetzung helfen. Zur Vermeidung von Fragen ausreichender Qualifikation von Nutzervereinigungen könnte die Parteifähigkeit eines einzelnen Werknutzers eingeführt werden. Auf der Seite der Urheber könnten neben den (oft nicht ausreichend verbreiteten) Gewerkschaften insbesondere die Verwertungsgesellschaften über eine ausreichende wirtschaftliche und organisatorische Basis zur Verhandlung von gemeinsamen Vergütungsregeln verfügen.128 Bei Aufstellung von Vergütungstarifen für die von ihr wahrgenommenen Rechte und Ansprüche sammelten Verwertungsgesellschaften bereits Erfahrung über die Bewertung von Nutzungsrechten. Allerdings sind Verwertungsgesellschaften nicht stets gegnerunabhängig i.S.d. § 36 Abs. 2 UrhG, da sie oftmals Rechte von Urhebern und Verlegern wahrnehmen.129 Ferner sollte die Zulässigkeit des Schlichtungsverfahrens (einschließlich der Parteivoraussetzungen des §§ 36a Abs. 1, 36 Abs. 2 UrhG) bereits im Verfahren vor dem nach § 36a Abs. 3 UrhG einbezogenen Oberlandesgericht umfassend geprüft werden können.130 Eine Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen sollte jedoch dem Zweck eines schnellen Verfahrens entsprechend nur auf Rüge einer Partei erfolgen. Bei mangelnder Rüge könnte sich eine Partei gem. des Grundsatzes widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium, § 242 BGB) in einem späteren Vergütungsprozess nicht mehr auf die Unwirksamkeit einer gemeinsamen Vergütungsregel berufen. Die Wirkung des Schlichtungsverfahrens wird in Frage gestellt, wenn eine Partei den Einigungsvorschlag gem. § 36 Abs. 4 S. 1 UrhG ohne Begründung ablehnen kann. Die Annahmefiktion nach Ablauf der Dreimonatsfrist gem. § 36 Abs. 4 S. 2 UrhG kann nur begrenzt zur Effizienz des Schlichtungsverfahrens beitragen. Sachgerecht wäre die Berücksichtigung eines nachvollziehbar begründeten Einigungsvorschlages im Rahmen der Ermittlung einer angemessenen Vergütung (Indizwirkung).131 Aufgrund der Mitwirkungsbefugnisse der Parteien liegt die Gefahr einer unüblichen oder unredlichen Vergütung fern. Ausnahmen hiervon sollten nur gelten, wenn die ablehnende 128 Nordemann/Pfennig, ZUM 2005, 689, 693; Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 178. 129 Vgl. § 6 der Satzung der GEMA v. 21./22.06.2011; § 2 der Satzung der VG WORT v. 22.05.2010. 130 So auch Ory, ZUM 2006, 914, 916; Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36a Rndr. 14; a.A. KG, Beschluss v. 12.01.2005 – 23 SCHH 7/03, ZUM 2005, 229, 230. 131 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 20. Für eine Indizwirkung auch Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 35, 92; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 3. Aufl. 2008, § 36 Rndr. 2, 34; beschränkt auf die Erklärungen einzelner Parteien: Ory, AfP 2002, 93, 99; ders., ZUM 2006, 914, 916 („indirekte Indizwirkung“); ablehnend Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 242.
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Partei eine Begründung über die Nichtangemessenheit der vorgeschlagenen Vergütung abgibt. Ein gescheiterter Einigungsvorschlag wirkt danach als (widerlegliche) Vermutung der Angemessenheit einer Vergütung. Gerichte mussten diese Frage bislang – infolge der zurückhaltenden Verhandlungen zu gemeinsamen Vergütungsregeln – noch nicht entscheiden. Im Rahmen des Verfahrens zur Festlegung einer angemessenen Vergütung in Gesamtverträgen nach §§ 12, 14, 14a UrhWG, an dem sich §§ 36, 36a UrhG orientieren, forderte der Bundesgerichtshof ausdrücklich die Berücksichtigung eines abgelehnten Einigungsvorschlages.132 3. Sicherung der angemessenen Vergütung durch AGB-Kontrolle? Die angemessene Vergütung des Urhebers für die Nutzung seines Werkes ist nach § 11 S. 2 UrhG ausdrückliches Leitbild des Urheberrechts. Bei formularmäßiger Ausgestaltung der Nutzungsrechtseinräumung könnte eine Abweichung hiervon eine mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbarende und damit als unangemessene Benachteiligung gem. §§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sein.133 Gem. § 307 Abs. 3 BGB findet eine Inhaltskontrolle allerdings nur bei Bestimmungen statt, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzende Regelungen vereinbaren. Hauptleistungsbeschreibungen wie die Vereinbarung der eingeräumten Nutzungsrechte oder der Vergütungshöhe als solche weichen jedoch nicht von Rechtsvorschriften ab und ergänzen auch keine Regelungen.134 Weder die Höhe der Vergütung als Gegenleistung noch der Umfang der eingeräumten Nutzungsrechte sind daher Gegenstand der Inhaltskontrolle nach §§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.135 Der Inhaltskontrolle unterliegen hingegen Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen abweichend von gesetzlichen Regelungen oder der nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte geschuldeten Leistung verändern, ausgestalten oder modifizieren.136 Hierzu zählen auch Klauseln, die mittelbar Einfluss auf die 132 BGH, Urt. v. 05.04.2001 – I ZR 132/98 (Gesamtvertrag privater Rundfunk), GRUR 2001, 1139, 1144. 133 Eine Anwendung der Klauselverbote nach §§ 308, 309 BGB scheidet wegen der Stellung des Urhebers als Unternehmer nach § 310 Abs. 1 S. 1 BGB hingegen aus. 134 Vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09, ZUM 2011, 846, 857 mit der Differenzierung zwischen Vergütungshöhe und Vergütungsstruktur; KG, Urt. v. 26.03.2010 – 5 U 66/09, ZUM 2010, 799, 804 (nicht rechtskräftig); OLG Karlsruhe, Urt. v. 09.03.2011 – 6 U 181/10; zu gemeinsamen Vergütungsregeln: Berger, Das neue Urhebervertragsrecht, 2002, Rndr. 194. 135 So ausdrücklich Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01. 2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 18; ferner OLG Hamm, Urt. v. 17.01.2011 – I-4 U 183/10. 136 Vgl. BGH, Urt. v. 30.06.1995 – V ZR 184/94 (Century), BGHZ 130, 150 = NJW 1995, 2637, 2638; Wurmnest, in: Säcker/Rixecker, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Aufl. 2012, § 307 Rndr. 12.
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Festlegung der Vergütung und deren Durchsetzung nehmen.137 Weichen sie von dem Leitprinzip des § 11 S. 2 UrhG ab, indem sie eine angemessene Vergütung des Urhebers erschweren oder verhindern (z.B. der generelle Ausschluss einer Vergütung für neben der Primärnutzung mögliche Nutzungen), sind sie grundsätzlich unangemessen und unwirksam gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.138 Die Erklärung der Unwirksamkeit sollte jedoch zurückhaltend ausgeübt werden, da §§ 32 Abs. 1, 32a Abs. 1 UrhG grundsätzlich den Nutzungsvertrag mit angemessener Vergütung aufrechterhalten und so dem Schutz des Urhebers in der Regel besser dienen können.139 4. Sicherung der angemessenen Vergütung durch das Lauterkeitsrecht? Die Vereinbarung nicht angemessener Vergütungen könnte den Unlauterkeitstatbestand des Rechtsbruchs nach § 4 Nr. 11 UWG erfüllen. Als verletzte Rechtsnormen kommen § 11 S. 2 UrhG und § 32 Abs. 1 UrhG in Betracht. Zweifelhaft ist jedoch, ob diesen Normen der von § 4 Nr. 11 UWG geforderte Charakter als Marktverhaltensregelung zukommt. Dazu müssten sie zumindest auch dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.140 Der Abschluss und die Durchführung von Verträgen über den Austausch von Waren ist Teil des Marktverhaltens.141 Mindestpreisvorschriften sind als Marktverhaltensregelungen anerkannt.142 Ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG bei Vereinbarung einer unangemessenen Vergütung für die Einräumung von Nutzungsrechten erscheint daher möglich und wurde bereits von einzelnen Gerichten angenommen.143 Allerdings
137 So auch Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 11 Rndr. 8. 138 Vgl. LG Hamburg, Urt. v. 06.09.2011 – 312 O 316/11; KG, Urt. v. 26.03.2010 – 5 U 66/09, ZUM 2010, 799, 802 (nicht rechtskräftig): Unwirksamkeit einer Klausel, wonach der Anspruch auf angemessene Vergütung für weitere Nutzungen zur Disposition des Nutzers steht; ebenso LG Berlin, Urt. v. 05.06.2007 – 16 O 106/07, ZUM-RD 2008, 18, 19 (nicht rechtskräftig); LG Braunschweig, Urt. v. 21.09.2011 – 9 O 1352/11, ZUM 2012, 66, 70 (nicht rechtskräftig): Unwirksamkeit einer Klausel, wonach die Nutzungsrechte umfassend übertragen werden und der Urheber auf die Geltendmachung weiterer Vergütungsansprüche verzichtet. 139 Dorner, MMR 2011, 780, 781. 140 v. Jagow, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2. Aufl. 2009, § 4 Nr. 11 Rndr. 34. 141 Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 30. Aufl. 2012, § 4 UWG Rndr. 11.34. 142 BGH, Urt. v. 01.06.2006 – I ZR 268/03 (Gebührenvereinbarung II), GRUR 2006, 955, 955; BGH, Urt. v. 30.09.2004 – I ZR 261/02 (Telekanzlei), GRUR 2005, 433, 435; BGH, Urt. v. 15.05.2003 – I ZR 292/00 (Ausschreibung von Vermessungsleistungen), GRUR 2003, 969, 970. 143 OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09, ZUM 2011, 846, 853; LG Hamburg, Urt. v. 06.09.2011 – 312 O 316/11; LG Bochum, Urt. v. 24.11.2011 – 8 O 277/11; LG Berlin,
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enthält § 11 S. 2 UWG nur eine ausdrückliche Normierung des allgemeinen Grundsatzes einer angemessenen Beteiligung des Urhebers an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Werke.144 Das Prinzip der angemessenen Vergütung hat die Funktion eines Leitbildes insbesondere für §§ 32 ff. UrhG und einer Auslegungsregel im Rahmen von Vertragsbestimmungen.145 Unmittelbare Rechtsfolgen lassen sich hieraus allein jedoch nicht ableiten. Die Begründung unlauteren Verhaltens durch alleinigen Rückgriff auf § 11 S. 2 UrhG kann daher nicht überzeugen. Es ist anerkannt, dass die Verletzung von Rechtsnormen, an die ein abschließendes spezifisches Sanktionsregime geknüpft ist, keine lauterkeitsrechtlichen Ansprüche begründen.146 §§ 32 Abs. 1, 32a Abs. 1 UrhG verleihen dem Urheber einen Anspruch auf Anpassung des Vertrages, wenn die vertraglich vereinbarte Vergütung unangemessen ist bzw. in auffälligem Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen der Nutzung steht. Diese Regelung ist abschließend.147 Insbesondere § 32a Abs. 1 UrhG schränkt den Grundsatz der angemessenen Vergütung nach § 11 S. 2 UrhG ein und macht deutlich, dass eine angemessene Vergütung für die weitere Beteiligung des Urhebers nicht geschuldet wird, solange kein auffälliges Missverhältnis besteht. Der Tatbestand des Rechtsbruchs i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG kann hingegen vorliegen, wenn gegen urheberrechtliche Klauseln in einem Tarifvertrag verstoßen wird und der Tarifvertrag als allgemeinverbindlich (§ 5 TVG) erklärt wurde.148 Dies dürfte jedoch nur in wenigen Fällen relevant werden. Demgegenüber stellen gemeinsame Vergütungsregeln keine Rechtsnorm i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG dar. Sie begründen weder für die Vereinigungen noch für ihre Mitglieder unmittelbare Rechtswirkungen. Ihre mittelbare Geltung über die unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit einer Vergütung nach § 32
Urt. v. 05.06.2007 – 16 O 106/07, ZUM-RD 2008, 18, 20 (nicht rechtskräftig); LG Berlin, Urt. v. 09.12.2008 – 16 O 8/08 (nicht rechtskräftig); LG Mannheim, Urt. v. 05.12.2011 – 7 O 442/11, allerdings ohne dies näher zu begründen. 144 Erdmann, GRUR 2002, 923, 924; Loewenheim, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 11 UrhG Rndr. 7. 145 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 17 f. 146 Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 30. Aufl. 2012, § 4 UWG Rndr. 11.8; Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 5. Aufl. 2010, § 4 UWG Rndr. 11.9. 147 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23.01.2002, BT-Drucks. 14/8058, S. 18: „lückenloser Schutz“. 148 BGH, Urt. v. 03.12.1992 – I ZR 276/90 (Tariflohnunterschreitung), GRUR 1993, 980, 982; Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rndr. 11.38; v. Jagow, in: Harte-Bavendamm/HenningBodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 2. Aufl. 2009, § 4 Nr. 11 UWG Rndr. 27.
Was bleibt von §§ 32, 32a, 36 UrhG?
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Abs. 2 S. 1 UrhG entspricht einer auch sonst in Gesetzen vorgenommenen Bezugnahme auf von Organisationen und Vereinigungen ermittelte Maßstäbe.149 5. Zwischenergebnis Verweigern Nutzer und ihre Vereinigungen die Teilnahme bei der Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln, fehlen bislang ausreichende Instrumente zur Durchsetzung des Anspruchs auf angemessene Vergütung. Urheber und ausübende Künstler können zwar in selbständigen Gerichtsverfahren einen Anspruch auf Anpassung ihrer Verträge geltend machen. Allerdings setzen sie sich dabei dem Risiko finanzieller Lasten durch den Gerichtsprozess und der Gefahr negativer Konsequenzen für Folgeverträge aus. Dies gilt umso mehr, wenn weiterhin keine verlässlichen Kriterien zur Festlegung der Angemessenheit einer Vergütung bestehen. Von Urhebervereinigungen geführte Gerichtsverfahren wären hier von großer Hilfe für die Urheber und ausübenden Künstler. Sie könnten zugleich aber auch Vorbildfunktion für weitere Verhandlungen und Verfahren entfalten und damit zu der notwendigen und bei der Reform des Urhebervertragsrechts erhofften Rechtssicherheit beitragen. Dazu wäre eine ausdrückliche Normierung der Klagebefugnis und Aktivlegitimation der Vereinigungen i.S.d. § 36 Abs. 2 UrhG erforderlich, da die derzeit existierenden Möglichkeiten nicht ausreichen. Vorstellbar ist insofern eine an § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG (unter Verzicht auf ein Wettbewerbsverhältnis150) bzw. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG angelehnte Regelung.
V. Ergebnis 1. Der Anspruch des Urhebers auf eine Beteiligung an der Verwertung seines Werkes nach § 32 Abs. 1 UrhG ist von dem unbestimmten Begriff der angemessenen Vergütung geprägt. Es ist bisher nur unzureichend ge149 Dazu ausführlich Dietz/Haedicke, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 36 Rndr. 15, 21 ff.: Vergleich mit DIN-Normen. 150 Bislang wird von Gerichten unterschiedlich beurteilt, ob zwischen den Urhebern und Nutzern ein Wettbewerbsverhältnis besteht (ablehnend etwa KG, Urt. v. 26.03.2010 – 5 U 66/09, ZUM 2010, 799, 802 (nicht rechtskräftig); OLG Karlsruhe, Urt. v. 09.03.2011 – 6 U 181/10). Richtigerweise existiert aber jedenfalls dort, wo Nutzer das Recht zur Weiterveräußerung erhalten, ein (potentielles) Wettbewerbsverhältnis (so auch LG Rostock, Urt. v. 12.05.2011 – 6 HK O 45/10; OLG Hamburg, Urt. v. 01.06.2011 – 5 U 113/09 = ZUM 2011, 846, 853; LG Hamburg, Urt. v. 06.09.2011 – 312 O 316/11). Bei Annahme einer grundsätzlich schwächeren Position der Urheber stehen sie jedenfalls aber nicht Mitbewerbern sondern Verbrauchern gleich, für die ein Wettbewerbsverhältnis nicht erforderlich ist, § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG.
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lungen, diesen mit konkretem Inhalt auszufüllen. Der Urheber benötigt anwendbare Kriterien zur Ermittlung seines Vergütungsanspruchs, um diesen bei Vertragsverhandlungen oder vor Gericht geltend zu machen. Eine Möglichkeit hierzu bietet das System der proportionalen Beteiligung des Urhebers an dem Nettoerlös der Verwertung. 2. Die umfassende Einräumung von Nutzungsrechten ist nach derzeit geltendem Recht auch gegen eine Pauschalvergütung zulässig, sofern diese unter Berücksichtigung der gesamten Schutzdauer angemessen ist. Die Ermittlung der angemessenen Vergütung ist hier besonders unsicher. Der Anspruch auf weitere Beteiligung nach § 32a UrhG kann sich in der praktischen Durchführung als unzureichend erweisen. Es sollte daher die Möglichkeit eines einseitigen Kündigungsrechts für den Urheber in Betracht gezogen werden. 3. Die Möglichkeit gemeinsamer Vergütungsregeln nach § 36 UrhG wird bislang nicht ausreichend genutzt. Das Vertrauen des Gesetzgebers in eine funktionierende Selbstregulierung unter Verzicht auf ein verbindliches Schiedsverfahren wurde enttäuscht. Daher sollte entweder das ursprünglich geplante Schiedsverfahren eingeführt oder die Verbindlichkeit des Schlichtungsverfahrens gesteigert werden. Dazu könnte der Kreis zulässiger Parteien ausgeweitet werden. Eine verbindliche Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch das Oberlandesgericht wäre hilfreich. Weiter darf eine Partei das Schlichtungsverfahren nicht durch eine Annahmeverweigerung beliebig wirkungslos werden lassen können. 4. Der einzelne Urheber ist bei der Geltendmachung seiner Rechte stets der Gefahr wirtschaftlicher Nachteile bei zukünftigen Vertragsabschlüssen ausgesetzt. Die Einrichtung eines Verbandsklageverfahrens nach dem Vorbild des bereits im Rahmen der AGB-Kontrolle praktizierten Modells könnte zur Durchsetzung der Vergütungsansprüche beitragen.
Die Beendigung urheberrechtlicher Verträge: Automatischer Rechterückfall? Das Urhebervertragsrecht nach BGH M2Trade, Take Five und Reifen Progressiv Jan Bernd Nordemann
Artur Wandtke hat sein urheberrechtliches Augenmerk schon immer verstärkt auf das Urhebervertragsrecht gerichtet. Nicht umsonst hat er sehr wesentliche Teile der Kommentierung des deutschen Urhebervertragsrechts im von ihm mit herausgegebenen Kommentar Wandtke/Bullinger übernommen. Zusammen mit Grunert kommentiert Wandtke insbesondere die Grundsätze des Urhebervertragsrechts „vor §§ 31 ff. UrhG“ sowie die §§ 31 bis 32a, §§ 32c bis 42 und §§ 43, 44 UrhG. In seiner gemeinsamen Kommentierung mit Grunert wird ausführlich kommentiert, welche Konsequenz eine Beendigung urheberrechtlicher Verträge auf die Rechtesituation hat. Insbesondere stellt sich hier die Frage, ob es zu einem automatischen Rechterückfall kommt. Hier sind verschiedene Konstellationen zu unterscheiden: – Rechterückfall im Verhältnis der Parteien des (beendeten) Verpflichtungsgeschäftes (dazu nachfolgend I.); – Rechterückfall der unterlizenzierten Rechte (§ 35 UrhG) bei Beendigung der Hauptlizenz (dazu unten II.); – Rechterückfall bei Weiterübertragung von Rechten gem. § 34 UrhG bei Beendigung des vorstufigen Rechtserwerbs (dazu unten III.). In letzter Zeit ist in diese Diskussion Bewegung dadurch geraten, dass der Bundesgerichtshof sich der Thematik angenommen hat. Zunächst in der Entscheidung Reifen Progressiv 1 und später in den parallel verkündeten Entscheidungen M2Trade 2 und Take Five 3 hat der Bundesgerichtshof sein System für die Frage des Rechterückfalls bei Beendigung urheberrechtlicher Verträge konturiert. Teilweise hat er dabei die – auch von Wandtke/Grunert vertretene – herrschende Auffassung bestätigt, teilweise hat er eine abweichende Auffassung vertreten. 1 2 3
BGH vom 26.03.2009 – I ZR 153/06, GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv. BGH vom 19.07.2012 – I ZR 70/10 GRUR 2012, 916 – M2Trade. BGH vom 19.07.2012 – I ZR 24/11 GRUR 2012, 914 – Take Five.
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I. Rechterückfall im Verhältnis der Parteien des (beendeten) Verpflichtungsgeschäftes Im Urhebervertragsrecht gilt grundsätzlich das Trennungsprinzip. Auch wenn Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft in der Praxis oft in einem Vertrag zusammenfallen, so ist die Verpflichtung zur Rechteeinräumung von der Verfügung, mit der die Nutzungsrechte vergeben werden, zu trennen.4 Dieses schon aus dem allgemeinen Zivilrecht bekannte Trennungsprinzip beansprucht im Urheberrecht allgemeine Geltung. Auch der Gesetzgeber ist offensichtlich vom Trennungsprinzip ausgegangen. Beispielhaft sei nur der Gesetzeswortlaut von § 31a Abs. 1 S. 1 UrhG erwähnt: „… Rechte für unbekannte Nutzungsarten einräumt oder sich dazu verpflichtet“. Im Zusammenhang mit dem Trennungsprinzip steht das aus dem allgemeinen Zivilrecht bekannte Abstraktionsprinzip. Danach ist die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäftes (also der Rechteeinräumung) nicht von der Wirksamkeit des zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäftes abhängig. Konsequenz der Anwendung des Abstraktionsprinzips wäre, dass im Fall der Beendigung des Verpflichtungsgeschäftes das Nutzungsrecht an den früheren Inhaber gesondert zurückgegeben werden müsste. Für Verträge des Urhebers mit einem Verwerter (so genanntes primäres Urhebervertragsrecht) ging die herrschende Auffassung jedoch schon seit langem davon aus, dass das Abstraktionsprinzip nicht angewendet werden könne, wenn die Verpflichtung des Urhebers zur Nutzungsrechtseinräumung beendet ist.5 Der Bundesgerichtshof hat sich jetzt in M2Trade der herrschenden Auffassung angeschlossen und geht ebenfalls davon aus, dass in Abkehr vom Abstraktionsprinzip die Rechte bei Beendigung des Verpflichtungsgeschäftes automatisch an den Urheber zurückfallen.6 4 Wente/Härle, GRUR 1997, 96; Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, vor §§ 28 ff., Rn. 984; Dreier/Schulze/Schulze, 3. Auflage 2008, § 31 Rn. 16; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 5. Auflage 2010, Rn. 591; Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, Urheberrecht, 10. Auflage 2008, § 31 Rn. 29. 5 OLG Karlsruhe, ZUM-RD 2007, 76, 78; OLG Hamburg, GRUR 2002, 335, 336 – Kinderfernseh-Sendereihe; OLG Brandenburg, NJW-RR 1999, 839, 840 – blauäugig; Kraßer, GRUR Int. 1973, 230, 235 ff.; Vokel, Gebundene Rechtsübertragungen, 1977, S. 162 ff.; Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Auflage 1980, S. 313 ff.; Wandtke/Bullinger/ Wandtke/Grunert, Urheberrecht, 3. Auflage 2008, vor §§ 31 ff. UrhG, Rn. 49 ff.; Loewenheim/Loewenheim/Jan Bernd Nordemann, Handbuch des Urheberrechts, 2. Auflage 2009, § 26 Rn. 3; Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 31 UrhG, Rn. 30; Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, a.a.O, vor §§ 28 ff., Rn. 100; Möhring/ Nicolini/Spautz, Urheberrecht, 2. Auflage 2000, § 31 Rn. 14. Anderer Ansicht und für eine Anwendung des Abstraktionsprinzips: Schwarz/Klingner, GRUR 1998, 113; Schack, a.a.O., Rn. 589; Berger in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2008, § 1 Rn. 33; Obergfell, Filmverträge im deutschen materiellen und internationalen Privatrecht, 2001, S. 75 ff., für Filmlizenzverträge. 6 BGH, a.a.O., Tz. 19 ff. – M2Trade.
Die Beendigung urheberrechtlicher Verträge: Automatischer Rechterückfall? 189
Der Bundesgerichtshof beschränkt allerdings seine Rechtsprechung nicht auf Verträge des Urhebers mit dem Verwerter im primären Urhebervertragsrecht. Nach dem I. Zivilsenat gilt der Grundsatz des automatischen Rückfalls bei Beendigung des Vertretungsgeschäftes generell im gesamten gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, also auch im Marken- und Patentrecht oder im Urheberrecht für Verträge zwischen Verwertern.7 Insoweit setzt sich der I. Zivilsenat auch in Widerspruch zu seiner früheren Rechtsprechung, in der er bei urheberrechtlichen Verträgen zwischen Verwertern von einer Anwendung des Abstraktionsprinzips ausgegangen war.8 Er weicht jedoch jetzt ausdrücklich von dieser älteren Rechtsprechung ab.9 Die Durchbrechung des Abstraktionsprinzips für Verträge des Urhebers kann gut begründet werden. Wandtke/Grunert betonen zu Recht den Rechtsgedanken des § 9 Verlagsgesetz, der entsprechend auf alle Verträge des Urhebers angewendet werden sollte.10 Außerdem kann auf die Urheber schützenden Regelungen des Urhebergesetzes verwiesen werden. So ist es Sinn und Zweck des Urhebergesetzes, dem Urheber gemäß § 11 S. 2 eine angemessene Vergütung zu verschaffen und ihn tunlichst an den wirtschaftlichen Erträgen seines Werkes zu beteiligen.11 Isoliert bei Dritten – ohne zugrunde liegendes Verpflichtungsgeschäft – liegende Nutzungsrechte, deren wirtschaftliche Ausbeute damit u.U. über das Bereicherungsrecht vergütet werden müsste, liefen dem gebotenen Schutz des Urhebers entgegen. § 40 Abs. 3 UrhG sieht die automatische Unwirksamkeit der Verfügung bei Einräumung von Nutzungsrechten an künftigen Werken bei Beendigung des Grundgeschäfts vor Ablieferung der Werke vor. Auch das Rückrufsrecht der §§ 41, 42 UrhG führt zum automatischen Rechterückfall (§§ 41 Abs. 5, 42 Abs. 5 UrhG). Noch stärker spricht die Zweckübertragungsregel des § 31 Abs. 5 UrhG für die Durchbrechung des Abstraktionsprinzips. Sie knüpft das Verpflichtungsgeschäft über seinen „Vertragszweck“ an den Umfang des Verfügungsgeschäftes. Bei fehlender oder pauschaler (schuldrechtlicher) Abrede hat die Zweckübertragungslehre einen unmittelbaren Einfluss auf das Verfügungsgeschäft und korrigiert den Umfang der dinglichen Rechteeinräumung.12 Dem gegenüber erscheint es – entgegen dem Bundesgerichtshof – nicht als zwingend, die Durchbrechung des Abstraktionsprinzips und damit den
7
BGH, a.a.O., Tz. 20 ff. – M2Trade, m.w.N. aus der Literatur. BGH GRUR 1958, 504, 506 – Die Privatsekretärin; BGH GRUR 1982, 369, 371 – Allwetterbad; BGH-GRUR 1990, 443, 446 – Musikverleger IV. 9 BGH, a.a.O., Tz. 18 ff. – M2Trade. 10 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, a.a.O., vor §§ 31 ff. UrhG, Rn. 50. 11 Begründung Regierungsentwurf Urhebervertragsgesetz, BT-Drucksache 14/6433, S. 7. 12 BGH, a.a.O., Tz. 19 – M2Trade. 8
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automatischen Rechterückfall auch für Verträge zwischen Verwertern anzunehmen, also für den Fall, dass zwischen Verwertern das Verpflichtungsgeschäft entfällt. Ein vergleichbares Schutzbedürfnis wie auf Seiten des Urhebers besteht im Verkehr auf Seiten des Rechte verschaffenden Verwerters nicht.13 Denkbar ist allerdings, für die Nutzungsrechteeinräumung des Urhebers im Filmbereich den Grundsatz des automatischen Rechterückfalls bei Entfall des Verpflichtungsgeschäftes zu durchbrechen. Das ergibt sich aus § 90 UrhG, dessen Sinn und Zweck die störungsfreie wirtschaftliche Totalauswertung des hergestellten Films ab Drehbeginn ist.14 Einen Rückruf des Urhebers nach §§ 41, 42 UrhG hat der Gesetzgeber gemäß § 90 S. 1 UrhG ab Drehbeginn ausgeschlossen. Es spricht viel dafür, auch eine außerordentliche Kündigung der Rechtseinräumung wegen Nichtausübung von Auswertungspflichten, die den Filmhersteller treffen, nicht zuzulassen.15 Das sollte hin zu einem allgemeinen Grundsatz ausgebaut werden, dass – ab Drehbeginn – ein automatischer Rechterückfall an den Urheber gar nicht mehr möglich ist, damit das Filmwerk störungsfrei wirtschaftlich verwertet werden kann.
II. Rechterückfall unterlizenzierter Rechte gemäß § 35 UrhG bei Beendigung der Hauptlizenz Eine andere Frage ist, ob der Erwerber eines abgeleiteten Rechts auf einer weiteren Stufe den Rechterückfall auf der ersten Stufe fürchten muss, also ob es auch zu einem (automatischen) Rechterückfall von weitergegebenen Rechten kommt. Diese Frage stellt sich beispielsweise im Fall der Beendigung einer Hauptlizenz mit Rechterückfall auf der ersten Stufe, wenn vorher an Dritte Unterlizenzen ausgereicht wurden. Es ist also zu klären, ob bei Beendigung der Hauptlizenz und Rechterückfall vom Hauptlizenznehmer an den Hauptlizenzgeber auch die dem Unterlizenznehmer gewährten Rechte an den Hauptlizenzgeber zurückfallen. Der Bundesgerichtshof will dem Erwerber der Unterlizenz auf der zweiten Stufe im Regelfall Sukzessionsschutz gewähren, so dass es nicht zu einem Rechterückfall kommt.16 Das gilt unabhängig davon, ob die (zweitstufige)
13 Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., vor §§ 31 ff. UrhG, Rn. 231; Wente/Härle, GRUR 1997, 96, 99; Schack, a.a.O., Rn. 591; anderer Ansicht: Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, a.a.O., vor §§ 28 ff. UrhG, Rn. 101. 14 Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 1; Meckel in HK-Urheberrecht, 2. Auflage 2008, § 90, Rn. 1; Wandtke/Bullinger/Manegold, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 1. 15 Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 9. 16 BGH, a.a.O., Tz. 23 ff. – M2Trade; BGH, a.a.O., Tz. 16. – Take Five.
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Unterlizenz ein einfaches Nutzungsrecht betrifft17 oder ob es sich bei der Unterlizenz um ein ausschließliches Nutzungsrecht handelt.18 Diesen grundsätzlichen Sukzessionsschutz für den Unterlizenznehmer leitet der Bundesgerichtshof aus einer Interessenabwägung zwischen Nutzungsrechtsinhaber (Unterlizenznehmer) und Hauptlizenzgeber ab. Dabei stellt der Bundesgerichtshof vor allem auf Vergütungsaspekte ab. Das Interesse des Unterlizenznehmers überwiegt nach dem BGH, wenn der Unterlizenznehmer den Rechtserwerb bereits vollständig vergütet hat. Insbesondere Unterlizenzen, die gegen eine einmalige Zahlung gewährt werden, haben deshalb im Regelfall Sukzessionsschutz. Das gilt selbst dann, wenn der Hauptlizenzgeber von dieser Vergütung nicht profitiert. Nach der zutreffenden Auffassung des Bundesgerichtshofes überwiegt hier das Interesse des Unterlizenznehmers wegen seines berechtigten Vertrauens, bezahlte Rechte weiter nutzen zu können.19 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes ist das Interesse des Unterlizenznehmers an einem Sukzessionsschutz etwas schwächer ausgeprägt, wenn für die Unterlizenz eine fortlaufende Vergütung für die Nutzung gewährt wird.20 Denn in solchen Fällen kann der Unterlizenznehmer zumindest nicht seine schon erfolgte Zahlung im Vertrauen darauf in die Wagschale werfen, dass er für die gesamte Laufzeit der Unterlizenz das Recht nutzen darf. Dennoch hat der Unterlizenznehmer auch bei fortlaufender Vergütung für die Unterlizenz im Regelfall ein überwiegendes Interesse, das unterlizenzierte Recht weiter nutzen zu dürfen. Der Bundesgerichtshof betont hier zu Recht, dass der Unterlizenznehmer im Regelfall sich für seinen Geschäftsbetrieb auf das Bestehen der Unterlizenz eingerichtet hat. Das Erlöschen des Nutzungsrechtes könnte sogar zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Unterlizenznehmers führen, wenn der Unterlizenznehmer auf den Bestand der Lizenz angewiesen ist.21 Bei fortlaufender Vergütung für die Nutzung der Unterlizenz hat der Bundesgerichtshof nur dann Zweifel an einem überwiegenden Interesse des Unterlizenznehmers, wenn der Hauptlizenzgeber im Hinblick auf die fortlaufende Vergütung leer ausgeht; der Bundesgerichtshof bezeichnet das zu Recht als „unbillige Konsequenz“.22 Allerdings wird es nur ausnahmsweise solche Fälle geben, in denen der Hauptlizenzgeber trotz fortlaufender Vergütung durch den Hauptlizenznehmer leer ausgeht. Ist das erststufige Verpflichtungsgeschäft zwischen Hauptlizenzgeber und Hauptlizenznehmer (Unterlizenzgeber) entfallen und erhält
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BGH, a.a.O., Tz. 23 ff. – M2Trade. BGH, a.a.O., Tz. 16. – Take Five. BGH, a.a.O., Tz. 21. – Take Five; BGH, a.a.O., Tz. 28. – M2Trade. BGH, a.a.O., Tz. 20. – Take Five; BGH, a.a.O., Tz. 26. – M2Trade. BGH, a.a.O., Tz. 30. – M2Trade. BGH, a.a.O., Tz. 20. – Take Five; BGH, a.a.O., Tz. 26. – M2Trade.
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der Hauptlizenzgeber deshalb seine vertragliche Vergütung nicht mehr im Verhältnis zum Hauptlizenznehmer, kann der Hauptlizenzgeber Ansprüche auf Herausgabe der fortlaufenden Unterlizenzvergütung gegen den Hauptlizenznehmer aus ungerechtfertigter Bereicherung stellen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB).23 Beruht der Entfall des Verpflichtungsgeschäftes für die Hauptlizenz auf einer Insolvenz des Hauptlizenznehmers, bestünde ein solcher Bereicherungsanspruch auch, wenn der Insolvenzverwalter gemäß § 103 Abs. 1 InsO zwar die Nichterfüllung des Hauptlizenzvertrages, aber die Erfüllung des Unterlizenzvertrages wählt. Eine derartige Verbindlichkeit aus einer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden ungerechtfertigten Bereicherung der Insolvenzmasse wäre eine Masseverbindlichkeit, die aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen ist (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO).24 Kann sich der Hauptlizenzgeber danach die fortlaufende Vergütung der Unterlizenz zumindest im Wege des Bereicherungsanspruches sichern, überwiegt das Interesse des Unterlizenznehmers am Fortbestehen der Unterlizenz, und es kommt zu keinem Rechterückfall. Die vorgenannten Leitlinien für die Interessenabwägung gelten allgemein im gesamten Rechtsverkehr des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts, also insbesondere auch im Marken- und im Patentrecht sowie auch im urheberrechtlichen Rechtsverkehr im Hinblick auf den Rechtsverkehr zwischen urheberrechtlichen Verwertern. Das UrhG regelt im Grundsatz lediglich die Rechtsbeziehung des Urhebers mit Verwertern, nicht jedoch den reinen Rechtsverkehr zwischen Verwertern, ohne dass Interessen des Urhebers involviert wären.25 Sind Interessen des Urhebers bei der Frage nach dem Rechterückfall betroffen, müssen allerdings für die Interessenabwägung die Wertungen des UrhG herangezogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn der Urheber Hauptlizenzgeber ist und seine (erststufige) Nutzungsrechteeinräumung (Hauptlizenz) entfällt. Im Hinblick auf die dann vorzunehmende Interessenabwägung sind insbesondere folgende Normen des UrhG zu erwähnen: – Aus § 33 S. 2 UrhG und dem dort geregelten Sukzessionsschutz kann für eine Interessenabwägung anhand der Wertentscheidungen des Urhebergesetzes nichts hergeleitet werden.26 § 33 S. 2 UrhG ordnet für den Fall des einseitigen Verzichts des Einräumenden den Sukzessionsschutz für den aktuellen Inhaber des Nutzungsrechts an. Der Inhaber sollte damit vor einer einseitigen Änderung seiner Rechtestellung geschützt werden, und
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BGH, a.a.O., Tz. 26 – M2Trade. BGH, a.a.O., Tz. 26 – M2Trade. Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., vor §§ 31 ff. UrhG, Rn. 2 ff. Anderer Ansicht BGH, a.a.O., Tz. 24 – M2Trade; BGH, a.a.O., Tz. 16 – Take Five.
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zwar insbesondere bei Wechsel oder Verzicht des einräumenden Inhabers des Nutzungsrechtes, nicht aber des Urhebers. Damit regelt § 33 S. 2 UrhG nur einen (engen) Ausnahmefall von der fehlenden Geltung des Abstraktionsprinzips; etwas anderes wollte der Gesetzgeber nicht schaffen und insbesondere keinen generellen Sukzessionsschutz auch für Unterlizenzen einführen.27 – Der Grundsatz des Sukzessionsschutzes kann ausnahmsweise bei unbilligen Vergütungskonstellationen durchbrochen werden, insbesondere wenn der Hauptlizenzgeber vergütungsmäßig leer ausgeht (siehe oben). Ist der Urheber Hauptlizenzgeber, ist dieses Interesse durch § 11 S. 2 UrhG gesetzlich in besonderer Weise privilegiert. Nach § 11 S. 2 UrhG dient das Urheberrecht der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes. Ginge der Urheber bei Fortbestehen der Unterlizenz vergütungsmäßig leer aus, würde dies § 11 S. 2 UrhG zuwider laufen. Im Falle einer fortlaufenden Vergütung für die Nutzung der Unterlizenz kommt das allerdings im Regelfall nicht in Betracht, weil der Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB besteht (siehe oben). Damit stellt sich die Frage nach einer Durchbrechung des Sukzessionsschutzes für den Unterlizenznehmer, wenn der Unterlizenznehmer die Unterlizenz vollständig bezahlt hat und der Urheber bei Fortbestand der Unterlizenz daran nicht mehr angemessen im Sinne von § 11 S. 2 UrhG beteiligt wird. In solchen Fällen ist – mit dem Bundesgerichtshof – grundsätzlich davon auszugehen, dass das berechtigte Vertrauen des Unterlizenznehmers in den Fortbestand der Lizenz das Interesse des Urhebers aus § 11 S. 2 UrhG überwiegt. Es bleibt das Risiko des Urhebers, sich den Hauptlizenznehmer ausgesucht zu haben; die Gründe, die zum Entfall der Hauptlizenz geführt haben, sind für den Unterlizenznehmer nicht kontrollierbar. Insoweit trifft die Risikozuweisung den Urheber. Ist der Hauptlizenznehmer nicht insolvent, kann der Urheber insbesondere auch an Ansprüche nach §§ 32, 32c UrhG denken. Liegen die Voraussetzungen des § 32a UrhG vor, kann der Urheber sogar direkt gegen den Unterlizenznehmer Ansprüche auf zusätzliche Vergütung stellen. – Entscheidende Wertungen des Urhebergesetzes leitet der Bundesgerichtshof auch aus § 41 UrhG ab. In Reifen Progressiv ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass wegen § 41 UrhG einfachen (nicht-exklusiven) Unterlizenznehmern Vertrauensschutz zu gewähren ist, wenn der Urheber die Hauptlizenz gemäß § 41 UrhG zurückruft.28 Insoweit ist dem
27 Schricker/Loewenheim/Schricker/Loewenheim, a.a.O., § 33, Rn. 21; Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 33 Rn. 11 unter Verweis auf Reg-Entwurf Urhebervertragsgesetz, BT-Drucksache 14/6433, S. 16. 28 BGH a.a.O., Tz. 17 – Reifen Progressiv.
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Bundesgerichtshof zuzugeben, dass die Auflösung einer bloß einfachen Blockadeposition nicht dem Zweck des § 41 UrhG entspricht.29 § 41 UrhG gestattet dem Urheber nur den Rückruf von ausschließlichen Rechten, auch von jedem beliebigen Dritten, nicht nur vom Vertragspartner.30 Letztlich muss dabei aber beachtet werden, dass der Urheber ausschließliche Rechte einräumt und damit den Anwendungsbereich des § 41 UrhG durchaus eröffnet hat. Es kommt damit entscheidend auf eine Wertung an, ob der Urheber das Risiko der Sublizenzierung einfacher Rechte tragen soll. Hier erscheint es eher als angezeigt, auf die Vergütungskonstellation abzustellen als darauf, dass § 41 UrhG nur bei ausschließlichen Unterlizenzen den Rückruf auch beim Unterlizenznehmer erlaubt. – Nach § 90 S. 1 UrhG gelten die Bestimmungen über die Übertragung von Nutzungsrechten (§ 34 UrhG) und über die Einräumung weiterer Nutzungsrechte (§ 35 UrhG) sowie über das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung (§ 41 UrhG) und wegen gewandelter Überzeugung (§ 42 UrhG) nicht für die Rechte, die Filmstoffurheber oder Urheber gemäß den §§ 88, 89 UrhG einräumen, sofern die Dreharbeiten begonnen haben. § 90 UrhG dient insoweit dazu, dem Filmproduzenten die störungsfreie wirtschaftliche Totalauswertung des hergestellten Films zu ermöglichen.31 Mit dieser ratio legis muss Unterlizenznehmern stets Sukzessionsschutz gewährt werden. Ein solcher Sukzessionsschutz kann auch nicht ausnahmsweise durchbrochen werden. § 90 UrhG verhindert schon im Verhältnis der Hauptlizenz des Urhebers mit dem Filmhersteller einen Rückfall der Rechte nach §§ 41, 42 UrhG. Das gilt nach zutreffender Meinung auch für den Fall einer außerordentlichen Kündigung durch den Urheber wegen Nichtausübung von Auswertungspflichten durch den Filmhersteller.32 Sämtliche Zustimmungsvorbehalte der §§ 34, 35 UrhG sind auch ab Drehbeginn außer Kraft gesetzt. Dann liegt es nahe, dass § 90 UrhG den Unterlizenznehmer generell davor schützen wollte, dass seine Rechte an den Urheber heimfallen.33 Das hat praktische Konsequenzen insbesondere für den verbreiteten Fall der Vergabe der Verfilmungsrechte nach § 88 Abs. 1 UrhG, die häufig durch Unterlizenz durch einen Verlag (als Hauptlizenznehmer) an den Filmhersteller eingeräumt werden. Entfällt die Rechteein-
29 Zustimmend zum BGH deshalb Bischer/Dittmer/Schiwy/Haberstumpf, Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Medienrecht, 2. Auflage 2011, § 41 UrhG, Rn. 7; siehe auch Pahlow, GRUR 2010, 112. 30 Statt aller Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 41 UrhG, Rn. 8. 31 Ferner Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 1; Meckel in HK-Urheberrecht, 2. Auflage 2008, § 90, Rn. 1; Wandtke/Bullinger/Manegold, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 1. 32 Nochmals Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., § 90 UrhG, Rn. 9. 33 Vgl. Berger in Berger/Wündisch, a.a.O., § 1 Rn. 33.
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räumung im Verhältnis Urheber – Verlag, bleibt mit dem Sinn und Zweck des § 90 UrhG die Unterlizenz des Verlages an den Filmhersteller in jedem Fall unberührt, sofern mit dem Drehen begonnen wurde.
III. Rechterückfall bei Weiterübertragung von Rechten gemäß § 34 UrhG Noch nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof die Frage des automatischen Rechterückfalls, wenn Rechte gemäß § 34 UrhG auf Dritte weiter übertragen wurden. Gemeint sind also Fälle, in denen der Rechteerwerber das komplette Recht an einen Dritten weiter übertragen hat. Gemäß § 34 UrhG bedarf es dafür grundsätzlich der Zustimmung des Urhebers. Auch im Rechtsverkehr zwischen Verwertern kann die Weiterübertragung die Zustimmung des Rechtegebers erfordern. Das gilt insbesondere dann, wenn die Rechtevergabe gegen Beteiligungsvergütung erfolgte. Jedenfalls ist dann im Zweifel kein Recht zur Sublizenzierung gegeben;34 das Gleiche sollte für die Weiterübertragung der Rechte gelten. Ist es – erlaubterweise – zu einer Übertragung des Rechts gekommen, sollte dem Übertragungsempfänger grundsätzlich Sukzessionsschutz gewährt werden. Es kann nichts anderes als für die Fälle der Unterlizenz nach § 35 UrhG gelten. Bei Weiterübertragungen nach § 34 UrhG ist das Interesse des Erwerbers, das Recht weiter nutzen zu können, noch stärker ausgeprägt als das Interesse des bloßen Unterlizenznehmers. Auch hier gilt jedoch beim Erstvertrag mit dem Urheber, dass ausnahmsweise § 11 S. 2 UrhG den Sukzessionsschutz durchbrechen kann (siehe oben Ziff. II). Dass die Interessen des Urhebers überwiegen und es zu einem automatischen Rechterückfall kommt, sollte allerdings gerade im Hinblick auf § 11 S. 2 UrhG ein noch größerer Ausnahmefall bleiben als bei Unterlizenzen. Bei der Weiterübertragung von Rechten kann der Urheber im Regelfall über § 34 Abs. 4 UrhG sicher stellen, dass sein Vertrag mit dem Ersterwerber notfalls durch den Übertragungsempfänger erfüllt wird. Enthält dieser Erstvertrag eine unangemessene Vergütung für den Urheber, kann der Urheber über § 32 UrhG eine Anpassung verlangen. Solche Ansprüche müssen gegen den ursprünglichen Vertragspartner gerichtet werden, führen dann aber zu einer Zahlungspflicht des Übertragungsempfängers nach § 34 Abs. 4 UrhG.35 Ist es prozessual für den Urheber zulässig, direkt auf Zahlung zu klagen36, 34 Siehe BGH GRUR 1987, 37, 38 – Videolizenzvertrag; Fromm/Nordemann/Jan Bernd Nordemann, a.a.O., vor §§ 31 ff. UrhG, Rn. 243. 35 Berger in Berger/Wündisch, a.a.O., § 1, Rn. 181, Schricker/Loewenheim/Schricker/ Loewenheim, a.a.O., § 34 UrhG Rn. 57. 36 Siehe Fromm/Nordemann/Czychowski, a.a.O., § 32 UrhG, Rn. 126 ff.
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kann der Urheber auch den Übertragungsempfänger direkt in Anspruch nehmen. Entfällt das erststufige Verpflichtungsgeschäft mit dem Urheber und bezieht der Vertragspartner des Urhebers weiter laufende Einnahmen vom Übertragungsempfänger, kann mangels vertraglicher Leistungspflicht der Urheber sich zwar nicht mehr an den Übertragungsempfänger als Gesamtschuldner wenden. Jedoch kommen auch hier ein Anspruch aus Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1. S. 1 Fall 2 BGB) in Betracht, siehe oben Ziff. II. Damit bleiben allenfalls Fälle einer kostenlosen Rechteübertragung übrig, die ausnahmsweise zum Suksessionsschutz durchbrechen können. Für Ansprüche nach § 32a UrhG kann der Urheber den Übertragsempfänger sogar direkt in Anspruch nehmen, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 32a Abs. 2 UrhG erfüllt sind. Ansprüche nach § 32c UrhG sind durch Übertragung stets an den Übertragungsempfänger zu richten (§ 32c Abs. 2 UrhG), so dass es für Ansprüche nach § 32c UrhG erst Recht als ausgeschlossen erscheint, dass der Urheber insoweit ohne angemessene Vergütung gemäß § 11 S. 2 UrhG bleibt. Damit spricht in diesen Fällen nichts für ein überwiegendes Interesse des Urhebers an einem automatischen Rechterückfall und alles für einen Sukzessionsschutz des Übertragungsempfängers. Geht es auf der ersten Stufe um einen automatischen Rechterückfall an einen Verwerter und sind damit Urheberinteressen gar nicht berührt, sollte erst Recht auf der zweiten Stufe der Grundsatz des Sukzessionsschutzes gelten. Ein Verwerter, der die Weiterübertragung der gewährten Rechte erlaubt, erscheint insoweit regelmäßig nicht als schutzwürdig, selbst wenn sein Verpflichtungsgeschäft mit dem Ersterwerber entfällt.
IV. Zusammenfassung Bei Beendigung urheberrechtlicher Verträge sind im Hinblick auf einen automatischen Rechterückfall verschiedene Konstellationen auseinander zu halten. – Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in M2Trade und Take Five kommt es zu einem automatischen Rechterückfall im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander, wenn das Verpflichtungsgeschäft entfällt. Das Abstraktionsprinzip gilt nicht. Das erscheint für die Nutzungsrechtseinräumung des Urhebers an Verwerter wegen der besonderen Regelungen des Urhebergesetzes als zutreffend. Bei Nutzungsrechtsgeschäften, die ausschließlich zwischen Verwertern und deshalb außerhalb der Regelungen des Urhebergesetzes stattfinden, sollte indes das Abstraktionsprinzip entgegen der BGH-Rechtsprechung weiter gelten. – In den Entscheidungen M2Trade und Take Five gewährt der Bundesgerichtshof im Grundsatz Unterlizenznehmern Sukzessionsschutz, wenn die
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Hauptlizenz entfällt. Das ergibt sich aus einer Interessenabwägung, bei der grundsätzlich das Vertrauen des Unterlizenznehmers in den Bestand seiner Unterlizenz am schwersten wiegt. Das gilt in besonderem Maße bei vollständiger Bezahlung der Unterlizenz, aber grundsätzlich auch bei einer fortlaufenden Vergütung für die Unterlizenz. Bei einer fortlaufenden Vergütung für die Unterlizenz kann es grundsätzlich auch nicht dazu kommen, dass der Hauptlizenzgeber ohne Vergütung bleibt, weil er nach Bereicherungsrecht die vom Unterlizenzgeber (Hauptlizenznehmer) vereinnahmte fortlaufende Vergütung kondizieren kann. Auch wenn der Urheber Hauptlizenzgeber ist, erscheint damit nur in Ausnahmefällen wegen § 11 S. 2 UrhG ein automatischer Rechterückfall als denkbar, sofern der Urheber ohne jede Vergütung bliebe. Im Filmbereich erscheinen wegen § 90 UrhG selbst solche Ausnahmefälle als ausgeschlossen. – Die Frage des Sukzessionsschutzes für weiter übertragene Rechte (§ 34 UrhG) hat der Bundesgerichtshof bislang nicht beantwortet. Es spricht alles dafür, auch hier dem Übertragungsempfänger Sukzessionsschutz auf der zweiten Stufe zu gewähren, selbst wenn das Verpflichtungsgeschäft auf der ersten Stufe hinfällig wird. Das gilt auch, wenn das erststufige Rechtsgeschäft eine Nutzungsrechteeinräumung des Urhebers ist. Der Urheber hat vielfältige Möglichkeiten, eine angemessene Vergütung nach § 11 S. 2 UrhG sicher zu stellen. Ansprüche nach § 32 UrhG kann er über § 34 Abs. 4 UrhG realisieren, Ansprüche nach § 32a UrhG stehen dem Urheber ohnehin gegenüber demjenigen zu, der die Erträgnisse und Vorteile erzielt. Ist ein Nutzungsrecht übertragen, kann der Urheber zusätzliche Vergütungsansprüche für bei Vertragsschluss unbekannte Nutzungsarten nach § 32c Abs. 2 UrhG stets nur gegenüber dem Übertragungsempfänger geltend machen.
Rückruf des Nutzungsrechts nach § 41 UrhG und Fortbestehen der Enkelrechte Ulrich Loewenheim I. Mit seinem Urteil vom 26. März 2009 – Reifen Progressiv1 – hat der BGH eine Entscheidung getroffen, in der er entgegen der deutlich überwiegenden Meinung 2 davon ausgeht, dass bei Wegfall des Nutzungsrechts erster Stufe (Tochterrecht) einfache Nutzungsrechte späterer Stufen (Enkelrechte) bestehen bleiben. Wenn diese Frage auch nur für den Fall des Rückrufs nach § 41 UrhG entschieden wurde, so kann sie doch die Tür öffnen für eine Entscheidungspraxis, die auch in anderen Fällen des Wegfalls des Tochterrechts die Enkelrechte bestehen bleiben lässt3 – eine Entwicklung, die tragende Grundsätze des deutschen Urheberrechts beeinflussen würde. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Urheber eines für Reifenhändler bestimmten Computerprogramms einer GmbH das ausschließliche Nutzungsrecht einschließlich der Berechtigung, das Programm zu verändern oder weiterzuentwickeln, eingeräumt. Die GmbH räumte einem Reifenhändler ein einfaches Nutzungsrecht an dem Programm ein und verpflichtete sich zur weiteren Programmwartung. Nachdem die GmbH ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hatte, rief der Urheber der GmbH gegenüber das Nutzungsrecht nach § 41 UrhG zurück und verlangte von dem Reifenhändler, das Programm nicht mehr zu benutzen, und zwar mit der Begründung, dass dessen einfaches Nutzungsrecht (das Enkelrecht) durch den Rückruf des Tochterrechts erloschen sei. 1
GRUR 2009, 946. Vergl. dazu unten Fußn. 5 und 6. 3 Ungern-Sternberg spricht insoweit von „gewissen Rückschlüssen“ (GRUR 2010, 273/28); s.a. Schricker/Peukert in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 41 Rn. 24: „Die Entscheidung lässt erkennen, dass der BGH generell, also auch in anderen Fällen der Beendigung ausschließlicher Nutzungsrechtseinräumungen, vom Fortbestand hiervon abgeleiteter, weiterer Nutzungsrechte in der Lizenzkette ausgeht“. Das hat sich durch zwei weitere – nach Abschluss des Manuskripts ergangene – Entscheidungen bestätigt, die in dem Beitrag nicht mehr berücksichtigt werden konnten: BGH vom 19.07.2012 – I ZR 24/11 GRUR 2012, 914 – Take Five; BGH vom 19.07.2012 – I ZR 70/10 GRUR 2012, 916 – M2Trade. 2
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Ob der Rückruf eines Tochterrechts zum Erlöschen (Heimfall) der Enkelrechte führt, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Der Gesetzgeber hatte die Frage bewusst offen gelassen und mit der Urhebervertragsrechtsnovelle ein Bestehenbleiben des Enkelrechts lediglich für den Fall eingeführt, dass der Inhaber des Tochterrechts wechselt oder auf sein Recht verzichtet (§ 33 S. 2 UrhG).4 Die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung ist bisher davon ausgegangen, dass das Erlöschen des Tochterrechts dazu führt, dass die Nutzungsrechte weiterer Stufen automatisch an den Urheber zurückfallen („heimfallen“).5 Das wird im allgemeinen auch für den Rückruf nach § 41 UrhG so gesehen.6 Zur Begründung wird zunächst auf den Zweckbindungsgedanken verwiesen, der nicht nur in der Vorschrift des § 31 Abs. 5 UrhG seinen Ausdruck gefunden hat, sondern auch als allgemeiner urheberrechtlicher Grundsatz besteht. Die Zweckübertragungsregel des § 31 Abs. 5 bestimmt für die Einräumung von Nutzungsrechten, dass sich bei nicht ausdrücklicher einzelner Bezeichnung der Nutzungsarten der Umfang der Rechtseinräumung nach dem Vertragszweck bestimmt. Diese Regel wird aber ergänzt durch die allgemeine Zweckübertragungslehre, die den Gedanken zum Ausdruck bringt, dass das Urheberrecht „die Tendenz hat, so weit wie möglich beim Urheber zurückzubleiben“.7 Die allgemeine Zweckübertragungslehre ist in ihrem Anwendungsbereich nicht auf die Einräumung von Nutzungsrechten beschränkt, sondern findet ganz allgemein im Urheberrecht Anwendung,8 sie bringt damit den Gedanken zum Ausdruck, dass dem 4
BT-Drucks. 14/6433 S. 16. Vergl. nur die Nachweise bei Schricker/Loewenheim in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 35 Rn. 22 ff.; Fromm/Nordemann /J. B. Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 31 Rn. 34 und § 41 Rn. 40; Loewenheim/J. B. Nordemann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl., § 26 Rn. 31; Wandtke/Grunert in: Wandtke/ Bullinger, UrhR, 4. Aufl. § 35 Rn. 7; Schulze in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 33 Rn. 10; Kotthoff in: Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 2. Aufl., § 35 Rn. 8; Schack, Urheberund Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. Rn. 629; jeweils mit eingehenden Nachweisen; eingehend Schricker, Verlagsrecht, 3. Aufl. § 28 Rn. 27; W. Nordemann GRUR 1970, 174 ff.; aus der Rechtsprechung etwa OLG Hamburg GRUR Int. 1998, 431/435; OLG Hamburg GRUR 2002, 335/336; OLG München FuR 1983, 605/606 ff.; LG Hamburg ZUM 1999, 858/859; LG München I, 17.03.2010 – 21 O 5192/09, BeckRS 2011, 04617. 6 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 40; Schulze in: Dreier/Schulze (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 37; Schack (oben Fußn. 5) Rn. 629; Schulze in: Dreier/Schulze (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 37; Schricker, Verlagsrecht, (oben Fußn. 5) § 28 Rn. 27; Scherenberg CR 2007, 9 f.; anders etwa Dreyer/Kotthoff/Meckel (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 17. 7 Ulmer, Urheber-und Verlagsrecht, 3. Aufl., S. 365; Schricker/Loewenheim in: Schricker/ Loewenheim (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 74; Schricker, Verlagsrecht, (oben Fußn. 5) § 8 Rn. 5c; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 112; Schulze in: Dreier/ Schulze (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 110. 8 Schulze in: Dreier/Schulze (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 110; J. B. Nordemann in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts (oben Fußn. 5) § 60 Rn. 15; Schricker/Loewenheim in: 5
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Urheber seine Rechte so weit wie möglich erhalten bleiben sollen. Damit findet sie ihre Stütze auch in dem durch die Urhebervertragsrechtsnovelle eingefügten § 11 S. 2 UrhG, wonach das Urheberrecht der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes dient. Aus der allgemeinen Zweckübertragungslehre wird abgeleitet, dass bei einem Wegfall des Tochterrechts dem Enkelrecht die Grundlage entzogen ist und dass es an den Urheber „heimfällt“,9 weil das Fortbestehen isolierter Enkelrechte die Rechtsposition des Urhebers schwächen würde, was sich mit dem Zweckbindungsgedanken nicht vertragen würde.10 Diesem Ergebnis steht nach der überwiegenden Meinung auch nicht das Abstraktionsprinzip entgegen, nach dem das dingliche Geschäft vom zugrunde liegenden schuldrechtlichen Geschäft unabhängig ist und bei dessen Fortfall bestehen bleibt. Zwar ist heute weitgehend anerkannt, dass es sich nicht nur bei ausschließlichen, sondern auch bei einfachen Nutzungsrechten um gegenständliche Rechte handelt.11 Da aber das Abstraktionsprinzip im Urheberrecht nach ganz überwiegender Auffassung nicht gilt,12 könne auch das Enkelrecht gegenüber dem zu Grunde liegenden Tochterrecht keine Unabhängigkeit beanspruchen, die es nach dem Wegfall des Tochterrechts fortbestehen ließe. Der Grund für den Heimfall an den Urheber bestehe darin, dass der Zweiterwerber seine Rechtsstellung allein aus einem Rechtsgeschäft mit dem Ersterwerber ableite.13 Teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn man vom Bestehenbleiben des Enkelrechts ausginge, der Urheber gegen den Enkelrechtsinhaber einen Herausgabeanspruch nach § 41 Abs. 7 UrhG in Verbindung mit §§ 546 Abs. 2 und 581 Abs. 2 BGB habe, so dass jedenfalls auf diesem Wege das Enkelrecht wieder zum Urheber zurückkehre.14 Die Gegenansicht15 beruft sich vornehmlich auf die Interessenlage. Der Inhaber des Enkelrechts habe ein Interesse am Fortbestehen seines Rechts. Schricker/Loewenheim (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 74. Das übersehen Auffassungen, die den Zweckübertragungsgedanken auf § 31 Abs. 5 reduzieren wollen, vgl. etwa Scholz GRUR 2009, 1107/1111; Pahlow, GRUR 2010, 112/117. 9 Von den Fällen des § 33 S. 2 natürlich abgesehen. 10 Vergl. etwa Loewenheim/J. B. Nordemann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts (oben Fußn. 5) § 26 Rn. 31. 11 Dazu näher Schricker/Loewenheim in: Schricker/Loewenheim (oben Fußn. 5) vor §§ 28 ff. Rn. 81 f. (zu ausschließlichen Nutzungsrechten) und Rn. 83 (zu einfachen Nutzungsrechten) mit Nachweisen. 12 Dazu mit Nachweisen Schricker/Loewenheim in: Schricker/Loewenheim (oben Fußn. 5) vor §§ 28 ff. Rn. 99 f.; Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 30 ff.; Schulze in: Dreier/Schulze (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 18 ff.; Dreyer/Kotthoff/ Meckel, Urheberrecht (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 18. 13 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 34. 14 Adolphsen/Tabrizi GRUR 2011, 384/388. 15 OLG Köln GRUR-RR 2007, 33 und LG Köln CR 2006, 372/375 f. (Vorinstanzen zur hier besprochenen BGH-Entscheidung); OLG München Urteil vom 20.01.2011 – 29 U
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Er habe auf den Wegfall des Tochterrechts keinen Einfluss und könne durch den Wegfall seines Nutzungsrechts – des Enkelrechts – erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden. Demgegenüber hätten die Interessen des Urhebers zurückzutreten, der ja schließlich (im Hinblick auf § 35 UrhG) in die Einräumung des Enkelrechts eingewilligt habe.16 Ferner beruft man sich auf die Vorschrift des § 33 S. 2 UrhG, die ja zeige, dass Enkelrechte bei Rückfall des Tochterrechts bestehen bleiben könnten, wobei man sich teils auf eine Analogie zu dieser Vorschrift stützt, teils die darin enthaltenen Wertungen übertragen will.17
II. Der BGH hat sich eingehend mit der herrschenden Meinung auseinandergesetzt und sich mit detaillierter Begründung für die Gegenansicht entschieden. Gleichwohl fragt man sich, wieweit die Argumentation des BGH überzeugen kann. Der BGH setzt sich zunächst mit dem Argument der Zweckbindung der Nutzungsrechtseinräumung auseinander. Mit dem Gedanken der Zweckbindung der Nutzungsrechtseinräumung lasse sich zwar begründen, warum das Erlöschen des Verpflichtungsgeschäfts auf der ersten Stufe (also zwischen Urheber und Erstnutzungsberechtigtem) zu einem Rückfall des Nutzungsrechts erster Stufe führe. Daraus sei aber nicht ohne weiteres zu schließen, dass die vom ersten Nutzungsberechtigten eingeräumten weiteren Nutzungsrechte an den Urheber zurückfielen. Denn diese weiteren Nutzungsrechte hätten ihre Grundlage nicht in der zwischen Urheber und Erstnutzungsberechtigtem, sondern in der zwischen diesem und dem Zweitnutzungsberechtigten geschlossenen Vereinbarung. Damit habe das Erlöschen des ersten Verpflichtungsgeschäfts nicht grundsätzlich das Erlöschen dieser weiteren Vereinbarung zur Folge.18 Wie weit dieses Argument überzeugt, hängt vom Verständnis des Zweckbindungsgedankens ab. Reduziert man dieses Prinzip darauf, dass im Urheberrecht der Wegfall des Verpflichtungs2626/10, BeckRS 2012, 05500; im Schrifttum insb. Kotthoff in: Dreyer/Kotthoff/Meckel (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 17; Mestmäcker/Schulze/Scholz, UrhG, § 31 Rn. 63; Haberstumpf in: Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz, UrheberR, MedienR, § 35 UrhG Rn. 4; ders. in: Festschr. f. Hubmann, 1985, S. 127/140 ff.; Hoeren CR 2005, 773/776; s.a. Schwarz/Klingner GRUR 1998, 103/110 ff.; Beck, Der Lizenzvertrag im Verlagswesen, 1961, S. 82 ff.; Lange, Der Lizenzvertrag im Verlagswesen, 1979, S. 92 ff.; Sieger, FuR 1983, 580 ff. 16 So vor allem OLG Köln GRUR-RR 2007, 33/34; Kotthoff in: Dreyer/Kotthoff/ Meckel (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 17 17 LG Köln CR 2006, 372/376; Kotthoff in: Dreyer/Kotthoff/Meckel (oben Fußn. 5) § 41 Rn. 17; Hoeren CR 2005, 773/77. 18 BGH GRUR 2009, 946 Tz. 18.
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geschäfts den Rückfall des mit dem Verpflichtungsgeschäfts eingeräumten Nutzungsrechts zur Folge hat – was im Grunde nichts anderes besagt, als dass das Akzessorietätsprinzip im Urheberrecht nicht anwendbar ist – so lässt sich in der Tat dem BGH folgen. Versteht man aber den Zweckbindungsgedanken in einem weiteren Sinne, nämlich dahingehend, dass das Urheberrecht die Tendenz hat, dass dem Urheber seine Rechte so weit wie möglich erhalten bleiben sollen (allgemeine Zweckübertragungslehre19), so lässt sich damit sehr wohl begründen, dass bei einem Wegfall des Tochterrechts dem Enkelrecht die Grundlage entzogen ist und dass es an den Urheber „heimfällt“, weil das Fortbestehen isolierter Enkelrechte die Rechtsposition des Urhebers schwächen würde.20 So gesehen beruht der Heimfall nicht auf einem Erlöschen der Vereinbarung zwischen Erst- und Zweitnutzungsberechtigten, sondern darauf, dass mit dem Wegfall des Erstnutzungsrechts die Grundlage für den Bestand des Zweitnutzungsrechts entfallen ist. Dem Urheber sollen seine Rechte so weit wie möglich belassen werden. Er sollte dementsprechend auch dann wieder in den Vollbesitz seiner Rechte kommen, wenn er das Nutzungsrecht erster Stufe zurückruft. Der BGH setzt sich weiterhin mit dem Grundsatz auseinander, dass niemand mehr Rechte vergeben könne als er selbst besitzt. Daraus ließe sich ein Rückfall des Enkelrechts nicht ableiten, weil der Inhaber des Tochterrechts zum Zeitpunkt der Vergabe des Enkelrechts ja Berechtigter gewesen sei. Damit stehe dieser Grundsatz nicht der Annahme entgegen, dass der spätere Wegfall der Berechtigung des Verfügenden die Wirksamkeit seiner früheren Verfügungen unberührt lasse.21 Das lässt sich so gesehen gewiss nicht bestreiten. Es steht aber nicht im tragenden Gedanken entgegen, dass im Sinne der allgemeinen Zweckübertragungslehre die Grundlage für den Bestand des Zweitnutzungsrechts mit dem Wegfall des Erstnutzungsrechts entfallen ist. Der BGH weist weiterhin auf die Regelung des § 33 Satz 2 UrhG hin. Die Vorschrift zeige, dass der Verlust eines Nutzungsrechts nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht zum Wegfall daraus abgeleiteter Nutzungsrechte führen müsse.22 Das ist insoweit natürlich zutreffend, besagt aber nicht, dass auch in anderen Fällen eine solche Rechtsfolge eintreten muss. Der Gesetzgeber hat die Frage bewusst nicht entschieden und wollte sie der Rechtsprechung zur Klärung überlassen.23 Der Umstand, dass kraft gesetzlicher Regelung in bestimmten Fällen das Enkelrecht bestehen bleibt, schließt nicht aus, dass es in anderen Fällen in Anwendung des Zweckbindungsgedankens an den Urheber zurückfällt.24 19 20 21 22 23 24
S. oben bei Fußn. 7; s. hierzu auch Scherenberg, CR 2007, 9/10. Zur Schwächung der Position des Urhebers s. unten (Text hinter Fußn. 31). BGH GRUR 2009, 946 Tz. 19. AaO. (oben Fußn. 21). Vgl. oben Fußn. 4. Gegen das Argument aus § 33 S. 2 auch Scherenberg, CR 2007, 9/10.
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Das entscheidende Kriterium stellt auch für den BGH die Abwägung der Interessen des Urhebers und der des Enkelrechtsinhabers dar. Der BGH geht hier von den § 41 UrhG zugrunde liegenden Wertungen aus.25 Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung diene dem ideellen Interesse des Urhebers am Bekanntwerden seines Werkes und seinem materiellen Interesse an dessen Verwertung. Ein einfaches Nutzungsrecht versperre dem Urheber nicht eine anderweitige Nutzung und stehe daher einer Verwertung und einem Bekanntwerden seines Werkes nicht entgegen.26 Der Urheber werde nicht übermäßig in der Nutzung seines Rechts beeinträchtigt, wenn einfache Nutzungsrechte nach einem Rückruf fortbestünden; diese hinderten die Urheber nicht, aufgrund des an ihn zurückgefallenen ausschließlichen Nutzungsrechts neue Nutzungsrechte zu vergeben.27 Im Übrigen müsse der Urheber es hinnehmen, dass sein ausschließliches Nutzungsrecht beim Rückfall mit einfachen Nutzungsrechten belastet bleibe, weil er (im Hinblick auf § 35 Abs. 1 S. 1 UrhG) der Erteilung weiterer Nutzungsrechte durch den Inhaber des Tochterrechts zugestimmt habe.28 Schon der Ansatz, die Interessenabwägung an den § 41 UrhG zugrunde liegenden Wertungen auszurichten, kann auf Bedenken stoßen. Die § 41 zugrunde liegenden Wertungen beziehen sich auf die Frage, ob, d.h. unter welchen Voraussetzungen, ein Rückruf des Nutzungsrechts erfolgen kann. Sie sind nicht ohne weiteres aussagekräftig für die Frage, in welchem Umfang ein Nutzungsrecht zurückrufen werden kann.29 Auch der Hinweis auf die Zustimmung des Urhebers zur Einräumung von Enkelrechten überzeugt nicht. Das Zustimmungserfordernis des § 35 Abs. 1 S. 1 dient dem Schutz des Urhebers und gerade nicht der Einschränkung seiner Rechtsposition;30 zudem bezieht sich die Zustimmung nur auf die Einräumung von Nutzungsrechten an Sublizenznehmer, nicht aber auf den späteren Wegfalls des Nutzungsrechts.31 Vor allem aber lässt sich bezweifeln, ob den Interessen des Urhebers mit dem Hinweis, er könne aufgrund des an ihn zurückgefallenen ausschließlichen Nutzungsrechts neue Nutzungsrechte vergeben, ausreichend Rechnung getragen ist. Es wird mit Recht darauf hingewiesen, dass der Urheber das an ihn zurückgefallene Nutzungsrecht dann nur belastet mit dem Enkel25
AaO. (oben Fußn. 21) Tz. 21. AaO. (oben Fußn. 21) Tz. 23. 27 AaO. (oben Fußn. 21) Tz. 24. 28 AaO. (oben Fußn. 21) Tz. 27. 29 Kritisch auch Scherenberg, CR 2007, 9. Scholz, GRUR 2009, 1107/1110, bezeichnet diese Argumentation des BGH als eine „dogmatisch nicht klar angebundene Interessenabwägung“. 30 OLG Hamburg GRUR 2002, 335/336 (zur gleich gelagerten Situation des § 34 UrhG). 31 Fromm/Nordemann/J. B. Nordemann (oben Fußn. 5) § 31 Rn. 34. 26
Rückruf des Nutzungsrechts nach § 41 UrhG und Fortbestehens der Enkelrechte 205
recht weitervergeben kann.32 Das kann durchaus zu Problemen führen. Hat etwa der Urheber das (ausschließliche) Verlagsrecht einem Verleger eingeräumt und hat dieser einem anderen Verleger eine einfache (Sub)Lizenz für eine Taschenbuchausgabe erteilt, so ist eine Neuvergabe des (ausschließlichen) Verlagsrechts durch das Bestehenbleiben der Lizenz für die Taschenbuchausgabe belastet. Ein potentieller Erwerber des zurückgerufenen Verlagsrechts würde sich der Tatsache ausgesetzt sehen, dass er bei Herstellung und Vertrieb einer Taschenbuchausgabe einen Konkurrenten hätte.33 Das kann potentielle Erwerber abschrecken; zumindest dürfte es den Wert des zurückrufenden Nutzungsrechts negativ beeinflussen. Das gleiche Problem stellt sich, wenn der Inhaber des Tochterrechts (einfache) Verlagslizenzen für bestimmte Gebiete, etwa den deutschen Sprachraum (Deutschland, Österreich, Schweiz) erteilt hat. In diesen Gebieten sähe sich ein potentieller Erwerber gleichfalls einem Konkurrenten ausgesetzt. Erhebliche Probleme stellen sich auch bei den vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten.34 So stellt sich die Frage, wie der Urheber die Gegenleistung für eine fortlaufende Nutzung des Enkelrechts erhalten soll, wenn er das Tochterrecht – wie häufig – nicht gegen eine Einmalzahlung, sondern unter Vereinbarung laufender Lizenzgebühren eingeräumt hat. Vom Inhaber des Tochterrechts kann er keine Zahlungen verlangen, da er das Tochterrecht zurückrufen hat. Mit dem Inhaber des Enkelrechts hat er keinen Vertrag. Ob er sich Ansprüche des (früheren) Tochterrechtsinhabers gegen den Enkelrechtsinhaber abtreten lassen kann, erscheint angesichts des Rückrufs sehr zweifelhaft und jedenfalls dann kaum möglich, wenn sich der Inhaber des Tochterrechts gegenüber dem Inhaber des Enkelrechts zu Leistungen verpflichtet hat, die der Urheber gar nicht erbringen kann, etwa zur Wartung und Pflege von Computerprogrammen. Bereicherungsansprüche scheitern schon daran, dass der schuldrechtliche Lizenzvertrag zwischen Inhaber des Tochterrechts und Inhaber des Enkelrechts durch den Rückruf nicht aufgehoben wird,35 so dass der Inhaber des Tochterrechts nicht ungerechtfertigt bereichert ist.36 Stellt man dem die Interessen des Inhabers des (einfachen) Enkelrechts gegenüber, so hat dieser naturgemäß ein Interesse daran, seine Rechte nicht dadurch zu verlieren, dass der Urheber das Tochterrecht zurückruft. Es trifft zu, dass der Inhaber des Enkelrechts dieses Recht bei einem Heimfall an den
32 Adolphsen/Tabrizi GRUR 2011, 384/388; Pahlow, GRUR 2010, 112/118; s.a. Loewenheim/J. B. Nordemann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, § 26 Rn. 31. 33 S. dazu bereits OLG München FuR 1983, 605/607. 34 Dazu eingehend Schricker, Verlagsrecht, (oben Fußn. 5) § 28 Rn. 27. 35 Siehe auch Pahlow, GRUR 2010, 112/117. 36 Auch § 816 Abs. 2 BGB lässt sich aus diesem Grunde nicht anwenden, dazu Pahlow, GRUR 2010, 112/118.
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Urheber ohne sein Zutun verlieren würde. Er hat aber jedenfalls im Grundsatz die Möglichkeit, sich dagegen abzusichern – etwa durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem Urheber, dass sein Enkelrecht auch bei einem Rückruf des Tochterrechts nicht entfallen soll.37 Tritt bei ihm ein Schaden ein, so hat er – wenn er den Schaden nicht schon gegenüber dem ehemaligen Tochterrechtsinhaber geltend machen kann – einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Urheber, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 41 Abs. 6 UrhG). Wollte man das Vertrauen des Enkelrechtsinhabers auf ein Fortbestehen seines Rechts schützen, so käme dies einem Gutglaubensschutz nahe,38 den es im Urheberrecht nach allgemeiner Meinung gerade nicht gibt.39 Ob mit der Entscheidung des BGH in der Zukunft den Interessen der Enkelrechtsinhaber gedient ist, mag man gleichfalls bezweifeln. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass der Inhaber des Enkelrechts auf Leistungen des Tochterrechtsinhabers angewiesen sein kann, die dieser nach einem Rückruf des Tochterrechts nicht mehr erbringen kann. Das ist beispielsweise der Fall bei Softwareüberlassungsverträgen, bei denen sich der Tochterrechtsinhaber zur laufenden Wartung und Weiterentwicklung der Software verpflichtet hat. Eine solche Wartung und Weiterentwicklung setzt in der Regel die Inhaberschaft am ersten Nutzungsrecht voraus, so dass sie ohne Urheberrechtsverletzung gar nicht möglich ist.40 Das gleiche Problem stellt sich bei Sach- oder Rechtsmängeln, die der (frühere) Inhaber des Tochterrechts ohne Urheberrechtsverletzung nicht beheben kann.41 Ein weiteres kommt hinzu. Der Urheber, der bei einem Rückruf des Nutzungsrechts erster Stufe der vom Tochterrechtsinhaber eingeräumten Enkelrechte nicht verlustig gehen will, kann diesen in dem mit ihm geschlossenen Lizenzvertrag verpflichten, seinerseits Nutzungsrechte zweite Stufe nur unter der Bedingung einzuräumen, dass sie bei einem Rückruf des Nutzungsrechts erster Stufe an den Urheber zurückfallen oder an diesen zurückzuübertragen sind. Offen ist, inwieweit sich das Urteil des BGH auf andere Fälle des Rückrufs, etwa nach § 42 UrhG, oder generell auf den Wegfall von Tochterrechten auswirkt. Der BGH hat seine Entscheidung zwar auf § 41 UrhG beschränkt, durch seine Formulierung, dass er „jedenfalls“ für den Rückruf nach § 41 UrhG die Ansicht derer teilt, die einen Fortbestand des Enkelrechts propa-
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Dazu eingehend Schricker, Verlagsrecht, (oben Fußn. 5) § 28 Rn. 27. S. auch Schack (oben Fußn. 5) Rn. 629; Loewenheim/J. B. Nordemann in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts (oben Fußn. 5) § 26 Rn. 31. 39 Vgl. die Nachweise bei Schricker/Loewenheim in: Schricker/Loewenheim (oben Fußn. 5) vor §§ 28 ff. 102. 40 Dazu näher Adolphsen/Tabrizi GRUR 2011, 384/389. 41 Pahlow, GRUR 2010, 112/117. 38
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gieren, schon angedeutet, dass er auch in anderen Fällen so entscheiden könnte. Dies wird auch im Schrifttum so gesehen.42 Damit stellen sich weitere Probleme. Soll ein Urheber, der ein (Erst)Nutzungsrecht wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 UrhG zurückruft, es hinnehmen, dass der Inhaber eines (einfachen) Enkelrechts das Werk laufend weiter publiziert? Das würde Sinn und Zweck des § 42 auf den Kopf stellen.43 Der hier zur Verfügung stehende Rahmen reicht nicht, um auf diese Fragen näher einzugehen. Im Ergebnis bleibt die Entscheidung unbefriedigend. Die alte Kontroverse, ob der Rückruf nach § 41 UrhG zu einem Heimfall der vom Tochterrechtsinhaber eingeräumten Enkelrechte an den Urheber führt, und die der Gesetzgeber der Rechtsprechung zur Klärung überlassen hat 44, ist nun zwar höchstrichterlich entschieden. Als Streitfrage dürfte sie aber damit noch nicht erledigt sein.
42 Vgl. oben Fußn. 3. So jetzt BGH GRUR 2012, 914 – Take Five (für den Fall der einvernehmlichen Aufhebung des Hauptlizenzvertrages) und BGH GRUR 2012, 916 – M2Trade (für den Fall der Kündigung des Hauptlizenzvertrags wegen Zahlungsverzugs). 43 Dazu auch Scholz GRUR 2009, 1107/1110. 44 Vgl. oben Fußn. 4.
4. Kollektive Rechtewahrnehmung
Verwertungsgesellschaft – Was ist das? Robert Staats I. Einleitung Die EU-Kommission hat im Juli 2012 den Richtlinienvorschlag über die kollektive Rechtewahrnehmung vorgelegt.1 Damit befasst sich die Kommission erstmals im Rahmen einer eigenen Richtlinie mit den Verwertungsgesellschaften in Europa. Die bisherigen – vereinzelten – Bestimmungen zur kollektiven Rechtewahrnehmung standen im Zusammenhang mit anderen Regelungsgegenständen, wie beispielsweise der Kabelweitersendung2 oder dem Vermietrecht.3 Lediglich im Rahmen der – unverbindlichen – Empfehlung der Kommission zu Online-Musikdiensten ging es bereits um allgemeine Vorgaben für Verwertungsgesellschaften.4 Der Richtlinienvorschlag war lange angekündigt und die Veröffentlichung mehrfach verschoben worden. Es kann deshalb niemanden überraschen, dass nunmehr auch die Verwertungsgesellschaften verbindlichem europäischem Gemeinschaftsrecht unterworfen werden sollen. Auch die Konzeption der Richtlinie, wonach es allgemeine Vorschriften für sämtliche Verwertungsgesellschaften und Sonderregelungen für den Online-Musikbereich geben soll, war vorab bekannt. Die Begründung der Richtlinie lässt dabei deutlich erkennen, dass die Kommission Verwertungsgesellschaften skeptisch gegenüber steht. So wird beispielsweise in der Begründung auf die „überaus langsame Anpassung an die Erfordernisse der modernen Zeit“ hingewiesen und auf „Bedenken in Bezug auf Transparenz, Leitungs- und Aufsichtsstrukturen sowie den Umgang mit den in Namen der Rechteinhaber eingezogenen Einnahmen“.5 Fast schon bedrohlich klingen Formulierungen, wonach einige
1 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für die Online-Nutzung von Rechten an Musikwerken im Binnenmarkt (COM(2012)372 final), abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/copyright/index_de. 2 Richtlinie 93/83/EWG. 3 Richtlinie 2006/115/EG. 4 Empfehlung 2005/737/EG. 5 S. 2 f. der Begründung.
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Verwertungsgesellschaften sich „der Herausforderung an die Realitäten und Bedürfnisse des Binnenmarktes erst noch stellen müssen.“6 Auf der anderen Seite verkennt die Kommission nicht, dass Verwertungsgesellschaften bei der Rechteverwaltung und beim Schutz der kulturellen Vielfalt eine wichtige Rolle spielen können.7 Neben der Regulierung des Musik-Onlinebereichs ist es deshalb das Ziel der Kommission, den Standard und die Effizienz der Verwertungsgesellschaften in Europa zu verbessern. Das ist zu begrüßen. Dieser Ansatz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auswirkungen der Richtlinie weit darüber hinausgehen. Die geplante Richtlinie will den Wettbewerb zwischen europäischen Verwertungsgesellschaften ermöglichen und gibt das traditionelle Konzept von einer faktischen – in manchen EU-Mitgliedstaaten sogar rechtlichen8 – Monopolstellung endgültig auf. Erwägungsgrund 3 lässt sich klar entnehmen, dass Verwertungsgesellschaften ihre Dienstleistungen länderübergreifend erbringen können sollen. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Vertretung ausländischer Rechteinhaber als auch für die Lizenzvergabe an ausländische Nutzer. Dabei findet nach Auffassung der Kommission die Dienstleistungsrichtlinie9 auf Verwertungsgesellschaften Anwendung. Rechteinhabern soll es nach Erwägungsgrund 9 ferner möglich sein, die Verwertungsgesellschaft, der sie ihre Rechte – ganz oder teilweise – zur Wahrnehmung einräumen wollen, frei zu wählen. Sie sollen das Recht haben, ihre Rechte einer Verwertungsgesellschaft – ganz oder teilweise – zu entziehen, um sie einer anderen Verwertungsgesellschaft oder auch einer sonstigen anderen Organisation zu übertragen. Gewünscht ist demnach ein Wettbewerb nicht nur zwischen Verwertungsgesellschaften, sondern auch zwischen Verwertungsgesellschaften und sonstigen Rechteverwertern. Besonders überraschend ist das nicht, weil spätestens mit der oben bereits erwähnten Empfehlung der Kommission zu den Musik-Onlinediensten aus dem Jahr 200510 der wettbewerbsbetonte Ansatz der Kommission deutlich geworden ist. Die Entwicklung im Musikbereich war allerdings wenig positiv und hat zu einer massiven Zersplitterung der Rechte geführt.11 Das scheint nicht zu einem Umdenken der Kommission geführt zu haben. Im Ergebnis spricht einiges dafür, dass es jetzt auch in anderen Werkbereichen zu ähnlichen Entwicklungen kommt. Denn spätestens mit Inkrafttreten der Richtlinie und bei Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie dürften eine Erlaubnispflicht und eine innerstaatliche Aufsicht, wie sie das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz
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S. 3 der Begründung. S. 2 der Begründung. Vgl. § 3 Abs. 2 VerwGesG 2006 in Österreich. Richtlinie 2006/123/EG. Empfehlung 2005/737/EG. Vgl. dazu jüngst Ventroni MMR 2012, 565 f.
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vorsieht, auf Verwertungsgesellschaften aus anderen EU-Mitgliedstaaten keine Anwendung mehr finden. Ausländische Verwertungsgesellschaften wären damit frei, Rechteinhaber in Deutschland zu vertreten, ohne den Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes zu unterliegen. Damit wäre nicht nur der „one-stop-shop“ endgültig verloren und die Rechtewahrnehmung in der Praxis deutlich erschwert. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die bisherige Konzeption der kollektiven Rechtewahrnehmung in Deutschland überhaupt noch aufrechterhalten werden könnte. Denn eine Vielzahl von Regelungen des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes, wie insbesondere der Wahrnehmungs- und Abschlusszwang, die Verpflichtung zu angemessenen Bedingungen und die Konzeption einer mit weitreichenden Befugnissen ausgestatteten staatlichen Aufsicht fanden ihre Begründung vor allem in der faktischen Monopolstellung von Verwertungsgesellschaften in Deutschland. Fällt diese Monopolstellung weg, verlieren die Bestimmungen ganz oder teilweise ihre Rechtfertigung. Hinzu kommt, dass die Regelungen des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes schon deshalb geändert oder aufgehoben werden müssten, weil ansonsten die deutschen Verwertungsgesellschaften gegenüber konkurrierenden Verwertungsgesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten erheblich benachteiligt wären.12 Im Folgenden kann der Richtlinienvorschlag nicht im Einzelnen gewürdigt werden.13 Der Beitrag befasst sich vielmehr ausschließlich mit der – allerdings zentralen – Frage, was unter einer Verwertungsgesellschaft im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist.
II. „Verwertungsgesellschaft“ gemäß Art. 3a RL-E Der Richtlinienentwurf enthält in Art. 3 RL-E einen Katalog von Begriffsbestimmungen. An erster Stelle findet sich die Definition der „Verwertungsgesellschaft“. Eine Verwertungsgesellschaft ist nach Art. 3a RL-E jede Organisation, die im Eigentum ihrer Mitglieder steht oder die von ihren Mitgliedern beherrscht wird und die gesetzlich oder auf der Grundlage einer Abtretungs-, Lizenz- oder sonstigen vertraglichen Vereinbarung von mehr als einem Rechteinhaber damit beauftragt ist, ausschließlich oder hauptsächlich Urheber- oder verwandte Schutzrechte wahrzunehmen.
12 Auf diese Problematik geht auch die Stellungnahme des Bundesrates zum Richtlinienentwurf ein, BR-Drs. 395/12 (Beschluss). 13 Vgl. z.B. die Stellungname der VG WORT zum Richtlinienvorschlag, abrufbar unter www.vgwort.de.
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1. Mitglieder-Organisation Der Richtlinienentwurf setzt demnach voraus, dass Verwertungsgesellschaften mitgliedschaftlich organisiert sind. Eine bestimmte Rechtsform wird damit nicht vorgegeben. Ähnlich wie im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz dürfte vielmehr der Begriff „Mitglieder“ weit zu verstehen sein und neben Vereinsmitgliedern auch Genossen in einer Genossenschaft oder Gesellschafter einer GmbH erfassen.14 Ausgeschlossen dürfte aufgrund des Wortlauts dagegen sein, dass eine Einzelperson als Verwertungsgesellschaft tätig wird. In Deutschland ist das grundsätzlich möglich,15 hat aber bisher keine praktische Rolle gespielt.16 2. Vertragliche oder gesetzliche Beauftragung Verwertungsgesellschaften im Sinne der Richtlinie werden aufgrund einer „Beauftragung“ tätig. Auch nach deutschem Verständnis enthält der Wahrnehmungsvertrag als gemischt-typischer Vertrag jedenfalls Elemente des Auftrags.17 Allerdings bestehen gewisse Zweifel, ob die Verwendung der Formulierung „Beauftragung“ in dem Richtlinienentwurf rechtstechnisch zu verstehen ist. Denn die Richtlinie erwähnt nicht nur vertragliche, sondern auch „gesetzliche Beauftragungen“. Auch verwenden die englische und die französische Fassung die Formulierung „authorized“ und „autorisé“. Es spricht deshalb einiges dafür, dass hier eher eine vertragliche oder gesetzliche „Berechtigung“ der Verwertungsgesellschaft gemeint war, die Raum lässt für die konkrete Ausgestaltung des Wahrnehmungsverhältnisses in den einzelnen Mitgliedstaaten. Klar ist allerdings, dass die Kommission – in Übereinstimmung mit dem deutschen Recht18 – davon ausgeht, dass Verwertungsgesellschaften als Treuhänder im Interesse ihrer Mitglieder und für deren Rechnung tätig werden.19 3. Tätigkeit für mehr als einen Rechteinhaber Wichtig ist, dass die Voraussetzungen für eine Verwertungsgesellschaft nur dann vorliegen, wenn die Organisation für mehr als einen Rechteinhaber
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Zum UrhWG: Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 6 UrhWG Rn. 14. Nach § 1 Abs. 4 UrhWG sind bei einer Tätigkeit von einzelnen natürlichen Personen die Regelungen für Verwertungsgesellschaften entsprechend anzuwenden. 16 Vgl. Dreier/Schulze/Schulze § 1 UrhWG Rn. 25. 17 Vgl. nur BGH GRUR 1966, 567, 569 – Gelu; Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 6 UrhWG Rn. 4; Dreier/Schulze/Schulze Vor § 31 UrhG Rn. 125. 18 § 1 UrhWG setzt ausdrücklich eine Tätigkeit „für Rechnung“ mehrerer Urheber oder Leistungsschutzberechtigter voraus. 19 Vgl. Erwägungsgründe 11 und 15. 15
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tätig wird. Auch das steht im Einklang mit § 1 UrhWG, wonach eine Rechtewahrnehmung für Rechnung mehrerer erfolgen muss. Damit spricht viel dafür, dass Organisationen im Musikbereich, wie beispielsweise CELAS,20 die lediglich die Rechte für einen einzigen Musikverlag wahrnehmen, nicht als Verwertungsgesellschaften im Sinne der Richtlinie anzusehen sind.21 Die in Deutschland immer wieder diskutierte Frage, ob Verwertungsgesellschaften überhaupt für Inhaber abgeleiteter Rechte, wie insbesondere Verleger, tätig werden können22, wird im Richtlinienentwurf dagegen eindeutig beantwortet. Die Definition in Art. 3a RL-E spricht von einer Tätigkeit für „Rechteinhaber“. Unter diesen Begriff fällt nach Art. 3b RL-E jede natürliche oder juristische Person, mit Ausnahme von Verwertungsgesellschaften, die Inhaber eines Urheber- oder eines verwandten Schutzrechts ist oder die aufgrund eines Rechteverwertungsvertrages Anspruch auf einen Anteil an den Einnahmen aus den von der Verwertungsgesellschaft wahrgenommenen Rechten hat. Die zuletzt genannte Alternative dürfte vor allem Verleger im Blick gehabt haben. Das wird durch Erwägungsgrund 10 bestätigt, wo Verleger als Anspruchsberechtigte ausdrücklich erwähnt werden.23 Die Rechtewahrnehmung für andere Verwertungsgesellschaften fällt dagegen nicht unter Art. 3a RL-E, weil gemäß § 3b RL-E Verwertungsgesellschaften keine Rechteinhaber im Sinne der Richtlinie sind.24 Lediglich im Musik-Onlinebereich werden einzelne Vorschriften der Richtlinie für Tochtergesellschaften von Verwertungsgesellschaften für anwendbar erklärt.25 Damit dürften auch Inkassostellen von Verwertungsgesellschaften, wie in Deutschland die Zentralstelle für private Überspielung (ZPÜ) oder die Zentralstelle Bibliothekstantieme (ZBT), nicht unter den Verwertungsgesellschaftsbegriff der Richtli-
20 CELAS wurde von GEMA und MCPS/PRS im Jahr 2007 gegründet und vertritt das Repertoire von EMI. 21 Kritisch Ventroni MMR 2012, 565, 566; die Frage ist im Hinblick auf § 1 UrhWG umstritten: verneinend Müller ZUM 2009, 121, 127; bejahend Hoeren/Altemark GRUR 2010, 16, 21; vgl. auch Poll ZUM 2008, 500, 505 (Mischform); Alich GRUR Int. 2008, 996, 1002. Das DPMA sieht CELAS nicht als Verwertungsgesellschaft an; vgl. dazu Kreile/ Becker/Riesenhuber/Himmelmann Recht und Praxis der GEMA, Kap. 18 Rn. 26b. 22 Bejahend Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 1 UrhWG Rn. 6; Loewenheim/ Melichar Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rn. 5; Wandtke/Bullinger/Gerlach § 1 UrhWG Rn. 3. § 63a Satz 2 UrhG setzt ohnehin eine kollektive Rechtewahrnehmung für Verleger voraus. Allerdings hat das LG München ZUM-RD 2012, 410 (nicht rechtskräftig) eine einheitliche Quotenbeteiligung der Verlage durch die VG WORT für unzulässig gehalten; kritisch dazu Riesenhuber ZUM 2012, 746 ff.; vgl. aber Flechnig MMR 2012, 293 ff. 23 Vgl. ferner Anhang II des Entwurfs, wo die Wahrnehmung von Rechten der Verleger ebenfalls ausdrücklich erwähnt wird. 24 Das schließt es allerdings nicht aus, dass Verwertungsgesellschaften Mitglied bei anderen Verwertungsgesellschaften sein können, vgl. Art. 3c RL-E. 25 Art. 31 RL-E. Hier dürfte insbesondere an Organisationen wie CELAS etc. gedacht worden sein.
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nie fallen. Das entspricht im Ergebnis der ganz überwiegenden Auffassung unter Geltung des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes.26 4. Ausschließliche oder hauptsächliche Wahrnehmung von Urheberoder verwandten Schutzrechten Die Definition ist denkbar weit gefasst und erfasst sämtliche Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche an urheberrechtlich geschützten Werken oder geschützten Leistungen. Ob es sich um originäre oder aber um abgeleitete Rechte handelt, spielt – wie eben bereits ausgeführt – keine Rolle. Auch reine Verlegergesellschaften fallen damit unter die Definition des Richtlinienentwurfs. Das steht ebenfalls im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in Deutschland, wonach derartige Organisationen als Verwertungsgesellschaften der Erlaubnispflicht nach § 1 UrhWG unterliegen.27 Klar ist allerdings, dass es sich nur dann um eine Verwertungsgesellschaft handelt, wenn zumindest hauptsächlich Nutzungsrechte oder Vergütungsansprüche wahrgenommen werden. Unternehmen, die über keinerlei Rechte verfügen, sondern lediglich Dienstleistungen anbieten, wie beispielsweise reine Inkassooder Abrechnungseinrichtungen, werden damit nicht erfasst. Umgekehrt wird durch die Definition aber auch deutlich, dass es Verwertungsgesellschaften nicht untersagt ist, teilweise derartige Dienstleistungen zu erbringen.
III. Bewertung der Definition Auch wenn sich die in § 3a RL-E genannten Tatbestandsmerkmale vielfach in ähnlicher Weise im deutschen Urheberrechtswahrnehmungsgesetz wiederfinden, besteht zumindest in folgenden Punkten Klärungsbedarf. 1. Kollektive Rechtewahrnehmung Überraschend ist zunächst, dass das Merkmal einer kollektiven Rechtewahrnehmung in der Definition fehlt, obwohl der Titel der Richtlinie darauf ausdrücklich Bezug nimmt. § 1 UrhWG setzt dagegen voraus, dass die Rechte zur „gemeinsamen Auswertung“ wahrgenommen werden. Dieses Tatbestandsmerkmal macht deutlich, dass Verwertungsgesellschaften im 26
Vgl. nur Wandte/Bullinger/Gerlach § 1 UrhWG Rn. 5. Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 1 Rn. 6; Loewenheim/Melichar, Handbuch des Urheberrechts § 50 Rn. 2a; Dreier/Schulze/Schulze § 1 UrhWG Rn. 14; Wandtke/Bullinger/Gerlach § 1 UrhWG Rn. 3; Riesenhuber ZUM 2008, 625, 635 f.; Hoeren/Altemark GRUR 2010, 16, 19 f. a.A. BayVGH ZUM 2003, 78, 80. 27
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Massengeschäft tätig sind, wo Rechte gebündelt wahrgenommen werden und es zwangsläufig zu Pauschalierungen und einheitlichen Regeln kommt.28 Es dient nicht zuletzt auch der Abgrenzung zur individuellen Rechtewahrnehmung, wie sie insbesondere für das Verlagsgeschäft typisch ist.29 Im Richtlinienentwurf sollte deshalb ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal aufgenommen werden. 2. „Kommerzielle“ Rechtewahrnehmung Es ist unklar, ob die Richtlinie auch auf Organisationen Anwendung finden soll, die mit Gewinnerzielungsabsicht handeln. Typischerweise ist das zwar bei traditionellen Verwertungsgesellschaften in Europa nicht der Fall. Das bedeutet aber nicht, dass es sich insoweit um ein zwingendes Tatbestandsmerkmal für Verwertungsgesellschaften handeln muss. § 1 Abs. 1 UrhWG spricht zwar von einer Rechtewahrnehmung „für Rechnung“ mehrerer Urheber. Diese Formulierung, mit der das Treuhandverhältnis zwischen Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaft bezeichnet wird,30 schließt es aber richtigerweise nicht aus, dass durch die Rechtewahrnehmung ein Gewinn erzielt werden soll.31 Denn anderenfalls wäre es leicht möglich, sich den Vorgaben des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes zu entziehen, obwohl gerade bei der gewinnorientierten kollektiven Rechtewahrnehmung eine behördliche Aufsicht erforderlich ist.32 Der Definition in Art. 3a RL-Entwurf lässt sich hierzu wenig entnehmen. Erwägungsgrund 4 könnte aber ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass die Kommission von einer unentgeltlichen Tätigkeit der Verwertungsgesellschaften ausgeht. Denn dort werden Rechteverwerter erwähnt, die als „Agenten der Rechteinhaber auftreten und deren Rechte auf kommerzieller Basis wahrnehmen, ohne dass die Rechteinhaber irgendwelche Mitgliedsrechte besitzen“. Vor diesem Hintergrund ist eine Klarstellung erforderlich, dass auch gewinnorientierte Unternehmen – sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind – unter die Richtlinie fallen. Anderenfalls wäre eine Umgehung der Richtlinie durch kommerzielle Rechteverwerter sehr leicht möglich. Dies wiederum würde zu einem unfairen Wettbewerb zwischen traditionellen Verwertungsgesellschaften und gewinnorientierten Organisatio28
Riesenhuber ZUM 2008, 625, 636; Dreier/Schulze/Schulze § 1 UrhWG Rn. 16. Riesenhuber ZUM 2008, 625, 636; Dreier/Schulze/Schulze § 1 UrhWG Rn. 16. 30 Vgl. nur Dreier/Schulze/Schulze § 1 UrhWG Rn. 10. 31 Ausführlich Riesenhuber ZUM 2008, 625, 630 ff.; Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 1 UrhWG Rn. 4; a.A. Kreile/Becker/Riesenhuber/Himmelmann Recht und Praxis der GEMA, Kap. 18 Rn. 22. 32 Riesenhuber ZUM 2008, 625, 633 Schricker/Loewenheim/Reinbothe § 1 UrhWG Rn. 4. 29
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nen führen, der nicht gerechtfertigt ist. Die Einbeziehung von Verlagen und vergleichbaren „Erstverwertern“ in den Anwendungsbereich der Richtlinie ist nicht zu befürchten, wenn man – wie oben ausgeführt – die gemeinsame Rechtewahrnehmung zum Tatbestandsmerkmal erhebt. 3. Tochterunternehmen von Verwertungsgesellschaften Bei Organisationen im Musikbereich wie beispielsweise CELAS spricht – wie oben ausgeführt – viel dafür, dass sie nicht als Verwertungsgesellschaften im Sinne der Richtlinie anzusehen sind. Da es sich bei diesen Unternehmen aber um Tochtergesellschaften von Verwertungsgesellschaften handelt, fallen sie auch nicht völlig aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie heraus. Vielmehr finden auf sie gemäß Art. 31 RL-E einige Vorgaben der Richtlinie entsprechende Anwendung. Ob das ausreichend ist oder noch weitere Vorschriften der Richtlinie in Art. 31 RL-E aufzunehmen sind,33 sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren genau geprüft werden. Ferner ist zu erwägen, Art. 31 RL-E nicht auf den Musik-Onlinebereich zu beschränken, sondern bestimmte Regelungen der Richtlinie generell für Tochterunternehmen von Verwertungsgesellschaften für anwendbar zu erklären.
IV. Ergebnis Die Definition der „Verwertungsgesellschaft“ in Art. 3a RL-E sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren – entsprechend den obigen Ausführungen – überarbeitet werden. Dabei kommt es insbesondere darauf an, sicherzustellen, dass eine Umgehung der Richtlinie durch Rechteverwerter, bei denen es sich nicht um traditionelle Verwertungsgesellschaften handelt, ausgeschlossen wird. Auch eine begriffliche Klärung ändert allerdings nichts daran, dass durch die Richtlinie – wie eingangs ausgeführt – das bisherige Modell von Verwertungsgesellschaften in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten in Frage gestellt wird. Es bedarf deshalb dringend einer politischen Diskussion und Entscheidung, welche Aufgaben die Verwertungsgesellschaften in Zukunft in Deutschland und in Europa wahrnehmen sollen.
33
Vgl. Ventroni MMR 2012, 565, 566.
Rechtsfragen des Gesamtvertrags Zu Beteiligungsgrundsatz und prozeduraler Effizienz in der kollektiven Rechtewahrnehmung Matthias Berberich I. Der Beteiligungsgrundsatz als Leitbild für eine angemessene Vergütung Die angemessene Beteiligung der Urheber an der Verwertung ihrer Werke spielt im Wirken des Jubilars eine maßgebliche Rolle.1 Der ganz persönliche Impetus, mit dem er dabei auch in seiner Lehre für das Urheberrecht als Grundlage allen künstlerischen Schaffens zu begeistern wusste, ist vielen seiner ehemaligen Studenten unvergessen. Ganz im Sinne seines Wirkens soll daher der urheberrechtliche Beteiligungsgrundsatz auch Anknüpfungspunkt nachfolgender Betrachtungen sein. Dass Urheber an den wirtschaftlichen Früchten der Verwertung ihrer Werke möglichst weitgehend zu beteiligen sind, ist seit langem anerkannt2 und mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Urhebern und ausübenden Künstlern aus dem Jahr 2002 programmatisch in § 11 S. 2 UrhG verankert worden. Nach wie vor liegt dabei der Schwerpunkt der Diskussion um den Beteiligungsgrundsatz zuvorderst auf der Höhe einer angemessenen Vergütung3 oder bisweilen auch – spiegelbildlich – auf der Reichweite eingeräumter Rechte4, und zwar angesichts des notorischen Verhandlungsungleichgewichts
1
Vgl. aus jüngerer Zeit nur Wandtke GRUR Int. 2010, 704; ders. UFITA 2011, 649, 672 f.; ders./Leinemann ZUM 2011, 741. 2 St. Rspr., vgl. nur BGH GRUR 1974, 786, 787 – Kassettenfilm. 3 10 Jahre nach der Urhebervertragsrechtsnovelle hat mittlerweile auch der BGH den Vergütungskorrekturanspruch § 32 UrhG erstmals konkretisieren können, vgl. BGH GRUR 2009, 1148 – Talking to Addison; BGH GRUR 2011, 328 – Destructive Emotions. 4 Vgl. BGH GRUR 1996, 121, 122 – Pauschale Rechteeinräumung zur Zweckübertragungslehre als Ausfluss des Beteiligungsgrundsatzes, die im Zweifelsfall die Rechte beim Urheber belässt. BGH WRP 2012, 1107 – Honorarbedingungen Freie Journalisten hat nun allerdings den Ansatz einiger Instanzgerichte beschränkt, mit § 31 Abs. 5 UrhG als gesetzlichem Leitbild die Rechteeinräumung durch umfassende Klauselkataloge einer AGB-Kontrolle i.S.d. §§ 305 ff. BGB zu unterziehen und die Einräumung „überschießender“ Rechte für unangemessen zu halten, dazu Berberich WRP 2012, 1055.
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zwischen Urhebern und Verwertern vornehmlich im individualvertraglichen Bereich.5
II. Der Beteiligungsgrundsatz als Leitbild für prozedurale Effizienz Auch wenn der Beteiligungsgrundsatz meist in den vorgenannten Zusammenhängen vorgebracht wird, erschöpft sich seine Bedeutung nicht allein in der Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung. Bedenkt man, dass die angemessene Beteiligung am Vergütungsaufkommen ohne eine effiziente Klärung, Abwicklung und Durchsetzung von Rechten ganz erheblich durch Transaktionskosten geschmälert wird, lässt sich im Beteiligungsgrundsatz, sofern man unter „Beteiligung“ die letztlich dem Urheber tatsächlich zukommenden Werte versteht, durchaus auch eine prozedurale Komponente erkennen,6 welche für Effizienz in der Rechtewahrnehmung streitet. Angesichts der besonderen Bedeutung prozeduraler Effizienz als Grundlage der kollektiven Rechtewahrnehmung und als Legitimation des dortigen faktischen Monopols der Verwertungsgesellschaften7 liegt eine Betrachtung der Verbindungslinien von Beteiligungsgrundsatz und Effizienz gerade in diesem Bereich nahe. Statt einer umfassenden Analyse, die auch den Rahmen dieses Festschriftenbeitrages sprengen würde, sollen schlaglichtartig am Beispiel des Gesamtvertrages i.S.d. § 12 UrhWG verschiedene Mechanismen zur Vermeidung prozeduraler Ineffizienzen und Senkung von Transaktionskosten8 aufgezeigt werden, und zwar vom Institut des Gesamtvertrags selbst (III.1.), über ausgewählte Rechtsfragen zu Abschluss und Inhalt (III.2., 3.), bis zu seiner Kontrolle durch die zuständigen Institutionen (III.4.). Dabei wird sich zeigen, dass der Beteiligungsgrundsatz als Leitbild regelmäßig mit prozeduraler Effizienz parallel läuft. Ein gewisses Spannungsfeld tut sich indes dann auf, wenn eine Verfahrensvereinfachung die Zielvorgabe einer angemessenen Beteiligung im Sinne eines Interessenausgleiches zwischen den Vertragsparteien nicht mehr hinreichend gewährleisten kann.
5 Vgl. zu Bedenken mit Blick auf die Vertragsparität nur BT-Drucks. 14/6433 S. 9; BTDrucks. 16/7000 S. 262; W. Nordemann GRUR 1991, 1, 2; Schricker IIC 2004, 850. 6 Zur Bedeutung einer wirksamen und kostengünstigen kollektiven Rechtewahrnehmung v. Ungern-Sternberg FS Schricker S. 567; Becker FS Kreile S. 27, 28 f. Vgl. auch Wandtke UFITA 2011, 649, 673 für deren Potential, die individuelle Verhandlungsschwäche Kreativer in gewissem Maße zu kompensieren. 7 Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, vor § 1 UrhWG Rn. 4. 8 Grundlegend zu transaktionskostenbedingten Ineffizienzen Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl. 2003, S. 53 ff.
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III. Der Gesamtvertrag als Institut zur Steigerung prozeduraler Effizienz im kollektiven Urheberrecht 1. Rechtsnatur und Bedeutung von Gesamtverträgen in der kollektiven Rechtewahrnehmung Das System der kollektiven Rechtewahrnehmung existiert aufgrund der Ineffizienzen einer individuellen Rechtewahrnehmung insbesondere im Bereich der Zweitverwertungsrechte. Da prohibitive Transaktionskosten dem einzelnen Urheber die Überwachung und Durchsetzung seiner Rechte und Ansprüche9 regelmäßig unmöglich machen würden,10 räumen Urheber ihre Rechte Verwertungsgesellschaften zur treuhänderischen Wahrnehmung ein. Diese übernehmen damit für ein nahezu umfassendes Repertoire u.a. die Rechteeinräumung an Nutzer, die Vertragsabwicklung, die Abrechnung und Verteilung der Vergütung sowie die Rechtedurchsetzung gegen unberechtigte Nutzer. In ihrem Tätigkeitsbereich verfügen sie regelmäßig über ein faktisches Monopol,11 welches das Gesetz aus den Sachzwängen kollektiver Rechtewahrnehmung heraus duldet, es aber wegen der jedem Monopol immunenten Missbrauchsgefahr unter die Staatsaufsicht durch DPMA (§ 18 Abs. 1 UrhWG) und Bundeskartellamt (§ 18 Abs. 2 UrhWG) stellt.12 Weiterer Ausfluss dieses Monopols ist der beidseitige – und damit nicht immer zielkonfliktfreie13 – Kontrahierungszwang, diskriminierungsfrei und zu angemessenen Bedingungen die Rechte der Urheber treuhänderisch wahrzunehmen (§ 6 UrhWG) und Nutzern einzuräumen (§ 11 UrhWG). Den letztgenannten Abschlusszwang für Einzelnutzerverträge erweitert § 12 UrhWG auf Gesamtverträge zwischen Verwertungsgesellschaften und Nutzervereinigungen. Vertragstypologisch wird ein Gesamtvertrag als zwei9 Neben die Nutzungsrechte treten die bloßen Vergütungsansprüche aus ausgleichspflichtigen Schrankenbestimmungen als faktische gesetzliche Zwangslizenzen, unabhängig davon, ob diese verwertungsgesellschaftspflichtig sind (z.B. §§ 20b Abs. 2; 27; 49 Abs. 1; 52a Abs. 4; 52b; 53a Abs. 2; 54h Abs. 1 UrhG) oder nicht (z.B. §§ 46 Abs. 4; 47 Abs. 2; 52 Abs. 1, 2 UrhG). 10 Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) vor § 1 UrhWG Rn. 1; Becker FS Kreile S. 27, 36. Im Bereich verwertungsgesellschaftspflichtiger Verbotsrechte wie etwa dem Kabelweitersenderecht § 20b Abs. 1 UrhG tritt der Aspekt von Außenseitern hinzu, die mit ihrem Hold-Up-Potential eine Nutzung faktisch blockieren könnten, vgl. KabelRL 93/83/EWG Erw. Grd. 28. 11 BGH NJW 2010, 612, 613; BGH NJW-RR 1988, 1187, 1188; EuGH NJW 1984, 2755, 2757; EU Komm. GRUR Int. 1973, 86. 12 Zweifel an der Effektivität der Aufsicht im Schlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland, BT-Drucks. 16/7000 S. 282 f.; Pietzko FS Hertin S. 171, 172; Schack, Urheberrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 1347. Ein Ersatz für die Staatsaufsicht ist auch das Schiedsstellenverfahren nicht, da sonst die Monopolkontrolle privaten Akteuren aufgebürdet wäre, die dadurch gerade geschützt werden sollen. 13 Vgl. Pietzko FS Hertin S. 171, 172.
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seitiger Rahmenvertrag mit einseitigem Drittforderungsrecht verstanden14 und ist geprägt durch die Pflicht der Verwertungsgesellschaft zum Abschluss einer Vielzahl von Einzellizenzverträgen vorbestimmten Inhalts mit den Mitgliedern der Nutzervereinigung.15 Diese Einzelverträge räumen die erforderlichen Nutzungsrechte zu den gesamtvertraglich festgelegten Bedingungen ein und setzen damit die auf Verbandsebene ausgehandelten Konditionen auf Einzelnutzerebene um. Maßgeblich unterstützt wird dieser Mechanismus durch die Pflicht der Nutzervereinigung zur Vertragshilfe in Form von Information und Beratung ihrer Mitglieder, das Hinwirken auf den Abschluss von Einzelverträgen und zur Verfügung gestellte Mitgliederverzeichnisse. Im Gegenzug für diese Verwaltungsvereinfachung gewähren Verwertungsgesellschaften auf die Einzelnutzervergütung einen Gesamtvertragsrabatt i.H.v. üblicherweise 20 %. Der Gesamtvertrag ist – unbeschadet etwaiger Befristungen oder Kündigungsrechte – bis zu seinem Ablauf bindend.16 Während dieser Zeit können die verhandelten Bedingungen weder (erneut) auf ihre Angemessenheit geprüft17 noch im Anwendungsbereich eines bestehenden Gesamtvertrages einseitig neue Tarife aufgestellt werden.18 Allein dieses vom Gesetzgeber ausdrücklich anerkannte Institut des Gesamtvertrages und der darauf zielende Abschlusszwang lassen sich bereits als Instrumente prozeduraler Effizienz in der kollektiven Rechtewahrnehmung begreifen – und damit auch als Umsetzung des Beteiligungsgrundsatzes durch Senkung von Transaktionskosten. Ein Blick in die Historie bestätigt hier den institutionenökonomischen Ansatz, dass der Markt selbst kostensenkende Institutionen schaffen kann,19 denn bereits vor dem Inkrafttreten des UrhWG hatten sich derartige Gesamtverträge in der Praxis der GEMA entwickelt und dienten dem heutigen § 12 UrhWG als Vorbild.20 Der Aufwand der Verwertungsgesellschaften für ihren unterhaltenen Verwaltungsund Kontrollapparat kann die Ausschüttungssummen erheblich schmälern und wird durch die Vertragshilfe der Nutzervereinigungen teilweise aufgefangen. Zudem können Nutzer eine Vielzahl gleichartiger Einzelverträge 14
Strittmatter, Tarife vor der urheberrechtlichen Schiedsstelle, 1994, S. 40. Diese haben ähnlich einem Vertrag zugunsten Dritter einen durchsetzbaren Anspruch auf Abschluss eines Einzelvertrages, vgl. Strittmatter (Fn. 14) S. 39 f.; Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 12 UrhWG Rn. 5. 16 Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim (Fn. 15) § 12 UrhWG Rn. 9: Kündigung und Änderung nach den vereinbarten Bedingungen; v. Gamm FS Nirk S. 315, 318. 17 BGH GRUR 1984, 52 – Tarifüberprüfung I. 18 Dies wäre lediglich ein Angebot auf Vertragsänderung, das ohne Annahme keinerlei Bindung entfaltet und auch kein Kündigungsrecht gibt, vgl. Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim (Fn. 15) § 12 UrhWG Rn. 8; v. Gamm FS Nirk S. 315, 319. 19 Vgl. Picot/Dietl, Neue Institutionenökonomie und Recht; in: Ott/Schäfer (Hg.), Ökonomische Analyse des Unternehmensrechts, 1993, S. 306, 325 f.; Richter/Furubotn (Fn. 8) S. 322 ff. 20 Schulze UFITA 80 [1977], 151, 153. 15
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unkompliziert im Vertrauen auf bereits verhandelte angemessene Bedingungen schließen.21 So birgt dieses mehrstufige System von Gesamt- und Einzelverträgen für beide Seiten erhebliche Vorteile durch Verwaltungsvereinfachung bei Rechteklärung, Durchsetzung, Inkasso und Kontrolle.22 2. Vertragsschluss und Vertragsparteien a) Gesamtvertragsberechtigung nur bei Effizienzgewinnen Da die Effizienzgewinne eines Gesamtvertrages in der Reduktion der Transaktionskosten für die Verhandlung einer Vielzahl von Einzelnutzerverträgen liegen, kann ohne diese Vorteile ein Vertragsschluss gemäß § 12 letzter Hs. UrhWG als unzumutbar verweigert werden, insbesondere bei einer zu geringen Mitgliederzahl der Nutzervereinigungen.23 Maßstab hierfür ist die erreichte Verwaltungsvereinfachung, die auch durch eine mittelbare Mitgliedschaft in einem Vertragshilfe erbringenden Dachverband erzielt werden kann.24 Der Marktanteil spielt hingegen keine Rolle,25 ebenso wenig wie Doppelmitgliedschaften in anderen Nutzervereinigungen die Gesamtvertragsberechtigung in Frage stellen.26 b) Verwaltungsvereinfachung durch gemeinsamen Abschluss und Durchführung Vertragspartner auf Seiten der Verwertungsgesellschaften ist diejenige, welche die vertragsgegenständlichen Rechte wahrnimmt. Das können bei gleichzeitiger Nutzung mehrerer Rechte auch mehrere sein, wie etwa GEMA und GVL bei der öffentlichen Wiedergabe von Tonträgern. Beim Einzelvertragsschluss ist es nicht unüblich, dass eine Verwertungsgesellschaft – für den Nutzer als one-stop-shop – eine andere vertreten oder bei entsprechender Gestaltung der Rechtewahrnehmung im Innenverhältnis einen Vertrag in eigenem Namen über das Repertoire der anderen schließen kann. Zur Vereinfachung der Abwicklung und zur Vermeidung doppelter Berechnungen und Kontrollen ist es zudem üblich, dass Verwertungsgesell-
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Vgl. Schulze UFITA 80 [1977], 151. Vgl. BGH GRUR 2011, 61, 62 – Gesamtvertrag Musikabrufdienste; Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim (Fn. 15) § 12 UrhWG Rn. 4; Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 12 UrhWG Rn. 1 f.; v. Gamm FS Nirk S. 315. 23 Vgl. v. Gamm FS Nirk S. 315. 24 Beispielhaft die eigens hierfür gegründete Bundesvereinigung der Musikveranstalter. 25 BGH GRUR 2011, 61 – Gesamtvertrag Musikabrufdienste: Eine Zahl von nur 13 Mitgliedern reicht nicht, selbst wenn diese fast 90 % des Marktes für Musikabrufdienste im Internet bedienen. 26 OLG München GRUR 1990, 358. 22
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schaften sich gegenseitig mit dem Inkasso beauftragen27 oder dafür eine gemeinsame Institution gründen.28 Dass das UrhWG für diese Praxis offen ist, zeigt sich u.a. an § 13c Abs. 2 S. 2. Letztlich wird so das Ertragsaufkommen gefördert und damit der Beteiligungsgrundsatz realisiert. Auch auf Verbandsebene werden bisweilen Gesamtverträge mit mehreren Verwertungsgesellschaften bzw. Nutzervereinigungen gemeinsam verhandelt und abgeschlossen, so z.B. der ANGA-Gesamtvertrag mit der „Münchener Gruppe“ im Bereich der Kabelweitersendung.29 In § 87 Abs. 5 S. 2 hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich vorgesehen.30 Ungeklärt ist, ob Verwertungsgesellschaften, die gegenüber Nutzern ihre Rechte gemeinsam wahrnehmen und dabei gemeinsame oder wechselbezügliche Tarife aufgestellt haben,31 durch § 12 UrhWG auch zum Abschluss eines gemeinsamen Gesamtvertrages verpflichtet sein können.32 Ein gemeinsamer Vertragsschluss dient unter dem Gesichtspunkt prozeduraler Effizienz nicht nur den Nutzern, für welche er eine transparente und vorab kalkulierbare Kostenrechnung ermöglicht. Er kann im Streitfall über angemessene Vertragsbedingungen auch vermeiden, dass Verfahren über zusammenhängende Sach- und Rechtsfragen in Parallel- oder Folgeverfahren mit Beteiligung mehrerer Verwertungsgesellschaften auseinanderlaufen. Das kann relevant werden bei Streitigkeiten um eine Gesamtbelastungsgrenze33 für einen einheitlichen Nutzungsvorgang, der die Rechte mehrerer Verwertungsgesellschaften erfordert (vgl. § 13 Abs. 3 S. 3 UrhWG). Ein weiterer Fall betrifft die Verschiebung der relativen
27 Die Durchführung übernimmt meist diejenige mit dem größeren Kontrollapparat und damit, soweit wahrnehmungsberechtigt, i.d.R. die GEMA. 28 So die 1966 gegründete ZPÜ im Bereich der Geräte- und Speichermedienvergütung. Zu weiteren Beispielen vgl. Melichar, in: Loewenheim, Handbuch Urheberrecht, 2. Aufl. 2010, § 46 Rn. 22 ff., 32 ff. 29 Dazu Kuck, in: Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht, 2. Aufl. 2011, § 24 Rn. 187. 30 Einem Umkehrschluss aus § 87 Abs. 5 S. 2 UrhG auf § 12 UrhWG dürfte sich entgegen halten lassen, dass § 87 Abs. 5 UrhG neben Verwertungsgesellschaften auch Sendeunternehmen erfasst. Immerhin existiert die gesonderte Regelung für den Bereich der Kabelweitersendung nicht primär deswegen, weil ein gemeinsamer Vertragsschluss von § 12 UrhWG nicht vorgesehen ist, sondern weil er auch außerhalb der Kabelweitersendung nicht kontrahierungspflichtige Sendeunternehmen betrifft. 31 Beispielsweise die prozentual an den GEMA-Tarifen orientierten Tarife der GVL für die öffentliche Wiedergabe. 32 Abl. OLG München 6 Sch 13/10 WG v. 27.9.2012 aus prozessualen Gründen, weil § 16 Abs. 1 UrhWG nicht durch die Durchführung zweier paralleler Schiedsstellenverfahren erfüllt sei. Die Revision ist anhängig als I ZR 215/12. 33 Gemäß § 13 Abs. 3 S. 3 UrhWG muss die von Nutzern insgesamt für die Rechtenutzung zu zahlende Vergütung angemessen sein. Auch bei der Nutzung von Rechten, die von verschiedenen Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden, ist aus Sicht der Nutzer entscheidend, welcher Betrag insgesamt an alle Rechteinhaber gezahlt werden muss, vgl. Schiedsstelle Sch-Urh 07/09 S. 12 f.; 08/09 S. 19 f.; 27/09 S. 7 f.
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Nutzungsanteile zwischen zwei Verwertungsgesellschaften,34 was ggf. durch gesamtvertragliche Anrechnungs- und Minderungsklauseln aufgefangen werden kann.35 Ob § 12 UrhWG in solchen Fällen einen gemeinsamen Vertragsschluss als angemessene Regelung zulässt oder sogar gebietet, mag auch davon abhängen, ob man dies als Frage des Vertragsschlusses oder des Vertragsinhaltes begreift. Ersterenfalls kann er nur bei Unzumutbarkeit verweigert werden (§ 12 letzter HS.), welche angesichts der Existenz gemeinsamer Verträge im Markt von den Verwertungsgesellschaften nur im Ausnahmefall bewiesen werden dürfte.36 Letzterenfalls kann ein unzureichender Schutz der Nutzer vor Binnenstreitigkeiten zwischen Verwertungsgesellschaften über die Verteilung der Vergütung sowie vor wechselseitigen Prozessen und Ratchet-Up-Effekten für einen gemeinsamen Vertragsschluss sprechen. Die Tarifautonomie der Verwertungsgesellschaften, welche ohnehin den Kontrollmechanismen des UrhWG unterliegt, erscheint durch einen gemeinsamen Abschluss zumindest nicht zusätzlich eingeschränkt. 3. Vertragsinhalt a) Gleichlauf der Rechteeinräumung von Gesamt- und Einzelnutzervertrag Die Umsetzung der kollektiv verhandelten Vertragsbedingungen auf Einzelnutzerebene erfordert einen Gleichlauf von Gesamt- und Einzelnutzervertrag in Inhalt und Auslegung. Das von diesen erfasste Rechterepertoire kann allerdings je nach Zeitpunkt durchaus unterschiedlich sein, weil die einzelvertragliche Rechteeinräumung und die korrespondierende gesamtvertragliche Pflicht dazu regelmäßig das gesamte jeweilige Repertoire einer Verwertungsgesellschaft erfassen – und damit auch nach Vertragsschluss neu hinzugekommene Wahrnehmungsberechtigte.37 Es würde die kollektive Rechtewahrnehmung unmöglich werden und damit letztlich auch dem Beteiligungsgrundsatz zuwiderlaufen, wenn alle Einzelnutzer ständig das Repertoire überprüfen und u.U. bei jedem neuen Wahrnehmungsberechtigten einen neuen Vertrag schließen müssten.38 34 Bei unveränderter Nutzung dürfte eine (angebliche) Intensivierung der Nutzung allein aufgrund der Steigerung der kommerziellen Werthaltigkeit nur eines Repertoires denklogisch eine Verringerung der Nutzung des anderen zur Folge haben. A.A. Sch-Urh 08/09 und 28/09. 35 Vgl. OLG München ZUM-RD 2002, 150, 156. 36 Zur Beweislast OLG München GRUR 1990, 358, 359; Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 12 Rn. 14. 37 Vgl. LG Berlin, Beschluss v. 22.12.2011, Az. 15 O 517/11. 38 Bei unklarer Auslegung dürfte dies schon aus § 31 Abs. 5 UrhG folgen. Auch wenn dieser formal grundsätzlich für eine enge Auslegung der Rechteeinräumung streitet, soll er letztlich die Urheberbeteiligung sicherstellen, welche auch die Urheber in ihrer Gesamtheit zum Maßstab haben kann (J. Nordemann, in: Fromm/Nordemann, UrhG, 10. Aufl. 2008,
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b) Rechteklärung auf Verbandsebene statt Vielzahl von Einzelnutzerstreitigkeiten Die Zielvorgabe einer effizienten Rechteklärung auf Verbandsebene gilt nicht nur für verhandelte Primärleistungspflichten, sondern kann Folgewirkungen auch bei Leistungsstörungen zeigen, die Gesamt- und Einzelvertrag betreffen. Bei beiden besteht die allgemeine Leistungstreuepflicht, alles zu unterlassen, was ihre ordnungsgemäße Durchführung beeinträchtigen würde,39 wie die Geltendmachung unberechtigter Forderungen.40 Da während der Laufzeit eines Gesamtvertrages Uneinigkeiten über dessen Auslegung zunächst auf Verbandsebene statt mit einer Vielzahl von Einzelnutzern ausgetragen werden sollen, kann in diesem Fall auch eine Gesamtvertragspartei selbst – ähnlich dem Versprechensempfänger beim Vertrag zugunsten Dritter41 – das Recht haben, zugunsten der Einzelnutzer gegen Pflichtverletzungen vorzugehen, die beide Vertragsebenen betreffen.42 4. Staatliche Verhandlungshilfe und Gewährleistung der Angemessenheit a) Dreistufige Verhandlungslösung Der Gesamtvertragsschluss muss inhaltlich zu angemessenen Bedingungen i.S.d. § 12 UrhWG erfolgen und erfordert ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung unter Berücksichtigung aller wirtschaftlich relevanten Faktoren und Vertragsbedingungen.43 Dabei ist eine angemessene, nicht aber höchstmögliche44 Beteiligung der Urheber zu erzielen. Auf über § 13 Abs. 3 UrhWG hinausgehende inhaltliche Vorgaben verzichtet das UrhWG hier bewusst und sieht stattdessen eine dreistufige prozedurale Lösung für das Finden der Tauschgerechtigkeit vor: Die erste Stufe ist weitgehend der privatautonomen Richtigkeitsgewähr zweier auf Verbandsebene und damit auf Augenhöhe verhandelnder Vertragsparteien überlassen. Bei § 31 Rn. 109 f.; Schaefer FS Nordemann S. 227, 231 ff.; Berberich, Virtuelles Eigentum, 2010, S. 388 f., 444). Hier erfordert das Bedürfnis aller Urheber nach einem funktionsfähigen System kollektiver Rechtewahrnehmung zwingend eine weite Auslegung. 39 Vgl. BGH NJW 1995, 1954, 1955; BGH, NJW 1993, 998; Ernst, in: MüKo BGB, 5. Auflage 2007, § 280 Rn. 91. 40 Vgl. BGH NJW 2009, 1262; BGH NJW 2008, 1147. 41 Vgl. BGH NJW 1967, 2260, 2261; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2011, § 335 Rn. 2. 42 Vgl. LG Berlin, Beschluss v. 22.12.2011, Az. 15 O 517/11 für den Fall, dass durch die Androhung flächendeckender, offensichtlich unberechtigter Unterlassungsansprüche und Strafanzeigen an Einzelnutzer der Gesamtvertrag unterlaufen wird. 43 Vgl. nur BGH GRUR 2004, 669, 670 – Musikmehrkanaldienst; OLG München ZUM 2012, 54, 62 – CNN. 44 EuGH verb. Rs. C-403/08 und C-429/08 – Premier League Tz. 108; EuGH Rs. C-128/11 – Used Soft Tz. 63.
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Uneinigkeit können diese auf zweiter Stufe die Schiedsstelle beim DPMA als Verhandlungshilfe für einen Einigungsvorschlag anrufen. Auf dritter Stufe wird ein Gesamtvertrag gerichtlich festgesetzt. Auch wenn Aufwand und Dauer dieses Verfahrens beträchtlich sind,45 lässt es sich mit der Zielvorgabe rechtfertigen, angemessene Bedingungen sachgerecht zu ermitteln, zumal diese auch in Folgeverfahren erhebliche präjudizielle Bedeutung erlangen können. b) Die Kontrolle angemessener Bedingungen durch Schiedsstelle Rufen die Beteiligten gemäß §§ 14 Abs. 1 lit. c) i.V.m. 14c UrhWG die Schiedsstelle beim DPMA an, gibt diese nach § 14a UrhWG einen Einigungsvorschlag mit dem Inhalt des Gesamtvertrages ab. Auch ihre Einschaltung verfolgt in mehrerlei Hinsicht Verfahrenseffizienz: Generell ist es ihre Aufgabe, Tariftransparenz zu schaffen und generelle Maßstäbe für die Angemessenheit herauszuarbeiten.46 Dabei soll sie im Rahmen ihrer Amtsermittlung gemäß § 8 UrhSchiedsV auch den Informationsvorsprung der Verwertungsgesellschaften ausgleichen, um später vor Gericht prozessuale Waffengleichheit bei der Darlegung der Marktgegebenheiten zu gewährleisten.47 Zugleich entlastet die Schiedsstelle die (insbesondere bei Einzelnutzerstreitigkeiten seltener befassten) Gerichte.48 Ihr Entscheidungsvorschlag kann aufgrund der besonderen Sachkenntnis eine wertvolle Entscheidungshilfe sein und – sofern überzeugend begründet49 – eine gewisse widerlegbare Vermutung der Angemessenheit für sich haben, die der Tatrichter mit berücksichtigen muss.50
45 I.d.R. wird die Dauer mit Interimsvereinbarungen überbrückt, die ihrer Rechtsnatur nach selbständige Gesamtverträge für die Verfahrensdauer darstellen. Da sich ihr Zweck darauf beschränkt, eine gesamtvertragslose Zeit während des Verfahrens zu vermeiden, lassen sie – anders als ein bestehender (und auch nicht alsbald endender) Gesamtvertrag – das Rechtsschutzbedürfnis für ein paralleles Schiedsstellenverfahren unberührt. 46 V. Ungern-Sternberg FS Schricker S. 567, 569. 47 V. Ungern-Sternberg FS Schricker S. 567, 569. 48 BGH GRUR 2000, 872, 873 – Schiedsstellenanrufung; BT-Drucks. 10/837 S. 12; v. Ungern-Sternberg FS Schricker S. 567, 568. 49 BGH GRUR 2001, 1139, 1142 – Gesamtvertrag privater Rundfunk. Ohne überzeugende, substantiierte Begründung legitimiert weder die Sachkenntnis eine Vermutungswirkung noch würden Tariftransparenz und die Systematisierung genereller Wertungsmaßstäbe erreicht. Das Fehlen einer tragfähigen Begründung oder einer sorgfältigen Anlage der Marktumstände wäre gar mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG bedenklich, insbesondere wenn Instanzgerichte dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle lediglich unter Verweis auf deren Sachkompetenz folgen. 50 BGH GRUR 2012, 715, 716 – Bochumer Weihnachtsmarkt; BGH GRUR 2001, 1139, 1142 – Gesamtvertrag privater Rundfunk. Eine Bindung ergibt sich hieraus nicht, Schack (Fn. 12) Rn. 1364, insbesondere kann dem Inhalt des Einigungsvorschlages substantiiert entgegengetreten werden.
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c) Gerichtliche Festsetzung des Gesamtvertrages Sodann können die Parteien ihren Rechtsstreit erstinstanzlich vor das OLG München bringen, welches den Gesamtvertrag gemäß § 16 Abs. 4 S. 3 UrhWG rechtsgestaltend festsetzt. Um die Vorteile des Schiedsstellenverfahrens nutzen zu können, muss dieses gemäß § 16 Abs. 1 UrhWG als Prozessvoraussetzung vorausgegangen sein. Das ist auch der Fall, wenn sich die Schiedsstelle nicht zu allen vorgebrachten Punkten geäußert hat, gar keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem angestrebten Gesamtvertrag erfolgt ist51 oder später verfahrensbedingte Anpassungen der Anträge (z.B. bei der Laufzeit oder anderen Punkten in Reaktion auf den Einigungsvorschlag) vorgenommen werden. Entscheidend ist allein, dass die Schiedsstelle mit demselben Streitgegenstand befasst war. Dieser ist denkbar weit zu verstehen und betrifft den vom Gesamtvertragsschluss angestrebten Nutzungssachverhalt. Schon wegen des erheblichen Ermessens bei der Festsetzung des komplexen Vertragsinhaltes52 kann der Streitgegenstand nicht enger sein als die aus § 16 Abs. 4 S. 3 UrhWG fließende Gestaltungsbefugnis, die ansonsten nur schwer ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 16 Abs. 4 S. 2 UrhWG ausgeübt werden könnte.53 Ein engerer Streitgegenstand würde zudem dem Charakter des Einigungsvorschlages nicht gerecht, weil denkbare Änderungen bei zu engem Streitgegenstand eine prozessunökonomische Wiederholung des Schiedsstellenverfahrens nach sich ziehen könnten. Auch bei Rechtsfragen ohne Bezug zur tarifbezogenen Sachkunde erscheint eine Befassung der Schiedsstelle nicht zwingend.54 d) Maßstäbe für die Angemessenheit Die Feststellung der Angemessenheit ist eine komplexe Bewertungsfrage, der sich teils deduktiv durch Anwendung abstrakter Beurteilungskriterien, teils induktiv durch Vergleich mit bestehenden Vergütungsstrukturen ge51 Etwa wenn die Schiedsstelle überhaupt keinen Entscheidungsvorschlag unterbreitet, OLG München ZUM-RD 2008, 360, 367. 52 Vgl. BGH GRUR 2001, 1139, 1142 – Gesamtvertrag privater Rundfunk; Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 16 UrhWG Rn. 30; Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim (Fn. 15) § 16 UrhWG Rn. 8. 53 Auch in anderen Fällen richterlicher Ermessensausübung, Schätzungen und Billigkeitsentscheidungen, wie etwa §§ 253 Abs. 2, 315 Abs. 3 S. 2, 319 Abs. 1 S. 2, 343 BGB, § 38 ArbnErfG oder § 287 ZPO, ist die Bindung des Gericht an einen konkreten Antrag gelockert, vgl. Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 253 Rn. 45 m.w.N. Zu eng und kaum prozessökonomisch OLG München 6 Sch 13/10 WG v. 27.9.2012. 54 Kianfar GRUR-RR 2011, 393, 396; Strittmatter (Fn. 14) S. 101; vgl. speziell zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen und vertraglichen Vergütungsansprüchen, bei denen es auf die Tarife auch nicht ankommt, BGH GRUR 2000, 872, 873 – Schiedsstellenanrufung; Gerlach, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 16 UrhWG Rn. 6, 8. Freilich können Rechtsfragen vor die Schiedsstelle gebracht werden, auch wenn sie es als Prozessvoraussetzung nicht müssen; a.A. Strittmatter a.a.O.
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nähert werden kann. Mittlerweile füllt ein umfangreicher Fundus von Schiedsstellenentscheidungen und Rechtsprechung diesen Begriff aus, welchen dieser Beitrag nur im Ansatz nachzeichnen kann.55 Ohne konkreten Vergleichsmaßstab erklärt § 13 Abs. 3 S. 1 UrhWG abstrakt die durch die Verwertung erzielten geldwerten Vorteile zur Berechnungsgrundlage; ohne solche können auch andere Berechnungsgrundlagen für eine Pauschalierung in Betracht kommen.56 Sofern bereits Gesamtverträge bestehen, können früher zwischen den Parteien geltende oder für vergleichbare Nutzungen abgeschlossene Vereinbarungen als Indiz für die Angemessenheit dienen.57 Eine solche Bestimmung nach dem Motto „Angemessen ist, was marktüblich ist“58 kann unter dem Blickwinkel prozeduraler Effizienz eine Erleichterung sein, weil sie ohnehin geschlossene Verträge mit einem Mindestmaß an Richtigkeitsgewähr zum Ausgangspunkt nimmt. Dies kann jedoch leicht ein Spannungsverhältnis zur Angemessenheit erzeugen, wenn keine intensive Würdigung der jeweiligen Marktverhältnisse oder notwendige Anpassungen59 erfolgen. Gerade die normative Kraft des Faktischen erzeugt die Gefahr, bestehende Vergütungsstrukturen auf unpassende Nutzungsbereiche zu übertragen und dort zu zementieren, erst recht wenn die Festsetzung eines Gesamtvertrages nachfolgend eine (angebliche) Marktüblichkeit perpetuiert. Hier sind Schiedsstelle und Gerichte berufen, die bestehenden Marktverhältnisse in ihrer Entscheidung eingehend zu würdigen. Eine Änderung der Bewertungsmaßstäbe für die Angemessenheit ist – auch bei Verkehrsdurchsetzung – möglich.60 Die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt derjenige, der die geltende Regelung zu seinen Gunsten in Frage stellt.61 So kann eine intensivere Nutzung die angemessene Vergütung er-
55 Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben sind – soweit harmonisiert, etwa bei ausgleichspflichtigen Schrankenbestimmungen – eher schwach ausgeprägt. Der EuGH gesteht den Mitgliedsstaaten einen erheblichen Beurteilungsspielraum für die Festlegung sachnaher Kriterien zu (EuGH Rs. C-245/00 Tz. 36–38 – SENA). Allerdings darf die Vergütung nicht nur rein symbolisch sein (EuGH Rs. C-271/10 Tz. 34 – VEWA) oder drohende Einbußen bei der Verwertung außer acht lassen (a.a.O. Tz. 37–39). Es besteht zumindest eine Ergebnispflicht für eine wirksame Erhebung der Vergütung (EuGH Rs. C-462/09 Tz. 34 – Stichting; EuGH Rs. C-277/10 Tz. 106 – Luksan). 56 Schiedsstelle Sch-Urh 08/09 S. 17; Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 12 UrhWG Rn. 9. 57 BGH GRUR 2001, 1139, 1142 – Gesamtvertrag privater Rundfunk; OLG München ZUM 2012, 54, 63 – CNN; Schiedsstelle Sch-Urh 08/09 S. 17. 58 Vgl. OLG München ZUM 2012, 54, 62 – CNN; Boddien, in: Fromm/Nordemann (Fn. 38) § 87 UrhG Rn. 46. 59 Vgl. zu Anpassungen beim Tarifvergleich Schiedsstelle Sch-Urh 03/09 = ZUM 2010, 546, 550; Sch-Urh 57/08 S. 25. 60 Schiedsstelle Sch-Urh 08/09 S. 18; Sch-Urh 27/09 S. 8. 61 Vgl. zu Tarifen Reinbothe, in: Schricker/Loewenheim (Fn. 15) § 11 UrhWG Rn. 6; Gerlach, in: Wandtke/Bullinger (Fn. 54) § 11 UrhWG Rn. 6.
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Matthias Berberich
höhen, beispielsweise wenn neue Nutzungsrechte entstanden sind62 oder die Nutzungsintensität gestiegen ist.63 Ohne Belang dafür ist indes die Zahl der Wahrnehmungsberechtigten, weil die Intensität der Nutzung allein mit dem Umfang des Repertoires nicht steigt.64 Nach § 13 Abs. 3 S. 3 UrhG ist zudem auf den Anteil der Werknutzung am Gesamtumfang des Verwertungsvorganges angemessen Rücksicht zu nehmen. Damit wirken sich vergütungsmindernd z.B. urheberrechtsferne Leistungen der Verwerter, der typische Anteil schutzloser oder gemeinfreier Leistungen65 sowie andere bei einer Nutzungshandlung gleichzeitig einschlägige Rechte aus, die durch verschiedene Verwertungsgesellschaften parallel wahrgenommen werden.66 Die vereinbarten (oder festgesetzten) Vergütungssätze gelten für die Mitglieder der Gesamtvertragsparteien gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 UrhWG als Tarif. Ebenso wie Tarife erfassen sie typisierte Nutzungsformen und bewegen sich damit in einem Spannungsfeld zwischen nutzungsangemessener Vergütung und verfahrenseffizienter Pauschalierung: Während der Gleichbehandlungsgrundsatz eine möglichst gleiche Behandlung vergleichbarer – und damit auch die Ungleichbehandlung nicht vergleichbarerer – Nutzungssachverhalte im Einzelfall fordert, gebietet die Verfahrenseffizienz eine gewisse Pauschalierung, da eine tarifliche Regelung für jede nur mögliche Einzelfallgestaltung kaum möglich ist.67 Hiernach sind dem Pauschalierungsermessen in beide Richtungen Grenzen gezogen: Mit einer zu zersplitterten Tarifgestaltung wären Verwertungsgesellschaften in der Verwaltung und Einzelnutzer im kleinteiligen Tarif-Dschungel gleichermaßen belastet. Andererseits muss sich ein Tarif noch an der konkreten Nutzung orientieren. So kann eine weitgehende und pauschale Zusammenfassung vieler unterschiedlicher Nutzungssachverhalte die Grenzen der Angemessenheit überschreiten, erst recht wenn diese als Einzeltarife vormals sogar Verkehrsdurchsetzung genossen.
62 Schiedsstelle Sch-Urh 08/09 S. 21. Eine größere Schutzreichweite, bessere Schutzdurchsetzung oder längere Schutzdauer bestehender Rechte hingegen begründen keine intensivere Nutzung, da diese im unveränderten Nutzungsrahmen für sich schon die Amortisationsquote verbessern. 63 Das lässt sich an direkten Faktoren (wie Häufigkeit, Reichweite, Marktanteile der Nutzung) oder an indirekten Faktoren (wie der typischen Attraktivität des Repertoires) festmachen, vgl. OLG München ZUM 2012, 54, 63 – CNN. 64 Schiedsstelle Sch-Urh 24/99 = ZUM 2005, 257, 261; Sch-Urh 07/09 S. 15; Sch-Urh 57/08 S. 38. 65 Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 13 UrhWG Rn. 22 m.w.N.; freilich kann dieser Anteil nur typisierend berücksichtigt und nicht in jedem Einzelfall konkret bestimmt werden. 66 W. Nordemann, in: Fromm/Nordemann (Fn. 38) § 13 UrhWG Rn. 11; Melichar, in: Loewenheim (Fn. 28) § 48 Rn. 31; Pietzko FS Hertin S. 171, 191; Schiedsstelle Sch-Urh 57/08 S. 37. 67 Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze (Fn. 7) § 13 UrhWG Rn. 6; v. Gamm FS Nirk S. 315, 317; Pietzko FS Hertin S. 171, 176.
Rechtsfragen des Gesamtvertrags
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IV. Fazit Prozedurale Effizienz in der kollektiven Rechtewahrnehmung dient Urhebern und Nutzern gleichermaßen. Verringerte Transaktionskosten kommen beiden zugute; und eine Erhöhung der Ausschüttungssumme verwirklicht für Urheber direkt den Beteiligungsgrundsatz. Das bewirken der Gesamtvertrag als solcher, sein Abschluss nur mit gesamtvertragsberechtigten Parteien, ggf. die Synergien gemeinsamer Verhandlungen oder gar eines gemeinsamen Vertragsschlusses mit mehreren Verwertungsgesellschaften, eine Rechteklärung möglichst auf Verbandsebene oder das einem Gerichtsprozess vorgeschaltete Schiedsstellenverfahren mit sorgfältiger und begründeter Analyse der Marktstrukturen. In anderen Fällen, wie bei der aufwendigen Ausgestaltung des Gesamtvertragsverfahrens oder den Grenzen zulässiger tariflicher Pauschalierung, steht die Verfahrensvereinfachung im Konflikt mit der Zielvorgabe, angemessene Vertragsbedingungen zu finden. Hier stößt der Effizienzgedanke an die gleichen Grenzen wie der Beteiligungsgrundsatz selbst, der auch durch das Gebot der Angemessenheit beschränkt wird.
Fragwürdige Kriterien des europäischen Gerichtshofs bei den Vergütungsansprüchen der ausübenden Künstler für öffentliche Wiedergabe1 Tilo Gerlach I. Als Tänzer hat Artur Wandtke vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn unmittelbar erfahren, wie wichtig der Schutz der ausübenden Künstler für den Einzelnen ist. Möglichweise ergab sich daraus die Beharrlichkeit, das für Urheber seit langem anerkannte Schutzbedürfnis in gleichem Umfang auch für die ausübenden Künstler als gleichsam Kreative einzufordern.2 Der Verfasser möchte sich mit den folgenden Ausführungen herzlich für dieses engagierte Eintreten, das auch in gemeinsamen Veröffentlichungen3 seinen Niederschlag gefunden hat, bedanken. Leider zeigt die folgende Abhandlung, dass der europäische Gerichtshof aktuell von einem – rechtlich nicht nachvollziehbaren – Schutz zweiter Klasse für die Leistungsschutzrechte ausgeht. Formal betrifft das im Folgenden analysierte Urteil zwar das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller, im Konkreten geht es aber um die Vergütungsansprüche für die öffentliche Wiedergabe von Tonträgern, die ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern gemeinsam zustehen. Insofern müssen die Ausführungen des EuGH auch als ernste Bedrohung der Rechte der ausübenden Künstler gesehen werden.
II. 1. a) Konkret hatte der EuGH über die Vergütungspflicht eines italienischen Zahnarztes zu entscheiden, der in seinen Praxisräumen Radiosendungen wiedergab, die Tonträger enthielten. Hier hatten die italienischen Ge-
1 Zugleich kritische Auseinandersetzung mit dem EuGH-Urteil SCF vom 15.03.2012, ZUM-RD 2012, 241–250. 2 So z.B. Wandtke, Urheberrecht, 2009, S. 225. 3 Wandtke/Gerlach, Für eine Schutzfristverlängerung im künstlerischen Leistungsschutz, ZUM 2008, 822–828.
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richte die Auffassung vertreten, eine Zahnarztpraxis sei nicht öffentlich, letztlich die Sache dem europäischen Gerichtshof aber zur Entscheidung vorgelegt. Dieser hat nun am 15.03.2012 entschieden, dass von einer öffentlichen Wiedergabe, die vergütungspflichtig wäre, im konkreten Fall nicht ausgegangen werden könne und dies anhand verschiedener, miteinander verwobener unterschiedlicher Kriterien begründet. Diese abschlägige Entscheidung ist umso bemerkenswerter, als derselbe Senat mit Urteil desselben Tages für die Wiedergabe von Tonträgern in Hotelzimmern eine vergütungspflichtige öffentliche Wiedergabe angenommen hat.4 Worin die Unterscheide im Einzelnen bestehen und was den europäischen Gerichtshof zu seiner Einschätzung bewogen hat, soll im Folgenden verdeutlicht werden: 1. b) Ausgangspunkt für den EuGH ist die Prämisse, dass der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Lichte der gleichen Begriffe im Rom-Abkommen, im TRIPS-Übereinkommen und dem WPPT so auszulegen ist, dass er mit diesen Übereinkünften vereinbar bleibt und deren Zielsetzung auch bei der Auslegung der entsprechenden europäischen Richtlinien zu berücksichtigen ist. Entscheidend geht es also um den Vergütungsanspruch für die öffentliche Wiedergabe erschienener Tonträger, wie er in Art. 12 Rom-Abkommen, Art. 15 WPPT und Art. 8 Abs. 2 der Vermiet- und Verleihrechts-Richtlinie kodifiziert ist. In allen diesen Normen besteht der Vergütungsanspruch unabhängig davon, ob der jeweilige Nutzer mit der konkreten Wiedergabe Erwerbszwecke verfolgt oder nicht.5 Dies entspricht auch der etablierten Praxis in sämtlichen Mitgliedsländern, wo nichtkommerzielle Nutzungen, beispielsweise durch soziale Einrichtungen, dennoch vergütungspflichtig sind. Das folgt bereits aus der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsposition der Leistungsschutzberechtigten an ihren Darbietungen, die aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsprinzips grundsätzlich nur gegen Vergütung genutzt werden dürfen.6 Dass auch unentgeltliche Nutzungen grundsätzlich vergütungspflichtig sind, zeigt beispielsweise § 13 Abs. 3 UrhWG, der ausdrücklich vorgibt, bei der Tarifierung in § 13 Abs. 3 UrhWG auf religiöse, kulturelle und soziale Belange einschließlich der Belange der Jugendpflege angemessen Rücksicht zu nehmen. Diese Regelung setzt die grundsätzliche Vergütungspflicht zwingend voraus. Noch deutlicher war der italienische Gesetzgeber, der mit der Umsetzung der Vermiet- und Verleihrichtlinie in das italienische Recht im Zusammenhang mit dem Vergütungsanspruch für die öffentliche Wiedergabe einen Art. 73bis Abs. 1 eingeführt 4
EuGH, 15.03.2012, C-162/10 ZUM 2012, 393 – PPL. Zutreffend Generalanwältin Trstenjak, Schlussantrag vom 29.6.2011, Rn. 131–138, abzurufen unter: http://eur-lex.europa.eu/Notice.do?val=620040:cs&lang=de&list= 620040: cs,&pos=1&page=1&nbl=1&pgs=10&hwords=SCF~&checktexte=checkbox&visu=#texte. 6 Art. 17 Abs. 2 der Grundrechtscharta der EU schützt mit dem geistigen Eigentum auch die Leistungsschutzrechte. 5
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hat, der folgendermaßen lautet: „Die ausübenden Künstler sowie der Hersteller des verwendeten Tonträgers haben eine Anspruch auf angemessene Vergütung, auch wenn die Nutzung im Sinne des Artikel 73 (öffentliche Wiedergabe von Tonträgern, der Verfasser) nicht gewerblich erfolgt.“ Dessen ungeachtet führt der EuGH de facto in der Entscheidung ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der „Entgeltlichkeit“ ein, das in keiner Weise nachvollziehbar ist. Im Ergebnis ergibt sich das zusätzliche Kriterium aus dem Anspruch des EuGH, die Frage, ob eine öffentliche Wiedergabe vorliegt, auf Basis einer Reihe mehrerer Kriterien zu ermitteln, die unselbständig und miteinander verflochten seien.7 Diese seien deshalb einzeln und ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden, da sie – je nach Einzelfall – in sehr unterschiedlichem Maße vorliegen können. Unabhängig von jeder inhaltlichen Bewertung erscheint es praktisch unmöglich, gerade bei der öffentlichen Wiedergabe, dem sogenannten Kneipenrecht, das in Praxis als Fall einer Massennutzung von Verwertungsgesellschaften wahrgenommen wird, das vom EuGH aufgestellte individuelle Flechtwerk zu berücksichtigen. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Flechttechnik zur tragfähigen Lösung von Interessenkonflikten zwischen Urheberbzw. Leistungsschutzrechten und Nutzerinteressen denkbar ungeeignet ist – man denke nur an den sog. „1. und 2. Korb“ zum deutschen UrhG.8 1. c) Auch inhaltlich ist das Urteil nicht nachvollziehbar: aa) Der EuGH stellt zutreffend fest, dass es sich bei dem Recht der öffentlichen Wiedergabe für die Leistungsschutzberechtigten um einen bloßen Vergütungsanspruch handelt, nicht dagegen um ein Ausschließlichkeitsrecht. Hieraus zieht der EuGH verschiedene Schlussfolgerungen: Zunächst konstatiert er, dass dieses Recht, da es Nutzungen betrifft, im Wesentlichen wirtschaftlich ist.9 Nun gilt diese Tatsache auch für das Ausschließlichkeitsrecht der Urheberr nach Artikel 3 Abs. 1 der Richtlinie zur Informationsgesellschaft mit dem bloßen Unterschied, dass den Urhebern entsprechende Verbotsrechte auf Basis des Ausschließlichkeitsrechts zustehen. Unerfindlich bleibt aber, weshalb die rechtliche Ausgestaltung als Vergütungsanspruch eine individuelle Beurteilung des Begriffs „öffentliche Wiedergabe“ erfordert.10 Der EuGH sieht in der unterschiedlichen Ausgestaltung für Urheber 7
Urteil Rn. 76. Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft 2003, BGBl. 2004 I, 312 („erster Korb“) und Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft 2007, BGBl. I, 2513 („zweiter Korb“). 9 Urteil Rn. 77. 10 Zutreffend Generalanwältin Trstenjak, Schlussantrag vom 29.6.2011, abzurufen unter: http://eur-lex.europa.eu/Notice.do?val=620040:cs&lang=de&list=620040:cs,&pos=1& page=1&nbl=1&pgs=10&hwords=SCF~&checktexte=checkbox&visu=#texte. 8
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und Leistungsschutzberechtigte ähnliche, aber gleichwohl teilweise unterschiedliche Zielsetzungen, ohne diese allerdings näher darzulegen. Sieht man sich die Entstehung der Vergütung für die öffentliche Wiedergabe von Tonträgern an, die sich erstmals in Art. 12 Rom-Abkommen findet, so ist die Tatsache, dass für die öffentliche Wiedergabe von verschiedenen Tonträger lediglich ein Vergütungsanspruch geschuldet wird, primär auf die Befürchtungen der Urheber zurückzuführen, bei der Einführung eines Ausschließlichkeitsrechts mit Verboten der ausübenden Künstler konfrontiert zu werden, die statt der Tonträgernutzung lieber live beschäftigt werden wollten und dadurch die für die Urheber wirtschaftlich bedeutenden Nutzungen des „Kneipenrechts“ verhindert hätten. Entsprechend war die Situation auch bei der deutschen Gesetzgebung. Das vom BGH zunächst konstatierte ausschließliche Recht der öffentlichen Wiedergabe auf Basis des damals von der Rechtsprechung etablierten fiktiven Bearbeiterurheberrechts11 wurde auf Druck der Urheberverbände zu einem Vergütungsanspruch modifiziert.12 Dieser war damit aber keinesfalls weniger Wert.13 Auch waren es keineswegs die Interessen der Nutzer, wie beispielsweise der Zahnärzte, die zu einer Ausgestaltung als Vergütungsanspruch führten. Bemerkenswert ist insoweit auch, dass Erwägungsgrund 16 der Vermiet- und Verleihrichtlinie ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedsstaaten einen weiterreichenden Schutz für die Inhaber der Leistungsschutzrechte vorsehen können, als er in der Richtlinie selbst für die öffentliche Wiedergabe vorgeschrieben ist. Auf dieser Basis bestehen in verschiedenen Mitgliedsstaaten ausschließliche Rechte der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller für die öffentliche Wiedergabe erschienener Tonträger14, so dass es dort schon an dem strukturellen Unterschied auf Basis der nationalen Rechte fehlt. bb) Schaut man sich nun die individuelle Herangehensweise des EuGH konkret an, die sich aus der Ausgestaltung als Vergütungsanspruch ergeben soll, so stellt er zunächst das Kriterium auf, dass der Nutzer ursächlich und in Kenntnis der Folge seines Verhaltens tätig werden muss. Dieses bejaht er, da der Zahnarzt oder seine Mitarbeiter das Radio, in dem die Tonträger gesendet wurden, bewusst angestellt haben. Im Folgenden erläutert der Gerichtshof einige Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Öffentlichkeit. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung stellt er fest, dass Voraussetzung für die Öffentlichkeit eine unbestimmte Zahl potenzieller Leistungsempfängers sein muss und diese aus recht vielen Personen bestehen muss.15 Auch zitiert 11
BGH UFITA 32, 200, 216 f. – Künstlerlizenz Schallplatte. RegE 1962 UFITA 45, 240, 310 zu § 87, näher Dünnwald/Gerlach, Schutz des ausübenden Künstlers, § 78 Rn. 8, 28. 13 Vgl. BGH GRUR 2004, 669, 670 – Musikmehrkanaldienste. 14 Z.B. Tschechisches UrhG v. 7.4.2000, § 71 Abs. 2 lit. G. 15 Urteil Rn. 84 mit weiteren Nachweisen. 12
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er die Abgrenzung von Personen, die einer privaten Gruppe angehören.16 Für die notwendige Anzahl erwähnt er sogar die kumulative Wirkung, die sich daraus ergeben kann, dass die Personen sukzessiven Zugang zu den Inhalten haben. Bemerkenswerterweise hat der EuGH im am selben Tage durch denselben Senat entschiedenen Fall PPL festgestellt, dass auch die Wiedergabe in einem einzelnen Hotelzimmer vor dem Hintergrund der potenziell vielen Gäste als öffentliche Wiedergabe anzusehen ist.17 Erstaunlicherweise soll dies bei den Zahnarztpatienten jedoch nicht der Fall sein, da diese in ihrer Zusammensetzung weitgehend stabil seien und somit eine bestimmte Gesamtheit potenzieller Leistungsempfänger darstellen, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch den Zahnarzt haben.18 Damit seien Personen allgemein „nicht erfasst“. Auch liege keine Mehrzahl von Personen vor, da der Kreis, der gleichzeitig in der Praxis anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt sei.19 Mit diesem Kriterium wird die Abgrenzung von der urheberrechtlich irrelevanten privaten Umgebung deutlich überdehnt. Zum einen dürften im Warte- und Behandlungszimmer insgesamt mehr Personen sitzen als in dem einen konkreten Hotelzimmer, das an einen einzelnen Hotelgast vermietet wurde und das zutreffend der Öffentlichkeit zugerechnet wird. Zum anderen stellt sich aber auch die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Frage der Öffentlichkeit abgestellt wird. Die Öffentlichkeit ist die Summe einzelner Menschen, die zueinander oder zu einem Dritten nicht in einer persönlichen Beziehung stehen. Ebenso wie dies für die Hotelgäste gilt, die sich an der Rezeption entscheiden, in dem Hotel auch tatsächlich zu übernachten, gilt dies gleichermaßen auch für die Zahnarztpatienten. Auch diese werden, sei es auf Empfehlung, nach Blick in das Telefonbuch oder bei akuten Schmerzen im Vorbeigehen, einen Termin erbeten, an dem sie dann – natürlich in überschaubarerem Kreis – tatsächlich im Behandlungszimmer sind. Es bleibt nicht nachvollziehbar, weshalb dieser Kreis nun so begrenzt sein soll, dass er mit der irrelevanten privaten Gruppe gleichgesetzt werden kann. cc) Haben alle vorgenannten Tatbestandsmerkmale zumindest noch einen Bezug zum Gesetzeswortlaut, fehlt dieser bei dem zusätzlichen Kriterium, der Einsatz müsse Erwerbszwecken dienen, völlig.20 Das Kriterium ist weder
16
Urteil Rn. 85. EuGH, 15.03.2012, C-162/10 ZUM 2012, 393 – PPL. 18 Urteil Rn. 95. 19 Urteil Rn. 96. 20 Es wurde daher auch zurecht von der Generalanwältin abgelehnt (Generalanwältin Trstenjak, Schlussantrag vom 29.6.2011, Rn. 137, abzurufen unter: http://eur-lex.europa.eu/ Notice.do?val=620040:cs&lang=de&list=620040:cs,&pos=1&page=1&nbl=1&pgs=10&hw ords=SCF~&checktexte=checkbox&visu=#texte). 17
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inhaltlich noch von seiner Genese her nachvollziehbar. Es wird als solches vom EuGH auch nicht weiter erläutert, sondern im Urteil in Erwägungsgrund 88 durch einen Verweis auf das Urteil Football Association Premier League camoufliert, in dem entschieden worden sein soll, dass es nicht unerheblich ist, ob eine öffentliche Wiedergabe zu Erwerbszwecken dient.21 Schaut man in das entsprechende Urteil, begibt man sich auf eine Schnitzeljagd, denn in diesem wird unter Rn. 204 lediglich behauptet, es sei nicht unerheblich, ob eine „Wiedergabe“ Erwerbszwecken dient – die im konkreten Fall angenommen wurden, weshalb die Frage gar nicht entscheidungsrelevant war. Statt dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal näher zu begründen, wird auch im Urteil Football Association Premier League lediglich auf ein früheres Urteil verwiesen, diesmal das SGAE-Urteil.22 Liest man dieses nun, wird dort festgestellt, dass in den ausgestrahlten Werken für die Gäste eine zusätzliche Dienstleistung anzusehen ist, die sich positiv auf die Nachfrage auswirkt. Allerdings ist im SGAE-Urteil ausdrücklich aufgeführt: „Selbst wenn man, wie die Kommission der europäischen Gemeinschaften, davon ausginge, dass die Gewinnerzielungsabsicht keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe ist, ist folglich jedenfalls der Nachweis dafür erbracht, dass die Wiedergabe unter Umständen, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegt, Erwerbszwecken dient“. Nun betraf das SGAEUrteil die Urheberrechte, bei denen ja die Ausgestaltung als Ausschließlichkeitsrecht erfolgt ist, es der wertenden Kriterien des EuGH, die unselbständig und miteinander verflochten sind, eigentlich gar nicht bedurft hätte. Auch war die Frage der Entgeltlichkeit im konkreten Fall ausdrücklich irrelevant. Weshalb aber dieses schon im SGAE-Verfahren als nicht erforderlich erachtete Tatbestandsmerkmal „Erwerbszweck“ nun beim Vergütungsanspruch der Leistungsschutzberechtigten hinzugedacht werden muss, bleibt gänzlich unklar. Eine derartige Einschränkung, die den gesamten nichtkommerziellen öffentlichen Nutzungsbereich aus der Vergütungspflicht entließe, wird wohl kaum mit den Erwägungsgründen der Vermiet- und Verleihrichtlinie in Einklang zu bringen sein, wonach dem „angemessenen Schutz von urheberrechtlich geschützten Werken und Gegenständen der verwandten Schutzrechte (…) eine grundlegende Bedeutung für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung der Gemeinschaft zukommt“23 und „Urheber und ausübende Künstler, um ihre Tätigkeit ausüben zu können, eines angemessenen Einkommens als Grundlage für weiteres schöpferisches und künstlerisches Arbeiten bedürfen und auch die für die Herstellung von Tonträgern erforderlichen Investitionen die Möglichkeit erfordern, solche Investitionen
21 22 23
EuGH, ZUM 2011, 803 – Football Association Premier League. EuGH, ZUM 2007, 132 Rn. 44 – SGAE. Erwägungsgrund 3.
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abzusichern, was nur durch einen angemessenen Rechtsschutz für die jeweils betroffenen Rechteinhaber wirkungsvoll gewährleistet werden kann“.24 Doch selbst wenn man das systemwidrige und gefährliche Kriterium des Erwerbszweckes einmal aufgreift, bleibt festzustellen, dass der Musikeinsatz den Aufenthalt der Patienten angenehmer gestaltet und dadurch das Gesamtbild der Leistung aus Sicht des Patienten verbessert.25 Erschreckend ist, wie ignorant der EuGH mit den heutigen Kenntnissen der therapeutischen Wirkung von Musik umgeht. So konstatiert er: „Schließlich lässt sich nicht bestreiten, dass in einer Situation, so wie der des Ausgangsverfahrens, ein Zahnarzt, der Tonträger in Anwesenheit seiner Patienten als Hintergrundmusik wiedergibt, vernünftigerweise allein wegen dieser Wiedergabe weder eine Erweiterung seines Patientenbestandes erwarten noch die Preise der von ihm erfolgten Behandlung erhöhen kann. Daher ist eine solche Wiedergabe für sich genommen nicht geeignet, sich auf die Einkünfte dieses Zahnarztes auszuwirken.“26 „Die Patienten eines Zahnarztes begeben sich nämlich zu dem einzigen Zweck in eine Zahnarztpraxis behandelt zu werden und eine Wiedergabe von Tonträgern gehört nicht zur Zahnbehandlung. Die Patienten genießen zufällig und unabhängig von ihren Wünschen je nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens in der Praxis und der Dauer des Wartens sowie der Arzt, der ihnen verabfolgten Behandlung Zugang zu bestimmten Tonträgern. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die normalen Patienten eines Zahnarztes für die in Rede stehende Wiedergabeaufnahme bereit wären.“27) „Daher hat eine solche Wiedergabe (…) nicht den Charakter eines Erwerbszwecks.“28 Diese Aussagen sind in vielfacher Hinsicht falsch. Zum einen ist es mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen, dass der Einsatz von Musik auch bei der Zahnbehandlung eine beruhigende Wirkung hat und insofern durchaus die Entscheidung der Patienten beeinflussen kann.29 Darüber hinaus ist das Kriterium, dass ein bestimmtes Angebot allein deshalb aufgesucht würde, weil eine bestimmte Musik erwartet würde, ein viel zu enges und würde in dieser Unbedingtheit sogar sämtlicher Vergütungspflicht der Hintergrundbeschallung den rechtlichen Boden entziehen. Es wird sich sicherlich kein Ladenlokal finden, in dem die Kunden
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Erwägungsgrund 5. So ausdrücklich auch Generalanwältin Trstenjak, Schlussantrag vom 29.6.2011, Rn. 138, abzurufen unter: http://eur-lex.europa.eu/Notice.do?val=620040:cs&lang= de& list=620040:cs,&pos=1&page=1&nbl=1&pgs=10&hwords=SCF~&checktexte=checkbox&visu=#texte. 26 Urteil Rn. 97. 27 Urteil Rn. 98. 28 Urteil Rn. 99. 29 Lai Hui-Ling et. al., Randomised controlled trial of music on state anxiety and physiological indices in patients undergoing root canal treatment, Journal of Clinical Nursing 2008, 2654. 25
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alleine deshalb einkaufen, weil sie dort eine bestimmte Musik hören können. Entscheidend ist vielmehr, dass durch das Musikangebot die Attraktivität insgesamt gesteigert wird und wenn dies nur dazu führt, dass Kunden nicht zur Konkurrenz abwandern. 2. a) Insgesamt macht das Urteil ziemlich ratlos, es wird eine „Minderwertigkeit“ der Vergütungsansprüche gegenüber Ausschließlichkeitsrechten unterstellt, die nicht näher erläutert wird. Diese wird dazu verwendet, ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der „Entgeltlichkeit“ einzuführen, ohne dessen Herleitung näher zu begründen. Bei diesem Tatbestandsmerkmal wird dann bei der Subsumtion zum einen die Funktion der Musik auch im therapeutischen Bereich ignoriert und dann zum anderen der Erwerbszweck so eng definiert, dass dieser die Erwartung der Kunden, einen konkreten Titel zu hören, voraussetzt. 2. b) Fragt man sich, was den EuGH wohl zu diesem Urteil contra bzw. zumindest praeter legem bewogen hat, das die Schlussanträge der Generalanwältin vollständig ignoriert, so kann man nur spekulieren: Denkbar wäre, dass sich der EuGH vom momentan leider allgemein ablehnenden Klima gegenüber dem Urheberrecht zugunsten eines gebeutelten Nutzers hat leiten lassen. Sollte das der Fall sein, muss festgestellt werden, dass damit die Grenzen der Judikative deutlich überschritten sind. Eine solche Korrektur des bestehenden Interessenausgleichs, bei dem lediglich die private Wiedergabe oder die Nutzungen im Rahmen der Schrankenregen vergütungsfrei möglich sind, ist zwingend dem Richtliniengeber vorbehalten. Ob dieser bei einer entsprechenden politischen Mehrheit hiermit nicht gegen die internationalen Staatsverträge und insbes. Art. 15 WPPT verstoßen würde, erscheint fraglich. Auch dürfte die Freistellung jeglicher Musiknutzung, bei denen die Endkunden die Musik nicht gezielt wahrnehmen, von der Vergütungspflicht gegenüber den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern den Kernbereich des Leistungsschutzrechts verletzen. Es bleibt jedem Nutzer unbenommen, auf den Musikeinsatz zu verzichten. Wird keine Musik genutzt, muss auch nicht bezahlt werden. Entscheiden sich Nutzer wie der italienische Zahnarzt dennoch zur Musikwiedergabe, ist eine Vergütung zwingend erforderlich. 2. c) Tröstend bleibt anzumerken, dass das Urteil selber lediglich eine Antwort auf die Vorlagefragen des italienischen Gerichtes in dem konkreten Fall darstellt.30 Eine unmittelbare Bindungswirkung für deutsche Gerichte ergibt sich hieraus nicht. Da mittlerweile eigentlich in allen Lebensbereichen
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Art. 267 AEUV.
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anerkannt ist, dass die Verwendung von Musik attraktivitätssteigernd wirkt und immer auch einen Mehrwert darstellt, würde ein deutsches Vorlageverfahren, sollte es zu einem solchen kommen, angesichts der eindeutigen internationalen und europäischen Rechtslage mit großer Sicherheit zu einem anderen Ergebnis kommen. Für die Vergütungspflicht in Deutschland hat das Urteil daher keine unmittelbare Relevanz.
§ 63a UrhG – die Chronik einer Panne Ferdinand Melichar
Dificile est satiram non scribere. Juvenal In seinem Beitrag mit der Überschrift und dem Thema „Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?“ schreibt Artur-Axel Wandtke: „Die Diskussion über das Für und Wider des Urheberrechts in der Öffentlichkeit erinnert einen manchmal an eine schlechte Theaterinszenierung.“1 Leider gilt dies auch für die jetzt ebenso heftig geführte Diskussion über die Frage der Beteiligung von Verlegern am Aufkommen von Verwertungsgesellschaften. Hier sollen deshalb weniger die juristischen Argumente und Probleme ausgebreitet werden (dazu ist schon viel geschrieben worden2). Es lohnt sich, einmal auch die Historie dieses Streites und den erstaunlichen Sinneswandel seines Protagonisten zu beleuchten. Also Vorhang auf für diese Inszenierung.
I. An allen deutschen Verwertungsgesellschaften, die Rechte und Interessen von Urhebern vertreten, waren von Anbeginn an auch die Verleger dieser Urheber beteiligt. Dies gilt für GEMA und VG Bild-Kunst (nach Einführung der Reprographievergütung) ebenso, wie für die VG Wort. Letztere wurde von Autoren und Verlegern 1957 gegründet, nachdem zuvor zwei nur von Autoren getragene literarische Verwertungsgesellschaften kläglich gescheitert waren.3 Die früher nur gelegentlich in der urheberrechtlichen Literatur aufgeworfene grundsätzliche Frage, ob denn dieses Miteinander von Autoren und (ihren) Verlegern in einer Verwertungsgesellschaft rechtens
1
Wandtke, UFITA Bd.2011/III S. 649. Vgl. z.B. Hanewinkel GRUR 2007, 373; Hoeren MMR 2007, 615; Flechsig MMR 2012, 293; Flechsig/Bisle ZRP 2008, 115; Sprang K&R 2008, 6; Riesenhuber ZUM 2012, 746. 3 Siehe Keiderling, Geist, Recht und Geld – Die VG WORT 1958–2008, S. 25 ff.; Melichar, Die Wahrnehmung von Urheberrechten durch Verwertungsgesellschaften, S. 72 f.; Vogel in Becker (Hrsg.), Die Wahrnehmung von Urheberechten an Sprachwerken, 17/29 f. 2
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sei, wurde von der ganz h.M. und der Rechtsprechung einhellig bejaht.4 Auch das Deutsche Patentamt – wie es damals noch hieß – bestätigte als Aufsichtsbehörde nach dem UrhWG mit ausführlichen Begründungen die Rechtmäßigkeit der Teilhabe von Verlegern an Verwertungsgesellschaften.5 Und so lebten über die Jahrzehnte Autoren und Verleger in „ihren“ Verwertungsgesellschaften mehr oder weniger friedlich zusammen. In der VG Wort erhielten die Verleger aus dem Aufkommen entsprechend den eingespielten Verteilungsplänen 50 % im Non-Fiction Bereich und 30 % im Fiction Bereich. Diese Kohabitation währte unbeanstandet bis 2002, als mit dem Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern § 63a in das Urheberrechtsgesetz eingefügt wurde, wonach Urheber auf gesetzliche Vergütungsansprüche im Voraus nicht verzichten und sie im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abtreten können. Diese Regelung basierte auf den Vorschlägen im sog. Professorenentwurf und dem folgenden Regierungsentwurf (wo sie allerdings noch in § 29 Abs. 3 UrhG platziert war).6 Sofort nach Inkrafttreten des neuen § 63a UrhG begann eine Diskussion, ob damit die bisherigen Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaften, die eine statutarische feste Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen vorsehen, noch aufrechterhalten werden können. Seltsamerweise führte dies nur bei der VG Wort zu internen Auseinandersetzungen – dort aber zu umso heftigeren. „Wo bisher ein friedliches Miteinander von Urhebern und Verlegern geherrscht hatte, gab es plötzlich Streit ums Geld.“7 Von Autorenseite wurde argumentiert, dass nach dem neuen § 63a UrhG die Verleger keine gesetzlichen Vergütungsansprüche mehr im Voraus erwerben könnten, weshalb sich ihr Anteil an den Ausschüttungen entsprechend verringern müsste. Die Gremien der VG Wort befassten sich daraufhin intensiv mit dieser Problematik. In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung der VG Wort am 17.1.2004 wurde – mit Zustimmung der Kurien der Autoren und der Verleger – der Autorenanteil für Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften erhöht und gleichzeitig als Grundsatz des Verteilungsplanes in der Satzung verankert: „Den Verlagen steht ein ihrer verlegerischen Leistung entsprechender Anteil am Ertrag der VG Wort zu.“8 Der weitergehende Vorschlag einer internen Arbeitsgruppe der VG Wort, die Verlegeranteile in allen Bereichen stufenweise in Jahresschritten abzusenken, wurde von der Mitglie-
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Loewenheim/Melichar, Handbuch des Urheberrechts, § 47 Rz. 5 mwN. DPA UFITA Bd. 81 (1978) S. 348; DPA GEMA-Nachrichten 1978, Heft 108, 74 ff.; DPA ZUM 1985, 506/508; zustimmend Nordemann FS Voyame 1989, 173/183. 6 Vgl. Schricker/Loewenheim, § 63a UrhG Rz. 2. 7 Hucko, Zweiter Korb, S. 34. 8 § 9 Abs. 1 Ziff. 3 der Satzung. 5
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derversammlung am 21.5.2005 abgelehnt, worauf das DPMA die VG Wort durch formlosen aufsichtsrechtlichen Hinweis anwies, die Verteilungspläne entsprechend den Vorschlägen der internen Arbeitsgruppe zu ändern.9 Nachdem die VG Wort angekündigt hatte, sie werde – ohne Änderung der Verteilungspläne – die Ausschüttung entsprechend der Weisung des DPMA vornehmen, wurde sie 2007 vom LG München I auf Klage zweier Verlage verurteilt, die Ausschüttungen nach den alten, unverändert gültigen Verteilungsplänen mit den dort festgelegten Verlegeranteilen vorzunehmen, da ein formloser aufsichtsrechtlicher Hinweis des DPMA nicht geeignet sei, „die Verteilungspläne mit Wirkung für die Mitglieder abzuändern.“10 Das Dilemma für die VG Wort war perfekt. Martin Vogel, einer der fünf Autoren des sog. Professorenentwurfs und Mitglied der VG Wort, hatte diese Debatten, diesen Streit aus den Gremien der Verwertungsgesellschaft frühzeitig in die breite Öffentlichkeit getragen.11 Aus der urheberrechtlichen Fachdiskussion war ein Politikum geworden und die Politik reagierte bestürzt. Bereits 2003 hatte die Bundesregierung im Rechtsausschuss auf Anfrage der CDU/CSU Fraktion erwidert, „… dass es keineswegs beabsichtigt sei, mit § 63a UrhG … einen neuen Verteilungsschlüssel für die VG Wort vorzugeben. Die Diskussion, die hierzu innerhalb der VG Wort geführt werde, sei für die Bundesregierung vor diesem Hintergrund nicht recht verständlich.“12 Mit dem zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, dem sog. 2. Korb, wurde deshalb in § 63a UrhG ein zweiter Satz angefügt, wonach gesetzliche Vergütungsansprüche gleichzeitig mit dem Verlagsrecht an Verleger abgetreten werden können, wenn diese sie durch eine Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen, die Urheber und Verleger gemeinsam vertritt. In der ausführlichen Gesetzesbegründung für diese „Reparatur einer Panne“13 wird betont, dass „ein Ausschluss der Verleger von der pauschalen Vergütung … angesichts der von ihnen erbrachten erheblichen Leistung … sachlich nicht hinnehmbar“ ist, und dass dieser neue Satz 2 gewährleisten soll, „dass die Verleger auch in Zukunft an den Erträgen der VG Wort angemessen zu beteiligen sind.“14
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Schricker/Schricker, 3. Aufl. 2006, § 63a UrhG Rz. 12. LG München I ZUM-RD 2007, 546/549 mit ausführlichem Tatbestand; hierzu Himmelmannn in Kreile u.a. (Hrsg.), Recht und Praxis der GEMA, 2. Aufl. 2007, Kap. 18 Rz. 89b; zum Ablauf auch Schricker/Loewenheim, § 63a UrhG Rz. 5. 11 Siehe die Artikel von M. Vogel in der FAZ vom 17.1.2004 (Leserbriefe hierzu von Melichar am 27.1.2004 und von Hoeren am 2.2.2004) und 25.10.2004, in der SZ vom 20.7.2006. 12 BT Drucks. 15/837 S. 29. 13 Hucko, Zweiter Korb, S. 34 14 BT Drucks. 16/1828 S. 32 (abgedruckt bei Hucko, Zweiter Korb, S. 131 f.). 10
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Unter dem Eindruck dieser gesetzgeberischen Vorgaben hat die Mitgliederversammlung der VG Wort am 19.1.2008 beschlossen, nach den von der internen Arbeitsgruppe und dem DPMA vorgegebenen reduzierten Verlegeranteilen in Jahresschritten stufenweise wieder zu den alten Sätzen zurückzukehren.
II. Auch diese ab 2008 geltende Neuregelung brachte allerdings keine Befriedung. 2011 erhob Martin Vogel als wissenschaftlicher Autor Klage gegen die VG Wort auf Zahlung des auf seine Werke entfallenden Verlegeranteils: Dieser sei zu Unrecht an seine Verleger ausgeschüttet worden, so dass er zusätzlich zum 50 %igen Urheberanteil auch den 50 %igen Verlegeranteil erhalten müsse. Das LG München I hat der Klage mit Urteil vom 24.5.2012 insoweit stattgegeben.15 Bereits am nächsten Tag trug Martin Vogel dieses Urteil in die Öffentlichkeit,16 so dass die sonst übliche Anonymisierung einer Prozesspartei in diesem Fall unterbleiben kann. Diese Klage ist der vorläufige Höhepunkt eines wahren Kreuzzugs von Martin Vogel gegen die Verteilungspläne von Verwertungsgesellschaften, soweit sie Ausschüttungen auch an Verleger vorsehen. Schon vorher hatte er seine Theorien nicht nur publizistisch verbreitet, sondern auch in einer Stellungnahme gegenüber der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquetekommission „Kultur in Deutschland“17 und in einer Eingabe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages.18 Dabei ist er in der Wahl seiner Argumente keineswegs zimperlich, wie an nur einem Beispiel gezeigt werden soll. In seiner Eingabe an die Enquetekommission behauptet er, es sei „bezeichnend …, dass die Mitgliederversammlung der VG Wort im Januar 2004 ohne Aussprache mit einem Stimmenverhältnis von 120:1 gegen die konsequente Befolgung des § 63a gestimmt hat … Die Funktionäre greifen also offenbar auch zur Desinformation als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele.“ Tatsächlich hat ausweislich des Protokolls dieser Mitgliederversammlung eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema stattgefunden, an der sich auch Martin Vogel beteiligt hat und wo ihm insbesondere von Wilhelm Nordemann widersprochen wurde (wie Vogel auch er einer der Mitverfasser des sog. Professorenentwurfes). Gerhard Pfennig als Geschäftsführer der VG Bild-Kunst und der Verfasser als Geschäftsführer der VG Wort haben in Erwiderungen zu dieser Stellungnahme 15 LG München I ZUM-RD 2012, 410; die hiergegen eingelegte Berufung ist beim OLG München anhängig. 16 Interview mit M. Vogel in der SZ vom 25.5.2012. 17 Stellungnahme vom 13.1.2007 EK-Kultur K-DRS 16/242. 18 Schreiben vom 1.2.2008 http://www.perlentaucher.de/dokumentation/an-denpetitionsausschuss.html.
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von Martin Vogel eine Reihe weiterer solcher Punkte aufgeführt, in denen Martin Vogel den Sachverhalt verfälscht dargestellt hat und die durchaus das Verlangen von Gegendarstellungen im presserechtlichen Sinne gerechtfertigt hätten.19 Die von Martin Vogel behauptete „Desinformation“ ist also Teil seiner eigenen Taktik und es gehört zu den Aufgaben eines Chronisten, auch dies festzuhalten.
III. Die Angriffe gegen die Verteilungspläne stützten sich zunächst naturgemäß auf die Regelung von § 63a UrhG in der ursprünglichen Fassung von 2002 – das war ja das Neue. Nach der 2008 erfolgten Anfügung von Satz 2 konzentriert sich die Argumentation seither aber – völlig unabhängig von § 63a UrhG – nur noch auf das Prinzip der zeitlichen Priorität von Abtretungen: Wenn ein Autor bereits einen Wahrnehmungsvertrag mit einer Verwertungsgesellschaft abgeschlossen und ihr damit die darin enthaltenen Ansprüche (z.B. die Vergütung für privates Vervielfältigen gem. § 54 UrhG) übertragen hat, kann er diese Ansprüche später nicht nochmals an seinen Verlag abtreten, so dass dieser Verlag solche Rechte auch nicht mehr in die Verwertungsgesellschaft einbringen kann. Eine seit langem gültige Selbstverständlichkeit: nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet.20 Erstaunlich nur, dass erst jetzt dieser uralte Rechtsatz bemüht wird, um das bewährte Modell der statutarischen Verteilungspläne mit ihrem festen Verlegeranteil zu Fall zu bringen. Erstaunlich vor allem, dass er gerade jetzt ins Feld geführt wird, zu einem Zeitpunkt, da der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 63a UrhG nochmals deutlich gemacht hat, wie wichtig und richtig die Beteiligung der Verleger am Aufkommen der Verwertungsgesellschaften ist, haben diese doch – als einzige kommerzielle Erstverwerter – kein eigenes Leistungsschutzrecht.
IV. Der Vorrang der zeitlichen Abtretung von Ansprüchen bedeutet, dass bei Gründung einer Verwertungsgesellschaft die Einbringung von gebündelten Rechten durch Verleger zunächst von großer Bedeutung für die Aktivlegitimation dieser Verwertungsgesellschaft ist. „Das Ausmaß der von der jeweiligen Seite eingebrachten Rechte kann freilich für ihren Anteil heute kaum 19 Erwiderung Pfennig vom 5.2.2007 EK-Kultur K-DRS.16/362; Erwiderung Melichar vom 1.2.2007 EK-Kultur K-DRS. 16/361. 20 Corpus iuris civilis D. 50.17.54.
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noch ausschlaggebend sein, da die Urheber seit längerem (sic!) dazu übergegangen sind, ihre Rechte im Voraus in die Verwertungsgesellschaft einzubringen“ 21 – erkannte Martin Vogel bereits 1993. Und doch hielt er es damals für richtig, dass die Verteilung erfolgt unter „Berücksichtigung eines generellen Verteilungsschlüssels, nach dem die Verteilungssumme zunächst auf Urheber bzw. Künstler einerseits und ihre Primärverwerter, mit denen sie sich zur gemeinsamen Auswertung der Rechte verbunden haben, andererseits aufgeteilt wird. Dieser generelle, in der Satzung verankerte und von der Aufsichtsbehörde auf seine Angemessenheit geprüfte Verteilungsschlüssel hat in eigenständiger Weise dem Gerechtigkeitsgehalt des Urheberrechts zu entsprechen, indem er bei kollektiv wahrgenommenen Rechten – auch, aber eben nicht nur aus Kostengründen (sic!) – individualvertragliche Vereinbarungen durch pauschale Quoten für die einzelnen Berufsgruppen ersetzt. Sie werden durch den Abschluss des Wahrnehmungsvertrags, der die Satzung und Verteilungspläne in Bezug nimmt, von allen Berechtigten anerkannt.“ 22 Hierunter subsumiert er dann einzeln aufgezählt alle Urheber- und Verlegerquoten in den Verteilungsplänen von GEMA, VG Wort, VG Bild-Kunst und VG Musikedition. Mehrfach betonte er in der Folge den Vorrang satzungsgemäßer Quoten gegenüber widersprechenden Individualverträgen.23 Noch 1999 kommt Martin Vogel zu dem Ergebnis: „Ausdruck findet die Symbiose von Autoren und Verlegern auch in der Ausschüttung nach statutarischen Verteilungsplänen, die von jedem Berechtigten mit Abschluss des Wahrnehmungsvertrages als verbindlich anerkannt werden. Sie regeln die Verteilung ungeachtet individueller Absprachen und sehen im Bereich Wort für den Autor 70%, für den Verleger 30% der Verteilungssumme vor, im Bereich Wissenschaft eine Teilung zu gleichen Hälften.“24 Das alles will Martin Vogel heute als Kläger gegen die VG Wort nicht mehr gelten lassen. Lobte er 1999 das eingespielte Kuriensystem, wonach für Änderungen der Satzung oder eines Verteilungsplanes die Zustimmung von Autoren und Verlegern notwendig ist, noch als „ein System institutionalisierter Rücksichtnahme“25, so will er heute nur noch die zeitliche Priorität der Abtretung als Maßstab für die Ausschüttung gelten lassen. Dabei nimmt er in 21 Vogel GRUR 1993, 513/522; so auch schon Melichar, UFITA Bd. 117 (1991), 5/10 = ders., Urheberrecht in Theorie und Praxis, S. 79. 22 Vogel, aaO. (Fn. 21); fast wörtlich ebenso Vogel, Beier u.a. (Hrsg.) Urheberverwertungsrecht 1995, 117/140. 23 Vogel, aaO. (Fn. 22) 117/136 und 140; Vogel, Schricker u.a. (Hrsg.), Konturen eines europäischen Urheberrechts 1994, 79/80. 24 Vogel, aaO. (Fn. 3) 17/33. 25 Vogel, aaO. (Fn. 24) S. 33.
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Kauf, dass die Autoren bei Zugrundelegung ausschließlich des Prioritätskriteriums durchaus auch leer ausgehen können. Wenn die Abtretung der Ansprüchen an den Verlag zeitlich vorrangig ist, müsste konsequenterweise ja auch der Verlag auf einer 100 %igen Ausschüttung bestehen können.26 Zu dem in den Verteilungsplänen vorgesehen Anteil der Autoren meint Martin Vogel für den Fall einer Vorausabtretung an den Verlag nun apodiktisch: „Auch für diesen hälftigen Abzug zugunsten der Urheber, die ihre Ansprüche übertragen haben, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Abtretung ist Abtretung.“27 Er plädiert also unverhohlen für das Recht des Stärkeren – The Winner Takes It All. Dass genau dies gegen den Geist von § 63a UrhG und gegen das auf Ausgleich gerichtete Prinzip der Verwertungsgesellschaften verstößt, scheint ihn dabei nicht mehr zu stören. Es scheint ihn auch nicht mehr zu stören, dass damit die Verwertungsgesellschaften gezwungen würden, mit ungeheurem Verwaltungsaufwand in jedem Einzelfall die zeitliche Priorität der Abtretung (anhand jedes einzelnen Wahrnehmungs- und Verlagsvertrages) zu prüfen und zu kontrollieren.
V. In einem weiteren gewichtigen Punkt hat Martin Vogel eine auffällige Wandlung durchgemacht. Heute wird er nicht müde, das DPMA wegen der – seiner heutigen Meinung nach rechtswidrigen – Beteiligung von Verlegern in Verteilungsplänen der angeblichen Untätigkeit zu zeihen: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Aufsichtsbehörde ihrer Verpflichtung zur wirksamen Kontrolle der Verwertungsgesellschaften nicht nachzukommen bereit ist.“28 oder: „Auch hier zeigt sich, wie wenig die Aufsichtsbehörde den Schutz der Urheber vor Fehlverhalten ihrer Verwertungsgesellschaften ernst nimmt.“29 Da sich materiell-rechtlich die Argumentation – nach Einfügung des Satz 2 in § 63a UrhG – nur noch auf die zeitliche Priorität stützen kann und diese Thematik längst bekannt war, verwundern diese Angriffe gegen das DPMA. Betont doch Martin Vogel stets, dass ihm als Mitarbeiter des DPA „von 1985 bis 1989“ die Aufsicht über Verwertungsgesellschaften oblag.30 Warum ist er damals nicht aufsichtsrechtlich gegen die angeblich rechtswidrigen Verteilungspläne eingeschritten? Die Sach- und Rechtslage war die gleiche wie heute. Schon damals galt schließlich, wie er selbst dargelegt hatte (s.o. unter 26 Hoeren, MMR 2007, 616/619; Schricker/Loewenheim, § 63a UrhG Rz. 7 und 21; Dreyer, Heidelberger Kommentar § 63a UrhG Rz. 3. 27 Vogel, aaO. (Fn. 18) unter V. 28 Vogel, aaO. (Fn. 18) unter VII.; ähnlich auch in der SZ vom 25.5.2012. 29 Vogel, aaO. (Fn. 17) unter 3. 30 Dies erklärte er sowohl in seiner Stellungnahme gegenüber der Enquetekommission (Fn. 17 dort unter Ziff. 3.) als auch in seiner Eingabe an den Petitionsausschuss (Fn. 18 dort unter VII.)
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IV.), dass Verleger wegen der vielen vorangegangenen Abtretungen von Autoren im Rahmen von Wahrnehmungsverträgen kaum noch selbst Rechte in die Verwertungsgesellschaften einbringen konnten.
VI. Bleibt als Fazit, dass wegen § 63a UrhG in seiner ursprünglichen Fassung erstmalig die eingespielte und im Grundsatz bewährte statutarische Beteiligung von Verlegern an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften ernsthaft in Frage gestellt wurde. Mit der Korrektur des § 63a UrhG wurde diese Bestimmung als Rechtsgrundlage für diese Angriffe freilich obsolet,31 so dass sich die Argumentation jetzt nur noch auf den uralten Rechtssatz der zeitlichen Priorität der Abtretungen stützen kann. Dem steht hier allerdings der Vorrang des mit dem Abschluss jedes Wahrnehmungsvertrages akzeptierten statutarischen Verteilungsplanes entgegen. In diesem nun unter Berufung auf die Priorität einen Verstoß gegen das Willkürverbot von § 7 WahrnG zu sehen, nur weil er eine Verlegerbeteiligung vorsieht, wie es das LG München in der erwähnten Entscheidung getan hat32, geht fehl und greift unzulässig in die Vereinsautonomie ein (wie dieselbe Kammer des LG München in ihrer schon zitierten früheren Entscheidung von 2007 festgestellt hat).33 Es ist zu hoffen und zu erwarten, dass diese Entscheidung im Fortgang des Verfahrens korrigiert wird (die VG Wort hat Berufung eingelegt). Unabhängig davon aber wäre es wünschenswert, dass der Gesetzgeber seine Intention, wie er sie in der Begründung zur verunglückten Reform des § 63a so deutlich zum Ausdruck gebracht hat, auch tatsächlich in Gesetzesform gießt. „Die beste Lösung bestünde … in einer Neufassung des § 63a S. 2.“34 Eine andere, aber wesentlich weiterreichende und daher viel schwerer realisierbare Lösung wäre, den Verlegern – wie allen anderen professionellen Erstverwertern – ein eigenes Leistungsschutzrecht zuzuerkennen (der Referentenentwurf für ein Leistungsschutzrecht der „Presseverleger“ vom 16.6.2012 greift hierfür viel zu kurz).35 Jedenfalls sollte sich der Staub, den die „Panne“ des § 63a UrhG unbeabsichtigt aufgewirbelt hat, möglichst bald legen, damit sich Autoren und ihre Verleger wieder der Durchsetzung ihrer wichtigen gemeinsamen Anliegen widmen können. 31 Zu Recht resümiert das LG München I (ZUM-RD 2012, 410/414): „Insofern ist § 63a UrhG nicht einschlägig.“ 32 LG München I aaO. (Fn. 31). 33 LG München I aaO. (Fn. 10); ebenso Riesenhuber ZUM 2012, 746/751. 34 Schricker/Loewenheim § 63a UrhG Rz. 7 unter Bezugnahme „so auch Flechsig/Bisle“ ZRP 2008, 115/118. 35 Zu Recht wundert sich Artur-Axel Wandke: „Warum wird aber nicht über ein Leistungsschutzrecht der Verleger diskutiert“ (UFITA Bd. 2011/III, 649/659).
Gehen Vergütungsansprüche im Sinne von § 63a UrhG bei einer Gesamtrechtsübertragung unternehmensbezogener Leistungsschutzrechte gemäß §§ 85 Abs. 2 S. 1, 87 Abs. 2 S. 1 oder 94 Abs. 2 S. 1 UrhG mit über? Martin Schaefer
§ 63a UrhG ist zur Zeit wieder einmal in aller Munde. In einem bei Abfassung dieses Beitrags im Münchener Instanzenzug ausgetragenen Rechtsstreit geht es um die Frage, ob die VG Wort die auf Ansprüche nach §§ 44a ff. UrhG vereinnahmten Vergütungen im Wege von Verteilungsplänen auch an die Verlage (und nicht nur an die Urheber) ausschütten dürfe.1 § 63a UrhG wirft aber auch noch weitere Fragen auf, und einer von diesen soll hier nachgegangen werden: Durch Verweisung ist § 63a UrhG auch auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte (§§ 85, 87, 94, 95 UrhG) anwendbar. Diese Leistungsschutzrechte sind sämtlich insgesamt (translativ) übertragbar. Die Frage nun lautet: Verbleiben die Vergütungsansprüche nach §§ 44a–63 UrhG im Falle einer (translativen) Übertragung des Leistungsschutzrechts beim originären Rechteinhaber oder gehen sie auf den Erwerber über?
I. In § 85 Abs. 2 Satz 1 und 87 Abs. 2 Satz 1 sowie in § 94 Abs. 2 Satz 1 UrhG heißt es: „Das Recht ist übertragbar.“ Erst getrennt davon folgt jeweils in Satz 2 (hier zitiert am Beispiel des Rechts des Tonträgerherstellers gemäß § 85 UrhG – die Formulierung bei §§ 87, 94 UrhG ist identisch): „Der Tonträgerhersteller kann einem anderen das Recht einräumen, den Tonträger auf einzelne oder alle der ihm vorbehaltenen Nutzungsarten zu nutzen. § 31 und die §§ 33 und 38 gelten entsprechend.“ In §§ 85 Abs. 4, 87 Abs. 4 und 94 Abs. 4 UrhG heißt es dann, insofern ebenfalls in allen drei Vorschriften gleich lautend:2 „(…) die Vorschriften des 1 2
LG München I, GRURPrax 2012, 355. Die Einschränkung in § 87 Abs. 4 UrhG betrifft nicht diesen Punkt.
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Teils 1 Abschnitt 6 gelten entsprechend.“ § 63a UrhG ist als die letzte Vorschrift von Teil 1 Abschnitt 6 von der Verweisung umfasst.
II. Der Verweis auf „die Vorschriften des Abschnitts 6 des Teils 1“ stand seit 1966 im Gesetz, mit dem alleinigen Zweck, die Schrankenvorschriften des UrhG auch für die betreffenden Leistungsschutzrechte in Kraft zu setzen.3 § 63a UrhG wurde erst 2002 als letzte Norm dieses Abschnitts neu hinzugefügt. Als der Gesetzgeber das tat, hatte er mutmaßlich die §§ 85, Abs. 4, 87 Abs. 4 und 94 Abs. 4 UrhG nicht im Blick. Jedenfalls findet sich in den Materialien zur Reform von 2002 (dem sogenannten „Stärkungsgesetz“) kein einziger Hinweis darauf, dass etwa leistungsschutzberechtigten Herstellern der Schutz des § 63a UrhG zugute kommen sollte. Das zeigt sich schon daran, dass nach dem ursprünglichen Entwurf des „Stärkungsgesetzes“ die Regelung, welche schließlich zu § 63a UrhG wurde, noch im Entwurf zu einem § 29 Abs. 3 UrhG enthalten war.4 Dass die Vorschrift an dieser, der ursprünglich vorgesehenen Stelle, nicht auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte anwendbar gewesen wäre, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Erst später, in einer „Formulierungshilfe“ des Bundesjustizministeriums zu BT-Ds. 14/6433 vom 19. November 2001, „wanderte“ die Vorschrift in § 63a UrhG. Der neue Standort stelle klar, so die Formulierungshilfe, dass die Bestimmung nicht den aus dem Korrekturanspruch nach § 32 Abs. 1 Satz 3 erwachsenden Zahlungsanspruch betreffe, sondern gesetzliche Vergütungsansprüche wie etwa nach den §§ 54, 54a UrhG.5 Dass damit diese Vorschrift (anders als an ihrem früheren Standort in § 29 Abs. 3 UrhG) im Wege des bereits seit Jahrzehnten im Gesetz stehenden Generalverweises auf Abschnitt 6 des Ersten Teils auch für unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte gelten würde, hatten damals wohl alle Beteiligten übersehen – sonst wäre ein Hinweis darauf zu erwarten gewesen. Schließlich war es erklärtes Ziel der Reform, „die Rechtsstellung der Urheber und ausübenden Künstler als der regelmäßig schwächeren Partei gegenüber den Unternehmen, denen sie die Erstverwertung ihrer Werke und Leistungen anvertrauen“ zu stärken.6 Dieses Ziel hätte es kaum erfordert, ausgerechnet
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So ausdrücklich die Materialien BT-Ds. IV 270, 95. BT-Ds. 14/6433, 3, 14; näher zur Vorgeschichte Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage, § 63a Rn. 2. 5 BT-Ds. 14/8058, 21. 6 BT-Ds. 14/6433, 8. 4
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genau diese Unternehmen selbst an der Unabtretbarkeits- und Unverzichtbarkeitsklausel des § 63a UrhG teilhaben zu lassen.7 All dies spricht dafür, dass es sich schlicht um ein Redaktionsversehen handelt und es eigentlich hätte heißen müssen: „(…) die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 mit Ausnahme des § 63a gelten entsprechend.“
III. Aber welche Konsequenzen ergeben sich aus der Bezugnahme auf auch auf § 63a UrhG in den Vorschriften über die unternehmensbezogenen Leistungsschutzrechte? In der Literatur werden vier Ansätze diskutiert. – Einige Stimmen halten § 63a UrhG ohne weiteres für auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte anwendbar, und zwar auch dann, wenn das Mutterrecht, aus dem die Vergütungsansprüche fließen, insgesamt, also translativ, übertragen wird bzw. thematisieren diese Frage nicht gesondert.8 – Im Gegensatz dazu hält Martin Vogel § 63a UrhG wegen des beschriebenen offensichtlichen Redaktionsversehens für gänzlich unanwendbar auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte.9 Damit wären also selbst die Vergütungsansprüche aus §§ 44a bis 63 UrhG ohne Beschränkungen übertragbar.10 – Eine differenzierende Betrachtung nimmt Gernot Schulze vor: Während er zunächst der oben wiedergegebenen Analyse des Gesetzgebungsprozesses folgt und der Auffassung von Vogel zuneigt,11 führt er weiter aus, im Zuge der Einführung von § 20b UrhG seien auch Filmhersteller als schutzbedürftig (im Verhältnis zu Sendeunternehmen) angesehen worden,12 was eine Anwendung des § 63a UrhG wenigstens auf Filmhersteller (§ 94 UrhG) rechtfertige. 7 Anderer Ansicht LG Leipzig ZUM-RD 2012, 550, 555, jedoch ohne Eingehen auf die gerade dargestellte Verschiebung des Standorts des Verweises während des Gesetzgebungsprozesses. 8 In diesem Sinne, wenn auch kritisch im Hinblick auf die mangelnde Schutzbedürftigkeit der Unternehmen, Schricker/Loewenheim/Schricker, Urheberrecht, 4. Auflage, § 63a Rn. 5; ebenfalls kritisch, jedoch im Sinne einer Anwendbarkeit der Vorschriften außer auf Sendeunternehmen, Loewenheim/Flechsig, Handbuch des Urheberrechts 2. Aufl. § 85 Rn. 10; wohl auch – allerdings ohne den § 94 Abs. 2 Satz 1 UrhG zu thematisieren LG Leipzig ZUM-RD 2012, 550, 555. 9 Schricker/Loewenheim/Vogel, Urheberrecht, 4. Auflage, § 85 Rn. 51. 10 In diesem Sinne wohl auch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. Rn. 597. 11 Dreier/Schulze/Schulze3 § 63a Rn. 9 unter Hinweis darauf, dass in diesen Fällen die Abtretbarkeit gewollt sei, weil auch § 27 Abs. 1 in § 94 Abs. 4 von den Verweisungen ausgenommen sei. 12 Schricker/Loewenheim/Ungern-Sternberg, Urheberrecht, 4. Aufl., § 20b Rn. 30.
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– Schließlich wird vertreten, bei Übertragung des Gesamtrechts (§ 85 Abs. 2 Satz 1 UrhG usw.) gingen auch die Vergütungsansprüche mit über, während sie bei einer bloßen Nutzungsrechtseinräumung (§ 85 Abs. 2 Satz 2 UrhG) dem originären Rechtsinhaber verblieben.13
IV. Von all diesen möglichen Ansätzen ist der vierten (Buchst. d) der hier aufgezählten Meinungen der Vorzug zu geben. Eine umstandslose Anwendung des § 63a UrhG auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte selbst im Falle einer Gesamtrechtsübertragung (zuvor Buchst. a) verbietet sich schon insoweit, als – wie oben ausgeführt – der Gesetzgeber die Frage der Schutzbedürftigkeit von Unternehmen gar nicht bewertet hat. Der Rechtsauffassung von Martin Vogel (zuvor Buchst. b) kann angesichts des ausdrücklichen Wortlauts der Verweisung nicht gefolgt werden. Zwar sollte das offensichtliche Redaktionsversehen zum Anlass genommen werden, de lege ferenda die Bezugnahme auf § 63a UrhG zu streichen und damit auch die Vergütungsansprüche der Tonträger- und Filmhersteller sowie der Sendeunternehmen selbständig verkehrsfähig zu machen. Jedoch ist der objektivierte Wille des Gesetzgebers bindend.14 Der Meinung Gernot Schulze ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber zwar Filmhersteller im Verhältnis zu Sendeunternehmen tatsächlich als schutzbedürftig angesehen hat,15 jedoch nur im Hinblick auf eine Teilhabe an § 20b UrhG, die dann ja auch tatsächlich gewährt wurde. Dass Filmhersteller allgemein wie Urheber oder ausübenden Künstler schutzbedürftig seien, lässt sich aus den von ihm zitierten Stellen nicht ableiten. Dass sich dieser Gedanke der besonderen Schutzbedürftigkeit nicht auf unternehmensbezogene Leistungsschutzrechte beziehen lässt, zeigt sich insbesondere daran, dass in den Verweisen laut §§ 85 Abs. 2 Satz 3, 87 Abs. 2 Satz 3 und 94 Abs. 2 Satz 3 UrhG der Anspruch auf angemessene Vergütung im Sinne von §§ 32, 32a UrhG nicht enthalten ist. Dies aber wäre zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber diese Unternehmen (wenigstens in Fällen der Auftragsproduktion) für generell schutzbedürftig gehalten hätte. Gerade diese Tatsache aber wird zum Argument dafür, dass die Vergütungsansprüche aus §§ 44a bis 63 UrhG bei einer Übertragung des Gesamtrechts mit übergehen.
13 KG GRUR-RR 2010, 372 Tz. 91; Fromm/Nordemann/Boddien, Urheberrecht, 10. Auflage, § 94 Rn. 50; Fromm/Nordemann/Schaefer, Urheberrecht, 10. Auflage, § 63a Rn. 8; Wandtke/Bullinger/Schaefer, UrhR, 3. Aufl. § 85 Rn. 32; wohl auch Schricker/Loewenheim/Katzenberger, 4. Auflage, § 94 Rn. 40. 14 So erst kürzlich erneut BGH GRUR 2012, 1026 Tz. 29 – Alles kann besser werden. 15 BT-Ds. 13/9856.
Vergütungsansprüche im Sinne von § 63a UrhG
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Anders als Urheberrechte können die Schutzrechte der §§ 85, 87, 94, 95 UrhG auch – und dies ist sogar der Regelfall – juristischen Personen zustehen und sind insgesamt übertragbar.16 Dagegen ist dies beim Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler, die vom Gesetzgeber als „regelmäßig schwächere Vertragspartei“ angesehen wurden, gerade nicht der Fall. Vielmehr gilt für sie § 79 Abs. 1 Satz 1 UrhG, der lautet: „Der ausübende Künstler kann seine Rechte und Ansprüche aus den §§ 77 und 78 übertragen.“ Die Ansprüche laut §§ 44a bis 63a UrhG gehören nicht dazu (sie sind weder in § 77 noch in § 78 UrhG genannt, sondern in § 81 UrhG). Ausübende Künstler können also nur die ausdrücklich genannten Rechte und Ansprüche übertragen und gerade nicht das Vollrecht. Auf ihre Ansprüche aus §§ 81, 44a–63 UrhG ist § 63a UrhG ohne Einschränkung anwendbar. Und konsequenterweise wird beim ausübenden Künstler auch auf die Angemessenheitsregeln in §§ 32, 32a UrhG ausdrücklich verwiesen. In § 79 Abs. 1 Satz 2 UrhG heißt es: „Die §§ 31, 32 bis 32b, 33 bis 42 und 43 sind entsprechend anzuwenden.“ Demgegenüber heißt es in § 85 Abs. 2 Satz 2 UrhG (und den entsprechenden §§ 87 Abs. 2 Satz 2 und 94 Abs. 2 Satz 2 UrhG): „§ 31 und die §§ 33 und 38 gelten entsprechend.“ § 32 und 32a UrhG mit ihrer Garantie der angemessenen Vergütung sind also von der Verweisung ausdrücklich nicht umfasst. Entsprechend heißt es in der Gesetzesbegründung zu §§ 85 Abs. 2 Satz 2, 87 Abs. 2 Satz 2 und 94 Abs. 2 Satz 2 UrhG17: „Bei der Verweisung auf die §§ 31 ff. wurden diejenigen Überschriften ausgeklammert, die (…) lediglich dem Schutz der regelmäßig schwächeren Vertragspartei dienen (…).“ Da aber das „Stärkungsgesetz“ von 2002 dem Gesetz zur Umsetzung der EU Kabel- und Satellitenrichtlinie18 von 1998 (auf welches sich die Auffassung Gernot Schulzes zum angeblich generell gesteigerten Schutzbedürfnis des Filmherstellers stützt) zeitlich nachfolgte, ohne dass der Gesetzgeber weiteren Regelungsbedarf gesehen hätte, wird dies zum Argument dafür, dass jedenfalls bei einer Gesamtrechtsübertragung keine Gründe dagegen sprechen, die Vergütungsansprüche mit übergehen zu lassen, denn sie fließen aus dem „Mutterrecht“ und stehen mithin dem jeweiligen Inhaber dieses Vollrechts zu. So sieht es auch das Kammergericht.19
16 Schricker/Loewenheim/Katzenberger, ebenda Rn. 6; ebenso Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, 3. Auflage, § 94 Rn. 46: „reines Vermögensrecht“. 17 BT-Ds. 15/38, 25 f. 18 BT-Ds. 13/9856. 19 KG GRUR-RR 2010, 372 Tz. 91.
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Martin Schaefer
V. Ergebnis Die Unverzichtbarkeit der Vergütungsansprüche nach §§ 85 Abs. 4, 87 Abs. 4 und 94 Abs. 4 UrhG bezieht sich auf den jeweiligen Inhaber des Rechts. Inhaber kann auch ein Unternehmen sein, dem das Recht zuvor vom originären Rechteinhaber im Sinne von §§ 85 Abs. 2 Satz 1, 87 Abs. 2 Satz 1 oder 94 Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. § 95 UrhG translativ übertragen wurde. Haben sich die Vertragsparteien statt für eine Vollrechtsübertragung für die Einräumung von Nutzungsrechten entschieden, verbleiben die Vergütungsansprüche gemäß §§ 44a–63 UrhG wegen entsprechender Anwendbarkeit von § 63a UrhG beim Inhaber des Vollrechts.
5. Einzelfragen der Immaterialgüterrechte
Sanssouci? – Bemerkungen zur BGH-Entscheidung „Preußische Gärten und Parkanlagen“ Horst-Peter Götting I. Einleitung Das Sacheigentum und das geistige Eigentum sind streng voneinander zu unterscheiden. „Beide haben eine unterschiedliche Schutzrichtung und einen verschiedenen Inhalt. Die bürgerlich-rechtliche Besitz- und Eigentumsordnung dient dem Schutz der Sachherrschaft über die körperliche Sache, während Gegenstand des Urheberrechts das unkörperliche, geistige Werk ist.“1 Das Urheberrecht manifestiert und konkretisiert sich zwar in einem bestimmten Sachgegenstand, es ist aber ein von diesem abstraktes Recht an einem immateriellen geistigen Gut. Ungeachtet dessen kann im Einzelfall ein Spannungsfeld zwischen dem Sacheigentum und dem geistigen Eigentum entstehen. Ein klassischer Fall, in dem ein zwischen beiden Rechten bestehender Konflikt gelöst wird, ist der Erschöpfungsgrundsatz. Das mit dem Urheberrecht verbundene Verbreitungsrecht hat der Verfügungsbefugnis des Sacheigentümers zu weichen, wenn der geschützte Gegenstand mit Zustimmung des Berechtigten im Gebiet der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden ist. Unter dieser Voraussetzung ist die Weiterverbreitung durch den Sacheigentümer mit Ausnahme der Vermietung zulässig (§ 17 Abs. 2 UrhG). Das Verhältnis zwischen sachenrechtlichem Besitz und dem Urheberrecht regelt das Zugangsrecht. Der Urheber kann vom Besitzer des Originals oder eines Vervielfältigungsstücks seines Werkes verlangen, dass er ihm das Original oder das Vervielfältigungsstück zugänglich macht, soweit dies zur Herstellung von Vervielfältigungsstücken oder Bearbeitungen des Werkes erforderlich ist und nicht berechtigte Interessen des Besitzers entgegen stehen (§ 25 Abs. 1 UrhG). Das Zugangsrecht hat einen persönlichkeitsrechtlichen Einschlag. Es schützt das geistige Band zwi1 BGH GRUR 1990, 390, 391 – Friesenhaus; BGHZ 44, 288, 293 f. – Apfel-Madonna; Erdmann in Festschrift Piper, 1996, S. 655, 657; ebenso Stieper GRUR 2012, 1083, 1084 mit Hinweis auf Nicolaus Hieronymus Gundling in einer Schrift gegen den unrechtmäßigen Bücher-Nachdruck, Halle 1726; siehe den Nachweis bei Stieper, a.a.O., Fn. 7.
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schen dem Urheber und seinem Kunstwerk, indem es ihm einen fortdauernden ideellen Kontakt mit diesem ermöglicht; zugleich dient es aber auch der Wahrnehmung materieller Interessen, wie insbesondere im Falle der kommerziellen Verwertung durch die Vervielfältigung und Verbreitung von Werkstücken in Form von Fotografien.2 Beim Umbau von Gebäuden kann es zu einer Kollision zwischen dem Urheberpersönlichkeitsrecht auf Werkintegrität und dem Nutzungsrecht des Sacheigentümers kommen, die durch eine Interessenabwägung zu lösen ist.3 Mit einer Konstellation, in der die Abgrenzung der Rechte des Grundstückseigentümers gegenüber den Wertungen des Urheberrechts eine Rolle spielte, hatte sich der V. Senat des BGH in der Entscheidung „Preußische Gärten und Parkanlagen“ zu befassen.
II. Das Urteil „Preußische Gärten und Parkanlagen“ In dem genannten Urteil ging es um die Klage der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten in Berlin-Brandenburg, die eine Vielzahl von historischen Bauten und Gartenanlagen, u.a. Sanssouci, Cecilienhof, Park und Schloss Rheinsberg, Schloss Charlottenburg, Jagdschloss Grunewald sowie die Pfaueninsel, verwaltet. Ein großer Teil der Bauten und Gartenanlagen ist in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen worden; sie alle gehören zu den beliebtesten touristischen Zielen im Berliner Raum.4 Die Klägerin verlangte von der Beklagten, einer Fotoagentur, es zu unterlassen, Fotos der von ihr verwalteten Kulturgüter zu vervielfältigen, zu verbreiten oder öffentlich wiederzugeben, soweit diese nicht von öffentlich zugänglichen Plätzen außerhalb der verwalteten Anlagen oder zu privaten Zwecken von geringem Umfang angefertigt wurden. Darüber hinaus beantragte sie Auskunft u.a. über die Anzahl der Fotografien und die damit erzielten Einnahmen sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für bereits entstandene und zukünftig noch entstehende Schäden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, dass die geltend gemachten Ansprüche schon mangels einer Eigentumsverletzung seitens der Beklagten unbegründet sind,5 entschied der V. Zivilsenat des BGH, dass das ausschließliche Recht zur Anfertigung und Verwertung von Fotografien von Bauwerken und Gartenanlagen dem Grundstückseigentümer zusteht, soweit diese Abbildungen von seinem Grundstück aus angefertigt worden sind.6 Dementsprechend könne die Klägerin nach 2 3 4 5 6
Bullinger in Wandtke/Bullinger, UrhR, § 25 Rz. 1, 10. Siehe Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhR, § 39 Rz. 36. BGH GRUR 2011, 323 – Preußische Gärten und Parkanlagen. Siehe OLG Brandenburg GRUR 2010, 927 – Preußische Gärten und Parkanlagen. BGH GRUR 2011, 323 1. Ls. – Preußische Gärten und Parkanlagen.
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§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB von der Beklagten verlangen, dass diese keine Fotos verwertet, die ohne ihre Genehmigung innerhalb der von ihr verwalteten Anwesen aufgenommen wurden.7 Lehment hat in seiner Anmerkung scharfe Kritik geübt. Sein hartes Urteil über das Urteil lautet: „Die Entscheidung kann schon deshalb nicht überzeugen, weil der Senat das Verhältnis von Urheberrecht und Sacheigentum grundlegend verkannt hat.“8 Das Problem der kommerziellen Verwertung der Fotografien von Gebäuden hat die Rechtsprechung schon des Öfteren beschäftigt, ohne dass aber bisher eine klare Linie erkennbar wird, die zu widerspruchsfreien Lösungen führt. Im Kern geht es um die Frage, ob insbesondere auch unter Berücksichtigung der urheberrechtlichen Wertung des § 59 UrhG, also der sog. Panaromafreiheit, ein aus dem Sacheigentum abgeleitetes „Recht am Bild der eigenen Sache“9 anzuerkennen ist.
III. Die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH Betrachtet man die Entwicklung der Rechtsprechung des BGH, so zeigt sich, dass zwischen zwei Konstellationen differenziert wird, die zu einer unterschiedlichen Bewertung der Rechte des Grundstückseigentümers geführt haben. Es ging einerseits um das Fotografieren eines Gebäudes von einer allgemein zugänglichen Stelle,10 ohne dass das Hausgrundstück betreten wird, und andererseits, wenn das Grundstück ohne eine ausdrückliche Erlaubnis des Gebäudeeigentümers betreten wird.11 1. Fotografie von einer allgemein zugänglichen Stelle In der „Friesenhaus“-Entscheidung, in der es um die werbemäßige Verwertung der Aufnahme eines privaten, frei einsehbaren Fachwerkhauses ging, hat sich der BGH am umfassendsten und tief schürfensten mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Fotografieren einer in fremdem Eigentum stehenden Sache ohne Zustimmung des Eigentümers eine zur Abwehr nach §§ 903, 1004 BGB berechtigende Einwirkung auf das Eigentum darstellt. Der BGH verneint dies mit der Begründung, dass der Fotografiervorgang als Realakt die Verfügungsbefugnis des Eigentümers unberührt lässt und betont, dass es insoweit eines Rückgriffs auf § 59 UrhG nicht bedarf. An einer 7
BGH GRUR 2011, 323, 324 Rz. 8 – Preußische Gärten und Parkanlagen. Lehment BGH GRUR 2011, 327; ablehnend auch die Anm. von Stieper ZUM 2011, 333 f.; Schack JZ 2011, 375 f. sowie von Ungern-Sternberg GRUR 2012, 224, 231 m.w.N. 9 OLG Köln GRUR 2003, 1066 2. Ls., 1067 – Wayangfiguren. 10 BGH GRUR 1990, 390 – Friesenhaus. 11 BGH GRUR 1975, 500 – Schloss Tegel; BGH GRUR 2011, 323 – Preußische Gärten und Parkanlagen. 8
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tatsächlichen Einwirkung auf das Eigentum fehle es, auch wenn nicht nur eine Substanzverletzung, sondern auch durch eine sonstige, die tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers betreffende Einwirkung auf die Sache erfolgen kann.12 Dabei handele es sich um Fälle, in denen der Eigentümer in der tatsächlichen Nutzung seiner Sache beeinträchtigt wird, indem deren Benutzung be- oder verhindert wird. Darum gehe es beim Fotografieren eines Hauses von einer allgemein zugänglichen Stelle aus nicht. Der Fotografiervorgang habe keinerlei Auswirkungen auf die Nutzung der Sache selbst. Er hindere den Eigentümer nicht daran, mit der Sache nach Belieben zu verfahren und störe ihn auch nicht in seinem Besitz. „Eine andere Auffassung würde auf die Anerkennung eines Ausschließlichkeitsrechts an dem in der Sache verkörperten immaterialen Gut hinauslaufen und damit den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Eigentum an einer körperliche Sache und dem Urheberrecht als Immaterialgüterrecht verkennen. Die bürgerlichrechtliche Besitz- und Eigentumsordnung dient dem Schutz der Sachherrschaft über die körperliche Sache, während Gegenstand des Urheberrechts das unkörperliche geistige Werk ist.“13 Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Funktionen von Sacheigentum und geistigem Eigentum betont der Senat, dass die Abbildung einer Sache eine Vervielfältigung des immateriellen geistigen Werkes darstellt, die dem urheberrechtlichen Verwertungsrecht unterfällt. „Die Zubilligung eines entsprechenden Ausschließlichkeitsrechts zugunsten des Sacheigentümers würde dem Wesen des Urheberrechts und seiner Abgrenzung gegenüber der sachenrechtlichen Eigentumsordnung zuwiderlaufen. Die Regelung der Abbildungsfreiheit für die an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befindlichen Bauwerke in § 59 UrhG (früher § 20 KUG) lässt erkennen, dass dem Gesetzgeber des UrhG – und vor ihm dem des KUG – selbstverständlich war, dass dem Eigentümer kein Nutzungs- und Verbietungsrecht zusteht. Andernfalls wäre es unverständlich, dass er die Abbildung von Bauwerken urheberrechtlich freigibt, wenn sie gleichwohl aus dem Eigentumsrecht bürgerlich-rechtlich zu untersagen wären.“ Aus dem Umstand, dass das Fotografieren keine zur Abwehr berechtigende Einwirkung auf das Hauseigentum darstellt, zieht der Senat den Schluss, dass auch ein Verbot der gewerblichen Verwertung der Fotografien nicht gerechtfertigt werden kann, da sie weder die rechtliche noch die tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers berühre.14 Die Parallelwertung zur urheberrechtlichen Regelung des § 59 UrhG zeige überdies, dass die gewerbliche Nutzung der Abbildungen nicht dem Verbietungsrecht des 12
BGH GRUR 1990, 390 – „Friesenhaus“, unter Hinweis auf BGHZ 55, 153, 159; BGH NJW 1977, 2264, 2265. 13 BGH GRUR 1990, 390, 391 – Friesenhaus, unter Hinweis auf BGHZ 44, 288, 293 f. – Apfel-Madonna. 14 BGH GRUR 1990, 390, 391 c) – Friesenhaus.
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Eigentümers zu unterstellen ist. § 59 UrhG stelle nicht nur die Vervielfältigung von Bauwerken durch Lichtbild, sondern auch die Verbreitung solcher Lichtbilder vom urheberrechtlichen Verbietungsrecht frei; und zwar selbst dann, wenn die Verbreitung zu gewerblichen Zwecken erfolgt. Dann aber könnten dem Eigentümer keine weitergehenden Befugnisse eingeräumt werden. Die vom I. Zivilsenat des BGH in der Entscheidung „Friesenhaus“ aufgestellten Grundsätze, die in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinaus reichen und richtungsweisend für die Abgrenzung zwischen dem Sacheigentum und dem Urheberrecht sind, vermögen voll und ganz zu überzeugen. Ihre Kernaussagen lassen sich gleichsam stichwortartig wie folgt zusammenfassen: Das Fotografieren stellt keine Eigentumsverletzung dar, da es an einer tatsächlichen Einwirkung auf das Eigentum fehlt. Die Abbildung einer Sache unterfällt als Vervielfältigung des immateriellen, geistigen Werkes dem urheberrechtlichen Verwertungsrecht. Die gewerbliche Verwertung berührt weder die rechtliche noch die tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers und ist deshalb nicht als selbständiges Ausschließlichkeitsrecht dem Eigentum zuzuordnen. Dies ergibt sich auch aus einer Parallelwertung zu § 59 UrhG. 2. Fotografien bei Betreten des Grundstücks des Eigentümers a) Bei dem schon lange vor der Entscheidung „Friesenhaus“ ergangenen Urteil „Schloß Tegel“15 ging es um den gewerbsmäßigen Vertrieb von Fotografien, die nach Betreten des Grundstücks der Eigentümerin des Schlosses angefertigt wurden. Der I. Zivilsenat ist hier der Frage ausgewichen, ob das Fotografieren eine beeinträchtigende Einwirkung auf das Bauwerk im Sinne der §§ 903, 1004 BGB hat, da der Gegenstand des Rechtsstreits nicht das Verbot sei, das Schloss zu fotografieren, sondern fotografische Aufnahmen als Ansichtspostkarten oder in Bildkalendern zu veröffentlichen und zu vertreiben, mithin solche Aufnahmen gewerblich zu verwerten. Dagegen ist zunächst einzuwenden, dass die Frage, ob durch das Fotografieren des Gebäudes das Sacheigentum verletzt wird, nicht dahinstehen kann, sondern entscheidungserheblich ist. Ist diese zu verneinen, so erwirbt der Fotograf ein rechtmäßiges Urheberrecht, das ihn dazu berechtigt, die Fotografien zu vervielfältigen und zu verbreiten. Wird eine Eigentumsverletzung bejaht, so erlangt der Fotograf zwar ebenfalls ein Urheberrecht an der Fotografie, denn für die mit der Werkschöpfung kraft Gesetzes entstehende Urheberrechtschutzfähigkeit ist es grundsätzlich bedeutungslos, dass sich die Herstellung des Werkes als eine Eigentumsverletzung erweist.16 Der Sacheigentümer
15 16
BGH GRUR 1975, 500 – Schloß Tegel. BGH GRUR 1995, 673, 675 – Mauer-Bilder.
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könnte aber kraft seines Eigentumsrechts aufgrund eines Eingriffs in dessen Zuweisungsgehalt über die Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB die Übertragung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte verlangen und er könnte dem Fotografen die kommerzielle Verwertung des Bildes untersagen. Richtigerweise ist davon auszugehen, dass der Fotografiervorgang als Realakt die Verfügungsbefugnis des Eigentümers unberührt lässt und es auch an einer tatsächlichen Einwirkung auf das Eigentum fehlt.17 Hieran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass das Grundstück zur Anfertigung der Fotografie betreten wurde, da dies auf den Fotografiervorgang und damit auf die Frage, ob eine Eigentumsverletzung bezüglich der Außenansicht des Gebäudes vorliegt, keinerlei Einfluss hat. Es ist noch nicht einmal ansatzweise auch nur der Versuch einer dogmatischen Begründung erkennbar, wie sich eine Differenzierung der Konstellation des Betretens oder Nichtbetretens des Grundstücks rechtfertigen lässt.18 Es handelt sich nicht nur um einen dogmatischen Bruch,19 sondern um einen logischen Bruch. Die ratio decidendi des Urteils stützt sich im Wesentlichen auf die lapidare Feststellung, „dass es das natürliche Vorrecht des Eigentümers ist, den gewerblichen Nutzen, der aus seinem nur gegen seine Erlaubnis zugänglichem Eigentum gezogen werden kann, für sich zu beanspruchen.“ Dies ist eine bloße Behauptung, aber keine Begründung. Der Rückgriff auf „naturrechtliche“ Empfindungen genügt nicht, um Inhalt und Umfang des Eigentumsrechts zu konturieren und dogmatisch zu fundieren. Die naheliegende und zwingend erforderliche Auseinandersetzung mit dem für die Abgrenzung zwischen Sacheigentum und geistigem Eigentum fundamentalen Prinzip, dass beide strikt voneinander zu trennen sind,20 unterbleibt. Stattdessen werden die Grenzen zwischen beiden Rechten verwischt. Gegen die extensive Auslegung des Eigentumsbegriffs lässt sich schlicht im Sinne der „Friesenhaus“-Entscheidung der Einwand erheben, dass das Abbild eines körperlichen Gegenstandes nicht vom Eigentumsrecht erfasst wird, sondern als Ergebnis einer geistigen Schöpfung ausschließlich den dem Urheber zugewiesenen Befugnissen unterfällt.21 17 Insofern kann auf das Diktum in der „Friesenhaus“-Entscheidung verwiesen werden: BGH GRUR 1990, 390; siehe oben unter 1; ebenso Stieper GRUR 2012, 1083, 1084, besonders anschaulich und überzeugend ist ein Argument: „Schließlich käme auch niemand auf die Idee, die Anfertigung und Verbreitung von Abbildungen einer Person als Körperverletzung zu beurteilen. Vielmehr verletzt die Verwertung des Bildnisses ausschließlich das immaterielle Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten aus § 22 KUG.“ 18 Dreier in Festschrift Dietz, 2000, S. 235, 242; Bullinger in Festschrift Raue, 2006, S. 379, 392; Lehment Anm. zu BGH „Preußische Gärten und Parkanlagen“ GRUR 2011, 328. 19 Dreier a.a.O.; Bullinger a.a.O. 20 Siehe oben Fn. 1. 21 BGH GRUR 1990, 390, 391 – „Friesenhaus“, unter Hinweis auf Kübler in Festschrift Bauer, 1981, S. 51, 59; siehe oben unter 1.
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In der Literatur werden zum Teil 22 andere Konstruktionen in Erwägung gezogen, die das Ergebnis des Urteils rechtfertigen könnten. Als denkbaren Anknüpfungspunkt wird das Hausrecht 23 betrachtet. Es dürfe zwar keinen prinzipiellen Schutz des Eigentums vor Abbildung oder dem Fotografieren als solchen geben. Ein derartiger Gehalt sei dem Eigentumsrecht fremd und würde die Grenzen zwischen bürgerlichem Recht und Immaterialgüterrecht in nicht akzeptabler Weise einreißen.24 Der Eigentümer könne aber Kraft seines dinglichen Eigentums das Ansehen und Sichtbarmachen seines öffentlich nicht einsehbaren Eigentums sowie der darin befindlichen Gegenstände verhindern.25 Dagegen wird zu Recht eingewandt, dass das Hausrecht sich zwar aus dem Eigentum ergibt, aber nicht aus dem Eigentum an der fotografierten Sache, sondern aus dem Eigentum des diese umgebenden Raumes bzw. des ihr als Unterlage dienenden Grundes.26 Außerdem ist nicht nachvollziehbar, warum eine Verletzung des Raums automatisch eine Verletzung des Objekts mit sich bringen soll.27 Nach dieser Auffassung wäre eine Eigentumsverletzung selbst dann anzunehmen, wenn der fotografierte Gegenstand gar nicht dem Hauseigentümer, sondern einem Dritten gehört, wie insbesondere bei Museumsbeständen.28 Es lässt sich auch kaum begründen, warum den Fotografien, die mit der Verletzung des Hausrechts angefertigt worden sind, die Rechtswidrigkeit auch dann noch anhaftet, wenn es dem Fotografen gelungen ist, die Fotos aus dem sachlichen Herrschaftsbereich des Eigentümers zu verbringen.29 Gegenüber Dritten, die ein Foto verwerten, ohne selbst das Hausrecht verletzt zu haben, lassen sich aus diesem keine Ansprüche ableiten.30 Eine Analogie zum „Recht am eigenen Bilde“31 im Sinne eines „Rechts am Bild der eigenen Sache“ lässt sich mangels Vergleichbarkeit der in Frage 22 Das Urteil „Schloß Tegel“ hat in der Literatur ein geteiltes Echo gefunden; siehe die Nachweise der zustimmenden und ablehnenden Autoren bei Dreier in Festschrift Dietz, 2001, S. 235, 242 Fn. 23 sowie in BGH GRUR 2011, 323, 324 Rz. 13 – Preußische Gärten und Parkanlagen. 23 Siehe zu Begriff und Bedeutung eingehend Prengel, Bildzitate von Kunstwerken als Schranke des Urheberrechts und des Eigentums mit Bezügen zum internationalen Privatrecht, 2010, S. 218 ff. 24 Beater JZ 1998, 1101, 1105. 25 Beater a.a.O. 26 Dreier in Festschrift Dietz, 2001, S. 235, 246. Eine Parallele zum Schutz von Sportveranstaltungen durch das Hausrecht (siehe BGH GRUR 2006, 249 – Hörfunkrechte) lässt sich nicht ziehen. Erstens geht es hierbei um eine Veranstaltung und zweitens bestehen erhebliche Zweifel, ob das Hausrecht hierfür eine geeignete Grundlage bildet (siehe Fezer WRP 2012, 1173, 1179 f.). 27 Bullinger in Festschrift Raue, 2006, 379, 392 f. 28 Bullinger a.a.O.; ebenso Stieper, GRUR 2012, 1083, 1085 in diesem Sinne auch Lehment Anm. zu BGH „Preußische Gärten und Parkanlagen“ GRUR 2011, 328. 29 So zutreffend Dreier in Festschrift Dietz, 2001, S. 235, 246; in diesem Sinne auch Stieper GRUR 2012, 1083, 1085. 30 So zutreffend Dreier a.a.O. 31 So andeutungsweise Dreier in Festschrift Dietz, 2001, S. 235, 247.
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stehenden Rechtsgüter und damit verknüpften Interessen nicht rechtfertigen. Inhalt des persönlichkeitsrechtlichen Bildnisschutzes ist das Selbstbestimmungsrecht über die visuelle Fremddarstellung in einem situativen thematischen Zusammenhang, durch den immaterielle Werte, wie Ehre, Ruf oder Privatsphäre, berührt werden; dagegen ist Inhalt des Eigentumsrechts die Herrschaft über eine Sache, das heißt, einen körperlichen, materiellen Gegenstand (§ 90 BGB). Eine persönlichkeitsrechtliche Dimension können Abbildungen von Gebäuden allerdings dann gewinnen, wenn sie im Zusammenhang mit der Verletzung der Privatsphäre einer Person stehen.32 b) Mit der Entscheidung „Preußische Gärten und Parkanlagen“33 hat der V. Senat des BGH den vom I. Senat mit der Entscheidung „Schloß Tegel“ eingeschlagenen Irrweg fortgesetzt. Besonders deutlich kommt dies in der Feststellung zum Ausdruck, dass der Urheber der Fotografie das Grundstückseigentum schon dadurch beeinträchtigt, dass er überhaupt ungenehmigt Abbilder von Gebäuden und Gärten auf dem Grundstück anfertigt. Auch ohne eine Beschädigung des Grundstücks im physischen Sinne könnte das Eigentum auch dadurch beeinträchtigt werden, dass es in einer dem Willen des Eigentümers widersprechenden Weise genutzt wird.34 Dass dies mit der Rollenverteilung und Abgrenzung zwischen Sacheigentum und Urheberrecht nicht vereinbar ist, wurde bereits eingehend dargelegt. Neu, aber ebenso verfehlt, ist die Auffassung, dass die Eigentümerbefugnisse nur insoweit eine Einschränkung erfahren würden, als ihre Ausübung bestehende Urheberrechte verletzen würde. Hieraus wird der Schluss gezogen, dass bei Werken, denen von vornherein kein urheberrechtlicher Schutz zukommt oder an denen zwischenzeitlich Gemeinfreiheit (§ 64 UrhG) eingetreten ist, einer Verwertung der Sachansicht durch den Eigentümer unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten nichts entgegensteht.35 Damit wird „das Urheberrecht zu einer temporären Einschränkung des Sacheigentums degradiert“.36 Außerdem wird in systemwidriger Weise zugunsten des Sacheigentümers ein immaterialgüterrechtlicher Schutz perpetuiert, welcher der Befristung des urheberrechtlichen Schutzes auf 70 Jahre post mortem aucto32 Siehe dazu Lehment in Festschrift Raue, 2006, S. 515, 517 f. mit Rechtsprechungsnachweisen. 33 BGH GRUR 2011, 323 – Preußische Gärten und Parkanlagen. 34 BGH GRUR 2011, 323, 325 Rz. 17 – Preußische Gärten und Parkanlagen. Der Hinweis auf OLG Dresden NJW 2005, 871 zur Benutzung eines Gebäudes als Projektionsfläche geht fehl, weil hier in der Tat das äußere Erscheinungsbild verändert und damit beeinträchtigt wird. Dem Irrweg des BGH folgend LG Hamburg ZUM 2012, 819, 820; LG Berlin ZUM 2012, 815, 818. 35 BGH GRUR 2011, 323, 325 Rz. 16 – Preußische Gärten und Parkanlagen, unter Hinweis auf Prengel, Bildzitate von Kunstwerken als Schranke des Urheberrechts und des Eigentums mit Bezügen zum internationalen Privatrecht, 2010, S. 205 f. 36 Lehment Anm. zu BGH „Preußische Gärten und Parkanlagen“ GRUR 2011, 327.
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ris (§ 64 UrhG) und dem daraus resultierenden Prinzip der Gemeinfreiheit widerspricht.37 Es wird ein übergeordnetes „Sacheigentümer-Urheberrecht“ etabliert, dem das eigentliche Urheberrecht untergeordnet ist. Das dingliche Sacheigentum als Immaterialgüterrecht zu betrachten, ist ein Unding. Der Schlüssel für eine Lösung, die den Interessen des Grundstückseigentümers Rechnung trägt, liegt im Vertragsrecht und sofern sich der Fotograf einer vertraglichen Bindung entzieht, ist auf § 826 BGB zurückzugreifen.38 In diesem Rahmen ist dann auch zu klären, ob bzw. inwieweit aufgrund von öffentlich-rechtlichen Vorgaben bei Gebäuden im Gemeingebrauch eine Verpflichtung zur Gestattung von Fotoaufnahmen besteht.39
IV. Abschließende Bemerkung Lehment hat mit seinem harten Urteil über das Urteil Recht: Der Senat hat „das Verhältnis von Urheberrecht und Sacheigentum grundlegend verkannt.“40 Er hat nicht Klarheit, sondern Unklarheit und nicht Ordnung, sondern Unordnung geschaffen, pêlê mêle; statt Sanssouci Grandsouci.
37
In diesem Sinne auch Schmieder Anm. zu BGH „Schloß Tegel“ NJW 1975, 1164. Bullinger in Festschrift Raue, 2006, 379, 393; Schack Urheber- und Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. 2010, Rz. 40 ders., JZ 2011, 375, 376 (Anm.); Stieper ZUM 2011, 333, 334 (Anm.). 39 Lehment Anm. zu BGH „Preußische Gärten und Parkanlagen“ GRUR 2011, 328; Schack a.a.O.; Stieper a.a.O.; siehe dazu eingehend Maaßen GRUR 2010, 880 ff. 40 Lehment Anm. zu BGH „Preußische Gärten und Parkanlagen“ GRUR 2011, 327. 38
Das Architektenurheberrecht und das Regelungsinteresse des Eigentümers in Grundstückskaufverträgen Kirsten-Inger Wöhrn
In der immobilienrechtlichen Praxis zeigt die Erfahrung, dass Kaufverträge über bebaute Grundstücke häufig keine Bestimmungen über Architektenurheberrechte enthalten. Dies gilt insbesondere für die Übertragung von Wohnimmobilien oder mehr oder weniger serienmäßig erstellte Gewerbeimmobilien. Häufiger finden sich derartige Klauseln in Verträgen von komplexen Bauvorhaben wie etwa repräsentative, gewerblich oder öffentlich genutzte Immobilien (Firmensitze, Bahnhöfe, Kunsthallen etc.) oder auch Shopping-Centern. Hier vereinbaren die Parteien in der Regel, dass der jeweilige Verkäufer sämtliche ihm zustehende Urhebernutzungsrechte an Planung und Werkausführung des Kaufobjektes an den Erwerber überträgt, einschließlich der Rechte, die Gebäude ohne Mitwirkung Dritter zu ändern, soweit das Urheberpersönlichkeitsrecht dem nicht entgegensteht.1 Unklar bleibt dabei für den Erwerber oftmals, ob Urheberrechte an dem Gebäude oder an Teilen davon entstanden sind, ob etwaige Nutzungsrechte eingeräumt wurden bzw. ob diese überhaupt an einen Erwerber übertragen werden können. Faktisch stellt sich diese Frage allerdings nur dann, wenn die Schutzfrist von 70 Jahren post mortem auctoris noch nicht abgelaufen ist und die Architektenleistung, d.h. das Gebäude bzw. Teile dessen überhaupt urheberrechtlich schutzwürdig sind.
I. Entstehung des Urheberrechts an einem Bauwerk/-plan Urheberrechtlicher Schutz für ein Bauwerk, einen Bauplan/-entwurf oder eine Konstruktionszeichnung besteht immer dann, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Es muss sich gemäß § 2 Abs. 2 UrhG a) um eine individuelle, b) persönliche Schöpfung, c) geistigen Inhalts, d) in einer wahrnehmbaren konkreten Form und e) unter Wahrung einer gewissen Gestaltungshöhe handeln. Werke der Baukunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG) sind grund1
Krauß Rn. 855.
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sätzlich plastische Gestaltungen, die sich von der Masse alltäglichen Bauschaffens abheben. Regelmäßig liegt diesen eine Zweckgebundenheit zugrunde, die jedoch keine Auswirkung auf die Schutzfähigkeit bewirkt.2 Konstruktionszeichnungen sind ebenfalls einem urheberrechtlichen Schutz als Darstellung wissenschaftlicher Art (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG) zugänglich; Schutzgegenstand ist dann nicht das Dargestellte, sondern die Darstellung selbst in ihrer konkreten Ausgestaltung. Hiervon abzugrenzen sind wiederum Pläne und Entwürfe (zwei- oder dreidimensionaler Art), die unter den Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG a.E. gestellt sind und die Ausführung des Dargestellten selbst schützen. Von der Schutzfähigkeit eines Entwurfs kann bereits dann ausgegangen werden, wenn es sich bei dem darin dargestellten Bauwerk bereits um ein Werk im urheberrechtlichen Sinne handelt.3 Der urheberrechtliche Schutz beginnt in dem Moment (durch Realakt) da eine eigenpersönliche Schöpfung (auch nur für ein Teilelement des Gebäudes) entsteht. Geschützt werden können insofern einzelne Teile (etwa nur die Fassade 4 oder die Oberflächenstruktur) wie auch das gesamte Bauwerk. Auch die Verbindung von einzelnen nicht schutzfähigen Elementen kann zu einem Schutz des gesamten Gebäudes führen, wenn die Anordnung dieser einzelnen Elemente eine eigenpersönliche Schöpfung darstellt oder die Art und Weise der Einbettung in die Umgebung eine schutzfähige harmonische Gesamtgestaltung bildet.5 Auch hier gilt der Schutz der „kleinen Münze“, also das Erreichen der geringst möglichen Gestaltungshöhe, wenngleich damit einhergeht, dass der Schutzumfang bei diesem Schöpfungsgrad eher geringer ausfallen wird als bei Bauwerken mit maximaler gestalterischer Wirkung.6 Vom Schutz stets ausgenommen ist hingegen die technisch bedingte Gestaltung bzw. der wissenschaftliche oder technische Gehalt eines Bauwerks oder Planes (Statik u.a.). Bei der Leistung mehrerer Architekten ist der einzelne Beitrag jedes Architekten geschützt ungeachtet dessen, in welcher Reihenfolge dieser jeweils erfolgt. Kann die jeweilige Architektenleistung nicht gesondert verwertet werden, so sind alle Beitragenden Miturheber (§ 8 UrhG) des Werkes. Da ein Bauwerk in der Regel als Unikat entworfen wird, ist sehr wahrscheinlich von der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit des Entwurfs wie auch des Bauwerks auszugehen, sofern sie nicht nur dem durchschnittlichen Bauschaffen entsprechen.7 Darlegungs- und beweispflichtig bleibt für die Schutzfähigkeit indes immer der Urheber selbst.
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Werner/Pastor/Werner Rn. 2439; Pauly NZBau 2011, 645, 646. Wandtke/Bullinger/Bullinger § 2 UrhG Rn. 136. LG München I ZUM-RD 158. BGH GRUR 1957, 391 – Ledigenheim. Schulze NZBau 2007, 537, 538. G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 2; Stellmann/Depprich ZflR 2012, 41, 43.
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II. Nutzungsrechtseinräumung Ausgangspunkt ist stets die Feststellung, ob bei einem Gebäude bereits von einem urheberrechtlich geschützten Bauwerk ausgegangen werden kann (siehe hierzu I.). Nur dann stellt sich die Frage, inwieweit der Bauherr sich etwa entsprechende Nutzungsrechte für die Durchführung des Bauprojekts, von sich anschließenden Umbauten sowie Änderungen einräumen lassen muss. Diese Frage wird regelmäßig in der beratenden Praxis nicht mit Sicherheit geklärt werden können, sondern wird immer Gegenstand einer richterlichen Wertung bleiben. Selbst die Beauftragung eines Gutachters wird keine abschließende Klärung herbeiführen, sondern lediglich Indizwirkung haben. Mit Abschluss eines Architektenvertrages in Form eines Werkvertrages (§§ 631 ff. BGB) wird in der Regel das Architektenhonorar für die eigentliche Leistung vereinbart sein.8 Hierin liegt keine „Übertragung des Urheberrechts“ (dies ist bereits kraft Gesetzes ausgeschlossen, § 29 S. 2 UrhG) und regelmäßig auch keine Nutzungsrechtsvereinbarung. Ebenso wenig gehen durch die gesetzlich anwendbare Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) urheberrechtliche Nutzungsrechte des Architekten auf den Bauherrn über. Fehlt es gänzlich an einer ausdrücklichen Regelung im Architektenvertrag, so greifen die gesetzlichen Regelungen ein. Im Zweifel verbleiben damit alle Rechte beim Architekten bzw. ist im Sinne der Zweckübertragungsregel (§ 31 Abs. 5 UrhG) auszulegen, welche Nutzungsrechte (stillschweigend) eingeräumt sind, um den eigentlichen Zweck des Vertrages zu erreichen. 1. Besonderheiten der Leistungsphasen Die Leistungsphase 1, die die Grundlagenermittlung umfasst, stellt sich in der Regel als die aufwendigste Phase dar, da der Architekt hierbei die Bauaufgabe, die Planungsanforderungen und die Zielvorstellungen ergründen muss, um letztendlich ein Baukonzept erstellen zu können.9 Der BGH geht davon aus, dass in dieser Phase nicht ohne Weiteres stillschweigend Nutzungsrechte eingeräumt werden, da oftmals unklar ist, ob das erstellte Konzept überhaupt ausgeführt wird.10 Ist der Architekt für Leistungsphase 1 bis 3 bzw. ebenfalls 4 beauftragt, so geht es um die Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung sowie im Falle der Phase 4 um die Genehmigungsplanung. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Architekt in diesem Falle regelmäßig auch die entsprechenden Nutzungsrechte zur Durchführung der Planung an den Bau8
BGH NJW 1960, 431; G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 11. Roquette/Otto Vertragsbuch Privates Baurecht, II. Architektenvertrag, Rn. 28. 10 BGH NJW 1984, 2818 – Vorentwurf; BGH NJW-RR 2000, 191; vgl. auch Werner/ Pastor Rn. 2446. 9
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herrn mit übertragen hat.11 Diese Lösung entspricht auch der Zweckübertragungstheorie, nach der im Zweifel solche Nutzungsrechte eingeräumt sein werden, die ein Erfüllen des Vertragszwecks ermöglichen.12 Besteht der Auftrag des Architekten in der Vollarchitektur, d.h. in Leistungsphase 1 bis 8 bzw. 9, so ist umstritten, ob von einer, sofern nicht bereits vertraglich ausdrücklich vereinbarten, zumindest stillschweigenden Übertragung der Nutzungsrechte mit Abschluss des Architektenvertrages ausgegangen werden kann. Einige Stimmen lehnen diese Ansicht ab, da der Architekt im Falle der Vollarchitektur das Bauprojekt selbst realisiert, d.h. das Urheberrecht selber nutzt und insofern keine Nutzungsrechtseinräumung mehr erforderlich ist.13 Andere bejahen dies u.a. mit der Begründung, dass der Architekt lediglich im Auftrag des Bauherrn tätig geworden sei, ein individuelles Bauvorhaben des Bauherrn zu realisieren und dies dem Bauherrn auch dann möglich sein soll, wenn der mit dem Architekten geschlossene Werkvertrag aus irgendeinem Grund vorzeitig etwa durch Kündigung beendet wurde.14 Denn die Schaffung eines etwaigen urheberrechtlich geschützten Werkes sei in der Regel nicht zentraler Gegenstand des Auftrags, sondern lediglich Folge des kreativen Schaffens. Letztere Ansicht erscheint für die Abwicklung von Bauvorhaben praxisnäher und insofern vorzugswürdig. 2. Zwischenergebnis Der Bauherr wird demnach in der Regel berechtigt sein, das Bauwerk errichten zu lassen, sofern der originär beauftragte Architekt zumindest auch mit Leistungsphasen 1 bis 3 bzw. 4 oder sogar mit der Vollarchitektur betraut wird. Änderungen wird er an dem Werk nicht vornehmen können, da das, wenn überhaupt nur stillschweigend eingeräumte, Nutzungsrecht mit der Fertigstellung endet. Folglich stehen ihm auch keine weiter gehenden Nutzungsrechte zu, die er im Falle eines etwaigen Grundstückkaufvertrages übertragen könnte, sobald das Bauwerk einmal errichtet worden ist. 11 BGH GRUR 1982, 369, 371 – Allwetterbad; OLG Celle NJOZ Zoll, 1059, 1061 (bejaht die Nutzungsrechtseinräumung, wenn dem Architekten auch die Erstellung der Genehmigungsplanung und deren Vorlage bei der Genehmigungsbehörde übertragen wurde); OLG Frankfurt a.M. NZBau 2007, 322 (das OLG differenziert und geht nur von einer stillschweigenden Nutzungsrechtseinräumung aus, wenn der Architekt auch mit der Genehmigungsplanung beauftragt wurde); OLG München NJW-RR 1995, 474; a.A. Stellmann/Depprich ZflR 2012, 41, 46. 12 OLG München NJW-RR 1995, 474; vgl. ausführlicher zu den einzelnen Leistungsphasen Werner/Pastor Rn. 2446. 13 BGH NJW 1973, 1696 – Wählamt; Stellman/Depprich ZflR 2012, 41, 46; G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 17. 14 BGH NJW 1984, 2818, 2819; OLG München NJW-RR 1995, 474; OLG Nürnberg NJW-RR 1989, 407; Werner/Pastor Rn. 2446; Vygen in: Korbion/Mantscheff/Vygen § 4 HOAI Rn. 65.
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3. Änderungsrecht Beabsichtigt der Bauherr selbst oder etwa ein zukünftiger Erwerber Änderungen am Bauwerk vorzunehmen, so darf er dies stets nur mit der Zustimmung des Urhebers. Diese Befugnis kann bereits im Architektenvertrag vereinbart werden, birgt aber stets die Gefahr, entweder als Formularvereinbarung gegen AGB-Recht zu verstoßen oder als Individualvereinbarung zu pauschal und insofern unwirksam etwa wegen Verletzung von Urheberpersönlichkeitsrechten ausgestaltet zu sein. a) Formularvertragliche Vereinbarungen Die Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB finden auf Architekten regelmäßig keine Anwendung, da sie als Unternehmer (§ 310 Abs. 1 BGB) tätig sind. Etwaige Nutzungsrechtseinräumungen in Formularverträgen sind insofern an § 307 BGB zu messen. Die Einräumung pauschaler Änderungsrechte dürfte in der Regel bereits gegen den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Entstellungsschutz (§ 14 UrhG) verstoßen, wenn nicht klargestellt wird, dass der unverzichtbare Kernbereich des Urheberpersönlichkeitsrechts hiervon unberührt bleibt. Gleiches gilt, wenn es an einer Regelung einer angemessenen Vergütung für die Nutzungsrechtseinräumung mangelt.15 b) Individualvereinbarungen Individualvertraglich vereinbarte Klauseln sind etwa an den Bestimmungen der §§ 36, 41, 42 UrhG wie auch an § 138 BGB zu messen. Eine pauschale Nutzungsrechtseinräumung ist nicht wirksam, da dies einen im Voraus erfolgten unwirksamen Verzicht des Urhebers auf sein Urheberpersönlichkeitsrecht bedeuten würde16 und die Einräumung der Nutzungsrechte nicht ausdrücklich i.S.v. § 31 Abs. 5 UrhG bezeichnet ist.17 Daher gilt: Je eindeutiger die Regelung, je besser kann das entsprechend eingeräumte Nutzungsrecht verwertet werden, sofern es nicht zu einer entstellenden Wirkung kommt.18 Ausschlaggebend ist mithin, ob die vereinbarten Änderungsbefugnisse etwa derart eingeräumt sind, dass der Urheber vertraglich nicht an seinem Recht gehindert wird, Entstellungen gänzlich untersagen zu können. Änderungsbefugnisse sollten insofern möglichst unzweifelhaft geregelt wer-
15 Schulze NZBau 2007, 537, 542; vgl. ausführlicher G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 23. 16 Vgl. zum Verhältnis von §§ 14 und 39 UrhG ausführlich Wandtke/Bullinger/ Wandtke/Grunert § 39 UrhG Rn. 3 ff.; Dreier/Schulze/Schulze § 39 UrhG Rn. 3. 17 BGH GRUR 1971, 269, 271; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 39 UrhG Rn. 9; G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 10. 18 Goldmann GRUR 2005, 639, 645.
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den. Maßgeblich ist insoweit eine Bezugnahme auf konkrete Teile eines Werkes sowie die daran durchzuführende Änderungsmaßnahme. Sollten Regelungen nicht ganz unzweifelhaft formuliert sein, kann zwar der Urheber gemäß § 39 Abs. 2 UrhG seine Einwilligung gegenüber Änderungen wider Treu und Glauben nicht versagen (dies gilt im Übrigen auch gegenüber dem Eigentümer, dem keine Nutzungsrechte eingeräumt wurden 19). Um den Konflikt zwischen Eigentümer- und Urheberinteressen lösen zu können, fordert die Rechtsprechung eine Abwägung zwischen diesen beiden Belangen, um im konkreten Einzelfall zu klären, welchen Interessen Vorrang zu gewähren ist.20 Grundsätzlich gilt, dass der Eigentümer keine eingreifenden Änderungen per se vornehmen darf.21 Sodann ist festzustellen, ob überhaupt eine Änderung bzw. Beeinträchtigung des Werkes vorliegt. Von dieser ist dann auszugehen, wenn eine Verletzung des Bestands und der Unversehrtheit des Werkes in seiner konkret geschaffenen Gestaltung besteht. Maßgeblich ist, ob durch die Änderung ein Substanzeingriff erfolgt 22 und inwiefern die Urheberinteressen hierdurch gefährdet werden (hierfür reicht es, wenn eine objektiv nachweisbare direkte oder indirekte Änderung des Werkes droht). In der eigentlich nunmehr sich anschließenden Abwägung geht es darum, die Interessen des Urhebers sowie die des Eigentümers im konkreten Fall zu ermitteln. Es gilt das Bestands- und Integritätsinteresse an der Erhaltung des Bauwerks des Urhebers einerseits und die Eigentümerinteressen an einer Veränderung des Werkes gegenüber zu stellen.23 Von der Rechtsprechung wurden hierfür eigens Kriterien entwickelt, die indes nicht als starre und endgültige Regeln herangezogen werden:24 Maßgeblich bleibt zunächst, dass der Urheber sich an vertraglich eingeräumte Änderungsrechte halten muss, es sei denn, der unverzichtbare Kern seines Urheberpersönlichkeitsrechts wird – etwa durch entstellenden Charakter einer Umbaumaßnahme – beeinträchtigt.25 Weiterhin wesentliches Kriterium ist der individuelle Schöpfungsgrad, d.h. der Rang des Werkes. Je höher der individuelle Schöpfungsgrad, desto stärker ist das Integritätsinteresse zu werten.26 Ebenso ist die qualitative und quantitative Auswirkung der Änderungsmaßnahme und seine (Aus-)Wirkung auf das gesamte Bauwerk zu beachten. Wird in die
19
Vgl. auch G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 36; Goldmann GRUR 2005, 639, 641. BGH GRUR 1999, 230 – Treppenhausgestaltung; BGH NJW 2008, 3784 – St. Gottfried; OLG Hamm ZUM-RD 2011, 343. 21 BGH NJW 2008, 3784 – St. Gottfried; OLG Stuttgart GRUR-RR 2011, 56, 58 – Stuttgart 21; G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 36. 22 BGH NJW 2008, 3784 – St. Gottfried; BGH NJW 1982, 639 – Kirchen-Innenraumgestaltung; OLG Stuttgart GRUR-RR 2011, 56, 58 – Stuttgart 21. 23 BGH NJW 2008, 3784 – St. Gottfried; Werner/Pastor Rn. 2458. 24 OLG Stuttgart GRUR-RR 2011, 56, 58 – Stuttgart 21. 25 BGH GRUR 1971, 269, 271; Schulze NZBau 2007, 611, 613. 26 BGH NJW 2008, 3784, 3787 – St. Gottfried. 20
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wesentlichen Züge des Bauwerks nicht eingegriffen, sondern bleibt der Gesamtcharakter erhalten, so sind die Eigentümerinteressen vorrangig zu werten.27 Ästhetisch motivierte Änderungen muss der Architekt indes nicht dulden, selbst wenn es sich hierbei um eine Verbesserung handelt, die ggf. selbst ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk darstellt.28 Dies gilt wiederum nicht, wenn es sich bei dem einer Änderung unterliegenden Element nicht um ein urheberrechtlich geschütztes Teilelement handelt. Besonders hervorzuheben ist bei Bauwerken der jeweilige Gebrauchszweck. Ein Bauwerk unterliegt in der Regel sich (stets) wandelnden Lebensbedürfnissen und -verhältnissen und kann insofern deswegen bereits keiner starren Veränderungssperre unterliegen.29 Insbesondere sollen nach Ansicht einiger Literaturstimmen gerade geringfügige Änderungen durch den Architekten zu dulden sein, wenn sich eine Notwendigkeit hierfür aufgrund des Gebrauchswecks ergibt.30 Ähnlich ist im Hinblick auf den Grund des Eingriffs bzw. der Änderung zu werten. Das Änderungsinteresse des Eigentümers wird in der Regel vorrangig sein, wenn die beabsichtigte (Ver-)Änderung im Hinblick auf den Gebrauchsweck des Objekts erforderlich bzw. sogar technisch notwendig ist (wie etwa im Falle von Reparaturen, Anpassung an technische Entwicklungen).31 Hier sollte das Integritätsinteresse insbesondere dann zurücktreten, wenn es sich um einer alltäglichen (Ab-)Nutzung unterliegenden Gegenstände handelt wie etwa Fenster- und Türgriffe, Waschbecken oder -tische. Richtig ist, dass auch hierbei das Gesamtkonzept nicht außer acht gelassen werden kann. Ein Eigentümer darf aber bspw. nicht an einer dringend erforderlichen und notwendigen Modernisierungsmaßnahme aufgrund des dem Architekten zustehenden Urheberrechts gehindert werden, diese durchführen zu können. Einige Stimmen der Literatur gehen richtigerweise sogar noch weiter und führen aus, dass nutzungserhaltende, wirtschaftliche oder gar technisch bedingte Änderungen der Vorrang schlichtweg zu gewähren sei, sofern der Gebrauchszweck des Bauwerks erhalten bleiben könne (wiederum unter der Prämisse, dass keine entstellende Wirkung eintritt).32
27
BGH NJW 1974, 1381 – Schulerweiterung. BGH GRUR 1999, 230 – Treppenhausgestaltung; KG ZUM 2001, 590; Wandtke/Bullinger/Bullinger § 14 UrhG Rn. 34. 29 BGH NJW 1974, 1381, 1382 – Schulerweiterung; Goldmann GRUR 2005, 639, 642. 30 Wandtke/Bullinger/Bullinger § 14 UrhG Rn. 33; vgl. auch G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 38; Binder/Kosterhon Rn. 176; Goldmann GRUR 2005, 639, 642. 31 G. Schulze in: Loewenheim, § 71 Rn. 45; Goldmann GRUR 2005, 639, 643; ähnlich Werner/Pastor Rn. 2460. 32 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert § 39 UrhG Rn. 22; Honschek GRUR 2007, 944, 947. 28
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c) Ergebnis Es gilt somit, Änderungsbefugnisse im Architektenvertrag bereits möglichst konkret und genau zu bezeichnen, um unerwünschte Rechtstreitigkeiten über stillschweigend eingeräumte Nutzungsrechte oder Änderungsbefugnisse nach § 39 Abs. 2 UrhG zu vermeiden. Nicht übersehen werden darf, dass die Rechteübertragung an einen möglichen Erwerber und etwaige Weitergabeverpflichtungen an zukünftige Eigentümer (für den Fall einer Weiterveräußerung) ebenfalls geregelt wird. 4. Fazit Es ist grundsätzlich von einer relativ niedrigen urheberrechtlichen Schutzgrenze bei Bauwerken auszugehen, da es sich in der Regel um individuelle Bauvorhaben handelt. Bestehen Immaterialgüterrechte Dritter am Kaufgegenstand, so liegt hierin grundsätzlich ein Rechtsmangel, der im Falle der Geltendmachung gegenüber dem Erwerber, die Verwendung des Kaufgegenstandes beeinträchtigen kann.33 Vielfach ist beim Erwerb eines Grundstücks der Architektenvertrag gar nicht mehr vorhanden oder unzureichend geregelt. Unabhängig davon, ob ein urheberrechtlicher Schutz überhaupt besteht, ist insofern wesentlich, klare Regelungen im Architektenvertrag über etwaige bauliche Änderungsmaßnahmen zu treffen. Hierdurch lässt sich zum einen das Risiko von Rechtsstreitigkeiten verringern (oder gar vermeiden), zum anderen kommt eine klare Regelung dem Eigentümer auch im Rahmen von Verhandlungen über eine Weiterveräußerung des Bauwerks (die aus urheberrechtlicher Sicht unbedenklich ist, § 17 Abs. 2 UrhG) zugute. Fehlt eine konkrete Regelung, kommt es maßgeblich auf die Interessenabwägung, bei der zunächst von der Gleichrangigkeit der Architektenurheber- sowie der Eigentümerinteressen auszugehen ist, an.34 Deren konkrete Einzelfallentscheidung kann indes vorab mit Rechtssicherheit in der Praxis nicht bestimmt werden. Literatur: Binder, Anja/Kosterhon, Frank Urheberrecht für Architekten und Ingenieure, 2003; Dreier, Thomas/Schulze, Gernot Urheberrechtsgesetz, 3. Auflage, 2008; Goldmann, Bettina C. Das Urheberrecht an Bauwerken – Urheberpersönlichkeitsrechte des Architekten im Konflikt mit Umbauvorhaben, GRUR 2005, 639; Honschek, Sebastian Der Schutz des Urhebers vor Entstellungen durch den Eigentümer, GRUR 2007, 944; Korbion, Hermann/Mantscheff, Jack/Vygen, Klaus HOAI, 7. Auflage, 2009; Krauß, HansFrieder Immobilienkaufverträge in der Praxis, 6. Auflage 2012; Loewenheim, Ulrich Handbuch des Urheberrechts, 2. Auflage, 2010; Pahlow, Louis Der 33 34
Pahlow JuS 2006, 289, 290. Honschek GRUR 2007, 944, 947.
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Rechtsmangel beim Sachkauf, JuS 2006, 289; Pauly, Holger Urheberrechtliche Schutzvoraussetzungen von Bauwerken, NZBau 2011, 645; Roquette, Andreas J./Otto, Andreas Vertragsbuch Privates Baurecht, 2. Auflage, 2011; Schulze, Gernot Urheberrecht der Architekten – Teil 1, NZBau 2007, 537; Schulze, Gernot Urheberrecht der Architekten – Teil 2, NZBau 2007, 611; Stellmann, Frank/Depprich, Ina Das Architektenurheberrecht – Grundlagen für die Immobilienpraxis, ZflR 2012, 41; Wandtke, Artur-Axel/Bullinger, Winfried Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Auflage, 2009; Werner, Ulrich/ Pastor, Walter Der Bauprozess, 13. Auflage, 2011.
Urheber vs. Eigentümer et vice versa? Zur Problematik des urheberrechtlichen Zugangsrechts Albrecht Götz von Olenhusen I. Einleitung und Problemstellung Der Informationszugang gehört zu den gegenwärtigen Schlüsselworten und -problemen. Dabei steht im Zeitalter der digitalen Revolution der Schutz des Inhabers von Rechten und die Freiheit, der Allgemeinheit, Zugang zu Informationen zu erhalten, im Vordergrund.1 Wie aber ist das Zugangsrecht des Urhebers selbst ausgestaltet? Entspricht es modernen Anforderungen in einer Zeit, in der Entgrenzungen und Begrenzungen des geistigen Eigentums weltweit zur Debatte stehen2 und sich die Rechtsordnungen in der digitalisierten Welt fundamental relativieren und zu einem „unscharfen Recht“ sich entwickeln.3 Wie verhält sich das Recht des Urhebers an seinem Werk, des Künstlers an seinem Bild oder seiner Plastik, des Architekten an den von ihm gestalteten Haus, dem Autor an seinem Manuskript zum Recht des jeweiligen sachenrechtlichen Eigentümers? Die immateriellen Rechte können mit den sachenrechtlichen in Widerspruch geraten. Das Urheber- und das sonstige Zivilrecht bietet nur fragmentarisch ausgebildete Lösungen für Interessenkonflikte an. Und auch das Urhebervertragsrecht vermag keine ausdrücklichen oder für alle gültigen Normen zu liefern. Der folgende Versuch einer grundsätzlichen, aber die bisherigen praktischen Lösungswege berücksichtigenden Darstellung soll nur einige prinzipielle Linien aufzeigen. Nach einer Darstellung des
1 Siehe dazu Detlef Kröger: Informationsfreiheit und Urheberrecht, München 2002; Christian Teupen: „Copyleft“ im deutschen Urheberrecht. Berlin 2007; Lawrence Lessig; Code und andere Gesetze des Cyberspace. Berlin 2001, S. 219 ff. Sh. dazu ferner Wandtke in: ders. (Hrsg.): Medienrecht. Praxishandbuch, Berlin 2008, S. 7 ff.; Jani, ebd. S. 365 ff.; sowie Wandtke: Medienrecht, 2. Aufl., Berlin, Boston 2011, § 1 Rz. 1 ff., 9. Ich beschränke mich in diesem Beitrag auf wenige Angaben in Fußnoten. 2 Siehe Hannes Siegrist: Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur. Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der Moderne. In: Hannes Siegrist (Hg.): Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen. Leipzig 2007, S. 9–52. 3 Siehe Volker Boehme-Neßler: Unscharfes Recht. Berlin 2008.
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normativen Befundes (I.) werden insbesondere Probleme des Zugangsrechts (§ 25 UrhG) mit seinen Struktur- und Abwägungsentscheidungen in den Blick genommen (II.). In der Folge kann ein knapper Hinweis auf die Kasuistik die unterschiedlichen Schwerpunkte und Lösungsansätze der Rechtsprechung aufzeigen (III.). Alsdann soll die spezielle Situation des ArbeitnehmerUrhebers demonstrieren, wie das Verhältnis von Urheber- und Sachenrecht und das Zugangsrecht normativ und vertraglich im Einzelfall praktisch zum Teil gelöst wird (IV.). Schließlich wird auch die spezielle Situation bei ausübenden Künstlern erörtert, die neuerdings in den Blickpunkt gelangt (V.).
II. Normativer Befund Die vereinzelten normativen Grundlagen liefern, wenn überhaupt, nur unvollkommen, selten grundsätzliche oder zu verallgemeinernde Prinzipien. Ist das Urheberrecht ein die Befugnisse des Eigentümers einschränkendes Recht? Das Eigentum darf bekanntlich nur unter dem Vorbehalt der Rechte Dritter ausgeübt werden (§ 903 BGB). Damit könnte ein allgemeines Rechtsprinzip formuliert sein. Dennoch wird damit für unterschiedliche, gegensätzliche Interessen kein allgemeingültiges Konfliktregelungsmodell angeboten, das beim Widerstreit von Eigentümer- und Immaterialgüterrechten weiterhilft.4 Durch Verarbeitung fremder Stoffe wird der Urheber Eigentümer, auch wenn er durch Nutzung fremder Stoffe eine neue Sache herstellt (§ 950 BGB). Die Besonderheit eines Urhebers im Arbeits- oder Dienstverhältnis wird noch zu erörtern sein, weil sich hier das Problem anders darstellt: Ein für den Dienstherrn hergestelltes Werk führt dazu, dass dieser Eigentümer wird. Stellt der Arbeitnehmer das betreffende Werk für sich her, wird er selbst Eigentümer. Im letzteren Fall entsteht allenfalls bei der Verarbeitung von Fremdmaterial ein Entschädigungsanspruch (§ 951 BGB). § 44 UrhG als Auslegungsregel geht vom Grundsatz aus, dass urheberrechtliche Nutzungsrechte und Eigentum am Werkstück nicht zwangsläufig zusammenfallen. Damit wird aber der gesetzgeberische Grundgedanke deutlich, dass der Urheber eben Urheber und, falls nicht vertragsrechtlich nicht etwas anders vereinbart worden ist, ein solcher bleibt und ihm die Nutzungsrechte weiterhin zustehen. Für die persönlichkeitsrechtlichen Interessenlagen wird im Verhältnis Urheber-Eigentümer/Besitzer eine Reihe von Normen wirksam: Das Recht, die Werkstücke mit dem Namen zu versehen und das Recht, Entstellungen,
4 Anregend zu den „Strukturprinzipien eines Urhebersachenrechts“ Marian Paschkes gleichnamiger Beitrag GRUR 1984, 858–867. Zum Spannungsverhältnis Heino Schack: Geistiges Eigentum contra Sacheigentum, GRUR 1984, S. 56 ff.
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Beeinträchtigungen oder andere Veränderungen zu verbieten (§ 14 UrhG), bedeuten eine nicht unerhebliche Einschränkung der Eigentümerechte. Diese prinzipielle bevorzugte Berücksichtigung von Urheberinteressen erfährt jedoch zu Gunsten des Nutzungsberechtigten wiederum eine Einschränkung. Denn Nutzer von Rechten sind jedenfalls zu solchen Änderungen befugt, zu denen der Urheber seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht verweigern darf. Dennoch wird auch in § 39 UrhG die grundsätzliche Gewichtung deutlich, dass es zunächst dem Urheber zukommt, eine Einwilligung zu Veränderungen zu geben, und seine etwaigen berechtigten oder nicht berechtigten Gründe müssen sich letztlich an der Generalklausel von Treu und Glauben messen lassen. Die Änderungen, die § 39 UrhG im Auge hat, erfahren freilich ihrerseits im Lichte der sich aus § 14 UrhG ergebenden Wertung eine deutliche Einschränkung zugunsten des Urhebers. Eine Entstellung oder Verfälschung des Werkes im Sinne von § 14 UrhG kann somit nicht von solcher Art sein, dass sie eine Abwägung nach Treu und Glauben zu Gunsten des Eigentümers erlauben würde. Insoweit muss § 39 UrhG also stets in der Perspektive der Wertungen, die sich aus § 14 UrhG ergeben, gesehen werden. Das besondere Problem der Zerstörung eines Werks stellt sich im Rahmen von § 14 UrhG. Die herrschende Meinung schließt aus dem Verbot der Entstellung auch auf das Verbot der Vernichtung. Die Rechtsprechung hat dies bislang nicht akzeptieren wollen. Dabei gehört das Urheber-Persönlichkeitsrecht doch zweifellos zu den Rechten, welche die Befugnisse des Eigentümers begrenzen (§ 903 BGB). Eine ausdrückliche Kollisionsregelung enthält das Vertragsrecht nicht. Die Pflicht zur Ablieferung des Werkstücks an den Verleger bedeutet – ähnlich § 44 UrhG – nicht, dass der Verleger Eigentümer wird (§ 10 VerlG). Der Urheber bleibt z.B. Eigentümer seines Manuskripts, auch wenn er sich das Eigentum nicht ausdrücklich vorbehalten hat. Der Herausgabeanspruch des Urhebers/Eigentümers wird jedoch ohne den Vorbehalt eingeschränkt. Der Verleger kann dem Anspruch aus § 985 BGB das Recht zum Besitz (§ 986 BGB) unter Umständen entgegenhalten.5 Der verlagsrechtlichen Norm liegt der Gedanke zugrunde, dass die Nutzungsrechte mangels Vorbehalts des Eigentümers nicht behindert werden sollen, dass aber aus ganz praktischen Gründen sich die Haftung des Verlegers auf Rückgabe des Manuskripts in der ursprünglichen Norm reduziert. Für das prinzipielle Verhältnis Urheber-Eigentümer lässt sich dem aber der Gedanke entnehmen, dass ihm der Urheber in der Hand hat, jedenfalls in der
5 Albrecht Götz von Olenhusen: Das Recht am Manuskript und sonstigen Werkstücken im Urheber- und Verlagsrecht, ZUM 2000, S. 1056–1063; s. dazu auch Schricker: Verlagsrecht. Komm. München 2001, § 27 Rz. 2 ff. m.w.N.
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Hand haben möge, dass ihm also die grundsätzliche Entscheidungsbefugnis zukommen soll, ob er das für ihn vielleicht wertvolle oder später einmal wertvoll wertende Werkstück unversehrt wieder zurückhaben möchte. Insoweit ist der Urheber hier von Gesetzes wegen privilegiert. Er wird freilich in der Verlagspraxis seines Privilegs, wie die Musterverträge zeigen, meist verlustig gehen. Die entscheidende urheberrechtliche Norm zum Zugangsrecht ist § 25 UrhG.6 Obwohl die Rechtsprechung sich damit bislang seltener befasst hat, gewinnt sie unter den heutigen veränderten technologischen Voraussetzungen und angesichts der erhöhten Interessen der Urheber bzw. Rechtsnachfolger größere Bedeutung. Der hier gegebene Schwerpunkt liegt darin, dass zwischen dem Spannungsverhältnis von Sach- und geistigem Eigentum ein Ausgleich der Interessen hergestellt werden soll. Das Zugangsrecht besteht, soweit dies zur Herstellung von Vervielfältigungsstücken oder Bearbeitungen des Werkes erforderlich ist. Es dient je nach Sachlage ideellen, vermögensrechtlichen oder beiden Interessen. Es gewährt indessen keinen Herausgabeanspruch, legt aber dem Eigentümer des Werks oder Werkstücks die Verpflichtung auf, es dem Urheber oder sonstigen Berechtigten für den begrenzten Zweck zugänglich zu machen. Das Gesetz selbst spricht von einer Interessenabwägung. Die Kriterien der Interessenabwägung sind, wie Dietz zutreffend ausgeführt hat, vom Rang und der Stellung des Werks und von zeitlichen, örtlichen und sachlichen Umständen abhängig.7 Normativ ist also auch das Gegeninteresse des Besitzers bzw. Eigentümers gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung hat in einer Vielzahl von Fallkonstellationen, sich mit unterschiedlichen Werkbereichen, gegenläufigen Interessen und komplexen Abwägungen befasst. Die Schwankungen der Judikatur werden besonders bei Kunstwerken, vor allem im Bereich des Architektenrechts, offenkundig. Hier hat sich eine Kasuistik entwickelt, bei der nicht immer deutlich wird, aus welchen Gründen die Waage der Rechtsprechung sich mal primär der urheberrechtlichen, mal der eigentümerrechtlichen Position zuneigt. Ähnliches zeigt sich auch bei einem Blick auf die schmale ausländische Rechtsprechung. Das Zugangsrecht wird etwa bei Kunstwerken oder in neuerer Zeit auch bei wertvollen Manuskripten, bei Briefen, Nachlassgegenständen und archivalischen Objekten eine besondere zunehmende Rolle spielen.
6 Siehe dazu Manfred Rehbinder: Urheberrecht. 16. Aufl. 2010 Rz. 418 ff.; Schäfer: Die Rechtsverhältnisse zwischen dem Urheber eines Werkes der bildenden Kunst und dem Eigentümer des Originalwerkes, 1984; Dreier/Schulze: UrhG, Komm. 3. Aufl. 2008, § 25 UrhG, Rz. 4 ff.; Schricker/Loewenheim/Vogel: UrhG, Komm. 4. Aufl. 2010, § 25 Rz. 8 ff. 7 Adolf Dietz in: Ulrich Loewenheim (Hrsg.): Handbuch des Urheberrechts München 2003 § 17 Rz. 8; s. auch Michel M. Walter: Österreichisches Urheberrecht. Handbuch, Wien 2008 Rz. 940 ff., 946.
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Der Wert eines Unikats entwickelt damit ein quantitatives und qualitatives Eigengewicht, das besonders bei Einzelstücken von in Millionen reichenden Wertobjekten sich gegen Vervielfältigungen sträubt, so wie umgekehrt gewichtige Eigentümerinteressen, gemessen an der Höhe von Investitionen, sich oft gegen persönlichkeits- und vermögensrechtliche Urheberinteressen durchzusetzen vermögen. Auch der Filmurheber, aber auch der Filmhersteller, kann erhebliche Interessen haben, etwa Negative, die sich in einem Filmarchiv oder in einer Kopieranstalt befinden, zu kopieren. Die in § 25 normierte Rücksichtnahme auf Interessen des Besitzers oder Eigentümers wird sich vor allem dann manifestieren, wenn die Gefahr von Beschädigungen besteht. Ein Herausgabeanspruch zum Zwecke der Vervielfältigung ist normalerweise nicht gegeben. Im Ausnahmefall kann aber auch die Überstellung an einen anderen Ort verlangt werden, wenn ausnahmsweise nur dort eine Vervielfältigung, die Fertigung einer Kopie oder eines Abgusses, möglich ist. Wenn das Zugangsrecht die Interessenlage so zwischen den Urheber einerseits, dem Eigentümer/Besitzer andererseits festlegt, dann spricht, über § 14 UrhG hinaus, § 25 UrhG ebenfalls dafür, dass den Eigentümer/Besitzer eine Erhaltungspflicht und auch das Verbot der Vernichtung trifft. Denn sonst würde § 25 UrhG letztlich leer laufen. Es kann aber nicht Sinn der Norm sein, den Urheber im Zweifel auf Ansprüche aus dem Verbot von Schikane oder auf Schadensersatz zu reduzieren. Das Zugangsrecht erstreckt sich auf das Werk, das heißt, auf seinen Gehalt. Bei Manuskripten ist damit das Werk als solches mit seinem geistigen Gehalt gemeint. Nicht erfasst ist vom Zugangsrecht die schriftliche Abfassung etwa bei Autographen. Hat der Urheber oder sein Rechtsnachfolger eine eindeutige komplette Abschrift des Werkes, so kann er nicht über § 25 UrhG die Kopie der handschriftlichen Fassung zur Vervielfältigung verlangen. Einer Handschrift ist nur selten der Rang eines Kunstwerkes zuzusprechen, von kalligraphischen oder ähnlichen Gedichtfassungen abgesehen, deren Formgestaltung im Einzelfall als Kunstwerk anzusehen sein kann.
III. Kasuistik Die Kasuistik soll hier nicht umfassend dargestellt werden. Sie ist von Einzelentscheidungen geprägt. Dabei ragen Entscheidungen zum Kunst- und Architektenrecht heraus. Aber auch im Bereich des Urheber- und Verlagsrechts haben sich, vor allem bei wertvollen Manuskripten, Konflikte ergeben. Sie betreffen vor allem das Problem der Interessenabwägung.8 Bei den Ent8 Siehe dazu Wandtke/Bullinger/Bullinger: Praxiskommentar zum Urheberrecht § 25 Rz. 15 ff. m.w.N.; Schricker/Vogel: Urheberrecht § 25 Rz. 16; Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Dreyer: Urheberrecht, Kommentar, Heidelberg 2004, Rz. 12.
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scheidungen fällt auf, dass zwar einerseits die Urheberinteressen in der Regel im Prinzip betont werden, dass jedoch immer dann, wenn Erhaltungs- und größere Vermögens- und Investitionsinteressen des Eigentümer-Besitzers zum Zuge kommen können, die Letzteren sich eher durchsetzen. Deutlich ist, dass Wertminderungen von Unikaten durch Repliken in der Regel keine Rolle spielen. Denn § 25 Abs. 1 UrhG nimmt eine solche Folge gerade in Kauf, so dass dieser Umstand bei der Interessenabwägung nicht zugunsten des Eigentümers ins Gewicht fällt. Zwar kann das Interesse eines Eigentümers oder Besitzers darauf gerichtet sein, Kopien des Werkes und deswegen eine weitere Verbreitung und Veröffentlichung auszuschließen. Die Berücksichtigung ideeller und materieller Interessen bei der Abwägung kann auf der Seite des Eigentümers durchaus als Kriterium eine Rolle spielen. Die Norm selbst entscheidet sich jedenfalls nicht für eine Präferenz der einen oder anderen Seite.
IV. Das Zugangsrecht des Arbeitnehmer-Urhebers Auch der Arbeitnehmer-Urheber, seltener in diesem Kontext erwähnt, hat, wie der sonstige Urheber selbst, einen Zugangsanspruch. Allerdings ergeben sich, wie oben ausgeführt, die besonderen Konstellationen bei der Verarbeitung von Stoffen im Dienste eines Arbeitgebers (§ 950 BGB). Diese Besonderheiten will § 950 BGB vor allem nach der Rechtsprechung meist zugunsten des Dienstherrn entscheiden.9 Allerdings werden in Arbeits- und Tarifverträgen oft Regelungen getroffen, wonach vom Arbeitnehmerurheber fertig gestellte Werkstücke mit der Übergabe auf den Unternehmer übergehen. Dies wird z.B. auch in Tarifverträgen geregelt (siehe Ziff. 376.1 eMTV)10. Die Tarifverträge, vielfach unscharf, vor allem bei den Rundfunkanstalten, bedürfen der Auslegung. Denn nach Sachenrecht bedarf es der Einigung und Übergabe. In öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten wird aber in der Regel keine formelle Übergabe, sondern an Ort und Stelle die Schaffung stattfinden. Dieser Realakt muss also nach Sinn und Zweck derartiger Tarifnormen auch gemeint sein. In ähnlicher Weise erwirbt auch der Filmhersteller das Eigentum an den zu einem Film gehörenden Materialien (vgl.
9 Siehe dazu Manfred Rehbinder: Urheberrecht. 16. Aufl. 2010, § 47; Artur Wandtke: Die Rechte der Urhebers und ausübenden Künstlers im Arbeits- und Dienstverhältnis, 1993; Rojahn in: Schricker, Urheberrecht, Komm., § 43; A. Götz von Olenhusen: Der Arbeitnehmer-Urheber im Spannungsfeld zwischen Urheber-, Vertrags- und Arbeitsrecht, ZUM 2010 S. 474–482. 10 Dazu ausführlich Albrecht Götz von Olenhusen: Medienarbeitsrecht in Hörfunk und Fernsehen, Konstanz 2004, S. 189 ff.; Schricker/Rojahn: Urheberrecht, Kommentar München 1999 § 43 Rz. 96.
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dazu Ziff. 3.1 TV FF).11 Die Tarifnormen des Rundfunks verweisen auf § 25 UrhG. Auch der Arbeitnehmer hat Vervielfältigungsinteressen, etwa als Nachweis seiner Tätigkeiten, seiner Qualifikation und seines Werkschaffens. Das gilt für Redakteure, Regisseure, Cutter, Bühnen- oder Szenenbildner oder andere Urheber gleichermaßen. Eine zeitliche Bindung an das Arbeitsverhältnis, sein Bestehen oder sein Ende, ist nicht gegeben. Allerdings können berechtigte Anstaltsinteressen entgegenstehen. Auch hier gilt, dass die Interessen gegeneinander abzuwägen sind. Organisatorischer Aufwand des Senders kann in der Regel nicht entgegenstehen. Denn § 25 setzt voraus, dass dem Besitzer/Eigentümer, also auch dem Arbeitgeber, ein angemessener Aufwand von vornherein zuzumuten ist. Das Tarifrecht kann also § 25 UrhG nur insoweit einschränken, als die darin normierten Interessen der gesetzlichen Interessenabwägung nicht entgegenstehen. Das Archivierungsrecht der Anstalten bedeutet nicht, dass die Anstaltsinteressen Vorrang hätten. Gerade auch bei historischen Aufnahmen und Werken ergeben sich gesonderte Zugangs- und Kopierrechte (siehe §§ 53, 54 UrhG). Im Medienarbeitsrecht sind Zugangs- und Vervielfältigungsrechte weitergehender geregelt als in § 25 Abs. 1. Auch der Mitwirkende gehört zu den Berechtigten. Das tariflich normierte Kopierrecht ist aber auf die Leistungen des Mitwirkenden beschränkt, während beim Urheber nicht nur ein Werkteil, sondern das gesamte Werk erfasst wird. Diese Einschränkung im Tarifrecht ist weder sachgerecht noch notwendig. Denn auch der Leistungsschutz-Berechtigte hat, wie der Urheber, ein Interesse daran, Kopien seiner Leistungen im Gesamtkontext einer Produktion oder eines Werkes zu erhalten. Eine Teilkopie würde dem nicht gerecht. Der Anspruch des Rundfunkurhebers und des Mitwirkenden wird meist tariflich befristet. Die Befristung auf 6 Wochen nach der Herstellung oder nach der Erstsendung oder die Reduktion auf eine Frist von 14 Tagen (Hörfunk) oder 6 Wochen (Fernsehen) nach der Erstsendung ist meines Erachtens rechtsunwirksam. Sieht man zutreffend im Zugangsrecht mindestens auch ein Persönlichkeitsrecht, dann kann eine Befristung nicht zulässig sein. Die Erlaubnis zur Fertigung von Kopien wird in Tarifverträgen an die Zustimmung der Sendeanstalt gebunden. Eine derartige Einschränkung ist mit § 25 UrhG nicht vereinbar. Die Einschränkungen etwa in Ziff. 376.2 eMTV liegen nicht im Rahmen von § 25 UhrG. Denn tariflich kann nicht dem Arbeitgeber überlassen bleiben, ob das Recht durch einen unzumutbaren Aufwand praktisch leer laufen würde. Inhaltliche und zeitliche Einschränkungen von § 25 UrhG durch das Tarifrecht sind daher meines Erachtens insoweit rechtsunwirksam.
11 Siehe dazu TV FF i.d.F. von 2012 und Albrecht Götz von Olenhusen: Film und Fernsehen. Baden-Baden 2001, Rz. 171 ff., 253–256.
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V. Das Zugangsrecht des ausübenden Künstlers Die herrschende Meinung hat früher ein Zugangsrecht des ausübenden Künstlers überwiegend abgelehnt.12 Der ausübende Künstler hat aber in gleicher Weise wie der Urheber heute nicht nur ein Interesse, sondern auch einen Anspruch auf Zugang. Seine Lage ist, vor allem wenn ein Rückruf von Rechten erfolgt ist, ebenso zu sehen wie die des Urhebers. Der Hersteller eines Tonträgers wird sachenrechtlich in der Regel Eigentümer des Masterbandes sein. Der ausübende Künstler hat seinerseits die Rechte an der Darbietung. Hier ist also zweifellos das Zugangsrecht legitim. § 25 UrhG muss daher mindestens analog angewendet werden.13 Der Begriff des Mitwirkenden ist allerdings zu Recht weit: er umfasst Urheber, Leistungsschutzberechtigte und alle sonstigen Mitwirkenden gleich welcher Art und Güte, Angestellte, aber auch soweit sie etwa ständige oder unständige freie Mitarbeiter sind. Denn hier ist einerseits § 25 UrhG, andererseits das insoweit relativ weitergehende Vertrags- und Tarifrecht maßgebend. Auf den Zugang zu einem Masterband ist der ausübende Künstler angewiesen. Sein Recht erstreckt sich auf den Tonträger, auf ein Masterband oder auf ein digitales Speicherinstrument. Zweck des Zugangs ist auch hier die Vervielfältigung. Wenn der ausübende Künstler keinen anderen Zugang hat, dann ist der Anspruch gegeben. Auch hier gelten die Grundsätze der Interessenabwägung. Der ausübende Künstler kann z.B. den Zugang zum Originalband verlangen, um seine Darbietung zu vervielfältigen. Er trägt die Kosten einer solchen Vervielfältigung.
12 Siehe dazu Loewenheim/Vogel: Handbuch des Urheberrechts, München 2003, § 38 Rz. 106; Wandtke/Bullinger: Praxiskommentar zum Urheberrecht, München 2002, § 25 Rz. 12 ff. 13 Michael Grünberger: Das Interpretenrecht, Köln 2006, S. 241 ff. m.w.N.
Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht Peter Raue I. Der Fall und das Problem Sie ist 45 Jahre alt, eine stattliche Person, herrliche Rundungen, kräftige Bergsteiger-Beine. Ihr Sohn, 22 Jahre alt, 2,03 m groß, ich würde ihn wohl eine stattliche Figur nennen wollen. Beide gehen in Köln auf ein großes Karnevalsfest und wollen am Kostümwettbewerb teilnehmen. Beide entschließen sich, in den Kostümen ihrer literarischen Lieblingsfiguren zu gehen. Sie: Pippi Langstrumpf mit abstehenden roten Zöpfen, Sommersprossen auf der Nase, einem leidlich kurzen Kleid und bunten Ringelstrümpfen. Er schlüpft in die Rolle von Harry Potter: runde Brille, Zauberumhang, Zauberstab. Sie amüsieren sich köstlich auf dem Fest, werden immer wieder mit „Pippi“ und „Harry“ angeredet. Der Veranstalter lässt die Beiden wie alle anderen Besucher des Festes fotografieren und zeigt die Fotografien auf einer Leinwand dem jubelnden Karnevalspublikum. Ein ernst blickender, sich als Vertreter der Verwertungsgesellschaft Wort (nicht Bild!) ausweisender Herr mit tiefer Stimme deutet auf das Foto unseres ungleichen Paares und erklärt: „Das wird sie teuer zu stehen kommen. Diese Urheberrechtsverletzung können wir nicht dulden.“ Man verzeihe mir in einer Festschrift für einen weithin strahlenden Wissenschaftler, ausgewiesenen Urheberrechtler und glanzvollen Juristen diesen unziemlichen Beginn meines Festschriftbeitrages. Das ebenso erfundene wie lebensnahe Beispiel wirft aber – und dies mag den Einstieg in den Beitrag entschuldigen – das erstaunliche Problem auf, ob einer fiktiven Figur allein aufgrund ihrer literarischen Beschreibung in urheberrechtlich geschützten Werken Urheberrechtsschutz zukommt oder ob es sich die Autorinnen von Pippi Langstrumpf und Harry Potter gefallen lassen müssen, dass ihre Figuren ungenehmigt durch die Landschaft laufen, als Kostüme angeboten und fotografiert werden. Diese Frage wird demnächst der Bundesgerichtshof klären, der über die Revision eines Urteils des OLG Köln1 zu entscheiden hat, das die Schutzfähigkeit der Pippi Langstrumpf-Figur bejaht und in der fotografi-
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schen Abbildung der Kostümierung eine urheberrechtswidrige Bearbeitung der Roman-Figur gesehen hat. Mit dieser Rechtsprechung steht das OLG Köln nicht alleine da. Die Literatur beantwortet die Frage der Urheberrechtsschutzfähigkeit von literarischen Figuren unterschiedlich und häufig sehr diffus.
II. Rechtsprechung und Literatur zum Schutz literarischer Figuren 1. Es ist eine Binse, soll aber eingangs klar gestellt werden: Über den Schutz illustrierter Figuren nach dem Urheberrecht besteht kein Zweifel. Sie sind Werke der bildenden Kunst im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG und damit vor ungenehmigter Vervielfältigung und Bearbeitung geschützt.2 2. Unsere Überlegung konzentriert sich deshalb auf die Frage, ob eine lediglich mit Worten beschriebene, bildlich vom Autor nicht festgelegte Figur urheberrechtlich geschützt sein kann. Erstmals musste der BGH3 die Frage beantworten, ob die von Sir Arthur Conan Doyle erfundenen berühmtesten Figuren der Kriminalgeschichte – der Londoner Detektiv Sherlock Holmes und dessen Gehilfe Dr. Watson – urheberrechtlich geschützt sind. Diese beiden Figuren treten in einer Komödie auf, für jedermann erkennbar, aus welchem Stoff sie gemacht sind. Der BGH lässt die Frage, ob eine lediglich mit Worten beschriebene Figur Urheberrechtsschutz genießen kann, offen und formuliert dazu präzise – eine Präzision, die in den Untergerichten häufig zu vermissen ist –, „ob überhaupt von der Benutzung eines vorbestehenden Werkes … gesprochen werden kann, wenn dem neuen Werk … lediglich das äußere Erscheinungsbild von Gestalten, die durch das vorbestehende Werk bekannt geworden sind, als Anknüpfungspunkt für eine Verwechslungskomödie gedient hat, deren Handlungsträger gerade nicht mit den fraglichen Figuren des früheren Werkes identisch sein sollen und die auch ganz andere Charakterzüge aufweisen, kann hier dahinstehen“,
2 Comic-Figuren Asterix und Obelix, BGH GRUR 1994 – Asterix Persiflagen; MickyMaus, Donald Duck mit seinen drei Neffen sowie Goofy als Werke der bildenden Künste: BGH GRUR 1971, 588 – Disney-Parodie; Schutzfähigkeit der Schlümpfe: OLG Frankfurt am Main GRUR 1984, 520; Schutz der Fernsehfigur Alf: OLG Hamburg GRUR 1991, 207 – Alf, insofern nicht beanstandet von BGH GRUR 1992, 697, 699. 3 BGH GRUR 1958, 354 ff. – Sherlock Holmes.
Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht
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denn – so fährt der BGH fort – „selbst wenn anzunehmen wäre, dass der Film von urheberrechtlich geschützten Teilen der Werke von Doyle Gebrauch mache, so läge jedenfalls nur eine gemäß § 13 LUG (heute § 24 UrhG) zulässige freie Benutzung vor“. Diese Erkenntnis begründet der BGH kurz, knapp und einleuchtend wie folgt: „Treten Figuren einer Filmhandlung in einer äußeren Aufmachung auf, die für die Romangestalten eines bestimmten Autors typisch ist …, so kann hierin alleine keine Verletzung der Urheberrechte am Roman erblickt werden.“ Damit weist der BGH einen Weg, den er konsequent in der „Laras Tochter“-Entscheidung 4 zu Ende geht. Der englische Rechtsanwalt Alexander Mollin schreibt im Roman „Laras Tochter“ das Meisterwerk des Literaturnobelpreisträgers Boris Pastanak „Dr. Shiwago“ fort. Alle Figuren, die in „Laras Tochter“ auftreten, sind dem Shiwago-Roman entnommen, behalten ihre Charakteristika und Rollenverteilung bei. So heißt Shiwagos Geliebte Lara, Tonja ist seine Ehefrau; Komarowski ist der ekelhafte Rechtsanwalt. „Lara’s Tochter“ greift, wie der BGH es formuliert, „die Handlungsfäden [von Dr. Shiwago] in linearer Fortschreibung auf, die Mollin weitergesponnen hat“. Klarstellend formuliert der BGH, dass er mit der Lara-Entscheidung nicht von der Sherlock Holmes-Entscheidung abweicht, vielmehr „die bloßen Bezugnahmen auf Gestalten oder Geschehnisse in Dr. Shiwago“, „urheberrechtlich unbedenklich wären“. Damit ist die Ausgangsposition klar: Wer sich (filmisch, auf dem Theater oder literarisch) der Pippi Langstrumpf-Figur bemächtigt, die Story aufgreift – Mutter tot, Vater fährt zur See, Pippi ist fröhlich, vernünftig, verfügt über übermenschliche Kräfte und ist von ausgeprägter Furcht- und Respektlosigkeit gepaart mit Wortwitz und Fantasie – begeht genauso eine Urheberrechtsverletzung, wie derjenige, der dieses Spiel mit Harry Potter, dem Schloss, den Zauberkräften und Lord Voldemort treibt. Unbeantwortet bleibt jedenfalls in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang aber die Frage, ob die reine Übernahme einer nur literarisch beschriebenen Figur eine Vervielfältigung oder unzulässige Bearbeitung dieser Figur ist oder sein kann. Das LG Köln5 musste entscheiden, ob das Urheberrecht (§ 23 UrhG) die bildliche Darstellung eines Zauberjungen mit Brille, Zauberstab und Umhang auf einer Bettwäsche verbietet, weil hiermit auf Harry Potter ange-
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BGH GRUR 1999, 984 – Laras Tochter. GRUR-RR 2002, 3 – Harry Potter.
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spielt wird. Geschickt verneint das LG Köln diese Frage, indem es behauptet, dass „die das Äußere des Romanhelden beschreibende literarische Vorlage keineswegs in dem Sinne zwingend ist, dass nur eine ganz bestimmte visuelle Darstellung mit dem Romaninhalt vereinbar ist, weil es ‚die‘ verbindliche bildnerische Darstellung des Romanhelden überhaupt nicht gibt“. Wenig hilfreich für die Beantwortung unserer Frage ist in diesem Zusammenhang das Kammergericht 6, das die Schutzfähigkeit der Figur „Anna Marx“ aus den Romanen von Christiane Grän zu beurteilen hatte, dabei aber dahinstehen lässt, „ob ein eigenständiger Schutz der Figur auch unabhängig von der Fabel denkbar ist“. Das LG Hamburg 7 sah die Urheberrechte der Autorin des Romans „Die Päpstin“ durch ein Drehbuch über dieselbe Thematik verletzt und gewährte als erstes deutsches Gericht Urheberrechtsschutz für lediglich literarisch beschriebene Figuren, indem es ausführt: „In der Rechtssprechung ist anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch die Charaktere eines Sprachwerkes als solche, das heißt unabhängig von der äußeren oder inneren Handlung etwa eines Romans, urheberrechtlich geschützt sein können.“ Zur Begründung für die Behauptung, das sei „in der Rechtsprechung anerkannt“, beruft sich das Gericht zu Unrecht auf die Sherlock Holmes-Entscheidung des BGH, der die Frage offen gelassen hat, ob eine literarische Figur urheberrechtlich derart geschützt ist, dass sie sich der unerlaubten Darstellung entzieht. In Wahrheit ist der behauptete urheberrechtliche Schutz keineswegs „anerkannt“. In erstaunlicher Inkonsequenz führt das LG Hamburg weiter aus, „Voraussetzung für diesen Schutz ist, dass es sich bereits bei den Charakteren [!] selbst um eigenpersönlich geprägte, formbildende Elemente des Originalwerks handelt. Diese Eigentümlichkeit kann in der Charakteristik einzelner Figuren oder auch im Wechselspiel mehrerer Personen miteinander … zum Ausdruck kommen“ und für diese Erkenntnis beruft sich das LG Hamburg auf die „Laras Tochter“-Entscheidung. Zu Unrecht: Denn in „Laras Tochter“ ging es um die Legendenfortschreibung, und nicht um die Übernahme eines der Charaktere „unabhängig von der äußeren oder inneren Handlung“. 6 7
KG ZUM 2003, 867. LG Hamburg GRUR-RR 2003, 234 – Die Päpstin.
Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht
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Auffallend häufig setzt sich nun die Rechtsprechung mit Pippi Langstrumpf auseinander: Das LG Berlin8 hatte zu entscheiden, ob der Vertrieb von Postkarten mit Fotografien der Pippi Langstrumpf aus den Pippi Langstrumpf-Filmen die Urheberrechte (unter anderem) der Autorin Astrid Lindgren verletzt und bejaht diese Frage mit erstaunlicher Eindeutigkeit: „Die … literarische Figur Pippi Langstrumpf ist aufgrund ihrer Charaktereigenschaften und einer unverwechselbaren Kombination äußerer Merkmale (9jähriges Mädchen mit zwei abstehenden Zöpfen, roten Harren und Sommersprossen) urheberschutzfähige Gestalt, die als solche Schutz genießt.“ Wegen der „markanten Erkennungsmerkmale“ ist die Gestalt der Pippi Langstrumpf nach Ansicht der Kammer auch in ihren äußeren Merkmalen eine urheberrechtlich geschützte Figur, ohne dass es zusätzlich auf die ihr beigegebenen Charaktereigenschaften ankommt, mit der Folge, dass die Fotografie unserer Pippi-Langstrumpf-Karnevals-Besucherin eine unzulässige Vervielfältigungshandlung wäre! Die vom BGH in der Sherlock HolmesEntscheidung offen gelassene Frage, ob es einen reinen Erscheinungs-Schutz für literarisch beschriebene Figuren gibt, bejaht das Landgericht. Und wird sich doch fragen lassen müssen: Wenn nun das Pippi Langstrumpf-Outfit von jener eingangs geschilderten Mutter auf dem Karneval fotografiert wird, 45 Jahre alt, nicht klein, aber mit abstehenden Zöpfen (Perücke), roten Haaren, Sommersprossen und Ringelstrümpfen an Bergsteigerbeinen: ist allein aufgrund der Erkennbarkeit der gewollten Figur das Urheberrecht von Astrid Lindgren verletzt? Oder nur dann, wenn die Trägerin 9 Jahre alt ist – und auch noch furchtlos? LG und OLG Köln mussten entscheiden, ob ein Pippi Langstrumpf nachempfundenes Karnevalskostüm auf einem Foto, in dem das Kostüm von einem Mädchen getragen wird, die Lindgren-Urheberrechte verletzt. Diese Frage bejaht das Landgericht.9 „Der fiktiven literarischen Figur Pippi Langstrumpf kommt auch außerhalb der Geschichte selbstständiger urheberrechtlicher Schutz zu…, wenn der beschriebene Charakter der Fantasie des Urhebers entsprungen ist … und auch außerhalb der konkreten Geschichte eine charakteristische und unverwechselbare Persönlichkeit aufweist. Handelt es sich danach um einen unverwechselbaren ausgeprägten individuellen Charakter, ist dieser als Werk der Literatur auch für sich eigenständig geschützt.“
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LG Berlin ZUM 2010, 69. LG Köln ZUM 2011, 871.
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Bei genauem Hinsehen ist die Entscheidung wenig hilfreich. Zwar ist richtig, dass allenfalls solche Figuren urheberrechtlichen Schutz genießen können, die Schöpfungshöhe aufweisen. Dazu ist mindestens erforderlich, dass die Figur eine charakteristische und unverwechselbare Persönlichkeit aufweist, die auch außerhalb der konkreten Geschichte wirkt. Ob diese Persönlichkeit sich jedoch auf das bloße Äußere einer Figur beschränkt, ist damit nicht beantwortet. Kann eine äußere Darstellung eine charakteristische und unverwechselbare Persönlichkeit überhaupt abbilden? Unsere das Langstrumpf-Outfit tragende Karnevalsbesucherin hat möglicherweise nichts vom „Charakter“ der Pippi Langstrumpf, weder mutig, noch witzig, noch einsam, noch vermögend. Dennoch eine Urheberrechtsverletzung? Das OLG Köln10 bestätigt die vorinstanzliche Entscheidung und vermischt im Ergebnis wieder Erscheinungsbild und Charakter. Auf der Ebene der Schutzfähigkeit meint es, die Frage offen lassen zu können, ob eine Romanfigur „als solche“ etwa nur im Hinblick auf ihr äußeres Erscheinungsbild schutzfähig sein kann, und stellt zur Begründung des Schutzes der Figur der „Pippi Langstrumpf“ ausdrücklich auch auf deren Eigenschaften und Charakterzüge ab. Also verlangt das OLG Köln bei genauem Hinsehen wiederum: Identisches Aussehen und Übernahme der Charakterzüge – an denen fehlt es aber beim Karnevalskostüm und seiner Trägerin. Im nächsten Schritt begeht das OLG Köln jedoch einen erstaunlichen Fehler: Es glaubt, von der Frage der Schutzfähigkeit die Frage trennen zu können, ob die „bildliche und damit allein auf das Äußere beschränkte Darstellung der Figur eine (urheberrechtswidrige) Bearbeitung der Romanfigur sein kann“. Dabei übersieht das OLG Köln: zwingende Voraussetzung für jede Bearbeitung nach § 23 UrhG ist, dass der entlehnte Teil eines Werkes als solcher den urheberrechtlichen Schutzvoraussetzungen genügt.11 Eine allein auf das Äußere beschränkte Darstellung kann nur dann eine urheberrechtswidrige Bearbeitung einer Romanfigur sein, wenn man eine Romanfigur „als solche“ bereits im Hinblick auf ihr äußeres Erscheinungsbild für schutzfähig hält. Dies verkennt das OLG Köln und hilft uns bei der Beantwortung unserer Fragestellung daher nicht weiter. Auch das OLG München12 musste entscheiden, ob in der Bewerbung eines Karnevalskostüms mit dem Foto eines Mädchens, das das Pippi Langstrumpf-Kostüm trägt, eine Urheberrechtsverletzung liegt. Diese Frage bejaht das OLG München und führt aus, bei der literarischen Figur (Pippi Langstrumpf) handele es sich um
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OLG Köln ZUM-RD 2012, 256. Vgl. Dreier/Schulze § 24 Rn. 14; BGH GRUR 1961, 631, 633 – Fernsprechbuch; BGHZ 9, 262, 267 f. – Lied der Wildbahn. 12 OLG München, Beschluss vom 10.8.2011 – 6 W 1403/11, zitiert nach juris. 11
Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht
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„eine persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG, denn die Beschreibung eines Mädchens mit entsprechendem Aussehen … entspricht weder einer „naturgetreuen“ Darstellung eines jungen Mädchens im Alter von 9 Jahren, noch finden sich im vorbekannten Formenschatz in den 40iger Jahren des vorigen Jahrhunderts entsprechende Figuren aus Märchen- oder Kinderbüchern. Die Werkqualität und der damit einhergehende urheberrechtliche Schutz wird durch die Kombination der äußeren Erscheinungsmerkmale in Kleidung, Haartracht und sonstigem Aussehen, die die Figur als solche prägen und von anderen Kinderfiguren unterscheiden, begründet.“ Das OLG bezieht sich dabei auf seine eigene „Pumuckl Illustration II“Entscheidung13, und übersieht, dass die Entscheidung den Pumuckl als grafische Figur verhandelt, deren Schutzfähigkeit außer Diskussion steht. Dem Gericht genügt es offensichtlich und erstaunlicherweise, dass die Figur der Pippi Langstrumpf nicht der naturgetreuen Darstellung eines jungen Mädchens und auch nicht dem vorbekannten Formenschatz der 40iger Jahre des 20. Jahrhunderts entspricht. Mit dieser Elle die Urheberrechtsfähigkeit der literarischen Pippi Langstrumpf-Figur messen zu wollen, ist erstaunlich und schwer nachvollziehbar. Die Schutzfähigkeit der literarischen Figur Pippi Langstrumpf – sie steht im Zentrum der von der Rechtsprechung ergangenen Entscheidungen – wird in der Rechtsprechung des LG Berlin14, des OLG München15 und LG16 und OLG Köln17 mit dem Hinweis auf die charakteristische Persönlichkeit der Figur bejaht; die Frage, ob die äußere Darstellung einer Figur diese charakteristische Persönlichkeit überhaupt abbilden kann, wird nie konsequent gestellt, und deshalb auch nicht überzeugend beantwortet. 3. Dem Schrifttum ist eine einheitliche Beantwortung der Frage nicht zu entnehmen. Mit klaren Worten verneint Erdmann18 die Schutzfähigkeit literarischer Figuren: „Die handelnden Personen genießen nur Schutz im Rahmen des Handlungs- und Beziehungsgeflechts, in das sie eingebettet sind, d.h. im Rahmen der Fabel“. 13
OLG München GRUR-RR 2008, 37 – Pumuckl Illustration II. LG Berlin ZUM 2010, 69. 15 OLG München, Beschluss vom 10.8.2011 – 6 W 1403/11, zitiert nach juris. 16 LG Köln ZUM 2011, 871. 17 OLG Köln ZUM-RD 2012, 256; siehe außerdem OLG Köln ZUM 2012, 407. 18 Erdmann, Verwendung zeitgenössischer Literatur für Unterrichtszwecke am Beispiel Harry Potter, WRP 2002, 1329, 1344. 14
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Rehbinder 19 dagegen will die Schutzfähigkeit einer literarischen Figur dann bejahen, wenn sie über ihre Funktion innerhalb des Handlungsablaufs hinaus mit eigenständigen Charakterzügen ausgestattet ist und sich dadurch deutlich von der Fabel abhebt. Auch er verlangt aber eigenständige Charakterzüge und stellt nicht lediglich auf das äußere Erscheinungsbild ab. Auf dieser Linie liegt auch A. Nordemann 20, der einer literarischen Figur Urheberrechtsschutz zugesteht, „wenn sie eine unverwechselbare Kombination äußerer Merkmale sowie von Eigenschaften, Fähigkeiten und üblichen Verhaltensweisen besitzt, aus denen besonders ausgeprägte Persönlichkeiten geformt sind, die jeweils in charakteristischer Weise auftreten.“21 Dies entspricht im Ergebnis der Sherlock-Holmes-Linie des BGH 22, denn die Kombination aus äußeren Merkmalen plus Eigenschaften, die nur in einer Handlung zutage treten können, ist letztlich selbst Teil einer schutzfähigen Fabel. Dieser Linie schließt sich auch Bullinger 23 an, der Charaktere von Kunstfiguren bei Einbeziehung in das Handlungsgefüge der Sprachwerke für schutzfähig hält. Nicht eindeutig ist die Auffassung von Loewenheim 24, der einerseits davon spricht, dass „die vom Dichter ersonnenen Charaktere und ihr Beziehungsgeflecht, das Milieu und das Handlungsgefüge einer Dichtung“ geschützt seien, andererseits aber andeutet, dass die Entscheidung des LG Köln zur Verneinung eines Schutzes der Figur von Harry Potter 25 nach dem Erscheinen weiterer Romane der Serie inzwischen anders zu beurteilen sein dürfte. Schulze 26 spricht unter Bezugnahme auf die Entscheidung des LG Hamburg zum Roman „Die Päpstin“27 zwar davon, dass „individuell gestaltete Handlungsabläufe und besonders gestaltete Figuren eines ansonsten historisch in groben Umrissen vorgegebenen Romans“ Urheberrechtsschutz genießen. Offen bleibt dabei allerdings, was die Schutzfähigkeit der Figur begründen soll, die Einbettung in den Handlungsablauf, ihre Charakterzüge oder das literarisch beschriebene Äußere? Allein Graef bejaht ausdrücklich einen eigenständigen Schutz des äußeren Erscheinungsbildes literarischer Figuren.28
19 Rehbinder, Zum Urheberrechtsschutz für fiktive Figuren, insbesondere für die Träger von Film- und Fernsehserien, FS W. Schwarz, S. 163 ff. 20 Fromm/Nordemann/A. Nordemann, § 2 Rn. 102. 21 In eine ähnliche Richtung geht Kitz, Die Herrschaft über Inhalt und Idee beim Sprachwerk, GRUR-RR 2007, 217, 218, der verlangt, dass ein differenziertes, lebensechtes Bild einer fiktiven Persönlichkeit modelliert wird. 22 BGH, GRUR 1958, 354 – Sherlock Holmes. 23 Wandtke/Bullinger, § 2 Rn. 48. 24 Schricker/Loewenheim, § 2 Rn. 85. 25 LG Köln GRUR-RR 2002, 2 – Harry Potter. 26 Dreier/Schulze, § 2 Rn. 44. 27 LG Hamburg GRUR-RR 2003, 234 – Die Päpstin. 28 Graef, Die fiktive Figur im Urheberrecht, ZUM 2012, 108, 110.
Pippi Langstrumpf, der Karneval, das Urheberrecht
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III. Lösungsversuch Man wird Rechtsprechung und Literatur zustimmen können, wenn diese bei signifikanten Figuren wie Pippi Langstrumpf oder wie Harry Potter einen urheberrechtlichen Schutz vor Übernahme und Bearbeitungen der Figuren in anderen Werkformen wie Büchern, Filmen oder Bühnenstücken bejahen. Da bleibt „Laras Tochter“29 wegweisend. Aus derartigen urheberrechtlich geschützten Gesamtwerken darf ich ebenso wenig Teile entnehmen, wie ich aus einem Gedichtband nicht ganze Gedichte zitieren, aus einer Oper keine Arien herauspicken und veröffentlichen und in andere Werke einbauen darf, solange die Schutzfähigkeit besteht. Das Werk ist geschützt, die Legende ist geschützt und als Teil der Legende ist die literarische Figur mit ihrer Kombination aus Äußerem und Charaktereigenschaften geschützt. Dies verbietet es anderen, Pippi Langstrumpf oder Harry Potter auf die Bühne zu bringen und mit den in den jeweiligen Werken versponnenen Charaktereigenschaften auszustatten. Treten dagegen in einem Film Sherlock Holmes und Dr. Watson auf, exakt in dem von Doyle beschriebenen Outfit, aber ohne deren Eigenschaften, so wird in diesem Outfit eine Verletzung der urheberrechtlich geschützten Legende (Sherlock Holmes) nicht zu sehen sein. Das Karnevalskostüm der Pippi Langstrumpf, der Zaubermantel und Zauberstab à la Harry Potter verletzen daher die Urheberrechte ihrer Erfinder nicht. Weder für sich genommen, noch spazieren getragen von Karnevalsteilnehmern und gebannt auf eine Fotografie. Denn die Charaktereigenschaften ihrer literarischen Vorlagen können diese rein äußeren Verkleidungen gar nicht übernehmen, sondern allenfalls auf diese anspielen. Die reine Anspielung muss urheberrechtlich aber frei bleiben. Dies hat der BGH mehrfach betont.30 Jede andere Rechtsprechung – also insbesondere die von OLG Köln und München – hat – unabhängig von ihrer juristischen Fragwürdigkeit – eine gar nicht beherrschbare kasuistische Problematik: Verzichtet unsere eingangs geschilderte Karnevalsbesucherin auf Ringelsocken und trägt sie, um die Bergsteigerbeine etwas zu verbergen, einen langen Rock, bedient sich aber der zwei abstehenden Zöpfe aus roten Haaren und der Sommersprossen: verletzt dies, die zitierte Rechtsprechung zugrundelegend, die Lindgrenschen Urheberrechte oder liegt eine Verletzungshandlung nur dann vor, wenn das Kostüm exakt übernommen und von einem 9jährigen Mädchen getragen wird? Muss es auch reich und schlagfertig sein? Und wenn sie Brillenträgerin
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BGH GRUR 1999, 984 – Laras Tochter. BGH GRUR 1958, 354, 356 – Sherlock Holmes; BGH GRUR 1999, 984, 987 – Laras Tochter. 30
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ist? Sind Figuren wie Biene Maja, Harry Potter, Doppeltes Lottchen, Heidi, die Rote Zora, Lolita nicht längst Gemeingut, deren bloßes Outfit von jedermann ganz genauso oder nur ein bisschen ähnlich übernommen werden darf? Da der Träger derartiger Kostüme nur das literarisch beschriebene Klischee übernimmt, ohne auch nur ansatzweise die Fabel fortzuschreiben, wird man diese Handlungsweise nicht als eine Bearbeitung des Werkes bezeichnen können. In freier Benutzung tragen unsere Karnevalsbesucher ihre literarisch vorgefundenen Kostüme und in freier Benutzung werden sie fotografiert. Freilich bleibt bei dieser Lösung ein Unbehagen: Kann sich die Autorin nicht dagegen wehren, dass Harry Potter auf der Bettwäsche, auf T-Shirts, Tassen gedruckt zum Verkauf angeboten wird? Die Waffe gegen ein solches Tun dürfte aber nicht im Urheberrecht zu finden sein. Hier wird das Markenrecht und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) eher Hilfe bieten, als das Urheberrecht. Aber das ist ein weites Feld, das mit diesem Beitrag nicht betreten werden soll.
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Das Bühnenbild war wunderschön, aber die Schauspieler standen davor. Alexander Woollcott
I. Funktion und Bedeutung der AVB für das Versicherungswesen 1. Die Bedeutung Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) beschreiben auf der einen Seite die Leistung des Versicherers und legen auf der anderen Seite die Pflichten des Versicherungsnehmers, insbesondere die Prämie zu bezahlen und die Obliegenheiten zu erfüllen, fest.1 Die besondere Bedeutung der AVB im Versicherungswesen liegt in der Kodifikationsgeschichte des 19. Jh. Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Preußischen Landrechtes (ALR) am 01.06.1794, vergingen immerhin 114 Jahre bis zum Erlass des ersten Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) im Jahre 1908.2 Dazwischen gab es zahlreiche Versuche eine brauchbare Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts zu schaffen. Preußen legte 1857 eine Neuregelung innerhalb des Entwurfs eines Handelsgesetzbuches vor. Es entstanden einige seeversicherungsrechtliche Vorschriften, während eine Kodifikation des Versicherungsvertragsrechtes nicht erörtert wurde. Man war der Auffassung, nicht über genügend Informationen zu verfügen. Auch der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1861) und der Dresdner Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Obligationenrechtes (1866) befassten sich zwar mit dem Versicherungsrecht, blieben aber im Ansatz stecken.3 So lag die Entwicklung Allgemeiner Versicherungsbedingungen als Folge der sich ausweitenden Geschäftstätigkeit der Gesellschaften und der fehlenden Gesamtkodifikation durchaus nahe. 1874 ent-
1 Farny, AVB unter dem Gesichtspunkt der „Produktbeschreibung“, ZVersWiss 1975, 169, 182; Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, S. 160. 2 Schwintowski, Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt, S. 40 m.w.N. 3 Schwintowski, aaO., S. 40.
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standen auf Verbandsebene die ersten einheitlichen AVB.4 Die AVB haben wesentlichen Einfluss auf die spätere Gestaltung im VVG genommen, wie etwa E. R. Prölss für den Bereich der Feuerversicherung zeigen konnte.5 An dieser branchenübergreifenden kodifikationsergänzenden Bedeutung der AVB hat sich bis heute, trotz der Öffnung und Liberalisierung der Versicherungsmärkte am 29.07.1994 nichts geändert. An die Stelle der bis dahin aufsichtsrechtlich erforderlichen Vorabgenehmigung der AVB sind inzwischen Verbandsempfehlungen getreten.6 Danach hat jede Versicherungssparte bis heute ihren eigenen AVB.7 Die AVB vereinheitlichen und standardisieren die Produktauswahl auf Versicherungsmärkten. Sie bilden das Skelett dieser Märkte und sorgen im Zusammenwirken mit den ergänzenden Regelungen des VVG und des VAG dafür, dass die von den Versicherern entwickelten Versicherungsprodukte über das Heer der Versicherungsvermittler bei den Kunden zur Absicherung unterschiedlichster Risikolagen differenzierbar ankommen. Auch die VVG-Reformkommission, die das Bundesministerium der Justiz im Jahre 2000 einsetzte8, wurde bei der Neugestaltung des ab 01.01.2009 in Kraft getretenen neuen VVG durch eine Vielzahl am Markt gebräuchlicher AVB beeinflusst. Besonders stark ist dies bei der Berufsunfähigkeitsversicherung zu erkennen. Diese Sparte, die früher nicht Gegenstand des VVG war, ist heute leitbildhaft in den §§ 172–177 VVG kodifiziert, stark beeinflusst durch die Vertragspraxis und Rechtsprechung bis 31.12.2007.9 Anders als die AGB der Banken und Sparkassen strukturieren die AVB in der Versicherungsbranche das Angebot am Markt. Die Versicherungsprodukte selbst sind Gegenstand der AVB; die Versicherung wird deshalb auch als Rechtsprodukt begriffen.10 Die Verbindung von standardisierter Produktbeschreibung und ergänzenden Allgemeinen Vertragsbedingungen ist für Versicherungsmärkte prägend und typisch. Eine ähnliche Verbindung gibt es weder bei Banken oder Sparkassen noch auf den Produkt- und Dienstleistungsmärkten anderer Provinienz. Während man das Auto und den es begleitenden Kaufvertrag oder das Medikament und den Beipackzettel sehr genau voneinander unterscheiden und trennen kann, ist dies beim typischen Versicherungsprodukt anders. Die AVB verkörpern das Versicherungspro-
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Schwintowski, aaO., S. 40. E. R. Prölss, Die Entwicklung des Feuerversicherungsrechts, in: Das Versicherungsarchiv, 1942/43, S. 156, 162 f.; vertiefend Schwintowski, aaO., S. 40/41 f. 6 Vgl. den von Heinrich Dörner herausgegebenen Band Allgemeine Versicherungsbedingungen, 6. Aufl., 2009, Beck Verlag. 7 Dörner, aaO., S. 1. 8 Der Verfasser gehörte dieser Kommission an. 9 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski, PK-VersR, 2. Aufl., 2011 Vorbem. §§ 172–177, Rn. 2. 10 So der Titel der Habilitationsschrift von Meinrad Dreher, Die Versicherung als Rechtsprodukt, 1991; übergreifend Eidenmüller, Recht als Produkt, JZ 2009, 641–653. 5
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dukt. Es ist selbst Inhalt und Teil der AVB, wird allerdings von Regeln umgeben und ergänzt, die nichts mit dem Versicherungsprodukt im engeren Sinne zu tun haben. Diese Gemengelage führt zur typischen Intransparenz von AVB. Der frühere BGH-Richter und erste Ombudsmann für das Privatversicherungsrecht, Prof. Wolfgang Römer, schreibt – so als würden wir es mit einer naturgesetzlichen Konstante zu tun haben: „Der Laie kann ihren Inhalt nur schwer verstehen. Deshalb verzichten die meisten VN darauf, sie zu lesen. Sie sollten die AVB auch nicht zu lesen brauchen. Denn AVB sollten fair gestaltet sein.“11 Für den Produzenten eines Autos wären solche Überlegungen geradezu absurd. Man schafft Schauräume, um die Modelle dort auszustellen, niemand käme auf den Gedanken, das Produkt mit dem Kleingedruckten so zu vermengen, dass nichts mehr erkennbar ist. Im Gegenteil, das Auto muss blitzen und glänzen – man legt wert darauf, dass das Publikum die Produkte genauestens betrachtet, untersucht – am besten bestaunt –, aber auch ausprobiert. Jede technische Neuerung und Weiterentwicklung wird erläutert und in Hochglanzbroschüren hervorgehoben. Über Transparenz muss man auf Automärkten nicht reden. Wer versucht, zu verschleiern, dass das Auto in Wirklichkeit eine Attrappe oder womöglich Mogelpackung ist, wird in kürzester Zeit vom Markt gefegt sein. Ganz anders auf Versicherungsmärkten: Hier ist die Intransparenz von AVB geradezu Programm. Bundesrichter Römer meint, sogar nicht vermeidbar. Das, was man kauft, kann man also – seiner Natur nach?! – nicht erkennen. Aber was kauft man dann eigentlich? Eine Art „Vorstellung“ von dem, was der Versicherungsvermittler in ergänzenden bunten Broschüren anpreist? Erwirbt man womöglich eine „Wahnvorstellung“ – sehr ähnlich dem Motto „der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang“? Betrachtet man die Märkte für Lebensversicherungen, so könnte man ins Grübeln kommen, denn ca. 50 % aller Verträge werden innerhalb der ersten drei bis fünf Jahre aufgehoben. Das heißt die Kunden verlieren in dieser Zeit etwa die Hälfte der von Ihnen eingezahlten Prämien (§ 169 Abs. 3 VVG). Da der deutsche Durchschnittskunde ca. drei bis vier Lebensversicherungsverträge in seinem Leben abschließt, bedeutet das, dass fast jeder Bundesbürger mehr als einmal in seinem Leben mehrere tausend Euro für den Erwerb einer letztlich frühzeitig stornierten Lebensversicherung in den Sand setzt. Würde etwas Vergleichbares bei einem Autobauer geschehen, würden also 50 % aller Kunden nach verhältnismäßig kurzer Benutzungszeit der Auffassung sein, das man das Auto besser (mit großem Verlust) zurückgibt, dann wäre dieser Autohersteller mit Sicherheit sofort pleite. Wieso ist das auf Versicherungsmärkten anders? Wieso können sich Versicherungsprodukte halten, die für den Durchschnittskunden nicht klar und nicht verständlich sind? Handelt es sich hier wirklich
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Römer in: Römer/Langheid, VVG-Komm., 3. Aufl., 2012, vor § 1 VVG, Rn. 1.
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um ein „Naturgesetz“, so wie es Römer andeutet oder gibt es möglicherweise doch Wege, die aus dem Dschungel hinausführen? Die folgenden Überlegungen versuchen zu zeigen, dass die notorische Intransparenz von AVB auf verfehlten Anreizstrukturen beruht.12 Es scheint so, als würde es sich für Versicherer nicht lohnen, in klare und verständliche AVB zu investieren. Im Gegenteil, sie haben wettbewerblich erhebliche Vorteile, wenn sie die AVB intransparent gestalten und so belassen. Einer der Hauptgründe für diese Diagnose scheint im Gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht zu liegen. Es wird nahezu unisono vertreten, dass man AVB nicht schützen könne – würde man also große Summen in die Neuentwicklung von AVB stecken, so würde sich das auf gar keinen Fall amortisieren, weil jeder Konkurrent berechtigt wäre, die gerade eben optimierten AVB 1: 1 zu übernehmen. Diese Vorstellungen sind nicht ganz falsch – aber sie sind auch nicht ganz richtig. Vor allem das Urheberrecht bietet, worauf auch Artur-Axel Wandtke immer wieder hingewiesen hat, Möglichkeiten des Schutzes für AVB, die aber – wenn ich es recht sehe – bis heute von der Versicherungswirtschaft fast unerkannt geblieben sind.13 Die folgenden Überlegungen versuchen zu zeigen, dass Versicherer sehr viel bessere und sehr viel weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf AVB haben, als sie bisher glauben. Es lohnt sich, in klare, verständliche, transparente AVB zu investieren. Die Investition in solche AVB wird sich amortisieren, weil Wettbewerber an der Übernahme solcher individuell entwickelter AVB urheberrechtlich gehindert werden können. Mithilfe des Urheberrechtes lässt sich also die notorische Intransparenz von AVB überwinden. Womöglich ist es am Ende so, dass der Kunde die AVB doch verstehen kann. Möglicherweise werden sogar die Versicherer eines Tages ihre AVB stolz in „Schauräumen“ präsentieren und auf phänomenale Produktfortentwicklungen – etwa im Bereich der Obliegenheiten oder der Risikoausschlüsse – verweisen. Eine der wichtigen Mitursachen für diese Entwicklung wird dann das Urheberrecht gewesen sein. 2. Funktionen von AVB AVB haben typischerweise eine Standardisierungsfunktion. Sie legen die produktgestaltenden Merkmale fest. Das heißt sie beschreiben Leistungen, die der Versicherer im Versicherungsfall erbringt. Zugleich werden Risiken 12 Grundlegend zum Konzept der umfassenden Anreizanalyse und eines Mindeststandards im Bereich des Immaterialgüterrechts, Kirchner, Innovationsschutz und Investitionsschutz für immaterielle Güter, GRUR Int. 2004, 603–607. 13 Das gilt aber auch für die spärlichen Beiträge in der Literatur, etwa Prister, Nachahmungsschutz für Dienstleistungsmodelle, 1965, passim; W. Nordemann, Innovationsschutz für Versicherungsprodukte, ZVersWiss 1996, S. 129–137; Fricke, Schutz neuer Versicherungsprodukte vor Nachahmung?, VersR 1997, 162.
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verlagert. Der Kunde, der sein Haus gegen Feuer versichert, kann zwar nicht den Brand verhindern, aber er kann das wirtschaftliche Risiko der Zerstörung seines Hauses durch Feuer auf den Versicherer überwälzen. AVB haben somit auch Sicherungsfunktion. Darüber hinaus realisieren AVB die Innovationsfunktion, die Versicherungsverträgen prinzipiell innewohnt. Durch Risikoverlagerung auf Versicherer können die Kunden selbst risikofreudiger werden, also mehr und weitere Risiken eingehen. Gäbe es beispielsweise keine Kraftfahrthaftpflichtversicherung, so würden unsere Autos wahrscheinlich als Panzer konstruiert sein, um Schäden soweit es irgend geht, zu minimieren. Die Häuser würden in Ermangelung von Einbruchversicherungen von hohen Mauern umgeben und mit vergitterten Fenstern ausgerüstet sein. AVB haben aber außerdem auch eine Ordnungsfunktion. Soweit es um produktbegleitende Regelungen, etwa zur Prämienfälligkeit oder zum Verzug, zur Kündbarkeit, zum Gerichtsstand oder zur Rechtswahl geht, entsteht eine standardisierte begleitende Vertragsordnung, die mit der Risikoübernahme – also dem eigentlichen Versicherungsprodukt – nichts mehr zu tun hat. Diese rechtliche Ordnungsfunktion sollte in Zukunft von der Produktgestaltungsfunktion strikt getrennt werden. Allein die Trennung zwischen den Ebenen Produktgestaltung einerseits und Vertragsordnung andererseits beinhaltet eine Gestaltungshöhe, die für bisherige AVB untypisch ist und deshalb urheberrechtlich relevant sein wird. Die Trennung zwischen dem eigentlichen Versicherungsprodukt und der daneben stehenden Vertragsordnung ist aber auch deshalb erforderlich, weil diese Trennung allein in aller Regel bereits zu klaren und verständlichen Sprachwerken führt, die auch für den Durchschnittskunden verständlich werden. Ganz besonders wichtig ist dies mit Blick auf das Versicherungsprodukt selbst. Es mag sein, dass die den Vertrag begleitenden rechtlichen Ordnungsregeln für viele Kunden trotz großen Bemühens um Verständlichkeit „schwere Kost“ bleiben. Das hat nicht nur etwas mit der spezifischen Juristensprache, sondern vor allem damit etwas zu tun, dass Rechtsregeln eine Vielzahl von Lebenssachverhalten verdichten und auf einen gemeinsamen Nenner bringen müssen, sodass unter Begriffen, wie etwa Verzug, Vertreten oder Vertragsbeginn eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Sachverhalte subsumiert werden können, ohne dass dies für den juristisch nicht vorgebildeten Laien erkennbar sein könnte. Diese, aus dem Rechtssystem herrührende „Systemintransparenz“ ist auch in AVB nicht vermeidbar. Die Bürger akzeptieren diese jedem Rechtssystem immanente Komplexitätsproblematik, weil der Nutzen der Bürger aus der Existenz einer Rechtsordnung in summa größer ist als der Nachteil, der ihr innewohnenden Intransparenz und Komplexität. Dieser Gedanke gilt natürlich nicht in jedem Einzelfall. Bezogen auf die Gesamtheit aller Fälle gilt: Der Nutzen von Rechtsregeln ist größer als ihr Schaden. Das ist die Legitimation für die Rechtsordnung aus ökonomischer Perspektive.
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Ausgehend von dieser Erkenntnis stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber die Versicherer zurzeit zwingt, in die AVB Rechtsregeln aufzunehmen, die der Kunde sowieso nicht verstehen kann. Genauso ist es aber zurzeit, denn in § 10 VAG werden die Versicherer verpflichtet, eine Vielzahl der vertragsbegleitenden Ordnungsregeln aus dem VVG in die AVB zu implementieren. Das gilt für die Fälligkeit der Prämie und die Rechtsfolgen eines Verzuges, aber auch für die Obliegenheiten und Anzeigepflichten oder auch für den Gerichtsstand. Die AVB sind also auch deshalb so intransparent und unverständlich, weil das Gesetz die Versicherer zurzeit verpflichtet, Rechtsregeln zu wiederholen, die ohnehin gelten, die Teil der Rechtsordnung sind und deren Existenz der Bürger im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen längst anerkannt hat. Er ist sich der einzelnen Rechtsregel und ihrer Inhalte zwar nicht bewusst. Er rechnet aber mit solchen Regeln und er vertraut darauf, dass der Gesetzgeber im parlamentarischen Verfahren diese Regeln unter Berücksichtigung der gegenseitigen Interessen aller Beteiligten entwickelt und somit einem gerechten Ausgleich zugeführt hat. Er vertraut außerdem darauf, dass er bei etwa notwendig werdenden Korrekturen die Gerichte anrufen kann und dass diese – spätestens das Bundesverfassungsgericht – etwaige Ungerechtigkeiten im Regelsystem beseitigen. Auch diese Annahme des Bürgers erfüllt sich nicht in jedem Einzelfall, aber die tägliche Rechtspraxis zeigt, dass die vom Rechtsstaat praktizierten Ordnungsregeln – so auch im Versicherungsrecht – angemessen, fair und verhältnismäßig sind. Das heißt: Die den Bürger umgebende Regelordnung wird von allen Betroffenen auch dann akzeptiert, wenn die einzelnen Regeln nicht jedem inhaltlich bekannt und verständlich sind. Aus diesem Grunde muss man einem Vertrag auch nicht die gesamte Rechtsordnung beifügen, die diesen Vertrag ergänzt. Niemand käme auf den Gedanken, bei Abschluss eines Kaufvertrages große Teile des BGB-Kaufrechts beizufügen. Das Gleiche gilt für Mietoder Werk- oder Arbeits- oder Beratungsverträge. Merkwürdigerweise ist dies nur beim Versicherungsvertrag anders. Das liegt an § 10 VAG, der etwas Gutes will, den informierten und aufgeklärten Versicherungsnehmer, dieses Ziel aber letztlich durch Informations-Overloading völlig verfehlt. Man könnte deshalb die Frage stellen, ob nicht ein Gesetzgeber, der selbst für Intransparenz in AVB durch verfehlte Rechtsregeln sorgt, damit gegen das in der Missbrauchsrichtlinie kodifizierte Transparenzgebot europäischen Rechts verstößt.14 Der Gesetzgeber ist offenbar der gleichen Auffassung. Jedenfalls enthält der derzeit diskutierte Entwurf zur Neuschaffung des VAG im Zuge der Umsetzung von Solvency II den bisherigen § 10 VAG nicht mehr – er ist ersatzlos gestrichen. Das bedeutet, die Versicherer müssen
14 Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, 93/13/EWG, abgedruckt in NJW 1992, 1838.
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in Zukunft, wenn diese Streichung Realität geworden ist, die ihre Leistungsbeschreibung ergänzenden rechtlichen Ordnungsnormen nicht mehr in die AVB aufnehmen. Die AVB werden nicht nur deutlich kürzer werden, sondern sie werden sich auf die Leistungsbeschreibung, also auf das eigentliche Versicherungsprodukt, beschränken. Insoweit werden sie auch lesbar und verständlich sein. Vor allem wird der Wettbewerb auf den Versicherungsmärkten dafür sorgen, dass sich Versicherer nur noch mit solchen Produkten durchsetzen können, die im Vergleich zu den Produkten anderer Wettbewerber klarer, verständlicher und rechtssicherer sind. In diesem Zusammenhang wird eine Frage schärfer herausgearbeitet werden müssen, die bisher in der Diskussion nahezu untergeht. Die Frage lautet, ob die Teile der AVB, die das Produkt beschreiben, tatsächlich AVB im Sinne der §§ 305–310 BGB sind. Bisher wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass AVB Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne der §§ 305–310 BGB sind.15 Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nämlich Regeln, die den Vertragsinhalt – nicht aber das eigentliche Produkt – gestalten sollen.16 In gewissen Grenzen fallen auch Bestimmungen über Hauptleistungspflichten unter den Begriff der AGB.17 Innerhalb eines Versicherungsvertrages würden also die Regeln über die Prämienzahlung zu den AGB gehören, ebenso wie Regeln über vorvertragliche Informationspflichten und insgesamt das Transparenzgebot, für alle Leistungen und Gegenleistungen innerhalb eines Versicherungsvertrages. Das eigentliche Versicherungsprodukt, die Idee, ein bestimmtes Risiko auf den Versicherer zu übertragen, ist hingegen keine Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern dieser vorgelagert. Wenn sich ein Versicherer entschließt, ein Wohngebäude gegen Feuer, Leitungswasser, Sturm, Einbruchdiebstahl und Glas zu versichern, dann ist diese Idee als solche das Versicherungsprodukt. Dieses Versicherungsprodukt entsteht nicht dadurch, dass man es in Klauseln beschreibt. Es entsteht im Vorfeld solcher Klauseln, nämlich dadurch, dass sich ein Versicherer entschließt, einen bestimmten Versicherungsschutz, für von gleichartigen Risiken bedrohte Kundengruppen zu entwickeln. Dieter Farny schreibt in seinem berühmten Lehrbuch zur Versicherungsbetriebslehre: „Das Produkt Versicherungsschutz ist ein Wirtschaftsgut, das vom Versicherer produziert und vom Versicherungsnehmer verwendet wird. Seine Eigenschaften als Wirtschaftsgut ergeben sich aus der Fähigkeit, dem Verwender Nutzen zu stiften, das heißt dort zweckerfüllendes Mittel zu sein, weiter aus seiner Knappheit, die im Verbrauch anderer Wirtschaftsgüter bei seiner Produktion zum Ausdruck kommt. Nutzen und Knappheit bedingen den Wert
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So etwa Römer in Römer/Langheid, VVG-Komm., 3. Aufl., vor § 1, Rn. 9. Grüneberg in: Palandt71, § 305, Rn. 3. OLG Düsseldorf, WM 1984, 83.
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des Wirtschaftsguts Versicherungsschutz, der beim Austausch am Markt zur Zahlung bzw. zum Empfang eines Preises, der Prämie, führt. Das Produkt Versicherungsschutz umfasst das Risikogeschäft, das Dienstleistungsgeschäft, gegebenenfalls auch das Spar- und Entspargeschäft.“18 Dieses Versicherungsprodukt als solches wird zwar mit Mitteln der Sprache dargestellt – anders ist es wegen seiner Abstraktion nicht fassbar – aber: Das Produkt wird dadurch nicht etwa zur Allgemeinen Geschäftsbedingung. Das Versicherungsprodukt ist demnach vom Anwendungsbereich des AGBRechtes ausgenommen. Das muss auch so sein, denn andernfalls würde man etwa über § 307 BGB fragen können, ob eine bestimmte Produktidee angemessen oder unangemessen ist. Diese Frage entscheidet in einer Marktwirtschaft allein der Markt. Wenn Verbraucher Produkte unangemessen finden, fragen sie sie nicht nach. Auf diese Weise verschwinden die Produkte vom Markt. Umgekehrt kann jeder Versicherer das Produkt anbieten, das ihm eine Marktchance verspricht. Er ist bei der Produktentwicklung völlig frei. Grenzen setzt das BGB, wenn es Irreführungen (§§ 119, 123 BGB) verbietet oder auch das UWG, das etwa unlautere Werbung untersagt, oder das GWB, das die Bildung von kartellrechtswidrigen Absprachen verbietet (§ 1 GWB/ Art. 101 AEUV). Ob aber ein Versicherer eine Risikolebensversicherung, eine fondsgebundene Lebensversicherung, eine Tontine oder eine reine Erlebensfallversicherung anbietet, entscheidet er selbst ganz allein. Die Klauseln, die später in den AVB die Leistung des Versicherers beschreiben, sind zweifelsohne sprachlich determiniert; sie sind auch Teil der AVB, sie sind aber keine AGB im Sinne der § 305–310 BGB. Sie unterfallen folglich nicht der Unangemessenheitskontrolle des § 307 BGB. Sollten sich in Zukunft – nach Streichung von § 10 VAG – neue, sehr viel kürzere AVB durchsetzen, die sich im Wesentlichen auf die Leistungsbeschreibung und damit auf die Produktgestaltung des Versicherers beschränken, so wird eine der Hauptfragen sein, ob man auf die Klauselgestaltung überhaupt noch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wird anwenden können. In jedem Falle wird es sich aber um ein Sprachwerk handeln und dieses wiederum führt dazu, dass zumindest das Urheberrecht in gewissen Grenzen anwendbar sein könnte. Bevor diese Frage vertieft wird, soll ein kurzer Blick auf Rechtsregeln geworfen werden, die möglicherweise – neben dem Urheberrecht – ebenfalls dem Verwender Schutz geben könnten.
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Farny, Versicherungsbetriebslehre, 2. Aufl., 1995, S. 446.
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II. Der – lückenhafte – Schutz von AVB im Rechtssystem 1. Patentrechtlicher Schutz Nach deutschem und europäischem Verständnis werden Patente nur für Erfindungen auf den Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind (§ 1 PatG). Ähnlich verlangt Art. 56 EPÜ eine erfinderische Tätigkeit, die der Lösung eines technischen Problems dient. Versicherungsprodukte werden aber nicht entwickelt, um technische Probleme zu lösen. Ihnen geht es um das Erfassen von (wirtschaftlichen) Risikolagen; das Entwickeln einer Schadenstatistik und darauf aufbauend einer Prämienkalkulation, die es dem Versicherer ermöglicht, das Risiko dem Versicherungsnehmer abzunehmen. Es ist denkbar, dass man für die Schadenstatistik und für die daraus abgeleitete Prämienkalkulation ein eigenständiges Computermodell entwickelt. Für dieses IT-basierte Programm ist Patentschutz denkbar, jedenfalls wenn die Lösung des konkreten technischen Problems neu ist und auf erfinderischer Tätigkeit beruht.19 Bei Versicherungsprodukten geht es – außerhalb des Bereichs der Technik – um die Frage, wie man Risiken erkennt, definiert und prämienmäßig fasst. Das Versicherungsprodukt selbst ist die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos gegen Entgelt. Diese Idee ist seit Hammurabi – ca. 2250 v. Chr. – bekannt. Sie bedarf keiner Umsetzung in irgendein IT-Programm, das heißt selbst dann, wenn man ein neu entwickeltes Versicherungsprodukt möglicherweise über das Internet anbieten sollte, wird man in aller Regel mit der vorhandenen Standardsoftware und Textverarbeitung arbeiten, damit man internetkompatibel ist. So gesehen ist zwar möglicherweise der dem Versicherungsprodukt vorgelagerte Prozess der Tarifierung patentschutzfähig. Das Produkt als solches, selbst wenn es computerbasiert angeboten werden sollte, jedoch in der Regel nicht, da die verwendete Technik zur Präsentation selten neu und prägend sein wird. Die gleichen Grundsätze gelten nach § 1 Abs. 1 Gebrauchsmustergesetz.20 Im amerikanischen Patentrecht könnte das anders sein, weil seit 1998 unter gewissen Voraussetzungen bereits Geschäftsmethoden patentfähig sind.21 Inzwischen hat auch der Supreme Court die Möglichkeit der Patentierung von bloßen Geschäftsmethoden anerkannt.22 19
BGH vom 22.04.2010 – Xa ZB 20/08 (BPatG), GRUR 2010, 613, 615, Tz. 19 Dynamische Dokumentengenerierung. 20 BGH vom 20.06.2006 – X ZB 27/05, GRUR 2006, 842, 845 Demonstrationsschrank. 21 Beginnend mit State Street Bank & Trust Co. v. Signature Financial Group Inc. (CAFC) 1998, 47 U.S.P.Q.2D (BNA) 1596 = GRUR Int. 1999, 633 m.Anm. Nack; ausführlich Moglia, Die Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden, 2011, S. 233 ff. 22 Supreme Court, Case No. 08-964, S. 6–16 of the Opinion of the Court – Bilski v. Kappos http://www.supremecourt.gov/opinions/09pdf/08-964.pdf (Stand: 09.11.2011); vertiefend Lejeune/Sieckmann, Softwarepatente in den USA und die aktuelle Entwicklung in Deutschland und der EU, MMR 2010, 741–745.
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2. Markenschutz Das Markenrecht bietet Schutz für die Marke oder den Werktitel des Produktes. Eine der bekanntesten Marken im Versicherungsbereich war die Hamburg-Mannheimer mit dem Versicherungsvertreter „Herr Kaiser“.23 Einen Schutz vor Produktnachahmung bietet jedoch das Markenrecht – auch das Recht der Europäischen Gemeinschaftsmarke – nicht.24 3. Wettbewerbsrechtlicher Schutz Im Wettbewerbsrecht gilt der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit.25 Wenn und soweit keine Sonderschutzrechte bestehen, darf die Handlungs- und Berufsfreiheit (Artt. 2, 12 GG) nur noch ausnahmsweise eingeschränkt werden, „da sonst der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit praktisch in sein Gegenteil verkehrt würde.“26 Die früher von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen sind heute in § 4 Nr. 9 UWG aufgezählt. Nachahmung ist dann unlauter, wenn eine Herkunftstäuschung herbeigeführt wird, der Wettbewerber die Wertschätzung der nachgeahmten Ware unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt oder die für die Nachahmung erforderlichen Kenntnisse oder Unterlagen unredlich erlangt hat. Alle drei Voraussetzungen spielen für die AVB keine Rolle. AVB geben keinen Hinweis auf die betriebliche Herkunft; sie verkörpern bis heute keine besondere Wertschätzung – im Gegenteil, sie werden bei der Vermarktung von Versicherungen soweit wie möglich nicht erwähnt und sie sind öffentlich zugänglich, das heißt der Zugang ist in jedem Falle redlich.27 Das Leistungsergebnis – hier die AVB – sind – so der BGH ausdrücklich – nicht Gegenstand des wettbewerbsrechtlichen Schutzes nach § 4 Nr. 9 UWG.28 Der BGH hat den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit in den Lego-Urteilen ein wenig eingeschränkt.29 Grund-
23 Vertiefend Wehling, Schutz innovativer Versicherungsdienstleistungen 2002, S. 68; für den österreichischen Markt Dillenz, Innovationsschutz für Versicherungsprodukte, VR 1996, 177, 181 f. 24 Vertiefend Hermes, Die Schutzfähigkeit von besonderen AGB-Klauselwerken – eine juristisch-ökonomische Analyse am Beispiel von Versicherungs- und Finanzprodukten, Diss. Berlin, Manuskript ab S. 119 (erscheint demnächst). 25 BT-Drucks. 15/1487, S. 18; BGH vom 12.01.2007 – I ZR 198/04, GRUR 2007, 795, 799, Tz. 51 Handtaschen. 26 Heyers, Wettbewerbsrechtlicher Schutz gegen das Einschieben in fremde Serien – zugleich ein Beitrag zu Rang und Bedeutung wettbewerblicher Nachahmungsfreiheit nach der UWG-Novelle, GRUR 2006, 23, 24; ausführlich und vertiefend: Wehling, aaO., S. 106– 108. 27 Vertiefend Hermes, aaO., Manuskript ab S. 132. 28 BGH vom 28.10.2010 I ZR 60/09 GRUR 2011, 436, 437, Tz. 17 Hartplatzhelden.de. 29 Zuletzt BGH vom 02.12.2004 – I ZR 30/02, Klemmbausteine III, unter Hinweis auf die Vorentscheidungen in Tz. 31; ausführlich und unter Berücksichtigung der Lego-Ent-
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sätzlich ist danach ein wettbewerblicher Leistungsschutz möglich, wenn sich ein Wettbewerber in eine sehr erfolgreiche weltbekannte Serie – hier: LegoBausteine – einschiebt, sodass seine Bausteine mit dem Legosystem völlig kompatibel und vermischbar sind. Konsequenz: Der Wettbewerber kann, wenn er kostengünstiger als Lego produziert, das Unternehmen Lego durch Nachahmung praktisch vom Markt verdrängen. Dagegen ist – so der BGH – jedenfalls nach Ablauf des Innovationsschutzes durch Patent-, Gebrauchsmuster- oder Geschmacksmusterrecht auch nichts einzuwenden, weil man andernfalls mithilfe des UWG die Freiheit des Wettbewerbs übermäßig einschränken könnte.30 Wollte man diese Grundsätze auf AVB übertragen, so müsste ein Unternehmen über AVB verfügen, die ein Versicherungsprodukt verkörpern, mit dessen Hilfe das Unternehmen Weltgeltung erlangt hat. Das Versicherungsprodukt müsste über eine Eigenart verfügen, die dem Legobaustein vergleichbar ist. Ein solches Versicherungsprodukt gibt es weder im nationalen, noch im europäischen und schon gar nicht im weltweiten Kontext. Würde es ein solches Produkt einmal geben, so müsste man ergänzend fragen, ob ein solches Dienstleistungsprodukt Gegenstand des wettbewerblichen Leistungsschutzes sein kann, obwohl es für Dienstleistungsprodukte – jedenfalls in Deutschland und Europa – weder Patente noch Geschmacks- oder Gebrauchsmuster gibt. Jedenfalls liefe ein Schutz über das Wettbewerbsrecht auf den aus den USA bekannten Schutz der Geschäftsmethode hinaus. Anders als in den Lego-Fällen wäre der Schutz über das Wettbewerbsrecht aber vor allem auch deshalb kaum denkbar, weil es in Deutschland und Europa für Dienstleistungsprodukte keinen gesetzlichen Innovationsschutz gibt. Dienstleistungen dürfen folglich im Wettbewerb nachgeahmt werden. Das Gewähren eines zeitlich unbegrenzten wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes würde diesen Grundsatz geradezu auf den Kopf stellen und gegen das primärrechtlich gewährleistete Prinzip des freien und effizienten Wettbewerbs (Artt. 119, 120 AEUV) verstoßen. Sollte es jemals also einem Versicherer gelingen, ein Versicherungsprodukt zu entwickeln, das strukturell der Erfindung des Legobausteins vergleichbar ist, so sollte dieser Versicherer mit der Marktdurchsetzung in den USA beginnen, weil dort immerhin der Schutz der Geschäftsmethode (in engen Grenzen) anerkannt ist. Daneben sollte er den markenrechtlichen Schutz national, europäisch und weltweit anstreben und – in einem Pilotverfahren – zumindest den Versuch unterneh-
scheidungen in den USA, Frankreich, Norwegen, Niederlande, Großbritannien, Finnland, Dänemark und China, Gondert, Der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz – ein Beitrag zum wettbewerbsrechtlichen Schutz vor der Ausbeutung fremder Leistungen durch das Einschieben in eine fremde Produktserie, Diss. Berlin, 2012, erscheint demnächst (Literaturhinweise Manuskript S. 357, Fn. 535). 30 BGH, aaO., Tz. 32/33 m.w.N.
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men, analog zu den Legourteilen für dieses extrem innovative und ungewöhnliche Versicherungsprodukt doch wettbewerblichen Leistungsschutz durchzusetzen. Wahrscheinlich wird das aber alles nicht passieren, weil es extrem schwierig ist, ein Versicherungsprodukt zu entwickeln, das so einfach und so genial ist, wie ein Legobaustein. Aber – man muss die Hoffnung nicht aufgeben. 4. Zwischenfazit AVB genießen keinen Patent-, Geschmacks- oder Gebrauchsmusterschutz in Deutschland oder Europa. In gewissen Grenzen könnten AVB in den USA als Geschäftsmethode patentrechtlich schützbar sein. Bild- und Wortmarken sind für AVB möglich, schützen aber über die Marke hinaus nicht die AVB als Ganzes gegen Nachahmung und Übernahme durch Wettbewerber. Das Wettbewerbsrecht selbst ist durch den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit geprägt. Wettbewerber dürfen folglich in den Grenzen des § 4 Nr. 9 UWG die AVB anderer Unternehmen nachahmen. Die für die Lego-Urteile prägenden besonderen Umstände (Weltgeltung des Legobausteins und Einschieben vergleichbarer Bausteine in das Legosystem durch Dritte) liegen bei AVB – bisher jedenfalls – weltweit nicht vor. Im Gegenteil, die Innovationsintensität auf Versicherungsmärkten ist gering.31 Die Versicherungswirtschaft bringt durchschnittlich nur zwei bis drei Produktinnovationen pro Jahr hervor.32 Bleibt die Frage, ob AVB – und wenn ja, in welchem Umfang – urheberrechtlich geschützt werden können.
III. Schutz von AVB durch Urheberrecht Grundsätzlich ist anerkannt, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen urheberrechtlich geschützt sind, wenn nach ihrem gedanklichen Konzept, ihrem Aufbau und in der Formulierung der einzelnen Klauseln eine schöpferische Leistung liegt.33 Dies hat kürzlich das OLG Köln bestätigt, jedenfalls dann, wenn sich AGB wegen ihres gedanklichen Konzeptes oder ihrer sprachlichen Fassung von gebräuchlichen juristischen Standardformulierun-
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Schubert/Rammer, Branchenreport Finanzen 2011, S. 2, Abbildung 3. Köhne/Kopp, Produktinnovationen und Produktmodifikationen in der Versicherungswirtschaft: Rolle und Bedeutung nach der Deregulierung, ZVersWiss 2007, 227–259; vertiefend: Hermes, aaO. (Manuskript ab S. 200 – dort auch mit interessanten Vergleichen zur starken Innovationsintensität etwa im Fahrzeugbau und anderen Industrien). 33 LG München I vom 10.11.1989 – 21 O 6222/89 Geschäftsbedingungen, GRUR 1991, 50. 32
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gen abheben.34 Die Judikate belegen, dass urheberrechtlicher Schutz für AVB möglich ist. Dies ist wegen der Rechtsfolgen, die das Urheberrecht gewährt, nicht unwichtig. Auf der einen Seite steht der Anspruch auf Unterlassung (§ 97 UrhG) und auf der anderen Seite der ebenfalls in § 97 UrhG geregelte Schadensersatzanspruch, der neben der Rechtswidrigkeit auch Verschulden voraussetzt.35 Sowohl das LG München als auch das OLG Köln gehen – zu Recht – davon aus, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen als Sprachwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschützt sein können. Entscheidend ist, dass die AVB persönliche geistige Schöpfungen (§ 2 Abs. 2 UrhG) sein müssen. Dies erfordert eine gewisse Individualität und eine Gestaltungshöhe, die auch einfachere Schöpfungen nicht prinzipiell vom Schutz ausnimmt (so genannter Schutz der kleinen Münze).36, 37 Das Werk muss Ergebnis eines individuellen geistigen Schaffens, eine persönliche Schöpfung von individueller Ausdruckskraft sein.38 Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes ist das Werk selbst – nicht die bloße Idee. Abstrakte Gedanken und Ideen müssen im Interesse der Allgemeinheit frei bleiben. Sie können nicht durch Urheberrecht monopolisiert werden.39 So ist die Idee einer bestimmten Gruppe von Menschen, das wirtschaftliche Risiko durch Abbrennen von Gebäuden abzunehmen (Feuerversicherung) als solche nicht urheberrechtlich schutzfähig. Das Gleiche gilt für die Idee der Risikolebensversicherung oder der Erlebensfallversicherung. Ganz grundsätzlich wird also nicht der gedankliche Inhalt von AVB oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachte rechtliche Regelung geschützt, sondern das gedankliche Konzept, der Aufbau und die Formulierung der einzelnen Klauseln, soweit sie Individualität ausweisen.40 Das kann auch schon bei sehr kurzen Texten der Fall sein. Selbst die Übernahme von nur elf Wörtern kann bereits Werkschutz im urheberrechtlichen Sinne genießen, wenn damit eine schöpferische geistige Leistung verbunden ist.41
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OLG Köln vom 27.02.2009 – 6 U 193/08 – juris unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG. Vertiefend zu beiden Ansprüchen Wandtke, Urheberrecht, 2009, ab S. 285. 36 Wöhrn in: Wandtke, Urheberrecht, 2009, ab S. 47; Nordemann in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 9, ab Rn. 6; Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht, Kommentar, 3. Aufl., § 2, ab Rn. 23. 37 Der Begriff geht auf Elster, Gewerblicher Rechtsschutz, 1921, S. 40, zurück. 38 BGHZ 9, 262/268 Lied der Wildbahn I; BGH GRUR 1995, 673, 675 Mauerbilder. 39 BGH GRUR 1987, 704, 706 Warenzeichen Lexika; BGH GRUR 2003, 231, 233 Staatsbibliothek; BGH GRUR 2003, 876, 878 Sendeformat (std. Rspr.); vertiefend Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht-Komm., 3. Aufl., § 2, Rn. 50; Bullinger in: Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl., § 2, Rn. 18. 40 LG München I vom 10.11.1989 – 21 O 6222/89 Geschäftsbedingungen; OLG Köln vom 27.02.2009 – 6 U 193/08, Tz. 5; Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht-Komm., 3. Aufl., § 2, Rn. 90 m.w.N. (allg.M.). 41 EuGH vom 16.07.2009 – C – 5/08 Infopaq International. 35
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Dennoch ist allgemein anerkannt, dass jedenfalls im Grundsatz auch inhaltliche Werkelemente dem Urheberrechtsschutz zugänglich sind. In der gesetzlichen Begründung zu § 2 UrhG heißt es, dass als persönliche geistige Schöpfungen auch Erzeugnisse anzusehen seien, die durch ihren Inhalt oder durch ihre Form oder durch die Verbindung von Inhalt und Form etwas Neues und Eigentümliches darstellen.42 Auch der BGH geht bei Sprachwerken in std. Rspr. davon aus, dass die von § 2 Abs. 2 UrhG geforderte persönliche geistige Schöpfung sowohl in der Gedankenformung und Gedankenführung des jeweiligen Inhalts als auch in der besonders geistvollen Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes liegen kann.43 Schutzlos bleibt demgegenüber „was sich von der Sache her anbietet oder allgemein üblich ist.“44 Gemeint sind vor allem juristische Standardformulierungen, etwa die Legaldefinition des Verschuldens in § 121 BGB oder des Begriffs der Fahrlässigkeit in § 276 BGB oder die von der Rechtsprechung in verschiedenen Kontexten entwickelten Kausalitätstheorien – etwa die Conditio-sine-qua-non-Formel des Strafrechts. Hiervon abgesehen, können aber AVB durchaus eine persönlich-geistige Schöpfung darstellen, sind also urheberrechtlich geschützt, sofern sich der Versicherer um Individualität und um Gestaltungshöhe bemüht. Tut er dies, so wird sein Bemühen belohnt – er kann seine AVB mit dem Hinweis: „Urheberrechtlich geschützt ©“ versehen und auf diese Weise die Wettbewerber vor Nachahmung warnen. Übernimmt ein Wettbewerber dennoch die urheberrechtlich geschützten AVB, so kann der Verwender auf Unterlassung und Schadensersatz klagen (§ 97 UrhG); der Schaden besteht regelmäßig in der entgangenen Lizenzgebühr, die der Entwickler der AVB vom Nachahmer hätte verlangen können. Es ist also keinesfalls so, dass Versicherer, die AVB entwickeln, schutzlos dastehen im Gegenteil, die Investition in klare, verständliche und somit insgesamt transparente AVB lohnt sich – der Versicherer schafft, indem er solche Sprachwerke des täglichen Allgemeingebrauchs entwickelt, für sich selbst ein Alleinstellungsmerkmal im Wettbewerb und damit einen Vorteil gegenüber anderen Anbietern. Dieser Vorteil ist in jedem Fall geltwert. Die derzeit laufende Transparenzwerbekampagne der ERGO-Gruppe (Versichern heißt Verstehen) belegt, welchen Stellenwert Transparenz eines Versicherungsproduktes haben kann. Die eigentliche Frage, die die ERGOGruppe wird noch beantworten müssen, ist die, ob sie die in der Werbung 42
BT-Drucks. IV/270, S. 38. BGH GRUR 2002, 958, 959 Technische Lieferbedingungen; BGH GRUR 1999, 923 Tele-Info-CD; BGH GRUR 1998, 916, 917 Stadtbahnwerk; BGH GRUR 1987, 704, 705 Warenzeichenlexika; BGH GRUR 1980, 227, 230 Monomenta Germaniae Historica; weitere Nachweise bei Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht-Komm., 3. Aufl., § 2, Rn. 55. 44 Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht-Komm., 3. Aufl., § 2, Rn. 90. 43
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vollmundig versprochene Transparenz ihrer Produkte in den AVB tatsächlich umgesetzt hat. Ein Blick auf die ERGO-Produkte zeigt, dass hier noch viel zu tun ist. Die Kernfrage für die Versicherer lautet: Was genau ist zu tun, was kann man eigentlich tun, um Urheberrechtsschutz für neu gestaltete AVB zu erreichen? Diesen eher praktischen Überlegungen soll jetzt hier zum Schluss Raum gegeben werden. 1. Kleine Münze AVB müssen ein Minimum an Gestaltungshöhe erreichen, um gerade noch in den Schutzbereich des Urheberrechts zu fallen. Dieses Minimum an Gestaltungshöhe wurde von Elster im Jahre 192145 als kleine Münze bezeichnet. Auch der BGH akzeptiert einfache geistige Schöpfungen als urheberrechtlich relevante und geschützte Werke.46 Einfache, aber noch geschützte geistige Schöpfungen sind etwa Kataloge, Preislisten, Fernsprechbücher oder Sammlungen von Kochrezepten.47 Auch der Gesetzgeber hat sich 1995 für den Schutz der kleinen Münze ausgesprochen.48 Somit sind auch das „einfachste Gedicht, der banalste Roman oder das vulgärste Boulevardtheaterstück regelmäßig urheberrechtlich geschützt.“49 Auch für Computerprogramme ist die Gestaltungshöhe sehr niedrig (§ 69a Abs. 3 UrhG), sodass fast alle dieser Programme urheberrechtlich geschützt sind.50 Nordemann schlägt – auch aus der Perspektive des Verfassungsrechtes (Art. 3 GG) – vor, die Gestaltungshöhe bei Sprachwerken einheitlich niedrig festzulegen.51 Hieran anknüpfend wird man zunächst einmal sagen können, dass die in der Versicherungswirtschaft üblichen AVB schon deshalb die gestalterische Mindesthöhe im Sinne der kleinen Münze erfüllen, weil sie sich in gar keinem Falle in der Wiedergabe rechtlicher Regelungen (etwa des VVG) erschöpfen können. AVB müssen die Leistungen des Versicherers beschreiben – also benennen, welches Risiko bzw. welche Risiken eigentlich versichert sein sollen. Die Risikoausschlüsse und die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers müssen benannt und entwickelt werden. Insoweit muss jeder Versicherer, der AVB gestaltet, eine individuelle geistige Leistung vollbringen, nämlich seine Leistungsbeschreibung strukturieren und die dafür erforderlichen Klauseln mit Überschriften und einem Gliederungsschema versehen. Das 45
Gewerblicher Rechtsschutz, S. 40. BGH GRUR 1995, 581, 582 Silberdiestel; BGH GRUR 1981, 267, 268 Dirlada. 47 Vertiefend und weiterführend: Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht-Komm., 3. Aufl., § 2, Rn. 38 – auch unter Hinweis auf die inhaltsgleiche frühere Rechtsprechung des Reichsgerichtes. 48 BT-Drucks. 13/781, S. 10. 49 Nordemann in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 9, Rn. 19. 50 Nordemann in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 9, Rn. 19. 51 Nordemann in: Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 2003, § 9, Rn. 27. 46
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Gleiche gilt für die Risikoausschüsse und Obliegenheiten und für die Auswahl von Rechtsnormen, an die er sich – in Ansehung des VVG oder ähnliche –, Regelwerke – anlehnen will. Er muss den AVB – ob er will oder nicht –, eine Struktur, also Linearität, geben. AVB, die von Versicherern entwickelt werden, erfüllen in jedem Falle die Anforderungen an die kleine Münze. Selbst dann, wenn ein Versicherer auf die Verbandsempfehlungen52 zurückgreifen sollte, ändert dies nichts am urheberrechtlichen Schutz im Sinne der kleinen Münze. Der Verband jedenfalls hat ein individuelles geistiges Werk schaffen müssen, um seinem Empfehlungsauftrag gerecht zu werden. Die auf diese Weise entstandenen empfohlenen AVB genießen auf jeden Fall Urheberrechtsschutz, weil sie eine persönliche geistige Schöpfung darstellen. Paradigmatisch für diese Einschätzung ist der außerordentliche Zeitaufwand, der in Verbänden – etwa dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Berlin, aufgewendet wird, um für eine bestimmte Versicherungssparte zu empfohlenen AVB zu kommen. Häufig haben mehrere hochqualifizierte Verbandsjuristen viele Monate lang über einem einzigen Produkt gearbeitet, um am Schluss eine Empfehlung abzugeben. Hinzu kommt, dass der Versicherer, der auf die Verbandsempfehlungen zurückgreift, in aller Regel gezwungen ist, diese Empfehlungen umzugestalten. Die Empfehlungen des Verbandes beziehen sich typischerweise auf die gesamte Branche. Häufig werden schon vom Verband Empfehlungen für unterschiedliche differenzierende Formulierungen gegeben. Die Versicherer, die auf die Empfehlungen zurückgreifen, benutzen diese als „Blaupause“, also als Ideen- und Werkzeugkasten. Sie passen die empfohlenen Bedingungen den konkreten Bedürfnissen des eigenen Unternehmens und der eigenen Risikostruktur an. Teile der Verbandsempfehlungen werden umgestaltet, Teile fallen weg, Teile werden umgestellt und Teile werden übernommen. So gesehen wird man generell sagen können, dass jede Art von AVB – gleich, ob es sich um empfohlene Verbandsbedingungen oder um AVB des einzelnen Unternehmens handelt, Schutz des Urheberrechtes genießt. Fälle, in denen ein Versicherer die AVB eines Konkurrenten 1:1 übernimmt, dürften heute – nach Öffnung der Versicherungsmärkte im Wettbewerb selten geworden sein. Wenn ein Versicherer dies tut, so benötigt er von dem Versicherer, dessen Bedingungen er übernehmen will, eine Lizenz, d.h. er bezahlt für die Übernahme fremder AVB. Allein dieses wird ihn veranlassen, über die Frage nachzudenken, ob es nicht erheblich sinnvoller sein könnte, eigene AVB zu entwickeln. Welche Kriterien ihn dabei sinnvollerweise leiten sollten, ist nun im letzten Schritt zu erörtern.
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Abgedruckt im Band Allgemeine Versicherungsbedingungen, 6. Aufl., herausgegeben von Heinrich Dörner, Beck Verlag, 2009.
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2. Schöpferische Eigentümlichkeit Werke, so heißt es in § 2 Abs. 2 UrhG, sind nur „persönliche geistige Schöpfungen“. Das Werk muss auf einer menschlich gestalterischen Tätigkeit des Urhebers beruhen, anders als etwa bei einem Übersetzungscomputer. Das Werk muss auf geistiger Schöpfung beruhen, darf sich also nicht in der bloßen Wiedergabe eines schon vorhandenen Werkes oder in rein mechanischer Tätigkeit erschöpfen.53 Das Werk muss schließlich eine wahrnehmbare Form annehmen und auf diese Weise für die menschlichen Sinne zugänglich werden.54 Und es muss schließlich vom „individuellen Geist des Urhebers geprägt sein, sich als das Ergebnis eines individuellen geistigen Schaffens darstellen.“55 Das Werk muss eine persönliche Schöpfung von individueller Ausdruckskraft sein.56 Es geht um die Individualität des Werkes, die in der „schöpferischen Eigentümlichkeit als zentralem Kriterium des Werkbegriffes zum Ausdruck kommt.“57 Die schöpferische Eigentümlichkeit von AVB kann sich aus ihrem gedanklichen Konzept, ihrem Aufbau, aber auch aus der Formulierung der einzelnen Klauseln, also ihrer sprachlichen Fassung, ableiten.58 Es geht – in den Worten des BGH – um die Gedankenformung und Gedankenführung des dargestellten Inhalts sowie um die besonders geistvolle Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes.59 Ausgehend von diesen Grundsätzen lassen sich einige generelle Aussagen entwickeln, die belegen, unter welchen Voraussetzungen AVB typischerweise die Ansprüche an ein Werk im Sinne persönlicher geistiger Schöpfung nach § 2 Abs. 2 UrhG erfüllen. a) Trennung zwischen Leistungsbeschreibung und AGB Einer der wichtigsten Schöpfungsprozesse im Zusammenhang mit individuellen urheberrechtsfähigen AVB liegt in der Trennung zwischen der Leistungsbeschreibung einerseits und den diese ergänzenden AGB im engeren Sinne. Zwischen der Leistungs- oder Produktbeschreibung und den 53
BGH GRUR 1998, 916, 917 Stadtplanwerk; BGH GRUR 1999, 923, 924 Tele-Info-
CD. 54
BGH GRUR 1985, 1041, 1046 Inkasso-Programm. BGHZ 9, 262, 268 Lied der Wildbahn I. 56 BGH GRUR 1995, 673, 675 Mauerbilder. 57 BGH GRUR 2002, 958, 960 Technische Lieferbedingungen BGH GRUR 1998, 916, 917 Stadtplanwerk; BGH GRUR 1994, 2006, 2007 f. Alcolix; BGH GRUR 1991, 449, 451 Betriebssystem. 58 So LG München I vom 10.11.1989 – 21 O 6222/89 Geschäftsbedingungen, GRUR 1991, 50; OLG Köln vom 27.02.2009 – 6 U 193/08, Tz. 5. 59 BGH GRUR 2002, 956, 959 Technische Lieferbedingungen; BGH GRUR 1999, 923 Tele-Info-CD; BGH GRUR 1998, 916, 917 Stadtplanwerk; BGH GRUR 1987, 704, 705 Warenzeichenlexika; BGH GRUR 1980, 227, 230 Monumenta Germaniae Historica. 55
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ergänzenden AGB besteht ein großer Unterschied. Die Leistung des Versicherers – das Versicherungsprodukt, also die Übernahme eines wirtschaftlichen Risikos gegen Geld im Sinne von § 1 VVG, ist, anders als die ergänzenden Klauseln, nicht in der Rechtsordnung vorzufinden, sondern Teil der wirtschaftlichen Wirklichkeit, so wie sie von Versicherern und Kunden vorgefunden wird. Versicherer sind es, die durch ihre Erfahrung, ihren Umgang mit wirtschaftlichen Risiken, den ihnen zur Verfügung stehenden Schadenstatistiken, immer neue Versicherungsprodukte schöpfen oder vorhandene Produkte modifizieren und abwandeln. So ist aus den Anfängen der Karawanen-Versicherung im babylonischen Reich Hammurabis (ca. 2250 v. Chr.) heute eine ausdifferenzierte Transport- und Kaskoversicherung geworden. Die alten Brandgilden des Mittelalters sind Vorläufer der Industriefeuer-, aber auch der Wohngebäude- oder der Hausratversicherung. Die Sterbegeldversicherung – schon im alten Rom60 nachgewiesen (133 n. Chr.) – hat sich heute zur Rentenversicherung teilweise in Form der Fonds-LV, teilweise in Form der RiesterPolice weiterentwickelt. Ähnliches gilt für die modernen Formen der ProduktHaftpflicht oder der Versicherung des Risikos der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Auch die private Krankenversicherung befindet ich in einem permanenten Neuordnungs- und Modernisierungsprozess – oft getrieben durch die Leistungskürzungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Konzeptionierung des Versicherungsproduktes ist die vornehmste und wichtigste Aufgabe des Versicherers und zugleich ein hochkomplexer geistiger Schöpfungsprozess.61 Es geht, um Missverständnisse zu vermeiden, nicht um die Idee der Versicherung als solcher, es geht auch nicht um den mit dieser Idee verbundenen Risikotransfer, sondern es geht darum, bestimmte Risiken aus der uns umgebenden Wirklichkeit als versicherbar zu identifizieren, sie in Schadenstatistiken zu überführen und kalkulierbar zu machen, sodass aus der Perspektive des einzelnen Versicherungsnehmers für ihn ein Mehrwert entsteht. Zugleich muss der Versicherer versuchen, gleichartige Risiken in einer Weise zu bündeln, die es ihm erlaubt, einen Risikoausgleich nach dem Gesetz der großen Zahl zu bewerkstelligen und dabei gleichzeitig das Risiko des moral hazard (Betrugsrisiko) zu beherrschen. Versicherer, die den Produktschöpfungsprozess nicht oder nicht angemessen beherrschen, müssen dies oft teuer bezahlen – ein Lehrstück dieser Art war beispielsweise das Elbehochwasser im Jahre 2002. Die Allianz hatte nach der Wende die alten DDR-Hausratversicherungen übernommen und dabei übersehen, dass in diesen Bedingungen das Hochwasserrisiko (Elementarschaden) mitversichert war – eine Deckung, die in der klassischen Allianz60 Nachweise Schwintowski, Der private Versicherungsvertrag zwischen Recht und Markt, 1987, 33 m.w.N. 61 Vertiefend Farny, Versicherungsbetriebslehre, 2. Aufl., ab 475.
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Hausratversicherung, so wie sie im Westteil Deutschlands gebräuchlich war, nicht existierte. In der Hausratversicherung kann man eine Vielzahl von Risiken bündeln, etwa Feuer, Leitungswasser, Sturm, Glasbruch, aber auch Schmuck- und Wertsachendiebstahl oder Elementarschäden. Der Risikobündelungsprozess ist ein schöpferischer Akt par excellence. Mit ihm versucht der Versicherer, typische Risikolagen von Versicherungsnehmern zu erfassen, zu strukturieren und in ein (bezahlbares) Produkt zu gießen. Allein hierin offenbart sich ein Akt der geistigen Schöpfung, der Gedankenformung und der Gedankenführung im Sinne der Rechtsprechung des BGH. Besonders stark wird dieser Aspekt, wenn sich der Versicherer entschließt, in seinen AVB zwischen der Leistungsbeschreibung einerseits und den diese Beschreibung ergänzenden AGB zu differenzieren. Hierin allein liegt ein schöpferischer geistiger Akt, der zum Ausdruck bringt, dass zwischen dem Versicherungsprodukt als solchem und den dieses Produkt umgebenden AGB ein signifikanter Unterschied besteht. Die AGB sind typischerweise Teil der uns umgebenden allgemeinen Rechtsordnung – sie gewährleisten eine ordnungsgemäße Abwicklung des Vertrages, etwa im Kündigungs- oder Leistungsfall oder auch bei Prämienverzug. Die AGB sind Ausdruck der „Vertragsgovernance“, sie umgeben das Versicherungsprodukt so, wie der Gesellschaftsvertrag die GmbH oder die Aktiengesellschaft umgibt. Demgegenüber ist die Leistung, die der Versicherer erbringt, nicht Teil der Rechtsordnung, sondern Teil der Risikosphäre, die jeder Einzelne trägt. Diese Leistung, die Übernahme des wirtschaftlichen Risikos durch den Versicherer, wird durch Sprache geschöpft und wahrnehmbar gemacht. Das bedeutet, die Leistungsbeschreibung als solche ist eine klassische geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG, sodass ein Versicherer, der sich entschließt, seine AVB in zwei große Teile zu zerlegen, nämlich in die Leistungsbeschreibung und in die ergänzenden AGB, damit einen geistigen Schöpfungsakt vollzieht, der den Werkbegriff erfüllt und damit zum Urheberrechtsschutz führt. b) Einteilung – Anordnung Mithilfe der Einteilung und Anordnung der verschiedenen Klauseln innerhalb von AVB steuert der Versicherer die Verständlichkeit und den Wahrnehmungsprozess sowohl bei seinen Vermittlern als auch bei Kunden. Sowohl die Versicherer, als auch die Kunden werden, so der Psycholinguist Dietrich, von einem inneren Prinzip der Textgliederung, dem Prinzip der Linearität, geleitet.62 Ein Versicherer kann sich bei der Gestaltung der AVB vom Prinzip der 62 Dietrich/Schmidt, Zur Lesbarkeit von Verbrauchertexten. Ein Beitrag aus der Sicht der Textproduktion, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 128 (2002), 34; weiterführend: Schwintowski in: Lerch (Hrsg.), Die Sprache des Rechts, Bd. 1, 2004, 375, 383 f.
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Textlinearität leiten lassen, also die Klauseln so anordnen, wie es der Kunde typischerweise erwartet. Ein Kunde will normalerweise zuerst wissen, was er eigentlich bekommt und was er dafür zu bezahlen hat, während es für einen Versicherer sehr viel wichtiger ist zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen er nicht leisten muss. Für den Versicherer sind Risikoausschlüsse, Pflichtverletzungen des Kunden, die Wahl des anzuwendenden Rechts oder der Gerichtsstand von sehr viel größerer Bedeutung als für den Kunden. Die Sichtweise des einen oder des anderen können also die Einteilung und Anordnung der Darstellung in den AVB stark beeinflussen. Darin liegt eine individuelle persönliche geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG. c) Sprachverständlichkeit – Kürze Allgemeine Geschäftsbedingungen, so heißt es in § 307 BGB, müssen klar und verständlich sein. Das hierin zum Ausdruck kommende Transparenzgebot als Rechtsprinzip geht auf Art. 5 der europäischen Richtlinie über missbräuchliche Klauseln vom 05.04.1993 zurück.63 Betroffen sind auch Klauseln, die den Hauptgegenstand des Vertrages oder den Preis betreffen (Art. 4 Abs. 2 Rili 93/13/EWG). Dies bedeutet, dass das Transparenzgebot die gesamten AVB auch dann erfasst, wenn ein Teil dieser AVB – nämlich die Leistungsbeschreibung als solche – keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. BGB darstellen. Das Transparenzgebot bezieht sich also immer auf den gesamten Klauseltext. Nach den vom BGH entwickelten Anforderungen entsteht Texttransparenz im Wesentlichen durch übersichtliche Gliederung sowie eine klare, verständliche, bestimmte Sprache. Maßstab ist der typische Durchschnittskunde ohne spezifische Rechtskenntnisse.64 Ein Versicherer hat verschiedene Möglichkeiten, sich um Textverständlichkeit zu bemühen. Er kann seine AVB im Rahmen eines empirischen Testes (potenziellen) Kunden vorlegen und herausfinden, welche Teile der AVB von welchen Kunden wie verstanden werden. Danach könnte er seine AVB korrigieren und so lange vereinfachen, bis die Inhalte, die er transportieren will, tatsächlich auch verstanden werden. Dies ist ein sehr aufwändiges – allerdings auch sehr lohnendes – Verfahren, das etwa dem Hamburger Verständlichkeitskonzept zugrunde liegt.65 Stattdessen könnte der Versicherer mit anderen Verständlichkeitskonzepten, etwa dem Flesch- oder dem ClozeTest, arbeiten – er könnte sich aber auch der Hilfe von Transparenzexperten, etwa des Institutes für Transparenz in der Altersversorgung (ITA, Berlin)
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Richtlinie 93/13/EWG. BGHZ 123, 83, 85; BGHZ 136, 401; BGH NJW-RR 1998, 1034, vertiefend Schwintowski in Lerch, aaO., ab S. 377. 65 Langer/Schulz von Thun/Tausch, Sich verständlich ausdrücken, 5. Aufl., 1993. 64
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bedienen.66 So können kurze, knappe Texte entstehen, formuliert im Alltagsdeutsch, doch prägnant und justiziabel. Der Sprachprodukten dieser Art zugrunde liegende geistige Schöpfungsprozess setzt ein hohes Maß an sprachlicher Sensibilität, verbunden mit vertieften versicherungswissenschaftlichen Kenntnissen voraus. Auch hierin liegt unzweifelhaft ein geistig schöpferischer Prozess im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG. Ein Versicherer, der diesen geistig schöpferischen Prozess beweisbar dokumentieren will, sollte die AVB, die er im Ursprung benutzt hat, neben diejenigen legen, die er nach Umformulierung im Sinne des Transparenzgebotes tatsächlich benutzt. Er sollte dabei die Schrittfolge deutlich werden lassen, die den Arbeits- und Schöpfungsprozess zwischen der ersten Sprachfassung und der letzten Sprachfassung deutlich macht. Allein die Offenlegung dieses oft hochkomplexen und von vielen Diskussionen begleiteten Prozesses wird die Gerichte überzeugen. Es geht bei der sprachlichen Vereinfachung nicht nur darum, komplexe Sachverhalte auf ihren Informationskern zurückzuführen. Das ist schon schwer genug. Viel häufiger geht es darum, den Komplexitätsgrad des Versicherungsproduktes, mit einer Vielzahl von Ausnahmen und Gegenausnahmen, zu erkennen und zu diskutieren. Muss ein Versicherer, der in der Sterbegeldversicherung minderjährige Kinder (prämienfrei) mitversichern möchte, zwischen ehelichen, unehelichen, adoptierten und Pflegekindern unterscheiden? Gibt es nicht ein einfacheres, auch dem Laien verständliches Abgrenzungskriterium – etwa leibliche und adoptierte Kinder? Oder: Muss man eine Lebensversicherung, die man nur mit Gesundheitsprüfung abschließen kann, mit derjenigen koppeln, die auch ohne Gesundheitsprüfung abgeschlossen werden kann? Wäre es nicht sehr viel verständlicher und klarer für den betroffenen Kunden, gerade die zu dem von ihm gewählten Produkt passenden AVB zu bekommen? Wieso soll sich ein Kunde, der die Lebensversicherung mit Gesundheitsprüfung gewählt hat, mit den AVB auseinandersetzen, die nur Gültigkeit haben, wenn man ohne Gesundheitsprüfung angekreuzt hat? Überlegungen dieser Art, die für eine Vielzahl von AVB prägend und typisch sind, zeigen, dass es sich bei der Frage der Verständlichkeit von AVB nie nur um eine Frage einfacher Sprache, sondern immer um ein Zusammenspiel von Produktvereinfachung und Sprachvereinfachung geht. Ein Versicherer, der ein höchst kompliziertes und verschachteltes Produkt will (die eierlegende Wollmilchsau), wird dieses Produkt niemals transparent gestalten können, auch wenn er sich das wünscht. Das Transparenzgebot hat also Rückwirkungen auf die Produktgestaltung, d.h. die Form wirkt auf den Inhalt ebenso zurück, wie der Inhalt auf die Form. Daraus folgt, dass ein Versicherer, dem es gelingt, einfache und klare AVB zu gestalten, einen geistigen
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Nachweise für Verständlichkeitskonzepte bei Schwintowski in Lerch, aaO., ab S. 379.
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Schöpfungs- und Gestaltungsprozess bewältigt hat, der weit über die sprachlichen Anforderungen hinausgegangen und damit den Produktgestaltungsprozess in erheblichem Maße mitberührt hat. Klare und verständliche AVB im Sinne des Transparenzgebotes des BGB enthalten folglich die (widerlegliche) Vermutung des persönlich-geistigen Schöpfungsprozesses im Sinne von § 2 UrhG. Ein Versicherer, dem es gelingt, klare und verständliche AVB zu schaffen, hat somit in aller Regel Urheberrechtsschutz. Diesen Urheberschutz verliert man auch nicht etwa dadurch, indem der Wettbewerber in die eine und andere Klausel mal zwei oder drei (Füll-)Wörter einfügt. Solche geringfügigen Veränderungen ändern an der Übernahme des Werkes im Sinne von § 2 UrhG nichts. Darauf hat der Europäische Gerichtshof am 16.07.2009 verwiesen und geklärt, dass selbst die Übernahme von elf Wörtern bereits Werkschutz im urheberrechtlichen Sinne genießen kann.67
IV. Zusammenfassung 1. AVB zerfallen in die Produktbeschreibung und die diese ergänzenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen im engeren Sinne. 2. Die Produkt- oder Leistungsbeschreibung selbst ist zwar ein Sprachwerk im Sinne des § 2 UrhG, aber keine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des BGB. 3. Die Anforderungen an Klarheit und Verständlichkeit (Transparenzgebot) erstrecken sich nicht nur auf die AGB im engeren Sinne, sondern auf die AVB insgesamt (Art. 4 Rili 13/93/EWG). 4. AVB erfüllen immer die Anforderungen an die kleine Münze – das ergibt sich bereits aus der Produktgestaltungs- und Beschreibungsnotwendigkeit. 5. AVB beinhalten insbesondere dann eine persönlich geistige Schöpfung im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG, wenn präzise zwischen Leistungsbeschreibung und ergänzenden AGB getrennt wird. 6. AVB beinhalten auch dann eine persönliche geistige Schöpfung, wenn die Gliederung dem Prinzip der Linearität folgt. 7. AVB beinhalten typischerweise eine persönlich geistige Schöpfung, wenn sie sich um klare und verständliche Sprache im Sinne des Transparenzgebotes bemühen, ganz gleichgültig, welches der verschiedenen Transparenzkonzepte, die diskutiert werden, verwendet wird. Es spricht eine Vermutung für eine individuelle persönliche geistige Schöpfung, wenn kurze, knappe, klare und verständliche AVB verwendet werden.
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EuGH vom 16.07.2009 C – 5/08 Infopaq International.
Hitlers „Mein Kampf“ und der urheberrechtliche Schutz von Werken Staatenloser Katharina de la Durantaye
Während Hitler im Sommer 1939 den deutschen Überfall auf Polen vorbereitete, errang sein amerikanischer Verleger Houghton Mifflin Co. Siege in gleich zwei Urheberrechtsstreitigkeiten. Das erzählte mir Artur-Axel Wandtke am Ende eines gemeinsamen Mittagessens, bei dem wir kurz über die jüngsten Prozesse um Veröffentlichungsverbote für kommentierte Auszüge aus Hitlers „Mein Kampf“ gesprochen hatten.1 Leider kenne er keine Details der damaligen Verfahren. Wenn ich Lust hätte, könne ich mir die Fälle doch näher anschauen. Sehr gerne berichte ich gerade an dieser Stelle, was ich herausgefunden habe. In Deutschland wurde „Mein Kampf“ von der Franz Eher Nachfolger GmbH verlegt. Der Verlag gehörte der NSDAP.2 Von ihm hatte Houghton Mifflin 1933 die ausschließlichen Rechte für die Vervielfältigung und Verbreitung einer englischsprachigen Ausgabe in den USA erworben.3 Die Übersetzung, die Houghton Mifflin herausgab, war eine von den Nazis autorisierte, gekürzte und geschönte Version des Originals.4 Antisemitische Aussagen waren gestrichen, Kapitel, in denen Hitler seine Pläne für die Eroberung der Welt dargelegt hatte, fehlten.5 Wiederholungen waren weggelassen, stilisti-
1 LG München I, 25.01.2012 und 08.03.2012 – 7 O 1533/12; OLG München, 14.06.2012 – 29 U 1204/12. Zur heutigen Rechtslage in Deutschland und anderen Ländern siehe außerdem Seitz, Das Wagnis der Freiheit. Weshalb darf Deutschland Hitlers „Mein Kampf“ nicht lesen?, NJW 2002, 572. 2 Siehe hierzu Tavernaro, Der Verlag Hitlers und der NSDAP. Die Franz Eher Nachfolge GmbH (2004). 3 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 310 (2nd Cir. 1939). 4 Houghton Mifflin nutzte die englische Dugdale-Übersetzung des Buches. 1938 schloss der Verlag einen Vertrag mit Reynal & Hitchcock, der diese berechtigte, eine ungekürzte Ausgabe des Buches in den USA zu vertreiben, Barnes & Barnes, Hitler’s Mein Kampf in Britain and America (1980), S. 83; Littauer-Apt, U.S.A. – The copyright in Hitler’s „Mein Kampf,“ in: Copyright 5 (1939/40), S. 57, 58; Smith, The Kampf about „Mein Kampf,“ 19 B.U. L. Rev. 633, 634 (1939). 5 Clemens, Herr Hitler in Germany. Wahrnehmung und Deutungen des Nationalsozialismus in Großbritannien 1920 bis 1939 (1996), 331 f.; Plöckinger, Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers ‚Mein Kampf‘ 1922–1945, 2. Auflage (2011), S. 462.
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sche Mängel behoben, Hässliches freundlich beschrieben.6 In den folgenden Jahren wurde der Text in zwei Auflagen herausgebracht.7 Der Kaufpreis der ersten Auflage betrug drei Dollar.8 Hitler erhielt 45 Cent Lizenzgebühren pro verkauftes Exemplar.9 Einige Leser dieser Ausgabe bemerkten, dass sie sich vom deutschen Original unterschied. Unter ihnen war Alan Cranston. Er würde später ein einflussreicher demokratischer Politiker werden, dem U.S. Senate von 1969 bis 1993 als Vertreter Kaliforniens angehören und sich im Jahr 1984 vergeblich um die demokratische Präsidentschaftskandidatur bewerben, bevor er Anfang der 90er Jahre zusammen mit John McCain in den Lincoln Savings and Loan-Skandal verwickelt sein und schließlich abdanken würde.10 Damals war er gerade von einem Aufenthalt als Auslandskorrespondent des International News Service in Europa zurückgekommen.11 Dort hatte er „Mein Kampf“ auf Deutsch gelesen.12 Unter dem Eindruck dessen, was er in Deutschland erlebt hatte, und empört über die Schönfärberei, die Houghton Mifflin betrieb, gründete Cranston zusammen mit einer Gruppe Freunden im März 1939 einen eigenen Verlag, Noram Publishing Co., Inc., um dort eine kritische Ausgabe von „Mein Kampf“ herauszugeben.13 Sie kürzten das Original, das ursprünglich 270.000 Wörter umfasst hatte, auf 70.000 Wörter zusammen,14 achteten aber darauf, dass alle Stellen, in denen Hitler ihrer Ansicht nach seine wahren Absichten offenbarte, enthalten waren. Im Vorwort heißt es: „This edition of Mein Kampf contains every important point, every important idea that Hitler presented, every important sentence he wrote. Hitler’s inconsistencies, self-contradictions, extremities, even his erratic language – all these are
6 Zur Reaktion auf die Dugdale-Übersetzung in England und den USA siehe Barnes & Barnes, Hitler’s Mein Kampf in Britain and America (1980), S. 8–16. 7 Ebenda, S. 73–83. 8 Houghton Mifflin Co. v. Noram Pub. Co, 28 F. Supp. 676, 678 (1939). Die im Januar 1937 herausgebrachte zweite Auflage kostete $2,50, siehe Barnes & Barnes, Hitler’s Mein Kampf in Britain and America (1980), S. 79. 9 Laut Vertrag standen Hitler Lizenzgebühren in Höhe von 15 % des Verkaufspreises zu, siehe Record on Appeal, Case File 16565; Houghton Mifflin Company v. Stackpole Sons,Inc., March 23, 1939; Case Files, Briefs and Appendices, 1891–1978; U.S. Court of Appeals for the Second Circuit; Records of the U.S. Courts of Appeals; Record Group 276; National Archives and Records Administration – Northeast Region (New York City), S. 11, Rn. 33. 10 Alan Cranston, in: Biographical Directory of the United States Congress, abrufbar unter http://bioguide.congress.gov/scripts/biodisplay.pl?index=C000877. Siehe auch Fowle, Cranston, the Senator from California (1980), S. 155 ff. 11 Fowle, Cranston, the Senator from California (1980), S. 29–36. 12 Senator recalls suit – Hitler won in U.S. court, The Bulletin, 5. Februar 1988, S. C-10. 13 Houghton Mifflin Co. v. Noram Pub. Co, 28 F. Supp. 676, 679 (1939). 14 Ebenda, 678.
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retained here.“ 15 So schufen sie laut Cranston eine „Reader’s Digest-like version showing the worst of Hitler,“ 16 die sie mit Kommentaren und Illustrationen versahen, in denen auf Unstimmigkeiten im Original hingewiesen wurde.17 Den Text druckten sie auf Zeitungspapier und ließen ihn in Zeitschriftenläden für zehn Cent das Stück anbieten.18 Innerhalb von zehn Tagen hatten sie eine halbe Million Exemplare verkauft, wie Cranston später schmunzelnd erzählen würde.19 Das Cover warb damit, dass Hitler nicht einen Cent Lizenzgebühren erhalten würde: „Not 1 cent of royalty to Hitler.“ 20 Selbst behalten wollten Cranston und seine Freunde das Geld allerdings auch nicht. Sie verwendeten ihre Einnahmen, um Menschen, die vor Hitler geflohen waren, zu unterstützen.21 Es dauerte nicht lange, bis Houghton Mifflin gegen Noram vorging. Der Verlag hatte im Januar 1939 bereits einen anderen Verlag verklagt, Stackpole Sons, Inc.22 Stackpole hatte ebenfalls eine unautorisierte, allerdings ungekürzte, Ausgabe von „Mein Kampf“ herausgegeben. Im District Court war Houghton Mifflin zunächst unterlegen gewesen. Der Court of Appeals aber hatte ihm recht gegeben. Die Entscheidung kam kurz vor jener im Fall Houghton Mifflin v. Noram. Noram, der sich Stackpoles Argumente zu Eigen gemacht hatte, unterlag denn auch mit relativ knapper Begründung. Stackpole hatte seine Verteidigung auf zwei Argumenten aufgebaut. Erstens hatte er geltend gemacht, dass die Übertragung der Rechte an Houghton Mifflin unwirksam sei. Der Vertrag zwischen dem Eher Verlag und Houghton Mifflin leide an formalen Mängeln.23 Außerdem sei nicht bewiesen, dass Hitler einen Verlagsvertrag mit dem Eher Verlag abgeschlossen habe, dass also der Eher Verlag zur Übertragung der Rechte an Houghton Mifflin
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Ebenda. Senator recalls suit – Hitler won in U.S. court, The Bulletin, 5. Februar 1988, S. C-10. 17 Houghton Mifflin Co. v. Noram Pub. Co, a.a.O., 676. 18 Ebenda, 678. 19 Senator recalls suit – Hitler won in U.S. court, a.a.O., S. C-10. 20 Das war einer der Gründe, warum die unautorisierten Versionen vier Mal so häufig gekauft wurden wie das Original. Siehe Record on Appeal, Case File 16565; Houghton Mifflin Company v. Stackpole Sons, Inc., March 23, 1939; Case Files, Briefs and Appendices, 1891–1978; U.S. Court of Appeals for the Second Circuit; Records of the U.S. Courts of Appeals; Record Group 276; National Archives and Records Administration – Northeast Region (New York City), S. 28 Rn. 83. 21 Senator recalls suit – Hitler won in U.S. court, a.a.O., S. C-10. 22 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306 (2nd Cir. 1939). Im Herbst desselben Jahres lehnte der Supreme Court die Petition für einen writ of certiorari ab, Stackpole v Houghton Mifflin, 308 U.S. 597 (1939). 23 Die Frage nach der Identität und Vertretungsmacht desjenigen, der auf Seiten des Eher Verlags den Vertrag mit Houghton Mifflin unterschrieben hatte, würde die Gerichte noch weiter beschäftigen. Siehe Houghton Mifflin v. Stackpole, 113 F.2d 627 (1940). 16
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berechtigt gewesen sei. Diese Argumentation erklärte das Gericht mit einem süffisanten Kommentar über die politische Lage in Deutschland als wenig überzeugend: „If necessary – as under the circumstances here present it is not – we might well take judicial notice that this book, in view of the powerful position of the author as Reichsführer and Chancellor of the German Reich, could not be so widely distributed in Germany as it now is if the publishers had not the right to do so.“ 24 Das zweite Argument war stichhaltiger. Stackpole hatte vorgetragen, „Mein Kampf“ sei in den USA gemeinfrei. Hitler sei nämlich zu dem Zeitpunkt, als sein Verlag das Urheberrecht in den USA beantragt habe, staatenlos gewesen. Werke Staatenloser aber genössen in den USA keinen Urheberrechtsschutz. Tatsächlich hatte Hitler seine österreichische Staatsangehörigkeit spätestens dann verloren, als die Landesregierung Oberösterreich am 30. April 1925 seinem Ausbürgerungsantrag stattgegeben hatte.25 Daraufhin lebte er zunächst als Staatenloser in Deutschland. Er behauptete zwar, er habe seine Einbürgerung „auf dem Schlachtfeld des Weltkriegs erworben,“ weil er dem deutschen Heer gedient hatte.26 Aus diesem Grund beantragte er vermutlich nie formal eine Einbürgerung.27 Er beklagte sich aber, dass er „als einziger Deutscher in einer Zeit, in der 200.000 bis 300.000 ostgalizische Juden und Schieber eingebürgert worden sind, ausgerechnet nicht eingebürgert wurde.“28 Hitler bezog sich dabei auf zwei erfolglose Einbürgerungsversuche aus den Jahren 1929 und 1930. Zunächst hatten der bayerische Landtagsabgeord-
24 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 311 (2nd Cir. 1939). Ähnliches schreibt das Gericht, als es ein Jahr später erneut mit dem Fall konfrontiert wird, weil Stackpole gegen das Urteil, das der District Court letztlich im summarischen Verfahren gefällt hatte, Berufung eingelegt hatte. Houghton Mifflin v. Stackpole, 113 F.2d 627 (2nd Circ. 1940). 25 Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 547. Die damalige österreichische Bundesregierung war der Meinung, Hitler sei bereits dann staatenlos geworden, als er im ersten Weltkrieg auf Seiten der Deutschen gekämpft habe, siehe Watt, Die bayerischen Bemühungen um eine Ausweisung Hitlers 1924, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 6 (1958), S. 270, 274, 277. 26 Protokoll der Sitzung des Untersuchungsausschusses des thüringischen Landtags vom 15. März 1932 (HStA Weimar, Thüringer Landtag Nr. 196), abgedruckt bei Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 558. 27 Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 544 berichtet aber von einem handgeschriebenen Brief aus Weimar (BA, NS 20/123: Anonymus an Hitler am 4.7.1925), in dem Hitler aufgefordert wird, ein persönliches Gesuch zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft an das thüringische Ministerium zu richten. 28 Protokoll der Sitzung des Untersuchungsausschusses des thüringischen Landtags vom 15. März 1932 (HStA Weimar, Thüringer Landtag Nr. 196), abgedruckt bei Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 558.
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nete Rudolf Buttmann und der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Frick vergeblich versucht, die bayerische Regierung zur Einbürgerung Hitlers zu überreden.29 Kurze Zeit später wurde Frick, der später unter Hitler das Amt des Reichsministers des Inneren bekleiden würde, zum thüringischen Minister für Inneres und Volksbildung ernannt. Er versuchte daraufhin, Hitler eine Staatsstellung in Thüringen zu vermitteln, mit der der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden gewesen wäre.30 Ursprünglich hatte er Hitler an der Staatlichen Hochschule für Handwerk und Baukunst in Weimar als Kunstprofessor anstellen wollen.31 Nachdem das gescheitert war, ernannte er ihn zum Gendarmeriekommissar in Hildburghausen.32 Als die Geschichte schließlich bekannt, heftig kritisiert („Schildburghausen“) 33 und zum Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gemacht wurde, behauptete Hitler, er habe auf die Stelle wenige Tage nach Erhalt der Ernennung verzichtet und seine Ernennungsurkunde vernichtet.34 Kurz vor der Reichspräsidentenwahl 1932, bei der Hitler gegen Hindenburg kandidieren wollte, wurde er schließlich von der braunschweigischen Regierung eingebürgert. Deren Minister für Inneres und Volksbildung, Dietrich Klagges, hatte Hitler zwar nicht, wie zunächst erhofft, eine Professur für „Organische Gesellschaftslehre und Politik“ an der TU Braunschweig verschaffen können.35 Wohl aber gelang es ihm, Hitler zum Regierungsrat beim Landeskultur- und Vermessungsamt zu ernennen und ihn der Braunschwei-
29 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 420–421; Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 545. 30 Siehe § 14 I des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (22.07.1913), RGBl. 1913, S. 583, 586. 31 Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 545–546. 32 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 420, 422–427; Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543. 33 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 422. 34 Protokoll der Sitzung des Untersuchungsausschusses des thüringischen Landtags vom 15. März 1932 (HStA Weimar, Thüringer Landtag Nr. 196), abgedruckt bei Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 557–558. 35 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 429, 431–432; Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543. Auch der Versuch des Vorsitzenden den Braunschweigischen Staatsministeriums Werner Küchenthal, Hitler zum kommissarischen Bürgermeister in Stadtoldendorf zu machen, schlug fehl, siehe Morsey, a.a.O., S. 419, 432–433.
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gischen Gesandtschaft in Berlin zuzuteilen.36 Sofort danach wurde er, nunmehr offiziell deutscher Staatsbürger, beurlaubt.37 Als der Eher Verlag am 15. Februar 1925 das copyright für Band 1 von „Mein Kampf“ beantragt hatte, hatte Hitlers Ausbürgerungsverfahren in Österreich also kurz vor dem Abschluss gestanden. Der Verlag hatte die Frage nach der Nationalität des Autors denn auch damit beantwortet, dass Hitler ein „Staatenloser Deutscher“ sei.38 Im Antrag auf copyright für Band 2 hatte der Verlag am 24. Dezember 1926 auf dieselbe Frage das Wort „Österreich“ geschrieben,39 obwohl Hitler zu diesem Zeitpunkt bereits offiziell ausgebürgert worden war. Houghton Mifflin erklärte vor Gericht, er würde im Hauptsacheverfahren beweisen, dass Hitler seine österreichische Staatsbürgerschaft nicht verloren habe, erkenne aber für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung an, dass Hitler beim Antrag auf Erteilung eines copyright für beide Bände staatenlos gewesen sei.40 Houghton Mifflin konnte also nur dann erfolgreich gegen unautorisierte Ausgaben von „Mein Kampf“ in den USA vorgehen, wenn Werke Staatenloser überhaupt vom copyright erfasst wurden. Streitentscheidend war mithin § 8 des Copyright Act von 1909 („Authors or Proprietors, entitled; aliens“). Dessen Satz 1 besagt: „The author or proprietor of any work made the subject of copyright by this title … shall have copyright for such work under the conditions and for the terms specified in this title.“ Nach Satz 2 werden Werke von Angehörigen anderer Staaten nur dann dem copyright unterstellt, wenn der jeweilige Urheber oder Rechtsinhaber zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung seinen Wohnsitz (domicile) in den USA hat oder wenn sein Heimatstaat U.S.-Bürgern Inländerbehandlung gewährt.41 Nach Ansicht von Houghton Mifflin stellt § 8 Satz 1 die Regel auf, dass alle Werke, die die Voraussetzungen urheberrechtlichen Schutzes erfüllen, in den 36 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 433–442; Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543. 37 Morsey, Hitler als Braunschweigischer Regierungsrat, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 8 (1960), S. 419, 442–448. Overesch, Die Einbürgerung Hitlers 1930, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 40 (1992), S. 543, 566, ist der Ansicht, Hitler sei bereits eingebürgert worden, als er am 12. Juli 1930 die Ernennungsurkunde zum Gendarmeriekommissar erhalten habe. 38 „Country of which the author or translator is a citizen or subject“, siehe Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 307 (2nd Cir. 1939). Im Registereintrag für Band 1 wurde Hitler daraufhin als „German“ geführt, Smith, The Kampf about „Mein Kampf,“ 19 B.U. L. Rev. 633 (1939). 39 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 307 (2nd Cir. 1939). 40 Ebenda. 41 Das Übereinkommen zwischen dem Reich und den Vereinigten Staaten von Amerika über den gegenseitigen Schutz der Urheberrechte datiert vom 15. Januar 1892, RGBl. Nr. 23 (1892). Die USA und Österreich gewährten sich laut Verordnung des Justizministers vom 9. Dezember 1907 Schutz aufgrund von Gegenseitigkeitserklärung, RGBl. Nr. 265 (1907).
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Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Eine Ausnahme davon normiere § 8 Satz 2. Er fände nach dem Wortlaut der Norm aber nur auf ausländische Urheber oder Rechtsinhaber Anwendung, nicht auf Staatenlose. Damit sei auf „Mein Kampf“ Satz 1 anwendbar, das Werk in den USA also grundsätzlich schutzfähig. Stackpole hingegen war der Ansicht, für den Schutz von Werken, deren Urheber keine U.S.-Bürger sind, sei ausschließlich § 8 Satz 2 einschlägig. Diese Norm sei die einzige im ganzen Copyright Act, die dessen Anwendbarkeit auf Werke von Nichtbürgern regle. Die Werke Staatenloser seien also in den USA gemeinfrei. Die Richter gaben Houghton Mifflin in einer einstimmigen Entscheidung recht. Bereits die Gesetzgebungsgeschichte indiziere, dass Satz 1 allen Urhebern – auch Staatenlosen – grundsätzlich dieselben Rechte gewähre.42 Im Copyright Act von 1891, der erstmals einen Schutz für Nichtbürger vorgesehen habe, habe der heutige § 8 Satz 2 nämlich einen eigenen Artikel dargestellt (§ 13), der räumlich getrennt gewesen sei von dem heutigen § 8 Satz 1 (§§ 1 und 2). Der Copyright Act von 1909 habe die damals bestehende Rechtslage ausdrücklich nicht ändern wollen.43 Präzedenzfälle gäbe es leider keine, vermutlich weil die Frage bisher nicht aufgekommen sei.44 Auch in den Richtlinien (rules) des Copyright Office sowie den einschlägigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen werde sie nicht erörtert. Ihre Verfasser seien sich des Problems also wahrscheinlich nicht bewusst gewesen.45 Einzige verwertbare Quelle sei ein Gutachten, das der damalige Attorney General und spätere Richter am U.S. Supreme Court William Henry Moody im Jahr 1904 für den amerikanischen Kriegsminister erstellt habe. Darin vertrete er die Meinung, dass die Bewohner der Philippinen für ihre Werke urheberrechtlichen Schutz genössen, obwohl sie weder Subjekte eines anderen Staates noch Bürger oder Bewohner der USA seien.46 Vor allem aber sprächen Gerechtigkeitserwägungen dafür, Staatenlosen den Schutz des Gesetzes nicht zu verwehren: „Any other result than this would be unfortunate, for it would mean that stateless aliens cannot be secure in even their literary property.“47 Das würde der Tradition und den Grundwerten (general policy) der USA widersprechen.48 Das Problem der Staatenlosigkeit sei zwar relativ neu. Es werde in Zukunft aber sicher an Bedeutung gewinnen.49 42 43 44 45 46 47 48 49
Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 309 (2nd Cir. 1939). Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Das Dokument ist veröffentlicht unter 25 Ops. Atty. Gen. 179 (1904). Ebenda. Ebenda, 309–310. Ebenda.
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Tatsächlich aber war die Rechtslage weniger eindeutig als die Richter suggerierten. In den führenden urheberrechtlichen Abhandlungen der Zeit war zu lesen, Werke einer Person, die weder die amerikanische Staatsangehörigkeit besäße noch in den USA ansässig sei, würden nur dann in den USA geschützt, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag dies vorsähe.50 Eine generelle Verpflichtung zum Schutz Staatenloser hatten die USA 1938 gerade erst vermieden. Sie hatten zwar ein Hilfsprogramm zur Unterstützung der durch das Reichsbürgergesetz von 1935 staatenlos gewordenen jüdischen Flüchtlinge initiert. Auf der zu diesem Zweck abgehaltenen Konferenz westlicher Regierungen in Envian-les-Bains wurde aber beschlossen, dass die Mitgliedstaaten keine rechtlichen Bindungen eingehen würden. Jüdische Medien merkten daraufhin resigniert an, man müsse den Namen Evian rückwärts lesen (,naive‘), um die Bemühungen als Erfolg zu bezeichnen.51 Insbesondere aber spricht die Gesetzgebungsgeschichte gegen eine Einbeziehung Staatenloser. Dies gilt sogar für jene Teile, die die Richter zur Untermauerung ihres anders lautenden Ergebnisses zitieren. Der erste Gesetzentwurf für den Copyright Act von 1891, mit dem erstmalig Werke von Nichtamerikanern in den USA geschützt werden sollten, hatte vorgesehen, dass die Beschränkung des Schutzes auf Werke von U.S.-Bürgern schlicht gestrichen werden würde.52 Auf Drängen des damaligen Präsidenten Arthur und anderer wurde dann aber eine Reziprozitätsklausel in das Gesetz aufgenommen. Das Gericht zitierte den Bericht des Committee on Patents des Repräsentantenhauses, in dem die Sonderstellung der USA beklagt wurde: „Substantially all the world, except Great Britain and the United Staates, treat foreigners and citizens alike in the matter of copyright …“53 Auch in England würden amerikanische Autoren geschützt werden, wenn die USA englischen Staatsbürgern Reziprozität gewähren würde.54 Das Gericht wertete dies als Beweis, dass den USA nur daran gelegen war, ihre Verhandlungsposition gegenüber anderen Staaten zu verbessern, nicht aber, Staatenlose schutzlos zu stellen.55 Mit gleichem Recht könnte man die zitierten Stellen aber als Nachweis lesen, dass die USA von der Regel, dass ausschließlich Werke von Amerikanern geschützt werden, nur in solchen 50 Amdur, Copyright Law and Practice (1936), S. 575–576; Bowker, Copyright, Its History and Its Law (1912), S. 109–110; deWolf, An Outline of Copyright Law (1925), S. 263; Ladas, The International Protection of Literary and Artistic Property (1938), S. 703, 840; Putnam, The Question of Copyright (2nd ed. 1896) S. 162; Weil, American Copyright Law (1917), S. 258–261. 51 Stiller, Statelessnes in International Law: A Historic Overview, in: DAJV Newsletter 3 (2012), S. 94, 98. 52 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 309 (2nd Cir. 1939). 53 H. R. Report to accompany H. R. 10881 (June 10, 1890), abgedruckt bei Putnam, The Question of Copyright (2nd ed. 1896), S. 77, 129. 54 Ebenda, S. 77, 98. 55 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 309 (2nd Cir. 1939).
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Fällen abweichen wollten, in denen die USA im Gegenzug etwas erhielten, nämlich den Schutz amerikanischer Autoren im Ausland. An einem solchen gegenseitigen Geben und Nehmen fehlt es aber gegenüber Staatenlosen.56 Sowohl im Bericht des Senats als auch im Bericht des Repräsentantenhauses zum Copyright Act von 1909 heißt es außerdem: „In section 8 of the bill we provide for reciprocity regarding copyrights generally, excepting only, … an alien who is domiciled within the United States at the time of the first publication of his work.“ 57 Schließlich eignet sich auch das Gutachten von Moody nur bedingt, um die Argumentation des Gerichts zu stützen. Moody schloss sich mit seinem Gutachten nämlich seinem Vorgänger Henry M. Hoyd an, der gefolgert hatte, dass Werke von Philippinern in den USA Schutz genießen müssten, weil die Philippinen völkerrechtlich als Teil der USA gewertet werden würden. Lediglich im inneramerikanischen Recht sei ihre Stellung eine andere: „Internationally, they – the Philippines – are a part of the United States; that is to say, territory under our exclusive sovereignty. But their relations with our own legal system are determined by other than international principles.“ 58 In einem späteren Gutachten heißt es: „The very fact that each of these sections … § 8, … enumerates with such particularity the persons who may exercise the privilege of securing copyrights …, shows that the persons enumerated are exclusive of all others and that it was not the purpose of Congress to confer the right upon any person or persons not therein specifically mentioned.“59 In einer Hinsicht aber entspricht die Interpretation des Gerichts historischer Praxis. Bereits vor 1891 waren die Werke jener Nichtbürger, die in den 56 Die Beklagten machten geltend, dass es unter den gegebenen Umständen sogar im Verhältnis zu deutschen Staatsbürgern an Reziprozität fehle: „[I]t is decidedly a question whether the copyright treaty between Germany and the United States is one that will hold water under the changed conditions of Nazi Germany’s new legal structures. Under that treaty, proclaimed by the President of the United States in 1892, German and American citizens were to have reciprocal rights. Today any German citizen may obtain copyright in the United States, but if an American work should fall outside the German Kulturkammer’s purpose of promoting Nazi-Aryan culture, it would automatically be barred by the Kulturkammer’s rules. In other words, the conditions on which the treaty was based no longer exist.“ Record on Appeal, Case File 16565; Houghton Mifflin Company v. Stackpole Sons, Inc., March 23, 1939; Case Files, Briefs and Appendices, 1891–1978; U.S. Court of Appeals for the Second Circuit; Records of the U.S. Courts of Appeals; Record Group 276; National Archives and Records Administration – Northeast Region (New York City), S. 35 Rn. 105. 57 H. R. Rep. No. 2222, 60th Congr., 2d Session (1909), S. 9; Sen. Rep. No. 1108, 60th Congr., 2d Session (1909), S. 9. Note: „Mein Kampf“ and the Protection of Literary Property of Stateless Persons, in: 49 Yale L.J. (1939) S. 132, 135 Fußn. 21, zitiert eine Reihe von Gerichtsentscheidungen, die alle feststellen, dass die USA den Werken von Nichtbürgern Schutz gewähre, damit die Werke von Amerikanern im Ausland geschützt würden. 58 25 Ops. Atty. Gen. 25–26 (1903). 59 28 Ops. Atty. Gen. 162, 165 (1910).
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USA ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, vom copyright erfasst worden, und zwar ohne Einschränkung. Wenn das Gericht Stackpoles Interpretation gefolgt wäre, hätte der Copyright Act von 1909 diese Regel insofern eingeschränkt, als nun auch die Werke von im Inland ansässigen Nichtbürgern nur dann geschützt würden, wenn diese Nichtbürger zugleich Bürger eines anderen Staates, also Ausländer und nicht Staatenlose wären.60 Diese Einschränkung hatte der Gesetzgeber sicher nicht bezweckt. Letztlich sind die Richter unter anderem deswegen bereit, Hitler Urheberschutz zuzusprechen, um all jene schützen zu können, die sich zum Zeitpunkt des Urteils und in den folgenden Jahren als Staatenlose in den USA befanden bzw. befinden würden. Das schloss viele Menschen ein, die aus Europa und damit vor Hitler flohen. Besonders deutlich zeigt sich dies in dem vorbereitenden Memorandum von Judge Charles Edward Clark, der auch das Urteil verfasste: „I think it would be a terrible thing to deny these homeless persons even literary property nowadays, and I should not want to come to it unless forced …“ 61 Judge Augustus Hand bemerkte in seinem Memo zynisch: „If I had to decide the question whether ‚Adolph the Fair‘ could obtain a United States copyright I should say that such a lovely fellow as the ‚Staatenloser Deutscher‘ came within the broad, free-for-all, clause of the Copyright Act [§ 8 Satz 1], and not the concluding exception [§ 8 Satz 2].“ 62 Mit ihrem Urteil, dass Staatenlose in besonderem Maße schutzbedürftig sind, nahmen die Richter eine Entwicklung vorweg, die sich im Völkerrecht erst nach Ende und unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs verfestigen würde.63 Das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen, in
60 Houghton Mifflin v. Stackpole Sons, Inc., 104 F.2d 306, 310 (2nd Cir. 1939). Das missversteht Note, a.a.O., S. 132, 138. 61 Judge C. E. Clark’s pre-conference Memorandum, May 24, 1939, Charles Edward Clark Papers (MS1344), Manuscripts and Archives, Yale University Library. 62 Judge Augustus Hand’s pre-conference Memorandum, May 24, 1939, Charles Edward Clark Papers (MS1344), Manuscripts and Archives, Yale University Library. 63 Allerdings verabschiedete bereits die Haager Konferenz für die Kodifikation des Völkerrechts von 1930 ein Protokoll, mit dem verhindert werden sollte, dass Frauen durch Heirat staatenlos werden. In Deutschland hätte ein Gericht in den 30er Jahren vermutlich ebenso entschieden wie der Second Circuit. § 55 LUG erfasst seinem Wortlaut nach alle Nichtdeutschen („nicht Reichsangehöriger“), also sowohl Ausländer als auch Staatenlose. Bericht der XI. Kommission, § 55, RTDrucks. Nr. 214 (1901), spricht ebenfalls von den „Werke[n] derjenigen, die nicht Reichsangehörige sind.“ In der Literatur wurde die Frage, ob § 55 LUG auch Werke Staatenloser erfasst, zumeist nicht erörtert. Siehe Allfeld, Das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst, 2. Auflage (1928) § 55; ders., Urheber- und Erfinderrecht, 2. Auflage (1929) S. 24–25; Goldbaum, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht (1922) § 55; Lindemann, Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Tonkunst, 4. Auflage (1921) § 55; Schlittgen, Das Urheberrecht (1908) § 55; Voigtländer/Elster, Urheberrecht, 3. Auflage (1942) § 55. Eine Ausnahme ist Goldbaum, Urheberrecht und Urhebervertragsrecht, 2. Auflage (1927) § 55 I, V. Nach Ende des
Hitlers „Mein Kampf“ und der urheberrechtliche Schutz von Werken Staatenloser 329
dem Staatenlose Ausländern grundsätzlich gleichgestellt werden, wurde am 28. September 1954 angenommen, das Übereinkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit am 30. August 1961. Die in diesen Verträgen normierten Ansprüche sind bis jetzt nicht überall Wirklichkeit geworden. Die Erwägungen der Richter von damals sind daher auch heute noch aktuell.
Zweiten Weltkriegs wurde die Norm dann allgemein so verstanden, dass ihr auch Staatenlose unterfallen. Siehe zum Beispiel Ulmer, Urheber- und Verlagsrecht (1951), S. 50; Voigtländer/Elster/Kleine, Urheberrecht, 4. Auflage (1952), § 55.
Bis zur Erschöpfung? Zur Zulässigkeit des Weiterverkaufs von Dateien gem. Richtlinie 2001/29/EG nach dem Urteil C-128/11 des EuGH (Usedsoft ./. Oracle) Ole Jani I. Einleitung Wenige Wochen bevor in Brüssel die „Informationsgesellschafts-Richtlinie“1 verabschiedet wurde, hielt Artur-Axel Wandtke am 26.04.2001 an der Humboldt-Universität zu Berlin seine Antrittsvorlesung, der er den Titel gab „Copyright und virtueller Markt oder Das Verschwinden des Urheber im Nebel der Postmoderne?“. Über eine Dekade später sind jene virtuellen Märkte, von denen Wandtke damals sprach, ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens geworden. In seiner Antrittsvorlesung hat Wandtke mit nüchternem Blick darauf hingewiesen, dass die sog. Informationsgesellschaft für die Schöpfer und Verwerter urheberrechtlich geschützter Werke einen Januskopf hat. Dass die digitale Technik ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, die Urheber aber zugleich auch vor massive Herausforderungen stellt. Im Kern geht es um die Frage, in welchem Maße die Ausschließlichkeitsrechte, die das Urheberrecht gewährt, zurücktreten sollen hinter die Bedürfnisse der Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke. Ein Beispiel hierfür ist die Debatte um die Reichweite des urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatzes. Der Eigentümer eines Buches, einer DVD oder eines anderen körperlichen Werkstücks darf diese Gegenstände verschenken oder verkaufen. Das Urheberrecht an den geschützten Werken, die in dem Buch oder auf der DVD enthalten sind, beschränkt die Befugnis des Eigentümers nicht. Was aber, wenn Texte, Filme und Musik nicht mehr auf CD oder DVD oder als Buch vermarktet werden, sondern wenn der Nutzer sein Werkexemplar aus dem Internet per Download als MP3-Datei oder als E-Book erwirbt? Ist auch der Weiterverkauf von „gebrauchten“ Dateien zulässig? 1 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. EG L 167 vom 22.06.2001, S. 10 ff.
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In der aktuellen Diskussion um die Zukunft des Urheberrechts ist dies eine der kontroversesten Fragen, denn sie berührt den Kern der urheberrechtlichen Wertschöpfung in der digitalen Welt.
II. Der urheberrechtliche Erschöpfungsgrundsatz Das Verbreitungsrecht (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG), also das Recht, das Original des Werkes oder Vervielfältigungsstücke der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen, erfährt durch den sog. Erschöpfungsgrundsatz, der gemeinschaftsrechtlich in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG verankert ist, eine wichtige Einschränkung: Sind das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes mit Zustimmung des zur Verbreitung Berechtigten im Wege der Veräußerung in Verkehr gebracht worden, so ist ihre Weiterverbreitung – mit Ausnahme der Vermietung – zulässig. Dem Erschöpfungsgrundsatz liegt der Gedanke zugrunde, dass der Urheber mit der Veräußerung die Herrschaft über das Werkstück aufgibt. Die Erschöpfung ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Werkstücke, die mit Zustimmung des Rechteinhabers in den Wirtschaftskreislauf eingeführt worden sind, auch auf nachgelagerten Marktstufen verkehrsfähig sind. Den Belangen des Rechteinhabers ist dadurch genügt, dass er bei der ersten Veräußerung die Möglichkeit hatte, ein Entgelt zu verlangen.2 Im US-amerikanischen Recht wird dieser Grundsatz treffend als „first sale doctrine“ bezeichnet. Im deutschen Recht ist der Erschöpfungsgrundsatz in § 17 Abs. 2 UrhG geregelt. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass sich die Verbreitung im urheberrechtlichen Sinne auf die Verwertung in körperlicher Form beschränkt.3 Erfasst ist damit ausschließlich der Handel mit körperlichen Werkexemplaren.4 Die Online-Übermittlung einer Datei ist keine körperliche Verbreitung im Sinne von § 17 Abs. 1 UrhG.5 Bei der Überlassung des Werkes per Online-Download greift der Erschöpfungsgrundsatz nach Auffassung der bisherigen Rechtsprechung deshalb nicht, und die OnlineÜbertragung fällt damit selbst dann nicht unter § 17 UrhG, wenn sie zu dem Ergebnis führt, dass der Empfänger eine Kopie erstellt, weil diese Kopie nicht vom Rechteinhaber in Verkehr gebracht worden ist.6 Alleiniger Zweck 2
Wandtke/Bullinger/Heerma, UrhR, 3. Auflage 2009, § 17 UrhG Rn. 13. BGH GRUR 2010, 822, 824 – Half Life 2; BGHZ 11, 135, 144 – Lautsprecherübertragungen; BGH GRUR 1986, 742, 743 – Videofilmvorführung. 4 Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, § 17 Rn. 5; OLG Stuttgart KuR 2012, 294, 295; OLG Frankfurt am Main MMR 2009, 544, OLG Düsseldorf MMR 2009, 629; OLG München MMR 2008, 601. 5 Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, § 17 Rn. 6; Wandtke/Bullinger/Heerma UrhR, 3. Auflage 2009, § 17 Rn. 6. 6 OLG Stuttgart KuR 2012, 294; LG Hamburg Urteil vom 20.09.2011, 312 O 414/10 (nicht rechtskräftig); LG Berlin GRUR-RR 2009, 329; das entspricht der wohl h.M. in der 3
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des Erschöpfungsgrundsatzes sei es, die Verkehrsfähigkeit von mit Zustimmung des Rechteinhabers in Verkehr gebrachten körperlichen Waren sicherzustellen. Bei vom Nutzer selbst hergestellten Vervielfältigungsstücken bestehe kein vergleichbares Bedürfnis.7 Angesichts der zunehmenden Entmaterialisierung der Vertriebswege sind insbesondere die Verbraucherverbände und Vertreter der sog. Netzgemeinde dagegen der Auffassung, die Nutzer sollten auch die Möglichkeit erhalten, legal erworbene digitale Inhalte weiter zu verkaufen. Sie bemängeln eine vermeintlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von körperlichen und unkörperlichen digitalen Werken.8 Soweit eine Weitergabe geschützter Werke, die in unkörperlicher Form in Verkehr gebracht worden sind, nicht bereits de lege lata zulässig ist, sei der Weiterverkauf digitaler Werkexemplare zumindest de lege ferenda zu erlauben.9 Denn aus Sicht der Verbraucher mache es keinen Unterschied, ob sie ein Buch oder ein E-Book erwerben.
III. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-128/11 (UsedSoft ./. Oracle) Für Computerprogramme sind das Verbreitungsrecht und der Erschöpfungsgrundsatz im europäischen Recht durch die Richtlinie 2009/24/EG10 gesondert geregelt worden. Aufgrund eines Vorlagebeschlusses des BGH 11 hat der EuGH 12 im Sommer 2012 entschieden, dass das in dieser Richtlinie
Literatur, vgl. u.a.: Schricker/Loewenheim/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, § 17 Rn. 45; Fromm/Nordemann, UrhR, 10. Auflage 2008, § 17 Rn. 9; Dreier/Schulze, UrhG, 3. Auflage 2008, § 17 Rn. 6; a.A. Wandtke/Bullinger/Heerma, UrhR, 3. Auflage 2009, § 17 UrhG Rn. 12. 7 OLG Stuttgart KuR 2012, 294, 296. 8 Z.B. Verbraucherzentrale Bundesverband, Positionspapier zum Urheberrecht vom 13.05.2011, http://www.vzbv.de/cps/rde/xbcr/vzbv/urheberrecht_positionspapier_vzbv_ 2011.pdf (abgerufen am 07.10.2012). 9 Die LINKE hat im Frühjahr 2012 den „Entwurf eines Gesetzes zur Ermöglichung der privaten Weiterveräußerung unkörperlicher Werkexemplare“ vorgelegt, BT-Drs. 17/8377; die Fraktionen von CDU/CSU und FDP lehnen eine Ausweitung des Erschöpfungsgrundsatzes auf digitale Werkexemplare ab, zumindest kritisch sieht dies auch die SPD; Bündnis 90/Die Grünen zeigen dagegen Sympathie für eine gesetzliche Regelung, zur Zulässigkeit der Weitergabe von Dateien, vgl. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags 17/165, S. 19693 ff. 10 Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (kodifizierte Fassung), ABl. EG L 111 vom 05.05.2009, S. 16 ff. („Computerprogramm-Richtlinie“). 11 BGH, Beschluss vom 03.02.2011, I ZR 129/08 – Usedsoft = GRUR 2011, 418. 12 EuGH, Urteil vom 03.07.2012, C-128/11 – UsedSoft GmbH ./. Oracle International Corp. = GRUR Int. 2012, 759.
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geregelte Recht zur Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms auch dann im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG auch dann erschöpft ist, wenn der Rechteinhaber dem Download dieser Kopie aus dem Internet auf einen Datenträger zugestimmt hat und gegen Zahlung eines Entgelts dem Erwerber ein Recht zur zeitlich unbegrenzten Nutzung dieser Kopie eingeräumt hat. Entgegen der u.a. von der Europäischen Kommission13 und dem BGH14 vertretenen Auffassung bezieht sich der Erschöpfungsgrundsatz gem. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG laut EuGH also nicht nur auf materielle Güter, sondern auch auf unkörperliche Kopien von Computerprogrammen, die mit Zustimmung des Rechteinhabers aus dem Internet heruntergeladen worden ist. Damit hat der EuGH im Ergebnis entschieden, dass die Weitergabe von Kopien eines Computerprogramms auch dann zulässig ist, wenn der Ersterwerber es in unkörperlicher Form per Download erworben hat. Hat der EuGH mit diesem Urteil auch für andere Werkarten, wie Filme, Musik und E-Books, den Weg bereitet für eine allgemeine Erschöpfung der Verwertungsrechte beim Onlinevertrieb? Hat der EuGH in diesem Urteil Auslegungsgrundsätze formuliert, die sich auf den allgemeinen urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz aus der Richtlinie 2001/29/EG übertragen lassen? Hat der EuGH die Tür zum digitalen Flohmarkt geöffnet?
IV. Zur Übertragbarkeit des EuGH-Urteils „UsedSoft ./. Oracle“ auf die Richtlinie 2001/29/EG Das Verbreitungsrecht und der Erschöpfungsgrundsatz in § 17 UrhG basieren auf den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus der Richtlinie 2001/29/EG. Eine Ausweitung des Erschöpfungsgrundsatzes auf Werkexemplare, die in unkörperlicher Form in Verkehr gebracht werden, ist also nur statthaft, wenn sie mit dieser Richtlinie in Einklang steht. Bei Werken, die keine Computerprogramme im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2009/24/EG sind, richtet sich die Erschöpfung des Verbreitungsrechts ausschließlich nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG. Die Vorlagefragen, über die der EuGH in der Rechtssache C-128/11 entschieden hat, beziehen sich dagegen ausschließlich und ausdrücklich auf den rechtlichen Rahmen für Computerprogramme aus der Richtlinie 2009/24/EG. Der EuGH hat also keineswegs eine allgemeine Entscheidung über den urheberrechtlichen Erschöpfungsgrundsatz getroffen, sondern sich lediglich zur Reichweite der Erschöpfung in Bezug auf Computerprogramme im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/24/EG geäußert. Anders als dies wohl manche 13 14
EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 53 – UsedSoft ./. Oracle. BGH GRUR 2011, 418, Rn. 32 – UsedSoft ./. Oracle.
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gehofft haben, ließe sich das Urteil des EuGH deshalb nur dann verallgemeinern und auf den Online-Vertrieb anderer Werkarten übertragen, wenn die Grundsätze, die der EuGH für die Auslegung des Erschöpfungsgrundsatzes gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG formuliert hat, auch zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG herangezogen werden können. Ob dies möglich ist, hängt zunächst davon ab, in welchem Verhältnis die Richtlinien 2009/24/EG und 2001/29/EG zueinander stehen. Gemäß Art. 1 Abs. 2 a) der Richtlinie 2001/29/EG lässt diese Richtlinie die besonderen Bestimmungen der Richtlinie 2009/24/EG über den urheberrechtlichen Schutz von Computerprogrammen unberührt.15 Diesen Vorrang hat der EuGH in seinem Urteil bestätigt und ausdrücklich entschieden, dass die Richtlinie 2009/24/EG in Bezug auf den Schutz von Computerprogrammen den für andere Werkarten geltenden Regelungen der Richtlinie 2001/29/EG als lex specialis vorgeht.16 Die Richtlinie 2009/24/EG kann deshalb nicht für die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG, auf dem § 17 Abs. 2 UrhG basiert, herangezogen werden. Zwar stellt der EuGH in seinem Urteil auch Erwägungen in Bezug auf die Richtlinie 2001/29/EG an; ausdrücklich trifft er jedoch keine verbindlichen Entscheidungen über die Auslegung des Erschöpfungsgrundsatzes, wie er in dieser Richtlinie 2001/29/EG für sonstige Werke kodifiziert ist. Weil der Unionsgesetzgeber in den beiden Richtlinien bewusst unterschiedliche Regelungen über die Erschöpfung für Computerprogramme einerseits und sonstige Werkarten andererseits geschaffen hat, führt eine solche Differenzierung auch nicht etwa zu Wertungswidersprüchen. Gemäß Art. 1 Abs. 2 a) der Richtlinie 2001/29/EG lässt diese Richtlinie die Bestimmungen über den rechtlichen Schutz von Computerprogrammen nämlich ausdrücklich unberührt. Damit hat der Richtliniengeber deutlich gemacht, dass der rechtliche Rahmen für den Schutz von Computerprogrammen nicht derselbe sein soll, wie der für sonstige Werkarten. Das sieht auch der EuGH so, indem er feststellt, dass „der Unionsgesetzgeber im konkreten Kontext dieser Richtlinie [2009/24/EG] einen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat“ als in der Richtlinie 2001/29/EG.17
15 Diese Vorrangregelung ist möglich, weil es sich bei der Richtlinie 2009/24/EG um kodifizierte Fassung der ursprünglichen Richtlinie 250/91/EWG vom 14.01.1991 über den Schutz von Computerprogrammen (ABl. EG L 122 vom 17.05.1991, S. 42 ff.) handelt. 16 EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 56 – UsedSoft ./. Oracle. 17 EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 60 – UsedSoft ./. Oracle.
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V. Keine Erschöpfung der Verwertungsrechte beim Onlinevertrieb gem. Richtlinie 2001/29/EG Weil die Bestimmungen der Richtlinie 2009/24/EG nicht für die Auslegung der Vorschriften über die Erschöpfung aus der Richtlinie 2001/29/EG herangezogen werden können und ein Rückgriff auf das Urteil in der Sache UsedSoft ./. Oracle zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG nicht möglich ist, lässt sich eine Ausweitung des Erschöpfungsgrundsatzes auf digitale Werkstücke im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29/EG mit diesem Urteil des EuGH nicht begründen. Für die Frage nach der Erschöpfung beim Onlinevertrieb anderer Werke in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht kommt es statt dessen ausschließlich auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG an, über die der EuGH bislang noch nicht entschieden hat. 1. Keine Erstreckung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG auf den unkörperlichen Vertrieb Die Weiterveräußerung von Werkexemplaren, die als Datei vertrieben werden, wäre nur dann zustimmungsfrei zulässig, wenn der in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG geregelte Erschöpfungsgrundsatz sich auch auf den unkörperlichen Vertrieb übertragen lässt. Das Verbreitungsrecht (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG), auf das die Erschöpfungsregelung sich bezieht, ist nach der Rechtsprechung des EuGH gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Verbreitung stets auf einen dinglichen Eigentumsübergang gerichtet ist.18 Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtssache C-128/11 in Bezug auf Computerprogramme die Trennung zwischen der Verwertung in körperlicher Form durch Verbreitung und der unkörperlichen Form durch öffentliche Wiedergabe aufgehoben und vertritt jetzt die Auffassung, auch eine öffentliche Wiedergabe könne eine Verbreitung sein, wenn der Erwerber gegen Zahlung eines Entgelts das Recht erhält, die Programmkopie ohne zeitliche Begrenzung zu nutzen. Auch das sei eine Eigentumsübertragung.19 Abgesehen davon, dass diese Betrachtung rechtsdogmatisch nicht nachvollziehbar ist, kann dieser Ansatz jedenfalls in Bezug auf die Richtlinie 2001/29/EG nicht als Begründungsansatz für eine Erschöpfung des Verbreitungsrechts beim OnlineVertrieb dienen. Das folgt aus Erwägungsgrund 29 dieser Richtlinie, der für die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG von zentraler Bedeutung ist. Dieser Erwägungsgrund lautet: „Die Frage der Erschöpfung stellt sich weder bei Dienstleistungen allgemein noch bei Online-Diensten im Besonderen. Dies gilt auch für mate18 19
EuGH GRUR 2008 604, Rn. 33 ff. – Peek & Cloppenburg ./. Cassina. EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 52 – UsedSoft ./. Oracle.
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rielle Vervielfältigungsstücke eines Werks oder eines sonstigen Schutzgegenstands, die durch den Nutzer eines solchen Dienstes mit Zustimmung des Rechtsinhabers hergestellt worden sind.“ Erwägungsgrund 29 regelt damit unmissverständlich, dass im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29/EG eine Erschöpfung bei Online-Diensten nicht eintritt, sondern ausschließlich materielle Güter betrifft, die vom Rechteinhaber selbst in Verkehr gebracht werden. Damit ist der Wille des Unionsgesetzgebers klar zum Ausdruck gebracht, dass bei der Online-Übermittlung anderer digitaler Inhalte als Software (z.B. E-Books) keine Erschöpfung eintritt.20 In Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG wird außerdem die Erschöpfung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung ganz explizit ausgeschlossen. Das scheint auch der EuGH so zu sehen, denn er teilt offenbar die Einschätzung, dass gem. Erwägungsgrund 29 die Erschöpfung auf Werke beschränkt ist, die sich auf einem körperlichen Datenträger befinden; zugleich weist er ausdrücklich darauf hin, dass Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2001/29/EG auf die Richtlinie 2009/24/EG nicht anwendbar sei.21 Vor diesem Hintergrund ist die rechtliche Situation im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29/EG eine andere als bei Computerprogrammen und das Ergebnis, zu dem der EuGH in dem Verfahren C-128/11 in Bezug auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG gekommen ist, ist auch deshalb nicht auf die Erschöpfungsregelung aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG übertragbar. Das Urteil aus dem Verfahren C-128/11 lässt daher nicht den Schluss zu, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG genauso auszulegen ist, wie Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT).22 Art. 6 Abs. 2 dieses Vertrags überlässt es nämlich ausdrücklich den Vertragsstaaten, ob bzw. in welcher Weise das in Art. 6 Abs. 1 dieses Vertrags geregelte Verbreitungsrecht der Erschöpfung unterliegen soll. Damit ist klargestellt, dass der WIPOUrheberrechtsvertrag auch dem Unionsgesetzgeber keine Vorgaben zur Ausgestaltung und Auslegung des Erschöpfungsgrundsatzes gemacht hat. Die Beschränkung des Erschöpfungsgrundsatzes in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG auf den Vertrieb geschützter Werke in körperlicher Form ist deshalb auch mit den Vorgaben des WIPO-Urheberrechtsvertrag zu vereinbaren. 2. Keine Erschöpfung des Vervielfältigungsrechts Da bei der Weitergabe einer Datei an einen Zweiterwerber die Datei aus technischen Gründen stets auch (mehrfach) kopiert werden muss, greift die 20 Stieper, Anmerkung zu EuGH C-128/11 (UsedSoft ./. Oracle), ZUM 2012, 668, 670; ebenso: OLG Stuttgart KuR 2012, 294, 295. 21 EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 55 – UsedSoft ./. Oracle. 22 WIPO Urheberrechtsvertrag vom 20.12.1996, BGBl. II 2003 S. 755.
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Weitergabe einer Datei zwingend immer auch in das Vervielfältigungsrecht ein. Eine Erschöpfung lediglich des Verbreitungsrechts an der Datei, die der Erwerber beim Download mit Zustimmung des Rechteinhabers hergestellt hat, würde deshalb ohnehin nicht ausreichen, um die zustimmungsfreie Zulässigkeit einer Weitergabe von Dateien zu begründen. Dieses Ergebnis ließe sich nur durch eine Ausweitung der Erschöpfungsregelung zugleich auch auf das Vervielfältigungsrecht erreichen. Das Vervielfältigungsrecht erschöpft aber nicht, denn einen allgemeinen Erschöpfungsgrundsatz, der über das Verbreitungsrecht hinaus auch auf andere Verwertungsrechte Anwendung findet, gibt es nicht.23 Darauf hatte bereits der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen in der Sache C-128/11 zutreffend hingewiesen.24 Und auch der EuGH hat in seinem Urteil für Computerprogramme keineswegs den Erschöpfungsgrundsatz auf das Vervielfältigungsrecht übertragen. Das Gericht hat die für den Erwerb der Software durch den Zweiterwerber notwendigen Vervielfältigungen stattdessen ausschließlich über eine weite Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG für zulässig erklärt: Der Zweiterwerber eines Computerprogramms, der sich auf Erschöpfung nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG berufen kann, ist danach zur Herstellung der für den Erwerb erforderlichen Vervielfältigungen unmittelbar gem. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG befugt;25 der Ersterwerber muss seine eigene Programmkopie, wenn er sie weiterverkauft, allerdings unbrauchbar machen, um nicht das Vervielfältigungsrecht des Rechteinhabers zu verletzen.26 Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie hat folgenden Wortlaut: „In Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen bedürfen die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben a und b genannten Handlungen [Anmerkung: gemeint sind Vervielfältigungen und Bearbeitungen] nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers, wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung des Computerprogramms einschließlich der Fehlerberichtigung durch den rechtmäßigen Erwerber notwendig sind.“ Aufgrund dieser besonderen Schranke des Vervielfältigungsrechts, die nach Auffassung des EuGH auch für Kopien gilt, die der Zweiterwerber einer Software herstellt, hat sich die Frage nach einer Erschöpfung des Vervielfältigungsrechts in dem Verfahren UsedSoft ./. Oracle überhaupt nicht gestellt. Im Gegenteil: Indem der EuGH die Zulässigkeit der Weitergabe 23 BGH GRUR 2005, 940, 942 – Marktstudien; Schricker/Löwenheim/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Auflage 2010, § 17 Rn. 63. 24 Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 24.04.2012 Rn. 97 ff., http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CC0128:DE:HTML (abgerufen am 08.10.2012). 25 EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 81 – UsedSoft ./. Oracle. 26 EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 78 – UsedSoft ./. Oracle.
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davon abhängig macht, dass der Ersterwerber seine Kopie vernichtet, weil andernfalls das Vervielfältigungsrecht des Rechteinhabers verletzt wird, stellt ausdrücklich klar, dass das Vervielfältigungsrecht von der Erschöpfungswirkung nicht erfasst wird. Bei Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24/EG handelt es sich um eine spezialgesetzliche Vorschrift ausschließlich für Computerprogramme, die in der Richtlinie 2001/29/EG keine Entsprechung hat; die Richtlinie 2001/29/EG enthält keine vergleichbare Einschränkung des Vervielfältigungsrechts. Im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29/EG lässt sich eine gesetzliche Befugnis zur zustimmungsfreien Herstellung von Kopien durch den Zweiterwerber deshalb nicht begründen. Die Zulässigkeit der Vervielfältigungen bei der Weitergabe einer Datei, die kein Computerprogramm ist (z.B. ein E-Book oder eine Musik-Datei), könnte stattdessen nur dadurch erreicht werden, dass der Erschöpfungsgrundsatz aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG auf das Vervielfältigungsrecht ausgeweitet wird. Das ist wegen des eindeutigen Wortlauts der Richtlinie 2001/29/EG aber ausgeschlossen – Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG bezieht sich ausdrücklich nur auf das in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie geregelte Verbreitungsrecht.
VI. Zusammenfassung und Ausblick Der EuGH hat mit seinem Urteil in der Sache „UsedSoft ./. Oracle“ den Anwendungsbereich des Erschöpfungsgrundsatzes für Computerprogramme zugunsten der Erwerber von Computerprogrammen stark ausgeweitet und die Weitergabe von Computerprogrammen, die im Wege des Download vertrieben werden, für zulässig erklärt. Dieses Urteil bestätigt den Eindruck, dass der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zum Urheberrecht offenbar das Ziel verfolgt, die urheberrechtlichen Ausschließlichkeitsrechte zugunsten einer stärkeren Nutzerfreiheit im digitalen Umfeld zu reduzieren. Das Urteil „UsedSoft ./. Oracle“ lässt sich jedoch auf den Online-Vertrieb von Werken, die keine Computerprogramme sind, nicht übertragen, denn die hierfür allein maßgebliche Richtlinie 2001/29/EG enthält in Bezug auf den Erschöpfungsgrundsatz Bestimmungen, die von denen der Richtlinie 2009/ 24/EG in wesentlichen Punkten abweichen. Der EuGH hat für Computerprogramme eine Entscheidung getroffen, die sich nicht verallgemeinern lässt Die Befürworter einer generellen Ausdehnung des Erschöpfungsgrundsatzes auf sämtliche urheber- und leistungsschutzrechtlich geschützten Werke und Darbietungen können sich deshalb nicht auf das EuGH Urteil „UsedSoft ./. Oracle“ berufen. Und der EuGH wird in einem künftigen Vorlageverfahren wegen der eindeutigen Regelungen der Richtlinie 2001/29/EG daran gehindert sein, seine Rechtsprechung zur Auslegung des Erschöpfungsgrundsatzes aus der Richtlinie 2009/24/EG auf die Informationsgesellschafts-Richtlinie
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zu übertragen. Auch die deutschen Gerichte können wegen der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung den Erschöpfungsgrundsatz nicht auf den Onlinevertrieb ausdehnen. Wer de lege ferenda im Interesse der Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke die Ausweitung des Erschöpfungsgrundsatzes fordert, muss eine Antwort auf die Frage nach den Konsequenzen einer solchen Regelung auf die urheberrechtliche Wertschöpfungskette geben. Es ist leicht, mehr Nutzerrechte zu fordern, wenn man sich nicht die Mühe macht, diese Frage zu beantworten. Die Weitergabe eines urheberrechtlich geschützten Buches oder einer CD berührt die Belange des Rechteinhabers nicht, weil er zu Recht keine Kontrolle über den Zweitmarkt haben soll. Die Weitergabe von Dateien führt aus technischen Gründen zwangsläufig zu deren Vervielfältigung. Damit wird die Trennung von Zweit- und Erstverwertung aufgehoben. Jede „gebrauchte“ Datei ist wirtschaftlich wie der Nachdruck eines Buches oder die Kopie einer CD und damit geeignet, unmittelbar in die berechtigten Verwertungsinteressen der Urheber einzugreifen. Das Urheberrecht war immer ein technikgetriebenes „work-in-progress“, und natürlich muss es auch auf die neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation der digitalen Welt reagieren. Weder der Gesetzgeber noch die Gerichte dürfen bei der notwendigen Fortentwicklung des Urheberrechts jedoch übersehen, was der Zweck des Urheberrechts ist, den der Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2001/29/EG unmissverständlich beschreibt: „Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. Um Produkte wie Tonträger, Filme oder Multimediaprodukte herstellen und Dienstleistungen, z.B. Dienste auf Abruf, anbieten zu können, sind beträchtliche Investitionen erforderlich. Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden.“ Dass die Ausweitung des Erschöpfungsgrundsatzes auf den unkörperlichen Vertrieb geschützter Werke dieses Ziel gefährdet, weil die Weitergabe von Dateien zwangsläufig zu deren Duplizierung führt, die kaum kontrolliert werden kann, hat auch der EuGH erkannt. In seinem Urteil „UsedSoft ./. Oracle“ fordert der EuGH die Rechteinhaber deshalb ausdrücklich auf, ihre Rechte durch den verstärkten Einsatz technischer Schutzmaßnahmen zu wahren.27 Das sagt alles.
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EuGH GRUR Int. 2012, 759 Rn. 87 – UsedSoft ./. Oracle
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Es ist mir eine große Freude und Ehre einen Beitrag zu einer Festschrift für Professor Dr. Artur-Axel Wandtke verfassen zu dürfen, verbindet uns doch eine langjährige Freundschaft und stetiger intensiver wissenschaftlicher Austausch. Wir lernten uns vor nunmehr knapp 10 Jahren kennen, als ich bei dem Jubilar promovierte und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Dr. Artur-Axel Wandtke an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig war. Es war eine wunderbare und lehrreiche Zeit. Die erfolgreichen Projekte die wir zusammen durchgeführt haben, waren immer geprägt von dem einnehmenden, motivierenden, stets zuvorkommenden und inspirierenden Wesen des Jubilars, dem die urheberrechtliche Wissenschaft sehr viel zu verdanken hat. Ganz im Sinne des Jubilars widme ich mich einem Kernthema des Urheberrechts und probiere Divergenzen im Bereich der Beschränkung der absoluten Rechte im Geistigen Eigentum aufzuzeigen.
I. Einleitung Das Urheberrecht als geistiges Eigentum ist dem Urheber nicht grenzenlos eingeräumt. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG sieht selbst vor, dass der Gesetzgeber den Inhalt und die Schranken des Eigentums durch einfaches Gesetzesrecht bestimmen kann.1 Die Sozialbindung des Eigentums spricht ebenfalls für die Beschränkbarkeit der ausschließlichen Verwertungsbefugnis des Urhebers.2 Der Gesetzgeber hat sich in den §§ 44a ff. UrhG entschieden, umfassend ausgestalteten Verwertungsrechten detaillierte Schrankenbestimmungen gegenüber zu stellen. Die Einschränkungen der Verbotsrechte des Urhebers sind teilweise mit einem gesetzlichen Vergütungsanspruch verbunden. Gemäß der §§ 83, 85 Abs. 4, 87 Abs. 4 und 94 Abs. 4 UrhG gelten die Regelungen teilweise auch für ausübende Künstler, Veranstalter, Tonträgerhersteller und 1 BVerfG MMR 2012, 177, 178 – Kunstausstellung im Onlinearchiv; BVerfG GRUR 2010, 999, 1002 – Drucker und Plotter; BVerfG GRUR 1972, 481, 483 – Kirchen- und Schulgebrauch; Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht, 5. Kap. Rn. 2. 2 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht, 5. Kap. Rn. 2.
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Sendeunternehmen.3 Diese vom deutschen Gesetzgeber vorgesehene Gesetzessystematik stößt scheinbar an ihre Grenzen im Zeitalter der neuen Medien und der Digitalisierung und damit neuer Nutzungsformen von urheberrechtlich geschützten Werken. Die Rechtsprechung sieht sich mehr und mehr genötigt zunehmend kreativ mit den Schrankenregelungen umzugehen, um zu einem gerechten Interessensausgleich zu kommen.4 Es drängt sich von daher die Frage auf, ob die Schrankenregelungen den Anforderungen des modernen Zeitalters noch genügen, oder ob es sich insofern um ein weiter gelagertes Problem der Akzeptanz des geltenden Urheberrechtssystems handelt.
II. Systematik und methodisches Verständnis der Schrankenregelung Nach Auffassung des BVerfG gibt es keinen vorgegebenen und absoluten Begriff des Eigentums. Inhalt und Funktion des Eigentums sind der Anpassung an die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fähig und bedürftig. Der Gesetzgeber hat die Aufgabe übertragen bekommen, den Inhalt und die Schranken des Eigentums zu bestimmen (Artikel 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Das gilt auch für die vermögenswerten Rechte des Urhebers. Sie bedürfen ebenso wie das Sacheigentum der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung.5 Bei der Schrankenziehung müssen die von der Verfassung gesetzten Grenzen beachtet werden, die sich in erster Linie aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben.6 Der deutsche Gesetzgeber hat sich im Gegensatz zum US-amerikanischen Recht nicht für eine Generalklausel im Sinne eines „fair use“ entschieden.7 Die Schrankenregelungen bestehen aus fest umrissenen Einzeltatbeständen. Es gibt zum einen die weitreichenden Schranken, die eine erlaubnis- und vergütungsfreie Nutzung zulassen. Zum anderen solche, die dem Nutzer eine gesetzliche Lizenz erteilen. Das Recht des Urhebers wandelt sich dann in einen reinen Vergütungsanspruch (vgl. bspw. §§ 45a, 46, 47 Abs. 2; § 49 Abs. 1 S. 2 und 3; §§ 52 oder 54a UrhG).8 Die Verweigerung eines Verbotsanspruchs hat den Zweck, der Allgemeinheit den Zugang zur Werknutzung zu eröffnen und ggf. zu verhindern, dass das Ausschließlichkeitsrecht zur Forderung überhöhter Vergütungen eingesetzt wird. Sie soll aber nicht Mittel dafür sein, dem Urheber selbst eine angemessene
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Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht, 5. Kap. Rn. 2. BGH GRUR 2009, 403, 405 – Metall auf Metall siehe dazu S. 349 ff.; BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder, siehe dazu S. 351 f. 5 BVerfG GRUR 1972, 481, 483 – Kirchen- und Schulgebrauch. 6 BVerfG NJW 1979, 2029, 2031 – Kirchenmusik. 7 Loewenheim/Götting § 30 Rn. 4. 8 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht 5. Kap. Rn. 5. 4
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Vergütung zu verweigern.9 Es gibt keinen einheitlichen Schutzzweck, auf den diese Schrankenregelungen zurückzuführen sind. Dies gilt umso mehr, da wesentliche Vorgaben zum Inhalt der Schrankenregelungen auf europäischen Richtlinien beruhen. Trotz dieses detaillierten Schrankenkatalogs in den §§ 44a UrhG finden sich immer wieder dogmatisch-methodische Fragen im Umgang mit den Beschränkungen des urheberrechtlich geschützten Geistigen Eigentums.
III. Europäischer Einfluss Das Urheberrecht und die urheberrechtlichen Schrankenregelungen stehen mehr und mehr unter europarechtlichem Einfluss. Der europäische Gerichtshof (EuGH) hat mehrere Entscheidungen zur Auslegung europäischer Richtlinien zum Urheberrecht getroffen. Den verfahrensrechtlichen Rahmen, in dem der EuGH das Urheberrecht fortentwickelt, bildet das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV. In einem Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV kann vor dem EuGH im Rahmen eines vor einem mitgliedsstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreits eine für den Ausgang dieses Rechtsstreits erhebliche Frage nach der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts geklärt werden.10 Die Auslegungskompetenz des EuGH in Verbindung mit dem Vorabentscheidungsverfahren soll eine einheitliche Anwendung unionsrechtlicher Vorschriften sicherstellen.11 Primärrechtlich spielen im Urheberrecht insbesondere die Grundfreiheiten, namentlich der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr eine Rolle, sekundärrechtlich die Auslegung der sieben zum Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten ergangenen Richtlinien, ferner auch die das Urheberrecht erfassende Durchsetzungsrichtlinie.12 Dass der EuGH zu den Schrankenregelungen dezidiert Ausführungen machen kann, hat vor allem seinen Grund in der Multimediarichtline.13 Die Multimediarichtlinie hat nicht nur die wichtigsten Verwertungsrechte harmonisiert, sondern auch die Urheberrechtsschranken.14 Das System der urheberrechtlichen Schranken wurde durch die Multimediarichtlinie in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht
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BGH ZUM 1999, 566, 570 f. – Kopienversanddienst; OLG Stuttgart ZUM 2012, 495,
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Haratsch/Koenig/Pechstein Europarecht Rn. 558; Streinz Europarecht 9. Rn. 678 ff. Haratsch/Koenig/Pechstein Europarecht Rn. 558. 12 Berger ZUM 2012, 353. 13 Richtlinie 2001/29/EG vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, ABL.-EG L 167, S. 10: im Folgenden Multimediarichtlinie. 14 Metzger GRUR 2012, 118. 11
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der öffentlichen Zugänglichmachung abschließend geregelt. Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 32.15 Dadurch soll der Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verzerrung geschützt werden.16 Außer den genannten Schranken und Ausnahmen dürfen die Mitgliedsstaaten folglich keine weiteren Ausnahmen vorsehen. Durch die Festlegung des abschließenden Katalogs sollte das Ziel der Harmonisierung erreicht werden.17 Problematisch ist dabei sicherlich, dass Art. 5 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 3 der Multimediarichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit („können“) einräumt das ausschließliche Recht der Urheber zu begrenzen. Zwingend vorgegeben ist den Mitgliedstaaten allein die Einschränkung des Vervielfältigungsrechts in Art. 5 Abs. 1. Alle anderen Ausnahmebestände sind bloße Optionen, also fakultativ.18 Weder das „Ob“ noch das „Wie“ ist damit verpflichtend vorgegeben.
IV. Ausgewählte Probleme der derzeitigen Schrankenregelung 1. Auslegung der Schrankenbestimmungen Höchst umstritten und von erheblicher Bedeutung ist zunächst die Frage der Auslegung der Schrankenregelung.19 Die Auslegung von Schrankenbestimmungen muss grundsätzlich nach den methodischen Grundsätzen der Gesetzesauslegung vollzogen werden.20 Die Aufgabe der Auslegung ist es, den für maßgeblich zu erachtenden Sinn der gesetzlichen Regelung und damit der jeweiligen Schranke zu ermitteln und klarzustellen.21 Auslegungskriterien sind der Wortsinn, die systematische Auslegung, die historische Auslegung und der Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung) und schließlich die der Regelung zugrundeliegenden allgemeinen Rechtsprinzipien sowie Grundsätze von Verfassungsrang (verfassungskonforme Auslegung) und die Grundsätze des EU-Rechts (europarechtskonforme Auslegung).22 Problematisch erscheint die systematische und teleologische Auslegung. Die systematische Auslegung geht aus von der Stellung und Einordnung, in der die betreffende Vorschrift in einem Gesetzeszweck steht.23 Aus der Systematik der Schrankenregelungen als Ausnahmevorschriften zum
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Wandtke/Jani Medienrecht 2. Bd. Kap. 1 § 14 Rn. 135. Erwägungsgrund 1 der Richtlinie. 17 Wandtke/Bullinger/Lüft Vorbemerkung vor §§ 44a ff., Rn. 5 ff. 18 Poeppel S. 126. 19 Vgl. zum Ganzen Poeppel S. 41 ff.; Schricker/Loewenheim/Melichar Vor §§ 44a ff. Rn. 18 ff.; Dreier/Dreier Vor §§ 44a ff. Rn. 7. 20 Ausführlich hierzu Larenz/Wolf § 4 Rn. 31 ff. 21 Vgl. Larenz/Wolf § 4 Rn. 31. 22 Larenz/Wolf § 4 Rn. 34; Medicus AT Rn. 307 ff. 23 Larenz/Wolf § 4 Rn. 40. 16
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Prinzip der Gewährung von absoluten Rechten, spricht vieles für eine enge Auslegung der Vorschriften.24 Ausschlaggebend bei der teleologischen Auslegung sind insbesondere die objektiven Zwecke der gesetzlichen Regelung und das im Gesetz zum Ausdruck gekommene Rangverhältnis der Zwecke.25 Es gibt zwar keinen einheitlichen Schutzzweck der Schrankenbestimmungen, dennoch ist das Urheberrecht von dem in Art. 14 Abs. 1 GG verbrieften Prinzip getragen, dass dem Urheber in Form von absoluten Rechten ein Geistiges Eigentum an seiner kreativen Leistung zusteht und der Urheber einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung hat. So folgt vom Grunde her aus dem Sinn und Zweck, dass Vorschriften, die eine ausnahmsweise Beschränkung dieses Grundprinzips beinhalten, vornehmlich eng auszulegen sind und nicht analogiefähig sind.26 Deshalb gingen die überwiegende Auffassung der Literatur und die Rechtsprechung von einer generellen engen Auslegung der Schrankenbestimmungen aus.27 Die obersten Gerichte 28 gestützt von Teilen der Literatur 29 sprechen sich jedoch zunehmend gegen eine enge Auslegung der Schrankenbestimmungen aus, zumindest im Zusammenhang mit gesetzlichen Lizenzen. Der BGH schließt sich in jüngeren Entscheidungen der Auffassung an, dass die Interessen des Urhebers einerseits und die durch die jeweilige Schrankenbestimmung geschützten Interessen andererseits „ihrem Gewicht entsprechend für die Auslegung der gesetzlichen Regelung heranzuziehen“ seien und eine extensive Auslegung damit zulässig sei.30 Ähnlich sieht es auch das BVerfG: Im Rahmen der Auslegung soll es zu einer Güterabwägung zwischen den Interessen des Urhebers und den verfassungsrechtlich geschützten Interessen derer kommen, die sich auf die Schrankenregelung berufen.31 Das Spannungsverhältnis zwischen den grundrechtlich geschützten Positionen sei im Wege der praktischen Konkordanz bei der Auslegung der Schrankenbestimmungen zu beachten. Die Schranken seien nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen.32 Daneben sind die Grundsätze der verfassungskonformen und richtlinien- oder europarechtskonformen Auslegung zu beachten.33 Die verfassungskonforme Auslegung
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Schricker/Loewenheim/Melichar Vor §§ 44a ff. Rn. 18, dagegen Poeppel S. 43. Larenz/Wolf § 4 Rn. 44. 26 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht Kap 5. Rn. 16; Schack Rn. 95, 533; Schricker/Loewenheim/Melichar Vor. §§ 44a Rn. 18, 21. 27 Poeppel S. 41 m.w.N.; BGHZ 50, 147, 152 – Kandinsky I; BGH GRUR 1985, 874, 875 – Schulfunksendung. 28 OLG Stuttgart ZUM 2012, 495, 499. 29 Geiger GRUR Int. 2004, 815, 819. 30 BGH GRUR 2002, 963, 965, 966 – Elektronischer Pressespiegel. 31 BVerfG NJW 2012, 754, 755 32 BVerfG GRUR 2001, 149, 151 – Germania III. 33 Larenz/Wolf § 4 Rn. 49, 51, 61, 70 ff.; Müko/Säcker Einl. 140 sieht die verfassungskonforme Auslegung als Unterfall der systematischen Auslegung an. 25
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wird zunehmend aufgrund der praktischen Konkordanz im Rahmen der teleologischen Auslegung der Schrankenbestimmungen mit berücksichtigt. Bei der europarechtskonformen Auslegung handelt es sich vom Grunde her um einen dogmatischen Zwilling der verfassungskonformen Auslegung.34 Der europarechtskonformen Auslegung kommt eine sehr wesentliche Rolle zu. Ob die europarechtskonforme Auslegung selbst Vorrang vor den anderen Auslegungsmethoden hat ist umstritten.35 Im Sinne eines einheitlichen Verständnisses der Schrankenregelungen und wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht, ist aber richtigerweise von einem Vorrang der europarechtskonformen Auslegung auszugehen.36 Europarechtskonforme Auslegung bedeutet in erster Linie eine EG-rechtskonforme Auslegung unter Einschluss der Verordnungen und Richtlinien.37 Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs auf Grund des Umsetzungsgebots gem. Art. 288 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gem. Art. 4 EUV verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.38 Die Bestimmungen des deutschen Rechts sind damit richtlinienkonform auszulegen, soweit das deutsche Recht einen entsprechenden Auslegungsspielraum lässt.39 Die Vorschriften sind deshalb europafreundlich, d.h. aus der gemeinsamen Seh- und Wertungsweise der Mitgliedstaaten heraus auszulegen.40 Geboten ist nicht nur eine Auslegung im engeren Sinne, sondern eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist vom Grunde her ebenso zulässig.41 Ihre Grenze findet die richtlinienkonforme Auslegung aber im Verbot der Rechtsfortbildung contra legem.42 Eine europarechtskonforme Beugung ist damit unzulässig. Welche Konsequenzen ergeben sich für die Frage der Auslegung der Schrankenbestimmung aus richtlinienkonformen Erwägungen? Bei der Auslegung durch die nationalen Gerichte müssen vor allem die Erwä-
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Larenz/Wolf § 4, Rn. 72. Ausführlich dazu Canaris FS Bydlinski S. 47, 67 ff. m.w.N. 36 Im Ergebnis ebenso Canaris FS Bydlinski S. 47, 68. 37 Larenz/Wolf § 4 Rn. 72, 73; Haratsch/Koenig/Pechstein Europarecht Rn. 188 f., 397. 38 EuGH NJW 1984, 2021, Rn. 26 von Colson und Kamann/Nordrhein-Westfalen; EuGH NJW 2004, 3547 Rn. 113 – Pfeiffer u.a./Deutsches Rotes Kreuz, Kreisverband Waldshut e.V.; BGH NJW 2012, 1073, 1075; Streinz Europarecht Rn. 499. 39 Müko/Säcker Einl. Rn. 145. 40 Müko/Säcker Einl. Rn. 145. 41 Grundsätzlich dazu Canaris in FS Bydlinski 47, 81 ff.: der sich ausdrücklich für die Zulässigkeit der Rechtsfortbildung praeter und extra legem ausspricht, so auch BGH NJW 2012, 1073, 1076. 42 Faust BeckOK § 433 Rn. 7. 35
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gungsgründe mit beachtet werden. Bei den Schrankenregelungen ist dieses vor allem Erwägungsgrund 31 der Multimediarichtlinie: „Es muss ein angemessener Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien der Rechtsinhaber sowie zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden. Die von den Mitgliedstaaten festgelegten Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf Schutzrechte müssen vor dem Hintergrund der neuen elektronischen Medien neu bewertet werden … . Um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten, sollten diese Ausnahmen und Beschränkungen einheitlicher definiert werden.“ Schon der Erwägungsgrund 31 zeigt, dass zumindest eine Neubewertung der Schrankenbestimmungen erfolgen muss, so dass die Richtlinie zunächst nicht von dem Prinzip der engen Auslegung alleine auszugehen scheint. Problematisch bei der Frage der europarechtskonformen Auslegung ist die des Vorabentscheidungsverfahrens. Die nationalen Gerichte sind angehalten bei Fragen hinsichtlich des Inhalts von EG-Recht nicht selbständig auszulegen, sondern müssen zum Zweck der EG-weit einheitlichen Auslegung gemäß Art. 267 AEUV im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens den EuGH anrufen, der mit bindender Wirkung für alle Mitgliedstaaten über die Auslegung des EG-Rechts entscheidet.43 Es besteht bei den innerstaatlichen Gerichten grundsätzlich ein Vorlagerecht gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV. Ob und in welchem Verfahrensstadium es einer Vorabentscheidung bedarf, steht damit im Ermessen des vorlageberechtigten Gerichts.44 Der Übergang der europarechtskonformen Auslegung durch die nationalen Gerichte und der Anstrengung eines Vorabentscheidungsverfahrens und damit einer gesicherten einheitlichen Auslegung durch den EuGH ist fließend. Der EuGH selbst hat festgestellt, dass eine Vorlagepflicht und damit kein Platz für eine nationale europarechtskonforme Auslegung besteht, wenn in einem schwebenden Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts gestellt wird und die Entscheidung des Gerichts selbst nicht mehr mit Mitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann.45 Eine Ausnahme von dieser Pflicht gibt es jedoch dann, wenn das Gericht festgestellt hat, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.46 Wegen der Harmonisierung der
43 Larenz/Wolf § 4 Rn. 75; grundsätzlich zur Frage der richtlinienkonformen Auslegung Canaris FS für Bydlinski, S. 47 ff. 44 Haratsch/Koenig/Pechstein Europarecht Rn. 562; Streinz Europarecht Rn. 690. 45 Vgl. auch Art. 267 Abs. 3 AEUV. 46 EuGH NJW 1983, 1257.
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Schrankenbestimmungen bezogen auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung durch die Multimediarichtlinie kommt der europarechtskonformen Auslegung und dem Spannungsverhältnis von nationaler und europaweiter Rechtsprechung bei dem Verständnis der überwiegenden Schrankenregelung eine besondere Bedeutung zu. Bezogen auf die Frage, ob Schrankenregelungen eng oder weit auszulegen sind, muss damit die Auffassung des EuGH als die letztverbindliche angesehen werden, zumindest bezogen auf die Schrankenregelungen, die im weiteren Sinne eine Umsetzung der Multimediarichtlinie darstellen: In der Entscheidung „Infopaq/DDF“ stellte der EuGH zunächst fest, dass es sich bei Art. 5 Abs. 1 um eine Ausnahmebestimmung handelt. Die Bestimmung einer Richtlinie, die eine Ausnahme von einem grundsätzlichen Rechtssatz darstellt, sei eng auszulegen.47 In der Entscheidung „Football Association Premier League Ltd. und Murphy“ bestätigt der EuGH zunächst diese Auffassung.48 Im Weiteren führt er jedoch aus, „gleichwohl muss die Auslegung dieser Voraussetzung erlauben, die praktische Wirksamkeit der so umrissenen Ausnahme zu wahren und ihre Zielsetzung zu beachten, wie sie sich insbesondere aus dem 31. Erwägungsgrund der InfoSoc-RL … ergibt.“ 49 Daraus ergibt sich, dass die Ausnahme ihrem Zweck entsprechend die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien ermöglichen und gewährleisten muss, sowie einen angemessenen Rechts- und Interessenausgleich zwischen den Rechtsinhabern auf der einen Seite und den Nutzern der geschützten Werke, die in den Genuss dieser neuen Technologien kommen wollen, auf der anderen Seite beibehalten.50 Damit eröffnet der EuGH einen erweiterten Spielraum bei der Anwendung der Schrankenregelungen, ähnlich der Einschätzung des BGH und des BVerfG.51 Die nationalen Gerichte sind an diese Einschätzung des EuGHs gebunden.52 Damit hat das Dogma der engen Auslegung der Schrankenregelungen im Urheberrecht in der praktischen Rechtsanwendung keinen Bestand mehr hat.53 Bei der europarechtskonformen Auslegung im Rahmen der Schrankenregelungen stellt sich darüber hinaus die Frage, ob der Drei-Stufen-Test bei der Auslegung mit 47
EuGH GRUR 2009, 1041, 1045 – Infopaq/DDF. EuGH GRUR 2012, 156, 164 Rn. 162 – Football Association Premier League u. Murphy. 49 EuGH GRUR 2012, 156, 164 Rn. 163 – Football Association Premier League u. Murphy. 50 EuGH GRUR 2012, 156, 164 Rn. 164 – Football Association Premier League u. Murphy, vgl. zum Ganzen auch Metzger GRUR 2012, 118, 122 ff. 51 Siehe oben. 52 BGH NJW 2012, 1073, 1075. 53 So schon Poeppel S. 45; Lutz S. 260 48
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einzubeziehen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Umsetzung der Multimediarichtlinie es unterlassen, den Drei-Stufen-Test ausdrücklich und gesondert mit in das UrhG zu übernehmen. In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass es sich um eine ergänzende Auslegungsregel handelt, die heranzuziehen ist.54 Die Rechtsprechung tendiert zunehmend auch dazu, den drei-Stufen-Test im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung anzuwenden.55 Dem ist nur zuzustimmen, zumal der EuGH vorgibt, dass die Ausnahmen im Lichte des Drei-Stufen-Tests auszulegen sind.56 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die speziellen Schrankenregelungen dazu geführt haben, dass die Gerichte sich von dem Dogma der engen Auslegung verabschiedet haben und so probiert wird, den neuen Herausforderungen im Internetzeitalter besser gerecht werden zu können. Zu diesem Bild passt auch, dass der Drei-Stufen-Test bei der Auslegung der Schrankenregelungen stets mit zu beachten ist. 2. Außerhalb der Schrankenregelungen liegende Beschränkungen urheberrechtlich geschützter Positionen. Sowohl von der Systematik, als auch vom Sinn und Zweck der Konzeption des Urheberrechts als der Gewährung absoluter Rechte, die ausnahmsweise von einem genau umrissenen Schrankenkatalog begrenzt werden, ergibt sich, dass das Urheberrecht keine anderen als durch die Schrankenregelung vorgesehenen Beschränkungen urheberrechtlich geschützter Positionen zulässt. Diskutiert wurden in diesem Zusammenhang, ob allgemeine Rechtfertigungsgründe einen nicht von §§ 44a ff. UrhG gedeckten Eingriff rechtfertigen können. Eine Rechtfertigung nach §§ 228, 904 BGB ist aber nur in extremen Ausnahmefällen möglich und von daher nicht von praktischer Relevanz.57 Zu Recht wird auch das Institut des übergesetzlichen Notstands als Rechtfertigung für Urheberrechtsverletzungen abgelehnt.58 Dennoch ist der BGH in zwei Entscheidungen einen von der bestehenden Schrankensystematik losgelösten Sonderweg gegangen. a) Begrenzung des Tonträgerherstellerrechts gemäß § 85 UrhG In dem Urteil Metall auf Metall des BGH vertritt der BGH die Auffassung, dass es sich bei § 24 UrhG nicht nur um eine Schrankenregelung handelt, sondern dem § 24 UrhG ein allgemeiner dem Urheberrecht zugrunde 54 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht Kap. 5 Rn. 11; Schricker/Loewenheim/Melichar Vor §§ 44a ff. Rn. 13. 55 OLG Stuttgart ZUM 2012, 495, 504. 56 EuGH GRUR 2009, 1041, 1045 Rn. 58 – Infopaq/DDF. 57 Ausführlich Poeppel S. 48. 58 BGHZ 154, 260, 264 ff. – Gies-Adler; Dreier/Schulze vor §§ 44a Rn. 7; Poeppel S. 49.
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liegender Rechtssatz innewohnt, der analog auf andere Sachverhalte übertragen werden kann.59 Mit der analogen Anwendung des § 24 UrhG auf das Tonträgerherstellerrecht schafft der BGH im Grunde eine generalklauselartige Schranke für den Bereich des Umgangs mit urheberrechtlich oder leistungsschutzrechtlich geschützten Inhalten. Der Grund der analogen Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG durch den BGH liegt im Fall „Metall Metall“ auf der Hand. Die digitale Revolution und neue Technologien haben die Musikschaffensprozesse wesentlich verändert. Nicht nur DJs auch Musikproduzenten und Musiker greifen auf vorbestehendes Musikmaterial zurück, in dem sie mittels der Technik des digitalen Samples kleine Elemente von bestehenden Musikaufnahmen herauskopieren und in eigene neue Musikproduktionen integrieren.60 Sieht man das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers i.S.d. §§ 85 ff. UrhG bereits bei jeder noch so kleinen Entnahme als betroffen an, besteht die Gefahr, dass der Musikschaffensprozess behindert wird. Die bestehenden Schrankenregelungen helfen nicht weiter. Dennoch ist die analoge Ausweitung des § 24 Abs. 1 UrhG auf andere Sachverhalte aus dogmatischen und Gründen der Rechtssicherheit abzulehnen. Zunächst zeigt die Gesetzesbegründung zu § 24 UrhG, dass die Regel nicht als allgemeine Schranke konzipiert wurde, sondern in Ergänzung zu § 23 UrhG.61 Dies folgt auch aus der systemmatischen Stellung des § 24 UrhG. Es ist dem § 24 UrhG damit kein urheberrechtlicher Grundgedanke zu entnehmen. Dem Urheber wurde mit § 23 UrhG ein zusätzliches verwertungsrechtsähnliches Recht zugestanden. Um den freien schöpferischen Umgang mit vorbestehenden Werken zu ermöglichen, begrenzt § 24 UrhG den Einwilligungsvorbehalt des § 23 UrhG. Den Leistungsschutzberechtigten steht kein Bearbeitungsrecht i.S.d. § 23 UrhG oder ein vergleichbares Recht zu. § 24 UrhG kann daher von seinem Wesen nicht auf andere Sachverhalte angewendet werden.62 Daneben sind die Schutzrichtungen des Urheberrechtschutzes und des Leistungsschutzes aus § 85 UrhG zu unterschiedlich. Würde man dem Leistungsschutzberechtigten ein Bearbeitungsrecht zugestehen, würde eine Verallgemeinerung der Regel des § 24 UrhG Sinn machen und deren Neuordnung im System der §§ 44a ff. UrhG.63 Natürlich wirft die Entscheidung des BGHs Folgefragen auf. Eine grundsätzliche Problematik ist die analoge Anwendung des § 24 UrhG durch die Gerichte in der Rechtspraxis. Wie schwer diese Umsetzung des Urteils des BGHs in der Rechts-
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BGH GRUR 2009, 403, 405 – Metall auf Metall Vgl. Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht 5. Kap. Rn. 10; Schunke 14 ff.; Häuser 29. 61 M. Schulze Materialien 449. 62 Ausführlich dazu Wandtke/Schunke Rechtsprechung zum Urheberrecht S. 97; a.A. Stieper ZUM 2009, 223, 224. 63 Wandtke/Schunke Rechtsprechung zum Urheberrecht S. 97, 98. 60
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anwendung ist, zeigt die Entscheidung des OLG Hamburg.64 Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob § 24 UrhG nach Aufassung des BGHs nunmehr auch auf andere Sachverhalte analog anzuwenden ist, etwa die Rechte der ausübenden Künstler oder der Sendeanstalten. b) Schlichte Einwilligung Im Bereich der Nutzung von geistigem Eigentum im Internet besteht seit Jahrzehnten eine Unsicherheit bei Verwertern und Nutzern, was erlaubte Nutzungen und was nicht erlaubte Nutzungen sind. Dies überrascht, da die Frage der Zulässigkeit von Uploads- und Downloads überwiegend klar und verständlich ist.65 Umso mehr verwundert die viel diskutierte Entscheidung des BGHs im Fall Vorschaubilder, in dem der BGH über die Rechtmäßigkeit der Google-Bildersuche zu entscheiden hatte.66 Google verletzt mit seinem Bildersuchdienst das Vervielfältigungsrecht nach § 16 UrhG und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a.67 Eine Schrankenregelung greift nicht zugunsten von Google ein. Dennoch erachtet der BGH den Dienst von Google als rechtmäßig, indem er seitens der Rechteinhaber eine schlichte Einwilligung annimmt.68 Die „schlichte Einwilligung“ in die Urheberrechtverletzung unterscheidet sich – so der BGH – von der dinglichen Übertragung von Nutzungsrechten und von der schuldrechtlichen Gestattung. Durch das Vorliegen einer schlichten Einwilligung entfällt nach Auffassung des BGHs die Rechtswidrigkeit des Eingriffs.69 So plausibel diese Rechtsfigur gerade vor dem Hintergrund des § 242 BGB und eines gerechten Interessensausgleich im Internet erscheint, so fragwürdig ist diese Lösung im urheberrechtlichen Kontext. Durch die Anerkennung dieser Rechtsfigur geht der BGH einen bedenklichen Sonderweg. Die schlichte Einwilligung stellt 64 OLG Hamburg GRUR-RR 2011, 396 ff. – Metall auf Metall II; kritisch dazu Apel ZUM 2011, 754 ff. 65 Die Regelung des § 19a UrhG ist eindeutig, vgl. Schricker/Loewenheim/v. UngernSternberg § 19a Rn. 43 f. Umstritten ist allerdings die Frage der Providerhaftung für das nicht genehmigte Anbieten von urheberrechtlich geschützten Inhalten, BGH WRP 2010, 922 – marions-kochbuch; BGH NJW 2012, 148 – Haftung eines Hostproviders; BGH WRP 2010, 916 – Sommer unseres Lebens; ausführlich dazu Wandtke/Wandtke Lehrbuch zum Urheberrecht Kap. 10 Rn. 25 ff. Die Zulässigkeit des Downloads bestimmt sich nach § 53 Abs. 1 UrhG, ausführlich dazu Schricker/Loewenheim/Loewenheim § 53 Rn. 20 ff. Nicht so eindeutig sind die Beschränkungen von § 19a UrhG im öffentlichen Bildungsbereich, siehe unten S. 352 ff. 66 BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder. 67 BGH GRUR 2010, 628, 629 – Vorschaubilder, Schricker/Loewenheim/v. UngernSternberg § 19a Rn. 47: ob eine Verletzung des Bearbeitungsrechts nach § 23 UrhG vorliegt ist umstritten. Der BGH lehnt dieses ab: BGH GRUR 2010, 628, 630 – Vorschaubilder. 68 BGH GRUR 2010, 628, 631 – Vorschaubilder; vgl. dazu Spindler GRUR 2012, 785 ff. 69 BGH GRUR 2010, 628, 631, 632 – Vorschaubilder. Die Figur der schlichten Einwilligung wird vom BGH sogar noch ausgedehnt in BGH NJW 2012, 1886 – Vorschaubilder II.
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eine schwer fassbare übergesetzliche Schrankenregelung dar, die nicht zu einer wirtschaftlichen Kompensation des Urhebers führt. Dies erscheint unter dem Blickwinkel des Prinzips der angemessenen Vergütung und des systematisch gewollten abschließenden Charakters der Schrankenregelung, die der BGH selbst hervorhebt, nicht vereinbar.70 Die Konsequenzen der Anerkennung der Figur der schlichten Einwilligung im Urheberrecht sind schwer einzuschätzen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der BGH die Figur der schlichten Einwilligung bedenklich ausweitet: wenn ein Berechtigter einem Dritten ohne Einschränkungen das Recht einräumt, die Abbildung eines Werks oder Lichtbilds im Internet öffentlich zugänglich zu machen, erteilt er nach Auffassung des BGHs damit in der Regel zugleich seine Zustimmung, dass der Dritte in eine Nutzung dieser Abbildung durch eine Bildersuchmaschine einwilligt.71 Offensichtlich wird die Schrankensystematik durchbrochen. Muss nunmehr jeder Internetnutzer und jeder Urheber, der einem Dritten die Nutzung seiner Werke im Internet erlaubt davon ausgehen, dass die von ihm eingestellten Inhalte von anderen Internetnutzern ohne Einwilligung benutzt werden können? Es stellt sich also die Frage, ob nur Suchmaschinenbetreiber durch die schlichte Einwilligung privilegiert werden oder jeder andere Internetnutzer auch. Geht man diesen Schritt, würde die schlichte Einwilligung einer uferlosen Schranke im Internet gleichkommen, die in keinem Fall von der geltenden urheberrechtlichen Schrankensystematik gedeckt ist. Die Figur der schlichten Einwilligung die auf der faktischen Ebene einer Schranke gleichkommt ist auch vor dem europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Hintergrund sehr fragwürdig. 3. Schrankenregelungen im öffentlichen Bildungsbereich Die praktischen Grenzen der Systematik von ausführlich ausgestalteten Schrankenregelungen zeigen sich sehr plastisch an den Schrankenregelungen im öffentlichen Bildungsbereich.72 Auf Grundlage der Art. 5 Abs. 3 lit a, wurden die §§ 52a, b UrhG als Schrankenregelungen im Jahr 2003 aufgenommen und waren seit dem sehr umstritten.73 § 53a UrhG soll die Rechtsprechung des BGH zum Kopienversand widerspiegeln.74 Alle Schrankenregelungen betreffen Ausnahmeregelungen für öffentliche Bildungs- und Kultureinrichtungen. Zunächst war die Einführung einer umfangreichen Schranke zu Gunsten von Wissenschaft und Bildung geplant.75 Nach erheblichem 70
Wandtke/Schunke Rechtsprechung zum Urheberrecht S. 107, 108. BGH NJW 2012, 1886, 1888 – Vorschaubilder II; vgl. dazu Fahl MMR-Aktuell 2012, 331727. 72 Ausführlich hierzu: Suttorp S. 15 ff.; Lutz S. 69 ff. 73 Hoeren/Neubauer ZUM 2012, 636; Lutz S. 69 ff., 89 ff. 74 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht Kap. 5 Rn. 72. 75 Kianfar GRUR 2012, 691. 71
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Widerstand von Verlegerseite kam es schließlich zu den detaillierten und komplexen Einzelregelungen.76 Trotz der sehr detaillierten Regelungen ist insbesondere § 52a, b UrhG Gegenstand von Gerichtsentscheidungen gewesen.77 Es geht letztlich um Auslegungsfragen von unbestimmten Rechtsbegriffen. Bei der Frage, in welchem Umfang Dozenten im Rahmen der Lehrplattform den Studierenden Lehrmaterialien in PDF Form zur Verfügung stellen dürfen, kommt es bei § 52a UrhG auf die Auslegung des Begriffs „kleiner Teil eines Werkes“ an.78 Umstritten sind auch die Fragen der Annexvervielfältigungen und Anschlussnutzung bei § 52b und § 52a UrhG.79 § 52b UrhG ermöglicht Bibliotheken, Museen und Archiven, Werke an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen genehmigungsfrei zugänglich zu machen. Die Frage, welche Nutzungsmöglichkeiten im Anschluss an die öffentliche Zugänglichmachung angeboten werden dürfen, wird insbesondere bei § 52b UrhG kontrovers diskutiert.80 Eine endgültige Klärung durch den BGH steht noch aus.81 Bei § 52a UrhG hat das Landgericht Stuttgart zur Frage der Anschlussnutzung festgestellt, dass die im Rahmen von Moodle zur Verfügung gestellten Materialen nur analog und nicht digital vervielfältigt werden dürfen. Diese Rechtsauffassung wurde durch das OLG Stuttgart bestätigt und sogar erweitert. Das OLG Stuttgart ist sogar der Auffassung, dass analoge Vervielfältigungen nicht von § 52a UrhG gedeckt seien. Legitimiert sei allenfalls das Bereithalten zum Lesen am Bildschirm.82 Damit tauchen bereits neue Fragen zum Verhältnis von § 52a UrhG und § 53 Abs. 2 UrhG auf. Engt man den Anwendungsbereich von § 52a UrhG ein, folgt daraus zwangsläufig, dass der Anwendungsbereich von § 52 Abs. 3 UrhG sich erheblich verringern wird. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Bestimmungen reformbedürftig sind. Eine generalklauselartig gefasste einheitliche Schrankenregelung für die öffentlichen Bildungsund Kultureinrichtungen zu schaffen, scheint ein gangbarer Weg, da sich die zumindest seit dem »Zweiten Korb« immer kleinteiliger geschnittene Schrankenkasuistik unter Nutzeraspekten inzwischen als grenzwertig marginal erwiesen hat.83 Es zeigt sich, dass der Versuch für bestimmte Sachverhalte
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Kianfar GRUR 2012, 691. OLG Stuttgart ZUM 2012, 495 zu § 52a UrhG; OLG Frankfurt ZUM 2010, 265 zu § 52b. 78 Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht 5. Kap. Rn. 75. 79 Hoeren/Neubauer ZUM 2012, 636, 639, 640. 80 Vgl. Wandtke/Schunke Lehrbuch zum Urheberrecht 5. Kap. Rn. 76 ff. 81 BGH GRUR-RR 2012, 136 L; LG Frankfurt GRUR 2011, 614; ausführlich zum Problem bei § 52b UrhG Kianfar GRUR 2012, 691, 692 ff. 82 OLG Stuttgart ZUM 2012, 495, 506; kritisch dazu Rauer GRUR-Prax 2012, 226, 228. 83 Pflüger ZUM 2010, 938, 940; vgl. auch Hoeren/Neubauer ZUM 2012, 636; Lutz S. 262, 263. 77
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genaue Schrankenregelungen zu schaffen nicht wirklich für Rechtssicherheit sorgt. Es verwundert darüber hinaus immer wieder, wie sehr doch die deutschen Gerichte die europarechtskonforme Auslegung betreiben, obwohl endgültige Rechtssicherheit erst mit Vorlage an den EuGH in vielen Fragen erreicht werden kann. 4. Fazit Selbst der großzügige Umgang bei der Frage der Auslegung der Schrankenregelungen hat nicht verhindern können, dass der BGH zu neuen Mitteln greifen musste, um einen Interessenausgleich zwischen Rechteinhabern und Nutzern neuer Technologien herzustellen. Dass der BGH diesen Weg ohne die Einbeziehung des EuGH gegangen ist verwundert aufgrund der weitreichenden Bestimmung der Multimediarichtlinie und den Bestrebungen eines möglichst harmonisierten Urheberrechts. Damit wird klar, dass zum einen der Harmonisierungsgrad der Schranken noch nicht ausreichend ausgeschöpft ist und dass die derzeitigen Schrankenregelungen an einem gerechten Ausgleich widerstreitender Interessen in vielen Bereichen scheitern. Selbst bei ausführlichen Schrankenregelungen wie den §§ 52a, b, 53a UrhG kommen der Gesetzgeber und die Gerichte an ihre Grenzen. So ist nur verständlich, dass immer wieder die Einführung einer generelle Schranke im Sinne eines „fair use“ diskutiert wird. Eine solche Regelung wäre zumindest unter europarechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere wegen der Vorgaben von Art. 5 der Harmonierungsrichtlinie unzulässig.84 Es kann also nur eine europaweite Lösung geben, die dann aber alle Schrankenbereiche treffen muss und ungelöste Fragen wie die Begrenzung des Tonträgerherstellerrechts und die Frage einer übergreifenden Schrankenregelung im Sinne des § 24 UrhG regeln muss. Genauso muss eine europarechtlich einheitlich Lösung zum Umgang mit freiwillig ins Internet gestellten Inhalten gefunden werden. Die Figur der schlichten Einwilligung kann da nur eine vorübergehende Lösung darstellen. Letztlich drängt sich mehr und mehr die Frage auf, ob die Probleme im Internet, beziehungsweise der Umgang mit neuen Nutzungsarten überhaupt über die Schrankenreglungen geregelt werden kann. Bei dem offensichtlich immer größer werdenden Bedürfnis der erlaubnisfreien Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten zeigt sich, dass die Akzeptanz des geltenden Urheberrechtssystems mehr und mehr schwindet. Hier ist sowohl der nationale Gesetzgeber, als auch der europäische Gesetzgeber eindeutig. Das Leitbild des geltenden Urheberrechts geht von einem hohen Schutzniveau im Bereich des Geistigen Eigentums aus, da nur so ein erhöhtes Wachstum und eine Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie er-
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So auch Poeppel S. 505.
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reichet werden kann.85 Es kann also nicht Sinn und Zweck sein, dass dieses Leitbild über Schranken oder dogmatische Seilsprünge untergraben wird. Die Zeit drängt, eine gesellschaftspolitische Diskussion über die Zukunft des Urheberrechts ernsthaft anzustrengen86, zu der der Jubilar mit Sicherheit wichtige Impulse geben wird.87 Es ist offensichtlich mehr erforderlich als eine bloße Angleichung der bestehenden Schrankenbestimmungen. Literatur: Apel Anmerkung zu OLG Hamburg, Urteil vom 17. August 2011 – Aktenzeichen 5 U 48/05 ZUM 2011, 754; Beck’scher Online-Kommentar BGB, Bamberger/Roth (Hrsg.) München 2012; Berger Aktuelle Entwicklung im Urheberrecht – der EuGH bestimmt die Richtung ZUM 2012, 353; Canaris Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, Festschrift für Franz Bydlinsky, Wien 2001; Dreier/Schulze Urheberrechtsgesetz, 3. Auflage München 2008; Fahl BGH: Vorschaubilder II MMR-Aktuell 2012, 331727; Geiger Der urheberrechtliche Interessenausgleich in der Informationsgesellschaft – Zur Rechtsnatur der Beschränkungen des Urheberrechts GRUR Int. 2004, 815; Häuser Sound und Sampling, 1. Auflage München 2002; Haratsch/Koenig/ Pechstein Europarecht, 8. Auflage Mohr Siebeck 2012; Hoeren/Neubauer Zur Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Hochschulen und Bibliotheken ZUM 2012, 636; Kianfar Öffentliche Zugänglichmachung und dann? Zur Frage der Anschlussnutzung im Rahmen des § 52a UrhG GRUR 2012, 69; Larenz/Wolf Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage München 2004; Loewenheim Handbuch des Urheberrechts 2. Auflage München 2010; Lutz Zugang zu wissenschaftlichen Informationen in der digitalen Welt, Tübingen 2012; Medicus Allgemeiner Teil des BGB, 10. Auflage München 2010; Metzger Der Einfluss des EuGH auf die gegenwärtige Entwicklung des Urheberrechts GRUR 2012, 118; Münchner Kommentar zum Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil Band 1, Säcker (Hrsg.), 6. Auflage München 2012; Pflüger Positionen der Kultusministerkonferenz zum Dritten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft – »Dritter Korb«, ZUM2010, 938, 940; Poeppel Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld 2005; Rauer Entscheidung im Musterverfahren zu § 52a UrhG: Plädoyer gegen die Abschaffung der Norm durch die richterliche Hintertür, GRUR-Prax 2012, 226; Schack Urheberund Urhebervertragsrecht, 5. Auflage Mohr Siebeck 2010; Schricker/Loewenheim Urheberrecht, 4. Auflage München 2010; Schunke Das Bearbeitungsrecht in der Musik und dessen Wahrnehmung durch die GEMA, Berlin 2007; Spindler Bildersuchmaschinen, Schranken und konkludente Einwilli85 86 87
Erwägungsgrund 4 der Multimediarichtlinie. So auch schon Geiger GRUR Int. 2004, 815, 821. Wandtke UFITA 2011/III, 649 ff.
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gung im Urheberrecht Besprechung der BGH-Entscheidung „Vorschaubilder“ GRUR 2012, 785; Stieper Anmerkung zu BGH, Urteil vom 20. November 2008 – Aktenzeichen I ZR 112/06 – Metall auf Metall, ZUM 2009, 223; Streinz Europarecht, 9. Auflage Heidelberg 2012; Suttorp Die öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und Forschung (§ 52a) Berlin, 2005; Wandtke (Hrsg.) Urheberrecht 3. Auflage Berlin 2012; Wandtke (Hrsg.) Medienrecht 2. Band, 2. Auflage Berlin 2011; Wandtke/Bullinger (Hrsg.) Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Auflage München 2009; Wandtke (Hrsg.) Rechtsprechung zum Urheberrecht, 2011; Wandtke Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?, UFITA 2011/III, 649.
Die neue Schutzdauer für Musikwerke mit Text Michel M. Walter I. Einleitung * 1. Mit der Richtlinie 2011/77/EU vom 27. September 20111 zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG 2 wurde die Schutzdauer für die Leistungsschutzrechte ausübender Künstler, deren Darbietungen auf Tonträgern festgehalten sind, sowie von Tonträgerproduzenten an ihren Aufnahmen von bisher fünfzig Jahren (ab Erbringung der Darbietung bzw der Herstellung einer Tonträgeraufnahme oder deren Veröffentlichung/Erscheinen) auf siebzig Jahre verlängert. Zugleich wurde als flankierende Maßnahme eine Reihe übergangsrechtlicher und urhebervertragsrechtlicher Vorschriften erlassen, die von den Gesetzgebern der Mitgliedstaaten längstens bis zum 1. November 2013 umzusetzen sind. Dieses Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Union hat zu einer länger andauernden und kontrovers geführten Diskussion geführt, welche die Annahme der Richtlinie erheblich verzögert hat, für welche die Europäische Kommission bereits im Jahr 2008 3 einen Vorschlag vorgelegt hatte.4 Mit ein Grund für die heftigen Diskussionen waren insbes auch Einwände gegen die Übernahme einer – ursprünglich von der Kommission mit fünfundneunzig Jahren anvisierte – Schutzdauer für Tonträger aus dem US-amerikanischen Recht, welches die strenge Unterscheidung zwischen Urheberrecht ieS auf der einen Seite und Leistungsschutzrecht auf der anderen nicht kennt. Nach dem US-amerikanischen Konzept werden die Leistungen von * Siehe dazu auch den Aufsatz von Gernot Schulze, Einheitlich lange Schutzdauer für alle Werkverbindungen? In dieser FS 373. 1 ABl L 265 vom 11.10.2011, 1. 2 Dabei handelt es sich um die konsolidierte Fassung der Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 ABl L 290 vom 24.11.1993, 9 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (Schutzdauer-RL). 3 COM (2008) 0464, 3 vom 04.04.2008. 4 Siehe dazu ausführlich Walter in Walter/v Lewinski, European Copyright Law – A Commentary (2010) 638 bei Rz 8.0.1 ff. mwN; ders, Text und Musik – Überlegungen zum Vorschlag einer Richtlinie betreffend die Schutzfrist für Musikwerke mit Text, in Salut für Leo Popp – liber amicorum (2008) 175; ders, Der Richtlinien-Vorschlag der Kommission für eine Änderung der Schutzdauer-Richtlinie 1993/2006, in FS Loewenheim (2009) 377.
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Tonträgerproduzenten (für seit dem 15. Februar 1972 hergestellte Aufnahmen) mit Hilfe des Urheberrechts (copyright in sound recordings) urheberrechtlich geschützt, wobei in Bezug auf die Schutzdauer im Ergebnis auch die – von der Europäischen Grundkonzeption gleichfalls abweichende – Regelung des Schutzes anonymer und pseudonymer Werke übernommen werden sollte, die nach US-amerikanischem Recht in der Regel zu einer Schutzdauer von fünfundneunzig Jahren führt.5 2. Neben einer Verlängerung der Schutzfrist für Leistungen ausübender Künstler und Tonträgerproduzenten hat schon der ursprüngliche Richtlinienvorschlag der Kommission eine weitere Harmonisierung der Schutzfristen auch im engeren urheberrechtlichen Bereich vorgeschlagen, welche in der rechtswissenschaftlichen Diskussion kaum wahrgenommen wurde 6, gleichwohl aber einen wesentlichen Harmonisierungsschritt darstellt. Dabei geht es um die Festlegung einer einheitlichen Schutzfrist für bestimmte Werkverbindungen, nämlich solchen von Text und Musik, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Grund eines divergierenden Verständnisses der Miturheberschaft unterschiedlich lang geschützt werden. Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Inhaberschaft des Urheberrechts auf europäischer Ebene bisher nicht harmonisiert, weshalb das differenzierte Verständnis dieses Begriffs in den einzelnen Mitgliedstaaten zu einer empfindlichen Harmonisierungslücke geführt hat. Während nämlich einige Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Annahme der Miturheberschaft nicht nur die Herstellung einer Werkverbindung oder ein gemeinsames Zusammenwirken der Urheber, sondern darüber hinaus noch verlangen, dass das Ergebnis des gemeinsamen Schaffens zu einer untrennbaren Einheit führt 7, gehen andere Mitgliedstaaten, vor allem diejenigen des romanischen Rechtskreises8 nicht von einer solchen Voraussetzung der Untrennbarkeit aus und betrachten deshalb auch „verbundene Werke“ wie die Verbindung von Text und Musik in Liedern, vor allem aber auch im Fall musik-dramatischer Werke (Opern, Operetten, Musicals, Singspiele etc) als in Miturheberschaft geschaffene Werke.9 Der Verfasser dieses Beitrags hat deshalb schon im 5
Vgl näher Walter, in FS Loewenheim (2009) 377 (379). Siehe dazu die Beiträge des Autors in Salut für Leo Popp 175 und in FS Loewenheim (2009) 377 (385 ff.). 7 ZB Deutschland, Österreich, United Kingdom, Niederlande. 8 ZB Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal, Luxemburg, Italien (das zuletzt genannte Land allerdings nur im Zusammenhang mit der Schutzfristberechnung). 9 Vgl ErwG 18: „In einigen Mitgliedstaaten erhalten Musikkompositionen mit Text eine einheitliche Schutzdauer, die ab dem Tod des letzten überlebenden Urhebers berechnet wird, während in anderen Mitgliedstaaten für Musik und Text eine unterschiedliche Schutzdauer gilt. …“ 6
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Jahr 2002 bei der Internationalen EU-Urheberrechtskonferenz in Santiago de Compostela zu dem Generalthema „European Copyright Revisited“10 vorgeschlagen11, dieses Harmonisierungsdefizit durch eine Angleichung an das in den Ländern des romanischen Rechtskreises geltende System zu beseitigen. Dieser Vorschlag wurde von der EU-Kommission schon in ihrem Commission Staff Working Paper vom 19. Juli 200412 aufgegriffen und auch von der vom Institut für Informationsrecht der Universität Amsterdam im Auftrag der Kommission ausgearbeiteten Studie vom November 200613 unterstützt, die darüber hinaus vorgeschlagen hat, die (erste) Inhaberschaft des Urheberrechts als solche und nicht bloß für Zwecke der Berechnung der Schutzdauer zu harmonisieren. 3. Der Jubilar selbst hat sich in seinem gemeinsam mit Tilo Gerlach verfassten Aufsatz mit dem Titel „Für eine Schutzfristverlängerung im künstlerischen Leistungsschutz“14 grundsätzlich für die vorgeschlagene Verlängerung der Schutzfrist in Bezug auf das Leistungsschutzrecht der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller ausgesprochen und damit die Diskussion um diese, im September 2011 angenommene Richtlinie bereichert. Es liegt deshalb nahe, ihn mit einem Beitrag zu dieser Richtlinie, allerdings zu dem in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bisher wenig beachteten15 urheberrechtlichen Teil zu ehren.
II. Anliegen und Bewertung der Regelung 1. Schon der Kommissionsvorschlag vom April 2008 hat vorgesehen, für die Berechnung der Schutzdauer von Musikkompositionen mit Text die „Miturheberregel“ für anwendbar zu erklären und dies in einem weiteren Absatz
10 Walter, Updating and consolidation of the acquis – The future of European Copyright, (abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/copyright/docs/conference/ 2002-06-santiago-peech-walter_en.pdf [zuletzt besucht am 15.09.2012]). 11 So auch schon Schricker, Musik und Wort – Zur Urheberrechtsschutzfrist dramatisch-musikalischer Werke und musikalischer Kompositionen mit Text, GRUR 2001, 1015. 12 SEC (2004) 0995, 11 ff. 13 Bernt Hugenholtz et al, Recasting of Copyright & Related Rights for the Knowledge Economy (2006). 14 ZUM 2008, 267. 15 Vgl dazu zuletzt Frederike B. Flechsig, Harmonisierung der Schutzdauer für musikalische Kompositionen mit Text – Materielle Harmonisierung europäischen Urheberrechts als Folge der Schutzfristenangleichung durch die Richtlinie 2011/77/EU, ZUM 2012, 227.
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des Artikel 1 der Schutzdauer-RL festzuhalten. Danach sollte die Berechnung der Schutzdauer unabhängig davon an den Tod des letztversterbenden Urhebers anknüpfen (Miturheberregel nach Art 1 Abs 2 Schutzdauer-RL), wenn es sich nach dem Recht einzelner Mitgliedstaaten nur um verbundene Werke, etwa iS des § 9 dUrhG oder des § 11 Abs 3 öUrhG handelt, weil die einzelnen Beiträge nicht untrennbar miteinander verbunden sind, wie dies für Text und Musik grundsätzlich zutrifft. In der endgültigen Fassung der Richtlinie 2011/77/EU (Art 1 Abs 1) erhielt dieser letzte Absatz nun folgende Fassung: „(7) Die Schutzdauer einer Musikkomposition mit Text erlischt – unabhängig von den ausgewiesenen Miturhebern – siebzig Jahre nach dem Tod des letzten Überlebenden folgender Personen: Verfasser des Textes und Komponist der Musikkomposition, sofern beide Beiträge eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen wurden.“16 2. Im Hinblick auf das Anliegen, eine der noch bestehenden Harmonisierungslücken in Bezug auf die urheberrechtliche Schutzdauer zu schließen17, ist die Regelung grundsätzlich zu begrüßen.18 Sie schließt eine empfindliche Harmonisierungslücke, wobei es auf der Hand lag, die Schutzfrist durch Übernahme des Systems, wie es schon bisher in den Ländern des romanischen Rechtskreises gehandhabt wurde, zu harmonisieren. Damit wird im Einklang mit der ursprünglichen Fassung der Schutzdauer-RL eine Harmonisierung auf hohem Niveau erreicht, wie dies schon in den ErwG 10 und 11 der Schutzdauer-RL 1993 ausdrücklich als Zielsetzung festgelegt wurde. Mit diesem Harmonisierungsziel steht die Richtlinie in Einklang, ohne dass hier
16 Die englische Fassung lautet wie folgt: „7. The term of protection of a musical composition with words shall expire 70 years after the death of the last of the following persons to survive, whether or not those persons are designated as co-authors: the author of the lyrics and the composer of the musical composition, provided that both contributions were specifically created for the respective musical composition with words.“ 17 Siehe dazu auch ErwG 19: „Daraus ergeben sich hinsichtlich der Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text, bei denen der Text und die Musik zur gemeinsamen Verwendung geschaffen wurden, Harmonisierungslücken, die den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen beispielsweise bei der grenzüberschreitenden kollektiven Verwertung von Urheberrechten behindern. Um sicherzustellen, dass solche Hindernisse beseitigt werden, sollte für alle solche Werke, die zu dem Zeitpunkt, bis zu dem die Mitgliedstaaten diese Richtlinie umsetzen müssen, noch geschützt sind, die gleiche harmonisierte Schutzdauer in allen Mitgliedstaaten gelten.“ 18 So auch Walter, in FS Loewenheim (2009) 377 (387 f.); ders, in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 639 bei Rz 8.0.4 f.
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auf die in jüngerer Zeit zunehmend geforderte Verkürzung urheberrechtlicher Schutzfristen näher eingegangen werden kann, die der Verfasser dieses Beitrags jedenfalls für den engeren urheberrechtlichen Bereich grundsätzlich nicht für berechtigt hält.19 Dies bedeutet freilich nicht, dass Grundlagen, Ziel und Ausgestaltung des urheberrechtlichen Schutzes nicht stets aufs Neue hinterfragt werden dürften. 3. Kritisch einwenden könnte man allerdings, dass verbundene Musik- und Sprachwerke damit hinsichtlich der Schutzdauer im Vergleich zu Werken anderer Sparten, darüber hinaus aber auch im Vergleich zu nicht miteinander verbundenen Kompositionswerken und Texten hinsichtlich ihrer Schutzdauer privilegiert werden. Im Hinblick auf das Harmonisierungsziel haben diese Bedenken aber wohl zurück zu treten. Schwerer wiegt mE der Einwand, dass die Neuregelung auf andere Werkverbindungen, etwa die Verbindung von Musik mit Werken der Choreografie (Tanzkunst) nicht anwendbar ist.20 Dies fällt vor allem auch deshalb ins Gewicht, weil etwa die italienische Regelung ausdrücklich auch choreografische und pantomimische Werke umfasst, und auch die französische Regelung nicht werkspezifisch ausgelegt ist.21 Dadurch entstehen aber neue Harmonisierungslücken, vertritt man nicht den Standpunkt, dass die Regelung der Richtlinie 2011/77/EU abschließend zu verstehen ist, und eine Ausweitung des Grundgedankens auf andere Werkverbindungen durch den Gesetzgeber der Mitgliedstaaten unzulässig ist.22
III. Problemfelder und Einzelfragen Auf den ersten Blick erscheint der Richtlinientext in der Tat „klar und deutlich gefasst“.23 Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch eine Reihe grundsätzlicher Fragen und Detailprobleme von praktischer Relevanz, die im Folgenden kurz erörtert werden sollen. 19 Siehe dazu etwa die Diskussionen bei den ALAI Study Days Vienna 2010 (Tagungsband erscheint in Kürze im Verlag Medien und Recht/Wien). 20 Vgl Walter in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 640 bei Rz 8.0.7; ders, Salut für Leo Popp 185. 21 Vgl Walter, in FS Loewenheim (2009) 377 (390). 22 Nach Ansicht des Autors dieses Beitrags wird dies allerdings nicht anzunehmen sein. So auch Gernot Schulze, Einheitlich lange Schutzdauer für alle Werkverbindungen? in dieser FS 373 (377 ff.), der deshalb zu Recht vorschlägt, die Neuregelung auf alle Werkverbindungen auszuweiten. 23 So etwa Frederike B. Flechsig, ZUM 2012, 227 (233).
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1. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Umsetzung der in der Richtlinie für Musikkompositionen mit Text vorgegebenen Berechnungsregel auf die Kalkulation der Schutzdauer beschränkt ist oder auch auf die Regelung der Inhaberschaft des Urheberrechts im Fall der Beteiligung mehrerer Urheber durchschlägt und deshalb auch zu einer Bereinigung der §§ 8 und 9 dUrhG bzw des § 11 öUrhG führen muss. Von dieser Annahme geht etwa Frederike B. Flechsig schon im Untertitel ihrer Arbeit über die Harmonisierung der Schutzdauer für musikalische Kompositionen mit Text aus 24, wenn dort von einer „materiellen Harmonisierung europäischen Urheberrechts“ als Folge der Schutzfristenangleichung durch die gegenständliche Richtlinie die Rede ist und angenommen wird, der Richtliniengeber sei von einer „europäischen Werkgattung“ der „Musikkomposition mit Text“ ausgegangen.25 Dieser Ansicht vermag ich nicht zu folgen, weil die Richtlinie 2011/77/EU ausschließlich die Regelung der Schutzdauer zum Gegenstand hat und weder den Erwägungsgründen noch dem Richtlinientext selbst eine andere Intention zu entnehmen ist. Es folgt dies auch aus dem Vorbild des Art 2 Abs 2 Schutzdauer-RL 1993/2006 bezüglich der Berechnung der urheberrechtlichen Schutzfrist von Filmwerken und audiovisuellen Werken, die gleichfalls die Anwendung der Miturheberregel auf vier namentlich genannte Urheber anordnet, nämlich den Hauptregisseur, den Drehbuchautor, den Dialogautor und den Komponisten einer eigens für ein (bestimmtes) Filmwerk geschaffenen Filmmusik. Auch diese Regelung bewirkte keineswegs eine Harmonisierung der (originären) Rechtsinhaberschaft an Filmwerken, sondern war und ist als eine auf die Berechnung der Schutzdauer beschränkte Sonderregel zu verstehen. Richtig ist zwar, dass im Zug der Debatte auch eine Gesamtharmonisierung der Miturheberschaft in Erwägung gezogen wurde 26, doch wurde dieser ehrgeizige Plan im Hinblick auf die ins Gewicht fallenden Unterschiede der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Regelungen wieder fallen gelassen.27 In Bezug auf die Urheberschaft an Filmwerken folgt dies auch aus dem Vergleich mit dem ersten Absatz des Art 2 Schutzdauer-RL der tatsächlich eine Teilharmonisierung der Inhaberschaft der Urheberrechte an Filmwerken bewirkt, wonach jedenfalls der Hauptregisseur als solcher anzusehen ist, es den Mitgliedstaaten aber frei steht, auch andere Urheber als Miturheber des
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ZUM 2012, 227 (233 ff.). AaO 234 f. 26 Siehe etwa Bernt Hugenholtz et al, Recasting of Copyright; siehe auch das Ratsdokument 7440/09 vom 11.03.2009 (nicht online zugänglich). 27 So richtig der jüngst veröffentlichte deutsche RefEntw 27.07.2012, 16. 25
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Filmwerks zu bestimmen.28 Diese Sonderregelung für die Berechnung der Schutzdauer von Filmwerken, wie sie in Art 2 Abs 2 Schutzdauer-RL festgelegt ist, macht die Unabhängigkeit dieser Regelung von derjenigen betreffend die (erste) Inhaberschaft der Urheberrechte am Filmwerk deutlich, da von den vier für die Schutzfristberechnung maßgebenden Autoren etwa nach deutscher oder österreichischer Auffassung ausschließlich der Hauptregisseur ein „echter“ Miturheber des Filmwerks ist, während es sich bei den übrigen Beiträgen um sog „vorbestehende Werke“ handelt, auf welche auch die Sonderregeln, die im Filmurheberrecht gelten, nicht bzw jedenfalls nicht gleichermaßen anwendbar sind. 2. Auslegungsbedürftig ist zunächst der zentrale Begriff der „Musikkomposition mit Text“. Insoweit hatte der ursprüngliche Vorschlag zunächst keine Präzisierungen oder Erläuterungen enthalten, weshalb angeregt wurde, diesen Begriff auf alle mit Zustimmung der Urheber zur gemeinsamen Verwertung miteinander verbundenen Werke auszudehnen oder dies zumindest in den Erwägungsgründen zu erläutern und damit auch die Anwendung der Bestimmung zu erleichtern.29 Von einer solchen Regelung geht etwa das italienische Urheberrecht aus, welches zwar für das Vorliegen der Miturheberschaft ieS in Art 10 Abs 1 ausdrücklich Ununterscheidbarkeit und Untrennbarkeit der Beiträge voraussetzt, die indistinguibile ed inscindibile sein müssen, anderseits für Zwecke der Schutzfristberechnung in Art 26 Abs 1 aber eine Sonderregel enthält, wonach musik-dramatische Werke und choreographische Werke ebenso zu behandeln sind wie in Miturheberschaft entstandene Schöpfungen. Dieser Anregung ist der Richtliniengeber zum Teil gefolgt und hat zumindest eine Klarstellung dahingehend getroffen, dass die neue Regel dann anwendbar ist, wenn „beide Beiträge eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen wurden“. Damit wird allerdings nicht auf die bloße Verbindung zur gemeinsamen Verwertung mit Zustimmung der beteiligten Urheber, sondern darauf abgestellt, dass die Beiträge „für einander geschaffen“ wurden, wie dies auch für das offensichtliche Vorbild zutrifft, nämlich die Umschreibung der „Filmmusik“ in Art 2 Abs 2 Schutzdauer-RL 1993/2006.
28 Vgl Walter in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 549 bei Rz 8.2.20. Siehe dazu auch die Entscheidung des EuGH 09.02.2012 in der Rechtssache – „Luksan/van der Let“ MR 2012, 23 (Walter) = RdW 2012/164, 153 = wbl 2012/72, 203 = ZUM 2012, 313 = GRUR Int 2012, 341 = GRUR 2012, 489 = MMR 2012, 320. 29 Vgl Walter, in FS Loewenheim (2009) 377 (388 f.); ders, in Salut für Leo Popp 183 f. mit Formulierungsvorschlag 189; ders, in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 840 bei Rz 8.0.5.
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Diese Lösung macht die Anwendung der neuen Regel zwar nicht leichter, mag aber im Licht des angestrebten Harmonisierungsziels auf der Hand gelegen sein, weil in den meisten Mitgliedstaaten, die schon bisher von diesem Regelungssystem ausgingen, überwiegend gleichfalls auf den Schaffensprozess und darauf abgestellt wird, dass die miteinander verbundenen Werke das Ergebnis eines konzertierten Zusammenwirkens sind. Dies gilt insbesondere für das französische Recht, das allerdings auch dahingehend verstanden wurde, dass eine „gemeinsame Inspiration“ (communauté d’inspiration) bzw eine „wechselseitige Kontrolle“ (mutuel contrôle) gegeben sein muss.30 Nicht verlangt wird aber ein kreatives Hineinwirken in das jeweils andere Werk oder auch nur ein gemeinsames Schaffen; die Miturheber können sich mit ihren Beiträgen auch auf ihre eigene Sparte (Text oder Musik) beschränken und ihre Beiträge auch unabhängig von einander erstellen.31 Voraussetzung für die Annahme der Miturheberschaft nach französischem Recht ist aber jedenfalls eine gemeinsame Intention, ein konzertiertes Vorgehen (un travail créatif concerté).32 Man wird in der Annahme nicht fehl gehen, dass nach der nunmehr verabschiedeten Fassung der Richtlinie im Wesentlichen von dieser Grundauffassung auszugehen ist, wobei es in erster Linie auf die gemeinsame Intention der beteiligten Urheber bzw eine entsprechende „Widmung“ der Einzelbeiträge zum Zeitpunkt des Werkschaffens ankommt, nicht aber auf einen gemeinsamen Schaffensprozesses oder einheitliche, abgestimmte Konzepte. Die Werkverbindung wird deshalb nicht notwendig das Ergebnis eines gemeinsamen Werkschaffens sein müssen; ausreichend ist eine Widmung zur gemeinsamen Verwertung im Weg eines abgestimmten, konzertierten Vorgehens zum Zeitpunkt des Werkschaffens. In diesem Sinn spricht auch ErwG 18 zwar einerseits von einem „gemeinsamen Schreiben“, auf der anderen Seite aber auch bloß von einem „kooperativen Prozess“.33 Die etwas abweichende 30 Vgl Desbois, Le droit d’auteur en France3 no 133; Fournier, La collaboration littéraire et artistique (Diss Grenoble 1947) 157; André Lucas/Henri-Jacques Lucas/Agnès LucasSchloetter, Traité de la propriété littéraire et artistique3 (2012) no 189 ff. Siehe dazu auch Walter, in Salut für Leo Popp 175; ders, in FS Loewenheim (2009) 377 (389). 31 Vgl Polloud-Dulian, Le droit d’auteur (2005) Rz 321 ff. (324). 32 Vgl Cour cass 22.02.2000 no 97-21320 – „Lam“ Bull civ I n° 369 =Jurisdata no 00581; Tribunal de grande instance Paris 15.03.2002 Communication commerce électronique 2002 comm 68 (Christophe Caron); Cour Paris 21.02.1994 Revue du droit de la propriété intellectuelle 1994 no 51, 69. Siehe auch Caron, Droit d’auteur et droits voisins – Manuel (2006) Rz 220; André Lucas/Henri-Jacques Lucas/Agnès Lucas-Schloetter, Traité aaO no 189 mwN; PolloudDulian, Le droit d’auteur (2005) Rz 323. 33 „… Musikkompositionen mit Text werden in der großen Mehrzahl der Fälle gemeinsam geschrieben. So ist beispielsweise eine Oper das Werk eines Librettisten und eines Komponisten. Auch in bestimmten musikalischen Genres wie Jazz, Rock und Pop ist der kreative Prozess häufig kooperativer Art.“
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bisherige italienische Regelung wird dagegen etwas anzupassen sein, zumal sie im Übrigen auf musik-dramatische (und choreografische) Werke beschränkt ist und andere Verbindungen von Text und Musik bisher nicht erfasst hat. Voraussetzung für die Anwendung der neuen Berechnungsregel ist also nicht notwendig ein gemeinsames Zusammenwirken im Zug des jeweiligen Schaffensprozess und auch nicht die Untrennbarkeit des Ergebnisses, doch müssen die Werke in abgestimmter Weise für einander geschaffen worden sein. Dabei werden an die Intensität der Abstimmung keine strengen Anforderungen zu stellen sein. Diese Voraussetzung wird in aller Regel etwa bei der Verbindung von Text (Libretto und Liedtexte) und Musik zu musik-dramatischen Werken zutreffen, kann aber gelegentlich auch bei Liedern, Chansons und ähnlichen Werken der Fall sein. Weder die Vertonung eines Texts ohne gemeinsame Absprache noch das Schaffen eines Texts für eine (eventuelle) Vertonung werden diese Voraussetzungen aber erfüllen. Deshalb fällt unter den Begriff eigenes für einander geschaffener Werke nicht die (nachträgliche) Vertonung eines Gedichts. So wird etwa – um dies an einem Beispiel zu erläutern – die Vertonung eines Gedichts des irischen Nobelpreisträgers William Butler Yeats 34 aus der Reihe mit dem Titel „Words for Music Perhaps“ nicht zur Annahme einer Miturheberschaft in diesem Sinn führen, auch wenn diese Text für eine eventuelle Vertonung geschaffen wurden. In Einzelfällen werden sich in Bezug auf die Anwendung der neuen Regel dessen ungeachtet Zweifelsfragen ergeben können, weil die Ermittlung der Absicht der beteiligten Urheber auf Schwierigkeiten stoßen kann, zumal es meist um ältere Werke gehen wird. Allerdings zeigen die Erfahrungen in den Ländern des romanischen Rechtskreises, dass die Anwendung dieser Regel in der Praxis offensichtlich zu keinen größeren Problemen geführt hat. Auch wird, wie schon angedeutet, in der gewählten Umschreibung des Art 1 Abs 7 Schutzdauer-RL 1993/2006 eine gewisse Objektivierung der Kriterien zu erblicken sein, die eine Beurteilung etwas einfacher und das Ergebnis vorhersehbarer machen könnte, ein Aspekt, der gerade im Zusammenhang mit der Berechnung urheberrechtlicher Schutzfristen von besonderer Bedeutung ist. 3. Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf die abgesonderte Verwertung von Text und Musik. Diese Problematik entsteht im Fall „echter“ Miturheberschaft im Sinn der deutschen und österreichischen Auffassung deshalb nicht, weil dieses Konzept die Untrennbarkeit der Beiträge voraussetzt, weshalb eine abgesonderte Verwertung von Vorneherein ausscheidet. Eine solche ist jedoch bei bloßen Werkverbindungen möglich, etwa der Abdruck des
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Geb 13.06.1865, gest 28.01.1939.
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Librettos zu einer Oper (ohne Musik) oder die (konzertante) Aufführung der Musik ohne den dazugehörigen Text, was insbes für Ouvertüren, Zwischenspiele etc zutreffen kann. Nach richtiger Ansicht wird die Miturheberregel auf eine solche gesonderte Verwertung nicht anzuwenden sein.35 Bedauerlicher Weise hat der Richtliniegeber den Vorschlag, diese auch für die Praxis relevante Frage klarzustellen36, nicht aufgegriffen. 4. Eine weitere Auslegungsproblematik wurde schon angedeutet: Auch wenn man die Neuregelung im Hinblick auf die klare Beschränkung auf Musik und Text nicht auch auf choreografische Werke und Pantomimen (mit Musik) anwenden können wird, stellt sich diese Frage noch schärfer für den choreografischen Werken zu Grunde liegenden Handlungsablauf, der zwar in Worte gekleidet zum Ausdruck gebracht wird (Ballettlibretto), gleichwohl aber nicht mit Mitteln der Sprache aufgeführt wird, sondern mit Hilfe der Ausdrucksmittel von „Gebärden und anderen Körperbewegungen“ wie dies § 2 Z 2 öUrhG ausdrückt und diese im Übrigen auch den „Werken der Literatur“37 zuordnet. Auch die Lösung dieser Frage lässt sich dem Text nicht eindeutig entnehmen. Mit einiger Vorsicht wird man zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen davon ausgehen müssen, dass im Fall eines intendierten Zusammenwirkens auch in solchen Fällen von der Anwendung der Miturheberregel auszugehen ist.38 Ein Beispiel für einen solchen Fall aus jüngster Zeit könnte etwa das von der Dramaturgin Hannah Dübgen 39 für eine Choreographie von Sasha Waltz erstellte Libretto für das 2011 im Théâtre Royal de la Monnaie, Brüssel uraufgeführte Werk mit dem Titel „Matsukaze“ (Musik: Toshio Hosokawa 40) sein, welches auf das gleichnamige Noh-Spiel von Zeami Motokiyo 41 zurückgeht. 5. Schließlich stellt sich die Frage, wie es sich mit anonymen und pseudonymen Werken verhält. Auch insoweit ist der Text nicht eindeutig, und eine Klarstellung, wie sie angeregt wurde 42, auch in den Erwägungsgründen nicht 35 Vgl Walter in Salut für Leo Popp 175 (185); ders, in FS Loewenheim (2009) 377 (390); ders, in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 640 bei Rz 8.0.6. 36 Formulierungsvorschlag bei Walter, in Salut für Leo Popp 175 (189). 37 Nicht allerdings den Sprachwerken ieS. 38 So schon Walter in Salut für Leo Popp 175 (185). 39 Geb 1977. 40 Geb 1955. 41 1363 bis 1443. 42 Vgl Walter in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 640 bei Rz 8.0.8.
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erfolgt. Es mag dies daraus zu erklären sein, dass sich die Problematik einer einheitlichen Schutzfrist dann nicht stellt, wenn sowohl der Text als auch die Musik von anonymen oder pseudonymen Urhebern stammt, weil in diesem Fall nach Art 1 Abs 3 iVm Abs 6 Schutzdauer-RL 1993/2006 ohnehin einheitlich auf den Zeitpunkt der Schaffung bzw der Veröffentlichung des Werks abzustellen ist. Anders verhält es sich aber, wenn ein oder mehrere Urheber anonym geblieben sind oder ein Pseudonym verwendet haben, der andere oder die anderen Urheber aber genannt ist (sind). In solchen Fällen wird man davon ausgehen müssen, dass die neue Regelung auch auf solche Werke anwendbar ist, wobei in Verknüpfung der beide Berechnungsregeln auf den jeweils späteren Zeitpunkt des Schaffens, der Veröffentlichung oder des Todes des genannten Urhebers abzustellen ist. In der Regel wird danach auch für den anonymen oder pseudonymen Werkteil der Tod des oder der anderen Urheber für die Berechnung der Schutzfrist maßgebend sein, sofern nicht die Veröffentlichung erst danach erfolgt ist. Trifft dies aber zu, ist in solchen Fällen der Zeitpunkt der Veröffentlichung zu Grunde zu legen.
IV. Übergangsrechtliche Fragen 1. Die Richtlinie 2011/77/EU ist mit 31. Oktober 2011 (Art 4) in Kraft getreten; die Umsetzung hat, wie bereits erwähnt, bis zum 1. November 2013 zu erfolgen. Während der Richtlinien-Vorschlag in Bezug auf die urheberrechtliche Regelung noch keine Übergangsvorschrift vorsah, was auch kritisch vermerkt wurde 43, sieht die verabschiedete Fassung nun eine Übergangsregelung vor, die in einem neuen Abs 6 des Art 10 Schutzdauer-RL 1993/2006 festgehalten ist. Danach findet die Neuregelung auf Musikkompositionen mit Text Anwendung, „von denen zumindest die Musikkomposition oder der Text in mindestens einem Mitgliedstaat am 1. November 2013 geschützt ist und für Musikkompositionen mit Text, die nach diesem Datum entstehen.“ Damit ist die Neuregelung jedenfalls nicht generell rückwirkend anzuwenden, es genügt aber – dem Vorbild des Art 10 Abs 2 Schutzdauer-RL 1993/ 2006 entsprechend – der aufrechte Schutz in auch nur einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (oder Vertragsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums) zum Umsetzungszeitpunkt (1. November 2013). Dies kann gegebenenfalls zum Wiederaufleben eines in einem Mitgliedstaat bereits abgelaufenen Schutzes beider oder des einen der verbundenen Werke führen. Dies 43 Vgl dazu und zu den folgenden Ausführungen Walter, in Salut für Leo Popp 175 (186 ff.); ders, in FS Loewenheim (2009) 377 (390 ff.).
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unter der Voraussetzung, dass entweder der Text oder die Musik zu dem genannten Stichzeitpunkt zumindest in einem Mitgliedstaat (Vertragstaat) der Europäischen Union noch Schutz genießt. Diese Übergangsregelung zielt – so wie ihr Vorbild – auf eine möglichst rasche Harmonisierung der urheberrechtlichen Schutzfristen ab, da es ausreicht, wenn auch nur eines der beteiligten Musik- oder Sprachwerke in einem Mitgliedstaat noch urheberrechtlichen geschützt ist. Dabei kommt es in den Ländern des romanischen Rechtskreises naturgemäß zu keinem Wiederaufleben des Schutzes, weil die Werke aller beteiligten Urheber an Musikwerken mit Text nach der in diesen Ländern schon bisher geltenden Regelung – abgesehen von einigen Abweichungen im Detail – grundsätzlich ohnehin noch Schutz genießen. 2. Indirekt finden deshalb auch die übrigen Übergangsregelungen des Art 10 Schutzdauer-RL 1993/2006 Anwendung, insbes diejenige des ersten Absatzes, wonach zum 1. Juli 1995 bereits laufende längere Schutzfristen nicht verkürzt werden. Dies kann etwa auf kriegsbedingte Schutzfristverlängerungen oder eine unterschiedliche Schutzdauer zurückzuführen sein, wie dies etwa für Spanien mit seiner zunächst achtzigjährigen Schutzfrist nach dem Gesetz aus dem Jahr 1879 zutrifft.44 Dies kann in Einzelfällen dazu führen, dass der Schutz für eines oder auch für beide der beteiligten Werke in diesem Mitgliedstaat zum Stichzeitpunkt 1. November 2013 noch aufrecht ist. Aber auch eine direkte (analoge) Anwendung der übergangsrechtlichen Regel des Art 10 Abs 1 Schutzdauer-RL 1993/2006 wird anzunehmen sein, auch wenn eine ausdrückliche Regelung insoweit fehlt. In solchen – wenn auch eher seltenen – Fälle, dass die Schutzfristen nach bisherigem Recht in einem Mitgliedstaat länger waren und bereits liefen, etwa weil die Anwendung der Miturheberregel dort noch großzügiger gehandhabt wurde, als nun in der Richtlinie 2011/77/EU festgelegt, wird die Schutzfrist deshalb jedenfalls nicht verkürzt.45 3. Sonstige Übergangsvorschriften enthält die Richtlinie im urheberrechtlichen Zusammenhang, anders als im leistungsschutzrechtlichen, nicht. Allerdings wird auch die Grundregel des Art 10 Abs 3 Schutzdauer-RL 1993/2006 44 Die Schutzfrist nach dem Gesetz vom 10.01.1879 ist nach dem neuen spanischen Gesetz 1987 weiterhin auf alle Werke anzuwenden, deren Urheber vor Inkrafttreten dieses Gesetzes am 07.12.1987 verstorben sind. 45 Siehe Fußnote 43 oben 187 bzw 391.
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entsprechend anzuwenden sein, wonach ein Wiederaufleben des Schutzes auf Nutzungshandlungen keine Anwendung findet, die vor dem Stichzeitpunkt 1. November 2013 erfolgt sind (Art 10 Abs 3 Satz 1). Auch im gegenständlichen Zusammenhang ist die Regelung im Einzelnen jedoch den Mitgliedstaaten vorbehalten, die hierauf schon bei der Umsetzung der Stammfassung der Richtlinie sehr unterschiedlich und überwiegend unzureichend reagiert haben.46 Fraglich kann in diesem Zusammenhang sein, ob auch während der Legisvakanz der Richtlinie, also im Zeitraum zwischen deren Inkrafttreten am 31. Oktober 2011 und dem Stichzeitpunkt für die (späteste) Umsetzung am 1. November 2013 gesetzte Nutzungshandlungen noch als zu schützende „wohl erworbene Rechte“ zu behandeln sind. Denn spätestens mit dem Inkrafttreten der Richtlinie mussten Nutzer mit dem Wiederaufleben des Schutzes zum 1. November 2013 rechnen und konnten ihr Handeln hierauf einstellen. 4. Anders als im leistungsschutzrechtlichen Bereich, sieht die Richtlinie im urheberrechtlichen Zusammenhang auch keine Regelung für die Auswirkung der Schutzfrist-Verlängerung auf bereits abgeschlossene Verträge vor und folgt damit dem Beispiel der Stammfassung der Schutzdauer-RL 1993/2006. Auch diese hatte eine Regelung insoweit ausdrücklich – wenngleich nur in den Erwägungsgründen47 – den Mitgliedstaaten vorbehalten.48 Der im folgenden Punkt abschließend zu behandelnde deutsche Referentenentwurf für eine Umsetzung der Richtlinie 2011/77/EU nimmt sich dieser Problematik an und kann dabei an die anlässlich der Umsetzung der Stammfassung der Schutzdauer-RL 1993 vorgesehenen intertemporalrechtlichen Vorschriften anknüpfen.
46 Vgl dazu ausführlich Ramón Casas Vallées, Contracts concluded and prolongation of protection – a neglected issue, in ALAI Study Days Vienna 2010 (Tagungsband FN 19) 222; Walter in Walter/v Lewinski, European Copyright Law 613 bei Rz 8.10.1 ff. 47 Siehe ErwG 26 der ursprünglichen Fassung 1993. 48 Auch insoweit wurde die Anregung, entsprechende Klarstellungen vorzunehmen, nicht aufgegriffen (siehe dazu Fußnote 43 oben 187 und 391 f.).
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V. Der Referentenentwurf des deutschen Bundesministeriums der Justiz 1. Am 27. Juli 2012 hat das deutsche Bundesministerium der Justiz einen Referentenentwurf zur Umsetzung der Richtlinie 2011/77/EU veröffentlicht.49 Danach soll im gegenständlichen Zusammenhang dem geltenden § 65 dUrhG unter der ergänzten Überschrift „Miturheber, Filmwerke, Musikkompositionen mit Text“ folgender dritter Absatz angefügt werden: „(3) Die Schutzdauer einer Musikkomposition mit Text erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Längstlebenden der folgenden Personen: Verfasser des Textes, Komponist der Musikkomposition, sofern beide Beiträge eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen wurden. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Personen als Miturheber ausgewiesen sind.“ Dieser Umsetzungsvorschlag übernimmt Art 1 Abs 7 Richtlinie 2011/ 77/EU im Wesentlichen wörtlich. Die im Richtlinientext zwischen Gedankenstrichen angeführte Klarstellung „ – unabhängig von den ausgewiesenen Miturhebern – “ wird allerdings am Ende in einem zweiten Satz ohne inhaltliche Änderung gesondert wiedergegeben, wenn dort darauf hingewiesen wird, dass diese Regelung unabhängig davon gilt, „ob diese Personen als Miturheber ausgewiesen sind.“ Sowohl nach dem Richtlinientext als auch nach der vorgeschlagenen Umsetzung soll damit klargestellt werden, dass es nicht darauf ankommt, ob die Urheber der Musik bzw des Textes als „Miturheber“ ausgewiesen, also als solche bezeichnet sind. Auch aus diesem Hinweis wird sich im Übrigen ableiten lassen, dass weder die Richtlinie noch der deutsche Gesetzgeber davon ausgehen, es müsse sich an der – für das deutsche (und österreichische Recht) traditionellen – Unterscheidung zwischen Miturheberschaft ieS einerseits und bloß (zur gemeinsamen Verwertung) verbundenen Werken nach den §§ 8f dUrhG bzw § 11 öUrhG anderseits etwas ändern. 2. Der Referentenentwurf enthält in § 137m Abs 2 dUrhG auch Übergangsvorschriften, wobei im ersten Satz die Vorgaben der Richtlinie wörtlich wiedergegeben werden. Danach wird richtlinienkonform der 1. November 2013 als Stichzeitpunkt festgelegt.50 49 Abrufbar unter: http://blog.die-linke.de/digitalelinke/wp-content/uploads/BMJ Referentenentwurf-27.07.2012-Schutzfristenverl%C3%A4ngerung-Tontr%C3%A4ger.pdf [zuletzt besucht am 28.12.2012]. 50 „(2) § 65 Abs 3 gilt für Musikkompositionen mit Text, von denen die Musikkomposition oder der Text in mindestens einem Mitgliedstaat der Europäischen Union am
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3. Im zweiten Satz dieser Bestimmung 51 wird – nach dem Vorbild des § 137f dUrhG – festgehalten, dass die wieder auflebenden Rechte dem Urheber zustehen, Nutzungen, die vor dem Stichzeitpunkt (01.11.2013) begonnen wurden, jedoch „in dem vorgesehenen Rahmen“ fortgesetzt werden dürfen, wofür dem Urheber aber eine angemessene Vergütung zusteht. Diese Regelung erscheint fair und angemessen; sie erscheint durch den Hinweis (im vorgesehenen Rahmen) auch ausreichend elastisch zu sein und umfasst insbes auch vorgenommene Bearbeitungen. 4. Der dritte Absatz des vorgeschlagenen § 137m dUrhG 52 kopiert das Vorbild des § 137f dUrhG (dort Abs 4) betreffend die Einräumung von Nutzungsrechten vor den Stichzeitpunkten 1. Juli 1995 bzw nun 1. November 2013. Beide Bestimmungen sind allerdings auf Leistungsschutzrechte beschränkt, und bezieht sich § 137m Abs 3 des Referentenentwurfs ausdrücklich nur auf Übertragungsverträge zwischen einem ausübenden Künstler und einem Tonträgerhersteller. Dies mag für das Vorbild des § 137f dUrhG im Hinblick darauf verständlich gewesen sein, dass Deutschland schon vor Umsetzung der SchutzdauerRL 1993/2006 für urheberrechtlich geschützte Werke eine Schutzdauer von 70 Jahren pma kannte, und es im Bereich des Filmurheberrechts im Hinblick auf die Beschränkung der Anknüpfung an vier bestimmte Personen eher zu einer Verkürzung der Schutzfrist denn zu einer Verlängerung gekommen ist. Auch dies ist allerdings nur bedingt richtig, da der Drehbuch- und Dialogautor ebenso wie der Komponist der Filmmusik nach deutscher Auffassung nicht als Miturheber des Filmwerks, sondern vielmehr als Urheber vorbestehender Werke anzusehen sind, weshalb in Einzelfällen es auch zu einer Schutzfristverlängerung kommen konnte, für welche allerdings wiederum die Besonderheiten des Filmurheberrechts galten.
1. November 2013 geschützt sind, und für Musikkompositionen mit Text, die nach diesem Datum entstehen.“ 51 „… Lebt nach Satz 1 der Schutz der Musikkomposition oder des Textes wieder auf, so stehen die wiederauflebenden Rechte dem Urheber zu. Eine vor dem 1. November 2013 begonnene Nutzungshandlung darf jedoch in dem vorgesehenen Rahmen fortgesetzt werden. Für die Nutzung ab dem 1. November 2013 ist eine angemessene Vergütung zu zahlen.“ 52 „(3) Ist vor dem 1. November 2013 ein Übertragungsvertrag zwischen einem ausübenden Künstler und einem Tonträgerhersteller abgeschlossen worden, so erstreckt sich im Fall der Verlängerung der Schutzdauer die Übertragung auch auf diesen Zeitraum, wenn keine eindeutigen vertraglichen Hinweise auf das Gegenteil vorliegen.“
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Im gegenständlichen Zusammenhang kann es aber auch im Bereich des Urheberrechts ieS, nämlich in Bezug auf Werkverbindungen von Text und Musik sehr wohl und dies zum Teil in beträchtlichem Umfang zu Schutzfristverlängerungen kommen. Eine entsprechende Vorschrift fehlt deshalb und sollte nachgetragen werden. Wenn der deutsche Gesetzgeber in den erwähnten Fällen einerseits von einer Fortgeltung des Vertrags ausgeht, dem originär Berechtigten aber einen Anspruch auf angemessene Vergütung sichert, so empfiehlt sich eine Übernahme dieser Regelung auch für den Bereich des Urheberrechts ieS.
Einheitlich lange Schutzdauer für alle Werkverbindungen? Gernot Schulze I. Einleitung Bei Werkverbindungen lassen sich die verbundenen Werke auch unabhängig voneinander verwerten. Deshalb ist deren Schutzdauer nach bisheriger Gesetzeslage in Deutschland unabhängig voneinander zu berechnen. Das Libretto des Rosenkavaliers wurde Ende 1999 gemeinfrei, weil Hugo von Hofmannsthal schon im Jahre 1929 gestorben ist. Die Musik dieser Oper ist noch bis Ende 2019 urheberrechtlich geschützt, weil Richard Strauss erst im Jahre 1949 verstorben ist. In manchen Ländern, wie z.B. Frankreich, ist dies anders geregelt. Dort wird eine derartige Werkverbindung wie ein in Miturheberschaft geschaffenes Werk angesehen, so dass sich die Schutzdauer nach dem Tode des längst lebenden Urhebers der verbundenen Werke berechnet.1 Diese unterschiedliche Handhabung kann den Binnenmarkt beeinträchtigen. Die EU sah sich deshalb veranlasst, die Schutzdauer bei Musikkompositionen mit Text auf einem hohen Schutzniveau zu harmonisieren. Ab 1.11.2013 soll in allen EU-Mitgliedstaaten für Musikkompositionen mit Text eine 70-jährige Schutzdauer nach dem Tode des letzten Überlebenden des Verfassers des Textes oder des Komponisten der Musikkomposition gelten, sofern beide Beiträge eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen wurden.2 Die Richtlinie beschränkt sich auf Musikkompositionen mit Text. Es stellt sich die Frage, was hinsichtlich der Schutzdauer für gemeinsames oder verbundenes Werkschaffen schon jetzt gilt und ob die Regelung für Musikkompositionen mit Text nicht für Werkverbindungen generell gelten sollte, z.B. für Illustrationen mit Text oder für Musik mit Ballett, einem Genre, welches dem Jubilar, dem ich diesen Beitrag gerne widme, besonders am Herzen liegt.3
1 Vgl. Schricker, Musik und Wort, GRUR Int. 2001, 1015; F. Flechsig, Harmonisierung der Schutzdauer für musikalische Kompositionen mit Text, ZUM 2012, 227, 231 f. 2 Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/77/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.9.2011 zur Änderung der Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte. 3 Vgl. Wandtke, Der Schutz choreographischen Schaffens im Urheberrecht der ehemaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland, ZUM 1991, 115; ders., Choreographische
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II. Werkschaffen verschiedener Urheber zur gemeinsamen Verwertung Es gibt diverse Formen, wie verschiedene Urheber Beiträge zu einem Ganzen leisten, welches als Einheit genutzt wird. Dabei stellt sich u.a. die Frage, ob der Beitrag des jeweiligen Urhebers auch getrennt von dieser Einheit genutzt werden kann und wie dann dessen Schutzdauer zu berechnen ist. 1. Miturheberschaft Bei der Miturheberschaft entsteht von vornherein ein von mehreren Urhebern geschaffenes einheitliches Werk. Jeder muss einen schöpferischen Beitrag hierzu leisten und sich unter die gemeinsame Gesamtidee unterordnen. Die Urheber müssen zumindest zeitweise gemeinschaftlich zusammenarbeiten.4 Dieses gemeinsame Werkschaffen geht so weit, dass die Beiträge der verschiedenen Miturheber außerhalb dieser Einheit nicht gesondert verwertbar und somit auch nicht selbständig verkehrsfähig sind.5 Da bei jeder Verwertung dieses gemeinschaftlich geschaffenen Werks auch der Beitrag eines jeden hieran mitgewirkt habenden Miturhebers betroffen ist, liegt es nahe, es als einheitliches Werk mit einheitlicher Schutzdauer, berechnet nach dem Tode des längst lebenden Miturhebers, anzusehen. Das hatte die EG bereits mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 EWG vom 29.10.1993 vereinheitlicht.6 Wer dieses Werk ganz oder teilweise nutzt, benötigt die Rechte aller Miturheber. Letztere – oder deren Rechtsnachfolger – sind bis zum Ablauf der einheitlichen Schutzdauer an sämtlichen Erlösen aus der Nutzung dieses Werkes zu beteiligen. 2. Bearbeitung Beiträge verschiedener Urheber kommen ferner zusammen, wenn ein vorhandenes Werk bearbeitet wird. Zwischen dem Urheber des (bearbeiteten) Erstwerks und dem Urheber der Bearbeitung findet i.d.R. kein gemeinsames Werkschaffen statt, es sei denn, dass die Bearbeitung ihrerseits von beiden gemeinsam geschaffen wird. In jedem Falle bleibt das Erstwerk unabhängig von der Bearbeitung bestehen, während die Bearbeitung vom Erstwerk abhängig ist und nur gemeinsam mit dem Erstwerk genutzt werden kann. Die Schutzfristen vom Erstwerk und von der Bearbeitung laufen getrennt. und pantomimische Werke und deren Urheber, FS Raue, 2006, S. 745; ders., Das choreographische Werk und die VG Bild-Kunst, FS Pfennig, 2012, S. 255. 4 Vgl. BGH NJW 2003, 665, 668 – Staatsbibliothek. 5 Vgl. BGH WRP 2009, 1404 Tz 39 – Kranhäuser. 6 Nun ebenfalls Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/116/EG, kodifizierte Fassung.
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Wird das unbearbeitete Erstwerk gemeinfrei, können Dritte es ebenfalls bearbeiten oder anderweitig nutzen. Der Schutz der Bearbeitung dauert grundsätzlich bis 70 Jahre nach dem Tode des länger lebenden Ersturhebers oder Bearbeiters an. Stirbt der Urheber des Erstwerks vor dem Bearbeiter, kann der Bearbeiter aus seinem Bearbeitungsrecht gegen eine unerlaubte Nutzung vorgehen. Stirbt der Bearbeiter vor dem Urheber des Erstwerks, kann Letzterer auch die Nutzung der Bearbeitung nach der für ihn länger laufenden Schutzdauer untersagen, weil die Bearbeitung vom Erstwerk abhängig ist und deren Nutzung zugleich auch eine Nutzung des Erstwerks darstellt. Wer die Bearbeitung nutzen will, nachdem das Erstwerk oder die Bearbeitung gemeinfrei geworden sind, benötigt entweder die Rechte des Bearbeiters oder die Rechte des Ersturhebers. Dem Rechtsinhaber an Exklusivrechten dieser Bearbeitung steht es frei, die Vergütungshöhe trotz Ablaufs der Schutzdauer des Erstwerks oder der Bearbeitung weiterhin gleich hoch zu bemessen. Werden Rechte an der Bearbeitung von einer Verwertungsgesellschaft wahrgenommen oder fällt die Nutzung unter eine gesetzliche Lizenz, ist die angemessene Vergütung zu leisten. Dort wirkt sich auch der Anteil der Werknutzung bereits gemeinfreier Werke aus.7 Was gemeinfrei wurde, ist – abgesehen von den Herstellungskosten des genutzten Werkträgers – für die Nutzung des abgelaufenen Rechts nicht mehr zu vergüten. Demgemäß kann sich die angemessene Vergütung verringern. Ersturheber und Bearbeiter können jedoch vereinbaren, dass beide, bzw. ihre jeweiligen Rechtsnachfolger, bis zum Ablauf der längeren Schutzdauer an den Erlösen aus der Verwertung der Bearbeitung beteiligt werden. Für einen von beiden stellt dies zeitweise ein Scheinrecht dar, wenn er vor dem anderen verstorben ist. Jeder von beiden erhält jedoch die wirtschaftliche Vorzugsstellung, einerseits das Erstwerk bearbeiten zu dürfen, andererseits über die Bearbeitung eine zusätzliche Verwertungsmöglichkeit des Erstwerks zu erhalten. Das rechtfertigt eine Vergütung dieses Scheinrechts.8 Gegebenenfalls ist die Beteiligung zeitlich zu begrenzen oder der Beteiligungsschlüssel mit der Zeit anzupassen, wenn einer der Urheber schon verstorben war oder wesentlich früher als der andere verstirbt. 3. Filmwerk Einerseits ist das Filmwerk das Paradebeispiel eines in Miturheberschaft entstehenden Werkes. Insbesondere die Beiträge der „klassischen“ Filmurheber – Regisseur, Kameramann und Cutter – entstehen im Hinblick auf 7 Vgl. § 13 Abs. 3 Satz 3 UrhWG; Schulze, in Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. § 13 UrhWG Rn 22. 8 Vgl. BGH GRUR 2012, 910 Tz 17 – Delcantos Hits.
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das gemeinsam geschaffene Werk und lassen sich nicht unabhängig voneinander verwerten. Fraglich wird es bei den Urhebern vorbestehender Werke. Wird aus dem Roman ein Drehbuch erstellt und letzteres filmisch umgesetzt, findet zwischen dem Romanautor und dem Drehbuchautor in der Regel kein gemeinsames Schaffen statt. Der Roman wird filmisch bearbeitet. Selbst beim Drehbuch könnte man sich noch fragen, ob der Drehbuchautor bei der Verfilmung mitwirkt oder ob sein Drehbuch von anderen filmisch umgesetzt – insoweit bearbeitet – wird. Bei der Filmmusik kommt es darauf an, ob schon bereits bestehende Musik oder speziell für den betreffenden Film komponierte Musik verwendet wird. Ersterenfalls scheidet ein gemeinsames Werkschaffen grundsätzlich aus. Letzterenfalls kann der Komponist bei der Verwendung seiner Musik für den Film mitwirken. Dann handelt es sich nicht nur um ein vorbestehendes Werk, welches genutzt wird, sondern der Urheber hat eine Doppelfunktion.9 Zum einen findet ein gemeinsames Schaffen im Sinne einer Miturheberschaft statt. Zum anderen werden Werke bearbeitet. Man kann auch von einer Verbindung z.B. zwischen Musik und Bild sprechen.10 Die Schutzdauer des Filmwerks wurde bereits EU-weit harmonisiert. Sie erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Längstlebenden der folgenden Personen, unabhängig davon, ob diese als Miturheber benannt worden sind: Hauptregisseur, Urheber des Drehbuchs, Urheber der Dialoge und Komponist der speziell für das betreffende Filmwerk oder audiovisuelle Werk komponierten Musik.11 In jedem Falle gilt der Hauptregisseur als Urheber des Filmwerks oder als einer seiner Urheber.12 Den Mitgliedstaaten steht es frei, weitere Personen als Miturheber anzusehen.13 Ebenso überließ es der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten, beim Filmwerk Miturheberschaft, Werkverbindung, Bearbeitung oder eine andere Schaffensform anzunehmen. Maßgeblich für die Berechnung der Schutzdauer des Filmwerks sind jedoch nur die in Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL ausdrücklich erwähnten vier Personen. Das gilt für das Filmwerk als Ganzes und auch für Teile des vollständigen Films, z.B. eine Szene des Films; denn dabei werden ebenfalls sämtliche im Film verwendeten Beiträge genutzt. Wird ein Beitrag, z.B. die Musik, einzelne Bauten oder auch einzelne Bilder, außerhalb des Filmwerks genutzt, stellt sich die Frage, ob sich die Schutzdauer für diesen Beitrag immer noch nach dem Tode des Längstlebenden der in Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL und § 65 Abs. 2 UrhG genannten
9 Vgl. Katzenberger, in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. Vor §§ 88 ff. Rn. 69; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. Vor § 88 ff. Rn. 9 jeweils m.w.N. 10 Vgl. Katzenberger, in: Schricker/Loewenheim Vor §§ 88 ff. Rn. 64 m.w.N. 11 Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL; § 65 Abs. 2 UrhG. 12 Vgl. EuGH GRUR 2012, 489 Tz 45, 48 – Luksan. 13 Art. 2 Abs. 1 Schutzdauer-RL sowie Art. 2 Abs. 2 Vermietrecht-RL.
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Personen berechnet. War die Musik nicht eigens für das Filmwerk komponiert worden, berechnet sich die Schutzdauer nach dem Tod nur des Komponisten. Andernfalls würde mancher Klassiker der Musikgeschichte allein deswegen nachträglich noch geschützt werden, weil dessen Werk in einem jüngst produzierten Film erklungen ist. Häufig lässt sich aber auch die eigens für den Film geschaffene Musik außerhalb dieses Films verwenden, z.B. als Soundtrack der Filmmusik. Einerseits bleibt sie ein Teil des Films. Insoweit ist sie weiterhin 70 Jahre nach dem Tode des Längstlebenden der in Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL genannten 4 Personen geschützt; denn auf die Frage, ob der Komponist Miturheber ist oder nicht, soll es nicht ankommen.14 Andererseits soll nach Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL nur die Schutzfrist für ein Filmwerk oder ein audiovisuelles Werk bestimmt werden, nicht hingegen für Bestandteile dieses Filmwerks, die gesondert genutzt werden können und dabei das Filmwerk als solches weder ganz noch teilweise wahrnehmbar machen. Demnach könnte sich die Schutzdauer für die Musik nach dem Tod allein des Komponisten richten, wenn sie außerhalb des Films genutzt wird.15 Es kommt darauf an, ob die Musik noch als Teil des Films empfunden oder ob sie in einen anderen Zusammenhang gestellt wird. Beim Soundtrack der Filmmusik bleibt die Verbindung zum Film gewahrt, so dass man sie als Teil des Films ansehen kann. Gestatten die Rechtsinhaber die Nutzung der Musik z.B. in einem anderen Film oder in anderem Zusammenhang, heben sie die Grundlage für die bestehende einheitliche Schutzdauer nach dem Tode des Längstlebenden der 4 genannten Personen jedenfalls für diesen neuen Nutzungsbereich auf. Für Letzteren berechnet sich die Schutzdauer dann nach dem Tode des Komponisten.16 4. Werkverbindung Bei der Werkverbindung kann das Ausmaß des gemeinsamen Werkschaffens verschiedener Urheber sehr unterschiedlich sein. Ein Komponist kann das Gedicht eines bereits lang verstorbenen Schriftstellers vertonen. Ein gemeinsames Werkschaffen scheidet hier von vornherein aus. Die Musik könnte auch als Vertonung für ein anderes Gedicht eines noch lebenden Schriftstellers verwendet werden, ohne dass sich die beiden Autoren beim Schaffensprozess aufeinander abstimmen und das Lied gemeinsam erschaffen. Beide Beiträge bleiben weiterhin auch unabhängig voneinander verwertbar. Nach bisheriger Gesetzeslage in Deutschland berechnet sich die Schutzdauer für Musik und Text unabhängig voneinander nach dem Tod des jeweiligen Urhe14
Vgl. Schricker GRUR Int. 2001, 115, 117. Vgl. Walter, in: Walter/v. Lewinsky, European Copyright Law 2010, Term Directive, Rn. 8.2.39; Schulze, in: Dreier/Schulze, § 9 Rn. 27a. 16 Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze § 9 Rn. 27d. 15
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bers.17 Gleichwohl bleibt die Verbindung nicht folgenlos. Haben mehrere Urheber ihre Werke willentlich zu einer gemeinsamen Verwertung miteinander verbunden oder dies gestattet, müssen sie bei der Verwertung dieser verbundenen Werke aufeinander Rücksicht nehmen, damit eine gemeinsame Verwertung stattfinden kann (§ 9 UrhG). Lassen sich die einzelnen Beiträge auch außerhalb der Werkverbindung nutzen, können die Urheber der verbundenen Werke nach Treu und Glauben verpflichtet sein, hiervon Abstand zu nehmen, um die Verwertung des bereits verbundenen Ganzen nicht zu gefährden.18 Gegenüber Dritten ist die Werkverbindung genauso lang geschützt wie ein von Miturhebern geschaffenes Werk. Der Rosenkavalier lässt sich nur aufführen, wenn neben dem gemeinfreien Libretto auch die noch geschützte Musik erklingt. Das verbundene Ganze bleibt bis 70 Jahre nach dem Tode des längst lebenden Urhebers der verbundenen Werke geschützt. Allerdings kann der gemeinfreie Teil außerhalb dieser Verbindung nach bisheriger Gesetzeslage in Deutschland genutzt werden. In vielen Fällen besteht daran kein Interesse. Es geht also eher darum, ob auch der gemeinfreie Teil weiterhin zu vergüten ist und sich die Nutzungsvergütung insgesamt verringert. Insoweit gilt das Gleiche wie bei der Nutzung von Bearbeitungen, wenn entweder das bearbeitete Werk oder die Bearbeitung bereits gemeinfrei geworden sind.19 5. Sammlungen, Sammelwerke Der lockerste Verbund entsteht bei gesammelten Werken. Ist ihre Auswahl und Anordnung individuell, kann die Sammlung als Sammelwerk selbständig geschützt sein (§ 4 UrhG). Die gesammelten Beiträge stehen grundsätzlich für sich allein. Häufig hält sie nur die übergeordnete Auswahl und Anordnung in mehr oder weniger starkem Ausmaß zusammen. Mitunter genügt die Einwilligung, den Beitrag überhaupt in eine Sammlung aufnehmen zu dürfen. In anderen Fällen ist die Aufnahme in eine bestimmte Sammlung oder ein bestimmtes Sammelwerk bedeutsam, sei es hinsichtlich der Thematik, sei es hinsichtlich des Renommees z.B. einer Zeitschrift oder sei es aus anderem Grunde. Die Schutzdauer der einzelnen Beiträge berechnet sich nach dem Tode ihres jeweiligen Urhebers. Wird ein Beitrag gemeinfrei, kann er außerhalb dieser Sammlung genutzt werden. Soll die Sammlung jedoch als Ganzes genutzt werden, wird es auch hier darauf ankommen, wann der längst lebende Urheber der einzelnen Beiträge oder ggf. der Urheber des Sammelwerks verstorben ist.
17 18 19
Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze § 9 Rn. 26. Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze § 9 Rn. 25 m.w.N. S.o. Ziffer II 2.
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III. Zwischenergebnis Werden Beiträge gemeinsam geschaffen oder zu einem Ganzen verbunden, läuft die Schutzdauer für das Ganze nach dem Tod des längst lebenden beteiligten Urhebers ab, gleichviel, ob es sich um Miturheberschaft, Bearbeitung, Werkverbindung oder eine Sammlung handelt. Beim Film ist der Personenkreis für die Berechnung der Schutzdauer beschränkt auf den Hauptregisseur, den Urheber des Drehbuchs, den Urheber der Dialoge und den Komponisten der für das betreffende Filmwerk komponierten Musik. Im Falle der Miturheberschaft, Bearbeitung, Werkverbindung oder Sammlung ist der für die Berechnung der Schutzdauer maßgebliche Personenkreis nicht beschränkt. In jedem Falle muss die jeweilige Person einen schöpferischen Beitrag zu dem Ganzen beigesteuert haben. Unterschiede entstehen, wenn der einzelne Beitrag außerhalb des Ganzen allein oder in anderer Kombination genutzt wird. Bei der Miturheberschaft scheidet eine derartige Nutzung von vornherein aus, weil sich die Beiträge der Miturheber nicht gesondert verwerten lassen. Bei Filmwerken besteht zumindest eine Nähe zur Miturheberschaft, so dass die Schutzdauer des Ganzen wie auch einzelner Teile einheitlich gilt und nach dem Tode des Längstlebenden der in Art. 2 Abs. 2 Schutzdauer-RL20 genannten 4 Personen berechnet wird. Heben die Rechtsinhaber diese Nähe auf, indem sie einen einzelnen Beitrag ohne jegliche Verbindung zu dem Film anderweitig nutzen oder nutzen lassen, berechnet sich die Schutzdauer dort nur nach dem Tode des betreffenden Urhebers, z.B. des Komponisten der Filmmusik. Bei der Bearbeitung kann das bearbeitete Erstwerk, bei der Sammlung können einzelne Beiträge allein genutzt werden, wenn deren Urheber vor 70 Jahren verstorben ist und sie gemeinfrei geworden sind. Bei Werkverbindungen ist dies nach derzeitiger Gesetzeslage ebenfalls möglich.
IV. Musikkomposition mit Text Nach Art. 1 Abs. 7 der nun geänderten Schutzdauer-RL erlischt die Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text 70 Jahre nach dem Tod des letzten Überlebenden entweder des Textautors oder des Komponisten, sofern beide Beiträge eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen worden waren. Das ist bis spätestens zum 1.11.2013 in nationales Recht umzusetzen.21 Im deutschen Urheberrechtsgesetz wird eine entsprechende Regelung geschaffen werden müssen.22 20 21 22
§ 65 Abs. 2 UrhG. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2011/77/EU. Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.10.2012.
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Beide Beiträge (Musik und Text) müssen für diese konkrete Kombination erschaffen worden sein. Vertonungen bestehender Gedichte oder Texte zu bestehender Musik sollen nicht in den Genuss der einheitlich langen Schutzdauer kommen. Das schließt nicht aus, ein vorhandenes Werk im Hinblick auf eine Musikkomposition mit Text zu bearbeiten. Ist die Bearbeitung selbständig schutzfähig und wird sie eigens für die Kombination von Musik und Text geschaffen, kann insoweit die verlängerte Schutzdauer in Betracht kommen.23 Vom Ergebnis her betrachtet, ist die Schutzdauer so zu bemessen, wie wenn die Beiträge in Miturheberschaft entstanden wären. Man könnte daran denken, die Formen der Miturheberschaft auf die Musikkompositionen mit Text zu erstrecken und eine entsprechende Regelung bei § 8 zu treffen, ähnlich wie das französische Urheberrechtsgesetz verfährt.24 Die einheitliche Schutzdauer ändert aber an der Art der Beiträge und ihrer Kombination nichts. Beide Beiträge (Musik oder Text) lassen sich weiterhin auch getrennt verwerten. Selbst wenn sie eigens für die betreffende Musikkomposition mit Text geschaffen worden sein müssen, bedeutet dies nicht, dass ein gemeinsamer Schaffensprozess wie im Falle der Miturheberschaft stattzufinden habe. Hätte der Richtliniengeber einen weiteren Fall der Miturheberschaft vorsehen wollen, hätte eine entsprechende Regelung bei Art. 1 Abs. 2 Schutzdauer-RL nahegelegen. Die Richtlinie lässt es offen, ob die Kombination von Musik und Text als weiterer Fall der Miturheberschaft geregelt wird, für den die einheitliche Schutzdauer schon nach Art. 1 Abs. 2 Schutzdauer-RL besteht, oder ob für diese Form der Werkverbindung eine entsprechend einheitliche Schutzdauer zusätzlich eingeführt wird. An der getrennten Verwertbarkeit der kombinierten Beiträge ändert die rechtliche Einordnung nichts. Insofern bleibt es bei einer Verbindung, und es liegt nahe, den Wortlaut des Art. 1 Abs. 7 Schutzdauer-RL bei § 65 UrhG in einen zusätzlichen Absatz 3 zu übernehmen.25 Wird die Musikkomposition mit Text genutzt, ist hierfür bis zum Ablauf der nach dem Tode des längst lebenden Urhebers der verbundenen Beiträge berechneten Schutzdauer die vollständige Vergütung zu zahlen. Reduzierungen wegen eines nach alter Gesetzeslage gemeinfrei gewordenen Teils kommen nicht in Betracht. Wird einer der beiden Beiträge außerhalb dieser Kombination genutzt, stellt sich die Frage, ob sich in diesem Fall die Schutzdauer nach dem Tod des Urhebers des betreffenden Beitrags berechnet. Zunächst gelten die gleichen Überlegungen wie bei der Nutzung z.B. der Filmmusik außerhalb des Films.26 23 24 25 26
Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, § 9 Rn. 27c. So F. Flechsig, ZUM 2012, 227, 231 f., 233. So der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.10.2012, S. 14 f. S.o. II., 3.
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Allerdings wird beim Filmwerk die Urheberschaft nur des Hauptregisseurs festgelegt, im Übrigen wird sie hinsichtlich der weiteren Personen grundsätzlich fingiert, um zu einer einheitlichen Schutzdauer beim Filmwerk zu kommen. Dagegen handelt es sich bei der Musikkomposition mit Text um zwei feststehende konkrete Urheber, nämlich den Textverfasser und den Komponisten. Soweit diese beiden Urheber ihre Beiträge eigens für die Musikkomposition mit Text schaffen, soll die Schutzdauer einheitlich berechnet werden. Es wird eine Harmonisierung mit den Rechtsordnungen derjenigen Länder angestrebt, die bei Opern, Liedern, Operetten und vergleichbaren Musikkompositionen mit Text von einer Miturheberschaft ausgehen. Umso mehr ist es konsequent, in der Nutzung nur eines der beiden Beiträge eine Teilnutzung des Gesamten zu sehen, z.B. das Textbuch zur Oper.27 Anders verhält es sich, wenn die Rechtsinhaber selbst die eigens geschaffene Kombination aus Musik und Text aufheben, indem sie die Beiträge einzeln verwerten oder verwerten lassen. Was mit Zustimmung der Rechtsinhaber unabhängig voneinander genutzt wird, bleibt auch hinsichtlich der Schutzdauer unabhängig voneinander.28
V. Einheitlich lange Schutzdauer für alle Werkverbindungen Da für Musikkompositionen mit Text bis zum 1.11.2013 eine Regelung für eine einheitliche Schutzdauer getroffen werden muss, liegt es nahe, sie auch für weitere Werkverbindungen vorzusehen; denn nicht nur Musik und Text, sondern auch andere Werkarten lassen sich zu einer gemeinsamen Verwertung verbinden. 1. Regelungsbedarf Beispielsweise entstehen viele Kinderbücher von Anbeginn in der Kombination von Bild und Text. Desgleichen werden Geschichten illustriert. Diese Tendenz ist insbesondere durch Comics und andere Bildergeschichten zunehmend. Musik lässt sich mit Tanz und Ballett zu einer Einheit verbinden. Es gibt Bildbände unterschiedlichster Art, seien es Fotos mit Text oder seien es Werke der bildenden Kunst mit Text. Dasselbe findet man auch im naturwissenschaftlichen Bereich, zum Beispiel Anatomie-Atlanten. Dort sind es häufig Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, die mit Text verbunden werden.29 Ferner gibt es Verbindungen nicht nur verschiedener
27 28 29
Vgl. Schulze, in Dreier/Schulze § 9 Rn. 27d. Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze, § 9 Rn. 27d. Vgl. Thum, in: Wandtke/Bullinger § 9 Rn. 10.
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Werke, sondern auch gleichartiger Werke. Beispielsweise können Werke der bildenden Künste zu einem bestimmten Thema in Kunstmappen verbunden werden. Gedichte verschiedener Autoren lassen sich thematisch zusammenfassen. Entsteht auf diese Weise ein von Anfang an konzipiertes Ganzes und wird es als solches genutzt, erscheint es auch dort gerechtfertigt, die Schutzdauer nach dem längst lebenden Urheber der verbundenen Werke zu berechnen. Die Intensität des gemeinsamen Schaffens ist unterschiedlich. Manches mag bereits in Miturheberschaft entstanden sein. In anderen Fällen hat jeder seinen Beitrag allein erstellt, ihn aber für die gemeinsame Verwertung konzipiert. Die Übergänge von der Miturheberschaft zur Werkverbindung sind fließend. Es ist deshalb schwer einzusehen, weshalb für Musikkompositionen mit Text eine einheitlich lange Schutzdauer geregelt wird, für andere vergleichbare Kombinationen jedoch nicht. Die Mitgliedstaaten haben die Schutzdauer bei in Miturheberschaft geschaffenen Werken und bei verbundenen Werken unterschiedlich geregelt. Mit der Richtlinie 2011/77/EU vom 27.09.2011 sollen diese Unterschiede harmonisiert werden. Als Gegenpol zu der in Deutschland praktizierten Regelung wird oft die französische Regelung des „œuvre de collaboration“ angegeben.30 Dort ist jedoch allgemein von gemeinschaftlich geschaffenen Werken, zusammengesetzten Werken und von Kollektivwerken die Rede, nicht hingegen von Musikkompositionen mit Text. Es mag sein, dass sich bei Opern, Operetten und vergleichbaren Musikkompositionen mit Text die Unterschiede der gesetzlichen Regelungen bisher besonders deutlich ausgewirkt haben. Sie bestehen bei den anderen Werkverbindungen grundsätzlich genauso. Möglicherweise spielt bei Bildbänden und bei illustrierten Büchern der Text eine größere Rolle, so dass bereits aufgrund der Sprachbarrieren die gesetzlichen Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht so sehr zum Tragen kamen wie bei Opern und anderen Musikkompositionen mit Text, bei denen die Sprache mitunter hinter der Handlung zurücktritt. Bei der Kombination von Musik mit Tanz oder anderer Bewegung entfällt sie völlig, so dass es keine Sprachbarrieren mehr gibt. Es erscheint deshalb etwas willkürlich, sich bei der Harmonisierung nur auf Musikkompositionen mit Text zu beschränken. In anderen Bereichen wird genauso auf ein gemeinsam zu verwertendes Ganzes hingearbeitet. Die Abgrenzung zur Miturheberschaft ist dort ebenfalls nicht immer klar. Deshalb spricht viel dafür, die Schutzdauer eigens für die jeweilige Kombination geschaffener Beiträge generell nach dem Tod des längst lebenden Urhebers dieser Beiträge zu berechnen.
30 Vgl. Art. L. 113-2 des französischen UrhG; Schricker GRUR Int. 2001, 1015; F. Flechsig ZUM 2012, 227, 231.
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2. Regelungsmöglichkeit Nach Art. 1 Abs. 2 Schutzdauer-RL beginnt die Schutzdauer mit dem Tod des längst lebenden Miturhebers, wenn das Urheberrecht den Miturhebern eines Werkes gemeinsam zusteht. Wann dies der Fall ist, gibt die Richtlinie nicht vor. Der Richtliniengeber hat auch mit der Richtlinie 2011/77/EU vom 27.9.2011 nicht vorgegeben, dass Musikkompositionen mit Text einen Fall der Miturheberschaft darstellen müssen.31 Vielmehr wurde mit der Kombination von Musik und Text lediglich ein Beispiel herausgegriffen, das wie ein in Miturheberschaft geschaffenes Werk einheitlich geschützt werden sollte. Dem deutschen Gesetzgeber stünde es frei, ähnlich wie der französische Gesetzgeber auch für andere Kollektivwerke eine einheitlich lange Schutzdauer vorzusehen. Vorgegeben ist ein hohes Schutzniveau.32 Die Schutzdauer ist nach dem Tode des längst lebenden Urhebers zu berechnen. Der deutsche Gesetzgeber müsste sich also nicht nur auf den Umsetzungsbedarf hinsichtlich Musikkompositionen mit Text beschränken, sondern er könnte darüber hinaus auch für andere Werkverbindungen eine einheitlich lange Schutzdauer regeln, die sich nach dem Tode des längst lebenden Urhebers bemisst. 3. Regelungsgegenstand Wie bei Musikkompositionen mit Text wird man auch bei anderen Werkverbindungen jedoch voraussetzen müssen, dass die Beiträge eigens für die betreffende Kombination geschaffen worden sind. Unter die einheitlich lange Schutzdauer fällt grundsätzlich auch der einzelne Beitrag, der außerhalb des Ganzen, aber zugleich als Teil des Ganzen genutzt wird. Das lässt sich nur rechtfertigen, wenn auch dieser Beitrag schon im Hinblick auf das Ganze geschaffen worden ist und somit zumindest eine Nähe zu einem gemeinsamen Werkschaffen entstand. Abgrenzungen zur Miturheberschaft sind hier oft schwierig. Über derartige Schwierigkeiten soll die Regelung hinweghelfen. Mitunter mag es problematisch sein, festzustellen, ob zwei Beiträge eigens für die jeweilige Kombination geschaffen worden sind. Denkbar wäre auch, dass mancher Beitrag lange Zeit in der Schublade lag, um ihn dann mit einem anderen Beitrag zu verbinden. Entscheidend wird sein, dass eine erstmalige Nutzung der verbundenen Beiträge als Gesamtheit stattfindet, nicht so sehr, was wann genau geschaffen wurde. Geht es um die Nutzung des Ganzen, berechnet sich die Schutzdauer im Zweifelsfalle weiterhin nach dem Tode des längst lebenden beteiligten Urhebers.33 Wird der jeweilige Beitrag allein genutzt, kann nach den Umständen
31 32 33
Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.10.2012, S. 15. Vgl. Erwägungsgrund 11 der Schutzdauer-RL. S.o. IV.
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des Einzelfalls beurteilt werden, ob ein hinreichender Abstand zum Ganzen gewahrt bleibt oder doch eine Nähe, z.B. als Begleitmaterial, zur Nutzung des Ganzen besteht.34
4. Regelungsinhalt Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 31.10.2012 wird die einheitlich lange Schutzdauer für Musikkompositionen mit Text in einem zusätzlichen Abs. 3 bei § 65 UrhG geregelt. Der dort vorgeschlagene Text könnte generell für Werkverbindungen etwa wie folgt formuliert werden: „(3) Die Schutzdauer verbundener Werke erlischt 70 Jahre nach dem Tod des längst lebenden Urhebers der verbundenen Werke, sofern die Werke eigens für die betreffende Werkverbindung geschaffen wurden. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Personen als Miturheber ausgewiesen sind.“
VI. Fazit Die Schutzdauer sollte nicht nur bei Musikkompositionen mit Text, sondern auch bei anderen Werkverbindungen einheitlich lang nach dem Tode des längst lebenden Urhebers der verbundenen Werke berechnet werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Beiträge eigens für die geplante Verbindung geschaffen worden sind. Dann entsteht zumindest eine Nähe zur Miturheberschaft. Da der Übergang von der Miturheberschaft zur bloßen Werkverbindung fließend ist, ist es abgesehen von dem Harmonisierungsgedanken gerechtfertigt, die Schutzdauer bei Werkverbindungen genauso zu berechnen wie im Falle der Miturheberschaft. Werden die einzelnen Beiträge einzeln genutzt, handelt es sich grundsätzlich um eine Teilnutzung des Ganzen. Dann kommt die längere Schutzdauer ebenso zum Zuge kommt. Anders verhält es sich, wenn die Rechtsinhaber selbst den einzelnen Beitrag in einer Weise außerhalb der Werkverbindung so nutzen, dass zu ihr kein Bezug mehr besteht. Dann berechnet sich die Schutzdauer nach dem Tode desjenigen, der diesen Beitrag geschaffen hat. Bei § 65 Abs. 3 könnte ohne Weiteres eine Schutzdauerregelung für alle Werkverbindungen geschaffen werden. Sie muss nicht auf Musikkompositionen mit Text beschränkt bleiben.
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Vgl. Schulze, in: Dreier/Schulze § 9 Rn. 27d.
Kein Freibrief zur Ausforschung: Der Besichtigungsanspruch nach § 101a UrhG im einstweiligen Verfügungsverfahren Anke Nordemann-Schiffel
Der Auskunfts- und Besichtigungsanspruch aus § 101a UrhG, eingeführt mit Umsetzung der sog. Enforcement-Richtlinie zum 1.9.2008, ist uns vor allem für den Bereich der Musik- und Filmpiraterieverfolgung präsent. Er ermöglicht es, von Internet-Providern zeitnah – bevor die entsprechenden Daten dort gelöscht werden – Auskunft über Namen und Adresse des hinter einer dynamischen IP-Adresse stehenden Nutzers zu erhalten. Indes spielt § 101a nicht nur im Bereich der Musik- und Filmpiraterie, sondern auch sonst im übrigen Urheberrecht eine wichtige Rolle. Vor allem in der Filmproduktion kommt es regelmäßig vor, dass Produzenten sich für einen bestimmten Romanstoff oder ein Exposé für eine Serie interessieren, eine Zusammenarbeit mit dem betreffenden Romanautor oder dem Autor des Exposés jedoch nicht zustande kommt, weil der Produzent einen anderen Stoff realisieren will oder das angedachte Projekt gar nicht umgesetzt wird. Insbesondere, wenn der Produzent dann einen vergleichbaren Stoff verfilmt, befürchten die betroffenen Autoren häufig, die Produktion verwende ihr Werk, obwohl sie keinerlei Nutzungsrechte eingeräumt haben. Da § 23 S. 2 UrhG u.a. im Filmbereich bereits die Herstellung der Verfilmung – also jedenfalls die Erstellung eines Drehbuchs – ohne entsprechende Einwilligung des Urhebers untersagt, muss der Autor grundsätzlich nicht die Ausstrahlung des fertigen Films abwarten, um Ansprüche geltend machen zu können. Häufig überlässt der Produzent indes das eigene Treatment oder Drehbuch dem Betreffenden nicht freiwillig zur Ansicht und Prüfung; hierzu gibt es, wenn der Produzent tatsächlich keine geschützten Elemente aus dem betreffenden Roman oder Treatment verwendet, auch keine Veranlassung. Jedenfalls für den Fall, dass eine Urheberrechtsverletzung hinreichend wahrscheinlich ist (§ 101a Abs. 1 Satz 1 UrhG), kann der Autor deshalb unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorlage bzw. Besichtigung des Drehbuchs oder gar des fertigen Films verlangen und ggf. im einstweiligen Verfügungsverfahren, § 101a Abs. 3 UrhG, durchsetzen. Mit den Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung und ihrer Vollziehung bzw. Vollstreckung befasst sich dieser Beitrag.
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I. Voraussetzungen einer Besichtigungsverfügung nach § 101a UrhG Voraussetzung eines Besichtigungsanspruchs ist zunächst die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Urheberrechtsverletzung, § 101a Abs. 1 S. 1 UrhG, und deren Glaubhaftmachung im einstweiligen Verfügungsverfahren. Insofern muss der vorgeblich Verletzte im Verfügungsverfahren nicht nur glaubhaft machen, dass überhaupt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für Übereinstimmungen zwischen seinem Werk und dem des vorgeblichen Verletzers besteht, sondern auch, dass ggf. übereinstimmende Passagen im Originalwerk urheberrechtlichen Schutz genießen. § 101a UrhG lässt nur im Hinblick auf den Nachweis der Verletzung die Darlegung einer Wahrscheinlichkeit ausreichen, während das Bestehen des Urheberrechts selbst wie die weiteren Anspruchsvoraussetzungen im vollen Umfang glaubhaft gemacht werden müssen.1 1. Urheberrechtlicher Schutz des vorgeblich verletzten Werks Die Glaubhaftmachung des urheberrechtlichen Schutzes kann vor allem bei historischen Stoffen – z.B. für Biographien historischer Persönlichkeiten – oder für Stoffe, die wahre Ereignisse verarbeiten, zweifelhaft sein. Denn nach wohl allgemeiner Auffassung sind tatsächliche historische Ereignisse und Personen gemeinfrei, genießen also urheberrechtlichen Schutz nur dort, wo die Ausgestaltung einzelner Szenen deshalb schöpferisch ist, weil ihr Handlungsablauf nicht historisch vorgegeben ist, d.h. die Einzelheiten nicht allgemein bekannt oder recherchierbar sind und sich der Handlungsverlauf auch nicht zwingend aus anderen, ihrerseits historisch überlieferten Szenen oder Handlungsteilen ergibt.2 Insofern sind auch „Zuordnungen“ urheberrechtlich jedenfalls in historischen Arbeiten nicht geschützt. Denn bei einer Zuordnung z.B. einer Äußerung, einer politischen Auffassung oder einer Initiative zu einer historisch belegten Person handelt es sich nicht um eine fiktionale, eigenschöpferische Gestaltung im eigentlichen Sinne, sondern um eine wissenschaftliche, d.h. historische Schlussfolgerung, die als wissenschaftliche These nicht am urheberrechtlichen Schutz teilnimmt.3 Wenn z.B. bezüglich
1 So ausdrücklich OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 10. Juni 2010, 15 U 192/09, verfügbar bei Juris. 2 LG Hamburg GRUR-RR 2003, 233, 234 – Die Päpstin; Bullinger in Wandtke/Bullinger UrhG, 3. Aufl., § 24 Rn. 5; Dreier/Schulze UrhG, 3. Auflage, § 24 Rn. 21; Axel Nordemann in: Fromm/Nordemann UrhG,10. Auflage, §§ 23/24 Rn. 70. 3 Für Thesen ganz allgemeine Ansicht, vgl. statt aller Bullinger in Wandtke/Bullinger UrhG, 3. Aufl., § 2 Rn. 49, 50; Dreier/Schulze a.a.O., § 2 Rn. 41 f.; BGH GRUR 1981, 352, 353 – Staatsexamensarbeit.
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einer Persönlichkeit in einer bestimmten Situation gemutmaßt wird, diese Person habe sich über eine bestimmte Lage oder Entwicklung erfreut oder erleichtert gezeigt oder ein bestimmtes Ereignis gehe auf die Initiative dieser Person zurück, so ist dies zwar in einem Roman Teil des fiktionalen und deshalb urheberrechtlich grundsätzlich geschützten Handlungsgefüges. In einer historischen Biografie oder einer anderen historischen Arbeit jedoch werden derartige Vermutungen in aller Regel nicht als (schöpferische) Ausschmückung, sondern als wissenschaftliche These oder historische Vermutung aufgestellt und eingearbeitet. Sie dienen der Untermauerung einer durch den Autor gewollten bestimmten Darstellung der historischen Ereignisse. Derartige wissenschaftliche Schlussfolgerungen und Thesen sind jedoch gemeinfrei.4 Eine Glaubhaftmachung des urheberrechtlichen Schutzes kann deshalb dort schwierig sein, wo das vorgebliche Originalwerk z.B. umfangreich Quellen zitiert oder selbst den Anspruch erhebt, eine zutreffende Darstellung der tatsächlichen Ereignisse zu liefern: Urheberrechtlicher Schutz kommt lediglich dort in Betracht, wo der Antragsteller eigenschöpferisch, d.h. im Wesentlichen fiktional gearbeitet hat, anstatt lediglich historische Quellen aufzuarbeiten und auszulegen. 2. Hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verletzung Gelingt die Glaubhaftmachung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit, so muss der Antragsteller in einem zweiten Schritt wenigstens stichhaltige Indizien dafür darlegen, dass es in dem „verletzenden“ Werk Übereinstimmungen zu derart konkret urheberrechtlich geschützten Passagen oder Szenen des Originalwerks gibt. Insofern genügt eine thematische Übereinstimmung selbstverständlich weder als solche, noch ergibt sich daraus eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass das zweite Werk in seinen einzelnen Szenen tatsächlich Übereinstimmungen mit dem Originalwerk enthält. Zwar kommt für eine historische Biografie oder ein vergleichbares historisches Werk auch bei Darstellung ausschließlich gemeinfreier Quellen ein urheberrechtlicher Schutz allein auf Grund der Sichtung, Auswahl und Anordnung dieser historischen Quellen in Betracht.5 Voraussetzung für eine Urheberrechtsverletzung ist in solchen Fällen jedoch, dass die konkrete Gestaltung, die konkret eigenschöpferischen Merkmale der Auswahl und Anordnung insgesamt übernommen werden und gerade nicht zwangsläufig, durch historische Logik, den äußeren Rahmen der Ereignisse oder schlicht die Chronologie vorgegeben sind. Insofern kann die Erklärung eines Dritten allenfalls dann die
4 5
So ausdrücklich BGH GRUR 1981, 352, 353 – Staatsexamensarbeit. Vgl. insofern BGH GRUR 1982, 37 ff. – WK-Dokumentation.
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Verletzung belegen, wenn dieser das vorgeblich verletzende Werk tatsächlich kennt. Denn nach ganz h.M. kann der Besichtigungsanspruch nicht schon bei jedem Verdacht einer Rechtsverletzung bestehen.6 Vielmehr müssen die von der Besichtigung der Sache unabhängigen Voraussetzungen des Anspruches soweit feststehen bzw. glaubhaft gemacht sein, dass nur noch die Besichtigung fehlt, um Existenz und Umfang des Anspruchs abschließend beurteilen zu können.7 Auskunftsansprüche lediglich zur „Materialbeschaffung“ soll § 101a UrhG gerade nicht bereitstellen.8 3. Verhältnismäßigkeit Kommt danach ein Besichtigungsanspruch aus § 101a UrhG in Betracht, ist die Verhältnismäßigkeit, § 101a Abs. 2 UrhG, der konkret geforderten Besichtigung zu prüfen, also vor allem, ob das vorgeblich verletzende Werk in vollem Umfang oder nur teilweise zugänglich gemacht werden muss. Nach ganz h.M. soll durch § 101a Abs. 2 vermieden werden, dass bei geringfügigen Verletzungen umfangreiche Vorlageansprüche geltend gemacht werden können.9 Insofern muss mithin der Umfang der Besichtigung dem glaubhaft gemachten Umfang der wahrscheinlichen Verletzung entsprechen. Eine Anordnung auf Vorlage bzw. Besichtigung kann weiter dann unverhältnismäßig sein, § 101a Abs. 2 UrhG, wenn es dem Antragsteller offensichtlich in erster Linie um die Durchsetzung finanzieller Interessen geht. Wenn also z.B. der Antragsteller vorgerichtlich mehrfach betont, er stehe einer Verwertung des Werks grundsätzlich nicht im Wege, verlange aber, dass man Nutzungsrechte zu marktüblichen Konditionen erwerbe oder eine finanzielle Lösung des Problems mittels Erwerb von Nutzungsrechten finde, so kann dies deutlich machen, dass es dem Antragsteller gar nicht um die rasche Klärung eventueller Unterlassungsansprüche geht, sondern er durch die Drohung mit einer Besichtigungsverfügung vor allem erreichen will, dass der Antragsgegner ihm eine finanzielle Kompensation anbietet, um den weiteren Herstellungsprozess und – bei einem Film – dessen Erstausstrahlung nicht zu gefährden, auch wenn eine Urheberrechtsverletzung unwahrscheinlich ist. Da der Antragsteller für Vergütungsansprüche das reguläre Erscheinen des Werkes abwarten kann, kann eine rein finanzielle Motivation ein Besichtigungsverlangen insbesondere im Wege der Einstweiligen Verfügung durchaus unverhältnismäßig machen.
6 Vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 101a Rn. 3; auch Ohst in Wandtke/Bullinger a.a.O., § 101a Rn. 15 f. 7 So OLG Hamburg CR 2005, 558; Dreier/Schulze a.a.O. 8 Vinck in Loewenheim Handbuch des Urheberrechts, 2. Auflage, § 81 Rn. 59 m.w.N. 9 Vgl. statt aller Dreier/Schulze a.a.O., § 101a UrhG Rn. 8 m.w.N.
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Schließlich sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die Interessen unbeteiligter Dritter zu berücksichtigen. So hat z.B. ein auftraggebender Sender durch sein Erstausstrahlungsrecht und die weiteren Verwertungsmöglichkeiten ein großes Interesse daran, dass ein Film bis zur Erstausstrahlung tatsächlich nicht der Öffentlichkeit oder Dritten zur Kenntnis gelangt. Insofern würde ein Gebot an den Produzenten, einen Film einem potentiell Verletzten zu zeigen, auch einen Vertrauensbruch des Produzenten gegenüber seinem Auftraggeber darstellen. Auch dies kann eine Vorlage unverhältnismäßig machen.10 In jedem Fall muss das Gericht bei einer Anordnung der Besichtigung dafür sorgen, dass Geheimhaltungsinteressen des vorgeblichen Verletzers geschützt werden, § 101a Abs. 3 UrhG. Häufig ordnen die Gerichte deshalb an, dass das vorgeblich verletzende Werk oder weitere Unterlagen – z.B. das kurbelfertige Drehbuch – nur durch einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Bevollmächtigten11 besichtigt werden dürfen. Insofern dürfte bei einem Film eine Anordnung, dem vorgeblich Verletzten oder seinem Bevollmächtigten eine DVD zur Verfügung zu stellen, regelmäßig ausscheiden. Denn es bestünde die Gefahr, dass der Film in fremde Hände gerät und zum Beispiel im Internet abrufbar gemacht wird. Hierdurch würden nicht nur die Erstausstrahlungsrechte praktisch entwertet, sondern auch die Rechte der nachgelagerten Verwerter in erheblicher Weise beeinträchtigt; auch die Interessen des Filmproduzenten, die aufgewendeten Produktionskosten durch Verwertung des Films zu amortisieren, würden erheblich gefährdet. Insofern ist stets darauf zu achten, dass das Gericht nur das anordnet, was als Minimum ausreichend ist, und eine Übergabe von Kopien u.ä. nur als ultima ratio anordnet. 4. Notwendigkeit eines Verfügungsgrundes? Streitig ist im Rahmen des § 101a, ob neben dem Verfügungsanspruch auch ein Verfügungsgrund vorliegen, der Antrag also (noch) dringlich sein muss. Einige Oberlandesgerichte sind der Auffassung, bei § 101a UrhG sei eine Dringlichkeit nicht erforderlich, denn das besondere Interesse an einer Besichtigungsverfügung liege nicht in der besonderen Eilbedürftigkeit, sondern darin, dass der Antragsgegner nicht durch seine Beteiligung am Verfahren die zu sichernden Beweismittel vernichten kann.12 Diese Erwägung kann jedoch bei Auskunftsansprüchen über ein Werk, das tatsächlich verwertet werden soll, keine Rolle spielen. Denn anders als zum Beispiel in Patentstreitverfahren, in denen sich diese Problematik häufig stellt – interessanterweise 10 11 12
So ausdrücklich Ohst in Wandtke/Bullinger a.a.O., § 101a UrhG Rn. 33 m.w.N. Dazu BGH GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschnürung. So z.B. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 289 f., Rn. 3.
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stammen die eine Dringlichkeit nicht fordernden Urteile vorwiegend vom OLG Düsseldorf –, gibt es in diesem Fall gar keine Beweismittel, die der Antragsgegner sinnvoll beiseite schaffen könnte – er will das Werk ja verwerten. Vor diesem Hintergrund ist die Situation für eine Vorlage- bzw. Besichtigungsverfügung nicht anders als in jedem anderen Verfügungsverfahren im Urheberrecht. Das Verfahren kann für den Antragsteller allenfalls das Ziel haben, möglichst rasch zu klären, ob eine Urheberrechtsverletzung in Betracht kommt. Dann ist aber wie in einem regulären einstweiligen Verfügungsverfahren im Rahmen des § 101a Abs. 3 UrhG ein Verfügungsgrund und mithin Eilbedürftigkeit zu fordern.
II. Vollziehung und Vollstreckung einer Besichtigungsverfügung Ist eine Besichtigungsverfügung ergangen, so ist weiter streitig, wie sie – neben der Zustellung der Verfügung als solcher, § 922 ZPO – vollzogen werden muss, um insbesondere der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO zu genügen. 1. Erfüllung der Geheimhaltungsmaßnahmen Hat das verfügende Gericht Maßnahmen angeordnet, die die Geheimhaltungsinteressen des Antragsgegners schützen sollen, so ist deren Erfüllung dem Antragsgegner innerhalb der Vollziehungsfrist nachzuweisen. Insofern ist eine Verschwiegenheitsverpflichtung nach dem Wortlaut des § 101a Abs. 1 S. 3 UrhG („… trifft das Gericht die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten“) durch das Gericht selbst vorzunehmen, nicht zuletzt, um die Folgen des § 353d Nr. 2 StGB bei Verstoß zu erreichen,13 und zwar grundsätzlich innerhalb der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO. Denn anderenfalls fehlt die Ernsthaftigkeit des Vollziehungswillens des Antragsgegners. § 929 Abs. 2 ZPO soll gerade sicherstellen, dass insbesondere der Verfügungsgrund, d.h. die Dringlichkeit, im Zeitpunkt der Vollziehung noch fortwirkt.14 Der Gläubiger muss insofern dafür sorgen, dass entsprechende Anträge rechtzeitig gestellt werden, wenn das Gericht die Anordnung nicht bereits in die einstweilige Verfügung selbst aufgenommen hat.
13 BGH GRUR 2010, 318 – Lichtbogenschnürung; Kühnen GRUR 2005, 185, 191 und dort Fn. 44. 14 Ganz allgemeine Ansicht, BVerfG NJW 1988, 3141; OLG Frankfurt NJW-RR 1999, 1447; Vollkommer in Zöller ZPO, 28. Aufl., § 929 ZPO Rn. 3 m.w.N.
Kein Freibrief zur Ausforschung: Der Besichtigungsanspruch nach § 101a UrhG 391
2. Vollziehung nach § 883 oder nach § 888 ZPO? Weiter muss nach zutreffender Auffassung zur Vollziehung innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO ein Zwangsgeldantrag nach § 888 ZPO gestellt, nicht jedoch nach § 883 ZPO vollstreckt werden.15 § 883 ZPO ist insofern nicht einschlägig. Die Vorschrift regelt die Vollstreckung der Herausgabe bestimmter beweglicher Sachen. Auch im Rahmen des § 883 ZPO genügt indes zur ordnungsgemäßen Vollziehung nach § 929 ZPO die bloße Zustellung, die gemäß § 922 ZPO ohnehin in allen Fällen zu bewirken ist, nicht. Hinzukommen muss das Verlangen des Gerichtsvollziehers, das betreffende Werk dem in der Verfügung Bezeichneten – dem Antragsteller oder einem Dritten – vorzulegen, und zwar ebenfalls innerhalb der Vollziehungsfrist. Im Übrigen setzt § 883 ZPO stets voraus, dass die Herausgabe der Sache als solche geschuldet ist. Allen Fällen des § 883 ZPO ist gemein, dass die Herausgabe zum Verbleib beim Gläubiger geschuldet ist, weil der Gläubiger z.B. einen Anspruch auf Übereignung der betreffenden Sache hat. Dies ist bei einer Besichtigungsverfügung, die – als Unterfall eines Auskunftsanspruches – regelmäßig die „Vorlage“ anordnet, indes nicht der Fall. Bei der Vorlage eines bestimmten Werkes oder einer Fassung dieses Werkes – etwa einer Schnitt- oder einer Drehbuchfassung – handelt es sich um eine typische unvertretbare Handlung. In der Sache geht es um die Erteilung einer Auskunft, nämlich Erteilung der Auskunft über den Inhalt des Werkes, die anstelle einer mündlichen Darstellung durch den Antragsgegner durch Vorführung bzw. Vorlage erfüllt werden soll. Nur der Antragsteller weiß, welches z.B. die finale Schnittfassung des Films ist und welches das Drehbuch, das im Ergebnis verfilmt wurde. Im Übrigen könnte auch eine Auskunft z.B. zu Verkaufszahlen, die unstreitig nach § 888 ZPO als unvertretbare Handlung zu vollstrecken ist, durchaus von einem Dritten erteilt werden, wenn dieser sich zunächst Zugang zu den internen Unterlagen des Auskunftsverpflichteten verschafft hätte. Ganz ähnlich wie bei einem Vorlageanspruch soll jedoch eine Auskunft grundsätzlich nur der erteilen, der über die betreffenden Zahlen – oder hier: über die betreffenden Inhalte – berechtigt und selbst verfügt. Keine der Entscheidungen oder Literaturmeinungen, die nach § 883 ZPO vollstrecken und mithin die Zustellung der Verfügung genügen lassen wollen, betrifft einen Fall des § 101a UrhG. Zu diesem hat bislang – soweit ersicht-
15 Brandenburgisches OLG, Urteil vom 19. Februar 2009, 5 U 157/08, Rn. 15, zitiert nach juris; OLG Hamm NJW-RR 1993, 959; OLG Hamburg GRUR 1997, 147; OLG Rostock OLG-NL 2006, 253; Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy Gewerblicher Rechtsschutz, Vor § 12 UWG Rn. 158; Köhler/Bornkamm UWG, 30. Aufl., § 12 UWG Rn. 3; Teplitzky Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 55 Rn. 40a; Schuschke/Walker, a.a.O., § 929 ZPO Rn. 34.
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lich – ausschließlich das zitierte OLG Hamburg16 Stellung genommen. Der Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts, dass nach § 888 ZPO zu vollstrecken sei, entspricht im Übrigen die, soweit erkennbar, h.M. vor allem im Bereich des Wettbewerbsrechts.17 Insgesamt ist mithin die Vorlage bzw. Vorführung eines vorgeblich urheberrechtsverletzenden Werkes eine klassische unvertretbare Handlung, weil sie im Ergebnis auf Auskunft über den Inhalt des Films bzw. Drehbuches gerichtet ist. Ebenso wie Auskunfts- sind deshalb Vorlageansprüche, die Teil eines Auskunftsanspruches sind, grundsätzlich nach § 888 ZPO zu vollstrecken.18
III. Der Anspruch nach § 101a UrhG und seine Durchsetzung bergen zahlreiche spannende rechtliche Fragen – und damit zahlreiche Sollbruchstellen vor allem im einstweiligen Verfügungsverfahren. Es wird sich zeigen müssen, ob der Besichtigungsanspruch außerhalb der Piraterieverfolgung eine wirkliche Bedeutung gewinnen kann.
16
ZUM 2005, 660. Z.B. Köhler/Bornkamm a.a.O., § 12 UWG Rn. 3.62; Büscher in Fezer UWG, § 12 Rn. 156; Teplitzky a.a.O., Kap. 35 Rn. 40, 40a; Dittmer in: Büscher/Dittmer/Schiwy a.a.O., Vor § 12 UWG Rn. 158. 18 OLG Hamburg ZUM 2005, 660; vgl. für die Auskunft BGH II ZR 207/12 vom 4. September 2012, verfügbar bei juris; Stöber in Zöller a.a.O., § 888 ZPO Rn. 3 zu den Stichworten „Auskunft“, „Belege“; Schuschke/Walker a.a.O.: § 929 ZPO Rn. 34; Seiler in Thomas/Putzo a.a.O., § 888 ZPO Rn. 2. 17
Das Urheberpersönlichkeitsrecht in der kodifizierten Neufassung des russischen Urheberrechts Adolf Dietz Vorbemerkung Artur-Axel Wandtke, der die deutsche Urheberrechtslehre und -praxis durch Lehrbuch, Kommentar, Fallsammlung jeweils in mehreren Auflagen und durch zahlreiche Aufsätze enorm bereichert hat, hat sich in besonderer Weise auch um die Aufarbeitung und Vermittlung der postsozialistischen Urheberrechtsgesetzgebung der mittel- und osteuropäischen Länder verdient gemacht; davon zeugt insbesondere das von ihm als Herausgeber betreute zweibändige Handbuch zum Urheberrecht in Mittel- und Osteuropa1, zu dem er überdies eine Reihe eigener Beiträge beigesteuert hat. Durch langjährige Beschäftigung mit der Regelung des geistigen Eigentums in diesen Ländern bin ich ihm hier in besonderer Weise verbunden. Dies soll durch diesen Übersichtsbeitrag zur insgesamt nicht sonderlich geglückten aktuellen Regelung des Urheberpersönlichkeitsrechts im russischen Urheberrecht zum Ausdruck gebracht werden.
I. Einleitung Das russische Urheberrecht ist bekanntlich 2006 im Rahmen des ausschließlich dem geistigen Eigentum gewidmeten Vierten Teils des Zivilgesetzbuchs der Russischen Föderation (ZGB RF) 2 neu geregelt worden 3 (in
1 Vgl. Wandtke (Hrsg.), Urheberrecht in Mittel- und Osteuropa. Handbuch mit Einführungen und Rechtstexten. Teil I: Bulgarien, Polen, Rumänien, Russische Föderation, Slowenien, 1997; Teil II: Estland, Lettland, Litauen, Tschechien, Ukraine, Ungarn, 2002. 2 Vgl. Föderales Gesetz Nr. 230-FZ vom 18.12. 2006, Sobranie zakonodatel’stva RF (SZ RF) 2006 Nr. 52 (Teil I) Pos. 5496; laut Einführungsgesetz gleichen Datums in Kraft getreten am 1.1.2008 (s. GRUR Int. aaO S. 313); englische Übersetzung in: Butler (Ed.), Civil Code of the Russian Federation, London 2010, S. 397 ff.; deutsche Übersetzung der das Urheberrecht betreffenden Teile in GRUR Int. 2009, 205 ff. (1. Teil) und 305 ff. (2. Teil) Vgl. allgemein Dietz, Regulation of Copyright Law in the New Part IV of the Russian Civil
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Kraft getreten am 1.1.2008). Diese Neuregelung erfasste naturgemäß auch das Urheberpersönlichkeitsrecht (im Folgenden: UPR), das bisher in Art. 15 des Vorgängergesetzes 4 geregelt war. Letzteres Gesetz war zusammen mit zahlreichen anderen einschlägigen Gesetzen zum geistigen Eigentum durch die Neukodifizierung aufgehoben und ersetzt worden.5 Bedauerlicherweise ist die jedenfalls gesetzestechnisch (freilich nicht inhaltlich) wesentlich gelungenere Regelung des UPR im Vorgängergesetz durch die Neuregelung im ZGB RF auseinandergerissen und terminologisch verwässert worden. Das liegt daran, dass schon die Regelung des Urheberrechts in seiner Gesamtheit nicht etwa einen mehr oder weniger selbständigen und abgegrenzten Teil der Kodifizierung darstellt; sie ist vielmehr auf drei Kapitel aufgeteilt. Die Neukodifizierung umfasst im Übrigen auch sämtliche Rechte des gewerblichen Rechtsschutzes einschließlich der damit verbundenen verfahrensrechtlichen Aspekte.6 Die Aufteilung der Regelung des Urheberrechts auf drei Kapitel 7 betrifft zunächst das Kapitel 70 „Urheberrecht“ im engeren Sinn (avtorskoe pravo), wo das materielle Urheberrecht (Gegenstände, Träger, Inhalt, Dauer und Schranken des Urheberrechts) sowie Teile des Urhebervertragsrechts und der Vorschriften über die Rechtsdurchsetzung geregelt werden, und sodann das
Code: Regression in System, but Moderate Progress in Substance, in: Bakardjieva Engelbrecht et al. (Eds.), Festskrift till Marianne Levin, Stockholm 2008, S. 213 ff.; leicht angepasste dreisprachige Fassung (engl., franz., span.) auch in RIDA Nr. 216 (April 2008) S. 122 ff. Bezüglich der teilweise problematischen Struktur der russischen Kodifizierung des geistigen Eigentums vgl. auch Dietz, Incorporation of Patent Law into Part Four of the Russian Civil Code – A Structural Analysis, in: Prinz zu Waldeck und Pyrmont et al. (Eds.), Patents and Technological Progress in a Globalized World. Liber Amicorum Joseph Straus, Berlin/Heidelberg 2009, S. 687 ff. (FS Straus). 3 Aus der übergroßen Zahl in Russland inzwischen erschienener Kommentierungen zum Vierten Teil des ZGB RF seien an dieser Stelle genannt: Makovskij (Hrsg.), Kommentarij. Grazˇdanskij kodeks Rossijskoj Federacii. Cˇast’ cˇetvertaja, Moskau 2008, und Gavrilov/Eremenko, Kommentarij k cˇasti cˇetvertoj grazˇdanskogo kodeksa Rossijskoj Federacii, Moskau 2009. Der erste noch relativ knapp gehaltene der beiden Kommentare hat wegen der führenden Beteiligung seiner Verfasser an der Ausarbeitung des Vierten Teils des ZGB im Rahmen einer Arbeitsgruppe beim Präsidenten der Republik eher autoritativen Charakter; bei den Verfassern des zweiten, wesentlich umfassenderen Kommentars handelt sie sich um wohlbekannte russische Spezialisten des geistigen Eigentums. 4 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. Juli 1993, Vedomosti RF 1993 Nr. 32 Pos. 1242 S. 2122; deutsche Übersetzung in GRUR Int. 1993, 853 sowie in Wandtke (Hrsg.) aaO (oben Fn. 1), S. 333. Vgl. auch die Erläuterung von Czychowski aaO S. 122 ff. 5 Vgl. bezüglich des Urheberrechts Artikel 2 Nrn. 41, 46 und 51 des Einführungsgesetzes 2006 (oben Fn. 2). 6 Vgl. insoweit meine strukturanalytische Untersuchung in: FS Straus aaO (oben Fn. 2). 7 Wegen der Gründe für diese eher ungewöhnlich erscheinende „fragmentierende“ Regelungsmethode vgl. Dietz RIDA Nr. 216 (April 2008), S. 135 ff.
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Kapitel 71, das den verwandten Schutzrechten (prava smezˇnye s avtorskimi) gewidmet ist. Darüber hinaus enthält aber bereits das einführende Kapitel 69 über „Allgemeine Bestimmungen“ (obsˇcˇie polozˇenija) wichtige auch oder auch nur das Urheberrecht betreffende Teile, darunter in Art. 1228 Punkt 2 8 insbesondere bereits allgemeine Vorschriften über den Inhalt und die Rechtsnatur des UPR und in Art. 1251 Vorschriften über dessen Durchsetzung. Der Schwerpunkt der Regelung über das UPR findet sich freilich, unter teilweiser Wiederholung oder Modifizierung der Vorschriften im „Allgemeinen Teil“, im eigentlich urheberrechtlichen Kapitel, nämlich zunächst in Art. 1255 Punkt 2 (Aufzählung der Befugnisse) sodann in den unmittelbar einschlägigen Artikeln 1265 bis 1269 über den Inhalt der einzelnen Befugnisse des UPR und in Art. 1282 (UPR bei gemeinfreien Werken).9
II. Terminologische Klärung Bei der rechtsvergleichenden Analyse der russischen Vorschriften über das UPR stößt man sogleich auf die terminologische Schwierigkeit, dass es einen mit dem Ausdruck UPR (im Singular) korrespondierenden russischen terminus technicus nicht gibt; die einschlägigen Befugnisse des UPR werden also nicht unter einem einheitlichen Begriff zusammengefasst. Das russische Urheberrecht kennt vielmehr, wie sich schon aus dem Programmartikel 1226 sowie aus der Auflistung in Art. 1255 Abs. 2 ergibt, nur einzelne „persönliche Nichtvermögensrechte“ (licˇnye neimusˇcˇestvennye prava), ohne einen gemeinsamen Oberbegriff. Zu diesen persönlichen Nichtvermögensrechten zählen danach10: das Urheberschaftsrecht (pravo avtorstva); das Namensrecht des Urhebers (pravo avtora na imja); das Recht auf Unversehrtheit des Werkes (pravo na neprikosnovennost‘ proizvedenija) und das Recht auf Veröffentlichung des Werkes (pravo na obnarodovanie proizvedenija). Zusammen mit dem ausschließlichen Recht am Werk (iskljucˇitel’noe pravo na proizvedenie) als Vermögensrecht (imusˇcˇestvennoe pravo) und den „ande-
8 Soweit nicht anders angegeben, betreffen die zitierten Artikel den Vierten Teil des ZGB RF. Russische Gesetzesvorschriften sind traditionell in Artikel (stat’i), Punkte ( punkty) und Absätze (abzacy) gegliedert. 9 Die teilweise sehr rudimentären Vorschriften über die Persönlichkeitsrechte der ausübenden Künstler (Artikel 1315 und 1316) sollen hier außer Betracht bleiben. 10 Diese Feststellung ist Ergebnis der Auslegung des Art. 1255 Punkt 2 in Verb. mit Art. 1226, der den Inhalt der geistigen [Eigentums-]Rechte allgemein definiert, sowie mit Art. 1228 Punkt 2, der die Rechtsnatur der persönlichen Nichtvermögensrechte ebenfalls in allgemeiner Form (d.h. auch für andere Immaterialgüter als nur das Urheberrecht) regelt.
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ren Rechten“ (inye prava) bilden sie den Inhalt des Urheberrechts, wie sich bereits aus der allgemeinen Definition des Inhalts der geistigen [Eigentums-] Rechte in Art. 1226 ergibt. Zu den anderen Rechten zählen gemäß der ausdrücklichen Vorschrift in Art. 1255 Punkt 311 u.a. das Folgerecht12, auffälliger Weise aber auch das eigentlich als Befugnis des UPR zu qualifizierende Rückrufsrechts (pravo na otzyv). Um diesen terminologischen Vorgaben des Vierten Teils des ZGB RF einigermaßen gerecht zu werden und dennoch an dem eingeführten Ausdruck UPR (entsprechend dem internationalen Ausdruck „droit moral“) festhalten zu können, werden wir von den Befugnissen des UPR sprechen, wenn von den einzelnen „persönlichen Nichtvermögensrechten“ die Rede ist. Bei allgemeinen Aussagen über letztere werden wir demgegenüber am Ausdruck UPR festhalten. Auf dieser Grundlage soll nun der Regelungsgehalt der einzelnen Befugnisse des UPR, wie sie schwerpunktartig nacheinander in den Art. 1265–1269 abgehandelt werden, kurz vorgestellt werden.
III. Die einzelnen Befugnisse des UPR nach russischem Recht 1. Urheberschaftsrecht und Namensrecht des Urhebers (Art. 1265) Urheberschaftsrecht und Namensrecht des Urhebers sind Gegenstand der näheren Regelung in Art. 1265. Gemäß Punkt 1 werden beide Befugnisse zunächst nacheinander definiert, nämlich zum einen als das Recht, als Urheber des betroffenen Werkes anerkannt zu werden, und zum anderen als das Recht, ein Werk unter dem Namen des Urhebers, unter einem erdachten Namen (Pseudonym) oder ohne Namensangabe, das heißt anonym, zu nutzen oder die Erlaubnis zu einer solchen Nutzung zu erteilen. Fraglich ist, in welchem Verhältnis die beiden Befugnisse zu einander stehen. Auf eine enge rechtliche Verwandtschaft zwischen beiden weist bereits die Tatsache hin, dass beide in eben diesem Artikel 1265 Punkt 1 zusammenfassend geregelt sind, während sie im Rahmen der Aufzählung der einzelnen Rechte des Urhebers in Art. 1255 Punkt 2 noch unverbunden nebeneinander stehen. Das Namensrecht des Urhebers kann in der Tat als ein wichtiger Unterfall des Urheberschaftsrechts als Oberbegriff verstanden werden.13 Die Anerken-
11 Art. 15 Punkt 1 des Vorgängergesetzes (oben Fn. 4) hat das Rückrufsrecht ( pravo na otzyv) richtigerweise noch zu den persönlichen Nichtvermögensrechten gezählt, und zwar bemerkenswerterweise als Unterkategorie des Veröffentlichungsrechts. 12 Wegen des Folgerechts im russischen Urheberrecht vgl. Dietz, in: FS Pfennig, München 2012, S. 123 ff. 13 Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 211 betont die unterschiedliche Natur der beiden (Teil-)Befugnisse.
Das Urheberpersönlichkeitsrecht im russischen Urheberrecht
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nung der Urheberschaft vollzieht sich in der Praxis eben am häufigsten dadurch, dass der Name des Urhebers bei der Werknutzung genannt wird bzw. – wie die Definition des Namensrechts formuliert – dass das Werk unter dem Namen des Urhebers genutzt wird14. Freilich sind auch andere Fälle denkbar, etwa dann, wenn die Urheberschaft des Urhebers gewissermaßen abstrakt bestritten wird oder wie im Fall des (echten) Plagiats von einem anderem zu Unrecht in Anspruch genommen wird. In diesen Fällen ist dann das (allgemeine) Urheberschaftsrecht als Abwehrrecht heranzuziehen. Eine scharfe begriffliche Abgrenzung des Urheberschaftsrechts vom Namensrecht erscheint aber von wenig praktischer Bedeutung; beide Befugnisse haben den Zweck zu gewährleisten, dass die Urheberstellung und damit das den Urheber mit seinem Werk verbindende geistige Band nach außen verlautbart und nicht bestritten wird, solange der Urheber das selber wünscht. Wie sich aus Art. 1265 Punkt 1 in Verbindung mit Punkt 2 aber weiterhin ergibt, kann der Urheber sich auch für eine Werknutzung unter einem erdachten Namen (Pseudonym) oder für eine Nutzung ohne Namensnennung, also für eine anonyme Nutzung entscheiden. Bei der pseudonymen Nutzung ist der Fall des öffentlich bekannten Pseudonyms (die Öffentlichkeit weiß, wer sich dahinter verbirgt), von dem gegenteiligen Fall, dem nicht identifizierten Pseudonym, zu unterscheiden. Nur bei nicht identifiziertem Pseudonym und bei anonymer Veröffentlichung tritt die Vermutungswirkung nach Art. 1265 Punkt 2 Satz 1 – der Verleger als Vertreter des Urhebers – ein. Danach wird im Falle anonymer oder pseudonymer Veröffentlichung (soweit im Falle der Verwendung eines Pseudonyms die Person des Urhebers nicht zweifelsfrei feststeht) der Verleger (im Sinne von Art. 1287), dessen Name oder Bezeichnung auf dem Werk angegeben ist, als Vertreter des Urhebers angesehen, soweit nichts anderes bewiesen ist. In dieser Eigenschaft ist der Verleger dazu berechtigt, die Rechte des Urhebers zu verteidigen und geltend zu machen. Wie sich aus Art. 1265 Punkt 2 Satz 2 ergibt, gilt diese Regelung aber nur solange, bis der Urheber sich als solcher bzw. seine Urheberschaft offenbart.15 Es handelt sich also nur um eine von Gesetzes wegen verliehene Befugnis zur Vertretung des Urhebers nach außen; das Urheberschaftsrecht und das Namensrecht bleiben grundsätzlich gewahrt, auch deswegen, weil sie, wie noch zu zeigen ist, nicht veräußerlich sind. Dass der Urheber sich auch für eine pseudonyme oder anonyme Form der Veröffentlichung entscheiden kann, zeigt darüber hinaus zum einen, dass er nicht zur Namensnennung gezwungen werden kann. Zum anderen ergibt
14 15
Wegen einschlägiger Rechtsprechung vgl. Gavrilov aaO S. 211 f. Vgl. auch Gavrilov aaO S. 77.
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sich daraus wohl auch nach russischen Recht, dass dem Urheber hier gewisse Dispositionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dass beispielsweise die anonyme Veröffentlichung mit dem Verleger vereinbart werden kann; dies impliziert in gewisser Weise einen Verzicht auf die Geltendmachung zumindest des Namensrechts, obwohl ein solcher Verzicht gemäß Art. 1265 Punkt 1 Satz 2 wie bereits gemäß Art. 1228 Punkt 2 Absatz 2 Satz 2 GK RF an sich als nichtig anzusehen wäre. Die Lösung dieses Widerspruchs kann sich daraus ergeben, dass ein solcher „Teil-Verzicht“ auf Namensnennung als (negative) autonome Ausübung des Namensrechts durch den Urheber selber interpretiert wird, die außerdem jederzeit bzw. im Fall des Buchverlags spätestens bei einer neuen Auflage rückgängig gemacht werden kann. Dennoch erscheint die russische Regelung hier und ganz allgemein als zu apodiktisch und zu wenig differenziert, wenn in beiden eben genannten Vorschriften – erkennbar einem dualistischen Ansatz folgend 16 – das Urheberschaftsrecht und Namensrecht des Urhebers nicht nur für unverzichtbar, sondern auch für unveräußerlich und unübertragbar erklärt werden. Ausdruck dieser problematischen Überdehnung des UPR (nicht nur) im russischen Recht ist schließlich auch noch die Tatsache, dass bereits gemäß Art. 1228 Punkt 2 Abs. 3 Urheberschaft und Urhebernamen in allgemeiner Form zeitlich unbefristet geschützt werden. Dabei wird für die Zeit nach dem Tod des Urhebers die Geltendmachung dieses Schutzes jeder beliebigen interessierten Person zugestanden, soweit sich aus der Sonderregelung für Urheber in Artikel 1267 nichts anderes ergibt. In Art. 1267 Punkt 1 wird die Gewährung des zeitlich unbefristeten Schutzes zunächst noch einmal wiederholt, wobei diese Regelung, wie noch zu zeigen ist, neben dem Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens auch den Schutz der Unversehrtheit des Werkes erfasst.17 Bemerkenswert ist freilich, dass dieser unbefristete Schutz nicht das Urheberschaftsrecht oder das Namensrecht betrifft, sondern nur den Schutz von Urheberschaft und Urhebernamen (ebenso wie der Unversehrtheit des Werkes) selber.18 Dies ist auch eine Folge der in Art. 1112 Abs. 3 des Dritten Teils des ZGB RF enthaltenen Vorschrift, wonach persönliche Nichtvermögensrechte ganz allgemein nicht Bestandteil des Erbes werden. Überdies wird der Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens (ebenso wie der Schutz der Unversehrtheit des Werkes) bei der im Übrigen für zustimmungsfrei erklärten Nutzung gemeinfreier Werke in Art. 1282 Punkt 2 Satz 2 noch einmal bekräftigt.
16 Vgl. Dietz, Französischer Dualismus und deutscher Monismus im Urheberrecht – ein Scheingegensatz?, in: Ahrens et al., Festschrift für Willi Erdmann, 2002, S. 63 ff. 17 Wegen dieser Erstreckung muss Artikel 1267 Punkt 1 gegenüber Artikel 1228 Punkt 2 Absatz 3, der den Schutz der Unversehrtheit des Werkes nicht erwähnt, als die speziellere Regelung betrachtet werden. 18 So mit Nachdruck Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 216.
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Die bloße Anknüpfung an den Schutz nach dem Tod des Urhebers im Sinne eines „droit moral perpétuel“ bedeutet also, dass es sich um den Schutz eines subjektlosen Rechtsguts handelt19; letztlich führt eine solche Regelung deshalb über das Urheberrecht hinaus und überschreitet die Schwelle zu einem öffentlich-rechtlich konstituierten allgemeinen Denkmalschutz.20 Dieser Übergang wird ziemlich genau durch die Regelung in Art. 1267 Punkt 2 markiert. Zum einen wird gemäß dessen Abs. 1 in Ergänzung zu Art. 1228 Punkt 2 Abs. 3 – gewissermaßen noch in der Sphäre des Zivilrechts – festgelegt, dass der Urheber berechtigt ist, in dem für die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers vorgesehenen Verfahren (Art. 1134) die Person zu bestimmen, die er mit dem Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens (sowie der Unversehrtheit des Werkes) nach seinem Tode betraut.21 Diese Person übt diese Bevollmächtigung für ihre Lebenszeit aus. Zum anderen ist aber in Art. 1267 Punkt 2 Abs. 2 vorgesehen, dass beim Fehlen einer solcher Benennung oder im Falle der Weigerung der vom Urheber bestimmten Person, die entsprechende Bevollmächtigung auszuüben, sowie nach dem Tode dieser Person der Schutz der Urheberschaft, des Urhebernamens und der Unversehrtheit des Werkes von den Erben des Urhebers, ihren Rechtsnachfolgern und anderen interessierten Personen ausgeübt werden. Da der Begriff der „interessierten Person“ nicht näher definiert ist 22, kann man sich vorstellen, welche chaotischen Folgen für das Kulturleben sich bei weiter Auslegung dieses Begriffs einstellen könnten, zumal natürlich auch der Staat und seine Organe sich im Sinne kultureller Zensur als interessierte Personen gerieren könnten. Diese Feststellung gilt vielleicht weniger für den Schutz der Urheberschaft oder des Urhebernamens, weil im Kulturleben die Namensangabe auch bei gemeinfreien Werken ohnehin üblich ist. Weit gravierender erscheint diese Regelung aber im Bereich des Schutzes der Integrität des Werkes, der, wie sogleich darzustellen ist, in Artikel 1266 näher geregelt ist.
19
So auch Gavrilov aaO S. 77 und S. 216. Vgl. allgemein bereits Dietz, Das Droit moral des Urhebers im neuen französischen und deutschen Urheberrecht, München 1968, S. 158 ff., insbes. S. 182 ff. 21 Wegen der rechtlichen Wirkung dieser Betrauung vgl. Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 217. 22 Nach Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 77, handelt es sich insbesondere um Personen, die ein finanzielles Interesse (imusˇcˇestvennyj interes) am Werk haben. 20
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2. Recht auf Unversehrtheit des Werkes und Schutz des Werkes vor Entstellungen (Artikel 1266) Unter der Überschrift „Recht auf Unversehrtheit des Werkes und Schutz des Werkes vor Entstellungen“ regelt Art. 1266 den Gesamtkomplex des Schutzes der Werkintegrität. Gegenüber der relativ rudimentären Regelung in Art. 15 Punkt 1 Abs. 5 des Vorgängergesetz 23 erfährt die Neuregelung hier eine begrüßenswerte Erweiterung. Der bisher ausschließlich als Reputationsschutz des Urhebers ausgestaltete Schutz der Werkintegrität war nämlich zu eng gefasst, auch wenn die frühere Regelung eine erkennbare Nähe zur entsprechenden Regelung in Artikel 6bis RBÜ aufwies, die beim Entstellungsschutz ebenfalls auf die Beeinträchtigung von Ehre oder Ruf des Urhebers abstellt. Der nun in Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 vorgesehene wesentlich weitergehende Schutz der Unversehrtheit oder der Integrität des Werkes demgegenüber ist nicht mehr an die Beeinträchtigung der Reputation des Urhebers gebunden und insofern absolut gewährt.24 Freilich kehrt die bisherige Regelung des Reputationsschutzes in etwas widersprüchlicher Weise in Art. 1266 Punkt 2 als (zusätzlicher) Schutz der (geschäftlichen) Reputation des Urhebers wieder. Gegenstand der Regelung in Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 einerseits und Punkt 2 andererseits sind auf den ersten Anschein also zwei verschiedene Rechte des Urhebers, nämlich – wie dies auch in der Überschrift des Artikels zum Ausdruck kommt – zum einen das Recht auf Unversehrtheit des Werkes und zum anderen das Recht auf den Schutz des Werkes vor Entstellungen. In beiden Fällen geht es aber um die Erhaltung des Werkes in möglichst unveränderter Gestalt (die Werkintegrität), so dass zunächst das Verhältnis der beiden Befugnisse des Urhebers zueinander zu klären ist. Das in Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 geregelte Recht wird vom Gesetz selber als „Recht auf Unversehrtheit des Werkes“ (pravo na neprikosnovennost’ proizvedenija) bezeichnet und sodann dahin definiert, dass es – ohne Zustimmung des Urhebers – nicht zulässig sei, in sein Werk Änderungen, Kürzungen und Ergänzungen einzufügen und das Werk bei seiner Verwertung mit Illustrationen, Vorworten, Nachworten, Kommentaren und irgendwelchen Erläuterungen zu versehen. Hier sind also zwei Kategorien von Manipulationen am Werk angesprochen, und zwar zum einen die Erhaltung der authentischen Gestalt des Werkes selbst, das nicht gekürzt, ergänzt oder sonst wie geändert werden soll, und zum anderen solche Manipulationen, die die eigentliche Gestalt des Werkes unberührt lassen, es aber in einen Verwertungszusammenhang bringen, 23 24
Vgl. oben Fn. 4. In diesem Sinne auch Pavlova, in: Makovskij (Hrsg.) aaO (oben Fn. 3) S. 400.
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den der Urheber so nicht gewollt hat, eben durch Hinzufügung von Illustrationen, Vor- oder Nachworten oder Kommentaren und sonstigen Erläuterungen. So gesehen, sieht das geltende russische Urheberrecht einen bemerkenswert starken Schutz des Urhebers vor Eingriffen im Zusammenhang mit der Werkverwertung vor. Zu diesem gemäß Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 umfassend gewährten Schutz der Unversehrtheit des Werkes tritt gemäß Art. 1266 Punkt 2 der „Schutz gegen Entstellung des Werkes“ (zasˇcˇita proizvedenija ot iskazˇenij) hinzu. Dieser spezielle Schutz besteht für den Fall, dass eine Entstellung, Verstümmelung oder sonstige Änderung des Werkes die Ehre, Würde oder geschäftliche Reputation des Urhebers verletzen (porocˇasˇcˇie) oder im Falle (bevorstehender) Angriffe darauf. Für diesen Fall kann der Urheber auf die in Art. 152 im Ersten Teil des ZGB RF für Eingriffe in diese Rechtsgüter allgemein vorgesehenen Sanktionen zurückgreifen. Logischerweise bedeuten freilich Entstellungen, Verstümmelungen und sonstige Änderungen des Werkes zugleich aber auch Eingriffe in seine Unversehrtheit, die ohne Zustimmung des Urhebers schon gemäß Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 unzulässig sind 25; dies zeigt sich auch daran, dass Änderungen (izmenenija) in beiden Punkten gleichermaßen erwähnt werden. Die Feststellung eines solchen Eingriffs in die Unversehrtheit des Werkes nach Punkt 1 Abs. 1 ist aber gerade unabhängig von der Frage, ob dabei auch Ehre, Würde oder geschäftliche Reputation des Urhebers tangiert werden. Der augenscheinliche Widerspruch lässt sich aber dahin auflösen, dass man die in Art. 1266 Punkt 2 Satz 1 enthaltene Rückverweisung auf Artikel 152 im Ersten Teil des ZGB RF ausschließlich als Rechtsfolgenhinweis liest. Eine entsprechende Rückverweisung auf Artikel 152 für den Fall der Verletzung der drei Rechtsgüter Ehre, Würde und geschäftliche Reputation enthält im Übrigen auch Punkt 3 des Art. 1251, der allgemeinen Vorschrift über den Rechtsschutz persönlicher Nichtvermögensrechte eines Urhebers. In Art. 1251 Punkt 1 dagegen werden die im Falle der Verletzung solcher Rechte allgemein gewährten Ansprüche genannt, insbesondere die Ansprüche auf Anerkennung des Rechts, Wiederherstellung des bis zur Verletzung bestehenden Zustands, Unterlassung der Handlungen, die das Recht verletzen oder die Gefahr seiner Verletzung schaffen, sowie auf Entschädigung für den moralischen Schaden und Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung über die begangene Verletzung. Als Ergebnis ist also festzuhalten: bewirkt eine Änderung des Werkes, die ohne Zustimmung des Urhebers gemäß Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 als Verstoß gegen die Unversehrtheit des Werkes ohnehin verboten ist, gleichzeitig auch eine Entstellung usw. des Werkes, die eine Verletzung der Ehre, Würde oder
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Ebenso Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 215 f.
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der geschäftlichen Reputation des Urhebers bedeutet, dann hat der Urheber zusätzlich zu den ihm durch den Verstoß gegen die Unversehrtheit des Werkes erwachsenen Ansprüchen (gemäß Art. 1251 Punkt 1) auch die besonderen Ansprüche, die in Artikel 152 des Ersten Teils des ZGB RF gewährt sind, also den Anspruch auf Widerruf oder Gegendarstellung, (gegebenenfalls in Massenmedien oder in einem von einer Organisation ausgegebenen Dokument) sowie insbesondere den Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens und des moralischen Schadens. Freilich ist dabei zu beachten, dass der Urheber gemäß Art. 151 sowie gemäß Art. 1251 Punkt 1, wie eben erwähnt, bei Verletzung persönlicher Nichtvermögensrechte, zu denen das Recht auf Unversehrtheit des Werkes eindeutig gehört, ganz allgemein Anspruch auf Ersatz des moralischen Schadens hat. Es kann sich also nur darum handeln, dass dem Urheber im Falle der Verletzung seiner Ehre usw. gemäß Art. 152 ein erhöhter oder zusätzlicher Anspruch auf Ersatz des moralischen Schadens zusteht. Für das Verhältnis der beiden in Art. 1266 Punkt 1 Abs. 1 bzw. Punkt 2 Satz 1 geregelten Fälle von Verstößen gegen die Werkintegrität ist also davon auszugehen, dass Punkt 2 Satz 1 qualifizierte Anwendungsfälle des Punktes 1 Abs. 1 betrifft. Dies ergibt auch die semantische Analyse, da Entstellung eines Werkes eben eine besondere – negative – Intensität der Änderung eines Werkes bedeutet, wiewohl bereits jede vom Urheber nicht erlaubte Änderung – und sei sie bei objektiver Betrachtung auch eine Verbesserung des Werkes – unzulässig ist. Aus praktischer Sicht stellt sich dabei die Frage, ob dieser starke Schutz nicht einer gewissen Relativierung durch vertragliche Gestaltung unterliegt. Dagegen sprechen zunächst die in Art. 1228 Punkt 2 Abs. 2 ganz allgemein verankerten Grundsätze der Unveräußerlichkeit, Unübertragbarkeit und Unverzichtbarkeit nicht nur, wie bereits erwähnt, des Urheberschaftsrechts und des Namensrechts des Urhebers, sondern auch der „anderen“ persönlichen Nichtvermögensrechte, ohne dass diese im Einzelnen genannt würden. Auffällig ist jedoch, dass diese Grundsätze in Art. 1266 für die dort behandelten Rechte (Recht auf Unversehrtheit und Schutz vor Entstellung des Werkes) nicht ausdrücklich wiederholt werden, während dies für das Urheberschaftsrecht und das Namensrecht des Urhebers gemäß Art. 1265 Punkt 1 durchaus der Fall ist. Sollen diese Grundsätze beim Recht auf Unversehrtheit des Werkes und beim Entstellungsschutz des Urhebers also nicht (in vollem Umfang) gelten, so dass Art. 1266 insoweit als lex specialis gegenüber Art. 1228 Punkt 2 Abs. 2 anzusehen wäre? Die Tatsache, dass die Schutzvorschriften nach Artikel 1266 ausdrücklich nur eingreifen, wenn die Zustimmung des Urhebers zu den betreffenden Eingriffen fehlt, spricht in der Tat dafür, dass dem Urheber insoweit auch entsprechende vertragliche Dispositionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Schließlich kann die Zustimmung zu einem solchen Eingriff auch in vertrag-
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licher Form gewährt werden.26 Freilich muss man hier die vertragliche Form der Zustimmung zu einem entsprechenden Eingriff von der Veräußerung (Übertragung oder Verzicht) des Hauptrechts selbst unterscheiden. Sollte eine solche Veräußerung ohne Bezug auf einen konkret geplanten und für den Urheber in seiner Wirkung auf die Werkintegrität vorhersehbaren Eingriff beabsichtigt sein, so kann diese nicht wirksam sein. Insoweit muss an dem Grundsatz der Unveräußerlichkeit des Rechts auf Werkintegrität jedenfalls im Kern, etwa im Sinne eines nachträglichen Prüfungsrechts des Urhebers, festgehalten werden. Ganz ausschließen darf man aber vertragliche Dispositionen des Urhebers auch insoweit nicht. So muss es wohl möglich sein, dass der Urheber etwa in einem Verlagsvertrag (siehe Art. 1287) dem Verleger von vorneherein die Zustimmung zur Beifügung eines Vor- oder Nachworts oder von Illustrationen (insbesondere etwa bei einem wissenschaftlichen Werk) gewährt, ohne dass er die beizufügenden Teile inhaltlich bereits im Einzelnen kennt. Im Streitfall wird es daher auch im russischen Urheberrecht vielfach auf eine Interessenabwägung dahin hinauslaufen 27, ob der Urheber die nachträgliche Beseitigung der dann vielleicht nicht seinen Vorstellungen entsprechenden Hinzufügungen oder sonstigen von ihm zuvor nur allgemein erlaubten Änderungen verlangen kann. Ein Abwägungskriterium muss dabei sicherlich auch der wirtschaftliche Aspekt sein. Dies gilt besonders auch bei Werken wie etwa Filmwerken, deren Herstellung mit einem großen Investitionsaufwand verbunden ist, wiewohl gemäß Art. 1240 Punkt 3 etwa bei Filmwerken und anderen komplexen Werken die persönlichen Nichtvermögensrechte der Urheber einzelner Beiträge zu dem komplexen Werk ausdrücklich gewahrt bleiben. Wie bereits beim Urheberschaftsrecht und beim Namensrecht des Urhebers zeigt sich aber auch hier die praktische Notwendigkeit einer gewissen Relativierung der Prinzipien der Unveräußerlichkeit, Unübertragbarkeit und Unverzichtbarkeit bezüglich des in Art. 1266 verankerten Rechts des Urhebers auf Werkintegrität. Wegen der zeitlichen Dimension des Schutzes der Unversehrtheit des Werkes ist zunächst auf die Spezialvorschrift in Art. 1267 Punkt 1 hinzuweisen, wonach neben dem Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens auch der Schutz der Unversehrtheit des Werkes zeitlich nicht befristet ist. Gegenüber der allgemeinen Vorschrift in Art. 1228 Punkt 2 Abs. 3, der ausdrücklich nur den zeitlich unbefristeten Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens erwähnt, muss Art. 1267 Punkt 1 wohl als die speziellere Regelung betrachtet werden. 26
Ebenso Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 77. Vgl. allgemein Dietz/Peukert, Kommentar zu § 39 Rn. 8 ff., insb. Rn. 14 ff., in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht. Kommentar, 4. Aufl., 2010. 27
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Überdies wird der Schutz der Unversehrtheit des Werkes (wie schon der Urheberschaft und des Urhebernamens) bei der im Übrigen für zustimmungsfrei erklärten Nutzung gemeinfreier Werke in Art. 1282 Punkt 2 Satz 2 noch einmal bekräftigt. All diese ein wenig disparaten Vorschriften sind ein Beleg für die stellenweise innere Widersprüchlichkeit der gesamten Neukodifizierung des Urheberrechts im Vierten Teil des ZGB RF, weil man den Ehrgeiz hatte, möglichst viel „vor die Klammer“ zu ziehen, mit der Folge, dass man die notwendigen Differenzierungen doch wieder in den Spezialvorschriften vornehmen musste. Für die Geltendmachung des Schutzes nach dem Tode des Urhebers sind bezüglich der Bestimmung einer Vertrauensperson durch den Urheber bzw. bezüglich der zuständigen Personen beim Fehlen einer solchen die gleichen Regeln (nämlich Art. 1267 Punkt 2 Abs. 2 und 3) anzuwenden wie beim Schutz der Urheberschaft und des Urhebernamens. Dabei ist zu betonen, dass es sich auch hier nicht mehr um die Geltendmachung des Rechts auf Unversehrtheit des Werkes handelt, sondern nur noch um den Schutz dieser Unversehrtheit als einer Art subjektlosen Rechtsguts 28, wobei die Wahrnehmung dieses Schutzes u.a. in die Hände „interessierter Personen“ gelegt wird 29, fürwahr eine gewagte Konstruktion. Hinzukommt, dass gemäß Art. 1266 Punkt 2 Satz 2 auch der Schutz der Ehre und Würde des Urhebers auf Verlangen interessierter Personen auch nach dessen Tode geltend gemacht werden kann. Ergänzend und als Ausdruck eines gewissen Realitätssinns des Gesetzgebers wird aber gemäß Art. 1266 Punkt 1 Abs. 2 der Schutz der Unversehrtheit des Werkes für die Zeit nach dem Tod des Urhebers zugunsten des Inhabers des ausschließlichen (Vermögens-)Rechts am Werk eingeschränkt, wenn auch nicht ganz beseitigt. Diese spezielle Regelung gewährt nämlich diesem Rechtsinhaber eine gewisse Änderungsbefugnis (die Befugnis, Änderungen, Kürzungen und Ergänzungen zu erlauben), jedoch nur unter bestimmten Bedingungen (keine Entstellung der Absicht des Urhebers, keine Beeinträchtigung des Gesamteindrucks des Werkes und kein Widerspruch zu dem von Urheber testamentarisch oder brieflich und dergl. zum Ausdruck gebrachten Willen). Wie alle diese post mortem-Regelungen in der Praxis funktionieren sollen, steht auf einem anderen Blatt. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer näheren Definition des Begriffs der zur Geltendmachung des Schutzes nach dem Tod des Urhebers berufenen „interessierten Personen“ zu willkürlichen Eingriffen in das Kulturleben führen könnten, zumal auch der Staat und seine Organe als interessierte Personen im Sinne kultureller Zen-
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Ebenso Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 216. Vgl. bereits oben Fn. 22.
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soren agieren könnten. Wie gleich zu zeigen ist, bestehen auch bei der weiteren Befugnis des UPR, nämlich beim Veröffentlichungsrecht des Urhebers erhebliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer vergleichbaren Regelung im Bereich gemeinfreier Werke. 3. Das Recht auf (erste) Veröffentlichung des Werkes (Art. 1268) Das Recht auf Veröffentlichung des Werkes (pravo na obnarodovanie proizvedenija) ist in Art. 1268, also erst an dritter Stelle nach dem Urheberschaftsrecht (Art. 1265) und dem Recht auf Unversehrtheit des Werkes (Art. 1266) und deren Schutz post mortem auctoris (Art. 1267) geregelt. Das entspricht nicht unbedingt der inneren Logik des Verhältnisses der einzelnen Befugnisse des UPR zueinander, da die Veröffentlichungsentscheidung, bei der es um Entlassung des Werkes aus der Geheim- oder doch Privatsphäre des Urhebers geht, der potentiellen Geltendmachung der beiden anderen Befugnisse in aller Regel vorausgeht.30 Die Bedeutung dieser der (befugten) Werkverwertung vorausliegenden grundsätzlichen Entscheidung des Urhebers wird in der russischen Regelung freilich dadurch unterstrichen, dass es sich dabei ausdrücklich nur um die Erstveröffentlichung handelt.31 Gemäß Art. 1268 Punkt 1 Abs. 1 wird nämlich das Recht des Urhebers auf Veröffentlichung des Werkes definiert als das Recht, eine Handlung vorzunehmen oder die Zustimmung zur Vornahme einer Handlung zu erteilen, die das Werk zum ersten Mal im Wege seiner Publikation [opublikovanie], öffentlichen Wiedergabe, Rundfunk- oder Kabelsendung oder auf beliebige andere Weise zur allgemeinen Kenntnisnahme zugänglich macht. In Abs. 2 wird der in dieser Definition verwendete Ausdruck der Publikation in deutlicher Anlehnung an Art. 3 Abs. 3 RBÜ definiert, wobei Publikation zunächst mit Herausgabe (vypusk v svet) gleichgesetzt wird. Im Übrigen bedeutet Publikation (Herausgabe) die Inverkehrbringung von Exemplaren des Werkes, die eine Kopie des Werkes in irgendeiner materiellen Form darstellen, und zwar, ausgehend von der Natur des Werkes, in einer zur Befriedigung vernünftiger Bedürfnisse des Publikums ausreichenden Anzahl.32 Die übrigen konstituierenden Elemente einer Veröffentlichung, wie sie in Art. 1268 Punkt 1 Abs. 1 genannt werden, nämlich öffentliche Vorführung etc. bleiben an dieser Stelle undefiniert; ihre Bedeutung kann jedoch der Regelung des Inhalts des Ausschließlichkeitsrechts des Urhebers in Art. 1270 entnommen werden. 30 Vgl. die Reihenfolge in der Regelung der Einzelbefugnisse des UPR in §§ 12–14 deut. UrhG. 31 In § 12 deut. UrhG kommt dies nicht direkt zum Ausdruck; vgl. aber Dietz/Peukert aaO (oben Fn. 27) Kommentar zu § 12 Rn. 7 ff. 32 Näheres bei Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 219 f.
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Die in dieser Definition vorgenommene unmittelbare Verknüpfung des Veröffentlichungsrechts mit der ersten Ausübung eines der ausschließlichen Verwertungsrechte durch den Urheber selber oder – mit seiner Zustimmung – durch einen Dritten ist wenig überzeugend und scheint dem eigentlichen persönlichkeitsrechtlichen Gehalt des Veröffentlichungsrechts nicht gerecht zu werden. Denn all diese hier genannten Formen der Verwertung des Werkes könnte der Urheber bereits kraft seines ihm gemäß Art. 1270 Punkt 1 in umfassender Weise gewährten ausschließlichen Nutzungsrechts (Verwertungsrechts) kontrollieren.33 Die besondere persönlichkeitsrechtliche Natur des separaten Veröffentlichungsrechts im Sinne des französischen „droit de divulgation“34 besteht gerade darin, dass der Urheber, unabhängig von jeder (späteren) Verwertung des Werkes, darüber autonom entscheiden kann, ob er sein Werk aus der Geheim- oder doch Privatsphäre entlässt und dann ggf. der Verwertung zuführt. Spätestens dann, wenn der Urheber sein Werk einem Verwerter (etwa einem Verleger) zur Verwertung übergibt, hat er in der Regel sein Veröffentlichungsrecht stillschweigend bereits ausgeübt. Der besonderen Konstruktion einer Zustimmung zur Veröffentlichung durch den Dritten, wie sie dem russischen Gesetzgeber bei der Definition des Veröffentlichungsrechts in Art. 1268 Punkt 1 Abs. 1 offenbar vor Augen stand, bedarf es daher in der Regel nicht. Eine genauere begriffliche Trennung zwischen dem Veröffentlichungsrecht als Befugnis des UPR und dem ausschließlichen Verwertungsrecht des Urhebers wäre also wünschenswert gewesen. In die richtige Richtung weist freilich die ergänzende Vorschrift in Art. 1268 Punkt 2, wonach von einem Urheber, der einem Dritten das Werk vertraglich zur Nutzung überlassen hat, angenommen wird, dass er der Veröffentlichung dieses Werkes zugestimmt hat. Bei richtiger Interpretation muss diese Vorschrift dahin gelesen werden, dass der Urheber spätestens bei der Überlassung des Werkes sein Veröffentlichungsrecht – im Zweifel – ausgeübt hat.35 Dass das Veröffentlichungsrechts auf seine erstmalige Ausübung beschränkt ist, es sich m.a.W. danach erschöpft hat 36, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Frage, inwieweit es von den Grundsätzen der Unveräußerlichkeit, Unübertragbarkeit und Unverzichtbarkeit erfasst wird, wie dies gemäß der allgemeinen Vorschrift in Art. 1228 Punkt 2 Abs. 2 eigentlich für alle persönlichen Nichtvermögensrechte vorgesehen ist. Angesichts der er-
33 So auch Gavrilov aaO S. 218, freilich unter Verkennung der zeitlich und psychologisch „vorgelagerten“ Veröffentlichungsentscheidung des Urhebers. 34 Vgl. Dietz aaO (oben Fn. 20) S. 57 ff. 35 Hier scheint auch Gavrilov den vorgelagerten Charakter der Veröffentlichungsentscheidung anzuerkennen, vgl. Gavrilov aaO S. 220. 36 Ebenso Gavrilov aaO S. 218.
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wähnten Erschöpfung des Veröffentlichungsrechts nach seiner ersten Ausübung bleibt für seine Übertragung an sich wenig Raum. Die Definition in Art. 1268 Abs. 1, wonach das Veröffentlichungsrechts auch in der Zustimmung des Urhebers zur Veröffentlichung durch Dritte bestehen kann, ließe freilich den Schluss zu, dass er diesem Dritten auch die Entscheidung über die endgültige Veröffentlichung überlassen kann, worin eine Form der Übertragung des Veröffentlichungsrechts und seiner Ausübung durch Dritte erblickt werden könnte. Die in Art. 1228 Punkt 2 Abs. 2 postulierte Unübertragbarkeit wäre damit relativiert. Eine weitere Relativierung dieses Grundsatzes, jedenfalls für die Zeit nach dem Tod des Urhebers, bedeutet auch die Vorschrift in Art. 1268 Punkt 3, wonach ein zu Lebzeiten des Urhebers nicht veröffentlichtes Werk nach seinem Tode durch die Person, die das ausschließliche Recht am Werk innehat, veröffentlicht werden kann, wenn die Veröffentlichung nicht dem Willen des Werkurhebers widerspricht, welcher von ihm in schriftlicher Form (in einem Testament, in Briefen, Tagebüchern u.ä.) bestimmt ausgedrückt wurde. Für die Zeit nach Ablauf der Schutzfrist ergänzt Art. 1282 Punkt 3 Abs. 1 in ähnlicher Weise, dass ein ins Gemeingut übergegangenes unveröffentlichtes Werk von einer beliebigen Person veröffentlicht werden kann, wenn nur die Veröffentlichung des Werkes nicht dem Willen des Urhebers widerspricht, welcher von ihm in schriftlicher Form (in einem Testament, in Briefen, Tagebüchern u.ä.) bestimmt ausgedrückt wurde. Diese Vorschriften lassen freilich offen, welche Personen oder Institutionen die Willensentscheidung des Urhebers durchsetzen sollen. Art. 1267, der den Schutz (nicht das Recht auf Schutz) von Urheberschaft, Urhebernamen und Unversehrtheit des Werkes nach dem Tode des Urhebers regelt und die hierzu legitimierten Personen (Testamentsvollstrecker, Erben, Rechtsnachfolger oder andere interessierte Personen) nennt, schweigt sich über das Veröffentlichungsrechts aus. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift erscheint aber durchaus sinnvoll 37, weil sonst der Vorbehalt des Urheberwillens gemäß Art. 1268 Punkt 3 und Art 1282 Punkt 3 Abs. 1 ins Leere ginge. Dennoch muss auch eine solche Lösung auf Bedenken kulturpolitischer Art stoßen, die allen Regelungen des droit moral perpétuel gewissermaßen immanent sind.38 Soll etwa irgendeine „interessierte Person“ intervenieren können, wenn ein bisher unveröffentlichtes Manuskript von Puschkin oder Dostojewski auftaucht, für das man den schriftlichen Nachweis hat, dass es der betreffende Urheber nicht veröffentlichen wollte. Das allgemeine kulturelle Interesse verdient hier denn doch den Vorzug. Es ist dem russischen
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Ebenso Gavrilov aaO S. 221. Vgl. Dietz aaO (oben Fn. 20) S. 182 ff.
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Gesetzgeber daher vorzuwerfen, dass er – der dualistischen Interpretation des Urheberrechts folgend 39 – allzu schematischen Lösungen den Vorzug gegeben hat. 4. Das Rückrufsrecht (Art. 1269) Wie bereits eingangs erwähnt, wirft das in Art. 1269 geregelte Rückrufsrecht (pravo na otzyv) die Frage nach seiner systematischen Zuordnung auf. In der Vorgängerregelung 40 war das Rückrufsrecht richtigerweise noch als Ergänzung oder Erweiterung des Veröffentlichungsrechts konzipiert worden, da es schließlich mit der gleichen Zielrichtung dafür sorgen soll, dass ein bereits veröffentlichtes Werk nach Möglichkeit wieder dem Verkehr entzogen wird.41 Diesem Systemzusammenhang entspricht es auch, dass das Rückrufsrecht (Art. 1269) in der kodifizierten Neuregelung im unmittelbaren Anschluss an das Veröffentlichungsrecht (Art. 1268) geregelt ist. Darüber hinaus wird der Bezug zum Veröffentlichungsrecht bei der Inhaltsbestimmung des Rückrufsrechts in Art. 1269 Abs. 1 selbst hergestellt. Dennoch wird das Rückrufsrechts – wohl aus dogmatischen Gründen wegen seiner Natur als eines Gestaltungsrechts 42 – gemäß Art. 1255 Punkt 3 neben dem Folgerecht und dem Zugangsrecht zu den sonstigen oder anderen Rechten (drugie prava) 43 des Urhebers gerechnet.44 Definiert und inhaltlich ausgestaltet wird das Zugangsrecht dabei in Art. 1269 Abs. 1, während Abs. 2 dessen Unanwendbarkeit in weiten Bereichen insbesondere des kollektiven Werkschaffens, nämlich bei Computerprogrammen, dienstlichen Werken und Werken, die in ein zusammengesetztes Objekt eingefügt werden 45, bestimmt. Diese Ausnahmen deuten bereits
39
Vgl. bereits oben Fn. 16. Vgl. oben Fn. 4; dort Art. 15 Punkt 1 sowie die nähere Definition des Rückrufsrechts in Punkt 2. 41 In diesem Sinne auch noch für das geltende Recht Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 222. 42 Dies ist auch der Grund für seine Regelung im vertragsrechtlichen Teil das deut. UrhG (§ 42), freilich ohne dass sein persönlichkeitsrechtlicher Inhalt bestritten würde. Konsequenter ist hier das franz Recht: vgl. die Regelung des Rückrufsrechts (droit de retrait ou de repentir) in Art. L. 121-5 des Code de la propriété intellectuelle, also als Teil der Gesamtregelung über die „droits moraux“ (Art. L. 121-1 ff.). 43 In Art. 1226 werden diese – ohne Nennung des Rückrufsrechts – noch „inye prava“ (sonstige oder andere Rechte) genannt. 44 Zum eigenständigen Charakter des Rückrufsrechts vgl. Pavlova, in: Makovskij (Hrsg.) aaO (oben Fn. 3) S. 402. 45 Hier sind gemäß Art. 1240 aus urheberrechtlicher Sicht in erster Linie Filmwerke bzw. audiovisuelle Werke sowie Multimediaprodukte gemeint. 40
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an, dass das Rückrufsrecht wegen seinen potentiell gravierenden Folgen „eingehegt“ werden sollte. Abgesehen von diesen Ausnahmefällen hat der Urheber also das Recht, sich von einer früher getroffenen Entscheidung über die Veröffentlichung (obnarodovanie) des Werkes loszusagen unter der Voraussetzung, dass er der Person, der das ausschließliche Recht am Werk übertragen oder das Recht zur Nutzung des Werkes eingeräumt wurde, den durch diese Entscheidung zugefügten Schaden ersetzt. Ist das Werk bereits veröffentlicht, so ist der Urheber auch verpflichtet, seinen Rückruf öffentlich bekannt zu machen. Dabei ist der Urheber berechtigt, die früher herausgegebenen Exemplare des Werkes aus dem Verkehr zu ziehen, wenn er den dadurch zugefügten Schaden ersetzt hat. Die Formulierung des Gesetzes schon in der russischen Fassung 46 macht bedauerlicherweise nicht ausreichend deutlich, welchen Einfluss die „Voraussetzung der Entschädigung“ auf die Wirksamkeit des Rückrufs haben soll. Soll die Wirksamkeit des Rückrufs von der (vorherigen) Leistung der Entschädigung abhängig sein oder entsteht der Entschädigungsanspruch des Rechtsinhabers erst nach wirksamer Ausübung des Rückrufsrechts? Der Vergleich etwa mit dem deutschen Recht 47 und die gebotene Rücksichtnahme auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs legen die erste der beiden Lösungen nahe.48 Die Formulierung des Gesetzes wäre also wohl so zu lesen: „unter der Bedingung der [vorherigen] Entschädigung“ der betreffenden Rechtsinhaber. Hierfür spricht auch, das für den Spezialfall des Rückrufsrechts gemäß Art. 1269 Abs. 1 Satz 3, nämlich die Berechtigung des Urhebers, die Werkexemplare aus dem Verkehr zu ziehen, auch im russischen Text vorausgesetzt wird, dass der Urheber den dadurch zugefügten Schaden ersetzt hat (vozmestiv pricˇinennye e˙tim ubytki ). Gerade eine solche Auslegung zeigt aber, dass das Rückrufsrecht wegen der damit verbundenen u.U. hohen Kosten für den Urheber nur selten praktische Bedeutung haben wird. Der den betroffenen Personen zu leistende Schadenersatz bemisst sich nämlich, mangels anderweitiger Regelung, nach Art. 15 des Ersten Teils ZGB RF, insbesondere dessen Punkt 2, schließt also auch den entgangenen Gewinn ein.49 Wie etwa auch in Deutschland 50 wird dem Rückrufsrecht auch in Russland kaum praktische Bedeutung zukommen, zumal, wie eben dargestellt, weite
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Wörtlich „unter der Voraussetzung [bzw. Bedingung] der Entschädigung der Person …“ (pri uslovii vozmesˇcˇ enija licu …). 47 Vgl. § 42 Abs. 3 Satz 3 deut. UrhG. 48 Nicht eindeutig insoweit Gavrilov in: Gavrilov/Eremenko aaO (oben Fn. 3) S. 222. 49 So ausdrücklich auch noch Art. 15 Punkt 2 der Vorgängerregelung (russ. UrhG von 1993; vgl. oben Fn. 4). 50 Vgl. Dietz/Peukert aaO (oben Fn. 27), Kommentar zu § 42 Rn. 3 und 32.
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Bereiche des kollektiven Werkschaffens von seiner Anwendung ausgenommen sind. Eine weitere Analyse dieser – nach richtigem Verständnis – weiteren Einzelbefugnis des UPR (im Sinne eines Gestaltungsrechts) soll deshalb an dieser Stelle unterbleiben.
IV. Schlussbemerkungen Die Neuregelung des UPR wie des Urheberrechts insgesamt im Vierten Teil des russischen ZGB von 2006/2008 lässt manche Wünsche offen. Im Vergleich zur Vorgängerregelung (russ. UrhG von 1993) enthält sie zwar einige inhaltliche Verbesserungen, in terminologischer und systematischer Hinsicht bleibt sie aber hinter dieser Regelung zurück. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der russische Gesetzgeber im Sinne einer international vorgegebenen Pflichtübung an diese Problemstellung herangegangen ist und sich dabei – in Anlehnung an das dualistische Regelungsmodell – auf gewisse Grundsatzregelungen beschränken wollte. Nur so ist es zu erklären, dass darauf verzichtet wurde, etwa das Verhältnis der Einzelbefugnisse des UPR zu den vertragsrechtlichen Bestimmungen oder auch zu den Schrankenbestimmungen (Art. 1273 ff.) näher zu klären.51 Zwar wird in einzelnen Fällen sog. freier Nutzungen von Werken die Angabe des Urhebernamens vorgeschrieben (so in Art. 1274 Punkt 1 bezüglich der freien Benutzung eines Werkes zu Informations-, Wissenschafts-, Unterrichts- und kulturellen Zwecken sowie in Art. 1275 Punkt 1 bezüglich der freien Benutzung eines Werkes im Wege der Reproduktion), was durchaus im Sinne des Schutzes des Urheberschafts- und Namensrechts des Urhebers verstanden werden kann. In den meisten anderen Fällen von Urheberrechtsschranken fehlt aber eine entsprechende Verpflichtung, so etwa in den Fällen der Nutzung von Werken auf öffentlichen Plätzen (Art. 1276), der Nutzung von Musikwerken bei öffentlichen oder religiösen Feiern (Art. 1277) und weiteren Fällen. Man scheut sich aber, hier im Sinne des argumentum e contrario einfach davon auszugehen, dass der Urheber die Namensnennung in diesen Fällen nicht verlangen kann. Der Kern des Urheberschaftsrechts und des Namensrechts des Urhebers muss m.E. auch hier erhalten bleiben; so wird der Urheber auch in diesen Fällen sich dagegen wehren können, dass eine falsche Namenszuschreibung erfolgt oder sein Namen bewusst unterdrückt wird. Kaum anders liegen die Dinge beim Recht des Urhebers auf Unversehrtheit des Werkes, wo man ebenfalls eine differenzierende Regelung vermisst. So liegt es aus mehreren Gründen auf der Hand, dass die Wahrung der Werk-
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Vgl. etwa die §§ 62 und 63 deut. UrhG.
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integrität (Recht auf Unversehrtheit und Schutz vor Entstellung) bei ohne Zustimmung des Urhebers erlaubten (freien) Werknutzungen nicht in jeder Hinsicht möglich ist. Dies zeigt sich schon bei der zulässigen Nutzung zu persönlichen Zwecken (Art. 1273); es wäre wenig einleuchtend, wollte man dem Nutzer des Werkes hier nicht zugestehen, dass er an dem Werk (etwa einer Kopie) auch Änderungen vornehmen kann, solange dies im persönlichen Bereich geschieht. In anderen Fällen erlaubter freier Nutzung, wie sie in Art. 1274 Punkt 1 zusammengestellt sind, so etwa beim Zitatrecht gemäß Nr. 1, bei der Nutzung zum Unterrichtsgebrauch gemäß Nr. 2, bei ggf. dem Umfang nach gekürzter Nutzung öffentlicher Reden zu Informationszwecken gemäß Nr. 4 oder bei der Ereignisberichterstattung gemäß Nr. 5, lassen die gesetzlichen Vorschriften außerdem schon tatbestandsmäßig entsprechende Kürzungen zu; eine Berufung des Urhebers auf das Kürzungsverbot gemäß Art. 1266 Punkt 1 Absatz 1 würde die gesetzliche Regelung deshalb auch hier wirkungslos machen. Insofern muss daher trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Regelung von einer immanenten gesetzlichen Schranke des Rechts auf Werkintegrität ausgegangen werden. Trotz aller dieser Unzulänglichkeiten der russischen Neuregelung des UPR ist anzuerkennen, dass man ein hohes (zu hohes?) Schutzniveau angestrebt hat. Auch können manche Übersteigerungen etwa beim Schutz des „droit moral perpétuel“ auf das stark ausgeprägte russische Traditions- und Kulturbewusstsein zurückgeführt werden. Auch solche metajuristischen Zusammenhänge sollten bei rechtsvergleichenden Untersuchungen stets präsent sein. Insgesamt ist dieser Artur-Axel Wandtke gewidmete Beitrag auch als Einladung an den geneigten Leser gedacht, sich nach Möglichkeit dann und wann auch mit dem uns oft so fernliegenden russischen Recht und speziell mit dem russischen Urheberrecht zu befassen.
Aufnahme der Strafvorschriften des Urheberstrafrechts ins StGB? Bernd Heinrich I. Einleitung Im Zentrum des geistigen Schaffens unseres Jubilars steht seit jeher das Urheberrecht, welches seit langem auch eine zentrale Rolle in der juristischen Diskussion (und ebenfalls in der juristischen Praxis) spielt. Weniger beachtet wurde dabei das Urheberstrafrecht, normiert in den §§ 106 ff. UrhG, welches lange Jahre im Zustand faktischer Bedeutungslosigkeit dahin dämmerte.1 Dies hat sich erst in jüngerer Zeit etwas gewandelt,2 was in erster Linie mit den sich ständig verbessernden technischen Möglichkeiten der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zusammenhängt, die insbesondere die sich rasch entwickelnde Computernutzung – zu nennen ist hier vor allem das Internet – mit sich bringt. Zwar liegt das Hauptaugenmerk bei den Urheberrechtsverletzungen auch heute noch auf der zivilrechtlichen Sanktionierung, die zivilrechtlichen Ansprüche (insbesondere auf Unterlassung und auf Schadensersatz) werden aber inzwischen entweder nicht mehr als ausreichend angesehen, um der Masse an Urheberrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten,3 oder aber das Zivilrecht bietet den Klägern, insbesondere was die Ermittlung und die Feststellung der „Täter“ angeht – zumindest nach ihren eigenen Bekundungen –, keine ausreichenden Möglichkeiten zur Rechtswahrnehmung mehr. Gerade der letztgenannte Aspekt hat in der Vergangenheit häufig dazu geführt, dass über eine Strafanzeige versucht wurde, eine
1 So endete die reichsgerichtliche Rechtsprechung zum Urheberstrafrecht im Jahre 1916 mit der Entscheidung RGSt 49, 432; vgl. zum Ganzen v.Gravenreuth, GRUR 1983, 349; Katzenberger, GRUR 1982, 715 (715 f.); v. Olenhusen, UFITA 2001, 333; Spautz, FuR 1978, 96 (97); allgemein zur Entwicklung des Urheberstrafrechts Weber, Der strafrechtliche Schutz des Urheberrechts, Tübingen 1976, S. 1 ff.; ferner Lampe, UFITA 83 (1978), 15. 2 Zur zunehmenden Bedeutung des Urheberstrafrechts vgl. v.Gravenreuth, Das Plagiat aus strafrechtlicher Sicht, 1986, S. 3 f.; Heghmanns, NStZ 1991, 112; Katzenberger, GRUR 1982, 715 (716); Lieben, GRUR 1984, 572. 3 Für eine Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes spricht sich insbesondere Flechsig, FuR 1980, 345 (349) sowie ders., ZRP 1980, 313 (316) aus; dagegen Dreier/Schulze/Dreier, Urheberrechtsgesetz. Urheberrechtswahrnehmungsgesetz. Kunsturhebergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 106 Rn. 2.
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staatsanwaltschaftliche Ermittlung zu veranlassen, um die hier gewonnenen Erkenntnisse später in einem Zivilprozess zu nutzen.4 Während die Staatsanwaltschaften diesem Anliegen zumindest bei privaten unerlaubten Vervielfältigungen zu Recht überwiegend entgegentreten, da das Strafrecht als ultima ratio nur dort eingesetzt werden sollte, wo andere Mechanismen versagen, ist im Bereich des gewerbs- und bandenmäßigen Verhaltens eine strafrechtliche Sanktionierung durchaus ein angemessenes und taugliches Mittel, um der sich ausweitenden organisierten Kriminalität Einhalt zu gebieten. Dennoch hat sich auch nach Schaffung des § 108a UrhG (gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung) durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet des Urheberrechts im Jahre 19855 und die Ausweitung dieser Strafnorm durch das Produktpirateriegesetz im Jahre 19906 das Urheberstrafrecht nicht zu einem „scharfen Schwert“ entwickelt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. De lege ferenda ist allerdings die Möglichkeit zu diskutieren, durch eine Einstellung der Strafnormen gegen das Urheberrecht in das Strafgesetzbuch (eventuell in einem eigenen Abschnitt gemeinsam mit einigen Strafvorschriften zum Schutz der gewerblichen Schutzrechte, insbesondere im Bereich des Markenrechts) nicht nur den Bekanntheitsgrad, sondern auch die Effektivität der Normen zu steigern. Als Grundlage dieser rechtspolitischen Überlegungen – die hoffentlich auch bei unserem an sich eher zivilrechtlich orientierten Jubilar auf Interesse stoßen – sollen im Folgenden die Vor- und Nachteile einer solchen Überführung der Normen ins Strafgesetzbuch gegenübergestellt und abgewogen werden. Dabei sind zuerst allgemein die Vor- und Nachteile dieses Verfahrens darzustellen, um dann am Ende die gewonnenen Erkenntnisse auf das Urheberstrafrecht zu übertragen. In der jüngeren Geschichte des Strafgesetzbuches wurde die Diskussion insbesondere im Zusammenhang mit der Überführung der Straftatbestände gegen die Umwelt (§§ 324 ff. StGB) in einen neuen 29. Abschnitt des StGB im Jahre 19807 und bei der Aufnahme der Straftaten gegen den Wettbewerb (§§ 298 ff. StGB) als neuen 26. Abschnitt ins StGB im Jahre 19978 geführt. Im Bereich der Umweltdelikte wurde dabei eine Vielzahl von Vorschriften im StGB zusammengefasst, die bisher im Nebenstrafrecht, namentlich im WHG, 4 Vgl. hierzu Dreier/Schulze/Dreier (Fn. 3), § 106 Rn. 2; kritisch im Hinblick auf den Einsatz des Strafrechts in Bezug auf private Vervielfältigungen ferner Reinbacher, Die Strafbarkeit der Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke zum privaten Gebrauch nach dem Urheberrechtsgesetz, 2007, S. 327 ff.; ders., GRUR 2008, 394 (401). 5 BGBl. 1985 I, S. 1137. 6 BGBl. 1990 I, S. 422. 7 Vgl. das Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 28. März 1980, BGBl. 1980 I, S. 373. 8 Vgl. das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl. 1997 I, S. 2038.
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im BImSchG, im AbfG oder AtomG geregelt waren, wobei die Vorschriften teilweise erheblich verändert und erweitert wurden.9 Während die Strafvorschriften der genannten Gesetze komplett ins StGB überführt wurden (es finden sich nunmehr weder im WHG, noch im BImSchG, im KrWG [dem früheren AbfG] oder im AtomG weitere Strafnormen), verblieben die Tatbestände der Ordnungswidrigkeiten im jeweiligen Spezialgesetz. Auffallend ist aber, dass über die genannten Gesetze hinaus nicht alle Straftaten gegen die Umwelt ins StGB eingestellt wurden. So verblieben z.B. § 148 GewO, §§ 74 ff. IfSG, § 74a TierSG, § 17 TierSchutzG, §§ 51 f. LMBG, § 39 PflanzenSchG und § 7 DDT-G im jeweiligen verwaltungsrechtlich geprägten Spezialgesetz verankert.10 Grundsätzlich anders verfuhr man bei der Überführung der Straftaten gegen den Wettbewerb ins StGB im Jahre 1997. Durch § 298 StGB (wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen) wurden die bisherigen Ordnungswidrigkeiten des § 38 Abs. 1 Nr. 1 und 8 GWB a.F. zur Straftat hoch gestuft und in § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr) wurde der bisherige § 12 UWG a.F. modifiziert und ins StGB überführt, wogegen die weiteren Straftatbestände gegen den Wettbewerb (§ 16 UWG – Strafbare Werbung; § 17 UWG – Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen; § 18 UWG – Verwertung von Vorlagen; § 19 UWG – Verleiten und Erbieten zum Verrat) im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verblieben. Insoweit wäre es also kein Novum in der deutschen Strafgesetzgebung, zentrale Strafvorschriften aus dem Nebenstrafrecht ins Kernstrafrecht zu überführen, gleichzeitig aber weitere Strafvorschriften im jeweiligen Nebenstrafgesetz zu belassen.
II. Argumente, die für die Aufnahme ins Kernstrafrecht sprechen 1. Steigerung des Bekanntheitsgrades in der Bevölkerung Zentraler Gesichtspunkt für die Aufnahme nebenstrafrechtlicher Vorschriften ins Kernstrafrecht ist der Wunsch, dass mit einer Verortung der Straftatbestände im Strafgesetzbuch der Bekanntheitsgrad der jeweiligen Strafnormen steigt 11 und dadurch eine breitere Anwendung der Strafrechtsnormen gefördert wird. Denn es ist davon auszugehen, dass die Strafvorschriften durch eine Aufnahme ins StGB vermehrt auch ins Bewusstsein der Bevölke-
9 Schönke/Schröder/Heine, Strafgesetzbuch, Kommentar, 28. Aufl. 2010, Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 1. 10 Schönke/Schröder/Heine (Fn. 9), Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 1; vgl. zur Begründung diese Vorgehens auch Möhrenschlager, ZRP 1979, 97 (98). 11 BT-Drucks. 7/5684, S. 23 Nr. 107; vgl. ferner den Diskussionsentwurf der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ), abgedruckt in ZRP 1972, 76 (77).
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rung dringen,12 besitzt doch das StGB eine ungleich größere Außenwirkung im Vergleich zu den nebenstrafrechtlichen Einzelbestimmungen.13 Durch die Einstellung einer Strafvorschrift in das „zentrale“ Strafgesetzbuch wird es dem betroffenen Bürger (und somit sowohl dem potentiellen Täter als auch dem potentiellen Opfer) leichter gemacht, die in Betracht kommende Sanktionsnorm zu finden, denn ist es davon auszugehen, dass das StGB dem einzelnen Bürger wesentlich vertrauter ist als die einzelnen Spezialgesetze.14 Insoweit kann also der Zugang des Bürgers zu diesen Normen in weit stärkerem Maße gefördert 15 und dadurch auch ein erheblicher Beitrag zur Verbesserung der allgemeinen Rechtskenntnis geleistet werden.16 Hiergegen wird allerdings der Einwand erhoben, dass sich die strafrechtlichen Vorschriften in vielen Bereichen gerade an Fachleute richten, die mit den jeweiligen Spezialmaterien in gleicher Weise vertraut sind (oder jedenfalls sein müssten) wie mit den Strafnormen des StGB. Dies mag nun zwar für einige „Spezialnormen“ durchaus zutreffen, die ausschließlich von bestimmten Personen zu beachten sind, insoweit also „Sondertatbestände“ darstellen. Gerade im Urheberrecht passt dieser Einwand jedoch nicht. Denn unerlaubte Vervielfältigungen urheberrechtlich geschützter Werke können auch und gerade durch den „Laien“ vorgenommen werden und stellen daher keine Sondertatbestände dar. Zudem müssen die jeweiligen Strafnormen, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, auch den potentiellen Opfern der jeweiligen Straftaten bekannt sein. Dies gilt umso mehr wenn man bedenkt, dass gerade im Urheberstrafrecht – mit Ausnahme des § 108a UrhG – die Strafnormen allesamt Privatklagedelikte sind (§ 374 StPO) und bei allen Strafnormen die Möglichkeit zur Nebenklage vorgesehen ist (§ 395 StPO). 2. Steigerung der Effizienz der Straftatbestände im Hinblick auf die Verfolgungspraxis Durch die Aufnahme von Strafnormen ins Kernstrafrecht und die dadurch bedingte Steigerung des Bekanntheitsgrades der Normen kann zudem auch die Effizienz der jeweiligen Strafnorm erhöht werden. Denn nicht nur die 12
Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (313, 334); vgl. auch BT-Drucks. 7/5684, S. 23 Nr. 107. Vgl. insbesondere im Zusammenhang mit den Umweltdelikten Rüdiger, Die Bekämpfung sozialgefährlicher Umweltverstöße durch das Kriminalstrafrecht, 1976, S. 67, 71; ferner Frielinghaus, Die strafrechtliche Durchsetzung umweltschützender Normen in: Duden/Külz/Ramm/Scharnberg/Zeidler, Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, 1972, S. 169 (174). 14 Rüdiger (Fn. 13), S. 67; vgl. auch Kunz, Die Verletzungen des biologischen Lebensraumes als strafrechtliche Tatbestände, 1973, S. 36. 15 Rüdiger (Fn. 13), S. 67 f.; vgl. auch Jahn, Zur strafrechtlichen Bekämpfung der Umweltschädigung, Bulletin der Bundesregierung Nr. 21/1974, S. 196; Noll, Universitas 1971, 1021 (1023). 16 Rüdiger (Fn. 13), S. 73. 13
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Rechtsunterworfenen werden in einem solchen Fall die Strafnormen als solche deutlicher wahrnehmen, es ist vielmehr zu vermuten, dass auch die Rechtsanwender, insbesondere die Staatsanwaltschaften, diese Straftatbestände vermehrt zur Kenntnis nehmen.17 Denn trotz der Geltung des Legalitätsprinzips in Deutschland kann davon ausgegangen werden, dass entlegene Vorschriften aus dem Nebenstrafrecht auch bei den Strafverfolgungsbehörden nicht uneingeschränkt bekannt sind (bzw. in ausreichendem Maße ernst genommen werden) und eine entsprechende Verfolgung daher oftmals unterbleibt. Dies gilt umso mehr, wenn es sich, wie im vorliegenden Bereich, um Antragsdelikte handelt, bei denen die Staatsanwaltschaft, sofern ein solcher Strafantrag fehlt, zur Strafverfolgung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen müsste (§ 109 UrhG). Auch liegt der Verdacht nicht fern, dass vermehrt bei nebenstrafrechtlichen Vorschriften, sofern tatsächlich ein Strafantrag vorliegen sollte, durchaus gerne von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, den Verletzten auf den Privatklageweg zu verweisen (§ 374 StPO), indem man das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneint (§ 376 StPO). 3. Generalpräventive Wirkungen im Hinblick auf den Täter Ferner steht zu vermuten, dass nur im Zuge einer Integration ins Strafgesetzbuch die jeweiligen Normen generalpräventive Wirkungen entfalten18 und insoweit potentielle Täter durch die Strafandrohung von der Begehung entsprechender Verstöße abgehalten werden können.19 Denn nur dann, wenn die jeweiligen Strafnormen „bekannt“ sind, was wiederum mit einer leichten Auffindbarkeit zusammenhängt, können die Normen in ausreichendem Maße eine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten und zur Effektivität der jeweiligen strafrechtlichen Bestimmungen beitragen. 4. Nebenstrafrechtliche Vorschriften als Kavaliersdelikte Durch die Aufnahme der jeweiligen Strafnormen ins StGB und ein entsprechendes Eindringen des Norminhalts ins Bewusstsein der Bevölkerung kann auch klar gestellt werden, dass es sich bei den jeweiligen Straftaten gerade nicht um „Kavaliersdelikte“ handelt, die weniger „ernst“ genommen
17 Vgl. hierzu auch Baumann, ZfW 1973, 63 (68), der davon spricht, manche Tatbestände würden von den Gerichten „allmählich vergessen“. 18 Rüdiger (Fn. 13), S. 68; vgl. auch Jahn (Fn. 15), S. 196; Noll, Strafrechtlicher Umweltschutz, in: Müller-Stahel, Schweizerisches Umweltschutzrecht, 1973, S. 393 (396). 19 Rüdiger (Fn. 13), S. 68; vgl. auch Jahn (Fn. 15), S. 197.
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werden müssen als die zentralen Strafvorschriften.20 Durch die Einstellung einer Norm ins Strafgesetzbuch stellt der Gesetzgeber vielmehr klar, dass es sich auch in seinen Augen um eine zentrale Strafnorm handelt, die zu beachten ist. Damit kann aber ebenfalls die bereits angesprochene generalpräventive Wirkung gesteigert werden. In diesem Zusammenhang wurde schließlich darauf hingewiesen, dass dies durchaus auch für die Einstellung mancher Gerichte oder der Verwaltung gelten könne, welche die Bedeutung der jeweiligen Norm erst nach deren „Aufwertung“ durch die Überführung ins StGB erkennen würden.21 5. Einstellung ins StGB als Ausdruck gewandelter gesellschaftlicher Wertschätzung Ferner kann die Platzierung einer Vorschrift im StGB auch einen Hinweis auf die gewandelten gesellschaftlichen Wertvorstellungen geben. Denn eine Aufnahme ins Kernstrafrecht kann durchaus ein Indiz für den Wandel in der allgemeinen Beurteilung bestimmter Straftaten darstellen.22 So ist es auffallend, dass immer dann, wenn eine Gesellschaft bestimmte Rechtsbereiche als zunehmend wichtiger und bestimmte Kriminalitätsformen als besonders bedrohlich angesehen hat, eine Überstellung der entsprechenden Strafnormen ins StGB diskutiert und teilweise auch vollzogen wurde. Die Aufnahme der Umweltdelikte ins StGB im Jahre 1980 ist dafür ein geradezu klassisches Beispiel. 6. Ausdruck der besonderen Sozialschädlichkeit bestimmter Rechtsverletzungen Damit im Zusammenhang steht auch der Gedanke, dass der Gesetzgeber durch die Aufnahme einer Norm ins StGB gerade die besondere Sozialschädlichkeit eines bestimmten Verhaltens zum Ausdruck bringen kann. Insbesondere in Rechtsbereichen, bei denen bisher eine weitgehende Zersplitterung des strafrechtlichen Schutzes in verschiedenen Gesetzen zu beobachten ist, kann die Bündelung von Vorschriften im StGB zu einer Schärfung des Bewusstseins hinsichtlich der Sozialschädlichkeit des Verhaltens führen. Insbesondere im Umweltbereich wurde daher auch argumentiert, dass erst durch die Überführung der entsprechenden Strafnormen ins StGB „die Schlagkraft
20 Backes, JZ 1973, 337 (339); Rüdiger (Fn. 13), S. 72; vgl. auch den Umweltbericht, abgedruckt in BT-Drucks. 7/5684, S. 23 Nr. 107; ferner den Diskussionsentwurf der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ), abgedruckt in ZRP 1972, 76 (77). 21 Rüdiger (Fn. 13), S. 72. 22 So für das Umweltstrafrecht Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912 (916 f.); Möhrenschlager, ZRP 1979, 97 (98).
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des Rechts im Bereich der Umweltpflege“ insgesamt beträchtlich erhöht wurde 23 und dadurch (erst) die Sozialschädlichkeit von Umweltbeeinträchtigungen deutlich ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden konnte.24 Insoweit habe man gut daran getan, das Umweltstrafrecht mit den klassischen gesundheitsschützenden Normen des Kriminalstrafrechts zur Stärkung der Bedeutung umweltschützender Normen zu verbinden.25 Durch die Aufnahme ins StGB habe der strafrechtliche Umweltschutz den Stellenwert erhalten, der für den Bereich individualrechtlicher Güter wie Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seit langem selbstverständlich gewesen sei.26 Verfolgt man die Diskussionen im Urheberrecht, so wird zuweilen darauf hingewiesen, dass der Schutz des geistigen Eigentums dem Schutz des materiellen Eigentums gleichgestellt werden müsse.27 Auch von daher – und um insofern eine parallele Entwicklung zu gewährleisten – könnte sich die gemeinsame Verortung der Strafvorschriften im StGB anbieten. 7. Vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung Das Strafgesetzbuch als zentrale strafrechtliche Kodifikation steht im Zentrum auch der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Wird eine Norm ins StGB aufgenommen, ist dadurch gewährleistet, dass sich eine Vielzahl gerade auch strafrechtlich versierter Wissenschaftler mit der Auslegung und der Bedeutung der jeweiligen Norm befassen. Dies ist bei einem Verbleib der Normen in den jeweiligen Spezialgesetzen nicht in gleicher Weise gewährleistet. Zwar werden die Kommentierungen der jeweiligen Spezialgesetze auch von Fachleuten vorgenommen, es handelt sich hierbei aber zumeist um solche aus den jeweiligen Spezialgebieten und eben nicht um ausgewiesene Strafrechtsexperten. Insofern ist es auffallend, dass eine Vielzahl von Kommentierungen nebenstrafrechtlicher Normen in diversen (Spezial-)Kommentaren, die ihren Schwerpunkt im materiellen Bereich haben, eher dürftig sind und sich mit den speziellen strafrechtlichen Problemen, insbesondere der Verzahnung des Allgemeinen Teils des Strafrechts mit der jeweiligen Spe-
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Rüdiger (Fn. 13), S. 71. BT-Drucks. 8/2382, S. 9 ff.; BT-Drucks. 8/3633, S. 19; Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (313, 334); so auch Baumann, ZRP 1972, 51 (52 Fn. 10): Die hohe Sozialschädlichkeit von Umweltdelikten nötige zur Aufnahme ins Kernstrafrecht; vgl. auch ders., ZfW 1973, 63 (68); weiterführend Rüdiger (Fn. 13), S. 67 ff.; ferner den Diskussionsentwurf der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ), abgedruckt in ZRP 1972, 76 (77 f.); kritisch zu dieser Argumentation allerdings Möhrenschlager, ZRP 1979, 97 (98). 25 Backes, JZ 1973, 337 (339). 26 Möhrenschlager, ZRP 1979, 97 (98). 27 Vgl. insbesondere Flechsig, FuR 1980, 345 (346); ders., ZRP 1980, 313 (316); hierzu auch Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch (MüKo)/Heinrich, Bd. 6/1, 2010, Vorbem. UrhG Rn. 2. 24
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zialmaterie, kaum auseinandersetzen.28 Neben der intensiveren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Normen des Kernstrafrechts ist aber auch im Bereich des wissenschaftlichen Studiums damit zu rechnen, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit der jeweiligen Materie erst dann zu erwarten ist, wenn die entsprechenden Vorschriften ins StGB eingestellt werden. 8. Vereinfachte Subsumtion bei einheitlicher Begriffsverwendung Ferner ist noch darauf hinzuweisen, dass sich in der Praxis im Hinblick auf die verstreuten Spezialtatbestände erhebliche dogmatische Schwierigkeiten bei der Subsumtion einzelner Tatbestandsmerkmale ergeben können.29 Denn es ist auffallend, dass in den jeweiligen Nebenstrafgesetzen oftmals verschiedene oder ähnliche Begriffe für denselben Sachverhalt bzw. dieselbe Problematik verwendet werden, die zuweilen auch eine unterschiedliche Auslegung erfahren, obwohl im Wesentlichen dasselbe gemeint ist. Andererseits werden identische Begriffe vielfach unterschiedlich interpretiert, was im Zuge der Relativität der Rechtsbegriffe zwar grundsätzlich zulässig ist, aber im Einzelfall begründet werden muss. Im Bereich des Urheberrechts ist diesbezüglich insbesondere auf den Begriff der „Verbreitung“ urheberrechtlich geschützter Werke hinzuweisen, ein Begriff, der auch in einzelnen Normen des Strafgesetzbuches auftaucht, wie z.B. in § 184a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Vereinheitlichung in der Begriffsbildung ist insoweit erstrebenswert und kann (auch) dadurch hergestellt werden, dass die bisher verstreuten Normen in eine einheitliche Kodifikation aufgenommen werden. 9. Harmonisierung der Normen, der Strafrahmen und des Rechtsguts Schließlich kann eine gemeinsame Überführung von bisher in mehreren Gesetzen verstreuten Strafvorschriften auch zu deren Harmonisierung in Ausgestaltung, Aufbau und Entwicklung eines einheitlichen Rechtsgutes beitragen.30 Insbesondere im Zusammenhang mit der Einstellung der umweltstrafrechtlichen Vorschriften ins StGB wurde betont, erst eine solche Harmonisierung gewährleiste letztlich die Gleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte31 und könne so auch zu einer einheitlichen Auslegung von Tatbestandsmerkmalen führen, die in mehreren Vorschriften vorkämen.32 Zu-
28 Lobend hervorzuheben ist in diesem Bereich allerdings die Kommentierung der Strafvorschriften in Wandtke/Bullinger, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009. 29 Rüdiger (Fn. 13), S. 68. 30 Herrmann, ZStW 91 (1979), 281 (297); Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912 (913 f.); Möhrenschlager, ZRP 1979, 97 (98); Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (313, 334). 31 Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (313, 334). 32 Laufhütte/Möhrenschlager, ZStW 92 (1980), 912 (913 f.).
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dem könne durch eine gemeinsame Kodifikation auch die Chance wahrgenommen werden, einen gleichen Strafrahmen für die – sich vom Unrechtsgehalt entsprechenden – Delikte vorzusehen. Schließlich bestehe durch die Harmonisierung und Zusammenfügung verwandter Strafvorschriften im StGB auch die Chance, ein verbindendes, gemeinsam durch die entsprechenden Delikte zu schützendes Rechtsgut herauszubilden.33 So wurde im Zusammenhang mit der Aufnahme der Umweltdelikte ins StGB im Jahre 1980 darauf hingewiesen, dass bei den (bisher) verstreuten Spezialtatbeständen der Bezug zu den geschützten Rechtsgütern oft nur ein mittelbarer gewesen sei, der zudem den nicht juristisch vorgebildeten Bürgern in der Regel verborgen blieb.34 Diese Argumentation ist für die Straftatbestände des Urheberrechts allerdings kaum weiterführend, da hier weder eine Zersplitterung der Strafnormen in mehreren Nebengesetzen zu verzeichnen, noch das geschützte Rechtsgut unklar ist.
III. Argumente, die gegen eine Aufnahme ins Kernstrafrecht sprechen Trotz der vielschichtigen Argumente, die für eine Aufnahme bestimmter Deliktsgruppen ins Strafgesetzbuch sprechen, lassen sich jedoch auch Argumente finden, die gegen eine solche Aufnahme vorgebracht werden können und die einen Verbleib der (Spezial-)Tatbestände in den jeweiligen Spezialgesetzen sinnvoll erscheinen lassen. 1. Auflösung wesentlicher Zusammenhänge Gegen eine Ausgliederung der Straftatbestände aus den jeweiligen Spezialgesetzen lässt sich als Erstes anführen, dass die Normen hierdurch ihres Zusammenhangs mit der sie prägenden Spezialmaterie des Verwaltungs- oder Zivilrechts beraubt werden.35 Es besteht die Gefahr, dass die Strafnormen aus dem Kontext der Spezialtatbestände herausgerissen werden und für sich gesehen dadurch kaum mehr verständlich sind.36 Denn gerade die Integration in die jeweiligen Spezialgesetze führt oft zu einer engen Verknüpfung der (materiellen) Verbote mit den angedrohten Sanktionen, vor allem dann, wenn
33
Rüdiger (Fn. 13), S. 73. Rüdiger (Fn. 13), S. 78. 35 Nadler, JZ 1977, 296 (297); so auch Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (334); vgl. in diesem Zusammenhang auch Baumann, ZfW 1973, 63 (68). 36 Herrmann, ZStW 91 (1979), 281 (297); vgl. auch Triffterer, ZStW 91 (1979), 309 (334), der noch hinzufügt, dass dann auch die Appellfunktion an die in erster Linie als Täter in Betracht kommenden Kreise entfiele. 34
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es sich bei den Verboten um schwierige, vielfach technische Einzelbestimmungen handelt. Durch den Verbleib der Strafnormen in den Nebengesetzen würden auch, wie mitunter vorgebracht wurde, detaillierte kasuistische, einzelfallbezogene Regelungen erleichtert, wodurch der unmittelbare Zusammenhang mit der jeweiligen Spezialnorm aufrechterhalten bliebe.37 Auch kann eine spezialgesetzliche Regelung für den Praktiker bzw. den Spezialisten in dem betreffenden Rechtsbereich insofern einen Vorteil darstellen, als er in einem Gesetzeswerk alle in Frage kommenden Detailregelungen finden kann. Dies aber könne, so wird vorgebracht, den Vorteil der besseren Auffindbarkeit der Strafnorm für den betroffenen „Laien“, der ebenfalls als Täter und Opfer der Straftaten in Betracht kommt, durchaus aufwiegen.38 2. Bessere Verständlichkeit und Handhabbarkeit kraft Sachzusammenhangs Durch die Aufrechterhaltung des Zusammenhangs mit den jeweiligen verwaltungsrechtlichen oder zivilrechtlichen Normen, deren Verletzung unter Strafe gestellt wird, kann auch eine bessere Verständlichkeit der Vorschriften gewährleistet werden. Für den Rechtsanwender kann es in der Tat einfacher sein, wenn sich die Ausgangsnorm und die Sanktionsnorm in einem Gesetz befinden, da er dann nicht mehrere Gesetze zugleich benutzen muss. Da die Strafnormen des bisherigen Nebenstrafrechts regelmäßig an die materiellen Regelungen des entsprechenden Gesetzes anknüpfen, müsste, um diesem Einwand zu begegnen, die gesamte materiell-rechtliche Regelung mit ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden, was jedoch ein völlig unpraktikables Verfahren darstellen würde. 3. Problematik der Blankettverweisungen Eng mit dieser Frage im Zusammenhang steht die Problematik der im Nebenstrafrecht oftmals erforderlichen Blankettverweise. Will man die materiell-rechtlichen Regelungen nicht ebenfalls ins StGB überstellen (da dieses Verfahren, wie erwähnt, völlig unpraktikabel wäre), müsste mit Blankettverweisen gearbeitet werden. So ist es bei den derzeitigen Regelungen in den Nebenstrafgesetzen üblich, dass diese lediglich als reine Blankettvorschriften einen Verstoß gegen andere Bestimmungen desselben Gesetzes unter Strafe stellen. Eine solche direkte Verweisung auf eine bestimmte Verbotsnorm eines anderen Gesetzes ist dem StGB jedoch bisher unbekannt. Dagegen finden sich Blankettverweisungen auf verwaltungsrechtliche Vorschriften oder
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Rüdiger (Fn. 13), S. 66; ferner Jahn (Fn. 16), S. 194 ff.; Noll (Fn. 18), S. 393 (396). Vgl. zu diesem Argument Rüdiger (Fn. 13), S. 66.
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Entscheidungen im StGB zwar an machen Stellen, sind aber insgesamt eher die Ausnahme. Auch bei der Einstellung der Strafvorschriften gegen die Umwelt und bei denjenigen gegen den Wettbewerb wurde daher versucht, das jeweils verbotene Verhalten im StGB konkret zu umschreiben und nicht nur auf die Verstöße gegen die meist verwaltungsrechtlich geprägten Normen des jeweiligen Spezialgesetzes zu verweisen. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass dieses Verfahren teilweise auch in den jeweiligen Spezialgesetzen „zur besseren Verständlichkeit“ gewählt wurde. Ein Beispiel hierfür ist § 108b UrhG, der diverse Verletzungen der zivilrechtlichen „Grundnormen“ der §§ 95a ff. UrhG sanktioniert. So werden z.B. durch § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG Verstöße gegen § 95a Abs. 1 UrhG unter Strafe gestellt, wobei in der Strafvorschrift nicht ausdrücklich auf diese Ausgangsnorm verwiesen wird. Vielmehr sind in § 108b Abs. 1 Nr. 1 UrhG sämtliche Voraussetzungen des § 95a Abs. 1 UrhG eigenständig mit aufgenommen. Zwar ist der Wortlaut nicht ganz identisch, inhaltlich decken sich die beiden Vorschriften jedoch weitgehend.39 In gleicher Weise wird bei § 106 UrhG verfahren. Anders stellt sich hingegen die Situation z.B. bei § 108 UrhG dar, der im Normtext ausdrücklich auf die einzelnen Vorschriften der §§ 70 ff. UrhG verweist. Dieses Vorgehen ist bei den strafrechtlichen Nebengesetzen weit verbreitet (als „klassisches“ Beispiel ist hier z.B. § 52 WaffG zu nennen). Es hat den Vorteil, dass die Strafnormen wesentlich kürzer werden, andererseits aber auch den Nachteil, dass sie aus sich heraus kaum mehr verständlich sind. 4. Überfrachtung des Strafgesetzbuches Anknüpfend an den Gedanken, dass die materiellen Verbote in die Straftatbestände des StGB mit aufgenommen werden müssten, um Blankettverweise auf die Spezialgesetze zu vermeiden, ist insoweit zu befürchten, dass das StGB dadurch mit Detailregelungen überfrachtet wird. Nicht nur die Anzahl der Strafvorschriften würde zunehmen, diese würden vielmehr auch immer umfangreicher und komplizierter und wären auch bei vollständiger Aufnahme des materiellen Verbots in die jeweilige Strafnorm letztlich doch nur unter Rückgriff auf die jeweiligen Spezialgesetze verständlich. Dadurch besteht aber die Gefahr, dass die Verständlichkeit insgesamt sowie die Akzeptanz in der Bevölkerung leiden. Dies führt dazu, dass die Frage, welche Strafvorschriften ins StGB überführt werden sollen, stets einer strengen Prüfung zu unterziehen ist. Wie das Beispiel der Aufnahme der Strafvorschriften gegen den Wettbewerb ins Strafgesetzbuch im Jahre 1997 gezeigt hat, tut der Gesetzgeber gut daran, nur ausgewählte Strafvorschriften ins StGB zu über-
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MüKo/Heinrich (Fn. 27), § 108b UrhG Rn. 4.
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führen und die anderen im jeweiligen nebenstrafrechtlichen Regelungswerk zu belassen. Nur so kann der Gefahr begegnet werden, dass das StGB als einheitliches Regelwerk durch die Aufnahme einer Vielzahl umfangreicher Detailregelungen aufgelöst und entscheidend verkompliziert wird.40 5. Fehlende Möglichkeit einer vollständigen Ausgliederung Aus den genannten Überlegungen ergibt sich zudem, dass eine vollständige Ausgliederung der Strafnorm aus dem jeweiligen Spezialgesetz kaum möglich ist. Denn auf Grund des spezifischen Regelungsgehaltes ist auch weiterhin eine Anbindung der Vorschriften an die jeweiligen Nebengesetze und – bei Anbindung an Vorschriften des besonderen Verwaltungsrechts – die darauf beruhenden behördlichen Entscheidungen erforderlich. Dies wird gerade im Umweltstrafrecht deutlich, wo diese Verknüpfung auch ihren Niederschlag im Gesetzestext gefunden hat. Betrachtet man nämlich die Vorschriften der §§ 324 ff. StGB näher, so findet sich hier in der Tat kaum eine Bestimmung, in der nicht auf „Genehmigungen“, „Untersagungen“, „vollziehbare Verwaltungsakte“, „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“, „vollziehbare Auflagen“, „Rechtsverordnungen“ und ähnliche Verschränkungen mit dem öffentlichen Recht Bezug genommen wird.41 Doch selbst wenn die Strafnormen komplett ausgegliedert würden und auch inhaltlich ohne einen direkten Verweis auf die materiellen Verbotsregelungen auskommen könnten, zeigt sich eine Zersplitterung der Materie spätestens in Bezug auf die in den Spezialgesetzen zumeist ebenfalls geregelten Ordnungswidrigkeiten, die nicht ins StGB überführt werden können und daher in den jeweiligen Spezialgesetzen verbleiben müssen. Betrachtet man diesen Umstand zusammen mit der Erkenntnis, dass die Straftaten, die in das StGB übernommen werden, zumeist nur im Rückgriff auf die jeweiligen nebengesetzlichen Regelungen inhaltlich bestimmt werden können, kann von einer Aufhebung der Zersplitterung somit keine Rede sein. Deutlich wird dies im Rahmen des Urheberstrafrechts bei den Sanktionsnormen der §§ 108b und 111a UrhG, die jeweils Verstöße gegen die Vorschrift des § 95a UrhG, teilweise als Straftat, teilweise als Ordnungswidrigkeit, ahnden. Würde man § 108b UrhG ins StGB überführen, würden Verstöße gegen § 95a UrhG somit in zwei unterschiedlichen Gesetzen sanktioniert, was sich im Hinblick auf die Rechtsklarheit kaum anbietet.
40 41
So im Ergebnis auch Backes, ZRP 1975, 229. Backes, ZRP 1975, 229.
Aufnahme der Strafvorschriften des Urheberstrafrechts ins StGB?
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6. Weitere Einwände Als weiteres Argument gegen eine Überführung von Spezialnormen ins StGB wird auch angeführt, dass die Kenntnis des Strafgesetzbuches keineswegs weiter verbreitet sei als diejenige der einschlägigen Nebengesetze.42 Es käme im Hinblick auf die Effizienz einer Strafnorm weit mehr auf die Höhe der Strafdrohung und die Größe der Gefahr an, entdeckt zu werden, als auf die Frage, in welchem Gesetz die Norm denn nun enthalten sei.43 Was die Kenntnis der jeweiligen Strafnorm und die Akzeptanz derselben in der Bevölkerung angeht, dürfte dies, richtet man den Blick z.B. auf das Betäubungsmittelgesetz oder das Waffengesetz und vergleicht man die dortigen Strafbestimmungen z.B. mit den Strafnormen des Wuchers, § 291 StGB, oder der Fischwilderei, § 293 StGB, sicherlich zutreffen. Schließlich wird noch gegen die Einstellung „an sich“ nebenstrafrechtlicher Normen ins StGB vorgebracht, dass die Behauptung, die Bevölkerung sehe nebenstrafrechtliche Normen als „Kavaliersdelikte“ an, empirisch nicht belegt sei.44 In der Tat dürfte derjenige Täter, der sich im Vorfeld eines als möglicherweise strafbar erkannten Verhaltens der Lektüre des Strafgesetzbuches widmet, um festzustellen, was er tun darf und was nicht, eher seltener anzutreffen sein.
IV. Übertragung dieser Argumente auf den Bereich des Urheberstrafrechts Die Zusammenstellung der für und gegen die Aufnahme nebenstrafrechtlicher Normen ins Kernstrafrecht sprechenden Argumente hat ergeben, dass stets eine sorgfältige Abwägung stattzufinden hat, die insbesondere die spezielle Regelungsmaterie im Blick haben muss. Zwar können der Bedeutungsgehalt und der Bekanntheitsgrad und insoweit sicherlich auch die Effizienz einer strafrechtlichen Vorschrift durch eine Aufnahme ins StGB gesteigert werden, von dieser Möglichkeit sollte aber nur in begründeten Fällen Gebrauch gemacht werden, um das StGB seinerseits nicht mit einer zu großen Zahl von Spezialvorschriften zu überfrachten. Stets ist auch darauf zu achten, dass die Verständlichkeit der Normen gewahrt bleibt. Dies ist insbesondere deswegen von großer Bedeutung, weil sich das bisher in vielen strafrechtlichen Nebengesetzen zu findende Verfahren, schlicht den Verstoß gegen eine bestimmte, in der jeweiligen Strafnorm angeführte Vorschrift des entsprechenden Gesetzes unter Strafe zu stellen, im Rahmen des StGB nicht anbietet. Insoweit muss also das jeweilige strafbare Verhalten bei einer Auf-
42 43 44
Nadler, JZ 1977, 296 (297). Nadler, JZ 1977, 296 (297). Nadler, JZ 1977, 296 (297).
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nahme ins StGB konkret umschrieben werden. Dabei sind Blankettverweise weitgehend zu vermeiden, um nicht in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 103 Abs. 2 GG, zu geraten. Im Hinblick auf die Straftaten der §§ 106 ff. UrhG lässt sich nun feststellen, dass diese mit dem Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten im Wesentlichen individuelle Rechtsgüter schützen, die als Bestandteile des Vermögens anzusehen sind. Allerdings findet sich mit § 107 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UrhG auch eine Strafnorm die neben dem Individualrechtsgut auch ein Allgemeinrechtsgut schützt.45 Verfolgt man die Diskussion im Hinblick auf die Aufnahme der Umweltdelikte oder der Delikte gegen den Wettbewerb in das Strafgesetzbuch, so wird deutlich, dass eine Diskussion hierüber regelmäßig zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem die jeweilige Thematik in der öffentlichen Diskussion eine große Rolle spielte und insoweit „aktuell“ wurde. So wurden die Umweltproblematik und der Umweltschutz in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gleichsam „entdeckt“ und als Problem erstmals in der Öffentlichkeit in großem Stil wahrgenommen. Insofern war es konsequent – und letztlich nur eine Frage der Zeit –, dass sich dieser Trend in der Strafrechtsgesetzgebung niederschlug. Auch die Thematik der Kartellabsprachen und der Korruption im geschäftlichen Verkehr wurde – nicht zuletzt forciert durch europarechtliche Vorgaben – Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Thema in der politischen und juristischen Diskussion und schlug sich mittels des Korruptionsbekämpfungsgesetzes 1997 nicht nur in einer Verschärfung der bestehenden Korruptionsdelikte, sondern eben auch und gerade in der Schaffung eines neuen Abschnittes im Strafgesetzbuch „Straftaten gegen den Wettbewerb“ nieder, in dem auch die bisher im Nebenstrafrecht geregelte Angestelltenbestechung (§ 12 UWG a.F.) aufgenommen wurde. Insoweit ist also festzustellen, dass eine deutliche Tendenz zu erkennen ist, Strafvorschriften dann ins StGB zu überführen, wenn bestimmte neue Phänomene in der Gesellschaft auftreten, die infolge ihrer hohen Sozialschädlichkeit ein Handeln des Gesetzgebers ratsam erscheinen lassen. Eben diese besondere Sozialschädlichkeit eines bestimmten Verhaltens, welche durch eine tatsächliche Zunahme der Kriminalität in einem bestimmten Bereich bzw. dem Aufkommen besonderer Kriminalitätsformen sowie einem entsprechenden Bewusstseinswandel in der Bevölkerung gekennzeichnet ist, stellt insoweit auch eine legitime Triebfeder für ein Handeln des Gesetzgebers dar. Eine ähnliche Tendenz ist aber derzeit auch im Bereich des Urheberrechts (und in vergleichbarer Weise auch im Bereich der gewerblichen Schutzrechte) zu verzeichnen. Durch die vereinfachten Möglichkeiten, Vervielfältigungsstücke urheberrechtlich geschützter Werke in großer Zahl herzustellen und
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MüKo/Heinrich (Fn. 27), § 107 UrhG Rn. 13.
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(zumeist über das Internet) zu verbreiten bzw. öffentlich zugänglich zu machen, hat nicht nur die Zahl der Urheberrechtsverletzungen drastisch zugenommen, sondern es wurden auch neue Kriminalitätsformen entwickelt, welche den Gesetzgeber auch bereits zum Handeln gezwungen haben (vgl. hier u.a. die Einführung der Spezialregelungen über Computerprogramme, §§ 69a ff. UrhG, oder die Einschränkung der gesetzlichen Privilegierung der Vervielfältigung zum privaten Gebrauch, § 53 UrhG). Durch diverse „Aufklärungskampagnen“ der Film- und Musikindustrie dürfte das Verbot der (gewerbsmäßigen, aber eben auch teilweise der privaten) Vervielfältigung und Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke inzwischen auch allgemein bekannt geworden sein. So kann man heutzutage kaum mehr im Kino einen Film betrachten oder auf Konzerten Musikstücke genießen, ohne vom Veranstalter darauf hingewiesen zu werden, dass ein Mitschnitt verboten ist und strafrechtlich verfolgt wird. Insoweit dürfte zwar die Strafbarkeit von Urheberrechtsverletzungen in den letzten Jahren in weiten Bevölkerungskreisen „angekommen“ sein, einen Blick ins Urheberrechtsgesetz und die hierin vorgenommenen Detailregelungen wagen dennoch die wenigsten. Fasst man diese Erkenntnisse zusammen, kommt man zu dem Schluss, dass sich im Bereich des Urheberrechts derzeit dieselbe Tendenz abzuzeichnen scheint, wie sie damals in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts im Bereich der Umweltkriminalität zu verzeichnen war, obwohl über die Ausweitung gerade des strafrechtlichen Schutzes bei den Delikten gegen das Urheberrecht weit weniger Einigkeit besteht als damals bei den Delikten gegen die Umwelt. Dennoch: Gerade im Bereich der Urheberrechtsverletzungen (ebenso wie bei der Markenpiraterie) sind neue Kriminalitätsformen insbesondere im Zusammenhang mit der Einbettung in die organisierte Kriminalität entstanden, die Rechtsverletzungen haben drastisch zugenommen und in der Bevölkerung hat sich ein zunehmendes Bewusstsein im Hinblick auf die Verbotenheit des Verhaltens entwickelt. Andererseits lässt sich aber auch die Tendenz erkennen, dass der einzelne Täter, insbesondere im privaten Bereich, zwar vom Verbotensein seines Verhaltens weiß und insoweit auch Unrechtsbewusstsein besitzt, sein Verhalten aber dennoch als „Kavaliersdelikt“ einstuft. Dem könnte eine Aufnahme der betreffenden Strafvorschriften ins Strafgesetzbuch entgegenwirken, wobei hier jedoch stets zu beachten ist, dass nicht der private Endverbraucher oder der allein und in geringem Umfang handelnde Täter bei der Ausgestaltung der Tatbestände in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken sollte. Denn Zielrichtung der strafrechtlichen Gesetzgebung muss die Bekämpfung der sich gerade im Bereich der Verletzung des Urheberrechts zeigenden organisierten Kriminalität sein. Insoweit könnte im Vorfeld einer Aufnahme des § 106 UrhG ins StGB auch die Debatte um die Entkriminalisierung nichtgewerbsmäßiger Urheberrechtsverletzungen neu geführt werden.
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Ist somit grundsätzlich festgestellt, dass sich eine Übernahme der Strafvorschriften aus dem Urheberrechtsgesetz ins Strafgesetzbuch zumindest vom Grundsatz her anbietet, muss aber weiter geprüft werden, ob dies sämtliche Strafvorschriften betrifft bzw. wie die entsprechenden Strafnormen auszusehen haben. Hierbei müssen die bereits genannten Nachteile einer Aufnahme ins StGB weitgehend vermieden werden. Insoweit bietet es sich lediglich an, den „Kerntatbestand“ des Urheberstrafrechts, § 106 UrhG, ins StGB zu überführen (der gemeinsam mit § 143 MarkenG in einen neu zu schaffenden Abschnitt „Schutz gewerblicher Schutzrechte und des Urheberrechts“ eingestellt werden könnte) und mit einem dem § 108a UrhG vergleichbaren Qualifikationstatbestand für die gewerbsmäßige (und zusätzlich: bandenmäßige!) Begehung zu versehen (wobei hier auch eine Straferhöhung auf Strafzumessungsebene mittels besonders schwerer Fälle bei gleichzeitiger Auflistung von Regelbeispielen denkbar wäre).46 Obwohl § 106 UrhG zivilrechtsakzessorisch ausgestaltet ist, enthält der Tatbestand auch in seiner bisherigen Fassung keine ausdrücklichen Blankettverweise auf bestimmte Normen des UrhG und könnte daher ohne größere Änderungen ins StGB übernommen werden. Darüber hinaus käme höchstens noch § 108 UrhG für eine Aufnahme ins StGB in Frage, möglicherweise mit § 106 UrhG zusammengefasst in einer Strafvorschrift, wie dies auch der Vorschlag von Ahrens/McGuire für ein „Modellgesetz für das geistige Eigentum“ vorsieht.47 Hier wäre allerdings eine Änderung des Gesetzestextes insoweit erforderlich, als die konkreten Verweisungen in § 108 UrhG gestrichen und durch eine Umschreibung der jeweiligen Tatmodalitäten ersetzt werden müssten. Dies wäre zwar technisch umsetzbar, würde aber zu einer gewissen Aufblähung des Normtextes der Strafvorschrift führen. Zudem würde durch eine entsprechende Zusammenfassung in einer Strafvorschrift der Unterschied zwischen dem Urheberrecht und den jeweiligen Leistungsschutzrechten verwischt bzw. eingeebnet. Inwieweit eine solche Gleichstellung sinnvoll und erstrebenswert ist, ist jedoch fraglich, letztlich aber eine politische Entscheidung.48 Unter Berücksichtung
46 Dieses Verfahren bietet sich allerdings nur an, wenn man den Grundtatbestand des § 106 UrhG in der vorliegenden Form beibehalten möchte und keine grundsätzliche Entkriminalisierung nichtgewerbsmäßiger Urheberrechtsverletzungen anstrebt (vgl. hierzu bereits im vorigen Abschnitt). 47 Ahrens/McGuire, Modellgesetz für Geistiges Eigentum, Normtext und Begründung, 2012, 1. Buch § 67. 48 Bereits nach geltendem Recht ist die Existenz der Strafnorm des § 108 UrhG umstritten; für eine Streichung Fromm/Nordemann/Vinck, Urheberrecht. Kommentar zum Urheberrechtsgesetz und zum Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, 9. Aufl. 1998, § 108; Lampe, UFITA 83 (1978), 15 (35 f., 61); ders., UFITA 87 (1980), 107 (120 f.); Weber (Fn. 1), S. 382 ff.; ders., FS Sarstedt, 1981, S. 379 (386 ff.); ders., FuR 1980, 335 (344); für eine Beibehaltung Flechsig, GRUR 1978, 287 (290 f.); ders., UFITA 84 (1979), 356 (358); Loewenheim/Flechsig, Handbuch des Urheberrechts, 2. Aufl. 2012, § 90 Rn. 94; Rochlitz, UFITA
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einer schlanken Fassung der Vorschrift im StGB wäre insoweit allerdings lediglich eine Überführung der bisherigen §§ 106, 108a UrhG ins Strafgesetzbuch zu begrüßen.
83 (1978), 69 (81 ff.); ders., FuR 1980, 351 (357); Spautz, FuR 1978, 743 (748); differenzierend nach verschiedenen Tatbeständen Hildebrandt, Die Strafvorschriften des Urheberrechts, 2001, S. 530 ff.; kritisch auch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 741.
Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern lähmt Reform des Jugendschutzes Hans Joachim von Gottberg Regulierungen zum Jugendschutz in den Medien finden sich derzeit im Jugendschutzgesetz (JuSchG) und im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Das JuSchG, ein Bundesgesetz, regelt den Jugendschutz auf Trägermedien (Kino, DVD, Computerspiele), der JMStV für elekronisch verbreitete Medien (Fernsehen und Internet). Das Ziel der Jugendschutzgesetze besteht darin, Medieninhalte, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“ (§ 5 Abs. 1 JMStV), mit gesetzlichen Vertriebsbeschränkungen zu belegen, die verhindern oder erschweren sollen, dass sie Jugendlichen zugänglich sind. Im Bereich der Trägermedien sind Inhalte (Filme, Werbefilme, auf DVD veröffentlichte Fernsehprogramme, Computerspiele) nur für Erwachsene frei zugänglich (§ 11 Abs. 1 bzw. § 12 Abs. 1 JuSchG). Sollen sie Jugendlichen zugänglich gemacht werden, benötigen sie eine Altersfreigabe der Obersten Landesjugendbehörden der Länder (OLJB), die aufgrund einer Ländervereinbarung mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und im Bereich der Computerspiele mit der UnterhaltungssoftwareSelbstkontrolle (USK) zusammenarbeiten (Co-Regulierung). Die OLJB entsenden einen ständigen Vertreter als Vorsitzenden in die Prüfausschüsse von FSK und USK, wodurch die Altersfreigaben zum Verwaltungsakt werden. Das Gesetz verpflichtet Kinobetreiber und Händler, die Altersfreigaben einzuhalten. Im Bereich des Fernsehens und des Internet ist eine solche Kontrolle von Altersfreigaben nicht möglich. Deshalb knüpft der JMStV an die Lebensgewohnheiten von jungen Menschen an und erlaubt die Ausstrahlung von entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten erst im Spätabend- (frei ab 16 Jahren: 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr) bzw. im Nachtprogramm (keine Jugendfreigabe: 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr). Liegt für einen Inhalt eine Freigabe nach dem Jugendschutzgesetz vor, so muss diese entsprechend beachtet werden (§ 5 Abs. 4 JMStV). Darüber hinaus listet das Gesetz eine Reihe von Bestimmungen auf, nach denen bestimmte Inhalte sowohl im Fernsehen als auch im Internet völlig unzulässig sind (§ 4 Abs. 1 JMStV). Dazu zählen unter anderem Bestimmungen des Strafrechts zur Verbreitung von Pornographie (§ 184
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Strafgesetzbuch (StGB)) und gewaltverherrlichenden Darstellungen (§ 131 StGB). Zuständig für die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen nach dem JMStV ist die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), ein Organ der Landesmedienanstalten (§ 14 JMStV). Das Gesetz bietet den Anbietern die Möglichkeit zur Gründung von Selbstkontrolleinrichtungen, die, vorausgesetzt, sie erfüllen bestimmte Kriterien (§ 19 Abs. 3 JMStV), von der KJM anerkannt werden und für ihre Mitglieder Jugendschutzbestimmungen weitgehend eigenständig durchsetzen können. Für das private Fernsehen wurde die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) am 01.08.2003, für das Internet die Freiwillige Selbstkontrolle Multimediadienste-Anbieter (FSM) am 25.10.2005 anerkannt. Wird ein Fernsehprogramm der FSF vor der Ausstrahlung zur Prüfung vorgelegt, so kann die KJM im Nachhinein nur anders entscheiden, wenn ein fachlich begründbarer Beurteilungsspielraum überschritten ist (§ 20 Abs. 3 JMStV). Da eine Vorprüfung im Internet nicht durchsetzbar ist, gilt der Beurteilungsspielraum der FSM auch dann, wenn sich ein Inhalt bereits im Netz befindet (§ 20 Abs. 5 JMStV). Faktisch sind die Beurteilungskriterien der Selbstkontrollen und der Aufsicht sehr ähnlich, auch wenn es in Einzelfällen aufgrund des subjektiven Bewertungscharakters zu Abweichungen kommt.1 Einen wesentlichen Unterschied macht allerdings die Tatsache, dass es sich bei Entscheidungen nach dem Jugendschutzgesetz durch die Beteiligung der OLJB um abschließende Verwaltungsakte handelt, während Entscheidungen der Selbstkontrollen nach dem JMStV dem Vorbehalt einer Nachprüfung durch die KJM unterliegen (regulierte Selbstregulierung). Für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gelten die Bestimmungen des JMStV ebenfalls, allerdings unterliegt es nicht der Aufsicht durch die KJM, sondern wird durch die internen Gremien (Fernsehrat, Rundfunkrat) kontrolliert (§ 9 Abs. 1 JMStV). Zu alledem gibt es noch die Möglichkeit, entwicklungsgefährdende Inhalte auf die Liste der jugendgefährdenden Medien zu setzen (Indizierung), was eine sehr weitgehende Vertriebsbeschränkung zur Folge hat. Zuständig dafür ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Indizierte Medien dürfen nicht beworben und nicht im Fernsehen ausgestrahlt werden. Fernsehsendungen selbst können allerdings aufgrund der Zuständigkeit der KJM nicht indiziert werden. Ansonsten gilt die Indizierung für alle Medien, also auch für Printmedien oder Musik-CDs (§§ 15 bis 26 JuSchG).
1
So auch Gottberg, Gespräch m. Liesching 2011, S. 70–75.
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I. Entscheidung nach Vertriebsweg, nicht nach Inhalt Wenn man davon ausgeht, dass die Beeinträchtigung oder die Gefährdung Jugendlicher durch die Bilder, die Story und die Botschaft eines bestimmten Inhalts entsteht, ist es zweitrangig, über welchen Vertriebsweg ein Jugendlicher Zugang dazu erhält. Der Vertriebsweg ist nur in Bezug auf die faktischen Kontrollmöglichkeiten von Bedeutung. So kann nur im Kino tatsächlich garantiert werden, dass eine Altersfreigabe eingehalten wird, vorausgesetzt, die Einlasskontrolle funktioniert. Bei DVDs kann zwar die Abgabe durch den Handel kontrolliert werden, der Inhalt selber kann aber durch Dritte, zum Beispiel Eltern, ältere Geschwister oder Freunde weitergegeben werden. Dies kann angesichts der digitalen Kopie bei attraktiven Inhalten durchaus relevante Dimensionen annehmen. Wird ein Inhalt über das Fernsehen oder das Internet transportiert, kann nur auf Elternverantwortung oder auf Zeitbeschränkungen gesetzt werden. Die gegenwärtigen Jugendschutzgesetze stellen hingegen nicht zuletzt aufgrund der Kompetenzaufteilung von Bund und Ländern nicht auf den Inhalt, sondern auf den Vertriebsweg ab. Dieser entscheidet, welche Selbstkontrolle und welche Aufsicht zuständig ist. Jeder neue Vertriebsweg hat praktisch ein eigenes Jugendschutzsystem entwickelt, auch wenn es sich um identische Inhalte handelt.
II. Die Reform der Jugendschutzgesetze im Jahre 2003 Bis zum Jahr 2003 war die Situation der Jugendschutzgesetze noch erheblich unübersichtlicher. Neben dem Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG/Vorgänger des Jugendschutzgesetzes) gab es noch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Medien; für das Fernsehen gab es Jugendschutzbestimmungen im Rundfunkstaatsvertrag (RStV), für das Internet gab es entsprechende Bestimmungen im Information- und Kommunikationsdienste-Gesetz (IuKDG, Bund) und im MediendiensteStaatsvertrag (MdStV, Länder). Da die Vertriebswege zunächst andere waren als heute und jede Vertriebsform in der Regel ihre eigenen Inhalte vermittelte, war dies zwar kompliziert, führte aber ansonsten nur zu geringen Abgrenzungsproblemen. Die beginnende Medienkonvergenz, also die Verfügbarkeit fast aller Inhalte über alle Vertriebsformen, änderte dies jedoch bald. Eine wichtige Rolle bei der Reform der Jugendschutzgesetze spielte die Bereitschaft von Bund und Ländern, dabei zusammenzuarbeiten. Ein wesentlicher Baustein war ein im Jahr 2002 zwischen Bund und Ländern verhandeltes Eckpunktepapier, in dem der Bund auf seine Zuständigkeit für den Jugendschutz im Internet verzichtete.2 Ziel der Reform war es, die gesetz2
Vgl. Schuster 2003, S. 3–6.
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lichen Bestimmungen für unterschiedliche Vertriebsformen so weit wie möglich zusammenzufassen. Gleichzeitig wurde vereinbart, die Rolle der Selbstkontrollen zu stärken. Am 1. April 2003 traten zeitgleich das Jugendschutzgesetz (JuSchG) als Bundesgesetz und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder in Kraft. Die Zuständigkeit für Trägermedien (Kinofilme, DVDs, Computerspiele) fiel an den Bund; elektronisch verbreitete Medien (Fernsehen, Internet) fielen hingegen in die Zuständigkeit der Länder. In das JuSchG wurde darüber hinaus eine Vorlagepflicht für Computerspiele aufgenommen. Die USK arbeitet inzwischen ähnlich wie die FSK mit den OLJB zusammen. Das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Medien (GjSM) wurde in das JuSchG integriert, die Jugendschutzbestimmungen des Rundfunkstaatsvertrags, des Mediendienste-Staatsvertrags und des Information- und Kommunikationsdienstegesetzes wurden im JMStV zusammengefasst. Gleichzeitig sollte der JMStV die Bestimmungen für das Fernsehen und das Internet so weit wie möglich vereinheitlichen. Immerhin ist es durch die Reform gelungen, die Jugendschutzbestimmungen aus fünf Gesetzen in zwei Gesetzen zusammenzufassen. Ein einheitliches Gesetz zur Regelung des Jugendschutzes in den Medien war jedoch aufgrund der Kompetenzaufteilung von Bund und Ländern nicht möglich. Außerdem zeigte sich, dass angesichts der rasanten Medienentwicklung die Tendenz von Bund und Ländern, möglichst alle aktuellen Detailfragen im Gesetz zu regeln, dazu führte, dass manche Bestimmungen nach kurzer Zeit nicht mehr relevant waren, weil sich die Probleme erledigt hatten, neuer Regelungsbedarf hingegen nicht prognostiziert wurde. So waren die Gesetze in Teilen bereits überholt, als sie in Kraft traten.
III. Die gescheiterte Reform der Novellierung des JMStV im Jahr 2010 Die Länder begannen 2009 mit der Diskussion einer Novelle des JMStV. Ziel war zum einen, die Durchlässigkeit von Prüfergebnissen der FSK und der FSF zu ermöglichen. Fernsehserien oder Eigenproduktionen der Sender wurden zunehmend parallel auch auf DVD veröffentlicht und sind inzwischen im Internet über die Mediatheken der Sender verfügbar. Die gegenwärtige gesetzliche Regelung führt dazu, dass ein Sender den gleichen Film zunächst für die Fernsehausstrahlung bei der FSF vorlegen und praktisch zur selben Zeit für die DVD-Auswertung bei der FSK prüfen lassen muss. Dies bedeutet nicht nur unnötige Doppelprüfungen, sondern auch erhebliche Rechtsunsicherheiten. Da § 5 Abs. 2 JMStV die Altersfreigabe der FSK an bestimmte Sendezeitbeschränkungen bindet, wird die Freigabe der FSF, die möglicherweise unter Schnittauflagen zu einem günstigeren Ergebnis ge-
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kommen ist, rechtlich ungültig. Im umgekehrten Fall wird eine Sendezeitbeschränkung durch die FSF zum Beispiel ab 22.00 Uhr rechtlich aufgehoben, wenn die FSK den gleichen Film ab zwölf Jahren freigibt.3 Dies kommt angesichts der subjektiven Komponente von Prüfentscheidungen gerade bei Grenzfällen häufiger vor. Deshalb sollten einmal durch eine Selbstkontrolle getroffene Prüfergebnisse auch für alle anderen Vertriebsformen Gültigkeit erlangen. Ein weiteres wichtiges Ziel bestand darin, die Einsatzmöglichkeiten von Filterprogrammen im Internet zu verbessern. Es herrschte Einigkeit darüber, dass dieselben Inhalte, die im Kino, auf DVD und im Fernsehen erheblichen Jugendschutzbeschränkungen unterworfen waren, im Internet, das vor allem von Jugendlichen immer mehr genutzt wird, frei verfügbar sein dürfen.4 Dies ist vor allem auch wichtig, weil mit dem Begriff „Hybridfernsehen“ die Vertriebswege in einem Gerät zusammenwachsen und dadurch der Jugendschutz davon abhängt, welchen Zugangsknopf man betätigt.5 Anbieter sollten die Möglichkeit zur Selbstkennzeichnung erhalten, die für das Internet zuständige FSM sollte dies durch die Bereitstellung von Selbstklassifizierungsprogrammen qualitativ unterstützen. Internetportale und im Netz verfügbare Videos sollten technisch gekennzeichnet, von einem Filterprogramm ausgelesen und so für jüngere Kinder je nach Einstellung durch die Eltern gesperrt werden können. So hätten Privatanbieter und kleinere kommerzielle Anbieter eine einfache und kostengünstige Möglichkeit gehabt, ihre Angebote zu kennzeichnen und gegenüber jüngeren Altersgruppen zu sperren.6 Gegen diesen Plan richtete sich bald der Zorn zahlreicher Internetaktivisten und Blogger, die darin das Ende der Freiheit des Netzes sahen.7 Zwar wurde der geplante Staatsvertrag von den Ministerpräsidenten der Länder im Juli 2010 unterzeichnet, er musste jedoch durch alle Landesparlamente verabschiedet werden. Kurz vor seinem geplanten Inkrafttreten am 1. Januar 2011 scheiterte er an der Ablehnung durch den Landtag von Nordrhein Westfalen. Die FDP und die Linke kündigten an, gegen den Staatsvertrag zu stimmen, aber auch Abgeordnete der CDU hatten sich der Kritik der Netzaktivisten angeschlossen.8
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Ausführlicher Gottberg in: Wandtke 2011, Rz. 284. Vgl. Liesching 2011, S. 82–85. So Gottberg, Gespräch m. Grewenig, 2011, S. 43–47. Vgl. Pressemitteilung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). So Gottberg, Gespräch m. Scholz, 2011, S. 34–37; Ertelt/Freude, 2011, S. 38–39. Vgl. Gottberg, Gespräch m. Jarzombek, 2011, S. 44–49.
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IV. Wie geht es weiter? Die Länder beeilten sich, eine rasche Bearbeitung der gescheiterten Novelle in Aussicht zu stellen, die die Sorgen der Netzaktivisten berücksichtigen sollte.9 Allerdings ist die Sorge zu groß, auch eine weitere Novelle des JMStV könnte scheitern. Im April 2012 kündigte der Bund überraschend an, das Jugendschutzgesetz zu novellieren.10 Ziel sei es, Altersfreigaben von FSK und USK auf das Internet zu erweitern. Inzwischen wurde diese Absicht jedoch zurückgenommen, da die Erweiterung der Zuständigkeit des JuSchG die in dem Eckpunktepapier aus dem Jahr 2002 vereinbarte Zuständigkeit der Länder für Jugendschutz im Internet verletzt hätte. Diese komplizierte Gemengelage wird vermutlich dazu führen, dass sowohl die Institutionen des Jugendschutzes als auch die Anbieter auf unabsehbare Zeit mit gesetzlichen Vorgaben werden leben müssen, die auf die tatsächliche mediale Entwicklung nicht mehr passen. Literatur: Ertelt, Jürgen/Freude, Alvar: Oberstes Gebot – Medienkompetenz fördern. In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 38–39; Gottberg, Joachim von: Unterschiedliche Regulierung für Inhalte aus demselben Gerät. (Ein Gespräch mit Gespräch mit Claus Grewenig). In: tv diskurs Heft 2/2011 (Ausgabe 56), S. 43–47; ders.: Geteilter Jugendschutz. Die Prüfinstitutionen und ihre Kriterien. (Ein Gespräch mit Marc Liesching). In: tv diskurs Heft 3/2011 (Ausgabe 57), S. 70–75; ders.: Unwirksam und überflüssig. Filtersysteme im Internet können Erziehung nicht ersetzen. (Ein Gespräch mit Christian Scholz). In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 34–37; ders.: Realitäten anerkennen. Technische Lösungen allein können Jugendschutz im Netz nicht gewährleisten. (Ein Gespräch mit Thomas Jarzombek). In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 44–49; ders.: Diskussion um einen modernen Jugendmedienschutz. Bedenken werden ernst genommen. (Ein Gespräch mit Martin Stadelmaier). In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 26–29; ders.: In: Wandtke, Artur-Axel, Medienrecht Praxishandbuch, Band 4, Kapitel 4, (2011), S. 393–476; Liesching, Marc: Freigaben mit begrenzter Wirkung. Möglichkeiten und Grenzen gesetzlicher Regelungen im Jugendschutz. In: tv diskurs Heft 4/2011 (Ausgabe 58), S. 82–85; Schuster, Susanne: Anmerkungen zum Jugendschutzgesetz (Vortrag anlässlich des Jugendmedienschutzkongresses am 15./16. September 2003 in Potsdam). In: BPjM Aktuell – Amtliches Mitteilungsblatt der BPjM, 4/2003, S. 3–6.
9
Dazu Gottberg, Gespräch m. Stadelmaier, 2011, S. 26–29. So Pressemitteilung d. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend v. 13.04.2012. 10
Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern
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Pressemitteilungen Kommission für Jugendmedienschutz (KJM); Pressemitteilung vom 06.12.2012 (27/2010) KJM-Diskussion zum neuen JMStV: „Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit der Kennzeichen essenziell.“ http://www.kjm-online.de/de/pub/aktuelles/pressemitteilungen/pressemitteilungen_2010/pm_272010.cfm Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Pressemitteilung vom 13.04.2012 Kristina Schröder: „Eltern brauchen bessere Rahmenbedingungen zum Schutz ihrer Kinder bei Online-Filmen und Online-Spielen“ http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Presse/pressemitteilungen,did=185714.html
Generika im Transit: Welche Neuerungen bringt die geplante Reform der Grenzbeschlagnahme-Verordnung? Marcus von Welser I. Einleitung Ein effektives Instrument zur Bekämpfung der Marken- und Produktpiraterie ist die Beschlagnahme von Piraterieware durch die Zollbehörden. Nach einer im Juli 2012 von der Europäischen Kommission veröffentlichten Statistik wurden im Jahr 2011 mehr als 90.000 Beschlagnahmefälle in der Europäischen Union gemeldet.1 Im Jahr 2009 waren es etwas über 43.000 Fälle. Die Zahl hat sich somit seit 2009 mehr als verdoppelt. Die Anzahl der sichergestellten Artikel lag im Jahr 2011 bei 114 Millionen Artikeln. Mit rund 24% stellten Arzneimittel dabei einen großen Anteil der beschlagnahmten Waren. Zu unterscheiden sind das Verfahren nach der europäischen Grenzbeschlagnahmeverordnung (Grenzbeschlagnahme-VO) und die Verfahren nach den mitgliedstaatlichen Bestimmungen der jeweiligen EU-Länder. Die Grenzbeschlagnahme-VO findet insbesondere Anwendung, wenn schutzrechtsverletzende Waren aus Drittländern in den zollrechtlich freien Verkehr der Europäischen Union eingeführt werden.2 Soweit die Grenzbeschlagnahme-VO unmittelbar anwendbar ist, hat sie als unionsrechtliche Regelung Vorrang vor nationalen Bestimmungen.3 Werden an den Binnengrenzen innerhalb der EU Waren bei der Einfuhr aus anderen EU-Mitgliedsstaaten angehalten, so richten sich diese Beschlagnahmen nach den mitglied-
1 Report on EU customs enforcement of intellectual property rights. Results at the EU border – 2011, abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ec.europa.eu/taxation_ customs/resources/documents/customs/customs_controls/counterfeit_piracy/statistics/ 2012_ipr_statistics_en.pdf. 2 Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen. 3 Vgl. von Welser/González, Marken- und Produktpiraterie, 2007, Rn. 260.
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staatlichen Vorschriften. Praktisch relevant werden die mitgliedstaatlichen Vorschriften beispielsweise bei Hinterlandkontrollen durch mobile Kontrollgruppen.
II. Bestehende Grenzbeschlagnahme-VO 1. Anwendungsbereich Ein auf die Grenzbeschlagnahme-VO gestützter Grenzbeschlagnahmeantrag kann wegen Verletzung von eingetragenen Marken, Geschmacksmustern, Urheberrechten, Patenten, ergänzenden Schutzzertifikaten für Arzneiund Pflanzenschutzmittel, Ursprungsbezeichnungen, geografischen Herkunftsangaben und Sortenschutzrechten gestellt werden. Nicht in den Anwendungsbereich der Grenzbeschlagnahme-VO fallen beispielsweise Gebrauchsmuster und Parallelimporte, deren Beschlagnahme derzeit allein in einigen mitgliedstaatlichen Bestimmungen geregelt ist. Die Zollbehörden können insbesondere bei der Einfuhr, der Ausfuhr und der Durchfuhr von Waren tätig werden. Die Möglichkeit zum Tätigwerden besteht daneben beispielsweise auch bei der Ausstellung von zur vorübergehenden Verwendung bestimmten Waren auf Messen.4 2. Verfahren Das Verfahren beginnt in aller Regel mit der Antragstellung durch den Rechtsinhaber. Nach der Stattgabe dieses Antrags können die Zollstellen sämtliche Waren zurückhalten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Schutzrechte verletzen.5 Die Grenzbeschlagnahme-VO regelt allein das Handeln der Zollbehörden. Ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt, entscheidet sie nicht. Wenn zwischen den Parteien Uneinigkeit besteht, kann dies nur durch ein Gerichtsverfahren geklärt werden. Nach dem Anhalten der Waren unterrichtet die Zollstelle den Rechtsinhaber sowie den Anmelder oder den Besitzer der Waren. Der Rechtsinhaber erhält dann die Möglichkeit, die Waren zu untersuchen. Die Zollstelle teilt ihm Name und Anschrift der beteiligten Personen (Empfänger, Versender, Anmelder und Besitzer der Waren) sowie Ursprung und Herkunft der Waren mit. Stellt der Rechtsinhaber fest, dass eine Verletzung vorliegt, so kommen zwei Verfahrensarten in Betracht, nämlich das Regelverfahren (Gerichts-
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Rinnert/Witte GRUR 2009, 29, 30. Wurde die Zollanmeldung bereits angenommen, so spricht man von einer Aussetzung der Überlassung/AdÜ (v. Welser EWS 2005, 202, 206). Aus Vereinfachungsgründen wird hier lediglich die Zurückhaltung der Waren erwähnt. 5
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verfahren) und das vereinfachte Verfahren. Beim Regelverfahren muss der Antragsteller innerhalb von 10 Tagen nach Eingang der Benachrichtigung über die Zurückhaltung der Waren ein Gerichtsverfahren einleiten. Anderenfalls überlässt die Zollstelle dem Verfügungsberechtigten (Anmelder, Besitzer oder Eigentümers der Waren) die Waren wieder. Die Frist von 10 Arbeitstagen kann auf begründeten Antrag um 10 weitere Arbeitstage verlängert werden. Will der Rechtsinhaber ein Gerichtsverfahren einleiten, hat er also maximal 20 Arbeitstage Zeit. Statt eines Gerichtsverfahrens kann der Antragsteller auch das – in der Praxis vorrangige – vereinfachte Verfahren wählen. Dabei reicht es aus, wenn eine Zustimmung des Verfügungsberechtigten zur Vernichtung vorliegt. Voraussetzung der Vernichtung der Waren im vereinfachten Verfahren ist, dass der Rechtsinhaber den Zollbehörden innerhalb von 10 Arbeitstagen nach Benachrichtigung schriftlich mitteilt, dass die Waren ein Schutzrecht verletzen und den Behörden die schriftliche Zustimmung des Verfügungsberechtigten zur Vernichtung der Waren übermittelt. Auch diese Frist von 10 Arbeitstagen kann auf begründeten Antrag um 10 weitere Arbeitstage verlängert werden. Herzstück der Grenzbeschlagnahme-VO ist die Zustimmungsfiktion. Die Zustimmung gilt danach als erteilt, wenn der Verfügungsberechtigte eine Vernichtung der Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist nicht ausdrücklich ablehnt. Widerspricht der Verfügungsberechtigte, muss der Rechtsinhaber ein Gerichtsverfahren einleiten, wenn er die Freigabe der Waren verhindern will. 3. Durchfuhr Besonders umstritten war lange Zeit die Behandlung von Waren, die im Wege des Transits zwischen zwei Drittstaaten durch einen EU-Mitgliedstaat durchgeführt werden. Die Zollbehörden können solche Waren grundsätzlich aufhalten.6 Von der Frage, ob die Grenzbeschlagnahme-VO die Durchfuhr erfasst, ist allerdings die – nach der Rechtsprechung grundsätzlich zu verneinende 7 – Frage zu trennen, ob die reine Durchfuhr als Schutzrechtsverletzung zu werten ist.8 Für Streit sorgte die Praxis der Zollbehörden in Belgien und in den Niederlanden, sogenannte Generika, also mit einem entsprechenden Original-
6 EuGH GRUR 2004, 501 – Rolex; EuGH GRUR Int. 2000, 748 – Polo (hierzu Braun/ Heise GRUR Int. 2001, 28, 30 ff.) 7 Vgl. EuGH GRUR 2006, 146 – Class International; BGH GRUR 2007, 876 – Diesel II; BGH GRUR 2007, 875 – Durchfuhr von Originalware; Österreichischer OGH GRUR Int. 2011, 762, 763 – Diesel-Uhren; BGH, Urteil vom 25. April 2012, Aktenzeichen I ZR 235/10 – Clinique happy. 8 Rinnert/Witte GRUR 2009, 29, 30.
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präparat wirkstoffgleiche Arzneimittel, die weder im Herstellungs- noch im Bestimmungsland, sondern nur im Transitland unter Patentschutz standen, anzuhalten.9 Wiederholt hatte der niederländische Zoll in Indien hergestellte und für Brasilien bestimmte Arzneimittel beschlagnahmt, die in beiden Ländern patentfrei, in den Niederlanden hingegen geschützt waren. Diese Praxis berief sich auf die sogenannte „Herstellungsfiktion“, welche die Frage der Schutzrechtsverletzung so beurteilen wollte, als seien die beanstandeten Waren im Transitstaat hergestellt worden.10 Die welthandelsrechtliche Beurteilung ist nicht eindeutig. Fußnote 13 zu Art. 51 TRIPs bestätigt zwar das Einvernehmen der Vertragsstaaten, dass keine Verpflichtung besteht, die Grenzbeschlagnahme auf Waren im Transit anzuwenden und erlaubt den Umkehrschluss, dass die Vertragstaaten an einer entsprechenden Regelung nicht gehindert sind.11 Allerdings sprechen eine Reihe Gründe gegen die Praxis der niederländischen Zollbehörden. So verweist Fußnote 14 zu Art. 51 TRIPs bei den Definitionen der nachgeahmten Markenwaren (counterfeit trademark goods) und der unerlaubt hergestellten urheberrechtlich geschützten Waren (pirated copyright goods) auf das Recht des Einfuhrlandes. Zudem macht die auf der WTO-Konferenz in Doha im November 2001 verabschiedete Erklärung zum Thema „TRIPs und öffentlichen Gesundheit“ deutlich, dass die Vertragsstaaten den Zugang zu Medizin als wesentlich für die öffentliche Gesundheit im Sinne des Art. 8 TRIPs ansehen.12 Darüber hinaus garantiert Art. V Abs. 2 GATT die Transitfreiheit.13 Die deutsche Literatur sprach sich überwiegend gegen die Anwendung einer solchen „Herstellungsfiktion“ aus.14 Diese Auffassung hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 2011 in den beiden verbundenen Verfahren Philips und Nokia bestätigt.15 Die beiden Verfahren betrafen zum einen die Frage, wie das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung in zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren, zu denen unter anderem die Durchfuhr 9 Vgl. Abbott, Seizure of Generic Pharmaceuticals in Transit Based on Allegations of Patent Infringement: A Threat to International Trade, Development and Public Welfare, WIPO Journal 2009 (Band 1) S. 43 ff.; Dounis, Enforcing Intellectual Property Rights via EU Border Regulations: Inhibiting Access to Medicine or Preventing Counterfeit Medicine? Brooklyn Journal of International Law 2011 (Band 36) S. 717 ff.; Kumar EIPR 2010, 506. 10 Zur Begründung verwiesen deren Befürworter auf Erwägungsgrund 8 der Grenzbeschlagnahme-VO (vgl. Vrins/Schneider, Enforcement of Intellectual Property Rights through Border Measures, Oxford, 2012, Rn. 5.221). 11 Busche/Stoll/Vander Art. 51 TRIPs Rn. 11. 12 Vgl. Rott GRUR Int. 2003, 103; Herrmann EuZW 2002, 37. 13 Kumar EIPR 2010, 506 ff.; Heath IIC 2010, 881, 902. 14 Vgl. Rinnert GRUR Int. 2011, 901; Heath IIC 2010, 881, 893; Jaeger/Grosse RuseKhan/Drexl/Hilty IIC 2010, 674; jeweils mit weiteren Nachweisen. 15 EuGH GRUR Int. 2012, 134 – Philips.
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zählt, zu beurteilen ist. Zum anderen ging es um die zeitlich vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zollbehörden in derartigen Konstellationen tätig werden dürfen. Von der Befugnis zur Zurückhaltung der Ware, für die ein Verdacht ausreicht, ist die Prüfung der tatsächlichen Schutzrechtsverletzung zu trennen.16 Der EuGH entschied entsprechend zugunsten einer zweistufigen Prüfung. Um die Waren zurückzuhalten, müssen im Einzelfall Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht der Schutzrechtsverletzung begründen (1). Solche Anhaltspunkte liegen etwa vor, wenn die Bestimmung der Waren nicht genannt wird, wenn genaue oder verlässliche Informationen über die Identität oder die Anschrift des Herstellers oder des Versenders der Waren fehlen, wenn es an einer Zusammenarbeit mit den Zollbehörden mangelt oder wenn Unterlagen aufgefunden werden, die vermuten lassen, dass die Waren zu Verbrauchern in der EU umgeleitet werden könnten. Die Feststellung einer Schutzrechtsverletzung hingegen setzt mehr voraus, nämlich nicht nur das Vorliegen von Anhaltspunkten, sondern tatsächliche Nachweise für eine Verletzung (2). Erforderlich ist der Nachweis, dass die Waren dazu bestimmt sind, in der EU in den Verkehr gebracht zu werden. Dies wiederum ist insbesondere dann der Fall, wenn die Waren bereits an Kunden in der EU verkauft, diesen angeboten oder diesen gegenüber beworben wurden. Die auch von niederländischen Gerichten vertretene „Herstellungsfiktion“ hatte Indien und Brasilien veranlasst, WTO-Streitbeilegungsverfahren gegen die EU und die Niederlande einzuleiten.17 Inzwischen wurde eine Verständigung mit Indien dahingehend erreicht, dass die Grenzbeschlagnahme eine erhebliche und belegbare Wahrscheinlichkeit voraussetzt, dass die Ware in der EU auf den Markt gelangen wird. Die EU-Kommission veröffentlichte Anfang 2012 Leitlinien zur Grenzbeschlagnahme in Transit-Fällen.18 Diese enthalten allerdings wenig mehr als das EuGH-Urteil in den verbundenen Verfahren Philips und Nokia.
16 Walter/v. Lewinski/Walter, European Copyright Law, Oxford, 2010, Rn. 14.1.17; von Welser/González, Marken- und Produktpiraterie, 2007, Rn. 279. 17 Mercurio, Seizing Pharmaceuticals in Transit: Analysing the WTO Dispute that wasn’t, International and Comparative Law Quarterly 2012 (Bands 61) S. 389, abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ssrn.com/abstract=2152457; Bonadio/Cantore, Seizures of In-Transit Generics at the EU Borders: India and Brazil v. The EU, European Journal of Risk Regulation, 2010 (Band 1) S. 404, abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ssrn.com/abstract=1945255. 18 Europäische Kommission, Leitlinien der Europäischen Kommission zur Durchsetzung durch die EU-Zollbehörden von Rechten geistigen Eigentums bei der Durchfuhr von Waren, insbesondere Medikamenten, durch die EU, abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/customs/customs_ controls/counterfeit_piracy/legislation/guidelines_on_transit_de.pdf.
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III. Verordnungsvorschlag Am 24. Mai 2011 legte die EU-Kommission – gestützt auf Art. 294 Abs. 2 und Art. 207 AEUV – einen Vorschlag für eine neue Verordnung zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums durch die Zollbehörden vor.19 Das Europäische Parlament billigte den Kommissionsentwurf mit einigen Änderungen in erster Lesung am 3. Juli 2012.20 Am 10. Januar 2013 hat der Rat der Europäischen Union einen überarbeiteten Vorschlag veröffentlicht, der eine Reihe von Änderungen enthält. Während etwa der Kommissionsvorschlag eine Einbeziehung von Parallelimporten vorsah, werden diese und sogar Factory Overruns21 vom Anwendungsbereich nun gänzlich ausgenommen. Der Kommissionsvorschlag übernahm die schon in der bestehenden Grenzbeschlagnahme-VO und im TRIPs-Übereinkommen enthaltene Unterscheidung zwischen nachgeahmten/unerlaubt hergestellten Waren einerseits und sonstigen Schutzrechtsverletzungen andererseits. Er definierte – entsprechend der bestehenden Grenzbeschlagnahme-VO – als nachgeahmte Waren (counterfeit) solche, die bestimmte Kennzeichenrechte verletzen22 und als unerlaubt (pirated) hergestellte Waren solche, die Urheber-, Leistungsschutzund Geschmacksmusterrechte verletzen.23 Anders als die bestehende Grenz19 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden, abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/ customs/customs_controls/counterfeit_piracy/legislation/com285_de.pdf. 20 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. Juli 2012 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden (COM(2011)0285 – C7-0139/2011 – 2011/0137(COD)), abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://www.europarl.europa. eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2012-0272+0+DOC+XML+V0// DE. 21 Zur Abgrenzung von Welser/González, Marken- und Produktpiraterie, 2007, Rn. 11. 22 Art. 2 Abs. 5 des Kommissionsvorschlages hatte folgenden Wortlaut: „Nachgeahmte Waren“ sind (a) Waren, die Gegenstand einer eine Marke verletzenden Tätigkeit sind und auf denen ohne Genehmigung eine Marke angebracht ist, die mit der für derartige Waren rechtsgültig eingetragenen Marke identisch oder in ihren wesentlichen Merkmalen nicht von einer solchen Marke zu unterscheiden ist; (b) Waren, die Gegenstand einer eine geografische Angabe verletzenden Tätigkeit sind und auf denen ein Name oder ein Begriff angebracht ist oder die mit einem Namen oder einem Begriff bezeichnet werden, der im Zusammenhang mit dieser geografischen Angabe geschützt ist. 23 Art. 2 Abs. 6 des Kommissionsvorschlages hatte folgenden Wortlaut: „Unerlaubt hergestellte Waren“ sind Waren, die Gegenstand einer ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht oder ein Geschmacksmuster verletzenden Tätigkeit sind und die Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen sind oder solche enthalten und ohne Zustimmung des Inhabers des Urheberrechts oder eines verwandten Schutzrechts oder eines Geschmacksmusters, unabhängig davon, ob es eingetragen ist, oder ohne Zustimmung einer vom Rechtsinhaber im Herstellungsland ermächtigten Person angefertigt werden.
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beschlagnahme-VO wollte der Kommissionsvorschlag aus dieser Unterscheidung ganz erhebliche rechtliche Konsequenzen ziehen. Demgegenüber gibt der Vorschlag des Rates die unterschiedliche Behandlung von nachgeahmten/unerlaubt hergestellten Waren einerseits und sonstigen Schutzrechtsverletzungen andererseits nun wieder auf.24 1. Zustimmungsfiktion a) Kommissionsentwurf Das Problem im Transit befindlicher Generika wurde im Kommissionsvorschlag zunächst dadurch entschärft, dass die Zustimmungsfiktion nur bei nachgeahmten und unerlaubt hergestellten Waren – nicht hingegen bei patentverletzenden Erzeugnissen – anwendbar sein sollte.25 Grund hierfür waren – wie die Kommission in Erwägungsgrund 11 ausführte – die Schwierigkeiten der Zollbehörden, durch reine Sichtprüfung entsprechende Schutzrechtsverletzungen festzustellen. b) Änderungen durch das Europäische Parlament Das Parlament wiederum verschärfte den Vorschlag durch die Erstreckung der Zustimmungsfiktion auf sämtliche Schutzrechtsverletzungen. Art. 20 Abs. 2 des Entwurfes sah dementsprechend auch für andere als für nachgeahmte/unerlaubt hergestellte Waren – also etwa auch für angeblich patentverletzende – eine Zustimmungsfiktion vor.26 Zugleich erweiterte das Parlament den Kommissionvorschlag um einige Regelungen, die sich ausdrücklich mit Generika einerseits und Arzneimittelfälschungen andererseits beschäftigen. So wurde Erwägungsgrund 17 durch das Parlament dahingehend ergänzt, dass Generika, bei denen der Durchgang durch das Zollgebiet der EU nur Teil eines gesamten Weges ist, der außerhalb des Zollgebiets der EU beginnt und endet, nicht zurückgehalten werden dürfen, sofern kein eindeutiger und überzeugender Nachweis vorliegt, dass sie für den Verkauf in der EU bestimmt sind. 24
Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council concerning customs enforcement of intellectual property rights, abgerufen am 16. Januar 2013 unter: http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/13/st05/st05129.en13.pdf. 25 Vrins/Schneider, Enforcement of Intellectual Property Rights through Border Measures, Oxford, 2012, Rn. 5.716. 26 Art. 20 Abs. 2 des vom Parlament geänderten Vorschlags hatte folgenden Wortlaut: „Hat der Anmelder oder der Inhaber der Waren die Zollbehörden, die die Entscheidung über die Aussetzung der Überlassung der Waren oder deren Zurückhaltung getroffen haben, innerhalb der Fristen gemäß Absatz 1 Buchstabe c weder über seine Zustimmung zur Vernichtung noch über seinen Widerspruch gegen die Vernichtung unterrichtet, gehen die Zollbehörden davon aus, dass der Anmelder oder der Inhaber der Waren mit der Vernichtung einverstanden ist.“
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c) Vorschlag des Rates Nach Art. 20 Abs. 1c) des Ratsvorschlags soll die Zustimmungsfiktion auch in Zukunft – wie in der derzeit geltenden Grenzbeschlagnahme-VO – für sämtliche Schutzrechtsverletzungen gelten. Insoweit besteht Übereinstimmung mit dem Vorschlag des Parlaments. Allerdings wurde die vom Parlament vorgeschlagene Ausnahmeregelung für Generika nicht übernommen. Erwägungsgrund 6a des Ratsvorschlags entspricht vielmehr Erwägungsgrund 17 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags.27 2. Beweislastumkehr Ferner führte der durch das Parlament hinzugefügte Art. 16 Abs. 3a – und der nahezu gleichlautende Art. 17 Abs. 3a – eine Beweislastumkehr bei der Durchfuhr von nachgeahmten oder unerlaubt hergestellten Waren ein. Bei Überführung verdächtiger Waren in ein sogenanntes Nichterhebungsverfahren sah Art. 16 Abs. 3a Satz 1 eine Pflicht des Verfügungsberechtigten vor, innerhalb von drei Arbeitstagen nachzuweisen, dass der endgültige Bestimmungsort der Waren außerhalb der EU liegt. Anderenfalls sollten die Zollbehörden davon ausgehen, dass der endgültige Bestimmungsort der Waren in der EU liegt. Erwägungsgrund 10a stellte dabei klar, dass sich diese Regelung nur auf nachgeahmte/ unerlaubt hergestellte Waren bezieht.28 Für Patentver27 Erwägungsgrund 6a des Ratsvorschlages hat folgenden Wortlaut: „Under the „Declaration on the TRIPS Agreement and Public Health“ adopted by the Doha WTO Ministerial Conference on 14 November 2001, the TRIPS Agreement can and should be interpreted and implemented in a manner supportive of WTO Members’ right to protect public health and, in particular, to promote access to medicines for all. Consequently, in line with the Union’s international commitments and its development cooperation policy under Article 208 of the Treaty on the Functioning of the European Union, with regard to medicines, the passage of which across the customs territory of the Union, with or without transshipment, warehousing, breaking bulk, or changes in the mode or means of transport, is only a portion of a complete journey beginning and terminating beyond the territory of the Union, customs authorities should, when assessing a risk of infringement of intellectual property rights, take account of any substantial likelihood of diversion of these goods onto the market of the Union.“ 28 Erwägungsgrund 10a des vom Parlament geänderten Vorschlags hatte folgenden Wortlaut: „Besteht bei Transitwaren der Verdacht, dass es sich um nachgeahmte oder unerlaubt hergestellte Waren handelt, die in der Union durch ein Recht des geistigen Eigentums geschützt sind, sollte es dem Anmelder oder dem Inhaber der Waren obliegen, den Nachweis über den endgültigen Bestimmungsort der Waren zu erbringen. Sofern durch den Anmelder, Inhaber oder Eigentümer der Waren kein eindeutiger und überzeugender gegenteiliger Beweis erbracht wird, sollte der EU-Markt als endgültiger Bestimmungsort der Waren gelten. Die Kommission sollte Leitlinien erlassen, in denen die Kriterien festgelegt sind, nach denen die Zollbehörden das Risiko einer Umleitung der Waren auf den Markt der Union konkret bewerten können, wobei der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung zu tragen ist.“
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letzungen galt dies – aufgrund der Definition von nachgeahmten/unerlaubt hergestellten Waren – also nicht. Diese Beweislastumkehr findet sich im Ratsvorschlag nicht wieder. 3. Kollisionsrechtliche Anknüpfung Schließlich enthielt Art. 3 des Kommissionsentwurfes mit der Überschrift „Anzuwendendes Recht“ die vom Parlament nicht beanstandete, folgende Regelung, die sich ebenfalls im Ratsvorschlag nicht wiederfindet: „Um zu bestimmen, ob die Verwendung von Waren, die in einer der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Situationen angetroffen werden, ein Recht geistigen Eigentums verletzt oder den Verdacht auf Verletzung eines Rechts geistigen Eigentums begründet, sind unbeschadet des Artikels 8 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden, in dem die Waren angetroffen werden.“ Diese – als selbständige Kollisionsnorm formulierte – Vorschrift ließ Art. 8 Rom-II-VO 29 den Vorrang, der grundsätzlich auf das Recht des Schutzlandes verweist und bei gemeinschaftsweit einheitlichen Rechten (Gemeinschaftsmarken, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Gemeinschaftssorten) an den Ort der Verletzungshandlung anknüpft. Entscheidend für die Bestimmung des anzuwendenden Rechts gemäß Art. 8 Abs. 1 Rom-II-VO ist nach der Rechtsprechung das Klagebegehren.30 Der Kläger/Antragsteller wählt das anzuwendende Recht, welches er den Ausführungen seiner Klage-/Antragsschrift zugrunde legt. Eine Missbrauchsmöglichkeit resultiert daraus nicht, da nach Auffassung der Rechtsprechung das Territorialitätsprinzip der willkürlichen Wahl eines günstigen Rechts im Ergebnis entgegensteht. Denn nach dem Territorialitätsprinzip kann ein inländisches Schutzrecht nur durch eine zumindest teilweise im Inland begangene Handlung verletzt werden. Würde der Kläger eine Rechtsordnung wählen, in der keine Verletzung stattfand, so hätte seine Klage keinen Erfolg.31 Gegen diese geplante kollisionsrechtliche Regelung in Art. 3 der Grenzbeschlagnahme-VO wurde unter anderem eingewandt, dass sie zwar vom Wortlaut des Erwägungsgrundes 8 der Grenzbeschlagnahme-VO abweicht,
29 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“). 30 Österreichischer OGH GRUR Int. 2012, 464 – alcom-international.at; BGH GRUR 2007, 691 – Staatsgeschenk; MüKo/Drexl, Band 11, Internationales Immaterialgüterrecht, 5. Auflage, 2010, Rn. 12; Wandtke/Bullinger/v. Welser, Vor §§ 120 ff. UrhG Rn. 3. 31 Vgl. BGH GRUR 2007, 691, 692 f. Rn. 31 – Staatsgeschenk; BGH, Urteil vom 25. April 2012, Aktenzeichen I ZR 235/10, Rn. 17 – Clinique happy.
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aber gleichwohl Raum für die Anwendung der Herstellungsfiktion lasse.32 Diese Meinung verkennt, dass die Rechtsprechung des EuGH auch für die neue Verordnung maßgeblich sein wird. Auch wenn sich die Philips-Entscheidung nicht ausdrücklich mit Erwägungsgrund 8 der bestehenden Grenzbeschlagnahme-VO beschäftigt, bleibt für die weitere Anwendung der Herstellungsfiktion kein Raum. Gleichwohl war Art. 3 des Kommissionsentwurfes wenig geglückt und schlicht überflüssig. Die Streichung durch den Rat ist zu begrüßen. IV. Fazit Die vom Parlament vorgenommene Unterscheidung zwischen Generika einerseits und Arzneimittelfälschungen andererseits war durchaus sachgerecht. Auch die vom Parlament vorgeschlagenen Regelungen im Hinblick auf den umstrittenen Transit waren insgesamt differenzierter und ausgewogener als der nun vorgelegte Vorschlag des Ministerrates. Art. 35a des Ratsvorschlags sieht zwar vor, dass die Kommission drei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung einen Bericht vorlegen soll, der insbesondere den Transit von Arzneimitteln behandelt. Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, dass der Vorschlag des Rates die geäußerten Bedenken von generikaexportierenden und -importierenden Staaten beseitigen kann.
32 Baker, Settlement of India/EU WTO Dispute re Seizures of In-Transit Medicines: Why the Proposed EU Border Regulation Isn’t Good Enough. Northeastern University School of Law Research Paper No. 81-2012 (1. Januar 2012), abgerufen am 30. Oktober 2012 unter http://ssrn.com/abstract=1993034.
Der Erschöpfungseinwand im Pirateriewarenprozess Ilja Czernik
Vertriebssysteme sind Bestandteil der Distributionspolitik eines Unternehmens. Die Entscheidung für ein Vertriebssystem wird durch eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher Faktoren bestimmt. Zu diesen Faktoren zählen auch rechtliche Aspekte, die gerade Markenartikler im Blick behalten sollten. Denn die (kartell-)rechtliche Ausgestaltung des Vertriebssystems kann wesentlichen Einfluss auf einen Pirateriewarenprozess haben. Hierfür soll der nachfolgende Beitrag sensibilisieren.
I. Problemaufriss Im Verletzerprozess gestaltet sich der Nachweis, dass es sich bei der aufgegriffenen Ware um Fälschungen handelt, erfahrungsgemäß oftmals als begründungsaufwendig. Zwar ist grundsätzlich der Verletzer dafür darlegungsund beweisbelastet, dass er Originalware vertreibt.1 Allerdings trifft den Markeninhaber im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast die Verpflichtung, Anhaltspunkte oder Umstände mitzuteilen, nach denen vom Vorliegen von Produktfälschungen auszugehen ist.2 Der einfache Hinweis, dass es sich bei den aufgegriffenen Produkten um Fälschungen handelt, genügt nicht. Wenn auch der Markeninhaber unter seiner sekundären Darlegungslast nicht verpflichtet ist, bspw. die Kodierung seiner SKU-Nummern bis ins letzte Detail aufzuschlüsseln und in diesem Zusammenhang insbesondere nicht gezwungen ist, Betriebsgeheimnisse zu verraten,3 sollte der Vortrag in jedem Fall durch ein Zeugnis von sachkundigen Mitarbeitern oder noch besser ein Parteigutachten unterfüttert werden. Bereits dies kann eine aufwendige und kostenintensive Maßnahme sein. Zumal sie keine 100%ige Sicherheit verspricht. Es gibt durchaus die Auffassung, wonach kein Kodierungssystem den perfekten Fälschungsnachweis liefert.
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BGH GRUR 2012, 626 Rn. 26 – CONVERSE I; KG GRUR-RR 2011, 263, 264. BGH GRUR 2012, 626 Rn. 26 – CONVERSE I. BGH GRUR 2012, 626 Rn. 28 – CONVERSE I.
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Zur Absicherung des Prozesserfolgs behilft man sich deswegen damit, dem Verletzer kumulativ 4 die Befugnis zum Vertrieb von Originalware abzusprechen. In diesem Fall ist der Verletzer gezwungen, darzulegen und zu beweisen, dass die von ihm verkaufte Ware mit Zustimmung des Markeninhabers (durch diesen selbst oder seinen Vertriebspartner)5 in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht worden ist.6 Nur dann kann er sich erfolgreich auf den Erschöpfungseinwand aus § 24 MarkenG/ Art. 13 Abs. 1 GMV berufen. Handelt es sich bei den verkauften Produkten um Fälschungen, gelingt dem Verletzer dieser Nachweis selbstverständlich nicht, weswegen er den Verletzungsprozess verliert, ohne dass es am Ende darauf ankommt, ob er Original- oder Fälschungsprodukte verkauft hat.7 Diese allgemeine deliktische Beweislastregel kann jedoch durch die Ausgestaltung des Vertriebssystems streitentscheidend beeinflusst werden. Hintergrund hierfür ist die Entscheidung stüssy II des BGH aus dem Jahr 2004. Darin hatte der BGH eine Modifikation der allgemeinen Beweislastregel als gerechtfertigt angesehen, wenn durch das Vertriebssystem die Gefahr einer nach Art. 34 AEUV unzulässigen Marktabschottung droht.8 In diesem Fall 4 BGH GRUR 2012, 626 Rn. 20 – CONVERSE I, wo zwar nicht ausdrücklich zur Frage alternative oder kumulative Klagehäufung Stellung genommen wird, sich den Ausführungen des BGH aber implizit entnehmen lässt, dass er von einer kumulativen Klagehäufung ausgeht. Wäre er von einer alternativen Klagehäufung ausgegangen, hätte er nicht explizit offen lassen dürfen, ob der Verletzer Originalprodukte oder Fälschungen vertreibt. Nur diese Einschätzung ist im Übrigen auch mit 14 MarkenG/Art. 13 GMV vereinbar. Danach ist die Verletzung eines Kennzeichens verboten, ungeachtet ob Fälschungen und Importe aus Drittstaaten vertrieben werden. Hierin liegt eine kerngleiche Verletzungshandlung, die einzig ein kumulatives Vorgehen rechtfertigt (so auch Bölling GRUR-RR 2011, 345). Denn in beiden Fällen ist der Unwertgehalt derselbe, nämlich dass der Verletzer Produkte in Umlauf gebracht hat, bei denen es sich nicht um Originalware handelt, die mit Zustimmung des Markeninhabers im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind (BGH GRUR 2012, 626 Rn. 26 – CONVERSE I). Insofern wird der Verletzer bei der Annahme einer kumulativer Klagehäufung auch nicht unverhältnismäßig belastet, worin ein Grund für die alternative Klagehäufung liegt (BGH GRUR 2011, 521 Rn. 11). Das Verteidigungsvorbringen unterscheidet sich beim Vorwurf wegen des Vertriebs von Fälschungen als auch des Vertriebs von Importen aus Drittstaaten nicht. Der Verletzer muss in beiden Fällen nachweisen, dass es sich bei den von ihm vertriebenen Produkten um Originalwaren handelt, die mit Zustimmung des Markeninhabers im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind (BGH GRUR 2012, 626 Rn. 26 – CONVERSE I); a.A. OLG Frankfurt NJOZ 2011, 855. 5 BGH GRUR 2011, 820 Rn. 15 – Kuchenbesteckset; BGH GRUR 1984, 545 – Schamotte-Einsätze. 6 EuGH GRUR 2002, 156 Tz 54 – Zino Davidoff; BGH GRUR 2004, 156, 158 – stüssy II; BGH GRUR 2000, 879, 881 – stüssy. 7 BGH GRUR 2012, 626 Rn. 20 – CONVERSE I. 8 BGH GRUR 2004, 156, 158 – stüssy II; Die Entscheidung stüssy II beruht im Wesentlichen auf Vorgaben des EuGH (GRUR 2003, 512 Tz 41 – Van Doren + Q GmbH), dem der BGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte (BGH GRUR 2000, 879 – stüssy).
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braucht der Verletzer zunächst nicht die Erschöpfung darzulegen. Er kann sich vielmehr darauf beschränken, auf die Gefahr der Marktabschottung hinzuweisen, wenn er die ihn beliefernden Zwischenhändler namentlich benennen würde. Gelingt dem Verletzer dieser Nachweis, ist es am Markeninhaber darzulegen, dass er die Ware außerhalb der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht hat.9 Begründet wird diese Modifikation damit, dass der Markeninhaber andernfalls die durch den Erschöpfungsnachweis erlangten Informationen ausnutzen könne, um seine Vertragshändler anzuweisen, nicht mehr den Verletzer oder die mit diesem zusammenarbeitenden Zwischenhändler zu beliefern.10
II. Vertriebssystem und Marktabschottungsgefahr Ob eine Marktabschottung droht, wird im Wesentlichen durch die Ausgestaltung des Vertriebssystems bestimmt. Im Nachfolgenden soll daher anhand gängiger Vertriebssystem diskutiert werden, welches als zur Marktabschottung geeignet angesehen wird. 1. Ausschließliches Vertriebssystem Die Beweislastmodifikation des BGH greift grundsätzlich im Fall von „ausschließlichen Vertriebssystemen“. Hierunter versteht der BGH ein Vertriebssystem, nach dem es in allen Ländern der europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums jeweils nur einen Alleinvertriebsberechtigten für die Waren des Markeninhabers gibt und es diesem Alleinvertriebsberechtigten untersagt ist, die Waren an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebietes abzugeben.11 2. Selektives Vertriebssystem Streitig ist, ob die Beweislastmodifkation ebenso bei selektiven Vertriebssystemen zur Anwendung kommt. Zu Beginn schien es so zu sein, als sei die Rechtsprechung des BGH nur auf „ausschließliche Vertriebssysteme“ beschränkt. Dies hatte zu der Überlegung geführt, dass die modifizierte Beweislast im Falle von selektiven Vertriebssystemen nicht gelten würde.12 Später hat der BGH jedoch in seiner CON9
BGH GRUR 2004, 156, 158 – stüssy II. BGH GRUR 2012, 630 Rn. 30 – CONVERSE II; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2011, 323, 324. 11 BGH GRUR 2004, 156, 158 – stüssy II. 12 Schöner WRP 2004, 430, 434. 10
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VERSE I Entscheidung klargestellt, dass die Beweislastmodifikation allgemein auf alle Vertriebssysteme (auch auf selektive Vertriebssysteme) Anwendung findet, soweit diese sich dazu eignen, den grenzüberschreitenden Vertrieb der Waren des Markeninhabers zu behindern.13 Dies sei etwa der Fall, wenn es den ausgewählten Vertriebspartnern vertraglich untersagt sei, ihre Produkte an Zwischenhändler außerhalb des Vertriebssystems zu verkaufen.14 Diese Feststellung bedarf meines Erachtens einer Einschränkung, insbesondere wäre es falsch, die Beweislastmodifikation gleichermaßen auf kartellrechtsneutrale und kartellrechtswidrige selektive Vertriebssysteme anzuwenden.15 Richtig ist zwar, dass selektive Vertriebssysteme marktabschottende Wirkung haben können.16 Allerdings zeigt der Verweis von EuGH und BGH auf die Rechtfertigungsnorm des Art. 36 AEUV,17 dass nur solche Marktabschottungen als für den Binnenmarkt schädlich angesehen werden, die nicht gerechtfertigt sind. Hiervon ist bei einem kartellrechtsneutralen selektiven Vertriebssystem jedoch auszugehen, da dieses nicht als schädlicher sondern vielmehr als „gesunder Bestandteil“18 des freien Wettbewerbs angesehen wird.19 Dass in diesem Zusammenhang dem Markeninhaber die Möglichkeit zusteht, seine Vertriebspartner zu überwachen und sogar zu disziplinieren, steht dem nicht entgegen, sondern ist als Wesenskern eines selektiven Vertriebssystems in Kauf zu nehmen,20 weswegen hierin auch kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt. Diese kartellrechtlichen Wertungen müssen aber bei der Auslegung von Art. 34 AEUV analog herangezogen werden.21 Das rechtfertigt sich schon daraus, dass Art. 34 AEUV und Art. 101 Abs. 1 AEUV dasselbe Ziel, den barrierefreien Binnenmarkt, verfolgen. Konsequenterweise hat der EuGH in seiner Entscheidung Pierre Fabre Dermo-Cosmétique Art. 101 Abs. 1
13
BGH GRUR 2012, 626, Rn. 31 – CONVERSE I. BGH GRUR 2012, 626, Rn. 31 – CONVERSE I. 15 A.A. Fiebig GRURPrax 2012, 232. 16 Vgl. dazu die Legaldefinition in Art. 1 lit. e) der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (Vertikal-GVO). 17 EuGH GRUR 2003, 512 Tz 41 – Van Doren + Q GmbH; BGH GRUR 2004, 156, 158 – stüssy II. 18 Immenga/Mestmäcker, EU-Wettbewerbsrecht 5. Auflage 2012, Art. 101 AEUV Rn. 300. 19 Vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen EuGH GRUR Int. 1981, 315 Tz 15 – L Oréal. 20 EUGH GRUR Int 1978, 254 Tz 27 – Metro I. 21 Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union 46. Ergänzungslieferung 2011, Art. 34 Rn. 19, 84. 14
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AEUV anhand der Feststellungen zur Verkehrsfreiheit ausgelegt,22 was ebenfalls den Gleichlauf beider Rechtsinstitute zeigt. Man kann nun aber ein selektives Vertriebssystem nicht einmal unter Art. 34 AEUV als Beschränkung des Binnenmarkts ansehen, wenn gleichzeitig unter Art. 101 Abs. 1 AEUV keine marktabschottende Wirkung festgestellt werden kann. Dies wäre ein nicht hinzunehmender Widerspruch.23 Dieser Widerspruch wird noch größer, wenn man bedenkt, dass der Markeninhaber sogar darauf zu achten hat, dass seine Vertriebspartner sich an die Vorgaben des selektiven Vertriebssystems halten, soll sein Vertriebsrecht kartellrechtskonform sein.24 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass ein Vertriebssystem immer dann keine marktabschottende Wirkung i.S.d. Art. 34 AEUV entfaltet, wenn es unter Art. 101 AEUV als kartellrechtsneutral zu betrachten ist. 3. Vertragshändlersystem Unbedenklich sind Vertragshändlersysteme, in denen es den Lizenznehmern und Vertragshändler frei steht, die Ware an jeden beliebigen Dritten zu veräußern. Dabei reicht es aus, dass es möglich (wenn auch nicht gewünscht) ist, dass diese Dritte sich die Markenprodukte bspw. am Graumarkt besorgen können. Unschädlich ist es in diesem Zusammenhang auch, wenn der Markenartikler seinen Vertragshändlern das Signet „official dealer“ verleiht und diese damit von anderen Händlern abgrenzt.25 Eine Abschottungswirkung tritt bei einem derartigen Vertragshändlersystem schon deswegen nicht ein, da der Verkehr an das Nebeneinander von Vertragshändlern und sonstigen Anbietern gewöhnt ist.26 Für den Verbraucher wird hierüber zudem kein „moralisches“ Hemmnis aufgebaut, das ihn hindert, beim sonstigen Anbieter einzukaufen. Die Kaufentscheidung des Verbrauchers wird nämlich durch den Preis bestimmt.27
22
EuGH GRUR 2012, 844, Tz 44 – Pierre Fabre Dermo-Cosmétique. Schöner WRP 2004, 430, 434. 24 OLG Hamburg WRP 2002, 847; Schöner WRP 2004, 430, 435. 25 BGH GRUR 2012, 626, Rn. 37 f. – CONVERSE I, wo eine Entscheidung des OLG Stuttgart (GRUR-RR 2010, 198), in dem dieses Modell als kritisch angesehen worden war, wieder aufgehoben wurde; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 323, 325. 26 OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 323, 325. 27 OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 323, 325. 23
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III. Vertragliche und faktische Verbote Die Gefahr einer Marktabschottung droht nicht nur bei vertraglichen Belieferungsverboten. Abschottungswirkung droht genauso dort, wo der Vertragshändler zwar in seiner Entschließungsfreiheit, Lieferungen an Außenseiter vorzunehmen, frei ist, ein Ausbruch aus dem Vertriebssystem aber über die Androhung wirtschaftlicher Nachteile verhindert wird.28 Der BGH sieht es hierfür als ausreichend an, dass dem Vertriebspartner, der den Verletzer beliefert, in Aussicht gestellt wird, nach Ablauf der Vertragszeit keine Vertragsverlängerung zu erhalten, der Warenbezug erschwert wird oder sonst wie Druck auf ihn ausgeübt wird.29
IV. Unzulässige Berufung auf Abschottungswirkung Es gibt eine Reihe von Einzelfällen, in denen es entweder an einer relevanten Abschottungswirkung fehlt, wo zumindest aber das Berufen hierauf unzulässig wäre. 1. Wahrheitsbeachtungspflicht Ist dem Verletzer bekannt, dass die Originalwaren nicht mit Zustimmung des Markeninhabers in den EWR gebracht wurden, kann er sich auf die Beweislastmodifikation nicht berufen, da er sonst gegen seine prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO verstoßen würde. 2. Eigenständiges Vorgehen eines Vertriebspartners Keine Abschottungsgefahr begründet das Vorgehen des Generalimporteurs in seinem Vertragsgebiet gegen seine Vertragshändler. Hierin sieht der BGH keinen Beleg dafür, dass dies vom Markeninhaber gewünscht ist. Ist das Vertriebsgebiet darüber hinaus national beschränkt, fehlt es zudem am zwischenstaatlichen Bezug der Abschottung.30 Rein nationale Sachverhalte führen nicht zu einer Modifikation der allgemeinen Beweislastregel.31
28 29 30 31
BGH GRUR 1980, 940, 941 – Taxi-Besitzer-Vereinigung. BGH GRUR 2012, 626, Rn. 35 – CONVERSE I. BGH GRUR 2012, 626, Rn. 38 – CONVERSE I. LG Mannheim Urteil vom 09.02.2010 – 2 O 42/09, BeckRS 2010, 09856.
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3. Geduldete aber nicht erzwungene Praxis Weiter fehlt es an einer Abschottungsgefahr, wenn zwar eine vom Markeninhaber geduldete Praxis der Vertriebsberechtigen besteht, nach der die Waren an keine nichtautorisierten Zwischenhändler weitergegeben werden, dies aber vom Markeninhaber nicht verlangt wird. Hierdurch kommt es zwar zur faktischen Abschottung des Marktes, weil ein Erwerb auf legalem Weg durch das gleichförmige Verhalten der Vertriebsberechtigen nicht möglich sei; es fehlt aber an drohenden Konsequenzen, sollte doch einmal ein Vertriebspartner aus dem faktischen Verbund ausscheren.32 4. Official Dealer Kampagne Keine Abschottung liegt in dem Verhalten des Markenartiklers durch Werbekampagnen, den Verkehr von Richtigkeit des Einkaufs beim offiziellen Vertragshändler zu überzeugen. Das gilt sogar dann, wenn der Markeninhaber eine Atmosphäre geschaffen hat, nach der Produkte, die außerhalb des Vertragshändlernetzes erworben werden, der Ruf des Illegalen anhängt.33 5. Unabhängiges Ausscheiden des Vertriebspartners vor Prozessbeginn Der Verletzer kann sich nur dann auf die Beweislastmodifikation berufen, wenn er die Ware von einem Vertriebspartner erworben hat, auf den der Markeninhaber Einfluss nehmen kann. Daran fehlt es, wenn die Lieferung an den nichtautorisierten Zwischenhändler durch einen Vertriebspartner vorgenommen wurde, der bereits vor dem Prozess aus dem Vertriebssystem des Markeninhabers ausgeschieden ist. Gegen diesen kann der Markeninhaber nicht vorgehen, weswegen es an der Gefahr einer drohenden Marktabschottung fehlt.34 Daran ändert sich nichts, wenn der ausgeschiedene Vertriebspartner Teil einer längeren Lieferkette war und er der einzige war, der sich aus Sicht des Markeninhabers nicht vertragskonform verhalten hat.35 Denn auch in diesem Fall kann der Markeninhaber keine Maßnahmen einleiten, die geeignet sind, den Binnenmarkt zu beschränken. Folglich besteht auch nicht die Gefahr, dass in den zwischenstaatlichen Handel eingegriffen wird. Gerade dies ist aber Rechtfertigung für die Beweislastmodifikation. Ein Bedürfnis die allgemeine Beweislastregel zu modifizieren, besteht dann nicht, wenn die Offenlegung der Lieferkette nicht dazu beitragen kann, die Gefahr einer Marktabschottung zu begründen oder zu verstärken.36 32 33 34 35 36
OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 323, 325. OLG Düsseldorf GRUR-RR 2001, 323, 325. BGH GRUR 2012, 630 Rn. 34 – CONVERSE II. A.A. Hackbarth GRURPRax 2012, 233. BGH GRUR 2012, 630 Rn. 36 – CONVERSE II.
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6. Lieferkette bekannt Diskutiert wird schließlich, ob Marktabschottungsgefahr weiter ausscheidet, wenn dem Markeninhaber die Glieder der Lieferkette bekannt sind.37 Eine Entscheidung braucht diese Frage meines Erachtens nicht. Ist dem Markeninhaber die Lieferkette bekannt, kommt es auf die Frage der Darlegungslast nicht mehr an. Denn ungeachtet der Frage, wer darlegungsbelastet ist, kann der Markeninhaber durch deren Benennung problemlos den Nachweis des Drittimports führen. Es ist dann Sache des Verletzers, das Gegenteil zu beweisen. Dabei muss er aufgrund der ihn zumindest treffenden sekundären Darlegungslast den Gegennachweis voll führen und kann sich nicht darauf beschränken, nur die drohende Gefahr der Marktabschottung vorzutragen.
37
BGH GRUR 2012, 630 Rn. 34 – CONVERSE II; Hackbarth GRURPRax 2012, 233.
6. Medienurheberrecht
Der digitale Urheber Alexander Peukert I. Internet, digitales Urheberrecht und digitaler Urheber Die Zukunft des Urheberrechts in der digitalen Welt ist offener denn je.1 In einem kürzlich erschienenen Beitrag hat Artur-Axel Wandtke die Komplexität dieses Themas ausgeleuchtet und zu den zentralen Streitfragen pointiert Stellung bezogen.2 Wandtke anerkennt das Erfordernis, das Urheberrecht an die technologische Entwicklung anzupassen. Diese Anpassung dürfe aber nicht bedeuten, den Kreativen die Anerkennung für ihre geistige Arbeit zu versagen. Notwendig sei eine Rückbesinnung auf den Kern des Urheberrechts, das durch das Persönlichkeitsrecht des Urhebers geprägt sei und durch ausschließliche Rechte das Selbstbestimmungsrecht des Autors wahre.3 Beiden Schlussfolgerungen des Jubilars ist jedenfalls im Grundsatz beizupflichten. Erstens muss vermieden werden, dass sich die Schere zwischen den urheberrechtlichen Verboten und der Lebenswirklichkeit der digitalen Welt zu weit öffnet. Die Digitalisierung und das Internet machen erfahrbar, dass Werke und andere immaterielle Güter keine knappen Güter sind. Im Netz veröffentlichte Inhalte sind nicht nur potentiell, sondern tatsächlich ubiquitär verfügbar. Die dezentrale Struktur des Netzes versetzt jeden Internetnutzer in die Lage, prinzipiell jeden Inhalt zugänglich zu machen und herunterzuladen. Die Technologie ermöglicht und fördert eine Kultur heterarchischer Informationsgenerierung und -verteilung, die gegen Zugangshindernisse jeder Art gerichtet ist, und zwar sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Rechtlich und technisch uneingeschränkt soll nicht nur der Medienkonsum, sondern vor allen Dingen die aktive Teilhabe an der wirtschaftlichen, politischen und nicht zuletzt kulturellen Kommunikation sein. Aus dieser Warte fungiert das Internet als ein Instrument der globalen kommunikativen Inklusion. Und das ist – trotz und im vollen Bewusstsein
1 Smiers/van Schijndel, No Copyright, 2009 („Die Tage des Urheberrechts sind gezählt.“). 2 Wandtke, Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?, UFITA 2011/ III, 649 ff. 3 A.a.O., 657, 659, 660.
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aller Missbrauchsmöglichkeiten, die das Internet eröffnet – gut so. Auch die schärfsten Kritiker der „Netzideologie“ beeilen sich klarzustellen, dass sie dieses offene Kommunikationsmedium auch und gerade wegen seiner kaum kontrollierbaren Funktionsweise nicht missen mögen.4 Bis zu einem gewissen Grade muss das Urheberrecht daher die normative Kraft des Internets respektieren.5 Insbesondere darf es die Grundstruktur des Netzes nicht durch Per-se-Verbote von Software zum dezentralen Datenaustausch6 oder durch Filterpflichten von Access-Providern untergraben.7 Damit gelangen wir zur zweiten normativen Schlussfolgerung, nämlich der Frage nach dem berechtigten Kern des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Bereits die Rede von einem „Kern“ des Urheberrechts zeigt, dass es offenbar um ein Minus im Vergleich zum derzeitigen Urheberrecht geht, das aus Sicht der Nutzer seit Jahren Kritik erfährt.8 Doch das ist nicht Wandtkes Perspektive. Er fragt vielmehr nach den Belangen des Urhebers, den das Urheberrecht gem. § 11 S. 1 UrhG in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes schützt. Diese Betrachtungsweise rückt das zumindest in Kontinentaleuropa stärkste Rechtfertigungsnarrativ des Urheberrechts ins Zentrum der Diskussion. Die entscheidende Frage lautet dann aber: Welches Leitbild des Urhebers soll das digitale Urheberrecht im 21. Jahrhundert prägen? Die Expansion des Urheberrechts war von der Vorstellung des armen Poeten getragen, der genial, aber fern der Welt auf Hilfe durch Verleger und den Schutz seines „geistigen Eigentums“ angewiesen ist. Dieses romantische Bild9 ist quicklebendig. In ihrem Aufruf „Wir sind die Urheber!“ erklären sich viele Kreative – bezeichnenderweise im Netz – im Kampf gegen den „Diebstahl geistigen Eigentums“ mit Verlagen, Galerien, Produzenten und Verwertungsgesellschaften solidarisch.10 Doch schallt ihnen nicht nur ein „Wir sind die Bürger“ entgegen.11 Ihnen wird sogar die Berechtigung abgesprochen, „die“ Urheber zu repräsentieren: In einem Gegenaufruf „Auch wir sind Urheber/innen!“ distanzieren sich Wortautoren, Fotografen, Musiker und andere Kreative vom romantischen Bild des Autors und seiner Symbiose mit Produzenten.12 Sie machen geltend, im Internet verwischten die Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten. Das Urheberrecht solle es Kulturschaffenden zwar ermöglichen, 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Lanier, You Are Not a Gadget, 2010. Lessig, Future of Ideas, 2001; Benkler, The Wealth of Networks, 2006. BGH I ZR 57/07, 15.01.2009, Rn. 33 – Cybersky. EUGH Rs. C-70/10, 24.11.2011, Rn. 29 ff. – Scarlet Extended. Geiger, Droit d’auteur et droit du public à l’information, 2004. Rose, Authors and Owners, 1993. http://www.wir-sind-die-urheber.de/. http://wir-sind-die-buerger.de/. http://wir-sind-urheber.de/.
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über ihre Schöpfungen selbstverantwortlich zu verfügen, dies müsse jedoch in einem Ausmaß geschehen, das nicht den Interessen der Kulturgemeinschaft insgesamt widerspreche. Die zutreffend betonte Verschmelzung von Urhebern und Nutzern, von Input und Output bei der Informationsteilung im Netz, wird häufig mit Begriffen wie „user generated content“ oder „Prosument“ zum Ausdruck gebracht.13 Diese Redeweisen schreiben indes nur die Diskriminierung alternativer Kreativität im Netz fort. Urheber ist demnach nur, wer im klassischarbeitsteiligen Produktionskontext mit Verlagen etc. agiert. Alle anderen sind „Nutzer“, die die kurzlebige Informationsflut mit kleinen Münzen wie Blogs oder Mashups füttern. Damit bleibt die schlichte und zunehmend erstarrende Konfliktlinie zwischen den Verfechtern „geistigen Eigentums“ und den „anderen“ gewahrt. Doch so zweidimensional ist die Welt nicht mehr. Das Internet hat einen neuen Typus des Urhebers hervorgebracht. Es sind die digitalen Ein- und Nachgeborenen, die im Netz lesen, hören und schauen und ihre aus dieser Quelle inspirierte Kreativität auch wieder in diesem Medium ausleben. Sie bewegen sich von vornherein in einem weltweiten Kommunikationskontext, der sich an Themen und nicht an Staatsgrenzen oder Sprachen orientiert. Sie interagieren ohne Zugangshürden, da sie selbst nur aufgrund der Abwesenheit dieser Hürden an der Kommunikation teilnehmen konnten. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Urheber in einer geglückten Wendung vor kurzem als digitalen Urheber bezeichnet.14 Das gegenwärtige Urheberrecht mit all seinen Leistungsschutzrechten und dem zweiseitig konzipierten Urhebervertragsrecht orientiert sich hingegen noch ganz am analogen Urheber, der im arbeitsteiligen Geschäftsmodell analoger Medien agiert. Solange dieses Leitbild dominiert und das Urheberrecht digitalen Urhebern keine adäquaten Werk- und Wirkbedingungen garantiert, wird über kurz oder lang auch noch die letzte, nämlich die urheberzentrierte Rechtfertigung der ausschließlichen Rechte an Werken hinfällig werden. Der erforderliche Anpassungsprozess aber vollzieht sich nur langsam:
II. Die virtuelle Jukebox und der Flickenteppich der Exklusivität Derzeit legt sich ein Flickenteppich von mehr als 180 nationalen Urheberrechten über das globale Netz. Besonders weitgehende Varianten, namentlich das EU- und US-Urheberrecht, erklären praktisch jeden digitalen Kommunikationsvorgang für urheberrechtlich relevant, weil selbst die vorübergehende Speicherung kleiner und kleinster, jahrzehntelang geschützter Da13 14
Hansen, Warum Urheberrecht?, 2009 (kreativ-schöpferische Werknutzer). BVerfG 1 BvR 1631/08, 30.8.2010, Rn. 66 – Drucker und Plotter.
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tenschnipsel das Vervielfältigungsrecht berührt. Die Vorstellung, dass der Rechtsinhaber im Zusammenspiel von Technik, Vertrag und Urheberrecht jede Datennutzung und also jeden Werkgenuss im Internet kontrollieren und individuell lizenzieren können soll (pay per use), ist die Idealvorstellung des internationalen Urheberrechts.15 Dahinter steht die Vision einer virtuellen, geradezu überirdischen Jukebox, die den Nutzern maximale Auswahl und den Rechtsinhabern maximale Vergütung verspricht.16 Eine solch hierarchisch strukturierte Online-Plattform mit zentraler Zugangskontrolle und individueller Lizenzierung steht aber quer zur Grundstruktur des Netzes und der hieraus erwachsenden sozialen Norm dezentraler Informationsteilung. Angebots- und Nachfrageseite sind prinzipiell geschlossen. Nicht jeder Kreative kann aktiv Inhalte beisteuern, sondern nur diejenigen, mit denen der für die Plattform Verantwortliche kontrahiert. Nicht jeder hat Zugriff auf Inhalte, sondern nur der Lizenznehmer. Und die erforderliche Lizenz ist keineswegs überall verfügbar. Die Hypothese scheint nicht zu gewagt, dass keine einzige, zentral lizenzierte Plattform/Datenbank existiert, die in jedem Land der Welt, in allen Sprachen und Währungen angeboten wird. Selbst wer zahlen will und kann, hat keinen legalen Zugang. Damit verfehlt das Modell der virtuellen Jukebox einen zentralen Aspekt des Internets als eines prinzipiell weltumspannenden Kommunikationsmediums. Stattdessen fördert das Urheberrecht eine Tendenz zur territorialen Zersetzung des Internets.17 Dieser Konflikt zwischen nationalen Urheberrechten und weltweitem Zugang dürfte auf der Ebene des materiellen Urheberrechts praktisch nicht zu beheben sein. Die heilige Kuh der Territorialität zu schlachten,18 fällt schon innerhalb der EU schwer und ist auf globaler Ebene blanke Utopie. Ein einheitliches Welturheberrecht ist zudem nicht wünschenswert, weil es in Stein gemeißelt wäre und nicht genügend auf weit divergierende, soziokulturelle Bedingungen in verschiedenen Weltregionen Rücksicht nehmen könnte. Ähnlichen Einwänden sehen sich Versuche19 ausgesetzt, die auf der Ebene des Internationalen Privatrechts ansetzen und die Vielzahl anwendbarer Schutzlandrechte durch das eine Recht der engsten Verbindung ersetzen wollen. Denn der legitime Regelungsanspruch eines nationalen Urheberrechts ist eben auf das Territorium des betreffenden Regelsetzers begrenzt.20 15
Peukert, in: Hilty/Peukert, Interessenausgleich im Urheberrecht, 2004, 11 ff. Goldstein, Copyright’s Highway: From Gutenberg to the Celestial Jukebox, 2003; Wandtke, UFITA 2011/III, 649, 658 f. 17 Zur sog. Geolocation Hoeren, MMR 2007, 3 ff. 18 Wandtke, UFITA 2011/III, 649, 682. 19 Dazu Kur/Ubertazzi, The ALI Principles and the CLIP Project – a Comparison, in: Bariatti, Litigating Intellectual Property Rights Disputes Cross-border, 2010, 89 ff. 20 Peukert, Territoriality and Extraterritoriality in Intellectual Property Law, http:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1592263 (2010). 16
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Aus Sicht der digitalen Urheber bedarf es solch fundamentaler Änderungen freilich nicht unbedingt. Denn als Rechtsinhaber sind sie in der Lage, ihre ausschließlichen Rechte nach ihren Vorstellungen auszuüben. Niemand zwingt die digitalen Urheber, das Rechtearsenal für jedes Werk voll auszuschöpfen. Vielmehr können sie sich vorübergehend oder dauerhaft auch mit „some rights“ oder ggf. „no rights“ zufriedengeben. Doch selbst dieser privatautonome Ansatz stößt auf Schwierigkeiten, die darauf zurückzuführen sind, dass das Urheberrecht weiterhin auf den analogen Urheber ausgerichtet ist.
III. Ein Urhebervertragsrecht für den digitalen Urheber So hält die ganz herrschende Meinung das Urheberrecht aufgrund seiner Unübertragbarkeit für unverzichtbar. Wie viele andere Elemente des deutschen Urhebervertragsrechts schränkt die Unübertragbarkeit des Urheberrechts die Verfügungsbefugnis und Vertragsfreiheit des Urhebers ein, um eine als gestört betrachtete Vertragsparität zwischen strukturell schwachen Urhebern und verhandlungsstarken Verwertern auszugleichen.21 Diese zweiseitige Konstellation betrifft offenbar das klassische, analoge Vermarktungsmodell. Digitale Urheber hingegen veröffentlichen und vermarkten ihre Werke oftmals weitgehend selbst, ohne alle maßgeblichen Entscheidungen an einen zwischengeschalteten Verwerter zu delegieren. Damit aber entfallen auch das auf den Verwerter bezogene Schutzbedürfnis und die Gründe zur Einschränkung der Privatautonomie. Folglich ist das im Monismus wurzelnde Dogma der Unübertragbarkeit mit Rücksicht auf den digitalen Urheber und seinen Willen zur Gemeinfreiheit zu überdenken.22 Auch das Konzept der zwingenden angemessenen Vergütung ist mit dem Leitbild des digitalen Urhebers letztlich unvereinbar. Denn es basiert auf dem Grundsatz, dass für jede Nutzungsrechtseinräumung eine angemessene Vergütung gezahlt werden muss. Von digitalen Urhebern im Interesse digitaler Offenheit und Kreativität angelegte Lizenzsysteme wie Open Source und Creative Commons aber funktionieren überhaupt nur, weil die beteiligten Urheber keine Lizenzgebühren verlangen. Die Verträge dienen nicht der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung der Werke (§ 11 S. 2), sondern der möglichst weiten und viral-offenen Verbreitung von Quellcodes und anderen Werken unter Wahrung bestimmter, namentlich urheberpersönlichkeitsrechtlicher Belange.23
21 22 23
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhR, 3. A. 2009, vor §§ 31 ff. Rn. 3. Peukert, Die Gemeinfreiheit, 2012, 205 ff. Vgl. Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhR, 3. A. 2009, § 69c Rn. 68 ff.
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Diese Phänomene haben ihren Niederschlag in Vorschriften gefunden, wonach der Urheber unentgeltlich und ohne Beachtung der Schriftform jedermann ein einfaches Nutzungsrecht selbst für unbekannte Nutzungsarten einräumen kann.24 Mit diesen sog. Linux-Klauseln erkennt der Gesetzgeber an, dass Open-Content-Modelle „effektive … Kommunikations- und Kooperationsstrukturen“ darstellen, die ein neues Interessen- und Schutzgefüge zwischen Urhebern, Verwertern und Endnutzern entstehen lassen, auf das die gesetzlichen Vergütungs- und Schriftformerfordernisse nicht passen.25 Diese vorsichtigen, noch als Ausnahmen und gewissermaßen Anomalien formulierten Zugeständnisse an den digitalen Urheber betreffen allerdings Lizenzsysteme mit begrenzter Reichweite und unsicherer Zukunft. Die Open-Source-Bewegung bezieht ihre fortdauernde Dynamik und Bedeutung aus der lizenzvertraglich erzwungenen Offenlegung von Quellcodes, die weiter bearbeitet werden dürfen. Das zugrundeliegende Geheimnisproblem stellt sich nur bei Computerprogrammen. Bei allen anderen Werkarten erscheinen selbst benutzerfreundliche Lizenzsysteme wie Creative Commons (CC) als Anachronismen. Auch wenn ein Werk in wenigen Schritten mit einer maschinenlesbaren Lizenz versehen werden kann, handelt es sich doch um eine technisch-administrative Hürde, die nur für einen geringen Bruchteil der täglich produzierten Inhalte gewählt wird. In Anbetracht nur eines dokumentierten Urteils zur Durchsetzung von CC-Lizenzen in Deutschland26 stellt sich die Frage, ob sich selbst dieser geringe Aufwand lohnt. Das CCSystem basiert auf dem Flickenteppich nationaler Urheberrechtsordnungen und muss daher Besonderheiten wie Schriftformerfordernisse oder die Unübertragbarkeit einzelner Urheberrechte in komplexen Lizenzregelungen abbilden. Vertragsrechtlich erscheint es eher als eine Fiktion, in jedem Download eines CC-lizenzierten Werks den Abschluss eines bindenden Lizenzvertrags zu sehen. Die ganze Komplexität eines weltumspannenden Netzes von Lizenzverträgen zeigt sich, wenn die verwendeten Lizenzen im Rahmen eines Großprojekts wie Wikipedia vereinheitlicht oder angepasst werden sollen.27 All dies verdeutlicht, dass Creative Commons mit seiner Orientierung am analogen Urheber(vertrags)recht einen hohen Grad an Formalisierung mit sich bringt, der letztlich mit der spontanen, kollaborativen und globalen Kreativität im Internet unvereinbar ist.28
24
§§ 31a I 2, 32 III 3, 32a III 3, 32c III 2 UrhG. Siehe BT-Drucks. 14/6433, 15; BT-Drucks. 14/8058, 19; BT-Drucks. 16/1828, 37; BT-Drucks. 16/5939, 44. 26 LG Berlin 16 O 458/10, 8.10.2010, MMR 2011, 763 f. 27 Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Lizenz%C3%A4nderung. 28 Kritisch auch Dusollier, Chicago-Kent Law Review 82 (2007), 1391 ff. 25
Der digitale Urheber
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IV. Die konkludente Einwilligung in übliche Online-Nutzungen Die Erkenntnis, dass man neue Wege einschlagen muss, um digitalen Urhebern und digitaler Kreativität gerecht zu werden, reifte denn auch nicht im Silicon Valley, sondern in Karlsruhe. Dort musste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage befassen, welche rechtliche Bedeutung es hat, wenn eine bildende Künstlerin zum Teil mit Copyright-Hinweisen versehene Abbildungen ihrer Kunstwerke auf ihrer Internetseite einstellt.29 Zahllose Texte, Fotos, Filme etc. werden von ihren Urhebern täglich in dieser vorbehaltlosen und technisch ungesicherten Weise öffentlich zugänglich gemacht. Diese formlose Online-Veröffentlichung dürfte wesentlich häufiger anzutreffen sein als CC-lizenzierte Inhalte. Bekanntlich befand der Urheberrechtssenat in der Entscheidung Vorschaubilder I, besagtes Verhalten stelle zwar keine konkludente Nutzungsrechtseinräumung oder schuldrechtliche Nutzungsgestattung dar, da es hierfür am Rechtsbindungswillen der Künstlerin fehle. Indes könne von einer die Rechtswidrigkeit ausschließenden (schlichten) Einwilligung ausgegangen werden. Ein Berechtigter oder mit seiner Zustimmung ein Dritter,30 der Texte oder Bilder im Internet ohne Einschränkungen frei zugänglich macht, erkläre sich mit den „nach den Umständen üblichen Nutzungshandlungen“ konkludent einverstanden. Die Auslegung der konkludenten Erklärung habe sich am objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu orientieren. Da das Einverständnis zu üblichen Online-Nutzungen an die Allgemeinheit gerichtet sei, könne es auch nur durch allgemein erkennbare Umstände wie die Entfernung von der eigenen Homepage oder die Aktivierung technischer Sicherungsmaßnahmen widerrufen werden; ein Widerruf gegenüber einzelnen Nutzern bei fortdauernder Verfügbarkeit des Inhalts sei als protestatio facto contraria unbeachtlich. Zu den damit rechtmäßig zulässigen, üblichen Online-Nutzungen zählen jedenfalls nicht-kommerzielle Vervielfältigungen durch private Internetnutzer (Download, Ausdruck)31 und die kommerzielle Bildersuche mit Thumbnails.32 Die Vorschaubilder-Entscheidung ist in der Urheberrechtslehre ganz überwiegend auf Kritik gestoßen. Einige halten das Ergebnis für falsch. Wer urheberrechtlich geschützte Werke außerhalb der Schrankenregelungen nutze, müsse individuell lizenzieren, auch wenn dies das Ende von Suchmaschinen bedeute.33 Andere schrecken zwar vor dieser Konsequenz zurück, verwerfen
29 30 31 32 33
BGH I ZR 69/08, 29.4.2010 – Vorschaubilder I. Hierzu BGH I ZR 140/10, 19.10.2011, Rn. 16 ff. – Vorschaubilder II. BGH I ZR 94/05, 6.12.2007, Rn. 27 – Drucker und Plotter I. BGH I ZR 69/08, 29.4.2010, Rn. 28 ff., 33 ff. – Vorschaubilder I. Schack, MMR 2008, 414 ff.
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aber den dogmatischen Lösungsweg des BGH und fordern stattdessen eine Schranke für kommerzielle Suchmaschinen.34 Diese Kritik verkennt, dass der BGH mit der schlichten Einwilligung in übliche Online-Nutzungen ein der digitalen Kreativität adäquates, nämlich ein formloses, flexibles und weltweit wirksames rechtliches Instrument anerkannt hat. Kaum bestreitbarer Ausgangspunkt ist, dass der Urheber, der seine Werke ins Netz stellt, an der Netzkommunikation teilnehmen möchte. Tut er dies ohne maschinenlesbare Vorbehalte, unterstellt er sich nach der Verkehrsanschauung (§ 242 BGB) den im Netz geltenden Kommunikationsgepflogenheiten:35 Das Werk soll gefunden und wahrgenommen, also vervielfältigt und unter Umständen auch wieder öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Figur der schlichten Einwilligung erlaubt es, soziale und urheberrechtliche Normen ohne komplizierte Lizenzkonstruktionen einander anzunähern.36 Legalisiert werden demnach nicht-kommerzielle Nutzungen in Gestalt privater Vervielfältigungen37 und ggf. erneuter Uploads sowie hierzu akzessorische kommerzielle Nutzungen (insbes. Suchmaschinen). Weiterhin verboten bleiben direkte Kommerzialisierungen durch Verlage oder kommerzielle Datenbanken, da derartige Nutzungen nach der Verkehrsanschauung weiterhin eine individuelle Gestattung erfordern. Versieht der Urheber sein digitales Werk mit seinem Namen, gibt er zu erkennen, dass das Namensnennungsrecht vorbehalten bleibt. Auch Bearbeitungen und sonstige Integritätsbeeinträchtigungen, die dem Ruf des digitalen Urhebers nachteilig sein können, bleiben rechtswidrig.38 34 Leistner/Stang, CR 2008, 499, 507; Bullinger, GRUR-Prax 2010, 257; Spindler, GRUR 2010, 785, 791; ders., MMR 2012, 386 f. (die Lösung des BGH berge Risiken für die Zukunft); Wiebe, GRUR 2011, 888, 893. 35 v. Ungern-Sternberg, GRUR 2008, 247, 248 f. 36 Wielsch, GRUR 2011, 665, 671 f. 37 Nach ganz herrschender Meinung lösen diese digitalen Privatkopien gesetzliche Vergütungsansprüche aus; vgl. Wandtke, ZUM 2009, 152, 155 ff. m.w.N.; so jetzt auch BGH I ZR 28/11, 21.7.2011, Rn. 48 – Drucker und Plotter II. Schließt sich der EUGH in den vom BGH anhängig gemachten Rechtssachen C-457-460/11 dieser Auffassung an, wird im Ergebnis eine begrenzte Kulturflatrate eingeführt, da digitale Privatkopien vorbehaltlos online gestellter (nicht aber in kostenpflichtigen Datenbanken verfügbarer, da sonst eine Doppelvergütung erfolgte, vgl. v. Ungern-Sternberg, GRUR 2008, 247, 248 f.; Bornkamm, FS Nordemann, 2004, 299, 308) Werke pauschal vergütungspflichtig sind. In diesem Fall muss Netzkreativität aber konsequenterweise auch angemessen und ohne versteckte Hürden bei der Verteilung der Vergütungsaufkommen berücksichtigt werden. Den Verwertungsgesellschaften fällt die Öffnung ihres Systems für digitale Urheber noch schwer (siehe immerhin das METIS-System der VG Wort für „Texte im Internet“; http://www.vgwort. de/verguetungen/auszahlungen/texte-im-internet.html; restriktiver Reprografievergütung digitale Medien der VG Bild-Kunst, Meldezettel digitale Medien, abrufbar unter http:// www.bildkunst.de/). 38 Vgl. Art. 6bis RBÜ als weltweiter Mindeststandard des Urheberpersönlichkeitsrechts. Hingegen können ggf. auch nicht-kommerzielle Bearbeitungen, die das Namensnennungs-
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Diese Nutzungsregeln beschreiben den auch in einer Kultur des freien Zugangs weiterhin gültigen Kern des digitalen Urheberrechts: Direkte Kommerzialisierungen und Verletzungen des Urheberpersönlichkeitsrechts sind verboten. Möchte ein Urheber ein höheres Maß an Exklusivität genießen, darf er nicht an der freien Kommunikation im Internet teilnehmen, sondern muss seine Werke zugangskontrollierten Datenbanken vorbehalten. Bleibt die Option des „all rights reserved“ bestehen, werden die Entscheidungsmöglichkeiten der digitalen Urheber erweitert und nicht reduziert.39 Besondere Beachtung verdient schließlich, dass der BGH auch insofern eine dem digitalen Zeitalter angemessene Lösung gefunden hat, als die schlichte Einwilligung weltweit wirkt. Auf die Erklärung ist das Recht des Landes anzuwenden, in dem der digitale Urheber zum Zeitpunkt der Einstellung des Werkes ins Netz seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.40 Die dem digitalen Urheber also im Zweifel am besten bekannte Rechtsordnung bestimmt, welche üblichen Nutzungshandlungen konkludent legalisiert wurden und welche weiterhin seiner vorherigen Zustimmung bedürfen. Diese Entscheidung ist für die globale Netzgemeinschaft gültig, während Schranken für Suchmaschinen etc. immer nur territorial begrenzt wirken und damit die weltweite Anlage des Internets von vornherein verfehlen. Wenn die Gerichte bei einer Entscheidung über die Reichweite der Online-Einwilligung – etwa im Hinblick auf die Zulässigkeit von Uploads und Bearbeitungen – die parallelen Urteile anderer Jurisdiktionen vergleichend berücksichtigen, kann sich im Laufe der Zeit sogar ein weltweit einheitlicher Standard herausbilden: der Nukleus eines digitalen Welturheberrechts, das in sozialen Normen und ihrer judikativen Anerkennung wurzelt.
recht und den Ruf des digitalen Urhebers wahren, als von der Einwilligung umfasst angesehen werden. 39 Zu einem solch zweigleisigen Modell Peukert, A Bipolar Copyright System for the Digital Network Environment, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id= 801124 (2005). 40 Entsprechend Art. 4 II, 19 Rom I-VO.
Schutz des geistigen Eigentums auch im Internetzeitalter Bernd Neumann 1
„Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?“, so lautet die provokante Frage, mit der Professor Artur-Axel Wandtke einen Artikel im Archiv für Urheber- und Medienrecht überschrieben hat.2 Aus kulturpolitischer Sicht kann es auf diese Frage nur eine Antwort geben: Aufstieg! Die Digitalisierung und das Internet haben das Urheberrecht aus einem Dornröschenschlaf geweckt und ins Rampenlicht gestellt. Früher ein juristisches Orchideenthema, kommt heute nahezu jeder mit dem Urheberrecht tagtäglich in Berührung. Das Urheberrecht ist zur Magna Charta des Informationszeitalters avanciert, die auf tägliche Vorgänge im Netz Anwendung findet. Trotz oder gerade wegen dieses Bedeutungszuwachses erfährt das Urheberrecht von vielen Seiten Kritik – teils mit mehr, teils mit weniger Berechtigung. Die Urheber und Verwerter beklagen eine weit verbreitete Gratismentalität im Netz und drängen auf Verbesserungen bei der Rechtsdurchsetzung. Nutzer und Verbraucherschützer fordern verständlichere Gesetze und Schutz vor ungerechtfertigten Abmahnungen. Fundamentalkritik kommt von sogenannten „Netzaktivisten“. Für sie ist das Urheberrecht ein Relikt aus der „prädigitalen Steinzeit“, ein Hemmnis für Innovation und Fortschritt, das den Zugang zu Kulturgütern erschwere. Angesichts massenhaft begangener Urheberrechtsverletzungen im Netz sehen sie das Urheberrecht gar in einer Legitimationskrise. Für einen Abgesang gibt es indes keinen Grund. Die traditionellen Legitimationsfiguren des Urheberrechts haben auch im Internetzeitalter nichts an Bedeutung verloren: Die wirtschaftliche Anreizwirkung, die das Urheberrecht mit Blick auf kreatives Schaffen entfaltet, und der Schutz der Urheberpersönlichkeit sind Grundprinzipien, die gerade im digitalen Zeitalter unentbehrlich sind. Sie sind der Lackmustest, an dem sich alle Lösungsvorschläge in der Urheberrechtsdebatte messen lassen müssen.
1 Für die Unterstützung bei der Ausarbeitung dieses Beitrages dankt der Autor Herrn Dr. jur. Roland Witzel. 2 Artur-Axel Wandtke, Aufstieg oder Fall des Urheberrechts im digitalen Zeitalter?, UFITA 2011, 649–684.
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I. Legitimation des Urheberrechts im Internet Kunstwerke, Manuskripte und andere Kulturgüter sollen nicht in den Ateliers verstauben, sondern den Weg zum Publikum finden; geistige Leistungen stiften den größten Nutzen, wenn sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. In der Veröffentlichung seines Werkes liegt jedoch zugleich eine Gefahr für den geistig Tätigen. Denn jeder könnte ungestraft Nutzen aus dem Werk ziehen, ohne dass der Kreative dafür eine Vergütung erhielte, an dieser Wertschöpfung beteiligt würde. Das Urheberrecht löst dieses Dilemma, indem es dem Urheber für einen bestimmten Zeitraum ein gerichtlich durchsetzbares Recht zur ausschließlichen Verwertung zuweist. Dadurch schafft es einen finanziellen Anreiz für die Veröffentlichung des Werkes und für die Produktion weiterer Werke. Die wirtschaftlichen Anreize des Urheberrechtsschutzes gelten unvermindert auch im Internetzeitalter. Millionen Kreativer schaffen tagtäglich kulturelle Werte im Vertrauen darauf, dass ihre Werke auch im digitalen Umfeld nur gegen die geschuldete Vergütung erworben werden. Auch wenn einige Rechteinhaber in den Anfangstagen des Internets ihre Inhalte kostenlos verfügbar gemacht haben, ist dies keine Rechtfertigung für illegales Filesharing. Vor einer verklärenden Piratenromantik, die im Namen einer angeblich schrankenlosen Freiheit im Netz die zwangsweise Sozialisierung geistigen Eigentums fordert, kann nur eindringlich gewarnt werden. Der Schutz der Urheberpersönlichkeit, die zweite Säule des Urheberrechts, ist nicht weniger wichtig. Die der Piratenideologie zugrunde liegende Vorstellung, eine kreative Leistung „ereigne“ sich einfach und entziehe sich damit schlechterdings individueller Zurechnung nach rechtlichen und ökonomischen Kategorien, ist eine Chimäre. Künstlerisches Schaffen ist vielmehr das Produkt einer persönlichen Leistung und damit eine Form, in der sich die individuelle Persönlichkeit ausdrückt. Der Respekt vor der Persönlichkeit des Künstlers gebietet es denn auch, den Früchten seines Geistes Schutz zu gewähren. Dieses geistige Band zwischen Schöpfer und Werk hat auch in der digitalen Welt Bestand.
II. Entkräftung von Positionen der Netzaktivisten Die sogenannten „Netzaktivisten“ haben in der Urheberrechtsdebatte eine Reihe zentraler Positionen formuliert. Die Berufung auf eine angeblich schrankenlose Informationsfreiheit, Schutzfristverkürzung, Kulturflatrate und neue Geschäftsmodelle, das sind die Schlagworte, die in diesem Zusammenhang immer wieder fallen. Auch die Forderungen der „Netzaktivisten“ müssen sich jedoch an den traditionellen Legitimationsfiguren des Urheberrechts messen lassen. Denn wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt hat, genießen sowohl die vermögens- als auch die
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persönlichkeitsrechtliche Komponente des Urheberrechts Verfassungsrang. Zentrale Positionen der „Netzaktivisten“ sind daher mit grundlegenden Normen und Wertungen des Grundgesetzes unvereinbar. 1. Informationsfreiheit Jeder hat das verfassungsmäßige Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren. Die Informationsfreiheit ist ein hohes Gut, gerade in der Informationsgesellschaft. Auch in der virtuellen Welt jedoch gilt, dass jede Freiheit nur eine Freiheit in Grenzen ist. Es ist daher a priori verfehlt, in jeder Reform des Urheberrechts reflexartig einen Angriff auf „das Internet“ sehen zu wollen. Auch die Eigentumsfreiheit ist ein Grundrecht, das Urheberrecht gar ein Menschenrecht. Aufgabe des Staates ist es, diese Rechte in Einklang oder, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, in ein Verhältnis praktischer Konkordanz zu bringen. Im Urheberrecht wird der behauptete Widerspruch zwischen Informationsfreiheit und geistigem Eigentum bereits bei der Bestimmung des Schutzgegenstandes aufgelöst. Geschützt ist nicht der Gedanke an sich, sondern nur die konkrete Ausprägung, die er durch die Persönlichkeit des Künstlers erfährt. Deshalb steht es jedermann frei, einen Roman über ein totalitäres Herrschaftssystem zu verfassen, ohne dass die Rechtsnachfolger von George Orwell Ansprüche anmelden können. Anders als in „1984“ sind die Gedanken frei! An diesem zentralen Grundsatz des Urheberrechts haben auch die Möglichkeiten der Digitalisierung nichts geändert. Beethovens „Große Fuge“ wird nicht deshalb zu einem „Informationsgut“, weil man sie in Nullen und Einsen – den Code der digitalen Welt – herunterbrechen kann. Denn Schutzgut des Urheberrechts ist nicht die blanke Information, sondern das dahinter stehende geistige Werk. 2. Verkürzung der Schutzfristen Weit oben im Forderungskatalog der „Netzaktivisten“ steht der Ruf nach einer Verkürzung der urheberrechtlichen Schutzdauer. Die lange Schutzfrist im Urheberrecht – so wird argumentiert – führe zu einer künstlichen Verknappung von Kulturgütern und behindere die Kreativität. Einmal davon abgesehen, dass die geltenden Schutzfristen zwingend durch internationales Recht vorgegeben sind, geht dieser Einwand auch in der Sache fehl. Das Urheberrecht behindert nicht etwa Kreativität, ganz im Gegenteil, es befördert sie! Indem das Urheberrecht eine Verwertung über den Tod hinaus ermöglicht, trägt es lediglich den Lebensumständen der Kreativen Rechnung. Auch Kulturschaffende haben das legitime Bedürfnis, ihren Nachkommen etwas von Wert zu hinterlassen. Bei vielen Kreativen bilden geistige Rechte häufig die zentralen Vermögenswerte. Endete das Urheberrecht mit dem Tod, die Angehörigen gingen weitgehend leer aus. Erschwerend kommt
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hinzu, dass viele Künstler überhaupt erst nach ihrem Tod Anerkennung finden. Die urheberrechtliche Schutzfrist wird zudem durch den Persönlichkeitsgedanken gerechtfertigt: Auch sonst kennt das Recht den Gedanken einer immateriellen Persönlichkeit, die den Tod überdauert und darüber hinaus Schutz genießt. Sie ist der tiefere Grund dafür, dass wir dem letzten Willen eines Menschen Geltung verschaffen und sein Andenken über den Tod hinaus ehren. Das Urheberrecht reiht sich hier nahtlos ein. 3. Kulturflatrate Das Internet hat den Kreativen viele Chancen eröffnet, birgt aber auch zahlreiche Risiken. Zu den Risiken zählt zweifelsohne das Problem massenhafter Urheberrechtsverletzungen über Tauschbörsen und andere Techniken im Internet. Der Ruf nach Legalisierung ist bisher die einzige Antwort, die die Netzaktivisten auf diesen massiven Rechtsbruch gefunden haben. Die Nutzer sollen Absolution für illegale Vervielfältigungen erhalten, während die Kreativen mit einer Kulturflatrate abgespeist werden. Die finanziellen Anreize, die legale Vertriebsmodelle bieten, würden aber durch einen Flatrate-Ansatz in der vorgeschlagenen Form weitgehend zunichte gemacht. Kaum ein Flatrate-Zahler würde noch für weitere legale Angebote bezahlen, wenn er denselben Song oder Film ohne Aufpreis legal von einer Tauschbörse beziehen könnte. Auch die Bereitschaft der Nutzer, für mehr Qualität und Bedienkomfort extra zu bezahlen, sollte man nicht überschätzen. Eine Kulturflatrate würde zudem einen erheblichen bürokratischen Verwaltungsaufwand erfordern, der ebenfalls über die Einnahmen der Flatrate finanziert werden müsste. Aber auch mit dem Persönlichkeitsgedanken dürften Flatrate-Modelle schließlich nur schwer zu vereinbaren sein. Dem Urheber wird die Befugnis darüber genommen, ob und wie er sein Werk verwerten will. Sein Werk dürfte selbst dann vervielfältigt werden, wenn es illegal ins Netz gelangt ist. Diese Entmündigung lässt sich Kulturschaffenden nur schwer vermitteln und ist verfassungsrechtlich zweifelhaft. 4. Neue Geschäftsmodelle Niemand bestreitet, dass das Internet eine Fülle neuer Geschäftsmodelle hervorgebracht hat, seien es Finanzierungsmodelle wie Schwarmfinanzierung oder neue Wege zur direkteren Ansprache des Publikums ohne Zwischenschaltung von Verlagen oder Verwertungsgesellschaften. Auch legale Downloads über kommerzielle Anbieter gewinnen immer mehr an Bedeutung – sie sind notwendige Grundlage für das Geschäft im Internet. Das Urheberrecht und die klassische Verwertung über Werkmittler werden dadurch aber nicht obsolet. Als Alternative taugen diese Ansätze ohnehin nur, wenn sie auch in der Fläche ausreichende Anreize setzen. Nicht jeder
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Urheber ist aber zugleich Interpret. Eine Band mag sich über den Verkauf von Fan-Artikeln finanzieren können, doch gilt dies auch für den zum Teil kaum bekannten Komponisten und Textdichter? Gerade bei kulturell anspruchsvollen Projekten hat sich gezeigt, dass auch die Schwarmfinanzierung keine Wunderwaffe ist. Wenn nur noch das finanziert wird, was den Geschmack des Schwarms trifft, droht mittelfristig eine beträchtliche kulturelle Verarmung. Abgesehen davon sind die von den Verwertern erbrachten Leistungen für viele Künstler immer noch unverzichtbar. Vorfinanzierung, Lektorat, Übersetzung und Vermarktung im Ausland: Diese Aufgaben wird kaum ein Künstler selbst schultern können, ohne dass der kreative Schaffensprozess leidet. Auch unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes muss jedem Künstler selbst überlassen bleiben, ob er seine Werke traditionell verwerten lässt oder ob er die Vermarktung in Eigenregie übernimmt. Diese Entscheidung ist deshalb gleichermaßen Teil der verfassungsrechtlich verbürgten Kunstfreiheit.
III. Ausblick Die über diverse technologische und kulturelle Paradigmenwechsel hin gewachsenen und bewährten Begründungsansätze des Urheberrechts haben auch in der digitalen Welt ihre Berechtigung. Sie liefern die grundlegenden Wertungen, an denen sich Lösungsvorschläge messen lassen müssen. Eines ist gewiss: Das Urheberrecht ist in den vergangenen hundert Jahren erfolgreich an jede technische Neuentwicklung angepasst worden: Rundfunk, Aufnahmetechnik, Fotokopierer und die Computertechnologie. Es gibt keinen Grund, warum dies bei der Internettechnologie nicht gelingen sollte.
Massenabmahnungen schaden der Akzeptanz des Urheberrechts Stephan Ory
Dieser Beitrag zur Festschrift für Artur-Axel Wandtke entsteht im Sommer 2012, die Diskussion um das Urheberrecht wird von manchen gerade als Glaubenskrieg geführt. Das „Urheberrechtsabkommen ACTA“ ist im europäischen Parlament gescheitert1, nachdem in den ersten Monaten des Jahres in mehreren europäischen Ländern Demonstrationen dagegen stattgefunden hatten. Ganz schlechte Zeiten also für kritische Anmerkungen zum Verhalten einer Reihe von Rechteinhabern bei der Durchsetzung von Rechten. Notwendig erscheint mir also eine Vorbemerkung. Ja, ich bin für das Urheberrecht. Und als Referenz berufe ich mich auf § 11 S. 2 UrhG, der auf den Vorschlag aus der Medienwirtschaft für ein Urhebervertragsrecht vom 10. April 2001 zurückgeht und im Rahmen einer alternativen Konzeption zum Urhebervertragsrecht entwickelt wurde.2 Mit nur einer redaktionellen Änderung – aus „auch“ wurde „zugleich“ – hat der Gesetzgeber den Vorschlag unserer Arbeitsgruppe übernommen. § 11 UrhG macht nun deutlich, dass es im Urheberrecht sowohl um persönlichkeitsrechtliche Aspekte der Künstler als auch um die ökonomischen Aspekte ihrer Verwertung geht. Wie auch immer man das im Detail ausdifferenziert, wie immer man auf technische Neuerungen reagiert, die in § 11 UrhG niedergelegten Grundsätze wird man nur mit gegenüber jedermann wirkenden und gegenüber jedermann durchsetzbaren Ausschließlichkeitsrechten gerecht.
I. Massenabmahnungen im Fokus der Politik Mit der Akzeptanz hat das Urheberrecht aktuell seine Probleme. Insbesondere die Rechtsdurchsetzung hat ein Problem, die in der breiten Wahrnehmung inzwischen auch der Politik auf das materielle Recht zurückschlägt. Angesprochen sind die Massenabmahnungen, deren grundsätzliche rechtliche Zulässigkeit hier nicht in Abrede gestellt werden soll.3 „Den Ab1 2 3
AfP 2012, S. 253. http://www.ory.de/uvr/vorschlag.html. Hennemann, Urheberrechtsdurchsetzung und Internet, Baden-Baden 2011, S. 120 f.
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mahnkanzleien, die in großem Stil unberechtigte Abmahnungen verschicken, muss ein Riegel vorgeschoben werden“, fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einem Diskussionspapier zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft.4 Informationspflichten und besondere formelle Voraussetzungen für Abmahnungen sollten zukünftig zu einer besseren Aufklärung „der Verbraucher“ beitragen. Die Darlegungspflichten für die Zuverlässigkeit des „Ermittlungsverfahrens“ können sicherstellen, dass die Daten der Rechtsverletzer seriös ermittelt würden. Und schließlich wird eine „schärfere standesrechtlichen Aufsicht für Rechtsanwälte“ gefordert, um „unseriöse Rechtsanwälte aus dem Verkehr zu ziehen“. Auch die SPD-Bundestagsfraktion will dem „Abmahnmissbrauch“ Einhalt bieten:5 „Abmahnungen, deren eigentliches Ziel nicht mehr die an sich legitime Rechtsverfolgung, sondern eher ein lukratives Geschäftsmodell für eine kleine Gruppe von Anwälten ist, müssen eingeschränkt werden.“ Das SPD-Papier spricht den Akzeptanzverlust des Urheberrechts bei unverhältnismäßiger Rechtsdurchsetzung an. In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD im Saarland heißt es zum Beispiel6: „Wir verurteilen das aggressive Agieren einiger ‚Abmahnsyndikate‘; es untergräbt die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz, wenn das Urheberrecht nur noch als ‚Geschäftsmodell‘ für Abmahnanwälte wahrgenommen wird. Für uns muss die Rechtsdurchsetzung – auch bei Urheberrechtsverstößen – verhältnismäßig sein.“ Die Koalition will den „fliegenden Gerichtsstand“ bei Urheberrechtsverletzungen abschaffen, ausschließlich das Gericht am Wohnsitz des Verbrauchers soll zuständig sein. Nur in Nuancen unterscheidet sich hiervon die Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Grüne in Nordrhein-Westfalen7, für das eine Bundesratsinitiative verabredet mit dem Ziel der „Eindämmung massenhafter Abmahnungen“ und einen wirksamen Verbraucherschutz im Internet mit dem Ziel der „Stärkung der Akzeptanz des Urheberrechts“. § 97a Abs. 2 UrhG sei nicht weitgehend genug, „Fälle mit geringem Unrechtsgehalt“ seien „zu entkriminalisieren“. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis90/Grüne in Schleswig-Holstein8 ist zurückhaltender formuliert, sieht allerdings das Urheberrecht als Unterfall der Netzpolitik. 4
12. Juni 2012, http://www.privatfunk.de/anl/12_10241_01.pdf. 21. Mai 2012, http://www.spdfraktion.de/sites/default/files/thesenpapier_zwoelf_ thesen_fuer_ein_faires_und_zeitgemaesses_urheberrecht.pdf. 6 Koalitionsvertrag für die 15. Legislaturperiode des Landtags des Saarlandes (2012– 2017) zwischen CDU und SPD, S. 62; http://www.spd-saar.de/fileadmin/pdfs/2012/ Koalitionsvertrag.pdf. 7 Koalitionsvertrag 2012–2017 zwischen der NRWSPD und Bündnis90/Die Grünen NRW, Rz. 7672; http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruene-nrw/politikund-themen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012–2017.pdf. 8 Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode (2012–2017) zwischen der SPD Schleswig-Holstein und Bündnis90/Die Grünen Schleswig-Holstein, Rz. 2414 ff.; http://ssw.de/ pdf/120603Koalitionsvertrag2012-2017SPDB90GSSW.pdf. 5
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Allen Äußerungen gemeinsam ist die Sorge, dass die Abmahnwellen die Akzeptanz eines ganzen Rechtsgebiets untergraben. Als politisches Argument fällt das auf „die Politik“ zurück und zwar auf den zuständigen Bundesgesetzgeber und auf das Bundesjustizministerium, das den „3. Korb zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ jahrelang nicht auf den Weg bringt – die letzte Anhörung zum Thema hatte im September 2010 in Berlin stattgefunden.
II. Alles kann besser werden durch die Rechtsprechung Die Rechtsprechung arbeitet sich schrittweise an den offenen Fragen ab – so strich der BGH in § 101 Abs. 1 S. 1 UrhG das „gewerbliche Ausmaß“ als Voraussetzung für die Auskunft nach § 101 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 UrhG eines Providers gegenüber einem Rechteinhaber.9 Dass der erste Senat des BGH seinem Beschluss, mit dem er den Gesetzestext repariert, unter Rückgriff auf den Titel eines Musikalbums von Xavier Naidoo die Bezeichnung „alles kann besser werden“ beifügt, ist nicht ohne Ironie. Die Feinarbeit der Rechtsprechung geht allerdings recht langsam voran. Manchmal ist die Pressemitteilung schneller als das Urteil selbst, etwa zum „Sommer unseres Lebens“10, wenn es im letzten Absatz der Pressemitteilung zur Erstattung der Abmahnkosten in Klammern erläuternd hieß „nach geltendem, im Streitfall aber noch nicht anwendbaren Recht fallen insofern maximal 100 € an“ – es ging um einen typischen Filesharing-Fall. Dem Bundesverfassungsgericht geht das mit der höchstrichterlichen Klärung zu langsam, es mahnte im Einzelfall die Revisionszulassung an.11
III. Das Urheberrecht als Materie der „interessierten Kreise“ Die Urheberrechtsbranche selbst hat gelernt, mit Rechtssicherheit auch angesichts unterschiedlicher Rechtspositionen und im Eigeninteresse der Beteiligten vorgenommener Normauslegungen (unter deutlicher Strapazierung des Wortlauts der Norm) zu leben. Hinzuweisen sei auf die Rechte „über § 86 UrhG hinaus“ in § 1 des Wahrnehmungsvertrages der GVL12 – was
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BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – 1 ZB 80/11 – Alles kann besser werden. BGH, Urteil vom 12. Mai 2010 – 1 ZR 121/08; Pressemitteilung unter http://juris. bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht= bgh& Art=pm& Datum=2010-5&nr=51934&pos=12&anz=17. 11 BVerfG, Beschluss vom 21. März 2012 – 1 BvR 2365/11 betreffend die Frage der Sorgfaltspflichten bei der Überlassung eines Internetanschlusses an volljährige Dritte. 12 https://www.gvl.de/gvl-tontraeger-download.htm. 10
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immer das sein mag. Ein anderes Beispiel sind die Gesamtverträge der GEMA mit dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk, die 2012 diskutiert wurden. Dort ist von der Rechteeinräumung programmbegleitender Onlineangebote („PBO-Rechte“) die Rede, ohne dass eine Definition dafür gelungen wäre. Die Verträge beinhalten angesichts der auch international noch laufenden Verhandlungen eher eine Typologie. Andere Beispiele ließen sich rasch finden. Die Grauzone bleibt Grauzone und niemand aus den in Anschreiben des Bundesjustizministeriums so bezeichneten „interessierten Kreisen“ echauffiert sich.
IV. Das Urheberrecht erreicht Lieschen Müller Die breiten Abmahnwellen erreichen aber nicht nur die Fachleute aus diesen „interessierten Kreisen“, sondern die „Antipiraterie-Kampagne“ zielt gerade darauf, dass jeder zumindest von einem Fall in seiner Umgebung hörte. Als Anwalt sieht man mit der Zeit ganz unterschiedliches Klientel. Da ist sicherlich auch der Typ Freibeuter dabei, der beim Hinausgehen laut darüber nachdenkt, wie er „beim nächsten Mal“ seine Spuren besser durch allerlei Maßnahmen verwischt, über die er im Internet todsicheres gelesen hat. Ein hoffnungsloser Fall. Da ist die ziemlich ratlose Mutter, die ihren gerade 18-jährigen Sprössling – Alter auf Nachfrage bestätigt – mitbringt, der sich zwar ein brandneues iPhone leisten konnte, dort aber genau 100 Musiktitel abspielen kann – Germanys Top 100 mit irgendeinem bestimmten Datum. Die Mutter hat gleich drei Abmahnungen mitgebracht. In Erinnerung bleibt auch der Rentner, der mit seiner Frau im Einfamilienhaus lebte und von irgendwem den von der Telekom zugschickten WLANRouter installiert erhielt. Einen Teenie-Star habe er per Filesharing angeboten, heißt es in der Abmahnung. Auf der Suche nach Argumenten für die sekundäre Darlegungslast war nur – recht glaubhaft – in Erfahrung zu bringen, dass das Internet für Online-Bestellungen im Sanitätshandel benutzt wird. Der Fall ist mir aus mehreren Gründen in Erinnerung. Zum einen sprach ich den Justitiar des anspruchstellenden Tonträgerherstellers während einer Podiumsdiskussion darauf an und erhielt die Auskunft, das sei ein Ausnahmefall, diese Menschen wolle man gar nicht treffen. Wenn das so sei, werde das Verfahren auch nicht fortgeführt. In den folgenden Jahren kam gelegentlich Post von der abmahnenden Kanzlei, sogar drängende Anrufe. Der Fall wurde in Abwandlung als Klausur gestellt und kein Studierender wollte unseren Rentner auch nur als Störer in die Pflicht nehmen. Auf das letzte, nun die Klage androhende Schreiben hin wurde eine Kopie der Todesurkunde vorgelegt. Gemeinsam ist den allermeisten Fällen aber, dass die geforderten Geldbeträge um 1.000 € herum für dieses Publikum viel Geld ist. Sehr viele davon
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haben monatlich deutlich weniger als diesen Betrag zur freien Verfügung. Eine Industrie, die gezielt eine „Antipiraterie-Kampagne“ gegen die breite Bevölkerung initiiert, muss damit rechnen, dass sie vielfach auf Haushalte trifft, die vor Neuanschaffungen in der Größenordnung von 1.000 € ein offenes Gespräch mit der örtlichen Volksbank zu führen haben. Es gibt abmahnende Kanzleien, bei denen die üblichen Taxe für Filesharing auf etwa 600 € reduziert wird, wenn im Stile des Prozesskostenformulares die geringe Leistungsfähigkeit des Abgemahnten offengelegt wird. Da hat also der Abgemahnte ein Anwaltsschreiben in der Hand mit einem Rubrum nach dem Muster „Internationales Plattenlabel ./. Müller, Lieschen“. Oder der Promistar lässt auffordern, von dem jüngst in einem explosiven TVMagazin noch berichtet wurde, wie er in der Stretchlimousine zum teuren Event vorfuhr. Und das teuerste in der Abmahnung sind die Anwaltskosten. Das verkürzt sich in der Wahrnehmung viel zu oft auf „Reich gegen Arm mit Hilfe gieriger Anwälte“. Da die „Antipiraterie-Kampagne“ darauf angelegt ist, dass sich die Aktion in der Bevölkerung herumspricht, spricht sich auch diese Wahrnehmung herum. Diese Wahrnehmung kommt auch in den Wahlkreisbüros der Bundestagsabgeordneten an. Die oben zitierten politischen Äußerungen und die Koalitionspapiere in den Ländern geben davon Zeugnis. Dass Fachpolitiker den Industrien, die hinter den Abmahnwellen stehen, immer weniger Gehör für Forderungen nach einer Stärkung der urhebergesetzlichen Position schenken, sollte an dieser Stelle nicht mehr wundern.
V. Was der Abgemahnte vom Anwalt über Urheberrecht erfährt Eine Abmahnung hat den Zweck, dass der Verletzer die Sache außergerichtlich bereinigen kann. Das setzt die Maßstäbe für den Inhalt.13 Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, die einzelnen rechtlichen Argumente der Abmahnungen zu bewerten oder die Mindestanforderungen rechtlich zu erörtern. Hier geht es darum, welche Auswirkungen für die Akzeptanz des Urheberrechts Abmahnungen eines bestimmten Inhalts haben. Die durchschnittliche Abmahnung hat fünf Seiten mit Unterstreichungen der marzialichsten Textstellen. Weitere Erläuterungen finde man im Internet und wenn man tatsächlich in der abmahnenden Kanzlei anrufen wolle, möge man die Vorgangsnummer parat halten – man kann in diesem Gewerbe auf Telefonwarteschleifen treffen, die einem im Nachhinein die GEZ als kundenfreundliche Unternehmung erscheinen lassen.
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Wandtke/Bullinger/Kefferpütz, UrhR, 3. Aufl., München 2009, § 97a UrhG, Rz. 6.
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Was soll der Empfänger einer Abmahnung denken, der ein reines Gewissen hat, weil er kein Filesharing betreibt, wenn er liest, als Anschlussinhaber müsse er nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast substantiiert zur Aufklärung der Frage beitragen, wer als Täter die über seinen Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzungen begangen habe: „Die Erfahrung aus unserer Rechtspraxis zeigt dabei, dass in fast sämtlichen Fällen dieser Beweis durch die Anschlussinhaber nicht erbracht werden kann.“ Viele Empfänger werden – und sollen nach dem Willen der Abmahnenden – am Ende nur soviel verstehen: Alles ganz schlimm, zahle sofort, Widerstand zwecklos. Dass die Hilfestellungen in den Trefferlisten von Google, wo der durchschnittliche Betroffene spontan Zuflucht sucht, ziemlich viel Unsinn bereithalten, ist nebenbei ein zusätzlicher Aspekt. Beratungsgespräche in diesen Angelegenheiten sind meist dadurch gekennzeichnet, dass ja nicht der technikaffine Nachwuchs die Abmahnung erhält, sondern die etwas ältere Generation als Anschlussinhaber. Ihr muss man oft zunächst erklären, welche Spuren der User im Netz hinterlässt. Manchmal ist es aber auch ein Informatikstudent der dem Anwalt Nachhilfe darin gibt, wie einfach ein WLAN zu knacken sei, warum denn das kein Zivilrichter wisse. Der Anwalt müht sich dann, die Unterschiede zwischen Täter und Störer zu erläutern, Umfang und Grenzen der sekundären Darlegungslast durch entsprechende Rückfragen zum Sachverhalt zu konturieren, landet schließlich bei den Berechnungsmethoden des Schadenersatzes und am Ende beim Anwaltshonorar der abmahnenden Kanzlei und dem Streit über die Reichweite der Deckelung der Kosten auf 100 € nach § 97a UrhG. Man erläutert die unterschiedliche Haltung der einzelnen Gerichte und über das in diesem Beitrag oben dargestellte Bemühen der Obergerichte zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Man arbeitet sich so zum fliegenden Gerichtsstand des § 32 ZPO vor: Die Gegenseite zieht vor das Gericht, dessen Rechtsprechung ihrem eigenen Standpunkt entspricht. Kaum eine Abmahnung, die vergisst, auf diesen Aspekt hinzuweisen. Spätestens an dieser Stelle wähnt sich der Mandant auf dem Basar. Das ist von abmahnenden Kanzleien meist auch so angelegt, wenn im ersten Schreiben nach langen Ausführungen, es könne alles noch viel schlimmer werden, gleich ein „Vergleichsangebot“ zur „pauschalen Erledigung“ unterbreitet wird. Selbst wer den Anwalt im sicheren Bewusstsein aufsucht, er habe nie einen Titel in einer Tauschbörse angeboten, geht am Ende als potentieller Täter (mit Blick auf die Anforderungen der sekundären Darlegungslast) oder zumindest als vermutlicher Störer, jedenfalls beschäftigen ihn Fragen des Prozesskostenrisikos. Dem Kalkül der Abmahnenden entsprechend wird er sich vielleicht dafür entscheiden, einen zwar etwas reduzierten aber immer noch schmerzlichen Betrag zu zahlen. Denn ein paar hundert Euro Prozesskostenrisiko sind für den einzelnen viel Geld, für die abmahnende Industrie nichts.
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Als „gerecht“ wird dieser Mandant das nicht empfinden, selbst wenn es seinem Anwalt gelingen sollte, ihm die dogmatischen Streitfragen der Rechtsmaterie zu erläutern.
VI. Abmahnungen an Endnutzer oder Durchsetzung im Netz? Treffen wir im Bemühen um den Schutz des Urheberrechts, um die Absicherung der Investitionen der Unterhaltungsindustrie und um das Einkommen der Urheber und Künstler eigentlich die Richtigen, wenn wir gegen die breite Bevölkerung vorgehen? Zurück zum Fall der verzweifelten Mutter und dem Filius mit dem neuen iPhone. Der wurde auf seine „Germanys Top 100“ von einem Server aufmerksam gemacht, der ihn mit der Bemerkung „sicherer Download“ ermutigte. Ob es dem Intellekt des Knaben hätte entsprechen müssen, dies als offensichtlich rechtswidrige Quelle zu erkennen, mag dahinstehen. Nach den gängigen Abmahnmechanismen könnten bis zu 100 Abmahnungen kommen, was jedenfalls der Mutter recht schnell klar wurde. Nebenbei lässt ein Detail beim Vorgehen der Abmahnenden juristische Zweifel aufkommen: Waren früher die beigefügten Unterlassungsverpflichtungserklärungen viel zu breit und weit über den abgemahnten Sachverhalt hinaus formuliert, werden bei den einzelnen „Containerabmahnungen“ sehr eng formulierte Verpflichtungserklärungen beigefügt, um dem nächsten Abmahnenden nicht den Einwand zu liefern, eine ernsthafte Unterlassungserklärung für den gesamten Container mit 100 Titel sei ja bereits abgegeben. Die Anbieter und Provider, über die die behaupteten Urheberrechtsverletzungen abgewickelt werden, bleiben – nach der Rechtsprechung jedenfalls jenseits der Unterlassung14 – unbehelligt. Sie berufen sich auf ein Privileg nach §§ 7 ff. TMG. Das entspricht dem europäischen Recht in Art. 12 ff. ECRL, das selbst durch das deutsche IuKDG beeinflusst ist15, dessen Vorarbeiten im Jahre 1995 begannen.16 Zugrunde liegen die Erfahrungen des ganz frühen Internets, das gerade Bildschirmtext (Btx) ablöste. CompuServe eröffnete den Zugang zum Netz, bot Chats und den Zugang zu Informationen Dritter an, aber nicht den Speicher für jedermann, um die so erhaltenen Informationen für die Öffentlichkeit neu zu gruppieren und garniert mit eigener Werbung anbieten zu können. CompuServe gibt es nicht mehr, das an
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BGH, Urteil vom 11. März 2004 – I ZR 304/01, Rz. 34 nach juris. Spindler/Schuster/Hoffmann, Recht der elektronischen Medien, Komm., 2. Aufl., München 2011, Vorb. §§ 7 ff. TMG, Rz. 1 ff. 16 IuKDG-Komm., München 2001, Tettenborn, Einl IuKDG, Rz. 8. 15
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seinen Erfahrungen entwickelte Privileg17 wird von Nachfolgern mit sehr deutlich geänderter Ausrichtung genutzt.18 Inzwischen kämpfen wir mit einem gravierenden Wertungswiderspruch19, wenn jeder private Anschlussinhaber mittels hoher Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast zum potentiellen Täter gemacht wird, mit einiger Wahrscheinlichkeit aber als Störer in der Verantwortung bleibt wegen unzureichender Absicherung des Netzes oder wegen geradezu sozial untypischer Verpflichtungen zur Belehrung von Mitbenutzern seines WLAN, während für geschäftsmäßige Provider eine Haftungsprivilegierung gilt, die denjenigen sogar noch belohnt, der systematische Kontrollen des von ihm verwalteten Contents unterlässt.
VII. Fazit: Die Politik ist gefragt „Das Urheberrecht“ wird in weiten Kreisen derjenigen, die überhaupt erstmals durch die „Abmahnindustrie“ mit ihm in näheren Kontakt gebracht wurden, nicht als gerecht empfunden. Materielle Details des Urheberrechtsgesetzes spielen dabei ebenso eine Rolle wie die angemessenen Instrumente der Rechtsdurchsetzung. Zivilprozessuale Fragen der Darlegungslast aber auch des fliegenden Gerichtsstands sowie im weiteren Zusammenhang die Providerprivilegierung beschreiben die Bandbreite der zugrunde liegenden Rechtsfragen. Man muss entgegen mancher hektischen politischen Stellungnahme das Urheberrecht nicht gleich neu erfinden. Nicht jeder Rechteverletzer, der es einfach darauf ankommen lässt, ist „Verbraucher“, den es zu „entkriminalisieren“ gilt. Aber ein „3. Korb“, der die Dinge in nicht geschäftsmäßigem Bereich wieder auf ein Normalmaß bringt, ist überfällig. Eine Neujustierung der Providerhaftung ist notwendigerweise auf europäischer Ebene zu führen, dort müsste sie angestoßen werden.
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LG München I, Urteil vom 17. November 1999 – 20 Ns 465 Js 173158/95. Vgl. zum aktuellen Stand nach den Entscheidungen des EuGH im markenrechtlichen Kontext Ott, Das Neutralitätsgebot als Voraussetzung der Haftungspriviligierung des Host-Providers, K&R 2012, 387; Roth, Überwachungs- und Prüfungspflicht von Providern im Lichte der aktuellen EuGH-Rechtsprechung, ZUM 2012, 125. 19 Vgl. Kirchberg, Die Störerhaftung von Internetanschlussinhabern auf dem Prüfstand, ZUM 2012, 544. 18
Das Gedächtnis des Internets Online-Archive im Presse- und Urheberrecht Cornelius Renner
Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden. Sören Kierkegaard Bis in die 90er Jahre waren Zeitungsarchive für „Otto Normalverbraucher“ kaum zugänglich. Wer tatsächlich einmal einen alten Zeitungsartikel suchte, musste sich in die Tiefen eines Verlagsgebäudes oder einer Bibliothek begeben und – oft mit Mikrofiche – nach dem Gesuchten fahnden. Nachdem die Recherche durch CD-ROMs, die Archive ganzer Zeitungen enthielten, schon erheblich vereinfacht worden war, sind die Archivinhalte heute über das Internet nahezu für jedermann abrufbar. Und dass das Internet nicht vergisst, gilt auch für Zeitungsartikel. Dies stellt die Rechtsordnung vor neue Herausforderungen. Die Anbieter der Archive, meist Verlage, haben naturgemäß ein massives Interesse daran, dass sie einmal rechtmäßig eingestellte Beiträge in ihrem Archiv belassen können und das Archiv nicht ständig auf die Rechtmäßigkeit der Inhalte überprüfen müssen. Und tatsächlich wird es eine derartige Kontrolle der Rechtmäßigkeit bei den vorhandenen Archiven letztlich nicht geben. Probleme können sich wegen dieser Praxis sowohl in presserechtlicher als auch in urheberrechtlicher Hinsicht ergeben: Muss sich etwa ein Straftäter, über dessen Tat einmal in rechtmäßiger Weise berichtet wurde, nicht doch dagegen wehren können, dass die Tat für jedermann dauerhaft im Internet nachlesbar bleibt? Und muss es der Schöpfer eines Werkes, der die Nutzung seines Werkes in der Presse dulden muss, wenn sie im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse erfolgt, hinnehmen, dass das Werk auch abrufbar bleibt, wenn nach Ablauf einer gewissen Zeit von einem Tagesereignis nicht mehr gesprochen werden kann? Beide Fragen stellen sich rechtlich unter verschiedenen Vorzeichen. Gleichwohl wäre es gerade aus Sicht der Anbieter von Online-Archiven wünschenswert, wenn in beiden Bereichen eine einheitliche Linie erkennbar wäre. Derzeit löst der Bundesgerichtshof (BGH) die Konstellationen aller-
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dings entgegengesetzt – Libertus1 spricht von einer „sich öffnenden Haftungsschere“. Im Folgenden soll untersucht werden, ob und wie sich die Frage der Haftung für Inhalte in Online-Archiven nicht doch insgesamt konsistent lösen lässt.
I. Online-Archive im Presserecht Ausgangspunkt der presserechtlichen Archiv-Problematik ist zunächst, dass zumindest über schwerwiegende Straftaten regelmäßig in identifizierender Weise berichtet werden darf. Nach Ablauf eines gewissen Zeitraums ist dann allerdings danach zu fragen, inwieweit der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht noch zu rechtfertigen ist. In diesen Kontext ist dann auch die in Online-Archiven abrufbare Berichterstattung einzuordnen. 1. Berichterstattung über Straftaten Schwerwiegende Straftaten, aber auch leichtere Straftaten, wenn sie von Personen des öffentlichen Lebens begangen werden, sind oft zeitgeschichtliche Ereignisse, die eine Berichterstattung auch über den Täter – unter Nennung seines Namens und/oder mit seiner Abbildung – rechtfertigen können2. Bei der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit erforderlichen Abwägung sind die Art und Weise der Darstellung, die Natur und Schwere der Tat sowie die Bekanntheit und Bedeutung der Person des Täters zu berücksichtigen3, wobei im Rahmen der tagesaktuellen Berichterstattung über Straftaten regelmäßig das Informationsinteresse überwiegen wird.4 Dies rechtfertigt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)5 insbesondere daraus, dass derjenige, der den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern auch dulden muss, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird.
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CR 2012, 24,25. BVerfG ZUM 2010, 243, 246; Vgl. zur Bildberichterstattung über Straftaten im Einzelnen Renner, in: Wandtke, Praxishandbuch Medienrecht, Band 4, Kap. 3 Rn. 101. 3 BGH GRUR 2009, 150, 152 – Karsten Speck. 4 BVerfG ZUM 2010, 243, 246. 5 BVerfG ZUM 2010, 243, 246; BVerfG GRUR 1973, 541, 547 – Lebach; vgl. auch BGH GRUR 2010, 266, 267 – Online-Archiv; BGH GRUR 2009, 150, 154 – Karsten Speck. 2
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2. Zeitliche Grenze der Berichterstattung Andererseits schwindet das Informationsinteresse mit zeitlichem Abstand zur Tat. Wenn es auch längere Zeit nach der Begehung einer Straftat keine „vollständige Immunisierung“ vor der ungewollten Berichterstattung gibt6, ist aber anerkannt, dass mit zeitlicher Distanz das Recht des Täters, „alleingelassen zu werden“ und vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmend Bedeutung gewinnt.7 Zwar gibt es keine feste zeitliche Grenze.8 Anhaltspunkte bilden aber die Haftentlassung9 und die Löschung von Vorstrafen aus dem Bundeszentralregister.10 Das BVerfG11 hat auch längere Zeit nach der Begehung von Straftaten einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht allerdings dann verneint, wenn die Wirkung der erneuten Berichterstattung gering war. So führt es in der Lebach-II-Entscheidung12, in der es um die Ausstrahlung eines Films über den – in dem Film nur für wenige Zuschauer identifizierbaren – so genannten „Lebach-Mörder“ ging, aus: „Zwar ist es nicht ausgeschlossen, mittels entsprechender Recherchen die Namen der Täter herauszufinden. Angesichts des Zeitabstands der Tat von nunmehr 30 Jahren liegt diese Gefahr aber äußerst fern.“ Daneben kann ein aktueller Berichterstattungsanlass es rechtfertigen, über eine länger zurückliegende Straftat wieder zu berichten. An das Informationsinteresse sind allerdings insbesondere dann besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die erneute Berichterstattung über die Tat eine erhebliche neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken geeignet ist und die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft wesentlich zu erschweren droht.13 3. Dauerhafte Speicherung im Online-Archiv Wie lassen sich in dieses Raster aber Beiträge in Online-Archiven einfügen? An einem aktuellen Berichterstattungsanlass wird es in der Regel fehlen.
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BVerfG ZUM 2010, 243, 246. BGH GRUR 2010, 266, 267 f – Online-Archiv; BGH GRUR 2009, 150, 152 – Karsten Speck; vgl. auch BVerfG ZUM 2010, 243, 246. 8 OLG Hamburg ZUM-RD 2008, 405, 406. 9 OLG Hamburg ZUM-RD 2008, 405, 406; KG Berlin NJW-RR 2008, 492, 493; OLG Frankfurt ZUM 2007, 546, 547. 10 LG Köln BeckRS 2009, 05256; vgl. auch LG Köln NJW-RR 1993, 31, 32. 11 NJW 2000, 1859 ff. 12 NJW 2000, 1859, 1861. 13 BVerfG GRUR 1973, 541, 546 – Lebach; BGH GRUR 2009, 150, 152 – Karsten Speck. 7
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Reicht es also für die Rechtmäßigkeit der dauerhaften Veröffentlichung, dass die Meldung einmal rechtmäßig in einer Publikation erschienen ist? Der BGH14 hatte sich mit dieser Frage vor einigen Jahren im Zusammenhang mit Berichten über den Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr zu befassen und hat sie bejaht. Die Medien könnten, so der BGH, ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, in Wahrnehmung der Meinungsfreiheit die Öffentlichkeit zu informieren, nicht vollumfänglich wahrnehmen, wenn es ihnen generell verwehrt wäre, dem interessierten Rundfunkteilnehmer den Zugriff auf Mitschriften ursprünglich zulässiger Sendungen zu ermöglichen. Es sei insbesondere auch das Interesse zu berücksichtigen, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse recherchieren zu können. Zudem würde andernfalls eine nicht praktikable Verpflichtung zur Kontrolle der Online-Archive bestehen, wenn die dauerhafte Verbreitung bestimmter Beiträge in Archiven untersagt wäre. Dies könne dazu führen, dass die Medien gänzlich von der Archivierung der Beiträge absähen.15 Der BGH hält eine dauerhafte Archivierung daher dann für zulässig, wenn – der Beitrag nur durch eine gezielte Suche abrufbar, – nicht auf den aktuellen Seiten des Internetauftritts veröffentlicht – und als Altmeldung gekennzeichnet ist.16 Der BGH geht davon aus, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht bei einer derartigen Archivierung gering sei. Die Archivierung sei auch nicht deshalb unzulässig, weil sie den Betroffenen „ewig an den Pranger“ stelle. Das Auffinden der Berichterstattung setze eine gezielte Suche voraus und sei als „passive Darstellungsform“ nur Nutzern verfügbar, die sich selbst aktiv informierten. Zudem sei zu befürchten, dass ein generelles Verbot der Einsehbarkeit und Recherchierbarkeit oder ein Gebot der Löschung aller früheren Darstellungen dazu führe, dass „Geschichte getilgt und der Straftäter vollständig immunisiert würde.“ Der BGH17 hat diese Grundsätze in einer weiteren, neueren Entscheidung zu dem Sedlmayr-Mord im Wesentlichen noch einmal wiederholt. 4. Kritische Würdigung Die Ausführungen des BGH sind zunächst einmal in sich schlüssig und im Grundsatz auch nicht zu beanstanden. Gleichwohl hat der BGH sich mit den Facetten und Auswirkungen von Internetarchiven jedenfalls in den Entscheidungsgründen nicht hinreichend beschäftigt. 14 15 16 17
GRUR 2010, 266, 268 – Online-Archiv. BGH GRUR 2010, 266, 268 – Online-Archiv. BGH GRUR 2010, 266, 268 – Online-Archiv. ZUM 2011, 647 ff.
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Es ist hier zunächst zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen Beiträge über einen Straftäter tatsächlich in einem „geschlossenen“ Online-Archiv abrufbar sind, und Fällen, in denen Beiträge ohne weiteres über Google und andere Suchmaschinen aufgefunden werden können. a) Für Suchmaschinen „geschlossene“ Archive Im erstgenannten Fall eines Online-Archives, das nur über die Internetseite einer Zeitung aufgerufen werden kann und das sowohl kostenpflichtig als auch nicht kostenpflichtig ausgestaltet sein kann, ist dem BGH uneingeschränkt zu folgen. Hier setzt die Auffindbarkeit eine gezielte Suche nach alten Zeitungsberichten zu einer Person oder Straftat in einer bestimmten Zeitung voraus, die auch vor den Zeiten des Internets im „echten“ Archiv einer Zeitung, wenn auch mit erhöhtem Aufwand, jederzeit möglich gewesen wäre. Würde hier eine Löschung verlangt, drohte tatsächlich eine „Tilgung der Geschichte“, vor der der BGH warnt. Dieses Ergebnis ist auch im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts18 zu sehen, das es ausdrücklich für zulässig hält, dass Berichte über den Täter insbesondere für einen Personenkreis, der ihn ohnehin noch mit der Tat in Verbindung bringt, zugänglich bleiben können. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Täters ist hier, wie der BGH zu Recht ausführt, vergleichsweise gering, so dass die Interessen der Allgemeinheit an einer dauerhaften Archivierung überwiegen. b) Über Suchmaschinen auffindbare Archivbeiträge Anders stellt sich die Lage aber bei Online-Archiven dar, die für Suchmaschinen im Volltext durchsuchbar sind. Ist über einen ehemaligen Straftäter identifizierbar in bedeutenden Publikationen, etwa im „SPIEGEL“ oder einer großen überregionalen Tageszeitung, berichtet worden, ist es möglich, dass entsprechende Artikel bei der bloßen Eingabe des Namens des Betroffenen wegen des guten Rankings der Internetauftritte derartiger Publikationen an einer der ersten Stellen auf der Ergebnisseite der Suchmaschinen gezeigt werden, möglicherweise noch vor einem eigenen Internetauftritt des Betroffenen. Eine gezielte Suche nach der Straftat oder weiteren Stichworten ist gar nicht erforderlich. Es genügt die bloße Eingabe des Namens, die heutzutage nahezu immer dann erfolgt, wenn sich der Betroffene etwa für eine Stelle bewirbt oder andere geschäftliche Kontakte aufbaut. Das LG Hamburg19 führt in einer Entscheidung zum Sedlmayr-Mord, die vom OLG Hamburg20 bestätigt und dann vom BGH in der zitierten Entscheidung abgeändert wurde, zu dieser Frage aus: 18 19 20
NJW 2000, 1859, 1861. BeckRS 2011, 06523. ZUM 2009, 857.
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„Zwar ist zutreffend, dass „archivierte“ Artikel in der Regel nicht „zufällig“ gelesen werden, die durch den Einsatz hocheffizienter Suchmaschinen ermöglichte einfache und blitzschnelle Auffindbarkeit befördert aber alle älteren Artikel gleichberechtigt auf eine Ebene der Wahrnehmbarkeit und Reichweite, die nur knapp unterhalb der einer Veröffentlichung im „aktuellen“ Teil einer Internetplattform liegt. Demnach stellt es für den Kläger keine Erleichterung dar, dass ihn betreffende Artikel „nur“ über Suchmaschinen auffindbar sind, sondern die Möglichkeit einer derartigen Auffindbarkeit begründet gerade ein gegenüber anderen Formen der Publikation erheblich intensiviertes und ganz eigenes Maß an perpetuierter Beeinträchtigung.“ Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich der BGH mit diesen Frage auseinandergesetzt hätte21, zumal gerade auch ältere Entscheidungen zu der Frage immer wieder von der zumindest heute nicht mehr haltbaren Prämisse ausgehen, dass der Zugriff auf Artikel in Online-Archiven „stets vereinzelt bleiben“ werde.22 Es kommt noch hinzu, dass derartige Meldungen als „Multiplikatoren“ wirken, d.h. von anderen Zeitungen auch aktuell aufgegriffen werden, wenn der frühere Straftäter in völlig anderem Zusammenhang in die Öffentlichkeit tritt.23 Dagegen mag man zwar einwenden, dass neue Artikel sich ohne weiteres verbieten lassen, wenn eine erneute Berichterstattung wegen des Zeitablaufs nicht mehr zulässig ist. Dies ändert aber nichts daran, dass der Betroffene zunächst einmal wieder in die Öffentlichkeit „gezerrt“ wird und der regelmäßig erst nachträglich geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht verhindert, dass weitere Personen vom Vorleben des Betroffenen Kenntnis erlangen. Demnach ist zunächst festzuhalten, dass – anders als bei einem bloßen „geschlossenen“ Archiv auf den Internetseiten einer Zeitung oder eines anderen Medienunternehmens – ein erheblicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Straftäters im Einzelfall vorliegen mag, wenn ein ArchivArtikel über Suchmaschinen auffindbar ist. Hier wird man auf die Umstände des Einzelfalls abstellen müssen, insbesondere die konkrete Auffindbarkeit eines Artikels. Gut denkbar ist es auch zu verlangen, dass der Betroffene konkrete Nachteile darlegt, die ihm durch die Berichterstattung entstehen.24 Kann er dies, ist allerdings von einem erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht auszugehen. Dagegen sind nun die gewichtigen Argumente abzuwägen, die der BGH zugunsten des Archivbetreibers zu Recht in die Waagschale wirft. Zu berück21 22 23 24
Vgl. auch Gounalakis LMK 2010, 300818 (Anm. zu BGH GRUR 2012, 266). KG AfP 2006, 561, 563. Vgl. auch OLG Hamburg ZUM 2009, 857, 859. KG AfP 2006, 561, 563; Libertus MMR 2007, 143, 146.
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sichtigen ist zum einen, dass die Auffindbarkeit älterer Beiträge durchaus dauerhaft gewährleistet sein muss. Eine „Tilgung der Geschichte“ darf nicht stattfinden. Dem ist aber hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Archivierung in einem echten „Offline-Archiv“ möglich bleibt und zudem selbst eine Online-Archivierung in einem „geschlossenen“ Archiv zulässig bleiben muss. Einen Anspruch der Öffentlichkeit oder der Presse auf das dauerhafte leichte Auffinden von Straftaten aus der früheren Vergangenheit, auf ein „Googlen“ des Vorlebens einer Person, kann es nicht geben. Dafür spricht vor allem auch die gesetzgeberische Wertung des Bundeszentralregistergesetzes, das in § 34 vorsieht, dass selbst schwerste Straftaten schon nach 10 Jahren nicht mehr in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen werden dürfen, und in § 24, dass sie nach spätestens 20 Jahren komplett zu löschen sind. Wenn sich selbst beim Anfordern eines polizeilichen Führungszeugnisses eine Straftat nicht mehr feststellen lässt, ist nicht ersichtlich, warum sie auf noch viel einfachere Art und Weise auffindbar sein muss. Es bleibt das – allerdings gewichtige – Argument, dass die Presse- und Meinungsfreiheit bei einer praktisch nicht zu erfüllenden Recherchepflicht eingeschränkt würde. Dieses Risiko ist nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere dann, wenn – wie hier vertreten – die Antwort auf die Frage, ob die Archivierung in Online-Archiven, die über Suchmaschinen durchsuchbar sind, zulässig bleibt, auch davon abhängt, wie einfach ein Beitrag auffindbar ist und wie schwer die dauerhafte Beeinträchtigung wiegt, ist eine Einzelfallprüfung der Archivbetreiber schlichtweg nicht möglich und könnte dazu führen, dass eine Archivierung gänzlich unterlassen wird. Dies wäre selbst dann nicht wünschenswert, wenn eine Veröffentlichung in „geschlossenen“ Archiven zulässig bliebe. Denn die Möglichkeit, Online-Archive auch über Suchmaschinen zu durchsuchen, ist nicht nur grundsätzlich nicht zu beanstanden, sondern auch wünschenswert und führt in den meisten Fällen auch nicht zu unzulässigen Beeinträchtigungen Dritter. Eine manuelle Überprüfung aber, ob und wann ein Beitrag für die Suchmaschinen zu sperren ist, ist nicht handhabbar. Dem kann indes mit den Grundsätzen der Störerhaftung Rechnung getragen werden. Denn die Frage der Zumutbarkeit von Vorab-Prüfungspflichten ist im Äußerungsrecht ein bekanntes Problem. Der unter anderem für deliktsrechtliche Ansprüche aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des BGH25 geht – ebenso wie der I. Zivilsenat26 im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht – davon aus, dass bei der Veröffentlichung von Inhalten Dritter Prüfungspflichten bestehen, deren Um-
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GRUR 2012, 311, 313. GRUR 2004, 860, 864 – Internet-Versteigerung I; GRUR 2008, 702, 706 – InternetVersteigerung III; GRUR 2011, 1038, 1039 – Stiftparfüm. 26
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fang sich danach bestimmt, „ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, eine Prüfung zuzumuten“ ist. Nun geht es vorliegend zwar meist27 um eigene Veröffentlichungen. Gerade unter Berücksichtigung dessen ist es aber zumutbar, nach einer Beanstandung durch den Betroffenen, die noch sanktionslos ist, also etwa auch nicht die Erstattung von Abmahnkosten nach sich zieht, einen Beitrag – wenn die weitere Veröffentlichung sich als unzulässig herausstellen sollte – zu entfernen oder für Suchmaschinen zu sperren. Sowohl die dann nur im Einzelfall erforderliche Prüfung als auch die – technisch mögliche – Sperrung des Beitrags sind ohne weiteres zumutbar. Die Beseitigungspflicht sollte demnach davon abhängen, dass der Betroffene eine Veröffentlichung im Archiv beanstandet. Erst dann sollte eine Prüfungspflicht entstehen. Dies ist – wie auch in zahlreichen anderen Bereichen – ohne weiteres zumutbar und lässt es nicht befürchten, dass die Medien Beiträge nicht mehr archivieren oder gar von vornherein von einer Berichterstattung absehen.
II. Online-Archive im Urheberrecht Urheberrechtlich führt die Archivierung von Zeitungsbeiträgen zu einem ähnlichen Problem, wenn diese die Wiedergabe von Werken im Sinne des § 2 UrhG enthalten. 1. Berichterstattung über Tagesereignisse Nach § 50 UrhG ist zur Berichterstattung über Tagesereignisse durch Funk oder durch ähnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datenträgern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig. Dabei ist unter einem Tagesereignis jedes aktuelle Geschehen zu verstehen, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist, wobei ein Geschehen so lange aktuell ist, wie ein Bericht darüber von der Öffentlichkeit noch als Gegenwartsberichterstattung empfunden wird.28 27 Anders kann es sein, wenn der Archivbetreiber im Verhältnis zum Medienunternehmen, das die Meldung ursprünglich publiziert hat, ein Dritter ist. 28 BGH GRUR 2002, 1050, 1051 – Zeitungsbericht als Tagesereignis; BGH GRUR 2008, 693 – TV-Total.
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2. Dauerhafte Speicherung im Online-Archiv Das Tagesereignis des einen Tages ist also nicht das des nächsten. Ohne Zweifel kommt also bei jedem Tagesereignis ein Zeitpunkt, zu dem das Werk unter Berufung auf die Schranke des § 50 UrhG nicht mehr (neu) veröffentlicht werden dürfte. Es fragt sich also ebenso wie bei der Berichterstattung über Straftäter, ob ein Medienunternehmen, das ein einmal zulässigerweise vervielfältigtes und öffentlich zugänglich gemachtes Werk im Rahmen der Berichterstattung in einem Online-Archiv dauerhaft archivieren darf oder ob eine Löschungspflicht besteht. Der I. Zivilsenat des BGH29 hat diese Frage anders beantwortet als der VI. Senat im Presserecht und hat eine Löschungspflicht angenommen. Es komme, so der BGH, für die Frage der Löschungspflicht darauf an, ob eine punktuelle oder eine dauerhafte Beeinträchtigung des Urhebers eingetreten sei. Ein Eingriff in das Urheberrecht bedürfe stets so lange einer Rechtfertigung, wie er andauere. Bestehe der Eingriff in einer punktuellen Handlung, wie etwa bei einer Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes, so müsse er zum Zeitpunkt dieser Handlung gerechtfertigt sein. Handele es sich bei dem Eingriff dagegen um eine Dauerhandlung, wie bei einer öffentlichen Zugänglichmachung des Werkes, müsse er während des gesamten Zeitraums dieser Handlung gerechtfertigt sein. Die öffentliche Zugänglichmachung eines Werkes zum Zweck der Berichterstattung über ein Tagesereignis sei daher nur so lange nach § 50 UrhG in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zulässig, wie das Ereignis, über das berichtet werde, noch als ein Tagesereignis anzusehen sei. Da die öffentliche Zugänglichmachung des Werkes im OnlineArchiv – anders als die Vervielfältigung und Verbreitung bei Herstellung und Vertrieb einer Zeitung – eine Dauerhandlung sei, müsse die Aktualität stets gegeben sein. Dass der Gesetzgeber § 50 UrhG im Jahr 2003 mit einer Ergänzung um die Worte „oder durch ähnliche technische Mittel“ an neue technische Entwicklungen angepasst habe, sei nicht so zu verstehen, dass auch eine dauerhafte Veröffentlichung habe gerechtfertigt sein sollen. Wie der VI. Zivilsenat prüft auch der I. Zivilsenat die Frage, ob es zumutbar ist, das Archiv ständig zu kontrollieren. Diese Pflicht sei, so der BGH, schon deshalb nicht unzumutbar, weil es dem Verlag unbenommen sei, sein Online-Archiv so zu gestalten, dass Abbildungen nach Ablauf einer Aktualitätszeitspanne – möglicherweise automatisch – gelöscht würden. Der Verlag könne auch jeglichen Überprüfungsaufwand dadurch vermeiden, dass er die Berichte von vornherein ohne Abbildungen urheberrechtlich geschützter Werke ins Online-Archiv übernehme. Er könne sich schließlich dafür, dass er die Abbildungen längere Zeit in seinem Online-Archiv zugänglich mache,
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GRUR 2011, 415 – Kunstausstellung im Online-Archiv.
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entsprechende Nutzungsrechte einräumen lassen und dafür eine angemessene Nutzungsvergütung zahlen. Der Senat prüft schließlich, ob wie im Bereich des Presserechts eine weitergehende Abwägung in Betracht komme. Dies sei indes im Hinblick auf die grundsätzlich abschließende Regelung, die das Gesetz unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich verbrieften Interessen der Nutzerseite für die aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse und ihre Beschränkungen treffe, nicht der Fall. 3. Kritische Würdigung Auch hier wäre indes eine differenziertere Betrachtung wünschenswert gewesen. Ausgangspunkt ist zwar zunächst, dass jede Art einer neuen Verwertung eines Artikels von § 50 UrhG nicht abgedeckt ist.30 Das bedeutet auch, dass jede öffentliche Zugänglichmachung in einem Online-Archiv nicht mehr von § 50 UrhG gedeckt sein kann, soweit sie einer neuen Verwertung gleichkommt. Auch insofern kann eine Unterscheidung zwischen offenen, über Suchmaschinen durchsuchbaren und „geschlossenen“ Archiven, die nur über die Seiten des Archivbetreibers zu durchsuchen sind, sinnvoll sein. a) Für Suchmaschinen „geschlossene“ Archive Nicht von einer erneuten Verwertung kann bei den bereits erwähnten „geschlossenen“ Online-Archiven die Rede sein, die nur von der Internetseite einer Zeitung oder eines anderen Medienunternehmens abrufbar sind. Denn es kann ohne weiteres als vom Zweck des § 50 abgedeckt angesehen werden, dass Zeitungsartikel in der ursprünglichen Fassung in einem Archiv verbleiben. Wenn es sich um ein Online-Archiv handelt, ist der Kreis der Betrachter zwar immer noch deutlich größer als bei einem „Offline“-Archiv. Dass der Kreis der Betrachter durch die Digitalisierung von Medieninhalten weiter gezogen sein würde, kann aber auch der Gesetzgeber nicht verkannt haben, als er § 50 UrhG im Jahr 2003 im Rahmen des Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft geändert hat. Zweck der Änderung war nach der amtlichen Begründung31, die „Berichterstattung im Rahmen digitaler Online-Medien“ zu erfassen. Damit ist zwar in erster Linie die erstmalige öffentliche Zugänglichmachung gemeint. Allerdings nennt der Gesetzestext ausdrücklich auch die Verwertung auf „sonstigen Datenträgern“. Hier scheint der Gesetzgeber vor allem auch CD-ROMs im Auge gehabt zu haben. Klassischerweise werden und wurden Zeitungen nicht als aktuelle Ausgaben auf CD-ROM vertrieben, sondern als Archivausgaben. 30 31
Vgl. auch LG Hamburg GRUR 1989, 591 – Neonrevier. BT-DS 15/38.
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Der Gesetzgeber dürfte damit zumindest damit gerechnet haben, dass es zu späteren Verbreitungshandlungen auf Datenträgern kommt. Hier ist die weitergehende öffentliche Zugänglichmachung in einem „geschlossenen“ Archiv qualitativ kein Unterschied, der zwingend zu einer anderen Beurteilung führen muss. Es kommt hinzu, dass die Ausführungen des BGH zur Zumutbarkeit einer Löschung in vielen Fällen nicht passen. In dem von dem BGH entschiedenen Fall ging es offenbar um Rechte der Verwertungsgesellschaft BildKunst, die eine Veröffentlichung im Rahmen des § 50 UrhG für vier Wochen für zulässig hielt. Demnach mag es in manchen Fällen Anhaltspunkte für eine klare zeitliche Grenze der Nutzung geben. Dies lässt sich so aber nicht pauschal für alle Werke annehmen, zumal oft fraglich ist, an welchen Zeitpunkt etwa bei einer längeren Ausstellung anzuknüpfen ist. Da im Zweifel auch nach der Werkart zu differenzieren ist, dürfte ein automatisiertes Löschungsverfahren eher ausscheiden.32 Beiträge mit Werken, über die im Rahmen von Tagesereignissen berichtet wurde, aber gar nicht oder ohne Wiedergabe des Werks zu archivieren, ist weder wünschenswert noch zumutbar. Gerade bei temporärer Kunst, zu der eine Kritik mit Foto erscheint, würde dies dazu führen, dass der Beitrag – für sich genommen regemäßig ein eigenes Sprachwerk – im Archiv ohne das begutachtete Subjekt letztlich sinnlos würde33, zumindest soweit eine Verwertung nicht nach § 51 UrhG im Rahmen des Zitatrechts zulässig wäre. Eine manuelle Filterung dürfte aber auch hier kaum praktikabel sein.34 Dogmatisch lässt sich diese Abwägung der Interessen, die im Wortlaut des § 50 UrhG nicht verankert ist, durchaus begründen. Das Bundesverfassungsgericht35 verweist – im Zusammenhang mit der Zitierfreiheit nach § 51 UrhG – ausdrücklich darauf, dass die Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff. UrhG „einen Ausgleich zwischen den verschiedenen – auch verfassungsrechtlich – geschützten Interessen schaffen“ müssten. Die Rechte Dritter seien insbesondere dann von Bedeutung, wenn nur ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr wirtschaftlicher Nachteile drohe.36 Der Eingriff in die Presse- und Rundfunkfreiheit durch eine für die Medien nicht praktikable Löschungspflicht ist hier demnach durchaus zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite ist den Interessen des Urhebers bei der Berichterstat-
32 Vgl. zu den Prüfungspflichten auch die Vorinstanz zu der Entscheidung des BGH: LG Braunschweig BeckRS 2009, 28660. 33 So auch Libertus CR 2012, 24, 29. 34 Für eine nähere Prüfung der Zumutbarkeit spricht sich auch Karger, GRUR-Prax 2009, 16, aus. 35 NJW 2011, 598, 599. 36 A.a.O.; vgl. dazu auch Libertus, CR 2012, 24, 28, der unter Hinweis auf diese Entscheidung ebenfalls eine Interessenabwägung für denkbar hält.
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tung über Tagesereignisse hinreichend Rechnung zu tragen, zu denen der BGH37 in einer Entscheidung aus dem Jahr 1982 folgendes ausgeführt hat: „Es verbleibt in Fällen der vorliegenden Art allenfalls eine so geringe Beeinträchtigung urheberrechtlicher Interessen, die zudem noch durch die Vorteile aus einer Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes in einer Tageszeitung aufgewogen wird, dass ihnen gegenüber das Informationsinteresse der Allgemeinheit und das Recht der Presse auf freie Berichterstattung auch bei Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Vorrang haben muss.“ Die dauerhafte Zugänglichmachung in einem „geschlossenen“ Archiv stellt keinen wesentlich schwerwiegenderen Eingriff als der ursprüngliche Bericht dar, so dass die weitere Veröffentlichung zulässig bleiben muss. b) Über Suchmaschinen auffindbare Archivbeiträge In die Nähe einer neuen Verwertung kommt hingegen die weitere öffentliche Zugänglichmachung jedenfalls dann, wenn ein Beitrag, in dem ein urheberrechtlich geschütztes Werk genutzt wird, über Suchmaschinen auffindbar ist und wenn dann etwa das Werk in der Google-Bildersuche erscheint. Von der ratio des § 50 UrhG ist es nicht gedeckt, dass kontextunabhängig für alle Zeit über Suchmaschinen nach Vervielfältigungen eines Werks gesucht werden kann. Eine derartige Archivierung in einem über Suchmaschinen zu recherchierenden Archiv ist damit, sobald ein Tagesereignis nicht mehr vorliegt, unzulässig. Auch wenn es grundsätzlich wünschenswert ist, dass die in Rede stehenden Beiträge jedenfalls so lange, wie sie noch tagesaktuell sind, auch über Suchmaschinen auffindbar sind, kommt eine Sperrungspflicht erst nach einer Beanstandung, anders als im Presserecht, nicht in Betracht. Insofern ist zum einen die gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, nach der die Aktualität und damit die Zulässigkeit der Veröffentlichung schlicht durch Zeitablauf entfällt, zum anderen ist es dem Archivbetreiber eher zumutbar, einen Beitrag später zu sperren oder ihn erst gar nicht für die Durchsuchbarkeit freizugeben. Denn der Zeitpunkt, ab dem die Veröffentlichung nicht mehr zulässig ist, liegt deutlich näher an dem Zeitpunkt der Veröffentlichung als im Falle der Berichterstattung über Straftaten. Zudem kommt es in deutlich geringerem Maße auf die Umstände des Einzelfalls an, so dass es etwa denkbar erscheint, eine automatische Sperrung nach einer Woche einzurichten, was technisch ohne weiteres möglich sein dürfte.
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GRUR 1983, 25, 27.
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III. Ergebnis Betreibern von Online-Archiven mit journalistischem Inhalt sollte es grundsätzlich möglich sein, sowohl Beiträge, die nach Ablauf eines längeren Zeitraums Persönlichkeitsrechte verletzen, als auch Beiträge, in deren über urheberrechtlich geschützte Werke als Tagesereignisse berichtet wird, dauerhaft abrufbar zu halten. Von dem Zeitpunkt an, ab dem eine Veröffentlichung unzulässig würde, sollte eine Veröffentlichung jedoch nur noch in einem über Suchmaschinen nicht durchsuchbaren Archiv möglich sein. Im Presserecht sollte jedoch auch die Pflicht, einen Beitrag für Suchmaschinen zu sperren, von einer Aufforderung durch den Betroffenen abhängen.
Gegendarstellung im Internet – Anspruchsverpflichtung und Platzierung Michael Fricke
Artur-Axel Wandtke hat im Vorwort zur zweiten Auflage des von ihm herausgegebenen „Praxishandbuch Medienrecht“ darauf hingewiesen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verbreitung von Medienprodukten immer komplexer werden. Diese These lässt sich vielfach belegen, in der Judikatur etwa durch die Ausdifferenzierung der Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Äußerungsrecht, in der Legislative durch eine Reihe von Bestimmungen des Medienrechts, deren Regelungsgehalt sich aufgrund ihrer Unübersichtlichkeit nicht leicht erschließt. Hierzu zählt auch § 56 RStV, der regelt, unter welchen Umständen dem von einer Internet-Veröffentlichung Betroffenen ein Gegendarstellungsanspruch zusteht. Dabei gibt es in vielen Punkten Übereinstimmungen mit dem Gegendarstellungsrecht der anderen Medien, die hier nicht behandelt werden können; die Norm enthält aber auch einige internetspezifische Besonderheiten, von denen sich dieser Beitrag – nach einem Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen – mit den beiden in der Praxis wohl wichtigsten befasst, nämlich dem Kreis der Anspruchsverpflichteten und den Vorgaben für die Platzierung der Gegendarstellung.
I. Verfassungsrechtliche Grundlagen Der Gegendarstellungsanspruch gibt dem Betroffenen die Möglichkeit, einer Darstellung in den Medien mit eigenen Worten entgegenzutreten. Er wird verfassungsrechtlich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützt und stellt eine Schranke der Mediengrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG dar. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) findet diese Schranke Anlass und Berechtigung darin, dass ein Ungleichgewicht zwischen der publizistischen Wirkungskraft der Massenmedien und den begrenzten Möglichkeiten des Einzelnen besteht, der einer medialen Darstellung regelmäßig nicht mit gleicher publizistischer Wirkung entgegentreten kann.1
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BVerfG NJW 1998, 1381 ff.
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Daran anknüpfend hat das BVerfG eine aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgende Schutzpflicht des Gesetzgebers postuliert. Diesem obliege es zum Ausgleich dieses Gefälles, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf seine Individualsphäre zu schützen. Diese Schutzpflicht bildet die verfassungsrechtliche Basis der verschiedenen Gegendarstellungsansprüche, also auch des § 56 RStV, bei dessen Interpretation sie mit zu berücksichtigen ist.
II. Kreis der Anspruchsverpflichteten Nach § 56 Abs. 1 S. 1 RStV sind anspruchsverpflichtet „Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden.“ Anders als im Gegendarstellungsrecht der Presse (und ebenso wie im Gegendarstellungsrecht des Rundfunks) besteht daneben keine Anspruchsverpflichtung des verantwortlichen Redakteurs. Die Frage, wie weit der Kreis der Anbieter von Telemedien nach § 56 Abs. 1 S. 1 RStV zu ziehen ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich gesehen. Weitgehend Einigkeit besteht darin, dass bloße Zugangsvermittler (Access-Provider) nach § 56 RStV nicht anspruchsverpflichtet sind.2 Das steht im Einklang mit dem Gegendarstellungsrecht der klassischen Medien, das die Beschränkung auf die inhaltlich Verantwortlichen vorsieht und nicht etwa die zusätzliche Anspruchsverpflichtung der technischen Verbreiter kennt. Auch reine Host-Provider, also etwa Plattformen wie YouTube oder Social-Media-Anbieter wie Facebook, die von Dritten eingegebene fremde Inhalte zugänglich machen,3 werden richtigerweise als nicht anspruchsverpflichtet angesehen, sei es weil man annimmt, dass der Gesetzgeber von vornherein nur die Anbieter eigener Inhalte erfassen wollte, sei es weil man die Haftungsprivilegierungen der §§ 8 ff. TMG auf den Gegendarstellungsanspruch anwendet.4 Letztlich kann nur der Anbieter eigener (und selbst ausgewählter fremder) Inhalte als anspruchsverpflichtet angesehen werden. Das erscheint auch deshalb sachgerecht, weil er der eigentliche „Herr des Mediums“ ist, über dessen Inhalte er entscheidet.5 2 Vgl. Hahn/Vesting/Schulz, Beckscher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 56 RStV Rn. 17; a.A. Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl. 2010, Rn. 123. 3 Vgl. zu diesem Kriterium Hoeren/Sieber/Höfinger, Handbuch des Multimediarechts, Stand: Oktober 2007, 18.1 Rn. 40. 4 Spindler/Schuster/Mann, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 56 RStV Rn. 14. 5 Hahn/Vesting/Schulz, Beckscher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 56 RStV Rn. 16.
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Was die inhaltliche Seite angeht, fragt sich, ob § 56 RStV auf die OnlineAngebote der periodischen Presse 6 beschränkt sein soll. Auf ein solches Verständnis deutet die Gesetzesbegründung. Nach der Begründung der Vorgängervorschriften der §§ 10 (bzw. später 14) MDStV galten sie „nur für Anbieter von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ und sollten „dem Einfluss dieser Angebote auf die öffentliche Meinungsbildung“ Rechnung tragen.7 Nach der Begründung zu § 56 RStV, die im Wesentlichen auf die Begründung zu § 14 MDStV verweist, soll diese Vorschrift „für massenkommunikative Telemedien (elektronische Presse)“ gelten.8 Der Gesetzeswortlaut von § 56 RStV unterscheidet sich indes von demjenigen der Vorgängerregelungen in einer kleinen, aber nicht unerheblichen Nuance: Nunmehr ist davon die Rede, dass anspruchsverpflichtet solche Angebote sind, in denen insbesondere Inhalte periodischer Druckerzeugnisse wiedergegeben werden. Damit ist klargestellt, dass die hier so genannte elektronische Presse in der Norm nur beispielhaft für journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote genannt wird; der Anwendungsbereich der Norm ist nicht auf die elektronische Presse beschränkt. Welche sonstigen Angebote fallen dann noch unter § 56 RStV? In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise versucht, ein „journalistisch-redaktionell gestaltetes“ Angebot eher unabhängig vom im Gesetz genannten Beispiel der elektronischen Presse näher zu definieren.9 Dem folgend hat etwa das OLG Bremen Merkmale genannt,10 die für ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot kennzeichnend sein sollen, nämlich eine gewisse Selektivität und Strukturierung, das Treffen einer Auswahl nach ihrer angenommenen gesellschaftlichen Relevanz mit dem Ziel des Anbieters, zur öffentlichen Kommunikation beizutragen, die Ausrichtung an Tatsachen, ein hohes Maß an Aktualität, ein hoher Grad an Professionalisierung der Arbeitsweise und ein gewisser Grad an organisierter Verfestigung, der eine gewisse Kontinuität gewährleistet. Hiernach hat das OLG Bremen eine Anwaltshomepage, in der regelmäßig Neuigkeiten unter „Topnews für Anleger“ publiziert und unter der Rubrik „Medien“ laufend Pressemitteilungen herausgegeben wurden, als gegendarstellungspflichtig angesehen. In der Literatur wird die Auffassung des OLG Bremen als zu streng und restriktiv kritisiert.11 Vertreten wird stattdessen, dass ein journalistisch-re6 Das sind neben den eigentlichen Online-Angeboten der Presse auch Presseprodukte als e-Paper sowie e-mail-Newsletter (vgl. zu erstgenannten beispielhaft: LG Köln KRS 08.013 – www.aerzteblatt.de; LG Berlin ZUM-RD 2011, 244 – www.berliner-kurier.de). 7 Vgl. etwa Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 13/1663, S. 12. 8 Vgl. Hartstein/Ring/Kreile/Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, A 2.7, S. 14. 9 Hahn/Vesting/Held, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, § 54 RStV Rn. 49 ff. 10 OLG Bremen NJW 2011, 1611. 11 Zoebisch, ZUM 2011, 390 (393); i.E. auch Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 4. Aufl. 2010, Rn. 82.
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daktionelles Angebot lediglich eine eigenständige Auswahl und Bearbeitung voraussetze, erkennbar als Information der Öffentlichkeit gedacht ist und sich nicht auf die Selbstdarstellung des Anbieters beschränkt.12 Auch dies wird teilweise noch als zu eng und kaum differenzierbar kritisiert.13 All diese Auffassungen gehen nun ihrerseits zu weit. Kritik am Bremer Urteil ist zwar im Grundsatz berechtigt, zumal die Kriterien des OLG Bremen zum Teil unscharf und unspezifisch sind – woran ist etwa der erforderliche Grad an Professionalisierung und organisatorischer Verfestigung festzumachen? Was soll die Frage nach der Ausrichtung an Tatsachen, wo doch auch der Kommentar eine klassische journalistische Darstellungsform ist? Das OLG Bremen verliert aber ebenso wie seine Kritiker das gesetzliche Beispiel der elektronischen Presse bei der Auslegung von § 56 RStV aus dem Blick.14 Denn mit dem insbesondere-Passus macht das Gesetz ja deutlich, dass nur Angebote, die der elektronischen Presse inhaltlich vergleichbar sind, unter § 56 RStV fallen sollen.15 Das deckt sich auch mit dem Gesetzeszweck nach dem Willen des Gesetzgebers: Wenn nämlich der Gegendarstellungsanspruch dazu dient, einen gewissen Ausgleich zwischen der Wirkungsmacht der Massenmedien und den Äußerungsmöglichkeiten des Betroffenen herzustellen, wie es auch in der Gesetzesbegründung betont wird,16 sollten auch von § 56 RStV letztlich nur Angebote erfasst werden, die eine den Massenmedien vergleichbare Breitenwirkung besitzen bzw. auf eine solche Wirkung zielen. Für ein enges und am Beispiel der elektronischen Presse orientiertes Verständnis der „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote“ spricht überdies die Gesetzessystematik. Wenn der Gesetzgeber den Anbietern von Telemedien mit journalistisch-redaktionellen Inhalten in § 55 Abs. 3 i.V.m. § 9a RStV den klassischen journalistischen Auskunftsanspruch gegenüber Behörden einräumt, ist es nur konsequent, den Kreis der von §§ 55, 56 RStV erfassten Anbieter auf diejenigen Angebote zu beschränken, die ihrer inhaltlichen Ausrichtung nach der elektronischen Presse vergleichbar sind. In diese Richtung geht eine Auffassung, die verlangt, dass es vorstellbar sein müsse, dass das Angebot in gedruckter Form ernsthaft als periodisches Druckerzeugnis denkbar sei.17 Dabei muss man nicht so weit gehen, dass man hierzu nur solche Angebote zählt, die im Prozess der öffentlichen Kommunikation eine 12
Dürr, Der Gegendarstellungsanspruch im Internet, 2000, S. 136. Zoebisch, ZUM 2011, 390 (393). 14 Das übersehen auch Ernst, ITRB 2012, 17 und Zöbisch, ZUM 2011, 390, 393. 15 Spindler/Schuster/Mann, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 56 RStV Rn. 13, spricht von wesensmäßig ähnlichen Angeboten. 16 Begründung zu § 10 MDStV: Die Vorschrift trägt dem Einfluss dieser Angebote auf die öffentliche Meinungsbildung und der damit verbundenen Notwendigkeit Rechnung, ein ausgleichendes Gegengewicht zum Schutz des von einer Tatsachenbehauptung in einem solchen Angebot Betroffenen zu schaffen. 17 Kitz, ZUM 2007, 368 (371); a.A. Hoeren, NJW 2007, 801 (803). 13
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hervorgehobene Stellung einnehmen.18 Entscheidend sollte sein, dass der Schwerpunkt des Angebots auf einer journalistischen Darstellung liegt, bei der zumindest ein erkennbarer Anspruch besteht, zur allgemeinen öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, was auch aus einer gewissen Objektivität19 und Distanz zum Gegenstand der Information ablesbar sein muss. Streitig ist überdies, ob dem „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot“ die Periodizität des Erscheinens immanent ist, so dass bei Angeboten, in denen nicht in ständiger Folge neue Beiträge eingestellt werden, ein Gegendarstellungsanspruch ausgeschlossen ist.20 Letztlich führt das Periodizitätskriterium vor allem dazu, dass statische Angebote aus dem Anwendungsbereich des § 56 RStV ausgeschieden werden, die faktisch ohnehin für Gegendarstellungsverlangen kaum relevant sein dürften, da nach Erreichen der Ausschlussfristen des § 56 Abs. 2 S. 4 RStV keine Gegendarstellung mehr möglich ist. Gleichwohl ist es richtig, zumindest eine gewisse Stetigkeit bei der Aktualisierung zu verlangen,21 zumal das Gesetz sich ja auch gerade am Beispiel der periodischen Presse orientiert. Im Ergebnis kommt es für die Zuordnung eines Angebots zum Kreis der nach § 56 RStV Anspruchsverpflichteten wesentlich auf die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall an, und eine typisierende Einordnung ist nur bedingt möglich. So wäre in dem vom OLG Bremen entschiedenen Fall nach der hier vertretenen Auffassung dann kein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot anzunehmen, wenn die fragliche Internetseite der Rechtsanwaltskanzlei nicht vorrangig Informations-, sondern Selbstdarstellungszwecken diente.22 Dasselbe wird auch generell für Internetseiten von Unternehmen gelten müssen, die „News“-Rubriken enthalten, wenn diese nur ergänzend neben die Selbstdarstellung des Unternehmens treten.23 Bei Social Media Accounts24 ist zu differenzieren: Accounts mit frei zugänglichen journalistisch-redaktionellen Inhalten25 sind impressumspflichtig 26 und unterliegen auch § 56 RStV. Das gilt indes nicht für Accounts, die sich nur an einen 18
So Korte, Das Recht auf Gegendarstellung im Wandel der Medien, 2002, S. 100. So Wandtke/Renner, Medienrecht, 2. Aufl. 2011, Band 4, Kap. 3, Rn. 38. 20 So Spindler/Schuster/Mann, Recht der elektronischen Medien, 2. Aufl. 2011, § 56 RStV Rn. 13; Ory, AfP 1998, 465 (466) lässt Änderungen im halbjährigen Turnus genügen; a.A. wohl OLG Bremen NJW 2011, 1611. 21 Wandtke/Renner, Medienrecht, 2. Aufl. 2011, Band 4, Kap. 3, Rn. 38. 22 Dies lässt sich der veröffentlichten Entscheidung nicht entnehmen, vgl. OLG Bremen NJW 2011, 1611. 23 Kitz, ZUM 2007, 368 (371), will Unternehmenshomepages gänzlich von § 56 RStV ausnehmen. 24 Der Inhaber eines Facebook- oder Twitter-Accounts ist Anbieter eines Telemediums, vgl. Krieg, juris PR-ItR 13/2011 Anm. 3; Lapp, ITRB 2010, 213; für Händlerprofile auf einer Verkaufsplattform vgl. OLG Düsseldorf MMR 2008, 682. 25 Wie etwa die auf diesen Plattformen zunehmenden Accounts der etablierten Medien. 26 Vgl. LG Aschaffenburg MMR 2012, 38. 19
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begrenzten Freundeskreis richten,27 hier fehlt es an der massenmedialen Breitenwirkung und meist auch an der journalistisch-redaktionellen Auswahl und Darstellung. In ähnlicher Weise ist auch bei Blogs zu unterscheiden: Journalistisch geprägte Blogs, die ersichtlich auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken wollen,28 unterfallen § 56 RStV,29 nicht hingegen in der Regel Blogs, die vor allem der Selbstdarstellung dienen, wie regelmäßig Blogs von Privatpersonen, Unternehmen und Politikern.30 Dasselbe gilt für Blogs mit künstlerischen, selbstreflexiven oder tagebuchartigen Inhalten.31 Ein journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot liegt auch nicht vor bei einer einfachen privaten Homepage,32 bei Foren oder Chatrooms, die allesamt inhaltlich schon von vornherein nicht der elektronischen Presse vergleichbar sind. Bei Foren und Chats fehlt es überdies schon an jeglicher redaktioneller Auswahl und Bearbeitung.
III. Platzierung der Gegendarstellung § 56 Abs. 1 S. 2 RStV enthält verschiedene Vorgaben zu Aufmachung und Platzierung der Gegendarstellung, die dem Gebot der Waffengleichheit Rechnung tragen. Die Gegendarstellung muss im gleichen Angebot und in gleicher Aufmachung wie die Erstmitteilung veröffentlicht werden. Wenn die Erstmitteilung noch abrufbar ist, muss die Gegendarstellung in unmittelbarer Verknüpfung mit ihr veröffentlicht werden. Grundsätzlich müssen Gegendarstellung und Erstmitteilung gemeinsam auf dem Bildschirm erscheinen.33 Ist dies wegen des begrenzten Platzes, der zur Verfügung steht,34 oder wegen der Länge der Gegendarstellung nicht möglich, genügt die Verknüpfung von Erstmitteilung und Gegendarstellung mittels eines direkten Hyperlinks.35 Dieser muss durch die Bezeichnung „Gegendarstellung“ eindeutig erkennen lassen, dass der Erstmitteilung eine Gegendarstellung folgt. Ist die Erstmitteilung nicht mehr abrufbar, muss die Gegendarstellung an vergleichbarer Stelle veröffentlicht werden. Sie muss in der gleichen Rubrik gebracht werden und
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A.A. Ernst, ITRB 2012, 19. Wie etwa http://www.bildblog.de. 29 Ebenso Spindler, ZR 2007, 239 (241); Wandtke/Renner, Medienrecht, 2. Aufl. 2011, Band 4, Kap. 3, Rn. 38. 30 A.A. für Politiker: Zoebisch, ZUM 2011, 390 (393). 31 Als Bsp. sei etwa genannt der Blog des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf, http:// www.wolfgang-herrndorf.de. 32 Vgl. LG Düsseldorf AfP 1998, 420 mit allerdings nicht mehr zeitgemäßer Begründung. 33 Ory, AfP 1998, 465 (468). 34 Wie häufig bei den komprimierten Angeboten speziell für mobile Endgeräte. 35 HH-Ko/MedienR/Meyer 41 Rn. 57. 28
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ebenso leicht auffindbar sein, wie die Erstmitteilung. Das ist dann der Fall, wenn sie durch die gleiche Anzahl von Zwischenschritten ab Aufruf der Einstiegsseite erreicht werden kann36 und wenn sie in gleicher Weise wie die Erstmitteilung angekündigt wird. Wird die Erstmitteilung etwa auf der Einstiegsseite angekündigt, so muss auch die Gegendarstellung dort angekündigt werden, damit sichergestellt ist, dass der Leser, der die Erstmitteilung aufruft, zuvor jedenfalls den Hinweis auf die Gegendarstellung wahrgenommen hat.37 Besonderheiten ergeben sich ferner aus dem Umstand, dass gerade journalistisch-redaktionelle Internetangebote regelmäßigen Aktualisierungen und Veränderungen unterworfen sind. Hier ist – soweit ersichtlich – in der Literatur bisher nicht angesprochen worden, dass der Grundsatz der Waffengleichheit dem Anbieter die Möglichkeit eröffnet, die Gegendarstellung mit zunehmender Dauer der Bereithaltung hinter aktuellen Meldungen in gleichem Maße zurücktreten zu lassen, in dem dies auch bei der Erstmitteilung der Fall ist oder war. War diese etwa nur für einen Tag auf der Einstiegsseite zu finden und rutschte sie danach in eine Rubrik „Regionales“ auf einer Unterseite, so muss auch die Gegendarstellung nur für einen Tag auf der Einstiegsseite gebracht und darf danach auf der Unterseite abgelegt werden. Insofern ist eine „Deaktualisierung“ analog zur Erstmitteilung erlaubt.
IV. Fazit Nach § 56 RStV sind nur solche Internet-Angebote gegendarstellungspflichtig, deren Schwerpunkt auf einer journalistischen Darstellung liegt, bei der zumindest ein erkennbarer Anspruch besteht, zur allgemeinen öffentlichen Meinungsbildung beizutragen, was auch aus einer gewissen Objektivität und einer Distanz zum Gegenstand der Information ablesbar sein muss. Aus dem Grundsatz der Waffengleichheit können sich für den Anbieter neben Pflichten bei der Bereitstellung auch Spielräume bei der Platzierung einer Gegendarstellung ergeben, etwa die Möglichkeit der „Deaktualisierung“ analog zur Erstmitteilung. Der dynamischen Natur des Mediums Internet wird dies durchaus gerecht.
36 37
HH-Ko/MedienR/Meyer 41 Rn. 58; Ory, AfP 1998, 465 (468). LG Potsdam AfP 2009, 165.
Der Pinterest-Boom aus dem Blickwinkel des deutschen Urheberrechts Eine Analyse unter Berücksichtigung der aktuellen deutschen Rechtsprechung Caroline Leinemann I. Einführung Aufgrund der technologischen Entwicklung hat sich das Internet zu einer attraktiven Kommunikations- und Unterhaltungsalternative entwickelt. Es ist für die meisten Menschen mittlerweile alltäglich geworden, sich über persönliche Erfahrungen und Situationen, Bilder, Lokalitäten und vieles mehr in sozialen Netzwerken auszutauschen. Eines der erfolgreichsten neuen Onlinemodelle ist das Internetportal Pinterest. Dieses stellt sich für den Nutzer als eine riesige virtuelle Pinnwand dar, auf der registrierte Nutzer eigene Bilder hochladen oder Bilder von fremden Websites an die Pinnwand „pinnen“ können. Dadurch entsteht ein nach Kategorien geordnetes und sehr inspirierendes Sammelsurium von unterschiedlichsten Bildern. Den Erfolg verdankt Pinterest einer simplen Idee und einer noch einfacheren Handhabung. Das gewünschte Bild wird von einer anderen Website oder von der eigenen Festplatte hochgeladen und kann dann von anderen Nutzern durch einen „Gefällt-mir“-Button bewertet und auch mittels anderer verifizierter Internetportale wie Twitter oder Facebook an andere Nutzer weiterverbreitet werden. 80 % der täglich bei Pinterest veröffentlichten Bilder sind sog. Re-Tweets, das heißt Bilder, die bereits von einem anderen Nutzer auf der Website hochgeladen wurden. Auf diesem Wege kann auf das jeweilige Bild immer wieder aufmerksam gemacht werden. Dabei dient das Portal vor allem als eine unerschöpfliche Kreativquelle, auf der sich, laut einer Umfrage von BizRate Insight, 70 % der Pinterest-User von neuen Trends inspirieren lassen und 66 % die Neuigkeiten ihrer Lieblingsmarken verfolgen und weiterverbreiten.1 Genau diese Dynamik macht
1 BizRate Insight vom 15.10.2012, abrufbar unter: http://bizrateinsights.com/blog/ 2012/10/15/online-consumer-pulse-pinterest-vs-facebook-which-social-sharing-site-winsat-shopping-engagement/.
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das Portal auch für Unternehmen als neue Marketingstrategie sehr interessant. Damit ist Pinterest jetzt schon erfolgreicher als sein Konkurrent Twitter.2 Es handelt sich bei Pinterest um ein Geschäftsmodell, welches das sog. Framing professionalisiert, indem es als Hostprovider3 seinen registrierten Nutzern eine Art „blanke“ Pinnwand zur Verfügung stellt, auf welche diese dann ihre unterschiedlichsten Frames setzen können. Die Website ist letztlich gestaltet wie eine Art Fotoalbum, in dem lediglich die Bilder zu sehen sind und es an jeglicher inhaltlicher Einbettung oder Auseinandersetzung fehlt. Diese „angepinnten“ Bilder unterfallen allerdings zumeist dem Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG oder zumindest dem Leistungsschutzrecht des § 72 UrhG. Die Frage, ob das sog. Framing eine Verletzung der urheberrechtlichen Verwertungsrechte darstellt bzw. darstellen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.4 Als einschlägige Verwertungsrechte kommen zum einen das Vervielfältigungsrecht gemäß § 16 UrhG in Betracht und zum anderen das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung aus § 19a UrhG. Das bedeutet, dass der Zugriff auf das Werk der Öffentlichkeit in der Weise ermöglicht wird, dass der Abruf an freigewählten Orten und Zeiten möglich ist.5 Die erste urheberrechtlich relevante Nutzung stellt bereits das „Anpinnen“ selbst dar. Denn jedes „angepinnte“ Bild wurde vorher zu meist von einer fremden Website kopiert und diese werden anschließend auf den Servern von Pinterest kopiert, sodass hierin bereits die erste Vervielfältigungshandlung im Sinne von § 16 UrhG darstellt, deren Einräumung es durch den Rechteinhaber bedürfte. Zunächst ist zu sagen, dass es grundsätzlich dem Urheber vorbehalten ist, sein Werk, also in diesem Fall seine Bilder und Fotos, im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Wird der Nutzung der Bilder durch den Urheber selbst zugestimmt, also beispielsweise mittels Lizenzierung unter einer sog. Creative Commons-Lizenz, so bestehen keine Bedenken bezüglich der Veröffentlichung bei Pinterest. Ebenso unproblematisch ist es, wenn der Urheber selbst seine Werke bei Pinterest veröffentlicht. Anders verhält es sich allerdings mit Werken von anderen Websites, die die Weiterverlinkung nicht ausdrücklich erlauben oder untersagen. Eine Vielzahl 2 Guthardt, Steffan Deutsche Handwerks Zeitung vom 17.10.2012, abrufbar unter: http://www.deutsche-handwerks-zeitung.de/pinterest-kunden-ueber-bilder-einfangen/ 150/3100/181177/. 3 Heinrich, Bernd Medienrecht Praxishandbuch, Band 5, 2. Aufl. 2011, S. 328, Rn. 78. 4 OLG Düsseldorf ZUM 2012, 327; LG München I MMR 2007, 260; a.A. BGH GRUR 2012, 602 – Vorschaubilder II; BGH ZUM 2010, 580 – Vorschaubilder I; BGH GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de; LG München I ZUM 2003, 583; Wandtke/Bullinger Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 19a Rn. 29. 5 BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder.
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der Bilder, die auf dem Webportal Pinterest zu sehen sind, stammen allerdings von fremden Websites oder werden erst über Google-Bildersuche gefunden. Damit stellen sich zunächst zwei Fragen, zum einen, ob die Veröffentlichung bei Pinterest vergleichbar ist mit dem Setzen eines Hyperlinks 6, sodass lediglich das Finden des betreffenden Fotos oder Bildes im Internet vereinfacht wird, und zum anderen, sollte dies verneint werden, das vom BGH entwickelte Rechtsinstrumentarium der schlichten Einwilligung7 zur Anwendung kommen könnte.
II. Übertragbarkeit auf die sog. Hyperlink-Rechtsprechung und die Konstruktion der schlichten Einwilligung Das Setzen eines Hyperlinks wurde vom BGH ausdrücklich als urheberrechtlich relevante Nutzung im Sinne von § 19a UrhG verneint und stellt darüber hinaus auch keine Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG dar.8 Dies wird vornehmlich damit begründet, dass lediglich das Auffinden der jeweiligen Bilder oder Fotos für den Nutzer vereinfacht und das Werk nicht erneut öffentlich zugänglich gemacht wird, indem lediglich auf seine Fundstelle verwiesen wird.9 Der Nutzer hält aber weder selbst das jeweilige Bild oder Foto zum Abruf bereit, noch kommt es zu einer Übermittlung des Werkes an Dritte.10 Übertragen auf die Nutzung von Fotos bei Pinterest ist dem insoweit zuzustimmen, als das zu dem „angepinnten“ Bild auch der jeweilige Hyperlink oder Deeplink angegeben wird. Es ergibt sich bei Pinterest aber der Unterschied, dass es sich hierbei nicht nur um elektronische Verweise auf andere Websites bzw. fremde Inhalte handelt, sondern die ausgesuchten Bilder oder Fotos gänzlich in die Website von Pinterest eingebunden werden (sog. embedded content). Insofern ist diese Situation nicht mit dem bloßen Setzen eines Hyperlinks oder Deeplinks zu vergleichen. Hilfreicher erscheint es dann, darauf abzustellen, ob aus Sicht eines verständigen objektiven Nutzers die eingebetteten Inhalte tatsächlich als fremd wahrgenommen werden, oder ob die veröffentlichten Bilder derart in den Internetauftritt eingebunden und vom Website-Betreiber zu eigen gemacht wurden, sodass für den Nutzer nicht mehr erkennbar ist, dass es sich eigentlich um fremde Inhalte handelt.11 6
BGHZ 156, 1 = GRUR 2003, 958 – Paperboy. BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder I. 8 BGHZ 156, 1 = GRUR 2003, 958 – Paperboy. 9 BGHZ 156, 1 = GRUR 2003, 958 – Paperboy; Ernst NJW-CoR 1997, 224; Plaß WRP 2001. 195, 202. 10 BGHZ 156, 1 = GRUR 2003, 958 – Paperboy; Wandtke/Bullinger Urheberrecht 3. Aufl. 2009, § 19a Rn. 29. 11 BGH GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de; LG München I MMR 2007, 260. 7
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Indizien für ein zu Eigen machen sind zum einen, dass der Betreiber eines Internetportals erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die auf seiner Website veröffentlichten Inhalte tragen möchte,12 und zum anderen, dass die Inhalte deutlich in den eigenen Internetauftritt integriert werden und darüber hinaus unter Versehung des eigenen Emblems veröffentlicht werden.13 Im Fall von Pinterest sprechen mehrere Aspekte gegen ein zu Eigen machen der hochgeladenen Werke, denn es wird bei jedem Bild derjenige Nutzer genannt, der das betreffende Bild zuletzt „angepinnt“ hat, und auch, von wem es ursprünglich bei Pinterest veröffentlicht wurde. Desweiteren werden die „angepinnten“ Werke nicht unter dem Pinterest-Emblem veröffentlicht, und es findet keine weitere Inhaltskontrolle durch das Internetportal statt. Anders ist die Situation aber dann zu beurteilen, wenn der Urheber mittels technischer Schutzmaßnahmen den Zugriff zu seinem Werk nur einem bestimmten Nutzerkreis eröffnet oder die Nutzung von bestimmten Bedingungen abhängig macht, beispielsweise, dass der Zugriff zum Werk selbst nur über die Startseite seiner Homepage ermöglicht werden soll.14 Gegen eine solche Auslegung des § 19a UrhG sprechen allerdings ebenfalls gewichtige Gründe. So fordert der Erwägungsgrund 23 der Richtlinie 2001/ 29/EG des Europäischen Parlaments, dass das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung extensiv auszulegen sei. Demnach genügt für die Tatbestandsverwirklichung bereits ein bloßes Weiterverbreiten der Inhalte. Darüber hinaus kann der Wortlaut der Erwägungsgründe 28 und 29 durchaus dahin gehend verstanden werden, dass eine erneute öffentliche Zugänglichmachung nicht daran scheitert, dass das Werk bereits im Internet in Umlauf gebracht wurde. Desweiteren besagt der Wortlaut ausdrücklich, dass am Recht der öffentlichen Zugänglichmachung keine Erschöpfung eintreten solle.15 Insofern kann dem wohl eine allgemeine Aussage dahingehend entnommen werden, dass auch gerade solche Nutzungen urheberrechtliche Relevanz aufweisen, die das Veröffentlichen des Werkes durch den Nutzer auf einer anderen Website umfassen, als ihrer ursprünglichen. Im Ergebnis stellt das „Anpinnen“ eines Fotos oder Bildes auf dem Internetportal Pinterest ein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne von § 19a UrhG dar. Würde man § 19a UrhG derart restriktiv auslegen, wie oben dargelegt, entstünden empfindliche Regelungslücken, die auch mit der Intention des Richtliniengebers wohl letztlich nicht mehr zu vereinbaren wären. Denkbar wäre es auch in dem sog. Framing eine dem Internet immanente Nutzungshandlung zu sehen, die von einer sog. schlichten Einwilligung vom 12
Schunke Rechtsprechung zum Urheberrecht 2001, S. 72. BGH GRUR 2010, 616 – marions-kochbuch.de. 14 BGH GRUR 2011, 56 – Session-ID; KG Berlin ZUM-RD 2012, 331; OLG Düsseldorf ZUM 2012, 327. 15 So auch LG München I MMR 2007, 260. 13
Der Pinterest-Boom aus dem Blickwinkel des deutschen Urheberrechts
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Urheber gedeckt ist.16 Ob die vom BGH in seiner Entscheidung Vorschaubilder I17 aufgestellten Grundsätze der schlichten Einwilligung auch im Rahmen von Bildveröffentlichungen auf Webseiten wie Pinterest anwendbar sind, erscheint zumindest fragwürdig. Denn bei der Bildersuche von Google handelt es sich um eines der wohl populärsten Internetphänomene. Die Tatsache, dass Google das gesamte World Wide Web auf Bilder durchforstet, dürfte man wohl mittlerweile als weitestgehend bekannt voraussetzen. Demnach erscheint es auch als zumutbar, dass der Urheber, der seine Werke nicht in dieser Bildersuche gefunden wissen möchte, entsprechende technische Schutzvorkehrungen einrichtet. Anders als bei der herkömmlichen Bildersuche, geht es bei Pinterest nicht darum, Bilder zu finden, sondern es werden Bilder und Fotos veröffentlicht und mit anderen Nutzern geteilt. Diese können dann ihrerseits die Werke mit einem Mausklick auf weiteren konfigurierten sozialen Netzwerken weiterverbreiten, sodass letztlich ein größerer Grad der Verbreitung erreicht wird. Dass ein Urheber, der sein Werk im Internet veröffentlicht, damit rechnen muss, dass ein findiger Nutzer sein Bild auf einem Portal wie Pinterest veröffentlicht, kann wohl nicht mehr als die der Internetveröffentlichung übliche Nutzungshandlung angesehen werden. Folglich greifen die Grundsätze der schlichten Einwilligung im Fall von Pinterest nicht ein. Auch greift § 51 UrhG nicht ein, denn das würde eine geistige Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Bild voraussetzen.18 Daran fehlt es allerdings im Falle von Pinterest, da die Bilder lediglich als Frame gezeigt werden, ohne dass sich innerhalb eines Textes o.ä. inhaltlich auseinander gesetzt wird, sodass es zumindest an einem berechtigten Zitatzweck fehlt.
III. Schlussbemerkung Eine pauschalisierte Aussage dahingehend, dass jeder Urheber, der sein Werk ohne technische Schutzvorkehrungen im Internet veröffentlicht, konkludent in die dem Internet immanenten Nutzungshandlungen einwillige, greift zu kurz. Denn das Ausmaß und die Geschwindigkeit der Verbreitung von Werken im Internet ist bedeutend höher als die Verbreitung auf dem analogen Weg. Dies kann zum einen dazu führen, dass durch die Veröffentlichung und die Weiterverbreitung über Internetportale wie Pinterest der jeweilige Urheber einen höheren Bekanntheitsgrad erlangt und vereinzelt auch zum sog. YouTube-Effekt kommen könnte, bei dem bereits unbekannte 16
Vgl. BGHZ 174, 359 = GRUR 2008, 245 – Drucker und Plotter. BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder I. 18 BGH GRUR 2010, 628 – Vorschaubilder I; OLG Düsseldorf ZUM 2012, 327; Lüft Wandtke/Bullinger Urheberrecht 3. Aufl. 2009, § 51 Rn. 3. 17
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Gesangskünstler durch das Veröffentlichen privater Gesangsvideos zu weltbekannten Popstars geworden sind. Insofern sind solchen Internetportalen auch durchaus positive Effekte nicht abzusprechen. Dieses Phänomen wird aber letztlich eher der Minderheit der Künstler zu Teil werden, sodass der Nutzung von Bildern bei Pinterest auch erhebliche Bedenken gegenüber stehen. Denn die Mehrzahl derjenigen Urheber, die ihre Werke auf ihren Internetseiten veröffentlichen, verfolgen in aller Regel den Zweck, zunächst grundsätzlich auf ihr künstlerisches Schaffen aufmerksam zu machen und die Frequentierung ihrer Website zu erhöhen, um auf Dauer den finanziellen Aufwand mittels geschalteter Werbeanzeigen oder der Gewinnung potentieller Lizenznehmer zu amortisieren. Werden Bilder oder Fotos von anderen Nutzern allerdings bei Pinterest veröffentlicht, erübrigt sich zu meist der Weg über die Ursprungswebsite, sodass letztlich dem Urheber damit faktisch die eigene Verwertung eines seiner Nutzungsmöglichkeiten verwehrt würde. Letztlich bedeutet das, dass der Urheber es schutzlos hinnehmen müsste, dass seine Werke bedenkenlos von zahlreichen Nutzern auf populäreren Internetportalen und in bekannten sozialen Netzwerken veröffentlicht werden können, ohne dass dem Urheber letztlich irgendein effektiver Schutz in die Hand gegeben würde, um dies zu verhindern. Richtig ist zwar insoweit, dass der Urheber die Möglichkeit hat, technische Schutzvorkehrungen zu treffen, um den Zugriff bzw. den Verbreitungsweg auf bestimmte Anforderungen zu beschränken, dies würde aber nach allgemeiner Lebenserfahrung dazu führen, dass der Sinn und Zweck einer Veröffentlichung im Internet faktisch untergraben werden würde. Während das Internetportal Pinterest aufgrund seiner sehr ästhetischen Gestaltung und der Benutzung von qualitativ sehr hochwertigen Bildern einen immer größeren Zulauf erfährt und dadurch auch als neue Marketingstrategie von Unternehmen entdeckt wurde, verlieren die Webseiten der Urheber ihren Anreiz, da die dortigen Bilder und Fotos bereits auf der Internetseite von Pinterest unbeschränkt zugänglich sind.
Digitale Programmführer im Blickfeld des Urheberrechts Manfred Rehbinder I. Digitale Programmführer (Electronic Program Guides = EPG) schicken sich an, im Verlaufe des technologischen Wandels zum digitalen Fernsehempfang und der Konvergenz von PC und TV die „klassischen“ (gedruckten) Fernsehzeitschriften zu verdrängen. Ende 2010 waren 34 verschiedene Programm-Zeitschriften auf dem deutschen Markt (am bekanntesten die HÖRZU). Sie orientierten über das Programm der damals bereits ca. 400 in Deutschland aktiven Fernsehkanäle. Mit gegen 17 Mio. pro Quartal verkauften Exemplaren stellen sie noch heute das größte Segment des deutschen Zeitschriftenmarktes dar. Doch sind ihre Verkaufszahlen kontinuierlich zurückgegangen.1 Das hängt mit der Konkurrenzierung durch die EPG zusammen. Diese erscheinen technisch in drei Formen der Übermittlung an die Fernsehkonsumenten: (1) als EPG über Internet, (2) als EPG über den Fernseher oder über eine TV-Set-Top-Box und (3) als Bestandteil eines Angebots zum digitalen Kabelanschluss.2 Sie ersparen also den Erwerb von Druckexemplaren und können inhaltlich ein Mehr bieten. Denn während die Programmzeitschriften nur mit Texten, Fotos und Schaubildern arbeiten können, stehen den EPG noch weitere Gestaltungsmittel zur Verfügung, nämlich Bewegtbilder (Videos), Audiosequenzen, Plattformen für Zuschauerbewertungen und Links zu anderen programmergänzenden Medienangeboten wie der Zugang zu Datenbanken mit Kritiken, Künstlerbiographien, Musik u.a. Ein Aufruf dieses programmergänzenden Materials ist per Knopfdruck auf der Fernbedienung über den TV- oder PC-Bildschirm, ohne Unterbrechung des Empfangs von dazugehörigen Sendeprogrammen, möglich. In der Erkenntnis, dass EPG die gedruckten Programmzeitschriften je länger je mehr wirtschaftlich gefährden werden, ist es zwischen den Zeitschriftenverlegern und den Sendeunternehmern, diese oft vertreten durch die VG MEDIA
1 Nachweise zur faktischen Situation bei Kocks/Sporn: Electronic Program Guides, Frankfurt (M.) 2011, S. 1–3. 2 Ebd. S. 3–8.
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GmbH, zur juristischen Auseinandersetzung um die EPG gekommen. Dabei sind es drei Rechtsbereiche, die hier eine Rolle spielen können, nämlich das Urheberrecht, das Wettbewerbsrecht und das Medienrecht. Dem Interessenschwerpunkt des Jubilars entsprechend behandeln die folgenden Zeilen nur Rechtsfragen des Urheberrechts.
II. Urheberrechtlich geraten EPG ins Blickfeld durch die Fragestellung, ob ihr Inhalt rechtlich geschützt ist, sodass die das Begleitmaterial zu ihren Programmen zur Verfügung stellenden Sender oder die in deren Auftrag handelnde VG MEDIA3 von den Betreibern der EPG Vergütung für die Nutzung dieses Materials verlangen können. Das setzt voraus (1), dass das Begleitmaterial dem Urheberrecht unterfällt und (2), dass die Betreiber sich nicht auf Schranken des Urheberrechtsschutzes berufen können, die ihnen die kostenlose Nutzung des Inhalts der EPG ermöglichen würden. 1. Die Frage nach dem urheberrechtlichen Schutz des Programmbegleitmaterials ist schon seit mehr als 100 Jahren beantwortet. Im Jahre 1907 entschied das Reichsgericht im Streit zwischen dem königlichen Schauspielhaus Berlin und der Berliner Theaterwelt und Konzert-Zeitung für das Theaterprogramm, man müsse nach dem jeweiligen Inhalt unterscheiden, nämlich zwischen dem Programm im eigentlichen Sinne (den Basisinformationen über Bestandteile und Ablauf der Aufführungen) und dem über den sog. Theaterzettel hinausgehenden Inhalt des Programmheftes. Am Programm im eigentlichen Sinn könne kein Urheberrecht entstehen, denn das Urheberrechtsgesetz schütze nur Werke, die sich als Ergebnis einer individuellen Geistestätigkeit darstellen. Wörtlich heisst es dort: Die rein objektive Ankündigung bestimmter Daten, ohne jedes individuelle Gepräge, wie sie die Theaterzettel in der Regel darstellen, kann hiernach als ein zu schützendes „Schriftwerk“ im Sinne des Urheberrechtsgesetzes nicht erscheinen. Dementsprechend hat auch der II. Strafsenat des Reichsgerichts (RGSt 39, 282) ausgesprochen, dass Ankündigungen, die lediglich eine sachliche, geschäftsmässige Benachrichtigung des Publikums über aufzuführende Stücke enthalten, als Erzeugnisse individueller Geistestätigkeit nicht aufzufassen seien. Der Umstand, dass ein Theaterunternehmer sich durch den Vertrieb solcher Ankündigungen eine Einnahme-
3 Anfang 2011 nahm diese Verwertungsgesellschaft die Rechte am Begleitmaterial von 41 privaten TV-Sendern und 68 privaten Radiosendern wahr, so Kocks/Sporn (Fn. 1), S. 14 f.
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quelle verschafft, ist nicht geeignet, sie zu individuellen Geistesprodukten zu stempeln.4 Mit dem Aufkommen des Rundfunks wurde im Urheberrecht unter Rundfunkprogramm zunächst nur der Sendeinhalt diskutiert und dessen Rechtsnatur als Schriftwerk oder als Werk der Tonkunst diskutiert, da das Gesetz damals nur abschliessend aufgezählte Werkkategorien und nicht jede individuelle geistige Schöpfung als „Werk“ schützte.5 Dann aber wurde im Jahre 1933 vom Reichsgericht beim Programminhalt der „sachliche Inhalt“ und seine schriftliche Wiedergabe unterschieden und dazu ausgeführt: Der sachliche Programminhalt gäbe an, welche musikalischen oder sprachlichen Vorträge und Aufführungen an jedem Tage der kommenden Woche im Rundfunk stattfinden, ihre genaue Ansetzung auf bestimmte Tagesstunden sowie die Namen der Vortragenden, der Sänger, Schauspieler, Sprecher usw. Alle diese tatsächlichen Angaben trügen an sich noch keinen Schriftwerkcharakter im Sinne des Urheberrechts. Denn der urheberrechtliche Schutz könne nicht die geleistete Organisationsarbeit selbst zum Gegenstand haben, sondern nur die Wiedergabe ihres Ergebnisses in der dafür gewählten Schriftform. Solange hier keine besonders gestaltete Stoffanordnung vorliege, könne kein schutzfähiges Schriftwerk vorliegen.6 Blosse Angaben über den Programmablauf und reine Inhaltswiedergaben ohne besondere sprachliche Gestaltung sind also als Basisinformationen urheberrechtlich frei. Hingegen ist alles an Begleitmaterial, was über die Basisinformationen hinausgeht, im Schutzbereich des Urheberrechts, da die im Urheberrecht erforderliche Werkqualität auch bei einer Schöpfungshöhe in nur kleiner Münze, daher sehr schnell erreicht ist. Allerdings fehlt es der Rechtsprechung an festen Massstäben für die kleine Münze, sodass es hier jeweils auf den Einzelfall ankommt.7 Soweit EPG urheberrechtlich geschützt sind, ist ein Anspruch auf kostenlose Nutzung des Programmmaterials nicht gegeben, es sei denn, eine Berufung auf bestimmte Schranken des Urheberrechts ist möglich. 2. Als solche Schrankenbestimmungen wurden diejenige zugunsten von Pressespiegeln (§ 49 UrhG) und diejenige zugunsten der Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) in Erwägung gezogen.
4 RGZ 66, 227 (230). Hierzu und zu den übrigen Fragen näher M. Rehbinder: Rechtsfragen zum Theaterprogramm, UFITA 67 (1973), S. 31–56. 5 Siehe Wilhelm Schüller: Der Schutz des Rundfunkprogramms, Archiv für Funkrecht 1928, S. 235–238 = UFITA 2013 I. 6 RGZ 140, 137 (138–140). 7 M. Rehbinder, Urheberrecht, 16. A. 2010, Rz. 152 f.
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a) Die sog. Pressespiegelbestimmung des § 49 UrhG erlaubt im Interesse eines free flow of information nach Abs. 1 den Abdruck oder die öffentliche Wiedergabe von einzelnen Rundfunkkommentaren und einzelnen Artikeln aus Zeitungen oder anderen lediglich Tagesereignissen dienenden Informationsblättern, sofern das übernommene Material Tagesfragen politischer, wirtschaftlicher oder religiöser Art betrifft. Letzteres ist jedoch bei EPG nicht der Fall, da das Begleitmaterial zum Programm der Sender, um das er hier geht, sich auf den Sendeinhalt bezieht und dieser Sendeinhalt, zumal es sich hier um die Privatsender handelt, überwiegend keinen politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Charakter hat, sondern meistens der Unterhaltung dient.8 Auch beschränkt sich das Begleitmaterial nicht auf den Nachrichtentext, sondern enthält die Programmtexte allenfalls in sprachlicher Umgestaltung zum Zwecke der Zusammenfassung oder Erläuterung und enthält neben den Texten auch Bilder, sodass die Übernahme auch über § 49 Abs. 2 UrhG hinausgeht, der lediglich Nachrichten tatsächlichen Inhalts und Berichte über Tagesneuigkeiten zu übernehmen gestattet.9 b) Hingegen könnte die Übernahme von Begleitmaterial unter das sog. Nachrichtenprivileg des § 50 UrhG fallen. Dieses gestattet im Informationsinteresse der Öffentlichkeit den Medien die Übernahme urheberrechtlich geschützter Werke, wenn diese im Rahmen der Berichterstattung über Tagesereignisse wahrnehmbar werden. aa) Ein Tagesereignis ist gegeben, wenn Gegenstand der Berichterstattung ein aktuelles Geschehen ist, das für die Öffentlichkeit von allgemeinem Interesse ist.10 Im Verlaufe der Vorgänge, über die berichtet wird, werden zuweilen urheberrechtlich geschützte Werke wahrnehmbar gemacht, die aus dem Bericht, an dem ein öffentliches Interesse besteht, nicht ausgespart werden können. § 50 UrhG lässt daher die Wiedergabe solcher Werke in einem durch den Zweck der Berichterstattung gebotenen Umfang zu, ohne dass die Einwilligung der Urheber eingeholt oder eine Vergütung gezahlt werden muss.11 Tagesereignisse sind also auch banale Begebenheiten rein unterhaltenden Charakters, wenn sie nur (und was tut das in einer Erlebnisgesellschaft nicht!) ein breites Interesse finden.12 Auch einzelne Fernsehsendungen kön-
8
Kocks/Sporn (Fn. 1) S. 51. S. Melichar in Schricker/Loewenheim: Urheberrecht. Kommentar, 4. A. 2010, § 49 Rz. 25 f. 10 BGH ZUM 2002 18 ff.: Zeitungsbericht als Tagesereignis. 11 Verfassungsgemäss nach BGH GRUR 1983, 27–30: Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergaben I und II. 12 Die sog. yellow press lebt davon. 9
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nen auf ein öffentliches Interesse stoßen, selbst auf Grund von „Neugier am Schicksal bekannter Persönlichkeiten und ein gewisses Klatschbedürfnis“.13 bb) Tagesereignis erfordert Aktualität des Berichts.14 Sendungen, die auf großes Interesse stoßen, aber mehrere Wochen im voraus angekündigt werden, sind nicht tagesaktuell.15 Das den EPG zugrundeliegende aktuelle Rundfunkprogramm ist wegen des öffentlichen Unterrichtungsinteresses, wenn auch vielleicht nicht in vollem Umfange, ein Tagesereignis, über das die EPG berichten.16 Das Begleitmaterial der Sender wird zwar im Falle der Übernahme zum Bestandteil der Berichterstattung der EPG, geht aber über eine reine Berichterstattung dadurch hinaus, dass sie nicht, wie in § 50 UrhG vorausgesetzt, „im Verlauf (der Tagesereignisse) wahrnehmbar werden“. Sie stellen ein Mehr an Informationen dar, als durch den Zweck einer Unterrichtung über das Programm geboten ist. Daher liegt in der Übernahme des Begleitmaterials keine Berichterstattung über das Sendeprogramm i.S. des § 50 UrhG.17 Das Begleitmaterial der Sender bleibt also auch bei seiner Übernahme durch die EPG im urheberrechtlichen Schutzbereich. Seine Übernahme bedarf deshalb der urheberrechtlichen Erlaubnis; die Basisinformationen hingegen sind frei.
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BGH ZUM 2002, 818: Zeitungsbericht als Tagesereignis. BGH ebd. 820. Siehe Kocks/Sporn (Fn. 1) S. 60 f. OLG Köln ZUM 2005, 233 (234). BGH ZUM 2012, 807 ff.
Web-Radios und Aufnahmesoftware – Probleme der Ausnutzung von Schrankenbestimmungen und rechtspolitische Optionen Gerald Spindler I. Einleitung Zu den bekannten Peer-to-Peer-Tauschbörsen und den auf Share-HostProvidern zur Verfügung gestellten digitalen Inhalten, insbesondere Filmen und Musikstücken, hat sich in den letzten Jahren ein weiteres Phänomen gesellt, die sog. „Schranken-Schmarotzer“. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um Software und um Internetdienste, die bestimmte Privilegierungen im Urheberrecht zugunsten von Nutzern, insbesondere die Schranke der Privatkopie nach § 53 Abs. 1 UrhG, auszunutzen versuchen, um damit ihren Kunden dieselben Leistungen wie traditionell entgeltpflichtige DownloadPortale zu bieten, insbesondere Kopien von Musikstücken oder Filmwerken. Dabei können verschiedene Formen unterschieden werden, je nachdem welche Quellen von Inhalten im Internet benützt werden: – File bzw. Formatconverter, die den Musikstream von (in ihrer Rechtmäßigkeit ebenfalls umstrittenen) Video- und Musikportalen wie Youtube oder Clipfish umwandeln in gespeicherte Videodateien oder in vom Video getrennte („gerippte“) Musikdateien – Beim Nutzer installierte Aufnahmesoftware wie Audials Radiotracker etc., die die Sendungen von Internetradios digital aufzeichnen und beim Nutzer auf dessen PC abspeichern (ohne Zwischenspeicherung im Netz), wobei der Nutzer Wunschlisten zusammenstellen kann, nach denen Sendungen von Internetradios abgesucht werden – Internetdienste, die ebenfalls die Sendungen von Internetradios nach gewünschten Titeln absuchen, und daraufhin die Verbindung zu einer Aufnahmesoftware beim Nutzer herstellen, so dass die jeweiligen Inhalte beim Nutzer direkt aufgenommen und gespeichert werden, ohne dass dieser erkennen kann, woher der Inhalt stammt. Die Dienste und Softwareanbieter finanzieren sich entweder über geschaltete Werbung, Abonnement- oder Einmalzahlungen.
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II. Rechtliche Behandlung de lege lata und Defizite Wie das Schlagwort „Schranken-Schmarotzer“ schon erahnen lässt, steht vor allem das Verhältnis der genannten Dienste zu den jeweiligen Schranken des Urheberrechts zugunsten der Nutzer in Rede, hier insbesondere der nur vorübergehenden Kopie nach § 44a UrhG sowie der Privatkopie nach § 53 Abs. 1 UrhG. Im Gegensatz zu „klassischen“ Tauschbörsen oder Diensten wie eDonkey oder anderen liegt hier ersichtlich keine Verletzung der Rechte nach § 19a UrhG vor, da der Nutzer bei der Aufnahme von „gestreamten“ Inhalten selbst keine Inhalte anderen öffentlich zugänglich macht. Da die genannten Dienste und Software auch selbst keine Inhalte öffentlich zugänglich machen1, sondern an Handlungen eines Nutzers anknüpfen, kann sich ihre Rechtmäßigkeit nur danach beurteilen, ob sie quasi akzessorisch nach dem Eingreifen der jeweiligen Schranken für den Nutzer zu beurteilen sind oder ob die einschlägigen Schranken teleologisch reduziert werden müssen bzw. durch derartige Dienste unterlaufen werden. Im Folgenden werden die beiden wesentlichen Schranken kurz durchgemustert, dabei auch ihre Defizite de lege lata analysiert. Dabei ist zunächst die Rechtmäßigkeit des Streaming überhaupt zu beleuchten, insbesondere die nötige Anfertigung temporärer Kopien. Denn wäre schon dies nicht mehr von den Schranken gedeckt, wären auch entsprechende Hilfsprogramme oder Dienste rechtswidrig. Darauf folgend ist dann die Privatkopienschranke näher zu analysieren. 1. Streaming und temporäre Vervielfältigung a) Streaming als Vervielfältigung Ausgangspunkt der Überlegungen muss sein, welche technischen Vorgänge beim Streaming stattfinden. Denn nur dann, wenn diese in eine der von §§ 15 ff. UrhG dem Urheber gewährten Verwertungsrechte eingreifen, kann überhaupt der „Werkgenuss“ beim Streaming einer Lizenz oder einer Schranke bedürfen. Anders aber als bei herkömmlichen Radio- oder TVEmpfang wird der gestreamte Inhalt mindestens im Arbeitsspeicher zwischengespeichert, teilweise auch im Temporary Files-Ordner auf der Festplatte. Damit wird sowohl ein kontinuierliches Hören bzw. Sehen der Inhalte gewährleistet, unabhängig von kurzfristigen Verbindungsproblemen, was sonst zum berühmten Zerhacken von Bildern oder Musikstücken führt, als auch die Navigation innerhalb eines Stückes.2 1 In Betracht käme in einigen Fällen wie flatster allenfalls eine Analogie zu § 19a UrhG, indem man hier ein Weitersenden vergleichbar dem Kabelweitersenderecht annehmen würde. 2 Technische Details auch bei Radmann, ZUM 2010, 387, 388 f. und Vianello, CR 2010,
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Eine Speicherung stellt aber im Grundsatz immer eine Vervielfältigung dar, da es lediglich darauf ankommt, ob vom Original eine weitere Kopie angefertigt wird, und sei sie auch nur von noch so kurzer Dauer. Dies zeigt im Umkehrschluss schon Art. 5 Abs. 1 der InfoSoc-Richtlinie, zudem die Formulierungen in Art. 3 der Richtlinie („temporary reproductions“):3 Denn einer Schranke für vorübergehende Vervielfältigungen ohne eigenständigen wirtschaftlichen Nutzen hätte es nicht bedurft, wenn es sich von vornherein um keine Vervielfältigungen handeln würde. Dementsprechend sind auch flüchtige Speicherungen im Arbeitsspeicher als Vervielfältigung zu behandeln, selbst wenn sie nach Ausschalten des Gerätes gelöscht werden.4 Der entsprechende Streit für Software5 dürfte gerade im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie keine Rolle für das allgemeine Urheberrecht spielen. Solange ein den Schutzvoraussetzungen der §§ 1 ff. UrhG genügender Werkteil oder ein vollständiges Werk vervielfältigt wurde,6 ist es auch unerheblich, ob die erneute Wiedergabe durch das Streaming-Protokoll erschwert wird. Zwar stellt § 16 Abs. 2 UrhG auf eine wiederholte Wiedergabe ab, doch wird schon aus dem Wortlaut deutlich, dass es nur um eine Klarstellung zu § 16 Abs. 1 UrhG geht, keineswegs also eine Einschränkung. Auch enthält Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie keine derartige Formulierung, so dass Vervielfältigungen im Arbeitsspeicher weiterhin von dem Verwertungsrecht erfasst bleiben.7 Entscheidend ist daher für die Gewährleistung eines freien Werkgenusses durch den Nutzer beim Streaming, dass eine Schranke zu seinen Gunsten eingreift.
728, sowie speziell in Bezug auf Webradios bei Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 111, erscheint demnächst. 3 Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vom 22.5.2001, ABlEG Nr. L 167, S. 10 ff. v. 22.6.2001. 4 Wandtke/Bullinger/Heerma, 3. Aufl. 2009, § 16 Rn. 3, 13; Loewenheim in Schricker/ Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 16 Rn. 19 ff.; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 16 Rn. 13; Radmann, ZUM 2010, 387, 389. 5 S. ausf. zum Streitstand Marly, Softwareüberlassungsverträge, 5. Aufl. 2009, Rn. 139 ff.; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 69c Rn. 8; Wandtke/Bullinger/ Grützmacher, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 69c Rn. 5 jeweils mit weiteren Nachweisen. 6 Wandtke/Bullinger/Heerma, 3. Aufl. 2009, § 16 Rn. 2 ff., insb. 4; Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 678. 7 So aber Klickermann, MMR 2007, 7, 11; Fringuelli, Internet TV, 2004, S. 213 f.; dagegen zutr. Vianello, CR 2010, 728, 729; Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 678.
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b) Vervielfältigungen nach § 44a UrhG Bei vorübergehenden Vervielfältigungen liegt es auf der Hand, dass § 44a UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie den Dreh- und Angelpunkt der juristischen Prüfung darstellt. Denn mit dieser besonderen Schranke sollte nach dem Willen des EU-Richtliniengebers (Erwägungsgrund 33) für diejenigen Vervielfältigungshandlungen eine erlaubnisfreie Nutzung möglich sein, die „(…) fluechtige oder begleitende Vervielfältigungen sind, als integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens erfolgen und ausschließlich dem Ziel dienen, entweder die effiziente Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder die rechtmäßige Nutzung eines Werks oder sonstiger Schutzgegenstände zu ermöglichen. Die betreffenden Vervielfältigungshandlungen sollten keinen eigenen wirtschaftlichen Wert besitzen. Soweit diese Voraussetzungen erfuellt sind, erfasst diese Ausnahme auch Handlungen, die das „Browsing“ sowie Handlungen des „Caching“ ermöglichen; dies schließt Handlungen ein, die das effiziente Funktionieren der Übertragungssysteme ermöglichen, sofern der Vermittler die Information nicht verändert und nicht die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information, die von der gewerblichen Wirtschaft weithin anerkannt und verwendet werden, beeinträchtigt. Eine Nutzung sollte als rechtmäßig gelten, soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschränkt ist.“ aa) Vorübergehende oder begleitende Vervielfältigung? Damit scheint im Prinzip auch schon vorgezeichnet, dass das Streaming generell nicht anders als das Browsing oder Caching behandelt werden kann. Denn in beiden Fällen dient die vorübergehende Speicherung allein der Erleichterung der Kommunikation, insbesondere deren Beschleunigung. Es wäre nicht recht einzusehen, warum das Vorhalten von Bildern oder gar bewegten Animationen (Videos) beim Browsing hierunter zu subsumieren wäre, nicht dagegen das denselben Zwecken dienende und dieselben Techniken nutzende Streaming. Hierbei kann es auch keinen Unterschied machen, ob es sich um ein Live-Streaming (Internetradio) oder ein OnDemand-Streaming (youtube etc.) handelt.8 Allerdings ist Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie hier insoweit von seinem Wortlaut her nicht eindeutig, indem
8 So aber Schack, GRUR 2007, 639, 641 f.; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 44a Rn. 13; wie hier dagegen Vianello, CR 2010, 728, 729; ähnlich Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 680; Klickermann, MMR 2007, 7, 11; unklar Wandtke/Bullinger/v. Welser, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 44a Rn. 1.
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die Ausnahme auch nur in Bezug auf die für den Vermittler notwendigen Vervielfältigungshandlungen verstanden werden könnte. Auch der eben zitierte Erwägungsgrund erwähnt zwar explizit das Browsing; doch bleibt undeutlich, auf welche der beiden Alternativen des Art. 5 Abs. 1 InfoSocRichtlinie das Browsing bezogen wird, ob auf Alternative a) – der effizienten Übermittlung zwischen Dritten durch einen Vermittler – oder b), der rechtmäßigen Nutzung eines Werkes. Bedeutsam ist dies vor allem im Hinblick auf die Frage, ob es einer rechtmäßigen Vorlage für das Streaming bedarf: Gerade in den Fällen, in denen es mehr oder minder offensichtlich ist, dass Werke nicht für den jeweiligen Content-Anbieter lizenziert sein dürften,9 kommt es darauf an, ob nicht schon § 44a Nr. 1 UrhG (bzw. Art. 5 Abs. 1a) InfoSoc-Richtlinie) eingreift – da es hier nicht auf einen „lawful use“ bzw. rechtmäßige Nutzung ankommt.10 Indes können Kopien beim Nutzer nicht mehr als Übermittlung zwischen Dritten in einem Netz durch einen Vermittler (Art. 5 Abs. 1a)) angesehen werden; denn er ist quasi der Endverbraucher, der Dritte selbst, während Art. 5 Abs. 1a) InfoSoc-Richtlinie ersichtlich auf die Vermittler selbst und die dort anfallenden Kopien abstellt. Man darf dabei nicht vergessen, dass Art. 13 der E-Commerce-Richtlinie in ähnlicher Weise für das Caching Haftungsprivilegierungen der Vermittler vorsieht, so dass deutlich wird, dass die gesamte technische Kette bis zum Endnutzer von rechtlichen Haftungsrisiken freigestellt werden sollte.11 Auch wenn man daher das Streaming unter die erste Alternative subsumieren möchte, ergeben sich Zweifel hinsichtlich des Charakters der Kopien als „flüchtig oder begleitend“, die getreu dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie gemeinhin als eine der Bedingungen des § 44a UrhG angesehen werden.12 Gerade hieran fehlt es aber beim Streaming, da die Dateien im Cache auch verschoben werden können, insbesondere Browser und Player so eingestellt werden können, dass die Dateien nicht automatisch gelöscht werden, mithin weiter verwendet werden können. Auch könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass die Dateien schon aufgrund der Möglichkeit ihrer Weiterverwendung eine eigenständige wirtschaftliche Nutzungsmög-
9 So dürfte kaum jemand ernsthaft auf die Idee kommen, dass neuere Musik für Private zur Öffentlichen Zugänglichmachung über youtube lizenziert wurde, ebenso wenig neue Filme für www.kino.to, insoweit zu Recht Radmann, ZUM 2010, 387, 388. 10 Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 44a Rn. 8; Wandtke/ Bullinger/v. Welser, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 44a Rn. 9; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 44a Rn. 7. 11 KG ZUM-RD 2004, 401, 406 f. – Ausschnittdienst; Radmann, ZUM 2010, 387, 391; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 44a Rn. 8; Wandtke/Bulllinger/v. Welser, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 44a Rn. 9; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 44a Rn. 7. 12 Statt vieler Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 44a Rn. 4 f.; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, 4. Aufl. 2010, § 44a Rn. 5.
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lichkeit eröffnen.13 Die vom Richtlinien- und damit auch vom deutschen Gesetzgeber gewählten Beispiele des Browsing und Caching erschweren allerdings die Auslegung eher. Denn gerade das übliche Browsing verwendet im Cache temporäre Dateien in den softwaremäßig „werksseitigen“ Voreinstellungen,14 die auch nach Beendigung einer Verbindung unter den „Temporary Files“ gespeichert werden und ggf. manuell gelöscht werden müssen,15 so dass auch das Streaming mit dauerhaften, aber „temporären“ Kopien als Browsing angesehen werden könnte. Sollte daher das realtypische Phänomen des Browsing tatsächlich dem Richtliniengeber vor Augen gestanden haben, um eine effiziente Kommunikation zu erleichtern, müsste der Terminus der vorübergehenden Kopie anders verstanden werden, indem er alle solchen Vervielfältigungen erfasst, die mit der Benutzung handelsüblicher Browser einher gehen. Indes verbietet sich eine solche extensive Auslegung schon anhand der Richtlinienbegründung: Wie der oben zitierte Erwägungsgrund hervorhebt, sind die von Browsern und Caching angefertigten Kopien eben nur in dem Umfang erlaubt, wie sie die Richtlinie vorzeichnet, also vorübergehend oder begleitend und ausschließlich dem Ziel einer effizienten Übermittlung dienend. Da die Kopien wohl unstreitig nicht vorübergehend sind, sofern sie im Temporary-Ordner unter den beschriebenen Browser- bzw. Player-Einstellungen abgespeichert werden, kann nur noch die Qualifizierung als „begleitend“ in Betracht kommen. Dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie entsprechend ist die „begleitende“ Kopie ausdrücklich als Alternative zur „vorübergehenden“ Kopie genannt worden16 und keineswegs kumulativ. Daraus wird ersichtlich, dass der Richtliniengeber nicht nur die völlig temporären Vervielfältigungen erfassen wollte, sondern auch diejenigen, die im Rahmen des normalen technischen Vorgangs zur besseren Kommunikation anfallen. Dies impliziert auch, dass während des Streaming-Vorgangs Filme neu gestartet oder hinund hergespult werden können, da dies noch zum online-Kommunikationsvorgang zählt.17 Derartige Privilegierungen müssen sich jedoch auf die handelsüblichen Voreinstellungen beschränken und können nicht Manipulationen abdecken, die dazu führen, dass die begleitenden Kopien quasi zweckentfremdet und zu „normalen“ Kopien umgewidmet werden.18 Natürlich ist ein solcher Vor13
Darauf stellt maßgeblich Radmann, ZUM 2010, 387, 390 ab. So etwa beim Microsoft Internet Explorer oder bei Mozilla Firefox. 15 S. dazu http://www.firefox-browser.de/wiki/Cache (zuletzt abgerufen am 11.01. 2011); http://www.microsoft.com/windows/ie/ie6/using/howto/customizing/clearcache. mspx (zuletzt abgerufen am 11.01.2011). 16 Dies übersieht offenbar Radmann, ZUM 2010, 387, 390. 17 Anders Radmann, ZUM 2010, 387, 390 f. 18 Demgemäß stellt die Annahme einer solchen „begleitenden“ Kopie auch keinen Wertungswiderspruch zu dem Urteil des OLG Hamburg ZUM 2010, 434 im Bereich des 14
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gang in der Praxis nur schwer nachweisbar – indes sollte nicht verkannt werden, dass die Masse der Fälle sich dadurch auszeichnet, dass Nutzer die Kopien aus den entsprechenden Ordnern in andere verschieben und anders benennen oder gar auf DVD sichern werden, so dass die entsprechende Umwidmung nahe liegt. Maßgeblich muss hier die durch den Nutzer erforderliche Handlung sein, die einen Eingriff in den Kommunikationsvorgang darstellt und die Möglichkeiten der Browser bzw. Player missbraucht. Erst hierdurch würde auch der wirtschaftliche Eigenwert der Kopien entstehen. bb) Rechtmäßige Nutzung Kommt es daher nur auf die rechtmäßige Nutzung an, so soll darunter nur die gesetzliche oder vertragliche Berechtigung zu verstehen sein, das Werk zu nutzen; allein diese Nutzer kämen in den Genuss des § 44a UrhG.19 Darunter soll aber auch die konkludente Einwilligung fallen, die der Urheber eines Werkes erteile, wenn er seine Inhalte ins Netz ohne jeglichen weiteren Schutz stelle.20 Diese Auffassung kann sich – allerdings in anderem Zusammenhang – jüngst durch den BGH gestärkt sehen, der sich hinsichtlich von Bildersuchmaschinen auf die konkludent erteilte Einwilligung des Rechteinhabers berief und selbst anderslautende (aber nicht auf der Homepage oder in entsprechenden Dateien vorzufindende) Erklärungen als widersprüchliches Verhalten gegenüber der der Allgemeinheit erteilten Einwilligung ansah,21 dies soll sogar für widerrechtlich in das Netz gestellte Vorlagen gelten, solange einzelnen Lizenznehmern gestattet wurde die Abbildungen einzustellen.22 Gegen diese Konstruktion sind schon andernorts entsprechende Vorbehalte geltend gemacht worden, da sie de facto auf eine ungeschriebene Schranke hinauslaufen.23 Abgesehen von diesen allgemeinen Einwänden sind aber auch spezifisch für § 44a UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 InfoSoc-Richtlinie
Streaming von pornographischen Inhalten und der Annahme von Sachherrschaft über die gestreamten Inhalte beim Nutzer dar; anders wohl Radmann, ZUM 2010, 387, 392. 19 So Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 44a Rn. 9; ebenso Hullen, ITRB 2008, 230, 232. 20 Wandtke/Bullinger/v. Welser, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 44a Rn. 17 m.w.N; Schricker/ Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 44a Rn. 9; Dreyer/Kotthoff/Meckel/ Dreyer, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 44a Rn. 11. 21 BGHZ 185, 291, 306 f. – Vorschaubilder I; BGH GRUR 2012, 602, 604 Rn. 16 f. – Vorschaubilder II; vorbereitend v. Ungern-Sternberg GRUR 2009, 369, 371;. S. weiter zur Möglichkeit der Einwilligung Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor § 28 Rn. 57, § 31 Rn. 2; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 97 Rn. 15. 22 BGH MMR 2012, 383, 385 Rn. 25 ff. – Vorschaubilder II m. Anm. Spindler = ZUM 2012, 477 m. Anm. Conrad; Fahl, K&R 2012, 416; krit. ebenso: Ohly, GRUR 2012, …; von Ungern-Sternberg, GRUR 2012, 321, 328 f. 23 Näher Spindler, GRUR 2010, 785.
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Zweifel angebracht, ob tatsächlich in diese Schranke ein Vorbehalt der rechtmäßigen Vorlage für die Kopie hineinzulesen ist. Wenn das Eingreifen von § 44a UrhG von einer vertraglichen Berechtigung abhängen soll, wäre der Sinn der Schranke nicht mehr recht einzusehen. Bei einer solchen Berechtigung bedürfte es keiner Schranke, da der Nutzer ja schon qua Einwilligung (oder konkludenten Lizenz) die Berechtigung zur Vervielfältigung hätte. Das Merkmal der rechtmäßigen Nutzung kann sich daher nicht auf die Berechtigung zur Anfertigung einer Kopie beziehen, sondern nur auf „dahinterliegende“, also auf die temporäre Kopie folgende rechtmäßige Nutzungen.24 Der reine Werkgenuss aber impliziert keinen Eingriff in eine urheberrechtlich geschützte Verwertung, so dass auch keine rechtswidrige Nutzung „hinter“ der temporären Kopie vorliegen kann.25 Wer dagegen allein auf § 53 UrhG als nachfolgende rechtmäßige Nutzung abstellt,26 verkennt, dass im Normalfall des Streaming 27 gerade keine dauerhaft vom Nutzer verwandte Kopie hergestellt werden sollte, sondern nur der Werkgenuss während des Streaming im Vordergrund steht. Nota bene: ob dies rechtspolitisch im Sinne eines fairen Interessenausgleichs sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. 2. Privatkopien (§ 53 Abs. 1 UrhG) Aber nicht nur der temporäre Werkgenuss sorgt für Probleme hinsichtlich der Anwendung urheberrechtlicher Schranken, vielmehr auch die von Nutzern häufig durchgeführten dauerhaften Speicherungen der Inhalte. Gerade bei youtube ist es bei vielen (oft jugendlichen) Nutzern beliebt, die Musik von dem Videostream zu trennen (zu „rippen“) und dann als Musikdatei weiter zu verwenden. Da der Werkgenuss über Streaming häufig durch Private erfolgt, liegt die Anwendung der entsprechenden Privatkopieschranke nach § 53 UrhG nahe, die in Deutschland nach wie vor auch für die digitale Kopie gilt.28 Dabei spielt es keine Rolle, auf welchem Datenträger die Kopie erstellt wird,29 z.B. im Arbeitsspeicher, auch nicht, ob sie flüchtiger Natur ist. Allenfalls wäre denkbar, § 44a UrhG als speziellere Schranke mit verdrängender Wirkung gegenüber § 53 Abs. 1 UrhG im Bereich der temporären Kopie anzusehen. Doch ergeben sich hieraus zum einen keine besonderen Einschränkungen, zum anderen zielt § 53 Abs. 1 UrhG auf eine andere Privile24
So letztlich auch Radmann, ZUM 2010, 387, 391, allerdings mit anderem Ergebnis. Ähnlich Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 681; Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, 2005, S. 451. 26 So Radmann, ZUM 2010, 387, 391. 27 Also nicht bei zweckwidriger Umwidmung, s. oben bei I. 2. a) bb. 28 Zur Beibehaltung im Rahmen des 2. Korbs s. Spindler, NJW 2008, 9, 11. 29 Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 53 Rn. 14; Dreier/ Schulze/Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, § 53 Rn. 8; Wandtke/Bullinger/Lüft, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 53 Rn. 12. 25
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gierung, eben der privaten Nutzung ab, was im Lichte der früheren Auseinandersetzungen vor der Urheberrechtsreform 1965 und der Frage von Kontrollen im privaten Bereich zu sehen ist.30 Vor diesem Hintergrund sind die oben geschilderten verschiedenen Formen der Aufnahmesoftware und -dienstleistungen kurz zu beleuchten. a) Offensichtliche Rechtswidrigkeit aa) Grundsätze Der Haken für den privaten Nutzer liegt zunächst in der zusätzlichen Voraussetzung, dass die Kopie nicht von einer offensichtlich rechtswidrigen Vorlage einschließlich der offensichtlich rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachten Vorlagen angefertigt werden darf. Was aber „offensichtlich“ ist, bleibt offen; Einigkeit herrscht jedenfalls darüber, dass den Nutzer keine Prüfungspflichten treffen sollen, sondern nur evidente Fälle der Rechtswidrigkeit erfasst werden.31 Dabei spricht der Erwägungsgrund 44 der InfoSocRichtlinie für eine weite Auslegung des Begriffs, da hiermit die Schranke enger gezogen würde;32 einer allzu weiten Auslegung setzt aufgrund der Strafbarkeit von Urheberverletzungen die Verfassung eine Grenze hinsichtlich der Bestimmtheit.33 Allerdings ist angesichts häufiger Werbestrategien mit kostenlos eingestellten Inhalten keineswegs für den Nutzer klar, ob es sich um rechtswidrige Inhalte handelt. Auch lassen sich die Bearbeitungsrechte für den Laien in der Regel nicht von der zustimmungsfreien Benutzung nach § 24 UrhG unterscheiden.34 In diesem Rahmen kommt es auch nicht auf das subjektive Wissen und Können des jeweiligen Nutzers an,35 auch wenn die Begründung zur Novellierung des § 53 UrhG etwas anderes suggerieren mag.36 Denn die Schranken 30 S. dazu ausf. Wandtke/Bullinger/Lüft, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 53 Rn. 4; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 53 Rn. 4 ff. 31 Begr RegE BT-Drucks. 16/1828, S. 26; Dreier/Schulze/Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, § 53 Rn. 12; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, UrhR, 2. Aufl 2009, § 53 Rn. 25; Schricker/ Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 53 Rn. 23; Reinbacher, GRUR 2008, 394, 400; Jani, ZUM 2003, 842, 850; Hoffmann, WRP 2006, 55, 57. 32 Erwägungsgrund 44: „Daher ist der Umfang bestimmter Ausnahmen oder Beschränkungen bei bestimmten neuen Formen der Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke und sonstiger Schutzgegenstände möglicherweise noch enger zu begrenzen.“ Hierauf weisen zu Recht Hoffmann WRP 2006, 55, 56 und Vianello CR 2010, 728, 730 hin. 33 Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 680; Hoffmann, WRP 2006, 55, 56. 34 Zutr. Vianello, CR 2010, 728, 731. 35 So aber Fangerow/Schulz, GRUR 2010, 677, 680 im Anschluss an Dornis, CR 2008, 321, 322 und Berger, ZUM 2004, 257, 260; Dreier/Schulze/Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, § 53 Rn. 12; Wandtke/Bullinger/Lüft, 3. Aufl. 2009, § 53 Rn. 16; letztlich auch Reinbacher, GRUR 2008, 394, 399 m.w.N., wohl aber nur im Hinblick auf die Strafbarkeit – was aber eben im Rahmen der Straftatbestände berücksichtigt werden kann, etwa als Verbotsirrtum. 36 Begr. RegE BT-Drucks. 16/1828, S. 26.
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sind ähnlich wie Rechtfertigungen oder Tatbestandseinschränkungen zu verstehen, die dem absoluten Recht des Urhebers generell Grenzen ziehen, mithin nicht auf unterschiedliche subjektive Maßstäbe abstellen können.37 Diese können bei strafrechtlichen Tatbeständen zudem im Rahmen der Schuld bzw. individuellen Vorwerfbarkeit berücksichtigt werden.38 Dies ändert indes nichts daran, dass auch bei objektiver Sichtweise ein Nutzer überhaupt die Möglichkeit haben muss, die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Vorlage, von der aus die Vervielfältigung erfolgt, zu erkennen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die oben beschriebenen Dienste und Softwarelösungen einordnen: bb) Aufnahmesoftware beim Nutzer Hinsichtlich der beim Nutzer angesiedelten Aufnahmesoftware wird die Quelle, aus der die Inhalte bezogen werden, ersichtlich. Insoweit könnte man davon sprechen, dass dem Nutzer die Rechtswidrigkeit einer Vorlage offensichtlich wäre. Angesichts der Tatsache aber, dass kaum davon ausgegangen werden kann, dass alle oder die überwiegende Mehrzahl der Internetradios keine Lizenz haben, um ihre Inhalte auszustrahlen, ist es problematisch, von einer „offensichtlichen“ Rechtswidrigkeit bzw. deren Kenntnis auszugehen. Zudem wird sich dem Nutzer kaum je erschließen, ob die Lizenz auch für sein Territorium gilt oder ob der Radioanbieter über eine weltweite Lizenz verfügt; derartige Informationen sind dem (objektiv verstandenen) Nutzer kaum verfügbar. Von einer Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit einer Vorlage wird daher jedenfalls bei Internetradios kaum ausgegangen werden können. Anders mag dies für Portale mit user generated content zu beurteilen sein, wie etwa youtube etc. Da die meisten Download-Portale für Musik entgeltpflichtig sind, wie iTunes, amazon.de oder saturn.de, dürfte auch der Durchschnittskunde nicht davon ausgehen, dass es sich um rechtmäßige Vorlagen handelt. Allerdings kann dies nicht ohne weiteres für alle Musikgenres oder jeden Inhalt verallgemeinert werden, da zum einen einige Inhalteanbieter dazu übergegangen sind, auch kostenlos Inhalte im Rahmen von Marketingmaßnahmen anzubieten, zum anderen etliche Inhalteanbieter (als eigentliche
37 Zutr. Hoffmann, WRP 2006, 55, 57 f.; Lauber/Schwipps, GRUR 2004, 293, 298 f.; Stickelbrock, GRUR 2004, 736, 738; Schricker/Loewenheim/Loewenheim, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 53 Rn. 23 m.w.N.; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 53 Rn. 25. 38 Ähnlich Stickelbrock, GRUR 2004, 736, 738, die dabei allgemein auf den Vorsatz verweist; ihr folgend Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1163, erscheint demnächst, die darauf hinweist, dass eine subjektive Auslegung dazu führen würde, dass der Rechteinhaber das konkrete Verständnis des Nutzers im Prozess darlegen müsste.
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Urheber) ihre Inhalte von vornherein unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, um eine grössere Bekanntheit zu erlangen.39 Daher kann es jeweils durchaus problematisch sein, von einer Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit einer Vorlage auszugehen – selbst bei ansonsten kommerziell angebotenen Inhalten. Hier muss im Wesentlichen zum einen auf die Usancen in der jeweiligen Branche (Musik, zudem noch differenziert nach Genre), zum anderen auf deren Bekanntheit bei einem repräsentativen Durchschnitt von Nutzern abgestellt werden, so dass etwa Filme eher ausscheiden, bei Musik auf den Einzelfall abzustellen ist. cc) Internetbasierte Softwarelösungen Noch schwieriger sind die Fälle zu beurteilen, in denen der Nutzer keinerlei Kenntnis erhält, aus welcher Quelle er die Inhalte bezieht, von denen er eine Vervielfältigung anfertigt (etwa in den flatster-Fällen). Hier kann auch unter Zugrundelegung einer objektiven Sichtweise nicht die Rede davon sein, dass dem durchschnittlichen Nutzer eines solchen Dienstes die Rechtswidrigkeit einer Vorlage offensichtlich wäre – da ihm jede Kenntnis von vornherein verwehrt ist. Diese Fälle ließen sich allenfalls dadurch lösen, dass man dem durchschnittlichen Nutzer ein „bewusstes-die-Augen-Verschließen“ unterstellt und damit eine Offensichtlichkeit fingiert. Zudem könnten die Grundsätze der Wissenszurechnung entsprechend § 166 BGB herangezogen werden,40 da der Nutzer hier den sonst über seine Aufnahmesoftware und seine Auswahl zu vollziehenden Kopiervorgang aufspaltet in einen internetbasierten Dienst, der für ihn die Inhalte sucht und die Verbindung herstellt, und den eigentlichen Kopiervorgang, der bei ihm stattfindet. Damit schafft der Nutzer zusammen mit dem internetbasierten Dienst quasi eine Arbeitsteilung, die nach den Grundsätzen der Rechtsprechung nicht dazu führen darf, dass die Teilnehmer an der Arbeitsteilung „unwissend“ werden.41 Eine solche Konstruktion beträte allerdings noch weitgehend ungesichertes juristisches Neuland, sie hätte aber den Vorteil, dass auch in arbeitsteiligen Konstellationen gezielt die Anbieter von der Rechtswidrigkeit bestimmter RadioStreams in Kenntnis gesetzt werden können.42 Abgesehen davon, greift aber 39 So auch Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1177, erscheint demnächst; sowie Hohagen, Die Freiheit der Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch, 2004, S. 367. 40 So Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1193, erscheint demnächst; die Bezug nimmt auf die zur Störerhaftung entwickelten Ansätze von v. Zimmermann, MMR 2007, 553, 558; zur entsprechenden Anwendung von § 166 BGB allgemein: BGHZ 55, 307, 311; 102, 316, 320; 117, 104, 106 f.; MünchKommBGB/Schramm, 6. Aufl. 2012, § 166 Rn. 48 ff.; Bamberger/Roth/Valentin, BGB, 3. Aufl. 2012, § 166 Rn. 21; Staudinger/Schilken, 2009, § 166 Rn. 11. 41 Grundlegend BGHZ 132, 30. 42 Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1194, erscheint demnächst.
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auch hier die Frage der Lizenzierung von Internetradios ein, so dass das Problem der Offensichtlichkeit der Rechtswidrigkeit nur weiter verkompliziert wird. dd) Kollisionsrecht Schließlich kommt es entscheidend auf die kollisionsrechtliche Frage an, nach welcher Rechtsordnung die Frage der „Offensichtlichkeit“ zu beantworten ist. Durch die Ubiquität des Internet und seiner fehlenden Territorialität sieht sich das Kollisionsrecht vor besondere Herausforderungen gestellt. Im Urheberrecht gilt bekanntlich nach wie vor das Schutzlandprinzip, so dass das anwendbare Recht davon abhängig ist, wo der Schutz geltend gemacht wird; dann richten sich auch die eingreifenden Schranken nach dieser Rechtsordnung.43 Um den Ort einer Rechtsverletzung zu lokalisieren, werden indes die aus dem Internationalen Deliktsrecht bekannten Kriterien wiederum angewandt, insbesondere Handlungs- und Erfolgsort als Verletzungsort.44 Hieran hat auch die Rom II-VO nichts geändert, die in Art. 8 Abs. 1 zum einen das Schutzlandprinzip, in Abs. 2 den Verletzungsort als maßgebliche Kriterien hervorhebt.45 Für Vervielfältigungen ist auf den Ort abzustellen, an dem das Vervielfältigungsstück entsteht, mithin beim Nutzer.46 Allerdings besagt dies noch nichts darüber, welches Recht für die Beurteilung der Frage, ob eine Vorlage offensichtlich rechtswidrig ist, anwendbar ist. Hier stehen sich kontrovers die Anknüpfung an das ausländische Recht (der Vorlage)47 und an das Heimatrecht des Nutzers gegenüber.48 Beide Lösungen weisen Probleme auf: So spricht für die Anknüpfung an das ausländische Recht zwar, dass allein diejenige Rechtsordnung über die Rechtmäßigkeit 43 Für Rundfunksendungen: BGH GRUR 2003, 328 – Sender Felsberg; Spindler, IPrax 2003, 412, 413; Schricker/Loewenheim/Katzenberger, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 Rn. 129 f.; Dreier/Schulze/Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, Vor §§ 120 Rn. 30. 44 Statt vieler Schricker/Loewenheim/Katzenberger, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 ff. Rn. 130 ; Spindler, IPrax 2003, 412. 415 ff. m.w.N. 45 S. dazu auch Schricker/Loewenheim/Katzenberger, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 ff. Rn. 125, 130; sowie Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 582, erscheint demnächst. 46 Spindler, IPrax 2003, 412, 416; Dreier/Schulze/Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, Vor §§ 120 Rn. 33; Schricker/Loewenheim/Katzenberger, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 ff. Rn. 136; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Kotthoff, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 120 Rn.15; zum Meinungsstand auch: Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 638, erscheint demnächst m.w.N. 47 Hoffmann, WRP 2006, 55, 60; offen gelassen von BGH NJW 1993, 2183, 2185 – The Doors. 48 Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1150; Berger, ZUM 2004, 257, 259; Jani, ZUM 2003, 842, 849 f.; ohne Problembewusstsein Radmann, ZUM 2010, 387, 389.
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einer Vorlage entscheidet, die dann von dieser Rechtsordnung zugänglich gemacht wird.49 Dann aber wird sich quasi nie die „Offensichtlichkeit“ einer rechtswidrigen Vorlage ergeben, da der Nutzer zum einen kaum erkennen kann, aus welchem Land die Vorlage stammt, zum anderen von einer Offensichtlichkeit hinsichtlich der Kenntnis des ausländischen Urheberrechts nicht die Rede sein kann.50 Erwogen wird daher eine modifizierte Anwendung der Bogsch-Theorie, wonach die Ausrichtung der Web-Seite bzw. eines Inhaltes auf bestimmte Länder maßgeblich sein soll,51 so dass etwa deutsches Recht (aber auch andere deutschsprachige Länder) zur Anwendung gelänge, wenn der Inhalt deutschsprachig angeboten würde.52 Aber auch hier ist gerade bei englisch-sprachigen Inhalten kaum eine Einschränkung möglich, erst recht nicht, wenn weitere Indizien fehlen.53 Richtigerweise wird man bei der, trotz der auf den ersten Blick nicht stimmigen, Anknüpfung an das Heimatrecht des Nutzers bleiben müssen; denn nur sie entspricht dem Schutzlandprinzip.54 Genauso wenig wie das Land, in dem das Werk entstanden ist, darüber bestimmen kann, ob die in die Rechtsordnung des Nutzers verbrachte Kopie rechtmäßig ist, sollte die „Offensichtlichkeit der Vorlage“ (nicht der Sendung selbst) der Rechtswidrigkeit nach der Rechtsordnung des ausländischen Staates beurteilt werden. Betrachtet man etwa territorial beschränkte Lizenzverträge (deren Kenntnis durch den Nutzer unterstellt) kann es keinen Unterschied machen, ob die Kopie dann ins Inland offline oder online als Kopiervorlage gerät (und hier nicht mehr von der Lizenz gedeckt wäre). Schließlich wird der Anbieter durch technische Möglichkeiten wie GeoSperren auch tatsächlich dazu in die Lage versetzt, das Verbreitungsgebiet seiner Inhalte so zu steuern, dass er nur Märkte bedient, für die er die Lizenz hat und deren rechtliche Situation er beurteilen kann.55
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Hoffmann, WRP 2006, 55, 59 f. Darauf weist zu Recht Vianello, CR 2010, 728, 732 hin; ebenso Prill, WebradioStreamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1147, erscheint demnächst m.w.N. 51 S. dazu bereits Spindler IPRax 2003, 412, 418 f. m.w.N.; Schricker/Loewenheim/Katzenberger, UrhR, 4. Aufl. 2010, Vor §§ 120 ff. Rn. 120 ff. Rn. 141, 145. 52 In diese Richtung Vianello, CR 2010, 728, 732. 53 Darauf insbesondere für Musik hinweisend: Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 636, erscheint demnächst. 54 Ebenso auf das Land des Nutzers abstellend: Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1150, erscheint demnächst. 55 So zutreffend Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 631, erscheint demnächst, die darauf hinweist, dass anschließend auch noch eine Eingrenzung über das Sachrecht, bspw. den Begriff der Öffentlichkeit i.S.v. §§ 19a, 20 UrhG, möglich ist. 50
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b) Hersteller der Kopien Die Vervielfältigung zum privaten Gebrauch kann aber gem. § 53 Abs. 1 S. 2 UrhG auch durch einen Dritten vorgenommen werden, sofern sie unentgeltlich geschieht oder „es sich um Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung handelt“. Letztere Alternative kann bei digitalen Vervielfältigungen von vornherein ausgeschieden werden, so dass im vorliegenden Zusammenhang allein die Frage relevant ist, wer bei den beschriebenen Diensten als Hersteller der Kopien gelten kann: aa) Technisches Verständnis Für die Aufnahmesoftware, die beim Nutzer angesiedelt ist, bestehen keine Besonderheiten, da hier auf jeden Fall die Kopien direkt beim Nutzer angefertigt werden, von vornherein also kein Dritter in den Vervielfältigungsvorgang eingeschaltet wird. Problematisch sind daher nur die internetbasierten Dienste: Für Online-Videorecorder hat der I. Zivilsenat des BGH bereits darauf abgestellt, wer die Hoheit über den Vervielfältigungsvorgang ausübt und diesen steuert. Bestimmt der Nutzer das Programm und wählt dieser Titel etc. aus, so ist ihm nach Auffassung des Senats der Herstellungsvorgang zuzurechnen.56 Daher kommt es auch für solche internetbasierten Dienste, die lediglich wie flatster die Verbindung zum Nutzer aufbauen und dort der Inhalt dann kopiert wird, nicht mehr darauf an, ob die Frage der Herstellung normativ zu interpretieren ist. Denn selbst dann läge die Organisationshoheit über den Vervielfältigungsvorgang noch beim Nutzer, da er die Titel auswählt und dadurch den Kopiervorgang maßgeblich steuert57 – allerdings nicht die Quelle. Ob dies indes genügt, um hier eine wesentliche Differenzierung gegenüber der Grundsatzentscheidung des I. Zivilsenats abzulesen, erscheint eher fraglich. Denn das Gericht hat deutlich allein auf den technischen Vorgang abgestellt, um die Frage zu entscheiden, wer Hersteller ist – und der von den Instanzgerichten noch vertretenen normativen Betrachtungsweise eine deutliche Absage erteilt.58 Für die Frage, ob eine im Auftrag eines Dritten zu dessen privaten Gebrauch erbrachte Vervielfältigung vorliegt, ist demnach
56 BGH Urt. v. 22.4.2009 – ZR 216/06 Tz. 16 ff. – Onlinevideorecorder; ähnlich zuvor schon Dreier, FS Ullmann 2006, S. 37, 45 ff.; Hofmann, ZUM 2006, 768; Kamps/Koops, CR 2007, 581, 583 f. 57 So denn auch LG Berlin Urt. v. 11.1.2011 – 16 O 494/09 im flatster-Verfahren. 58 BGH Urt. V. 22.4.2009 – ZR 216/06 Tz. 16 – Onlinevideorecorder; zuvor Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 53 Rn. 14; Wandtke/Bullinger/Lüft, Urheberrecht, 3. Aufl., § 53 UrhG Rn. 17.
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„maßgeblich darauf abzustellen, ob der Hersteller sich darauf beschränkt, gleichsam „an die Stelle des Vervielfältigungsgeräts“ zu treten und als „notwendiges Werkzeug“ des anderen tätig zu werden – dann ist die Vervielfältigung dem Besteller zuzurechnen (vgl. BGHZ 141, 13, 22 – Kopienversanddienst) –, oder ob er eine urheberrechtlich relevante Nutzung in einem Ausmaß und einer Intensität erschließt, die sich mit den Erwägungen, die eine Privilegierung des Privatgebrauchs rechtfertigen, nicht mehr vereinbaren lässt – dann ist die Vervielfältigung dem Hersteller zuzuordnen (vgl. BGHZ 134, 250, 264 f. – CB-Infobank I)“.59 Die vom I. Zivilsenat gezogene Grenze dürfte jedoch dann überschritten sein, wenn der Nutzer nicht mehr konkret die zu kopierenden Inhalte auswählt oder vorgibt, sondern lediglich eine Art „Zielraum“, indem z.B. alle derzeit in den Charts auf den ersten 100 Plätzen gelisteten Musiktitel vervielfältigt werden sollen. Hier verliert der Nutzer die konkrete auf das einzelne Werkstück bezogene Hoheit über den technischen Vorgang, sondern beschränkt sich nur noch auf allgemeine Vorgaben, bei denen es dann dem Betreiber des Internetdienstes überlassen bleibt, welche Stücke ausgewählt werden und aus welcher Quelle.60 Zwar mag zum Zeitpunkt der Auswahl eine Bestimmbarkeit und Eingrenzung wie beschrieben (aus den ersten 100 Titeln) vorliegen; doch sprengt dies die auch durch den Drei-Stufen-Test gezogenen Grenzen der Privatkopieschranke,61 die sich stets auf eine konkrete, vorher ausgewählte Werkvorlage als Kopiervorlage bezieht. bb) Unentgeltlichkeit Allerdings ist bei der Herstellung durch einen Dritten erforderlich, dass dieser unentgeltlich handelt. Zwar wird hierunter von der wohl hM nicht die vollständige Kostenfreiheit verstanden,62 wohl aber die fehlende Gewinnerzielungsabsicht.63 Aber es soll auch dann noch Unentgeltlichkeit vorliegen, wenn der eigentlich privilegierte Nutzer kein Entgelt entrichten muss und der Dritte sich durch Werbeeinblendungen finanziert, da ansonsten selbst das vom Gesetzgeber genannte Beispiel der Kopien herstellenden Bibliothek
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BGH Urt. v. 22.4.2009 – ZR 216/06 Tz. 17, 52 – Onlinevideorecorder. Enger dagegen: Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1208, erscheint demnächst, die eine Zurechnung schon dann verneint, wenn zwar ein Stück, nicht aber die Quelle genau angegeben wird. 61 Ausführlich dazu s. Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1246 ff. sowie 1437 ff., erscheint demnächst. 62 Begr RegE BT-Drucks. 15/38, S. 20 f.; Schricker/Loewenheim Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 53 Rn. 16; Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. § 53 Rn. 17 gegen Schwenzer, ZUM 1997, 478. 63 OLG Dresden ZUM 2007, 385. 60
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nicht mehr gedeckt sei, die sich auch aus anderen Quellen finanziere.64 Allerdings spricht hier die andersartige Behandlung etwa in der E-CommerceRichtlinie dagegen, die entgeltliche Angebote auch bei werbefinanzierten Angeboten annimmt.65 Dementsprechend hat auch der I. Zivilsenat in der Online-Videorecorder-Entscheidung angenommen, dass werbefinanzierte Dienste als entgeltlich anzusehen sind.66 c) Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (§ 95a UrhG) Abgesehen davon, ob hier die Schranke der Privatkopie angesichts der oben dargestellten Probleme überhaupt eingreift, stellt sich die spezifische Frage einer Umgehung von technischen Schutzmaßnahmen, § 95a UrhG, da etwa bei youtube weder das Video noch gesondert davon der Audiostream speichern lässt – wie bei vielen anderen Portalen auch. In diesem Falle würde per se die Privilegierung der Privatkopie nicht eingreifen. Abgeschichtet werden kann zunächst die Aufzeichnung mit Hilfe des in analoge Audio oder Video-Signale umgewandelten Streams (sog. „analoge Lücke“). Denn hier macht sich der Nutzer lediglich die Inhalte nach der Umwandlung zu Nutze, die er genauso gut mit einem Mikrofon bei Wiedergabe rechtmässig aufnehmen könnte.67 Das muss selbst dort gelten, wo die analoge Kopie allein aus Gründen der Redigitalisierung erfolgt.68 Schwieriger sind dagegen die Fälle zu beurteilen, in denen die Aufnahme mit Hilfe der digitalen Inhalte direkt erfolgt, ohne jegliche Umwandlung: Hier ist entscheidend, welchen Aufwand der Nutzer treiben muss, um solche Aufnahmen anzufertigen.69 Gelingt ihm dies mit Hilfe einfach zu beschaffender Software, die ggf. noch kostenlos erlangt werden kann oder finden sich 64 So in Dreier/Schulze/Dreier, 3. Aufl. § 53 Rd. 16 im Anschluss an v. Zimmermann, MMR 2007, 553, 555; ebenso Wiebe, CR 2007, 28, 31; Hofmann, MMR 2006, 793, 798 f. 65 Anders auch OLG Dresden ZUM 2007, 285. 66 BGH Urt. v. 22.4.2009 – ZR 216/06 Tz. 56 – Onlinevideorecorder; Prill, WebradioStreamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1207, erscheint demnächst; Braun, AfP 2007, 5, 12. 67 LG Frankfurt a.M. CR 2006, 816; Arlt, Digital Rights Management Systeme, 2005, S. 120 f.; Schricker/Loewenheim/Götting, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 95a Rn. 22; Dreier/Schulze/ Dreier, UrhR, 3. Aufl. 2008, § 95a Rn. 15; Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 16 Rn. 24; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohste, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 95a Rn. 51; dagegen will Schippan, ZUM 2006, 853, 863 f. zwischen verschiedenen Analogaufnahmegeräten differenzieren – allerdings erscheint ein Kriterium, was nur auf die Aufnahmequalität abstellt, mehr als zweifelhaft. 68 So auch Arlt, Digital Rights Management Systeme, 2005, S. 121; Schricker/Loewenheim/Götting, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 95a Rn. 22; a.A. Dreyer/Kotthoff/Meckel/Dreyer, UrhR, 2. Aufl. 2009, § 16 Rn. 24. 69 Schricker/Loewenheim/Götting, UrhR, 4. Aufl. 2010, § 95a Rn. 22; Dreier/Schulze/ Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 95a Rn. 15 f.; Wandtke/Bullinger/Wandtke/Ohst, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 95a Rn. 50; Arlt, Digital Rights Management Systeme, 2005, S. 77.
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solche Tools auch in Abspielvorrichtungen selbst, sind erhebliche Zweifel angebracht, ob es sich noch um wirksame technische Schutzmaßnahmen handelt.70 3. Eingriff durch Bearbeitung infolge von „Rippen“ eines Videos Schließlich können auch Fragen der Bearbeitung eines Inhaltes bzw. Werkes nach § 23 UrhG auftreten, insbesondere wenn Musik aus einem Video extrahiert wird („Rippen“). Allerdings ist dies aus Sicht der Urheber des Musikstücks in der Regel kaum relevant, betrifft es doch den „Urheber“ des zusammengestellten Videos (youtube) – auch ist fraglich, ob hier überhaupt von einer Bearbeitung gesprochen werden könnte, da der Charakter des Originals (Werkes) nicht berührt wird, sondern lediglich ein selbständiger Teil herausgelöst wird71 – was hier indes nicht weiter zu vertiefen ist, da es nichts an der Frage der Verletzung von Verwertungsrechten der ursprünglichen Urheber ändert. 4. Zusammenfassung Fasst man die Analyse de lege lata zusammen, können folgende Probleme beim Streaming und der Aufnahmesoftware herausdestilliert werden: – Das Privileg der vorübergehenden Vervielfältigung ist erforderlich (§ 44a UrhG), kann aber auch missbraucht werden – Das Merkmal der offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist in der Praxis nur schwer zu handhaben, erst recht in internationalen Zusammenhängen bei Internetradiosendungen – Das Wissen des Nutzers um die Rechtswidrigkeit der Vorlage kann von der Herstellung der Kopie getrennt werden – Ohne Haupttat (Urheberverletzung) durch den Nutzer ist eine Beihilfe bzw. Teilnahme nicht möglich (flatster-Problematik), auch wenn der Teilnehmer (Internetdienst) selbst das nötige Wissen um die Rechtswidrigkeit von Vorlagen hätte – Bei der Herstellung von Kopien durch den Nutzer kommt es nicht auf die Unentgeltlichkeit des Dienstes beim Internetanbieter (flatster) an, da dieser nicht als Hersteller qualifiziert wird – Die softwaregesteuerte Aufnahme von Internetradiosendungen durch den Nutzer geht in den Nutzungsmöglichkeiten beträchtlich über den ursprünglich gedachten Rahmen der Privatkopie hinaus, indem eigenverant-
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Im Ergebnis ebenso Vianello, CR 2010, 728, 733 f. S. aber auch Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 23 Rn. 5 zu den verschiedenen Formen der Bearbeitung. 71
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wortliche Handlungen erheblich reduziert werden können und der Grad der Nutzung daher entsprechend ansteigt.
III. Optionen Die beschriebenen Defizite im Hinblick auf die gestiegene Nutzung von digitalen Inhalten können durch verschiedene Lösungen unter Umständen überwunden werden, die im Folgenden diskutiert werden. Zunächst ist allerdings die grundlegende Frage zu beantworten, ob es überhaupt einer solchen Lösung bedürfte, oder ob es sich nicht um evolutorische Prozesse auf Märkten handelt, die quasi von selbst wieder in ein Gleichgewicht finden werden. 1. Grundsätzliche Überlegungen Die Ausnützung von (urheberrechtlich) geschützten Inhalten durch neue Technologien oder neue Internetdienste sind auf den ersten Blick an sich gewünschte Innovationen, da sie bestehende Möglichkeiten ausnützen und mehr Möglichkeiten für den Nutzer bieten. Allerdings würde damit ein entscheidender Punkt übersehen: Denn das Urheberrecht wird wesentlich intensiver genutzt als es unter den vorherigen Umständen möglich war, der Nutzungsgrad von Inhalten erhöht sich wesentlich. Die ursprüngliche Balance wird damit empfindlich gestört – was sich rechtlich im Drei-StufenTest niederschlägt. Anders formuliert sind Schranken und Verwertungsrechte in einem wechselseitigen ökonomischen Gleichgewicht, das durch die Einführung neuer Technologien gestört werden kann – was sowohl zugunsten der Verwertungsrechte (etwa DRM-Systeme) als auch zugunsten der Nutzer (intelligente Aufnahmesoftware) erfolgen kann. In Anbetracht der oben geschilderten Sachverhalte liegt hier die Annahme nahe, dass sich die Nutzungsmöglichkeiten und die Balance daher zugunsten der Nutzer erheblich verschoben haben, so dass ein Marktungleichgewicht droht. Dieses kann nun zum einen durch technische ebenso wie systeminhärente Lösungen überwunden werden; sollten diese scheitern oder selbst gewichtigen Einwänden ausgesetzt sein, kommen darüberhinausgehende Maßnahmen in Betracht: 2. Lösungen im Rahmen des bestehenden Systems a) Technische Lösungen Als erste systeminhärente Lösung könnten technische Lösungen verwandt werden, die ähnlich wie Digital Rights Management Systeme die Nutzung von digitalen Inhalten ohne nochmalige Erlaubnis des Rechteinhabers erlau-
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ben. Derartige Möglichkeiten sind auch beim Download von digitalen Inhalten inzwischen üblich, sei es über die Einrichtung von Nutzeraccounts, die jeweils vom Nutzer aktiviert werden müssen und deren Übertragung von der Zustimmung des Vertreibers der Software bzw. Content abhängen, was der BGH erst jüngst in der Half Life 2-Entscheidung anerkannt hat,72 oder sei es über eigentliche Kopierschutzmechanismen, wie etwa für über das Downloadportal von iTunes gekaufte Videos und Bücher.73 In gleicher Weise verweist der EuGH den Hersteller von Software auf den Einsatz von Kopierschutz- bzw. Produktaktivierungsmechanismen, wenn er die weitere Verbreitung der Software kontrollieren will.74 Derartige Lösungen – sofern sie existieren – bergen aber das Problem der technischen Kompatibilität und der internationalen Durchsetzbarkeit. Wie schon die diversen Versuche auf dem CD-Markt und letztlich auch auf dem DVD-Markt gezeigt haben, sind technische Kopierschutzmechanismen nicht immer geeignet, die gleiche Marktdurchdringung und Vereinbarkeit mit bereits verbreiteten Abspielgeräten zu erreichen wie mit traditionellen Datenträgern. Allerdings wäre dies wahrscheinlich bei einem auf einem Stream aufgesetzten Kopierschutz eher möglich als bei konventionellen Datenträgern. Auch wäre damit gesichert, dass nur solche Internetradiostationen Sendungen ausstrahlen könnten, zu denen sie lizenziert sind – und „Piraten“stationen entsprechend ausgeschaltet. Da die Frage der individuellen Kontrollierbarkeit via DRM-Systeme entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeit einer Privatkopie hat, wie § 95a UrhG zeigt, und auch die Geräteabgaben hiervon entscheidend abhängen, bedarf diese Frage der Klärung durch entsprechende technische Studien. b) Vergütungsbasierte Lösungen aa) Erhöhte Geräteabgaben Die klassische Alternative zu einer technischen ebenso wie zu einer unmittelbar auf Verbotsrechte gestützten Lösung ist die Einführung von Abgaben. Wenn Verwertungsrechte nicht effizient (bzw. unter extrem hohen Kosten und mit hoher Unsicherheit) durchgesetzt werden können, liegt die „second best solution“ einer Abgabe nahe. Denn damit können Verwertungen und
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BGH GRUR 2010, 822 – Half-Life 2. Musikstücke verkauft Apple dagegen derzeit ausschließlich DRM-frei, s. dazu http:// support.apple.com/kb/HT1711?viewlocale=de_DE. 74 EuGH NJW 2012, 2565 – UsedSoft = CR 2012, 1074 = GRUR 2012, 904 m. Anm. Hansen/Wolff-Rojczyk; dazu Schneider/Spindler, CR 2012, 489; Moritz, K&R 2012, 456; Marly, EuZW 2012, 654; zum Erschöpfungsgrundsatz bei Software: Hoeren, GRUR 2010, 665; sowie unter Berücksichtigung des der Vorlage zugrundeliegenden Verfahrens vor dem BGH: Vianello, MMR 2012, 139; Dietrich, NJ 2012, 281. 73
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Nutzungen breitflächig erfasst werden, die individuell wegen entsprechender Durchsetzungshürden nicht verfolgt werden können – was oftmals auch das Ergebnis einer gesellschaftspolitischen Entscheidung ist. Eine solche Lösung wäre wohl jedenfalls im Bereich der bestehenden Geräte- und Leermedienabgaben ohne große Gesetzesänderung möglich, indem die entsprechenden Geräteabgaben erhöht werden – dann allerdings in einer wesentlich größeren Höhe, als dies bislang diskutiert wurde, was indes mit entsprechenden Daten empirisch belegt werden müsste. Das inhärente Problem der Geräteabgabe – wie jeder Abgabe – ist jedoch, dass Marktprozesse außer Kraft gesetzt und Einkommensströme breitflächig verteilt werden, ohne dass es auf Angebot und Nachfrage ankommt. Gerade der Allokationsmechanismus des Marktes, der knappe Ressourcen (zu denen auch Geld bzw. Kapital zählt) dorthin lenkt, wo ein Wirtschaftsgut den höchsten Wert genießt bei den Nutzern (eben die Nachfrage), würde damit ausgehebelt. Damit entstünde tendenziell eine Überproduktion von digitalen Gütern, für die keine Nachfrage besteht, und eine Unterproduktion von solchen Gütern, die an sich stark nachgefragt werden, aber für die der Produzent aufgrund der pauschalen Abgabe keine entsprechende proportionale Vergütung erhält. Allerdings bedarf es auch hier der genaueren Analyse, inwiefern durch entsprechende Nutzungsstatistiken der Abruf im Rahmen von Streams feststellbar wäre. Hiermit könnte sich dann eine zielgenauere Erfassung hinsichtlich der Häufigkeit von gehörten Titeln bzw. Inhalten ermitteln lassen. Wie schon generell im Rahmen der sog. „Kulturflatrate“ oder Tausch-Lizenz diskutiert, bedarf es hier genauerer technischer Analysen, um die Möglichkeiten einer Erfassung abzuschätzen. So sind gerade bei Internetnutzungen zielgenauere Erfassungen des Konsums bei Nutzern denkbar als bei herkömmlichen Medien, etwa Rundfunk oder TV.75 bb) Erhöhte Abgabe im Rahmen von Lizenzierungen Eine weitere den Vergütungslösungen zuzurechnende Variante bestünde in der Erhöhung der Lizenzvergütungen, die mit Internetradioanbietern verhandelt werden, um die stärkere Nutzung der Musik einzubeziehen. Auch wenn dies aus nationaler Sicht einen gangbaren Weg darstellt, der auch früher schon eingeschlagen wurde (in Zeiten vor der massenhaften Verbreitung des Internet bezogen auf Sendeanstalten bzw. Kopien über Tonbandgeräte), sieht sich dieser Weg wiederum mit dem Problem der Internationalität bzw. den global empfangbaren Internetradios konfrontiert, für die globale Lizenzen immer von den jeweiligen Verhandlungspartnern vor Ort abhingen. 75 Näher dazu Spindler, Die Kulturflatrate – eine juristische und ökonomische Analyse, erscheint 2013.
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3. Lösungen hinsichtlich eingesetzter Software Wendet man sich statt systeminhärenten Lösungen möglichen Ansätzen de lege ferenda zu, kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht, die zwar allesamt durch die Vorgaben der InfoSoc-Richtlinie begrenzt werden, allerdings auch nicht durch sie unmöglich wären: a) Verbot Wie schon für den zweiten Korb seitens der Rechteinhaber vorgeschlagen, könnte in § 95a UrhG ein Verbot intelligenter Aufnahmesoftware aufgenommen werden. So sollte § 95a UrhG nach einem Vorschlag der Musikindustrie76 wie folgt gefasst bzw. geändert werden: „Nach § 95a Abs. (2) wird der folgende Abs. (3) neu eingefügt: Automatisierte Vervielfältigung im Sinne dieses Gesetzes ist die mit Hilfe computer-basierter Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen ermöglichte automatisierte Auswahl einzelner Elemente eines gestalteten Programms einer Funksendung oder einer vergleichbaren Programmverbreitung zum Zwecke der privaten Vervielfältigung, die es ermöglicht einzelne Werke oder Werkteile automatisiert auszuwählen und separiert dauerhaft zu vervielfältigen, soweit dies nicht zum Zwecke zeitversetzter Nutzung dient. Der bisherige Abs. (3) wird als neuer Abs. (4) wie folgt geändert: Verboten sind die Herstellung, die Einfuhr, die Verbreitung, der Verkauf, die Vermietung, die Werbung im Hinblick auf Verkauf oder Vermietung und der gewerblichen Zwecken dienende Besitz von Vorrichtungen, Erzeugnissen oder Bestandteilen sowie die Erbringung von Dienstleistungen, die 1. Gegenstand einer Verkaufsförderung, Werbung oder Vermarktung mit dem Ziel der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen oder der automatisierten Vervielfältigung von Werken oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzgegenstandes sind oder 2. abgesehen von der Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen oder von der automatisierten Vervielfältigung von Werken oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzgegenstandes nur einen begrenzten wirtschaftlichen Zweck oder Nutzen haben oder 3. hauptsächlich entworfen, hergestellt, angepasst oder erbracht werden, um die Umgehung wirksamer technischer Maßnahmen oder eine auto-
76 Forum der Rechteinhaber, Stellungnahme zum Entwurf des „zweiten Korbs“ zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft v. 09.06.2006, S. 6, abrufbar unter: http://www.musikindustrie.de/fileadmin/piclib/politik/nationale_ggvorhaben/pp_ gesetz_nat_stellungn_20060609_forum_korb2.pdf (letzter Abruf: 10.09.2012).
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matisierte Vervielfältigung von Werken oder eines anderen nach diesem Gesetz geschützten Schutzgegenstandes zu ermöglichen oder zu erleichtern.“ Die Kernelemente eines solchen Verbotes wären demnach Instrumente oder Programme zur automatisierten Vervielfältigung sowie der Gebrauch nicht nur zur zeitversetzten Nutzung. In beiden Elementen liegt aber auch bereits das Problem der Abgrenzung zu herkömmlichen, bislang von der Rechtsordnung auch teilweise explizit geduldeten oder sogar gesetzlich erwähnten Vervielfältigungsprogrammen, wie etwa den Electronic Programming Guides (EPG), wie sie im RStV erwähnt werden. So bezieht sich § 52c Abs. 1 RStV ausdrücklich auf elektronische Programmführer, um die technische Zugangsfreiheit zu gewährleisten. Gerade diese Programmführer werden oftmals von Standard-Videorecodern verwandt (oder anderen Geräten), um die Programmierung der Aufnahme von Sendungen zu ermöglichen. Es ist kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber diesen Gebrauch ignoriert hat. Wendet man aber die vorgeschlagene Definition der intelligenten Aufnahmesoftware rigoros an, so müssten auch diese EPGs verboten werden, da sie zwar in Kombination anderer Software, aber doch als wesentlicher Bestandteil gerade die automatisierte Vervielfältigung ermöglichen. Auch würden alle Browser oder Tools darunter fallen, die eine Auswahl von Streams nach voreingestellten Kriterien erlauben – wollte man dies erlauben, käme es andernfalls wiederum zu unerwünschten Aufspaltung wie im Fall flatster, indem Browser etc. die Auswahl vollzögen, daraufhin aber eine entsprechende Software (mit einfachen Skripten) gestartet werden könnte (bzw. dadurch ausgelöst werden könnte), die den eigentlichen Vervielfältigungsvorgang betreibt, ohne selbst die Auswahl vorzunehmen. Es würde zudem nicht genügen, auf die Automatisierung der Personalisierung bzw. die Auswahl hin zu weisen; denn diese wird von jedem Nutzer bereits mit dem Gebrauch eines traditionellen Videorecorders und der „Programmierung“ seiner gewünschten Sendung vorgenommen. Nicht umsonst hat der I. Zivilsenat den Online-Videorecorder als funktional gleichwertig einem hardwaregestützten Videorecorder im Haus des Nutzers angesehen. Nur dann, wenn man eine rein manuell gesteuerte Vervielfältigungshandlung in Zukunft erlauben will, könnte man Abgrenzungsprobleme vermeiden – dies würde allerdings bedeuten, dass „das Rad zurückgedreht“ würde, was angesichts der inzwischen eingetretenen Entwicklung eher zweifelhaft ist. Dieser Interpretation könnte man allenfalls entgegenhalten, dass das Verbot auf solche Software (bzw. Geräte) einzuschränken wäre, die über eine zeitversetzte Nutzung hinaus ginge. Aber auch hier fragt sich sofort, ob damit der traditionelle Videorecorder abgeschafft werden sollte – anders formuliert: was ist zeitversetzte Nutzung? Und wie sollte sie kontrolliert wer-
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den? Zieht man den traditionellen Videorecorder heran, so kann eine auf Festplatte gespeicherte Sendung beliebig oft und beliebig viele Male wiederholt werden – von einer rein zeitversetzten Nutzung kann hier kaum gesprochen werden. Zwar mag mit Hilfe von DRM-Technik und entsprechenden Signalen, die über die heute gängigen HDMI-Schnittstellen die Wiedergabe steuern oder kontrollieren können, eine solche Abgrenzung möglich sein – doch wäre dann wiederum fraglich, wozu eines solchen Verbotes überhaupt bedürfte (s. oben), wenn schon über DRM ein solcher Schutz erreicht werden könnte. Auch greifen für reine Musikinhalte die gleichen Vorbehalte wie zuvor hinsichtlich der DRM-Technik. Ein Seitenaspekt eines solchen Verbotes wäre die Frage, warum nicht andere automatisierten Vervielfältigungen und Suchroutinen verboten würden, etwa die personalisierte Nachrichtensuche mit Vervielfältigung entsprechender Artikel. Schließlich sähe sich das Verbot einer solchen Aufnahmesoftware mit dem Problem konfrontiert, dass hiermit nicht nur eine Vertriebsmodalität, sondern eine produktbezogene Bestimmung im Gesetz aufgenommen wäre, die nicht durch die InfoSoc-Richtlinie vorgegeben ist, mithin sich an den Grundverkehrsfreiheiten des primären Europarechts messen lassen muss,77 insbesondere der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Ferner würde ein solches Verbot unter Umständen nicht gegenüber internetbasierten Diensten verfangen, die im europäischen Ausland angesiedelt werden, da sie ggf. sich auf das Herkunftslandprinzip nach Art. 3 der ECRL berufen könnten. Allerdings wird das Urheberrecht vom Herkunftslandprinzip ausgenommen, worauf sich eine solche Regelung stützen könnte. Jedenfalls müsste die Vereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten vertieft erörtert werden. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma könnte darin bestehen, dass derartige „Schrankenschmarotzer“ nur dann verboten wären, wenn sie ihre Geräte oder Software derart anpreisen, dass sie zu einer übermäßigen Nut77 Art. 34 AEUV (Warenverkehrsfreiheit), Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit); zur Differenzierung von Produkt- und Vertriebsbezogenheit i.R. der Warenverkehrsfreiheit grundlegend: EuGH Slg. 1993, S. I-6097 – Keck; davor: Slg. 1974, 837 – Dassonville; Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon; fortgeführt für Verkaufsmodalitäten: EuGH Slg. 1994, I-2199 – Tankstation t’Heukske; Slg. 1994, I-2355 – Punto Casa; Slg. 1995, I-179 – Leclerc-Siplec; Slg. 1995, I-2467 – Belgapom; Slg. 1996, I-2975 – Semerano Casa Uno; Slg. 1997, I-3843 – de Agostini; Slg. 2001, I-1795, Rn. 21 – Gourmet Internaional Products; Slg. 2003, I-9343 Rn. 31 – Morellato; Slg. 2010 I-12213 – Ker-Optika; für Produktmodalitäten: Slg. 1994, I-317 – Clinique; EuGH Slg. 1995, I-1936 – Mars; Slg. 1998, I-8033, Rn. 21 – Bluhme; zuletzt die Weiterentwicklung zur sog. 3-Stufen-Theorie: Slg. 2006, I-8135 – Alfa Vita Vassilopoulos AE; Slg. 2009 I-519 – Kommission/Italien Rn. 36 f.; Slg. 2009, I-4273 Rn. 24 – Mickelsson/Roos; Slg. 2010, I-2885 – Sandström; jüngst: EuGH EuZW 2012, 511 – ANETT m. Anm. Streinz = JZ 2012, 740 m. Anm. Purnhagen; siehe zur Entwicklung zur 3-Stufen-Theorie Brigola, EuZW 2012, 248; sowie zur Fallübersicht m.w.N. Frenz, WRP 2011, 1034.
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zung von digitalen Inhalten führt, etwa indem in der Werbung bewusst auf die Substitution von kostenpflichtigen Download-Portalen hingewiesen würde. Allerdings wäre fraglich, ob es dazu tatsächlich eines urheberrechtlichen Tatbestandes bedürfte; dafür spräche, dass ohne eine zusätzliche Wertung, die deutlicher als der Drei-Stufen-Test wäre, es unwahrscheinlich ist, dass im Rahmen des UWG entsprechende wettbewerbswidrige Werbung angenommen werden könnte, da die Dienste nur mit legalen Möglichkeiten werben würden. b) Gebot bestimmter Softwarespezifikationen und Kennzeichnung von Radiosendungen Eines der oben beschriebenen Probleme besteht darin, dass die Zulässigkeit von rechtmäßigen Sendungen bzw. rechtswidrigen Sendungen kaum erkennbar ist, zudem zahlreiche Internetradios wohl keine entsprechenden Lizenzen aufweisen. Eine Lösungsmöglichkeit für dieses Problem bestünde darin, entsprechende Kennzeichnungen vorzuschreiben, und nur solche Aufnahmesoftware zu erlauben (ebenso wie internetbasierte Dienste), die einen automatischen Abgleich mit einer Blacklist oder einer positiven Liste von Internetradios vornehmen.78 Alle anderen Aufnahmesoftwarelösungen könnten dann einem Verbot anheimfallen – was auch für EPGs und Videorecorder unproblematisch durchgeführt werden könnte, indem die EPGs nur lizenzierte Sender aufnehmen dürften. Damit wäre das Problem der Erkennbarkeit der offensichtlichen Rechtswidrigkeit für den Nutzer einfacher zu lösen.79 Zwar bleibt es nach wie vor bei den Fällen wie flatster, die durch die Aufspaltung des Dienstes Wissen und Steuerung auseinanderfallen lassen; dem könnte allerdings durch entweder eine entsprechende Anwendung von Wissenszurechnungsnormen wie § 166 BGB,80 oder aber durch eine Präzisierung von § 53 Abs. 1 S. 2 UrhG Rechnung getragen werden, indem das Wissen des Dritten und jedes in den Vervielfältigungsvorgang Eingeschalteten dem Nutzer zugerechnet würde. Allerdings weist auch diese Lösung inhärente Schwierigkeiten auf: So müsste auch hier die Einhaltung der Primärfreiheiten im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Einschränkungen der Waren- und/oder Dienstleistungsverkehrsfreiheit geprüft werden, da wiederum keine Vertriebs-, son78 So der Vorschlag von v. Zimmermann, MMR 2007, 553, 558; ihm zustimmend Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1194, erscheint demnächst und Dresel, WRP 2011, 1289, 1292. 79 Für eine solche Kennzeichnung auch Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1188, erscheint demnächst; sowie davor schon: v. Zimmermann, MMR 2007, 553, 558. 80 So Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1193, erscheint demnächst.
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dern nur Produktmodalitäten vorliegen dürften.81 Aufgrund der wesentlich geringeren Einschränkungen und des legitimen Zwecks, der letztlich auch in seinen Wurzeln in der InfoSoc-Richtlinie anerkannt ist, nämlich dem Schutz geistigen Eigentums, dürfte hier jedoch die Verhältnismäßigkeit wesentlich schneller angenommen werden können als bei einem kompletten Verbot von Aufnahmesoftware. Größere Probleme wirft der mit einer Blacklist unter Umständen verbundene Eingriff in die Rundfunkfreiheit auf, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG. Sollte etwa eine Negativ- oder Positivliste generell einen Internetradiosender erfassen, kommt es darauf an, wie diese Liste gegenüber der Software wirkt: Sperrt eine solche Liste das gesamte Angebot, so dass auch Nachrichten oder Informationen nicht mehr vom Nutzer empfangbar wären, wäre eindeutig die Rundfunkfreiheit und darin enthaltene Freiheit zur Teilnahme am Meinungsbildungsprozess beeinträchtigt. Dem ließe sich indes dadurch Rechnung tragen, dass solche Listen nur Auswirkungen auf den Aufnahmeteil einer Audiosoftware hätten, mit anderen Worten das eigentliche Empfangstool (im klassischen Sinne der „Tuner“) nicht berührt wäre. Denn die Aufnahmemöglichkeiten, die einzig und allein beim Nutzer liegen, sind nicht Teil der Rundfunkfreiheit, die sich nur auf die Rezeption der Information beziehen, aber nicht auf deren dauerhafte Speicherung beim Nutzer. Allerdings läuft eine solche Indexierung nur von Titeln auf die gleiche Lösung wie die oben dargelegte Frage des Digital Rights Management System hinaus. Daraus lässt sich das Zwischenfazit ziehen, dass eine komplette Sperrung von Radiosendern in aller Regel ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 5 I 2 GG sein dürfte, so dass letztlich wiederum eine DRM-Lösung bezogen auf die einzelnen Titel die einzige Möglichkeit darstellt. Eine Kompromisslösung könnte wiederum darin bestehen, dass der Radiosender zwar nicht gesperrt wird, der Nutzer aber durch die Blacklist eine deutliche Warnung enthält, dass dieser Sender möglicherweise ohne entsprechende Lizenzen digitale Inhalte ausstrahlt – der Nutzer könnte sich dann kaum noch darauf berufen, dass ihm das Bewusstsein der offensichtlichen Rechtswidrigkeit fehlt. c) Verbot von Weitersendungen Eine offene Frage, die sich durch Portale wie www.kino.to oder Dienste wie flatster ergeben haben, richtet sich auf die Weiter„sendung“ durch embedded links oder die Herstellung einer Verbindung zwischen Nutzer und Internetradio wie bei flatster. Bislang ist eine solche Weitersendung – wie ausgeführt – nicht vom Urheberrecht erfasst, wäre jedoch allerdings analog
81 Dies könnte allerdings auch anders gewertet werden, da Anbieter von Aufnahmesoftware nur verpflichtet werden, bestimmte Listen bei der Benützung ihrer Produkte abzugleichen.
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der Kabelweitersendung denkbar, wenn der „Weitersendende“ aktiv in die Auswahl und Einspeisung in weitere Internetverbreitungsvorgänge eingreift. Problematisch an einer solchen Lösung ist jedoch die Abgrenzung gegenüber anerkannt sozial nützlichen Navigationstools, wie Hyperlinks oder Suchmaschinen, da diese stets für die entsprechende „Weitersendung“ sorgen – deren prinzipielle Sozialadäquanz letztlich auch vom BGH im Paperboy-Urteil und ebenso in der Bildersuch-Entscheidung festgehalten wurde.82 Durch die Weiterleitung des Nutzers auf die Inhalte „hinter“ den Links läge letztlich immer eine Art Weitersendung vor, so dass auch dieser Weg ausscheidet. Schließlich würde dieser Weg auch für solche Software versagen, die beim Nutzer angesiedelt ist, da sie nur auf diejenigen Streams zugreift, die direkt beim Nutzer ankommen, mithin kein Fall der Weitersendung vorläge. d) Verbot der Herstellung durch Dritte Eine weitere Alternative läge darin, die Herstellung von Kopien durch Dritte zu untersagen.83 Hiermit könnten die Fälle von Onlinevideorecordern ebenso wie die Tätigkeiten – wenn auch wesentlich schwieriger – von flatster erfasst werden. Im Gesetz könnte ein normativer Herstellungsbegriff verankert werden, mit der Folge, dass diese Dienste alle vergütungspflichtig werden bzw. in die Verwertungsrechte selbst eingreifen. Allerdings ist fraglich, wie die Abgrenzung wiederum vorzunehmen wäre, wer alles als Dritter gelten kann. Zudem würde die beim Nutzer angesiedelte Aufnahmesoftware auf keinen Fall erfasst, da der Herstellvorgang bei ihm selbst stattfindet – so dass auch diese Möglichkeit ausscheidet, wenn man die intensive breitflächige Nutzung erfassen möchte.
82 BGHZ 185, 291, 309 Rn. 39: „allgemeines Interesse an der Tätigkeit von Bildersuchmaschinen“; BGHZ 156, 1, 18 f.: „Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Internet“; zur Bedeutung von Suchmaschinen für das Internet s. auch: Kilian/Heussen/Egermann, Computerrechts-Handbuch, 30. EL 2011, Teil 300 Rn. 8; Hoeren/Sieber/Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, 31. EL 2012, Teil I Rn. 98; Ott, Macht der Suchmaschinen, S. 1, abrufbar unter: www.linksandlaw.de/Macht-der-Suchmaschinen.pdf (letzter Abruf: 10.9.2012); Schulz/Held/Laudien, Suchmaschinen als Gatekeeper in der öffentlichen Kommunikation, 2006, S. 20 f. 83 So bspw. Hohagen, Die Freiheit der Vervielfältigung zum eigenen Gebrauch, 2004, S. 618; Poeppel, Die Neuordnung der urheberrechtlichen Schranken im digitalen Umfeld, 2005, S. 278 ff.; abl. Prill, Webradio-Streamripping – Eine neue Form der Musikpiraterie?, bei Fn. 1454, erscheint demnächst m.w.N.
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IV. Fazit Aus rechtspolitischer Sicht erscheint daher folgende Strategie sinnvoll: – erstens die Pflicht, Negativlisten zu etablieren, die von den Programmen abgeglichen werden müssen und zu Warnhinweisen führen – zweitens die Erweiterung einer Wissenszurechnung beim Herstellen durch Dritte – drittens die Erhöhung der Geräteabgaben bzw. die Prüfung, ob eine generelle Abgabe auf Internetanschlüsse möglich ist, wobei Folgeprobleme nicht verkannt werden sollen.
Medienspezifisches Haftungsregime für Content-Plattformen Axel von Walter I. Einführung Der digitale Medienkonsum nimmt exponentiell zu und verdrängt in einigen Bereichen bereits die traditionellen physiche Medien. Der Vertrieb der digitalen Medienangebote läuft über Content-Plattformen, die die Infrastruktur für die Verbreitung der Medienprodukte sowohl für Produzenten als auch für Konsumenten zur Verfügung stellen. Im Zusammenhang mit diesen Content-Plattformen stellt sich natürlich die Frage nach der Haftung für die verbreiteten Inhalte. Der Beitrag will Denkanstöße für eine medienspezifischere Betrachtung und Anwendung des bekannten Haftungsregimes in Bezug auf Content-Plattformen geben. Die sich aus dem bisherigen Haftungsdenken ergebenden wirtschaftlichen Risiken stehen in keinem Verhältnis zu der systemrelevanten Rolle der Content-Plattformen für die digitale Öffentlichkeit. Unter Berücksichtigung mediengrundrechtlicher Wertungen sowie der neueren EuGH-Rechtsprechung zum Neutralitätskriterium wäre es interessengerechter, die Haftung des Plattformbetreibers grundsätzlich auch bei zueigengemachten Inhalten an das Kenntnismoment zu knüpfen. Dies kann durch eine interessengerechte grundrechtliche Abwägung im Rahmen der bestehenden Haftungstatbestände erreicht werden.
II. Digitale Medienöffentlichkeit und die Funktion der Content-Plattformen Die ubiquitäre Verfügbarkeit von schnellem digitalem Zugang zu Informationen hat dem digitalen Medienkonsum zum Durchbruch verholfen. Mit der exponentiell zunehmenden Verbreitung mobiler Kommunikationsgeräte, wie beispielsweise Smartphones, Tablet-Computern, mobilen elektronischen Lesegeräten, blüht der Bereich der digitalen Medienverbreitung gerade erst auf. Entscheidend für alle erfolgreichen Geschäftsmodelle in diesem Bereich ist neben komfortablen Endgeräten, die für den Rezipienten und Nutzer komfortabel zu nutzenden Plattformen für den Erwerb und den Konsum der digitalen Inhalte. Diese Plattformen werden mit ihren Inhalten von großen
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Anbietern beispielsweise in sogenannten „App-Stores“, „App-Shops“, Mediatheken (nachfolgend als „Content-Plattform“ bezeichnet) oder dergleichen als komfortable „One-Stop-Shops“ bereitgestellt. Wie auf einem Marktplatz werden digitale Inhalte den Plattform-Nutzern zum Kauf oder auch kostenlosen Nutzung (z.B. Gratis-Apps) zur Verfügung gestellt. Je nach der genutzten Hardware oder nach dem genutzten Betriebssystem handelt es sich um ein nahezu geschlossenes System: Inhalte, die nicht über die Content-Plattform angeboten werden, finden in der digitalen Öffentlichkeit des jeweiligen Nutzers nicht statt. Von den bekannten Online-Handelsplattformen für physische Güter unterscheidet sich die Content-Plattform zudem in einem wichtigen Punkt: Anders als bei Handels- oder Versteigerungsplattformen, basiert das Geschäftsmodell in der vertrags- und lizenzrechtlichen Konstruktion nicht auf einer sogenannten „many to many“-Konstellation, in der der Anbieter lediglich viele Anbieter mit vielen Konsumenten zusammenbringt und zwischen den „Vielen“ einzelne Vertragsschlüsse vermittelt und dafür ggf. eine Provision oder Gebühr kassiert. Vielmehr treten die Anbieter der Content-Plattformen rechtlich selbst als Verkäufer bzw. Lizenzgeber der zuvor eingekauften bzw. einlizenzierten Inhalte und damit als Vertragspartner gegenüber den Nutzern auf. Letztendlich läuft das wirtschaftlich aber ebenfalls auf eine Provision für den Verkauf heraus, da der Plattformbetreiber einen Großteil der Lizenzeinnahmen an den Produzenten weitergibt. Lang etabliert sind Content-Plattformen, die digitalisierte Inhalte der konventionellen Medienindustrie als mp3-Musik-Dateien, Filme oder E-Book- oder E-Paper-Versionen vertreiben.1 Neuer und zunehmend erfolgreich sind allerdings sogenannte Self-Publishing-Konzepte. In diesem digitalen Geschäftsmodell kann jedermann seine Inhalte (z.B. Apps, Podcasts, E-Books) digital verlegen und über die Content-Plattformen der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Inhalte werden vom Autor dabei selbst zusammengestellt, aufbereitet und digital auf die Plattformen aufgespielt. Selbst die begleitende Werkausstattung, wie Cover und Katalogangaben stammen direkt vom Autor. Dieser stellt alle Inhalte und Informationen selbst in einem automatisierten Massenprozedere meist online auf die Plattform ein. Es versteht sich von selbst, dass diese Inhalte in diesem Geschäftsmodell nicht vom Plattformbetreiber lektoriert oder von einem Produktmanager inhaltlich betreut werden. Die Öffentlichkeit kann diese Inhalte dann über die Content-Plattform zu dem von dem Autor vorbestimmten Preis kaufen. Der Ablauf des Jedermann-Verlags von Inhalten über die Plattformen ähnelt dem Verkauf physischer Güter über die bekannten Handelsplattformen. Allerdings bleibt es auch im Self-Publishing-Bereich bei der Kon-
1 Bekannte Beispiele sind die Plattform iTunes-Store von Apple oder der mp3-Service von Amazon.
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struktion, dass der Plattformanbieter die Inhalte mittels entsprechender AGB vom Autor einlizenziert und an die Nutzer weiterverkauft bzw. -lizenziert. Dieses mittlerweile sehr erfolgreiche Publikationsmodell schaltet die klassischen Verlage als Filter aus. Es erlaubt Autoren und Werke, die in der hergebrachten Struktur des Medienmarktes bislang keine Chance auf den Zugang zur Öffentlichkeit der Konsumenten hatten, im Selbstverlag direkt am Markt anzubieten.2 App-Stores oder App-Shops eröffnen zusätzlich einen für jedermann leicht zugänglichen Markt für Softwareprodukte. Die Content-Plattformen nehmen in ihrem Vertriebssystem eine zentrale Rolle ein: Inhalte, die die digitale Öffentlichkeit erreichen und an ihr teilhaben wollen, müssen über eine Content-Plattform zugänglich gemacht werden. Den Content-Plattformen kommt eine strukturschaffende systemrelevante Rolle zu. Das unterscheidet sie auch von anderen Online-Marktplätzen, die lediglich einen alternativen Markt für physische Waren eröffnen und daher keine medien-systemische Rolle einnehmen. Die Möglichkeit, Inhalte im Selbstverlag auf Plattformen mit wenigen Mausklicks nahezu weltweit anzubieten und zu monetarisieren, wirft in der Praxis Haftungsfragen hinsichtlich dieser Produkte und Inhalte auf. Wirtschaftlich relevant wird die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Haftungsanspruchs in der Praxis in Deutschland insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufwendungsersatz für anwaltliche Abmahnungen, der den Anspruchsgegner empfindlich trifft.3
III. Das Haftungsmodell im Internet Die Haftung für Inhalte im Netz ist durch die Instanzgerichte, den Bundesgerichtshof und aktuell durch den EuGH sorgfältig ausgestaltet worden. Das Haftungsregime fußt hier im Wesentlichen auf einer Dichotomie aus Europarecht, namentlich der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG4 und dem deutschen Deliktsrecht mit seinen nicht im Europarecht begründeten Instituten der Störerhaftung und wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten für
2 Das Self-Publishing-Prinzip ist wirtschaftlich sehr erfolgreich, wie Beispiele der letzten Monate aus den USA zeigen. Dort standen im August 2012 gleich sieben selbstverlegte Titel auf der E-Book-Bestsellerliste der New York Times. Bestsellerautoren in den USA verdienten mit selbstverlegten Büchern sechsstellige Beträge (Quelle: DIE ZEIT vom 23. August 2012, Nr. 35). 3 Bei einer angenommenen 1,3 Geschäftsgebühr (2300 VV zum RVG) aus einem Gegenstandswert von 10.000 EURO für eine Abmahnung fallen bereits Kosten in Höhe von netto 631 EURO an. 4 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. V. 17. Juli 2000, L 178.
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Internethandelsplattformen. Die sorgfältige Ausdifferenzierung des Haftungsregimes hat letztendlich das Ziel, die sich gegenüberstehenden Interessen des Inhabers bzw. Sachwalters des betroffenen Rechtsguts (z.B. Immaterialgüterrechte, Persönlichkeitsrechte, oder auch das öffentliche Interesse) einerseits mit den Anforderungen und erlaubten Geschäftsmodellen in der Informationsinfrastruktur des Internets andererseits in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen. Es ist hier nicht der Raum und der Anlass, die Entwicklung der Haftung für Inhalte umfassend nachzuzeichnen. Gleichwohl lohnt eine kurze systematische Skizze des derzeitigen Verständnisses der Haftung für Inhalt im Internet. Ausgangspunkt aller Haftungsfragen ist dabei die Unterscheidung, ob es sich bei den Inhalten, für die gehaftet werden soll, um eigene Inhalte oder fremde Inhalte handelt. Für eigene Inhalte („eigene Informationen“), die er zur Nutzung bereithält, ist der Diensteanbieter nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich, § 7 Abs. 1 TMG. Für Inhalte Dritter („fremde Informationen“) hingegen gelten besondere Haftungs-Privilegien. 1. Fremdinhalte Für die Verantwortlichkeit für Inhalte Dritter ist dabei insbesondere § 10 TMG (Art. 14 E-Commerce-Richtlinie) von Bedeutung. Danach ist ein Diensteanbieter, der Inhalte für Dritte speichert, nicht für diese Inhalte verantwortlich, es sei denn er hat positive Kenntnis von den rechtswidrigen Inhalten und wird nicht ab Kenntniserlangung unverzüglich tätig, um die Inhalte zu entfernen oder zu sperren. Dieser in Art. 14 E-Commerce-Richtlinie angelegte und mit § 10 TMG in deutsches Recht umgesetzte Mechanismus wird vereinfacht als „Notice and Takedown“-Prinzip bezeichnet und findet sich auch in anderen Rechtsordnungen wieder.5 Der Diensteanbieter haftet erst, wenn er die rechtswidrigen Inhalte kennt und nicht unverzüglich zum Schutz der betroffenen Interessen einschreitet. Diese Privilegierung gilt jedoch nicht universell auf alle Anspruchskonstellationen. Sie bezieht sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nur auf die „Verantwortlichkeit“ des Dienstanbieters und greift folglich nur bei verschuldensabhängigen Haftungsfragen, wie z.B. im Strafrecht oder bei Schadensersatzansprüchen. Auf den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch hingegen wendet der BGH die Privilegierung aus § 10 TMG grundsätzlich nicht an.6 In
5 Das „Notice and Takedown“-Prinzip findet sich im Grundsatz auch im Recht der Vereinigten Staaten, vergleiche dort den Digital Millennium Copyright Act 1998, der mit Sec. 512 (Titel 17, Kapitel 5 des U.S Code) einen im Grundsatz vergleichbaren Regelungsgrundsatz einführt. 6 BGH WRP 2010, 922 Rn. 22 – Marions Kochbuch (Urheberrecht); BGH WRP 2007, 1173, Rn. 20 – Jugendgefährdende Medien bei eBay (Lauterkeitsrecht); WRP 2007, 795
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diesem Bereich hat der BGH die Haftungsfragen unter den Instituten der Störerhaftung und der wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten7 ohne Rückgriff auf das Europarecht weiter ausdifferenziert. Gleichwohl beschränkt er die den Diensteanbieter treffenden Prüfungspflichten im Kern wiederum im Wesentlichen auf den „Notice and Takedown“-Mechanismus. Die wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht beispielsweise beim Vertrieb jugendgefährdender Medien auf eBay konkretisiert sich als anlassbezogene Prüfungspflicht, die erst dann in eine Handlungspflicht und in Haftung umschlägt, sobald der Diensteanbieter Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten erhält.8 Zusammengefasst kann man festhalten, dass der BGH entweder unter direkter Anwendung der E-Commerce-Richtlinie (§§ 8 bis 10 TMG) oder entsprechender Umsetzung des dahinter stehenden Gedankens (Konkretisierung von Prüfungspflichten bei Unterlassungsansprüchen) für den Bereich der Haftung für Inhalte Dritter das „Notice and Takedown“-Prinzip als sachgerechten Interessenausgleich etabliert hat. Die Erstreckung dieses Grundsatzes auch auf andere Haftungsbereiche liegt nicht fern. 2. Neue Linie des EuGH In der jüngeren Vergangenheit bekam der EuGH mehrfach Gelegenheit, sich zu Fragen der Providerhaftung zu äußern. Die gesamte Entwicklung der neueren EuGH-Rechtsprechung kann hier nicht nachgezeichnet werden. Zusammenfassend hat der EuGH für Haftungskonstellationen der HostProvider ein Neutralitätskriterium herausgearbeitet, das ebenfalls einer knappen Darstellung lohnt. In der Entscheidung „Google France“ stellt der EuGH auf die Differenz zwischen Inhaltevermittler und Inhalteanbieter ab, wobei sich der EuGH auf den Erwägungsgrund 42 der E-Commerce-Richtlinie bezieht.9 Danach wollen die in der Richtlinie hinsichtlich der Verantwortlichkeit festgelegten Ausnahmen nur Fälle abdecken, in denen die Tätigkeit des Dienstanbieters auf den technischen Vorgang der Informationsverarbeitung beschränkt ist und die Tätigkeit rein technischer, automatischer, passiver Art ist, was bedeutet, dass der Anbieter weder Kenntnis noch Kontrolle über die weitergeleitete oder gespeicherte Information besitzt. Hieran anschließend hat der EuGH in seinem Urteil „L’Oréal/eBay“ konkretisiert, dass die Entgeltlichkeit des Anbietens neutraler Dienste der Haftungsprivile-
Rn. 7 – Meinungsforum (Allg. Persönlichkeitsrecht); BGH WRP 2004, 1287, Rn. 34 – Internetversteigerung I (Markenrecht); WRP 2007, 964 Rn. 19 – Internetversteigerung II (Markenrecht). 7 Begründet durch BGH WRP 2007, 1173 Rn. 36 ff. – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 8 Siehe BGH WRP 2007, 1173 Rn. 38 bis 42 – Jugendgefährdende Medien bei eBay. 9 EuGH, K&R 2010, 220 ff. – Google France.
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gierung nach der E-Commerce-Richtlinie nicht schadet.10 Stark vereinfacht kann man aus der jüngeren „Neutralitätsrechtsprechung“ des EuGH extrahieren, dass ein Anbieter technischer Infrastruktur unabhängig von finanziellen Interessen nicht für Inhalte verantwortlich gemacht werden soll, die er nicht kontrolliert bzw. von denen er keine Kenntnis hat. Der EuGH knüpft also an eine andere Unterscheidung an, als die Rechtsprechung des BGH: Während die deutsche Rechtsprechung sich an die Differenz Täterschaft/ Teilnahme und des Zueigenmachens hält, stellt der EuGH auf die Unterscheidung zwischen „aktiven“ und „neutralen“ Geschäftsmodellen ab, wobei diese Differenz an der Kontroll- und Einflussmöglichkeit hinsichtlich der Inhalte gemessen wird. Diese Unterscheidung zwischen den Unterscheidungen des BGH einerseits und des EuGH andererseits wird wichtig, soweit im Rahmen einer Interessenabwägung ein geeigneter Maßstab heranzuziehen ist. 3. Eigene Inhalte Kehren wir zur Ausgangsunterscheidung zurück. Das vom BGH ausdifferenzierte Haftungsregime betrifft nur die Haftung für Fremdinhalte. Die Haftung für eigene Inhalte unterliegt nach deutschem Recht den allgemeinen Vorschriften, was in der Regel nach hiesiger Rechtsprechung zu einem unbedingten Einstehenmüssen für rechtswidrige eigene Inhalte führt. Eigene Inhalte sind nach der Konzeption der Rechtsprechung allerdings nicht nur selbst geschaffene, sondern auch solche Inhalte, die sich der Anbieter zu eigen gemacht hat.11 Für die Frage der Haftung für Inhalte auf Online-Plattformen kommt es also in der Ausgangsfrage entscheidend darauf an, ob die durch Dritte eingestellten Inhalte nicht letztendlich durch den Diensteanbieter zu eigen gemacht wurden, verbunden mit der Folge, dass der Diensteanbieter nach den allgemeinen Vorschriften für diese Inhalte haftet und gerade nicht von den Privilegien für Drittinhalte profitiert. Maßgeblich soll dafür eine objektive Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände sein.12 Der BGH hatte in seiner Entscheidung „Marions Kochbuch“ u.a. für die Frage des Zueigenmachens darauf abgestellt, dass sich der Plattformbetreiber die Inhalte wirtschaftlich zuordnen ließ, indem er sich Verwertungsrechte einräumen ließ, um die Inhalte an Dritte weiterlizenzie-
10
EuGH GRUR 2011, 1025 – L’Oréal/eBay. BGH WRP 2010, 922 Rn. 23 – Marions Kochbuch. 12 BGH WRP 2010, 922 Rn. 23 – Marions Kochbuch unter Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz, BTDrucks. 13/7385, S. 19 f. und OLG Köln NJW-RR 2002, 1700, 1701, sowie Köhler/Arndt/ Fetzer Recht des Internet, 6. Aufl., Rn. 748. 11
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ren zu können.13 Im Hinblick auf die hier zu besprechenden Content-Plattformen kann man trefflich darüber streiten, ob die vertriebenen Self-Publishing-Inhalte Fremdinhalte bleiben, obgleich der Plattformanbieter in seinem Lizenzmodell als Wiederverkäufer und Lizenzgeber auftritt.14 Aus europäischer Sicht fehlt es hier möglicherweise an der Kontrollmöglichkeit im Hinblick auf die Inhalte. Im Ergebnis wird die deutsche Rechtsprechung ein Zueigenmachen der Self-Publishing-Inhalte deswegen annehmen, weil sich der Plattformanbieter in seiner Rolle als Wiederverkäufer die Inhalte im Rahmen des zugrundeliegenden Lizenzverhältnisses wirtschaftlich zuordnet.15 Nach dem dargestellten Haftungsverständnis läuft das auf ein Einstehenmüssen für alle Inhalte auf den Content-Plattformen nach den allgemeinen Vorschriften hinaus.
IV. Medienspezifische Interessenabwägung Geht man von einem Zueigenmachen der auf einer Content-Plattform vertriebenen Inhalte durch den Plattformanbieter aus, bestimmt sich die Haftung zunächst ganz allgemein nach der anwendbaren Verletzungsnorm, beispielsweise nach § 97 i.V.m. §§ 15 Abs. 2, 19a UrhG. Urheberrechtsverletzungen sind unerlaubte Handlungen. Auf die allgemeinen Grundsätze des Deliktsrechts ist zurückzugreifen. Ansprüche nach § 97 UrhG erfordern die Widerrechtlichkeit der Verletzungshandlung, auch wenn das in den seltensten Fällen vertieft zu diskutieren ist. Für die Fälle der Zueigengemachten Fremd-Inhalte bei Content-Plattformen lohnt eine vertiefte Befassung unter medienspezifischen Überlegungen. Denn nicht jede tatbestandliche Verbreitungshandlung greift widerrechtlich in das Ausschließlichkeitsrecht ein. Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Betroffenen kann die Rechtswidrigkeit entfallen lassen.16 Im Rahmen einer solchen Abwägung wäre nach der hier vertretenen Auffassung die besondere Rolle der Content-Plattformen für die digitale Öffentlichkeit unter Aspekten der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die europarechtlichen Wertungen zur Haftungsrisikoverteilung zu berücksichtigen. 13
BGH WRP 2010, 922 Rn. 26 u. 27 a.E. – Marions Kochbuch. Vgl. die Kriterien in BGH WRP 2010, 922 – Marions Kochbuch; Ausführlich dazu auch zuletzt das LG Hamburg MMR 2012, 596 Rn. 75 ff. – GEMA ./. Youtube. 15 Hierauf hatte der BGH u. a. in seiner Entscheidung BGH WRP 2010, 922 – Marions Kochbuch abgestellt. 16 Es kommt hier nicht darauf an, ob man der Lehre des Erfolgsunrechts (Tatbestandsmäßigkeit indiziert Rechtswidrigkeit) oder der Lehre des Handlungsunrechts (Rechtswidrigkeit ist positiv festzustellen) folgt. Beim Erfolgsunrecht kann das Grundrecht Rechtfertigungsgrund sein, beim Handlungsunrecht wird es im Rahmen der Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtsgüter berücksichtigt. 14
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1. Ist eine Abwägung der Interessen möglich? Für eine solche medienspezifische Interessenabwägung ist auch in immaterialgüterrechtlichen Verletzungsfällen Raum. Die Rechtsprechung hat in der jüngeren Vergangenheit wiederholt die Widerrechtlichkeit eines tatbestandsmäßigen Urheberrechtsverstoßes an grundrechtlich geschützten Medienfreiheiten scheitern lassen. Der BGH hat diesen Rechtfertigungsaspekt zuletzt in seiner Entscheidung „AnyDVD“ zugunsten der Presse- und Meinungsfreiheit aus Art. 11 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der EU, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG herangezogen und das Setzen eines Hyperlinks auf ein rechtswidriges Softwareangebot im Rahmen redaktioneller Berichterstattung durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt.17 Das Landgericht Hamburg hat die Haftung eines Online-Buchhändlers für ein von ihm vertriebenes urheberrechtsverletzendes Werk ebenfalls aus grundrechtlichen Überlegungen heraus an der Widerrechtlichkeit scheitern lassen.18 Einer solchen Abwägung steht auch die Entscheidung „Gies-Adler“ des BGH nicht entgegen, in welcher der BGH betonte, dass das Urheberrechtsgesetz die aus dem Urheberrecht fließenden Befugnisse und ihre Beschränkungen grundsätzlich abschließend regelt und eine der urheberrechtlichen Prüfung nachgeschaltete Güter- und Interessenabwägung nicht in Betracht kommen soll.19 Nichtsdestotrotz ist es Aufgabe der Gerichte, die Durchsetzung von grundrechtlich geschützten Werten nicht nur bei der Auslegung und Anwendung des gesetzlichen Verletzungstatbestandes, sondern auch bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verletzung sicherzustellen.20 Es geht in den Plattform-Verletzungsfällen nicht darum, neben bestehenden gesetzlichen Schrankenbestimmungen weitere zustimmungsfreie Nutzungsformen zu etablieren, indem die gesetzgeberische Wertung auf der Tatbestandsebene durch eine Suspendierung der Rechtsfolgenebene unterlaufen wird. Es geht vielmehr um eine Haftungs- und damit Risikozuweisung für rechtsverletzendes Verhalten, das von Dritten beherrscht wird und welches durch die von der Rechtsprechung entwickelte Haftungsfigur des „Zueigenmachens“ dem Plattformanbieter als Infrastrukturbetreiber zugewiesen wird. In originäre gesetzgeberische Entscheidungen hinsichtlich der Balance zwischen dem Urheberrecht und den Schrankenbestimmungen wird hier gerade nicht eingegriffen.
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BGH WRP 2011, 762 – AnyDVD. LG Hamburg K&R 2011, 428 – Online-Buchhändler. 19 BGH, GRUR 2003, 956 – Gies-Adler, Leitsatz 1. Die Entscheidung wurde zuletzt bestätigt durch BGH WRP 2011, 609 – Kunstausstellung im Online-Archiv, Rn. 24. 20 von Wolff in: Wandtke/Bullinger, 3. Auflage 2009, § 97, Rn. 34; OLG Stuttgart, AfP 2003, 365 – Unterlassungsanspruch gegen Landtagsfraktion wegen Vorführung eines Films. 18
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2. Maßstab und Interessen in der Abwägung Die Abwägung der Widerrechtlichkeit in § 97 UrhG ist nicht nur durch das Grundgesetz, sondern auch durch Europäische Grundrechte beeinflusst. Der in § 97 UrhG benannte Unterlassungsanspruch setzt die Vorgabe aus Art. 11 der Enforcement-Richtlinie21 in nationales Recht um. Wie der BGH in der Entscheidung „AnyDVD“ selbst aufzeigt,22 sind bei der Auslegung der Richtlinie sowie des ihrer Umsetzung dienenden nationalen Rechts (§ 97 UrhG) nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 EU-Grundrechtecharta die in dieser niedergelegten Grundrechte zu beachten.23 Diese enthält wie das Grundgesetz eine umfassende Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 11 der EUGrundrechtecharta), die nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeschränkt werden dürfen.24 Der Schutzbereich der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 11 der EU-Grundrechtecharta umfasst selbstverständlich die Nutzung des Internets als Medium zur Informations- und Meinungsvermittlung bzw. -beschaffung.25 Haftungsbegründende Normen und Regelungen über die Zuweisung der Verantwortung für Inhalte in elektronischen Kommunikationsdiensten, beeinflusst durch die Enforcement-Richtlinie einerseits und die E-Commerce-Richtlinie andererseits, dienen dem Schutz anderer Rechtsgüter (z.B. Immaterialgüterrechte, Persönlichkeitsrechte oder Jugendschutz) und haben damit auch beschränkenden Charakter für die Medienfreiheiten. Online-Plattformen können selbstverständlich wirtschaftlich durch Haftungsrisiken erdrückt werden. Letztendlich stehen sich in unserem Beispiel die Meinungs- und Informationsfreiheit einerseits und das aus Art. 14 GG und Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta geschützte Urheberrecht anderseits gegenüber. Diese sind im Rahmen der gegenseitigen Wechselwirkung in einen angemessenen Interessenausgleich zu bringen, der auch die Widerrechtlichkeit entfallen lassen kann.26 Seit dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wissen wir, dass die die Meinungs- und Informationsfreiheit beschränkenden „allgemeinen Gesetze“ ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und interpretiert werden müssen, so dass der besondere Wertgehalt dieses Grundrechts gewahrt bleibt.27 Auf europäischer Ebene werden die sich gegenüberstehen21 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Rates und Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 195, S. 16 (Berichtigte Fassung). 22 BGH WRP 2011, 762 Rn. 20 f. – AnyDVD. 23 Vgl. EuGH EuGRN. 2003, 232 Rn. 68, 80 – Rechnungshof/Österreichischer Rundfunk u.a. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 51 Rn. 16. 24 Vgl. Jarass, a.a.O., Art. 11 Rn. 19, 42 m.w.N. 25 Vgl. Jarass, a.a.O., Art. 11 Rn. 34. 26 Vgl. dazu auch Dreier in: Dreier/Schulze, § 97, Rn. 15; Wild in: Schricker/Löwenheim, § 97, Rn. 35 ff. 27 BVerfG NJW 1958, 257 – Lüth.
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den Grundrechtspositionen im Rahmen der Auslegung des einfachen Richtlinienrechts im Wege der praktischen Konkordanz in einen Ausgleich gebracht.28 Letztendlich können also das Urheberrecht und die damit verbundenen Haftungsfragen nur im Lichte des Wesensgehaltes der Meinungsfreiheit angewendet werden. Durch die Grundrechtsimplikationen auf europäischer Ebene ist aber auch der EuGH-Maßstab zur Auflösung des grundsätzlichen Haftungsinteressenkonflikts, nämlich das Neutralitätsmerkmal in die Überlegungen mit einzubeziehen.29 Der EuGH hat die widerstreitenden Interessen im Wege der praktischen Konkordanz über sein Neutralitätskriterium in Ausgleich gebracht.30 Das hat auch die hiesige Rechtsprechung bei der Auflösung des Interessenkonflikts zu berücksichtigen. 3. Interessenabwägung Die Medien-Grundrechte sind im Rahmen der Abwägung dann verstärkt zu berücksichtigen, wenn Online-Plattformen wesentliche Infrastrukturaufgaben bei der Verbreitung digitaler Medien übernehmen. Denn dann kommen den Content-Plattformen systemrelevante Verbreitungsaufgaben für die digitale Öffentlichkeit zu. Hier unterscheiden sie sich möglicherweise von elektronischen Waren-Marktplätzen (auf denen Waren aller Art gehandelt werden können).31 Die systemrelevante Rolle wird allerdings durch das wirtschaftliche Risiko, das mit einer abwägungslosen originären Haftung für zueigengemachte Inhalte einhergehen würde, bedroht. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Inhalte in der Regel nicht von dem Plattformanbieter produziert oder kontrolliert werden. Eine institutionalisierte Prüfung der Inhalte ist weder wirtschaftlich noch tatsächlich machbar. Beispielsweise sieht man es einem Bild, das in einem Medienprodukt enthalten ist, nicht an, ob die für die Verbreitung über die Plattform erforderlichen Lizenzen vorliegen oder nicht. Für Offline-Sachverhalte hatte die Rechtsprechung in der jüngeren Vergangenheit bereits eine vergleichbare Abwägung vorgenommen. Das LG Hamburg zugunsten eines Buchhändlers – in seiner Rolle als Verbreiter für durch Art. 5 GG geschützten Inhalte – die Haftung für den Vertrieb von Medien mit rechtsverletzenden Inhalten begrenzt.32 Denn der Buchhändler 28 Vgl. dazu die Entscheidungen des EuGH K&R 2012, 35 Rn. 46 – Scarlet Extended/ SABAM und WRP 2012, 429 Rn. 44 – SABAM/Netlog. 29 Siehe dazu den Überblick unter III.2. 30 Siehe z.B. für das Urheberrecht: EuGH K&R 2012, 35 Rn. 46 – Scarlet Extended/ SABAM und WRP 2012, 429 Rn. 44 – SABAM/Netlog. 31 Warenhandelsplattformen können sich auch nicht primär auf die Mediengrundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG bzw. 11 EU-Grundrechtecharta berufen, sondern vielmehr auf die in Grundrechtsabwägungen meist geringer gewichteten Berufsfreiheiten aus Art. 12 GG bzw. Art. 16 EU-Charta. 32 LG Hamburg K&R 2011, 428 – Online-Buchhändler.
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ist nach Auffassung des Gerichts im Regelfall faktisch nicht in der Lage, rechtsverletzende Inhalte der Bücher zu erkennen. Bei der Vielzahl der angebotenen Bücher ist der Buchhändler heute im Regelfall nur noch ein technischer Verbreiter, der mit dem Inhalt der Bücher nichts mehr zu tun hat. Eine inhaltliche Kontrolle findet nicht statt und ist auch regelmäßig nicht zumutbar. Der Buchhändler hat danach bei Bejahung einer täterschaftlichen Haftung als Verbreiter keine realistische Möglichkeit, der Gefahr einer Inanspruchnahme von Verletzten auf Unterlassung und der Verpflichtung zur Zahlung von Abmahnkosten zu entgehen. Das wäre geeignet, sich in unmittelbarer Weise einschränkend auf die Medienverbreitung auszuwirken. Diese allgemein übertragbaren Überlegungen überzeugen. Eine kenntnis- und anlasslose Unterlassungshaftung des Verbreiters führt faktisch zu einer Vorabprüfpflicht, die technisch nahezu unmöglich, wirtschaftlich jedenfalls unzumutbar ist. Auf der anderen Seite ist im Rahmen der Abwägung das Eigentumsrecht des Urhebers zu berücksichtigen, das nicht durch die Schaffung neuer Ausnahmetatbestände unzulässig beschnitten werden darf. Der Ausgleich kann im Rahmen der Abwägung nach der hier vertretenen Auffassung allerdings über die Anwendung des „Notice and Takedown“-Prinzips hergestellt werden. In der Folge würde der Plattformanbieter nur für solche Inhalte haften, von deren Rechtswidrigkeit er Kenntnis hatte und nicht unverzüglich tätig geworden ist, um den Zugang zu diesen Inhalten zu sperren. Das „Notice and Takedown“-Prinzip spiegelt auch das vom EuGH herausgearbeitete Neutralitätskriterium wider. Denn danach soll der Diensteanbieter nur für Inhalte haften, die er kontrolliert, wobei Kontrolle ein Kenntnismoment voraussetzt. Er soll hingegen nicht für Inhalte haften, die er lediglich als neutraler Infrastrukturprovider verbreitet, wobei die Entgeltlichkeit seiner Tätigkeit der Neutralität nicht grundsätzlich schaden soll.33 Die Kontrolle über das Wissensmoment als europäisch maßgebliche Differenz kann auch vorliegend als Abgrenzung der Haftungszuweisung angewendet werden. Letztendlich ist also der Ausgleich zwischen dem Urheberrecht und der Meinungsfreiheit über den „Notice and Takedown“-Ansatz zu schaffen. Das ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, denn die Meinungsfreiheit wird nicht durch das Aufbürden unkalkulierbarer Risiken beschränkt, während dem Urheberrecht im Kern vergleichbar mit anderen Plattformmodellen zur Geltung und Durchsetzung verholfen wird.
33
Siehe die Darstellung oben III.2.
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V. Fazit Die digitale Öffentlichkeit hängt an der Nutzung der Content-Plattformen, die als systemrelevante Informationsverbreiter fungieren. Self-Publishing-Modelle ermöglichen es, digitale Medienprodukte über die ContentPlattformen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Andererseits haben die Content-Plattformen auch ein die digitale Öffentlichkeit begrenzendes Moment. Vereinfacht gesagt: Was im App-Store oder E-Book-Shop nicht vorkommt, findet in der digitalen Öffentlichkeit der betroffenen Nutzer nicht statt. Haftungsinduzierte Beschränkungen der Verbreitung von Inhalten führen gleichzeitig zur Beschränkung der digitalen Öffentlichkeit. Die zentrale Rolle als Content-Verbreiter ist nach der bisherigen Rechtsprechung mit einem erdrückenden Haftungsrisiko für rechtsverletzende Inhalte unter dem Gesichtspunkt der Haftung für zueigengemachte Inhalte verknüpft. Die Rechtsprechung kann den angemessenen Interessenausgleich zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an der Verbreitung von Meinungen und Informationen auch in der digitalen Öffentlichkeit und dem Interesse des Immaterialgüterrechtsinhabers schaffen. Dazu wäre die bislang verwendete Differenz Fremdinhalte/Zueigengemachte Inhalte zu ersetzen durch die Differenz des EuGH „neutraler Dienst“/„aktiver Dienst“. Für die Haftung für Rechtsverletzende Inhalte auf Content-Plattformen kann dies durch die Anwendung des „Notice and Takedown“-Prinzips erreicht werden. Auch tatbestandliche Verbreitungshandlungen sind nur dann rechtswidrig wenn der Diensteanbieter Kenntnis von den rechtsverletzenden Inhalten erhalten und nicht unverzüglich gehandelt hat. Die Rechtsprechung ist aufgerufen, das Haftungsregime im Hinblick auf die sich zunehmend für Content-Plattformen stellenden Haftungsfragen weiter auszudifferenzieren. Das „Notice and Takedown“-Prinzip reflektiert dabei die von dem EuGH herausgearbeitet Differenz zwischen „neutralen“ Angeboten und „aktiven“ Anbietern und schafft einen interessenwahrenden Ausgleich.
Nutzungsrechte bei agiler Softwareprogrammierung Jan Pohle I. Einleitung Agile Softwareprogrammierung setzt sich in der Praxis der Informationstechnologie als Alternative zur herkömmlichen Softwareentwicklungsprozessen zunehmend als anerkannte Methode zur Softwareentwicklung durch. Entsprechend ist dieser spezifische Prozess der Softwareentwicklung rechtstheoretisch wie -praktisch zu hinterfragen. Ausgehend von dem Versuch einer rechtlichen Einordnung der Zusammenarbeit der Beteiligten im Rahmen agiler Softwareprogrammierung1 und deren möglicher Auswirkungen auf die Zuordnung von Nutzungs- und Verwertungsrechten am Arbeitsergebnis Software, befasst sich dieser Beitrag im Anschluss mit der Frage, wie sich die Rechtslage im Hinblick auf die in diesem spezifischen Prozess an der Software entstehenden Verwertungs- bzw. Nutzungsrechte darstellt. Den Abschluss bildet eine Handlungsempfehlung zur vertragsrechtlichen Gestaltung.
II. Was ist „agiles Programmieren“? 1. Charakteristik Im Wesentlichen zeichnet sich agiles Softwareprogrammieren dadurch aus, mittels einer Reduzierung der Entwurfsphase auf ein Minimum so früh wie möglich eine lauffähige Version der Software erstellen zu können, die nach Abschluss jeweils kurzer Entwicklungszyklen („sprints“) dem Kunden zur Begutachtung („sprint review“) und Vorgabe von Änderungskonkretisierungen vorgelegt werden kann.2 Ziel ist eine höhere Kundenzufriedenheit durch Flexibilisierung und Entschlackung des Softwareerstellungsprozesses.3
1 Vgl. hierzu auch die Beiträge von Schneider, ITRB 2010, 18 ff.; Witte, ITRB 2010, 44 ff.; Lapp, ITRB 2010, 69 ff.; Auer-Reinsdorff, ITRB 2010, 93 ff.; Koch, ITRB 2010, 114 ff.; Kremer, ITRB 2010, 283 ff.; Frank, CR 2011, 138; Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/ Pahlow, MMR 2012, 427. 2 Vgl. Frank, CR 2011, 138. 3 Vgl. Kremer, ITRB 2010, 283, 284.
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2. Abgrenzung zu den klassischen Softwareentwicklungsmodellen Agiles Programmieren unterscheidet sich von klassischen Methoden der Softwarentwicklung wie z.B. dem Wasserfallmodell4 dadurch, dass letzteren bereits zu Projektbeginn eine präzise definierte Anforderungsspezifikation zugrunde liegt, die nachträgliche Änderungen meist nur noch in beschränktem Umfang notwendig macht, während beim agilen Programmieren die ständige Anpassung integraler Bestandteil des Softwareerstellungsprozesses ist.5 Oft befinden sich dabei Mitarbeiter des Auftraggebers vor Ort bei den Programmierern, um entsprechenden Input zu liefern. Der Aspekt der engen, sich über den Softwareentwicklungsprozess kontinuierlich fortsetzender Zusammenarbeit mit dem Kunden ist zentral. 3. Vertragstypologische Einordnung Die spezifischen Eigenheiten des agilen Programmierens, wie Interaktion und enge Zusammenarbeit mit dem Kunden über den gesamten Softwareerstellungsprozess, lässt die Frage aufkommen, wie entsprechende Projektverträge über die Erstellung von Software bei Anwendung agilen Programmierens rechtlich einzuordnen sind. Je nachdem, welchem Vertragstypus dies zuzuordnen ist, kann zudem schon eine wesentliche Aussage zu der Zuordnung von Nutzungs- und Verwertungsrechten am Arbeitsergebnis, der Software, getroffen werden. Eine Einordnung als Dienstvertrag nach § 611 BGB kommt im Regelfall nicht in Betracht. Die Anforderungskonkretisierungen durch den Auftraggeber begründen lediglich eine Konzeptionshoheit, während die eigentliche Ausführungshoheit – mangels (programmiertechnischer) Kompetenz auf Seiten des Auftraggebers – beim Auftragnehmer liegt.6 Zudem würde eine uneingeschränkte Vergütungspflicht bei Schlechtleistung den Auftraggeber unzumutbar belasten. Wollte man einen Vertrag über Softwareentwicklung mittels agilen Programmierens als Gesellschaftsvertrag i.S.d. § 705 BGB begreifen, hätte dies unmittelbare Auswirkungen auf die Zuordnung der Nutzungs- und Verwertungsrechte zur gesamten Hand der Beteiligten. Gegen eine Einordnung als Gesellschaftsvertrag spricht es jedoch nicht zwangsläufig, dass nach dem Parteiwillen regelmäßig eben diese gesamthänderische Bindung in Bezug auf die fertiggestellte Software als Gesellschaftsvermögen gewollt ist. Eine solche Bindung könnte jedenfalls durch entsprechende Gestaltung des Gesellschaftsvertrages ausgeschlossen werden.7 Jedoch würde das Fehlen von 4 5 6 7
Vgl. Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Wasserfallmodell (Stand: 10.09.2012). Vgl. Frank, CR 2011, 138. Vgl. Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR 2012, 427. Vgl. Frank, CR 2011, 138, 139.
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Gewährleistungsrechten und unerwünschte steuerrechtliche Konsequenzen zumindest dem Willen des Auftraggebers zuwiderlaufen.8 Auch ein Werklieferungsvertrag nach § 651 BGB scheidet letztlich aus. Die vom BGH als Abgrenzungskriterium zum Werkrecht herangezogene geistige Schöpfung und Planungsleistung9 stellt sich vorliegend nicht als bloße Vorbereitungshandlung, sondern als integraler Bestandteil eines sich ständig konkretisierenden Entwicklungsprozesses und damit als Schwerpunkt des Vertrages dar.10 Im Ergebnis lässt sich daher die Softwareentwicklung durch agiles Programmieren regelmäßig dem Werkvertragsrecht nach § 631 ff. BGB zuordnen.11 Auch wenn sich die finale Gestalt der Software erst im Laufe des Entwicklungsprozesses herauskristallisiert, so gibt es doch bereits zu Beginn zumindest eine vage Beschreibung dessen, was das Produkt letztlich leisten können soll.12 Das in der Konsequenz anwendbare Gewährleistungsrecht bürdet dem Auftragnehmer das Erfolgsrisiko auf, hält ihn zu sorgfältiger Tätigkeit an und bietet dem Auftraggeber hinreichende Reaktionsmöglichkeiten im Falle des Misserfolgs.
III. Agile Softwareprogrammierung: Nutzungsund Verwertungsrechte Mit der vertragstypologischen Einordnung der Softwareentwicklung mittels agilen Programmierens als Werkvertrag, ist für sich jedoch kein Präjudiz für die Zuordnung von Nutzungs- und Verwertungsrechten am Entwicklungsergebnis Software, sei es am Quell- oder am Objektcode – gegeben. Im Folgenden soll entsprechend untersucht werden, wie sich die urheberrechtliche Lage in Bezug auf die erstellte Software bei Fehlen spezifischer vertraglicher Regelungen allein nach den gesetzlichen Regelungen darstellt und sodann, welche Optimierungsmöglichkeiten eine vertragliche Regelung bietet.
8
Vgl. Frank, CR 2011, 138, 139; Lapp, ITRB 2010, 69, 70. Vgl. BGH, MMR 2010, 23. 10 Vgl. Schneider, ITRB 2010, 18, 22; Witte, ITRB 2010, 44, 47; Koch, ITRB 2010, 114, 119; Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR 2012, 427, 432. 11 So letztlich auch Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 311 f.; Witte, ITRB 2010, 44, 47; Cremer, ITRB 2010, 283, 288; Fuchs/Meierhöfer/Morsbach/Pahlow, MMR 2012, 427, 433. 12 Vgl. Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 311e. 9
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1. Gesetzliche Rechtslage a) §§ 7, 8 UrhG i.V.m. § 69a UrhG Nach dem in § 7 UrhG verankerten Schöpferprinzip ist Urheber und damit originärer Rechtsinhaber der in § 15 UrhG genannten Verwertungsrechte der tatsächliche Werkschöpfer, also diejenige natürliche Person, die das Werk durch eine persönliche geistige Leistung i.S.v. § 2 Abs. 2 UrhG selbst geschaffen hat.13 Als originäre Urheber mit entsprechenden Rechten entfallen damit bereits Auftraggeber und Auftragnehmer, da diese regelmäßig juristische Personen oder Personengesellschaften sind und folglich keine geistige Tätigkeit entfalten können.14 Der Blick richtet sich damit auf die Programmierer, d.h. die Beschäftigten des Auftragnehmers, und die in den Schaffensprozess involvierten Mitarbeiter des Auftraggebers. Maßgebliches Kriterium für die Entstehung von Rechten i.S.d. UrhG ist zunächst einmal die Schaffung eines Werkes i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG. § 69a Abs. 3 UrhG präzisiert dies für Computerprogramme dahingehend, dass es sich um individuelle Werke handeln muss, welche das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind. Erforderlich ist demnach eine gestalterische Tätigkeit, die einen geistigen Gehalt aufweist, zu einer Formgestaltung führt und eine hinreichende Individualität erkennen lässt.15 Unter Individualität versteht man hierbei die persönliche Ausnutzung eines bestehenden Gestaltungsspielraums, insbesondere im Hinblick auf Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des Materials bei der Problemanalyse sowie die Erstellung des Datenfluss- und des Programmablaufplans.16 Vor diesem Hintergrund könnte man die Programmierer des Auftragnehmers lediglich als Gehilfen einer fremden Werkschöpfung der aufgrund der ständigen Anforderungskonkretisierungen beim agilen Programmieren oft und regelmäßig vor Ort anwesenden Mitarbeiter des Auftraggebers begreifen. Als ein solcher Gehilfe wird angesehen, wer in Ausführung eines fremden Gestaltungswillens lediglich untergeordnete Hilfstätigkeiten ohne eigenen Gestaltungsspielraum vornimmt.17 Mag man zwar noch einen (auch) fremden Gestaltungswillen der Mitarbeiter des Auftragnehmers annehmen, so stellen sich doch jedenfalls die konkreten Programmierleistungen, die allein die Programmierer aufgrund ihres überlegenen Wissens zu leisten imstande sind, gerade als eine wesentliche Tätigkeit des Schöpfungsprozesses
13 14 15 16 17
Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 7, Rn. 8. Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 7, Rn. 8. Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 69a, Rn. 26. Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 69a, Rn. 26. Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 8, Rn. 20.
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auch bei Anwendung agiler Programmierungsmethoden dar. Die Programmierer sind daher als (Mit-)Urheber18 i.S.d. §§ 7, 8 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 69a UrhG zu werten. Anders ist hingegen die Mitwirkung der Mitarbeiter des Auftraggebers zu beurteilen. Diese werden beim agilen Programmieren zumindest in hoher Frequenz und qualitativ wesentlich in den Erstellungsprozess der Software eingebunden, indem Sie zunächst grundlegende Anforderungen an das Entwicklungsergebnis im Allgemeinen und im Rahmen eines einzelnen Entwicklungszyklus formulieren sowie am Ende eines jeden Entwicklungszyklus den aktuellen Stand oder die aktuelle Version der Software technisch-fachlich begutachten und Anforderungskonkretisierungen vornehmen. Dieserart Mitwirkungen stellen alleine jedoch grundsätzlich noch keine hinreichende Bedingung für eine (Mit-)Urheberschaft an der entstehenden Software dar. So kann ein an der Werkschöpfung Beteiligter zwar als Ideengeber oder Werkanreger einen u.U. sehr wertvollen und gar essentiell notwendigen Beitrag zur Entstehung eines konkreten Werkes leisten. Bereits nach allgemeiner Auffassung, für Computerprogramme im Übrigen überdies ausdrücklich in § 69a Abs. 2 UrhG kodifiziert, sind bloße Ideen jedoch kein tauglicher Schutzgegenstand des Urheberrechts.19 Urheberschaft i.S.d. UrhG begründet nur ein schöpferischer Beitrag i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG bzw. § 69a Abs. 3 UrhG.20 Einen solchen Beitrag leisten die Mitarbeiter des Auftraggebers jedoch trotz der gesteigerten regelmäßig Mitwirkung bei der Softwareerstellung in aller Regel nicht. Ihnen fehlt regelmäßig das für die Schöpfung einer Software erforderliche programmiertechnische Know-How, in diesen Teil des Prozesses sind sie zudem regelmäßig nicht eingebunden. Zwar schließt dies nicht aus, dass die Mitarbeiter an etwaigen Vorstufen des Softwareentwicklungsprozesses schöpferisch beteiligt sind und entsprechende begrenzte (Mit-)Urheberrechte erwerben, z.B. durch die Erarbeitung eines konkreten Projektplanes oder die Anfertigung von Skizzen der späteren Benutzeroberfläche.21 Dies dürfte allerdings beim agilen Programmieren nur ausnahmsweise der Fall sein, da hier – ganz im Sinne des „Manifesto for Agile Software Development“22 – die Merkmale klassischer Methoden wie u.a. die Erstellung eines ausführlichen Pflichtenhefts sowie eine umfangreiche Dokumentation in den Hintergrund treten. Die eigentliche Transformation der
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Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69a, Rn. 45. Dreier/Schulze/Dreier, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 69a, Rn. 20. 20 Vgl. auch Wandtke/Bullinger/Thum, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 7, Rn. 12 ff. 21 Vgl. auch OLG Köln, GRUR-RR 2005, 303, 305: Das OLG Köln lässt die Möglichkeit offen, dass durch Mitwirkung z.B. in Form von kaufmännischen oder technischen Vorgaben zwar kein Schutz nach § 69a ff., aber allgemeiner Werkschutz am Gesamtwerk nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 7 UrhG eingreifen könnte. 22 Abrufbar unter http://agilemanifesto.org/iso/de/ (Stand: 10.09.2012). 19
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Ideen in die jeweilige Softwareversion als einer konkreten Ausdrucksform – somit also ein integraler Bestandteil der Schöpfung – wird letztlich alleine von den Programmierern geleistet. Wer, wie die Mitarbeiter des Auftraggebers auch im Rahmen agilen Programmierens, bei der Softwareerstellung lediglich Aufgaben stellt und – wenn auch sehr detailreiche – Vorgaben liefert oder Anpassungen definiert, ohne zugleich eigenverantwortliche Programmierarbeit zu leisten, ist bzgl. der Software grundsätzlich kein Urheber i.S.d. § 69a UrhG.23 b) §§ 69b, 69d UrhG Im Verhältnis der – fest angestellten24 – Programmierer zu deren Arbeitgeber (also dem Auftragnehmer) bleiben erstere zwar stets Urheber, letzterer aber erhält gem. § 69b UrhG unbefristet, unwiderruflich, unbeschränkt und exklusiv sämtliche Nutzungsrechte zur Verwertung der Software.25 Eine entsprechende Anwendung auf das Verhältnis zwischen Programmierern und Auftraggeber scheidet mangels zwischen diesen Beteiligten bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnissen aus. Der Auftraggeber erhält kraft gesetzlicher Lizenz aus § 69d Abs. 1 UrhG lediglich das Recht zur Vornahme der in § 69c Nr. 1 und 2 UrhG genannten Handlungen (insbesondere Vervielfältigung), soweit diese für eine „bestimmungsgemäße“ Nutzung des Programms einschließlich der Fehlerberichtigung notwendig sind.26 c) § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG Da § 69d UrhG nicht abschließend ist27, kommt daneben eine Einräumung von Nutzungsrechten seitens des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber an der erstellten Software nach § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG (sog. Zweckübertragungsregel) in Betracht. Demnach richtet sich im Falle fehlender vertraglicher Vereinbarungen die Frage, ob und in welchem Umfang ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, nach dem von den beiden Parteien erkennbar übereinstimmend und gemeinsam verfolgten Vertragszweck. Dieser ist im Wege einer Gesamtwürdigung aller Umstände nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu ermitteln.28 Anhand des gefundenen 23 Vgl. OLG Köln, GRUR-RR 2005, 303, 304; Dreier/Schulze/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, § 7, Rn. 4; a.A. wohl Brandi-Dohrn, BB 1994, 658 mit Verweis auf BGH, GRUR 1994, 39 (Buchhaltungsprogramm), welcher für die Annahme von Miturheberschaft allerdings ebenfalls einen „schöpferischen“ Beitrag fordert. 24 Hinsichtlich freier Mitarbeiter gilt § 69b UrhG nicht, allerdings werden hier i.d.R. entsprechende vertragliche Regelungen getroffen, vgl. Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 32 ff. 25 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69b, Rn. 18. 26 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69d, Rn. 3. 27 Wandtke/Bullinger/Grützmacher, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 69d, Rn. 3. 28 Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 31, Rn. 45.
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Vertragszwecks können sodann über § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG inhaltliche, räumliche oder zeitliche Beschränkungen der Rechteeinräumung bestimmt werden.29 Zu beachten ist, dass die Zweckübertragungsregel dem Urheber eine möglichst weitgehende Partizipation an den Früchten seines Werkes sichern soll.30 Dies hat zur Konsequenz, dass ein Nutzungsrecht nur dann als eingeräumt gilt, wenn es zur Erreichung des Vertragszwecks erforderlich ist, und zwar im Zweifel nur als einfaches, nicht jedoch als ausschließliches Nutzungsrecht.31 Das gilt auch dann, wenn die Software – wie regelmäßig bei Anwendung agiler Programmierung – nur zur reinen Anwendung durch den Auftraggeber hergestellt wird und kein weitergehender Vertrieb von diesem bezweckt ist.32 An dieser grundsätzlichen rechtlichen Einordnung ändert sich für die Erstellung von Software bei Nutzung agiler Programmierungsmethoden nichts. Allein die stärkere und über den Projektlauf dauerhafte, verantwortliche Einbindung des Auftraggebers in den Softwareerstellungsprozess alleine, rechtfertigt es nicht, ohne ausdrückliche weitergehende Vereinbarung der Beteiligten regelmäßig die Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts an der erstellten Software – sei es am Quell- oder am Objektcode – zugunsten des Auftraggebers anzunehmen. 2. Vertragsrechtliche Optimierungsmöglichkeiten (Best Practice) Vor dem Hintergrund der nicht unumstrittenen vertragsrechtlichen Einordnung des Vertragsgegenstandes33 ist den Parteien anzuraten, eine spezifische Risikoverteilung auszuhandeln und zu fixieren, um so vor dem Hintergrund der spezifischen Schritte des agilen Softwareentwicklungsprozesses sachgerechte Lösungen für die Praxis festzulegen und sich vor einer überraschenden Auslegung unter anderem durch Gerichte zu schützen. Dies gilt im besonderen Maß für die Etablierung eines Projektmanagements, das den Besonderheiten des agilen Programmierens Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang können, sich die Parteien müssen sich jedoch nicht zwingend an das Leitbild eines spezifischen Vertragstypus halten, eine Orientierung ist jedoch in jedem Falle ebenso hilfreich, wie an den hergebrachten Inhalten eines Softwareentwicklungsvertrages. Was die Nutzungsrechte anbelangt, so werden die sich aus § 69d UrhG und im Zweifel aus § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG ergebenden Rechte wie gesehen häufig hinter den Erwartungen des Auftraggebers zurückbleiben, insbesondere wird ein entsprechendes Konkurrenzschutzbedürfnis nur selten zu er29 30 31 32 33
Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 31, Rn. 59. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 31, Rn. 39. Wandtke/Bullinger/Wandtke/Grunert, UrhG, 3. Aufl. 2009, § 31, Rn. 58. Vgl. Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 35. Siehe oben unter II.
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füllen sein.34 Wie sich § 69g Abs. 1 a.E. UrhG entnehmen lässt, werden die Parteien daher zulässigerweise regelmäßig von dem gesetzlichen Rechtekanon abweichende Nutzungsrechtsvereinbarungen zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber vereinbaren, welche ausdrücklich und detailliert die einzelnen Nutzungsarten beschreiben. Empfohlen wird auch für Projekte auf Grundlage agiler Softwareentwicklungsprozesse eine vertragliche Regelung, wonach der Auftraggeber sämtliche an der vertragsgegenständlichen Software bestehenden Schutzrechte, insbesondere das umfassende, ausschließliche, sich auf alle bekannten Nutzungsarten, insbesondere die Vervielfältigung, Änderung, Bearbeitung und Verbreitung in On- und Offlinemedien erstreckende, zeitlich unbegrenzte Recht erwirbt, die Software im Objektund Quellcode zu nutzen.35 Zugleich ist auf eine fixierte Erklärung des Auftragsnehmers dergestalt hinzuwirken, dass die vorstehende Rechteeinräumung für die vertragliche vorgesehenen Zwecke ausreichend ist und er daher gewährleistet, dass die Software für diese Zwecke gegenwärtig und zukünftig ohne Nutzungsbeeinträchtigung eingesetzt werden kann.36 3. Fazit Agile Softwareentwicklungsmethoden gehören zum Alltag der IT-Branche. Die entsprechenden Projekte lassen sich vorbehaltlich einer anderweitigen vertraglichen Regelung der Parteien im Einzelfall werkvertragliche qualifizieren und behandeln. Die von der vertraglichen Qualifikation nicht beeinflusste Zuordnung der Nutzungs- und Verwertungsrechte auf Grundlage geltenden Urheberrechts führt auch bei Nutzung agiler Softwareentwicklungsmethoden nicht zu einem originären (Mit-)Rechteerwerb der Mitarbeiter des Auftraggebers, sondern über § 31 Abs. 5 S. 2 UrhG zum Erwerb abgeleiteter nicht ausschließlicher Nutzungs- und Verwertungsrechte beim Auftraggeber. Entsprechend sind in der Praxis dezidierte und differenzierte vertragsrechtliche Regelungen empfehlenswert, um den Besonderheiten des agilen Programmierens im Projektlauf und hinsichtlich der Rechtezuordnung am Entwicklungsergebnis sachgerecht und verlässlich Rechnung zu tragen.
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Vgl. Redeker, IT-Recht, 5. Aufl. 2012, Rn. 36. Vgl. Redeker, Handbuch der IT-Verträge, Band I, Kapitel 1.4, Rn. 70 ff. Vgl. Redeker, Handbuch der IT-Verträge, Band I, Kapitel 1.4, Rn. 70 ff.
Autorenverzeichnis Ulrich Battis, Prof. em. Dr. Dr. h.c., Rechtsanwalt in Berlin Vera Battis Reese, Dr., Kaufmännische Direktorin The Forsythe Company Matthias Berberich, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in Berlin Winfried Bullinger, Prof. Dr., Rechtsanwalt in Berlin Ilja Czernik, Dr., Rechtsanwalt in Berlin Christian Czychowski, Dr., Rechtsanwalt in Berlin Katharina de la Durantaye, Prof. Dr., LL.M. (Yale), Humboldt-Universität zu Berlin Adolf Dietz, Prof. Dr. Dr. h.c., Forschungsgruppenleiter a.D. am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München Thomas Dreier, Prof. Dr., New York University, Leiter des Instituts für Informations- und Wirtschaftsrecht, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe, HonProf. Universität Freiburg Michael Fricke, Rechtsanwalt in Hamburg Katharina Garbers-von Boehm, Dr., Rechtsanwältin in Berlin Tilo Gerlach, Dr., Geschäftsführer GVL – Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH Hans Joachim von Gottberg, Prof. Dr., Geschäftsführer Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen – FSF Horst-Peter Götting, Prof. Dr., Universität Dresden Albrecht Götz von Olenhusen, Dr., Rechtsanwalt Eike W. Grunert, Dr., Rechtsanwalt in München Helmut Haberstumpf, Prof. Dr., Vors. Richter am Landgericht a.D., Nürnberg Bernd Heinrich, Prof. Dr., Humboldt-Universität zu Berlin Thomas Hoeren, Prof. Dr., Universität Münster Ole Jani, Dr., Rechtsanwalt in Berlin Caroline Leinemann, Studentin, Humboldt-Universität zu Berlin Ulrich Loewenheim, Prof. Dr., Rechtsanwalt in Frankfurt/Main Jürgen Marten, Prof. Dr. Dr., Rechtsanwalt in Berlin Ferdinand Melichar, Prof. Dr., Rechtsanwalt in München Maja Murza, Dr., LL.M., Justiziarin, Berlin Bernd Neumann, MdB, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Anke Nordemann-Schiffel, Dr., Rechtsanwältin in Berlin Axel Nordemann, Prof. Dr., Rechtsanwalt in Berlin Jan Bernd Nordemann, Prof. Dr., LL.M. (Cambridge), Rechtsanwalt in Berlin, HonProf. Humboldt-Universität zu Berlin Wilhelm Nordemann, Prof. Dr., Rechtsanwalt, Notar a.D., Potsdam Eva Inés Obergfell, Prof. Dr., Humboldt-Universität zu Berlin Claudia Ohst, Dr., Rechtsanwältin in Berlin Stephan Ory, Prof. Dr., Rechtsanwalt in Püttlingen/Saar Christoph G. Paulus, Prof. Dr., LL.M., Humboldt-Universität zu Berlin
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Autorenverzeichnis
Karl-Nikolaus Peifer, Prof. Dr., Universität zu Köln, RiOLG Hamm Alexander Peukert, Prof. Dr., Universität Frankfurt/Main Gerhard Pfennig, Prof. Dr., Rechtsanwalt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG Bild-Kunst, Bonn Jan Pohle, Rechtsanwalt in Köln Peter Raue, Prof. Dr., Rechtsanwalt in Berlin, HonProf. FU-Berlin Manfred Rehbinder, Prof. em. der Universität Zürich, Honorarprof. der Universität Freiburg (Br.), geschäftsführender Direktor des Instituts für Urheber- und Medienrecht, München Cornelius Renner, Dr., Rechtsanwalt in Berlin Haimo Schack, Prof. Dr., Universität Kiel Martin Schaefer, Dr., Rechtsanwalt in Berlin Gernot Schulze, Dr., Rechtsanwalt in München Sebastian Schunke, Prof. Dr., Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin Hans-Peter Schwintowski, Prof. Dr., Humboldt-Universität zu Berlin Reinhard Singer, Prof. Dr., Humboldt-Universität zu Berlin Gerald Spindler, Prof. Dr., Universität Göttingen Robert Staats, Dr., geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG WORT Axel von Walter, Dr., Rechtsanwalt in München Michel M. Walter, HonProf. Dr., Rechtsanwalt in Wien Marcus von Welser, Dr., LL.M., Rechtsanwalt in München Kirsten-Inger Wöhrn, Dr., Rechtsanwältin in Berlin Jan Wünschmann, Humboldt-Universität zu Berlin