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German Pages 1141 [1144] Year 1979
FESTSCHRIFT FÜR GÜNTHER BEITZKE ZUM 70. GEBURTSTAG
FESTSCHRIFT FÜR GÜNTHER BEITZKE ZUM 70. GEBURTSTAG am 26. April 1979
Herausgegeben von
Otto Sandrock
w DE
_G 1979
Walter de Gruyter • Berlin • New York
Gedruckt
mit
Unterstützung
der Commerzbank-Stiftung, Frankfurt a.M. der Deutschen Bank A G , Frankfurt a. M. des österreichischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, Wien des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Essen
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Festschrift für Günther Beitzke zum 70. [siebzigsten] Geburtstag am 26. [sechsundzwanzigsten] April 1979 [neunzehnhundertneunundsiebzig] / hrsg. von Otto Sandrock. - Berlin, New York : de Gruyter, 1979. ISBN 3-11-007206-8 N E : Sandrock, Otto [Hrsg.]; Beitzke, Günther: Festschrift
© Copyright 1979 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., 1000 Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, 1000 Berlin 36 Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, 1000 Berlin 61
Gruß wort Ein rundes halbes Hundert von Freunden, Schülern und Kollegen überreichen Günther Beitzke zu seinem 70. Geburtstag am 26. April 1979 diese Festschrift. Sie wollen damit einen Hochschullehrer, Wissenschaftler und Praktiker ehren, der die Entwicklung des deutschen Zivilrechts in der Mitte dieses Jahrhunderts maßgebend mitgestaltet hat. Sie kommen nicht nur aus der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch aus England, Frankreich, Holland, Österreich und der Schweiz und wollen damit zum Ausdruck bringen, daß der Jubilar dauerhafte menschliche und wissenschaftliche Bande zu vielen Nationen Europas geknüpft hat. Einige der Gratulanten sind Freunde, die sein Wirken teils durch die Jahrzehnte menschlich und wissenschaftlich begleitet haben. Einige andere sind Schüler, denen es am Herzen liegt, an diesem Tage ihrem Lehrer ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Die meisten sind Kollegen, die seine wissenschaftliche Ausstrahlungskraft in Schriften, Vorträgen und Diskussionsbeiträgen erlebt haben. Alle Gratulanten aber verehren in Günther Beitzke vor allem den Menschen, so, wie er ihnen in seinem gastlichen Hause am Stadtwald in Bad Godesbergnicht fern von der Godesburg, hoch über dem Rheintal - begegnet ist. Dieses Haus war ihm von seiner verehrten Gattin immer zum besten bestellt. Ohne sie ist der Freund, Lehrer und Kollege nicht denkbar.
Otto Sandrock
Inhaltsverzeichnis O T T O SANDROCK
Grußwort
...
v
Bürgerliches Recht: Allgemeiner Teil und Schuldrecht einschließlich des internationalen Einheitsrechts Dr. jur., Universitätsprofessor, Wien: Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität
FRANZ BYDLINSKI,
3
Dr. jur., Dr. h.c., Dr. h.c., em. ordentlicher Professor an der Universität Frei bürg i. Br.: Vertragspflichten und Vertragsgültigkeit im international Einheitlichen Kaufrecht
35
Dr. jur., em. ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Unternehmen und juristische Person
43
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Nichterfüllung und Gewährleistung beim Werkvertrag
67
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg: Die Schadensersatzhaftung für Eigenschaftszusicherung im Werkvertragsrecht und deren Einschränkbarkeit durch Allgemeine Geschäftsbedingungen
89
E R N S T V. C A E M M E R E R ,
WERNER FLUME,
H O R S T HEINRICH JAKOBS,
FRITZ NICKLISCH,
Familienrecht Rechtspolitisches, Rechtsgeschichtliches, materielles und Verfahrensrecht Dr. jur., Dr. h.c., Dr. h.c., Oberlandesgerichtsrat a.D., em. ordentlicher Professor an der Universität Tübingen: Die prozessualen Auswirkungen der Neuregelung der „Schlüsselgewalt"
111
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Widerruf von Schenkungen unter (geschiedenen) Ehegatten
121
B R A G A , Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Saarbrücken: Reformgesetze und Zukunftsforschung - Zur Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des 1. EheRG -
145
FRITZ BAUR,
FRIEDRICH WILHELM BOSCH,
SEVOLD
Inhaltsverzeichnis
VIII
HERBERT BUCHNER, D r . jur., ordentlicher P r o f e s s o r an der Universität
Augsburg: Gütergemeinschaft und erwerbswirtschaftliche Betätigung der Ehegatten - Einige Folgewirkungen der gesamthänderischen Bindung des Gesamtguts-
153
UWE DIEDERICHSEN, Dr. jur., Richter am Oberlandesgericht Celle, ordentlicher Professor an der Universität Göttingen: Die Familie-Menschen in der Reform
169
WALTER G E R H A R D T , D r . j u r . , o r d e n t l i c h e r P r o f e s s o r a n d e r U n i v e r s i t ä t
Bonn: Zur formellen Rechtskraft von Scheidungsurteilen
191
DIETER GIESEN, Dr. jur., M.A.status (Oxon), ordentlicher Professor an der Freien Universität Berlin; Visiting Fellow of Pembroke College, Oxford: Gewalttätigkeiten in der Familie GERD KLEINHEYER, D r . j u r . , ordentlicher P r o f e s s o r an d e r
209
Universität
Bonn: Wandlungen der elterlichen Gewalt zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, dargestellt am Beispiel des elterlichen Ehekonsensrechts
235
GUNTHER KÜHNE, D r . jur., L L . M . ( C o l u m b i a ) , ordentlicher P r o f e s s o r an
der Technischen Universität Clausthal, Regierungsdirektor a . D . : Wechselbeziehungen zwischen ehelichem Güterrecht und Zuwendungsgeschäften unter Ehegatten-Eine rechtsvergleichende SkizzeHARTMUT LINKE, Dr. jur., wiss. Assistent an der Universität Bonn: Parteifreiheit und Richterinitiative im Scheidungsverfahren
249 269
PAUL MIKAT, D r . j u r . , S e n a t o r h . c . , K u l t u s m i n i s t e r a . D . , M i t g l i e d d e s
Deutschen Bundestages, ordentlicher Professor an der Ruhr-Universität Bochum: Verfassungsrechtliche Aspekte der Neuordnung der „Schlüsselgewalt" in§ 1357 B G B
293
WOLFRAM MÜLLER-FREIENFELS, D r . j u r . , D r . rer. p o l . , D r . h . c . , D r . h. c . ,
ordentlicher Professor an der Universität Freiburg i. Br.: Zur Unterschätzung der Uberschätzungen unterhaltsrechtlicher Steigerungsmöglichkeiten DIETER
SCHWAB, D r .
jur.,
ordentlicher
Professor
an der
311
Universität
Regensburg: Aspekte des Eheaufhebungsverfahrens nach der Eherechtsreform
357
Inhaltsverzeichnis
IX
Erbrecht DIETER BRÜGGEMANN,
Dr. jur., Ministerialrat
a.D.:
Zum Verständnis des § 1934 c B G B ALBRECHT DIECKMANN,
Freiburg i.Br.:
373
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität
Wertveränderungen des Nachlasses - Pflichtteil - Pflichtteilsergänzung-Anfechtung. Versuch einer Zusammenschau
399
Internationales Privatrecht unter Ausschluß des Internationalen Arbeitsrechts Internationales Verwaltungsrecht Docteur en droit, Dr. h.c., Professeur à l'Université de Droit, d'Économie et de Sciences Sociales de Paris, Doyen honoraire de la Faculté de Droit de Lille: Une succession de méthodes. La forme des testaments en droit international privé
429
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Köln: Die Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Praxis internationaler Schiedsgerichtsverfahren
443
Docteur en droit, Professeur à l'Université de Lausanne, Directeur de l'Institut de droit comparé: Le droit international privé algérien dans le nouveau code civil du 26 septembre 1975
459
Dr. jur. utr., Dr. h.c., em. ordentlicher Professor an der Universität München: Bedeutung eines ausländischen Erbunwürdigkeitsurteils für die Vererbung des Inlandsvermögens eines deutschen Staatsangehörigen - E i n e kollisionsrechtliche Moritat-
479
J . H A H N , Dr. jur., L L . M . (Harvard), ordentlicher Professor an der an der Universität Würzburg: Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten. Meinungsbild und Meinungswandel
491
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Regensburg: Kollisionsrechtliche Probleme bei der Auflösung eheähnlicher Gemeinschaften
507
HENRI BATIFFOL,
K A R L - H E I N Z BÖCKSTIEGEL,
BERNARD DUTOIT,
MURAD FERID,
HUGO
DIETER HENRICH,
X
Inhaltsverzeichnis
Dr. jur., Universitätsprofessor, Wien: Das österreichische Erbstatut
HANS HOYER,
J A Y M E , Dr. jur., ordentlicher Professor an der München: Rückverweisung durch im Ausland geltende Staatsverträge
ERIK
521 Universität
Dr. jur., em. ordentlicher Professor an der Universität Köln: Vaterhaus und Traumhaus. Herkömmliches internationales Privatrecht und Hauptthesen der amerikanischen Reformer
541
GERHARD KEGEL,
HELMUT KOZIOL,
551
Dr. jur., Universitätsprofessor, Wien:
Verhaltensunrechtslehre und Deliktsstatut
575
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Köln: Hauptfragen internationalen Adoptionsrechts
589
F. A. MANN, Dr. jur., L L . D . , Dr. h.c., Mitglied der Britischen Akademie, Associé de l'Institut de Droit International, Solicitor in London, Honorarprofessor an der Universität Bonn: Sonderanknüpfung und zwingendes Recht im internationalen Privatrecht
607
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Prozessuale Schranken der Formfreiheit im internationalen Schuldrecht
625
DDr. jur., Universitätsprofessor, Salzburg, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Gibt es ein Internationales Verwaltungsrecht ?
641
Docteur en droit, Professeur à l'Université de Strassbourg III, Honorarprofessor an der Universität Freiburg i. Br. : Le statut juridique du logement familial en droit français
651
Dr. jur., L L . M . (Yale), ordentlicher Professor an der Ruhr-Universität Bochum: Die Konkretisierung der Uberlagerungstheorie in einigen zentralen Einzelfragen. Ein Beitrag zum internationalen Gesellschaftsrecht
669
ALEXANDER LÜDERITZ,
W O L F G A N G F R H R . M A R S C H A L L VON B I E B E R S T E I N ,
FRANZ MATSCHER,
ALFRED RIEG,
O T T O SANDROCK,
LUDWIG S C H N O R R VON C A R O L S F E L D ,
an der Universität Erlangen:
Dr. jur., em. ordentlicher Professor
Ist das Normengrenzrecht eine selbständige Rechtsmaterie?
697
Inhaltsverzeichnis
XI
Dr.jur., Dr. h.c., Universitätsprofessor, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Rechtsvergleichung, Wien: Wandlung von Ehe und Familie im Spiegel internationaler Abkommen 721
FRITZ F R H R . VON SCHWIND,
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Augsburg: Der Versorgungsausgleich im Internationalen Privatrecht
739
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Freiburg i.Br.: Internationalprivatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Ein Diskussionsbeitrag
759
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Lausanne: Deutsche vor dem Schweizer Scheidungsrichter
787
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Köln: Entwicklung und Ergebnisse der Rechtsprechung zu den Spaltgesellschaften
811
H A N S JÜRGEN SONNENBERGER,
HANS STOLL,
FRITZ STURM,
HERBERT WIEDEMANN,
Nationales und internationales Arbeitsrecht Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Augsburg: Internationales Tarifvertragsrecht-Eine kollisionsrechtliche Skizze- . .
831
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Regensburg: Das Betätigungsrecht der Koalitionen in kirchlichen Einrichtungen . . . .
873
J. J. M. VAN DER VEN, Dr. jur., Dr. h.c., em. ordentlicher Professor an der Universität Utrecht: Frauen und Kinder, Jugend und Familie als Richtpunkte in den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation
897
ROLF BIRK,
REINHARD RICHARDI,
Gesellschafts-, Kartell- und Versicherungsrecht Dr. jur., Ministerialdirektor a.D., Honorarprofessor an der Universität Bonn: Atypische Beherrschungsverträge
923
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Bayreuth, und MARTIN HOFFMANN, Wiss. Assistent an der RuhrUniversität Bochum: Privatversicherung und Versorgungsausgleich
937
ERNST GESSLER,
WOLFGANG GITTER,
XII
Inhaltsverzeichnis
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Fern-Universität Hagen: ,,Ne bis in idem" bei Sanktionen nach deutschem und europäischem Kartellrecht
PETER R A I S C H ,
965
Zivilprozeßrecht und Freiwillige Gerichtsbarkeit Dr. jur., Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht, ordentlicher Professor an der Universität Regensburg: Zum Entwurf einer Verfahrensordnung über die Freiwillige Gerichtsbarkeit (FrGO)
981
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Bonn: Die Erstreckung und Durchbrechung der Urteilswirkungen nach §§ 19,21 AGBG
997
KARL FIRSCHING,
HANS FRIEDHELM G A U L ,
Dr. jur., Dr. h. c., ordentlicher Professor an der Universität Würzburg: Der neue französische Code de procédure civile und das deutsche Zivilprozeßrecht - Einige Bemerkungen zu Grundsatzfragen und zur Beschleunigungsproblematik1051
WALTHER J . HABSCHEID,
Völkerrecht Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Mainz: Nationalisierung und Internationalisierung des Meeres 1065
WALTER RUDOLF,
Dr. jur., ordentlicher Professor an der Universität Köln: Neue Entwicklungen im Recht der Staatenimmunität 1081
IGNAZ SEIDL-HOHENVELDERN,
Biographie von GÜNTHER
BEITZKE
Verzeichnis der Schriften von GÜNTHER
1103 BEITZKE
1107
Bürgerliches Recht: Allgemeiner Teil und Schuldrecht einschließlich des internationalen Einheitsrechts
Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität
FRANZ BYDLINSKI
Das Thema dieses Beitrages nötigt infolge einer Gesetzeslage von eigentümlicher Spiegelbildlichkeit schon im Ansatz zum Vergleich von deutschem und österreichischem Recht. Es darf daher wohl auf das Interesse von Günther Beitzke hoffen, der nicht nur als Rechtsvergleicher, sondern, selbst ein bekanntes Problem seines kollisionsrechtlichen Fachgebietes verkörpernd, auch als Staatsbürger in diesen beiden Rechtsordnungen zu Hause ist. Zu begründen bleibt, warum ich nach zwei Jahrzehnten auf die alternative Kausalität zurückkomme: Manche in der Judikatur inzwischen hervorgetretenen neuen Problemvarianten und die breite literarische Diskussion des Themas bieten durchaus Anlaß, an Hand des gegenwärtigen Problemstandes zu überprüfen, was sich von den seinerzeit erarbeiteten Ergebnissen bewährt hat und was sich im Lichte der neueren Entwicklung als korrektur- und ergänzungsbedürftig erweist. Den unmittelbaren Anstoß zu dieser Untersuchung gab eine Einladung an die Universität Göttingen 1 , eine der früheren akademischen Wirkungsstätten unseres Jubilars, an der ich seinerzeit den nach seinem Abgang vakanten Lehrstuhl vertretungsweise hätte wahrnehmen sollen; gerade als ich als junger Dozent in Graz, der Heimat seiner Jugendzeit, meine Arbeit „Haftung bei alternativer Kausalität" 2 , publiziert hatte. Das Thema in einen größeren Zusammenhang zu stellen hatte ich später in Bonn als sein Fakultätskollege Gelegenheit 3 . Auch diese persönlichen Berührungspunkte mögen erklären, daß ich dem hochgeschätzten Gelehrten und liebenswürdigen, hilfsbereiten Menschen gerade diese Arbeit in herzlicher Verbundenheit widme, zugleich mit den besten Wünschen für viele Jahre voller Gesundheit und unverändert beneidenswerter Arbeitsenergie. I. Einleitung Unter alternativer Kausalität ist zu verstehen, daß die schuldhaften (oder sonst einen Haftungsgrund bildenden) Handlungen mehrerer Personen als Ursache für einen eingetretenen Schaden in Frage kommen, 1 Der dort am 2.2.1978 gehaltene Vortrag liegt dieser Arbeit zugrunde. Der dem Vortrag folgenden Diskussion verdanke ich wertvolle Hinweise, besonders von Herrn Härtung (Celle). 2 JB1. 1959, 1. 3 Probleme der Schadensverursachung (1964) 70 ff.
4
Franz Bydlinski
ohnedaß jedoch festgestellt werden kann, welche der mehreren Handlungen den Schaden tatsächlich herbeigeführt hat. Dabei steht fest, daß eine der mehreren Handlungen schadenskausal war. Wie jedes ernstliche juristische Sachproblem stellt sich auch das beschriebene praktisch in allen Rechtsordnungen, gleichgültig, ob und wie das Gesetz von ihm ausdrücklich Notiz nimmt. Die Fallgestaltungen sind im einzelnen ungemein vielfältig, weisen aber teilweise doch typische, immer wiederkehrende Züge auf. Dazu einige Beispiele: Mehrere Personen mißhandeln - ohne die Merkmale der Mittäterschaft - einen anderen; dieser hat letztlich eine bestimmte schwere Verletzung, ohne daß feststellbar wäre, wer sie ihm zugefügt hat. Mehrere Jäger schießen unvorsichtig; ein Treiber oder zufälliger Passant wird verletzt. Bei einer Steinschlacht, insbesondere zwischen Kindern, oder beim Werfen von Knallerbsen - so im leading case des R G 4 - trifft ein Wurfgeschoß und verletzt den Getroffenen, ohne daß zu ermitteln wäre, wer gerade diesen Stein oder diese Knallerbse geworfen hat. Das sind die sozusagen klassischen Falltypen. Die heute besonders aktuellen Fälle liefert naheliegenderweise der Straßenverkehr: Der Geschädigte wird bei einem Unfall oder bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Unfällen von zwei verschiedenen Autofahrern gefährdet oder sogar nachweislich verletzt, ohne daß jedoch zu klären ist, wer von ihnen ihm die schwere, für die Schadensfolgen maßgebliche Verletzung zugefügt hat. Ähnlich kann es mit Sachschäden am Fahrzeug des Geschädigten stehen. Die beschriebenen Falltypen und weitere, weniger typische Sachverhalte von ähnlicher Struktur stellen die Juristen zahlreicher Rechtsordnungen vor eine große Verlegenheit. Aus Gründen, die uns noch beschäftigen werden, scheint das Rechtsgefühl allenthalben ganz deutlich für eine solidarische Ersatzpflicht der mehreren möglichen Schädiger zu sprechen: Die Gesamthaftung erscheint, wie der B G H formuliert hat, gerechter, als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen 5 . Im allgemeinen gilt aber, daß die Schadensverursachung notwendige Voraussetzung der Schadenersatzpflicht und vom Beschädigten zu beweisen ist. Fehlt es an Sondervorschriften für unseren Problembereich, so erweisen sich, wie die Rechtsvergleichung zeigt 6 , erstaunliche ad-hoc-Konstruktionen als nötig, will man die Haftung bejahen. Das geht bis zur Annahme einer „Gesamtkausalität" etwa „des Schießens" etc., die damit in scharfem Widerspruch RGZ 58, 357. B G H Z 55, 96. Ganz ähnlich die für die Gesetz gewordene Fassung des ABGB maßgebende Äußerung von Zeiller, vgl. Ofner, Protokolle II 188. 6 Vgl. z . B . Buxbaum, Solidarische Schadenshaftung bei ungeklärter Verursachung im deutschen, französischen und angloamerikanischen Recht (1965) 45 ff.; Weckerle, Die deliktische Verantwortlichkeit mehrerer (1974) 35 {{.-,Stauder, Probleme der Mehrtäterschaft im deutschen, französischen und englischen Deliktsrecht (Bonner Diss. 1964) 40 ff. 4
5
Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität
5
steht, daß das Kriterium der Kausalität ja gerade die individuelle Zurechnung ermöglichen soll. Im französischen Recht wurde gelegentlich sogar vertreten, daß die mehreren Schützen gemeinsam „gardien de la chose" im Sinne des Art. 1384 code civil bezüglich der Schußgarbe (!) sind7. Infolge der wissenschaftlichen Umsicht der Väter des BGB hat die deutsche Rechtsordnung hier den großen Vorzug einer klaren Grundsatzlösung, die alle gewaltsamen Konstruktionen erspart: § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt bekanntlich: „Das gleiche (nämlich Gesamthaftung) gilt, wenn sich nicht ermitteln läßt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat." Das österreichische Recht kennt eine so präzis auf die alternative Kausalität zugeschnittene Regelung nicht, aber zum Unterschied von anderen Rechtsordnungen, die es noch viel schwerer haben, doch einen spezifischen Lösungsansatz: Für den Fall der Beschädigung durch mehrere bestimmt § 1302 ABGB u.a. eine Solidarhaftung, „wenn die Anteile der einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen". Damit ist der Fall der alternativen Kausalität allerdings nicht unmittelbar getroffen. Denn dieser kennt keine „Anteile" am Schaden. Es steht vielmehr fest, daß der eine oder andere Beteiligte den ganzen Schaden herbeigeführt hat. Daher wurde in der österreichischen Literatur die Anwendung von § 1302 ABGB auf den Fall der alternativen Kausalität teilweise ausdrücklich abgelehnt8. Die Rechtsprechung ist gespalten9. Auch ihr haftungsbejahender Teil10 hat sich nur zögernd auf die zitierte Bestimmung berufen und häufig geglaubt, die Handlungen der mehreren zusammen, etwa das Schießen, seien „die Ursache" des Schadens, zu der jeder einzelne beigetragen habe. Wäre das richtig, so müßte auch der Beteiligte haften, der nachweist, daß seine Kugel nicht getroffen hat, woran niemand im Ernst denkt. Bemerkenswert ist nun, daß die klare Absicht des historischen Gesetzgebers sehr wohl dahin ging, die alternative Kausalität durch die zitierte Regel mitzuerfassen. Der Urentwurf zum ABGB hatte bei fahrlässigen Tätern jeden nur für den von ihm verursachten Schaden haften lassen wollen 11 . Gerade dies schien Zeiller, dem Hauptredaktor des ABGB, zu eng. Er brachte das Beispiel, daß mehrere in der Nähe eines Dorfes ein Feuerwerk veranstalten und dieses dadurch in Brand gerät. Es lasse sich hier nicht entscheiden, wieviel jeder einzelne geschadet habe, und es sei der 7
Vgl. Buxbaum a.a.O. 61. K. Wolff, Verbotenes Verhalten (1923) 330; K. Wolff in Klang2 VI 56; Stubenrauch, Commentar 8 II 654. * Die Haftung bei alternativer Kausalität verneinen G1UNF 6.380, ZB1. 1933/377, JB1. 1956, 314; OLG Graz in JB1. 1952, 570. 10 ZB1. 1909/91; G1UNF 4.329; JB1. 1916, 477; SZ 17/38; öRZ 1937, 55; SZ 27/103. " 3 . Teil, §460. 8
6
Franz Bydlinski
Gerechtigkeit angemessener, daß die Handelnden und nicht die schuldlosen Hauseigentümer den Schaden tragen. Die Gesetzgebungskommission stimmte dem voll zu. Daraufhin wurde die geltende Fassung des Gesetzes beschlossen 12 . Zeillers Beispiel ist so beschaffen, daß ganz offensichtlich auch an den Fall gedacht worden sein muß, in dem nur ein Feuerwerkskörper den Brand verursacht hat, also von „Anteilen" keine Rede sein konnte. Zeiller schreibt denn auch in seinem Kommentar 13 ausdrücklich, daß Solidarhaftung eintrete, wenn sich nicht bestimmen lasse, welche einzelnen oder inwieweit sie geschadet haben. Der Wortlaut von § 1302 A B G B deckt allerdings unmittelbar nur den Fall des „Inwieweit". Schon aufgrund der Absicht des historischen Gesetzgebers erweist sich jedoch eine analoge Anwendung auf den Fall als geboten, in dem nicht feststellbar ist, wer der tatsächliche Verursacher des ganzen Schadens war. Aber auch die dogmatische Analyse des unmittelbar geregelten Falles unbestimmbarer Anteile führt zu demselben Ergebnis. Daß jemand irgendeinen, vielleicht lächerlich geringen, „Anteil" an dem gesamten Schaden nachweislich verursacht hat, kann doch unmöglich seine Haftung über diesen festgestellten Anteil hinaus rechtfertigen. Wenn er trotzdem über diesen Anteil hinaus im gesamten Bereich der Unaufklärbarkeit verantwortlich ist, so kann dies nur auf der Wertentscheidung beruhen, daß jedenfalls bei Zusammentreffen mehrerer Täter jeder das Unaufklärbarkeitsrisiko tragen und dieses dem Geschädigten abgenommen werden soll. Bei dieser Konstellation soll für die Schadenersatzpflicht die mögliche Kausalität genügen. Diese allein erkennbare ratio legis, wenn auch nicht der Wortlaut des Gesetzes selbst, erfaßt aber genau auch die alternative Kausalität. Dies nötigt (§ 7 ABGB) zur analogen Anwendung des § 1302 ABGB auf diesen Fall. Das Ergebnis wird noch weiter bestätigt durch die Analogie strafrechtlicher Vorschriften (früher § 157 StG; jetzt § 91 StGB), auf die sich bereits Ehrenzweig14 berufen hat. Die dargelegte Analogie zu § 1302 A B G B , die ich bereits früher ausführlicher begründet habe 15 , hat für das österreichische Recht Zustimmung gefunden 16 . Der Lösungsweg ist aber auch für das deutsche Recht von gleichsam spiegelbildlichem Interesse. § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB 12
Ofner, Protokolle II 188. III/l, 724. 14 System 2 II/l, 73 mit Anm. 65; zustimmend Bienenfeld, Haftung ohne Verschulden (1933) 124. 15 JB1. 1959, 8. Andeutungen in dieselbe Richtung bereits bei Albert A. Ehrenzweig, Schuldhaftung im Schadenersatzrecht (1936) 254. 16 Wahle, Die überholende Kausalität, „Karlsruher Forum" 1959, 58 Anm. 37; Weher, Zur solidarischen Schadenshaftung bei ungeklärter Verursachung, ZfRV 1968, 38, besonders Anm. (>\Koziol, österreichisches Haftpflichtrecht I (1973) 47 ff•, Rummel, Ersatzansprüche bei summierten Immissionen (1969) 24 f. 13
Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität
7
spricht nämlich, gerade umgekehrt, nur den Fall der alternativen Kausalität ausdrücklich an: Er stellt darauf ab, daß sich nicht feststellen läßt, welcher Beteiligte „den Schaden", was doch bedeutet, den ganzen Schaden, durch seine Handlung verursacht hat 17 . Die gesetzgeberische Absicht ging aber auch hier eindeutig über den Wortlaut hinaus und dahin, auch den Fall der unbestimmbaren Anteile zu erfassen: § 714 des I. Entwurfes zum BGB bestimmte Gesamthaftung, „wenn im Falle eines von mehreren verschuldeten Schadens von den mehreren nicht gemeinsam gehandelt wurde, der Anteil des einzelnen an dem Schaden aber nicht zu ermitteln ist". Diese Vorschrift deckte sich also ganz mit § 1302 ABGB. Man wollte mit der Vorschrift aber gerade auch die alternative Kausalität erfassen18. Nur um dies klarzustellen, und nicht zum Zwecke einer sachlichen Änderung 19 , wurde § 753 des II. Entwurfes wie folgt gefaßt: Gesamthaftung „gilt, wenn mehrere nicht gemeinschafdich gehandelt haben und sich nicht ermitteln läßt, wessen Handlung den Schaden verursacht hat". Die unbestimmbaren Anteile waren damit zwar aus dem Gesetzestext eliminiert, sollten aber unverändert zur Gesamthaftung führen. Methodisch bietet sich daher ein klassischer Analogieschluß an: Um der ratio legis zu entsprechen, muß man über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehen. Bemerkenswert ist jedoch, daß im deutschen Rechtsbereich die Frage, ob und wann § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Fall der unbestimmten Anteile zu erstrecken ist, überaus kontrovers beurteilt wird; ganz ebenso, wie dies nach dem älteren österreichischen Diskussionsstand hinsichtlich der Erstreckung des § 1302 auf die alternative Kausalität zutraf. Selbst die klare historische Absicht des Gesetzgebers hat also hier wie dort den Streit der Meinungen nicht verhindern können. Dies und auch weitere Indizien, wie die bis in die Gegenwart zu beobachtenden Versuche, den § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB durch Kriterien einzuschränken, von denen das Gesetz nichts weiß, belegen, daß die zitierten gesetzlichen Vorschriften als ungemein verdächtige Durchbrechungen des Grundsatzes, Schadenshaftung setze nachgewiesene Kausalität voraus, empfunden und daher möglichst restriktiv behandelt wurden. Dieses Unbehagen und die häufig ausdrücklich geäußerte Befürchtung „uferloser Ausweitung" 20 lassen sich wohl nur überwinden, wenn man sich die maßgebende ratio legis, d.h. den speziellen Gesetzeszweck und die dementsprechende besondere Funktion der einschlägigen Vorschriften voll vergegenwärtigt. Denn nur auf diese Weise kann eine klare, gewaltsame Hilfskonstruktionen erübrigende Be17
Anders freilich Weckerle a. a. O . 160, der aber 162 selbst hervorhebt, daß es sich bei der Teilschadenskausalität nicht um einen Schaden, sondern um eine Mehrzahl von einzelnen Schäden handelt. 18 Motive II 738. 19 Protokolle II 606. 20 So noch BGH NJW 1971, 506.
8
Franz Bydlinski
grenzung des Anwendungsbereiches der zitierten Vorschriften gefunden werden. Eine zweite, viel heiklere und - um mit Deutsch2^ zu sprechen die „Entwicklungsfunktion" mancher Deliktstatbestände berührende Frage ist die, ob und wie weit heute über die ratio legis hinausgegangen werden darf und soll, die dem Gesetz erkennbar zugrunde liegt. Die Herausarbeitung des maßgebenden Gesetzesgrundes ist aber nicht nur nötig, um das eben rechtsvergleichend angesprochene Problem, nämlich das Verhältnis von alternativer Kausalität und unbestimmbaren Schadensanteilen, zu lösen. Die aktuelle deutsche Diskussion hat vielmehr eine ganze Reihe weiterer Streitfragen hervorgebracht, die nur von einer klaren theoretischen Erfassung des Gesetzesgrundes aus beurteilt werden können, wenn man irrationale,, Lösungen" auf Grund persönlich und zeitlich wechselnden Beliebens vermeiden will. Uberblicke ich den Diskussionsstand einigermaßen richtig, so handelt es sich vor allem um die folgenden Fragen: 1. Setzt § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB einen - wie immer näher umschriebenen - „einheitlichen Vorgang" voraus, zu dem die Handlungen der einzelnen Beteiligten gehören, oder doch ein ähnliches einschränkendes Kriterium? 2. Ist die Haftung nach der zitierten Bestimmung eine „subsidiäre", also davon abhängig, daß nicht ohnedies ein Beteiligter für erwiesene Verursachung , d.h. nach allgemeinen Grundsätzen, haftet? 3. Wie steht es, wenn die Handlungen eines der Beteiligten gerechtfertigt oder doch entschuldigt oder sonst haftungsfrei gestellt sind? 4. Ist § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB anwendbar, wenn der Geschädigte selbst als möglicherweise schadenskausaler Beteiligter in Frage kommt? 5. Ist die Vorschrift oder doch ihr Grundgedanke auch auf die Gefährdungshaftung anwendbar? II. Der Gesetzesgrund der Haftung für alternative Kausalität Bei Ermittlung der ratio legis kann ich unmittelbar an meine früheren Ergebnisse anknüpfen, die mir durch die spätere Diskussion voll bestätigt zu sein scheinen. § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB verzichtet von den normalen Voraussetzungen der Schadenshaftung auf die nachgewiesene Ursächlichkeit des jeweils Haftenden und begnügt sich mit möglicher Kausalität, also mit einem „Kausalitätsverdacht". Die Vorschrift läßt sich dennoch nicht etwa als „Kausalitätsvermutung" oder „Umkehr der Beweislast" für die Kausalität verstehen, wie dies verschiedentlich vertreten wird. Denn man weiß ja immerhin sicher, daß nur einer der mehreren den Schaden verursacht hat. Eine Vermutung oder Beweislastregel, daß es alle getan haben, ginge also auf etwas gewiß Unrichtiges und wäre daher absurd 22 . 2
' Entwicklung und Entwicklungsfunktion der Deliktstatbestände, JZ 1963, 385. Lorenz, Schuldrecht11 II 590 . - Der beiläufige Erklärungsversuch von Reischauer,
22
Aktuelle Streitfragen um die alternative Kausalität
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Die Reduktion eines sonst notwendigen Haftungselementes, der erwiesenen Verursachung, auf die bloß mögliche Verursachung ist theoretisch erklärbar durch Wilburgs bewegliches System der Haftungsvoraussetzungen 23 , wonach keine gleichbleibende Kombination derselben erforderlich ist, sondern der Wegfall oder die Reduktion des einen durch eine besondere Stärke der anderen für die Haftung sprechenden Gesichtspunkte aufgewogen werden kann. Als ein solcher, im Rahmen der Verschuldenshaftung sonst nicht selbständig bedeutsamer Haftungsgrund bietet sich die konkrete Gefährlichkeit der unerlaubten Handlungen für das tatsächlich geschädigte Rechtsgut an. In allen mit haftungsbejahendem Ergebnis diskutierten Fällen denkt man an schuldhafte Handlungen, die das geschädigte Rechtsgut konkret gefährdet, wenn auch nicht nachweislich den Schaden verursacht haben. Die,,Beteiligung", von der § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB spricht, ist damit auf die Herbeiführung der unklaren Lage durch gefährliches Verhalten zu beziehen. Insgesamt erscheint als in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zureichender Haftungsbestand das schuldhaft-rechtswidrige, konkret gefährliche und möglicherweise schadenursächliche Verhalten jedes Haftenden 24 . Allerdings werden die erwähnten Gesichtspunkte vom Gesetz nicht generell als zureichender Haftungsgrund erklärt, sondern nur im Falle mehrerer Beteiligter; somit nicht, wenn als Schadensursache neben einem Haftungsgrund ein Zufallsereignis in Frage kommt. Die Belastungsgründe auf Seiten des allenfalls Haftenden sind aber nicht davon abhängig, ob neben ihm eine andere unerlaubte Handlung oder ein Zufallsereignis als mögliche Schadensursache steht. Der Grund für die gesetzliche Beschränkung kann daher nur auf Seiten des Verletzten liegen: Im vom Gesetz getroffenen Fall steht die Ersatzberechtigung des Verletzten an sich, d.h. nach den allgemeinen Haftungsgrundsätzen, fest; man kann nur nicht ermitteln, geDer Entlastungsbeweis des Schuldners (§ 1298 ABGB) (1975) 113 (Beweislastumkehr wegen unwertbeladener Handlung jedes Beteiligten) trifft auch sonst das eigentliche Problem, warum es nämlich nach dem Gesetz auf eine Mehrheit rechtswidrig Handelnder ankommt, nicht. 23 Vgl. vor allem Wilburg, Elemente des Schadensrechts (1941) 28 ff., und denselben, Die Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950). 24 Vgl. Bydlinski, JB1. 1959, 12f. - Die Frage Schikhers, Theorie der sozialen Schadensverteilung (1977) 35, „woher denn nun mit einem Mal die Abschwächung der Kausalität" komme, ist zunächst durch den Hinweis auf das Gesetz und seine Analogie zu beantworten; was aber die theoretische Erklärung anlangt, durch die im Text angegebenen, besonders die von Schilcher a. a. O . ignorierten Gesichtspunkte der konkreten Gefährlichkeit und des „an sich" feststehenden Ersatzanspruches (dazu den gleich folgenden Text). Schilcher a . a . O . 34 referiert statt dessen, daß nach meiner Ansicht das Zusammenspiel von „potentieller" Verursachung mit einem schweren Verschulden genüge, das bei den gegenständlichen Fällen regelmäßig vorliege. Das habe ich jedoch weder an der von Schilcher zitierten (JB1. 1959, lOff.) noch an anderer Stelle behauptet.
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gen wen sie besteht. Im Falle der Konkurrenz mit Zufall ist es dagegen möglich, daß der Schaden aus dem eigenen Risikobereich des Geschädigten stammt und - bei voller Aufklärung des Sachverhaltes - von ihm selbst getragen werden müßte. Gemessen an den gewöhnlichen Haftungsregeln, könnte sich daher hier ein unverdienter Vorteil des Geschädigten ergeben, wenn man den alternativ kausalen Täter haften läßt, bei Konkurrenz mehrerer haftbar machender Handlungen dagegen nicht 25 . Daß es die dargelegten Wertungen sind, die dem § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zugrunde liegen, ist in der späteren Diskussion weithin bestätigt worden. Zuletzt hat auch der BGH in seiner Entscheidung zur potentiellen Selbstverursachung 26 das entscheidende Gewicht auf die „Gewißheit" gelegt, daß der Geschädigte nach sachlichem Recht einen Ersatzanspruch hat. Bereits in der „Anhalterentscheidung" 27 hat der BGH Einschränkungstendenzen, die einen „inneren Zusammenhang" zwischen den Haftenden fordern, mit der Begründung zurückgewiesen, daß ein solcher Zusammenhang weder die Rechtswidrigkeit noch die Schuld noch die Gefährdung betreffe noch für den Verletzten von Belang sei. In der Literatur wird der Gedanke des an sich feststehenden Ersatzanspruches bzw. der „Vorteilsabwehr" teilweise ausdrücklich (mit unterschiedlich deutlicher Herkunftsangabe) übernommen 28 , teilweise durch Beweisnoterwägungen optisch, wenn auch nicht sachlich, etwas in den Hintergrund gedrängt 29 , teilweise zunächst für „fragwürdig" gehalten, aber schließlich mit anderen Worten ganz exakt vertreten, wenn die Abweichung von den sonst geltenden Grundsätzen dadurch begründet wird, daß der Schaden „nur aus dem Verantwortungsbereich anderer" erklärt werden kann 30 . Eine einigermaßen zureichende, substantiell abweichende Erklärung für die gesetzliche Regel ist, soweit ich sehe, in der neueren Diskussion nirgends angeboten worden 31 . Vgl. Bydlinski a . a . O . 13. B G H Z 60, 177. 2 7 B G H Z 33, 286. 2 8 Vgl. z. B. Buxbaum 29 und 123 ff. (dort allerdings teilweise bereits inkonsequent). Im Referat meiner Auffassung a. a. O . 42 f. ist meine Herausarbeitung der ratio legis übergangen. Ähnlich Bauer, Die Problematik gesamtschuldnerischer Haftung trotz ungeklärter Verursachung, J Z 1971, 6. Auf die Notwendigkeit an sich feststehender Ersatzpflicht verweisen z.B. auch Lorenz a . a . O . und Welser a . a . O . 43. 29 Z . B . Weckerle a . a . O . 120 f f . ; dazu alsbald im Text. 30 Gernhuber, Haftung bei alternativer Kausalität, JZ 1961, 148 f f . , insb. 151. Wenn Gernbuber im übrigen „das auf sich selbst gestellte Individium" früher und den Zug zum Sozialstaat heute gegenüberstellt, fehlt solchen Erwägungen infolge ihrer Vagheit doch wohl ein zureichender dogmatischer Erklärungswert. Sie sind darüber hinaus auch historisch kaum richtig, da die Gerechtigkeitserwägungen, die dem (gewiß vorliberalen) A B G B zugrunde liegen, sich von jenen nicht unterscheiden, die hinter § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB stehen; vgl. A n m . 5 . 3 1 Gegen überholte ältere Erklärungsversuche schon meine Arbeit JB1. 1959, l f f . 25
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Es beruht insbesondere auf einem Mißverständnis, wenn man geglaubt hat, an Stelle der eben vorgetragenen Deutung als ein aliud die These setzen zu können, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB erkläre sich aus der Bekämpfung einer Beweisnot und aus der Verteilung eines spezifischen Unaufklärbarkeitsrisikos 32 . Daß die Vorschrift mit der Beweisnot des Geschädigten und mit der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts zu tun hat, ist freilich selbst für den Kurzsichtigen mit freiem Auge zu erkennen und nichts als eine Banalität. Beweislage und Unaufklärbarkeitsrisiko sollten daher wahrhaftig nicht als Antwort auf die Frage nach dem Gesetzesgrund des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB angeboten werden, sondern stehen am Beginn der Suche nach dieser Antwort. Entscheidend kann doch nur sein, warum unter allen erdenklichen Beweisnotständen dem Geschädigten gerade der durch mehrere unerlaubte Handlungen begründete abgenommen wird. Das aber läßt sich nur durch den an sich feststehenden Ersatzanspruch des Verletzten und - in Verbindung damit - den Gedanken der Vorteils ab wehr erklären. Insgesamt bestätigt sich so eine schuldhaft-rechtswidrige, gefährliche und möglicherweise kausale Handlung als zureichender Haftungsgrund, wenn wegen des an sich feststehenden Ersatzanspruches des Verletzten der Gedanke der Vorteilsabwehr nicht entgegensteht. Man kann dasselbe natürlich auch in anderen, beliebig komplizierteren Formulierungen ausdrücken, sollte aber solche Formulierungsfragen nicht mit Sachfragen verwechseln 33 . III. Die aktuellen Streitfragen im einzelnen Auf der erarbeiteten Grundlage können die einzelnen aktuellen Streitfragen in Angriff genommen werden.
1. Der „einheitliche
Vorgang" und ähnliche
Einschränkungsversuche.
§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB hat infolge unzureichender dogmatischer
32 Weckerle a. a. O.; vgl. auch Diederichsen, Zur Rechtsnatur und systematischen Stellung von Beweislast und Anscheinsbeweis, VersR 1966, 211, 220. 33 So attestiert mir etwa Weckerle a. a. O. 139 sowie 122, Anm. 270 im Anschluß an Diederichsen a.a.O. einen „falschen dogmatischen Ausgangspunkt", nämlich den Ansatz bei einer Haftung für nur mögliche Kausalität. Er unterstreicht aber am zuletzt angeführten Ort, es lasse sich nicht leugnen, daß es sich bei § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB tatsächlich um eine Haftung bei nur möglicher Kausalität handle. Dieser Ansatz erfasse nur nicht das Wesentliche, nämlich das Unaufklärbarkeitsrisiko. Bei der Frage, warum gerade dieses Unaufklärbarkeitsrisiko dem Verletzten abgenommen wird, verweist aber Weckerle a. a. O. 123 auf die rechtswidrig-schuldhafte und konkret gefährliche Handlung jedes Täters und auf die feststehende Ersatzberechtigung des Verletzten. Nichts davon unterscheidet sich sachlich vom Ergebnis meiner - dogmatisch angeblich verfehlt angesetzten - Analyse der dem Gesetz zugrunde liegenden Wertungen.
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Durchdringung alsbald die Befürchtung ausgelöst, auch der sorgfältigste Teilnehmer an einem Spaziergang, Jagdausflug etc. könnte in eine Haftung verstrickt werden, wenn bei dieser Gelegenheit von irgendeinem Beteiligten ein Schade verursacht wird 34 . Man wollte solchen Befürchtungen zunächst durch Anschluß an die in § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B geregelte Mittäterschaft entgegenwirken und forderte, demgegenüber etwas abgeschwächt, ein „gemeinschaftliches T u n " der mehreren Haftenden; so insbesondere im führenden „Knallerbsenfall" des Reichgerichtes 35 , wo freilich dieses Merkmal in vollem Umfang erfüllt war, so daß von einer haftungsbeschränkenden Wirkung keine Rede sein konnte. In der Literatur 36 wurde mit Recht hervorgehoben, daß hier ohne zureichende Begründung ein im Sachverhalt tatsächlich verwirklichtes Merkmal zur haftungseinschränkenden normativen Größe erhoben worden sei. Spätestens in der „Anhalterentscheidung" wurde aber ein wie immer geartetes „inneres Band" zwischen den mehreren Beteiligten mit zutreffender Begründung als unnötig verworfen 37 . In der Tat weiß der Wortlaut unserer Bestimmung nichts von einem subjektiven Zusammenhang der Haftenden, und die - oben dargestellte - Entstehungsgeschichte zeigt, daß Satz 2 gerade keine „gemeinschaftliche" Handlung voraussetzen sollte. Allerdings wurde in der Rechtsprechung das einschränkende gesetzesfremde Merkmal des „gemeinschaftlichen Tuns" nicht ersatzlos gestrichen, sondern nur reduziert: Bis heute festgehalten wird von der Rechtsprechung, jedenfalls der Deklamation nach, daß es sich wenigstens objektiv um einen sachlich, räumlich und zeitlich einheitlichen Vorgang handeln müsse 38 . Jedoch hat auch dieses Kriterium nichts mit der Rechtswidrigkeit, der Schuld oder der Gefährdung zu tun und ist auch für den Verletzten nicht von Belang, so daß die Begründung der „Anhalterentscheidung" insoweit einen deutlichen inneren Widerspruch aufweist. Dieser Widerspruch sowie das ganze Kriterium sind aber insofern unschädlich, als von der Einschränkung praktisch kein Gebrauch gemacht wird. Bereits im „Anhalterfall" war ausdrücklich auf die Gleichzeitigkeit der Handlungen der Beteiligten verzichtet worden. In einer späteren Entscheidung39 ging es um zwei deutlich getrennte Unfälle: Die beim ersten Unfall Verletzten waren auf der Fahrt mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus neuerlich in einen Unfall verwickelt worden; von welchem Unfall ihre wesentlichen Verletzungen letztlich stammten, war nachher nicht
34 35 36 37 38 39
Vgl. etwa Traeger, Der Kausalbegriff (1929) 286. RGZ 58, 357. Bauer a.a.O. 6. BGHZ 33, 286. Ein Vorläufer ist bereits BGHZ 25ä 274. BGHZ 25, 274; BGHZ 33, 286; zuletzt wieder NJW 1971, 506. NJW 1971, 506.
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mehr feststellbar. Der zweite Unfall war mehrere Kilometer von der ersten Unfallstelle entfernt und einige Zeit später geschehen. Dennoch wurde der „einheitliche Vorgang" bejaht. Das Kunststück, einen sachlich, örtlich und zeitlich einheitlichen Vorgang zu behaupten, wenn es sich um zwei getrennte, zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten stattfindende Unfälle handelt, gelingt auf folgende Weise: Von besonderer Bedeutung für den einheitlichen Vorgang, der sich nach der praktischen Anschauung des täglichen Lebens bestimme, sei die „Gleichartigkeit" der Gefährdung. Sie wird bereits darin erblickt, daß beide Täter einen Verkehrsunfall verschuldet haben. Die zeitliche und räumliche Einheit des Vorganges wird im wesentlichen deshalb als noch zureichend angesehen, weil ein Zusammenhang zwischen dem vom Beklagten herbeigeführten Unfall und den den Beweisnotstand des Verletzten begründenden Tatsachen bestehe. Das angeblich zur Vermeidung „uferloser Ausweitung" der Haftung notwendige Merkmal des „einheitlichen Vorganges" wird also gerade durch die Momente konkretisiert, die die Unaufklärbarkeit der Verursachung begründen. Schon rein logisch kann dann von einschränkender Wirkung keine Rede sein. Denn die Unaufklärbarkeit der Verursachung ist ja der Ausgangspunkt der Problemstellung. Ein für diese Unaufklärbarkeit maßgebender zeitlicher und örtlicher Zusammenhang bringt somit überhaupt nichts Zusätzliches, daher auch keine Einschränkung. Die „Gleichartigkeit der Gefährdung", auf die der „einheitliche Vorgang" neuestens im wesentlichen reduziert wird, ist per se mit der Unaufklärbarkeit der Verursachung mitgegeben: Denn haben mehrere Personen das Rechtsgut ungleichartig gefährdet, so ist ja leicht ersichtlich, welche Gefährdung den tatsächlich eingetretenen Schaden verursacht hat. Man denke an den Fall, in welchem ein Täter geschossen, der andere gestochen hat. Was von der angeblich notwendigen Schranke gegen „uferlose Ausweitung" zu halten ist, läßt sich vielleicht am besten empirisch zeigen: In der gesamten bisherigen Rechtsprechung führten die Kriterien des „gemeinschaftlichen Tuns" oder des „einheitlichen Vorganges" nur in ganz wenigen Fällen zur Haftungsverneinung, in denen durchwegs schon aus ganz anderen Gründen von der Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB keine Rede sein durfte. So hatte eine Frau, die mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt worden war, den Beklagten als einen von mehreren Männern, mit denen sie Geschlechtsverkehr hatte, auf Schadenersatz verklagt. Es stand keineswegs fest, daß der Beklagte im Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs überhaupt geschlechtskrank war, so daß von einem schuldhaftrechtswidrigen, gefährlichen Verhalten auf seiner Seite gar keine Rede sein konnte. Daneben hat das Reichsgericht freilich auch auf die fehlende Gemeinschaftlichkeit der Handlungen hingewiesen, jedoch offenbar über-
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flüssigerweise 40 . Ähnlich stand es im „Glatteisfall" 4 1 . Es gibt also, soweit zu sehen, bisher keine Entscheidung, in der die angeblich notwendige Beschränkung tatsächlich zur Haftungsverneinung geführt hat und dafür auch notwendig war. Hält man daran fest, daß jeder Beteiligte nur haftet, wenn ihm ein schuldhaft-rechtswidriges, konkret gefährliches und möglicherweise kausales Verhalten nachgewiesen ist, so ist auch nicht zu sehen, für welche Fälle eine weitergehende Einschränkung notwendig sein sollte. Das Gesetz bietet für eine solche Einschränkung auch gar keine Grundlage. Die Behauptung, von „Beteiligten"-so der Wortlaut des Gesetzes könne nur im Hinblick auf einen einheitlichen Vorgang gesprochen werden 42 , trifft nicht zu. Es ist längst gezeigt worden, daß man von ,,Beteiligten" auch im Hinblick auf die Schaffung der unaufklärbaren Schadenssituation durch gefährliches Verhalten sprechen kann 43 . Darauf läuft praktisch, wie gezeigt, auch der jüngste Standpunkt der Rechtsprechung hinaus, die die zureichende zeitliche und örtliche Einheitlichkeit des Vorganges gerade aus der Unaufklärbarkeit konkretisiert. Damit entfällt freilich für das angeblich einschränkende Kriterium - erfreulicherweise - jede selbständige Bedeutung. Deutsch44 hat deutlich gemacht, wie vollkommen der zeitliche, der räumliche und der sachliche Teil des „einheitlichen Vorganges" in der Rechtsprechung des B G H bereits aufgelöst wurde. Man kann daher ohne Übertreibung sagen: Der „einheitliche Vorgang" ist in Wahrheit auch in der Rechtsprechung tot. Man sollte die Leiche endlich begraben. In der Literatur ist seit meinen älteren Arbeiten zum Thema der „einheitliche Vorgang" ohnedies ganz überwiegend, vor allem in den Spezialuntersuchungen, ausdrücklich aufgegeben 45 oder doch praktisch auf Null reduziert 46 . Hält man nur an den bereits angegebenen Haftungsvoraussetzungen der schuldhaft-rechtswidrigen, konkret gefährlichen und möglicherweise kausalen Handlung fest, bedarf es aber auch keines, wieder mehr subjektiv gefaßten, Surrogats für den „einheitlichen Vorgang" in Gestalt der „Erkennbarkeit fremder Beteiligung" 47 .
R G Z 96, 224. Wameyer 1908, Nr. 315. Zu diesen Entscheidungen Buxbaum a. a. O . 9 f. und Wekkerle a . a . O . 127. 4 2 So etwa B G H Z 33, 286. 4 3 Vgl. Bydlinski, JB1. 1959, 12. 4 4 Haftungsrecht I 352. 45 Deubner, Zur Haftung bei alternativer Kausalität, JuS 1962, 385f.; Gemhuber a . a . O . 152; Buxbaum a . a . O . 29; Bauer a . a . O . 6f.; Weckerle a . a . O . 128ff. 4I ' Larenz a. a. O . 591; Lauenstein, Ist § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B auf Verkehrsunfälle anwendbar? N J W 1961, 1662. 4 7 Dafür aber Deutsch, Das Verhältnis von Mittäterschaft und Alternativtäterschaft im Zivilrecht, J Z 1972, 106; derselbe, Haftungsrecht I (1976) 352. 40
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2. „Subsidiarität" von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB? Im „Anhalterfall" war der Ersttäter, der den Verletzten angefahren und auf die Straße geschleudert hatte, adäquat kausal auch für die Verletzungen, die dem Geschädigten dort von den folgenden Tätern etwa zugefügt worden sein mögen. Er hat daher jedenfalls, auch wenn die schwere Verletzung nicht unmittelbar aus „seinem" Unfall stammen sollte, für den ganzen, auch folgenden, Schaden eine adäquate Ursache gesetzt. Bedauerlicherweise war er jedoch unerkannt entkommen. Der Verletzte hielt sich daher unter Billigung des BGH an den festgestellten zweiten, nur möglicherweise kausalen Schädiger. Dem ist Gernhuber entgegengetreten, der unsere Vorschrift nur subsidiär anwenden will, nämlich wenn nach allgemeinen Grundsätzen keine Ersatzpflicht zu begründen ist. Er hält es sogar für „Mißbrauch", § 830 Abs.l Satz 2 BGB auch dann anzuwenden, wenn die Schadenersatzpflicht eines Schädigers feststeht 48 . Einige Autoren sind dem gefolgt 49 , die überwiegende Literatur hat sich dagegen ausgesprochen 50 . Auch der BGH hat sich zunächst mit Nachdruck gegen die These von der Subsidiarität gewendet 51 . Er hob sehr einleuchtend das berechtigte Interesse des Geschädigten an der Haftung aller Beteiligten hervor, wenn zwar einer von ihnen adäquat kausal war, aber seine Person nicht festgestellt werden kann, oder wenn er vermögenslos ist. Nach einer etwas undurchsichtigen Argumentation, in der adäquater Kausalzusammenhang und natürliche Kausalität gegenübergestellt werden, bemerkt der B G H zutreffend, es bleibe trotz Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges bei einem Schädiger die Tatsache bestehen, daß die übrigen den Schaden alternativ durch ihre Handlungen verursacht hätten. Daß sie infolge Subsidiarität nicht haften sollten, sei nicht einzusehen. Der Ablehnung der Subsidiarität ist zu folgen. Auch wenn hinsichtlich eines bestimmten Schadens neben einem alternativ kausalen Schädiger ein erweislich kausaler Schädiger steht, bleibt es wahr, daß der erstere schuldhaft, rechtswidrig und möglicherweise kausal gehandelt hat und damit einem im Rahmen des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zureichenden Haftungstatbestand gesetzt hat. Auch steht fest, daß dem Beschädigten jedenfalls Ersatz gebührt, so daß der Gedanke der Vorteilsabwehr nicht gegen ihn ins Gewicht fällt. Der Gesetzesgrund trifft also vollkommen zu. Zusätzliche Prüfung der besonderen Interessenlage ergibt, daß eine Abweichung nicht gerechtfertigt wäre. Das ist ganz deutlich, wenn der si48
A.a.O. Esser, Schuldrecht II 3 ,448; Hernie, N J W 1973,2021. Seine Behauptung, daß die Literatur fast einhellig der Subsidiaritätsthese folge, ist freilich falsch. 50 Deubner a . a . O . 383 f B a u e r a . a . O . 8; Weckerle a . a . O . 125 f. 51 N J W 1971, 506. 49
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eher kausale Schädiger unbekannt oder vermögenslos ist. Der Gedanke, daß seine nur im juristischen Begriffshimmel beheimatete Ersatzpflicht, die hienieden sonst nicht die geringsten realen Auswirkungen hat, die Rechtslage zwischen dem Verletzten und dem Alternativtäter entscheidend zugunsten des letzteren verschieben sollte, ist schwer nachzuvollziehen 52 . Der juristisch sichere Anspruch ändert ja infolge seiner Irrealität nichts an den Gründen, die die Schutzwürdigkeit des Verletzten konstituieren, ebensowenig aber an den Haftungsgründen, die den Alternativtäter belasten. Es bleibt der Fall, in dem der jeweils haftende Schädiger feststeht und der Anspruch gegen ihn auch durchsetzbar ist. Hier steht nicht schon das vom Gesetz erkennbar geschützte Interesse des Verletzten am realisierbaren Schadenersatz 53 der „Subsidiarität" entgegen. Gegen diese spricht jedoch immer noch, daß sie hier dazu nötigen würde, den Anspruch gegen den Alternativschädiger von häufig ebenso schwierigen wie unsicheren Prognosen über die Auffindbarkeit und Solvenz des sicher kausalen Beschädigers abhängig zu machen. Man sollte daher auch hier mit dem Gesetz, das keine Ausnahme kennt, bei der Gesamthaftung bleiben. Man würde sonst auch die ganze Schadenslast endgültig auf den sicher kausalen Schädiger überwälzen. Sein Regreßanspruch gegen andere, nur alternativ kausale Beteiligte müßte ja mangels eines Gesamtschuldverhältnisses verneint werden. Daß er immerhin, anders als im Normalfall der Geschädigte, selbst auch schuldhaft an der Schädigung beteiligt war, wirkt sich systemgerechter (§§ 254 B G B , 1304 ABGB) nur in der Beschränkung seiner Ausgleichsansprüche aus. Neuerdings hat sich freilich der B G H 5 4 der These von der Subsidiarität der Haftung aus § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zwar nicht angeschlossen, aber doch genähert: Der Geschädigte war durch zwei Kraftfahrer, die rücksichtslos hintereinander eine Kolonne überholten, sich jedoch gerade noch „eindrängen" konnten, zum starken Abbremsen und dadurch letzt-
5 2 Es ist bemerkenswert, daß ihn auch Esser vertritt, der in seinen methodologischen Arbeiten ebenso übertriebene wie schwer greifbare Dogmatikkritik pflegt und der darin so entscheidendes Gewicht auf das „Vorverständnis" des beurteilenden Juristen sowie auf den unmittelbaren „Durchgriff auf den politischen Konsens" legt. Gegenüber einer Dogmatik, die einen praktisch irrealen, niemandem nützenden Anspruch so entscheidend gegen den Verletzten ausschlagen läßt, scheint allerdings jene Kritik angebracht. 5 3 Wollte sich nämlich das Gesetz wirklich mit einem Schadenersatzanspruch von bloß juristischer Existenz ohne reale Auswirkungen begnügen, so bedürfte es des ganzen § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B nicht. Denn rechtlich besteht mit Sicherheit ein Schadenersatzanspruch gegen den unbekannt gebliebenen, tatsächlich kausalen Alternativtäter. Er hilft dem Geschädigten nur gar nichts. 5 4 VersR 1976, 992 = Betr. 1976, 2060 = M D R 1976, 1011 = JuS 1977, 120.
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lieh zum Schleudern gebracht worden, was zum Unfall führte. Das Berufungsgericht hatte dahinstehen lassen, ob nicht etwa das Verhalten des ersten Überholenden auf alle Fälle für den Unfall ursächlich geworden sei. Für diese Variante lehnte der BGH die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu Lasten des zweiten Uberholenden ab. Gegenüber seiner eigenen älteren Judikatur zur Subsidiaritätsfrage will er sich nunmehr abgrenzen: Diese betreffe Fälle, in denen zwei Beteiligte je selbständig ein Schadensereignis verursacht haben und nur der Umfang des von dem einen oder anderen verursachten Schadens, also der Haftungsumfang, zweifelhaft sei. Dabei stelle jeweils der zweite Schadensfall einen dem ersten Schädiger ursächlich zuzurechnenden Folgeschaden dar. Nunmehr gehe es hingegen bloß um ein Schadensereignis. Das angebliche Unterscheidungskriterium ist jedoch uneinsichtig. Die Zahl der „Schadensereignisse" hat keinen ersichtlichen Bezug zum Sachproblem. Es ist eine reine Formulierungsfrage, wann man ein Schadensereignis und wann man mehrere Schadensereignisse annimmt. Ferner besteht zwischen dem reinen Fall der alternativen Kausalität und jenem unbestimmbarer Schadensanteile kein relevanter Unterschied, soweit die Unklarheit bezüglich der Verursachung reicht (vgl. unten III. 6.). Der Widerspruch in der Judikatur läßt sich daher nicht leugnen. In der Sache sieht der B G H zuletzt, zum Unterschied von der Lehre von der Subsidiarität, kein Hindernis für die Gesamthaftung, wenn ein Dritter eine Ursache des Schadens gesetzt hat und die Alternativtäter (bzw. ungewiß welcher von ihnen) eine andere. Verdeutlicht wird das durch das Beispiel, daß jemand in einen von einem Dritten schuldhaft nicht gesicherten Kanalschacht stürzt, weil er von den beiden Alternativtätern gestoßen wurde, ohne daß geklärt werden kann, welcher Stoß ursächlich war. Könne dagegen festgestellt werden, daß dem Geschädigten auf jeden Fall einer von denen, die ihn gefährdet haben, hafte, so könne er mangels Einbeziehung in das alternative System nicht als „Beteiligter" bezeichnet werden. Das Berufungsgericht werde daher § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB erst bejahen dürfen, wenn es unter Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten nicht festzustellen vermöge, daß jedensfalls der erste Uberholende den Unfall sicher verursacht habe. Die Meinung des B G H , daß bei feststehender Kausalität des ersten Uberholenden die Haftung des zweiten ausscheide, kann durchaus richtig sein. Die Feststellung kann nämlich zugleich ergeben, daß die Kausalität des zweiten ausgeschlossen ist; z.B. wenn sich ermitteln ließe, daß der Geschädigte bis zum Augenblick des endgültigen, nicht mehr aufzufangenden Schleuderns den zweiten Uberholenden noch gar nicht wahrgenommen hatte. Dann wäre § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB aus dem schlichten
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Grund nicht anwendbar, weil den zweiten Uberholenden nicht einmal mögliche Kausalität belastet55. Durchaus denkbar ist aber auch die Konstellation, von der der BGH auszugehen scheint, daß die Ursächlichkeit des ersten feststeht und die des zweiten dennoch möglich bleibt. Das Schleudern wäre z.B. ohne das Uberholen des ersten sicher, ohne jenes des zweiten möglicherweise nicht in der für den Unfall ursächlichen Intensität eingetreten. Der erste war es etwa, der den Geschädigten zum abrupten Abbremsen zwang, der Wagen wäre aber ohne die durch den zweiten begründete zusätzliche Verunsicherung vielleicht doch wieder abgefangen worden. In bezug auf das Unterbleiben des Abfangens als Schadensursache besteht sehr wohl ein „alternatives System": Das Abfangen ist entweder schon durch die besondere Abruptheit des Bremsvorganges, zu dem der erste Uberholer den Geschädigten zwang, oder erst durch den zweiten verhindert worden. Was zutrifft, weiß man nicht. Verallgemeinernd kann man sagen, daß bei der jetzt erörterten Konstellation stets eine Ursache im Spiel ist, die entweder von dem möglicherweise kausalen Täter oder (zusätzlich) von dem (in bezug auf einen anderen Teil des Verursachungskomplexes) sicher kausalen Täters gesetzt wurde. Es ist daher nicht einzusehen, welcher wesentliche Unterschied zwischen dem Kanalschachtbeispiel des BGH und dem ihm tatsächlich vorliegenden Fall bestehen soll; es sei denn, daß man mindestens zwei vom feststehenden Verursacher unterschiedene Alternativtäter fordern wollte. Das aber wäre eine Zahlenspielerei ohne jeden rechtlichen Gehalt. Sollte das Kanalschachtbeispiel ernsthaft anders entschieden werden, wenn der für die Sicherung des Schachts Verantwortliche mit einem der beiden identisch ist, von denen man nicht weiß, wessen Stoß den Verletzten in den ungesicherten Schacht stürzen ließ? Der BGH hat solche Irrwege von BGHZ 33, 286 bis BGHZ 55, 86 zu vermeiden gewußt. Wenn ein Beteiligter sicher eine der Ursachen des Schadens gesetzt, z.B. das Schleudern des Verletzten herbeigeführt, und er oder ein anderer alternativ eine zweite Ursache, z. B. die schwer verlet5 5 Das dürfte zumindest nach der h. A . unzweifelhaft sein. N a c h meiner, kaum allgemein anerkannten Ansicht (Probleme der Schadensverursachung 7 4 f . ) kommt allerdings bei der überholenden Kausalität, um die es sich bei feststehender Ursächlichkeit des ersten handeln könnte, auch eine Haftung des zweiten Täters in Frage, wenn er immmerhin - wie h i e r - das noch intakte Rechtsgut durch schuldhafte Handlung konkret gefährdet hat. Vorausgesetzt ist aber, daß die , .Reserveursache" ohne das Auftreten der Primärursache denselben Schaden herbeigeführt hätte. Da im vorliegenden Fall angenommen wurde, der zweite Uberholende habe sich, bevor der Verletzte ihn sah, bereits wieder weitgehend nach rechts „ g e d r ü c k t " , erscheint eine hypothetische (bei Fehlen der ersten Ursache wirksame) Ursächlichkeit des zweiten Uberholenden unwahrscheinlich. A m Ergebnis des Textes ändert sich also auch von meiner grundsätzlichen Auffassung aus nichts. Bloß mögliche hypothetische Ursächlichkeit reicht auch danach für eine Haftung nicht aus.
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zende Berührung des auf die Straße geschleuderten Verletzten am Körper, verwirklicht hat, ist § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B auf die zweite Ursache nach Wortlaut und Sinn anzuwenden. Der B G H sollte daher seine jüngste Annäherung an die „Subsidiarität" der Haftung, die zum Unterschied von der wirklichen Subsidiaritätsthese nicht einmal konsequent ist, wieder fallen lassen. Entscheidend sollte einfach bleiben, daß der jeweils Haftende durch schuldhaft-rechtswidriges, konkret gefährliches und (soweit er nicht ohnedies nachweislich kausal war, wenigstens) durch möglicherweise kausales Verhalten belastet ist, daß weiter der Ersatzanspruch des Verletzten an sich feststeht, so daß ihm der Gedanke der Vorteilsabwehr nicht entgegenwirkt, und daß endlich die Prüfung der besonderen Interessenlage durchaus keine Abweichung von dem dargelegten Gesetzesgrund des § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B rechtfertigt. Das ist bereits näher ausgeführt worden. 3. Fehlende Rechtswidrigkeit, fehlendes Verschulden oder Freizeichnung eines Beteiligten. Umstritten ist auch der Sachverhalt, in dem nur einer der mehreren alternativ kausalen Täter infolge eines Rechtfertigungsgrundes rechtsmäßig gehandelt hat oder ihm doch kein Verschuldensvorwurf zu machen ist oder zu seinen Gunsten die Ersatzpflicht abbedungen wurde. So gaben im „Wildererfall" 56 ein Jagdaufseher, dieser gerechtfertigt, und der Beklagte, dieser rechtswidrig, Schüsse auf einen Wilderer ab. Einer, ungewiß welcher von ihnen, traf tödlich. Der B G H verneinte die Haftung des Beklagten, da sonst allenfalls eine Haftung für ein rechtmäßiges Verhalten eines anderen eintreten würde. Diese Begründung ist allerdings nicht überzeugend, da es sich bei § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B niemals um die Haftung für fremdes Verhalten, sondern stets um die Ersatzpflicht für das eigene deliktische, möglicherweise kausale Verhalten handelt. Mit Recht wurde dem B G H eingewendet, daß der Beklagte ja, nach der zutreffenden Verhaltensunrechtslehre, jedenfalls rechtswidrig gehandelt hat, selbst wenn er den Erfolg nicht herbeigeführt haben sollte 57 . Im Steinschlachtfall58 befand sich unter den möglicherweise kausalen Tätern ein erst sechs Jahre altes und daher schuldunfähiges Kind. Da der B G H Mittäterschaft nach § 830 Abs. 1 Satz 1 B G B annahm, brauchte er das Problem im Rahmen der Haftung aus alternativer Kausalität nicht zu entscheiden. In der Literatur wird ganz überwiegend rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten aller Alternativtäter gefordert. Neuerdings wird demgegenüber eine analoge Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B auf die be-
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B G H in Lindenmaier - Möhring, Weckerle a . a . O . 133. J Z 1972, 127.
Nr. 2 zu § 830.
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schriebenen Fälle unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 254 B G B vertreten, so daß der Geschädigte den Schadensteil, der im Innenverhältnis auf den gerechtfertigten oder schuldlosen Täter fallen würde, als ihm zugeordnetes Risiko zu übernehmen hat 59 . Vermittelnde Auffassungen wollen zwischen fehlender Rechtswidrigkeit und fehlendem Verschulden 60 oder auch noch innerhalb des Verschuldens zwischen den objektiven und den subjektiven, d.h. rein personsbezogenen, Merkmalen des Verschuldens 61 differenzieren. Hält man den bereits herausgearbeiteten Gesetzesgrund fest (vgl. aber auch unten IV), so ist die Lösung des Problems einfach: Der Ersatzanspruch des Verletzten gegen die alternativ kausalen Täter besteht nur im Rahmen seines feststehenden Ersatzanspruches, d.h. soweit ihn nicht das Risiko einer der möglichen Schadensursachen trifft. Handelt einer der Täter rechtmäßig, besteht somit auch gegen die anderen keine Ersatzforderung. Denn der Verletzte müßte den Schaden selbst tragen, wenn die Handlung des gerechtfertigten Täters kausal geworden sein sollte. Dasselbe muß auch bei wirksamer Freizeichnung eines der Täter von der Haftung gelten 62 . Hier hat der Geschädigte durch die Vereinbarung des Risikos einer der möglichen Schadensquellen übernommen, was sich nach dem Konzept des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auch zugunsten der anderen möglichen Verursacher auswirkt. Bei fehlendem Verschulden kommt es darauf an, ob den schuldlosen Alternativtäter wenigstens eine Haftung nach §§ 829 BGB, 1310 ABGB trifft. Bejahendenfalls haften im selben Ausmaß die anderen Beteiligten. Denn insoweit steht der Ersatzanspruch des Verletzten fest''3. Die weitergehende Haftungsbejahung durch Analogie steht auf sehr schwachen Füßen. Weckerle bejaht sie auf Grund einer „Entscheidung rechtspolitischer Natur" 6 4 . Bei der Analogie geht es jedoch um die volle Durchführung der Zwecke und Wertungen, die dem Gesetz tatsächlich zugrunde liegen und in diesem selbst nur unvollkommen ausgedrückt sind. Es würde sich also eher um eine Rechtsfortbildung auf Grund eines angenommenen allgemeineren Rechtsprinzips handeln, das bewußt nicht
59
Weckerle a . a . O . 139 ff. Larenz a . a . O . 590. 61 Deutsch, Haftungsrecht I 351. " 2 In einer unveröffentlichten, jedoch in der Literatur referierten Entscheidung des O L G Hamburg war ein Kettenauffahruntall zu beurteilen. Einer der alternativ kausalen Täter war der Fahrer des Geschädigten, zu dessen Gunsten eine Freizeichnung bestand. Das O L G verneinte den Ersatzanspruch gegen den anderen Alternativtäter, da nicht feststehe, daß der Geschädigte jedenfalls ersatzberechtigt sei. Vgl. näher Weckerle a. a. O . 135, der freilich den Haftungsausschluß als Rechtfertigungsgrund (!) sieht. 6 3 So durchaus konsequent Bauer a . a . O . 7. 6 4 A . a . O . 141.
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nur über den Gesetzeswortlaut, sondern auch über die ratio legis hinausgeht. Dann wäre aber ganz rätselhaft, wieso für gerechtfertigte, schuldlose oder von Freizeichnung erfaßte alternativ kausale menschliche Handlungen etwas anderes gelten sollte als für alternativ kausale Zufallsereignisse. In bezug auf beide mögliche Schadensquellen trägt ja ganz gleichmäßig der Verletzte das Schadensrisiko und steht daher sein Schadenersatzanspruch an sich keineswegs fest. Gerade eine Differenzierung zwischen menschlichen Handlungen, mögen sie auch als Haftungsgrundlage ungeeignet sein, und Zufallsereignissen vertritt aber Weckerle65: Auf Grund des Wortlautes der Vorschrift und ihrer Stellung im Recht der unerlaubten Handlungen müsse jeder Beteiligte wenigstens objektiv den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt haben. Wieso das auch bei Vorliegen von Rechtfertigungsgründen zutreffen soll, bleibt eher uneinsichtig. Vor allem aber geht jede Analogie über den Wortlaut der analog angewendeten Vorschrift hinaus. Für eine Rechtsfortbildung auf Grund einer „rechtspolitischen Entscheidung", die bloß an gewisse Rechtsgedanken einer geltenden Vorschrift anknüpft, muß das um so mehr gelten. Irgendeine taugliche Begründung für die vorgeschlagene Differenzierung wird also überhaupt nicht angegeben. Es muß dabei bleiben, daß vom Grundgedanken des geltenden Gesetzes her die Haftung in den jetzt besprochenen Fällen zu verneinen ist. Eine Rechtsfortbildung aber müßte, um nicht vollkommen willkürlich zu sein und damit gerade gegen grundlegende Rechtsprinzipien zu verstoßen, wesentlich weiter gehen. Darauf ist noch zurückzukommen. 4. Potentielle Selbstverursachung des Geschädigten. Unter den alternativ kausalen Handlungen kann sich eine solche des Verletzten selbst befinden. Im bekannten „Steinschlachtfall" des OLG Celle66 war der Stein, der den Geschädigten verletzt hat, möglicherweise von ihm selbst geworfen worden und von einem Baum zurückgeprallt. Das OLG hat § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB sinngemäß angewendet und dem Geschädigten unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens in Anwendung des § 254 BGB einen Teil seines Schadens zugesprochen. Der BGH hat später die Haftung zunächst offenlassen können67, sie aber zuletzt mit Nachdruck verneint68: Der Getötete hatte zunächst als Autofahrer selbst einen Unfall verschuldet und war dabei auf die Straße geschleudert worden. Dort wurde er von einem Rad eines nachkommenden Omnibusses überrollt. Die tödlichen Verletzungen konnten bereits durch den selbstverschulde-
65 66 67 68
A . a . O . 143. N J W 1950, 951. N J W I960, 862. BGHZ 60, 177.
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ten Unfall, aber auch erst durch das Uberrollen herbeigeführt worden sein. Nach dem BGH leuchtet es nicht ein, daß der Geschädigte deshalb Beweiserleichterungen genießen sollte, weil er seinen Schaden möglicherweise selbst herbeigeführt habe. Es fehle an der Gewißheit, daß dem Geschädigten jedenfalls ein Ersatzanspruch zustehe. Wolle man anderer Meinung sein, so könnte man denjenigen mindestens nicht schlechter stellen, dessen Schaden möglicherweise durch schicksalhafte Ereignisse und deshalb nicht mit Sicherheit durch die rechtswidrige Einwirkung des in Anspruch Genommenen verursacht worden ist. Dafür beruft sich der BGH auf meine älteren Arbeiten 69 . Eine solche Ausdehnung sei aber mit den tragenden Grundsätzen unseres Haftpflichtrechts nicht vereinbar. Damit machte auch der BGH deutlich, wie völlig unhaltbar es ist, den im Selbstverschulden befindlichen Beschädigten günstiger zu behandeln als jenen, dem ein Zufallsereignis nur deshalb zuzurechnen ist, weil ihm dafür eben niemand haftet. Wenn der Verletzte einen Teil seines Schadens ersetzt bekommt, obwohl ihn möglicherweise sein eigener Stein getroffen hat, so müßte er selbstverständlich um so mehr einen Teil seines Schadens ersetzt bekommen, wenn es sich möglicherweise um einen „von selbst" herabgefallenen Stein gehandelt hat. Das gegenteilige Ergebnis bedeutet eine geradezu monströse Verfehlung selbstverständlicher rechtlicher Grundwertungen. Dennoch wird es in der Literatur vertreten70. Um so erfreulicher ist das klärende Wort des BGH. Die überwiegende Literatur hält freilich ohnedies daran fest, daß § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB bei potentieller Selbstverursachung mangels eines feststehenden Ersatzanspruches ausscheide71. Als Alternative dazu kommt selbstverständlich nicht die eben bekämpfte Position in Frage, die an Inkonsequenz ihresgleichen sucht, sondern nur eine Rechtsfortbildung auf viel breiterer Grundlage, die auch die Konkurrenz mit Zufall erfaßt (vgl. unten). 5. Gefährdungshaftung und alternative Kausalität. Als alternative Schadensursachen können, allein oder neben schuldhaften Handlungen, auch Vorgänge in Frage kommen, für die eine Gefährdungshaftung besteht. 6 9 Probleme der Schadensverursachung 86, und meine Rezension der Schrift von Buxbaum in AcP 167, 440f. 70 Buxbaum a . a . O . 23 ff.; neuerdings wieder Weckerle a. a. O. 146; Heime a. a. O. Die Kritik des letzteren am BGH ist verfehlt. Gewiß ist § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB eine materielle Anspruchsgrundlage mit einem eigenen Haftungsgrund. Das kann jedoch niemals die im Text bekämpfte Absurdität rechtfertigen. 71 Zuletzt insbesondere Klinkhammer, Die Kausalitätsvermutung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB bei potentieller Selbstverursachung, N J W 1972, 1917; Klein, Haftung nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB trotz potentieller Selbstverursachung? N J W 1971, 453.
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Das Reichsgericht72 und die ihm folgende überwiegende Literatur 73 lehnten die entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Bereich der Gefährdungshaftung ab. Nur eine solche analoge Anwendung kann ja überhaupt in Frage stehen, da die Vorschrift unmittelbar schon nach ihrem systematischen Zusammenhang nur auf die Haftung aus unerlaubten Handlungen bezogen werden kann. Der BGH hat dagegen die Ersatzpflicht des Halters eines alternativ kausal an der Verletzung beteiligten Kraftfahrzeuges bejaht 74 . Der Gedanke des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB besitze über die Verschuldenshaftung aus Delikt hinausgehende Bedeutung. Die Vorschrift habe die Überwindung einer Beweisschwierigkeit des Geschädigten zum Ziel, dessen Ersatzanspruch nicht daran scheitern solle, daß nicht festgestellt werden könne, wer der eigentliche Schädiger gewesen sei. Dieser Gesetzeszweck könne auch ohne gemeinschaftliches schuldhaftes Zusammenwirken zutreffen. Die maßgebende Sachlage sei in gleicher Weise gegeben, wenn Halter und Fahrer die Einwirkung mit den ungewissen Folgeschäden nur nach §§ 7, 18 StVG zu vertreten haben, wie wenn sie sie im Sinne des § 823 BGB verschuldet hätten. Diese Rechtsprechung wurde seither auf die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 BGB ausgedehnt: Der beklagte Reiterverein und ein weiterer Verein hatten Pferdegespanne vermietet, die von Schulkindern zum Scheuen gebracht wurden und durchgingen. Eines der Gespanne, ungewiß welches, hatte den Mercedes des Klägers beschädigt. Der BGH 7 5 führte aus: Es bestehe kein wesentlicher Unterschied, ob die Vermutung der Ursächlichkeit mit einem schuldhaften Verhalten oder mit einem Zustand besteht, der dem einzelnen sonst haftungsbegründend zugerechnet werden kann. Die Beweisnot sei davon unabhängig. Auch im Rahmen von § 833 BGB sei es gerechter, alle Haftenden zu erfassen, die sich an der gemeinsamen Gefährdung in einer ihre Haftung begründenden Weise beteiligt haben, als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen. In der Literatur wurde diesen Entscheidungen zugestimmt 76 . Der Rechtsprechung des BGH ist in der Tat zu folgen. Ein wesentlicher Teil der Problematik kommt aber in den besprochenen Entscheidungen nur andeutungsweise, in der zustimmenden Literatur zum Teil ebenso undeutlich zum Ausdruck. Richtig ist zweifellos, daß der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in gewissem Sinn für das alternative Zusam72
RGZ 102, 316. Vgl. die Angaben bei Weckerle a . a . O . 150, Anm. 394. 74 N J W 1969, 2136. 75 B G H Z 55, 96. 76 Bauer a . a . O . 9 f . ¡ K ö n d g e n , Kausalitätsvermutung und Gefährdungshaftung, N J W 1970, 2181; Weckerle a . a . O . 151 ff. 73
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mentreffen aller erdenklichen Haftungsgründe zutrifft: Auch hier steht der Ersatzanspruch an sich fest; man weiß nur nicht, gegen wen er sich eigentlich richtet, weil mehrere Haftungsgründe alternativ vorkommen. Insoweit steht der Analogie von vornherein nichts entgegen, wobei freilich die Beschränkungen der Gefährdungshaftung, insbesondere durch Höchstbeträge, zu berücksichtigen sind 77 . Die eigentliche Problematik kommt aber von der Beschaffenheit der Haftungstatbestände der Gefährdungshaftung her. § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B läßt den haften, der, von der bloßen Möglichkeit der Kausalität abgesehen, einen vollen Deliktstatbestand verwirklicht hat. Uberträgt man dies auf die Gefährdungshaftung, so scheint man sich damit begnügen zu müssen, daß der Haftungstatbestand der Gefährdungshaftungsnorm mit Ausnahme der feststehenden Kausalität verwirklicht ist. § 7 StVG stetzt aber z . B . nur voraus, daß „beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges" ein Schaden zugefügt wurde. Reduziert man dies auf die bloße Möglichkeit der Schadenszufügung, so bleibt nur übrig, daß beim Betrieb des Kraftfahrzeuges des Halters möglicherweise ein Schaden zugefügt wurde. Das würde zu exorbitanten Ergebnissen führen 7 8 : Ist ein Schaden etwa an einem parkenden Kraftfahrzeug eingetreten, ohne daß man weiß, wer ihn herbeigeführt hat, so könnte man jeden Halter in Anspruch nehmen, dessen Fahrzeug die fragliche Stelle passiert hat: Denn wenn sein Fahrzeug den Schaden herbeigeführt hat, was angesichts der Unaufklärbarkeit der Sachlage möglich ist, so wäre der Tatbestand von § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht. Die Haftung wäre aber ersichtlich ganz ungerechtfertigt, weil in Wahrheit in dem erwähnten Fall nichts verbleibt, was die Haftung zureichend begründen könnte, wenn man die Verursachung wegdenkt. Das zeigt sich besonders deutlich darin, daß die Entlastungsmöglichkeiten des § 7 Abs.2 StVG im weiteren Sinn zum Haftungstatbestand gerechnet werden müssen, für sie aber überhaupt kein Ansatzpunkt bliebe. Es gibt in dem erwähnten Beispiel kein Ereignis, in bezug auf welches der Nachweis der Beoabachtung aller erdenklichen Sorgfalt geführt werden könnte. Mit dem Beweis, daß das Fahrzeug in seiner Beschaffenheit fehlerlos war, steht es ähnlich: Abstrakt-generelle Beweise über sorgfältige Führung und fehlerlose Beschaffenheit immer und überall sind nicht möglich. Sinnvollerweise läßt sich dem Halter diese Beweislast nur auferlegen, wenn nach Lage der Dinge ein ernstlicher Zweifel in bezug auf die sorgfältige Lenkung oder die Beschaf-
7 7 Etwaige Spezialvorschriften der Gesetze, die eine Gefährdungshaftung statuieren, zur Frage der ungeklärten Verursachung gehen selbstverständlich der analogen Anwendung der allgemeinen deliktsrechtlichen Regeln vor; vgl. z . B . § 22 Abs.2 Satz 1, 2. Halbsatz W H G und dazu B G H in N J W 1 9 7 2 , 2 0 5 ; zum österreichischen Recht etwa § 11 A t o m H G und § 54 ForstG 1975. 78 Andeutungsweise erkannt beiKöndgen a . a . O .
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fenheit des Fahrzeuges zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort begründet ist. Ich war früher der Meinung, daß dies nur der Fall ist bei einem durch das Fahrzeug verursachten Unfall und wollte daher die Haftung für alternative Kausalität auf die Fälle einer „starken" Gefährdungshaftung beschränken, in denen ohne Möglichkeit des Entlastungsbeweises gehaftet wird, wie etwa im Bereich der Atomhaftpflicht 79 . Das ist jedoch nicht aufrecht zu erhalten. Bereits der B G H hat durch Abstellen auf die „Einwirkung" bzw. „Gefährdung" in den ihm vorliegenden Fällen die wesentlichen Gesichtspunkte angesprochen. Entgegen meiner früheren Meinung wird in der Tat nicht die nachgewiesene Verursachung des Unfalles durch das Fahrzeug oder das Tier nötig sein, sondern ein zureichend enger Zusammenhang zwischen der Gefahrenquelle, für die ohne Verschulden einzustehen ist, und dem eingetretenen Schaden. Die zutreffende Bestimmung dieses Zusammenhanges ist Koziol und Weckerle80 zu verdanken: Es geht darum, daß die Gefahrenquelle, deren abstrakte Gefährlichkeit die Gefährdungshaftung rechtfertigt, zu einer konkreten Gefährdung des fraglichen Rechtsgutes, an dem der Schaden entstanden ist, geführt hat. Damit wird zutreffend auf das bei der alternativen Kausalität ganz allgemein wesentliche Merkmal der konkreten Gefährdung zurückgegriffen. Die Haftenden müssen durch die Gefahrenquellen, für die sie verantwortlich sind, an der konkreten Gefährdung des tatsächlich beschädigten Rechtsgutes beteiligt gewesen sein (wobei es hier wie stets gleichgültig ist, ob und in welchem Sinn etwa deswegen ein, .einheitlicher Vorgang" vorliegt). In den vom B G H haftungsbejahend entschiedenen Fällen trifft diese Voraussetzung deutlich zu. Als Gegenstück lehrreich ist ein von Weckerle hervorgehobenes Erkenntnis des O L G Stuttgart 81 : Mehrere übende Flugzeuge verschiedener NATO-Staaten hatten das Haus des Klägers überflogen; eines von ihnen, ungewiß welches, erzeugte einen Uberschallknall, der das Haus beschädigte. Der Anspruch aus §§ 53, 33 Abs. 1 LuftVG wurde abgewiesen, da es an einer Beteiligung durch mehrere fehle. Der eigentliche Grund für die Verneinung der Haftung besteht, wie Weckerle zutreffend ausführt, darin, daß nur bei einem der Flugzeuge die Gefährlichkeit zu einer konkreten Gefährdung des beschädigten Hauses gesteigert worden war 82 . Welches Flugzeug dies war, blieb aber unbekannt. Bei den anderen Flugzeugen fehlte es an der konkreten Gefährlichkeit und damit am zureichenden Haftungsgrund. Das bloße Uberfliegen 79 80 81 82
Probleme der Schadensverursachung 90 ff. Haftpflichtrecht I (1973)52; bzw. a.a.O. 153. VersR 1969, 430 A . a . O . 154
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stellt keinen solchen dar. Der Geschädigte vermochte also gegenüber keinem der Flugzeuge einen auch nur nach den Maßstäben des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zureichenden Haftungsgrund darzutun. 6. Die Verursachung unbestimmter Schadensanteile. Einleitend wurde schon bemerkt, daß die Beurteilung der Verursachung unbestimmter Schadensanteile im deutschen Rechtsbereich umstritten ist, obwohl die Absicht des Gesetzgebers sehr wohl auf Gleichbehandlung mit der alternativen Kausalität ging. Während es sich bei dieser um die mögliche Verursachung des ganzen Schadens durch jeden der Beteiligten handelt, wurden hier von den mehreren Beteiligten je unterschiedliche, aber nicht abgrenzbare Anteile des Schadens verursacht. Dazwischen steht der Fall, in dem es neben der Möglichkeit, jeder der alternativen Täter habe den ganzen Schaden verursacht, auch noch die weitere Möglichkeit gibt, jeder habe nur einen Teil des Schadens herbeigeführt. So war bei einem Kettenauffahrunfall möglich, daß der Schaden am Wagen des Klägers durch den Beklagten allein, durch einen Zeugen oder durch beide je zum Teil verursacht wurde83. Mit Recht wurde hier die Anwendung des § 830 Abs.l Satz 2 BGB bejaht. Da jeder der Täter möglicherweise den ganzen Schaden verursacht hat und sein schuldhaftes Verhalten in dieser Richtung konkret gefährlich war, treffen ihn hinsichtlich des ganzen Schadens zureichende Haftungsgründe. Auch steht der Ersatzanspruch des Verletzten an sich fest. Die zusätzliche Möglichkeit, daß jeder nur einen Teil des Schadens herbeigeführt haben könnte, ändert an den entscheidenden Gesichtspunkten somit nichts. Wer haftet, obwohl er vielleicht gar keinen Schaden verursacht hat, muß ceteris paribus um so mehr haften, wenn er vielleicht immerhin einen Schadensanteil verursacht hat. Im Ergebnis ähnlich unproblematisch ist auch der Fall, in dem nicht aufzuklären ist, ob der Schaden nur durch das Zusammenwirken der Handlungen der mehreren Täter entstanden ist, so daß jeder von ihnen für den ganzen Schaden wirklich kausal war, oder ob jeder von ihnen nur einen Teil des Schadens verursacht hat. Auf diesen Fall will Bauer die den Gesetzesverfassern vorschwebende Gesamthaftung bei ungeklärten Schadensanteilen beschränken84. Hier wird jedenfalls die analoge Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu bejahen sein: Jeder der Beteiligten hat, vom Zutreffen der übrigen Haftungsvoraussetzungen abgesehen, möglicherweise den ganzen Schaden verursacht; allerdings nicht alternativ, sondern additiv, was aber als Haftungsgrund selbstverständlich ausreichen würde. Der volle Schadenersatzanspruch des Verletzten an sich steht fest. Die maßgebenden Gründe der Haftung für alternative Kausalität
83 84
Vgl. LG Essen, VersR 1963, 100 und LG Köln, VersR 1966, 347. A.a.O. 8
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treffen also auch hier zu. Man wird generell sagen können, daß überall dort Solidarhaftung besteht, wo, von den sonstigen Haftungsvoraussetzungen abgesehen, jeder Beteiligte möglicherweise für den ganzen Schaden kausal war und die volle Ersatzberechtigung des Verletzten an sich unzweifelhaft ist 85 . Kritisch ist daher allein der echte Fall unbestimmbarer Anteile, in dem feststeht, daß nicht jeder Beteiligte für den ganzen Schaden verantwortlich ist, die tatsächlich vom einzelnen verursachten Schadensanteile aber ungeklärt bleiben. Vor allem in den „Plünderungsfällen", in denen ein Warenlager von mehreren, voneinander unabhängig handelnden Tätern ausgeräumt wurde, haben die Gerichte die Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 B GB abgelehnt86. Die Literatur ist dem überwiegend beigetreten87. Als Ausweg empfohlen wird die ausgiebige Anwendung von § 287 ZPO. Andererseits hat der BGH ohne weiteres § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auch auf den Fall unbestimmbarer Schadensanteile bezogen 88 . Auch diese Auffassung hat in der Literatur Anhänger gefunden 89 . Man möchte hier auf hilfreiche österreichische Erfahrung hoffen. Denn § 1302 ABGB regelt ja gerade, wie gezeigt, die Verursachung unbestimmter Schadensanteile ausdrücklich. Die Hoffnung trügt jedoch. Die Vorschrift wird in der österreichischen Rechtsprechung ziemlich unreflektiert dort angewendet, wo es bequem erscheint; häufig auf Fälle, in denen einfach deshalb keine vom einzelnen verursachten Anteile feststellbar sind, weil unzweifelhaft jeder einzelne (neben den anderen) den ganzen Schaden verursacht hat 90 . Auch aus der Literatur kann ich hinsichtlich des Verhältnisses zur alternativen Kausalität eigentlich nur meine eigene frühere Analyse91 anbieten. Ich gehe von der Frage aus, wann man eigentlich sagen kann, daß jeder der mehreren einen, jedoch unbestimmten, Anteil verursacht hat. Das setzt logisch voraus, daß man einen bestimmten Mindestanteil für jeden einzelnen feststellen kann: Sonst wüßte man nicht, daß der Betreffende einen Anteil verursacht hat. Was der eine sicher (al85
Genauer zu den zahlreichen möglichen Konstellationen Weckerle a. a. 0 . 9 9 . OLG Bamberg, NJW 1949, 225; OLG Braunschweig, JR 1951, 658; vgl. auch den „Imker-Fall" OLG Neustadt, VersR 1958, 251. 87 Z.B.Deubner a.a.O. 383 ff.; Gemhuber a.a.O. 148 i.;Köndgen a.a.O. 871. 88 So schon im „Anhalter-Fall" BGHZ 33, 286 (am Ende) und nachdrücklich in NJW 1971, 506. 89 Z.B. Weckerle a.a.O. 159 ff. Entgegen seiner Meinung kommt allerdings nur eine analoge Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in Frage; vgl. oben bei und in Anm. 17. Die Analogie empfohlen hat bereits Knuth in der Anmerkung zur Entscheidung des OLG Bamberg NJW 1949, 225. 90 Vgl. die Nachweisungen in JB1. 1959, 9, Anm. 59. Zur Haftung nach § 1302 ABGB bei Unstimmbarkeit der Anteile Koziol, Haftpflichtrecht 1238, der zum eigentlich vom Gesetz erfaßten Fall keine Entscheidungen verzeichnet. 91 JB1.1959, 8f.; vgl. dazu auch Welser a.a. 0 . 4 8 . 86
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lein) verursacht hat, kann aber nicht zum von anderen (allein) verursachten Anteil gehören. So bleibt als Bereich ungeklärter Verursachung nur das übrig, was die Mindestanteile übersteigt, die jedem einzelnen zugerechnet werden können. Bei einem Verkehrsunfall ist z.B. sicher, daß mindestens eine kleine Körperverletzung oder eine geringfügige Beschädigung am PKW allein auf den ersten Teilunfall zurückzuführen ist; daß dies bei einer anderen kleinen Verletzung oder Beschädigung für den zweiten Teilunfall zutrifft, während die eigentlich schweren Verletzungen oder Beschädigungen nicht zugerechnet werden können 92 . Mir scheint nun ganz selbstverständlich, daß die Sonderregeln über die Behandlung der unbestimmten Schadensanteile, im deutschen Recht also die Analogie des § 830 Abs.l Satz 2 BGB, grundsätzlich nur in Frage kommen, soweit die Unbestimmbarkeit der Anteile reicht. Weiter müssen die für § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB allgemein geforderten Voraussetzungen bestehen. Das bedeutet, daß jeder Beteiligte allein für den Schaden haftet, den er sicher allein herbeigeführt hat, während die Gesamthaftung für den Schaden besteht, den die mehreren je möglicherweise durch ihre schuldhaft und konkret gefährlichen Handlungen verursacht haben. Für den Schaden, den sicher (allein) ein anderer verursacht hat, besteht prinzipiell keine Ersatzpflicht. Alle Gesichtspunkte, die § 830 Abs.l Satz 2 BGB tragen, treffen ja insoweit nicht zu. Es ist verfehlt, demgegenüber das durch das Zusammentreffen der mehreren Ursachen entstandene Unaufklärbarkeitsrisiko als den angeblich allein maßgebenden Gesichtspunkt gegen die Tatsache auszuspielen, daß jeder nur einen Teil verursacht (bzw. genauer einen Teil nicht verursacht) hat 93 . Soweit nämlich feststeht, daß mindestens ein bestimmter Schadensteil von einem anderen verursacht wurde - und andernfalls kann man gar nicht wissen, daß dieser überhaupt irgendeinen Anteil verursacht hat - , kann auch von Unaufklärbarkeit keine Rede sein. Auch bei der analogen Anwendung unserer Vorschrift kann es nicht anders sein als bei der unmittelbaren: Die Bestimmung rechtfertigt nur die Haftung für vom Haftenden durch eine schuldhafte und konkret gefährliche Handlung möglicherweise verursachten Schaden. Die Gesamthaftung kann daher, jedenfalls prinzipiell, nur den Schadensteil erfassen, bezüglich dessen alle Beteiligten mit dem Kausalitätsverdacht belastet sind. Dieser Kausalitätsverdacht muß selbstverständlich an die festgestellte (nicht bloß mögliche!) deliktische Handlung des jeweiligen Täters anknüpfen. Aus diesen Gründen ist es vollkommen richtig, daß in den „Plünde92 Gegen die listige Lösung Bauers a. a. O . 9, jeden einzelnen Teilschaden getrennt unter dem Gesichtspunkt alternativer Kausalität zu beurteilen, zutreffend Weckerle a. a. O . 163. Wenn man mit der Aufspaltung in Teilschäden nur weit genug geht, läßt sich auf diese Wiese ja das Problem der unbestimmbaren Schadensanteile gänzlich wegeskamotieren. 93 So Weckerle a.a.O. 161.
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rungsfällen" und in ähnlichen Sachverhalten von einer Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B keine Rede sein kann. Die den einzelnen gefaßten Plünderern nachgewiesenen Entziehungshandlungen haben ganz sicher nicht den Gesamtschaden verursacht. In Frage kommt hier also tatsächlich nur, den vom einzelnen mutmaßlich angerichteten Schaden in großzügiger Anwendung von § 287 dZPO bzw. § 273 öZPO zu bestimmen. Sind alle Täter gefaßt oder wenigstens ihre Zahl schätzbar, so wären dabei im Notfall mangels anderer Anhaltspunkte gleiche, also Kopfteilquoten anzunehmen. Eine volle Verneinung jeder Haftung kommt selbstverständlich nie in Frage, weil doch feststeht, daß der einzelne gefaßte Plünderer sehr wohl geschädigt hat. Dann kann es nur darum gehen, zu schätzen, welche Schäden ihm nach Lage der Dinge am ehesten anzulasten sind. Aus der Verneinung der Gesamthaftung in den beschriebenen Fällen folgt aber gar nichts gegen die Haftung für den nicht zuzuordnenden Schaden, soweit jeder Beteiligte durch den Verdacht belastet ist, seine festgestellte schuldhafte und (hinsichtlich gerade dieses Schadens) konkret gefährliche Handlung sei für diesen Schaden ursächlich gewesen. Der dargestellte Meinungsstreit beruht also auf unzureichend differenzierter Sicht des Problems. In den Straßenverkehrsentscheidungen des B G H war also die Haftung für unbestimmte Schadensanteile sehr wohl zu bejahen. Allerdings stand dabei 94 fest, daß der Geschädigte bei beiden Unfällen verletzt worden war. Jeder für die Teilunfälle Verantwortliche hat also immerhin einen Teil der Verletzungen und damit den daran anknüpfenden Vermögensschaden für sich allein verursacht, so daß insoweit keine mögliche Verursachung des jeweils anderen bestand 95 . Streng genommen hätten sich die Gerichte daher bemühen müssen, ein „Verletzungsminimum" festzustellen, das jedem Schädiger für sich allein zuzurechnen war. Sie hätten daher z . B . das dementsprechende Schmerzensgeld aus der Gesamthaftung herauszunehmen gehabt. Wie unpraktikabel das wäre, liegt auf der Hand. Angesichts eines größeren Gesamtschadens solche Bemühungen zwecks genauer Verteilung von minimalen Schadensanteilen zu investieren, wäre gänzlich unzweckmäßig. Man wird daher insoweit die Praktikabilitätsregel „minima non curat praetor" heranziehen müssen und relativ geringe und zugleich schwer feststellbare Schadensbeträge in der Gesamthaftung belassen. So verfahren einleuchtenderweise auch die Gerichte. Daß es aber verfehlt wäre, aus dieser praktischen Vereinfachung das Prinzip zu machen, die Haftung erstrecke sich grundsätzlich auf mehr, als der Haftende auch nur möglicherweise verursacht hat, zeigen im Jedenfalls in N J W 1971, 506. Im zitierten Fall wird allerdings hinsichtlich des Ersttäters natürliche Verursachung zu bejahen sein. Zumindest sehr zweifelhaft ist aber, ob er den beim Krankentransport geschehenen zweiten Unfall auch adäquat herbeigeführt hat. 94
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Kontrast etwa die „Plünderungsfälle". Wo es um mehr als bloß um eine praktische Randberichtigung geht, muß es dabei bleiben, daß die Ersatzpflicht mindestens mögliche Kausalität der festgestellten deliktischen Handlung (nicht bloß möglicher anderer Handlungen!) voraussetzt. IV. Alternative Konkurrenz von Haftungsgrund und Zufallsereignis Die weitaus heikelste Frage im Zusammenhang unseres Themas betrifft das alternative Zusammentreffen eines Haftungsgrundes und eines Zufallsereignisses als mögliche Schadensursache. An eine unmittelbare Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB oder von § 1302 ABGB auf diesen Fall ist nicht zu denken, da das Gesetz jedenfalls auf der Schädigerseite mehrere Beteiligte voraussetzt. Auch eine normale analoge Anwendung des Gesetzes über seinen Wortlaut hinaus, aber entsprechend seinem eigenen Grundgedanken, scheidet aus, da ja bei der jetzt erörterten Konstellation die Ersatzberechtigung des Verletzten an sich, d.h. nach den gewöhnlichen Haftungsgrundsätzen, durchaus nicht feststeht. Kritik an der engen Fassung des Rechtsgedankens der Haftung für alternative Kausalität im geltenden Gesetz glaubte ich daher zunächst nur de lege ferenda anstellen zu können; später habe ich jedoch eine Erstreckung des Rechtsgedankens auf das alternative Zusammentreffen von Haftungsgrund und Zufallsereignis im Rahmen legitimer Rechtsfortbildung empfohlen 96 . Zu einem so neuartig und ungewöhnlich anmutenden Gedanken hat sich, begreiflicherweise, nahezu ausschließlich Widerspruch erhoben 97 . Es scheint mir nun vor allem geboten, die unterschiedliche Fragestellung einmal nach der Erfassung der Grundgedanken des geltenden Gesetzes und seiner ihnen entsprechenden Anwendung und zum anderen nach seiner Fortbildung im Rahmen der gesamten Rechtsentwicklung klar zu unterscheiden. Zugleich sind die Grenzen der empfohlenen Rechtsfortbildung deutlicher zu machen, als dies wohl in meinen früheren Äußerungen gelungen ist. Das ist schon deshalb zweckmäßig, um anderen Bearbeitern des Problems die Möglichkeit zu erschweren, meine dogmatische Analyse voll oder umformuliert zu übernehmen, dies aber durch Polemik gegen meine Fortbildungsempfehlung eher zu verdecken. Methodisch liegt meiner Position, wie wenigstens angedeutet sei, die Meinung zugrunde, daß es zwischen der exakten dogmatischen Anwen9 6 JB1. 1959,13; Probleme der Schadensverursachung 89. Die Einsicht, daß der Gedanke der Haftung für möglicherweise Verursachtes über das Zusammentreffen mehrerer schuldhafter menschlicher Handlungen hinausgeht, hat Wilburg entwickelt; vgl. Elemente des Schadensrechts (1941) 74; Referat für den 43. Deutschen Juristentag II/C, 16. 9 7 Anders aber Koziol a . a . O . 50 ff. Als „rechtspolitisch richtig" nähert sich meiner Schadensteilungstendenz unter dem Gesichtspunkt der Risikoerhöhung stark Deutsch, Haftungsrecht I 355.
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dung des Gesetzes entsprechend den ihm zugrunde liegenden Wertungen und Zweckvorstellungen einerseits und bloß an den Gesetzgeber zu richtenden rechtspolitischen Postulaten anderseits einen Bereich judizieller Rechtsfortbildung gibt: Veränderungen in den Rechtsprinzipien und Tendenzen in anderen Bereichen der Rechtsordnung können Rückwirkungen auf die gerade in Frage stehenden gesetzlichen Normen haben und zu einem neuen Verständnis ihrer Funktion führen. Dabei handelt es sich häufig nicht um methodisch mit voller Schlüssigkeit ableitbare, sondern um als vertretbar aufzuweisende Ergebnisse. Das scheint mir im vorliegenden Zusammenhang zuzutreffen. Ich habe daher volles Verständnis für die Opposition gegen die empfohlene Rechtsfortbildung, wenn sie nur konsequent ist und nicht unsinnigerweise den durch mögliche schuldhafte Selbstverursachung belasteten Geschädigten besser stellt als den nur durch ein Zufalls er eignis als mögliche Ursache Betroffenen (oben III. 4.). Zur Kritik an der ratio legis, wie sie oben herausgearbeitet wurde, läßt sich sagen: Der die gesetzliche Regelung tragende Gesichtspunkt des an sich feststehenden Ersatzanspruches des Verletzten bzw. der Vorteilsabwehr ist gewiß nicht ohne sachliche Bedeutung. Er ist es erst, der die volle Schadenersatzpflicht der Beteiligten rechtfertigt, und er bringt einen spezifischen Schutzwürdigkeitsgrund auf Seiten des Verletzten zum Ausdruck. Eine schlechthin entgegengesetzte Grundentscheidung der Art, daß mehrere nebeneinanderstehende Alternativtäter für den ganzen Schaden voll haften, während ein neben einem Zufallsereignis stehender Alternativtäter voll haftungsfrei bleibt, kann jedoch nicht überzeugen. Es ist nicht einzusehen, warum man, um den möglichen Vorteil des schuldlos Beschädigten, nämlich seinen vom Verursachungsprinzip her allenfalls unbegründeten Ersatzanspruch, zu vermeiden, ganz generell den möglichen Vorteil des schuldigen Täters, nämlich seine, vom Verursachungsprinzip aus allenfalls unbegründete, volle Entlastung in Kauf nehmen sollte. Diese Überlegungen ließen sich nur als gesetzespolitisches Postulat vertreten, wenn nicht im Rahmen des geltenden Rechts die Entwicklung längst und, wie es scheint, im Einklang mit dem Rechtsbewußtsein zu verschiedenen Hilfserwägungen und Hilfslösungen geführt hätte, um die Beweisnot des Geschädigten hinsichtlich des Kausalzusammenhanges zu überwinden, auch wo es sich nicht um das Zusammentreffen mehrerer alternativ kausaler Schädiger handelt. Das Ergebnis, daß der Geschädigte schlicht die Beweislast hinsichtlich der Verursachung zu tragen hat, wird gar nicht mehr akzeptiert, sondern auf breiter Front mit verschiedenen, im Rahmen des geltenden Rechts durchaus anerkannten Instrumenten, nämlich der Beweislastumkehr und dem prima-facie-Beweis, ins Gegenteil verkehrt. Die damit angedeutete Problematik kann hier nicht näher aus-
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gebreitet werden 98 . In Erinnerung zurückgerufen sei nur, daß für viele typische Sachverhalte solche Hilfsmittel auf Grund einer Beweislastverteilung nach „Gefahrenbereichen", wegen der völligen Undurchschaubarkeit des Sachverhaltes für den Geschädigten oder wegen seines besonderen Angewiesenseins auf sachverständige Hilfe eingesetzt werden. Nur als Beispiel diene die Problematik ärztlicher Kunstfehler, von denen in den meisten Fällen nicht feststeht, ob sie den eingetretenen Gesundheitsschaden herbeigeführt haben, da regelmäßig eine gewisse Möglichkeit verbleibt, dieselbe Gesundheitsstörung wäre auch ohne den ärztlichen Kunstfehler eingetreten. Damit droht praktisch die schadensrechtliche Immunisierung ärztlicher Kunstfehler und die Schutzlosigkeit der Patienten. Die Rechtsprechung wirkt dem mit den beschriebenen Hilfsmitteln entgegen. Auch in der Literatur wird bei grobem Verschulden eine förmliche Umkehr der Beweislast vertreten". Ähnlich steht es mit Gesundheitsschäden als Folge der Einnahme schädlicher Medikamente, da sehr häufig nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, der Gesundheitsschaden wäre im Einzelfall auch ohne das Medikament eingetreten. Zumindest verwandt mit unserer Problematik ist die feste Rechtsprechung, den, der eine Schutznorm oder eine Verkehrspflicht etc. übertreten hat, für einen der Art nach einschlägigen eingetretenen Schaden einstehen zu lassen, wenn er nicht beweisen kann, daß der Schade auch ohne die Übertretung eingetreten wäre 1 0 0 . Deutsch erklärt das aus dem Gesichtspunkt der Risikoerhöhung 101 . Solche Beobachtungen sind es, die für eine Rechtsfortbildung in dem angedeuteten Sinn sprechen. Es ist im Rahmen des geltenden Rechts eben gar nicht mehr so, daß der Geschädigte außerhalb von § 830 A b s . l Satz2 BGB wirklich ganz generell die Beweislast für die Kausalität «ines nachgewiesenen schuldhaften Verhaltens des potentiellen Beschädigers trägt. Es wäre m. E. an der Zeit, diese auf beweisrechtliche Krücken gestützte Entwicklung mit dem materiellen Haftungsrecht wieder in zureichende Verbindung zu bringen, das in § 830 Abs. 1 Satz2 BGB ganz deutlich, wenn auch nur für einen bestimmten Bereich, die Haftung für bloß mögliche Kausalität anerkennt. Die Verallgemeinerung dieses Rechtsgedankens 9 8 Vgl. dazu etwa Hans Stoll, Haftungsverlagerung durch beweisrechtliche Mittel, AcP 176 (1976) 145 ff. mit reichen Nachweisen aus der nahezu unübersehbaren Literatur. 9 9 Vgl. etwa BGH N J W 1968, 2291; VersR 1970, 544 und dazu Deutsch, Medizin und Forschung vor Gericht (1978), 9 f., sowie bereits A .Blomeyer, Die Umkehr der Beweislast, AcP 158 (1959), 97 ff. Aus der österreichischen Rechtsprechung ganz übereinstimmend O G H JB1. i960, 188. 1 0 0 Die reiche österreichische Rechtsprechung zu § 1311 ABGB in diesem Sinne ist ausführlich analysiert und nachgewiesen bei Welser, Schutzgesetzverletzung, Verschulden und Beweislast, ZVR 1976, 1 ff. 1 0 1 Haftungsrecht I 247 ff.
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eröffnet vor allem auch einen Weg, das hier besonders unangemessene Alles-oder nichts-Prinzip in Richtung auf eine sachgerechte Haftungsdifferenzierung aufzulockern 102 . Die Frage, ob im Einzelfall die Beweislast umgekehrt oder ein Anscheinsbeweis als geführt anzusehen ist, bereitet in zahlreichen Grenzfällen größte Schwierigkeiten und muß praktisch in diesen Bereichen kriterienlos nach Ermessen beantwortet werden. Von ihr hängt aber in den einschlägigen Fällen nicht mehr und nicht weniger als die volle Haftung oder die volle Verneinung der Haftung ab. Dagegen eröffnet der Rechtsgedanke des § 830 Abs. 1 Satz 2 B G B in Verbindung mit jenem des § 254 BGB die Möglichkeit der Schadensteilung: Das alternativ kausale Zufallsereignis fällt in den Risikobereich des Verletzten. Die Schadensabwägung hat daher, wie sonst im Innenverhältnis zwischen den Alternativtätern, hier zwischen dem Verletzten und dem möglicherweise kausalen Täter zu erfolgen. Der Gerechtigkeitsgehalt dieses Lösungsweges scheint mir evident zu sein. Es geht dabei gar nicht, wie mißverständlich behauptet wurde, einfach um eine neuerliche Verschärfung der Schadenersatzpflicht. In nicht wenigen Fällen würde der hier vertretene Vorschlag auch eine Einschränkung der Ersatzpflicht auf einen Teil des Schadens zur sachgerechten Folge haben; dort nämlich, wo etwa heute eine Umkehr der Beweislast nur als das kleinere Übel bejaht wird, um den Geschädigten nicht ganz ersatzlos zu lassen. Worauf es mir ankam und ankommt, ist zunächst nur, die grundsätzliche Vertretbarkeit dieser Sicht im Hinblick auf die heutige Rechtsentwicklung im Bereich der Beweislast und des Anscheinsbeweises deutlich zu machen. Die genauere Grenzziehung ist gesondert zu überlegen. Es ist nicht so, daß mein Vorschlag immer dann zu einer Teilhaftung führen würde, wenn als mögliche Schadensursache einerseits ein zufälliges Ereignis, zum anderen eine schuldhafte Handlung in Frage käme. Das hat allerdings Welser103 eingewendet. KozioP 04 hat dem aber zu Recht entgegnet, daß zu den Voraussetzungen der Haftung für alternative Kausalität jedenfalls eine nachgewiesene konkrete Gefährdung des geschädigten Rechtsgutes durch die schuldhafte Handlung (oder den sonstigen Haftungsgrund) gehört. Zu dieser Begrenzung, die sich aus den Haftungsvoraussetzungen bei alternativer Kausalität im allgemeinen ergibt, könnte man zusätzlich eine Beschränkung der Haftung auf den Fall befürworten, in dem der neben dem Zufall alternativ kausale mögliche Schädiger durch erheblichen Kausalitätsverdacht und grobes Verschulden belastet ist, so daß 1 0 2 Dieses Anliegen teilte Hans Stoll in seinem Diskussionsbeitrag auf dem „Karlsruher Forum 1978" von einem rechtsvergleichenden Ansatz aus. 1 0 3 A . a . O . 41 f. 1 0 4 A . a . O . 51 f.
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sich zusammengenommen ein gewichtiger Haftungsgrund ergibt. Durchaus möglich wäre es auch, die Entwicklung zunächst fallgruppenweise gerade für jene Bereiche voranzutreiben, in denen sich das Haftungsbedürfnis bereits mit Hilfe der angedeuteten beweisrechtlichen Mittel, teilweise im Ubermaß, durchgesetzt hat. Man könnte etwa prüfen, wo bereits Gesichtspunkte der Haftungsverschärfung hinsichtlich des Kausalzusammenhanges anerkanntermaßen eine besondere Schutzwürdigkeit des Verletzten begründen. Diese Gesichtspunkte ließen sich als Surrogat für den in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB vorausgesetzten besondern Gerechtigkeitsgrund (Feststehen der Ersatzpflicht an sich) verstehen. Für die Diskussion über die genaueren Grenzen der vorgeschlagenen Rechtsfortbildung wäre im einzelnen also gewiß weiter Raum. Entscheidend ist zunächst einmal, dem Verschwinden wichtiger Teile des materiellen Schadenersatzrechts unter die Tarnkappe beweisrechtlicher Hilfserwägungen entgegenzuwirken, zum zweiten und vor allem aber, einer sachgerechten Einschränkung des gerade in unserem Zusammenhang besonders unbefriedigenden Alles-oder-nichts-Prinzips eine Bresche zu schlagen. Vielleicht läßt sich für diese Anliegen doch ein gewisses Verständnis bei den Bearbeitern der alternativen Kausalität wecken, die sich, wenn man aus den erstaunlich zahlreichen literarischen Äußerungen der letzten Zeit schließen darf, wohl auch in Zukunft finden werden. Vermutlich wären Bemühungen in der angedeuteten Richtung letztlich fruchtbarer als immer neue Formulierungsversuche zu sachlich grundsätzlich geklärten Fragen.
Vertragspflichten und Vertragsgültigkeit im international Einheitlichen Kaufrecht E R N S T VON C A E M M E R E R
I. Das Haager Einheitliche Kaufrecht von 1964, das durch Gesetze vom 17. Juli 1973 in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurde, besteht aus zwei Gesetzen, dem Einheitlichen Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen (EKG) und dem Einheitlichen Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG) 1 . Diese Trennung beruht auf technischen Gründen der Entstehungsgeschichte. Bei allen Staaten, die beide Gesetze eingeführt haben, können dieselben, da Anwendungsbereich und Gesetzestechnik gleich sind, als Einheit behandelt werden. Der im Jahre 1935 im „Internationalen Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts" (UNIDROIT) in Rom im Auftrage des Völkerbundes erarbeitete erste Entwurf eines Einheitlichen Kaufgesetzes hatte auch Vorschriften über den Abschluß von Kaufverträgen enthalten sollen 2 . Diese Bestimmungen wurden jedoch bei der Vorlegung des Entwurfs in letzter Minute ausgeklammert. Man wollte sich damit die Hand dafür freihalten, ein einheitliches Vertragsabschlußgesetz auszuarbeiten, das alle grenzüberschreitenden privatrechtlichen Verträge erfassen sollte. Ein diesbezüglicher Entwurf von 1936 hatte aber nach dem eigenen Urteil von U N I D R O I T kaum Chancen der Verwirklichung. Die Haager Kaufrechtskonferenz von 1951 empfahl jedoch, die Probleme des Vertragsschlusses weiter zu verfolgen. So wurde beim Römischen Institut eine besondere Kommission gebildet, die die Probleme des Zustandekommens des Vertrages erneut in Angriff nehmen sollte. Diese Kommission entschied sich dafür, die von ihr erarbeiteten in einem Entwurf von 1958 niedergelegten Regeln über den Vertragsabschluß wieder auf internationale Kaufverträge im Sinne des Kaufgesetzentwurfs zu beschränken. Nun hätte einer Einarbeitung der Vertragsschlußregehi in den inzwischen vom Kaufrechtsausschuß vorgelegten neuen Kaufgesetzentwurf von 1956 von der Sache her nichts im Wege gestanden. Das unterblieb jedoch vor allem wohl deshalb, weil die für die Vorbereitung der für 1964 geplanten diplo1 Wegen des Schrifttums, der Gesetzesmaterialien und der verwendeten Abkürzungen wird auf die Angaben in dem von Dölle herausgegebenen Kommentar zum Einheitlichen Kaufrecht, 1976, verwiesen. Vgl. ferner die Kommentare von Mertens/Rehbinder, 1975, und Stötter, 1975. 2 Diese sind abgedruckt bei Rabel, Warenkauf I S. 116.
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matischen Konferenz zur Verfügung stehende Zeit, in der die Stellungnahmen der Regierungen zu den Entwürfen eingeholt und verarbeitet werden mußten, zur Durchführung einer solchen Verschmelzung der Entwürfe nicht mehr ausgereicht hätte. Auf der Haager Konferenz selbst konnte sie dann schon aus rein technischen Gründen nicht mehr in Angriff genommen werden. Die Rechtslage ist daher nun die, daß die Bestimmung von Art. 8 E K G , die den Regelungsbereich des Einheitlichen Kaufgesetzes abgrenzt, der Sache nach durch die Regeln des E A G modifiziert und ergänzt wird.
II.
Das Haager Einheitliche Kaufrecht regelt demnach einmal im E A G den Abschluß von internationalen Kaufverträgen, d.h. die Probleme des äußeren Konsenses, das Wirksamwerden der einzelnen Vertragserklärungen und das Zustandekommen des Vertrags. Das Einheitliche Kaufrecht regelt weiter im E K G die Vertragspflichten der Parteien, also Inhalt und Tragweite der aus dem Kaufvertrag entstehenden Verpflichtungen des Verkäufers und des Käufers einschließlich der Rechtsbehelfe des Vertragspartners im Falle der Nichterfüllung. Hierauf aber beschränkt das E K G nach Art. 8 S. 1 seinen Regelungsbereich. Ausgeklammert sind die Fragen des Eigentumsübergangs. Der Verkäufer ist verpflichtet, dem Käufer das Eigentum an der Ware zu verschaffen. Was der Verkäufer hierzu tun muß, ergibt sich aus dem internationalprivatrechtlich maßgeblichen Landesrecht. Insbesondere befaßt sich das Einheitliche Kaufrecht nicht mit der Frage, welche Wirkungen der Abschluß des Kaufvertrages auf das Eigentum an der verkauften Sache hat. Zum Regelungsbereich des Einheitlichen Kaufrechts gehören also die Vertragspflichten der Parteien in Inhalt und Wirkungen. Dagegen konnten die Fragen der Gültigkeit des Vertrages oder der Gültigkeit einzelner Vertragsabreden nicht in die Vereinheitlichung einbezogen werden. Das Einheitsrecht befaßt sich daher nicht mit der Frage, welche Bedeutung fehlende Geschäftsfähigkeit, Handeln „ultra vires", Mängel der Vertretungsmacht, Willensmängel und Gesetz- oder Sittenverstoß haben. Insbesondere die durch wirtschaftsrechtliche Normen, durch Ein- und Ausfuhrverbote oder durch sonstige wirtschaftslenkende Vorschriften oder durch Devisenvorschriften angeordnete Unwirksamkeit oder Genehmigungsbedürftigkeit entzieht sich der Möglichkeit internationaler Vereinheitlichung. Entsprechendes gilt von warenpolizeilichen Vorschriften und Vorschriften mit kartellrechtlichem Einschlag über Vertriebsbindungen und dergleichen. Auch diese Fragen können nicht in einem Einheitsgesetz geregelt werden. Sie müssen außerhalb seines Regelungsbereichs bleiben und nach den Normen des internationalen Wirtschaftsrechts angeknüpft werden. Ebenso müssen Abnehmer- und Konsumentenschutzvorschriften jedes Staates vorbehalten bleiben.
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Eine Ausnahme von dieser Nichtbefassung mit Fragen der Vertragsgültigkeit war nach dem Vorgang von Art. 317 A D H G B schon in den frühesten Entwürfen zum Einheitlichen Kaufgesetz vorgesehen, nämlich die Gewährleistung des Prinzips der Formfreiheit für internationale Warenkäufe. Das ist im Haag Gesetz geworden. Nach Art. 15 E K G ist für den Kaufvertrag keine besondere Form vorgeschrieben. Er kann insbesondere auch durch Zeugen bewiesen werden. Entsprechendes bestimmt Art. 3 E A G für Angebot und Annahme. Insoweit enthält also das Einheitliche Kaufrecht eine sehr wichtige Gültigkeitsvorschrift. Aber noch andere Vorschriften des E K G befassen sich der Sache nach mit Gültigkeitsfragen und modifizieren damit das in der allgemeinen Abgrenzung des Regelungsbereichs einleitend aufgestellte Prinzip. Das gilt einmal für gewisse Regeln über die zu fordernde Bestimmtheit der vertraglichen Einigung. Haben sich Käufer und Verkäufer über die Lieferung von Ware verbindlich geeinigt, ohne den Kaufpreis festzulegen oder für seine Bestimmung Vorsorge zu treffen, so gilt Art. 57 E K G . Die Regeln mancher älterer Kodifikationen, die für die Gültigkeit des Kaufvertrages die Einigung über ein „pretium certum" verlangen, sollten im internationalen Geschäftsverkehr, wegen der Unsicherheiten, zu denen sie führen, ausgeschaltet sein. Das war noch in den Entwürfen von 1956 und 1963 deutlich gesagt 3 . Führt freilich das in Art. 57 E K G vorgesehene Abstellen auf den vom Verkäufer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewöhnlich geforderten Preis nicht zum Ergebnis, weil es hieran fehlt, dann ist der Vertrag nichtig. Weder kann der Preis einseitig vom Verkäufer bei seiner Rechnungsstellung bestimmt werden, wie es im deutschen Recht §316 B G B vorsieht, noch kann das befaßte Gericht oder Schiedsgericht auf den angemessenen Preis (reasonable price) abstellen, wie das nach englischem Recht möglich wäre (SGA sec. 8 (2)). Beide Lösungen waren nach Meinung der Mehrheit der Haager Konferenz für den Käufer im internationalen Warenhandelsverkehr nicht zumutbar. Hier enthält das E K G eine - freilich wenig glückliche - Regelung des Problèmes der Vertragsgültigkeit oder -Ungültigkeit bei mangelnder Bestimmbarkeit des Kaufprei4
ses . Auch die Regelung, die Art. 67 E K G für den Spezifikationskauf gibt, hat eine doppelte Funktion. Sie stellt einmal klar, daß ein Kaufvertrag 3 Hier hieß es in Art. 67 Satz 2: «Les parties ne peuvent pas invoquer les dispositions d'une loi nationale pour prétendre que, faute d'un prix fixé par le contrat, celui-ci n'est pas valable.» 4 Dieser Zusammenhang ist in den Beratungen von U N C I T R A L in Vergessenheit geraten. Unrichtig daher die Erläuterungen zu Art. 36 des UNCITRAL-Entwurfs vom 17. März 1976, U N C I T R A L Yearbook Vol. VII: 1976 S. 119. Sachlich bewußt anders als E K G Art. 57 die Wiener Fassung des Entwurfs vom 17. Juni 1977 Art. 37 und der Kommentar im Report of U N C I T R A L lOth Session S. 104ff. (jetzt Art. 51 des Entwurfs nach dem Stand von Ende 1978, unten Fn. 16).
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rechtswirksam ist, auch wenn er den Kaufgegenstand nur der Menge und nur in groben Zügen der Art nach festlegt, wobei dem Käufer die nähere Spezifizierung überlassen bleibt. Eine abweichende Beurteilung des anwendbaren nationalen Rechts hat hier zurückzutreten. Art. 67 EKG enthält also ebenso wie Art. 57 EKG eine Abweichung von der Grundregel des Art. 8 S. 1 EKG. Das ist nicht unwichtig, wenn auch der Schwerpunkt der Regelung in der Ordnung der Rechtsbehelfe bei mangelnder Spezifikation durch den Käufer liegt. Von größerer Bedeutung aber ist, daß Gültigkeitsprobleme insoweit geregelt sind, als sonst Störungen in der Ordnung der Rechtsbehelfe wegen Vertragsverletzung zu besorgen wären 5 . So wird durch Art. 34 EKG die Irrtumsanfechtung im Falle von Sachmängeln und sonstiger Vertragswidrigkeit der Ware ausgeschlossen. Andernfalls könnte der Abwicklungsschutz für den Verkäufer, der durch die Regeln über die Mängelrüge (Art. 39 EKG) und die Befristung der Mängelansprüche (Art. 49 EKG) gewährleistet werden soll, durch Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum aus den Angeln gehoben werden 6 . Diese Regelung ist wichtig, da die Anschauungen der verschiedenen Rechte über die Frage der Konkurrenz von Irrtumsanfechtung und Sachmängelhaftung sehr unterschiedlich sind, so daß sich hier für den internationalen Handel erhebliche Unsicherheiten ergeben würden 7 . 5 So Schlechtriem, Einheitliches Kaufrecht - wissenschaftliches Modell oder praxisnahe Regelung?, 1978, S. 21 f.; Zweigert u. a., Materielle Gültigkeit internationaler Kaufverträge, RabelsZ 32 (1968) 201, 203. 6 Zur Diskussion über diese Vorschrift auf der Haager Konferenz vgl. Riese, RabelsZ 29 (1965) S. 47. Die Vorschrift des Art. 34 EKG erfaßt, trotz ihrer vielleicht etwas weit geratenen Fassung, nach der Absicht, die man mit ihr verband, nur die dem Vertragsrecht öder der Vertragsordnung angehörenden Behelfe, die auf die Mangelhaftigkeit der Sache gestützt werden könnten. Hierhier gehören die Anfechtung wegen Irrtums über wesentliche Eigenschaften, Vertragsaufhebung oder Nichtigkeitsklage wegen beiderseitigen Irrtums, Behelfe wegen Mängeln der Vertrags- oder Geschäftsgrundlage, Ansprüche aus culpa in contrahendo und dergleichen. Man war sich einig, daß deliktische Ansprüche wegen Betruges des Verkäufers unberührt bleiben sollten (vgl. Mertens/Rehbinder EKG Art. 34 Rdn. 5 mit Nachweisen). Ebenso bleiben etwa in den Fällen von Begleitschäden deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 1 oder 2 BGB oder Ansprüche aus dem Gesichtspunkt der außervertraglichen „Produktenhaftung" unberührt. 7 Zur herrschenden Lehre in Deutschland m.E. zutreffend Flume, das Rechtsgeschäft, 2. Aufl. 1975, § 24. 3 S. 484 ff.;Larenz, Schuldrecht II, 11. Aufl. 1977, § 41 II eS.62 f.;Palandt/Putzo BGB, 37. Aufl. 1978, § 459 Vorbem. 2 e. Für Konkurrenz der Irrtumsanfechtung mit den Sachmängelbehelfen neuerlich Schröder, Festschrift für Kegel, 1977, S. 398 ff., der Fälle aus dem Kunsthandel erörtert. Das Echtheitsrisiko enthält hier, soweit die Zuschreibung nicht ein Risikogeschäft ist, eine besondere Problematik, die (im Kunsthandel) de lege ferenda eine Abweichung vom allgemeinen Sachmängelrecht angemessen erscheinen läßt. Das rechtfertigt es jedoch nicht, den Abwicklungsschutz für den Verkäufer beim Warenhandel allgemein in Frage zu stellen.
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Entsprechend schließt Art. 53 - freilich weniger klar formuliert 8 - im Falle der Rechtsmängelhaftung die Irrtumsanfechtung oder die in manchen Rechten nach dem Vorbild von Art. 1599 des französischen Code civil zugelassene Berufung auf die Nichtigkeit des Verkaufs einer fremden Sache aus, damit die kaufrechtliche Ordnung der Haftung für Eigentumsverschaffung nicht gestört wird. Neumayer meint, daß man dabei die praktische Bedeutung der Maxime: ,,La vente de la chose d'autrui est nulle" überschätzt habe. Auch in Frankreich pflege die Praxis bei Beschaffungsgeschäften zu helfen 9 . Das deckt aber nicht alle Fälle ab, in denen die veraltete Regel Schwierigkeiten machen kann und zumindest ein Prozeßrisiko darstellt. Jedenfalls war die Einfügung einer dem nunmehrigen Artikel 53 E K G entsprechenden Bestimmung aus dem Kreise der Staaten angeregt worden, deren Recht die Regel, daß der Verkauf einer fremden Sache nichtig sei, enthielt. Ähnliche Probleme wirft die Ordnung der Verantwortung des Schuldners auf. Fragen der anfänglichen objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit gehören sachlich zu der in Art. 74 E K G geregelten Problematik des Umfangs der den Schuldner treffenden Garantiehaftung und des Bereichs der von der Verantwortung entlastenden Umstände. Auch hier müssen also etwaige Nichtigkeitsregeln der nationalen Rechte nach Art. 8 S. 2 E K G ausgeschaltet sein, wenn die Haftungsregeln des E K G „greifen" sollen 10 . Schließlich ergibt sich auch aus der Gefahrtragungsregel des Art. 99 E K G beim Verkauf schwimmender Ware, daß die Berufung auf Ungültigkeit des Vertrages wegen anfänglicher Unmöglichkeit ausgeschlossen ist. Der Gefahrübergang wird nach dieser Vorschrift, außer bei Bösgläubigkeit des Verkäufers, auf den Zeitpunkt der Abladung der Ware zurückbezogen, da es beim Seetransport vielfach unmöglich wäre, festzustellen, ob ein Schaden vor oder nach Vertragsschluß entstanden ist. Das führt insbesondere dann zu Verwicklungen, wenn die schwimmende Ware durch mehrere Hände gegangen ist. Die Vorschrift, die weltweit geübter kaufmännischer Praxis entspricht 11 und trotz mancher zwischen8 Die Vorschrift des der Konferenz vorliegenden Entwurfs von 1963 war besser gefaßt (Art. 63 bis). 9 Dölle/Neumayer E K G Art. 53 Rdn. 2. 1 0 Dölle/Stoll EKG Art.74 Rdn.51 f. mit Nachweisen; Schlechtriem a . a . O . (oben Fn.5) S.21. 11 Zu der Vorschrift vgl. Riese, RabelsZ 22 (1957) S. 113 ff. und RabelsZ 29 (1965) S. 94 ff.; ablehnend Dölle/Neumayer E K G Art. 99 Rdn. 6 ff. und Neumayer in Festschrift für von Caemmerer, 1978, S. 956,978 ff.; befürwortend dagegen Dölle/Huber EKG Art. 19 Rdn. 98. Die Bestimmung, für die sich auf der Haager Konferenz auch die deutsche Delegation eingesetzt hat, vgl. Weitnauer, Actes S. 301 f., ist nur ergänzendes Recht. Als im Zweifel geltende Regel ist sie sachgerecht.
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zeitlich geäußerten Kritik im UNCITRAL-Entwurf beibehalten worden ist 1 2 , bedeutet zugleich, daß der Einwand, der Vertrag sei wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit nichtig, nicht erhoben werden kann 13 . Die Herausnahme der Probleme der Vertragsgültigkeit aus dem Regelungsbereich des E K G entfällt also überall da, wo das E K G selbst, wie beim Formproblem, in den Fällen der Art. 34 und 53 E K G und in den anderen hier erörterten Fragen Normierungen enthält, die sich der Sache nach auf Gültigkeitsfragen beziehen 14 .
III. Die grundsätzliche Herausnahme der Gültigkeitsprobleme aus dem Einheitsgesetz erlaubte es dem E K G , seine Regelung völlig dispositiv zu gestalten und zugleich hinter Handelsbräuchen zurückzutreten (Art. 9 EKG). Die Grenzen der Parteiautonomie bleiben also nach Art. 8 E K G von den nach internationalem Privat- und internationalem Wirtschaftsrecht maßgebenden Normen des Landesrechts oder vom ordre public des entscheidenden Gerichts beherrscht. Das gilt auch von der Inhaltskontrolle Allgemeiner Lieferungsbedingungen und der sich aus ihr ergebenden Unwirksamkeit bestimmter Vertragsklauseln. Soweit freilich nach § 9 Abs.2 AGB-Gesetz für die Beurteilung der Ausgewogenheit der Geschäftsbedingungen auf die wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts, von dem abgewichen wird, abzustellen ist, sind die Regeln des E K G und nicht die des B G B oder des H G B heranzuziehen 15 .
IV. Der Anwendungsbereich des Haager Einheitlichen Kaufrechts ist zunächst beschränkt. Es ist in einem großen Teil des Bereichs der Europä1 2 Fassung auf Grund der Sitzung in New York vom 16. Juni 1978 Art. 80 (vgl. unten Fn. 16). 1 3 Hager, Die Gefahrtragung beim Kauf Eine rechtsvergleichende Untersuchung (Freiburger Habilitationsschrift 1978, im Druck). 1 4 Dieses Prinzip erschien den Verfassern der Entwürfe von 1956 und 1963 auch ohne besonderen Ausspruch als selbstverständlich (vgl. Riese, RabelsZ 29 (1965) S.20). Verschiedene auf der Konferenz gestellte Anträge verlangten, wohl unnötig, die Klarstellung durch einen in den heutigen Art. 8 Satz 2 E K G aufzunehmenden Vorbehalt. Dieser war nicht ganz leicht zu formulieren. Man versuchte es mit der Aufzählung der in Betracht kommenden Bestimmungen und nannte zunächst beispielsweise die heutigen Artt. 15, 34, 52 und 53 E K G (vgl. Documents S. 271, Actes S. 49). In der Schlußredaktion wurde dann der heute in Art. 8 Satz 2 E K G enthaltene allgemeine Vorbehalt eingefügt. Die Formel „sauf exception formelle" ist dabei vielleicht nicht ganz glücklich. Sachlich aber ist das oben im Text Gesagte gemeint. 1 5 Im gleichen Sinne Schlechtriem, a. a. O. (oben Fn. 5) S.22; Dölle/Stoll, E K G Art. 74 Rdn. 145 und meine Bemerkungen, AcP 178 (1978) S. 121, 128.
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ischen Gemeinschaft anwendbar. Frankreich aber gehört entgegen den bei der Ratifikation gehegten Erwartungen nicht dazu. Die Hindernisse, die einer weiteren Ausbreitung des Haager Kaufrechts zur Zeit entgegenstehen, sind bekannt. Die USA haben sich erst auf der Haager Konferenz von 1964 selbst in die Vereinheidichungsarbeiten eingeschaltet. Obwohl das Haager Kaufrecht anglo-amerikanischem Rechtsdenken weitgehend Rechnung trägt, fanden die Amerikaner ihr eigenes Recht nicht hinreichend berücksichtigt. Sie wollten auch die eben erst im eigenen Bereich erreichte Vereinheitlichung und Modernisierung des Kaufrechts im U C C nicht gefährden. Die Entwicklungsländer auf der anderen Seite mißtrauten einem Kaufrecht, das von Vertretern der alten führenden europäischen Rechte erarbeitet war. So nahmen die Vereinten Nationen eine Neubearbeitung der Kaufrechtsvereinheitlichung in Angriff. UNCITRAL, die United Nations Commission on International Trade Law, ist mit ihren Arbeiten relativ gut vorangekommen. Es ist beabsichtigt, den derzeit vorliegenden, in der elften Sitzung von UNCITRAL in New York vom 30. Mai bis 16. Juni 1978 überarbeiteten Entwurf 16 nach Einholung der Auffassungen der Regierungen auf einer diplomatischen Konferenz endgültig zu verabschieden, die voraussichtlich 1980 stattfinden soll. Der UNCITRAL-Entwurf ist weitgehend eine gestraffte und gekürzte Neufassung des Haager Rechts, dessen Normen in wesentlich allgemeinerer und abstrakterer Fassung und zum Teil vereinfacht wiederkehren. Die Regeln über den Vertragsabschluß, den äußeren Konsens, der sich in Angebot und Annahme manifestiert, sind nunmehr mit der Regelung der Verpflichtungen von Verkäufer und Käufer und ihrer Sanktionen in einem Gesetzentwurf zusammengefaßt. Dieser umfaßt 82 Artikel. Das Haager Kaufrecht regelte die gleiche Materie, wenn man die Identität der Vorschriften über den Anwendungsbereich berücksichtigt, in 112 Artikeln. Die noch 1977 geäußerte Absicht, auch die materielle Gültigkeit internationaler Kaufverträge einheitlich zu ordnen 17 , wofür Vorarbeiten des Römischen Instituts (UNIDROIT) und des Hamburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht vorlagen18, ist nicht weiter verfolgt worden. Der Straffung sind auch die hier behandelten Regeln des Haager Rechts zum Opfer gefallen. Das gilt von Art. 34 ebenso wie von Art. 53 EKG. 16 Report of UNCITRAL on the work of its 1 Ith session 30 m a y - 1 6 june 1978. General Assembly. Official Records: 33rd session. Supplement N o . 17 (A/33/17). 17 UNCITRAL Yearbook Vol. VII: 1976 p. 88 f. 18 Vgl. die Nachweise AcP 178 (1978) 127 Fn.15 und U N I D R O I T Etüde XVI/B, Doc.22, U . D . P . 1972.
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Das Einheitsrecht schließt also bei Sach- und Rechtsmängeln etwa konkurrierende Behelfe der nationalen Rechte, Irrtumsanfechtung und Nichtigkeitsklagen nicht mehr aus. Die Wirkungen versäumter Mängelrüge und die in einem gesonderten Abkommensentwurf geordnete Verjährung der Mängelansprüche 19 können damit unterlaufen werden. Was die freilich nicht allzu wichtige Frage der Bestimmung eines nicht festgelegten Kaufpreises angeht, so bleibt auch bei Verträgen, die dem Einheitsrecht genügen, der Einwand der Unwirksamkeit wegen Fehlens eines „pretium certum" in Rechten, die denselben zulassen, ausdrücklich offen. Ob die Regelung der entlastenden und der vom Schuldner zu verantwortenden Umstände dadurch in ihrer Bedeutung beeinträchtigt wird, daß konkurrierend allgemeine Behelfe ins Spiel kommen, die sich auf anfängliche Unmöglichkeit oder Unvermögen, Änderung der Geschäftsgrundlage und dergleichen stützen, kann heute noch nicht beurteilt werden. Dazu muß erst ein Gesamtbild des Entwurfs in seiner endgültigen Fassung vorliegen. Von dem weiteren Fortgang der Arbeiten von U N C I T R A L und der Gestalt, die der Abkommensentwurf in den weiteren Vorarbeiten annimmt, und nicht zuletzt von dem Schicksal des Kaufgesetzentwurfs auf der vorgesehenen diplomatischen Konferenz wird es abhängen, ob man versuchen wird, das Haager Kaufrecht in das neue Weltrecht überzuleiten, oder ob es bei der bisherigen Fassung des Einheitlichen Kaufgesetzes und ihrer allmählichen weiteren Ausbreitung zunächst wohl vor allem im innereuropäischen Handel verbleibt.
1 9 Darüber Landfermann, RabelsZ 39 (1975) S.253 ff. und Text des Abkommens S.343 ff.
Unternehmen und juristische Person WERNER FLUME
1. Die Lehre von dem Unternehmen als Rechtsgegenstand. Die Diskussion um das Unternehmen geht bis in die 20er Jahre dieses Jahrhunderts in der deutschen Rechtslehre - abgesehen von der vereinzelten Fortführung der Brinzschen Zweckvermögenstheorie in Hinsicht auf das Unternehmen1 - um das Unternehmen als Rechtsobjekt2 und als Gegenstand des Rechtsverkehrs3. Die ausschließliche Zuordnung des Unternehmens an die Person, welche das Unternehmen betreibt - Einzelperson, Personengesellschaft oder juristische Person - , ist problemlos. Problematisch erscheint nur das Unternehmen als Rechtsgegenstand4. In Vergessenheit geraten war die Lehre von der Rechtspersönlichkeit des Unternehmens, die 1865s Wilhelm Endemann für das kaufmännische Geschäft emphatisch entwickelt hatte6 und Laband in der Besprechung der ersten Auflage von Endemanns Handelsrecht7 ebenso emphatisch als „Attentat gegen die Integrität des Persönlichkeitsbegriffs"8 zurückgewiesen hatte9. Die Auseinandersetzung zwischen Endemann und Laband ist von Hermann Krause in seiner Mannheimer Rektoratsrede 1953 der Vergessenheit entrissen worden 10 . Sie verdient in der Tat auch heute noch Beachtung. Die Argumentationen von Endemann und Laband bewegten sich auf verschiedenen Ebenen. Endemanns These war von ihrem Urgrund her nicht juristischer Natur, sondern hatte einen wirtschaftsethischen Ansatz. 1 Siehe Schwarz, Arch. Bürg.R. 32 (1908), 12 ff.; Stampe, Einführung in das bürgerliche Recht. 2 Ohmeyer, Das Unternehmen als Rechtsobjekt, 1906. 3 Pisko, Das Unternehmen als Gegenstand des Rechtsverkehrs, 1907; Isay, Das Recht am Unternehmen, 1910. 4 Zu der Übernahme des Unternehmensbegriffs durch Rechtswissenschaft, Gesetzgebung und Rechtspraxis siehe Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965, S. 121 ff.; Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969, S . l ff.; Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S.282 ff. u. passim; zur Literatur siehe auch Nachweis bei Hubmann, 2 H R 117, 41 N . 1. 5 Das deutsche Handelsrecht, 1865; ebenso in den weiteren Auflagen; Handels-, Seeund Wirtschaftsrecht I, S.188 „Das Geschäft als Subjekt". 6 Siehe dazu Raiser a. a. O . S. 76 ff. 7 2 H R 8, 1865, 643 ff. 8 Laband a . a . O . S.647. 9 Gierke, Genossenschaftstheorie, 1885, S.459 N . 1 spricht von,,der ungesunden Theorie einer besonderen Firmenpersönlichkeit", deren „gesunder Kern" nur der Gedanke „einer von einem Subjekt gespielten mehrfachen Personenrolle" ist. 1 0 Hermann Krause, Unternehmer und Unternehmung, 1954.
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Es ging ihm für den Kaufmann um die „Unterordnung unter den wirtschaftlichen Beruf", und diese Unterordnung hatte für ihn eine „ideale sittliche Bedeutung". So verglich er den Kaufmann mit dem Staatsdiener: „Wie man bei dem Staatsdiener vom Beruf spricht, an den er sich hingibt, der das Amt über die Person stellt, so kann man auch von dem Kaufmann sagen, daß er einen Beruf im Dienste der Gesellschaft übt und folglich das Geschäft als ein Amt des wirtschaftlichen Lebens betrachtet." Er meint, daß das Geschäft nicht bloß „als eine willkürliche, nur der unmittelbaren Erwerbsabsicht des Besitzers dienende Einrichtung, sondern als ein durch seinen höheren Beruf für die menschliche Gesellschaft die physische Person absorbierendes Wesen sich geltend macht" 1 1 . Die Lehre Endemanns war in Wirklichkeit der Gedanke vom „Unternehmen an sich", verstanden als wirtschaftsethischem Postulat, und sie entsprach einer seinerzeit verbreiteten - und auch heute noch anzutreffenden - Vorstellung der Kaufleute von ihrem „Beruf". Die rechtlichen Folgerungen, die Endemann aus seiner Lehre zog, traten gegenüber dieser Idealisierung des Kaufmannsberufs durchaus zurück, und so konnte Laband, wenn auch der Vorwurf des Attentats gegen die Integrität des Persönlichkeitsbegriffs der wirtschaftsethischen Intention Endemanns nicht gerecht wurde, hinsichtlich des Kaufmannsrechts Endemann entgegenhalten, es sei „durchaus nichts gewonnen, wenn die Rechtspersönlichkeit des Geschäftes wie ein höheres Wesen über der Rechtspersönlichkeit des Prinzipals schwebt" 1 2 . Die These Endemanns fand in der Rechtslehre - mit wenigen Ausnahmen 13 - keine Zustimmung, und die Rechtspraxis blieb von ihr unberührt. „Der Kaufmann - im Sprachgebrauch des Handelsrechts - wurde und blieb der alleinige Träger der Rechte und Pflichten. Das Geschäft, das Unternehmen, war nur Objekt und Beherrschungsgegenstand 14 ." Wieland 15 definiert: „Das Unternehmen ist der Inbegriff sämtlicher in gewerblicher Tätigkeit aufgewandter Mittel und Kräfte." Dabei unterscheidet er drei Bestandteile: „1. die gewerbliche Betriebstätigkeit, 2. das Handelsvermögen, d.h. die zum Gewerbebetrieb bestimmten Vermögensrechte, 3. tatsächliche Beziehungen von Vermögenswert, Kundschaft, Kredit u . a . " Wieland unterscheidet den Begriff „Unternehmen" von dem Begriff „Unternehmung", worunter er den „Einsatz von Kapital und Arbeitskraft zum Zweck der Gewinnerzielung" versteht. Der Begriff „Unternehmung" ist für Wieland bezogen auf den Unternehmer.
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Endemann, Handelsrecht, § 15 Anm. 4/5. Laband a . a . O . S.647; siehe auch Regelsberger Z H R 14, 1870, S . l ff. (12 f.). Siehe Zit. bei Raiser a . a . O . S.77. H.Krause a . a . O . S.7. Handelsrecht I, 1921, S.240.
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Der „Arbeitnehmer" kommt bei Wieland weder in dem Unternehmensnoch in dem Unternehmungsbegriff vor. Was die „Betriebstätigkeit" anbetrifft, so ist bei Wieland nur von der „Arbeitstätigkeit des Unternehmers selbst oder dessen, der an seiner Statt den Gesamtorganismus des Geschäfts überschaut und leitet", die Rede 16 . Der Unternehmensbegriff ist bei Wieland vornehmlich bezogen auf das „Unternehmen als Gegenstand des Rechtsverkehrs" 17 . Den repräsentativen Abschluß der Diskussion um das Unternehmen als Rechtsgegenstand bildet das 1927 erschienene Buch von Oppikofer, Das Unternehmensrecht in geschichtlicher, vergleichender und rechtspolitischer Betrachtung 18 , wenn diese Diskussion auch anfangs der 50er Jahre noch einmal aufgenommen wurde 1 9 . Oppikofer übernimmt die Unterscheidung von „Unternehmung" und „Unternehmen". „Unternehmung" bezeichnet nach ihm „den vom Unternehmer ausgehenden Tätigkeitsbegriff", „Unternehmen" dagegen den „vom Unternehmer organisierten Vermögensinbegriff" 20 . In dem „Ausblick ins neue Unternehmensrecht" 21 fordert er: „die Ausbildung eines neuen, der wirtschaftlichen Unternehmenszugehörigkeit entsprechenden Zubehörbegriffs, die Anerkennung der wirtschaftlichen Unternehmenseinheit und ihren Schutz in einem Recht am Unternehmen und als notwendigen Abschluß die der Publizität dienende Verkörperung des Unternehmens in einem öffentlichen Register". Die bürgerlichrechtlichen Begriffe sollen zu unternehmensrechtlichen abgewandelt werden. Dabei geht Oppikofer davon aus, es werde „die Vorstellung einer höheren unternehmensrechtlichen Begriffsreihe neben der bürgerlichrechtlichen zur systematischen Erfassung des Rechts von Nutzen sein können" 22 . Diese Folgerungen haben mit Recht keine Zustimmung gefunden. 2. Die Formel vom „ Unternehmen an sich". In der Diskussion der 20er Jahre und des Anfangs der 30er Jahre um „das Unternehmen an sich" 23 geht es um das Verhältnis von Unternehmen und Aktionär, von Unternehmens- und Aktionärsinteresse. Haussmann 24 , der Erfinder der ForA . a . O . S.241. A . a . O . S.249. 1 8 Kritisch zu Oppikofer siehe Haff, RG Festschr. (1929), II, 185. 1 9 Siehe Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953; Hubmann, Das Recht am Unternehmen, ZHR 117, 1955, 41 ff. 2 0 A . a . O . S.8 Anm.4. 2 1 A . a . O . S. 118 ff. 2 2 A . a . O . S. 144. 2 3 Siehe dazu bes. den Literaturnachweis bei Netter, Festschr. Pinner, 1932, S.542 N. 34; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S.67 N. 1. 2 4 Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, 1928. 16
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mel von dem „Unternehmen an sich", hat für die dieser Formel entsprechende Lehre auf die 1917 erschienene Schrift Walter Rathenaus „Vom Aktienwesen - eine geschäftliche Betrachtung" zurückgegriffen. Dies war jedoch nur bedingt richtig 25 . Rathenau ging es in der Schrift vornehmlich um die Stärkung der Stellung der Verwaltung der A G und der Aktionärsmehrheit im Verhältnis zu den Minderheitsaktionären. Damit einher ging die Berücksichtigung des Gemeinwohls, die natürlich auch der Stärkung der Stellung der Verwaltung zugute kam. Davon unabhängig heißt es im Schlußsatz der Abhandlung Rathenaus:, ,Dem Wesen der Unternehmung wird nicht die Verstärkung des privatwirtschaftlichen Gedankens beschieden sein, sondern die bewußte Einordnung in die Wirtschaft der Gesamtheit, die Durchdringung mit dem Geiste der Gemeinverantwortlichkeit und des Staatswohls." Durch die Formel vom „Unternehmen an sich" wäre, wenn man sie als Formulierung eines Rechtsprinzips ernst genommen hätte, die bis dahin als problemlos angesehene personenmäßige Bezogenheit des Unternehmens für die Aktiengesellschaft hinsichtlich der Aktionäre problematisiert worden. Nussbaum hat seinerzeit26 darauf hingewiesen, es handle sich bei dem Gedanken des Unternehmens an sich, „daß man das Unternehmen gegen seinen Eigentümer (dieses Wort sei hier im weitesten Sinne verstanden) schützen müsse", gar nicht um ein aktienrechtliches Prinzip. Die „Anziehungskraft" der Formel vom Unternehmen an sich beruhte nach Nussbaum 2 7 auf der Ideologie, „dem Unternehmen eine Art metaphysischer Wesenheit zuzuschreiben, die um ihrer selbst willen unantastbar sein soll". Gerade diese Ideologie machte die Formel aber auch für die Rechtspraxis und die an ihr orientierte Lehre verdächtig. Auch für die Aktiengesellschaft wurde der Gedanke des Unternehmens an sich in Lehre, Rechtsprechung und Gesetzgebung nicht in der Weise wirksam, daß die eigentumsmäßige Zuordnung des Unternehmens der Aktiengesellschaft letztlich an die Aktionäre fragwürdig geworden wäre. Indem man das „Unternehmensinteresse" mit dem richtig verstandenen Interesse der Gesamtheit der Aktionäre gleichsetzte, wurde vielmehr die Eigentumsfrage betreffs der Zuordnung des Unternehmens der Aktiengesellschaft nicht akut. Es ging, ungeachtet dessen, daß auch Interessen des Gemeinwohls dem Unternehmensinteresse zugeordnet wurden, vornehmlich nur um den Vorrang des Gesamtinteresses der Gesellschaft gegenüber Individualinteressen einzelner Aktionäre, sei es der Mehrheitsaktionäre oder auL-h der Minderheitsaktionäre, und den Schutz gegenüber mißbräuchlicher Verfolgung von Individualinteressen entgegen dem Ge25 26 27
Siehe dazu Netter a . a . O . S.545 ff. Beiträge zum Wirtschaftsrecht, Festschr. Ernst Heymann, 1931, II, 501. A . a . O . S.502.
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sellschaftsinteresse und um die Machtstellung der Verwaltung. Dabei stand im Vordergrund der Kampf gegen die mißbräuchliche Ausnutzung der Mehrheitsherrschaft 28 . Repräsentativ für die Wirkung des Gedankens von dem „Unternehmen an sich" ist die Begründung des Aktienrechtsentwurfs 1930 29 . In der Entwurfsbegründung 30 ist die Rede von „der Ablösung rein individualistischer Auffassung durch die Rechtsidee, daß das Unternehmen nicht nur der äußere Rahmen für die Verfolgung der Interessen der einzelnen beteiligten Staatsbürger, sondern als solches ein Rechtsgut besonderer Eigenart und eine Einrichtung mit besonderen Aufgaben sei, eine Einrichtung, der der Staat Schutz und Förderung auch insoweit nicht vorenthalten dürfe, als das Schutz- und Förderungsbedürfnis in Widerstreit mit den Sonderinteressen der Aktionäre gerät". Die Begründung stellt dem Entwurf das Zeugnis aus, er erkenne „den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz als berechtigt an, daß die Interessen des Unternehmens als solchen ebenso schutzbedürftig sind wie das Interesse des einzelnen Aktionärs". Einerseits stellt die Begründung fest: „Bei sachgemäßer Verwaltung des Unternehmens und richtiger Einstellung der einzelnen Aktionäre gibt es in Wahrheit einen Interessengegensatz zwischen dem Unternehmen und seinen Aktionären nicht." Andererseits enthält die Begründung aber auch das Bekenntnis: „Der Gesetzgeber würde seine Aufgabe verkennen, wenn er das neue Aktienrecht nach den Interessen der Verwaltung oder etwa ausschließlich danach orientieren wollte, auf welche Weise der größte Vorteil für die jeweiligen Aktionäre erzielt werden könnte. Die Verwaltung hat ausschließlich dem Unternehmen zu dienen, und der Aktionär muß sich dessen bewußt bleiben, daß die moderne Aktiengesellschaft nicht nur eine Form für individuelles Gewinnstreben ist, sondern in verschiedenen Abstufungen auch den allgemeinen Interessen des Volkes zu dienen hat." Wohl zu Unrecht ist gegen den Entwurf der „Vorwurf sozialistischer Einstellung" erhoben worden 31 . In Wirklichkeit handelt es sich bei der Entwurfsbegründung um Deklamationen, gegründet auf die Ideologie des „Unternehmens an sich", während die Regelungen des Entwurfs selbst davon so gut wie unberührt geblieben sind. Der Entwurf weiß noch nichts von der Formel des § 70 Abs.1 des Aktiengesetzes 1937. Vielmehr heißt es
2 8 Siehe Filbinger, Die Schranken der Mehrheitsherrschaft im Aktienrecht und Konzernrecht, 1942, insbes. die Fälle S.40 ff. als „praktisches Anschauungsmaterial". 2 9 Entwurf eines Gesetzes über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, veröffendicht durch das Reichsjustizministerium, 1930. 3 0 A . a . O . S.94. 3 1 Deutscher Anwaltsverein, Zur Reform des Aktienrechts, 1929, II, 14, Zit. nach Nussbaum a . a . O . S.503 N . 4 2 .
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in § 72 des Entwurfs noch ganz nüchtern: „Die Mitglieder des Vorstandes haben bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden." Als Deklamation ist auch wie die Entwurfsbegründung die Stellungnahme der Denkschrift des Deutschen Anwaltsvereins zu werten, in der davon die Rede ist, das Unternehmen sei „als solches in seiner Objektivierung und Versachlichung und durch den Schutz dieser sozialen Funktion des Unternehmens zu einem den Aktionärindividualismus einschränkenden Moment geworden" 3 2 . Immer ist es das „Individualinteresse der Aktionäre", dem das „Gesamtinteresse" gegenüber gestellt wird. Nach Netter 33 ist „das gestaltende Rechtsprinzip das Unternehmen, verstanden als lebender Organismus, in dem die Gesamtheit der Interessen aller Aktionäre verkörpert ist". Geiler 34 sagt von dem „Gesamtinteresse", daß es „höher steht als das Individualinteresse der Aktionäre". Er bezieht dabei das „Gesamtinteresse" auf „die Aktiengesellschaft als in sich geschlossene Körperschaft, als lebendigen sozialen Organismus". Wenn er unter Berufung auf Haussmann sagt, daß das Gesamtinteresse „die in der Gesellschaft verbundenen Interessen regiert und ausgleicht", so sieht er darin nur die Verhinderung des Mißbrauchs; es könnten nun „die Individualinteressen von den Aktionären nicht mehr so hemmungslos durchgesetzt werden wie früher" und das Unternehmen sei so „zu einer den Aktionärsindividualismus eindämmenden Schranke geworden". Die Aktiengesellschaft bleibt für die h . L . des Anfangs der 30er Jahre eine „Gesellschaft". Gegenüber dem „Aufkommen eines Anstaltsbegriffes im Aktienrecht" 3 5 , wozu besonders auch die Verbreitung der Mehrstimmrechte beitrug, mahnte Haff 3 6 , „sich an die Hauptprinzipien des Körperschaftsrechtes wieder zu erinnern" 3 7 . Repräsentativ für die h . L . heißt es 1934 bei Hachenburg 38 : „Man darf die AG nicht nur als eine der Allgemeinwirtschaft dienende Körperschaft auffassen, deren Mitglieder zwar nicht geleugnet werden können, die aber im Grunde genommen gegenüber den höheren Interessen keine Existenzberechtigung mehr haben." Nach Hachenburg dient es der Mehrheit nur zur Stützung ihrer Herrschaft, „sich mit dem Unternehmen und dieses wieder mit der Gesamtwirtschaft zu identifizieren". A . a . O . S.500 N . 3 1 . A . a . O . (oben N . 2 3 ) S.612. 3 4 Beitr. zum Wirtschaftsrecht, 1931, I, 183. 3 5 Haff, R G Festschr. (1929) II, 187; siehe auch Literaturnachweis zum Anstaltsgedanken betr. der A G bei Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S.240 N. 130. 3 6 A . a . O . S. 187. 3 7 Im besonderen wendet sich Haff a. a. O. gegen den Vorschlag von Planitz, daß der Staat sich „zum Mitträger der Generalversammlung machen soll". 3 8 Düringer-Hachenburg Kom. H G B III, 1, S.104. 32
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Bemerkenswert ist schließlich, wie Nussbaum 39 1 931 aufgrund von gewerkschaftlichen Stellungnahmen40 die Bestrebungen um eine Mitbestimmungs-Unternehmensverfassung seit dem zweiten Weltkrieg voraussieht. Er meint, wenn die Aktionäre nicht mehr allein die Destinatäre seien, kämen als solche vornehmlich „die Arbeitnehmer und die Verbraucher, überhaupt die Allgemeinheit", in Betracht, und so führe „die Lehre vom Unternehmen an sich, folgerichtig durchdacht, einerseits dazu, den Einfluß der Arbeitnehmerschaft auf die Unternehmungen zu verstärken", und andererseits müsse „dem Staat als dem Vertreter der Allgemeinheit ein stärkerer Einfluß auf die Aktienunternehmungen eingeräumt werden". So wird hier im Grundsatz bereits die „Drei-Bänke-Lehre" der Diskussion um eine Mitbestimmungs-Unternehmensverfassung vorausgezeichnet. 3. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die Aktienrechtsreform von 1937. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts41 zum Aktienrecht ist in den 20er Jahren seit den Entscheidungen R G Z 1 0 7 , 7 2 ff., 202 ff. aus dem Jahre 1923 die Haltung der Hibernia-Entscheidung aus dem Jahre 1908 42 mit der Anerkennung des starren Majoritätsprinzips aufgegeben, „daß die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist" 4 3 . In R G Z 107, 204 statuiert der V.Senat: „Der Gesellschafter leitet seine Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag her; seine Befugnisse sind ihm in seiner Eigenschaft als Gesellschafter verliehen; bei Ausübung dieser Rechte hat er sich daher grundsätzlich von dem Interesse der Gesellschaft und nicht von seinen privaten außerhalb der Gesellschaft liegenden Sonderinteressen leiten zu lassen." Wenn im Fall einer Interessenkollision ein Gesellschafter „sich lediglich von seinen privaten außerhalb der Gesellschaft . . . bestehenden Vorteilen leiten läßt und er die klar zutage liegenden Interessen . . . der Gesellschaft hintansetzt", kann nach der Entscheidung „ein derartiges Verhalten unter Umständen wohl einen Verstoß gegen die guten Sitten enthalten" 44 . Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat die Beschränkung der Rechte des Aktionärs zunächst an dem Maßstab der Verletzung der guten Sitten orientiert45 und dann die Beschränkung auf die Treuepflicht des Beitr. zum Wirtschaftsrecht, 1931, II, 502. Siehe die Wiedergabe bei Nussbaum a . a . O . S.503 N . 4 1 . 4 1 Siehe dazu Raiser a . a . O . (oben N . 4 ) S.41 ff. 4 2 RGZ 58, 235 ff.; siehe auch RG, L Z 1914, 273 = Holdh. M.Schr. 1914, 66 und dazu Hachenburg a . a . O . S.105. 4 3 A . a . O . S.246. 4 4 R G Z 107, 205. 4 5 RGZ 112, 14 ff.; 113, 188 ff.; 119, 248 ff.; 132, 149 ff. 39
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Aktionärs gegenüber der Aktiengesellschaft gestützt 46 . Beide Argumentationen sind ausschließlich auf das Gesellschaftsrecht und das Verhältnis des einzelnen Gesellschafters zur Gesellschaft ausgerichtet. Dagegen geht es in dieser Rechtsprechung nicht um das „Unternehmen" als ein gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschaftern verselbständigtes Gebilde 47 . Wenn nach der viel berufenen Formel von § 70 Abs.l Aktiengesetz 1937 der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung so zu leiten hat, „wie das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern", so war auch diese Formel nicht darauf gemünzt, den Betrieb oder das Unternehmen gegenüber der Aktiengesellschaft zu verselbständigen. Die Reform zielte vielmehr auf die Gesellschaft und ihr Inhalt war: „Die Gesellschaft muß sich wirtschaftspolitisch der deutschen Volkswirtschaft eingliedern 48 ." „Zwei unabdingbare Forderungen sollten erfüllt werden: eine sozialpolitische, das Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft, und eine wirtschaftspolitische, der gemeine Nutzen von Volk und Reich 4 9 ." Die Herrschaftsmacht der Aktionäre wurde zwar eingeschränkt. Die rechtliche Zuordnung des Unternehmens an die Aktiengesellschaft und letztlich an die Aktionäre wurde jedoch nicht aufgehoben, wenn es auch hieß:, ,Die Belange der Gesellschaft haben sich denen von Volk und Reich unterzuordnen 50 ." 4. Die Bemühungen von Siebert und Fechner um eine Überwindung der Abstraktheit der juristischen Person durch den Begriff des Unternehmens. In der Zeit nach 1933 hat man in der Rechtslehre - zu nennen sind Siebert 51 und vor allem Fechner 52 - versucht, durch den Begriff des Unternehmens „die Abstraktheit der juristischen Person zu überwinden" 53 . Das Unternehmen ist nach Siebert „die unterste Stufe und letzte Einheit der völkischen Wirtschaftsordnung" und es stellt „einen lebendigen Organismus dar, in dem unter Führung des Unternehmers die Beschäftigten
RGZ 146, 71 ff.; 385 ff.; RGZ 158, 248 ff. In RGZ 119,256 wird die Ausgabe von Vorrats-Stammaktien mit der Begründung gebilligt, daß sie im Sinne der sonstigen Satzungsvorschriften liegen, „die ganz offensichtlich . . . auf möglichste Sicherung des Unternehmens als solchen" gerichtet seien. Diese Bemerkung wird jedoch von Raisera. a . O . S.43 zu Unrecht so gewertet, als ob hier „ein neuer Gedanke" in der Rechtsprechung des Reichsgerichts auftrete und fortan maßgebend sei, daß nämlich „die Belange des Unternehmens" im Streit der Parteien den Ausschlag geben sollten. 4 8 Schlegelberger-Quassowski, Kom. AktG § 70 N . 8 . 4 9 Schlegelberger-Quassowski a . a . O . N . 5 . 5 0 Siehe Schlegelberger-Quassowski a . a . O . N . 8 . 5 1 Deutsche Rechtswissenschaft 1936, 225 ff., 255 ff. 5 2 Die Treubindungen des Aktionärs, 1942. 5 3 Fechner a . a . O . S.62. 46 47
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mit einem organisierten Bestand von sachlichen und immateriellen Arbeitsmitteln eine von dem Unternehmer übernommene Funktion für die Gemeinschaft vollziehen" 54 . Der Begriff des Verbandes wird von Siebert betreffs des Unternehmens nur für die Handelsgesellschaft, und zwar nur hinsichtlich der Gesellschafter und ihrer „Hintermänner" 55 verwandt. Die Handelsgesellschaften sind nach Siebert „Unternehmerverbände". Unternehmerverband und Unternehmen sollen eine Einheit sein, ohne daß dies von Siebert weiter verdeutlicht wurde. Ganz in der Diktion der Zeit nach 33 heißt es bei Siebert 56 : „Unternehmer und Unternehmen können bei einem wirklichen ,Ordnungsdenken' niemals getrennt gesehen werden, sondern die personenrechtliche Bindung und Verbindung in der Ordnung des Unternehmens hat dieses Unternehmen als lebendige Einheit zur notwendigen Voraussetzung, und umgekehrt ist ein Unternehmen als Träger von Aufgaben in der Volksordnung niemals denkbar ohne den oder die Unternehmer." Eine „von der völkischen Gesamtordnung her bestimmte Auffassung" muß nach Siebert „die ganzheitliche Natur des Unternehmens in den Vordergrund stellen, die seine persönlichen Kräfte, Unternehmer und Betriebsgemeinschaft, nicht nur mitumschließt, sondern in ihnen sogar den Schwerpunkt der Unternehmensordnung erblickt". Beschränkte Siebert, ungeachtet der von ihm angenommenen „ganzheitlichen Natur des Unternehmens", den Verbandsbegriff auf den „Unternehmerverband", so erfaßte Fechner das Unternehmen insgesamt als „Personenverband". Die Habilitationsschrift Fechners „Die Treubindungen des Aktionärs" aus dem Jahre 1942 ist nicht nur eine der bedeutendsten Arbeiten zum Unternehmensrecht aus der Zeit bis zum Ende des zweiten Weltkrieges. Sie weist vielmehr weit voraus in die folgenden Jahrzehnte. So ist in ihr die Verbandslehre, die in der Diskussion um die Mitbestimmungs-Unternehmensverfassung eine so große Rolle gespielt hat und noch spielt, schon in allem Wesentlichen vorgezeichnet. Nach Fechner kann man „das in der Wirklichkeit vorgefundene Gebilde des Unternehmens als eine zu bestimmten wirtschaftlichen Zwecken organisierte Gruppe von Menschen auffassen, die durch eine teils positivrechtlich festgelegte, teils in der tatsächlichen Übung bestehende Ordnung untereinander und mit den Arbeitsmitteln verbunden sind" 57 . Der menschliche Bestand bildet, wie Fechner sagt, „den wesentlichen Gehalt des Unternehmens, ist das ,Unternehmen'" 5 8 . In den Unternehmensverband sollen 54 55 56 57 58
Siebert a.a.O. S.225. A . a . O . S.260. A . a . O . S.257. Fechner a.a.O. S.67. A . a . O . S.68.
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auch die Geldgeber gehören, „ohne zur Betriebsgemeinschaft zu zählen", und es soll zu prüfen sein, „inwieweit man noch andere mit dem Unternehmen in dauernder Beziehung stehende Personen wie Dauerlieferanten, Dauerabnehmer (Kunden) usw. mit hinzurechnen kann" 5 9 . Klar hat Fechner betreffs des Unternehmens die Machtproblematik erkannt, welche später die Mitbestimmungsdiskussion beherrscht. Nach ihm bedeutet „die Macht der Aktionäre über den Sachbestand des Unternehmens Macht über die im Unternehmen stehenden Personen" 6 0 , nur leitet er daraus nicht die Mitbestimmungsforderung für die Arbeitnehmer, sondern die Treuepflicht für den Aktionär ab. In der späteren Mitbestimmungsdiskussion kehrt auch die von Fechner - im Gegensatz zu Siebert vertretene Auffassung wieder, daß die Aktiengesellschaft als juristische Person neben dem Unternehmensverband weiterbestehen soll 61 . Schließlich findet sich bei Fechner auch schon die Erkenntnis vom „Interessenpluralismus", mit der Feststellung, es ließen sich „die Interessen der Gesellschaft, des Unternehmens, der Aktionäre, der Gefolgschaft, die Interessen Dritter und die der Allgemeinheit unterscheiden, die einander zwar nicht selbständig gegenüberstehen, aber doch im Rahmen des Ganzen Berücksichtigung verlangen" 62 . In Anlehnung an die nationalökonomische Begriffsbestimmung von Vleugels 63 formuliert Fechner in seiner Bonner Antrittsvorlesung „Das wirtschaftliche Unternehmen in der Rechtswissenschaft" 64 unter Hervorhebung des verbandsrechtlichen Moments, das Unternehmen sei „die sozialrechtliche Einheit eines Personenverbandes, der mit Hilfe von sachlichen und immateriellen Erzeugungsmitteln unter dem Gesichtspunkt der Kostendeckung oder Gewinnerzielung der produktiven Bereitstellung von Gütern bzw. Leistungen im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtplanung zu dienen bestimmt ist". Ballerstedt hat 35 Jahre nach der Antrittsvorlesung von Fechner gemeint 65 , gegenwärtig sei „die Entwicklung des Unternehmensrechts rechtspolitisch wie wissenschaftlich so wenig abgeschlossen, daß eine Definition des Begriffs ,Unternehmen' dank ihrer notwendig apodiktischen Formulierung in den Verdacht einer versuchten Erschleichung gerät". Bemerkenswert ist, daß Ballerstedt nur die Formulierung von Fechner wiederholt 66 , wenn er sagt: „Unternehmen A . a . O . S.69. A . a . O . S.76. 6 1 A . a . O . S.82. 6 2 A . a . O . S. 103f. 6 3 Jahrb. d. Ak. f. Dtsch. Recht 1938, 235. 6 4 Antrittsvorlesungen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Heft 7, 1942, S. 16. 6 5 Festschr. Duden, 1977, S.22. 6 6 In JZ 1951, 487 N . 14 meinte Ballerstedt dagegen, daß die Formulierung Fechners 59
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i.S. des Systembegriffs Unternehmensrecht ist eine auf Dauer angelegte Vereinigung personeller Kräfte und sachlicher Mittel zu einem wirtschaftlichen Zweck im Interesse der Erzielung einer durch Teilnahme am Marktverkehr zu realisierenden materiellen Wertschöpfung 67 ." Die Diskussion um den Unternehmens begriff dürfte exemplarisch sein für die Unfruchtbarkeit solcher Diskussionen 68 . 5. Die Diskussion nach dem zweiten Weltkrieg um eine Mitbestimmungs-Unternehmensverfassung. Das Verhältnis von Unternehmen und juristischer Person ist seit Anfang der 50er Jahre bestimmend für die Diskussion um die Mitbestimmung. Seit dem Mitbestimmungsgesetz von 1951 ist nach diesem Vorbild die Mitbestimmungsforderung im allgemeinen nur für die Unternehmen juristischer Personen vertreten worden, und das Mitbestimmungsgesetz 1976 ist denn auch ausschließlich auf die juristische Person ausgerichtet. Zur Begründung der Mitbestimmungsforderung wurde das Unternehmen als Sozialverband gegenüber der juristischen Person verselbständigt. Das Gesellschaftsrecht als Recht der juristischen Personen, die sich unternehmerisch betätigen, wurde hinsichtlich des Unternehmens als unzulänglich abgewertet und zwar, wie es in dem 1955 erschienenen Bericht der Studienkommission des Deutschen Juristentages „Untersuchungen zur Reform des Unternehmensrechts" heißt 69 , mit der Begründung, „daß eine gesellschaftsrechtliche Behandlung das Unternehmen nicht in seiner Ganzheit erfaßt, weil auf diese Weise nur der Unternehmer und der Kapitaleigner als Subjekte des im Unternehmen ablaufenden Wirtschaftsgeschehens erscheinen". Demgegenüber statuiert der Bericht: „In dem Begriff,Unternehmensrecht' ist nach Ansicht der Mehrheit der Ausschußmitglieder ein systematischer Ansatzpunkt dafür geboten, Unternehmer, Kapitaleigner und Arbeitnehmer als jeweils in besonderer Weise Beteiligte und Mitträger zu würdigen 70 ." „Vom Gesellschaftsrecht zum Unternehmensrecht!" wurde die Parole für die Forderung nach einer Mitbestimmungs-Unternehmensverfassung 71 , und der 1972 berufenen Unternehmensrechtskommission wurde „nicht befriedigt", und er sah darin nur einen „Beleg mehr für den Zusammenhang zwischen Unternehmensbegriff und Wirtschaftsverfassung". 6 7 Siehe auch die vielzitierte, von Schilling, Festschr. Duden, 1977, S. 538 als „klassisch" bezeichnete Definition Julius v. Gierkes, Z H R 111, 1948, 1. 6 8 In Z H R 134, 1970, 261 sagte denn auch Ballerstedt noch hinsichtlich des Begriffs des Unternehmens, man müsse „allen Ernstes fragen, ob diese Einheit sich nicht vielleicht einer für alle rechtlichen Bezüge gültigen Definition entzieht"; siehe auch Gieseke, Zum Rechtsbegriff des Unternehmens, Beitr. zum Handels- und Wirtschaftsrecht, Sonderveröffend. RabelsZ f. Ausl. u. Intern. Privatrecht 1950, 606 ff. 69 70 71
A . a . O . S. 19. A . a . O . S. 19. Siehe dazu Flume, ZGR 1978, 678 ff.
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von dem Bundesjustizminister der Auftrag erteilt, die Rechtsfragen zu untersuchen, die sich aus dieser „Fortentwicklung" des Gesellschaftsrechts zum Unternehmensrecht ergäben 72 . Auf die Problematik der Sozialverbandstheorie als Ideologie zur Begründung der Mitbestimmungsforderung ist hier nicht weiter einzugehen 73 . Vielmehr geht es für das Thema „Unternehmen und juristische Person" nur um die These der Verselbständigung des Unternehmens als eines Sozialverbands gegenüber der juristischen Person. Die Sozialverbandstheorie hat, soweit sie nur dafür in Anspruch genommen worden ist, die Mitbestimmungsforderung durch die paritätische oder quasiparitätische Besetzung des Aufsichtsrats durchzusetzen, hinsichtlich der Aktiengesellschaft als juristischer Person ihre Schuldigkeit als Ideologie getan: „Der Mohr kann gehen." Die Mitbestimmung ist durch das Mitbestimmungsgesetz 1976 in die Verfassung der juristischen Person integriert worden. Das rechtliche Verhältnis der Aktiengesellschaft als juristischer Person und des Unternehmens ist ungeachtet der Änderung der Verfassung der mitbestimmten Aktiengesellschaft durch die paritätische oder quasiparitätische Ordnung des Aufsichtsrats unverändert geblieben. Die Aktiengesellschaft als juristische Person ist der Rechtsträger des Unternehmens. Demgegenüber wird aber auf der Grundlage der Sozialverbandstheorie um der Mitbestimmung willen die These vertreten, daß das Unternehmen als Sozialverband rechtlich zu verselbständigen sei und so der juristischen Person der Sozialverband Unternehmen gegenüberstehen solle. Für die Mitbestimmung hat dies bei der juristischen Person zur Folge, daß die juristische Person als Anteilseignerverband nur noch den gleichen Status wie der Belegschaftsverband hinsichtlich der Entscheidungsgewalt über das Unternehmen hat, die Mitbestimmung also nicht erst beim Aufsichtsrat, sondern schon bei der „Unternehmensversammlung" ansetzt 74 . Die These von dem verselbständigten Sozialverband „Unternehmen" wird ferner dafür in Anspruch genommen, um auch für die Personenunternehmen, das Unternehmen des Einzelkaufmanns und der Personengesellschaften, die Mitbestimmung durchzusetzen 75 . Wenn es bei der Mitbestimmung, wie es in dem Bericht der Sachverständigenkommission, der sogenannten Biedenkopfkommission, heißt 76 , um „die Beeinflussung der Informationen des Bundesministers der Justiz Nr. 45/1972. Siehe dazu Wiedemann, ZGR 1975, 401 ff.; Flume, ZGR 1978, 678ff. 74 Siehe dazu vor allem den sogenannten Sechserbericht von Boettcher, Hase, Kunze, v. Nell-Breuning, Ortlieb, Preller: Unternehmensverfassung als gesellschaftspolitische Forderung, 1968. 7 5 Siehe bes. v. Nell-Breuning, Festschr. Kronstein, 1967, S . 4 7 f f . , Festschr. Kunze, 1969, S. 143 ff.; Kunze, Festschr. Duden, 1977, S.201 ff., 218 ff. 7 6 B.T. Drucks. VI, 334 Tz. 20. 72 73
Unternehmen und juristische Person
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Unternehmensführung durch die Auswahl der Führungskräfte" und „ d i e inhaltliche Beeinflussung der unternehmerischen Kompetenzen" zugunsten der Arbeitnehmer geht, ist es ja auch offensichtlich, daß „eine solche Beeinflussung der Organisations- und Leitungsgewalt im Unternehmen" für das Unternehmen eines Einzelkaufmanns oder einer Personengesellschaft voraussetzen würde, daß für das verselbständigte Unternehmen eine besondere Organisation geschaffen wird und so die Mitbestimmung in den Organen des Unternehmens angesiedelt werden kann. Die organisatorische Verselbständigung des Unternehmens gegenüber den nach bisheriger Lehre als Unternehmensträgern verstandenen Personen, den juristischen Personen, den Personengesellschaften und dem Einzelkaufmann, bedeutet die Erhebung des Sozialverbandes Unternehmen zur juristischen Person. Soweit das Unternehmensvermögen als „Sondervermögen" angesehen und der „Unternehmensverband" als „nicht rechtsfähiger Verein" 7 7 , der für das Unternehmen als,,Sondervermögen" handelt, eingeordnet oder ohne weitere Typisierung nur als für das Sondervermögen „handelndes Subjekt" bezeichnet wird, wird man an die Brinz'sche Zweckvermögenstheorie erinnert. Eindeutig für die Erhebung des Unternehmens zur juristischen Person hat sich dagegen Thomas Raiser erklärt 78 . 6. Die These vom Unternehmen als juristischer Person. Nach Thomas Raiser ist das Unternehmen als juristische Person bereits geltendes Recht. Er meint 79 , das klassische Handels- und Gesellschaftsrecht halte zwar „ a n den Kaufleuten und Gesellschaften als den systematischen Leitfiguren und maßgeblichen Rechtssubjekten bis heute fest". Er behauptet aber: „Dagegen ist in allen anderen Gesetzen im Laufe der Zeit der Begriff des Unternehmens an deren Stelle getreten. Es ist der Normadressat namentlich wirtschaftsrechtlicher Vorschriften aller Art und wird in diesen auch als selbständiger Träger privatrechtlicher Rechte und Pflichten angesprochen." Insbesondere beruft Raiser sich dabei auf das Aktiengesetz von 1965 80 , das, wie er meint, „ a n zahlreichen Stellen, namentlich aber im gesamten Konzernrecht, das Unternehmen als eigenes Rechtssubjekt, als selbständigen Träger von Rechten und Pflichten, behandelt" 8 1 . Diese Interpretation der gesetzlichen Regelungen ist unrichtig. So wenig es einen einheitlichen Unternehmensbegriff für alle gesetzlichen Regelungen gibt und so umstritten der Unternehmensbegriff für die Regelung des Aktien77 78 79 80 81
So Kunze, Festschr. Duden, S.218 ff. Das Unternehmen als Organisation, 1969. A . a . O . S.35. A . a . O . S.27 ff. A . a . O . S. 166.
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gesetzes ist 82 , Normadressaten der auf das „Unternehmen" bezogenen gesetzlichen Regelungen sind im Aktiengesetz 1965 wie in den sonstigen Gesetzen die juristischen oder natürlichen Personen bzw. Personengesellschaften als Unternehmensträger und nicht ein ihnen gegenüber verselbständigtes „Unternehmen als Organisation" 83 . Es wäre allerdings an sich „denkbar", das Unternehmen zur juristischen Person zu erheben. Man kann zwar die Formel von dem „Unternehmen an sich" nicht dafür in Anspruch nehmen, daß aus ihr zu folgern wäre, das Unternehmen sei juristische Person 84 . Wenn man aber die Formel nicht, wie es im allgemeinen geschieht, als „Schreckgespenst juristischer Dogmatik" 8 5 verwendet, sondern nur so versteht, daß die Unternehmen „an sich" Sozialgebilde und Leistungs- oder Wirkungseinheiten sind, so sind sie als solche auch prinzipiell fähig, juristische Person zu sein. Sicher ist es allerdings „schon aus Gründen der Logik" ein „abseitiger Gedanke", „das Unternehmen selbst zum Unternehmensträger zu erklären" 8 6 . Das wäre eine Art Münchhausen-Jurisprudenz. Es ist jedoch für eine theoretische Betrachtung, die nicht auf die lex lata abgestellt ist, zu fragen, ob es a priori geboten ist, Unternehmen und Unternehmensträger zu unterscheiden. Voraussetzung dafür, daß die Wirkungseinheit,,Unternehmen" zur juristischen Person erhoben werden kann, wäre, daß für das Unternehmen eine Verfassung besteht, kraft deren durch „Vertreter" für das Unternehmen als juristische Person gehandelt wird 87 . Denn hinsichtlich der juristischen Person ist noch immer die Feststellung Savignys gültig: „Ihr reales Dasein beruht auf dem vertretenden Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr in Folge einer Fiktion als ihr eigener Wille angerechnet wird 8 8 ." Für das geltende Recht ist es nun offenbar so, daß das Unternehmen verfassungsmäßig keine selbständige Existenz gegenüber der Person, juristischer Person, Einzelkaufmann oder Personengesellschaft, hat, der es rechtlich zugeordnet ist. Was das Personenunternehmen anbetrifft, so ist es de lege lata evident, daß der Einzelkaufmann oder die Personengesellschaft bzw. die handlungsbefugten Gesellschafter durch ihr Handeln nicht als „Vertreter" für das Handelsgeschäft als ihnen gegenüber verselbständigte Wirkungseinheit Rechte und Verpflichtungen begründen.
8 2 Siehe Kom. zu § 15 AktG u. Zit. und B G H Z 69, 334 ff. mit der Bejahung, daß auch die Bundesrepublik Deutschland herrschendes Unternehmen sein könne. 8 3 Siehe Rittner, Die werden j . P . , S.307. 8 4 Siehe Rittner S. 288. 8 5 So Raiser, Festschr. Reimer Schmidt, 1976, S. 118. 8ehungs- und Scheidungsverfahren zusammentref-
Stielow/Schmeiduch, § 623 ZPO Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 36. Aufl. 1978, § 623 ZPO Anm. 1. 2 9 M . E . unhaltbar LG Darmstadt, FamRZ 1978, 44; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl. 1977, S 623 ZPO Anm. A I. 3 0 Daß zwischen Aufhebungsklage und Aufhebungs„folgesachen" ein Verbindungsverbot besteht, wird ausdrücklich festgestellt bei Bastian/Roth-Stielow/Schmeiduch, § 610
ZPO Rn.2.
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fen, sei es, daß eine Partei die Aufhebungsklage mit dem Scheidungsantrag verbindet, sei es durch Widerklage (§ 610 II 1 ZPO). Auch in diesem Fall tritt allerdings der Verfahrensverbund nur zwischen dem Scheidungsantrag und den nach § 623 ZPO anhängig gemachten Scheidungsfolgesachen, nie zwischen der Aufhebungssache und dem Rechtsstreit über die Aufhebungsfolgen ein. Der Verfahrensverbund ist also nur vorläufig 3 1 . Er erstarkt nur dann zum Entscheidungsverbund, wenn die Aufhebungsklage nicht zum Zuge kommt und dem Scheidungsantrag stattzugeben ist. Wenn hingegen die Aufhebungsklage begründet ist, kommt es zu keinem Verbund mit Folgesachen 32 . Es gilt dies auch dann, wenn sowohl der Scheidungsantrag als auch die Aufhebungsklage begründet sind. Dann kommt es nach § 18 der 1. DVO zum EheG nur zu einem Aufhebungsurteil, das in keinen Entscheidungsverbund mit Folgesachen gebracht werden darf. Wiederum eine andere Lage tritt ein, wenn die Aufhebungsklage als Hilfsantrag Zu einem Scheidungsantrag geltend gemacht wird; ist dann der Scheidungsantrag begründet, so steht dem Verfahrensverbund nach §§ 623, 629 I ZPO nichts im Wege. b) Der Umstand, daß im Aufhebungsverfahren die Regeln des Verbunds nicht greifen, birgt für den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich ein Problem. Wenn ein Scheidungsverfahren läuft, hat das Gericht gemäß § 623 III 1 ZPO das Verfahren über die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs auch ohne Antrag anhängig zu machen. Wie aber soll das Gericht bei einer Aufhebungsklage mit dem Versorgungsausgleich verfahren? Hat es auch dann von Amts wegen das Ausgleichsverfahren einzuleiten (das dann aber nicht in einen Verbund mit der Aufhebungsklage geraten kann) oder ist in solchem Fall ein Parteiantrag zur Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs notwendig? § 623 III 1 ZPO gibt darüber keine Auskunft, da sich diese Vorschrift nur auf den Verfahrensverbund bezieht, der allein das Scheidungsverfahren betrifft. Die einschlägigen Vorschriften des FGG, in denen diese Frage hätte geregelt werden müssen, schweigen über die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein VersorgungsausgleichsverfaKren eingeleitet werden kann oder muß. M. E. ist außerhalb des Verbunds ein Parteiantrag erforderlich 33 . Allerdings hat die Literatur die Bestimmung des § 623 III 1 schon weithin abstrahiert; häufig wird gesagt, das Verfah-
" „Vorläufiger Verhandlungsverbund", Ausdruck von Bergerfurth, a. a. O.; kritisch zu diesem Vorschlag Rolland, S.729 Rn. 12. u Doch bleiben dann die Folgesachen unter Auflösung des Verbunds als selbständige Familiensachen anhängig, Bergerfurth, a.a.O.; zur Problematik siehe auch Stein/Jonas/Schlosser, § 623 ZPO Rn.2; D.Schwab, a.a.O. 33 So auch Rolland, S. 484 Rn. 34; Ruland/Tiemann, Rn. 668 und wohl auch K. Maier, Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung, 1976, § 623 ZPO Anm.2 (S.401).
Aspekte des Eheaufhebungsverfahrens nach der Eherechtsreform
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ren zur Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs sei von Amts wegen anhängig zu machen. Sollte sich dieser Standpunkt auch im Hinblick auf die Aufhebungs- und Nichtigkeitsklage durchsetzen, so sind allerdings gleichwohl die Gestaltungsrechte der Ehegatten nach § 26 II, § 37 II EheG zu berücksichtigen. Das bedeutet: Das Gericht darf den Versorgungsausgleich solange nicht von Amts wegen anhängig machen, als einer der Ehegatten möglicherweise noch das Recht hat, die Scheidungsfolgen für die Zukunft auszuschließen. c) Als weiterer Vorteil des Eheaufhebungsverfahrens mag der Umstand erscheinen, daß die in § 630 ZPO für das einverständliche Scheidungsverfahren errichteten Hindernisse für das Aufhebungsverfahren keine Bedeutung haben. Nun gibt es freilich von Rechts wegen keine einverständliche Eheaufhebung, weder in Gestalt der beiderseitigen Aufhebungsklage (dann liegt Klage und Widerklage vor) noch in der Form der Zustimmung zum Aufhebungsantrag nach Art des § 630 II ZPO. Das hindert aber nicht, daß die Parteien ein Aufhebungsverfahren einvernehmlich betreiben - bis hin zur Möglichkeit einer „Konventionalaufhebung", mit der die Parteien einen unstreitigen Irrtums Sachverhalt präsentieren, um ein Scheidungsverfahren zu vermeiden. Mit Hilfe des im Eheverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 6161 ZPO) werden die Gerichte Mißbräuchen begegnen können. Die praktische Bedeutung der Eheaufhebung nach Inkrafttreten des l . E h e R G ist schwer abzuschätzen. Daß das Aufhebungsverfahren die Funktion einer beliebten (weil weniger komplizierten) Ersatzscheidung übernehmen könnte, ist unwahrscheinlich. Dagegen wirkt die Einjahresfrist des § 35 EheG. Ferner bleibt zu bedenken, daß das Recht, die Aufhebung zu begehren, auch schon vor Ablauf dieser Frist häufig untergeht (§§ 30 II, 31 II, 32 II, 33 II, 34 II EheG). Immerhin mag die Eheaufhebung in Fällen relevant werden, in denen ein Partner schon nach kürzerer Ehedauer tiefe Enttäuschungen erleidet. Die Störung des ehelichen Verhältnisses - ein Thema des Scheidungsrechts - und Fehlvorstellungen schon bei der Eheschließung - ein Thema des Aufhebungsrechts - werden sich häufig eng berühren. Die Möglichkeiten eines Aufhebungsverfahrens sind auch davon gekennzeichnet, daß die Rechtsprechung, wenigstens bisher, auch den Irrtum über Charaktereigenschaften des Partners als Aufhebungsgrund (§ 32 I EheG) anerkannt hat 34 .
3 4 Umfassende Nachweise bei Erman-Ronke, Soergel/Donau, § 32 EheG Rn.20ff.
BGB, 6. Aufl. 1975, § 32 EheG Rn. 20ff.;
Erbrecht
Zum Verständnis des § 1934c BGB DIETER BÜGGEMANN
Der verehrte Jubilar, von 1954 bis 1965 Vorsitzender des Deutschen Instituts für Vormundschaftswesen in Heidelberg, hat an der Entstehung des sog. Heidelberger Entwurfs zur Neuordnung des Nichtehelichenrechts an herausgehobener Stelle mitgewirkt. Die Diskussion der erbrechtlichen Teile hat er vorwiegend mit dem Verfasser der nachfolgenden Betrachtungen, der damals dem erweiterten Vorstand des Instituts angehörte und der heute einer der Nachfolger des Jubilars im Amt des Vorsitzenden ist, geführt. In dankbarer Erinnerung hieran sei ihm diese Studie gewidmet. Sie behandelt eine später Gesetz gewordene - im Heidelberger Entwurf mit seiner ganz anderen erbrechtlichen Konzeption noch nicht enthalten gewesene - Vorschrift, die nächst dem benachbarten § 1934 d BGB 1 am meisten problematisch ist: interpretatorisch, rechtspolitisch und nicht zuletzt verfassungsrechtlich 2 . I. § 1934 c regelt im Nichtehelichenbereich die materiellen Voraussetzungen des Erbrechts (einschließlich des Erbersatzanspruchs und des Pflichtteilsrechts) für die statusrechtlichen Uberhangsfälle. Insoweit ist sie Komplementärvorschrift zu der des § 1600a. Nicht so sehr zu § 1600a S. 2: daß auch die erbrechtliche Rechtsposition nach keiner Richtung geltend gemacht werden kann, bevor nicht die das verwandtschaftliche Band begründende nichteheliche Vaterschaft durch Anerkennung oder gerichtliche Entscheidung festgestellt worden ist, gilt hier wie sonst; etwas anderes ist „vom Gesetz nicht bestimmt". Das eigentliche Spannungsverhältnis besteht zu § 1600a S . l , wenn man auf dessen durch die Rechtsausübungssperre des S.2 lediglich modifizierten Primäreffekt abstellt. Die Feststellung der Vaterschaft hat grundsätzlich rückwirkende Kraft. Sobald die Vaterschaft nach Schaffung eines der beiden Tatbestände des § 1600 a S. 1 mit Wirkung für und gegen alle feststeht, ist der Status des nichtehelichen [ne.] Kindes mit Wirkung von seiner Geburt ab verbindlich geklärt. Im Grundsatz werden deshalb alle in der Zwischenzeit entstandenen, in der Abstammung vom Vater wurzelnden Rechtsverhältnisse nunmehr aktualisierbar. Der Status ist, sobald in den Formen des 1 2
Paragraphenzitate ohne Gesetzeszusatz beziehen sich im folgenden auf das BGB. Zu dieser Problematik bereits: Bosch, FamRZ 1972, 175 sub III, b.
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Dieter Brüggemann
§ 1600a S . l „ans Licht gehoben", unteilbar. Der Vorgang als solcher konkretisiert sich zwar bis dahin in Stufen 3 : seine Wirkung ist gleichwohl keine zeitlich gestufte. Ist er mit positivem Ergebnis abgeschlossen, so ist das ne. Kind zu keiner Zeit „niemandes Kind" gewesen. Eben hier macht § 1934 c für das Erbrecht eine Ausnahme. Danach gibt es nun in der Tat so etwas wie einen gespaltenen Status. Die Feststellung der Vaterschaft kann durchaus auch nach dem Tode des Vaters, ja auch noch nach dem Tode des Kindes (nur nicht nach beider Tode) erfolgen. § 1600n II sieht hierfür eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vor. Im übrigen kann auch eine vom Vater noch zu Lebzeiten ausgesprochene Anerkennung sich durch Zustimmung des Kindes nach seinem Tode vollenden. Diese letztere Fallgruppe bereitet noch die geringste Schwierigkeit. Die postmortale gerichtliche Feststellung der Vaterschaft hingegen, soll sie erbrechtliche Positionen begründen, ist an bestimmte, auf den Erbfall bezogene Verfahrenslagen gebunden und zum Teil auch noch mit Höchstaltersgrenzen für das Kind verknüpft. Wird diesen Voraussetzungen nicht genügt, so soll eine später in Gang gesetzte und durchgesetzte positive Entscheidung des Vormundschaftsgerichts dem Kinde und nur ihm — erbrechtlich nichts mehr nützen. Die Rückbeziehung der Vaterschaftsfeststellung auf die Geburt, gegebenenfalls (§ 1923 II) den Erbfall entfällt. Hier, für das Erbrecht, ist es dann wirklich „niemandes Kind" gewesen, mag es auch in allen anderen rechtlichen Beziehungen 4 mit voller Rückwirkung vom ersten Tage ab als das Kind seines verstorbenen Vaters angesehen werden müssen. Ein diskrepantes Ergebnis - und es fällt auf, daß es in dieser seiner Diskrepanz bisher noch kaum bemerkt worden ist. Der Gesetzgeber hat das, was hier geschaffen wurde, ausschließlich mit praktischen Erwägungen der Vermeidung von erbrechtlichen Schwebezuständen bei hinzukommender Beweisnot des Erben in der postmortalen Klärung der Vaterschaft begründet 5 . Das Schrifttum hat diese Begründung durchweg übernommen 6 . Die Frage, ob die Begründung schlüssig ist, sei hier zunächst aufgeschoben. Die Notwendigkeit ihrer Erörterung stellt sich in späterem Zusammenhang, wenn die Verfassungsmäßigkeit der getroffenen Regelung zu prüfen sein wird (IV), was wiederum nur vor dem Hintergrund ihrer Auswirkungen (III) sinnvoll erfolgen kann. Zuvor jedoch sei ein Blick auf die rechtssystematischen und interpretatorischen „Binnenschwierigkei-
Vgl. § 641 d ZPO. Dazu etwa O L G Düsseldorf, FamRZ 1976, 226 und Anm. Bosch. 5 Amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, abgedruckt bei Jansen-Knöpfel, Das neue Unehelichenrecht, S. 444 ff. 6 Gelegentlich sogar in einer etwas unkritisch anmutenden Vollständigkeit: Erman-Bertholomeyczik-Schlüter, 6. Aufl. Rdn. 2 zu § 1934 c. 3 4
Zum Verständnis des § 1934 c B G B
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ten" der Vorschrift geworfen (II). Sie sind in der oben angesprochenen Diskrepanz zum Teil schon mitgegeben. II. 1. Der Wortlaut unserer Bestimmung hat hie und da Zweifel wegen seiner Auslegung hervorgerufen. Das wäre freilich noch nichts, was besondere Aufmerksamkeit verdiente. Dieser Punkt mag daher nur kurz gestreift werden. a) Daß es nach Abs. I S . 1, II zur Erhaltung der erbrechtlichen Rechtsstellung des Kindes genügen soll, wenn das gerichtliche Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft im Zeitpunkt des Erbfalls bereits „anhängig" war, könnte die Frage aufwerfen lassen, ob die bloße Einreichung der Feststellungsklage beim Gericht ausreiche oder aber die Begründung der Rechtshängigkeit im förmlichen Sinne der §§ 253 1,261 I ZPO zu fordern sei. Die Fragestellung erinnert an eine ähnliche bei § 8471S. 2. Die dortige heftige Kontroverse 7 ist für uns indessen nicht hilfreich, da sie sich an dem Terminus „rechtshängig" entzündet hat. § 1934 c gebraucht den umfassenden Begriff „anhängig", und mit Grund. Denn als „gerichtliches Verfahren" kann ja auch ein nach dem Tode des Vaters beim Vormundschaftsgericht betriebenes - für den Bereich des Abs. II, in Grenzfällen sogar für den des Abs. I S . I 8 - in Betracht kommen. Im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren gibt es keine Rechtshängigkeit und keinen diesen begründenden Zustellungsakt. Was aber dem Bemühen auf Anrufung des Vormundschaftsgerichts recht ist, sollte dem gleichen Bemühen auf Anrufung des Prozeßgerichts billig sein: auch hier sollte daher die Einreichung der Klageschrift genügen 9 . Allerdings nicht die Einreichung des (bloßen) Armenrechtsgesuchs, und wohl auch nicht 10 die Einreichung der Klage Nachweisung bei Palandt-Thomas, 37. Aufl. Anm. 5 zu § 847. Das Kind ist vor dem Vater, aber unter Hinterlassung von Abkömmlingen verstorben; nach seinem Tode macht seine noch lebende Mutter das Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft vor dem Vormundschaftsgericht gegen den (vielleicht erst jetzt ausfindig gemachten) Vater anhängig; im Laufe dieses Verfahrens stirbt der Vater, woraufhin die Abkömmlinge des Kindes ihre Erbrechte oder Erbersatzansprüche nach dem Vater geltend machen. Darüber, daß für die Abkömmlinge des Kindes in solchen Fällen die Voraussetzungen des § 1934c aus der Person ihres Aszendenten erfüllt sein müssen, s. unten Fn.31. 9 A.M.Odersky, Nichtehelichengesetz, 3. Aufl. Anm. III, 2 b zu § 1934c; anscheinend auch Bosch FamRZ 1972, 175 („Klageerhebung"). Auch O L G Freiburg, DAV 1978 Sp. 220 neigt dieser Auffassung zu aus Gründen der Rechtssicherheit, weil der testierende Vater bzw. die testierenden Verwandten von Vaters Seite durch die Zustellung der Klage vergewissert sein müßten, auf welche möglichen erbrechtlichen Situationen sie sich einzurichten hätten. Aber gegenüber einem Antrag an das Vormundschaftsgericht (s. vorstehend Fn. 8) sticht dieses Argument ohnehin nicht. 1 0 A . M . Johannsen, WM 1970 Sonderbeil. 3 S.4 („Schließung einer Gesetzeslücke"); ihm folgend Palandt-Keidel, Anm. 2 c, cc zu § 1934 c. 7 8
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durch das Kind, wenn das in Unkenntnis darüber geschah, daß der Vater bereits verstorben war. Denn dieses Risiko ist für das Kind kein anderes, als wenn es den Falschen verklagt 11 ; zudem wird in manchen (wenngleich nicht allen) Fällen eine Umdeutung der irrig gegen den Toten erhobenen Klage in einen an das zuständige Vormundschaftsgericht gerichteten Antrag nach Abs. I S . 2 i. V. m. § 1600n II helfen können, wenn das Prozeßgericht die „Klage" noch fristwahrend an das Vormundschaftsgericht weiterleitet. b) War das im Zeitpunkt des Erbfalls bereits anhängige Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft eine Klagesache (§§ 640 II Nr. 1, 641 ZPO), so ist sie durch den Tod des Vaters 12 in der Hauptsache erledigt, §§ 6401, 619 ZPO. Das die Erledigung herbeiführende Ergebnis ist in der Regel 13 mit dem Erbfall identisch.Der Voraussetzung zur Wahrung der erbrechtlichen Rechtsstellung ist durch die Tatsache allein, daß das Verfahren im Zeitpunkt des Erbfalles anhängig war, genügt. Um die erbrechtliche Position demnächst geltend machen zu können, ist nur noch erforderlich, die Feststellung zum Abschluß zu bringen. Dafür ist nunmehr das Vormundschaftsgericht anzurufen. Eine Frist hierfür ist nicht vorgeschrieben 14 . Körting 15 will hier den Abs. IS. 2 ausdehnend angewendet wissen und die Anrufung des Vormundschaftsgerichts an eine Frist von 6 Monaten vom Erbfall (= von der Erledigung des Vaterschaftsprozesses) ab binden. Seine Begründung: dem neben oder anstelle des Kindes zum Zuge kommenden Erben könne die Ungewißheit über die etwaigen erbrechtlichen Ansprüche nicht zugemutet werden, schlägt jedoch nicht durch. Die Ungewißheit ist keine größere als bei einem jeden sonst denkbaren nachträg-
11 Darüber s. unten im Text unter III 2 a und Lutter, Das Erbrecht des nichtehelichen Kindes, 2. Aufl. S.28. 1 2 Oder des Kindes, wenn es um seine Beerbung geht. Allerdings ist die Anrufung des Vormundschaftsgerichts nur noch durch die Mutter möglich (§ 1600n II). Lebt auch sie nicht mehr, so ist die Feststellung der Vaterschaft endgültig „gekappt" und damit auch jedweder, aus ihr herzuleitender erbrechtliche Anspruch (etwa für die Abkömmlinge des Kindes; oben Fn. 8). 13 Wenngleich nicht notwendig. Denkbar wäre z.B. der Fall, daß der Großvater des Kindes stirbt und gesetzlich beerbt wird, der Vater des Kindes (der außer diesem vielleicht noch eheliche hat) unter Beschränkung auf seine Person (§ 2349) zu Lebzeiten des Erblassers auf sein Erbrecht verzichtet hatte oder nunmehr die Erbschaft ausschlägt, um sie seinen Kindern zugute kommen zu lassen (§ 1953 II), und daraufhin der Erbersatzanspruch des ne. Kindes nach dem Großvater (§ 1934 a I) aktuell wird. Beim Tode des Großvaters, also beim Erbfall lief erst der Statusprozeß gegen den Vater (Fall des § 1934 c II): dieser verstirbt nunmehr, woraufhin der Prozeß sich in der Hauptsache erledigt. 14 OLG Düsseldorf, FamRZ 1976, 226; mit der im Text zu behandelnden Ausnahme allg.M. 15 NJW 1970, 1525ff., 1526; 1971, 23. Beipflichtend: Palandt-Keidel, Anm.2c, cc zu § 1934c.
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liehen Auftreten konkurrierender Erbprätendenten. Bis zur endgültigen Klärung ist durch eine Nachlaßpflegschaft nach § 1960 I S. 2 für den unbekannten (unbekannt welchen) Erben, ggf. für dessen etwa in Betracht kommende Erbquote Vorsorge zu treffen 16 . Zudem brächte die Körtingsche, von Palandt-Keidel geteilte Auffassung sehr schwer lösbare Schwierigkeiten wegen der Fristberechnung dort, wo der Fall so liegt wie in Fn. 12 dargestellt, weil Erbfall und Erledigung des Vaterschaftsprozesses nicht notwendig zusammenfallen. Namentlich aber wären die anderen Erbschaftsbeteiligten gegenüber einem untätig bleibenden Kinde keinesfalls auf das bloße Warten-müssen verwiesen. Sie können durch eine Klage auf Feststellung der Nicht-Erbberechtigung bzw. des Nichtbestehens von Erbersatzansprüchen das Kind zwingen, aktiv zu werden. Denn solange die Vaterschaft zu dem zu verklagenden Kinde nicht festgestellt ist, könnte dieses einer solchen Klage weder prozessual - es kann seine Berühmung der Abstammung vom Erblasser, solange sie noch durch das Vormundschaftsgericht festgestellt werden könnte, nicht in der Schwebe lassen, ohne einen Anlaß zur negativen Feststellungsklage zu geben - , noch materiellrechtlich (§ 1600a S.2!) mit Erfolg entgegentreten. Die Klage müßte vielmehr ohne weiteres durchdringen, und an der Rechtskraft des Urteils würde auch jede spätere Inanspruchnahme erbrechtlicher Rechte durch das Kind, falls es nun noch nachträglich die Vaterschaft vormundschaftsgerichtlich feststellen ließe, scheitern 17 . Das Kind wäre also gezwungen, umgehend das Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht anhängig zu machen und den Rechtsstreit auf Feststellung seiner Nicht-Erbberechtigung daraufhin aussetzen zu lassen (§ 148 ZPO). Vollends unmotiviert ist die Einschränkung, mit der Körting seine analoge Anwendung des Abs. I S. 2 unserer Vorschrift nur für die Fälle in Erwägung gezogen wissen will 1 8 , in denen das Kind im Zeitpunkt der Erledigung des Vaterschaftsprozesses durch den Tod des Vaters weniger als 6 Monate alt ist 19 . Das wäre zwar konsequent. Doch entbehrt es jedes rechtfertigenden Grundes, warum ein Kind, wenn es in diesem Zeitpunkt die 6-Monats-Schwelle bereits überschritten hat, allein deshalb von jeder Befristung für das demnächstige Weiterbetreiben der Vaterschaftsfeststellung beim Vormundschaftsgericht freigestellt sein soll. Die Körtingsche OLG Stuttgart, NJW 1975, 880; Knur, Betrieb 1970, 1061. Darüber, daß an dieser Wirkung der Rechtskraft auch die inter-omnes-Wirkung der später ergehenden Vaterschaftsfeststellung (§ 640h ZPO; für die Vaterschaftsfeststellung durch das Vormundschaftsgericht: Jansen, Komm. z. FGG Rdn. 19 zu § 55 b) nichts ändert: Stein-Jonas-Schlosser, Komm. z. ZPO, 20. Aufl. Rdn. 3 zu § 640 h. Nicht einmal eine Restitutionsklage wäre alsdann möglich; § 580 Nr. 7 Buchst, b ZPO ergreift solche Fälle nicht. 18 Nicht einmal Palandt-Keidel scheint sich diese Einschränkung zu eigen machen zu wollen, wie sich aus seiner Bemerkung unter 2 b zu § 1934 c ergibt. 19 Gerade hierauf ist der a. a. O. S. 1526 gebildete Beispielsfall abgestellt. 16
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Ansicht wird denn auch, von der zitierten Stelle bei Palandt-Keidel abgesehen, nirgends sonst vertreten 20 . c) Die Ausgestaltung der Antragsfristen nach Abs. I S.2 kennt keinen Zusatz nach dem Muster der §§ 1599 III, 16001 III. Ist daraus zu folgern, daß der Antrag, einmal fristgerecht beim Vormundschaftsgericht gestellt, die erbrechtliche Position auch dann wahre, d.h. offenhalte, wenn er wieder zurückgenommen wird, um erst nach Ablauf der Frist neu gestellt zu werden? Das wird zu verneinen sein. Nicht die Stellung des Antrags allein, sondern die durch ihn in Gang gesetzte Durchführung des Verfahrens ist der gesetzgeberische Grund für die postmortale Zulassung der Vaterschaftsfeststellung mit erbrechtlicher Wirksamkeit. Das Kind (oder doch, nach dessen Tode, die Mutter) soll den Antrag stellen dürfen, um daraufhin die Klärung der Vaterschaft zügig herbeizuführen. Ein bloßer Signaleffekt, wie er vielleicht dem Antrag als solchem zukäme, ist mit dem Zwang zur rechtzeitigen Antragstellung nicht gemeint 21 . 2. Stärker ins Grundsätzliche führen weitere Fragen. a) Man ist allgemein darüber einig, daß die Begründung der erbrechtlichen Rechtsstellung, soweit sie auf eine Anerkennung der Vaterschaft zurückgeht, nicht den vollständigen Abschluß des Anerkennungsvorgangs zu Lebzeiten des Vaters voraussetzt, sondern daß die Zustimmung des Kindes (§ 1600 c I) auch noch nach dem Tode des Vaters nachgeholt werden kann 22 . Nun deckt die hierfür gegebene Begründung eine seltsame Unsicherheit darüber auf, ,,ab wann" die Anerkennung wirksam werde. Ganz überwiegend wird gelehrt, die Anerkennung werde - ex nunc wirksam mit dem Vorliegen aller hierfür erforderlichen Erklärungen, also einschließlich der Zustimmung des Kindes 23 . Eine Ausnahme macht der Ermansche Kommentar; er spricht, was die Zustimmungserklärung des Kindes anlangt, von einer Rückbeziehung ihrer Wirkung auf den Zeitpunkt der Anerkennung 24 . Warum dann aber jene überwiegenden Stimmen eine nach dem Tode des Vaters abgegebene Zustimmungserklärung des Kindes gleichwohl der Anerkennung durch den Vater zur Wirksamkeit auf einen Zeitpunkt vor dem Erbfall verhelfen lassen wollen, nur um damit der Regelvoraussetzung des § 1934 c S. 1 gerecht zu werden, müssen
2 0 Gegen die Annahme einer Befristung insbes. Lutter a. a. O . S. 27, Firsching D N o t Z 1970, 521. 2 1 S. dazu oben Fn. 9. 22 Odersky, Anm.II 1 a zu § 1934c; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, Rdn.3 zu § 1934c; Soergel-Siebert-Schippel, Rdn.3 zu § 1934c. 23 Soergel-Siebert-Lade, Rdn.5 zu § 1600e; Odersky, Anm.II, 3 zu § 1600c; MchnKomm., Rdn.3 zu § 1600c. 2 4 Rdn.3 zu § 1600c.
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sie - soweit das überhaupt geschieht25 - mit höchst gewundener und kaum schlüssiger Begründung zu rechtfertigen suchen. So meint Odersky 2 6 : da im Verfahren der gerichtlichen Vaterschaftsfeststellung ein vor dem Tode des Vaters ergangenes Urteil genüge und dessen Rechtskraft, selbst wenn erst nach dem Tode des Vaters eintretend, zurückwirke, müsse ein gleiches auch für die postmortale Vollendung des Anerkennungsaktes durch Zustimmung des Kindes als im Sinne des Gesetzes liegend erachtet werden. Doch ist zum einen schon die Prämisse weder richtig (ein nach Verkündung, aber während der Rechtsmittelfrist eintretendes Ableben des Vaters kann das Urteil nicht mehr rechtskräftig werden lassen: der Prozeß ist in der Hauptsache erledigt) noch auch sonst überzeugend (§ 1934 c I S. 1 meint ersichtlich die formelle Rechtskraft, während die „Rückwirkung" allenfalls etwas mit der materiellen Rechtskraft zu tun hätte). Zum anderen ist der ganze Vergleich nicht stimmig, weil die gerichtliche Vaterschaftsfeststellung für das Erbrecht ohnehin nicht abgeschlossen zu sein braucht, vielmehr es genügt, daß das Verfahren beim Tode des Vaters anhängig war: auch ohne Urteil und ohne Rechtskraft. Auffällig bleibt, daß sogar der Ermansche Kommentar 26 nur „unter Zurückstellung grundsätzlicher Bedenken" das Kind im Ergebnis erben lassen will - dabei hätte er solche Bedenken von seinem eigenen Standpuntk der Rückbeziehung aus gar nicht nötig gehabt. Was hier in Wahrheit vorliegt, scheint mir eine Vertauschung der Begriffe zu sein. Man verwechselt die Frage, von wann ab ein mehrstufiger Sachverhalt rechtliche Wirkungen auszulösen befähigt wird, mit der anderen, auf welches der so gestuften Elemente die rechtlichen Wirkungen, sobald sie in Anspruch genommen werden können, bezogen sind. Es ist das gleiche Problem wie in § 184 I, auch wenn diese Bestimmung hier nicht einschlägt. Die Rechtsausübungssperre 27 des § 1600a S.2 wird erst beseitigt mit dem Abschluß der Anerkennung als eines in mehreren Teilakten sich vollziehenden Vorgangs. Insofern wirkt die Zustimmungserklärung des Kindes ex nunc. Etwas anderes dagegen ist das bestimmende Moment für die Anknüpfung der Anerkennungswirkungen, wenn jene Sperre erst einmal beseitigt ist. Unter diesem Gesichtswinkel macht die Zustimmung des Kindes die Anerkennung wirksam auf den Zeitpunkt ihrer Abgabe durch den Vater (und, von da ausgehend, mit weiterer Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Geburt). Das gilt für § 1934c nicht anders als für § 1615d und für § 1740e. Stirbt der Vater nach Abgabe seiner An2 5 Der MchnKomm. erklärt a. a. O. im Hinblick auf die von ihm verneinte Rückbeziehung schlicht: „Rechtsnachteile für das Kind ergeben sich aus dieser Annahme nicht." Das Problem des § 1934c I S. 1 wird nicht in den Blick genommen. 2 6 A . a . O . (Fn.22). 27 Gemhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 2. Aufl. S. 659.
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erkennungserklärung und erteilt das Kind nunmehr die Zustimmung, so kann es allen etwa rückständigen Unterhalt bis zum Tode des Vaters verlangen - die Vertreter der ex-nunc-Wirkung kämen hier in notwendig größte Bedrängnis28. Für die Anwendung des § 1740 e - Ehelicherklärung nach dem Tode des Vaters, der mit der Mutter des Kindes verlobt gewesen war - kann nicht nur die Zustimmung des Kindes zu einer vom Vater erklärten Anerkennung noch nach dessen Tode nachgeholt werden. Abs. II dieser Bestimmung wird dann unanwendbar, der im übrigen dem § 1934 c I nachgebildet ist. Es läuft aber auch die Jahresfrist für die Antragstellung in diesem Falle vom Tode des Vaters ab (§ 1740e I S. 1): das Kind kann sich eine Fristverlängerung nach Art des Abs. IS. 2 das. nicht dadurch verschaffen, daß es die Abgabe seiner eigenen Zustimmungserklärung über § 1600 e III bis zu 6 Monaten hinauszögert, um daraufhin mit dem Antrag sich 1 weiteres Jahr Zeit lassen zu wollen. b) Das Gesetz läßt im Stich bei der Antwort auf die Frage, wie der Verlust der erbrechtlichen Position, wenn die Erfordernisse des § 1934 c nicht erfüllt sind, dogmatisch einzuordnen sei. Das ist deshalb bemerkenswert, weil es für alle vergleichbaren Tatbestände die Antwort bereit hält: für die Erbausschlagung in § 1953 II, für die Erbunwürdigkeitserklärung in § 2344 II, für den Erbverzicht in § 2346 I S.2. Das Problem kann sogar durchaus praktisch werden. Odersky 29 meint, ein kraft des § 1934 c nicht zum Zuge kommendes Kind sei so anzusehen, als habe es die Erbschaft bzw. den Erbersatzanspruch ausgeschlagen. Ganz abgesehen davon, daß für die Anwendung des § 1934 c auch ein Pflichtteil akut sein kann (der Vater hat in seinem Testament, .vorsorglich alle nichteheliche Deszendenz auf den Pflichtteil gesetzt") und es eine Pflichtteilsausschlagung nicht gibt: die Stimmigkeit der Oderskyschen Denkfigur würde sich am Falle des § 2310 S. I 3 0 erweisen müssen. Für die Ermittlung der dem Pflichtteil eines anderen Erbbeteiligten zugrundezulegenden Erbquote hätte unser Kind als „Zählperson" zu gelten, wenn es wie ein die Erbschaft Ausschlagender behandelt werden müßte. Ein un-
28 Auch wenn der Unterhalt nach § 1615d für die Vergangenheit nachverlangt werden kann: vorausgesetzt bliebe doch immer die Unterhaltspflicht als solche. Sollte der sie begründende Tatbestand erst nach dem Tode des Unterhaltsverpflichteten gesetzt werden können? 29 Anm.II, 2 c zu § 1934 c. 30 Auch wenn weitere Folgen nicht in Betracht zu ziehen wären, insbesondere nicht solche aus § 1953 II. Etwa vorhandene Abkömmlinge des ne. Kindes träten nämlich selbst dann nicht an die Stelle des „Ausschlagenden", wenn dessen Abstammung vom Erblasser noch nach Ablauf der Frist des § 1934 c I S. 2 im Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht festgestellt würde. Dem stünde, wenn nicht bereits § 1934 c II, so jedenfalls die Erwägung entgegen, daß der über § 1953 II zum Zuge kommende Abkömmling nicht mehr an Rechten haben kann, als der „Ausschlagende" gehabt hätte.
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annehmbares Ergebnis: dem Kind wäre nicht nur die Erbenstellung versperrt; es „kürzte" auch noch fremde Pflichtteile - als ein Doppelprofit des Erben! Hilft eine Vorversterbensfiktion wie in den gesetzlichen Präzedenzfällen der §§ 1953 II, 2344 II, 23461S. 2? Eine solche müßte sich notwendig auf die Abkömmlinge des Kindes erstrecken31. Nun wird sie (das Gesetz schweigt) auch dem Institut des vorzeitigen Erbausgleichs dienstbar gemacht 32 . Doch rechtfertigt sich das dort aus der Nähe zum Erbverzicht; außerdem wird der vorzeitige Erbausgleich von dem Kinde aus dem gesicherten Status des gesetzlichen Erbanwärters beansprucht. Gerade ihn will § 1934c nur bedingt anerkennen. Das Kind soll vielmehr für das Erbrecht auf dem Status „stehen bleiben", den es im Zeitpunkt des Erbfalles hatte: als dem eines zwar naturaliter vom Vater Abstammenden, für den die Statushebung aber noch nicht eingeleitet war, so, als sei die Nachholung nicht mehr möglich (gewesen). Eben dies ist es, was eingangs als gespaltener Status bezeichnet worden ist. Das Kind „zählt" nicht nur nicht (deshalb auch für §2310 S. 1 nicht); seine Existenz ist erbrechtlich schlechthin irrelevant. c) § 1934 c ist eine Vorschrift des gesetzlichen Erbrechts. Strahlt sie aus auf Verfügungen von Todes wegen, durch die das ne. Kind bedacht worden ist oder als bedacht zu gelten hätte? aa) Fraglos kann der Erblasser sein ne. Kind ohne Rücksicht auf einen i. S. des § 1600a verfestigten Status in gleicher Weise wie einen beliebigen Dritten bedenken. Hätte er dagegen „seine Kinder" oder „seine Abkömmlinge" unter solcher globalen Bestimmung bedacht, so wird man annehmen müssen, daß das ne. Kind nur insoweit miterfaßt ist, als es im Falle der gesetzlichen Erbfolge Erbe wäre oder mindestens den Erbersatzanspruch hätte. Das ergibt das Gesamtbild der in den §§ 2067-2069 gegebenen gesetzlichen Auslegungsregeln - und der ihnen zugrundeliegenden Wertungen - , auch wenn keine dieser Vorschriften einzeln auf den Beispielsfall paßt. Über diese Brücke kann dann § 1934 c zu mittelbarer Wirkung kommen. Zu ähnlichen, teils auch zu umgekehrten Ergebnissen führen Fallgestaltungen im Bereich des § 2078 II. Der Erblasser hatte die Anerkennungserklärung kurz vor seinem Tode angegeben und das Kind in einem gleichzeitig errichteten Testament mit einem Vermächtnis bedacht. Die Zustimmungserklärung des Kindes zur Anerkennung kommt vor seinem Tode nicht mehr zustande; nachher entfällt sie, weil das Kind die 631
Denn auch für diese müßten, sollen sie zur Erbschaft gelangen, die Voraussetzungen des § 1934 c in der Person ihres Aszendenten - = des Probanden, auf den § 1934 c abstellt erfüllt sein: insoweit richtig Odersky, Anm. II, 5 zu § 1934c. 32 Odersky, Anm. III, 3 zu § 1934 e; Soergel-Siebert-Schippel, Rdn. 5 zu § 1934 e; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, Rdn. 2 zu § 1934 e.
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Monatsfrist des § 1600e III verstreichen läßt. Die Anerkennung ist damit endgültig gescheitert, der Anfechtungstatbestand des § 2078 II sicherlich gegeben. Der Erblasser dürfte von der Erwartung ausgegangen sein, sein Vaterschaftsbekenntnis werde vom Kinde gehörig „honoriert" werden. Eine „bloß" gerichtlich als sein Kind festgestellte Person würde er (schon wegen des daran haftenden Odiums) nicht bedacht haben. Es nützt dem Kinde also zur Gewinnung des Vermächtnisses nichts, wenn es, durch den Fehlschlag der Anerkennung nicht gehindert, das Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft vor dem Vormundschaftsgericht anhängig macht und damit Erfolg hat. Der Fall läßt sich aber so umbilden, daß der Erblasser das Kind in seinem Testament zum Erben eingesetzt hat und sein Tod der beabsichtigten Anerkennung - diese Absicht war in dem Testament als Grund der Bedenkung zum Ausdruck gebracht - zuvorgekommen ist. Wenn jetzt das über 6 Monate alte Kind den Weg zum Vormundschaftsgericht beschreitet und die Vaterschaft feststellen läßt, so hätte es damit zwar ein gesetzliches Erbrecht nicht mehr retten können. Wohl aber steht der Erfolg der vormundschaftsgerichlichen Vaterschaftsfeststellung der Anfechtung der testamentarischen Erbeinsetzung aus § 2078 II entgegen. Denn obschon die beim Erblasser vorhanden gewesene Erwartung der demnächstigen Vaterschaftsanerkennung sich nicht verwirklicht hat, ist der letztlich anvisierte Rechtserfolg, das „bestätigte Vater-Kind-Verhältnis", doch auf anderem und hier nun nicht mehr imponderabil belasteten Wege eingetreten. Da dem eigentlichen Anliegen des Erblassers Genüge geschehen ist, wird es damit sein Bewenden haben. § 1934 c steht der (testamentarischen) Erbfolge nicht entgegen. bb) Hinwiederum käme § 1934 c zur unmittelbaren Anwendung in einer Konstellation, die den gesetzlichen Erben als testamentarisch eingesetzten Nacherben fingiert. Das ist der Fall des § 2104. Der Erblasser hat eine Vorerbschaft angeordnet und den Vorerben bestimmt, ohne den Nacherben zu benennen. Daraufhin soll als Nacherbe derjenige anzusehen sein, der gesetzlicher Erbe sein würde, wenn der Erblasser im Zeitpunkt des Nacherbfalles verstorben wäre. Hier also würde es genügen, wenn eine vormundschaftsgerichtliche Feststellung der Vaterschaft wann immer sie beantragt worden ist und ohne Rücksicht auf das Alter des Kindes im Zeitpunkt der Antragstellung - beim Eintritt des Nacherbfalles anhängig ist, um das Kind in die Nacherbenstellung einrücken zu lassen. Hätte es alsdann Kollisionserben i. S. des § 1934 a neben sich, so erhielte es anstelle seiner Nacherbportion einen entsprechenden Erbersatzanspruch: eine singuläre Erscheinung des „Nacherbersatzanspruchs", für den ei, soweit ich sehe, sonst keine erbrechtliche Parallele gibt 33 . 3 3 Es ließe sich einwenden, der Vater könne seine ehelichen Kinder zu Nacherben (etwa: nach seiner Ehefrau als Vorerbin) eingesetzt und dem ne. Kinde auf den Nacherbfall einen
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d) Damit weitet sich die Problemstellung zu der allgemeinen Frage: Behält das in Auswirkung des § 1934 c von der erbrechtlichen Rechtsstellung ausgeschlossene ne. Kind wenigstens ein Einrederecht aus gerichtlich festgestellter Abstammung, sofern die Feststellung, wenngleich ohne die privilegierenden Voraussetzungen des § 1934c I S . 2 und daher nicht mit dessen Wirkungen ausgestattet, später doch noch erfolgt ist? Könnte es, in dem unter II 2 c aa zuletzt gebildeten Beispielsfall als einziger Abkömmling seines im Ledigenstande verstorbenen Vaters zum Vollerben eingesetzt, dessen Eltern die Erfüllung der Pflichtteilsansprüche verweigern? Könnte es, mit einem Vermächtnis bedacht, dem zwecks Mittragung einer Pflichtteilslast erhobenen Kürzungsverlangen des Erben die Einrede des eigenen Pflichtteilsvorbehalts (§ 2318 II) entgegensetzen? Vermöchte es dies in beiden Fällen unter Hinweis darauf, daß es immerhin festgestellter Abkömmling des Erblassers sei und damit „an sich" - materiell - erbbzw. erbersatzberechtigt wäre, würde es nicht aus den rein rechtstechnischen Gründen des § 1934 c vom Erbrecht ausgeschlossen? Doch auch das ist m . E . zu verneinen. Diejenigen Personen, denen das Kind mit solcher Einrede entgegenträte, haben ihre Rechtsstellung gerade deshalb, weil das Kind nicht gesetzlicher Erbe geworden wäre: sowohl die Eltern (gegenüber dem testamentarisch eingesetzten Kind) wie der Erbe, der im Falle des § 2318 und entgegen Abs. II dortselbst von dem Kinde als Vermächtnisnehmer die ungekürzter Mittragung der Pflichtteilslast verlangt. Dann aber ist es nicht angängig, diese Rechtsstellung dadurch zu paralysieren, daß man dem Kinde eine virtuelle, „reflektorische" Erbenqualität beilegt, die es nun einmal nicht hat und nach dem Gesetz auch nicht haben soll. III. Nächst der Feldbereinigung ist zu fragen, was die Vorschrift des § 1934 c mit ihrem so festgestellten Gehalt denn nun leistet. Sicherlich eine Vereinfachung der Nachlaßabwicklung durch Konzentration auf einen feststehenden Anwärterkreis. Aber dieser Vorzug wird erkauft mit zahlreichen inneren Widersprüchen, die die Tragfähigkeit der gesetzgeberischen Lösung schon aus sich heraus in Zweifel ziehen. 1. Beginnen wir mit dem, was der Gesetzgeber bewußt und gewollt verordnet hat. a) Da ist zunächst die nicht zu übersehende Schlechterstellung des Kindes (und seiner Abkömmlinge) als Erben im Vergleich zum Vater, der Erbersatzanspruch bestimmt haben. Das begründet dann aber keinen „Nacherb-Ersatzanspruch" im nacherbrechtlichen Sinne (wie im Text über § 2104 i. V. m. § 1934 a), sondern wäre nichts als die schlichte Bestimmung des Erbersatzanspruchs unter Hinzufügung einer Bedingung (zugleich Befristung), deren Wirkungen - eine pflichtteilsrechtliche Kategorie sich aus § 2306 I S . 2 i . V . m . § 2338a S.2 beurteilen.
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das Kind seinerseits beerbt. Macht das Kind erbrechtliche Rechte geltend, bevor die Dinge noch zu Lebzeiten des Vaters zur Anerkennung oder zur Einleitung der Vaterschaftsklage hatten gedeihen können, so kommt ihm, von der engen Ausnahmesituation des § 1934c I S.2 abgesehen, eine postmortal mögliche Feststellung der Vaterschaft im Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht nicht mehr zustatten. Verstirbt dagegen das Kind, so gelangt der Vater in den Genuß von Erbenstellung, Erbersatzanspruch und Pflichtteil selbst dann, wenn die Feststellung der Vaterschaft nach dem Tode des Kindes „irgendwann" nachgeholt wird. Der sonst strikt durchgehaltene Grundsatz des erbrechtlich allseitig wirkenden Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Vater und Kind ist hier durchbrochen, die (mindestens theoretische) Ausgewogenheit korrespondierender Beerbungschancen zu Lasten des Kindes verschoben. § 1934c bleibt bei Erbfällen nach dem Kinde außer Anwendung 34 . Allerdings wird die Besserstellung des Vaters stark relativiert durch den Umstand, daß hier nicht der Erbaspirant aus eigenem Recht, sondern nur die Mutter des Kindes das Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht mit dem Ziele der nachträglichen Feststellung der Vaterschaft betreiben kann (§ 1600n II). Selbst eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft, die der Vater etwa vor dem Erbfall angestrengt hatte, vermöchte ihm nicht mehr zu helfen: sie hat sich ja durch den Tod des Kindes erledigt und wird nicht etwa von Amts wegen in das Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht übergeleitet. Ich teile nicht einmal die Ansicht von Odersky 3 5 , wonach die Mutter, die es ablehnt, den Antrag an das Vormundschaftsgericht zu richten, den Vater (über § 826?) so zu stellen habe, als sei die Vaterschaft durch das Vormundschaftsgericht nachträglich festgestellt - was in dem von Odersky gebildeten Beispielsfall auf die Zahlung eines „Erbersatzanspruchs-Ersatzes" durch die Mutter als Erbin des Kindes hinausliefe. Das bedeutete nichts Geringeres als die Ausschaltung des § 1600a S. 2 mit der Notwendigkeit, die Vaterschaft nun doch im Schadensersatzprozeß incidenter festzustellen. So etwas bliebe allenfalls in den von Gernhuber 36 angesprochenen Ausnahmesituationen hinnehmbar, wo die Renitenz der Mutter nur als Böswilligkeit oder Schikane zu deuten wäre. Aber ist sie das hier wirklich? Odersky übersieht, daß die Mutter ihre eigenen Erbrechte schmälern würde, wenn sie dem Vater durch ihren Antrag beim Vormundschaftsgericht den Weg zum Erbersatzanspruch frei macht. Zudem ist der Vater ohnehin dem Risiko ausgesetzt, daß die Mutter versterben kann, ohne den Antrag (den sie vielleicht beabsichtigte, um sich die Basis für eigene Ansprüche nach §§ 1615k, 16151 zu sichern) gestellt zu haben. Jene Ungleichgewichtigkeit der Beerbungschancen ist also immer34 35 36
Odersky, Anm.IV zu § 1934c. Anm.VI, 7 zu § 1600a. A . a . O . S.660.
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hin abgeschwächt. Ihre grundsätzliche Fragwürdigkeit bleibt gleichwohl bestehen. b) Bedeutsam aber und vor allem für das Kind unmittelbar fühlbar ist die Schlechterstellung, die sich aus dem Gefälle zwischen Abs.I S.2 und Abs. II des § 1934c ergibt. Geht es um die Beerbung des Vaters, so besteht wenigstens die bescheidene Möglichkeit für das noch nicht geborene oder noch nicht 6 Monate alte Kind, die postmortale Vaterschaftsfeststellung mit erbrechtlicher Wirkung nachzuholen. Liegt dagegen ein Erbfall nach einem Verwandten von Vaters Seite vor, so versagt auch diese Aushilfe. Alsdann ist die erbrechtliche Rechtsposition irreparabel verloren, wenn nicht entweder eine Anerkennung der Vaterschaft vorlag oder wenigstens ein Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft - sei es als Klage, sei es (weil der Vater schon vorverstorben war) als ein Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht - zur Zeit des Erbfalls anhängig war. Solche Fälle sind vorgekommen. Ein mittelloser, junger Vater starb ledig unter Hinterlassung eines ne. Kindes. Zur Anerkennung der Vaterschaft war es nicht mehr gekommen. Das Kind war erst wenige Wochen alt. Noch während der Amtspfleger die Vorbereitungen zur Stellung des Antrags beim Vormundschaftsgericht traf, starb kurz darauf und unerwartet der Großvater (Vater des Kindesvaters), verwitwet, ohne ein Testament zu hinterlassen, in begüterten Verhältnissen. Der Kindesvater war sein einziger Sohn. Das Kind wäre der gesetzliche Erbe des Großvaters geworden, stünde nicht die Vorschrift des § 1934 c II entgegen. Die noch mögliche postmortale Vaterschaftsfeststellung durch das Vormundschaftsgericht hätte ihm das Erbrecht nach dem Vater verschaffen können: ein wertloses Unterfangen. Post mortem avi blieb sie erbrechtlich ohne Wirkung. Das Kind hatte nach dem Großvater nicht einmal einen Pflichtteilsanspruch, selbst wenn sich jetzt ein Testament auffand und nächstdem die Abstammung (vom Vater und damit auch) vom Erblasser durch das Vormundschaftsgericht festgestellt wurde. Ob es einen Regreß gegen den Amtspfleger hätte durchsetzen können, war höchst zweifelhaft. Als Grund für diese Differenzierung wird geltend gemacht, die Verwandten des Vaters könnten ohne ein laufendes Verfahren von der Existenz des Kindes oft keine Kenntnis haben und dann nicht in der Lage gewesen sein, hierauf ihre letztwilligen Dispositionen abzustellen37. Ein anderes Argument läge wohl näher. Wird das Kind seinerseits beerbt und kämen als gesetzliche Erben, Erbersatzberechtigte oder Pflichtteilsberechtigte die Verwandten des Vaters in Betracht, so setzt das im allgemeinen voraus, daß der Vater vorverstorben ist. Dann aber wäre für eine jetzt noch „nachgeholte" Feststellung der Vaterschaft ohnehin kein Raum. 37
Mit diesem Argument arbeitet die Amtl. Begründung: Jansen-Knöpfel S. 446/447.
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mehr. Nach dem Tode von Vater und Kind kann sie nicht mehr betrieben werden. Nicht einmal ein Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht, welches das Kind noch zu seinen Lebzeiten angestrengt hatte, ist nunmehr, nach seinem Tode, noch der Weiterführung zugänglich — der in § 1600n II vorgesehene Antrag der Mutter kann nur gegen einen lebenden Vater gestellt werden —; es ist einzustellen. Eine Beerbung des Kindes durch die Verwandten des Vaters hat m. a. W. normalerweise zur Voraussetzung, daß der Status der Abstammung vom Vater im Zeitpunkt des Erbfalles feststand. Alsdann aber ist es nach dem Prinzip der Ausgewogenheit der gegenseitigen Beerbungschancen nicht inkonsequent, zu verlangen, daß beim Erbfall nach einem Verwandten von Vaters Seite das Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft mindestens lief. Eine geringe Bevorzugung des Kindes bleibt ja auch dann noch, eben weil beim Erbfall nach ihm selbst ein erst laufendes Verfahren den Verwandten des Vaters nicht mehr zugute kommt. Dafür darf der theoretisch denkbare Fall, daß beim Tode des Kindes der Vater, obwohl er noch lebt, durch Ausschlagung, Erbunwürdigkeit oder (vorgängigen) Erbverzicht den Weg für Erbrecht seiner Verwandten freimacht (wenn jetzt die Mutter den Antrag nach § 1600n II stellt), hier vernachlässigt werden. Dennoch läßt sich nicht verkennen: Die Waage der ins Feld zu führenden Ausgewogenheit der Beerbungschancen schlägt im erbrechtlichen Alltag allzuleicht zum Nachteil des Kindes aus. Das beweist der mitgeteilte Fall. Die Erb-, Erbersatz und Pflichtteilsrechte insbesondere nach Großeltern von Vaters Seite sind von ungleich größerer praktischer Relevanz als die umgekehrten Aussichten, einmal das Kind zu beerben. Uber dieses biologische Faktum kann alle Systemkontingenz nicht hinwegtäuschen. 2. Noch in mehreren anderen Richtungen ist durch die Regelung des § 1934 c ein Gefälle entstanden, das der Gesetzgeber zwar nicht normiert, aber doch in Kauf genommen hat - soweit es ihm überhaupt in den Blick geraten ist. a) Das Gefälle ehelich : nichtehelich drängt sich hier zuvorderst auf. § 1934 c beschneidet das Erbrecht des ne. Kindes und seiner Abkömmlinge insofern, als er ein nachträgliches Auftreten dieser Gruppe von Erbprätendenten weitaus schon im rechtlichen Vorfeld sperrt. Das Erbrecht der ehelichen Deszendenz braucht eine gleiche Beschränkung nicht hinzunehmen. Daß ein ehelicher Verwandter, mit dessen Vorhandensein man im Kreise der Erben nicht mehr rechnete, als Miterbe nachträglich auftaucht, ist eine dem juristischen Schrifttum durchaus nicht unbekannte Erscheinung 38 . Der sich Meldende kann „untergetaucht" gewesen sein, 38 Planck-Ebbecke, 4. Aufl. Vbm.2 vor § 2042-, Staudinger-Lehmann zu § 2042; Kipp-Coing, Erbrecht, 13. Aufl. S. 665.
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verschollen gewesen und (ohne förmliche Todeserklärung) für tot gehalten worden sein, eine zu Unrecht erfolgte Todeserklärung überlebt, im Wiederaufnameverfahren die Abweisung der ursprünglich erfolgreichen Klage auf Anfechtung seiner Ehelichkeit erreicht (!), oder einfach von dem Erbfall keine Kenntnis gehabt haben. Ist er Erbe, so wird die Rückgängigmachung einer geschehenen Auseinandersetzung unter den übrigen Erben nicht immer einfach sein. Doch erfolgt sie unter festen gesetzlichen Normen: Abwicklung nach den Vorschriften über den Erbschaftsbesitz, Unwirksamkeit der in der bisherigen Auseinandersetzung getroffenen Zuweisungen, da denen, die sie vorgenommen haben, die (gesamthänderische) Berechtigung hierzu fehlte 38 . Daß solche Fälle dennoch in der Praxis nie zu Schwierigkeiten geführt haben, beweist das völlige Fehlen einschlägiger Judikatur. Das ne. Kind dagegen, wenn es nachträglich als Erbprätendent aufträte, weil es erst posthum die Feststellung der Abstammung vom Erblasser erstritten hat, muß den Verlust seiner erbrechtlichen Rechtsstellung hinnehmen, weil es erst nachräglich auf den Plan tritt. Nicht einmal ein Pflichtteilsanspruch verbleibt ihm, wo doch der eheliche Pflichtteilsberechtigte mit der Geltendmachung seines Anspruchs 3 Jahre nach Kenntnis vom Erbfall und der ihn beeinträchtigenden Verfügung Zeit hat (§ 2332) und der leistungspflichtige Erbe ihn nicht einmal durch Aufgebot auszuschließen vermöchte (§ 1972), vielmehr allenfalls erst 5 Jahre nach dem Erbfall eine Beschränkung seiner Haftung auf die vorhandene Bereicherung erreicht (§ 1974). Die Stellung als Erbe ist sogar unverjährbar. § 1934 c zwingt im Ergebnis dazu, bei Ausbleiben der Vaterschaftsanerkennung möglichst rasch mit der Klage auf Feststellung der Vaterschaft vorzugehen, um nicht zu einem Zeitpunkt, in welchem das Kind die Schwelle des 6-Monats-Alters überschritten hat, von dem Tode des Vaters überrascht zu werden. Daß die gleiche Notwendigkeit verstärkt im Hinblick auf etwa eintretende Erbfälle nach Großeltern oder Seitenverwandten des Vaters besteht, ergibt sich aus dem oben zu III, 1 b Ausgeführten. Die Entschließung, wer von mehreren Beihältern zu verklagen sei, kann unter solchen Umständen zu einem Hazardspiel werden. War es am Ende des Prozesses der Falsche und ist der Richtige inzwischen verstorben, so können alle Möglichkeiten, Erbrechte nach dem Richtigen geltend zu machen, verloren gegangen sein. Lutter 39 hat mit Recht auf diese Erscheinung aufmerksam gemacht. Insbesondere hilft es dem Kinde nichts, dem Richtigen in dem zunächst gegen den Falschen angestrengten Vaterschaftsprozeß gem. § 641b ZPO den Streit verkündet zu haben. Streitverkündung bewirkt gegenüber ihrem Empfänger kein „anhängiges Ver-
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fahren",
w e d e r i m a l l g e m e i n - p r o z e s s u a l e n Sinne n o c h i m Sinne des
§ 1934 c 4 0 . Abhilfe wäre auch nicht mit einer eventuellen subjektiven Klagehäufung zu schaffen. Eine solche, in der Prozeßrechtswissenschaft diskutierte, dort überwiegend und so auch vom B G H abgelehnte Rechtsfigur41 mag in schuldrechtlichen Alternativstellungen sinnvoll sein. Hier jedoch würde ihre Zulassung dahin führen, daß das klagende Kind mehrere Männer gleichzeitig auf die Vaterschaft in Anspruch zu nehmen vermöchte: „In 1. Linie den A; eventuell den B; falls dieser nicht: den C . " Das liefe auf eine bedenkliche Annäherung des - mit dem Amtsermittlungsprinzip ausgestatteten - Prozesses an Formen amtlicher Recherche nach dem (richtigen) Vater hinaus, unter Denaturierung seiner Zwei-Parteien-Struktur. Zudem wäre es dann überflüssig gewesen, die ad hoc geschaffene, singulare Streitverkündung des § 641 b ZPO gesetzgeberisch in Betracht zu ziehen 41 ". - Unrichtig jedenfalls Johannsen (WM 1970 Beil. 3, S. 4), der die Möglichkeit gleichzeitiger, getrennter Klagen gegen mehrere Männer erwägt. Sie müßten in dem ausschließlichen Gerichtsstand des § 641 a ZPO zusammenlaufen: jede von ihnen würde der anderen die Schlüssigkeit nehmen. b ) V o n p r a k t i s c h n o c h g r ö ß e r e r B e d e u t u n g ist das Gefälle scheinehelich : nichtehelich. D a s scheineheliche K i n d ist g e r a d e z u g e z w u n g e n , z u n ä c h s t d e n P r o z e ß u m die A n f e c h t u n g seiner E h e l i c h k e i t d u r c h z u s t e h e n , ehe es ein gerichtliches V e r f a h r e n auf F e s t s t e l l u n g seiner A b s t a m m u n g v o m w a h r e n E r z e u ger in G a n g setzen k a n n . D i e Stringenz der R e g e l u n g des § 1 5 9 3 , die diesen Z w a n g z u m G e f o l g e h a t u n d die n o c h u n a u s w e i c h l i c h e r als in d e n F ä l len o b e n I I I , 2 a den V e r l u s t v o n e r b r e c h t l i c h e n P o s i t i o n e n n a c h d e m inz w i s c h e n vielleicht v e r s t o r b e n e n E r z e u g e r n a c h sich zieht, ist f r ü h gese-
4 0 Auch der zu § 641 b ZPO grundlegende Aufsatz von Wiese, FamRZ 1971, 393 ff. gelangt nicht zu einer solchen Annahme. 4 1 Nachweise bei Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl. S. 347 und Fn. 28 daselbst. 4 1 a Zu erwähnen wäre in diesem Zusammenhang noch eine andere Konstellation: Parallel mit der Vaterschaftsklage des Kindes gegen A erhebt B, den das Kind daneben noch als möglichen Erzeuger genannt hat, die Klage auf Feststellung seiner Nicht-Vaterschaft. Sie würde mit der Klage gegen A zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 640 II Nr. 1 i. V. m. § 640c ZPO). Kommt das Gericht zu der Feststellung, daß B der Erzeuger ist, so hätte es, unter Abweisung beider Klagen, ihn als Vater im Urteil festzustellen (§ 641 h ZPO). Wenn jetzt B noch vor Eintritt der Rechtskraft stirbt - seine Klage ist dadurch in der Hauptsache erledigt - und das Urteil im Prozeß gegen A rechtskräftig wird, ist damit dennoch für die Anwendung des § 1934 c I S . 1 zugunsten des Kindes nichts gewonnen. Die negative Feststellungsklage des B war kein Verfahren „zur Feststellung der Vaterschaft". Wäre im Zuge der Begutachtung ein gewisser X als Erzeuger eruiert worden, so hätte der Klage des B stattgegeben werden müssen, ohne daß das Gericht die Möglichkeit gehabt hätte, im Urteil den X als Vater festzustellen. § 641 h ZPO dient nur dazu, sonst denkbarer Ungewißheit darüber, was angesichts der Abweisung der negativen Vaterschaftsklage hier als das „Gegenteil" rechtskraftfähig festgestellt sei, bei erzielter Klärung der Vaterschaftsfrage die Spitze abzubiegen. Im Beispielsfalle könnte nicht etwa das Kind nunmehr, durch das Urteil belehrt und ohne Bindung an die Voraussetzungen des § 1934 c I S . 2, den Antrag an das Vormundschaftsgericht auf Feststellung der Vaterschaft des verstorbenen B mit erbrechtlicher Wirkung gegen dessen Nachlaß richten.
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hen worden. Es hat denn auch an Versuchen nicht gefehlt, das als untragbar empfundene Ergebnis zu umgehen. Odersky 42 schlägt vor, schon während des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses die Klage auf Feststellung der Vaterschaft gegen den Erzeuger zu erheben und sie dann bis zur Entscheidung des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses nach § 148 ZPO aussetzen zu lassen. Gleicher Meinung ist Johannsen 43 . Ich halte diesen Weg indessen nicht für gangbar. Eine jede Klage auf Feststellung der Vaterschaft eines Dritten (des Ehebrechers) ist Geltendmachung der Nichtehelichkeit, die § 1593 gerade verbietet, solange nicht die Nichtehelichkeit im Ehelichkeits-Anfechtungsprozeß rechtskräftig festgestellt ist. Ein solches Bedenken läßt sich auch nicht durch die Aussetzung der Vaterschaftsklage überbrücken. Diese müßte vielmehr ohne weiteres als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden; sie wäre nicht schlüssig. Nach zivilprozessualen Grundsätzen ist es nicht zulässig, eine abweisungsreife Klage auszusetzen allein zu dem Zweck, damit sie demnächst schlüssig und begründet werden könne. Entgegen Johannsen 44 , Damrau 45 und Erman-BartholomeyczikSchlüter46 bin ich aber auch der Meinung, daß nicht einmal dann, wenn im Laufe des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses der wahre Erzeuger nun wirklich stirbt und das Kind etwa noch nicht 6 Monate alt sein sollte, daraufhin die Möglichkeit bestünde, das Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht mit erbrechtlicher Wirkung nach § 1934 I S.2 einleiten zu lassen (damit es bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses ausgesetzt werde). Auch die Beantragung des Verfahrens vor dem Vormundschaftsgericht ist „Geltendmachung der Nichtehelichkeit". Noch gilt die Boehmersche Formel 47 , wonach Geltendmachung einer Tatsache (hier: der biologischen Abstammung) heißt: sie behaupten, um daraus Rechtsfolgen herzuleiten. Das trifft auf den Antrag, das Vaterschaftsfeststellungsverfahren vor dem Vormundschaftsgericht einzuleiten, genau so zu wie für die Klage nach § 641 ZPO. Der einzige, schmale Weg, um dem Kinde die erbrechtliche Rechtsstellung nach dem Erzeuger vorsorglich offenzuhalten, ist die Anerkennung durch diesen noch im Laufe des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses. Die Zulässigkeit einer solchen Anerkennung wird oft bezweifelt mit der Begründung, in ihr liege bereits ein „Geltendmachen der Nichtehelich42
Anm.II, l c zu § 1934 c. A. a. O. S. 4, wenngleich ohne nähere Begründung und ohne Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Bedenken. 44 A . a . O . (wie vor). 45 FamRZ 1969, 584. 46 Rdn.6 zu § 1934 c. 47 Boehmer, FamRZ i960,. 213. 43
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keit" 4 8 ;oder: sie sei, wenn für den Fall eines auf Feststellung der Nichtehelichkeit lautenden Urteils im Ehelichkeits-Anfechtungsprozeß abgegeben, eine „bedingte" und deshalb nach § 1600b I unwirksam 49 . Demletzteren Argument wäre entgegenzuhalten, daß es sich um eine Rechtsbedingung handelt 50 . Zu dem ersteren ist zu sagen, daß die Anerkennung der Vaterschaft kein „Geltendmachen" der Nichtehelichkeit bedeutet. Hier wird zwar eine Tatsache behauptet. Aber nicht die Tatsache der Nichtehelichkeit als der Nichtabstammung vom Scheinvater, sonder die logisch davon zu trennende der Abstammung von dem Anerkennenden wäre es, die diesem die mit seiner Vaterschaft verbundenen Rechte wie Verkehrsrecht, Erbrecht, Unterhaltsberechtigung, vorgreifliches Recht auf Adoption (§ 1747 II S.2) verleiht. Vor allem aber wird die Anerkennung nicht um der Geltendmachung solcher Rechte willen erklärt, geschweige denn ihrethalben vom Gesetz zugelassen. Sie sind höchst sekundär. Im Vordergrund steht die Feststellung des Status zugunsten des Kindes und stehen die mit der Vaterschaft verbundenen Pflichten. Der Vater will mit der Anerkennung noch gar nichts „geltend machen" — und am wenigsten, solange das Ergebnis des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses noch nicht rechtskräftig feststeht 51 . Für die Zulassung der Anerkennung schon während des Ehelichkeits-Anrechtungsprozesses haben sich deshalb mit Recht ausgesprochen: Palandt-Diederichsen 52 und der Reichsgerichtsräte-Kommentar 53 ; auch die Dienstanweisung für die Standesbeamten geht hiervon aus 54 . Übrigens war für den altrechtlichen Zustand des § 1718 a. F. die Anerkennung der Vaterschaft während des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses überwiegend in Schrifttum und Rechtsprechung anerkannt 55 . — Daß die Zustimmungserklärung des Kindes spätestens 6 Monate nach der Anerkennungserklärung des Vaters abgegeben sein muß (§ 1600e III), zu einem Zeitpunkt also, an welchem der Ehelichkeits-An-
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Staudinger-Lauterbach, 11. Aufl. Rdn. 15 zu § 1593 - zur altrechtlichen Rechtslage nach§ 1718 a. F.: „Verundeutlichungdes Personenstandes"-^Soergel-Siebert-Lade, Rdn.2 zu § 1593. 4 9 MchnKomm. Rdn. 14 zu § 1593; Erman-Küchenhoff, Rdn. 1 zu § 1593. 5 0 So mit Recht Palandt-Diederichsen, Anm. 1 c zu § 1593. 5 1 Am zwanglosesten wäre diese Folgerung zu ziehen, wenn man mit Beitzke, Familienrecht, 18. Aufl. S. 162 die Anerkennung der Vaterschaft nicht als Willenserklärung, sondern als Wissenserklärung ansieht. Diese Ansicht ist freilich stark bestritten (Nachweise bei Gernhuber a. a. O. S. 661, Fn. 2). Doch auch wenn man von der Anerkennung als einer Willenserklärung ausgeht (ich selbst habe diesen Standpunkt in FamRZ 1966, 538 vertreten), wäre das Ergebnis kein anderes. Darüber sogleich im Text. 5 2 Wie Fn. 50. 5 3 10./11. Aufl. Anm. 5 zu § 1593. 5 4 D A § 209 II. Danach sollen derartige Anerkennungen vorläufig zu den Akten genommen werden. 5 5 OLG Hamm, JMB1.NRW 1952, 87 m . w . N .
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fechtungsprozeß möglicherweise noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sein kann, verschlägt nichts. Auch das Kind kann die Zustimmung unter dem gleichen Vorbehalt abgeben wie der Vater seine Anerkennungserklärung. Allerdings könnte das weder der Prozeßpfleger, der das nur im Widerspruch zu seiner Funktion vermöchte, noch der Amtspfleger, der noch nicht in Funktion ist. Vielmehr dürfte analog § 1708 ein Sonderpfleger zu bestellen sein. c) Endlich ist noch ein Blick zu werfen auf Ungleichgewichtigkeiten, die den Zeitdruck, unter dem der Antrag an dem Vormundschaftsgericht nach § 1934c I S.2 steht, noch besonders beleuchten. Diese Frist ist starr. Sie beginnt mit dem Erbfall, und nicht, wie sonst durchgängig im Erbrecht, wenn es um die Wahrung von Rechten der durch den Erbfall Betroffenen geht, frühestens mit der Kenntnis desselben (§§ 1944 - Ausschlagung - , 2082 - Testamentsanfechtung - , 2332 Pflichtteilsverjährung-). Nicht einmal die §§ 203, 206, 207 sind für entsprechend anwendbar erklärt. Wie, wenn der gesetzliche Vertreter des Kindes ohne sein Verschulden 6 Monate lang keine Kenntnis von dem Tode des Vaters erlangt hat? Beispielsweise liefen Ermittlungen nach seinem Aufenthalt, u. U. im Ausland? Eine Wiedereinsetzung ist nicht vorgesehen; sie wäre auch systemwidrig56. Aber mehr noch: gerade und nur zu Lasten des Kindes ist die Frist so starr. Dagegen gibt es keinen vergleichbaren Fristdruck, wenn es gilt, durch Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft dem Kinde die Erbenstellung wieder zu nehmen. Der Vater stirbt unverehelicht, er hinterläßt ein 2 Monate altes ne. Kind; seine beiden Eltern sind noch am Leben. Eine Verfügung von Todes wegen hat er nicht errichtet. Hatte er zu seinen Lebzeiten die Vaterschaft noch nicht anerkannt, so müßte das Kind beschleunigt handeln, um sich sein Erbrecht zu sichern; es verliert alle erbrechtlichen Positionen, wenn ihm das Mißgeschick widerfährt, die vom Tode des Vaters ab laufende 6-Monats-Frist zur Stellung des Antrags beim Vormundschaftsgericht, vielleicht wegen Unkenntnis der Geschehnisse, zu versäumen. Hatte der Vater dagegen das Kind vor oder nach der Geburt anerkannt, so haben seine Eltern, um die Anerkennung in der Legitimation des § 1600 g II anzufechten und damit ein eigenes gesetzliches Erbrecht zu erlangen, ein volles Jahr Zeit; die Frist beginnt für sie sogar erst mit der Kenntnis vom Tode ihres Sohnes und von der geschehenen Anerkennung, § 1600h I, III. Der „näher Berechtigte" steht unter schärferem Fristdruck als der Entferntere. 56 Denn die Frist zur Anrufung des Vormundschaftsgerichts ist eine materiellrechtliche (zur Wahrung der erbrechtlichen Position), aber keine Verfahrensfrist: Jansen, Komm. z. FGG Rdn. 6 zu § 55 b. Ebenso Palandt-Keidel, Anm. 2 c zu § 1934 c; Odersky Anm. III, 2 c zu § 1934 c.
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IV. A. Faßt man die Ergebnisse zusammen, so bieten sie das Bild einer nicht zu leugnenden Herabstufung und damit Benachteiligung des ne. Kindes im erbrechtlichen Bereich: 1. Das scheineheliche Kind hat, sobald seine Nichtehelichkeit rechtskräftig festgestellt ist, nicht nur keine Erbrechte nach dem Scheinvater mehr. Es ist auch vom Erbrecht (einschließlich Erbersatzanspruch und Pflichtteil) nach einem inzwischen verstorbenen Erzeuger ganz überwiegend ausgeschlossen. Nur zwei Ausnahmen bleiben denkbar. Die eine: daß es gelungen ist, den Erzeuger schon während des laufenden Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses zur Anerkennung der Vaterschaft zu bewegen. Die andere ist geradezu unwahrscheinlich: Eintritt der Rechtskraft im Ehelichkeitsanfechtungsprozeß zu einem Zeitpunkt, in welchem der Tod des Erzeugers noch nicht 6 Monate zurückliegt, und unter der weiteren Voraussetzung, daß das Kind seinerseits beim Tode des Erzeugers noch nicht 6 Monate alt war (je früher der Erzeuger innerhalb der ersten 6 Lebensmonate des Kindes stirbt, um so mehr verengert sich für dieses die Chance, mit der Rechtskraft eines seine Nichtehelichkeit im Ehelichkeits-Anfechtungsprozeß aussprechenden Urteils noch zeitlich zurecht zu kommen, um den Antrag beim Vormundschaftsgericht mit erbrechtlicher Wirkung stellen zu können; spätestens mit Vollendung des ersten Lebensjahres ist der Verlust der erbrechtlichen Chancen damit absolut). 2. Das von Geburt ne. Kind, das nicht die Anerkennung der Vaterschaft erreicht, wird unter einen unangemessenen Zeitdruck gesetzt, die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft in Gang zu setzen. Kommt der Tod des Vaters der Einleitung des Verfahrens zuvor und ist das Kind in diesem Zeitpunkt 6 Monate alt, so sind alle Erbrechte nach dem Vater unwiederbringlich verloren. Nur wenn es beim Erbfalle noch nicht 6 Monate alt war - oder noch nicht geboren war - , kann es durch den binnen Halbjahresfrist (die gegen den nasciturus allerdings nicht früher als mit der Geburt beginnt) beim Vormundschaftsgericht zu stellenden Antrag die Feststellung der Vaterschaft mit erbrechtlicher Wirkung nachholen lassen. Die Frist läuft ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Kindes vom Tode des Vaters. Wird sie verabsäumt, sind abermals alle Erbrechte nach dem Vater dahin. Geht es um Erbrechte, Erbersatzansprüche oder Pflichtteils anspräche nach den Verwandten von Vaters Seite, so muß das gerichtliche Verfahren auf Feststellung der Vaterschaft sogar ausnahmslos beim Erbfall eingeleitet gewesen sein. Dafür genügt hier auch solches Eingeleitetsein, welches Erbrechte nach einem vorverstorbenen Vater nicht mehr hätte wahren können. 3. Selbst wenn das ne. Kind rechtzeitig Klage auf Feststellung der Vaterschaft erhoben hat, betreibt es die Vaterschaftsfeststellung unter dem
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erbrechtlichen Risiko, sogleich den Richtigen zu verklagen. Hat es den Falschen verklagt und verstirbt der Richtige im Laufe des Prozesses, so sind die erbrechtlichen Positionen auch hier unwiederbringlich verspieltbis auf den noch viel unwahrscheinlicheren Ausnahmefall, daß das Kind beim Tode des Richtigen noch nicht 6 Monate alt war und nunmehr noch binnen Halbjahresfrist entweder der Prozeß gegen den Falschen mit einem klageabweisenden Urteil rechskräftig abgeschlossen wird oder das Kind sich inzwischen von der Vaterschaft des Richtigen dergestalt überzeugt hat, um daraufhin die Klage gegen den Falschen zurücknehmen und den Antrag beim Vormundschaftsgericht auf Feststellung der Vaterschaft des Richtigen fristgerecht stellen zu können 57 . B. Damit erhebt sich das Problem der Vereinbarkeit des § 1934 c mit dem Verfassungsgebot des Art. 6 V GG. 1. Lassen sich Gründe finden, die die Regelung des § 1934 c als in den äußersten Grenzen mit dem Grundgesetz (noch) vereinbar erscheinen lassen 58 , wenn man ihren objektivierbaren Wert- und Sinngehalt bedenkt 59 und auch dem Gesetzgeber die ihm einzuräumende Gestaltungsfreiheit zubilligt60? Versucht man sich an den Erwägungen zu orientieren, die der Schaffung der Vorschrift zugrundegelegt worden sind, so zeigen sie eine auf die reine Praktikabilität der Erbregelung und insbesondere der Erbauseinandersetzung gerichtete Betrachtungsweise61, die nur zum Teil zu überzeugen vermag. a) Es wird gesagt: Eine Feststellung der Vaterschaft, die erst nach dem Tode des Vaters erfolge und mit der dieser zu seinen Lebtagen nicht (mehr) gerechnet habe, sei ein Unrecht ihm gegenüber, da er nicht veranlaßt gewesen sei, dem „Erfolg" einer postmortal festgestellten Vaterschaft durch entsprechende Verfügungen von Todes wegen Rechnung zu tragen. Das ist ein gewiß ernst zu nehmender Gesichtspunkt. Auf ihn wird noch zurückzukommen sein. 57 Nur wenn der Richtige und der Falsche gestorben sind, bevor das Kind 6 Monate alt war (zwei Freunde, von denen jeder der Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt hat, kommen bei einem Verkehrsunfall gemeinsam ums Leben), wäre es möglich, den Antrag auf alternative Feststellung beim Vormundschaftsgericht zu stellen und damit gegenüber beiden bzw. ihren Erben die Frist des § 1934 c I S. 2 zu wahren. Die größere Flexibilität des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit macht eine solche Art der Antragstellung m. E. möglich; des Rückgriffs auf eine analoge Anwendung des § 641 b ZPO mit „Streitverkündung" vor dem Vormundschaftsgericht- so: Jansen a. a. O. Rdn. 12 zu § 55b FGG - bedarf es nicht. Die Bedenken, die in gleicher Situation beim Vaterschaftsprozeß gegen eine eventuelle subjektive Klagenhäufung bestehen - darüber im Text unter III, 2 a - bestehen hier nicht. 58 BVerfGE 18, 145. 59 BVerfGE 18, 38ff., 45. 60 BVerfGE 9, 334ff., 337; 18, 135ff., 145. 61 Jansen-Knöpfel a. a. O. S. 444 ff.
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b) Das weitere Argument: die postmortale Vaterschaftsieststellung beschwöre die Gefahr herauf, daß der Erbe einer Kindesmutter, die den Geschlechtsverkehr mit dem als Vater Benannten bezeuge, kaum noch mit Erfolg entgegentreten könne, ist nun allerdings mehr als schwach. Auf die alleinige Aussage der Kindesmutter wird kein vernünftiger Richter die Vaterschaftsfeststellung bauen, noch weniger, wenn die Kindesmutter nicht einmal mehr dem von ihr benannten Manne gegenübergestellt werden kann, und am allerwenigsten, wenn die Vaterschaftsfeststellung unter den Auspizien erhoffter Beteiligung an einem Nachlaß begehrt wird 6 2 . Wenn aber die Aussage der Kindesmutter nicht genügt, wird die Vaterschaftsfeststellung nach dem Tode des Probanden nicht leichter, sondern höchstens schwerer, als sie vor dessen Tode gewesen war. c) Das dritte Argument: die Nachlaßregelung bleibe bei laufender postmortaler Feststellung der Vaterschaft mit nicht tragbaren Ungewißheiten belastet, ist nur sehr bedingt stichhaltig. Entweder sind die Erben darüber im Bilde, daß das ne. Kind seine Abstammung vom Vater nicht nur behauptet, sondern gerichtlich geltend macht, und sie müßten deshalb damit rechnen, das Kind werde eines Tages als Prätendent erbschaftlicher Rechte auftreten. Dann würden sie etwaigen Erbersatzansprüchen oder Pflichtteilen durch Einbehaltung entsprechender Beträge bei der Auseinandersetzung Rechnung tragen können. Zwangsweise aufgeschoben bliebe die Auseinandersetzung lediglich in den Fällen, in denen das Kind als (Mit)erbe in Betracht käme, und zwar wegen der hier wohl gebotenen analogen Anwendung des § 2043. Doch könnte für alle übrigen Rechte des etwaigen Miterben wie Fruchtziehungsrecht, Verwaltungsbefugnis u.ä. ein Nachlaßpfleger nach § 1960 I BGB bestellt werden. Sogar ein Erbschein ließe sich mit dem Vorbehalt der noch ausstehenden Entscheidung über diese Quote ausstellen 63 . Sind hinwiederum die Erben über ein laufendes Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht nicht unterrichtet, so stellt das Dilemma der Ungewißheit sich nicht. Das Wissen um die bloße Existenz des Kindes, verbunden mit irgendwelchen Gerüchten oder Mutmaßungen über seine Abstammung brauchte sie so wenig zu beunruhigen wie den Vater zu dessen Lebzeiten, solange das Kind gegen ihn nichts unternahm. Namentlich zwänge § 2043 hier nicht zum Aufschub einer Auseinandersetzung. Eine etwa später dennoch eintretende, nach den Vorschriften über den Erbschaftsbesitz (s. oben unter III, 2 a) sich ergebende Herausgabepflicht begrenzte sich bei Gutgläubigkeit auf die noch vorhandene Bereicherung, wie auch die Amtliche Begründung nicht verkennt (§§ 2021, 2024). Bei Bösgläubigkeit würden diejenigen, die der 6 2 Grundsätzliche Zweifel am Wert der Aussage der Kindesmutter in solchen Fällen äußert mit Recht Körting, N J W 1970, 1525. 6 3 S. darüber Staudinger-Ferid Rdn. 75 zu § 2353.
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demnächstigen Vaterschaftsfeststellung entgegensehen mußten, ohnehin keinen Schutz verdienen. d) Die letzte, von der Amtlichen Begründung angeführte Erwägung: Die Erben dürften nach Teilung und Verbrauch des Nachlasses nicht noch auf unbestimmte Zeit mit Erbersatzansprüchen überzogen werden können, wenn es dem ne. Kinde gestattet sei, die postmortale Feststellung der Abstammung ohne zeitliche Beschränkung auch für das Erbrecht herbeizuführen, arbeitet mit der sie sonst treffenden „Verwalterhaftung" des § 1991 i. V. m. § 1978. Diese hält die Amtliche Begründung für untragbar. Dabei scheint mir jedoch übersehen zu sein, daß jene Verwalterhaftung nur bei einem im Sinne des § 1990 dürftigen Nachlaß eingreift. Erben, denen die Dürftigkeitseinrede nicht zur Seite steht, würden für auf Grund postmortaler Vaterschaftsfeststellung geltend zu machende Erbersatzansprüche ohnedies auch nach Teilung des Nachlasses haften - grundsätzlich sogar als Gesamtschuldner (§ 2058) und insoweit nicht anders als jedem anderen nachträglich sich meldenden Nachlaßgläubiger. Im Unterschied zu den letzteren haben sie zwar nicht die Möglichkeit, den Erbersatzberechtigten mit seinem Anspruch durch Aufgebot ausschließen zu lassen64. Wohl aber hat das Aufgebot auch gegenüber dem Erbersatzberechtigten die Wirkung, nach Teilung des Nachlasses die Haftung der einzelnen Miterben pro rata ihrer Erbquote zu beschränken, § 2060 Nr. 1. Die gleiche Wirkung kann jeder Miterbe durch Erlaß der öffentlichen Aufforderung nach § 2061 erzielen 65 ' 66 . Mit Ablauf von 5 Jahren nach dem Erbfall träten schließlich die Verschweigungsfolgen des § 1974 ein: Beschränkung der Haftung auf die vorhandene Bereicherung, bei Miterben zudem auf den ihrer Erbquote entsprechenden Anteil der Forderung (§ 2060 Nr. 2). Auch das Argument der Verwalterhaftung überzeugt also nicht uneingeschränkt. 64
Odersky, A n m . I I 1 zu § 1934b; Ftrschmg Rpfl. 1970, 51. Das Aufgebot und die Aufforderung nach § 2061 ergreifen den Erbersatzanspruch auch dann, wenn die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft noch nicht rechtskräftig vorliegt, also noch die Rechtsausübungssperre nach § 1600a S.2 obwaltet. Wer demnächst die Rückwirkung der Vaterschaftsfeststellung auf den Erbfall und damit rückwirkend die Begründetheit seiner Forderungen geltend machen könnte, muß auch die Ausschluß Wirkung des Aufgebots bzw. der Aufforderung nach § 2061 gegen sich gelten lassen. Das ne. Kind mag seinen Erbersatzanspruch als unter der Voraussetzung demnächstiger Feststellung der Vaterschaft bestehend anmelden: eine weitere Ausnahme von der Sperre des § 1600a Sa. 2 (über die bisher diskutierten Ausnahmefälle vgl. oben Fn. 35 und 36). 66 Gegen die Anwendung des § 2061 zu Lasten des Erbersatzanspruchsberechtigten zwar Lange, Erbrechts. 638 und Brox, Erbrecht, 5. Aufl. S. 393. Wie hier (und entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes): Palandt-Keidel A n m . 2 zu §2061; Staudinger-Lehmann A n m . 5 zu § 2061; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, A n m . 2 zu §2061; RGR-Komm. R d n . 3 zu § 2061; v. Lübtow, Erbrecht II, S. 1193. 65
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2. Was bleibt, ist dies: Für die eklatante Benachteiligung des scheinehelichen Kindes (oben IV A 1) werden auch nicht versuchsweise Gründe angeführt. Sie ist unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Auch nicht durch eine Verbunbetrachtung unter Einbeziehung aller die Lebenssituation des zunächst scheinehelichen, demnächst nichtehelichen Kindes bedingenden positiven und negativen Momente. Dem Kinde sind ja, selbst wenn es um die Umstände seiner Erzeugung wüßte, durch § 1593 bis zur rechtskräftigen Feststellung seiner Nichtehelichkeit die Hände gebunden 67 . Der Gesetzgeber hat diese Fallgestaltung, wie die Amtliche Begründung erkennen läßt, aus Gründen der Rechtsklarheit vernachlässigen zu sollen geglaubt. Dabei wäre es einfach genug gewesen, auch ihr Rechnung zu tragen. Es hätte genügt, dem Kinde die Möglichkeit zu eröffnen, binnen bestimmter Frist nach rechtskräftigem Abschluß des Ehelichkeits-Anfechtungsprozesses die (postmortale) Feststellung der Vaterschaft des inzwischen verstorbenen Erzeugers mit erbrechtserhaltender Wirkung zu betreiben. Eine Regelung wie die des § 1934c, die dem nicht Rechnung trägt, halte ich insoweit für verfassungswidrig. 3. Auch über das oben unter IV A 2 angesprochene Risiko, den Richtigen auf Feststellung der Vaterschaft zu verklagen bei Gefahr des Verlustes des Erbrechts, falls zunächst der Falsche verklagt worden war, ist der Gesetzgeber ausweislich der Amtlichen Begründung bewußt hinweggegangen. Ein Grund, es dem Kinde aufgebürdet sein zu lassen, ist gleichwohl nicht ersichtlich. Die Konsequenzen sind schlechthin ungerecht. Sie sind es jedenfalls dann, wenn das Kind dem ,,Richtigen" den Streit verkündet hat. Denn damit ist es mit seinen Erbprätentionen rechtzeitig hervorgetreten. Dem Gesetzgeber wäre es ein Leichtes gewesen, zu bestimmen, daß der Anhängigmachung der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft eine solche Streitverkündung gleichzustellen sei: ob nun im Prozeß oder 68 in einem Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht. Solange das nicht geschieht (oder andere Abhilfe geschaffen wird), halte ich die Vorschrift des § 1934 c auch insoweit für verfassungswidrig. Denn dem Recht des ehelichen Kindes ist ein gleiches Risiko fremd; und die Benachteiligung des nichtehelichen ist auch nicht durch die Natur der Sache, sondern in einem Mangel der rechtstechnischen Ausgestaltung des Gesetzes begründet. 4. Für die übrigen, durch § 1934c gegebenen Ausschlüsse vom Erbrecht des ne. Kindes bleibt dann nur das nicht ganz unproblematische Motiv der Amtlichen Begründung, daß das Kind durch die postmortale Feststellung seiner Abstammung allzulange Zeit nach Eintritt des Erbfalles mit Erbansprüchen an einen längst abgewickelten Nachlaß hervortreten kön6 7 Deshalb sollten die Fälle der §§ 1596, 1598 für die im Text zu ziehenden Folgerungen ausgenommen bleiben. 6 8 S. oben Fn. 57.
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ne. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Regelung des § 1934 c nun freilich verfassungsrechtlich gerade noch tolerierbar - und hier aus einem Grunde, den die Amtliche Begründung nicht nennt: der Abwägung gegen den konkurrierenden Verfassungsgrundsatz des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 I GG). Ein gewisses Unbehagen darüber verhehlt sich nicht, daß der Gesetzgeber dem erbersatzberechtigten Kinde den Schutz vor einem Ausschluß im Aufgebotsverfahren gibt, um ihm die so geschützte, weil nicht „meldepflichtige" Rechtsstellung über § 1934 c zum guten Teil wieder vorzuenthalten 69 . Aber die Gefahr, daß das ne. Kind sich erst verspätet meldet, mag eben häufiger sein als die, daß ein beliebiger, im Aufgebotsverfahren nicht auszuschließender Gläubiger (§§ 1971, 1972) oder ein bis dahin unbekannter Miterbe ehelicher Abstammung bekannt wird. Hinzu kommt, daß der Erwägung, der Erblasser (auch der unverheiratete) müsse sich auf die Möglichkeit erbrechtlicher Ansprüche „seines" ne. Kindes zu seinen Lebzeiten haben einstellen und entsprechend disponieren können, eine Berechtigung nicht abgesprochen werden kann; dadurch wird zur Not auch jenseits des Schutzes von Ehe und Familie die Regelung des § 1934c I gedeckt. Die des § 1934c II entbehrt, bei aller Härte der Auswirkungen, wenigstens nicht der nachweislichen inneren Konsequenz. Das alles mag in summa die geschehene Sonderbehandlung tragen. Gewiß gibt auch sie sich noch bis in die Einzelheiten hinein in bezug auf Fristen und Fristbeginn des Abs.I S.2 reichlich rigoros. Doch diese Grenzziehung muß dem gesetzgeberischen Ermessen überlassen bleiben.
69 Der Schutz vor dem Aufgebotsverfahren bezieht sich dann praktisch nur auf Fälle, in denen die Vaterschaft zu Lebzeiten des Vaters zwar anerkannt oder festgestellt war, dieser es aber verstanden hatte, seine Vaterschaft vor seiner Familie als den demnächstigen Erben geheim zu halten, und andererseits das Kind sich nicht meldet, weil es vom Tode des Vaters keine Kenntnis hat.
Wertveränderungen des Nachlasses Pflichtteil - Pflichtteilsergänzung - Anfechtung - Versuch einer Zusammenschau ALBRECHT DIECKMANN
I. „Im geltenden Recht ist das Verhältnis, in welchem der dem Pflichtteilsberechtigten wegen einer Schenkung des Erblassers zustehende Anspruch zum Pflichtteilsanspruch selbst steht, zumeist von Dunkelheiten nicht frei." Mit diesen Worten kennzeichneten die „Motive" 1 die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des BGB. Das neue Recht sollte die Unklarheiten nach dem Grundmuster beseitigen: Hat der Erblasser zu seinen Lebzeiten Werte verschenkt, kann der Pflichtteilsberechtigte nicht nur den „ordentlichen" Pflichtteil fordern, sondern auch dessen Ergänzung. Bei der Ergänzungsrechnung wird der verschenkte Gegenstand dem Nachlaß mit einem bestimmten Wertansatz (§ 2325 II)* hinzugerechnet - und dabei der Kaufkraftschwund des Geldes berücksichtigt13. Der Ergänzungsanspruch richtet sich grundsätzlich gegen den (die) Erben (§ 2325 I). Er verlagert sich ausnahmsweise auf den Beschenkten, wenn und „soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist" (§2329 II). Der Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten ist seinem Ansatz nach nicht - wie der Ergänzungsanspruch gegen den Erben - auf Geld gerichtet, sondern auf „die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung . . . nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung" (§ 2329 I 1). So einfach ist das. Ist das wirklich so einfach? Eine Schenkung des Erblassers unter Lebenden löst zunächst Fragen im (eigentlichen) Pflichtteilsergänzungsrecht aus: die Grundfrage nach der Ergänzung des Pflichtteils und die Anschlußfrage, wer für diese Ergänzung haftet. Für beide Fragen können Wert und Wertverändungen des Nachlasses von Bedeutung sein und dabei Schwierigkeiten bereiten, die das einfache gesetzliche Grundmuster nicht ohne weiteres erkennen läßt. * Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB. 1 S. 454 in Mugdan „Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich", 5. Band, 1899, S.242. 1a Vgl. BGH 65, 75 (mit Anm. von Lobbecke, NJW 1975, 2292) = LM § 2325 Nr. 12, 13 mit Anm. Johannsen.
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Darüber hinaus kann die Schenkung des Erblassers unter Lebenden zu vollstreckungsrechtlichen Anfechtungsfragen führen - vor allem für die Gläubiger, die in einem Nachlaßkonkurs ein Geschenk des Erblassers gern zur Masse zurückgezogen sähen (§§ 32, 37 K O ) ; aber auch für den Pflichtteilsberechtigten, dem es mitunter darum zu tun sein kann, Pflichtteils- und/oder Pflichtteilsergänzungsanspruch mit einer vollstreckungsrechdichen Anfechtung abzusichern. Befaßt man sich mit dem Grundmuster des Pflichtteilsergänzungsrechts, so darf man diese Anfechtungsproblematik nicht aussparen. Mehrere höchstrichterliche Entscheidungen der letzten Jahre 2 zeigen, wie das Pflichtteilsergänzungsrecht an Bedeutung gewinnt. Im Hinblick auf das Bestreben, Vermögenswerte ergänzungssicher am Nachlaß vorbeizusteuern, mögen zur Zeit zwei Fragen besonders wichtig sein - die Frage nach dem (ergänzungspflichtigen) Schenkungscharakter einer Vermögensbewegung3 und die Frage nach dem ergänzungsrechtserheblichen Zeitpunkt (§ 2325 III) einer Schenkung 4 . Aber über diese gegenwartsnahen Probleme sollte man das Grundmuster nicht vergessen. Um dieses Grundmuster bemüht sich mein Beitrag. In ihm gehe ich zunächst auf die Rechtslage ein, wenn der Nachlaß beim Erbfall „überschuldet" ist und auch dann überschuldet bleibt, wenn man den Wert des Geschenks hinzurechnet (II.). Sodann erörtere ich die Rechtslage bei einem Nachlaß, der beim Erbfall „aktiv" ist oder doch aktiv wird, wenn man den Wert des Geschenks mitberücksichtigt (III.). In beiden Untersuchungsgruppen behandle ich zunächst die Ausgangslage beim Erbfall (1.) und später den Einfluß der nachträglichen Wertveränderungen auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch (2.).
II. 1. Ist der Nachlaß bereits beim Erbfall auch dann „überschuldet", wenn man den Wert des Geschenkes mit dem Wertansatz des § 2325 II dem Nachlaß hinzurechnet, fehlt es (zumindest zunächst) sowohl an einem ordentlichen Pflichtteilsanspruch als auch an einem Anspruch auf Pflichtteils er gänzung. Der Pflichtteilsanspruch kann nur entstehen, wenn der Nachlaß im berechnungserheblichen Zeitpunkt (§ 2311) die Nullmarke übersteigt, weil er auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils gerichtet ist (§ 2303 I 2). Demgegenüber setzt der Pflichtteilsergän2 Vgl. B G H N J W 1 9 7 2 , 1 7 0 9 ; 1 9 7 3 , 4 0 ; 9 9 5 ; 1974,1327;2319; 1975,1831;FamRZ 1976, 616; WPM 1976, 1089. 3 Vgl. dazu etwa jüngst die für die Kritik kaum mehr nachvollziehbare Entscheidung KG DNotZ 1978, 109. 4 Vgl. dazu u.a. B G H N J W 1970, 1638 m. Anm. von Speckmann; B G H N J W 1974, 2319 m. Anm. von Finger, N J W 1975, 535; Reuter, JuS 1971, 289; O L G Schleswig, N J W 1975, 315; Flume, Festschrift für Schilling, 1973, S.62.
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zungsanspruch zwar keinen Nachlaß voraus, der im berechnungserheblichen Zeitpunkt aktiv ist 5 . Er kann vielmehr auch dann entstehen, wenn der Erblasser zu seinen Lebzeiten mit Schenkungen sein Vermögen ausgezehrt und so einen aktiven Nachlaß verhindert hat. Aber das Recht der Pflichtteilsergänzung will vom Ansatz her dem Berechtigten nur für die Schenkungen einen Ausgleich schaffen, die einen Pflichtteilsanspruch geschmälert oder gar verhindert haben. Ubersteigt der Wert des Nachlasses trotz des hinzugerechneten Geschenks bereits beim Erbfall die Nullmarke nicht, bedarf es keiner Pflichtteilsergänzung; denn dem Berechtigten wäre auch dann kein Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil erwachsen, wenn das Geschenk im Vermögen des Erblassers verblieben wäre 6 . Diese Aussage bedarf allerdings im Hinblick auf die Verbindlichkeiten einer Einschränkung, die zur Nullstellung des Nachlasses oder gar zu dessen Uberschuldung führen. Zu berücksichtigen sind nur die Schulden, die bei der Berechnung des ordentlichen Pflichtteils vom Nachlaß abgezogen werden dürfen. Schulden, die bei der Pflichtteilsberechnung außer Betracht bleiben, dürfen auch bei der Frage keine Rolle spielen, ob und in welcher Höhe ein Pflichtteilsergänzungsanspruch entstanden ist. Bei der Frage nach der „Uberschuldung" des Nachlasses kommt es deshalb nicht auf die Verbindlichkeiten an, die in einem Nachlaßkonkurs dem Pflichtteilsberechtigten im Range nachgehen, also auf Verbindlichkeiten aus den vom Erblasser angeordneten Vermächtnissen und Auflagen und auf Verbindlichkeiten gegenüber einem Erbersatzberechtigten (§ 226 II Ziff. 5 und 6 KO). Darüber hinaus dürfen die Schulden keine Rolle spielen, die im Konkurs zwar dem Pflichtteilsberechtigten im Range vorgehen, bei der Wertermittlung des Nachlasses für die Berechnung des ordentlichen Pflichtteils (§ 2311) aber außer Betracht bleiben - etwa die Erbschaftsteuerschuld des Erben, die mit dem Erbfall entsteht 7 . 5 Vgl. RGZ 77, 284; BGH FamRZ 1961, 272; FamRZ 1968, 150; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, 6. Aufl., 1975, Vorbem. 2 zu § 2325; Palandt-Keidel, 37. Aufl., 1978, § 2325 Anm. 1 a; Soergel-Siebert-Dieckmann, 10. Aufl., 1974, § 2325 Anm. 1. 6 Vgl. RG JR1927, Nr. 1655 = Das Recht 1927, Nr. 1990; KGKK-Johannsen, 12. Aufl., 1975, § 2325 Anm. 17; Staudinger-Ferid, 10./11. Aufl., i960, § 2325 Anm.23; SoergelSiebert-Dieckmann, § 2325 Anm. 1; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, Vorbem. 2 zu § 2325; Palandt-Keidel, § 2325 Anm. 1 a. 7 Vgl. RGRK-Johannsen, §2311 Anm. 7; Soergel-Siebert-Dieckmann, §2311 Anm. 12. Nicht abzugsfähig können bei der Berechnung sowohl des Pflichtteils- als auch des Pflichtteilsergänzungsanspruchs Nachlaßkosten und Verwaltungsschulden sein, obwohl diese Verbindlichkeiten im Nachlaßkonkurs dem Pflichtteilsberechtigten im Range vorgehen. Schulden dieser Art wirken sich zwar nicht auf Bestand und Höhe eines Pflichtteils oder eines Ergänzungsanspruchs aus. Sie können aber beim Pflichtteilsanspruch Einfluß auf dessen Durchsetzbarkeit und beim Pflichtteilsergänzungsanspruch darüber hinaus zu einer Verlagerung vom Erben auf den Beschenkten gem. § 2329 führen, wenn sie vor den Ansprüchen des Pflichtteilsberechtigten zu befriedigen sind.
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Fehlt es an einem Pflichtteilsergänzungsanspruch, weil der Nachlaß auch mit dem Wert des hinzugerechneten Geschenks nicht aktiv wird, so kommt dies Gläubigern doch nicht zustatten, die im Nachlaßkonkurs dem Pflichtteilsberechtigten nachstehen. Im Nachlaßkonkurs ist der Verwalter, der im Wege der Anfechtung das Geschenk für die Masse zurückgewonnen hat (§§ 32, 37 KO), nicht befugt, mit dessen Wert Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen oder gegenüber Erbersatzberechtigten zu befriedigen (§ 228 KO). 2. Die spätere Wertentwicklung des Nachlasses ist m. E. gleichgültig sowohl für den ordentlichen Pflichtteil als auch für dessen Ergänzung. a) Das ist bei einer nachträglichen Wertverschlecbterung des Nachlasses selbstverständlich. b) Aber auch eine nachträgliche Wert Steigerung ist weder für den ordentlichen Pflichtteil noch für dessen Ergänzung von Vorteil. aa) Ein Anspruch auf den „ordentlichen" Pflichtteil kann nur entstehen, wenn der Nachlaß im bewertungserheblichen Zeitpunkt aktiv ist, und für die Bewertung kommt es grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erbfalls an (§ 2311) 8 . Eine spätere Wertsteigerung des Nachlasses kann deshalb einem ordentlichen Pflichtteilsanspruch nicht zum Dasein verhelfen, der zur Zeit des Erbfalls wegen einer Nullstellung oder einer Überschuldung des Nachlasses nicht entstehen konnte. bb) Fraglich kann allenfalls sein, ob eine solche Wertsteigerung einen Pflichtteilsergänzungsanspruch auszulösen vermag. Rein rechnerisch ließe sich ein solcher Anspruch in manchen Fällen durchaus belegen: Beispiel: Nachlaß wer: zur Zeit des Erbfalls: Insgesamt minus Wert des hinzuzurechnenden Geschenks Nachlaßwert 5 Monate nach dem Erbfall (wegen Kurssteigerungen von Wertpapieren):
Aktiva 100 0 0 0 , - DM Passiva 200 0 0 0 , - DM 100 0 0 0 , - DM 80 0 0 0 , - DM Aktiva 140 0 0 0 , - DM Passiva 200 0 0 0 - DM
Insgesamt minus 60 0 0 0 , - DM Mit dem Geschenk von 80 0 0 0 , - DM ist der Nachlaß nunmehr mit 20 0 0 0 , - DM „aktiv". Die rechnerischen Voraussetzungen für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, der sich gem. § 2329 gegen den Beschenkten richten müßte, sind deshalb von nun an gegeben.
Die nachträgliche Wertsteigerung kann man beim Pflichtteilsergänzungsanspruch auch nicht schlechthin mit der Erwägung außer acht lassen, mit der man zuweilen Ergänzungsansprüche abschneidet: Das Recht 8 Vgl. B G H Z 7, 134; Staudinger-Ferid, § 2311 Anm. 5 - 7 ; KGKK-Johannsen, § 2311 Anm. 1; Palandt-Keidel, § 2311 Anm. 1; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2311 Anm.2;einschränkend allerdings Braga, AcP 153, 158.
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der Pflichtteilsergänzung verhelfe nicht zu einem Anspruch, wenn der Pflichtteilsberechtigte auch bei unterbliebener Schenkung leer ausgegangen wäre 9 . Denn ob der Pflichtteilsberechtigte wirklich nichts zu erwarten hätte, wenn der verschenkte Gegenstand im Vermögen des Erblassers verblieben wäre, steht wegen des Wertansatzes bei der Ergänzungsrechnung durchaus dahin. Verbrauchbare Sachen sind mit ihrem Wert aus der Zeit der Schenkung zu berücksichtigen, andere Gegenstände mit ihrem Wert zur Zeit des Erbfalls oder aber mit dem niedrigeren Wert aus der Zeit der Schenkung (§ 2325 II). Bei diesen anderen Gegenständen gilt also eine Art „Niederstwertprinzip": Dem Pflichtteilsberechtigten nutzen Wertsteigerungen des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nichts, schaden aber Verschleiß und Wertverfall des verschenkten Gutes in der Hand des Beschenkten. Das Gesetz belastet den Pflichtteilsberechtigten also mit dem Risiko des Wertverfalls, der vielleicht ausgeblieben wäre, hätte der Erblasser den verschenkten Gegenstand behalten; und es enthält dem Pflichtteilsberechtigten zugleich die Wertsteigerungen vor, die der verschenkte Gegenstand auch in der Hand des Erblassers bis zum Erbfall erfahren hätte. Das kann sich durchaus nachteilig auswirken. Handelt es sich bei dem im Beispiel verwendeten Geschenk um ein unbebautes Grundstück, das zur Zeit der Schenkung10 80 000,- DM und beim Erbfall 120 000,- DM wert gewesen ist, so wäre der Pflichtteilsberechtigte nicht „leer" ausgegangen, wenn der Erblasser das Grundstück behalten hätte. Die nachträgliche Wertsteigerung der im Nachlaß verbliebenen Aktien um 40 000,- DM gleicht gerade den Wert aus, den die Bewertungsregel des § 2325 II S.2 2. HS dem Pflichtteilsberechtigten nicht gönnt.
Trotzdem halte ich es für verfehlt, eine spätere Wertsteigerung des Nachlasses, die beim ordentlichen Pflichtteil außer Betracht bleibt, beim Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berücksichtigen. Die Bewertungsregel des § 2325 II 2 mag fragwürdig sein 11 . Man sollte diese Regel aber nicht einfach dadurch unterlaufen können, daß man Wertsteigerungen des Nachlasses nach dem Erbfall bei der Ergänzungsrechnung berücksichtigt. Vgl. etwa RG JR 1927, Nr. 1655; Palandt-Keidel, § 2325 Anm. 1 a. Für die hier angestellten Erwägungen kann offen bleiben, worauf es ankommt - auf den Vollzug der Ubereignung mit der Eintragung im Grundbuch (soPalandt-Keidel, § 2325 Anm. 4) oder auf einen früheren Teilakt im Veräußerungsgeschehen. 11 Auch über den Bewertungsgrundsatz des § 2325 II 1 für verbrauchbare Sachen mag man streiten. Dieser Grundsatz begünstigt zwar in gewisser Hinsicht den Pflichtteilsberechtigten, weil er bei der Wertberechnung auf den Zeitpunkt der Schenkung abstellt und damit den Einwand abschneidet: der Erblasser hätte diese Sachen verbraucht, wenn er sie nicht verschenkt hätte. Die Regel benachteiligt den Pflichtteilsberechtigten aber auch mitunter - etwa wenn es sich bei den verbrauchbaren Sachen um größere Mengen alkoholischer Getränke handelt, die zu ihrem Vorteil altern. Aber was soll's . . . Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig, und starre Regeln, die auf nicht grundsätzlich verfehlte Typisierung zurückgehen, haben bei Bewertungsfragen durchaus etwas für sich. 9
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Zudem erscheint es mir äußerst fragwürdig, den Pflichtteils er gänzungsanspruch im Hinblick auf Wertsteigerungen des Nachlasses nach dem Erbfall anders zu behandeln als den ordentlichen Pflichtteilsanspruch. Zwar kommt diese Betrachtungsweise mitunter Nachlaßgläubigern zustatten, die im Nachlaßkonkurs erst nach dem Pflichtteilsberechtigten befriedigt werden - etwa Vermächtnisnehmern oder Erbersatzberechtigten (vgl. § 226 II KO). Beispiel: Der Erblasser hinterläßt als einzigen gesetzlichen Erbanwärter seinen Sohn S. Zum testamentarischen Alleinerben hat er seinen Freund F berufen. V soll ein Vermächtnis von 20 0 0 0 , - D M erhalten. Der Nachlaß weist beim Erbfall Aktiva in Höhe von 100 0 0 0 , - D M und Passiva (ohne Vermächtnis) von 110 000,- D M auf. Auch wenn man dem Nachlaß ein Geschenk des Erblassers an D im Werte von 10 0 0 0 , - D M hinzurechnet, hat S weder den ordentlichen Pflichtteil noch dessen Ergänzung zu beanspruchen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Wert der Nachlaß-Aktiva nach dem Erbfall auf 120 000,- D M steigt und der Nachlaß damit- auch ohne das hinzugerechnete Geschenk - aktiv wird. Statt dessen kann der Vermächtnisnehmer nun wenigstens mit einem Teil seines Vermächtnisses auch dann rechnen, wenn der Erbe das Recht zur Haftungsbeschränkung ihm gegenüber nicht verloren hat, obwohl er vor der Wertsteigerung des Nachlasses ebenfalls leer ausgegangen wäre.
Aber das ist nicht eine Besonderheit des Pflichtteilsergänzungsrechts. Der ordentliche Pflichtteilsanspruch i s t - wie das Beispiel zeigt - in dieser Hinsicht dem Vermächtnis genauso unterlegen wie der Ergänzungsanspruch. Im übrigen kommt diese Deutung im Nachlaßkonkurs den Gläubigern nicht zugute, die erst nach einem Pflichtteilsberechtigten befriedigt werden dürfen. Denn der Konkursverwalter ist nicht befugt, das Vermächtnis mit Werten zu befriedigen, die er mit der Anfechtung einer Rechtshandlung des Erblassers für die Masse erstritten hat (§ 228 I KO). Als Zwischenergebnis ist festzuhalten: Ist der Nachlaß zur Zeit des Erbfalls selbst dann überschuldet oder allenfalls noch mit Null zu bewerten, wenn man einen vom Erblasser verschenkten Gegenstand mit dem Wertansatz des § 2325 II hinzurechnet, kann weder ein ordentlicher Pflichtteilsanspruch noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch entstehen, sofern man bei der Bewertung des Nachlasses nur Verbindlichkeiten berücksichtigt, die bei der Berechnung des Pflichtteils abzugsfähig sind. Unerheblich ist es, welche Wertentwicklung der Nachlaß später nimmt. Deshalb kann in Fällen dieser Art die vollstreckungsrechtliche Anfechtungsproblematik Fragen des Pflichtteils- oder des Pflichtteilsergänzungsrechts nicht belasten. III. 1. Ist dagegen der Nachlaß - sei es mit, sei es ohne Hinzurechnung des verschenkten Gegenstandes - im dargelegten Sinne „aktiv", besteht ein
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Pflichtteilsergänzungsanspruch und (bisweilen) ein Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil. a) Ein Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn der Nachlaß beim Erbfall die Nullmarke ohne Rücksicht auf den Wert des verschenkten Gegenstandes überschreitet 12 . b) Dagegen entsteht ein Anspruch auf die Pflichtteilsergänzung bereits dann, wenn der Nachlaß beim Erbfall zwar im dargelegten Sinne „inaktiv" ist, die Nullmarke aber überschreitet, wenn man den Wert des verschenkten Gegenstandes hinzurechnet. Beispiel: Der Erblasser hinterläßt ein Aktivvermögen von 100 0 0 0 , - D M und Schulden von 120 0 0 0 - DM. Er hat zu Lebzeiten 80 0 0 0 - D M an B verschenkt. Bei dieser Sachlage entsteht dem enterbten einzigen Sohn S kein Pflichtteilsanspruch (§§ 2317, 2303 I 1), wohl aber ein Anspruch auf Pflichtteilsergänzung.
Die Höhe dieses Anspruchs richtet sich nach dem Wert des Nachlasses, dem der verschenkte Gegenstand mit dem Wertansatz des § 2325 II B G B hinzugeschlagen worden ist. Bei einem - im Sinne der Pflichtteilsberechnung - überschuldeten Nachlaß kommt der Wert des Geschenks dem Ergänzungsberechtigten deshalb nicht notwendig voll zustatten. Er kann zum Teil von den Schulden aufgezehrt werden. So beläuft sich im Beispielsfall der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht etwa auf 40 0 0 0 , - D M , sondern nur auf 30 0 0 0 , - DM, weil der Nachlaß mit dem Wert des hinzugerechneten Geschenks nur in Höhe von 60 0 0 0 , - D M rechnerisch „aktiv" wird.
O b sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei seiner Entstehung gegen den Erben (§ 2325 I) oder gegen den Beschenkten (§ 2329 I 1) richtet, hängt einmal vom Ausmaß des Nachlasses, zum andern von der Auffassung zur Erbenhaftung ab; denn der Beschenkte hat für den Anspruch nur aufzukommen, soweit der Erbe zur Ergänzung nicht verpflichtet ist (§ 2329 I I ) . Reicht der Nachlaß beim Erbfall nicht aus, um den Ergänzungsanspruch - ganz oder zum Teil - abzudecken, so richtet sich dieser Anspruch (zumindest zunächst) gegen den Erben, wenn man diesen dem Grundansatz nach unbeschränkt, aber mit der Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung für die Nachlaß Verbindlichkeiten einstehen läßt. Dagegen richtet sich dieser Anspruch (zumindest zunächst) in der vom Nachlaß nicht gedeckten Höhe gegen den Beschenkten, wenn man bei der Erbenhaftung (zumindest in bestimmten Lagen) von einer vorläufig beschränkten Haftung ausgeht, die unter bestimmten Umständen in eine unbeschränkte Haftung umschlagen kann. Die Frage nach dem Grundansatz in unserem System der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten mag 1 2 Bei der Berechnung müssen wiederum die beiden erwähnten Schuldgruppen außer Betracht bleiben, die bei der Berechnung des Pflichtteils keine Rolle spielen. Vgl. dazu oben II. 1.
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hier dahinstehen 13 . Denn in der Praxis kommt es nicht darauf an, wer beim Erbfall, sondern wer letzthin für den Ergänzungsanspruch aufzukommen hat. Wichtig ist nur, die Ausgangslage im Hinblick auf denkbare Veränderungsmöglichkeiten 14 zu erfassen. Beispiel: Wert der Nachlaßaktiva beim Erbfall 100 0 0 0 - D M Pflichtteilserhebliche Nachlaßschulden 80 000,- D M Wert eines Geschenks des Erblassers aus ergänzungspflichtiger (§ 2325 III) Zeit 40 0 0 0 , - D M Bei dieser Ausgangslage hat der enterbte einzige Sohn S als ordentlichen Pflichtteil 10 0 0 0 , - D M zu fordern. Sein Pflichtteilsergänzungsanspruch beläuft sich der Höhe nach auf 20 0 0 0 , - D M Nunmehr ist der Nachlaß überschuldet, da einem Pflichtteilsanspruch von 10 0 0 0 , - D M mit einem Ergänzungsanspruch von 20 000,- D M nach Abzug der sonstigen Verbindlichkeiten nur Aktiva in Höhe von 20 000,- D M gegenüberstehen. Der Erbe braucht insgesamt nicht mehr als den Nachlaß zu opfern, wenn er die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung nicht verspielt. S hat deshalb vom Erben - verhält dieser sich „richtig" - neben dem Pflichtteil eine Pflichtteilsergänzung in Höhe von 10 0 0 0 , - D M zu erwarten; und auch diese Summe verringert sich noch zumindest um die Erbschaftssteuer, die der Erbe zu zahlen hat, weil die Erbschaftssteuerlast der Pflichtteilslast im Range vorgeht. Für den Rest wird sich S gem. § 2329 I 1 an den Beschenkten halten müssen. Problematisch wird die Rechtslage, wenn der Erbe seine Haftung nicht mehr auf den Nachlaß beschränken kann - etwa wegen einer Inventaruntreue oder wegen einer vorbehaltlosen Verurteilung. In Fällen dieser Art gewähren die einen den Anspruch gegen den Beschenkten, wenn der Erbe den Ergänzungsanspruch nicht aus seinem Eigenvermögen befriedigen kann 15 . Andere wollen von einer solchen Haftungsverlagerung nichts wissen 16 . Auf diese Frage ist bei der späteren Entwicklung des Anspruchs einzugehen (vgl. unter III 2 b dd aaa).
2. Nachträgliche Wertsteigerungen und Wertverluste wirken sich auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch unterschiedlich aus.
a) aa) Steigt der Wert des Nachlasses nach dem Erbfall, so ist das für Bestand und Höhe des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ohne Belang, da für diesen Anspruch der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls maßgeblich ist (§ 2311). Eine nachträgliche Wertsteigerung nutzt dem Pflichtteilsberechtigten allenfalls im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs. Dieser Durchsetzbarkeit können 1 3 Vgl. zu diesem System u.a. Siber, Haftung für Nachlaßschulden, 1937, insbes. S . 4 1 f f . , 5 2 f f . ; Kipp-Coing, Erbrecht, 13. Aufl. 1978, § 92; Börner, JuS 1968,53ff., 108ff.; Brox, Erbrecht, 5.Aufl., 1977, Rz. 609ff.; Leonhard, Erbrecht, 2.Aufl., 1912, § 1967, Anm. I - I V . 1 4 Vgl. dazu unten III 2. 15 Staudinger-Ferid, § 2329 Anm. 8; Palandt-Keidel, § 2329 Anm. 3; Schuh, AcP 105 (1909), 292f.; Kipp-Coing, § 13 VI 2. 16 R G R K -fohannsen, § 2329 Anm. 2; Soergel-Siebert-Dieckmann, §2329 Anm.l; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, § 2329 A n m . l ; Lange-Kuchinke, Erbrecht, 2.Aufl 1978, § 39 I X 3a; Haegele, BWNotZ 1972, 73.
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nämlich Verbindlichkeiten schaden, die zwar bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs außer Betracht bleiben, in einem Nachlaßkonkurs aber vor diesem Anspruch gem. § 226 II Ziff. 4 K O befriedigt werden müssen — etwa die Erbschaftssteuerschuld des Erben, die Kosten eines Nachlaßkonkurses 17 oder auch gewisse,,Nachlaß verwaltungsschulden", die der Erbe selbst nach dem Erbfall begründet hat 1 8 . Nachträgliche Wertsteigerungen des Nachlasses kommen zwar in erster Linie den vorrangigen Nachlaßgläubigern zustatten. Sie können aber auch dem Pflichtteilsberechtigten die Deckung für einen rechnerisch ausgewiesenen Pflichtteilsanspruch retten, die sonst derartige Verbindlichkeiten auszehren. Allerdings muß ein Nachlaßkonkursverwalter, der Schenkungen des Erblassers gem. § 32 KO erfolgreich angefochten hat, bei einer nachträglichen Wertsteigerung § 228 KO beachten, der ihm verbietet, den Pflichtteilsberechtigten mit einem derart für den Nachlaß zurückgewonnenen Wert zu befriedigen. Dieses Verbot gilt auch für eine „mittelbare" Deckung des Pflichtteilsanspruchs. Der Konkursverwalter darf also nicht den mit der Anfechtung für den Nachlaß zurückgewonnenen Wert für die „Vorzugsverbindlichkeiten" verwenden, die bei der Pflichtteilsberechnung außer Betracht geblieben sind, und dann den ordentlichen Pflichtteilsanspruch mit dem Gewinn aus der nachträglichen Wertsteigerung des Nachlasses bedienen.
bb) Wertverluste beeinträchtigen den ordentlichen Pflichtteilsanspruch nach Bestand und Höhe nicht. Sie wirken sich nur auf die Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeit „Pflichtteilsschuld" aus. Haftet der Erbe für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt und unbeschränkbar, so kann der Pflichtteilsberechtigte mit der Erfüllung seines Pflichtteilsanspruchs rechnen, wenn das Eigenvermögen des Erben hinreicht. Kann der Erbe dagegen - etwa mit einem Nachlaßkonkurs - auch gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten die Haftung auf den Nachlaß beschränken, wird der Pflichtteilsberechtigte mit seinem Pflichtteils ansprach nichts ausrichten können, wenn die Uberschuldung des Nachlasses auf Verbindlichkeiten beruht, die dem Pflichtteilsberechtigten im Range vorgehen (vgl. § 226 II KO), was hier unterstellt wird. Der Konkursverwalter dürfte nicht einmal einen vom Erblasser verschenkten Gegenstand mit der Schenkungsanfechtung (§ 32 KO) zur Masse zurückfordern, um dem Pflichtteilsanspruch Deckung zu verschaffen (§ 2281 KO). Haftet der Erbe für den ordentlichen Pflichtteilsansprach nicht mehr, so geht der Pflichtteilsberechtigte wegen dieses Anspruchs leer aus, wenn er sich nicht mit einer vollstreckungsrechtlichen Anfechtung außerhalb 1 7 Diese Kosten bleiben bei der Berechnung des Pflichtteils außer Ansatz (vgl. Staudinger-Ferid, § 2311 Anm.62), sind aber als Massekosten im Nachlaßkonkurs vor dem Pflichtteilsanspruch zu decken. 18 Beispiel: Der Erbe läßt ein Nachlaßgebäude wiederherstellen, das bei einer Uberschwemmung nach dem Erbfall Schaden gelitten hat. Zu Verbindlichkeiten dieser Art vgl. u. a. Kipp-Coing, § 93 II 2e; Brox, Rz. 628, wenn auch ohne die Bezeichnung „Nachlaßverwaltungsschuld" .
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des Konkursverfahrens (§§ 2, 3 AnfG) beim Beschenkten Deckung verschaffen kann. Denn eine Richtungsverschiebung des Anspruchs auf den Beschenkten, die § 2329 I 1 für den Ergänzungsanspruch vorsieht, kommt beim ordentlichen Pflichtteilsanspruch nicht in Betracht. Wirtschaftlich wertvoll wäre eine solche Anfechtung (vornehmlich) für den Pflichtteilsberechtigten, wenn der Nachlaß für alle „vorrangigen" Forderungen hinreicht und für Pflichtteil und Pflichtteilsergänzung nichts hergibt. Das Anfechtungsgesetz enthält ein § 228 K O nachgebildetes Anfechtungsverbot 19 nicht. Eine vollstreckungsrechtliche Anfechtung ist auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Schenkung in der zeitlichen Reihenfolge regelmäßig20 der Entstehung des Pflichtteilsanspruchs vorangehen wird. Denn eine Rechtshandlung - auch eine unentgeltliche Verfügung im Sinne des § 3 I Ziff. 3 und 4 AnfG - ist nach dem Anfechtungsgesetz nicht nur zu Gunsten der Gläubiger anfechtbar, die zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung schon forderungsberechtigt waren. Vielmehr entsteht das Anfechtungsrecht mit der Verwirklichung des Anfechtungstatbestandes und - wenn die befriedigungsbedürftige Forderung erst später begründet wird - zusammen mit dieser 21 . Die Entstehungsgeschichte des gegenwärtigen Rechts spricht ebenfalls nicht zwingend gegen eine Anfechtungsmöglichkeit 22 . 19 Jaeger-Weber, Ko'nkursordnung, 8. Aufl., 1973, § 228 Anm. 3, Mentzel-Kuhn, KO, 8. Aufl., 1976, § 228 Anm. 1 und Böhle-Stamschräder, KO, 12. Aufl., 1976, § 228 Anm. 1 entnehmen § 228 KO eine Anfechtungssperre, die bereits im Erkenntnisverfahren zu beachten ist, - m.E. mit Recht. 20 Ausnahmsweise fällt die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs mit der Schenkung zusammen - dann nämlich, wenn es sich um eine Schenkung unter Lebenden handelt, die erst im Todeszeitpunkt vollzogen wird: etwa die unentgeltliche Zuwendung eines,, Gesellschafteranteils" an einer Personalgesellschaft. Die Sonderprobleme aus diesem Bereich mögen hier außer Betracht bleiben. 21 H.M. Vgl. Jaeger, Die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens, 2. Aufl., 1938, § 3 Anm. 14; Böhle-Stamschräder, Anfechtungsgesetz, 4. Aufl., 1970, Einführung II 1,3 vor § 1; RGZ 26,11; BGH KTS 64,243; BGHZ 57,123 (126), (allerdings mit einer Ausnahme für Güterrechtsverträge); a. A. wohl Gernhuher, Münchner Kommentar, 1978, § 1390 Bern. 23 (beim Wettstreit zwischen Ansprüchen aus dem Anfechtungsgesetz und dem Ausgleichsanspruch des benachteiligten Gläubigers einer „Ausgleichsforderung" gegen den „beschenkten" Dritten). 22 In den Materialien zum BGB ist zwar bisweilen von „Anfechtung" die Rede. Gemeint ist damit aber nicht eine Anfechtung nach dem Gesetz vom 21. Juli 1879, sondern eine Angriffsmöglichkeit für den Pflichtteilsberechtigten gegenüber Leistungsempfängern wegen Schenkungen des Erblassers auf anderer Rechtsgrundlage. Das Anfechtungsgesetz erwähnen die Motive zwar auch - dies aber nur, um gegen den Grundsatz des gemeinen Rechts Front zu machen: „Jede Schenkung (sei) unantastbar . . . , welche den Pflichtteil nicht beeinträchtigt hätte, wenn der Erblasser im Zeitpunkt der Schenkung gestorben wäre" (vgl. Motive S. 450ff. (452) in Mugdan, S.239ff. (251)).-Die Entstehungsgeschichte des § 228 KO, den die Novelle von 1898 mit Rücksicht auf das neue bürgerliche Recht in die Konkursordnung
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Trotzdem wird man mit Jaeger23 und Heckelmann24 die Anfechtung ausschließen müssen. Denn zumindest in ihrem Zusammenwirken schließen die Wertungen, die das Bürgerliche Recht 25 und das Konkursrecht 26 beherrschen, eine vollstreckungsrechtliche Sicherung des Pflichtteilsanspruchs mit einer Anfechtung außerhalb des Konkursverfahrens aus. Diese Wertungen sind durchaus anfechtungsfeindlich. Im bürgerlichen Recht braucht der Beschenkte um das Geschenk allenfalls wegen eines Anspruchs auf den außerordentlichen Pflichtteil gem. § 23291 1 BGB zu fürchten 27 , gleichviel, ob man diesem Ergänzungsanspruch (bereits) anfechtungsrechtlichen Charakter zuschreibt28 oder nicht. Der Wertungswiderspruch wäre allzu groß, wollte man den Beschenkten darüber hinaus im Anfechtungsrecht um den Bestand der Schenkung auch wegen des Anspruchs auf den ordentlichen Pflichtteil bangen lassen. Ähnliches gilt im eingefügt hat, ist ebenfalls nicht aufschlußreich. Verfehlt - oder zumindest ganz ungenau ist die amtliche Begründung: nur Gläubiger des Erblassers verdienten den Anfechtungsschutz (vgl. Hahn-Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, 7. Band, S. 256; gegen diese Ungenauigkeit auch Jaeger-Weber, § 228 Anm. 1). - Aber wenn man schon von diesem Grundmuster ausging, hätte es nicht ferngelegen, nicht nur die Konkursordnung, sondern auch das Anfechtungsgesetz zu ändern, sofern den Pflichtteilsberechtigten die Anfechtung von Rechtshandlungen vorenthalten sein sollte, die entweder der Erblasser ausgebracht hat oder die gegen den Erblasser ausgebracht worden sind. In einem anderen Sachzusammenhang hat man 1898 die Konkursordnung und das Anfechtungsrecht geändert - nämlich mit § 222 K O und § 3 a AnfG. 2 3 Die Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens, § 3 a Anm. 1; Konkursordnung, 6./7. Aufl., 1936, §§ 226-229 Anm.35. 2 4 Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973, S.262. 2 5 Auf diese Wertungen beruft sich Heckelmann. Seine Stellungnahme bezieht sich ausdrücklich zwar nur auf das Pflichtteilscrgänz««gsrecht. Sinngemäß gelten die Darlegungen aber auch für den ordentlichen Pflichtteilsanspruch. 2 6 Auf das Konkursrecht bezieht sich Jaeger a . a . O . Er verweist allerdings auf § 13 AnfG, der für die Lösung der Frage nichts hergibt. Weber hat übrigens in seiner Bearbeitung von Jaegers Konkursordnung dessen Ausführungen zum Thema „Pflichtteilsanspruch und Anfechtung außerhalb des Konkursverfahrens" nicht übernommen (vgl. Jaeger-Weber, 8. Aufl., 1973, § 228 K O Anm.2 mit Jaeger, 6./7.Aufl„ 1936, SS 226-229 K O Anm.35). Er hat dessen Meinung allerdings auch nicht ausdrücklich aufgegeben. 2 1 Das war bereits seit dem 1. Entwurf so. Dieser unterschied zwischen dem Pflichtteil (SS 1975 ff.) und dem „außerordentlichen" Pflichtteil (SS 2009-2018 B G B ) , den er im Hinblick auf Schenkungen des Erblassers unter Lebenden vorsah. Für den Pflichtteil hatte der Erbe einzustehen, für den außerordentlichen Pflichtteil ebenfalls, jedenfalls in erster Linie. Der Beschenkte hatte nur für den außerordendichen Pflichtteil aufzukommen, und auch dies nur, soweit der Erbe für den Anspruch auf diesen Pflichtteil nicht haftete (S 2014 E 1). Dabei sollte „der Pflichtteilsberechtigte . . . gegenüber dem Beschenkten nur die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des Anspruchs auf den außerordentlichen Pflichtteil und nur, soweit die Herausgabe zu diesem Zwecke erforderlich ist, verlangen" können (§ 2016 E 1). 2 8 Vgl. dazu (im Anschluß an die Protokolle der Kommission für die zweite Lesung S. 7626, bei Mugdan, Band V., Seite 795) von Lübtow, Erbrecht I, 1971, S. 598; Schulz, AcP 105 (1909), 291 f.; Lange-Kuchinke, S 39 I X 3d a . E .
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Konkursrecht. Man kann nicht gut dem Konkursverwalter im Nachlaßkonkurs eine Anfechtung zu Gunsten des Pflichtteilsberechtigten wegen Schenkungen des Erblassers versagen und dem Pflichtteilsberechtigten selbst außerhalb des Konkursverfahrens die entsprechende Anfechtung gestatten. Und wenig sinnvoll wäre das Verbot (§ 228 KO), den Pflichtteilsberechtigten mit Vermögenswerten zu befriedigen, die der Konkursverwalter mit der Anfechtung einer Rechtshandlung des Erblassers für die Masse zurückgewonnen hat, wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst nach der Beendigung des Konkursverfahrens diese Vermögenswerte mit der Anfechtung außerhalb des Konkursverfahrens für sich in Anspruch nehmen dürfte 29 . Mit einer Anfechtung außerhalb des Konkursverfahrens kann sich der Pflichtteilsberechtigte deshalb nicht gegen Schenkungen des Erblassers zur Sicherung seines Pflichtteilsanspruchs wehren, wenn Veränderungen des Nachlasses nach dem Erbfall diesem Anspruch die Deckung entzogen haben. b) Bei der Frage nach dem Einfluß von Wertsteigerungen (bb) und Wertverfall (cc) des Nachlasses auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch erscheint es angebracht, zunächst die Vorfrage nach der grundsätzlichen Richtungsbeweglichkeit dieses Anspruchs bei Nachlaßveränderungen zu klären (aa). aa) Nach dem Gesetz hat der Beschenkte für die Pflichtteilsergänzung aufzukommen, „soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist" (§ 2329 I I ) . Nach der h. M. 3 0 ist der Erbe im Sinne dieser Bestimmung jedenfalls dann nicht „verpflichtet", wenn er für die Nachlaßverbindlichkeiten nur beschränkt haftet und der Nachlaß zur Ergänzung des Pflichtteils nicht ausreicht. Das bedeutet der Sache nach: Uber die Richtung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs und dessen Schuldner entscheidet (auch) der jeweilige Stand des Nachlasses. Der Ergänzungsanspruch ist (zumindest vom Grundansatz her) richtungsbeweglich. Er kann sich vom Erben auf den Beschenkten, aber auch vom Beschenkten auf den Erben verlagern - je nach Wertverfall oder Wertsteigerungen des Nachlasses. 2 9 Die Zeitproblematik für eine solche Anfechtung soll in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Uber die sachliche Berechtigung des § 228 K O für den Pflichtteilsanspruch mag man streiten. Solange diese Regel gilt, sollte man ihr aber auch eine Fern Wirkung auf das Anfechtungsrecht außerhalb des Konkursverfahrens beimessen, die den Wertungen des bürgerlichen Rechts durchaus entspricht. 30 Staudinger-Ferid, § 2329 Anm. 5; Planck-Greiff, BGB, 4. Aufl., 1930, § 2329 Anm. 1 a; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2329 Anm. 1; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, § 2329 Anm. 1; Palandt-Keidel, § 2329 Anm. 1; von Lübtow, Erbrecht I, S.597; Lange Kuchinke, § 39 IX 3 a; Kipp-Coing, Erbrecht, § 13 VI 2; R G Z 58, 124 (127); B G H FamRZ / 1961, 272 (274).
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Demgegenüber wollen Strobal31, Siber32 und Crome33 den Erben schon dann freistellen (und damit den Beschenkten belasten), „wenn und soweit der Anspruch durch den Bestand des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls nicht gedeckt ist" 3 4 . Dabei geht es Siber, Strohal und Crome vor allem um das praktische Ergebnis 35 : Zur Zeit des Erbfalls solle endgültig feststehen, ob und in welcher Höhe sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben oder gegen den Beschenkten richte. Der Wunsch nach Einfachheit und Klarheit mag für eine Richtungsfestigkeit des Ergänzungsanspruchs beim Erbfall sprechen. Trotzdem wird man es im geltenden Recht m. E. auch weiterhin mit der h. M. halten müssen, und zwar sowohl aus materiellrechtlichen (aaa) als auch aus verfahrensrechtlichen (bbb) Erwägungen. aaa) Bei den materiellrechtlichen Gründen ist in der Fallgruppe „nachträgliche Wertsteigerung" anzusetzen. Kann der Erbe nach einer Wertsteigerung des Nachlasses den Pflichtteilsergänzungsanspruch mit Nachlaßmitteln (ganz oder zum Teil) erfüllen, besteht kein Anlaß, den Beschenkten haften zu lassen 36 . Diese Einstellung verrät auch nicht den Lösungsansatz für die Fälle, in denen der Nachlaß bereits beim Erbfall auch dann (mit Verbindlichkeiten, die dem Pflichtteilsberechtigten im Range vorgehen) überschuldet ist, wenn man den Wert des Geschenks (mit dem Wertansatz des § 2325 III) hinzurechnet. Eine nachträgliche Wertsteigerung des Nachlasses kann allerdings einem Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht zum späteren Dasein verhelfen. Eine ganz andere Frage ist es, ob ein - einmal entstandener - Pflichtteilsergänzungsanspruch seine (Schuldner)richtung endgültig beibehalten muß. Bei Planck, 3. Aufl., 1908, § 2329 A n m . l . Erbrecht, 1928, S.89. 3 3 System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 5.Band, 1912, § 708 Fn.60 (S.491). 34 Siber, Erbrecht, S.89. 35 Siber, Erbrecht, S. 89 beruft sich zwar auch auf seine Auffassung zur Erbenhaftung, die von der h. M. abweicht. Er argumentiert aber vornehmlich aus der Interessenlage. Strohal unterscheidet sich in seiner Grundanschauung zur Erbenhaftung zwar voaSiber. Er will die Antwort auf die Frage, ob und in welcher Höhe der Pflichtteilsergänzungsanspruch als Nachlaßverbindlichkeit begründet sei, aber nicht von der Antwort auf die Frage nach dem „Wie" der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten abhängig machen. Auch wenn er seine Auffassung nur mit Fällen aus dem Bereich „nachträglicher Wertverfall" erläutert (vgl. oben bei Fn. 31), kann bei seiner Ausgangslage eine nachträgliche Wertsteigerung des Nachlasses einen zur Zeit des Erbfalls gegen den Beschenkten gerichteten Ergänzungsanspruch nicht auf den Erben verlagern. Crome (siehe Fn. 33) hält es im wesentlichen mit der Begründung Strohais. 31
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3 6 Das muß für diejenigen selbstverständlich sein, die im Ergänzungsrecht in Anlehnung an die Protokolle nur einen „Rechtsbehelf von der Natur eines Anfechtungsrechtes" sehen (vgl. oben Fn. 28). Denn für eine „Anfechtung" ähnlich der Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz ist kein Raum, wenn der Schuldner leisten kann. Allerdings darf man das „Anfechtungsargument" im Hinbück auf andere Problemlagen nicht überschätzen (vgl. dazu unten S.418ff.).
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Denkt man an einen (möglichen) Wertverfall des Nachlasses, ist gegen eine Richtungsverschiebung des Ergänzungsanspruchs vom Erben auf den Beschenkten ebenfalls nichts einzuwenden. Vermag der Nachlaß einen Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr zu decken, müßte der Ergänzungsberechtigte - haftet der Erbe endgültig beschränkt - entweder leer ausgehen oder aber wegen der Deckung seines Ergänzungsanspruchs das vollstreckungsrechtliche Anfechtungsrecht bemühen können. Beides halte ich nicht für gut. Allerdings darf das Ergänzungsrecht dem Berechtigten nicht einen (richtungsbeweglichen) Anspruch verheißen, dessen Durchsetzbarkeit im Verfahrensrecht übermäßig erschwert wird. Das ist deshalb wichtig, weil der Anspruch gegen den Beschenkten 3 Jahre nach dem Erbfall verjährt (§ 2332 II) und damit verjähren kann, bevor die Haftung des Beschenkten endgültig feststeht 37 . bbb) Aber das Verfahrensrecht läßt den Ergänzungsberechtigten nicht im Stich, der die Verjährung des Anspruchs gegen den Beschenkten zu unterbrechen sucht. Ist der Erbe zugleich der Beschenkte, kann der Ergänzungsberechtigte vom Geldanspruch (§ 2325) zum „Herausgabeanspruch" (§ 2329) übergehen, ohne die Klage unzulässig zu ändern 38 . Die Zahlungsklage (§ 2325) unterbricht auch die Verjährung des „Herausgabeanspruchs" (§ 23 29) 3 9 . Ist der Erbe mit dem Beschenkten dagegen nicht personengleich, hat es der Ergänzungsberechtigte schwerer. Er kann aber zumindest gegen den Beschenkten, der den erbetenen Verzicht auf die Einrede der Verjährung verweigert, mit einer Klage auf zukünftige Leistung (§ 259 ZPO) seinen von der Entwicklung des Nachlasses abhängigen und damit bedingten Anspruch gerichtlich geltend machen. Ihm steht wahlweise auch eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) zur Verfügung. Der Ergänzungsberechtigte mag dabei Risiken eingehen - auch im Hinblick auf die Verfahrenskosten. Diese Risiken wird man ihm aber ansinnen können. Weitere Hilfestellungen bietet das Verfahrensrecht dem Ergänzungsberechtigten m. E. nicht. Der Ergänzungsberechtigte kann ein gegen den Erben (unter Vorbehalt der Haftungsbeschränkung) erstrittenes Leistungsurteil nicht gegen den Beschenkten als - angeblichen - Rechtsnachfolger umschreiben lassen (vgl. §§ 727, 325 ZPO). Dabei mag dahinstehen, ob bei einer befreienden Schuldübernahme kraft Vertrages § 265 II ZPO nach Rechtshängigkeit anzuwenden ist oder nicht 4 0 . Eine gesetzliche Haftungsverlagerung des Er-
Vgl. Siber, Erbrecht, S . 8 9 f . Anm.6. B G H N J W 1974, 1327; Johannsen, WPM 1970, 239. 3 9 B G H N J W 1974, 1327; Palandt-Keidel, § 2 3 3 2 Anm.3; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2332 Anm. 10; wohl auch Kipp-Coing, § 13 VII Fn.35. 4 0 Dagegen B G H Z 61, 140 m. Nachw. zum Streitstand; dafür Henckel, ZZP 87, 97. 37
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gänzungsanspruchs vom Erben auf den Beschenkten (oder umgekehrt) unterscheidet sich von einer Schuldübernahme erheblich41. Auch eine Streitverkündung gegen den Beschenkten im Ergänzungsstreit mit dem Erben (§ 72 ZPO) wegen einer Unterbrechung der Verjährung (§ 209 II Ziff. 4) halte ich nicht für statthaft. Den Streit könnte der Ergänzungsberechtigte nur dann erfolgreich verkünden, wenn ihn der Beschenkte nach einer Niederlage gegen den Erben schadlos halten müßte (§ 72 ZPO). Aber zu den „Ansprüchen auf Schadloshaltung" gehört der Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten sicher nicht - zumindest nicht im eigentlichen Sinne. Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus will man die Streitverkündung allerdings auch in den Fällen einer alternativen Ersatzhaftung zulassen42. Wie weit man in dem Erweiterungsstreben gehen kann, ist indes keineswegs ausgemacht43. Aber wie immer man sich zu dieser Frage im Hinblick auf das Dreiecksverhältnis „Ergänzungsberechtigter - Erbe - Beschenkter" s t e l l t . . . , die Furcht vor einem „ungünstigen Ausgang des Rechtsstreits" muß beim Streitverkünder die Hoffnung auf die „Schadloshaltung" nähren. Der Beschenkte kann dem Ergänzungsberechtigten aber durchaus auch bei dessen Sieg über den Erben im Rechtsstreit ergänzungspflichtig sein, (wenn man eine Richtungsbeweglichkeit des Ergänzungsanspruchs für möglich hält). Denn das Schicksal des Anspruchs gegen den Beschenkten entscheidet sich erst im Vollstreckungsverfahren, sofern sich der Erbe die Beschränkung der Haftung im Erkenntnisverfahren vorbehalten hat (§ 780 ZPO) 4 4 . Das Urteil, das dem Berechtigten die Zwangsvollstreckung gegen den Erben nur unter dem Beschränkungsvorbehalt des § 780 ZPO gestattet, mag in vielen Fällen - zumindest wirtschaftlich - einer Niederlage gleichkommen. Das dürfte für eine Statthaftigkeit einer Streitverkündung indes auch dann nicht ausreichen, wenn man mit Häsemeyer45 eine „im materiellen Recht gründende Alternativität gleichwertiger Rechtsverhältnisse" als Grundlage einer Streitverkündung erachtet. Zwar kann (in einer bestimmten Höhe) nur der Erbe oder der Beschenkte ergänzungspflichtig sein. Insofern ist man geneigt, von einer „Altemativhaftung" zu sprechen. Aber die Niederlage des Ergänzungsberechtigten im Streit gegen den Erben stellt die Haftung des Beschenkten (wenn auch in bereicherungsrechtlicher Anfälligkeit) noch nicht klar. Zumindest theoretisch kann der Nachlaß eine Wertsteigerung erfahren, die zu einer erneuten Richtungsverschiebung des Ergänzungsanspruchs nach der letzten mündlichen Verhandlung führt 46 . Fraglich ist dagegen, ob der Ergänzungsberechtigte die Verjährung des Anspruchs gegen den Beschenkten (§ 2329) mit einer „Eventualklage" gegen den Beschenkten im
4 1 Abgesehen hiervon kommt eine Umschreibung des Titels schon deshalb nicht in Betracht, weil dem Beschenkten in der Vollstreckungsklausel die Haftung nach Maßgabe des § 2329 BGB vorbehalten werden müßte, also die Haftung mit dem Geschenk nach Maßgabe des Bereicherungsrechts. Eine solche Vollstreckungsklausel sieht das geltende Recht aber nicht vor. 4 2 RGZ 77,360; 79, 83; 123,96; B G H Z 8 , 7 2 ; B G H NJW1976,39; Rosenberg-Schwab, 12. Aufl., 1977, § 48 II 3; Stein-Jonas-Leipold, 20. Aufl., 1978. § 72 Anm.14. 4 3 Vgl. Bruns, Festschrift für Schima, 1969 S. 111 ff.; Häsemeyer, ZZP84(1971), 179ff. 4 4 Ohne Rücksicht auf den Vorbehalt im Urteil kommt es für die Haftung des Beschenkten auf das Vollstreckungsergebnis (auch in das Eigenvermögen des Erben) an, wenn man den Beschenkten schon dann für die Pflichtteilsergänzung einstehen läßt, sofern der unbeschränkt und unbeschränkbar haftende Erbe zahlungsunfähig ist (vgl. dazu unten bei Fn. 53). 4 5 ZZP 84, 184. 46 Häsemeyer erwähnt in seinen Darlegungen ZZP 84, 179ff. den Pflichtteilsergänzungsanspruch auch nicht als Beispiel für eine Streitverkündung.
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Streit gegen den Erben unterbrechen kann. Die h. M. lehnt eine eventuelle subjektive Klagehäufung ab 47 . Dagegen mag einiges sprechen48. Bei der hier erörterten Frage ist jedoch zu bedenken: Die - auflösend bedingte - Rechtshängigkeit des Ergänzungsanspruchs gegen den Beschenkten dürfte nicht bei jedem Sieg des Ergänzungsberechtigten über den Erben entfallen, weil sich die endgültige Haftung des Beschenkten erst im Vollstreckungsverfahren herausstellt, wenn sich der Erbe die Haftungsbeschränkung vorbehalten hat (vgl. § 780 ZPO) 4 9 . Damit wird die Rechtshängigkeit des Anspruchs gegen den Beschenkten nicht von innerprozessualen Vorgängen50, sondern von außerprozessualen Ereignissen abhängig gemacht. V e r m a g sich der E r g ä n z u n g s b e r e c h t i g t e aber gegen eine V e r j ä h r u n g eines E r g ä n z u n g s a n s p r u c h s v o r dessen R i c h t u n g s b e s t i m m t h e i t z u s c h ü t z e n , hat es bei der h . M . z u verbleiben, die W e r t v e r ä n d e r u n g e n des N a c h lasses n a c h d e m Erbfall d a r ü b e r e n t s c h e i d e n läßt, w e r letzthin für d e n E r g ä n z u n g s a n s p r u c h einstehen m u ß : der E r b e o d e r der B e s c h e n k t e . b b ) Steigt d e r N a c h l a ß i m W e r t , k a n n sich die H a f t u n g für d e n Pflichtt e i l s e r g ä n z u n g s a n s p r u c h v o m B e s c h e n k t e n auf den E r b e n verlagern. Sein e r Höhe
n a c h bleibt der P f l i c h t t e i l s e r g ä n z u n g s a n s p r u c h aber u n v e r ä n -
dert. Beispiel: Der Nachlaß ist beim Erbfall mit 20 000,- DM überschuldet, weil Aktiva in Höhe von 100 000,- DM Schulden von 120 000,- DM gegenüberstehen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des enterbten einzigen Sohnes stellt sich auf 30 000,- DM, wenn der Erblasser zu seinen Lebzeiten 80 000,- DM verschenkt hat. Steigt der Wert des aktiven Nachlasses um 30 % auf 130 000,- DM nach dem Erbfall, ist der Nachlaß sogar ohne das Geschenk „aktiv". Diese Wertsteigerung verschafft dem Pflichtteilsberechtigten aber weder den „ordentlichen" Pflichtteilsanspruch5', noch einen höheren Ergänzungsanspruch. Die Wertsteigerung entlastet den Beschenkten nur in Höhe von 10 000,- DM. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich nunmehr gegen den Beschenkten in Höhe von 20 000,- DM (§ 2329). c c ) F ä l l t der N a c h l a ß i m W e r t , k a n n sich der E r g ä n z u n g s a n s p r u c h v o m E r b e n auf den B e s c h e n k t e n v e r s c h i e b e n (§ 2 3 2 9 I I ) . O b er das t u t , h ä n g t d a v o n ab, w e l c h e n E i n f l u ß m a n d e m Eigenvermögen
des E r b e n auf die
R i c h t u n g s b e w e g l i c h k e i t des Pflichtteilsergänzungsanspruchs e i n r ä u m t . D i e h . M . will v o n e i n e m s o l c h e n E i n f l u ß nichts wissen. Sie läßt eine R i c h t u n g s v e r s c h i e b u n g des E r g ä n z u n g s a n s p r u c h s auf den B e s c h e n k t e n 4 7 Vgl. BGH NJW 1972, 2302; LG Berlin N J W 1958, 833 m. Anm. Habscheid; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 1963, § 109 11; Stein-Jonas-Leipold, ZPO, Vorbem. 3 zu § 59 m. Nachw. 4 8 Vgl. Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, § 65 IV 3 b; Baumgärte!, Wesen und Begriff der Prozeßhaltung einer Partei im Zivilprozeß, 1957, 130f. 4 9 Vgl. dazu Fn.44. 5 0 Auf die Bindung an innerprozessuale Vorgänge wollen es offenbar RosenbergSchwab (§ 65IV 3 b i.V. m. IV 2) und Baumgärtel a. a. O., S. 128ff. ankommen lassen. Wegen der damit verbundenen Unsicherheit sollte man die Klage gegen den Erben nicht mit einer Eventualklage gegen den Beschenkten verbinden können, sondern den Ergänzungsberechtigten anhalten, seinen „bedingten" Anspruch mit einer Klage auf zukünftige Leistung oder mit einer Feststellungsklage verfahrensrechtlich bedingungslos geltend zu machen. 5 1 Vgl. oben unter III 2 a aa.
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nicht mehr zu, wenn der Erbe unbeschränkt haftet - gleichviel, ob dessen Vermögen den Ergänzungsanspruch deckt oder nicht 52 . Demgegenüber wollen andere den Beschenkten (auch) haften lassen, wenn der Erbe zwar für die Nachlaßverbindlichkeiten unbeschränkt einstehen muß, aber „zahlungsunfähig" ist 53 . Da die Frage nach dem Einfluß der Leistungsunfähigkeit des unbeschränkt haftenden Erben zugleich anfechtungsrechtliche Erwägungen auslöst, sei das Problem zusammen mit anfechtungsrechtlichen Fragen behandelt54. Fraglich ist zudem, ob ein nachträglicher Wertverfall des Nachlasses den Pflichtteilsergänzungsanspruch erlöschen (oder doch gegenstandslos werden) läßt- dann nämlich, wenn der Nachlaß trotz des - mit dem Wertansatz des § 2325 II hinzugerechneten - Geschenkes auf oder unter die Nullgrenze sinkt.
Dabei ist es gleichgültig, worauf der Wertverfall beruht: auf Verlusten beim Aktivvermögen, die nicht durch Ersatzansprüche gegen den Erben gem. §§ 1991, 1978, 1979 ausgeglichen werden, oder auf Nachlaßverbindlichkeiten, die bei der Pflichtteilsberechnung außer Betracht bleiben, aber dem Pflichtteilsanspruch und dessen Ergänzung im Nachlaßkonkurs vorgehen (vgl. § 226 II Ziff. 4 KO) 5 5 . Dagegen müssen in diesem Zusammenhang Verbindlichkeiten außer Betracht bleiben, die in einem Konkursverfahren erst nach dem Pflichtteilsanspruch und dessen Ergänzung zu befriedigen sind, also Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen und Auflagen, auch die Schuld gegenüber dem Erbersatzberechtigten (§ 226 II Ziff. 5, 6 KO).
Für eine Freistellung des Beschenkten in Fällen dieser Art spricht die Erwägung: der Pflichtteilsberechtigte müßte auch dann leer ausgehen, wenn die Schenkung unterblieben wäre; denn auch ein um das Geschenk verstärkter Nachlaß käme nur den Gläubigern zustatten, die dem Pflichtteils(ergänzungs)berechtigten im Rang vorgehen. In der Tat finden sich in Rechtsprechung56 und Schrifttum57 Andeutungen dieser Art. 52 RGKK-Johannsen, § 2329 Anm. 2; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, § 2329 Anm.l; Leonhard, Erbrecht, 2.Aufl., 1912, § 2329 Anm.II A 3; Planek-Greiff, § 2329 Anm. l a ; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2329 Anm. 1; Lange-Kuchinke, § 39IX 3 a; von Lübtcrw, Erbrecht I S. 597; Bartholomeyczik-Schlüter, Erbrecht, § 47 V 2; Haegele, BWNotZ 1972, 73. 53 Staudinger-Ferid, § 2329 Anm. 8; Palandt-Keidel, § 2329 Anm. 3; Kipp-Coing, § 13 VI 2; Schulz, AcP 105 (1909) S.291f. 5 4 Siehe dazu unten III. 2 b dd aaa. 5 5 Zu diesen Verbindlichkeiten gehören auch die Nachlaßverwaltungsschulden, die der Erbe als sogenannter, .Nachlaßeigenschuldner" in ordnungsmäßiger Verwaltung des Nachlasses begründet hat (vgl. Bartholomeyczik-Schlüter, Erbrecht, 10. Aufl., § 50IV, VI 3 m. Nachw.). Befriedigt sich der Gläubiger aus dem Eigenvermögen, kann sich der Erbe gem. §§ 1978,1979 BGB, 2241 Ziff. 1,225 KO an den Nachlaß halten und damit die Erwartungen des Ergänzungsberechtigten schmälern. 5 6 RG J R 1927 Nr. 1655 = RG LZ 1928, 53. Die Entscheidung betrifft aber einen Fall, bei dem die Uberschuldung des Nachlasses trotz des hinzugerechneten Geschenks bereits beim Erbfall behauptet worden war. 57 Palandt-Keidel, § 2325 Anm. 1 a.
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Läßt man den Ergänzungsanspruch gegenstandslos werden, wenn der Nachlaß - rechnerisch vermehrt um das Geschenk mit dem Wertansatz des § 2325 II - dem Anspruch keine Deckung mehr verschafft, vermeidet man zudem ein lästiges Konkurrenzproblem: Uber das Verhältnis des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zur Anfechtung in und außerhalb des Konkurses braucht man sich keine Sorgen zu machen, weil es an einem Ergänzungsanspruch fehlt. Veränderungen des Eingangsbeispiels: Ausgangslage beim Erbfall: Nachlaßaktiva Nachlaßschulden Wert der Schenkung Pflichtteil des enterbten einzigen Sohnes Pflichtteilsergänzungsanspruch (für den der Nachlaß nur Deckungserwartungen bietet
100 80 40 10 20
000 000 000 000 000
DM DM DM DM DM
in Höhe von) 10 000 DM Sinkt der Wert des Aktivnachlasses (ohne daß Ersatzansprüche gegen den Erben den Verlust ausgleichen) auf 50 000 DM und steigen zugleich die Verbindlichkeiten, die dem Pflichtteils- und dem Pflichtteilsergänzungsanspruch im Range vorgehen, auf 90 000 DM (Erbschaftssteuer, Nachlaßverwaltungsschulden), fehlt es sowohl für den Pflichtteils- als auch für den Pflichtteilsergänzungsanspruch an der rechnerischen Deckung. Im Nachlaßkonkurs wird der Konkursverwalter bemüht sein, die Schenkung anzufechten (§ 32 KO, vielleicht auch gem. § 31 KO) und damit der Masse zur Deckung der vorrangigen Schulden den Wert zuzuführen, auf den in Höhe von 20 000 DM auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zielt.
Indes sollte man beide Argumente nicht überbewerten. Zwar wäre der Ergänzungsberechtigte auch dann leer ausgegangen, wenn sich der Erblasser der Schenkung enthalten hätte. Aber in der Fallgruppe „Nachträgliche Wertsteigerung des Nachlasses" stellt man auch nicht die Betrachtungsweise auf die (gedachte) Zugehörigkeit des Geschenks zum Nachlaß ein. Wenn dem Ergänzungsberechtigten ein nachträglicher Wertgewinn nicht zu einem erhöhten Ergänzungsanspruch verhelfen kann 58 , darf ein nachträglicher Wertverfall des Nachlasses den Anspruch auch nicht mindern oder gar gegenstandslos machen. Daran sollte die Furcht vor Konflikten mit dem Anfechtungsrecht nichts ändern. Dabei ist zu bedenken: Häufig kommt es zu einem derartigen Konflikt gar nicht. Der Ergänzungsanspruch erfaßt Schenkungen aus den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall (§ 2325 III l . H S ) 5 9 . Demgegenüber kann der Nachlaßkonkursverwalter mit der „Schenkungsanfechtung" nur unent-
Vgl. dazu oben unter III 2 b bb. Die Besonderheiten zur Fristberechnung, die der B G H ( B G H Z 59, 210) für richtig hält, sollen in diesem Zusammenhang außer Betracht bleiben. Sie sind auch allzu fragwürdig (vgl. dazu Bosch, FamRZ 1973, 90; Reinicke, N J W 1973, 597; von Lübtaw, Festschrift für Bosch, 1976, 573ff.; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2325 Anm.20; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, Vorbem. 2 c zu § 2325; Brox, Erbrecht, Rz.537). 58
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geltliche Zuwendungen des Erblassers aus dem letzten Jahr (§ 32 Ziff. 1 KO) oder doch aus den letzten beiden Jahren (§ 32 Ziff. 2 KO) vor der Eröffnung des Verfahrens beanstanden - je nachdem, ob es sich um eine Ehegattenschenkung gehandelt hat (§ 32 Ziff. 2 KO) oder nicht. Kann der Konkursverwalter die Zuwendung, die sich aus Zeitgründen einer Schenkungsanfechtung entzieht, nicht mit der Absichtsanfechtung (§31 I I KO) beanstanden 60 , kommt eine Anfechtung überhaupt nicht in Betracht. In Fällen dieser Art ginge der Ergänzungsberechtigte leer aus, obwohl die vorrangigen Nachlaßgläubiger vom Geschenk oder doch dessen Wert nichts hätten. Damit bevorzugte man m. E. den Beschenkten unsachgemäß. Denn man kann nicht gut einerseits die Beanstandungsfrist für Schenkungen im Pflichtteilsergänzungsrecht recht großzügig bemessen und anderseits die Auswirkungen abzuschwächen suchen, indem man den Ergänzungsanspruch bei bestimmten Fallgestaltungen mit Rücksicht auf die hypothetische Vermögenslage und aus Scheu vor möglichen Konflikten mit dem Anfechtungsrecht nicht gewährt. Die echten Konfliktsfälle werden sich schon bewältigen lassen (vgl. dazu unter dd bbb). Einer Einschränkung bedarf deshalb die häufig gebrauchte Formel: eine Pflichtteilsergänzung komme dann nicht in Betracht, „wenn der Nachlaß selbst bei Hinzurechnen der Geschenke nicht aktiv würde" 61 . Sie läßt nämlich die Frage nach dem Zeitpunkt offen, der für die Nullstellung oder die Uberschuldung des Nachlasses maßgeblich ist. Sie erweckt zudem den Eindruck: die Pflichtteilsergänzung müsse stets schon dann unterbleiben, wenn der Nachlaßwert trotz des (mit dem Wertansatz des § 2325 II) hinzugerechneten Geschenks die Nullmarke nicht übersteige gleichviel welcher Art die Schulden sind, die den Nachlaß belasten. Richtig muß es heißen: Für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch ist nur dann kein Raum, wenn das Aktivvermögen im Nachlaß trotz des (mit dem Wertansatz des § 2325 II) hinzugerechneten Geschenks in dem für die Pflichtteilsberechnung erheblichen Zeitpunkt des Erbfalls (§2311) die Nachlaß Verbindlichkeiten nicht übersteigt, die bei der Pflichtteilsberechnung den Nachlaß schmälern. (Außer Betracht bleiben die Schulden, die den Pflichtteilsberechtigten im Nachlaßkonkurs gem. § 226 II KO nachstehen und Verbindlichkeiten, die im Nachlaßkonkurs zwar vor dem Pflichtteilsanspruch zu befriedigen sind, bei der Pflichtteilsberechnung selbst aber außer Ansatz bleiben). 60 Die Schenkungsanfechtung schließt die Absichtsanfechtung nicht aus, wenn deren Voraussetzungen vorliegen (vgl. Jaeger-Lent, § 29Anm. 35; Jaeger, Gläubigeranfechtung, § 3 Anm. 4; BGHZ 58, 240 (241); nur die besondere Konkursanfechtung des § 30 KO verdrängt bisweilen die Schenkungsanfechtung (BGHZ 58, 240). 61 Palandt-Keidel, § 2325 Anm. l a ; ähnlich Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, Vorbem.2 zu § 2325; und RGRK-Johannsen, § 2325 Anm. 17; unscharf auch Soergel-SiebertDieckmann, § 2325 Anm. 1.
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dd) Pfliehtteilsergänzung und Anfechtung Zu klären bleibt noch, wie sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch zum Anfechtungsrecht verhält. Hier muß man zwei Fragenbereiche auseinanderhalten. Einmal geht es um die anfechtungsrechtliche Absicherung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs selbst (aaa), zum andern um den Wettstreit zwischen dem Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten (§ 2329) und der Anfechtung zu Gunsten sonstiger Nachlaßgläubiger (bbb). aaa) Die Frage nach einer vollstreckungsrechtlichen Anfechtung zu Gunsten des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen den Erben (§ 2325) ist nur dann sinnvoll, wenn sich die Haftung nicht auf den Beschenkten verlagert hat, obwohl im Nachlaß für den Anspruch keine Deckung vorhanden ist. Haftet bei (insoweit) deckungslosem Nachlaß der Beschenkte (§ 2329), ist für eine vollstreckungsrechtliche Anfechtung kein Raum 62 . Zwar mag sich der Herausgabeanspruch des Ergänzungsberechtigten gegen den Beschenkten (§ 2329 I HS 1) von einem anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch (§ 37 KO; § 7 AnfG) nach Inhalt, Voraussetzungen und Zeitschranken für die Anspruchsverwirklichung unterscheiden 63 . Auch das Ergänzungsrecht erfüllt mit der Richtungsverschiebung des Ergänzungsanspruchs (zumindest auch) anfechtungsrechtliche Funktionen 64 und muß deshalb - unabhängig von sonstigen Überlegungen das Anfechtungsrecht verdrängen. Verlagert sich die Haftung aber nicht auf den Beschenkten, weil der Erbe (zumindest dem Ergänzungsberechtigten) unbeschränkt und unbeschränkbar haftet, gewinnt die Frage nach der Anfechtungsmöglichkeit Bedeutung, wenn der Erbe zahlungsunfähig ist — dies allerdings nur für diejenigen, die mit der h. M. auch in Fällen dieser Art von einer Haftungsverlagerung vom Erben auf den Beschenkten nichts wissen wollen 65 . Wer sich zu dieser Ansicht bekennt, wird aber die Frage nach der vollstrekkungsrechtlichen Anfechtung zu Gunsten eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht anders beantworten können als die Frage nach der vollstrekkungsrechtlichen Anfechtung zu Gunsten des Pflichtteilsanspruchs selbst66. Denn auch für den Pflichtteilsergänzungsanspruch gilt die dem materiellen Recht entlehnte Erwägung: Im Dreiecksverhältnis „Ergänzungsberechtigter - Erbe - Beschenkter" legt das Ergänzungsrecht die Haftungsgrenzen für den Beschenkten fest. Das Gleiche trifft für die auf 62 Dies gilt natürlich nur im Hinblick auf Schenkungen des Erblassers. Nachlaß verkürzende Rechtshandlungen des Erben sind in diesem Zusammenhang nicht gemeint. 63 Zur Inhaltsverschiedenheit im Hinblick auf die Konkursanfechtung vgl. R G JR 1927 N r . 1655 = LZ 1928, 53. 64 Zur anfechtungsrechtlichen Deutung des Ergänzungsanspruchs siehe oben Fn. 28. 65 Vgl. dazu oben Fn.52. 66 Vgl. dazu oben unter III 2 a bb.
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das Konkursrecht gegründete Erwägung zu: § 228 K O untersage die vollstreckungsrechtliche Anfechtung; denn diese Bestimmung gilt nicht nur für den Pflichtteilsanspruch, sondern auch für den Anspruch auf dessen Ergänzung 67 (mag man über die sachliche Berechtigung des § 228 K O in diesem Bereich auch streiten können). Wenn es aber so ist, fragt es sich, ob man der h . M . abschwören soll, um dem Ergänzungsberechtigten wenigstens in den Fällen den Zugriff auf das Geschenk zu ermöglichen, in denen die Gläubiger nicht beeinträchtigt werden, die dem Berechtigten im Nachlaßkonkurs vorgehen. Denn wenn schon das Anfechtungsrecht nicht helfen kann, sollte wenigstens das Recht helfen, das die Anfechtung verdrängt. Trotzdem hat es m . E . bei der h . M . zu verbleiben. Für deren Lösung spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes, der zwar auch unscharf ist, aber doch für die Mindermeinung gar nichts hergibt 68 . Zudem muß man erwägen: Auch wenn man vom Anfechtungsansatz her denkt 69 , geht es im Grunde genommen nur darum, dem Ergänzungsberechtigten zusätzlich zum Nachlaß ein weiteres Vermögen zur Haftung zu erschließen. Dabei kann es sich um das Vermögen des Beschenkten oder doch um einen Teilausschnitt aus diesem Vermögen handeln. Hinreichen müßte es aber auch, wenn der Ergänzungsberechtigte sich an das Eigenvermögen des Erben halten kann - (gleichviel, wie dieses Vermögen beschaffen ist). Drei Vermögen - den Nachlaß, das Eigenvermögen des Erben und das Vermögen des Beschenkten - oder doch zumindest einen Teilausschnitt aus diesen Vermögen - braucht man dem Ergänzungsberechtigten aber nicht anzubieten. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, wenn man einerseits bei Zahlungsunfähigkeit des unbeschränkt und unbeschränkbar haftenden Erben
"
Vgl. Jaeger-Weber, § 228 Anm. 1 i . V . m . §§ 226, 227 Anm.27. Mit Recht meint Leonhard, Erbrecht, § 2329 Anm. II A 3: „Verpflichtetsein und Haften (könne) man wohl miteinander vertauschen - aber nicht Verpflichtetsein und Zahlenkönnen." 6 9 Vom dogmatischen Ansatz allein her läßt sich die Frage nicht entscheiden. Das zeigt der „Frontverlauf" im Meinungsstreit. So betonen einige Vertreter der h . M . den anfechtungsrechtlichen Charakter des auf § 2329 gegründeten Anspruchs und verneinen trotzdem die Haftungsverlagerung auf den Beschenkten in der streitigen Fallgruppe (vgl. von Lübtaw, Erbrecht I, S. 598 und 597; Lange-Kucbinke, § 3 9 I X 3 a i . V . m . 3d). Andererseits setzt sich Kipp-Coing (Erbrecht § 13IV 2) für eine Haftungsverlagerung ein, deutet aber zugleich im Anschluß an von Caemmerer (Festschrift für Rabel, S. 369) den auf § 2329 gestützten Ergänzungsanspruch bereicherungsrechtlich (§ 13 VI 3 bei Fn.29). Bei einem bereicherungsrechtlichen Ansatz liegt es vielmehr nahe, die Haftungsverschiebung zu verneinen. Das zeigt die Parallele zu der ähnlichen Lage bei § 822 BGB. In dessen Bereich schuldet nach der h. M. der unentgeldiche Erwerber des „Erlangten" gerade nicht, wenn der ursprüngliche Leistungsempfänger haftet (vgl. B G H N J W 1969, 605; Palandt-Tbomas, § 822 Anm. 3 a ; Erman-H.P. Westermann, § 822 Anm.4; Kornblum, JuS 1970, 440f.). 68
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weder von einer Haftungsverlagerung auf den Beschenkten gem. § 2329, noch von einer Sicherung dieses Anspruchs durch eine vollstreckungsrechtliche Anfechtung etwas hält, andererseits aber in einem Dreiecksverhältnis „Ergänzungsberechtigter - Beschenkter Zweitbeschenkter" eine Anfechtung durchaus für statthaft erachtet. Die Fall-Lagen lassen sich nicht einfach vergleichen 70 . bbb) Schwierigkeiten bereitet auch das Verhältnis des Konkursanfechtungsrechts zum Pflichtteilsergänzungsanspruch, der sich gegen den Beschenkten richtet (§ 2329). Dabei sei vorab bemerkt: Die praktische Bedeutung der Frage nach diesem Verhältnis ist gering. Soweit ersichtlich, hat sich bislang eine einzige höchstrichterliche Entscheidung mit diesen Beziehungen befaßt 7 '. Das ist nicht weiter verwunderlich; denn der Uberschneidungsraum beider Ansprüche ist nicht groß. Der richtungsverschobene Pflichtteilsergänzungsanspruch des § 2329 erfaßt grundsätzlich 72 Schenkungen aus den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall (§ 2325 III 1. HS) und verjährt in 3 Jahren seit dem Erbfall (§ 2332 II). Demgegenüber kann der Konkursverwalter mit der „Schenkungsanfechtung" nur unentgeltliche Zuwendungen des Erblassers aus dem letzten Jahr (§ 32 Ziff. 1 KO) oder doch aus den letzten beiden Jahren (§ 32 Ziff. 2 KO) vor der Eröffnung des Verfahrens beanstanden - je nachdem, ob es sich um eine Ehegattenschenkung handelt (§ 32 Ziff. 2 KO) oder nicht. Er muß den Anspruch innerhalb einer Ausschlußfrist von 1 Jahr seit der Eröffnung des Konkursverfahrens geltend machen ( § 4 1 1 1 KO). Da zwischen der unentgeltlichen Zuwendung und dem Erbfall einerseits und dem Erbfall und der Eröffnung des Konkursverfahrens andererseits regelmäßig einige Zeit vergehen wird, ist zumindest für die auf § 32 Nr. 1 KO gegründete Anfechtung der Uberschnei-
7 0 Hat der Erbe nicht für den Pflichtteilsergänzungsanspruch einzustehen und hat der Beschenkte die Zuwendung des Erblassers unentgeldich an einen Dritten weitergegeben, haftet der Beschenkte nur, wenn ihn die verschärfte Bereicherungshaftung trifft (§§ 818 IV, 819). Sonst verlagert sich die Haftung gem. § 822 auf den Dritten (Lange-Kuchinke, § 39IX 3c bei Fn.319; Staudinger-Ferid, § 2329 Anm. 26; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2329 Anm.5. Zu dieser Richtungsverschiebung des Bereicherungsanspruchs kommt es nicht, wenn der (ursprünglich) Beschenkte wegen der verschärften Haftung ergänzungspflichtig bleibt (vgl. dazu die Nachweise bei Fn. 69 a. E.). In Fällen dieser Art kommt eine vollstrekkungsrechtüche Anfechtung aber sehr wohl in Betracht (vgl. Kornblum, JuS 1970, 441; Erman-H.P. Westermann, § 822 Anm. 4). Den „Zweitbeschenkten" kann man hier nicht mit ähnlichen Erwägungen vor einer Anfechtung bewahren, wie den Beschenkten, der nach § 2329 I 1 haftet. 71 RG JR 1927 Nr. 1655 = Das Recht 1927 Nr. 1990 = LZ 1928 S.53. 7 2 Der Zeitraum erweitert sich bei Schenkungen unter Ehegatten (§ 2325 III 2. HS) in m. E. verfassungswidriger Weise. Er soll sich zudem gegenüber den Pflichtteilsberechtigten verengen, die zur Zeit der Schenkung noch nicht Pflichtteilsanwärter waren (BGHZ 59, 210).
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dungsraum mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2329 sehr klein. Dieser Uberschneidungsraum kann sich allerdings im Hinblick auf eine Absichtsanfechtung ( § 3 1 K O ) erweitern, weil die Möglichkeit der Schenkungsanfechtung die Absichtsanfechtung nicht ausschließt72®. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Schrifttum vom Wettstreit der beiden Rechtsbehelfe macht eine gewisse Unsicherheit deutlich. Der Aussagegehalt der erwähnten RG-Entscheidung 73 läßt sich dahin zusammenfassen: Die Anfechtungsmöglichkeit als solche berühre den Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten überhaupt nicht, die Ausübung des Anfechtungsrechts nur insoweit, als sie zur Rückgewähr des Verschenkten an die Konkursmasse führe, weil in diesem Umfang die Bereicherung des Beschenkten entfalle; der anfechtungsrechtliche Rückgewähranspruch und der Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten vermittelten keine Gesamtgläubigerschaft. Diese Darlegungen lassen einiges offen - etwa wie sich die Leistung des Beschenkten an den Ergänzungsberechtigten auf das Anfechtungsverhältnis auswirkt und wie sich die Haftungslage gestaltet, wenn sich der Beschenkte nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen kann, weil er verschärft haftet (§§ 23291 1, 818 IV, 819). Diese Aussagen hat ein Teil des Schrifttums übernommen 74 . Mitunter findet sich auch nur der Hinweis: Die Bereicherung des Beschenkten könne nach einer erfolgreichen Anfechtung entfallen 75 . Ich selbst habe mich zum Ansatz von R G J R 1 9 2 7 Nr. 1655 bekannt, dabei allerdings den Hinweis auf die fehlende Gesamtgläubigerschaft ausgespart und den Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten ohne Rücksicht auf eine verschärfte Haftung des Beschenkten (§§ 818IV, 819) in Frage gestellt, wenn der Konkursverwalter im Wege der Anfechtung Verschenktes für die Masse zurückgewonnen hat 7 6 . Auch das Schrifttum bemüht sich also nur um die Lösung von Teilfragen. Allerdings findet sich in der älteren Literatur gelegentlich ein weitergehender Hinweis: Der Anfechtungsanspruch gehe dem außerordentlichen Pflichtteilsrecht vor 7 7 . Unklar bleibt dabei allerdings, wie sich der Vorrang des Anfechtungsrechts im einzelnen auswirken soll. Bei dem Versuch, die Beziehungen zwischen dem Ergänzungsanspruch des § 2329 und dem Konkursanfechtungsrecht etwas weiter aufzuhellen, tut man m. E. gut daran, von einer Grundwertung auszugehen, die - trotz sonstiger Ausgestaltungsunterschiede - sowohl das Ergänzungsrecht als 72a 73 74 75 76 77
Vgl. dazu oben Fn. 60. Siehe oben Fn. 71. Staudinger-Ferid, § 2329 Anm.35; Jaeger-Weber, K O , §§ 226, 227 Anm.27. Palandt-Keidel, § 2329 Anm.4; Erman-Bartholomeyczik-Schlüter, § 2329 Anm.3. Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2329 Anm. 7. von Wilmowskt, Deutsche Reichskonkursordnung, 6. Aufl., 1906, § 228 Anm.2.
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auch das Anfechtungsrecht beherrscht: Der Beschenkte braucht nur einen (mehr oder weniger bestimmten) Wert zu opfern: das Geschenk und die Nutzungen oder doch Wertersatz 78 . Dieser Haftungsrahmen erweitert sich auch dann nicht, wenn den Beschenkten die härteste Haftung trifft sei es im Ergänzungsrecht (vgl. §§ 2329 I 1,818 IV, § 819), sei es im Anfechtungsrecht (§ 3 7 1 K O ) . Allenfalls kann sich der Haftungsrahmen verengen, dann nämlich, wenn sich der Beschenkte auf einen Wegfall der Bereicherung berufen darf 79 . Die strengste Haftungslage tritt spätestens mit der Rechtshängigkeit ein (§818 IV) - sowohl beim Ergänzungsanspruch (§ 2329) als auch beim Rückgewähranspruch kraft Anfechtungsrecht (§ 37 II KO). Von nun an kann sich der Beschenkte weder dem Ergänzungsberechtigten noch dem Konkursverwalter gegenüber auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Da er aber insgesamt - nach der etwas groben Faustregel - allenfalls Geschenk und Nutzung (Wertersatz) zu opfern braucht, ist mit dem Hinweis 80 nichts mehr gewonnen: was der Beschenkte dem anfechtenden Konkursverwalter zurückgewähre, mindere die Bereicherung gegenüber dem Ergänzungsberechtigten . . . - zumindest nicht für Lagen, in denen der Beschenkte verschärft haftet und der Haftungsrahmen beim Beschenkten für eine Rückgewähr an die Konkursmasse und den Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr ausreicht. Man muß deshalb das Verhältnis „Konkursanfechtung-Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten" weiter aufhellen, da sich dessen Haftung nicht gut „verdoppeln" kann. Dabei wiederum will ich von einer - gar nicht so seltenen - (Sonder)fallgruppe ausgehen, in der sowohl der Anspruch des Konkursverwalters als auch der Anspruch des Ergänzungsberechtigten auf Geld gerichtet ,-sind81. Sprengen in dieser Fallgruppe derRückgewähranspruch(§37KO) 7 8 Für das Ergänzungsrecht verdeutlicht dies § 232911 mit dem Hinweis auf die Haftung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen, der auch § 8181 und II erfaßt. Dabei ist zu beachten: Die Haftung für die Nutzungen (§ 818 I) wirkt sich nicht auf die Höhe, sondern nur auf die Durchsetzbarkeit des Ergänzungsanspruchs aus. Sie erweitert den Haftungsrahmen für den ziffernmäßig feststehenden Anspruch. - Das Anfechtungsrecht besteht grundsätzlich auf Rückgewähr des Geschenks (§ 37 I KO) einschließlich der Nutzungen "(vgl. Jaeger-Lent, 8. Aufl., 1958, § 37 Anm.9; Mentzel-Kuhn, § 37 Anm.4; siehe auch Gerhardt, Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, 1969, 250ff.); dabei soll hier offen bleiben, wie es um die Haftung für nicht gezogene Nutzungen steht. Der Anfechtungsgegner haftet grundsätzlich auf Wertersatz, wenn er zur Herausgabe des Geschenks außerstande ist (Jaeger-Lent, § 37 Anm. 15; Mentzel-Kuhn, 5 37 Anm.21). 7 9 Diese Haftungslinderung gilt nicht nur gegenüber dem Ergänzungsberechtigten gem. § 2329 11 i. V. m. § 818 III, sondern auch gegenüber dem Konkursverwalter, wenn der Beschenkte als gutgläubiger Empfänger gem. § 37 II K O nur nach Bereicherungsrecht haftet. 8 0 R G J R 1927 Nr. 1655; Palandt-Keidel, § 2329 A n m . 4 ; Erman-BartholomeyczikSchlüter, § 2329 Anm. 3. 8 1 Dem Ergänzungsberechtigten haftet der Beschenkte auf Geld entweder von vornherein, wenn der Erblasser Geld verschenkt hat oder gem. § 232911 i. V. m. § 818 II, wenn der
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und der Ergänzungsanspruch (§ 2329) im Verein den Haftungsrahmen 82 , so gibt es im Grunde genommen nur vier Lösungsmöglichkeiten: 1. Der Rückgewähranspruch geht dem Ergänzungsanspruch vor 8 3 . 2. Die Forderungen stehen, soweit sie einander decken, Konkursverwalter und Ergänzungsberechtigtem nur gemeinschaftlich zu. 3. Der Beschenkte ist Konkursverwalter und Ergänzungsberechtigtem nur „anteilig" verpflichtet. 4. Die beiden Ansprüche unterstehen (zumindest zum Teil) den Regeln der Gesamtgläubigerschaft. Die zweite und die dritte Lösung müssen m. E . ausscheiden. Für eine „Teilgläubigerschaft" fehlt es bereits an einem verläßlichen Verteilungsmaßstab. Eine gemeinschaftliche Berechtigung gem. § 432 ist zwar für den Erörterungsfall nicht von vornherein zu verwerfen, weil der Beschenkte Geld schuldet, also eine an sich „teilbare" Leistung; denn auch eine im natürlichen Sinne teilbare Leistung kann auf Grund einer rechtlichen gemeinsamen Zwangszuständigkeit unteilbar im Sinne des § 432 werden 8 4 . Nun verbietet aber § 228 K O dem Konkursverwalter, einen Pflichtteilsberechtigten - auch hinsichtlich des Ergänzungsanspruchs 85 mit Werten zu befriedigen, die der Anfechtung einer Rechtshandlung des Erblassers entstammen. Diese gesetzliche Wertung 8 6 schließt m . E . eine „gemeinschaftliche"
Beschenkte Wertersatz leisten muß (vgl. Lange-Kuchinke, § 39 IX 3 b; Staudinger-Ferid, § 2329 Anm.28; Soergel-Siebert-Dieckmann, § 2329 Anm. 5; Erman-BartholomeyczikSchlüter, § 2329 Anm. 2). Auch dem Konkursverwalter schuldet der Beschenkte gem. § 37 KO Geld, wenn der Erblasser Geld verschenkt hat oder wenn sich der ursprünglich auf die Rückgewähr eines Gegenstandes gerichtete Anspruch in einen Wertersatzanspruch - und sei es auch nur gem. § 37 II KO nach Maßgabe des Bereicherungsrechts - verwandelt hat. 82 Beispiel: Ausgangslage wie Beispiel unter I I I 2 b c c S. 416: Sinkt der Wert des Aktivnachlasses, ohne daß Ersatzansprüche gegen den Erben den Verlust ausgleichen, auf 50 000 DM und steigen zugleich die Verbindlichkeiten, die dem Pflichtteil und dem Pflichtteilsergänzungsanspruch im Range vorgehen, auf 95 000 DM - (Erbschaftssteuer, Nachlaßverwaltungsschulden) verlagert sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch in voller Höhe von 20 000 DM auf den Beschenkten. Der Konkursverwalter benötigt aber die verschenkten 40 000 DM (einschließlich der hier unterstellten Zinsen von 5000 DM), um die „vorrangigen" Schulden in Höhe von 95 000 DM begleichen zu können. 83 Für die Umkehrung: der Ergänzungsanspruch geht dem Rückgewähranspruch vor . . . fehlt es an jedem gesetzlichen Anhalt. 8 4 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 432 A n m . l ; BGH NJW 1969, 839. 85 Jaeger-Weber, § 228 KO, Anm. 1 i.V.m. §§ 226, 227 KO Anm.27. 86 Sie ist allerdings fragwürdig. Nicht ganz einfach zu verstehen ist, weshalb der Konkursverwalter nicht befugt sein soll, den Ergänzungsberechtigten mit Werten zu befriedigen, die er mit einer Anfechtung einer Rechtshandlung des Erblassers für die Masse zurückgewonnen hat - dies natürlich nur, nachdem er alle „vorrangigen" Gläubiger abgefunden hat. Für den Ergänzungsberechtigten wäre es sicher einfacher, wenn der Konkursverwalter auch als Sachwalter seiner Interessen auftreten könnte.
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Berechtigung aus - mögen auch Ergänzungs- und Anfechtungsrecht einander verwandt sein 87 . Für die erste Lösung (Vorrang des Anfechtungsrechts), für die sich schon Wilmowski88 ausgesprochen hatte, spricht einiges. Wer sich im Anfechtungsrecht der „Dinglichkeitslehre" 89 oder doch einer „haftungsrechtlichen Zuordnungslehre" 90 verbunden fühlt, müßte sich für diese Lösung einsetzen. Denn der mit der Anfechtung ausgelöste Zuordnungswechsel - und sei es auch nur haftungsrechtlicher Art - sollte dem Ergänzungsberechtigten beim Beschenkten die Haftungsgrundlage entziehen 91 . Beide Auffassungen sind allerdings fragwürdig 92 . Aber auch wenn man - mit der h. M . 9 3 - die konkursrechtliche Anfechtung nur einen schuldrechtlichen Rückgewähranspruch auslösen läßt, kann man sich für den Vorrang des Anfechtungsrechts auf die Wertung in der Konkursordnung berufen: die dem Ergänzungsberechtigten vorgehenden Gläubiger müßten auch aus den vom Erblasser anfechtbar weggegebenen Werten vorrangig befriedigt werden. Immerhin fragt es sich, wohin diese Wertung führt: auch zu einer Vorzugsstellung im Außenverbältnis Konkursverwalter-Beschenkter oder nur zu einem Vorrang im Innenverhältnis Konkursverwalter-Ergänzungsberechtigter. Hierüber kann man natürlich streiten; aber m. E. verdient auch der Beschenkte, für den der Haftungsrahmen festliegt, einigen Schutz. Dieser Schutz wird am verläßlichsten gewährleistet, wenn der Beschenkte nach seiner Wahl an den einen oder an den anderen leisten kann - so wie in einem Gesamtgläubigerverhältnis (§ 428). Richten sich sowohl der Ergänzungsanspruch (§ 2329) als auch der Rückgewährsanspruch (§ 37 K O ) auf Geld, er8 7 Dabei ist es m. E. gleichgültig, von welcher Ausgangslage man herkommt: ob man mit von Liibtcmo (Erbrecht I, S. 598) im Anschluß an die Protokolle (vgl. Fn.28) den Anspruch aus § 23291 als „besonderen Rechtsbehelf" mit der Natur eines „Anfechtungsrechts" versteht oder sowohl das Anfechtungsrecht (vgl. dazu Gerhardt, Die systematische Einordnung der Gläubigeranfechtung, S. 162 ff.) als auch den Ergänzungsanspruch gegen den Beschenkten (vgl. Kipp-Coing, § 13 VI 3 bei Fn.29 im Anschluß an von Caemmerer, Festschrift für Rabel, 1954, S. 369) bereicherungsrechtlich deutet. Soweit ersichtlich, hat man aus derartigen rechtssystematischen Einordnungen bislang auch keine Rückschlüsse für die Lösung der hier anstehenden Fragen gezogen. 8 8 Vgl. Fn. 77. 8 9 Vgl. Hellwig, ZZP 26, 474ff.; Uberblick bei Gerhardt, Gläubigeranfechtung, S. 2 ff. 9 0 Vgl. dazu Paulus, AcP 155 (1956), 319; Festschrift für Nipperdey, 1965, Band I, S. 909 ff.; Gerhardt, Gläubigeranfechtung, 157ff., 283ff. 9 1 Soweit ersichtlich, zieht Gerhardt diese Folgerung allerdings in seinen Betrachtungen nicht. 9 2 Auf eine Auseinandersetzung muß hier verzichtet werden. 9 3 Vgl. Jaeger-Lent, Vorbem. II, III zu § § 2 9 - 4 2 ; Mentzel-Kuhn, § 2 9 Anm. 1; Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 10. Aufl., 1978, § 64 I 2 c ; Jauemig, Zwangsvollstreckung und Konkurs, 14. Aufl., 1977, S. 174f.; BöhleStamschräder, § 29 Anm. 1 - 3 ; R G Z 91, 369; B G H N J W 1962, 1201 f.
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scheint es auch vom Ansatz her gar nicht so abwegig, das Dreiecksverhältnis Konkursverwalter-Ergänzungsberechtigter-Beschenkter nach Gesamtgläubigerschaftsregeln zu beurteilen. Allerdings darf man bei der Beurteilung dieser Sonderfallgruppe die Inhaltsverschiedenheit im Grundansatz nicht übersehen: Dem Konkursverwalter schuldet der Beschenkte Rückgewähr (§37 KO), dem Ergänzungsberechtigten hat er Haftungsgut zur Zwangsvollstreckung zur Verfügung zu stellen (§ 2329). Das stellt die Abwicklung nach Gesamtgläubigerschaftsregeln in der Tat in Frage. Aber das muß einen nicht hindern, wenigstens einige Regeln dem Recht der Gesamtgläubigerschaft zu entlehnen. Sicherlich wäre es unangemessen, dürften sich der Konkursverwalter 94 oder auch der Ergänzungsberechtigte mit dem Beschenkten vergleichen und dabei mit Wirkung für den jeweils außenstehenden „Gesamtgläubiger" die Forderung gem. § 429 III i.V.m. § 423 erlassen. Man muß auch nicht notwendig den Verzug eines Gläubigers gegen den anderen wirken lassen, wie das § 4291 für die Gesamtgläubigerschaft vorsieht. Für vertretbar halte ich es aber, den doppelt bedrohten Beschenkten (in Anlehnung an § 428) die Wahl zu lassen, an wen er leisten will. Ubernehmen sollte man auch die Regel: die Leistung (Leistung an Erfüllungs Statt, Aufrechnung) an den einen wirkt auch gegenüber dem andern (vgl. § 429 III i.V.m. § 422 I). Im Verhältnis Konkursverwalter-Ergänzungsberechtigter käme aber nicht eine Berechtigung nach gleichen Anteilen in Anlehnung an § 430 BGB in Betracht. Die Grundwertung der Konkursordnung räumt m.E. dem Konkursverwalter den Vorrang ein. Auch wenn man nicht ohne weiteres von der „Grenzlage" auf den gesetzlichen „Regelfall" schließen darf, läßt sich von diesen Erwägungen vielleicht doch einiges für das gesetzliche Grundmodell übernehmen, indem der Beschenkte dem Konkursverwalter auf „Rückgewähr" (§ 37 KO) und dem Ergänzungsberechtigten auf „Duldung der Zwangsvollstreckung" 95 haftet - also etwa bei einer Schenkung, bei der das Geschenk nach dem Erbfall im Vermögen des Beschenkten noch erhalten ist 9Sa . Der Beschenkte soll sich mit der Rückgewähr des geschenkten Gutes an den Konkursverwalter - (sieht man von der Haftung für Nutzungen ab) - auch dem Beschenkten gegenüber befreien dürfen, und zwar selbst dann, wenn er dem Beschenkten gegenüber „verschärft" haftet (vgl. § 818IV, 819) und sich diesem gegenüber nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen kann. Das ist für den Beschenkten m. E. in den Fällen wichtig, in denen das Geschenk nicht „hinterlegungsfähig" (vgl. § 372) ist und der sonst vielleicht denkbare - Ausweg einer Hinterlegung nicht offen steht. Den Rechtsgedanken des § 429 i.V.m. § 42211 sollte man auch hier nut94 95 95a
Dagegen mit Recht RG JR 1927 Nr. 1655. Vgl. von Lübtaw, Erbrecht I, S. 598 ff. . . . und nicht aus Geld besteht.
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zen. Zweifelhaft ist mir dagegen, ob man Zahlungen an den Konkursverwalter oder an den Ergänzungsberechtigten als,, Leistungen an Erfüllungs Statt" mit Wirkung gegen den jeweils anderen Gläubiger bei dieser Sachlage gelten lassen soll (vgl. § 429 i. V. m. § 4221 2 1. Variante). Mit einer Zahlung an den Konkursverwalter (etwa auf Grund eines Vergleichs) sollte sich der Beschenkte auch gegenüber dem Ergänzungsberechtigten befreien können, dem er bereits „verschärft" haftet (vgl. §§ 818IV, 819). Bei einer Zahlung an den Beschenkten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bin ich mir der Parallelwertung dagegen nicht sicher. Die Zwangsvollstreckung könnte der Konkursverwalter mit einer Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) für unzulässig erklären lassen96 - nicht etwa, weil das Geschenk (zumindest haftungsrechtlich) zur Konkursmasse gehörte, wohl aber (zumindest) wegen der Innenbeziehungen zum Ergänzungsberechtigten, die dem Konkursverwalter den Vorrang zusichern 97 . Auch wenn man aus Schuldnerschutzerwägungen bereit ist, die Dreiecksbeziehung Konkursverwalter-Ergänzungsberechtigter-Beschenkter in mancher Hinsicht aus Gesamtgläubigerschaftsperspektive zu betrachten, muß man dem Beschenkten nicht gerade gestatten, den (nicht auf Geld) gerichteten Rückgewährsanspruch des Konkursverwalters mit einer Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Ergänzungsberechtigten gem. § 2329 I zu unterlaufen. Damit ist zwar nicht jede Frage aus diesem Bereich beantwortet, wohl aber für einen Lösungsansatz gesorgt. Wie heißt es doch in den Motiven? ,,Im geltenden Recht ist das Verhältnis, in welchem der dem Pflichtteilsberechtigten wegen einer Schenkung des Erblassers zustehende Anspruch zum Pflichtteilsanspruch selbst steht, . . . von Dunkelheiten nicht frei." Mir scheint: Das gilt auch heute noch — zumindest in einem weiteren Sinne. Muß das so bleiben?
9 6 Die - wohl - h. M. bejaht die Drittwiderspruchsklage des Konkursverwalters ganz allgemein. Stein-Jonas-Münzberg, § 771 II l c ; Jaeger-Lent, KO, § 29 Anm.9; SchönkeBaur, § 44 A II 5; RGZ 67, 310ff.; KG JZ 1958, 441 m. Anm. Baur; a.A. Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, § 13 IV 2. 9 7 Vgl. oben. Innenbeziehungen rechtfertigen mitunter die Verteidigung gegenüber einer Klage gem. § 771 ZPO (Stein-Jonas-Münzberg, § 771 III 4 c mit Nachweisen). Sie sollten in dieser Fallgestaltung den Ausschlag für eine Drittwiderspruchsklage zugunsten eines schuldrechtlichen Rückgewährsanspruchs geben, die sonst vielleicht zweifelhaft ist.
Internationales Privatrecht (unter Ausschluß des Internationalen Arbeitsrechts)
Internationales Verwaltungsrecht
Une succession de méthodes La forme des testaments en droit international privé HENRI BATIFFOL
Il n'est pas si fréquent de voir se succéder dans une matière donnée des méthodes profondément différentes, et dont les résultats ne le sont pas moins. La forme des testaments en droit international privé en est un exemple. Le droit français est peut-être mieux placé que d'autres à cet égard, parce qu'il a connu au siècle dernier en la matière des problèmes d'interprétation de textes légaux dont le rappel est instructif sur la célèbre méthode de l'exégèse, et ses virtualités quant aux raisonnements sur les principes et les finalités. A une époque toute récente, la même matière a fait l'objet d'une convention de la Conférence de La Haye de droit international privé, en date du 5 Octobre 1961, et qui a obtenu un grand nombre de ratifications et d'adhésions. Cette convention, introduisant une méthode de solutions internationale, a sur le fond mis au premier plan la notion de faveur à la validité, et a contribué indirectement au mouvement nouveau contraire à la distinction de la forme et du fond. Ne s'agit-il que d'une suite d'accidents ou une explication est-elle possible? I. Le Code civil français contient un texte sur la loi applicable à la forme du testament, l'article 999. Démarche insolite, comme chacun sait: en dehors des indications brèves et générales de l'article 3 sur les conflits de lois, les textes particuliers sont des plus rares. Il faut croire que les rédacteurs du Code civil estimaient la question importante, et la méthode de sa solution incertaine. De fait il est frappant de constater que l'article 3 n'énonce pas la règle locus régit actum, bien connue cependant dans l'ancien droit, silence sur lequel on reviendra. Aux termes de l'article 999: «Un Français qui se trouvera en pays étranger, pourra faire ses dispositions testamentaires par acte sous signature privée, ainsi qu'il est prescrit en l'article 970, ou par acte authentique, avec les formes usitées dans le lieu où cet acte sera passé.» Ce texte surprend à plusieurs points de vue. Il ne se réfère pas à la règle générale et traditionnelle locus régit actum. D'autre part il prévoit même d'abord une des formes de la loi nationale du testateur, et seulement pour les Français. Enfin il fait une part à la loi du lieu où le testament est rédigé, mais seulement s'il s'agit d'une forme authentique.
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Sur le premier point on sait que les rédacteurs du Code civil avaient pensé à consacrer la maxime locus régit action. Ils y auraient renoncé notamment, paraît-il, en raison des difficultés de distinguer la forme du fond (v. Lainé, Revue de dr. int. pr. 1905, p. 456,462). Il y a lieu de retenir ces deux données. La deuxième difficulté est celle qui a soulevé le plus de discussions. Il vaut mieux, pour une bonne méthode, commencer par la troisième. La forme privée étrangère aurait été exclue comme ne portant pas en elle-même la preuve du lieu de sa rédaction, et permettant ainsi la fraude à la loi française. Mais il est des formes privées, comme celle du droit allemand, qui comportent la mention du lieu de rédaction, et la preuve extrinsèque reste disponible si besoin est. D'autre part tous les pays ne connaissent pas l'institution de l'acte authentique, et le Français ignore la plupart du temps, comme il est facile de s'en rendre compte, les formes privées de sa loi nationale; il peut se trouver dans l'impossibilité de recourir à un Consul français ou à un conseil français. Les tribunaux, sensibles à ces difficultés, ont admis très tôt la forme privée étrangère. Pour le justifier, car la formule paraissait bien formellement l'exclure, ils ont d'abord attribué au terme authentique la signification de validité selon les formalités prévues par la loi étrangère, telle que notamment la forme privée anglaise devant témoins (Civ. 6 février 1843, D.P.43.1.208; v. déjà pour un testament hongrois Req. 30 Novembre 1831, S. 32.1.51; adde les autres décisions citées par H. Batiffol, Droit international privé, 4ème éd., n° 653). Le procédé était bien typique de l'exégèse: si le point de départ de l'école était l'interprétation littérale des textes, quels que fussent les résultats, la nécessité inéluctable de ne pas s'y tenir aboutissait à attribuer aux expressions du législateur un sens certainement différent, sinon même entièrement contraire, à celui qu'il avait eu en vue, parce qu'il fallait aussi tout trouver dans les textes. Dans le cas présent la mention de la seule forme authentique exluait in terminis la forme privée. Alors on a soutenu que authentique signifiait aussi bien privé . . . On en conclura que les exégètes n'ignoraient pas toujours les problèmes qui se posaient réellement, et que leur méthode, entendue selon son sens propre, ne pouvait suffire. Il a fallu rétablir la vérité des choses. La jurisprudence que nous examinerons ci-après sur l'application de la loi nationale étrangère a été amenée à affirmer que la règle locus régit actum était un principe général, quoique non écrit, de notre droit. Il faut cependant attendre 1953 pour trouver un arrêtquien déduise les conséquences sur la validité delaforme privée étrangère. C'est celui de la Cour d'appel de Paris du 21 Juillet 1953 (Revue critique de droit international privé 1954. 539, note Loussouarn) qui valide le testament oral fait par un Français déporté dans un camp allemand situé en Pologne ex-autrichienne au motif «que selon les règles traditionnelles de
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notre droit international privé, dont l'article 999 ne constitue que l'application, la forme extérieure des actes est régie par la loi du lieu où ils ont été passés; que ce principe s'applique au testament comme à tous les autres actes et que la validité en la forme d'une disposition testamentaire doit être admise dès lors que la manifestation de volonté du testateur s'est exprimée dans les conditions reconnues valables par la loi locale». La même solution concernant un testament oral en déportation a été donnée dans une autre affaire par la Cour de cassation (21 Avril 1959, D . 1959. 521, note Malaurie, Revue critique 1960. 563, note Y. L.), par application directe de la règle locus régit actum, sans autre explication. Ce laconisme de la Cour suprême signifiait que le raisonnement de la Cour de Paris lui paraissait si évident qu'il n'était même pas besoin de l'exprimer. La souplesse nécessaire de l'interprétation ne devrait cependant pas aller jusqu'à donner aux textes un sens exactement contraire à ce qu'ils expriment; il en va du loyalisme dû par le pouvoir judiciaire au pouvoir législatif, autant que de l'honnêteté intellectuelle. Or il est possible d'observer à cet égard que la forme authentique a été seule nommée par l'article 999, peut-être dans l'idée qu'elle au moins supprimerait toute hésitation sur la valeur du testament, ou aiderait le Français ignorant la loi locale: mais si une forme privée pouvait aussi être prouvée valable selon la loi locale, ces motifs ne l'écarteraient pas. La recherche d'une interprétation «opérative», selon l'expression heureusement introduite par Ferrajoli et Wrôblewski, consiste à trouver une réponse au problème posé qui tienne compte de ses données: elle doit cependant se concilier avec le respect dû à la loi. L'interprète ne peut rayer un texte légal, il ne peut non plus lui donner un sens qui le prive de toute portée. On a soutenu, il est vrai, que la reconnaissance de la forme privée étrangère dépouillait de toute signification la mention de la seule forme authentique dans l'article 999; l'explication proposée ici écarte l'objection. Et la disposition en cause garde une fonction, positive, comme on le reverra. Le deuxième problème annoncé a été celui de savoir si la forme privée nationale ouverte aux Français l'était aussi aux étrangers. Le problème a été posé, assez curieusement, sous la forme du caractère facultatif de la règle locus régit actum: cette règle admet-elle le choix par le testateur étranger de sa loi nationale de préférence à celle du lieu où il teste? On sait que la Cour de cassation après avoir répondu négativement à la question en 1853 (Req. 9 Mars 1853, D . P . 53.1.213, S.53.1.274) - alors que les tribunaux penchaient antérieurement vers la solution inverse, conformément, semble-t-il, à l'évolution de l'ancien Droit - s'est ralliée à la position libérale en 1909 (Civ. 20 Juillet 1909, D . P . 1911. 1. 185, note Politis, Revue de droit international privé 1909. 900, Journal du droit international 1909. 1097, 1131, conclusions du Procureur général Baudouin).
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Cette position du problème consiste à affirmer sans texte l'existence d'une règle de principe (locus régit actum) à laquelle la disposition autorisant les Français à tester en la forme privée de leur loi nationale est réputée apporter une dérogation, dont on se demande si elle est limitative, ou peut-être étendue aux étrangers. Or c'est un des problèmes essentiels de la méthode juridique que de savoir si le choix entre l'interprétation limitative, restrictive ou a contrario, et l'interprétation extensive ou a pari, ou par «analogie», est susceptible de justification. Beaucoup, et essentiellement Kelsen, le nient, ramenant un tel choix à des mouvements irraisonnés: il existe des tempéraments timorés, donc légalistes; d'autres sont plus ouverts, et moins préoccupés du respect de la loi: l'équilibre ne se définit pas, la fréquence des surprises en est le signe. Ces facteurs ne sont pas niables, et l'équilibre est difficile. Il ne s'ensuit pas qu'il ne puisse être défini à un certain dégré de généralité. La réponse qui apparaît comme la plus générale est que l'interprétation restrictive convient aux solutions dérogeant à un principe admis, l'interprétation extensive à celles qui en sont une application. Cette réponse n'élimine assurément pas l'hésitation dans le cas concret, notamment devant deux dispositions s'inspirant d'idées divergentes sans qu'il paraisse clair que l'une de ces idées a valeur de principe par rapport à l'autre. Mais dans le cas présent la valeur de principe de la règle locus a été dégagée par une méthode dont la fréquence n'est pas soulignée comme elle le mériterait. Devant le silence de l'article 3 du Code civil sur la forme des actes, la Cour de cassation après avoir déclaré dès 1819 (10 Août 1919, S. chr.) que la règle locus constitue une «législation invariablement observée en France et qui dans aucun temps n'a été méconnue», a précisé ensuite (Req. 18 Avril 1865, S. 65.1.317) «qu'en ce qui touche la forme des actes passés en pays étranger la maxime locus régit actum, de tout temps admise par l'ancienne législation française, est formellement consacrée par le Code Napoléon qui l'applique notamment aux actes de l'état civil et aux testaments». De fait l'article 47 du Code civil prévoit la validité en France des actes de l'état civil dressés à l'étranger en la forme locale, l'article 170 le spécifie à nouveau pour les mariages, et l'article 999 pour le testament - en la seule forme authentique il est vrai. Sur ces bases relativement étroites la haute juridiction s'est estimée fondée à inférer que les textes en question impliquaient un principe commun, donc général, savoir la validité en la forme des actes réguliers à ce point de vue selon la loi du lieu où ils sont passés. Il est permis d'y voir l'usage de la méthode inductive en droit. D'où la réponse à la première question examinée: la forme authentique étrangère n'est qu'une application de la règle locus, règle qui vaut aussi pour les formes privées. Dans le second problème il fallait établir que d'une manière générale la règle locus admettait une option en faveur de la loi nationale, donc pour
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les étrangers comme pour les Français. A la vérité il s'agissait de savoir si la règle autorisant le Français à tester à l'étranger en la forme privée de sa loi nationale pouvait être bilatéralisée au profit de l'Anglaise (dans le cas de 1909) ayant testé en France selon la forme privée anglaise. Une fois de plus la bilatéralisation a paru aller de soi. Et comment nier en effet que l'autorisation donnée au Français impliquait aux yeux du législateur la convenance de la loi nationale pour la forme privée du testament? Cette simple inférence résout le problème pour l'étranger, d'une manière intelligible, et élimine une véritable discrimination à son encontre. Il n'est pas douteux que ces dernières considérations aient été nécessaires pour l'«induction» du principe. De même la règle locus a pu être inférée des textes, bien peu nombreux qui l'impliquaient (et encore l'article 999 mentionne-t-il la forme nationale avant la forme locale, v. contre l'inférence V. Delaporte, Recherches sur la forme des actes juridiques en droit international privé, thèse Paris I, 1974, dactylographiée, p. 212) parce qu'une longue expérience avait établi ses raisons d'être et son utilité. Aussi bien les juges ont-ils trouvé à propos de s'appuyer sur l'histoire, dans les deux solutions successivement données. Si la question est seulement prise sous l'angle du principe et de l'exception, la solution signifie enfin qu'une exception doit être interprétée comme toute règle de droit, c'est à dire selon l'idée qui l'inspire. Certes en cas de doute on penchera pour le principe, d'où l'affirmation que les exceptions sont d'interprétation stricte; elles n'en ont pas moins un sens qu'il faut dégager pour définir leur domaine. En l'espèce le sens de l'exception était la convenance pour un étranger de sa loi nationale sur la forme des testaments. Sur le même terrain la solution rappelle aussi qu'une exception peut se justifier, normalement, par la teneur de l'idée qui inspire une règle: si la forme des actes est soumise à la loi locale parce que c'est celle dont l'auteur de l'acte pourra le plus facilement prendre connaissance, l'exception en faveur de la loi nationale est justifiée quand l'auteur del'actela connaît déjà oudisposesurplace d'un conseildesa nationalité. Ces observations méthodologiques pourront paraître a posteriori à ceux qui estiment possible de se contenter de considérations immédiatement pragmatiques. Dans le présent problème ces dernières ont joué un rôle évident, qu'il s'agisse de la forme privée étrangère pour les Français ou de la forme nationale pour les étrangers testant en France. Il faut ajouter dans l'un et l'autre cas l'influence d'un libéralisme juridique favorable à la validité des actes. Chacun sait l'importance et la complexité de la question de savoir quelle est la place, voire l'utilité de la mise en forme d'un raisonnement par rapport aux mobiles qui l'ont inspiré au vu des résultats pratiques désirables. La question examinée ici confirme au moins la permanence du problème: c'est seulement en 1953 que les juges sont parvenus à «mettre en forme» la validité du testament d'un Français en la forme privée
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étrangère. Il suffira ici de noter que cette mise en forme, dans la seule mesure où elle hiérarchise principes et dérogations, est indispensable pour un usage acceptable de cette dualité dont aucun système juridique ne peut se passer du moment qu'il admet des règles générales. Gény dans Méthode d'interprétation et sources en droit privé positif a sévèrement critiqué les exégètes pour le caractère artificiel et laborieux de leurs interprétations et aussi de leurs «constructions» en vue de ramener toutes les solutions à des textes écrits. Le reproche est sans doute mérité, et le présent exemple le confirme pour l'interprétation du terme authentique. Mais il ne l'est que dans la mesure où l'artificiel prévaut. Ce ne paraît pas le cas pour l'existence de la règle locus régit actum, son caractère facultatif, et la portée de celui-ci, ou au contraire les tribunaux et les auteurs ont raisonné à partir des textes, mais de manière réaliste et intelligible. II. La loi applicable à la forme des testaments est aujourd'hui déterminée en droit français, comme dans le droit des autres Etats signataires, par la convention de La Haye du 5 Octobre 1961. Cet instrument procède d'une idée à première vue toute différente de celle qui avait été au centre des discussions devant les tribunaux français, et qui concernait la valeur de principe de la règle locus et son caractère facultatif. L'idée maîtresse de la convention est la faveur à la validité du testament: elle s'exprime ouvertement dans le nombre à première vue surprenant de lois dont l'application est admise. Il peut s'agir de celle du lieu de la rédaction, de la nationalité du testateur, de son domicile, de sa résidence habituelle, de la situation des immeubles objet des dispositions testamentaires. Si on ajoute que les deuxième, troisième et quatrième rattachements peuvent être ceux du jour où le testament est rédigé, ou du jour du décès du testateur, on aboutit à huit compétences possibles. Le changement de méthode apparaît complet: il est connu que la multiplication des rattachements en matière de formation des actes juridiques exprime une faveur de principe à la validité, de même que le cumul des rattachements traduit une rigueur favorable à la nullité ou au rejet des actions. Le droit international privé français a récemment donné (L. 3 janv. 1972) un nouvel exemple de la pluralité des rattachements en vue de la validité et de la reconnaissance des enfants naturels et de leur légitimation par mariage. La méthode mérite d'être soulignée, car elle implique une vue que l'on peut appeler «matérielle», ou en d'autres termes concernant le fond du droit: la faveur à la validité est de cette catégorie, elle n'est pas, par elle-même, une considération propre aux conflits de lois. Le pluralisme des méthodes, et les relations entre droit matériel et conflits de lois ne sont pas niables, même s'il paraît préfé-
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rable de n'admettre qu'exceptionnellement les méthodes qui n'ont pas un caractère général pour la solution des problèmes du droit international privé. Mais il importe de montrer que ce changement en apparence radical était cependant préparé par les précédents. La faveur à la validité s'était déjà manifestée, on l'a vu, dans l'admission du caractère facultatif de la règle locus régit actum. Elle n'avait cependant pas paru de nature à elle seule à justifier un choix du testateur, et ce choix avait été limité à deux lois. Il n'est pas surprenant qu'une telle position n'ait pas paru assez solide pour une convention conclue par tous les Etats membres de la Conférence, dont les systèmes respectifs admettaient des choix différents, incluant, comme en Allemagne, par exemple, la loi successorale, d'autres, comme en Grande-Bretagne, ignorant le principe du lieu de rédaction du testament. Le seul point de départ acceptable par tous était la faveur à la validité, qui paraissait répondre à un bon sens élémentaire; le problème était de savoir si le choix serait librement ouvert au testateur, ou s'il serait limité à un nombre de lois déterminé. La réponse à cette seconde question dépend cependant des mobiles de l'admission du principe de faveur. Le problème déborde largement certes la présente question, mais celle-ci oblige à l'évoquer. Il est d'importance car, selon la formule connue de Roubier, la faveur apparaît comme le contraire du droit. Sans reprendre le problème dans toute son ampleur, il convient de rappeler que la formule est certes justifiée quand il s'agit de la faveur à une partie dans le procès judiciaire. Encore faut-il spécifier qu'il y a faveur quand le juge penche pour l'une des parties en raison de motifs étrangers à la cause, tels que relations personnelles, liens politiques ou religieux. Mais l'appartenance de l'une des parties à une catégorie déterminée peut être prise en considération par la loi posant des règles favorables à la dite catégorie, par exemple celle des salariés ou des assurés. C'est précisément le rôle de la loi que de trancher entre des intérêts opposés. L'idée de faveur réapparaît cependant sous des formes atténuées. La charge de la preuve au demandeur implique une certaine faveur au défendeur, et en cas de revendication au possesseur; les clauses contraires à la loi peuvent intervenir dans certains contrats en faveur d'une des parties tel le salarié, ou l'assuré, et non l'autre; il y a des règles favorables a priori à la légitimité des enfants. Mais ces différentes positions procèdent d'une idée dont on croit pouvoir rendre compte sur un équilibre des intérêts en présence ou tout autre finalité que le législateur estime nécessaire de rechercher. De fait en matière de validité des actes une vieille formule préfère l'interprétation «ut magis valeat quam pereat»; le droit international public professe le principe de «l'effet utile» des traités: mieux vaut les interpréter de manière qu'ils aient une utilité au lieu de se n'en avoir aucune.
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C'est ce que disait déjà l'article 1157 du Code civil français: «lorsqu'une clause est susceptible de deux sens, on doit plutôt l'entendre dans celui avec lequel elle peut avoir quelque effet, que dans le sens avec lequel elle n'en pourrait produire aucun». Cette position paraît, disions-nous, conforme au bon sens. On ajoute qu'elle est dans le sens de la vie et de la vérité: les parties, ici le testateur, ont voulu, par hypothèse, faire quelque chose. La validité doit être la situation normale, vraisemblable; la nullité doit rester l'exception. Il n'en reste pas moins que s'il existe des règles de droit, leur violation appelle une sanction; et en matière de formation des contrats ou des actes juridiques la sanction la plus simple, la plus sûre et la plus adaptée est a priori la nullité. Celle-ci n'est nullement, comme le pense une opinion pressée, une chicane contraire au bon sens comme au sens des affaires; l'expérience en a été faite de longue date dans les contrats où les parties ne sont pas à égalité pour une négociation, qu'il s'agisse par exemple des contrats de travail, d'assurance, de transport déjà évoqués. Mais en droit international privé la question est de savoir précisément si une règle existait qui a été violée, autrement dit si les contractants ou le testateur étaient tenus de respecter une loi donnée. Le problème est bien connu en matière de contrats où il a été soutenu qu'il n'existe aucune «loi prédestinée» à régir le contrat, d'où il suit que les parties ne sauraient être réputées avoir soumis leur contrat à une loi qui l'annule, quelle que soit leur volonté, même évidente, en ce sens. Le nombre de rattachements retenus par la convention de La Haye donne une autre raison de doute sur le rôle des nullités des actes juridiques en droit international privé. Une liste aussi longue laisse l'impression qu'au fond la question n'a pas grande importance: que le testateur ait adopté une forme ou une autre, l'important est d'être sûr de ce qu'il a voulu. Dans l'ouvrage précité de V. Delaporte il est montré que le droit interne connaît une «interchangeabilité des formes», par exemple précisément pour le testament, où le droit français, comme la plupart des autres, admet plusieurs formes. L'important est le résultat, la forme n'est qu'un moyen interchangeable. Il reste, et l'auteur précité ne l'ignore pas certes, que l'interchangeabilité des moyens ne signifie pas leur indifférence complète. Si la loi en a prévu plusieurs, c'est apparemment parce qu'ils ont les uns et les autres leurs avantages et leurs inconvénients respectifs; l'exemple de la forme privée ou authentique du testament est un exemple très clair. La considération est si certaine qu'on connaît les prohibitions ou restrictions dont est l'objet le testament purement privé en droit hollandais ou portugais en raison de ses inconvénients. L'idée que l'interchangeabilité des formes signifierait leur indifférence voudrait éliminer le problème en droit international privé pour assurer la validité; mais, comme l'a remarqué l'auteur précité, l'exi-
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gence des formes en droit civil ou commercial n'est nullement une faveur à la validité, elle constitue au contraire un obstacle à celle-ci. C'est toute l'histoire du formalisme que les oscillations entre sa réduction pour le respect des volontés réelles, la facilité des transactions, et ses reprises pour préserver les intérêts de preuve ou d'opposabilité aux tiers et tous autres trop longs à énumérer que cherchent à assurer les règles de forme. Il serait bien étonnant que cette réalité du droit interne fasse place en droit international privé à la position exactement inverse, l'indifférence complète aux formes comme de pures chicanes. La convention de La Haye a précisément montré ici aussi que les règles de conflits de lois sont liées aux conceptions du droit interne, et, quand ces règles sont internationales, aux conceptions communes aux Etats contractants. Si la convention exprime une faveur à la validité qui repose sur des motifs bien explicables, elle n'en méconnaît pas moins que les règles de forme ont un rôle à respecter, et ce en limitant le nombre de lois en vertu desquelles le testament pourrait être déclaré valable en la forme. L'indifférence complète à la forme aurait aussi bien pu conduire à décider simplement d'une règle matérielle: le testament sera valable en la forme si aucune objection n'est élevée contre la réalité et la liberté des dernières volontés exprimées. Mais même en se tenant à la méthode des conflits de lois il a paru qu'une limitation de la liste des lois possibles était nécessaire. En effet les discussions ont montré qu'une liste trop longue risquerait d'avoir l'inconvénient d'inciter la partie favorable à la validité à des recherches complexes et coûteuses pour trouver une loi validant le testament; et si le testament était manifestement rédigé conformément à une certaine loi qui l'annulait, l'héritier pourrait se voir poursuivi ultérieurement par un légataire ayant découvert qu'une des nombreuses lois prévues validait le testament. Autrement dit du moment qu'on ne se contente pas d'une règle matérielle affirmant valide tout testament digne de foi, et qu'on requiert qu'une loi détermine si les intérêts en présence ont été respectés, il ne faut pas offrir un choix illimité de lois qui revient à n'en déterminer aucune. La méthode des conflits de lois part de l'idée que l'existence des diverses lois a ses raisons d'être. La formule intermédiaire qui laisserait au testateur le choix explicite ou implicite de la loi applicable à la forme de ses dispositions ne serait pas une solution: elle amènerait à rechercher si, malgré des liens évidents, mais sans choix exprès, entre la forme du testament et celle d'une loi donnée, il n'y a pas une autre loi ayant quelque vague lien avec la situation qui validerait le testament alors que la loi en fait considérée l'annule. Il faut ajouter que la pluralité des rattachements possibles, manifestant au fond une indifférence au choix de la loi, se heurte à une difficulté qui montre que ce choix est bien un problème réel. Si en effet les différentes lois en présence annulent toutes l'acte, il faudra décider laquelle de ces lois
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sera suivie pour le régime de la nullité: qui peut l'invoquer? Cette nullité peut-elle être couverte par voie de confirmation de l'acte? Quelle sera la durée de prescription de l'action en nullité? On répondra que la faveur à la validité conduira à choisir le régime qui rend le plus difficile l'action en nullité. Les comparaisons sont toujours difficiles car telle loi peut être plus exigeante qu'une autre à tel point de vue et l'être moins sur un autre point. Mais surtout la solution devient laborieuse et artificielle. En tout cas elle montre qu'ici au moins il faut choisir une loi. Ces difficultés seront certes rares et ne suffisent pas à condamner la méthode sans appel. Elles signifient cependant que cette méthode, comme nous l'avons déjà dit, devrait rester exceptionnelle, comme celle du droit matériel dont elle participe, par rapport à la méthode des conflits de lois proprement dite qui continue à proposer la solution la plus générale du problème des relations privées internationales. Ces hésitations sur le rôle et le sens des lois de forme expriment une nouvelle méthode dont la convention s'est d'ailleurs ressentie, celle qui tend à effacer la distinction entre la forme et le fond pour la loi applicable. t
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On a déjà dit que le silence code civil sur la forme des actes, malgré l'ancienneté de la règle locus régit actum, tiendrait aux difficultés redoutées par les rédacteurs du code de la distinction entre la forme et le fond. Autrement dit si la détermination du ou des rattachements a provoqué les discussions et l'évolution qui viennent d'être retracées, le problème connexe de la qualification a été lui aussi aperçu de longue date. L'expérience des difficultés de la distinction n'a pas à être reprise ici. Il convient seulement de constater que l'apparition à la fin du siècle dernier dans le Code civil allemand (Article 11 E G) de la possibilité de soumettre la forme des actes à la loi qui les régit au fond, éliminait le problème, et reléguait la compétence de la loi du lieu de conclusion à un rôle subsidiaire. La même option est offerte par le Code civil italien en 1942. Elle s'est répandue dans les textes récents, notamment le Code civil grec (Article 11), la loi tchécoslovaque du 4 Décembre 1963 (article 4), la loi polonaise du 12 Novembre 1965 (article 12), du Code civil portugais (article 36). Le droit français n'est pas resté insensible à ce mouvement. Par un arrêt remarqué du 28 Mai 1963 (Chaplin, D. 1963. 677, et la note, J . C . P . 1963. II. 13347, note Malaurie, Journal du droit international 1963.1004, note Goldman, Répertoire Commaille 1963. 633, note Droz, Revue critique de droit international privé 1964. 513, note Loussouarn) la Cour de cassation a décidé que la règle locus ne s'oppose pas «à ce que les contrats internationaux soient passés en France sous une forme prévue par la loi étrangère qui les régit au fond».
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Mais la formule a été donnée pour les contrats, non pour les testaments. Il est vrai que l'arrêt de 1909 pourrait s'interpréter comme admettant la forme de la loi successorale pour les testaments parce qu'à l'époque une équivoque bien connue régnait sur la détermination de la loi successorale mobilière. La formule du célèbre arrêt Forgo avait donné compétence en 1875 à la loi du domicile du défunt, mais spécifiait que les étrangers non bénéficiaires d'un décret d'admission à domicile étaient réputés de droit domiciliés dans le pays de leur nationalité: ce qui revenait à soumettre à la loi nationale les successions mobilières des étrangers de cette catégorie qui étaient de beaucoup les plus nombreux. Il a pu y avoir une influence de cette idée sur l'admission de la forme nationale, mais elle n'aurait été qu'indirecte. Il pourra paraître plus curieux que la convention de 1961 ne porte à première vue aucune trace de ce mouvement, déjà bien avancé en législation lors de sa conclusion. La vérité est que la question a été sérieusement examinée par la Conférence, mais s'est heurtée à deux objections. La première est que la loi applicable aux successions, c'est à dire la matière de fond, objet du testament, est déterminée d'une manière assez différente dans lés systèmes juridiques contemporains; il a paru à plusieurs délégations peu recommandable de choisir un rattachement qui n'avait pas le même sens dans tout les Etats signataires. D'autre part la question ayant été soulevée après le choix des rattachements qui ont été finalement retenus, l'allongement de la liste a paru présenter des inconvénients qui ont été rappelés plus haut. Et surtout il a été observé que les rattachements retenus permettaient au testateur de se référer dans tous les cas à la loi qui serait applicable à sa succession — étant supposé d'ailleurs que le testateur serait en mesure de prévoir quel juge serait saisi des difficultés qui pourraient éventuellement s'élever dans le règlement de la succession . . . D'autre part la convention de 1961 a suivi une tradition qui paraît bien constante à la Conférence de La Haye, et qui consiste à déterminer les rattachements sans s'engager àfond dans le problème des qualifications. Cette dernière voie supposerait que les Etats signataires prennent parti sur des analyses de droit civil qui ne concordent pas dans leurs systèmes respectifs. C'est l'objection célèbre que Bartin adressait à des règles de conflits de lois communes à plusieurs Etats, et la Conférence a exprimé, serait-ce inconsciemment, la difficulté par son attitude à ce sujet. Il y a eu à maintes reprises des protestations: si le domaine de la loi declarée applicable n'est pas précisé, chaque Etat signataire le dessinera selon ses propres catégories internes, et l'unification sera manquée. L'exemple est assez typique du danger des raisonnements radicaux: à l'encontre de Bartin et des critiques en question, il faut constater que la détermination de la loi applicable permet d'obtenir une unification substantielle, parce que les catégories dont usent les conventions ont dans tous les pays un contenu substantiel
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commun appréciable, qu'il s'agisse du mariage ou du contrat. Que l'unification ne soit pas atteinte sur certains points où les tracés ne concordent pas ne rend nullement inutile l'unification substantielle en question. Elle constitue d'ailleurs la seule solution praticable devant l'impossibilité d'obtenir de tous les Etats signataires une renonciation à leurs conceptions de droit interne et la difficulté de s'en échafauder une commune, pour les conflits de lois. La position a fait l'objet d'une prise de conscience positive à la session de la Conférence qui a établi la convention en 1961. Il en est résulté l'abstention volontaire de traiter dans sa généralité du problème de la distinction entre la forme et le fond en matière testamentaire, mais aussi la décision de prendre parti sur deux des problèmes qui ont fait l'objet des plus fréquentes discussions, savoir le testament conjonctif, et les prohibitions de certaines formes à raison de l'âge, de la nationalité ou «d'autres qualités personnelles du testateur» (article 5). Un compromis justifié ne signifie pas la renonciation à un principe valable. L'étude précitée de V. Delaporte a considéré dans son ensemble l'enseignement à tirer de ces hésitations sur la distinction entre la forme et le fond. L'auteur doute de la légitimité d'un rattachement général propre à la forme, parce que les formes sont déterminées en raison des caractères de l'acte qu'elles concernent. Et c'est peut-être une des raisons pour lesquelles le droit anglais n'a pas admis dans sa généralité la règle locus, manifestant une fois de plus la réticence de nos voisins devant des catégories dont la généralité leur paraît englober des matières trop hétérogènes (V. pour l'applicabilité à la forme des contrats de la loi qui les régit au fond DiceyMorris et Kahn-Freund, p. 450). Mais il se trouve aussi que c'est la Grande Bretagne qui a suggéré la mise au programme de la Conférence de La Haye de la forme des testaments, parce que les juristes anglais avaient fait l'expérience des difficultés engendrées par les testaments rédigés à l'étranger et portant sur des biens immobiliers situés en Angleterre: la nullité était fréquente du fait de l'ignorance par le testateur du droit anglais. D'où d'ailleurs la mention expresse par la convention, parmi les lois applicables, de celle de la situation de l'immeuble. L'initiative anglaise ramène donc l'attention sur le mobile séculaire de la facilité d'information sur la loi applicable procurée par la règle locus. M. Delaporte y voit un motif secondaire, beaucoup moins pressant que les liens étroits entre la forme et le fond; il observe, non sans raison, que le ou les auteurs de l'acte pourront facilement s'informer, surtout s'il n'y a pas urgence, sur les prescriptions de forme portées par la loi applicable au fond. L'observation la plus pénétrante est que le droit interne n'a pas développé une théorie générale des règles de forme, serait-ce pour la sanction de leurs observations. Le même auteur trouve insolite que le droit international privé y voie une catégorie générale; il concède qu'il y aurait quelque imprudence à nier
La forme des testaments en droit international privé
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radicalement une solution suivie depuis des siècles, mais ses préférences vont, comme dans la législation récente, à donner une compétence première à la loi du fond, et une compétence subsidiaire à la règle locus sous la condition que la loi locale ne contrarie pas les objectifs auxquels tendent les règles de fond. Il faut reconnaître que cette dernière considération est apparue de manière frappante dans l'affaire Figué, où la Cour de cassation (17 Juillet 1958, D. 1959, 65 note Malaurie, Journal du Droit international 1959. 1114 note Goldman, J.C.P. 1958. II. 10761 note Louis Lucas, Revue critique 1958. 736 noteFrancescakis) a décidé que si les formes procédurales étaient celles du juge saisi, elles ne devaient pas compromettre les règles de la loi applicable au fond, en l'espèce l'interdiction française, à l'époque, du divorce par consentement mutuel auquel était réputé aboutir l'admission par la loi étrangère de l'aveu comme mode de preuve. Il n'est cependant pas impossible de soutenir qu'en droit international la facilité d'information a joué un rôle spécifique, comme l'expérience l'a montré, et on sait que la transposition du droit interne au plan international comporte des adaptations. La jurisprudence française a conservé en matière de contrats, contrairement à la position allemande, et à celle d'autres pays encore, la priorité au rattachement de la forme à la loi par lieu de conclusion, et exige la preuve d'une volonté contraire en faveur de la loi applicable au fond. Quel que soit le sort de cette alternative dans l'évolution à venir, il importe de constater en concluant que l'évolution retracée a paru présenter au premier abord la succession de trois méthodes radicalement différentes entre elles sur la détermination de la loi applicable à la forme des testaments. A les examiner de plus près, on a constaté une continuité sousjacente assez caractérisée: la première méthode contenait en germe le principe de la deuxième, celle-ci s'orientait indirectement vers la troisième dont les racines remontaient à un passé antérieur. L'évolution, provoquée certes par le développement de l'expérience, ne pouvait présenter ces liens qu'en raison de la permanence et de la généralité des problèmes en cause.
Die Bestimmung des anwendbaren Rechts in der Praxis internationaler Schiedsgerichtsverfahren KARL-HEINZ BÖCKSTIEGEL
I. Vorbemerkungen Die Frage nach dem anwendbaren Recht hat den verehrten Kollegen Beitzke oft und in vielfacher Weise beschäftigt. Ihr soll hier unter dem besonderen Gesichtspunkt nachgegangen werden, wie sie sich im Rahmen der Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit stellt. Dabei muß man sich zunächst in Erinnerung rufen, daß die Frage nach dem anwendbaren Recht in keiner Weise eine auf die Schiedsgerichtsbarkeit beschränkte Frage ist. Jeder nationale Richter hat über das anwendbare Recht zu entscheiden. Hauptsächlich für ihn sind die Grundsätze und Regeln des internationalen Privatrechts in nationalen und internationalen Kodifizierungen und auch in der Rechtssprechung und Literatur entwikkelt worden. Mit diesen, zu denen Beitzke viele wesentliche Anstöße gegeben hat, kann ich mich hier nicht näher befassen, obwohl die meisten von ihnen auch für das anwendbare Recht in der Schiedsgerichtsbarkeit relevant sind. Hier will ich mich vielmehr konzentrieren auf die besonderen Aspekte, die sich hinsichtlich des anwendbaren Rechts gerade im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ergeben 1 . Eine weitere Vorbemerkung ist wohl nötig, nämlich die, daß meine Betrachtungsweise des Themas zwar zum Teil sich sicherlich daraus ergibt, daß die Schiedsgerichtsbarkeit ein Schwerpunkt meiner Universitätsarbeit ist, daß sie aber auch durch meine praktischen Erfahrungen als Schiedsrichter oder Parteienberater in Schiedsverfahren geprägt ist. Das Einbringen dieser letzteren Erfahrungen ist angesichts der weitgehenden Vertraulichkeit der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit allerdings auch ver' vgl. etwa auch: Goldmann, RdC 109 (1963 II) 347ff.\Capatina, Revue Rommaine des Sciences Sociales, Serie de Sciences Juridiques, 1976, 47ff. ; Lalive, Revue de l'arbitrage, 1976, 155ff.; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, I, 1975, Rz. 183ff.; Coing u.a., Materielles Recht u. Verfahrensrecht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1972; von Hoffmann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1970, 5 7 f f S c h w a b , in Festschrift für Martin Luther, 1976, 163il.-,Foucbard, L'arbitrage commercial international, Paris 1965, 533ff.; Robert, Arbitrage civil et commercial, Paris 1967, 347ff.; Carabiber, L'arbitrage international de droit privé, Paris 1960, 90ff.; B a t i f f o l , Revue de l'arbitrage 1957, 110 ff. ; Wünsch, Schiedsgerichtsbarkeit in Handelssachen, Graz 1968, 119ff. ; Gentinetta, Die lex fori internationaler Handelsschiedsgerichte, Bern 1973, 192 ff. ; Liithge, Die kollisionsrechtliche Funktion der Schiedsgerichtsvereinbarung, 1975; Jakubowski, Polish Yearbook of International Law III (1976) 7ff.
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bunden mit der Schwierigkeit, daß die einschlägigen Fälle nur zum Teil konkret im Rahmen einer Veröffentlichung zitiert werden dürfen 2 . Logisch ist die Frage, welches Recht anzuwenden ist, eine der ersten, welche ein Schiedsgericht zu beantworten hat; in der Praxis aber wird sie oft nur diskutiert und insbesondere formell entschieden, wenn die in dem Verfahren zu entscheidenden Streitfragen von einer Entscheidung über das anwendbare Recht abhängen 3 . Hier sollte ich hinzufügen, daß nach meinen eigenen praktischen Erfahrungen die große Mehrzahl der Streitgegenstände in internationalen Schiedsverfahren hauptsächlich und oft ausschließlich von der Interpretation des Vertrages zwischen der Parteien abhängt. Die Wichtigkeit des nationalen Rechts wird daher oft überschätzt. Dagegen sind internationale Handelsbräuche oft von großer Bedeutung im Rahmen dieser Vertragsinterpretation, um feststellen zu können, was die Parteien eines internationalen Vertrages gemeint haben. Einige Autoren benutzen den Begriff der „lex mercatoria" extensiv auch für diese Berücksichtigung der internationalen Handelsbräuche; darauf wird noch zurückzukommen sein. Jedenfalls wird in all diesen Fällen die Frage nach dem anwendbaren Recht nur dann von B.edeutung sein, wenn die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der internationalen Handelsbräuche innerhalb der als anwendbar in Betracht kommenden nationalen Rechtsordnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Das ist keineswegs oft der Fall, gerade weil die internationalen Handelsbräuche einen Annäherungseffekt auf die Vertragsauslegung ausüben. Die Frage nach dem anwendbaren Recht stellt sich im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Hinblick auf drei verschiedene Gesichtspunkte: 1. hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts, 2. hinsichtlich des anwendbaren Kollisionsrechts, 3. hinsichtlich des anwendbaren materiellen Rechts. Hin und wieder wird in der Rechtsprechung und auch in der Literatur diese Unterscheidung nicht mit der wünschenswerten Klarheit berücksichtigt. Es empfiehlt sich daher, bevor man eine Quelle zum anwendbaren Recht verwertet, durch nähere Prüfung festzustellen, welchen der drei genannten Aspekte der Richter, Schiedsrichter oder Autor gemeint hat. 2 Eine gewisse Hilfe bietet insofern die seit einigen Jahren betriebene Veröffentlichungspraxis der international wohl wichtigsten Institution der internationalen WirtschaftsSchiedsgerichtsbarkeit, nämlich der Internationalen Handelskammer: Vgl.: Clunet 101 (1974) 876ff., 102 (1975) 916ff„ 103 (1976) 968 ff., 104 (1977) 931 ff. Gleiches gilt insbesondere für die seit kurzem von Sanders herausgegebenen Yearbooks Commercial Arbitration, letzter Band: III 1978. 3 So z.B. im Fall ICC 1512, berichtet in Clunet 101 (1974) 907.
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II. Das anwendbare Verfahrensrecht Hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts4 muß zunächst hervorgehoben werden, daß den Parteien eine sehr weitgehende Autonomie hinsichtlich der Wahl des Verfahrensrechts, dem sie im Streitfall ihr Schiedsverfahren unterwerfen möchten, eingeräumt wird 5 . So kommen in der Praxis dann auch Schiedsklauseln in Verträgen vor, welche ausdrücklich ein bestimmtes Verfahrensrecht für das Schiedsverfahren für anwendbar erklären, öfter findet sich in der Praxis allerdings die Variante, daß die Parteien von dieser Autonomie dadurch Gebrauch machen, daß sie die Regeln einer der Schiedsgerichtsinstitutionen wählen, die dann ihrerseits wiederum eine Regel hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts enthalten. Dabei mag es sein, daß diese Regel selbst dann wieder recht flexibel ist und die Wahl des Verfahrensrechts den Parteien oder, falls die Parteien keine Wahl treffen, den Schiedsrichtern überläßt. So bestimmt z. B. Artikel 11 der Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer, daß primär die Bestimmungen dieser Schiedsgerichtsordnung selbst und, soweit diese keine Vorschriften enthält, von den Parteien oder hilfsweise von den Schiedsrichtern getroffene Bestimmungen anzuwenden sind, gleichgültig, ob sie sich dabei auf eine nationale Prozeßordnung beziehen oder nicht. Dieser Artikel 11, der mit der neuen Schiedsgerichtsordnung von 1975 in Kraft trat, brachte hinsichtlich des anwendbaren Verfahrensrechts eine wichtige Änderung gegenüber seinem Vorgänger, dem Artikel 16 der alten Schiedsgerichtsordnung. Dieser Artikel 16 war unter dem Einfluß der 1952er Resolution von Sienna des Institut de Droit International entstanden und folgte der Doktrin, daß mangels anderweitiger Regelung der Parteien das Schiedsgericht das Prozeßrecht des Schiedsgerichtssitzes anzuwenden habe. Diese subsidiäre Bezugnahme auf den „Sitz" des Schiedsgerichts ist nunmehr herausgenommen worden, offensichtlich unter dem Eindruck der neuerlichen Entwicklung in der Rechtslehre. Nach dem neuen Artikel 11 können die Schiedsrichter, soweit nicht die Schiedsgerichtsordnung selbst oder die Parteien eine Regelung getroffen haben, nach freiem Ermessen bestimmen, wie sie das Schiedsverfahren gestalten wollen, und sie sind dabei nicht einmal gebunden, irgendein besonderes nationales Verfahrensrecht anzuwenden. So genießt der Schiedsrichter der Internationalen Handelskammer und gleiches gilt für den Schiedsrichter der Ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit - einen weiten Ermessensspielraum darüber, welche Gestaltung des Verfahrens er für den gegebenen Fall für zweckmäßig hält. Es gibt aber 4 Dazu vgl. etwa: Eisenmann, L a Lex Fori de 1'Arbitrage Commercial International, Vortrag Paris 1975, N r . 11 ff.; Schlosser, a . a . O . , R z . 4 1 6 f f . 5 Vgl. Fall I C C 1512, berichtet in Clunet, 101 (1974) 905.
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zwei Grenzen für diesen Ermessensspielraum: einmal kann der Schiedsrichter nicht grundlegende Prinzipien des rechtlichen Verfahrens, wie sie allgemein akzeptiert werden, außer acht lassen, beispielsweise, daß beiden Parteien rechtliches Gehör gewährt werden muß oder daß nicht über die Anträge der Parteien hinaus entschieden werden kann. Eine zweite Grenze entstammt dem nationalen Verfahrensrecht: Um die Anerkennung und die Möglichkeit der Vollstreckung des Schiedsspruches innerhalb eines bestimmten Staates nicht zu gefährden, muß das Schiedsgerichtsverfahren in Ubereinstimmung mit den Voraussetzungen abgewikkelt werden, die entweder für die Anerkennung als nationaler Schiedsspruch innerhalb eines bestimmten Staates oder aber für die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruches in diesem Staate vorgeschrieben sind. Das letztere wird normalerweise bedeuten, daß eine der internationalen Konventionen über die Vollstreckung ausländischer Schiedsgerichtsurteile - wenn der betreffende Staat diese Konvention ratifiziert hat - beachtet werden muß, und daß darüber hinaus alle zwingenden Verfahrenserfordernisse des nationalen Rechts des Vollstreckungsstaates beachtet werden müssen. Weitere Einzelheiten zu der besonderen Thematik der Vollstreckung von Schiedssprüchen können hier nicht behandelt werden. III. Das anwendbare Kollisionsrecht Die primäre Frage auf dem Wege zur Feststellung des anwendbaren materiellen Rechts ist die nach dem anwendbaren Kollisionsrecht. Denn sogar das Ausmaß der Parteiautonomie unterliegt den anwendbaren kollisionsrechtlichen Regeln. Hier begeben wir uns in einen umstrittenen Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Die Unsicherheit ergibt sich daraus, daß der internationale Schiedsrichter eine weniger intensive Bindung zu dem „Sitz" des Schiedsgerichts hat als der staatliche Richter, der normalerweise das internationale Privatrecht des Staates anwenden wird, zu dem sein Gericht gehört, also die lex fori 6 . Demgegenüber ist die Anwendung der lex fori in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nur eine der möglichen Lösungen 7 . Andere möglichen Lösungen sind: die Anwendung von rechtsvergleichend ermittelten kollisionsrechtlichen Grundsätzen, oder aber die Anwendung der kollisionsrechtlichen Grundsätze desjenigen staatlichen Rechts, dessen Verfahrensrecht er anwendet8. 6 Zur Bedeutung der lex fori in diesem Zusammenhang vgl.: Fall CCI1512, berichtet in Clunet 101 (1974) 907 u. 911; Gentinetta, a . a . O . 7 So z. B. Fall I C C 1455, berichtet in Yearbook Commercial Arbitration III, 1978, 215. Vgl. für die USA Eberth, RIW 1977, 522 ff. 8 Vgl. auch: Goldmann, a . a . O . , 363ff., 380ff„ 415ff.; Fall I C C 2483, berichtet in Clunet 103 (1976) 969f. Allgemein: Schlosser, a. a. O . , Rz.202ff. Zur alternativen Anknüp-
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Wir können hier nicht in eine Erörterung der Einzelheiten eintreten, müssen aber zumindest zur Kenntnis nehmen, daß unterschiedliche Schiedsrichter auch unterschiedlichen Lösungen in diesem umstrittenen Bereich folgen werden. Eine negative Feststellung ist aber noch wichtig: in all jenen Fällen, in welchen der Sitz des Schiedsgerichts von den Parteien nicht bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgelegt wird, erscheint es keineswegs möglich, daß der Schiedsrichter hinsichtlich des anwendbaren Kollisionsrechts auf die lex fori zurückgreift. Dies gilt in der Praxis für eine große Zahl von Schiedsgerichtsfällen, da die Parteien oft bei Vertragsabschluß bereits eine Schiedsklausel vorsehen, oft aber nicht gleichzeitig einen besonderen Sitz für das Schiedsgerichtsverfahren bestimmen. In einem solchen Fall werden normalerweise entweder die Schiedsgerichtsinstitutionen oder aber die Schiedsrichter zu einem späteren Zeitpunkt, falls es zum Streitfall kommt, einen Sitz für das Schiedsgericht wählen. Bei der Schiedsgerichtsbarkeit der Internationalen Handelskammer hat der Schiedsgerichtshof die Befugnis, den Sitz des Schiedsgerichts zu bestimmen und macht in der Praxis auch oft von dieser Befugnis dahingehend Gebrauch, daß er einen für beide Parteien neutralen Sitz bestimmt. In all diesen Fällen würde der Rückgriff auf die lex fori an dem so später erst bestimmten Sitz des Schiedsgerichts für die Frage des anwendbaren Kollisionsrechts bedeuten, daß mangels Kenntnis vom Schiedsgerichtssitz auch das anwendbare Kollisionsrecht den Parteien bei Abschluß und Durchführung ihres Vertrages nicht bekannt war, mit dem Ergebnis, daß sie mangels Feststellbarkeit des anwendbaren Kollisionsrechts auch nicht das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht ermitteln konnten. Es würde also bedeuten, daß die Parteien nicht die Möglichkeit hätten, ihre vertraglichen Rechte und Pflichten unter Hinzuziehung des anwendbaren materiellen Rechts zu ermitteln, ein sicherlich nicht akzeptables Ergebnis. Die Parteien müssen von der Zeit des Vertragsschlusses ab jederzeit in der Lage sein, das anwendbare materielle Recht festzustellen und auf diesem Wege den genauen Inhalt ihrer vertraglichen Rechte und Pflichten zu ermitteln. Da die Anwendung der lex fori für das anwendbare Kollisionsrecht in den genannten Fällen den Parteien diese Möglichkeit nicht gibt, ist in diesen Fällen die lex fori als möglicher Ansatzpunkt für das anwendbare Kollisionsrecht auszuscheiden. Hin und wieder geben die internationalen Ubereinkommen oder die Schiedsgerichtsordnungen der Institutionen der Schiedsgerichtsbarkeit den Schiedsrichtern Hinweise für die Wahl des anwendbaren Kollisionsrechts 9 . Die Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer fung vgl. Beitzke, in Festschrift für Ferid, 1978, 39ff. Zur Lage in der Schweiz vgl. Lalive, L'arbitrage international prive et la Suisse, 1977, 57 ff. 9 Dazu: Goldmann, a.a.O., 380ff., 392ff.
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enthält in diesem Zusammenhang ein interessantes Beispiel. Artikel 13 Abs. 3 bestimmt in seinem Satz 2, daß - wenn keine Hinweise der Parteien über das anwendbare Recht vorliegen - der Schiedsrichter das Recht anwendet, „ d a s sich nach den Kollisionsnormen ergibt, die er für anwendbar hält". Dies bedeutet also, daß einerseits die Parteien das anwendbare materielle Recht frei wählen können, daß andererseits aber die Schiedsrichter nach dieser Bestimmung nur die Befugnis haben, das anwendbare Kollisionsrecht zu wählen, welches dann seinerseits zur Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts für den Vertrag führt. Diese Bestimmung der neuen Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer bestätigt, was meines Erachtens heute die Lage in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im allgemeinen charakterisiert, nämlich daß mangels ausdrücklicher Rechtswahl der Parteien die Schiedsrichter in der Bestimmung des anwendbaren Kollisionsrechts frei sind, daß aber die Kriterien, nach welchen sie diese Bestimmung des anwendbaren Kollisionsrechts vornehmen werden, sich heute nicht sicher voraussagen lassen und deshalb von dem einzelnen Schiedsrichter, seinem persönlichen Hintergrund und seinem heimatlichen Rechtssystem abhängen werden. IV. Das anwendbare materielle Recht Wenn ich nachfolgend einer näheren Betrachtung unterziehe, welche Kriterien Schiedsrichter anwenden, um das den Vertrag zwischen den Parteien regierende materielle Recht tatsächlich festzustellen, so kann ich in dem mir hier gegebenen Rahmen nicht auf die nationalen Kollisionsrechte einzelner Staaten im einzelnen eingehen. Ich werde vielmehr versuchen, einige generelle Kriterien aufzuzeigen, welche von besonderer Bedeutung für die Feststellung des anwendbaren materiellen Rechts in der Praxis der internationalen Wirtschafts-Schiedsgerichtsbarkeit sind. Zusätzliche Kriterien oder Einzelheiten zu bestimmten der erwähnten Kriterien können sich aus dem internationalen Privatrecht des einzelnen Staates ergeben, dessen Kollisionsrecht als für den betreffenden Schiedsgerichtsfall anwendbar festgestellt worden ist 1 0 . 1. Rechtswabl durch die Parteien. Das bei weitem wichtigste Kriterium ist sicherlich die Rechtswahl der Parteien 11 . In internationalen Verträgen und insbesondere in Verträgen über besonders große oder wichtige Vertragsgegenstände nehmen die Parteien sehr oft eine ausdrückliche Rechtswahlklausel in bezug auf ein bestimmtes nationales Recht auf 1 2 . Dabei mögen 1 0 Vgl. etwa zum anwendbaren Recht für die Schiedsklausel in der Schweiz: Tribunal fédéral, 17.3.1975, Clunet 103 (1976) 729ff. " Dazu etwa: Capatina, a . a . O . , 53ff.; Lüthge, a . a . O . 12 Vgl. etwa Fall C C I 2216, berichtet in Clunet 102 (1975) 917ff.
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sie das nationale Recht einer der Parteien oder das nationale Recht eines von ihnen als neutral zwischen den Parteien angesehenen Staates wählen 13 ; schweizerisches Recht ist eine oft gefundene Lösung im letzteren Sinne. Eine wesentlich breitere Skala der Rechtswahl findet sich im Gegensatz zu den Verträgen zwischen privaten Parteien bei Verträgen zwischen einerseits Privatunternehmen und andererseits Staaten oder staatlichen Institutionen. In meiner Arbeit über solche Verträge habe ich Rechtswahlklauseln gefunden, die hinsichtlich des materiellen Rechts verwiesen auf folgende Lösungen 14 : 1. auf das nationale Recht des Staates, der Vertragspartner ist; 2. auf das nationale Recht des Privatunternehmers; 3. auf das nationale Recht eines dritten Staates; 4. auf zwei nationale Rechtssysteme; 5. auf ein nationales Recht und zuzüglich auf das „principle of good will and good faith"; 6. auf das Völkerrecht, entweder ausdrücklich oder konkludent; 7. auf die Rechtsgrundsätze, die den nationalen Rechtssystemen der Vertragsparteien gemeinsam sind; 8. auf die von den zivilisierten Staaten anerkannten Rechtsgrundsätze; - 9. ausschließlich auf den Vertrag selbst, evtl. zuzüglich auf bona fides; 10. auf Rechtsgrundsätze oder Kombinationen von Rechtsgrundsätzen, die sich einer Kategorisierung entziehen und 11. auf die Lösung, daß die Schiedsrichter selbst in der Klausel beauftragt werden als „amiables compositeurs" oder ,,ex aeque et bono" zu entscheiden. Diese kleine Liste von Kategorien der Rechtswahlklauseln in Verträgen zwischen Privatunternehmen und ausländischen Staaten erfaßt keineswegs alle in der Praxis zu findenden Variationen. Zusätzliche und weitere Qualifikationen mögen die Aufgabe des Schiedsrichters noch erschweren: Verweisungen auf mehrere der genannten Kategorien mögen in einer Prioritätsliste kombiniert werden für den Fall, daß die Rechtswahl der ersten Priorität sich nicht für alle zu entscheidenden Fragen als ausreichend erweist15. Unterschiedliche Formulierungen der vertraglichen Rechtsklausel in verschiedenen Verträgen mögen, selbst wenn sie das gleiche materielle Recht wählen, den Schiedsrichter zwingen, unterschiedliche Kri13
Selbst bei einer scheinbar klaren Rechtswahlklausel durch Verweis auf ein nationales Recht mögen sich aber Unklarheiten z. B. hinsichtlich des Haager Kaufrechts ergeben. Vgl. auch die in RIW 1978, 336ff. berichteten Schiedssprüche. 14 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1971, • 84ff., wo Beispiele für jeden dieser Fälle zitiert sind. 15 Beispiele bei: Böckstiegel, a.a.O., 88 Anm.49.
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terien bei der Anwendung dieses materiellen Rechts zu verwenden oder bestimmte Teile dieses materiellen Rechts von der Anwendbarkeit auf den Vertrag auszuschließen. Sogar eine identische Formulierung von Rechtswahlklauseln in zwei Verträgen mag trotzdem zu einer unterschiedlichen Interpretation führen, weil die Verträge unterschiedlichen Inhalt oder unterschiedliche Intention haben, weil womöglich der eine ausschließlich ein privater Kaufvertrag, der andere aber ein Konzessionsvertrag ist, der öffentlich-rechtliche Fragen einschließt wie etwa die Versicherung des vertragsschließenden Staates zu Fragen der Zollfreiheit, der Steuererleichterungen, der Export- oder Import- oder Transfergenehmigungen etc. Eine weitere Variation der Rechtswahlklausel ist durch den Schiedsspruch über die Nationalisierung von Erdölkonzessionen der Texaco und der Calasiatic durch Libyen bekannt geworden: Nach Art. 28 sollten die Kontrakte „den Grundsätzen des libyschen Rechts insoweit unterstellt sein, als die Grundsätze den Grundsätzen des Völkerrechts entsprechen. Insoweit hier keine Gemeinsamkeit bestehen sollte, sollte die Konzession den allgemeinen Rechtsgrundsätzen unterstehen, einschließlich der allgemeinen Grundsätze, die von internationalen Gerichten angewendet werden" 1 6 . Die Schiedsrichter werden die wie auch immer ausfallende Rechtswahl der Parteien respektieren, denn die Parteienautonomie ist inzwischen ein allgemein akzeptiertes Prinzip. Die Respektierung der Parteienautonomie gilt auch in den Fällen, wo zwar der Vertrag keine ausdrückliche Rechtswahlklausel enthält, aber genügend Indizien aufweist um zu zeigen, von welchem Recht die Parteien als anwendbar ausgegangen sind. Die Bezugnahme auf ein bestimmtes staatliches Recht oder ein bestimmtes Rechtssystem oder auf Teile eines solchen Rechts oder Rechtssystems bedeutet nicht immer notwendigerweise eine Rechtswahl für dieses Recht oder Rechtssystem als solches, sie muß vielmehr manchmal als eine Rezeption von Vorschriften dieses Rechts oder Rechtssystems in den Vertrag interpretiert werden mit der Wirkung, daß diese Vorschriften dann den Charakter vertraglicher Regelungen erhalten. Mit anderen Worten: die Parteien wollten bestimmte Regelungen in ihren Vertrag aufnehmen, statt aber alle gewünschten Regelungen als Vertragsklauseln in den Vertrag selbst hineinzuschreiben, haben sie die kürzere Methode gewählt, auf die Regelungen des betreffenden Rechts zu verweisen. Auf den ersten Blick hat man vielleicht den Eindruck, daß dies keinen Unterschied zu einer Rechtswahlklausel ausmacht. Der Unterschied wird aber sichtbar, falls die einschlägigen Regelungen des Rechts oder Rechtssystems vom Gesetzgeber geändert werden, nachdem die Parteien den Vertrag mit einer solchen Verweisung geschlossen haben. Eine Rechtswahlklausel unter16 Vgl. näher: Text des Schiedsspruches in Clunet 104(1977) 350ff., Berichte von Lalive in Clunet 104 (1977) 319 ff. und Seidl-Hohenveldern in RIW 1977, 502 ff.
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wirft den Vertrag dem gewählten materiellen Recht in der Fassung, wie es sich zum Zeitpunkt der Anwendung des Rechts präsentiert: wenn zwischen dem Vertragsschluß und der Anwendung bestimmter Teile des Vertrages gesetzliche Regelungen des gewählten materiellen Rechts sich ändern, wird normalerweise die neue Version dieser Regelungen die anwendbare sein. Dies ist nicht der Fall, falls die Verweisung auf ein Recht oder ein Rechtssystem als eine Rezeption bestimmter gesetzlicher Vorschriften in den Vertrag als vertragliche Regelungen zu interpretieren ist: in diesem Fall haben diese gesetzlichen Vorschriften im Wege dieser Rezeption den Charakter vertraglicher Regelungen mit dem Inhalt erhalten, der zur Zeit des Vertragsabschlusses galt; spätere Änderungen des Rechts sind dann nicht anwendbar. Grenzen der Parteiautonomie können sich aus dem nationalen Kollisionsrecht ergeben, welches die Schiedsrichter als das anwendbare für ihren Streitfall festgestellt haben 17 . Dies gilt insbesondere in diesem Zusammenhang für die Grundsätze des ordre public, welche in Einzelheiten von Staat zu Staat sich unterscheiden mögen, im allgemeinen aber in dem internationalen Privatrecht fast aller Staaten die gleichen grundlegenden Prinzipien als Grenze für die Anwendbarkeit eines ausländischen Rechts enthalten. 2. Traditionelles internationales Privatrecht. Falls die Parteien weder ausdrücklich noch konkludent ein bestimmtes materielles Recht für ihren Vertrag als anwendbar gewählt haben, muß das anwendbare Recht normalerweise durch die im traditionellen internationalen Privatrecht entwickelten Methoden gefunden werden. Dabei muß man sich zunächst in Erinnerung rufen, daß das traditionelle internationale Privatrecht nationales, also staatliches Recht ist. Man muß daher zunächst unter Berücksichtigung der oben dargelegten Gesichtspunkte feststellen, welches der nationalen Kollisionsrechte für den betreffenden Streitfall anwendbar ist. Aber selbst wenn das anwendbare Kollisionsrecht gefunden ist, bleiben bekanntlich viele Fragen offen und schwierig, weil in vielen Rechtssystemen das internationale Privatrecht nur in geringem Ausmaß kodifiziert und im übrigen aber von der Rechtssprechung und Literatur bestimmt ist. Es bleibt also ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit. Diese Situation hat zu den bekannten Auseinandersetzungen und Theorien im internationalen Privatrecht, insbesondere im internationalen Vertragsrecht geführt. Dazu können wir hier nur feststellen, daß selbst auf der Grundlage eines bestimmten staatlichen Kollisionsrechtes die Antwort,auf die Frage nach dem anwendbaren materiellen Recht noch in erheblichem Maße davon abhängen wird, welchem Rechtssystem der Schiedsrichter entstammt und 17
Dazu vgl. etwa: Goldmann,
a . a . O . , 443ff.
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welche persönlichen Auffassungen der Schiedsrichter bei den kollisionsrechtlichen Streitfragen vertritt. Gerade der Jubilar Beitzke bedarf sicherlich auch nicht eines erneuten Kommentars dazu, wie überzeugend welche Theorien in welchen staatlichen Kollisionsrechten sind. Insoweit muß auf die Rechtssprechung und Literatur zum internationalen Privatrecht der einzelnen Staaten verwiesen werden. Es scheint mir aber, daß insbesondere in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit die Schiedsrichter mit besonderer Aufmerksamkeit den Trend der internationalen kollisionsrechtlichen Meinungsbildung und die von internationalen Konventionen und internationalen Institutionen kommenden Hinweise in ihre Würdigung einbeziehen sollten, selbst in Fällen, wo diese Konventionen mangels einer Ratifizierung durch den betreffenden Staat nicht unmittelbar anwendbar sind 18 . Und es scheint mir auch, daß der internationale Schiedsrichter in besonderem Maße die internationalen Handelsbräuche beachten sollte und sich daher im Zweifelsfalle eher für jene Doktrin entscheiden sollte, welche nach seiner Beurteilung für die internationale Wirtschaftpraxis die effektivste Lösung bietet 19 . In der Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Handelskammer haben wir eine spezielle Bezugnahme in Artikel 13 Abs. 5 durch die Bestimmung, daß in jedem Fall der Schiedsrichter neben den Bestimmungen des Vertrages die Handelsbräuche zu beachten hat. 3. Neue von Schiedsrichtern benutzte Methoden. Angesichts der Qualifikation des internationalen Privatrechts als nationales Recht und angesichts der Tatsache, daß die Praxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs heute nur noch wenig gemeinsam hat mit den Rahmen, welche einmal in den einzelnen nationalen Rechtssystemen für den Außenhandel zugrunde gelegt worden sind, haben sich internationale Schiedsrichter darum bemüht, neue Methoden für die Suche nach dem anwendbaren materiellen Recht zu finden. Die Legitimation für derartige neue Methoden liegt darin, daß die Parteien durch die Schiedsklausel und den darin liegenden Ausschluß der staatlichen Gerichtsbarkeit für ihren Fall zu erkennen gegeben haben, daß sie ihren Vertrag und ihren Rechtsstreit in einem gewissen Maße dem nationalen Rechtsrahmen entziehen und auf eine internationale rechtliche Ebene stellen wollen. Wenn dem so ist, kann man es im Rahmen der von den Parteien im Wege der Schiedsklausel übertragenen Aufgabe als gerechtfertigt ansehen, „internationalere Methoden bei der Bestimmung des materiellen Rechts anzuwenden".
18 Dazu etwa: Fall CCI 1717, berichtet in Clunet 101 (1974) 890ff., insbesondere 891. Vgl. in diesem Zusammenhang auch -.Beitzke, RabelsZ 33 (1969) 204 ff. sowie in Gedächtnisschrift für R. Dietz, 1973, 127ff. 1 9 In diesem Sinne wohl auch Fall CCI 2375, berichtet in Clunet 103 (1976) 973 ff.
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Soweit ich sehe, finden wir in der modernen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zwei grundlegende Ansätze dieser Art. Der erste Ansatz ist der, daß die Schiedsrichter statt der Wahl des Kollisionsrechts eines bestimmten Staates - was die traditionelle Methode wäre - eine Prüfung anstellen darüber, welche Lösungen sich nach den Kollisionsrechten der Staaten ergeben würden, die eine Beziehung zu dem Vertrag oder dem Rechtsstreit haben. Nach dieser Prüfung versuchen sie gemeinsame Nenner dieser verschiedenen Kollisionsrechte festzustellen und wenden dann diese gemeinsamen Nenner auf den Streitfall an 20 . Der zweite Ansatz ist allgemeinerer Art: die Schiedsrichter versuchen, die kollisionsrechtlichen Prinzipien festzustellen, welche allen entwickelten modernen Rechtssystemen gemeinsam sind, und wenden dann diese auf ihren Rechtsstreit an 21 . Meines Erachtens ist der erstere Ansatz in den meisten Fällen vorzuziehen, weil er eine bessere Möglichkeit bietet, die besondere Situation des Vertrages und der Parteien zu berücksichtigen. Ich sollte jedoch hinzufügen, daß sich andererseits in Zweifelsfällen viel für den zweiten Ansatz sagen läßt, also die Suche nach generellen kollisionsrechtlichen Allgemeinnennern, weil die Universalität des internationalen Wirtschaftsverkehrs, die dauernd zunimmt, mit einer Regionalisierung von Rechtsprinzipien auf die Dauer nicht effektiv erfaßt werden kann22. 4. Anwendbares öffentliches Recht. Bisher haben wir uns nur mit der Möglichkeit befaßt, daß Privatrecht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit anzuwenden ist, und deshalb auch nur das internationale Privatrecht als das zu dem anwendbaren materiellen Recht führende Kollisionsrecht betrachtet. Es kann jedoch in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit auch Fälle geben, wo öffentliches Recht anzuwenden ist 23 . Das gilt insbesondere, weil wir in der internationalen Wirtschaft-Schiedsgerichtsbarkeit eine steigende Zahl von Fällen haben, in welchen eine oder beide der Parteien Staaten oder staatliche Institutionen sind, obwohl grundsätzlich ein Staat, wenn er im Rahmen des internationalen Wirtschaftverkehrs mit einem ausländischen Privatunternehmen einen Vertrag schließt, hinnehmen muß, daß dieser Vertrag nach den gleichen Grundsätzen wie Verträge zwischen privaten Partnern beurteilt wird. Im Zusammenhang mit dem öffentlichen Recht bedarf es vielleicht zunächst des Hinweises, daß bekanntlich kein Staat die Durchsetzung seines 2 0 So etwa: Fall CCI2438, berichtet in Clunet 103 (1976) 969ff.; Fall CCI 853, berichtet in Yearbook Commercial Arbitration III, 1978, 214 f. Uberblick bei Derains, Rev. Arb. 1972, 99 ff. 21 So etwa: Fall CCI 1434, berichtet in Clunet 103 (1976) 978ff. 22 Weitere Beispiele aus der Praxis berichtet in: Yearbook Bommercial Arbitration III, 1978, 214 ff. 23 Überblick bei: Böckstiegel, AWD 1973, 117ff. m.w.N.
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öffentlichen Rechts auf dem Territorium eines anderen Staates erzwingen kann, weil dies eine Verletzung der Souveränität dieses anderen Staates bedeuten würde. Andererseits können die Schiedsrichter oft öffentlichrechtliche Bestimmungen bestimmter Staaten nicht außer Betracht lassen, weil sie einen unmittelbaren Einfluß auf die Gültigkeit vertraglicher Bestimmungen oder auf die Möglichkeit, vertragliche Bestimmungen durchzusetzen, haben. Wenn etwa die Parteien im Rahmen ihrer vertraglichen Verpflichtungen eine Pflicht vorgesehen haben, welche auf dem Territorium eines bestimmten Staates erfüllt werden muß, können sie nicht das öffentliche Recht dieses Staates außer Betracht lassen, falls dieses öffentliche Recht die betreffende Handlung verbietet und damit der betreffenden Partei die Erfüllung der Vertragspflicht unmöglich macht. Solche Fälle kommen vor, weil die Parteien manchmal sich über entsprechende öffentlich-rechtliche Normen nicht im klaren waren, und erst später, wenn sie eine Vertragspflicht erfüllen wollen, auf die entsprechende Norm stoßen. Das kann beispielsweise vorkommen im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Normen in einem bestimmten Staat - oder in Westeuropa auch mit kartellrechtlichen EWG-Normen - , und derartige Fragen haben in der Tat in der Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit bereits eine Rolle gespielt, obwohl die kartellrechtliche Rechtsprechungskompetenz ausschließlich bestimmten staatlichen und europäischen Gerichten vorbehalten ist 24 . Falls Staaten oder staatliche Institutionen eine der Vertragsparteien sind, können öffentlich-rechtliche Normen für die Schiedsrichter auch hinsichtlich der Vertretungsmacht der für den Staat oder die staatliche Institution auftretenden Personen eine Rolle spielen. Ein besonderes Problem in diesem Zusammenhang ergibt sich hinsichtlich der Frage, wann hoheitliche Akte eines bestimmten Staates als höhere Gewalt für Verträge anerkannt werden können, welche dieser Staat oder eine seiner staatlichen Institutionen mit ausländischen Unternehmen abgeschlossen hat. Mehrfach haben sich internationale Schiedsgerichte mit Fällen zu befassen gehabt, in welchen die staatliche Partei eine vertragliche Verpflichtung nicht erfüllte mit der Begründung, Hoheitsakte hätten die Erfüllung verhindert und befreiten sie als höhere Gewalt von der Pflicht zur Erfüllung. Derartige Fälle betrafen beispielsweise Verbote, in ausländischen Devisen zu bezahlen, oder Transferverbote oder auch Importoder Exportverbote für bestimmte Waren. Seit der berühmten - manche werden sagen: berüchtigten - Entscheidung des Moskauer Außenhandelsschiedsgerichts über das Exportverbot für ö l nach Israel im Fall Jordan Investment Ltd. gegen All-Unions-Außenhandelsunternehmen von 1958 hat diese Problematik eine breite internationale Diskussion angeregt 25 . 24 25
Vgl. etwa Fall CCI 1397, berichtet in Clunet 101 (1974) 879 ff. Urteil v. 19.6.1958. Text: RabelsZ 24 (1959) 540ff.; AJIL 53 (1959) 880f.
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Aber trotz dieser Diskussion und der Bedeutung dieser Frage, insbesondere für den Wirtschaftsverkehr zwischen kapitalistischen und sozialistischen Staaten konnte bisher keine Einigung erzielt werden26. Das Problem ist gerade kürzlich wieder in der Praxis aufgetaucht, als ein polnisches Außenhandelsunternehmen die Lieferung großer Mengen von Zucker im Rahmen von Verträgen mit mehreren westeuropäischen Privatunternehmen verweigerte mit der Begründung, polnische Behörden hätten ein Exportverbot erlassen und dieses Exportverbot befreie als höhere Gewalt von der Lieferverpflichtung. Dieser Streitfall ist im Zusammenhang zu sehen mit der Tatsache, daß damals im Jahre 1974 der Zukkerpreis auf dem Weltmarkt ganz erheblich gestiegen war nach Abschluß der Verträge mit dem polnischen Außenhandelsunternehmen, und daß Polen 1974 außerdem eine geringere Zuckerernte als erwartet hatte. Die diesbezüglichen Verträge enthielten durchweg Schiedsklauseln und die diesbezüglichen Schiedsverfahren sind noch in Gang bis auf eines, das als eine Art Musterprozeß - obwohl die anderen Schiedsverfahren z. T. Unterschiede aufweisen - soeben abgeschlossen worden ist. In diesem letzteren Verfahren hat sowohl das Schiedsgericht als auch im Sommer 1978 das House of Lords zugunsten der polnischen Partei entschieden und die Berufung auf force majeure anerkannt27. 5. Ausnahmsweise Anwendung des Völkerrechts. In ganz besonderen Ausnahmefällen werden die Schiedsrichter sogar Völkerrecht als anwendbares materielles Recht anzuwenden haben. Dies mag zunächst einmal vorkommen, falls die Parteien in ihrer Schiedsklausel ausdrücklich eine Bezugnahme auf das Völkerrecht als anwendbares Recht haben. Eine solche Rechtswahl werden die Schiedsrichter respektieren müssen, selbst wenn nach ihrer eigenen Auffassung die Parteien keine Rechtssubjekte des Völkerrechts sind. Bekanntlich werden nach traditionellem Völkerrecht ausschließlich die Staaten und seit einiger Zeit die staatlichen internationalen Organisationen als Völkerrechtssubjekte anerkannt, so daß Schiedsrichter sehr wohl zu einem solchen Ergebnis kommen könnten. Trotzdem müßten sie die betreffende Rechts wähl der Parteien - die in der Praxis in Ausnahmefällen tatsächlich vorkommt respektieren, weil die Bezugnahme auf das Völkerrecht als Rezeption der einschlägigen völkerrechtlichen Normen in den Vertrag zu interpretieren wäre, mit dem Ergebnis also, daß diese völkerrechtlichen Normen den Charakter vertraglicher Regelungen erhalten. Daß dies möglich ist, wurde bereits erwähnt. 2 6 Überblick bei: Böckstiegel, NJW 1975, 1580f. Vgl. etwa auch: Fälle CCI 2142, 1703 und 1512, berichtet in Clunet 101 (1974) 892ff. und 894f. und 905ff„ 912. Zu Höhere-Gewalt-Klauseln vgl. Beitzke, Der Betrieb, 1967, 1751 ff. 27 Näher dazu: Böckstiegel, in Festschrift für Martin Luther, 1976, 26ff. Entscheidung des House of Lords berichtet in Times vom 7. 7.1978, S. 10.
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Zweitens kann aber das Völkerrecht selbst in Fällen anwendbar sein, bei welchen die Parteien nicht ausdrücklich eine diesbezügliche Rechtswahl in den Vertrag aufgenommen haben. Voraussetzung ist dabei allerdings immer, daß zumindest eine der Vertragsparteien ein Staat oder eine Regierung ist, wie wir das insbesondere bei internationalen Entwicklungsverträgen, internationalen Investitionsverträgen und internationalen Konzessionsverträgen finden. Die Möglichkeit solcher von einigen als ,,quasi-völkerrechtliche", von mir lieber als „beschränkt-völkerrechtlich" bezeichneten Verträge ist Gegenstand einer weitgehenden literarischen und vieler mündlicher Diskussionen gewesen. Da ich selbst meinen Anteil an dieser Diskussion gehabt habe28, will ich hier der Versuchung widerstehen, in diese sehr spezielle und komplizierte Materie näher einzutreten. Das Ergebnis läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß unter ganz besonderen Umständen internationale Schiedsrichter auch Völkerrecht oder zumindest bestimmte völkerrechtliche Normen anzuwenden haben29. Außerdem bedarf es vielleicht zumindest des Hinweises, daß in der Vertragspraxis der Weltbank und auch im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit des bei der Weltbank eingerichteten Schiedsgerichtszentrums für Investitionsstreitigkeiten diese Anwendbarkeit des Völkerrechts eine besondere Rolle spielt30. 6. Internationale Handelsbräuche und lex mercatoria. Schließlich ist noch einzugehen auf eine weitere Frage, die ebenfalls seit längerer Zeit und vielfach in letzter Zeit diskutiert worden ist, nämlich die Frage, ob die internationale Schiedsgerichtsbarkeit nicht, statt auf die traditionellen Systeme des staatlichen Rechts oder evtl. auch Völkerrechts zurückzugreifen, auf ein sich neu formendes internationales oder transnationales31 oder supranationales Rechtssystem zurückgreifen könne32. Die von den einzelnen Autoren in diesem Zusammenhang vorgeschlagenen Formulierungen unterscheiden sich, zugrunde liegt aber gemeinsam die Idee, daß sich der internationale Wirtschaftsverkehr inzwischen in einem solchen Maße entwickelt hat, daß besondere rechtliche Regeln außerhalb der traditionellen Quellen gefunden werden können, welche in effektiverer Weise die Be28 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1971, 177 ff. m . w . H . Vgl. auch: Capatina, a . a . O . , 49ff. 2 9 Vgl. auch: Schlosser, a. a. O . , Rz. 178 ff., dessen Ergebnissen allerdings nicht uneingeschränkt zugestimmt werden kann. 3 0 Vgl. etwa: IBRD Loan Regulations; O'Connel, International Law, London 1965, 1065f.; ICSID-Ubersicht, Provisions relating to ICSID in international agreements and national laws, 1975; ICSID Publications: Regulations and Rules (ICSID/4/Rev. I), Model Clauses (ICSID/5 und ICSID/6). 31 So z . B . Langen, Transnational Commercial Law, Leiden 1973. 3 2 Uberblick bei: Böckstiegel, Der Staat . . . , a . a . O . , 125ff., 136ff.
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Sonderheiten des internationalen Wirtschaftsverkehrs berücksichtigen. Man wird, will man realistisch sein, unterscheiden müssen: Als wissenschaftliche Alternative ist diese These von einer neuen „lex mercatoria" außerordentlich interessant; als Praktiker der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit muß man allerdings sagen, daß man der These weiterhin mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen muß. Soweit ersichtlich, gibt es nur einen einzigen Schiedsgerichtsfall, bei welchem das Schiedsgericht ausdrücklich diese lex mercatoria angewendet hat; es handelt sich um den Schiedsgerichtsfall 2291 der Internationalen Handelskammer 33 . Was man in der Schiedsgerichtspraxis meines Erachtens nur findet, ist folgendes: Erstens räumen die Schiedsrichter der internationalen Wirtschaftspraxis und den internationalen Handelsbräuchen eine ganz besondere Bedeutung ein 34 . Dies hält sich sicherlich im Rahmen des Auftrags und der Intention der Parteien, welche die internationale Schiedsgerichtsbarkeit als Entscheidungsinstanz für evtl. Rechtsstreitigkeiten insbesondere deshalb gewählt haben, weil sie erwarten, daß internationale Schiedsrichter eher als nationale Richter die besonderen Aspekte der internationalen Wirtschaftspraxis kennen und deren Bedeutung für ihren Vertrag berücksichtigen werden. Aber es gilt hier, was wir bereits als Studenten gelernt haben, nämlich daß Handelsbräuche nicht Handelsrecht sind. Und solange die Parteien die Schiedsrichter beauftragen, ihren Rechtsstreit auf der Grundlage des Rechts zu entscheiden, sind die Schiedsrichter auch gezwungen, diese Unterscheidung zwischen Recht und Brauch zu respektieren. Internationale Handelsbräuche bedürfen deshalb eines juristischen Vehikels, um in die Entscheidungsfindung der Schiedsrichter eintreten zu können. Dieses Vehikel kann einerseits die Interpretation des Vertrages sein, nämlich dahingehend, daß die Intention der Parteien und die Formulierung des Vertrages im internationalen Wirtschaftsverkehr im Zweifel in Ubereinstimmung mit den internationalen Handelsbräuchen und der Praxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs im allgemeinen zu interpretieren ist. Das zweite juristische Vehikel kann das Gewohnheitsrecht sein: Handelsbräuche werden Recht, wenn sie während eines ausreichend langen Zeitraums ausgeübt werden und wenn außerdem die an dieser Übung beteiligten Rechtssubjekte zu der Auffassung gelangt sind, daß sie rechtlich zur Beachtung dieser Bräuche verpflichtet sind; sie brauchen also die anhaltende
33 Berichtet von Derains, Clunet 103 (1976) 989ff. Die Fälle CCI2438 (a. a. O., 969ff.), 2520 (a.a.O., 992ff.) und 2404 (a.a.O., 995ff.), bei denen er ebenso einen Ansatz zur lex mercatoria zu sehen glaubt, enthalten keinen derartigen Rückgriff durch das Schiedsgericht selbst und lassen sich auch traditionell interpretieren. 34 So etwa im Fall CCI 2375, berichtet in Clunet 103 (1976) 974.
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Übung und die Rechtsüberzeugung. Die Bedeutung des letzteren Kriteriums, also der Rechtsüberzeugung, wird in einem bestimmten Maße von dem Rechtssystem abhängen, auf welchem der Vertrag ruht. Insbesondere mag es in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein, ob wir es mit dem anglo-amerikanischen common law oder mit dem kontinentaleuropäischen System zu tun haben. Schiedsrichter können die Unterscheidung zwischen Handelsbrauch und Recht nur dann außer Betracht lassen, wenn sie von den Parteien den Auftrag erhalten haben, den Rechtsstreit in der Funktion zu entscheiden, die üblicherweise mit der französischen Formulierung,,amiable compositeur" beschrieben wird. Von dieser Möglichkeit machen die Parteien in der Praxis hin und wieder Gebrauch 35 , und zwar sowohl in der Ad-hocSchiedsgerichtsbarkeit, als auch im Rahmen der Schiedsgerichtsbarkeit der Internationalen Handelskammer, für welche Artikel 13 Abs. 4 eine entsprechende Formulierung enthält. V. Schlußbemerkung Dieser Beitrag kann nicht mehr sein als ein kurzer Uberblick über die verschiedenen Aspekte, unter welchen sich die Frage nach dem anwendbaren Recht in der besonderen Situation der Praxis der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit präsentiert. Wenn in einem konkreten Schiedsgerichtsfall die Frage nach dem anwendbaren Recht für die Entscheidung des Streitfalles von Relevanz ist, können die hier erwähnten Aspekte nicht mehr als eine Checkliste für mögliche Prüfungen sein. Gegebenenfalls relevante Aspekte bedürfen dann einer näheren und intensiveren Uberprüfung. Dies bedeutet auch - ob es ihnen gefällt oder nicht - daß sich Schiedsrichter oder Parteienberater in die Besonderheiten des internationalen Privatrechts eines bestimmten Staates vertiefen müssen oder sogar eine rechtsvergleichende Uberprüfung des Kollisionsrechts mehrerer Staaten durchzuführen haben. Es kann schließlich bedeuten, daß sie sich unter den verschiedenen Theorien des internationalen Privatrechts, speziell des internationalen Vertragsrechts, zu entscheiden haben. Wenn dann auf diesem Wege das anwendbare materielle Recht festgestellt ist, mag sich dann weiterhin noch die Schwierigkeit ergeben, daß sie die Bedeutung der internationalen Handelsbräuche für die zu entscheidenden Fragen zu ergründen haben. Bei vielen der sich in diesem Zusammenhang ergebenden Probleme werden sie nützlichen Gebrauch machen können von Vorarbeiten, die uns der verehrte Kollege Beitzke im Rahmen seines vielfältigen Werkes zur Verfügung gestellt hat. V g l . bereits: Vertrag z w i s c h e n der j u g o s l a w i s c h e n R e g i e r u n g u n d der Société E u r o p é e n n e d ' E t u d e s et d ' E n t r e p r i s e s v. 3 . 1 . 1 9 3 2 , A r t . 17 ( C l u n e t 86, 1959, 1074, 1078).
Le droit international privé algérien dans le nouveau code civil du 26 septembre 1975 BERNARD DUTOIT
Introduction Avant de présenter le nouvel état du droit international privé algérien, tel qu'il résulte de la promulgation du code civil algérien du 26 septembre 19751, il importe de situer brièvement ce texte important dans le développement du droit algérien depuis l'indépendance. Or, l'éclosion d'un droit algérien ne s'est pas révélée chose facile. En effet, dans un premier temps, une loi fondamentale du 31 décembre 19622 devait reconduire jusqu'à nouvel ordre la législation d'inspiration française en vigueur à cette date, sous la double réserve toutefois d'une part que les dispositions d'esprit colonialiste ou discriminatoire ou contraires aux principes démocratiques de la République algérienne étaient exclues et d'autre part que pareille reconduction cesserait dès la promulgation de dispositions législatives nationales dans les domaines couverts par les anciens textes. C'est ainsi que fut adoptée la loi no. 63—96 du 27 mars 1963 portant code de la nationalité algérienne3, remplacée ensuite par un nouveau texte le 15 décembre 19704. Le 28 août 1963, l'Assemblée nationale entérinait la constitution de la République algérienne démocratique et populaire 5 , promulguée le 10 septembre 1963. Quant à la condition des étrangers, elle fit l'objet de l'ordonnance du 21 juillet 1966e. Dans le domaine important du statut personnel, une loi no. 63-224 «fixant l'âge minimum pour le mariage» fut promulguée le 29 juin 1963. Ce texte précédait, sur une question capitale pour la femme, un code de la famille en voie d'élaboration. Malgré la rédaction de plusieurs avant-projets en 1963-1964, puis en 1966, en 1973 enfin, aucun texte définitif n'a 1 Cf. Journal officiel de la République algérienne (ci-après J O R A ) , ordonnance no. 75-58 du 26 septembre 1975 portant code civil, no. 78, 30 septembre 1975. 2 Loi no. 62-157, du 31 décembre 1962, J O R A no. 2, 11 janvier 1963; texte reproduit in Annuaire de l'Afrique du N o r d , 1962, Aix-en-Provence, p. 741. 3 J O R A , no. 18, 2 avril 1963, p. 306 ss. et Annuaire de l'Afrique du Nord, 1963, p. 806 ss. 4 J O R A , 18 décembre 1970, p. 1202; sur la nationalité algérienne et notamment la nationalité de la femme mariée, cf. Dutoit, B., « L a nationalité de la femme mariée», vol. 2: Afrique Genève, 1976, p. 13-18. 5 J O R A , no. 64, 10 septembre 1963, p. 888 ss. et Annuaire de l'Afrique du N o r d , 1963, p. 852 ss. 6 J O R A , 29 juillet 1966, p. 721.
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encore vu le jour, en raison des oppositions très vives entre progressistes et traditionnalistes en cette matière 7 . C'est dans le cadre de cet effort législatif - rendu plus impérieux encore par la suppression le 5 juillet 1975 de la reconduction du droit d'origine française conformément à la loi du 31 décembre 1962 — qu'a été promulgué le nouveau code civil algérien, en même temps qu'un code de commerce du 26 septembre 19758. Ce faisant, le législateur algérien a saisi l'occasion d'insérer dans le code civil un certain nombre de dispositions de droit international privé (art. 9-24) 9 , donnant ainsi forme et consistance à cette branche du droit 10 . C'est à une présentation synthétique des articles précités constitutifs du nouveau droit international privé algérien que sont consacrées ces pages. Or, la lecture des dispositions précitées fait ressortir un clivage très net, dans les circonstances de rattachement retenues, selon qu'il s'agit du statut personnel d'une part et de la propriété et des obligations d'autre part. Aussi bien la présentation du droit international privé algérien s'articulera-t-elle autour de ces deux pôles, non sans que soient éclairées préalablement quelques questions générales de droit international privé (qualification, renvoi, fraude à la loi). I. Quelques questions générales de droit international privé 1. La qualification (art. 9 CC). Selon l'article 9 CC, «en cas de conflit de lois, la loi algérienne est compétente pour qualifier la catégorie à laquelle appartient le rapport de droit, objet du litige, en vue de déterminer la loi applicable». On ne s'arrêtera pas longuement à la préférence - justifiée - du législateur algérien pour la qualification lege fori, et non pas lege causae, sinon pour remarquer que ce dernier, en faisant débuter l'article précité par les
7 Sur l'ensemble du problème du statut personnel en Algérie, ainsi qu'au Maroc et en Tunisie, cf. le remarquable ouvrage de Borrmans, M., «Statut personnel et famille au Maghreb de 1940 à nos jours», Paris, 1977, p. 510 ss. en ce qui concerne l'Algérie. Cf. aussi Linant de beliefonds, Y., «Traité de droit musulman comparé», Paris, 1965, et Milliot, L., «Introduction à l'étude du droit musulman», Paris, 1971. 8 J O R A , 19 décembre 1975. 9 Pour le droit international privé algérien antérieur au nouveau code civil, cf. Schuster, P. P., «Das Kollisionsrecht Algériens», Hambourg, 1970. 10 Une présentation synthétique du droit algérien (avec de nombreuses références) se trouve chez Bedjaoui M. dans l'article «Algeria» paru dans l'«International Encyclopedia of Comparative Law», vol. I. A, National Reports, p. A-17 à A-28. Quant au droit international privé des deux autres pays maghrébins, il est consigné, en ce qui concerne le statut personnel, dans le Dahir marocain du 12 août 1913 sur la condition civile des Français et des étrangers et dans le décret tunisien du 12 juillet 1956 portant réglementation de questions de droit international privé (dans la teneur du décret du 24 juin 1957).
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mots «en cas de conflit de lois . . . » , paraît bien restreindre le champ d'application de cette disposition à la seule qualification dont va dépendre le choix de la loi applicable. En revanche, les qualifications dites secondaires, qui n'ont pas cet impact, relèveront de la loi déclarée applicable au cas d'espèce, et non pas de la loi du for. Ainsi la qualification d'un bien comme meuble ou immeuble est gouvernée par la loi du lieu de sa situation (et non pas par la lex fori), pour autant que la règle de conflit donnée soumette les meubles et les immeubles à la lex rei sitae 11 . 2. La fraude à la loi. Si aucune disposition ne consacre expressément la fraude à la loi comme motif de refus d'application d'une loi étrangère, cette lacune peut être facilement comblée, ainsi que le remarque Peyrard12, en recourant à l'article 41 C C qui dispose que «l'exercice d'un droit est considéré comme abusif dans les cas suivants : s'il a lieu dans le seul but de nuire à autrui, s'il tend à la satisfaction d'un intérêt dont l'importance est minime par rapport au préjudice qui en résulte pour autrui, s'il tend à la satisfaction d'un intérêt illicite». En effet, la fraude à la loi constitue manifestement un cas particulier de la théorie générale de l'abus de droit. Le recours à l'article 41 C C pourrait logiquement habiliter le juge algérien à sanctionner toute fraude à la loi, qu'elle soit algérienne ou étrangère. 3. Le renvoi. La question controversée du renvoi n'a pas été abordée par le législateur algérien. Néanmoins, avec Peyrard13, on admettra qu'il est difficile à l'Algérie d'accepter une telle institution, tant celle-ci cadre mal avec la suprématie de la loi nationale en matière de statut personnel. En effet, dès lors que le principe personnaliste tend à assurer à tout Algérien, même émigré, l'application du droit musulman pour tout ce qui a trait à son statut personnel, on voit mal comment, inversément, le législateur (ou le juge) algérien pourrait accepter d'appliquer le droit algérien, religieux dans son fondement, à un étranger, nonobstant le fait que la loi nationale de ce dernier rend le droit algérien applicable, par le système du renvoi, en tant que loi du domicile ou de la résidence habituelle par exemple. Ainsi, les conditions de fond du mariage en droit algérien ne sauraient s'appliquer à un Anglais domicilié en Algérie, pas plus que le droit algérien des successions à un Suisse établi dans ce dernier pays, malgré le renvoi opéré par l'article 22 LRDC. 11 Tel ne serait pas le cas, lorsque la règle de conflit opère une distinction entre meubles et immeubles, ainsi qu'il en va en droit international privé français des successions par exemple, les immeubles étant soumis à la lex rei sitae et le meubles à la loi du dernier domicile du défunt. Pareille distinction fait évidemment resurgir la nécessité de la qualification lege fori pour la détermination de la loi applicable. 12 Cf. Peyrard, G., «La solution des conflits de lois en Algérie», Revue critique de droit international privé, 1977, p. 385. 13 Ibidem, p. 386.
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Ces considération, tirées de la systématique du droit algérien, trouvent une confirmation dans le rejet explicite du renvoi consacré par d'autres pays d'inspiration personnaliste et musulmane, tels que l'Egypte (art. 27 CC), la Syrie (art. 29 CC) ou l'Irak (art. 31 CC). II. Le statut personnel en droit international privé algérien 1. Considérations générales. Au seuil de cette présentation de la réglementation du statut personnel en droit international privé algérien, il importe de remarquer d'abord que, conformément à la tradition musulmane selon laquelle le statut personnel englobe toutes les règles appliquées à une personne en fonction de son appartenance religieuse, le législateur algérien a opté pour une conception large du statut personnel. Ce dernier s'étend non seulement à l'état (mariage, divorce, filiation) et à la capacité des personnes, mais encore aux régimes matrimoniaux, aux successions et aux libéralités à cause de mort. Le statut personnel ainsi largement entendu est rattaché à la loi nationale de l'intéressé. Cette solution plonge ses racines dans la nature même de l'Islam, à la fois religion et système politico-juridique, qui soumet nécessairement tout Musulman aux règles du Coran et de la tradition islamique. Dans ces conditions, le statut personnel, directement issu des conceptions religieuses, ne peut dépendre que de la loi nationale de la personne, à l'exclusion de toute référence à la loi du domicile ^ A ce courant fondamental d'origine religieuse en faveur du rattachement du statut personnel à la loi nationale de l'intéressé, il convient d'ajouter encore des motifs d'ordre sociologique - l'Algérie étant un pays d'émigration - et d'ordre politique - le rattachement à la loi nationale permettant de souligner la souveraineté algérienne. Pareille solution implique manifestement que soit précisé le mode de détermination de la loi nationale. A cet égard, l'article 22 CC, conformément à la Convention de La Haye du 12 avril 1930 relative aux conflits de lois sur la nationalité, dispose qu'«en cas de pluralité de nationalités, le juge applique la nationalité effective». En accord avec l'article 3 de la convention précitée, l'alinéa 2 de l'article 22 précise que «la loi algérienne est appliquée si la personne présente, en même temps, la nationalité algérienne, au regard de l'Algérie, et une autre nationalité, au regard d'un ou de plusieurs Etats étrangers». Quant aux conflits dits négatifs de nationalités, l'alinéa 3 de l'article 22 se borne à indiquer qu'»en cas d'apatridie, la loi à appliquer est déterminée par le juge». A vrai dire, la liberté ainsi laissée au juge est plus restreinte qu'il n'y paraît au premier abord. En effet, selon l'article 12 de la Convention de New York du 28 septembre 1954 relative au statut des apatrides ratifiée par l'Algérie le 21 février 1963 - leur statut personnel relève de la loi
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du pays de leur résidence. La même solution fut déjà consacrée antérieurement par l'article 12 de la Convention de Genève du 28 juillet 1951 relative au statut des réfugiés, également ratifiée par l'Algérie le 15 juillet 1964. Compte tenu de ces textes, le juge algérien ne pourra déployer sa liberté que dans le cadre restreint de la détermination du domicile ou de la résidence habituelle de l'apatride ou du réfugié. A la lumière de ces considérations générales, il importe d'examiner de plus près la réglementation du statut personnel en droit international privé algérien, tout en observant que ce dernier ne contient aucune définition du domicile dans les relations internationales.
2. Etat et capacité des personnes physiques (art. 10 et 15 CC)
a) Détermination de la capacité. Selon l'article 10 C C , «les lois concernant l'état et la capacité des personnes régissent les Algériens, même résidant en pays étranger» 14 . Il appert qu'une telle règle, ainsi formulée, dépasse les compétences du législateur algérien. En effet, celui-ci ne saurait imposer l'application de sa loi nationale à un Algérien domicilié (ou résidant) dans un Etat dont le droit international privé soumet l'exercice des droits des personnes physiques par exemple à la loi de leur domicile. Le texte précité ne précise pas si la règle de conflit ne concerne que les incapacités générales, liées au degré de développement ou de déficience mentale de la personne, ou aussi les incapacités spéciales, qui ne s'appliquent qu'à une catégorie d'actes en raison du danger qu'ils peuvent présenter, par exemple l'incapacité du médecin de recevoir un don ou un legs de celui dont il a soigné la dernière maladie. Il semble toutefois que la ratio même du recours à la loi nationale devrait conduire à limiter l'article 10 C C aux seules incapacités générales. Il faut noter en outre que, dans sa deuxième phrase, l'article 10 prévoit une exception, en ce sens que «si l'une des parties, dans une transaction d'ordre pécuniaire conclue en Algérie et devant y produire ses effets, se trouve être un étranger incapable et que cette incapacité soit le fait d'une cause obscure qui ne peut être facilement décelée, cette cause n'a pas d'effet sur sa capacité et la validité de la transaction». Bien que cette disposition ne fasse pas explicitement allusion au motif essentiel qui la sous-tend, à savoir «l'ignorance excusable» de celui contre qui est invoquée l'incapacité 15 , on peut admettre que la formule «incapacité qui est le fait d'une cause obscure ne pouvant être facilement décelée» répond à la même préoccupation que celle de la jurisprudence française en 14 L'article 3 du Dahir marocain du 12 août 1913, de même que les articles 1 et 2 du décret tunisien du 12 juillet 1956 précisent que l'état et la capacité des étrangers respectivement au Maroc et en Tunisie sont gouvernés par leur loi nationale. 1 5 Cf. pour la France le fameux arrêt Lizardi rendu par la Cour de Cassation, Cass. Req. 16 janvier 1861, D . 1861.1.193.
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l'affaire Lizardi, même si pareille formule laisse peut-être une plus grande liberté au juge algérien. b) Protection des incapables et des absents. Assimilant la protection des incapables et des absents16, l'article 15 CC dispose que «les règles de fond en matière d'administration légale, de curatelle et autres institutions de protection des incapables et des absents sont déterminées par la loi nationale de la personne à protéger». Il faut remarquer d'abord que seules les règles de fond concernant la protection des incapables et des absents relèvent de la loi nationale. En d'autres termes, la compétence législative n'entraîne pas nécessairement la compétence judiciaire, en ce sens que l'établissement ou le contrôle de la protection d'un incapable ne sont pas obligatoirement du ressort des autorités nationales. Ainsi donc un juge algérien pourra mettre en oeuvre ou contrôler la protection d'un incapable étranger, pour autant évidemment que le rôle reconnu au juge par la loi étrangère applicable en l'espèce s'harmonise avec les pouvoirs que la loi algérienne reconnaît au juge. Selon l'article 15 CC, la loi nationale régit les questions de fond et la loi du for les problèmes de forme ou d'organisation de la protection 17 . Quant au champ d'application de l'article 15, s'agissant des règles de fond, cette disposition englobe non seulement l'administration légale et la curatelle, mais aussi les «autres institutions de protection des incapables et des absents». On peut se demander, face à la généralité de ce texte, s'il couvre aussi la puissance paternelle. Selon Peyrardx%, la puissance paternelle ne dépendrait pas de la loi nationale du mineur, sauf en ce qui concerne la gestion de ses biens. A vrai dire, rien dans le texte précité - en l'absence, à notre connaissance de toute jurisprudence algérienne sur ce point - ne semble devoir conduire à une solution que Peyrard lui-même qualifie de «compromis, sans doute peu heureux» 19 . Certes, on peut hésiter entre le rattachement de la puissance paternelle, tant en ce qui concerne la personne que les biens du mineur, à la loi gouvernant les effets du mariage ou à la loi personnelle du mineur. L'article 15 CC n'ayant pas réglé cette question, il nous paraît difficile d'admettre que les tribunaux algériens feraient de cette disposition une cote mal taillée ne définissant la loi applicable à la puissance paternelle que pour la gestion des biens du mineur et renvoyant à la loi régissant le 16 L'incapacité consiste dans l'impossibilité juridique de passer certains actes et l'absence dans son impossibilité de fait. 17 Sur les problèmes que peut soulever dans la pratique une telle classification, cf. Dutoit, B., «La protection des incapables majeurs en droit international privé», Revue critique de droit international privé, 1967, 3, p. 476 ss. 18 Article cité en note 12 , p. 393. 19 Ibidem, p. 393.
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mariage pour les effets de la puissance paternelle sur la personne de l'enfant. On relèvera en outre que, si récente soit-elle, la loi algérienne ne s'est pas inspirée de la Convention de La Haye du 5 octobre 1961 concernant la compétence des autorités et la loi applicable en matière de protection des mineurs qui, à ses articles 1er et 2, prévoit la compétence de principe de la loi de la résidence habituelle du mineur. Il appert néanmoins qu'une application subsididaire de la loi du for, qui coïncidera généralement avec la loi de la résidence habituelle de l'incapable, pourra s'imposer en cas de mesures urgentes ou encore si le contenu de la loi étrangère compétente n'a pu être établi, sans parler de l'incidence possible de l'ordre public qui ferait préférer la lex fori à une loi étrangère au contenu inacceptable pour l'Algérie. 3. Capacité des personnes morales (art. 10 in fine CC). Selon l'article 10 in fine CC, «les personnes morales étrangères, sociétés, associations, fondations ou autres qui exercent une activité en Algérie, sont soumises à la loi algérienne». Abandonnant la soumission des sociétés et autres personnes morales à la loi de leur siège statutaire ou à celle de leur siège effectif, le législateur algérien a retenu comme circonstance de rattachement le seul exercice d'une activité en Algérie, même si la société n'est pas constituée selon le droit algérien et n'a pas sa direction dans ce pays. Si la situation politico-économique de l'Algérie peut expliquer pareil choix, on ne saurait en ignorer toutefois le caractère contestable du point de vue de la valeur de la circonstance de rattachement retenue. 4. Le mariage (art. 11-14 CC) a) Les conditions de fond. Dans une formule lapidaire, l'article 11 CC dispose que «les conditions relatives à la validité du mariage sont régies par la loi nationale de chacun des deux conjoints» 20 . Pour la correcte compréhension de ce texte il faut préciser d'emblée qu'en raison des privilèges accordés au conjoint algérien en matière de mariage et de divorce, selon l'article 13 CC 2 1 , l'article 11 CC ne vise en réalité que les seuls cas dans lesquels aucun des époux ne possède la nationalité algérienne. En outre, l'article 11 CC ne concerne manifestement que les conditions de fond du mariage, puisque le droit algérien connaît des dispositions spéciales concernant la forme du mariage des Algériens à l'étranger 22 . 20
Dans le même sens, cf. l'article 8 du Dahir marocain et l'article 4, chiffre 1, du décret tunisien précités. 21 Cf. infra, p. 471. 22 Cf. infra, p. 466.
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Au bénéfice de ces précisions, on soulignera que l'article 11 implique une application distributive de leur loi nationale 23 à chacun des époux. Il importe de remarquer, sous l'angle de l'ordre public, que l'Algérie connaît un empêchement au mariage fondé sur une discrimination religieuse, puisque le mariage entre une musulmane et un non-musulman (mais non pas l'inverse) est interdit. Q u a n t aux mariages confessionnels, il semble bien que l'exigence d'une célébration religieuse devrait être qualifiée de question de forme soumise à la lex fori 2 4 . Il en découlerait logiquement que, puisque le mariage algérien célébré religieusement (et non pas devant l'officer d'état civil ou le cadi) n'est pas reconnu, le juge algérien écarterait l'exigence d'un mariage religieux prescrit par une loi étrangère (le droit grec par exemple). b) Les conditions de forme. L'article 97 de l'Ordonnance du 19 février 1970 sur l'état civil réglemente le mariage des Algériens à l'étranger. Faute d'autres textes explicites, il apparaît qu'il faille déduire aussi de cette disposition unilatérale les règles concernant le mariage des étrangers en Algérie. Or, s'agissant des conditions de forme du mariage, l'ordonnance précitée prévoit que le mariage de deux sujets algériens ou d'un sujet algérien avec un étranger, hors d'Algérie, doit répondre soit à la forme locale soit à la forme consulaire. Toutefois, en ce dernier cas, il est précisé à l'article 97, alinéa 3, de l'ordonnance précitée, que «lorsque le conjoint étranger n'a pas la nationalité du pays d'accueil, ce mariage ne peut être célébré que dans le pays qui seront déterminés par décret». Si l'Algérien se marie à l'étranger en la forme locale, l'article 97, alinéa 1, impose le respect «des conditions de fond requises par la loi algérienne pour pouvoir contracter mariage». Q u a n t aux étrangers se mariant en Algérie, ils pourront choisir entre la forme algérienne et la forme consulaire. Toutefois, s'ils optent pour la première, ils devront obligatoirement se présenter, non pas devant le cadi, mais devant l'officier d'état civil compétent, à savoir, selon l'article 71 de l'ordonnance précitée, «soit celui de leur domicile ou celui de l'un d'eux, soit celui du lieu où les futurs époux ou l'un d'eux ont leur résidence continue depuis un mois au moins à la date du mariage».
2 3 On comparera cette solution avec celle de l'article 3 de la Convention de La Haye du 14 mars 1978 sur la célébration et la reconnaissance de la validité des mariages, d'ores et déjà signée par un pays de tradition musulmane (l'Egypte). Selon cette Convention, dès lors qu'un des époux (et non pas les deux) présente un rattachement avec l'Etat du lieu de la célébration du mariage, soit par la nationalité, soit par la résidence habituelle, la loi de cet Etat devient de ce fait applicable aux deux futurs époux, aucun rattachement cumulatif à la loi de chacun d'eux n'étant plus nécessaire. 2 4 Dans le même sens, cf. Peyrard, article cité en note' 2 , p. 399.
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c) Les sanctions des conditions du mariage. En l'absence de dispositions dans le code civil sur la loi applicable aux sanctions des règles de formation du mariage, il y a toute chance pour que le juge algérien suive sur ce point la jurisprudence française précédemment appliquée 25 . En d'autres termes, c'est logiquement la loi ayant prévu la condition violée qui définira aussi les conséquences de cette inobservation, c'est-àdire la loi nationale de l'un des futurs époux en cas de violation de conditions de fond et la loi gouvernant la forme du mariage (généralement la lex fori sous réserve du mariage consulaire) en cas de violation de conditions de forme. d) Les effets du mariage (art. 12 CC) aa) Les effets personnels. Selon l'article 12 CC, «les effets du mariage, y compris ceux qui concernent le patrimoine, sont soumis à la loi nationale du mari au moment de la conclusion du mariage» 26 . Le domaine d'application de cette loi, qui englobe les effets personnels et patrimoniaux du mariage, couvre probablement aussi la filiation légitime (établissement de la filiation, désaveu de paternité), bien qu'aucun texte ne consacre explicitement cette solution. Celle-ci semble néanmoins devoir être admise, au motif que le droit algérien ne connaît pas d'autre filiation que la filiation légitime 27 et que de ce fait la filiation ne peut être que la conséquence du mariage. Le rattachement à la loi gouvernant les effets du mariage paraît donc s'imposer de préférence à la loi nationale de l'enfant. Quant à l'obligation alimentaire entre époux, elle obéit à la loi déterminée par l'article 12 CC précité, nonobstant la règle spéciale figurant à l'ar25
Dans le même sens, Peyrard, article cité en note 1 2 , p. 400. Cf. aussi l'article 4, chiffre 2, du décret tunisien précité qui consacre la même solution. 27 Cela explique les efforts du droit musulman pour faciliter l'établissement de la filiation légitime, notamment en reconnaissant facilement l'existence du mariage. Néanmoins, des cas de filiation naturelle peuvent exister, par exemple s'il y a eu désaveu de paternité ou relations hors mariage. En ce cas, le droit musulman - qui ne connaît pas la paternité naturelle - rattache l'enfant à la famille de la mère. Toutefois, l'établissement judiciaire de la maternité naturelle est interdit, seule la reconnaissance volontaire d'une telle maternité étant admise par certaines Ecoles du droit musulman. Le droit malékite, applicable an Algérie, la refuse, mais elle paraît admise en pratique par déclaration à l'officier d'état civil. Pareille réglementation interne a une incidence en droit international privé. En effet, l'établissement d'un lien de filiation naturelle en Algérie, par application analogique de la loi étrangère compétente au regard du droit international privé algérien sur l'état des personnes (soit la loi de l'enfant) se heurterait certainement à l'exception d'ordre public. La théorie de l'effet atténué de l'ordre public permettrait peut-être de rendre moins défavorable la situation de l'enfant, lorsqu'il s'agit de reconnaître en Algérie une filiation naturelle régulièrement établie à l'étranger en conformité avec le droit international privé algérien sur l'état des personnes. Toutefois, si une action alimentaire est ouverte en Algérie par l'enfant naturel contre son père, celle-ci relèvera de la loi du débiteur, selon l'article 14 C C . O r , si ce dernier est Algérien, la demande ne pourra être que rejetée car le droit algérien ne connaît pas de pension alimentaire en faveur de l'enfant naturel. 26
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ticle 14 C C 2 8 et relative à «l'obligation alimentaire entre parents». En effet, le conjoint n'est pas considéré comme un «parent» au sens de l'article 32 C C qui dispose que «sont parentes entre elles les personnes ayant au moins un auteur commun». bb) Les effets patrimoniaux. Si l'article 12 C C soumet à la même loi tous les effets du mariage, y compris ceux qui touchent au patrimoine des époux, sans opérer de distinction nette entre effets personnels et effets patrimoniaux du mariage, c'est en raison de l'absence de la notion de régime matrimonial en droit musulman 29 . En effet, d'une part l'indépendance des époux reste totale en ce qui touche leurs biens et d'autre part le mari assume seul et intégralement la charge de l'entretien du ménage, même si la femme n'est pas dénuée de ressources. Aussi bien le rattachement à la loi nationale du mari s'est-il imposé pour la totalité des effets du mariage 30 . La loi prévue à l'article 12 C C s'applique manifestement aussi au contrat de mariage éventuellement passé par les époux. cc) Les obligations alimentaires. Parallèlement à l'article 12 précité, l'article 14 C C dispose que «l'obligation alimentaire entre parents est régie par la loi nationale du débiteur». Il importe donc de préciser comment ces deux dispositions s'articulent l'une par rapport à l'autre. Si les obligations alimentaires entre époux restent soumises à l'empire de l'article 12 pour la raison précédemment évoquée, en revanche il en va différemment pour les obligations alimentaires entre ascendants et descendants, qui relèvent de la loi nationale du débiteur 31 . Ainsi que l'observe justement Peyrard32, si les enfants ouvrent une action alimentaire contre leur père, celle-ci est régie par la loi nationale du père, qui se trouve être à la fois la loi des effets du mariage (pour autant que le père n'ait pas changé de nationalité pendant le mariage) et celle du débiteur, entraînant ainsi l'harmonisation des articles 12 et 14 C C . Dans le cas inverse où les parents ouvrent action contre leurs enfants, l'article 14 déroge à l'article 12, dans toute la mesure où les enfants n'ont pas la même nationalité que leur père, et soumet une telle obligation à la loi nationale du ou des enfants, cette loi pouvant du reste être différente si ceux-ci n'ont pas la même nationalité. De même si les enfants ouvrent Cf. infra, p. 468. O n rapprochera la solution algérienne de celle de la Convention de La H a y e du 14 mars 1978 sur la loi applicable aux régimes matrimoniaux, qui consacre le principe de l'autonomie de la volonté des époux et, à défaut de choix de leur part, un système compliqué de compromis entre les rattachements à la résidence habituelle et à la nationalité des époux. 3 0 Dans le même sens, cf. l'article 15 du Dahir marocain et l'article 4, chiffre 2, du décret tunisien précités. L'article 4, chiffre 3, du décret tunisien prévoit le même rattachement. 28
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Article cité en note 1 2 , p . 4 0 2 .
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action contre leur mère, conjoint survivant, c'est la loi nationale de cette dernière qui s'appliquera. Cette loi pourra ne pas coïncider avec celle qui gouverne les effets de la filiation selon l'article 12, c'est-à-dire la loi nationale du père 33 . 5. Le divorce (art. 12, al. 2 CC). Conformément à l'article 12, alinéa 2, «la dissolution (du mariage) est soumise à la loi nationale de l'époux au moment de l'acte introductif d'instance» 34 . Pour concise soit-elle, cette disposition ne va pas sans soulever uri certain nombre de questions. Tout d'abord, que faut-il entendre par «époux», le mari ou au contraire le conjoint, mari ou femme, qui ouvre action en divorce? Malgré l'ambiguité du texte, il semble bien que, le divorce relevant de la loi gouvernant les effets du mariage, il faille entendre le mot «époux» au sens de mari 35 . En cas de conflit mobile né d'un changement de nationalité du mari durant le mariage, l'article 12, alinéa 2, précise clairement que c'est la loi nationale du mari au moment de l'acte introductif d'instance qui sera déterminante. Certes, l'éviction de la loi déclarée compétente pourra se fonder, le cas échéant, sur l'ordre public ou la fraude à la loi. Une autre ambiguité de l'article 12, alinéa 2, résulte de l'emploi du mot «dissolution» du mariage. Faut-il inclure aussi dans ce terme la séparation de corps, qu'elle conduise ou non automatiquement au divorce après un certain laps de temps? La question peut être d'importance par exemple dans le cas d'un époux qui, ayant changé de nationalité durant le mariage, a abandonné la nationalité du pays X, qui admet le divorce et la séparation de corps, pour celle du pays Y, qui ne connaît que le divorce. Si la séparation de corps relève de la loi gouvernant les effets du mariage, c'est-à-dire de la loi nationale du mari au moment de la conclusion du mariage (art. 12, al. 1 CC), c'est la loi du pays X qui s'applique, avec cette conséquence que la séparation de corps pourra être admise par le juge algérien. Si au contraire la séparation de corps obéit à la loi régissant le divorce, c'est-àdire à la loi nationale du mari au moment de l'acte introductif d'instance (art. 12, al. 2), c'est la loi du pays Y qui s'applique, avec cette conséquence que la séparation de corps devra être refusée par les tribunaux algériens. C'est là une question de qualification. On peut penser qu'elle devrait être résolue dans le sens de l'assimilation de la séparation de corps au divorce pour la détermination de la loi applicable. 33 Sur le système dualiste algérien concernant la nationalité de la femme mariée, cf. Dutoit, op. cit. en note 4 , p. 13 ss. 34 L'article 4, chiffre 2, du décret tunisien renvoie à la loi de l'époux au moment du mariage et l'article 9 du dahir marocain soumet le divorce (ou la séparation) des étrangers à leur loi nationale. 35 Cf. Peyrard, article cité en note 12 , p. 403, dont l'interprétation a été confirmée par le professeur Mohamed Issad, de la Faculté de droit d'Alger.
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Il n'est pas inutile d'observer que, dans l'hypothèse où l'article 12, alinéa 2, renvoie à la loi nationale étrangère du mari, notamment pour la détermination des causes de divorce, l'ordre public algérien a peu de chance d'intervenir, en raison de la souplesse du système algérien en matière de causes de divorce 36 . En revanche, il pourra en aller différemment en ce qui concerne la pension alimentaire entre ex-conjoints, cette institution étant inconnue du droit musulman classique et n'ayant pas été retenue dans l'avant-projet algérien de code de la famille. Pourtant il sied de remarquer que tant que ce code n'aura pas été promulgué, le décret du 17 septembre 1959 continue à s'appliquer, à tout le moins à titre de droit coutumier. Or, ce décret prévoit à son article 21 l'obligation alimentaire envers l'ex-conjoint et la garde des enfants en fonction de leurs intérêts. A propos de cette dernière question également l'éviction de la loi étrangère normalement applicable n'est pas impossible à l'avenir, puisque le droit musulman connaît un système automatique d'attribution de la garde des enfants en fonction de leur âge, de leur sexe ou même de la religion du père, si les parents sont de confession différente 37 . Peut-être ne faut-il pas surestimer trop cette possibilité de recours à l'ordre public algérien en matière de pension alimentaire ou de garde des enfants. En effet, le législateur algérien a privilégié à l'article 13 C C les mariages dans lesquels un des conjoints est Algérien, en prévoyant l'application exclusive du droit algérien, de telle sorte que le juge algérien risque de se désintéresser des solutions étrangères qui n'affectent pas ses ressortissants. Enfin, pour ce qui a trait à la procédure de divorce d'époux étrangers en Algérie, la loi du for conserve tout son empire, avec cette conséquence que le divorce doit être obligatoirement judiciaire (cf. l'article 12> al. 2 in fine qui fait allusion à l'acte introductif d'instance). Si la loi étrangère applicable ne connaît que le divorce religieux, voire éventuellement législatif, ces règles seront qualifiées de dispositions de procédure qui le céderont aux solutions du droit algérien.
3 6 Selon l'article 11 du décret du 17septembre 1 9 5 9 - e n c o r e applicable aujourd'hui à titre de droit coutumier en attendant la promulgation du code de la famille — les causes de divorce sont les suivantes: 1. à la demande d'un des époux: l'adultère de l'autre conjoint, la condamnation à une peine infamante ou privative de liberté, les excès, sévices ou injures graves, lorsque ces faits constituent une violation grave ou répétée des devoirs conjugaux et rendent la continuation de la vie commune impossible; 2. à la demande des deux époux: en cas de consentement mutuel; 3. à la demande de l'épouse: en cas de disparition du mari dans certaines conditions; 4. lorsque le juge déclare la dissolution de l'union, après qu'il a été averti, par l'un ou l'autre des époux, de la volonté unilatérale du mari de divorcer ( = répudiation). 3 7 Cf. les articles 66 ss. de l'avant-projet de code de la famille.
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6. Avantages accordés au conjoint algérien en matière de mariage et de divorce (art. 13 CC). Aux termes de l'article 13 CC, «dans les cas prévus par les articles 11 et 12, si l'un des deux conjoints est Algérien au moment de la conclusion du mariage, la loi algérienne est seule applicable, sauf en ce qui concerne la capacité de se marier». Pareille solution, que l'on retrouve par exemple en droit égyptien (art. 14 CC), syrien (art. 15 CC) ou irakien (art. 19, al. 5 CC), pèche par son caractère excessivement unilatéral. Il s'agit en fait d'une disposition à la fois arbitraire et inopportune, propre à amener des mesures de représailles envers les Algériens et à empêcher toute éclosion d'un véritable droit international privé. Ainsi que le souligne justement Peyrard38 l'article 13 se révèle de surcroît inutile. En effet, pour ce qui est de la formation du mariage, la loi du futur époux étranger pourra toujours, le cas échéant, se heurter à l'exception d'ordre public. Pour ce qui touche aux effets du mariage, l'article 12 règle déjà le problème de la loi applicable, et cela en faveur du droit algérien, pour autant que l'époux soit algérien. Si tel n'est pas le cas et que l'épouse est algérienne, le mari étant néanmoins musulman, l'application de la loi nationale du mari ne devrait guère soulever de difficultés en raison de la similitude des divers droits des pays musulmans en la matière. Si l'époux n'est pas musulman, l'union serait nulle de toute façon, sur la seule base de l'article 11, en raison de la prohibition du mariage entre une musulmane et un non-musulman. Pour ce qui est de la dissolution du mariage, l'article 13 présente le défaut supplémentaire de ne pas s'harmoniser, en cas de conflit mobile, avec la solution prévue, en cas de divorce, par l'article 12, alinéa 2. En effet, ce dernier se réfère à la loi nationale du mari au moment de l'acte introductif d'instance, tandis que l'article 13 envisage l'hypothèse où l'un des deux conjoints est Algérien au moment de la conclusion du mariage, en faisant abstraction de l'acquisition possible par le conjoint algérien de la nationalité de l'autre époux et de la perte de sa nationalité d'origine. 7. Testaments et autres dispositions à cause de mort (art. 16 CC). Conformément à l'article 16 CC, «les successions, testaments et autres dispositions à cause de mort sont régis par la loi nationale du de cujus, du testateur ou du disposant au moment du décès»39. Cette solution s'harmonise avec la conception musulmane du droit des successions comme moyen d'assurer la transmission du patrimoine familial au sein même de la famille. Cette dépendance du droit des successions par rapport aux perspectives socio-religieuses de l'Islam ne pouvait que 38 39
Article cité en note 1 2 , p. 396. Dans le même sens, cf. l'article 4, chiffre 8, du décret tunisien précité.
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conduire à soumettre le droit des successions au statut personnel. De plus le petit nombre d'étrangers domiciliés en Algérie a pour conséquence que le rattachement du droit des successions à la loi nationale du de cujus ne saurait soulever de graves problèmes pratiques. En ce qui concerne le domaine de la loi applicable, on notera d'abord que l'article 16 C C englobe à la fois la succession légale et la succession testamentaire, de même que toutes les dispositions à cause de mort. Il faut souligner que la succession testamentaire comprend aussi certaines donations que l'on qualifierait normalement d'actes entre vifs. Ainsi l'article 776 C C dispose que «tout acte juridique accompli par une personne, pendant sa dernière maladie, dans un but de libéralité est aussi une disposition testamentaire et doit être régie par les règles du testament, quelle que soit la dénomination donnée à cet acte». De son côté, l'article 777 C C précise qu'«à moins de preuve contraire, lorsqu'une personne fait un acte de disposition au profit d'un de ses héritiers, tout en se réservant, d'une manière ou d'une autre, la possession et la jouissance de la chose objet de cette aliénation, pour la durée de sa vie, l'acte est censé être une disposition testamentaire et doit être régi par les règles du testament». Cette extension de la notion de succession testamentaire peut s'expliquer du fait que seules les dispositions à cause de mort sont soumises aux règles sur la réserve, tandis que les donations entre vifs ne sont ni rapportables ni réductibles. Reste encore à déterminer le domaine respectif de la loi successorale et de la loi de situation des biens qui appartiennent au patrimoine du de cujus. Sur ce point, en l'absence de disposition dans le code civil, Peyrard40 propose de trouver la solution en transposant dans les rapports internationaux l'article 774 C C consacré aux relations internes et ainsi libellé: «la détermination des héritiers et de leurs parts héréditaires et la dévolution des biens successoraux sont régis par le code de la famille». Il en résulterait que relèveraient de la loi successorale déterminée par l'article 16 C C la détermination des héritiers, leur quote-part et la dévolution des biens de la succession, tandis que la transmission héréditaire, l'option des successibles, l'entrée en possession, l'obligation aux dettes, aux legs et aux charges seraient régies par la loi du lieu de situation des biens mobiliers ou immobiliers au jour du décès, en application de l'article 17 C C . Pour ce qui est du partage successoral, Peyrard propose d'appliquer la loi successorale à la fixation des parts et la loi de situation des biens immobiliers ou mobiliers aux autres questions liées au partage, sous réserve de la forme du partage amiable soumise à la lex fori ou à la loi nationale commune aux parties, conformément à l'article 19 C C .
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Article cité en note 1 2 , p. 406.
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A vrai dire, il nous paraît contestable de tracer de façon aussi compliquée le domaine d'application de la loi successorale, en se fondant sur la seule extrapolation dans les relations internationales d'une disposition à usage interne. Il n'y a, à notre sens, aucune raison, ni théorique, ni pratique, de faire échapper à la loi successorale des questions aussi essentielles au droit successoral que la transmission héréditaire, l'option des successibles, l'entrée en possession ou l'obligation aux dettes. Aller dans cette voie c'est consacrer une dichotomie dans la loi applicable, qu'aucun motif impérieux ne nous paraît justifier. En effet, l'article 17 C C , en soumettant la possession et la propriété à la lex rei sitae ne vise manifestement pas le cas des successions prévu à l'article 16 dans une disposition spéciale. Ce point de vue est corroboré encore par le fait qu'en droit musulman l'héritier «est investi de plein droit de la propriété des biens de la succession, sans avoir à solliciter du juge un envoi en possession» 41 . Quant au partage successoral, pourquoi restreindre la loi successorale à la seule fixation des parts et faire appel pour le reste à la loi de situation des biens, mobiliers ou immobiliers, au motif que l'article 18 C C soumet, à son alinéa 2, les contrats relatifs à des immeubles à la loi de leur situation? Mais le partage successoral n'a rien à voir avec les hypothèses contractuelles prévues à l'article 18 C C . Aussi bien opterions-nous pour une solution beaucoup plus simple et plus logique consistant à soumettre l'ensemble des problèmes liés à la succession à la loi prévue à l'article 16 C C , sous réserve évidemment de questions particulières, telles que la forme du testament, soumise à la lex fori notamment, ou le régime de l'indivision successorale, qui relève de la loi de situation des biens, ou encore la forme du partage, gouvernée par la lex fori. Ainsi que les développements précédents l'ont montré, le rattachement à la loi nationale pour toutes les matières relevant du statut personnel au sens large continue de s'imposer dans le nouveau droit international privé algérien, en raison de l'impact religieux de ces questions qui appellent nécessairement l'application du droit musulman à un ressortissant algérien. En revanche, le domaine des biens et des obligations, qui touche de moins près le coeur même des conceptions islamiques, s'est laïcisé aisément, dans la plupart des pays musulmans, y compris l'Algérie, sous la pression des nécessités économiques. Aussi bien, en droit international privé, la loi nationale le cède-t-elle largement à la loi territoriale. 41
Cf. Milliot, L . , «Introduction à l'étude du droit musulman», Paris, 1971, p. 448.
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III. Les biens et les obligations en droit international privé algérien 1. Les biens (art. 17 CC). Aux termes de Particles 17 CC, «la possession, la propriété et les autres droits réels sont soumis, pour ce qui est des immeubles, à la loi de la situation de l'immeuble et, pour ce qui est des meubles, à la loi du lieu où se trouvait le meuble au moment où s'est produite la cause qui a fait acquérir ou perdre la possession, la propriété ou les autres droits réels». S'agissant des immeubles, la solution de l'article 17 est aussi simple que traditionnelle et n'appelle donc pas de commentaire, sinon pour remarquer qu'à son article 683, alinéa 2, le code civil a repris la notion française de «chose immobilière par destination», c'est-à-dire celle que «le propriétaire a placée dans un fonds qui lui appartient, en l'affectant en permanence au service de ce fonds ou à son exploitation». Pour les meubles, si le législateur algérien a pris soin de préciser à quel moment il convient de considérer le meuble pour déterminer son lieu de situation (encore que le mot «cause» soit ambigu et doive s'entendre, nous semble-t-il, au sens de «circonstance à laquelle est lié l'effet juridique»), il n'en reste pas moins que des difficultés surgiront pour les meubles dont la localisation est malaisée. O n songera ici notamment aux marchandises en transit, auxquelles on pourrait appliquer la loi du lieu de leur destination. Quant aux moyens de transport, tels que navires, bateaux ou aéronefs, leur soumission à la loi du pays de leur immatriculation n'a probablement pas été mise en cause par le silence du législateur sur ce point, pareille solution étant généralement admise. L'absence de dispositions spéciales en matière de sûretés réelles mobilières conduit à les rattacher, conformément à l'article 17 CC, au lieu de situation du meuble au moment de leur constitution, par opposition à la solution française qui impose l'application de la loi française aux droits réels portant sur des biens mobiliers sis en France, même si ces droits ont été constitués valablement dans un autre pays où le meuble était précédemment situé. En cas de vente internationale d'objets mobiliers, la question du moment du transfert de la propriété pourra se poser au juge algérien, par exemple si le bien a changé de lieu entre le moment de la conclusion du contrat et celui de sa tradition à l'acheteur. Dans la mesure où l'on admet que le transfert de propriété ne relève pas de la loi du contrat, mais de la loi de situation du bien vendu, le juge algérien sera amené à appliquer la loi de situation du meuble au moment où s'est réalisé l'accord des cocontractants. En effet, l'article 389 CC confère au contrat de vente un effet directement translatif de propriété.
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2. Les contrats (art. 18 CC). L'article 18, alinéa 1, dispose que «les obligations contractuelles sont régies par la loi du lieu où le contrat a été conclu, à moins que les parties ne conviennent qu'une autre loi sera appliquée». Ainsi donc le droit algérien, sous l'influence du droit musulman peu favorable à l'autonomie de la volonté, ne consacre pas en première ligne la loi choisie par les parties, mais bien la loi du lieu de conclusion du contrat. Ce n'est qu'en cas de choix des parties en faveur d'une autre loi que la loi du lieu de conclusion du contrat s'effacera. Rien n'est dit à l'article 18 de la forme que devra revêtir ce choix (clause spéciale dans le contrat ou simplement indices tirés par exemple de la présence d'une clause attributive de juridiction). Même si l'article 18 n'en souffle mot, il va de soi que la liberté de choix prévue dans cette disposition présuppose un contrat «international», c'est-à-dire qui présente un rattachement suffisant avec un ou plusieurs ordres juridiques étrangers 42 , faute de quoi il ne se poserait aucune question de droit international privé. Le contrat supposé «international», les parties auront-elles la faculté de le rattacher à n'importe quelle loi? Le législateur algérien ne s'est pas prononcé sur le point de savoir si, ainsi que l'exige la jurisprudence française par exemple, les parties ne peuvent se référer qu'à la loi d'un pays présentant un lien objectif avec le contrat (lieu d'exécution, lieu de situation d'objet, nationalité des parties) ou au contraire si leur choix est totalement libre, pourvu qu'il corresponde à un intérêt justifié et ne constitue pas une fraude à la loi. Enfin, reprenant une règle généralement admise, l'article 18, alinéa 3, C C précise que «les contrats relatifs à des immeubles sont soumis à la loi de la situation de l'immeuble». Mais que faut-il entendre par «contrats relatifs à des immeubles»? Il appert que cette expression englobe les contrats translatifs de propriété ou constitutifs de droit réels immobiliers. Toutefois, le caractère large de cette formule permettrait d'y inclure aussi par exemple les contrats de bail ou les contrats d'entreprise. Quant au domaine de la loi applicable, celle-ci s'étend sans conteste à la formation du contrat, à ses effets et à leur sanction, étant admis que la capacité des parties est régie par leur loi personnelle. S'agissant de la forme du contrat, elle relève du principe «locus régit actum», ainsi que le prévoit du reste l'article 19 C C pour les actes entre vifs en général 43 . Contrairement à Peyrard44, il ne nous paraît pas que la forme des contrats relatifs à des immeubles devrait suivre nécessairement la loi qui les régit au fond, même si les actes des officiers publics, et notamment des notaires, doivent 42 On se contentera de cette formule large sans entrer dans la question difficile des critères permettant de décider concrètement si un contrat est international ou non. 43 L'article 19 dispose que la loi nationale commune aux parties est également applicable. 44 Article cité en note 12 , p. 414.
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obligatoirement obéir à la forme prévue par la loi du lieu de confection de l'acte. A la lumière de l'article 17 CC, il semble bien qu'il faille admettre qu'un contrat portant sur l'acquisition de la propriété d'un meuble ou la constitution de droits réels mobiliers est régi par la loi de situation, en ce qui concerne le transfert de la propriété ou la constitution de tels droits. 3. Les obligations extra-contractuelles (art. 20 CC). L'article 20, alinéa 1, en disposant que «les obligations non contractuelles sont soumises à la loi de l'Etat sur le territoire duquel se produit le fait générateur de l'obligation» reprend le rattachement traditionnel à la lex loci delieti, non sans préciser néanmoins que cette dernière vise le lieu du fait générateur de l'obligation, c'est-à-dire le lieu de l'acte dommageable, et non pas aussi le lieu (éventuellement distinct) où se fait sentir le résultat du dommage. Comme tous les rattachements prévus en droit international privé algérien, celui de l'article 20 reste soumis aux dérogations éventuelles pouvant résulter d'une convention internationale ratifiée par l'Algérie (cf. art. 21 CC). En outre, une autre dérogation est prévue expressément par l'article 20, alinéa 2, qui précise que «lorsqu'il s'agit d'une obligation née d'un fait dommageable la disposition de l'alinéa précédent n'est pas appliquée aux faits qui se sont produits à l'étranger et qui, quoique illicites d'après la loi étrangère, sont considérés comme licites par la loi algérienne». Ainsi donc que le fait générateur et le dommage se soient produits à l'étranger ou que le fait seulement ait eu lieu à l'étranger et le dommage se soit fait sentir en Algérie, la loi normalement applicable ne sera pas retenue et aucune action en réparation ne sera admise, si le droit algérien considère que le fait dommageable n'est pas illicite. On ne pourra que regretter cette entorse au principe de territorialité. Il eût été facile d'arriver au même résultat, dans les cas graves, en recourant à l'ordre public plutôt que de consacrer une préséance de principe du droit algérien. Conclusion Au terme de cet aperçu du nouveau droit international privé algérien, il convient de noter combien ce dernier reste fidèle à la tradition musulmane, chaque fois que cela se révèle possible, notamment en matière de statut personnel, au sens large de ce terme. Vu l'importance géographique et numérique des pays de tradition islamique, le rattachement à la loi nationale reste d'une grande importance en droit international privé comparé, malgré le regain de faveur de la loi du domicile (ou de la résidence habituelle) en Europe continentale. Par ailleurs, tout au long de cet exposé, il a été nécessaire de mettre en lumière de nombreuses questions non résolues par le législateur algérien et
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de tracer, ici et là, en pointillé des solutions possibles à ces problèmes. C'est dire l'importance de la jurisprudence algérienne dans le développement de ce nouveau droit international privé, dont il n'est pas dit qu'il suive en toute occasion l'exemple des solutions françaises. On souhaitera seulement que, sur la base des articles du code civil, les juges algériens dévelopent un droit international privé tout à la fois fidèle aux traditions islamiques, lorsque celles-ci s'imposent, et ouvert aux exigences de la collaboration internationale qui implique le dépassement de conceptions par trop nationalistes.
Bedeutung eines ausländischen Erbunwürdigkeitsurteils für die Vererbung des Inlandsvermögens eines deutschen Staatsangehörigen - Eine kollisionsrechtliche Moritat1 M U R A D FERID
Der Jubilar hat ein sehr starkes Einfühlungsvermögen auch für die verworrensten praktischen Fälle. Er zeigt dies mit der ihm eigenen Eleganz der Argumentation auch als Vorsitzender der familienrechtlichen Kommission des Deutschen Rates für IPR. Dieses immer wieder zutage tretende Interesse an der Praxis und seine Vorliebe für schwierige Situationen mögen es rechtfertigen, Günther Beitzke diese Erörterung eines lebensmäßig wohl einmaligen Falles2 zu widmen, die in wenig begangene Gefilde führt. Das Bemerkenswerte des Falles besteht darin, daß sein Sachverhalt eine echte Moritat ist, entsprechend der alten, immer wieder bestätigten Erfahrung, daß das Leben oft viel kitschiger sein kann, als der tollste Schundroman. I. Der Sachverhalt Der Fall führt uns in den mittelamerikanischen Staat El Salvador. Auch wenn man ihn von seinem vielfach pittoresken, oft aber dschungelhaft schwer entwirrbaren Beiwerk löst, bleibt eine phantastische Räuberpistole, die friedlich angeht und blutig aufhört: Der 1901 in Württemberg geborene deutsche Staatsangehörige Gustav-Adolf D. heiratete 1944 vor dem Alcalden und ,,Jefe del registro civil" der Stadt Panchimalco im Bezirk San Salvador die 1917 geborene salvadorenische Staatsangehörige Señorita Juana Clara C. Die Nupturientin war uneheliche Tochter der 1895 geborenen und 1973 verstorbenen Señorita Francisca C. Der außereheliche Erzeuger, Don Juan L. hatte 1917 bei der Geburt die Vaterschaft zu dem Mädchen Juana Clara nach Art. 280 Abs. 5 des Código Civil von El Salvador anerkannt. Señorita Francisca C. hat außer der Tochter Juana Clara auch noch einemSohn, José Raoul, dessen Erzeuger nicht feststeht, das Leben geschenkt. Die Heiratsurkunde enthält für die Nupturientin den schlichten Vermerk: ,,no sabe fermar" 23 , Diesen Untertitel verdankt der Verfasser seinem Freund Andreas Heldrich. Abgewickelt vom Notariat Stuttgart, Referat 3, Nachlaßgericht, Az.3 N 298/78. 20 „Der Unterschriftsleistung unkundig". 1
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aber auch den Hinweis, daß sie eine, 1934 geborene Tochter Dolores Lillian mit in die Ehe bringt, die nicht von Gustav- Adolf D. stammt und auch von ihm nicht anerkannt ist. Die Ehe blieb kinderlos. Der Ehemann fiel am 28.6.1950 bei sich zu Hause einem tödlichen Stromstoß zum Opfer, wobei in den Akten der nicht beweisbare Gedanke aufblitzt, daß die nunmehrige Doña Juana Clara dabei ihre Hand im Spiel gehabt haben könnte. Jedenfalls aber war die Trauer recht kurz, weil die Witwe sich wenige Wochen nach dem Kurzschluß, nämlich bereits am 12.8.1950, wieder verheiratete. Der neu Erwählte war wieder ein Deutscher, der 1918 geborene Friedrich-Wilhelm Pr., der das ehrsame aber handfeste Gewerbe eines Metzgers erlernt hatte. Bei der Hochzeit war er frisch in San Salvador eingewandert, so daß er sich bei der Trauungszeremonie noch eines Dolmetschers bedienen mußte. Diese zweite Ehe endete für Doña Juana Clara tödlich. Sie wurde am 15.7.1951 von Friedrich-Wilhelm Pr. ermordet und in eine Schlucht geworfen. Die Sterbeurkunde sagt dazu in grausamer Detailschilderung: , , . . . falleció por consecuencia de haber caído en un barranco . . . habieñdose fracturado el cráneo y con muchos golpes de cuchillo en diferentes partes del cuerpo . . . instantamente sin assistencia médica" 2 6 . Bei der Autopsie wurde noch festgestellt, daß die Ermordete im 5. Monat schwanger war (wobei der Ehemann im nachfolgenden Strafverfahren geltend machte, die Schwangerschaft stamme nicht von ihm). Nach Erschöpfung des strafrechtlichen Instanzenzuges wurde der Ehemann im Jahre 1957 durch das Oberste Gericht von El Salvador zur Zuchthausstrafe von 22 Jahren und 11 Monaten verurteilt. Der Verurteilte ist kurz nach Rechtskraft des Urteils aus der „Penitencia Central" ausgebrochen und seitdem unbekannten Aufenthalts. Auch seine Geschwister, die in seiner deutschen Ursprungsstadt leben, haben nichts mehr von ihm gehört. Für tot wurde der Flüchtige weder in El Salvador noch in Deutschland erklärt. Die Erbschaft der „analfabeta" umfaßte eine Anzahl von in El Salvador belegenen Grundstücken, aber auch, wie eigenartigerweise in der Sterbeurkunde (!) vermerkt ist: , , . . . varias cabezas de ganado herredas con su proprio ferro . . . " (mehrere Stück Vieh, die mit eigenen Hufeisen beschlagen waren). Als Erben wurden im Nachlaß verfahren zunächst die Mutter der Erblasserin und - vor Rechtskraft des Strafurteils - auf seinen aus der Haft gestellten Antrag auch der Ehemann festgestellt. Die Tochter der Erblasserin wurde im Nachlaß verfahren aus nicht festzustellenden Gründen mit 2 b „gestorben ohne ärztlichen Beistand infolge Sturzes in eine Schlucht mit Zertrümmerung des Schädels und mit vielen Messerstichen an verschiedenen Körperteilen".
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Stillschweigen übergangen. Bei der Nachlaßabhandlung wurde offensichtlich von der Anwendung salvadorenischen Erbrechts ausgegangen. Nach Rechtskraft des Strafurteils und Flucht des Ehemannes wurde 1961 der Mörder auf eine am 3.4.1961 bei Gericht eingegangene Klage der Mutter der Erblasserin durch den 3. Zivilgerichtshof von San Salvador in Anwendung von Art. 969 des Código civil con El Salvador (hier abgekürzt: C C salv) wegen verbrecherischer Tötung der Erblasserin für erbunwürdig erklärt. Dem Flüchtigen war für den Erbunwürdigkeitsprozeß vom Prozeßgericht ein „curador especial" bestellt worden, dem auch die Klage zugestellt worden ist. In dem Nachlaßverfahren, aber auch im Unwürdigkeitsprozeß wurde von einer ausschließlich salvadorenischen Staatsangehörigkeit der Ermordeten ausgegangen. Mit der Erbunwürdigkeitserklärung des Flüchtigen war der Fall für die Gerichte von El Salvador erledigt. Das kollisionsrechtliche dicke Ende kam erst zu Beginn der siebziger Jahre zutage und zwar in Deutschland. Der erste Ehemann der Ermordeten, der ja am 28.6.1950 ohne Hinterlassung von Verwandten der 1. oder 2. Erbordnung als Deutscher in El Salvador den Tod gefunden hat, war nämlich an einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft beteiligt, zu der wertvolle, in Württemberg gelegene Grundstücke gehörten. Als über eines dieser Grundstücke verfügt werden sollte, wurde die Auseinandersetzung notwendig. Im Rahmen dieser verschleppten Auseinandersetzung der durch zwischenzeitliche Erbfälle vielfach verschachtelten Erbengemeinschaft - in früheren Zeiten ein Alptraum der mit solchen Klausurfällen gequälten Kandidaten des zuletzt 1934 abgehaltenen, öfters auch „Mandarinenprüfung" genannten bayerischen „Staatskonkurses" - wurde das Schicksal des Elektroingenieurs aufgerollt und auch festgestellt, daß er nach deutschem Recht von seiner Ehefrau Juana Clara alleine beerbt worden war. Damit aber stellte sich erneut die Frage nach der Beerbung von Juana Clara, deren nichteheliche Mutter inzwischen (im Jahre 1973) nachverstorben war. Als Erbanwärter präsentierten sich dem deutschen Nachlaßgericht unter Berufung auf das salvadorenische Urteil über die Erbunwürdigkeit des flüchtigen, nie wieder aufgetauchten Ehemannes a) die nichteheliche Tochter Dolores Lillian C. b) der nichteheliche Halbbruder José Raoul C. und c) der inzwischen hochbetagte uneheliche Erzeuger der Ermordeten, Juan L. II. Grundlagen der Entscheidung 1. Die Staatsangehörigkeit der Erblasserin. Die für die Feststellung des Erbstatuts vorzunehmende Prüfung der Staatsangehörigkeit der Ermorde-
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ten ergab entgegen der Sachbehandlung durch die salvadorenischen Behörden, daß sie ausschließlich Deutsche war. Durch die Eheschließung mit dem Deutschen Staatsangehörigen Gustav-Adolf D . im Jahre 1944 war Juana Clara deutsche Staatsangehörige geworden (§ 3 Ziff. 3, § 6 RuStAG in der damals geltenden Fassung) und hatte damit auch die salvadorenische Staatsangehörigkeit verloren (Art. 2 Ziff. 3, Abs. 1 u. 2 des salvadorenischen Bundesgesetzes vom 29.9.1866 in Verbindung mit der salvadorenischen Verfassung vom 13.8.1866 3 ). An diesem staatsangehörigkeitsrechtlichen Zustand hat sich durch die Verwitwung der späteren Erblasserin Juana Clara infolge Ablebens von Gustav Adolf D. nichts geändert. Sollte sie in den kurzen Wochen zwischen den beiden Ehen auf ihren Antrag die salvadorenische mit der Folge des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit (§ 25 RuStAG) wieder erworben haben, so wäre sie durch die Eheschließung mit Friedrich-Wilhelm Pr. (am 12.8.1950) erneut Deutsche geworden4 und der salvadorenischen Staatsangehörigkeit erneut verlustig gegangen5. 2. Kollisionsrechtliche Ausgangslage und Aufzeigung des Problems, a) An der aus der alleinigen deutschen Staatsangehörigkeit der Erblasserin folgenden Maßgeblichkeit deutschen Erbrechts (Art.24 Abs. 1 E G B G B ) ändert es nichts, daß das salvadorenische IPR die Erbfolge, auch von Ausländern, die dort versterben, dem Wohnsitzrecht unterstellt (Art. 956 Abs. 2 C C salv.), denn wir weichen zwar vor einem andersartigen Einzelstatut zurück (Art. 28 E G B G B ) , nicht aber vor einem Gesamtstatut, das ein fremdes Recht, etwa jenes des Wohnsitzstaates, durch Benutzung einer von uns nicht verwendeten Anknüpfung zur Geltung bringt. Aus der Maßgeblichkeit deutschen Erbrechts folgt aber auch die Anwendbarkeit der deutschen Bestimmungen über die Erbunwürdigkeit. b) Damit stellt sich die Frage, ob das dem flüchtigen Ehemann der Erblasserin nach § 1931 a.F. (Erbfall 1951!) zustehende gesetzliche Ehegattenerbrecht von einem Viertel neben ihrer unehelichen Tochter, die mit einer Quote von drei Vierteln zum Zuge kommt (§§ 1924, 1705 B G B a.F.; Art. 12, § 10 Abs. 1 des Nichtehelichengesetzes vom 19.8.1969, BGBl. I 1243), durch das salvadorenische Erbunwürdigkeitsurteil berührt wird. 3 Texte bei Keller-Trautmann, Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz, 1914, S.760ff. (762). Vgl. dazu Hecker, Ubersicht über das Staatsangehörigkeitsrecht von El Salvador, StAZ 1962, 1 0 8 f . ; derselbe: Die Staatsangehörigkeitsregelung in den fünf überseeischen Kontinenten, Hamburg 1970, S. 141. 4 Der automatische Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch eine Ausländerin infolge Eheschließung mit einem Deutschen entfiel erst mit dem Inkrafttreten des 3. Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 19. 8 . 1 9 5 7 . 5 Aus intertemporalen Gründen kommt es nicht auf die in der Verfassung vom 7 . 9 . 1 9 5 0 enthaltenen, am 1 4 . 9 . 1 9 5 0 in Kraft getretenen neuen staatsangehörigkeitsrechtlichen Vorschriften von El Salvador an.
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c) Die Antwort auf diese Frage hängt nicht nur davon ab, ob dieses Urteil in Deutschland anerkannt wird 6 . Vorher sind noch zwei Punkte zu prüfen, nämlich ob die in § 2342 Abs. 2, § 2344 B G B bezeichneten Wirkungen überhaupt durch ein ausländisches Urteil ausgelöst werden können und - bejahendenfalls - ob das hier vorliegende ausländische Erbunwürdigkeitsurteil seiner Art nach ein solches ist, wie es in den §§ 2340ff. B G B vorausgesetzt wird. Es handelt sich mithin zunächst um das Problem eines im Ausland vollendeten Tatbestandselementes einer inländischen Sachnorm. O b die in einer inländischen Sachnorm aufgestellten Tatbestandselemente auch im Ausland erfüllt werden können oder ob eine inländische Erfüllung erfordert wird, ist eine Frage des inländischen Sachrechts 7 , die sich allerdings lebensmäßig mit dem Kollisionsrecht berühren kann 8 , schon deswegen, weil „das Problem, ob im Ausland erfüllte Tatbestände die Voraussetzungen inländischer Sachnormen erfüllen, sich erst dann stellt, nachdem das anwendbare Recht bestimmt worden ist 9 ". 3. Leitgedanken zum im Ausland erfüllten Tatbestandselement einer inländischen Sachnorm. Für unseren Fall bedarf es keiner Ausbreitung des Gesamtproblems. Es genügt, an die bisher in der Lehre unwidersprochen gebliebenen Leitlinien 10 zu erinnern und sie anzuwenden. Danach ist, wenn die das Tatbestandselement aufstellende inländische Sachnorm nicht ausdrücklich eine inländische Erfüllung des Tatbestandselementes erfordert, zu unterscheiden, um welche Art von juristischen Tatsachen es sich bei diesem Tatbestandselement handelt. Dabei ist zu trennen zwischen Naturereignissen (Geburt, Tod, Krankheit, Untergang von Sachen etc.) sowie verfahrensunabhängigen Privathandlungen, (Rechtsgeschäften wie z . B . Kündigungen oder Tathandlungen, z . B . Hierauf wird ausschließlich abgestellt bei Pinckernelle-Spreen, D N o t Z 1967, 209. Wie oft bei Randproblemen fehlt eine umfassende Untersuchung, die eine Bestandsaufnahme quer durch das Recht erfordern würde. Vgl. dazu die Hinweise bei Ferid, Im Ausland erfüllte Tatbestandselemente inländischer Sachnormen; Ein Ansatz, Festschrift für Ulmer, G R U R int. 1973, 472ff. Die von F. A. Mann, Kollisionsnormen und Sachnormen mit abgrenzenden Tatbestandsmerkmalen, Festschrift Raiser 1974, 499ff. behandelte Frage gehört systematisch in den Gesamtkomplex, hat es aber ausschließlich mit inländischen Tatbestandselementen zu tun. Die Problematik stellt sich auch bei den ausländischen Sachnormen, jeweils vom Standpunkt des einzelnen Gesetzgebers aus. Auf ähnliche Fragen im amerikanischen Recht in Form der sog. „doctrine of factual significance" hat Jayme hingewiesen (Neuere Entwicklungen im internationalen Kindschaftsrecht, StAZ 1971, 71). 8 So schon Nußbaum, IPR 1932, S. 4, der allerdings bei seiner Unterscheidung von Sachnormen mit ausländischen und solchen mit inländischen Tatbestandselementen nicht nur jene Fälle im Auge hat, in denen die einzige Auslandsberührung der Tatbestandselemente darin besteht, daß sie im Ausland vollendet werden. 9 Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen, Gedächtnisschrift Ehrenzweig 1976, 43. 10 Vgl. Ferid, oben Fn.7 S. 477ff. 6
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Verzeihung, etwa in den Fällen der §§ 532, 2337, 2339 BGB) einerseits (hier regelmäßig: Gleichstellung) und Behördenakten, sowie verfahrensgebundenen Privathandlungen andererseits. Diese letzten beiden Tatsachengruppen können die von einer inländischen Sachnorm an im Inland vollendete Tatbestandsmerkmale geknüpften Rechtsfolgen dann nicht haben, wenn die betreffende Inlandsnorm zwar nicht ausdrücklich (dann erübrigt sich ja jede weitere Untersuchung), aber doch ihrem Sinne nach ein inländisches Zustandekommen des betreffenden Tatbestandselementes erfordert. 4. Der Arbeitsgang. Diese - abstrakte - Prüfung ist anzustellen, nachdem man sich über das anzuwendende Recht ins Klare gekommen ist, jedoch bevor man sich mit der Frage befaßt, ob der konkrete, im Ausland erfüllte Sachverhalt seiner Funktion nach jenem Tatbestandselement gleichzustellen ist, das die inländische Sachnorm im Auge hat. Geht es um die Inlandswirkung von Entscheidungen, dann ist noch deren inländische Anerkennung zu prüfen. III. Kein allgemeiner Ausschluß ausländischer Erbunwürdigkeitsurteile Die deutschen Sachnormen über die Erbunwürdigkeitserklärung in den §§ 2340 ff. BGB setzen weder ausdrücklich, noch ihrem Sinne nach ein inländisches Unwürdigkeitsurteil voraus. Belege aus der Rechtsprechung fehlen. Im Schrifttum haben sich bisher mit der Frage lediglich Pinckernelle-Spreen11 befaßt, welche allerdings lediglich die Frage der Anerkennung ausländischer Unwürdigkeitsurteile nach § 328 ZPO in den Vordergrund stellen. Die genannten Autoren betrachten auch die Erörterung, welche Bedeutung die Eigenschaft des Unwürdigkeitsurteils als Gestaltungsurteil hat, und die Frage, ob hierwegen eine ausschließliche deutsche Zuständigkeit anzunehmen ist, lediglich unter dem Gesichtspunkt des § 328 ZPO. Damit ist das Hauptproblem nicht erkannt. Gegen eine Gleichstellung ausländischer mit inländischen Erbunwürdigkeitsurteilen ließe sich, soweit es sich um die Tötung des Erblassers handelt (§ 2339 Abs.l Ziff. 1 BGB) vorbringen, daß mit Rücksicht auf den hier überwiegenden Strafcharakter 12 das Gesetz hier eine inländische Erbunwürdigkeitserklärung für erforderlich hält. Dieses Argument kann jedoch nicht gegenüber einem ausländischen Zivilurteil durchgreifen. Es läßt sich zwar geltend machen, daß ein strafgerichtliches Urteil als TatbeSiehe oben Fn. 6. Wie Bartholomeyczik in seiner Entscheidungsanmerkung N J W 1955, 796 hervorhebt, lassen sich die verschiedenen Unwürdigkeitsgründe nicht aus einem einzigen rechtspolitischen Zweck ableiten. 11
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standselement einer inländischen Sachnorm immer ein inländisches sein müsse, etwa im Falle einer Verwirkung der elterlichen Gewalt bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten (§ 1676 BGB), weil der inländische Gesetzgeber, wenn er an ein Strafurteil Rechtsfolgen knüpfe, vorbehaltlich einer ausdrücklichen Ausdehnung auf ausländische Urteile nur solche Entscheidungen im Auge habe, die unter den besonderen Rechtsgarantien zustandegekommen sind, welche eben das inländische Recht für das Zustandekommen von Strafurteilen aufstellt. Gegenüber ausländischen Zivilurteilen besteht aber ein solcher allgemeiner Vorbehalt nicht, was sich schon aus der grundsätzlich möglichen Anerkennung ergibt, die in § 328 ZPO geregelt ist. IV. Die funktionelle Gleichsetzung des konkreten salvadorenischen Urteils mit einem entsprechenden deutschen Urteil 1. Ausgangspunkt. Muß man also davon ausgehen, daß ausländische Erbunwürdigkeitsurteile als solche überhaupt die in § 2342 Abs. 2, § 2344 BGB statuierten Wirkungen auslösen können, so ist nunmehr weiter zu untersuchen, ob das konkrete Erbunwürdigkeitsurteil einem deutschen Unwürdigkeitsurteil mindestens funktionell gleichzusetzen ist, d.h., es müssen die Voraussetzungen, die Rechtsnatur und die Wirkungen mit jenen eines entsprechenden deutschen Urteils zwar nicht völlig identisch, aber doch mindestens funktionell vergleichbar sein. Zunächst muß gefordert werden, daß die im ausländischen Urteil ausgesprochene Unwürdigkeitserklärung sich auf einen Unwürdigkeitsgrund des deutschen Rechts stützt. Dabei ist es allerdings nicht notwendig, daß das ausländische Urteil eine deutsche Vorschrift in Bezug nimmt. Das salvadorenische Urteil stützt sich hier darauf, daß der flüchtige Ehemann , , . . . ha cometido el crimen de homicidio en la persona del difunto . . . " 1 2 a (Art. 969 Cc salv.). Damit sind aber die Voraussetzungen von § 2339 Ziff. 1 B G B der Sache nach gegeben. An der Gleichwertigkeit des ausländischen Erbunwürdigkeitsurteils würde es nichts ändern, wenn es auf Grund der Anfechtungsklage einer Person ergangen wäre, die nicht zu dem, in § 2341 B G B sehr weit gezogenen Kreis der Anfechtungsberechtigten gehören würde. Zu diesem Kreis gehört die Mutter der Erblasserin als mittelbar durch den Wegfall des Erbunwürdigen Begünstigte. Es spielt hier also keine Rolle, daß der salvadorenische Gesetzgeber in Art. 975 A b s . l das Anfechtungsrecht nicht nur dem gewährt, dem der Wegfall des Erbunwürdigen erbrechtlich zugute kommt, sondern jedem, der an diesem Wegfall irgend ein (auch nicht erbrechtliches) Interesse hat. 12a
„ein Tötungsverbrechen gegen den Erblasser begangen hat".
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Die funktionelle Gleichwertigkeit des hier vorliegenden Urteils mit einem entsprechenden deutschen wird auch dadurch nicht beeinträchtigt, daß eine andere als die in § 2340 Abs.3 i . V . m . § 2082 festgesetzte einjährige Ausschlußfrist angewendet ist 13 . 2. Rechtsnatur des Urteils. Daß in Deutschland das Erbunwürdigkeitsurteil überwiegend, wenn nicht einhellig als Gestaltungsurteil angesehen wird 14 , würde einem bloßen Feststellungsurteil die funktionelle Gleichwertigkeit mit einem deutschen Erbunwürdigkeitsurteil nicht nehmen. Im übrigen hat auch ein salvadorenisches Erbunwürdigkeitsurteil Gestaltungswirkung, weil nach Art. 975 C C salv. 15 die Rechtswirkungen der Unwürdigkeit erst mit dem Urteil eintreten. 3. Die Wirkungen des salv adorenischen Unwürdigkeitsurteils. Die gerichtliche Feststellung einer Erbunwürdigkeit begründet für den Unwürdigen eine Herausgabepflicht nach Maßgabe von Art. 975 Abs. 2 C C salv. 16 . Diese Herausgabepflicht obliegt ihm nicht gegenüber dem Kläger schlechthin, sondern gegenüber denjenigen, die nach seinem Wegfall Erbe werden. Damit entsprechen die Urteilswirkungen jenen, die sich aus § 2344 Abs.2 B G B ergeben. V. Die Anerkennung des salvadorenischen Erbunwürdigkeitsurteils in Deutschland gemäß § 328 ZPO Die abschließend vorzunehmende Prüfung, ob das salvadorenische Urteil bei uns anerkannt wird, konzentriert sich in casu auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs für den unterlegenen deutschen Beklagten gemäß § 328 Abs. 1 Ziff.2 Z P O 1 7 . Die Zweifel ergeben sich daraus, daß ihm die Klage nicht in Person zugestellt wurde, sondern nur einem, vom Prozeßgericht gemäß Art. 493 C C salv. 18 ad hoc bestellten Prozeßpfleger. 1 3 Vgl. dazu Art. 976 C C salv., der lautet: „ L a indignidad se purga en diez años de posesión de herencia o legado" ( „ D i e Unwürdigkeit wird durch zehnjährigen Besitz der E r b schaft oder des Vermächtnisses getilgt."). 1 4 Vgl. dazu die Nachweise bei Staudinger-Ferid, Bern. 9 zu § 2342 B G B . 1 5 D o r t heißt es in Abs. 1: „ L a indignidad no produce efecto alguno si no es declarada en juicio a instancia de cualquiera de los interesados en la exclusión del heredero o legatario indig n o . " „ D i e Unwürdigkeit wirkt nur, wenn sie auf Klage von jemanden gerichtlich festgestellt ist, der am Ausschluß des unwürdigen Erben oder Vermächtnisnehmers ein rechtliches Interesse h a t . " 1 6 Wortlaut: „Declarada judicialmente, es obligado el indigno a la restitución de la herencia con sus acesiones y f r u t o s . " ( „ N a c h gerichtlicher Feststellung der Erbunwürdigkeit ist der Unwürdige zur Herausgabe der Erbschaft mit Zubehör und Früchten verpflichtet.") 1 7 Zur Versagung der Anerkennung nach § 328 Abs. 1 Ziff. 2 vgl. allgemein Geirrter, Nichtanerkennung ausländischer Urteile wegen nichtgehöriger Ladung zum Erstprozeß, N J W 1973, 2138 ff.
' 8 D o r t heißt es: „ Los curadorias especiales son dativas. L o s curadores para pleito o ad litem son dados por la judicatura que conoce en el pleito, y no tendrán otras facultades que las
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Durch eine solche Ersatzzustellung wird nach allgemeiner Auffassung19 das in § 328 Abs. 1 Ziff.2 ZPO geforderte rechtliche Gehör nicht gewährt, denn, wie immer noch am klarsten Riezler20 formuliert: „Die Einlassung durch einen dem Deutschen von einer ausländischen Behörde bestellten Vertreter genügt nicht." Damit kann die Frage der Verbürgung der Gegenseitigkeit (§ 328 Abs. I Ziff. 5 ZPO) auf sich beruhen. Es ließe sich sehr wohl die Auffassung vertreten, daß das salvadorenische Urteil seiner Funktion nach ein Versäumnisurteil ist, weil es dessen technische Form durch die Zustellung an den Prozeßpfleger umgeht. Folgt man dieser Argumentation nicht, so müßten wir derartige, die Form des echten Versäumnisurteils umgehende Urteile anerkennen, während unsere Versäumnisurteile in El Salvador nicht anerkannt würden. Die von unserem Standpunkt aus unrichtige Anwendung des Rechts von El Salvador statt deutschen Rechts stellt als solche noch keinen Versagungsgrund für die Anerkennung dar. Die Voraussetzungen von § 328 Abs. 1 Ziff. 3 sind nicht gegeben. Außerhalb dieser Vorschrift kann daher die Nichtanwendung deutschen Rechtes zum Nachteil eines deutschen Beklagten lediglich unter dem Gesichtspunkt des ordre public gewürdigt werden. Einen Verstoß gegen den deutschen ordre public (§ 326 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO) stellt das salvadorenische Erbunwürdigkeitsurteil aber nicht dar. Die Zulassung einer längeren Frist für die Anfechtungsklage ist schon deswegen kein Verstoß gegen unseren ordre public, weil nicht jede Abweichung des ausländischen Rechtes vom inländischen das Eingreifen des ordre public veranlaßt. Gelegentlich ist im übrigen auch in Deutschland im Schrifttum einer Verlängerung der Anfechtungsfrist das Wort geredet worden21. Auch die Anwendung eines anderen als des sich aus unserem IPR ergebenden Rechtes ist jedenfalls im vorliegenden Falle, in welchem das Gericht nach seinen eigenen Kollisionsnormen die Frage des anzuwendenden Rechtes von seinem Standpunkt aus zutreffend entschieden hat, kein Anlaß, um dagegen den ordre public ins Feld zu führen. Anders wäre es etwa bei einer willkürlichen Nichtanwendung deutschen Rechtes. Entscheidend ist aber, daß die Anerkennung des Urteils wegen des Versagungsgrundes nach § 328 Abs.l Ziff. 2 ZPO scheitert. que especialmente se les hubieron conferidos por el discernimiento." ( „ D i e Sonderpflegschaften werden gerichtlich angeordnet. Die Pfleger für Prozesse und Streitverfahren werden durch das Prozeßgericht bestellt und verleihen keine anderen Befugnisse als jene welche durch die Entscheidung übertragen sind." 19 Nachweise bei Gelmer (oben Fn. 17), Fn. 15. 2 0 Internationales Zivilprozeßrecht 1949, S. 536 bei Fn. 4. 2 1 Vgl. den Hinweis bei Staudinger-Ferid, Bern. 18 zu § 2340.
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VI. Die Abwicklung hinsichtlich des bisher der Tochter noch nicht zugefallenen Nachlaß vierteis
1. Durch eine Erbunwürdigkeitsklage
der Tochter in Deutschland.
Ob der
Tochter noch die Möglichkeit zusteht, in Deutschland in Anwendung deutschen Rechtes auf Erklärung der Erbunwürdigkeit des Ehemannes zu klagen, hängt davon ab, wann die Frist nach § 2340 Abs. 3 i.V. m. § 2082 BGB zu laufen begonnen hat und wann sie abgelaufen ist. Entscheidend ist hier folgende Erwägung: Die Tochter konnte und kann die Anfechtungsklage deutschen Rechtes nicht erheben, solange sie nicht weiß, daß deutsches Recht anwendbar und das salvadorenische Urteil für den deutschen Nachlaß nicht verwendbar ist. Diese Unkenntnis ist bei den hier obwaltenden Umständen (andersartige Umwelt und offenbar primitiv-einfache Herkunft der in ländlichen Verhältnissen lebenden, auch nicht dem Kreise der „Gebildeten" zuzurechnenden Anfechtungsberechtigten) unverschuldet. Diese unverschuldete Unkenntnis von der Anwendbarkeit deutschen Rechtes umfaßt auch die deutschen Anfechtungsgründe. Von diesen Anfechtungsgründen des deutschen Rechtes kann die Anfechtungsberechtigte erst dann Kenntnis erlangen, wenn sie überhaupt erfährt, daß deutsches Erbrecht maßgebend ist. Erst mit solcher Kenntnis kann die Jahresfrist nach § 2340 A b s . 3 B G B i . V . m . § 2082 Abs. 3 BGB zu laufen beginnen. Das gleiche Ergebnis läßt sich auch auf dem Wege erzielen, daß man in der unverschuldeten Unkenntnis der Maßgeblichkeit deutschen Rechtes für die Beerbung und damit auch für die Erbunwürdigkeitsgründe eine Verhinderung der Erhebung der Anfechtungsklage durch höhere Gewalt im Sinne von § 203 Abs. 2 (i.V.m. § 2082 Abs. 3) BGB erblickt. In solchem Falle verlängert sich die Frist um den der Dauer der Verhinderung entsprechenden Zeitraum. Der BGH hat im Urteil vom 4.5.1955 (NJW 1955, 1225) klar herausgestellt, daß eine Verhinderung durch höhere Gewalt im Sinne von § 203 Abs. 2 BGB nicht ein von außen kommendes Ereignis voraussetzt. Damit kann unverschuldete Unkenntnis von der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechtes eine „höhere Gewalt" im Sinne von § 203 Abs.2 i . V . m . § 2082 Abs.3 BGB darstellen. Die Kenntnis von der Straftat und der Verurteilung ist, solange die Antragsberechtigte nicht weiß, daß deutsches Recht maßgebend ist, dagegen noch nicht geeignet, die Jahresfrist in Lauf zu setzen. Die Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes im Sinne von § 2339 Abs. 1 Ziff. 1 BGB ist im übrigen nicht Tatbestandsmerkmal dieser Bestimmung. Die Erbunwürdigkeit tritt vielmehr auch dann ein, wenn der Erbunwürdige sich der Bestrafung etwa durch die Flucht in einen Staat, der ihn weder bestraft noch ausliefert, oder durch Selbstmord entzieht. Hätte er in einem solchen Fall
Ausländisches Erbunwürdigkeitsurteil und Inlandsvermögen
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etwa außenstehende, nicht verwandte Personen als Erben eingesetzt, so ist die Anfechtungsklage gegen diese Erben zu richten. 2. Durch Todeserklärung des Erblassers in Deutschland. Läßt sich eine Erbunwürdigkeitsklage durch die Tochter nicht durchführen, so bleibt nichts anderes übrig, als daß nach Todeserklärung des flüchtigen Ehemannes dessen gesetzliche Erben (also die in seiner deutschen Heimatstadt lebenden Geschwister) das ihm immer noch zustehende Nachlaß viertel übernehmen. Der ihnen zu erteilende Vollerbschein nach § 2353 ff. BGB hat nicht etwa das in El Salvador belegene Vermögen auszusparen, wirkt sich aber auf dieses nicht aus, weil die gesetzlichen Erben gegenüber den dort bereits ergangenen Entscheidungen sich nicht durchsetzen können.
Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten Meinungsbild und Meinungswandel
H U G O J . HAHN
Insbesondere eine Entscheidung des 2. Senats des Bundesgerichtshofs vom 1 8 . 1 0 . 1 9 7 6 1 und verschiedene literarische Stellungnahmen jüngeren und neuesten Datums 2 machen deutlich, daß das internationale Enteignungsrecht und hier gerade die ,,Spalt"-Gesellschaft, Praxis und Wissenschaft immer wieder vor neue Aufgaben stellt oder zum Uberdenken schon bekannter tatsächlicher und juristischer Elemente veranlaßt. Nicht zuletzt aufgrund der Arbeiten des Jubilars 3 steht freilich die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland 4 seit geraumer Zeit nachhaltig auf dem Boden der „gemäßigten" Spaltungstheorie 5 . Deren Bestandsaufnahme anhand der maßgeblichen Judikatur des 2. und des 7. Zivilsenats des B G H bildet ein vornehmliches Bestreben dieses Beitrags. Darüber hinaus aber sollen die Regeln über die Verfolgung öffentlich-rechtlicher Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr 6 anhand dieser Rechtsprechung einer kritischen Prüfung darauf unterzogen werden, inwieweit sie zumindest im Inlande einen Schutz vor Auswirkungen fremder, unerwünschter Konfiskationen 7 bieten können.
1 RIW/AWD1977, S. 779-781; vgl. dazu Teich, Internationales Enteignungsrecht: Kann die deutsche Souveränität eine Frage der Belegenheit von Vermögenswerten oder des Prozentsatzes von Gesellschaftsanteilen sein? RIW/AWD 1978, S. 11-14. 2 Vor allem Flume, Juristische Person und Enteignung im Internationalen Privatrecht, Festschrift für F. A. Mann, 1977, S. 143-168, und Seidl-Hohenveldem, Internationales Enteignungsrecht, Festschrift für G. Kegel, 1977, S. 265-284. 3 Wegweisend insbesondere „Juristische Personen im Internationalprivatrecht und Fremdenrecht", 1938, S. 141-146, sowie „Probleme der Enteignung im internationalen Privatrecht", Festschrift für L. Raape, 1948, S. 93-111. 4 Die einschlägigen BGH-Urteile sind zusammengestellt bei Teich, Die Spaltungstheorie ist herrschende Meinung in der deutschen Rechtsprechung und Literatur, WM 1976, S. 1322-1329 (S. 1323, Fn.15). 5 Vgl. Mann, Die Konfiskation von Gesellschaften, Gesellschaftsrechten und Gesellschaftsvermögen im Internationalen Privatrecht (1962), in: ders., Beiträge zum internationalen Privatrecht, 1976, S. 116-162 (S. 144); auch der B G H bedient sich nunmehr dieser Terminologie (vgl. B G H WM 1971, S. 1502-1509/S. 1506). 6 Grundlegend hierzu Mann, öffentlich-rechtliche Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr (1956), in: ders., Beiträge ... (Fn.5), S.201-218. 7 Hierunter soll - dem wohl üblichen juristischen Sprachgebrauch folgend - die entschädigungslose „Enteignung" von Vermögenswerten verstanden werden.
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Hugo Hahn
I.
Nachdem sich bereits das Reichsgericht in zwei Entscheidungen8 mit ausländischen konfiskatorischen Maßnahmen gegen dort domizilierende juristische Personen zu befassen hatte - beide Male nahm das Gericht völkerrechtliche Verträge zur Grundlage seines Urteils findet sich wohl erstmals in einem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone Deutschlands vom 31.3.1949 folgende, vom Bundesgerichtshof übernommene und verfeinerte Überlegung: „Es ist ein feststehender Grundsatz des Völkerrechts, daß konfiskatorische Maßnahmen streng territorial sind. Ihre Wirkung endet an der Grenze des Landes, von dem sie ausgegangen sind, (ergreift) also nur Vermögensgegenstände . . . , die innerhalb dieser Gebietskörperschaft belegen sind . . . Der Ort, an dem eine Forderung belegen ist, wird nach deutschem internationalen Privatrecht... durch den Wohnsitz des Schuldners bestimmt . . . Diese h. M. . . . findet . . . ihre innere Rechtfertigung darin, daß Enteignungsakte in ihrer Verwirklichung durch Beitreibung Machtfragen sind und daß nur der Schuldnerstaat die Macht hat, die Zahlung zu erzwingen . . ," 9 .
Ein Jahr später befand dasselbe Gericht 10 , aus dem Fortbestehen von in den Westzonen, später der Bundesrepublik Deutschland belegenen Eigentums- und Vermögensrechten sei zu folgern, daß die gegen eine juristische Person gerichtete Enteignung für sich allein - d.h. ohne zusätzliche Liquidations- und Auflösungs-Anordnung - den Rechtsträger nicht vernichten könne. Freilich hatte hier nach der konfiskatorischen Maßnahme noch eine offenbar ordnungsgemäß zustande gekommene Sitzverlegung in die britische Zone Deutschlands stattgefunden; dieses „umgezogene" Unternehmen trat im Rechtsstreit auf. In einer Entscheidung vom 1.2.1952 erachtete der 1. Senat des Bundesgerichtshofs den Fortbestand eines enteigneten Ostunternehmens im Westen Deutschlands bereits als „in Rechtsprechung und im Schrifttum anerkannt" 11 . Weil es nicht Rechtens sein könne, daß bei fehlender Sitzverlegung das Westvermögen eines enteigneten Ostunternehmens alsbald herrenlos werde 12 , bedürfe es einer solchen zunächst nicht. Es sei schließlich auch keine Spaltung der Rechtspersönlichkeit der betreffenden 8 RGZ 107, S. 94-99 (29.6.1923); 129, S. 98-109 (20.5.1930); vgl. auch schon RGZ 102, S. 251-254 (7.6.1921). Beitzke hat bereits 1938 auf die Unvereinbarkeit beider Erkenntnisse hingewiesen (a.a. O. - Fn.3 - , S. 189, Fn. 57a). 9 N J W 1949, S. 502-504 (S. 502-503). 1 0 N J W 1950, S. 644-645 (Urteil vom 13.4.1950); die Berufung auf E. Wolffs Rechtsansicht (Probleme des interlokalen Privatrechts in Deutschland, Festschrift für L. Raape, 1948, S. 181-202/S. 195) macht freilich nicht deutlich, wieso nur dieser Schluß in Betracht komme. 1 1 N J W 1952, S. 540 (-541), insoweit in BGHZ 5, S. 35-39 nicht abgedruckt. Der BGH führt hier das OGHBrZ-Urteil vom April 1950 (Fn. 10) an. 1 2 A . a . O . Treffend auch Beitzke, a.a.O. (Fn.3), S. 144: eine solche Ansicht verhelfe praktisch den Entscheidungsdekreten doch zur extraterritorialen Wirksamkeit. Vgl. auch dens., Probleme der enteignungsrechtlichen Spaltgesellschaft, Festschrift für H.Janssen, 1958, S.29-40 (S. 31-32).
Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten
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GmbH eingetreten, vielmehr unterlägen die Vermögenswerte dieses Unternehmens infolge der Trennung Deutschlands in Zonen lediglich verschiedenen Rechtsordnungen: der GmbH sei folglich ihr Westvermögen geblieben, die im Osten belegenen Werte aber seien ihr genommen. Bemerkenswert am Urteil des 5. Senats vom 22.12.1953 1 3 ist vornehmlich das freilich nicht entschiedene Aufgreifen der Frage, ,,ob der entschädigungslosen Enteignung in der Sowjetzone, die die dort befindlichen Gegenstände ergreift, mit Rücksicht auf Art. 30 EGBGB die Anerkennung in der Westzone versagt werden müßte", nicht zuletzt deshalb, weil sich der Senat zuvor ausdrücklich zum „Territorialitätsprinzip"14 bekannt hatte. Die Entscheidung des 4. Senats vom 12.4.1954 1 S bejahte demgemäß die Partei- und damit die Rechtsfähigkeit einer Aktiengesellschaft, weil sie zwar enteignet, aber nicht völlig vernichtet worden sei, die Wirkung einer Enteignung jedoch da aufhöre, wo die Gebietshoheit der enteignenden Macht ende. In diesem Falle hatte allerdings die AG selbst beschlossen, ihren Sitz in die Bundesrepublik zu verlegen und in Liquidation zu treten, freilich nach dem Ausspruch der Konfiskation. Protagonist der richterlichen Übernahme spaltungstheoretischer Uberlegungen war der 2. Zivilsenat des BGH. Er bejaht in seiner Entscheidung vom 30.1.1956 1 6 die Möglichkeit, für eine durch die vollständige Enteignung ihres sowjetzonalen Vermögens für das SBZ-Gebiet vernichtete GmbH durch das Gericht der Belegenheit ihres Westvermögens einen Vertreter nach § 57 ZPO bestellen zu lassen17: „Durch eine staatliche Hoheitsmaßnahme können allerdings juristische Personen und deren Vermögen gespalten werden. Das folgt aus der gebietsbeschränkten Wirkung staatlicher Zwangseingriffe und der Notwendigkeit, das Rechtssubjekt um des außerhalb des Zugriffsbereichs belegenen und deshalb von der Zwangsmaßnahme nicht betroffenen Vermögens willen zu erhalten. Das gilt für Eingriffe wie eine entschädigungslose Enteignung, eine Beschlagnahme . . . Die Mitgliedschaft der GmbH (A) an der (GmbH B ist) für die Zwecke der Abwehr der gegen die (A) gerichteten Enteignungsmaßnahme nicht bloß am (ostzonalen) Sitz der Gesellschaft, . . . sondern überall da als belegen anzusehen, wo die (B) Gesellschaftsvermögen besaß . . . An einer rechtsordnungsmäßigen Verwendung BGHZ 12, S. 79-89. Ebd., S. 84. Freilich: dieses „Territorialitätsprinzip" ist nicht selten wenig konturiert, weshalb die Einführung des Begriffs dann nicht viel weiterhilft und die eigentlichen Entscheidungsgründe eher verhüllen mag. Vgl. dazu etwa Mann, Völkerrechtswidrige Enteignungen vor nationalen Gerichten (1961), in: ders., Beiträge . . . (Fn.5), S. 163-177 (S. 172), und andererseits Seidl-Hohenveldern, Die Rechtsbeständigkeit der Spaltungstheorie, RIW/AWD 1976, S. 133 (-135). 15 BGHZ 13, S. 106-110. 16 BGHZ 20, S. 4-15; scharfe Kritik an dieser Entscheidung bei W. Lewdd, NJW 1956, S.785-786. 17 Ebd.,S.12. Beitzke hat immer wieder darauf hingewiesen, daß dieser Weg schwerlich gesetzeskonform sei (vgl. dens., Probleme . . . - Fn. 12 - , S. 32; Mitgliedlose Vereine, Festschrift für W. Wilburg, 1965, S. 19-29 - S. 24 - ; Pflegschaften für Handelsgesellschaften und juristische Personen, Festschrift für K. Ballerstedt, 1975, S. 185-195/S. 189). 13
14
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der juristischen Person fehlt es, wenn ihre Einschaltung oder bloß die Tatsache ihres Vorhandenseins dazu führt, daß sich eine entschädigungslose Enteignung ihres Gesellschafters auf Vermögen auswirkt, das außerhalb des Machtbereichs des enteignenden Hoheitsträgers belegen ist und daher von einer Enteignung weder dann erfaßt werden würde, wenn die Enteignung das Vermögen der Gesellschaft beträfe, noch dann, wenn sie sich gegen den Gesellschafter richtete und das extraterritoriale Vermögen ihm gehörte ... Die gebietsbeschränkte Wirkung von hoheitlichen Zwangsmaßnahmen erfordert den Durchgriff auf das, was durch die Rechtsfigur der (B) verdeckt wird . . . Soll die nur gegen die (A) und nicht auch gegen die (B) gerichtete Enteignung nicht das Westvermögen erfaßt haben, und das verlangt das Territorialitätsprinzip, so muß die Mitgliedschaft der (A) an der (B) für die Zwecke der Abwehr einer sonst über die Gebietsgrenzen der Sowjetzone hinausgreifenden Enteignungsmaßnahme als im Westen belegen beurteilt werden . . . Kraft dieser Beteiligung lebte die (A) im Westen weiter . . . " D e r J u b i l a r h a t diese A u s s a g e n auf die K u r z f o r m e l g e b r a c h t , das T e r r i torialitätsprinzip habe eben V o r r a n g v o r innerstaatlichen Gesellschaftsrecht18. N a c h einhelliger
Auffassung sei die „ B e l e g e n h e i t " eines V e r m ö g e n s -
w e r t e s i m Z e i t p u n k t der E n t e i g n u n g entscheidend für deren W i r k u n g , verlautete der 2 . Zivilsenat a m 1 8 . 2 . 1 9 5 7 1 9 . W e n i g später ä u ß e r t e sich dasselbe G e r i c h t ein weiteres M a l eingehend z u r extraterritorialen W i r k u n g v o n Staatshoheitsakten; d e r einzige W e g h i e r z u sei die „ A n e r k e n n u n g d e r f r e m d e n H o h e i t s m a ß n a h m e d u r c h d e n betreffenden S t a a t " 2 0 . N o c h n i m m t der B G H n i c h t grundsätzlich Stellung z u m M e i n u n g s s t r e i t d a r ü b e r , w e l c h e W i r k u n g e n die E n t e i g n u n g d e u t s c h e r Beteiligungen an juristischen P e r s o n e n mit Sitz außerhalb der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h land, aber mit V e r m ö g e n in deren G e b i e t h a b e n ; das G e r i c h t f ü h r t n u r v e r s c h i e d e n e uneinheitliche literarische S t e l l u n g n a h m e n a n 2 1 . I m Z u schnitt auf den anhängigen Fall verneinte d e r 2 . Zivilsenat aber, daß die territorial b e s c h r ä n k t e W i r k u n g d e r E n t e i g n u n g des V e r m ö g e n s d e r juristischen P e r s o n selbst bei z u s ä t z l i c h e r E n t e i g n u n g aller Mitgliedschafts-
18 Nochmals zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten, JZ 1956, S. 673-678 (S. 678). Handelt es sich bei den Regeln über die Existenz einer juristischen Person aber wirklich nur um innerstaadiches Recht oder stimmen insoweit nicht doch alle Kulturstaaten in einem Kernbestand von Normen überein (in diesem Sinne Mann, Die Konfiskation . . . - Fn. 5 - , S. 146)? 19 BGHZ 23, S.333-342 mit Anmerkung von Beitzke, JZ 1957, S.477-478. 20 BGHZ 25, S. 134-154 (S. 140) - Urteil vom 11.7.1957; dazu etwa Seidl-Hohenveldem, Territoriale Begrenzung ausländischer Eingriffe in deutsches Vermögen nach dem Überleitungsvertrag, RIW 1957, S. 179-182. 2 1 Der Senat referiert die Auffassungen von H. Lewald (Zur one man's Company als Mittel der Nationalisierung von Aktiengesellschaften im internationalen Privatrecht, Juristische Blätter 1952, S.238-240; dazu Seidl-Hohenveldem, Getarnte extraterritoriale Konfiskationsansprüche, ebd., S. 410-413, aber auch Mann, öffentlich-rechtliche Ansprüche . . . Fn. 6 - , S. 213),Seidl-Hohenveldern (Internationales Konfiskations- und Enteignungsrecht, 1952, S. 71-75, S. 130 „und noch vielfach"-so der BGH schon damals -),Serick (Zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten, JZ 1956, S. 198-206) und Beitzke (vgl. Fn. 18).
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rechte auf das extraterritoriale Vermögen der Rechtsperson ausgedehnt werde. Wegen des Fortbestandes der juristischen Person (GmbH) in der Bundesrepublik Deutschland - aufgrund des Territorialitätsprinzips 22 müßten vielmehr in deren Gebiet auch „alle Mitgliedschaften an ihr als fortbestehend angesehen werden, weil es dem Schutzzweck des Territorialitätsprinzips widerspricht und nicht sinnvoll ist, eine juristische Person um ihres enteignungsfrei gebliebenen Vermögens willen aufrechtzuerhalten, ohne daß dies ihren bisherigen Mitgliedern nützt, und weil andererseits die Wirkungen der Enteignung des Vermögens einer juristischen Person schlechterdings nicht unter Außerachtlassung des Territorialitätsprinzips auf das extraterritoriale Vermögen ausgedehnt werden können, bloß weil auch die Mitglieder dieser Rechtsperson enteignet worden sind"23.
Die innere Folgerichtigkeit zumindest wird man diesem Erkenntnis jedenfalls dann nicht absprechen können, wenn man sich die Prämissen der „gemäßigten" Spaltungstheorie zu eigen macht 24 . Das Fehlen von „Westvermögen" einer in der SBZ enteigneten GmbH mag den 7. Zivilsenat des B G H zu einem anderen Lösungsweg bewogen haben 25 . Da sich eine entschädigungslose Enteignung einer Forderung „mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, wie sie mit Bezug auf die Unantastbarkeit des Privateigentums in Art. 153 Weim. RV und Art. 14 G G niedergelegt sind, in schroffem Widerspruch" befinde, stehe den privatrechtlichen Folgen hieraus für eine Bürgschaftsschuld der Art. 30 E G B G B entgegen. Mit der in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts- und Sozialordnung sei es nicht vereinbar, daß eine Enteignung ohne gesetzliche Grundlage und ohne die Zahlung einer Entschädigung vorgenommen werde. Offenbar war sich der B G H hier der Grenzen des Territorialitätsprinzips nicht so gewiß, als daß er nicht auf die (subsidiäre 26 ) Vorbehaltsklausel meinte zurückgreifen zu müssen, vetrat er doch die Auffassung, die faktischen Wirkungen eines innerhalb der SBZ vollzogenen Aktes müßten, soweit sie über die Grenzen der dortigen Machtsphäre nicht hinausgingen, hingenommen werden 27 . Wiederum der 7. Senat schloß sich einem Urteil vom 5.5.1960 an die Befürworter der Spaltungstheorie an, zunächst hinsichtlich der Frage, inwieweit ein Staat Auslandsvermögen durch entschädigungslose Enteignung ergreifen kann 28 und jedenfalls für den Fall, daß (fast) alle Anteile an
A . a . O . (Fn.20), S.143. E b d . , S. 1 4 7 - 1 4 8 . 2 4 Zu diesen Prämissen die Kritik Manns, Die Konfiskation . . . (Fn. 5), S. 1 4 4 - 1 5 0 ; ferner Flume, Juristische Person . . . ( F n . 2 ) , S. 153. 2 5 B G H Z 31, S. 168-174 (Urteil v o m 1 2 . 1 1 . 1 9 5 9 ) mit zu Recht kritischer Anmerkung von Beitzke, J Z 1960, S . 9 0 - 9 1 . 2 6 E b d . , S. 172. 2 7 E b d . , S. 171. 2 8 B G H Z 32, S. 2 5 6 - 2 6 7 . 22
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einer juristischen Person konfisziert werden. Auslandsvermögen sei nun einmal auch nicht über den „Kunstgriff" der Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten für Enteignungsmaßnahmen zugänglich (allgemein anerkannte Lehre von der territorialen Begrenzung staatlicher Eingriffe). Den vom Jubilar in der Festschrift für Hermann Janssen entwickelten , ,spalt"-gesellschaftsrechtlichen Überlegungen 29 mochte das Gericht freilich (noch) nicht in vollem Ausmaß folgen 30 . Das geschah mit der Entscheidung des gleichen Senats vom 6.10. desselben Jahres 3 1 . Er folgte der „Spaltungstheorie" nunmehr auch in der Frage, wer Inhaber des durch die Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte nicht erfaßbaren und nicht erfaßten Auslandsvermögens der juristischen Person sei. „Eine andere Lösung bleibt nicht übrig" 3 2 . Die ,;Spalt"-Gesellschaft sei eine von der im Enteignungsstaate fortbestehenden Genossenschaft rechtlich verschiedene, selbständige juristische Person, die wohl auch als werbende weiter tätig werden könne 3 3 . Uberblickt man die seitherige höchstrichterliche Rechtsprechung, so mögen noch - außer der eingangs erwähnten 34 - drei Erkenntnisse von erhöhtem Interesse sein. Zunächst setzte sich - in einem Urteil vom 21.1.1965 3 5 - der 2. Zivilsenat mit einer im Schrifttum vertretenen Gegenmeinung36 auseinander und betonte, wenn der enteignende Zwangseingriff keine extraterritoriale Wirkung haben solle (!), müsse auch der mit der totalen Vernichtung der juristischen Person im Sitzstaat verbundene Verlust der statutarischen Sitzes für deren auswärtigen Fortbestand ohne rechtliche Bedeutung bleiben. Obwohl grundsätzlich das Recht des Sitzstaates bestimme, unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person entstehe, lebe und vergehe, so sei aber doch, soweit für staatliche Zwangseingriffe gegen eine juristische Person über den Hoheitsbereich hinaus-
Vgl. Fn. 12. Ebd., S. 262-263; vgl. auch die Anmerkung Manns, N J W i960, S.2141-2142. 3 1 B G H Z 3 3 , S. 195-205. 3 2 Ebd., S. 198. Mann, Die Konfiskation . . . (Fn. 5), S. 145-146, und auchFlume, Juristische Person . . . (Fn. 2), S. 149, haben zu Recht betont, daß dies weder zutreffe noch, falls es zuträfe, überhaupt als hinreichende Begründung akzeptiert werden könne. Vgl. auch Beitzke, Diskussionsbeitrag, in: Böckstiegel/Koppensteiner, Enteignungs- oder Nationalisierungsmaßnahmen gegen ausländische Kapitalgesellschaften, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 13, 1974, S. 107-111. 3 3 Ebd., S. 199. Beitzke hat klarstellend darauf hingewiesen, es könne sich hierbei nur um eine inländische Gesellschaft handeln (Anmerkung zu B A G , 28.10.1958, AP IPR N r . 2 , Blatt 306 R); ebenso Flume, Juristische Person . . . (Fn.2), S. 163-165. 3 4 Vgl. Fn. 1. 3 5 B G H Z 43, S. 51-65. 3 6 H. Gurski, Spaltgesellschaften und Währungsrecht, WM 1963, S. 1078-1091;vgl. auch die Entgegnung Gurskis auf die Stellungnahme des B G H (Auslandsenteignungen bei juristischen Personen, N J W 1965, S. 1353-1357/S. 1355). 29
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greifende Wirkungen in Betracht kommen, diesen die Anerkennung zu versagen 3 7 . A m 3 1 . 3 . 1 9 7 1 hatte der 8. Senat über eine Klage der Zentralbank des Enteignungsstaates gegen die ,,Spalt"-Gesellschaft zu entscheiden, welcher eine Forderung gegen das enteignete Unternehmen aus der Zeit v o r der Nationalisierungsmaßnahme zugrunde lag 3 8 . Das Gericht bejahte ohne große Umstände die Parteifähigkeit der Beklagten und zog hernach den Territorialitätsgrundsatz, „ d e r Bestandteil des deutschen Rechts ist", auch dazu heran, die Klage, wirtschaftlich die Vollendung der Enteignung, abzuweisen 3 9 . Schließlich oblag es auch dem Großen Zivilsenat des B G H , zu den Grenzen der Konfiskation des Vermögens von Ausländern Stellung zu nehmen 4 0 . Das „allgemein und weltweit anerkannt(e)" Territorialitätsprinzip - so das Gericht im Beschluß vom 2 1 . 5 . 1 9 7 4 - besage, „daß derartige Hoheitsmaßnahmen eines Staates nur das seiner Gebietshoheit unterliegende, nicht dagegen das im Ausland belegene Vermögen erfassen können . . . Die vom Territorialitätsprinzip gezogenen Schranken . . . bilden die äußerste Grenze auch für die Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte einer Person zumindest dann, wenn sich die Mitgliedschaftsrechte . . . ganz oder fast ganz in ausländischer Hand befinden . . . Nach allgemeiner, auf eine natürliche Betrachtungsweise gestützte Rechtsüberzeugung ist in diesen Fällen die Beschlagnahme der Mitgliedschaftsrechte der Beschlagnahme des Vermögens der juristischen Person gleichzusetzen . . . Andernfalls würde in diesen Fällen das Territorialitätsprinzip mißachtet und durch einen bloßen rechtskonstruktiven Kunstgriff ausgeschaltet, wie ihn die Beschlagnahme der ganz oder fast ganz in ausländischer Hand befindlichen Mitgliedschaftsrechte einer juristischen Person statt ihres Vermögens letztlich darstellt. Es ist nicht gerechtfertigt, die Tragweite der jeweiligen Enteignung in beiden Fällen verschieden zu beurteilen und in dem einen das Territorialitätsprinzip anzuwenden, im anderen nicht. Das entspricht dem internationalen Rechtsempfinden . . . ' " " . Noch keine hinreichende Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings die Frage erfahren, wann denn nun eigentlich die Beschlagnahme von Mitgliedschaftsrechten der Enteignung des Gesellschaftsvermögens selbst gleichzusetzen sei. D e r 2. Zivilsenat des B G H stellt hierzu in der eingangs genannten Entscheidung 42 wie auch in einer
A.a.O., (Fn.35) S.55-56. BGHZ 56, S. 66-73. 39 Ebd., S. 71. 40 BGHZ 62, S. 340-351; eine Entscheidung nach deren Ergehen der Streit in der Literatur weitgehend verstummt sei (so Teich, Die Spaltungstheorie . . . - Fn. 4 - S. 1323). Bemerkenswerterweise nimmt Flume (Fn. 2) nur ganz am Rande auf diesen Beschluß Bezug (S. 149, Fn. 22; S. 167, Fn. 73), ohne auf die angreifbare Begründung im einzelnen einzugehen. Das Ausspielen von „natürlicher" Betrachtungsweise gegen rechtliche „Konstruktionen" genügt schwerlich den Anforderungen an eine dogmatisch überzeugende Ableitung des Ergebnisses, und das „internationale Rechtsempfinden" ist nun einmal nicht so einheitlich, wie der BGH dartut: die Konfiskatoren sind anderer Ansicht! 41 Ebd., S.343-344. 42 Vgl. Fn. 1. 37 38
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früheren 43 auf den „wirtschaftlichen Erfolg" der Enteignungsmaßnahmen ab, also darauf, ob „sich der Träger öffentlicher Gewalt . . . so viele Mitgliedschaftsrechte zu wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Zwecken angeeignet (hat), daß er . . . Vermögens- und verwaltungsmäßig das Gesellschaftsvermögen ähnlich wie bei einer Enteignung der Gesellschaft beherrscht" 44 .
In concreto verneinte das Gericht zunächst eine spaltungstheoretisch relevante Konfiskation bei einer „Enteignung einzelner Genossen" 4 5 , hernach aber auch im Falle von 47 % nicht konfizierter Mitgliedschaftsrechte 46 . Begründet wird die spätere Entscheidung mit dem lapidaren Satz: „Bei einem so hohen im Privatbesitz verbliebenen Anteil am Gesellschaftskapital läßt sich die Beschlagnahme der übrigen Anteile schwerlich einer Enteignung des Gesellschaftsvermögen selbst gleichsetzen, so daß darin nur ein Versuch zu sehen wäre, auf einem Umweg auch die sonst nicht erreichbaren ausländischen Werte in staatliches Eigentum zu überführen" 47 .
Es mag freilich mit Fug bezweifelt werden, ob die vom Bundesgerichtshof genannten Kriterien eine auch nur annähernd im voraus berechenbare Abgrenzung zwischen der Enteignung fast aller Mitgleidschaftsrechte mit der Folge des Entstehens einer „Spalt"-Gesellschaftund der Konfiskation von 53 % der Gesellschaftsanteile, die alles beim alten läßt, ermöglichen können; zu einer „Vermögens- und verwaltungsmäßigen" Beherrschung einer juristischen Person reichen oft bedeutend geringere prozentuale Gesellschaftsanteile hin 4 8 . Zum Abschluß dieser Ubersicht soll nicht unerwähnt bleiben, wie distanziert sich bislang das Bundesverfassungsgericht der „Spaltungs-Theorie" gegenüber gezeigt hat. Es spricht wiederholt von dieser Lehre als einer vom B G H vertretenen 49 - also auch wohl vom Verfassungsgericht selbst nicht vorab gebilligten - und läßt an einer Stelle gar ausdrücklich offen, ob das Auslandsvermögen einer juristischen Person, die ihren Sitz im Gebiet des konfiszierenden Staates habe, wegen der territorial beschränkten Wirkung von Hoheitsmaßnahmen auch auf dem Weg über eine Konfiskation aller Mitgliedschaftsrechte nicht erfaßt werden könne 50 . WM 1971, S. 1502-1509. Ebd., S. 1506; RIW/AWD 1977, S.780. 4 5 WM 1971, S. 1507. 4 6 RIW/AWD, S. 780. 4 7 Ebd. (Hervorhebung H. J. H.). Man beachte die strafrechtlich anmutende Terminologie; der B G H scheint demnach die Verfügung einer juristischen Person über ihr Auslandsvermögen im Falle einer Mitgliedschaftsrechts-Konfiskation für einen Hoheitsakt zu erachten (siehe dazu unter II.). 4 8 Vgl. auch Teich (Fn. 1), S. 13; solche „Herrschaft" mag praktisch oft bei weitgestreutem Aktienbesitz gegeben sein! 4 9 Vgl. BVerfGE 29, S. 348-401 (S.359) vom 9 . 1 2 . 1 9 7 0 ; 45, S. 83-104 (S.92) vom 8.6.1977. 5 0 BVerfGE 29, S. 363. 41
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II. „Der entscheidende Gesichtspunkt, unter dem auswärtige Enteignungsmaßnahmen zu beurteilen sind, ist der, daß solche hoheitlichen Zwangseingriffe nicht über die Grenzen hinaus wirken können . . . Das ist ein Ausdruck des allgemeineren Grundsatzes der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts, soweit es staats- oder wirtschaftspolitischen Zielen dient . . . " 5 1 .
Der 2. Zivilsenat des B G H hat diesen Grundsatz- eigenen Angaben zufolge- bereits in ständiger Rechtsprechung bei Fragen des internationalen und -zonalen Enteignungsrechts seinen Entscheidungen zugrunde gelegt 52 , ihn aber im Urteil vom 17.12.1959 5 3 von der Ausgangskonstellation gelöst und auch für devisenrechtliche Regelungen aus einer fremden Rechtsordnung für maßgeblich erachtet. Freilich besteht das Gericht in der eben ausgeführten Entscheidung nicht auf diesem Prinzip, sondern hält dafür, die Anwendbarkeit oder Anwendung fremden öffentlichen Rechts, ja die Verpflichtung inländischer Behörden und Gerichte hierzu hänge von der Durchsetzbarkeit der Gesetzesbestimmungen seitens ihres Erlaßstaates ab, die nur in dessen „Machtbereich" gegeben sei 54 . Wie für wohl alle Grundsätze juristischen Zuschnitts muß auch für das Postulat der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts gelten, daß es keinesfalls ausnahmslose Geltung beanspruchen kann 55 . Nicht die gebotene Differenzierung jedoch, die schon vielfach erörtert worden ist 5 6 , sondern vielmehr das Problem, ob denn überhaupt von einer Anwendung fremden öffentlichen Rechts die Rede sein kann, wenn eine juristische Person, an der dem Sitzstaate (fast) 100 % der Mitgliedschaftsrechte zustehen, über nicht dem hoheitlichen Zugriff dieses Staates unterliegende Vermögenswerte verfügt, soll nunmehr im Mittelpunkt stehen. 1. Wie immer man eine Abgrenzungslinie zwischen privatem und öffentlichem Recht ziehen mag, ob, wenn es möglich sein sollte, die Kriterien für eine Scheidung beider Rechtsbereiche zufriedenstellend bestimmt werden können 5 7 , so ist doch zumindest nicht zu verkennen, daß das MitB G H WM 1971, S. 1502/1506. Vgl. die Zitate solcher Erkenntnisse in BGHZ 31, S. 367-373 (S.371). 5 3 Vgl. vorige Fn. 5 4 Ebd., S. 373; a. A. wohl Drobnig, Die Anwendung des Devisenrechts der Sowjetzone durch westdeutsche Gerichte, N J W 1961, S. 1088-1093 (S. 1089). Zu dieser BGH-Entscheidung auch Mann, Eingriffsgesetze und Internationales Privatrecht (1973), in: den., Beiträge . . . (Fn. 5), S. 178-200 (S. 191-192). 5 5 Siehe hierzu außer Mann (Fn. 6) insbesondere Rudolf, Territoriale Grenzen der staatlichen Rechtsetzung, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 11, 1973, S. 7-45 (S. 37-42), sowie Kegel, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 1977, S. 504-506. 5 6 Siehe außer den zuvor Genannten auch Mann, Eingriffsgesetze . . . (Fn.54), S. 181-190; den., Conflict of Law and Public Law, Recueil des Cours, 1971-1, pp. 107-196 (pp. 166-196). 5 7 Instruktiv hierzu Obermayer, Allgemeines Verwaltungsrecht, in: Mang!Maunzl Mayer/Obermayer, Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 4. Aufl. 1975, S. 123-329 (S. 128-134). 51
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gliedschaftsrechtsverhältnis, die rechtliche Grundlage der Beziehung zwischen Gesellschafter und juristischer Person des Privatrechts58 oder allgemeiner: einem Erwerbsunternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit59, zivilrechtlicher Natur ist 60 . Ebenso geht es schwerlich an, die Innehabung von Vermögenswerten durch eine solche juristische Person, sei es aufgrund Eigentums, Forderungsrechts oder welchen Rechtstitels auch immer, anders denn als ein dem Privatrecht zuzuordnendes Rechtsverhältnis zu bestimmen61. Diese Vermögens-Inhaberschaft aber erfährt durch einen „bloßen" konfiskatorischen Eingriff in (sämtliche) Mitgliedschaftsrechte an der juristischen Person keinen inhaltlichen Wandel in Gestalt ihrer, ,Publifizierung". So gilt denn auch - zumindest in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich - selbst für „öffentliche Sachen" die Rechtsfigur eines modifizierten Privateigentums; sowohl das Verwaltungsvermögen als auch die Sachen im Anstalts- und die im Gemeingebrauch unterliegen (auch) der Privatrechtsordnung62. Das Finanzvermögen, also die Gegenstände, die den Zwecken der öffentlichen Verwaltung nur mittelbar, durch ihren Vermögenswert oder durch ihre Erträgnisse dienen63, untersteht ebenfalls dem Zivilrecht und weist nur wenige Bezugspunkte zum öffentlichen Recht auf 64 . Der Ubergang von 100 % der Anteile an einer rechtsfähigen Gesellschaft macht ebenso das Mitgliedschaftsrechtsverhältnis nicht per se zu einem des öffentlichen Rechts65. Es ändert sich hierdurch allein ja nichts an der privatrechtlichen Verfassung der juristischen Person, und auch hierzulande sind staatliche Beteiligungen an privaten Erwerbsunternehmen zulässig und weit verbreitet66. Der Form nach trägt also die Verfügungsbefugnis der juristischen Person über Auslandsvermögen nach der Konfiskation der Mitgliedschaftsrechte an ihr weiter privatrechtlichen Zuschnitt. Auch kann es wohl nicht ernstlich zweifelhaft sein, daß die ihr 5 8 Zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften (im weiteren Sinne) siehe Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 1976, S. 167-457. 5 9 Vgl. Mann, öffentlich-rechtliche Ansprüche . . . (Fn.6), S.209. 6 0 Seiner Offenkundigkeit halber wird dieser Satz selten ausgesprochen; vgl. aber Reinhardt, Gesellschaftsrecht, 1973, Rdnr.4, 1027 (S. 2, S. 395-396). 6 1 Siehe wiederum Reinhardt (vorige Fn.), Rdnr. 32, S. 13-14. 6 2 Hierzu Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, S.495. 6 3 Siehe Wolff/Bachof (vorige Fn.), S.484. 6 4 Ebd. 6 5 Diese Überlegung liegt offenbar auch dem Urteil B G H Z 62, S. 340-351 (Fn. 40/41) zugrunde; andernfalls bedürfte es keines Rekurses auf die Mißbilligung eines bloßen „rechtskonstruktiven Kunstgriffs". Wohl ebenso wie im Text Mann (Fn.6), S.211-212. 6 6 Beschränkungen, die eine solche Möglichkeit aber doch wohl voraussetzen, befinden sich allerdings für kommunale Gebietskörperschaften in Art. 91 der Bayerischen Gemeindeordnung, Art. 79 der Bayerischen Landkreisordnung, Art. 77 der Bayerischen Bezirksordnung sowie in entsprechenden Gesetzesvorschriften anderer Bundesländer.
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Vermögen einfordernde juristische Person - und nur sie, nicht aber ihr staatlicher Alleingesellschafter macht in aller Regel solche Ansprüche geltend 67 - im Auslande nicht etwa - weil iure imperii handelnd 68 - von der dortigen innerstaatlichen Jurisdikation exemt ist 6 9 . In einem Urteil vom 7.6.1955 hat der 1. Zivilsenat des B G H sich denn auch eindeutig dahingehend ausgesprochen, ein zwar dem Staate gehörendes, aber wirtschaftlich und juristisch selbständiges Unternehmen sei der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht entzogen 70 . Es liegt allerdings nahe zu sagen, „dem Grunde und der Sache nach" stellten solche Forderungen doch eigentlich „die Ausübung von Hoheitsgewalt, die Verfolgung öffentlich-rechtlicher Ansprüche, einen Bestandteil oder ein Glied in der Kette der Konfiskationsmaßnahmen dar . . . " 7 1 ; folglich könne die ausländische juristische Person im Inland insoweit keine Ansprüche geltend machen 72 . Freilich bedarf es in diesen Fällen zuvörderst der Klärung, wann denn eine juristische Person „als Staatsorgan" 7 3 handle, wenn sie „indirekt" 7 4 öffentlich-rechtliche Ansprüche ihres Sitzstaates geltend mache. Hierzu verweist man - wenn dieses Problem überhaupt erörtert wird auf die „Natur" des jeweiligen Rechts: Wo ein ausländischer Staat ein Recht geltend mache, das kraft seiner Natur ebensogut von einer Einzelperson eingefordert werden könnte, könne es sich nicht um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch handeln, und dem fremden Staat stehe daher der Weg zu inländischen Gerichten offen 7 5 . Andererseits könne ein Staat
6 7 Dies belegen die Beispiele bei Seidl-Hohenveldem (Fn.21), S. 73-75, gleichermaßen wie alle unter I. dargestellten BGH-Entscheidungen (vgl. insbesondere B G H Z 56, S. 66-73 Fn. 3 8 / 3 9 - ) . 6 8 Zur Unterscheidung zwischen A C T A I U R E IMPERII und A C T E I U R E G E S T I O NIS immernoch aufschlußreich Oppenheim/Lauterpacht, International Law, Vol. I, Peace, 8th ed. 1955, pp. 271-274; neuestens BVerfGE, 46, S. 342-404 vom 13.12.1977 mit umfänglichen Nachweisen (Anmerkung von Seidl-Hohenveldem in R I W / P A W D 1978, S. 122-123). 6 9 Siehe hierzu Verdröss/Simma, Universelles Völkerrecht, 1976, S. 565-570. 7 0 B G H Z 18, S. 1-13 (S. 9-10); vgl. auch Drobnig/Waehler, Legal Aspects of Foreign Trade in East Germany, J . W . T . L . 2, 1968, pp. 28-46 (pp. 33-35). 7 1 So Mann, Die Konfiskation . . . (Fn.5), S. 141; ebenso ders., öffentlich-rechtliche Ansprüche . . . (Fn. 6), S.213. 72 Mann (Fn. 6), S. 212, erachtet eine solche Klage als unzulässig, er sieht also offenbar nicht etwa die Sachlegitimation, sondern bereits die Prozeßführungsbefugnis als nicht gegeben an (vgl. auch dens., a. a. O . - Fn. 56 - , p. 168). 73 Mann (Fn.6), S.212. 7 4 Ebd., S.211. 7 4 So Mann (wie zuvor), S. 210 mit Fn. 36; siehe auch dens., Eingriffsgesetze . . . (Fn. 54), S. 186-187. 7 5 So Mann (wie zuvor), S. 210 mit Fn. 36; siehe auch dens., Eingriffsgesetze . . . (Fn. 54), S. 186-187.
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nicht vor ausländischen Gerichten nach Maßgabe solcher Rechte Klage erheben, die ihm aufgrund seiner besonderen Hoheitsrechte zustehen 76 . Als solche spezifisch staatlichen Hoheitsrechte sollten nun sicherlich auch Enteignungsmaßnahmen aller Art anzusehen sein 77 . Allerdings hat nun zwar der neue Alleingesellschafter, der konfiszierende Staat also, sein Mitgleidschaftsrecht aufgrund eines Hoheitsaktes erlangt. Diese Ursache seines Rechtserwerbs ist aber nur eine notwendige, nicht bereits eine hinreichende Bedingung für die Annahme, die staatliche Rechtsinhaberschaft beruhe auch auf öffentlich-rechtlichen Bestimmungen, finde hierin ihren Rechtsgrund. Man denke an die vergleichbare Lage etwa des Erstehers eines Grundstücks im Zwangsversteigerungsverfahren: Dort verschafft der dem öffentlichen Recht zuzuordnende Zuschlag nach § 90 Abs. 1 ZVG dem meistbietenden Beteiligten privatrechtliches Eigentum; die Person des Ersteigerers, ob Privatmann, ob Fiskus, bleibt außer Betracht. Ebenso aber verhält es sich beim Erwerb der Mitgliedschaftsrechte an einer juristischen Person durch den (Sitz-) Staat: Das Mitgliedschaftsrechtsverhältnis bei einer juristischen Person des Privatrechts zumindest behält seinen zivilrechtlichen Charakter ebenso dann, wenn sein Träger der Staat ist, weil die Person des Mitglieds insoweit rechtsunerheblich ist. Auch der Nachweis einer Instrumentalisierung der juristischen Person für spezifisch staatliche Zwecke ihres (Beinahe-) Alleingesellschafters wirft mannigfache Probleme auf. Dieses Rechtsgebilde hat nun einmal dann, wenn die Anteile an ihm mehrheitlich in einer Hand vereinigt sind, überall und stets die Funktion, ebenfalls den Interessen des dominierenden Mitglieds zu Diensten zu sein, ohne daß hierbei dessen Motivation irgendeine Rolle spielte. Auch mögen von Land zu Land die Meinungen weit auseinandergehen, was denn solche ausschließlich staatlichen Zwecke seien. Nur eine zu mißbilligende Art des Mitgliedschaftsrechtsera>er&s, die sich nach Maßgabe fremden öffentlichen Rechts vollzieht, ist es demnach, die Verfügungen der (in ihrem Sitzstaate zumindest) fortbestehenden juristischen Person über ihre ausländisch belegenen Vermögenswerte entgegensteht 89 . Das völkerrechtliche Verbot hingegen, öffentlich-rechtliche Ansprüche im Ausland zu verfolgen, kann im Zusammenhang des Themas nur insoweit fruchtbar werden, als es auch für öffentlich-rechtliche Vorentscheidungen über privatrechtliche Ansprüche gilt 79 . 76
Ebd. Vgl. etwa Art. 74 Ziff. 14, 15 des Grundgesetzes, wo den Gesetzgebungsorganen der Bundesrepublik Deutschland solche Befugnisse eingeräumt werden. 78 Anders formuliert: Nichtig«/? ein Staat Alleingesellschafter wird, sondern wie sich dies vollzieht, ist f ü r das Ausland rechtserheblich. 79 Vgl. die differenzierende Darstellung Kegels (Fn. 55), S. 505; ferner Beitzke, Extraterritoriale Wirkung von Hoheitsakten, in: Strupp/Schlocbauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völ77
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2. Die Bindung aller Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 G G ) verpflichtet die Rechtspflegeorgane dieses Staates auch bei Erkenntnissen über Klageansprüche ausländischer Personen. So trivial die Feststellung auch scheinen mag, so knüpfen sich doch an sie weittragende Folgerungen hinsichtlich der „indirekten" extraterritorialen Geltendmachung von Konfiskationsmaßnahmen, wie sie bei Inanspruchnahme inländischer gerichtlicher Hilfe durch fremde juristische Personen, deren Mitglieder auf dem Enteignungswege gewechselt haben, gegeben ist. Stellt nämlich die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts grundsätzlich eine vom Völkerrecht gebilligte Angelegenheit jedes einzelnen Staates dar 80 , so unterliegt doch die anzuwendende Norm einer Prüfung auf Konvergenz mit verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsprinzipien 81 . Ein Blick auf die Entscheidungspraxis deutscher Gerichte zeigt, daß insbesondere - außer in Art. 14 G G normierten Eigentumsgarantie 82 - der Rechtsgedanke des Art. 103 A b s . l G G , das in dieser Bestimmung gewährleistete rechtliche Gehör vor Organen der Dritten Gewalt, von Konfiskatoren recht gering geschätzt zu werden pflegt: Man denke etwa an den chilenischen Kupfer-Fall, über den das Landgericht Hamburg zu befinden hatte 83 . Hingegen erscheint über Art. 25 G G allein wohl kein hinreichender Schutz vor unerwünschten ausländischen Hoheitsakten begründbar. Zwar mag es für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht darauf ankommen, wie zu verstehen ist, daß die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" den Gesetzen vorgehen 84 . Auch wenn man nämlich den in Bezug genommenen internationalrechtlichen Regeln entgegen der wohl h. M. 8 5 Verfassungsrang oder gar eine noch höhere Valenz einräumte 86 , so bliebe kerrechts, Bd. 1, i960, S. 504-505. Auch Mann (Fn. 6), S. 213, dürfte im oben dargelegten Sinne zu verstehen sein. 8 0 Vgl. Rudolf (Fn. 55), S. 37; Mann (Fn. 54), S. 184. 8 1 Dazu Rudolf (Fn.55), S. 41-42, m . w . N . 8 2 Vgl. B G H Z 31, S. 168-174 (Fn. 25-27); zur Reichweite dieser Vorschrift vgl. die Hinweise bei Hahn, Staatsvertraglicher Verzicht auf Vermögensrechte und verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz, Festschrift für H . Raschhofer, 1976, S. 59-76 (S. 64-66). 8 3 Vgl. insbesondere das Urteil vom 22.1.1973, AWD-BB 1973, S. 163-165 und dazu etwa Meessen, Die Verstaatlichung des Kupferbergbaus in Chile vor deutschen Gerichten, ebd., S. 177-181, sowie Seidl-Hohenveldern, Die Verstaatlichung von Kupferbergbaubetrieben in Chile, AWD-BB 1974, S.421-428, m . w . N . 8 4 Zusammenstellung der verschiedenen Meinungen bei Rojahn, Art. 25, Rdnr. 36-41, in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 1976, S. 140-143. 8 5 Siehe dazu außer Rojahn (vorige Fn.) auch Maunz(! Düng! Herzog), Grundgesetz, Kommentar, Rdnr. 25 zu Art. 25 G G (1964). 8 6 Vgl. die Nachweise bei Rojahn (Fn. 84), Rdnr. 37 zu Art. 25 G G , S. 141. Auch Beitzke mochte diese These nicht teilen (vgl. Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 4, 1961, S. 155-156/S. 156).
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doch das entscheidende Problem zu bestimmen, welche Regeln dann derart allgemeine, also (fast) universell als verbindlich anerkannte 87 , positive Geltung haben. In der gegenwärtigen Weltlage voll ausgeprägter politischer und ideologischer Gegensätze kann aber sicherlich nur ein Kernbestand elementarer individueller Rechte über Art. 25 G G auch innerstaatliche Verbindlichkeit erlangen. Wenn also das Völkerrecht ein (Grund-) Recht auf privates Eigentum gewährleistet 88 - wie es auch heute (noch?) zumindest in rudimentärem Maße der Fall ist! 8 9 - , so unterschreitet dessen allgemeine Anerkennung aber doch wohl den Standard des Art. 14, aber auch des Art. 15 G G nicht unerheblich. Beide Verfassungsbestimmungen beschränken ja die Zulässigkeit staatlicher Eingriffe sowohl durch das Erfordernis des gemeinen Wohls 9 0 als auch durch das Gebot der Leistung einer angemessenen Entschädigung für den Rechtsverlust (Art. 14 Abs. 3 Satz 3 , 1 5 Satz 2 GG) - Voraussetzungen, über deren erstere zu befinden das Völkerrecht jedem einzelnen Staat anheimgibt 91 , deren andere aber im zwischenstaatlichen Recht meist zugunsten globaler Entschädigungsregelungen zurückweicht 9 2 . Weniger grundsätzlich kontrovers ist das Recht des Ausländers auf „Gewährung des inländischen Justizgangs" 9 3 , der freilich seinerseits nur 8 7 Diese Auslegung des Art. 25 G G findet eine Stütze bereits in den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates (siehe JöR 1, 1951, S.229-235, insbesondere S.233-234); man wollte bewußt über die engere und zudem restriktiv interpretierte Fassung des Art. 4 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 („Die allgemein anerkannten Regeln") hinausgehen, um ein Unterlaufen der Vorschrift durch staatliche Organe unmöglich zu machen. 8 8 Ablehnend insbesondere Völkerrechtslehrer aus den sozialistischen Staaten; vgl. Kröger u. a., Völkerrecht, Teil 1,1973, S. 322, m. w. N. in Fn. 43 und 44. Wenn dort als Beleg für die eigene Auffassung auch auf das „Sabbatino"-Urteil des United States Supreme Court vom 23. März 1964 (A. J. I. L. 58, 1964, pp. 779-814, p. 792; dazu Mann, The Legal Consequences of Sabbatino, 1965, iniders., Studies in International Law, 1973, pp. 466-491) Bezug genommen wird, so ist dies freilich kaum haltbar. Wie immer man die Stellungnahme des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten von Amerika auch werten mag (vgl. etwa Mann, pp. 475-483), gegen Eigentumsschutz überhaupt hat sich der Gerichtshof nicht ausgesprochen, sondern einen internationalen Standard auf diesem Felde vielmehr bejaht. 8 9 Instruktiv hierfür Seidl-Hohenveldern, Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und dessen Schutz im heutigen Völkerrecht, Almanach 1977 des Carl Heymanns Verlags, S. 75-98; vgl. ferner Mann, Nochmals zu völkerrechtswidrigen Enteignungen vor deutschen Gerichten, Festschrift für K. Duden, 1977, S. 287-305 (S.294-299). 9 0 Vgl. Maunz(/Dürig/Herzog), a.a.O. (Fn.85), Rdnr.18 zu Art. 15 (1969). 9 1 Vgl. Böckstiegel, Die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts über Eigentumsentziehung, 1963, S. 70-74. 9 2 Beispiele bei Seidl-Hohenveldern (Fn.89), S.96. 9 3 Vgl. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, I. Band, 2. Aufl. 1975, S . 4 0 8 ; D a h m , Völkerrecht, Band 1, 1958, S. 509-510.
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einem völkerrechtlichen Minimumstandard genügen muß; dieser bleibt weit hinter grundsätzlichen Garantien zurück 94 . Man hat nun jüngst darauf hingewiesen95, es sei eine anerkannte Regel des Völkergewohnheitsrechts und gelte folglich nach Maßgabe des Art. 25 GG auch hierzulande, daß ein Staat auf dem Gebiet eines anderen Staates regelmäßig96 keine Hoheitsmacht ausüben dürfe. In der Geltendmachung öffentlich-rechtlicher Ansprüche durch einen fremden Staat — und sei es auch vor inländischen Gerichten - liege aber, wenn schon nichts anderes, so doch zumindest eine mit Art. 25 GG unvereinbare und daher ordrepublic-widrige Hoheitsrechtsanmaßung97. Es ist nun sicherlich richtig, die Grundsätze über die staatliche Gebietshoheit als „allgemeine Regeln des Völkerrechts" zu werten 98 . Minder zweifelsfrei erscheint es allerdings schon, ob auch derartige Regeln über das Verhältnis von Territorial- und Personalhoheit99 existieren bzw. zu ermitteln sind, die der Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten an einer juristischen Person Schranken gerade im Sinne der „Spaltungstheorie" setzen. Immerhin ist diese Lehre ja keineswegs einhellig anerkannt 100 , von pro-konfistatorischen Stimmen einmal ganz abgesehen101. Selbst wenn dem so wäre, ist doch nicht zu übersehen, daß eine andere Völkerrechtsregel besagt, grundsätzlich sei die Staatsangehörigkeits-Gesetzgebung fremder Staaten zu achten 102 . Die Regelung der „Staatsangehörigkeit" juristischer Personen103 hiervon auszunehmen, sie und die aus 94 Aufschlußreich ist insoweit die feststehende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Fristen für Einsprüche gegen Bußgeldbescheide; vgl. zuletzt BVerfGE 45, S. 360-363, mit Hinweisen auf vorhergehende Entscheidungen. 9 5 Vgl. Fn.2. 9 6 Zu diesem Problemkreis schon früher Dahm, Völkerrechtliche Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit gegenüber ausländischen Staaten, Festschrift für A. Nikisch, 1958, S. 153-183; ders., Zum Problem der Anerkennung im Inland durchgeführter völkerrechtswidriger Enteignungen im Ausland, Festschrift für H. Kraus, 1964, S.67-94 (S. 88-91). 9 7 A . a . O . (Fn.2) S.274-276. 9 8 So tun es auch die Kommentare zum Grundgesetz; siehe Maunz(/Dürig/Herzog), a.a.O. (Fn.85), Rdnr.20 zu Art.25, und Rojabn, a.a.O. (Fn.84), Rdnr.22 zu Art.25, S. 130. 99 Beitzke hat bereits 1948 diese Problematik als die hier maßgebliche gekennzeichnet (a. a. O., Fn. 3, S. 106); die Durchsetzungsmöglichkeit gebe wohl den Ausschlag zugunsten der Territorialhoheit. 100 Teich (Fn. 1) hat jüngst Vertreter und Gegner der „Spaltungstheorie" aufgelistet (a.a.O., S. 12, Fn.3). 1 0 1 Hierzu aber Seidl-Hohenveldern, Das Recht auf wirtschaftliche Selbstbestimmung, AWD-BB 1974, S. 9-13; ders., Die „Charta" der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten, RIW/AWD 1975, S. 237-239. 1 0 2 Nachweise bei Rojabn (Fn. 84), Rdnr.22 zu Art.25 GG, S. 132. 1 0 3 Grundlegend hierzu Beitzke (Fn. 3), S. 22-41 sowie S. 220-239; ferner Kegel (Fn. 55), S.262-266, sowie Mann, Zum Problem der Staatsangehörigkeit der juristischen Person (1952), in: ders., Beiträge ... (Fn.5), S.55-69.
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ihr abzuleitenden Rechtsfolgen im Auslande schlicht zu negieren, ist nicht ohne weiteres einsichtig. Denn mag auch der Status einer juristischen Person im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat nur analog und nicht identisch mit der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen sein 104 , so besteht doch trotz aller Meinungsstreite im übrigen Einigkeit darüber, daß die Frage der Zuordnung einer juristischen Person zu einem bestimmten Rechtssystem erhebliche Rechtswirkungen zeitigt und bei der Anerkennung fremder juristischer Personen auch völkerrechtliche Probleme zu berücksichtigen sind 105 . Schließlich ist zu bedenken, welche gewichtigen Momente einer öffentlich-rechtlichen Qualifizierung der in Rede stehenden Rechtshandlungen ausländischer juristischer Personen entgegenstehen 106 . Es geht aber nicht an, fremdem Privatrecht die inländische Anwendung über die Schranke des Art. 30 EGBGB hinaus zu versagen; diese Vorschrift mag freilich ihrerseits als subkonstitutionelle am Grundgesetz zu messen und gegebenenfalls an ihm auszurichten sein 107 . So ist es vielleicht doch nicht nur ein Zufall, daß die veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheide zu Fragen des internationalen und -zonalen Enteignungsrechts Art. 25 G G gänzlich außer acht lassen, obzwar auch Normen des innerstaatlichen Rechts gegen die extraterritoriale Wirkung fremder Hoheitsakte ins Feld geführt werden 1 0 8 . Bei aller oft betonten Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes 109 : wirksamen Schutz gegen Konfiskationen, wie ihn nicht nur deutsche Staatsangehörige leider allzu nötig haben, vermag wohl nur das nationale Verfassungsrecht zu bie-
104 Vgl. Makarov, Staatsangehörigkeit, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, 1962, S.323 (-329). 105 Ubersicht bei Grossfeld, Praxis des internationalen Privat- und Wirtschaftsrechts, 1975, S. 26-74. 106 Siehe oben unter II. 1. 107 Vgl. Beitzke, Grundgesetz und Internationalprivatrecht, 1961; siehe auch BVerfGE 31, S. 58-87. 108 Vgl. das Urteil des 7. Zivilsenats vom 12.11.1959 (Fn.25). 109 Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964, S. 51. 110 Auch Seidl-Hohenveldern räumt in seinem jüngsten einschlägigen Beitrag (Fn.2) Vorschriften des Grundgesetzes größeren Raum ein ( a . a . O . , S.272-278). 111 Nach Drucklegung dieses Aufsatzes erschien - daher hier nicht mehr berücksichtigt Gerhard Ä>ge//Ignaz Seidl-Hohenveldern, Zum Territorialitätsprinzip im internationalen öffentlichen Recht, Festschrift für Murad Ferid, 1978, S. 233-277, wo dem Territorialitätsprinzip gleichfalls „Unscharfe" attestiert wird (S.277).
Kollisionsrechtliche Probleme bei der Auflösung eheähnlicher Gemeinschaften DIETER HENRICH
,,Britt Eklund, schwedische Schauspielerin, suchte in Hollywood Justitias Hilfe zur Befriedigung ihrer finanziellen Ansprüche gegenüber dem 32 Jahre alten britischen Rockstar Rod Stewart, mit dem sie längere Zeit zusammenlebte, aber nicht verheiratet war. Nach der Trennung verlangte die 34jährige nun eine Güterteilung, wie sie bei Scheidungen üblich ist. Im Fall des Kollegen Lee Marvin hatte ein kalifornisches Gericht derartige Partnerschaftsrechte anerkannt." Diese Nachricht ging vor einiger Zeit durch die Presse. Fälle dieser Art fangen an, auch die deutschen Gerichte zu beschäftigen. Mit der zunehmenden Ehemüdigkeit wächst die Zahl eheähnlicher Verbindungen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Ursachen dieser Entwicklung einzugehen. Das Faktum erheischt Beachtung. Mir liegen keine Zahlenangaben über die Verbreitung eheähnlicher Gemeinschaften in der Bundesrepublik vor. Nach einer Zählung in Frankreich im Jahre 1954 kamen auf rund zehn Millionen Ehepaare 281 460 „unions libres" 1 . Heute dürfte ihre Zahl höher sein. In den USA hat sich die Zahl der Personen, die ohne Heiratsurkunde zusammenleben, in der Zeit von 1970 bis 1975 von 654000 auf 1230000 verdoppelt. In Dänemark leben 150000 Paare ohne Trauschein zusammen. Amtliche Stellen schätzen, daß in den skandinavischen Ländern derzeit ein Drittel aller Partnerschaftsverhältnisse, die von Personen im Alter von 20-35 Jahren eingegangen werden, als sog. „papierlose Ehen" bestehen2. Bedenkt man, daß in der Bundesrepublik die Zahl der Eheschließungen pro 1000 Einwohner in den letzten fünfzehn Jahren um 37 Prozent zurückgegangen ist 3 , so geht man wohl nicht fehl in der Annahme, daß bei uns der Prozentsatz der eheähnlichen Gemeinschaften an den Verbindungen von Mann und Frau insgesamt nicht unerheblich über den 2,8 Prozent liegen dürfte, welche die Zählung in Frankreich im Jahre 1954 erbracht hat. Es fehlt nicht an Stellungnahmen, wie die Rechtsprobleme, die sich bei solchen eheähnlichen Gemeinschaften ergeben, im Bereich des materiellen Rechts zu lösen seien 4 . Dissertationen zu diesem Themenbereich häu1
Thery, Le concubinage en France, Rev. trim. dr. civ. 1960, 33ff., 36. Uni hh (Hamburgische Universitätszeitung) 1978 N r . 3 , S.16 und Süddeutsche Zeitung N r . 95 vom 25.4.1978. 3 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 27.6.1978, S. 1; Recht. Informationen des Bundesministers der Justiz, 1978, S.76. 4 Vgl. zuletzt den rechtsvergleichenden Beitrag, den M. A . Glendon in der Ferid-Festschrift (1978), S. 491, veröffentlicht hat: Patterns of contemporary legal response to the social phenomenon of de facto marriage. Siehe fernerRotb-Stielow, Rechtsfragen des ehelosen Zusammenlebens von Mann und Frau, J R 1978, 233. 2
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fen sich 5 , Symposien und Kongresse befassen sich damit 6 . Dagegen scheinen die kollisionsrechtlichen Probleme, welche die eheähnliche Gemeinschaft aufwirft, bisher noch niemals zusammenfassend behandelt worden zu sein. Sie wenigstens aufzuzeigen, ist Ziel dieses Beitrags, der sich allerdings auf einen, wenngleich den wichtigsten Teilaspekt beschränkt, nämlich die Auflösung der eheähnlichen Gemeinschaft. Eine eheähnliche Gemeinschaft kann aufgelöst werden durch Trennung der Partner oder durch den Tod eines Partners. Bei einer Trennung treten Probleme der Vermögensauseinandersetzung auf, möglicherweise werden Unterhaltsansprüche geltend gemacht, eventuell sogar Deliktsansprüche, und schließlich mag um die Verteilung der elterlichen Gewalt über gemeinschaftliche Kinder gestritten werden. Stirbt ein Partner, so ist insbesondere über die Berechtigung von Erbansprüchen zu entscheiden. Die kollisionsrechtlichen Probleme, die in solchen Fällen auftreten können, lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: (1) Vorfragenproblem (2) der kollisionsrechtliche Ehebegriff, analoge Anwendung von Kollisionsnormen, (3) außerfamilienrechtliche Kollisionsnormen. I. Vorfragenproblem Vorfragenprobleme entstehen dann, wenn zwei Rechtsordnungen in der Beurteilung einer Frage divergieren, von der die Antwort auf eine andere, die „Hauptfrage", abhängt. O b „Eheleute" gegeneinander güterrechtliche oder Erbansprüche geltend machen können, hängt in erster Linie davon ab, ob zwischen ihnen auch tatsächlich eine Ehe besteht. Auf diese Frage: „Besteht eine E h e ? " sind unterschiedliche Antworten verschiedener Rechtsordnungen durchaus möglich und gar nicht so selten. Man spricht in solchen Fällen von „hinkenden E h e n " . Typische Beispiele sind die Ehen von Griechen oder Spaniern, die in der Bundesrepublik nur kirchlich vor einem von der griechischen oder spanischen Regierung nicht zu solchen Trauungen ermächtigten Geistlichen geschlossen w o r d e n sind. Leben derart getraute Paare zusammen, so besteht zwischen ihnen aus deutscher Sicht keine Ehe, sondern nur ein eheähnliche Gemeinschaft. 5 Vgl. etwa Stückradt, Rechtswirkungen eheähnlicher Verhältnisse, Diss. Frankfurt 1964;Jeder, Eheähnliche Verhältnisse und die Stellung der „Geliebten" im Spiegel der deutschen Rechtsprechung, Diss. München 1971; Kossendey, Eheähnliche Verhältnisse im Arbeitsrecht, Diss. Köln 1973; Ohlenburger-Bauer, Die eheähnliche Gemeinschaft. Eine vergleichende Betrachtung ihrer Rechtslage und Rechtswirkungen in Frankreich und Deutschland, Diss. Köln 1977. 6 Vgl. Landwehr, Wissenschaft vernachlässigt die „papierlosen Ehen", uni hh 1978 Nr.3, S. 16 (zu einem Symposion der Hamburger Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften).
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Die kollisionsrechtliche Problematik ist bekannt. Es geht um die Anknüpfung der Vorfrage. Dabei ist zu unterscheiden, ob die Vorfrage bei der Anwendung der deutschen Kollisionsnorm oder erst bei der Anwendung des für maßgeblich erklärten Rechts auftritt. Tritt eine Vorfrage bei der Anwendung der deutschen Kollisionsnorm auf (als sog. „Erstfrage"), dann ist sie nach inzwischen ganz herrschender Meinung selbständig anzuknüpfen, d.h. nach der Kollisionsnorm zu beantworten, die für sie maßgebend wäre, würde sie als Hauptfrage gestellt werden 7 . Wenn Art. 15 EGBGB für güterrechtliche Ansprüche das Heimatrecht des Ehemannes für maßgebend erklärt, dann ist Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift, daß eine Ehe vorliegt. Ob eine Ehe vorliegt, ist deswegen vor Anwendung des Art. 15 EGBGB zu prüfen. Diese Prüfung kann wiederum nur unter Heranziehung der Kollisionsnorm erfolgen, die das für die Gültigkeit einer Eheschließung maßgebende Recht bestimmt, d.h. des Art. 13 EGBGB. Wird die Frage nach der Existenz einer Ehe nicht von der deutschen Kollisionsnorm aufgeworfen, sondern von dem von der deutschen Kollisionsnorm für maßgebend erklärten ausländischen Recht (Beispiel: nach deutschem Kollisionsrecht entscheidet über die Beerbung einer Person deren Heimatrecht. Dieses Recht räumt dem „Ehegatten" ein Erbrecht ein), so liegt es nahe, diesem Recht auch die Beantwortung der Vorfrage zu überlassen. Hierzu sind die Meinungen bekanntlich geteilt. Während eine verbreitete Auffassung auch hier eine selbständige Anknüpfung der Vorfrage empfiehlt8, halten andere eine unselbständige Anknüpfung für richtig 9 : Das Recht, das über die Hauptfrage zu entscheiden berufen ist (im konkreten Fall: über die Beerbung einer Person), solle auch darüber entscheiden, auf wen die Qualifikation „Erbe" zutrifft. Rechtfertigen läßt sich die letztgenannte Auffassung durch folgende Erwägungen: Wer Erbe wird, bestimmt in erster Linie der Erblasser. Errichtet ein Erblasser kein Testament, dann geht er offenbar davon aus, daß das gesetzliche Erbrecht des Staates, dem er angehört, die Erbfolge „richtig", d.h. in seinem Sinn regelt. Dieses Vertrauen des Erblassers auf die Maßgeblichkeit seines Heimatrechts sollte nicht dadurch enttäuscht werden, daß die Beantwortung der Frage nach der Existenz einer Ehe und damit auch eines Erbrechts des „Ehegatten" einem dritten Recht übertragen wird. Außerdem 7 Jochem, FamRZ 1964, 393f.; Firsching, Einführung in das internationale Privatrecht (1974), S. 63; Neubaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 2. Aufl. 1976, S. 140. 8 Kegel, IPR, 4. Aufl. 1977, § 9 II 1; Palandt-Heldrich, BGB, 37. Aufl. 1978, Vorbem. 10 vor Art. 7 EGBGB. 9 Neuhaus, a.a. O., S. 345 ff.; differenzierend Ferid, IPR (1974) Rz.4-62 und Firsching, a . a . O . , S.63f.: jedenfalls dann, wenn das Interesse am internationalen Entscheidungseinklang überwiegt.
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hätte es das Heimatrecht des Erblassers in der Hand, die erbberechtigten Personen näher zu umschreiben, etwa als Personen, die mit dem Erblasser in einer kirchlich gültigen Ehe lebten. Wenn eine solche Regelung akzeptiert werden müßte, warum dann nicht auch eine Kurzformel, die dasselbe meint? Freilich müßte in einem solchen Fall dem Ehepartner, der mit dem Erblasser nur standesamtlich verheiratet war, bei entsprechender Inlandsbeziehung mit dem ordre public geholfen werden 10 . Aber diese Heranziehung des ordre public erscheint erträglicher als die Verneinung des Erbrechts eines Ehepartners, der mit dem Erblasser in einer nach dessen Heimatrecht gültigen Ehe lebte. II. Der kollisionsrechtliche Ehebegriff, analoge Anwendung von Kollisionsnormen Im deutschen materiellen Recht zieht § 11 EheG einen klaren Trennungstrich zwischen Ehen und eheähnlichen Gemeinschaften: Eine Ehe muß vor einem Standesbeamten geschlossen worden sein. Andere Rechte sind weniger streng. Sie sprechen von Ehen auch dort, wo keine förmliche Eheschließung stattgefunden hat oder nachgewiesen werden kann. Die Common-Law-Ehe ist dafür nur ein, wenngleich wohl das bekannteste Beispiel. Ob in solchen Fällen eine Ehe vorliegt oder nicht, bestimmt sich grundsätzlich (Ausnahme: Art. 13 Abs. 3 E G B G B ) danach, ob das Heimatrecht der „Ehegatten" oder das Recht am Ort, wo die Gemeinschaft gegründet wurde (von einem „Eheschließungsort" kann nicht gesprochen werden, wenn eine förmliche Eheschließung nicht stattgefunden hat oder nicht nachgewiesen werden kann), die Existenz einer Ehe bejahen. Nach deutschem Recht ist die Ehe die einzige legitime, d.h. mit Rechtsfolgen ausgestattete Form des Zusammenlebens von Mann und Frau. Andere Rechte knüpfen Rechtsfolgen auch an andere Formen eines solchen Zusammenlebens. Kollisionsrechtlich entsteht die Frage: Umfaßt der Ehebegriff des Kollisionsrechts nur Ehen im Sinne des deutschen Rechts oder sind darunter auch andere Gemeinschaften subsumierbar? Wie steht es beispielsweise mit den uniones de hecho verschiedener lateinamerikanischer Rechte 11 oder mit den Konkubinaten, die in Art. 708ff. des äthiopischen Gesetzbuches geregelt sind? Fallen unter den Begriff „ E h e " auch polygame Ehen? Was geschieht schließlich mit eheähnlichen Gemeinschaften, die zwar im Heimatstaat der Eheleute nicht gesetzlich geregelt und damit nicht offiziell anerkannt sind, denen aber doch von der Rechtsprechung bestimmte Wirkungen einer Ehe beigelegt werden? Vgl. Henrich, STAZ 1966, 223. Vgl. etwa Art. 158 ff. des bolivianischen Familiengesetzbuches, Art. 173 ff. des Zivilgesetzbuches von Guatemala oder das panamesische Gesetz vom 12.12.1956 über Lebensbündnisse. 10
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1. Polygame Ehen. In der familienrechtlichen Literatur findet sich zuweilen die Behauptung, nur die monogame Ehe sei „ E h e " 1 2 . Diese Behauptung trifft indessen schon für das deutsche materielle Recht nicht zu. Denn wie sich aus den §§ 20,23 EheG ergibt, kann sich auf die Nichtigkeit einer Doppelehe niemand berufen, ehe nicht die „ E h e " durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Vor der Nichtigerklärung ist die „nichtige" Ehe somit existent. Für den kollisionsrechtlichen Ehebegriff ist deswegen erst recht davon auszugehen, daß auch eine Doppelehe eine Ehe sein kann. Sie ist in jedem Fall „ E h e " , wenn das Heimatrecht der Ehegatten die Mehrehe erlaubt. Hält das Heimatrecht der Ehegatten (oder zumindest eines Ehegatten) Mehrehen für nichtig, so ist diesem Recht zu entnehmen, ob von einer existierenden Ehe noch gesprochen werden kann (wie im deutschen Recht) oder ob die Ehe absolut nichtig ist (wie etwa im englischen Recht). Aber auch bei absolut nichtigen Ehen wäre es voreilig, sie den Nichtehen des deutschen Rechts gleichzusetzen. Vielerorts können solche Nichtehen als Putativ-Ehen Wirkungen entfalten (z. B. in England und den USA). Es ist dann die Frage, ob die Rechtswirkungen einer solchen Putativ-Ehe nach dem Recht beurteilt werden, das bei Bestehen einer Ehe maßgeblich wäre oder nach dem Recht, aus dem sich die absolute Nichtigkeit der Ehe ergibt („wer niederreißt, soll auch aufbauen"). Persönlich neige ich dazu, der ersten Alternative grundsätzlich den Vorzug zu geben, die deutschen Kollisionsnormen, die das Bestehen einer Ehe voraussetzen, also analog anzuwenden. 2. Konkubinate, „freie" eheliche Verbindungen, „Lebensbündnisse". Bei Konkubinaten ist zu unterscheiden zwischen solchen, die in einer bestimmten Rechtsordnung mit eheähnlichen Rechtsfolgen ausgestattet sind und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. a) Zu der ersten Gruppe gehören etwa das Konkubinat des äthiopischen Rechts (Art. 708ff. des äthiopischen Zivilgesetzbuches), die „freien oder tatsächlichen ehelichen Verbindungen" des bolivianischen Rechts (Art. 158 ff. des bolivianischen Familiengesetzbuches), die „Lebensbündnisse" des Rechts von Guatemala (Art. 173 des guatemaltekischen Zivilgesetzbuches) und von Panama (Gesetz vom 12.12.1956 über Lebensbündnisse). Diese Verbindungen sind keine Ehen, sie haben aber kraft Gesetzes gewisse Rechtsfolgen, die zumindest teilweise den Rechtswirkungen einer Ehe entsprechen. So haben etwa nach bolivianischem Recht die dauernden und auf die beiden Partner begrenzten freien oder tatsächlichen Verbindungen eheliche Wirkungen sowohl hinsichtlich der persönlichen als auch der vermögensrechtlichen Beziehungen der Partner (Art. 159 FGB). Die Partner 12
So Staudinger-Dietz,
B G B 10./11. Aufl., Einleitung 86ff. vor EheG.
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schulden einander Treue, Unterstützung und Beistand (Art. 161 FGB). Sie leben, ebenso wie Eheleute, in einer Errungenschaftsgemeinschaft (Art. 162ff. FGB). Wird die Verbindung durch den Tod eines Partners aufgelöst, so erhält der Uberlebende nicht nur die ihm zustehende Hälfte des gemeinsamen Vermögens; es steht ihm auch ein Erbrecht an dem Eigengut des Verstorbenen zu (Art. 168 FGB). Wird die Verbindung von einem Partner aufgelöst, so kann der andere Partner Unterhaltsansprüche geltend machen, wenn er bedürftig ist und ihm weder Untreue noch sonstiges schweres Verschulden vorgeworfen werden kann (Art. 169 FGB). Macht ein Partner einer solchen Verbindung vor einem deutschen Gericht güterrechtliche oder unterhaltsrechtliche Ansprüche geltend, so stellt sich die Frage nach der anwendbaren Kollisionsnorm. Da eine „freie oder tatsächliche Verbindung" keine Ehe ist, scheidet eine unmittelbare Anwendung derjenigen Kollisionsnormen aus, die an das Heimatrecht der „Ehegatten" oder des „Ehemannes" anknüpfen. Zu prüfen ist jedoch, ob nicht eine analoge Anwendung in Betracht kommt. Bei dieser Prüfung ist folgendes zu bedenken: Der deutsche Gesetzgeber kann fremden Rechtsordnungen nicht vorschreiben, von welchen Voraussetzungen sie die Existenz einer Ehe abhängig machen wollen. Die Wahrung einer bestimmten Form ist zwar in der Bundesrepublik, keineswegs aber überall in der Welt Bedingung einer Ehe. Formlos kann die Ehe nicht nur nach dem Recht des Islam geschlossen werden; auch im Bereich des Common Law werden - unter unterschiedlichen Voraussetzungen - formlose Eheschließungen anerkannt (Common-Law-Ehen). In einigen der neuen Staaten Afrikas bestehen faktische und registrierte Ehen nebeneinander und haben auch die gleichen Wirkungen. Die Rechtsprechung hatte sich in den dreißiger Jahren wiederholt mit den sowjetischen Ehen zu befassen, die zwischen 1927 und 1944 formlos geschlossen werden konnten, und sie hat - nach anfänglichem Zögern - diese Ehen anerkannt 13 . Die Begründung ist heute noch gültig: Wenn in einem Staat eine Eheschließungsform nicht vorgeschrieben ist, kann nicht unterschieden werden zwischen Partnern, die „echte" Eheleute sind und solchen, die nur in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Die große Masse der auf Dauer angelegten und ernst gemeinten Lebensgemeinschaften verlangt nach einem Schutz. Ihnen den Charakter als Ehe abzusprechen, müßte zu untragbaren Folgen führen. Es werden also formlose Eheschließungen anerkannt, wenn sie von der zuständigen Rechtsordnung als „Ehen", d.h. als legale Formen des Zusammenlebens von Mann und Frau angesehen werden. 13 Vgl. die Übersicht bei Staudiriger-Gamilkcheg, EGBGB.
Vorbemerkung 330 vor Art. 13
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Es werden darüber hinaus auch Ehen „minderer Qualität" anerkannt, Ehen, die einem Partner nicht dieselben Rechte und Pflichten einräumen, wie sie im christlich-abendländischen Bereich Ehegatten zugestanden werden. Das Hauptbeispiel hierfür sind polygame Ehen 14 . Wenn aber formlose Eheschließungen und Ehen minderer Qualität anerkannt werden, so ist kein Grund ersichtlich, anderen „Ehen minderer Qualität" die Anerkennung zu verweigern, wenn eine Rechtsordnung ihnen die gleichen oder doch zumindest ähnliche Wirkungen beilegt wie einer Ehe. Anerkennung bedeutet für die eingangs gestellte Frage: Personen, die in einer gesetzlich geregelten eheähnlichen Gemeinschaft leben, sind zwar nicht Eheleute. Sie können aber auch nicht als „unverheiratet" angesehen werden. Ihre Position ist - nach dem Willen ihres Heimatrechts - der Position von Eheleuten ähnlich. Deswegen erscheint es gerechtfertigt, die Kollisionsregeln, welche die Existenz einer Ehe voraussetzen, auf solche Gemeinschaften analog anzuwenden. Analoge Anwendung bedeutet freilich nicht, daß z . B . Bolivianer, die sich in Deutschland kennengelernt haben und nun wie Mann und Frau zusammenleben, so behandelt werden müßten, als lebten sie in einer freien oder tatsächlichen ehelichen Verbindung nach bolivianischem Recht. Ebenso wie in Deutschland keine Common-Law-Ehen oder formlose Ehen zwischen Angehörigen einer islamischen Rechtsordnung geschlossen werden können, kann in Deutschland auch kein Konkubinat mit eheähnlicher Rechtswirkung begründet werden. Einer solchen Begründung stünde der aus Art. 13 Abs. 3 E G B G B ablesbare ordre public entgegen. Die analoge Anwendung der deutschen Kollisionsnormen, die die Existenz einer Ehe voraussetzen, beschränkt sich deswegen auf solche eheähnliche Verbindungen, die entweder in einem Staat eingegangen worden sind, der solchen Verbindungen Rechtswirkungen beilegt, oder außerhalb der Bundesrepublik von Personen eingegangen worden sind, denen ihr Heimatrecht die Begründung solcher Verbindungen gestattet. Nur in solchen Fällen können dann auf etwaige güterrechtliche oder Unterhaltsansprüche die entsprechenden Kollisionsnormen des E G B G B analog angewandt werden. b) Wurde die eheähnliche Gemeinschaft in einem Staat begründet, dessen Recht, und von Partnern, deren Heimatrecht solchen Gemeinschaften keine Rechtswirkungen beilegt, so scheidet eine analoge Anwendung von Kollisionsnormen aus, die von der Existenz einer Ehe ausgehen. Hat der zuständige Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, daß Ehewirkungen nur eine wirkliche Ehe haben soll, so ist dieser Wille zu respektieren. Das schließt, wie noch zu zeigen sein wird, Ansprüche der Partner 14
Vgl. Staudinger-Gamillscheg,
Vorbem. 340 vor Art. 13 EGBGB.
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gegeneinander nicht aus, aber diese Ansprüche haben dann ihre Grundlage nicht im Eherecht und sind deswegen auch kollisionsrechtlich nicht als eherechtliche Ansprüche zu beurteilen.
III. Außerfamilienrechtliche Kollisionsnormen Im materiellen Recht werden den Partnern eheähnlicher Verbindungen vielfach Rechtsansprüche außerhalb des Familienrechts zuerkannt, wenn die Gemeinschaft aufgelöst wird. Meist sind es dieselben Ansprüche, die auch Ehegatten zuerkannt werden, wenn die familienrechtlichen Vorschriften als nicht hinreichend empfunden werden: Ansprüche aus einem Auftrags Verhältnis, ungerechtfertigter Bereicherung oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Ein Blick über die Grenzen zeigt, daß darüber hinaus bei Partnern eheähnlicher Gemeinschaften auch Deliktsansprüche in die Erwägung mit einzubeziehen sind. Für Ansprüche, die ihren Grund nicht in familienrechtlichen Vorschriften haben, gelten grundsätzlich die dafür vorgesehenen besonderen Kollisionsnormen. Hier wird allerdings zu prüfen sein, ob die besondere - familienrechtsähnliche - Situation der Partner nicht eine Modifikation der allgemeinen Kollisionsnormen erfordert. 1. Vertragliche Vereinbarung der Geltung güterrechtlicher Vorschriften. Während die meisten Rechtsordnungen den Ehevertrag dem Güterrecht zuweisen und damit auf den Bereich der Ehe beschränken, behandeln (z. B.) das englische und das amerikanische Recht Eheverträge wie andere Verträge. „Eheverträge" sind somit in diesen Rechtsordnungen Verträge, die auch andere Personen als Ehegatten schließen können. Der gesetzliche Güterstand gilt zwar grundsätzlich nur für Ehegatten. Es liegen jedoch Gerichtsentscheidungen vor, wonach auch Personen, die nicht miteinander verheiratet sind, vertraglich die Geltung güterrechtlicher Vorschriften für sich vereinbaren können. Eine solche Vereinbarung soll sogar stillschweigend getroffen werden können 15 . Kollisionsrechtlich ergibt sich dabei die Frage: Können auch in der Bundesrepublik solche Verträge geschlossen oder durchgesetzt werden? Feststeht, daß die Geltung deutschen Güterrechts nur von Ehegatten, bzw. von Verlobten für die Zeit nach ihrer Eheschließung, vereinbart werden kann 16 . Feststeht auch, daß deutsche Partner, zumindest dann, wenn sie in der Bundesrepubik leben, ihre güterrechtlichen Beziehungen nicht durch Verweisung auf ein ausländisches Recht bestimmen können; denn, wenn deutschen Ehegatten eine solche Bestimmung verwehrt ist Marvin v. Marvin, 557 P. 2d 106 (Cal. 1976). Schließen Verlobte einen Ehevertrag und wird die Ehe nicht geschlossen, so entfällt der Vertrag; vgl. Palandt-Diederichsen, § 1408 Anm. 2. 15
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(§ 1409 Abs. 1 BGB), dann muß dies erst recht für Personen gelten, die nicht miteinander verheiratet sind. Offen bleibt, ob solche Vereinbarungen von Ausländern oder von solchen Paaren getroffen werden können, von denen ein Teil seinen Wohnsitz im Ausland hat. Ausländische Ehegatten können, falls sie nicht im gesetzlichen Güterstand ihres Heimatrechts leben wollen, einen Ehevertrag nach ihrem Heimatrecht schließen - auch durch bloße Verweisung17. Schließen Partner einen solchen Vertrag, die nicht miteinander verheiratet sind, so ist der Vertrag für gültig zu halten, wenn das auf den Vertrag anwendbare Recht auch unverheirateten Paaren den Abschluß gestattet. Bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts kann aber nicht ohne weiteres - wie bei einfachen schuldrechtlichen Verträgen - von der Geltung der Parteiautonomie ausgegangen werden. Würde die Parteiautonomie gelten, so müßten sich auch deutsche Paare auf sie berufen können. Das aber ist - wie oben gezeigt - nicht der Fall. Hinzu kommt ein weiteres: Stünde den Partnern die Wahl des anwendbaren Rechts völlig frei, so könnten sie die strengen Formvorschriften des deutschen Rechts (oder anderer Rechte) durch die Wahl eines Rechts umgehen, das die einfache Schriftform oder sogar einen formlosen Abschluß genügen läßt. Das aber stünde im Gegensatz zu den Intentionen des Gesetzgebers. Wenn ein Richter die Schranken berücksichtigen muß, die einem deutschen Paar bei der Bestimmung der güterrechtlichen Beziehungen durch das deutsche Recht gesetzt sind, ist es nur konsequent, auch bei einem ausländischen Paar zunächst das Heimatrecht der Partner nach eventuellen Schranken zu befragen. Das aber heißt, daß die Parteiautonomie insoweit hinter die Geltung des Heimatrechts zurücktritt. Die gestellte Frage ist somit dahin zu beantworten, daß Verträge zwischen unverheirateten Paaren, welche die Geltung güterrechtlicher Vorschriften zum Inhalt haben, in der Bundesrepublik nur von ausländischen Partnern und nur dann geschlossen werden können, wenn das Heimatrecht dieser Personen ihnen den Abschluß solcher Verträge oder die Wahl eines Rechts gestattet, nach dem solche Verträge geschlossen werden können. Hat von einem deutschen Ehepaar ein Teil seinen Wohnsitz im Ausland, so kann gem. § 1409 Abs. 2 BGB auf ein an diesem Wohnort geltendes Recht verwiesen werden. Der scheinbar naheliegende Gedanke, diese Möglichkeit auch solchen Personen zu eröffnen, die nicht miteinander verheiratet sind, hält einer näheren Nachprüfung aber nicht stand. § 1409 Abs.2 BGB ist eine Vorschrift des deutschen Rechts. Er handelt von der Möglichkeit, güterrechtliche Verträge abzuschließen. Güterrechtliche
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Die Schranke des § 1409 BGB gilt, wie sich aus Art. 15 Abs. 2 EGBGB ergibt, nicht für Ausländer; vgl. Staudinger-Gamillscheg, Art. 15 EGBGB Rz 430.
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Verträge können aber, wie bereits festgestellt, nach deutschem Recht nur von Ehegatten (bzw. von Verlobten für die Zeit ihrer Ehe) geschlossen werden. 2. Beteiligungsansprüche. Den güterrechtlichen Ansprüchen am nächsten kommen Ansprüche aus einem Beteiligungsverhältnis. Im deutschen materiellen Recht werden solche Ansprüche meist auf die Existenz einer Innengesellschaft gegründet. Hierzu ergeben sich kollisionsrechtlich keine Besonderheiten. Maßgebend ist - mangels anderweitigen Parteiwillens das Recht am ständigen Aufenthalt der Partner, weil mit diesem Ort die Gesellschaft als am engsten verknüpft anzusehen ist 1 8 . 3. Lohnansprüche. Lohnansprüche setzen ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis voraus. Die Partner eines eheähnlichen Verhältnisses pflegen aber selten entsprechende Verträge abzuschließen. Gegen die Annahme eines stillschweigenden Abschlusses wird eingewandt, hierbei handle es sich um eine Fiktion. Die stillschweigende Vereinbarung einer Vergütung (§ 612 B G B ) wird angezweifelt, weil die Geltendmachung eines Vergütungsanspruchs erst nach einem Zerwürfnis die ursprünglich gewollte Unentgeltlichkeit indiziere 19 . Ein Lohnanspruch wird deswegen nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Kollisionsrechtlich wäre hier auf das Recht des Arbeitsortes abzustellen. 4. Miteigentum. Erwirbt ein Ehegatte mit Mitteln des anderen ein Haus und läßt es nur auf seinen Namen eintragen, so kann sein Partner Ansprüche auf Einräumung des Miteigentums möglicherweise auf die Vorschriften des Auftragsrechts gründen 20 . Dieselben Ansprüche kann auch ein Partner geltend machen, der mit dem eingetragenen Eigentümer nicht verheiratet ist. Bei beweglichen Sachen, insbesondere Hausratsgegenständen, wird vielfach Bruchteilseigentum angenommen werden können, wenn diese Gegenstände aus gemeinsamen Ersparnissen angeschafft wurden und dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienen sollten. Im englischen und amerikanischen Recht wird in solchen Fällen das Bestehen eines constructive trust geprüft: Der Eigentümer hält das Eigentum als Treuhänder (in trust) für den Partner, der zum Erwerb oder zur Wertverbesserung des Hauses oder der Sache beigetragen hat. Auch dort wird zwischen Ehegatten und unverheirateten Partnern nicht unterschieden 21 . In Frankreich können bei Auflösung einer eheähnlichen Gemeinschaft Gegenstände, die 18 Vgl. Staudinger-Firsching, Rz. 591 vor Art. 12 EGBGB; Palandt-Heldricb, Vorbem. 6 m vor Art. 12 EGBGB. 19 Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1977, 1779; Palandt-Putzo, § 612 Anm.2a. 2 0 Vgl. BGH FamRZ 1960, 58; Henrich, FamRZ 1975, 533. 21 Eves v. Eves, (1975) 3 All E. R. 768 (C. A.); Marvin v. Marvin (Fn. 15).
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aus gemeinsamen Mitteln angeschafft wurden, nach den Grundsätzen der „indivision" verteilt werden 22 . Das anwendbare Recht wird in diesen Fällen, soweit nach den Eigentumsverhältnissen gefragt wird, durch die lex rei sitae bestimmt. Lediglich soweit Ansprüche auf Einräumung von Miteigentum in Frage stehen (etwa aufgrund eines Auftragsverhältnisses), kommen schuldrechtliche Kollisionsnormen in Betracht (beim Auftrag ist mangels eines abweichenden Parteiwillens regelmäßig an das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Beauftragten anzuknüpfen 23 . 5. Vertragliche Vereinbarung von Unterhaltsansprüchen. Unterhaltsansprüche für die Zeit nach der Trennung können vertraglich vereinbart werden. Die Bedenken, die gegen die vertragliche Vereinbarung deutschen Güterrechts durch unverheiratete Personen vorgetragen wurden, bestehen hier nicht. Unterhaltsvereinbarungen setzen keine Ehe voraus. Für sie gilt das allgemeine Vertragsstatut. Maßgebend ist das von den Parteien vereinbarte Recht. Fehlt es an einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl, so sind Anhaltspunkte für die Ermittlung des Schwerpunkts des Vertrags sowohl die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Partner als auch ihr gemeinsamer oder - im Fall der Trennung - ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, wobei - einer Tendenz im Bereich des Unterhaltsrechts folgend - der gewöhnliche Aufenthalt gegenüber der Staatsangehörigkeit immer größere Bedeutung gewinnt. In den meisten Fällen wird es freilich nicht nur an einer ausdrücklichen Vereinbarung des anwendbaren Rechts, sondern bereits an einer ausdrücklichen Vereinbarung eines Unterhaltsvertrags fehlen. Roth-Stielow möchte Unterhaltsansprüche aus einem stillschweigend vereinbarten „Zusammenlebens-Vertrag" ableiten24. Die Existenz eines solchen Vertrages wird allerdings bei Partnern, die die Bindungslosigkeit der (ehelichen) Bindung vorziehen, nur schwer nachzuweisen sein. Wer dessenungeachtet einen solchen Vertrag erkennen zu können glaubt, muß bei der Suche nach dem Schwerpunkt dieses Vertrages berücksichtigen, daß es hierbei nicht nur um Unterhaltsansprüche, sondern auch um die allgemeinen Rechte und Pflichten der Partner während der Dauer ihres Zusammenlebens geht. Die Nähe zu Art. 14 EGBGB könnte es hier nahelegen, eher an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Partner als an ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt anzuknüpfen. 6. Rückabwicklungsansprüche a) Widerruf von Schenkungen. Rückgewähr und Widerruf von Schenkun22
"
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Ohlenburger-Bauer, Die eheähnliche Gemeinschaft, Diss. Köln 1977, S. 55. Vgl. Staudinger-Firsching, Rz. 539 vor Art. 12 EGBGB. Roth-Stielow, JR 1978, 236.
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gen unterliegen dem Scheidungsstatut, sofern sie ihren Grund in der Scheidung haben25. Bei eheähnlichen Gemeinschaften gibt es keine Scheidung, sondern nur eine formlose Aufhebung der Gemeinschaft und damit auch keinen auf die Scheidungsgründe gestützten Schenkungswiderruf. Maßgebend ist daher das allgemeine Schenkungsstatut, das ist nach h.M. das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Schenkers26. b) Bereicherungsrecht. Ob bei Auflösung einer eheähnlichen Gemeinschaft Bereicherungsansprüche geltend gemacht werden können, ist zweifelhaft. Versuche, solche Ansprüche auf § 812 Abs. 1 S. 2,2. Alt. (Zweckverfehlung) oder auf § 1301 BGB zu gründen27, überzeugen nicht. Es wird dabei übersehen, daß Leistungen, die während des Bestehens der Gemeinschaft erbracht werden, zwar möglicherweise in Erwartung einer späteren Eheschließung, aber nicht deswegen erfolgen, um den Partner zu dieser Eheschließung zu bewegen. Die Erwartung der späteren Eheschließung ist nicht Vertragsinhalt, sondern - allenfalls - Geschäftsgrundlage der Zuwendung 28 . Werden dessenungeachtet Bereicherungsansprüche geltend gemacht, so wird man - mangels eines der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses - danach fragen müssen, welchem Recht die Vermögensverschiebung schwerpunktmäßig zugeordnet werden kann. Bei Personen gleicher Staatsangehörigkeit wird man häufig an das gemeinsame Heimatrecht 29 , bei Personen verschiedener Staatsangehörigkeit regelmäßig an das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts anknüpfen können. c) Wegfall der Geschäftsgrundlage. Meist werden Zuwendungen innerhalb einer eheähnlichen Gemeinschaft auf der Erwartung beruhen, daß die Gemeinschaft bestehen bleibt. Wie der Bundesgerichtshof in einer Reihe von Entscheidungen zu entsprechenden Zuwendungen von Eheleuten festgestellt hat, läßt sich eine den Umständen gerecht werdende Lösung hier am besten durch die Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erzielen30. Bei einem Wegfall der Geschäftsgrundlage pflegt kollisionsrechtlich an das Vertragsstatut angeknüpft zu werden 31 . An einem Vertrag wird es jedoch regelmäßig fehlen. Ob aus dem Zusammenleben von Mann und Frau auf den stillschweigenden Abschluß eines „Zusammenlebens-Vertrags mit dem Charakter eines Rahmen-Vertrages und Dauerschuldverhältnisses" geschlossen werden kann, wie Roth-Stie25 26 27 28 29 30 31
Staudinger-Gamillscheg, Art. 17 EGBGB Rz.610. Staudinger-Firsching, Rz.492 vor Art. 12 EGBGB. Vgl. etwa OLG Stuttgart, NJW 1977, 1779. Vgl. Henrich, Familienrecht, 2. Aufl. 1977, S. 14. Vgl. BGH IPRspr. 1966-67 Nr. 28. Vgl. BGH WM 1972, 623 und WM 1974, 947 sowie johannsen, WM 1978, 502, 509. Vgl. Staudinger-Firsching, Rz. 159 vor Art. 12 EGBGB.
Kollisionsrecht und Auflösung eheähnlicher Gemeinschaften
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low meint 32 , wurde oben schon in Zweifel gezogen. Entschließt man sich dessenungeachtet, einen solchen Vertrag in Erwägung zu ziehen, so wäre kollisionsrechtlich wohl - wie oben schon gesagt - an erster Stelle an das gemeinsame Heimatrecht der Partner anzuknüpfen und erst in zweiter Linie an das Recht ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts. Dieselbe Anknüpfung enpfiehlt sich auch für die Frage, ob auch bei Fehlen eines Vertrages Rechte aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend gemacht werden können. 7. Schadenersatzansprüche, a) Verlöbnisrecht. Macht ein Partner eines eheähnlichen Verhältnisses nach dessen Beendigung Ansprüche gem. § 1298 BGB geltend, so wird zunächst zu prüfen sein, ob überhaupt von einem „Verlöbnis" gesprochen werden kann. Immerhin ist nicht auszuschließen, daß Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft eine spätere Eheschließung ins Auge gefaßt haben. Je länger freilich die Gemeinschaft besteht, desto weniger wahrscheinlich ist die Annahme, daß Aufwendungen ,,in Erwartung der Ehe" gemacht worden sind. Außerdem wird es häufig an der „Angemessenheit" der Aufwendungen oder der sonstigen Maßnahmen (5 1298 Abs.2 BGB) fehlen 33 . Werden trotzdem Ansprüche auf § 1298 BGB gegründet, so ist hierfür nach h.M. das Recht des Verpflichteten maßgebend34. b) Deliktsrecht. Während im deutschen materiellen Recht bei Auflösung einer eheähnlichen Gemeinschaft Deliktsansprüche kaum mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden können, hat in anderen Rechtsordnungen ein verlassener Partner durchaus die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatzansprüche aus einer unerlaubten Handlung herzuleiten35. Werden solche Ansprüche in der Bundesrepublik geltend gemacht, so empfiehlt es sich nicht, auf das allgemeine Deliktstatut abzustellen, d.h. auf das Recht - nach Wahl des Verletzten - des Handlungs- oder des Erfolgsortes. Eine solche Anknüpfung (wo hat der Partner den Abschiedsbrief geschrieben?) wird der Tatsache nicht gerecht, daß ein eheähnliches Verhältnis - ähnlich wie eine Ehe - nicht durch einen einmaligen Akt aufgehoben wird, sondern in aller Regel durch eine allmählich eintretende Entfremdung zwischen den Partnern. Es kommt hinzu, daß Deliktsansprüche vielfach dort geltend gemacht werden können, wo das Verlöbnisrecht keine besonderen Rechtsfolgen für einen Verlöbnisbruch vorschreibt und deliktische Schadensersatzansprüche häufig
JR 1978, 234. Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1977, 1779. 34 BGHZ 28, 379; Palandt-Heldrich, Art. 13 EGBGB Anm. 8. 35 Vgl. etwa für Frankreich Paris, 4.1.1952, D. 1952. 112 und Oblenburger-Bauer, eheähnliche Gemeinschaft, S.73. 32
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Die
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auf den Bruch eines Verlöbnisses gestützt werden. Diese Ähnlichkeit, zum Teil sogar die Einwurzelung im Verlöbnisrecht, rechtfertigt es, deliktische Schadensersatzansprüche ebenso anzuknüpfen wie Schadensersatzansprüche wegen Auflösung eines Verlöbnisses, nämlich an das Recht des Verpflichteten.
Das österreichische Erbstatut
HANS H O Y E R
Am 1.1.1979 ist das „Bundesgesetz vom 15. Juni 1978 über das internationale Privatrecht" (IPR-Gesetz), öBGBl 304, in Kraft getreten. Das Gesetz macht auch den bislang Zweifelnden deutlich, daß es ein österreichisches Erbstatut gibt, das losgelöst von der Frage der internationalen Zuständigkeit1 zu bestimmen ist. Für das alte Recht war das nicht so sicher; dieses wird allerdings noch eine gewisse Zeit hindurch anzuwenden bleiben, wie viele erst nach Jahren, ja Jahrzehnten auftretende Erbrechtsstreitigkeiten2 zur Genüge beweisen. Eine Darstellung des österreichischen Erbstatuts muß daher auch die frühere Rechtslage berücksichtigen, am besten von dieser ausgehen.
I. Früheres Recht Das alte österreichische Kollisionsrecht des Erbrechts stammt in seinen Grundzügen noch aus dem Jahre 1812, somit der Zeit der Statutentheorie. Es ist umstritten, ob die Verweisungsnormen des ABGB, insbesondere der für das Erbrecht heranzuziehende § 300, dem Staatsangehörigkeitsoder dem Wohnsitzprinzip huldigen3, die heutige Praxis jedenfalls geht vom Staatsangehörigkeitsprinzip aus. Hier wird der Einfluß der teilweisen Übernahme des Kollisionsrechts des EGBGB in der 4. DVEheG besonders deutlich. Allerdings fehlt gerade zu § 300 ABGB aus noch darzustellenden Gründen4 so gut wie jede Rechtsprechung für das Erbrecht, ja für die gebrauchte Formulierung „stehen mit der Person ihres Eigentümers unter gleichen Gesetzen." 1. Die Zeit vor 1855. Die Praxis zu § 300 ABGB, ja auch die früher gegebene Antwort auf die Frage, ob die Bestimmung als erbrechtliche Kolli1 In der gesetzlichen österreichischen Terminologie „inländische Gerichtsbarkeit"; ebenso auch Matscher, Zur Funktion und Tragweite der Bestimmung des § 28 J N , FS Fritz Schwind (1978) 173 passim. Eine Auflockerung durch strikte Unterscheidung versucht ß