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German Pages 984 [988] Year 1995
Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag
Festschrift für
WOLFRAM HENCKEL zum 70. Geburtstag am 21. April 1995
herausgegeben von
Walter Gerhardt
· Uwe Diederichsen
Bruno Rimmelspacher · Jürgen Costede
w DE
G 1995
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufnähme
Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag am 21. April 1995 / hrsg. von Walter G e r h a r d t . . . - Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1995 ISBN 3-11-013756-9 NE: Gerhardt, Walter [Hrsg.]; Henckel, Wolfram: Festschrift
© Copyright 1995 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, D-10997 Berlin Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer G m b H , D-10963 Berlin
Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag Wolfram Henckel vollendet am 21. April 1995 sein 70. Lebensjahr. Freunde, Kollegen und Schüler aus dem In- und Ausland nehmen dies zum Anlaß, mit einer Festschrift diesem hervorragenden Gelehrten Anerkennung zu bekunden und Dank zu bezeugen für das, was der Jubilar für die Wissenschaft, für die Universität in ihrer Einheit von Forschung und Lehre und für die Rechtspraxis und Rechtspolitik geleistet hat. Wolfram Henckel hat in besonderem Maße ein allgemeingültiges Vorbild für wissenschaftliche Redlichkeit, für geistige Disziplin und gedankliche Akribie, für die Verantwortlichkeit des Gelehrten gegenüber seiner Wissenschaft und der Gesellschaft gesetzt. Eine Festschrift ist akademischem Brauch entsprechend Ausdruck größter Hochachtung vor Sachkompetenz und Persönlichkeit. Diese Festschrift für Wolfram Henckel ist im weitesten Sinne dem „Prozeßrecht und materiellen Recht" gewidmet und damit dem thematischen Zentrum, dem das wissenschaftliche Wirken des Jubilars gilt. Daran knüpfen die einzelnen Beiträge an, ohne den Anspruch zu erheben, dem Forschungs- und Interessengebiet und der Kompetenz des Jubilars in vollem Umfang gerecht zu werden. Herausgeber, Autoren und Verlag verbinden mit der Widmung dieser Festschrift die Glückwünsche zum 70. Geburtstag und die besten Wünsche für die Zukunft; sie geben der Hoffnung auf weitere Früchte dieses Gelehrtenlebens Ausdruck.
Walter Gerhardt • Uwe Diederichsen Bruno Rimmelspacher • Jürgen Costede
Inhalt FRIEDRICH WEBER,
Dr. jur., em. o. Professor an der Universität
Heidelberg: Geleitwort
XIII
Dr. jur., Professor an der Universität Athen: Zur Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht im Bereich der Abgrenzung der Revisions- bzw. Kassationsgründe
1
Dr. jur., Professor an der Universität Hamburg: Vinkulierte Namensaktien in Zwangsvollstreckung und Insolvenz des Aktionärs
23
Dr. jur., Professor an der Universität Bayreuth: Zur Reformbedürftigkeit des Lohnpfändungsrechts
41
Dr. jur., Professorin an der Universität München: Mahnbescheid und Zahlungsbefehl - ein Blick über die Grenzen
53
Dr. jur., Professor an der Universität Göttingen, Gastprofessor an der Universität Halle-Wittenberg: Die Anfechtungsbefugnis bei Verfügungen über fremde Rechte .
67
Dr. jur., Dr. h. c., Professor an der Universität Göttingen: Der Ersatz des reinen Vermögensschadens
79
Dr. jur., Professor an der Universität Freiburg: Zur Reform des Ersatzaussonderungsrechts
95
KOSTAS E . BEYS,
REINHARD BORK,
WOLFGANG BREHM,
DAGMAR COESTER-WALTJEN,
JÜRGEN COSTEDE,
ERWIN DEUTSCH,
A L B R E C H T DIECKMANN,
Dr. jur., Professor an der Universität Göttingen: Die Veränderung der Rolle des psychiatrischen Sachverständigen durch das Betreuungsgesetz 125
U W E DIEDERICHSEN,
Dr. jur., Professor an der Universität Augsburg: Staatskirchenrechtliche Gerichtsschutzfragen im Arbeitsrecht . . 145
WILHELM DÜTZ,
Vili
Inhalt
DDr. jur., em. o. Universitätsprofessor an der Universität Wien: Rechtsbehelfe zur Verfahrensbeschleunigung 161
HANS W . FASCHING,
Dr. jur., Professor an der Universität Bonn: Zur Abgrenzung von Verbandsgerichtsbarkeit und statutarischer Schiedsgerichtsbarkeit
HERBERT FENN,
173
Dr. jur., Professor an der Universität HalleWittenberg: Objektive Grenzen der Rechtskraft im internationalen Zivilprozeßrecht 199
GERFRIED FISCHER,
Dr. jur., Dr. h. c., em. Professor an der Universität Göttingen: Die Durchsetzung tariflicher Ansprüche 215
FRANZ GAMILLSCHEG,
Dr. jur., em. Professor an der Universität Bonn: Rechtskraft und Verwirkung 235
HANS FRIEDRICH GAUL,
Dr. jur., Professor an der Universität Bonn: Der Haftpflichtprozeß gegen Kraftfahrzeug-Versicherung und Versicherten - Ein Fall der besonderen Streitgenossenschaft gem. § 62 ZPO? 273
WALTER GERHARDT,
Dr. jur., Professor an der Universität Regensburg: Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen - Verträge zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht 295 BERNHARD GROSSFELD, Dr. jur., Professor an der Universität Münster; FRANK EDELKÖTTER, Wiss. Mitarbeiter am Institut für Internationales Wirtschaftsrecht der Universität Münster: Der Rechtsanwalt als „unabhängiges Organ der Rechtspflege" Entstehung und Bedeutung 311 PETER GOTTWALD,
GRUNSKY, Dr. jur., Professor an der Universität Bielefeld: Verfahrensrechtliche Probleme der Haftung des Gesellschafters einer Personengesellschaft für Lohn- und Gehaltsansprüche . . . . 329
WOLFGANG
Dr. jur., Dr. h. c. mult., M . A . E . , em. o. Professor an der Universität Zürich, Honorarprofessor an der Universität Genf: Schiedsgerichtsbarkeit und Europäische Menschenrechtskonvention 342
WALTER J . HABSCHEID,
IX
Inhalt
LUDWIG
HÄSEMEYER,
Dr.
jur.,
Professor
an
der
Universität
Heidelberg: Schuldbefreiung und Vollstreckungsschutz
353
HANS HANISCH, D r . jur., em. o . P r o f e s s o r der R e c h t e an der U n i -
versität Genf: Nachlaßinsolvenzverfahren und materielles Erbrecht - Schwerpunkte im Binnen- und im Auslandsbezug
369
THEODOR HEINSIUS, D r . j u r . , R e c h t s a n w a l t , H o n o r a r p r o f e s s o r an
der Universität Frankfurt: Der Sicherheitentreuhänder im Konkurs - Unmittelbarkeitsprinzip versus Offenkundigkeits- und Bestimmtheitsprinzip . . . MEINHARD HEINZE, Dr. jur., Professor an der Universität Bonn: Mißverständnisse zu § 613 a B G B
387 401
MASANORI KAWANO, Professor an der Universität Tohoku: Wahrheits- und Prozeßförderungspflicht als Verhaltenspflicht der Parteien gegeneinander KONSTANTINOS
D.
KERAMEUS, D r . jur., D r .
h. c., P r o f e s s o r
411
an
der Universität Athen: Das Brüsseler Vollstreckungsübereinkommen und das griechische Recht der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen
423
NIKOLAOS K . KLAMARIS, D r . j u r . , o. P r o f e s s o r an der U n i v e r s i t ä t
Athen, Rechtsanwalt beim Areopag, Stellv. Direktor des Instituts für prozeßrechtliche Studien in Athen: Die prozessuale Aktualität in Griechenland
437
BERNHARD KÖNIG, D r . jur., o. U n i v e r s i t ä t s p r o f e s s o r an der U n i -
versität Innsbruck; HANS BROLL, Dr. jur., Rat, Institut für zivilgerichtliches Verfahren, Innsbruck: Verfahrenshilfe (Prozeßkostenhilfe) für Masseverwalter (Konkursverwalter) in Osterreich HELMUT
KOLLHOSSER,
Dr.
jur.,
Professor
an
der
455
Universität
Münster: Medizinforschung und Datenschutz - Eine Fallstudie KURT KUCHINKE, Dr. jur., Professor an der Universität Würzburg: Zur Sicherung des erbvertraglich oder letztwillig bindend Bedachten durch Feststellungsurteil, Vormerkung und Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
463
475
Χ
Inhalt
Dr. jur., Rechtsanwalt, Köln: Zur Abgrenzung der Zuständigkeit von Gesamtvollstreckungsgericht und Verwalter bei der Feststellung der Schuldenmasse . . 495
BRUNO M . KÜBLER,
Dr. jur., Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Bonn: Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung 515
H A N S - G E O R G LANDFERMANN,
Dr. jur., Professor an der Universität Freiburg: Miniatur oder Bagatelle: das Internationale Insolvenzrecht im deutschen Reformwerk 1994 533
DIETER LEIPOLD,
F. LINDACHER, Dr. jur., Dipl.-Volkswirt, Professor an der Universität Trier: Die Nachgesellschaft - Prozessuale Fragen bei gelöschten Kapitalgesellschaften 549
WALTER
Dr. jur., Dr. h. c., Professor an der Universität Saarbrücken: Zur Klage auf Feststellung von Rechtsverhältnissen mit oder zwischen Dritten 567
GERHARD LÜKE,
Dr. jur., Professor an der Universität Tübingen: Der Einfluß des Insolvenzverfahrens auf Auftrags- und Geschäftsbesorgungsverhältnisse - Kritische Gedanken zu §23 KO 579
WOLFGANG MAROTZKE,
DDr. jur., Universitätsprofessor an der Universität Salzburg: Der Einfluß der EMRK auf den Zivilprozeß 593
FRANZ MATSCHER,
Dr. jur., Professor an der Universität Göttingen: Die inner- und außerprozessuale Präklusion im Fall der Vollstreckungsgegenklage 615
HANSJÖRG O T T O ,
Dr. jur., Professor an der Universität Mannheim: Zum Verhältnis von Kindesrechten und Vertretung 633
H A N S - M A R T I N PAWLOWSKI,
Dr. jur., Professor an der Universität Tübingen: Die Immobiliarvollstreckung - eine Fundgrube für die Dogmatik der Zwangsvollstreckung 655
EGBERT PETERS,
Dr. jur., Professor an der Universität zu Köln: Der Insolvenzplan im japanischen und deutschen Recht
HANNS PRÜTTING,
669
Inhalt
XI
WALTER RECHBERGER, D r . jur., o. Universitätsprofessor
an
der
Universität Wien: Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof
679
BRUNO RIMMELSPACHER, D r . j u r . , P r o f e s s o r an der U n i v e r s i t ä t
München: Präklusion in der Berufungsinstanz - de lege lata und de lege ferenda
691
HERBERT ROTH, Dr. jur., Professor an der Universität Münster: Subjektives Recht oder prozessuale Befugnis als Voraussetzungen einer „Aktionärsklage"
707
U L R I K E A . SCHÄFER, D r . j u r . , L L . M . , R e c h t s a n w ä l t i n , D ü s s e l d o r f :
Die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes . .
723
PETER SCHLOSSER, Dr. jur., Professor an der Universität München: Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht ein Gegensatz? 737 KARSTEN SCHMIDT, Dr. jur., Professor an der Universität Hamburg: Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung, Auflösung und Konkurs einer Handelsgesellschaft 749 EKKEHARD SCHUMANN, D r .
jur., P r o f e s s o r an d e r
Universität
Regensburg: Der Name als Geheimnis. Umfaßt die anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht auch den Namen der Mandanten und Patienten? K A R L - H E I N Z SCHWAB, D r . j u r . , D r . h . c . , e m . P r o f e s s o r a n
773
der
Universität Erlangen: Wandlungen der Schiedsfähigkeit
803
WOLFGANG SELLERT, D r . jur., P r o f e s s o r an der U n i v e r s i t ä t G ö t -
tingen: Vollstreckung und Vollstreckungspraxis gericht und am Reichshofrat ULRICH
SPELLENBERG,
Dr.
jur.,
Professor
am
Reichskammer817
an
der
Universität
Bayreuth: Prozeßführung oder Urteil - Rechtsvergleichendes zu Grundlagen der Rechtskraft
841
ROLF STÜRNER, Dr. jur., Professor an der Universität Freiburg: Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
863
XII
Inhalt
Dr. jur., Richter am Amtsgericht Köln, Honorarprofessor an der Universität zu Köln: Die Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter 877
W I L H E L M UHLENBRUCH,
Dr. jur., Professor an der Universität Erlangen-Niirnberg: Keine Erstattung der Finanzierungskosten des Käufers bei Wandlung des verbundfinanzierten Kaufvertrages ? 895
M A X VOLLKOMMER,
Dr. jur., Rechtsanwalt, em. Professor an der Universität Zürich: Zur Normqualifikation im Beweisrecht - dargestellt anhand der Zivilprozeßordnung des Kantons Zürich 905
HANS ULRICH WALDER,
Dr. jur., Professor an der Universität Frankfurt: Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen Gewand? 911
MANFRED W O L F ,
Dr. jur., Professor an der Universität Thessaloniki: Ist der „manque de base légale" ein Kassationsgrund, der über die Unterscheidung des materiellen Rechts und des Zivilprozeßrechts hinausgeht? 923
PELAYIA YESSIOU-FALTSI,
Dr. jur., Dr. h. c., em. Professor an der Universität Hamburg: Gedanken zur Abgrenzung des Anspruches als Objekt der Verjährung und der Verjährungsunterbrechung - Zum Verjährungsbeginn nach § 852 Abs. 1 BGB und zur Verjährungsunterbrechung bei Teilklagen 939
A L B R E C H T ZEUNER,
Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
955
Geleitwort Am 21. April 1995 feiert Wolfram Henckel, Emeritus der Göttinger Juristenfakultät, seinen siebzigsten Geburtstag. Der ihm an diesem Tag überreichten Festschrift mit fachlichen Beiträgen von Schülern, Freunden und akademischen Weggenossen soll nach dem Wunsch der Herausgeber ein Geleitwort des Doktorvaters vorausgehen, der auch die Habilitation betreut hat und der dem Jubilar bis heute freundschaftlich verbunden ist. In ihm soll versucht werden, den wissenschaftlichen Weg eines großen modernen Forschers aus der persönlichen Sicht des akademischen Lehrers nachzuzeichnen. Mit großer Freude habe ich diesem Wunsch trotz meines hohen Alters entsprochen. Wolfram Henckel gehört zur Kriegsteilnehmergeneration. Nach seiner Schulzeit in Berlin wurde er 1943 im Alter von 18 Jahren zum Wehrdienst eingezogen. Im Juli 1944 wurde er schwer verwundet. Diese Verwundung, über die er später kaum gesprochen hat, hat offensichtlich seinem Leben die ernste Ausrichtung gegeben. Mit dem Kriegsende hat er seine Berliner Heimat verloren. Er verdiente zunächst seinen Lebensunterhalt durch praktische Tätigkeit in Bayern und der Pfalz, seit Januar 1946 wurde er in Heidelberg ansässig. Bis Oktober 1947 war er in einem Heidelberger Bauunternehmen tätig. Daneben konnte er in den ersten Monaten des Jahres 1946 einen Vorsemesterkurs an der Heidelberger Universität absolvieren. Im Wintersemester 1947/48 nahm er zunächst das Studium der evangelischen Theologie auf. Im Sommersemester 1949 wechselte er zum Studium der Rechtswissenschaft. Seit dem Wintersemester 1950/51 war er Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Schon den Studenten beschäftigten Fragen der juristischen Ausbildung. Da ich mich in dieser Zeit als akademischer Lehrer gleichfalls mit Fragen der Studienreform befaßte, nahmen Henckel und sein Kreis damals die Verbindung mit mir auf. Wir haben mehrfach Reformmöglichkeiten besprochen. Die Arbeitsgemeinschaften für Anfänger sind seither zur bleibenden Einrichtung der juristischen Universitätsausbildung in Heidelberg geworden. Inzwischen hatte Henckel Ende 1952 das Referendarexamen mit der Note „gut" bestanden. Neben dem juristischen Vorbereitungsdienst hat er die Arbeit an einer Dissertation aufgenommen. Während seines Studiums konnte ich ihn für das Zivilprozeßrecht interessieren. Er nahm daher eine Arbeit aus diesem Rechtsgebiet in Angriff. Das Thema seiner
XIV
Geleitwort
Dissertation hat er sich selbst gewählt: „Prozeßführungsmacht kraft Rechtsscheins". Ich kann mich nicht erinnern, daß während der Ausarbeitung der Dissertation eine Besprechung mit mir stattgefunden hätte. Seine Arbeitsweise war die des einsamen Denkers. A m Ende der Vorbereitungszeit legte er mir die fertige Dissertation vor. Eigentlich war die Arbeit schon eine Habilitationsschrift. Die mit dem höchsten Prädikat ausgezeichnete Dissertation führte im April 1956 zur Promotion. Im Januar des gleichen Jahres hatte er die große juristische Staatsprüfung in Stuttgart mit der N o t e „gut" abgelegt und entschloß sich zunächst für eine Tätigkeit als Anwalt. Nach kurzer Zeit als Anwaltsassessor wurde er im Oktober 1956 als Rechtsanwalt bei den Landgerichten Heidelberg und Mannheim und dem Oberlandesgericht Karlsruhe zugelassen. Zur gleichen Zeit ergab sich auch die Möglichkeit zur Einstellung als Assistent der juristischen Fakultät Heidelberg. Als Assistent konnte er sich in der Folgezeit ganz einer Habilitationsschrift widmen; denn daß er die akademische Laufbahn einschlagen würde, war nach der hervorragenden Promotion nicht zweifelhaft. Das Thema „Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß", ein zentraler Fragenkreis des Prozeßrechts, hatte er wiederum selbst gewählt. Diese Wahl zeigt, wie tief er durch seine bisherige wissenschaftliche Arbeit in die prozeßrechtliche Problematik eingedrungen war. Wie seine Dissertation hat er auch seine Habilitationsschrift in einsamer Gedankenarbeit erstellt. Mein Verdienst war eigentlich nur, daß ich ihn von normaler Assistententätigkeit am Lehrstuhl freistellte, so daß er sich auf seine Habilitationsschrift konzentrieren konnte. Ganz konnte ich ihn allerdings nicht von Assistentenaufgaben freistellen; denn in dieser Zeit zog die juristische Seminarbibliothek, deren Direktor ich war, aus beengten Verhältnissen in neue Räume um. An der Planung und Durchführung dieses Umzugs hat er zusammen mit anderen Assistenten vorbildlich mitgewirkt. 1959 legte er seine abgeschlossene umfangreiche Habilitationsschrift vor. Sie ist eines der grundlegenden Werke der neueren Prozeßrechtsliteratur, mit der die lebhafte Streitgegenstandsdiskussion eigentlich ihren Abschluß gefunden hat. Im Februar 1960 wurde die Habilitation vollzogen. Nach kurzer Tätigkeit als Heidelberger Privatdozent für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht wurde er schon zwei Jahre später als ordentlicher Professor nach Göttingen berufen. Göttingen ist dem reifen Wissenschaftler zur geistigen Heimat geworden. Er hat ehrenvolle Rufe nach Kiel, Bonn, Freiburg und schließlich München abgelehnt. Er fühlte sich wohl in Göttingens geistiger Luft; für die Ablehnung des Rufes nach München war wohl auch die Uberzeugung entscheidend, daß er nur an einer mittelgroßen Universität Wissenschaft so betreiben könne, wie er das für richtig hielt. Auch hatte
Geleitwort
XV
man in Göttingen schnell seine überragende geistige Persönlichkeit erkannt und ihm schon vier Jahre nach seiner Berufung das Rektorat der Universität übertragen; er war einer der jüngsten Rektoren einer deutschen Universität. Zur Feier der Rektoratsübernahme hat er mich als seinen akademischen Lehrer eingeladen. Dieser Tag ist auch für mein akademisches Leben zur bleibenden Erinnerung geworden. Nach der Feier der Rektoratsübernahme, bei der er souverän über den „Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen" gesprochen hatte, ergab sich Gelegenheit auch zu einem ganz persönlichen Gespräch. Er sagte mir damals, wie wohl er sich in Göttingens geistiger Luft fühle, hier könne man noch juristische Monographien schreiben. Er arbeitete damals an seinem Buch über „Prozeßrecht und materielles Recht", das 1970 erschien. Das Rektoratsjahr brachte es mit sich, daß man auch außerhalb der Universität auf seine herausragende Persönlichkeit aufmerksam geworden war. Das führte einmal zur Ausdehnung seines Tätigkeitsbereichs auf die Mitwirkung in Organen der allgemeinen Wissenschaftsverwaltung; 1969 wurde er für drei Jahre Mitglied des Wissenschaftsrates und ab Januar 1970 Vorsitzender von dessen wissenschaftlicher Kommission. Von 1976 an wurde er zum Mitglied des Senats der Max-PlanckGesellschaft gewählt und war in dieser Stellung über zehn Jahre tätig. Die Gerichtsbarkeit seines Landes versicherte sich der Mitwirkung des hervorragenden Juristen; er wurde 1973 stellvertretendes, ab 1977 ordentliches Mitglied des niedersächsischen Staatsgerichtshofs und wirkte in dieser Stellung bis 1991. Seine Bedeutung als Gelehrter wurde dadurch hervorgehoben, daß er seit 1983 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göttingen ist, für einen Juristen eine ungewöhnliche Auszeichnung. Auch von den juristischen Fachgenossen wurde seine herausragende Bedeutung anerkannt: von 1973 an war er fast zwanzig Jahre Vorsitzender der Göttinger rechtswissenschaftlichen Gesellschaft, ab 1980 für acht Jahre Vorsitzender der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer. Angesichts der umfangreichen Tätigkeiten außerhalb der Fakultät ist der Umfang seines literarischen Werks auf seinem Fachgebiet imponierend. Neben den schon erwähnten Monographien hat Henckel fast in jedem Jahr mehrere inhaltsreiche wissenschaftliche Aufsätze in Fachzeitschriften veröffentlicht, seit 1969 ist kaum eine fachlich einschlägige Festschrift ohne einen gewichtigen Beitrag von ihm. In mehr als dreißig Urteilsanmerkungen hat er gerichtliche Entscheidungen kritisch besprochen. Die Zahl seiner Vorträge im In- und Ausland ist beträchtlich. Von 1974 an lag das Schwergewicht seiner wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet des Insolvenzrechts. Die achte Auflage des Großkommentars zur Konkursordnung von Ernst Jaeger, die erste nach Jaegers
XVI
Geleitwort
Tod, war 1973 abgeschlossen. Friedrich Lent, der den ersten Band, das materielle Konkursrecht, bearbeitet hatte, war nach Abschluß seiner Arbeit gestorben. Der Verlag wandte sich an mich mit der Bitte, einen Nachfolger vorzuschlagen, der der neunten Auflage das bisherige wissenschaftliche Niveau erhalten sollte. Nach einer eingehenden Besprechung mit Henckel schlug ich ihn als geeigneten Nachfolger für Lent vor. Er wurde alsbald mit dem Verlag einig. Seine Wahl hat Henckel in hervorragender Weise gerechtfertigt. 1977 legte er die erste Lieferung der neunten Auflage vor, in erstaunlich rascher Folge 1980 die zweite und 1982 die dritte. Daß die vierte Lieferung dann erst 1991 erscheinen konnte, hat seinen Grund vor allem darin, daß Henckel inzwischen sich in der Insolvenzrechtsreform engagiert hatte. Die vierte Lieferung des Kommentars enthält in einem gegenüber der Vorauflage fast um das Doppelte erweiterten Umfang eine grundlegende und erschöpfende Kommentierung des Anfechtungsrechts von hohem wissenschaftlichen Rang. Die Arbeit an der neunten Auflage des Jaegerschen Großkommentars brachte es mit sich, daß Henckel sich zunehmend auch mit Reformfragen befaßte, was in Vorträgen und Zeitschriftenaufsätzen seinen Niederschlag fand. Als sich daher der Bundesjustizminister im Anschluß an den aus Anlaß des hundertsten Geburtstags der Konkursordnung 1977 in Köln veranstalteten Kongreß entschloß, eine Kommission für Insolvenzrechtsreform einzusetzen, war Henckel von Anfang an Mitglied dieser Kommission, der auch ich angehörte. Er war auch Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Mobiliarsicherheiten". Mit der Zeit wurde er zu einem der profiliertesten Mitglieder dieser Kommission und hat bei den Beratungen hervorragend mitgewirkt. Nach dem Abschluß der Beratungen gehörte er dem Redaktionsausschuß für die beiden umfassenden Abschlußberichte an, die 1985 und 1986 veröffentlicht wurden. Die Beratungen in der Kommission hatten ein hohes Niveau. In dem geselligen Zusammensein an den Abenden der Sitzungstage fanden interessante Gespräche statt, die zu einer Vertiefung und Festigung der persönlichen Beziehungen zwischen dem akademischen Lehrer und seinem ehemaligen Schüler führten. Diese Zeit ist auch für mich eine bleibende Erinnerung. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das an die Arbeit der Kommission anschließende Gesetzgebungsverfahren in vielen wichtigen Fragen zu einer von der Meinung der Kommission abweichenden Stellungnahme kam. Doch kann die reizvolle Aufgabe, diese Entwicklung des Gesetzgebungsverfahrens kritisch zu beleuchten, nicht Aufgabe einer Geburtstagsadresse sein. Jedenfalls hat Henckel, als der erste Gesetzesentwurf des BMJ vorlag, in Aufsätzen und Vorträgen kritisch Stellung genommen. Er hat sich aber in dieser Zeit immer mehr wieder seiner wissenschaftlichen Arbeit am geltenden Recht zugewendet.
XVII
Geleitwort
Schließlich soll noch hervorgehoben werden, daß es Henckel ein wichtiges Anliegen war, sich auch der Heranbildung des juristischen Nachwuchses, vor allem des wissenschaftlichen, zu widmen. Unter seiner Betreuung sind Dissertationen von Rang entstanden. Viele seiner Schüler nehmen heute angesehene Stellungen in der Praxis ein oder haben - von ihm wissenschaftlich betreut - mit anerkanntem Erfolg die akademische Laufbahn eingeschlagen. Wolfram Henckel ist einer der Großen der Rechtswissenschaft, vor allem der Zivilprozeßrechtswissenschaft, der auch außerhalb der Universität eine breite Wirksamkeit im Dienste der Wissenschaft entfaltete. Mit der Gratulation zu seinem hohen Festtag verbinden wir den Wunsch, es möge ihm noch viele Jahre vergönnt sein, in ungebrochener Schaffenskraft seiner Wissenschaft zu dienen. Friedrich
Weber
Zur Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht im Bereich der Abgrenzung der Revisions- bzw. Kassationsgründe KOSTAS E . B E Y S
I. Problemstellung Die durch Windscheid1 besiegelte2 und im Bereich der kontinentalen Rechtsfamilien allgemein akzeptierte Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht kommt auch auf dem Gebiet der Abgrenzung der Revisions- bzw. Kassationsgründe in beachtenswerter Weise zum Vorschein. 1. Diese Unterscheidung ist im Bereich des deutschen Revisionsrechts nicht gleich bei der Aufzählung der Revisionsgründe erkennbar, denn die Verletzung einer Rechtsnorm i. S. des § 549 I dtschZPO begründet immer die Revision unabhängig von ihrem materiellrechtlichen oder prozeßrechtlichen Charakter. Die Aufzählung in § 551 der prozessualen Nichtigkeiten als Revisionsgründe hat nicht den Sinn einer Gegenüberstellung zu der Verletzung einer Rechtsnorm nach § 549, da diese ebenfalls ausdrücklich als eine Verletzung des Gesetzes bezeichnet werden. Die Unterscheidung der Revisionsgründe entsprechend dem Charakter der verletzten Rechtsnorm als materiell- oder prozeßrechtliche tritt erst bei der Bestimmung des Umfangs der Revisionsprüfung durch das Revisionsgericht. Nach § 559 dtschZPO unterliegen gemäß Abs. I „der Prüfung des Revisionsgerichts nur die von den Parteien gestellten Anträge";
und gemäß Abs. II ist „das Revisionsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf das angefochtene Urteil nur geprüft werden, wenn die Mängel nach den §§ 554, 556 gerügt worden sind".
Daraus wird entnommen erstens, daß Verstöße gegen materielles Recht stets nur auf Rüge hin in der Revision berücksichtigt werden, und zweitens, daß Verstöße gegen Prozeßrecht, die eine absolute prozessuale 1 2
Die Actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, 1856. So Zöllner, Materielles Recht und Prozeßrecht, AcP 190 (1990), 471 ff [473].
2
Kostas E . Beys
Nichtigkeit i. S. von § 551 dtschZPO hervorrufen, als Revisionsgründe auch von Amts wegen berücksichtigt werden3. 2. Nach § 503 österZPO sind Revisionsgründe einerseits drei bestimmte prozessuale Nichtigkeiten, und zwar, wenn das Urteil des Berufungsgerichtes wegen eines in § 477 österZPO bezeichneten Mangels nichtig ist, ferner wenn das Berufungsverfahren an einem Mangel leidet, welcher, ohne die Nichtigkeit zu bewirken, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war, und schließlich, wenn dem Urteil des Berufungsgerichts in einem wesentlichen Punkt eine tatsächliche Voraussetzung zugrunde gelegt erscheint, welche mit den Prozeßakten erster oder zweiter Instanz in Widerspruch steht, und andererseits die Verletzung der angewandten materiellen Rechtsnorm (wenn das Urteil des Berufungsgerichts auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht). 3. Die Unterscheidung im deutschen und österreichischen Recht zwischen Übertretungen des Prozeßrechts und des materiellen Rechts als Revisionsgründe ist noch schärfer im griechischen zivilprozessualen Kassationsrecht. In Anlehnung an das von L. G. v. Maurer verfaßte griechische Civilverfahrensgesetzbuch von 1834, wie es durch nachträgliche Novellen abgeändert wurde, besagen Art. 559 Nr. 1 und 560 Nr. 1 des geltenden grZPGB von 1967, daß die Verletzung irgendeiner Norm des materiellen Rechts einen Kassationsgrund darstellt, während dies nur bei abschließend im Gesetz aufgezählten prozessualen Verletzungen der Fall ist. Grundsätzlich handelt es sich um neunzehn prozessuale Verletzungen, wie z. B. die Überschreitung der Gerichtsbarkeit oder der Zuständigkeit der Zivilgerichte, die Nichtberücksichtigung vorgebrachter und für den Ausgang des Prozesses wesentlicher Tatsachen, die falsche Bejahung oder Verneinung einer prozessualen Nichtigkeit, Verwirkung oder Unzulässigkeit, die Nichtbeachtung der Rechtskraft, das Vorliegen eines inneren Widerspruchs des Urteilsinhalts, sowie die ungenügende oder widersprechende Urteilsbegründung. Für Rechtsstreitigkeiten jedoch, die erstinstanzlich der sachlichen Zuständigkeit des Friedensgerichts und zweitinstanzlich der funktionellen Zuständigkeit des kollegialen Erstgerichts angehören, beschränken sich die Kassationsgründe auf nur drei prozeßrechtliche Verletzungen, und zwar auf die drei ersten soeben genannten. Angesichts dieser Regelungen des deutschen und österreichischen Revisionsrechts sowie des griechischen Kassationsrechts erhebt sich die Frage, was als materielles und was als Prozeßrecht zu verstehen ist. 3 Grunsky in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21. Aufl. 1994, § 559 IV 3 N r . 12 ff S. 4 0 7 ff; Schumann in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1980, Einl. I D N r . 28 S. 41 f.
Zur Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht
3
II. Kriterien zur Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht 1. Auf der Suche nach einem geeigneten Kriterium zur Abgrenzung des Prozeßrechts vom materiellen Recht besteht zunächst Einigkeit darüber, daß die aus gesetzestechnischen oder historischen Gründen bedingte oder sogar auch zufällige Zuordnung eines Rechtssatzes zum Corpus des Bürgerlichen, des Handels- oder des Zivilprozeßgesetzbuchs für ihren materiellrechtlichen oder prozeßrechtlichen Charakter belanglos ist4. So ist ζ. B. die vom B G B materiellrechtlich verstandene Sachlegitimation für Lehre und Rechtsprechung nicht verbindlich, sie wird dem prozeßrechtlichen Begriff der Prozeßrechtsbefugnis untergeordnet 5 . Vielmehr wird der Standpunkt vertreten, daß sogar der ausdrücklich geäußerte Wille des Gesetzgebers, eine bestimmte Regelung entgegen ihrer Natur als materiellrechtlich oder als prozeßrechtlich zu qualifizieren, den Richter bei seiner Qualifikation nicht bindet 6 , sondern daß diese stets aufgrund wissenschaftlicher Maßstäbe zu erfolgen hat. 2. Nach einer Meinung 7 soll als materiellrechtlich jede Rechtsnorm bezeichnet werden, die nicht prozeßrechtlich ist, ohne weitere Erklärung jedoch, was als prozeßrechtliche Norm zu verstehen ist. Im hypothetischen Fall einer engelbraven Gesellschaft, die ausnahmslos spontan alle subjektiven Rechte respektiert, mit der Folge, daß sich Prozesse und folglich auch das Prozeßrecht erübrigte 8 , wären alle Gesetzesbestimmungen, die den Charakter einer Rechtsnorm und nicht bloß einer organisatorischen Regelung hätten, materiellrechtliche N o r men. In diesem Zusammenhang mag die soeben erwähnte Ansicht, die materiellrechtliche Normen in allen nicht prozessualen Rechtssätzen erblickt, als nicht völlig nichtssagend erscheinen. Immerhin aber läßt diese Ansicht die Frage offen, worin das Wesen des materiellen Rechts selbst liegt und wodurch es sich vom Kern der Prozeßrechtsbestimmungen unterscheidet 9 .
4 Beys, ZPGB-Kommentar (griech.), 559 Nr. 1 III 9 S. 2154; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970 S. 4; Liike, Münchener Kommentar, Zivilprozeßordnung, Einl. Nr. 24 S. 7; Rammos, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts (griech.), I 1978 § 1 S. 3; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. 1993 § 1 V S. 5; Schumann, aaO Nr. 29 S. 42; Vasileiou, Uber das Rechtsmittel der Kassation im Zivilprozeßrecht (griech.), 2. Aufl. von L. Gidopoulos, 1931 § 24 S. 155, 157. 5 Henckel, aaO. ' Schumann, aaO. 7 Krispis, Internationales Privatrecht - Allgemeiner Teil (griech.) § 23 S. 115. ' Rammos, aaO S. 2. ' Henckel, aaO S. 11.
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Kostas E. Beys
3. Nach Henckel10 kann der Prozeßzweck wenig zur Abgrenzung von Prozeßrecht und materiellem Recht beitragen. Aus der reichen Fülle diesbezüglicher Theorien sind viele schon lange überholt. Dies gilt vor allem für den von Goldschmidt" formulierten Prozeßzweck der Herbeiführung der Rechtskraft, der zu dem unbefriedigenden Ergebnis führt, daß der Prozeß zum Selbstzweck erhoben wird. Dagegen verkennt der von Sauer12 formulierte Prozeßzweck, der darin bestünde, die Rechtsidee im Einzelfall richterlich zu gestalten, vor allem die Bedeutung der Mitwirkung der Parteien zur Erreichung des Prozeßzieles. Diese Mitwirkung bringt dagegen die Theorie in den Vordergrund, die den Prozeßzweck in der Durchsetzung der subjektiven materiellen Privatrechte erblickt13. Der Aspekt der Durchsetzung der materiellrechtlichen Normen durch die Vermittlung des Prozeßrechts spiegelt den weit verbreiteten Eindruck wider, daß das Prozeßrecht akzessorische, wenn nicht ausgerechnet Dieneraufgaben zugunsten des materiellen Rechts hätte14. Diese Anschauung ist jedoch bereits durch zwei treffliche Beobachtungen überholt; erstens, daß sich die Klageerhebung nicht in einer bloßen Ausübung des jeweils streitbefangenen subjektiven Rechts erschöpft, sondern daß sie auf einem selbständigen öffentlichrechtlichen Anspruch beruht15, und zweitens, daß sich nicht nur das Zivilprozeßrecht mit der Durchsetzung und Verwirklichung von subjektiven privaten Rechten befaßt. So enthält das bürgerliche Recht ebenfalls gleichgerichtete Regelungen, wie die ausnahmsweise erlaubte Selbsthilfe, die Auskunftsrechte, Pfand- und sonstige Sicherungsrechte16, die Aufrechnung, etc. 4. Nach "einer anderen Ansicht ist die Zuordnung einer Vorschrift zum materiellen Recht oder zum Prozeßrecht nach ihrem Sinn und Zweck zu treffen17. Dagegen wird jedoch darauf hingewiesen, daß es verfehlt ist, die Auferlegung von Rechten und Pflichten als Zweck des materiellen Rechts und die Auferlegung von Möglichkeiten und Lasten als Zweck des Prozeßrechts zu betrachten, da es auch prozeßrechtliche Pflichten, AaO S. 6 f. " Der Prozeß als Rechtslage, 1925 S. 151. 12 Allgemeine Prozeßrechtslehre, 1951 S. 3. 13 So die Theorie von Pohle in der 17. Aufl. von Stein/Jonas, Einl. C I (was aber in der 18. Aufl. aufgegeben wurde). Sie verkennt jedoch die öffentlichrechtlichen Aufgaben des Prozeßrechts, wie die Verwirklichung der objektiven Rechtsordnung und die Schaffung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Die Abstellung auf den Prozeßzweck hilft wenig bei der Untersuchung, ob ein bestimmter Vorgang, wie z. B. ein Prorogationsvertrag, prozeßrechtlicher oder materiellrechtlicher Regelung unterliegt (Henckel, aaO S. 7). 14 So Fasching, Zivilprozeßrecht Nr. 44 S. 35 und Nr. 125 S. 73; Lüke, aaO Nr. 23 S. 7. 15 Näher dazu unten 3.4. " Meier, aaO S. 9 f. 17 Schumann, aaO Nr. 29 S. 42. 10
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wie auch materiellrechtliche Lasten gibt. So sei es richtiger, darauf abzustellen, ob die fragliche Vorschrift vorwiegend auf den Ablauf und die Ausgestaltung des Verfahrens oder auf die Regelung der unmittelbaren Beziehungen der von ihr Betroffenen gerichtet ist. 5. Von der soeben erwähnten Ansicht weicht die von Henckelis vertretene These nicht wesentlich ab, die das Charakteristikum des Zivilprozeßrechts in der Regelung eines Verfahrens (des Zwangsvollstreckungsverfahrens mitinbegriffen) von und vor Zivilrechtspflegeorganen erblickt, das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist. Lüke19 meint, daß auch diese Definition wenig leistungsfähig ist, da sie gerade die Zweifelsfälle nicht erfaßt, es sei vielmehr auf die rechtliche Natur der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der einzelnen Norm abzustellen. Nach Henckel gibt es Rechtsnormen, deren Tatbestand eindeutig prozeßrechtlichen und deren Rechtsfolgen eindeutig materiellrechtlichen Charakter aufweisen, wie z. B. Art. 261 grZGB (= dtsch BGB 209 I) betreffend die Verjährungsunterbrechung durch Klageerhebung, und umgekehrt, wie z. B. Art. 327 grZPGB (= dtsch Z P O 327), wonach sich die Rechtskraft des gegen den Testamentsvollstrecker ergangenen Urteils auch auf den außerhalb des Prozesses stehenden Erben erstreckt. Somit erweist sich nach Henckel die rechtliche Natur der Voraussetzungen und Rechtsfolgen der jeweils anzuwendenden Rechtsnorm als ungeeignet für ihre Zuordnung zu den materiellrechtlichen oder zu den prozeßrechtlichen Normen. Diese Bemerkung ist zwar an sich richtig, sie kann jedoch nicht ausschlaggebend sein, soweit auf die Hauptrechtsfolgen und nicht auf alle Rechtsfolgen abgestellt wird. Zur Unterscheidung der Prozeßhandlungen der Parteien von ihren privatrechtlichen Rechtsgeschäften oder anderen Rechtshandlungen sind die Hauptrechtsfolgen derselben und nicht ihre Nebenwirkungen maßgebend 20 . So könnte man demgemäß zur Unterscheidung der privatrechtlichen von den prozeßrechtlichen Normen ausschließlich auf ihre materiellrechtlichen oder prozessualen Hauptrechtsfolgen abstellen. 6. Was die rechtliche Struktur der Wirkungen einer Rechtshandlung als Abgrenzungskriterium des Prozeßrechts vom materiellen Recht angeht, in dem Sinn, daß die Erzeugung von subjektiven Rechten und Pflichten ausschließlich dem materiellen Recht eigen ist, während die Herbeiführung von Möglichkeiten und Lasten dem Prozeßrecht angehört, führt '· AaO S. 8 f. " AaO Nr. 24 S. 7. 20 Baumgärtel, Wesen und Begriff einer Prozeßhandlung einer Partei im Zivilprozeß, 1957 § 6 1 3 S. 69 und § 9 IV S. 90.
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Henckel21 zunächst aus, daß subjektive Rechte und Pflichten nicht nur durch Recht, sondern auch durch Unrecht erzeugt werden, und daß die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht auch eine Aufgabe des Prozeßrechts ist. Diese Bemerkung könnte jedoch den Eindruck erwecken, daß sie sich nicht auf stabilem Boden bewegt. Denn die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht kann entweder aufgrund der Normen des positiven Rechts oder aufgrund derjenigen unbestimmten Rechtsprinzipien erfolgen, die kurz als Gerechtigkeitsidee bezeichnet werden. Die Wertung als Unrecht, soweit sie sich auf menschliches Verhalten beruft, vermag nur dann subjektive Rechte und Pflichten (hauptsächlich bezüglich Schadensersatzes) zu erzeugen, wenn sie den Tatbestand der diesbezüglichen Norm des positiven Rechts erfüllt. Wenn also Henckel von der Aufgabe des Prozeßrechts spricht, zur Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht beizutragen, bezieht er sich offenbar auf die Rechtsfolgen als Abgrenzungskriterium zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht, wobei jedoch die Wertungen von Recht und Unrecht nur auf dem Boden der Gerechtigkeitsidee erfolgen können. Darüber hinaus lehnt Henckel die rechtliche Struktur der Rechtsfolgen der jeweiligen Normen als Abgrenzungskriterium zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht mit der trefflichen Bemerkung ab, daß auch das Prozeßrecht echte subjektive Rechte und Pflichten erzeugt. Die Lehre22, die die rechtliche Natur des Prozesses als Rechtsverhältnis total ablehnte und im Prozeß nur Möglichkeiten und Lasten zur Weiterentwicklung der jeweiligen Rechtslage erblickte, ist dem prozessualen Verständnis unserer Zeit fremd23. Echte Lasten, die sogenannten Obliegenheiten, gibt es auch im Privatrecht24. Und umgekehrt kennt auch das Prozeßrecht echte Rechte und Pflichten, wie z. B. die Pflicht zur Wahrung des Grundsatzes von Treu und Glauben (grZPGB 116), insbesondere wenn die Partei über ihre Interessen nicht disponieren kann, sowie wenn die prozessualen Lasten zur Wahrung der Interessen des Gegners oder von öffentlichrechtlichen Interessen am Prozeßverlauf nicht ausreichen25. AaOS. 11. Goldschmidt, aaO S. 1 ff; vgl. auch Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950 S. 63 f; Sax, Das unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allgemeinen Prozeßrechtslehre, ZZP 67, 21 ff [53], 21 A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht - Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. § 30 VII 2 S. 173 ff; Henckel, aaO S. 12 ff; v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozeß, 1939 S. 319 ff; ders., Zur modernen konstruktiven Epoche der „deutschen Prozeßrechtswissenschaft", ZZP 65, 424 ff [434]; Lent, Zur Unterscheidung von Lasten und Pflichten der Parteien im Zivilprozeß, ZZP 67, 344 ff [345 f]; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, aaO § 2 I S. 8 f; Schumann, aaO Einl. IV Nr. 228 ff S. 139 ff; Zeiss, Die arglistige Prozeßpartei, 1967 S. 32 ff. 24 Henckel, aaO S. 18. 25 Henckel, aaO S. 16 f. 21
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7. Nach Ausschluß der rechtlichen Natur sowohl des Tatbestandes als auch der Rechtsfolgen als Abgrenzungskriterium zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht könnte man auf die Eigenartigkeit der von diesen geregelten Sach- und Lebensbereiche als Abgrenzungskriterium abstellen. a) Neuner26 hat als materielles Recht diejenigen Normen bezeichnet, die den Urteilsinhalt bestimmen im Gegensatz zu den Normen, die bestimmen, wie das Urteil zustande kommt, die er als prozeßrechtliche ansieht. Henckel27 lehnt diese Ansicht zunächst mit der Begründung ab, daß sie das Problem nur aus der Sicht des gerichtlichen Urteils betrachtet und verkennt, daß das materielle Recht vor allem außerhalb des Prozesses freiwillig seine Anwendung findet. Henckels Einwand vermag jedoch nicht ausschlaggebend zu überzeugen; denn die Frage der Abgrenzung des materiellen Rechts vom Prozeßrecht stellt sich nicht im Bereich der außergerichtlichen Regelung der Rechtsverhältnisse, sondern innerhalb des Prozesses und seines Abschlusses durch Urteilserlaß. b) Henckel28 macht trefflich darauf aufmerksam, daß auch prozeßrechtliche Normen den Inhalt des Urteils bestimmen, so daß es aus der Sicht des Inhalts des gerichtlichen Urteils keinen Unterschied zwischen materiellem und Prozeßrecht gibt. Er begnügt sich mit dieser Beobachtung, um seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, wie auf andere Weise die Eigenartigkeit der geregelten Lebensbereiche als Unterscheidungsmaßstab zwischen Prozeßrecht und materiellem Recht zu verstehen sei. So vertritt er den Standpunkt 29 , daß eine Norm dann dem Prozeßrecht angehört, wenn sie ein Verhalten in einem Verfahren, das auf ein bestimmtes Rechtspflegeziel ausgerichtet ist, von und vor Rechtspflegeorganen regelt, und daß eine Norm dem materiellen Recht angehört, wenn sie ein Verhalten in Lebensbereichen regelt, in denen sich Rechtssubjekte unmittelbar begegnen ohne Vermittlung eines zu einem Rechtspflegeakt angerufenen Rechtspflegeorgans 30 .
Privatrecht und Prozeßrecht. 1925 S. 6 f. A a O S . 19. " AaO. M A a O S . 21. J0 So auch Meier, Privatrecht und Prozeßrecht; Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht, e. V. Bd. 6: Materielles Recht und Prozeßrecht und die Auswirkungen der Unterscheidung im Recht der Internationalen Zwangsvollstreckung, hrsg. von P. Schlosser, 1992, S. 5, der allerdings dieser Umschreibung eine mangelnde Aussagekraft zumißt, was er wiederum als ihren Vorteil ansieht. 24
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Hier stellen sich aber gleich verschiedene Fragen, wenn eine Auswirkung des Prozeßrechtsverhältnisses den Hauptstreitgegenstand bildet, wie z. B. das Begehren der Wiederaufnahmeklage im judicium rescidens. Sind die Vorschriften der §§ 579 und 580 dtschZPO (= Art. 544 grZPGB) Prozeßrecht, bloß weil sie die Mitwirkung des Gerichts voraussetzen? Und wenn ja, was wird dann als materielles Recht Anwendung finden? Soll das in der Weise verstanden werden, daß es Prozesse gibt, bei denen die anzuwendende Norm keine materiellrechtliche, sondern eine rein prozeßrechtliche ist? Welche praktische Bedeutung hätte es dann, innerhalb des anhängigen Erkenntnisverfahrens das Prozeßrecht vom materiellen Recht abzugrenzen? Vor allem aber bleibt die Frage offen, wie diejenige Norm zu qualifizieren ist, die die unmittelbaren Beziehungen (Rechte und Pflichten) von Rechtssubjekten regelt, wenn ein Rechtspflegeorgan die rechtliche Stellung eines solchen Rechtssubjektes (Beteiligten des Prozeßrechtsverhältnisses) hat, wie z. B. das Recht, Berufung einzulegen, oder das Recht, den Arrest des beklagten Schuldners zu beantragen? Es wird m. E. überzeugend darauf hingewiesen, daß die Regelung, die das Arbeitseinkommen des Zwangsvollstreckungsschuldners bis zur Pfändungsgrenze der Vollstreckung nicht zur Verfügung stellt und bestimmte Gegenstände, wie Fernsehapparat, Hund und Milchkuh von der Pfändung ausschließt, dem Wesen nach materielles Recht ist31. Das Kriterium der geregelten Lebensbereiche könnte also geeignet sein, das Zivilprozeßrecht vom Privatrecht (genauso wie das Strafprozeßrecht vom Strafrecht und das Verwaltungsprozeßrecht vom Verwaltungsrecht) zu unterscheiden32. Kann jedoch in Anbetracht der schon erwähnten prozeßrechtlichen Normen materiellen öffentlichrechtlichen Charakters der Standpunkt als überzeugend bezeichnet werden, der das materielle Recht in Abgrenzung zum Zivilprozeßrecht mit dem Privatrecht identifiziert? Henckel33 betont, daß seine These sich „auf das Verhältnis des Zivilprozeßrechts zum materiellen Zivilrecht" beschränkt und daß „diese Einschränkung eine Verbindung zwischen dem Zivilprozeß und dem öffentlichen Recht nicht verleugnen " soll. 8. In der Tat wird üblicherweise im Rahmen von Zivilprozessen das materielle Recht mit dem Privatrecht identifiziert34. Zivilprozeßrecht und Zivilrecht oder überhaupt Privatrecht werden als formelles und
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Zöllner, aaO S. 478. Dagegen Lüke, aaO Nr. 24 S. 7. AaO S. 26. So Fasching, Zivilprozeßrecht Nr. 44 S. 34.
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materielles Recht gegenübergestellt35. Diese Identifizierung des Privatrechts mit dem materiellen Recht vermag zwar in Gegenüberstellung zum gesamten Prozeßrecht einen Begriff zu liefern, unter dem alle nicht prozeßrechtlichen Normen eingeordnet werden können. Aber die Bezeichnung des Zivilprozeßrechts als „formelles Recht" und entsprechend des Privatrechts als „materielles Recht" trifft nur die Oberfläche und nicht den Kern ihres Wesens. Die Gegenüberstellung von Privat- und Zivilprozeßrecht ist eine Errungenschaft des kontinentalen Rechtsdenkens, die mit seiner Emanzipierung vom römischen Recht erreicht wurde. Die zusätzliche Bezeichnung des Privatrechts als materielles Recht in Abgrenzung vom Zivilprozeßrecht bereitet jedoch unnötige Schwierigkeiten. Das Privatrecht regelt in der Tat, auch wenn nicht ausschließlich, andere Lebensbereiche als das Zivilprozeßrecht, und zwar prinzipiell aufgrund verschiedener Werte und Zwecke. Daraus aber zu schließen, daß sich das Zivilprozeßrecht auf eine nur formale und akzessorische Rolle beschränkt ohne eigene materielle Substanz, so daß überhaupt keine seiner Normen als materiellrechtlich bezeichnet werden können, vermag wenig zu überzeugen. Diese Dimension verkennt Henckel nicht, indem er zugibt36, daß sein Prozeßrechtsbegriff relativ leer und formal bleibt, auch wenn er die Möglichkeit schafft, diejenigen Normen mit einzubeziehen, die auf den Prozeß gerichtete Pflichten begründen. Er bestreitet somit nicht die „geringe Ergiebigkeit" seines Prozeßrechtsbegriffs. Er meint aber, daß dies angesichts des Zwecks seiner Begriffsbildung zu einer weiteren Korrektur nicht veranlassen sollte. Wenn Zweck seiner Begriffsbildung ist, in Zweifelsfällen klar zu erkennen, wann und wann nicht Zivilprozeßrecht, bzw. wann und in welchem Maßstab Prozeßrecht und materielles Recht anzuwenden sind37, um einen fraglichen Vorgang zu regeln38, so könnte dieser Zweck durch die Unterscheidung zwischen Zivilprozeßrecht und Privatrecht völlig erreicht werden. Die zusätzliche Bezeichnung des Privatrechts als materielles Recht und dessen Gegenüberstellung zum Zivilprozeßrecht vermag diesen Zweck nicht unbedingt zu fördern. Denn wenn man den Prozeßrechtsnormen, die die Begründetheit (oder vielleicht ausnahms35
So Fasching, Zivilprozeßrecht Nr. 8 S. 5 und Nr. 44 S. 35; Luke, aaO Nr. 23 und 26
S. 7. AaO S. 22 f. " Für die gleichzeitige Beurteilung desselben prozessualen Normen siehe auch Schumann, aaO 3 ! Von Luke (aaO Nr. 24 S. 7) wird jedoch bereiche ein geeigneter Abgrenzungsmaßstab des in Zweifelsfällen eine klare Lösung zu gewähren. 36
Vorgangs nach materiellrechtlichen und Nr. 38 S. 44. bestritten, daß der Begriff der LebensProzeßrechts vom materiellen Recht ist,
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weise die Unbegründetheit) von prozessualen Anträgen bewirken, sogar wenn sie den Hauptstreitgegenstand darstellen, ihren materiellrechtlichen Charakter nimmt, erweckt man den Eindruck, daß es Prozesse gibt, die ohne anzuwendendes materielles Recht durchgeführt werden können. Hierbei ist, was Henckel besonders hervorhebt39, zu beachten, daß das Prozeßrecht in gleicher Weise Recht ist wie das materielle Recht, so daß sich beide in ihrem Rechtscharakter nicht unterscheiden40. Das bedeutet, daß auch die Prozeßrechtsnormen ebenso von einem gewissen Tatbestand Rechtsfolgen ableiten, die das Prozeßrechtsverhältnis bestimmen und im Urteilssyllogismus den Obersatz bilden. Daraus schließt Henckel: „Deshalb darf unsere Abgrenzung auch nur in einem beschränkten Sinne normativ verstanden werden (...); Prozeßrecht und materielles Recht sind keine ,Rechtsmaterien' oder,Rechtsgebiete'. Eine solche Auffassung würde die falsche Vorstellung wecken, als schlössen beide einander vollständig aus. " Die Anknüpfung privatrechtlicher Rechtsfolgen an zivilprozessuale Vorgänge und umgekehrt bestätigt die Richtigkeit dieser Bemerkung. Nach Rammos4i bereitet die klare Unterscheidung zwischen Privatund Zivilprozeßrecht keine besonderen Schwierigkeiten, wenn man beachtet, daß das letztere dem öffentlichen Recht angehört, andere Ziele hat und von anderen Grundgedanken geleitet wird. Diese Unterschiede schließen zwar eine Abhängigkeit prozessualer Wertungen von materiellrechtlichen Maßstäben nicht unbedingt aus, was am deutlichsten in der Einteilung der Prozeßrechtszweige in Zivil-, Straf- und Verwaltungsprozeßrecht hervortritt, die der Unterscheidung zwischen Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht entspricht42. Die eigenen Wertungen des Prozeßrechts begründen jedoch oft eine abweichende Definition derselben Rechtsbegriffe43, je nachdem, ob sich ihre Auslegung auf dem Boden des Privat- oder des Zivilprozeßrechts bewegt, wie z. B. anbetrachts des Rechtsbegriffs der höheren Gewalt. Während im Bereich des Privatrechts die gerechte Abwägung der entgegengesetzten Interessen von Gläubiger und Schuldner die Unterscheidung der höheren Gewalt vom Verschulden und darüber hinaus auch vom Zufall rechtfertigt, ist im Bereich des Zivilprozeßrechts die höhere Gewalt in jeder unverschuldeten Parteiverhinderung zu erblicken, da das Zivilprozeßrecht nicht 39 40
A a O S. 23. So auch Fasching, Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch, 2. Aufl. 1990 Nr. 125
S. 73. 41 42 4i
S. 45.
AaOS.3. Henckel, aaO S. 2. Lüke, aaO Nr. 25 S. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald,
aaO; Schumann, aaO Nr. 38
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auf die gerechte Abwägung der entgegengesetzten Interessen von Kläger und Beklagten, sondern auf die vernünftige Ausgleichung der polaren Gegensätze der schnellen und der richtigen Justizgewährung abgestellt ist. In den Fällen verschuldeter Säumnis der unterlegenen Partei, Tatsachen oder Beweismittel innerhalb der dazu bestimmten prozessualen Fristen vorzubringen oder gewisse Parteihandlungen ebenfalls fristgemäß vorzunehmen, ist festzustellen, daß die Rechtsordnung dem Gebot der schnellen Sacherledigung gegenüber dem Gebot der richtigen Rechtsfeststellung den Vorrang einräumt und somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder nach Rechtskrafteintritt die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zuläßt. War die unterlegene Partei jedoch während des ersten Prozesses unverschuldet verhindert, eine für seinen Ausgang wesentliche Beweisurkunde zu benutzen, so ist die Priorität des Gebots der richtigen Feststellung des entschiedenen Rechtsverhältnisses der Parteien evident. Daraus ist zu folgern, daß bei jeder unverschuldeten Verhinderung der unterlegenen Partei das Gebot der richtigen Sacherledigung gegenüber dem Gebote des schnellen Verfahrensabschlusses an Priorität gewinnt, so daß die Verhinderung, auch wenn sie aus materiellrechtlicher Sicht dem bloßen Zufall zuzurechnen wäre, aus prozessualer Sicht doch ausreicht, um den Rechtsbegriff der höheren Gewalt als Wiederaufnahmegrund nach Art. 544 Nr. 7 grZPGB zu rechtfertigen. Der Rechtsschutz- bzw. Justizgewährungsanspruch ist eine Ausstrahlung von subjektiven Rechten im Bereich des Prozesses. Die Ansicht, daß diese subjektiven Rechte einem dritten Rechtszweig, dem sogenannten materiellen Ziviljustizrecht44 bürgerlichrechtlicher Natur angehören, das zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht steht, ist bereits überholt. III. Die Verletzung von prozessualen Rechtsnormen bei der Abgrenzung der Revisions- bzw. Kassationsgründe 1. Nach dem Wortlaut von § 549 dtschZPO stützt sich die Revision nur auf Verletzung des Bundesrechts oder einer Vorschrift, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. Unter der Verletzung des Gesetzes wird die Nichtanwendung oder die nicht richtige Anwendung einer Rechtsnorm verstanden (dtschZPO 550). Als Gesetzesverletzung wird jedoch auch eine Reihe von absoluten prozessualen Nichtigkeitsgründen angesehen (dtschZPO 551). 44 Goldschmidt, Materielles Justizrecht; Festgabe für Hübler, 1905; ders., Zwei Beiträge zum materiellen Ziviljustizrecht; Berliner Festschrift für Brunner, 1914; ders., Zivilprozeßrecht, Neudruck der 2. Aufl. von 1932 (1969) §§ 1 und 12 S. 1 f. [2] und 53 f.
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In der Dogmatik des deutschen Prozeßrechts wird angenommen, daß der materiellrechtliche oder prozessuale Charakter der jeweils verletzten Norm für die Begründetheit der Revision unerheblich ist45. Deshalb wird die Übertretung einer prozeßrechtlichen Norm, die im Obersatz des Urteilssyllogismus einen Inhaltsmangel der Entscheidung darstellt, revisionsrechtlich der Verletzung einer materiellrechtlichen Norm gleichgestellt, auch wenn diese prozessuale Übertretung eine absolute Nichtigkeit hervorruft. Mit anderen Worten: Die Revision wird in einem solchen Fall nicht auf die prozessuale Nichtigkeit nach § 551 dtschZPO, sondern auf die Verletzung einer Rechtsnorm nach §§ 549, 550 gestützt. Diese Behandlung des Verstoßes gegen eine prozeßrechtliche Norm als Übertretung einer Rechtsnorm führt zu der Frage, ob prozeßrechtliche Beurteilungsnormen einen materiellrechtlichen Charakter aufweisen. Eine solche These wird jedoch mit der Begründung abgelehnt, daß es sich dabei nicht um das Paar der entgegengesetzten Pole „Verstoß gegen materielles Recht" oder „Prozeßrecht", sondern um das Paar „Mängel des Verfahrens" oder „des Inhalts der Entscheidung" handelt46. 2. Bei der Auslegung des Begriffs der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache hat die österreichische Rechtsprechung den Grundsatz aufgestellt, daß dieser Revisionsgrund nur bei unrichtiger Beurteilung auf materiellrechtlicher Ebene gegeben ist, so daß unrichtige Anwendung von prozeßrechtlichen Normen grundsätzlich über die Revisionsgründe der absoluten prozessualen Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Bundesverfahrens zu rügen ist47. Aber das österreichische Revisionsgericht mußte zubilligen, daß der Revisionsgrund wegen „ unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache" auch dann gegeben ist, wenn der Klageanspruch selbst prozeßrechtlichen Ursprungs ist, wie z. B. bei der Beurteilung der Begründetheit der Wiederaufnahmeklage48. 3. Im Bereich des griechischen Kassationsrechts ist ebenso die Frage aufgetaucht, ob gewisse Normübertretungen, die im Gesetz als prozessuale Verletzungen bezeichnet werden, wie z. B. die falsche Feststellung einer Nichtigkeit, Verwirkung oder Unzulässigkeit, in Wirklichkeit einen materiellrechtlichen Charakter aufweisen. Nach der Anfechtung eines Urteils wegen rechtswidriger Abweisung des selbständigen Antrags des Gläubigers auf Verurteilung seines Schuldners zur Leistung des Offenbarungseides dahingehend, daß dieser Schneider in Zöller, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. 1993 § 550 Nr. 2 S. 1203. Schumann, aaO Nr. 28 S. 42. Zustimmend auch Meier, aaO S. 40. 47 Nachweise bei Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, IV 1971 § 503 II 1 Nr. 28 S. 324. 48 Fasching, aaO S. 325. 45 46
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kein pfändbares Vermögen besitzt, hat der griechische Kassationshof 49 den Kassationsantrag deshalb abgewiesen, weil die Begründetheit des Antrags auf Leistung eines Offenbarungseides von einer nicht materiellrechtlichen Norm, d. h. von Art. 952 grZPGB geregelt wird, dessen Verletzung aber keinen Kassationsgrund bildet. In einem anderen Fall hat jedoch der Kassationshof diese Frage nicht einstimmig beantwortet 50 . Es handelte sich um die rechtswidrige Abweisung eines Antrags auf Anordnung des Arrestes des Schuldners, dessen Begründetheit von Art. 1047 und 1048 grZPGB geregelt wird. Die Majorität von vier Mitgliedern der Kammer bezeichnete diese Regelung als prozessual und hielt den vorgebrachten Kassationsgrund als unbegründet, während sich dagegen die Minorität von drei Mitgliedern auf ihren materiellrechtlichen Charakter berief. Wegen der starken Minorität wurde die Frage an das Plenum des Areopags weiterverwiesen. Aber die Parteien beendeten ihren Streit außergerichtlich, so daß das Plenum nicht mehr die Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Es ist eindeutig, daß die Verfasser der Art. 559 Nr. 1 und 560 Nr. 1 grZPGB mit dem Erfordernis der Verletzung einer materiellrechtlichen Norm darauf abzielten, jegliche nicht ausdrücklich geregelte prozessuale Verletzung aus dem Feld der Kassationsgründe auszuschließen 51 . Die diesbezüglichen Materialien enthalten jedoch keine Andeutung, was unter dem Begriff der materiellrechtlichen N o r m zu verstehen ist. Die gesetzgeberische Aufzählung der Kassationsgründe im griechischen Zivilprozeßrecht ist von ihrer nicht besonders glücklichen historischen Herkunft stark beeinflußt: a) Das von L. G. v. Maurer verfaßte Civilverfahrensgesetzbuch von 1834 kannte zwei Arten von Kassationsgründen: sechs absolute prozessuale Nichtigkeiten und die falsche Normanwendung oder -auslegung, die jedoch nur auf die Fälle „falscher Anwendung oder falscher Auslegung eines Civilgesetzes" beschränkt war. Alle kassationsrelevanten Verstöße des rechtskräftigen Urteils gegen prozeßrechtliche Normen wurden also ausschließlich unter dem Prisma der prozessualen Nichtigkeit und nicht etwa als selbständiger Mangel des Inhalts des Urteilssyllogismus betrachtet. b) Die späteren Novellen, so auch das heute geltende Zivilprozeßgesetzbuch von 1967, haben die in der Maurerschen Aufzählung der Kassationsgründe enthaltenen absoluten Nichtigkeitsgründe als Verstöße gegen prozeßrechtliche Normen verstanden, die sich von den Ver" Areopag 476/1973 Nomikon Berna 21, 1343. 50 Areopag 825/1976 Nomikon Berna 25, 188. 51 Materialien, Bd. III S. 284.
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Stößen gegen materiellrechtliche (genauer: gegen privatrechtliche) Normen unterscheiden. Unter dieser Vorstellung wurden die absoluten Nichtigkeitsgründe erweitert, indem z. B. die Nichtberücksichtigung vorgebrachter und für den Ausgang des Prozesses wesentlicher Tatsachen als Kassationsgrund eingeführt wurde. Darüber hinaus wurden jedoch auch echte Mängel des Obersatzes des Urteilssyllogismus (wie z. B. die falsche Bejahung oder Verneinung einer prozessualen Nichtigkeit, Verwirkung oder Unzulässigkeit, sowie die falsche Bejahung oder Verneinung der Rechtskraftbindung eines früheren Urteils) als prozeßrechtliche Verstöße in die Liste der Kassationsgründe aufgenommen, ohne jedoch zu erkennen, daß alle Mängel im Obersatz des Urteilssyllogismus gleich wiegen, unabhängig von dem privat- oder prozeßrechtlichen Charakter der übertretenen Norm. Für die Verfasser der Zwischennovellen sowie des neuen Zivilprozeßgesetzbuchs von 1967 galten als materiellrechtliche Übertretungen nur die privatrechtlichen. Die dadurch geprägten Kassationsgründe des geltenden griechischen Zivilprozeßrechts können somit in folgende drei Gruppen eingeordnet werden: aa) Absolute prozessuale Nichtigkeitsgründe, und zwar - die nicht gesetzesmäßige Zusammensetzung des Gerichts (grZPGB 559 Nr. 2 und 560 Nr. 2); - die Übertretung der Zivilgerichtsbarkeit oder der sachlichen Zuständigkeit (grZPGB 559 Nr. 4 und 560 Nr. 3); - der Erlaß eines Säumnisurteils aufgrund nichtiger Säumnis der unterlegenen Partei (grZPGB 559 Nr. 6); - der gesetzeswidrige Ausschluß der Öffentlichkeit des Verfahrens (grZPGB 559 Nr. 7 und 560 Nr. 4); - die gesetzeswidrige Nichtberücksichtigung vorgebrachter, für den Ausgang des Prozesses wichtiger Tatsachen oder umgekehrt die Berücksichtigung nichtvorgebrachter Tatsachen (grZPGB 559 Nr. 8); - die Nichtberücksichtigung von Parteianträgen oder die Beurteilung nicht beantragter Rechtsverhältnisse (grZPGB 559 Nr. 9); - die gesetzeswidrige Beurteilung nicht bewiesener Tatsachen (grZPGB 559 Nr. 10); - die Berücksichtigung nicht erlaubter Beweismittel oder die Nichtberücksichtigung vorgebrachter Beweismittel (grZPGB 559 Nr. 11); - der gesetzeswidrige Widerruf eines Urteils (grZPGB 559 Nr. 15); - das Vorhandensein widersprechender Bestimmungen im Urteilstenor (grZPGB 559 Nr. 17); - die nach der Kassation durch das Verweisungsgericht unterlassene Berücksichtigung der vom Kassationshof gegebenen Lösung der Rechtsfrage (grZPGB 559 Nr. 18);
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- das Vorhandensein ungenügender oder widersprechender Gründe des angefochtenen Urteils (grZPGB 559 Nr. 19), und - die Entstellung des Inhalts einer Beweisurkunde (grZPGB 559 Nr. 20). bb) Übertretung einer materiellrechtlichen Norm (grZPGB 559 Nr. 1 und 560 Nr. 1), womit ausschließlich die falsche Anwendung oder Auslegung einer jeden Norm des objektiven Privatrechts gemeint ist, und cc) falsche Anwendung oder Auslegung bestimmter prozeßrechtlicher Normen im Bereich des Obersatzes des Urteilssyllogismus, die jedoch willkürlich beschränkt aufgezählt werden, und zwar - die falsche Abweisung des Antrags auf Ausschluß eines Richters (grZPGB 559 Nr. 3); - die falsche Annahme der bestrittenen sachlichen Zuständigkeit des Gerichts (grZPGB 559 Nr. 5); - die falsche Anwendung der Normen über die Beweiskraft bestimmter Beweismittel (grZPGB 559 Nr. 12); - die falsche Anwendung der Normen über die Beweislastverteilung (grZPGB 559 Nr. 13); - die falsche Anwendung der Normen über prozessuale Nichtigkeit, Unzulässigkeit oder Verwirkung (grZPGB 559 Nr. 14), und - die falsche Anwendung der Normen über die Rechtskraftbindung (grZPGB 559 Nr. 16). 4. Was den Kern einer materiellrechtlichen Norm ausmacht, ist m. E. nicht an einem festen Maßstab zu messen. Das Kriterium wechselt je nach dem Betrachtungsstandort. a) Bei der Prüfung, ob ein fraglicher Vorgang angesichts seiner Hauptrechtsfolgen den Regeln des Privatrechts oder des Zivilprozeßrechts zu unterziehen ist, kann man zu einer zufriedenstellenden Lösung gelangen, wenn man entweder das von Henckel vorgeschlagene Kriterium der zu regelnden Lebensbereiche oder das von Schumann52 und Lüke53 vertretene Kriterium des Zwecks der anzuwendenden Rechtsnorm gebraucht. Beide Kriterien sind auch im Internationalen Privatrecht in bezug auf die Frage der anzuwendenden Normen im Rahmen eines anhängigen Prozesses mit internationaler Dimension sowie im Bereich des Intertemporalen Rechts nützlich.
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Nach der im Bereich des Internationalen Privatrechts herrschenden Ansicht regelt das Privatrecht das Bestehen, den Inhalt und die Wirksamkeit der privaten Rechtsverhältnisse, während das Zivilprozeßrecht die Voraussetzungen, die F o r m und die Wirkung zur gerichtlichen Geltendmachung und die Durchsetzung von subjektiven Rechten durch staatliche Hilfe regelt 54 . b) Anders liegt aber der Fall, wenn man nach dem Kriterium zur Unterscheidung zwischen materiellem Recht und Prozeßrecht auf der Ebene des (deutschen) Revisionsrechts und des (griechischen) Kassationsrechts sucht. Hier ist es m. E. unentbehrlich, als materielles Recht nicht nur die privatrechtlichen, sondern auch manche prozeßrechtliche Normen zu verstehen. So besteht das Charakteristikum des materiellen Rechts darin, daß bei Vorhandensein eines bestimmten Tatbestandes die Geltung eines subjektiven Rechts oder eines Komplexes von subjektiven Rechten bejaht oder verneint wird 55 . Handelt es sich um ein subjektives Gestaltungsrecht, so entsprechen ihm keinerlei Verpflichtungen anderer Rechtssubjekte, was dagegen bei allen relativen Rechten sowie bei schon verletzten absoluten Rechten der Fall ist. Aus der Sicht des Revisions- bzw. Kassationsrechts sollten also im Bereich des gerichtlichen Syllogismus als materielles Recht diejenigen Normen bezeichnet werden, die seinen Obersatz bilden und folglich die Voraussetzungen zur Entstehung, Entstehungsverhinderung, Übertragung, Veränderung, Hemmung oder Erlöschung des Rechtsverhältnisses bestimmen, das den Streitgegenstand betrifft. V o n den materiellrechtlichen Normen in diesem Sinne sind allerdings diejenigen Bestimmungen des Prozeßrechts klar zu unterscheiden, welche die Organisation, insbesondere die Zusammensetzung der Gerichte und der anderen Rechtspflegeorgane, wie z. B. des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder des Gerichtsvollziehers, sowie die Durchführung des Verfahrens, wie z. B. die Art und Weise der Klageerhebung oder der Zeugenvernehmung, als Wegweiser für die Durchführung des Verfahrens regeln. Man kann also hier einerseits die im Prozeßrecht enthaltenen materiellrechtlichen Normen des öffentlichen Rechts, die die prozessualen Rechtsfolgen bestimmen, und andererseits die bloßen Verfahrensbestimmungen gegenüberstellen. Nach einer Ansicht entbehren die letzteren des Rechtsnormencharakters und haben mehr oder weniger 5< Basedow, Qualifikation, Vorfrage und Anpassung im Internationalen Zivilverfahrensrecht; Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Vereinigung für Internationales Verfahrensrecht, e. V. Bd. 6: Materielles Recht und Prozeßrecht und die Auswirkungen der Unterscheidung im Recht der Internationalen Zwangsvollstreckung, hrsg. von P. Schlosser, 1992, S. 136. 55 So auch Henckel, aaO S. 2 und 11.
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eine nur organisatorische Aufgabe 56 , d. h. sie bestehen nicht aus Tatbestand und Rechtsfolge, was nur insoweit überzeugt, als das Gericht und überhaupt das Rechtspflegeorgan sich selbst als am Prozeß wie an einem Wettkampf Beteiligte betrachten und ihre Tätigkeit den Verfahrensbestimmungen als Spielregeln unterwerfen. Sobald aber das Gericht diese „Verfahrensbestimmungen" an die Stelle des Obersatzes des Urteilssyllogismus stellt, um die Wirksamkeit bzw. Zulässigkeit des Parteibenehmens oder sogar des eigenen Benehmens zu beurteilen, verhalten sich diese „Verfahrensbestimmungen" als echte öffentlichrechtliche Normen materiellrechtlichen Charakters. Dies wird dadurch erklärt, daß das Prozeßrecht auch Bestimmungen enthält, welche die Einbeziehung der Subjekte des Prozeßrechtsverhältnisses regeln und sich dadurch als echte Rechtsnormen des öffentlichen Rechts erweisen, was allerdings mit der Lehre Goldschmidts57 vom materiellen Justizrecht nur den Namen gemeinsam haben könnte. Denn trotz allgemeiner Ablehnung dieser Lehre wird doch nicht geleugnet, daß auch Prozeßrechtsnormen als Vordersätze den Inhalt des Urteils bestimmen 58 . Das Auffinden dieser prozessualen Rechtsnormen im Obersatz des Urteilssyllogismus wird allgemein akzeptiert, ohne daß dies jedoch zu der Frage Anlaß gegeben hat, ob sie einen materiellrechtlichen Charakter des öffentlichen Rechts besitzen. Eine Frage, die durch die Bemerkung besonders gerechtfertigt wäre, daß das Prozeßrecht in erheblichem Ausmaß angewandtes Verfassungsrecht ist. Diese Bezeichnung ist kein leeres Wort. Sie bringt vielmehr die Befreiung des Zivilprozeßrechts 59 von seinem traditionellen Dienercharakter im Verhältnis zu den Normen des Privatrechts zum Ausdruck und folglich auch die Emanzipation der Prozeßrechtswissenschaft von der Lehre des bürgerlichen Rechts, für das sie bis dahin den Charakter des materiellen Rechts gegenüber dem Prozeßrecht monopolisierte. Die im Bereich des Zivilprozeßrechts überlieferte Identifizierung des materiellen Rechts mit dem Privatrecht entspricht der Bestimmung des positiven Rechts, daß die Rechtsstreitigkeiten des Privatrechts, und zwar nur diese von allen übrigen Rechtsstreitigkeiten, der Gerichtsbarkeit der ordentlichen Zivilgerichte zugehören (grZPGB 1 Abs. a; so auch grVerfassung 94 § 3). Dabei wird jedoch übersehen, daß es keinen Prozeß Ν. N. Saripolos, Griechisches Verfassungsrecht (griech.), 2. Aufl. 1914 § 34 S. 32 f. AaO. " Vgl. dazu Zöllner, aaO S. 477, der vertritt, daß „die dienende Funktion des Prozesses (und damit auch des Prozeßrechts) gegenüber dem materiellen Recht in vielfacher Weise von gegenläufigen Strömungen durchzogen" ist, „nämlich überall dort, wo das Prozeßrecht eigene Schutzanliegen verfolgt". 59 Vgl. dazu Jauernig, Das fehlerhafte Zivilurteil, 1958 S. 1; Kohler, D e r sogenannte Rechtsschutzanspruch, Z Z P 33, 211 ff. [218], 56 57
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ohne anzuwendendes materielles Recht geben kann, was nötigerweise zu der weiteren Frage führt, was bei prozessualen Anträgen, wie z. B. im judicium rescidens aufgrund eines Wiederaufnahmeantrags oder im Fall der Vollstreckungsgegenklage, das anzuwendende materielle Recht ist. Betrifft der Streitgegenstand in diesen Fällen eine Rechtsstreitigkeit des Privatrechts? Eine positive Beantwortung dieser Frage wäre schwer mit der Auffassung in Einklang zu bringen, daß die im Obersatz des entsprechenden Urteilssyllogismus anzuwendenden Rechtsnormen dem Zivilprozeßrecht und nicht dem Privatrecht angehören. Andererseits würde die negative Beantwortung zu dem Ergebnis führen, daß nicht nur die Rechtsstreitigkeiten des Privatrechts der Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte unterliegen, sondern daß es darüber hinaus auch Rechtsstreitigkeiten gibt, die aus der Anwendung des Zivilprozeßrechts entstehen und die vom Gesetzgeber bei der Abgrenzung der Gerichtsbarkeit der ordentlichen Zivilgerichte unberücksichtigt gelassen wurden. Sollte man auch diese Rechtsstreitigkeiten als solche des Privatrechts bezeichnen, dann könnte es wohl nur in einem erweiterten oder übertragenen Sinn erfolgen. In Wirklichkeit handelt es sich um zivilprozeßrechtliche Rechtsstreitigkeiten, die neben den Rechtsstreitigkeiten des Privatrechts zur Zuständigkeit der ordentlichen Zivilgerichte gehören. Praktisch ergibt sich keine differente Lösung, wenn man diese Problematik auf die Gegenüberstellung von Mängeln des Verfahrens und von Mängeln des Inhalts der Entscheidung abstellt, soweit man als Mängel des Entscheidungsinhalts alle Verstöße sowohl gegen materielles Recht als auch gegen Prozeßrecht versteht 60 . Denn es steht außer Zweifel, daß bei den sogenannten Mängeln des Urteilsinhalts die prozeßrechtlichen Verstöße denjenigen des materiellen Rechts gleichgestellt werden. Und überhaupt wird zugegeben, daß die Prozeßrechtsnormen, die den Obersatz des Urteilssyllogismus bilden, als Beurteilungsnormen wie Normen des materiellen Rechts zu behandeln sind 61 . Bei prozessualen Anträgen, die den Hauptstreitgegenstand des zu eröffnenden Verfahrens darstellen, ist der materiellrechtliche Charakter der Normen des Zivilprozeßrechts, die ihre Begründetheit regeln, schwer zu bestreiten. Diese Tatsache versucht man mit der Bemerkung zu umgehen, daß dies im Bereich des Zivilprozesses nur ausnahmsweise vorkommt, der Zivilprozeß regelmäßig um ein materielles (d. h. privatrechtliches) Recht geführt und dementsprechend das zu ergehende Urteil regelmäßig in den materiellrechtlichen Bereich hinein wirken soll; wobei 60 So Schumann, in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1980, Einl. I D Nr. 28 S. 42. 61 Schumann, aaO Nr. 33 S. 43.
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hinzugefügt wird, daß „ Gewinnen oder Verlieren des Prozesses rechtlich nicht dem Erwerb oder Verlust von Rechten gleichzusetzen ist"''2. Es wird trefflich darauf hingewiesen, daß die Zivilprozesse in den meisten Fällen, also „regelmäßig", um eine Streitigkeit des Privatrechts geführt werden und die prozeßrechtlichen Streitigkeiten die Ausnahme darstellen. Trotzdem unterliegen auch sie der Zivilgerichtsbarkeit, und ihre gerichtliche Beurteilung erfolgt aufgrund prozeßrechtlicher Normen, die den Obersatz des gerichtlichen Syllogismus bilden und somit gleichberechtigt mit den privatrechtlichen Normen als materielle Rechtssätze Anwendung finden. Die materiellrechtliche Qualität der prozessualen Normen, die die Begründetheit ζ. B. der Wiederaufnahmeklage oder der Drittwiderspruchsklage gegen die Zwangsvollstreckung regeln, ist nicht geringer als die der privatrechtlichen Normen, die ζ. B. den Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung regeln. Es ist zu betonen, daß die Nichterfüllung eines vom Schuldner bestrittenen privatrechtlichen Anspruchs dem Gläubiger einen geringfügigeren Schaden zufügt als das rechtskräftige Urteil, das den entsprechenden prozessualen Anspruch wegen prozeßrechtlicher Verstöße fehlerhaft als sachlich unbegründet abweist. Die rechtskräftige Erkenntnis eines subjektiven Privatrechts erfolgt unter gleichwiegender Mitwirkung von privatrechtlichen und prozeßrechtlichen Normen. Die überlieferte sarkastische Äußerung, daß das Zivilprozeßrecht der Opferaltar sei, worauf subjektive Privatrechte geschlachtet werden, ist kein Scherz. Subjektive Privatrechte werden nicht nur durch die Rechtskraft fehlerhafter Urteile geopfert. Ferner schrumpfen sie durch bestimmte Regelungen des Zivilprozeßrechts zusammen, wie wegen Exterritorialität des Schuldners oder Unpfändbarkeit seines beschränkten Vermögens63. Diese Überholung der privatrechtlichen Regelungen durch die prozessualen Normen 64 bestätigt65, daß das Prozeßrecht „ ein die Substanz der Rechtsbeziehungen zwischen den Rechtssubjekten (mit-)konstituierendes Rechtsgebiet" ist, sowie „ daß materielles Recht und Verfahrensrecht als die Rechtslage insgesamt konstituierende Sinneinheit aufeinander bezogen sind"66. Abgesehen vom akademischen Streit, ob historisch das materielle Recht als Prius das Erzeugende und die Klage als Späteres das Erzeugte ist67 oder umgekehrt68, steht für das juristische Denken unserer Zeit außer Zweifel, daß die privatrechtlichen Normen nur abstrakt besagen, Schumann, aaO Nr. 34 S. 43. " Beide Beispiele aus Zöllner (aaO S. 476 ff) entnommen. 64 Vgl. dazu Meier, aaO S. 10 f. 65 Vgl. dazu Zöllner, aaO S. 474. " Zöllner, aaO S. 482. 67 So Windscheid, aaO. " So Binder, Prozeß und Recht, 1927 S. 14 ff. 62
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unter welchen Voraussetzungen subjektive Privatrechte entstehen, zu entstehen verhindert, übertragen, verändert, in ihrer Befriedigung gehemmt oder gelöscht werden können. Erst unter der Mitwirkung der prozeßrechtlichen Normen kommt es zur rechtskräftigen Erkenntnis des konkreten Bestehens eines subjektiven Rechts, auch wenn diese rechtskräftige Erkenntnis fehlerhaft ist. Man braucht nicht unbedingt der materiellen Rechtskrafttheorie beizutreten, um neben der bloß erkennenden Funktion der Rechtskraftbindung auch ihre öffentlichrechtliche rechtsgestaltende Wirkung anzunehmen. Denn in Anbetracht der prozessualen Rechtsbeziehungen der Subjekte des Prozeßrechtsverhältnisses wirkt die Rechtskraft doch rechtsgestaltend, so daß sie neben der abstrakten Rechtsordnung, und zwar unter der gleichwiegenden Mitwirkung von materiellrechtlichen und prozessualen Normen, eine konkrete Urteilsordnung schafft. Aus dieser gleichwiegenden Mitwirkung von materiellrechtlichen und prozessualen Normen beim Erlaß der jeweiligen rechtskräftigen Erkenntnis ergibt sich nun m. E., daß auch hinsichtlich der prozeßrechtlichen Nebenfeststellungen, soweit sie in Rechtskraft erwachsen 69 , die diesbezüglichen prozessualen Normen, die den Obersatz des entsprechenden Urteilssyllogismus bilden, einen materiellrechtlichen Charakter aufweisen; was auch ohne ausdrückliche gesetzliche Bestimmung zu bejahen ist, soweit man der Theorie vom Doppelstreitgegenstand beipflichtet. Schließlich ist die überlieferte Ansicht, daß es sich bei der Unzulässigkeit bzw. prozessualen Nichtigkeit von Prozeßhandlungen um Fragen minderen Wertes handelt als bei der Begründetheit des Klagebegehrens, mit der Annahme schwer zu vereinbaren, daß der Rechtsschutzbzw. Justizgewährungsanspruch ein selbständiges und (im Bereich der griechischen Rechtsordnung) verfassungsverankertes Rechtsgut ist, dessen fehlerhafte gerichtliche Beurteilung dem Kläger viel mehr schaden kann als die vom Gegner begangene Verletzung der privatrechtlichen Normen, die sein subjektives Privatrecht regeln.
IV. Schlußfolgerungen 1. Die Regelung der Anerkennung und Durchsetzung bestehender subjektiver Privatrechte ist nicht allein Aufgabe der prozeßrechtlichen Normen. Auch privatrechtliche Normen befassen sich damit, wie es anhand des vertraglichen Schuldanerkenntnisses, der ausnahmsweise " Art. 322 § 1 Satz 2 g r Z P G B besagt, daß sich die Rechtskraft des Endurteils auch auf die entschiedenen prozessualen Fragen erstreckt.
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erlaubten Selbsthilfe, der vertraglichen Pfand- und sonstigen Sicherungsrechte, sowie der Aufrechnung anschaulich wurde. U n d umgekehrt ist die Regelung der Gestaltung von privaten Rechtsverhältnissen keinesfalls allein Aufgabe von privatrechtlichen N o r m e n . Diese Gestaltung kann auch im R a h m e n von p r o z e ß r e c h t lichen N o r m e n erfolgen. 2. Das Charakteristikum des Privatrechts besteht darin, daß es abstrakt besagt, unter welchen Voraussetzungen Privatrechtsverhältnisse durch nicht staatliche A k t e entstehen, verändert oder beendet werden. Das Charakteristikum des Zivilprozeßrechts besteht darin, daß es die staatliche Anerkennung und Durchsetzung konkreter subjektiver Rechte auf dem B o d e n des öffentlichen Rechts regelt. 3. Diese staatliche Anerkennung und D u r c h s e t z u n g k o n k r e t e r subjektiver R e c h t e erfolgt durch die Gerichte (und andere Rechtspflegeorgane) unter A n w e n d u n g von R e c h t s n o r m e n s o w o h l des Privatrechts als auch des ihm gleichgearteten öffentlichen Rechts (Zivilprozeßrechts). 4. Aus der Sicht des Revisions- bzw. Kassationsrechts ist als materiellrechtliche N o r m diejenige zu definieren, die den O b e r s a t z des Urteilssyllogismus zur rechtskräftigen Erkenntnis eines Rechtsverhältnisses bildet. 5. A u c h im Bereich des Zivilprozeßrechts bestehen öffentlichrechtliche N o r m e n materiellrechtlichen Charakters, die abstrakt besagen, unter welchen Voraussetzungen prozessuale subjektive R e c h t e entstehen, oder verändert oder beendet werden. D a r ü b e r hinaus enthält das P r o z e ß r e c h t auch Rechtssätze, die die Rechtspflegeorgane und das Verfahren vor ihnen bestimmen. D i e Ü b e r t r e t u n g derselben kann die prozessuale Nichtigkeit bewirken, die in beschränktem U m f a n g die Revision bzw. Kassation zu rechtfertigen vermag. A b e r die falsche Beurteilung der prozessualen Nichtigkeit soll als Mangel des Urteilssyllogismus verstanden und der Ü b e r t r e t u n g von materiellrechtlichen N o r m e n gleichgestellt werden.
Vinkulierte Namensaktien in Zwangsvollstreckung und Insolvenz des Aktionärs REINHARD BORK
I. Vorbemerkung Der vorliegende Beitrag befaßt sich mit den einzel- und gesamtvollstreckungsrechtlichen Konsequenzen der Vinkulierung von Namensaktien. Wolfram Henckel hat zu dieser Frage im Jaegerschen Kommentar am Rande Stellung genommen1. Die nachfolgenden Überlegungen dürfen daher auf das Interesse des verehrten Jubilars hoffen, zumal es um die verfahrensrechtlichen Auswirkungen einer Verfügungsbeschränkung und damit auch hier um „Prozeßrecht und materielles Recht" geht. II. Materiell-rechtliche Grundlagen 1.
Vinkulierung
Nach § 68 Abs. 2 AktG kann die Satzung einer AG die Übertragung von Namensaktien an die Zustimmung der Gesellschaft binden. Die Zustimmung erteilt der Vorstand. Die Satzung kann jedoch bestimmen, daß der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließt. Eine solche Vinkulierung schränkt den im deutschen Aktienrecht geltenden Grundsatz der freien Übertragbarkeit des Mitgliedschaftsrechts ein2. Sie ist Voraussetzung bestimmter Sonderrechte oder -pflichten der Aktionäre 3 , dient aber vor allem der Sicherung offener Einlageforderungen4 und soll die AG vor dem Eindringen ihr unerwünschter Aktionäre schützen. Sie bezweckt damit die Wahrung
' Jaeger-Henckel, K O , 9. Aufl./l. Lfg. (§§ 1-9), 1977, § 1 Rdn. 105. BayObLG A G 1989, 173, 175; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-tfe/ermeW/ßKMgeroth, AktG, Bd. I (§§ 1-75), 1983, § 68 Rdn. 67; Großkommentar zum AktG (= GroßKomm,)-Barz, Bd. 1/1 (§§ 1-75), 3. Aufl., 1971, § 68 Anm. 67; Wiesner in: Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4: Aktiengesellschaft, 1988, § 14 Rdn. 16. 5 Vgl. z. B. §§ 55 Abs. 1 S. 1 AktG, 101 Abs. 2 S. 2 AktG; vgl. dazu und zu weiteren Fällen Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-//e/ermeW/ßwngerofA (Fn. 2), § 68 Rdn. 72. Im folgenden wird darauf nicht näher eingegangen. 4 Insbesondere bei Versicherungsgesellschaften, vgl. Hüffer, AktG, 1993, § 68 Rdn. 10; Otto, D B 1988 Beil. 12, 1, 6 Fn. 55; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, § 12 VI 4. J
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der wirtschaftlichen Selbständigkeit, was insbesondere bei Familiengesellschaften 5 und bei der Abwehr einer feindlichen Übernahme durch Konkurrenten oder ausländische Investoren 6 zum Tragen kommt. Zustimmungsbedürftig ist nach einhelliger Meinung nicht das schuldrechtliche Grundgeschäft, sondern das dingliche Erfüllungsgeschäft, gleich auf welcher Rechtsgrundlage (Kauf, Tausch, Schenkung etc.) es vorgenommen wird 7 . Der dinglichen Vollrechtsübertragung werden Belastungen durch Nießbrauch und Verpfändung gleichgestellt8. Bei der Gesamtrechtsnachfolge hingegen wirkt sich die Vinkulierung nicht aus9. Da ein Recht nicht ohne Träger, eine Aktie nicht ohne Inhaber sein kann, kann die Gesamtrechtsnachfolge nicht davon abhängen, ob die Gesellschaft die Zustimmung erteilt oder nicht. In diesen Fällen besteht also nur ein eingeschränkter Schutz gegen das Eindringen unerwünschter Aktionäre, nämlich nur dann, wenn im Zuge der Auseinandersetzung oder bei der Erfüllung von Vermächtnissen Einzelrechtsübertragungen anfallen. 2. Kriterien für die Erteilung der
Zustimmung
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, an welchen Kriterien der Vorstand 10 seine Entscheidung über die Zustimmung auszurichten hat. Die Frage ist relativ leicht zu beantworten, wenn die Satzung, was § 68 Abs. 2 S. 4 A k t G ausdrücklich erlaubt, die Gründe bestimmt, aus denen die Zustimmung verweigert werden darf. Bei der Auswahl solcher Verweigerungsgründe ist der Satzungsgeber frei. Er kann auch objektiv unwichtige Kriterien festlegen 11 . Durch Auslegung ist festzustellen, ob der Kriterienkatalog abschließend sein soll oder nicht. Ist er es, so darf die Zustimmung nur aus den in der Satzung aufgezählten Gründen ver-
5 Vgl. BGH NJW 1987, 1019 = WM 1987, 174 = DB 1987, 679 = BB 1987, 435 = AG 1987, 155 = ZIP 1987, 291 = EWiR 1987, 107 (Priester) = WuB II A. § 68 AktG 1.87 (Schneider). ' Vgl. LG Aachen ZIP 1992, 924 = EWiR 1992, 837 (Bork) = WM 1992, 1485; außerdem die bei Lutter AG 1992, 369 Fn. 5 zitierte unveröffentlichte Entscheidung des OLG Karlsruhe. 7 Vgl. nur RGZ 132, 149, 157; GroßKomm.-Barz (Fn. 2), § 68 Anm. 5, 12; Kölner Kommentar zum AktG (= KölnKomm,)-Lutter, 2. Aufl., Bd. 1 (§§ 1-75), 1988, §68 Rdn. 28. 8 S. dazu nur OLG Hamburg OLGRspr. 26, 206; KölnKomm.-Laiier (Fn. 7), § 68 Rdn. 22; vgl. zur Kritik unten III. 3. ' Statt aller: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-He/ermeW/S»«geroi& (Fn. 2), §68 Rdn. 84 m. w. N. 10 Von der Zuständigkeit des Aufsichtsrates oder der Hauptversammlung wird im folgenden abgesehen. 11 Begr. RegE zu § 68 AktG, abgedr. u. a. bei Kropff, AktG 1965, 88.
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weigert werden12. Benennt die Satzung indessen keine Versagungsgründe, so ist die Rechtslage umstritten. a) Denkbar wäre es zunächst, eine Zustimmungsverweigerung nur aus wichtigem Grund zuzulassen13. Dem steht aber § 68 Abs. 2 S. 4 AktG entgegen. Dieser Vorschrift läßt sich mittelbar entnehmen, daß das zuständige Organ nur dann auf bestimmte Versagungsgründe festgelegt sein soll, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht14. b) Das könnte umgekehrt dafür sprechen, die Zustimmungsentscheidung in das freie Ermessen des Vorstandes zu stellen. In der Tat entsprach es lange Zeit der h. M., daß dem zuständigen Organ völlig freie Hand zu lassen sei; die Ablehnungsentscheidung könne gerichtlich nur darauf überprüft werden, ob die Grenzen zur Sittenwidrigkeit ( § 1 3 8 B G B ) , zum Schikaneverbot (§ 226 B G B ) oder zum Rechtsmißbrauch (§ 242 B G B ) überschritten seien15. Die Vorstellung von einem freien, der Beliebigkeit Raum gebenden Ermessen verträgt sich indessen schon nicht mit der Pflicht der Vorstandsmitglieder, die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG). O b der Vorstand bei der Zustimmungsentscheidung diese Maßstäbe und insbesondere die durch Gesetz und Satzung aufgestellten Schranken beachtet hat, muß gerichtlich überprüfbar sein. Das bedeutet natürlich nicht, daß es stets nur eine richtige Entscheidung geben könnte oder daß Beurteilungs- und Ermessensspielräume zu verneinen wären. Im Gegenteil wird die Entscheidung in der Regel von unternehmerischen Prognosen, insbesondere solchen über die Auswirkungen des Gesellschafterwechsels für das Gedeihen der Gesellschaft, abhängen, die nur schwer justitiabel sind16. Das kann aber nicht bedeuten, daß die Zustimmungsentscheidung insgesamt der richterlichen Kontrolle entzogen ist.
12 Assmann/Bozenhardt, Übernahmeangebote, 1990, 118; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., 1968, § 68 Rdn. 10; GroßKomm.-Barz (Fn. 2), § 68 Anm. 10; Lutter A G 1992, 369, 371. 13 So Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt, Die A G und ihre Satzung, 2. Aufl., 1966, 34. Vgl. ferner Art. 685b Abs. 1 des revidierten schweizerischen Obligationenrechts; vgl. dazu Schmitt A G 1993, 79 ff. GroßKomm .-Barz (Fn. 2), § 68 Anm. 9. - Vgl. auch unten d). 15 RGZ 132, 149, 154 ff; Baumbach/Hueck (Fn. 12), § 68 Rdn. 8; Degner, Die vinkulierte Versicherungsaktie im Börsenhandel, 2. Aufl., 1966, 137; GroßKomm.-ßdrz (Fn. 2), § 68 Anm. 9; Schönhofer, „Vinkulierungsklauseln" betreffend Übertragungen unter Lebenden von Namensaktien und GmbH-Anteilen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in der Schweiz und Frankreich, 1972, 125 f; Schrötter D B 1977, 2265, 2267; E. Ulmer, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 261, 266; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, 106.
" Vgl. dazu auch Lutter A G 1992, 369, 373; Wirth D B 1962, 617, 618 f.
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c) Deshalb steht die h. M. in Rechtsprechung 17 und Literatur 18 heute zu Recht auf dem Standpunkt, daß der Vorstand in jedem Einzelfall 19 nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Dabei sind vorrangig die Interessen der AG zu berücksichtigen 20 . Ein ausschließliches Abstellen auf diese Interessen könnte aber zu einer Unübertragbarkeit der Aktie führen, die v o m Aktiengesetz nicht mehr gedeckt wäre 21 . Da § 68 Abs. 2 A k t G eine Ausnahme v o m Grundsatz freier Ubertragbarkeit regelt, ist die Vorschrift eng auszulegen. Es ist deshalb einerseits zu verlangen, daß die Verweigerungsentscheidung wirklich auf den Interessen der A G beruht, andererseits, daß die Interessen des veräußernden Aktionärs mit denen der A G abgewogen worden sind, insbesondere sein Interesse, nicht „für ewig" in einer A G festgehalten zu werden. Außerdem ist der Gleichbehandlungsgrundsatz des § 53a A k t G zu berücksichtigen 22 : Ist einem (anderen) Aktionär die Zustimmung unter vergleichbaren U m ständen bereits einmal erteilt worden, so muß sie auch diesmal erteilt werden. Hingegen besteht Einigkeit darüber, daß die Interessen des Erwerbers nicht zu berücksichtigen sind 23 . Reduziert sich danach das Ermessen zugunsten des veräußerungswilligen Aktionärs, so kann die Zustimmung nur noch verweigert werden, wenn die übrigen Gesellschafter
" BGH NJW 1987, 1019, 1020; LG Aachen ZIP 1992, 924, 928. " Assmann/Bozenhardt (Fn. 12), 118; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-//e/erOTeW/ Bungeroth (Fn. 2), § 68 Rdn. 124; Hüffer (Fn. 4), § 68 Rdn. 15; Immenga AG 1992, 79, 82; KölnKomm.-£««er (Fn. 7), § 68 Rdn. 30; Lutter AG 1992, 369, 370; Wiesner (Fn. 2), § 14 Rdn. 27; Wirth DB 1992, 617, 618. " Eine generelle Ermessensreduzierung durch Ankündigungen anläßlich der Börsenzulassung wird allgemein abgelehnt; vgl. etwa RGZ 132, 149, 155; Geßler/Hefermehl/ Eckirdt/Kropñ-Hefermehl/Bungeroth (Fn. 2), §68 Rdn. 112/163; GroßKomm.-Airz (Fn. 2), § 68 Anm. 11; Schönhofer (Fn. 15), 127 ff; E. Ulmer (Fn. 15), 267 ff; Wirth DB 1992, 617, 619; a. M. Nußbaum JW 1932, 3179, 3181; Wiedemann (Fn. 15), 109 f; offen LG Aachen ZIP 1992, 924, 929. Es besteht daher auch in diesen Fällen kein Zustimmungsanspruch, sondern der Vorstand hat bei seiner Ermessensentscheidung lediglich angemessen mitzuberücksichtigen, daß die AG mit dem Gang an die Börse möglicherweise ein Vertrauen auf die Übertragbarkeit der Aktien geschaffen hat, so daß die Zustimmungsverweigerung im Einzelfall ermessensfehlerhaft sein kann; vgl. Baumhach/Hueck (Fn. 12), § 68 Rdn. 7; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-He/ermeW/ß«ngerot/> (Fn. 2), § 68 Rdn. 163; E. Ulmer (Fn. 15), 270; zurückhaltender Lutter AG 1992, 369, 371 f. 20 A. M. Schneider WuB II A. § 68 AktG 1.87: die Interessen der verbleibenden Aktionäre. 21 BGH NJW 1987, 1019, 1020; LG Aachen ZIP 1992, 924, 928; Friedewald, Die personalistische Aktiengesellschaft, 1991, 42; Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-//e/ermeW/ Bungeroth (Fn. 2), § 68 Rdn. 125; KölnKomm.-Z.«f£er (Fn. 7), § 68 Rdn. 30; Schrötter, Die Grenzen der Abschließbarkeit personenbezogener Aktiengesellschaften, 1976, 19 f; Wiesner (Fn. 2), § 14 Rdn. 27. 22 LG Aachen ZIP 1992, 924, 929; Lutter AG 1992, 369, 372; Wirth DB 1992, 617, 619. 25 LG Aachen ZIP 1992, 924, 928 f; Lutter AG 1992, 369, 371; Wirth DB 1992, 617, 619.
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bereit sind, die Aktien selbst zu einem angemessenen Preis zu übernehmen, oder wenn sie einen geeigneten Dritterwerber nachweisen24. d) Umstritten ist, wen die Beweislast dafür trifft, daß die Entscheidung über die Zustimmung pflichtgemäßem Ermessen entspricht. Nach Lutter spricht eine Vermutung dafür, daß eine an den soeben dargelegten Vorgaben ausgerichtete Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist. Diese Vermutung soll sich aber umkehren, wenn die Zustimmung trotz des Nachweises unterschiedlicher Kaufinteressenten mehrmals abgelehnt wird. In diesem Fall komme eine Verweigerung der Zustimmung nur aus wichtigen Gründen in Betracht, die die AG im Prozeß offenzulegen habe25. Diese Auffassung hat in der Literatur Zustimmung26, aber auch Widerspruch erfahren, mit dem vornehmlich geltend gemacht wird, daß eine Veräußerung vinkulierter Namensaktien nicht per se gesellschaftsschädlich sei, so daß im Interesse des veräußerungswilligen Aktionärs nur außergewöhnliche Umstände die Zustimmungsverweigerung rechtfertigen könnten27. Das würde freilich im Ergebnis dann doch bedeuten, daß die Zustimmung nur aus wichtigem Grund verweigert werden kann28. Dem ist jedoch noch einmal29 entgegenzuhalten, daß die Vinkulierung nach dem Gesetz einschränkungslos und primär im Interesse der AG erlaubt wird. Im übrigen kann es nicht richtig sein, dem Vorstand regelmäßig pflichtwidriges Handeln zu unterstellen. Man wird daher annehmen müssen, daß die Entscheidung regelmäßig pflichtgemäßem Ermessen entspricht. Es ist deshalb Sache des auf Zustimmung klagenden Aktionärs, den Ermessensmißbrauch nachzuweisen, wobei freilich von der Gesellschaft bei entsprechendem Vorbringen des Klägers substantiiertes Bestreiten zu verlangen ist, so daß es auf diese Weise zur Offenlegung und damit zur Uberprüfbarkeit der für die Entscheidung tragenden Erwägungen kommen dürfte30. Das gilt insbesondere, wenn die Aktie zum Börsenhandel zugelassen ist31.
BGH N J W 1987, 1019, 1020. K ö l n K o m m . - £ » « e r (Fn. 7), § 68 Rdn. 30. 26 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff-//e/ermeW/B Bericht über den Beitritt der Republik Griechenland zum EG-Ubereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 298/24.11.1986, S. 1 (7-8); Kerameus bei Bülow/Böckstiegel/Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (1990) III 1043.1 (1043.10-1043.12). ' Maridakis, Die Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen nach dem in Griechenland geltenden Recht1 (auf griechisch, 1970) 12-20, 68, 104. 7 Maridakis (Fn. 6) 8-12, 67. 8 Maridakis (Fn. 6) 25-27, 40-45; Brinias, Zwangsvollstreckung I2 (1978) § 35 II S. 97; Areopag 1134/1975, NoB 1976.419; Einzelrichtergericht 1. Instanz Piraeus 264/1987, ENautilD 1987.403-406. Bezeichnend Einzelrichtergericht 1. Instanz Athen 1801/1983, HellDni 1983.1097 (1098-1099), das eine durch Akt des Standesbeamten von Taschkent und Entscheidung des Patriarchen von Moskau über die geistliche Auflösung erfolgte Ehescheidung anerkannt hat.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Griechenland
425
sehen lex fori qualifiziert wird 9 . Ungeachtet dieses Streits (privatrechtliche Streitigkeit nach griechischem Recht oder Gerichtseigenschaft nach dem betreffenden ausländischen Recht) werden dennoch gewisse Akten, wie ζ. B. der Kostenfestsetzungsbeschluß eines Urkundsbeamten10, vermutlich auch ein Vollstreckungsbefehl - beide im Artikel 25 des Brüsseler Ubereinkommens ausdrücklich erwähnt" - vom autonomen griechischen Recht nicht als anerkennungs- bzw. vollstreckungsfähig angesehen. Die zweite Beschränkung des griechischen Rechts im Vergleich zum Übereinkommen bezieht sich auf die Voraussetzung der Rechtskraft. Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung gemäß dem Übereinkommen ist ihre prozessuale Reife gleichgültig. Es können daher auch Entscheidungen anerkannt werden, die keine Rechtskraft erlangt haben12 bzw. erlangen können 13 . Dagegen verlangt das griechische Recht (Art. 323 pr. und Nr. 1 grZPO), daß die ausländische Entscheidung rechtskräftig sein muß. Im Grunde genommen sieht das griechische Recht die Anerkennung nicht einer ausländischen Entscheidung als solcher, sondern eher der durch sie erzeugten Rechtskraft vor 14 . Deswegen beurteilt sich die Rechtskraft nach dem Recht des Erststaates, so daß in Griechenland keine weiteren Wirkungen als im Erststaat entstehen15. Im
' Areopag 496/1994 (noch unveröffentlicht), sub 1.1,2, der eine vom Urkundsbeamten aufgenommene englische Versäumnisentscheidung behandelt und zur Vollstreckung freigegeben hat. ,= So auch nach dem deutsch-griechischen Vertrag vom 4. November 1961 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen (Text bei Bülow/Böckstiegel/ Geimer/Schütze [Fn. 5] II S. 620. 1 ff abgedruckt): Areopag 1336/1980, N o B 1981.669 (670). " Vgl. auch Art. 44 Abs. 2, Art. Va des Protokolls vom 27. 9. 1968 („In Unterhaltssachen umfaßt der Begriff .Gericht' auch dänische Verwaltungsbehörden") über die Unterhaltsentscheidungen dänischer Verwaltungsbehörden („Amtmand"). Siehe Einzelrichtergericht 1. Instanz Athen 2370/1990, Dike 1991.259 (260) zur Vollstreckbarerklärung eines deutschen Zahlungsbefehls. 12 Evrigenis/Kerameus (Fn. 5) S. 20 Nr. 75. 13 Wie z. B. die Beweisbeschlüsse nach Art. 25. Siehe Kerameus/Kremlis/Tagaras, Das Brüsseler Ubereinkommen über die internationale Zuständigkeit und die Vollstreckung von Entscheidungen, wie es in Griechenland gilt (auf griechisch, 1989) Art. 25 Rdn. 6 S. 208. M Vgl. auch Art. 905 IV grZPO: „... Anerkennung der Rechtskraft aus der Entscheidung eines ausländischen Gerichts . . . " . 15 Vgl. Areopag 1038/1973, N o B 1974.639 (641); Kondylis, Die Rechtskraft nach dem Zivilprozeßgesetzbuch (1983) 142 sub d. Das gleiche dürfte auch im Hinblick auf die nach den §§ 68, 72-74 Z P O zu beurteilende Interventions- bzw. Streitverkündungswirkung deutscher Entscheidungen gelten (Art. V des Protokolls von 1968; vgl. Jenard, Bericht zum E u G V Ü , Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 59/5. 3. 1979, S. 1 (27/28).
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Bereich der Vollstreckbarerklärung wird die Voraussetzung der Rechtskraft durch diejenige der Vollstreckbarkeit ersetzt (Art. 905 II, I I I grZPO), so daß auch ein ausländisches vorläufig vollstreckbares Urteil in Griechenland für vollstreckbar erklärt werden kann. Im Hinblick auf die anderen Titel (öffentliche Urkunden und Prozeßvergleiche) stimmen Brüsseler Ubereinkommen (Artt. 50, 51) und autonomes griechisches Recht (Artt. 904 I, II c, d, 905 II grZPO) überein. In beiden Systemen stellt die öffentliche Ordnung die wesentliche Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsbarriere dar. Das Verfahren ist ebenfalls dem Verfahren nachgebildet, das für ausländische Entscheidungen vorgesehen wird (Art. 50 Abs. 3 Ubk.), oder gar mit ihm identisch (Art. 905 I grZPO). 2. Ein wesentlicher Unterschied betrifft den Stellenwert der Bedingungen der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung. Während nämlich das Übereinkommen lediglich Gründe für eine mögliche Versagung der Anerkennung einführt, es sich m. a. W. nicht positiv, sondern negativ ausdrückt (Artt. 27, 28), kennt das autonome griechische Recht noch positive Voraussetzungen dafür (Artt. 323, 905 II, III grZPO). Dieser Unterschied wirkt im Bereich der Beweislast. Sieht man aber davon ab, so ist die Regelung der Materie auffallend vergleichbar. 3. Insbesondere deckt der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung ungefähr den gleichen Raum in beiden Systemen, auch wenn die griechische Rechtsprechung eine erweiterte Auffassung von dieser Anerkennungsvoraussetzung neulich zum Ausdruck gebracht hat16. Das griechische Recht kennt zusätzlich den Verstoß gegen die guten Sitten als Aufnahmeschranke gegenüber der ausländischen Entscheidung (Artt. 323 Ziff. 5, 905 II grZPO). Die drei weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung, nämlich die Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten, das Fehlen einer unvereinbaren inländischen Entscheidung sowie eines kollisionsrechtlichen Widerspruchs zwischen dem Ursprungs- und dem Anerkennungsstaat, folgen in beiden Systemen der gleichen Richtung, obwohl sich das autonome griechische Recht in allen drei Punkten als anerkennungsfreundlicher erweist: a) Nach Art. 27 Ziff. 2 des Übereinkommens ist die volle Verteidigungsmöglichkeit des säumigen Beklagten eine unqualifizierte Anerkennungsvoraussetzung. Das heißt, daß die ordnungsmäßige und rechtzei-
16 Plenum des Areopags 6 / 1 9 9 0 , N o B 1990.1321 ( 1 3 2 2 - 1 3 2 4 ) , im H i n b l i c k auf die Vollstreckung eines englischen Schiedsspruchs, der auf Schadensersatz wegen Unterlassung einer Schiffsüberversicherung erkannt hat. Zustimmend Mitsopoulos, F S Baumgärtel (1990) 3 8 1 - 3 8 8 .
A n e r k e n n u n g u n d Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Griechenland
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tige Zustellung des einleitenden Schriftstücks in jedem Fall verlangt wird. Dabei ist es gleichgültig, wie die Angehörigen des Ursprungsstaats nach dessen internem Verfahrensrecht als säumige Beklagte behandelt werden. In diesem Punkt setzt das Ubereinkommen einen eigenen A n erkennungsmaßstab, der sich vom nationalen Recht des Ursprungsstaats nicht leiten läßt. So erklärt sich denn auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, die dem Zweitrichter anheimstellt, die Rechtzeitigkeit der Zustellung selbständig gegenüber der Beurteilung des Erstrichters und autonom zu prüfen 17 . Demgegenüber ist das griechische Recht zugleich lockerer und weniger unabhängig. D e n n die ausländische Entscheidung ist nach Art. 323 Ziff. 3 g r Z P O auch bei Verletzung des Rechts zur Verteidigung und im allgemeinen des Rechts zur Beteiligung im Prozeß anzuerkennen, soweit die Verletzung in A n w e n d u n g einer Vorschrift erfolgte, die auch f ü r die Angehörigen des ausländischen Staats gilt' 8 . Somit hat die griechische Vorschrift die Funktion eher einer Gleichbehandlungsgarantie als einer selbständigen Schranke zur Sicherung eines fairen Verfahrens. Auf dieselbe großzügige Haltung ist auch der Umstand zurückzuführen, daß der im Art. II Abs. 2 des Protokolls von 1968 vorgesehene zusätzliche Nichtanerkennungsgrund wegen Nichterscheinens des im gleichen Verfahren straf- und zivilrechtlich Verfolgten im griechischen Recht fehlt 19 . b) Das Anerkennungshindernis wegen des Bestehens einer widersprechenden inländischen Entscheidung mit Rechtskraftwirkung unter denselben Parteien wird in beiden Systemen gleich behandelt (Art. 27 Ziff. 3 Ubk., Art. 323 Ziff. 4 grZPO). Gleichwohl kennt das autonome griechische Recht nicht als zusätzliches Anerkennungshindernis, daß eine frühere unvereinbare Entscheidung in einem Drittstaat ergangen ist, sofern die Voraussetzungen f ü r ihre Anerkennung im Inland erfüllt sind (Art. 27 Ziff. 5 Ubk.). In einer solchen Situation wäre die bloße Anerkennungsfähigkeit einer Drittstaatentscheidung nach griechischem Recht irrelevant. N u r wenn die Drittstaatentscheidung in Griechenland auch wirklich anerkannt worden ist, wird sie einer inländischen rechtskräftigen Entscheidung gleichgestellt und hindert dementsprechend die Anerkennung einer weiteren unvereinbaren ausländischen Entscheidung
" Urteile v o m 16. Juni 1981 in der Rechtssache 166/80, Klomps/Michel, Slg. 1981.1593, E r w ä g u n g e n 15, 16, sowie die Anträge des Generalanwalts G. Reischl (S. 1619, 1621); 15. Juli 1982 in der Rechtssache 228/81, Pendy Plastic/Pluspunkt, Slg. 1982.2723; 11. J u n i 1985 in der Rechtssache 49/84, D e b a e c k e r / B o u w m a n n , Slg. 1985.1779, E r w ä g u n g 13. " O L G A t h e n 380/1982, H a r m 1985.687 f. " Siehe Evrigenis/Kerameus (Fn. 5) S. 14 N r . 52 inf., S. 20 N r . 77 in f .
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nach Art. 323 Ziff. 4 grZPO 2 0 . Diese Lösung mag auf den ersten Blick dem Grundsatz der automatischen Anerkennung jeder dazu fähigen ausländischen Entscheidung zuwiderlaufen. Der erwähnte Grundsatz dient indessen der Aufnahme von ausländischen Entscheidungen in die griechische Rechtsordnung. Er hat dagegen nicht zugleich die Funktion, die Aufnahme weiterer ausländischer Entscheidungen zu verhindern. Nichtsdestoweniger darf die praktische Bedeutung dieses Unterschieds nicht überschätzt werden. Denn das mit der Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung des Staates A befaßte griechische Gericht könnte im gleichen Verfahren die Rechtskraft einer früheren im Staat Β ergangenen unvereinbaren Entscheidung incidenter anerkennen. Damit würde sie einer griechischen Entscheidung gleichgestellt und folglich das Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer unvereinbaren griechischen Entscheidung automatisch erfüllt. c) Schließlich kennt das autonome griechische Recht den im Art. 27 Ziff. 4 des Brüsseler Ubereinkommens enthaltenen Versagungsgrund (Anwendung auf eine statusrechtliche Vorfrage eines anderen als des vom griechischen internationalen Privatrecht berufenen Sachrechts) im allgemeinen nicht 21 , selbst nicht über den ordre-public-Einwand 22 . Einerseits erklärt sich diese Bestimmung des Ubereinkommens daraus, daß die in ihr genannten Materien nicht in den Anwendungsbereich des Ubereinkommens nach Art. 1 Abs. 2 Ziff. 1 fallen23; daher würde ein solches Anerkennungshindernis in einem allgemeinen, von sachlichen Beschränkungen befreiten System fragwürdig erscheinen. Andererseits kann die ältere griechische Rechtsprechung, wonach ausländische Ehescheidungen in Griechenland nicht anerkannt werden, solange der erkannte Scheidungsgrund keinen dem griechischen Recht bekannten Scheidungsgrund darstellt24, nach der Liberalisierung des griechischen
20 Vgl. Maridakis (Fn. 6) 95 mit Fn. 23. Diese Gleichstellung einer anerkannten ausländischen Entscheidung wird in bilateralen Verträgen manchmal besonders hervorgehoben, ζ. B. im französisch-österreichischen Vertrag vom 15. Juli 1966 (Rev. crit. d. i. p. 1967.817) Art. 4 Ziff. 2: «... décision sur le fond du litige passée en force de chose jugée, rendue dans l'État requis ou rendue dans un État tiers et reconnue dans l'Etat requis». Gleichwohl meint Maridakis, aaO 104-106, daß bei widersprechenden ausländischen Entscheidungen keine von beiden anzuerkennen sei. 21 Maridakis (Fn. 6) 67 f, 101 f. Einzelrichtergericht 1. Instanz Piraeus 1086/1984, Dike 1985.493 (498). 22 Vgl. Areopag 1559/1979, NoB 1980.1094 I; OLG Athen 10947/1981, NoB 1982.1274 (1275 I); 9847/1982, HellDni 1983.675 (676 I). 23 Martiny, in: Hdb. IZVR III/2 (1984) Kap. II Rdn. 151. 24 Areopag 492/1965, EEN 1966.557; OLG Athen 2860/1969, NoB 1970.574 f; O L G Patras 218/1973, NoB 1974.238 (240 I). Keine absolute Identität wird gefordert, eine sinnmäßige Parallelität reicht aus: Areopag 193/1983, EEN 1983.712 (713 II).
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Scheidungsrechts25 keinen Anwendungsbereich mehr beanspruchen. Was noch ungeklärt bleibt, ist die Anerkennbarkeit einer ausländischen Entscheidung, die Statusfragen nicht nach dem Recht der Staatsangehörigkeit der Person beurteilt hat. Von berufener Seite her wird diese Frage im Hinblick darauf verneint, daß die Anwendung des Rechts der Staatsangehörigkeit auf solche Fragen zum Bestand des ordre public gehört; darüber hinaus wird nicht mal ein Vergleich der Ergebnisse (équivalence des solutions) zugelassen26. Diesbezügliche Rechtsprechung ist aber bis jetzt nicht ersichtlich. Nur einmal hat das Oberlandesgericht Thessaloniki eine unter Anwendung deutschen Rechts ergangene deutsche Unterhaltsentscheidung unter Vergleich der Ergebnisse - jedoch unter Berufung nicht auf das autonome griechische Recht, sondern auf den deutsch-griechischen Vertrag vom 4. November 196117 - für vollstreckbar erklärt. 4. Was die Prüfung der internationalen Zuständigkeit des ausländischen Gerichts betrifft, gehen das Brüsseler Ubereinkommen und das autonome griechische Recht, wie übrigens die meisten nationalen Rechtsordnungen, stark auseinander. Während das Übereinkommen als „doppelt" bezeichnet wird, d. h. auch unmittelbare Gerichtsstandsbestimmungen enthält und daher dem Zweitrichter in der Regel nicht erlaubt, die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats - auch nicht über den ordre public - nachzuprüfen (Art. 28), erwartet das griechische Recht diese Nachprüfung, und zwar nach dem griechischen Zuständigkeitsrecht (Spiegelbildgrundsatz: Artt. 323 Ziff. 2, 905 III grZPO). An dieser Nachprüfung dürfte die Mehrzahl der nach dem autonomen Recht abgewiesenen Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsanträge scheitern. Dies gilt um so mehr, als der griechische Richter bei der Nachprüfung der Zuständigkeit nach herrschender Auffassung nicht mal an die tatsächlichen Feststellungen, aufgrund derer das Erstgericht seine Zuständigkeit angenommen hat, gebunden ist. Die Rechtsprechung vertritt die Ansicht, eine solche Bindung trete nur ein, wenn diese Feststellungen mit den klagebegründenden Tatsachen zusammenfallen, denn erst dann greife das Verbot der révision au fond durch28. Nur eine EntscheiVgl./. Karakatsanes, Wandlungen des griechischen Ehescheidungsrechts (1985). Maridakis (Fn. 6) 69, 102-104. 27 Siehe oben Fn. 10. 2 ! Den Ausführungen von Maridakis (Fn. 6) 7 5 - 7 7 folgend Areopag 812/1977, N o B 1988.511 (512 II); O L G Nauplion 181/1979, ENautilD 1979.486 (487 I); O L G Athen 8210/1980, N o B 1981.564 (565 I); 2777/1984, Dike 1984.742 (743); 1832/1985, HellDni 1985.523 (524); 9640/1990, HellDni 1991.1064 (1065 I); O L G Thessaloniki 3448/1991, Harm 1992.157 (158-160), auch 1048 ( 1 0 5 0 - 1 0 5 2 ) mit besonders ausführlicher Untersuchung des Beklagtenwohnsitzes; Einzelrichtergericht 1. Instanz Agrinion 743/1984, N o B 1985.148 II. 25 26
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dung des Oberlandesgerichts Piraeus29 scheint von einer Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts schlechthin auszugehen, ohne darüber hinaus noch zu fragen, ob diese Feststellungen gleichzeitig zur Klagebegründung heranzuziehen sind. Im Rahmen dieser umfassenden Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Erstrichters nach dem autonomen griechischen Recht spielt der Umstand, ob es sich um einen exorbitanten ausländischen Gerichtsstand gehandelt hat oder nicht, keine Rolle. Exorbitante wie auch nicht exorbitante Gerichtsstände werden mit der entsprechenden griechischen Zuständigkeitsregelung verglichen. Nur auf der Grundlage von Staatsverträgen können einige exorbitante Gerichtsstände, wie ζ. B. der Gerichtsstand des Vermögens nach Art. 3 Ziff. 4 des deutsch-griechischen Vertrags vom 4. November 1961 30 , ausgeklammert werden. III. Verfahrensgestaltung 1. Bei der Verfahrensgestaltung gehen sowohl das Brüsseler Ubereinkommen (Artt. 26, 31) als auch das autonome griechische Recht (Artt. 323 pr., 905 I grZPO) vom modernen Grundsatz aus, daß die Vollstreckbarerklärung ein besonderes Verfahren voraussetzt, während die bloße Anerkennung automatisch erfolgt, d. h. incidenter ausgesprochen wird31. Beide Systeme weichen jedoch bei der Durchführung dieses Grundsatzes in gewissen Punkten ab. So gestattet das Ubereinkommen jeder Partei ausdrücklich, die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung als Hauptgegenstand geltend zu machen, worauf dann die Vorschriften über die Vollstreckbarerklärung anzuwenden sind (Art. 26 Abs. 2). Es steht also einer Partei zu, entweder als Vor- oder als Hauptfrage diese Anerkennung zu beantragen 32 . In diesem Punkt erweist sich das autonome griechische Recht als weniger liberal. Zum einen gewährt es der Partei keine solche Ermessensfreiheit. In den meisten Fällen dürfte das rechtliche Interesse für einen hauptfrageweise zu stellenden Antrag zu verneinen sein, da die Anerkennung, sobald sich ein Anlaß dazu ergibt, jederzeit incidenter erfolgen kann 33 . Zum anderen hat es zwar die Einhaltung desselben Verfahrens wie bei der Vollstreckbarerklärung auch für die Anerkennung der Rechtskraft ausländischer Entscheidungen über den Personenstand, insbesondere über die Eheschei-
483/1984, Dike 1985.846. Areopag 483/1991, HellDni 1992.80 (81 I); O L G Piraeus 830/1987, NoB 1987.1419 (1422 I). 11 Vgl. oben im Text unter I 3. 12 In der Praxis dürfte die erste Alternative die Regel darstellen. " Vgl. Areopag 1330/1987, EEN 1988.683. Siehe aber Mitsopoulos, Die Feststellungsklage nach dem griechischen Prozeßrecht (1947) 183. 29 30
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dung, ausnahmsweise vorgesehen 34 ; diese Ausnahme aber, die nur den kirchlichen Behörden bei der geistlichen Auflösung einer im Ausland geschiedenen Ehe helfen sollte 35 , ist von der Rechtsprechung in der Regel als „Muß"vorschrift ausgelegt worden, so daß solche Statusentscheidungen ausschließlich hauptfrageweise anerkannt werden können 36 . Somit hat die griechische Rechtsprechung die negative Haltung des Gesetzes gegenüber einer Verfahrenswahl durch die Partei auch auf die Ausnahmeregelung bezüglich der Statusentscheidungen erweitert und erhärtet. 2. Die Zuständigkeit für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung wird in beiden Systemen ähnlich geregelt. Zunächst sieht Art. 32 Abs. 1 in Anlehnung an das autonome griechische Recht (Art. 905 I 1 grZPO) das Einzelrichtergericht 1. Instanz als sachlich zuständig in Griechenland vor. Eine solche Anlehnung an das jeweilige nationale Recht ist aber wegen der starken Divergenzen unter den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten typisch für den ganzen Inhalt des Art. 32 Abs. I 37 . Auch bei der örtlichen Zuständigkeit ist der Hauptgerichtsstand in beiden Systemen identisch, nämlich der Wohnsitz des Schuldners (Art. 32 Abs. 2 S. 1 Übk., Art. 905 I 1 grZPO); darunter versteht die griechische Rechtsprechung auch die Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in Griechenland, insbesondere wenn der zu vollstreckende Titel aus dem Betrieb dieser Zweigniederlassung resultiert 38 . N u r wenn der Schuldner keinen Wohnsitz in Griechenland hat und sich somit die Frage nach einem Hilfsgerichtsstand stellt, wird eine abweichende Regelung getroffen: während es nach dem Ubereinkommen auf den Bezirk ankommt, in welchem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll (Art. 32 Abs. 2 S. 2), weist das autonome griechische Recht auf den Aufenthalt des Schuldners, sonst auf die Hauptstadt, hin (Art. 905 I I in f. grZPO) 3 9 . Gleichwohl deutet die soeben erwähnte 40 Art. 905 I V g r Z P O eingefügt gemäß Art. 62 II des Gesetzesdekrets 9 5 8 / 1 9 7 1 . So die amtliche Begründung zur Gesetzesvorlage, K o d e x N o B 1971.929 (943 I zu Art. 966). 34
35
36 Areopag 5 6 9 / 1 9 7 2 , N o B 1972.1427 (1428), auch 1 3 3 0 / 1 9 8 7 (Fn. 33); O L G Thessaloniki 6 1 4 / 1 9 7 7 , A r c h N 1978.62 f; schwankend Areopag 6 3 3 / 1 9 8 6 , E E N 1987.120. Dagegen Einzelrichtergericht 1. Instanz Athen 133/1986, D i k e 1988.251 (252); 3 7 2 / 1 9 8 6 , H e l l D n i 1986.200 (201 I, 202), und die Lehre, ζ. B . Fragistas, D i k e 1974.437 (448); Krispi-Nikoletopoulou, N o B 1972.1 (4 i)-,Ast. Georgiadis, H a r m 1974.599 (602 f).
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(Fn. 13) Art. 32 Rdn. 1.
So ausführlich O L G Piraeus 7 8 3 / 1 9 8 8 , E N a u t i l D 1989.255 ( 2 5 6 - 2 5 7 ) . 3 ' Das Einzelrichtergericht 1. Instanz Athen ist auch - und zwar ausschließlich - zuständig für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung in Griechenland von Schiedssprüchen über Investitionsstreitigkeiten nach dem Washingtoner Ü b e r e i n k o m m e n vom 16. März 1966 (Gesetzesdekret 4 9 0 / 1 9 7 4 Art. 20). 3>
« F n . 38.
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Entscheidung des Oberlandesgerichts Piraeus auf die Tendenz der griechischen Rechtsprechung hin, die Zuflucht zu den Hilfsgerichtsständen, insbesondere zum Hilfsgerichtsstand der Hauptstadt, möglichst zu vermeiden. 3. Das Verfahren selbst baut auf gewissen Grundgemeinsamkeiten auf. Art. 33 Abs. 1 verweist in Hinblick auf „die Stellung41 des Antrags" auf das Recht des Vollstreckungsstaats. Sonst führt er ein einfaches und schleuniges Verfahren ein, das dem nach dem autonomen griechischen Recht anwendbaren Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 905 I 2 grZPO) 42 ähnelt. Darüber hinaus sind die dem Gericht unter beiden Systemen vorzulegenden Urkunden (Artt. 33 Abs. 3,46-49 Übk.) durchaus vergleichbar. Insbesondere hat der Antragsteller nach der griechischen Rechtsprechung eine beglaubigte Ausfertigung der ausländischen Entscheidung samt amtlicher Ubersetzung ins Griechische 43 , eine Bescheinigung der Geschäftsstelle des Gerichts, daß die Entscheidung in Rechtskraft erwachsen ist44, und, falls sie eine Versäumnisentscheidung ist, entweder die Zustellungsurkunde oder eine entsprechende Bestätigung in den Entscheidungsgründen 45 vorzulegen. Eine Sicherheitsleistung wird nach dem autonomen griechischen Recht genausowenig wie nach dem Übereinkommen (Art. 45) dem Antragsteller wegen seiner Eigenschaft als Ausländer 46 oder wegen Fehlens eines inländischen Wohnsitzes oder Aufenthalts auferlegt. Schließlich dürfen sowohl nach dem Übereinkommen (Art. III des Protokolls von 1968) als auch nach dem autonomen griechischen Recht47 keine nach dem Streitwert abgestuften Stempelabgaben oder Gebühren erhoben werden. Gegenüber diesen Gemeinsamkeiten ragen vier wichtige Unterschiede hervor:
41
Oder die Modalitäten des Antrags. Vgl. Wolff, in: H d b . IZVR III/2 (1984) Kap. IV Fn. 683; Gaudemet-Tallon, Les Conventions de Bruxelles et de Lugano (1993) Nr. 388-391. 42 Vgl. O L G Athen 8210/1980 (Fn. 28) 564 I; Einzelrichtergericht 1. Instanz Piraeus 1602/1971, N D 1972.142 I. 43 Vgl. Einzelrichtergericht 1. Instanz Thessaloniki 413/1989, Harm 1990.655 (656 II). Eine solche Übersetzung kann ebenfalls von einem Rechtsanwalt stammen; siehe bereits O L G Athen 1860/1932, Themis 44 (1933) 799 (800 I). Vgl. Artt. 46 Ziff. 1, 48 Abs. 3 Übk. 44 Areopag 1660/1983, Dike 1985.143 (144); O L G Athen 8210/1980 (Fn. 28) 565 II. Zur Vollstreckbarkeit vgl. bereits Areopag 399/1933, Themis 44 (1933) 799 (801 II). Vgl. Art. 46 Ziff. 1 Übk. 45 Vgl. O L G Athen 4379/1976, N o B 1977.208 (210); Einzelrichtergericht 1. Instanz Thessaloniki 413/1989 (Fn. 43) 656, 657. Siehe auch Art. 46 Ziff. 2 Übk. 46 Bereits O L G Athen 1263/1926, Themis 38 (1927) 517 f. 47 Generalstaatsanwalt beim Areopag 18/1929, Themis 40 (1929) 567 (568); ebenfalls 39/1927, Themis 39 (1928) 111; Brinias (Fn. 8) § 41 VI S. 109.
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a) Der wichtigste Unterschied besteht wohl in der Regel von Art. 34 Abs. 1 des Ubereinkommens, wonach der Schuldner im erstinstanzlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht geladen wird und auch sonst keine Gelegenheit erhält, sich zu äußern48. Dagegen muß der Schuldner nach dem autonomen griechischen Recht zwar nicht, kann aber immer nach dem Ermessen des Richters geladen werden (Artt. 905 I 2 i. V. m. 748 III grZPO) 49 , was in der Praxis den Regelfall darstellt. Dem nicht geladenen Schuldner wird über den Drittwiderspruch geholfen (Artt. 586-590, 773-775 grZPO). b) Die Institution des Wahldomizils (Art. 33 Abs. 2 Ubk.) ist dem gegenwärtigen griechischen Zivilprozeßrecht unbekannt. Dennoch kennt die griechische ZPO ein funktionelles Äquivalent. Das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit es vor dem Einzelrichtergericht 1. Instanz (im Gegensatz zum Amtsgericht) durchgeführt wird, steht nämlich unter Anwaltszwang (Artt. 94, 741 grZPO). Dies bedeutet, daß der mit einer Vollmacht ausgestattete Anwalt gleichzeitig kraft Gesetzes (Art. 143 grZPO) auch Zustellungsbevollmächtigter der Partei ist. c) Das Ubereinkommen sieht die Mitteilung der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung von Amts wegen (Art. 35), sowie allgemein den unmittelbaren Verkehr zwischen den gerichtlichen Amtspersonen der Mitgliedstaaten (Art. IV des Protokolls von 1968) vor. Dagegen kennt das autonome griechische Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit solche Initiativen von Amts wegen nur in Ausnahmefällen (ζ. B. Artt. 766, 771.1, 772.2 grZPO), die jedenfalls nicht die Vollstreckbarerklärung von ausländischen Entscheidungen betreffen. d) Schließlich läßt Art. 42 des Ubereinkommens das Teilexequatur, und zwar sowohl von Amts wegen (Abs. 1) als auch auf Antrag des Gläubigers (Abs. 2), zu50. Demgegenüber gibt es keine solche Möglichkeit nach der herrschenden Meinung im griechischen Recht; aus dem Verbot der révision au fond wird gefolgert, daß der einheimische Richter entweder die ausländische Entscheidung als Ganzes für vollstreckbar erklärt oder aber den Antrag ablehnt51. 48 Anders jedoch im Beschwerdeverfahren nach Artt. 37 Abs. 1, 40 Abs. 2, und zwar unabhängig davon, ob die Beschwerde vom Schuldner oder vom Gläubiger eingelegt wird; vgl. Wolff (Fn. 41) Fn. 972. Durch sein Urteil vom 12. Juli 1984 in der Rechtssache 178/83, Firma P./Firma K., Slg. 1984.3033, hat der E u G H keine Ausnahme von der Anhörungspflicht zugelassen; vgl. Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht 4 (1993) Art. 40 Rdn. 5. 49 Brinias (Fn. 8) § 4 1 III S. 108 f; Einzelrichtergericht 1. Instanz Piraeus 1602/1971 (Fn. 42). 50 Siehe Martiny (Fn. 23) Rdn. 67; Wolff (Fn. 41) Rdn. 334-336; Gaudemet-Tallon (Fn. 41) Nr. 415. 51 Maridakis (Fn. 6) 83 mit Fn. 38.
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Konstantinos D. Kerameus
4. Die Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung werden in beiden Systemen ähnlich gestaltet. Auch das autonome griechische Recht sieht Berufung (Artt. 761-766, 741, 518 grZPO; vgl. Artt. 36, 37 Abs. 1, 40 Übk.) und Kassation (Artt. 769-772, 741, 564 grZPO; vgl. Artt. 37 Abs. 2, 41 Übk.) vor. Die Berufungsfrist beträgt je nach dem Aufenthalt des Berufungsklägers dreißig bzw. sechzig Tage nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung und entspricht damit durchaus den Fristen von einem bzw. zwei Monaten nach Art. 36 des Ubereinkommens. Dagegen stehen weder der Rechtsbehelf des Antragstellers nach Art. 40 noch die Rechtsbeschwerde jeder Partei nach Artt. 37 Abs. 2 und 41 unter einer im Ubereinkommen festgesetzten Frist52. Von besonderem Interesse ist auch der Vergleich im Hinblick auf die Aussetzungsfragen: a) Gegenüber der fakultativen Aussetzung wegen Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs im Ursprungsstaat nach Art. 30 des Übereinkommens ist das griechische Recht notgedrungen strenger: da nicht die ausländische Entscheidung als solche, sondern nur deren Rechtskraft anerkannt wird 53 , hindert der ausländische Rechtsbehelf, soweit er den Rechtskrafteintritt aufzuschieben vermag, die Anerkennung schlechthin. b) Gegenüber Art. 38 des Übereinkommens hängt die Vollstreckbarerklärung nach autonomem griechischen Recht vom aktuellen vollstreckbaren Charakter der ausländischen Entscheidung ab. Daher hindert die aufschiebende Wirkung eines ausländischen Rechtsmittels die Vollstreckbarerklärung in Griechenland54. c) Im Gegensatz zu Art. 39 Abs. 1 des Übereinkommens haben Rechtsmittelfrist und -einlegung nach dem griechischen Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit 55 keine aufschiebende Wirkung ex lege, es sei denn der iudex ad quem, bei der Berufung auch der iudex a quo, ordnet eine solche an (Artt. 763, 770 grZPO). Solange dies nicht der Fall ist, kann die für vollstreckbar erklärte ausländische Entscheidung trotz der Rechtsmittelmöglichkeit bzw. -einlegung auch vollstreckt werden 56 .
52 Siehe Martiny (Fn. 23) Rdn. 254, 257; Wolff (Fn. 41) Rdn. 319, 331; GaudemetTallon (Fn. 41) Nr. 406. 53 Siehe oben im Text unter II 1 bei Fn. 14. 54 Bereits Areopag 396/1893, Themis 4 (1894) 580 (583), mit übereinstimmenden Anträgen des Generalstaatsanwalts D. Tsivanopoulos, aaO 582. Maridakis (Fn. 6) 63, 86. 55 Siehe oben im Text unter III 3 bei Fn. 42. 56 Vgl. Maridakis (Fn. 6) 83, 85; Einzelrichtergericht 1. Instanz Thessaloniki 208/1986, Harm 1988.360-362, das aber zu Unrecht auch die ad ¿oc-Einstellung abzulehnen scheint.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Griechenland
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d) Nach dem autonomen griechischen Recht können einstweilige Maßnahmen nicht erst nach der erstinstanzlichen Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung, wie nach dem Ubereinkommen (Art. 39), sondern schon auf der Grundlage der ausländischen Entscheidung als solcher, d. h. unabhängig von deren Vollstreckbarerklärung, angeordnet werden 57 . IV. Schlußfolgerung Die detaillierte Gegenüberstellung des Brüsseler Ubereinkommens und des autonomen griechischen Rechts der Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Entscheidungen hat gezeigt, daß die gegenseitigen Abweichungen eher begrenzt sind. Versucht man, diese Abweichungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so läßt sich sagen, daß sich das Übereinkommen in den meisten Spezialfragen als flexibler erweist. Eine solche Flexibilität wird aber erst auf der Grundlage einer feststehenden Zuständigkeitsordnung ermöglicht, die - in Abweichung von allen nationalen Rechtsordnungen - im Vollstreckungsstadium nicht mehr nachzuprüfen ist. Darüber hinaus ist die innere Flexibilität auch durch den nach außen hin geschlossenen Charakter des Übereinkommens bedingt. „Geschlossen" heißt in diesem Zusammenhang, daß das Übereinkommen auch „günstigeren" nationalen Regeln vorgeht 58 und ebenfalls wohl vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zentral und verbindlich ausgelegt wird. Erst unter den erwähnten Garantien, die zugleich die hier relevanten prozeßrechtlichen Wertungen 59 abgeben, ist die zum Vorschein gekommene Flexibilität der Einzelregelungen möglich und wünschenswert.
Maridakis (Fn. 6) 86 Fn. 51. » E u G H 30. November 1975 in der Rechtssache 42/76, D e W o l f / C o x , Slg. 1976.1759, Erw. 7 - 1 5 . 5 ' Im Sinne Henckels, Prozeßrecht und materielles Recht (1970) 4 1 - 1 4 7 . 57 5
Die prozessuale Aktualität in Griechenland"" N I K O L A O S K . KLAMARIS
In den Jahren 1993 und 1994 erlebten das griechische Gerichtsverfassungsrecht und das griechische Zivilprozeßrecht eine enorme Reformierung (durch die Gesetze 2145/1993, 2172/1993 und 2207/94). Die Reformbestrebungen scheinen noch nicht am Ende zu sein. In den folgenden Ausführungen werden zunächst die Reformen im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts und anschließend die Reformen im Bereich des Zivilprozeßrechts erläutert1. I. Reformen im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts 2 1. Das griechische Gerichsverfassungsrecht ist bereits in den letzten Jahren neu konzipiert und abgefaßt worden (Gesetze: 1578/1985, * Dieser Beitrag wird mit vollem Respekt Herrn Professor Dr. iur. Wolfram Henckel gewidmet, der mit seinem Hauptwerk „Prozeßrecht und materielles Recht" - und nicht nur mit diesem - sowohl die Zivilrechtswissenschaft als auch die Prozeßrechtswissenschaft auf internationaler Ebene fruchtbar geprägt hat. In den folgenden Fußnoten wird eine ausgewählte Literatur über manche Institutionen und Hauptregelungen des griechischen Zivilprozeßrechts zitiert, welche sich natürlich auf die frühere Regelung der Z P O bezieht (vor dem Eintritt der neuen Regelung, welche in diesem Beitrag erwähnt wird). Dadurch kann der Leser ein kompletes Bild der anfänglichen und der heutigen Regelung gewinnen. Weil im Beitrag auch manche Probleme von prozeß- und verfassungsrechtlicher Natur angesprochen werden, wird der Leser auch auf eine entsprechende Literatur kurz hingewiesen. Im Beitrag werden die, aus meiner Sicht, für den ausländischen Leser interessantesten Reformen erwähnt. In diesem Sinne ist es klar, daß der Beitrag keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat. 1 In der entsprechenden Diskussion wurden oft verfassungsrechtliche Aspekte angesprochen; dies bestätigt noch einmal das von Baur Gesagte, daß „Prozeßrecht angewandtes Verfassungsrecht" sei. Allerdings wird in der griechischen prozessualen Literatur immer auch die vefassungsrechtliche Seite mitberücksichtigt; siehe vor allem: G. Mitsopoulos, Zum Einfluß der neuen griechischen Verfassung auf die griechische Zivilprozeßordnung, in Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch, 1976, S. 699 ff. Allgemein über das griechische Zivilprozeßrecht siehe: K. D. Kerameus, Civil Procedure in Greece, 2 Southern Law Review (1976), S. 175 ff. 2 Uber die verfassungsrechtlichen Grundlagen des griechischen Gerichtsverfassungsrechts s. P. Yessiou-Faltsi, Les bases constitutionnelles de l'organisation judiciaire en Grèce, in Revue hellénique de droit international, B. 32 (1979), S. 62 ff. Vgl. auch: G. Mitsopoulos - K. Polyzogopoulos, Der Einfluß der Verfassung auf das Zivilprozeßrecht, Revue hellénique de droit international (1982-1983), S. 219 ff; K. D. Kerameus, Judicial
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Nikolaos Κ. Klamaris
1649/1984, 1756/1988, 1868/1989). Mit diesen Gesetzen - und vorwiegend mit dem Gesetz 1756/1988 - wurde zugleich die „Gerichts- und Notariatsordnung" v. 1834, welche bis dahin das letzte noch gültige Gesetzgebungswerk des Georg Ludwig v. Maurer war, völlig abgelöst 3 . 2. Die wichtigste Reform des Gesetzes 2145/1993 im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts war die Einführung - speziell im Rahmen des Berufungsgerichts Athen und des Landgerichts Athen - einer besonderen Strafkammer mit eigener Besetzung. Die funktionelle Eigenart dieser neuen Institution lag darin, daß wenigstens 1/3 der in den obigen Gerichten amtierenden Richter ausschließlich in dieser Strafkammer tätig sein mußte: anders gemäß der früheren traditionellen Regelung, nach der die Richter sowohl in den Zivilkammern als auch in den Strafkammern abwechselnd tätig waren. Die Zielsetzung dieser neuen Regelung war, daß erfahrene Strafrichter ausgebildet und die Strafsachen von erfahrenen Strafrichtern beurteilt werden (und nicht von Richtern, die sich mal mit Strafsachen und mal mit Zivilsachen abwechselnd befaßten). Das Postulat - allerdings nur von einem Teil der Theorie und der Praxis nach Fachrichtern für die Beurteilung der Strafsachen war alt. Man hoffte, damit die Grundlagen für eine bessere und optimaler funktionierende Strafjustiz schaffen zu können. Die übrigen Änderungen, welche mit dem Gesetz 2145/93 im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts unternommen wurden, waren nicht so gewichtig, sie haben jedenfalls das bisherige System nicht entscheidend verändert. Die Geltungsdauer dieser Reform erwies sich als sehr kurz; sie wurde im selben Jahr mit dem Gesetz 2172/1993 abgeschafft. 3. Entscheidend waren dagegen die Reformen, welche mit dem nachfolgenden Gesetz 2172/93 eingeführt wurden. Es ist hier allerdings zu betonen, daß in der Zwischenzeit ein Regierungs-(Partei)wechsel erfolgt war. Die wichtigsten Änderungen des Gesetzes 2172/1993 waren die folgenden: independence in modern legal developments, in Revue hellénique de droit international, 1982—1983, S. 335 ff; K. Beys, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Zwangsvollstreckung im griechischen Recht, ZZP 101 (1988) S. 165 ff; N. K. Klamaris, Das prozessuale Grundrecht auf Justizgewährung, in Festschrift für Karl Heinz Schwab, München, 1990, S. 269 ff; ders., Constitutional Guarantees of Due Process in Greece, in The Role of courts in Society (Ed. Shimon Shetreet), Dordrecht - Boston - Lancaster, 1988, S. 180 ff. 3 S. auch Ν. Κ. Klamaris, Das neue Griechische Gerichtsverfassungsrecht oder „die Rache der Wittelsbacher", in Festschrift für W . J. Habscheid, 1989, S. 161 ff. Vgl. auch: G. Mitsopoulos, Gedanken zu einigen wichtigen Problemen der Zivilprozeßrechtslehre, ZZP 91 (1978), S. 113 ff; K. Beys, Die Ausstrahlung des deutschen zivilprozeßrechtlichen Denkens auf das griechische Recht der Privatrechtsstreitigkeiten, Grundlagenberichte zum Thema „Das deutsche Zivilprozeßrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen", 1989, S. 173 ff.
D i e prozessuale Aktualität in Griechenland
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a) Die Gerichte wurden in Griechenland traditionell von dem Präsidenten des jeweiligen Gerichts verwaltet (und falls es mehrere Präsidenten gab, von dem dienstältesten). Lediglich die Zivil- bzw. Strafberufungsgerichte Athen, Piräus und Thessaloniki wurden von einem Richter beim Areopag verwaltet (entsprechend wurden manche Landgerichte von einem Präsidenten des Berufungsgerichts oder von einem Berufungsrichter verwaltet), welche von dem entsprechenden Obersten Justizrat ernannt wurden. Speziell (seit 1989) für das Zivil- und Strafberufungsgericht und das Verwaltungsberufungsgericht Athen, für die Landgerichte Athen, Thessaloniki und Piräus sowie schließlich für das Amtsgericht Athen war mit den Verwaltungsaufgaben ein dreigliedriges Kollegium betraut. Mitglieder des Verwaltungskollegiums des Zivil(Straf-)berufungsgerichts Athen waren ein Richter beim Areopag - als Vorsitzender des Kollegiums - , der vom Obersten Justizrat der Zivil(Straf-)gerichtsbarkeit ernannt wurde, und zwei Präsidenten des Berufungsgerichts (oder ein Präsident des Berufungsgerichts und ein Richter beim Berufungsgericht), welche vom Plenum des Areopags ernannt wurden. Mitglieder des Verwaltungskollegiums des Verwaltungsberufungsgerichts Athen waren, eo ipso, der dienstälteste Präsident des Verwaltungsberufungsgerichts - als Vorsitzender des Kollegiums - und zwei (andere) Präsidenten des Verwaltungsberufungsgerichts (oder ein Präsident und ein Richter des Verwaltungsberufungsgerichts), welche vom Plenum des Obersten Verwaltungsgerichts (= Conseil d'Etat) ernannt wurden. Mitglieder des Verwaltungskollegiums des Zivil-(Straf-)landgerichts und des Verwaltungslandgerichts Athen, Thessaloniki und Piräus waren ein Präsident des Berufungsgerichts oder ein Berufungsrichter als Vorsitzender des Kollegiums - (ernannt vom entsprechenden Obersten Justizrat) und zwei (andere) Präsidenten des Landgerichts oder Landrichter als Mitglieder des Kollegiums, welche vom Plenum des entsprechenden Berufungsgerichts ernannt wurden. Mit dem Gesetz 2172/93 ist diese Regelung in der Richtung geändert worden, daß für die obigen Gerichte (Zivil- und Strafberufungsgericht, sowie Verwaltungsberufungsgericht Athen, Zivil-Straf-Verwaltungslandgericht Athen, Thessaloniki und Piräus, Amtsgericht Athen) alle drei Mitglieder des mit den Verwaltungsaufgaben betrauten dreigliedrigen Kollegiums vom Plenum des jeweiligen Gerichts (d. h. desselben Gerichts) in geheimer Abstimmung gewählt werden. Diese Regelung (des Gesetzes 2172/93) wurde z . T . kritisiert. Die Kritiker wiesen darauf hin, daß einerseits die neue Regelung die in der griechischen Verfassung (Art. 90) verankerte starke Stellung des Obersten Justizrats in verfassungswidriger Weise eingeschränkt habe und daß andererseits mit der neuen Regelung der Weg für die direkte Einmischung der politischen Parteien bei den Wahlverfahren für das drei-
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Nikolaos Κ. Klamaris
gliedrige Kollegium und für den unmittelbaren Kontakt der Richter mit der aktiven Politik eröffnet sei. Die Kritiker der Regelung betrachteten dies als ein Defizit und eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Exekutive und der Legislative. Demgegenüber wiesen die Befürworter der Regelung darauf hin, daß dadurch gerade die innergerichtliche (d. h. gegenüber den Höheren Instanzen) Unabhängigkeit erweitert und verstärkt wurde (hier im Sinne der Unabhängigkeit der Richter der unteren Instanzen gegenüber dem Obersten Justizrat - bzw. dem Areopag oder dem Obersten Verwaltungsgericht - in bezug auf die Verwaltung ihres Gerichts). b) In denjenigen Langerichten und Berufungsgerichten, in denen die Zahl der vorgesehenen entsprechenden Richterstellen (je nachdem, ob Landrichter oder Berufungsrichter) mehr als 15 beträgt, werden die Richter der Strafspruchkörper per Los bestimmt. c) Die Zahl der vorgesehenen obersten Richterstellen in der ordentlichen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit wurde entscheidend reduziert (ζ. B. die Richterstellen beim Areopag wurden um 1/5 verringert). Es ist zwar klar, daß, wegen der in der Verfassung vorgesehenen Garantie der auf Lebenszeit dauernden Amtszeit der amtierenden ordentlichen Richter, diese Stellenreduzierung keine negative Folge auf die Amtszeit (d. h. keine vorzeitige Pensionierung) der beim Inkrafttreten des Gesetzes amtierenden Richter gehabt hat. Diese bleiben trotz der Stellenreduzierung weiter im Dienst, bis sie das gesetzliche Dienstalter erreichen. Die sofortige und unmittelbare Konsequenz dieser Stellenreduzierung wird aber eine unangemessene künftige dienstliche „Verstopfung" sein, welche sich auf die Beförderungszeit der Richter der unteren Instanzen sehr negativ auswirken wird. Dieser Umstand in Verbindung mit der Tatsache, daß nur die obersten Richterstellen in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit reduziert wurde - demgegenüber wurde eine Stellenreduzierung bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht unternommen - hat viele Gerüchte über den wahren Grund und die wirkliche Zielsetzung dieser Stellenreduzierung entfacht. Dies umso mehr, als die Zahl der vorgesehenen Stellen ζ. B. der Richter im Areopag das Ergebnis einer langjährigen normalen Entwicklung war und dem Zuwachs der Arbeitsbelastung des Areopags entsprach. Die Befürworter der Stellenreduzierung haben diese Maßnahme damit begründen wollen, daß nach der gleichzeitigen Abschaffung - mit demselben Gesetz - der speziellen Kammer des Areopags, welche sich nach der Kassation der angefochtenen Entscheidung mit der Sache nach Verweisung seitens der Kassationskammer als Tatsacheninstanz befassen mußte, auch die Zahl der vorgesehenen Richterstellen beim Areopag entsprechend reduziert werden sollte. Diese Begründung klang nicht
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sehr überzeugend, einerseits weil die Arbeitsbelastung des Areopags ohnehin sehr groß ist (und bestimmt für manche Zeit noch groß sein wird), und andererseits weil eine so plötzliche und große Stellenreduzierung ein einmaliger - natürlich formell rechtmäßiger, wenn man ihn allein betrachtet - Eingriff in das griechische Gerichtsverfassungsrecht und -system ist (unter normalem, demokratischem politischen System). Dies hatte wiederum die Verstärkung mancher Gerüchte zur Folge, daß mit dieser Maßnahme die neue Regierung einerseits einen mittelbaren „Druck" auf die Richter der unteren Instanzen ausüben möchte (eventuell mit dem Ziel, den Richtern zu zeigen, wer die wirkliche Macht hat und wer den Schlüssel für die Einleitung des Beförderungsverfahrens besitzt, weil ohne gesetzliche Stelle auch kein Beförderungsverfahren), und sie sich andererseits wegen mancher für sie (bzw. für Partei- oder Regierungsmitglieder) unangenehmen gerichtlichen Entscheidungen „rächen" möchte. Es ist klar, daß solche Gerüchte, unabhängig von ihrer Wahrheit, schädlich für die Justiz sind. d) Eine Reform, welche im Mittelpunkt der Diskussion stand und immer noch steht, bezieht sich auf das Beförderungsverfahren der Richter (aller Gerichtszweige) und Staatsanwälte. Die griechische Verfassung regelt sehr genau die Zuständigkeit des Obersten Justizrates eines jeden Gerichtszweigs. Der Oberste Justizrat eines Gerichtszweigs besteht ausschließlich nur aus obersten Richtern des entsprechenden jeweiligen Gerichtszweigs. Von Amts wegen nehmen die Präsidenten des entsprechenden Obersten Gerichts, welche auch den Vorsitz führen, und beim Obersten Justizrat der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit auch der Staatsanwalt beim Areopag teil. Als unzweifelhaft sachgerecht kann die Vergrößerung der Mitgliederzahl des Obersten Justizrats betrachtet werden. Richtig ist auch die neue Regelung, welche vorschreibt, daß im Falle einer Versetzung eines Richters ohne eigenen Antrag, sowie dann, wenn ein Richter nicht befördert wird (obwohl statt seiner, aus der Sicht des Dienstalters, ein jüngerer Richter befördert wird), die Gründe für die Nicht-Beförderung oder für die Versetzung in einem ausführlichen schriftlichen Gutachten obligatorisch erwähnt werden sollen. Obwohl auch hier geltend gemacht werden könnte, daß diese analytische Begründung dem öffentliche Bild der Justiz schaden könnte, weil der versetzte oder der nichtbeförderte Richter - über welchen diese negativen Gründe die Öffentlichkeit erreichen - weiter im Dienst bleibt und als aktiver Richter tätig wird, muß man trotzdem der Begründung und der damit verbundenen Erhöhung der Verantwortung des Obersten Justizrats den Vorrang geben. Auch der Schutz des einzelnen Richters erfordert diese Begründungspflicht, damit er auch im klaren ist. Wenn der Oberste Justizrat einen Richter nicht befördern will, muß er die Verant-
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wortung offen übernehmen, die entsprechenden tragenden Gründe klar nennen und seine Entscheidung damit begründen. Die dritte diesbezügliche gesetzliche Neuerung ist ein „Anwesenheitsrecht" des Betroffenen: Wird vor dem Obersten Justizrat oder vor dem Plenum des entsprechenden obersten Gerichts ein Thema diskutiert, das sich auf die personelle Stellung von Richtern und Staatsanwälten bezieht, so wird während der betreffenden Diskussion für Vertreter der entsprechenden Richterkategorie ein Anwesenheitsrecht anerkannt (es geht um ein reines Anwesenheitsrecht, das nicht mit einem Stimmrecht verbunden ist). Es ist nicht zu bezweifeln, daß ein solches Anwesenheitsrecht die Kontrolle über die Entscheidungen des Obersten Justizrats und des - in Beförderungs- und Versetzungssachen als eine „zweite Instanz" fungierenden - Plenums des entsprechenden obersten Gerichts und somit auch die Überzeugungskraft der Richtigkeit dieser Entscheidungen nach außen erhöht. Andererseits ist aber die Besetzung des Obersten Justizrats sowie die des Plenums des entsprechenden obersten Gerichts sehr ausführlich und ausschließlich in der Verfassung verankert, so daß kein freier Raum für die - auch nur passive - Teilnahme von Beobachtern oder Vertretern während der Diskussion bleibt. In Anbetracht der sehr strengen und ausschließlichen Regelung der Besetzung dieser Organe in der griechischen Verfassung stellt die durch ein einfaches Gesetz ermöglichte Hinzufügung von - in der Verfassung nicht vorgesehenen - Beobachtern m. E. eine Verfassungsverletzung dar. Diese Betrachtungsweise hat das Plenum des Areopags (oberstes Gericht in der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit) mehrheitlich dazu geführt, diese Vorschrift als verfassungswidrig anzusehen und als solche nicht anzuwenden. Insoweit hat sich das oberste Verwaltungsgericht (= Conseil d'Etat) etwas distanziert und differenziert: Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung sei das Erscheinen der Beobachter bzw. Vertreter vor dem Anfang der Diskussion als verfassungskonform anzusehen, damit diesen Richtern nur eine Außerungsmöglichkeit angeboten werde, um ihre Meinung den Mitgliedern des Obersten Justizrats mitzuteilen, aber nur vor dem Beginn der Diskussion; dann müßten sie aber, nach derselben Meinung, weggehen. e) Eine zutreffende und sachgerechte Reform des Gesetzes 2172/93 stellte die Einführung der Möglichkeit dar, durch Beschluß des Obersten Justizrats eine kleine Zahl (12) von Berufungsrichtern als Mitarbeiter der Richter beim Areopag zu ernennen. 4. Als wichtigste Änderungen des Gesetzes 2207/1994 im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts kann man folgende betrachten: a) Die Aufsicht über die Richter führte nach der gesetzlichen Regelung ein Vizepräsident des Areopags (für die Richter der Zivil- und Straf-
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gerichtsbarkeit), ein Vizepräsident des obersten Verwaltungsgerichts (für die Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit) und ein Vizepräsident des Rechnungshofs (für die Richter des Rechnungshofs), welche von dem jeweils entsprechenden Obersten Justizrat bestimmt wurden. Mit dem Gesetz 2207/1994 wurde die Regelung eingeführt, nach welcher dem jeweiligen dienstjüngsten Vizepräsident die Aufsicht obliegt. Die Wegnahme der Zuständigkeit für die konkrete Bestimmung des Aufsichtsführenden - zwischen den mehreren Vizepräsidenten - vom Obersten Justizrat und deren direkte Bestimmung durch eine gesetzliche Vorschrift wurde (mehrheitlich) von dem obersten Gerichtshof der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (Areopag) als verfassungswidrig erachtet, weil hiermit die von der Verfassung garantierte Unabhängigkeit (gegenüber der Exekutive und der Legislative) und Selbstverwaltung der Justiz verletzt wurde. Dieses Argument wird noch überzeugender, wenn man mitberücksichtigt, daß die Vizepräsidenten der obersten Gerichte ebenso wie deren Präsident - von der Regierung ernannt werden (so daß im konkreten Fall die Regierung einkalkulieren könnte, wer der konkrete derzeitige dienstjüngste Vizepräsident ist und in der Folgezeit sein wird). b) Neu formuliert wurde (mit dem Gesetz 2207/94) auch die Regelung in bezug auf die konkretere Feststellung einer verzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte durch einen Richter ohne berechtigten Grund: Nach der neuen Regelung sind bei der Beurteilung, ob ein berechtigter Verspätungsgrund vorliegt oder nicht, die Ernsthaftigkeit der Rechtssache, der Grad und die Erfahrung des Richters sowie seine Arbeitsbelastung und seine persönlichen und familiären Verhältnisse zu berücksichtigen.
II. Reformen im Bereich des Zivilprozeßrechts 1. Reformen
des Gesetzes
2145/93
Zahlreiche neue Regelungen durch das Gesetz 2145/93 wurden später (wieder) abgeschafft (mit den Gesetzen 2172/93 und 2207/94). a) Generell wurde die allgemeine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts und des Einzelrichter-Landgerichts erhöht. Dies ist eine übliche Praxis in Griechenland; die jeweilige Werterhöhung des Streitgegenstands, welche automatisch die Erweiterung der gewöhnlichen sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts und des Einzelrichter-Landgerichts bedeutet, entspricht einerseits mittelbar der Inflationsrate und richtet sich andererseits gezielt gegen den Zuwachs der Arbeitsbelastung des Kollegial-Landgerichts. Darüber hinaus wurde auch die spezielle sachliche Zuständigkeit des Einzelrichter-Landgerichts erweitert; so wur-
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den dem Einzelrichter-Landgericht folgende Rechtsstreitigkeiten (unabhängig von ihrem Streitwert) zugewiesen: erstens die Rechtsstreitigkeiten in bezug auf den Familienlebensunterhalt und in bezug auf die Ausübung der elterlichen Gewalt sowie die Sachen, welche sich auf die Regelung der Familienwohnung und die Verteilung der beweglichen Sachen zwischen den Ehegatten im Falle der Unterbrechung des gemeinsamen Lebens beziehen; zweitens die Rechtsstreitigkeiten zwischen Eigentümern von Eigentumswohnungen auf Grund des Eigentumswohnungsverhältnisses; drittens die Rechtsstreitigkeiten, welche sich auf die Anfechtung von Beschlüssen der Generalversammlungen von Vereinen oder Genossenschaften beziehen. b) In bezug auf die Nebenintervention 4 , die Beiladung und die Streitverkündung wurde die Regelung eingeführt, daß die Verhandlungsbestimmung für diese Rechtsbehelfe obligatorisch unmittelbar nach der Verhandlungsbestimmung für die Hauptsache erfolgen muß, damit die Verhandlung darüber in derselben Verhandlung mit der Hauptsache (gemeint ist an sich die Klage) stattfindet. Im Bereich derselben Thematik wurde vorgesehen, daß die Nebenintervention allen anderen Prozeßparteien 10 Tage vor der Verhandlung, während die Beiladung und die Streitverkündung dem Dritten 20 Tage vor der Verhandlung zugestellt werden sollten. Diese Reform in bezug auf die Nebenintervention, die Beiladung und die Streitverkündung wurde allerdings mit dem Gesetz 2207/94 wieder abgeschafft. c) Nach Art. 260 der griechischen Z P O findet kein Prozeß statt bzw. fällt die Verhandlung aus, wenn keine Partei während der Verhandlung nach dem Gesetz ordnungsgemäß erscheint („Ruhen des Prozesses und des Verfahrens") 5 . Dies galt als eine Prozeßhandlung des Gerichts - d. h. die „Entscheidung" des Gerichts, mit der das Ruhen des Verfahrens und des Prozesses ausgesprochen wurde - und hatte als Rechtsfolge, daß, in Verbindung mit Art. 261 des griechischen BGB, dieses Ruhen des Prozesses die (nochmalige) Unterbrechung der Verjährung zur Folge hatte. Dies wieder hatte als - natürlich negative - Konsequenz, daß der Prozeß verlängert wurde und die Gerichte mit Klagen belastet worden waren, welche auf Grund einer derartigen prozessualen Taktik Klageerhebung mit Verhandlungsterminbestimmung, Nichterscheinen der Parteien bei der Verhandlung, wiederholtes Ruhen des Verfahrens ewig anhängig blieben. Mit dem Gesetz 2145/93 wurde vorgeschrieben, 4 Vgl. auch: G. Rammos, Die Intervention in der Berufungsinstanz nach dem griechischen Zivilprozeßrecht, in Studi in onore di Antonio Segni, Β. IV (1967), S. 215 ff. Siehe auch S. Koussoulis, Aktuelle Probleme der Hauptintervention, ZZP 100 (1987), S. 211 ff. 5 Vgl. auch G. Rammos, Der Gang des Erkenntnisverfahrens nach dem Entwurf der neuen griechischen Z P O , ZZP 78 (1965), S. 241 ff.
D i e prozessuale Aktualität in Griechenland
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daß das Ruhen des Verfahrens - aus welchem Grunde auch immer keine Prozeßhandlung des Gerichts oder der Parteien darstellt und daher keine Verjährungsunterbrechung als Rechtsfolge hat. Mit der Einführung dieser Regelung hat man versucht, das Verfahren schneller und straffer zu gestalten. Aus dieser Betrachtungsweise könnte man diese Reform als treffend charakterisieren. Die Taktik des beiderseitigen Nichterscheinens wurde sehr oft mißbraucht. Allerdings - und dies war dessen positive Seite - stellte dieses Ruhen des Verfahrens manchmal die Vorstufe eines Prozeßvergleichs dar und führte - ohne Gefahr, wie gesagt, für den Eintritt einer Verjährung des Anspruchs des Klägers - zum Vergleich. In diesem Sinne war dies auch eine übliche und beliebte Taktik der Rechtsanwälte, welche schließlich zum Vergleich und daher zur Entlastung der Gerichte führte. d) Nach der traditionellen Regelung des griechischen Zivilprozeßrechts (und insbesondere des Beweisrechts) 6 hat das Gericht die Durchführung der Beweise mit einer nicht definitiven Entscheidung angeordnet. Diese Beweisentscheidung setzte den Beweisgegenstand fest und war nicht selbständig anfechtbar. Zum Zwecke einer Verfahrensbeschleunigung hat man vor wenigen Jahren diese Entscheidung (als F o r m der Anordnung der Durchführung der Beweise) durch einen Akt (Beweisakt) ersetzt. Es war eine unbedachte Reform, welche den Anforderungen der Praxis und der Justiz nicht entsprochen hat. Die Verfahrensentwicklung wurde nicht schneller und die Justizgewährung auf jeden Fall nicht überzeugender. Daher hat das Gesetz 2145/1993 den Beweisakt abgeschafft und die Beweisentscheidung richtigerweise wieder eingeführt. e) Der Beweis wird vor dem Gericht und bei Kollegialgerichten vor einem seiner Mitglieder, der als Referentrichter bestimmt wurde, in der in der Beweisentscheidung festgesetzten Verhandlung durchgeführt 7 . Die Beweisdurchführung muß in einer Verhandlung vollendet werden, in der auch von den Prozeßparteien alle Beweismittel vorgebracht werden müssen. Falls die Zeit nicht ausreicht, ist eine Unterbrechung gestattet, damit die Beweisdurchführung an einem anderen Tag fortgesetzt wird. Die Frist der Beweisdurchführung ist höchstens neun Monate (zwölf Monate, wenn der Beweis im Ausland, auch nur zum Teil, durchgeführt werden soll) und darf nur einmal für noch drei Monate verlängert werden. 6 Siehe auch: K. D. Kerameus, Le progrès scientifique moderne et le droit de la preuve en Grèce, in Revue hellénique de droit international, 1 9 7 3 - 1 9 7 4 , S. 27 ff = Νομικές Μελετες I 1980, S. 320 ff; P. Yessiou-Faltsi, T h e production of evidence in the case according the Greec C o d e of Civil Procedure, in Revue hellénique de droit international, B . 30 (1977); s. dies., Le droit à la preuve, Revue hellénique de droit international, 1984, S. 275 ff. ' Vgl. auch M. Koukouselis, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß, insbesondere bei der Zeugenvernehmung, Frankfurt a. M., 1970.
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Die Zahl der Zeugen darf zwei für jede Seite (Prozeßparteienseite) nicht übersteigen. In Ausnahmefällen, welche in der Beweisentscheidung durch eine besondere Begründung erläutert werden müssen, kann das Gericht drei Zeugen für jede Prozeßseite gestatten. Im Falle der Streitgenossenschaft kann, falls dies als notwendig erachtet wird, das Gericht für jeden Streitgenossen einen Zeugen zulassen. f ) Eine einschneidende Reform des Gesetzes 2145/93 stellt die Abschaffung des sog. „unbegründeten" Einspruchs gegen Versäumnisurteile dar. Dieser Einspruch 8 war immer bei Versäumnis in der 1. mündlichen Verhandlung gegen das darin ergehende Versäumnisurteil zulässig, selbst wenn die säumige Partei rechtzeitig geladen worden war oder keine höchste Gewalt ihr Erscheinen gehindert hatte. Man brauchte sogar in seinem Einspruch den Grund für seine Säumnis gar nicht anzugeben und in dieser Hinsicht den Einspruch zu begründen (daher auch der terminus technicus „unbegründeter Einspruch"). Auf Grund der neu eingeführten Regelung (des Gesetzes 2145/93) ist der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil nur dann zulässig, wenn die säumige - und wegen dieser Säumnis auch unterlegene - Partei nicht, nicht ordnungsgemäß oder nicht rechtzeitig geladen worden war, um an der entsprechenden Verhandlung teilzunehmen, oder wenn ein Grund von höchster Gewalt vorlag, der das Erscheinen und die ordnungsgemäße Teilnahme der Partei an der Verhandlung verhindert hatte. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die Säumnis eine beliebte und gebrauchte Prozeßtaktik in den Händen der - böswilligen - Parteien sein konnte und eventuell gewesen war, um den Prozeß zu verschleppen (und die Verhandlung in der 1. Instanz zeitlich zu verlängern). Man brauchte nur in der 1. Verhandlung nicht zu erscheinen, dann konnte man Einspruch gegen das Versäumnisurteil erheben, um dieses zu beseitigen und das Verfahren vor der 1. Instanz wieder aufrollen zu lassen. Aus dieser Sicht verspricht die Abschaffung des sog. „unbegründeten" Einspruchs eine raschere Abwicklung des Verfahrens. Mit demselben Gesetz wurde auch eine Vorschrift eingeführt, nach welcher im Falle der Einlegung einer Berufung gegen das Versäumnisurteil die Geltendmachung jeder tatsächlichen und rechtlichen Behauptung sowie das Vorbringen von Beweismitteln im allgemeinen zulässig ist. g) Es wurde eine neue besondere Verfahrensart geschaffen für die Rechtsstreitigkeiten, welche sich auf schadensersatzrechtliche Ansprü' Siehe auch P. Kargados, Die Probleme des Versäumnisverfahrens - Eine rechtsvergleichende Untersuchung anläßlich des neuen griechischen Versäumnisverfahrens, Berlin, 1970; allgemein über das Rechtsmittelverfahren; s. G. Rammos, Das Rechtsmittelverfahren nach dem Entwurf einer neuen griechischen Zivilprozeßordnung, ZZP 74 (1961), S. 241 ff.
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che wegen Vermögensschäden oder immaterieller Schäden beziehen, die durch Publikationen jeder Art (Presse, Rundfunk, Fernsehen usw.) verursacht wurden. Derselben Verfahrensart wurden auch die Rechtsstreitigkeiten aus früheren Ansprüchen zum Schutze der Persönlichkeit der verletzten Personen zugewiesen, sofern Konnexität gegeben war. h) In bezug auf das Schiedsverfahren 9 hat man folgende Reformmaßnahmen getroffen: In dem Schiedsurteil kann angeordnet werden, daß die Prozeßparteien des Schiedsverfahrens für die Einzahlung des Schiedshonorars und der Kosten des Schiedsverfahrens gesamtschuldnerisch haften. Die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen das Schiedsurteil sowie die Erhebung einer Klage zur Feststellung des Schiedsurteils als Nichturteil haben keinen vollstreckungshemmenden Effekt. Falls aber eine derartige Klage zulässigerweise erhoben worden ist, kann das Gericht (auf Antrag) die Vollstreckung, mit oder ohne Garantiegewährung einstellen, wenn die Annahme der Klage glaubhaft gemacht wird. In jedem Schiedsverfahren, das kein internationales Schiedsverfahren ist, darf der Betrag des Schiedsrichterhonorars für jeden Schiedsrichter (bzw. Obmann) 10 000 000 griechische Drachmen nicht übersteigen. Die Zielsetzung der Vorschrift, bei internationalen Schiedsverfahren die Schiedsrichter von jeder Beschränkung in bezug auf die Höhe des Schiedsrichterhonorars völlig zu befreien, ist sehr deutlich und eindrucksvoll (!!!). i) Falls die Gültigkeit der letzten Vollstreckungshandlung angezweifelt wird, beträgt die Widerspruchsklagefrist einen Monat (ab dem Zeitpunkt der Vornahme der Vollstreckungshandlung). Falls es um Vollstreckung für Geldansprüche geht, beträgt die Widerspruchsklagefrist 15 Tage ab dem Zeitpunkt der Zwangsversteigerung (im Falle der Mobiliarzwangsversteigerung) und 2 Monate ab dem Zeitpunkt der Eintragung des Auszugs des Zuschlagsprotokolls (im Falle der Immobiliarzwangsversteigerung). In dem Zeitraum vom 1. bis 31. August darf keine Vollstreckungshandlung vorgenommen werden (dies gilt allerdings nicht bei Schiffen und Flugzeugen). j) Die vollständige oder teilweise Wiedergabe eines Prozesses durch Fernsehen oder Rundfunk sowie die Kino- oder Videoaufnahme eines Prozesses sind verboten, es sei denn, daß dies durch Entscheidung des Gerichts gestattet wird und, daß der Staatsanwalt und die Prozeßparteien damit einverstanden sind.
9 In bezug auf das griechische ZPO-Schiedsverfahren s. K. D. Kerameus, Probleme des griechischen Schiedsverfahrensrechts aus rechtsvergleichender Sicht, Z Z P 92 (1979), S. 4 1 3 - 4 3 1 .
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2. Reformen des Gesetzes 2172/93 a) Die wichtigste Änderung des Gesetzes 2172/1993 in bezug auf das Zivilprozeßrecht betrifft das Kassationsverfahren (in der Zivilgerichtsbarkeit) und die entsprechende Funktion des Areopags. Das Gesetz 2172/1993 hat den Areopag in ein reines Kassationsgericht umgewandelt und umfunktioniert. Nach der neu eingeführten Regelung muß der Areopag die Angelegenheit, wenn er die angefochtene Entscheidung kassiert hat, an die untere Instanz zur Sachentscheidung zurückverweisen (während gemäß der abgeschafften Regelung eine spezielle Kammer des Areopags vorgesehen war, welche sich, meistens nach der Kassation der angefochtenen Entscheidung von der Kassationskammer des Areopags, mit der Sache, auf Grund der Verweisung durch die Kassationskammer, als Tatsacheninstanz befaßte)10. Die Abschaffung dieser Tatsachenkammer des Areopags kann als eine unbedachte Reform charakterisiert werden, welche auf keiner Vorarbeit beruhte. Diese Tatsachenkammer des Areopags hat lange Jahre eine fruchtbare rechtsprechende Funktion erfüllt und zur Verstärkung der Begründung und der Uberzeugungskraft der Entscheidung des Areopags sowie der Einheitlichkeit der Rechtsprechung beigetragen11. Keine Richterorganisation, keine Juristische Fakultät, kein Gericht (weder der Areopag selbst noch die unteren Instanzen), auch keine politische Partei (selbst die Regierungspartei hatte in ihrem Wahlprogramm eine solche Reform im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts nicht vorgesehen) haben eine solche Maßnahme als notwendig erachtet und verlangt. Alle diese Umstände haben in manchen Kreisen den Verdacht verstärkt, die Abschaffung dieser Kammer habe nur als eine momentan glaubhafte Rechtfertigung für die plötzliche Reduzierung der Richterstellen besonders im Areopag dienen sollen. b) Sehr wichtig ist auch eine Änderung in bezug auf die sachliche Zuständigkeit. Es geht um die Schaffung einer besonderen Fachkammer im Rahmen des Landgerichts und des Berufungsgerichts Piräus, welche sich speziell mit Rechtsangelegenheiten des Seerechts befassen soll. Auf Grund der Tatsache, daß Piräus der größte Hafen von Griechenland und einer der größten Häfen im Mittelmeer sowie der Sitz von vielen Handelsgesellschaften des Sektors Schiffahrt ist, war das Landgericht und das Berufungsgericht Piräus ohnehin mehr als jedes andere griechi10 Siehe diesbezüglich auch Ν. K. Klamaris, Rechtsvergleichende Betrachtungen zum Postulat der Einheitlichkeit der Rechtsprechung als Grundgedanke der Europäischen Prozeßrechtskonzeption, in „Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht", Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen B. 73, Tübingen, 1992, S. 84 ff (89/90). " Vgl. auch Ν. K. Klamaris (aaO).
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sehe erstinstanzliche Eingangsgericht (bzw. Berufungsgericht) kraft seiner sachlichen Zuständigkeit mit der Beurteilung und Verhandlung der Seerechtsangelegenheiten belastet. Aber mit der neu eingeführten Regelung wird eine Fachkammer im Landesgericht Piräus und eine Fachkammer im Berufungsgericht Piräus, mit entsprechenden Fachrichtern (je nachdem mit Landrichtern oder mit Berufungsrichtern) besetzt, geschaffen. Im Anschluß an diese Reform im Bereich der sachlichen Zuständigkeit wurde auch eine entsprechende Regelung im Bereich der örtlichen Zuständigkeit eingeführt; nämlich daß die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Piräus speziell in bezug auf die Seerechtsangelegenheiten breiter ist (umfaßt die ganze Präfektur Attiki) als im Vergleich zu den übrigen Rechtsangelegenheiten 12 . 3. Reformen des Gesetzes
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a) Die Wertfestsetzung für die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichter-Landgerichts wurde wieder erhöht (zu Lasten des Umfangs der sachlichen Zuständigkeit des Kollegial-Landgerichts). b) Die mündliche Verhandlung 13 wurde in der 1. Instanz und in der freiwilligen Gerichtsbarkeit als Grundsatz eingeführt. c) In bezug auf die Verhandlung und das Beweis verfahren hat man auch hier manche der Reformen des Gesetzes 2145/93 ζ. T. abgeschafft und neue Beweisregelungen eingeführt; insbesondere (nach der neuen Regelung): aa) Das Gericht kann, nach Antrag, die Fristen für die Durchführung der Beweise höchstens zweimal verlängern. Jede Verlängerung darf aber vier Monate nicht übersteigen. Die Partei muß den Verlängerungsantrag vor dem Ablauf der Frist stellen. Die gewährte Verlängerung beginnt nach dem Ablauf der ersten Frist. Wenn der Beweis vor dem Referentrichter durchgeführt wird, wird die Verlängerung der Frist von ihm gewährt. Im Falle der Beweisdurchführung vor einem beauftragten Richter wird die Verlängerung von dem Gericht gewährt, das den Beweis angeordnet hat, bzw. wenn es um ein Kollegialgericht geht, von dem Präsidenten des Gerichts. In den Fällen in denen das Gericht über die Hauptsache des Streites verhandelt, kann es nach Antrag einer Partei eine neue Frist, bis zu 6 Monaten, zur Durchführung der Beweise gewähren. 12 Aus allgemeiner Sicht s. K. D. Kerameus, Institutionenschutz und Fallgerechtigkeit in der zivilprozessualen Zuständigkeitsordnung, Festschrift für G. Rammos, Athen, 1979, Β. I., S. 367 ff. 13 Aus allgemeiner Sicht s. G. Mitsopoulos, Die Aufklärungspflicht im griechischen Zivilprozeß, in Festschrift für H. Fasching, Wien, 1988, S. 377 ff.
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bb) Im Falle einer Klageeinreichung beim Kollegial-Landgericht bestimmt der Gerichtspräsident unmittelbar nach der Einreichung der Klage - falls nach seiner Meinung eine Beweisentscheidung erforderlich ist - durch den Erlaß eines Akts (bzw. einer Verfügung), daß die Parteien ihre Schriftsätze spätestens bis zum Beginn der Verhandlung einreichen müssen (während in diesem Fall die gegenseitigen Zusatzschriftsätze bis 12.00 U h r des dritten Arbeitstags nach dem Tag der Verhandlung eingereicht werden müssen) und daß für das Verfahren die Vorschrift des Art. 341 der griechischen Z P O gilt. Diese Vorschrift des Art. 341 gr. Z P O sieht vor, daß die Parteien ihre Beweisurkunden bis zum Beginn der Verhandlung einreichen müssen. Wenn die Anordnung einer Beweisdurchführung mit Augenschein, mit Sachverständigen 14 , mit Zeugen oder mit Parteivernehmung 15 nicht erforderlich ist, erläßt das Gericht auf Grund der vorgelegten Beweisurkunden das Endurteil. In den übrigen Fällen erläßt das Gericht eine Beweisentscheidung, mit welcher es die erforderlichen Beweiserhebungen anordnet. Diese Beweisentscheidung enthält eine kurze Begründung f ü r die Zulässigkeit und die rechtliche Grundlage der Klage oder einer anderen Eingangsprozeßschrift sowie der gegenseitigen Behauptungen unter Angabe der entsprechenden Gesetzesvorschriften. Falls diese Beweisentscheidung auch definitive Anordnungen enthält, dann muß die Entscheidung eine entsprechende ausführliche Begründung beinhalten. Die Beweisentscheidung muß folgendes bestimmen: a) das Beweisthema; b) die Partei, welche die Beweislast sowie die Behauptungslast trägt und die zulässigen Beweismittel vorzubringen hat; c) die Behörde, vor welcher der Beweis durchgeführt werden muß, und d) den Zeitpunkt der Beweisdurchführung. Der Beweis wird vor dem Gericht durchgeführt. Falls die Beweisdurchführung viel Zeit beansprucht, kann das Gericht anordnen, daß der Beweis vor einem seiner Mitglieder stattfindet; dieser Richter wird als Referentrichter bestimmt. Die Beweisführung findet während der Verhandlung statt, es sei denn, daß die Beweisentscheidung einen anderen O r t vorschreibt. Wenn ein besonderer Grund vorliegt, kann mit der Entscheidung die Durchführung bestimmter Beweiserhebungen einem beauftragten Richter oder der zuständigen konsularischen Behörde zugewiesen werden. Die Frist für die Beweisführung darf 6 Monate nicht übersteigen. cc) Mit Ausnahme des oben sub bb) erläuterten Falles müssen die Parteien beim Verfahren vor dem Einzelrichter-Landgericht und vor dem 14 Siehe auch K. D. Kerameus, Die Entwicklung des Sachverständigenbeweises im deutschen und griechischen Zivilprozeßrecht, Köln, Berlin, Bonn, München, 1963. 15 Siehe auch K. Polyzogopoulos, Parteianhörung und Parteivernehmung in ihrem gegenseitigen Verhältnis, Berlin, 1966.
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Kollegial-Landgericht ihre Schriftsätze, eine Abschrift ihrer Schriftsätze und ihre Beweismittel wenigstens 3 volle Arbeitstage vor dem Verhandlungstag einreichen. dd) Angriffs- und Verteidigungsmittel müssen zusammen mit den Schriftsätzen während der ersten Verhandlung vorgelegt werden, andernfalls sind sie unzulässig. ee) V o r dem Amtsgericht und dem Einzelrichter-Landgericht sowie vor dem Kollegial-Landgericht - mit Ausnahme des Falles oben zu bb) - ist die Verhandlung mündlich. f f ) In bezug auf die Zeugenvernehmung wird jetzt unter anderem vorgesehen, daß im Falle des Art. 341 gr. Z P O - s. o. bb) - die Parteivernehmung vor dem Gericht stattfindet, das mit seiner Beweisentscheidung den Tag und die Uhrzeit der Vernehmung festsetzt. Wenn die Vernehmung viel Zeit erfordert - insbesondere, wenn sie nicht in einer Verhandlung erledigt werden kann - und das Gericht anordnet, daß sie von einem Referentrichter oder von einem beauftragten Richter oder von einem Konsul durchgeführt wird, bestimmt dieser O r t und Zeit für die Parteivernehmung sowie die Zahl der Zeugen, welche jedesmal vernommen werden dürfen. d) Wenn der Einspruch (gegen das Versäumnisurteil) rechtzeitig und dem Gesetze nach eingelegt wurde und das Gericht glaubhaft macht, daß die Einspruchsgründe begründet sind, hebt das Gericht das angefochtene Versäumnisurteil auf (sowie die Handlungen, welche nach dem Erlaß dieses Versäumnisurteils vorgenommen wurden) und geht gleich in die Prüfung der Rechtsstreitigkeit in der Sache ein (unter vorheriger Wiedereinsetzung der Parteien in den Stand, der vor dem Erlaß der beseitigten Versäumnisentscheidung existierte). e) Das Rechtsmittel der Berufung ist statthaft gegen die erstinstanzlichen Urteile, welche: a) die Rechtssache wegen Unzuständigkeit an das zuständige Gericht weiterverweisen; b) als Endurteile den gesamten Prozeß oder nur den Prozeß in bezug auf die Klage oder in bezug auf die Widerklage beenden. Gegen die Versäumnisurteile ist die Berufung zulässig ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses. Wenn das Urteil zum Teil ein Endurteil ist, ist die Berufung auch nicht gegen seine definitiven Anordnungen statthaft, bevor ein Endurteil über den ganzen Prozeß erlassen wird. f ) Bei Einlegung einer Berufung gegen das Versäumnisurteil seitens der in der Verhandlung säumigen Partei wird die mit der Berufung angefochtene Entscheidung innerhalb der Grenzen der Berufung und der zusätzlichen Berufungsgründe beseitigt. In diesem Fall darf der Beru-
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fungskläger alle Behauptungen vorbringen, welche er erstinstanzlich geltend machen dürfte. g) In bezug auf die Verhandlung in den besonderen Verfahrensarten wurde unter anderem als Regel (mit Ausnahmen) vorgesehen: a) daß die Schriftsätze während der Verhandlung vor dem Gericht eingereicht werden; b) daß alle selbständigen Behauptungen mündlich vorzutragen und - diejenigen, welche nicht in den Schriftsätzen enthalten sind - in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind. h) In bezug auf die sachliche Zuständigkeit im Rahmen des Mahnverfahrens ist für den Erlaß des Mahnbescheids der Amtsrichter sachlich zuständig, sofern für den Anspruch das Amtsgericht sachlich zuständig ist. In den übrigen Fällen ist für den Erlaß des Mahnbescheids der Richter des Einzelrichter-Landgerichts sachlich zuständig. Beim Erlaß des Mahnbescheids findet keine mündliche Verhandlung statt. i) Bei Sicherungsmaßnahmen 16 (Einstweilige Verfügungen) findet die Verhandlung ohne die Teilnahme eines Protokollbeamten statt, es sei denn, daß der Richter die Protokollaufnahme als notwendig erachtet. Falls kein Protokollbeamter bei der Verhandlung mitwirkt, kann der Richter die Tonbandaufnahme der Verhandlung erlauben; in diesem Fall nimmt der Richter nach dem Ende der Verhandlung die Tonbandkassette mit sich, welche nach dem Erlaß der Entscheidung im Archiv des Gerichts aufbewahrt wird. j) In bezug auf die Anfechtungsfrist der Vollstreckungshandlungen wurde die vom Gesetz 2145/1993 eingeführte Regelung abgeschafft. Wird die Gültigkeit der letzten Vollstreckungshandlung angezweifelt, so beträgt die Widerspruchsklagefrist nach der neuen Regelung 6 Monate (ab dem Zeitpunkt der Vornahme der Vollstreckungshandlung). Falls es um Vollstreckung von Geldansprüchen geht, beträgt die Widerspruchsklagefrist 30 Tage (im Falle der Mobiliarzwangsversteigerung) und 90 Tage ab dem Zeitpunkt der Eintragung des Auszugs des Zuschlagsprotokolls (im Falle der Immobiliarzwangsversteigerung). k) Bekanntlich sieht die griechische Z P O als Vollstreckungsmittel bei der Vollstreckung für bestimmte Geldansprüche (Schulden der Kaufleute und Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen) auch
Für die Sicherungsmaßnahmen nach der gr. Z P O siehe im allgemeinen K. D. Der einstweilige Rechtsschutz vom Standpunkt der neuen griechischen Zivilprozeßordnung, in Gedächtnisschrift für E. Michelakis (griechische Ausgabe), Athen, 1972, S. 411 ff. Siehe auch I. Iliakopoulos, Die Grenzen der Befriedigungsverfügung im deutschen und griechischen Recht, Frankfurt a. M., 1983. 16
Kerameus,
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die Haftstrafe vor' 7 . Um die in der Praxis aufgetauchten und auch in der Theorie aufgeworfenen Probleme grundlegend zu lösen, hat das Gesetz 2207/94 die entsprechende Gesetzesvorschrift des Art. 1047 § 1 griech. Z P O ersetzt. Auch nach der neuen Regelung kann die Klage zur Verurteilung auf Haftstrafe selbständig erhoben werden. Im Falle ihrer selbständigen Erhebung gehört diese Klage zur sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts, wenn der entsprechende Geldbetrag die Geldgrenze der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts nicht übersteigt; andernfalls ist die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichter-Landgerichts gegeben. Aus der Sicht der örtlichen Zuständigkeit gehört eine selbständig erhobene derartige Klage entweder dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder dem Gericht, das für den Anspruch örtlich zuständig ist, an. Falls der Antrag zur Verurteilung auf Haftstrafe in der Klage für den Anspruch (Hauptklage) mit enthalten ist, wird auch dieser Antrag nach dem Verfahren verhandelt, das für die Hauptklage gilt. I) In bezug auf die Teilung von bebauten Grundstücken, welche mehreren Eigentümern gehören, wurde die Regelung eingeführt, daß jeder Eigentümer das Recht hat, die Verteilung des Grundstücks in Natur mit gleichzeitiger Bildung einer gesonderten Eigentumswohnung nach Stockwerken bzw. Teilen von Stockwerken oder einer gesonderten Eigentumswohnung in ideellen Teilen des einheitlichen Grundstücks, in dem die gesonderten Bauten gebaut worden sind, zu beantragen. 3. Fazit Alle Gesetze haben Vorteile und Nachteile. Gegenüber vielen Reformen des Gesetzes 2145/93 hat ein Teil der Theorie schon vorwiegend negative Kritik geübt18. Auch die Reformen der Gesetze 2172/93 und 2207/94 wurden von manchen positiv und von manchen negativ ausgewertet. Besondere Bedeutung verdient aber m. E. hier die negative Äußerung der Mehrheit (in wenigen Punkten sogar fast der Gesamtheit) des Plenums des Areopags speziell für manche Reformen im Bereich des Gerichtsverfassungsrechts. Nach aller Voraussicht hat die Theorie ihr letztes (positives oder negatives) kritisches Wort noch nicht gesagt. Eines ist, meine ich, auf jeden Fall das gemeinsame Merkmal der Reformen der Gesetze 2145/93, 2172/93 und 2207/94. Sie haben eine institutionelle Rechtsunsicherheit im Bereich des Gerichtsverfassungs17
Siehe auch Ν. K. Klamaris/G. Orfanidis, Die Zwangsvollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen u n d die Vollstreckungsmittel der Gerichte nach d e m griechischen Zivilprozeßrecht, Revue hellénique de droit international, B. 38 und 39 (1985-1986), S. 335 ff. 18 Siehe u. a. K. Polyzogopoulos, R e f o r m e n in bezug auf die besonderen Verfahrensarten, das Schiedsverfahren u n d die Zwangsvollstreckung (griechisch), in H a r m e n o p o u l o s , (Zeitschrift) B. 47 (1993), S. 991 ff.
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rechts und des Zivilprozeßrechts geschaffen, d. h. in Rechtszweigen, in denen die Rechtssicherheit eine besondere Bedeutung und einen besonderen Wert hat und besonders respektiert werden muß. Die wichtigsten Reformen beruhten auf keiner vorherigen Rechtstatsachenforschung oder fundierten Vorarbeit. Die Mitglieder der Gesetzgebungskommissionen blieben sogar manchmal offiziell geheim. Eine wirkliche und sachliche vorherige Diskussion konnte in der Tat nicht stattfinden. Sogar die obersten Gerichte (der Areopag, das Oberste Verwaltungsgericht, der Rechnungshof) wurden nicht gefragt, um wenigstens rechtzeitig ihre Meinung zu sagen. Das soll nicht heißen, daß alle Reformen negativ zu beurteilen sind. Unter diesen gibt es bestimmt richtige Reformen. Man kann auch nicht ausschließen, daß sich manche Reformen, die man jetzt kritisch betrachtet, in der Folgezeit im Endergebnis als erfolgreich erweisen. Man sollte aber eine andere Gesetzgebungstaktik anwenden. Und vorwiegend sollte man mit den obersten Gerichten vorher diskutieren, mit diesen ein Consensus etablieren und nicht deren Stimme ignorieren19. Das ist der erste - natürlich nicht der letzte Beweis, daß das Justizministerium die Justiz und deren Organe respektiert. Die in der letzten Zeit angewandte Taktik seitens des Justizministeriums konnte diesen Nachweis nicht überzeugend erbringen.
" Dies gilt allerdings an sich für den Gesetzgeber der Gesetze 2172/93 und 2207/94.
Verfahrenshilfe (Prozeßkostenhilfe) für Masseverwalter (Konkursverwalter) in Osterreich BERNHARD KÖNIG u n d HANS BROLL
Der Leitsatz 3.5 des Zweiten Berichts der bundesdeutschen Kommission für Insolvenzrecht postulierte, daß bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe an Insolvenzverwalter die Möglichkeit, die Masse durch einen Kostenvorschuß der Insolvenzgläubiger aufzufüllen, außer Betracht zu bleiben hat. Damit sollten insbesondere die Fragen nach der „wirtschaftlichen Beteiligung" der und nach der Zumutbarkeit einer Vorschußleistung durch die Insolvenzgläubiger ( § 1 1 6 Abs. 1 Nr. 1 d Z P O ) bei Masseprozessen entschärft werden. Die Zielsetzung - letztlich basierend auf dem Gedanken eines „Abwicklungsbedarfs" der Insolvenz im öffentlichen Interesse1 hat u. a. bei der Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen besondere Bedeutung 2 . I. Obwohl in der InsO schließlich nicht realisiert, blieb dieser Vorschlag auch in Osterreich nicht ungehört 3 und bietet Anlaß, der Handhabung der „Verfahrenshilfe für den Masseverwalter" (§ 63 Abs. 2 ö Z P O ) - wie es hierorts heißt - nachzugehen. 1. Die Urfassung des § 63 Abs. 1 ö Z P O 1895/98 4 bestimmte: „Wer ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie erforderlichen nothdürftigen Unterhaltes die Kosten einer Processführung zu bestreiten außerstande ist, kann für dieselbe die Bewilligung des Armenrechtes erwirken." 1 Deutlich Uhlenbruck, Gesetzwidrige Verweigerung der Prozeßkostenhilfe an Konkursverwalter, KTS 1988, 435, 438, und - ihm folgend - B G H 27. 9. 1990 ZIP 1990, 1490 = ZZP 106 (1993) 233 (Braun) = KTS 1991, 132; 8. 10. 1992 KTS 1993, 226 = ZIP 1992, 1644. 2 Siehe etwa Hanisch, Zur Reformbedürftigkeit des Konkurs- und Vergleichsrechts, ZZP 90 (1977) 22 f; Pape, Prozeßkostenhilfe für Konkursverwalter, ZIP 1988, 1294; Gravenbrucher Kreis, Große Insolvenzrechtsreform gescheitert, ZIP 1990, 477; Huber in Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch (1990) § 53 Rdn. 32. - Anders noch, nämlich Anfechtungsansprüche ausschließend, der §117 Abs. 3 des Entwurfs einer Zivilprozeßordnung, veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium (1931); hierzu etwa Petschek, JZ 1932, Sp. 474 f. 3 König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung 2 (1993) III. 4 Zu den vorhergehenden Regelungsgrundlagen König, Chancengleichheit im und vor dem Gerichtssaal, öAnwBl. 1978, 55 f.
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Bernhard König und Hans Broli
Aufgrund dieses Wortlautes wurde hierzu in Lehre und Rechtsprechung nahezu einhellig die Ansicht vertreten, § 63 Z P O sei ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar, juristische Personen, aber auch der Masseverwalter als „behördlich bestelltes Organ, das für eine Vermögensmasse auftritt" 5 , könnten daher nicht in den Genuß des Armenrechts kommen. Die Gefährdung des notdürftigen 6 Unterhalts der Prozeßpartei und ihrer Familie sei bei einer juristischen Person, die „naturgemäß" weder Unterhalt benötige noch eine Familie habe, nicht denkbar 7 . Als zusätzliches Argument wurde vereinzelt angeführt, daß der Masseverwalter in Aktivprozessen schließlich auch keine Gebührenbefreiung genieße 8 . Einzig Petschek9 sah schon damals die Gewährung des Armenrechts an juristische Personen und den Masseverwalter als zulässig an, weil dies bereits nach der Rechtslage vor Inkrafttreten der Z P O möglich gewesen sei10 und durch die Z P O insofern keine Änderung herbeigeführt werden sollte. Auch der Wortlaut des § 63 Abs. 1 Z P O stehe nicht entgegen, könne doch auch eine natürliche Person der „Familie" entraten und auch bei juristischen Personen könne von „Beeinträchtigung des ... nothdürftigen Unterhaltes" gesprochen werden, so etwa bei einem Verein, wenn „die Aufrechterhaltung seines Bestandes und seiner dringlichen Lebensäußerungen durch den Wegfall der dafür unumgänglich erforderlichen Mittel gefährdet wäre". Schließlich wies Petschek auf die Möglichkeit der Eröffnung eines Konkursverfahrens trotz Fehlens eines die Verfahrenskosten deckenden Vermögens für den Fall hin, daß ein Anfechtungsanspruch glaubhaft gemacht wird (§ 73 Abs. 2 ö K O a. F.; heute § 72 Abs. 2 ö K O ) : Die Möglichkeit der Konkurseröffnung trotz Fehlens eines verfahrenskostendeckenden Vermögens und damit auch trotz fehlender Geldmittel zur Führung des die Verfahrenseröffnung rechtfertigenden Anfechtungsprozesses setze die Möglichkeit der Bewilligung des Armenrechts für den Masseverwalter voraus. So jedenfalls die Formulierung der geltenden öZPO (§ 63 Abs. 2). Heute ist der notwendige Unterhalt maßgebliches Kriterium für die Bewilligung der Verfahrenshilfe (für natürliche Personen) (§ 63 Abs. 1 öZPO). 7 Siehe etwa Fürstl, Die neuen österreichischen Civilprocessgesetze (1897) 112 f; Horten, Osterreichische Zivilprozeßordnung I (1908) 297 f; Lehmann, Kommentar zur österreichischen Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung (1916) 77; Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen4 I (1927) 587; Pollak, System des Osterreichischen Zivilprozeßrechtes mit Einschluß des Exekutionsrechtes2 (1932) 171; O G H 28. 5. 1926 SZ 8/175; öBGH 21. 1. 1935 BGHSlg. 219 A; O L G Wien 24. 9. 1934 EvBl. 1934/318; vgl. auch OGH 20. 5. 1931 SZ 13/132 = ZB1. 1931/282 (Petschek). 8 Fürstl, aaO 113; zur vorangegangenen Rechtslage vgl. O G H 31. 12. 1873 G1U 5197; 19. 2. 1889 G1U 12597. 9 Zivilprozeßrechtliche Streitfragen (1933) 23 ff = ZB1. 1931, 792 ff (Entscheidungsbesprechung). 10 Siehe aber die in Fn. 8 zitierten Entscheidungen des OGH. 5
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Verfahrenshilfe für Masseverwalter in Österreich
D i e Ä u ß e r u n g v o n Petschek
fand allerdings, s o w e i t ersichtlich,
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in
J u d i k a t u r u n d Literatur keinen Niederschlag mehr: D e n n bereits 1 9 4 3 ü b e r n a h m die ö Z P O d u r c h § 9 Ζ 1 d e r v i e r t e n V e r e i n f a c h u n g s v e r o r d n u n g 1 1 die einschlägige, d a m a l s r e l a t i v neue' 2 d e u t s c h e R e g e l u n g (§ 1 1 4 d Z P O a. F. = § 6 3 ö Z P O i d F d . 4. V e r e i n f V ) . W ä h r e n d T e i l e des § 6 3 ö Z P O bereits 1 9 4 5 w i e d e r d u r c h die v o r 1 9 4 3 geltende Regelung ersetzt w u r d e n 1 3 , b l i e b d i e h i e r i n t e r e s s i e r e n d e Passage in d e r 1 9 4 3 e i n g e f ü h r t e n ( d e u t s c h e n ) F a s s u n g a u c h n o c h n a c h 1 9 4 5 e r h a l t e n 1 4 (§ 6 3 A b s . 3 a. F. ö Z P O = § 1 1 4 A b s . 3 a. F. d Z P O ) : „Einer Partei kraft Amtes kann bei Vorliegen der im Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen das Armenrecht bewilligt werden, wenn die zur Führung des Prozesses erforderlichen Mittel weder aus der verwalteten Vermögensmasse noch von den an der Führung des Prozesses wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können." D i e h e u t i g e F a s s u n g d e s § 6 3 A b s . 2 ö Z P O s c h l i e ß l i c h g e h t auf das V e r f a h r e n s h i l f e G 1 9 7 3 1 5 z u r ü c k u n d lautet: „Einer juristischen Person oder einem sonstigen parteifähigen Gebilde ist die Verfahrenshilfe zu bewilligen, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr (ihm) noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint; das gleiche gilt für ein behördlich bestelltes Organ oder einen gesetzlichen Vertreter, die für eine Vermögensmasse auftreten, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder aus der Vermögensmasse noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können." E i n e i n h a l t l i c h e Ä n d e r u n g d e r b e s o n d e r e n V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die G e w ä h r u n g d e r V e r f a h r e n s h i l f e an M a s s e v e r w a l t e r w a r m i t d e r v o r g e n o m m e n e n U m f o r m u l i e r u n g jedoch nicht beabsichtigt. 2. I m G e g e n s a t z z u d i e s e r ( i n h a l t l i c h e n ) K o n t i n u i t ä t d e r R e c h t s l a g e seit 1 9 4 3 gab es in d e r R e c h t s p r e c h u n g u n t e r s c h i e d l i c h e E n t w i c k l u n g s s t u f e n
" RGBl. 1943 I 7. 12 Eingeführt durch RGBl. 1933 I 780. 13 Gesetz vom 3. 10. 1945 über Maßnahmen zur Wiederherstellung der österreichischen bürgerlichen Rechtspflege StGBl. 1945/188: § 63 ZPO wurde - abgesehen von der im Text angeführten Passage - i. d. F. der „Achten Gerichtsentlastungsnovelle" BGBl. 1933/346 (Art. III Ζ 2) wieder in Kraft gesetzt. " Die Aussage von Petschek/Reimer/Schiemer, Das österreichische Insolvenzrecht (1973) 496, bestritten sei, „ob die Konkursmasse ... Anspruch auf Armenrecht" besitze, ist wohl auf die Einbeziehung älterer Quellen (vor 1943) zurückzuführen. 15 BG vom 8. 11. 1973 BGBl. 569. Zum auslösenden Anlaß dieser Neuregelung König, Chancengleichheit im und vor dem Gerichtssaal - Zur Lage aus österreichischer Sicht, ZRP 1978, 44. - Fasching, Kommentar zu den österreichischen Zivilprozeßgesetzen II (1962) 416, hielt bereits die Vorgängernorm für überflüssig, was angesichts der oben erwähnten h. M. vor der Übernahme der deutschen Regelung (1943) zumindest erstaunt.
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bei der Beurteilung der Frage, wer als „wirtschaftlich Beteiligter" im Sinn des § 63 Abs. 2, letzter Satz, öZPO (zuvor § 63 Abs. 3, zweiter Satz) anzusehen ist. Die Gerichte waren dabei allerdings auf äußerst spärliche Stellungnahmen in der Literatur angewiesen. Immerhin fand sich in den einschlägigen Gesetzesausgaben seit 1945 regelmäßig der Hinweis, daß jedenfalls Konkursgläubiger hierunter zu subsumieren seien16. Ansonsten führte einzig Stagel·7 die Konkursgläubiger als Beispiel für „wirtschaftlich Beteiligte" an. Nachdem Rechtsprechung zu dieser Frage lange Zeit überhaupt nicht veröffentlicht worden ist, wurde in den ersten publizierten Entscheidungen' 8 , wie offenbar auch sonst in der (nicht publizierten) Judikatur", die Auffassung vertreten, Konkursgläubiger seien grundsätzlich nicht als „wirtschaftlich Beteiligte" zu qualifizieren. Diese Rechtsmeinung ging offenbar auf die (wohl mißverstandene) Kommentierung des § 63 ZPO durch Fasching20 zurück, der als Bedingung für die Bewilligung von Verfahrenshilfe an den Masseverwalter verlangte, daß „die Mittel zur Prozeßführung nicht aus der Konkursmasse gedeckt werden können", ohne die „wirtschaftlich Beteiligten" in diesem Zusammenhang eigens zu erwähnen. Nachdem in der Lehre unter Hinweis auf die deutsche Rechtsprechung und Lehre Kritik an dieser Praxis angeklungen war 21 , vollzog sich etwa ab dem Jahr 1986 eine Wende in der Judikatur der Oberlandesgerichte 22 . Der neue, allgemein begrüßte und als de lege lata zutreffend qualifizierte 23 Standpunkt " Siehe etwa Malaniuk, Die seit 13. März 1938 geänderten Bestimmungen der Jurisdiktionsnorm, Zivilprozeßordnung und Exekutionsordnung (1946) 25 (Anm. 9 zu § 63 ZPO); Fetter, Die Jurisdiktionsnorm und die Zivilprozeßordnung samt den Einführungsgesetzen (MTA-1948) 149 (Anm. 7 zu § 6 3 ZPO); Stagel/Michlmayr, Zivilprozeßordnung und Jurisdiktionsnorm" (MGA-1954) 461 (Anm. 7 zu § 63 ZPO). 17 In Maultaschl/Schuppich/Stagel, Rechtslexikon - Handbuch des österreichischen Rechts für die Praxis, Armenrecht Bl. 3 v. " OLG Wien 26. 4. 1979, 4 R 73/79 REDOK 4529; 9. 5. 1983 WR 33; OLG Innsbruck 18.2. 1987 EvBl. 1987/157. 19 Siehe z. B. die Rechtsprechungsnachweise bei Schumacher, Verfahrenshilfe an den Masseverwalter, JB1. 1986, 500 Anm. 16, in OLG Innsbruck EvBl. 1987/157 sowie die in REDOK 4529 zitierte E des OLG Wien 1 R 109/78. 20 Kommentar II 416 sowie Ergänzungsband zum Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen (1974) 11 f. 21 Schumacher, Fehlgeschlagene Sanierung und Konkursanfechtung der Kreditsicherheiten „wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit" (§31 Abs. 1 Ζ 2 KO), ÖJZ 1981, 31 Anm. 28; Hoyer, Zu den Anfechtungstatbeständen des § 31 Abs. 1 Ζ 2 KO, ÖJZ 1982, 378. 22 Diese sind in derartigen Angelegenheiten letzte Instanz (dzt. § 528 Abs. 2 Ζ 4 öZPO). 23 Lenneis, Zur Frage der Anfechtung von Einzelzessionen auf Grund eines Mantelzessionsvertrages aus dem Blickwinkel der §§ 30, 31 KO, öAnwBl. 1986, 21; Schumacher, JB1. 1986, 498 ff; ders., Aktuelle Probleme des Anfechtungsrechts, in Jelinek (Hrsg.), Insolvenz- und Wirtschaftsstrafrecht (1987) 45; Bundesministerium für Justiz zum Wahrnehmungsbericht 1986 des Osterreichischen Rechtsanwaltskammertages, öAnwBl. 1987, 495 ff (500).
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der Rechtsprechung 24 lautete, daß dem Masseverwalter Verfahrenshilfe nur dann zu gewähren sei, wenn neben der Masse auch die als „wirtschaftlich Beteiligte" einzustufenden Gläubiger nicht die zur Prozeßfiihrung notwendigen Mittel aufbringen können. Es erfolgte weder eine Differenzierung danach, ob es sich um Masse- oder Konkursgläubiger handelt, noch danach, ob es sich um private oder der öffentlichen Hand zuzurechnende Gläubiger handelt. Nur Gläubiger, die entweder voraussichtlich auch bei erfolgreicher Prozeßführung keine Erhöhung ihrer Befriedigungsaussichten zu erwarten hatten (ζ. B. wenn die Konkursgläubiger jedenfalls leer ausgehen) oder solche, deren Forderungen unabhängig vom Prozeßausgang befriedigt werden konnten (ζ. B. Massegläubiger bei zu deren Befriedigung jedenfalls ausreichender Masse, allenfalls Aussonderungsgläubiger und Absonderungsgläubiger), wurden nicht als „wirtschaftlich beteiligt" angesehen. Im Gegensatz zur deutschen Rechtslage, wo § 116 Abs. 1 Z P O in der Fassung des Gesetzes über die Prozeßkostenhilfe 25 die Heranziehung der wirtschaftlich Beteiligten zur Aufbringung der Verfahrenskosten ausdrücklich nur für den Fall anordnet, daß dies nicht unzumutbar ist, läßt der Wortlaut des § 63 Abs. 2 ö Z P O keine derartige Beschränkung erkennen. Trotzdem hat bereits das O L G Wien in seiner die oben beschriebene Judikaturwende einleitenden Entscheidung 26 verlangt, daß den wirtschaftlich Beteiligten aus der Prozeßführung „ein zumindest nicht unerheblicher" bzw. „beachtlicher" Vorteil entstehen müsse; das O L G Innsbruck vollzog in der Folge die interpretative Ergänzung des § 63 Abs. 2 ö Z P O um das Kriterium der Zumutbarkeit ausdrücklich 27 . Schließlich: In Anlehnung an Schumacher2*, der in Spezifizierung dieses Tatbestandsmerkmals als absolute Zumutbarkeitsgrenze eine Befriedigungsquote von mindestens 20 % und - gleichsam als relative Grenze einen „aus der Höhe der Forderungen des Vorschußpflichtigen resultierenden, weit überdurchschnittlichen Anteil am Prozeßerlös" forderte, hat jüngst das O L G Innsbruck 29 jedenfalls eine voraussichtliche Befriedigungsquote für Konkursgläubiger von etwa 10 % nicht als „wesentliche Beteiligung am Prozeßerfolg" angesehen.
24 OLG Wien 4. 3. 1985 JB1. 1986, 531 = EvBl. 1986/104 = WR 144; 4. 3. 1985, 3 R 35/85 REDOK 1169; 28.8. 1985, 17 R 199/85 REDOK 8001; 27.8. 1986, 16 R 39/86 REDOK 12.580; OLG Innsbruck 14. 8. 1987 JB1. 1988, 120 (Schumacher); 13. 4. 1988 EvBl. 1989/19. 25 13.6. 1980 BGBl. 19801677. 26 4. 3. 1985 JB1. 1986, 531 = EvBl. 1986/104 = WR 144; zustimmend Schumacher, JB1. 1986, 501 und OLG Innsbruck 14. 8. 1987 JB1. 1988, 120 fSchumacher). 27 13. 4. 1988 EvBl. 1989/19. 28 JB1. 1988, 121 f (Entscheidungsbesprechung). 29 14. 3. 1994 JBl. 1994, 700 (König).
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3. Mit einer anderen, in der Bundesrepublik Deutschland (trotz einiger neuerer abweichender OLG-Entscheidungen) mittlerweile weitgehend ausjudizierten 30 , in Österreich bisher aber noch nicht behandelten Frage, nämlich jener, ob es den der öffentlichen Hand zuzuordnenden Gläubigern überhaupt zumutbar ist, für Masseprozesse in Vorlage zu treten, hatte sich das O L G Innsbruck kürzlich auseinanderzusetzen 31 . In concreto ging es um die Vorschußleistung des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds (IAF). Die Einrichtung dieses Fonds, der eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und aus Beiträgen der Arbeitgeber gespeist wird (siehe Fn. 33), durch das Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG) 1977 (BGBl. 324) ermöglichte die Einführung des klassenlosen Konkurses in Osterreich (Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982, BGBl. 370): Der IAF befriedigt nämlich bestimmte Arbeitnehmerforderungen gegen die Masse voll, kann aber seinerseits die dann auf ihn übergehenden Ansprüche regelmäßig nur als „gewöhnlicher" Konkursgläubiger (also ohne Vorrecht) im Konkurs geltend machen. Die getroffene Regelung schafft letztlich nicht nur eine „Clearingstelle" für Arbeitnehmerforderungen, sondern eine Entgeltversicherung.
Dabei wurde vorweg ausgesprochen, daß auch Massegläubiger grundsätzlich wirtschaftlich Beteiligte sind. Trotzdem bewilligte das O L G Innsbruck die Verfahrenshilfe für einen Anfechtungsprozeß 32 mit der Begründung, daß dem IAF - der hier ausnahmsweise Massegläubiger war (vgl. § 46 Abs. 1 Ζ 3 und Abs. 2 Ζ 2 ö K O ) - eine Bevorschussung der Prozeßkosten des Anfechtungsprozesses „zumindest im konkreten Fall" nicht zumutbar sei: Der Fonds decke - „zum Nutzen der Arbeitnehmer" - nur Schulden des Gemeinschuldners ab, sei von Stempel- und Rechtsgebühren sowie Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren befreit (§ 13 Abs. 7 IESG) und überhaupt reiche derzeit das Fondsvermögen nicht einmal zur Deckung der gesetzlichen Leistungsverpflichtungen und des Verwaltungsaufwandes aus33. J0 BGH 27. 9. 1990 ZIP 1990, 1490 = KTS 1991, 132; 8. 10. 1992 ZIP 1992, 1644 = ZZP 106 (1993), 233 (Braun) = KTS 1993, 226 (dazu Pape, Greifbare Gesetzwidrigkeit der Versagung von Prozeßkostenhilfe, KTS 1993, 179 ff); 20. 9. 1994 NJW 1994, 3170; OLG Frankfurt 3. 6. 1993 ZIP 1993, 1250; OLG Köln 30. 11. 1992 ZIP 1993, 1019; 5. 4. 1994 ZIP 1994, 724; 8. 11. 1991 ZIP 1991, 1603; OLG Celle 13. 3. 1991 ZIP 1991, 600; OLG Naumburg 2. 2. 1994 ZIP 1994, 383; OLG Hamburg 17. 1. 1994 ZIP 1994, 221 = EWiR 1994, 403 (zust. Tappmeier) = NJW-RR 1994, 572; AG Göttingen 16. 4. 1993 ZIP 1993, 1020. 31 14. 3. 1994 JB1. 1994, 700 (König). 32 Indem die in der BRD (BGH 3. 5. 1972 BGHZ 58, 364 [366 f] = NJW 1972, 1715; 14. 10. 1981 BGHZ 82, 50 [61] = JZ 1982, 164) und in Österreich (OGH 17. 2. 1994 ecolex 1994, 311 f) kontrovers entschiedene Frage nach der Rechtsnatur des (unechten) Factoring eine Rolle spielen wird. 33 Nachdem zuletzt die Beitragsleistungen der Arbeitgeber verringert worden sind (von 0,8 % des vom Arbeitgeber zu leistenden Anteils des Arbeitslosenversicherungsbeitrages in den Jahren 1983 und 1984 auf zuletzt 0,1 % dieses Anteils) wurde die Finanzkraft des Fonds in den vergangenen Jahren von der „Pleitewelle" ausgehöhlt (hierzu die Zeitungs-
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II. Soweit der Rechtsprechungsbefund. U.E. stellt sich die Rechtslage zumindest in Osterreich - grundsätzlich wie folgt dar: Wird bescheinigt, daß der Liquidationserlös voraussichtlich zur gänzlichen Befriedigung aller Massegläubiger nicht ausreicht, ist die Konkursmasse - ungeachtet eines etwa vorhandenen Barvermögens - als unfähig anzusehen, die „zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel" selbst aufzubringen34. Da weiters die Forderungen der Massegläubiger regelmäßig im Interesse der geordneten Abwicklung des Insolvenzverfahrens entstehen, sind sie vom Kreis der potentiell Vorschußpflichtigen auszuklammern. Dieses Ergebnis ist aber u. E. nicht aus einer etwaigen „Unzumutbarkeit" der Vorschußleistung für diese Gläubiger zu folgern, sondern daraus, daß ihnen die Qualifikation „wirtschaftlich Beteiligte" überhaupt fehlt. Massegläubiger sind nämlich - vom Grundsatz her - wie „gewöhnliche" Gläubiger einer schuldnerischen juristischen Person oder Vermögensmasse außerhalb eines Insolvenzverfahrens anzusehen; werden diese - wie wir meinen, zu Recht - nicht in den Kreis der „wirtschaftlich Beteiligten" einbezogen, muß für jene das Gleiche gelten34*. Konkursgläubiger sind dagegen mit der h. M. dann als „wirtschaftlich Beteiligte" und daher als potentiell vorschußpflichtig anzusehen, wenn (sei es auch nur aufgrund des Erfolges der gegenständlichen Klage) eine Ausschüttung an sie wahrscheinlich ist. Steht diesen freilich in eigenen Angelegenheiten Gebührenfreiheit hinsichtlich der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren zu (z. B. § 10 öGGG) 3 5 , so kommen sie auch für die Vorschußleistung nicht in Betracht; die Vorschußleistung ist ihnen quasi „ex lege" unzumutbar. Diesen gleichzustellen sind jene Konkursgläubiger, die persönlich die Kriterien für die Gewährung der Verfahrenshilfe erfüllen würden. Im übrigen kommt es bei der Prüfung der Vorschußpflicht auf die verfahrensspezifische Zumutbarkeit an. Hierbei ist einerseits eine generelle Verschiedenbehandlung von „öffentberichte „Insolvenzwelle ebbt spürbar ab - Ausgleichsfonds vor Kollaps", in „Die Presse" vom 25. 6. 1994, 19; „6 Mrd. S: Wer stopft das Loch im Insolvenzfonds?" in „Tiroler Tageszeitung" vom 27. 6. 1994, 7; „Pleitefonds braucht Milliardenspritze", in „Die Presse" vom 8. 7. 1994, 15). » Hierzu Schumacher, JB1. 1986, 498 ff; ders., JB1. 1988, 121 (Entscheidungsbesprechung); O L G Innsbruck 14. 8. 1987 JB1. 1988, 120. Im Ergebnis bezüglich der Massegläubiger ebenso Riel, Die Befugnisse des Masseverwalters im Zivilverfahrensrecht (Diss. Wien 1994) 128 ff. " In diesem Sinn wohl O L G Innsbruck 14. 3. 1994 JB1. 1994, 700 (König); deutlich etwa O L G Köln 30. 11. 1992 ZIP 1993, 1019; siehe auch Pape, Zur Anwendung und zu den weiterbestehenden Problemen des § 116 Z P O nach dem Beschluß des B G H , KTS 1991, 132, KTS 1991,42.
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lichen" und „privaten" Gläubigern - etwa gestützt allein auf die Behauptung, es würden in den betreffenden Organisationsvorschriften „keine Haushaltsmittel für Prozeßkostenvorschüsse vorgesehen"36 sein sachlich nicht gerechtfertigt37. Andererseits begrenzt dieses Kriterium u. U. auch die Höhe der Vorschußpflicht. Zumutbar ist nämlich eine Beitragsleistung nur bis zu einem solchen Betrag, den der einzelne „wirtschaftlich Beteiligte" selbst aufwenden müßte, wenn er den ihm vom allfälligen Prozeß„gewinn" zuzurechnenden Anteil außerkonkurslich prozessual verfolgen könnte (müßte). Sollte nach dem Angeführten die Aufbringung der voraussichtlichen Kosten nur teilweise zumutbar sein, ist der Konkursmasse über den dadurch bestimmten „Selbstbehalt"38 hinaus Teilverfahrenshilfe zu gewähren (§ 64 Abs. 2 öZPO). De lege ferenda sollte angesichts des zweifellos im Interesse des Rechtsverkehrs gelegenen „Bereinigungszwecks" der Insolvenzverfahren39 sowie zur Wahrung der nur bei Verfolgung und späterer Verteilung des Prozeßerfolgs im Insolvenzverfahren gesicherten Gläubigergleichbehandlung, aber auch wegen des zur rechtspraktischen Umsetzung der de lege lata-Bedingungen für die Verfahrenshilfegewährung erforderlichen Ermittlungs- und Prüfungsaufwands tatsächlich einer Sonderregelung nach Art des eingangs zitierten Leitsatzes das Wort geredet werden40.
56 So u. a. Jaeger/Henckel, Konkursordnung mit Einführungsgesetzen9 (1. Lfg. 1977) Rdn. 76 zu § 6 KO (freilich zur Rechtslage vor dem ProzeßkostenhilfeG); siehe aber BGH 27. 9. 1990 ZIP 1990, 1490 = KTS 1991, 132; OLG Hamburg 17. 1. 1994 ZIP 1994, 221 = NJW-RR 1994, 572 = EWiR 1994, 403 (Tappmeier) u. a. 37 Zur Verfassungsmäßigkeit der Sonderbehandlung von „öffentlichen" Verfahrensbeteiligten siehe VfGH 3. 3. 1990 VfSlg. 12.292 (zu § 302 [alt] EO) und 15. 6. 1990 VfSlg. 12.380 (zu § 12 KO). 38 Vgl. Fucik in Rechberger (Hrsg.), Kommentar zur ZPO (1994) Rdn. 1 zu § 64 ZPO. 39 Hierzu jüngst wieder Kilger, Rechtsanwendung im Konkurs, in Gerhardt/HenckeU Kilger/Kreft (Hrsg.), FS Merz (1992) 278. 40 Im Ergebnis ebenso Schumacher, JB1. 1986, 502.
Medizinforschung und Datenschutz Eine Fallstudie HELMUT KOLLHOSSER
I. Der Anlaß Die medizinische Forschung ist in vielfältiger Weise darauf angewiesen, die Daten von lebenden und verstorbenen Patienten auszuwerten. Dabei muß in jedem Einzelfall die Grenze zwischen Forschungsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 G G ) und Datenschutz als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 1, 2 G G ) ermittelt werden. Das ist oft nicht einfach. Denn die Datenschutzregeln, die wir an verschiedenen Stellen der Rechtsordnung finden, sind - auch nach teilweiser Nachbesserung durch den Gesetzgeber - nicht in jeder Hinsicht ein Muster an Klarheit. Sie enthalten nicht nur eine Fülle von unbestimmten Rechtsbegriffen, sondern auch eine Reihe von komplizierten Regelungen, deren Gefüge sich dem Leser nicht leicht erschließt. Da bisher zur Anwendung dieser Bestimmungen noch nicht sehr viel Erfahrungsmaterialien, insbesondere auch nicht sehr viele Urteile veröffentlicht sind, ist es nicht verwunderlich, daß auch die Kommentare zu den Datenschutzbestimmungen oft recht allgemein bleiben und dem Leser nicht immer in der gewünschten Klarheit eine Auskunft für den Einzelfall geben, mit dem er sich zu befassen hat. Dieser Zustand kann dazu führen, daß die für den Datenschutz zuständigen Personen zu einem medizinischen Forschungsprojekt nicht nur dort „nein" sagen und eine ggfs. beantragte .und erforderliche G e nehmigung verweigern, wo eindeutig die Datenschutzbestimmungen entgegenstehen, sondern - aus Gründen der Vorsicht - auch schon dort, wo ihnen selbst die richtige Antwort zweifelhaft erscheint. Der medizinische Forscher wird durch diese Entscheidung - auch wenn sie falsch sein sollte - nicht rechtlos gestellt. Er kann die Gerichte anrufen und so eine klärende Entscheidung herbeiführen. Allerdings haben medizinische Forscher i. d. R. Besseres zu tun, als über die Grenzen der Wissenschaftsfreiheit zu prozessieren. I. d. R. wird daher nicht prozessiert und das Projekt nicht durchgeführt, obwohl es möglicherweise zulässig war. Die vorhandenen Unklarheiten und Unsicherheiten über die rechtlichen Grenzen des Datenschutzes können somit faktisch zu einer Behinderung der medizinischen Forschung führen.
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Helmut Kollhosser
Als Mitglied einer Ethik-Kommission werde ich innerhalb und außerhalb der Kommission immer wieder mit diesem Thema konfrontiert und erlebe, wie sich hier zunehmend Animositäten zwischen Medizinforschern und Datenschützern aufbauen. Einen Fortschritt kann es darstellen, wenn bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Medizinforschern und Datenschützern vermehrt neutrale juristische Gutachten eingeholt und veröffentlicht werden. Im Einzelfall mögen sie, soweit sie für das Forschungsvorhaben positiv ausfallen, vielleicht auch den Datenschützer überzeugen und so die Durchführung des Forschungsvorhabens ermöglichen. In ihrer Gesamtheit können solche veröffentlichten Fallstudien dazu beitragen, den unsicheren Grenzbereich zwischen zulässiger Forschung und notwendigem Datenschutz schrittweise abzuklären und so allmählich zu mehr Rechtssicherheit beizutragen. In diesem Sinn ist die folgende Veröffentlichung der Fallstudie gedacht. Sie überschreitet zwar die Grenzen des Zivilrechts und des Verfahrensrechts. Doch hoffe ich, daß Wolfram Henckel mit der ihm eigenen Aufgeschlossenheit ein wenig Interesse für solche Grenzüberschreitungen findet, die nötig sind, um aktuelle Entwicklungen rechtlich zu begleiten und zu fördern. II. Sachverhalt und Fragestellung Im Bereich der Lungenfunktionsstörungen ist eine bestimmte Fragestellung offen. Ihre Klärung würde für die Behandlung erkrankter Personen einen Fortschritt bringen. Die Klärung ist aus statistischen Gründen nur durch die Betrachtung des langfristigen Ablaufs einer großen Zahl von Krankheitsverläufen möglich. Die Auswertung von Daten aus der aktuellen Behandlung derzeitiger Patienten reicht dazu nicht aus. Geeignet ist aber die Auswertung abgeschlossener Krankheitsverläufe. Deswegen plant der Leiter einer Abteilung eines berufsgenossenschaftlichen Krankenhauses eine retrospektive Studie, für die ausschließlich Daten aus berufsgenossenschaftlichen Akten ehemaliger Versicherter ausgewertet werden sollen, die inzwischen verstorben sind. Die Daten sind nicht EDV-mäßig gespeichert, sondern schriftlich in büroüblichen Akten niedergelegt. Die Auswertung soll nach dem Untersuchungsplan des Abteilungsleiters durch mehrere Doktoranden erfolgen. Die Ergebnisse sollen in Form von Dissertationen veröffentlicht werden. Dürfen die zuständigen Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft den Doktoranden Einsicht in die Akten der verstorbenen Versicherten gewähren, damit sie sie für die geplante Untersuchung auswerten können? Wo ist die Einsicht zu beantragen, wer entscheidet über den Antrag? Grundsätzlich besteht nach Art. 5 Abs. 3 G G Forschungsfreiheit. Sie gilt auch für Doktoranden. Die zuständigen Mitarbeiter der Berufs-
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genossenschaft müssen daher den Doktoranden die Akteneinsicht gewähren, wenn sie dadurch nicht gegen strafrechtliche oder sonstige datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen.
III. Strafrecht 1. Als entgegenstehende strafrechtliche Bestimmung kommt § 203 Abs. 2 Nr. 1 mit Abs. 4 des StGB in Betracht. Nach § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird bestraft, „wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis . . . offenbart, das ihm als Amtsträger ... anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist. Einem Geheimnis i. S. d. S. 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen gleich, die für Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung erfaßt sind."
Nach § 203 Abs. 4 StGB ist § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch anzuwenden, wenn der Täter das Geheimnis nach dem Tode des Betroffenen unbefugt offenbart. 2. Im folgenden wird geprüft, ob die zuständigen Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft gegen diese Strafbestimmungen verstoßen würden, wenn sie den Doktoranden für die geplante Untersuchung die Akteneinsicht gewähren. a) Die Versichertenakten enthalten Einzelangaben über persönliche Verhältnisse i. S. d. § 203 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 StGB, nämlich außer dem Namen, dem Geburtsdatum und anderen persönlichen Daten vor allen Dingen Angaben über die Erkrankung der jeweiligen Versicherten. b) Diese Angaben sind - auch - für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfaßt worden, nämlich um der Berufsgenossenschaft die Erfüllung ihrer Aufgabe zu ermöglichen, auf der Grundlage der für sie erfaßten Krankheitsdaten Sozialleistungen zu gewähren. Als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in der Rechtsform einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erfüllt die Berufsgenossenschaft damit Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. c) Die Angaben sind den zuständigen Mitarbeitern der Berufsgenossenschaft auch in ihrer Eigenschaft als Amtsträger anvertraut oder bekannt gemacht worden. Amtsträger ist gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 b StGB, wer - ohne Beamter oder Richter zu sein - in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht. Das trifft auf die Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft zu, weil sie im Rahmen eines öffentlichen Verwaltungsträgers, nämlich der Berufsgenossenschaft, und zur Erfüllung der Aufgaben dieser öffentlichen Verwaltung tätig werden. In eben dieser Eigenschaft ist den zuständigen Mitarbeitern der Berufsgenossenschaft
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auch der Inhalt der Versichertenakten anvertraut oder bekannt gemacht worden. d) Wenn die zuständigen Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft den Doktoranden für seine Untersuchung Einsicht in die Versichertenakten gewähren würden, würden sie ihnen die darin enthaltenen persönlichen Einzelangaben „offenbaren" i. S. d. § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Denn eine Offenbarung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Empfänger seinerseits schweigepflichtig ist1. e) § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist nach seinem Absatz 4 auch dann noch anwendbar, wenn die Betroffenen - wie hier - bereits verstorben sind. f ) Die Offenbarung der personenbezogenen Daten von Verstorbenen ist nach § 203 Abs. 4 StGB allerdings nur strafbar, wenn sie „ unbefugt " erfolgt. Eine Befugnis ist gegeben, wenn ein Rechtfertigungsgrund eingreift. aa) Das wäre zum einen der Fall, wenn die Verstorbenen vor ihrem Tode in die Bekanntgabe ihrer Daten für die Untersuchungszwecke eingewilligt hätten. Solche Einwilligungen werden aber wahrscheinlich nicht vorliegen, wahrscheinlich nicht einmal in einem einzigen Fall. Eine Einwilligung von hinterbliebenen Angehörigen oder Erben liegt ebenfalls nicht vor. Sie wäre im übrigen auch unerheblich, weil bei persönlichen Daten, um die es hier geht, die Einwilligungsbefugnis zu § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB höchstpersönlicher Natur ist und mit dem Tode des Betroffenen erlischt2. bb) In Betracht kommt aber noch der allgemein anerkannte 3 Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung. (1) Er setzt zunächst voraus4, daß - eine Einwilligung grundsätzlich zulässig ist, - nicht rechtzeitig hatte eingeholt werden können, - kein entgegenstehender Wille des Betroffenen, mag er auch unvernünftig sein, erkennbar ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Insbesondere hatte die Einwilligung des Betroffenen nicht rechtzeitig eingeholt werden können, 1 O L G Stuttgart, N J W 1987, 1490; A G Düsseldorf, MedR 1986, 83; Schönke/Schröder/ Lenckner, Kom. zum StGB, § 203 Rdn. 19. 2 Allgemeine Ansicht: Schönke/Schröder/Lenckner, Kom. zum StGB, § 203 Rdn. 25; Leipziger K o m J J ä h n k e , Kom. zum StGB, § 203 Rdn. 53 m. w. N. 3 Wessels, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 9 I 3; Schönke/Schröder/Lenckner, Kom. zum StGB, vor § 32 Rdn. 54. 4 Schönke/Schröder/Lenckner, Kom. zum StGB, vor § 32 Rdn. 54; Jeschek, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 349.
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weil das Bedürfnis zur Auswertung der Akten für die geplante wissenschaftliche Untersuchung sich erst jetzt nach dem Tode der Betroffenen in dieser Form ergeben hat. (2) Eine mutmaßliche Einwilligung ist dann zu bejahen, wenn anzunehmen ist, daß der Betroffene bei Kenntnis der Sachlage und objektiv-vernünftiger Betrachtungsweise seine Einwilligung erklärt hätte 5 . Das ist hier der Fall. Einerseits besteht ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an der Auswertung der Daten für den Untersuchungszweck. Denn mit der Untersuchung soll eine bessere Behandlung von Krankheitsverläufen im Bereich der Lungenfunktionsstörungen vorbereitet werden. Ohne Einsicht der Daten ist diese Untersuchung in dieser Form und mit diesen Erfolgsaussichten nicht durchzuführen. Andererseits besteht auf Seiten der verstorbenen Betroffenen kein vernünftiges, schutzwertes Interesse, daß die Einsichtnahme in die Akten unterbleibt. Einsicht erhalten nur die Doktoranden und der Arzt, der die wissenschaftliche Untersuchung leitet. Die Doktoranden und der Arzt stehen ihrerseits unter Schweigepflicht und geben die gewonnenen Daten nur in anonymisierter Form weiter. Die Betroffenen haben zu ihren Lebzeiten zur Behandlung ihrer Krankheit Versicherungsleistungen erhalten, die durch die Solidargemeinschaft der Versicherten finanziert worden sind. Daher ist anzunehmen, daß sie als verantwortungsbewußte Mitglieder der Solidargemeinschaft ihrerseits bereit gewesen wären, einen zumutbaren Beitrag für diese Solidargemeinschaft zu leisten, indem sie sich damit einverstanden erklärt hätten, daß ihre Krankendaten in der vorgesehenen Form zugunsten anderer Mitglieder der Solidargemeinschaft ausgewertet werden. Eine mutmaßliche Einwilligung ist daher zu bejahen. 3.
Ergebnis
Wenn die zuständigen Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft dem Arzt die Einsicht in die Versichertenakten für die geplante Untersuchung gestatten, so sind sie dazu befugt aufgrund einer mutmaßlichen Einwilligung der verstorbenen Betroffenen. § 203 Abs. 2 Nr. 1 mit Abs. 4 StGB greift nicht ein. IV. Sonstiges Datenschutzrecht Es ist weiter zu prüfen, ob sonstige datenschutzrechtliche Bestimmungen der Gewährung der Einsichtnahme in die Versichertenakten für 5
B G H St. 35, 249; Schönke/Schröder/Lenckner,
vor § 32 StGB Rdn. 57.
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den Untersuchungszweck entgegenstehen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen finden sich im Bundesdatenschutzgesetz, im Landesdatenschutzgesetz und im Sozialgesetzbuch ( - SGB). Da es hier um die Offenlegung von Sozialdaten geht, kommt die Anwendung der Datenschutzbestimmungen des SGB in Betracht. Soweit sie anwendbar sind, verdrängen sie als die spezielleren Regeln die allgemeineren Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes und des Landesdatenschutzgesetzes6. 1. § 3Í Abs. 1 S. 1 SGB I lautet: „Jeder hat Anspruch darauf, daß Einzelangaben über seine persönlichen und sachlichen Verhältnisse (personenbezogene Daten) von den Leistungsträgern gewahrt und nicht unbefugt offenbart werden."
2. Die Anwendung des § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I auf den vorliegenden Fall ergibt folgendes: a) Der Begriff der „Einzelangaben über persönliche ... Verhältnisse" deckt sich inhaltlich mit dem gleichlautenden Begriff in § 203 Abs. 2 Nr. 1 StGB (vgl. dazu oben IV 1 a). Er ist weit zu verstehen 7 . Die in den Versichertenakten enthaltenen Angaben zur Person und Krankheit des Versicherten, die für den Untersuchungszweck ausgewertet werden sollen, sind „personenbezogene Daten" i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I. b) § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I setzt voraus, daß solche personenbezogenen Daten sich in der Verfügungsgewalt eines Leistungsträgers befinden. Die Versichertenakten mit den personenbezogenen Daten befinden sich im Gewahrsam der Berufsgenossenschaft. Nach §§ 12,22 Abs. 2 Nr. 1 SGB I sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften in der Allgemeinen Unfallversicherung zuständig für Sozialleistungen, sind also Leistungsträger i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I. c) Demnach ist die Berufsgenossenschaft „jedem" gegenüber zum Schutz seiner Sozialdaten verpflichtet. Es ist umstritten, ob der „jedermann" i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I noch leben muß, um Sozialdatenschutz nach dieser Vorschrift zu erhalten. Nach einer teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht geht der Datenschutzanspruch des § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I mit dem Tode des Berechtigten als höchstpersönlicher Anspruch unter 8 . Demgegenüber hat das Bundessozialgericht im
6 Schroeder/Printzen, Kom. zum SGB, vor § 79 SGB X; Bley im Gesamtkom. zum SGB, §§ 67 ff SGB X, Vorbem. 2 und 3 und § 35 SGB I Anm. 1 g. 7 Bley, Gesamtkom. zum SGB, § 35 SGB I, Anm. 4 f. ' Bley, Gesamtkom. zum SGB, § 35 SGB I Anm. 2; ähnlich Hase im Gemeinschaftskom. zum SGB, § 67 SGB X Rdn. 46 ff.
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Jahre 1985 entschieden, daß „das Gebot der Geheimhaltung über den Tod des Versicherten hinaus andauert" 9 . Für den weiten Standpunkt des Bundessozialgerichtes spricht, daß § 35 Abs. 1 SGB I als umfassende G r u n d n o r m für den Schutz des Sozialgeheimnisses gedacht ist10, von der dann gem. § 35 Abs. 2 SGB I Ausnahmen „ nur" unter den sehr differenzierten Voraussetzungen der §§ 67-77 SGB X zulässig sind. Dafür spricht weiter, daß auch der strafrechtliche Datenschutz des § 203 Abs. 4 die Daten Verstorbener mit umfaßt (vgl. III 1) und daß kein Grund erkennbar ist, warum der Schutzbereich der Datenschutzbestimmungen des SGB enger gefaßt sein soll. Im folgenden wird daher - dem Bundessozialgericht folgend angenommen, daß § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I auch für den Schutz der Sozialdaten Verstorbener gilt. d) Wenn die zuständigen Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft den Doktoranden Einsicht in die Versichertenakten gewähren würden, würden sie die Sozialdaten der verstorbenen Versicherten auch „ offenbaren " i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I. Auch insoweit gilt das gleiche, was oben schon zum Begriff des „Offenbarens" bei § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB ausgeführt worden ist11. e) Entscheidend ist wieder, wie bei § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB 12 , ob eine solche „Offenbarung" unbefugt ist. § 35 Abs. 2 SGB I bestimmt, daß eine Offenbarung nur unter den Voraussetzungen der §§ 67-77 SGB X zulässig ist. In Betracht kommt hier eine Befugnis zur Offenbarung nach § 67 SGB X. aa) § 67 S. 1 Nr. 1 SGB X erlaubt eine Offenbarung personenbezogener Daten, soweit der Betroffene eingewilligt hat. Eine Einwilligung der verstorbenen Versicherten selbst liegt - wie schon zu § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB dargelegt 13 - wahrscheinlich in keinem einzigen Fall vor. Daß die Angehörigen oder Hinterbliebenen nach dem Tode des Versicherten noch in die Offenbarung einwilligen können, wird teilweise in der Literatur für möglich gehalten 14 . Das Bundessozialgericht hat diese Frage offengelassen 15 . Auch hier kann sie dahinstehen. Denn tatsächlich liegen keine Einwilligungen von Angehörigen
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BSGE 59, 76, 79; zustimmend: Hauck/Haines, Kom. zum SGB, § 35 SGB I Rdn. 5. Bley, Gesamtkom. zum SGB, § 35 SGB I Anm. 1 d; Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks. 8/4022, S. 80. " Vgl. oben I 2 d. 12 Vgl. oben I 2 f. 13 Vgl. oben I 2 f aa. 14 Hauck/Haines, Kom. zum SGB, § 35 SGB I Rdn. 5. 15 BSGE 59, 76, 79. :
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oder Hinterbliebenen vor. Demnach greift die Erlaubnisnorm des § 67 S. 1 Nr. 1 S t G B nicht ein. bb) Eine gesetzliche Offenbarungsbefugnis kann sich demnach nur aus § 67 S. 1 Nr. 2 SGB X ergeben, der weiter auf § 75 SGB X verweist. Nach § 75 Abs. 1 S G B X ist eine Offenbarung personenbezogener Daten zulässig, „soweit sie erforderlich ist, 1. für die wissenschaftliche Forschung im Sozialbereich und schutzwürdige Belange der Betroffenen nicht beeinträchtigt werden oder das öffentliche Interesse an der Forschung ... das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen erheblich überwiegt. Eine Offenbarung nach S. 1 ist nicht zulässig, soweit es zumutbar ist, die Einwilligung des Betroffenen nach § 67 einzuholen oder den Zweck der Forschung ... auf andere Weise zu erreichen."
(1) Bei der geplanten Untersuchung handelt es sich um eine wissenschaftliche Forschung in F o r m von Doktorarbeiten. Sie soll auch im Sozialbereich erfolgen. Denn es wird als Untersuchungsergebnis angestrebt, eine verbesserte Beurteilungsgrundlage für die Behandlung erkrankter Personen im Bereich der Lungenfunktionsstörungen zu schaffen, die überwiegend der Unfallversicherung angehören. (2) Für diese wissenschaftliche Forschung ist eine Auswertung der personenbezogenen Daten erforderlich, die sich in den berufsgenossenschaftlichen Akten der verstorbenen Versicherten befinden. Damit sie ausgewertet werden können, ist ihre „Offenbarung" erforderlich. Denn vergleichbare Untersuchungsergebnisse lassen sich mit keinem anderen Untersuchungsverfahren erreichen, etwa durch Auswertung der Daten einschlägig Erkrankter, die sich gegenwärtig und künftig in Behandlung befinden oder befinden werden. Bei diesen gegenwärtigen und künftigen Patienten kann zwar die Einwilligung zur Auswertung ihrer personenbezogenen Daten für Untersuchungszwecke gem. § 67 S. 1 Nr. 1 S G B X erbeten werden. Es würde jedoch sehr lange dauern, bis eine statistisch ausreichende Datenmenge für vergleichbar gesicherte Untersuchungsergebnisse gesammelt wäre. Erst danach könnten aus ihnen Schlüsse gezogen und eine bessere Behandlungsmethode entwickelt werden. Allen vorher erkrankten Personen käme diese bessere Behandlungsmethode bis dahin nicht zugute. Für eine unbekannte Zahl von ihnen käme sie überhaupt zu spät, weil sie vorher versterben würden. Das angestrebte Untersuchungsziel, für möglichst viele erkrankte Personen eine bessere Behandlungsmethode zu entwickeln, läßt sich also nur durch Auswertung der bei der Berufsgenossenschaft befindlichen Versichertenakten erreichen. Dazu ist ihre Offenbarung erforderlich.
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(3) Schutzwürdige Belange der Betroffenen werden - wie oben schon zu § 203 Abs. 2 Nr. 1 S t G B dargelegt worden ist16 - durch die Offenbarung für Forschungszwecke nicht beeinträchtigt. Selbst wenn ein Geheimhaltungsinteresse der Betroffenen bestünde, würde hier das öffentliche Interesse an der Forschung, das sich auch im Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 3 G G zeigt, erheblich überwiegen. Darauf können sich auch Doktoranden berufen 17 . Damit liegen alle Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X vor. (4) Nach § 75 Abs. 1 S. 2, 1. Halbs. S G B X ist eine Offenbarung nach § 75 Abs. 1 S. 1 allerdings gleichwohl nicht zulässig, soweit es zumutbar ist, die Einwilligung des Betroffenen nach § 67 S. 1 Nr. 1 S G B X einzuholen. Dieser Satz ist in der Formulierung mißglückt und bedarf einer Erläuterung. Nach § 67 S. 1 Nr. 1 S G B X ist eine Offenbarung ohne weitere Voraussetzungen immer zulässig, wenn die Einwilligung des Betroffenen vorliegt. Wenn das Gebot des § 67 S. 1 Nr. 2 i. V. m. § 75 Abs. 1 S G B X , die Einwilligung des Betroffenen einzuholen, daneben überhaupt einen eigenständigen Sinn haben soll, kann nur folgendes gemeint sein18: An sich sind in § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X die Voraussetzungen für eine befugte Offenlegung abschließend festgelegt, ohne daß es dort auf eine Einwilligung ankommt. Wenn ζ. B. das öffentliche Interesse an der Forschung das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen deutlich überwiegt, können seine personenbezogenen Daten sogar gegen seinen erklärten Willen für den Forschungszweck offengelegt werden. Abs. 1 S. 2 gebietet aber eine größtmögliche Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Die Befugnis nach § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X darf erst benutzt werden, wenn jede zumutbare Möglichkeit ausgeschöpft ist, die Einwilligung des Betroffenen gem. § 67 S. 1 Nr. 1 S G B X zu erlangen. Auch wenn die objektiven Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X für eine Offenlegung gegeben sind, soll grundsätzlich doch vorher wenigstens versucht werden, die Einwilligung des Betroffenen einzuholen, soweit dies zumutbar ist. N u r wenn der Versuch unzumutbar ist oder wenn er fehlschlägt, weil der Betroffene die Einwilligung verweigert, dann dürfen auf der Grundlage des § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X auch ohne Einwilligung des Betroffenen seine personenbezogenen Daten für den Forschungszweck offengelegt werden.
Vgl. oben III 1 f bb (2). Walz, Gemeinschaftskom. zum SGB, § 75 SGB X Rdn. 27 m. w. N. " Vgl. zum folgenden auch BSGE 47, 118, 122; Schröder/Printzen, Kom. zum SGB, § 75 SGB I Anm. 5. 16
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Prüft man den so verstandenen § 75 Abs. 1 S. 2, 1. Halbs. S G B X für den vorliegenden Fall durch, kommt man zu folgendem Ergebnis: Die Einwilligung der Betroffenen selbst kann nicht mehr eingeholt werden, weil sie verstorben sind. Diese Einwilligung einzuholen ist nicht nur unzumutbar, sondern sogar unmöglich. Es kann nur um die Frage gehen, ob versucht werden muß, die Einwilligung der Angehörigen oder Erben einzuholen, soweit dies zumutbar ist. Das Bundessozialgericht hat diese Frage bisher offengelassen 19 . In der Literatur ist sie umstritten. Teilweise wird angenommen, der Datenübermittler müsse sich um die Einwilligung der Erben oder hinterbliebenen Angehörigen bemühen 20 . Teilweise wird angenommen, die Einwilligungsbefugnis sei höchstpersönlicher Natur und gehe mit dem Tode des Betroffenen unter 21 . M. E. ist dieser letzten Ansicht zu folgen. Sie bringt die Datenschutzbestimmungen des S G B mit der insoweit gleichgerichteten Strafrechtsbestimmung des § 203 Abs. 2 N r . 1 StGB in Ubereinstimmung, für die unstreitig ist, daß die Einwilligungsbefugnis höchstpersönlich ist und mit dem Tode des Betroffenen untergeht 22 . Im S G B findet sich kein Anhaltspunkt dafür, daß hier etwas anderes gelten soll. Hinzu kommt, daß die andere Ansicht rechtsstaatlich mit erheblicher Unsicherheit belastet ist, weil sie weder eindeutig festlegt, ob es nun auf die Einwilligung der hinterbliebenen Angehörigen oder auf die Einwilligung der Erben ankommen soll, noch eindeutig festlegt, von welchen Angehörigen im einzelnen die Einwilligung eingeholt werden muß. Aber der Meinungsstreit kann hier letztlich dahinstehen. Denn selbst wenn der Datenübermittler sich nach dem Tode des Betroffenen um die Einwilligung der Angehörigen oder Erben bemühen müßte, bräuchte er es nur, soweit es ihm zumutbar ist. Im vorliegenden Fall ist es aber der Berufsgenossenschaft nicht zumutbar, teilweise nicht einmal mehr möglich, alle Angehörigen und Erben aller in Betracht kommenden Verstorbenen um ihre Einwilligung zur Offenbarung der berufsgenossenschaftlichen Akten zu bitten. Teilweise sind aus den Akten schon gar keine oder jedenfalls nicht alle Adressen der in Frage kommenden Angehörigen und Erben zu entnehmen. Darüber hinaus ist angesichts der großen Zahl der auszuwertenden Akten der Verwaltungsaufwand zur Ermittlung der Adressen für das " B S G E 59, 76, 79. Hauck/Haines, Kom. zum SGB, § 35 SGB I Rdn. 5. 21 Knopp, Gesamtkom. zum SGB, § 67 SGB X, Anm. 3 d; Hase, Gemeinschaftskom. zum SGB, § 67 SGB X Rdn. 46 ff. 22 Vgl. oben III 2 f. 20
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Anschreiben aller Hinterbliebenen und Angehörigen so groß, daß er angesichts des geringen Schutzbedürfnisses der verstorbenen Betroffenen gegenüber der Auswertung aller Persönlichkeitsdaten für wissenschaftliche Forschungszwecke unverhältnismäßig23 und damit unzumutbar ist. (5) Demnach bleibt nur noch zu prüfen, ob § 75 Abs. 1 S. 2, 2. Halbs. S G B X entgegensteht. Danach ist eine Offenlegung von Sozialdaten für eine wissenschaftliche Forschung unzulässig, wenn es zumutbar ist, den Zweck der Forschung auf andere Art zu erreichen. Dieser Ausschlußgrund der Zumutbarkeit einer anderen Vorgehensweise bei der Forschung berührt sich eng mit der Zulassungsvoraussetzung des § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X , daß die Offenbarung der personenbezogenen Daten für die wissenschaftliche Forschung „erforderlich" sein muß24. Dazu ist oben 25 schon festgestellt worden, daß es dem Forscher nicht möglich ist, mit anderen Untersuchungsverfahren, etwa der Auswertung von Daten noch lebender Patienten (mit deren Einwilligung), noch rechtzeitig für alle derzeit erkrankten Personen die angestrebten Untersuchungsergebnisse zu erreichen. Ergänzend bleibt dann hier nur noch zu prüfen, ob es der Berufsgenossenschaft zumutbar ist, die Akten der Verstorbenen so weit zu anonymisieren, daß der Doktorand im Rahmen der geplanten Untersuchung bei der Auswertung keinen Bezug der Krankheitsdaten zu den jeweils Betroffenen herstellen kann. Das Zumutbarkeitserfordernis des § 75 Abs. 1 S. 2, 2. Halbs. S G B X betrifft in erster Linie die Frage nach der Möglichkeit der Anonymisierung der personenbezogenen Daten bei der Offenbarung 26 . Auch diese Frage ist aber zu verneinen. Die vollständige Anonymisierung der Akten vor Offenbarung ist in der Berufsgenossenschaft nicht zumutbar, teilweise ist sie nicht einmal möglich, ohne daß dadurch die geplante Untersuchung beeinträchtigt wird. Denn eine Anonymisierung könnte nur in der Weise erfolgen, daß die gesamten Akten fotokopiert und auf den Kopien alle Personenbezüge geschwärzt würden, bevor die Kopien dem Doktoranden zur Auswertung für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt werden. Angesichts der großen Zahl der auszuwertenden Akten einerseits und des geringen Schutzbedürfnisses der betroffenen Verstorbenen andererseits wäre die25 Zur Unzumutbarkeit wegen eines unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwandes vgl. Walz, Gemeinschaftskom. zum SGB, § 75 SGB X Rdn. 62. 24 Vgl. dazu Walz, Gemeinschaftskom. zum SGB, § 75 SGB X Rdn. 46; Schröder/ Prinzen, Kom. zum SGB, § 75 SGB X , Anm. 5. 25 II 2 e aa (1). 26 Hauck/Haines, Kom. zum SGB, § 75 SGB X Rdn. 23.
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ser erhebliche Verwaltungsaufwand unverhältnismäßig und für die Berufsgenossenschaft unzumutbar 27 . Zudem ist für die angestrebte Untersuchung die Kenntnis bestimmter personenbezogener Daten unerläßlich. So hat z. B. das Geburtsdatum Aussagekraft in Verbindung mit den Krankheitsdaten. Bei vollständiger Löschung aller personenbezogenen Daten wäre also der Zweck der Forschung nicht mehr zu erreichen. (6) Demnach steht § 75 Abs. 1 S. 2 S G B X insgesamt der Offenbarungsbefugnis nach § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X nicht entgegen. 3.
Ergebnis
Auch § 35 Abs. 1 S. 1 S G B I steht nicht entgegen. Die Berufsgenossenschaft ist vielmehr nach § 67 S. 1 Nr. 2 S G B X mit § 75 Abs. 1 S. 1 S G B X befugt, dem Doktoranden für die geplante wissenschaftliche Untersuchung Einsicht in die berufsgenossenschaftlichen Akten der verstorbenen Versicherten zu gewähren.
V. Verfahren 1. Der Forscher stellt bei der Berufsgenossenschaft einen Antrag auf Gewährung der Einsicht in die berufsgenossenschaftlichen Akten der verstorbenen Versicherten für die geplante wissenschaftliche Untersuchung im Sozialbereich. 2. Die Berufsgenossenschaft prüft anhand der Antragsbegründung, ob die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 S G B X für die beantragte Offenbarung vorliegen. 3. Nachdem sie dies bejaht hat, beantragt sie gem. § 75 Abs. 2 S G B X bei der zuständigen obersten Landesbehörde die Genehmigung zur Offenbarung der Sozialdaten für die geplante wissenschaftliche Untersuchung. 4. Die zuständige oberste Landesbehörde prüft nochmals, ob die Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 S G B X für die beantragte Offenbarung der Sozialdaten vorliegen. Nachdem sie dies bejaht hat, ist sie gem. § 75 Abs. 2 S. 2 S G B X verpflichtet, die Genehmigung zu erteilen. 5. Aufgrund der ihr erteilten Genehmigung gewährt die Berufsgenossenschaft dem Forscher die beantragte Einsicht in die geplante wissenschaftliche Untersuchung.
27
Vgl. auch
Hauck/Haines,
K o m . zum S G B , § 75 S G B X R d n . 29.
Zur Sicherung des erbvertraglich oder letztwillig bindend Bedachten durch Feststellungsurteil, Vormerkung und Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes KURT KUCHINKE
I. Die erbrechtliche Stellung des durch bindende Verfügung Bedachten 1. Das Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht, dem sich der Jubilar in tiefgründigen Darstellungen gewidmet hat, verdient auch in zahlreichen erbrechtlichen Zusammenhängen Beachtung. Das wesentliche Anliegen des Prozeßrechts, Rechtsschutz zu gewähren, setzt für die erbrechtlich Beteiligten notwendig den Erbfall voraus. Ihre Rechtsstellung ist auf den Tod des Erblassers bezogen. Auch noch so begründet erscheinenden Erberwartungen ist der Rechtsschutz zu versagen, da ihnen kein schützenswertes Rechtsverhältnis zugrundeliegt. Die Anwartschaft des Erben 1 ist angesichts der Freiheit des Erblassers, mit seinem Vermögen nach Belieben zu verfahren, nicht mehr als eine Aussicht auf erbrechtlichen Erwerb. Das gleiche gilt auch für die übrigen Beteiligten, die Pflichtteilsberechtigten und Vermächtnisnehmer. Bei dieser Ausgangslage war es von jeher schwierig, über erbrechtlich relevante Beziehungen zwischen Erbbeteiligten und dem Erblasser, die dem einen oder anderen klärungsbedürftig erschienen, Rechtsgewißheit in Gestalt des Rechtsschutzes durch richterliche Feststellung zu erlangen. Beruht die Beziehung auf Verwandtschaft oder Ehe, die für die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht maßgeblich sind, so ist bei Ungewißheit des familienrechtlichen Verhältnisses durch die besonderen Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe oder des Eltern-Kind-Verhältnisses (§§ 638, 640 Abs. 2 Nr. 1 Z P O ) eine Klärung herbeizuführen 2 . Beruht die Beziehung auf einer Verfü1 Gemeint in einem weiten, untechnischen Sinne. Zur begrifflichen Problematik Medicus, Bürgerliches Recht", Rdn. 456 ff; Marotzke, Das Anwartschaftsrecht - ein Beispiel sinnvoller Rechtsfortbildung? (1971). 2 Das R G hat gleichwohl allein im Hinblick auf § 256 ZPO eine Klage auf Feststellung des Nichtbestehens eines gesetzlichen Erbrechts zu Lebzeiten des Erblassers zugelassen; R G Z 169, 98 (99).
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gung von Todes wegen, so ist zwar ein rechtsgeschäftlicher Grund für ein Rechtsverhältnis zum Bedachten gelegt, aber die Eigenart dieses Rechtsgeschäfts besteht darin, daß seine Verbindlichkeit auf den Tod hinausgeschoben ist. Bis dahin haben sich die Beziehungen des Erben zum Erblasser noch zu keinem Rechtsverhältnis verdichtet, es besteht nicht einmal eine Berechtigung im Schwebezustand, die einem bedingt Berechtigten zuerkannt wird. Der Tod des Erblassers ist tatbestandliche Voraussetzung der Verfügung von Todes wegen, nicht nur eine neben dem rechtsgeschäftlichen Tatbestand liegende Wirksamkeitsvoraussetzung. Das ist bei letztwilligen Verfügungen so, aber auch bei vertragsmäßigen wie bei wechselbezüglichen Anordnungen in einem gemeinschaftlichen Testament. Die Bindung des Vertragserblassers besteht ausschließlich zwischen ihm und dem Vertragsgegner, und die Bindung an eine wechselbezügliche Verfügung wird nur im Verhältnis der Ehegatten zueinander begründet. Keine Bindung besteht im Verhältnis des Erblassers zum Vertragserben und zum Schlußerben. Weder der Erbvertrag, der einen Dritten begünstigt, noch die wechselbezügliche Bedenkung Dritter in einem gemeinschaftlichen Testament ist ein Vertrag zugunsten Dritter 3 . Aus der Zuwendung, sei es Erbeinsetzung oder Vermächtnis, folgt kein Recht des Bedachten zu Lebzeiten des Erblassers. Auch wenn der Vertragsgegner selbst bedacht worden ist, gründet die rechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten nur in dem Umstand, daß sie das Rechtsgeschäft einvernehmlich vorgenommen haben, nicht in seinem sachlichen Inhalt: Die Bindung bezieht sich somit nicht auf den Gegenstand der Zuwendung, auch wenn der Erblasser sein ganzes Vermögen nur gegenständlich vergeben hat. Der Vertragsgegner nimmt deshalb, auch wenn er persönlich bedacht worden ist, nicht die Zuwendung an, sondern lediglich die rechtsgeschäftliche Erklärung, mit der Folge, daß der Erblasser nur an den rechtsgeschäftlichen Erklärungstatbestand gebunden wird; ein Verpflichtungsgrund für die Zuwendung wird damit nicht geschaffen. Da beim gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament eine Annahme überhaupt nicht erforderlich ist, tritt hier die Beschränkung der Bindung des Uberlebenden auf die Erklärung als solche noch klarer zutage. Daß sich die Bindung zwischen den Vertragschließenden und den gemeinschaftlich testierenden Ehegatten für den Bedachten günstig auswirkt, ist nur ein Reflex, der von den Beteiligten gewollt ist, aber nur von ihrem Interesse getragen wird. Sie haben es in der Hand, die vertragliche Regelung wieder aufzuheben oder abzuändern; beim gemeinschaftlichen Testament kommt sogar eine einseitige Aufhebung der Bindung des Überlebenden durch letztwillige Verfügung des Vorverstorbe3
B G H Z 12, 115 (119).
Die Sicherung des erbvertraglich oder letztwillig bindend Bedachten
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nen in Betracht. Es bedarf in diesem Falle keines Widerrufes in den Formen des § 2296 BGB. Da keine vertraglichen Beziehungen zwischen den Ehegatten bestehen, ist die Zustimmung des anderen Teils nicht erforderlich. Der Uberlebende kann sogar noch nach dem ersten Erbfall durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten völlige Verfügungsfreiheit erlangen. Ein Erbvertrag kann zwar nur durch die Vertragschließenden aufgehoben werden (§ 2290 Abs. 1 BGB), aber es ist nicht stets ein notariell zu beurkundender Aufhebungsvertrag erforderlich; Ehegatten können ihn durch gemeinschaftliches Testament aufheben. Es genügt in diesem Falle die bloße Billigung der aufhebenden Verfügung des einen Teils durch den anderen Teil. Bedeutet Bindung somit in ihren Grenzen nicht mehr als Unwiderruflichkeit der rechtsgeschäftlichen Erklärung bei fehlender Zustimmung des Vertragsgegners oder des anderen Ehegatten, so verflüchtigt sich die Stellung des Bedachten in allen Fällen, trotz Bindung des Erblassers, zu einer bloßen Aussicht auf erbrechtlichen Erwerb; ein Rechtsverhältnis ist nicht erkennbar. 2. Aber auch diese Bindung, die nur eine rechtlich geregelte Beziehung unter den Vertragschließenden oder den gemeinschaftlich testierenden Ehegatten herbeiführt, ist alles andere als fest gefügt. Der gebundene Erblasser kann zwar nur unter sehr engen Voraussetzungen die Verfügung aufheben, nämlich bei Vorliegen eines Pflichtteilsentziehungsgrundes (SS 2294, 2271 Abs. 2 S. 2; S 2336 BGB), aber er ist außerdem ohne Einschränkung zur Anfechtung nach den Vorschriften der SS 2078, 2079 BGB befugt. S 2281 Abs. 2 BGB sieht nach dem Tod des Vertragsgegners lediglich vor, daß die Anfechtung dem Nachlaßgericht gegenüber zu erklären ist, das seinerseits den Bedachten, der nicht Vertragspartei war, hiervon in Kenntnis setzen soll. Diese Regelung wird auch auf das gemeinschaftliche Testament bezogen4. Damit hat der gebundene Erblasser die Möglichkeit, die Verfügung zu vernichten, wenn seine Annahmen und Erwartungen, die ihn zu seiner Verfügung veranlaßt haben, nicht vorlagen oder in der Zukunft nicht eintreten (S 2078 Abs. 2 BGB). Schließlich verliert die Stellung des Erbanwärters noch dadurch jedes Gewicht, daß dem Erblasser die Freiheit zur Verfügung über sein Vermögen und die einzelnen Vermögensgegenstände bleibt (S 2286 BGB). Er kann das Vermögen aufbrauchen oder veräußern, einen vermachten Gegenstand belasten, beschädigen oder vernichten, ihn trifft keine Erhaltungspflicht gegenüber dem Bedachten. Dem entspricht es, daß Vertragserbe und Vertragsvermächtnisnehmer wegen der beeinträchtigenden Maßnahmen keine Rechte auf Ausgleich gegen den Erblasser haben. 4
B G H Z 3 7 , 331 (334).
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Unter diesen Voraussetzungen ist auch die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung eines Erbrechts und die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in Hinsicht auf den Nachlaß eines noch Lebenden ausgeschlossen. Ungeachtet dessen hat die Rechtsprechung in verschiedenen Zusammenhängen solche Klagen zugelassen. II. Begrenzte Zulässigkeit von Feststellungsklagen unter den Vertragschließenden und Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament 1. Außer Zweifel steht jedenfalls, daß der Erbvertrag ein Rechtsverhältnis zwischen den Vertragschließenden knüpft. Die Erklärungen des Erblassers bedürfen der Annahme durch den Vertragsgegner; damit wird die Bindung hergestellt. Soweit Ungewißheit über den Bestand des Vertrags besteht, ist deshalb eine Feststellungsklage nach § 256 Z P O zuzulassen, aber nur insoweit, als die Behauptung äußerer Mängel Zweifel über die Wirksamkeit des Vertrags begründet 5 . In Betracht kommen die Einwände der Geschäftsunfähigkeit, eines Formverstoßes, die Erklärungen der Anfechtung wegen eines Willensmangels und des Rücktritts. Fraglich ist allerdings, ob alle Nichtigkeitsgründe zu den äußeren Mängeln einer Verfügung von Todes wegen gehören. Der Einwand der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) oder des Gesetzesverstoßes (§ 134 BGB) wird häufig nicht ohne Eingehen auf den sachlichen Inhalt der Verfügung zu beurteilen sein. Aber er stellt ihren Bestand in Frage, und das ist entscheidend. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils bezieht sich überdies nicht auf die Gründe der Entscheidung; mit ihr wird nicht im Vorgriff der sachliche Inhalt einer Verfügung für die Beteiligten bindend festgelegt. In diesen Fällen kann der Erblasser, zumal das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung evident ist, negative Feststellungsklage erheben. O b auch der Vertragsgegner positive Feststellungsklage erheben kann, läßt sich allerdings nicht mit gleicher Eindeutigkeit sagen. Dafür spricht, daß jeder Partei eines Rechtsverhältnisses bei Rechtsungewißheit die Klagemöglichkeit eingeräumt werden muß; Bedenken bestehen jedoch deshalb, weil das rechtliche Interesse fehlt, wenn dem Vertragsgegner erbvertraglich nichts zugewendet worden ist, sondern einem Dritten. Der bedachte Dritte steht in diesem Fall außerhalb des Rechtsverhältnisses und ist schon deshalb nicht klagebefugt. Das Ergebnis be5
Das wird heute überwiegend in Rspr. und Lehre anerkannt; B G H Z 37, 331; RG H R R 1928 Nr. 843; O L G Düsseldorf ZEV 1994, 171; MünchKomm/Iqpo/W, BGB 2 , § 1922 Rdn. 80; M ü n c h K o m m / A f « « ^ , BGB 2 , §2286, Rdn. 7; AK-Finger, BGB, §2286 Rdn. 7; Soergel/Wolf, BGB' 2 , §2286 Rdn. 2; RGRKJ Kregel, BGB12, § 2281 Rdn. 5; Jauernig/ Stürner, BGB 6 , §2286, 1; Hohmann, ZEV 1994, 133 (134); a. A. Lange, NJW 1962, 1571 (1573); ihm folgend Staudinger/Kanzleiter, BGB12, § 2281 Rdn. 81.
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friedigt nicht. Es kann nicht entscheidend sein, ob dem Vertragsgegner oder einem Dritten etwas zugewandt worden und wie stark gegebenenfalls das Interesse des Vertragsgegners an der Zuwendung an Dritte ist, etwa wenn es sich um seine Kinder oder den Ehegatten oder entferntere Verwandte handelt. Der Vertragsgegner repräsentiert jedenfalls auch das Interesse des Bedachten und kann deshalb im Drittinteresse klagen 6 . Beim gemeinschaftlichen Testament fällt die Begründung schwerer, weil vertragliche Beziehungen fehlen; aber die Gemeinschaftlichkeit und die Wechselbezüglichkeit schaffen, ungeachtet der rechtlichen Selbständigkeit der Verfügungen, ein Rechtsverhältnis unter den Beteiligten, so daß ebenfalls die negative bzw. positive Feststellungsklage durch den einen oder anderen Ehegatten zuzulassen ist. Der Ehegatte, der den Bestand der Verfügung von Todes wegen in Frage stellt, kann nicht auf sein Widerrufsrecht verwiesen werden; denn der Widerruf zerstört die auf der Gemeinschaftlichkeit der Errichtung beruhende Regelung ohne weiteres (§ 2270 Abs. 1 BGB), während die Feststellungsklage nur auf Beseitigung der Ungewißheit gerichtet ist. 2. Der erbvertraglich oder durch gemeinschaftliches Testament Bedachte steht hingegen in keinen rechtlichen Beziehungen zum Erblasser, sofern er nicht bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen mitgewirkt hat. Er hat zwar ein erhebliches Interesse daran, daß ihr Bestand nicht in Frage gestellt wird, aber dieses Interesse wird nur im Rahmen eines bestehenden Rechtsverhältnisses geschützt. Das Prozeßrecht ist jedenfalls nicht das geeignete Mittel, die materiellrechtliche Lage wegen des unter Umständen großen wirtschaftlichen Interesses des Bedachten zu verändern; das geschieht jedoch, wenn die Verfügung von Todes wegen als eine Regelung rechtlicher Beziehungen zwischen Erblasser und Bedachtem angesehen wird, um in der Form des Feststellungsurteils Rechtsschutz zu gewähren 7 . Dann wird vom wirtschaftlichen Interesse auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses geschlossen 8 . Besteht eine
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Α. A. Lange, N J W 1963, 1574. Beim gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament gründet das Rechtsschutzinteresse in der gewollten Abhängigkeit der Verfügungen, so daß es auch dann besteht, w e n n nicht der Ehegatte, sondern n u r ein Dritter bedacht w o r d e n ist. 7 So nach B G H Z 37, 331 (334); kritisch dazu auch Michaelis, FS Larenz (1983) S. 443 (449 Fn. 11). D e m B G H folgend ist die Feststellungsklage des Bedachten zulässig nach M. von Ebenroth, E r b R (1992) R d n . 234; Palandt/Edenhof er, B G B " , § 2 2 6 9 Rdn. 11; Jauermg/Stiirner, BGB 6 , § 2269 A n m . 5; M.ünc\úLomm/Musielak, BGB 2 , § 2269 R d n . 37; Hohmann, Z E V 1994, 133 (135). 8 A u c h der U m s t a n d , daß nach d e m T o d des Erblassers eine der wichtigsten Ausk u n f t s p e r s o n e n wegfällt und damit die A u f k l ä r u n g erschwert wird, ist z w a r von g r o ß e m Interesse f ü r den Bedachten, aber noch kein G r u n d , die Feststellungsklage zuzulassen; a. A. Hohmann, Z E V 1994, 133 (135).
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Bindung nur im Verhältnis der vertragschließenden und der gemeinschaftlich testierenden Ehegatten zueinander, so kann sie nicht ohne weiteres auf außenstehende Dritte bezogen werden; und schützen die §§ 2287, 2288 BGB den Bedachten unter bestimmten Voraussetzungen, so ergibt sich klar aus der gesetzlichen Regelung, daß zwischen ihm und dem Erblasser gerade keine Rechtsbeziehung besteht, sondern zu Lebzeiten des Erblassers allenfalls eine solche zum beschenkten Dritten 9 . Auch dann, wenn sich der Erblasser über die Erwartungen und Interessen des Bedachten offensichtlich hinwegsetzt, kann dieser keine Rechtsbehelfe gegen ihn ergreifen; der Erblasser handelt weder deliktisch noch sittenwidrig, auch wenn er in Beeinträchtigungsabsicht sein Vermögen verschleudert10. Gegen ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Dritten spricht schließlich auch, daß der Bedachte über die Zuwendung zu Lebzeiten des Erblassers nicht in Kenntnis gesetzt zu werden braucht. Ein Dritter kann aber nicht ohne seine Mitwirkung und sein Mitwissen in eine rechtliche Regelung einbezogen werden, selbst wenn sie ihn begünstigt. Der Vertrag zugunsten Dritter ist eine Ausnahme und bekanntlich nur im Hinblick auf § 333 BGB zu rechtfertigen. Die Rechtslage ändert sich nicht dadurch, daß die Verfügung von Todes wegen im Einzelfall mit Wissen oder sogar im Einverständnis mit dem Erbprätendenten errichtet worden ist. 3. Uber den sachlichen Inhalt einer Verfügung von Todes wegen kann zu Lebzeiten des Erblassers hingegen weder von diesem noch vom Vertragsgegner und ebensowenig unter Ehegatten, die gemeinschaftlich testiert haben, eine Feststellungsklage erhoben werden. Die Bindung erstreckt sich nicht auf die Zuwendung als solche, ja kann sich auf diese gar nicht erstrecken, da ihr Erfolg von einer Mehrzahl außerhalb der Verfügung liegender Voraussetzungen abhängt. Der Bedachte muß zur Zeit des Erbfalls leben (§ 1923 Abs. 1 BGB), er darf nicht ausschlagen, nicht erbunwürdig sein, die Verfügung kann durch Rücktritt oder Anfechtung beseitigt werden. In tatsächlicher Hinsicht können Veränderungen eintreten, die sich auf den Inhalt der Verfügung auswirken. Daß auch ein Dritter, der bedacht worden ist, eine den sachlichen Inhalt betreffende Feststellung nicht begehren kann, folgt bereits aus der fehlenden vertraglichen Beziehung zum Erblasser. Können aber sogar die Parteien des Rechtsverhältnisses insoweit keinen Rechtsschutz erlangen, so gilt das um so mehr für den Bedachten.
' Dazu u. V; a. A. BGH2 37, 331; OLG Karlsruhe FamRZ 1989, 1351 (1352). MünchKomm/Musielak, BGB2, § 2286, Rdn. 2.
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4. Die rechtlichen Beziehungen zwischen Erblasser und Bedachtem werden allerdings gelegentlich auf die Anwartschaft des Erben oder Vermächtnisnehmers bei bindenden Verfügungen des Erblassers gestützt". Sofern die Anwartschaft mehr sein soll als eine bloße Erbchance, fehlen jedoch auf erbrechtlichem Gebiet die ein Anwartschaftsrecht prägenden Voraussetzungen, insbesondere ist eine hinreichend gesicherte Rechtsstellung nicht feststellbar. Diese hat lediglich der Nacherbe - demnach auch der Vertragsnacherbe nach Eintritt des Erbfalls, also nicht zu Lebzeiten des Erblassers - mit den bekannten Attributen: Ubertragbarkeit, Pfändbarkeit und Verpfändbarkeit. Vertragserbe und Vertragsvermächtnisnehmer sind aber nicht Inhaber einer entsprechenden Rechtsstellung. Wenn dem Schlußerben dagegen eine solche gelegentlich zuerkannt wird, dann fehlt hierfür eine plausible Begründung 1 2 . Die Bindung des überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament gründet ausschließlich im Rechtsverhältnis z u m Verstorbenen, wie die erbvertragliche Bindung auf dem Verhältnis z u m Vertragsgegner beruht. D a ß die Bindung beim gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testament erst im Zeitpunkt des Todes des Erstverstorbenen eintritt, ändert nicht ihre Richtung; sie bleibt auf den Ehegatten bezo-
" Anwartschaftsrecht des Vertragserben bejahen: Knieper, D N o t Z 1968, 331 (334); Mattern, B W N o t Z 1962, 229 (234), sofern der Bedachte selbst Vertragspartei ist; Raiser, Dingliche Anwartschaften (1961) S. 8, wenn eine Vertragspartei verstorben ist; v. Liibtow, ErbR. Bd. 2 S. 627, lehnt zwar ein Anwartschaftsrecht ab, bejaht indessen eine rechtlich gesicherte Anwartschaft. Anwartschaftsrecht des Vertragserben verneinen: Staudinger/Kanzleiter, BGB' 2 , Vor §2274 Rdn. 5; MünchKomm/AÍ«í/e¿jfc, BGB 2 , § 2286 Rdn. 3; Soergel/Wolf, BGB12, § 2286 Rdn. 2 (Anwartschaft, kein Anwartschaftsrecht); RGRK/Ärege/, BGB' 2 , Vor §2274 Rdn. 5; AK-Finger, §2286 BGB Rdn. 4; Erman/Schmidt, BGB', § 2286 Rdn. 3; Palandt/Edenhof er, BGB", Vor § 2274 Rdn. 6; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag 2 , Vor § 2274 BGB Rdn. 4; Lange/Kuchinke, ErbR 5 , § 37 II 2 d (Fn. 57, 63); Schlüter, ErbR' 2 , § 25 II 2; Brox, ErbR", Rdn. 144; Lange, NJW 1963, 1571 (1573). Ein Anwartschaftsrecht des Vertragsvermächtnisnehmers wird wegen seiner schwächeren Stellung (vgl. § 2269 BGB) verneint; B G H Z 12, 115 (118); B G H N J W 1958, 547; 1962, 1910 (1911). Dagegen wird ein Anwartschaftsrecht (gegenwärtige, gesicherte Rechtsstellung), zumindest eine Anwartschaft des Schlußerben überwiegend bejaht; B G H Z 37, 319 (322) = B G H NJW 1962, 1910, 1911 (obiter); O L G Düsseldorf NJW 1957, 266; KG O L G E 21, 362; Jauemig/Sturner, BGB 6 , § 2269 Anm. 5; Palandt/Edenhofer, BGB", §2269 Rdn. 11; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag 2 , § 2269 BGB Rdn. 28; Schlüter, ErbR' 2 , § 26 VII 5a; a. A. Erman/Schmidt, BGB', § 2269 Rdn. 1; Staudinger/Kanzleiter, BGB' 2 , § 2269 Rdn. 14 empfehlen, den Ausdruck Anwartschaft zu vermeiden. In der Tat wird der Ausdruck nicht in einem einheitlichen Sinne gebraucht und kann deshalb Verwirrung stiften. Dem Schlußvermächtnisnehmer ist jedenfalls im Hinblick auf § 2269 BGB kein Anwartschaftsrecht zuzuerkennen. 12 Vgl. Lange, NJW 1963, 1571 (1573). Der B G H neigt (in B G H Z 37, 319 [322]) dazu, ein Anwartschaftsrecht anzuerkennen, obgleich die Bindung des überlebenden Ehegatten schwächer ist als diejenige des Vertragserblassers.
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gen. Wollte man aber aus der Notwendigkeit eines Erbverzichts nach § 2352 B G B oder der Möglichkeit eines Schuldvertrags über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil nach § 312 Abs. 2 S. 1 B G B das Bestehen eines Rechtsverhältnisses folgern, so müßte diese Folgerung einerseits auch für den Erbvertrag gezogen werden; andererseits werden durch den Erbverzicht überhaupt keine gegenwärtigen Rechte aufgegeben, sondern es wird lediglich der Berufungsgrund beseitigt, und der Verpflichtungsvertrag unter gesetzlichen Erben bezieht sich auf bloß mögliche künftige Erbrechte. Den vertragsmäßig oder durch gemeinschaftliches Testament Bedachten, die am Errichtungsakt nicht beteiligt waren, fehlt danach die Befugnis, bei Ungewißheit des Bestandes der Verfügung zu Lebzeiten des Erblassers gegen diesen Feststellungsklage zu erheben. Uber den sachlichen Inhalt der Verfügung kann ohnedies keiner der Beteiligten Rechtsschutz in Form einer Feststellungsklage begehren. 5. Stirbt der Vertragsgegner vor dem Erblasser, so folgt daraus, daß zu Lebzeiten des Erblassers die Ungewißheit über den Bestand der Verfügung von Todes wegen nicht mehr beseitigt werden kann. In gleicher Weise wäre beim gemeinschaftlichen Testament nach dem ersten Erbfall eine Klärung durch richterliches Feststellungsurteil nicht mehr möglich. Das gilt aber nur für die Person des Bedachten; er tritt nicht in die Rechte des verstorbenen Vertragsgegners bzw. Ehegatten ein. Weder die Ausschlagung der Erbschaft durch den überlebenden Ehegatten mit dem Ziel, die Verfügungsfreiheit nach § 2271 Abs. 2 S. 1 B G B zu erlangen, noch die Anfechtung der bindenden Verfügung durch den Erblasser nach den Vorschriften der §§ 2278, 2279 B G B berechtigen den Schlußerben oder Schlußvermächtnisnehmer bei Streit über den Fortbestand der Verfügung, den Erblasser mit einer Feststellungsklage zu überziehen. Ausgeschlossen ist diese Rechtsschutzform ferner, wenn Ungewißheit über die Erbfolgeordnung besteht, ob Vor- und Nacherbschaft angeordnet oder der Überlebende als Vollerbe eingesetzt worden ist13, ob die nachträglich errichtete Verfügung wegen der Bindung an die frühere unwirksam ist. Das gilt aber nicht für die Person des Erblassers. Berühmt sich jemand künftiger Erbrechte auf der Grundlage einer Verfügung von Todes wegen, so ist dem Erblasser, der diese Rechte bestreitet, Rechtsschutz zu gewähren, und zwar aus zwei Gründen. Einmal fallen alle erbrechtlichen Bedenken weg, die einer Klage gegen den Erblasser entgegenstehen; der Streit betrifft nicht den Nachlaß des Gegners. Zum anderen ist das Vorgehen des Erblassers nur auf Abwehr gerichtet. Er be13 R G H R R 1928 N r . 843 läßt in diesem Falle eine Feststellungsklage gegen den künftigen Miterben zu. Verständlich ist dies nur, wenn man dem Schlußerben eine Anwartschaft einräumt, die der Rechtsstellung der Miterben nach dem Erbfall entspricht; dazu u. I V .
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gehrt die Feststellung, daß der Beklagte aus der früheren Verfügung keine Rechte als eingesetzter Schlußerbe oder Nacherbe erworben hat. Da die negative Feststellungsklage voraussetzt, daß ein Rechtsverhältnis gerade nicht besteht, erübrigen sich Erörterungen über die Natur der Beziehungen zwischen Bedachtem und Erblasser. Das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung ergibt sich dabei schon daraus, daß der Erblasser in der Lage sein muß, seine Vermögensverhältnisse ohne Vorbehalt neu zu ordnen. Hat der Erblasser ζ. B. eine in einem gemeinschaftlichen Testament verfügte bindende Erbeinsetzung angefochten, nachdem er sich wiederverheiratet hatte, und bestreitet der eingesetzte Schlußerbe die Wirksamkeit der Anfechtung, so ist der Erblasser schon deshalb an einer Klärung interessiert, weil er Vorsorge für seinen Ehegatten treffen muß 14 . Das rechtliche Interesse kann auch aus Rechtsbeziehungen zu Dritten begründet werden. 6. Eine andere Beurteilung erscheint lediglich beim entgeltlichen Erbvertrag angebracht. In diesem Falle steht die vertragliche Zuwendung mit den Verpflichtungen des Bedachten in einem Austauschverhältnis 15 . Auch wenn man sich scheut, ein Verhältnis der Gegenseitigkeit anzuerkennen, so liegt doch zumindest eine konditionale oder kausale Verknüpfung vor. Damit wird ein Rechtsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Bedachten, der sich zu Leistungen an den Erblasser oder an Dritte verpflichtet hat, begründet; besteht Ungewißheit über seinen Bestand, die von der einen oder anderen Seite zu vertreten sein mag, ist es einer richterlichen Feststellung nach § 256 Z P O zugänglich. Der sich zu Entgeltleistungen verpflichtende Bedachte wird indessen regelmäßig Vertragsgegner sein, so daß er schon deshalb befugt ist, Feststellungsklage zu erheben. Das Problem spitzt sich deshalb auf die Frage zu, ob nicht wenigstens bei vertraglichen Zuwendungen, die mit Leistungen des Bedachten in einem Austauschverhältnis stehen, die Feststellungsklage auch bei Streit über den sachlichen Inhalt der Verfügung erhoben werden kann. Verpflichtet sich der Vertragsgegner zu Leistungen schon zu Lebzeiten des Erblassers, so tut er dies im Hinblick auf bestimmte erbvertragliche Zuwendungen. Entsteht Streit über ihren Inhalt oder Umfang, so wird das Interesse des Leistungspflichtigen unmittelbar betroffen. Trotzdem kommt Rechtsschutz in Form eines Feststellungsurteils nicht in Betracht. Die Entgeltlichkeit des Erbvertrags verändert nicht seine Rechtsnatur. Im Austausch stehen nicht die Leistungen des Vertragsgegners mit dem Gegenstand der Zuwendung, sondern mit der eine Erbchance begründenden erbvertraglichen Regelung, die nicht ohne
" Vgl. den Fall O L G Dresden O L G Rspr. Bd. 30, S. 226. 15 Hierauf verweist Hobmann, Z E V 1994, 133 (135) zu Recht.
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weiteres umgestoßen werden kann. Einigen sich die Beteiligten über den Inhalt, so ist der Auslegungsvertrag wegen seines einem Vergleich nahe kommenden Inhalts notariell zu beurkunden. Ist keine Einigung zu erzielen, so kann dies zu Störungen führen, die gegebenenfalls den Bestand des Erbvertrags gefährden; der Streit kann in einer Anfechtung (§ 2281 Abs. 1 BGB) oder einem Rücktritt (§§ 2294, 2295 BGB) gipfeln. In diesem Falle ist die Feststellungsklage, wie dargelegt, ohne weiteres zulässig; sie beschränkt sich jedoch auf die Frage, ob der Erbvertrag wirksam ist oder nicht. Führt der außergerichtliche Streit zwischen Erblasser und Vertragsgegner über den sachlichen Inhalt zu keinem Ergebnis, so kann er gegebenenfalls erst nach dem Tode des Erblassers im Erbscheinsverfahren oder im Feststellungsprozeß unter den Erbbeteiligten entschieden werden. Hinsichtlich des Verpflichtungsvertrages, auf den sich der Vertragsgegner eingelassen hat, entfallen hingegen die auf dem Erbrecht beruhenden Beschränkungen; die Feststellungsklage des Erblassers oder des Vertragsgegners kann sich auch auf den sachlichen Inhalt der Regelung beziehen. III. Sicherung durch Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Eine Sicherung der Erwerbsaussicht des vertraglich Bedachten durch Arrest oder einstweilige Verfügung (§ 935 ZPO) ist schon deshalb ausgeschlossen, weil sich ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis nicht auf die erbrechtliche Zuwendung stützen läßt, die zukünftige Rechtsstellung als Erbe oder Vermächtnisnehmer aber nicht Gegenstand einer Sicherung durch Arrest oder einstweilige Verfügung sein kann. Zulässigkeitsvoraussetzung ist, daß ein betagter oder bedingter Anspruch besteht (§§ 936, 916 Abs. 2 ZPO). Das ist nicht der Fall. Ausgeschlossen wäre außerdem die Anordnung der Klageerhebung (§ 926 ZPO); denn ein klagbarer Anspruch steht dem Bedachten nicht zu. Unstreitig kommt auch eine Vormerkung nicht in Betracht, wenn dem Vertragsvermächtnisnehmer ein Grundstück zugewandt worden ist, zumal es sich um künftige Verpflichtungen des Erben und nicht solche des Erblassers handelt 16 . Möglich ist allenfalls der Umweg, durch einen Verfügungsunterlassungsvertrag schuldrechtliche Ansprüche zu begründen, die einer Sicherung zugänglich sind. Eine Vormerkung ist jedoch auch hier ausgeschlossen, weil ein zu sichernder Anspruch auf Einräumung oder Aufhebung eines Rechts durch die Verpflichtung zur Unterlassung nicht begründet wird; ein Veräußerungsverbot aufgrund einstweiliger Ver" Heute unstreitig, Β GHZ 12, 115; BGH NJW 1961, 1915 (1916); BGH FamRZ 1967, 470; BayObLGZ 1953, 226 (230); OLG Frankfurt NJW 1953, 1848; Staudinger/Kanzleiter, BGB 12 , § 2286 Rdn. 7; Staudinger/Gursky, BGB' 2 , § 883 Rdn. 50; Hieber, DNotZ 1953, 635; 1954, 269; 1958, 306; Buchholz, Jura 1989, 393.
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fügung nach § 938 Abs. 2 Z P O , das im Grundbuch eingetragen werden könnte, wird jedoch überwiegend zugelassen17. Gegen diese Rechtsauffassung wurden schon früher 18 und werden verstärkt in neuerer Zeit 19 Bedenken erhoben. Im wesentlichen beruft man sich darauf, daß dem Antragsteller durch eine einstweilige Verfügung mehr zugesprochen würde, als er durch ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil erreichen könnte; denn die verbotswidrige Verfügung kann auf diesem Wege unmittelbar unterbunden werden. Bedenken lassen sich außerdem auf § 137 Abs. 1 B G B stützen, da im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes der Erfolg erreicht werden könnte, den diese Vorschrift gerade verhindern will. Auf der anderen Seite läßt das Gesetz zu, daß sich jemand zur Unterlassung einer Veräußerung verpflichtet. Kann aber eine entsprechende Leistungspflicht begründet werden, so muß dem Gläubiger auch das Recht auf einstweiligen Rechtsschutz zuerkannt werden. Das ergibt sich aus dem Justizgewährungsanspruch 20 . Daß der Antragsteller in diesem Verfahren mehr erreicht als im Hauptsacheverfahren, widerspricht nicht dem Gedanken bloßer Sicherung seines Anspruchs, wenn dieser in keiner anderen Weise erreichbar ist. IV. Unzulässigkeit von Feststellungsklagen zwischen den erbrechtlich Bedachten Die Zulässigkeit von Feststellungsklagen unter Miterben, Vor- und Nacherben oder Vermächtnisnehmern und Beschwerten hängt in erster Linie davon ab, ob man ihnen aufgrund der erbvertraglichen oder testamentarischen Regelung bereits eine schutzwürdige Rechtsstellung zuerkennen kann. Wer so weit geht, nur einen Tatbestand zu fordern, der irgendwelche Wirkungen zeitigt, ohne diese Wirkungen in das Gesamtgefüge des Erbrechts einzuordnen, wird ohne Zögern ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Z P O bejahen. Dann stellen sich aber noch weitere Fragen. Räumt man dem Schlußerben und Schlußvermächtnisnehmer ein Anwartschaftsrecht oder wenigstens eine Anwartschaft ein, die mehr 17 B G H D N o t Z 1962, 497 (499); O L G Stuttgart B W N o t Z 1959, 70; Staudinger/Kanzleiter, BGB' 2 , § 2 2 8 6 Rdn. 16; UünchKomm/Musielak, BGB 2 , § 2 2 8 6 Rdn. 12; Soergel/ Wolf, BGB' 2 , § 2286 Rdn. 5; Johannsen, D N o t Z 1977, Sonderheft S. 69 /79); Stein/Jonas/ Grunsky, ZPO 2 0 , § 935 Rdn. 5. 18 Oertmann, Recht 1916, 57 (63). " Fleischmann, Lebzeitige Verfügungsfreiheit bei erbrechtlicher Bindung (verk. Tit.), Diss. Bayreuth (1989), S. 290 ff; W. Lüke, Vertragliche Störungen beim „entgeltlichen" Erbvertrag, Diss. Heidelberg (1990), S. 70 f; Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen im Rahmen eines entgeltlichen Erbvertrags, Diss. Würzburg (1993) S. 202 ff; auch Lange, N J W 1963, 1571 Fn. 53; Furtner, N J W 1966, 182 (183). 20 Zur Begründung der Notwendigkeit von Eilverfahren Stein/Jonas/Crunsky, ZPO", Vor § § 9 1 6 Rdn. 1.
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ist als eine bloße Erwerbsaussicht 21 , so ergeben sich daraus auch im Verhältnis zu den Mitbedachten wichtige Folgen. Sie stehen damit bereits zu Lebzeiten des Erblassers in Rechtsbeziehungen, die denen nach Eintritt des Erbfalls, wenn auch in verblaßter Form, gleichartig sind. Vermacht der Uberlebende z. B. einem Miterben nach dem ersten Erbfall ein Grundstück in Gestalt eines Vorausvermächtnisses, so würde hierdurch bereits die Anwartschaft des anderen Miterben beeinträchtigt; eine Feststellungsklage könnte sich schon auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis beziehen. Diese Anwartschaft müßte übrigens auch Gegenstand eines Verpflichtungsvertrages nach §312 Abs. 2 S. 1 BGB sein können, nachdem der B G H Vereinbarungen unter gesetzlichen Erben auch im Hinblick auf Zuwendungen durch Verfügung von Todes wegen zuläßt 22 und im Wortlaut der Vorschrift „gesetzlicher Erbteil" nur eine quantitative Begrenzung erblickt. Damit wäre jedoch der Streit unter den Erbbeteiligten einerseits im wesentlichen ein Streit über den sachlichen Inhalt der Verfügung von Todes wegen und nicht über ihren Bestand; zu Lebzeiten des Erblassers soll dieser Streit jedoch ausgeschlossen sein. Der Bestand der beeinträchtigenden Verfügung, im Beispielsfall das Vorausvermächtnis, kann aber andererseits schon deshalb nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein, weil es sich insoweit um keine bindende Verfügung des Erblassers handelt. Die Unzulässigkeit einer Feststellungsklage ergibt sich zudem aus folgenden Erwägungen. Nach §312 Abs. 1 BGB sind Verträge über den Nachlaß eines noch lebenden Dritten und über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlaß eines noch Lebenden nichtig. Das Prozeßrecht muß diesen Umstand berücksichtigen. Auch wenn das Ziel einer Feststellungsklage darauf gerichtet ist, Ungewißheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis zu beseitigen, so ist der Ausgang des Verfahrens vom Prozeßverhalten der Parteien abhängig. Infolge ihrer weitreichenden Dispositionsbefugnis und der den Prozeßausgang beeinflussenden prozessualen Verwirkungstatbestände gerät die Prozeßführung in Konflikt mit dem Schutzzweck des § 312 Abs. 1 BGB. Wie der Prozeß auch beendet werden mag, ob durch Vergleich oder Urteil, er schafft jedenfalls im Ergebnis eine Lage, die dem Normzweck widerspricht. Feststellungsklagen unter Erbbeteiligten, die sich auf den Inhalt des Erbvertrags oder des gemeinschaftlichen Testaments beziehen, sind somit auch dann ausgeschlossen, wenn der Vertragserblasser oder der überlebende Ehegatte beeinträchtigende Verfügungen von Todes errichtet23. 21 Das meint offenbar Soergel/Wolf, BGB 12 , § 2269, Rdn. 23, wenn er eine Anwartschaft bejaht, aber ein Anwartschaftsrecht verneint. 22 Β G H Z 104, 279 = JZ 1990, 601 m. Anm. Kuchinke. 25 Α. Α. Soergel/Wolf, BGB' 2 , § 2269, Rdn. 23. Die von Wolf angeführten Beispiele beziehen sich allerdings nicht nur auf Streitigkeiten unter Miterben.
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V. Zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage des Bedachten gegen Dritte 1. In Anbetracht der Freiheit des Erblassers, durch Rechtsgeschäft unter Lebenden über die Gegenstände seines Vermögens zu verfügen (§ 2286 B G B ) , ist die weitere Frage von größerer Bedeutung, ob der Anspruch des Vertrags- oder Schlußerben auf Herausgabe eines Geschenkes des Erblassers an Dritte (§ 2287 B G B ) zu Lebzeiten des Erblassers gesichert werden kann. Selbst bei unentgeltlichen Veräußerungen, die offensichtlich in Beeinträchtigungsabsicht vorgenommen werden, ist dem Bedachten jeder Schutz gegen Maßnahmen des Erblassers versagt. Das Verhalten des Erblassers mag zwar mißbräuchlich erscheinen, aber seine Rechtsmacht bleibt ungeschmälert, und ihre Ausübung widerspricht nicht den guten Sitten. Nachdem von der Rechtsprechung der Gesichtspunkt der Umgehungsnichtigkeit aufgegeben worden ist24, dem die Vorstellung zugrunde lag, daß die Übertragung der wesentlichen, zum künftigen Nachlaß gehörenden Vermögenswerte durch den Erblasser einer unzulässigen Verfügung von Todes wegen gleich steht, die die frühere Verfügung aushöhlt, kommt eine Nichtigkeit des Veräußerungsgeschäfts wegen Gesetzesverstoßes oder Sittenwidrigkeit (§§ 134, 138 B G B ) nicht mehr in Betracht. Damit entfällt jedoch eine wesentliche Folge der Umgehungsnichtigkeit. Verblieb der veräußerte Gegenstand nach früherer Auffassung im Vermögen des Erblassers, so geht er nunmehr in das Vermögen des Beschenkten über; dieser wird Berechtigter. Das O L G Düsseldorf hatte auf der Grundlage der früheren Rechtsauffassung in einem Urteil vom 24. 10. 1956 25 eine Klage des Bedachten gegen den beschenkten zukünftigen Miterben zugelassen, die darauf gerichtet war festzustellen, daß ein Grundstück im Vermögen des noch lebenden Erblassers verblieben ist. In diesem Zusammenhang hat es allerdings offengelassen, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Fall des § 2287 B G B zu beurteilen gewesen wäre. Diese Frage bedarf einer näheren Prüfung. 2. Gibt man, der neueren Auffassung folgend, den Gedanken der Umgehungs- oder Aushöhlungsnichtigkeit auf, so erwirbt der Beschenkte den veräußerten Gegenstand. Veräußerungen in Beeinträchtigungsabsicht entziehen den Vermögensgegenstand dem Vermögen des Erblassers somit endgültig. Aus diesem Grunde erhöht sich einmal die Gefahr des Verlustes für den Bedachten, zum anderen wird durch Sicherungsmaßnahmen, die gegen den Beschenkten ergriffen werden, nicht mehr der Erblasser betroffen. Damit fallen die Bedenken weg, die bestehen, 24 25
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wenn der Erbanwärter einen Rechtsstreit über den Nachlaß des noch lebenden Erblassers führen möchte. Es geht nur noch um die Sicherung des künftigen schuldrechtlichen Anspruchs auf Herausgabe nach § 2287 B G B , der sich ausschließlich gegen einen Dritten richtet. Zwar ist entscheidungserheblich ein Verhalten des Erblassers, aber alle zu entscheidenden erbrechtlichen Fragen sind lediglich Vorfragen im Feststellungsprozeß gegen den Beschenkten. Insoweit strebt der Bedachte keine Sicherung gegen den noch lebenden Erblasser an, die zu Recht allgemein abgelehnt wird 26 . Der Feststellungsantrag ist auch nicht mehr darauf zu richten, daß der Vermögensgegenstand im Vermögen des Erblassers verblieben ist, sondern daß der Kläger nach Eintritt des Erbfalls gegen den Beklagten Anspruch auf Übertragung des Vermögensgegenstandes, hilfsweise auf Zahlung eines Geldbetrages hat, der dem Wert des Gegenstandes entspricht 27 . Das O L G Koblenz hat in einer Entscheidung vom 14. 7.1987 2 8 deshalb zu Recht eine Feststellungsklage wegen eines nur noch vom Tod des Erblassers abhängigen Anspruchs des durch Schenkung beeinträchtigten Erben zugelassen. Zwar kann der Vertragserbe erst, nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist, Herausgabe des Geschenkes verlangen, aber nach Auffassung des Gerichts besteht bereits zu Lebzeiten des Erblassers ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Hinblick auf die sich aus § 2287 B G B ergebende unentziehbare Rechtsposition, die Schutz gegen lebzeitige Verfügungen gewähren soll. Dem ist aus folgenden Gründen beizupflichten. Der Grund des Bereicherungsanspruchs wird zwar durch den Erblasser gelegt, aber dem Beschenkten zugerechnet, gleichgültig ob dieser im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Erben gut- oder bösgläubig ist. § 2287 B G B enthält deshalb einen besonderen erbrechtlichen Bereicherungstatbestand 29 . Dieser Tatbestand ist bereits zu Lebzeiten des Erblassers verwirklicht, wenn auch der Anspruch selbst erst künftig, nach dem Anfall der Erbschaft, entsteht. Die Entstehung des Anspruchs auf den Erbfall hinauszuschieben, ist schon deshalb zweckmäßig, weil erst in diesem Zeitpunkt feststeht, ob der Vertragserbe auch tatsächlich Erbe geworden ist. Außerdem steht vorher nicht fest, ob der Erbe tatsächlich beeinträchtigt worden ist. Auch wenn der 26 Gegen die Veräußerung durch den Erblasser und den Erwerb durch den Dritten kann nicht durch einstweilige Verfügung (Veräußerungs- bzw. Erwerbsverbot) vorgegangen werden; O L G Koblenz M D R 1987, 935 (936); MändaK-oram-Musielak, BGB 2 , § 2286, Rdn. 6; Schlüter, ErbR' 2 , § 25 V 3 b. 27 Bei gemischter Schenkung ist nur der den Wert des Entgelts übersteigende Betrag maßgeblich. 28 M D R 1987, 935. 29 Nach h. M. handelt es sich nur um eine Rechtsfolgenverweisung; Soergel/Wolf, BGB 1 2 , § 2287 Rdn. 2.
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Erblasser offenkundig in Beeinträchtigungsabsicht gehandelt hat, so entfällt die Beeinträchtigung, soweit der Nachlaß auch bei Hinzurechnung des Geschenkes nicht ausreicht, um die Nachlaßverbindlichkeiten zu decken30; der Erbe hätte insoweit ohnehin weniger oder nichts im Erbgang erworben, wenn der Gegenstand im Vermögen des Erblassers geblieben wäre. Ungeachtet dessen wird mit der mißbräuchlichen Schenkung ein Rechtsverhältnis zwischen dem Vertragserben und dem Beschenkten begründet, aus dem künftige Ansprüche erwachsen, die nur noch vom Tod des Erblassers abhängig sind, einem zukünftigen Ereignis, das sicher eintreten wird, und deren Höhe sich nach der wirtschaftlichen Lage des Nachlasses bestimmt. Wenn sich aber der künftige Anspruch als Folge eines bestehenden Rechtsverhältnisses darstellt, so kann dem Bedachten der Rechtsschutz in Form einer Feststellungsklage nicht versagt werden31. 3. Das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung besteht deshalb, weil der Beschenkte als Berechtigter über die Gegenstände frei verfügen kann; er kann sie weiterveräußern oder belasten, so daß ihm rechtzeitig bewußt gemacht werden muß, daß er im Zeitpunkt des Erbfalls verpflichtet ist, dem Vertragserben bzw. dem Schlußerben den Vermögensgegenstand herauszugeben. Das Feststellungsinteresse ist ferner deshalb zu bejahen, weil spätestens ab Klageerhebung die verschärfte Haftung nach § 818 Abs. 4 B G B begründet wird.32 VI. Zur Zulässigkeit der Eintragung einer Vormerkung 1. Da Vertragserblasser und überlebende Ehegatten, die an ihre Verfügungen von Todes wegen gebunden sind, nicht selten zu Lebzeiten Grundstücke unentgeltlich an Dritte veräußern, stellt sich die Frage, ob der beeinträchtigte Erbe den Herausgabeanspruch aus § 2287 B G B durch Vormerkung (§ 883 B G B ) sichern lassen kann. Im Schrifttum wird die Frage der Vormerkungsfähigkeit nur unzulänglich behandelt. Musielak33 ist der Meinung, daß selbst bei ver-
B G H Z 108, 73 = N J W 1989, 2389 (2391). MünchKomm/Z.e!/>oW, BGB 2 , § 1922 Rdn. 80 meint, daß man diesen Anspruch nicht als feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ansehen sollte. Die Feststellungsklage ist zulässig nach V. Lübtow, ErbR Bd. 2, S. 623; Kipp/Coing, ErbR 1 4 , § 38 III Fn. 28; Baumbach/Lauterbacb/Albers/Hartmann, ZPO 5 2 , § 256 Anm. 5; Moser, Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage unter besonderer Berücksichtigung erbrechtlicher Streitigkeiten, Diss. Erlangen (1981) S. 344. 32 Vgl. v. Lübtow, ErbR Bd. 2, S. 623; Göller, Anwartschaften im Erbrecht, Diss. Tübingen (1964) S. 55; Strobal, ErbR Bd. 1, § 45 S. 370 Fn. 38; R G H R R 28 Nr. 843. " UünctíLomm/Musielak, BGB 2 , § 2286 Rdn. 6. 30 31
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schwenderischer Weggabe des Vermögens durch den Erblasser der Bedachte auf den erst nach dem Erbfall entstehenden Anspruch aus den §§ 2287, 2288 B G B angewiesen sei und daß er vorher gegen den Beschenkten weder einen Arrest noch eine einstweilige Verfügung erwirken könne. Das ist sicher richtig, soweit es sich um Ansprüche des Vertrags- oder Schlußvermächtnisnehmers handelt, die sich nur gegen den Erben oder bei Schenkungen vorrangig gegen den Erben richten, zweifelhaft ist diese Rechtsauffassung jedoch im Hinblick auf den Anspruch des Erben aus § 2287 B G B . Auf die Sicherung des Herausgabeanspruchs durch Vormerkung geht er in diesem Zusammenhang nicht ein. Auch Schlüter34 meint, daß der Erbe seine künftigen Ansprüche gegen den Beschenkten nicht sichern könne, zieht dabei aber offenbar nur Arrest und einstweilige Verfügung, nicht die Vormerkung in Betracht 35 . Kanzleiter36 ist der Meinung, daß eine Vormerkung ausgeschlossen sei, weil der Anspruch vor dem Erbfall nicht bestehe, auch nicht als bedingter. Dabei wird in der Begründung nicht klar zwischen der Beziehung des beeinträchtigten Erben zum Erblasser und zum Beschenkten unterschieden. O b ein Anspruch gegen den Erblasser besteht, ist aber gleichgültig für die Frage, ob für einen künftigen Anspruch gegen den Beschenkten im Zeitpunkt der Schenkung unter den Voraussetzungen des § 2287 B G B bereits der Grund gelegt ist. 2. Das K G hatte in einem Beschluß vom 29. 1. 1942 37 , der auf die Vormerkungsfähigkeit von Ansprüchen aus dem Erbvertrag einging, ausgeführt, daß solche Ansprüche im Verhältnis zu Dritten, „soweit sie überhaupt auf Übertragung des Eigentums an dem Grundstück ... gerichtet sind", nicht Gegenstand einer Vormerkung sein könnten; es erklärt in demselben Zusammenhang jedoch einschränkend, „und nicht lediglich auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung gerichtet sind Hier geht es lediglich um die Sicherung des künftigen Bereicherungsanspruchs gegen den Beschenkten. Als künftiger Anspruch ist er aber vormerkungsfähig (§ 883 Abs. 1 S. 2 B G B ) ; denn es kann nicht nur irgendwann in der Zukunft mit seinem Entstehen gerechnet werden. Er
ErbR 12 , § 25 V 3 b. Sicherung durch Arrest und einstweilige Verfügung wird überwiegend abgelehnt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich diese Meinung offenbar noch auf die Fälle der Aushöhlungsnichtigkeit bezieht. Dazu u. VII. Außerdem wird die Vormerkbarkeit verneint von MünchKomm/Waofee, BGB 2 , § 883 Rdn. 28; Palandt/Bassenge, BGB 53 , § 883 Rdn. 19; bejaht wird sie von Eckebrecht, Die Rechtstellung des erbrechtlichen Anwärters vor und nach dem Erbfall, Diss. Berlin (1991) S. 122 f; Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen, o. Fn. 19, S. 179 f. 36 Staudinger/Kanzleiter, BGB 12 , § 2287 Rdn. 18; s. auch Rdn. 6. 37 J F G 23, 148. 34
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hängt auch nicht von der Willkür des Verpflichteten ab38. Nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge kann damit gerechnet werden, daß er entsteht. Vorversterben des Bedachten, Erbunwürdigkeit und Ausschlagung, die zum Verlust des Erbrechts und damit des künftigen Anspruchs führen, sowie ein negativer Nachlaß, der das Geschenk aufgezehrt hätte, wenn es in ihm verblieben wäre, sind Umstände, die nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen; sie bleiben deshalb außer Betracht. Der Anspruch ist schließlich auch nach Inhalt und Umfang bestimmbar39, und seine Entstehung hängt nur noch davon ab, daß der Erblasser verstirbt und der Bedachte in diesem Zeitpunkt seine erbrechtliche Stellung nicht verloren hat. Da eine Feststellungsklage zuzulassen ist, weil der „Rechtsboden" für die Entstehung des Anspruchs bereits zu Lebzeiten des Erblassers gelegt ist, können gegen seine Vormerkungsfähigkeit keine durchgreifenden Bedenken erhoben werden. Mit der Bewilligung der Eintragung durch den Beschenkten wird allerdings in der Regel nicht zu rechnen sein; deshalb ist es zweckmäßig, die Eintragung im Wege einer einstweiligen Verfügung zu erwirken (§ 885 Abs. 1 BGB). Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, daß eine Gefährdung des zu sichernden Anspruchs durch Veräußerung oder Belastung des herauszugebenden Grundstückes nicht glaubhaft gemacht werden muß (§ 885 Abs. 1 S. 1 BGB). Ein Nachweis in Form der Glaubhaftmachung ist nur hinsichtlich des Anspruchs erforderlich (§ 920 Abs. 2 ZPO). Ungeachtet dieser Erleichterungen erscheint es jedoch geboten, daneben stets auch Feststellungsklage zu erheben, einmal im Hinblick auf die mögliche Anordnung der Klageerhebung nach § 926 ZPO, zum anderen, weil erst die richterliche Entscheidung über das Vorliegen einer mißbräuchlichen Rechtsausübung durch den Erblasser der Vormerkung eine weitgehend unangreifbare Grundlage gibt. Diese Rechte stehen jedoch nur dem Vertragserben und dem Schlußerben zu, nicht dem Vertrags- und Schlußvermächtnisnehmer. § 2288 BGB verstärkt einerseits den Schutz des Vermächtnisnehmers, aber er gibt ihm andererseits nur einen künftigen Anspruch gegen den Erben. Auch bei schenkweiser Weggabe des vermachten Gegenstandes durch den Erblasser steht ihm in erster Linie ein Ersatzanspruch gegen den J8
Erfordernis nach Staudinger/Gursky, BGB12, § 883 Rdn. 124; MünchKomm/Wac&e, BGB , § 883 Rdn. 24; Buchholz, Jura 1989, 393 (395 Fn. 35); O L G Hamm D N o t Z 1978, 356 (357); BayObLG D N o t Z 1978, 39 (40); KG D N o t Z 1972, 173 (174). " Bestimmbarkeit genügt (BGHZ 61, 209 [211] betr. Erbbauzins). Maßgeblich ist der Wert zur Zeit der Zuwendung unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftschwundes (BGHZ 82, 274 [278]); abzüglich des Wertes der Nachlaßverbindlichkeiten, die auch dann ungedeckt bleiben, wenn der Wert des Geschenkes dem Nachlaß hinzugerechnet wird. 2
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Erben zu; nur wenn er diesen nicht zu erlangen vermag, kann er Herausgabe vom Beschenkten verlangen. Wer Erbe wird, ist jedoch zu Lebzeiten des Erblassers noch ungewiß. Damit fehlt eine wesentliche Voraussetzung für die Feststellungsklage; sie kann sich zwar auf künftige Ansprüche beziehen, aber der Grund des Anspruchs muß bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung gelegt sein. Das ist nicht der Fall, solange Zweifel über die Person des Schuldners bestehen.
VII. Zur Zulässigkeit von Arrest und einstweiligen Verfügungen Eine Sicherung des Anspruchs aus § 2287 B G B im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu Lebzeiten des Erblassers wird überwiegend abgelehnt40. Wird jedoch, besonders im Hinblick auf die veränderte Rechtslage wegen der Aufgabe des Rechtsgedankens der Aushöhlungsnichtigkeit, eine Feststellungsklage zugelassen, so besteht ein schutzwürdiges Interesse des Klägers, den Anspruch gegen Verfügungen des Beschenkten über den empfangenen Gegenstand zu sichern41. Die Vorschriften der §§ 916 Abs. 2, 936 Z P O lassen Arrest und einstweilige Verfügungen allerdings nur bei bedingten und betagten Ansprüchen zu, während der Herausgabeanspruch des beeinträchtigten Erben ein künftiger Anspruch ist. Die Frage, ob es sich um einen betagten oder bloß künftigen Anspruch handelt, ist jedoch von geringer Bedeutung, da auch bei künftigen Ansprüchen eine Sicherung interessengerecht sein kann 42 . Bedenken könnten deshalb bestehen, weil noch nicht sicher ist, ob der Bedachte Erbe wird, und weil vor dem Erbfall nicht feststeht, ob der Erbe tatsächlich beeinträchtigt worden ist; denn das Ausmaß der Beeinträchtigung stellt sich erst nach dem Erbfall heraus. Aber auch beim bedingten Anspruch, der kraft ausdrücklicher Vorschrift durch Arrest gesichert werden kann, bleibt für die Zukunft eine Unsicherheit hinsichtlich des Eintritts oder Ausbleibens der Bedingung. Maßgeblich kann auch hier nur sein, ob nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen
40 Für eine entsprechende Sicherung Strohal, ErbR I § 45 II 3a Fn. 38; v. Lübtow, ErbR Bd. 2, S. 623; Hohmann, Rechtsfolgen von Störungen, s. Fn. 19, 176 ff; ders. ZEV 1994, 133 (136). Dagegen die überwiegende Meinung: BayObLGZ 1952, 289 (290); O L G Koblenz MDR 1987, 935 (936); Staudinger/Kanzleiter, BGB' 2 , §2287 Rdn. 18; MünchKomm/Musielak, BGB 2 , §2287 Rdn. 17; Soergel/Wolf, BGB 12 , §2287 Rdn. 19; Planck/ Greiff, BGB 4 , § 2286 Anm. 2; § 2287 Anm. 8; MünchKomm/Lüke, ZPO, § 256 Rdn. 32. 41 Zur Frage, ob die Möglichkeit einer Feststellungsklage als Zulässigkeitsvoraussetzung genügt Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20 , § 916 Rdn. 9. 42 Dazu Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20 , § 916 Rdn. 6 ff; Rosenberg/Gaul/Schilken, ZPO 10 , § 75 II 1; MünchKomm/Weinze, ZPO, § 916 Rdn. 12; O L G Schleswig, NJW-RR 1992, 317(318).
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Lauf der Dinge damit gerechnet werden kann, daß der Anspruch entsteht. Diese Voraussetzung wird in der Regel erfüllt sein. Auch die Vorschrift des § 926 Z P O steht nicht entgegen, weil das Gericht die Erhebung der Feststellungsklage anordnen kann. Da der Beschenkte nur in erster Linie befugt ist, Herausgabe zu verlangen, der Beschenkte aber gegebenenfalls Wertersatz (§818 Abs. 2 B G B ) leisten muß, kommt neben einer einstweiligen Verfügung auch die Sicherung durch Arrest in Betracht. Ergebnisse 1. Soweit wegen äußerer Mängel Ungewißheit über die Wirksamkeit des Erbvertrags oder eines gemeinschaftlichen Testaments besteht, ist die Feststellungsklage durch die Vertragschließenden bzw. die Ehegatten zuzulassen, und zwar auch dann, wenn der Einwand der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 B G B ) oder des Gesetzesverstoßes (§ 134 B G B ) zu beurteilen ist, und dabei in der Regel der sachliche Inhalt der Verfügung geprüft werden muß. 2. Ist ein Dritter bedacht, so besteht kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Dritten. Die Bindung besteht nur im Verhältnis der vertragschließenden bzw. der gemeinschaftlich testierenden Ehegatten zueinander. Ein Rechtsverhältnis zwischen Erblasser und Bedachtem läßt sich auch nicht auf ein Anwartschaftsrecht oder eine Anwartschaft des Bedachten gründen. Weder der Vertragserbe noch der Schlußerbe oder der Vertrags- und Schlußvermächtnisnehmer haben ein solches Recht. Bei Ungewißheit über die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen kann der Vertragsgegner im Drittinteresse auf Feststellung klagen. 3. Bei Ungewißheit über den sachlichen Inhalt einer Verfügung von Todes wegen kann zu Lebzeiten des Erblassers keiner der Beteiligten Feststellungsklage erheben. 4. Stirbt der Vertragsgegner vor dem Erblasser, kann eine bestehende Ungewißheit über die Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen nicht mehr beseitigt werden. Das gilt aber nicht für die Person des Erblassers, falls sich jemand aufgrund der Verfügung von Todes wegen künftiger Erbrechte berühmt, die der Erblasser bestreitet. 5. Auch die Besonderheiten des entgeltlichen Erbvertrages rechtfertigen es nicht, bei Ungewißheit über den sachlichen Inhalt der Verfügung von Todes wegen die Feststellungsklage zuzulassen. Bei Ungewißheiten über Bestand und Inhalt des Verpflichtungsvertrages können die Beteiligten jedoch richterliche Feststellung begehren.
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6. Eine Sicherung der Erwerbsaussicht des vertraglich oder durch wechselbezügliche Verfügung Bedachten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist ausgeschlossen. Schließen die Beteiligten einen Verfügungsunterlassungsvertrag, so ist einstweiliger Rechtsschutz bei Gefährdung der Rechte des Gläubigers zu gewähren. 7. Feststellungsklagen zwischen den erbrechtlich Bedachten wegen Ungewißheiten, die im Hinblick auf Inhalt oder Bestand der bedenkenden Verfügung von Todes wegen oder auf die Wirksamkeit nachträglicher beeinträchtigender Verfügungen von Todes wegen oder auf lebzeitige unentgeltliche Veräußerungen bestehen, sind unzulässig. 8. Zulässig sind Feststellungsklagen des infolge einer Schenkung des Erblassers beeinträchtigten Vertrags- oder Schlußerben gegen den Beschenkten im Hinblick auf seinen Herausgabeanspruch aus § 2287 BGB. Unzulässig sind dagegen Feststellungsklagen des beeinträchtigten Vertrags- und SchlußVermächtnisnehmers. 9. Zulässig ist insbesondere die Sicherung des Anspruchs des Erben aus § 2287 BGB auf Herausgabe eines Grundstücks durch Eintragung einer Vormerkung. Zulässig ist schließlich die Sicherung des Anspruches des Erben aus § 2287 BGB durch Arrest und einstweilige Verfügung. Der beeinträchtigte Vertrags- oder Schlußerbe hat u. a. die Möglichkeit, ein Veräußerungsverbot gegen den Beschenkten zu erwirken (§ 938 Abs. 2 ZPO).
Zur Abgrenzung der Zuständigkeit von Gesamtvollstreckungsgericht und Verwalter bei der Feststellung der Schuldenmasse B R U N O M . KÜBLER
I. Problemstellung Die Gesamtvollstreckungsordnung der neuen Länder weist eine Reihe bemerkenswerter Unterschiede zur westdeutschen Konkursordnung auf. Ins Auge springt hierbei u. a. die abweichende Rollenverteilung zwischen (Gesamtvollstreckungs-)Gericht und Verwalter bei der Feststellung der im Insolvenzverfahren geltend gemachten Gläubigeransprüche. Die Unterschiede lassen sich wie folgt auflisten: (1) Anders als im Konkursverfahren, wo jeder Gläubiger seine Ansprüche beim Gericht anzumelden hat (§ 139 Satz 2 KO), erfolgt im Gesamtvollstreckungsverfahren die Anmeldung beim Verwalter (§ 5 Nr. 3 GesO). (2) Demgemäß wird die Eintragung der angemeldeten Ansprüche in die von der GesO als „Verzeichnis der Verpflichtungen des Schuldners" bezeichnete Tabelle nicht wie nach § 140 Satz 2 K O durch das Gericht (den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) vorgenommen, sondern gem. § 11 Abs. 1 GesO durch den Verwalter. (3) Schließlich ist es auch der Verwalter (§ 11 Abs. 2 Satz 3 GesO), der anstelle des in den alten Ländern nach § 145 Abs. 1 Satz 1 K O zuständigen Gerichts das Ergebnis der Forderungsprüfung in das Verzeichnis einträgt. Eine deutliche Funktionsverlagerung vom Insolvenzgericht auf den Verwalter ist hier unverkennbar. Sichtbar wird dadurch eine allgemeine Tendenz der Gesamtvollstreckungsordnung, den Schwerpunkt der Insolvenzabwicklung beim Verwalter anzusiedeln 1 . Dieses Bestreben liegt durchaus in der Konsequenz der schon von den Verfassern der Konkursordnung in der damaligen Blütezeit der liberalen Rechtsstaatsidee getroffenen grundsätzlichen Entscheidung für ein liberales und marktwirtschaftlich orientiertes Konkursrecht, nach welchem die „Richtlinien der (Konkurs-)Politik" primär der lediglich ein privates ' Diese T e n d e n z betont bes. Smid M D R 1992, 1, 2 u. Z I P 1991, 981, 987.
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Amt ausübende Konkursverwalter bestimmt, während sich die Stellung des Konkursgerichts als des staatlichen Verfahrensorgans grundsätzlich auf die reine, allerdings zu Recht effektiv ausgestaltete Rechtsaufsicht über den Verwalter beschränkt 2 - in entschiedenem Gegensatz zu dem durch eine umfassende Reglementierungsbefugnis des Gerichts gegenüber dem Verwalter gekennzeichneten Insolvenzrecht des absolutistisch-merkantilistischen Polizeistaates der Zeit bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 3 . Die erweiterte Zuständigkeit des Verwalters auch bei der Feststellung der Passivmasse nach der GesO ist somit als weiterer Ausbau des Grundsatzes der „konkursrechtlichen Selbstverwaltung" (Uhlenbruck) zu begrüßen. Zu Recht sieht deshalb auch die künftige gesamtdeutsche Insolvenzordnung die Forderungsanmeldung beim Verwalter und die Tabellenführung durch diesen vor4, was der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, von dem die entsprechenden Änderungsvorschläge zu dem Regierungsentwurf der InsO stammen, außer mit den Gesichtspunkten der Entlastung des Gerichts und der Verfahrensvereinfachung ausdrücklich auch mit dem Vorbild der Regelung in der GesO, die sich bewährt habe5, begründet. Die praktische Anwendung der GesO in den mehr als vier Jahren ihrer bisherigen Geltungszeit hat jedoch eine ganz erhebliche Schwachstelle der gesetzlichen Regelung erkennen lassen: Dem Gesetzeswortlaut läßt sich nämlich keine klare Abgrenzung der gegenüber der KO veränderten Zuständigkeiten von Gericht und Verwalter bei der Durchführung der Gesamtvollstreckungsverfahren entnehmen. Wegen dieser Unklarheiten ist die Zuständigkeit des Verwalters für die Forderungsanmeldung nach der GesO im Schrifttum bereits kritisiert und für das neue Insolvenzrecht eine Rückkehr zu der insoweit als unproblematisch bezeichneten Regelung der KO befürwortet worden 6 . Der Grund für die mißliche Situation liegt hier wie in anderen Bereichen des Gesamtvollstreckungsrechts in der schon viel beklagten Unvollständigkeit des Normgefüges der GesO, die zahlreiche praktisch besonders bedeutsame Fragen mit Stillschweigen übergeht. Unter den besonderen Verhältnissen in den neuen Ländern, die eine möglichst schnelle und reibungslose Durchführung der Insolvenzverfahren noch stärker gebieten als in der 2 Die K O wurde deshalb gelegentlich sogar als Ausdruck des „Manchester-Liberalismus" getadelt (zu diesem Vorwurf Uhlenbruck, in: Uhlenbruck/Klasmeyer/Kübler [Hrsg.], Einhundert Jahre Konkursordnung 1877-1977 [1977] S. 3, 19; Thieme ebenda S. 35, 40). 5 Kritische Darstellung jener älteren Periode etwa bei Kohler, Lehrbuch des Konkursrechts (1891) § 8; Hellmann, Lehrbuch des deutschen Konkursrechts (1907) § 6. 4 §§ 28 Abs. 1, 174 Abs. 1, § 175 Satz 1 InsO vom 5. 10. 1994 (BGBl. I, 2866). s Vgl. abgedruckt in Kübler/Prütting (Hrsg.), Das neue Insolvenzrecht, 1994, Bd. I, S. 196. ' Vgl. Pape ZIP 1993, 1298 Fn. 3; anders jetzt ders. ZAP-Ost 1994, 355, 360.
Zuständigkeit bei der Feststellung der Schuldenmasse
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alten Bundesrepublik, müssen diese offenen Fragen dringend einer befriedigenden Lösung zugeführt werden. Es soll daher hier versucht werden, die jeweiligen Funktionskreise von Gericht und Verwalter im Gesamtvollstreckungsrecht eindeutig voneinander abzugrenzen. Das Ziel ist hierbei, eine Lösung für die Praxis zu finden, die Reibungsverluste vermeidet, und zugleich einen bescheidenen Beitrag zur Entwicklung einer eigenständigen Dogmatik der Gesamtvollstreckungsordnung zu leisten. Besonders dieser letztgenannte Aspekt dürfte auch im Sinne des verehrten Jubilars liegen, dessen Œuvre das Interesse nicht zuletzt an der Frage der Leistungsfähigkeit der juristischen Konstruktion gerade für das Insolvenzrecht widerspiegelt7. Da die Zuständigkeit des Verwalters für die Entgegennahme der Forderungsanmeldung und die Führung der Tabelle, wie dargelegt, auch in das die GesO wie die K O ablösende neue Insolvenzrecht übernommen wird, könnten die nachfolgenden Überlegungen auch über den 31. 12. 1998 hinaus Bedeutung behalten. II. Aufstellung des Verzeichnisses der angemeldeten Forderungen
1. Ursprung der Zuständigkeitsregelung
in der GesO
Die Zuständigkeit des Verwalters schon für die Entgegennahme der die Forderungsfeststellung einleitenden Rechtshandlung, die Anmeldung des in der Gesamtvollstreckung geltend zu machenden Anspruchs (§ 5 Nr. 3 GesO), sowie für die Eintragung der angemeldeten Forderungen in das Verzeichnis der Verpflichtungen des Schuldners (§ 11 Abs. 1 Satz 1 GesO) hat die GesO 1990 von ihrer Vorgängerin übernommen, der Verordnung über die Gesamtvollstreckung vom 18. 12. 1975 8 . Welchen Grund der damalige DDR-Verordnungsgeber mit dieser Zuweisung an den Verwalter ausgerechnet in der ganz auf das marxistischleninistische Rechts- und Wirtschaftssystem zugeschnittenen G e s W O 1975 verfolgt hat, kann bei dem Fehlen zugänglicher Materialien zu dieser V O nicht eindeutig ermittelt werden. Möglicherweise sollte der Gerichtssekretär entlastet werden, dem hauptsächlich die Durchführung des Verfahrens oblag, vielleicht ging es aber auch nur um eine Abweichung von der entsprechenden Regelung der K O im Gefolge der von der S E D damals forciert verfolgten Politik der Abkehr von allen gesamtdeutschen Traditionen und der rigorosen Abgrenzung von dem anderen Teil Deutschlands.
7 Vgl. etwa Henckel, Wert und Unwert juristischer Konstruktion im Konkursrecht, in: Festschrift für Friedrich Weber (1975) S. 237 ff. 8 G B l . I 1975 N r . 1, S. 5, vgl. dort § 5 Spiegelstrich 3, § 9 Abs. 1 Satz 1.
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Bruno M. Kübler
Die Forderungsanmeldung und die Tabellenführung durch den Verwalter finden sich im übrigen auch in ausländischen Insolvenzrechten unterschiedlicher ideologischer Provenienz. Zu nennen ist hier etwa die geradezu als Idealtypus eines liberalen Insolvenzrechts angesehene frühere österreichische Concursordnung vom 25. 12. 1868'. Eine ähnliche Regelung weisen die ungarische Konkursordnung von 1881 10 und die jetzt neu gefaßte polnische Rechtsverordnung über das Konkursrecht vom 24. 10. 1934/ 24. 10. 1991" auf.
2. Zulässigkeitsprüfung
bei
Anmeldung
Probleme ergeben sich aus dieser Zuständigkeitsverlagerung vom Insolvenzgericht auf den Verwalter namentlich bei mängelbehafteten Forderungsanmeldungen - etwa solchen, die nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form oder mit dem geforderten Inhalt oder verspätet eingereicht werden. Formverstöße bei der Anmeldung sind im Gesamtvollstreckungsrecht wenig relevant, da die Forderungen nach der GesO auch formlos, etwa mündlich angemeldet werden können12. Dagegen muß - wie im Konkurs nach § 139 Satz 1 KO - die Anmeldung auch in der Gesamtvollstreckung den Betrag und den Grund der Forderung sowie das beanspruchte Vorrecht angeben13. Die Angabe von Betrag und Grund der Forderung ist nach dem Recht der KO Wirksamkeitsvoraussetzung der Anmeldung, weshalb eine diesen Erfordernissen nicht genügende Anmeldung mangels Wirksamkeit etwa die Verjährung des Anspruchs nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht zu unterbrechen vermag14. Das nach der Konkursordnung (§ 140 Abs. 2) für die Eintragung der angemeldeten Forderung zuständige Gericht hat die Zulässigkeit der Anmeldung von Amts wegen zu prüfen und bei fehlender Zulässigkeit die Eintragung der Forderung in die Tabelle abzulehnen15. Umstritten ist aber, ob dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Konkursgerichts, dem nach § 140 Abs. 2 KO die Eintragung der angemeldeten Forderungen obliegt, die Befugnis zusteht, eine von ihm nach Prüfung für unzulässig befundene Anmeldung mittels eigener Entscheidung selbst zurückzuweisen 16 oder ob der Urkundsbeamte in diesem Falle die Entscheidung des Konkursrechtspflegers einholen muß17. Bei der Eintra' Öst. RGBl. 1869 Nr. 1 §§ 113 f. Nach dem Bericht v. Kohler aaO (o. Fn. 3) S. 552 Fn. 1. " Abgedruckt in deutscher Übersetzung in WiRO 1994, 128 ff. 12 Smid, GesO § 11 Rdn. 23. 13 Allg. Meinung; vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, GesO, 2. Aufl. § 11 Rdn. 15; Smid, GesO § 11 Rdn. 13, 14. 14 RGZ 39, 37, 44 ff; OLG Stuttgart NJW 1962, 1018 f. 15 LG München ZIP 1992, 789, 790; A G Ahrensburg Rpfleger 1992, 34 f m. Anm. Kanese. " Hierfür jetzt bes. Uhlenbruck Rpfleger 1991, 445 ff; auch schon Jaeger/Weber, KO, 8. Aufl. § 140 Rdn. 2. 17 So Kuhn/Uhlenbruch, KO, 10. Aufl. § 140 Rdn. 3; Kilger/K. Schmidt, KO, 16. Aufl. § 140 Anm. 2; wohl auch Kanese Rpfleger 1992, 35. 10
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gung der Forderung in die Tabelle durch den Urkundsbeamten handelt es sich, wie dies das Reichsgericht bereits vor genau einem Jahrhundert in bezug auf den damaligen Gerichtsschreiber ausgesprochen hat, nicht bloß um eine Hilfstätigkeit für den Richter mit nur innergerichtlicher Wirkung, sondern um eine selbständige Amtshandlung, die auch nach außen hin, besonders im Verhältnis zum Anmeldenden, wirkt 18 . Mit der Eintragung beurkundet der Urkundsbeamte, daß die betreffende Forderung ordnungsgemäß angemeldet worden ist und sie demzufolge im Prüfungstermin auf ihre inhaltliche Berechtigung geprüft werden kann. Der Urkundsbeamte kann deshalb die Anmeldung einer Forderung, die keinen Grund oder Betrag angibt oder sonstwie fehlerhaft ist, etwa bei der Anmeldung durch einen Vertreter ohne nachgewiesene Vertretungsbefugnis, durch Beschluß zurückweisen. Gegen diese Entscheidung kann der Anmeldende gemäß §§ 72 K O , 576 Abs. 1 Z P O die Entscheidung des Gerichts (hier des Konkursgerichts) nachsuchen. Uber die Erinnerung entscheidet wegen § 4 Abs. 2 Nr. 3 RpflG nicht der Konkursrechtspfleger, sondern der Konkursrichter. Es fragt sich, wie solche unzulässigen Forderungsanmeldungen nach dem Recht der G e s O zu behandeln sind. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Anmeldung hat hier wegen der strengen Verspätungsregelung des § 14 GesO 1 9 mehr Gewicht als im Geltungsbereich der K O , da nach einer als unzulässig zurückgewiesenen Anmeldung eine zweite nunmehr einwandfreie Anmeldung bei inzwischen abgelaufener Anmeldefrist nur noch unter den erschwerten Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 G e s O in das Vermögensverzeichnis aufgenommen werden kann. Sicher ist zunächst, daß eine unter schwerwiegenden Mängeln leidende, etwa ohne Angabe von Betrag und Grund der Forderung erfolgte Anmeldung auch nach der G e s O - obwohl sie keine § 139 Satz 1 K O vergleichbare Regelung enthält - unwirksam ist, da die Forderung ohne diese Angaben nicht geprüft werden kann. Für die Prüfung der Zulässigkeit der Anmeldung kommt nach der G e s O nur der Verwalter als Adressat in Betracht. Die für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle umstrittene Befugnis zur selbständigen Entscheidung über die Zulässigkeit kann für den Verwalter nicht zweifelhaft sein. Denn der Verwalter ist - anders als der Urkundsbeamte - nicht Gerichtsperson, er ist nicht in die Gerichtsorganisation inkorporiert, sondern er steht dem Insolvenzgericht als ein mit eigenständigen Kompetenzen ausgestattetes Verfahrensorgan gegenüber. Dieser Position des Verwalters gegenüber dem Gericht, die von der G e s O , wie dargelegt, sogar noch stärker herausgestellt wird als von der
" R G J W 1894, 63; auch J W 1904, 85 f. " Vgl. insbesondere L G Dresden Z I P 1994, S. 1200.
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KO, widerspräche es, wenn der Verwalter eine von ihm nach Prüfung als unzulässig befundene Anmeldung nicht selbst zurückweisen könnte, sondern statt dessen die Entscheidung des Gerichts einholen müßte. Ist hiernach ein Zurückweisungsrecht des Verwalters gegeben, so muß dem Anmeldenden natürlich ein Rechtsbehelf gegen eine zurückweisende Entscheidung des Verwalters zustehen. Dies ist schon wegen der bei einer Zurückweisung und einer erneuten Anmeldung drohenden Verspätungsfolge des § 14 GesO geboten. Aus diesem Grunde kann der Anmelder nicht darauf verwiesen werden, etwa bis zum Prüfungstermin zu warten, in dem das Gericht die Anmeldung, anders als der Verwalter, gegebenenfalls für mangelfrei erachtet und die Forderung deshalb zur Prüfung zuläßt, denn die Anmeldefrist ist in diesem Zeitpunkt abgelaufen. Die nach der Konkursordnung gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten, des Rechtspflegers oder des Richters bestehenden Rechtsbehelfe können gegenüber dem Verwalter nicht zur Verfügung stehen, denn bei der von diesem ausgesprochenen Zurückweisung einer Anmeldung handelt es sich gerade nicht um eine mit solchen Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidung des Gerichts. Eine Forderungsfeststellungsklage des Anmeldenden gegen den Verwalter, an die gedacht werden könnte, ist gemäß § 11 Abs. 3 GesO nur gegen die Verweigerung der Anerkennung des Anspruchs als nicht oder nicht mit dem angemeldeten Vorrecht bestehend statthaft, während es hier erst um die Vorfrage der verfahrensrechtlichen Zulässigkeit der Anmeldung geht, noch nicht um die Begründetheit der Forderung. Bei Zulassung einer Feststellungsklage auch bezüglich der Zulässigkeit der Anmeldung wären unter Umständen nacheinander zwei streitige Zivilverfahren über drei Instanzen hinweg zu führen, zunächst über die Zulassung der Anmeldung, sodann eventuell noch über die Anerkennung der Forderung. Die Unangemessenheit einer solchen Aufeinanderfolge zweier Feststellungsklagen, die das Verfahren erheblich verlängern müßte, hat der Bundesgerichtshof jüngst für den besonderen Fall der Zulassung einer verspäteten Anmeldung deutlich betont20. Die vom BGH für die Verspätungsfälle gefundene angemessene Lösung eines Antrags des Anmeldenden bei Gericht auf Zustimmung zur Aufnahme in das vorläufige Verzeichnis, die dann auch den Verwalter bindet, beruht allerdings auf der in § 14 Abs. 1 Satz 1 GesO normierten Besonderheit einer zwingend erforderlichen Zustimmung des Gerichts zur Zulassung einer verspätet angemeldeten Forderung. In den Fällen einer Zulassungsverweigerung durch den Verwalter wegen angeblich inhaltlicher Unvollständigkeit der Anmeldung ist eine Mitwirkung des Gerichts nicht vorgesehen. Die Aufsichtspflicht des Ge-
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B G H ZIP 1994, 157 ff.
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richts über den Verwalter nach § 8 Abs. 3 Satz 1 GesO wird dem Interesse des zurückgewiesenen Anmelders nicht gerecht. Denn nach überwiegender Ansicht folgt aus dem Aufsichtsrecht keine Befugnis eines von einem Fehlverhalten des Verwalters Betroffenen, bei Gericht bestimmte Aufsichtsmaßnahmen zu beantragen, hier etwa die Erteilung einer Anweisung an den Verwalter zur Eintragung der Forderung; gegen die Ablehnung solcher Maßnahmen durch das Gericht steht dem Betreffenden nach neuerer Auffassung kein Beschwerderecht zu 21 . Der Anmelder bliebe also auf die bloße Befugnis beschränkt, bei Gericht ein Einschreiten gegen den Verwalter anzuregen. Der Gesetzgeber der GesO hat mithin versäumt, im Zuge der Übertragung der Zuständigkeit zur Entgegennahme der Forderungsanmeldung und -eintragung auf den Verwalter dem Anmeldenden einen entsprechenden Rechtsschutz zu gewähren, wie er nach der KO gegen eine Ablehnung der Eintragung in die Tabelle durch das Gericht gegeben ist. Diese Minderung des Rechtsschutzes war sicher nicht beabsichtigt. Auch hier erweist sich die Regelung in der Gesamtvollstreckungsordnung als lückenhaft. Die Lücke muß durch entsprechende Anwendung der den Spezialfall einer fehlerhaften, nämlich verspäteten Anmeldung regelnden Vorschrift des § 14 Abs. 1 GesO in der Auslegung durch die erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geschlossen werden. Es ist deshalb ein Recht des anmeldenden Gläubigers anzuerkennen, beim Gesamtvollstreckungsgericht zu beantragen, den Verwalter zur Eintragung der angemeldeten Forderung in das Verzeichnis anzuweisen. Gegen den die Anweisung ablehnenden Beschluß des Gerichts steht dem Anmeldenden die sofortige Beschwerde nach § 20 GesO, gegen die Entscheidung durch den Rechtspfleger die sofortige Erinnerung nach § 11 Abs. 1 Satz 2 RpflegerG zu. Umgekehrt muß auch der Verwalter gegen die Anweisung diese Rechtsbehelfe einlegen können, da die Anweisung sein verfahrensmäßiges Recht der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Anmeldung beeinträchtigt. Trägt umgekehrt der Verwalter eine mangelhaft angemeldete Forderung gleichwohl in das Verzeichnis ein, so wird dadurch die Unwirksamkeit der Anmeldung nicht geheilt 22 . Die Forderung ist also trotz erfolgter Eintragung im Prüfungstermin nicht prüffähig. Zur Vermeidung von Unklarheiten ist jedoch eine Anweisung des Gerichts an den Verwalter zur Streichung der Eintragung nach § 8 Abs. 3 Satz 1 GesO zulässig und geboten, gegen die dem Verwalter die sofortige Beschwerde zusteht. Der Sonderfall der wegen Versäumung der Anmeldefrist mangelhaften Anmeldung ist in § 14 GesO besonders geregelt. Der Mangel ist hier 21 22
Vgl. die Darstellung bei Kuhn/Uhlenbruck OLG Stuttgart NJW 1962, 1018, 1019.
aaO (o. Fn. 17) § 83 Rdn. 3.
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unter den Voraussetzungen des fehlenden Verschuldens an der Verspätung und der Zustimmung des Gerichts heilbar, sofern nicht schon der Verteilungsvorschlag nach § 18 Abs. 1 G e s O bestätigt worden ist. Die erheblichen Unklarheiten, die diese Regelung in den Fällen hervorrief, in welchen der Verwalter die Eintragung ablehnte, sind jetzt für die Praxis durch das bereits erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofes vom 25. 11. 1993 behoben. Der B G H gibt dem Anmeldenden, wie bereits angedeutet, die Befugnis, die in § 14 Abs. 1 Satz 1 G e s O vorgesehene Zustimmung zur Aufnahme in das Vermögensverzeichnis zu beantragen, lehnt hingegen den bisher häufig befürworteten, aber viel zu umständlichen Weg einer Feststellungsklage gegen den Verwalter als unzulässig ab23. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die sofortige Beschwerde des Verwalters (bei Zustimmung) oder des Anmeldenden (bei Zurückweisung) gegeben. Wenn das Gesetz in § 14 G e s O von einer „Anerkennung" der verspätet eingehenden Forderungsanmeldungen durch den Verwalter spricht, so kann es sich hierbei nicht um die in § 11 gemeinte Anerkennung der Forderung als der Sache nach und gegebenenfalls mit dem angemeldeten Vorrecht bestehend handeln. Denn eine Anerkennung in diesem letztgenannten Sinne kann nur aufgrund eines Prüfungstermins erfolgen, in dem auch die anderen Gläubiger zu der angemeldeten Forderung Stellung nehmen können ( § 1 1 Abs. 2 Satz 1 GesO). Im Sinne von § 1 4 GesO bedeutet die Anerkennung dagegen lediglich die Zulassung der angemeldeten Forderung zur Sachprüfung nach § 11 GesO 24 . Terminologisch klingt dieser Unterschied in § 14 GesO insofern an, als dort von einer Anerkennung der Forderungsanmeldungen gesprochen wird, nicht, wie in § 11 GesO, von einer Anerkennung der Forderungen selbst. In rechtstatsächlicher Hinsicht ist auch im Geltungsbereich der Konkursordnung eine Vorbereitung der dort an sich vom Gericht zu führenden Tabelle der Konkursforderungen durch den Konkursverwalter weitgehend üblich 25 . Der Gesetzgeber der G e s O hat deshalb mit seiner Neuregelung - wohl unbewußt - einer Tendenz des Rechtslebens Rechnung getragen. An der fortbestehenden rechtlichen Zuständigkeit des Gerichts für die Entgegennahme und Eintragung der Anmeldungen nach der K O vermag diese Praxis natürlich nichts zu ändern. Der Konkursverwalter wird dort mit der Eintragung nur rein tatsächlich als eine
23 BGH ZIP 1994, 157 ff m. zust. Kurzkomm. v. Pape EWiR § 14 GesO 1/94, S. 153 u. Uhlenbmck WuB/5, 94 S. 557; für Zulässigkeit einer Klage gegen den Verwalter auf Zulassung der Forderung zur Prüfung gleichwohl noch OLG Brandenburg, Urt. v. 22. 4. 1994, ZIP 1994, 1288. 24 So zu Recht Smid aaO (o. Fn. 13) § 14 Rdn. 15-17. 25 Vgl. Binz/Hess, Lexikon d. Insolvenzrechts (1991), Art. „Eintragung in die Konkurstabelle" (S. 105).
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Art Hilfsperson des Gerichts tätig. Eine Eintragung im Rechtssinne liegt erst vor, wenn sich das Gericht die vom Verwalter vorbereitete „Eintragung" zu eigen macht.
3. Erstellung des Verzeichnisses unter Verwendung von EDV Der vorstehend geschilderte zunehmende Ubergang der Tabellenführung auf den Verwalter ist nicht zuletzt auf den in den letzten Jahren fortschreitenden Einsatz von E D V bei der Insolvenzverwaltung zurückzuführen, der bei Großinsolvenzen schon ganz unentbehrlich geworden ist. Die Tabelle wird hier vom Büro des Verwalters auf der Grundlage der ebenfalls EDV-mäßig erstellten Finanzbuchhaltung des Gemeinschuldnerunternehmens unter Eingabe der vom Gericht und vom Verwalter festgestellten Daten angelegt 26 . Bei EDV-mäßiger Erstellung werden zweckmäßigerweise Sammellisten im D I N - Α 4-Querformat erstellt, die idealerweise die Namen und Anschriften der Gläubiger, des Gläubigervertreters, den Tag der Anmeldung, den angemeldeten Forderungsbetrag, den Grund der Forderung und das nach dem Prüfungstermin einzutragende Prüfungsergebnis enthalten. Wie Grub/Steinbrenner für den Bereich der Konkursordnung dargelegt haben, ist die Führung der Konkurstabelle mit Hilfe von E D V mit den gesetzlichen Vorschriften durchaus vereinbar 27 . Insbesondere liegt in der Erstellung der EDV-gestützten Tabelle beim Konkursverwalter kein Verstoß gegen das in § 140 Abs. 2 K O normierte Erfordernis der sofortigen Eintragung des angemeldeten Anspruchs durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Denn hieraus folgt, wie bereits dargelegt, nicht auch die Notwendigkeit einer eigenhändigen Vornahme der Eintragung, also ihrer technischen Ausführung, durch den Urkundsbeamten. Entscheidend ist nur, daß der Urkundsbeamte die Eintragung anordnet, die dann auch durch andere Hilfspersonen ausgeführt werden kann. Die Anordnung einer Eintragung seitens des Urkundsbeamten liegt hier in der Erstellung des Buchungsbelegs für die EDV-Erfassung durch diesen 28 . Die Mitarbeiter des Konkursverwalters führen dann diese Anweisung durch Eingabe der betreffenden Daten in den Computer und den Ausdruck des entsprechenden Tabellenbogens lediglich aus. Ein Verstoß der EDV-mäßigen Tabellenführung in der dargelegten Weise gegen die als innerdienstliche Anweisungen für das Konkursgericht maßgeblichen Vorschriften der Aktenordnung dürfte ebenfalls zu verneinen sein. 26 S. die eingehende Darstellung des Anlegungsvorgangs bei Grub/Steinbrenner 1985, 707 ff. 27 ZIP 1985, 707, 711 f. 28 So Grub/Steinbrenner ZIP 1985, 712.
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Bei einer Verfahrensabwicklung nach der Gesamtvollstreckungsordnung bestehen ebensowenig rechtliche Bedenken gegen die EDV-mäßige Erstellung des Verzeichnisses durch den Verwalter als das hier für die Führung des Verzeichnisses ja gerade zuständige Organ. In den neuen Bundesländern sind allerdings bei dem Erlaß der für ihre Justizbehörden maßgeblichen Aktenordnungen allzu schematisch die Bestimmungen der Aktenordnungen der alten Bundesländer übernommen worden. Diese regeln naturgemäß entsprechend der für die alte Bundesrepublik maßgeblichen KO-Regelung die Tabellenführung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts, nicht hingegen durch den Verwalter. So ist etwa für den Geschäftsbereich des sächsischen Staatsministeriums der Justiz global die Aktenordnung für die Geschäftsstellen der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaften des bayerischen Staatsministeriums der Justiz eingeführt worden 29 und damit auch deren § 15 Abs. 4, wonach die Tabelle von dem Urkundsbeamten in näher bestimmter Weise zu führen ist. Daß diese Tabellenführung gar nicht der auch im Freistaat Sachsen geltenden Regelung des § 11 GesO entspricht, die die Führung des Verzeichnisses dem Verwalter zuweist, wurde offenbar übersehen. Als lediglich innerdienstliche Anweisung für die sächsischen Justizbehörden bindet die Aktenordnung den außerhalb der Justizorganisation stehenden Verwalter nicht. Aber auch für die sächsischen Insolvenzgerichte selbst ist die Verbindlichkeit von § 15 Abs. 4 AktO wegen des Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften ( § 1 1 GesO) zu verneinen. Die Führung der Tabelle (des Verzeichnisses) mit Hilfe von EDV beim Verwalter ist hiernach im Geltungsbereich der GesO, wie auch in demjenigen der KO, zulässig. Die zukünftige Insolvenzordnung sieht die Möglichkeit einer maschinellen Erstellung und Bearbeitung der Tabellen und Verzeichnisse im Insolvenzverfahren ausdrücklich vor (vgl. § 5 Abs. 3 InsO). III. Prüfung und Feststellung der Forderungen 1.
Prüfungstermin
Nach dem Ablauf der Anmeldefrist und dem Abschluß des Verzeichnisses der angemeldeten Forderungen ist gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 GesO der Prüfungstermin abzuhalten. Insoweit ergibt sich zunächst das Erfordernis einer Vorbereitung der Beteiligten, insbesondere der Gläubiger, auf den Termin durch Information über die angemeldeten Forderungen.
19 Bekanntmachung über die Führung der Akten ( A k t O ) usw. v. 8. 2./3. 4. 1991 (Sächs. Amtsbl. Nr. 6 S. 1 u. Nr. 9 S. 2).
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Die in § 140 Abs. 1 K O vorgeschriebene Auslegung der Anmeldungen zur Einsicht auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts ist bei einer Tabellenführung durch den Verwalter, wie Smid zu Recht betont, untunlich, weil dies die ordnungsgemäße Verwaltung zu stark beeinträchtigt. Die von Smid vorgeschlagene Ubersendung der Tabelle in Abschrift an die Verfahrensbeteiligten 30 dürfte allerdings bei Großverfahren mit einer Vielzahl von Gläubigern kaum praktikabel sein. Zu denken ist statt dessen in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 1 K O an eine Auslegung der Tabelle in Abschrift oder - bei EDV-mäßiger Führung - der dann zu erstellenden Sammelliste (vgl. o. zu II. 3.) in der Geschäftsstelle des Gerichts. Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 GesO geht nicht unmittelbar hervor, daß es sich bei dem abzuhaltenden Prüfungstermin um einen gerichtlichen Termin handeln muß. Da Satz 2 dieses Absatzes auch die Eintragung des Prüfungsergebnisses in das Verzeichnis dem Verwalter zuweist (vgl. u. zu 2.), vertreten einige Gerichte in den neuen Ländern die Auffassung, der Prüfungstermin werde nach der GesO ganz ohne Einschaltung des Gerichts allein vom Verwalter abgehalten. Gegen diese äußerst weitgehende Ansicht spricht wohl schon der Wortlaut von § 11 Abs. 2 Satz 1 GesO, wonach in dem Termin „dem Verwalter Gelegenheit zur Stellungnahme und zum Bestreiten angemeldeter Forderungen gegeben wird". Diese Vorschrift richtet sich offenbar an den Insolvenzrechtspfleger bzw. -richter als Vorsitzenden des Prüfungstermins; fände der Termin unter dem Vorsitz des Verwalters statt, so verstände sich dessen Befugnis zur Stellungnahme und zum Bestreiten von selbst. Die Abhaltung eines gerichtlichen Prüfungstermins ist auch sachlich trotz der Eintragung des Prüfungsergebnisses durch den Verwalter kein leerer Formalismus. Der Termin unter der Autorität des Gerichts soll die verfahrensmäßige Korrektheit der Forderungsprüfung gewährleisten, die in dem hierüber aufzunehmenden gerichtlichen Protokoll als einer öffentlichen Urkunde zu dokumentieren ist. Es ist deshalb mit der überwiegenden Meinung in der Praxis davon auszugehen, daß der Prüfungstermin auch nach der GesO als ein vom Rechtspfleger oder Richter des Insolvenzgerichts zu leitender gerichtlicher Termin ausgestaltet ist31. Gegenstand des Termins ist wie nach der K O die hier als „Anerkennung" bezeichnete Feststellung der angemeldeten Forderungen. Anerkannt in diesem Sinne ist ein Anspruch, der im Termin weder vom Verwalter noch von einem anderen Gläubiger bestritten wird32. >° Smid, GesO § 11 Rdn. 11. " Haarmeyer/Wutzke/Förster aaO (o. Fn. 13) § 11 Rdn. 24 f; Smid aaO Rdn. 27; Lübchen/Landfermann ZIP 1990, 829, 836. 52 Ein Bestreiten durch den Schuldner hindert nicht die Forderungsfeststellung (vgl. auch § 144 KO).
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2. Eintragung des Prüfungsergebnisses Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 3 GesO, wonach der Verwalter angemeldete Forderungen im Umfang des Anerkenntnisses in das Verzeichnis aufzunehmen hat, ist insofern mißverständlich gefaßt, als die Aufnahme der Forderung als solche in das Verzeichnis ja schon vor dem Termin nach ihrer Anmeldung gemäß § 11 Abs. 1 G e s O stattgefunden hat. Im Termin kann es sich also nur noch darum handeln, die bereits eingetragene Forderung bei unterbleibendem Bestreiten in dem Verzeichnis als „anerkannt" zu kennzeichnen. Obwohl § 11 Abs. 2 Satz 3 G e s O nur von einer Aufnahme der Forderungen im Umfang des Anerkenntnisses spricht, ist ein völliges oder teilweises Bestreiten eines Anspruchs nach Betrag oder Vorrecht zum urkundlichen Beweis für eine nur im Umfang des Bestreitens zulässige Forderungsfeststellungsklage nach § 11 Abs. 3 G e s O ebenfalls im Verzeichnis zu vermerken. § 1 1 Abs. 2 Satz 3 G e s O ist mithin wie § 145 Abs. 1 Satz 1 K O im Sinne der Eintragung des Ergebnisses der Forderungsprüfung in das Verzeichnis zu lesen. § 11 Abs. 2 Satz 3 G e s O unterscheidet sich allerdings von § 145 Abs. 1 Satz 1 K O dadurch, daß nach dem Wortlaut jener Norm nicht das Gericht, sondern der Verwalter das Prüfungsergebnis einträgt. Ungeachtet dieses Wortlauts nehmen Haarmeyer/Wutzke/Förster an, das Ergebnis sei vom Gericht in die Tabelle einzutragen 33 , wobei diese Autoren offenbar davon ausgehen, daß das Insolvenzgericht neben dem nach § 11 G e s O vom Verwalter zu führenden Verzeichnis noch eine besondere „Tabelle" anzulegen habe. Von einer solchen gerichtlich zu führenden Tabelle ist in der G e s O aber nirgends die Rede. Der Sinn einer derartigen Verdoppelung des Forderungsverzeichnisses ist auch nicht ersichtlich. Haarmeyer/Wutzke/Förster begründen die Notwendigkeit einer Eintragung durch das Gericht mit den Rechtswirkungen des Eintrags für die Verteilung und die spätere Erteilung eines Vollstreckungstitels gegen den Schuldner. Diese Erwägungen rechtfertigen jedoch nicht ein Abgehen von dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Zwar kommt der Eintragung des Prüfungsergebnisses sicher auch nach der G e s O die Funktion zu, das Recht der Teilnahme des Gläubigers an der Gesamtvollstreckung, soweit seine Forderung anerkannt wurde, und damit vor allem das Recht der Berücksichtigung bei der Verteilung zu beurkunden. Diese Beurkundung muß jedoch nicht zwangsläufig als öffentliche Beurkundung durch das Gericht erfolgen. Eine Eintragung durch den Verwalter, der allerdings nur der Charakter einer privaten Beurkundung zukommt, da es sich bei diesem nicht um eine mit öffent-
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Haarmeyer/Wutzke/Förster
aaO Rdn. 35.
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lichem Glauben im Sinne von § 415 ZPO versehene Person handelt, bietet ausreichende Gewähr für ihre Richtigkeit, weil der Prüfungs- und Beurkundungsvorgang, wie o. zu 1. dargelegt, von dem den Prüfungstermin leitenden Gericht überwacht und kontrolliert wird. Die weitere von Haarmeyer/Wutzke/Förster angeführte Wirkung einer Titulierung des angemeldeten Anspruchs für die Nachforderung eines eventuellen Ausfalls gegen den Schuldner kommt, wie u. zu IV. zu zeigen ist, nach der GesO gerade nicht der Eintragung in dem Forderungsverzeichnis zu, sondern erst dem bestätigten Verteilungsvorschlag gemäß § 18 GesO. Aus diesem letztgenannten Grunde läßt sich auch die in der Konkursordnung vorgeschriebene Eintragung des Prüfungsergebnisses durch das Gericht nicht als Argument für eine entsprechende Handhabung im Gesamtvollstreckungsrecht anführen. Die Notwendigkeit einer gerichtlichen Eintragung wird in den Materialien zur Konkursordnung mit der Bedeutung dieses Aktes sowie mit dem Ziel, Fälschungen zu verhindern, begründet34. Das angeführte Fälschungsrisiko ist aber auch bei einer Eintragung durch den Verwalter unter der Kontrolle des Gerichts ausgeschlossen, so daß die Eintragung durch das Gericht entgegen dem Wortlaut der GesO nicht zu rechtfertigen ist. Der zweite in den KOMotiven angeführte Gesichtspunkt, die Bedeutung des Tabellen-Vermerks, trifft, wie bereits angedeutet, lediglich für die Konkursordnung zu, nicht aber auch für die Gesamtvollstreckungsordnung. Nach der Konkursordnung erschöpft sich nämlich die Rechtswirkung des Tabelleneintrags nicht in der Beurkundung des Prüfungsergebnisses für die Teilnahme des betreffenden Gläubigers am Konkursverfahren. Der Eintragung kommt vielmehr außerdem noch die in § 145 Abs. 2 K O niedergelegte Wirkung eines rechtskräftigen Urteils zu35. Diese Urteilswirkung, die bereits für die preußische Konkursordnung von 1855 in der Rechtsprechung anerkannt war36, hat die Reichskonkursordnung erstmals klar ausgesprochen37. Zu dieser Herstellung eines Titels für die Nachforderung dürfte die Eintragung durch den Verwalter allerdings nicht ausreichen. Denn zum einen entfaltet der Titel, wie bereits die Verfasser der K O klar erkannt haben38, seine Wirkung erst nach der
)4 Hahn (Hrsg.), Die gesammten Materialien z. d. Reichs-Justizgesetzen IV: Materialien z. Konkursordnung (1881) S. 326; auch Kiehl A c P 89 (1989) 341, 352 erblickt in der „öffentlichen Autorität" des Konkursrichters die Grundlage der Eintragungswirkung. 3S R G Z 37, 386, 388; J W 1928, 2714; O L G H a m m Rpfleger 1965, 78 f; Jaeger/Weber aaO (o. Fn. 16) § 145 Rdn. 3; Hansjörg Weber J Z 1984, 1027 („Doppelnatur" der Eintragung)· 56 Vgl. R O H G E 3, 118, 121 ff; preuß. Obertribunal, Striethorst 55 (1865) 326, 328 ff. '7 Hahn aaO (o. Fn. 34) S. 327. 3" Hahn aaO S. 343 f.
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Aufhebung des Konkursverfahrens, während sich die Befugnisse des Verwalters auf das Verfahren beschränken. Zum anderen legt unser Recht, wie eine Durchsicht des Katalogs des § 794 Z P O zeigt, eine Titelwirkung nur gerichtlichen Entscheidungen, gerichtlich protokollierten oder bestätigten Rechtsakten oder notariellen Urkunden bei, nicht aber Urkunden, die von nicht mit hoheitlicher Gewalt ausgestatteten Personen errichtet worden sind, zu denen nach allen Theorien auch der Insolvenzverwalter zu rechnen ist. Eine solche Titelwirkung entfaltet die Eintragung des Prüfungsergebnisses in das Verzeichnis nach § 11 Abs. 2 Satz 3 GesO aber gerade nicht (vgl. u. zu IV.). Die neue Insolvenzordnung hält demgegenüber an der Urteilswirkung des Tabelleneintrags fest (§ 178 Abs. 3 InsO). Demgemäß ist es konsequent, wenn das künftige Recht in § 178 Abs. 2 InsO die Eintragung weiterhin dem Gericht zuweist. Wegen der andersartigen Rechtslage nach der Gesamtvollstrekkungsordnung ist dagegen hier von einer Befugnis des Verwalters zur Eintragung des Prüfungsergebnisses auszugehen 39 . Die Zuweisung der Eintragungsbefugnis an den Verwalter hat gewichtige Konsequenzen für die technische Durchführung des Eintragungsvorgangs. Die bei einer Eintragung durch das Gericht nach der herrschenden Meinung und der Ausgestaltung des Musters 17 des Tabellenformulars zu § 15 A k t O erforderliche Unterzeichnung des Prüfungsvermerks zu jeder einzelnen Forderung mit Angabe von O r t und Datum durch den terminleitenden Richter oder Rechtspfleger 40 , die bei Großverfahren natürlich äußerst arbeitsintensiv ist41, wird hier ohne weiteres entbehrlich. Rechtspfleger bzw. Richter und Protokollführer brauchen nur noch das Protokoll über den Prüfungstermin als öffentliche Urkunde über dessen ordnungsgemäßen Verlauf zu unterfertigen. Die vom Verwalter vorzunehmende Eintragung erfolgt bei EDV-mäßiger Erstellung des Verzeichnisses durch Aufnahme in die bei ihnen gespeicherte Sammelliste. Ein Ausdruck der Sammelliste wird als Anlage zum Terminsprotokoll genommen, wodurch in öffentlicher Urkunde bewiesen ist, welche Forderungen mit welchem Ergebnis Gegenstand des Termins gewesen sind.
39 So auch Vortmann KTS 1991, 237, 244 f; wohl auch Smid, GesO § 11 Rdn. 39; einschränkend Hess/Binz/Wienberg, GesO, 2. Aufl. § 11 Rdn. 46, die eine Unterzeichnung des Prüfungsvermerks des Verwalters durch das Gericht fordern. 40 Jaeger/Weber aaO (o. Fn. 16) § 145 Rdn. 1; Kuhn/Uhlenbruck aaO (o. Fn. 17); Uhlenbruck/Delhaes, Konkurs- und Vergleichsverfahren (Handbuch der Rechtspraxis 3), 5. Aufl. 1990 Rdn. 798; einen Sammelbeurkundungsvermerk halten bei EDV-mäßiger Erstellung Grub /Steinbrenner ZIP 1985, 707, 711 nach der K O für zulässig, allerdings wird Widerspruch zur A k t O eingeräumt. 41 Vgl. Eickmann/Mohn, Handbuch für das Konkursgericht, 5. Aufl. 1976 Rdn. 312 mit Änderungsvorschlägen de lege lata.
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Werden, etwa aufgrund einer erfolgreichen Feststellungsklage des betreffenden Gläubigers nach § 11 Abs. 3 G e s O oder durch Rücknahme von Anmeldungen, nachträgliche Änderungen des Prüfungsergebnisses erforderlich, so hat diese Änderungen allein der Verwalter - bei E D V mäßiger Führung durch Eingabe der entsprechenden Daten in den Computer - vorzunehmen. Das bisher nach dem Vorbild der KO-Regelung häufig praktizierte Verfahren, daß der Verwalter dem Gericht die Notwendigkeit einer Änderung mitteilt und dieses sodann die Änderung in das bei ihm befindliche Verzeichnis einträgt, wird der GesO, die eben die Führung des Verzeichnisses durch den Verwalter vorschreibt, gleichfalls nicht gerecht. Der Verwalter ist lediglich zu einer Benachrichtigung des Gerichts von der von ihm vorgenommenen Änderung verpflichtet, damit das Gericht gegebenenfalls die Rechtmäßigkeit der Änderung in verfahrensmäßiger Hinsicht nachprüfen kann. Im Recht der K O wird die nachträgliche Berichtigung eines unzutreffend, d. h. nicht mit dem wirklichen Ergebnis des Prüfungstermins übereinstimmenden Tabelleneintrags aufgrund eines unabwendbaren Bedürfnisses zugelassen42. Dies muß auch für das Recht der GesO gelten. Eine sofortige Beschwerde hält die überwiegende Meinung gegen einen unrichtigen Tabelleneintrag allerdings nicht für statthaft, da es sich bei der Eintragung oder deren Unterlassung nicht um eine „Entscheidung" im Sinne von § 73 Abs. 3 K O handele43. Der durch die falsche Eintragung Betroffene muß vielmehr eine Berichtigung beim Konkursgericht beantragen und kann dann gegen die Zurückweisung des Berichtigungsantrags sofortige Beschwerde einlegen. Unter der Gesamtvollstrekkungsordnung scheidet die sofortige Beschwerde nach § 20 GesO gegen eine Falscheintragung durch den Verwalter erst recht aus. U m den Betroffenen angesichts der grundlegenden Bedeutung der Eintragung für die Teilnahme am Verfahren nicht rechtlos zu stellen, muß ihm hier die Befugnis eingeräumt werden, beim Insolvenzgericht den Antrag zu stellen, den Verwalter zur Vornahme der Berichtigung anzuweisen. Der Verwalter kann dann gegen die Anweisung, der Betroffene gegen deren Ablehnung mit der sofortigen Beschwerde vorgehen. IV. Titel für die Nachforderung gegen den Schuldner Der vom Verwalter nach § 17 Abs. 2 G e s O auf der Grundlage des Verzeichnisses der anerkannten Forderungen aufzustellende Vertei-
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O L G Celle KTS 1964, 118 f; Hamm Rpfleger 1965, 78 f; LG Wuppertal KTS 1970,
43 O L G Hamm J W 1927, 863; Jaeger/Weber Uhlenbruck aaO (o. Fn. 17) § 145 Rdn. 7.
aaO (o. Fn. 16) § 145 Rdn. 3;
Kuhn/
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lungsvorschlag entspricht dem Schlußverzeichnis nach der Konkursordnung. Dem gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 GesO vom Insolvenzgericht bestätigten Verteilungsvorschlag kommt deshalb ebenso wie dem Schlußverzeichnis zunächst einmal die Funktion zu, die für die Schlußverteilung teilnahmeberechtigten Gläubiger und die Höhe der auf sie entfallenden Beträge verbindlich festzulegen 44 . Der Verteilungsvorschlag tritt daher wie das Schlußverzeichnis für die Schlußverteilung an die Stelle der Tabelle (des Forderungsverzeichnisses) 45 , so daß bei Abweichungen sein Inhalt dem des Verzeichnisses vorgeht. Über die Festlegung der auf die Forderung bei der Schlußverteilung entfallenden Zahlung hinaus hat der Verteilungsvorschlag nach der GesO aber noch eine weitere Funktion, die dem Schlußverzeichnis nach der KO nicht zukommt. Nach § 18 Abs. 2 Satz 2 GesO sind den Gläubigern zur Verfolgung ihres bei der Verteilung erlittenen Ausfalls bei dem Schuldner vollstreckbare auszugsweise Ausfertigungen „aus dem bestätigten Verzeichnis der Forderungen" zu erteilen. Bei dieser Formulierung handelt es sich wiederum um eine der zahlreichen Dunkelheiten der Gesamtvollstreckungsordnung. Es fragt sich, ob unter dem bestätigten Verzeichnis im Sinne dieser Vorschrift das Verzeichnis der angemeldeten und anerkannten Forderungen gemäß § 11 GesO zu verstehen ist oder ob der Verteilungsvorschlag gemeint ist. Das Wort „Verzeichnis" läßt zunächst an das Forderungsverzeichnis nach § 11 GesO denken. Wäre dieses Verzeichnis gemeint, so entspräche diese Regelung der GesO derjenigen des § 164 Abs. 2 und 3 KO, wonach die Eintragung in die Tabelle den Titel für die Nachforderung gegen den Gemeinschuldner bildet. Die überwiegende Meinung nimmt bislang auch für § 18 Abs. 2 Satz 2 GesO an, daß dem Gläubiger eine Ausfertigung aus dem der Tabelle nach der Konkursordnung entsprechenden Verzeichnis der Verbindlichkeiten des Schuldners zu erteilen ist46. Diese Meinung übersieht aber, daß § 18 Abs. 2 Satz 2 GesO von dem „bestätigten" Verzeichnis spricht. Von einer gerichtlichen Bestätigung des Verzeichnisses nach § 1 1 GesO ist jedoch nirgendwo die Rede. Bestätigt wird vielmehr nach § 1 8 Abs. 1 GesO allein der Verteilungsvorschlag. Dies ist ein starkes Indiz dafür, daß der Gesetzgeber unter der Bestätigung im Sinne von § 1 8 Abs. 2 Satz 2 GesO die unmittelbar vorher geregelte Bestätigung des Verteilungsverzeichnisses versteht. Daß der Gesetzgeber in ein und
44 Für das Schlußverzeichnis RGZ 87, 151, 154; H R R 1932 Nr. 1090; BGH ZIP 1984, 980, 981 = JZ 1984, 1025 m. Anra. Hansjörg Weber. 45 So schon die Begründung zum Entwurf d. KO, bei Hahn aaO (o. Fn. 34) S. 341. 46 So Haarmeyer/Wutzke/Förster aaO (o. Fn. 13) § 18 Rdn. 25; Hess/Binz/Wienberg aaO (o. Fn. 39) § 18 Rdn. 97; Kilger/K. Schmidt aaO (o. Fn. 17) Anm. 3a; hier auch Smid, GesO § 18 Rdn. 21; wohl auch Lübchen/Landfermann ZIP 1990, 829, 836 f.
Zuständigkeit bei der Feststellung der Schuldenmasse
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demselben Absatz eines Paragraphen das Wort Bestätigung jeweils in einem unterschiedlichen Sinne verwendet hat, ohne dies ausdrücklich klarzustellen, ist unwahrscheinlich. Aus dem Verteilungsvorschlag, der auf dem aktualisierten Forderungsverzeichnis beruht, geht bereits hervor, in welcher Höhe der betreffende Gläubiger im Gesamtvollstreckungsverfahren auf seine Forderung befriedigt worden ist, eine Nachforderung also nicht mehr in Betracht kommt; einer Absetzung der ausgezahlten Quoten, wie sie nach der K O bei der Erteilung einer Ausfertigung aus dem Tabelleneintrag erforderlich ist47, bedarf es hier mithin nicht. Desgleichen wird hier die unter der Konkursordnung bestehende Streitfrage vermieden, ob der Auszug aus der Tabelle erst nach der Aufhebung des Verfahrens erteilt werden kann oder ob die Erteilung schon vorher zulässig ist48, denn aus dem Verteilungsvorschlag kann den Gläubigern ein Auszug naturgemäß erst nach vollzogener Verteilung, nach welcher die Gesamtvollstreckung gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 1 GesO einzustellen ist, erteilt werden. Mit der gerichtlichen Bestätigung des Verteilungsvorschlags liegt ferner eine öffentliche Urkunde vor, die diesen Vorschlag als Vollstreckungstitel geeignet macht. Der bestätigte Verteilungsvorschlag tritt daher nach der hier vertretenen Auffassung auch für die Geltendmachung des Nachforderungsrechts der nicht (voll) befriedigten Gläubiger nach Einstellung der Gesamtvollstreckung an die Stelle des Forderungsverzeichnisses. Der zur Geltendmachung des Nachforderungsrechts erforderliche vollstreckbare Auszug ist dem Gläubiger demgemäß aus dem bestätigten Verteilungsvorschlag zu erteilen49. Das Wort „Verzeichnis" in § 18 Abs. 2 Satz 2 GesO anstelle von „Verteilungsvorschlag" stellt wohl bloß einen lapsus linguae des Verordnungs-/Gesetzgebers dar. Für die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu der Ausfertigung gelten keine Besonderheiten gegenüber § 164 Abs. 2 und 3 KO. Kommt nach dem Vorgesagten die Wirkung eines Vollstreckungstitels nur dem bestätigten Verteilungsvorschlag zu, haben die Gläubiger folglich bei vorzeitiger Verfahrenseinstellung wegen nicht kostendeckender Masse (§ 19 Abs. 1 Nr. 3 GesO) keinen Anspruch auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung, da ein Titel mangels eines bestätigten Verteilungsvorschlages nicht „erzeugt" wurde. Die Gläubi47
Vgl. Gaul, Festschrift W e b e r (1975) S. 155, 178. " F ü r Erteilung erst nach A u f h e b u n g die ganz herrschende Meinung: O L G Braunschweig KTS 1978, 256 ff; A G Kaiserslautern Z I P 1988, 989; Kuhn/Uhlenbruch: aaO (o. Fn. 17) § 164 Rdn. 3a; Uhlenbruck D G V Z 1986, 1 f; Kilger/K. Schmidt a a O (o. Fn. 17) § 164 A n m . 3; f ü r vorherige Erteilung Hansens J u r B ü r o 1985, 499 ff. Diese M e i n u n g vertritt auch Smid in seinem Arbeitsbuch „Gesamtvollstreckung" (1992) § 1 2 1 1 unter ausdrücklicher A b w e i c h u n g von seinen A u s f ü h r u n g e n im G e s O K o m m e n t a r (o. Fn. 46), die er a a O Fn. 611 als „in der Diktion u n g e n a u " bezeichnet.
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Bruno M. Kubier
ger müßten, falls sie hierauf Wert legen, den ordentlichen Rechtsweg beschreiten und dort einen Titel erwirken. Diese Konsequenz kann in Kauf genommen werden, da die Gläubiger auch bei Einstellung des Verfahrens vor Abhaltung des Prüfungstermins in Gesamtvollstreckungsverfahren keinen Titel erhalten. Das massearme Verfahren hat zur Aufgabe, die vorhandenen Massegläubiger in einem geordneten Verfahren (teil-) zu befriedigen, nicht jedoch, den ohnehin leer ausgehenden Gesamtvollstreckungsgläubigern einen Vollstreckungstitel zu verschaffen. Will man jedoch diese für die Gläubiger mit zusätzlichen Kosten versehene Konsequenz vermeiden, kann vor Einstellung des Verfahrens ein Schlußtermin abgehalten werden (entspr. § 204 Abs. 2 KO), in dem der Verwalter einen Verteilungsvorschlag vorlegt, der die Ausschüttung einer Quote „Null" ausweist („Null-Vorschlag"). Diesem Verteilungsvorschlag wäre nach Bestätigung durch das Gericht ebenfalls der Charakter eines Vollstreckungstitels zuzusprechen, so daß dem Gericht nach Einstellung des Verfahrens die Erteilung vollstreckbarer Ausfertigungen gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 GesO möglich wäre. V. Resümee Das Fazit dieses Beitrags läßt sich wie folgt ziehen: (1) Der Verwalter kann bei ihm eingehende Anmeldungen von Forderungen als unzulässig zurückweisen. Gegen die Zurückweisung kann der Anmeldende beim Insolvenzgericht den Antrag stellen, den Verwalter zur Eintragung der angemeldeten Forderung anzuweisen. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die sofortige Beschwerde gegeben. (2) Der Verwalter kann das Verzeichnis der angemeldeten Forderungen auch unter Verwendung von EDV führen. (3) Bei dem nach § 11 Abs. 2 GesO abzuhaltenden Prüfungstermin handelt es sich um einen gerichtlichen Termin. (4) Die Eintragung des Prüfungsergebnisses in das Forderungsverzeichnis obliegt dem Verwalter. Die Tätigkeit des Gerichts im Prüfungstermin beschränkt sich darauf, die Einhaltung der Verfahrensvorschriften zu überwachen. Der hierüber zu führende Nachweis erfolgt durch das vom Gericht zu unterzeichnende Terminsprotokoll, dem bei EDV-mäßiger Führung des Forderungsverzeichnisses die Sammelliste der Gläubiger als Anlage beizufügen ist. (5) Das Forderungsverzeichnis verbleibt auch nach dem Prüfungstermin beim Verwalter, der es erst zur Vorbereitung des Schlußtermins zusammen mit dem Verteilungsvorschlag bei Gericht ein-
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reicht. Bis zu diesem Zeitpunkt werden erforderliche nachträgliche Änderungen in dem Verzeichnis - einschließlich der Absetzung bereits gezahlter Quoten - vom Verwalter vorgenommen. (6) Die vollstreckbaren auszugsweisen Ausfertigungen zur Geltendmachung des Nachforderungsrechts gemäß §18 Abs. 2 Satz 2 GesO sind den Gläubigern nach Einstellung des Verfahrens aus dem bestätigten Verteilungsvorschlag zu erteilen.
Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung H A N S - G E O R G LANDFERMANN
Wolfram Henckel hat in der Kommission für Insolvenzrecht wichtige Grundlagen für den Inhalt der neuen Insolvenzordnung gelegt. Aber auch die Gestaltung der Entwürfe hat er aufmerksam mitverfolgt. So hat er sich 1990 auf der Würzburger Arbeitstagung der Zivilprozeßrechtslehrer in seinem Referat zur Insolvenzanfechtung nicht mit - konstruktiver - Kritik an den Lösungen des Referentenentwurfs der Insolvenzordnung begnügt; er hat auch neue Formulierungen für die untersuchten Bestimmungen vorgeschlagen 1 . Dies läßt hoffen, daß er in der ihm gewidmeten Festschrift auch an einem Beitrag zur Form der Insolvenzordnung Gefallen finden wird. I. Die Abgrenzung des Regelungsbereichs der Insolvenzordnung Im Jahre 1983, als sich die Arbeiten der Kommission für Insolvenzrecht ihrem Ende näherten, wurde im Bundesministerium der Justiz damit begonnen, ein Gesetz zu formulieren, das als einheitliches Insolvenzgesetz Konkursordnung und Vergleichsordnung ersetzen sollte. Die erste Frage, die bei der Ausführung dieser überaus reizvollen Aufgabe zu klären war, bestand in der Abgrenzung des Regelungsbereichs des neuen Gesetzes. Der Leitgedanke war vorgegeben: Die neue Insolvenzordnung 2 sollte die Materien zusammenfassen, die bisher in der Konkursordnung und der Vergleichsordnung normiert waren. Es ging um die Regelung des Rechtsgebiets, das als „Konkurs- und Vergleichsrecht", neuerdings häufiger als „Insolvenzrecht" 3 bezeichnet wird 1 Henckel, Insolvenzanfechtung, in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im U m b r u c h (1991), S. 239 ff. 2 Zu diesem Begriff vgl. unten bei IV., S. 528 f. 3 N a c h Häsemeyer, Insolvenzrecht, 1992, S. 3, hat sich der Begriff „Insolvenzrecht" spätestens seit der Einsetzung der Kommission f ü r Insolvenzrecht durchgesetzt. So sind auch Baur/Stürner 1990 in der 12. Auflage ihres Werkes „Zwangsvollstreckungs-, K o n k u r s - und Vergleichsrecht" von dem bisherigen Titel des zweiten Teils „Konkursu n d Vergleichsrecht" zu dem Titel „Insolvenzrecht" übergangen. Uhlenbruck sprach schon 1975 von der „Krise des Insolvenzrechts" ( N J W 1975, 897 ff). F ü r den gegenwärtigen Rechtszustand hat der Begriff „Insolvenzrecht" den weiteren Vorteil, auch das Gesamtvollstreckungsrecht des neuen Teils des Bundesgebiets zu erfassen.
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Hans-Georg Landfermann
und das in Gesetzgebung und Lehre im Prinzip klar von Nachbargebieten wie dem Zivilprozeßrecht, dem Einzelzwangsvollstreckungsrecht, dem Gesellschaftsrecht und dem Arbeitsrecht abgegrenzt ist. Bei näherer Betrachtung fanden sich allerdings auch außerhalb von Konkurs- und Vergleichsordnung zahlreiche Rechtsnormen insolvenzrechtlicher Natur, für die jeweils zu entscheiden war, ob sie von ihrem bisherigen Standort gelöst und in das neue Gesetz aufgenommen werden sollten. Auch wenn man Gesetze und Verordnungen des Landesrechts außer Betracht ließ4, blieben Sondergesetze, eine Verordnung und zahlreiche verstreute Vorschriften in Gesetzen anderer Rechtsgebiete. Es gab auch durchaus Materien, deren systematische Zuordnung zum Insolvenzrecht zweifelhaft erschien. Dies soll an einigen Beispielen demonstriert werden. 1. Eingliederung
von
Sondergesetzen
Von Anfang an war beabsichtigt, das erst 1985 geschaffene Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren, die befristete Sonderregelung eines damals aktuellen Problems, durch eine dauerhafte Regelung in der Insolvenzordnung zu ersetzen 5 . Das noch später entstandene Gesetz zur Schaffung eines Vorrechts für Umlagen auf die Erzeugung von Kohle und Stahl von 1989 mußte im Zusammenhang mit der Insolvenzordnung, die alle Vorrechte beseitigt, ersatzlos entfallen 6 . Eindeutig war auch, daß die noch aktuellen Vorschriften des Gesetzes zur Einführung der Konkursordnung von 1877 und des Einführungsgesetzes zur Konkursnovelle von 1898 einen neuen Standort finden mußten, wobei in erster Linie die Insolvenzordnung selbst oder ein Einführungsgesetz zu dieser in Betracht kamen 7 ; die alten Einführungsgesetze waren jedenfalls aufzuheben 8 . Für die Materien, die Gegenstand 4 Z. B. die Verordnungen über die Konzentration der örtlichen Zuständigkeit der Konkursgerichte nach § 71 Abs. 3 KO; die Gesetze über die Konkursunfähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach Artikel IV des Einführungsgesetzes zur Konkursnovelle von 1898. 5 Dies ist in den §§ 123 und 124 der Insolvenzordnung (InsO) geschehen. Bis zum Inkrafttreten dieser Regelung gilt nach Artikel 22 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) das Sozialplangesetz weiter. 6 Vgl. Artikel 2 Nr. 6 EGInsO. 7 Artikel 17 Abs. 1 EGKO wird in Artikel 110 EGInsO aufrechterhalten. Artikel IV EGKONov hat sein Gegenstück in § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Inhalt des Artikels III EGKONov, der Rechtsverhältnisse außerhalb des Insolvenzverfahrens regelt, ist durch eine Ergänzung des § 761 HGB berücksichtigt worden, vgl. Artikel 40 Nr. 21 EGInsO und die Begründung zu Artikel 38 Nr. 20 des Regierungsentwurfs des Einführungsgesetzes, Bundestags-Drucksache 12/3803, S. 83, auch abgedruckt in Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 1995, S. 561 f. 8 Vgl. Artikel 2 Nr. 2, 3 EGInsO.
Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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der Verordnung über die Vergütung des Konkursverwalters, des Vergleichsverwalters, der Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Mitglieder des Gläubigerbeirats von 1960 sind, wurde entschieden, sie auch in Zukunft in einer Verordnung des Bundesministeriums der Justiz zu regeln9. 2. Abgrenzung
zum Gesellschafts- und
Genosenschaftsrecht
Für die Abgrenzung zum Gesellschaftsrecht wurde an die bisherige Aufteilung der Materien zwischen den insolvenzrechtlichen und den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen angeknüpft. Jedoch war eine Reihe von Unstimmigkeiten der gegenwärtigen Gesetzeslage zu korrigieren. Die Pflicht der Organe bestimmter Gesellschaften, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Insolvenzverfahren zu beantragen, ist heute ausschließlich im Gesellschaftsrecht geregelt; dies wurde auch für die Zukunft beibehalten 10 . Die mit dieser Pflicht zusammenhängende Frage, wer bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit berechtigt ist, den Insolvenzantrag zu stellen, wird gegenwärtig für einige Rechtsformen in der Konkursordnung und der Vergleichsordnung, für andere in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen beantwortet 11 ; sie wird für die Zukunft umfassend in der Insolvenzordnung (§ 15) geregelt. Bedeutsam für die Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Antragspflicht ist, daß die bisherigen Umschreibungen des Überschuldungsbegriffs in diesen Vorschriften beispielsweise mit der Formulierung „wenn das Vermögen der Gesellschaft nicht mehr die Schulden deckt" 12 - mit der Insolvenzrechtsreform durchgängig entfallen; es wird nur noch von „Überschuldung" gesprochen, und die Auslegung dieses Begriffs soll sich nach der Definition in der Insolvenzordnung (§ 19) richten13. Insolvenzrecht und Gesellschafts9 Allerdings waren die wichtigsten Grundsätze für die Höhe der Vergütungen und das Festsetzungsverfahren im Gesetz vorzugeben, um die Verordnungsermächtigung so konkret zu fassen, wie es Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verlangt; vgl. insbes. die §§ 63 bis 65, 73, 293 InsO. 10 Vgl.insbes. § 130 a Abs. 1 H G B , § 92 Abs. 2 AktG, § 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz und § 99 GenG sowie die Anpassung dieser Vorschriften an die Insolvenzrechtsreform durch Artikel 40 Nr. 4, Artikel 47 Nr. 4, Artikel 48 Nr. 7 und Artikel 49 Nr. 16 EGInsO. " § 208 K O regelt das Problem für die Aktiengesellschaft, § 210 K O für die oHG und die KG, § 63 Abs. 2 GmbH-Gesetz in Verbindung mit § 208 K O für die GmbH, § 100 Abs. 1, 2 GenG für die Genossenschaft. 12 So übereinstimmend der Wortlaut in § 92 Abs. 2 Satz 2 AktG und in § 64 Abs. 1 Satz 2 GmbH-Gesetz; ähnlich § 130 a Abs. 1 Satz 1 H G B und § 98 Abs. 1 Nr. 2 GenG. 15 Vgl. Artikel 40 Nr. 4 EGInsO und die Begründung zu Artikel 38 Nr. 3 des Regierungsentwurfs des Einführungsgesetzes, Bundestags-Drucksache 12/3803, S. 81 = Balz/ Landfermann (oben Fn. 7) S. 558; weiter Artikel 47 Nr. 4, Artikel 48 Nr. 7 und Artikel 49 Nr. 15 und 16 EGInsO.
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Hans-Georg Landfermann
recht müssen hier nahtlos miteinander verzahnt werden; es wäre widersprüchlich, eine Person gesellschaftsrechtlich zum Insolvenzantrag zu verpflichten, dieser Person aber nach dem Insolvenzrecht nicht unter den gleichen Voraussetzungen das Recht zum Insolvenzantrag zu geben. Ein etwas größerer Beitrag zur Rechtsbereinigung wurde mit der Aufhebung des Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften geleistet. Aus diesem Gesetz waren einige insolvenzrechtliche Bestimmungen herauszulösen 14 . Dies wurde zum Anlaß genommen, auch die gesellschaftsrechtlichen und die registerrechtlichen Vorschriften an ihre systematisch richtigen Standorte zu verlagern15. Aufgegriffen wurde der Vorschlag der Kommission für Insolvenzrecht, die Regelungen in § 237 (früher: § 341) H G B über die Anfechtung von Rechtshandlungen, durch die einem stillen Gesellschafter seine Einlage zurückgewährt oder sein Anteil an einem Verlust erlassen wird, in das Anfechtungsrecht der Insolvenzordnung zu übernehmen 16 . Der Anfechtungstatbestand des § 32 b GmbH-Gesetz behielt dagegen seinen Standort. Es erschien zweckmäßig, die Aufteilung der Regelungen über kapitalersetzende Darlehen zwischen Konkursordnung (§ 32 a) und GmbH-Gesetz (§§ 32 a, 32 b) so beizubehalten, wie sie der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages erst einige Jahre zuvor bei der Beratung der GmbH-Novelle 1980 abweichend vom Regierungsentwurf festgelegt hatte17. Die umfangreichen Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes über die Haftpflicht der Genossen im Konkursverfahren (§§ 98 bis 117) wurden inhaltlich an die Insolvenzrechtsreform angepaßt, aber an ihrem bisherigen Standort gelassen18. Schwerpunkt dieser Vorschriften ist die Durchsetzung der Nachschußpflicht der Genossen im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Genossenschaft und damit eine Materie im Grenzbereich zwischen Genossenschaftsrecht und Insolvenzrecht.
14 § 1 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes (Beschwerderecht gegen die Abweisung mangels Masse) ging in § 34 Abs. 1 InsO auf, § 1 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes (Unterrichtung des Registergerichts von der Abweisung mangels Masse) in § 31 Nr. 2 InsO. ,s Die Standorte der verlagerten Regelungen sind in der Begründung zu Artikel 2 Nr. 8 des Regierungsentwurfs des Einführungsgesetzes aufgeführt (Bundestags-Drucksache 12/3803, S. 61 = Balz/Landfermann - oben Fn. 7 - S. 477). " Vgl. den Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, Leitsatz 5.7, und § 136 InsO. 17 Vgl. die Gesetzesmaterialien bei Deutler, Das neue GmbH-Recht - GmbH-Novelle 1980, 1980, S. 75, 185 f. - Auch die Kommission für Insolvenzrecht hatte hier keine Änderung des Standorts vorgeschlagen, vgl. den oben (Fn. 16) genannten Leitsatz. 18 Vgl. Artikel 49 Nr. 15 bis 40 EGInsO.
Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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3. Abgrenzung zum Arbeitsrecht Für die Abgrenzung der in der Insolvenzordnung zu regelnden Materien von den arbeitsrechtlichen Gesetzen war die Leitlinie maßgebend, die das materielle Konkurs- und Vergleichsrecht von den im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Rechtsgebieten trennt: Die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens ζ. B. auf schuld- und sachenrechtliche Verhältnisse sind grundsätzlich in den Insolvenzgesetzen geregelt1''. Dementsprechend hat die bisherige Vorschrift über die Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Konkursverfahren ihren Standort in § 21 K O , und auch die weit umfangreicheren Bestimmungen über die Behandlung von Arbeitsverhältnissen im künftigen Insolvenzverfahren sind in die Insolvenzordnung eingestellt worden, von der Höchstkündigungsfrist bis zu den verfahrensrechtlichen Regelungen zur Beschleunigung der Klärung von Kündigungsschutz-Streitigkeiten 20 . Auch die Abweichungen vom allgemeinen Betriebsverfassungsrecht im Falle eines Insolvenzverfahrens sind in diesem Zusammenhang geregelt worden; das Betriebsverfassungsgesetz wird nach dem Inkrafttreten der Insolvenzrechtsreform ebensowenig wie heute Sondervorschriften für das Insolvenzverfahren enthalten. Nicht geändert wurde der Standort der Vorschriften über das Konkursausfallgeld (künftig: Insolvenzausfallgeld) im Arbeitsförderungsgesetz und über die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung im Betriebsrentengesetz 21 . Daß Arbeitsentgelt und Pensionszusagen in dieser Weise abgesichert sind, wird in der Insolvenzordnung nur an einer versteckten Stelle, in § 12 Abs. 2, erwähnt. Dies mag man wegen der großen Bedeutung des Insolvenzausfallgeldes und der Pen-
" Vgl. etwa die §§ 6 bis 8, 17 bis 28 K O und die §§ 50 bis 55, 57 bis 65 VerglO. § 25 KO, der die Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften über die Wirkungen der Konkurseröffnung vorbehält, hat für die im B G B geregelten Materien nur geringe praktische Bedeutung, vgl. § 42 Abs. 1, § 209 Abs. 2 Nr. 2, §§ 728, 1670 Abs. 1, § 1781 Nr. 3 B G B - die beiden letztgenannten Vorschriften werden durch Artikel 33 Nr. 28, 30 EGInsO aufgehoben - und Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., zu § 25. Für die Insolvenzordnung wurde auf eine § 25 K O entsprechende, ohnehin nur deklaratorische Vorschrift verzichtet. Ein Bruch liegt darin, daß Konkursordnung und Vergleichsordnung zwar die Wirkungen der Verfahrenseröffnung auf Rechte an Grundstücken, Schiffen und Schiffsbauwerken regeln, jedoch nicht die entsprechenden Wirkungen auf Rechte an Luftfahrzeugen; diese Regelung findet sich in § 98 Abs. 3 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen. Im Rahmen der Insolvenzrechtsreform wird diese Unstimmigkeit beseitigt (vgl. z. B. § 23 Abs. 3, §§ 33, 81 Abs. 1 InsO und Artikel 38 Nr. 3 Buchstabe b EGInsO). Vgl. die §§ 113, 114, 120 bis 128 InsO. Die Vorschriften werden durch die Artikel 91 und 93 EGInsO angepaßt und weiterentwickelt. 20 21
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sionssicherung für das Insolvenzgeschehen bedauern. Jedoch greifen die bisherigen Regelungen dieser Materien weit über das Verhältnis zwischen Schuldner und Gläubigern hinaus; dies gilt besonders für die Vorschriften über die Aufbringung der erforderlichen finanziellen Mittel. Hinzu kommt, daß der Schutz des Arbeitslohns und der Betriebsrenten nicht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Abweisung eines Insolvenzantrags voraussetzt, sondern auch bei Insolvenz ohne Insolvenzverfahren zur Anwendung kommen kann 22 . 4. Standort der
Restschuldbefreiung
Die Kommission für Insolvenzrecht hatte das rechtspolitische Anliegen, eine Restschuldbefreiung einzuführen, als gerechtfertigt bezeichnet, sich jedoch dagegen ausgesprochen, diese Restschuldbefreiung mit insolvenzrechtlichen Mitteln zu verwirklichen. Eine discharge nach englischem und amerikanischem Recht sei „mit tragenden Grundprinzipien des einheitlichen Insolvenzverfahrens nicht zu vereinbaren"; offenblieb, ob insolventen Schuldnern durch einen erweiterten Vollstreckungsschutz für die Zeit nach Beendigung eines Insolvenzverfahrens oder durch eine Schuldenbereinigung nach Art einer richterlichen Vertragshilfe geholfen werden sollte 23 . Entgegen diesem Vorschlag wurde im Bundesministerium der Justiz entschieden, mit der Insolvenzrechtsreform eine Restschuldbefreiung für redliche Schuldner zu verbinden 24 . Für den Weg zur Restschuldbefreiung wurde ein neues Modell entwickelt: Ein Schuldner, der ohne vorwerfbares Verhalten insolvent wird, erhält die Möglichkeit, sich von seinen Schulden dadurch zu befreien, daß er in einem Insolvenzverfahren sein gegenwärtiges Vermögen zugunsten seiner Gläubiger verwerten läßt und anschließend noch sieben Jahre lang sein pfändbares Einkommen seinen Gläubigern zur Verfügung stellt. Im internationalen Vergleich steht dieses Modell dem besonderen Insolvenzverfahren für Schuldner mit regelmäßigem Einkommen nach Kapitel 13 des Bankruptcy Code der Vereinigten Staaten von Amerika am nächsten 25 . Im Bundesministerium der Justiz bestand kein Zweifel daran, daß die so ausgestaltete Restschuldbefreiung Teil des Insolvenzrechts und daher in der Insolvenzordnung zu regeln sei. Vgl. § 141 b Abs. 3 AFG, § 7 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG. Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, Begründung zu Leitsatz 6.3, S. 162 f. 24 Vgl. Engelhard, Politische Akzente einer Insolvenzrechtsreform, ZIP 1986, 1287, 1291; Balz, Aufgaben und Struktur des künftigen einheitlichen Insolvenzverfahrens, ZIP 1988, 273, 292 f. 25 Vgl. Landfermann, Der moderne Schuldturm und das Insolvenzrecht, in: Aufklärungs- und Beratungspflichten der Kreditinstitute/Der moderne Schuldturm, Bankrechtstag 1992, 1993, S. 111, 125. 22
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Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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Dementsprechend enthielt schon der erste Entwurf der Insolvenzordnung, der Diskussionsentwurf von 1988, einen Abschnitt „Restschuldbefreiung" . In der Fachöffentlichkeit wurde in den folgenden Jahren jedoch erheblich darüber gestritten, ob die Restschuldbefreiung - die sich als rechtspolitisches Ziel immer mehr durchsetzte - nicht besser außerhalb der Insolvenzordnung geregelt würde. So überwog auf der Würzburger Arbeitstagung der Zivilprozeßrechtslehrer von 1990 die Meinung, es sei besser, „zu diesem Zweck ein eigenständiges Verfahren zu schaffen, als die Durchführung eines Insolvenzverfahrens vorzusehen" 26 . Der Bundesrat sprach sich in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung ebenfalls für ein selbständiges Entschuldungsverfahren außerhalb der Insolvenzordnung aus, wobei für diesen Vorschlag allerdings vor allem die Furcht vor einer übermäßigen Belastung der Insolvenzgerichte maßgeblich war27. In der ersten Lesung des Regierungsentwurfs im Deutschen Bundestag übernahm der Abgeordnete Pick die Forderung der Wohlfahrts- und Schuldnerberatungsverbände, die Restschuldbefreiung aus der Insolvenzordnung herauszunehmen und in einem vereinfachten, auf die besonderen Bedürfnisse der Verbraucher zugeschnittenen Verfahren zu regeln; der Abgeordnete von Stetten sprach sich aus rechtsdogmatischen Gründen für einen Standort im Achten Buch der Zivilprozeßordnung aus28. Bei der Einzelberatung des Entwurfs im Rechtsausschuß setzte sich dann aber die Auffassung durch, die Karsten Schmidt nachdrücklich in der Anhörung des Rechtsausschusses am 28. April 1993 verfochten hatte: Die lebenslange Schuldenhaftung natürlicher Personen betrifft nicht nur Verbraucher, sondern ebensosehr unternehmerisch tätige Personen; ein Sondergesetz für Verbraucher würde das Problem daher nicht lösen. Die gesetzliche Restschuldbefreiung für insolvente Schuldner muß den Gläubigern gegenüber legitimiert werden und sollte daher ebenso wie der heutige Zwangsvergleich Teil des Insolvenzrechts sein29. Die Vorschriften über die Restschuldbefreiung blieben Teil der Insolvenzordnung (§§ 286 bis 303), wurden allerdings durch besondere Vorschriften für Verbraucherinsolvenzen ergänzt (§§ 304 bis 314)30. 26 Insolvenzrecht im Umbruch (oben Fn. 1), Diskussionsbericht von Leipold/Favoccia, S. 273, 282. 27 Bundestags-Drucksache 12/2443, S. 254 ff. 28 Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, 94. Sitzung am 3. Juni 1992, Plenarprotokoll 12/7775 f. 29 Protokoll der 74. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages in der 12. Wahlperiode am 28. April 1993, S. 242 f. - Viele andere Sachverständige forderten bei dieser Anhörung, die Restschuldbefreiung in einem besonderen Gesetz zu regeln. 30 Ausführlich zur Entschuldung als Teil des Insolvenzrechts Haiemeyer (oben Fn. 3), S. 19, 46 bis 55.
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II. Aufbau und Gliederung der Insolvenzordnung Die Verfasser der Konkursordnung haben versucht, das materielle Konkursrecht und das Konkursverfahrensrecht getrennt zu regeln; jede dieser Materien wurde in einem gesonderten Buch der Konkursordnung behandelt 31 . Jedoch sind Prozeßrecht und materielles Recht, deren Abgrenzung und Wechselwirkungen Henckel für das Gebiet des Zivilprozeßrechts eingehend untersucht hat32, im Bereich des Insolvenzrechts in besonderer Weise miteinander verwoben. Materiell-rechtliche Wirkungen treten nicht erst mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens ein, sondern schon mit dessen Eröffnung, ja sogar schon mit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen vor der Eröffnung. Auch zwischen Eröffnung und Abschluß des Verfahrens können durch Anordnungen des Gerichts Änderungen der materiellen Rechtslage eintreten, z. B. wenn dem Schuldner Verfügungsbeschränkungen nach den §§ 58 bis 64 VerglO oder nach § 277 InsO, der die Eigenverwaltung unter Aufsicht eines Sachwalters betrifft, auferlegt werden. Ein Gesetzesaufbau, der Prozeßrecht und materielles Recht trennt, muß daher das Verständnis des Gesetzes erschweren. Das gilt noch besonders, wenn wie in der Konkursordnung - zunächst die Wirkungen der Eröffnung des Verfahrens auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners über sein Vermögen geregelt werden (§§ 1, 6 bis 8 K O ) und erst viel später die Voraussetzungen der Eröffnung des Verfahrens (§§ 71, 102, 103, 105, 107 KO). Inkonsequent ist die Konkursordnung, wenn sie die Wirkungen der Verfahrenseröffnung für anhängige Rechtsstreitigkeiten und für die Einzelzwangsvollstreckung, also prozeßrechtliche Fragen, doch wieder im Zusammenhang mit den materiell-rechtlichen Wirkungen der Eröffnung behandelt (§§ 10, 11, 14 KO). Bereits die Vergleichsordnung von 1935 ist dem Aufbau der Konkursordnung nicht gefolgt. Sie beginnt mit den Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung (§§ 2 bis 10, 17, 18 VerglO); die materiell-rechtlichen Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses folgen in den §§ 46 bis 55. Dieser Gesetzesaufbau nach dem Verfahrensablauf ist auch in dem unveröffentlichten Entwurf einer überarbeiteten Konkursordnung von 1937/38 übernommen worden, der im Reichsjustizministerium im Anschluß an die Verabschiedung der Vergleichsordnung ausgearbeitet worden war. Die Insolvenzordnung folgt in dieser Hinsicht ebenfalls der Vergleichsordnung. Allerdings bilden die Vorschriften über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Zweiten Teil des Gesetzes. Als Erster Teil
31
32
Vgl. Hahn (Hrsg.), Die gesamten Materialien zur Konkursordnung ..., 1881, S. 43. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970.
Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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sind einige allgemeine Vorschriften insbesondere über das zuständige Gericht, die Verfahrensgrundsätze und die Rechtsmittel vorangestellt; ähnliche allgemeine Verfahrensvorschriften sind in der Vergleichsordnung schwer auffindbar vor den Schluß- und Ubergangsvorschriften eingestellt (§§ 115 bis 121). Der Dritte Teil der Insolvenzordnung enthält die - überwiegend materiell-rechtlichen - Regelungen der „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens". Es entspricht dem weiteren Verfahrensablauf, wenn im Vierten Teil die „Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse" und im Fünften Teil die „Befriedigung der Insolvenzgläubiger" (und die Einstellung des Verfahrens) geregelt sind. Auch die Regelung des Insolvenzplans im Sechsten Teil des Gesetzes kann man noch in dieses Schema einordnen; sie betrifft eine Alternative zur Beendigung des Verfahrens durch die gesetzlich vorgegebene Verteilung der „versilberten" Insolvenzmasse an die Gläubiger. In den folgenden Teilen der Insolvenzordnung werden dann allerdings besondere Verfahrensabläufe normiert, die nicht zeitlich aufeinander folgen: die Eigenverwaltung im Siebten Teil33, die - materiell-rechtlichen und prozeßrechtlichen - Voraussetzungen der Restschuldbefreiung im Achten Teil und das Verbraucherinsolvenzverfahren im Neunten Teil. Daß die beiden letztgenannten Materien eigene Teile der Insolvenzordnung bilden, geht auf einen Vorschlag des Abgeordneten Gres, eines der Berichterstatter im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, zurück; die sozialpolitische Bedeutung dieser Materien sollte herausgestellt werden34. Die Besonderheiten des Nachlaß- und Gesamtguts-Insolvenzverfahrens im Zehnten Teil sind wie in der Konkursordnung und der Vergleichsordnung weit nach hinten gestellt. Abweichend von diesen Gesetzen wird jedoch das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit nicht mehr als Besonderheit in einem Schlußkapitel behandelt. Diese Fälle sind vielmehr im ganzen Gesetz gleichgewichtig mit dem Fall der Insolvenz einer natürlichen Person berücksichtigt. Damit wurde der Rechtswirklichkeit Rechnung getragen, in der bei
J J Im Regierungsentwurf war die Eigenverwaltung (in zwei Varianten) zusammen mit dem Nachlaßinsolvenzverfahren in den Teil „Besondere Arten des Insolvenzverfahrens" eingestellt. Leipold hat aber zutreffend darauf hingewiesen, daß Eigenverwaltung und Nachlaßinsolvenzverfahren „nicht auf der gleichen Stufe der Systematik stehen"; auch in einem Nachlaßinsolvenzverfahren ist eine Eigenverwaltung denkbar (Leipold, Die Eigenverwaltung mit Sachwalter und die Eigenverwaltung bei Kleinverfahren, in: Insolvenzrecht im Umbruch - oben Fn. 1 - S. 165). >4 Im Regierungsentwurf der Insolvenzordnung wurde die Restschuldbefreiung als Dritter Abschnitt des Fünften Teils weniger herausgehoben. Vereinfachungen für Kleininsolvenzverfahren fanden sich insbesondere im Zweiten Abschnitt des Achten Teils.
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der Unternehmensinsolvenz die Insolvenz des persönlich haftenden Unternehmers nicht mehr im Vordergrund steht 35 . Die Ubergangs- und Schlußvorschriften zur Insolvenzordnung sind in ein besonderes Einführungsgesetz verlagert worden, wie dies bei größeren Kodifikationen üblich ist36. Sie sind im Dritten Teil des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung enthalten, dem die Neufassung des Anfechtungsgesetzes als Erster Teil und die Aufhebung des geltenden Insolvenzrechts sowie die Anpassung zahlreicher Bundesgesetze an die Insolvenzrechtsreform im Zweiten Teil vorangehen 37 . In den Dritten Teil wurde zusätzlich eine Bestimmung über das Internationale Insolvenzrecht aufgenommen (Artikel 102 E G I n s O ) , die vorläufig den weit umfangreicheren Neunten Teil des Regierungsentwurfs der Insolvenzordnung erstezt. Eine ausführlichere Regelung des Internationalen Insolvenzrechts soll im Zusammenhang mit der Ratifikation des künftigen Insolvenzrechts-Ubereinkommens der Europäischen Gemeinschaften erfolgen 38 . Trotz des besonderen Einführungsgesetzes mußte auch in die Insolvenzordnung selbst eine Bestimmung über das Inkrafttreten eingefügt werden, die für sich allein den Elften Teil der Insolvenzordnung bildet und für das Inkrafttretensdatum auf das Einführungsgesetz verweist (§ 335). Die Bestimmung erschien aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich; nach Artikel 82 Abs. 2 G G soll jedes Gesetz den Tag des Inkrafttretens bestimmen, und wenn eine solche Bestimmung fehlt, tritt das betreffende Gesetz vierzehn Tage nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Die längeren Teile der Insolvenzordnung sind in Abschnitte aufgeteilt, und zwar in jeweils drei Abschnitte. Keiner der 335 Paragraphen des Gesetzes hat mehr als drei Absätze, und kein Absatz hat mehr als
35 Noch weiter geht Karsten Schmidt mit der Forderung: „Seiner Anlage nach muß sich das Insolvenzrecht der Unternehmen am Fall der Gesellschaftsinsolvenz orientieren, nicht am Problemfall des Einzelunternehmers." (Möglichkeiten der Sanierung von Unternehmen durch Maßnahmen im Unternehmens-, Arbeits-, Sozial- und Insolvenzrecht, Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag, 1982, S. D 40). 36 Vgl. Handbuch der Rechtsförmlichkeit, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, 1991, Rdnr. 344,514. 37 Abweichend vom Regierungsentwurf ist in der endgültigen Fassung des Einführungsgesetzes von der Anpassung solcher Bundesgesetze abgesehen worden, deren Änderung das Gesetz von der Zustimmung des Bundesrates abhängig gemacht hätte (vgl. Artikel 84 Abs. 1, Artikel 105 Abs. 3, Artikel 108 Abs. 5 Satz 2 GG). Beispielsweise muß die Anpassung der Abgabenordnung (Artikel 60 des Regierungsentwurfs des Einführungsgesetzes, Bundestags-Drucksache 12/3803, S. 40 f) noch nachgeholt werden. 38 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, Bundestags-Drucksache 12/7303, S. 117 = Balz/Landfermann (oben Fn. 7) S. 663 (zu Artikel 106 a).
Zur Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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drei Sätze; damit wird ein Prinzip beachtet, das der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages insbesondere im Zusammenhang mit der GmbH-Novelle 1980 vorgegeben hatte39 und das damals ζ. B. dazu führte, daß § 32 a GmbH-Gesetz, der in der Fassung des Regierungsentwurfs aus sieben Absätzen bestand, auf drei Absätze reduziert wurde 40 . Die Länge der einzelnen Sätze ist allerdings nicht begrenzt, und auch für die Aufgliederung eines Satzes in Nummern wird die Höchstzahl 3 nicht beachtet 41 . III. Zum Stil der Insolvenzordnung 1. Die knappen Formulierungen
der Konkursordnung
als Vorbild
Gesetze können knapp oder ausführlich formuliert sein. Den Ehrgeiz, alle Rechtsfragen der erfaßten Rechtsgebiete abschließend zu regeln, mag man bei der Abfassung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 mit seinen annähernd 20 000 Paragraphen gehabt haben 42 . Heute wird dieses Ziel jedenfalls in Deutschland nicht mehr verfolgt. Dennoch gibt es auch in der heutigen Zeit Gesetze, die sich auf die wesentlichen Grundsätze beschränken, und andere, die detailfreudig Regeln, Ausnahmen und Unterausnahmen aufeinanderhäufen. Welcher Stil das einzelne Gesetz prägt, hängt nicht selten von der geregelten Materie ab; beispielsweise müssen Straftatbestände genauer beschrieben werden als die Anwendungsvoraussetzungen zivilrechtlicher Normen, zwingende Vorschriften sollten detaillierter sein als dispositive, verfahrensrechtliche Vorschriften verlangen mehr Einzelheiten als materiellrechtliche; Häufig ist es aber auch der persönliche Stil der jeweiligen Gesetzesverfasser, der verschiedene Gesetze der gleichen Rechtsmaterie unterschiedlich ausführlich werden läßt. Beispielsweise steht neben dem knapp formulierten GmbH-Gesetz mit seinen jetzt rund 110 Paragraphen43 das Aktiengesetz mit über 400 Paragraphen. Das Warenzei" Vgl. Helmrich, Fünfzehn Jahre gemeinsame Arbeit im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages, in: Recht und Pflicht, Festschrift für Detlef Kleinert zum 60. Geburtstag, 1992, S. 96 ff. - Eugen Huber, auf den sich Helmrich beruft, hat bei seiner Arbeit am Schweizer Zivilgesetzbuch als Leitlinie genommen, daß kein Artikel mehr als drei Absätze und kein Absatz mehr als einen einzigen Satz haben sollte. 40 Vgl. Deutler - oben Fn. 17 - S. 69 bis 74. 41 Vgl. etwa die §§ 96 und 104 InsO. 42 Wie Hucko berichtet, trug diese Länge den Verfassern bereits die Randbemerkung Friedrichs des Großen ein: „Es ist aber sehr dicke, und Gesetze müssen kurz und nicht weitläufig sein." (Hucko, Zum 200. Geburtstag des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten, N J W 1994, 1449). 43 Durch Artikel 48 E G I n s O und Artikel 4 des Gesetzes zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3209) sind im Ergebnis 18 Paragraphen hinzugekommen.
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chengesetz mit seinen 40 Paragraphen ist soeben durch das Markengesetz vom 25. Oktober 1994 mit 164 Paragraphen ersetzt worden. Von den geltenden deutschen Insolvenzgesetzen ist die Vergleichsordnung am ausführlichsten formuliert; so ist das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen in § 50 VerglO erheblich detaillierter geregelt als in § 1 7 K O . Die Gesamtvollstreckungsordnung des neuen Teils des Bundesgebiets erscheint übermäßig kurz; ihre lückenhaften Regelungen stellen die Rechtsanwendung vor erhebliche Probleme 44 . Die richtige Mitte dürfte die Konkursordnung gefunden haben, die jedenfalls in ihren unverändert gebliebenen Teilen knapp abgefaßt ist45, ohne die Fragen der Praxis allzuoft unbeantwortet zu lassen. Bei der Formulierung der Entwürfe zur Insolvenzordnung wurde dementsprechend die Regelungsdichte der Konkursordnung zum Vorbild genommen. Dies erleichterte es auch, einzelne Vorschriften dieses Gesetzes wörtlich oder fast wörtlich zu übernehmen 46 . Allerdings wurde immer wieder versucht, die zum Teil umständliche Ausdrucksweise der Konkursordnung zu vereinfachen; beispielsweise dürfte § 96 InsO über die Unzulässigkeit der Aufrechnung im Insolvenzverfahren erheblich klarer formuliert sein als § 55 K O , § 206 InsO über den Ausschluß von unbekannten Massegläubigern erheblich verständlicher als § 172 KO 4 7 . Nicht selten erschienen Formulierungen der Vergleichsordnung näher am gegenwärtigen Sprachgebrauch als die Parallelvorschriften der Konkursordnung 48 . 2. Ausführlichere
Regelungen
in einzelnen
Bereichen
Verschiedene Gesichtspunkte sprachen dafür, bei der Abfassung der Entwürfe der Insolvenzordnung bestimmte Bereiche des Insolvenzrechts ausführlicher zu regeln, als dies in der Konkursordnung geschehen war. 44 Vgl. M. Zeuner, Gesamtvollstreckungsordnung der neuen Bundesländer, 1992, S. 9 bis 18; Smid, Das Insolvenzrecht der neuen Bundesländer, 1994, insbes. S. 5 bis 11. 45 Beispielsweise haben die §§ 59 und 61 erst durch Gesetzesänderungen ihre heutige übermäßige Länge erhalten. 46 So ist § 3 Abs. 1 K O fast unverändert zu § 38 InsO geworden, § 17 Abs. 1 K O fast unverändert zu § 103 Abs. 1 InsO. 47 Mit der Vereinfachung der Formulierung überlieferter Normen ist offensichtlich die Gefahr verbunden, unbewußt den Inhalt zu ändern. So hat Henckel zu § 141 des Referentenentwurfs der Insolvenzordnung darauf hingewiesen,, daß die gegenüber § 237 H G B vereinfachte Fassung der Vorschrift eine nicht gerechtfertigte inhaltliche Abweichung enthielt; anstelle der Rückgewähr der Einlage eines stillen Gesellschafters war unbeabsichtigt die Vereinbarung der Rückgewähr anfechtbar gemacht worden (Henckel, Insolvenzanfechtung - oben Fn. 1 - , S. 247). Aufgrund dieses Hinweises wurde die Formulierung der Vorschrift, jetzt § 136 InsO, entsprechend korrigiert. 48
Vgl. beispielsweise § 73 Abs. 1 K O / § 117 VerglO/§ 5 Abs. 2 InsO.
Z u r Gestaltung u n d Formulierung der I n s o l v e n z o r d n u n g
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In einigen Bereichen hatten zu knappe Formulierungen der Konkursordnung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten geführt. Besonders augenfällig war dies bei der Regelung von gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen vor der Verfahrenseröffnung (§ 106 KO); die rechtlichen Konsequenzen der in der Praxis weit verbreiteten Sequestration sind bis heute weithin ungeklärt 49 . Ein nicht weniger eindeutiges Beispiel ist das Verfahren bei Massearmut. Die zu pauschale Regelung des § 204 K O hat in Verbindung mit der inhaltlich verfehlten Rangordnung des § 60 K O und der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 1984 die Praxis vor fast unlösbare Aufgaben gestellt, bis schließlich durch die neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Dezember 1991 und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30. März 1993 die wirtschaftlich sinnvolle Abwicklung massearmer Verfahren wieder möglich gemacht wurde. Allerdings blieben auch nach diesen Entscheidungen wichtige Fragen offen 50 . Sowohl zur Sequestration (in Zukunft: vorläufige Insolvenzverwaltung) als auch zu massearmen Verfahren brachten die Entwürfe und bringt die Insolvenzordnung ausführlichere, den Bedürfnissen der Praxis entgegenkommende Lösungen (vgl. die §§ 21 bis 25, 207 bis 211 InsO). Die Behandlung der dinglichen Sicherheiten im künftigen Insolvenzverfahren bildete schon vor der Einsetzung der Kommission für Insolvenzrecht einen Schwerpunkt der Diskussionen um die Insolvenzrechtsreform 51 . Der Vorschlag der Kommission, pauschal 25 % vom Verwertungserlös der besitzlosen Mobiliarsicherheiten abzuziehen und es unmöglich zu machen, diese zusätzlichen Kosten durch eine höhere Bemessung der Sicherheit aufzufangen, wurde in der Öffentlichkeit heftig kritisiert52. Das Bundesministerium der Justiz bemühte sich im Diskussionsentwurf der Insolvenzordnung, dieser Kritik durch eine differenzierte Lösung den Boden zu entziehen; an die Stelle des pauschalen Kostenabzugs wurde eine Regelung gesetzt, die zwischen Feststellungskosten, Erhaltungskosten, Verwertungskosten und Umsatzsteuerbelastung unterschied. Erneute Kritik an Details dieser Lösung wurde durch weitere Differenzierungen in den späteren Entwürfen beantwortet 53 . " Vgl. Kilger/Karsten Schmidt, K O , 16. Aufl., § 106 A n m . 4. 50 Vgl. B G H Z 90, 145; 116, 233; B V e r f G Z I P 1993, 838; Henckel, Die Behandlung der Neumasseschulden bei Massearmut, Z I P 1993, 1277. 51 Vgl. n u r Henckel, Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages, Bd. II, 1976, S. 8. " Erster Bericht (oben Fn. 16), Leitsatz 3.3.2; dazu ζ. B. Seuffert, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Reformvorschlägen der Kommission f ü r Insolvenzrecht, Z I P 1986, 1157. " Vgl. Serick, Mobiliarsicherheiten im Diskussionsentwurf zur Reform des Insolvenzrechts, Z I P 1989, 409; ders., Die Mobiliarsicherheiten im Referentenentwurf zur Insolvenzrechtsref o r m , BB 1990, 861. Beispielsweise w u r d e § 185 Abs. 2 des Diskussionsentwurfs im Referentenentwurf dahin verfeinert, daß Erhaltungskosten n u r noch dann zu ersetzen sein sollten, wenn sie „auch im Interesse des absonderungsberechtigten Gläubigers" erforderlich waren.
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Das neue Rechtsinstitut des Insolvenzplans wurde in den Entwürfen erheblich ausführlicher geregelt als der Zwangsvergleich in der Konkursordnung, dessen Funktionen der Insolvenzplan übernehmen und erheblich erweitern soll. Hier spielte eine Rolle, daß sich die Verfasser der Entwürfe auf Neuland vorwagten, auf ein Gebiet, zu dem es noch keine eingespielte Praxis gab. Die Restschuldbefreiung wurde aus dem gleichen Grund sehr detailliert geregelt; zusätzlich sollten damit Mißbräuche verhindert, einheitliche Maßstäbe für die Gewährung der Restschuldbefreiung sichergestellt und die Gerichte soweit wie möglich vor arbeitsaufwendigen Ermessensentscheidungen bewahrt werden. Auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes verlangten in einzelnen Bereichen ausführlichere Regelungen, als sie sich in der Konkursordnung fanden. Eingriffe in Grundrechtspositionen wie die Anordnung einer Postsperre sind in einem heute formulierten Gesetz genauer einzugrenzen als im vorigen Jahrhundert 54 . Verordnungsermächtigungen müssen genauer bestimmt sein55.
3. Die „ Verschlankung" des Regierungsentwurfs
im
Rechtsausschuß
Bei den Erörterungen des Regierungsentwurfs der Insolvenzordnung im Plenum des Deutschen Bundestages und in dessen Rechtsausschuß ist die Länge und Detailliertheit des Regierungsentwurfs umfassend thematisiert worden. So wurden bei der Anhörung im Rechtsausschuß den 399 Paragraphen des Regierungsentwurfs spektakulär die 32 Paragraphen der Gesamtvollstreckungsordnung und des GesamtvollstreckungsUnterbrechungsgesetzes gegenübergestellt. Die Berichterstatter des Rechtsausschusses haben dann erhebliche Mühe darauf verwendet, den Regierungsentwurf inhaltlich und redaktionell zu „verschlanken". Das Ergebnis war die Kürzung auf den vom Rechtsausschuß und - unverändert - vom Deutschen Bundestag beschlossenen Text der Insolvenzordnung, der nur noch aus 335 Paragraphen besteht. Beispiele für redaktionelle Kürzungen sind: - § 12 des Regierungsentwurfs, der im Anschluß an § 124 VerglO klarstellte, daß Zwangsvollstreckung im Sinne des Gesetzes auch die Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung sei, ist
54 Vgl. einerseits die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1, § 102 InsO, andererseits § 121 KO. Entsprechend ist die Anordnung von Haft in § 98 Abs. 3 InsO ausführlicher geregelt als in § 101 Abs. 2 K O . 55 Vgl. einerseits die §§ 63 bis 65 InsO, andererseits § 85 K O und oben Fn. 9.
Z u r Gestaltung und F o r m u l i e r u n g der I n s o l v e n z o r d n u n g
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vom Rechtsausschuß als selbstverständlich gestrichen worden 56 . Dies wird bei der Auslegung der Insolvenzordnung zu berücksichtigen sein. - Im Regierungsentwurf war parallel zur Ersatzaussonderung (§ 55) auch die Ersatzabsonderung (§ 60) geregelt. Der Rechtsausschuß strich die letztere Regelung „aus Gründen der redaktionellen Straffung" und empfahl, weiterhin die Vorschriften über die Ersatzaussonderung analog auf die Fälle der Ersatzabsonderung anzuwenden 57 . - Der Regierungsentwurf enthielt eine ganze Reihe von Vorschriften darüber, welche Informationen den Gläubigern im „darstellenden Teil" des Insolvenzplans zu geben waren (§§ 258 bis 263). In der Insolvenzordnung sind diese Vorschriften zu einem einzigen Paragraphen zusammengeschmolzen, der in zwei Absätzen die Funktionen des darstellenden Teils generalklauselartig umschreibt (§ 220). Viele Kürzungen waren die Folge von inhaltlichen Vereinfachungen und von Maßnahmen zur Entlastung der Insolvenzgerichte. Als kennzeichnende Beispiele können angeführt werden: - Aus den detaillierten Vorschriften des Regierungsentwurfs über die Mobiliarsicherheiten wurden die Regelungen über die Erhaltungskosten (in § 195 Abs. 1, § 196 Abs. 2) und die Ersatzsicherheiten (in den §§ 197, 198) gestrichen. O b der Insolvenzverwalter Kosten zur Erhaltung von Sicherungsgut aufwendet und wer diese Kosten im Ergebnis trägt, soll nach dem Bericht des Rechtsausschusses der Vereinbarung zwischen den Beteiligten überlassen bleiben. Ebenso soll zwischen gesichertem Gläubiger und Verwalter gegebenenfalls vereinbart werden, unter welchen Bedingungen eine Sicherheit gegen eine Ersatzsicherheit ausgetauscht werden kann58. - Nach geltendem wie nach künftigem Recht kann die Zwangsversteigerung eines zur Masse gehörigen Grundstücks mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Insolvenzverfahrens eingestellt werden. Nach dem Regierungsentwurf sollte die Zuständigkeit für diese Einstellung, die heute beim Vollstreckungsgericht liegt (§ 30 c ZVG), auf das Insolvenzgericht übertragen werden; die Einstellung war demgemäß in der Insolvenzordnung, in den §§ 187 bis 189 das Regierungsent56 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses z u m Regierungsentwurf der Insolvenzordnung, Bundestags-Drucksache 12/7302, S. 156 = Balz/Landf ermann (oben Fn. 7) S. 96 Fn. 3. 57 Bundestags-Drucksache 12/7302 S. 160 = Balz/Landfermann (oben Fn. 7) S. 126 Fn. 3. - D a ß der Gesetzgeber hier b e w u ß t eine Regelung unterlassen hat, schließt die Analogie nicht aus, vgl. Pawlowski, Methodenlehre f ü r Juristen, 2. Aufl. 1991, R d n . 470 f: offene, anfängliche Regelungslücke. 58 Bundestags-Drucksache 12/7302 S. 170 = Balz/Landfermann (oben Fn. 7) S. 288.
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wurfs, geregelt. Die Berichterstatter des Rechtsausschusses entschieden sich dafür, die Zuständigkeit beim Vollstreckungsgericht zu belassen. Der Inhalt der genannten Vorschriften des Regierungsentwurfs wurde in die §§ 30 d bis 30 f Z V G verlagert. - Entsprechend einem Vorschlag der Kommission für Insolvenzrecht sah der Regierungsentwurf im Rahmen des Rechts der Insolvenzanfechtung ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit und des maßgeblichen Eröffnungsantrags vor (§§ 157, 158). Es sollte widersprechende Entscheidungen verschiedener Gerichte zu den Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung vermeiden helfen und die Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen erleichtern. Der Rechtsausschuß strich dieses Verfahren als unnötige Komplikation und als zusätzliche Belastung der Insolvenzgerichte 59 . Auch die Berichterstatter des Rechtsausschusses sahen aber nicht jede Kürzung des künftigen Gesetzes als Verbesserung an. Insbesondere die Vorschriften über das Verbraucherinsolvenzverfahren, die im Rechtsausschuß in das Gesetz eingefügt wurden, sollten nach der Vorstellung der Berichterstatter anschaulich und ins einzelne gehend formuliert sein, damit sie von den verschuldeten Verbrauchern selbst und von ihren Beratern - die nicht unbedingt rechtskundig sein müssen - verstanden und als „Gebrauchsanweisung" auch für außergerichtliche Einigungen benutzt werden könnten. Dementsprechen sind die §§ 304 bis 314 InsO einigermaßen detailliert abgefaßt. Die Berichterstatter hatten auch keine Bedenken dagegen, die ohnehin schon ausführlichen Vorschriften über die Restschuldbefreiung noch um einige Regelungen zu ergänzen, die Mißbräuchen wehren, das Verfahren praktikabler gestalten und den Durchhaltewillen des Schuldners stärken sollten 60 . Der Inhalt der Regelungen hatte für die Berichterstatter eindeutig Vorrang vor der redaktionellen Kürze. IV. Zur Terminologie der Insolvenzordnung Bei der Formulierung der Insolvenzordnung konnte häufig an die Terminologie der geltenden deutschen Insolvenzgesetze angeknüpft werden. Es wurden aber auch zahlreiche neue Begriffe geprägt. Schon die Kommission für Insolvenzrecht hatte das neue Verfahren, in dem Konkurs- und Vergleichsverfahren aufgehen sollten, „Insolvenz-
59 Bundestags-Drucksache 12/7302 S. 165 = Balz/Landfermann (oben Fn. 7) S. 227 f Fn. 1. 60 Ergänzt wurden unter diesen Gesichtspunkten z. B. § 287 Abs. 3, § 288, § 293 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2, § 297 InsO.
Z u r Gestaltung und Formulierung der Insolvenzordnung
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verfahren" getauft, den darin tätigen Verwalter „Insolvenzverwalter" und das aufsichtsführende Gericht „Insolvenzgericht"; sie hatte von „Insolvenzgläubigern" und „Insolvenzmasse" gesprochen. Damit war sie dem schon zu dieser Zeit verbreiteten Sprachgebrauch gefolgt, der ζ. B. das Wort „Insolvenzverwalter" als Oberbegriff von Konkurs- und Vergleichsverwalter kannte, die Konkurs- und Vergleichsstatistik unter dem Begriff der „Insolvenzstatistik" zusammenfaßte und mit der „Insolvenzsicherung" der betrieblichen Altersversorgung auch schon in einem Gesetz, dem Betriebsrentengesetz, seinen Niederschlag gefunden hatte. Bei der Formulierung des ersten Gesetzentwurfs, des Diskussionsentwurfs von 1988, wurde im Bundesministerium der Justiz noch einmal erwogen, den traditionellen Begriff „Konkursverfahren" beizubehalten, der vom Wortsinn her auf das neue, auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger ausgerichtete Verfahren ebensogut gepaßt hätte wie der Begriff „Insolvenzverfahren". Für die neue Terminologie sprach jedoch entscheidend, daß sie am besten zum Ausdruck brachte, daß mit der Zusammenfassung der bisherigen Verfahrenstypen zu einem einheitlichen Verfahren und mit vielen inhaltlichen Abweichungen vom geltenden Recht etwas grundlegend Neues geschaffen wurde. D e m entsprechend wurde das neue Gesetz „Insolvenzordnung" genannt. Die Begriffe „Insolvenzverwalter", „Insolvenzgericht" und „Insolvenzmasse" werden regelmäßig nur einmal in jedem Paragraphen in dieser vollen Form verwendet; muß der Begriff wiederholt werden, so wird er auf „Verwalter", „Gericht" oder „Masse" verkürzt. Von dieser Kürzung wird insbesondere dann abgesehen, wenn sie den Sinn der Vorschrift weniger deutlich machen würde, ζ. B. wenn das „Insolvenzgericht" dem Landgericht als Beschwerdegericht gegenübergestellt wird (§ 6 InsO). Entsprechend wird auch bei dem neuen Begriff des „Insolvenzplans" verfahren. Andere neue Begriffe, die bei der Formulierung der Entwürfe zur Insolvenzordnung geprägt wurden, waren der „Berichtstermin" für die Gläubigerversammlung, die auf der Grundlage eines Berichts des Insolvenzverwalters über den weiteren Ablauf des Verfahrens entscheidet (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO), der „nachrangige Insolvenzgläubiger" (§ 39 InsO), durch dessen Einbeziehung der Begriff der „Insolvenzgläubiger" (§ 38) erweitert wird, der „besonders Interessierte" als Umschreibung für den „Insider" (Uberschrift des § 162 InsO), das „Obstruktionsverbot" (§ 245 InsO) für die Übernahme der „cram-down-rule" des amerikanischen Reorganisationsrechts und die „Übernahmegesellschaft" (§ 260 Abs. 3 InsO). Die Kommission für Insolvenzrecht hatte bereits den „Kreditrahmen" (jetzt: § 264 InsO) und die „nahestehende Person" (jetzt: § 138 InsO) kreiert, wobei der letztere dieser Begriffe auch in die Gesamtvollstreckungsordnung eingegangen ist ( § 1 0 Abs. 1 Nr. 2, 3).
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Einige der aus dem geltenden Recht übernommenen Begriffe haben ihren Sinn gewandelt: So kennt die Vergleichsordnung einen „Sachwalter", der die Erfüllung des Vergleichs überwacht (§§ 91 bis 95 VerglO); der „Sachwalter" nach der Insolvenzordnung dagegen beaufsichtigt den Schuldner, der im Insolvenzverfahren verfügungsbefugt bleibt (§§ 270 bis 285 InsO). Die „Gläubigerversammlung" umfaßt in Zukunft auch die absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 74 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 2 InsO). Daß als „absonderungsberechtigt" auch die Gläubiger bezeichnet werden, deren Sicherheiten vom Insolvenzverwalter verwertet werden (vgl. § 166 InsO), mag auf den ersten Blick verblüffen; jedoch sieht auch die Konkursordnung in § 127 Abs. 1 keinen Gegensatz zwischen dem Verwertungsrecht des Verwalters und dem Absonderungsrecht des Gläubigers 61 . Die überkommene Unterscheidung zwischen „Massekosten" und „Masseschulden" ist nicht übernommen worden. Hier hätte die Gefahr bestanden, daß die Ausweitung des Begriffs der „Massekosten" durch die Rechtsprechung und Lehre zur Konkursordnung auf das neue Recht übertragen worden wäre und sich nachteilig auf das Ziel ausgewirkt hätte, die Eröffnung massearmer Verfahren zu erleichtern. Die A b weisung mangels Masse soll nach § 26 Abs. 1 I n s O nur dann erfolgen, wenn die „Kosten des Verfahrens" voraussichtlich nicht gedeckt werden können; dieser Begriff umfaßt nach § 54 I n s O nur die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren sowie die Vergütungen und Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Alle übrigen Masseverbindlichkeiten werden in § 55 unter dem Begriff der „sonstigen Masseverbindlichkeiten" zusammengefaßt. Tritt im eröffneten Insolvenzverfahren „Masseunzulänglichkeit" ein - ebenfalls ein für die Gesetzessprache neuer Begriff - , so kommt es für die Erfüllung der „sonstigen Masseverbindlichkeiten" darauf an, ob sie vor oder nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind (§ 209 InsO). Damit werden „Altmasseverbindlichkeiten" und „Neumasseverbindlichkeiten" unterschieden, ohne daß im Gesetz diese Begriffe verwendet werden. Bei der Auslegung der Insolvenzordnung wird also sorgfältig darauf zu achten sein, welche Begriffe an die überkommene konkursrechtliche Terminologie anknüpfen und mit welchen der Gesetzgeber von dieser abweichen wollte. Rechtsprechung und Lehre werden sich bei dieser Aufgabe an den klaren Zielen des neuen Insolvenzverfahrens orientieren können. 61 Drobnig (Die Kreditsicherheiten im Vorschlag der Insolvenzrechtskommission, Z G R 1986, 252, 260 ff) plädiert dafür, bei Trennung von „Verwertungsrecht" und „vorrangiger Befriedigung" den Begriff des „Absonderungsrechts" aufzugeben.
Miniatur oder Bagatelle: das internationale Insolvenzrecht im deutschen Reformwerk 1994 DIETER LEIPOLD
I. Widmung In diesen Tagen - im Juli 1994 - nahm die Reform des deutschen Insolvenzrechts die letzte parlamentarische Hürde. Wolfram Henckel, der freilich mit dem Ergebnis kaum voll zufrieden sein wird, hat sich um die Reform bleibende Verdienste erworben, als Mitglied der Insolvenzrechtskommission wie durch eine Fülle wegweisender wissenschaftlicher Arbeiten. Diese kleine Abhandlung (selbst mit Sicherheit eine Bagatelle), die sich mit dem verbliebenen Rest an internationalem Insolvenzrecht befaßt, sei Wolfram Henckel mit den besten Wünschen zum 70. Geburtstag gewidmet. Möge ihm weiterhin Gesundheit und Kraft beschieden sein; das neue Gesetz bedarf nicht minder als das alte der kritischen Analyse durch Wolfram Henckels Privatrecht und Prozeßrecht so meisterhaft verknüpfenden und beherrschenden Geist. II. Entstehungsgeschichte Wie es zu der nun beschlossenen Regelung des internationalen Insolvenzrechts kam, sei kurz nachgezeichnet. Die Kommission für Insolvenzrecht betonte in ihrem zweiten, 1986 veröffentlichten Bericht 1 , eine moderne Insolvenzordnung müsse auch Vorschriften über das internationale Insolvenzrecht enthalten, um die Probleme der grenzüberschreitenden Insolvenzfälle zu bewältigen. Gleichwohl formulierte die Kommission keine eigenen Vorschläge. Sie verwies statt dessen auf die bekannte Wende-Entscheidung des BGH 2 , in der die Anerkennung ausländischer Konkurse grundsätzlich bejaht wurde, und die zu erwartende Weiterentwicklung in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft, zugleich aber auch auf die Bemühungen im Rahmen des Europarats und der Europäischen Gemeinschaften, internationale Ubereinkommen auf
' Zweiter Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz (1986), 14. 2 B G H Z 95, 256 (Anerkennung ausländischer Konkurse).
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dem Gebiet des internationalen Insolvenzrechts zu schaffen. Im März 1989 wurde aus dem Bundesministerium der Justiz ein detaillierter, insgesamt 34 Artikel umfassender „Vorentwurf von Vorschriften zur Neuordnung des Internationalen Insolvenzrechts" vorgelegt 3 . Die Begründung zu diesem Vorentwurf 4 weist auf die schwierigen Verhandlungen über multinationale Ubereinkommen hin und erklärt es für wünschenswert, in diese Harmonisierungsbemühungen ein modernes und praxisnahes deutsches Regelungsmodell einzubringen. D e r Vorentwurf wurde 1989 von der Sonderkommission „Internationales Insolvenzrecht" des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht in zwei Arbeitstagungen eingehend erörtert. Unter Berücksichtigung der Stellungnahme dieser Kommission 5 erstellte man im Bundesjustizministerium den 20 Artikel umfassenden Referentenentwurf 6 zum Internationalen Insolvenzrecht, wobei dessen Eingliederung in das Einführungsgesetz zum Gesetz zur Reform des Insolvenzrechts vorgesehen war. Mittlerweile war das Konkursübereinkommen des Europarats verabschiedet und von der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet worden. Die Begründung zum Referentenentwurf 7 erklärt es jedoch für zweckmäßig, die Entscheidung über eine Ratifizierung bis zum Abschluß der Insolvenzrechtsreform zurückzustellen, und weist auch auf Abweichungen des Referentenentwurfs vom Europarats-Übereinkommen hin. Hinsichtlich der E G - B e strebungen ging man zu diesem Zeitpunkt von ungewissen Erfolgsaussichten aus. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung 8 findet sich das Internationale Insolvenzrecht als Neunter Titel der Insolvenzordnung, der die §§ 379 bis 399 umfaßt. In der Begründung 9 wird neben dem Europarats-Übereinkommen der mittlerweile zustandegekommene neue Übereinkommensentwurf der E G 1 0 angesprochen und hervorgehoben, dieser Entwurf entspreche in mancherlei Hinsicht dem vorgelegten deutschen Gesetzentwurf. Zu den Erfolgsaussichten des Übereinkommensentwurfs aber heißt es, diese ließen sich zur Zeit noch nicht ab3 Veröffentlicht in: Stellungnahmen und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, im Auftrag der Sonderkommission „Internationales Insolvenzrecht" des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht, vorgelegt von Hans Stoll, bearbeitet von Fotios Karatzenis und Gerwin Janke(1992), 2 ff. 4 AaO (Fn. 3), 16. 5 Veröffentlicht aaO (Fn. 3), 265. 6 Abgedruckt aaO (Fn. 3), 278. 7 Abgedruckt aaO (Fn. 3), 286, 289. 8 Entwurf einer Insolvenzordnung, Bundestagsdrucksache 12/2443 vom 15. 4. 1992. 9 AaO (Fn. 8), 233, 235. 10 Der Entwurf eines EG-Ubereinkommens ist in der Fassung vom 3. 4. 1992 in ZIP 1992, 1197 abgedruckt. Die Zitate im Rahmen dieses Beitrags beziehen sich auf diese Fassung. Mittlerweile ist der Entwurf weiterentwickelt worden. So existiert eine Fassung vom 2. 8. 1993, die jedoch nicht zur Veröffentlichung bestimmt ist.
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schätzen. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages sah die Dinge anders. Die im Entwurf der I n s O vorgesehenen Regeln wurden vollständig gestrichen und durch eine einzige Vorschrift im Einführungsgesetz zur I n s O ersetzt. Der Rechtsausschuß" erklärte zur Begründung, man könne davon ausgehen, daß die Verhandlungen über ein Konkursübereinkommen der E G in absehbarer Zeit zu einem erfolgreichen Abschluß kämen, und da der Inhalt des künftigen Ubereinkommens weitgehend den Vorschlägen im Regierungsentwurf entspreche, erscheine es sinnvoll, mit einer umfassenden Neuregelung des deutschen internationalen Insolvenzrechts bis zur Fertigstellung des Ubereinkommens zu warten. Für die Zwischenzeit aber genüge es, die wesentlichen Grundsätze im Gesetz niederzulegen. Damit nahm die Gesetzesgeschichte in letzter Minute eine überraschende Wende. Ein sorgfältig vorbereiteter deutscher Gesetzentwurf verschwand in der Schublade, weil es mittlerweile gelungen war, wesentliche Elemente dieses Entwurfs in die Beratungen innerhalb der E G einzubringen. Die Zukunft wird zeigen, ob der Optimismus des Rechtsausschusses, es werde bald zu einem EG-Ubereinkommen kommen, gerechtfertigt ist. O b die demnächst hinzutretenden neuen Mitgliedstaaten nicht auch ihre Vorstellungen einbringen wollen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hätte eine deutsche Kodifikation doch erst recht als Modell einer modernen Regelung Einfluß gewinnen können - oder müßte man dann gar mit widerstrebenden Prestige-Erwägungen anderer Staaten rechnen? Auch wenn das EG-Übereinkommen bald zustandekommt, bedarf es einer nationalen Regelung im Verhältnis zu Drittstaaten. Der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages meinte hierzu, man werde insoweit die Regelungen des Ubereinkommens im wesentlichen unverändert auch im Verhältnis zu Nichtvertragsstaaten für anwendbar erklären können. Geht man davon aus, daß das EG-Ubereinkommen als Ergänzung zum Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen ( E u G V U ) verstanden wird und wie dieses von einem weitgehenden Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und Funktionsfähigkeit der Justiz in den Mitgliedsstaaten der E G getragen wird, so erscheint eine schlichte Übernahme derselben Regeln im Verhältnis zu allen Drittstaaten keineswegs selbstverständlich. Beispielsweise wird das EG-Übereinkommen voraussichtlich hinsichtlich der Vollstreckbarkeit von Entscheidungen auf die Regeln des E u G V Ü verweisen. Die im EG-Übereinkommen vorgesehenen Bestimmungen über die Wechselwirkungen zwischen einem Hauptinsolvenzverfahren und einem " Bundestagsdrucksache 12/7303, 117 (Begründung zu Art. 106a E G I n s O ; dieser wurde in der vom Bundestag beschlossenen Fassung textgleich zu Art. 102 E G I n s O ) .
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Sekundärinsolvenzverfahren setzen voraus, daß das Übereinkommen in den Staaten beider Insolvenzverfahren gilt. Eine schlichte Übernahme auch im Verhältnis zu Drittstaaten wird auch insofern kaum in Betracht kommen. Auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden, zumal das EG-Übereinkommen noch im Werden ist. Müßig ist es auch, darüber zu spekulieren, ob die Europarechts-Freundlichkeit des Rechtsausschusses ehrlich gemeint ist, oder ob man über eine halbwegs passable Begründung froh war, um sich nicht (in der Endphase der Legislaturperiode) mit der zugegebenermaßen schwierigen Materie des Internationalen Insolvenzrechts in allen Einzelheiten befassen zu müssen. Für die beabsichtigte Regelung der „wesentlichen Grundsätze eines modernen deutschen Internationalen Insolvenzrechts" nahm sich der Rechtsausschuß § 22 der in den neuen Bundesländern geltenden Gesamtvollstreckungsordnung (GesO) zum Vorbild. Diese Regelung war 1990 - noch vor der Herstellung der deutschen Einheit, aber bereits im Zusammenwirken der damaligen beiden deutschen Justizministerien erstellt worden, wobei immerhin bereits der Vorentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und die oben erwähnten Beratungen des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht berücksichtigt werden konnten 12 . Mit Inhalt und Wert des neuen Art. 102 E G I n s O sowie einigen ersten Auslegungsproblemen befassen sich die folgenden Bemerkungen. III. Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren Art. 102 Abs. 1 E G I n s O orientiert sich an § 22 Abs. 1 GesO, ohne im Wortlaut voll damit übereinzustimmen. Die Vorschrift soll nach der vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags gegebenen Begründung13 auf der neueren Rechtsprechung des BGH 1 4 aufbauend zum Ausdruck bringen, daß die Wirkungen ausländischer Insolvenzverfahren grundsätzlich auch im Inland anzuerkennen sind. Das hätte man freilich mit den Worten des § 384 RegE InsO deutlicher sagen können als mit der Formulierung, es werde auch das im Inland des Schuldners befindliche Vermögen des Schuldners erfaßt. Daß es um Anerkennung geht, wird immerhin in Art. 102 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 u. Abs. 3 E G I n s O nachgeliefert. Beschlagnahmewirkung hinsichtlich des in Deutschland belegenen Vermögens wird man dem ausländischen Insolvenzverfahren 12 Näher hierzu Landfermann, Das Internationale Insolvenzrecht in der Gesamtvollstreckungsordnung, in Gutachten usw. (Fn. 3), 314, 316. " Bundestagsdrucksache 12/7303, 117. M Gemeint ist offensichtlich die „Wende-Entscheidung" BGHZ 95, 256, vgl. Begr. zum RegE der InsO, Bundestagsdrucksache 12/2443,. 234.
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gewiß nur dann zusprechen wollen, wenn das Recht des Eröffnungsstaates universelle Wirkung beansprucht 15 . Art. 102 Abs. 1 EGInsO ist insoweit geradezu mißverständlich. Als positive Voraussetzung der Anerkennung nennt Art. 102 Abs. 1 EGInsO die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaates, zu beurteilen in spiegelbildlicher Anwendung des deutschen Rechts, als Anerkennungshindernis die ordre-public-Klausel in der seit der IPR-Novelle von 1986 in Deutschland gebräuchlichen, grundrechtsorientierten Formulierung. Beide Erfordernisse entsprechen der WendeEntscheidung des B G H und decken sich mit der in § 384 RegE InsO vorgesehenen Regelung. Einen Erkenntnisfortschritt gegenüber der Rechtsprechung läßt Art. 102 Abs. 1 EGInsO nicht erkennen. Aus dem Schweigen der Vorschrift ist zu entnehmen, daß es nicht auf die Gegenseitigkeit der Anerkennung ankommen soll, wie dies auch vom B G H bereits klargestellt wurde 16 . Die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaates ist aufgrund spiegelbildlicher Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO zu bejahen, wenn der „Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners" an einem O r t im Eröffnungsstaat liegt. Gibt es keinen derartigen Mittelpunkt, so ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners maßgebend. Es muß also dann der Wohnsitz einer natürlichen Person (§ 13 ZPO) oder der Sitz einer juristischen Person (§17 ZPO) im Eröffnungsstaat liegen. Hiernach kann die internationale Zuständigkeit in mehreren Staaten gegeben sein, wenn der Schuldner mehrere Wohnsitze oder Sitze hat. Für die innerstaatliche, also örtliche Zuständigkeit erklärt § 3 Abs. 2 InsO hierzu, die Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuerst beantragt worden sei, schließe die Zuständigkeit der übrigen Gerichte aus. Innerstaatlich ist dies einleuchtend; die anderen Gerichte sollen sich dann einer Tätigkeit enthalten. Im internationalen Bereich erscheint die Regelung zweifelhaft; denn eine unmittelbare Einwirkung auf das Verhalten der ausländischen Gerichte ist dem deutschen Recht verwehrt. Bei der Anerkennung liegt es daher näher, dem zuerst eröffneten Konkurs den Vorrang zu geben, auch wenn der Antrag bei diesem Gericht später gestellt wurde als bei einem anderen. Es dürfte die Grenzen zulässiger Auslegung nicht überschreiten, das in § 3 Abs. 2 InsO zur örtlichen Zuständigkeit Gesagte bei der entsprechenden Anwendung auf die internationale Zuständigkeit (Anerkennungszuständigkeit) in diesem Sinne zu modifizieren. 15
Vgl. zu diesem Erfordernis B G H NJW 1993, 2312, 2313 f. " B G H NJW 1993, 2312, 2313. Auch B G H Z 95, 256 war ganz überwiegend in diesem Sinne verstanden worden.
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Zu allen Einzelfragen, die mit der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens verbunden sind, schweigt der Entwurf. So bleibt vieles der Rechtsprechung überlassen, die gut daran tun wird, die im RegE der InsO enthaltenen Regelungen jeweils in Erwägung zu ziehen. Eine Bindung hieran besteht freilich nicht; man kann nicht die rudimentäre Regelung in Art. 102 Abs. 1 E G I n s O als eine Art stillschweigender Verweisung auf das im RegE Vorgesehene verstehen. Immerhin wird man den in Art. 379 RegE InsO verankerten Grundsatz, wonach sich die Wirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens in der Regel nach dem Recht des Eröffnungsstaates (dem Konkursstatut) richten, auch für Art. 102 Abs. 1 E G I n s O unterstellen dürfen. An manchen Stellen wird man hier jedoch auf die Grenzen der Auslegung bzw. der richterlichen Rechtsfortbildung stoßen. So wird etwa die Eintragung der ausländischen Verfahrenseröffnung im deutschen Grundbuch immerhin schon nach bisher geltendem Recht für zulässig erachtet 17 , aber die in § 386 RegE InsO vorgesehene Regelung 18 , die dem Insolvenzgericht die Entscheidung über die Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens (als Vorfrage der Eintragung) zuweist, wird man ohne gesetzliche Grundlage wohl kaum einführen können. IV. Das Sekundär- bzw. Partikular-Insolvenzverfahren Die beiden Sätze des Art. 102 Abs. 3 E G I n s O stimmen wörtlich mit § 22 Abs. 2 und 3 GesO überein, wenn man einmal von der Verwendung des Begriffs Insolvenzverfahren im Text der neuen Vorschrift absieht. Die Regelung ist insofern auf der Höhe der Zeit, als es weithin für zweckmäßig gehalten wird, trotz der Hinwendung zur „Universalität" auf die Möglichkeit eines auf das inländische Vermögen beschränkten Partikularverfahrens nicht zu verzichten 19 . Auch die §§ 389-399 RegE InsO sahen ein derartiges „Sonderverfahren über das Inlandsvermögen" vor. Sie enthielten freilich eine wesentlich genauere, die wichtigsten Fragen klar beantwortende Regelung, während sich Art. 102 Abs. 3 E G I n s O bei näherer Betrachtung als äußerst lückenhaft erweist. Schon bei der Frage nach der internationalen Zuständigkeit beginnen die Unklarheiten. Ausdrücklich ist hierzu in Art. 102 Abs. 3 E G I n s O 17 So O L G Zweibrücken WM 1990, 38; zustimmend Hanisch EWiR 1990, 84; Gottwald, Auslandskonkurs und Registereintragung im Inland, IPRax 1991, 168, 170: Aderhold, Auslandskonkurs im Inland (1992), 257. 18 Hierzu Begründung zum RegE, Bundestagsdrucksache 12/2443, 242; Hanisch, Das Recht grenzüberschreitender Insolvenzen: Auswirkungen am Immobiliensektor, ZIP 1992, 1125, 1127. " Hierzu Hanisch, Einheit oder Pluralität oder ein kombiniertes Modell beim grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren? ZIP 1994, 1.
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nichts gesagt. Die I n s O selbst enthält nur die örtliche Zuständigkeitsregel des § 3, die auf den Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners, andernfalls auf Wohnsitz oder Sitz des Schuldners abstellt. Eine Zuständigkeit f ü r ein Sonderinsolvenzverfahren am O r t einer inländischen Niederlassung oder der Verwaltung eines inländischen Gutes, wie sie in § 238 K O enthalten war, ist in der I n s O nicht zu finden, erst recht nicht eine Zuständigkeit am O r t irgendwelchen Vermögens des Schuldners. Die vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags zu Art. 102 Abs. 3 E G I n s O gegebene Begründung 2 0 geht kurzerhand davon aus, daß „ - wie nach § 22 Abs. 2 G e s O - ein Gerichtsstand überall dort gegeben ist, w o sich Gegenstände des Insolvenzvermögens befinden". In § 22 Abs. 2 G e s O stand dies freilich ebensowenig wie in Art. 102 Abs. 3 E G I n s O . Daß es im Rahmen der G e s O keineswegs selbstverständlich war, aus dem Schweigen des Gesetzes auf eine entsprechende Zuständigkeitsregel zu schließen, zeigt ein Blick in die Literatur. Während in einem Erläuterungswerk 2 1 ausgeführt wird, aus § 22 Abs. 2 G e s O sei eine örtliche Zuständigkeit des Kreisgerichts zu entnehmen, in dem sich Vermögen des Schuldners befinde, und dementsprechend sei auch eine internationale Zuständigkeit des Vermögens zu bejahen, heißt es in einem verbreiteten Kommentar zur GesO 2 2 im Rahmen der Erläuterung zu § 22 Abs. 2 G e s O , die Zuständigkeit (für das auf das Inlandsvermögen beschränkte Verfahren) ergebe sich aus § 1 Abs. 2 S. 1 G e s O , es seien also diejenigen Gerichte international zuständig, in deren Bereich der Schuldner seinen Sitz oder Wohnsitz habe. Läßt man es mit dieser Ansicht bei der allgemeinen Zuständigkeitsregel bewenden, so tendiert der Anwendungsbereich des Sonderinsolvenzverfahrens gegen Null. Da die Anerkennung des ausländischen Verfahrens die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaates voraussetzt, könnte es im Anwendungsbereich des Art. 102 Abs. 3 E G I n s O nur noch u m die Fälle eines mehrfachen Wohnsitzes oder Sitzes des Schuldners (bei Fehlen einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit) gehen. Da die Vorschrift ersichtlich nicht auf diese Fälle begrenzt sein soll, wird man eine ergänzende Zuständigkeitsregel in das Gesetz hineininterpretieren müssen. N i m m t man die zitierte Äußerung des Rechtsausschusses z u m Vorbild, so wäre eine Zuständigkeit überall dort gegeben, w o sich im Inland ein Vermögensgegenstand des Schuldners befindet. Wenn aber der Schuldner eine Niederlassung im Inland hat, und gerade in solchen Fällen wird die E r ö f f n u n g eines Sekundärinsolvenz-
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= Bundestagsdrucksache 12/7303, 117. Gottwald/Arnold, N a c h t r a g „Gesamtvollstreckungsordnung" z u m InsolvenzrechtsH a n d b u c h (1993), 200 (Rdn. 19 mit Fn. 16). 22 Smid/M. Zeuner, Gesamtvollstreckungsordnung (1991), § 22 R d n . 24. 21
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Verfahrens in Betracht kommen, so spricht alles dafür, nur am O r t der Niederlassung die Zuständigkeit anzunehmen, oder mit anderen Worten der inländischen Niederlassung als Anknüpfungspunkt den Vorrang vor der Belegenheit beliebiger Vermögensgegenstände des Schuldners zu geben. So lautete auch die in § 393 Abs. 2 RegE I n s O vorgesehene Zuständigkeitsnorm. Art. 20 des Entwurfs eines EG-Ubereinkommens regelt die Zuständigkeit für ein Sekundärinsolvenzverfahren in derselben Weise. Es spricht einiges dafür, auch im Rahmen des Art. 102 Abs. 3 E G I n s O von derselben Sicht der Dinge auszugehen. Methodisch gesehen ist es freilich nicht unproblematisch, das aus dem Gesetzentwurf nicht Übernommene im Wege der Auslegung gleichwohl zum Inhalt des beschlossenen Gesetzes zu machen. Die Lückenhaftigkeit der Regelung läßt aber kaum eine andere Wahl. Art. 102 Abs. 3 Satz 2 E G I n s O erleichtert den Antrag auf Eröffnung eines Sonderinsolvenzverfahrens, wenn bereits ein anzuerkennendes ausländisches Insolvenzverfahren eröffnet ist. Es bedarf dann nicht mehr des Nachweises der Zahlungsunfähigkeit oder der Uberschuldung als Eröffnungsgrund. O b man einen inländischen Sonderkonkurs, dessen Wirkungen sich auf das inländische Vermögen beschränken, nur neben einem ausländischen Insolvenzverfahren (d. h. als Sekundär-Insolvenzverfahren) oder auch unabhängig davon eröffnen kann, geht aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig hervor. In § 393 RegE InsO war die Frage klar zugunsten der Zulässigkeit eines primären Partikularkonkurses beantwortet; dasselbe ist in Art. 2 Abs. 2 des EG-Entwurfs vorgesehen. Daß die Eröffnung eines im Inland anzuerkennenden ausländischen Insolvenzverfahrens dem inländischen Partikularverfahren nicht entgegensteht, ist im RegE (§ 395) und im EG-Entwurf (Art. 19) jeweils erst der zweite Schritt der Regelung. Im E G I n s O ist nur der zweite Schritt vorhanden - es bleibt aber auch insoweit kaum etwas übrig, als den ersten Schritt (einschließlich der Zuständigkeitsregel) aus dem Schweigen des Gesetzes zu rekonstruieren. Wenn man nämlich überhaupt das Sonderinsolvenzverfahren aufgrund inländischer Niederlassung oder sonstigem inländischem Vermögen zuläßt, dann wäre es sinnwidrig, dem Interesse an einem solchen Verfahren nur unter der Prämisse Rechnung zu tragen, daß ein ausländisches Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist. Man würde damit einen Gläubiger, der ein inländisches Partikular-Insolvenzverfahren anstrebt, geradezu dazu zwingen, zunächst im Ausland das allgemeine Insolvenzverfahren zu beantragen, damit dadurch die Voraussetzungen für das inländische Sonderverfahren geschaffen werden. O b es sachgerecht ist, ein inländisches Partikularverfahrens nicht nur bei inländischer Niederlassung (oder einem vergleichbaren Sachverhalt), sondern schon bei Belegenheit eines einzelnen Vermögensgegenstands im Inland zuzulassen, kann man bezweifeln. D e r R e g E I n s O und der
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Entwurf eines EG-Ubereinkommens sehen ein Regulativ vor. Während der Verwalter des ausländischen Verfahrens nach § 396 Abs. 1 RegE InsO bzw. Art. 22 Abs. 1 Buchstabe a) EG-Entwurf ohne Einschränkung antragsberechtigt ist, erklären § 396 Abs. 2 RegE InsO und Art. 22 Abs. 2 EG-Entwurf den Antrag eines Gläubigers auf ein SekundärInsolvenzverfahren nur dann für zulässig, wenn dieser ein besonderes Interesse an der Eröffnung des inländischen Partikular-Verfahrens hat, insbesondere wenn er im ausländischen Verfahren erheblich schlechter stehen würde als im deutschen. Diese Regelung war als Kompromiß gedacht, um den gegen eine reine Vermögenszuständigkeit bestehenden Bedenken wenigstens teilweise Rechnung zu tragen. In Art. 102 Abs. 3 EGInsO findet sich keine derartige Einschränkung. Es erscheint aber möglich, durch Rückgriff auf allgemeine Grundsätze zu einem ähnlichen Ergebnis zu gelangen: Nach § 14 Abs. 1 InsO setzt die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags eines Gläubigers voraus, daß dieser ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat. Wenn nach den Umständen des konkreten Falles dem antragstellenden Gläubiger die Beteiligung an einem bereits eröffneten ausländischen Verfahren zugemutet werden kann und er dort mit einer vergleichbaren Stellung rechnen kann wie bei einem inländischen Sonderverfahren, so wird für den Antrag auf ein inländisches Verfahren das rechtliche Interesse verneint werden können. Eine klare gesetzliche Regelung (Erforderlichkeit eines besonderen Interesses) wäre freilich in diesem wie in den anderen erwähnten Punkten unbedingt vorzuziehen gewesen. V. Die Kollisionsregel für die Insolvenzanfechtung 1. Zur Kumulationslösung
im
allgemeinen
Mit der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers zugunsten der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren sind die zahlreichen Einzelprobleme längst nicht gelöst. Das Gesetz greift eine einzige dieser Fragen heraus, indem es sich in Art. 102 Abs. 2 EGInsO zu dem auf die Insolvenzanfechtung anwendbaren Recht äußert. Nun ist innerhalb des internationalen Insolvenzrechts kaum eine Frage so umstritten wie diese. Wenn der Gesetzgeber gleichwohl gerade das Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung anpackte, so offenbar um der besonderen Bedeutung der Frage willen - die Begründung spricht von einem praktisch wichtigen Teilbereich des internationalen Insolvenzrechts. Es gibt allerdings in der neueren deutschen Rechtsprechung nur wenig Anschauungsmaterial zur kollisionsrechtlichen Behandlung der Insolvenzanfechtung. So gesehen hätte man gerade hier durchaus die Entwicklung abwarten können. Die vom Rechtsausschuß gegebene Begründung erwähnt auch zur Kolli-
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sionsregel für die Anfechtung den EG-Entwurf und prognostiziert, dort werde eine dem Abs. 2 entsprechende Regelung erfolgen.Warum man gerade hier, anders als nach der Grundauffassung des Gesetzgebers, nicht auf die EG-Regelung warten wollte, wird nicht erklärt. Mit Art. 102 Abs. 2 E G I n s O entschied sich der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit § 382 RegE für eine Kumulationslösung 23 . Die Vorschrift des Art. 102 Abs. 2 E G I n s O ist, anders als § 382 RegE, als einseitige Kollisionsnorm für den Fall eines ausländischen, in Deutschland anzuerkennenden Insolvenzverfahrens formuliert und setzt voraus, daß eine Rechtshandlung angefochten wird, für deren Wirkungen inländisches (also deutsches) Recht maßgeblich ist. Die Anfechtung nach der ausländischen lex fori concursus ist möglich, wenn die Rechtshandlung auch nach inländischem Recht angefochten werden kann (der Zusatz „oder aus anderen Gründen keinen Bestand hat" bleibe vorerst außer Betracht, s. hierzu unten zu 2.). Zur Grundsatzfrage, ob auf die Insolvenzanfechtung das Konkursstatut oder das Wirkungsstatut der angefochtenen Rechtshandlung anzuwenden ist, verdanken wir Wolfram Henckelu grundlegende Beiträge, die das Problem dogmatisch auf den Punkt bringen. Henckel2i spricht sich vor allem deshalb grundsätzlich f ü r das Wirkungsstatut aus, weil die haftungsrechtliche Unwirksamkeit, um die es nach seiner Ansicht bei der Anfechtung geht, den Anfechtungsanspruch in die Nähe der Restitutionsansprüche des Bürgerlichen Rechts rückt. Die Gegenansicht 26 , die 23 Für eine Kumulation u. a. Jaeger/Jahr, K O , 8. Aufl. (1973), §§237, 238 Rdn. 250; Gottwald/Arnold, Insolvenzrechts-Handbuch (1990), § 122, Rdn. 121; im Ansatz auch Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungen Konkurs- und Vergleichsrecht, Bd. II Insolvenzrecht, 12. Aufl. (1990), Rdn. 37.9 u. 37.10; Häsemeyer, Insolvenzrecht (1992), 864; Kilger/ Karsten Schmidt, KO, 16. Aufl. (1993), § 3 7 Anm. 16. - Gegen eine Kumulation die in Fn. 26 Genannten, ferner etwa Trunk, Zur bevorstehenden Neuregelung des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, KTS 1994, 33, 37. 24 Wolfram Henckel, Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung der Konkursanfechtung, in: Beiträge zum internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, Festschr. für Heinrich Nagel zum 75. Geburtstag (1987), 93 ff; ders., Insolvenzanfechtung - Artt. 4 und 5 des Vorentwurfs (VE) - und Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens, in: Stellungnahmen und Gutachten (Fn. 3), 156 ff. 25 AaO (Fn. 24). Zustimmend v. Bar, Internationales Privatrecht, 2. Bd. (1991), Rdn. 551. 26 Dafür u. a. Hanisch, Die Wende im deutschen internationalen Insolvenzrecht, ZIP 1985, 1233, 1238 ff; ders., Extraterritoriale Wirkung eines allgemeinen Veräußerungsverbots im Konkurseröffnungsverfahren - Revisibilität ermessensfehlerhafter Ermittlung ausländischen Rechts - Durchgriff - Auf die Insolvenzanfechtung anwendbares Recht, IPRax 1993, 69, 72 ff; ders., Internationale Zuständigkeit und Rechtsanwendung in neueren europäischen Insolvenzabkommens-Entwürfen, in: Recht und Rechtsdurchsetzung, Festschr. für Walder zum 65. Geburtstag (1994), 483, 502; Kuhn/Uhlenbruck/Lüer, K O , 10. Aufl. (1986), §§ 237, 238 Rdn. 79; Aderhold, aaO (Fn. 17), 264 ff; v. Campe, Die Insolvenzanfechtung und ihre kollisionsrechtliche Anknüpfung im deutschen und französischen Recht, Diss. Freiburg 1994 (erscheint demnächst), § 13.
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das Konkursstatut zur Anwendung bringen will, stellt demgegenüber vor allem in den Vordergrund, daß die Insolvenzanfechtung dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung diene und zu den wesentlichen Mitteln zähle, die dem Konkursverwalter zum Schutz der Masse zur Verfügung stünden. Die - spärliche - Rechtsprechung deutscher Gerichte (s. unten) geht mit der zweitgenannten Ansicht von der Geltung des Konkursstatuts aus. Im einzelnen kann auf diese vielschichtige Frage nicht eingegangen werden - für beide Lösungen lassen sich gewichtige Gründe ausführen. Hier soll lediglich kurz geprüft werden, wie sich die nunmehr im Gesetz verankerte Kumulationslösung rechtfertigen läßt. Man kann diese Regelung keineswegs als Kompromiß zwischen den beiden Grundauffassungen betrachten. Vielmehr läuft die Kumulation, wie in der Literatur 27 wiederholt hervorgehoben wurde, im wesentlichen auf eine höchst problematische Beschränkung der Anfechtung nach Maßgabe des „schwächsten" 28 (anfechtungsfeindlichsten) der beteiligten Rechte hinaus. Auf vorhandene deutsche Rechtsprechung läßt sich Art. 102 Abs. 2 EGInsO nicht stützen. Die einzige bekannt gewordene Entscheidung des BGH 29 zum Kollisionsrecht der Anfechtung lehnt bei einem in Deutschland eröffneten Konkurs eine kumulative Anwendung des ausländischen Wirkungsstatuts ab. Dies wird im konkreten Fall auf den ganz überwiegenden Inlandsbezug der angefochtenen Rechtshandlung gestützt, doch läßt die Begründung immerhin erkennen, daß der B G H die Kumulation auch generell für nicht unproblematisch hält. In einem schon etwas älteren Urteil des O L G Hamm 30 wurde bei einem in Luxemburg eröffneten Konkurs die Anfechtung allein nach luxemburgischen Recht als dem Konkursstatut 3 ' beurteilt und die Frage, welchem Recht die betroffenen Geschäftsbeziehungen unterstanden, nicht für erheblich gehalten. Die gesetzliche Lösung weicht demnach von der bisherigen deutschen Rechtsprechung grundsätzlich ab. Dies hätte in der Gesetzesbegründung durchaus Erwähnung verdient. Als Argument für die Kumulationslösung wird regelmäßig der Schutz des Rechtsverkehrs bzw. der Schutz des Vertrauens ins Feld geführt, so 27 Hanisch, Z I P 1985, 1233, 1239; ders., Z I P 1992, 1125, 1138; den., IPRax 1993, 69, 73; v. Campe, a a O (Fn. 26), § 13 D I 4 c, cc. 28 Ü b e r die Terminologie kann man streiten; Kropholler, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. (1994), 127 schlägt beispielsweise vor, bei kumulativer A n k n ü p f u n g von der D u r c h s e t z u n g des „strengeren" Rechts zu sprechen, weil sich das Recht durchsetzt, das an den Eintritt der Rechtsfolge die strengeren A n f o r d e r u n g e n stellt. 29 B G H IPRax 1993, 87, 92. !c O L G H a m m N J W 1977, 504 (mit A n m e r k u n g Oexmann). " A u c h L G Köln KTS 1965, 48 wendet (bei im Eröffnungsstaat belegenem Vermögen) das K o n k u r s s t a t u t an.
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auch in der Begründung zum RegE 3 2 und in knapper F o r m in den Äußerungen des Bundestags-Rechtsausschusses 33 . Bei genauerer Betrachtung erweist sich aber die Berufung auf einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz als höchst problematisch 34 . Das Vertrauen auf die anwendbare Rechtsordnung kann damit kaum gemeint sein; denn ein solches Vertrauen müßte sich auf eine von den Parteien unterstellte Kollisionsregel stützen. Wenn aber die Kollisionsregel gerade im Streit ist, erscheint es nicht begründbar, das Vertrauen auf die eine Variante - Geltung des Wirkungsstatuts - besonders zu schützen. Im übrigen wäre einem schutzwürdigen Vertrauen in dem Moment die Grundlage entzogen, in dem sich das Gesetz ausdrücklich zur abweichenden Kollisionsregel Geltung des Konkursstatuts - entschließen würde. Eine derartige Rechtslage unterstellt, müßte bei Vornahme der Rechtshandlung eben das ausländische Recht in Erwägung gezogen werden. Da die Anerkennung des ausländischen Konkurses den Geschäftssitz bzw. Wohnsitz des Schuldners im Ausland zur Voraussetzung hat und dieser Umstand dem Geschäftspartner meist bekannt sein wird, ließe sich dann auch nicht einwenden, das ausländische Konkursstatut breche gewissermaßen unvorhersehbar über den Betroffenen herein. Das Vertrauen, um dessen Schutz es geht, muß sich vielmehr auf die Bestandskraft der angefochtenen Rechtshandlungen beziehen. So wird in der Begründung zum RegE 3 5 darauf hingewiesen, es dürfe nicht möglich sein, daß eine nach deutschem Recht wirksame und unanfechtbare Veräußerung eines in Deutschland belegenen Grundstücks nach der Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers im Wege der Anfechtung wieder rückgängig gemacht werden könne. Das ist freilich nichts weiter als eine Behauptung, und auch der Hinweis auf die im deutsch-österreichischen Konkursvertrag enthaltene Kollisionsregel 36 beantwortet nicht die Frage, warum dieser Bestandsschutz notwendig ist. Dasselbe gilt für die Ausdehnung auf alle dem inländischen Wirkungsstatut unterliegenden Rechtshandlungen. Die Begründung zum RegE meint, wer einen Vertrag abgeschlossen und Bundestagsdrucksache 12/2443, 239. Bundestagsdrucksache 12/7302, 118 („um den Schutz des Rechtsverkehrs zu gewährleisten ..."). 34 Ablehnend Hanisch, ZIP 1985, 1233, 1239 f (unter Hinweis auf die Zufälligkeit des Erwerbsstatuts und auf die Möglichkeit der Manipulation durch vertragliche Rechtswahl); Aderhold aaO (Fn. 17), 265 f; mit eingehender Argumentation v. Campe aaO (Fn. 26), § 13 D I 4 c, aa. ,2
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Bundestagsdrucksache 12/2443, 239. Nach Art. 16 des deutsch-österreichischen Konkursvertrages ist für die konkursrechtliche Anfechtung des Erwerbs von Rechten an unbeweglichen Sachen, der einer Eintragung in ein Grundbuch bedarf, das Recht des Vertragsstaates maßgebend, in dem das Grundbuch geführt wird. Es gilt also die lex rei sitae; eine Kumulation findet nicht statt. 35
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sich dabei vergewissert habe, daß dieser Vertrag nach dem für seine Wirksamkeit maßgeblichen Recht weder nichtig noch anfechtbar sei, solle in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages geschützt werden. Damit wird aber unterstellt, daß die Parteien von einer Kollisionsregel bestimmten Inhalts - Maßgeblichkeit des Wirkungsstatuts ausgehen, obwohl diese Regel doch erst gefunden werden soll. Im übrigen erscheint es, auch wenn man vom Anfechtungsrecht des Wirkungsstatuts ausgeht, nur sehr bedingt möglich, sich bei Abschluß eines Vertrages zuverlässig über das Nichteingreifen einer Insolvenzanfechtung zu informieren. Die Anfechtbarkeit wird nicht selten erst von dem Vertragsschluß nachfolgenden Ereignissen, insbesondere dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgelöst, über die man sich zum Zeitpunkt des Vertrages schlechterdings nicht vergewissern kann. Vielfach sind daneben immerhin subjektive Erfordernisse wie die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners nötig, so daß jedenfalls der insoweit ahnungslose Vertragspartner sich sicher fühlen darf. Teils ist dann aber die Beweislast zuungunsten des Anfechtungsgegners geregelt, etwa bei kongruenten Deckungen zugunsten dem Schuldner nahestehender Personen (§ 130 Abs. 3 InsO: Vermutung der Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnungsantrag). Wie soll hier die konkrete Vergewisserung über die Bestandskraft der kongruenten Deckung aussehen? Inkongruente Deckungen aus dem letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag können nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 I n s O angefochten werden, ohne daß es auf ein subjektives Element in der Person des Anfechtungsgegners ankäme. Ebenso wie in diesen Fällen kann man sich über die Unanfechtbarkeit schlechterdings nicht vergewissern, wenn es um unentgeltliche Leistungen des Gemeinschuldners geht; denn diese sind nach § 134 I n s O ohne weitere Voraussetzung anfechtbar, wenn sie in einem Zeitraum von bis zu vier Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt sind. Das Vertrauen, um dessen Schutz es sinnvollerweise nur gehen kann, ist nicht ein Vertrauen im Sinne einer konkreten Überprüfung, ob Anfechtungstatbestände eingreifen können, sondern die Redlichkeit des Anfechtungsgegners im Hinblick auf die Eigenheit des Rechtsgeschäfts und die begleitenden Umstände. Der Schutz dieses Vertrauens spielt innerhalb der Anfechtungsregeln eine wesentliche Rolle. Der Gesetzgeber muß selbstverständlich bei der Ausgestaltung der Anfechtungstatbestände eine Abwägung treffen zwischen dem Ziel, die Masse im Interesse der Gläubigergesamtheit anzureichern, und dem Schutz des Vertrauens der von der Anfechtung betroffenen Personen auf den Bestand ihres Erwerbs 37 . Weil es sich um eine Abwä-
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Vgl. hierzu v. Campe aaO (Fn. 26), § 13 D I 4 c, aa (2).
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gung innerhalb des einzelnen Statuts handelt, kann man aber daraus keine Kollisionsregel zugunsten einer der in Betracht kommenden Rechtsordnungen herleiten. So bleibt als Rechtfertigung der Kumulationslösung in der zum Gesetz gewordenen Ausprägung als einseitige Kollisionsnorm im Grunde nur die Vorstellung übrig, das deutsche Anfechtungsrecht sei seinem Inhalt nach jedenfalls interessengerecht und genüge den Anforderungen des Verkehrsschutzes, während ein weiterreichendes ausländisches Anfechtungsrecht abgewehrt werden müsse (so auch die Formulierung in der Begründung zum RegE)58. Ob man aus Art. 102 Abs. 2 EGInsO eine entsprechende allseitige Kollisionsregel entnehmen kann, erscheint dann allerdings mehr als fraglich. Warum sollte bei einem in Deutschland eröffneten Konkurs das Recht des ausländischen Wirkungsstatuts limitierend wirken, wenn doch das deutsche Anfechtungsrecht den gleichsam idealen Maßstab darstellt? Insgesamt erscheint mit der Kumulationslösung der Abwehrgedanke weit überzogen. Bis zum Beweis des Gegenteils hätte man davon ausgehen sollen, daß auch die ausländischen Rechte um einen Kompromiß zwischen den beteiligten Interessen bemüht sind. Zur Abwehr eindeutig inakzeptabler Ergebnisse aber dürfte die ordre-public-Klausel genügen. 2. Die Zutat des
Rechtsausschusses
Art. 102 Abs. 2 EGInsO weicht, abgesehen von der Differenz zwischen allseitiger und einseitiger Kollisionsnorm, in einem interessanten Punkt von § 382 RegE ab. Nach Art. 102 Abs. 2 soll es, um die Anfechtung durch den ausländischen Konkursverwalter durchgreifen zu lassen, auch genügen, wenn die Rechtshandlung nach inländischem Recht „aus anderen Gründen keinen Bestand hat". Der Sinn dieses Zusatzes ist schwer zu entschlüsseln. Wenn die Rechtshandlung nach deutschem Recht „keinen Bestand hat", muß sie unwirksam sein. Zu denken ist etwa an Fälle der Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften. Die Unwirksamkeit aber kann der ausländische Insolvenzverwalter geltend machen, ohne daß es dazu einer Anfechtung nach ausländischem Insolvenzrecht bedarf. So verstanden wäre der Zusatz überflüssig. In der vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestags gegebenen Begründung39 wird die Abweichung vom Regierungsentwurf damit erklärt, man habe die Schwierigkeiten vermeiden wollen, die sich aus der vollen Kumulation zweier Rechtsordnungen ergäben, ζ. B. bei der Frage, wie die Anfechtung ausgeübt werde und welche Rechtsfolgen sie habe. Das Recht des 38 Hierzu kritisch Aderholt aaO (Fn. 17), 267 („territorialistische Ängste"); v. Campe aaO (Fn. 26), § 13 D I 4 c, bb. 39 Bundestagsdrucksache 12/7303, 118.
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Staates der Verfahrenseröffnung, so heißt es weiter, und das Recht, dem die Wirkungen der Rechtshandlungen unterliegen, sollten nicht gleichberechtigt maßgeblich sein. Vielmehr solle in erster Linie das Statut der Verfahrenseröffnung gelten und Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Anfechtung bestimmen. Das Wirkungsstatut solle dagegen nur ergänzend herangezogen werden. Da aber der Text des § 382 RegE nur für die Voraussetzungen der Anfechtung die Kumulation vorsah, ist insoweit im Ergebnis kaum ein Unterschied erkennbar. In der Begründung wird weiter ausgeführt, um den Schutz des Rechtsverkehrs zu gewährleisten, solle nur eine Rechtshandlung anfechtbar sein, die auch nach dem Wirkungsstatut in irgendeiner Weise angegriffen werden könne. Damit soll offenbar der Zusatz „oder aus anderen Gründen keinen Bestand hat" erklärt werden. Die Begründung setzt hinzu, nach dem derzeitigen Stand der Verhandlungen sei damit zu rechnen, daß die Insolvenzanfechtung im EG-Ubereinkommen in dieser Weise geregelt werde. Man wird in diesem Hinweis auf den EG-Entwurf den Schlüssel zum Verständnis oder besser: zur Aufdeckung des Mißverständnisses - sehen dürfen. In Art. 8 Abs. 1 des EG-Entwurfs 4 0 wird berücksichtigt, daß die einzelnen Rechtsordnungen die Auswirkungen eines Insolvenzverfahrens auf gläubigerschädigende Rechtshandlungen nicht notwendig in Gestalt der Anfechtung regeln müssen, sondern auch eine relative Unwirksamkeit oder Nichtigkeit vorsehen können. Diese Fälle wurden in die Regelung einbezogen. Die Kumulation muß dann auf beiden Seiten sowohl die Voraussetzungen der Anfechtung als auch diejenigen einer relativen U n wirksamkeit oder Nichtigkeit umfassen. Auch wenn man diese N o r m auf eine einseitige Kollisionsnorm reduziert, also nur regeln will, unter welchen Voraussetzungen die Wirkungen eines ausländischen Konkurses bei inländischem Wirkungsstatut gelten sollen, so müssen gleichwohl die Varianten der Rechtsfolgen auch und vor allem auf der „ausländischen Seite" genannt werden, um das Ziel zu erreichen, solche einer Anfechtung funktionsgleiche Wirkungen des Konkursstatuts nur dann zuzulassen, wenn auch nach inländischem Wirkungsstatut entweder An-
40 Die Vorschrift lautet in der in Z I P 1992, 1197, 1199 veröffentlichten Fassung des Entwurfs: Art. 8 Insolvenzanfechtung (1) Ist eine gläubigerschädigende Rechtshandlung vorgenommen worden, so ist sowohl die Rechtshandlung als auch ein dieser zugrundeliegender Vertrag nur anfechtbar, relativ unwirksam oder nichtig, wenn die Anfechtbarkeit, relative Unwirksamkeit oder Nichtigkeit nicht nur nach dem Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung, sondern auch nach dem Recht eines Vertragsstaates eintritt, das für die Wirksamkeit der Rechtshandlung maßgeblich ist.
In der unveröffentlichten Fassung vom 2. 8. 1993 ist der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 geändert, ohne daß sich dies auf die hier erörterte Frage auswirkt.
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fechtbarkeit oder relative Unwirksamkeit oder Nichtigkeit gegeben ist. Wie die Begründung zeigt, hat man bei den Beratungen im Rechtsausschuß wohl den Sinn der Regelung im EG-Entwurf nicht verstanden. Zumindest ist es nicht gelungen, aus der allseitigen Norm des E G - E n t wurfs die entsprechende einseitige Norm für die Wirkungen eines ausländischen Konkurses bei inländischem Wirkungsstatut zu machen. Man wird diesen Defekt im Wege der Auslegung beheben müssen und können. Die Bestimmung ist danach folgendermaßen zu lesen: der ausländische Konkursverwalter kann eine dem inländischen Wirkungsstatut unterliegende Rechtshandlung nur anfechten oder deren insolvenzbedingte relative Unwirksamkeit oder Nichtigkeit nach ausländischem Recht geltend machen, wenn die Rechtshandlung auch nach deutschem Recht anfechtbar oder nichtig oder unwirksam wäre. VI. Schlußbemerkung O b die Regelung des internationalen Insolvenzrechts in Art. 102 E G I n s O als kunstvoll gefertigtes Kleinod oder eher als Produkt geringen Werts zu betrachten ist, bleibe dem Urteil des Lesers überlassen. Dank der höheren Weisheit des deutschen Bundesrats wird das Reformwerk erst zum 1. Januar 1999 in Kraft treten. Bis dahin bleibt Zeit, über eine Verbesserung nachzudenken, sei es mit oder ohne ein europäisches Übereinkommen als Vorbild.
Die Nachgesellschaft Prozessuale Fragen bei gelöschten Kapitalgesellschaften WALTER F. LINDACHER
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine gelöschte Kapitalgesellschaft parteiexistent und parteifähig bleibt, weiters: welchen Einfluß die Löschung auf ein schwebendes Verfahren hat, lag lange eher abseits des wissenschaftlichen Interesses und wird in der nunmehr aufgenommenen Diskussion 1 sowohl im Grundsätzlichen als auch in manchem Detail durchaus unterschiedlich beantwortet. Der Beitrag bringt zunächst die Löschungstatbestände sowie die gesetzliche Rahmenregelung hinsichtlich allfälliger Abwicklungsbedarfe nach Löschung in Erinnerung (I), plädiert in der allgemeinen Dogmatikfrage für ein Fruchtbarmachen der Figur der Nachgesellschaft (II) und bemüht sich von diesem Ansatz her um konsensfähige Aussagen zu diversen prozessualen Problemen (III). I. Löschung und Abwicklungsbedarf nach Löschung: gesetzlicher Befund Gesetzlicher Regelfall der Löschung von Kapitalgesellschaften ist die Löschung auf Antrag der Liquidatoren nach regulärer Abwicklung (für die AG: § 273 I AktG, für die G m b H : § 273 I A k t G analog 2 ). In Hinblick auf die Gefahren, die dem Rechtsverkehr aus der Existenz vermögensloser juristischer Personen drohen, statuiert § 2 I S. 2 LöschG 1 S. vor allem Gerhard Buchner, Amtslöschung, Nachtragsliquidation und masselose Insolvenz von Kapitalgesellschaften, 1988; Hubert Schmidt, Z u r Vollbeendigung juristischer Personen, 1989; Heller, Die vermögenslose G m b H , 1989; Hönn, Die konstitutive W i r k u n g der Löschung von Kapitalgesellschaften, Z H R 138 (1974), 50 ff; Hüffer, Das E n d e der Rechtspersönlichkeit von Kapitalgesellschaften - Überlegungen z u r konstitutiven W i r k u n g von Gesellschaftslöschung und z u r Z u o r d n u n g von Restvermögen, in: Gedächtnisschrift D . Schultz, 1987, S. 99 ff; Karsten Schmidt, Löschung und Beendigung der G m b H , G m b H R 1988, 209 ff; Bork, Die als vermögenslos gelöschte G m b H im Prozeß, J Z 1991, 841 ff. 2 Hachenburg/Ulmer, G m b H G , 8. Aufl. (1991), § 60 Rdn. 14; Hönn Z H R 138 (1974), 51; Hüffer, Gedächtnisschrift D. Schultz S. 101, 111; Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 185; Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 84 Fn. 5. F ü r Rückgriff auf § 31 II S. 1 H G B : Scholz/Karsten Schmidt, G m b H G , 7. Aufl. (1988), § 74 Rdn. 32; Günter Roth, G m b H G , 2. Aufl. (1987), § 65 A n m . 2.2.
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darüber hinaus die Möglichkeit liquidationsloser Amtslöschung. Qualifizierte Offenlegungspflichtverstöße begründen nach Maßgabe von § 2 1 S. 2 LöschG die Vermutung der Vermögenslosigkeit und damit die Verpflichtung zur Amtslöschung. Findet sich nach der Löschung verteilungsfähiges Vermögen, kommt es auf Beteiligtenantrag zur Liquidation: bei der Löschung nach Liquidation zur sog. Nachtragsliquidation (für die AG: § 273 IV AktG, für die G m b H : § 273 IV A k t G analog3), bei Löschung infolge - angenommener - Vermögenslosigkeit zur sog. Nachliquidation (§ 2 III LöschG). Die Bestellung der Liquidatoren erfolgt hier wie dort durch das Registergericht 4 . Bei der Nachtragsliquidation ist die Wiederbestellung der bisherigen Liquidatoren möglich, aber nicht geboten (vgl. § 273 IV AktG). Abwicklungsbedarf nach Löschung unabhängig von verteilungsfähigem Vermögen wird vom Gesetz nicht ausdrücklich angesprochen. Die weite Fassung von § 273 IV AktG (Notwendigkeit „weiterer Abwicklungsmaßnahmen") eröffnet die Möglichkeit unmittelbarer bzw. - für die G m b H - entsprechender Anwendung im Rahmen der Nachtragssowie entsprechender Anwendung für A G und G m b H im Rahmen der Nachliquidation 5 . II. Löschung, Verbandsexistenz, Rechtspersönlichkeit 1.
Meinungsstand
a) Im Meinungsstreit um die Wirkung der Löschung einer A G / G m b H lassen sich in zeitlicher Perspektive drei Phasen unterscheiden. (1) Zunächst rivalisierten zwei diametral entgegengesetzte Konzepte: Nach früher ganz herrschender, auch heute durchaus weitverbreiteter
3 BGHZ 53, 264/266 ff = LM GmbHG § 74 Nr. 2 m. Anm. Fleck; KG ZIP 1982, 59/60; Meyer-Landmt, GmbHG, 1987, § 74 Rdn. 10; Hüffer, Gedächtnisschrift D. Schultz S. 105. 4 Α. A. für das Recht der GmbH hinsichtlich der Nachtragsliquidation - einschlägige Personalkompetenz der Gesellschafter nach Maßgabe von § 66 I/II GmbHG - ob der Nichtvornahme des Analogieschlusses zu § 273 IV AktG freilich noch Günter Roth (Fn. 2) § 74 Anm. 4.2. 5 Für eine Erstreckung von § 273 IV AktG auf Fälle sonstigen Abwicklungsbedarfs denn auch beispielsweise BGHZ 105, 259/262; BayObLG WM 1984, 161; Hueck, Gesellschaftsrecht, 19. Aufl. (1991), §31 III/6; Geßler/Hefermekl/Hüffer, AktG (1986), §273 Rdn. 41 ff; Rowedder/Rasner, GmbHG, 2. Aufl. (1990), § 74 Rdn. 12; Günter Roth (Fn. 2) § 74 Anm. 4.1. Α. A. Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 40 sowie Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 2) § 74 Rdn. 20.
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Auffassung 6 erlischt die Kapitalgesellschaft - zumindest bei Fehlen aktiwermögensunabhängigen Abwicklungsbedarfs - als juristische Person bei Vermögenslosigkeit und nur bei Vermögenslosigkeit; die Registerlöschung verlautbart lediglich widerlegbarerweise einen eintragungsunabhängigen Befund. Für eine allfällige Nach(trags)liquidation bei Doch-noch-Abwicklungsbedarf steht die A G / G m b H als solche zur Verfügung 7 . Nach der Gegenansicht 8 bewirkt gerade umgekehrt die Registerlöschung und nur sie den Entfall der Rechtspersönlichkeit. Die Folgefrage nach der rechtssubjektiven Zuordnung des Doch-noch-Vermögens wird unterschiedlich beantwortet: Während sich eine Teilmeinung 9 für die Fiktion des Fortbestandes der Gesellschaft ausspricht, soweit dies zum Zwecke der Durchführung einer Nach(trags)abwicklung erforderlich ist, propagieren andere 10 die Anerkennung einer Nachgesellschaft i. S. einer Gesamthand der ehemaligen A k t i o n ä r e / G m b H Gesellschafter als Rechtsnachfolgerin der erloschenen A G / G m b H . (2) In erster Linie aus der Kritik an den referierten Konzepten erwachsen erscheint die von Karsten Schmidt11 entwickelte, in der Rspr. 12 zwar noch eher zaghaft, in der Literatur 13 demgegenüber um so kräftiger Fuß fassende „Lehre vom Doppeltatbestand", nach der die A G / G m b H (als juristische Person) nur dann erlischt, wenn die Voraussetzungen Vermögenslosigkeit und Löschung kumulativ gegeben sind: Unter Berufung auf das Registrierungssystem und den Beitrag der Registerpublizität für die Rechtssicherheit wird in einem ersten Schritt - insoweit im 6
Statt vieler: RGZ 149, 293/296; 155, 42/45; B G H Z 48, 303/307; O L G Hamm DB 1990, 1226/1227; Würdinger, Aktienrecht, 4. Aufl. (1981), §46 III/5; Hueck (Fn. 5) §31 III/6; Großkomm. z. KkiG/Wiedemann, 3. Aufl. (1972), §273 Anm. 3; Meyer-Landrut (Fn. 3) § 74 Rdn. 5; Zimmermann, Z P O , 3. Aufl. (1993), § 50 Rdn. 8; Bokelmann NJW 1977, 1130. 7 Gerade hierin den Vorzug des einschlägigen Konzepts sehend denn auch Wiedemann aaO. " Grundlegend Hönn Z H R 138 (1974), 72 ff sowie Hüffer, Gedächtnisschrift D. Schultz S. 103 ff, ferner: Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 9. Aufl. (1992), S. 46; Hachenburg/ Ulmer (Fn. 2) § 60 Rdn. 18. 9 Hönn Z H R 138 (1974), 74 ff. 10 Hüffer, in: Gedächtnisschrift D. Schultz S. 106 ff und Geßler/Hefermehl (Fn. 5) § 273 Rdn. 37 f sowie - unter Aufgabe der früher vertretenen Ansicht, etwaiges Restvermögen verselbständige sich mit der Löschung zu einem durch den Liquidator als Amtstreuhänder verwalteten Sondervermögen der Gesellschafter - jetzt auch Hachenburg/ Ulmer (Fn. 2) § 60 Rdn. 18, Anh. § 60 Rdn. 37. " In: Scholz (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 18, § 74 Rdn. 14 sowie G m b H R 1988, 211. 12 O L G Stuttgart ZIP 1986, 647/648; O L G Köln G m b H R 1992, 536; LG Köln G m b H R 1990, 268/269. 13 Statt vieler: Thomas Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. (1991), § 22 1/1; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, G m b H G , 15. Aufl. (1988), §60 Rdn. 6; Lutter/ Hommelhoff, G m b H G , 13. Aufl. (1991), §60 Rdn. 18, §74 Rdn. 6; Rowedder/Rasner (Fn. 5) Anh. §60 Rdn. 16; Günter Roth (Fn. 2) § 65 Anm. 4.2; Bork JZ 1991, 844 f.
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Einklang mit den Vertretern von der (Allein-)Maßgeblichkeit der Registerlöschung - ein Untergang der AG/GmbH außerhalb des Registers abgelehnt. In einem zweiten Schritt werden sodann deren Modelle zur Bewältigung der Problematik subjektiver Zuordnung von Doch-nochVermögen einer kritischen Würdigung unterzogen, ehe in einem dritten Schritt ohne Reflexion der Möglichkeit sonstiger Konzepte gleichsam als zwangsläufige Folge der Verwerfung der Fiktionstheorie und des Modells einer Nachfolgegesellschaft mit Gesamthandstruktur einem (realen) Fortbestand der gelöschten AG/GmbH bei Doch-noch-Vermögen das Wort geredet wird. (3) Just um den Nachweis, daß die Ablehnung der tradierten Lehre von der automatischen Vollbeendigung der Gesellschaft durch Vermögenslosigkeit sowie der Lehre von der Beendigung der Gesellschaft durch Registerlöschung in der Spielart der Fiktionstheorie bzw. des Restvermögensanfalls an die Gesamthand der bisherigen Aktionäre/ Gesellschafter nicht ohne weiteres zur „Lehre vom Doppeltatbestand" führen muß, bemüht sich eine neuere, nahezu zeitgleich von Gerhard Buchner, Hubert Schmidt und Christoph Heller entwickelte Ansicht: Löschung führe zum Untergang der Gesellschaft als juristische Person und begründe die Vermutung der Vollbeendigung. Für allfällige im Wege der Nach(trags)liquidation zu erfüllende Abwicklungsbedarfe stehe eine mit der vormals eingetragenen Gesellschaft identische Nachgesellschaft als teilrechtsfähige Personifikation zur Verfügung 14 . b) Bezieht man die zunächst ausgeblendeten von der Existenz von Gesellschaftsaktiwermögen unabhängigen Abwicklungsbedarfe in die Betrachtung ein, lassen sich im Konsens, daß auch solche Bedarfe Befriedigung erheischen, die Positionen im Streit um die Wirkung der Registerlöschung weithin fortschreiben: Die Anhänger der Lehre von der schlicht deklaratorischen Wirkung der Registerlöschung ergänzen den Satz von der Maßgeblichkeit des Merkmals der Vermögenslosigkeit dahin, daß die Kapitalgesellschaft eintragungsunabhängig erlischt, wenn sie vermögenslos ist und kein sonstiger Abwicklungsbedarf besteht15. Die „Lehre vom Doppeltatbestand" wird überwiegend dahin formuliert, daß der Untergang der AG/GmbH die Löschung und das Fehlen jeglichen Abwicklungsbedarfs verlangt16. Nach dem neueren NachgesellGerhard Buchner (Fn. 1) S. 115 ff; Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 130 ff, 170 f, 184 f; (Fn. 1) S. 128 ff. 15 So ausdrücklich: Hueck (Fn. 5) § 31 III/6; Würdinger (Fn. 6) § 46 III/5. " So ausdrücklich: Lutter/Hommelhoff (Fn. 13) § 74 Rdn. 6; Bork JZ 1991, 844 f. A. A. - Vollbeendigung der Gesellschaft bei Löschung und Vermögenslosigkeit, aber gerichtliche Bestimmbarkeit eines „Handlungszuständigen" analog § 74 GmbHG - freilich Karsten Schmidt GmbHR 1988, 212 f. 14
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schaft-Modell steht die teilrechtsfähige Personifikation „Nachgesellschaft" auch für vermögensneutrale Abwicklungsbedarfe bereit 17 . Auf der Basis der Fiktionstheorie wird der Fortbestand der gelöschten Gesellschaft fingiert, „soweit dies zur Trägerschaft von Rechten und Pflichten sowie zur Durchführung einer Abwicklung nach Löschung erforderlich ist" 18 . Wer der Löschung existenzvernichtende Wirkung bezüglich der A G / G m b H als solcher zuspricht, allfälliges Restvermögen aber einer personenverschiedenen teilrechtsfähigen Gesamthand der vormaligen Aktionäre/Gesellschafter anfallen läßt, gerät in der Frage, für wen der vom Gericht ob eines aktiwermögensunabhängigen Abwicklungsbedarfs zu bestellende Liquidator (§ 273 IV A k t G direkt bzw. analog) 19 bzw. Pfleger (§ 1913 B G B analog) 20 eigentlich handeln soll, freilich in Erklärungsnotstand: die A G / G m b H ist erloschen, eine teilrechtsfähige Gesamthandsgesellschaft, wenn nicht zufällig zusätzlich Doch-nochVermögen gegeben, nicht entstanden. 2. Eigene Position Prüfsteine für die Sachgerechtigkeit einer Theorie im Problemfeld „Registerlöschung und Vollbeendigung von Kapitalgesellschaften" sind: das Vermögen plausibler Erklärung der Existenz eines Rechts- und Pflichtenträgers bei Abwicklungsbedarf nach Löschung, Systemkonkordanz im Sinne der Einlösung der Postulate des das Kapitalgesellschaftsrecht prägenden Registrierungs- und Publizitätsprinzips sowie die Fähigkeit, was das Verhältnis gelöschte Gesellschaft - eingetragene Gesellschaft anbelangt, sowohl Gemeinsamkeit als auch Unterschiede deutlich zu machen. Der Verfasser wirbt für die neuere Lehre, nach der die A G / G m b H mit Löschung als juristische Person ihr Ende findet, bei Doch-noch-Abwicklungsbedarf (einschließlich aktivvermögensunabhängigem Abwicklungsbedarf) jedoch als teilrechtsfähige Personifikation fortbesteht. Sie erfüllt, wie zu belegen, alle benannten Kriterien. a) Das befürwortete Modell der nachexistenten Kapitalgesellschaft basiert auf gebotener gedanklicher Trennung von Rechtspersönlichkeit und Verbandsexistenz und der Überwindung des vielfach unreflektiert tradierten Dogmas, in der Personenlehre gebe es nur die Alternative „Person - Nichtperson", bestenfalls die Dreiheit „Person - Gesamthand
So ausdrücklich: Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 125 f sowie Heller (Fn. 1) S. 149. " Hönn Z H R 138 (1974), 78. " So Geßler/Hefermehl/Hüffer (Fn. 5) § 273 Rdn. 43. 20 So Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 40. 17
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- Nichtperson". Wer im Sinne einer „Morphologie der Personifikationen" (John)2i richtigerweise auch Personifikationen unterhalb der Stufe der juristischen Person, die nicht Gesamthandsgemeinschaft sind, als Träger von Rechten und Pflichten in Betracht kommend begreift, eröffnet sich die Möglichkeit der Bejahung eines Zuordnungssubjekts bei Abwicklungsbedarf nach Löschung trotz löschungsbedingten Untergangs der AG/GmbH als solcher: Die registergerichtliche Löschung entkleidet den Verband der mit dem Status der juristischen Person verbundenen typisierten (Voll-)Rechtsfähigkeit. Als Verband ist die Kapitalgesellschaft aber nur dann beendet, wenn der Doppeltatbestand der Löschung und der vollständigen Abwicklungsbedarfserledigung erfüllt ist. Bei Abwicklungs- und damit Zurechnungssubjektbedarf nach Löschung steht der aus den bisherigen Aktionären/Gesellschaftern gebildete Verband als teilrechtsfähige Nachgesellschaft weiter zur Verfügung22. Im Verhältnis zur vormals eingetragenen Gesellschaft besteht wie in der Spiegelbildkonstellation Vorgesellschaft-fertige Gesellschaft23 - Identität : die Nachgesellschaft ist die vormals eingetragene Gesellschaft in Nachexistenz24. Die Konstrukte einer fingierten juristischen Person bzw. einer Nachgesellschaft der bisherigen Aktionäre/Gesellschafter in gesamthänderischer Verbundenheit (letzteres zudem untauglich als Erklärungsmodell hinsichtlich der Befriedigung vermögensneutraler Abwicklungsbedarfe) sind überflüssig. b) Geltung des Registrierungs- und Publizitätsprinzips heißt nicht nur: kein Entstehen und kein Erlöschen einer Kapitalgesellschaft außerhalb des Handelsregisters25, sondern auch: keine Kapitalgesellschaft im Status juristischer Person außerhalb des Registers26. Wie die Verweigerung der Eintragung wegen Nichterfüllung der jeweiligen Normativbedingungen ist auch die Löschung wegen Vermögenslosigkeit Ausdruck des staatlichen Kontrollanspruchs; die den Verlust der vollen Rechtspersönlichkeit bewirkende Löschung hat zugleich Sanktionscharakter27. Soweit die Lehre von der lediglich deklaratorischen Wirkung der Löschung, eingeDie organisierte Rechtsperson, 1977, S. 218 ff. Grundlegend: Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 130 ff, 170 f, 184 f, ferner: Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 115 ff; Heller (Fn. 1) S. 128 ff. 23 Bündig und überzeugend: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (1991), § 11 IV/4. 24 Ubereinstimmend: Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 138 f; Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 133. 25 So beim Versuch der Grundlegung der „Lehre vom Doppeltatbestand" in Frontstellung zur tradierten Lehre von der Alleinmaßgeblichkeit des Vorhandenseins von Vermögen freilich Karsten Schmidt GmbHR 1988, 210. 26 Richtig: Heller (Fn. 1) S. 107 f; Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 98; Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) § 60 Rdn. 18; H ü f f e r , Gedächtnisschrift D. Schultz S. 103 f. 27 Vgl. bereits Heller aaO. 21
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schränkterweise aber auch die „Lehre vom Doppeltatbestand" auf einschlägige Systemkonkordanz verzichten, um für die allfällige Nach(trags)liquidation über ein Zuordnungssubjekt zu verfügen, zahlen sie einen unnötigen Preis: die Existenz eines Rechts- und Pflichtenträgers im Abwicklungsfall nach Löschung läßt sich, ausweislich des vorab Ausgeführten, auch systemkonform erklären. c) Daß sich auf der Basis der befürworteten Lehre das Verhältnis der teilrechtsfähigen Nachgesellschaft zur vormals eingetragenen Gesellschaft als Verhältnis der Personenidentität begreifen läßt, die Lehre von der nachexistenten Kapitalgesellschaft mithin auch und gerade Grundgemeinsamkeit verdeutlicht, wurde bereits herausgearbeitet. Hinzuweisen bleibt auf signifikante Unterschiede zwischen der A G / G m b H in Nachexistenz und der eingetragenen Gesellschaft in regulärer Liquidation: Der eingetragenen Gesellschaft eignet - auch als Gesellschaft in regulärer Liquidation 28 - typisierte Vollrechtsfähigkeit, die Vertretungsmacht der Organe ist - auch im Stadium regulärer Liquidation 29 - umfänglich unbeschränkt und unbeschränkbar. Die gelöschte Gesellschaft in Nach(trags)liquidation steht hingegen als Zuordnungssubjekt von vornherein nur noch zur Verfügung, weil und soweit Abwicklungsbedarf besteht 30 . Gläubigerschutzbelange erheischen darüber hinaus31 die Möglichkeit, den Geschäftskreis des Nach(trags)liquidators außenwirksam noch weitergehend zu beschränken: Da Nachtrags- bzw. nachholende Liquidation nur angeordnet wird, wenn der Antragsteller hinsichtlich der Kosten (einschließlich der erforderlichen Liquidatorvergütung) in Vorlage tritt, die Höhe solcher Vergütung jedoch maßgebend vom Tätigkeitsumfang bestimmt wird, muß es dem an einer bestimmten Teilfunktion interessierten Gläubiger möglich sein, eine seinem Abwicklungsbedarf angepaßte Aufgabenzuweisung zu erwirken. Der Wandel von der werbenden zur regulären Abwicklungsgesellschaft läßt die Handlungsorganisation des Verbands weithin unberührt. Mangels abweichender Bestimmung in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag sind die Vorstandsmitglieder/Geschäftsführer geborene Liquidatoren (§§ 265 I AktG, 65 I G m b H G ) . Die Berufung anderer Personen fällt in die Kompetenz der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung (§§ 265 II AktG, 65 I G m b H G ) . Mit der Löschung verliert die GeStatt aller: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht § 11 V/4b. " Trotz Fehlens einer § 269 V AktG entsprechenden Vorschrift auch für das GmbHRecht nunmehr ganz h. M.; statt vieler: Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 2) § 70 Rdn. 3; Lutter/Hommelhoff (Fn. 13) § 68 Rdn. 4; Günter Roth (Fn. 2) § 68 Anm. 2. i0 Einläßlich: Heller (Fn. 1) S. 128 sowie Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 120 ff. JI S. im einzelnen bereits Heller (Fn. 1) S. 171 f sowie Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 134 f. 28
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sellschaft hingegen die bisherige Handlungsorganisation: einziges externes Handlungsorgan ist der registergerichtlich zu bestellende Liquidator, die bisherige interne Handlungsorganisation wird funktionslos 32 . Die reguläre Abwicklungsgesellschaft kann, solange nicht mit der Vermögensverteilung an die Aktionäre/Gesellschafter begonnen ist, in eine werbende Gesellschaft rückgewandelt werden (für die A G : § 274 I AktG, für die G m b H : § 274 I AktG analog33). Die gelöschte, nur noch zu Abwicklungszwecken nachexistente Gesellschaft ist demgegenüber, wenn überhaupt 34 , allenfalls unter solchen Voraussetzungen zur werbenden Gesellschaft reaktivierbar, die materiell einer Neugründung 35 gleichkommen 36 . Das Konzept der teilrechtsfähigen Kapitalgesellschaft in Nachexistenz erklärt auf ebenso einfache wie plausible Weise die reduzierte Personexistenz und Rechtsfähigkeit: die gelöschte Gesellschaft existiert als Zuordnungssubjekt insoweit, als Doch-noch-Abwicklungsbedarf besteht. Die Besonderheiten betreffs Handlungsorganisation und (Nicht-)Reaktivierbarkeit zur werbenden Gesellschaft werden durch die Figur der Nachgesellschaft und ihre kontrastierende Verwendung zumindest besser verdeutlicht. III. Prozessuale Fragen
1. Parteiexistenz, Parteifähigkeit
und ordnungsgemäße
Vertretung
a) Aus der Erkenntnis, daß Kapitalgesellschaften bis zur Löschung allemal juristische Person sind, folgt: Kapitalgesellschaften in (regulärer) Liquidation bleiben τ grundsätzlich mit bisheriger externer Handlungsorganisation - per se existent und uneingeschränkt parteifähig 37 . Das gilt auch für die durch Konkurseröffnungsablehnung mangels Masse gem.
Einläßlich: Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 146 ff, 164 ff. Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) § 60 Rdn. 87 ff; Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 2) § 60 Rdn. 43 ff; Günter Roth (Fn. 2) § 60 Anm. 5.1. 34 Generell verneinend: RGZ 156, 23/27 (für AG); Heller (Fn. 1) S. 136; Geßler/Hefermehl/Hüffer (Fn. 5) § 274 Rdn. 17; Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 38; Rowedder/Rasner (Fn. 5) Anh. § 60 Rdn. 19, § 60 Rdn. 41, 54; Meyer-Landrut (Fn. 3) § 60 Rdn. 22. 35 So beispielsweise Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 177 f. 36 Α. A. - Fortsetzungsbeschluß trotz Löschung nach § 2 LöschG bei Doch-noch-Vermögen in schuldendeckendem Umfang möglich, sofern noch nicht mit der Vermögensverteilung begonnen wurde - freilich Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 24 sowie Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh (Fn. 13) Anh. § 60 Rdn. 14. 37 Ebenso: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. (1993), § 43 III/2; A. Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. (1985), § 7 III/2; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl. (1993), § 5 0 Rdn. 3. 32
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§ 1 I LöschG in den Status der Liquidation gesetzten Kapitalgesellschaften38; auf das Vorhandensein von Vermögen kommt es nicht an59. b) Die Frage, ob eine gelöschte Kapitalgesellschaft zulässigerweise klagen bzw. verklagt werden kann, ist auf der Basis der vorab entwickelten Ansicht zuvörderst eine Frage der Parteiexistenz, erst in zweiter Linie eine solche der Parteifähigkeit: Die als juristische Person erloschene Gesellschaft existiert insoweit und nur insoweit als Nachgesellschaft weiter, als dies aus Abwicklungsgründen angezeigt ist. Bei zu bejahender Nachexistenz ist die Nachgesellschaft auch parteifähig: Das Zuordnungssubjekt einschlägiger Rechte und Pflichten muß bei prozessualem Durchsetzungsbedarf auch als Verfahrenssubjekt zur Verfügung stehen40. Auch wo die gelöschte Gesellschaft als parteifähige Nachgesellschaft bereitsteht, bedarf es zur Wiederherstellung ordnungsgemäßer organschaftlicher Vertretung (wie die Parteiexistenz und Parteifähigkeit Prozeß- und Prozeßhandlungsvoraussetzung) der registergerichtlichen Liquidatorbestellung. Antragsberechtigt ist, wer an der Tätigkeit, für die die Bestellung erfolgt, ein schutzwürdiges unmittelbares oder mittelbares Liquidationsinteresse hat. 2. Klagen nach
Löschung
Aktivprozesse der Nachgesellschaft sind unter Abwicklungsaspekten im Interesse der Aktionäre/Gesellschafter und/oder Gesellschaftsgläubiger indiziert, soweit es um die Realisierung vermögensrechtlicher Ansprüche der Gesellschaft (einschließlich zugehöriger Hilfsansprüche auf Rechnungslegung und Auskunft) geht41. Für Klagen nicht vermögensrechtlicher Zielsetzung steht die gelöschte und damit des Status der juristischen Person verlustig gegangene Gesellschaft mangels Abwicklungsbedarfs bereits als Verfahrenssubjekt selbst dann nicht zur Verfügung,
B A G N J W 1988, 2637; K G N J W - R R 1991, 808; Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO. A. A. - nur vom Ansatz der Lehre von der rein deklaratorischen Natur der Löschung her haltbar - noch Zöller/Vollkommer, Z P O , 18. Aufl. (1993), § 50 Rdn. 4b. 4C S. auch Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 171 ff. 41 Für einschlägige Parteiexistenz und Parteifähigkeit gelöschter Kapitalgesellschaften auf der Basis der hier favorisierten Lehre von der teilrechtsfähigen Nachgesellschaft denn auch ausdrücklich Gerhard Büchner (Fn. 1) S. 151 f. Für Fortexistenz als - parteifähige - juristische Person: B G H LM G m b H G § 74 Nr. 1; W M 1977, 581; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 37) § 43 III/2; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. (1993), § 50 Rdn. 34c; Thomas/Putzo (Fn. 37) § 50 Rdn. 3. Die Parteiexistenz der gelöschten Gesellschaft leugnend, freilich die Existenz und Parteifähigkeit einer Gesamthand aus den bisherigen Aktionären/Gesellschaftern bejahend: Geßler/Hefermehl/Hüffer (Fn. 5) § 273 Rdn. 54 sowie Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 47. J8
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wenn noch Restvermögen vorhanden sein sollte 42 ; Gleichwohl-Klagen wären als unzulässig, nicht erst - wegen löschungsbedingten Untergangs der materiellen Berechtigung 43 - als unbegründet abzuweisen. Für Klagen gegen die gelöschte Gesellschaft, gerichtet auf die Verurteilung zu einer Vermögenswerten Leistung, steht die „Gesellschaft in Nachexistenz" jedenfalls dann bereit, wenn konkrete Aussicht auf Titelrealisierbarkeit besteht: für Zahlungsklagen bei Doch-noch-Vermögen 44 , richtigerweise - in Hinblick auf das Erfordernis eines vorgängigen Titels gegen die Gesellschaft (§ 2 AnfG) - aber auch bei konkreter Zugriffsmöglichkeit auf Drittvermögen im Wege der Gläubigeranfechtung. Die (Streit-)Frage, ob darüber hinaus bereits die rein abstrakte Möglichkeit der Titelrealisierung durch nachträgliches Auftauchen von Haftungsmasse genügt 45 , dürfte zu verneinen sein: Das Gläubigerinteresse, für einen solchen Eventualfall einen Titel in Händen zu haben, bricht sich am öffentlichen Interesse an schonender Inanspruchnahme knapper Rechtsschutzressourcen. Dem Anliegen, bei späterem Auftauchen von Haftungsvermögen nicht der Verjährungseinrede ausgesetzt zu sein, ist vom Verjährungsrecht her gerecht zu werden: Schuldlose Unkenntnis des Gläubigers von Tatsachen, die eine Nachtrags- bzw. nachholende Liquidation rechtfertigen, muß verjährungshemmend wirken 46 . Bei aktivvermögensunabhängigem Abwicklungsbedarf steht die gelöschte Gesellschaft als teilrechtsfähige Personifikation hingegen als Beklagte allemal unabhängig davon zur Verfügung, ob Haftungssubstrat vorhanden ist oder nicht 47 : Die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit einer fristlosen Kündigung, Erteilung eines Arbeitszeugnisses oder Bewilligung der Löschung einer reinen Buchposition darf nicht an der Vermögenslosigkeit der gelöschten Gesellschaft scheitern, wenn der Kläger bereit ist, bezüglich der Liquidatorvergütung in Vorlage zu treten und die Kosten des Rechtsstreits gem. § 49 GKG auch im Obsiegensfall zu tragen. 42
A. A. - in der Begrifflichkeit der „Lehre vom Doppeltatbestand" gefangen - aus-
drücklich Bork JZ 1991, 847. 43 S. Heller (Fn. 1)S. 182. 44 Ebenso: Büchner (Fn. 1) S. 152. Für Fortexistenz der gelöschten Gesellschaft als — parteifähige — juristische Person bei Benennung konkreten Restvermögens: BGHZ 48, 303/307. Die Parteiexistenz der gelöschten Gesellschaft leugnend, freilich die Existenz und Parteifähigkeit einer Gesamthand aus den bisherigen Aktionären/Gesellschaftern be-
jahend: Geßler/Hefermehl/Hüffer
(Fn. 5) § 273 Rdn. 54 sowie Hachenburg/Ulmer
(Fn. 2)
Anh. § 60 Rdn. 47. 4Î
So Hubert Schmidt DB 1990, 1703 ff.
46
Richtig: O L G Hamm DB 1990, 1226/1227.
47
Ebenso: Gerhard Buchner
(Fn. 1) S. 100 f sowie Heller (Fn. 1) S. 194. Für Fortexi-
stenz als - parteifähige - juristische Person: BAG JZ 1982, 372 f m. Anm. Theil; L A G Bre-
men MDR 1984, 435; Rosenberg/Schwab/Gottwald
(Fn. 37) § 43 III/2; Stein/Jonas/Bork
(Fn. 41) § 50 Rdn. 34c; Zöller/Vollkommer (Fn. 39) § 50 Rdn. 4b. A. A. - keine Fortexistenz ohne Vermögensreste - freilich noch BGHZ 74, 312/313.
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Darlegungslastmäßig gilt durchgängig das Erfordernis substantiierten Vortrags: Die durch die Löschung geschaffene Vermutung des Fehlens weiteren Abwicklungsbedarfs ist zwar nicht zu widerlegen48, wohl aber hinreichend zu erschüttern. Im vermögensrechtlichen Aktiv-49 wie im vermögensneutralen Passivprozeß ist jeweils schlüssige Rechtsberühmung geboten. Im vermögensrechtlichen Passivprozeß muß bei Zahlungsklagen substantiiert Haftungsvermögen50, bei Sachleistungsklagen substantiiert das Vermögen einschlägiger Leistungserbringung behauptet werden. Für ordnungsgemäße organschaftliche Vertretung der Nachgesellschaft via registergerichtliche Bestellung eines Nach(trags)liquidators haben in Wahrnehmung ihres Antragsrechts diejenigen zu sorgen, die den abwicklungsbedingten Prozeßbedarf geltend machen: bei vermögensrechtlichen Aktivprozessen die Aktionäre/Gesellschafter und/oder Gesellschaftsgläubiger, bei vermögensbezogenen sowie vermögensneutralen Passivprozessen der klagewillige Gesellschaftsgläubiger. 3. Löschung bei anhängigem
Verfahren
Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kapitalgesellschaft trotz Verfahrensanhängigkeit gelöscht werden darf, ist streitig51. Selbst nach der Ansicht, daß schwebende Prozesse generell ein Löschungshindernis darstellen, stellt sich jedoch die Frage, wie sich eine Gleichwohl-Löschung auf das anhängige Verfahren auswirkt. Die Antwort muß, nach allem bislang Ausgeführten kaum überraschend, je unterschiedlich danach ausfallen, ob Doch-noch-Abwicklungsbedarf an der Verfahrensfortführung besteht oder nicht. a) Letzternfalls muß, da die Vollbeendigung der Gesellschaft zwar Verfahrensbeendigungsgrund, nicht aber Verfahrensbeendigungstatbestand, vom Prozeßrecht her gewährleistet sein, daß die gelöschte Gesellschaft und ihre bisherige externe Handlungsorganisation für die unmittelbar verfahrensbeendenden Prozeßhandlungen, im Rahmen eines legitimen gegnerischen Kostenentscheidungsbegehrens zudem auch für das Restverfahren im Kostenpunkt zur Verfügung stehen. b) Führt dagegen Doch-noch-Abwicklungsbedarf zu Prozeßfortführungsbedarf, bleibt die gelöschte Gesellschaft als teilrechts- und teilparteifähige Personifikation erhalten. Da die Gesellschaft in NachexiA. A. Bork]Z 1991, 846. Vgl. B G H LM G m b H G § 74 Nr. 1. 50 Vgl. B G H Z 48, 303/307. 51 S. einerseits - gegen jede Löschungsmöglichkeit - Hubert dererseits Heller (Fn. 1) S. 174 ff, 184 ff. 4S 49
Schmidt (Fn. 1) S. 125, an-
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Stenz mit der vormals eingetragenen als Verband identisch ist, findet kein Parteiwechsel statt52. Im Parteiprozeß ohne Prozeßbevollmächtigten führt die Löschung freilich nach § 241 Z P O zur Unterbrechung, bis der vom Registergericht bestellte Liquidator seine Bestellung dem Prozeßgericht anzeigt53. Bei anwaltlicher Vertretung wird das Verfahren hingegen in Hinblick auf die Fortdauer der Vertretungsbefugnis des Bevollmächtigten (§ 86 Z P O ) zwar unterbrechungslos fortgesetzt und nur auf Antrag des Bevollmächtigten ausgesetzt (§ 246 I ZPO). Da wirksame Prozeßvertretung nicht die Voraussetzung ordnungsgemäßer Vertretung ersetzt, kann die erstrebte Sachentscheidung für oder gegen die Nachgesellschaft richtigerweise aber nur ergehen, wenn spätestens zur letzten mündlichen Verhandlung die Liquidatorstellung nachgewiesen wird54. Hinsichtlich der Kernfrage des Nachexistenzbedarfs fällt die Antwort leicht für vermögensrechtliche Aktiv- sowie vermögensneutrale Passivprozesse. W o die gelöschte Gesellschaft in Nachexistenz für Neuprozesse als parteifähiges Verfahrenssubjekt zur Verfügung stünde, steht sie auch im anhängigen Verfahren weiter als solches bereit 55 : erforderlich und ausreichend ist schlüssige Rechtsberühmung. Auch vermögensrechtliche Streitigkeiten gegen die Gesellschaft können jedenfalls dann gegen die Nachgesellschaft fortgesetzt werden, wenn die Benennung von Sachwerten oder vermögenswerter Forderungen gegen Dritte möglich ist56. Die Frage ist indes, ob der Umstand, daß die Klage gegen die Gesellschaft einen potentiellen Kostenerstattungsanspruch derselben begründet hat, eine Fortführung des Rechtsstreits gegen die gelöschte Gesellschaft weitergehend auch unabhängig von der Behauptung sonstigen Doch-noch-Vermögens erlaubt. Und, Anhänger der den Fortbestand der juristischen Person mit der Existenz von Vermögen verknüpfenden Lehren mögen in der Tat versucht sein, vom bedingten Kostenerstattungsanspruch ohne weiteres auf den Fortbestand der - parteifähigen 52 Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 155. A. A. - gesetzlicher Parteiwechsel kraft Rechtsnachfolge — konsequenterweise diejenigen, die mit Löschung die AG/GmbH untergehen und das Restvermögen an die personenverschiedene Gesamthand der bisherigen Aktionäre/ Gesellschafter fallen lassen, vgl. H Uff er, Gedächtnisschrift D. Schultz S. 108 f sowie Hachenburg/Ulmer (Fn. 2) Anh. § 60 Rdn. 47. 53 Hubert Schmidt (Fn. 1) S. 125 f; Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 154; Bork JZ 1991, 846. Für Unterbrechung analog §§ 239, 240 ZPO vom Ausgangspunkt Parteiwechsel kraft Rechtsnachfolge her konsequent Hiiffer, Gedächtnisschrift D. Schultz S. 112. 54 Wie hier: Stein/Jonas/Herbert Roth (Fn. 41) §246 Rdn. 4/11; Weber-Grellet NJW 1986, 2559 f; Ahmann GmbHR 1987, 433/441 f. A. A. Köln O L G Z 1975, 349; Bokelmann NJW 1977, 1130/1131. 55 Ebenso: Gerhard Buchner (Fn. 1) S. 154. Für Fortexistenz der gelöschten Gesellschaft als - parteifähige - juristische Person: BGH WM 1977, 581; BAG JZ 1982, 372 f; Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 37) § 43 III/2; Stein/Jonas/Bork (Fn. 41) § 50 Rdn. 34c. 56 Gerhard Buchner aaO. Für Fortexistenz der gelöschten Gesellschaft als - parteifähige - juristische Person: BGHZ 48, 303/307; Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO.
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juristischen Person zu schließen 57 . Nach hier vertretenem Ansatz (Verlust der typisierten Rechtsfähigkeit mit Löschung, aber Weiterbestand als teilrechtsfähige und parteifähige Nachgesellschaft, wenn und soweit dies abwicklungsbedarfsgeboten) wird man hingegen in der thematisierten Situation zu differenzieren haben: Der Kläger kann für seine Person legitimen Abwicklungsbedarf nur im Wege substantiierter Behauptung sonstiger Vermögenswerte geltend machen. Die Nachexistenz und Parteifähigkeit der gelöschten Gesellschaft aus einem Umstand abzuleiten, der die Abweisung der eigenen Klage voraussetzt, wäre widersprüchlich 58 . Auch der Klägerantrag auf registergerichtliche Bestellung eines Nach(trags)liquidators verspricht nur Erfolg, wenn sonstige Vermögensreste benannt werden. Fraglich kann nur sein, ob eine Nachexistenz der A G / G m b H mit Blick auf den bedingten Kostenerstattungsanspruch
im Abwicklungsinteresse
der Aktionäre/Gesellschafter
oder anderer
Ge-
sellschaftsgläubiger gerechtfertigt ist (so daß bejahendenfalls auch diese die registergerichtliche Bestellung eines Nach[trags]liquidators zu bewirken hätten). Die Antwort hierauf wird präjudiziert durch die Stellungnahme im Streit darüber, ob der mit einer unzulässigen oder unbegründeten Klage Überzogene ein Recht auf Klageabweisung hat, wenn sich der Streit der Sache nach auf die akzessorische Kostenentscheidung beschränkt. Wer dies - in Anlehnung an die h. M. zum Recht der einseitigen Erledigungserklärung 59 - bejaht, kann schwerlich relevanten Abwicklungsbedarf leugnen 60 . Wer § 91a Z P O - richtigerweise 61 - den allgemeinen Gedanken entnimmt, daß Kostenerstattungsinteressen keine in extenso-Prüfung der Hauptsache allein um der akzessorischen Kostenentscheidung wegen rechtfertigen, wird hingegen - vom Prozeßrecht her - relevanten Abwicklungsbedarf für ein kostenrechtlich motiviertes Hauptsacheverfahren und damit einschlägige Nachexistenz der gelöschten Gesellschaft nebst zugehöriger Parteifähigkeit verneinen. c) Praktisch bedeutet dies: Vermögensrechtliche Aktivprozesse sowie vermögensneutrale Passivprozesse können gegen die gelöschte Gesellschaft in Nachexistenz fortgeführt werden. Prozessuale Klageerfolgsvoraussetzung ist hier wie dort, auch wenn es weder zur zwischenzeitlichen Unterbrechung noch zur Aussetzung gekommen ist, die Schaffung ordnungsgemäßer organschaftlicher Vertretung durch registerParadigmatisch Bork J Z 1991, 849 f. Zustimmend Thomas/Putzo (Fn. 37) § 50 Rdn. 3. Zutreffend insoweit bereits B G H Z 74, 212/213 f. 59 Dezidiert: Peter Schlosser, Zivilprozeßrecht I, 2. Aufl. (1991), Rdn. 145; Habscheid J Z 1963, 630; Schumann AP Z P O § 91a Nr. 11. 60 Jedenfalls von diesem - freilich nicht näher kundgemachten - Grundverständnis her durchaus konsequent: B G H N J W - R R 1986, 394. 61 I. e. MünchKomm. Z P O / L i n d a c h e r , 1992, § 91a Rdn. 15 f m. w. Nachw. ä7
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gerichtliche Bestellung eines Liquidators. Einschlägig antragsberechtigt sind im ersten Fall Aktionäre/Gesellschafter und Gesellschaftsgläubiger, im zweiten der Kläger. Wer eine Gesellschaft auf Zahlung oder Sachleistung verklagt hat, kann das Verfahren gegen die gelöschte Gesellschaft in Nachexistenz fortführen, wenn es ihm möglich ist, einschlägiges Restvermögen zu benennen, muß freilich seinerseits für die Bestellung eines Liquidators sorgen. Sind keine Vermögensreste ersichtlich, muß der Kläger, bei Meidung der Klageabweisung als unzulässig, den Rechtsstreit entweder insgesamt (hinsichtlich Hauptsache und Kosten), zumindest aber in der Hauptsache für erledigt erklären. Denn, dies zur Statthaftigkeit des letzteren: Dem Klägerinteresse, im Fall des späteren Auftauchens von Vermögenswerten jedenfalls die Kosten beitreiben zu können, wird man in Hinblick auf den begrenzten richterlichen Zeit- und Arbeitsaufwand (Kostenentscheidung nach derzeitigem Sach- und Streitstand) die Berechtigung kaum absprechen können 62 . Die verklagte Gesellschaft ist hinsichtlich der die Verfahrensbeendigung herbeiführenden Zustimmungserklärungen, bei Beschränkung der Erledigungserklärung auf die Hauptsache darüber hinaus aber auch für das auf den Kostenpunkt begrenzte Verfahren (teil-)parteifähig und durch ihre bisherige externe Handlungsorganisation handlungsfähig. Im Gesellschafter- und/oder Drittgläubigerinteresse kann die - hieraus einschlägige (Teil-)Parteifähigkeit erlangende - Gesellschaft der Totalerledigung widersprechen und auf einer Kostenentscheidung gemäß bisherigem Sach- und Streitstand bestehen - freilich wohl nur nach registergerichtlicher Bestellung eines Nach(trags)liquidators. Akzeptiert man den Satz, daß der mit einer unzulässigen oder unbegründeten Klage Überzogene aus Gründen voller Kostenentlastung ein Recht auf Feststellung der ursprünglichen Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit hat, muß die mit neuer externer Handlungsorganisation ausgestattete Gesellschaft darüber hinaus in - aus dem Abwicklungsinteresse von Gesellschaftern und/oder Drittgläubigern resultierender - Nachexistenz der klägerischen Erledigungserklärung auch mit dem Ziel widersprechen können, die Von-Anfang-an-Erfolglosigkeit der Klage festzustellen. Nach der hier vertretenen Ansicht (keine in extenso-Prüfung der Hauptsache allein aus Kostenerstattungsgründen) bleibt es hingegen dabei: Mehr als eine Kostenentscheidung auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes kann beklagtenseits nicht erwirkt werden. Einem auf die ab initio-Erfolglosigkeit der Klage gestützten „Widerspruch" mangelt die rechtliche Relevanz. 62 Die Möglichkeit der Erwirkung eines Kostentitels nach § 91a ZPO gegen die nach derzeitigem Urteil vermögenslose gelöschte Gesellschaft bejahend denn auch BGH J R 1982, 102 m. Anm. Grundmann. Ablehnend: OLG Hamm GmbHR 1988, 167 f; Rowedder/Rasner (Fn. 5) Anh. § 60 Rdn. 23.
Zur Klage auf Feststellung von Rechtsverhältnissen mit oder zwischen Dritten GERHARD LÜKE
I. Einleitung Seit langem ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß Gegenstand einer positiven oder negativen Feststellungsklage nach § 256 Z P O nicht nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Prozeßparteien sein kann, sondern auch ein solches zwischen einer Prozeßpartei und einem Dritten 1 , ja sogar zwischen zwei am Rechtsstreit nicht beteiligten Personen 2 , sofern der Kläger ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses gerade gegenüber dem Beklagten hat 3 . Am Anfang standen Entscheidungen des R G zum Prätendentenstreit. In seinem Urteil vom 18. 10. 1882 4 ging es davon aus, daß zwar nach dem damaligen - mit § 256 I Z P O wortgleichen - § 231 C P O das streitige Rechtsverhältnis unter den Parteien selbst bestehen müsse, daß aber das gemeine Gewohnheitsrecht eine Klage unter Prätendenten auf Feststellung und Anerkennung ihrer Berechtigung auf die vom Schuldner deponierte Sache zulasse. Schon bald stützte das R G diese Feststellungsklage unmittelbar auf § 231 C P O 5 . In seinem Urteil vom 27. 6. 1924 6 ging das R G über die Prätendentenstreitigkeiten hinaus und verallgemeinerte den dazu entwickelten Grundsatz, indem es jedes zwischen einer der Parteien und einem Dritten bestehende Rechtsverhältnis für feststellbar i. S. des § 256 Z P O erachtete, „wenn die Klagepartei gerade dem Beklagten gegenüber ein rechtliches Interesse an dessen alsbaldiger Feststellung nachzuweisen vermag". Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte von einem Dritten ein Grundstück gepachtet, das dieser zuvor dem Beklagten verpachtet hatte. Da der Beklagte trotz der angeblich ihm gegenüber erklärten Kündigung sich weiterhin als Pächter ' BGHZ 83, 122, 125 = NJW 1982, 1703; BGH, NJW 1984, 2950; BAG, NJW 1983, 1750, 1751. 2 BGHZ 69, 37, 40 = NJW 1977, 1637; BGH, NJW 1990, 2627, 2628; WM 1990, 2128, 2130. J BGH, MDR 1971, 1000, 1001; NJW-RR 1987, 1522; NJW 1994, 459, 460. 4 RGZ 7,418,419. 5 RGZ 44, 163, 165. 6 Gruchot 68, 333, 334.
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Gerhard Lüke
betrachtete und dem Kläger das Betreten des Grundstücks verbieten ließ und für den Fall der Zuwiderhandlung mit Klage drohte, klagte der Kläger auf Feststellung, daß der Pachtvertrag zwischen dem Beklagten und dem Dritten beendet sei. Das R G bejahte das Feststellungsinteresse, obgleich es zu Recht davon ausging, daß das Urteil keine Rechtskraft im Verhältnis des Beklagten zum Dritten entfalten konnte. Es ist auch zutreffend, daß der Streit zwischen den Parteien um den Besitz und das Recht zum Besitz an dem Pachtgrundstück ging. Es zog daraus aber nicht die für das richtige Klagebegehren notwendigen Konsequenzen, etwa im Sinne einer Besitzstörungsklage des Klägers gegen den Beklagten. Das R G begnügte sich im Ergebnis mit der tatsächlichen Erwartung, daß der Streit zwischen den Parteien mit der Entscheidung über das Drittrechtsverhältnis sich erledigen würde. Der Sachverhalt war also denkbar ungeeignet, um die skizzierte Verallgemeinerung zu rechtfertigen. Michaelis hat 1983 durch umfassende Analyse der Rechtsprechung von R G , O G H und B G H überzeugend nachgewiesen, daß die These, Rechtsverhältnisse zu Dritten könnten bei Vorliegen eines entsprechenden Interesses Gegenstand eines Feststellungsurteils sein, in dieser Form nicht haltbar ist7. In den meisten der untersuchten Entscheidungen bestanden Rechtsverhältnisse zwischen den Prozeßparteien selbst 8 . So überrascht es nicht, daß sich in der Literatur die Stimmen mehren, die die Rechtsprechung ablehnen und den Anwendungsbereich der Feststellungsklage einschränken wollen 9 . Das Auffüllen der rechtlichen Interessen bei der Feststellungsklage mit materiellem Gehalt, das prozessualen Grundlehren zu widersprechen scheint, betrifft die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht 10 . Mit diesem großen Thema der Prozeßrechtswissenschaft, aus dem viele Einzelprobleme des Zivilprozeßrechts fließen, hat sich der Jubilar in seinem wissenschaftlichen Werk immer wieder beschäftigt, vor allem unter dem Gesichtspunkt des Wiederzusammenführens beider Rechtsbereiche 11 . So liegt das Thema des ihm gewidmeten Beitrags nahe, zumal Wolfram Henckel schon in seiner Heidelberger Habilitations7 Michaelis, Der materielle Gehalt des rechtlichen Interesses bei der Feststellungsklage und bei der gewillkürten Prozeßstandschaft, in: Festschrift für Larenz, 1983, S. 443, 460 f. S. auch Bauer, Feststellungsklage über Drittrechtsverhältnisse, Diss. Regensburg 1971. 8 Trzaskalik, Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozeß, 1978, S. 156 ff; Michaelis (o. Fn. 7), S. 453 ff. ' Trzaskalik, S. 178 ff; Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 490 ff; Windel, Der Interventionsgrund des § 66 Abs. 1 ZPO als Prozeßführungsbefugnis, 1992, S. 68 f; MünchKommZPOLUke, 1992, § 256 Rdn. 33 f; Häsemeyer, ZZP 107 (1994), 231, 232; W. Lüke, ZGR 1994, 266, 272 f. 10 So auch Michaelis (o. Fn. 7), S. 443. " S. insbes. Henckel, Materielles Recht und Prozeßrecht, 1970.
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schrift der Frage nachgegangen ist, unter welchen Voraussetzungen eine Feststellungsklage über Rechtsverhältnisse mit nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten zulässig ist12. Im folgenden wird zunächst die in den letzten Jahren ergangene Rechtsprechung aufgearbeitet. Danach wird versucht, die Problematik der Feststellungsklage von Drittrechtsverhältnissen mit den anerkannten Mitteln der Prozeßrechtswissenschaft in den Griff zu bekommen, ohne das Verhältnis von Prozeßrecht und materiellem Recht sachwidrig zu verschieben 13 . Selbst wenn die praktischen Ergebnisse sich nicht wesentlich von der h. M. unterscheiden sollten, verlangen dogmatische Redlichkeit und Folgerichtigkeit diese Untersuchung. Zur umfassenden Behandlung der Thematik - sie kann hier nicht geleistet werden - gehört die Einbeziehung der Prozeßarten außerhalb der Z P O . Dies erfordert schon die allgemeine Prozeßrechtslehre 14 . Von besonderem Interesse ist der Verwaltungsprozeß (§ 43 V w G O ) . Die Schwierigkeiten sind eher größer als im Zivilprozeß. Zum einen hat es der Verwaltungsprozeß mit ganz unterschiedlich strukturierten Streitigkeiten zu tun; zum andern sorgt § 42 II V w G O , der nach seinem Wortlaut die Klagebefugnis für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen regelt, bezüglich der Feststellungsklage für zusätzliche Unsicherheit 15 . II. Analyse der Rechtsprechung Da die Entscheidungen unterschiedliche Fallkonstellationen betreffen, empfiehlt es sich, zur besseren Erfassung des Materials Fallgruppen zu bilden16. 1. Die beantragte Feststellung des Drittrechtsverhältnisses dient der Klärung einer Vorfrage zum Erreichen des eigentlichen Rechtsschutzzieles. a) Ein Teil der Entscheidungen behandelt die Geltendmachung eigener Mitgliedschaftsrechte des Klägers in Gesellschaften. In seinem viel diskutierten Urteil vom 25. 2. 1982 17 bejahte der B G H die Zulässigkeit der Feststellungsklage gegen eine Aktiengesellschaft, mit der ein Aktionär geltend machte, die Rechtsakte im Zusammenhang mit einer Betriebsausgliederung seien nichtig, da die notwendige Zustimmung der Hauptversammlung nicht eingeholt worden sei. Bezogen Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1961, S. 86 ff. S. hierzu die Mahnung von Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 493. 14 Vgl. Lüke, ZZP 107 (1994), 145. 15 S. nur Laubinger, VerwArch 82 (1991), 459. " Ebenso Michaelis (o. Fn. 7), S. 443, 448. " B G H Z 83, 122 = N J W 1982, 1703. 12 13
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auf den komplizierten Sachverhalt mit vier Hilfsanträgen ging der B G H zwar von dem Satz aus, eine Klage nach § 256 ZPO könne auch auf Feststellung gehen, daß zwischen dem Beklagten und einem Dritten ein Rechtsverhältnis bestehe oder nicht bestehe, wenn dies zugleich für die Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander von Bedeutung sei, der Kläger an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage ein rechtliches Interesse habe und das Aktienrecht für die Austragung eines solchen Rechtsstreits keine abschließende Regelung treffe. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber deutlich, daß es gar nicht um die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Drittrechtsverhältnisses ging, sondern um das Rechtsverhältnis zwischen klagendem Aktionär und beklagter AG. Dies hat auch der B G H so gesehen, wie folgende Passagen beweisen: In der ohne Zustimmung der Hauptversammlung durchgeführten Ausgliederung erblickt der Kläger einen gesetzwidrigen Eingriff in die Zuständigkeit der Hauptversammlung und zugleich in die Mitgliedschaftsrechte der einzelne Aktionäre, mit dem namentlich das Bezugsrecht für den Fall einer Kapitalerhöhung habe ausgeschaltet werden sollen. Oder: Eine materiell begründete Rechtsverfolgung darf grundsätzlich nicht daran scheitern, daß die dem Aktiengesetz eigenen Rechtsbehelfe tatbestandsmäßig versagen. Oder: Wie jeder Aktionär hat der Kläger einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf, daß die Gesellschaft seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterläßt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt. Die Entscheidung betrifft also das schon immer anerkannte Recht des Aktionärs auf Verwaltung der Gesellschaft gemäß den gesetzlichen und statutarischen Vorschriften, das Grundlage des heutigen Anfechtungsrechts des Aktionärs ist18. Im Ergebnis hat der B G H auf entsprechenden Hilfsantrag festgestellt, daß die beklagte AG verpflichtet sei, für Kapitalerhöhungsmaßnahmen die Zustimmung der Hauptversammlung mit der jeweils erforderlichen Mehrheit einzuholen, andernfalls die Maßnahme nicht durchgeführt werden könne. Der eingangs der Zulässigkeitsprüfung zitierte Satz für die Feststellungsfähigkeit von Drittrechtsverhältnissen ist daher zumindest irreführend. In dem Fall des BGH-Urteils vom 14. 5. 199019 klagte einer von drei GmbH-Gesellschaftern u. a. gegen die GmbH auf Feststellung, daß der von der Beklagten mit einer Mitgesellschafterin geschlossene Dienstvertrag nichtig sei, weil die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung nicht eingehalten worden sei, um den auf den Kläger entfallenden Gewinn zu schmälern. Auch hier ging 18 Vgl. Luke, JuS 1969, 301, 306. " BGH, NJW 1990, 2627, 2628 = EWiR 1990, 791 mit zust. Anm.
Meyer-Landrut.
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der B G H wieder von der Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses aus. Während das O L G das Feststellungsinteresse verneint hatte, weil der Kläger an der Feststellung allenfalls ein wirtschaftliches Interesse habe, stellte der B G H auf die Mißachtung der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung ab und sah darin einen Eingriff in das Recht des Klägers als deren Mitglied. Demgemäß hob er das Urteil des O L G auf und verwies die Sache zurück. Deshalb fehlt im Urteil ein Tenor für eine Sachentscheidung. N u r formaljuristisch ging es um ein Drittrechtsverhältnis. In Wahrheit drehte sich der Streit um die Kompetenzen der drei GmbH-Gesellschafter. O b die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Dienstvertrages geeignet ist, diesen voll zu erfassen, ist eine offene Frage. Ebenfalls von der Sicherung der eigenen Gesellschafterstellung, u. a. des Anspruchs auf Jahresüberschuß, handelt die Entscheidung des B G H vom 1 1 . 7 . 1990 20 . Die widerklagenden GmbH-Gesellschafter begehrten die Feststellung, die Widerbeklagten hätten keine weiteren Forderungen an die G m b H . Im Grunde gestattete hier der B G H den Widerklägern als GmbH-Gesellschafter, Abwehrrechte der G m b H geltend zu machen, um ihr Interesse an einem ungeschmälerten Jahresüberschuß zu wahren. Diesen Befund verwischt der Hinweis auf die Rechtsprechung zur Feststellung von Drittrechtsverhältnissen. Das O L G hatte die Klagebefugnis der Widerkläger unter dem Gesichtspunkt der actio pro socio geprüft und diese verneint. D e r B G H hat für das Feststellungsinteresse die mittelbare Betroffenheit genügen lassen, die in der Verringerung des Anspruchs der Gesellschafter auf den Jahresüberschuß liege, wenn die G m b H verpflichtet sei, dem Widerbeklagten noch Gehalt aus Geschäftsführertätigkeit und Provision aus Drittgeschäften zu zahlen. Im Urteil des B G H vom 18. 10. 1993 21 wollte der Kläger als Konkursverwalter über das Vermögen des Erblassers festgestellt haben, daß Verträge zwischen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, dessen Gesellschafter der Erblasser war, und der Beklagten unwirksam sind. Gesichert werden sollte ein Abfindungsanspruch gegen die G b R , für den die Wirksamkeit der Verträge Vorfrage war. Der B G H hielt die Klage für unzulässig. Da der Kläger gegen die Gesellschafter der G b R hätte klagen können, was nicht mit größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre, habe er kein Feststellungsinteresse, das das O L G bejaht hatte. Der B G H hat hier den materiellrechtlichen Beziehungen unter den Beteiligten Rechnung getragen, wenn auch irreführend unter dem Gesichtspunkt des Feststellungsinteresses. 20 21
B G H , W M 1990,2128. B G H , N J W 1994,459,460.
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Auf ein Mitwirkungsrecht anderer Art bezieht sich das Urteil des BGH vom 16. 5. 199022. Der Kläger begehrte die Feststellung, der Grundstückskaufvertrag zwischen der Beklagten und seiner früheren Ehefrau sei unwirksam, weil seine Zustimmung nach § 1365 BGB fehle. Dem Kläger ging es um die Sicherung seines Zugewinnausgleichs. Der BGH bejahte das Feststellungsinteresse, weil sich aus dem Kaufvertrag Auswirkungen für die Höhe und Durchsetzbarkeit der Ausgleichsforderung ergeben könnten. Zuvor hatte er - entgegen dem OLG - die Anwendbarkeit des § 1368 BGB auf die Zulässigkeit der Feststellungsklage abgelehnt. b) Die übrigen Entscheidungen der ersten Fallgruppe betreffen unterschiedliche sonstige Konstellationen. Im Urteil vom 8.7. 198323 entschied der BGH über eine Klage, mit dem die Feststellung beantragt wurde, der Grundstückskaufvertrag zwischen dem Kläger und einem Dritten sei nichtig. Das beklagte Land hatte sein Vorkaufsrecht ausgeübt. Das Gericht war der Auffassung, die Wirksamkeit des Kaufvertrages berühre die Beziehungen zwischen den Parteien, und das Feststellungsinteresse beruhe darauf, daß das Land sich eines Vorkaufsrechts berühme. Hier war die Unwirksamkeit des Kaufvertrages mit dem Dritten Vorfrage für das Nichtbestehen eines Vertrags mit dem beklagten Land (§§ 504 ff BGB). Allein dies wollte der Kläger wirklich festgestellt haben, wie sich aus seinem Hilfsantrag ergibt, der auf Feststellung lautete, das beklagte Land könne nicht die lastenfreie Übertragung der verkauften Grundstücke verlangen. Warum der Kläger diesen Antrag nicht als Hauptantrag gestellt hat, erörterte der BGH nicht. Dem Urteil des OLG Schleswig vom 3. 10. 198624 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der damals 13jährigen Klägerin war infolge eines Sportunfalls eine Niere entfernt worden. Da der behandelnde Arzt übersehen hatte, daß es sich um die einzige Niere seiner Patientin handelte, spendete deren Mutter eine ihrer Nieren. Die Klägerin begehrte Feststellung, der beklagte Krankenhausträger habe ihrer Mutter jeden materiellen Folgeschaden der Nierenentnahme zu ersetzen. Das Gericht nahm ein rechtliches Interesse hierfür an, da die Klägerin von der Klärung des Drittrechtsverhältnisses wenigstens mittelbar betroffen sei; im Erfolgsfalle könne sie ihre Mutter künftig wegen eines Anspruchs aus §§ 683, 670 BGB primär an den Beklagten verweisen. Auch hier ging es also in erster Linie um das Rechtsverhältnis zwischen den Pro-
22 2J 24
BGH, W M 1990, 1471 = EWiR 1990, 687 mit zust. Anm. BGH, NJW 1984,2950. O L G Schleswig, FamRZ 1987, 384.
Gernhuber.
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zeßparteien, nämlich um die Feststellung der Freistellungspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin. Ebenfalls um eine zwischen den Parteien streitige Haftungsfrage ging es im Urteil des B G H vom 16. 6. 199325. Die Klägerin klagte in Prozeßstandschaft einer G m b H gegen den Träger einer Insolvenzsicherung auf Feststellung, daß die Beklagte für Versorgungsanwartschaften hafte, die zehn Arbeitnehmer der G m b H gegen die Gemeinschuldnerin, von der die Klägerin den Betrieb erworben hatte, erdient hatten. Der B G H sah ein schützenswertes Interesse an der Klärung des Verhältnisses zwischen den Dritten und der Beklagten darin, daß der Klägerin im Erfolgsfalle bei Inanspruchnahme durch die Dritten ein Rückgriffsanspruch gegen die Beklagte zustehe; zwischen den Parteien sei dann rechtskräftig festgestellt, daß die Klägerin eine Verbindlichkeit der Beklagten erfüllt habe. Die Klärung dieser Frage war das Ziel der Klägerin. Die Entscheidung des B G H vom 22. 1. 199226 betraf eine Getränkebezugsverpflichtung gegenüber dem Beklagten, die der Kläger von seiner Mutter übernommen hatte; die Ubernahmevereinbarung hatte er wirksam widerrufen. Der B G H hielt die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Bier- und Getränkelieferungsvertrages zwischen dem Beklagten und der Mutter des Klägers für unzulässig, da ein Feststellungsinteresse nicht ersichtlich sei. Richtig ist, daß es für das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nur auf die Übernahmevereinbarung ankam; da sie bereits aus anderen Gründen unwirksam war, war die Klärung der Gültigkeit des Vertrages zwischen dem Beklagten und der Mutter des Klägers nicht mehr als Vorfrage erheblich. 2. Die Parteien streiten um ein Recht gegen einen Dritten, das von beiden beansprucht wird (Forderungsprätendentenstreit). Für diese „Urform" angeblicher Streitigkeiten über Drittrechtsverhältnisse gibt es auch in der neueren Rechtsprechung etliche Beispiele. Dem Urteil des B G H vom 30. 10. 198527 lag ein Streit zugrunde, in dem beide Parteien für sich beanspruchten, Aktien aus einem Nachlaß von der Alleinerbin verlangen zu können. Mit Urteil vom 13. 5. 198728 entschied das Gericht über eine Feststellungsklage, in der es um die von der Klägerin bestrittenen Videorechte der Beklagten für einen amerikanischen Film ging. Das BGH-Urteil vom 29. 6. 198729 betraf das Begehren auf Feststellung, eine Forderungsabtretung vom Kläger an die vom beklagten Konkursverwalter vertretene Gemeinschuldnerin sei 25
B G H Z 123, 44 = NJW 1993, 2593 = ZZP 107 (1994), 228 mit krit. Anm. Häsemeyer = LM § 256 Z P O Nr. 177 mit Anm. Wax. 2 ' B G H , NJW-RR 1992, 593, 595. 27 B G H Z 96, 174 = NJW 1986, 931. 28 B G H , NJW-RR 1987, 1522. 29 B G H , NJW-RR 1987, 1439.
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unwirksam. Und schließlich beanspruchten nach dem Sachverhalt des B G H - U r t e i l s vom 20. 5. 1992 30 beide Parteien die Forderung aus einem Sparguthaben für sich. In diesen Fällen beantragte der Kläger durchweg die Feststellung des Rechtsverhältnisses zwischen ihm oder dem Beklagten und einem Dritten. Seit der Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1885 3 ' ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß der Prätendentenstreit ein Rechtsverhältnis zwischen den Forderungsprätendenten schaffe, das grundsätzlich eine Feststellungsklage ermögliche. Auch wenn das in einem solchen Rechtsstreit ergehende Urteil nur den Verlierer des Prätendentenstreits gegenüber dem Gewinner, nicht aber auch den Schuldner und den Verlierer diesem gegenüber binde, die Klärung somit nur zwischen den beiden streitenden Gläubigern, nicht aber auch gegenüber dem Schuldner erreicht werde, sei aus Gründen der Prozeßwirtschaftlichkeit ein Feststellungsinteresse des klagenden Forderungsprätendenten regelmäßig zu bejahen 32 . 3. Alleiniger Zweck der Klage ist die Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses. Hierfür gibt es nur wenige Beispiele in der Rechtsprechung. V o r dem B A G erstrebte der Arbeitgeberverband der Metallindustrie die Feststellung, die beklagte IG-Metall sei gegenüber den Mitgliedsfirmen der ihm angeschlossenen Verbände verpflichtet gewesen, Aufforderungen zu Protestveranstaltungen zu unterlassen, soweit sich diese auch an die Arbeitnehmer der Firmen richtete. Das Gericht entschied mit Urteil vom 21. 12. 1982 33 , dem Kläger fehle ein eigenes Interesse an dieser Feststellung; seine rechtliche Lage könne dadurch nicht beeinflußt werden. Ziel des Klägers war hier nicht der Schutz eigener Rechte, sondern der seiner Mitglieder, also allein die Feststellung des Drittrechtsverhältnisses zwischen seinen Mitgliedern und der beklagten Gewerkschaft. Auch für die gewillkürte Prozeßstandschaft des Klägers lehnte das B A G ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse an der Verfolgung des fremden Rechts ab. Nach dem Beschluß des O L G Hamm vom 13. 4. 1993 34 ist die Klage eines Rückbürgen gegen den Gläubiger einer Forderung auf Feststellung, daß der Gläubiger nicht berechtigt sei, den Hauptbürgen in Anspruch zu nehmen, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das Gericht stellte ausdrücklich fest, es liege kein Rechtsverhältnis zwi30 31 52 33 34
BGH, NJW-RR 1992,1151. RGZ 41, 345. BGH, NJW 1993, 2539, 2540. BAGE 41, 209, 223 f = NJW 1983, 1750. OLG Hamm, NJW 1993, 3274; vgl. dazu Deubner, JuS 1993, 1045, 1046.
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sehen den Parteien vor, auf das sich das Urteil streiterledigend auswirken könne. Ein Interesse des Klägers resultiere zwar aus der Gefahr etwaiger Inanspruchnahme im Wege des Rückgriffs durch den Hauptbürgen, reiche aber für das nach § 256 I Z P O erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung des Drittrechtsverhältnisses nicht aus. III. Bewertung Auch die Analyse der neueren höchstrichterlichen Entscheidungen hat ergeben, daß die Rechtsprechung zur Feststellung von Drittrechtsverhältnissen nach § 256 I Z P O so nicht haltbar ist. Die weite Anwendung der Feststellungsklage als Folge der Anerkennung der selbständigen Feststellungsfähigkeit von Rechtsverhältnissen des Klägers oder des Beklagten mit Dritten oder zwischen Dritten, die mit Hilfe des Feststellungsinteresses wieder eingeschränkt wird, ignoriert allgemein anerkannte Grundsätze der zivilprozessualen Dogmatik. Die Zauberformel, daß das Feststellungsinteresse gerade gegenüber dem Beklagten (bei der positiven Feststellungsklage) oder dem Kläger (bei der negativen) gegeben sein muß, gibt dem Feststellungsinteresse einen materiellrechtlichen Inhalt, mit dem die völlige Loslösung der Feststellungsklage vom materiellen Recht nachträglich wieder korrigiert werden soll. Deshalb kann ihr nicht gefolgt werden. Leider hat der B G H die in der Literatur vorgebrachte Kritik bisher nicht zur Kenntnis genommen und sich darauf beschränkt, die seit langem in der Rechtsprechung gebräuchlichen Formeln zu wiederholen. Zu den aufgeführten Fallgruppen ist im einzelnen zu sagen: 1. In den Fällen der Gesellschafterklage ist das Rechtsschutzziel des Klägers durchweg die Klärung der eigenen Rechtsposition gegenüber dem Beklagten, nicht von Drittrechtsverhältnissen. Die Feststellungsklage wird hier auf die Handlung ausgerichtet, die die Rechtsstellung des klagenden Gesellschafters beeinträchtigt. Soweit dadurch das eigentliche Rechtsschutzziel erreicht werden kann, sollte das Gericht den Kläger veranlassen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Falls dies geschieht oder der Antrag so ausgelegt werden kann, ist darauf zu achten, daß der Tenor korrekt formuliert wird. Verfehlt ist das Abstellen auf das Feststellungsinteresse. Das Tatbestandsmerkmal des rechtlichen Interesses an alsbaldiger Feststellung, das für die Feststellungsklage das besonders ausgestaltete allgemeine Rechtsschutzinteresse ist, darf nicht dazu dienen, die Sachprobleme zu verdecken und die Dogmatik des Zivilprozeßrechts zu vernachlässigen 35 . 35 Zöllner, A c P 190 (1990), 471, 492, bezeichnet das rechtliche Interesse an der Feststellung als „verführerisches holdes U n g e f ä h r eines generalklauselartigen Begriffs" und bemängelt die Z u r ü c k d r ä n g u n g des materiellen Rechts d u r c h die h. M.
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Es ist bei der Feststellungsklage - anders als bei der Leistungsklage und erst recht bei der Gestaltungsklage - deshalb besonders zu beachten, weil das Feststellungsurteil nicht zu einem Vollstreckungstitel in der Hauptsache führt und folglich die Gefahr besteht, daß der Kläger die Gerichte nochmals in Anspruch nehmen muß, wenn der Schuldner aufgrund des stattgebenden Feststellungsurteils nicht leistet. Dies zeigt bereits an, daß das Rechtsschutzinteresse in erster Linie an den staatlichen Rechtspflegeinteressen auszurichten ist. Damit wird zugleich der Beklagte geschützt, wie das Rechtsschutzbedürfnis überhaupt auch im Verhältnis des Klägers zum Beklagten wirkt. Es verhindert, daß der Beklagte in unlauterer Weise mit einer Klage überzogen wird; insofern steht es dem Grundsatz von Treu und Glauben nahe. Bei der Feststellung von Drittverhältnissen verschiebt die h. M. die „Stoßrichtung" des Feststellungsinteresses; sie gibt diesem zudem einen materiellrechtlichen Inhalt: Die beantragte Feststellung müsse für die Rechtsbeziehungen zwischen den Prozeßparteien oder zwischen dem Kläger und dem Dritten von Bedeutung sein36 oder die Klärung des Rechtsverhältnisses die Rechtsstellung des Klägers beeinflussen 37 . Sie will damit in dogmatisch anfechtbarer Weise den zugrunde liegenden materiellrechtlichen Beziehungen und dem eigentlichen Klagebegehren Rechnung tragen. Hierfür läßt der B G H die Behauptungen des Klägers genügen, und zwar nicht nur in tatsächlicher, sondern auch in rechtlicher Hinsicht 38 . Er nimmt also nicht einmal eine begrenzte Schlüssigkeitsprüfung vor, die sonst bemüht wird, um Zulässigkeit und Begründetheit voneinander zu trennen 39 . Das Hauptbedenken besteht darin, daß die gerichtliche Feststellung den Dritten nicht bindet, weil sich die materielle Rechtskraft nicht auf ihn erstreckt. Der Schutz eigener Rechte kann durch Feststellung fremder Rechte nicht erreicht werden 40 . Schon deshalb fehlt dem Kläger das Feststellungsinteresse 41 . Das trifft auch für die Fälle zu, in denen nach der Tatsachenlage von der Erwartung ausgegangen werden kann, der Dritte werde das Urteil freiwillig respektieren 42 . Dafür besteht letztlich 36 BGH, NJW 1984, 2950; NJW-RR 1992, 593, 595; NJW 1994, 459 f; O L G Frankfurt, NJW 1976, 1944; O L G Hamm, NJW 1993, 3274, 3275. 37 BGH, NJW 1978, 1520; Β GHZ 96, 174, 177 = NJW 1986, 931; BGH, NJW 1993, 2539, 2540; BAGE 41, 209, 223 = NJW 1983, 1750. 38 BGHZ 83, 122, 125 = NJW 1982, 1703; BGH, NJW 1990, 2627, 2628. 39 Vgl. Lüke, Fälle zum Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1993, S. 5, 78, 166. 40 Zutreffend Michaelis (o. Fn. 7), S. 452. 41 Trzaskalik (o. Fn. 8), S. 178 ff. 42 Vgl. ζ. B. RGZ 128, 92, 94: Das RG hielt die Klage trotz fehlender Rechtskraft für zulässig, weil für den Beklagten und die Dritten ohne weiteres anzunehmen sei, „daß sich diese in ihrem Verhältnis zueinander dem Urteil beugen und ihre Beziehungen dementsprechend gestalten werden".
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auch kein Bedürfnis; denn für die Beteiligung des Dritten stehen andere prozessuale Wege offen 43 . Das hier vorgetragene Bedenken kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Prozeßökonomie abgetan werden. Möchte der Kläger seine Rechtsbeziehungen zum Beklagten geklärt wissen, ist das Drittrechtsverhältnis hierfür aber nur eine Vorfrage oder ein Element, so greift die auf dessen Bestehen oder Nichtbestehen gerichtete Feststellungsklage zu kurz. D e m Kläger kann nur geraten werden, seinen Klageantrag entsprechend neu zu stellen; eine Auslegung scheidet aus. Andernfalls ist die Klage mangels Feststellungsinteresses unzulässig 44 . Insoweit steht die Rechtsprechung in Widerspruch zu den sonst zu § 256 Z P O allgemein anerkannten Grundsätzen. Danach können Vorfragen und Elemente eines Rechtsverhältnisses nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein 45 , wobei allerdings die Abgrenzung zur Feststellung von Teilrechtsverhältnissen schwierig ist46. Zudem besteht die Gefahr, daß die Leistungsklage von der Feststellungsklage verdrängt und deren Verhältnis zueinander gerade umgedreht wird 47 . 2. Zur Feststellung von echten Drittrechtsverhältnissen, an denen weder Kläger noch Beklagter beteiligt ist, gibt es in der veröffentlichten neueren Judikatur keine positiven Beispiele 48 . Sie darf es auch nicht geben, weil hierauf gerichtete Feststellungsklagen unzulässig sind. Hier kann allenfalls die gewillkürte Prozeßstandschaft helfen 49 . 3. Im Prätendentenstreit geht es nicht um die Feststellung von Drittrechtsverhältnissen, sondern um die Klärung eigener Rechte der Prätendenten als Prozeßparteien. Nach dem B G H schafft der Streit zwischen zwei Parteien, die miteinander kollidierende Rechte gegen einen • 43 Michaelis (o. Fn. 7), S. 460 f; ebenso Trzaskalik (o. Fn. 8), S. 159. Auch Häsemeyer, ZZP 101 (1988), 385, 397, stellt fest, bei Drittfeststellungsklagen könnten die Prozeßparteien für das materiellrechtlich unabhängig konkrete Rechtsverhältnis mit dem Dritten nichts bewirken, so daß die Feststellung des Drittverhältnisses auf eine bloße abstrakte Rechtsprognose mit der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen hinauslaufe. 44 Richtig daher Michaelis (o. Fn. 7), S. 461; unzutreffend Bauer (o. Fn. 7), S. 40, der den besseren Schutz des Klägers in der Feststellung des Drittrechtsverhältnisses erblickt und dabei übersieht, daß dieses dem Dritten gegenüber mangels Rechtskraftwirkung gerade nicht eindeutig festgestellt wird. 45 B G H Z 68, 331, 332 = N J W 1977, 1228; B G H , N J W 1982, 1878, 1879; Zöller/Greger, Z P O , 18. Aufl. 1993, § 256 Rdn. 3. 4t Vgl. M ü n c h K o m m Z P O - ¿ » ¿ e , § 256 Rdn. 24. 47 Die ganz h. M. betrachtet die Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage nicht als subsidiär, nimmt also zu Recht keine Gesetzeskonkurrenz an, sondern wickelt das Verhältnis über das Feststellungsinteresse ab; MünchKommZPO-Z.«£e, § 256 Rdn. 5. 48 Deshalb ist der vom B G H ständig wiederholte Satz über die Feststellungsfähigkeit von Rechtsverhältnissen zwischen Dritten unrichtig. « So auch B A G E 41, 209, 223 = N J W 1983, 1750.
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Dritten geltend machen, ein nach § 256 Z P O feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen den beiden Forderungsprätendenten, ohne daß das Gericht dies näher bezeichnet 50 . Obgleich das Feststellungsurteil den Dritten als Schuldner nicht bindet, hält der B G H die Klärung des Prätendentenstreites durch vorweggenommene Feststellungsklage zwischen den beiden streitenden Gläubigern als naheliegend und vernünftig; denn daß der Schuldner das Feststellungsurteil nicht beachten werde, dürfte in der Praxis keine Bedeutung haben. Zwar sorge das Verfahren nach § 75 Z P O für eine lückenlosere Rechtkraftwirkung, habe aber den Nachteil, daß es dazu zwinge, einen unter Umständen leistungsbereiten Schuldner zunächst einmal in einen ihn letztlich nichts angehenden Rechtsstreit hineinzuziehen. Deshalb bejaht der B G H das Feststellungsinteresse für eine unabhängig von § 75 Z P O erhobene Feststellungsklage eines Prätendenten gegen den anderen, die im Verhältnis zum Schuldner die Sachlegitimation für die umstrittene Forderung betrifft. Diesen Ausführungen, die nur im Ergebnis zutreffen, fehlt die dogmatische Schärfe. Wie W. Lüke zu §§ 64 und 75 Z P O - im Anschluß an die grundlegenden Ausführungen von Picker zur materiellrechtlichen Deutung von Hauptintervention und Prätendentenstreit 51 - dargelegt hat52, ist Grundlage des Begehrens des Hauptintervenienten gegen den Kläger des Hauptprozesses ein Unterlassungsanspruch, während der Kläger im Prätendentenstreit, falls der Dritte als Schuldner hinterlegt hat, entsprechend § 816 II B G B die Einwilligung des Beklagten in die Herausgabe verlangt oder die Feststellung eines solchen Anspruchs begehrt. Diese Ansprüche werden je nach Lage des Falles auch mit der Feststellungsklage geltend gemacht, die unabhängig von §§ 64 und 75 Z P O erhoben wird. Der Unterlassungsanspruch des Prätendenten resultiert aus dem Eingriff in die Zuständigkeit des Konkurrenten für die Forderung, der darin liegt, daß dieser sich selbst der Inhaberschaft an der Forderung berühmt 53 . Es kommt also nicht erst auf die Prozeßführung des Konkurrenten an, so daß die Problematik eines Unterlassungsanspruchs gegen Prozeßverhalten nicht greift. Damit einhergehen kann die Geltendmachung des Anspruchs auf Einwilligung in die Herausgabe des Hinterlegten gegenüber der Hinterlegungsstelle (§ 13 II Nr. 2 HinterlO). Hat der Schuldner nicht hinterlegt, steht aber definitiv B G H , N J W - R R 1987, 1439, 1440. Picker, Hauptintervention, Forderungsprätendentenstreit und Urheberbenennung zugleich ein Beitrag zum Thema materielles Recht und Prozeßrecht, in: Festschrift für Flume I, 1978, S. 649 ff. 52 W. Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozeß, 1993, S. 357 ff, 371. 53 In der Literatur ist teilweise anerkannt, daß die Forderungszuständigkeit nach § 823 I B G B geschützt wird; Nachw. bei Lüke, Fallsammlung zum Bürgerlichen Recht, 1992, S. 61, 100. so
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fest, daß er die Schuld nicht bestreitet, so bleibt nur der Unterlassungsanspruch des Klägers gegen den Konkurrenten. Falls die Forderung auch im Verhältnis zum Schuldner streitig ist, versagt der Weg des Feststellungsprozesses zwischen den Konkurrenten; der angebliche Gläubiger muß gegen den Schuldner auf Leistung klagen. IV. Feststellungsklage und Prozeßführungsbefugnis 1. Wie mit der Leistungs- und der Gestaltungsklage werden auch mit der Feststellungsklage subjektive Rechte geltend gemacht. Der Prozeß ist die praktische Umsetzung der Privatrechtsordnung im Streitfall und das Prozeßrecht dementsprechend deren prozessuale Ausformung 54 . Hierin kommt einerseits der notwendige Zusammenhang von Prozeßrecht und materiellem Recht zum Ausdruck. Andererseits wird nicht ausgeschlossen, daß das Prozeßrecht eigenständigen Wertungen unterliegen kann. Zusammengehörigkeit des Prozeßrechts mit dem materiellen Recht und Selbständigkeit des Prozeßrechts sind in der heutigen Prozeßrechtswissenschaft im Prinzip auf ein sachgerechtes Maß zurückgeführt, so daß die Mahnung von Zöllneri5 an die Adresse der Zivilprozessualisten übertrieben erscheint. Eindrucksvolle Beispiele sind die Streitgegenstandsdiskussion und die Rechtskraftlehre: Die Auffassung, daß der Streitgegenstand mit dem Klageantrag identisch ist56, kann als überholt angesehen werden; die prozessuale Rechtskrafttheorie hat teilweise materiellrechtliche Akzente erhalten57. An diesem Befund ändert nichts, daß seit 100 Jahren die Feststellungsklage - anders als die Anerkennungsklage des § 231 C P O - als rein prozeßrechtliches Institut aufgefaßt wird58. Diese Charakterisierung zielt auf die besondere Rechtsschutzform und die Art des bei begründeter Feststellungsklage gewährten Rechtsschutzes ab. Positivrechtlich besteht die Besonderheit, daß § 256 Z P O als einzige Norm eine allgemeine Klageart regelt und damit die Statthaftigkeit der Feststellungsklage umschreibt 59 . Für die Leistungsklage geht das Gesetz - in Abkehr vom aktionenrechtlichen System - als selbstverständlich davon aus, daß jeder Anspruch i. S. des § 194 B G B auch klageweise durchgesetzt werden kann. Sie empfängt ihren Inhalt vom materiellen Recht, so 54 In diesem Sinne auch Henckel (o. Fn. 11), S. 63, wenn er formuliert, daß der Prozeß der Ausübung des materiellen Rechts in einem Verfahren vor Rechtspflegeorganen diene. " Zöllner, AcP 190 (1990), 471, 493. 56 Lüke, in: Festschrift für Κ. H. Schwab, 1990, S. 309 ff. 57 S. z . B . Stein/Jonas/Leipold, Z P O , 20. Aufl. 1989, § 3 2 2 Rdn. 34 ff; Lüke, in: Festschrift für Schiedermair, 1976, S. 377, 387. 58 Vgl. MünchKommZPO-Z.«6i, § 256 Rdn. 1 ff. 59 Lüke, JuS 1969, 301, 303 f.
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daß die konkreten Spielarten der Leistungsklage nahezu unbegrenzt sind. Die Gestaltungsklage hingegen unterliegt einem numerus clausus; sie ist nur dort statthaft, w o es eine Gestaltungsklagenorm gibt. D a die Feststellungsklage nicht zu einem Vollstreckungstitel in der Hauptsache führt, muß sie hinter der Leistungsklage zurücktreten; ihr fehlt das im Gesetz ausdrücklich geregelte Feststellungsinteresse, wenn der Kläger auf Leistung klagen kann. 2. Fällt die Feststellungsklage aus dem System der klageweisen Geltendmachung subjektiver Rechte nicht heraus, so unterliegt sie auch deren sonstigen Anforderungen. Damit der Kläger sich nicht eigenmächtig in fremde Rechtsbeziehungen einmischt, muß er prozeßführungsbefugt sein. E r muß der richtige Kläger sein und die Klage gegen den richtigen Beklagten erheben. Andernfalls ist seine Klage unzulässig. N a c h der älteren Doktrin - ausgehend von der U b e r einstimmung des Prozeßrechtsverhältnisses mit dem streitigen materiellen Rechtsverhältnis - bestimmte die Sachlegitimation die richtigen Parteien des Prozesses. Seit der Entwicklung des formellen Parteibegriffs hat diese Funktion die Prozeßführungsbefugnis übernommen 6 0 . U b e r die Prozeßführungsbefugnis wird normalerweise im Prozeß gar nicht gesprochen; denn wer das behauptete Recht für sich in Anspruch nimmt, ist prozeßführungsbefugt. Umgekehrt ist der Beklagte prozeßführungsbefugt, wenn das geltend gemachte Recht als gegen ihn gerichtet verfolgt wird. N u r wenn sie vom materiellen R e c h t getrennt ist und die Befugnis zur Verfolgung fremder Rechte kraft Gesetzes, kraft Hoheitsakts oder kraft besonderen Verwaltungs- und Verfügungsrechts in Anspruch genommen wird, ist sie für den Kläger oder den Beklagten zu prüfen. Diese Grundsätze gelten auch für die Feststellungsklage. So berechtigt die Prozeßführungsbefugnis des Konkursverwalters für die K o n k u r s masse (§ 6 II K O ) ihn selbstverständlich zur Erhebung einer Feststellungsklage. D e r zentrale Einwand gegen die Rechtsprechung zur Feststellung von Drittrechtsverhältnissen liegt darin, daß sie die P r o z e ß führungsbefugnis völlig übergeht und in dogmatisch unzulässiger Weise im Feststellungsinteresse aufgehen läßt 61 . Ist der Kläger nach seinen eigenen Behauptungen an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht beteiligt und auch nicht ermächtigt, es gerichtlich geltend zu machen, so ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Falls die Klage auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses des Beklagten oder des Klägers zu einem Dritten gerichtet ist, ist die Prozeßführungsbefugnis nur zu bejahen, wenn das geltend gemachte Recht von dem Rechtsverhältnis unmittelbar berührt wird. Zur dogmengeschichtlichen Entwicklung s. Lüke, ZZP 76 (1963), 1, 6 ff. " Ebenso W. Lüke, ZGR 1994, 266, 273. 60
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U m eine sachlich nicht gerechtfertigte Ausdehnung der Feststellungsklage zu vermeiden, genügt die bloße Behauptung des Betroffenseins nicht. Vielmehr m u ß der Kläger dieses schlüssig darlegen; die M ö g lichkeit reicht nicht aus. Das tatsächliche Betroffensein gehört genauso zur Begründetheit wie das Bestehen oder N i c h t b e s t e h e n des R e c h t s verhältnisses. 3. Soweit der Kläger in den Drittrechtsfällen die Prozeßführungsbefugnis hat, ist das Feststellungsinteresse - anders als im Sinne der h. M . - in zweifacher H i n s i c h t sorgfältig zu prüfen: G e h t die Leistungsklage vor, so ist das Feststellungsinteresse genauso zu verneinen, wie wenn die Klage zu kurz greift, also nur ein E l e m e n t des streitigen Rechtsverhältnisses z u m Gegenstand hat; denn dann ist ein Feststellungsurteil nicht geeignet, die Gefährdung oder Unsicherheit des R e c h t s , u m das es eigentlich geht, zu beseitigen.
Der Einfluß des Insolvenzverfahrens auf Auftragsund Geschäftsbesorgungsverhältnisse Kritische Gedanken zu § 23 K O (§§115 ff InsO) W O L F G A N G MAROTZKE
I. Zu den großen wissenschaftlichen Leistungen von 'Wolfram Henckel gehört es, in der 9. Auflage des Jaegerschen Konkursrechtskommentars' eine von Grund auf neu durchdachte Darstellung der schwierigen Probleme gegeben zu haben, die auftreten, wenn über das Vermögen einer Person, die Partei eines beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Vertrages ist, ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Wissenschaftlicher Idealismus und hohe, auch eigene Arbeitsergebnisse wieder in Frage stellende Diskussionsbereitschaft zeigen sich in einer Rezensionsabhandlung, in welcher Wolfram Henckel wenig später eine demselben Thema gewidmete Habilitationsschrift2 zum Anlaß nahm, seine Ausführungen in der 9. Auflage des Jaegerschen Kommentars nochmals zu überprüfen3. Henckel scheute sich nicht, im letzten Absatz seiner Rezensionsabhandlung die einen kräftigen Schuß Selbstkritik enthaltende Feststellung zu treffen, daß es bisher noch niemandem gelungen sei, das Bemühen um eine widerspruchsfreie und unangreifbare Deutung der Vorschriften über die Behandlung gegenseitiger Verträge in der Insolvenz zu einem vollen Erfolg zu führen4, und daß man sich wohl auch in Zukunft mit weniger werde begnügen müssen. Wolfram Henckels Bereitschaft, notfalls auch Unfertiges zu akzeptieren, ermutigt mich, in der ihm gewidmeten Festschrift zwei Fragen zu erörtern, auf die eine rundum überzeugende Antwort noch nicht gegeben werden kann. Die Fragen lauten: Auf welchen Grundgedanken beruht § 23 KO? Sollten die §§ 23, 27 K O im Zuge der Insolvenzrechtsreform4* beibehalten, verändert oder ersatzlos gestrichen werden - zumal entsprechende ' Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 2. und 3. Lieferung der 9. Aufl. 1980 bzw. 1982, Erl. zu §§ 10-18 und §§ 19-28 K O . Die ebenfalls von Henckel bearbeitete 1. Lieferung der 9. Aufl. (zu §§ 1-9 K O ) datiert von 1977. 2 Marotzke, Gegenseitige Verträge in Konkurs und Vergleich, 1985. 1 Vgl. Henckel, ZZP 99 (1986), 419 ff. * Henckel, ZZP 99 (1986), 419, 445. 4" Dazu unten S. 591 (vor allem Fn. 45a).
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Bestimmungen weder in der VerglO noch im kodifizierten Insolvenzrecht der sog. „neuen Bundesländer" 5 zu finden sind? II. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 K O erlischt ein von dem Gemeinschuldner erteilter Auftrag unmittelbar infolge der Konkurseröffnung, es sei denn, daß der Auftrag sich nicht auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen bezieht. Das gleiche gilt gemäß § 23 Abs. 2 K O , wenn jemand sich durch einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag verpflichtet hat, ein ihm vom Gemeinschuldner übertragenes Geschäft für diesen zu besorgen. Nach allgemeiner Auffassung verfolgen diese Bestimmungen den Zweck, die Verwaltung der Konkursmasse bei dem nach § 6 Abs. 2 K O zuständigen Konkursverwalter zu monopolisieren „und die Konkursmasse gegen Verwaltungshandlungen Dritter abzuschirmen" 6 . Ebenso wie § 6 Abs. 1 K O den Gemeinschuldner von der Verwaltung der Masse ausschließe, müsse auch der vom späteren Gemeinschuldner Beauftragte und der kraft entgeltlichen Vertrages zur Geschäfts besorgung Verpflichtete sich der Einflußnahme auf die Masseverwaltung enthalten7. Indem § 23 K O dies sicherstelle, ergänze er den § 6 K O . Wie dieser enthalte auch § 23 K O zwingendes Recht. Eine Vereinbarung des späteren Gemeinschuldners mit dem Geschäftsbesorger, daß der Vertrag über die Konkurseröffnung hinaus fortbestehen solle, wird allgemein als unwirksam erachtet8. Nicht einmal der Konkursverwalter selbst wird von der h. M. als berechtigt angesehen, den nach § 23 K O erloschenen Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß oder analog § 17 K O zu reaktivieren9. Als erläuterungsbedürftig wird (zu Recht) 5 Da die in den sog. „neuen Bundesländern" geltende Gesamtvollstreckungsordnung eine dem § 23 KO entsprechende Bestimmung nicht enthält, wird bereits darüber gestritten, ob man § 23 K O hier analog anwenden müsse (dafür Michael Huber in Gottwald [Hrsg.], Nachtrag „Gesamtvollstreckungsordnung" zum Insolvenzrechts-Handbuch, 1993, S. 59 Rdn. 13 ff; dagegen Haarmeyer/Wutzke/Förster, Gesamtvollstreckungsordnung, 2. Aufl. 1992, GesO § 9 Rdn. 61). 6 Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 3; vgl. auch RGZ 81, 332, 336; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 1992, S. 432. 7 Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, KO § 23 Rdn. 3, 4. s Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 4 mit Nachweisen. ' Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 5; vgl. auch Michael Huber in Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechtshandbuch, 1990, § 37 Rdn. 42. Nicht ganz so streng Marotzke, JA 1988, 117, 119 ff, 179 (im Anschluß an eine vor Schaffung des § 23 KO formulierte Äußerung von Förster/Eccius, Preußisches Privatrecht Bd. 2, 1892, § 141 Fn. 121); ders., EWiR § 49 KO 1/1987, 1121 f (zu dem durch BGH, ZIP 1988, 1474 aufgehobenen Urteil O L G Hamm, ZIP 1987, 1330 betr. Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters gegenüber Konkursverwalter des Mandanten) und — im Sinne eines mehr Raum für § 17 K O fordernden Vorschlags für die Insolvenzrechtsreform - ders. in Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 183, 194 f.
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empfunden, daß § 23 KO dem Wortlaut nach nur das Auftrags- und das Geschäftsbesorgungsverhältnis erlöschen lasse und sich hinsichtlich des Schicksals einer vom späteren Gemeinschuldner erteilten Vollmacht10, Verfügungs- oder Einziehungsermächtigung" ausschweige. Erlöschen auch die auf Vollmacht oder Ermächtigung beruhenden Zuständigkeiten für fremdwirkendes Handeln automatisch im Zeitpunkt der Konkurseröffnung? Oder bedarf es dieser Rechtsfolge bei der Vollmacht und bei der Ermächtigung nicht, weil die Rechtsmacht des Bevollmächtigten oder des Ermächtigten auch bei Fortbestand der Vollmacht bzw. der Ermächtigung nicht weiter reichen kann als die - nunmehr durch § 6 ff K O beschränkte - Rechtsmacht des „Hintermannes"? Wenn dieser Gedanke zutrifft12 und es einer dem § 23 K O entsprechenden Vorschrift in bezug auf vom Gemeinschuldner erteilte Vollmachten und Ermächtigungen nicht bedarf: mußte dann das Erlöschen von Aufträgen in § 23 K O ausdrücklich angeordnet werden? III. 1. Nimmt man § 23 Abs. 1 Satz 1 K O beim Wort, so ordnet er nicht in bezug auf eine vom Gemeinschuldner erteilte Vollmacht, Verfügungsermächtigung oder Einziehungsermächtigung, sondern nur in bezug auf vom Gemeinschuldner erteilte Aufträge an, daß diese infolge der Konkurseröffnung erlöschen (soweit sie sich auf Vermögen beziehen, welches jetzt zur Konkursmasse gehört). In der ursprünglichen, im Jahre 1877 in Kraft getretenen Fassung der Konkursordnung war derartiges nicht einmal in bezug auf Aufträge bestimmt, und dennoch war es sowohl für Aufträge als auch für Vollmachten allgemein anerkannt. Welchen Einfluß die Konkurseröffnung auf vom Gemeinschuldner erteilte Aufträge hatte, ergab sich aus der im damaligen § 20 KO (einem Vorläufer des heutigen § 25 KO) vorgesehenen Weitergeltung des bisherigen Rechts. Dieses wird in den Motiven zur K O wie folgt beschrieben13: „Aufträge und Vollmachten erlöschen, nach §. 197. I. 13. A.L.R., Vgl .Jaeger/H enckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 6, 48 ff (dazu unten III 1, 2, 5a). " Dazu Marotzke in Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 183, 195 und die dort in Fn. 41 Genannten. Vgl. auch Kuhn/Uhlenbruch, K O , 11. Aufl. 1994, § 23 Rdn. 5 (im zweiten Absatz), 20. 10
12 Vertreten wird er z. B. von Jaeger/H enckel, oben Fn. 1, K O § 7 Rdn. 10 und § 23 Rdn. 48 (in bezug auf Vollmachten) und von Marotzke, oben Fn 11, S. 195 (in bezug auf Vollmachten und Ermächtigungen); beide mit Nachweisen auch zu abweichenden Auffassungen (denen sich für bestimmte Sonderfälle auch Henckel angeschlossen hat; vgl. unten III 5a in Fn. 37). 13 Motive zum Entwurf einer K O S. 86, hier zitiert nach Hahn, Die gesammten Materialien in den Reichs-Justizgesetzen Bd. 4, 1881 (Neudruck 1983), S. 102. Hervorhebungen nicht im Original.
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nach 1. 8. §. 3. D. mand. 17. 1. und 1. 28. D. de neg. gest. 3. 5. (vgl. Urtheil des O L G Dresden vom 17. Juli 1847 in Seuffert's Archiv Bd. 3. Nr. 321) durch den Konkurs des Machtgebers, und nach art. 2003. des Code civil durch das Falliment, sei es des Machtgebers, sei es des Bevollmächtigten." Als später das BGB geschaffen wurde, zog man es vor, den Einfluß der Konkurseröffnung auf vom Gemeinschuldner erteilte Aufträge unmittelbar in der KO zu regeln. Man tat dies „nach dem Vorgange des französischen Rechts (code civil Art. 2003)"14 in der Weise, die sich noch heute aus § 23 Abs. 1 Satz 1 K O ergibt. Bemerkenswert ist nun, daß dem französischen Recht, welches man zum Vorbild genommen hatte, die dem BGB eigentümliche gedankliche Trennung zwischen dem Auftrag und einer zu dessen Ausführung erteilten Vollmacht fremd war. So wird in den Begründungen zu den Vorentwürfen der BGB-Redaktoren ausdrücklich vermerkt, daß das preußische ALR, das besondere Vorschriften über „Vollmachtsaufträge" enthielt15, und mitunter auch das gemeine Recht so verstanden wurden, daß „der Begriff des Auftrags ... mit dem Begriff Vollmacht identifizirt, und ... hierbei die Vollmacht als Vertrag behandelt" wurde16. An gleicher Stelle wird auch dem französischen Recht bescheinigt, daß es in diesem Punkte „ähnlich" verfahre. Nach einer ausführlichen Stellungnahme zu diesen historischen Vorbildern heißt es dann aber17: „Das preußische und das französische Recht werden hiernach nicht nachahmenswerth sein. Weder die Beschränkung des Mandatsbegriffs, noch die Identifizirung von Mandat und Vollmacht ist zu billigen." Sollte diese Grundsatzentscheidung der Redaktoren des BGB aus dem Blickfeld geraten sein, als man den § 23 14 So die amtliche Begründung zur KO-Novelle von 1898, S. 31, zitiert nach Hahn/ Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Bd. 7, 1898 (Neudruck 1983), S. 239. 15 Die Uberschrift zu I 13 Abschn. I pr. ALR lautete: „Von Vollmachtsaufträgen." Sodann war in den §§ 5, 6 folgendes bestimmt: „Die Willenserklärung, wodurch Einer dem Anderen das Recht ertheilt, ein Geschäft für ihn und statt seiner zu betreiben, wird Auftrag oder Vollmacht genannt. Wird der Auftrag angenommen, so ist unter beiden Theilen ein Vertrag vorhanden." Zum Einfluß des Konkurses bestimmte § 197 ALR I 13: „Sobald ein Kaufmann in Concurs verfällt, oder nicht mehr zahlen zu können öffentlich erklärt, sind die ihm gegebenen Aufträge für widerrufen zu erachten." Vgl. dazu R G Z 27, 248 ff.
" Vgl. Werner Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die Erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, unveränderter fotomechanischer Nachdruck der als Manuskript vervielfältigten Ausgabe aus den Jahren 1876 bis 1887, Allgemeiner Teil, Teil 2 (verfaßt von Albert Gebhard), 1981, S. 169, 170 bzw. 189, 190 (die erstgenannte Seitenkombination bezieht sich auf das Original, die letztgenannte auf die unten angebrachte Paginierung in dem von Schubert herausgegebenen Nachdruck). 17 AaO. S. 171 bzw. (vgl. soeben Fn. 16 a. E.) S. 191.
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Abs. 1 Satz 1 KO „nach dem Vorgange des französischen Rechts" gestaltete? Meint § 23 Abs. 1 Satz 1 KO, wenn er von „Auftrag" spricht, letztlich vielleicht doch - zumindest auch - die Vollmacht? Diese Vermutung ist naheliegend (zumal der Begriff „Vollmachtvertrag" noch heute in § 87 Abs. 1 Z P O enthalten ist), aber nicht unangreifbar. Denn die Begründung des § 23 K O thematisiert wenige Sätze nach ihrer nicht ganz unverfänglichen Bezugnahme auf das französische Recht 18 die zwischen „Auftrag" und „Vollmacht" sehr wohl differenzierende Frage, welchen Einfluß es auf eine „mit dem Auftrag etwa verbundene Vollmacht" hat, wenn der Auftrag nach § 672 Satz 2 BGB oder nach § 674 BGB (jeweils i. V. m.§ 23 Abs. 1 Satz 2 KO) als fortbestehend gilt: in dem einen wie dem anderen Falle dauere „zugleich, gemäß § 1 6 8 Satz 1 BGB, die mit dem Auftrag etwa verbundene Vollmacht fort". Die Verfasser des § 23 K O waren sich des Unterschieds zwischen Auftrag und Vollmacht also durchaus bewußt. Daraus folgt allerdings nicht, daß sie diese damals noch recht ungewohnte Unterscheidung auch in jeder Hinsicht richtig zu Ende gedacht hatten19. Der Umstand, daß die amtliche Begründung den das Erlöschen des Auftrags aussprechenden § 23 Abs. 1 Satz 1 K O nicht selbst zu rechtfertigen versucht, sondern sich stattdessen auf das Vorbild des code civil (Art. 2003) beruft, läßt es als nicht unwahrscheinlich erscheinen, daß § 23 Abs. 1 Satz 1 K O letztlich eben doch (zumindest auch) das Erlöschen einer dem Beauftragten erteilten Vollmacht meint, wenn er vom Erlöschen des Auftrags spricht. Daß man sich dazu des in der amtlichen Begründung erwähnten Umwegs über § 168 Satz 1 BGB bediente, ist - wenn man von dem Sonderfall der „abstrakten" Vollmacht einmal absieht20 - von eher nebensächlicher Bedeutung. 2. Soweit § 23 K O „zumindest auch" der Beseitigung von Vollmachten dienen sollte21, würde es sich freilich um eine überflüssige Bestimmung handeln. Das ergibt sich aus der bereits von Wolfram Henckel angestell-
" Vgl. soeben bei Fn. 14. " Vgl. schon Laband, ZHR 10 (1866), 183, 203: „Nichts ist für den wahren Begriff der Stellvertretung und die juristische Durchbildung dieses Instituts nachtheiliger gewesen, als die Zusammenwerfung der Stellvertretung mit dem Mandat, zu welcher das Rom. Recht den Anlaß gab." Laband gilt als geistiger Vater der dem BGB eigentümlichen Trennung zwischen Vollmacht einerseits (§§ 164 ff BGB) und Auftrag andererseits (§§ 662 ff BGB). Vgl. Lindemann, Die Durchbrechung des Abstraktionsprinzips durch die höchtstrichterliche Rechtsprechung seit 1900, Konstanz 1989, S. 132 ff. " Auch für diese gilt jedoch das unter III 2 Ausgeführte (vgl. Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 48). 21 Vorausgesetzt wird dies bei Kilger/Schmidt, 16. Aufl. 1993, K O §23 Anm. 8; Kuhn/Uhlenbruch:, 11. Aufl. 1994, K O § 23 Rdn. 7 (soweit die unwiderrufliche Vollmacht betreffend). Vgl. auch RG, LZ 1910, Sp. 215 f Nr. 23 (besonders den Schlußsatz).
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ten Überlegung, daß der Bevollmächtigte nur diejenigen Rechte ausüben kann, die dem Vollmachtgeber gegenwärtig zustehen. Soweit der Vollmachtgeber infolge der Konkurseröffnung in der Verfügung beschränkt ist (§§ 6 ff K O ) , kann auch der Bevollmächtigte nicht wirksam verfügen22. Denselben Beschränkungen unterliegt derjenige, der vom Gemeinschuldner ermächtigt wurde, über einen dem Gemeinschuldner gehörenden Gegenstand im eigenen Namen zu verfügen oder eine dem Gemeinschuldner zustehende Forderung im eigenen Namen einzuziehen23. Allerdings scheint es früher Rechtsordnungen gegeben zu haben, die den Gemeinschuldner bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht automatisch mit Verfügungsbeschränkungen belegten 24 . Berücksichtigt man ferner, daß bei Schaffung der K O von 1877 noch die (inzwischen durch die Amtstheorie verdrängte 25 ) Auffassung verbreitet war, daß der Gemeinschuldner durch den Konkursverwalter gesetzlich vertreten werde 26 , so wird man zugeben müssen, daß es noch innerhalb der Vorstellungswelt des historischen Gesetzgebers lag, eine mit der gesetzlichen Vertretungsmacht des Konkursverwalters konkurrierende gewillkürte Vertretungsmacht eines vom Gemeinschuldner Bevollmächtigten zum Erlöschen bringen zu müssen. Es mag also sein, daß man bei Schaffung des § 23 K O von derartigen Gedanken nicht frei war. Dies würde jedoch nichts daran ändern, daß die K O von 1877 sich von Anfang an dafür entschieden hatte, den Gemeinschuldner nach Maßgabe der §§ 5 ff (jetzt
21 Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, KO § 23 Rdn. 48 (anders für einen Spezialfall ders. aaO Rdn. 56; dazu unten III 5a bei Fn. 37) ; vgl. auch Kuhn/Uhlenbruck, oben Fn. 21, KO § 7 Rdn. 4. 23 Vgl. Marotzke, oben Fn. 11, S. 195; Häsemeyer, oben Fn. 6, S. 192, 433; a. M. Serick, Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung Bd. V, 1982, § 62 III, IX 7; wohl auch Kuhn/Uhlenbruck, oben Fn. 21, K O § 23 Rdn. 20 (trotz der richtigen Ausführungen in Rdn. 4 zu § 7 KO). 24 Die Motive der KO erwähnen auf S. 34 die „Bestimmung des römischen Rechts, wonach der Schuldner weder durch die missio noch durch die cessio die Dispositionsfähigkeit verlor und die Gläubiger nachtheilige Dispositionen des Schuldners nur durch die thatsächliche Besitzergreifung seines Vermögens verhindern oder durch die activ Pauliana anfechten konnten", sowie einen allgemeinen „Gerichtsgebrauch", der sich darüber „mit der Annahme hinweghalf, daß in der Konkurseröffnung ein allgemeines Veräußerungsverbot stillschweigend enthalten sei" (Motive zu dem Entwurf einer KO, S. 34; hier zitiert nach Hahn, oben Fn. 13, S. 60). Ergänzend ist anzumerken, daß auch unser heutiges Vergleichsverfahren nicht automatisch zu einer generellen Verfügungsbeschränkung des Schuldners führt. 25 Vgl. Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, KO § 6 Rdn. 6 ff, 165 ff. 26 Selbst die Verfasser der KO von 1877 gingen von dieser Vorstellung aus; vgl. Motive zu dem Entwurf einer KO, S. 16 f, 34 = Hahn, oben Fn. 13, S. 46, 60. Eine partielle Wiederbelebung der Vertretertheorie wird erwogen von Karsten Schmidt, KTS 1984, 345 ff.
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§§ 6 ff) K O in der Verfügung zu beschränken, und daß diese Beschränkungen auch ohne den Umweg über § 23 K O auf die Rechtsstellung der vom Gemeinschuldner Bevollmächtigten oder Ermächtigten durchschlagen. Die Motive zu dem (unserem heutigen § 7 K O entsprechenden) § 6 der K O von 1877 zeigen freilich, daß dieser Zusammenhang dem historischen Gesetzgeber keineswegs als zwingend erschien27. Vielleicht liegt hierin ein - aus heutiger Sicht allerdings wenig überzeugender28 - Grund für die spätere Einfügung des § 23 K O . 3. Bedarf es einer dem § 23 K O entsprechenden Bestimmung also nicht schon im Hinblick auf etwaige vom Gemeinschuldner erteilte Vollmachten und Ermächtigungen, so stellt sich die Frage, welchen Vorteil die Konkursmasse sonst noch davon haben kann, daß vom Gemeinschuldner erteilte Aufträge nach § 23 Abs. 1 Satz 1 K O erlöschen. Auch diese Frage bedarf der Präzisierung: Bezieht sich der Erlöschensgrund des § 23 Abs. 1 Satz 1 K O nur auf den Auftrag im engeren Sinne oder auch auf den Vertrag, der durch die „Annahme" des Auftrags nach §§ 145 ff, 662 B G B zustande gekommen ist? Es hat sich eingebürgert, hier von einem Erlöschen des Vertrages auszugehen29. Das harmoniert zwar mit den Eingangsworten des § 27 KO, ist aber in der Sache höchst fragwürdig, da man der Konkursmasse durch die Annahme, daß nicht nur der Auftrag als solcher, sondern auch der durch dessen Annahme zustande gekommene Vertrag bzw. im Falle des § 23 Abs. 2 K O der ganze Geschäftsbesorgungsvertrag erlösche, ohne Not alle vertraglichen Anspruchsgrundlagen gegen den Geschäftsbesorger entziehen würde. Soll der Geschäftsbesorger jetzt nicht mehr vertraglich verpflichtet sein, dem Auftraggeber (bzw. dessen Konkursverwalter) alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags vom Gemeinschuldner erhalten und was er aus der - vielleicht schon begonnenen - Geschäftsbesorgung erlangt hat (§ 677 BGB), und sollen auch Ansprüche gegen den Geschäftsbesorger wegen schuldhafter Verletzung des geschlossenen Vertrages nicht auf die Konkursmasse übergehen? Soll die Konkursmasse insoweit allen Ernstes auf Ansprüche aus Geschäftsführung ohne
27 Vgl. Motive zum Entwurf einer K O S. 37 f = Hahn, oben Fn. 13, S. 62 f. Vgl. auch Fn. 28. 21 Neu zu überdenken wäre diese Bewertung freilich, wenn man mit Miiller-Freienfels, Die Vertretung im Rechtsgeschäft, 1955, S. 124 ff, 328, 332 f davon ausginge, daß eine Vollmacht auch als eine den Vollmachtgeber und dessen Gläubiger (!) verdrängende erteilt werden könne. Hiergegen jedoch zu Recht Flume, AT des Bürgerlichen Rechts Bd. 2: Das Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, § 53, 6 (S. 884). 29 Vgl. Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 6, 41, 42, 43, 45, 47 und § 26 Rdn. 8, 11; Kilger/Schmidt, oben Fn. 21, K O § 23 Anm. 5; Michael Huber in Gottwald (Hrsg.), Insolvenzrechtshandbuch, 1990, § 37 Rdn. 41. Anders jedoch Marotzke, EWiR § 49 K O 1/1987, 1121 f (vgl. schon oben Fn. 9).
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Auftrag oder auf sonstige gesetzliche Anspruchsgrundlagen beschränkt sein? Es ist nicht anzunehmen, daß § 23 K O die Konkursmasse derart schlecht stellen wollte. Auch die von einem Erlöschen des ganzen „Vertrages" sprechenden Autoren ziehen diese Konsequenz letztlich nicht 30 . Man sollte den § 23 K O deshalb eng auslegen und seine Erlöschensanordnung zwar auf den Auftrag im engeren Sinne, nicht aber auch auf den durch dessen Annahme zustande gekommenen Vertrag beziehen. Unter „Auftrag im engeren Sinne" ist in diesem Zusammenhang nicht der von dem Auftraggeber gemachte „Vertragsantrag" zu verstehen, sondern nur die in diesem enthaltene Ermächtigung, das „von dem Auftraggeber übertragene Geschäft für diesen ... zu besorgen" (vgl. § 662 BGB) und dafür nach § 670 BGB Aufwendungsersatz zu verlangen. „Erlöschen" des Auftrags bedeutet also nicht das Erlöschen des Vertragsantrages und damit letztlich des Vertrages selbst, sondern nur die Beendigung der in diesem enthaltenen Ermächtigung zur Geschäftsbesorgung („zum Weitermachen") 31 . Weitergehende gesetzliche Eingriffe in das Vertragsverhältnis sind zur Erreichung des Ziels, die Konkursmasse gegenüber jeder Einflußnahme durch Dritte abzuschirmen 32 , nicht erforderlich. Vorsichtiger Zurückhaltung bedient sich denn auch § 23 Abs. 2 K O , indem er die Rechtsfolgen, die in § 23 Abs. 1 K O in bezug auf den „Auftrag" ausgesprochen sind, in Fällen der entgeltlichen Geschäftsbesorgung nicht auf den zugrundeliegenden Vertrag überträgt, sondern weitaus vorsichtiger formuliert: „Das gleiche gilt, wenn sich jemand durch einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag verpflichtet hat, ein ihm von dem Gemeinschuldner übertragenes Geschäft für diesen zu besorgen." Diese Formulierung läßt durchaus die Interpretation zu, daß nicht der ganze Dienst- oder Werk'vertrag (so aber leider die zu weit gehenden und deshalb korrekturbedürftigen Eingangsworte des § 27 KO), sondern nur der in ihm erhaltene „Auftrag", dieser wiederum verstanden im Sinne einer Ermächtigung zum Weitermachen (zur Fortführung des übertragenen Geschäfts), bei Konkurseröffnung endet. Selbst zur Erreichung dieses maßvollen Ziels bedurfte es jedoch nicht des § 23 K O . Daß der vom späteren Gemeinschuldner Beauftragte keine mit dem Zu30
Vgl. Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 34 (soweit zu §§ 666, 675 BGB), 43; Kuhn/Uhlenbmck, oben Fn. 21, K O § 23 Rdn. 6; Michael Huber, aaO, § 37 Rdn. 43. 51 Terminologisch anders, jedoch im Ergebnis übereinstimmend Jaeger/Henckel, oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 34, 43 f; Kuhn/Ublenbruck, oben Fn. 21, K O § 23 Rdn. 5 (Sätze 3 und 4), 6 und - für die einen konkursrechtlichen Einschlag nicht aufweisenden Fälle, daß der Auftrag widerrufen wird oder entgegen der Auslegungsregel des § 672 Satz 1 BGB infolge Todes des Auftraggebers oder Verlust der Geschäftsfähigkeit erlischt - Staudinger/ Wittmann, 12. Aufl. 1979, BGB § 671 Rdn. 4, § 672 Rdn. 18. " Vgl. Abschnitt II bei Fn. 6.
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ständigkeitsbereich des Konkursverwalters kollidierenden Aktivitäten entfalten darf, ergibt sich nämlich schon daraus, daß die Besorgung solcher Geschäfte dem Gemeinschuldner durch § 6 K O entzogen ist: Mehr Rechte als der Gemeinschuldner kann selbstverständlich auch der von ihm Beauftragte nicht haben. 4. Zu erwägen ist jedoch, ob ein anerkennenswerter Zweck des § 23 K O darin gesehen werden kann, die Konkursmasse von den finanziellen Lasten freizustellen, die auf sie zukämen, wenn der Beauftragte über den Zeitpunkt der Konkurseröffnung hinaus konkurrierend z u m Konkursverwalter tätig werden dürfte. W ü r d e das Recht des Beauftragten, in der ihm übertragenen Angelegenheit tätig zu werden, den Zeitpunkt der Konkurseröffnung überdauern, so könnten dem Beauftragten noch während des Konkurses Aufwendungsersatzansprüche nach § 670 B G B und dem entgeltlichen Geschäftsbesorger (§ 23 Abs. 2 K O ) sogar noch echte Vergütungsansprüche erwachsen. Es würde sich dann die Frage stellen, ob der Beauftragte (oder der entgeltliche Geschäftsbesorger) diese ihm erst während des Konkurses erwachsenen Ansprüche als Konkurs- oder vielleicht sogar als Massegläubiger geltend machen kann mit der Folge, daß sich die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger entsprechend mindern. Unter diesem Aspekt könnte man den Zweck des § 23 K O dahin zu definieren versuchen, daß solchen A n sprüchen des Geschäftsbesorgers durch die Klarstellung, daß er seine Tätigkeit einzustellen habe, jede Grundlage entzogen sein solle. Auch dieser Versuch, dem § 23 K O einen Sinn zu geben, wäre jedoch z u m Scheitern verurteilt. D e n n es ist nicht einzusehen, weshalb die K o n kursmasse vor auf die Zeit nach Verfahrenseröffnung entfallenden Aufwendungsersatz- und Vergütungsansprüchen nur dann geschützt sein soll, wenn der Auftrag bzw. der entgeltliche Geschäftsbesorgungsvertrag sich auf das konkursbefangene Vermögen bezieht. Ein entsprechender Schutz m u ß m. E. auch (vielleicht sogar „erst recht") dann gewährt werden, wenn diese in § 23 Abs. 1 Satz 1 K O ausdrücklich erwähnte Voraussetzung nicht erfüllt ist, der Auftrag also trotz § 23 K O fortbesteht. Für diese Fälle hat Wolfram Henckel zutreffend ausgeführt": „Der Vergütungsanspruch des Geschäftsbesorgers ist nur insoweit Konkursforderung, als die Geschäftsbesorgung vor Konkurseröffnung getätigt wurde, der Anspruch auf Aufwendungsersatz nur insoweit, als die A u f w e n d u n g e n vor Konkurseröffnung gemacht wurden. Im übrigen können die Ansprüche nur gegen den Gemeinschuldner persönlich geltend gemacht werden."
33
Jaeger/Henckel,
oben Fn. 1, K O § 23 Rdn. 37.
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Wenn dies aber schon für diejenigen Fälle gilt, in denen der Auftrag fortbesteht (weil er sich nicht auf die Konkursmasse bezieht), dann kann die in § 23 Abs. 1 Satz 1 K O getroffene Anordnung, daß alle sich auf die Konkursmasse beziehenden Aufträge erlöschen, nicht den Zweck haben, die Konkursmasse vor der Entstehung neuer Aufwendungsersatz- oder Vergütungsansprüche zu schützen: Dieser Schutz ergibt sich schon daraus, daß solche erst nach Konkurseröffnung begründeten Ansprüche im allgemeinen weder Konkursforderungen (vgl. § 3 Abs. 1 KO) noch Masseschulden (vgl. § 59 KO) sind und somit gegen die Masse ohnehin nicht verfolgt werden können. 5. Von der im letzten Satz getroffenen Feststellung statuiert § 27 K O zwei wichtige Ausnahmen, die sich beide auf den Fall beziehen, daß ein vom Gemeinschuldner erteilter Auftrag oder ein Dienst- oder Werkvertrag der in § 23 Abs. 2 K O bezeichneten Art infolge der Konkurseröffnung erlischt (was nach § 23 K O voraussetzt, daß er sich auf konkursbefangenes Vermögen bezieht): dann und nur dann „ist der andere Teil in Ansehung der nach der Eröffnung des Verfahrens entstandenen Ersatzansprüche 34 im Falle des § 672 Satz 2 BGB Massegläubiger, im Falle des § 674 BGB Konkursgläubiger". Mußte das Erlöschen des Auftrags also deshalb angeordnet werden, weil der Beauftragte sonst nicht nach § 27 K O Masse- oder wenigstens Konkursgläubiger werden könnte? Dies kann schon deshalb nicht richtig sein, weil die von § 27 K O in Bezug genommenen Bestimmungen des BGB auf der Rechtsfolgeseite übereinstimmend die Fiktion des Fortbestehens des Auftrags aufstellen. Im einzelnen gilt folgendes. a) Nach § 672 Satz 2 BGB i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 2 K O hat der Beauftragte, „wenn mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist, die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen, bis der (Konkursverwalter) des Auftraggebers anderweit Fürsorge treffen kann; der Auftrag gilt insoweit als fortbestehend". Daß der Beauftragte die ihm aus solch einer Notgeschäftsführung entstehenden Ansprüche nach § 27 K O als Masseschulden geltend machen kann, ist sachgerecht. U m diese Rechtsfolge gesetzlich zu verankern, war es jedoch nicht nötig, zuvor in § 23 K O das Erlöschen des Auftrages auszusprechen. Es hätte vollauf genügt, eine gesetzliche Bestimmung des Inhalts zu erlassen, daß Ansprüche des Beauftragten aus einer über die Konkurseröffnung hinaus entwickelten Tätigkeit Masseschulden sind, „soweit mit dem Aufschübe der Geschäftsbesorgung Gefahr verbunden ist". Wer die in dieser Formulierung anklingende Analogie zu § 672 Satz 2 BGB hingegen 34 Nichts anderes gilt i. E. für etwaige Verg«t«ngsansprüche. Vgl. Jaeger/Henckel, Fn. 1, K O § 27 Rdn. 4.
oben
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so weit treibt, daß er auch das „Erlöschen" des Auftrags als gesondert zu prüfende Tatbestandsvoraussetzung postuliert, der macht es sich unnötig schwer auf dem Weg zu dem rechtspolitisch wünschenswerten Recht des Konkursverwalters, bei Bedarf auch über die Grenzen der Notgeschäftsführung hinaus die Erfüllung (§§ 17, 59 Abs. 1 Nr. 2 K O ) von Aufträgen zu verlangen, die der Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung erteilt hatte35. In den Grenzen der Notgeschäftsführung „gilt" ein nach § 23 K O erloschener Auftrag „als fortbestehend", § 23 Abs. 1 Satz 2 KO. Gleiches gilt wegen § 168 Satz 1 B G B für eine Vollmacht, die der spätere Gemeinschuldner dem Geschäftsbesorger erteilt hatte. Da jedoch der Bevollmächtigte nicht mehr Rechtsmacht haben kann als der Vollmachtgeber und dieser infolge der Konkurseröffnung in der Verfügung beschränkt ist (§§ 6 ff KO), hängt die Wirksamkeit von Verfügungen, die der Beauftragte namens des Gemeinschuldners vornimmt, ebenso wie die einer eigenen Verfügung des Gemeinschuldners von der Zustimmung des Konkursverwalters ab36. Die Vertreter der Gegenansicht37 beurteilen die Wirksamkeit von Notgeschäftsführungsmaßnahmen eines vom späteren Gemeinschuldner Beauftragten ohne triftigen Grund großzügiger als solche des Gemeinschuldners selbst (obwohl dieser im Nachlaßkonkurs auch selbst wie ein Beauftragter behandelt wird38; vgl. § 1978 B G B und §224 Abs. 1 Nr. 1 KO). Natürlich wäre es denkbar und m. E. sogar sinnvoll, analog § 27 K O auch eigene Notgeschäftsführungsmaßnahmen des Gemeinschuldners zu privilegieren, d. h. ihm insoweit zu Aufwendungsersatzansprüchen gegen die Konkursmasse zu verhelfen39. Die Wirksamkeit von nach Konkurseröffnung vorgenommenen Verfügungen sollte man jedoch auch dann nach §§ 6 ff K O beurteilen,
Dazu unten IV. Jaeger/Lent, 8. Aufl. 1958, K O § 23 Rdn. 12; Jaeger/Henckel, 9. Aufl. 1977, K O § 7 Rdn. 10 (anders jedoch in seiner fünf Jahre später erschienenen Kommentierung des § 23 K O ; vgl. die folgende Fn.); Kuhn/Uhlenbruck, oben Fn. 21, K O § 23 Rdn. 9, 11; Kilger/Schmidt, oben Fn. 21, K O § 23 Anm. 9; Staudinger/Wittmann, 12. Aufl. 1979, B G B § 672 Rdn. 23; Staudinger/Dilcher, 12. Aufl. 1980, B G B § 168 Rdn. 25 (m. w. N.). 55
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37 Jaeger/Henckel, 9. Aufl. 1982, K O § 23 Rdn. 56 im Anschluß an Flume, oben Fn. 28, § 5 1 , 7; vgl. auch MünchKomm/Schramm, 3. Aufl. 1993, B G B § 1 6 8 Rdn. 14; Soergel/Leptien, 12. Aufl. 1987, B G B § 168 Rdn. 8. M Genauer: wie ein Beauftragter der Nachlaßgläubiger in bezug auf die vor Konkurseröffnung anfallenden Verwaltungsaufgaben. 39 Soweit ersichtlich, wird ein „eigene(s) Notgeschäftsführungsrecht des Gemeinschuldners" bisher nur thematisiert von Häsemeyer, oben Fn. 6, S. 195, 433. Evtl. ist hier allerdings schon mit den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag zu helfen. Vgl. Jaeger/Henckel, aaO, K O § 23 Rdn. 47 und Kuhn/Uhlenbruck, oben Fn. 21, K O § 23 Rdn. 8, deren Ausführungen auf eine Geschäftsführung durch den Gemeinschuldner übertragbar sein dürften.
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wenn sie sich als Notgeschäftsführungsmaßnahmen des Gemeinschuldners 40 oder eines von ihm bevollmächtigten Auftragnehmers 41 darstellen. Dem Adressaten einer nach Konkurseröffnung getroffenen Verfügung des Gemeinschuldners oder eines von ihm Bevollmächtigten sollte als Außenstehendem nicht die (stets ein gewisses „Erpressungspotential" beinhaltende) Möglichkeit geboten werden, dem Konkursverwalter den Gegenstand, über den verfügt wurde, mit dem Argument streitig zu machen, daß der Gemeinschuldner bzw. der Bevollmächtigte in berechtigter Notgeschäftsführung gehandelt habe. Denn eine berechtigte Notgeschäftsführung setzt begrifflich nicht voraus, daß die Abwendung der in § 672 Satz 2 BGB erwähnten Gefahr gelungen, m. a. W. der Konkursmasse ein Vorteil entstanden ist42. Die Entscheidung über die Wirksamkeit der hier in Frage stehenden Verfügungen gehört deshalb allein in die H a n d des Konkursverwalters: er mag je nach Interesse der von ihm verwalteten Masse entweder nach § 185 BGB genehmigen oder es bei den Rechtsfolgen aus §§ 6 ff K O belassen. b) Nach § 674 BGB i. V. m. § 23 Abs. 1 Satz 2 K O gilt ein vom späteren Gemeinschuldner mit Bezug auf die Konkursmasse erteilter Auftrag „zugunsten des Beauftragten ... als fortbestehend, bis der Beauftragte von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muß". Gem. § 27 K O ist der Beauftragte hinsichtlich der bis zu diesem Zeitpunkt entstehenden Ersatzansprüche 43 Konkursgläubiger. Auch das ist sachgerecht und setzt nicht voraus, daß außer der mit dem Begriff „Auftrag" bezeichneten Ermächtigung zur Geschäftsbesorgung auch das Vertragsverhältnis als solches erlischt 44 . IV. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die These, in den Fällen des § 23 K O erlösche nicht nur die Berechtigung des Geschäftsbesorgers zum Tätigwerden im Zuständigkeitsbereich des Konkursverwalters, sondern das gesamte Vertragsverhältnis, weit über das Ziel hinausschießt, welches § 23 K O sinnvollerweise verfolgen kann. Die von einem Erlöschen des Vertrages sprechenden Eingangsworte des § 27 K O sind falsch ge10
Anders wohl nur Häsemeyer, aaO, S. 195, 433. " Anders die in Fn. 39 Genannten. 42 Vgl• Jaeger/Henckel, oben Fn. I, K O § 27 Rdn. 2; Kuhn/Uhlenhruck, oben Fn. 21, K O § 27 Rdn. 1; Hess/Kropshofer, 4. Aufl. 1993, K O § 27 Rnd. 4; Kilger/Schmidt, oben Fn. 21, K O § 27 Anm. 1. 4J Gleiches gilt hinsichtlich etwaiger Vergütungsansprüche eines entgeltlichen Geschäftsbesorgers der in § 23 Abs. 2 K O bezeichneten Art; s. oben Fn. 34. 44 Das soeben unter a Ausgeführte gilt insoweit entsprechend.
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wählt44® und sollten bei nächster Gelegenheit (ζ. B. im Zusammenhang mit einer nochmaligen Überarbeitung des vom Bundestag beschlossenen und nun zur Beratung im Vermittlungssausschuß anstehenden Entwurfs einer Insolvenzordnung 45 ' 45a ) durch bessere Formulierungen ersetzt werden46. Gleichzeitig sollte man, was nun ja auch geschehen ist47, ein weiteres Redaktionsversehen 48 korrigieren, welches darin besteht, daß § 27 K O zwar die nach Verfahrenseröffnung entstandenen „Ersatzansprüche", nicht aber auch entsprechende Vergütungsansprüche zu Masseschulden (im Falle des § 672 Satz 2 BGB) bzw. zu Konkursforderungen (im Falle des § 674 BGB) erklärt. Geht man davon aus, daß das Vertragsverhältnis als solches trotz §§ 23, 27 K O nicht erlischt, so kann man ohne dogmatische Skrupel49 dem Konkursverwalter das Recht zugestehen, von dem Beauftragten bzw. dem entgeltlichen Geschäftsbesorger in mittelbarer bzw. sogar in direkter50 Anwendung der § § 1 7 , 59 Abs. 1 Nr. 2 K O die (weitere) Erfüllung des Vertrages zu verlangen. Die Nachteile, die sich für die Konkursmasse bei Verneinung dieser Möglichkeit51 ergeben, wurden bereits an anderer Stelle beschrieben52. Jedoch besteht wenig Hoffnung, daß der Reformgesetzgeber in dieser Sache eine klare Entscheidung trifft: Er wird die alten Unklarheiten in die neue Insolvenzordnung übernehmen 53 .
4,1 Der Fehler wiederholt sich in der Überschrift zu § 116 der voraussichtlich am 1. 1. 1999 in Kraft tretenden InsO. 45 Die vom Bundestag am 21. 4. 1994 gebilligte Fassung des Entwurfs beruht auf der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses in: Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Drucksache 12/7302 vom 19. 4. 1994. Die in diesem Entwurf enthaltenen §§ 133-135 sind in mancherlei Hinsicht verbesserungsfähig. Vgl. Marotzke, oben Fn. 11, S. 194 f (zu §§ 123-125 des damaligen Referentenentwurfs). 45a Nachdem dieser „Entwurf" während der Drucklegung des vorliegenden Beitrags zu einem in BGBl. 1994 I, 2866 verkündeten „Gesetz" gediehen ist, bietet sich als Gelegenheit für korrigierende Eingriffe nunmehr der Zeitraum bis zum Inkrafttreten (1. 1. 1999) an. 46 Vgl. dazu die Hinweise im ersten Absatz des Abschnitts III 5 a. 47 Vgl. § 1 1 6 Satz 2 InsO. 48 Vgl .Jaeger/H enckel, oben Fn. 1, K O § 27 Rdn. 4, 6. 49 Z. B. ohne Rücksicht auf die Frage, ob nach § 17 K O (künftig § 103 InsO) auch die Erfüllung erloschener Verträge verlangt werden kann (was bisher zu Recht für indiskutabel gehalten wurde, durch einige neuere Entscheidungen des B G H aber in den Bereich des Denkbaren gerückt worden ist; vgl. dazu meine Kritik in J R 1990, 331, 333, 335 bei Fn. 23). M An eine direkte Anwendung der §§ 17, 59 Abs. 1 Nr. 2 K O (§§ 103, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) ist in den Fällen der entgeltlichen Geschäftsbesorgung zu denken. 51 Nachweise zur verneinenden Ansicht oben Fn. 9. 52 Marotzke, oben Fn. 11, S. 194 mit einem Beispiel in Fn. 38. 53 §§ 115-117 der inzwischen in B G B l . 1994 I, 2866 verkündeten und voraussichtlich am 1. 1. 1999 in Kraft tretenden InsO.
Der Einfluß der EMRK auf den Zivilprozeß FRANZ MATSCHER
I. Zur Entwicklung der Verfahrensgarantien als Grundrechte 1. Wenn in revolutionären Zeiten oder bei sonstigen größeren Umwälzungen der Ruf nach Grund- und Freiheitsrechten erschallte und, in diesem Rahmen, auch Verfahrensgarantien - unabhängige Justiz, öffentliche Prozesse usw. - gefordert wurden, so dachte man dabei wohl nur an den Strafprozeß. Fürwahr, etwa für die Öffentlichkeit von Zivilprozessen wäre niemand auf die Barrikaden gestiegen. So finden wir Ansätze - später sogar entwickelte Systeme - von Verfahrensgarantien, wenngleich weitgehend ohne Erwähnung des Zivilprozesses, in den ältesten Verfassungsdokumenten: -
-
Magna Charta Libertatum 1215, Habeas Corpus-Acts 1769, Bill of Rights von Virginia 1776, Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung 1787, mit dem 14. Amendment 1868 (due process of law, equal protection of law), womit erstmalig allgemeine Grundsätze für rechtsstaatliche Gerichtsverfahren aufgestellt wurden, Französische Déclaration des droits de l'homme et du citoyen 1789; sehr eingehend behandelt wurden die Verfahrensgarantien - ausdrücklich für Straf- und Zivilsachen - in der Verfassung des Deutschen Reichs, der Paulskirchen-Verfassung 1849; nichts über Verfahrensgarantien finden wir in der deutschen Reichsverfassung 1871, wohl aber in den österreichischen Verfassungsdokumenten 1867 (Staatsgrundgesetz über die Errichtung eines Reichsgerichts, Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt), oder auch in der schweizerischen Bundesverfassung 1874.
In den modernen Verfassungsurkunden - in den ihnen eingebauten oder angeschlossenen Grundrechtskatalogen - nehmen die Verfahrensgarantien (implizit, oder ausdrücklich erwähnt, auch für den Zivilprozeß) durchaus einen hervorragenden Platz ein1. 1 Lübbe-Wolff, (1983), 137.
Stufen des Grundrechtsschutzes gegen Verfahrensverstöße, FS Simson
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Franz Matscher
Ich erwähne beispielhaft die italienische Verfassung 1947 (Art. 24, 25, 101 ff), das deutsche G G 1949 (Art. 92 ff) oder, aus jüngster Zeit, die Verfassungen der neuen ost- und südosteuropäischen Reformstaaten, so etwa Art. 125 ff der slowenischen Verfassung 1991, Art. 36-40 der Charta der Grund- und Freiheitsrechte der Tschechoslowakischen Republik von 1991 (1993 als Verfassungsgesetz für die Tschechische und für die Slowakische Republik übernommen). 2. Ein Charakteristikum der neuesten Zeit ist die Tendenz, Grundrechte nicht nur innerstaatlich, sondern auch international, das heißt völkerrechtlich, abzusichern. Grundlegend war die von einer in Paris tagenden GV der V N am 10. Dezember 1948 beschlossene Res. 217/A (III), die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese proklamiert Verfahrensgarantien in Art. 10: - Gleichheit vor Gericht, - Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz in Zivil- und Strafsachen durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht, - Anspruch auf faires und öffentliches Verfahren. Auf diesem Art. 10 bauen alle in später zustandegekommenen Instrumenten des internationalen Menschenrechtsschutzes aufgenommenen und weiterentwickelten Verfahrensgarantien auf -
Art. Art. Art. Art.
6 E M R K 1950, 14 UN-Pakt für bürgerliche und politische Rechte 1966, 8 A M R K 1969, 7 Afrikanische Menschenrechtscharta 1981.
II. Die Verfahrensgarantien der E M R K , vornehmlich für Zivilrechtssachen 1. Bleiben wir im europäischen Bereich und damit bei der E M R K . Diese sieht - wie schon erwähnt - institutionelle Garantien und Verfahrensgarantien i. e. S. für Zivil- und Strafsachen in Art. 6 Abs. 1 vor: - Anspruch auf Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendem Gericht; - Anspruch auf faires Verfahren - zu dem auch die Waffengleichheit gehört - („équitablement", „fair hearing", „in billiger Weise" - wie sich die offiziöse deutsche Ubersetzung ausdrückt); - Anspruch auf im Prinzip öffentliche Verhandlung und öffentliche Entscheidungsverkündung; - Anspruch auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist, Abs. 3 normiert ganz spezifische Garantien für Strafverfahren.
Der Einfluß der E M R K auf den Zivilprozeß
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Dazu Folgendes: es ist anerkannt, daß einerseits die in Abs. 3 hervorgehobenen besonderen Garantien für Strafsachen nur spezifische, auf den Strafprozeß zugeschnittene Ausprägungen des Fairneßprinzips darstellen, die auch ohne ausdrückliche Erwähnung bereits kraft ihrer Grundlegung in Abs. 1 gelten würden 2 ; andererseits, daß die in Abs. 3 ausdrücklich erwähnten Garantien (so ζ. B. das Recht auf Verfahrenshilfe, auf Ubersetzungshilfe, auf Befragung der Zeugen der Gegenseite), zur Auslegung des Begriffs des fairen Verfahrens nach Abs. 1 - und damit auch für Zivilrechtssachen - herangezogen werden können 3 . Ferner wäre hier zu bemerken, daß die Konventionsorgane, im Rahmen der autonomen Auslegung der von der Konvention verwendeten Rechtsbegriffe, von einem sehr weiten - m. E. allzu weiten 4 Zivilrechtsbegriff ausgehen, der vieles von dem erfaßt, was nach innerstaatlichem Recht als Verwaltungssache oder als Disziplinarsache qualifiziert wird, und damit alle diese Sachen den für Zivilrechtssachen vorgesehenen Verfahrensgarantien des Art. 6 unterwirft. 2. Mein inzwischen verstorbener Straßburger Richterkollege, der Belgier Walther Ganshof van der Meersch, hat einmal gesagt, Art. 6 E M R K stelle ein wunderbares Kompendium des Verfahrensrechts dar5. Das mag vielleicht etwas bombastisch klingen 6 . Tatsache aber ist, daß Art. 6 die Maßstäbe aufzeigt, nach denen jedes rechtsstaatliche Verfahren ausgerichtet sein muß. [Nur am Rande sei erwähnt, daß die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats R (84) 5 v. 28. 2. 84, in der gewisse Mindestanforderungen für ein (künftiges) europäisches Zivilprozeßrecht aufgestellt wurden, weitgehend unbeachtet - und unbekannt geblieben ist.] Gewiß enthält Art. 6 nur unbestimmte Rechtsbegriffe, von denen der zentrale, alles beherrschende, der des „fairen Verfahrens" ist, zu dem der G H schon in einer früheren Entscheidung den Leitsatz aufgestellt hat,
2 Bönisch/A 6. 5. 85 A/92 = E u G R Z 1986, 127, § 29; Imbroscia/CH 24. 11. 93 A/275, § 37 (st. Rspr.). 3 Airey/IRL 9. 10. 79 A/32 = E u G R Z 1979, 454, §§ 26-28; Le Compte II/B 10. 2. 83 A/58 = E u G R Z 1983, 190, $ 39; Feldbrugge/NL 29. 5. 86 A/99 = E u G R Z 1988, 14, 44. 4 Vgl. dazu meine kritischen Stellungnahmen in den SV zu König/D 28. 6. 78 K/27, S. 45 = E u G R Z 1978, 421; Le Compte Ι/Β 23. 6. 81 A/43, S. 34 = E u G R Z 1981, 556; Le Compte II (Fn. 3), S. 26; Benthem/NL 23. 10. 85 A/97, S. 21 (gemeinsames SV) = E u G R Z 1986, 304; Van Marle/NL 26. 6. 86 A/101 § 15 (gemeinsames SV) = E u G R Z 1988, 39. s Mitgeteilt von De Salvia, Lineamenti di diritto europeo dei diritti dell'uomo (1991), 135. 6 Zurückhaltender drückt sich Fasching, Die Bedeutung des Gleichheitssatzes für das zivilgerichtliche Verfahren, Richterwoche Badgastein 1992 (Schriftenreihe des BMfJustiz Bd. 59, 1993), 341 aus, der von den „wirklich nicht sensationell formulierten Vorschriften des Art. 6 M R K " spricht.
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Franz Matscher
daß er in einer demokratischen Gesellschaft, auf welche die Konvention aufbaut, einen so eminenten Platz einnimmt, daß eine enge Auslegung des Art. 6 weder dem Zweck noch dem Gegenstand dieser Bestimmung gerecht werden würde 7 . Wenn ich das „faire Verfahren" als den Zentralbegriff des Art. 6 bezeichnet habe, so deshalb, weil nach Ansicht des G H alle in der genannten Bestimmung normierten Detailgarantien auf diesen Begriff zurückführbar sind und nur Ableitungen aus ihm darstellen 8 . Die evolutive Rechtsprechung der Konventionsorgane, und v. a. die des G H , hat diesen Fairneßbegriff inzwischen auch in einem Maß konkretisiert und operationell gestaltet, daß er auf das Verfahrensrecht aller europäischen Staaten - das zivilgerichtliche Verfahren Inbegriffen unmittelbar Einfluß nehmen kann 9 . Es handelt sich dabei um einen Aspekt des generellen Phänomens, dessen Bedeutung Isaak Meier in seiner Züricher Antrittsvorlesung vom 1. Juni 1992, gerade mit Blickrichtung auf das zivilgerichtliche Verfahren untersucht hat, daß nämlich allgemeine Rechtsprinzipien, die in Menschenrechtsschutzinstrumenten oder in Verfassungen festgeschrieben sind, immer mehr dazu tendieren, auf das geschriebene Recht einzuwirken, dieses prägend, modifizierend und teils auch in den Hintergrund stellend 10 , ein Phänomen, das der Wirkungsweise der Methode des C o m m o n Law nicht unähnlich ist, mag der kontinentaleuropäisch geschulte Jurist ihr bisweilen auch mit Vorbehalt gegenüberstehen. 3. Zu den oben angesprochenen Verfahrensgarantien des Art. 6 auch in Zivilrechtssachen, gibt es, wie schon erwähnt, inzwischen eine reichhaltige Judikatur der Konventionsorgane. Es hat sich überhaupt nicht bewahrheitet - wie ursprünglich angenommen worden war - , daß für die Konvention, d. h. für eine Beurteilung in ihrem Licht, nur der 7
Delcourt/B 17. 10. 70 A / l l § 25, Artico/I 13. 3. 80 A/37 § 33 = EuGRZ 1980, 662 u. v. a. « S. zu Fn. 2. 9 Zum Thema s. etwa Schaumann, Menschenrechtskonvention und Zivilprozeß, FS Schwab (1990), 449; Fairen Guillen, Einige prozessuale Probleme i. Z. m. Art. 6 MRK, FS Baur (1981), 365. Vgl. auch zu den i. e. L. im Lichte der Verfassungsgebote (und, in diesem Rahmen, auch der EMRK) veranstalteten Untersuchungen, u. a. Stürner, Verfahrensgrundsätze des Zivilprozesses und der Verfassung, FS Baur (1981), 647, sowie die Generalberichte von Schwab und Gottwald zum VII. Int. Kongreß für Prozeßrecht, Würzburg 1983 [in Habscheid (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung (1983)], sowie die Länderberichte für Deutschland (Benda, Der Einfluß der Verfassung im Prozeßrecht, ZZP 1983, 286) und für Österreich (Ballon, Der Einfluß der Verfassung auf das Zivilprozeßrecht, Z Z P 1983, 409). S. ferner, aus früherer Zeit, die verschiedenen Beiträge in Cappelletti/Tallon (Hrsg.), Les garanties fondamentales des parties dans le procès civil (1973). 10 I. Maier, Auflösung des geschriebenen Rechts durch allgemeine Prinzipiennormen, Zürcher Studien zum Verfahrensrecht Bd. 103 (1993).
Der Einfluß der E M R K auf den Zivilprozeß
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Strafprozeß von Interesse sei. Gewiß trifft es zu, daß von den Entscheidungen der Konventionsorgane ein viel größerer Teil die Garantien im Zusammenhang mit einem Freiheitsentzug (Art. 5) und mit Strafverfahren (Art. 6) zum Gegenstand hat. Beachtlich ist aber auch die Judikatur zu diesen Garantien im zivilgerichtlichen Verfahren. Insgesamt betreffen von den bisher ergangenen über 300 Sachurteilen des E G M R weit mehr als die Hälfte Fragen der Verfahrens garanden. Dazu kommt ein Weiteres: die Rechtsprechung der Konventionsorgane betrachtet im zunehmenden Maße den verfahrensrechtlichen Schutz als Bestandteil der materiellen Grundrechte". Das gilt etwa für den Schutz des Eigentums nach Art. 1 1. ZP und für alle, vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie umfaßten vermögensrechtlichen Streitigkeiten12; es gilt ebenso für den Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 13 ; es kann aber auch für den Schutz anderer materieller Grundrechte zutreffen. 4. Es muß hier allerdings differenziert werden: ein mit den Garantien des Art. 6 ausgestatteter Schutz besteht nur für Verfahren betreffend die als zivilrechtlich (oder strafrechtlich) zu qualifizierenden materiellen Rechte. Die anderen von der E M R K garantierten Grundrechte stehen nur unter dem - gleichfalls verfahrensrechtlichen - Schutz des Art. 13. Dieser gewährt jedem, der in vertretbarer Weise behauptet, Opfer einer Konventionsverletzung zu sein, den Anspruch auf eine wirksame Beschwerde vor einer nationalen Instanz. Das ist zwar weniger als der
11 Strasser, The relationship between substantive rights and procedural rights guaranteed by the E C H R , FS Wiarda 2 (1991), 595; Matscher, Grundrechtsschutz durch Verfahren, FS Int. Forschungszentrum (1991), 149. 12 Sporrong u. Lönnroth/S 23. 9. 82 A/52 = E u G R Z 1983, 523, §§ 78 ff; A G O S I / G B 24. 10. 86 A/108 = E u G R Z 1988, 513, §§ 56 ff; Gillow/GB 24. 11. 86 A/109, § 68. Der enge Konnex zwischen den materiellen Grundrechten und deren verfahrensrechtlichem Schutz kommt bei der Eigentumsgarantie auch darin zum Ausdruck, daß eine primär geltend gemachte Verletzung von Verfahrensgarantien zusätzlich in einen Eingriff in das materielle Grundrecht münden kann; vgl. Erkner u. Hofauer/A und Poiss/A, beide 23. 4. 87 A/117, §§ 71 ff bzw. §§ 61 ff; Brigandi/I A/194-B, §§ 31, 32; Zanghi/I A/194-C, §§ 22, 23; Santilli/I A/194-D, §§ 21, 22 (alle 19. 2. 91).
" Sorgerechtsentscheidungen stellen einen Eingriff in das von Art. 8 geschützte Recht auf Achtung des Familienlebens dar; ein solcher Eingriff muß verfahrensrechtlich abgesichert sein. Vgl. etwa die fünf britischen Sorgerechtsfälle 8. 7. 87 A/120, 121 = E u G R Z 1990, 533; Olsson I/S 24. 3. 88 A/130 = E u G R Z 1988, 491, §§ 88 ff; Olsson II/S 27. 11. 92 A/250, § 95. Ahnliches gilt für die Beschränkungen der Handlungsfähigkeit im Rahmen einer Entmündigung oder Stellung unter Sachwalterschaft. Vgl. Winterwerp/NL 24. 10. 79 A/33 = E u G R Z 1979, 650, §§ 73 ff. Desgleichen kann Art. 8 verletzt sein, wenn dem a. e. Vater kein ausreichender verfahrensrechtlicher Schutz zur Bekämpfung der Freigabe seines Kindes durch die Mutter und der Adoption durch Dritte gewährt wird; vgl. Keegan/IRL 26. 5. 94 A/291, §§ 58-60.
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Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz, immerhin aber auch ein verfahrensrechtlicher Schutz 14 . In der Folge möchte ich auf den engeren Bereich des zivilgerichtlichen Verfahrens zurückkommen und anhand einiger typischer Fälle aufzeigen, inwiefern die E M R K auf den Zivilprozeß der europäischen Staaten eingewirkt hat. III. Zu den Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 E M R K und deren Einwirkung auf das zivilgerichtliche Verfahren 1. Die Verfahrensgarantien des Art. 6 kommen nicht erst dann zum Tragen, wenn ein Verfahren bereits eingeleitet ist. Nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane gewährt Art. 6 Abs. 1 einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz für alle zivilrechtlichen Streitigkeiten 15 . Damit wird ein Justizgewährungsanspruch als subjektives öffentliches Recht kreiert 16 , der bisher nur in einzelnen modernen Verfassungen (vgl. etwa Art. 24 Abs. 1 italienische Verfassung 1947, der ihm nachempfundene Art. 24 Abs. 1 spanische Verfassung 1978, Art. 22 slowenische Verfassung 1991) - oder auf einfachgesetzlicher Stufe bereits im § 19 des A B G B von 1811 17 - klar normiert worden war, während andere Rechtsordnungen 18 einen solchen aus mehr oder weniger einschlägigen Verfassungsnormen abgeleitet haben 19 . Mit der Gewährung eines formalen Zugangsrechts zu Gericht ist der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 aber nicht entsprochen; dieser Zugang muß vielmehr effektiv sein. Dazu ist der Abbau allenfalls vorhandener
14 Zu den Anforderungen an ein „Rechtsmittel" i. S. des Art. 13 sowie zum Verhältnis des Art. 13 zu Art. 6 s. Matscher, Der Rechtsmittelbegriff der EMRK, FS Kralik (1986), 265 ff; ders., Zur Funktion und Tragweite der Bestimmung des Art. 13 EMRK, FS SeidlHohenveldern (1988), 324 ff. 15 Golder/GB 21. 2. 75 A/18 = EuGRZ 1975, 91, § 36; seither unbestritten, vgl. etwa Le Compte I/B (Fn. 4), § 44; Philis/GR 27. 8. 91 A/209 = EuGRZ 1991, 355, § 59. " Das Vorhandensein eines Rechts und eines Streits darüber muß allerdings in vertretbarer Weise behauptet werden; dazu Matscher, La notion de „décision d'une obligation (de caractère civil)" au sens de l'article 6 § 1 de la CEDH, FS Wiarda2 (1991), 395 (insbes. 400 und 404 f). Auf dieses Erfordernis wird in der Lehre vom Justizgewährungsanspruch m. W. nicht eingegangen. 17 So Fasching, Lehrbuch2 (1990) Rdn. 9. 18 Zur Rechtslage in Deutschland: Rosenberg/Schwah/Gottwald, Zivilprozeßrecht15 (1993), 13 f; in Österreich: Ballon, Die Zulässigkeit des Rechtswegs (1980) 16 ff; in der Schweiz: Habscheid, Schweizerisches Zivilprozeß- und Gerichtsorganisationsrecht2 (1990) Rdn. 16. " Soweit aber Art. 6 EMRK im innerstaatlichen Recht unmittelbar anwendbar ist, insbes. soweit die EMRK dort im Verfassungsrang steht, sind die Ableitungsversuche aus Verfassungsnormen von zweifelhafter Einschlägigkeit unnötig geworden.
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Zugangsbarrieren 20 - die in der Mittellosigkeit eines Rechtsuchenden 21 , in zu hohem Kostenrisiko 22 oder in der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung vor einem schwer zugänglichen ausländischen Gericht liegen können 23 - erforderlich. Art. 6 normiert aber keinen absoluten Zugang zu den Gerichten; das Zugangsrecht kann vielmehr durch Gesetz zu treffenden Beschränkungen unterworfen sein24; diese dürfen den Zugang aber nicht auf eine solche Weise oder in einem solchen Ausmaß einengen oder reduzieren, daß der Wesensgehalt dieses Rechts beeinträchtigt wird 25 . W o die Grenzen der zulässigen Einengung liegen - manchmal ist auch von impliziten Schranken die Rede 26 - kann nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung eines - der Kontrolle der Konventionsorgane unterliegenden - Gestaltungsspielraums des nationalen Gesetzgebers entschieden werden. Generalisierungsfähige Aussagen der Judikatur der K o n ventionsorgane darüber sind aber nicht ausfindig zu machen. Die Doktrin der „impliziten Schranken" bringt jedenfalls zum Ausdruck, daß die Konventionsorgane das Recht auf Zugang zu Gericht nicht absolut setzen. Probleme des Zugangs zu Gericht können aufgeworfen werden, wenn das Gesetz einen Anspruchsübergang auf einen Berufsverband vorsieht und diesem die ausschließliche gerichtliche Geltendmachung einräumt, ohne sicherzustellen, daß der Einzelne wenigstens subsidiär die Möglichkeit hat, unmittelbar und selbständig ein Verfahren einzuleiten (die Möglichkeit einer bloßen Nebenintervention im Verfahren zwi-
20 Ungleichheit des Zugangs kann auch gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 (i. V. m. Art. 6) verstoßen; s. darüber in III/6, zu Fn. 63. 21 Notwendigkeit eines Systems von Verfahrenshilfe; Airey (Fn. 3), §§ 22-28. 22 Bereits richtig erkannt von Fechner, Kostenrisiko und Rechtswegsperre, J Z 1969, 349; s. ferner Baumgärtel, Gleicher Zugang zum Recht für alle (1976), 118 ff; Ballon, Die Zulässigkeit (Fn. 18), 135. 23 Dazu Matscher, Die Einwirkungen der E M R K auf das Internationale Privat- und zivilprozessuale Verfahrensrecht, FS Schwind (1993), 79 ff (mit Hinweisen auf die dazu bisher nur spärlich ergangene Judikatur der Konventionsorgane); Geimer, Verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Normierung der internationalen Zuständigkeit, FS Schwind (1993), 17 (mit zahlreichen Hinweisen auf weiterführende Literatur und innerstaatliche Judikatur); Schlosser, Jurisdiction in international litigation - The issue of Human Rights in relation to national law and the Brussels Convention, R D I 1991, insbes. 16 ff. 24 S. a. Art. 20 Abs. 1 der griech. Verfassung 1975, der einen Justizgewährungsanspruch normiert, dessen Geltendmachung aber „nach Maßgabe der Gesetze" zu geschehen hat. Nach Beys, Die ausschließliche Prozeßführungsbefugnis Rechtsfremder oder Teilberechtigter und die Garantie des Justizanspruchs nach Art. 6 Abs. 1 der E M R K , FS Matscher (1993), 42, bezieht sich dieser Gesetzesvorbehalt im Prinzip aber nur auf die Modalitäten der Geltendmachung. 25 Philis/GR (Fn. 15), § 59. 26 Ashingdane/GB 25. 5. 85 A/93 = E u G R Z 1986, 12, § 57.
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sehen dem einziehungsberechtigten Berufsverband und dem Schuldner wurde vom E G M R als unzureichend angesehen), weil damit der Wesensgehalt des Rechts auf Zugang zu Gericht in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird27. Probleme ähnlicher Art könnten durch die Einrichtung der Verbandsklage entstehen, wenn nicht auch der Einzelne - unabhängig vom und neben dem Verband - klageberechtigt bliebe28. 2. Mit dem Gebot, daß ein Gericht gesetzlich eingerichtet sein muß, um den Anforderungen des Art. 6 zu entsprechen, soll der willkürlichen Errichtung von Ausnahmegerichten zur Entscheidung einzelner Fälle vorgebeugt werden. Die EMRK schließt es allerdings nicht aus, daß zur Entscheidung einer von vornherein beschränkten Anzahl von Fällen Speziai- oder Sondergerichte mit einer limitierten Funktionsdauer eingerichtet werden, wenn diese die erforderlichen Garantien für ein rechtsstaatliches Verfahren bieten29. Das Gebot der gesetzlichen Errichtung wirft im zivilgerichtlichen Verfahren i. A. kaum Probleme auf30, und bedarf hier keiner weiteren Erörterung; es sei lediglich angemerkt, daß die Konventionsorgane den Gerichtsbegriff materiell qualifizieren31. 3. Die von Art. 6 geforderte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ist v. a. im Strafprozeß aktuell. Im klassischen Zivilprozeß stehen richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit kaum zur Diskussion. Man sieht sie, dank der verfassungsgesetzlichen Garantien und der verfahrensrechtlichen Bestimmungen über den Ausschluß und die Ablehnung von Richtern32, vielmehr als gewährleistet an; das dürfte weitestgehend auch zutreffen33. Die Rechtsprechung der Konventionsorgane hat allerdings den vom englischen Recht übernommenen Begriff der strukturellen oder objektiven Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eingeführt: "Justice must not only be done, it must also be seen to be done" ist zu einem Leitsatz 27 Philis/GR (Fn. 15), § 65; kritisch dazu Bey s (Fn. 24), 39 [es scheint sich nach dem einschlägigen griechischen königlichen Gesetzesdekret Nr'. 30 vom 31. 5. 1956 um eine Mischform von Legalzession und Prozeßstandschaft zu handeln]. 28 Zum österr. Recht Schoibl, Die Verbandsklage als Instrument zur Wahrung „öffentlicher" oder „überindividueller" Interessen im österr. Zivilverfahrensrecht, ZfRV 1990, 3. 29 Lithgow u. a./GB 8. 7. 86 A/102 = EuGRZ 1988, 350, § 201. 30 Matscher, Der Gerichtsbegriff der EMRK, FS Baumgärtel (1990), 366 ff. 31 Matscher, Der Gesetzesbegriff der EMRK, FS Loebenstein (1991), 105; s. a. 7360/76 (Zand/A) Ber. 12. 10. 78 DR 15, 70 (§§ 61 ff). 32 Vgl. auch O G H 15. 3. 89 AnwBl. 1989, 439, mit Anm. Graff (die Unabhängigkeit eines Sachverständigen betreffend). 33 S. a. Langborger/S 22. 6. 89 A/155; vgl. aber die kritischen Ausführungen von Walder, Gedanken zur Verteidigung der richterlichen Unabhängigkeit im Lichte der EMRK, FS Matscher (1993), 517.
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geworden 34 ; es komme also auch auf den äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit an. Fragen nach der Unabhängigkeit und der diese garantierenden ausreichenden Bestellungsdauer und Unabsetzbarkeit, wie nach der Unparteilichkeit (beide Begriffe in dem von der Konvention verstandenen Sinn) werden allerdings häufig i. Z. mit Verfahren aufgeworfen, in Angelegenheiten, die von der Rechtsprechung der Konventionsorgane (oben, zu Fn. 4) als „zivilrechtlich" i. w. S. qualifiziert werden. Bei den in diesen Angelegenheiten einschreitenden Entscheidungsgremien („Tribunale" i. S. der E M R K ) handelt es sich um gemischte Organe, die teils aus Richtern, teils aus weisungsfrei gestellten Verwaltungsbeamten, teils aus Experten bestehen. Im innerstaatlichen Recht werden sie vielfach als Verwaltungsbehörden besonderer Art bezeichnet 35 . Ähnliches gilt für Disziplinarorgane freier Berufsstände, die auch über Angelegenheiten entscheiden, die von den Konventionsorganen gegebenenfalls als „zivilrechtlich" qualifiziert werden 36 . Übrigens, würde man die von der Rechtsprechung der Konventionsorgane für die Unabhängigkeit eines Gerichts entwickelten Kriterien auch an das britische Recht anlegen, erschiene es zweifelhaft, ob die Figur des Lord Chancellor, der die Funktionen eines Präsidenten der Chancery Division des High Court of Justice als eine erste Instanz, des Vorsitzenden des House of Lords als höchste Gerichtsinstanz in Zivilund Strafsachen und des Justizministers in sich vereint, als „unabhängiger Richter" zu betrachten wäre, sollte einmal ein entsprechender Fall an die Konventionsorgane herangetragen werden. Auch manche andere, uns bizarr erscheinende Aspekte der britischen Gerichtsorganisation, mit der personellen Verflechtung der verschiedenen Instanzen und einer nicht klar vorgegebenen Gerichtsbesetzung, könnten Fragen nach ihrer Vereinbarkeit mit Art. 6 E M R K aufwerfen. Nicht berührt wird die Unabhängigkeit - in ihrem Aspekt als Weisungsfreiheit - durch die - mehr oder weniger starre - Bindung an eine konsolidierte Rechtsprechung (Präjudizien), an von Rechtsmittelinstanzen in Aufhebungs- und Zurückweisungsverfügungen geäußerte, für den zweiten Rechtsgang bindende Rechtsmeinungen und auch nicht an durch andere Gerichte oder durch Verwaltungsbehörden entschiedene, prozeßrelevante Vorfragen.
" Delcourt/B (Fn. 7), § 31. " Ringeisen/A 6. 1. 71 A/13; Sramek/A 22. 10. 84 A/84 = E u G R Z 1985, 336; Erkner u. H o f a u e r / A (Fn. 12); Poiss/A (Fn. 12). 56 Le C o m p t e I/B (Fn. 4); L e C o m p t e II/B (Fn. 3); Η / Β 30. 11. 87 A/127-B; D e M o o r / B 23. 6. 94 A/292-A, §§ 51-58; s. a. Kömg, Parteilichkeit (Art. 6 M R K ) des Entscheidungsorgans in Disziplinarverfahren, FS Matscher (1993), 278.
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Die Bindung an Präjudizien kann einer Bindung an das Gesetz gleich(oder ähnlich-) gestellt werden und ist als solche unproblematisch. Richterliche Unabhängigkeit meint nämlich Freiheit von Ingerenz i. e. L. durch gerichtsfremde Stellen. Aber auch die anderen, oben angesprochenen Bindungsformen enthalten nicht die charakteristischen Elemente einer Weisung, d. h. einer Anordnung, wie in einem bestimmten Fall vorzugehen und zu entscheiden sei; sie stellen sich vielmehr als Aspekte der Aufgabenverteilung und der Koordination zwischen den verschiedenen, mit der Vollziehung der Gesetze betrauten Behörden eines Staats dar. Sie beeinträchtigen daher nicht die richterliche Unabhängigkeit; allerdings können sie Probleme unter dem Blickwinkel des rechtlichen Gehörs aufwerfen (darüber im folgenden Pkt. 4). 4. Mannigfach sind die Einwirkungen, auch auf den Zivilprozeß, des Gebots des fairen Verfahrens, besonders in seiner Ausprägung als Recht auf rechtliches Gehör, zu dem auch die Waffengleichheit gehört. Die Waffengleichheit wird in Art. 6 Abs. 3 lit. d unmittelbar nur für den spezifischen Bereich der Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen „unter den gleichen Bedingungen" wie von Belastungszeugen angesprochen; als ein Ausdruck des weiteren Begriffs des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 gilt sie aber nicht nur generell für den gesamten Strafprozeß (Verhältnis Anklage - Verteidigung), sondern auch für den Zivilprozeß. Das ist in der Rechtsprechung der Konventionsorgane unbestritten. Daß im konkreten Verfahren selbst beiden Parteien in einem im wesentlichen gleichen Ausmaß ausreichende Gelegenheit geboten wird, ihre Rechts- und Sachargumente vorzutragen, Beweise 37 dazu anzubieten und zum Vorbringen des Gegners Stellung zu nehmen (bei einseitigen Verfahren - Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bzw. Außerstreitverfahren 38 - , gleich ob sie von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei eingeleitet werden, steht das Recht auf Gehör dieser zu), ist klar, und die nationalen Verfahrensordnungen tragen dem i. a. R. in gebotener Weise Rechnung 39 . Gefordert ist dabei weniger eine formale Gleichstellung; die Rechtsprechung der Konventionsorgane, die sich mit den unterschiedlichen Konstruktionen und Regelungen der Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten konfrontiert sieht, betont vielmehr, es komme lediglich darauf an, daß es beiden Seiten unter im
37 Baumgärtel, Ausprägung der prozessualen Grundprinzipien der Waffengleichheit und der fairen Prozeßführung im zivilprozessualen Beweisrecht, FS Matscher (1993), 29. 38 Scboibl, Rechtliches Gehör und Beteiligtenstellung im österr. Außerstreitverfahren, dargestellt am Beispiel der „Verständigung" nach § 18 F B G im Firmenbuchverfahren Eine Skizze, FS Matscher (1993), 401 f. 39 D a z u Vollkommer, Der Grundsatz der Waffengleichheit im Zivilprozeß - Eine neue Prozeßmaxime?, FS Schwab (1990), 503.
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wesentlichen gleichen Bedingungen ermöglicht werden muß, ihren Standpunkt vorzutragen und zur Geltung zu bringen 40 . Prozeßökonomisch bedingte Einschränkungen oder Abschneidungen des Vorbringens, etwa das Neuerungsverbot oder sonstige Beschränkungen der Rechtsmittelzulässigkeit, Eventualmaxime, Befristungen, Präklusionen etc. sind i. d. S. unproblematisch, zumal auch die Rechtsprechung der Konventionsorgane immer wieder betont, daß die in Art. 6 statuierten Rechte impliziten Schranken unterliegen (vgl. oben, zu Fn. 2 4 - 2 6 ) und der nationale Gesetzgeber bei der prozessualen Ausgestaltung der Ausübung dieser Rechte über einen - unter der Kontrolle der Konventionsorgane stehenden - Ermessensspielraum verfügt, wobei allerdings der Wesensgehalt dieser Rechte nicht beeinträchtigt werden darf 4 '. Im übrigen ließe sich über diese, gleichfalls englischem Rechtsdenken entlehnte Idee des „fair trial", der prozessualen Variante des sportlichen „fair play" - im amerikanischen Recht als „due process of law" bezeichnet - endlos philosophieren 42 . Ein generelles Fairneßgebot als solches bliebe aber konturlos. Operationen wird es für das Verfahrensrecht nur in seinen von der Rechtsprechung der Konventionsorgane vorgenommenen Konkretisierungen 43 . Das soll anhand einiger, in der Rechtsprechung der Konventionsorgane und in der innerstaatlichen Judikatur behandelter sowie in der Lehre erörterter Fallkonstellationen aufgezeigt werden. Art. 6 gebietet grundsätzlich - aber nicht schrankenlos - , daß Personen, die von der Wirkung von Entscheidungen oder von Feststellungen in ihrer Rechtssphäre erfaßt werden, entweder in jenem „Vorverfahren", oder in dem Verfahren, in welches die genannten Entscheidungen oder Feststellungen übernommen werden sollen, rechtliches Gehör erhalten haben bzw. erhalten. Anwendungsfälle sind etwa die Bindung der Zivilgerichte an Vorfragenentscheidungen eines anderen Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde sowie Probleme i. Z. mit der Übernahme der Tatbestandswirkung der Ergebnisse anderer Verfahren, oder der Rechtskrafterstreckung auf Dritte. 40 "Equality of arms implies that each party must be afforded a reasonable opportunity to present his case - including his evidence - under conditions that do not place him at a substantial disadvantage vis-à-vis his opponent" (Dombo Beheer B.V./NL 2 7 . 1 0 . 9 3 A/274 § 33). 41 Matscher, Probleme der österr. Strafrechtspflege im Lichte der neueren Rsp. der Straßburger Konventionsorgane R Z 1993, 155 f (s. a. zu Fn. 27). 42 Vgl. etwa Vollkommer, Der Anspruch der Parteien auf ein faires Verfahren im Ziviiprozeß, FS Bruns (1980), 195, insbes. 206 ff. 43 Versuche einer systematischen Aufbereitung (nach dem Stand der Judikatur von 1980) bei Peukert, Die Garantien des „fair trial" in der Straßburger Rsp. - Die Auslegung des Art. 6 E M R K durch die Organe der E M R K , E u G R Z 1980, 47; Matscher, Die Verfahrensgarantien der E M R K in Zivilrechtssachen, Z O R 1980, 1.
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I. d. Ζ. hat der österr. VfGH die Bestimmung des § 268 öZPO, derzufolge der Zivilrichter, hinsichtlich des Beweises der Schuld, an den Inhalt eines darüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses des Strafrichters gebunden war, als verfassungswidrig aufgehoben44. Weitere im österr. zivilgerichtlichen Verfahrensrecht auftretende Bindungsprobleme, deren konventionskonforme Lösung in einer Erweiterung der Mitwirkungsrechte der vom Verfahren betroffenen Personen, oder in einer Relativierung der Bindungswirkung, liegen könnte, wurden unlängst in Entscheidungen des OGH erörtert45 und von der Lehre46 untersucht. Auf Details kann hier nicht eingegangen werden. Es handelt sich dabei um Fallkonstellationen, die für das zivilgerichtliche Verfahren anderer europäischer Staaten in gleicher oder ähnlicher Weise aktuell sind und deren Erörterung v. a. in der deutschen Lehre auf eine lange Tradition zurückblicken kann47. Eines sei aber festgehalten: soweit die - von welcher Behörde auch immer - getroffene Vorfragenentscheidung keinen Zivilrechtsanspruch zum Gegenstand hat, ist gegen die Annahme einer Bindung des Zivilrichters an diese Vorfragenentscheidung auch vom Standpunkt des Art. 6 EMRK nichts einzuwenden, selbst wenn dort nicht beiden Parteien des Zivilprozesses rechtliches Gehör gewährt worden war. Beispiel: die Bindung des Zivilrichters an die von der Verwaltungsbehörde getroffene Feststellung der Staatsbürgerschaft einer Partei, die in einem Eheprozeß mit ausländischen Elementen für das anwendbare Sachrecht relevant sein kann, oder die Bindung des Zivilrichters an die im Gesetzesprüfungsverfahren von einem Verfassungsgericht festgestellte Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer im Zivilprozeß zur Anwendung gelangenden materiellrechtlichen Norm 48 . 44 12. 10. 1990 JB1. 1991, 104 = AnwBl. 1990, 734 = ZVR 1991/30; dazu Steininger, Konsequenzen der Aufhebung des § 268 ZP, FS Matscher (1993), 472. 45 Besonders vertieft in 17. 1. 90, JB1. 1990, 662. Vgl. auch die Bindung der Arbeitsgerichte an die Entscheidungen der Einigungsämter nach dem (früheren) ArbeitsverfassungsG; dazu Kms 11334/85, Bez. (über die gütliche Beilegung) 4. 7. 91, DR 70, 5. 46 Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkungen unter Art. 6 MRK, JB1. 1990, 420, 499; Laurer, Der Grundsatz des fair trial (Art. 6 MRK) in den von der ZPO beherrschten Verfahrenssystemen, FS Adamovich (1992), 314; Rechberger/Oberhammer, Das Recht auf Mitwirkung im österr. Zivilverfahrensrecht im Lichte von Art. 6 MRK, ZZP 1993,362; Oberhammer, Richterliche Rechtsgestaltung und rechtliches Gehör (1994); Ballon, Die Beachtung des rechtlichen Gehörs i. S. des Art. 6 EMRK durch die Rechtsmittelgerichte (in Druck). 47 Vgl. etwa, für den deutschen Rechtsbereich, die grundlegenden Arbeiten von Zeuner, Rechtliches Gehör, materielles Recht und Urteilswirkung (1974); Marozke, Urteilswirkungen gegen Dritte und rechtliches Gehör, ZZP 1987, 164 f; Häsemeyer, Drittinteressen im Zivilprozeß, ZZP, 1988, 385. 48 Anders der EGMR in Ruiz Mateos/E 23. 6. 93 A/262 = EuGRZ 1993, 453, mit mehreren SV. Die Entscheidung ist aus der besonderen Situation heraus verständlich, da es sich um ein Maßnahmegesetz gehandelt hat; dazu Matscher, Art. 6 EMRK und verfassungsgerichtliche Verfahren, EuGRZ 1993, 449.
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Bindungsprobleme können sich allerdings ergeben, wenn ein Gericht an die Auslegung eines (Zivilrechtsansprüche betreffenden) streitentscheidenden völkerrechtlichen Vertrags durch eine Regierungsstelle 49 oder durch ein internationales Gericht gebunden ist50. Aber selbst wenn die Vorfrage eindeutig einen Zivilrechtsanspruch zum Gegenstand hat, sind Fallkonstellationen denkbar, wo zu Recht von einer Bindung an die Vorfragenentscheidung ausgegangen werden kann, auch wenn an jenem Verfahren nicht beide Parteien des Hauptverfahrens beteiligt gewesen waren: Bindung an die rechtskräftige Feststellung der Vaterschaft, der ehelichen Abstammung, der Gültigkeit einer Ehe 51 . Eine solche Bindung kann in einem Erbrechtsstreit oder in einem gegen die Erben des Unterhaltsschuldners angestrengten Unterhaltsprozeß zum Tragen kommen. Freilich ist auch hier (Stichwort: Grenzen der Rechtskraft) eine Reihe von Abgrenzungsfragen offen und es ist - was die Tragweite des Gebots des fairen Verfahrens i. Z. m. Bindungsproblemen anbelangt - nicht auszuschließen, daß im Zuge der weiteren Verfeinerung des Rechtsschutzes an die konventionskonforme Ausgestaltung und Handhabung innerstaatlicher Verfahrensnormen weitere Anforderungen gestellt werden. Dabei ist allerdings auch i. d. Z. an die oben (zu Fn. 2 4 - 2 6 ) angesprochene, von der Judikatur des G H entwickelte Doktrin der „impliziten Schranken" - in deren Rahmen auch gewisse Bindungsformen als Aspekte der Aufgabenteilung und Koordination zwischen den verschiedenen, mit der Vollziehung der Gesetze betrauten Behörden eines Staats eine Rolle spielen können (s. darüber oben, III/3 a. E.) - zu erinnern 52 , und es darf gleichfalls nicht übersehen werden, daß Art. 6 keinen perfek-
49 Beaumartin/F 2 4 . 1 1 . 9 4 A/296-B § § 3 4 - 3 9 . Die Bindung des Gerichts an die Stellungnahme der Regierung zu völkerrechtlichen Fragen war eine weitverbreitete Einrichtung. Inzwischen ist sie größtenteils in eine unverbindliche Auskunft umgewandelt worden, die das Gericht in Zweifelsfällen einholen soll; so in Osterreich betr. die Frage, ob eine Person völkerrechtliche Immunität von der inländischen Gerichtsbarkeit genießt (Neufassung des Art. I X Abs. 3 E G J N durch das B G , BGBl. 1971/217). 50 Vorlageverfahren nach Art. 177 E W G V ; dort steht den Parteien des Hauptverfahrens allerdings rechtliches Gehör zu. 51 Bindungsprobleme der hier behandelten Art können sich ergeben, wenn in einem Verfahren nach § 24 4. D V O z E h e G bzw. Art. 7 § 1 FamRÄndG, das gleichfalls einen Zivilrechtsanspruch zum Gegenstand hat, dem Antragsgegner, der Partei des Hauptverfahrens ist, kein ausreichendes Gehör gewährt worden war; dazu Hoyer, Die Anerkennung ausländischer Eheentscheidungen in Österreich (1972), 145 ff; sa 12883/87 (X/A), Z E 14. 10. 91 (in diesem Punkt mangels Substantiierung für unzulässig erklärt). 52 Daher erscheint es mir zu undifferenziert, wenn der oben (Fn. 45) zit. E. des O G H der Leitsatz vorangestellt wird: „Eine Bindung an nachteilige Wirkungen eines Verfahrens, in das der nunmehr davon Betroffene nicht eingebunden war und die er unabänderlich hinnehmen müßte, verstößt gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs gem. Art. 6 M R K " .
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ten, sondern nur einen ausgewogenen Rechtsschutz gebietet 53 , und daß schließlich nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane bei der Ausgestaltung des Fairneßprinzips in Zivilverfahren den Staaten ein größerer Ermessensspielraum zukommt als in Strafsachen 54 . Eine Reihe interessanter, Osterreich betreffende Bindungsfälle hat die Straßburger Konventionsorgane beschäftigt. In Obermaier 55 ging es um die - zwar nicht gesetzlich normierte, aber in ständiger Rechtsprechung angenommene - Bindung des Zivilrichters (des Arbeitsrichters) an die von einer Verwaltungsbehörde nach dem InvalideneinstellungsG ausgesprochene Zustimmung zur Kündigung eines (als Behinderten anerkannten) Arbeitnehmers. D a über diese (nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane einen Zivilrechtsanspruch betreffende) Vorfrage kein den Erfordernissen des Art. 6 Abs. 1 entsprechendes Tribunal entschieden hatte, stellte der G H eine Konventionsverletzung fest. Während die als i. S. der Konvention (rechtliches Gehör gemäß Art. 6 Abs. 1) problematische Bindung des Zivilrichters an verurteilende Erkenntnisse des Strafrichters zur Aufhebung des diese Bindung normierenden § 268 ö Z P O geführt hatte, wurde umgekehrt in zwei anderen, gleichfalls Osterreich betreffende Beschwerdefällen eine von Art. 6 Es hat daher der V f G H in seinem zu Fn. 44 zit. Erkenntnis m. E. zu Recht erwogen, daß es unter besonderen Umständen zulässig sein kann, bestimmte Rechtsfolgen aus behördlichen oder gerichtlichen Akten abzuleiten, die unter Ausschluß der von diesen sekundären - Folgen Betroffenen ergangen sind; das sei der Fall, wenn das Interesse der unmittelbar Betroffenen an einer endgültigen Klärung der Rechtslage jenes der an rechtlichem Gehör nur mittelbar betroffenen Dritten deutlich überwiegt. Wo die Trennungslinie liegt, bleibt allerdings offen; klar geht aus dem Erkenntnis aber hervor, daß der V f G H die Zulässigkeit von Einschränkungen des rechtlichen Gehörs eher eng sieht. 53 Matscher, Die Verfahrensgarantien (Fn. 43), 25 f. 54 Dombo Beheer B.V/NL (Fn. 40), § 32. 55 28. 6. 90 A/179 = EuGRZ 1990, 209. Ein sich in gleichem Zusammenhang stellendes, rechtlich aber verschieden zu beurteilendes Problem stellt die zwingend der Verwaltungsbehörde übertragene Feststellung der Behinderteneigenschaft dar, die ihrerseits die Voraussetzung für den besonderen Kündigungsschutz und, in weiterer Folge, eine in einem Kündigungsverfahren das Arbeitsgericht bindende Vorfrage bildet. Abweichend vom Verfahren über die Zustimmung zu einer konkreten Kündigung (das allein dem oben zit. Fall Obermaier zugrunde lag), liegt hier aber kein Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über einen Zivilrechtsanspruch vor. Die Feststellung der Behinderteneigenschaft bezieht sich nämlich nicht auf ein konkretes Arbeitsverhältnis und die darüber ergangene Entscheidung wirkt für den Betroffenen vielmehr allgemein; hier drängt sich die Ähnlichkeit mit einer, mit Rechtskraftwirkung erga omnes ausgestatteten Statusentscheidung auf! M. E. ist daher gegen die Annahme einer Bindung (zu Lasten des Arbeitgebers) an die Feststellung der Behinderteneigenschaft im Verfahren zur Zustimmung zu einer Kündigung und in einem arbeitsgerichtlichen Kündigungsverfahren, vom Standpunkt des Art. 6 Abs. 1 E M R K nichts einzuwenden; so der O G H 21. 11. 90 DRdA 1991, 455, mit krit. Anm. Simotta; i. g. S. bereits der VfGH 13. 12. 88 ZAS 1990/16 mit zust. Anm. Stolzlechner und VwGH 27. 4. 89, ÖJZ 1990, 486 A 201.
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Abs. 2 (Unschuldsvermutung) abgeleitete Bindung des Zivilrichters an freisprechende Urteile des Strafrichters behauptet. Im Fall Salzer56 wurde eine vom Arbeitsgericht bestätigte Entlassung mit der Behauptung bekämpft, das Arbeitsgericht, das die Berechtigung zur Entlassung mit einem Fehlverhalten des Klägers begründet hatte, hätte sich zu Unrecht über den bezüglich dieses Fehlverhaltens erfolgten Freispruch durch den Strafrichter hinweggesetzt. Die Kms hat die Beschwerde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen, weil das Arbeitsgericht die Berechtigung zur Entlassung auch aus anderen, in der Person des Beschwerdeführers liegenden Gründen als gerechtfertigt angesehen hatte. Der Fall Sekanina57 betraf die (die Entscheidung über einen Zivilrechtsanspruch betreffende) Ablehnung eines Entschädigungsanspruchs nach § 2 Abs. 1 lit. b StEG wegen nicht vollständiger Entkräftung des Tatverdachts, trotz Freispruchs. Zwar sieht die Konvention (vom Fall des Art. 3 7. ZP abgesehen) keinen Anspruch auf Entschädigung nach Freispruch vor. Auch das österr. Recht normiert keine „Bindung" an einen solchen bei der Beurteilung der Voraussetzungen für den Entschädigungsanspruch; die vom G H festgestellte Konventionsverletzung lag aber v. a. in der mißglückten Begründung der den Entschädigungsanspruch ablehnenden Entscheidung, aus der tatsächlich eine Verletzung des Prinzips der Unschuldsvermutung herausgelesen werden kann. Die EMRK gebietet in Zivilrechtssachen (anders in Strafsachen, nach Art. 2 7. ZP) keinen mehrstufig organisierten Rechtsschutz. Wenn aber eine Rechtsordnung Rechtsmittel vorsieht, müssen auch diese konventionskonform ausgestaltet - und beiden Seiten im gleichen Ausmaß zugänglich - sein58. Einen Anwendungsfall des hier angesprochenen Problems betrifft den eine Besonderheit des österr. Rechts darstellenden - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - traditionell einseitig konzipierten Rekurs als Rechtsmittel gegen Beschlüsse59. Soweit diese nur prozeßrechtlichen Charakter haben, ist an der Einseitigkeit des Rekursverfahrens nicht auszusetzen. In Beschlußform ergehen aber v. a. im außerstreitigen Verfahren - häufig auch Sachentscheidungen. Um dem Gebot der Waffengleichheit zu entsprechen, hat der neuere 54
9295/81 Z E 6. 10. 82, D R 30, 227. 25. 8. 93 A / 2 6 6 - A . 58 Matscher, Heilung von konventionswidrigen Mängeln unterinstanzlicher Verfahren d u r c h Rechtsmittel; konventionswidrige Rechtsmittelverfahren bei k o n v e n t i o n s k o n f o r men unterinstanzlichen Verfahren, FS Adamovich (1992), 405. 59 Z u m Problem s. Rechberger, Gehördefizite im österr. Rechtsmittelverfahren, FS Matscher (1993), 373; Ballon, Verfassungswidrigkeiten in der Zivilgerichtsbarkeit und ihre Anfechtung, Ö J Z 1983, 229; ders., D e r Einfluß (Fn. 9), 472. 57
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Gesetzgeber eine Reihe von Rekursen als zweiseitige Rechtsmittel ausgestaltet. Es handelt sich dabei aber nur um punktuelle Eingriffe in die geltende Rechtslage, die in verschiedenen anderen Punkten Desiderata offengelassen haben; man denke etwa an Sorgerechtsentscheidungen, wo - i. S. des Gebots der Waffengleichheit - eine zweiseitige Ausgestaltung des Rekurses unumgänglich erscheint60. 5. Art. 6 verlangt die Öffentlichkeit des Verfahrens und die öffentliche Entscheidungsverkündigung. Öffentlichkeit des Verfahrens setzt dessen Mündlichkeit voraus. Gewiß bietet die richtig gehandhabte Mündlichkeit nicht nur ein vorzügliches Instrument zur Wahrheitsfindung und zur Verfahrenskonzentration; sie bildet auch den geeignetsten Rahmen zur Gewährung rechtlichen Gehörs (dazu oben, III/4) und zur richterlichen Anleitung (die ihrerseits der Verfahrenskonzentration, der Wahrheitsfindung und sozialen Zwecken dienen kann), läßt doch schon der Ausdruck „Gehör" i. e. L. an Anhörung denken. Als Verfahrensform ist sie v. a. in der ersten Instanz, bei der das Schwergewicht der Tatsachenfeststellung liegt, wichtig. Dennoch möchte ich nicht verhehlen, daß das Öffentlichkeitsgebot auch ein Einfluß englischen Rechtsdenkens - in der Konvention zu sehr in den Vordergrund gestellt wurde, was gerade bei seiner Anwendung auf das Rechtsmittelverfahren, insbes. das Verfahren vor Höchstgerichten, wo es allein um Rechtsfragen geht, evident wird. Ein bedingungsloses Ja zur Öffentlichkeit im Interesse der Transparenz der Entscheidungsfindung, und damit als Verfahrensgarantie. Soweit die Öffentlichkeit aber zu einem bloßen Ritual absinkt, könnten wir ihrer entraten, und Feststellungen von Konventionsverletzungen in bezug auf ordnungsgemäße, rechtsstaatliche Verfahren, gegen die sonst nichts Stichhaltiges einzuwenden ist, allein wegen formaler Verletzung des Öffentlichkeitsgebots, sind kein Gewinn für den Grundrechtsschutz. Österreich hat bei Ratifikation der Konvention zu Recht den Vorbehalt angemeldet, daß es die Verpflichtung zur Öffentlichkeit nur in dem von den geltenden Verfahrensgesetzen vorgegebenen Rahmen annimmt. Auch die Konventionsorgane haben, in realistischer Auslegung des Art. 6 Abs. 1, das Öffentlichkeitsgebot, v. a. Verfahren vor Höchstgerichten betreffend, redimensioniert61. Nun gibt es im Recht zahlreicher Konventionsstaaten weite Bereiche des zivilgerichtlichen Verfahrens, auch in Angelegenheiten, die als Zivil60 Von der Kms. in 12593/86 (Hoffmann(A) ZE 10. 10. 90 (§ 5) releviert, als verspätet vorgebracht aber nicht mehr berücksichtigt; dazu Okresek, Die Organe der EMRK vor neuen Herausforderungen, OJZ 1993, 333. " S. V. a. Pretto/I 8. 12. 83 A/71 = EuGRZ 1985, 548, §§ 20 ff; Axen/D 8. 12. 83 A/72 = EuGRZ 1985, 225, §§ 25 ff; Sutter/CH 22. 2. 84 A/74 = EuGRZ 1985, 229, §§ 26 ff.
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rechtssachen i. S. der Konvention zu qualifizieren wären - man denke etwa an das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (das außerstreitige Verfahren), an das Exekutions- (oder Vollstreckungs-)verfahren - die grundsätzlich nicht öffentlich sind und wo vielfach auch gar nicht mündlich verhandelt wird, und in denen die von Art. 6 Abs. 1 als zulässig angesehenen Ausnahmegründe, bei korrekter Auslegung, nur zum Teil greifen würden (daß das rechtliche Gehör hier im Einzelfall aber die Mündlichkeit gebieten könnte, liegt auf einer anderen Ebene). Diese Verfahrensformen haben sich bewährt und haben bisher auch keine ernstzunehmenden Rechtsschutzdefizite zutage treten lassen62. Es bleibt daher zu hoffen, daß die Konventionsorgane, falls sie einmal mit einer Beschwerde wegen Verletzung des Offentlichkeitsgebots in den oben angesprochenen Bereichen befaßt werden sollten, auch hier eine realistische Auslegung des Art. 6 Abs. 1 vornehmen werden. 6. Das Gleichheitsgebot (oder Diskriminierungsverbot) nach Art. 14 tritt uns im Prozeß als Gebot der Waffengleichheit entgegen, das wiederum einen Aspekt des weiteren Begriffs des fairen Verfahrens darstellt. Probleme i. S. des so verstandenen Gleichheitsgebots (Art. 14 i. V. m. Art. 6) stellen sich - wegen der traditionell/strukturell unterschiedlichen Stellung von Anklage und Verteidigung - vor allem im Strafprozeß, während im Zivilprozeß die Gleichbehandlung beider Parteien eigentlich außer Diskussion stehen sollte. Trotzdem hat die Lehre auch für den Zivilprozeß Fallkonstellationen geortet 63 , wo aufgrund bestehender gesetzlicher Regelungen die Gleichbehandlung beeinträchtigt sein kann. Von den insofern aktuellen Anlaßfällen, als sie ein echtes Beschwerdepotential enthalten, seien beispielhaft erwähnt: Ungleichheit des Zugangs zu Gericht (s. auch oben, zu Fn. 20-22) für Angehörige unterprivilegierter Schichten (finanzielle und sprachliche Barrieren 64 , die durch die Verfahrenshilfe manchmal nur in unzureichendem Ausmaß abgebaut werden 65 ), ungleicher Zugang zu den Rechtsmittelinstanzen für beide Parteien (vgl. etwa den einseitigen Rekurs in vielen Fällen des 62 Zum Problem sehr eingehend Gaul, Der Grundsatz der Öffentlichkeit im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FS Matscher (1993), 111; Simotta, Überlegungen zur Öffentlichkeit im Zivilprozeß, FS Matscher (1993), 449; Nowak-Schwaighofer, Das Recht auf öffentliche Urteilsverkündung in Österreich, EuGRZ 1985, 725; Lienbacher, Der Öffentlichkeitsgrundsatz des Zivil- und Strafverfahrens im österr. Verfahrensrecht, ÖJZ 1990, 425. " Vgl. etwa Fasching, Die Bedeutung (Fn. 6), 339; Okresek (Fn. 60), 333. 64 Hier ist der moderne Strafprozeß - vgl. etwa den durch das StrafprozeßänderungsG 1993 eingeführten § 38 a StPO - wesentlich fortschrittlicher. Zu einem spezifischen Aspekt des Gleichheitsgebots s. Leipold, Zum Schutz des Fremdsprachigen im Zivilprozeß, FS Matscher (1993), 282. 65 Airey (Fn. 3), § 24, 3. Abs. (dort unter dem Aspekt des Rechts auf effizienten Zugang zum Gericht behandelt).
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österr. Außerstreitverfahrens - dazu oben zu Fn. 59). Andere von der Lehre i. d. Z. gelegentlich erörterte Fragen, wie etwa die erweiterte Anleitungs- und Belehrungspflicht des Vorsitzenden für nicht qualifiziert vertretene Parteien in Arbeits- und Sozialgerichtsverfahren gem. § 39 Abs. 2 Z. 1 öASGG 6 6 , das Erfordernis eines Rechtsgesprächs, das Verbot von Überraschungsentscheidungen, wenn von einer ständigen Rechtsprechung abgewichen wird etc., scheinen mir aus der Sicht der Konventionsorgane, zumindest derzeit, weniger konfliktsträchtig zu sein (wenn überhaupt, dürften sie Probleme eher im Lichte des Fairneß-, als in dem des Gleichheitsgebots aufwerfen). Von zwei weiteren, vom G H entschiedenen Fällen kann man nur bedingt sagen, sie hätten eine verfahrensrechtliche Diskriminierung zum Gegenstand gehabt: In Johnston u. a./IRL 6 7 wurde eine Diskriminierung (Art. 14 i. V. m. Art. 8) geltend gemacht, die darin gelegen sein soll, daß minderbemittelte Bürger eines Landes, das keine Inlandsscheidung kennt, wohl aber im Ausland erwirkte Scheidungsurteile anerkennt, schlechter gestellt wären gegenüber denjenigen, die es sich leisten könnten, einen für ein Scheidungsverfahren zuständigkeitsbegründenden Wohnsitz im Ausland zu erwerben. Der G H fand, daß eine nach IPR gängige, unterschiedliche Behandlung von im Inland und von im Ausland zustandegekommenen Rechtsverhältnissen gerechtfertigt sein kann und insofern keine Diskriminierung darstellt. In Schuller-Zgraggen/CH 6 8 wurde vom G H eine Verletzung des Art. 14 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 darin erblickt, daß ein Gericht, in einer Rentensache, seine ablehnende Entscheidung auf die Frauen diskriminierende, unzutreffende - vom Gericht als Erfahrungssätze gewertete Argumente gestützt hätte und nicht bereit gewesen wäre, auf die gegenteiligen Argumente der Klägerin einzugehen. In Wahrheit wäre hier eine Konventionsverletzung - wenn überhaupt - aber nicht in einer gleichheitswidrigen Behandlung im Verfahren, sondern vielmehr in der Heranziehung gleichheitswidriger, unsachlicher, materiellrechtlicher Kriterien gelegen; das war in der Beschwerde aber nicht geltendgemacht worden. 7. Die oben erwähnten Akzentsetzungen in Richtung auf einen weiteren Ausbau der Verfahrensgarantien, auch für den Zivilprozeß, mögen 66 Daß es sich dabei um eine delikate Aufgabe des Richters handelt, die er mit viel Taktgefühl wahrnehmen muß, um nicht den Anschein von Parteilichkeit (s. zu Fn. 34) zu erwecken, liegt auf einer anderen Ebene. 67 18. 12. 86 A/112 = E u G R Z 1987, 313, §§ 59 f; dazu Matscher, Die Einwirkungen (Fn. 23), 78. " 24. 6. A/263, §§ 64 ff.
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nicht in allen Fällen Auswirkungen der E M R K und der Rechtsprechung ihrer Organe sein. Zum Teil sind sie sicherlich auch das Ergebnis unmittelbarer Umsetzung verfassungsgesetzlicher Gebote. Anderes gilt für den Anspruch auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Gewiß ist die Beschleunigung der Verfahren seit geraumer Zeit und in allen Staaten eines der hervorragenden Ziele von Prozeßrechtsreformen. Der Zweck einer Verfahrensbeschleunigung - möglichst baldige Wiederherstellung des gestörten Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit, Kostenersparnis - ist evident und bedarf an sich keiner Begründung. In der von Franz Klein initiierten Reform des österr. zivilgerichtlichen Verfahrens ist die Beschleunigung zusätzlich eingebettet in sein Konzept des sozialen Zivilprozesses. Die von einem extrem liberalen Gedankengut her dagegen vorgebrachten Kritiken, die den Fortgang des Prozesses ganz in die Hände der Parteien gelegt wissen wollten, und in dessen Beschleunigung auch eine mögliche Gefahr für die Güte seines Ergebnisses erblickten, sind dagegen rasch verstummt. Zwar ist die Beschleunigung der Verfahren nur eines der Ziele, an die sich Verfahrensgesetze und Verfahrensreformen zu orientieren haben; richtig verstanden und mit Maß befolgt, muß sie mit einem anderen Ziel, nämlich mit dem der Qualität des Prozesses, d. h. der Erzielung einer möglichst richtigen Entscheidung, nicht unbedingt kontrastieren 69 . Darüber hinaus ist jede gelungene Verfahrensordnung der Versuch eines vernünftigen Kompromisses zwischen oft einander entgegenstehenden Verfahrensprinzipien. Das gilt namentlich auch für das Verhältnis zwischen den Geboten des rechtlichen Gehörs und der Entscheidung innerhalb angemessener Frist, wie Henckel unlängst richtig bemerkt und näher ausgeführt hat70. Selbst wenn ein Beschleunigungsgebot vielfach auch aus mehr oder weniger einschlägigen Verfassungsbestimmungen herausgelesen wird 71 , kann die Behauptung aufgestellt werden, daß das Erfordernis der Entscheidung innerhalb angemessener Frist erst durch Art. 6 Abs. 1
" Jauernig sah sich jedoch auch in der letzten Auflage seines Lehrbuchs (Zivilprozeßrecht 2 4 [1993], 93) veranlaßt, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß ein schnelles Verfahren nicht ohne Probleme sei und daß sich Schnelligkeit und Gründlichkeit nur begrenzt vertragen würden. 70 Henckel, Das Recht auf Entscheidung in angemessener Frist und der Anspruch auf rechtliches G e h ö r - Art. 6 Abs. 1 Satz 1 E M R K und das deutsche zivilgerichtliche Verfahren, FS Matscher (1993), 188 f. " In Deutschland: aus Art. 103 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 G G ; dazu Stein/Jonas/Schumann, ZPO 2 0 , Einl. Rdn. 515; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 2 0 , Rdn. 65, 66 vor § 128; in der Schweiz: aus Art. 4 BV; dazu Villiger, Handbuch der E m R K (1993), Rdn. 450.
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EMRK zu einer griffigen Verfahrens garantie geworden ist72. Es zwingt die Staaten in zunehmendem Maße dazu, weniger ihre Verfahrensgesetze umzugestalten73, als vielmehr durch eine Verbesserung der personellen und technischen Infrastruktur der Gerichte eine Beschleunigung des Prozeßablaufs sicherzustellen. Wenn es gleichzeitig gelingt, bei allen Prozeßbeteiligten im weitesten Sinn - Richter, gerichtliches Verwaltungspersonal, Parteien und Anwälte - auch auf die menschliche Komponente erzieherisch einzuwirken und auf diese Weise zu einer Verbesserung der Gerichts- und Prozeßkultur beizutragen, wird es möglich sein, dem Ideal des Art. 6 Abs. 1 - Entscheidung innerhalb angemessener Frist - näherzukommen. In der Normierung dieses Ideals als verbindliche, ein subjektives Recht darstellende Verfahrensgarantie liegt m. E. einer der wichtigsten Beiträge der EMRK zur Verbesserung des Zivilprozesses. IV. Abschließende Bemerkungen Die EMRK enthält einen Katalog materieller Grundrechte, deren Gewährleistung für die Würde des Menschen unabdingbar ist: Recht auf Leben, auf persönliche Freiheit, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, des Eigentums, Presse- und Informationsfreiheit, Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit usw. Sie sichert diese Rechte durch Verfahren ab. Darüber hinaus statuiert sie - vornehmlich in Art. 6 - eine Reihe von Verfahrensgarantien für Zivil- und Strafsachen, und normiert diese Verfahrensgarantien als eigenständige Grundrechte. Die Konvention baut dabei auf Erfahrungen auf, die in den Verfahrensrechten der europäischen Staaten - des kontinentalen und des englischen Rechtsbereichs, im zivilgerichtlichen Verfahrensrecht und in anderen Verfahrensordnungen - im Laufe der Jahrhunderte entwickelt worden sind. Daß auf diesem Weg auch sehr viel zivilprozessuales Gedankengut in die Konvention eingeflossen ist, verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß das Verfahrensrecht gerade im Zivilprozeß seine größte Verfeinerung gefunden hat. Mein Lehrer Franz Novak hat in seiner Innsbrucker Antrittsvorlesung vom 25. Oktober 1960 über „Die Stellung des Zivilprozeßrechts 72 Dafür spricht auch die Tatsache, daß in allen an den G H herangetragenen Fällen von überlanger Verfahrensdauer vorherige Befassungen nationaler Verfassungsgerichte, wegen dieses Beschwerdegrunds, sich im Ergebnis als unwirksam erwiesen haben. 73 Gegebenenfalls kann auch eine solche allerdings geboten sein; vgl. etwa König/D (Fn. 4), § 1 0 0 .
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in unserer Gesamtrechtsordnung" 74 gesprochen. Seine dort, vornehmlich mit Blickrichtung auf den Zivilprozeß, darüber hinaus aber auch allgemein gehaltenen Gedanken sind auch auf den Schutz der Grundrechte übertragbar 75 ; sie gelten gleichfalls für die internationalen Beziehungen 76 . Das soll anhand eines einzigen Beispiels aufgezeigt werden: die Untersuchung, als aktuelles Mittel zur Beilegung internationaler Streitfälle (Art. 33 UN-Satzung), muß, um zu objektiven und auch akzeptierten Ergebnissen zu gelangen, also um erfolgreich zu sein, grundlegende Verfahrensprinzipien, insbes. was die Beachtung des Mandats, die Organisation und Arbeitsweise der Untersuchungskommission anbelangt, beachten77. Das alles macht die Rolle des Verfahrensrechts in jedem Rechtssystem deutlich. Es sei mir hier ein persönliches Bekenntnis erlaubt: in meiner nun bald 18jährigen Tätigkeit als Richter am EGMR kann ich sehr viel auf meine zivilprozessuale - und darüber hinaus, allgemein verfahrensrechtliche - Ausbildung bauen. Ich habe oben versucht, schematisch aufzuzeigen, wie das zivilgerichtliche Verfahren der europäischen Staaten ausgerichtet sein muß, um den Geboten der EMRK zu entsprechen. Auf diesem Weg sind die Konvention und die Rechtsprechung ihrer Organe im Begriff, dieses zu gesamteuropäischen Standards zu führen. Parallel dazu läuft, dank der europäischen Integration, zumindest in Teilbereichen, die Entwicklung zu einem gemeinsamen europäischen Zivilprozeß 78 . Zum Abschluß meiner Ausführungen möchte ich nochmals zwei Punkte herausstreichen, wo die allgemeine Verfahrenslehre - und mit ihr der Zivilprozeß - durch die Konvention eine echte Bereicherung erfahren haben: 74
JB1.1961,64. Marek, Die G r u n d r e c h t e in Osterreich (aus: Klecatsky [Hrsg.], Die Republik Österreich [1968]), 133. " Matscher, Die Bedeutung von Verfahrensregelungen f ü r die zwischenstaatlichen Beziehungen (Inaugurationsvortrag 19. 11. 1974), Salzburger Universitätsreden H e f t 57 (1975). 77 D a z u Karl, Die „ U n t e r s u c h u n g " als Mittel der friedlichen Streitbeilegung, FS Matscher (1993), 233 ff. n Priitting, Die E n t w i c k l u n g eines europäischen Zivilprozeßrechts, E u r o p a - I n s t i t u t der Universität des Saarlandes N r . 271 (1992); ders., Entwicklungstendenzen des Zivilprozeßrechts in Deutschland u n d Europa, H a m b u r g e r Universitätsreden (1993), 17; Storme, Sur la nécessité d ' u n code judiciaire européen, contenant les principes généraux de la procédure (1993); Carpi, Riflessioni sull'armonizzazione del diritto processuale civile in E u r o p a in relazione alla convenzione di Bruxelles del 1968, Riv. T r i m , Dir. Proc. Civ. 1993, 1039; Jayme (Hrsg.), Ein internationales Zivilverfahrensrecht f ü r G e s a m t e u r o p a (Koll Heidelberg, 1991), 1992. n
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Das eine ist der Anspruch auf Entscheidung innerhalb angemessener Frist, der zur Beschleunigung auch der Zivilverfahren zwingt und den im innerstaatlichen Recht immer wieder eingeleiteten Beschleunigungsund Vereinfachungsbestrebungen neuen Aufwind gibt. Diesen Aspekt habe ich bereits oben (III/7) behandelt. Das andere ist die Effektivität des Rechtsschutzes, die, als Konventionsprinzip, auch auf den Zivilprozeß in seiner Gesamtheit ausstrahlt. Es handelt sich dabei gleichfalls um eine aus dem pragmatischen Denken des englischen Rechts - und, über dieses, aus dem Völkerrecht - übernommene Idee: die von der Konvention normierten Rechtsschutzgarantien, an die sich die nationalen Verfahrensordnungen zu orientieren haben, müssen effektiv gewährleistet sein; so muß der Zugang zu einem Gericht effektiv sein, was das Vorhandensein eines Systems ausreichender Verfahrenshilfe f ü r Minderbemittelte voraussetzt (darüber s. oben zu Fn. 20 und 65): „Die Konvention schützt nicht theoretische und illusorische, sondern konkrete und effektive Rechte" ist ein Leitsatz, auf den sich der G H immer wieder beruft 79 ; Art. 13 gewährt - über Art. 6 hinaus - Anspruch auf eine wirksame Beschwerdemöglichkeit für den Fall der behaupteten Verletzung konventionsgeschützter Rechte (oben II/4) und gemäß Art. 26 ist zur Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs nur die Ergreifung wirksamer Rechtsmittel erforderlich, womit der Begriff des effektiven Rechtsmittels kreiert wurde 80 , der vielleicht auch für das innerstaatliche Verfahrensrecht fruchtbar gemacht werden könnte 81 ; ein Erfordernis effektiven Rechtsschutzes ist schließlich auch die Entscheidung innerhalb angemessener Frist. Somit führt die E M R K und die Rechtsprechung ihrer Organe zu einer Verfeinerung des Rechtsschutzes und damit auch zu einer Qualitätsverbesserung des zivilprozessualen Verfahrensrechts. Auch die Lehre ist zur Mitwirkung aufgerufen, ist doch - nach den Worten des verstorbenen Wiener Prozessualisten Hans Schima „Die Verfeinerung des Rechtsschutzes" die vornehmlichste Aufgabe der Prozeßrechtswissenschaft 82 . Ich widme diese Betrachtungen meinem Kollegen Prof. Wolfram Henckel, der in seinem wissenschaftlichen Lebenswerk und in langjähriger Lehrtätigkeit zur Qualitätsverbesserung des Zivilprozeßrechts wesentlich beigetragen hat. " Artico/I (Fn. 7), §§ 33-36; Kamasinski/A 19. 12. 89 A/168, § 65. Dazu Matscher, Der Rechtsmittelbegriff (Fn. 14), 267 ff. 81 Der VII. Int. Kongreß für Prozeßrecht Würzburg, 1983 (Fn. 9) stand unter dem Motto „Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung; der VIII. Weltkongreß für Prozeßrecht, Utrecht 1987 (Deutsche Landesreferate) Hrsg. Gilles, 1987 hatte zum Thema die „Effizente Rechtsverfolgung". 82 Verfeinerung des Rechtsschutzes, Inaugurationsvortrag, Wien, 8. 11. 1956. 80
Die inner- und außerprozessuale Präklusion im Fall der Vollstreckungsgegenklage HANSJÖRG O T T O
Der Jubilar hat in seinem 1970 erschienenen Werk mit dem programmatischen Titel „Prozeßrecht und materielles Recht" eindrucksvoll die Eigenständigkeit beider Materien, aber auch ihre innere Verknüpfung belegt. Vereinfachend mag man auch von der Unterscheidung zwischen Form und Inhalt sprechen. Dabei zählt der Jubilar mit Recht zu denjenigen, die das Prozeßrecht gerade nicht als bürokratische Formalität, sondern als ordnende Kraft empfinden. Im Zusammenhang mit den Uberlegungen zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft1 hat Wolfram Henckel mit Blick auf das Urteil des B G H v. 30. 5. I9602 auch zum Verhältnis der Abweisung der Vollstreckungsgegenklage und nachfolgender Schadensersatzklage wegen ungerechtfertigter Vollstreckung dezidiert Stellung bezogen und die Rechtskraftwirkung unabhängig von der Streitgegenstandstheorie bejaht3. Hingegen findet sich keine Äußerung zu der Ansicht von ZeunerA, es bedürfe keiner Begründung, daß die von der h. M. vertretene subjektive Auslegung der für eine zweite Vollstreckungsgegenklage maßgeblichen Präklusionsnorm des § 767 Abs. 3 ZPO auch für eine nachfolgende Schadensersatzklage gelten müsse. In der Tat kann das Prozeßrecht seine ordnende Funktion nur erfüllen, wenn das jeweils einschlägige Regelwerk in sich konsistent ist. Eine solche geschlossene Konzeption vermag die Judikatur des B G H zur Präklusionswirkung der §§ 767 Abs. 2 und 3 ZPO bisher nicht zu vermitteln. Mein Interesse gründet sich auf die Methode des richtigen Umgangs mit einer Norm, deren Entstehungsgeschichte mehr als 125 Jahre zurückreicht, deren „Umfeld" sich aber in jeder Hinsicht geändert hat: der Gesetzgeber hat tiefgreifende Eingriffe vor allem in die innerprozessualen Präklusionsregelungen vorgenommen, die den Prozeßstoff im Ergebnis nicht nur aus dem laufenden Prozeß hinausdrän-
1 ; 3 4
Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 149 ff. N J W 1960, 1460 f = ZZP 74 (1961), 187 ff mit Anm. von Zeuner. (Fn. 1) S. 224 ff. ZZP 74 (1961), 192.
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Hansjörg Otto
gen, sondern endgültig der gerichtlichen Beurteilung entziehen 5 . Ebenso ist die Wissenschaft Vorreiter eines weitgreifenden prozessualen Streitgegenstandsbegriffs, der Konsequenzen insbesondere auch bei dem Umfang der Rechtskraftwirkung fordert 6 . Flankiert wird diese Entwicklung durch Überlegungen, die die tragenden Gründe - wenn auch in begrenztem Umfang - an der Bindung teilhaben lassen 7 . Resignierend heißt es bereits in der Begründung zum „Entwurf einer Reichszivilprozeßordnung" von 193 I s : „Demgegenüber den Versuch zu machen, eine Formel für die Wirkung der Rechtskraft zu finden, die den Forschungsergebnissen der neueren Wissenschaft gerecht wird und zugleich eine für alle Fälle passende Begrenzung für die Ausdehnung der Rechtskraftwirkung bringt, erscheint wenig aussichtsvoll."
I. Einführung Im Zusammenhang mit der Präklusionswirkung im Fall der Vollstreckungsgegenklage sind drei Fragen zu beantworten: Erstens: Wie lange können in einem laufenden Verfahren über eine Vollstreckungsgegenklage neue Einwendungen vorgebracht werden? Stichwort: innerprozessuale Präklusion (unter II.). Zweitens: Hängt die außerprozessuale Präklusion, also der Ausschluß von Einwendungen in einem Folgeprozeß, tatbestandlich von subjektiven Umständen ab oder greift sie wie die Rechtskraft-Präklusion ohne Rücksicht auf Kenntnis oder Kennenmüssen ein? Stichwort: objektive oder subjektive Präklusion (unter III.). Drittens: Erstreckt sich die Präklusionswirkung der Entscheidung lediglich auf die tenorierte Rechtsfolge, hier also die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Titel, oder auch auf den titulierten Anspruch bzw. die erhobenen Einwendungen? Stichwort: rechtskraftergänzende Präklusion (unter IV.). 5 Zur Entwicklung Otto, Die Präklusion, 1970, S. 33 ff; zur Ausweitung vor allem der innerprozessualen Präklusion durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. 12. 1976 (BGBl. I S. 3281) siehe etwa Grunsky, J Z 1977, 201 ff; Deubner, N J W 1977, 921 ff; Weth, Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens im Zivilprozeß, 1988. 6 Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 1927, § 8 7 II, S. 238 ff; Nikisch, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1935; Schwab, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1954; Habscheid, Der Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1956; Otto, Die Präklusion, S. 104 ff. 7 Henckel (Fn. 1) S. 169 ff; Zeuner, Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, 1959 - besonders aktuell ist insoweit die arbeitsrechtliche Diskussion, die ihre Fragestellungen wesentlich aus der Zweigleisigkeit von individualrechtlicher und kollektivrechtlicher Ordnung bezieht (Otto, R d A 1989, 247 ff; Prutting, R d A 1991, 257 ff; Dütz, FS Gnade, 1992, S. 487 ff; Konzen, FS Zeuner, 1994, S. 401 ff). ' Veröffentlicht durch das Reichsjustizministerium 1931, S. 326.
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Von besonderer Brisanz ist dabei die Frage der subjektiven Komponente auf der Tatbestandsseite. Karsten Schmidt hat jüngst - bezogen auf das Lebensalter der Norm, die im Zusammenhang mit der Novelle von 1950 lediglich leichte sprachliche Korrekturen erfahren hat9 - jede außerprozessuale Wirkung des § 767 Abs. 3 Z P O geleugnet und statt dessen die analoge Anwendung des § 767 Abs. 2 Z P O mit seiner objektiven Präklusion empfohlen 10 . II. Innerprozessuale Präklusion Allgemein durchgesetzt hat sich die Auffassung, daß sich die für die Geltendmachung neuer Einwendungen innerprozessual ursprünglich maßgebliche Zeitgrenze zu Lasten des Schuldners von der Klageerhebung auf den Zeitpunkt der letzten „Tatsachenverhandlung" verlagert hat11. Diese Last bildet gewissermaßen den Preis dafür, daß dem Schuldner die nachträgliche Einbeziehung weiterer Einwendungen, die zunächst je für sich als eigenständiger Klagegrund angesehen wurden 12 , in den Vollstreckungsabwehrprozeß zunehmend erleichtert wurde. Während eine Klageänderung ursprünglich gemäß § 235 Abs. 2 Nr. 3 C P O 1877 nämlich nur mit Einwilligung des Beklagten zulässig war, gestattete § 264 Z P O 1898 die Klageänderung bereits dann, wenn die Änderung die Verteidigung des Beklagten nicht wesentlich erschwerte 13 . Seit 1924 genügt schließlich die Sachdienlichkeit der Klageänderung 14 . Unklarheit herrscht allerdings nach wie vor darüber, ob innerprozessual überhaupt noch von einer Klageänderung i. S. des § 263 Z P O gesprochen werden kann. Der B G H hat dies ursprünglich bejaht15, aber nach heftiger Kritik bis heute jede Festlegung vermieden 16 ; dies steht im ' Anlage 2 z u m Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit v. 12. 9. 1950 (BGBl. 533, 601). 10 Präklusion u n d Rechtskraft bei wiederholten Vollstreckungsgegenklagen - Z u r A b grenzung von § 767 Abs. 2 u n d Abs. 3 Z P O , J R 1992, 89 ff; siehe auch M ü n c h K o m m Z P O Schmidt, 1992, § 767 R d n . 84 ff. 11 R G v. 23. 4. 1937, Z Z P 61 (1939), 142 ff mit kritischer A n m . der Schriftleitung unter 4. 12 Otto, Die Präklusion, S. 73 f; Münzberg, A n m . zu B G H v. 2 1 . 5 . 1973, Z Z P 87 (1974), 447, 456 f (unter II 3). " R G v. 15. 6. 1903, R G Z 55, 101, 103 f. 14 Zu diesem Z u s a m m e n h a n g anschaulich Bötticher, A n m . zu O L G Celle, M D R 1963, 932, 934; Baumgärtel/Scherf, J R 1968, 368. 15 B G H v. 2. 5. 1966 - II Z R 178/65 - , B G H Z 45, 231 ff = N J W 1966, 1362 ff mit krit. A n m . von Jerusalem = J Z 1966, 614 ff mit ablehnender A n m . von Bötticher = Z Z P 79 (1966), 460 ff mit ablehnender A n m . von Schwab S. 463 f und - II Z R 179/65 - , N J W 1967, 107 ff mit A n m . von Schlechtriem (der den Schuldner bei Verneinung der Sachdienlichkeit auf den Weg der Zahlungsklage verweisen will); siehe auch O L G Celle M D R 1963, 932 ff mit ablehnender A n m . von Bötticher. " B G H v. 6. 2. 1967, L M § 767 N r . 32; v. 17. 4. 1986, N J W - R R 1987, 59 = W M 1986, 1032, 1033 = JuS 1987, 411 f (K. Schmidt).
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evidenten Widerspruch zu der von ihm bejahten Tragweite der außerprozessualen Präklusionswirkung: Je härter diese zupackt und je weiter sie greift, um so weniger läßt sich die Zulassung neuer Einwendungen ablehnen. Die Frage der Klageänderung stellt sich für diejenigen nicht, die mit Recht als Streitgegenstand „global" die Zulässigkeit der Vollstreckung aus dem angegriffenen Titel ansehen17. Gleichwohl soll nach Ansicht von K. Schmidt § 767 Abs. 3 ZPO als innerprozessuale Präklusionsnorm neben die Konzentrationsvorschriften der §§ 272 Abs. 1, 273, 282, 296 ZPO treten18. Demgegenüber ist zu fragen, warum es mit der - zutreffenden - Anerkennung eines „globalen" Streitgegenstandes der Vollstreckungsgegenklage nicht bei den präziser formulierten allgemeinen Präklusionsnormen für Angriffs- und Verteidigungsmittel bleiben kann19. Die innere Folgerichtigkeit lassen diejenigen vermissen, die nach wie vor jede Einwendung als eigenständigen Klagegrund ansehen, dann aber statt § 767 Abs. 3 ZPO20 die genannten Konzentrationsvorschriften anwenden wollen21. In der praktischen Handhabung sind innerprozessual Unterschiede allerdings kaum vorstellbar. III. Außerprozessuale Präklusion Zur besseren Veranschaulichung sei folgender Fall vorangestellt: Der Verkäufer V verkauft Sammelobjekte. Er verspricht K, ihm ein in seiner Sammlung fehlendes Objekt zu verschaffen. Gleichzeitig wird vereinbart, daß der V für seine Bemühungen eine Vorauszahlung von DM 20 000 erhalten soll. Uber den Betrag wird eine vollstreckbare Urkunde i. S. des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ausgestellt. Als V die Vollstreckung androht, erhebt Κ die (erste) Vollstreckungsgegenklage. Er begründet diese mit § 326 Abs. 1 S. 2 2. HS BGB; er habe V nämlich nach Eintritt des Verzuges hinsichtlich der Lieferung des Sammelobjektes eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung geschickt, die fruchtlos verstrichen sei. Κ verliert den ersten Prozeß rechtskräftig, weil die Ablehnungsandrohung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt habe. Bevor es nun zur Vollstreckung kommt, erfährt K, daß das Sammelobjekt bereits vor der mündlichen Verhandlung über die erste Vollstreckungsgegenklage durch eine unbe17 Bötticher, Anm. zu OLG Celle, MDR 1963, 932, 933 f; Schwab, Anm. zu BGH ZZP 79 (1966), 460, 463; Baumgärtel/Scherf, JR 1968, 368, 369; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., 1986, § 767 Rdn. 54; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl., 1987, §40 IX 1 (S. 479); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., 1993, § 101 I 1 a (S. 573); Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 298 ff, 344. 18 JR 1992, 92 (unter II 4). " Otto, Die Präklusion, S. 77; in diesem Sinne auch Burgard, ZZP 106 (1993), 23, 34 f. 20 So konsequent Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., 1993, § 767 Rdn. 17; Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. I, § 767 Rdn. 11 und 41 (großzügige Bejahung der Sachdienlichkeit der Klageänderung). 21 Baumbacb/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., 1994, § 767 Rdn. 57; Lippross, Vollstreckungsrecht, 7. Aufl., 1994, S. 230.
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kannte Diebesbande entwendet worden ist. E r macht nunmehr mit seiner zweiten Vollstreckungsgegenklage geltend, daß der Anspruch auf die Vorleistung gemäß § 323 Abs. 1 B G B untergegangen sei, und beantragt die Einstellung der Vollstreckung gemäß § 769 Z P O ohne, hilfsweise gegen Sicherheitsleistung.
1. Überblick über den
Meinungsstand
a) Nach wohl noch h. M. in der Literatur müßte eine zweite Vollstreckungsgegenklage Erfolg haben. Diejenigen, die richtigerweise von einem globalen Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage ausgehen, der sämtliche bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz entstandenen Einwendungen umfaßt, wenden hier mehrheitlich nicht die allgemeinen Rechtskraftregeln bzw. § 767 Abs. 2 ZPO an, sondern orientieren sich an der spezifischen Aussage des § 767 Abs. 3 ZPO 22 . Eine zweite Gruppe läßt die Frage des Streitgegenstandes unentschieden, gestattet aber unabhängig davon die Geltendmachung unbekannt gebliebener Einwendungen in einer zweiten Klage25. In der Tat fällt die Begründung noch leichter, wenn man den Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage durch die erhobenen Einwendungen vorbehaltlich einer zulässigen Klageänderung (§ 263 ZPO) eng zieht; denn die Einwendung war dem Schuldner ohne sein Verschulden bis zur letzten „Tatsachenverhandlung" unbekannt. b) Genau diese subjektive Komponente hat hingegen der BGH in seinem Urteil v. 21. 5. 1973 geleugnet24. Stimpel hat die Haltung des BGH in seiner Anmerkung zusätzlich erläutert und als Resümee festgehalten25: „Nach dieser Entwicklung werden die mit dem Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage zusammenhängenden Fragen im allgemeinen so zu lösen sein, als ob es § 767 Abs. 3 ZPO nicht gäbe." Die objektive Präklusion hat der BGH in seinem Urteil v. 17. 4. 1986 bestätigt26, zur leuner, Anm. zu B G H , Z Z P 74 (1961), 187, 192; Bötticher, Anm. zu B G H , J Z 1966, 614, 617; Baumgärtel/Scherf, J R 1968, 368, 370; Rosenberg/Gaul/Schilken (Fn. 17) § 40 I X 2 (S. 479 f); Stein/Jonas/Münzberg (Fn. 17) § 767 Rdn. 52 ff. " Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 4. Aufl., 1993, Rdn. 1357; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 2. Aufl., 1982, § 15 III 2 (S. 212)•, Jauernig, Zwangsvollstreckungsund Konkursrecht, 19. Aufl., 1990, § 12 III (S. 52); im Ergebnis auch Burgard, ZZP 106 (1993), 23, 38 f und 50. 24 B G H Z 61, 25, 27 = N J W 1973, 1328 = L M § 767 Z P O N r . 41 mit zustimmender und die Position des B G H erläuternder Anm. von Stimpel = Z Z P 87 (1974), 447 ff mit insoweit ablehnender Anm. von Münzburg S. 455 f (unter II 2) - dem B G H ohne Begründung folgend: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 21) § 767 Rdn. 58; Geißler, NJW 1985, 1865, 1869; Lippross (Fn. 21) S. 230; Merz, Jura 1989, 449, 452; Schuschke (Fn. 20) § 767 Rdn. 41; Zöller/Herget, Z P O , 18. Aufl., 1993, § 767 Rdn. 22. Im Ergebnis ebenso im Hinblick auf den veränderten Streitgegenstand Münch (Fn. 17) S. 341 ff. 25 Anm. zu B G H L M § 767 Z P O N r . 41 unter 3 am Ende. 26 N J W - R R 1987, 59 = W M 1986, 1032, 1033 = JuS 1987, 411 f (K. Schmidt). 22
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Begründung allerdings nur noch § 767 Abs. 2 ZPO herangezogen27. Der B G H müßte daher in unserem Beispielsfall zu dem Ergebnis kommen, daß die zweite Vollstreckungsgegenklage als unbegründet abzuweisen ist. c) Im Gegensatz zum B G H spricht Kainz in seiner insbesondere bezüglich der dogmatischen Entwicklung verdienstvollen Untersuchung über „Funktion und dogmatische Einordnung der Vollstreckungsabwehrklage in das System der Zivilprozeßordnung" (1984) der Entscheidung zwar materiellrechtlichen Sinngehalt zu28, will aber gerade deshalb § 767 Abs. 3 ZPO außerprozessual verschieden interpretieren: für die folgende Vollstreckungsgegenklage liest er die Norm „objektiv" und erschwert es damit, der unberechtigten Vollstreckung Einhalt zu gebieten29; anderseits läßt er die Rückforderungsklage zu, wenn der Schuldner ohne sein Verschulden nicht imstande war, die Einwendung im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage vorzubringen30. Für unseren Beispielsfall bedeutete dies, daß der zweiten Vollstreckungsgegenklage wegen des objektiv verspäteten Vorbringens der Einwendung aus § 323 Abs. 1 B G B kein Erfolg beschieden wäre, daß hingegen einer Rückforderungsklage nichts im Wege stünde. 2. Die Konzeption
von Karsten
Schmidt
K. Schmidt ist dem B G H im Rahmen einer in sich schlüssigen Gesamtkonzeption im Ergebnis gefolgt31. Seine Thesen können jedoch schon deshalb nicht unwidersprochen bleiben, weil ich hinsichtlich seiner Prämissen partiell Bedenken habe. a) K. Schmidt behauptet zunächst, daß § 686 Abs. 3 C P O 1877 = § 767 Abs. 3 ZPO 1898 nur als innerprozessuale Präklusionsnorm konzipiert worden sei32. Sie hätte lediglich bezweckt, in die Klageschrift nicht aufgenommene Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel aus dem eingeleiteten Verfahren herauszuhalten. Demgegenüber habe ich die Norm mit der h. M. stets so gelesen, daß der Gesetzgeber derartige Einwen27 Demgegenüber erwähnen B G H v. 28. 5. 1991, LM § 675 BGB Nr. 169 = NJW 1991, 2280, 2281 = J R 1992, 66, 67 mit Anm. von Brehm aaO, und v. 18. 11. 1993, NJW 1994, 460, 462, insoweit wieder ausschließlich § 767 Abs. 3 ZPO. 21 S. 120 ff, 148: Der Schuldner mache mit der Vollstreckungsabwehrklage einen behaupteten materiellrechtlichen Beseitigungs- und/oder Unterlassungsanspruch geltend, der auf einer materiell ungerechtfertigten Zwangsvollstreckung beruhe; zur Geltendmachung dieses Anspruchs weise das Prozeßrecht dem Kläger die allein statthafte Rechtsschutzform der prozessualen Gestaltungsform des § 767 ZPO zu. 29 S. 175 ff. 30 S. 193 ff. 31 J R 1992, 89 ff; siehe auch MünchKommZPO-Sc¿m¿¿r (Fn. 10) § 767 Rdn. 84 ff; zustimmend Thomas/Putzo (Fn. 20) § 767 Rdn. 29. 32 J R 1992, 90 (unter II 2) und 92 (unter III 1).
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düngen zumindest für eine weitere Vollstreckungsgegenklage ausschließen wollte, sei es, daß eine zweite Vollstreckungsgegenklage parallel oder nachfolgend erhoben werden sollte 33 . Die Entstehungsgeschichte gibt jedenfalls für eine Interpretation i. S. K. Schmidts keinen hinreichenden Anhalt. Im Gegenteil heißt es in den Motiven: „Neben der mit der Form der Klage erreichten Beschränkung des Verfahrens auf die der Klage zum Grunde liegenden Einwendungen sichert noch weiter die Nothwendigkeit der Kumulirung aller zeitig vorhandenen Einwendungen in einer Klage [Hervorhebung im Original] die Energie der Vollstreckung 34 ." Seine Auslegung leuchtet auch deshalb nicht ein, weil zur damaligen Zeit die verschiedenen Einwendungen fraglos jeweils einen isolierten Streitgegenstand gebildet hätten35. Der Vollstreckungsschuldner hätte also ohne den von K. Schmidt für insoweit obsolet erklärten § 767 Abs. 3 Z P O nur eine zweite Vollstreckungsgegenklage erheben müssen, um der innerprozessualen Präklusion zu entgehen und damit die Schneidigkeit der Vollstreckung durch eine Häufung von Rechtsbehelfen zu behindern 36 . Demgegenüber heißt es bei Stein, Zivilprozeßordnung, 11. Aufl., 1913, § 767 Anm. VI lapidar: „Dagegen können durch eine zweite Klage nur Einwendungen vorgebracht werden, die im ersten Prozesse nicht geltend gemacht werden konnten". Richtig ist allerdings, daß die N o r m „rechtskraftfremd" konzipiert war; denn die Präklusion sollte ja nicht an das Urteil über die erhobene Vollstreckungsgegenklage anknüpfen mit dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern bereits an die Klageerhebung. N u r wenn der beklagte Gläubiger in eine Klageänderung einwilligte, konnte der Prozeßstoff ursprünglich ergänzt werden. Im übrigen ist selbst § 767 Abs. 2 Z P O insofern als rechtskraftfremd einzuordnen, als der Einwendungsausschluß nicht etwa den Eintritt der formellen Rechtskraft im Vorprozeß voraussetzt 37 . b) Die zutreffende Aussage des B G H , daß eine zurückgenommene übereinstimmend für erledigt erklärte Vollstreckungsgegenklage Präklusionswirkung entfaltet 38 , läßt sich entgegen K. Schmidt39
bzw. keine schon
Die Präklusion, S. 73; J A 1981, 606, 609. Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 2. Aufl., 1881, Bd. II, 1, S. 437. 35 Kainz, Funktion und dogmatische Einordnung der Vollstreckungsabwehrklage in das System der Zivilprozeßordnung, 1984, S. 176; Münzberg, Z Z P 87 (1974), 456 f (unter II 3). 36 Zutreffend Burgard, ZZP 106 (1993), 23, 28. 37 Otto, Die Präklusion, S. 67 ff. 3" Urteil v. 28. 5. 1991, L M § 675 B G B Nr. 169 = N J W 1991, 2280, 2281 = J R 1992, 66, 67 mit zustimmender Anm. von Brehm aaO S. 71. 39 J R 1992, 90 (unter I 3) sowie S. 93 f (unter III 4). 33
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mit dem Zweck des § 767 Abs. 3 ZPO ohne Schwierigkeiten erklären: die Energie der Vollstreckung wird nicht (mehr) gehemmt und eine gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand, die im Interesse des Rechtsfriedens durch Präklusion abgesichert werden müßte, liegt nicht vor. Aber selbst wenn man noch an die Klageerhebung anknüpfte, müßte die Sperre weiterer Verfahren mit der ohne Sachurteil endenden ersten Klage entfallen. c) K. Schmidt will konsequent auch etwaige Rückforderungsansprüche im Rahmen einer sogenannten „verlängerten Vollstreckungsgegenklage" abschneiden40, die in unserem Beispielsfall nach materiellem Recht gemäß § 323 Abs. 3 i. V. mit § 818 Abs. 2 B G B begründet wären. Dabei erklärt er die Anwendung der allgemeinen Rechtskraftgrenzen auf jede einer Vollstreckungsgegenklage nachfolgende Klage zur Selbstverständlichkeit41. Meine „Umständlichkeiten", den Ausschluß der Einwendungen mit Hilfe einer ergänzenden Auslegung des § 767 Abs. 3 ZPO zu begründen, seien daher entbehrlich42. Nach meiner Auffassung ist es richtig, aber - wie die Gegenposition vieler zeigt43 - keineswegs selbstverständlich, daß die außerprozessuale Präklusionswirkung harmonisiert werden muß. Dogmatisch erfordert es ebensoviele „Umständlichkeiten", § 767 Abs. 3 ZPO auf andere Klagen, die eine Vollstreckung korrigieren sollen, entsprechend anzuwenden, wie § 767 Abs. 3 ZPO durch eine analoge Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO zu ersetzen. Zudem setzt letzteres notwendigerweise eine Gesetzeslücke sogar für die Vollstreckungsgegenklage innerhalb ein- und derselben Norm voraus44. Demgegenüber ist die Haltung des B G H aus meiner Sicht widersprüchlich. So eindeutig er nämlich im Urteil v. 30. 5. I960 45 im Ergebnis die rechtskraftergänzende Präklusion anerkannt hat, um sich dann mit Urteil v. 21. 5. 197346 gerade in der Parallele zur Leistungs- bzw. positiven Feststellungsklage für eine objektive Interpretation des § 767 Abs. 3 ZPO auszusprechen, so vehement sucht er in anderen Entscheidungen die Rechtskraftwirkung der Entscheidung über eine Vollstreckungsgegenklage einzudämmen. Man lese nur folgende Leitsätze des Urteils des B G H v. 19. 6.1984 47 : J R 1990, 90 (unter I I I ) . J R 1992, 90 (unter II 1). 42 Vgl. J R 1992, 90 Fn. 17. 43 Dazu noch unter IV. 44 Eine solche Lücke verneint Burgard, ZZP 106 (1993), 23, 48. 45 ZZP 74 (1961), 187 ff mit im Erg. zustimmender Anm. von Zeuner. 46 Β G H Z 61, 25, 27 = LM § 767 ZPO Nr. 41 mit erläuternder und zustimmender Anm. von Stimpel. 47 LM § 767 Z P O Nr. 64 = FamRZ 1984, 878 ff; siehe auch B G H v. 23. 5. 1989, W M 1989, 1514,1516. 40 41
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„1. Die Rechtskraft eines die Vollstreckungsgegenklage gegen einen gerichtlichen Vergleich abweisenden Urteils erstreckt sich nicht auf das Bestehen des materiellrechtlichen Anspruchs. Rechtsfolge dieser Entscheidung ist die Ablehnung, dem titulierten Anspruch durch Rechtsgestaltung die Vollstreckbarkeit zu nehmen. 2. Bei einem der Vollstreckungsgegenklage stattgebenden Urteil erwächst die Entscheidung über das Bestehen einer materiellrechtlichen Einwendung nicht in Rechtskraft (Ausnahme § 322 Abs. 2 Z P O - B G H Z 48, 356, 358); es wird lediglich die Vollstreckbarkeit des titulierten Anspruchs beseitigt. 3. Nur durch Erhebung einer Feststellungsklage kann die Rechtskraft der Entscheidung auf den materiellrechtlichen Anspruch erstreckt werden."
Nimmt man diese Leitsätze beim Wort, so ist nicht ersichtlich, warum die bloße Ablehnung, dem titulierten Anspruch seine Vollstreckbarkeit zu nehmen, einer Rückforderungsklage ihrer Grundlage berauben sollte. Allenfalls mag das für eine Schadensersatzklage gelten, weil die Sachabweisung der Vollstreckungsgegenklage die Zulässigkeit der Vollstreckung bestätigt. d) Der eigentliche Streitpunkt ist indessen nach meiner Auffassung die Frage, ob die Präklusionsnorm des § 767 Abs. 3 Z P O mit ihrem auch von K. Schmidt anerkannten subjektiven Gehalt außerprozessual durch § 767 Abs. 2 Z P O als objektive Präklusionsnorm ersetzt werden soll48. Die subjektive Deutung beruht nicht etwa, wie der BGH 4 9 und Stimpefi" glauben machen möchten, auf einer in der Tat nicht eindeutigen sprachlichen Exegese des „imstande sein", sondern auf einem zweifelsfrei zu ermittelnden Willen des historischen Gesetzgebers. Zur Erläuterung des § 686 Abs. 3 C P O 1877 verweisen die Motive nämlich auf die Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, wo es zu einem im Wortlaut nahezu identischen Referentenvorschlag erläuternd heißt51: „Die Majorität erklärte sich indessen für den Grundsatz der Vorlage. Der exzipirende Beklagte soll also als Kläger auftreten, und zwar sind alle Einreden in der Klage gleichzeitig geltend zu machen, welche dem Exzipienten zur Zeit der Erbebung der Klage bekannt waren oder bekannt sein mußten. Der Antrag, diese letztere Vorschrift auf alle zur Zeit der Erhebung der Klage bereits entstandenen zu erweitern, und der Vorschlag eines anderen Mitgliedes, das in Rede stehende Exzeptionsverfahren nur ein Mal zu gestatten, blieben in der Minderheit."
Der Kommentar von Struckmann/Koch, Die Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1879, läßt denn auch nicht den geringsten Zweifel erkennen52: „Geltend zu machen im Stande war" ...„setzt vor-
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J R 1992, 89, 93 (unter III 3); zustimmend Thomas/Putzo B G H Z 61, 25, 26 f. Anm. zu B G H LM § 767 Z P O Nr. 41 unter 2. Bd. IV, 1870, S. 2002. § 6 8 6 Anm. 6.
(Fn. 20) § 767 Rdn. 29.
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aus, daß ihm die betreffenden Einreden zur Zeit der Erhebung der Klage bekannt waren oder doch bekannt sein mußten." Die Akzentverschiebung von der subjektiven zur objektiven Präklusion, die im Schrifttum vielfach ohne eigene Begründung akzeptiert wird 53 , wirkt sich desto gewichtiger aus, je weiter man die Rechtskraftwirkung auf die entscheidungserheblichen Vorfragen ausdehnt. Hier und nur hier liegt der Angelpunkt für die Meinungsdivergenz.
3. Rechtspolitische Bewertung der subjektiven außerprozessualen Präklusion Bei der rechtspolitischen Bewertung der objektiven Präklusion sollte man nach meiner Auffassung zwei Aspekte nicht aus den Augen verlieren: den Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs, wie er in Art. 103 Abs. 1 G G verankert ist, und den Gesichtspunkt der Rechtskraft-Korrektur
nach Maßgabe des § 826 BGB.
a) In meiner Abhandlung über die Präklusion bin ich nachhaltig dafür eingetreten, daß der objektiven Präklusion im Interesse des Rechtsfriedens auch unter voller Würdigung des rechtlichen Gehörs genügend Raum gegeben werden sollte. Ich habe nach wie vor kein Verständnis dafür, daß einerseits die Präklusion dann als unbedenklich behandelt wird, wenn Berufungs- und Revisionssummen immer weiter nach oben gesetzt werden, daß aber andererseits hinsichtlich der Präklusionsnormen innerhalb des Prozeßzuges hier und dort eher zu viel Zurückhaltung praktiziert wird. Der Unterschied wird freilich vom Bundesverfassungsgericht erkennbar toleriert. Während es betont, daß das Grundgesetz keinen Anspruch auf einen Rechtsmittelzug gewährt 54 , betont es den Ausnahmecharakter von Präklusionsnormen 55 und wendet sich dezidiert gegen ihre allzu großzügige Handhabung 56 . Dieser Aspekt spricht gegen eine das geschriebene Recht verschärfende Interpretation des § 767 Abs. 3 Z P O . D e r naheliegende Vergleich mit der Rechtskraft-Präklusion bei der gerichtlichen Erlangung des Titels wiegt bei näherer Betrachtung nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint. Während bei dem Angriff auf ein rechtskräftiges Urteil unter Erneuerung des gleichen Streitstoffes das Prozeßergebnis des ersten Verfahrens in Zweifel gezogen wird, ohne daß sich für diesen Zeitraum Änderungen ergeben haben, steht hier der Vgl. oben Fn. 24. BVerfGE 28, 21, 36; 35, 263, 271; 41, 23, 26; 78, 88, 99. 55 BVerfGE 60, 1, 6; 69, 126, 136. » BVerfGE 69, 126, 139 f; 75, 183, 190; 81, 264, 273; NJW 1992, 680, 681; NJW 1993, 1319. 53 54
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Angriff des Schuldners aufgrund neuer Tatsachen gegen einen Gläubiger im Vordergrund, der einen vollstreckbaren Titel in der Hand hat, aus dem er ohne weiteres Zögern gegen den Schuldner vorgehen kann. Der Schuldner ist damit praktisch gezwungen, das ihm zugängliche Arsenal an Abwehrwaffen unverzüglich mit der Vollstreckungsgegenklage ins Feld zu führen. Selbst dann kann er die Vollstreckung aus dem Titel nicht ohne weiteres verhindern, indem er die Einstellung des Verfahrens gemäß § 769 ZPO beantragt. Für eine solche Einstellung, vor der der Gläubiger grundsätzlich gehört werden sollte, muß es triftige Anhaltspunkte geben57, erst recht, wenn auf eine Sicherheitsleistung verzichtet wird. b) Ebenso ist § 826 BGB ins Kalkül zu ziehen. In den meisten Fällen, in denen der Schuldner den Einwand ohne sein Verschulden nicht rechtzeitig geltend machen konnte, wird der Gläubiger eher über die entsprechenden Informationen verfügen bzw. zumindest verfügen können. Dies spricht gegen die Prämisse von Stimpel, der den Verschuldensaspekt zu sehr mit Blick auf das prozessuale Verhalten des Schuldners würdigt und hieraus die Unsicherheit des Gläubigers ableitet58. Dieser bedarf jedoch keineswegs übergroßen Mitgefühls, hat er doch einen vollstreckbaren Titel in der Hand oder sogar erfolgreich vollstreckt. Hat er in unserem Fall die Information über den „Untergang" des Sammlerobjekts erhalten, so kann man darüber nachdenken, ob nicht die Vollstreckung aus der Urkunde unter dem Gesichtspunkt des § 826 B G B bekämpft werden könnte59. Die Debatte um die Vollstreckung aus rechtskräftigen Vollstreckungsbescheiden trotz sittenwidriger Darlehnsverträge hat gezeigt, daß die Rechtskrafthürde nicht mehr so streng gesehen wird, wie dies ursprünglich der Fall war, obwohl sich die abstrakten Formeln durchaus gleichen60. Allerdings genügt es nicht, daß der Gläubiger aus einem nicht erschlichenen, materiell falschen Vollstreckungstitel mehr erhalten hat, als ihm bei zutreffender Be57 Kritisch zur Einstellungspraxis allein aufgrund der Behauptungen des klagenden Schuldners Brehm, J R 1992, 71; siehe auch Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., 1982, § 13 III 2 a (S. 217 Fn. 50). M ü n c h K o m m Z P O - S c i m / Λ (Fn. 10) § 769 Rdn. 16, verlangt eine Abwägung der Schutzbedürfnisse von Schuldner und Gläubiger; dabei spielen die Aussichten in der Hauptsache sicher die entscheidende Rolle ( K G F a m R Z 1978, 420; O L G Zweibrücken F a m R Z 1987, 820, 821; Stein/Jonas/Münzberg [Fn. 17] § 769 Rdn. 11; Zöllner/Herget [Fn. 24] § 769 Rdn. 6). 58 Anm. zu B G H L M § 767 Z P O N r . 41 unter 2. 59 Grundlegend B G H v. 27. 3. 1968, B G H Z 50, 115, 117 ff. Siehe auch Prutting/Weth, Rechtskraftdurchbrechung bei unrichtigen Titeln, 1988. 60 B G H v. 24. 9. 1987, B G H Z 101, 380, 383 ff; siehe auch Grunsky, Voraussetzungen und Umfang der Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 B G B bei sittenwidrigen Ratenkreditverträgen, Z I P 1986, 1361 ff; Braun, Die materielle Rechtskraft des Vollstrekkungsbescheids - Ein juristisches Lehrstück, JuS 1992, 177 ff.
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urteilung zustünde61. Ebenso hat der B G H mit Urteil v. 25. 2. 1988 einer Klage den Erfolg versagt, obwohl sich die Beteiligten darüber einig waren, daß das Urteil über die erste Vollstreckungsgegenklage einen Rechnungsposten in Höhe von rund 240 000 DM fälschlich nicht berücksichtigt hatte, so daß es nach Auffassung beider Parteien materiellrechtlich unrichtig ist62. Der B G H vermißt jedoch ein hinreichendes zusätzliches Unrechtselement und beruft sich hierbei auf die den Sorgfaltsanforderungen nicht genügende Prozeßführung des Schuldners63. Das Ergebnis ist durchaus überzeugend, wenn man § 767 Abs. 3 ZPO anwendet; der Kläger hat seine ihm vom Gesetz gewährte Korrekturmöglichkeit schuldhaft nicht genutzt. Uberzeugt das Resultat aber auch bei sorgfaltsgemäßem Prozeßverhalten und objektiver Präklusion? Sehr viel entgegenkommender hört sich demgegenüber das Urteil des B G H v. 24. 6. 1993 an, wenn es für die Durchbrechung der Rechtskraft nicht allein bei § 826 BGB, sondern schon bei Treu und Glauben (§ 242 BGB) ansetzt64. Dem vermag ich zwar nicht zu folgen; eine vorsichtige Abmilderung im Rahmen des § 826 B G B würde aber mit der vom Bundesverfassungsgericht eingeleiteten Wende bei der gerichtlichen Kontrolle der Bürgschaftserklärungen unter Betonung der grundrechtlich gebotenen staatlichen Schutzpflicht bei typischer Vertragsdisparität harmonieren65. Jedenfalls solche Einwendungen, die - wie im Ausgangsbeispiel - aus der Sphäre des Gläubigers stammen, vermag der Schuldner lediglich zufällig vorzutragen und gar zu beweisen. Für derartige Einwendungen trifft daher auch der von Henckel zur Rechtfertigung der Rechtskraft-Präklusion herangezogene Verwirkungsgedanke, mit dem er die Ablehnung der Korrektur mit Hilfe des § 826 B G B gerechtfertigt hat, nicht zu66. Es ist daher zumindest mehr als zweifelhaft, ob die in § 767 Abs. 3 ZPO historisch angelegte subjektive Komponente von der Schuldnerauf die Gläubigerseite verlegt werden sollte. Die Möglichkeit der Gegenwehr wird durch die höheren Anforderungen an den Verschuldensgrad eingeschränkt. Dies gilt auch für die vorläufige Verhinderung der Vollstreckung. Für eine einstweilige Verfügung67 müßten die Vor" Urteil v. 3. 7. 1990, Β G H Z 112, 54 ff. 62 W M 1988, 845, 846 f. 63 W M 1988, 847. 64 L M § 322 Z P O Nr. 136 mit insoweit kritischer Anm. von Grunsky unter 2 b = N J W 1993, 3204, 3205. 65 Beschluß v. 19. 10. 1993, N J W 1994, 36, 38 f = JuS 1994, 251 (Emmerich). " (Fn. 1) S. 175 f; zur Rechtfertigung der Rechtskraft-Präklusion siehe aber auch Bötticher, 2.ZP 85 (1972), 1, 18 ff; Otto, Die Präklusion, S. 153 ff, 160 ff. " R G v. 14. 10. 1905, R G Z 61, 359, 361; B G H v. 27. 3. 1968, B G H Z 50, 115, 122; O L G Hamm M D R 1987, 505 (Bekl. ist ggf. aufzugeben, die Zwangsvollstreckung einstweilen zu unterlassen und Titel an Sequester herauszugeben); O L G Frankfurt N J W - R R 1992, 511.
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aussetzungen des § 826 B G B dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Ob für die zunehmend befürwortete68 entsprechende Anwendung des § 769 ZPO wesentlich geringere Anforderungen gelten könnten, ist mir zweifelhaft. § 765 a ZPO hilft nur dann weiter, wenn die Vollstreckung aus dem angegriffenen Titel als solche eine sittenwidrige Härte bedeuten würde69. Nach allem machte es keinen Sinn, den Erfolg einer zweiten Vollstreckungsgegenklage mit dem Hinweis auf die analoge Anwendung des § 767 Abs. 2 abzuschneiden, zugleich aber den Reparaturbetrieb des § 826 B G B weiter zu öffnen. c) Insgesamt ist für mich daher nach wie vor nicht einsichtig, weshalb § 767 Abs. 3 ZPO außerprozessual entweder mit dem B G H objektiv interpretiert oder mit K. Schmidt durch § 767 Abs. 2 ZPO analog ersetzt werden sollte. Bezeichnenderweise hielt auch der Reformentwurf von 1931 der Sache nach an § 767 Abs. 3 ZPO fest. § 845 Abs. 1 E 1931 lautet: „Will der in Anspruch Genommene außerhalb des Vollstreckungsverfahrens gegen den Gläubiger geltend machen, daß der zur Vollstreckung gebrachte Anspruch oder die Leistungspflicht nicht bestehe oder nicht bestanden habe, so muß er den Nichtbestand des Anspruchs oder der Leistungspflicht beweisen und in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen vorbringen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage vorzubringen vermag."
Nach meinem Sprachverständnis bringt das Wort „vermögen" die subjektive Wendung noch stärker zum Ausdruck als das „imstande sein" in § 767 Abs. 3 ZPO. Eine ausdrückliche Stellungnahme findet sich allerdings in der Begründung nicht. IV. Rechtskraftergänzende Präklusion 1.
Rückforderungsklage
Dem Urteil des B G H v. 30. 5. I960 70 ist mit Henckel71 durchaus im Grundsatz darin zuzustimmen, daß es eine Rechtskraftwirkung im Verhältnis von erster - erfolgloser - Vollstreckungsgegenklage und 68 O L G Zweibrücken N J W 1991, 3041, 3042; Brox/Walker (Fn. 23) Rdn. 1359; M ü n c h K o m m Z P O - S c ¿ m ¿ ¿ í (Fn. 10) § 769 Rdn. 4; ZöllerlHerget (Fn. 24) § 769 Rdn. 1; ablehnend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann (Fn. 21) § 769 Rdn. 1.
" Bötticher, Anm. zu L G Göttingen M D R 1949, 236, 237 f; O L G Hamburg 1970, 426; M ü n c h K o m m Z P O - ^ r w o W (Fn. 10) § 765 a Rdn. 10; Stein/Jonas/Münzberg (Fn. 17) § 765 a Rdn. 8; Zöller/Stöber (Fn. 24) § 765 a Rdn. 14. 70
von
N J W 1960, 1460 f = Z Z P 74 (1961), 187 ff mit im Grundsatz zustimmender Anm. Zeuner.
" Ebenso Arwed Blomeyer, Zivilprozeßrecht, Vollstreckungsverfahren, 1975, § 33 V I I 2 b (S. 137); MünchKommZPO-Sc/wíú/r (Fn. 10) § 767 Rdn. 96 und 98; Münch (Fn. 17) S. 354 ff.
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nachfolgender Rückforderungsklage anerkannt hat. Demgegenüber verneint ein Teil des Schrifttums in einem solchen Falle lediglich das Verschulden i. S. der §§ 823 ff B G B bzw. die Bösgläubigkeit i. S. des § 8 1 9 Abs. 1 B G B auf Seiten des Vollstreckungsgläubigers72 oder plädiert gar für eine völlige Freigabe materiellrechtlicher Ausgleichsansprüche73. Für eine weitergehende Präklusionswirkung bedürfe es eines gesonderten Feststellungsantrages74. Es vermag in dem Eingangsbeispiel allerdings nicht einzuleuchten, warum dem Κ eine zweite Vollstreckungsgegenklage verwehrt sein sollte, nicht aber eine Rückforderungsklage, wenn man die objektive Präklusion für richtig hält. Sicher handelt es sich bei einer Vollstreckungsgegenklage und einer Rückforderungsklage angesichts der unterschiedlichen Anträge nicht lediglich um das „kontradiktorische Gegenteil" 75 . Der B G H hat es sich aber auch zu einfach gemacht, wenn er schlicht von einer Vorgreiflichkeit ausgeht, wie sie beispielsweise zwischen der Feststellung des Eigentums und der darauf gestützten Herausgabeklage besteht. Die nach Ansicht des B G H allein ausgesprochene Rechtsfolge: die Vollstreckung des Titels sei nicht unzulässig, besagt nicht zugleich, daß die Vollstreckung im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner materiellrechtlich rechtmäßig ist. Zu einer unmittelbaren Präjudizialität gelangt man nur, wenn man den Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage und damit die ausgesprochene Rechtsfolge materiellrechtlich anreichert, wie es u. a. Kainz vorgeschlagen hat76, oder wenn man die Brücke zwischen den Rechtsfolgen mit Hilfe des Sinnzusammenhangs77 schlägt, die in der gemeinsamen Vorfrage besteht, ob der titulierte Anspruch noch bestanden hat und damit den Vollstreckungsbetrieb rechtfertigte78. Uberhaupt nicht überzeugt mich allerdings die bereits dargestellte Auffassung von Kainz, der eine zweite Vollstreckungsgegenklage in dem Ausgangsfall in objektiver Interpretation des § 767 Abs. 3 ZPO scheitern lassen würde, aber in subjektiver Interpretation der Rechtskraftwirkung eine Rückforderungsklage zuließe79. Gegen diese gespaltene Lösung spricht vor allem, daß sie zu einer Fortsetzung der Voll72 Stein/Jonas/Münzberg (Fn. 17) § 767 Rdn. 57 mit Fn. 220; Brox/Walker (Fn. 23) Rdn. 1373 ff. 73 Gerhardt (Fn. 23) § 15 III 2 (S. 211); Gaul, JuS 1962, 1, 2, 6. 74 Brox/Walker (Fn. 23) Rdn. 1318; Jauernig (Fn. 23) § 12 V unter V (S. 53); Münzberg, ZZP 87 (1974), 451 (unter I 2) und 458 (unter II 4). 75 Dazu allgemein B G H v. 7. 7. 1993, LM § 322 Nr. 135 mit Anm. von Grunsky = N J W 1993, 2684, 2685. 76 (Fn. 35) S. 120 ff mit weiteren Nachweisen; siehe zu den Begründungsansätzen auch Otto, JA 1981,606, 607 f. 77 leuner, ZZP 74 (1961), 190 ff; Otto, J A 1981, 606, 608. 78 Henckel(Fn. 1) S. 226. 79 Oben unter III 1 c.
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Streckung auch dort führt, wo deren Rechtswidrigkeit schon festgestellt werden kann. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Durchsetzung der Rückforderung eventuell an der finanziellen Lage des vollstreckenden Gläubigers scheitert. Deshalb ist auch bei einem subjektiven Verständnis des § 767 Abs. 3 Z P O ebenso richtig, daß der zulässige Streitstoff für eine zweite Vollstreckungsgegenklage und für die Rückforderungsklage harmonisiert werden müssen80. Ganz unabhängig von der Frage der Reichweite der Präklusion überrascht es nun, daß der B G H ohne klare Abgrenzung zu dem Urteil von I960 81 die Rechtskraftwirkung einer erfolglosen ersten Vollstreckungsgegenklage abgelehnt hat, wenn es sich bei dem angegriffenen Titel nicht um eine der Rechtskraft fähige gerichtliche Entscheidung handelt, sondern lediglich um einen sonstigen Vollstreckungstitel, insbesondere um eine vollstreckbare Urkunde 82 . Vollstreckt der Gläubiger ζ. B. aus einer Unterwerfungsurkunde für eine Sicherungsgrundschuld über 50 000 DM, und macht der Schuldner mit einer Vollstreckungsgegenklage ohne Erfolg geltend, daß bereits ein Betrag von 20 000 DM auf die Grundschuld bezahlt sei, so kann doch im Falle der nunmehrigen Vollstreckung keine Rückforderung in Betracht kommen. Andererseits wird ohne zusätzlichen Feststellungsantrag selbstverständlich nicht mit Rechtskraftwirkung festgestellt, daß eine Sicherungsgrundschuld über 50 000 DM bestehe. Die Situation ist insoweit mit der Teilklage vergleichbar. Hier ist es - nahezu unbestritten83 - richtig, daß der Kläger sich bei einer erfolgreichen Teilklage auf diesen Erfolg bei einer Nachforderungsklage nicht mit Rechtskraftwirkung zu Lasten des Beklagten berufen kann84. Vielmehr geht er das Risiko ein, einen zweiten Prozeß um den nicht eingeklagten Teil zu verlieren. 2. „Unechte"
Vollstreckungsgegenklage
Wenig einleuchtend ist auch die Behandlung der Rechtskraftwirkung einer „ unechten " Vollstreckungsgegenklage in eingeschränkter Analogie zu § 767 ZPO. Der B G H zählt hierzu den Fall, daß aus einem nicht der Rechtskraft fähigen Urteil vollstreckt wird85. Der Entscheidung lag der 80 Die subjektive Färbung unterscheidet die Präklusion gemäß § 767 Abs. 3 ZPO umfangmäßig von dem Regelfall der Rechtskraft-Präklusion; sie ist gleichwohl nicht „rechtskraftfremd" (so Burgard Z2.P 106 [1993], 23, 37 f), weil sie nicht mehr an die Klageerhebung, sondern an das Urteil anknüpft.
" Siehe die Nachweise Fn. 70. 82 L M § 767 Z P O N r . 64 = F a m R Z 1984, 878 ff. 8J Zweifelnd Leipold, FS Zeuner, 1994, S. 431, 445 ff. 84 Vgl. Henckel (Fn. 1 ) S . 172. 85 B G H v. 18. 11. 1993, N J W 1994, 460 ff = JuS 1994, 528 f mit Kommentar von K. Schmidt, der die Heranziehung von § 767 Abs. 3 Z P O kritisiert = Z Z P 107 (1994) 365 ff mit kritischer Anm. von Foerste..
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folgende Sachverhalt zugrunde: Der Gläubiger hatte in drei Teilklagen mit rechtskräftigen Versäumnisurteilen Erfolg gehabt, obwohl der jeweilige Streitgegenstand nicht hinreichend bestimmt war. Eine erste „echte" Vollstreckungsgegenklage des Schuldners gegen die Urteile war erfolglos geblieben; das Gericht erkannte den Fehler nicht, was angesichts des jeweils eindeutig tenorierten Leistungsbefehls nicht sonderlich verwundert. Nunmehr wurde erneut - diesmal mit Erfolg - Klage erhoben, die der B G H in der Revisionsinstanz als unechte Vollstreckungsabwehrklage identifizierte. Diese Klage scheitere weder an § 767 Abs. 2 noch Abs. 3 ZPO 8 6 . Beide Präklusionsnormen schieden wegen der mangelnden Rechtskraft-Tauglichkeit der zu vollstreckenden Versäumnisurteile aus. Im übrigen hätten die echte und die unechte Vollstreckungsgegenklage ganz unterschiedliche Streitgegenstände. Diese Begründung überzeugt deshalb nicht, weil auch der prozessuale Mangel der Versäumnisurteile durch die Rechtskraft der ersten Vollstreckungsgegenklage überdeckt worden sein könnte. Hätte der Schuldner die erste Vollstreckungsgegenklage beispielsweise sowohl mit der Unbestimmtheit des Titels als auch mit einer nachträglichen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung begründet, so müßte deren rechtskräftige Abweisung doch zwangsläufig bedeuten, daß der Schuldner dieselben Einwendungen nicht noch einmal zur Überprüfung stellen kann. Daß ein bereits vorhandener Mangel nicht erkannt worden ist, ändert grundsätzlich an der Rechtskraftwirkung nichts. Rechtfertigen ließe sich der Erfolg der zweiten „unechten" Vollstreckungsgegenklage meines Erachtens nur, wenn man zu der Auffassung gelangt, daß der Schuldner zur Geltendmachung des prozessualen Einwands subjektiv nicht imstande war. Dies kann man trotz der anwaltlichen Vertretung vielleicht bejahen, weil dieser Fehler weder von dem das Leistungsurteil sprechenden Spruchkörper noch bei der ersten Vollstreckungsgegenklage erkannt worden war. Eine Prüfung der Rechtskrafttauglichkeit des Titels von Amts wegen kann meines Erachtens in einem zweiten Durchgang bei hinreichender Vollstreckungstauglichkeit nicht geboten sein. V. Zusammenfassung 1. Der Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage umfaßt „global" sämtliche bis zur letzten „Tatsachenverhandlung" objektiv entstandenen Einwendungen. Zur besonderen Behandlung der Gestaltungsrechte kann hier nicht Stellung genommen werden 87 . Die Zulassung neuer " NJW 1994, 462. Kritisch dazu Foerste, ZZP 107 (1994), 374 f. »7 Otto, Die Präklusion, S. 163 ff, und JA 1981, 649, 651 ff; speziell zur Prozeßaufrechnung Henckel, ZZP 74 (1961), 165 ff.
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Einwendungen nach Klageerhebung richtet sich deshalb nicht nach § 263 Z P O , sondern nach den allgemeinen Normen über die innerprozessuale Präklusion von Angriffs- und Verteidigungsmitteln. 2. Außerprozessual ist die am globalen Streitgegenstand ausgerichtete Rechtskraftwirkung nach Maßgabe des § 767 Abs. 3 Z P O „subjektiv" geprägt. Die Einwendungen sind daher für eine folgende Vollstrekkungsgegenklage nur ausgeschlossen, wenn sie dem Schuldner zumindest bekannt sein mußten 88 . Soweit der Schuldner wegen schuldhafter Säumnis mit Einwendungen präkludiert ist, kann er auch keine Korrektur mit Hilfe des § 826 B G B erreichen, wenn aus einem materiell unrichtigen Titel vollstreckt ist oder wird. 3. Diese Einschränkung der objektiven „Rechtskraft-Präklusion" gilt grundsätzlich wegen der gebotenen Harmonisierung auch für die „verlängerte Vollstreckungsgegenklage" und die „unechte" Vollstreckungsgegenklage. Die rechtskraftergänzende Präklusion ist also ausnahmsweise ebenfalls subjektiv gefärbt.
" Zur Nachforschungslast, der Rücksichtnahme auf Beweisschwierigkeiten und der Frage des Verschuldens bei subjektiven Präklusionsnormen vergleiche Otto, Die Präklusion, S. 136 ff.
Zum Verhältnis von Kindesrechten und Vertretung H A N S - M A R T I N PAWLOWSKI
I. Z u m Problem Bestrebungen um den Ausbau des Schutzes der Kinder und der Kindesrechte haben Konjunktur. Die Zahl der wohlmeinenden Stimmen wächst, die meinen, daß es endlich an der Zeit sei, Rechte des Kindes gegen die Eltern anzuerkennen 1 . Und Entscheidungen, die darauf hinweisen, daß es besser sei, ein Kind in der Obhut der Eltern zu belassen, auch wenn dabei vermeintliche und wirkliche Nachteile in Kauf genommen werden müßten 2 , werden seltener. Motor dieser Entwicklung sind nicht zuletzt internationale Konventionen wie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 3 und jetzt die UN-Kinderrechtskonvention 4 , die in zunehmenden Maße auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts prägen - auch wenn sie dort nicht immer ausdrücklich zitiert werden 5 . Das Bemühen, unser Recht diesen Kon' So u. a. R. Lemmp, FamRZ 1989, S. 16 ff oder Richter (Alternativ-Kommentar zum G G , 1984, Art. 6 Rdn. 35), der im Recht der elterlichen Sorge die „Herstellung eines Ausgleichs zwischen Eltern- und Kindesrechten" vermißt. Auch D. Reuter (AcP 192, S. 107 ff, 112 ff) weist zwar zunächst darauf hin, daß die Entstehungsgeschichte des Art. 6 II G G keinen Zweifel daran lasse, daß dieses Grundrecht die bürgerliche Ideologie vom Eltern/KindVerhältnis habe rezipieren sollen, nach der die Elternautonomie dem Kindesinteresse entspreche - und bemerkt dazu noch, daß sämtliche Beobachter der Entwicklung der ElternKind-Beziehung darin übereinstimmen, daß die sog. Kindorientierung der Eltern wachse. Er tritt dann aber dennoch dafür ein, den staatlichen Schutz des „urteilsfähigen Kindes" gegen die Eltern auszubauen und daher dem über 14-jährigen Kind u.a. ein selbständiges Antragsrecht im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zuzubilligen: Weil sich der Gehalt der Grundrechte im Laufe der Zeit ändern könne; dazu näher unten II 3 c zu Fn. 40 ff. 2 So das B a y O b L G FamRZ 1993, S. 1350 ff: Weil es nicht Aufgabe des staatlichen Wächteramtes sei, die „beste Erziehung" zu gewährleisten. 5 Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4. 11. 1950 - der ζ. B. nach der Auffassung von A. Brötel die Praxis unserer Vormundschaftsund Familiengerichte noch nicht genügend Rechnung trägt (Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens. Diss. Heidelberg 1991; zust. K. Eben, Fam RZ 1994, S. 273 ff). 4 Convention on the Rights of the Child v. 20. 11. 1989, ratifiziert am 17. 1. 1992, in der Bundesrepublik in Kraft seit dem 5. 4. 1992; BGBl. II, 1992, S. 900; vgl. auch FamRZ 1992, 5. 253 ff. 5 Wie ζ. B. in dem Urteil des BVerfGs (v. 31. 1. 1989; B V e r f G E 79, S. 256 ff; vgl. dazu noch die folgenden Fn.) über den Anspruch auf Kenntnis der genetischen Abstammung oder in dessen Entscheidung v. 18. 2. 1993 über die verfahrensrechtliche Absicherung der Kindesrechte (BVerfG N J W 1993, S. 2671 f; dazu zu Fn. 8 ff).
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Hans-Martin Pawlowski
v e n t i o n e n anzupassen, f ü h r t das G e r i c h t i m m e r häufiger zu E n t s c h e i dungen, die v o n d e m bisherigen R e c h t nicht u n e r h e b l i c h a b w e i c h e n 6 . D a s gibt A n l a ß z u der F r a g e , o b das B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t bei diesen A n p a s s u n g s b e m ü h u n g e n den S t r u k t u r e n unseres R e c h t e s g e n ü g e n d R e c h n u n g t r ä g t u n d sie nicht o h n e N o t vermeintlich 7
gesamteuropäi-
s c h e n V o r s t e l l u n g e n anpaßt. 1. D i e f o l g e n d e n Ü b e r l e g u n g e n w e r d e n sich dabei auf die B e m ü h u n g e n des B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t s b e s c h r ä n k e n , die stärkere B e t o n u n g der „ K i n d e s r e c h t e " a u c h verfahrensrechtlich
a b z u s i c h e r n . D e n n in d i e s e m
Z u s a m m e n h a n g g e h t es u m die V e r b i n d u n g v o n f o r m e l l e m u n d m a t e r i ' Ein Beispiel dafür ist das bereits genannte „Abstammungsurteil" des BVerfGs (Fn. 5): Dieses scheint auf den ersten Blick nicht nur durch die Art. 8 und 14 EMRK (Fn. 3) gefordert zu sein (vgl. dazu H. Golsong/Wildhaber/Breitenmoser, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention. 2. Lieferung 1992, Art. 8, Rdn. 173 f einerseits und Rdn. 201 f andererseits), sondern auch durch Art. 7 der UN-Kinderrechtskonvention (Fn. 4), wonach das Kind „soweit möglich das Recht (hat), seine Eltern zu kennen ...". Es muß hier dahinstehen, ob diese Artikel tatsächlich dazu zwingen, den Begriff der Abstammung „genetisch" zu verstehen - was ich bezweifle (vgl. dazu noch die nächste Fn. und ausführlich H. Deichfuß, Abstammungsrecht und Biologie. Diss. Mannheim 1991, S. 125 ff). Nicht zu übersehen ist aber, daß diese Entscheidung zu einer Abkehr von der bisherigen Rechtsentwicklung seit 1945 geführt hat, in der sich - in verständlicher Ablehnung der biologisierenden Vorstellungen der NS-Zeit - eine stärkere Betonung der sozialen Bedingtheit der Abstammung durchgesetzt hatte (vgl. dazu die Darstellung von Deichfuß aaO, S. 94 ff). Die Rückkehr zu einer an der Genetik orientierten (also „biologistischen") Betrachtungsweise - die man seltsamerweise als Anerkennung des „Allgemeinen Persönlichkeitsrechts" des Kindes versteht - entspricht zwar u. a. dem Konzept des englischen Rechts (vgl. D. Heinrich, Einführung in das englische Privatrecht, 1971, S. 212) und sie mag auch von unserer jüngeren Vergangenheit her verstänlich sein; sie entfernt sich damit aber nachdrücklich von der westeuropäischen (romanischen) Tradition; vgl. dazu noch die folgende Fn. 7 So liegt auf der Hand, daß die Staaten, die sich der romanischen Rechtstradition verbunden fühlen, nach der anders als bei uns sogar die „Verwandtschaft mit der Mutter" auf einem Anerkennungsakt beruht (und nicht nur auf der Geburt), und nach der die Feststellung einer inzestuösen Vaterschaft gesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. dazu nur die Darstellung von R. Frank, FamRZ 1992, S. 1365 ff), die Hinweise auf die „Kenntnis der Eltern" nicht unbedingt als Hinweis auf „genetische" Beziehungen verstehen werden. Im übrigen sei daran erinnert, daß der „Ausschuß für rechtliche Zusammenarbeit des Straßburger Europarats" am 5. 3. 1979 den Vorschlag eines juristisch-medizinischen Sachverständigengremiums übernommen und eine Gesetzesinitiative zur Regelung der heterologen Insemination im Bereich der Mitgliedstaaten ergriffen hatte, nach der die Anonymität des Samenspenders gewährleistet sein und jede verwandtschaftliche Bindung und Bindungsmöglichkeit zwischen Kind und Samenspender ausgeschlossen sein sollte (vgl. dazu nur nur die Darstellung bei D. Giesen, FamRz 1991, S. 413 ff). Und wenn dieser Vorschlag auch nicht übernommen worden ist, so sehen doch auch die am 3. 4. 1987 verabschiedeten Empfehlungen des von dem Ministerrat eingesetzten ad hoc „Committee of experts on progress in the biomedical sciences" (CAHBI) vor, daß im Falle der Ei- oder Samenspende keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Spendern entstehen, sondern nur zwischen dem (Ehe-)Paar und dem Kind (vgl. die vom Sekretariat des Europarates 1993
Zum Verhältnis von Kindesrechten und Vertretung
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ellem Recht und um die Fortentwicklung des Parteibegriffs - w o z u der Jubilar immer wieder wertvolle Beiträge geliefert hat 8 . Problematisch ist hier der Beschluß der 3. K a m m e r des 1. Senats v o m 18. 2. 1993 (Fn. 5), der eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz aufhob, die in einer Sorgerechtssache den Antrag eines Vaters abgelehnt hatte, eine Besuchsregelung zu treffen, nach der sein 5jähriger Sohn bei ihm nicht nur einmal, sondern auch zweimal übernachten sowie auch einmal mit ihm in Urlaub fahren können soll: Weil das O L G darauf verzichtet hatte, das Kind zu diesem Antrag zu hören. Die K a m m e r führte dazu aus, daß es bei den Sorgerechtsverfahren um die Konkordanz der Grundrechte der Mutter, des Vaters und des Kindes gehe - was auch bei der Ausgestaltung des Verfahrens zu berücksichtigen sei. Daher sei bei der Entscheidung über die Sorgerechtsregelung nicht nur der Wille der Eltern, sondern auch der Wille des Kindes zu berücksichtigen - natürlich nur, soweit dies mit seinem W o h l vereinbar sei (!). Voraussetzung dafür sei aber, daß das Kind im Verfahren die Möglichkeit erhalte, seine persönliche Beziehung zu den Eltern erkennbar werden zu lassen 9 . Die Entscheidung scheint allerdings einmal der Praxis der E u r o päischen Kommission für Menschenrechte ( E K M R ) zu entsprechen, die u. a. die Beschwerde eines 14jährigen Mädchens angenommen hat 10 , das seinen Eltern entlaufen und gegen seinen Willen von der Polizei zu diesen zurückgebracht worden war (dazu aber noch unten zu Fn. 3 7 f). an alle Mitgliedsregierungen versandte Dokumentation über „Human artificial procreation", Principle 14, S. 28 ff, 38) - obwohl auch diese Empfehlungen davon ausgehen, daß es vorzuziehen sei, wenn zwischen Eltern und Kind eine biologische Verbindung existiere (vgl. S. 26 aaO). Auch diese Empfehlungen gehen also davon aus, daß sich „Elternschaft" von Rechts wegen primär nach sozialen und nicht nach genetischen (biologischen) Kriterien bestimmt. 8 Es sei nur an seine Habilitationsschrift über „Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß", 1961, an seine Rektoratsrede „Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen". 1966 und an sein großes Werk „Prozeßrecht und materielles Recht", 1970, erinnert. ' So schon die Formulierung in BVerfGE 55, S. 171 ff, 182, wonach „eine Entscheidung, die den Belangen des Kindes gerecht wird, ... in der Regel nur ergehen (kann), wenn das Kind in dem gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten hat, seine Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedenr erkennbar werden zu lassen". In diesem Urteil ging es aber noch nicht um die „Konkordanz der Grundrechte" c da das Urteil erkennbar darauf abstellt, daß es bei der Anhörung des Kindes um die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen gehe, nicht aber um die verfahrensrechtliche Beteiligung des Kindes. In der Entscheidung vom 18. 2. 1993 (Fn. 5) stellt das BVerfG dagegen darauf ab, daß das Verfahren so beschaffen sein müsse, daß es geeignet sei, „der Durchsetzung der materiellen Grundrechtspositionen möglichst wirkungsvoll zu dienen" und verstärkte damit jedenfalls frühere Tendenzen. 10 Vgl. IntYLommEMKK./Wildhaber/Breitenmoser (Fn. 6), Art. 8, Rdn. 39 f (NL); der Sache nach hatte die Beschwerde wegen des Eingriffs in das Privatleben keinen Erfolg, weil die Kommission den Eingriff zum Schutze der Gesundheit und der Moral für zulässig hielt.
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Und sie scheint vor allem auf den ersten Blick auch durch Art. 12 1 der UN-Kinderrechtskonvention geboten zu sein, der bestimmt, daß die „Vertragsstaaten ... die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife" berücksichtigen sollen. Berücksichtigt man aber Absatz II dieser Bestimmung, so entfällt die anfängliche Evidenz. Denn danach wird „zu diesem Zweck ... dem Kind insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen das Kind berührenden Gerichtsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreten11 oder eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden". Es wird daher zu überlegen sein, ob das Gericht das in der Konvention enthaltene materiellrechtliche Gebot, die Meinung des Kindes zu berücksichtigen, nicht zu vorschnell in die verfahrensrechtliche Verpflichtung überführt hat, das Kind nun auch persönlich an dem Verfahren zu beteiligen - worauf die Rede von der notwendigen „Konkordanz der Rechte der Eltern und des Kindes" hinweist12. Man kann nämlich mit Fug daran zweifeln, daß die angesprochene Entwicklung das Wohl der Kinder tatsächlich fördert oder sogar meinen, daß sie gerade zum Gegenteil führe: So sprechen u. a. Goldstein/Solnitu von einem „Zwang zum Verrat an einem Elternteil" und U.-J. Joptu von einem „Etikettenschwindel mit der Menschenwürde des Kindes". Und auch R. Ballhoffl5, der die Ausweitung der Anhörung des Kindes der Sache nach positiv beurteilt 16 , plädiert für Anhörungen ohne Eltern, für Anhörungen bei Hausbesuchen oder für Beobachtungen in " Hervorhebung vom Verf. 12 Es ist zwar denkbar, daß es dem BVerfG bei seiner Entscheidung nur darum ging, daß man den Minderjährigen überhaupt jeweils anhört und daß es im übrigen die Frage, ob dies im Zusammenhang der Ermittlung und Beweisaufnahme (§ 12 FGG) oder im Rahmen einer Verfahrensbeteiligung geschehen soll, den Fachgerichten überlassen wollte. Dafür spricht u. a., daß Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention nur verlangt, „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seines Alters" zu berücksichtigen. Und von „Meinungen" kann man sehr wohl im Rahmen eines Ermittlungs- und Beweisverfahrens ausreichend Kenntnis erlangen. Nach der Begründung der Entscheidung soll sich die Pflicht zur Anhörung des Kindes aber aus der Notwendigkeit ergeben, eine Konkordanz zwischen den Grundrechten der Eltern und des Kindes herzustellen - und in diesem Zusammenhang kommt es nicht auf die „Meinungen", sondern auf den „Willen" der Rechtsträger an: Die Entscheidung statuiert demnach eine Pflicht, den Minderjährigen (wie die Eltern) an dem Verfahren zu beteiligen - und nicht nur im Rahmen einer Beweisaufnahme anzuhören. Wenn Eltern sich trennen: was wird aus den Kindern? Stuttgart 1989, S. 80. Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechts. Hamburg 1992, S. 106. 15 FuR 1994, S. 9 ff. 16 Weil er auch meint, daß die Anhörungen infolge der wachsenden Demokratisierung für die Kinder „weniger belastend" seien (?). 13 14
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einem Spielzimmer, wie es bereits in Berlin eingerichtet worden sei. Und diese Formen der Anhörung haben naturgemäß nichts mit einer Verfahrensbeteiligung des Kindes zu tun 17 , die der Wahrung der Rechte des Kindes dient, weil das Kind durch sie als „Subjekt" anerkannt wird. Das Kind stellt sich bei dieser Art der „Anhörung" vielmehr als „Objekt" der Ausforschung dar, durch dessen Beobachtung und Befragung der Richter die Informationen erlangt, die er für seine Entscheidung braucht. 2. Was also an dieser Entwicklung bedenklich stimmt, ist, daß das Bundesverfassungsgericht meint, eine Konkordanz zwischen den Grundrechten der Eltern und des Kindes herstellen zu müssen, was dann Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Sorgerechtsverfahrens haben soll: Denn diese Formulierung weist augenscheinlich in eine Richtung, in der nicht nur die gesetzliche Vertretung der Kinder durch ihre Eltern entfällt, die für unser Recht typisch ist, sondern in der sich darüberhinaus das Privatrecht und die privaten Rechte insgesamt nicht mehr als Gebiet der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung 18 darstellen, sondern als ein Bereich der hoheitlich kontrollierten Ausübung der dem einzelnen zugewiesenen Rechte. Denn nach der Regelung, die sich damit entwickelt, hat der Wille eines 5jährigen Kindes im Vertragsrecht weiterhin überhaupt keine Bedeutung - auch wenn es dabei um Entscheidungen von geringer Tragweite geht, wie ζ. B. um den Kauf einer Portion Eis - , während dieser Wille bei den Entscheidungen beachtlich sein soll, bei denen es um sein Schicksal geht - nämlich bei den Entscheidungen über die Sorgerechtsverteilung. Eine derartige Regelung ist aber nur verständlich, wenn man den „Willen" nicht wie bisher als einen Zurechnungstatbestand versteht - also als eine Erscheinung, aufgrund deren der einzelne Handlungen oder Erklärungen zu verantworten hat 19 - , sondern als Ausdruck von Wünschen, die dann von den Behörden erfüllt werden, soweit diese dies meinen verantworten zu können. Denn nur unter dieser Voraussetzung ist es plausibel, daß man sich bei grundlegenden Entscheidungen auch von Staats wegen darum bemühen soll und bemüht, auch den Wünschen eines Kindes so weit wie möglich Rechnung zu tragen, während man die Erfüllung der „kleinen" Wünsche dem Ermessen der unmittelbar Beteiligten überläßt. Geht es dagegen um Fragen der Rechte und der rechtlichen Handlungsfähig-
17 Worauf R. Ballhof auch hinweist; er empfiehlt denn auch, diese Verfahrensbeteiligung bei den Sorgerechtsverfahren durch einen „Anwalt des Kindes" wahrnehmen zu lassen, um so Art. 22 II der UN-Kinderrechtskonvention Rechnung zu tragen. 18 Vgl. dazu Pawlowski, Allgemeiner Teil des B G B , 4. Aufl. 1993, Rdn. 7 ff. " Vgl. dazu nur Pawlowski, A T (Fn. 18), Rdn. 162 ff, 349 ff.
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keit 2 0 - u n d d a m i t u m F r a g e n d e s Willens
und
der
Verantwortung
-,
d a n n ist es w i d e r s i n n i g , K i n d e r n diese K o m p e t e n z bei w e n i g e r w i c h t i gen F r a g e n a b z u e r k e n n e n , sie i h n e n a b e r bei E n t s c h e i d u n g e n ü b e r i h r eigenes S c h i c k s a l z u z u s p r e c h e n : W e n m a n n o c h n i c h t e i n m a l f ü r f ä h i g hält, die V e r a n t w o r t u n g f ü r d i e E n t s c h e i d u n g e n des t ä g l i c h e n L e b e n s z u ü b e r n e h m e n , d e m k a n n m a n k e i n e s f a l l s d i e V e r a n t w o r t u n g f ü r sein Schicksal zusprechen21. 3. D i e F e s t s t e l l u n g des B u n d e s v e r f a s s u n g s g e r i c h t s , d a ß es in d e n S o r g e r e c h t s v e r f a h r e n u m eine K o n k o r d a n z d e r ( G r u n d - ) „ R e c h t e " d e r E l t e r n u n d d e s K i n d e s gehe, d i e d a n n d e r R i c h t e r - g e w i s s e r m a ß e n als n e u t r a l e r D r i t t e r - in seiner Entscheidung herzustellen habe, leuchtet j e d o c h n u r s o l a n g e ein, als m a n die S a c h e s e h r a l l g e m e i n b e t r a c h t e t - u n d d a m i t o b e r f l ä c h l i c h . Es w i r d z w a r n i e m a n d b e s t r e i t e n , d a ß s o w o h l d i e E l t e r n als a u c h i h r e K i n d e r T r ä g e r v o n G r u n d r e c h t e n sind, d i e R e c h t u n d S t a a t a n z u e r k e n n e n h a b e n . Es ist a b e r eine g a n z a n d e r e F r a g e , w a s sich d a r a u s f ü r die A u s g e s t a l t u n g des V e r f a h r e n s in V o r m u n d s c h a f t s s a c h e n e r g i b t : D e n n aus d e r F e s t s t e l l u n g , d a ß E l t e r n u n d K i n d e r g l e i c h e r m a ß e n T r ä g e r 20 D. h. also um die Frage, wer für bestimmte Handlungen oder Erklärungen haften soll - da die Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit einer (natürlichen oder juristischen) Person zunächst einmal die Funktion hat, ein Haftungssubjekt zu konstituieren; vgl. dazu nur Pawlowski, AT (Fn. 18), Rdn. 100 ff und ausführlich U. John, Die organisierte Rechtsperson. 1977, S. 221 ff. 21 Der hier kritisierten Entwicklung entspricht allerdings auch die Rechtsprechung des BGH zu den personenbezogenen Erklärungen des Minderjährigen (wie z. B. die Einwilligung in eine Operation: BGHZ 29 S. 33 ff, 36 und im übrigen die Darstellung bei D. W. Belling, FuR 1990, S. 68 ff oder D. Reuter, AcP 192, S. 107 ff, 129 ff mit weiteren Nachw.), nach denen diese keine „Willenserklärungen", sondern (nur) „Willenshandlungen" sein sollten — so daß es für ihre Wirksamkeit nur auf die „natürliche Einsichtsfähigkeit" und nicht auf die Geschäftsfähigkeit ankommen soll. Man kann diesen Entscheidungen zwar insofern im Ergebnis zustimmen, als sie dazu führen, daß Ärzte, die Minderjährige mit deren Einwilligung behandelt (und auch von diesen bzw. von deren Versicherungen eine Vergütung erhalten) haben, sich nicht deshalb strafbar gemacht haben, weil sie sich nicht darum gekümmert haben, ob auch die Eltern der Behandlung zugestimmt haben - oder als sie dazu führen, daß Minderjährige nicht ohne ihre persönliche Einwilligung ärztlich behandelt werden dürfen. Dennoch ist nicht zu verkennen, daß die von der Rechtsprechung gewählte dogmatische Begründung dieser Ergebnisse zu gravierenden „Wertungswidersprüchen" führt, weil sie dem Minderjährigen auch die Verantwortung für diese Entscheidungen zuweist, obwohl man diesem weiterhin die Fähigkeit abspricht, sich selbständig für den Kauf einer Portion Speiseeis zu entscheiden (gegen diese Rechtsprechung daher zu Recht W. Flume, Das Rechtsgeschäft. 3. Aufl. 1979, S. 213; vgl. auch Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 2. Aufl. 1991, Rdn. 712). Dieser Wertungswiderspruch führt zwar in diesen Fällen nicht direkt zu praktischen Folgen, weil die Rechtsprechung gewissermaßen eine Grauzone schafft: Nach ihr sind die Einwilligungserklärungen des Minderjährigen wirksam, während der Behandlungsvertrag - offiziell - noch der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bedarf. In der hier diskutierten Frage der Verfahrensfähigkeit geht es dagegen von vornherein um die Verantwortung des Minderjährigen; vgl. dazu noch unten Fn. 40 ff.
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von Grundrechten sind, folgt noch nicht, daß es nun in den Verfahren in Vormundschaftssachen oder gar in dem Verfahren über die Verteilung der elterlichen Sorge um diese Grundrechte geht. Dies kann vielmehr erst eine Analyse der Aufgaben zeigen, die in diesem Verfahren zu erfüllen sind. Denn man braucht in diesen Verfahren nur dann eine Konkordanz zwischen den Rechten der Eltern und denen des Kindes herzustellen, wenn es in ihnen darum geht, diese Rechte gegeneinander abzugrenzen. Letzteres ist aber - wie sich noch zeigen wird - keineswegs der Fall, da Gegenstand der Sorgerechtsverfahren immer „das Recht des Kindes auf Erziehung" (bzw. das Wohl des Kindes) ist22 - und nicht die Grundrechte der Eltern. Wenn man also feststellen will, wie man in Ubereinstimmung mit der E M R K (Fn. 3) und der U N - K i n derrechtskonvention (Fn. 4) auch verfahrensrechtlich einen effektiven Schutz der Rechte der Kinder gewährleisten kann, muß man daher zunächst klären, welche prozessuale Rollenverteilung den materiellen Aufgaben entspricht, um die es in den Sorgerechtsverfahren geht. II. Die Rollenverteilung im Verfahren in Vormundschaftssachen 1. Hierzu kann man zunächst feststellen, daß die verschiedenen vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zu den sog. klassischen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (fG) gehören, in denen die Justiz Aufgaben wahrzunehmen hat, die materiell der Verwaltung zuzuordnen sind23. Dies gilt auch für die Sorgerechtsverfahren - selbst wenn die Eltern in ihnen de facto untereinander über ihre Beteiligung an der Erziehung der Kinder streiten mögen. Denn auch bei einem „Streit der Eltern über die Erziehung" geht es in diesen Verfahren rechtlich immer nur um die Bestimmung dessen, was dem „Wohl des Kindes" entspricht, und nicht um die Abwägung zwischen den Interessen der beiden Erzieher und denen des Kindes. Die Streitigkeiten oder Spannungen, um die es in diesen Fällen geht, betreffen nicht das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, sondern das Verhältnis der Eltern untereinander (oder zum Vormundschaftsgericht): Man streitet sich darüber, wer dazu legitimiert ist, für das Kind zu entscheiden und zu sprechen, nicht aber darüber, wozu das Kind berechtigt ist. Das Sorgerechtsverfahren wird also auch durch einen „faktischen Streit" der Eltern nicht zu einem „Streitverfahren" der fG: Weil die Eltern in ihm weiterhin nicht ihre Interessen geltend machen und nichts für sich beanspruchen können, sondern nur etwas für das Kind. Die Eltern mögen in diesen Verfahren
Vgl. Pawlowski/Smid, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 1993, Rdn. 26. Vgl. nur Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 22 ff, 26 ff oder W. Brehm, Gerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1993, Rdn. 11 ff. 12 23
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also durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten, sie machen dabei aber dennoch beide nur das Interesse des Kindes geltend24 - wie es dem treuhänderischen Charakter des elterlichen Erziehungsrechtes entspricht, auf den das Bundesverfassungsgericht wiederholt hingewiesen hat25. Gegenstand der Sorgerechtsverfahren ist demnach immer das Recht des Kindes auf Erziehung - wie es § 1 SGB VIII 26 gesetzlich fixiert, wonach „jeder junge Mensch ... ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" hat. Das Kind ist daher notwendig an diesen Verfahren beteiligt (Art. 103 GG): Weil es in ihnen immer um sein Recht auf Erziehung geht27. 2. Es fragt sich nun, wie sich diese Verfahrensbeteiligung des Kindes zu der der anderen Beteiligten verhält: also zur Beteiligung der Eltern (bzw. des Vormunds etc.), des Jugendamts und des Vormundschaftsgerichts. Hier ist klar, daß nach Art. 6 II 1 GG - wonach „Pflege und Erziehung der Kinder ... das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht" sind - auch die Eltern notwendige Beteiligte dieser Verfahren sind. Daneben sind aber an diesen Verfahren von Verfassungs wegen auch das Jugendamt und das Vormundschaftsgericht zu beteiligen - nämlich nach Art. 6 II 2 GG, wonach die staatliche Gemeinschaft über die Betätigung der Erziehungsberechtigten „wacht". Denn diese Aufgabe haben die §§ 69 SGB VIII, 35 F G G , 1666 ff B G B dem Jugendamt und dem Vormundschaftsgericht zugewiesen, die sie im Rahmen der ihnen übertragenen Kompetenzen28 wahrzunehmen haben. Das Nebeneinander dieser Beteiligungen läßt dabei zunächst einmal erkenVgl. Pawlowski/Smid, FGG (Fn. 22), Rdn. 26, 40. BVerfGE 59, S. 360 ff, 384; 24, S. 119 ff; 143; dazu A. Dieckmann, AcP 178, S. 298 ff; Th. Ramm, Jugendrecht, 1990, § 42 I, S. 270 mit Nachw. Ramm empfiehlt, hier den Begriff der „Elternverantwortung" zu verwenden - wie es jetzt weithin geschieht. A. Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 263 ff, 267 ff meint zwar, sich gegen diese einseitige, nur die Interessen des Kindes betonende Auslegung wenden zu müssen, und weist darauf hin, daß die elterliche Sorge zunächst ein „eigennütziges Recht" sei. Dies trifft insoweit zu, als es von den Eltern her gesehen durchaus ihrem Interesse entspricht, daß Pflege und Erziehung der Kinder ihr natürliches Recht ist, in das der Staat nicht ohne Not eingreifen darf (so auch Gernhuber/Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, 4. Aufl. 1993, § 57 IV, S. 863). Im übrigen hat das Bundesverfassungsgericht aber zu Recht darauf hingewiesen, daß das elterliche Erziehungsrecht „in sich keine Befugnisse enthalte, welche das Kindeswohl gefährden oder vereiteln" können (BVerfGE 59, S. 360 ff, 384). 24
25
Vgl. auch Art. 29 (1) a der UN-Kinderrechtskonvention (Fn. 4). Pawlowski/Smid, FGG (Fn. 22), Rdn. 161. Das heißt allerdings nicht, daß das Kind an diesen Verfahren immer persönlich teilnehmen muß: So bezweifelt niemand, daß jedenfalls bei Säuglingen die Vertretung durch ihre Eltern ausreicht, um das Recht auf Gehör (des Kindes) zu wahren. 28 Zur Parallelität der Aufgaben von Jugendamt und Vormund vgl. Pawlowski/Smid, FGG (Fn. 22), Rdn. 185 ff. 26
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nen, daß es in den vormundschaftsgerichtlichen Verfahren - und insbesondere in den Sorgerechtsverfahren - zunächst zwei prinzipiell unterschiedliche Gruppen von Beteiligten gibt29: nämlich einmal die Kinder, die erzogen werden sollen, und zum anderen die Erzieher, nämlich die Personen, die in unterschiedlicher Weise von Rechts wegen die Aufgabe bzw. die Kompetenz haben, die Kinder zu erziehen - also sie in ihrer „Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit" zu fördern (vgl. zu Fn. 26). Die Verbindung der Beteiligungen von Eltern, Jugendamt und Vormundschaftsgericht, die sich aus dem Zusammenhang des Art. 6 II G G ergibt, läßt dann erkennen, daß es weder der Sache noch der Verfassung entspricht, im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich zwischen der Beteiligung des Kindes und der Eltern einerseits und der des Jugendamtes und des Vormundschaftsgerichts andererseits zu unterscheiden - wie es dem Bundesverfassungsgericht vorschwebt, wenn es von der notwendigen „Konkordanz der (privaten) Grundrechte" der Eltern und des Kindes spricht. Denn wenn sich das Erziehungsrecht der Eltern nach unserem Recht auch als subjektives Prmzirecht 30 darstellt, während sich die Befugnisse des Jugendamtes und des Vormundschaftsgerichts aus dem öffentlichen Recht ergeben, so ist dieses Erziehungsrecht doch kein „eigennütziges Recht". Das Erziehungsrecht der Eltern hat vielmehr einen „treuhänderischen Charakter" und begründet eine „Aufgabe" bzw. ein „Amt" der Eltern 31 : Unser Recht erkennt damit eine Kompetenz der Eltern an, wie es sie dann in vergleichbarer Weise (Fn. 28) dem Jugendamt und dem Vormundschaftsgericht zuweist - nämlich die Kompetenz und die Aufgabe, mit den ihnen jeweils zugewiesenen oder sonst zur Verfügung stehenden Mitteln dafür zu sorgen, daß das Recht der Kinder auf Erziehung effektiv gewährleistet wird: Das Bundesverfassungsgericht hat daher zu Recht festgestellt, daß das elterliche Erziehungsrecht „in sich keine Befugnisse enthalte, welche das Kindeswohl gefährden oder vereiteln" (Fn. 25). Im übrigen stehen sich im Verfahren in Vormundschaftssachen zunächst einmal die Erzieher (Eltern, Jugendamt und VormundschaftsDazu ausführlich Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 65 ff. Vgl. nur Gernhuber/Coester- Waltjen, Familienrecht (Fn. 25), § 57 I 1, S. 856. " D. Coester-Waltjen (Familienrecht [Fn. 25], § 57 IV 1, S. 862) wendet sich zwar dagegen, die elterliche Sorge mit W. Müller-Freienfels (Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1995, S. 175 f; zust. W. Habscheid, F a m R Z 1957, S. 111) als „sozialrechtliches A m t " zu charakterisieren - und spricht von einem „arteigenen Familienrecht, das in einer am Inhalt orientierten Sicht als Fürsorgerecht zu qualifizieren ist". Dabei scheint es ihr um die Frage zu gehen, ob sich die inhaltliche Bindung des elterlichen Erziehungsrechtes als „Ausdruck einer publizistischen Gebundenheit" oder als „privatrechtliche Inhaltsbestimmung" darstellt. Dies muß und kann hier dahinstehen. Entscheidend ist, daß die elterliche Sorge sich auf die „Förderung des Kindes" richten soll und dies i. a. auch tut. 29 J0
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gericht) und die zu Erziehenden (die Kinder) gegenüber. Und es liegt auf der Hand, daß man die Aufgabe der Erziehung - also die Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (vgl. zu Fn. 26) - nur im persönlichen Umgang mit dem Kinde erfüllen kann, was für die Aktivitäten aller an der Erziehung beteiligten Personen und Stellen gilt: Es gehört zur Aufgabe der Erziehung, daß man den persönlichen Kontakt mit dem Zögling sucht. Bei der Wahrnehmung der Aufgabe der Erziehung kann es dann zu einem Streit zwischen den Erziehern kommen - also zu einem Streit zwischen Vater und Mutter (vgl. § 1628 BGB), Jugendamt und Eltern32 oder Eltern und Vormundschaftsgericht (vgl. die §§ 1666 ff BGB). Und so wie es Eltern tunlichst vermeiden sollten, etwaige Streitigkeiten vor den Kindern auszutragen oder gar zu versuchen, die Kinder in die Streitigkeiten hineinzuziehen, so spricht auch nichts dafür, daß es der Erziehung der Kinder dient, sie an jedem Streit zwischen Eltern, Jugendamt und Vormundschaftsgericht zu beteiligen. Es wird sich zwar nicht immer vermeiden lassen, die Kinder aus derartigen Streitigkeiten herauszuhalten, weil jeder der Beteiligten seine Entscheidung an dem Wohl des Kindes zu orientieren hat und auch meist orientieren will wozu er Informationen braucht. Und in diesem Zusammenhang mögen auch Anhörungen des Kindes erforderlich sein, um die Meinungen des Kindes zu ermitteln (vgl. Fn. 12 und zu Fn. 16 f). Es spricht aber nichts dafür, daß die „Rechte" der Kinder besser gewahrt werden, wenn man diese immer an diesen Streitigkeiten beteiligt (vgl. Fn. 12). Der Gesetzgeber hat daher in § 50 b II FGG festgelegt, daß auch das über 14jährige Kind nur dann bei seiner Anhörung in geeigneter Weise über den Gegenstand des Verfahrens unterrichtet werden solle, „soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung oder Erziehung zu befürchten sind". Und man kann auch nicht sagen, daß die an der Erziehung beteiligten Personen die Kinder „als Objekt" behandeln oder sie mißachten, wenn sie sich bei Auseinandersetzungen über die richtige Art der Erziehung untereinander einigen, ohne die Kinder zu konsultieren: Wenn die Eltern das Kind aus ihrem Streit heraushalten wollen, braucht das Vormundschaftsgericht (bzw. das Familiengericht) es nicht unbedingt in den Streit der Eltern hinein zu zwingen, wie es das Bundesverfassungsgericht mit der hier diskutierten Entscheidung fordert" (dazu noch unten III 1 a). Z. B. im Rahmen der §§ 8 III oder 42 SGB VIII. Es ist allerdings denkbar, daß das Gericht in dem ihm vorliegenden Fall Zweifel daran hatte, ob die v o m Vater vorgeschlagene Besuchsregelung sich auch nach der Meinung des Kindes als wünschbar darstellte, und daß es meinte, daß dieser Zweifel nicht behoben werden könnte, ohne das Kind selbst zu befragen. Es spricht aber nichts dafür, 32 33
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3 a) Diese Überlegungen legen es also nahe, im Zusammenhang des Vormundschaftsverfahrens und insbesondere der Sorgerechtsverfahren gewissermaßen zwischen zwei Verfahren mit jeweils unterschiedlichen Beteiligungen zu unterscheiden: nämlich zwischen dem Verfahren der Erziehung34 einerseits, in dem es um die faktische Förderung des Minderjährigen geht, und dem Verfahren der Verkehrsregelung zwischen den Erziehern andererseits, in dem es um die rechtliche Förderung des Minderjährigen geht - nämlich um die Wahrung seines Rechts auf Erziehung durch die Bestimmung des (oder der) Erziehungsberechtigen35 und durch die Organisation der Verständigung zwischen den Erziehern. Dem entsprechen dann auch zwei verschiedene Arten der Beteiligung oder Teilnahme: Geht es um das Verfahren der Erziehung, dann geht es immer auch um den persönlichen Kontakt mit den Kindern - ohne Rücksicht auf das Alter - , da es bei der Erziehung immer auch um die Antwort des Zöglings auf die Erziehung geht. In diesem Verfahren, an dem der Minderjährige also teilnimmt, stellt sich daher kein Problem der Weriahrensfähigkeit (also kein Problem der Verantwortung für Verfahrenshandlungen) 36 und auch kein Problem der Vertretung der Kindesrechte. Dem entspricht es denn auch, daß unser Recht dem über 14jährigen Minderjährigen in allen seine Person betreffenden Fällen zwar kein Antragsrecht zubilligt, wohl aber ein Beschwerderecht gegen die Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts (§ 59 FGG) 3 7 : Weil Erziehung als „Hilfe zur Selbstverwirklichung" (Th. LakiesJ38 auf die innere Zustimmung des Minderjährigen angewiesen ist. Und in diesen Zusammenhang (und nicht in den der Verfahrens- bzw. Prozeßfähigkeit) gehört auch die oben Fn. 10 erwähnte Annahme der Beschwerde einer 14jährigen Niederländerin durch die E K M R . b) Bei dem Verfahren über die Verkehrsregelung zwischen den Erziehern ist es dann anders: Hier geht es zwar auch immer um das Recht des Kindes auf Erziehung (Fn. 27); aber hier werden die Kinder in der Wahrnehmung ihrer Rechte durch ihre Eltern vertreten - oder durch die das Kind immer zu befragen - also auch dann, wenn seine Meinung bereits bekannt ist, zumal ja auch noch gar nicht feststeht, daß die Eltern das Kind auch dann zu längeren Besuchen beim Vater oder zu einer Urlaubsreise mit dem Vater veranlassen wollen, wenn das Kind dies nicht wünscht und sich dagegen sperrt. " Vgl. schon Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 162 ff. 35 Um die Bestellung eines Vormunds oder eines Pflegers bzw. um die Beschränkung oder Entziehung der elterlichen Sorge. 36 Soweit es um die persönliche Anhörung des Kindes im Verfahren der Erziehung geht, haben die Eltern kein Recht auf Anwesenheit; der Vormundschaftsrichter braucht sie nicht erst durch einen besonderen Beschluß auszuschließen; vgl. u. a. B G H FamRZ 1986, S. 895 oder G. Schmidt, Handbuch der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1991, Rdn. 168 ff. 37 Dazu Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 67, 162 ff. 38 ZfJR 1991, S. 22 ff.
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sonst zu ihrer Vertretung bestellten Personen: Solange diesen die Vertretungskompetenz nicht entzogen worden ist (vgl. die §§ 1629 II 3, 1666 ff BGB) und soweit das Gesetz dies nicht ausschließt (vgl. die §§ 181, 1629 II, 1975 BGB). Daneben kann in diesem Verfahren dann auch ein persönlicher Kontakt mit den Kindern erforderlich sein - nämlich einmal zur Information der Verantwortlichen im Rahmen der Ermittlung (dazu bereits oben Fn. 9, 12 und noch unten III 1 a), und zum anderen, weil unser Recht den Minderjährigen von einem bestimmten Alter an auch eine beschränkte Verfahrensfähigkeit zuerkennt. Dies kann dann dazu führen, daß der Minderjährige an einem Verfahren doppelt beteiligt ist bzw. „teilnimmt": nämlich einmal persönlich (als Teilnehmer am Verfahren der Erziehung, in dem es nicht auf die „Verfahrensfähigkeit" ankommt) und zum anderen vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter 39 (als notwendiger Beteiligter am Verfahren der Verkehrsregelung zwischen den Erziehern). In diesen Verfahren kann es daher auch dazu kommen, daß von den Beteiligten bzw. von dem teilnehmenden Minderjährigen „für" den Minderjährigen Verschiedenes gefordert wird - was verständlich wird, wenn man sich vor Augen hält, daß in diesem Verfahren gleichzeitig zwei unterschiedliche „Verfahren" durchzuführen sind: Das Verfahren der Erziehung und das Verfahren der Verkehrsregelung unter den Erziehern. c) Man fordert allerdings heute z. T., jedenfalls das „urteilsfähige Kind" den Eltern in einem gewissen Umfang materiell und verfahrensrechtlich gleichzustellen und dem über 14jährigen Kinde im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zumindest de lege ferenda nicht nur ein Beschwerde- (vgl. Fn. 37), sondern ein Antragsrecht zu geben 40 - um so die Selbstverantwortung des Kindes zu stärken. Tb. Ramm4i meinte sogar, daß die gesetzliche Vertretung des Kindes durch die Eltern als „Restfigur der elterlichen Gewalt" entfallen könne - und empfiehlt, „Einzelfälle ... durch eine Einzelentscheidung des Vormundschaftsgerichts über eine Treuhandschaft der Eltern oder eines Elternteils (zu) 39
Vgl. Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 161 ff. « Dazu ausführlich D. Reuter, AcP 192, S. 107 ff, 117 ff. Reuter verweist dabei auf § 7 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung, nach dem das Vormundschaftsgericht in Streitigkeiten über die religiöse Kindererziehung nur aus Antrag eins Beteiligten entscheidet - und nicht wie sonst „von Amts wegen". Diese Regelung kann man jedoch deshalb nicht auf die anderen Felder der elterlichen Sorge übertragen - weil Streitigkeiten, die sich zwischen Eltern und Kindern im Zusammenhang der religiösen Kindererziehung ergeben, Streitigkeiten zwischen mündigen Personen sind (vgl. § 5 des Gesetzes). Danach geht es bei diesen Streitigkeiten nicht um die Bestimmung der Person, deren Entscheidung für das Kind verbindlich ist (die des Vaters, die der Mutter oder die des Vormundschaftsrichters), sondern darum, ob in diesen Fällen überhaupt ein anderer für das Kind entscheiden kann. 41 NJW 1986, S. 1708 ff, 1711; dagegen zu Recht D. Reuter, AcP 192, S. 107 ff, 123 ff mit weiteren Nachw.
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regeln, freilich mit einer der Vermögensgröße angepaßten Überwachung durch das Vormundschaftsgericht". Im übrigen fordert man vielfach die Anerkennung weiterer Teilmündigkeiten - wie sie der Sache nach auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den personenbezogenen Erklärungen des Minderjährigen eingeführt hat (vgl. Fn. 21). Dies müßte jedoch in der Konsequenz dazu führen, daß über die Streitigkeiten zwischen den (teilmündigen) Kindern und den Eltern nicht mehr im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren zu entscheiden wäre, sondern (wie bei einem Rechtsstreit zwischen volljährigen Kindern und Eltern) in einem streitigen Verfahren - wobei es mehr eine Stil- als eine Sachfrage sein würde, ob man diese Streitigkeiten dann den Prozeßabteilungen der Gerichte zuweisen oder sie als sog. echte Streitverfahren bei den Gerichten der fG belassen würde. Beläßt man es aber bei der Unterscheidung von „unmündigen (nämlich nicht voll verantwortlichen) Minderjährigen" und „mündigen (nämlich voll verantwortlichen) Volljährigen", so führt die Zubilligung eines eigenen Antragsrechts des Minderjährigen (D. Reuter) oder die Begründung von Treuhandschaften durch Einzelentscheidungen des Vormundschaftsgerichts (Th. Ramm) nur zur Begründung einer echten Obervormundschaft - bzw. zu einer Aufhebung der Elternautonomie - und nicht etwa zu einem selbständigen Entscheidungsrecht des Minderjährigen 42 . Dies zeigen nicht zuletzt die eingangs genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die davon sprechen, daß man bei Sorgerechtsentscheidungen den „Willen" des Kindes berücksichtigen müsse (Fn. 5 und 9) und dann hervorheben, daß man diesen Willen vielfach mit Hilfe psychologischer Sachverständiger werde feststellen müssen und im übrigen darauf hinweisen, daß man diesen Willen nur insoweit berücksichtigen dürfe, als dies mit dem „Wohl" des Kindes vereinbar sei. Denn dies macht wohl unübersehbar deutlich, daß hier der Terminus „Wille" etwas ganz anderes meint als im Zusammenhang der Lehre von den zivilrechtlichen und prozessualen Wz//e«serklärungen: Denn jeder Vertragspartner oder jede Prozeßpartei würde es sich zu Recht verbitten, wenn ein Gericht mit Hilfe psychologischer Sachverständiger feststellen wollte, was er gewollt hat oder was er will. Wie man es also auch drehen und wenden mag: Der Minderjährige kann auch dann nur das tun, was das Vormundschaftsgericht für richtig hält, wenn dieses in Streitigkeiten zwischen Eltern und Kinder nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Minderjährigen eingreifen kann. Solange man also Eltern und Kinder nicht gleichberechtigt einander gegenüberstellt - mit der Folge, daß dann weder die Eltern noch eine 42
Wie u. a. D. Reuter, AcP 192, S. 107 ff, 120 f meint. " Vgl. auch A. Dieckmann, AcP 178, S. 298 ff, 299 f.
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Behörde oder ein Gericht die Kinder kontrollieren (und damit beschützen) kann - , solange ist zwischen „Erziehung" (faktische Förderung des Kindes) und „Verkehrsregelung zwischen den Erziehern" (Bestimmung des je verantwortlichen Erziehers) zu unterscheiden. Und solange muß man sich darüber klar sein, daß es im Verhältnis von Jugendamt, Vormundschaftsgericht und Eltern auch um einen Kampf um Marktanteile an der Erziehung geht, wie A. Diechmann in einer Diskussion bemerkte 43 - nämlich um einen Wettbewerb zwischen ehrenamtlichen Erziehern (den Eltern) und professionellen (bezahlten) Erziehern. Und es steht keinesfalls fest, daß es dem Wohl der Kinder dient, wenn man den Marktanteil der professionellen Erzieher erhöht. 4. Die in Art. 6 II 1 und 2 G G getroffene Unterscheidung zwischen der Aufgabe der „Pflege und Erziehung der Kinder" und der Aufgabe der „Wacht der staatlichen Gemeinschaft über diese Betätigung" legt es nun nahe, auch die Unterschiede genauer herauszuarbeiten, die sich aus dieser Unterscheidung im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verfahrens in Vormundschaftssachen ergeben. Hier stellt nämlich die Beteiligung des Vormundschaftsgerichts besondere Probleme - Probleme, die auch mit der umstrittenen Frage nach den Unterschieden von Rechtsprechung und Verwaltung 44 zusammenhängen. Denn die bisherigen Überlegungen gingen ohne weitere Prüfung von der Voraussetzung aus, daß nicht nur dem Jugendamt, sondern auch dem Vormundschaftsrichter Aufgaben der Erziehung obliegen - und nicht etwa Aufgaben der Rechtsprechung. Und diese Voraussetzung entspricht auch insofern der herrschenden Lehre, als diese darauf verweist, daß die Verfahren in Vormundschaftssachen und auch die Sorgerechtsverfahren zu den „klassischen Verfahren" der f G gehören (vgl. Fn. 23) und nicht zu den sog. echten Streitverfahren (vgl. oben zu Fn. 24) 45 . Und man weist bei diesen klassischen Verfahren zu Recht darauf hin, daß die Gerichte in ihnen Aufgaben wahrnehmen, die funktionell der Verwaltung zuzuordnen sind - was ζ. B. beim Verfahren nach der Grundbuchordnung 46 oder bei den Registerverfahren auf der Hand liegt, was aber auch für die Verfahren in Vormundschaftssachen gilt. Weniger klar ist jedoch, was sich daraus für die Rollenverteilung in diesen Verfahren ergibt: Man sollte meinen, daß man zunächst überlegen 44 Vgl. dazu grundlegend St. Smid, Rechtsprechung - Zur Unterscheidung von Rechtsfürsorge und Prozeß, 1990; in vielem ähnlich jetzt A. Vosskuhle, Rechtsschutz gegen Richter. Diss. München 1993. 45 Vgl. dazu Pawlowski/Smid, FGG (Fn. 22), Rdn. 40 ff; zu den Streitverfahren gehören ζ. B. die Verfahren nach der Hausratsverordnung; vgl. dazu Rdn. 586 ff, aaO. 46 Man geht daher zu Recht davon aus, daß es keinen Unterschied machen darf und macht, ob die Grundbuchverfahren (wie in Norddeutschland) von den Amtsgerichten oder (wie in Süddeutschland) von den „staatlichen Grundbuchämtern" betrieben werden.
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müßte, wie man es gewährleisten kann, daß sich die verschiedenen Personen untereinander verständigen, die nach unserem Recht in unterschiedlicher Weise für die Förderung des Minderjährigen Verantwortung tragen. Es besteht aber heute eine gewisse Tendenz die Verfahren der f G dadurch zu „verbessern" und der Entwicklung des Rechtsstaates anzupassen, daß man das F G G um weitere „rechtsstaatliche Garantien" bereichert 47 - wie es insbesondere H. KollhosserA" fordert. Und man meint anscheinend, daß sich die Tätigkeit des Vormundschaftsrichters nach einem derartigen Ausbau der rechtsstaatlichen Garantien gewissermaßen als „Rechtsprechung" darstelle - also als Streitentscheidung durch einen unbeteiligten Dritten - , wovon denn auch der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts ausgeht, daß sich die Gerichte im Einzelfall um eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte zu bemühen hätten (vgl. nach Fn. 8). Diese Überlegungen weisen aber in eine falsche Richtung - da auch die Gewährleistung umfangreicher „rechtsstaatlicher Garantien" nicht dazu führen kann, daß sich die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben als Rechtsprechung darstellt49. Man sollte sich vielmehr darüber klar sein, daß man Verfahren nicht dadurch verbessert, daß man sie um allgemeine (vermeintlich) rechtsstaatliche Garantien bereichert; Verfahren werden vielmehr nur verbessert, wenn man sie so ausgestaltet, daß die in ihnen zu bewältigenden Aufgaben sachgerecht behandelt werden können 50 . Man könnte allerdings angesichts der in Art. 6 II 2 G G enthaltenen Wendung von der „Wacht der staatlichen Gemeinschaft" geneigt sein, das Verhältnis von Eltern (und evtl. Vormündern) und Vormundschaftsgericht nach dem Vorbild des Verhältnisses von Verwaltung (durch die Eltern) und Verwaltungsgericht zu konstruieren - wobei dann dem Jugendamt eine Kontrollfunktion zufiele. Dann hätte das Vormundschaftsgericht über etwaige Streitigkeiten zu entscheiden, die sich dabei zwischen dem Jugendamt und den anderen Erziehern ergeben. An diesem Modell orientiert sich augenscheinlich auch D. Reuter, wenn er dem „einsichtsfähigen Minderjährigen" bei Streitigkeiten mit seinen Eltern das Recht zusprechen will, diesen Streit auf seinen Antrag hin vom
47 So ζ. B. durch die Anerkennung der Priorität des Strengbeweises oder durch die Gewährleistung der Parteiöffentlichkeit der Beweisverfahren, vgl. dazu Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 31, 146, 249, 251. 48 Vgl. u. a. ZZP 93, S. 265 ff, 274 und schon den., Zur Stellung und zum Begriff der Beteiligten im Erkenntnisverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1970, § 6 VI, S. 200 ff. 4 ' Man kann vielmehr davon ausgehen, daß derjenige, der die Justiz (und ihre Verfahren) für „rechtsstaatlicher" hält als die Verwaltung oder die Gesetzgebung (und ihre Verfahren), von einem Begriff oder wohl eher von einer Vorstellung von Rechtsstaat ausgeht, die man nicht übernehmen sollte. 50
Vgl. dazu Pawlowski/Smid,
F G G (Fn. 22), Rdn. 31, 146, 249, 251.
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Vormundschaftsgericht entscheiden zu lassen (vgl. oben III 3 c zu Fn. 40 ff). Dem widerspricht jedoch schon, daß das Vormundschaftsgericht „von Amts wegen" tätig werden kann und muß (vgl. nur die §§ 1666, 1774 B G B ) - also auch ohne Anregung des Jugendamts und ohne Antrag des Minderjährigen. Und es wird aus den Ausführungen D. Reuters nicht ganz klar, wie man diese Eingriffskompetenz des Vormundschaftsgerichtes aufheben kann, ohne den Schutz der Rechte der Minderjährigen zu beeinträchtigen - da „Unmündige" auch gegen ihren Willen geschützt werden müssen: Wer den Schutz der Kinder auf den Schutz derer beschränken wollte, die sich gegen ihre Eltern auch nach außen hin auflehnen, würde den Schutz der Kinder weithin aufheben. Im übrigen ergibt sich aus den weiteren Regelungen, daß sich die Aufgaben des Vormundschaftsrichters nicht darauf beschränken, darüber zu wachen, daß sich die Erziehungsmaßnahmen der Eltern (oder etwaiger Vormünder) im Rahmen des Rechts halten, sondern daß das Vormundschaftsgericht auch eine Reihe von Zweckmäßigkeitsentscheidungen51 zu fällen hat - wie insbesondere im Rahmen der von ihm zu erteilenden „vormundschaftsgerichtlichen Genehmigungen". Man kann und muß also davon ausgehen, daß nach unserem Recht auch dem Vormundschaftsrichter Aufgaben der Erziehung obliegen (Fn. 51) - was sich plastisch in der früher geläufigen Bezeichnung „Obervormundschaft" ausdrückte. Dem Vormundschaftsrichter obliegen damit in den Vormundschaftsverfahren und auch in den Sorgerechtsverfahren keine Aufgaben der Rechtsprechung, sondern Aufgaben der Verwaltung - die er allerdings in einem justizförmigen Verfahren zu erledigen hat. Das heißt jedoch zunächst nur, daß die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Organisation der Rechtsprechung auch für die Erledigung der Angelegenheiten der klassischen f G gelten, die materiell der Verwaltung zuzuordnen sind52 (und die daher jederzeit durch Gesetz auch auf Verwaltungsorganisationen übertragen werden können): Man entnimmt daher den Regelungen, nach denen für bestimmte Angelegenheiten „das Amtsgericht", „das Vormundschaftsgericht" oder „das Nachlaßgericht" zuständig ist, daß damit auf die Gerichte in der Organisation verwiesen wird, die das G V G bestimmt. Und man geht davon aus, daß in diesen Verfahren auch die Vorschriften über den gesetzlichen Richter zu beachten sind und daß auch die Richter der f G keinen Weisungen unterworfen sind. Die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch die Justiz führt jedoch nicht dazu, daß diese Aufgaben damit ihren Verwaltungscharakter verlieren53 - daß also jetzt 51 52 53
Dazu Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 73 ff, 710, 724. H. L.; vgl. Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 51 ff mit Nachw. Dazu ausführlich Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 12 ff, 23 ff.
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in ihnen rechtskräftige Entscheidungen ergehen 54 , daß Verfahrenshandlungen ohne Gehör aller Beteiligten ausgeschlossen wären 55 oder daß jetzt in ihnen die Vorschriften über die Befangenheit 56 oder die Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme 57 in derselben Weise anzuwenden wären wie in einem Streitverfahren 58 . III. Fazit Diese Überlegungen führen zu Feststellungen in zwei Richtungen: 1. Die Verfahren in Vormundschaftssachen und auch die Sorgerechtsverfahren sind selbst dann keine „Streitverfahren" der fG, wenn sich in ihnen die verschiedenen für die Erziehung verantwortlichen Personen tatsächlich streiten. In diesen Verfahren geht es vielmehr immer um das Recht des Minderjährigen auf Erziehung (vgl. zu Fn. 26) und damit um die „faktische Förderung des Minderjährigen". Daher gibt es in ihnen auch keine „persönliche Parteistellung" - also keine Beteiligung zur Wahrung der eigenen Rechte und Interessen (vgl. zu Fn. 24 f). Aus der damit notwendigen Beteiligung des Minderjährigen an den Verfahren in Vormundschaftssachen folgt aber nicht, daß der Minderjährige an all diesen Verfahren immer auch persönlich beteiligt werden muß: Weil es für Art. 103 GG 5 9 ausreicht, daß der Minderjährige in ihnen durch seine Eltern vertreten wird (vgl. zu Fn. 27). a) In dem Verfahren der Erziehung (vgl. oben II 3 a), in dem es darum geht, den Minderjährigen faktisch zu fördern, wird im Zusammenhang der Personensorge „in der Regel" (vgl. Fn. 9) der persönliche Kontakt mit dem Minderjährigen erforderlich sein: Weil es bei der Erziehung um die Antwort des Zöglings auf die Erziehung geht (Fn. 38). Dabei genügt es aber, diesen Kontakt faktisch herzustellen - also im Rahmen des Ermittlungs- und Beweisverfahrens. Wer meint, daß dieser Kontakt Dazu ausführlich Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 341 ff. Vgl. dazu schon die Ausführungen zu dem „Verfahren der Erziehung" oben zu Fn. 38. 56 Dazu Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 140 ff. 57 Dazu ausführlich Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 204 ff, 253 ff. 58 Es spricht ζ. B. nichts dafür, daß die Mitteilung einer Tante von ihr bekanntgewordenen Mißhandlungen der Kinder, die diese in einer parteiöffentlichen Sitzung nicht wiederholen will, völlig unbeachtlich sein sollten - wie dies in einem Streitverfahren der Fall wäre. Wenn die Tante nicht gewillt ist, ihre Aussage in einem parteiöffentlichen Verfahren zu wiederholen, kann man zwar den Eltern auf eine derartige Aussage hin nicht die elterliche Sorge entziehen; aus einer derartig einseitigen Aussage kann sich aber ζ. B. die Amtspflicht des Vormundschaftsrichters ergeben, jetzt ein (Sorgerechts-)Verfahren einzuleiten. 59 Der auch in den Verfahren der fG zu beachten ist, die nicht zur Rechtsprechung i. S. der Art. 92, 19 IV G G gehören, vgl. Fn. 52. 54
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„zur Wahrung der Rechte des Minderjährigen" erforderlich sei, verkennt dessen Stellung (vgl. nach Fn. 42). Denn des Schutzes bedürfen auch die Rechte von Säuglingen - und unsere Rechtsordnung gewährleistet auch diesen Schutz: ohne deren persönliche Teilnahme an den einzelnen Verfahren. Da es bei der persönlichen Teilnahme des Minderjährigen am Verfahren der Erziehung um einen Kontakt zur Übermittlung von Informationen geht (vgl. Fn. 12) und nicht um die verfahrensrechtliche Beteiligung des Minderjährigen nach Art. 103 GG, muß dieser Kontakt unterbleiben, wenn sich aus ihm Gefahren für den Minderjährigen ergeben können: Denn das Verfahren in Vormundschaftssachen dient der Förderung des Minderjährigen (Fn. 15). Daher gilt für die Verfahrensrechte aller Beteiligten, daß sie „in sich keine Befugnisse enthalten, welche das Kindeswohl vereiteln oder gefährden" können (Fn. 25). Dem widerspricht weder Art. 121 der UN-Kinderrechtskonventionen (Fn. 12) noch Art. 2 GG: Weil sich „Meinungen" des Minderjährigen auch ohne persönlichen Kontakt feststellen lassen. Nach § 50 b II F G G darf daher das Gericht von der persönlichen Anhörung des Minderjährigen auch „aus schwerwiegenden Gründen" absehen - und nach § 50 b II 3 F G G soll das Kind nur soweit in geeigneter Weise über den Gegenstand und möglichen Aus gang des Verfahrens unterrichtet werden, „soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung und Erziehung zu befürchten sind". Die Rechtsprechung stellt allerdings an das Vorliegen „schwerwiegender Gründe" sehr hohe Anforderungen und will dies auf die Fälle beschränken, in denen die Gefahr besteht, daß das Kind durch die Anhörung „aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht wird und eine Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu besorgen ist"60. Dies entspricht jedoch nicht den rechtlichen Erfordernissen. Denn die Vorschriften über die Anhörung der Minderjährigen stellen sich verfahrensrechtlich als Regelungen des Verfahrens der Ermittlung und der Beweisaufnahme dar61 - und nicht als Regelung der notwendigen verfahrensrechtlichen Beteiligung. Soweit es nämlich um letztere gehen würde, sind Ausnahmen überhaupt unzulässig - soweit nicht Verfahren gegen Abwesende oder Versäumnisverfahren vorgesehen sind. Im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Ermittlung und des Beweises überzeugt Vgl. B G H N J W - R R 1986, S. 1130 f; BayObLG FamRZ 1988, S. 871 sowie Keidel/ifwntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Teil A, 12. Aufl. 1987, § 50 b, Rdn. 27; Bassenge/Herbst, Gesetz über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 5. Aufl. 1990, § 50 b, 4. 61 Vgl. nur B G H FamRZ 1985, S. 169 ff; B a y O b L G FamRZ 1988, S. 871; Keidel/ /fxnize/Winkler, F G G (Fn. 60), § 50 b, Rdn. 3; Bassenge/Herbst, F G G (Fn. 60), § 50 b, 1 a.
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es dann zwar, wenn man darauf hinweist, daß ein Gericht von der Anhörung eines Minderjährigen nach § 50 b F G G nicht deshalb absehen könne, weil es meint, daß dieser noch nicht zu einer vernünftigen Eigenbeurteilung fähig sei usw.: Denn Gerichte können auch sonst auf eine Beweisaufnahme nicht verzichten, weil sie einen Zeugen von vornherein für unglaubwürdig halten etc. Vorweggenommene Beweiswürdigungen sind auch in den klassischen Verfahren der f G unzulässig (vgl. zu Fn. 52). Im übrigen ergeben sich in einem Verfahren, das das Wohl des Minderjährigen fördern soll, „schwerwiegende Gründe" gegen eine persönliche Anhörung aus allen Zusammenhängen, aus denen „Nachteile für die Entwicklung und Erziehung des Minderjährigen zu befürchten sind", wie es § 50 b II 3 F G G formuliert. b) Im Verfahren über die Verkehrsregelung zwischen den Erziehern werden die Rechte des Minderjährigen von dessen gesetzlichen Vertretern wahrgenommen - was den Minderjährigen nicht schlechter stellt, als wenn man die Wahrnehmung dieser Rechte professionellen Vertretern übertragen würde - also Amtsträgern der Allgemeinheit (vgl. oben II 3 c zu Fn. 42 f). Man könnte zwar prüfen, ob Anlaß besteht, die bestehenden Vorschriften über den Ausschluß der Vertretung durch die Eltern auszudehnen und damit die Zahl der notwendigen Ergänzungspfleger62 zu erweitern: Dies scheint mir aber nicht geboten zu sein. Denn solange man den Minderjährigen weiterhin für schutzwürdig hält (vgl. oben zu Fn. 41 ff), besteht kein Anlaß, die gesetzliche Vertretung einzuschränken 63 oder gar abzuschaffen. 2. Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, daß nicht nur wegen Art. 19 IV G G , sondern auch der Sache nach ein Bedürfnis nach einer Instanz besteht, die bei etwaigen Streitigkeiten zwischen Eltern, Jugendamt und Vormundschaftsgericht neutral (unparteilich) entscheidet. Denn diese neutrale Entscheidung ist nicht bereits dadurch gewährleistet, daß im Verfahren in Vormundschaftssachen die Entscheidung den VormundschaftsgencÄie« 64 übertragen ist. Denn es liegt auf der Hand, daß Vormundschaftsrichter, die im Auftrag der Allgemeinheit
62 O b man diese dann als „Anwalt des Kindes" bezeichnen sollte, scheint mir fraglich. Nach meinem Empfinden ist die Bezeichnung „Anwalt des Kindes" nur geeignet, die Eltern zu diskriminieren, ohne den Kindern Nutzen zu bringen. " Eine andere Frage ist es, wie weit die vom gesetzlichen Vertreter begründeten Verbindlichkeiten den Mündel nach Eintritt der Volljährigkeit noch belasten dürfen, was der Gesetzgeber jetzt aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. 5. 1986 (BVerfGE 72, S. 155 ff) neu zu regeln hat; vgl. dazu nur D. Reuter, AcP 192, S. 107 ff, 137 ff; Th. Ramm, NJW 1989, S. 1708 ff oder M. Wolf, AcP 187, S. 319 ff. 64 Zumal die Vormundschaftssachen im weiten Umfang von Rechtspflegern wahrgenommen werden.
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darüber zu wachen haben, daß sich Pflege und Erziehung der Kinder in einer Weise vollziehen, die das Wohl der Kinder befördert und Kindesmißhandlungen ausschließt, nicht neutral und unparteilich bleiben, wenn sie das Wohl der Kinder gefährdet sehen65. Dazu kommt, daß die in den klassischen Verfahren der fG vorgenommene Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf die Justiz auch ihren Preis hat: Denn mit der politischen Neutralisierung, die mit dieser Übertragung verbunden ist, geht auch der Rationalitätsgewinn verloren, der sich aus der Organisation unserer Verwaltung ergibt. Dieser Rationalitätsgewinn ergibt sich nämlich u. a. daraus, daß sich unsere Verwaltungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben an den allgemeinen politischen Vorgaben der jeweiligen politischen Spitze orientieren müssen - also an den Vorgaben des Innenministers, des Finanzministers etc. Denn das gewährleistet es, daß nicht jede Behörde ihre eigene Politik verfolgt, weil sich alle Behörden an derselben Zielsetzung zu orientieren haben. Bei der Wahrnehmung der in Art. 6 II 2 GG der staatlichen Gemeinschaft gestellten Aufgabe, über die Ausübung der elterlichen Erziehung zu wachen, die den Vormundschaftsgerz'c^ie« übertragen worden ist, scheiden aber derartige allgemeine politische Vorgaben aus, da politische Vorgaben der politischen Spitze die unabhängigen Richter nicht binden. Daher müssen sich die Vormundschaftsricbter an ihren persönlichen Kriterien orientieren - und damit ihre eigene „Politik" betreiben - , wenn sie die ihnen übertragene Aufgabe wahrnehmen, im Auftrag der staatlichen Gemeinschaft darüber zu wachen, daß die Ausübung der elterlichen Sorge nicht das „körperliche, geistige oder seelische Wohl" der Kinder gefährdet, wie es das Gesetz in § 1666 BGB formuliert. Und dies bringt augenscheinlich die Gefahr weltanschaulich bedingter Entscheidungen mit sich - insbesondere in den Fällen, in denen Entscheidungen in einer aufgeheizten Stimmung nach einer Medienkampagne erlassen werden müssen (vgl. Fn. 65). Da dies nach der Übertragung dieser Aufgabe auf die Justiz auch nicht mehr politisch korrigiert werden kann - nämlich in Aufnahme öffentlicher Kritik durch die verantwortliche politische Leitung - , bedarf es anderer Schutzmechanismen, die leider noch nicht angemessen ausgebildet sind. Zu diesem Schutz gehört aber jedenfalls, daß nach den Entscheidungen der Tatsacheninstanzen, die im Rahmen der ihnen übertragenen 65 Das erklärt denn auch die eindrucksvollen Beispiele für Fehlentscheidungen im Gefolge von Medienkampagnen, die R. Ollmann (ZfJ 1994, S. 151 ff) in seiner Abhandlung über „Rechtliche Aspekte der Aufdeckung von sexuellem Mißbrauch" darstellt; vgl. auch schon das in N J W 1993, S. 2998 f abgedruckte Urteil des O L G München und die Warnungen von Rösner/Schade in FamRZ 1993, S. 1133 ff.
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Kompetenzen sich darum bemühen, das körperliche, geistige oder seelische Wohl der Minderjährigen ihres Bezirkes zu gewährleisten, in einem Prozeß (d. h.: in einem Verfahren der Rechtsprechung) durch einen unbeteiligten, neutralen Dritten darüber entschieden wird, ob die Eltern oder die Organe der staatlichen Gemeinschaft „Recht haben". Denn darüber ist nicht bereits damit entschieden, daß die Sorgerechtsentscheidungen den Vormundschaftsnc^ierw übertragen sind. Denn wenn Art. 19 IV G G jedem Bürger die Möglichkeit eröffnet, gegenüber Maßnahmen der hoheitlichen Gewalt den Rechtsweg zu beschreiten, dann hängt das nicht damit zusammen, daß die „Richter" als Personen besonders vertrauenswürdig sind. Art. 19 IV G G will kein Standesprivileg der „Richter" begründen - wie es die vielfach gebrauchte Faustformel nahezulegen scheint, daß diese Vorschrift „keinen Rechtsschutz gegen, sondern durch den Richter" 6 6 gewährleiste. Denn Richter sind offensichtlich keine besseren Menschen als Verwaltungsbeamte oder Abgeordnete. Wenn also richterliche Urteile anders als die Entscheidungen der Verwaltungsbeamten unanfechtbar sind, dann hat das augenscheinlich nicht damit zu tun, daß die Richter anderes sind als die Verwaltungsbeamten (nämlich „unabhängig", weil unabsetzbar und unversetzbar) 67 , sondern damit, daß die Richter etwas anders tun" als jene: nämlich nicht „verwalten", sondern „urteilen" - also rechtliche Erkenntnisse aussprechen bzw. „Recht sprechen" 68 . Daher besteht ein Bedürfnis nach Akten der Rechtsprechung auch nach den Verwaltungsentscheidungen, die Richter in einem judiziellen Verfahren getroffen haben. Es muß hier dahinstehen, auf welchem Wege im einzelnen zu gewährleisten ist, daß auch Akte der judizellen Verwaltung in einem Prozeß überprüft werden 69 . Hier sei nur bemerkt, daß dies jedenfalls voraussetzt, daß die Gerichte, die diese Aufgabe wahrzunehmen haben, sich bewußt sind, daß sie Akte der Verwaltung zu überprüfen haben, wenn sie die Entscheidungen der Tatsacheninstanzen überprüfen: also Akte eines der jetzigen Beteiligten (Parteien) des Prozesses - und nicht Akte " So die bekannte Wendung G. Dürigs, die das Bundesverfassungsgerichts bald übernahm (vgl. nur BVerfGE 15, S. 275 ff, 280; 22, S. 106 ff, 110; 49, S. 329 ff, 340) und im übrigen jüngst die Arbeit von A. Vosskuhle, Rechtsschutz (Fn. 44), dort weitere Nachw. S. 1 Fn. 3, 158. Dagegen zu Recht St. Smid, Rechtsprechung (Fn. 44), § 1 III, S. 96 ff, §§ 4 ff, S. 251. 67 Unabhängig in diesem Sinne sind auch nicht wenige Verwaltungsbeamte - wie ζ. B. die Prüfer im Staatsexamen oder andere Experten - , deren Entscheidungen der Bürger nach Art. 19 IV G G dennoch bei einem Gericht anfechten kann. 68 Dazu ausführlich St. Smid, Rechtsprechung (Fn. 44), § 2, S. 153 ff; ähnlich jetzt auch A. Vosskuhle, Rechtsschutz (Fn. 44), S. 100 ff, 174. " Dazu Pawlowski/Smid, F G G (Fn. 22), Rdn. 868 ff und ausführlich St. Smid, Rechtsprechung (Fn. 44), §§ 8 f, S. 523 ff.
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der Rechtsprechung, also Akte unbeteiligter und daher neutraler Dritter. Denn das wird es dem Rechtsmittelgericht erleichtern festzustellen, daß die Sicht des Vormundschaftsgerichts in derselben Weise „parteiisch" (nämlich interessegebunden) ist wie die der Eltern - wie es der Sachund Rechtslage entspricht: Wer nämlich meint, daß die Rechte der Kinder überhaupt bei Vertretern der Allgemeinheit besser aufgehoben seien als bei ihren gesetzlichen Vertretern - also den Eltern - , verkennt die in Art. 6 G G getroffene Entscheidung unserer Verfassung für die Elternautonomie (vgl. Fn. 1).
Die Immobiliarvollstreckung - eine Fundgrube für die Dogmatik der Zwangsvollstreckung EGBERT PETERS
I. Während die internationale Rechtsvergleichung des Verfahrensrechts wie des materiellen Rechts immer stärker in den Vordergrund tritt, findet die vergleichende Betrachtung deutscher Verfahrensordnungen wenig Anklang. So stößt seit langem eine parallele Behandlung der Prozeßordnungen der verschiedenen Rechtswege auf geringes Interesse, sowohl im ganzen als auch zu Detailthemen. Die Versuche, für den Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit einheitliche Verfahrensregeln zu entwickeln, sind seit dem grundlegenden Konzept von F. Baur' nicht mehr vertieft worden; insbesondere werden F G G und G B O oft gehandhabt und ausgelegt, ohne daß Praktiker wie Theoretiker einen Blick auf die benachbarte Kodifikation werfen. Die gleichen Defizite zeigen sich in der Literatur des Zwangsvollstreckungsrechts. In den Lehrbüchern begnügen sich die Autoren meist mit einer knappen Darstellung der Immobiliarvollstreckung. Gelegentlich fristen Grundstücksversteigerung, Zwangsverwaltung und Zwangshypothek gar nur ein Schattendasein 2 . Die mangelnde Beachtung, die diesen Sachgebieten zuteil wird, ist nicht nur deshalb bedauerlich, weil sie der praktischen Bedeutung der Immobiliarvollstreckung nicht angemessen erscheint, sondern auch deshalb, weil damit die Dogmatik der Immobiliarvollstreckung nicht ausgeschöpft wird. Das Z V G aber ist selbständig neben der Z P O gewachsen 3 . Es liegt daher nahe, Parallelen zu ziehen und die tragenden Regeln und Konstruktionen auf ihre Vergleichbarkeit oder Besonderheit zu untersuchen.
' Freiwillige Gerichtsbarkeit, 1. Buch Allgemeines Verfahrensrecht, 1955. Abschreckendes Beispiel Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1990, §§ 27 ff. 5 Das Z V G v. 24. 3. 1897 ( R G B l . S. 97) in der Fassung der Bekanntmachung v. 20. 5. 1898 ( R G B l . S. 713) löste das frühere Landesrecht ab, das sich lediglich an den §§ 7 5 5 - 7 5 7 C P O v. 30. 1. 1877 ( R G B l . S. 83) zu orientieren hatte. O b w o h l als Teil der Z P O konzipiert (vgl. §§ 864 ff, bes. § 869 Z P O ) , erfuhr das Z V G weiterhin eine eigene Behandlung. 2
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II. Der folgende Vergleich folgt dem zeitlichen Ablauf der einzelnen Geldvollstreckungsarten, der Sach-, der Forderungs- und der Immobiliarvollstreckung. 1. Die Beschlagnahme als Maßnahme des ersten Zugriffs kann nicht den abschließenden Nachweis der Zugehörigkeit des Pfändungsobjekts zum Schuldnervermögen voraussetzen. Während bei der Forderungspfändung auf Nachprüfung zunächst verzichtet wird, stellt die Sachpfändung auf den Gewahrsam des Schuldners (§ 808 I ZPO), die Anordnung der Grundstücksvollstreckung4 auf den Eintrag des Schuldners als Eigentümer im Grundbuch ab (§ 17 ZVG), die Anordnung der Zwangsverwaltung auch auf den Eigenbesitz des Schuldners (§ 147 ZVG). Das Prinzip ist also dasselbe: Erleichterung des Zugriffs aus praktischen Gründen. Je stärker das Indiz für die Zugehörigkeit zum Schuldvermögen wirkt, desto seltener verfehlt der Vollstreckungsakt das Schuldnervermögen, und desto seltener kommt es zu Drittwiderspruchsklagen (§ 771 ZPO); in der Grundstücksvollstreckung tauchen sie, da der Eintrag im Grundbuch den Eigentümer in aller Regel zuverlässig wiedergibt, kaum auf5. Da die Prüfung des Vollstreckungsorgans des ersten Zugriffs formal bleibt - bei der Grundstücksvollstreckung auf den Antrag, die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen und den Grundbucheintrag des Schuldners gerichtet - , liegt der statthafte Rechtsbehelf gegen die Vollstreckungsmaßnahme des Rechtspflegers auf der Hand: Erinnerung nach § 766 ZPO; nicht nach § 11 I RPflG, der auf eine wertende Entscheidung nach rechtlichem Gehör der Parteien zielt6. 2. Bei den Folgen der Beschlagnahme steht die öffentlichrechtliche Verstrickung heute außer Streit. Ein relatives Verfügungsverbot wird nur in den §§ 829 I 2, 846, 857 ZPO erwähnt, nicht in den Vorschriften zur Sachpfändung. Doch zeigt § 23 I ZVG, daß das Verfügungsverbot eine grundsätzliche Folge der Beschlagnahme darstellt, um das Pfändungsobjekt dem betreibenden Gläubiger zu sichern7. Zusammen mit den genannten Bestimmungen der ZPO begründet § 23 11 ZVG die Rechtsanalogie für ein relatives Verfügungsverbot auch bei der Sachpfändung8. 4 Auf sie bleibt im folgenden die Immobiliarvollstreckung der Einfachheit halber beschränkt. 5 Auch hilft die Korrektur von Amts wegen (§ 28 ZVG). 6 Bruns/Peters, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 1987, § 14 I, § 30 III 5. 7 Die eingegrenzte Verfügungsbefugnis des Schuldners nach §§ 23 I 2, 148 I 2 ZVG dient lediglich der Feinabstimmung zwischen Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung. ' Im Ergebnis fast allg. Α.; Bruns/Peters, § 20 III 1; Rosenberg/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl. 1987, § 20 III 1 a.
Immobiliarvollstreckung u n d D o g m a t i k der Zwangsvollstreckung
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Interessant ist die Frage, ob sich aus einzelnen Regelungen der Immobiliarvollstreckung Argumente für den Streit um die Rechtsnatur des Pfändungspfandrechts gewinnen lassen, namentlich für die Diskussion um die Akzessorietät zur titulierten Forderung und um die Abhängigkeit von Verfahrensfehlern, also für die beiden praktischen Folgen des Theorienstreits. N u n erwächst dem betreibenden persönlichen Gläubiger zwar kein Pfändungspfandrecht, wohl aber gemäß § 11 I N r . 5 Z V G ein Rangrecht, ein Vorzugsrecht auf Befriedigung in dieser Rangklasse. Da dieses Recht sich in der Konkurrenz der Gläubiger behauptet (vgl. insbesondere die Rangklassen 4 und 8), den Vorzugsrechten aus späteren Beschlagnahmen vorgeht (§ 11 II ZVG) und konkursfest ist (§ 47 KO), erscheint es der Kategorie der Pfandrechte verwandt 9 . Für eine öffentlichrechtliche Charakterisierung des Rangrechts fehlt jeglicher Anhalt 10 ; insbesondere würde sie in das gerade durch die dinglichen Gläubiger geprägte Bild der Rangordnung schlecht passen. Da das Rangrecht die Befriedigung des betreibenden Gläubigers in der Konkurrenz der Gläubiger sichern soll, kann es diese Funktion nicht erfüllen, wenn dem Gläubiger keine Forderung (mehr) zusteht" oder er in ein schuldnerfremdes Grundstück vollstreckt; gebührt ihm gar keine Befriedigung aus dem beschlagnahmten Grundstück, erübrigt sich die Frage nach dem Rang. Das Rangrecht ist daher als akzessorisches Recht einzustufen. Das entspricht der herrschenden Lehre zum Pfändungspfandrecht 12 . Das Ergebnis erleichtert dann auch die Konsequenz, für die Konkurrenz der Gläubiger die Entstehung des Rangrechts von der Einhaltung der wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen abhängig zu machen, d. h. mit der herrschenden Lehre 13 das formale Präventionsprinzip (§ 11 II ZVG) an die formale Korrektheit der Vollstreckungsmaßnahme zu binden. Unbeachtet geblieben ist bisher die dritte Möglichkeit für den persönlichen Gläubiger, in das Grundstück des Schuldners zu vollstrecken, nämlich eine Zwangshypothek eintragen zu lassen (§§ 866 f ZPO). Diese H y p o t h e k aber ist laut ausdrücklicher Vorschrift eine Sicherungshypothek, also streng akzessorisch (§§ 1184 f BGB). Die Parallele zum Pfän-
' Richtig Baumann/Brehm, Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., 1982, § 24 I 2 c. Z u einer übereinstimmenden Definierung hat es das Schrifttum noch nicht gebracht; vgl. Rosenberg/Schilken, § 62 I 3 b. Ebenso im Ergebnis B G H Z 53, 110, 116 f. " Rechtskräftig titulierte F o r d e r u n g e n k ö n n e n freilich n u r in den G r e n z e n der §§ 767, 796 II Z P O angegriffen werden. Näheres vgl. Bruns/Peters § 20 III 2 c, § 27 IV 3 a, bb. 12 G r u n d l e g e n d Henckel, Prozeßrecht u n d materielles Recht, 1970, S. 309 ff; Rosenberg/Schilken § 50 III 3 a und 3 b; Bruns/Peters § 20 III 2 u n d 2 c, aa. 13 Rosenberg/Schilken § 50 III 3 b, aa; Bruns/Peters § 20 III 2 d, bb u n d 2 e; z u m Rangrecht B G H Z 53, 110, 116 f; Steiner/Hagemann, Z V G , 9. Aufl. 1984, § l O R d n . 143.
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dungspfandrecht bei Sach- oder Forderungspfändung liegt auf der Hand; in diesem Zusammenhang ist es unwesentlich, ob man zur Zwangsvollstreckung aus der Zwangshypothek noch einen Duldungstitel für erforderlich hält14. Wie könnte es sich reimen, daß die Immobiliarvollstreckung zu einem privatrechtlichen akzessorischen Grundpfandrecht führt, die Sach- und Forderungspfändung aber zu einem öffentlichrechtlichen, nicht akzessorischen Pfändungspfandrecht? 3. Suchen mehrere Gläubiger in denselben Gegenstand des Schuldners zu vollstrecken, so sieht der Gesetzgeber bei der Sachpfändung (§§ 826 f ZPO) und bei der Grundstücksversteigerung und -Verwaltung (§§ 27, 146 I ZVG) eine vereinfachte Beschlagnahme vor. Immer aber - gleich, ob Anschlußpfändung, Mehrfachpfändung von Forderungen (§§ 853 ff ZPO) oder Beitritt, - ist das Ziel eine einheitliche Durchführung der Vollstreckung mit eigenen Initiativrechten eines jeden· betreibenden Gläubigers. In allen diesen Fällen der Mehrfachvollstreckung läßt sich die Frage stellen, ob die Vollstreckung des späteren Gläubigers nicht zwecklos und deshalb nach § 803 II Z P O verboten ist, wenn die Forderungen der vorhergehenden Gläubiger den Wert des Pfändungsgegenstandes bereits erschöpfen. Diese Frage wird öfters für die Anschlußpfändung erörtert, nie für die Mehrfachpfändung von Forderungen, vereinzelt für den Beitritt zur Grundstücksversteigerung. In allen Fällen ist sie eindeutig zu verneinen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist zur Zeit der späteren Beschlagnahme offen und vom Vollstreckungsorgan nicht nachzuprüfen, ob die Forderungen der vorhergehenden Gläubiger überhaupt oder bis zur Verwertung noch bestehen; der spätere Gläubiger kann also aufrücken 15 . Eine evident zwecklose Zweitbeschlagnahme, bei der der spätere Gläubiger zweifellos leer ausgehen müßte16, kann es allenfalls in der Theorie geben. Noch deutlicher zeigt sich die Lage bei der Grundstücksversteigerung; denn der den Beitritt des späteren Gläubigers zulassende Rechtspfleger weiß nicht, ob privilegierte Ansprüche nach § 10 I Nr. 1-3 ZVG erwachsen sind und ob die Grundpfandrechte ( § 1 0 1 Nr. 4 ZVG) noch valutiert sind17. - Zweitens stehen der objektive und der realisierbare Wert des Vollstreckungsgegenstandes oft noch 14
Bejahend Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 11. Aufl. 1983, Rdn. 597; Rosenberg/Schilken § 62 I 1; verneinend Bruns/Peters § 41 II. 15 So die h. L. im Schrifttum zu § 826 ZPO; MK/Schilken, 1. Aufl. 1992, § 803 Rdn. 46; Stein/Jonas/Münzberg, Z P O , 20. Aufl. 1981, § 803 Rdn. 29. 16 So Zöller/Stöber, Z P O , 18. Aufl. 1993 § 803 Rdn. 9; Wieser, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung, 1989, S. 21 ff, 31 ff; dazu kritisch E. Peters, ZZP 103, 519 f. 17 E. Peters, ZZP 103, 520. In den Kommentaren zum ZVG wird dieses Thema noch nicht einmal angeschnitten.
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nicht zuverlässig fest, so daß sich nicht absehen läßt, ob der spätere Gläubiger Befriedigung erwarten kann. Am ehesten liefert die Drittschuldnererklärung (§ 840 I ZPO) exakte Angaben zur gepfändeten Forderung. Bei der Sachpfändung liegt gewöhnlich die Wertschätzung des Gerichtsvollziehers vor (§ 813 ZPO). Besonders heikel erscheint die Situation bei der Grundstücksversteigerung. Zur Zeit der Beitrittsbeschlüsse ist der Wertfestsetzungsbeschluß (§ 74 a V ZVG) meist noch nicht ergangen. Aber selbst wenn er vorliegt, bleibt die Höhe des künftigen Meistgebots offen. Zwar lehrt die praktische Erfahrung, daß der Steigpreis in aller Regel hinter dem Verkehrswert erheblich zurückbleibt. Es gibt aber auch entgegengesetzte Beispiele18. Folglich läßt sich ein Beitritt nicht deshalb ablehenen, weil der Versteigerungserlös vermutlich nicht ausreichen wird. Dasselbe Argument gilt auch für die Anschlußpfändung. 4. Da bei der Sachpfändung der Gerichtsvollzieher sich nur nach dem äußeren Merkmal des Gewahrsams des Schuldners zu richten hat (§ 808 I ZPO), verfehlt der erste Zugriff nicht selten das Schuldnervermögen. Selbst in Zweifelsfällen, wenn etwa der Schuldner behauptet, die Sache stehe unter Eigentumsvorbehalt oder sei gemietet oder einem anderen Gläubiger zur Sicherheit übereignet, hat nach dem Sinn der Norm der Gerichtsvollzieher zu pfänden (daher richtig § 119 Nr. 1 GVGA). Nur solche Sachen, die offenkundig einem Dritten gehören, ζ. B. reparaturbedürftige Stücke in der Werkstatt des Handwerkers, Transportgut beim Frachtführer, sind nicht zu pfänden, da hier die Indizwirkung des Gewahrsams widerlegt wird; inkonsequent und sachlich nicht gerechtfertigt erscheint also die Weisung des §119 Nr. 2 GVGA, daß der Gerichtsvollzieher dennoch in solche Sachen zu vollstrecken habe, wenn der Gläubiger es verlange. Werden schuldnerfremde Sachen gepfändet, was gerade in den Zweifels- und Weisungsfällen (§119 Nr. 1 und 2 GVGA) denkbar ist, so erhebt sich die Frage, ob es die Aufgabe des Gerichtsvollziehers ist, den ihm vom Schuldner benannten Dritten als den etwaigen Eigentümer über die Pfändung zu informieren. Im Schrifttum ist von einer solchen Benachrichtigungspflicht des Gerichtsvollziehers nicht die Rede19. Man begnügt sich mit dem Hinweis, der Dritte könne seine Rechte im Wege der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) geltend machen, und geht wohl davon aus, der Schuldner werde ihm die Pfändung schon mitteilen. In § 119 Nr. 3 und 4 GVGA findet sich überraschend für die Pfändung 18 Im Jahre 1992 wurde ζ. B. ein Hausgrundstück in der Tubinger Innenstadt zu einem den Verkehrswert um fast 50 % übersteigenden Preis zwangsversteigert.
" Rosenberg!Schilken Stein/Jonas/Münzberg
§ 5 1 I I b ; Baur/Stürner Rdn. 447; Bruns/Peters § 808 Rdn. 2 und 3; Zöller/Stöber § 808 Rdn. 3.
§21
IUI;
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von leihweise überlassenem Leergut höheren Wertes (ζ. Β. Flaschen, Kannen, Flaschenkästen) und von Telegraphen- und Fernsprecheinrichtungen die Pflicht des Gerichtsvollziehers, dem vermutlichen Eigentümer bzw. der Bundespost die Pfändung mitzuteilen. Und sonst nicht? § 136 Nr. 2 GVGA spricht wiederum nur vom Widerspruch des Dritten, setzt also dessen Kenntnis voraus. Darauf, daß der Schuldner den Dritten informiert, kann man sich sicher nicht verlassen. Zwar wird er schuldrechtlich dazu verpflichtet sein, ζ. B. aus dem Kausalvertrag bei Eigentumsvorbehalt oder Sicherungsübereignung. Aus Unkenntnis oder Gleichgültigkeit wird er aber seine Verantwortung leicht außer acht lassen. Und eine Schadensersatzforderung wegen des Verlusts seines Eigentums durch die Versteigerung hilft dem Gläubiger wenig gegen einen Schuldner, der, wie die laufende Zwangsvollstreckung zeigt, kaum zahlungsfähig sein wird. Ist es also Amtspflicht des Gerichtsvollziehers, in unklaren Fällen den ihm bekannt gewordenen etwaigen Dritten von der Pfändung zu benachrichtigen, in solchen Fällen auch den Namen des Dritten vom Schuldner zu erfragen? Seine Aufgabe ist es, wegen des titulierten Anspruchs in das Schuldnervermögen zu vollstrecken. Um der Schlagkraft des ersten Zugriffs willen muß bei der Pfändung eine summarische Prüfung ausreichen, ob das Pfandobjekt zum Vermögen des Schuldners zählt. Für den weiteren Fortgang der Vollstreckung gilt dieser Eilgrund nicht mehr. Der Gerichtsvollzieher muß sich vergewissern und hat jetzt auch die Zeit dazu. Erneut verdeutlicht die Parallele in der Grundstücksversteigerung die Position des Vollstreckungsorgans. Nach § 37 Nr. 5 ZVG enthält die zu veröffentlichende Terminsbestimmung der Versteigerung die Aufforderung an alle, die ein der Versteigerung entgegenstehendes Recht haben, dieses Recht geltend zu machen. Namentlich Eigentümer von Zubehörstücken, die von der Beschlagnahme erfaßt worden sind, obwohl sie nicht zur Haftungsmasse gehören (§§ 20 II, 55 II, 90 II ZVG, 1120 BGB), erhalten durch die Bekanntmachung Gelegenheit, die Freigabe ihres Eigentums durch den Gläubiger zu erwirken (§ 29 ZVG) oder im Streitfalle Drittwiderspruchsklage zu erheben. § 3 7 Nr. 5 ZVG zeigt also die Pflicht des Rechtspflegers als Vollstreckungsorgan, die Vollstreckung in schuldnerfremdes Vermögen zu vermeiden, und wählt die öffentliche Bekanntmachung als den für die Grundstücksversteigerung passenden Weg. Diese Pflicht gilt analog für die Mobiliarvollstreckung. Als Weg kommt, da die Veröffentlichung des Versteigerungstermins die nötigen Details nicht bringen kann und wohl auch zu wenig Aufmerksamkeit finden würde, nur die Benachrichtigung der einzelnen, dem Gerichtsvollzieher (ggf. durch Nachfrage) bekannt gewordenen Dritten, die Rechte an den gepfändeten Sachen haben könnten, in Betracht.
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5. Der Schuldnerschutz ist bei der Sach- und Forderungspfändung auf das einzelne Vollstreckungsobjekt zugeschnitten, so nach § 811 ZPO oder nach den §§ 850 ff ZPO. Bei der Immobiliarvollstreckung bildet das Grundstück als Wirtschaftseinheit den materiellrechtlichen Haftungsverband (§§ 1120 ff BGB) wie die Versteigerungsmasse20 (§§ 20 II, 55 I, 90 I, II ZVG); die einstweilige Einstellung (§ 30 a ZVG) stoppt das Verfahren im ganzen21. Eine für alle Vollstreckungsarten geltende Hilfsmöglichkeit in Extremfällen stellt die Generalklausel des § 765 a ZPO dar, das Verbot sittenwidriger Härte. Behält man nun den Vollstreckungsgegenstand und den entsprechend differenzierten Vollstrekkungsschutz im Auge, so beantworten sich die folgenden Streitfragen konsequent: Einzelne Sachen, die in der Mobiliarvollstreckung unpfändbar sind, genießen keinen Pfändungsschutz, wenn sie Teil der Versteigerungsmasse in der Immobiliarvollstreckung sind. Ζ. B. zählen bei der Versteigerung eines landwirtschaftlichen Grundstücks Geräte und Vieh als Zubehör (§§ 1120, 97 I, 98 Nr. 2 BGB) zur Versteigerungsmasse; nicht etwa sind sie nach § 811 Nr. 4 ZPO pfändungsfrei22. Den Schuldnerschutz nach §811 ZPO auf die Grundstücksversteigerung zu erstrecken, hieße, den Umfang des materiellrechtlichen Haftungsverbandes und der Versteigerungsmasse im Widerspruch zu der gesetzlichen Grenzziehung zu schmälern. Grundstücksversteigerung bedeutet für den Schuldner den Verlust des Eigentums und des Besitzes. Die Konsequenz ist oft genug die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz. Der Landwirt ζ. B., dessen Hof und Acker versteigert werden, büßt seinen Betrieb ein. Das aber ist typische Folge der Verwertung des Grundstücks als Wirtschaftseinheit. Ist wegen mangelnder Sanierungsaussicht eine einstweilige Einstellung des Versteigerungsverfahrens nach § 30 a ZVG nicht möglich, so läßt sich ein Schutzantrag nach § 765 a ZPO nicht damit begründen, daß der Schuldner seine wirtschaftliche Existenz einbüße23. Vollstreckungsschutz kann auch gegenüber der Räumung auf Grund des Zuschlagsbeschlusses (§ 93 ZVG) am Platze sein. Eine analoge Anwendung des § 721 ZPO, die anfangs im Anschluß an die durch die Neuregelung verdrängten §§ 30 f WBewG befürwortet wurde24, schei20 Die Unterschiede in der Beschlagnahme bei Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (§§ 21 I, II, 148 I Z V G ) können hier außer Betracht bleiben. 21 Freilich begrenzt auf den einzelnen betreibenden Gläubiger, gegen den die Einstellung erwirkt wurde. 22 Ebenso im Ergebnis Steiner/Storz, § 30 a Rdn. 21. 23 L G Kiel SchlHAnz. 1955, 278; Steiner/Storz § 30 a Rdn. 91; Zeller/Stöber, ZVG, 14. Aufl. 1993, Einl. 54.2. 24 So LG Münster M D R 1965, 212; L G Mannheim M D R 1967, 1018; Schmidt-Futterer N J W 1968, 143.
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tert; zu eng sind Zuständigkeit, Verfahren und Fristen an den Räumungsprozeß gebunden25. Es bleibt die Hilfe nach der Generalklausel des § 765 a ZPO. Daß in Sonderfällen ungewöhnlicher Belastung des Schuldners die Räumung vorübergehend ausgeschlossen werden kann, ζ. B. bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Schuldners oder eines seiner Angehörigen, bei vorgerückter Schwangerschaft eines Angehörigen, entspricht heute allgemeiner Lehre26. Ob darüber hinaus dem § 765 a ZPO nicht ein weiterer Anwendungsbereich zuerkannt werden sollte, eben weil er als einzige Vorschrift Räumungsschutz gegenüber dem Zuschlagsbeschluß bietet, erscheint eine berechtigte Frage27. Die Schutzbedürftigkeit des Schuldners gegenüber diesem Titel liegt auf der Hand, der Vergleich mit dem ausgeprägten Mieterschutz gegenüber Räumungsurteilen und -vergleichen (§ 794 a ZPO) drängt sich auf. Deswegen braucht man noch nicht einer schematischen Übernahme der im Räumungsprozeß üblichen Räumungsfristen das Wort zu reden28. § 765 a ZPO verlangt eine Würdigung der konkreten Umstände. Hier kann bedeutsam sein, daß der Schuldner durch die lange Dauer und die festen Fristen und Termine des Vollstreckungsverfahrens sich zeitig auf Versteigerung und Räumung einrichten konnte. Vielleicht auch läßt sich das einstweilige Hinausschieben der Räumung, etwa eines landwirtschaftlichen Anwesens, auf einzelne Gebäude oder Gebäudeteile (Wohnhaus) begrenzen, so daß der Ersteher im übrigen das Anwesen zu bewirtschaften imstande ist. 6. Die rechtliche Qualifizierung von Meistgebot und Zuschlag ist für die Sachvollstreckung durch die Verweisung des § 817 I ZPO auf § 156 B G B entschieden: Gebot und Zuschlag sind als Vertrag zusammengefaßt, und zwar, da die Verwertung durch den Gerichtsvollzieher in hoheitlicher Funktion stattfindet, als öffentlichrechtlicher kaufähnlicher Vertrag29. Wer das Gebot des Meistbietenden lediglich als Wirksamkeitserfordernis30 oder gar nur als Motiv31 für das einseitige hoheitliche Handeln des Gerichtsvollziehers einstuft, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß er von der ausdrücklichen gesetzlichen Konstruktion
25 Zutreffend O L G München OLGZ 1969, 43; LG Hamburg MDR 1971, 671; Dassler/ Scbiffhauer/Gerbardt/Muth, ZVG, 12. Aufl. 1991, § 9 3 Rdn. 17; Steiner/Storz §93 Rdn. 47; Zeller/Stöber § 93 Rdn. 5. 26 Dorn RPfl. 1989, 262, 266 ff; Dassler/Schiffiauser/Gerbardt/Mutb § 30 a Rdn. 25; Steiner/Storz § 30 a Rdn. 87; Zeller/Stöber Einl. 55.1. 27 Treffend Steiner/Storz § 93 Rdn. 47. 28 So aber LG Kiel NJW 1992, 1174. 29 Baur/Stümer Rdn. 472; Bruns/Peters § 23 IV 2; Rosenberg/Schilken § 53 III 1 a. 30 Lüke ZZP 68, 341 ff, 349 ff. 31 Stein/Jonas/Münzberg % 817 Rdn. 20.
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abrückt 32 . Auch wenn diese Vorschrift auf dem Boden der früheren privatrechtlichen Betrachtung des Versteigerungsvorgangs erwachsen ist, läßt sie sich gerade wegen des Zusammenwirkens von Meistbietendem und Gerichtsvollzieher zwanglos auf hoheitsrechtlicher Ebene einordnen. N u n fehlt es im ZVG an einer dem § 817 I Z P O entsprechenden Vorschrift; der Gesetzgeber überließ die dogmatische Frage der Rechtsnatur des Zuschlags ausdrücklich der Rechtswissenschaft 33 . In den Einzelregelungen jedoch wird die Vorstellung von einem Vertragsmodell deutlich. § 81 II ZVG spricht für den Fall der Zession von dem Recht und der Verpflichtung aus dem Meistgebot. § 118 I ZVG regelt die Übertragung der Forderung gegen den Ersteher auf den Berechtigten, falls die Bezahlung des Steigpreises unterbleibt. Nach den §§ 132 f ZVG richtet sich die Vollstreckung der Forderung gegen den Ersteher. § 56 ZVG ordnet den Ubergang der Gefahr, der Nutzungen und Lasten sowie den Ausschluß der Gewährleistung, also typische Elemente eines Kaufvertrags. Einige Besonderheiten erklären sich damit, daß der öffentlich-rechtliche kaufähnliche Vertrag im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens geschlossen wird. So kann der Ersteher nicht gegen das Vollstreckungsgericht (das Land) auf Erfüllung klagen, sondern ist auf die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsverfahrens (§11 RPflG, § 793 ZPO) angewiesen; deswegen braucht man nicht schon den Erfüllungsanspruch des Erstehers zu leugnen34. Vermißt man die privatautonome Gestaltung der Rechtslage durch die Beteiligten35, so übersieht man die Freiheit des Bieters, überhaupt ein Gebot abzugeben und es inhaltlich in dem einen Hauptpunkt des Bargebots zu bestimmen. Eine Freiheit des Rechtspflegers, ein - gültiges - Gebot abzulehnen, aber kann es nicht geben; er würde sonst seiner Amtspflicht, das Grundstück bestmöglich zu verwerten, nicht nachkommen. Weitere Argumente entfernen sich immer weiter von dem Vertragsmodell der §§ 817 I ZPO, 156 BGB, indem sie den naheliegenden Inhalt von Meistgebot und Zuschlag - Grundstückserwerb zu den Versteigerungsbedingungen und zum Meistgebot - verändern und ins" Dieser Vorwurf trifft auch den Vorschlag von Gaul, Gedächtnisschrift für Aren s, 1993, S. 107 ff, das Gebot als Antrag und den Zuschlag als den die Eigentumsüberweisung vorbereitenden Hoheitsakt zu kennzeichnen. 33 Motive ZVG, 1889, S. 119. 34 So aber Stein/Jonas/Münzberg § 817 Rdn. 16 und 20 zur Sachpfändung; Gaul aaO S. 110 f, 114; auch § 817 III, IV Z P O setzt offensichtlich eine Zahlungspflicht des Erstehers voraus. 35 So neuestens Stadlhofer-Wissinger, Das Gebot in der Zwangsversteigerung - eine nicht anfechtbare Prozeßhandlung, 1993, S. 85; ihr folgend Gaul aaO S. 117.
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besondere ihre Bedeutung vermindern. So soll das Gebot nicht allein auf Zuschlagserteilung, sondern zunächst auf Zulassung gerichtet, die Zulassung aber nicht Vollzug des Willens des Bieters sein36; hier wird dem Gebot ein Inhalt unterstellt, den Sachanträge im Verfahren nicht haben (die Amtsprüfung genügt) und den es auch bei dem Vertragsmodell des § 817 I nicht gibt, obwohl auch hier das Vollstreckungsorgan (Gerichtsvollzieher) die Wirksamkeit des Gebots prüfen muß37. O b gleich auf Zuschlagserteilung gerichtet, stelle das Gebot keine Willenserklärung dar, weder eine privatrechtliche noch eine öffentlichrechtliche, es ziele nur auf Beurteilung und Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht 38 . Das Gebot umfasse die materiellen Rechtsfolgen, primär (?) den Eigentumserwerb, sekundär (?) das geringste Gebot und die Barzahlungspflicht, führe indessen nicht zur unmittelbaren Selbstverwirklichung des Bieters, sondern zum privatrechtsgestaltenden Hoheitsakt 39 . Aber auch er trage nur formellen Charakter; alle Rechtsfolgen ergäben sich aus dem Gesetz; auch die Zahlungspflicht, da das Surrogationsprinzip gelte; das Gebot und seine Höhe seien nur Ausdruck der Dispositionsbefugnis des Bieters; die Übernahme der bestehenden bleibenden Rechte beruhe nicht auf dem Gebot, sondern auf dem Deckungs- und Erhaltungsprinzip 40 . Alle diese Thesen resultieren aus dem doppelten Fehler, dem Meistgebot wie dem Zuschlagsbeschluß die aktuelle Bedeutung zu rauben. Die Auslegung des Meistgebots zeigt doch gerade den Willen des Bieters, das Grundstück zu dem von ihm bestimmten Preis zu erwerben; und die Übernahme der im geringsten Gebot aufgeführten dinglichen Rechte ist ebenfalls Kernstück des Gebots, weil diese Rechte die Rechtslage des Grundstücks prägen und die Höhe des Steigpreises mitbestimmen. Das Meistgebot und der Zuschlagsbeschluß als Annahme des Gebots knüpfen die schuldrechtliche Beziehung der Beteiligten. Natürlich beruht der Zuschlag auf einer gesetzlichen Grundlage, und selbstverständlich basiert die gesetzliche Regelung auf dem Deckungs- und Übernahmeprinzip sowie auf dem Surrogationsprinzip. Aber die generelle, abstrakte Regelung wird im konkreten Fall erst durch die Handlungen der Beteiligten aktuell, erst Gebot und Zuschlag begründen die Rechte und Pflichten im Einzelfall. Der Zuschlag hat konstitutive, vertragsbegründende Wirkung, nicht bloß formellen Charakter zur Identifizierung der Rechtsfolgen 41 . Man
" So Stadlhof er-Wissinger S. 75 ff. Diese Parallele wird von Stadlhofer-Wissinger (S. 88) verkannt. " So Stadlhof er- Wissinger S. 95 ff; ihr folgend Gaul aaO S. 118. M So Stadlhof er- Wissinger S. 97 ff. 40 So Stadlhof er-Wissinger S. 102 ff, 107 ff, 110 ff, 124 f. 41 So aber Stadlhofer-Wissinger S. 102. 37
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darf hiermit nicht die gesetzlichen dinglichen und vollstreckungsrechtlichen Folgen des Zuschlags (§ 90 ff ZVG) vermengen. Im Hintergrund der Diskussion um die Rechtsnatur von Gebot und Zuschlag steht oft das Bestreben, die Anfechtbarkeit des Gebots wegen Inhaltsirrtums (§119 1 BGB) zu vermeiden. In der Tat erscheint es konsequent, aus der Einstufung des Gebots als Prozeßhandlung den Ausschluß der Anfechtbarkeit zu folgern; erst recht, wenn man das Gebot auf einen Antrag auf Zulassung und Zuschlagserteilung reduziert42. Freilich fällt dann der Irrtum unter den Tisch, obwohl der Bieter sich doch gerade über die wesentlichen Punkte der bestehenbleibenden dinglichen Rechte und zugleich der Höhe seiner Belastungen und Entgeltsverpflichtungen täuscht. Der Schaden bleibt ihm; Amtshaftung scheidet offensichtlich aus. Mit diesem Ergebnis kann man sich für die Praxis nicht zufriedengeben43! Das Resultat bekräftigt, daß der Ausgangspunkt nicht richtig ist. Geht man hingegen von einem öffentlichrechtlichen kaufähnlichen Vertrag aus und somit von einem auf den gesamten Vertragsinhalt gerichteten Willen des Bieters, liegt es nahe, seine sich auf diesen Inhalt beziehenden Willensmängel als Inhaltsirrtum analog § 119 I B G B zu berücksichtigen; erst die Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses beendet die Anfechtbarkeit44. Eine unzumutbare Rechtsunsicherheit der Mitbieter läßt sich schwerlich behaupten45; ihre Gebote sind durch Ubergebot jeweils erloschen, und nur das vorletzte Gebot könnte durch die Anfechtung wieder Wirksamkeit erlangen. 7. Zur Bestandskraft von Vollstreckungsentscheidungen zeichnet § 79 ZVG jedenfalls den Leitgedanken vor: Der Rechtspfleger ist bei der Beschlußfassung über den Zuschlag an seine vorher getroffenen Entscheidungen nicht gebunden. Damit hat er die Möglichkeit (und die Pflicht), die Richtigkeit seiner Vorentscheidungen, die nicht selbständig angreifbar waren (§ 95 ZVG), ζ. B. Feststellung des geringsten Gebots, Zurückweisung eines Gebots, nochmals zu überprüfen46. Mangels Selbstbindung des Rechtspflegers kann es keine materielle Rechtskraft dieser Vorentscheidungen geben, mag man ihnen, weil kein Rechtsbehelf statthaft ist, formelle Rechtskraft zumessen. 42 Konsequent also Stadlhofer-Wissinger S. 133 ff; 149 ff: ein unbeachtlicher Motiv- und Rechtsfolgenirrtum. Ebenso Gaul aaO S. 125. 43 Gaul aaO S. 123 f gibt dieser wichtigen Überlegung keinen Raum, obwohl er die Lage des sich irrenden Bieters zutreffend beschreibt. 44 B G H N J W 1984, 1950; Bruns/Peters § 3 4 II 2 b; Steiner/Storz § 7 1 Rdn. 97; Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth § 71 Rdn. 3 und 4; Gerhardt, Vollstreckungsrecht, 2. Aufl. 1982, § 1 1 III 5 Fn. 26. 45 So aber Stadlhofer-Wissinger S. 141 ff, 145 ff. 46 E.Peters Z Z P 90, 150 f; Steiner/Storz § 7 9 Rdn. 2; Dassler/Schifflauer/Gerhardt/ Muth § 79 Rdn. 1.
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In den Fällen, in denen gesetzlich ein eigenständiges befristetes Rechtsbehelfsverfahren vorgeschrieben wird, sind Rechtsprechung und Schrifttum dagegen rasch bei der Hand, den Erinnerungs- und Beschwerdebeschlüssen - auch den nicht angefochtenen Beschlüssen des Rechtspflegers? - alle Elemente der Bestandskraft zuzusprechen. Freilich nicht ohne innere Widersprüche! So sollen Wertfestsetzungsbeschlüsse (§ 74 a V Z V G ) auf einen zweiten Antrag hin abänderbar sein, wenn erhebliche Tatsachen neu vorgetragen werden, selbst wenn sie schon zur Zeit des ersten Festsetzungsverfahrens vorhanden waren, es sei denn, der Antragsteller habe damals schuldhaft versäumt, sie vorzutragen 47 . Hier werden also die zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft einfach beiseite geschoben und durch ein frei erfundenes Schuldprinzip ersetzt. Ahnlich wird die Wiederholung eines Schutzantrags nach § 30 a Z V G befürwortet, wenn der Schuldner neue erhebliche Tatsachen präsentiert, die er bisher nicht vortragen konnte 48 ; die Frist des § 30 b Z V G soll dann nicht entgegenstehen. Außerdem bleibt zu beachten, daß Entscheidungen nach § 74 a V Z V G oder § 30 a Z V G nur gegenüber den Beteiligten wirken, nicht gegenüber einem später beitretenden Gläubiger; so wirken die Beschlüsse ohnehin nur relativ 49 . Aus diesen Gründen, auch wegen des eher summarischen Charakters der Antrags-, Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren 50 , erscheint es als angemessene Lösung, den Beschlüssen nach §§ 74 a V, 30 a Z V G ebenfalls - wie den von § 79 Z V G erfaßten Entscheidungen - keine materielle Rechtskraft zuzumessen. Alle diese Beschlüsse dienen lediglich dazu, die Gesetzmäßigkeit des Vollstreckungsverfahrens sicherzustellen; erst der Zuschlagsbeschluß bringt die abschließende Entscheidung. Faßt man die ihm vorgehenden Beschlüsse also nur als verfahrensleitende Beschlüsse auf, so zeigt sich eine überraschende Parallele zur allgemeinen Dogmatik der Beschlüsse 51 . Schon in den Motiven zur C P O 5 2 steht zu lesen: daß Beschlüsse und Verfügungen prozeßleitender Natur für das Gericht keine bindende Kraft hätten, sei von dem Entwurf als selbstverständlich
47 So Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth § 74 a Rdn. 36; Steiner/Storz § 74 a Rdn. 110; unklar Zeller/Stöber § 74 a Rdn. 7, 20 a), die aber Rdn. 7, 20 b) richtig materielle Rechtskraft verneinen. 48 So O L G Koblenz N J W 1955, 148; Anheier N J W 1956, 1668; a. A. die h. L.; so Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth § 30 b Rdn. 11; Zeller/Stöber % 30 b Rdn. 12; Steiner/ Starz § 30 b Rdn. 47. 49 E. Peters ZZP 90, 151; Steiner/Storz § 30 b Rdn. 41 und 42, § 74 a Rdn. 110. 50 Näheres vgl. E. Peters Z Z P 90, 149 f; Bruns/Peters § 14 VII 2 c. 51 Gemeint sind in den folgenden Quellen vermutlich in erster Linie die Beschlüsse im Erkenn tnisverfahren. 52 Hahn, 2. Bd., 1. Abt., S. 288 zu § 279 des Entwurfs.
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weggelassen. Eine Einstellung, die sich bis heute in Rechtsprechung und Schrifttum behauptet hat53. Dementsprechend erwachsen auch die Beschlüsse in der Mobiliarvollstreckung nicht in materieller Rechtskraft. Nach dem für alle Vollstreckungsarten geltenden § 765 a III Z P O ζ. B. hat der Rechtspfleger seinen Beschluß aufzuheben oder zu ändern, wenn es mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist. Nach h. L. genügen auch schon vorher vorhandene Tatsachen, wenn nur der Antragsteller außerstande war, sie im ersten Schutzverfahren geltend zu machen54. Die Begründung, die entsprechende Anwendung des § 767 II Z P O sei nicht gerechtfertigt, weil § 765 a Z P O als allgemeine Härteklausel eine weitgehende Freistellung des Vollstreckungsgerichts erfordere, täuscht darüber hinweg, daß man in Wahrheit - wie zu §§ 30 a, 74 a ZVG (vgl. oben) - die materielle Rechtskraft solcher Beschlüsse preisgibt. Die gleichen Überlegungen, Ergebnisse und (Schein-) Argumente müssen für andere Entscheidungen in der Mobiliarvollstreckung ebenfalls gelten, z.B. zu einem Pfändungsverbot nach §811 ZPO. Warum sollten Entscheidungen zum speziellen Schuldnerschutz materielle Rechtskraft erlangen und Entscheidungen zum allgemeinen Schuldnerschutz nicht? Spricht also die Funktion der Beschlüsse, das Vollstreckungsverfahren zu leiten und zu kontrollieren, dafür, sie nicht durch materielle Rechtskraft zu verfestigen, sondern sie der u. U. wechselnden Sachlage anzupassen, so erscheint die Begründung der Gegenposition eher formal. Sie hat die Beschlüsse im Auge, gegen die sofortige Beschwerde (Erinnerung) oder sofortige weitere Beschwerde statthaft ist oder die auf das Rechtsmittel hin letztinstanzlich ergangen sind (§§ 793 ZPO, 1112, II RPflG, 30 b III, 74 a V ZVG). § 577 III ZPO; so heißt es55, untersage dem Untergericht die Abhilfe, um durch rasche Vorlage an das Obergericht eine baldige Entscheidung zu ermöglichen; dies bedeute, daß die sofortige Beschwerde auch zu einer endgültigen, d. h. materiell rechtskräftigen Entscheidung führen müsse; dagegen seien Beschlüsse, die der einfachen Beschwerde unterlägen, änderbar. - Diese Begründung befremdet durch Unterstellungen und Widersprüche. Sie unterstellt dem Gesetzgeber, er habe übersehen, die Anwendung der doch so wichtigen » Rosenberg/Schwab/Gottwald, 15. Aufl. 1993, § 6 1 II 2 a; MK/MusieUk §329 Rdn. 11; Stein/Jonas/Schumann § 329 Rdn. 18. 54 So MK/Arnold § 765 a Rdn. 110; Stein/Jonas/Münzberg § 765 a Rdn. 24 in Verbindung mit § 766 Rdn. 50; Zeller/Stöber § 765 a Rdn. 29. Dasselbe müßte für Änderungsbeschlüsse nach § 850 g Z P O gelten. 55 MK/Braitn Vorbem. Rdn. 6 vor § 567; Stein/Jonas/Grunsky § 577 Rdn. 10; Thomas/ Putzo Vorbem. Rdn. 14 vor § 567; Zöller/Schneider § 567 Rdn. 21; ebenso im Ergebnis Steiner/Storz § 30 b Rdn. 47.
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§§ 318, 322 ff ZPO in § 329 oder § 577 anzuordnen; die Aufzählung in § 329 12 Z P O legt jedoch eher die Vermutung nahe, daß der Gesetzgeber jene Vorschriften bewußt ausgespart hat; sah er aber die Beschlüsse als änderbar an, so erübrigte es sich auch, die §§ 319-321 ff ZPO in Bezug zu nehmen. Auch hat der Ausschluß der Abhilfe durch das Untergericht (§ 577 III ZPO) durchaus eigenen Wert, um das Beschwerdeverfahren zu beschleunigen und formelle Rechtskraft 56 herbeizuführen; Folgerungen zur Bestandskraft der Entscheidungen lassen sich daraus nicht ableiten. Zumal einzelne Entscheidungen kraft ausdrücklicher Vorschrift änderbar sind, obwohl sie mit sofortiger Beschwerde (so §§ 150, 252, 620 b I, 620 c ZPO) oder mit befristeter Beschwerde (so §§ 124 Nr. 1-3, 127 II 1, III 3 ZPO) angefochten werden. Uberhaupt sollte man sich hüten, materielle Rechtskraft einfach danach zuzumessen, ob ein Beschluß mit sofortiger (befristeter) Beschwerde (Erinnerung) angreifbar ist oder mit einfacher Beschwerde (Erinnerung). Beide Gruppen sind nicht nach zwingenden sachlichen Gesichtspunkten unterschieden. Die Beliebigkeit der Einteilung zeigt sich auch darin, daß die §§ 537, 543 des Entwurfs einer ZPO aus dem Jahre 1931 die Abhilfe für alle Beschwerden vorsahen, während die Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit im Jahre 1961 sämtliche Beschwerden befristen wollte (S. 222 f); sollte mit diesen Instrumenten für eine zügige Erledigung der Beschwerdeverfahren etwa die Qualität der Beschlüsse erster und zweiter Instanz neu bestimmt werden? Es bestätigt sich also, daß die Funktion eines Beschlusses seine Bestandskraft prägt. Verfahrensleitende Beschlüsse57 erwachsen daher nicht in materieller Rechtskraft, weder im Erkenntnisverfahren noch im Vollstreckungsverfahren. III. Die vorstehenden Überlegungen erheben keineswegs den Anspruch, die Dogmatik der Immobiliarvollstreckung auszuschöpfen. Weitere Parallelen, etwa zum Schuldnerschutz bei der Verwertung der Vollstreckungsobjekte oder bei der Bestimmung der Folgen fehlerhafter Vollstreckungshandlungen (vgl. §§ 83, 100 ZVG, namentlich § 100 III ZVG), sind denkbar. Die Beispiele sollen aber deutlich machen, wie fruchtbar die verbindende Betrachtung der verschiedenen Geldvollstreckungsarten sein kann. 56 Auf den Eintritt nur der formellen Rechtskraft beziehen sich auch die Motive (Hahn, 2. Bd., 1. Abt., S. 377 zu § 516 des Entwurfs). 57 Anders urteilsähnliche Beschlüsse, vor allem nach den §§ 519 b II, 554 a II, 91 a ZPO.
Der Insolvenzplan im japanischen und deutschen Recht HANNS PRUTTING
I. Einleitung Die grundlegende Reform des deutschen Insolvenzrechts, die nunmehr durch die Zustimmung des Bundesrats in seiner letzten Sitzung vom 8. 7. 1994 Wirklichkeit geworden ist1, darf sicherlich als ein epochales Ereignis bezeichnet werden. An dieser Reform haben in den vergangenen 20 Jahren viele Fachleute intensiv mitgewirkt, nicht zuletzt auch Wolfram Henckel, der das geltende deutsche Konkursrecht wie auch die Insolvenzrechtsreform über Jahrzehnte in herausragender Position bearbeitet und fortentwickelt hat. Auch wenn die nunmehr Gesetz gewordene Regelung des Insolvenzrechts in mancherlei Weise sicherlich nicht mit seinen Vorstellungen übereinstimmt 2 , so liegt es doch nahe, dem Jubilar zu Ehren im folgenden insolvenzrechtliche Überlegungen anzustellen. II. Uberblick über das neue Insolvenzrecht Die neue Insolvenzordnung wird ab 1.1. 1999 das bisherige in Deutschland geltende Recht wesentlich umgestalten. In formaler Weise werden die Konkursordnung von 1877, die Vergleichsordnung von 1935 und die Gesamtvollstreckungsordnung von 1990 abgelöst und durch ein einheitliches Gesetz ersetzt. Inhaltlich ist dieses Gesetz abweichend von ' Das offizielle Gesetzgebungsverfahren zur neuen Insolvenzordnung begann mit dem Regierungsentwurf vom 15.4. 1992 (BT-Drucks. 12/2443). Dieser Regierungsentwurf wurde im Bundestag am 3. 6. 1992 in erster Lesung und am 21. 4. 1994 in zweiter und dritter Lesung behandelt und verabschiedet. Der Bundesrat (BR-Drucks. 336/94) hat am 20. 5. 1994 den Vermittlungsausschuß angerufen. Das Ergebnis der Abschlußberatung des Vermittlungsausschusses vom 15. 6. 1994 lag dem Bundesrat am 8. 7. 1994 zur Entscheidung vor (BR-Drucks. 634/94). Der Bundesrat hat an diesem Tage keinen Einspruch eingelegt und damit den Weg für ein Inkrafttreten des Gesetzes freigemacht. 2 Man vergleiche insbesondere die kritischen Auseinandersetzungen von Henckel mit dem damaligen Diskussionsentwurf in KTS 1989, 477 ff; vgl. ferner ders., in: Leipold (Hrsg.), Insolvenzrecht im Umbruch, 1991, S. 239 ff; ferner ders., Reform des Insolvenzrechts, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung der 80er Jahre - Osnabrücker Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 27, Köln 1991; ders., Insolvenzrechtsreform zwischen Vollstreckungsrecht und Unternehmensrecht, FS für Merz, 1992.
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der bisherigen Konkursordnung nicht mehr in Teilbereiche zum materiellen Konkursrecht und zum Konkursverfahren aufgespalten, sondern die InsO lehnt sich im Kern am Verfahrensablauf an. Die Verfahrenseröffnung des künftigen Insolvenzrechts ist durch einen einheitlichen Insolvenzantrag geprägt, so daß der Schuldner beim Eigenantrag nicht mehr vor der Notwendigkeit steht, die Entscheidung zwischen einem Konkurs- und einem Vergleichsantrag treffen zu müssen. Erweitert werden die Insolvenzfähigkeit für die Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (vgl. nunmehr § 11 Abs. 2 N r . 1 InsO im Hinblick auf die BGB-Gesellschaft), erweitert werden ebenso die Eröffnungsgründe im Hinblick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit (§18 Abs. 1 InsO). Erschwert wird weiterhin die Zurückweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse durch § 54 InsO. Im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens sieht das Gesetz künftig eine Erweiterung des Kreises der Insolvenzgläubiger vor. Durch § 39 InsO werden nämlich auch bisher ausgeschlossene Forderungen in das Insolvenzverfahren mit dem Status eines nachrangigen Insolvenzgläubigers einbezogen. Andererseits entfallen künftig die Konkursvorrechte des § 61 Abs. 1 N r . 1 bis 5 KO. Weiterhin wird das künftige Recht eine Verschärfung der Insolvenzanfechtung enthalten (§§ 129 bis 147 InsO). Bedeutsame Veränderungen ergeben sich auch durch eine stärkere Einbeziehung der Sicherungsgläubiger in das Verfahren. Betroffen sind hier vor allem die Mobiliarsicherheiten. So obliegt die Verwertung der besitzlosen Mobiliarsicherheiten künftig gemäß § 166 InsO grundsätzlich dem Verwalter. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des bisherigen § 127 Abs. 2 K O wird damit umgekehrt. Hinzu kommt, daß vor der Auskehr des Erlöses ein Kostenbeitrag zu Lasten des Sicherungsgläubigers in Höhe von 9 % des Verwertungserlöses abgezogen wird (wobei das Entstehen von Umsatzsteuer noch ausgeklammert ist). Ein Kernstück des Insolvenzrechtsreform stellt das Planverfahren dar. Es wird künftig in den §§217 bis 253 InsO geregelt sein und soll insbesondere den Reformplänen einer Deregulierung und einer verstärkten Gläubigerautonomie dienen (im einzelnen s. unten III). Die wohl wichtigste gesetzgeberische Veränderung im Rahmen des Konkurses natürlicher Personen ist die Einführung der Restschuldbefreiung (§§ 286 bis 303 InsO). Durch sie wird das freie Nachforderungsrecht des § 164 Abs. 1 K O beseitigt. Die Einführung der Restschuldbefreiung entspricht einem seit langem geäußerten Reformziel, dem insolvent gewordenen Schuldner die Chance eines Neuanfangs zu geben und damit die viel diskutierte Schuldturm-Problematik abzumildern. Schließlich hat das neue Insolvenzrecht in diesem Zusammenhang ein eigenes Verbraucherinsolvenzverfahren geschaffen, das bei natürlichen Personen, die keine oder nur eine geringfügige selbständige wirt-
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schaftliche Tätigkeit ausüben, zu einer erheblichen Verfahrensvereinfachung führen soll und Teile der Krisenbewältigung in den außergerichtlichen Bereich verlagert. Ziel dieses Sonderverfahrens ist also neben der Verfahrensvereinfachung auch die Entlastung von Insolvenzverwaltern und Gerichten. III. Grundgedanken eines Insolvenzplans Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen soll der Insolvenzplan stehen, ein Instrument, das von zentraler Bedeutung im Rahmen der deutschen Reform gewesen ist, dem aber auch in anderen Rechtsordnungen große Bedeutung zukommt. Der Gedanke eines Insolvenzplans ist zweifellos eng mit der Stärkung der Privatautonomie im Insolvenzfall verknüpft. Er war von Anfang an als Kernstück der Insolvenzrechtsreform gedacht und fand seine Regelung im Diskussionsentwurf 1988 in den §§ 243 bis 305. Er sollte an die Stelle von Vergleich und Zwangsvergleich treten und den Beteiligten den Rahmen für eine einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlung und privatautonomen Austauschprozessen ermöglichen. Darin sahen die Verfasser des Diskussionsentwurfs den entscheidenden Beitrag zur Deregulierung der Insolvenzabwicklung 3 . Nunmehr hat der deutsche Gesetzgeber das Planverfahren in den §§217 bis 253 InsO geregelt. Das Instrument des Insolvenzplans eröffnet die Möglichkeit, die Haftungsverwirklichung im weitesten Umfang abweichend vom gesetzlichen Regelverfahren zu gestalten. Damit wird jede Möglichkeit einer Sanierung einschließlich der übertragenden Sanierung und auch jede Form der Liquidation eröffnet. Zur Vorlage eines Insolvenzplans sind der Schuldner und der Verwalter befugt (§ 218 InsO). Ein Plan kann vom Gericht wegen formeller Mängel zurückgewiesen werden (§ 231 InsO). Über ihn wird in einem einheitlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin entschieden (§ 235 InsO). Dabei stimmen die Gläubiger in verschiedenen Gruppen ab (§ 243 InsO), die gemäß § 222 InsO gebildet werden. Zur Annahme des Plans ist jeweils eine Summen- und Kopfmehrheit erforderlich (§ 244 InsO). Mit Hilfe eines im bisherigen Recht unbekannten O b struktionsverbotes kann die Zustimmung von Abstimmungsgruppen ersetzt werden, wenn die Gläubiger einer Gruppe durch den Plan nicht schlechter als nach dem Regelverfahren gestellt werden und angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden (§ 245 Abs. 1 InsO). Mit der Rechtskraft der Planbestätigung treten die im gestaltenden Teil fest5 Allgemeine B e g r ü n d u n g des Diskussionsentwurfs, zitiert nach d e m v o m BMJ herausgegebenen Materialienband, Köln 1988, S. A 56 ff.
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gelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nunmehr können die in die Tabelle eingetragenen festgestellten und nicht bestrittenen Forderungen wie aus einem vollstreckbaren Urteil vollstreckt werden (§ 257 InsO). Danach wird das Verfahren vom Insolvenzgericht aufgehoben (§ 258 Abs. 1 InsO), sofern nicht die Überwachung der Planerfüllung vorgesehen ist (vgl. §§ 261 Abs. 1 i. V. mit 260 Abs. 1 InsO). Schließlich sieht das neue Recht für den Fall der Nichterfüllung des Plans durch den Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen das Wiederaufleben gestundeter oder teilweise erlassener Forderungen vor (§ 255 InsO). Das im Insolvenzplan verwirklichte Grundanliegen der Reform des deutschen Insolvenzrechts steht in rechtsvergleichender Sicht nicht isoliert im Raum. Ausgehend von dem weltweiten Wunsch nach Sanierung und Reorganisation insolventer Unternehmen beruft sich das deutsche Recht in der Gesetzesbegründung in bemerkenswertem Umfang auf rechtsvergleichende Erkenntnisse 4 . Es ist allgemein bekannt, daß das neue deutsche Insolvenzrecht in erheblichem Umfang vom Recht der Vereinigten Staaten von Amerika beeinflußt ist. Weniger bekannt ist demgegenüber, daß sich die Neuordnung auch auf Reformen in England, Frankreich und Osterreich, ferner auf die Rechtsentwicklung in den skandinavischen Staaten, in der Schweiz, in Italien und selbst in Japan bezieht 5 . In jüngster Zeit ist es im übrigen in verschiedenen Staaten der Erde zu weiteren Reformschritten im Insolvenzrecht gekommen, so beispielsweise in Österreich. Dort ist die Konkursordnungsnovelle 1993 verabschiedet worden, die am 1 . 1 . 1995 in Kraft tritt. Geplant ist dort ferner ein weiteres Insolvenzrechtsänderungsgesetz. Selbst in den U S A ist 1994 das Konkursrecht novelliert worden, das davor 16 Jahre unverändert geblieben war. Im folgenden soll ein besonderer Blick auf die Rechtslage des Sanierungsplans nach japanischem Recht gerichtet werden. IV. Der Sanierungsplan nach japanischem Insolvenzrecht Das japanische Insolvenzrecht ist geprägt durch eine starke Aufspaltung der gesetzlichen Grundlagen 6 . In Japan gibt es nach deutschem Vorbild eine Konkursordnung und eine Vergleichsordnung (beide aus * Vgl. die Allg. Begründung des Referentenentwurfs, als Materialienband hrsg. vom BMJ, S. 114 ff. 5 Zu Grundzügen dieser Rechtsordnungen vgl. den ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Köln 1985, S. 10 ff, 155 ff. 6 Zum folgenden vgl. aus der Literatur Mikami, ZZP 101 (1988), 34 ff; Nakano, in: Baumgärtel, Grundprobleme des Zivilprozeßrechts, 1976, S. 141 ff; Shimojima, ZIP 1982, 805 ff; V. Henckel, in: Eubel, Das japanische Rechtssystem, 1979, S. 189 ff; den., KTS
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dem Jahre 1922). Daneben kennt das japanische Recht im Rahmen des japanischen H G B zwei weitere besondere Insolvenzverfahren, die in der Praxis für kleinere und mittlere Unternehmen eine gewisse Bedeutung erlangt haben. Es handelt sich um ein spezielles Reorganisationsverfahren (§§ 381 ff H G B ) sowie um ein besonderes Liquidationsverfahren (§§ 431 ff H G B ) . Darüber hinaus gibt es in Japan wie in allen anderen Verfahrensbereichen auch im Insolvenzbereich außergerichtliche Formen privater Sanierung, die zahlenmäßig am häufigsten genutzt werden und insbesondere bei kleineren Insolvenzfällen vor erheblichem Vorteil sind. Nach dem verlorenen 2. Weltkrieg und unter dem Druck der amerikanischen Besatzung hat Japan dann im Jahre 1952 zusätzlich zu allen diesen Formen der Insolvenzbewältigung ein Gesellschaftssanierungsgesetz (GSG) erlassen, das in deutlicher Anlehnung an Chapter 11 (nach heutiger Zählung) des Bankruptcy Code der USA ausgestaltet wurde. Gleichzeitig wurde in die japanische Konkursordnung das Institut der Restschuldbefreiung eingeführt. Die Übernahme insolvenzrechtlicher Formen mit amerikanischer Tradition in ein eindeutig kontinentaleuropäisch geprägtes Rechtssystem wie das japanische dieser Zeit ist ein auch für uns sehr bemerkenswerter Vorgang und hat nach Berichten japanischer Juristen zu keinerlei besonderen Schwierigkeiten geführt, die über das normale Maß der Anwendung eines neuen Gesetzes hinausgegangen wären. Das G S G wurde in der Zeit nach 1952 insbesondere durch eine Novelle aus dem Jahre 1967 noch einmal erheblich verändert. Das Sanierungsverfahren nach dem G S G bezieht sich ausschließlich auf Aktiengesellschaften (§ 1 GSG). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in Japan die Zahl der Aktiengesellschaften weitaus höher ist als in den europäischen Staaten. Insbesondere gibt es in Japan auch eine sehr große Anzahl kleiner Aktiengesellschaften. Voraussetzung für ein Verfahren ist, daß die Erhaltung der insolventen Aktiengesellschaft aussichtsreich erscheint. Die Eröffnung des Verfahrens ist vorgesehen im Falle der aktuellen Zahlungsunfähigkeit, wenn andererseits noch Betriebsvermögen vorhanden ist, so daß die langfristige Fortführung des Betriebs nicht gefährdet erscheint. Ferner kann das Verfahren eröffnet werden beim Drohen eines Konkursgrundes. Konkursgrund ist nach japanischem Recht die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung. Antragsberechtigt für das Sanierungsverfahren ist die Aktiengesellschaft selbst, ferner sind dies mit Einschränkungen die großen Gläubiger und schließlich mit ähnlichen Einschränkungen größere Aktionäre. 1973, 161 ff; aus neuester Zeit F. Pape, Der Sanierungsplan nach japanischem Recht im Vergleich zum Insolvenzplan nach dem Entwurf einer Insolvenzordnung, Diss. jur. Köln 1994; Tanigucki, in: Baum/Drobnig, Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 1994, S. 676 ff.
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Es ergeht dann durch das Gericht ein Eröffnungsbeschluß, mit dem das Sanierungsverfahren beginnt (§ 2 GSG). Zusammen mit diesem Eröffnungsbeschluß ernennt das Gericht einen Sanierungsverwalter. Darüber hinaus bestimmt das Gericht Anmeldefristen für die Forderungen sowie je einen Termin für die erste Beteiligtenversammlung und für die Prüfung der angemeldeten Forderungen (§ 46 GSG). Die Geschäftsführungs- und Verfügungsbefugnis über die Aktiengesellschaft geht auf den Sanierungsverwalter über (§ 53 GSG). Er übernimmt die Geschäftsleitung (§ 174 GSG). Wichtige Aufgabe im Anfangsstadium der Sanierung ist die Bewertung des Vermögens der Gesellschaft durch den Verwalter (§ 177 GSG). Die sich anschließende erste Beteiligtenversammlung hat vor allem den Zweck, die einzelnen Beteiligten über die Gesamtsituation zu informieren. Diese Versammlung darf nicht später als zwei Monate nach Eröffnung des Sanierungsverfahrens stattfinden. Daran schließt sich ein Termin zur Prüfung der Sanierungsforderungen an (§ 135 GSG). Im weiteren Verlauf wird der Entwurf eines Sanierungsplanes aufgestellt. Der Sanierungsverwalter ist zur Vorlage eines solchen Planentwurfs verpflichtet. Nach § 190 GSG sind aber auch die Schuldnerin, die Gläubiger und die Aktionäre befugt, einen eigenen Planentwurf vorzulegen. Dies scheint in der Praxis aber nur sehr selten vorzukommen. Uber den vorgelegten Planentwurf wird in einer zweiten Beteiligtenversammlung beraten (§ 192 GSG). Daran schließt sich eine dritte und abschließende Beteiligtenversammlung an, bei der die verschiedenen Beteiligten je nach ihren einzelnen Rangklassen über den Plan abstimmen. Aus Gründen der Straffung des Verfahrens ist das Sanierungsverfahren auf diese drei Termine beschränkt. Als Rangklassen für die Abstimmung über den vorgelegten Planentwurf sieht § 159 GSG im Regelfall sechs verschiedene Gruppen vor: die Sanierungssicherungsgläubiger, die bevorrechtigten Sanierungsgläubiger, die einfachen Sanierungsgläubiger, die nachrangigen Sanierungsgläubiger, die einfachen Aktionäre sowie die Aktionäre mit gewissen Vorrechten. Das Gericht hat die Möglichkeit, Gläubiger verschiedener Gruppen zu einer Gruppe zusammenzufassen oder einzelne Gruppen weiter zu unterteilen. Wird der Planentwurf von den Beteiligten angenommen, hat das Gericht gemäß § 232 GSG die Aufgabe, über die Bestätigung des Plans zu entscheiden. Dabei kommt es zu einer Prüfung, ob die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen eingehalten sind, ob der Plan billig und gerecht ist und ob er die Aussicht für eine erfolgreiche Sanierung bietet (§ 232 GSG). Mit der Bestätigung des Planes werden die in ihm enthaltenen Änderungen der Rechtslage wirksam (§ 236 GSG). Die Schuldnerin wird gemäß § 241 GSG insbesondere von der Haftung für alle Sanierungsforderungen und Sanierungssicherungsrechte frei, soweit diese
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nicht in den Plan aufgenommen sind. Im übrigen gelten die im Sanierungsplan vorgesehenen Rechtsfolgen und Rechtsveränderungen (§ 242 GSG). Dies gilt selbst bei einem Fehlschlagen der Sanierung oder bei einer späteren Einstellung des Verfahrens (§ 279 GSG). Bereits dieser Uberblick macht deutlich, daß der Sanierungsplan nach japanischem Recht in Grundzügen auffallende Ähnlichkeiten mit dem amerikanischen Recht und mit dem Insolvenzplan nach der künftigen deutschen Insolvenzordnung aufweist. Das darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in vielen Einzelregelungen zwischen den drei Rechtsordnungen auch erhebliche Unterschiede gibt. V. Vergleichende Überlegungen Rechtsvergleichende Arbeiten sind speziell im Bereich des Insolvenzrechts bisher nicht gerade sehr häufig und ausgeprägt gewesen. Im Zusammenhang mit der intensiven Diskussion um eine Insolvenzrechtsreform in Deutschland und in ähnlicher Weise in neuerer Zeit auch in vielen anderen Ländern hat sich hier aber eine durchaus erstaunliche Entwicklung ergeben. In Gesetzgebung und Rechtswissenschaft werden nämlich zunehmend rechtsvergleichende Aspekte herangezogen. Dabei ist es eine in vielen Staaten zu beobachtende Tendenz, daß das gesetzliche Instrumentarium des Insolvenzrechts im Hinblick auf Sanierungsmöglichkeiten erweitert und ausgebaut wird. Diese Entwicklungstendenz war nach 1945 für das japanische Insolvenzrecht von prägender Bedeutung. Das deutsche Insolvenzrecht hat diese Entwicklung nunmehr mit zeitlicher Verzögerung nachvollzogen. Für die Beurteilung der deutschen Insolvenzrechtsreform ist es dabei eine im ganzen durchaus bemerkenswerte Tendenz, wenn sich aus dem vorangegangenen kleinen Uberblick die Feststellung ergibt, daß sich ausgehend vom amerikanischen Recht in Japan und in Deutschland nunmehr auffallende Strukturgleichheiten im Rahmen der Sanierung im Insolvenzbereich zeigen. Aus solchen generellen Strukturgleichheiten lassen sich sicherlich noch keine Folgerungen für Einzelfragen und für spezielle Probleme des künftigen deutschen Insolvenzrechts ableiten. Es kann aber soviel wohl gesagt werden, daß die Rezeption wichtiger Grundgedanken des künftig in Deutschland geltenden Rechts des Insolvenzplanes nicht schon deshalb bedenklich ist, weil dieses gesetzliche Konzept aus dem amerikanischen Recht und damit aus einem dem deutschen Recht sehr entfernten Rechtskreis stammt. Soviel jedenfalls zeigt das Beispiel Japans, daß sich in einer für die Praxis geeigneten Weise kontinentaleuropäische und angloamerikanische Rechtsinstitute zusammenfügen lassen. Andererseits darf bei solchen Harmonisierungsversuchen nicht vergessen werden, daß in allen diesen Rechtsordnungen immer wieder neue
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Probleme und Schwierigkeiten im einzelnen bei der Anwendung des Insolvenzrechts und bei seiner Anpassung an spezielle Gegebenheiten aufgetreten sind und auch in Zukunft auftreten werden. So lassen sich in den USA ebenso wie in Japan und in Deutschland immer wieder auch Novellierungsbemühungen feststellen, die vermutlich nach 1999 auch der neuen Insolvenzordnung nicht erspart bleiben werden. Speziell im Vergleich zwischen japanischem und deutschem Recht sind darüber hinaus neben den Strukturgemeinsamkeiten doch auch eine Fülle von Abweichungen im einzelnen festzuhalten. Diese beruhen im wesentlichen auf drei grundsätzlichen Unterschieden zwischen deutschem und japanischem Recht: Ein ebenso auffallender wie wichtiger Unterschied zwischen beiden Rechtsordnungen besteht darin, daß das deutsche Insolvenzrecht künftig in einer einheitlichen Kodifikation niedergelegt ist, die dementsprechend die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Insolvenzverfahren umfassen muß. Demgegenüber hat sich gezeigt, daß das japanische Recht schon äußerlich in vielfältigen Konzepten und Verfahrensordnungen niedergelegt ist. Dabei ist die Tatsache noch nicht näher berücksichtigt, daß das japanische Recht traditionell der außergerichtlichen Streitschlichtung sehr stark verhaftet ist und insbesondere eine große Zahl kleinerer Insolvenzfälle auf diesem Wege auch löst. Der Vorteil des deutschen Rechts, daß bei der Verfahrenseröffnung nicht schon endgültige Weichenstellungen zwischen einer Liquidation oder einer Sanierung eines Unternehmens getroffen werden müssen, liegt auf der Hand. Dem steht aber als Nachteil gegenüber, daß das deutsche Recht in einer wohl notwendigerweise komplizierten Form damit alle unterschiedlichen Insolvenzfälle erfassen muß. Es wäre sicherlich eine allzu naive Hoffnung, die die Anforderungen des modernen Wirtschaftslebens verkennen würde, wollte man in Deutschland künftig mit einer Kodifikation des Insolvenzrechts nach Art der Gesamtvollstreckungsordnung auskommen. Zwar sind in den vergangenen Jahren als politische Absichtserklärungen solche Wünsche mehrfach geäußert worden, bei näherer Prüfung kann dem aber keinerlei Realitätsgehalt zugesprochen werden. Ganz vordergründig ergibt sich das bereits daraus, daß die bisherige Anwendung der Gesamtvollstreckungsordnung in den neuen Bundesländern keinesfalls ohne ständige Analogien und Lückenfüllung durch die Konkursordnung und andere Normen ausgekommen ist. Ein weiterer Unterschied zwischen japanischem und deutschem Insolvenzrecht muß in gewisser Weise in der Zielsetzung von Gesellschaftssanierungen gesehen werden. So fällt auf, daß das japanische Recht in § 3 GSG der Sanierung zwei Ziele setzt: Einerseits soll das Unternehmen als solches erhalten werden, andererseits soll ein Ausgleich unter den Interessen der Beteiligten erreicht werden. Die Erhal-
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tung des Unternehmens bedeutet aber in Japan nicht, daß der Unternehmensträger erhalten bleiben soll. Es ist also kein Ziel des japanischen Rechts, die bisherige Geschäftsleistung und die bisherigen Aktionäre eines insolventen Unternehmens in ihren Beteiligungsformen erhalten zu wissen. Darüber hinaus führen die Schwierigkeiten, beide Ziele miteinander zu vereinbaren, dazu, daß im Ergebnis die Erhaltung der Substanz des Unternehmens als solche in der Praxis Vorrang hat. Daher verlangt man von den Beteiligten, insbesondere auch von den Gläubigern Opfer, um das Unternehmen zu retten. Demgegenüber ist das neue deutsche Insolvenzrecht von dem Grundsatz geprägt (§ 1 InsO), die Gläubiger des insolventen Schuldners nach Möglichkeit zu befriedigen und nur in diesem Zusammenhang durch Regelungen zum Erhalt des Unternehmens beizutragen. Das deutsche Recht erwartet also von einem Gläubiger keine Vermögensopfer im Gemeinwohlinteresse, die dieser Gläubiger nicht auch im Falle einer Liquidation des Unternehmens erbringen müßte. Insolvenzrecht ist dementsprechend nach deutscher Vorstellung kein Rechtsbereich, mit dem unmittelbar Arbeitsmarktpolitik oder Wirtschaftspolitik getrieben werden könnte. Solche Aspekte des Gemeinwohls können nach deutscher Auffassung allenfalls Nebeneffekte eines individuellen Verfahrens sein. In diesem wichtigen Punkt ist das japanische Recht also stärker gemeinschaftsorientiert.
Parteilehre, Streitgegenstand und der österreichische Oberste Gerichtshof WALTER H . RECHBERGER
I. Vorbemerkung Mit seiner 1961 erschienenen, weit über die deutschen Grenzen hinaus bekannten Habilitationsschrift „Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß" hat der Jubilar einen besonders wichtigen Beitrag zur Durchdringung einer der „ewigen Fragen" des Zivilprozeßrechts geleistet. Während aber manches der „klassischen" Themen der Prozeßdogmatik seine Lebenskraft weniger aus praktischem Bedürfnis denn aus der Diskussionslust eines eher engen Kreises von Zivilprozeßlehrern schöpft, bringt das Spannungsfeld von Parteilehre und Streitgegenstand regelmäßig auch im Prozeßalltag Konstellationen hervor, die zumindest der österreichischen Rechtsprechung zum Teil erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Der vorliegende Beitrag ist deshalb der Diskussion dreier einschlägiger Entscheidungen des österreichischen O G H aus den letzten Jahren gewidmet. II. Gewillkürter Parteiwechsel bei mangelnder Passivlegitimation des Beklagten In seiner E vom 30.1. 1992' hatte das Höchstgericht über folgenden Sachverhalt zu befinden: Der Kläger hatte von drei Personen Rechnungslegung über die Geschäftsführung einer Tanzkapelle begehrt. Als Drittbeklagter wurde „Josef T, Musiker, wohnhaft in X " bezeichnet. In seiner Klagebeantwortung brachte der in X wohnhafte Josef Τ vor, er sei Arbeiter und habe mit der Tanzkapelle, auf die in der Klage Bezug genommen worden war, nichts zu tun. Der Erst- und der Zweitbeklagte brachten in ihren Klagebeantwortungen unter anderem vor, richtigerweise müßte der in Y wohnhafte Musiker Josef Τ als Drittbeklagter in Anspruch genommen werden. Der Kläger nahm daraufhin seine Klage gegen Josef Τ aus X zurück. In der Folge erklärte aber der Anwalt des Erst- und Zweitbeklagten, ohnedies auch den Musiker Josef Τ aus Y zu vertreten. Darauf erklärte der Kläger, die Parteibezeichnung des Drittbeklagten auf „Josef T, Musiker in Y " „richtigzustellen". Das Erst1
WB1. 1992, 262 {Dellinger) = J A P 1992/93, 120 (abl.
Franenberger).
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gericht fällte keine Sachentscheidung gegenüber dem Drittbeklagten, das Berufungsgericht wies das vom Kläger dagegen erhobene Rechtsmittel ab. Der O G H erteilte aufgrund der Revision des Klägers dem Berufungsgericht den Auftrag, die Berufung auch hinsichtlich des Drittbeklagten Josef T, Musiker aus Y, zu behandeln. Der O G H führte aus, hier liege ein (im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehener) Parteiwechsel vor, da der vor der Klagerücknahme aufgetretene und der nunmehrige Drittbeklagte nicht identische Rechtssubjekte seien. Ein solcher Parteiwechsel sei nach der „bisher herrschenden Ansicht" 2 unzulässig; für seine Zulässigkeit führt der O G H HolzhammerJ, DellingerΛ und - wiederum, obwohl er ihn zuvor als Vertreter der ablehnenden h. M. geführt hat - Fasching' an. Er meint nun, es sei nicht zu sehen, wem es nützen sollte, daß der einmal begonnene Prozeß gegen eine Person, die von allen Prozeßbeteiligten übereinstimmend als (infolge eines Identitätsirrtums des Klägers) zu Unrecht geklagt und nicht sachlegitimiert angesehen wird, beendet und hierauf ein völlig neuer Rechtsstreit gegen die „richtige", sachlegitimierte Person eingeleitet werden müßte, obwohl alle Prozeßbeteiligten mit dem Eintritt des „richtigen" Beklagten und der Prozeßentlassung (sie!) des zu Unrecht Beklagten (und zwar durch „förmliche Klagezurückziehungserklärung" des Klägers!) ausdrücklich einverstanden seien. Unter diesen hier gegebenen besonderen Voraussetzungen - so der O G H - müsse das vom Erstgericht nach „Prozeßentlassung" des ursprünglich in der Klage als sachlegitimiert bezeichneten Drittbeklagten unter Einbeziehung des allseits als sachlegitimiert angesehenen Drittbeklagten abgeführte und geschlossene Prozeßverfahren auch hinsichtlich dieses Beklagten einer abschließenden Sachentscheidung zugeführt werden. Zu den vom O G H für seine Auffassung ins Treffen geführten Lehrmeinungen ist folgendes anzumerken: Einigermaßen zu Recht zitiert das Höchstgericht nur Holzhammer. Er vertritt nämlich in Anschluß an De Boor* die sogenannte Klagefortsetzungstheorie, wonach im Falle des gewillkürten Parteiwechsels bei mangelnder Passivlegitimation der zunächst in Anspruch genommenen Partei das Verfahren mit der alten und der neuen Partei als Einheit aufzufassen sei. Holzhammer modifiziert diese Lehre jedoch dahingehend, daß er in jedem Fall die Zustimmung 2 Der O G H nennt dafür Fasebing, Lehrbuch 2 Rdn. 383 ff (388); Rechherger/Simotta, Zivilprozeßrecht 3 Rdn. 159; sowie seine E EvBl. 1973/281; S Z 42/146; 4 O b 142/85; 2 O b 11/89. 3 Holzhammer, Zivilprozeßrecht 2 95. 4 Dellinger, Personenhandelsgesellschaft, Gläubigerschutz und Vollbeendigung während eines Passivprozesses, JBl. 1991, 629. 5 Fasching, Lehrbuch 2 Rdn. 388. 6 De Boor, Zur Lehre v o m Parteiwechsel und v o m Parteibegriff (1941).
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sowohl des alten, als auch des neuen Beklagten verlangt. D e r Eintritt in einen bereits laufenden Prozeß bedeute immer einen Teilrechtsschutzverzicht, zumal der Prozeßübernehmer den bisherigen Prozeßverlauf, von widerruflichen Akten abgesehen, nicht mehr ändern könne. Henckel hat freilich schon in seiner eingangs zitierten Habilitationsschrift mit außerordentlicher Klarheit dargetan, daß die Voraussetzungen f ü r eine Bindung des Eintretenden schon deshalb fehlen, weil durch den Parteiwechsel (sieht man von Fällen materiellrechtlicher Abhängigkeit ab) auch eine Änderung des Streitgegenstandes eintritt, die bisherigen Prozeßergebnisse also eine andere Sache betreffen 7 . Damit geht aber Holzhammers „Teilrechtsschutzverzicht" ins Leere. Z u d e m ist es fraglich, ob der O G H bei eingehender Beschäftigung mit den Prämissen der Thesen Holzhammers diesen A u t o r tatsächlich für seine Auffassung reklamiert hätte, da das Höchstgericht - worauf schon Frauenberger* hingewiesen hat - der Idee eines prozessualen Rechtsschutzverzichts außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle zu Recht ablehnend gegenübersteht 9 . Ist ein solcher Rechtsschutzverzicht aber unwirksam, so ergeben sich bei der Übernahme der Ergebnisse des Verfahrens mit dem „falschen" Beklagten zudem massive Gehörprobleme. Dellingers Beitrag (Fn. 4) zitiert der O G H als Beleg für seine Auffassung, ein gewillkürter Parteiwechsel könne „mit Einschränkungen" befürwortet werden. Die von Dellinger vorgeschlagene eingeschränkte Zulässigkeit eines gewillkürten Parteiwechsels bezieht sich aber ganz eindeutig nur auf den von diesem A u t o r behandelten Fall der Vollbeendigung einer Personengesellschaft im anhängigen Passivprozeß 10 . Ausdrücklich bemerkt Dellinger, ein „prozessuales Bedürfnis" nach einem gewillkürten Parteiwechsel könne etwa dann verneint werden, wenn sich der Kläger die Klagsführung gegen die falsche Partei selbst zuzuschreiben habe 11 . Fasching, den der O G H zuletzt bemüht, führt aus, ein Parteiwechsel zu dem Zweck, an die Stelle des unrichtigen Geklagten die sachlegitimierte Partei zu setzen, sei unzulässig, weil ein Parteiwechsel nur dann in Frage komme, wenn ihn das Gesetz ausdrücklich gestatte. Diese Stellungnahme ist wohl an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen. Der O G H scheint freilich auf das bei Fasching aaO „Kleingedruckte" Bezug zu nehmen; dort wird nämlich ausgeführt, es könne lediglich erwogen werden,
' Ausführlich Henckel, Parteilehre 235 ff. » Frauenberger, J A P 1992/93, 123. ' Vgl. Z V R 1984/182; EvBl. 1989/60 = J A P 1990/91, 106 (Klicka). 10 Diese Problematik ist in Osterreich bis dato ungelöst - vgl. Rechberger berger, K o m m e n t a r z u r Z P O , Rdn. 12 zu § 235 Z P O . 11 Dellinger, JB1. 1991,640.
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ob nicht im Rahmen des § 235 Abs. 5 ZPO mit Zustimmung des ursprünglichen und des neu eintretenden Beklagten ein Parteiwechsel zugelassen werden soll, wenn bereits aus der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervorgehe, daß ein anderes Rechtssubjekt als das als Beklagter bezeichnete verpflichtet ist und tatsächlich in Anspruch genommen werden sollte und dieses zum Eintritt bereit ist12. Dieser Idee Faschings sind zwei Punkte entgegenzuhalten, die schließlich zur zutreffenden (und dem Grundanliegen Faschings durchaus entsprechenden) Lösung des hier interessierenden Problems führen: Erstens kann ein Parteiwechsel nicht „im Rahmen des § 235 Abs. 5 Z P O " zugelassen werden und zweitens liegt gar kein Parteiwechsel vor, wenn „bereits aus der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervorgeht, daß ein anderes Rechtssubjekt als das als Beklagter bezeichnete verpflichtet ist und tatsächlich in Anspruch genommen werden sollte". § 235 Abs. 5 ZPO lautet nämlich: „Es ist weder eine Änderung der Klage noch eine Änderung der Partei, wenn die Parteibezeichnung auf diejenige Person richtiggestellt wird, von der oder gegen die nach dem Inhalt der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise, etwa durch die Anführung der Bezeichnung ihres Unternehmens, das Klagebegehren erhoben worden ist. ( . . . ) " " Im vorliegenden Fall war aus dem Inhalt der Klageerzählung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zu entnehmen, daß als Drittbeklagter nicht irgendein mit der Tanzkapelle in keinerlei Verbindung stehender Arbeiter Josef T, sondern vielmehr der Musiker Josef Τ geklagt werden sollte, wobei der Irrtum des Klägers lediglich darin bestand, daß er diesen als „wohnhaft in X " statt als „wohnhaft in Y " bezeichnete. Daß aus der Klage selbst nicht hervorging, wo der richtige, eben der Musiker Josef T, wohnhaft war, schadet nicht; wollte man auch noch verlangen, daß selbst diese Tatsache in der Klage aufscheinen muß, so wäre § 235 Abs. 5 ZPO bei genauer Betrachtung jedes Anwendungsbereiches beraubt: In allen einschlägigen Konstellationen wäre die Klage dann nämlich hinsichtlich der Person des Beklagten entweder unschlüssig oder nicht der Richtigstellung i. S. von § 235 Abs. 5 ZPO bedürftig, da ohnedies der „richtige" Beklagte darin bezeichnet wird. Die Anordnung des § 235 Abs. 5 ZPO, wonach der „richtige" Beklagte „aus dem Inhalt der Klage in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise" entnommen werden können muß, kann daher nur so verstanden werden, daß diese Eindeutigkeit eintritt, sobald nur die Person des „richtigen" Beklagten bekannt wird.
Fasching, Lehrbuch 2 Rdn. 388. " Vgl. zu dieser Bestimmung grundsätzlich Rechberger, Mangel der Parteiexistenz, Mangel der Parteifähigkeit und mangelhafte Parteibezeichnung, FS Fasching (1988) 385. 12
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Im vorliegenden Fall hätte also schlicht mit einer Richtigstellung der Parteibezeichnung von „Josef T, Musiker, wohnhaft in X " auf „Josef T, Musiker, wohnhaft in Y " vorgegangen werden können. Ein (unzulässiger) Parteiwechsel wäre dagegen dann vorgelegen, wenn sich aus dem Inhalt der Klage ein Hinweis darauf ergeben hätte, daß der in X wohnhafte Arbeiter Josef Τ in irgendeiner Nahbeziehung zur Geschäftsführung der Tanzkapelle stand; dann hätte eben nicht „in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise" festgestanden, daß das Klagebegehren (auch) gegen den Musiker Josef Τ erhoben worden war. Vom konkreten Geschehensablauf her war es in casu für die Richtigstellung freilich zu spät, da der Kläger seine Klage bezüglich des Josef Τ bereits zurückgezogen hatte. Das Gericht hätte daher als Reaktion auf den „Richtigstellungsantrag" des Klägers im Rahmen seiner Anleitungspflicht erfragen müssen, ob in der Stellung dieses Antrages womöglich die Erhebung einer neuen Klage gegen den „richtigen" Josef Τ liege, um diesen Antrag bei Vorliegen eines entsprechenden Parteiwillens schließlich zur Verbesserung zurückzustellen.
III. Partielle Gesatntrechtsnachfolge im anhängigen Zivilprozeß Bis vor wenigen Jahren war es der österreichische Jurist gewohnt, mit „Gesamtrechtsnachfolge" den Untergang des Rechtsvorgängers zu assoziieren. In den letzten zehn Jahren hat indes das Gesellschaftsrecht eine Reihe von Konstellationen geschaffen, in denen eine Gesamtrechtsnachfolge eintritt, obwohl der Rechtsvorgänger weiter existiert: Den Anfang machte § 8 a des Kreditwesengesetzes (nunmehr: § 92 Bankwesengesetz, BGBl. 1993/532). Diese Bestimmung sieht eine Gesamtrechtsnachfolge durch Einbringung des Bankbetriebes eines Unternehmens in eine AG vor, bei welcher die Rechtspersönlichkeit des Uberträgers bestehen bleibt. Nach dem Vorbild dieser Bestimmung wurde (durch BGBl. 1991/411) § 61 a Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) geschaffen; danach kann der gesamte Versicherungsbetrieb eines Versicherungsvereines auf Gegenseitigkeit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in eine A G eingebracht werden, wobei der W a G - wenngleich jedenfalls nur als bloßer Vermögensverwalter - weiter bestehen bleibt. Und letztlich hat das Spaltungsgesetz (BGBl. 1993/458) die Möglichkeit geschaffen, eine Kapitalgesellschaft unter Fortbestand der übertragenden Gesellschaft durch Übertragung eines oder mehrerer Vermögensteile dieser Körperschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf eine oder mehrere dadurch gegründeten Kapitalgesellschaften zu spalten („Abspaltung zur Neugründung").
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In seiner E vom 27. 10. 199314 hatte sich der O G H mit der Auswirkung dieser „partiellen Gesamtrechtsnachfolge" auf anhängige Zivilprozesse der übertragenden Körperschaft zu befassen. Der E lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Versicherungsbetrieb des beklagten W a G war nach Zustellung der Klage und des Auftrages zur Erstattung der Klagebeantwortung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nach § 61 a V A G in eine AG eingebracht worden. Die AG erstattete daraufhin fristgerecht die Klagebeantwortung, worauf der Kläger einen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils stellte, da nicht der beklagte W a G , sondern vielmehr ein anderes Rechtssubjekt die Klagebeantwortung erstattet habe. Das Erstgericht erließ das beantragte Versäumungsurteil und wies die Klagebeantwortung mit der Begründung zurück, die AG sei nicht Partei des Verfahrens. Das OLG Wien bestätigte diese E mit folgender Begründung: Die gegenständliche Forderung sei zwar durch die Gesamtrechtsnachfolge auf die AG übergegangen, doch betreffe die Universalsukzession als Frage des materiellen Rechts lediglich die Sachlegitimation; davon zu unterscheiden sei aber die Parteifähigkeit und die Zulässigkeit eines Parteiwechsels. Der beklagte W a G bleibe weiter bestehen, daher sei die Klage gegen eine parteifähige juristische Person erhoben. Eine bloße Richtigstellung der Parteibezeichnung komme deswegen nicht in Frage, da sie in Wahrheit zu einem unzulässigen Parteiwechsel führen würde. Ein gewillkürter Parteiwechsel durch Eintritt der tatsächlich sachlegitimierten Partei anstelle der unrichtigen Partei - so das OLG Wien - sei selbst bei Zustimmung der Parteien unzulässig. Ein Parteiwechsel wegen Gesamtrechtsnachfolge komme nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (Tod einer Partei, Untergang einer juristischen Person) in Frage, nicht aber im vorliegenden Fall einer Universalsukzession, bei der die beklagte Partei als Rechtssubjekt bestehen bleibe. Man könne sich eben zur Frage, wer nach dem Klagevorbringen als beklagte Partei aufzufassen sei, nicht auf Umstände berufen, die die passive Sachlegitimation betreffen. Das angefochte Versäumungsurteil so Schloß das OLG Wien - sei gegen eine parteifähige beklagte Partei aufgrund schlüssiger Klagebehauptungen und damit zu Recht ergangen. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Vorstellung, die Gesamtrechtsnachfolge vollziehe sich lediglich auf der Ebene der Sachlegitimation, während sie das Prozeßrechtsverhältnis unberührt läßt, grundlegend verfehlt ist. Zwar sollen nach dem herrschenden Parteibegriff im streitigen Verfahren Parteien des Zivilprozesses jene Personen sein, die entweder einen Rechtsschutzantrag bei Gericht stellen oder in diesem Antrag als Gegner bezeichnet werden, und nicht etwa die wirklichen Prätendenten des streitigen Rechtsverhältnisses. Diese Frage ist jedoch streng 14
JB1. 1994, 626 = RdW 1994, 145.
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von jener des Einflusses der Gesamtrechtsnachfolge auf den anhängigen Zivilprozeß zu trennen. Wenn § 61 b VAG den Inhalt dieser Rechtsnachfolge dahingehend umschreibt, daß sie das gesamte zum eingebrachten Versicherungsbetrieb gehörende Vermögen und alle mit dem eingebrachten Betrieb verbundenen Rechte und Pflichten umfaßt, so sind damit natürlich auch die zum eingebrachten Vermögen gehörenden Prozeßrechtsverhältnisse gemeint. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß § 155 ZPO (der im übrigen überhaupt nur vom „Tod der Partei" handelt und den Untergang einer juristischen Person mit keinem Wort erwähnt) den Untergang des Rechtsvorgängers voraussetze, und für den Fall von dessen Weiterbestehen keinen Parteiwechsel vorsehe. Dieser Einwand übersieht nämlich, daß § 155 ZPO nicht eine Vorschrift ist, die den Parteiwechsel anordnet, sondern vielmehr eine technische Bestimmung, die den Eintritt der Rechtsnachfolge in das Prozeßrechtsverhältnis voraussetzt. Der Schöpfer der österreichischen Zivilverfahrensgesetze, Franz Klein, hat ausgeführt, diese Vorschrift habe lediglich den Zweck, die durch den Tod der Partei eingetretene Unterbrechung des Verfahrens „juristisch, processualisch zu überwinden"15. Der Parteiwechsel als solcher folgt aus der Gesamtrechtsnachfolge selbst16. Der O G H hat sich dieser Argumentation in der angeführten E (Fn. 14) angeschlossen und ist zum Ergebnis gekommen, der Umstand, daß die einbringende Gesellschaft (nur mehr beschränkt auf den Gegenstand der Vermögensverwaltung) bestehen bleibe, ändere nichts daran, daß sie hinsichtlich des gesamten in die Aktiengesellschaft eingebrachten Versicherungsbetriebes auch aus einem bisher bestehenden Prozeßrechtsverhältnis ausgeschieden sei und somit nach Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge kein Urteil gegen sie mehr gefällt werden dürfe17. In casu war die Frage nach der Zugehörigkeit des interessierenden Prozeßrechtsverhältnisses leicht zu beantworten, da ja das gesamte Vermögen auf den Gesamtrechtsnachfolger übergegangen war. Abgrenzungsprobleme werden sich freilich im Falle der Abspaltung stellen: Das Gericht wird hier im Einzelfall zu ermitteln haben, ob ein Prozeßrechtsverhältnis seinem Streitgegenstand nach weiterhin dem Rechtsvorgänger, oder aber dem Rechtsnachfolger zuzuordnen ist. Der gem. § 2 SpaltG zu errichtende Spaltungsplan wird hier hilfreich sein; dabei können die Parteien im Spaltungsplan freilich nicht über die Zuordnung 15
Materialien I 254.
" Vgl. zu dieser Argumentation Rechberger/Oberhammer, Gesamtrechtsnachfolge während des Zivilprozesses, ecolex 1993, 513. 17 Dieser E stimmen die Anmerkungen von Grassi, Parteiwechsel im Zivilprozeß aufgrund partieller Gesamtrechtsnachfolge im Sinne §§ 61 a und 61 b V A G , R d W 1994, 138, vollinhaltlich zu.
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einzelner Prozeßrechtsverhältnisse disponieren - die Parteistellung folgt hier ohne Zweifel der Sachlegitimation. Bleibt dabei strittig, wer nun Partei eines konkreten Verfahrens (geworden) ist, so hat das Gericht darüber analog zu § 157 ZPO mit deklaratorischem Beschluß zu entscheiden. Verfehlt erscheint es aber, hier auch § 155 ZPO analog anzuwenden; die dort für den Fall des Todes einer Partei angeordnete Unterbrechung des Verfahrens ist hier nicht sachgerecht, weil ja nicht erst nach einer womöglich völlig unerwarteten Rechtsnachfolge dafür Sorge getragen werden muß, daß und durch wen der Rechtsnachfolger im anhängigen Prozeß ordnungsgemäß vertreten wird. Angesichts des Umstandes, daß die Rechtsnachfolge im Gesellschaftsrecht regelmäßig von langer Hand vorbereitet wird, stünde die Anwendung dieser Bestimmung - wie dies Feiber für den Bereich des deutschen Prozeßrechts betont hat18 - hier in Widerspruch zu ihrem Normzweck 19 . IV. Doppelveräußerung und anhängiger Zivilprozeß Während der O G H in der unter III. diskutierten E viel „Gespür" für Fragen der Parteilehre bewiesen hat, führte seine E vom 25. 1. 199420 zu einem nahezu einhelligen Aufschrei in den Reihen der österreichischen Zivil(prozeß)rechtswissenschaft21. Was war geschehen? Der Eigentümer einer Liegenschaft (im folgenden: „Veräußerer") hatte zunächst einer Mineralölfirma (im folgenden: „X") eine Option zum Erwerb eines Grundstückes zur Errichtung einer Tankstelle eingeräumt. Da er meinte, dieses Optionsrecht sei nicht fristgerecht ausgeübt worden, verkaufte er die Liegenschaft in der Folge an eine zweite Mineralölfirma (im folgenden: „Y"). Die Y erhielt bei Abschluß des Kaufvertrages auch den Rangordnungsbeschluß für die Veräußerung ausgehändigt. Noch vor der Einverleibung ihres Eigentumsrechts im Grundbuch erhielt der Veräußerer eine Klage der X zugestellt, die die Feststellung des Zustandekommens des Kaufvertrages mit ihr kraft Optionsannahme und die Erteilung der Einwilligung zur Einverleibung ihres Eigentumsrechts begehrte. Die X erwirkte auch ein Belastungs- und Veräußerungsverbot zur Sicherung des von ihr geltend gemachten Anspruchs; dieses wurde schließlich anläßlich der Einverleibung des Eigentumsrechts der Y wieder gelöscht. In der Folge wurde der Klage der X gegen den Veräußerer stattgegeben, woraufhin die X Feiber in MünchKomm., Rdn. 17 zu § 239 ZPO. Vgl. zu all dem Rechberger/Oberhammer, ecolex 1993, 515. 20 NZ 1994, 87. 21 Vgl. Weher, Posterior tempore, potior iure! NZ 1994, 73; Wilhelm, Kauf bricht Grundbuch, ecolex 1994, 305; Rechberger/Oberhammer, §234 ZPO - Einfach kompliziert? ecolex 1994, 456 ; Hoyer, Gilt § 440 ABGB noch? Oder: Was leistet das Grundbuchverfahren für das materielle Recht? JB1. 1994, 645. 18 19
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beim Grundbuchgericht den Kaufvertrag zwischen dem Veräußerer und der Y zum Nachweis der Rechtsnachfolge vorlegte und unter Hinweis auf § 9 EO 22 die Einverleibung ihres Eigentumsrechtes beantragte. Das Erstgericht gab dem Antrag statt, das Rekursgericht wies ihn ab. Infolge eines außerordentlichen Revisionsrekurses stellte der O G H schließlich horribile dictu - den erstgerichtlichen Beschluß wieder her! Das Höchstgericht begründete diese E mit einem - so Wilhelm „blinden Rundumschlag, der alles bisherige in Frage stellt"23: In dieser Sache gehe es nur um die Frage, ob der gegen den Veräußerer vorliegende Exekutionstitel auf Ubereignung der Liegenschaft auch gegen dessen Einzelrechtsnachfolgerin (sc die Y) vollstreckt werden könne. Das dahinterstehende Problem der Doppelveräußerung einer Liegenschaft zeichne sich im konkreten Fall dadurch aus, daß die jetzt im Grundbuch als Eigentümerin eingetragene Y die Liegenschaft zu einem Zeitpunkt erworben habe, als zwischen dem Veräußerer und der X bereits ein Rechtsstreit über die Verschaffung des Eigentums an der Liegenschaft anhängig gewesen war. Daher komme hier die Bestimmung des § 234 ZPO 24 zum Tragen, wonach die Veräußerung einer im Streit verfangenen Sache auf den Prozeß keinen Einfluß habe. Dies bedeute (i. S. der vom O G H in st. Rsp. zugrundegelegten „Irrelevanztheorie"25), daß die Veräußerung der Liegenschaft an die Y für die materiellrechtliche Beurteilung des Eigentumsverschaffungsanspruches des X keinerlei Änderung mit sich gebracht habe. Daher könne die X als obsiegende Klägerin im Prozeß gegen den Veräußerer das gegen diesen erwirkte Urteil gem. § 9 E O auch gegen dessen Rechtsnachfolgerin, die Y vollstrecken. Allein schon die Tatsache - so der O G H - , daß die Y eine streitverfangene Sache an sich brachte, bedeute nämlich, daß die diese 22 § 9 E O : „Zugunsten einer andern als der im Exekutionstitel als berechtigt bezeichneten Person oder wider einen andern als den im Exekutionstitel benannten Verpflichteten kann die Exekution nur soweit stattfinden, als durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden bewiesen wird, daß der im Exekutionstitel anerkannte Anspruch oder die darin festgestellte Verpflichtung von den daselbst benannten Personen auf diejenigen Personen übergegangen ist, von welchen oder wider welche die Exekution beantragt wird." 25 Wilhelm, ecolex 1994, 305. 2< § 234 ZPO: „Die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung hat auf den Prozeß keinen Einfluß. Der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in den Prozeß einzutreten." 25 Vgl. etwa EvBl. 1966/37; SZ 46/27; SZ 57/204 = JB1. 1985, 752; JB1 1988, 787 = MietSlg. 40.776; a. A. ist weitgehend die Lehre: Rechberger/Simotta, Zivilprozeßrecht4 Rdn. 233; Ballon, Einführung4 158; vgl. auch Fasching, Lehrbuch2 Rdn. 1202 ff, der - so wie die h. M. in Deutschland (vgl. Schumann in Stein/Jonas2" Rdn. 45 zu § 265 ZPO, Luke in MünchKomm., Rdn. 91 zu § 265 ZPO; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/H artmann'' Rdn. 20 zu § 265 ZPO; B G H ZZP 88 [1975] 324 [Henckel]) der Relevanztheorie nur für den Fall der Veräußerung durch den Kläger folgt.
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Sache betreffenden, im anhängigen Rechtsstreit festgestellten Verpflichtungen ihres Rechtsvorgängers unverändert auf sie übergegangen seien. Die Y sei in Ansehung des Eigentumsverschaffungsanspruches der X so zu behandeln, als stelle sie die Person des Veräußerers dar. Doch nicht genug: Dieser „Ausdehnung der Rechtskraftwirkung" so fährt das Höchstgericht fort - könnte entgegenstehen, daß die Y ihr Eigentumsrecht an der strittigen Liegenschaft im Vertrauen auf das Grundbuch erworben habe. Die Y sei jedoch nicht gutgläubig gewesen, da ja für die X ein Belastungs- und Veräußerungsverbot im Grundbuch angemerkt worden war. Wie Weiser in seiner pointierten Kritik dieser E bemerkt hat, haftet der Vorstellung eines gutgläubigen Erwerbs vom Berechtigten zumindest doch etwas „Verblüffendes" an26. Aus prozessualer Sicht ist anzumerken, daß in Osterreich bisher kaum darüber reflektiert worden ist, wann eine Sache i. S. von § 234 ZPO „in Streit verfangen" sei, der O G H diesbezüglich also nahezu Neuland betrat. Dies mag aus nichtösterreichischer Sicht umso erstaunlicher wirken, als der Grundsatz, daß eine Sache (nur) dann als in Streit ver- bzw. befangen anzusehen ist, wenn die Sachlegitimation des Klägers oder des Beklagten auf der rechtlichen Beziehung zu ihr beruht27, fast jedem deutschen Kommentar oder Lehrbuch zu entnehmen ist, und auch der deutschen Rsp. seit langem - auch für den hier einschlägigen Fall28 - bekannt ist. Im gesamten bisherigen österreichischen Schrifttum findet sich dagegen nur eine einzige ebenso knappe wie zum Teil mißverständliche Definition des Begriffs der streitverfangenen Sache: Fasching führt - sichtlich in Anlehnung an Rosenberg - aus, eine Sache sei dann in Streit verfangen, wenn die Sachbefugnis des Klägers oder des Beklagten im Prozeß auf der Rechtsbeziehung zu dieser Sache beruhe; dies könne etwa dann der Fall sein, wenn sich „das Sachbegehren unmittelbar schon seinem Wortlaut nach auf die Sache oder Forderung erstreckt (z. B. Herausgabe)", oder auch dann, wenn die Entscheidung über das zwischen den Parteien streitige Recht bzw. den streitigen Anspruch tatbestandsmäßig ohne die Verfügungsgewalt einer der beiden Parteien über die Sache oder Forderung nicht denkbar sei29. Diese Weiser, NZ 1994, 77 f. So Rosenberg/Schwab/Gottwald15 580. 28 O L G Königsberg SeuffArch. 1903/90; RG J R 1927/416. 29 Fasching, Kommentar III 98; ähnlich ders., Lehrbuch2 1196 und gleichlaufend Rechberger/Simotta'' Rdn. 230. Darüber hinaus geht Klicka, Zivilprozessuale Fragen der Unternehmensveräußerung, ecolex 1990, 205 (207), der in der Tat meint, bei Herausgabeansprüchen (vom Fall der rei vindicatio handelt er gesondert), bei denen infolge Veräußerung der geschuldeten Sache Unmöglichkeit der Leistung eingetreten ist, sei § 234 ZPO anzuwenden. Derselbe Irrtum - der sich hier mehr am Rande findet - wird in einer Wiener Diss, aus 1991 in aller Breite zelebriert (Wisleitner, Die Veräußerung der streitverfangenen Sache, 62 ff). Vgl. dazu Rechberger/Oberhammer, ecolex 1994, 456 f. 26 27
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Ausführungen sind insofern etwas irreführend, als dingliche Herausgabeansprüche ohnedies auch vom zweiten Beispielsfall Faschings umfaßt sind, da ja die Passivlegitimation bei der rei vindicatio von der Innehabung der herausverlangten Sache abhängt. Umgekehrt reicht es für die Streitverfangenheit einer Sache aber nicht aus, daß sich das Sachbegehren auf ihre Herausgabe richtet: Wird ein schuldrechtlicher Herausgabeanspruch geltend gemacht, so ist fraglos nur dieser selbst und nicht etwa die begehrte Sache in Streit verfangen. Da § 234 öZPO (ebenso wie § 265 dZPO) Doppelprozesse vermeiden helfen soll, ist stets der Zusammenhang der Streitverfangenheit mit dem Streitgegenstand zu beachten30. In Streit verfangen ist eine „Sache" nur solange, als sich die rechtliche Qualifikation des Streitgegenstandes durch den Übergang der Sachlegitimation auf den Erwerber nicht ändern würde. Das ist aber nur dann der Fall, wenn den Erwerber nach materiellem Recht eine identische Verpflichtung wie den Veräußerer trifft oder ihm ein identischer Anspruch zusteht31·32. Eine Korrektur der Fehlentscheidung des O G H wird im gegenständlichen Fall zweifellos dadurch erfolgen, daß die Käuferin Y im Wege der Löschungsklage nach § 61 Abs. 1 GBG die Beseitigung der materiell unrichtigen Eintragung des Eigentumsrechtes der X im Grundbuch erreichen wird. Damit wird auch § 440 ABGB, wonach im Falle der Doppelveräußerung jener das Eigentum erlangt, der zuerst um Einverleibung im Grundbuch angesucht hat, auch in casu wiederum „in Geltung gesetzt" werden.
Vgl. dazu Luke in MünchKomm., Rdn. 18 zu § 265 ZPO. Rechberger in Rechberger, Kommentar zur Z P O , Rdn. 1 zu § 234; vgl. Näheres bei Rechberger/Oberhammer, ecolex 1994, 456 f. 32 Allerdings hat in Deutschland Schilken, Veränderungen der Passivlegitimation im Zivilprozeß (1987) ausführlich erörtert, ob § 265 dZPO (der § 234 Z P O entspricht) nicht doch auch auf obligatorische Herausgabeansprüche Anwendung finden könnte. Diese Diskussion muß aber vor dem Hintergrund der Problematik der Urteilswirkungen im Verhältnis zwischen Vermieter und Hauptmieter gegenüber dem Untermieter gesehen werden, die in Deutschland von einer der österreichischen geradezu entgegengesetzten Rechtslage gekennzeichnet ist (vgl. dazu Oberhammer, Das Auftragsverfahren in Bestandstreitigkeiten [1992] 138 ff). Wenn Schilken „unter Uberwindung dogmatischer Bedenken und der gegenläufigen Intention des Gesetzgebers" (!) die für diese besondere Konstellation gewonnenen Ergebnisse schließlich hinsichtlich aller obligatorischer Herausgabeansprüche verabsolutiert (aaO 93 ff), muß dies als eher begriffsjuristischer Ausreißer qualifiziert werden. 30 31
Präklusion in der Berufungsinstanz de lege lata und de lege ferenda BRUNO RIMMELSPACHER
I. Wolfram Henckel hat 1966 in seiner Göttinger Rektoratsrede darauf hingewiesen, daß die von Rechts wegen gewährte Freiheit nicht Willkür, sondern „verantwortliche Freiheit" ist1. Dabei folge die Verantwortung aus den Grenzen, die der Freiheit des einen durch die Freiheit des anderen gesetzt sei. Der andere müsse, um seinerseits frei entscheiden zu können, auf die nicht rechtzeitige Ausübung eines Rechts durch dessen Inhaber vertrauen können. Der darin zum Ausdruck kommende Verwirkungsgedanke gelte nicht nur im materiellen, sondern auch im prozessualen Recht. Henckel hat ihn in „Prozeßrecht und materielles Recht" für die Stufen prozessualer Verwirkung bei der Rechtskraft, beim Versäumnisurteil und bei der Präklusion verspäteten Vorbringens fruchtbar gemacht2. An diese grundlegenden Untersuchungen knüpfen die folgenden Bemerkungen an. Sie greifen mit der Frage, ob eine Partei in der Berufungsinstanz des Zivilprozesses noch mit Vorbringen gehört werden soll, das sie im ersten Rechtszug pflichtwidrig und schuldhaft nicht ins Verfahren eingeführt hat, einen speziellen Aspekt der Präklusion verspäteten Vorbringens heraus. Ausgangspunkt bildet dabei die mit der Vereinfachungsnovelle von 1976 geschaffene Rechtslage. Kann sie als eine Regelung verstanden werden, die Ausdruck „verantwortlicher Freiheit" ist? Genügt sie diesem Gedanken auch in vollem Umfang? Wenn nein: In welche Richtung sollte sie verändert werden? II. Das geltende Recht läßt in § 528 Abs. 1 und 2 ZPO neue Angriffsund Verteidigungsmittel jedenfalls dann zu, wenn ihre Berücksichtigung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde. Im übrigen differenziert das Gesetz, je nachdem die Partei entgegen einer speziellen ' V o m Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher N o r m e n , 1966, S. 23. Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 93 ff.
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richterlichen Frist oder entgegen der allgemeinen Pflicht zum zeitigen Vorbringen den Vortrag in der Eingangsinstanz unterlassen hat; im ersten Fall werden die Angriffs- und Verteidigungsmittel zugelassen, wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt, im zweiten Fall, wenn die Partei nicht der Vorwurf grober Nachlässigkeit trifft. 1. Versteht man die Präklusion mit Henckel als Verwirkungsfolge, so fällt zunächst auf, daß als Zurechnungsvoraussetzung über die objektive Pflichtwidrigkeit hinaus 3 (in § 528 Abs. 1 Z P O einfache, in § 528 Abs. 2 grobe) Fahrlässigkeit gefordert wird. Damit ist das Prozeßrecht gegenüber einer nachlässigen Prozeßführung großzügiger als das materielle Recht gegenüber einer säumigen Rechtsausübung außerhalb eines Verfahrens. Auch wenn Meinungsverschiedenheiten über die subjektiven Voraussetzungen der materiellrechtlichen Verwirkung im einzelnen bestehen, so herrscht doch Einigkeit darüber, daß „Verschulden" gegenüber dem Rechtsgegner oder gegenüber sich selbst nicht erforderlich ist4. Man braucht allein deshalb jedoch nicht zwischen der Präklusion als Instrument zum Ausschluß einer Partei mit einer Prozeßhandlung und der Verwirkung einen strikten Trennungsstrich zu ziehen 5 . In unserem Zusammenhang genügt die Feststellung, daß auch nach materiellem Recht die Verwirkung nur Platz greift, wenn der Verwirkungstatbestand dem Berechtigten zurechenbar und ihm damit die Verwirkungsfolge zumutbar ist6. Daß die Zumutbarkeitsgrenze im Prozeß erst bei Vorliegen von Verschulden erreicht wird, hängt - verglichen mit der Verwirkung - mit zwei Besonderheiten der Präklusionstatbestände zusammen. Die eine Besonderheit besteht darin, daß die Zeiträume, innerhalb deren im Prozeß Verfahrenshandlungen vorgenommen werden können, im Vergleich zu den Zeiträumen, in denen außerhalb des Verfahrens Rechte ausgeübt werden dürfen, verhältnismäßig kurz bemessen sind. Das gilt nicht nur, wenn wie in den Fällen des § 528 Abs. 1 Z P O einer Partei richterliche Fristen für ihr Vorbringen gesetzt waren, sondern auch im Anwendungsbereich des § 528 Abs. 2 Z P O . Denn auch hier ist ' Zur Frage, ob die Z P O überhaupt eine Pflicht oder nur eine Last zum rechtzeitigen Vortrag begründet, vgl. einerseits Jauernig, Zivilprozeßrecht, 24. Aufl. 1993, §§ 26 II, 28 II; andererseits Gaul, Arens-Gedächtnisschrift, 1993, S. 89, 112. 4 Palandt/Heinrichs, B G B , 53. Aufl. 1994, § 242 Rdn. 94; Staudinger/Schmidt, BGB, 12. Aufl. 1983, Rdn. 492 ff; jeweils m. w. Nachw. 5 Ablehnend zur Verknüpfung von Präklusion und Verwirkung jedoch Otto, Präklusion, 1970: Während es bei der Präklusion auf eine Versäumung überhaupt nicht ankomme (S. 16), diese vielmehr allein dazu diene, „Beginn, Verlauf und Abschluß von Rechtsstreitigkeiten durch zeitliche und inhaltliche Zäsuren zu kanalisieren" (S. 33), greife die Verwirkung nur in „extrem gelagerten Einzelfällen ein ..., wobei das gesamte Verhalten der rechtssuchenden Partei und auch des Gegners zu berücksichtigen" sei (S. 33). 6 Soergel/Siebert/Teicbmann, B G B , 12. Aufl. 1990, § 242 Rdn. 337.
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der Zeitraum, den die Partei im ersten Rechtszug zur Verfügung hat, bei der üblichen Verfahrensdauer überschaubar begrenzt. Der kürzere zeitliche Handlungsspielraum des Prozesses fordert nun aber zum Ausgleich eine größere Nachsicht bei den subjektiven Anforderungen an die Rechtzeitigkeit des Handelns7. Die andere Besonderheit der Präklusion im Vergleich zur materiellrechtlichen Verwirkung liegt darin, daß diese erst Platz greift, wenn der Gegner sich auf die zurechenbare Untätigkeit des Rechtsinhabers einrichten durfte und tatsächlich eingerichtet hat, während die prozessualen Befugnisse nicht erst erlöschen, wenn der Gegner auf die Untätigkeit der Partei vertrauend seinerseits prozessuale Dispositionen getroffen hat, sondern ganz unabhängig von solchen Vertrauensinvestitionen und selbst dann, wenn dem Gegner nicht bekannt ist, daß die Partei sich nachlässig verhalten hat. Diese Lösung beruht darauf, daß der Prozeß nicht eine rein private Veranstaltung der Parteien ist, die bloß deren individuelle zeitliche, persönliche und sachliche Dispositionen betrifft, sondern institutionell eine öffentliche Einrichtung darstellt, bei der ein zügiger Fortgang der Sache auch anderen Verfahren zugute kommt und daher im allgemeinen Interesse liegt8. Nun hat Canaris' zu der Rechtsfigur der Vertrauenshaftung, die im materiellen Recht eine Art Gegenstück zur Verwirkung darstellt10, vorgeschlagen, bei einseitigen Rechtsgeschäften eine Haftung auch ohne Vertrauensinvestition des Vertrauenden Platz greifen zu lassen. Aber dieser Gedanke läßt sich auf die Verwirkung nicht übertragen, weil bei ihr der Vertrauenstatbestand ohnehin immer einseitig gesetzt wird und somit die Vertrauensdisposition als Voraussetzung der Verwirkung grundsätzlich entfallen müßte. Damit aber wären wir bei einem anderen Institut als dem der Verwirkung angelangt. Es bleibt also dabei, daß das materiellrechtliche Institut der Verwirkung im Vergleich zur prozeßrechtlichen Präklusion auf Seiten des Gegners ein Mehr an objektiven Tatbestandsvoraussetzungen fordert. Dieses Mehr läßt den Gegner aber als schutzwürdig nicht erst erscheinen, wenn der Rechtsinhaber schuldhafterweise sein Recht nicht innerhalb angemessener Frist ausübt, sondern schon dann, wenn die Untätigkeit dem Rechtsinhaber unter einfacheren Voraussetzungen11 zugerechnet werden kann. Umgekehrt gilt 7 Hier liegt auch der Ansatz für die Abschwächung der Anforderungen an die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in § 233 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle. ' Da die Parteien aller Verfahren denselben Anforderungen unterliegen, wirkt sich der zügige Fortgang anderer Prozesse zugleich günstig für jede einzelne Sache aus. 9 Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 513. 10 Vgl. zu der Parallele zwischen Vertrauenshaftung und Verwirkung in diesem Punkt Canaris, Vertrauenshaftung, S. 514 zu und in Fn. 38. 11 Dazu Soergel/Siebert/Teichmann, § 242 Rdn. 337 mit 317 ff.
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aber auch, daß eine Partei nicht schon dann mit ihrem Vorbringen ausgeschlossen werden darf, wenn sie nicht die äußerste überhaupt denkbare Anstrengung unternommen hat, sondern nur, wenn sie es an der üblichen Sorgfalt bei der Prozeßführung hat fehlen lassen. 2. Dieser Ausschluß rechtfertigt sich im Kern aus der Erwägung, daß die Prozeßordnung den Parteien maßgeblichen Einfluß auf die Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts einräumt, indem sie ihnen den Tatsachenvortrag samt der Entscheidung über seine Beweisbedürftigkeit vorbehält, ihnen darüber hinaus auch Einflußnahme auf den Beweis einräumt. Dabei schlägt, was sich zugunsten der einen Partei auswirkt, zugleich als Minus auf der Gegenseite zu Buch. Umgekehrt kann sich unterlassenes Vorbringen für die eigene Position nachteilig und für die andere Seite günstig auswirken. Dieser wechselseitige Einfluß auf die eigene wie auf die fremde Rechtsstellung führt zur Bindung jeder Partei an die Folgen ihres prozessualen Verhaltens jedenfalls dann, wenn der Gegenseite hieraus bereits ein Vorteil erwachsen ist, sich insbesondere in einer günstigen Entscheidung niedergeschlagen hat. Das gilt nicht nur, wenn der Vorteil - und damit zugleich der eigene Nachteil - auf einem Handeln der Partei, sondern auch wenn er auf einem Unterlassen beruht: Hat eine Partei die ihr eröffneten prozessualen Möglichkeiten nicht genutzt, so besteht weder Anlaß noch Berechtigung, ihr - zu Lasten der Gegenseite - die vertane Chance ein zweites Mal einzuräumen. Die Präklusion im allgemeinen wie die Regelung des § 528 Abs. 1 und 2 Z P O im besonderen können daher keineswegs als ein bloß rechtstechnisches Mittel angesehen werden, „Beginn, Verlauf und Abschluß von Rechtsstreitigkeiten ... zu kanalisieren" 12 . O b man sie als Verwirkungsfolge und damit als gleichsam mittelbare Ausprägung des Prinzips „verantwortlicher Freiheit" oder angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen von Präklusion und (materiellrechtlicher) Verwirkung direkt als eigenständige Ausprägung jenes Prinzips betrachtet, mag hier unentschieden bleiben. Festzuhalten ist jedenfalls, daß die Präklusion die Verantwortung zum Ausdruck bringt, die den Parteien als Gegengewicht zu ihrem Einfluß bei der Sachverhaltsrekonstruktion obliegt. Insofern ist das „Prinzip Verantwortung" nicht nur Grundlage der Haftung für Unrecht 1 3 , sondern auch notwendiges Korrelat prozessualer Gestaltungsfreiheit. Otto, Präklusion, S. 33. Diesen Aspekt hat Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Ausgabe Suhrkamp Taschenbuch, 1984, S. 172 ff, im Auge, wenn er von Verantwortung für vergangenes Verhalten spricht und sie der von ihm ausführlich erörterten Zukunftsverantwortung gegenüberstellt. 12 13
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3. Die Balance von Freiheit und Verantwortung der Parteien wäre freilich in Frage gestellt, wenn aus den Normen, die eine gerichtliche Befugnis zur Beweiserhebung begründen, zugleich eine Beweiserhebungspflicht des Richters abzuleiten wäre14. Das trifft, vom singulären Fall des § 448 Z P O abgesehen, indes nicht zu. Weder der Text der Regelungen, die im gewöhnlichen Zivilprozeß eine Beweisanordnung ermöglichen (§§ 142 ff, 273 Abs. 2 Z P O ) , noch gar derjenigen, die eine Hinweispflicht enthalten (§§ 136 Abs. 3, 139, 276 Abs. 1, 2 N r . 1, 278 Abs. 3 Z P O ) , gibt dafür etwas her. Aber auch der Zweck dieser Normen und der systematische Zusammenhang mit den Präklusionsregeln läßt sich für jenen Standpunkt nicht mobilisieren. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man die abstrakte Ebene des grundlegend erscheinenden Konflikts zwischen (behaupteter) Beweiserhebungspflicht und Präklusion verläßt und einmal nach den praktisch denkbaren Kollisionsfällen fragt. Die gerichtliche Beweiserhebungspflicht setzt nämlich voraus 15 , daß das Beweismittel dem Gericht bekannt ist. Dann aber greift § 139 Abs. 1 Z P O Platz, wenn das Gericht nicht von Amts wegen Beweis erheben will16. Es ist kaum vorstellbar, daß die betroffene Partei dem gerichtlichen Hinweis zuwider keinen Beweisantrag stellt; stellt sie ihn aber, so kann sie nicht präkludiert sein. Sollte die Partei dem gerichtlichen Hinweis aus gutzuheißenden Gründen jedoch nicht (sogleich, sondern erst später) folgen (wollen), so ist für eine Präklusion ebenfalls kein Raum. Der grundlegende theoretische Konflikt könnte also nur praktisch werden, wenn die Partei trotz des gerichtlichen Hinweises unentschuldbar zunächst keinen Beweisantrag stellt, ihn aber später nachholen will. In diesem Fall die Partei mit ihrem Vorbringen zu präkludieren, das Gericht aber gleichwohl zur Beweiserhebung verpflichtet zu erklären, liefe nicht nur auf eine sich selbst widersprechende Verfahrensregelung hinaus, sondern mißachtete auch den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung der Parteien und machte das Justizorgan zum paternalistischen Sachwalter des Bürgers. Diese Konsequenz jedoch verträgt sich nicht mit einer Grundordnung (Art. 2 Abs. 1 G G ) , welche die Schaffung und Gestaltung von Rechtsbeziehungen in die Hand der Rechtsbeteiligten selbst legt und nicht in die Hand der Rechtsgemeinschaft oder eines ihrer Organe.
Dafür Schöpflin, Die Beweiserhebung von Amts wegen im Zivilprozeß, 1992; dagegen Peters ZZP 107 (1994), 264, 266 ff. 15 Schöpflin, Beweiserhebung, S. 173 ff. " Stiirner, Die richterliche Aufklärung im Zivilprozeß, 1982, S. 57.
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III. Ist danach die N o r m des § 528 Abs. 1 und 2 Z P O durchaus als Ausdruck „verantwortlicher Freiheit" zu verstehen, deren Gewicht nicht durch eine Beweiserhebungspflicht des Gerichts aufgehoben wird, so ist doch zu fragen, ob die in den beiden Absätzen im Verschuldenserfordernis differenzierende Regelung gerechtfertigt, darüber hinaus, ob das sowohl im ersten wie im zweiten Absatz anders als in § 528 Abs. 3 Z P O geforderte Moment der verzögerten Erledigung des Rechtsstreits beizubehalten ist. 1. Die gegenwärtige Differenzierung rechtfertigt sich aus der unterschiedlichen Konkretisierung des objektiven Tatbestands 17 . In den Fällen des § 528 Abs. 1 Z P O kennt die Partei infolge der richterlichen Anordnung die offenen Punkte und die genaue Frist, innerhalb deren ihr Vorbringen erwartet wird; deshalb ist es berechtigt, sie auch bei einfachem Verschulden mit dem unterlassenen Vortrag in zweiter Instanz auszuschließen. In den Fällen des Abs. 2 steht der Partei als Maßstab für Umfang und Zeitpunkt ihres Vorbringens nur die allgemeine Sorgfaltsregelung des § 282 Abs. 1 Z P O zur Verfügung 18 ; solange die hier normierten Anforderungen nicht weiter konkretisiert werden, kann die Partei nur bei groben Verstößen präkludiert werden. Eine Harmonisierung der subjektiven Präklusionsvoraussetzungen ist theoretisch in Form einer Annäherung des § 528 Abs. 1 Z P O an die großzügigere Regelung des Abs. 2 denkbar, aus dem oben genannten Grund indes nicht empfehlenswert. Bleibt also die Angleichung der Verschuldensvoraussetzungen des § 528 Abs. 2 Z P O an die strengeren des Abs. 1. Das ist am ehesten zu vertreten, wenn es sich um Vorbringen handelt, das ins Verfahren einzuführen die Partei schon nach einem Hinweis des Erstgerichts gem. §§ 136 Abs. 3, 139, 276 Abs. 1, 2 N r . 1, 278 Abs. 3 Z P O Anlaß hatte, selbst wenn dieser Hinweis nicht mit einer Fristsetzung verbunden war und deshalb der Schluß der mündlichen Verhandlung den spätesten Zeitpunkt für den Vortrag bildete. Die in jenen Vorschriften normierten Informationspflichten des Gerichts gegenüber den Parteien sind wichtige Instrumente zur Optimierung der Sachverhaltsrekonstruktion im ersten Rechtszug 1 9 . Damit sollte endlich der schon aus der Diskussion vor und bei Schaf-
Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 113 f. Zur Bedeutungslosigkeit) des § 282 Abs. 2 Z P O im Rahmen des § 528 Abs. 2 Z P O vgl. MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 1992, § 528 Rdn. 16. " Speziell zu dem Zweck der 1976 in die Z P O eingefügten Regelung des § 278 Abs. 3 die Abgeordneten Emmerlich (SPD) und Hauser ( C D U / C S U ) , BT-Verhandl., 7. Wahlperiode, 247. Sitzung, S. 17608 D, 17611 C. 17 18
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fung der C P O bekannte 20 und lange Zeit danach 21 bis hin zur Vereinfachungsnovelle 22 vertretene Standpunkt überwunden werden, die Parteien könnten „oft ... erst durch das Urteil und die Entscheidungsgründe einsehen, welche Tatumstände beachtlich sind" 23 . Auf die nach seiner Auffassung erheblichen Punkte muß das Gericht die Parteien nämlich bereits vorher hinweisen 24 und darf damit nicht bis zum Urteil warten. Nicht einmal ein Hinweis in der (letzten) mündlichen Verhandlung genügt, wenn der Partei oder ihrem Prozeßvertreter keine ausreichende Gelegenheit mehr gegeben wird, sich zu informieren oder zu äußern 25 . Soll der Hinweis seinen Zweck erfüllen, muß ihn aber auch die Partei ernst nehmen, ihm folglich in erster Instanz Rechnung tragen und kann sich damit nicht mehr bis zum nächsten Rechtszug Zeit lassen. Eine Entschuldigung der Partei, die trotz des gerichtlichen Hinweises Vorbringen unterläßt, kommt zwar theoretisch, aber wohl kaum praktisch in Betracht. Der Ausschluß sollte indes auch Platz greifen gegenüber sonstigen schuldhaft nicht vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und Beweisanträgen. Notwendig ist es dafür allerdings, die Vortragspflicht für die einzelnen Entwicklungsstufen der ersten Instanz zu differenzieren 26 , dann aber jede unentschuldigte Verletzung zu sanktionieren 27 . Zumindest die Ansatzpunkte für eine solche Differenzierung müßte das Gesetz vorgeben. So könnte etwa in Form von Regelbeispielen verdeutlicht werden, daß vom Kläger der Vortrag sämtlicher Angriffs mittel erwartet wird, auch wenn sie als selbständige jeweils für sich die Klage zu stützen
20 Vgl. etwa den Commissionsbericht zu § 680 der württembergischen C P O vom 3. April 1868 (zitiert bei Hahn, Neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, 1940, S. 54 f); ferner das Votum des preuß. Justizministers Leonhardt zum CPO-Entwurf 1872, in: Schubert (Hrsg.), Entstehung und Quellen der C P O von 1877, 1987, 2. Halbband, S. 710 f; ablehnend dagegen die sächsischen „Abänderungsvorschläge zu dem Entwürfe einer Deutschen C P O , die Berufung betreffend", ebenda S. 763. 21 U. Λ. Speri Judicium 4 (1932), 181, 183; Walsmann Judicium 2 (1929/30), 58, 67. 22 Begründung zum Regierungsentwurf der Vereinfachungsnovelle, BT-Drucks. 7/2729, S. 41. 23 Commissionsbericht zu § 6 8 0 der württembergischen C P O vom 3. April 1868 (zitiert nach Hahn, Neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, S. 55). 24 Dazu einen besonderen „Aufklärungsbeschluß" einzuführen, in dem das Gericht nach Verhandlung und Beweisaufnahme seinen Standpunkt darlegt, um den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (vgl. den von Krönig D R 1941, 2098, 2099 mitgeteilten Vorschlag), ist nicht empfehlenswert; denn die Information an die Parteien muß zeitig und nicht erst gegen Ende der Instanz erfolgen; vgl. sogleich im Text. 25 B G H N J W - R R 1994, 566, 567. 26 So auch Leipold ZZP 93 (1980), 237, 249; vorher schon Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 113 f. 27 In dieselbe Richtung weist der Bericht der Kommission zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit (zit.: Kommissionsbericht), 1961, S. 134.
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geeignet sind 28 . Geklärt werden sollte ferner, ob jede Partei auf den substantiierten Vortrag des Gegners ihrerseits sämtlichen Gegenvortrag zu substantiieren hat 29 . Hierher gehört auch die Frage, ob die Anforderungen an eine sorgfältige Prozeßführung gegenüber der Partei niederer anzusetzen sind, die nicht selbst rechtskundig ist und auch nicht durch eine rechtskundige Person vertreten wird 30 . Die Präzisierung und weitere Ausbildung von Fallgruppen könnten dann der Rechtsprechung und der Prozeßrechtswissenschaft überlassen werden. 2. Fragwürdig ist auch die Regelung des § 528 Abs. 1, 2 Z P O , wonach verspätetes Vorbringen im zweiten Rechtszug dann zuzulassen ist, wenn dies die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde. Diese Regelung provoziert nicht nur die „Flucht in die Berufung", sondern erteilt gleichzeitig eine „Absolution durch die Berufung". Gewiß ist die Zurückhaltung von Vorbringen in erster Instanz nicht ganz risikolos 31 . Unbestreitbar aber mindert die Regelung die Bedeutung der erstinstanzlichen Vortragspflicht und damit zugleich die Konzentration auf die erste Instanz. Sie schwächt deshalb die Verantwortung der Parteien für ihr prozessuales Verhalten und wirkt damit dem Ziel entgegen, möglichst schon im ersten Rechtszug eine richtige, weil auf sorgfältiger Sachverhaltsrekonstruktion beruhende Entscheidung zu finden, ja sie fördert mit einem sich selbst verschärfenden Rückkopplungseffekt sogar die Entlastung der ersten und die Belastung der zweiten Instanz. Die Verzögerung ist nämlich im Ergebnis zu verneinen, wenn das Berufungsgericht ihr durch vorbereitende Maßnahmen begegnen kann. D a solche Maßnahmen bei Terminierungsfristen von mehreren Monaten was bei belasteten Berufungsspruchkörpern nicht unüblich ist - verhältnismäßig leicht ins Werk zu setzen sind, wird hierdurch zusätzliche Arbeitskraft gebunden. Das verursacht noch längere Terminierungsfristen, in denen dann vorbereitende Maßnahmen erst recht unterzubringen sind 32 . Damit würden die Präklusionsregeln zumindest bei einem Teil der Prozesse ad absurdum geführt. Man kann sich nun aber auch nicht mit der Erwägung zufrieden geben, daß die Präklusion wenigstens in Berufungsverfahren vor den Spruchkörpern noch „greife", die in kürzeren Fristen zu terminieren in 28 Vgl. den gegenteiligen Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestags zur Vereinfachungsnovelle; dazu MünchKomm-ZPO//V»tting, 1992, § 282 Rdn. 3, 18. 29 Dazu etwa MünchKomm-ZPO/Prutting § 282 Rdn. 20 ff. 30 Dazu aus österreichischer Sicht Fasching, Festschr. Mitsopoulos, 1987, in: Jelinek u. a. (Hrsg.), Festgabe Fasching, 1993, S. 314, 320 f, 323; für die Beschränkung der Präklusion auf Fälle des Parteiverschuldens Letpold ZZP 93 (1980), 237, 254 ff. " Vgl. Prütting/Weth ZZP 98 (1985), 131, 137 f. 32 Dieser Effekt ist unabhängig davon, ob man dem absoluten oder dem relativen Verzögerungsbegriff folgt; dazu etwa MünchKomm-ZPO/Prütting § 296 Rdn. 71 ff.
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der Lage sind. Denn dieses Eingeständnis bedeutete nichts anderes als die Stringenz der Präklusionsregeln nach einem Kriterium zu bemessen, das von der einzelnen Rechtssache unabhängig ist und auf diese bezogen als mehr oder minder zufällig erscheint. Betroffen ist hiervon zwar nicht der Zugang zur Rechtsmittelinstanz, sondern das Rechtsmittelverfahren selbst33. Aber auch dieses steht unter dem Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG. Und diesem Gebot wird eine Gesetzesauslegung nicht gerecht, welche die Tragweite der Präklusionsnormen von der jeweiligen Arbeitslast des Berufungsgerichts, genauer: von der jeweiligen Arbeitslast des jeweiligen Spruchkörpers, abhängig macht34. In dieser gefährlichen Lage zwischen den Klippen jenes Riickkoppelungseffekts einerseits, der Rechtsanwendungsungleichheit andererseits möchte einem daher das O L G Düsseldorf 35 als hilfreicher Lotse erscheinen, wenn es bei der Frage, ob eine Verzögerung durch vorbereitende Maßnahmen verhindert werden kann, auf einen „normalen Geschäftsgang" abstellt und statt einer tatsächlichen Terminierungsfrist von beispielsweise sieben Monaten nur eine solche von zwei Monaten zugrundelegt, die bei „normaler Belastung" für vorbereitende Maßnahmen zur Verfügung gestanden hätte. So verständlich das Bestreben des Gerichts ist, den diagnostizierten Gefahren zu entgehen, so unzulässig ist die dazu eingeschlagene Therapie. Denn sie orientiert den Umfang der gerichtlichen Prozeßförderungspflicht an dem normativ nicht beherrschbaren und darum willkürlichen Maßstab des „normalen Geschäftsgangs" und der „normalen Belastung" der Berufungsinstanz. Wenn also das Urteil des O L G Düsseldorf auch nicht überzeugt, so verdeutlicht es doch das Dilemma, in das die gegenwärtige Regelung mit dem Erfordernis der Verzögerungswirkung führt. Das Dilemma ist nur mit der Streichung dieses Tatbestandsmerkmals aufzulösen 36 . Damit würde zugleich die mißliche, wiewohl nicht verfassungswidrige Diskrepanz 37 zwischen § 528 Abs. 1, 2 Z P O einerseits, § 528 Abs. 3 Z P O andererseits beseitigt werden. 33 D a d u r c h unterscheidet sich die vorliegende Problematik von der in § 554 b Z P O geregelten; dazu B V e r f G E 54, 277, 292 f. 34 Die Rechtsprechung des B V e r f G ( N J W 1990, 2373) wie des B G H ( W M 1985, 819) hat das Problem bislang nicht thematisiert, weil die einschlägigen Fälle immer n u r unter d e m Blickwinkel z u m Verfassungs- oder Revisionsgericht gelangt sind, ob lange Terminierungsfristen nicht zugunsten des Berufungsklägers (besser) hätten ausgenützt werden müssen. 35 D R i Z 1993,361,362. 16 E b e n s o Gottwald, in: Gilles u. a. (Hrsg.), Rechtsmittel im Zivilprozeß, 1985, S. 306; sowie Art. 1 N r . 14 des von Bayern am 2 0 . 4 . 1994 beim Bundesrat eingebrachten E n t w u r f s eines „Gesetzes zur Straffung und Beschleunigung von Zivilverfahren", B R - D r u c k s . 332/94. 37 Vgl. B V e r f G E 55, 72, 88 ff.
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3. Bleibt n o c h z u e r w ä g e n , o b m a n das i m B e r u f u n g s v e r f a h r e n ausgeschlossene V o r b r i n g e n n i c h t w e n i g s t e n s in einem A n h a n g s v e r f a h r e n , e t w a i m W e g e einer e r w e i t e r t e n W i e d e r a u f n a h m e 3 8 , zulassen sollte. M i t einer solchen L ö s u n g w ü r d e m a n g e g e n ü b e r d e r saumseligen Partei r e c h t g r o ß z ü g i g v e r f a h r e n . Eine s o l c h e G r o ß z ü g i g k e i t r e c h t f e r t i g t sich j e d o c h nicht, w e i l N a c h s i c h t n u r j e n e Partei v e r d i e n t , die i h r e n P r o z e ß sorgfältig g e f ü h r t hat.
IV. 1. D e r h i e r e n t w i c k e l t e V o r s c h l a g z u r R e f o r m des § 5 2 8 Z P O ist f ü r die Z i v i l p r o z e ß o r d n u n g 3 9 alles a n d e r e als neu. E r hatte, f r e i l i c h u n t e r d ü s t e r sten p o l i t i s c h e n u n d rechtlichen U m s t ä n d e n , a u f g r u n d des § 5 2 9 A b s . 1 S. 1 Z P O in d e r Fassung d e r D r i t t e n V e r e i n f a c h u n g s v e r o r d n u n g v o m 16. M a i 1 9 4 2 4 0 s c h o n einmal G e s e t z e s k r a f t . D a ß das D r i t t e R e i c h die L ö s u n g f ü r seine K r i e g f ü h r u n g instrumentalisierte 4 1 , diskreditiert g e w i ß den totalitären V e r o r d n u n g s g e b e r , nicht j e d o c h die R e g e l u n g selbst 4 2 . In d e r amerikanischen 4 3 , britischen 4 4 u n d sowjetischen 4 5 B e s a t z u n g s z o n e alsbald nach d e m Z w e i t e n W e l t k r i e g a u ß e r K r a f t gesetzt, blieb sie in d e r f r a n z ö s i s c h e n Z o n e 4 6 bis z u m G e s e t z z u r W i e d e r h e r s t e l l u n g d e r R e c h t s 38 In diese Richtung hatte Franz Klein in seinem Entwurf der österreichischen ZPO tendiert, der österreichische Gesetzgeber ist ihm hierin jedoch nicht gefolgt; vgl. Klein/Engel, Der Zivilprozeß Österreichs, 1927, S. 271. 39 Zur Rechtslage im Gemeinen Prozeß, der im Ansatz eine vergleichbare Beschränkung enthielt, die jedoch durch einen Calumnieneid leicht zu überwinden war, vgl. Wetzeil, System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Aufl. 1878, S. 753 ff; zu früheren partikularrechtlichen Regelungen vgl. Hahn, Neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, S. 27, 34 f, 37 ff. 40 RGBl. I 1942, 333, beruhend auf dem „Erlaß des Führers über die Vereinfachung der Rechtspflege" vom 21. März 1942, RGBl. I 1942, 139. 41 Vgl. den Vorspruch des „Führererlasses" (aaO): „Die Verteidigung von Volk und Reich erfordert reibungslose und schnelle Arbeit der Rechtspflege." 42 Jauernig, in: Jauernig/Roxin, 40 Jahre Bundesgerichtshof, 1991, S. 52 f, qualifiziert die Regelung „keineswegs als kriegsbedingte Notmaßnahme, sondern als Vorwegnahme einer Prozeßreform". 43 § 3 Gesetz über Rechtsmittel in der streitigen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (RechtsmittelG), ursprüngl. Fassung BayGVBl. 1946, 300; Württ-Bad. RegBl. 1946, 245; HessGVBl. 1946, 174. - In Bremen hat dagegen § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO in der Fassung der Dritten VereinfachungsVO (wohl) weitergegolten; die VO über Rechtsmittel in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, BremGesBl. 1946, 9, hat ihn jedenfalls nicht berührt. 44 Art. 1 Nr. 10 VO über das Berufungsverfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 9. Juni 1947, VOB1. BZ 76. 45 Vgl. Deutsche Justizverwaltung der Sowjet. Besatzungszone in Deutschland (Hrsg.), ZPO in der am 1. Januar 1949 geltenden Fassung, 1949, Anm. zu § 529. 46 § 1 Abs. 2 (vgl. auch § 34 Nr. 5) Rechtsanordnung über die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren, Amtsblatt der Landesverwaltung Baden - Französ. Besatzungsgebiet 1946, 44; GVB1. der Landesregierung Rheinland-Pfalz 1947, 155; Amtl.
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einheit vom 12. September 1950 47 in Geltung. In Übereinstimmung mit dem Bericht der Reformkommission 48 und den Reformvorschlägen des Deutschen Richterbundes 49 wurde die Lösung im Entwurf der Beschleunigungsnovelle von 1970 50 als § 527 Abs. 1 S. 1 Z P O wieder aufgenommen. Daß die Vereinfachungsnovelle ihn nicht adoptiert hat (übrigens mit der lapidaren Begründung, man wolle nur eine konkrete Prozeßverschleppungsgefahr abwehren 51 ), liegt wohl daran, daß Mitte der siebziger Jahre noch immer die Vorstellung überwog, das Novenrecht in der Berufungsinstanz erscheine im Interesse der Richtigkeitsgewähr „dem deutschen Rechtsbewußtsein geradezu als wesentlichste und wichtigste Eigenschaft dieses Rechtsmittels", wie es Volkmar*2 mit leicht resignierendem Unterton schon für die zwanziger Jahre formuliert hatte. Inzwischen ist die Einsicht gewachsen, daß die Präklusion von Parteivorbringen nicht in Widerspruch, sondern in Ubereinstimmung steht mit materiellen Gerechtigkeitsprinzipien 53 und deshalb ein Urteil, das verspätetes Parteivorbringen unberücksichtigt läßt, nicht weniger gerecht ist als etwa eine Entscheidung, die nach den Grundsätzen materiellrechtlicher Verwirkung eine Rechtsposition aberkennt. 2. Gestützt wird diese Auffassung, zwar nicht im Sinne einer bindenden, aber im Sinne einer richtungsweisenden Vorgabe auch von einer grundrechtlichen Sicht. Betrachten wir dabei zunächst die Position des Klägers. Wenn es richtig ist, daß die Grundrechte nicht nur eine materielle Komponente aufweisen, sondern auch eine verfahrensrechtliche 54 , aus der sich die Garantie wirksamen Rechtsschutzes durch den Staat55 Mitteilungen des Regierungspräsidiums Saar 1946, 133; Amtsbl. des Staatssekretariats für die französ. besetzten Gebiete Württembergs und Hohenzollerns 1946, 230. 47 BGBl. I 1950,455. 48 Kommissionsbericht S. 133 ff. 49 Leitsätze für die Gestaltung der Großen Justizreform, Leitsatz G II 3 a (mit Begründung), D R i Z 1959, 346, 348 (1960, 33, 40), jedoch beschränkt auf die Fälle der Prozeßverschleppungsabsicht und der groben Nachlässigkeit in erster Instanz. 50 BT-Drucks. VI/790. 51 BT-Drucks. 7/2729 S. 90. - Die weit darüber hinausreichende, praktisch viel größere Gefahr, daß bloße Nachlässigkeit den Schwerpunkt des Rechtsstreits in die zweite Instanz verlagert (vgl. Kommissionsbericht S. 132), blieb dabei völlig außer acht. 52 J W 1928, 2676, 2677; vgl. auch Volkmar Judicium 4 (1932), 87 sowie 283 (Bericht von Groh). " Dazu insbes. die eingangs zitierten Untersuchungen Henckels, Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen, S. 22 ff; ders., Prozeßrecht und materielles Recht, S. 112 ff; aus jüngster Zeit Hoffmann, Verfahrensgerechtigkeit, 1992. 54 Ausgangspunkt bildet BVerfGE 24, 367 ff, 400 f. Weitere Nachw. der Rechtsprechung des BVerfG und Hinweise zur Literatur bei Schumann ZZP 96 (1983), 137, 154 f, 160 ff, 251 ff. " Nicht gegen ihn, vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I I I / l , 1988, S. 976.
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ergibt, dann bedeutet dies nicht bloß, Prozeßordnungen so zu handhaben, sondern schon so zu gestalten, daß sie ein grundrechtsfreundliches Verfahren ermöglichen. Da auch im Zivilprozeß in aller Regel grundrechtlich geschützte Positionen zur Entscheidung stehen56, aber zu Beginn des Prozesses noch offen ist, ob der Kläger tatsächlich über eine schutzwürdige Position verfügt, muß ihm zumindest Gelegenheit geboten werden, diese nachzuweisen. Der Nachweis darf nicht so erschwert werden, daß dadurch die Position selbst von vornherein in Frage gestellt wird. Das gilt nicht nur im Verhältnis zwischen den gesetzlichen Anforderungen und ihrer konkreten Anwendung durch den Richter 57 , sondern auch für das Verfahrensgesetz selbst. Ebenso wie der Staat durch Versagung eines privatrechtlichen Anspruchs zur Abwehr einer Beeinträchtigung eine Grundrechtsverletzung beginge58, läge ein Grundrechtsverstoß vor, wenn er zwar einen zivilrechtlichen Anspruch gewährte, aber seine Durchsetzung durch unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hürden zum Scheitern verurteilte. Zu solchen Hürden können sich auch Verteidigungsmöglichkeiten entwickeln, die die Prozeßordnung dem Beklagten einräumt. Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten sind ihrerseits zwar geboten, da sonst die Gefahr besteht, daß der Beklagte selbst in einer Rechtsposition beeinträchtigt wird. Daher muß das Verfahren so angelegt sein, daß es ausgewogenen Rechtsschutz bietet59, den Zustand der Unsicherheit aber auch möglichst bald überwindet. Dazu ist den Parteien in einem fairen Verfahren Gelegenheit zu geben, ihren Sach- und Rechtsstandpunkt zu vertreten. Ist dies geschehen, so spricht eine grundrechtsfreundliche Lösung nach dem „Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen" 60 eher dafür, nun auch den Streit rasch zu ent56 Soweit es sich um Vermögenswerte Rechte handelt, finden sie ihre Grundlage vornehmlich in Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G (vgl. jüngst zum Besitzrecht des Wohnungsmieters BVerfGE 89, 1; dazu kritisch u. a. Depenheuer NJW 1993, 2561; Rüthers N J W 1993, 2587); nichtvermögensrechtliche Positionen lassen sich, sofern kein spezielles Grundrecht in Betracht kommt, auf Art. 2 G G zurückführen. 57 Dazu BVerfGE 37, 132, 145 ff; 49, 244, 247 ff; 53, 352, 357 f u. ö. 58 Gallwas, Grundrechte, 1985, S. 67. 59 BVerfGE 37, 132, 140; 58, 300, 335; Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog, G G , Stand 1983, Art. 14 Rdn. 53 f; Vogg, Einstweiliger Rechtsschutz und vorläufige Vollstreckbarkeit, 1991, S. 56. 60 BVerfGE 39, 1, 43; BVerfG N J W 1994, 36, 38: „Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden." - Lerche, Ubermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 153, spricht (mit Blick auf die Gesetzgebung) von dem „nach beiden Seiten hin schonendsten Ausgleich"; gleichsinnig das „Prinzip praktischer Konkordanz" (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 19. Aufl. 1993, Rdn. 72); w. Nachw. bei Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band III/l, S. 929 f.
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scheiden und ihn nicht durch eine völlige Neuauflage in zweiter Instanz zu verlängern. Der Schutz subjektiver Rechte vor verzögerlicher und verfahrensverlängernder Prozeßführung ist damit gerade Ausfluß des verfahrensrechtlichen Aspekts der Grundrechte 61 . In dieselbe Richtung weist das aus Art. 2 Abs. 1 G G in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Recht auf Entscheidung in angemessener Frist62 und endlich die Regelung des Art. 6 Abs. 1 MRK, wenn sie jedermann den Anspruch gewährt, daß seine Sache vor Gericht „innerhalb einer angemessenen Frist gehört" und - was als selbstverständlich gar nicht eigens ausgesprochen ist - auch entschieden wird63. Wenden wir nun den Blick auf den Beklagten. Hier fällt der Umstand ins Gewicht, daß Klage und Prozeß selbst schon einen Eingriff in die grundrechtliche Handlungsfreiheit des Beklagten aus Art. 2 Abs. 1 G G darstellen, weil sie für ihn eine Einlassungslast und eine Bindung an das Prozeßergebnis begründen; man braucht hierfür bloß auf die Möglichkeit des Versäumnisurteils gem. §331 Z P O sowie auf die Rechtskraftvorschriften der §§ 322, 325 Z P O hinzuweisen. Dieser Eingriff ist nun freilich seinerseits legitim, weil er zur Prüfung und gegebenenfalls Durchsetzung der schutzwürdigen Interessen des Klägers erfolgt und diese Vermögens- oder nicht Vermögenswerten Interessen als Grundrechtspositionen ihrerseits der Handlungsfreiheit des Beklagten ebenbürtig sind. Allerdings gilt für den Eingriff auch das Übermaßverbot 64 . Dabei stehen angesichts des staatlichen Gewaltmonopols sowohl die Geeignetheit wie die grundsätzliche Erforderlichkeit von Klage, Prozeß und Urteil zur Sicherung und Durchsetzung der Klägerposition außer Frage. Auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip im engeren Sinne ist durch die Statuierung der Einlassungslast des Beklagten nicht verletzt; Extremsituationen, in denen die Rechtsschutzeinrichtungen etwa wegen vernachlässigbarer Lappalien in Anspruch genommen werden, kann man mit dem Gesichtspunkt fehlenden Rechtsschutzinteresses begegnen. Indes dürfen Umfang und Dauer der Einlassungslast auch nicht über das Maß hinaus ausgedehnt werden, das zum Schutz der Klägerinteressen erforderlich, d. h. nicht länger als zur Klärung der Sach- und Rechtslage nötig ist. Unter diesem Aspekt erscheint es als hinreichend, wenn der Kläger in einer - nämlich der ersten - Instanz Gelegenheit zum tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen hatte. N u r soweit er hierzu ohne " Ähnlich M. WolfZZP 94 (1981), 310, 312. " B V e r f G E 54, 39, 41; 55, 349, 369 f ü r das verwaltungsgerichtliche Verfahren; B V e r f G N J W 1993, 3254 (m. w. N a c h w . ) f ü r den Strafprozeß; f ü r den Zivilprozeß vgl. Diitz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, 1970, S. 122 ff; Henckel, Festschr. Matscher, 1993, S. 185, 190 f. " D a z u Henckel, Festschr. Matscher, S. 185 f. 64 Gallwas, G r u n d r e c h t e , S. 66 f.
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Verschulden nicht in der Lage war, erscheint eine zweite Instanz gerechtfertigt, um ihm noch weiteren Vortrag zu ermöglichen. Damit erweist sich die hier vorgeschlagene Präklusionsregelung auch vom Standpunkt des Beklagten aus als grundrechtsfreundliche Lösung. 3. Daß die strenge Präklusion bei Nachlässigkeit einer Partei weder ihren Anspruch auf Rechtsschutz noch den Anspruch auf rechtliches Gehör beeinträchtigt, braucht nicht sonderlich mehr hervorgehoben zu werden. Schließlich kann man das Novenrecht auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, nur damit werde man der „aktiven Stellung des Richters im Beweisverfahren" gerecht65. Denn dieses Argument setzt bereits voraus, daß man überhaupt nova im Beweisverfahren der Berufungsinstanz zuläßt. V. Im Ergebnis zeigt sich daher, daß die Anforderungen des § 528 Abs. 1 und 2 Z P O dem Topos „verantwortlicher Freiheit" der Parteien im Zivilprozeß zwar tendenziell, aber noch nicht vollständig genügen. Den prozessualen Befugnissen, über welche die Parteien in erster Instanz bei der Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts verfügen, entspräche es vielmehr, wenn sie bei deren schuldhafter Nichtausübung auch die Konsequenzen in Form der Präklusion des unterlassenen Vorbringens im zweiten Rechtszug zu tragen hätten. Dieser Vorschlag zur Reform des § 528 Z P O versteht sich als Teil eines Gesamtkonzepts 66 , dessen Ziel es ist, den Rechtsstreit auf die erste Instanz zu konzentrieren und die Berufung im Bereich der Tatsachenfeststellung nur zur Korrektur solcher Mängel des erstgerichtlichen Verfahrens und Urteils zu eröffnen, die zu verhindern oder zu beseitigen die Parteien in erster Instanz ohne ihr Verschulden nicht in der Lage waren. Dieses Konzept kann sich freilich nicht damit begnügen, bloß die erstinstanzliche Vortragspflicht der Parteien stärker herauszustreichen und deren unentschuldigte Mißachtung durch eine Beschränkung des Novenrechts in zweiter Instanz zu sanktionieren. Denn für die Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts sind nicht nur die Parteien, sondern ist auch das Gericht verantwortlich. Daher ist eine Verschärfung der Präklusion gegenüber den Parteien nur gerechtfertigt, wenn zugleich die Verantwortung des Gerichts in dem Gesamtkonzept stärker betont wird. Die Verantwortung des Gerichts drückt sich zum einen in den Hinweispflichten aus, die ihm gem. §§ 136 Abs. 3, 139, 276 Abs. 1, 2 65
So Jonas D R 1941, 1329, 1333; ähnlich Kommissionsbericht, S. 131. " Dazu Rimmelspacher ZZP 107 (1994), 421 ff.
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Nr. 1, 278 Abs. 3 Z P O gegenüber den Parteien obliegen. Ihre strikte und rechtzeitige Wahrung ist allemal Voraussetzung dafür, daß auch von den Parteien zeitiges Vorbringen erwartet und daß verspätetes Vorbringen präkludiert werden kann. Die gerichtliche Mitverantwortung für die Sachverhaltsrekonstruktion kommt zum anderen in der Pflicht und Befugnis zum Ausdruck, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Parteibehauptungen festzustellen (§ 286 ZPO). Nimmt man diesen Aspekt gerichtlicher Verantwortung gleichfalls ernst, so muß man freilich eine Entscheidung, die dieser Verantwortung gerecht geworden ist, auch respektieren und darf sie nicht im Wege eines Rechtsmittels und erneuter Beweiswürdigung zur Disposition der höheren Instanz stellen. Denn wie Verantwortlichkeit geschwächt würde, wenn ohne Sanktion bliebe, wer ihr nicht gerecht wird, so würde sie ausgehöhlt, wenn verantwortliches Handeln nicht Bestand hätte. Dies gilt für Gericht und Parteien.
Subjektives Recht oder prozessuale Befugnis als Voraussetzungen einer „Aktionärsklage" HERBERT ROTH
I. Das Hafenbetriebsurteil („Holzmüller") Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Jahre 1982 in einer als bahnbrechend empfundenen Entscheidung dem Aktionär einen verbandsrechtlichen Anspruch darauf zuerkannt, daß die Aktiengesellschaft „seine Mitgliedsrechte achtet und alles unterläßt, was sie über das durch Gesetz und Satzung gedeckte Maß hinaus beeinträchtigt"'. Der Vorstand hatte einen Seehafenbetrieb ausgegliedert, der den wertvollsten Teil des Gesellschaftsvermögens bildete, und in eine dazu gegründete Tochtergesellschaft eingebracht. Der gegen die Aktiengesellschaft klagende Aktionär machte geltend, der Vorstand habe die erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung nicht eingeholt und dadurch seine Kompetenzen überschritten. Neben der Möglichkeit einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 Z P O , wonach die Maßnahme nichtig oder unzulässig sei, wurde dem Aktionär in einem solchen Fall auch die Klage gegen die Aktiengesellschaft auf Unterlassung oder Wiederherstellung des alten Zustandes zugebilligt. Für diese Durchsetzung rechtmäßigen Organverhaltens im Wege der Leistungsklage hat sich die Bezeichnung „Aktionärsklage" durchgesetzt 2 . Es besteht weithin Einigkeit darin, daß mit dem Hafenbetriebsurteil („Holzmüller-Entscheidung") kein allgemeiner Anspruch des Aktionärs auf rechtmäßige Pflichterfüllung des Vorstandes begründet werden sollte 3 . Vielmehr geht es wie im entschiedenen Fall um Kompetenzüberschreitungen des Vorstandes im Sinne von faktischen Satzungsänderungen. Außerhalb meines Themas liegt die konzernrechtliche ' B G H Z 83, 122, 133; dem Grundsatz nach bestätigt durch B G H N J W 1994, 51, 53; O L G München A G 1994, 134. 2 Etwa Brondics, Die Aktionärsklage, 1988; Schulz-Gardyan, Die sogenannte Aktionärsklage, 1991; Pflugradt, Leistungsklagen zur Erzwingung rechtmäßigen Vorstandsverhaltens in der Aktiengesellschaft, 1990, S. 4, 17 ff; Mecke, Konzernstruktur und Aktionärsentscheid, 1992, 215 ff. 3 Diese Einschränkung findet sich auch in der wegbereitenden Abhandlung von Knobbe-Keuk, Das Klagerecht des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft wegen gesetzund satzungswidriger Maßnahmen der Geschäftsführung, in: FS Ballerstedt, 1975, S. 239, 251 f; Brondics (Fn. 2), S. 106 f; auch B G H Z 83, 122, 134; O L G München AG 1994, 134.
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Problematik des Urteils mit der Frage, ob die Kompetenzen von Vorstand und Hauptversammlung richtig gegeneinander abgegrenzt wurden 4 . Nach dem Urteil eines ausgewiesenen Gesellschaftsrechtlers ist die Rechtslage hinsichtlich der Klagebefugnisse des Aktionärs weitgehend ungeklärt und „der gegenwärtige Erkenntniszustand ganz und gar unbefriedigend" 5 . II. Angrenzende Rechtsbehelfe Ich beschränke mich auf die Aktionärsklage im dargestellten Sinn und lasse - nicht zuletzt aus Gründen fehlender Kompetenz - die reizvolle Frage unerörtert, ob sich nicht alle Gesellschafterklagen zu einem einheitlichen Rechtsinstitut zusammenfassen lassen6. Deshalb unterbleibt der rechtsformunabhängige „Durchblick" auf die Rechte der GmbH und der Personengesellschaft7. Auch gehe ich nicht auf die Diskussion um die sogenannten „Organklagen" ein. Dort geht es nicht in erster Linie um die hier gemeinten Beziehungen zwischen Aktiengesellschaft und Aktionär, sondern um den wegen Fragen der Innenrechtsbeziehung mit- und untereinander ausgetragenen Streit von Organisation, Organen und Organmitgliedern 8 . Es ist derzeit eine noch offene Frage, ob der Aktionär seine Klage wahlweise gegen das Organ Vorstand richten darf 9 oder ob er darauf beschränkt ist, gegen die Aktiengesellschaft selbst zu klagen. Mir ist es in erster Linie darum zu tun, ob sich die Denkformen und Rechtsinstrumente des allgemeinen Privatrechts auch im Recht der Aktiengesellschaft wiederfinden, oder ob sie nicht in mehrseitigen Organisationsmodellen diesen angepaßt, fortentwickelt oder gar abgelöst werden müssen10. Das klassische Privatrechtsdenken ist über weite Gebiete hinweg durch das Anspruchs- und Einredemodell geprägt. Die in § 194 BGB niedergelegte Legaldefinition des Anspruches geht dabei von einem Zweipersonenverhältnis oder wenigstens von der Auflösungs4 Meinungsstand bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, § 21 V (S. 534); Kühler, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 1994, §15 V i a . - Das neue Umwandlungsrecht konnte nicht mehr berücksichtigt werden; siehe Feddersen/Kiem, ZIP 1994, 1078 ff. 5 Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 42. ' Ablehnend K. Schmidt (Fn. 4), § 21 V (S. 534). 7 Grundsätzliches bieten Zöllner, Die sogenannten Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftsrecht, Z G R 1988, 392; v. Gerkan, Die Gesellschafterklage, Z G R 1988, 441, je mit zahlreichen Nachweisen. ' Nachweise bei Bork, Materiell-rechtliche und prozeßrechtliche Probleme des Organstreits zwischen Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, Z G R 1989, 1, 3; H.-J. Mertens, Organstreit in der Aktiengesellschaft? Z H R 154 (1990), 25 ff. ' B G H NJW 1994, 51,53. 10 So auch die Fragestellung bei Wiedemann (Fn. 5), S. 42.
Voraussetzungen einer „Aktionärsklage"
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möglichkeit von Mehrpersonenbeziehungen in solche Verhältnisse aus". Damit gewinnt das aktionenrechtliche Denken zugleich Bedeutung für das Prozeßrecht, da der Rechtsstoff mit der Anspruchsmethode für einen etwa nachfolgenden Zivilprozeß aufbereitet wird. Dieser wird wiederum in seinem Kernbereich durch die ein Zweiparteienverhältnis kennzeichnende Leistungsklage bestimmt. Von diesem Denkmodell geht ersichtlich auch das Hafenbetriebsurteil aus, wenn dort von Ansprüchen, Leistungs- und Unterlassungsklagen oder materiell begründeter Rechtsverfolgung die Rede ist12. Es ist aber gerade die Frage, ob sich Kooperation und Mitwirkung in den Kategorien von materiell-rechtlichem Anspruch und zivilprozessualer Leistungsklage zutreffend erfassen lassen13. Dieser Zweifel nährt letztlich wohl das Unbehagen an der Berechtigung der vom Gesetz nicht vorgesehenen Aktionärsklage 14 . Vielleicht ist diese Sicht der Dinge bislang zu kurz gekommen. III. Materielles Recht und Verfahrensrecht in der Aktiengesellschaft Mit einiger Vereinfachung läßt sich das Verhältnis von materiellem Recht und Verfahrensrecht in der Aktiengesellschaft in vier unterschiedlichen Fallgruppen erfassen. 1. Im eher schmalen Anwendungsbereich der ersten Gruppe entfernt sich das Aktienrecht nicht von den Modellvorstellungen des allgemeinen Privatrechts. Es werden Ansprüche im Sinne des § 194 BGB im Wege der Leistungsklage im gewöhnlichen Zivilprozeß durchgesetzt. So liegt es für das Recht des Aktionärs auf Ubersendung von Mitteilungen und auf Erteilung der Abschriften von Vorlagen für die Hauptversammlung, wie es in den §§ 125 Abs. 2,175 Abs. 2 S. 2, 120 Abs. 3 S. 3 AktG vorgesehen ist15. Ferner zählt hierher der einklagbare Anspruch des Aktionärs auf Dividendenzahlung mit Wirksamwerden des Gewinnverwendungsbeschlusses nach § 58 Abs. 4 i. V. m. § 174 AktG 16 . Die Rechtsprechung 11 G r u n d l e g e n d Medicas, A n s p r u c h und Einrede als Rückgrat einer zivilistischen L e h r m e t h o d e , A c P 174 (1974), 313 ff; k u r z auch H. Roth, Stichwort „Anspruch", in: L d R 13/80. 12 B G H Z 83,122,127,133,134,135. 13 S. bereits Medicus, A c P 174 (1974), 313, 315, 331; H. Roth, Die Einrede des Bürgerlichen Rechts, 1988, S. 7. 14 A m nachdrücklichsten haben sich gegen die „Aktionärsklage" ausgesprochen SchulzCardyan (Fn. 2), S. 126, und Häsemeyer, Prozeßrechtliche R a h m e n b e d i n g u n g e n f ü r die Entwicklung des materiellen Privatrechts - Z u r Unvertauschbarkeit materieller und f o r meller Rechtssätze, A c P 188 (1988), 140, 161. 15 Nachweise bei Pflugradt (Fn. 2), S. 35 f. " Insoweit z u s t i m m e n d auch Häsemeyer, D e r interne Rechtsschutz zwischen O r g a nen, Organmitgliedern und Mitgliedern der Kapitalgesellschaft als Problem der P r o z e ß führungsbefugnis, Z H R 144 (1980), 265, 270.
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hat diese Möglichkeit sogar noch vorverlagert 17 : Mit der Feststellung des Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat nach § 172 AktG wird dem Aktionär ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf Herbeiführung des Gewinnverwendungsbeschlusses zuerkannt. 2. In der zweiten Fallgruppe geht es um das Auskunftsrecht des Aktionärs nach § 131 AktG. Danach ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand über Angelegenheiten der Gesellschaft Auskunft zu geben, soweit dies zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist. Es handelt sich um einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch des Aktionärs, der die Besonderheit aufweist, daß er nicht mit der Leistungsklage durchgesetzt werden kann. Dieser Rechtsbehelf wird vielmehr durch das in § 132 AktG geregelte Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verdrängt18. Das bedeutet im wesentlichen die Abkehr vom streitigen Zivilprozeß. 3. Das Hauptbeispiel der dritten Fallgruppe bildet die auch dem Aktionär zustehende Anfechtungsklage gegen gesetzes- oder satzungsverletzende Beschlüsse der Hauptversammlung nach den §§ 243 Abs. 1, 245 Nrn. 1-3 AktG. Das Urteil wirkt nach § 248 Abs. 1 S. 1 AktG für und gegen alle Aktionäre sowie die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates, auch wenn sie nicht Partei sind19. Obgleich die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist (§ 246 Abs. 2 S. 1 AktG), läßt sich der Rechtsstreit also nicht auf die Zweierbeziehung von Aktionär und Aktiengesellschaft auflösen. Darin liegt eine erste bedeutsame Abweichung vom allgemeinen Privatrecht20. Ein noch gewichtigerer Unterschied ergibt sich aus der Deutung der dem Aktionär nach § 245 AktG gesetzlich verliehenen Anfechtungsbefugnis. Entgegen der herrschenden Meinung sehe ich darin kein materiellrechtliches subjektives Recht des Aktionärs 21 , sondern eine prozessuale Befugnis. Dabei bleibt es gleich, ob man das subjektive Recht im Sinne eines materiellrechtlichen Gestaltungsrechts oder eines Aufhebungsanspruches verstünde22. Dem objektiven Verstoß des Hauptversammlungsbeschlusses gegen Gesetz oder Satzung ((§ 243 Abs. 1 AktG) entspräche ein subjektives Privatrecht des Aktionärs nur dann, wenn diesem selbst ein allgemeines Nachweise in B G H N J W 1994, 520, 523. " Zur früheren Rechtslage B G H Z 32, 159, 161 f; 36, 121 (Auskunftsklage). " Zur allgemein herrschenden Deutung als Gestaltungsklage Hüffer, Aktiengesetz, 1993, § 246 Rdn. 8. 20 Wiedemann (Fn. 5), S. 42; Medicas, AcP 174 (1974), 313, 331. 21 Nachweise der h. L. bei Hüffer (Fn. 19), § 245 Rdn. 2; Pflugradt (Fn. 2), S. 66. 22 Ausführlich dazu P. Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, S. 368 ff. 17
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Recht auf gesetzes- und satzungsgemäßes Verhalten der Hauptversammlung zustünde. Dann müßte aber mindestens eine Gefährdung oder wenigstens eine Betroffenheit der individuellen Mitgliedschaft geltend gemacht werden. Davon weiß aber § 245 Nr. 1-3 AktG nichts. Vielmehr braucht der Aktionär gerade nicht vorzutragen, daß er durch den Beschluß in eigenen Rechten verletzt wird23. Es soll das Interesse eines jeden Gesellschafters daran genügen, daß Hauptversammlungsbeschlüsse mit Gesetz und Satzung im Einklang stehen. Die Gegenauffassung vermengt objektives Recht und subjektive Berechtigung. Für die zutreffende systematische Einordnung ist es unerheblich, ob das subjektive Recht als Willensherrschaft, als Rechtsmacht zur Befriedigung von Interessen gedeutet24, oder ob es in einem mehr formalen Verständnis auf monopolisierte Verhaltensberechtigungen verkürzt wird 25 . Stets ist für seine Annahme mehr erforderlich als ein bloßes reflexhaftes Berührtsein des Aktionärs durch den betreffenden Beschluß der Hauptversammlung. Die Deutung der Anfechtungsklage des Aktionärs im Sinne einer rein prozessualen gesetzlichen Befugnis 26 bezeichnet am nachdrücklichsten die Abkehr vom aktionenrechtlichen Denken des allgemeinen Privatrechts. Das Anspruchsmodell wird ersetzt durch ein Bündel prozessualer Rechtsbehelfe. Damit verbunden ist der Perspektivenwechsel von der Gläubigerseite, wie sie durch das klassische Privatrechtsdenken betont wird, hin zum Schuldner als dem Verletzer des objektiven Rechts. 4. Schließlich prägt § 118 Abs. 1 AktG die vierte und wichtigste Fallgruppe, in der sich das Verhältnis von materiellem Recht und Verfahrensrecht in der Stellung des Aktionärs ausdrückt. Nach dieser N o r m üben die Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft in der Hauptversammlung aus, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Deutlicher als im Wortlaut dieser Bestimmung läßt sich die Abkehr des Aktienrechts vom Anspruchsmodell des Bürgerlichen Rechts wohl nicht beschreiben. Anders als die drei soeben vorgestellten Fallgruppen ist § 118 Abs. 1 AktG nicht auf den Prozeß ausgerichtet. Vielmehr wird die Aktiengesellschaft aus der Perspektive des Aktionärs als normal funktionierende Rechtseinrichtung - also ohne das Geltend-
2)
B G H Z 70, 117, 118; K. Schmidt (Fn. 4), § 28 IV (S. 723). Diskussion der Alternativen bei Medicas, Allgemeiner Teil des BGB, 6. Aufl. 1994, Rdn. 70. 25 So die Konzeption von Schulz-Gardyan (Fn. 2), insbes. S. 59 ff (zur Struktur der subjektiven Rechte); berechtigte Kritik daran insoweit durch K. Schmidt, Z H R 157 (1993), 87, 90. 26 Ebenso Wiedemann (Fn. 5), S. 54; im Anschluß an ihn ausführlich Pflugradt (Fn. 2), 5. 65 ff. 24
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machen von materiellrechtlichen Ansprüchen oder prozessualen Befugnissen - beschrieben. Im Hinblick auf die Modellvorstellungen des klassischen Privatrechts bedeutet das nichts weniger als einen Paradigmawechsel. Neben dem Anspruchsdenken wird sogar das Denken in prozessualen Rechtsbehelfen aufgegeben. § 118 Abs. 1 AktG besagt dem Grundsatz nach nichts anderes, als daß der Aktionär - auch wenn ihm subjektive Privatrechte im Sinne von Mitgliedschaftsrechten zugeordnet werden - diese nicht im Wege der zivilprozessualen Leistungsklage oder eines anderen Rechtsbehelfs durchsetzen kann. Diese Erkenntnis wurde in einer grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1927 eindringlich formuliert 27 . In neuerer Zeit scheint sie aber zunehmend verschüttet worden zu sein. Darauf komme ich noch zurück (u. VI.). 5. Nach dem bisher Ausgeführten läßt sich das Hafenbetriebsurteil (ο. I.) in keiner der vier Fallgruppen unterbringen. Das muß kein Beleg für seine Unrichtigkeit sein, wenn sich die „Aktionärsklage" bei Vorliegen einer Gesetzeslücke im Wege der gesetzesimmanenten - oder bei deren Fehlen - mit Hilfe einer gesetzesübersteigenden richterlichen Rechtsfortbildung begründen ließe. Der Bundesgerichtshof hat mit dem Abstellen auf das Mitgliedsrecht des Aktionärs (ο. I.) als Grundlage das materielle Recht gewählt, ohne die Frage der Methode zu thematisieren (u. VI. 3). IV. Die Mitgliedschaft als Grundlage von Abwehrrechten Der in der Abgrenzung gegenseitiger subjektiver Rechte wurzelnde Lösungsansatz entspricht der Betrachtungsweise des klassischen Privatrechts und liegt nach dem Gesagten (o. III.) dem Aktienrecht eher fern. Läßt man sich darauf ein, so kann es um das Geltendmachen fremder Rechte im eigenen Namen oder um eigene Rechte des Aktionärs gehen. 1. Der Bundesgerichtshof hat den erstgenannten Weg ausdrücklich ausgeschlossen28. Damit konnte das rechtmäßige Vorstandsverhalten nicht über die actio pro societate erzwungen werden, mit der ein Aktionär keinen eigenen Anspruch, sondern Ansprüche der Aktiengesellschaft im Wege der Prozeßstandschaft geltend machte29. Ich verfolge diesen Weg ebenfalls nicht weiter, weil sich die actio pro socio außerhalb des Personengesellschaftsrechts noch nicht als Institut des allgemeinen 27 RG J W 1927, 1677 mit zust. Anm. Pinner und Byk; ebenso RGZ 142, 223, 228; ganz kurz gegen diese Entscheidung BGHZ 83, 122, 127. 2» BGHZ 83, 122,135. 29 Mit anderer Tendenz insbes. v. Gerkan, ZGR 1988, 441 ff mit weiteren Nachweisen.
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Verbandsrechts hat durchsetzen können 3 0 . Als einer der maßgeblichen G r ü n d e wird mit Recht die zwingende, von den Mitgliedern abgelöste Zuständigkeitsordnung der Aktiengesellschaft genannt. 2. Ich beschränke mich daher auf den kompetenzanmaßenden Eingriff des Vorstands (ο. I.) in das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs, verstanden im Sinne eines eigenen subjektiven Privatrechts, wie es dem Bundesgerichtshof vorschwebt. Die in der Entscheidung nicht bezeichnete Anspruchsgrundlage hat Karsten Schmidt nachgeliefert 31 : Er deutet die Mitgliedschaft des Aktionärs als absolutes Recht und stattet es in entsprechender A n w e n d u n g des § 1004 BGB mit Beseitigungs- und Unterlassungsansprüchen aus. Freilich ist heute nicht weiter begründungsbedürftig, daß diese N o r m der analogen A n w e n d u n g auf alle absoluten Rechte zugänglich ist32. T r o t z einer ausgedehnten Diskussion ist es aber bislang nicht überzeugend gelungen, die Mitgliedschaft des Aktionärs zu einem subjektiven Privatrecht aufzuwerten 3 3 . Einigkeit besteht nur im Ausgangspunkt, wonach der Aktionär wie auch die Aktiengesellschaft Beteiligte eines Rechtsverhältnisses sind. Etwas ungenauer - aber in gleichem Sinne - wird auch davon gesprochen, daß aus der Mitgliedschaft als Teilhabe an einem Verband das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis resultiert 34 . Allerdings ist das Rechtsverhältnis Quelle von Rechten und Pflichten, gleich, ob man es als rechtlich geregeltes Lebensverhältnis, als ein rechtliches Band unter Personen oder im Sinne einer rechtlichen Regelung eines Ausschnitts aus der Wirklichkeit versteht 35 . D o c h ist nicht jede daraus abgeleitete Befugnis ein subjektives Recht und schon gar nicht ein absolutes Recht. Gesichert ist daher lediglich, daß das bestehende Rechtsverhältnis die Mitgliedschaft wenigstens im Sinne einer Rechtsposition begreift 36 , die durch einzelne Ge- oder Verbote geschützt wird. Mit dieser Einordnung ergibt sich wiederum nichts f ü r die Annahme eines subjektiven Rechts als 30 Dagegen auch die überwiegende Auffassung, K. Schmidt (Fn. 4), § 21 IV 6 (S. 530) und § 21 V 3 (S. 539); Pflugradt (Fn. 2), S. 46 f; Schulz-Gardyan (Fn. 2), S. 102 f; Zöllner, Z G R 1988,392,424. 31 K. Schmidt (Fn. 4), § 21 V (S. 534 ff); Überblick z u m Meinungsstand bei Th. Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. 1992, § 12 Rdn. 22 ff. 32 Etwa Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, § 13 III (S. 229); M ü n c h K o m m J M e d i c a s , B G B , 2. Aufl. 1986, § 1004 R d n . 6. 33 D a f ü r aber Großfeld, Aktiengesellschaft, U n t e r n e h m e n s k o n z e n t r a t i o n u n d Kleinaktionär, 1968, S. 224 ff; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Erster Band, Zweiter Teil, Die juristische Person, 1983, § 81 I (S. 258); Brandies (Fn. 2), S. 93. 34 So K. Schmidt (Fn. 4), § 19 I 3 (S. 444 f); terminologische Kritik bei Soergel/Hadding, 12. Aufl. 1987, § 38 Rdn. 3 mit Fn. 4. 35 Nachweise bei H. Roth, Stichwort „Rechtsverhältnis", in: L d R 13/530. 3i So auch Larenz (Fn. 32), § 10 III (S. 168 Fn. 46); vgl. auch Mugdan I, 625 (= Prot. I, 1073).
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Mindestvoraussetzung für die actio negatoria. Das hat sich bislang am deutlichsten in der Auseinandersetzung um die Einordnung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes als sonstiges (absolutes) Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 B G B gezeigt. In vergleichbarer Weise wird die Mitgliedschaft von manchen Autoren als „Rahmenrecht" bezeichnet 37 . Bisweilen wird auch offengelassen, ob es sich um ein relatives oder um ein absolutes subjektives Recht handelt 38 . Doch genügt die Annahme eines bloßen relativen Rechts nicht als Grundlage für aus § 1004 B G B (analog) herrührende Schutzansprüche. 3. Nach meiner Ansicht muß danach unterschieden werden, ob der Aktionär Beeinträchtigungen seiner Mitgliedschaft durch außenstehende Dritte abwehren will oder ob Rechtsschutz innerhalb der Gesellschaft gesucht wird. Deshalb ist etwa ein aus § 1004 B G B (analog) hergeleiteter Unterlassungsanspruch des Aktionärs gegen einen verbandsfremden Dritten möglich, der sich zu Unrecht der Mitgliedschaft berühmt 39 . Damit ist noch nichts darüber ausgesagt, wie der Rechtsschutz des Aktionärs gegen ein kompetenzanmaßendes Verhalten des Vorstandes ausgestaltet ist40. In diesem Zusammenhang ist es wenigstens irreführend, wenn die Rechtsbeziehungen des Aktionärs zur Aktiengesellschaft als „Außenrechtsbeziehungen" bezeichnet werden 41 . Diese Ausdrucksweise soll ersichtlich nur die Aktionärsklage von der Organklage abgrenzen (ο. II.). In der Sache geht es allein darum, daß das innere Verbandsrecht der Aktiengesellschaft Grundlagen und Grenzen des Schutzes des Aktionärs gegenüber dem Verhalten des Vorstandes regelt. Anders als bei der direkten oder analogen Anwendung des § 1004 B G B wiederholt sich mit der Aktionärsklage gerade nicht die Unterscheidung zwischen dem verletzten (absoluten) Primärrecht und den aus der Verletzung hergeleiteten Schutzansprüchen auf Beseitigung oder Unterlassung. Im Umkreis der actio negatoria ist das betreffende absolute Recht wie ζ. B. das Eigentum vorgegeben. Dagegen ist die Rechtsposition des Aktionärs allein durch das innere Verbandsrecht der Aktiengesellschaft sowohl nach der materiellrechtlichen wie nach der Rechtsbehelfsseite hin ausgestaltet. § 118 Abs. 1 A k t G liegt aber ein gänzlich anderes Denkmodell als der actio negatoria zugrunde (ο. II. 4.). Wird diese N o r m als Ausdruck eines Strukturprinzips der Aktiengesellschaft ernst genommen, so ähnelt die Position des Aktionärs dem Zöllner, ZGR 1988, 392, 430 (Zum Außenverhältnis). Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band I, 1980, § 2 (S. 95). 39 So etwa Pflugradt (Fn. 2), S. 44 im Anschluß an Lutter, AcP 180 (1980), 84, 131 (deliktischer Unterlassungsanspruch). 40 Richtig Zöllner, ZGR 1988, 392, 430. 41 Etwa Pflugradt (Fn. 2), S. 3. 37 38
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Vorstand gegenüber allenfalls einem u n v o l l k o m m e n e n , weil unklagbaren A n s p r u c h . D o c h h i n k t selbst dieser Vergleich (ο. II. 4.). U m ein absolutes Recht handelt es sich bei der Mitgliedschaft jedenfalls nicht. D a m i t ist zugleich auch deliktsrechtlichen A n s ä t z e n eine Absage erteilt, die den Schutz der Mitgliedschaft im Verhältnis zu O r g a n e n der Gesellschaft nach § 823 Abs. 1 B G B sichern wollen 42 . Es fehlt gleicherm a ß e n an dem dazu erforderlichen absoluten Recht. 4. Die hier e r h o b e n e n E i n w ä n d e vermeidet eine von Zöllner vorgetragene K o n z e p t i o n , die dem A k t i o n ä r einen verbandsrechtlichen U n t e r lassungsanspruch sowie einen Schadensersatzanspruch gewähren will 43 . Diese Schutzansprüche sollen mit § 1004 B G B nichts zu tun haben. Vielmehr gehe es u m die Verletzung einer originären Pflicht aus d e m Mitgliedschaftsverhältnis. Ich verstehe das so, daß nicht auf die M i t gliedschaft im Sinne eines voranstehend diskutierten absoluten Rechts abgestellt wird, sondern auf die mitgliedschaftliche S o n d e r b e z i e h u n g zwischen Verband u n d Mitglied. Letztlich ginge es dann bei d e m Schadensersatzanspruch u m einen solchen aus positiver F o r d e r u n g s verletzung 4 4 . Naturalrestitution bedeutete d a n n die Wiederherstellung des v o r der Beeinträchtigung bestehenden Zustandes. Auf diese Weise ließen sich vergleichbare Ergebnisse wie bei der analogen A n w e n d u n g des § 1004 B G B erreichen. Ich stimme diesem Lösungsversuch nicht zu, weil er zu einer inflationären A n s p r u c h s v e r m e h r u n g f ü h r t : Schadensersatzansprüche entstünden bereits bei der Verletzung bloßer mitgliedschaftlicher Interessen, o h n e daß in den Zuweisungsgehalt der Mitgliedschaft eingegriffen w e r d e n müßte. Das paßt aber nicht zu d e m Verständnis der Aktionärsklage als eines Rechtsbehelfes gegen K o m p e tenzüberschreitungen des Vorstandes (ο. I.). Zöllner will die bloße Interessenverletzung gleichfalls ausklammern, gerät damit aber in W i d e r s p r u c h zu seinem eigenen A u s g a n g s p u n k t . 5. Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß das materielle Recht keine ausreichende G r u n d l a g e f ü r die S c h ö p f u n g einer Aktionärsklage bildet. Das innere Verbandsrecht der Aktiengesellschaft läßt sich nicht als System v o n gegeneinander abgrenzbaren subjektiven Privatrechten verstehen. D a m i t ist der Rechtsprechung des B G H die G r u n d l a g e entzogen.
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D a f ü r aber M ü n c h K o m m . / M e r t e n s , BGB, 2. Aufl. 1986, § 823 R d n . 131 u n d öfter. « Zöllner, Z G R 1988, 392, 428 f; er versteht auch B G H Z 83, 122 in diesem Sinne. 44 Zu Schadensersatzklagen wegen Verletzung der Mitgliedschaft s. K. Schmidt (Fn. 4), § 21 V 4 (S. 540); Hadding, in: FS Kellermann, 1991, S. 91.
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V. Leistungsklagen ohne Anspruch Nach dem Gesagten bleibt der Rückgriff auf eine Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Prozeßrechts übrig, wie er unlängst von Wiedemann vorgezeichnet worden ist45. Naheliegender Ausgangspunkt ist die auf Hauptversammlungsbeschlüsse zugeschnittene Anfechtungsklage des Aktionärs gemäß der §§ 243, 245 AktG und ihre Erweiterung auf die Anfechtung von kompetenzanmaßenden Handlungen des Vorstandes. Vergleichbar der Anfechtungsklage als einer Gestaltungsklage ohne zugrunde liegendes materielles Gestaltungsrecht (o. III. 3.) wäre die Aktionärsklage eine Leistungsklage (ο. I.) ohne einen materiellrechtlichen Anspruch. Beide Male ginge es nicht um das Geltendmachen eigener subjektiver Rechte des Aktionärs, sondern um die Zuerkennung bloßer Klagebefugnisse zur Beanstandung einer Verletzung des objektiven Rechts durch den Vorstand 46 . Vergleichbare Fragestellungen sind übrigens auch schon im allgemeinen Privatrecht bei § 1004 B G B erörtert worden. Dort ging es vor allem darum, ob der Unterlassungsklage ein materiellrechtlicher Anspruch zugrunde liegt oder nicht 47 . Im Bereich der Sonderprivatrechte werfen die Klagen aus § 13 U W G und aus § 13 A G B G ähnliche Probleme auf. Leistungsklagen ohne Anspruch stellen im Privatrechtssystem sicherlich eine Ausnahme dar, weil materielles Recht und Prozeßrecht gleichsam vertauscht werden 48 . Im Aktienrecht bildet das Denken in prozessualen Befugnissen aber einen Ausschnitt aus den zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen (o. III. 3.). Deshalb wirkte die Anfechtungsklage als Grundlage einer Rechtsfortbildung nicht strukturverwerfend. Gleichwohl unterliegt die Herausbildung einer Aktionärsklage schwerwiegenden Bedenken. 1. Der erste Einwand muß dahin gehen, daß ihre Anerkennung zugunsten des Aktionärs zu Lasten des Vorstandes dessen Möglichkeiten zur Übernahme von Risiken begrenzt. Dagegen hat der Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Diese Leitungsbefugnis gerät vor allem deshalb in Gefahr, weil die Zuerkennung von Klagebefugnissen grundsätzlich auch die Möglichkeit des vorbeugenden Rechtsschutzes zugunsten des Aktionärs eröffnet. In ganz anderen systematischen Zusammenhängen sind ähnliche Probleme 45 Wiedemann (Fn. 5), S. 54 f; Pflugradt (Fn. 2), S. 103 ff hat dieses Konzept sorgfältig entfaltet. 46 So die im Grundsätzlichen zutreffende Konzeption von Pflugradt (Fn. 2), S. 103 ff. 47 Grundlegend Henckel, Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht AcP 174 (1974), 97, 121 ff. 48 Kritisch deshalb Häsemeyer, AcP 188 (1988), 140 (Aktionärsklage) gegen Hommelboff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 457.
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der Zuteilung von Klagebefugnissen im allgemeinen Privatrecht bekannt. So sind innerhalb von Schuldverhältnissen bestehende Schutzpflichten nicht etwa generell unklagbar. Andererseits muß ihre Klagbarkeit begrenzt werden, damit der Gläubiger den Schuldner nicht im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes in seiner Entscheidungsfreiheit, ζ. B. in der Wahl der Verpackungs- oder Versendungsart und den dabei zu begegnenden Risiken und Kostenerwägungen, übermäßig einengt. Die Entscheidung über die Klagbarkeit von Schutzpflichten wird dort von einer Abwägung zwischen den Gläubiger- und Schuldnerinteressen abhängig gemacht 49 . Im Aktienrecht steht dagegen § 118 Abs. 1 AktG einer derartigen Abwägung entgegen. 2. Ein zweiter Einwand gegen die Statthaftigkeit einer Aktionärsklage gilt der Begrenzung von Klagebefugnissen. Damit meine ich nicht in erster Linie das Problem des Rechtsmißbrauchs, wie es in vielfältigen Erscheinungsformen bei der Anfechtungsklage hervorgetreten ist50. Wie bereits erwähnt (ο. I.), hat der Aktionär nach allgemeiner Meinung kein Recht auf ein allgemeines gesetzmäßiges Handeln des Vorstandes. Demgegenüber sind rechtsfortbildend geschaffene selbständige Klagebefugnisse in ihrer Reichweite notwendigerweise unbestimmt, da die begrenzende Funktion von subjektiven materiellen Rechten, insbesondere von Ansprüchen, nicht zum Tragen kommt. Deshalb wird auch von den Befürwortern einer aus prozessualen Elementen bestehenden Aktionärsklage deren notwendige Eingrenzung betont, damit das Hafenbetriebsurteil keinen „Dammbruch" verursacht 51 . 3. Selbst wenn man sich auf einen eng gefaßten Kernbereich der Aktionärsklage verständigen wollte (ο. I.), so bliebe noch ein dritter Einwand unausgetragen: Nach § 118 Abs. 1 AktG steht allein der Hauptversammlung das Urteil darüber zu, ob der Vorstand durch sein Handeln in ihre Kompetenzen eingegriffen hat. Gegen ihre Beschlüsse kann der Aktionär anschließend im Wege der Anfechtungsklage (§ 243 Abs. 1 AktG) vorgehen. Bis zu diesem Zeitpunkt steht aber nicht fest, ob der Vorstand wirklich seine Befugnisse überschritten hat. Damit lag die von Häsemeyer gestellte Frage nahe, unter welchen Verfahrensvoraussetzungen diese Feststellung überhaupt erst getroffen werden kann 52 . Teilte man dem Aktionär eigene Klagebefugnisse zu, so genügte schon die bloße Behauptung einer Kompetenzanmaßung des Vorstandes
Diskussionsstand bei Henckel, AcP 174 (1974)97, 111 f; Stiirner, J Z 1976,384 ff. Nachweise etwa bei O L G Düsseldorf W M 1994, 337 (Minderheitsaktionär). 51 Wiedemann (Fn. 5), S. 55. 52 Häsemeyer, Z H R 144 (1980), 265 ff; 275 ff; ders., AcP 188 (1988), 140, 161 mit Fn. 110. 49 50
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für die Eröffnung des Weges zu den Gerichten 53 . Auch das weitergehende Verlangen nach einem schlüssigen Vortrag 54 des Aktionärs erschwerte die Einleitung des Rechtsweges nur unwesentlich. VI. Der Ausschluß von Einzelklagebefugnissen durch § 118 Abs. 1 AktG Nach dem bisher Ausgeführten verfestigt sich die Feststellung, daß § 1 1 8 Abs. 1 AktG schon den Rechtsstreit des Einzelaktionärs darüber ausschließen will, ob der Vorstand in die Kompetenzen der Hauptversammlung eingegriffen hat (o. III. 4.). 1. Ein Teil der aktienrechtlichen Literatur folgert denn auch aus § 118 Abs. 1 AktG, daß der Aktionär nicht auf Vornahme oder Unterlassung geschäftlicher Maßnahmen klagen darf55. Dagegen kann die zentrale Bedeutung der N o r m für die Diskussion um die Aktionärsklage nicht mit der Erwägung geleugnet werden, aus ihr ließe sich nicht auf den Umfang der Aktionärsrechte schließen56. Die aus der Mitgliedschaft fließenden Befugnisse sind grundsätzlich versammlungsgebunden, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Dabei ist es gleichgültig, an welcher Stelle diese Befugnisse genannt sind57. Auch Art. 224 Abs. 1 des Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB) von 1861 als Vorläuferregelung von § 118 AktG wurde allgemein dahin verstanden, daß der einzelne Aktionär keine Rechte in Angelegenheiten der Gesellschaft ausüben kann58. Entsprechend ausgelegt wurde auch § 250 des Handelsgesetzbuches von 1897, der eine nahezu gleichlautende Regelung enthielt59. Diese N o r m wurde sachlich unverändert in § 102 53
Zutreffend Häsemeyer, Z H R 144 (1980), 265, 269; knapp auch H. Roth, Z Z P 103 (1990), 365 ff (Rezension zu Brondics [Fn. 2]). 54 So der Vorschlag von Pflugradt (Fn. 2), S. 152. 55 Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, 1974, § 118 Rdn. 12; dem Grundsatz nach auch Geßler, Aktiengesetz, 1987, § 118 Rdn. 10. 56 So aber Schulz-Gardyan (Fn. 2), S. 48 im Anschluß an Zöllner, in: Kölner Kommentar zum AktG, 1985, § 118 Rdn. 16; Knobbe-Keuk, in: FS Ballerstedt, 1975, S. 239, 247. - Keine ausdrückliche Stellungnahme findet sich bei Barz, in: Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1972, § 118 Anm. 2; Hüffer, AktG, 1993, § 118 Rdn. 5. " Die nicht versammlungsgebundenen Aktionärsrechte sind aufgeführt bei Hüffer (vorige Fn.), § 118 Rdn. 8. ss v. Hahn, Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, 2. Aufl. 1871, Art. 224 (S. 637). - In den „Protokollen der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches", herausgegeben von Lutz, 1858, S. 1047 findet sich nichts Entscheidendes. 59 Staubs Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 12. und 13. Aufl. 1926, § 250 Anm. 1. Aus der Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes, 1897, S. 154 geht hervor, daß § 250 H G B den Grundsatz des Art. 221 (vorher 224) A D H G B übernahm.
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Abs. 1 des Aktiengesetzes von 1937 übernommen 6 0 , der wörtlich dem heutigen § 118 Abs. 1 A k t G entspricht 61 . Hervorhebung verdient, daß die Aktiennovelle von 1884 den Art. 224 A D H G B in einigen für den vorliegenden Zusammenhang bedeutungslosen Punkten geändert und zu Art. 221 A D H G B gemacht hatte 62 . Unter anderem wurde statt „von der Gesamtheit der Aktionäre" jetzt von der „Beschlußfassung der erschienenen Aktionäre" gesprochen. Im ausdrücklich hergestellten systematischen und teleologischen Bezug zu dieser Vorgängerregelung des jetzigen § 118 A k t G wurde die Anerkennung einer Aktionärsklage im hier diskutierten Sinn abgelehnt. So wird als „Allgemeiner Standpunkt" des Entwurfes formuliert 63 : „Jede Ausdehnung sogenannter Individualrechte ist eine Gefahr für die Organisation und das gesunde F u n k t i o n i e r e n der Gesellschaft". Zugelassen wurde im wesentlichen daher nur die Befugnis des einzelnen Aktionärs, gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse der Generalversammlung als unzulässig anzufechten 64 . 2. Die Rechtsprechung hat die Bedeutung des § 118 Abs. 1 A k t G und seiner Vorläuferregelungen (o. 1.) für die Anerkennung einer Aktionärsklage stets erkannt, wenngleich widersprüchlich interpretiert. Das Reichs-Oberhandelsgericht konnte § 224 A D H G B in einer Entscheidung aus dem Jahre 1873 nicht entnehmen, daß dem einzelnen Aktionär dadurch Individualrechte oder Individualklagerechte genommen würden. Aus der N o r m gehe lediglich hervor, daß der einzelne Aktionär nicht berechtigt sei, Rechte der Gesamtheit auszuüben. Eine andere Auslegung sei „grundlos und willkürlich" 6 5 . Darin liegt freilich eher eine Behauptung als ein Argument. Eine andere Sicht der Dinge findet sich in einem Urteil des Reichsgerichts von 1927 66 . Dort wurde § 250 H G B als Ausdruck eines aktien60 Der Kommentar zum Aktiengesetz 1937 von Schlegelberger u. a., 3. Aufl. 1939, § 102 Rdn. 1 betont, daß § 102 A k t G im wesentlichen dem alten § 250 H G B entspricht und keine Neuerung enthält. " Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Aktiengesetz von 1965, herausgegeben von Kropff 1965, S. 164, hält § 118 A k t G am Grundsatz des § 102 Abs. 1 A k t G 1937 fest. - Eine Ubersicht über die Gesetzesänderungen seit Art. 224 A D H G B bis hin zum geltenden Recht findet sich bei Barz (Fn. 56), § 118 Anm. 1; Brondics (Fñ. 2), S. 130. 62 Begründung zu Art. 221 A D H G B , abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht, 1985, S. 502. 61 Abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff (vorige Fn.), S. 466. " Entwurf (Fn. 62), S. 467 mit Fn. 1 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts, R O H G 11, 118 (125); 14, 354 (356) (dazu im Text sogleich unter 2); zur kritischen Haltung des Entwurfs gegenüber der Aktionärsklage auch Hommelhoff, Eigenkontrolle statt Staatskontrolle, in: Schubert/Hommelhoff (Fn. 62), S. 53, 97; Schulz-Gardyan (Fn. 2), S. 46.
R O H G 1 1 , 1 1 8 , 121; bestätigt durch R O H G 14, 354, 357. " R G J W 1927, 1677, 1678 f; ebenso R G Z 142, 223, 227 f. 65
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rechtlichen Grundprinzips angesehen, wonach Aktionäre ihre Rechte regelmäßig nur in der Hauptversammlung ausüben dürfen. Das Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Hauptversammlung (heute § 243 Abs. 1 AktG) wird als eine der Ausnahmen vom Grundsatz hervorgehoben. Davon abgesehen habe der Aktionär keine weiteren aus der Beteiligung an der Gesellschaft fließenden Rechte auf Eingriffe in die Verwaltung der gesellschaftlichen Angelegenheiten. Das gelte selbst bei dem Vorliegen von Anzeichen, daß die Gesellschaftsorgane sich nicht innerhalb des gesetzmäßigen Rahmens halten werden. Der Einzelaktionär sei darauf beschränkt, in der Generalversammlung bestimmte Anträge zu stellen und eventuell deren Beschlüsse anzufechten. Diese Ausführungen liegen ganz auf der Linie der Vorstellungen des Reformgesetzgebers von 1884 (o. 1.). Mit dem Hafenbetriebsurteil des Bundesgerichtshofes 67 von 1982 (ο. I.) hat sich der Kreis wieder geschlossen. Danach dürfe eine materiell begründete Rechtsverfolgung grundsätzlich nicht daran scheitern, daß die dem Aktiengesetz eigenen Rechtsbehelfe tatbestandsmäßig versagen. Vielmehr müsse der in seinen Rechten verletzte Aktionär dann auf die Mittel zurückgreifen können, die ihm die allgemeinen Gesetze zur Verfügung stellen, „es sei denn, der Sinn einer aktienrechtlichen Bestimmung liege gerade darin, diese Möglichkeit aus besonderen Gründen zu unterbinden; ein solcher Zweck ist dem Gesetz, insbesondere auch dem § 118 Abs. 1 AktG, nicht zu entnehmen". Diese Ausführungen waren auf die erhobene Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) gemünzt, gewinnen aber erst recht Bedeutung für die Aktionärsklage. Der Bundesgerichtshof übersieht, daß noch gar nicht feststeht, ob der Vorstand wirklich seine Kompetenzen überschritten hat, und daß §118 Abs. 1 AktG den Streit über diese Behauptung durch eine Einzelklage ausschließen will. 3. Nach dem bisher Ausgeführten kann von einer planwidrigen Unvollständigkeit der aktienrechtlichen Regelungen keine Rede sein. Vielmehr folgt das Fehlen einer Aktionärsklage im Gesetz bewußt getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen (o. 1.). Eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung scheidet damit aus68. Allenfalls bliebe die Möglichkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung über den Plan des Gesetzes hinaus. Wegen der aus der Funktionenverteilung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG) herrührenden verfassungsrechtlichen Schranken müssen dazu schwerwiegende Gründe angegeben werden können. Ich vermag jedoch weder ein unabweisbares " BGHZ 83, 122, 127. '« Ebenso Pflugradt (Fn. 2), S. 53; o. III. 5.
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Bedürfnis des Rechtsverkehrs 69 noch auch den Durchbruch eines rechtsethischen Prinzips zu erkennen. Der Richter darf sich über das Gesetz aber nicht schon deshalb hinwegsetzen, weil es reformbedürftig oder nicht sachgerecht erscheint. Letztlich geht es hier aber um Reformanliegen, über deren Berechtigung man zudem noch streiten kann. Auch der Reformgesetzgeber von 1965, der die Stellung der Aktionäre verbessert hat, hat sich zur Anerkennung einer Aktionärsklage nicht veranlaßt gesehen70. Einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 G G zu Lasten des Aktionärs wird man schwerlich annehmen können. Der Gesetzgeber ist keineswegs an das Anspruchsmodell des klassischen Privatrechts gebunden. Vielmehr hält sich § 118 Abs. 1 AktG i.V. m. der Einberufungsmöglichkeit auf Verlangen einer Minderheit nach § 122 AktG innerhalb der gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie durch Art. 14 Abs. 1 S. 2 G G eröffnet werden. VII. Ergebnis Der einzelne Aktionär kann sich gegen behauptete Kompetenzübergriffe des Vorstandes nicht im Wege einer auf Unterlassung oder Beseitigung gerichteten „Aktionärsklage" wenden. Nach § 118 Abs. 1 AktG unterliegt es allein dem Urteil der Hauptversammlung, ob der Vorstand ihre Kompetenzen verletzt hat. Das Gesetz teilt dem Aktionär insoweit weder subjektive Privatrechte noch auch prozessuale Klagebefugnisse zu, mit denen die Zuständigkeit der Hauptversammlung überwunden werden könnte. Das die gegenläufige Tendenz vertretende „Holzmüller-Urteil" des Bundesgerichtshofs bedeutet eine unzulässige gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung contra legem. Gleichwohl erhobene Aktionärsklagen sind unzulässig71.
" Anders Pflugradt (Fn. 2), S. 53 ff; den Bedarf f ü r eine Aktionärsklage auch bejahend H.J. Mertens, Z H R 154 (1990), 24, 35, 37. - Aktionärsklagen sind freilich selten geblieben. 70 Eine überzogene D e u t u n g der Allgemeinen B e g r ü n d u n g des Regierungsentwurfs, abgedruckt bei Kropff (Fn. 61), S. 14 ff, findet sich bei Pflugradt (Fn. 2), S. 61 f. 71 Richtige systematische E i n o r d n u n g d u r c h O L G M ü n c h e n A G 1994, 134 (aber mit anderen Ergebnissen).
Die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes U L R I K E A . SCHÄFER
I. Die Rechtsprechung des B G H Der Begriff „Kompetenz-Kompetenz-Einrede" stammt aus der jüngsten Entscheidung des B G H 1 zur sogenannten Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes 2 . Unter Kompetenz-Kompetenz versteht der B G H die Befugnis des Schiedsgerichtes, mit bindender Wirkung für Gerichte und Behörden über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Bedeutung hat diese Rechtsprechung zunächst im Zusammenhang mit der Aufhebung bzw. Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen erlangt. Nach § 1042 Z P O kann aus einem (inländischen) Schiedsspruch nur vollstreckt werden, wenn er für vollstreckbar erklärt worden ist. Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung ist unter Aufhebung des Schiedsspruches abzulehnen, wenn einer der in § 1041 Abs. 1 Z P O bezeichneten Aufhebungsgründe vorliegt. Die Aufhebung des Schiedsspruches kann u. a. beantragt werden, wenn dem Schiedsspruch kein gültiger Schiedsvertrag zugrunde liegt (§ 1041 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die maßgebliche Entscheidung über die Gültigkeit und Reichweite des Schiedsvertrages liegt damit bei den staatlichen Gerichten, auch wenn das Schiedsgericht zuvor seine Zuständigkeit ausdrücklich oder stillschweigend bejaht hat. Mit der Anerkennung sog. Kompetenz-Kompetenz-Klauseln läßt der B G H von diesem gesetzlichen Leitbild abweichende Parteivereinbarungen zu. Er bedient sich dabei der Konstruktion eines „zweiten Schiedsvertrages". Nach Vorstellung des B G H übertragen die Parteien darin dem Schiedsgericht die bindende Entscheidung über die Gültigkeit des Schiedsvertrages und begründen damit die (endgültige) Zuständigkeit des Schiedsgerichtes für diese Frage. Das soll zur Folge haben, daß das staatliche Gericht im Exequatur- bzw. Aufhebungsverfahren entgegen §1041 Abs. 1 Nr. 1 Z P O nicht mehr zur Überprüfung der Gültigkeit des Schiedsvertrages berechtigt sein soll.
' J Z 1989, 201 = N J W - R R 1988, 1526. Grundlegend B G H BB 1955, 552; bestätigt durch B G H Z 68, 356 = ZZP 91 (1978), 470. 2
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Ulrike Α. Schäfer
Eine weitere Konsequenz hat der B G H in der o. g. Entscheidung gezogen. Dort war das staatliche Gericht nicht erst nach Erlaß eines Schiedsspruches, sondern während der Anhängigkeit des Schiedsverfahrens mit der Zuständigkeitsfrage befaßt worden. Der Schiedsbeklagte hatte nach Einleitung des Schiedsverfahrens negative Feststellungsklage vor dem staatlichen Gericht erhoben, gegen die sich der Beklagte mit der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit verteidigte. Er behauptete weiter, daß die Parteien auch einen etwaigen Streit über die Reichweite der Schiedsklausel durch das von ihnen bestimmte Schiedsgericht entschieden wissen wollten. Das Berufungsgericht ließ dies dahinstehen und entschied in der Sache, weil nach seinem Dafürhalten der Streit der Parteien eindeutig nicht unter die Schiedsgerichtsklausel fiel. Das beanstandete die Revision mit Erfolg. Der B G H befand, daß das Berufungsgericht nicht befugt gewesen sei, die von den Parteien vereinbarte Schiedsklausel im Hinblick auf ihren Umfang selbst auszulegen, ohne zuvor Beweis über die vom Beklagten geltend gemachte „Kompetenz-Kompetenz-Einrede" zu erheben. Die Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen3. II. Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit Nach der Begründung des B G H müßte die Kompetenz-KompetenzEinrede eine Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit i. S. d. § 1027 a ZPO 4 sein. Diese Vorschrift setzt jedoch voraus, daß das staatliche Gericht wegen einer Rechtsstreitigkeit angerufen wird, über die die Parteien einen Schiedsvertrag geschlossen haben. Eine unmittelbare Anwendung des § 1027 a Z P O kommt daher nur in Betracht, wenn es sich bei der Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes um den Streitgegenstand des staatlichen Verfahrens handelt. Anders ist es, wenn das staatliche Gericht zur Entscheidung der zwischen den Parteien streitigen Hauptsache angerufen wird und der Beklagte - wie in dem vom B G H entschiedenen Fall - die Kompetenz-Kompetenz-Einrede im Zusammenhang mit der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit erhebt. Die Gültigkeit und Auslegung des Schiedsvertrages ist in diesem Fall Vorfrage im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung und nicht Gegenstand des vor dem staatlichen Gericht anhängigen Verfahrens. Es wäre deshalb allenfalls an eine analoge Anwendung des § 1027 a Z P O zu denken. Es fragt sich jedoch, ob die darin vorgesehene Rechtsfolge überhaupt paßt. Die aus der Kompetenz-Kompetenz-Klausel abgeleitete Einrede negiert nicht die Zuständigkeit des staatlichen Gerichtes zur Entschei1 Bosch J Z 1989, 201; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Kap. 6, Rdn. 13; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., S. 1082. 4 So auch Schwab/Walter, aaO, Kap. 6 Rdn. 12.
Die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes
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dung über die Begründetheit der Klage. Der Beklagte, der die Kompetenz-Kompetenz-Einrede im Zusammenhang mit der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit erhebt, macht vielmehr geltend, daß das staatliche Gericht über letztere wegen der Zuständigkeit des Schiedsgerichtes für diese Frage nicht entscheiden dürfe. Die Rechtsfolge des § 1027 a ZPO (analog) müßte sich deshalb richtigerweise auf die aus dem „ersten" Schiedsvertrag abgeleitete Schiedseinrede beziehen. Diese wäre aufgrund des „zweiten Schiedsvertrages" mit der Begründung zurückzuweisen, daß sie in dem staatlichen Verfahren mangels Entscheidungskompetenz des Gerichtes nicht behandelt werden könnte. Damit würde freilich der Sinn der Kompetenz-Kompetenz-Einrede in sein Gegenteil verkehrt, denn das staatliche Gericht könnte seine Zuständigkeit bejahen, ohne sich überhaupt um die Schiedseinrede zu kümmern. Die Tatsache, daß der B G H in dem entschiedenen Fall die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat, zeigt, daß er die Bedeutung des „zweiten Schiedsvertrages" jedenfalls so nicht verstanden wissen will. Die Alternative, an die man denken könnte, wäre eine Abweisung der Klage als unzulässig. Diese Lösung ist als Rechtsfolge der KompetenzKompetenz-Einrede jedoch ebensowenig akzeptabel. Die Anwendung des § 1027 a ZPO setzt nicht voraus, daß bereits eine seine Zuständigkeit bejahende Entscheidung des Schiedsgerichtes vorliegt und deshalb im Zeitpunkt der Klageabweisung feststeht, daß die auf den („ersten") Schiedsvertrag gestützte Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit begründet ist. Die Rechtsfolge des § 1027 a ZPO gilt unabhängig von dem Verfahrensstand vor dem Schiedsgericht und würde auch gelten, wenn ein Schiedsverfahren noch gar nicht eingeleitet worden ist. Die analoge Anwendung des § 1027 a ZPO auf den „zweiten Schiedsvertrag" würde in einem solchen Fall dazu führen, daß die Klage bei Wirksamkeit der Kompetenz-Kompetenz-Klausel abgewiesen würde, obwohl die fehlende Zuständigkeit des angerufenen staatlichen Gerichtes noch gar nicht festgestellt worden ist. Eine solche Entscheidung wäre nicht nur eine unangemessene Beschränkung des Rechtsweges zu den staatlichen Gerichten, sondern auch eine Verletzung der dem Staat obliegenden Justizgewährungspflicht. Denn die staatlichen Gerichte können sich nicht weigern, über ihre Zuständigkeit zu entscheiden, bis ihnen die Kompetenz hierzu vom Kläger (!)5 nachgewiesen wird. Das kann auch nicht die Intention der BGH-Rechtsprechung sein. III. Einrede der Schiedshängigkeit 5 Der Beklagte hätte mit einem die Klage abweisenden Urteil sein Ziel erreicht und deshalb keinen Anlaß, ein Schiedsverfahren zur Klärung der Zuständigkeitsfrage einzuleiten.
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Man wird dem B G H deshalb zugute halten müssen, daß es ihm bei der Kompetenz-Kompetenz-Einrede allenfalls um eine Verfahrenssperre mit Rücksicht auf ein anhängiges Schiedsverfahren geht. Mit einem derartigen Verständnis der Kompetenz-Kompetenz-Einrede träte der B G H jedoch in Widerspruch zu der bis heute ganz herrschenden Meinung, wonach es eine Einrede der „Schiedshängigkeit" nicht gibt6. Wenn an dieser Auffassung festzuhalten ist (dazu sogleich), wäre die Kompetenz-Kompetenz-Einrede eine Ausnahme, deren Berechtigung erst noch nachzuweisen wäre. 1. Grundsatz: Keine Verfahrenssperre durch Schiedshängigkeit Zwei Gesichtspunkte geben Anlaß, die Begründetheit der herrschenden Auffassung, daß die Einleitung eines Schiedsverfahrens nicht zur Rechtshängigkeit der Streitsache führt, zu überprüfen. Zum einen ist anerkannt, daß Rechtshängigkeit vor einem ausländischen staatlichen Gericht bei positiver Anerkennungsprognose der ausländischen Entscheidung im Inland ein Verfahrenshindernis begründet. Damit haben Rechtsprechung und Lehre gezeigt, daß der Anwendungsbereich des § 261 Abs. 3 Nr. 1 Z P O sich nicht auf inländische Rechtshängigkeit beschränkt, sondern durchaus erweiterungsfähig ist. Zum anderen ist die knappe Begründung des B G H in der Leitentscheidung vom 11.4.1958 7 alles andere als aufschlußreich. Der B G H konstatiert, daß der Beklagte auf die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit beschränkt sei und gibt zu bedenken, daß die Schiedsgerichtshängigkeit „mindestens" nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einrede zu beachten sei. Das folge daraus, daß die Rechtskraft eines Schiedsspruches (§ 1040 ZPO) auch kein von Amts wegen, sondern nur auf entsprechenden Einwand hin zu berücksichtigendes Prozeßhindernis sei. Diese Gesichtspunkte erweisen sich bei näherem Hinsehen nicht als taugliche Argumente zur Begründung der herrschenden Meinung. a) Verweis auf die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit Die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit und die „Einrede" der Schiedshängigkeit haben von ihrer Zielsetzung her wenig miteinander zu tun. Die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit leugnet die Entscheidungskompetenz des angerufenen Gerichtes und ist damit Einwendungen zur (sachlichen/örtlichen) Zuständigkeit oder zur Wahl des Rechtsweges vergleichbar. Sie kann nicht verhindern, daß das staatliche Gericht das Verfahren durchführt und in der Sache entscheidet, wenn es
' Vgl. nur Zöller/Greger, 950. 7 B G H N J W 1958, 950.
19. Aufl., § 261 Rdn. 3 unter Verweis auf B G H NJW 1958,
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davon überzeugt ist, daß die Einrede unbegründet ist. Die Einrede der Schiedshängigkeit würde dagegen an die Tatsache der Erhebung einer Schiedsklage anknüpfen und dem Schiedsverfahren ungeachtet der Frage seiner Zulässigkeit zunächst Priorität einräumen. In Art. V I des Europäischen Ubereinkommens über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. 4 . 1 9 6 1 (Genfer Ubereinkommen) 8 wird deshalb auch wie folgt unterschieden: Art. V I (1) regelt die Einrede der Unzuständigkeit des staatlichen Gerichtes, die damit begründet wird, daß eine Schiedsvereinbarung vorliegt, und deren Erhebung nicht von der Anhängigkeit eines Schiedsverfahrens abhängig ist9. Daneben enthält Art. V I (3) des Genfer Übereinkommens eine Sperre gegen Parallelprozesse vor staatlichen Gerichten, wenn ein schiedsgerichtliches Verfahren vor der Anrufung eines staatlichen Gerichtes eingeleitet worden ist. In diesem Fall soll das staatliche Gericht, das mit einer Klage wegen derselben Streitigkeit zwischen denselben Parteien oder mit einer Klage auf Feststellung des Nichtbestehens, der Nichtigkeit oder Hinfälligkeit der Schiedsvereinbarung befaßt wird, seine Entscheidung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes bis zum Erlaß des Schiedsspruches aussetzen, es sei denn, daß ein wichtiger Grund entgegensteht. Die Unterscheidung zeigt, daß eine Einrede der Schiedsgerichtshängigkeit nicht durch die Möglichkeit der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit gegenstandslos ist.
b) Abneigung gegen ein von Amts wegen zu Verfahrenshindernis
berücksichtigendes
Ebenfalls kein taugliches Argument für die prinzipielle Ablehnung prozessualer Wirkungen der Schiedshängigkeit ist die Abneigung des B G H gegen den Gedanken eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Prozeßhindernisses. Der B G H hat die Auffassung vertreten, daß die Schiedshängigkeit allenfalls eine Einrede begründen könne, weil auch die Rechtskraft von Schiedssprüchen nicht anders behandelt werde. In der Literatur hat sich jedoch inzwischen mit guten Gründen die Meinung durchgesetzt, daß die Rechtskraft von Schiedssprüchen von Amts wegen zu beachten ist10. Das ist kein Widerspruch zu § 1027 a Z P O . Es besteht kein öffentliches Interesse, die Parteien eines Rechtsstreites auf den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, wenn sie ! B G B l . 1964 II, S. 426; diese Regelung nimmt weder das U N C I T R A L - M o d e l l g e s e t z über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit noch der Diskussionsentwurf zur Neufassung des Zehnten Buches der Z P O auf; § 1032 Abs. 3 des Diskussionsentwurfes enthält sogar eine umgekehrte Regelung, die eine Parallelität von staatlichem Verfahren und Schiedsverfahren ausdrücklich in Kauf nimmt. 9 Ebenso Art. II des N e w Yorker Ubereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. 6. 1958. 10 Stein/Jonas/Schlosser, 20. Aufl., § 1040 Rdn. 6; Zöller/Geimer § 1040 Rdn. 5; früher schon Beitzke Z Z P 60, 316, 319.
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trotz wirksamer Schiedsvereinbarung eine Entscheidung durch die staatlichen Gerichte wünschen. Sobald jedoch ein Schiedsspruch vorliegt, dem materielle Rechtskraftwirkung zukommt, werden die staatlichen Gerichte nicht mehr durch dispositive Parteivereinbarung (vorübergehend) am Tätigwerden gehindert, sondern die Gerichte sind kraft der gesetzlich verfügten Gleichstellung von (inländischen) Schiedssprüchen und Urteilen im Sinne einer Rechtsfolgenverweisung an die gesetzlichen Wirkungen der materiellen Rechtskraft gebunden. Das öffentliche Interesse an der Vermeidung einer Konfliktlage zwischen widersprechenden Entscheidungen kommt im Verhältnis zwischen rechtskräftigem Schiedsspruch und staatlichem Urteil in gleicher Weise zum Tragen wie bei einem Nebeneinander von zwei staatlichen Entscheidungen. Dem Interesse der Parteien ist dadurch genügend Rechnung getragen, daß sie die materielle Rechtskraft des Schiedsspruches durch Parteivereinbarung aufheben können". Sie können damit das Ergebnis des Schiedsverfahrens beseitigen und sich auch noch nach dessen Abschluß an die staatliche Gerichtsbarkeit wenden. Wenn sie dagegen den Schiedsspruch als verbindliche Regelung ihrer Rechtsbeziehungen anerkennen wollen, müssen sie sich daran in jeder Hinsicht festhalten lassen. Es stünde deshalb nichts entgegen, die Schiedshängigkeit als Vorwirkung der Rechtskraft des Schiedsspruches ebenfalls von Amts wegen zu berücksichtigen 12 . c) Maßgebliche Begründung für die herrschende
Meinung
Der eigentliche Grund dafür, daß die Einleitung eines Schiedsverfahrens kein eigenständiges Verfahrenshindernis für eine später erhobene Klage vor staatlichen Gerichten begründet, liegt in dem Verhältnis zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit. Der Rechtsstreit kann nur entweder vor das staatliche Gericht oder das Schiedsgericht gehören. Es ist ausgeschlossen, daß beide Gerichte zur Entscheidung berufen sind13. Welches Gericht die im Ergebnis maßgebliche Entscheidung trifft, hängt davon ab, ob eine gültige Schiedsabrede bestand. Der Vorrang der einen oder anderen Entscheidung bestimmt sich nicht nach dem Zeitpunkt der Einleitung der jeweiligen Verfahren. Der Einwand der Rechtshängigkeit dagegen stellt auf das formale Kriterium der zeitlichen Priorität ab und sichert dem zuerst eingeleiteten Verfahren und einer in diesem ergehenden Entscheidung aufgrund der schlichten Tatsache der zeitlichen Reihenfolge den Vorrang. Dieses Ordnungsprinzip paßt im Verhältnis zwischen Schieds- und Stein/Jonas/Schlosser § 1040 Rdn. 6; Zöller/Geimer § 1040 Rdn. 6. Ob dies allerdings zwingend ist, ist eine andere Frage. 13 Es sei denn, die Schiedsklausel sieht eine konkurrierende Zuständigkeit von Schiedsgerichtsbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit vor. 11
12
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staatlicher Gerichtsbarkeit nicht. Die Äußerungen in Literatur und Rechtsprechung, die eine Gleichstellung von Rechtshängigkeit und Schiedshängigkeit befürworten 14 , betreffen einen anderen Fall. Sie befassen sich mit Schiedsklauseln, die dem Kläger die Wahl lassen, ob er vor einem Schiedsgericht oder einem staatlichen Gericht klagen will. In diesen Fällen der konkurrierenden Zuständigkeit von Schieds- und staatlichen Gerichten soll der Klage vor dem staatlichen Gericht der Einwand der „Schiedshängigkeit" entgegenstehen, wenn vorher schon ein Schiedsverfahren eingeleitet wurde. Man will hier zu dem richtigen Ergebnis gelangen, daß eine Schiedsklausel, die beide Gerichtswege zuläßt, nicht zu einem Nebeneinander von Schiedsverfahren und staatlichem Verfahren führen kann. Man könnte zur Begründung dieses Ergebnisses auch an eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 35 Z P O denken. Die Zuständigkeit des staatlichen Gerichtes erlischt, wenn das Wahlrecht zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit ausgeübt worden ist. Die Unzulässigkeit der Klage folgte dann aus § 1027 a ZPO. Für Schiedsklauseln, die die ausschließliche Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes begründen, gelten die vorgenannten Ausführungen dagegen nicht15. Bestätigt wird das gefundene Ergebnis schließlich durch folgende „Kontrollüberlegung": Der Einwand der Rechtshängigkeit setzt voraus, daß in dem Erstverfahren eine Entscheidung ergeht, die das streitige Rechtsverhältnis mit einer für das zweitentscheidende Gericht bindenden Wirkung regelt. Die Bindungswirkung ausländischer (staatlicher) Urteile ist nur beachtlich, wenn der Anerkennung des ausländischen Urteils keine Hindernisse entgegenstehen. Es entspricht deshalb der ständigen und von der Lehre gebilligten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, daß ausländische Rechtshängigkeit nur bei einer positiven Anerkennungsprognose der in dem ausländischen Verfahren zu erwartenden Entscheidung beachtlich ist16. Die Anerkennungspflichtigkeit ausländischer Urteile scheitert (anders als bei ausländischen Schiedssprüchen) häufig bereits an dem fehlenden Nachweis der Gegenseitigkeit (§ 328 Nr. 5 ZPO). Das inländische Verfahren nimmt dann ungeachtet der ausländischen Rechtshängigkeit seinen Lauf. Die gleiche Einschränkung müßte man machen, wenn das staatliche Gericht wegen eines früher eingeleiteten Schiedsverfahrens die Klage abweisen oder das Verfahren aussetzen wollte. Eine Aussetzung des Verfahrens oder eine Abweisung der Klage analog § 261 Abs. 3 Nr. 1 Z P O käme nur in M
RGZ 88, 179, 183; Reichel ZZP 59, 188; Beitzke ZZP 60, 316, 317 ff. Ebenso Beitzke, aaO, der den hier erörterten Fall der ausschließlichen Zuständigkeit unter II. auf S. 332 ff behandelt. " Z. B. B G H FamRZ 1994, 434; 1992, 1058; Zöller/Geimer § 328 Rdn. 288; Stein/Jonas/ Schumann § 328 Rdn. 321; Geimer NJW 1984, 527. 15
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Betracht, wenn die Klage nicht bereits wegen § 1027 a Z P O unzulässig wäre. Das Verfahrenshindernis der entgegenstehenden Rechtshängigkeit käme deshalb nur bei positivem Kompetenzkonflikt in Betracht. In diesen Fällen muß das staatliche Gericht aber zwangsläufig zu einer negativen Anerkennungsprognose in bezug auf den Schiedsspruch gelangen. Das Fehlen einer gültigen Schiedsvereinbarung stellt für ausländische Schiedssprüche ein Anerkennungshindernis und für inländische Schiedssprüche einen Aufhebungsgrund dar. Da - jedenfalls nach der Systematik des Gesetzes - das staatliche Gericht die Zuständigkeitsfrage verbindlich entscheidet, wäre das staatliche Gericht deshalb immer verpflichtet, den Prozeß ungeachtet des anhängigen Schiedsverfahrens fortzusetzen. Damit entfällt für den Regelfall jeder denkbare Anwendungsbereich für eine Einrede der Schiedshängigkeit.
2. Ausnahme bei Kompetenz-Kompetenz
des Schiedsgerichtes?
Die vorstehenden Überlegungen lassen sich auf die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes nicht ohne weiteres übertragen. Der B G H meint, daß die staatlichen Gerichte bei Vorliegen einer wirksamen Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung überhaupt nicht befugt seien, über die Gültigkeit und Reichweite des Schiedsvertrages zu entschieden. Das bedeutet, daß über die Zulässigkeit der Klage nur entschieden werden könnte, nachdem der Schiedsspruch oder eine Vorabentscheidung des Schiedsgerichtes zur Zuständigkeit vorliegen. Vorher bestünde ein Schwebezustand, während dessen weder die Klage abgewiesen noch in der Sache entschieden werden könnte. Letztlich verlangt der B G H damit von den Gerichten, daß sie ihr Verfahren bis zum Erlaß eines Schiedsspruches aussetzen. Diese Rechtsfolge entspricht der der Schiedshängigkeit nach Art. V I (3) des Genfer Übereinkommens. Außerhalb des Anwendungsbereiches des Übereinkommens könnten sich die Gerichte zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise jedoch nur auf § 148 Z P O berufen.
a) Der Sinn der Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung nach dem Verständnis der Rechtsprechung Nähme man die Rechtsprechung beim Wort, wäre sicher kein Anwendungsfall des § 148 Z P O gegeben. Denn die Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens darf nicht dazu benutzt werden, über (vorübergehende) Entscheidungshindernisse hinwegzuhelfen. Eine Klage, die wegen Fehlens einer Prozeßvoraussetzung oder Vorliegens eines Prozeßhindernisses unzulässig ist, muß abgewiesen werden. Die Behauptung einer Schiedsabrede ist grundsätzlich ein Prozeßhindernis und kann deshalb im Regelfall nicht zur Anwendung des § 148 Z P O führen. Trotz gegenteiliger Bezeichnung handelt es sich bei der Kompetenz-
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Kompetenz-Vereinbarung jedoch nicht um einen echten Schiedsvertrag. Der Zweck eines Schiedsvertrages besteht darin, den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten auszuschließen und eine alleinige (nicht konkurrierende) Zuständigkeit des Schiedsgerichtes zu begründen. Eine derartige Zuständigkeitsregelung ist in bezug auf den Streit über die Gültigkeit und Reichweite eines (Haupt-)Schiedsvertrages nicht denkbar. Denn die staatlichen Gerichte sind immer befugt (und verpflichtet), im Falle ihrer Anrufung über ihre eigene Zuständigkeit zu entscheiden. Sie dürfen eine Klage nur abweisen, wenn eine Prozeßvoraussetzung fehlt oder ein Verfahrenshindernis besteht. Einen Klageabweisungsgrund der fehlenden Kompetenz-Kompetenz analog § 1027 a Z P O gibt es - wie dargelegt17 - nicht. Damit fehlen der Kompetenz-KompetenzKlausel gerade die für einen Schiedsvertrag typischen Rechtsfolgen. Der Sinn der Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung ist nach dem Anliegen der Rechtsprechung auch ein anderer. In den ersten beiden Entscheidungen des B G H 1 8 findet sich nicht der geringste Hinweis darauf, daß den staatlichen Gerichten bei wirksamer Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung die Entscheidung über Gültigkeit und Reichweite des Schiedsvertrages verwehrt sein sollte. Dem B G H ging es zunächst nur darum, den staatlichen Gerichten die Nachprüfung der Entscheidung des Schiedsgerichtes zur Zuständigkeitsfrage im Exequaturverfahren zu untersagen. Kompetenz-Kompetenz ist nach den Worten des B G H die Befugnis des Schiedsgerichtes, seine eigene Zuständigkeit mit bindender Wirkung für Gerichte und Behörden zu prüfen. Uber die Rechtsnatur dieser Vereinbarung hat sich der B G H zunächst gar keine Gedanken gemacht. Erst in der Entscheidung vom 5. 5. 1 9 7 7 " wird die Vereinbarung als „zweite Schiedsabrede" qualifiziert. Tatsächlich hat bei der Begründung der Lehre vom „zweiten Schiedsvertrag" jedoch nicht die Vorschrift des § 1027 a Z P O , sondern § 17 a. F. G V G Pate gestanden20. Die darin vorgesehene Bindungswirkung der Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichtes hat nichts mit einer mangelnden Zuständigkeit der Nachbargerichtsbarkeiten, über die Rechtswegfrage zu entscheiden, zu tun. Das zweite Gericht ist lediglich in seiner Prüfungskompetenz dadurch eingeschränkt, daß es bei seiner Entscheidung nicht von der früheren Entscheidung abweichen darf. Bei ähnlicher Rechtsfolge im Verhältnis zwischen staatlicher und Schiedsgerichtsbarkeit ist eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 Z P O zumindest denkbar. b) Bindungswirkung Siehe oben 18 Siehe oben " B G H Z 68, 20 Habscheid, 17
der Entscheidung
unter II. Fn. 2. 356 = ZZP 91, 470. Festschrift für Fritz Baur, S. 425, 426 ff.
des
Schiedsgerichtes?
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Es ist jedoch auch nicht richtig, daß die Entscheidung des Schiedsgerichtes Bindungswirkung für die staatlichen Gerichte erzeugte. Zwar sind die staatlichen Gerichte faktisch an die Verneinung der Zuständigkeit durch das Schiedsgericht gebunden, weil die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit mit der endgültigen Ablehnung einer Sachentscheidung durch das Schiedsgericht entfällt 21 . Für eine „abdrängende" Bindungswirkung in dem Sinne, daß das staatliche Gericht sich nicht mehr für zuständig halten darf, wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit angenommen hat, gibt es aber keine Rechtsgrundlage. Versteht man die Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung als Schiedsvertrag kann sie ohnehin keine Bindungswirkung erzeugen. Denn eine Schiedsabrede betrifft Zuständigkeitsfragen und dient in keiner Weise der Herbeiführung gleichlautender Entscheidungen. Die Frage wäre deshalb, ob den Gerichten durch Parteivereinbarung eine „Bindungspflicht" derart auferlegt werden kann, daß sie im Rahmen ihrer Entscheidungszuständigkeiten bestimmte Rechtsfragen nicht oder nur eingeschränkt überprüfen dürfen. Diese Frage ist zu verneinen, soweit es darum geht, daß durch Parteivereinbarung unmittelbar bindende Anweisungen für Gerichte und Behörden begründet werden sollen. Parteivereinbarungen sind für die Gerichte nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften beachtlich (ζ. B. §§ 38, 1025, 1027 Z P O ) . Darüber hinaus können die Parteien die Entscheidung des Gerichtes nur durch übereinstimmendes prozessuales Verhalten determinieren. Sie können ζ. B. gemeinsam das Ruhen des Verfahrens beantragen, um die Entscheidung des Schiedsgerichtes abzuwarten. Der Kläger kann auch die Klage zurücknehmen, wenn er sich an eine zwischenzeitlich ergangene schiedsgerichtliche Entscheidung gebunden fühlt. Die Parteien können aber nicht im Vorhinein die Entscheidung des Gerichtes inhaltlich festlegen. Damit ist zugleich gezeigt, daß auch die mit der KompetenzKompetenz-Vereinbarung primär intendierte Beschränkung der Uberprüfungsbefugnis des Gerichtes im Exequaturverfahren nicht daraus hergeleitet werden kann, daß das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage an die Beurteilung des Schiedsgerichtes gebunden wäre. Richtigerweise kann man die KompetenzKompetenz-Vereinbarung wohl nur als einen Verzicht auf die Geltendmachung des Aufhebungsgrundes des § 1041 Abs. 1 Nr. 1 Z P O verstehen. O b ein solcher Verzicht zulässig ist, soll hier nicht diskutiert werden 22 . Ein Verzicht hätte jedenfalls zur Folge, daß die Partei, die sich auf
21 22
Zöller/Geimer § 1027 a Rdn. 17. Ablehnend die h. M. - Nachw. bei Zöller/Geimer
§ 1041 Rdn. 24.
Die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes
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den Aufhebungsgrund beruft, mit diesem Einwand ausgeschlossen wäre23 und die Entscheidung des Schiedsgerichts deshalb endgültig würde, weil das Gericht in eine eigene Prüfung überhaupt nicht eintreten dürfte. Die unmittelbaren Wirkungen der Kompetenz-KompetenzVereinbarung wären danach materiell-rechtlicher und nicht prozessualer Natur. Das wird durch die falsche Bezeichnung als Schiedsvertrag vom B G H übersehen. c)
Ergebnis
Das staatliche Gericht kann nach alledem ungeachtet des anhängigen Schiedsverfahrens über seine eigene Zuständigkeit entscheiden. Es fehlt ihm hierzu weder die Entscheidungs- oder Prüfungskompetenz noch muß es seiner Entscheidung die Beurteilung des Schiedsgerichtes zugrunde legen. Bejahen staatliches und Schiedsgericht unabhängig voneinander ihre Zuständigkeit, kann es zwar zu widersprechenden Sachentscheidungen kommen. Dieses Risiko besteht aber immer. Die einzige Besonderheit bei wirksamem Verzicht auf den Aufhebungsgrund des § 1041 Abs. 1 Nr. 1 Z P O besteht darin, daß das staatliche Gericht der Maßgeblichkeit eines früher ergangenen Schiedsspruches nicht dadurch begegnen kann, daß es der unterlegenen Partei Gelegenheit zur Durchführung des Aufhebungsverfahrens gibt. Wenn die Bejahung der Zuständigkeit durch das Schiedsgericht nicht revisibel ist, könnten nur noch die verhältnismäßig seltenen anderen Aufhebungsgründe des § 1041 Abs. 1 Z P O zur Beseitigung der Rechtskraft des Schiedsspruches führen. Ein vor Abschluß des staatlichen Verfahrens erlassener Schiedsspruch wird sich deshalb bei wirksamer Begründung der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes gegenüber dem staatlichen Verfahren im Regelfall durchsetzen. Zur Herbeiführung dieses Ergebnisses bedarf es jedoch nicht gleichlautender Entscheidungen in der Zuständigkeitsfrage, sondern die frühere Rechtskraft eines anerkennungspflichtigen bzw. nicht aufhebbaren Schiedsspruches bildet einen eigenständigen Klagabweisungsgrund. Damit bleibt aus der Sicht des Schiedsklägers nur das Risiko, daß vor Beendigung des Schiedsverfahrens ein rechtskräftiges staatliches Urteil ergeht. Dieses könnte sich auf die Entscheidung des Schiedsgerichtes auswirken24 und verhindern, daß sich die von den Parteien mit der Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung beabsichtigte Maßgeblichkeit des Ergebnisses des Schiedsverfahrens durchsetzen kann. Vor diesem " Zöller/Geimer § 1041 Rdn.24. 24 Grundsätzlich muß das Schiedsgericht die Rechtskraft des staatlichen Urteils beachten - Stein/Jonas/Schlosser § 1034 Rdn. 22; Zöller/Geimer § 1034 Rdn. 53; ausländischen Schiedssprüchen könnte bei früherer Rechtskraft eines inländischen Urteils die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public versagt werden.
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Risiko werden die Schiedsparteien geschützt, wenn man das staatliche Gericht für verpflichtet erachtet, bis zum Erlaß des Schiedsspruches seine Entscheidung auszusetzen. Die grundsätzlichen Erwägungen, die gegen die Beachtlichkeit der zeitlichen Priorität im Verhältnis zwischen Schiedsgerichtbarkeit und staatlicher Gerichtsbarkeit sprechen25, greifen nicht ein, wenn das Schiedsgericht nach dem Willen der Parteien endgültig über die Wirksamkeit und Reichweite des Schiedsvertrages entscheiden soll. Denn in diesem Fall wird die Vorrangfrage nicht dadurch gelöst, daß sich die Zuständigkeitsentscheidung des staatlichen Gerichtes spätestens im Aufhebungs- bzw. Exequaturverfahren durchsetzt. Vielmehr kommt es, wenn Schiedsgericht und staatliches Gericht beide ihre Zuständigkeit bejahen, zu einer Art konkurrierender Zuständigkeit, bei der die Anwendung des Prinzips der zeitlichen Priorität grundsätzlich paßt. Die Aussetzung des staatlichen Verfahrens ist damit zu rechtfertigen, daß bis zum Erlaß des Schiedsspruches nicht feststeht, ob es zu einer Entscheidung des Schiedsgerichtes kommt. Auch bei ausländischer Rechtshängigkeit wird die Aussetzung des Verfahrens als Alternative zur analogen Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 Z P O zunehmend befürwortet 26 . IV. Schlußfolgerung Damit ist geklärt, daß die vom B G H erfundene Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes allenfalls die Funktion und Wirkung einer Einrede der Schiedshängigkeit haben kann. Sie greift deshalb nicht ein, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung ein Schiedsverfahren noch nicht anhängig war. Aber auch soweit die Kompetenz-Kompetenz-Einrede damit gerechtfertigt werden kann, daß ein Schiedsverfahren in derselben Sache anhängig ist, bleibt die Kritik an der BGH-Entscheidung beachtlich. Die Vorschriften der Z P O zwingen das staatliche Gericht nicht, das Verfahren bei Anhängigkeit eines Schiedsverfahrens auszusetzen. Eine Aussetzungsbefugnis läßt sich nur in analoger Anwendung der §§ 261 Abs. 3 Nr. 1 und 148 Z P O in Anlehnung an die zur ausländischen Rechtshängigkeit entwickelten Prinzipien begründen. Bei dieser Analogie müssen auch Gesichtspunkte der Zumutbarkeit berücksichtigt werden. In dem vom B G H entschiedenen Fall war es nach Auffassung des Berufungsgerichtes offensichtlich, daß die Streitigkeit nicht der SchiedsSiehe oben II. 1. c). Für die Anwendung des § 148 Z P O bei ausländischer Rechtshängigkeit: Geirrter N J W 1984, 528; Habscheid, RabelsZ 1967, 266 ff; Schuck, Internationales Zivilprozeßrecht, Rdn. 764; B G H R I W 1986, 218 = N J W 1986, 2195; der Sache nach auch B G H N J W 1983,1269. 25 26
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klausel unterfiel. Wenn in einem solchen Fall der Beklagte die Aussetzung des Verfahrens verlangen kann, bis das Schiedsgericht seine Zuständigkeit verneint, könnte die Berufung auf die Einrede der Kompetenz-Kompetenz zu mutwilliger Prozeßverschleppung mißbraucht werden. Im Fall des B G H hat m. E. das Berufungsgericht richtig entschieden. Denn wenn auch das Schiedsgericht vernünftigerweise nur zu dem Ergebnis kommen kann, daß die Schiedsklausel entweder ungültig oder auf den Streitfall nicht anwendbar ist, ist aus der Sicht des staatlichen Gerichtes die Prognose gerechtfertigt, daß es zu einem konkurrierenden Schiedsverfahren nicht kommen wird. Unter dieser Voraussetzung besteht keine Rechtfertigung, das staatliche Verfahren solange auszusetzen, bis das Schiedsgericht die erwartete negative Zuständigkeitsentscheidung trifft. Für die Einrede der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichtes bleibt deshalb nur Raum, wenn das staatliche Gericht in bezug auf die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes zu einer positiven Prognose gelangt. Damit muß das staatliche Gericht auch im Rahmen der Kompetenz-Kompetenz-Einrede incidenter die Begründetheit der Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit prüfen. Die vorstehenden Ausführungen stehen jedoch insgesamt unter dem Vorbehalt, daß Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarungen überhaupt zulässig und wirksam sind. Die Erkenntnis, daß derartige Vereinbarungen der Sache nach einen Verzicht auf den Aufhebungsgrund des § 1041 Abs. 1 Nr. 1 Z P O darstellen, bestätigt die von Anfang an gegen die Rechtsprechung des B G H vorgebrachte Kritik 27 . Die aus der mangelnden Dispositivität der Aufhebungsgründe des § 1041 Z P O hergeleiteten Bedenken können nicht mit dem Hinweis auf § 1025 Z P O aus der Welt geschafft werden. Die Kompetenz-Kompetenz-Vereinbarung ist kein Schiedsvertrag, so daß es nicht darauf ankommt, ob der Streit über die Gültigkeit und Auslegung einer Schiedsklausel schiedsfähig ist. Gegen die Verzichtbarkeit spricht nicht nur § 1041 Abs. 2 Z P O . Auch international ist man sich darüber einig, daß es Sache der staatlichen Gerichte ist, abschließend über die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes zu entscheiden28. Das UNCITRAL-Modellgesetz über die Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit hält in seinem Artikel 36 an der Uberprüfungskompetenz der staatlichen Gerichte fest. Die Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechtes hat sich dieser Auffassung angeschlossen 29 .
Insb. Letpold Z Z P 91, 479, 481 ff; Schwab K T S 1961, 17, 21 ff. Nachweise bei Sonnauer, Die Kontrolle der Schiedsgerichte durch die staatlichen Gerichte, Seite 53 ff. 29 Bericht der Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechtes, herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, Februar 1994, S. 133 f. 27
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Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht - ein Gegensatz? PETER SCHLOSSER
Einleitung Der sehr stark ausgebaute Mieterschutz bringt es mit sich, daß es in unseren Tagen zu Spannungen zwischen Vermieter und Mieter kommt, die früher auf sehr einfache Weise gelöst wurden. Widersetzte sich der Mieter einer vom Vermieter ins Auge gefaßten Baumaßnahme, so konnte ihm ordentlich gekündigt werden. Heute ist es für einen Vermieter häufig unmöglich, wirtschaftlich angezeigte Sanierungen oder auch Umbauten in einem mieterfreien Anwesen vorzunehmen. Nicht von ungefähr hat daher erst neuere Gesetzgebung in Gestalt von §§541 a und 541 b B G B dem Vermieter Duldungsansprüche gewährt. Vordem bedurfte es ihrer nicht, obwohl es natürlich auch in früheren Zeiten häufig vorkam, daß der Vermieter an einem Mietobjekt Umbauten vornehmen wollte. Prozessual können aber trotz der materiellrechtlichen Lösung des Problems erhebliche Schwierigkeiten entstehen, wenn es zu keinem Einvernehmen mit allen Mietern kommt. Sind keine Arbeiten in den Räumen der sich sträubenden Mieter vorgesehen, zu denen sich der Vermieter natürlich nicht eigenmächtig Zutritt verschaffen darf, wird er im allgemeinen mit den Bauarbeiten beginnen, ohne vorher den Mieter auf Duldung verklagt zu haben. Es wäre ihm auch schwerlich zuzumuten, mit dem Beginn der Arbeiten so lange zuzuwarten, bis er schließlich einen rechtskräftigen Titel erstritten hat. Der Mieter versucht zudem häufig, die Bauarbeiten zu verhindern, indem er den Erlaß einer einstweiligen Verfügung beantragt, die auf den „possessorischen" Anspruch aufgrund von Besitzstörungen gegründet ist - häufig genug, um auf diese Art und Weise von dem in Zeitnot geratenen Vermieter eine finanzielle Abfindung zu erreichen. Dann können sehr verzwickte Probleme des Zusammenspiels von possessorischen und petitorischen Ansprüchen im Hauptsacheverfahren einerseits und im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes andererseits entstehen. Solche Konstellationen sind aber nicht auf das Verhältnis von Vermieter und Mieter beschränkt, sondern allgemeiner Natur.
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Peter Schlosser
I. Das Problem Der Rechtsschutz blieb auf der Strecke, wenn man den Bürger, dem sein Recht vorenthalten wird, immer und ausnahmslos nur auf den ordentlichen Rechtsweg verwiese, in dem er die Herstellung jenes Zustands begehren könnte, den das materielle Recht endgültig will. Das ist ein Gemeinplatz. Daher ist es ein Verfassungsgebot, daß die Rechtsordnung in Gestalt eines interemistischen Rechtsschutzes dem vorbeugen muß 1 . Eine hochinteressante und in vielfältige Details vordringende rechtsvergleichende Untersuchung hat sogar zu dem Ergebnis geführt, daß es sich um ein weltweit anerkanntes und durchaus nicht auf den Zivilprozeß beschränktes allgemeines Rechtsprinzip handelt 2 . Gesetze und richterliche Rechtschöpfung bedienen sich hierbei der verschiedensten Regelungstechniken. Meist sehen sie in rechtlichen Vorkehrungen dagegen, daß der Rechtsschutz verspätet kommt, prozeßrechtliche Institute, vor allem in den angelsächsischen Ländern, wo aufgrund der jurisdiktioneilen Denkweise ohnehin viel prozeßrechtlich eingeordnet ist, was bei uns in materiellrechtlichen Begriffen gedacht zu werden pflegt. In Deutschland ist freilich eine eigentümliche Zweigleisigkeit der Rechtslage entstanden und bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Es gibt außer dem einstweiligen Rechtsschutz ein „materielles Zwischenrecht". Leipold, der als erster darauf aufmerksam gemacht hat 3 , nennt vor allen Dingen die Besitzschutzansprüche. Es geht also um Ansprüche auf Mitwirkung zur Herstellung einer Interimslösung auf dem Hintergrund des vom Recht als endgültig gewollten Zustands. Heinze4 unterscheidet neuerdings viel genereller zwischen „vorläufigem" und „einstweiligem" Rechtsschutz. Der erstere unterscheidet sich vom letzteren dadurch, daß er bereits vollen Rechtsschutz darstellt, aber noch unter dem Vorbehalt der Aufhebbarkeit der den Rechtsschutz gewährenden Entscheidung steht. Vorläufiger Rechtsschutz ist Heinze zufolge auch materiellrechtlich möglich 5 . Er nennt freilich seltsamerweise gerade nicht die Besitzschutzansprüche, sondern im Bürgerlichen Recht ausgebildete Ansprüche auf Sicherheitsleistung, auf Bewilligung der Eintragung einer Vormerkung und auf „sonstige interemistische Regelungen wie etwa des § 1134 Abs. 2 zur Abwehr einer Grundstücksgefährdung". 1 BVerfGE 46, 166. Ausführlich dazu Walker Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsgerichtlichen Verfahren (1992), Rdn. 39 ff. 2 Collins Provisional and Protective Measures in International Litigation Recueil des Cours 234 (1992/III), 13 ff, 234 ff. 3 Grundlagen des einweiligen Rechtsschutzes (1971), 54 ff. 4 MünchKommZPO-Heinze Rdn. 15 ff vor § 916. 5 A a O Rdn. 20.
Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht
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Gemessen an dem rechtlich gewollten Endzustand stehen diese Beispiele freilich nicht für vorläufigen, sondern für einstweiligen Rechtsschutz. Es ist daher zweifelhaft, ob die Unterscheidung zwischen einstweiligem und vorläufigem Rechtsschutz wirklich weiterführt 6 . Hingegen ist es unleugbar, daß sich das Gesetz zur Vermeidung rechtsschutzverhindernder vollendeter Tatsachen auch materiellrechtlicher Methoden bedient. Gelegentlich tut es dies, wenn der von ihm als endgültig gewollte Rechtszustand noch gar nicht fällig ist, wie etwa in Gestalt der §§ 648 (Bauhandwerkerhypothek), dem neu eingeführten § 648 a (Sicherheit für später fällig werdenden Werklohn), § 883 Abs. 1 S. 2 (Vormerkung), § 1134 Abs. 2 (Abwendung der Gefährdung des Werkes eines hypothekarisch belasteten Grundstücks) B G B . Bei den possessorischen Ansprüchen dient aber das materielle Zwischenrecht gerade der Sicherung eines fälligen Anspruchs, nämlich des petitorischen Anspruchs auf Rückgewähr oder Störungsbeseitigung, den das Gesetz als wahrscheinlich bestehend unterstellt, wenn verbotene Eigenmacht geübt wird. Ursprünglich hat der Gesetzgeber wohl geglaubt, raschen Rechtsschutz im ordentlichen Erkenntnisverfahren dadurch gewährleisten zu können, daß der von den Anspruchsgrundlagen her einfache und einwendungsentlastete Prozeß rasch würde durchgeführt werden können. Gelegentlich hat er aber anscheinend das materielle Zwischenrecht speziell im Hinblick auf einstweilige Verfügungen geschaffen, die auf seiner Grundlage ergehen sollten. Die Rechtsstellung des Hypothekengläubigers, der um den Wert seiner Sicherheit aufgrund von Einwirkungen fürchten muß, die vom Eigentümer ausgehen, ist überhaupt nicht in der Form einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage oder einer Hauptsachenklagebefugnis („... kann auf Unterlassung klagen" wie in § 1134 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2 B G B ) , sondern als Ansatzpunkt für einstweilige Verfügungen formuliert. So steht in § 885 B G B , daß eine Vormerkung, wenn sie nicht aus freien Stücken bewilligt wird, durch einstweilige Verfügung anzuordnen sei, für deren Gewährung es der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes gar nicht bedarf. In § 1 1 3 4 Abs. 2 ist von einem Anspruch des Hypothekengläubigers nicht die Rede, daß der Eigentümer einer Gefährdung des Grundstückswertes entgegenwirken müsse. Vielmehr steht dort nur, das Gericht habe „die zur «Abwendung der Gefährdung erforderlichen Maßregeln anzuord-
nen . Aber auch in den Bereichen, wo das Gesetz selbst sich Zwischenlösungen in Gestalt der Durchsetzung interemistischer Ansprüche vorstellt, werden solche Ansprüche in der Praxis im Wege einstweiligen 6
So mit Recht Walker
aaO, Rdn. 3 ff.
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Rechtsschutzes durchgesetzt. Ein Hauptsacheprozeß über possessorische Ansprüche ist praktisch undenkbar geworden. Vielmehr beantragt man eine auf den possessorischen Anspruch gegründete einstweilige Verfügung und verfolgt im Hauptsacheprozeß den petitorischen Anspruch. Das wirft aber die Frage nach dem genauen Verhältnis von possessorischem oder allgemein interemistischem materiellen Anspruch zur Rechtsschutzform der einstweiligen Verfügung auf. Der Richter, der über einen entsprechenden Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung entscheiden muß, wird im allgemeinen von der Vorstellung ausgehen, daß der interemistische Anspruch der Verfügungsanspruch ist, der, wenn glaubhaft gemacht, die erbetene Maßnahme trägt. Bedeutet dies aber, daß auch im Sinne von § 926 Abs. 1 ZPO „die Hauptsache" nur der interemistische Anspruch, also etwa der Besitzschutzanspruch ist? Wenn ja, wie ist zu entscheiden, wenn dieser sich erledigt hat, weil der Antragsgegner der gegen ihn ergangenen einstweiligen Verfügung entsprochen hat? Erweist sich die Anordnung einer einstweiligen Verfügung im Sinne von § 945 ZPO schon deshalb als von Anfang an gerechtfertigt, weil der possessorische oder sonst interemistische Anspruch bestand? Anscheinend hat sich diese Frage in der Praxis noch nicht gestellt. Erörtert findet man sie weder in veröffentlichten Gerichtsentscheidungen noch in der Literatur. Weil sie aber in eines der großen Forschungsgebiete des Jubilars fällt 7 , sei hier der Versuch einer Antwort gemacht. Vielleicht gelingt es, dadurch eine weiterführende Diskussion anzuregen. Im folgenden sollen die Probleme, die sich im Hinblick auf § 926 und im Hinblick auf § 945 stellen, gesondert erörtert werden. II. Die funktionelle Austauschbarkeit von rein prozessualem einstweiligen Rechtsschutz und materiellem Zwischenrecht im Hinblick auf § 926 1. Es ist kein Prinzip zu erkennen, das den historischen Gesetzgeber veranlaßt hätte, bald nur prozessualen einstweiligen Rechtsschutz, bald interemistische materiellrechtliche Ansprüche vorzusehen. Im Recht vor den Kodifikationen des 19. Jahrhunderts gingen Gedankensplitter aus beiden Systembereichen wenig gesondert durcheinander 8 . Im preußischen Ministerialentwurf von 1971 für eine Zivilprozeßordnung ist die einstweilige Verfügung das Instrument für die Regelung „possessori-
7 8
Wolfram Henckel Prozeßrecht und materielles Recht (1970). Dazu Leipold aaO 74 ff.
Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht
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scher Streitigkeiten" 9 . Darauf nimmt die Begründung des Entwurfes einer deutschen Zivilprozeßordnung 10 Bezug. Dementsprechend ist auch § 940 Z P O in einer Weise formuliert, die ihn auf die interemistische Regelung von Besitzverhältnissen geradezu als zugeschnitten ausweist". Warum der Gesetzgeber des BGB die possessorischen Ansprüche neben dem Recht der einstweiligen Verfügung überhaupt noch für nötig hielt, ist den Motiven nicht zu entnehmen. Die entscheidenden Stellen aus diesem Dokument seien wörtlich wiedergegeben 12 : „... Mit der Aufklärung aller in Betracht kommenden Rechtsfragen verlieren Besitz und Inhabung ihre Bedeutung, und nur das Recht zum Haben der Sache entscheidet. Allein hieraus folgt noch nicht, daß die sogenannten Besitzklagen entbehrlich wären. Das geltende Recht läßt solche ausnahmslos zu, und daß hiermit wichtige Vortheile verbunden sind, ist nicht zweifelhaft. Einmal nämlich wird durch die Regelung des Verhältnisses auf der Grundlage des Besitzstandes bzw. der Inhabung festgestellt, wer von den Parteien im Streite um das Recht die Rolle des Klägers zu übernehmen hat. Sodann wird durch das Possessorium unter Umständen das Petitorium erspart, nämlich dann, wenn ein Recht zum Haben der Sache von keiner Seite bewiesen werden kann... Die Vorschriften über den possessorischen Schutz sind materiellrechtlicher, nicht prozessualer Natur. Demjenigen, gegen welchen ein Unrecht begangen ist, wird ein Recht auf Wiederherstellung des früheren Zustandes gegeben, welches von dem Rechte zum Haben der Sache unabhängig ist, nur daß der wiederhergestellte Zustand der Anfechtung auf petitorischen Rechtsgründen unterliegt. Die modernen Gesetzgebungen haben den possessorischen Schutz vielfach in den Verfahrensgesetzen geregelt... Das Schweigen des Entw. in Ansehung einiger aus dem gemeinen Rechte sich herleitender Rechtsinstitute bleibt zu rechtfertigen... 1. Der Entwurf kennt kein possessorium summarissimum. Man versteht hierunter einen provisorischen Schutz im Besitze, der demjenigen gewährt wird, der die letzte ruhige Besitzhandlung bescheinigen kann. Sollte man das possessorium summarissimum nicht als durch die einstweiligen Verfügungen der C P O beseitigt ansehen (Beleg), so ist dasselbe jedenfalls neben diesen Bestimmungen entbehrlich geworden. Man könnte aber die weitere Frage aufwerfen, ob nicht das Rechtsinstitut der einstweiligen Verfügung durch Aufstellung leitender Grundsätze für die richterliche Regelung des einstweiligen Zustands in Beziehung auf ein streitiges Rechtsverhältnis weiter auszubauen sei. Wollte man eine solche Regelung vornehmen, so würde sie, wenn nicht in der Prozeßordnung, doch keinesfalls im Sachenrechte, sondern in dem Allg. Theile des Gesetzbuches zu geschehen haben. Einer solchen Regelung stehen indessen dieselben Bedenken und Schwierigkeiten entgegen, die einer allgemeinen Gewährung eines quasipossessorischen Schutzes entgegenstehen..."
2. Aus der systematischen Einordnung des interemistischen Rechtsschutzes, den der historische Gesetzgeber getroffen hat, läßt sich also ' Dahlmanns Neudruck zivilprozessualer Kodifikationen Bd. 2 (Ahlen 1971), 496, 498. Berlin 1872 (Verlag der königlichen geheimen Ober-Hofbuchdruckerei) S. 592. 11 Nach den Protokollen der ersten Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Zivilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes (1969) 1242 ist dies auch so festgehalten. 12 Mugdan Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich 111 (1899) 65 ff. 10
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kein Hinweis darauf entnehmen, wonach es zu bemessen ist, was im Sinne von § 926 „die Hauptsache" ist. Es muß daher gefragt werden, ob sich den in den materiellrechtlichen Gesetzen verstreuten Ansprüchen auf Herstellung interemistischer Zustände im Verhältnis zum prozessualen einstweiligen Rechtsschutz ein Sinn abgewinnen läßt, der ihnen in der hier behandelten Perspektive eine eigenständige Interessenbewertung verleiht. Der Gesetzgeber hat eigenständige possessorische Ansprüche deshalb geschaffen, um, in den Worten des BGH13 ausgedrückt: „Dem Besitzer die rasche Wiederherstellung seines durch verbotene Eigenmacht beeinträchtigten Besitzstandes zu ermöglichen; die gerichtliche Durchsetzung der Besitzschutzansprüche soll nicht dadurch verzögert werden, daß zunächst über ein v o m Beklagten geltend gemachtes Recht zum Besitz verhandelt und in einem möglicherweise langwierigen Verfahren Beweis erhoben wird."
Die einzige, gegenüber § 940 ZPO eigenständige Aussage, die diese Formel enthält, besteht darin, daß im Falle verbotener Eigenmacht interemistischer Rechtsschutz in der Form der Wiederherstellung des status quo ante zu gewähren ist. § 940 ZPO würde demgegenüber eine flexiblere Lösung erlauben, die sich in der Praxis auch gegenüber den „Besitzschutzansprüchen" häufig durchsetzt. Selbst wenn man letzteres als verfehlt ansehen würde, so würde der Wille des Gesetzgebers, im Falle verbotener Eigenmacht durch Besitzentzug interemistisch den status quo ante wiederhergestellt zu wissen, nicht begründen können, daß die Rechtsnatur des Schutzes im Hinblick auf § 926 ZPO ein anderer sei als der durch eine prozessuale einstweilige Verfügung gewährte. 3. Wollte man possessorische oder sonst materiellrechtliche Ansprüche auf Erhaltung oder Herstellung eines Interimszustandes als „die Hauptsache" im Sinne der Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes ansehen, so käme man zu einigen ganz ungereimten Ergebnissen. a) Fast ausnahmslos liegen die Dinge bereits im Verfügungsverfahren klar, wenn der Maßstab lediglich possessorische oder sonst interemistische Ansprüche sind. Daß Besitz an einer Sache durch Besitzentzug in Folge verbotener Eigenmacht erlangt worden ist, ist, wenn so behauptet, meist nicht nur wahrscheinlich, sondern in aller Regel erwiesen oder gar unbestritten. Aber auch wenn es sich um die Grenzen eines wechselseitigen Besitzstandes handelt, etwa bei Verfahren wegen Geräusch- oder sonstiger Emissionseinwirkungen von einer benachbarten Baustelle, werden diese Grenzen bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt. Es wäre in aller Regel völlig sinnlos, den Verfügungskläger gemäß § 926 ZPO dazu zwingen zu wollen, noch ein Hauptsacheverfahren anzustrengen, wenn wiederum nur possessorische 13
B G H Z 73, 355, 377 = N J W 1979, 1358.
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Ansprüche geprüft werden könnten, oder dem Verfügungsbeklagten abverlangen zu wollen, daß in diesem Verfahren petitorische Ansprüche nur geprüft werden dürfen, wenn sie widerklageweise eingeführt worden sind. Vielmehr ist es allein sinnvoll, dem erfolgreichen Verfügungskläger aufzuerlegen, daß er nun sein Recht aus dem status quo (so wie er durch die erfolgreiche einstweilige Verfügung wiederhergestellt worden ist) feststellen läßt, bzw. darauf zu klagen, daß der Verfügungsbeklagte die Einwirkung auch petitorisch zu dulden hat. b) Hat der Verfügungsgläubiger auf possessorischer Grundlage eine ihm günstige einstweilige Verfügung erstritten und obsiegt der Verfügungsschuldner hinterher mit umgekehrter Parteirolle im petitorischen Verfahren, so sollen dies veränderte Umstände sein, die eine Aufhebung der einstweiligen Verfügung nach §§ 936, 927 Z P O rechtfertigen; sogar von Amts wegen soll das Gericht die petitorische Rechtslage prüfen müssen14. Normalerweise kann aber ein Prozeßsieg des Verfügungsschuldners mit einem anderen Streitgegenstand als dem „Verfügungsanspruch" schwerlich ein veränderter Umstand sein, wenn man materielles Recht und Prozeßrecht auch im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes strikt auseinanderhält. Man muß materielles Recht und Prozeßrecht wertungsmäßig wieder zusammenführen, um zu einem sinnvollen Ergebnis zu kommen, indem man den neutralen Begriff „veränderte Umstände" einführt. Ist dem aber so, so muß man gleichlaufend verfahren, wenn der Verfügungsschuldner nicht in umgekehrter Parteirolle selbst „den Hauptsacheprozeß" anstrengt, sondern den Verfügungsgläubiger nach § 926 ZPO dazu bringen will, dies zu tun. Auch dann muß der Streitgegenstand die petitorischen Ansprüche miterfassen. c) Ein Besitzer, der zur Abwehr von Einwirkungen den Weg der einstweiligen Verfügung erfolgreich beschritten hat, kann zudem füglich nicht auch noch im nachfolgenden ordentlichen Erkenntnisverfahren verlangen, daß er von petitorischen Einwendungen des Duldung begehrenden Teils freigehalten wird. Kommt es wirklich einmal zu einem ordentlichen Erkenntnisverfahren mit dem Streitgegenstand des possessorischen Anspruchs, so kann der petitorische Anspruch im Wege der Widerklage geltend gemacht werden15. Materiell eingekleidete possessorische Ansprüche sind in Wirklichkeit nur eine besondere Form des einstweiligen Rechtsschutzes und gehen in der heutigen Praxis der einstweiligen Verfügung zum vorübergehenden Schutz des status quo auf16. " B G H N J W 1978, 2157, 2158. 15 B G H Z 53, 166 = N J W 1970, 707; B G H Z 73, 355, 377 = N J W 1979, 1358. " So auch für die Schweiz Isaac Meier Privatrecht und Prozeßrecht in Schlosser (Hrsg.) Materielles Recht und Prozeßrecht, Veröffentlichungen der Vereinigung für internationales Verfahrensrecht e. V. Bd. 6 S. 5, 52; SchwBGE 94 II 353; 85 II 297; 78 II 88.
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d) Um schließlich auf das einleitend gebildete Beispiel zurückzukommen: Im Bereich der Besitzentziehung oder der aktiven Benutzung einer fremden Sache kann man sicherlich die Hypothese einer verbotenen Eigenmacht (trotz petitorischer Berechtigung zu der bezüglich der Sache in Anspruch genommenen Rechtsstellung) bilden. Wer einen Herausgabeanspruch bezüglich einer Sache hat, dem ist zuzumuten, die Herausgabeklage zu erheben, wenn sein Anspruch nicht erfüllt wird. Im Bereich vertraglich oder aufgrund eines sonstigen Rechtsverhältnisses bestehender Besitzrechte ist es aber oft höchst zweifelhaft, ob man es mit dem status quo des Besitzes zu tun hat (der durch Verwirklichung petitorischer Ansprüche geändert werden müßte), oder ob der Besitz von vornherein so beschränkt ist, daß Emissionen ihn nicht beeinträchtigen. Klar ist nur, daß auch der Besitzer solche Emissionen hinzunehmen hat (also die Schwelle zu seiner petitorischen Inanspruchnahme noch gar nicht erreicht ist), die auch ein Eigentümer nach § 906 BGB dulden müßte17. Wie liegen die Dinge aber, wenn ein Mieter nach § 541 a oder § 541 b BGB oder nach allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben18 Baumaßnahmen innerhalb oder außerhalb seiner Wohnung zu dulden hat? Läßt sich dann sinnvollerweise sagen, sein Mietbesitz sei gewissermaßen absolut; der Vermieter habe petitorische Ansprüche gegen ihn auf Duldung? Oder ist der Besitz des Mieters von vornherein um die ihn treffenden Duldungspflichten beschränkt, weil ihm der Vermieter niemals einen stärkeren Besitz übertragen hat? Soweit Maßnahmen innerhalb der Mieträume anstehen, hat sie der Mieter sicherlich nur petitorisch zu dulden. Es ist dann dem Vermieter auch zuzumuten, auf Duldung zu klagen oder, wenn die Baumaßnahme dringend ist, oder, bei einem größeren Gesamtvorhaben, die Arbeiten in der Wohnung eines einzelnen Mieters füglich nicht aufgeschoben werden können, eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erwirken. Soweit Maßnahmen außerhalb der Mieträume anstehen, die aber Lärm- oder sonstige Emissionen in die Mieträume mit sich bringen, wäre es aber sinnlos, zwischen dem Mietbesitz an sich und den dann als petitorisch aufzufassenden Einschränkungen kraft §§ 541 a, 541 b oder § 242 BGB zu unterscheiden. Man müßte dann ermitteln, was der Mieter auch im Verhältnis zu Dritten (mit dem ihn kein Rechtsverhältnis als Grundlage petitorischer Ansprüche verbindet), etwa einem Hausnachbarn, zu dulden hätte und was nur aufgrund seiner Verpflichtung aus dem Miet-
17 BGH LM § 906 Nr. 14; Palandt/Bassenge 53. Aufl. § 906 Rdn. 27; MünchKommSäcker 2. Aufl. § 906 BGB Rdn. 86. 18 Dazu, daß neben den genannten Vorschriften auch diese noch eine Rolle spielen BGH NJW 1972, 723; allg. M.; statt aller MünchKomm-Vc>elskow 2. Aufl. § 541 b Rdn. 7; Bub/Treier/Kraemer Handbuch der Geschäfts- undWohnraummiete Rdn. 1003.
Einstweiliger Rechtsschutz u n d materielles Zwischenrecht
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Verhältnis. Augenscheinlich ist die Praxis auch völlig hilflos, wenn es darum geht, was bei anstehenden oder begonnenen Baumaßnahmen, gegen die sich der Mieter auf dem Wege eines auf die possessorischen Ansprüche gegründeten Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung wendet, der Richter alles berücksichtigen oder nicht berücksichtigen darf. Die Trennung zwischen possessorischen und petitorischen Ansprüchen ist also schon innerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes in weiten Bereichen gar nicht sinnvoll zu handhaben. Ergebnis: Auch dies zeigt, daß sie im „Hauptsacheprozeß" keine Daseinsberechtigung mehr haben kann. „Hauptsache" im Sinne von § 926 Z P O ist der Prozeß über die unter allen rechtlichen Aspekten zu klärende Rechtslage um den wirtschaftlichen Wert, der im Spiele ist.
III. Petitorischer oder possessorischer Anspruch als Maßstab für die ursprüngliche Rechtfertigung einer einstweiligen Verfügung? Dieses Ergebnis braucht noch nicht zu bedeuten, daß auch im Rahmen der Anwendung von § 945 Z P O die ursprüngliche Rechtfertigung einer einstweiligen Verfügung unter Einschluß aller petitorischen Ansprüche festzustellen ist. Es ist vielmehr folgendes Argument naheliegend: Selbsthilfe außerhalb der vom Recht anerkannten wenigen Ausnahmefälle zu unterbinden, ist ein zentral wichtiges Anliegen der Rechtskultur. Wenn sich daher ein Bürger rechtstreu vor den Gerichten gegen unerlaubte Selbsthilfe zur Wehr setzen will, so soll er dies nicht auf das Risiko hin tun müssen, hinterher verschuldensunabhängigen Schadensersatzansprüchen deshalb ausgesetzt zu sein, weil der Eigenmächtige einen Zustand herbeigeführt hat, auf den er petitorisch einen Anspruch hat. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, daß dem erfolgreichen Verfügungskläger dieses Risiko sehr wohl zuzumuten ist. Meist würde er ohnehin aus Verzug haften, da in aller Regel ein petitorischer Anspruch ein schuldrechtlicher Anspruch ist. Ein Mieter etwa, der notwendige Baumaßnahmen dadurch verzögert, daß er seiner Duldungspflicht nicht nachkommt, haftet aus Verzug, auch wenn es ihm gelungen ist, eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung der Baumaßnahmen zu erwirken. Die Vorschriften über den Verzugsschadenersatzanspruch sind zudem nach § 990 Abs. 2 BGB auch auf den Vindikationsanspruch anzuwenden, allerdings nach herrschender Meinung eingeschränkt auf den Besitzer, der grob fahrlässig sein Besitzrecht verkennt".
" Staudinger/G«ri/fey 12. Aufl. (Ausg. 1993) R d n . 78 m. w. N .
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Vor allem aber ist § 945 ZPO wertungskongruent zu § 717 ZPO auszulegen, dem er nachgebildet ist. Nach der letzteren Vorschrift ist der Vollstreckungsgläubiger deshalb, weil er in Gestalt des Gebrauchmachens von der vorläufigen Vollstreckbarkeit gehandelt hat, verschuldensunabhängig zum Schadenersatz verpflichtet. Auch in diesem Zusammenhang nützt ihm das Argument nichts, das Gebrauchmachen von einer gesetzlichen Rechtsschutzmöglichkeit könne nicht mit dem Risiko der verschuldensunabhängigen Schadenersatzverpflichtung belastet sein. Er hat sogar eine Bestätigung des erstinstanzlichen Gerichts in Händen, daß er im Recht ist. Auch wenn der Gläubiger im Hauptsacheprozeß aufgrund von Einwendungen der Gegenseite unterliegt, die in der ersten Instanz nicht vorgebracht worden waren, bleibt es beim Schadenersatzanspruch. Wertungskongruent dazu muß man sagen: Auch wenn später im petitorischen Verfahren eine neu geprüfte Grundlage für einen Gegenanspruch, nämlich den petitorischen, dazu führt, daß der ursprünglich nur auf Besitzschutzschutz gegründete prozessuale Anspruch abgewiesen wird, ist es gerechtfertigt, den Verfügungsgläubiger mit Schadenersatzansprüchen zu belasten. Dies ist dem Obsiegenden im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch deshalb zuzumuten, weil sich seine Schadenersatzverpflichtung nach den Grundsätzen des mitwirkenden „Verschuldens" ermäßigt, auch wenn es sich um einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch handelt20. In diesem Rahmen kann es für den Verfügungsbeklagten und späteren Sieger im Hauptsacheverfahren geboten gewesen sein, möglichst schonend vorzugehen und dadurch jede Provokation der Gegenseite zur Stellung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu verhindern. Jemand, der ohne jede Vorinformation der Betroffenen mit unerwarteten und in ihrer Dauer und fortwährenden Intensität für Außenstehende nicht abschätzbaren Bauemissionen beginnt, hat sich ein mitwirkendes Verschulden auch dann aufgelastet, wenn ein Anwohner eine einstweilige Verfügung erwirkt, von der sich hinterher, nachdem man den Uberblick über das hat, was insgesamt zu erwarten und was notwendig war, als nicht berechtigt herausstellt. Bei der Abwägung der wechselseitigen Verschuldens· bzw. Gefährdungsanteile kann auch berücksichtigt werden, ob und daß die eine Seite ein einschlägig erfahrener Gewerbebetrieb ist, während die andere Seite zunächst völlig hilflos dem ausgesetzt war, was auf sie zuzukommen schien.
20
BGH NJW 1990, 158; allg. M.
Einstweiliger Rechtsschutz und materielles Zwischenrecht
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Gesamtergebnis 1. Possessorische und andere auf eine Interimslösung gerichtete Ansprüche sollen die Richtung eines einstweiligen Rechtsschutzes aufzeigen, haben darüber hinaus im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aber keine eigenständige materiellrechtliche Bedeutung. 2. Hauptsache im Sinne von § 926 ZPO sind sie daher nicht. 3. Eine einstweilige Verfügung ist auch dann im Sinne von § 945 von Anfang an ungerechtfertigt, wenn die vom Verfügungskläger endgültig beanspruchte Rechtslage nicht besteht; daß ein possessorischer „Anspruch" auch nach Aufklärung aller tatsächlichen Verhältnisse tatsächlich bestanden hat, wird dann unerheblich. 4. Um die Anrechnung mitwirkenden Verschuldens zu vermeiden, muß der Verfügungsschuldner bei Einleitung der sich hinterher als berechtigt herausstellenden Maßnahme so schonend vorgehen, daß es an jeder Provokation des Betroffenen zur Stellung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung fehlt.
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung, Auflösung und Konkurs einer Handelsgesellschaft Ein Beitrag zur zivilprozessualen Parteilehre und zu §§ 239 ff ZPO KARSTEN SCHMIDT
I. Zum Thema 1. Parteilehre
vor einer neuen
Bewährungsprobe
Wenn die Festschrift für Wolfram Henckel erscheint, kann der Jubilar auf nicht weniger als 35 Jahre Wirkungsgeschichte seiner 1960 druckreif abgeschlossenen Habilitationsschrift über „Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß" zurückblicken. Es ist dies ein Zeitraum, der in ständig zunehmendem Maße die Augen für das Prozeßrecht der Handelsgesellschaften geöffnet und insbesondere das Recht der Handelsgesellschaften selbst grundlegenden Wandlungen durch Gesetzgebung und Rechtserkenntnis ausgesetzt hat. Ganz besonders gilt das für die komplizierten, für den ZPO-Gesetzgeber so nicht voraussehbaren Fragen um Umwandlung, Verschmelzung, Auflösung und Konkurs von Handelsgesellschaften. Das alte und neue1 Umwandlungsrecht zeigt dies mit besonderer Deutlichkeit: Auf Umwandlungsfälle vor 1995 wenden wir Verschmelzungs- und Umwandlungsregeln an, die dem Aktiengesetz von 19652, dem Kapitalerhöhungsgesetz von 19593 und dem Umwandlungsgesetz von 1969" entstammen, aber von 1995 an5 wird die Praxis mit einem völlig neuen Umwandlungsgesetz6 zu arbeiten haben, in welchem Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung und
1 Manuskriptabschluß Juni/Juli 1994; nach diesem Stand war das neue Umwandlungsgesetz im Bundesrat vorerst gescheitert; vgl. nunmehr das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts ( U m w B e r G ) v. 28. 10. 1994 ( B G B l . I S. 3210). 2 §§ 339 ff, 362 ff. 3 Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 23. 12. 1959 ( B G B l . I S. 789), zuletzt geändert durch das Bilanzrichtliniengesetz ( B i R i L i G ) vom 19. 12. 1985 ( B G B l . I S. 2355). 4 Umwandlungsgesetz i. d. F . vom 6. 11. 1969 ( B G B l . I S. 2081), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 12. 1985 ( B G B l . I S. 2355). 5 Vgl. Art. 20 U m w B e r G . 6 Vgl. Fn. 1.
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Karsten Schmidt
Formwechsel einer zwar gesetzestechnisch komplizierten, jedoch gedanklich geschlossenen Neuordnung zugeführt werden. Unbeachtet blieb bislang die Bewährungsprobe, vor welche die zivilprozessuale Parteilehre durch diese Veränderungen im Umwandlungsrecht gestellt wird, eine Bewährungsprobe, die durch das immer lebendiger gewordene Umwandlungsgeschehen praktisch bedeutsam, zugleich aber auch rechtsdogmatisch von hohem Reiz ist. Nimmt man das Gründungs-, Liquidations-, Insolvenz- und Betriebsveräußerungsgeschehen hinzu, so ergibt sich ein weitgespanntes Problemfeld, dessen Grundlagen Gegenstand der nachfolgenden Analyse sind. 2. Die untersuchten
Vorgänge
im
Uberblick
Wer den inneren Zusammenhang der hier untersuchten Vorgänge erschließen will, muß sich die Frage vorlegen, was sie verbindet und unterscheidet. Die Übertragung eines Unternehmens von einem Rechtsträger auf einen anderen - ζ. B. im Zuge eines Unternehmenskaufs, einer Sachgründung oder einer Liquidation - ist der elementare, aber zugleich auch der rechtlich komplizierteste dieser Vorgänge (unten, V I 3). Die unter dem Gesichtspunkt der Parteiidentität einfachsten Veränderungen sind diejenigen der Eintragung einer bereits errichteten Gesellschaft in das Handelsregister bzw. - vice versa - des Eintritts einer Handelsgesellschaft in das Liquidationsstadium (unten, III 2 und 3), als dessen insolvenzrechtliche Schwesterfigur die Eröffnung des Konkurs- (künftig: Insolvenz-)Verfahrens in Betracht zu nehmen ist. Zwischen diesen sub specie Prozeßfortsetzung einfachsten und schwierigsten Fällen bewegt sich das variantenreiche moderne Umwandlungsrecht. Diese Komplexität zwingt den Betrachter zunächst, sich der elementaren Rechtsinstrumente zu vergewissern, mit deren Hilfe die Prozeßprobleme bei Strukturänderungen im Unternehmen bewältigt werden können. II. Die rechtsdogmatischen Elemente 1. Parteibegriff
und
Prozeßrechtsverhältnis
Oer formelle Parteibegriff des geltenden Zivilprozeßrechts wird dahin beschrieben, daß diejenigen Personen Prozeßparteien sind, von welchen und gegen welche die staatliche Rechtsschutzhandlung - typischerweise also das Urteil - beantragt wird 7 . Wer Prozeßpartei ist, ist notwendig Subjekt des Prozeßrechtsverhältnisses, nicht notwendig auch Subjekt 7 Lindacher, in: MünchKomm. ZPO, 1992, vor § 50 Rdn. 2; Stein/Jonas/Bork, 21. Aufl. 1993, vor § 50 Rdn. 2; s. auch BGHZ 4, 328, 334.
ZPO,
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
751
des streitigen materiellen Rechtsverhältnisses8. Henckel hat die Entwicklung vom materiellen zum formellen Parteibegriff im 19. Jahrhundert, insbesondere den in Wachs materiellem Parteibegriff angelegten Sinnwandel, erhellend geschildert9. Diese prozessuale Formalisierung gibt Halt auch im Unternehmensrecht, vorausgesetzt allerdings, daß wir die potentielle Partei - das parteifähige Rechtssubjekt - hinreichend individualisieren können. 2. Unternehmen,
Unternehmensträger
und
Unternehmensprozeß
a) Die dem Allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts zugehörige Lehre von den Rechtssubjekten hat lange vergeblich mit dem Phänomen „Unternehmen" gerungen10. Ein gleichzeitig modernes und rechtsdogmatisch faßbares Unternehmensrecht operiert mit der Rechtsfigur des Unternehmensträgers (vom Handelsgesetzbuch in sozialgeschichtlicher Verengung und beengender Abschottung gegen das „bürgerliche" Recht als „Kaufmann" bezeichnet)11: Nicht das Unternehmen ist Rechtsperson, wohl aber ist jedem Unternehmen ein Unternehmensträger als rechts-, partei- und konkursfähiges Subjekt zugeordnet, so daß „Unternehmensprozesse" stets nur Prozesse dieses Unternehmensträgers sein können. Er ist im Handelsregister auszumachen, und seine Identität, nicht die vage Abgrenzung „des Unternehmens" bestimmt die Identität der Prozeßpartei. Diese unternehmensrechtliche Formalisierung läßt den Unternehmensträger - typischerweise also: die Handelsgesellschaft (im rückständigen Lehrbetrieb noch: „den Kaufmann") - als Partei des „Unternehmensprozesses" und läßt jeden Übergang des Prozeßrechtsverhältnisses auf einen anderen Unternehmensträger auch dann als Parteiwechsel erscheinen, wenn das den Gegenstand des Prozeßrechtsverhältnisses bestimmende Unternehmen selbst in seinem Bestand unverändert bleibt. Was bei Anerkennung eines echten Unternehmensprozesses (mit „dem Unternehmen" als Partei) ein Leichtes wäre, nämlich seine fortdauernde Bindung an das Unternehmen, kann angesichts der Maßgeblichkeit des Unternehmensträgers als Prozeßpartei nicht ohne rechtstechnischen Aufwand bewerkstelligt werden. b) Nun soll die Maßgeblichkeit des Unternehmensträgers für die Zuordnung von Rechts- und Prozeßrechtsverhältnissen „des Unternehmens" die Handhabung von Unternehmensprozessen ordnen und techRosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, 15. Aufl. 1993, § 40 I 1. Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1961, S. 126 f. 10 Flume, Die juristische Person, 1983, § 2 V. " Karsten Schmidt, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994, § 4 IV, § 5. 8 9
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nisch erleichtern, nicht jedoch über das sachlich gebotene Maß hinaus erschweren. Das materielle Recht sorgt auf vielfältige Weise dafür, daß Rechte und Rechtsverhältnisse „des Unternehmens" nach Kräften dem Unternehmensträger, welches immer seine Rechtsform und Gestalt sei, zugeordnet werdenu, und daß auch das Prozeßrecht an diesem Bestreben teilhat, ist schon aus § 17 Abs. 2 H G B zu ersehen: Eine dem Rubrum nach für oder gegen „die Firma" erhobene Klage macht den Unternehmensträger („den Kaufmann") zur Partei". Soll nun im Fall einer Strukturänderung die notwendig für oder gegen den Unternehmensträger erhobene Klage nicht abweisungsreif werden, so bieten sich folgende rechtstechnische Varianten an: - Fortsetzung des Prozeßrechtsverhältnisses bei Identität des Unternehmensträgers, - Ubergang des Prozeßrechtsverhältnisses im Wege der Gesamtrechtsnachfolge unter Unternehmensträgern, - Parteiwechsel oder Prozeßstandschaft beim Übergang des Unternehmens im Wege der Einzelnachfolge. Dem Kundigen wird es nicht schwerfallen, hierin die prozessuale Entsprechung zu denjenigen Grundfiguren zu erkennen, auf denen das Unternehmensrecht bei Umstrukturierungen aufbaut. Jede erdenkliche Umstrukturierung - bis hin zur Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen - läßt sich im Wege der Einzelrechtsnachfolge unter Auflösung, Liquidation und Sachgründung von Unternehmensträgern bewerkstelligen, doch ist dies - nicht nur in prozessualer Sicht - die schwierigste, nicht die einfachste Form der Umstrukturierung. Das im Laufe eines Jahrhunderts Stück für Stück entstandene Umwandlungsrecht14 hat der Sache nach nur ein einziges Ziel15: das der Vereinfachung. Die rechtstechnischen Mittel dieser Vereinfachung heißen16: Identität und Universalsukzession, und es liegt nach dem soeben Gesagten auf der Hand, daß diese rechtstechnischen Instrumente auch die Anknüpfungspunkte für die Fortführung von Unternehmensprozessen sind.
Ebd., § 4 V. Ebd., § 4 IV 3 a; vgl. auch R G Z 54, 15, 17: „Selbstverständlich aber ist die Klage gegen die Person oder Personen gerichtet, die unter dieser Firma ihre Geschäfte betreiben und die Unterschrift abgeben (§ 17 Abs. 1). Das Gericht weiß bloß nicht, wer das ist, und auch der Kläger ist nicht genötigt, sich darum zu kümmern." 14 „Umwandlung" wird in der Terminologie des neuen Gesetzes in einem weiten, die Verschmelzung und Spaltung umgreifenden Sinn verstanden; vgl. zu dieser Terminologie Zöllner, Z G R 1993, 335. 15 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1991, § 12 I 3; ders., AcP 191 (1991), 503. " Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 12 I 4. 12
13
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
3. Kontinuität des Prozeßrechtsverhältnisses des Prozesses
und
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Diskontinuität
Für die prozessuale Bewältigung der hier besprochenen Umstrukturierungsvorgänge ist die Zivilprozeßordnung schlecht gerüstet. Das kann bei einem seit 1877 in den Grundlagen nicht wesentlich geänderten Kodifikationswerk nicht anders sein'7. Befragen wir nun die Prozeßrechtsdogmatik, so erweisen sich als Angelpunkte im Umgang mit unserem Problem - die Bindung des Prozeßrechtsverhältnisses an Parteiidentität und Gesamtrechtsnachfolge, - die Unterbrechung und Fortsetzung des Prozesses bei Kontinuitätsstörungen im fortbestehenden Prozeßrechtsverhältnis sowie - die Fortsetzung des Prozesses in Prozeßstandschaft. Die Entdeckung des Prozeßrechtsverhältnisses als Rechtsfigur18 ist eine entscheidende Hilfe bei der Koordination subjektbedingter Prozeßstörungen: Der „Prozeß als Rechtslage" bleibt unberührt; unterbrochen wird das Prozeßgeschehen'9. Josef Kohler hat die Prozeßunterbrechung rechtsdogmatisch als ein „Beruhenlassen der Prozeßakte ohne Zerreißung des rechtlichen Prozeßverhältnisses"20 und später bildhaft als „Stadium des Scheintodes" beschrieben, woraus zu folgern sei, „daß, was in dieser Zeit Prozessuales geschieht, für das Rechtsverhältnis bedeutungslos ist"21. Auch für den hier untersuchten Problemkreis erweist sich diese Technik des Gesetzes als maßstabgebend: Soll - und wann soll - der Prozeß ohne oder mit Unterbrechung fortgeführt werden, wenn beim Unternehmensträger ein Strukturwandel eintritt? 4. Organisationsrechtliches Denken: ein Defizit der zivil- und zivilprozeßrechtlichen Dogmatik Die hiermit aufgeworfene Frage kann sinnvoll nur beantwortet werden, wenn man dem Organisationscharakter von Unternehmen im allgemeinen und von handelsgesellschaftlich verfaßten Unternehmen im besonderen Rechnung trägt. Daran fehlt es dem B G B und der ZPO allenthalben. Selbstverständlich ist unseren großen Kodifikationswerken das Vorhandensein des Staates und der juristischen Personen nicht einfach entgangen22, aber für eines war doch die Erkenntnis nicht reif: " Vgl. zur Entwicklungsgeschichte des Umwandlungsrechts die Angaben in Fn. 15. 18 Dazu Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 10 ff. " Goldschmidt, D e r Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 374, 376 ff. 20 Kohler, D e r Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, § 22. 21 Kohler, Zivilprozeßrecht und Konkursrecht, 7. Aufl. 1913, § 68. 22 Vgl. nur §§ 21 ff (insbesondere § 31) B G B , 50, 116 Z P O .
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Karsten Schmidt
dafür, daß Organe und Gehilfen eines Verbandes nicht, wie Vertreter oder Gehilfen einer natürlichen Person, als Zurechnungsmedien „neben" dem Vertretenen oder dem „Prinzipial", sondern „in" der Organisation, d. h. als Bestandteil ihres verfassungsmäßigen Aktionsfeldes, handeln. Hier liegt im Zivilrecht der Grund für die Fehlkonstruktion der §§ 831 23 und 839 BGB 2 4 . Was nun die Fortführung und Unterbrechung von Unternehmensprozessen anlangt, so haben drei Elemente die Lösungen zu bestimmen: die Partei (das Subjekt), das Vermögen (das Substrat) und die Organisation. Die bisherige Diskussion wendet nur den ersten beiden Elementen, nicht aber dem dritten die gebührende Aufmerksamkeit zu. Das muß sich ändern.
5. Die Unterbrechungstatbestände
im Überblick
a) Im Todesfall tritt nach 5 239 Abs. 1 ZPO die Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein, zu der diese erst nach der Annahme der Erbschaft verpflichtet sind (§ 239 Abs. 5 Z P O ) . Die Aufnahmeerklärung kann im Verzögerungsfall vom Gegner erzwungen und bei Nichterscheinen der Rechtsnachfolger im Termin durch das Gericht ersetzt werden (§ 239 Abs. 2 - 4 Z P O ) . Für die hier zu behandelnden Vorgänge wird sich die Frage als bedeutsam erweisen, ob § 239 Z P O ein verallgemeinerungsfähiges Modell für die Prozeßfortführung bei Gesamtrechtsnachfolge oder eine nur auf den Tod einer natürlichen Person passende Regelung darstellt. Die Materialien zur Z P O schweigen sich aus25. Immerhin zeigt schon Abs. 5, daß es bei § 239 Z P O um Spezifika von T o d und Erbrecht geht 26 , weshalb eine Anwendung auf die Gesamtrechtsnachfolge im Gesellschaftsrecht allenfalls nach sorgsamer Prüfung in Betracht kommen wird. b) Stärker werden die Unterbrechungstatbestände der §§ 240 und 241 ZPO im Mittelpunkt stehen. Auf die Unterbrechung im Konkurs wird unter III 4 zurückzukommen sein, mehrfach aber auch auf die Unterbrechung wegen Wegfalls der gesetzlichen Vertretung (§ 241 Z P O ) . Sie tritt nicht nur bei natürlichen, sondern auch bei juristischen Personen
Vgl. Karsten Schmidt, Karlsruher Forum 1993, S. 4 ff. * Das aus Zuständigkeitsgründen gescheiterte Staatshaftungsgesetz 1981 suchte das Verhältnis von § 839 BGB/Art. 34 G G vom Kopf auf die Füße zu stellen; dazu m. w. N. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, § 58 I, § 61. 25 Hahn/Stegemann, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Aufl. 1881, S. 248 ff; vgl. demgegenüber noch die Motive zum Revidierten Entwurf der bürgerlichen Prozeßordnung für die Preußischen Staaten, in: Schubert/Regge (Hrsg.), Quellen zur preußischen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, Bd. X, 1990, S. 808 ff. 26 So bereits Richard Schmidt, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 2. Aufl. 1906, § 108 II. 23 2
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
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ein, hier allerdings nicht schon dann, wenn Organpersonen wechseln27, sondern nur, wenn die Vertretungsbefugnis des Organs insgesamt endet28, sei es, daß das Organ unbesetzt ist, sei es, daß seine Vertretungskompetenz nicht mehr besteht. Die §§240 und 241 Z P O unterscheiden sich maßgeblich auch in der Behandlung von Anwaltsprozessen und in der Aufnahme unterbrochener Prozesse: Die Unterbrechung durch Fortfall des gesetzlichen Vertreters tritt, anders als die Unterbrechung durch Konkurseröffnung, nicht ein, wenn die Prozeßpartei anwaltlich vertreten ist (§ 246 ZPO); und wenn sie eintritt, steht beiden Seiten das Recht zur Fortsetzung zu. Hierfür braucht nur der neue gesetzliche Vertreter seine Bestellung mitzuteilen oder der Prozeßgegner seine Absicht, den Prozeß fortzusetzen, anzuzeigen. Es handelt sich also - anders als bei §§ 239, 240 ZPO - um eine beiderseits auf einfachste Weise behebbare Unterbrechung des Rechtsstreits, deren Rechtfertigung allein in der Diskontinuität der Vertretungsverhältnisse liegt. III. Gründungsstadium, Abwicklung und Konkurs als Extremfälle von Kontinuität und Diskontinuität 1. Die spezifische
Problemlage
In der Anlage am einfachsten, damit aber auch besonders geeignet für die spezifisch organisationsrechtliche Betrachtung unseres prozessualen Problems, sind diejenigen Fälle, in denen eine Gesellschaft, ohne daß ihre Identität oder Rechtsform berührt würde, ihren organisationsrechtlichen Status verändert. Gemeint sind die Fälle der Eintragung einer als Gründungsorganisation bereits existenten Kapitalgesellschaft (§§41 AktG, 11 GmbHG), die Fälle der Auflösung (§§131 H G B , 262 AktG, 60 GmbHG) ohne Vollbeendigung und die Fälle der Konkurseröffnung bzw. Konkursbeendigung unter Fortbestand der Gesellschaft. Überall hier braucht nach heutigem Stand über den Fortbestand der Gesellschaft als Rechtssubjekt ebensowenig wie über den Fortbestand des Gesellschaftsvermögens diskutiert zu werden, und doch ergeben sich sub specie Kontinuität die krassesten Unterschiede. 2. Verwandlung
einer Vorgesellschaft in die fertige durch Registereintragung
Kapitalgesellschaft
a) Von der zwar errichteten, aber noch nicht eingetragenen Aktiengesellschaft oder GmbH sagt unser Gesetz, die Kapitalgesellschaft be27 So aber unrichtig Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Z P O , 53. Aufl. 1995, § 2 4 1 Rdn. 3. 28 Vgl. Wieczorek, Z P O , 2. Aufl. 1976, § 241 Anm. Β III b.
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Karsten Schmidt
stehe „als solche" noch nicht (§§ 41 A k t G , 11 G m b H G ) . Bekanntlich ist aber die Auffassung, die werdende juristische Person sei als Rechtssubjekt noch ein nullum 29 , seit Jahrzehnten überholt 30 . Die sog. Vorgesellschaft kann bereits Inhaberin eingebrachten Vermögens sein, kann schon das Gesellschaftsunternehmen betreiben und kann bereits klagen oder verklagt werden 31 , womit sich die Frage stellt, welchen Einfluß die Handelsregistereintragung auf laufende Prozesse hat. Ihre Identität oder Nicht-Identität mit der eingetragenen Kapitalgesellschaft ist bis heute umstritten 32 , und es wird immer noch von einem „Ubergang" der in die Vorgesellschaft eingebrachten Aktiva sowie ihrer Passiva auf die fertige juristische Person gesprochen 33 . Andere - darunter der Verfasser - sprechen von einer identitätswahrenden Verwandlung der Vorgesellschaft in eine fertige Kapitalgesellschaft 34 , womit die früher umstrittene sog. Identitätstheorie 35 im nachhinein ihre Rechtfertigung erfährt. Hatte die Identitätstheorie anfangs dazu dienen sollen, unbekannte Ergebnisse dazu hätte auch die Prozeßfortführung gehört - aus der bloßen Doktrin abzuleiten 36 , so ist die methodologische Entwicklung anders verlaufen: Zuerst mußte die Kontinuität von Vermögen und Organisation nachgewiesen werden, und nachdem dies gelungen war - einen entscheidenden Schritt brachte das Urteil B G H Z 80, 129 - , konnte endlich gesagt werden 37 : Jetzt brauchen sich Praxis und Literatur nicht mehr mit der Vorstellung zu behelfen, daß die Vorgesellschaft unter Ubergang ihres Vermögens auf die neu entstehende Kapitalgesellschaft endet. Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft sind ein und dasselbe Rechtssubjekt. b) Ist nun, wie man einer Reichsgerichtsentscheidung entnehmen könnte 38 , solche Identität zwingend mit ununterbrochener Prozeß29 So noch Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 200 Anm. I a: „Es ist so, daß erst mit der Eintragung ... die Aktiengesellschaft da ist, nicht einen Augenblick früher, jetzt aber fertig und gerüstet, wie Athene aus Jupiters Haupt." 30 Vgl. Rittner, Die werdende juristische Person, 1973, S. 338 ff; Karsten Schmidt, Zur Stellung der o H G im System der Handelsgesellschaften, 1973, S. 277 ff. 31 BAG, NJW 1963, 680; O L G Hamburg, BB 1973, 2505; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1992, § 11 Rdn. 50. 32 Zusammenfassend Götz Hueck, FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 147 ff. 33 Vgl. nur B G H Z 80, 129,137; Hachenburg/Ulmer (Fn. 31), § 11 Rdn. 74. 34 Vgl. nur Rowedder/Rittner, GmbHG, 2. Aufl. 1990, § 11 Rdn. 126; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 8. Aufl. 1993, § 11 Rdn. 25, 38. 35 Vgl. namentlich Feine, in: Ehrenbergs Hdb. III/3, 1929, S. 201 ff; Dregger, Haftungsverhältnisse bei der Vorgesellschaft, 1951, S. 50 ff, 63 ff; Dilcher, JuS 1966, 92 ff. 36 Dazu krit. Büttner, Identität und Kontinuität bei der Gründung juristischer Personen, 1967, S. 17 f, 130, 140; Rittner (Fn. 30), S. 105; Karsten Schmidt, o H G (Fn. 30), S. 261 ff. 37 Karsten Schmidt, N J W 1981,1345,1346; ders., Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 11 IV 2 c. 3» R G Z 85, 256, 259; ähnlich (gleichfalls für einen Verein) O L G Jena, J W 1937, 1659.
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
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fortsetzung verbunden, und müßte die Lehre vom Rechtsübergang auf die eingetragene Kapitalgesellschaft zu einer Unterbrechung analog § 239 ZPO führen? Nach dem unter II 5 Gesagten liegt das Problem nicht bei § 239, sondern bei § 241 ZPO, und heute fällt auf, daß Gegner wie Vertreter der Identitätsthese der Prozeßfortführung ohne Unterbrechung das Wort reden39. Der sachliche Grund ist der: Die zwischen Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft obwaltende Kontinuität ist nicht nur eine solche des Subjekts und des Vermögens, sondern auch eine solche der Organisation40. Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft werden durch das nämliche Organ vertreten: durch einen Vorstand bzw. Geschäftsführer, dessen Funktionen und Kompetenzen jedenfalls im Außenverhältnis deckungsgleich und damit im Sinne der Identitätstheorie gleichfalls „identisch" bleiben4'. Müßte die organschaftliche Vertretungsmacht der Geschäftsführer vor der Eintragung als auf den Gründungszweck beschränkt angesehen werden42, so wäre zwar an dieser Organisationskontinuität zu zweifeln, aber dieser Standpunkt paßt, wie mehrfach ausgeführt wurde43, in das moderne Rechtsbild von Vorgesellschaft und Kapitalgesellschaft ebensowenig hinein wie in die Rechtswirklichkeit der Gründungspraxis. Im Ergebnis ist also die herrschende Meinung im Recht: Es tritt keine Unterbrechung ein. 3. Eintritt ins Auflösungsstadium
und Fortsetzung der
Gesellschaft
a) Wird eine Handelsgesellschaft aufgelöst, so laufen die für und gegen sie geführten Prozesse gleichfalls ununterbrochen weiter, sofern es nicht an Liquidatoren fehlt44. Herkömmlich wird dies mit der Identität der Prozeßpartei begründet45, und es wird in der Tat nicht mehr ernsthaft darüber gestritten, daß eine aufgelöste Handelsgesellschaft als Trägerin von Rechten und Pflichten und damit auch als Prozeßrechtssubjekt identitätswahrend fortbesteht. Der überwiegend in Betracht gezogene Unterbrechungstatbestand des § 239 ZPO wird deshalb mit Recht als 39 Vgl. (als Gegner der Identität) Hachenburg/Ulmer (Fn. 31), § 1 1 Rdn. 74; (als Befürworter der Identität) Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 34), § 11 Rdn. 137. 40 Karsten Schmidt, G m b H R 1987, 77, 82. 41 W i e hier auch Raiser, Recht der Kapitalgesellschaften, 2. Aufl. 1992, § 2 6 113; Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 34), § 11 Rdn. 48 ff. 42 So noch B G H Z 80, 129, 139; 80, 182, 183. 43 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 34 III 3 b bb; ders., G m b H R 1987, 84; Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 34), § 11 Rdn. 64. 44 Vgl. für die A G Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, A k t G , 11. Lieferg. 1986, § 264 Rdn. 51; für die G m b H Scholz/Karsten Schmidt, 7. Aufl. 1988, § 69 Rdn. 6 m. w. N.; für die Handels-Personengesellschaft Baumhach/Duden/Hopt, H G B , 28. Aufl. 1989, § 124 Anm. 5 E; Schlegelherger/Karsten Schmidt, H G B , 5. Aufl. 1992, § 156 Rdn. 20. 45
So Hüffer,
in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 44), § 264 Rdn. 51.
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Karsten Schmidt
nicht einschlägig betrachtet 46 . Blickt man indes über die Elemente „Rechtssubjekt" und „Vermögen" hinweg auf das Element der Organisation, so erweist sich die Frage der Unterbrechung als eine solche des § 241 Z P O : Es geht um die Kontinuität der Gesellschaftsverfassung. Unter der Auflösung einer Gesellschaft stellte sich die früher herrschende Meinung einen den Zweck des Verbandes ändernden, prinzipiell sogar irreversiblen Einschnitt vor, weshalb für einzelne Fälle die Fortführungsmöglichkeit in das Gesetz geschrieben wurde (§§ 144 Abs. 1 H G B , 60 Abs. 1 Nr. 4 G m b H G , 274 AktG) 4 7 . Heute besteht Grund, die zweckändernde Wirkung der Gesellschaftsauflösung zu bestreiten 48 , und die grundsätzliche Fortsetzungsfähigkeit einer aufgelösten Gesellschaft wird nahezu allgemein akzeptiert 49 . Diese neue Sicht der Dinge gibt Anlaß, auf die früher kaum bemerkte Kontinuität der Verfassung hinzuweisen 50 : Der Liquidator einer Handelsgesellschaft ist nichts anderes als ein Liquidationsvorstand, Liquidationsgeschäftsführer oder vertretungsberechtigter Gesellschafter im Liquidationsstadium. D e m wird das Gesetz gerecht, indem es den Vorstand bzw. die Geschäftsführer zu Liquidatoren bestimmt (§§ 265 Abs. 1 A k t G , 66 Abs. 1 G m b H G ) und auch im Recht der Personengesellschaften an einer modifizierten Selbstorganschaft festhält (§ 146 HGB) 5 1 . Es ist diese Kontinuität der Organisation - nicht schon die Identität des Rechtsträgers - , die eine Unterbrechung des Rechtsstreits im Auflösungsfall entbehrlich macht. b) Vice versa führt auch die Fortführung einer aufgelösten Gesellschaft sie kann durch Beseitigung des Auflösungsgrundes und Fassung eines Fortführungsbeschlusses bewerkstelligt werden 52 - nicht zur Unterbrechung des Rechtsstreits 53 . Wiederum kann nicht von einer Gesamtrechtsnachfolge gesprochen werden, und eine die direkte oder analoge Anwendung des § 241 Z P O rechtfertigende Diskontinuität in der gesetzlichen Vertretung besteht jedenfalls dann nicht, wenn - wovon hier ausgegangen wird - der Vorstand oder Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft als Liquidator agierte (§§ 265 A k t G , 66 G m b H G ) . Eine Berichtigung des Rubrums genügt: Der Zusatz „in Liquidation" wird Feiber, in: MünchKomm. ZPO (Fn. 7), § 239 Rdn. 18. Uberblick über die älteren Liquidationstheorien bei Wimpflieimer, Die Gesellschaften des Handelsrechts und des Bürgerlichen Rechts im Stadium der Liquidation, 1908, S. 81 ff. 48 So gegen die noch h. M. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 11 V 4 c. 49 Vgl. ebd., § 11 V 5. 50 Ebd., § 11 V 4 d. 51 Dazu Karsten Schmidt, ZHR 153 (1989), 288 f; die noch h. M. sieht in § 146 HGB einen Fall der Fremdorganschaft bei der Personengesellschaft. 52 Vgl. Fn. 49. " Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl. 1993, § 239 Rdn. 6. 46
47
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
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bei der Firma der Prozeßpartei gestrichen, und die Abwickler oder Liquidatoren dürfen wieder als Vorstand oder Geschäftsführer bezeichnet werden. c) Wie sehr es auf die Kontinuität der Vertretung und Verfassung, nicht auf die Kontinuität des Rechtssubjekts, ankommt, erkennt man am Fall der Löschung einer Kapitalgesellschaft wegen Vermögenslosigkeit nach § 2 LöschG. Dieser Fall, vom Gesetzgeber der Insolvenzrechtsreform als ein Auflösungstatbestand begriffen (§§ 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG, 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG i. d. F. des EGInsO), der aber kein Liquidationsverfahren nach sich zieht (§§ 263 Satz 4 AktG, 66 Abs. 5 GmbHG i. d. F. des EGInsO), führt bei wirklicher Vermögenslosigkeit zur Vollbeendigung der Gesellschaft, bei nur vermeintlicher Vermögenslosigkeit dagegen zur Nachtragsliquidation (§ 2 Abs. 3 LöschG). Diese Nachtragsliquidation ist nichts als die Konsequenz daraus, daß die Gesellschaft nur scheinbar erloschen, in Wahrheit jedoch lediglich aufgelöst und deshalb abwicklungsbedürftig ist54. Mit ihrer Identität als Rechtssubjekt geht indes eine Diskontinuität ihrer Verwaltung und Vertretung einher55, und dies führt zur Anwendung des § 241 ZPO 56 : Die nur scheinbar erloschene Kapitalgesellschaft war zwischenzeitlich ohne gesetzlichen Vertreter, und deshalb bedarf es für die Fortsetzung des Prozesses der Anzeige nach § 241 ZPO. 4. Konkurseröffnung
und
Konkursbeendigung
a) Vergleichen wir hiermit die Fälle der Konkurseröffnung und der Einstellung des Konkursverfahrens, so fällt zunächst auf, daß die Unterbrechung des Rechtsstreits hier mit ebensolcher Selbstverständlichkeit bejaht wird, wie man sie hinsichtlich der Auflösung einer Gesellschaft verneint. In Anbetracht der klaren Regel des § 240 ZPO wären hierüber keine Worte zu verlieren, wäre nicht auch die Konkurseröffnung ein Auflösungstatbestand (§§ 131 Nr. 3 H G B , 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG, 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Nun liegt für die herrschende Auffassung ein Hinweis auf die Amtstheorie nahe, die ja die Konkurseröffnung hinsichtlich der Masseprozesse als einen Parteiwechsel und diesen Parteiwechsel als Grund für die Unterbrechung erscheinen läßt57. Indes: Das Konzept der §§ 240 ZPO, 10 ff K O ist älter als die
Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 44), Anh. § 60 Rdn. 18. Vgl. BGH, ZIP 1985, 676, 678; Scholz/Karsten Schmidt (Fn. 44), Anh. § 60 Rdn. 20. 56 BFH, NJW 1986, 2594; Stein/Jonas/Roth (Fn. 53), § 239 Rdn. 6; Bork, JZ 1991, 846; zur Frage des § 246 ZPO vgl. Weber-Grellet, NJW 1986, 2559 f. 57 Dazu Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl. 1977 ff, § 6 Rdn. 108. 54 55
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Karsten Schmidt
Amtstheorie 58 , und mag nun die Amtstheorie richtig59 oder - wie der Verfasser meint60 - verfehlt sein, sie ersetzt ganz bestimmt nicht die funktionale Analyse einer praxisgerechten Parteilehre. Hält man sich daran, so stellt sich heraus: Der Konkurs über das Vermögen einer natürlichen Person, von dem der Gesetzgeber bei der Schaffung der §§240 ZPO, 10 ff K O ausging, ist schon deshalb ein Unterbrechungsfall, weil es gilt, die Prozeßführung für die Masse und die höchstpersönlichen Prozesse - die KO-Materialien nennen u. a. Statusklagen, Ehestreitigkeiten und Streitigkeiten um unvertretbare Handlungen 61 - in ganz unterschiedliche Bahnen zu lenken. Auf den Gesellschaftskonkurs paßt das nicht62, aber hier entscheidet der Gesichtspunkt der organisatorischen Diskontinuität: Nach § 6 K O ist die insolvente Gesellschaft mit der Konkurseröffnung außerstande, den Rechtsstreit mittels ihrer Leitungsorgane (Vorstand, Geschäftsführer) fortzuführen, und da auch eine von der Gemeinschuldnerin erteilte Prozeßvollmacht die Konkurseröffnung nicht überdauert 63 , muß die gesetzgeberische Entscheidung - Unterbrechung nach § 240 Z P O auch im Anwaltsprozeß - auch im Lichte der §§241, 246 Z P O überzeugen. Nicht, wie beim natürlichen Gemeinschuldner, die Trennung von Masseprozessen und Privatprozessen, sondern die Diskontinuität des Managements, also der organisationsrechtliche Einschnitt, rechtfertigt die gesetzliche Unterbrechung des Rechtsstreits. § 240 Z P O paßt auch auf den Gesellschaftskonkurs. h) Erst hiernach wird auch verständlich, warum der Fall der Konkursbeendigung - von Henckel ausführlicher analysiert64 - anders behandelt wird. In B G H Z 83, 102, 105 heißt es zwar für Prozesse über massezugehörige Rechte, hier sei „nach einer verbreiteten Auffassung ... § 239 Z P O ... anwendbar, wenn - wie regelmäßig bei Konkursbeendigung - der Konkursverwalter die ihm kraft Amtes zustehende Prozeßführungsbefugnis verliert und der frühere Gemeinschuldner ... die bisherige Prozeßführung gegen sich gelten lassen muß" 65 . O b dieser 58
Zu deren Durchbruch im Jahr 1892 vgl. R G Z 29, 29 und dazu die Glosse des Verf. in JZ 1992, 298 f. 59 So B G H Z 32, 114, 118; 49, 11, 16; 88, 331, 334; Stein/Jonas/Bork (Fn. 7), vor § 50 Rdn. 31 ff m. w. N . 60 Vgl. Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1989, S. 107 ff; ders., KTS 1984, 345 ff und öfter; tendenziell zustimmend Rosenberg/Schwab/Gottwald (Fn. 8), § 40 II 1 d; Lindacher, in: MünchKomm. Z P O (Fn. 7), vor § 50 Rdn. 36. 61 Hahn, Materialien zur Konkursordnung, 1881, S. 65. 62 Karsten Schmidt, KTS 1994, 309 ff. " R G Z 118, 159, 162; B G H , N J W 1964, 47; N J W - R R 1989, 183; Jaeger/Henckel (Fn. 57), § 23 Rdn. 50. " Jaeger/Henckel (Fn. 57), § 23 Rdn. 109 ff; vgl. auch Karsten Schmidt, KTS 1984, 396 f. 65 So in der Tat LG Aachen, M D R 1964, 330; Kubn/Ublenbruck, K O , 11. Aufl. 1994, § 6 Rdn. 26 mit Angaben zur entgegenstehenden RG-Rechtsprechung.
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
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Gedanke einer Rechtsnachfolge auf den Konkurs einer natürlichen Person paßt, mag hier dahingestellt bleiben. Die Amtstheorie muß die Fortsetzung des Prozesses durch den Gemeinschuldner als Parteiwechsel einordnen66, doch kommt es auf diese angreifbare Doktrin, wie gerade Henckel hervorhebt67, nicht an. Die hier entwickelte Auffassung spricht im Fall einer Handelsgesellschaft für eine Anwendung der §§ 241, 246 ZPO68: Der Prozeß wird unterbrochen, jedoch nicht, wenn eine anwaltliche Vertretung stattfand, denn in diesem Fall wirkt die Prozeßvollmacht fort (§ 86 ZPO). Prozeßpartei war und bleibt die Handelsgesellschaft, doch besteht eine Diskontinuität der vom Konkursverwalter an die Gesellschaftsorgane zurückgefallenen Vertretungskomp etenz^. Mit vollem Recht wird in RGZ 73, 312 die Auffassung vertreten, daß ein gegen den Konkursverwalter einer GmbH geführter Anwaltsprozeß nach der Aufhebung des Konkurses fortgesetzt werde und daß Zustellungen an den Anwalt der GmbH auch dann ausreichend seien, wenn dieser vom Konkursverwalter und nicht von „der damaligen wirklichen (!) Partei", eben der GmbH, bevollmächtigt sei. Dem ist nichts hinzuzufügen. IV. Umwandlung von Handelsgesellschaften 1.
Problemlage
Im Gegensatz zum weiten Umwandlungsbegriff des neuen Umwandlungsgesetzes70 wird hier als Umwandlung nur der Fall bezeichnet, daß das Unternehmen einer Handelsgesellschaft in toto einer anderen Rechtsform unterstellt wird. Bekanntlich bediente sich das bisherige Recht hierfür zweier unterschiedlicher Rechtstechniken: des identitätswahrenden Formwechsels (§§ 362 ff AktG) und der Gesamtrechtsnachfolge (sog. übertragende Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz 1 9 6 9 ) . Die Reform des Umwandlungsgesetzes führt nun zwar zur Beseitigung der übertragenden Umwandlung und zur Verallgemeinerung des Formwechsels ( § § 1 9 0 ff UmwG 1 9 9 4 ) . Selbst wenn aber hiernach die Tage der übertragenden Umwandlung gezählt scheinen, bleibt doch der Stand des bei Manuskriptabschluß geltenden Rechts interes" Kuhn/Uhlenbruck (Fn. 65), § 6 Rdn. 26. 67 Jaeger/Henckel (Fn. 57), § 6 Rdn. 111. " Zurückhaltender noch HilgertKarsten Schmidt, K O , 16. Aufl. 1993, § 6 Anm. 7 g, wo § 241 Z P O als die sachnächste N o r m bezeichnet wurde, die aber eine Unterbrechung nur vorsieht, wenn das Amt des gesetzlichen Vertreters, nicht, wenn die gesetzliche Vertretung selbst endet. Verf. hat dort die Konsequenz der eigenen Auffassung ( K o n kursverwalter als Gesellschaftsorgan) für diese Frage noch nicht hinlänglich bedacht. " Vgl. Kilger/Karsten Schmidt (Fn. 68), § 6 Anm. 7 f, g. 7= Vgl. Fn. 14.
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Karsten Schmidt
sant: zum einen, weil sich die Rechtsfigur der Gesamtrechtsnachfolge bei der Verschmelzung, Ausgliederung und Spaltung fortsetzt (dazu unter V und VI), zum anderen aber auch, weil die Verwendung unterschiedlicher Rechtskonstruktionen (Formwechsel und Gesamtrechtsnachfolge) für einen und denselben Umstrukturierungszweck ein Test für die Tragfähigkeit begrifflicher oder funktioneller Gesichtspunkte bei der Behandlung laufender Prozesse ist. 2.
Formwechsel
a) Das Prinzip der formwechselnden Umwandlung läßt sich am besten aus dem Formwechsel zwischen Aktiengesellschaft und G m b H ablesen: Die Umwandlung einer A G in eine G m b H oder umgekehrt erfolgt durch qualifizierten Beschluß (bisher §§ 369, 376 AktG). Dieser ist ebenso wie die Zusammensetzung der neuen Geschäftsführung bzw. des neuen Vorstands zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (bisher §§ 371, 379 AktG). Die Eintragung der Umwandlung bewirkt, daß die bisherige Aktiengesellschaft als G m b H bzw. die bisherige G m b H als Aktiengesellschaft fortbesteht (bisher §§ 372, 381 AktG). Rechte, Pflichten und Rechtsverhältnisse der sich in neuem Rechtskleid fortsetzenden Gesellschaft bestehen unverändert fort (vgl. nunmehr § 202 U m w G 1994). Neben diesem gewillkürten ist noch der gesetzlich zwingende Formwechsel zwischen o H G und K G zu beachten 71 , der nicht im gesetzlichen Umwandlungsrecht zu finden ist, aber doch zum Gegenstand kautelarjuristischer Strategien gemacht werden kann 72 : Eine o H G wird automatisch zur Kommanditgesellschaft, wenn ein Teil der Gesellschafter in die Kommanditistenrolle zurücktritt oder wenn alle Gesellschafter Kommanditisten werden und ζ. B. eine G m b H - K o m plementärin hinzugewinnen 73 . Eine K G wird automatisch zur offenen Handelsgesellschaft, wenn nur noch Komplementäre vorhanden sind oder wenn die Gesellschaft nach Fortfall des einzigen Komplementärs fortgeführt wird 74 . b) Die Rechtsfolgen, die dieser Vorgang unter dem Gesichtspunkt der Unterbrechung und Fortsetzung von Zivilprozessen hat, werden wenig diskutiert. Fest steht, daß § 239 Z P O auf einen Fall dieser Art weder
71 Der gleichfalls automatische Formwechsel zwischen Handelspersonengesellschaft ( o H G und K G ) und Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist ein eigenes Thema und wirft schwierige Fragen der Parteifähigkeit auf. 72 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 44 II 4 c. 73 Vgl. ebd., § 44 II 3. 7" Dazu B G H , N J W 1979, 1705, 1706; Schlegelberger/Karsten Schmidt (Fn. 44), § 131 Rdn. 43.
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unmittelbar noch analog anzuwenden ist75, weil kein Erlöschen der alten Gesellschaft und keine Gesamtrechtsnachfolge eintritt und auch die für § 239 ZPO charakteristischen auf Ungewißheiten beruhenden Schutzbedürfnisse nicht vorhanden sind. Das gilt für den zwingenden Formwechsel unter Personengesellschaften ebenso wie für die formwechselnde Umwandlung von Kapitalgesellschaften (bisher §§ 362 ff AktG) 76 , denn die Personengesellschaften des Handelsrechts genießen, gleich ob als o H G oder KG, volle Parteifähigkeit77, und diese bleibt ihnen über den Formwechsel hinaus erhalten. Der Nichtanwendung des § 239 ZPO ist eindeutig zuzustimmen. Nachzudenken ist dagegen über eine analoge Anwendung des § 241 ZPO. Der Gedanke einer Prozeßunterbrechung bei gestörter Vertretungskontinuität paßt bei Handelsgesellschaften nicht auf den bloßen Personalwechsel im Leitungsorgan78, wohl aber auf die Ablösung des Leitungsorgans selbst79. Um einen entsprechenden Vorgang handelt es sich in Fällen der formwechselnden Umwandlung80. Denn im Unterschied zu den unter III geschilderten Gründungs- und Auflösungsfällen besteht Diskontinuität der Vertretungsorgane: Mögen dieselben Personen das Management der Gesellschaft bilden, es handelt sich doch um die Beendigung des einen und die Inauguration eines neuen Vertretungsorgans, dessen Vertretungsmacht einer neuen Legitimation bedarf. Konnte ζ. B. der Geschäftsführer der bisherigen GmbH durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluß bestimmt werden (§§ 6 Abs. 3 Satz 2, 46 Nr. 5 GmbHG), so werden die Vorstandsmitglieder nunmehr durch den Aufsichtsrat gewählt (§ 84 AktG). Von einer Kontinuität des Vertretungsorgans kann also keine Rede mehr sein, und noch deutlicher wird dies, wenn nach neuem Umwandlungsrecht sogar der Formwechsel einer durch die Gesellschafter vertretenen Handelspersonengesellschaft (oHG oder KG) in eine durch den Vor75 Stein/Jonas/Roth (Fn. 53), § 2 3 9 Rdn. 6; das dort angeführte Urteil R G Z 55, 126 (identitätswahrender Wechsel von der K G in die o H G ) äußert sich nicht zu § 239 Z P O . 76 Vgl. für Personengesellschaften R G Z 55, 126; Schlegelberger/Karsten Schmidt (Fn. 44), § 105 Rdn. 87. 77 B G H Z 62, 131, 133; 64, 155, 156; Schlegelberger/Karsten Schmidt (Fn. 44), § 1 2 4 Rdn. 4, 26; a. M. Henckel, Parteilehre (Fn. 9), S. 116 f, 181; Henckel weist mit Recht darauf hin, daß der Gesetzeswortlaut nur die Parteibezeichnung und nicht die Parteifähigkeit benennt; der Gesetzgeber hat sich bei § 124 H G B wohlweislich an den Grundsatz „lex moneat, non doceat" gehalten, sich also nicht zu der rechtstechnischen Zuspitzung etwa des französischen Rechts („personnalité morale") verstiegen; er hat aber die Voraussetzungen einer durchgehenden Parteifähigkeit der o H G und K G geschaffen. 78 Vgl. Fn. 27; a. M. Baumbach/Lauterbach/Hartmann (Fn. 27), § 241 Rdn. 3. 7 ' Vgl. Feiber, in: MünchKomm. Z P O (Fn. 7), § 241 Rdn. 9. Α. M. der Formulierung nach Stein/Jonas/Roth (Fn. 53), § 241 Rdn. 8, wo aber mit dem bloßen „Wechsel der äußeren Form" bei gleichzeitiger Identität wohl vor allem der Auflösungsfall gemeint ist.
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Karsten Schmidt
stand vertretene Aktiengesellschaft oder Genossenschaft durchgeführt wird (§§214 ff UmwG 1994). Gewiß mag man einwenden, daß eine durch Manipulation der Gesellschafter umstrukturierte Handelsgesellschaft die mit der Unterbrechung verbundene prozessuale Atempause nicht verdient81, doch ist zu bedenken, daß nur Nicht-Anwaltsprozesse unterbrochen werden (§ 246 ZPO) und daß diese im Fall des § 241 ZPO von beiden Seiten durch bloße Anzeige aufgenommen werden können. Diese Folgen scheinen sachgerecht. 3. Übertragende
Umwandlung
nach bisherigem
Recht
a) Auf Fälle der übertragenden Umwandlung nach bisherigem Umwandlungsrecht wendet dagegen die herrschende Meinung § 239 ZPO analog an82. Das Konzept der übertragenden Umwandlung von Handelsgesellschaft zu Handelsgesellschaft läßt sich exemplarisch am Fall der Umwandlung einer Handels-Personengesellschaft in eine AG oder GmbH verdeutlichen (§§ 40 ff, 46 ff UmwG 1969). Auch hier wird ein Umwandlungsbeschluß gefaßt, wird ein Vorstand bzw. Geschäftsführer bestellt und wird die Umwandlung mit der Eintragung wirksam: Mit der Eintragung geht das Vermögen einschließlich der Verbindlichkeiten auf die neu entstehende AG oder GmbH über, und die Personengesellschaft erlischt (§§ 44, 49 UmwG 1969). Es versteht sich, daß mit den Aktiven und Passiven auch ganze Rechtsverhältnisse83 und Prozeßrechtsverhältnisse84 auf die Zielgesellschaft übergehen können, und die Ähnlichkeit mit dem Erbfall scheint bei einer auf Subjekt und Vermögen fixierten Betrachtung bemerkenswert, denn auch hier geht mit dem Ende des bisherigen Rechtsträgers eine Gesamtrechtsnachfolge einher85. Blickt man indes über die vom Gesetzgeber gewählte Rechtstechnik hinaus auf deren Sinn und Zweck, so zeigt sich: Die das bisherige Umwandlungsrecht weithin beherrschende übertragende Umwandlung hat keine andere Funktion als der Formwechsel86 und beruht einzig darauf, daß der Gesetzgeber von 1965 und 1969 noch rechtsdogmatische 81 In dieser Richtung (freilich zu § 239 ZPO!) Feiber, in: MünchKomm. ZPO (Fn. 7), § 239 Rdn. 17. 82 Β FH, NJW 1988, 2760; BStBl. II, 1989, 326; LG Aachen, Rpfleger 1982, 72; Dehmer, Umwandlungsrecht, 1994, § 5 U m w G Anm. 6 g; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, 24. Lfg. 1994, § 5 UmwG Rdn. 182; Baumbach/Lauterbach/Hartmann (Fn. 27), § 2 3 9 Rdn. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl. 1993, § 239 Rdn. 3; Zöller/Greger, ZPO, 19. Aufl. 1995, § 2 3 9 Rdn. 3. 83 Hierüber entsteht in Hamburg eine Dissertation. 84 So wohl auch Widmann/Mayer (Fn. 82), § 5 UmwG Rdn. 182. 85 Vgl. nur Dehmer (Fn. 82), § 5 UmwG Anm. 6 a; Widmann/Mayer (Fn. 82), 20. Lfg. 1992, § 5 UmwG Rdn. 162. 86 Karsten Schmidt, AcP 191 (1991), 505 ff.
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Skrupel hatte, einen Formwechsel zwischen Gesamthandsgesellschaften und juristischen Personen anzuerkennen87. Die übertragende Umwandlung nach dem UmwG 1969 wurde an anderer Stelle als ein „Provisorium mit Folgen" bezeichnet88, und das zeigt sich auch hier: Die rechtsdogmatische Befangenheit des Gesetzgebers, die begriffsjuristische Vorstellung, eine Gesamthandsgesellschaft könne nicht als juristische Person fortbestehen, hat bewirkt, daß zwei rechtspraktisch analoge Vorgänge - die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft und die Umwandlung einer Personengesellschaft in eine neue Kapitalgesellschaft einer prozessual kraß unterschiedlichen Behandlung unterworfen wurden, indem der eine Vorgang zur ununterbrochenen Fortsetzung des Prozesses, der andere zu dem Unterbrechungstatbestand des § 239 ZPO führt. Die Ablösung der übertragenden Umwandlung durch den Formwechsel unterstreicht die Funktionswidrigkeit dieses Ansatzes. b) Gegen eine analoge Anwendung des § 239 ZPO auf den Fall der übertragenden Umwandlung hat sich namentlich Feiber gewandt89: Schon im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des § 239 ZPO müsse die Sinnhaftigkeit einer solchen Analogie sorgsam geprüft werden. Die Plötzlichkeit des Todes als eines naturgegebenen Ereignisses90 finde in planvollen Umwandlungs- und Verschmelzungsvorgängen keine Entsprechung, und auch eine Überlegungsfrist wie bei § 1944 B G B müsse hier nicht gesichert werden. Schließlich habe die sich umwandelnde Gesellschaft auch nicht die mit einer Prozeßunterbrechung verbundenen Vorteile verdient. Deshalb lehnt Feiber den Ansatz der herrschenden Meinung ab und plädiert für die Annahme eines gesetzlichen Parteiwechsels, der zum ununterbrochenen Fortgang des Rechtsstreits führe. c) Feibers Kritik an der herrschenden Meinung ist zuzustimmen. Die übertragende Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz 1969 kann sinnvollerweise nicht anders behandelt werden als ein Formwechsel, als der sie nun auch im UmwG 1994 wiederzufinden ist. Die Frage ist nur, was dies bedeutet. Wer im Fall des Formwechsels eine Prozeßfortsetzung ohne Unterbrechung annimmt, wird bei der übertragenden Umwandlung im gleichen Sinne entscheiden müssen. Hier wird demgegenüber die analoge Anwendung des § 241 ZPO vorgeschlagen: für die 87 Begr. U m w G 1969, B T - D r u c k s . V/3165, S. 8 f: „Aus rechtssystematischen Gründen dürfte die formwechselnde Umwandlung nur in Betracht kommen, wenn das Unternehmen selbst Eigentümer des Vermögens ist, dieses somit im Eigentum des Unternehmens bleibt."
Vgl. Fn. 86. Feiber, in: MünchKomm. Z P O (Fn. 7), § 239 Rdn. 17. 90 Feiber erinnert an Schillers Zeilen: „Rasch tritt der T o d den Menschen an, es ist ihm keine Frist gegeben." 88 89
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übertragende ebenso wie für die formwechselnde Umwandlung. Denn verbindet sich bisher mit der Umwandlung einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft noch der Totalübergang des Vermögens auf eine aus dem Nichts entstehende neue Gesellschaft, so geht es der Sache nach doch nur um Kontinuität der Vermögensbeziehungen und Rechtsverhältnisse bei Diskontinuität der Organisation (oben, IV 2 b). V. Die Verschmelzung als Standardbeispiel der Universalsukzession im Gesellschaftsrecht 1.
Grundlagen
Sinn hat und Sinn behält dagegen das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge in Fällen der Verschmelzung. Kontinuität der Rechtsverhältnisse bei Diskontinuität der Organisation läßt sich hier nicht durch eine einfache Identitätskonstruktion bewerkstelligen, vielmehr geht es darum, daß Rechte, Rechtsverhältnisse und Prozesse mehrerer Rechtsträger in einem vereint werden. Das kann, wenn die Mühsal der Einzelübertragung vermieden werden soll, nur mit der Technik Gesamtrechtsnachfolge gelingen. Das Verschmelzungsrecht unterscheidet die Verschmelzung durch Aufnahme und die Verschmelzung durch Neubildung (§ 339 AktG a. F., § 2 U m w G 1994). Beiden gemeinsam ist das Erlöschen der übertragenden Gesellschaften und der Ubergang ihres Vermögens auf die Zielgesellschaft - im Fall der Verschmelzung durch Aufnahme ist dies eine bereits bestehende im Fall der Verschmelzung durch Neubildung eine neu entstehende Gesellschaft - , also eine Gesamtrechtsnachfolge (§§ 346, 353 AktG a. F., § 20 U m w G 1994) 91 . 2. Die Auswirkung
auf
Prozesse
a) Bei der Verschmelzung durch Aufnahme ist zunächst zwischen Prozessen der übernehmenden Gesellschaft und Prozessen der übertragenden Gesellschaft zu unterscheiden. Ist die übernehmende Gesellschaft Prozeßpartei, so ändert der Verschmelzungsvorgang am Prozeßrechtsverhältnis nichts92. Auf Prozesse einer übertragenden Gesellschaft - und damit jeder Gesellschaft im Fall der Verschmelzung durch Neubildung wendet die herrschende Meinung § 239 Z P O analog an93. Wiederum 91 Vgl. statt vieler Kraft, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 2. Aufl. 1988 ff, § 339 Rdn. 47. 92 Vgl. sinngemäß zum Vertragsrechtsverhältnis Lutter/Hommelhoff, G m b H G , 13. Aufl. 1991, Anh. Verschmelzung § 25 KapErhG Rdn. 9. " R G Z 56, 332; 81, 154; RG, J W 1932, 175, 176 m. Anm. Dispeker; Β FH, BStBl. II 1988, 681; Hachenburg/Schilling, G m b H G , 7. Aufl. 1984, Anh. § 77, § 5 U m w G Rdn. 5; Dehmer (Fn. 82), § 25 KapErhG Anm. 8; Zöller/Greger (Fn. 82), § 239 Rdn. 3.
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drängt sich die Parallele zum Erbfall auf den ersten Blick geradezu auf: Mit der Eintragung der Verschmelzung erlöschen die übertragenden Gesellschaften, und die Aktiven, Passiven und (Prozeß-) Rechtsverhältnisse der übertragenden Gesellschaften gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft über (§ 346 Abs. 3 und 4, § 353 Abs. 5 und 6 AktG a. F., § 20 U m w G 1994). Im Gegensatz zur übertragenden Umwandlung kann auch nicht gesagt werden, daß die Rechtstechnik der Gesamtrechtsnachfolge ausschließlich dem Formwechsel dient, vielmehr werden neben dem Management auch die Vermögensverhältnisse im Wege der Gesamtrechtsnachfolge neu geordnet. Denkt man einmal, unbeschwert vom Ballast des lückenhaften Gesetzesrechts, über die möglichen Lösungen nach, so sind die folgenden in Erwägung zu ziehen: (1) Man kann es im Hinblick auf den erbähnlichen Vorgang bei der Anwendung des § 239 Z P O belassen94. (2) Man kann für eine ununterbrochene Kontinuität des Prozesses streiten95. (3) Man kann im Hinblick auf die Diskontinuität des Managements § 241 Z P O entsprechend anwenden96. (4) Man kann schließlich die Auffassung vertreten, daß für eine Analogie zu § 241 Z P O nur dann Raum ist, wenn mit der Verschmelzung ein Formwechsel einhergeht (sog. verschmelzende Umwandlung), weil nur in diesem Fall, nicht auch bei der Verschmelzung unter rechtsformidentischen Gesellschaften, die für § 241 Z P O ausschlaggebende Diskontinuität des Managements besteht; im übrigen könnte es mit einer Korrektur des Rubrums 97 sein Bewenden haben. b) Dem hier entworfenen Konzept entspricht die analoge Anwendung des § 241 ZPO. Gewiß steht, was die Aktiven, die Passiven und die Rechtsverhältnisse „des Unternehmens" angeht, die Universalsukzession im Mittelpunkt des rechtlichen Interesses, und sie bewirkt auch den Ubergang des Prozeßrechtsverhältnisses. Gleichzeitig aber wirkt sich die Diskontinuität der gesetzlichen Vertretung auf das Außenverhältnis der erlöschenden Gesellschaften aus: Was sich rechtstechnisch als Vermögensübergang darstellt, ist wirtschaftlich-praktisch eine Unterstellung des Unternehmens unter ein neues, für die verschmolzenen Gesellschaften gemeinsames Management: das der aufnehmenden Gesellschaft. Wiederum ist also § 241 Z P O die sachnächste Norm: Die Zielgesellschaft ist verpflichtet, Prozesse der erloschenen Gesellschaften fortzusetzen, aber diese Fortsetzung geschieht, sofern nicht ein Anwaltsprozeß vorliegt (§ 246 ZPO), erst mit der Anzeige an das Gericht. ' 4 So die h. M.; vgl. Fn. 93. n Feiher, in: M ü n c h K o m m . Z P O (Fn. 7), § 2 3 9 Rdn. 17; Bartl/Henkes/Schlarh, G m b H - R e c h t , 3. Aufl. 1990, § 25 K a p E r h G Rdn. 111; Schilling, in: G r o ß k o m m . A k t G , 3. Aufl. 1973, § 346 A n m . 20. " Das ist die hier vertretene Ansicht. 97 So Schilling, in: G r o ß k o m m . A k t G (Fn. 95), § 346 Anm. 20.
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Karsten Schmidt
3. Anfall des Personengesellschaftsvermögens Gesellschafter
an den
letztverbleibenden
Einen sich der Verschmelzung durch Aufnahme nähernden Fall hat Henckel vor zwei Jahrzehnten in der Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht analysiert 98 . Es ging um die prozessualen Folgen der Vollbeendigung einer Personengesellschaft und um das Verhältnis zwischen Gesellschaftsprozeß und Gesellschafterprozeß. Der Bundesgerichtshof hatte damals entgegen der Rechtsprechung des Reichsgerichts" entschieden 100 : „Der Ubergang vom Gesellschaftsprozeß zum Gesellschafterprozeß ist ... als gewillkürter Parteiwechsel zu beurteilen." Dem ist, wenn man Ernst macht mit der in § 124 H G B angeordneten Parteifähigkeit der o H G und K G , grundsätzlich zuzustimmen. Handelt es sich aber, wovon nach dem mitgeteilten Urteil damals nicht
auszugehen war, um das Erlöschen der Gesellschaft durch Anfall
beim
letztverbleibenden Gesellschafter, so fällt diesem auch das Prozeßrechtsverhältnis an, und für diesen Fall ist - ganz wie es einst das Reichsgericht angenommen hatte - auf die §§ 239 ff Z P O zurückzugreifen 101 : Mit allen Rechten und Pflichten geht in einem solchen Fall auch das Prozeßrechtsverhältnis auf den letztverbleibenden Gesellschafter über, und die Frage ist wiederum, ob der Prozeß ohne Unterbrechung fortgesetzt, analog § 239 oder analog § 241 Z P O unterbrochen wird. Eine formale Betrachtung spricht auch hier für die Anwendung des § 239, eine Sachanalyse mehr für die analoge Anwendung des 5 241 ZPO, denn wiederum liegt ein Fall vor, in dem die Vertretung „des Unternehmens" durch Anfall an einen neuen Rechtsträger wechselt. Wird etwa durch Ausscheiden aller Mitgesellschafter ein personengesellschaftliches Unternehmen „auf" eine von ihnen zu diesem Zweck gegründete und in die Personengesellschaft aufgenommene G m b H umgewandelt, so ist nunmehr statt der Personengesellschafter die Geschäftsführung der G m b H als Vertretungsorgan am Zuge (§§ 35 ff G m b H G ) . Der Vorgang - bis 1969 eine häufig geübte kautelarjuristische List - stellt sich als eine übertragende Umwandlung praeter legem dar, und so sollten wir ihn auch im Prozeßrecht behandeln.
Henckel, ZGR 1975, 232 ff. " RGZ 124, 146, 151; 141, 277, 280; krit. dazu bereits Robert Fischer, FS Hedemann, 1958, S. 75, 80 = Gesammelte Schriften, 1985, S. 121, 125; Huber, ZZP 82 (1969), 224 ff. 100 BGHZ 62, 131; zust. Flume, Die Personengesellschaft, 1977, § 4 II; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 46 II 3 a aa. 101 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 46 II 3 a aa; der Sache nach ähnlich Henckel, Parteilehre (Fn. 9), S. 179. 98
Das Prozeßrechtsverhältnis bei U m s t r u k t u r i e r u n g einer Handelsgesellschaft
769
VI. Ausblick auf das neue Ausgliederungs- und Spaltungsrecht 1. Das Problem Vor einer entscheidenden Bewährungsprobe steht das Instument der Universalsukzession da, wo Umstrukturierungen im Unternehmensbereich nicht zu einer vollständigen, sondern nur zu einer teilweisen Uberführung des Vermögens eines Rechtsträgers auf eine Handelsgesellschaft führen. Nach bisherigem Recht ist das bei der „Umwandlung" eines einzelkaufmännischen Unternehmens „auf" eine Kapitalgesellschaft (§§ 30 ff, 56 a ff U m w G 1969 i. d. F. von 1980)102 sowie bei der Spaltung von Treuhandunternehmen der Fall (§ 1, 10 SpTrUG) 103 . Diese Vorgänge werden als „ partie lie "i0A oder „geteilte"105 Gesamtrechtsnachfolge eingeordnet - eine terminologisch gewöhnungsbedürftige Bezeichnung, deren scheinbare Absurdität zum Nachdenken über das Prinzip der Universalsukzession zwingt! Dabei stellt sich heraus, daß die Gesamtrechtsnachfolge nicht - wie uns das eingelernte Paradigma des § 1922 BGB suggeriert - notwendig ein gesetzlicher und ein das Vermögen in seiner Totalität umfassender Vorgang, sondern lediglich eine von der Last des Spezialitätsprinzips befreiende Rechtstechnik ist106. Die Zulassung einer das Vermögen teilenden Gesamtrechtsnachfolge stellt also keine rechtsdogmatische Absurdität dar, wohl allerdings ein rechtstechnisches Wagnis. Der Gesetzgeber ist dieses Wagnis, beginnend mit der GmbH-Novelle von 1980107 über das Treuhandspaltungsgesetz108 bis hin zum neuen U m w G 1994109, in zunehmendem Maße eingegangen. Künftig können umwandlungsfähige Rechtsträger (typischerweise Handelsgesellschaften) durch Vermögensübersichten definierte Vermögensteile (typischerweise Unternehmen oder Betriebe) mit einem Schlag durch Rechtsgeschäft auf einen neuen Rechtsträger (typischerweise eine Handelsgesellschaft) übertragen, insbesondere Unterneh102
D a z u im Überblick Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht (Fn. 15), § 12 III 4; Widmann! Mayer (Fn. 82), R d n . 969 ff, 1076 ff; Scholz/Priester (Fn. 44), A n h . U m w G §§ 56 a ff. 10J Gesetz über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten U n t e r n e h m e n v o m 5 . 4 . 1991, BGBl. I S. 854; dazu Horn, Das Zivil- u n d Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. 1993, § 18 R d n . 182 ff; Oetker, VersR 1992, 7 ff; Widmann/Mayer (Fn. 82), R d n . 2915 ff, insbes. 3175 ff. 104 Vgl. Hachenburg/Schilling (Fn. 93), § 77 A n h . I, § 50 U w m G Rdn. 2, § 56 a U m w G R d n . 3; Scholz/Priester (Fn. 102), A n h . U m w G § 56 f R d n . 2; Schneider/Schiaus, D B 1963, 2263; Oetker, VersR 1992, 7 ff. 135 Karsten Schmidt, AcP 191 (1991), 510 ff. ,0é Karsten Schmidt, A c P 191 (1991), 495 ff im A n s c h l u ß an Hasse, AcP 5 (1822), 19 ff; zust. Kai Mertens, U m w a n d l u n g u n d Universalsukzession, 1993, S. 64. 107 E i n f ü h r u n g der §§ 50-56 f U m w G 1969. 108 Vgl. Fn. 103. 109 Fn. 6.
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mensteile im Wege der Spaltung auf eine bereits vorhandene oder auf eine neu entstehende Zielgesellschaft abspalten (§§ 123 ff U m w G 1994). U b e r die Konsequenzen dieser unkonventionellen Vorgänge für laufende Prozesse schweigt sich der Gesetzgeber verständlicherweise aus. 2. Modifizierte
Umwandlung
oder modifizierte
Einzeleinbringung?
a) V o r die Frage gestellt, ob diese Fälle rechtsähnlich denjenigen der Verschmelzung zu behandeln sind, sollte man den Blick neuerlich von dem rechtstechnischen Instrument der Universalsukzession frei machen und auf den praktischen Sinn des Instituts blicken. Wir haben gesehen, daß die Universalsukzession im Fall der übertragenden Umwandlung keinen anderen Zweck als den des Formwechsels hat, und selbst noch bei der Verschmelzung blieb neben dem Vereinigungselement ein dem Formwechsel ähnliches Moment erkennbar: Kontinuität der Vermögens- und Rechtsverhältnisse bei Diskontinuität des Managements. Die Spaltungs- und Ausgliederungsfälle, auf die die Gesamtrechtsnachfolge künftig ausgedehnt wird, sind anders gelagert: Sie stellen sich als vereinfachte Sachgründungen dar! b) Daß dies so ist, erkennt man am besten an der „ Umwandlung" eines einzelkaufmännischen Unternehmens „auf" eine AG oder - dies ist der praktischere Fall! - „auf" eine GmbH (bisher §§ 50 ff, 56 ä f f U m w G 1969 i. d. F. von 1980, künftig §§ 152 ff U m w G 1994). Will der Einzelunternehmer sein Unternehmen auf eine G m b H überführen, so stehen ihm drei Wege offen: die Strohmanngründung gemeinsam mit einem nur vorübergehend beteiligten „Gründungshelfer", die seit der G m b H Novelle zugelassene Einmanngründung (§ 1 G m b H G i. d. F. von 1980) oder die Umwandlung nach § § 5 6 a ff U m w G 1969/1980. Die beiden ersten Wege zwingen zur Einzelübertragung im Wege der Sachgründung, der dritte ersetzt die dem Spezialitätsprinzip folgende Sacheinbringung durch „partielle Universalsukzession" nach Maßgabe einer der Registeranmeldung beizufügenden Übersicht (§§ 52 Abs. 4, 56 c Abs. 3 U m w G 1969 i. d. F. von 1980; vgl. künftig § 131 U m w G 1994). 3. Die Unternehmensübertragung
als
Paradigma
Für die prozessuale Behandlung der „Einmannumwandlung", Ausgliederung und Spaltung sollte deshalb nicht auf den Erfahrungsschatz der formwechselnden Umwandlung und der Verschmelzung, sondern auf die Fälle der Unternehmensübertragung (§§ 25 ff H G B ) und des Betriebsübergangs (§ 613 a B G B ) zurückgegriffen werden. Nun ist die Behandlung eben dieser Fälle überaus zweifelhaft: Sollen die zum Unternehmen gehörigen Prozeßrechtsverhältnisse (sollen demgemäß im
Das Prozeßrechtsverhältnis bei Umstrukturierung einer Handelsgesellschaft
771
Fall der „partiellen Gesamtrechtsnachfolge" die zu den nach der Vermögensübersicht oder nach zwingendem Recht übergehenden Rechtsverhältnissen gehörigen Prozesse) automatisch auf den neuen Unternehmensträger übergehen110? Soll - umgekehrt - analog § 265 ZPO - das übertragende Rechtssubjekt diese Prozesse in Prozeßstandschaft fortführen dürfen111? Oder soll an den bisherigen Parteirollen nur mit der Maßgabe festgehalten werden, daß der Unternehmensveräußerer den Prozeß aus eigenem Recht fortführt112, was nach Lage der Dinge allerdings dazu führen kann, daß eine für oder gegen den Veräußerer erhobene Klage unbegründet wird und der Prozeß nur nach einem Parteiwechsel erfolgreich beendet werden kann" 3 ? Diese Fragen - seit zwei Jahrzehnten heftig umstritten - verdienen eine eigene Untersuchung, und erst wenn diese vorliegt, ist das Modell der Prozeßkontinuität und Prozeßunterbrechung bei Umstrukturierungsvorgängen komplett. Die Parteilehre, vor Jahrzehnten von Wolfram Henckel zum Gegenstand seiner Habilitationsschrift gemacht, wird in einer sich wandelnden Rechtswelt noch viele Aufgaben zu lösen haben. VII. Zusammenfassung in Thesen 1. Die prozessuale Behandlung von Umstrukturierungsmaßnahmen in Unternehmen muß neben dem Blick auf Subjekt und Vermögen auch vom Blick auf die Unternehmensorganisation gelenkt sein. Zivilrecht und Zivilprozeßrecht weisen Defizite an organisationsrechtlicher Orientierung auf. 2. Die Eintragung einer neu gegründeten (Vor-)Gesellschaft als Kapitalgesellschaft und vice versa die Auflösung einer Handelsgesellschaft läßt die im Namen dieser Gesellschaft geführten Prozesse unberührt, denn mit der Parteiidentität geht in beiden Fällen die Kontinuität des Vertretungsorgans einher. Eine Unterbrechung des Rechtsstreits findet nicht statt. Hier liegt der Unterschied zur Konkurseröffnung (§ 240 ZPO), die nach dem Rechtsbild der Amtstheorie die Identität der Partei, nach der hier vertretenen Ansicht die Kontinuität ihrer Vertretung enden läßt. 3. Die formwechselnde wie die übertragende Umwandlung einer klagenden oder beklagten Gesellschaft ist kein Problem des § 239 ZPO, Dagegen (vorerst?) noch Karsten Schmidt, Handelsrecht (Fn. 11), § 8 I 7 c; differenzierend Zeuner, in: FS Schwab, 1990, S. 575 ff. " ' S o namentlich B A G , A P N r . 1 zu § 325 Z P O m. krit. Anm. Leipold; Grunsky, S A E 1977, 224 f; differenzierend Zeuner (Fn. 110), S. 585 ff. " 2 So im Grundsatz etwa Schilken, Veränderungen der Passivlegitimation im Zivilprozeß, 1987, S. 43 f m. w. N . " J Für einen erleichterten Parteiwechsel Leipold, A P N r . 1 zu § 325 Z P O .
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sondern ein solches des § 241 Z P O . Sofern nicht eine Prozeßvollmacht erteilt ist (§ 246 Z P O ) , ist der Prozeß unterbrochen, bis das neue Vertretungsorgan von seiner Bestellung Anzeige macht oder eine Fortsetzungsanzeige des Gegners vom Gericht zugestellt worden ist. 4. Im Fall der Verschmelzung durch Aufnahme werden Prozesse der aufnehmenden Gesellschaft unverändert fortgeführt. Prozesse einer übertragenden Gesellschaft werden analog § 241 Z P O für und gegen die aufnehmende Gesellschaft unterbrochen und aufgenommen, und zwar bei der Verschmelzung durch Aufnahme ebenso wie bei der Verschmelzung durch Neubildung. 5. Spaltungsund Ausgliederungsfälle mit „partieller Universalsukzession", wie sie durch den Entwurf eines neuen Umwandlungsgesetzes in weitem Maße zugelassen werden sollen, sind nicht als klassische Umwandlungsfälle, sondern als vereinfachte Sachgründungen mit U n ternehmenseinbringung zu werten. Die bisher schon zugelassene „Umwandlung" des einzelkaufmännischen Unternehmens „auf" eine Kapitalgesellschaft ist hierfür charakteristisch (§§ 50 ff, 56 a ff U m w G 1969 i. d. F. von 1980; künftig §§ 152 ff U m w G 1994). Diese Fälle sollten prozessual ebenso gehandhabt werden wie diejenigen des Unternehmensoder Betriebsübergangs (§§ 25 ff H G B , 613 a B G B ) . O b das zu einem Prozeßübergang, verbunden mit einer Unterbrechung analog § 241 Z P O führen kann, bleibt künftigen Überlegungen vorbehalten.
Der Name als Geheimnis U m f a ß t die anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht auch den N a m e n der Mandanten und Patienten? EKKEHARD SCHUMANN
D i e W e l t - s a g t d e r P h i l o s o p h 1 - ist e i n R e i c h d e r N a m e n . E r s t d e r N a m e gibt die Möglichkeit, M e n s c h e n , Tiere u n d G e g e n s t ä n d e zu identifizieren u n d damit voneinander z u unterscheiden2. S o durchzieht die Schöpfungsgeschichte das B e n e n n e n der D i n g e dieser Welt3. A u c h
am
B e g i n n des M e n s c h e n l e b e n s steht die N a m e n s g e b u n g ( T a u f e ) 4 ; erst unter d e m N a m e n findet der M e n s c h seine unverwechselbare Identität5: D e r N a m e wird z u m „Parallelwesen" des Menschen6, z u m „Stellvertreter der P e r s o n " 7 , ja „ d e r N a m e eines M e n s c h e n " ... „ist der M e n s c h selbst"8. N i c h t i m m e r freilich ist d i e s e I d e n t i f i z i e r u n g e r w ü n s c h t : chen
Rumpelstilz-
ist f r o h , d a ß die M ü l l e r s t o c h t e r u n d s p ä t e r e K ö n i g i n seinen N a m e n
' Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 8: Jenaer Systementwürfe III, Hamburg o. J. [1976] S. 189 ff (S. 190: „Die Welt, die Natur ist" ... „ein Reich der Nahmen"; S. 189 f: „Durch den Nahmen ist also der Gegenstand als seyend aus dem Ich herausgeboren. Dies ist die erste Schöpferkraft, die der Geist ausübt."); vgl. auch Wilhelm Kamlah/Paul Lorenzen, Logische Propädeutik, Mannheim-Wien-Zürich o . J . [1967], S. 44: ... „nur wo menschliche Rede ist, werden Gegenstände von anderen Gegenständen unterschieden" und S. 45 ff: „Die sprachliche Erschließung der Welt". 2 Grundlegend auch heute noch: Rudolf Hirzel, Der Name. Ein Beitrag zu seiner Geschichte im Altertum und besonders bei den Griechen, 2. Aufl., Leipzig 1927 = Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 36, Nr. II. 3 Gott nennt das Licht „Tag", die Finsternis „Nacht", die Veste „Himmel" (1. Mose 1, 5 und 8) und befiehlt dem Menschen, den Tieren Namen zu geben (1. Mose 2, 19-20) usw. 4 „Denn kein Einziger ist ganz namlos unter den Menschen, Kein Unedler und Edler, sobald ihn geboren die Mutter" (Homer. Odyssee, 8. Gesang, Vers 552 f). 5 Vgl. z. B. Diethelm Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens, PaderbornMünchen-Wien-Zürich 1985, S. 355 ff. ' Fr. Giesehrecht, Die alttestamentliche Schätzung des Gottesnamens und ihre religionsgeschichtliche Grundlage, Königsberg i. Pr. 1901, S. 94. 7 Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Drittes Buch, 13. Kapitel, „Sonnabend den 20.", Dritter Absatz: ... „und der Name bleibt doch immer der schönste lebendigste Stellvertreter der Person". 8 Wilhelm Kroll, Namensaberglaube bei Griechen und Römern, Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, 16 (1914) 179 (180).
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Ekkehard Schumann
nicht w e i ß 9 ; z a h l r e i c h e M ä r c h e n u n d E r z ä h l u n g e n 1 0 , Schauspiele u n d O p e r n 1 1 k e n n e n ein ähnliches M o t i v . Sie e r i n n e r n u n s an f r ü h e K u l t u r e n , die v o m G l a u b e n getragen w a r e n , d e r N a m e h a b e eine magische K r a f t ; w e r ihn ausspreche, besitze M a c h t ü b e r d e n N a m e n s t r ä g e r 1 2 . A u c h w e n n solche V o r s t e l l u n g e n längst ü b e r h o l t sind, so v e r b i n d e t das heutige R e c h t den N a m e n nicht w e n i g e r eng m i t d e r P e r s ö n l i c h k e i t des M e n s c h e n 1 3 ; z u t r e f f e n d w i r d deshalb das N a m e n s r e c h t als „der P r o t o t y p d e r P e r s ö n l i c h k e i t s r e c h t e " bezeichnet 1 4 : W e r d e n N a m e n v e r letzt, beeinträchtigt die P e r s ö n l i c h k e i t in i h r e m K e r n . D a b e i h a n d e l t es sich v o r allem u m die b e i d e n in § 1 2 B G B genannten Fälle d e r Namensbestreitung u n d d e r Namensanmaßung15, also einerseits u m das L e u g n e n des richtigen N a m e n s des Trägers d u r c h einen D r i t t e n meist u n t e r
' ... „ach, wie gut ist, daß niemand weiß daß ich Rumpelstilzchen heiß!", Brüder Grimm, Kinder und Hausmärchen, Nachdruck der Erstausgabe von 1812 und 1815, Göttingen 1986, Nr. 55 (S. 255). 10 Brüder Grimm, aaO, Anmerkungen „Zum Rumpelstilzchen. No. 55" (S. XXXIV f); Wilhelm Schmidt, Die Bedeutung des Namens in Kult und Aberglauben, Darmstadt 1912, S. 43 f (vgl. auch „Inhalts-Ubersicht": „Kobolde suchen ihren Namen geheimzuhalten, um den Menschen keine Macht einzuräumen"). " Ζ. B. die Turandot-Handlung, die auf ein persisches Märchen aus der Sammlung „Tausend und eine Nacht" zurückgeht (vgl. auch Schmidt [Fn. 10] S. 44): Carlo Gozzi verwendete die Handlung in seinem Schauspiel „Turandot. Prinzessin von China" (1764). Eine deutsche Bearbeitung schuf Friedrich Schiller, hierzu schrieb 1809 Carl Maria von Weber eine Bühnenmusik. Feruccio Busoni (1909) und Giacomo Puccini (1924) verfaßten gleichnamige Opern. 12 Vgl. z. B. [Wolfgang] Aly, Stichwort „Name", Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin-Leipzig 1934/1935, Band VI, Sp. 950 (954 ff); Kroll (Fn. 8) S. 179 ff, Giesebrecht (Fn. 6) S. 82 ff und H. Gipper, Stichwort „Name IV. Sprachwissenschaft", in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Band 6, Darmstadt 1984, Sp. 387 sowie Hildegard Krüger, Der Name der Frau nach bürgerlichem Recht, AcP 156 (1957) 232 ff sämtliche m. weit. Nachw. 13 Vgl. BGHZ 25, 163 (168: Dem Namen eines Menschen komme eine Bedeutung zu, „die über die rein äußerliche Ordnungsfunktion, die er auch hat, hinausgeht; der Name weist in tiefere Bezüge und Zusammenhänge, in denen der Mensch steht"); BGHZ 32, 103 (111: „Der Name weist in tiefere Lebensbeziehungen des Menschen als die rein vermögensrechtlichen"). H So z. B. Karl Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 7. Aufl., München 1989, § 8 1 (S. 119 f); vgl. auch Justus Wilhelm Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX Jahrhundert, Erster Teil, Berlin 1910, S. 58 ff und BGHZ 110, 196 (200: § 12 BGB als „eine besondere Ausprägung" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts). 15 Vgl. Heinrich Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., Köln-Graz 1967, S. 277 ff.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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Benutzung einer falschen Bezeichnung" sowie andererseits das unbefugte Gebrauchen eines fremden Namens 17 . Zum Problemkreis des allgemeinen Persönlichkeitsschutzes 18 gehört jedoch auch ein gänzlich anderer Aspekt: Die Offenbarung des Namens einer Person. Hier geht es nicht um die unrichtige Namensnennung oder um das unbefugte Benutzen eines fremden Namens, sondern um die Frage, ob bestimmte schweigepflichtige Berufsangehörige (Rechtsanwälte, Arzte) die (richtigen) Namen ihrer Vertragspartner (Mandanten, Patienten) ohne deren Zustimmung bekannt geben dürfen. Die Person wird in solchen Fällen nicht durch Leugnung oder Mißbrauch ihres Namens verletzt, sie wird vielmehr durch die Bekanntgabe des Namens beeinträchtigt. Dabei ist die Offenbarung der Beziehung des Namensträgers zu dem Schweigepflichtigen der entscheidende Vorgang. Der Name als solcher gehört sicher zu den öffentlichsten Tatsachen, und die beziehungslose Nennung des richtigen Namens ist kaum jemals rechtlich problematisch. Zu einem höchst sensiblen Problem wird jedoch die Nennung des Namens eines Mandanten oder Patienten, weil hierdurch bekannt wird, daß eine Person anwaltlicher Beratung oder ärztlicher Behandlung bedurfte. I. Die Rechtsgrundlagen der Schweigepflicht des Rechtsanwaltes und des Arztes 1. Die Grundlage
der Schweigepflicht
im
Strafgesetzbuch
Die Schweigepflicht des Arztes und des Rechtsanwaltes versucht in erster Linie die Strafvorschrift über die „Verletzung von Privatgeheimnissen" in § 2 0 3 Abs. 1 Nr. I 19 und Nr. 320 StGB 2 ' durchzusetzen: Der
" Ζ. B. wenn der Arbeitgeber - obwohl der Arbeitnehmer es verlangt - dessen durch Heirat neuen Namen nicht verwendet. - Keine Namensbestreitung oder Namensleugnung liegt aber vor, falls ein Name satirisch verfremdet wird: Lnsthama statt Lufthansa (OLG Frankfurt am Main, N J W 1982, 648) oder Mordoro statt Marlboro (BGHZ 91, 117 [120: Keine Identitätsverwirrung durch Verballhornung]; vgl. auch BGHZ 98, 94 [99: Verzerrung des Unternehmensnamens B M W durch einen Aufkleber „Bums mal wieder" wird „als Scherz erkannt; nur deshalb erwerben die Käufer den Aufkleber"]). " Vgl. RGZ 108, 230 (231 ff. Ist es ein Namensmißbrauch gegenüber seiner Ehefrau, wenn „der Ehemann eine andere Frauensperson als seine Ehefrau in das Fremdenbuch eines Gasthofes einträgt"? - das R G verneint dies). " Und nicht (mehr) des aus § 12 B G B entspringenden Namensschutzes im eigentlichen Sinne, vgl. BGHZ [Caterina Valente] 30, 7 (9 f); Hubmann (Fn. 15) 278 ff; zum Verhältnis Namensrecht zum Persönlichkeitsrecht: Klippel (Fn. 5) S. 487 ff u. ö. " Arzte, Zahnärzte, Angehörige eines anderen Heilberufs u. a. m. 20 Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare usw. 21 § 203 Abs. 3 StGB unterwirft deren Mitarbeiter derselben Schweigepflicht.
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Ekkehard Schumann
Angehörige eines schweigepflichtigen Berufes macht sich strafbar, wenn er „unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis", offenbart, das „ihm anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist". Wer sich einem Angehörigen eines schweigepflichtigen Berufes anvertraut, soll durch diese strafrechtliche N o r m vor der unbefugten Preisgabe seiner Privatgeheimnisse geschützt sein. Insoweit ist sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringt 22 , geschützt 23 . D o c h wäre § 203 S t G B mißverstanden, wollte man ihn nur als bloße subjektive Schutzvorschrift werten. E r hat neben seiner unbestritten individuellen Zielrichtung eine wichtige institutionelle Komponente, weil er „das allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit der Angehörigen bestimmter Berufe" deshalb zu schützen sucht, damit „diese ihre im Interesse der Allgemeinheit liegenden Aufgaben erfüllen können" 2 4 . § 203 S t G B läßt daher zugleich eine der Eigenheiten der schweigepflichtigen Berufe erkennen: Sie können ihrer wichtigen Aufgabe im Rechtsstaat nur nachkommen, wenn die Rechtsordnung zu sichern versucht, daß Privatgeheimnisse nicht offenbart werden.
2. Die standesrechtliche Pflicht zur a)
Verschwiegenheit
Allgemeines
Die Pflicht zur Verschwiegenheit des Arztes und des Rechtsanwaltes ergibt sich auch aus dem jeweiligen Standesrecht. Zwar sind ehrengerichtliche (in neuer Terminologie: anwaltsgerichtliche) Entscheidungen selten, die Sanktionen verhängen, weil gegen die Schweigepflicht ver-
22 Burkhard Jähnke in: StGB, Leipziger Kommentar, 5. Band, 10. Aufl., Berlin-New York 1989, § 203 Rdn. 2; BVerfGE 65, 1 (43) „Volkszählungsurteil". 23 Jähnke (Fn. 22) aaO; dazu näher unten I 4. 24 So ζ. B. Theodor Lenckner in: Schänke/Schröder, StGB, 24. Aufl., München 1991, § 203 Rdn. 3; Manfred Maiwald in: Reinhart Maurach/Friedrich Christian Schroeder/ Manfred Maiwald, Strafrecht, Besonderer Teil, 7. Aufl., Heidelberg 1988, § 29 I Rdn. 4. Daß der Schutz des (anwaltlichen) Berufsgeheimnisses auch im Gemeinschaftsinteresse liegt, betont nachdrücklich Martin Henssler, Das anwaltliche Berufsgeheimnis, NJW 1994, 1817 (1819 f). Insoweit erheben sich grundlegende Bedenken gegen eine Formulierung in BGHZ 109, 260 (268 f), daß das Berufsgeheimnis des Anwalts „nicht dem eigenen Geheimhaltungsinteresse des Anwalts" diene, sondern ausschließlich (!) dem Auftraggeber. Wenige Absätze später muß der BGH seine apodiktische Aussage teilweise bereits wieder zurücknehmen (vgl. unten Fn. 53). Aus Raumgründen kann dieser Thematik hier nicht nachgegangen werden. Auch ist nicht veranlaßt, näher auf die Diskussion um den genauen Schutzzweck des § 203 StGB einzugehen, hierzu vor allem Bernd Schünemann, Der strafrechtliche Schutz von Privatgeheimnissen, ZStW 90 (1978) 11 (51 ff).
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
777
s t o ß e n w u r d e 2 5 . Sie b e s t ä t i g e n a b e r d i e e i n m ü t i g e A n s i c h t , d a ß s i c h d i e Schweigepflicht a u c h aus d e m anwaltlichen u n d ärztlichen S t a n d e s r e c h t u n d nicht n u r aus § 2 0 3 S t G B ergibt26. „ W a s i m m e r ich sehe u n d h ö r e " , s o v e r l a n g t d e r Hippokratische
Eid,27
v o m Arzt,
„bei d e r
Behandlung
o d e r außerhalb d e r B e h a n d l u n g , i m L e b e n d e r M e n s c h e n , so w e r d e ich v o n d e m , w a s n i e m a l s n a c h a u ß e n a u s g e p l a u d e r t w e r d e n soll, s c h w e i g e n , i n d e m i c h alles D e r a r t i g e als s o l c h e s b e t r a c h t e , d a s n i c h t a u s g e s p r o c h e n w e r d e n d a r f . " D i e s e S c h w e i g e p f l i c h t gilt in d e r h e u t i g e n M e d i z i n als eine der h ö c h s t e n ärztlichen Standes- u n d Rechtspflichten28.
b) Standesrichtlinien S o ist es k e i n W u n d e r , d a ß a u c h d i e Standesrichtlinien
auf die E i n h a l -
t u n g der Schweigepflicht ein b e s o n d e r e s G e w i c h t legen, u n d z w a r gleic h e r m a ß e n die a n w a l t l i c h e n R i c h t l i n i e n 2 9 w i e die ä r z t l i c h e
Berufsord-
nung30.
25 Grundlegend Ehrengerichtshof der Rechtsanwaltskammern der britischen Zone E G H BrZ 1, 12 (14): „Die anwaltliche Schweigepflicht ist ein Eckpfeiler des Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Auftraggeber. Sie erst ermöglicht die Wahrnehmung der dem Anwalt im öffentlichen Leben auferlegten besonderen Standespflichten." 26 Max Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, München 1989, Rdn. 209; Michael KleineCosack, Verfassungswidriges Standesrecht, N J W 1988, 164 (172). 27 Vgl. Karl Deichgräber, Der hippokratische Eid, Text griechisch und deutsch, 4. Aufl., Stuttgart o. J. [1983], S. 15 (43 ff). Vgl. auch Wilhelm Capelle (Bearb.), Hippokrates. Fünf auserlesene Schriften, 2. Aufl., Zürich 1984. 2« Adolf Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., München 1993, Rdn. 421. " Richtlinien gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 2 B R A O (RichtlRA): § 42 Verschwiegenheitspflicht (1) Die Pflicht zur Verschwiegenheit erstreckt sich über die gesetzliche Schweigepflicht (§ 203 StGB) hinaus auf alles, was dem Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufs anvertraut worden oder ihn anläßlich seiner Berufsausübung bekannt geworden ist, soweit nicht das Gesetz oder die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze Ausnahmen zulassen. (2) Beide Pflichten bestehen auch über die Beendigung des Auftragsverhältnisses hinaus und auch dem gegenüber, dem die betreffende Tatsache bereits von anderer Seite mitgeteilt worden ist, sowie gegenüber anderen Rechtsanwälten und gegenüber Familienangehörigen. (3) Der Rechtsanwalt hat seine Mitarbeiter und Angestellten zur Beachtung dieser Grundsätze anzuhalten. K Berufsordnung für die deutschen Ärzte nach den Beschlüssen des 79. Deutschen Ärztetages 1976 und gemäß den Änderungen der Ärztetage 1977, 1979, 1983, 1985 und 1988 (Deutsches Ärzteblatt 1988, 3661 ff): Gelöbnis, § 2, § 11. Vgl. auch Helmut Narr, Ärztliches Berufsrecht, Köln 1977, 11. Ergänzungslieferung September 1987, S. 457^t81. Gelöbnis Für jeden Arzt gilt folgendes Gelöbnis: „Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen.
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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1987 3 ' zur Unwirksamkeit der anwaltlichen Richtlinien hatte die standesrechtliche Verschwiegenheitspflicht nicht etwa beseitigt. Die Richtlinien konnten zwar nicht mehr unmittelbar zur Konkretisierung der Generalklausel des § 43 B R A O über die anwaltlichen Berufspflichten herangezogen werden, „spiegeln" jedoch „das Standesethos wieder" 32 . Insoweit waren die Richtlinien seither in ihrem Regelungsgehalt nicht ohne
Ich werde meinen Beruf mit Gewissenhaftigkeit und Würde ausüben. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften die Ehre und die edle Uberlieferung des ärztlichen Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten keinen Unterschied machen, weder nach Religion, Nationalität, Rasse noch nach Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung. Ich werde jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und selbst unter Bedrohung meine ärztliche Kunst nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. Ich werde meinen Lehrern und Kollegen die schuldige Achtung erweisen. Dies alles verspreche ich feierlich auf meine Ehre." § 2: Schweigepflicht (1) Der Arzt hat über das, was ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen. Dazu gehören auch schriftliche Mitteilungen des Patienten, Aufzeichnungen über Patienten, Röntgenaufnahmen und sonstige Untersuchungsbefunde. (2) Der Arzt hat die Pflicht zur Verschwiegenheit auch seinen Familienangehörgen gegenüber zu beachten. (3) Der Arzt hat seine Mitarbeiter und die Personen, die zur Vorbereitung auf den Beruf an der ärztlichen Tätigkeit teilnehmen, über die gesetzliche Pflicht zu Verschwiegenheit zu belehren und dieses schriftlich festzuhalten. (4) Der Arzt ist zur Offenbarung befugt, soweit er von der Schweigepflicht entbunden worden ist oder soweit die Offenbarung zum Schutze eines höheren Rechtsgutes erforderlich ist. Gesetzliche Aussage- und Anzeigepflichten bleiben unberührt. (5) Der Arzt ist auch dann zur Verschwiegenheit verpflichtet, wenn er im amtlichen oder privaten Auftrag eines Dritten tätig wird, es sei denn, daß dem Betroffenen vor der Untersuchung oder Behandlung bekannt ist oder eröffnet wurde, inwieweit die von dem Arzt getroffenen Feststellungen zur Mitteilung an Dritte bestimmt sind. (6) Wenn mehrere Ärzte gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten untersuchen oder behandeln, so sind sie untereinander von der Schweigepflicht insoweit befreit, als das Einverständnis des Patienten anzunehmen ist. (7) Zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung und Lehre dürfen der Schweigepflicht unterliegende Tatsachen und Befunde nur soweit mitgeteilt werden, als dabei die Anonymität des Patienten gesichert ist oder dieser ausdrücklich zustimmt. 31 BVerfGE 76, 171 (184), 196 (205) = NJW 1988, 191 ff; hierzu etwa Ekkehard Schumann, Die überörtliche Anwaltssozietät, München-Wien 1990, Rdn. 94. 32 BVerfGE 76, 171 (187) = NJW 1988, 191 (192); vgl. ζ. B. auch BGHZ 119, 225 (228).
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weiteres gegenstandslos geworden 33 . V o r allem hatte das Bundesverfassungsgericht selbst als eine der unbestritten weiter geltenden Berufspflichten „die Verschwiegenheitspflicht" - und zwar an erster Stelle genannt 34 . Auch war nur schwer die vom Gesetz als selbstverständlich vorausgesetzte Verschwiegenheitspflicht zu übersehen; denn § 56 Abs. 1 Satz 1 B R A O hielt den Rechtsanwalt gegenüber der Kammer zu bestimmten Handlungen an, „es sei denn, daß er dadurch seine Verpflichtung zur Verschwiegenheit verletzen würde". Es war daher durchaus richtig, auch nach der Entscheidung vom Juli 1987 von einer uneingeschränkten Fortgeltung derjenigen Teile der Standesrichtlinien auszugehen, die - wie § 42 der anwaltlichen Richtlinien - die Verschwiegenheitspflicht regelten 35 .
c) Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom 2. September 1994 Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte am 3. September 1994 (BGBl. 1994 I. S. 2278) ist die Verschwiegenheitspflicht der Anwälte nunmehr auf eine klare gesetzliche Grundlage gestellt: Der neue § 43 a B R A O erfaßt die „Grundpflichten des Rechtsanwalts" und sagt in seinem 2. Absatz: „'Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. 2 Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekanntgeworden ist. 'Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen."' 6
Die Existenz einer neben dem Strafrecht bestehenden standesgesetzlichen Verpflichtung ist übrigens keine bloß theoretische Frage. Während nämlich § 203 S t G B eine Offenbarung eines Geheimnisses ausnahmsweise dann nicht verfolgt 37 , wenn keinerlei schutzwürdiges Interesse an " Franz Josef Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 4. Aufl., Köln-Berlin-Bonn-München 1992, Rdn. I 146. '" BVerfCE 76, 171 (189 f) = N J W 1988, 191 (193). 35 Henssler (Fn. 24) S. 1818; Vollkommer (Fn. 26) Rdn. 208. " Hierzu Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte (BT-Drs. 12/4993, 12/7656, BR-Drs. 504/94, 504/1/94, 504/94 [Beschluß], 656/94, 656/94 [Beschluß]). 57 Das Reichsgericht betonte schon frühzeitig, daß mit dem Begriff des Privatgeheimnisses „das Geheimhalten solcher Wahrnehmungen bezeichnet wird, deren Bekanntwerden nicht im Interesse der betreffenden Person liegt" (RGSt. 13, 60 [64]; 26, 5 [6]). Damit konstituiert das jeweilige Interesse des Mandanten und Patienten den Geheimnishegriff. Freilich darf es kein „unverständliches" Interesse sein (vgl. Lenckner [Fn. 24] Rdn. 7; Jähnke [Fn. 22] Rdn. 27; Eduard Dreher/Herbert Tröndle, Strafgesetzbuch, 46. Aufl., München 1993, § 203 Rdn. 5; Klaus Rogali, Die Verletzung von Privatgeheimnissen, NStZ 1983, 1 [6]). Dieses nicht unverständliche Interesse erfordert nicht „dessen positive Bewertung in der Weise, daß es bei Anlegung eines objektiven Maßstabes als vernünftig an-
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der Geheimhaltung bestand, orientiert sich das Standesrecht (ζ. B. bisher § 42 RichtlRA, jetzt § 43 a Abs. 2 BRAO) überhaupt nicht am Geheimnisbegriff, sondern an dem Bekanntwerden von Umständen durch die Berufstätigkeit etwa des Anwalts; nur „offenkundige" Tatsachen und keiner Geheimhaltung bedürftige Tatsachen unterliegen nicht dem Schweigegebot (§ 43 a Abs. 2 Satz 3 BRAO). Kraft Standesrechts ist vielmehr alles, was der Rechtsanwalt in Ausübung seiner Tätigkeit erfährt, seiner Schweigepflicht unterworfen 38 ; nicht anders ist es beim Arzt39. Kraft Standesrechts gibt es daher einen größeren Umfang der Verschwiegenheitspflicht als nach dem Strafrecht. Offenbarungen, die nicht bestraft werden, sind deshalb noch lange nicht standesrechtlich zulässig. 3. Die zivilrechtliche
Schweigepflicht
a) Die Schweigepflicht als Inhalt der Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien Das Verhältnis des Mandanten oder Patienten zu seinem Rechtsanwalt oder seinem Arzt ist stets von einem besonderen Vertrauen geprägt. Verschwiegenheit wird jedoch selten ausdrücklich vereinbart, aber auszusehen sein müßte und daß jeder andere in der Lage des Geheimnisträgers dessen Interessenbewertung teilen würde. Der Schutzzweck des § 203 verlangt vielmehr, auch rein persönliche, von anderen nicht geteilte Auffassungen anzuerkennen." Der Formel vom „verständlichen" Interesse kommt daher „lediglich die Funktion einer negativen Abgrenzung gegenüber reiner Willkür und Launenhaftigkeit des Geheimnisträgers" zu (Lenckner [Fn. 24] Rdn. 7). Deshalb kann durchaus ein verständliches Interesse an der Geheimhaltung der bloßen Tatsache anwaltlicher Beratung bestehen. Da es allein auf die berechtigte Interessensicht des Betroffenen ankommt, wird die Geheimniseigenschaft auch nicht dadurch aufgehoben, daß der Patient oder Mandant einzelnen Personen - die etwa sein Vertrauen genießen - dieselben Tatsachen mitgeteilt hat (RGSt. 26, 5 [7]). „Geheimnis" meint also nicht nur eine Tatsache, die anderen Personen unbekannt ist; s. auch unten Fn. 75. „Eine geheime Tatsache verliert erst dann die Natur des Geheimnisses, wenn sie allgemein bekannt (offenkundig) oder jedermann ohne weiteres zugänglich ist" (BGHZ 40, 288 [292]). 38 Klaus Bär, Die Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Rahmen der Verteidigung eines von mehreren Beschuldigten aus straf- und standesrechtlicher Sicht, jur. Diss. Göttingen 1988, S. 99 f; Vollkommer (Fn. 26) Rdn. 209. Auch die Begründung des in Fn. 36 genannten Entwurfs geht von dieser zutreffenden Ansicht aus: „Die berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit soll zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten weiterreichen als die in § 203 StGB strafrechtlich sanktionierte Pflicht." (BT-Drs. 12/4993, S. 27). So ist - um ein Beispiel zu nennen - der Name des Mandanten nach öffentlicher mündlicher Verhandlung kein Geheimnis i. S. v. § 203 mehr (s. u. Fn. 83), wohl aber hat der Rechtsanwalt aufgrund des Standesrechts weiter über den Namen zu schweigen, wenn kein Zuhörer bei der Verhandlung anwesend war und er weiß, daß sein Mandant die Preisgabe des Namens nicht will (s. u. II 4 a). w
Laufs (Fn. 28) Rdn. 434.
D e r N a m e als Geheimnis: anwaltliche u n d ärztliche Schweigepflicht
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nahmslos vorausgesetzt. Ärzte und Rechtsanwälte reagieren deshalb meist verwundert, wenn man sie um Vertraulichkeit bittet; deren Wahrung scheint so selbstverständlich zu sein, daß bereits eine entsprechende Bitte als stiller Vorwurf erscheint, der um Schweigsamkeit gebetene Geheimnisträger nähme es mit der Geheimhaltung nicht ernst. Beim Anwalts- und beim Arztvertrag gehört die Geheimhaltung zu den Nebenpflichten. Das unbefugte Offenbaren eines Geheimnisses ist daher eine Vertragsverletzung (positive Forderungsverletzung40), die vor allem zu Schadensersatzansprüchen führen kann 41 . Selbst wenn es nicht zu einem Vertragsschluß kommt, darf der Anwalt oder der Arzt kein Geheimnis offenbaren, das ihm etwa im vorvertraglichen Gespräch anvertraut wurde. Anderenfalls haftet er aus culpa in contrahendo''2. b) Haftung aus unerlaubter
Handlung
Die Preisgabe von Geheimnissen kann eine unerlaubte Handlung sein, und zwar als Verletzung des Persönlichkeitsrechts 43 des Mandanten (Patienten) den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB verwirklichen und zugleich auch im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB eine Verletzung eines Schutzgesetzes 44 darstellen. Hier kann der verletzte Mandant (Patient) auch immaterielle Schäden (Schmerzensgeld, § 847 BGB) geltend machen.
40
Henssler (Fn. 24) S. 1818; Rinscbe (Fn. 33) Rdn. I 146; Vollkommer (Fn. 26) Rdn. 209. Vgl. Brigitte Borgmann/Karl H. Haug, Anwaltspflichten - Anwaltshaftung, Frankf u r t am Main 1979, § 24 1. 42 F ü r einen Teilbereich (Mitteilung der A b l e h n u n g des Mandats) normiert § 44 B R A O die culpa in contrahendo. F ü r weitere Fälle m u ß man aber auf die allgemeinen G r u n d s ä t z e der vorvertraglichen Vertrauenshaftung zurückgreifen: Besonders bei der A b l e h n u n g des Mandats besteht regelmäßig der feste W u n s c h des Mandanten, daß dies nicht öffentlich bekannt wird, weil er mit Recht glaubt, die Bekanntgabe k ö n n e die Ü b e r n a h m e des Mandats durch einen anderen Rechtsanwalt erschweren und ferner in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, der von ihm vertretene Rechtsstandpunkt sei u n b e g r ü n d e t (s. auch unten Fn. 63). Die Verletzung dieser (Neben-)Pflicht z u r Verschwiegenheit kann einen Schadenersatzanspruch auslösen (Rinsche [Fn. 33] R d n . I 33). Das m u ß auch gelten, w e n n es nicht z u m Beratungsvertrag k o m m t (im Ergebnis so w o h l auch Borgmann/Haug [Fn. 41] S. 101 F n . 3 1 0 ) . 43 D e r Bundesgerichtshof (BGHZ 24, 72 ff) entschied schon f r ü h , daß sich die ärztliche Schweigepflicht aus d e m allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Patienten ergäbe, das ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 B G B sei. 44 § 203 StGB ist Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB; vgl. Horst Gehre, Steuerberatungsgesetz, 2. Aufl., M ü n c h e n 1991, § 57 R d n . 62; Henssler (Fn. 24) S. 1819; Manfred Timm, G r e n z e n der ärztlichen Schweigepflicht, Köln 1988, S. 44. 41
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4. Die anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht folgt aus dem Persönlichkeitsrecht der Mandanten und Patienten Die Schweigepflicht des Anwalts und des Arztes ist Ausfluß des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ihrer Mandanten und Patienten. Das Selbstbestimmungsrecht entspringt seinerseits dem verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht 45 . So hat das Bundesverfassungsgericht Krankenblätter eines Patienten seinem privaten Bereich zugeordnet. Damit sind sie nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt geschützt. Staatliche Hoheitsträger (etwa auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse 47 ) dürfen in diesen Bereich nicht eindringen. 5. Die Schweigepflicht als Teil der eigenen Grundrechtssphäre der Rechtsanwälte und Arzte Die Schweigepflicht gehört zu den „Eckpfeilern" 48 , zu den „tragenden Säulen" 49 , zur „unerläßlichen Basis" 50 der Berufe des Rechtsanwalts und des Arztes. Während das Bild zahlreicher Berufe durchaus ohne eine solche Pflicht vorstellbar ist51, gehört es zu den festen Kennzeichen der „Beratungs- und Heilberufe" 52 , daß deren Angehörige einer strikten Pflicht zur Verschwiegenheit unterliegen. Diesen Berufen ist - so das Bundesverfassungsgericht - „gemeinsam, daß ihre Ausübung typischerweise Leistungen einschließt, die sich als individuelle Beratung in persönlichen, rechtlichen, finanziellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten oder aber als unmittelbarer Dienst an der Gesundheit des Menschen kennzeichnen lassen". ... „Sie sind daher in besonderem Maße davon abhängig, daß derjenige, der sie - als Klient oder Patient - in Anspruch nimmt, die Möglichkeit hat, sich seinem Gegenüber frei, offen und rückhaltlos anzuvertrauen, ohne befürchten zu müssen, daß Tatsachen oder Umstände, die der andere dadurch kraft seines Berufes erfährt, offenbar
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BVerfGE 65, 1 (43) „Volkszählungsurteil". BVerfGE 32, 373 (379). 47 Auf sie finden die Vorschriften über den Strafprozeß entsprechende Anwendung, Art. 44 Abs. 2 S. 1 G G vgl. dazu Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., München 1992, Art. 44 Rdn. 7; Albrecht Schleich, Das parlamentarische Untersuchungsrecht des Bundestages, Berlin o. J. [1985] S. 20 ff. 48 So der EGH (oben Fn. 25). 49 So zum Anwaltsberuf: Henssler (Fn. 24) S. 1817. 50 Henssler (Fn. 24) S. 1818. 51 Vgl. BVerfGE 38, 312: Daß Tierärzte kein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht haben, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. 52 So der Oberbegriff in BVerfGE 38, 312 (323). 46
D e r N a m e als Geheimnis: anwaltliche u n d ärztliche Schweigepflicht
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werden könnten 53 ." Die Schweigepflicht ist daher untrennbarer Bestandteil des Berufsbilds der Rechtsanwälte und Ärzte; sie unterliegt dem Schutz der Berufsfreiheit des Art. 12 GG 54 . Wegen dieser unauflöslichen Verbindung der Schweigepflicht mit der Berufsfreiheit der Heil- und Beratungsberufe kann man deshalb - wie auch der Entwurf der Standesregeln der Rechtsanwälte in der europäischen Gemeinschaft - sagen: Das Berufsgeheimnis ist „gleichzeitig ein Grundrecht und eine Grundpflicht des Rechtsanwaltes" 55 . II. Der Name des Mandanten als eine der Schweigepflicht des Rechtsanwalts unterliegende Tatsache 1. Der Grundsatz: Der Name ist ein der Schweigepflicht unterliegendes Geheimnis Bereits der Name des Mandanten - und damit die Tatsache anwaltlicher Beratung - ist ein schützenswertes Geheimnis 56 . „Schon die Tatsache, daß ein Klient anwaltliche Beratung in Anspruch genommen hat, kann für einen Außenstehenden, ζ. B. die Presse, von großer Bedeutung sein und unterliegt schon für sich der Geheimhaltungspflicht 57 ." " BVerfGE 38, 312 (323); auch der BGH bejaht ein „unmittelbar in den Schutzbereich des Art. 12 G G fallendes Geheimhaltungsinteresse des A n w a l t s " (BGHZ 109, 260 [269]). " Henssler (Fn. 24) S. 1819 ff m. zahlreichen N a c h w . " P u n k t 2.3.1. „Berufsgeheimnis" der Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft, die der Conseil des Barreaux de la C o m m u n a u t é E u r o p é e n n e (CCBE) [Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft] am 28. O k t o b e r 1988 einstimmig in Straßburg a n g e n o m m e n hat, veröffentlicht in: AnwBl. 1989, 647 (648). * Im standesrechtlichen Schrifttum sprechen sich ebenfalls ausdrücklich f ü r eine Geheimhaltungspflicht des Anwalts ü b e r den N a m e n des M a n d a n t e n aus: Hans Dahs, H a n d b u c h des Strafverteidigers, 5. Aufl., Köln 1983, Rdn. 40; Zuck in: Langenberg/ Hummel/Zuck/Eich, K o m m e n t a r zu den G r u n d s ä t z e n des anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl., Köln 1988, § 4 2 Rdn. 9 u n d Borgmann/Hang (Fn. 41) § 2 4 1. - Sofern der Rechtsanwalt den N a m e n nicht preisgeben darf, ist es ihm auch nicht gestattet, H a n d lungen v o r z u n e h m e n , die eine Identifizierung seines Mandanten durch Außenstehende ermöglicht, vgl. BAG N Z A 1987, 515 (516 f) = [sehr gekürzt] N S t E § 203 StGB N r . 2: Die automatische T e l e f o n n u m m e r n e r f a s s u n g des f ü r eine k o m m u n a l e Drogenberatungsstelle tätigen Berufspsychologen ist unzulässig, weil sie ermöglicht, die angerufenen Teilnehmer namentlich zu identifizieren; ebenso Lenckner (Fn. 24) R d n . 19 und BGHZ 33, 148 (151: Das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes erstreckt sich auch auf „solche Einzelheiten und Begleitumstände" ..., „die A n h a l t s p u n k t e f ü r die Identifizierung des Patienten sein k ö n n e n . D a z u gehört auch, mit welchem Personenkraftwagen u n d in wessen Begleitung der Patient im Krankenhaus erschienen ist, u m seine V e r w u n d u n g behandeln zu lassen; denn die Kenntnis solcher U m s t ä n d e läßt Schlüsse auf die Identität des Patienten zu".). " Zuck a a O . Ahnlich Dahs (aaO): „So kann z. B. schon die Ä u ß e r u n g , daß eine bestimmte Person ihn in seiner Praxis besucht hat o d e r daß sie sein Klient geworden ist, schwerwiegende Folgen auslösen. Sie ist deshalb unzulässig. Das Mandatsverhältnis selbst ist hier schon geschütztes Geheimnis."
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Ob die Tatsache anwaltlicher Hilfe offenbart wird, entscheidet grundsätzlich niemand anderer als der Mandant; es soll - wie der Bundesgerichtshofs gesagt hat - „seiner persönlichen Entscheidung vorbehalten sein, ob, wie lange und in welchen Bereichen sein Name in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten soll". Von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht ist die Tatsache des Mandates und der Name des Mandanten nicht ausgeklammert; denn diese Pflicht bezieht sich ausnahmslos auf alle Angelegenheiten, die der Anwalt in Ausübung seines Berufs erfährt und die in den vertraulichen, d. h. nicht allgemein der Öffentlichkeit bekannten Lebensbereich seines Mandanten fallen59. Jede Information, die der Mandant seinem Anwalt gibt, gehört zur Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant und damit zur Geheimnissphäre60. In sie ist deshalb nicht weniger die Tatsache einbezogen, daß eine Person anwaltlichen Rat einholt. Wenn auch der Rechtsanwalt in vielfältigen Situationen den Namen seines Mandanten nennen muß, um dessen Interessen zu vertreten, ändert dies nichts an dem dargelegten Grundsatz. Es handelt sich dann um eine der zahlreichen Ausnahmen (siehe sogleich unten 4.), die aber den Blick auf das wichtige Prinzip nicht verstellen dürfen, daß der Name ein Geheimnis ist und er nur beim Vorliegen solcher Ausnahmen genannt werden darf. Was geheim bleiben soll, bestimmt grundsätzlich allein der Mandant; von seinem Interesse her ist der Geheimnisbegriff zu bilden61. » BGHZ 32, 103 (111); fast wörtlich auch BGHZ 81, 75 (80): Dem Namensträger „allein ist es deshalb vorbehalten, darüber zu befinden, ob und unter welchen Voraussetzungen sein Name in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt". Im Schrifttum findet diese Aussage durchgängig Unterstützung. Die kritischen Bemerkungen bei Hubmann (Fn. 15) aaO S. 280 zu BGHZ 32, 103 mißverstehen den BGH. Selbstverständlich ist das Urteil - und dies übersieht Hubmann - nicht dahin auszulegen, daß der Namensträger ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht über den Gebrauch seines Namens in der Öffentlichkeit habe und daß er deshalb den anderen Bürgern oder etwa den Behörden vorschreiben könne, ob sie seinen Namen verwenden. Dem BGH geht es ausschließlich um den rechtsgeschäftlichen Bereich, soweit also der Name der Verfügungsbefugnis des einzelnen Bürgers untersteht. Dessen privatautonomer Entscheidung bleibt es mit Recht überlassen, ob überhaupt und in welcher Weise sein Name im Rahmen rechtsgeschäftlicher Vorgänge von seinem Vertragspartner genannt wird. 59 Borgmann/Haug (Fn. 41) § 24 1. 60 Heinrich Ackermann, Zur Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts im Strafverfahren in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1860-1960, Bd. 1, Karlsruhe 1960, S. 479 (488); Zuck (Fn. 56) § 42 Rdn. 9; Arnold, Anwaltliches Berufsgeheimnis und Steuerrecht, AnwBl. 1953, 147 (149). Verlangt der Mandant ausdrücklich vom Rechtsanwalt die Geheimhaltung seines Namens, führt ohnehin kein Weg am Geheimnisbegriff vorbei; denn ist einem Geheimnisträger „eine Mitteilung mit der ausdrücklichen Auflage gemacht worden, sie geheim zu halten, so hat man allerdings dieselbe als ein Geheimnis der in dem Paragraphen bezeichneten Art schon wegen dieser Auflage anzusehen" (RGSt. 13, 60 [61] - zum Arzt). " So schon der Ausgangspunkt des Reichsgerichts, s. o. Fn. 37. 5
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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2. Beispiele In aller Regel handelt es sich um Beratungsmandate, bei denen der Mandant 62 sichergestellt wissen will, seine Konsultation eines Anwalts werde nicht bekannt. Besonders bei Dauerbeziehungen - etwa im Gesellschaftsrecht, Miet- und Arbeitsrecht - , in denen eine Beratung durch einen Anwalt unumgänglich erscheint, will der Mandant häufig seine Vertragspartner hierüber nicht informieren, ζ. B. weil er nicht weiß, ob sich überhaupt aus der Beratung rechtliche Schritte ergeben. In Ehekrisen und überhaupt bei familiären Zwistigkeiten sind die Beteiligten bestrebt, den Gang zum Anwalt geheim zu halten, um eine Eskalation zu vermeiden. Vielfältig wünschen sich Mandanten eine derartig verschwiegene Beratung, bevor sie erbrechtliche Verfügungen treffen - der Ehepartner, die Kinder, Enkel, Eltern und sonstige Verwandte sollen hiervon (zunächst) nichts erfahren. Ein starkes Gewicht legen Mandanten auf die Geheimhaltung ihres Namens, wenn sie sich m finanziellen Schwierigkeiten befinden; sie wissen genau, daß die Bekanntgabe juristischer Beratung etwa durch einen in Insolvenzfragen erfahrenen Rechtsanwalt ihren Vermögensverfall beschleunigen oder sogar herbeiführen kann. Umgekehrt gibt es nicht weniger Geheimhaltungsinteressen: Nicht jeder, der einen geschäftlichen Erfolg hat und jetzt juristischen Rat braucht, will dies an die große Glocke hängen 63 . Ferner wünschen in aller Regel Mandanten dann die Geheimhaltung ihres Namens, wenn der Anwalt ein Mandat nicht übernimmt, weil sie befürchten, daß sich andere Anwälte aus ähnlichen Gründen versagen (zur culpa in contrahendo in diesen Fällen s. o. Fn. 42). Langfristige Beratungsmandate lassen sich als weitere Beispiele anführen, insbesondere wenn sie sich nicht auf eine rein juristische Beratung beschränken. Nicht selten trennen Mandanten zwischen denjenigen Kanzleien, die ihre Alltagsprobleme und Prozesse erledigen, und einem Anwalt, der ihre grundsätzlichen Wirtschafts- und Vermögensangelegenheiten betreut und dessen Tätigkeit den anderen Anwälten unbekannt bleiben soll - wie ja häufig der Mandant gerade deshalb auf strikte Geheimhaltung seines Namens Wert legt, weil bereits ein anderer Anwalt tätig ist und er Zweifel hat, ob er bei ihm in guten Händen ist. Solch striktes Stillschweigen verlangen immer wieder auch ausländische 12 „Mandant" können natürlich auch juristische Personen sein. Sie sind häufig in derselben Weise wie eine natürliche Person interessiert, daß eine anwaltliche Beratung unbekannt bleibt. " Vgl. Karl Heinz Gössel, Strafrecht - Besonderer Teil, Band 1, Heidelberg o. J . [1987] Rdn. 108: Schützenswert sei „etwa eine nur wenigen bekannte und zur Vermeidung finanzieller Nachteile geheimgehaltene herausragende positive Geschäftsentwicklung".
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Mandanten, die unter keinen Umständen erkennen lassen wollen, daß sie sich im Inland engagiert haben oder engagieren wollen 64 ; allein die Bekanntgabe der Tatsache, daß sie sich von einem deutschen Anwalt beraten lassen, halten sie für ein strenges Geheimnis. Auch der Strafverteidiger kennt immer wieder Situationen, in denen der Mandant die große Sorge hat, eine Beratung könnte von der Öffentlichkeit als Schuldanerkenntnis verstanden werden. Weiter ist an diejenigen Personen zu denken, die sich unter einem anderen Namen eine neue Identität aufgebaut haben 65 . Hierher gehören Straftäter, deren Verurteilung ein spektakulärer Prozeß voranging, so daß eine Resozialisierung nur unter einem neuen Namen möglich ist66; falls der Rechtsanwalt den ursprünglichen Namen seines Mandanten preisgäbe, gefährdete er die Resozialisierung 67 . Uber den Namen des Mandanten zu schweigen, ist dem Rechtsanwalt vor allem auch bei der Inkognitoadoption auferlegt 68 . Verhandelt ein 64 Henssler (Fn. 24) S. 1822 spricht in einem ähnlichen Zusammenhang von der Gefährdung der „hochsensiblen Vertrauensbasis". 65 Während des „Kalten Krieges" wurden auf diese Weise aus dem Ostblock geflohene Politiker, Diplomaten, Geheimdienstmitarbeiter geschützt. 66 Das Bundesverfassungsgericht hat im Lebach-Fall (BVerfGE 35, 202 [237 f]) betont, daß die Wiedereingliederung des Täters Vorrang vor dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat, insbesondere wenn der Fall über die aktuelle Berichterstattung hinaus etwa in Form eines Dokumentarspiels dargestellt werden soll. 67 Vgl. auch das (derzeit unveröffentlichte) Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg (Aktenzeichen: 324 0 47/94) im Prozeß der Rechtsanwältin Isolde OechsleMisfeld gegen den Journalisten Dagobert Lindlau. Die Klägerin war Anwältin von 'Werner Pinzner, der am 29. Juli 1986 im Hamburger Polizeipräsidium seine Frau, den Staatsanwalt Bistry und sich selbst erschoß; sie hatte dem Täter die Tatwaffe besorgt und war daher am 27. September 1991 vom Landgericht Hamburg u. a. wegen Beihilfe zum Mord zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Zivilkammer untersagte in ihrem Urteil vom 17. Juni 1994 - um die Resozialisierung der Klägerin nicht zu gefährden - dem Beklagten, in seinem Buch Der Lohnkiller „den früheren Ehenamen der Klägerin" ... „zu erwähnen und/oder zu verbreiten, erwähnen und/oder verbreiten zu lassen" und aus dem Urteil des L G Hamburg aus dem Jahre 1991 „zu zitieren, soweit darin der frühere Ehename der Klägerin" ... „angegeben" ist (vgl. auch Süddeutsche Zeitung vom 18./19. Juni 1994). „Die fortgesetzte namentliche Nennung der Klägerin", so die Zivilkammer, „verletzt die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht" ... „Dies folgt aus den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht in der sogenannten ,Lebach-Entscheidung' " . . . „normiert hat" (Urteil S. 11). 68 § 1758 B G B schützt das Geheimhaltungsinteresse des angenommenen Kindes. Die Vorschrift gilt seit der Reform von 1976. Das Gesetz will „den Schutz der Beteiligten davor, daß das Annahmeverhältnis grundlos aufgedeckt wird, allgemein verstärken" (BTDrucks. 7/3061 S. 46) und gleichzeitig dem Art. 20 Europäisches Übereinkommen über die Adoption von Kindern vom 24. April 1967 (BGBl. 1980 II S. 1094; abgedruckt bei Peter Hommelhoff/Erik Jayme, Europäisches Privatrecht, München 1993, S. 216 ff) Rechnung tragen, der eingehende Richtlinien enthält, die dem Geheimhaltungsinteresse von Adoptiveltern und Adoptivkind dienen (vgl. Rainer Frank in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., Berlin 1992, § 1758 Rdn. 3).
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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Rechtsanwalt ζ. B. für die annehmenden Eltern, zerstörte eine Preisgabe des Mandantennamens die gesetzlich vorgesehene Anonymität. Wie der soeben erwähnte Schutz der neuen Identität eines Straftäters entspringt auch die Schweigepflicht bei der Inkognitoadoption dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Beteiligten69. Übrigens ist der Adressatenkreis der Schweigepflichtigen hier erheblich weiter als bei § 203 StGB; sie erfaßt alle Personen, die von der Adoption Kenntnis erlangen, also etwa auch Nachbarn 70 ; für die in § 203 StGB genannte Personengruppe tritt das Schweigegebot neben die strafrechtliche Verschwiegenheitspflicht71. 3. Der Geheimnisbegriff
ist nicht auf den Bereich der Ehre
beschränkt
Besonders das letzte Beispiel zeigt mit Deutlichkeit, daß der Geheimnisbegriff nicht etwa auf solche Tatsachen beschränkt ist, deren Bekanntgabe geeignet ist, die Ehre des Betroffenen zu verletzen. Was Geheimnis ist, definiert das (nicht willkürliche) Interesse der einzelnen Person (so vor allem oben Fn. 37); weit über den Bereich der Ehre hinaus reicht daher der Umkreis des Geheimnisschutzes72. Bereits ein Blick in den Gesetzestext zeigt diese Weite: Von einem „fremden Geheimnis" spricht § 203 Abs. 1 StGB ganz allgemein, und das nachfolgend genannte „zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnis" ist nur ein (wichtiges) Beispiel („namentlich"), das jedoch deutlich macht, daß der Geheimnisbegriff über den persönlichen Lebensbereich hinausgeht. Der Wortlaut der Vorschrift begnügt sich jedoch nicht mit diesen
" Frank aaO. 'c Frank aaO Rdn. 7. " Vor Gericht wird die Anonymität des Kindes dadurch geschützt, daß es Prozesse gegen leibliche oder vermeintliche Verwandte inkognito führen kann (Alexander Lüderitz in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., München 1987, § 1758 Rdn. 8). Es genügt als Parteibezeichnung etwa die Angabe „das am 1. 1. 1977 im Geburtsregister von ... unter dem Namen ... eingetragene Kind" ( O L G Karlsruhe FamRZ 1975, 507). Ausnahmen von dem Ausforschungsverbot gelten nach § 1758 Abs. 1 bei der Zustimmung des Annehmenden und des Kindes (analog zu § 1746 Abs. 1 B G B entscheidet bis zum 14. Lebensjahr der Annehmende als gesetzlicher Vertreter allein; später muß das Kind, da es sich um einen höchstpersönlichen Umstand handelt, mitwirken; ab 16 Jahren kann es - analog dem § 61 Abs. 2 S. 1 PStG - allein entscheiden [Lüderitz aaO Rdn. 3]) oder bei besonderen Gründen des öffentlichen Interesses. Diese können in Fällen gegeben sein, bei denen es auf die biologische Abstammung ankommt, etwa bei § 173 Abs. 1, § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB oder bei dem Eheverbot des § 4 Abs. 1 Satz 2 EheG. Die Inkognitoadoption wird weiterhin geschützt durch § 34 Abs. 2 F G G , § 8 Abs. 2 Melderechtsrahmengesetz [ M R R G ] (Bekanntmachung BGBl. 1994 I S. 1431) und § 61 Abs. 2 PStG. 72 So zutreffend ζ. B. Gössel (Fn. 63) Rdn. 108. Vgl. schon frühzeitig RGSt. 13, 60: „Die Motive zum jetzigen Strafgesetzbuche heben hervor, es könne zwar, aber es müsse nicht in der Offenbarung des Geheimnisses eine Ehrverletzung liegen."
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Begriffen: Er nennt sogleich das „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis". Es ist daher ein arges Mißverständnis des Landgerichts Wiesbaden, wenn es glaubt, mit der saloppen Bemerkung, die Beratung durch einen Anwalt sei „nicht ehrenrührig" 73 , die Problematik der Offenbarung des Mandantennamens im Verfahren der Offenbarungsversicherung (§ 807 ZPO) lösen zu können. So sicher es ist, daß der Mandant in einem solchen Verfahren den Namen preisgeben muß (näher s. u. 4. i), so unzutreffend ist es, dies vom Geheimnisbegriff her lösen zu wollen 74 . Der richtige Lösungsweg geht nur über die Erkenntnis, daß § 807 ZPO eine besondere Offenbarungspflicht enthält, und zwar gerade auch für Geheimnisse (s. u. 4. i).
4. Ausnahmen von der Schweigepflicht
des
Rechtsanwalts
a) Die strikte Beschränkung der Ν amensoffenlegung auf den Ausnahmetatbestand Wie bereits angedeutet (s. ο. II. 1.), gibt es vielfältige Ausnahmen von der Schweigepflicht; sie beseitigen jedoch nicht die grundsätzliche Pflicht zum Schweigen über den Namen des Mandanten. Daß trotz solcher Ausnahmen die generelle Verschwiegenheitspflicht besteht, zeigt sich immer dann, wenn es um die Grenzen dieser Ausnahmen geht. Denn selbst wenn die Nennung des Namens ausnahmsweise gerechtfertigt ist, beschränkt sich die Rechtfertigung eng auf den Ausnahmebereich: Wer für seinen Mandanten eine Kündigung erklärt und deshalb dessen Namen dem Gegner mitteilen muß (siehe sogleich c), ist noch lange nicht befugt, einem anderen Mandanten oder der Presse mitzuteilen, für wen er tätig wurde 75 . Wenn trotz Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung oder der Hauptverhandlung der Name des Mandanten zwar den am Prozeß beteiligten Personen bekannt wurde (siehe sogleich d)), aber - nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist, darf der Rechtsanwalt - jedenfalls kraft Standesrechts, das Strafrecht anerkennt
73 JurBüro 1977, 728 f = RPfleger 1977, 179 f; ähnlich ist der falsche Ausgangspunkt beim LG Frankfurt am Main AnwBl. 1985, 258; LG Aurich NJW 1971, 252. 74 Jähnke [Fn. 22] Rdn. 27. 75 Ehrengerichtshof für deutsche Rechtsanwälte EGH 13 (1908) 58 (59: „Wer verpflichtet ist, etwas geheim zu halten, darf selbst dem, der alle Tatsachen kennt, nicht bestätigen, daß sein Wissen der Wahrheit entspreche, weit weniger darf er Tatsachen einem andern mitteilen, deren Kenntnis sich dieser nur allenfalls anderweit verschaffen kann"); fast wörtlich so auch Richard Finger, Die Kunst des Rechtsanwalts, 2. Aufl., Berlin 1912, S. 238; ebenso Dahs (Fn. 56) aaO Rdn. 40 a. E.: „Die Schweigepflicht gilt auch dort, wo das Geheimnis schon bekannt ist. Denn der Anwalt als Geheimnisträger kann nicht mit Sicherheit erkennen, in welchen Einzelheiten und mit welchem Bestimmtheitsgrad das Geheimnis bereits aufgehoben ist"; ähnlich ferner RGSt. 26, 5 [7], vgl. Fn. 37.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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hier wohl kein Geheimnis mehr (vgl. Fn. 83) - nicht etwa dritten Personen den Namen nennen. Folgerichtig hebt auch der neue § 49 b Abs. 4 B R A O (Text unten bei Fn. 112) die Verschwiegenheitspflicht nicht etwa auf, wenn zwischen Rechtsanwalt und Mandant ein H o n o rarprozeß stattfand, ja nicht einmal, falls ein Vollstreckungsversuch gegen den Mandanten fruchtlos verlief (vgl. näher unten Fn. 112). b) Zustimmung
des Mandanten, vor allem durch den Mandanten selbst
Bekanntgabe
Gibt der Mandant öffentlich bekannt, welchen Anwalt er beauftragt hat, braucht dieser natürlich nicht zu schweigen. Was jeder weiß, ist kein Geheimnis mehr. Hält der Mandant den Kreis der Eingeweihten jedoch klein, muß dies auch der Anwalt akzeptieren - wie es ja im Zweifel immer standesrechtlich geboten ist, nichts über den Namen der eigenen Mandanten zu sagen"". c) Notwendige
Mitteilung
des Namens
an andere
Personen
Viele juristische Handlungen - etwa Mahnschreiben, Kündigungen, Anträge bei Behörden, Entgegnungen auf Anwaltsschreiben - müssen erkennen lassen, in wessen Namen der Anwalt tätig wird; hier kann der Name des Mandanten nicht geheim bleiben, wenn sein Auftrag ausgeführt werden soll. Hält dies der Mandant irrigerweise dennoch für möglich, so ist er hierüber aufzuklären, bevor der Anwalt tätig wird. Jenseits dieser notwendigen Angabe muß der Anwalt aber über dessen Namen schweigen 77 . d) Verfahrensrechtlich notwendige Bekanntgabe bei öffentlichen Verhandlungen
des
Namens
Gerichtsverfahren sind in der Regel öffentlich, § 169 Satz 1 GVG 7 8 , § 52 A r b G G , § 55 V w G O , § 61 Abs. 1 S G G , § 52 F G O . Jedermann hat daher die Möglichkeit, ohne Erfüllung besonderer Voraussetzungen oder bestimmter persönlicher Eigenschaften an den Verhandlungen der Gerichte als Zuhörer teilzunehmen 79 . Die Bürger können sich, um dieses 76 Zutreffend sieht Dabs (Fn. 56) aaO Rdn. 40 [1. Absatz] die Verschwiegenheitspflicht als „ein Element der beruflichen Haltung", die den Anwalt auch dann noch bindet, „wo der Mandant Publizität wünscht". 77 S. o. a. ™ Diese Vorschrift gilt unmittelbar nur für die Verfahren vor den ordentlichen Gerichten in Zivil- und Strafsachen, § 2 E G G V G . Zur Öffentlichkeit im FGG-Verfahren vgl. Otto Rudolf Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, 2. Aufl., München 1994, § 169 Rdn. 5. 79 BGHSt. 27, 13, 14 = NJW 1977, 157; Dieter Leipold in: Stein/Jonas ZPO, 21. Aufl., Tübingen 1994, Rdn. 125 vor § 128.
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Recht wahrzunehmen, rechtzeitig vor der Verhandlung über Ort, Zeit und Art der Verhandlung informieren 80 . An der Tür des Sitzungssaals ist im ordentlichen Gerichtsverfahren ein Terminzettel 81 angeschlagen, dem zu entnehmen ist, wer Kläger und wer Beklagter bzw. Angeklagter ist. Nach der Zivil- und Strafprozeßordnung beginnt die Verhandlung mit dem Aufruf der Beteiligten, § 220 ZPO bzw. § 243 Abs. 1 StPO. Deshalb kann der Name des Mandanten kein strafrechtlich geschütztes Geheimnis mehr sein. Die Entscheidung des Gesetzgebers für die öffentliche Verhandlung steht dem entgegen82, unabhängig davon, ob jemand tatsächlich von der Öffentlichkeit des Verfahrens Gebrauch macht83 - anders ist es allerdings nach Standesrecht (s. o. a). Bei nichtöffentlichen Verfahren zeigt sich allerdings eine von der öffentlichen Verhandlung verschiedene Situation; keine Öffentlichkeit gibt es im wesentlichen in den Fällen der §§ 170 ff GVG (Familien-, Kindschafts-, Unterbringungssachen), in geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten auch auf Antrag einer Partei (§§ 171 b f GVG) sowie in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in Jugendstrafsachen (§ 48 Abs. 1, § 109 Abs. 1 S. 4 JGG) und in Disziplinarverfahren (§ 73 BDO; § 63 DRiG; § 135 BRAO, § 96 BNotO) statt. In Verfahren der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit ist - auch bei Ausschluß der Öffentlichkeit - das Urteil immer öffentlich zu verkünden, § 173 Abs. 1 GVG i. V. m. § 2 EGGVG. In den übrigen Fällen ist das Verfahren einschließlich der Urteilsverkündung nicht öffentlich. In den meisten streitigen Verfahren ist also der Name des Mandanten mit der Urteilsverkündung kein Geheimnis mehr. Strafrechtlich kann deshalb ein Rechtsanwalt nicht zur Verantwortung gezogen werden, der den Namen des Mandanten preisgibt, obwohl ihn die tatsächliche Öffentlichkeit nicht kennt84. Standesrechtlich und zivilrechtlich ist dies freilich anders. Der Anwalt darf gerade bei nichtöffentlichen Verfahren, aber auch in allen übrigen Verfahren den Namen seines Mandanten von sich aus nicht bekanntgeben. Immer und immer wieder erlebt der 80 81
Kissel (Fn. 78) § 169 Rdn. 47; Leipold (Fn. 79) Rdn. 125. Peter Gümmer in: Zöller, ZPO, 19. Aufl., Köln 1995, § 169 G V G Rdn. 3; Leipold
aaO. 82 Vgl. Othmar Jauernig, Dürfen Prozeßbeteiligte in veröffentlichten Zivilentscheidungen namentlich genannt werden? in: Festschrift für Bötticher, Berlin 1969, S. 219 (229 ff), für die Frage der Geheimhaltung von Parteinamen bei der Veröffentlichung von Urteilen. 83 Angela Wiirz-Bergmann, Die Abtretung von Honorarforderungen schweigepflichtiger Gläubiger - insbesondere Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Ärzte, jur. Diss. Frankfurt am Main 1993, S. 51; Lenckner [Fn. 24] Rdn. 6; Erich Samson in: Hans-Joachim Rudolphi/Eckhard Horn/Erich Samson, Systematischer Kommentar zum StGB, Band II, Besonderer Teil, 5. Aufl., 24. Lieferung, Stand Januar 1989, NeuwiedKriftel-Berlin 1993, § 203 Rdn. 26. 84 Würz-Bergmann (Fn. 83)S. 51.
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Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
Anwalt, daß der Name seines Mandanten trotz der Öffentlichkeit der Verkündung oder auch des gesamten Zivil- oder Strafprozesses nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Dann ist er nicht etwa befugt, unter Hinweis auf die Öffentlichkeit des Verfahrens oder der Verkündung den Namen zu nennen. Sicher konnte der Anwalt gar nicht anders, als im Prozeß den Namen seines Mandanten zu nennen. Außerhalb des Gerichtssaales bleibt der Name aber weiterhin geschützt, es sei denn, er ist durch den Prozeß allgemein bekannt geworden 85 . Im übrigen erlaubt das Gesetz dem Gericht, den Prozeßbeteiligten Stillschweigen über ein nichtöffentliches Verfahren aufzuerlegen (§ 174 Abs. 3 GVG). Auch der Name von Prozeßbeteiligten kann hierunter fallen86. Der Verstoß ist strafbar nach § 353 d Nr. 2 StGB.
e) Verfahrensrechtlich notwendige Bekanntgabe des Namens bei öffentlichen Zustellungen Der Name eines Prozeßbeteiligten kann publik werden, wenn er durch seinen Anwalt eine öffentliche Zustellung nach § 203 Z P O beantragt. Auf diese Weise wird selbst in Fällen, in denen das Prozeßrecht nichtöffentliche Verhandlung vorsieht, der Name einer Person bekannt.
f ) Preisgabe des Namens bei Auseinandersetzungen zwischen und Mandant (vor allem Honorarklagen)
Anwalt
Die Wahrnehmung eigener Interessen des Rechtsanwalts kann die Preisgabe von Geheimnissen rechtfertigen. Dabei ist umstritten, ob §193 StGB analog anzuwenden oder § 34 StGB87 in diesem Falle weit auszulegen sei. Einigkeit besteht darüber, in welchen Fallgruppen der Rechtsanwalt Geheimnisse preisgeben darf. Betrachtet man diese Fallgruppen im einzelnen, zeigt sich, daß weitgehend auf die Hilfskonstruktionen über § 193 oder § 34 StGB verzichtet werden kann, da die Zulässigkeit der Offenbarung spezialgesetzlich geregelt oder zumindest vorausgesetzt ist88.
85
Siehe schon oben a. " Leipold (Fn. 79) Rdn. 122 vor § 128: „Tatsachen"... „die durch die Verhandlung oder durch amtliche Schriftstücke" bekannt wurden. !7 Lenckner (Fn. 24) § 203 Rdn. 33. 88 So auch Hemder (Fn. 24) S. 1822.
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Honorarklage des Anwalts gegen den Mandanten. Die Honorarklage ist in § 12 Abs. 2, § 19 Abs. 4 B R A G O vorgesehen. Zur Substantiierung dieser Klage ist die Offenbarung gewisser Geheimnisse und vor allem des Namens des Mandanten unausweichlich; sie muß daher zulässig sein89. Die Schweigepflicht des Anwalts schließt ihn nicht von der staatlichen Justizgewährung aus90 und stellt ihn also hinsichtlich seiner Ansprüche gegenüber den Mandanten nicht rechtsschutzlos. Zivilklage des Mandanten gegen den Anwalt91. Muß sich der Anwalt auf eine Zivilklage (Schadensersatzklage) seines Mandanten einlassen, kann es notwendig sein, zur Verteidigung Mandantengeheimnisse preiszugeben. Der Name des Mandanten kann hierzu aber nicht (mehr) zählen, weil er durch den Kläger ja selbst schon bekannt geworden ist. Strafverfahren - Anwaltsgerichtliches Verfahren92. Ein Konflikt mit der Schweigepflicht kann sich ferner im strafrechtlichen Bereich ergeben. Hat der Mandant eine Straftat gegen den Rechtsanwalt begangen, ist dieser selbstverständlich berechtigt, Anzeige zu erstatten und den Namen zu offenbaren; es ist nicht anders als bei der Honorarklage 93 . Hat der Mandant den Anwalt angezeigt und läuft daher ein staatsanwaltliches oder anwalts- (früher: ehrengerichtliches Ermittlungsverfahren, ist der Name des Mandanten - wie bei einer Zivilklage gegen den Anwalt 94 ebenfalls bekannt. g) Preisgabe des Namens des Mandanten in anderen Auseinandersetzungen Schwieriger ist die Situation, wenn sich der Anwalt nicht in einer Auseinandersetzung mit seinem Mandanten befindet. So kann sich sowohl in Zivilprozessen als auch in strafrechtlichen Verfahren die Frage stellen, ob er den Namen seines - nicht an diesen Verfahren beteiligten und daher unbekannten - Mandanten nennen darf oder sogar preiszugeben hat. Zivilprozeß: Anwalt als Prozeßbevollmächtiger. Gegenüber einem Mandanten darf der Anwalt den bislang unbekannten Namen eines anderen Mandanten nicht offenbaren, auch nicht, falls dieses Mandat beendet ist.
" Jähnke (Fn. 22) § 203 Rdn. 83. 90 BGHSt. 1, 366 (368); Ackermann (Fn. 60) S. 501; Dreher/Tröndle (Fn. 37) Rdn. 31; Bernhard Hafke, Schweigepflicht, Verfahrensrevision und Beweisverbot, GA 1973, 65 (68); Maiwald (Fn. 24) aaO §29 Rdn. 46; Samson [Fn. 83] aaO Rdn. 44; Schänke/ Schröder/Lenckner (Fn. 24) Rdn. 11; Jähnke (Fn. 22) Rdn. 83. " Hierzu allgemein Henssler (Fn. 24) S. 1822 f m. weit. Nachw. ,2 Hierzu Henssler (Fn. 24) S. 1823 m. Nachw. in Fn. 67 und 68. 93 Siehe soeben. 94 Siehe soeben.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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Selbst wenn sich die Rechtsstellung seines jetzigen Mandanten durch Nennung des Mandantennamens erheblich verbessern würde95, ist ihm ein solcher Schritt verwehrt. Ohne Einwilligung muß der Rechtsanwalt über den Namen schweigen. Auf die Motive, aus welchen Gründen dieser Mandant keine Einwilligung gibt, kommt es nicht an96. Es unterliegt seiner freien informationellen Selbstbestimmung, ob er zustimmt oder nicht. Abwägungen und Überlegungen, wie sie § 3 4 oder § 193 StGB erlauben, sind in solchen Fällen daher nicht möglich. Zivilprozeß: Anwalt als Partei. Etwas anders verhält es sich, wenn der Rechtsanwalt selbst Partei eines Zivilprozesses ist. Hier können sowohl in zivilrechtlicher als auch in straf- und standesrechtlicher Hinsicht die Rechtfertigungsgründe des Notstandes und der Wahrnehmung berechtigter Interessen eingreifen. So ist möglicherweise bei einer Schadensersatzklage gegen den Anwalt wegen falscher Rechtsberatung von Bedeutung, daß er - bevor er den jetzigen Mandanten beriet - bereits den Rechtsvorgänger (den Veräußerer des Betriebs, des Grundstücks, den Erblasser) als Mandanten hatte. Hält es der Anwalt in solchen oder vergleichbaren Situationen für sinnvoll, den Namen des anderen Mandanten zu nennen, muß er - soweit noch möglich - versuchen, dessen Einwilligung zur Namensnennung zu erreichen. Erst in Kenntnis der etwaigen Ablehnungsgründe ist er in der Lage, die Interessen seines Mandanten an Geheimhaltung mit seinen eigenen Interessen an Preisgabe richtig abzuwägen97. Unter keinen Umständen ist nämlich die Offenlegung des Mandantennamens schon einfach deshalb gerechtfertigt, weil dies dem Anwalt nützt. Zivilprozeß: Anwalt als Zeuge. Gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO haben Rechtsanwälte98 ein Zeugnisverweigungsrecht hinsichtlich „der Tatsachen, auf welche die Verpflichtung zur Verschwiegenheit sich bezieht". Der Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts deckt sich mit dem Be-
95 Der andere Mandant hat ζ. B. in einem vergleichbaren Fall Steuervergünstigungen oder Ausnahmegenehmigungen erhalten. " Meist will der (frühere) Mandant nicht erneut in juristische Auseinandersetzungen verwickelt werden, scheut die Vorladung bei Behörden oder die Aussage vor Gerichten oder Untersuchungsausschüssen und hat - last not least - Angst vor der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, vor allem vor Presseberichten. 97 Jähnke (Fn. 22) § 203 Rdn. 83. , s Vgl. Ekkehard Schumann in: Stein/Jonas, ZPO, 20. Aufl., Tübingen 1989, §383 Rdn. 75. § 383 ZPO gilt entsprechend ζ. B. in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (§ 98 VwGO), im allgemeinen Verwaltungsverfahren (§ 65 Abs. 1 VwVfG), in der Sozialgerichtsbarkeit (§ 118 Abs. 1 SGG) und im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren (§21 Abs. 3 Satz 3 SGB X ) sowie gemäß § 28 Abs. 1 BVerfGG in den nicht quasistrafrechtlichen Verfahren der Verfassungsgerichtsbarkeit. Für steuerrechtliche Verfahren greifen ein: § 102 Abs. 1 Nr. 3 A O und § 84 Abs. 1 F G O .
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Ekkehard Schumann
reich der Verschwiegenheitspflicht". Was „außerhalb des Justizpalastes" ein Geheimnis ist, braucht auch innerhalb des Gerichtssaales nicht offenbart zu werden. Aus diesem Grunde ist der Rechtsanwalt zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, wenn das Zivilgericht - etwa um weitere Zeugen zu gewinnen - nach dem Namen seiner Mandanten fragt. Daß er unter Umständen straf- und bürgerlichrechtlich zum Bruch der Verschwiegenheit berechtigt wäre, hebt sein Verweigerungsrecht nicht auf100. Strafprozeß'01: Anwalt als Verteidiger. Was zur ähnlichen Situation im Zivilprozeß ausgeführt wurde 102 , gilt auch hier: Ohne Einwilligung des (früheren) Mandanten muß der Verteidiger über dessen Namen schweigen. Strafprozeß: Anwalt als Angeklagter10^. Vergleichbar mit dem eigenen Zivilprozeß des Anwalts sind Bußgeld-, Ermittlungs-, Anwaltsgerichtsoder Strafverfahren gegen den Anwalt; insoweit kann ebenfalls auf die bisherigen Erörterungen verwiesen werden 104 . Keinesfalls ist auch hier die Offenlegung des Mandantennamens bereits deshalb gerechtfertigt, weil dies für den Anwalt nützlich wäre. Dabei darf sich der beschuldigte Anwalt auch nicht durch den psychischen Druck irritieren lassen, den solche Verfahren mit sich bringen. V o r allem ist es nicht seine Aufgabe, entlastendes Material unter Bruch seiner Schweigepflicht selbst vorzutragen, wo es ja Sache der Gegenseite ist, belastende Tatsachen festzustellen. Wer etwa mit dem Vorwurf des Parteiverrates (§ 356 S t G B ) konfrontiert wird, ist nicht befugt, die Namen der Mandanten mitzuteilen, nur um sich möglichst schnell des Verfahrens zu entledigen. W e m nach dem Kauf einer Anwaltspraxis von der Anwaltskammer 105 in einem anwaltsgerichtlichen Verfahren vorgeworfen wird, er habe einen unangemessen niedrigen oder unangemessen hohen Kaufpreis gezahlt 106 , ist nicht berechtigt, Mandantenlisten vorzulegen, nur um den Vorwurf
" Schumann (Fn. 98) aaO Rdn. 91. Schumann (Fn. 98) aaO Rdn. 23 [m. weit. Nachw.]: „Der etwa wegen übergesetzlichen Notstandes nicht strafbare Bruch des Berufsgeheimnisses begründet aber nicht gleichzeitig die prozessuale Zeugenpflicht." 101 Gemeint sind auch hier Bußgeldverfahren, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren sowie anwaltsgerichtliche Verfahren. 102 S. o. S. 792 f. 103 Oder (s. o. Fn. 101) Betroffener, Beschuldigter, Angeschuldiger, im anwaltsgerichtlichen Verfahren beschuldigter Rechtsanwalt. ,04 S. o. S. 793. 105 Anders ist es, wenn der Vorwurf - etwa im Rahmen eines Zivilprozesses - von einem der beteiligten Anwälte ausgeht. 106 Ob das heutige Standesrecht überhaupt noch solche Vorwürfe zu erheben mag, soll dahinstehen, vgl. § 80 Abs. 2 RichtlA „Praxisübernahme". 100
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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unverzüglich zu entkräften. Der Mandant eines deutschen Rechtsanwalts muß sicher sein, daß sein Name nicht gegen seinen Willen preisgegeben wird, nur um in solchen Fällen möglichst „bequem" das Verfahren zu beenden. Vielmehr muß in derartigen Situationen der Anwalt den Weg des jeweiligen rechtsstaatlichen Verfahrens gehen, bei dem er sicher sein kann, daß nicht er sich entlasten, sondern die ermittelnde Instanz ihn überführen muß. Strafprozeß: Anwalt als Zeuge. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 S t P O haben im Strafprozeß die Rechtsanwälte ein Zeugnisverweigungsrecht „über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist". Der Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts deckt sich auch hier nahtlos mit dem Bereich der Verschwiegenheitspflicht 107 . Letztlich ist die Situation wie im Zivilprozeß 108 . Auch hier gilt: Daß er unter Umständen straf- und bürgerlichrechtlich zum Bruch der Verschwiegenheit berechtigt wäre, hebt das anwaltliche Verweigerungsrecht nicht auf 109 .
h) Die Problematik
der Abtretung von
Honorarforderungen
Allgemeines. U m eine Honorarforderung gegen einen Mandanten abzutreten, muß der Anwalt dem Zessionar den Namen des Mandanten mitteilen. Da aber dieser Name dem Schweigegebot unterliegt, darf der Rechtsanwalt schon aus allgemeinen Erwägungen keine Honorarforderung abtreten 110 . Die Abtretung der Honorarforderung führt vielmehr zu einer Verletzung des § 203 Abs. 1 Nr. 3 S t G B . Die Abtretung verstößt daher gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) 1 1 ' und ist deshalb nichtig. Die Neuregelung des § 49 b Abs. 4 BRA O. Diese generelle Situation modifiziert der neue § 49 b Abs. 4 B R A O in der Fassung des oben 112 genannten Gesetzes:
107 Hans Dahs in: Ewald Löwe/Leo Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl., Berlin-New York 1988, § 53 Rdn. 28. 101 S. o. S. 793 f. ,0* Hans Dahs (Fn. 107) Rdn. 9 mit weiteren Nachweisen, s. auch oben das Zitat in Fn. 100. Zum folgenden vgl. die Zusammenfassung bei Würz-Bergmann (Fn. 83) S. 105 f und die Nachweise bei Henssler (Fn. 24) S. 1822 Fn. 63. 1,1 § 203 Abs. 1 StGB ist Verbotsgesetz im Sinne von § 134 B G B , vgl. die ausführliche Darstellung bei Würz-Bergmann (Fn. 83) S. 34 f; BGH NJW 1974, 602 setzt dies ohne weitere Begründung voraus. " 2 Bei Fn. 36.
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„'Der Rechtsanwalt, der eine Gebührenforderung erwirbt, ist in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet, wie der beauftragte Rechtsanwalt. 2Die Abtretung von Gebührenforderungen oder die Übertragung zur Einziehung an einen nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Dritten ist unzulässig, es sei denn die Forderung ist rechtskräftig festgestellt, ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos ausgefallen und der Rechtsanwalt hat die ausdrückliche, schriftliche Einwilligung des Mandanten eingeholt."
Die neue Vorschrift zeigt, daß es die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht ist, die die Grenze für die Zulässigkeit der Abtretung bildet (§ 49 b Abs. 4 Satz 1 BRAO). § 49 b Abs. 4 Satz 2 verdeutlicht das
Weiterbestehen der Verschwiegenheitspflicht trotz öffentlicher Verfahren (hierzu schon oben 4 a), weil trotz eines abgeschlossenen zivilgerichtlichen Verfahrens („rechtskräftig festgestellt", § 49 b Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz [1. Variante] B R A O ) sowie trotz eines Vollstreckungsversuches (aaO [2. Variante]) immer noch der Mandant „Herr des Geheimnisses" ist und damit der Anwalt „Diener der Verschwiegenheit" bleibt (aaO [3. Variante]). Ohne die Zustimmung des Mandanten kann ein Rechtsanwalt seine Gebührenforderung nur an einen anderen Rechtsanwalt abtreten·, die Verschwiegenheitspflicht des zedierenden Anwalts gilt ausdrücklich in derselben Weise für den Zessionar. Übrigens enthält § 43 a Abs. 3 Patentanwaltsordnung in der Fassung desselben Gesetzes eine vergleichbare Regelung der Honorarabtretung, nur daß es statt „Rechtsanwalt" dort „Patentanwalt" heißt 113 .
i) Die Ausnahme im Verfahren der Offenbarungsversicherung Nicht einfach zu beantworten ist die - bereits oben II 4 kurz angesprochene - Situation des insolventen Anwalts. Der nach § 807 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtete Vollstreckungsschuldner hat ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und „für seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen". U m dieser Pflicht zu genügen, muß er die Namen seiner Schuld -
115 Bemerkenswert ist allerdings die nicht unerheblich andere Fassung in der ebenfalls Mitte 1994 geänderten 'Wirtschaftsprüferordnung. Das Dritte Gesetz zur Änderung der Wirtschaftsprüferordnung vom 15. Juli 1994 (BGBl. I S. 1569) führte ebenfalls eine Vorschrift über die Honorarabtretung ein. § 55 a Abs. 3 WPO lautet: „Die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an einen nicht als Wirtschaftsprüfer bestellten Dritten, insbesondere an ein Inkassobüro, ist unzulässig, es sei denn, die Forderung ist rechtskräftig festgestellt, ein erster Vollstreckungsversuch fruchtlos ausgefallen und die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 43 Abs. 1 Satz 1) wird nicht beeinträchtigt." Vergleichbar lautete der oben in Fn. 36 genannte Regierungsentwurf (BTDrs. 12/4993 S. 4 ff). Weshalb der Bundestag die von der Bundesregierung eingebrachte Regelung bei der WPO nicht veränderte, jedoch § 49 b Abs. 4 BRAO und § 43 a Abs. 3 Patentanwaltsordnung anders faßte (s. ο. II 4 h), ist nicht ersichtlich. Jedenfalls ist die von der Bundesregierung angestrebte einheitliche Abtretungsregelung bei Rechtsanwälten, Patentanwälten und Wirtschaftsprüfern auf diese Weise nicht zustande gekommen.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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ner (der Drittschuldner) angeben114, einschließlich deren Anschrift115. Das Gesetz sieht keinerlei Auskunftsverweigerungsrecht des Vollstreckungsschuldners vor. Ebensowenig wie in § 372 a Z P O " 6 greift daher auch nicht etwa § 383 Abs. 1 Nr. 6 Z P O ein. Die uneingeschränkte Erklärungspflicht des Vollstreckungsschuldners macht auch nicht vor seiner Schweigepflicht halt: Sowohl gegenüber § 203 StGB und gegenüber der standesrechtlichen Verschwiegenheitspflicht als auch gegenüber den zivilrechtlichen Geheimhaltungspflichten ist § 807 Z P O lex specialis117. Der Vollstreckungsschuldner muß deshalb auch dann Angaben über seine Forderungen gegen Dritte machen, wenn der Name des Drittschuldners grundsätzlich der Schweigepflicht unterliegt118. Wie schon angedeutet" 9 , ist dieses Ergebnis nicht durch eine Reduktion des Geheimnisbegriffs auf solche Tatsachen, die ehrenrührig sind, zu erreichen; denn der Bereich des Geheimnisschutzes beschränkt sich gerade nicht auf solche Tatsachen, deren Veröffentlichung den Betroffenen bloßstellt120. Es wäre zugleich aber auch § 807 Z P O mißverstanden, der die Offenbarungspflicht keineswegs vor Geheimnissen haltmachen läßt; er zwingt vielmehr den Vollstreckungsschuldner sogar, Tatsachen zu bekunden, durch die er sich früherer strafbarer Handlungen bezichtigt121.
1.4 Wolfgang Münzberg in: Stein/Jonas, Z P O , 20. Aufl., Tübingen 1981, § 807 Rdn. 24 und 33. 1.5 Münzberg (Fn. 114) Fn. 87 m. weit. Nachw. 1.6 Vgl. Schumann (Fn. 98) § 372 a Rdn. 13. Zuck [Fn. 56] Rdn. 9 Fn. 5. ,lg KG JR 1985, 161 (162); LG Frankfurt am Mam AnwBl. 1985, 258; LG Aurich NJW 1971, 252; LG Wiesbaden JurBüro 1977, 727; Dreher/Tröndle (Fn. 37) Rdn. 31; Münzberg (Fn. 114) aaO Rdn. 34; Laufs (Fn. 28) Rdn. 435; Narr (Fn. 30) Rdn. 747. - Die Landgerichte Aurich (NJW 1971, 252), Wiesbaden (JurBüro 1977, 727) und Frankfurt am Main (AnwBl. 1985, 258) gehen unzutreffend davon aus, daß der Name hier kein Geheimnis sei (zutreffend in der Kritik daher Jähnke [Fn. 74] aaO). Die Geheimniseigenschaft bleibt jedoch auch im Fall des § 807 Z P O unberührt (Jähnke aaO); § 807 Z P O enthält vielmehr eine gesetzliche „Offenbarungspflicht" ohne Verweigerungsrecht (vgl. schon Ludwig Ebermayer, Arzt und Patient in der Rechtsprechung, Berlin 1924, S. 61 f sowie Gössel [Fn. 63] aaO Rdn. 121). Diese geht § 203 StGB vor und verdrängte auch § 43 B R A O i. V. m. § 42 RichtlRA (Zuck [Fn. 56] aaO) und gilt heute gegenüber den neuen Verschwiegenheitsregelungen in § 43 a Abs. 2 und § 49 b Abs. 4 Satz 2 BRAO. Der Gesetzgeber dem die Interpretation des § 807 ZPO als Ausnahme gegenüber den berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten bekannt war - hätte bei der Neufassung des Berufsrechts zum Ausdruck bringen müssen, daß er eine derartige Ausnahme nicht duldet.
" ' S.o. II 3. 120 Zutreffend Gössel (Fn. 63) Rdn. 108. 121 BGHZ 41,318 (326).
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III. Der N a m e des Patienten als eine der Schweigepflicht des Arztes unterliegende Tatsache 1. Der Grundsatz: Der Name ist ein der Schweigepflicht unterliegendes Geheimnis Nicht anders als der Name des Mandanten unterliegt der Name des Patienten der strikten Schweigepflicht. Auch für den Arzt gehören alle Umstände, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung ein verständliches Interesse des Patienten besteht, in den Bereich der Verschwiegenheit122. Daher fällt die Tatsache, daß jemand einen Arzt aufgesucht hat, wie auch der Name des Patienten123 unter den Geheimnisschutz. 2. Die seltenen Ausnahmen von der ärztlichen
Schweigepflicht
In dem gemeinsamen Ausgangspunkt, daß der Name der Mandanten und der Patienten grundsätzlich geheim zu halten ist, gleichen sich anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht völlig. Deutliche Unterschiede zeigen sich jedoch bei den Ausnahmen. Viel seltener ist der Arzt befugt, den Namen zu offenbaren. a) Zustimmung
des Patienten, vor allem durch den Patienten selbst
Bekanntgabe
Wenn der Patient selbst die ärztliche Behandlung bekannt gibt, muß der Arzt nicht den Namen verschweigen124. b) Notwendige
Mitteilung des Namens an andere Personen
Notwendige Mitteilungen des Namens an andere Personen - so wie beim Anwalt125 - gibt es natürlich auch; aber sie sind viel seltener. Meist richten sie sich zudem an Personen, die ihrerseits zum Schweigen verpflichtet sind: vor allem als ärztlicher Kollege oder als Apotheker, als
Vgl. Laufs (Fn. 28) Rdn. 434. BGHSt. 33, 148 (151) = N S t Z 1985, 372 mit insoweit voll zustimmender Anm. Klaus Rogali N S t Z 1985, 374 sub 1; BAG N Z A 1987, 515 (516) = BAG N S t E § 203 StGB Nr. 2; OLG Bremen MedR 1984, 112; OLG Oldenburg N J W 1982, 2615 f; LG Köln N J W 1959, 1598 f [Name eines Straftäters gegenüber einem Patienten ist jedoch nicht geschützt]; Dreher/Tröndle (Fn. 37) Rdn. 4; Ernst-Walter Hanack J R 1986, 35; Laufs (Fn. 28) Rdn. 434; Volker Krey, Strafrecht Besonderer Teil, Band 1, 9. Aufl., Stuttgart-Berlin-Köln o. J. [1993], Rdn. 458; Lenckner [Fn. 24] Rdn. 7; Jobannes Wessels, Strafrecht Besonderer Teil - 1, 17. Aufl., Heidelberg o . J . [1993], § 12 V 3. 122
123
124 125
Zum Anwalt s. o. II 4 b. S. o. II 4 c.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
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sonstiger Angehöriger eines Heilberufes126, als Berufspsychologe 1 ", als Angehöriger eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen Verrechnungsstelle 128 oder als eine der sonst in § 203 StGB genannten Person129. Auch wenn alle diese Persönlichkeiten ihrerseits einer (eigenen) Schweigepflicht unterworfen sind, gilt - wie beim Anwalt 130 - der Satz, nur solche Offenbarungen des Namens sind erlaubt, die für die Behandlung notwendig erscheinen. Keinesfalls darf ein Arzt gegenüber einem Kollegen, der nicht in die Behandlung einbezogen ist, ζ. B. während eines freundschaftlichen Gesprächs, den Namen eines Patienten nennen131; denn eine solche Tatsache wäre nicht im Sinne von § 203 Abs. 1 StGB „als Arzt anvertraut", sondern dem Freund mitgeteilt, so daß der Kollege nicht zur Geheimhaltung verpflichtet sein kann und deshalb auch kein Zeugnisverweigerungsrecht besitzt. Wissenschaftliche Mitteilungen unter Ärzten müssen aus denselben Gründen die Anonymität des Patienten wahren132. c) Preisgabe des Namens bei Auseinandersetzungen zwischen Arzt und Patient (vor allem Honorarklagen) Sofern sich der Patient weigert, die Verbindlichkeit zu erfüllen, können - wie Anwaltshonorare - auch ärztliche Honorare eingeklagt werden133, auch wenn auf diese Weise der Name des Patienten bekannt wird und kein Geheimnis mehr darstellt134. Die Rechtslage ist nicht anders als bei den Rechtsanwälten 135 . Allerdings unterliegt der Lebenssachverhalt, auf den sich die Klage gründet, weiterhin der Schweigepflicht; er wird bei der Honorarklage des Arztes in nichtöffentlicher Verhandlung erörtert136. Dasselbe gilt bei Strafverfahren, die aus Anlaß der Behandlung des Patienten entstehen137.
126
Vgl. die Aufzählung in § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 128 Vgl. die Aufzählung in § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB. 129 Vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 4 [Ehe-, Familien-, Erziehungs-, Jugend-, Suchtberater]; § 203 Abs. 1 Nr. 4 a [Berater nach § 218 b StGB]; §203 Abs. 1 Nr. 5 [Sozialarbeiter und -pädagogen]. ,)0 S. ο. II 4 a. '" Adolf Laufs, Krankenpapiere und Persönlichkeitsschutz, N J W 1975, 1433 (1434 f)· 132 LG Köln MedR 1984, 110; s. auch oben Fn. 30 § 2 Schweigepflicht sub (7). 133 Die Honorarklage ist nach h. M. auch hier zulässig, vgl. Narr (Fn. 30) Rdn. 771. Würz-Bergmann (Fn. 83) S. 177. 135 S. o. II 4 f. § 171 b GVG, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen. 137 S. o. II 4 g am Ende. 127
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d) Preisgabe des Namens des Patienten bei anderen Auseinandersetzungen ? Wie bei den Anwälten ist es den Ärzten grundsätzlich nicht gestattet, den Namen des Patienten preiszugeben, wenn es sich um Zivil- oder Strafverfahren handelt, die nicht aus der Sphäre des betreffenden Patienten stammen138. Das Zeugnisverweigerungsrecht leitet sich aus «denselben Vorschriften wie bei den Anwälten ab: für den Zivilprozeß aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO139; für den Strafprozeß aus § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO. e) Die Problematik der Abtretung von
Honorarforderungen
Vergleichbar ist auch die Abtretungsproblematik 140 : Sobald ein Arzt dem Zessionar den Namen des Honorarschuldners mitteilt, offenbart er unbefugt ein fremdes Geheimnis. Wegen der viel weniger häufigen öffentlichen Bekanntheit des Namens des Patienten141 ist es den Ärzten viel seltener möglich, die Honorarforderungen abzutreten. Wie beim Rechtsanwalt kann man allenfalls eine Abtretung mit Zustimmung des Patienten gestatten, sofern die Forderung rechtskräftig festgestellt ist und ein Vollstreckungsversuch scheiterte142. f ) Die Ausnahme im Verfahren der
Offenbarungsversicherung
Auch der Arzt muß als Vollstreckungsschuldner den Namen seiner Schuldner nennen; § 807 ZPO gesteht auch ihm kein Schweigerecht über den Namen des Patienten zu143.
IV. Ausblick und Zusammenfassung Patienten vertrauen auf die Verschwiegenheit ihres Arztes; der Mandant erwartet uneingeschränkte Diskretion seines Rechtsanwalts. Der Schutz anvertrauter Tatsachen ist bei beiden Berufsgruppen eine der Grundlagen ihres Wirkens144. Diesem Schutz unterliegt auch der Name des Patienten und des Mandanten145; denn bereits die Tatsache, ärztli-
138 139 140 1.1 1.2 143 144 145
S. ο. II 4 g. Schumann (Fn. 98) § 383 Rdn. 79. Zur Rechtslage beim Anwalt s. ο. II 4 h. S. o. b. Vgl. § 49 b Abs. 4 Satz 2 B R A O (oben Fn. 112). S. ο. II 4 i. S. ο. I 5. S.o.IIl.
Der Name als Geheimnis: anwaltliche und ärztliche Schweigepflicht
801
chen oder anwaltlichen Rates zu bedürfen, stellt für den Betroffenen in vielen Fällen ein schützenswertes Geheimnis dar146. Vor allem das Standesrecht garantiert, daß jede Tatsache, die dem Geheimnisträger bei Ausübung seines Berufes bekannt wird, geschützt ist147. Daher verbietet das Standesrecht die Preisgabe der Namen der Mandanten und Patienten148. Gibt der Geheimnisträger unbefugt den Namen preis, drohen ihm die strafrechtlichen Sanktionen des § 203 StGB sowie standesrechtliche Schritte149. Ferner kann er sich als zivilrechtlicher Vertragspartner Schadensersatzansprüchen seines Patienten oder seines Mandanten ausgesetzt sehen'50 - selbst wenn (noch oder überhaupt) kein Vertrag zustande kam151. Unter Umständen ist eine Schmerzensgeldforderung des Geschädigten wegen Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts begründet152. Eng begrenzt sind die Ausnahmen von der SchweigepflichtArzte und Rechtsanwälte dürfen den Namen des Geschützten vor allem dann preisgeben, wenn er selbst die Tatsache der Konsultation öffentlich verbreitet; aber im Zweifel ist immer standesrechtlich geboten, nichts über die Namen der eigenen Mandanten und Patienten zu sagen154. Die Schweigepflicht stellt Rechtsanwälte und Arzte nicht rechtlos: Sie können sich gegen Fehlverhalten ihrer Patienten oder Mandanten wehren und dazu deren Namen nötigenfalls preisgeben, etwa um ihr Honorar einzuklagen™. Für die strafrechtliche Betrachtung der Namenspreisgabe durch den Rechtsanwalt ist die im Gerichtsverfassungsgesetz und in den Prozeßordnungen geregelte Öffentlichkeit der Verfahren zu beachten: Nach einer öffentlichen Verhandlung ist die Parteiidentität strafrechtlich kein „Geheimnis" mehr - an der standesrechtlichen Verschwiegenheitspflicht und an den zivilrechtlichen Schweigegeboten ändert die öffentliche Verhandlung jedoch nichts156. Während nämlich das Strafrecht auf das Geheimnis abstellt, unterwirft das Standesrecht jede dem Rechtsanwalt
146 147 148 149 150 151 152
,S4 155 156
Vgl. die Beispiele oben II 2. S. ο. II 1. S. ο. II 1. S. ο. I 1,2. S. ο. I 3 a. S. ο. I 3 a. S. ο. I 3 b. S. ο. II 4 a-i beim Rechtsanwalt, III 2 a-f beim Arzt. S. ο. II 4 b. S. ο. II 4 f (Rechtsanwalt), III 2 c (Arzt). S. ο. II 4 a.
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Ekkehard Schumann
oder Arzt durch seinen Beruf bekanntgewordene Tatsache der Verschwiegenheitspflicht - ausgenommen offenkundige oder nicht schützenswerte Tatsachen157. Honorarabtretungen können keine Ausnahmen von der Schweigepflicht rechtfertigen158. Das (neue) anwaltliche Standesrecht läßt daher nur eine Abtretung an einen anderen Rechtsanwalt zu oder - sofern zusätzliche Voraussetzungen vorliegen - bei Zustimmung des Mandanten. Mandanten oder Patienten wissen ihre Namen also gut geschützt. Der Schutz währt jedoch nur solange, als Arzte und Rechtsanwälte nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Müssen sie wegen des eigenen Vermögensverfalls die Offenbarungsversicherung nach § 807 ZPO leisten, werden die nicht bezahlten Liquidationen und damit die Namen derjenigen Patienten und Mandanten bekannt, gegen die (noch) Forderungen ausstehen159.
157 158 ,M
S. ο. I 2 c a. E. S. ο. II 4 h (Rechtsanwalt) und III 2 e (Arzt). S. o. II 4 i (Rechtsanwalt) und III 2 f (Arzt).
Wandlungen der Schiedsfähigkeit K A R L H E I N Z SCHWAB
Im Jahre 1993 hat die vom Bundesjustizministerium eingesetzte Kommission zur Neuordnung des Schiedsverfahrensrechts einen Diskussionsentwurf zusammen mit einer Begründung beschlossen (herausgegeben vom Bundesjustizministerium im Februar 1994). Durch die vorgesehene Neuregelung soll das 10. Buch der Z P O an das Uncitral-Modellgesetz angeglichen werden. § 1030 des Entwurfs, der an die Stelle des jetzigen § 1025 Z P O treten soll, enthält gegenüber der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung eine wichtige Änderung der Schiedsfähigkeit. Er hebt die Bindung des Schiedsvertrags an die Zulässigkeit eines Vergleichs auf und bestimmt statt dessen in Abs. 1 Satz 1, daß jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein könne. Nichtvermögensrechtliche Ansprüche sollen nach Abs. 1 Satz 2 „nicht ausgeschlossen" sein. Abs. 2 enthält von der Regel des Abs. 1 Satz 1 eine Ausnahme, die dem jetzigen § 1025 a Z P O entspricht und Rechtsstreitigkeiten, die den Bestand eines Mietverhältnisses im Inland betreffen, von der Schiedsgerichtsbarkeit ausnimmt. Nach Abs. 3 des Entwurfs bleiben gesetzliche Vorschriften außerhalb des 10. Buchs der Z P O , nach denen Streitigkeiten nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen einem Schiedsverfahren unterworfen werden dürfen, unberührt. U m die Bedeutung des Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs beurteilen zu können, muß man zunächst die geltende gesetzliche Regelung und ihre Auswirkungen überprüfen (vgl. unten I). Sodann wird es erforderlich sein, zu den in der jüngeren Vergangenheit in der Literatur geäußerten Vorschlägen einer modifizierten Auslegung des § 1025 Z P O Stellung zu nehmen (vgl. unten II). Von dieser Grundlage aus müssen dann die Wirkungen der vom Diskussionsentwurf vorgeschlagenen Änderungen der Schiedsfähigkeit untersucht werden (vgl. unten III). A m Ende muß sich erweisen, ob der Lösung der Schiedsfähigkeit von einer materiellrechtlichen Grundlage, die der Entwurf vornimmt, der Vorzug gegenüber der Anbindung an die Verfügbarkeit des Gegenstands des Schiedsverfahrens einzuräumen ist (vgl. unten IV). Unsere Untersuchungen behandeln ein Grenzgebiet zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht. Sie betreffen damit ein Feld, dem das wissenschaftliche Interesse des Jubilars in besonderem Maße gegolten hat'. ' Vgl. Wolfram Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970.
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I. Die wörtliche Auslegung des § 1025 I Z P O Nach § 1025 I Z P O hat ein Schiedsvertrag insoweit rechtliche Wirkung, als die Parteien berechtigt sind, über den Gegenstand des Streits einen Vergleich zu schließen 2 . O b das Gesetz darunter einen Prozeßvergleich oder einen materiellrechtlichen Vergleich versteht, kann unentschieden bleiben. Da der Prozeßvergleich nach der h. M. eine Doppelnatur hat, kommt es jedenfalls auch auf die materiellrechtliche Vergleichsberechtigung an. Betont werden muß, daß ein Vergleich über den konkreten Gegenstand des Rechtsstreits zulässig sein muß. Bei einer Schiedsklausel, die erst nach Entstehen eines Rechtsstreits vereinbart wird, ist dies selbstverständlich. Anders liegen die Dinge dagegen, wenn ein Schiedsvertrag vor Entstehen des Rechtsstreits geschlossen wird. Häufig wird sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen lassen, worüber die Parteien in einem künftigen Rechtsstreit konkret streiten werden. Es reicht nach § 1026 Z P O , wenn sich der Schiedsvertrag auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis und die aus ihm entspringenden Rechtsstreitigkeiten bezieht. Nur das Rechtsverhältnis, nicht also der konkrete Streitfall bedarf der Bestimmtheit. So reicht es z. B., wenn alle Klagen aus einem bestimmten Gesellschaftsverhältnis oder aus einer Erbauseinandersetzung der Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden. Für die Vergleichsberechtigung ist aber immer der konkrete Streitfall maßgebend. Diese Feststellungen spielen in der Auseinandersetzung um die Schiedsfähigkeit eine gewisse Rolle. Man sollte gegen die materiellrechtliche Anknüpfung nämlich nicht mit dem Hinweis darauf argumentieren, daß die Unzulässigkeit einer Vergleichsberechtigung bei nicht konkretisierten Rechtsstreitigkeiten erst im Zeitpunkt der Entscheidung des Schiedsgerichts festgestellt werden könne und deswegen für die Definition der Schiedsfähigkeit unbrauchbar sei. Immer kommt es auf den konkreten Rechtsstreit an. Etwas Besonderes gilt allerdings dann, wenn Streit oder Ungewißheit über ein gesetzliches Verbot besteht; dazu s. unten 3. Die Fälle, in denen nach der geltenden gesetzlichen Regelung eine Vergleichsberechtigung fehlt und daher ein Schiedsvertrag unwirksam ist, lassen sich - abgesehen von den Fällen, in denen ein Verbot oder eine Einschränkung der Schiedsgerichtsbarkeit expressis verbis besteht - in vier verschiedene Gruppen einteilen: 2 Die wörtliche Auslegung des § 1025 I ZPO wird vertreten von Schwab, Schiedsgerichtsbarkeit. 3. Aufl., Kap. 4 II (anders Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 4 Rdn. 3 ff); Glossner/Bredow/Biihler, Das Schiedsgericht in der Praxis, 3. Aufl., Rdn. 62 ff; Schütze/Tscherning/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl., Rdn. 43 ff; Henn, Schiedsverfahrensrecht, 2. Aufl., S. 9/10; Maier, Handbuch der Schiedsgerichtsbarkeit, 1979, Rdn. 23 ff.
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1. Unbestritten ist zunächst, daß eine Vergleichsberechtigung in allen Ehe- und Statussachen nicht gegeben ist. Uber das Bestehen einer Ehe, über die Scheidung der Ehe, die Aufhebung oder Nichtigerklärung können die Parteien keinen Vergleich schließen. Obwohl das Gesetz dies nicht expressis verbis anordnet, ergibt sich dies doch aus einer nicht bestrittenen Auslegung der gesetzlichen Vorschriften. N u r das Gericht darf eine Ehe scheiden, aufheben oder für nichtig erklären. Dasselbe gilt für die Feststellung eines Eltern-Kindesverhältnisses, die Anfechtung der Ehelichkeit eines Kindes, die Anfechtung der Anerkennung der Vaterschaft und die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der elterlichen Sorge einer Partei über die andere. 2. Ahnlich wie in den eben genannten Statussachen wird von der wohl überwiegenden Meinung eine Vergleichsberechtigung und damit auch der Abschluß eines wirksamen Schiedsvertrags für Klagen auf Nichtigerklärung oder auf Zurücknahme von Patenten und auf Erteilung von Zwangslizenzen verneint, weil in diesen Fällen eine besondere Zuständigkeit des Bundespatentgerichts gem. § 65 PatG besteht. Gegen diese Auffassung sind jedoch in jüngerer Zeit Bedenken vorgetragen worden. Von mehreren Autoren wird heute eine Vergleichsberechtigung bejaht 3 . Diese abweichenden Meinungen stützen sich auf das Argument, daß eine ausschließliche Zuständigkeit staatlicher Gerichte noch nicht eine Vergleichsberechtigung ausschließe. Das mag in manchen Fällen richtig sein. So können die Parteien gewiß einen Vergleich in Fällen schließen, in denen ζ. B. die ausschließliche Zuständigkeit eines Landgerichts angeordnet ist. Aber zwischen ausschließlicher Zuständigkeit innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Zuständigkeit eines Sondergerichts wie des Bundespatentgerichts muß doch ein Unterschied gemacht werden. Wenn der Gesetzgeber für bestimmte Streitigkeiten ein Gericht außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit als besonderes Gericht errichtet, so bringt das doch zum Ausdruck, daß die Parteien an diese Zuständigkeit gebunden sind und daß sie nicht an Stelle des Bundespatentgerichts ein Schiedsgericht entscheiden lassen dürfen 31 . In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß ζ. B. Schilkert die dem Bundespatentgericht zugewiesenen Streitigkeiten als öffentlichtrechtliche beurteilt 4 .
3 So Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 4 Rdn. 13; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Rdn. 318; P f a f f , Festschrift für Nagel, 1987, S. 278 ff. )a In diesem Sinn hat auch das Bundespatentgericht zu dem Entwurf des Bundesjustizministeriums Stellung genommen. * Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, 1990, Rdn. 415. Vgl. zu den §§ 65 ff PatG vor allem Benkard, Patentgesetz, 9. Aufl. 1993.
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Für sonstige Klagen, durch die ein Anspruch aus einem der im PatG geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird, ist hingegen gemäß § 143 PatG die allgemeine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und zwar der Landgerichte gegeben. In diesen Streitigkeiten ist die Schiedsgerichtsbarkeit nicht ausgeschlossen. 3. Eine besonders problematische Gruppe bilden solche Fälle, in denen der Gesetzgeber für bestimmte Verfügungen gesetzliche Verbote oder Beschränkungen angeordnet hat. So sind nach der bisher h. M. Vergleiche und damit auch Schiedsverträge unwirksam, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§§ 134, 138 B G B ) oder wenn in ihnen auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch unter Verwandten für die Zukunft verzichtet wird (§ 1614 BGB). Auch handelsrechtliche Fälle gehören hierher, wie z. B. § 89 b H G B , nach dessen Abs. 4 der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters im voraus nicht ausgeschlossen werden darf. Verwandte Vorschriften finden sich in den §§ 9 II, 43 III, 57 IV GmbHG, wonach Verzichtsleistungen oder Vergleiche in bezug auf Ersatzansprüche unter bestimmten Voraussetzungen unwirksam sind. In allen diesen Fällen hat die bisher h. M. 5 allerdings Ausnahmen zugelassen, wenn in ihnen Zweifel über das Eingreifen gesetzlicher Verbote oder Einschränkungen bestehen. In solchen Fällen sollen auch Vergleiche und damit auch Schiedsverträge zulässig sein. Es ist nicht bestreitbar, daß auf diese Weise eine Unsicherheit bei der Beurteilung der Schiedsfähigkeit entsteht. Aus diesem Grunde werden gegen die hier genannten Fälle besondere Bedenken vorgetragen, auf die unter II. näher eingegangen wird. Festgehalten werden muß auch, daß sich die gesetzlichen Verbote oder Beschränkungen in diesen Fällen nicht nur auf die Schiedsgerichtsbarkeit beziehen, sondern daß auch die staatlichen Gerichte in gleicher Weise von ihnen betroffen werden. Das führt zu Recht zu der Frage, warum gerade die Schiedsgerichte in diesen Fällen ausgeschlossen sein sollen. 4. Nach der bisher h. M. ist die Schiedsfähigkeit auch für bestimmte handelsrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ausgeschlossen. Es handelt sich dabei um Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse einer AG (§ 243 I AktG) 6 und um Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit solcher Beschlüsse. Auch Klagen auf Anfechtung und Nichtigerklärung von Beschlüssen einer GmbH sowie AuflösungsHierzu vgl. Schwab, 3. Aufl., Kap. 4 II und die in Fn. 2 Zitierten. Vgl. Schwab, 3. Aufl., Kap. 4 II; Glossner/Bredow/Bühler, 3. Aufl., Rdn. 69; Scbütze/Tscherning/Wais, 2. Aufl., Rdn. 43 ff. Aus der Rechtsprechung vgl. vor allem BGH, LM Nr. 1 zu § 199 AktG a. F. und die in Fn. 7 zitierten Entscheidungen zu Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen die GmbH. 5 6
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klagen werden von der h. M. für schiedsunfähigkeit gehalten7. In diesen Fällen handelsrechtlicher Anfechtungs-, Nichtigkeits- und Auflösungsklagen ist die Schiedsunfähigkeit zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, wird aber aus anderen Gründen hergeleitet. So hat der B G H die Schiedsunfähigkeit von Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse mit der ausschließlichen Zuständigkeit der Landgerichte begründet 8 . Andere Gesichtspunkte wiegen aber wohl schwerer. So muß berücksichtigt werden, daß eine Rechtskraftwirkung für und gegen alle, wie sie § 248 AktG vorschreibt, nicht durch eine Vereinbarung der Parteien und folglich auch nicht durch ein Schiedsgericht ausgesprochen werden kann. Auch die Rückwirkung bei der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses liegt außerhalb der Verfügungsmacht der Parteien. Zu diesen Argumenten vgl. unten II. 5. Eine 5. Gruppe schiedsunfähiger Rechtsstreitigkeiten bilden jedenfalls nach der h. M. die Drittwiderspruchs- und die Vollstreckungsgegenklage (§§ 771, 767 ZPO). Auch in diesen Fällen ist die Vergleichsberechtigung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vergleiche wird man sogar als zulässig ansehen müssen, wenn sie nicht gerade die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung zum Inhalt haben. Eine solche Anordnung aber kann nach der h. M. nur durch Urteile staatlicher Gerichte ausgesprochen werden 9 . Weder können die Parteien durch einen Vergleich noch ein Schiedsgericht durch seinen Schiedsspruch in die Vollstreckungshoheit staatlicher Gerichte eingreifen und deren Vollstrekkungsakte für unzulässig erklären. Für Vollstreckungsgegenklagen hat der B G H allerdings eine Ausnahme für den Fall zugelassen, daß die mit der Klage erhobene Einwendung mit einer Schiedsklausel versehen ist und die Klage sich gegen die Vollstreckung aus einem Schiedsspruch richtet 10 . II. Modifikationen der Vergleichstheorie Uberblickt man alle Fälle, in denen die Schiedsgerichtsbarkeit bei einer wörtlichen Auslegung des § 1025 Z P O ausgeschlossen wird, so 7 So BGH, WM 1966, 1132, O L G Hamm, NJW RR 1987, 1319 und auch BGH, NJW 1979, 2567, wo zwar eine Klage eines Gesellschafters gegen einen anderen Gesellschafter, aber nicht gegen die Gesellschaft für schiedsfähig gehalten wird. Aus der Literatur vgl. gegen die Schiedsfähigkeit Henze, ZGR 1988, 542 ff, für die Schiedsfähigkeit K. Schmidt, ZGR 1988, 523 ff. « So BGH, LM Nr. 1 zu § 199 AktG a. F. Zu dieser Entscheidung vgl. Bork, ZZP 100, 266 f. * So auch Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 7 Rdn. 9; a. M. Schütze/Tscherning/Wais, 2. Aufl., Rdn. 45; Lüke, AcP 158, 380. 10 BGH, NJW 1987, 651 = ZZP 100, 452 mit Anm. Schwab = J R 1988, 284 mit Anm. Herrmann.
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zeigt sich, daß besonders die Fälle der 3. und 4. Gruppe problematisch sind. An dieser Stelle haben daher in den letzten Jahrzehnten Reformversuche angesetzt. Es handelt sich dabei um Theorien, die eine großzügigere Auslegung des § 1025 Z P O ermöglichen und damit die Schiedsfähigkeit erweitern sollen. 1. Als erster hat sich wohl Kornmeier in einer Monographie und in mehreren Aufsätzen um die Lösung der Probleme bemüht 11 . Er kommt in ZZP 94, 45 zu dem Ergebnis, daß für die Bestimmung der objektiven Vergleichsbefugnis nicht die materiellrechtliche Verfügungsbefugnis maßgebend sei, sondern die verfahrensrechtliche Verfügungsbefugnis, die nur dann fehle, wenn der Staat ein verfahrensrechtlich motiviertes Interesse an einem Rechtsprechungsmonopol besitze. Dies sei dort der Fall, wo die prozessuale Untersuchungsmaxime gelte, ferner, wo der fragliche Streitgegenstand sonst ein von Amts wegen einzuleitendes oder durchzuführendes Verfahren berühre (Beispiel: Beseitigung eines staatlichen Hoheitsakts bei der Drittwiderspruchs- oder der Vollstreckungsgegenklage). Im einzelnen bedeutet dies, daß Kornmeier in den oben I 3 und 4 aufgeführten Fällen die Schiedsfähigkeit grundsätzlich bejahen will, weil hier eine prozessuale Verfügungsbefugnis gegeben sei. So ist z. B. in Verfahren, in denen es um einen Verstoß gegen die §§ 134, 138 B G B geht, weder der Verhandlungsgrundsatz noch der Dispositionsgrundsatz eingeschränkt. Nur dürfen die Parteien keine Vereinbarungen treffen, die eben gegen die gesetzlichen Verbote verstoßen. Auch bei den handelsrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen soll aus denselben Gründen Schiedsfähigkeit gegeben sein. 2. Die Auslegung des § 1025 I Z P O im Sinne einer prozeßrechtlichen Verfügungsbefugnis lehnt dagegen Bork in seiner Abhandlung über den Begriff der objektiven Schiedsfähigkeit in ZZP 100, 249 ab. Er begründet seine Ablehnung mit dem Argument, daß die prozeßrechtliche Verfügungsbefugnis ja von den materiellrechtlichen Voraussetzungen abhängig sei. Sie könne daher nicht selbständig zur Begründung der Schiedsfähigkeit herangezogen werden. Im übrigen zeige ja auch die Schiedsfähigkeit von echten Streitsachen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, daß nicht allein die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes ausschlaggebend sei. Diesen Bedenken wird man zustimmen müssen. Vergleichsberechtigung und Schiedsfähigkeit lassen sich nicht von der materiellrechtlichen " Kornmeier,
BB 1980, 195 ff.
Vergleichsbefugnis und Schiedsfähigkeit, 1982; ders., ZZP 94, 27; ders.,
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Grundlage lösen. O b die Parteien über den Streitgegenstand verfügen können, ist immer in erster Linie eine materiellrechtliche Frage. Erst in zweiter Linie geht es dann um die prozeßrechtlichen Konsequenzen aus dem materiellrechtlichen Befund. Deshalb setzt auch Bork bei seinen Reformbemühungen im materiellrechtlichen Bereich an. U m sich von einer engen Wortauslegung des § 1025 I Z P O lösen zu können, zieht er die Legaldefinition des Vergleichs nach § 779 I B G B heran. Nach seiner Meinung kommt es darauf an, ob die Parteien berechtigt sind, den Streit um das fragliche Rechtsverhältnis im gegenseitigen Nachgeben zu beseitigen 12 . Bei dieser Formulierung wird das Wort „Vergleich" in § 1025 I Z P O ausgespart und, wie Bork meint, eine sachlich zutreffendere, aber doch noch gesetzestreue Auslegung dieser Vorschrift ermöglicht. Er erläutert dies am Fall eines wucherischen Darlehens (§ 138 II B G B ) . Verlange der Darlehensgeber einen wucherischen Zinssatz, so sei zwar bei wörtlicher Auslegung des § 1025 I Z P O ein Vergleich und damit auch ein Schiedsvertrag unwirksam. Folge man aber seinem Vorschlag und ersetze das Wort „Vergleich" durch seine Legaldefinition, sei ein Schiedsvertrag zulässig, da die Parteien den Rechtsstreit durch gegenseitiges Nachgeben beilegen und über Zinsansprüche verfügen könnten. Zu demselben Ergebnis kommt Bork auch in den anderen Fällen gesetzlicher Verzichts- oder Vergleichsverbote, wie ζ. B. im Fall des § 89 b G m b H G und in gleichgelagerten Fällen. Die materiellrechtliche Verfügbarkeit wird also nicht im Hinblick auf den möglichen Gesetzesverstoß beurteilt, sondern danach, ob die in Frage stehenden Ansprüche - unbeschadet bestehender gesetzlicher Verbote oder Beschränkungen - überhaupt verfügbar, d. h. der Disposition der Parteien unterworfen sind. Mir scheint, daß die Legaldefinition des Vergleichs in § 779 B G B diesem Verständnis des Begriffs „Verfügung" nicht voll entspricht. Es handelt sich ja nicht nur um Beilegung eines Rechtsstreits durch gegenseitiges Nachgeben, sondern um die Möglichkeit, grundsätzlich über einen Anspruch verfügen zu können, auch wenn im Einzelfall gesetzliche Verbote oder Beschränkungen bestehen. Dieses Verständnis der Verfügungsmöglichkeit geht wohl über die Legaldefinition des § 779 B G B hinaus. Gleichwohl möchte ich Bork im Ergebnis zustimmen, daß die Verfügbarkeit bei der Beurteilung der Schiedsfähigkeit von großer Bedeutung ist. Davon wird unten noch näher zu sprechen sein. Ein weiteres Argument in Borks Lehre bildet der Hinweis auf § 1041 I Nr. 2 Z P O , wonach die Aufhebung eines Schiedsspruchs verlangt werden kann, wenn er mit den Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Diese Vorschrift, meint Bork, sei ja überflüssig, 12
Vgl. Z Z P 1 0 0 , 2 5 4 f.
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wenn Schiedsverträge schon dann unwirksam seien, wenn ein Vergleich gegen ein gesetzliches Verbot verstoße; denn dann greife ja schon § 1041 I Nr. 1 ZPO mit der Folge ein, daß der Schiedsvertrag unwirksam sei13. Dieses Argument hat allerdings nur dann Uberzeugungskraft, wenn man alle Verstöße gegen gesetzliche Verbote oder Einschränkungen dem § 1041 I Nr. 2 ZPO unterstellt und sie mit den Grundsätzen des deutschen Rechts für unvereinbar hält. Bork hat seine Auffassung auch im Hinblick auf handelsrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen erläutert, wobei er zu differenzierten Lösungen kommt. Die Schiedsfähigkeit von Anfechtungsklagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse beurteilt er danach, ob die Parteien die Ungültigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses ex tunc, die ja bei einem entsprechenden Urteil des staatlichen Gerichts eintritt, auch durch eine Vereinbarung bewirken könnten 14 . Dies verneint er, sicherlich zu Recht, und schließt aus diesem Grund die Schiedsfähigkeit einer solchen Anfechtungsklage aus. Auch die Rechtskrafterstreckung des § 248 AktG, die Bork nur im Zusammenhang mit der aktienrechtlichen Nichtigkeitsklage behandelt15, wäre hier zu erwähnen. Die Rechtskraftwirkung für und gegen alle Aktionäre, die dem Urteil eines staatlichen Gerichts zukommt, liegt ebenfalls außerhalb der Verfügungsmöglichkeit der Parteien und kann durch eine Vereinbarung nicht erreicht werden. Sie führt daher, wenn man von der Verfügungsbefugnis ausgeht, zur Schiedsunfähigkeit der Anfechtungsklage. Bei der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen kommt es nach Bork darauf an, ob die Rechtskrafterstreckung durch einen Schiedsspruch herbeigeführt werden kann. Er will dies bejahen, wenn bereits in der Satzung der AG eine Schiedsklausel enthalten ist. Auf die Frage der Verfügbarkeit kommt es wohl dann nicht mehr an. Diese Frage setzt allerdings eine Stellungnahme zur Gültigkeit von satzungsrechtlichen Schiedsklauseln voraus, die heute bekanntlich bestritten ist16. 3. Borks Auffassung von der Verfügbarkeit hat in der Literatur Zustimmung gefunden17. Wohl am ausführlichsten hat sich Walter in der 4. Auflage von Schwab/Walter mit der Verfügbarkeitslehre befaßt. Er bejaht eine objektive Verfügbarkeit, wenn der Staat im Interesse besonVgl. ZZP 100, 256 ff. Vgl. ZZP 100, 268. 15 Vgl. ZZP 100, 270 ff. " Vgl. dazu Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 32, Rdn. 5, 6; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 20. Aufl., § 1048 Rdn. 9 ff. 17 So Schwab/W'alter, 4. Aufl., Kap. 4; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Rdn. 288; Zöller/Geimer, ZPO, 18. Aufl., §1027 Rdn. 37; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 1025 Anm. 6 Β b. 13 14
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ders schutzwürdiger Rechtsgüter sich kein Rechtsprechungsmonopol vorbehalten hat. Diese Definition stimmt mit der Legaldefinition des § 779 BGB und auch mit der von Bork bei der Anfechtungsklage benutzten Definition der Verfügbarkeit nicht völlig überein. Mit der von Bork am Schluß seiner Abhandlung in ZZP 100, 272 benutzten Definition besteht allerdings völlige Identität. Was die einzelnen Fälle mangelnder Schiedsfähigkeit betrifft, kommt Walter zu ähnlichen Ergebnissen wie Bork. So nimmt er vor allem in den Fällen gesetzlicher Vergleichsverbote oder Einschränkungen eine Schiedsfähigkeit entgegen der wörtlichen Auslegung des § 1025 I Z P O an. In Abweichung von Bork will er allerdings auch bei aktienrechtlichen und GmbH-rechtlichen Anfechtungsklagen und generell auch bei Nichtigkeitsklagen die Schiedsfähigkeit bejahen' 8 . Abgesehen von diesen Abweichungen kann man jedoch feststellen, daß beide Autoren die Verfügbarkeit als Kriterium für die Schiedsfähigkeit nicht aufgegeben haben. III. § 1030 I des Entwurfs 1. Diese Anknüpfung an die Verfügbarkeit wird nun durch die in § 1030 I 1 des Entwurfs vorgesehene Lösung völlig aufgegeben. Im Anschluß an Art. 177 des Schweizer IPR-Gesetzes schlägt der Entwurf vor, das im künftigen Recht jeder vermögensrechtliche Anspruch Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein könne. Nach Abs. 1 Satz 2 werden Schiedsvereinbarungen über nicht vermögensrechtliche Ansprüche nicht ausgeschlossen. Nicht schiedsfähig sollen aber, wie heute unbestritten ist, Ehe- und Kindschaftssachen sein (vgl. die Begründung auf S. 91). Es ist interessant, daß im Wortlaut des Art. 177 des Schweizer IPR nichtvermögensrechtliche Ansprüche nicht erwähnt werden. Daraus schließt der Kommentar von Walter/Bosch/Bronnimann19, daß solche Ansprüche von Art. 177 nicht erfaßt würden und daher nicht schiedsfähig seien. Freilich ist diese Frage in der Schweizer Literatur bestritten. Offenbar hat dies die Kommission zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts veranlaßt, in Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs eine Klarstellung aufzunehmen. O b auch die Entscheidung B G H , N J W 1991, 2215 als Z u s t i m m u n g aufgefaßt w e r d e n kann, ist zweifelhaft. In dieser Entscheidung wird auf den W o r t l a u t des § 1025 I Z P O Bezug g e n o m m e n , aber zugleich von objektiver Verfügbarkeit gesprochen, die d a n n fehle, w e n n der Staat ein R e c h t s p r e c h u n g s m o n o p o l f ü r sich in A n s p r u c h nehme. D a ß zwischen der wörtlichen Auslegung und der modifizierten Auslegung Unterschiede bestehen, geht aus der Entscheidung nicht hervor. " Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 4 R d n . 3 ff. " Vgl. Walter/Bosch/Brönnimann, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit Schweiz, 1991, S. 58; a. M. Habscheid, Festschrift f ü r Max Keller, 1989, S. 585.
in
der
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2. Ausnahmen von der allgemeinen Schiedsfähigkeit vermögensrechtlicher Ansprüche soll es in Zukunft nur noch dann geben, wenn sie in gesetzlichen Vorschriften expressis verbis angeordnet werden; vgl. dazu § 1030 III des Entwurfs. Dies bedeutet, daß handels- und gesellschaftsrechtliche Bestimmungen, für die im geltenden Recht die Schiedsfähigkeit wegen der fehlenden Verfügbarkeit verneint wird (so § 89 IV HGB, §§ 9 I, 43 II, 44, 57 IV, 64 IV G m b H G , §§ 50, 93 IV, 302 III, 309 III AktG), künftig im Sinn grundsätzlicher Schiedsfähigkeit zu beurteilen sind. Die oben I 3 genannten Fälle von Vergleichs- und Verzichtsverboten nach dem BGB (§§ 134, 138, 1614 BGB) sind zwar in der Begründung nicht erwähnt, dürften aber nach dem Willen der Kommission gleich zu behandeln sein. Auch die aktienrechtlichen und GmbH-rechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sollen künftig schiedsfähig sein. Dasselbe gilt auch für Klagen auf Nichtigerklärung oder Zurücknahme von Patenten (§ 65 PatG) oder für Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (14 AGB). Uber die Schiedsfähigkeit von Drittwiderspruchs- und Vollstrekkungsgegenklagen spricht sich zwar die Begründung nicht aus, auf Grund der allgemeinen Tendenz des Entwurfs darf aber angenommen werden, daß auch diese Klagen künftig schiedsfähig sein sollen. Vergleicht man diese Konsequenzen des Entwurfs mit den Ergebnissen, zu denen Bork mit seiner modifizierten Vergleichstheorie gekommen ist, so muß man feststellen, daß der Entwurf eine Erweiterung der Schiedsfähigkeit zur Folge hat. Das gilt vor allem für die handelsrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, aber wohl auch für die Zuständigkeit nach § 65 PatG und auch für Drittwiderspruchs- und Vollstreckungsgegenklagen. Mit diesen Klagen hat sich Bork zwar nicht befaßt, die Schiedsunfähigkeit dürfte sich aber aus seiner These der mangelnden Verfügbarkeit ergeben. 3. Schließlich ist aus der Begründung zum Gesetzentwurf zu entnehmen, daß auch ausdrückliche gesetzliche Verbote oder Einschränkungen der Schiedsgerichtsbarkeit künftig aufgehoben werden sollen20. Dies betrifft vor allem kartellrechtliche Streitigkeiten nach dem GWB. § 91 I dieses Gesetzes, der für Verträge oder Beschlüsse der in den §§ 1-5 c GWB sowie in einer Reihe weiterer Vorschriften bezeichneten Art ein Wahlrecht zwischen Schiedsgericht und staatlichem Gericht vorsieht und bei Nichteinräumung dieses Rechts die Nichtigkeit des Vertrags oder Beschlusses vorschreibt, soll aufgehoben werden. Dasselbe gilt im Hinblick auf § 91 II GWB, wonach bei bereits entstandenen Streitigkeiten ein Wahlrecht vorgesehen werden muß. 20
Siehe Kommissionsbericht S. 94.
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Diese Einschränkungen erscheinen der Kommission nicht mehr für angemessen. Sie rühren, wie die Begründung sagt, aus einer Zeit, in der die Skepsis gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit darin begründet lag, daß man von ihr eine Umgehung der Regelungen des Kartellgesetzes befürchtete. Ferner empfiehlt die Kommission, auch das Gesetz über die schiedsgerichtliche Erledigung privatrechtlicher Streitigkeiten des Reichs und der Länder vom 10. 10. 1933 aufzuheben. Nach diesem Gesetz bedürfen Schiedsverträge, die seitens des Bundes oder der Länder für privatrechtliche Streitigkeiten geschlossen werden, zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Die Begründung des Entwurfs sieht in diesem Gesetz eine Regelung, in der sich der Staat als Partei des Schiedsverfahrens vor sich selbst schützt. Eine solche Maßnahme sei heute angesichts der unbestrittenen Anerkennung der Schiedsgerichtsbarkeit als einer der staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertigen Rechtsschutzeinrichtung nicht mehr zeitgemäß.
IV. Schlußfolgerungen Abschließend soll nun geprüft werden, ob die in § 1030 des Entwurfs vorgeschlagene Änderung der Schiedsfähigkeit eine bessere Lösung darstellt als die Anknüpfung an die Verfügbarkeit über den Gegenstand des Rechtsstreits. 1. Zunächst muß mit aller Klarheit festgestellt werden, daß der Entwurf eine Grundlage verläßt, die seit einem Jahrhundert in der Gesetzgebung anerkannt war, nämlich die Anknüpfung an das materielle Recht. Bereits im 1. Entwurf zur C P O hieß es in der Begründung zu § 792, die Vorschrift rechtfertige sich durch die Verwandtschaft von Vergleich und Schiedsvertrag. Streitigkeiten, über die ein Vergleich geschlossen werden könne, könnten auch Gegenstand eines Schiedsvertrages sein. Der Inhalt des § 792 des 1. Entwurfs wurde dann nahezu unverändert in § 1025 I Z P O übernommen. Die Verwandtschaft zwischen Vergleichsbefugnis und Schiedsvertrag liegt ja auch auf der Hand. Wenn die Parteien über ein streitiges Rechtsverhältnis durch eine Parteivereinbarung verfügen können, dann müssen sie auch in der Lage sein, die Entscheidung des Streits einem privaten Schiedsgericht zu übertragen. Die Lösung von diesem Grundsatz führt zu der Konsequenz, daß die Parteien jeden Rechtsstreit dem Schiedsgericht übertragen können, auch wenn eine Verfügungsmöglichkeit durch die Parteien nicht gegeben ist. Dies aber bedeutet, daß die Schiedsgerichtsbarkeit zu einer echten Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit ausgebildet wird, ohne daß noch wesensgemäße innere Schranken anerkannt werden. Sicherlich sind
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die Bemühungen um eine Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit vor allem im internationalen Bereich, die wir in den letzten drei Jahrzehnten erlebt haben, durchaus zu begrüßen. Sie sollten aber die Schranken nicht überschreiten, die ihr durch die Justizhoheit des Staates gesetzt sind. Die Ausgestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit zu einer völlig gleichberechtigten Alternative scheint mir mit der staatlichen Gerichtshoheit nicht vereinbar zu sein. 2. Meine eigene Meinung geht dahin, daß die Anknüpfung an das materielle Recht nicht aufgegeben werden sollte. Diese Auffassung wird auch dadurch bestärkt, daß die Lösung des Entwurfs von dieser Grundlage nicht lückenlos durchführbar ist. Die objektive Verfügbarkeit beansprucht nämlich ihre Geltung, auch wenn sie in der Definition der Schiedsfähigkeit nicht zum Ausdruck gebracht werden sollte. Das zeigt sich zunächst schon bei den Statussachen, bei denen auch nach der Meinung der Kommission (vgl. die Begründung des Entwurfs) die Schiedsfähigkeit ausgeschlossen werden soll. Dasselbe muß aber gelten, wenn der Gesetzgeber ein staatliches Sondergericht wie das Bundespatentgericht errichtet hat, wodurch doch deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß die zur Zuständigkeit dieses Gerichts gehörenden Klagen nur durch dieses Gericht entschieden werden sollen und nicht etwa durch ein Schiedsgericht. Auch dann, wenn wie bei den aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen eine Rechtskrafterstreckung für und gegen alle A k tionäre angeordnet wird, kann diese Wirkung nicht durch einen Schiedsspruch erreicht werden. Dies gilt wohl selbst dann, wenn in der Satzung der A G eine Schiedsklausel für derartige Klagen vorgesehen sein sollte 21 . Schließlich können auch staatliche Hoheitsakte wie vorgenommene oder bevorstehende Vollstreckungsakte nicht durch den Schiedsspruch eines privaten Schiedsgerichts für unzulässig erklärt und dann in der Folge aufgehoben werden. Aus diesen Gründen komme ich zu dem Ergebnis, daß man auf die Anknüpfung an die Verfügbarkeit nicht verzichten sollte, ja nicht verzichten kann. 3. Wie aber muß die Verfügbarkeit und damit die Anknüpfung an das materielle Recht definiert werden? Zugegeben werden muß, daß eine wörtliche Auslegung des § 1025 I Z P O Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn es um die Anwendung von Vorschriften geht, die gesetzliche Verbote oder Beschränkungen enthalten. Aus diesem Grunde will ja die bisher h. M. bei Streit oder Ungewißheit darüber, ob ein Vergleich gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, die Schiedsfähigkeit bejahen. Daß bei 21
Siehe oben Fn. 16.
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dieser Auslegung Unsicherheit und Zweifel entstehen können, ist nicht von der Hand zu weisen. Ich halte daher die Bemühungen um eine Definition der Schiedsfähigkeit, die nicht am Wortlaut des § 1025 I Z P O , also am Wort „Vergleich" festhält, für gerechtfertigt. Freilich muß die Schiedsfähigkeit immer noch auf einer materiellrechtlichen Grundlage definiert werden. Zutreffend ist es gewiß, wenn man von objektiver Verfügbarkeit des Streitgegenstands spricht, zumal dieser Begriff auch in anderen Rechtsordnungen gebräuchlich ist (s. u. 4). Wann aber liegt diese objektive Verfügbarkeit vor? Die Antwort muß wohl lauten: Ein Anspruch ist dann schiedsfähig, wenn die Parteien das mit der Klage erstrebte Ziel auch durch eine Vereinbarung erreichen können. Diese Definition steht dem von Walter verwendeten Begriff der Verfügbarkeit nahe, deckt sich aber nicht völlig mit ihm. Walter stellt darauf ab, ob sich der Staat im Interesse besonders schutzwürdiger Rechtsgüter ein Rechtsprechungsmonopol vorbehalten hat22. Dagegen stimmt die von mir vertretene Definition mit dem von Bork bei der Behandlung der Anfechtungsklage benutzten Kriterium überein. Er schreibt in ZZP 100, 269, es komme darauf an, ob das mit der Anfechtungsklage verfolgte Ziel auch rechtsgeschäftlich erreichbar sei. Folgt man der hier vorgeschlagenen Definition der objektiven Verfügbarkeit, dann hat das zur Folge, daß handelsrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ebensowenig schiedsfähig sind wie Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten oder Drittwiderspruchs- und Vollstreckungsgegenklagen. 4. Daß die objektive Verfügbarkeit ein nicht verzichtbares Merkmal für die Bejahung der Schiedsfähigkeit darstellt, wird auch durch einen Blick in ausländische Rechtsordnungen bestätigt 23 . So hat das österreichische Recht in § 577 I Z P O an die Vergleichsfähigkeit angenüpft 24 . Nach § 1020 III der Niederländischen Z P O darf der Schiedsvertrag nicht zur Feststellung von Rechtsfolgen führen, die nicht zur freien Verfügung der Parteien stehen 25 . Im französischen Recht ist die Schiedsfähigkeit nach der Gesetzesänderung von 1972 jetzt in Art. 2059 C C enthalten, der folgenden Wortlaut hat: „Alle Personen können Schiedsverträge abschließen über die Rechte, die sie zur freien Verfügung haben" 26 . Auch So Schwab/Walter, 4. Aufl., Kap. 4 Rdn. 4. " Vgl. dazu Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Rdn. 290. 24 Vgl. Fasching, Schiedsgericht und Schiedsverfahren im österreichischen und im internationalen Recht, 1973, S. 17. 25 Vgl. Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, 1992, S. 130. 26 Vgl. Schiedsgerichtsbarkeit in Frankreich, Band 3 der Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Schiedsgerichtswesen, Hrsg. von Böckstiegel, S. 121. 22
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Karl Heinz Schwab
nach Art. 5 des Schweizer Konkordats kann Gegenstand des Schiedsverfahrens nur ein Anspruch sein, welcher der freien Verfügung der Parteien unterliegt 27 . Schließlich knüpft auch Art. 806 des neuen italienischen Prozeßrechts an die Vergleichsberechtigung an27a. Für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit hat allerdings Art. 177 des Schweizer IPR-Gesetzes alle vermögensrechtlichen Ansprüche für schiedsfähig erklärt. Dennoch können nicht alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten einer schiedsgerichtlichen Vereinbarung unterworfen werden. Nach Walter/Bosch/Brönnimann ist die Grenze dort zu ziehen, wo trotz der Gewährleistung der Schiedsgerichtsbarkeit dem Staat noch vorbehaltene Rechte einem Schiedsgericht übertragen werden sollen28. Auch sind die Lehrmeinungen zu Art. 177 durchaus nicht einheitlich. So halten H. U. Walder29 und Isaak Meieria vermögensrechtliche Ansprüche für schiedsfähig, wenn sie frei verfügbar sind. Dies zeigt schon, daß Art. 177 durchaus nicht unproblematisch ist. Von seiner Nachahmung durch Art. 1030 des Entwurfs sollte daher abgeraten werden.
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Vgl. Riemer, Festschrift für H. U. Walder, 1994, S. 371 ff. Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Kollegen Walter, Bern. 28 AaO, S. 59/60. 29 H. U. Walder, Recht in Ost und West, Festschrift zum 30jährigen Jubiläum des Instituts für Rechtsvergleichung der Waseda Universität Tokyo, 1989, S. 729 ff. 30 Isaak Meier, Schweizer JB für internationales Recht, 1989, S. 119 ff. Vgl. dazu auch Habscheid, RIW 1988, 768. 2n
Vollstreckung und Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und am Reichshofrat WOLFGANG SELLERT
Der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog hatte der Zwangsvollstreckung reichskammergerichtlicher Urteile besondere Aufmerksamkeit geschenkt, als er am 15. Mai 1993 seinen Festvortrag zum dreihundertjährigen Jubiläum der Verlegung des Reichskammergerichts (RKG) nach Wetzlar hielt. Damals hatte er u. a. gesagt: „Das schönste und gerechteste Urteil nützt gar nichts, wenn sich die unterlegene Partei nicht danach richtet und dazu auch nicht gezwungen werden kann. Die entscheidende Frage jeder Rechtsprechung ist also die Vollstreckung" 1 . In der Tat, so muß man vermuten, ist jedes Justizwesen, mag es auch im übrigen noch so perfekt sein, ohne Zwangsvollstreckung, d. h. ohne wirksame Durchsetzbarkeit gerichtlicher Urteile, eine stumpfe Waffe. Das durch ein Urteil erlangte Recht ist, wie es schon in der sog. Erklärung des Landfriedens von 1522 lautet, nicht nutz oder fruchtbar, wenn es nicht mit stattlicher, billicher und ernstlicher Handhabung und Execution aufgesetzter und gebührender Straff ... vollnzogen werden kann2. Und treffend heißt es in der Reichskammergerichtsordnung ( R K G O ) von 1555, daß eyn yede urtheyl, so der nit gebürlich volnstreckung geschickt, wenig frucht bring?. Aber auch der Reichshofrat (RHR) hatte diese Einsicht und erklärte am M.November 1724 in einem Konklusum, daß das allerhöchste Obrist-Richterliche Amt erfordere, besonders die Execution der Kayserlichen Erkänntnüsse, als das fürnehmste Theil des Gerichts, zu befördern und zu handhaben4. Trotz dieser richtigen Einschätzung war es bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht gelungen, ein Exekutiv' Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21. Mai 1993, Nr. 116, S. 35 „Wir Richter stolpern ja nicht nur nach einer Seite". 2 In: K. Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1913, Nr. 185, S. 326. 1 RKGO 1555, 3. Teil, Titel X L V I I I § 1 , in: A. Laufs, Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Band 3), Köln und Wien 1976, S. 264. * ]. ]. Moser, Merckwiirdige Reichshofraths-Conclusa, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1726, S. 397 ff (398).
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Wolfgang Sellert
organ zu schaffen, das in der Lage und Willens gewesen wäre, die Entscheidungen der Reichsgerichte jederzeit zu vollstrecken5. Zwar sind seit dem 16. Jhdt. von der Prozeßwissenschaft des Gemeinen Reichsrechts eine Vielzahl in die Zukunft weisender Grundlagen des Vollstreckungswesens herausgearbeitet worden6, die praktische Handhabung blieb jedoch stets notleidend. Die Frage der Zwangsvollstreckung gehörte daher zu den schwierigsten der Reichsjustiz überhaupt. Wie schon der Wiener Reichshofrat F. K. Moser im 18. Jhdt. richtig bemerkt hat, lag der „allerschwerste Punkt ... der gesamten Reichs-Justiz-Pflege in der würcklichen Vollziehung der reichsgesetzlichen Urteile" 7 . Bis heute ist die schwierige Problematik der Zwangsvollstreckung reichskammergerichtlicher und reichshofrätlicher Urteile noch nicht gründlich untersucht worden. Das gilt vornehmlich für die Praxis dieser Reichsgerichte. Dazu wäre ein langjähriges Quellenstudium erforderlich. Mein Beitrag muß sich daher auf einige Streiflichter beschränken, die nach vorläufiger Erkenntnis für das Zwangsvollstreckungswesen der Reichsgerichte typisch gewesen sind. Insgesamt handelt es sich nur um eine Versuchsgrabung, deren Ergebnisse durchaus noch korrekturbedürftig sein dürften. I. Bekanntlich ist 1495 als ein Ergebnis der Reichsreform der Ewige Landfrieden erlassen und das R K G eingesetzt worden. Rechtliche Auseinandersetzungen sollten von nun an nicht mehr mit der Fehde, d. h. durch Selbstjustiz, sondern in einem gerichtlichen Verfahren ausgefochten werden. Außerdem sollte das R K G befugt sein, von Amts wegen gegen die Friedensbrecher vorzugehen8. Beides war - so scheint es jedenfalls - überhaupt nur aussichtsreich, wenn die Vollstreckung reichskammergerichtlicher Entscheidungen gewährleistet war. Folgt man den einschlägigen gesetzlichen Regelungen, so war diese Aufgabe nach der sog. „Handhabung Friedens und Rechts" vom 7. August 1495 zunächst Kaiser und Ständen gemeinsam übertragen worden9. Alsbald sollte die Vollstreckung jedoch das auf dem Augsburger Reichstag des Jahres 1500 begründete Reichsregiment überneh5 B. Diestelkamp, Das Reichskammergericht im Rechtsleben des 16. Jahrhunderts, in: Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte, Festschrift für A. Erler, Aalen 1976, S. 435 ff (478). 6 Vgl. dazu zusammenfassend J. F. Seyfarts, Teutscher Reichs-Proceß, 1. Aufl., Halle 1738, 2. Aufl. 1756, S. 584-615. 7 F. K. Moser, Patriotische Briefe, o. Erscheinungsort, 1767, S. 276. 8 A. Laufs, „Reichskammergericht", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 6 5 5 - 6 6 2 (655). ' § 12, in: K. Zentner, (Fn. 2), Nr. 175, S. 293.
Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und Reichshofrat
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men10. Da sich aber das Reichsregiment nach erfolglosen Bemühungen um regelmäßige Besetzung und Anerkennung schon zu Anfang des Jahres 1502 wieder aufgelöst hatte", lag es nahe, sich der Reichskreise als Vollstreckungsorgane zu bedienen. Zwar waren die Reichskreise zunächst nur als Wahlbezirke für das neu errichtete Reichsregiment gedacht12, gehörten aber zu den wenigen, vom Kaiser und den meisten Ständen gemeinschaftlich getragenen Einrichtungen, die von gewisser Dauer zu werden versprachen. Darüber hinaus zeichnete sich schon früh ab, daß die Reichskreise auch militärische Funktionen des Reichs übernehmen würden und daher als Vollstreckungsorgane besonders geeignet schienen. Am Beginn dieser Entwicklung steht der Reichsabschied zu Trier und Köln von 1512, „ein Markstein in der Entwicklung der Reichskreise"' 3 . Dort wurden u. a. die vorher ausgeschlossenen habsburgischen Erblande und die kurfürstlichen Gebiete in die Kreisverfassung einbezogen und die bisher sechs Reichskreise auf insgesamt zehn erhöht 14 . Hauptleute und die ihnen zugeordneten Reichskreise (Circkel) sollten von nun an den Landfrieden sichern und dafür Sorge tragen, daß die Urtheil, so am Cammer-Gericht gesprochen und [in] ihre Krafft gangen und ... die Executorial darauff gefolgt, ...vollnzogen werde[n]n. Damit wurden die Urteilsvollstreckungen „regionalen" Gebilden übertragen, die sich, um eine Definition/. /. Mosers zu gebrauchen, jeweils aus eine[r] gewisse[n] Anzahl unter einer eigenen Verfassung besonders miteinander verbundener und meistens neben einander ligender Stände des Reichs zusammensetzten 16 .
10 R e g i m e n t s o r d n u n g v. 1500, §§ 1, 16, 49, in: K. Zeumer, (Fn. 2), N r . 177, S. 297, 300, 305; vgl. A. Laufs, „Reichsregiment", in: H a n d w ö r t e r b u c h z u r Deutschen Rechtsgeschichte hrsg. ν. A. Erler u n d E. K a u f m a n n ( H R G ) , Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 739-742. " A. Laufs, „Reichsregiment", in: H R G (Fn. 10), Sp. 741. 12 N a c h der R e g i m e n t s o r d n u n g von 1500 w u r d e das Reich mit A u s n a h m e der habsburgischen Erblande u n d der kurfürstlichen Gebiete in sechs Kreise eingeteilt; vgl. R e g i m e n t s o r d n u n g §§ 6 ff in: K. Zeumer, (Fn. 2), N r . 177, S. 299 ff. 13 H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, Karlsruhe 1966, S. 102. - Z u r E n t stehung und Vorgeschichte der Reichskreise A. Laufs, D e r Schwäbische Kreis - Studien ü b e r Einungswesen u n d Reichsverfassung im deutschen Südwesten zu Beginn der N e u z e i t (= U n t e r s u c h u n g e n zur Deutschen Staats- u n d Rechtsgeschichte, N e u e Folge, Band 16), Aalen 1971, S. 18 ff. 14 R A zu Trier u n d Köln v. 1512, § 11, in: K. Zeumer, (Fn. 2), N r . 179, S. 308. 15 R A v. 1512 Praef. § 9 , in: N e u e u n d vollständige Sammlung der Reichsabschiede, 4 Teile, F r a n k f u r t 1747, Teil II, S. 138. " ]. ]. Moser, V o n der Teutschen Crays-Verfassung (= N e u e s Teutsches Staatsrecht X), F r a n k f u r t a. M. u n d Leipzig 1773 ( N e u d r . 1967), S. 3. Die Reichskreise vereinigten folglich stammesmäßig, landschaftlich oder politisch zusammengehörige Gebiete; H. Conrad, (Fn. 13), S. 101. Z u m Begriff „Kreis" vgl. A. Laufs, (Fn. 13), S. 18 f.
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Wolfgang Seifert
Als auf dem Wormser Reichstag von 1521 das zweite Reichsregiment eingesetzt wurde, übertrug man zunächst wiederum diesem bzw. einem kaiserlichen Kommissar die Urteilsvollstreckungen. Wegen der Vollstreckungen, so hieß es daher in dem betreffenden Reichsabschied, soll Unser Kammergericht Unsern Statthalter und Regiment ansuchen, die sollen darin mit Rat und Hilfe der Stände des Reichs ferner notdürftige Exekution fürnehmen und dem Kläger zur Vollstreckung und Exekution der behaltenen Urteile verhelfen". Auf der Grundlage des Reichsabschieds von 1521 erging dann aber am 10. Februar 1522 die sog. Erklärung zum Landfrieden, wonach die Urteilsvollstreckungen erneut und diesmal endgültig den Reichskreisen übertragen wurden. Die Verantwortung für die Vollstreckungen sollte von jetzt an vornehmlich ein von jedem Kreis zu wählender Hauptmann tragen, der ein Fürst, Graf, Freyherr oder sonst in trefflichem und weltlichem Stand und dazu geschickt und fleißig seyiS. Vier beigeordnete Räth sollten den Kreishauptmann in seiner Arbeit unterstützen19. Da von vornherein mit Schwierigkeiten bei der Durchführung von Zwangsvollstreckungen zu rechnen war, traf man Vorsorge. So wurden die Hauptleute verpflichtet, die Gründe anzugeben, warum eine Urteilsvollstreckung unterblieben war. Waren die Argumente überzeugend, sollte einem anderen oder sogar mehreren Kreyssen, die dem Kreyss oder der Sachen, da die ... Vollstreckung ... geschehen solt, am nechsten gesessen ... sind, also einer sog. Kreisassoziation20 die Durchführung der Exekution anvertraut werden21. Wenn jetzt die Vollstreckung noch immer nicht durchgesetzt werden konnte, sollte alsdann solchs an die sechs Chur-, darzu die zwölff geistliche und weltliche Fürsten, oder wo ferrer Noth, an ein gemeine Reichs- Versammlung zur Entscheidung gebracht werden22.
17 RA zu Worms v. 1521 § 25, in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 184, S. 325 f; vgl. auch H. Conrad, (Fn. 13), S. 102; vgl. ferner R. Endres, Zur Geschichte des fränkischen Reichskreises, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter, Bd. 29, 1967, S. 168 (171). '« Erklärung des Landfriedens 1522, in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 185, S. 326-329. Mit der Erklärung wurden außerdem die 10 Reichskreise neu eingeteilt, die Kreisverfassung geregelt und das Exekutionsverfahren festgelegt. Die Bestellung eines frei, d. h. ohne sonderlichen Einfluß des Kaisers von den Kreisen gewählten Kreisstandes zum Kreishauptmann bedeutete außerdem einen weiteren politischen Sieg des Partikularismus. Hier bahnte sich eine Entwicklung an, die in der Folge zu einer Verselbständigung der Reichskreise führte; vgl. R. Endres, (Fn. 17), S. 168 (171).
" Erklärung des Landfriedens 1522, Art. III, in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 185, S. 328. H. H. Hoffmann, „Kreisassoziation", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1180-1183. 21 Erklärung des Landfriedens 1522 Art. XXIII., in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 185, S. 328 f. 22 Erklärung des Landfriedens 1522 Art. XXIII., in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 185, S. 328 f. 20
Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und Reichshofrat
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Mit diesen Regelungen waren jedoch die Probleme der Urteilsvollstreckung keineswegs bewältigt worden. Die einschlägigen Fragen wurden daher 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg erneut diskutiert. Nach längeren Verhandlungen verabschiedete man die sog. Reichsexekutionsordnung 23 . § 71 dieser Ordnung enthielt einen Verweis auf die zugleich mit dem Augsburger Reichsabschied erlassene RKGO 2 4 . Dort war in den Abschnitten Von execution und volnziehung der urtheyl sowie ... weytere fürsehung der execution des keyserlicben landtfriedens und gesprochner urtheyl das reichsgerichtliche Zwangsvollstreckungsverfahren zum ersten Mal umfassend geregelt worden 25 . Wiederum wurden die Obersten und [die] ihnen Zugeordnete[n] der Reichskreise verpflichtet, nicht nur gegen die Landfriedensbrecher vorzugehen, sondern auch die Kayserliche gesprochene Acht, Urtheil und andere Poen und Straff, so sie ordentlicher Weiß darein gefallen zu seyn mit Recht erkennt und erkläret werden, zu exequiren2b. Die Reichskreise sollten also nicht nur für die Vollstreckung der Acht und der Endurteile zuständig sein, sondern auch für alle anderen rechtskräftigen Entscheidungen, so ζ. B. für Mandate, die dem Beklagten unter Androhung von Strafe ein bestimmtes Verhalten abverlangten. Nach den einschlägigen Bestimmungen der R K G O sollten die Reichskreise allerdings überhaupt erst tätig werden, wenn sich eine rechtskräftig verurteilte Partei trotz zweimaliger, Strafe androhender Aufforderungen (gehotsbrieff und executorial; arctiores executoriales)
25 Zur Genese der Augsburger Exekutionsordnung A. Laufs, (Fn. 13), S. 271 ff; ]. Mielke, „Reichsexekutionsordnung", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 565-567; ders., „Reichsexekution", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 564-565. 24 ...so ist der Weg der Execution in der Cammer-Gerichts-Ordnung hiebevor darinn gestellt und begriffen, revidirt, besichtiget, ferrer beratschlagt und auf diese Handhabung auch zu reguliren verglichen, wie unter dem Titul: Von Execution und Vollziehung der Urtheil, und was dem anhangt, begriffen, in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 189, S. 355 f. 25 R K G O 1555, 3. Teil, Titel X L V I I I und X L I X , in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 211 ff; zum Vollstreckungsverfahren reichskammergerichtlicher Urteile vgl. H. Wiggenhorn, Der Reichskammergerichtsprozeß am Ende des alten Reichs, jur. Diss. Münster 1966, S. 245-250. 26 Reichsexekutionsordnung im Augsburger Reichsabschied 1555 § 71, in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 189, S. 355-356. Die Exekutionsordnung bestimmte im übrigen, daß zur Wahrung des Landfriedens gegebenenfalls bis zu fünf Reichskreise zusammenwirken konnten, wenn die Macht eines einzelnen Kreises hierzu nicht ausreichte. Notfalls konnte sogar ein Deputationstag weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Reichskreise treffen; vgl. Reichsexekutionsordnung 1555 § § 6 5 - 6 6 , in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 189, S. 354-355.
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g r u n d l o s g e w e i g e r t hatte, Parition, d. h. d e m U r t e i l F o l g e z u leisten u n d d e s w e g e n v o m R K G in die A c h t e r k l ä r t w o r d e n war 2 7 . I m ü b r i g e n u n t e r s c h i e d die R e i c h s e x e k u t i o n s o r d n u n g z w i s c h e n Z w a n g s v o l l s t r e c k u n g e n gegen m i t t e l b a r e u n d u n m i t t e l b a r e A n g e h ö r i g e des Reiches. F ü r V o l l s t r e c k u n g e n gegen m i t t e l b a r e R e i c h s a n g e h ö r i g e sollten d e r e n jeweilige R e g i e r u n g e n , also die L a n d e s h e r r n v e r a n t w o r t lich sein. N u r w e n n diese d e m R K G s c h r i f t l i c h e r k l ä r t hatten, daß sie on
mercklichen nachtheil auß ehhafften, redtlichen Ursachen ... wider den verlustigen theil zu solcher execution nit verhelfen kündt[enp8, war auf A n t r a g des P r o z e ß s i e g e r s d e r zuständige K r e i s berechtigt, die V o l l streckung durchzuführen29. H a n d e l t e es sich dagegen u m U r t e i l s v o l l s t r e c k u n g e n gegen u n m i t t e l bare Reichsangehörige, w a r derjenige K r e i s gleichsam erstinstanzlich f ü r die E x e k u t i o n zuständig, in d e m d e r V o l l s t r e c k u n g s s c h u l d n e r w o h n t e o d e r begütert war 3 0 . W a r eine Partei katholisch, d u r f t e nicht ausschließlich ein evangelischer u n d i m u m g e k e h r t e n Falle nicht n u r ein k a t h o lischer F ü r s t m i t d e r V o l l s t r e c k u n g b e a u f t r a g t w e r d e n 3 1 . Bei V o l l s t r e k k u n g e n gegen mächtige Reichsstände sollte das R K G m e h r e r e R e i c h s kreise m i t d e r E x e k u t i o n b e a u f t r a g e n k ö n n e n . - O b w o h l die V o l l s t r e c k u n g e n alßbald, d. h. m ö g l i c h s t rasch v o l l z o g e n w e r d e n sollten 3 2 ,
27 Im einzelnen dazu B. Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495—1555 (= Quellen und Studien zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 10), Köln und Wien 1981, S. 211 ff. - Zum Begriff „Paritoria" vgl. M. Uhlhorn, Der Mandatsprozess sine clausula des Reichshofrats (=Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 22), Köln 1990, S. 149 f. 28 RKGO 1555, 3. Teil, Titel XLVIII § 7, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 267. 29 Und mag alßdann der gewinnendt theyl, wann ime daran gelegen, dem obristen des kreyß, under dem die oberkeiten, so für executorn und volnziehdern der erlangten urtheyln, recht, peenfell und acht, ihme durch das keyserlich cammergericht gegeben, begriffen, umb ferner außträgliche hiilf und volnziehung ansuchen; RKGO 1555, 3. Teil, Titel XLVIII § 8, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 267; vgl. zu dieser Frage auch E. Langwerth von Simmern, Die Kreisverfassung Maximilians I. und der schwäbische Reichskreis in ihrer rechtsgeschichtlichen Entwicklung bis zum Jahre 1648, Heidelberg 1896, S. 166. Allerdings mußte der Prozeßsieger beweisen, daß die andere Partei tatsächlich Untertan eines Territoriums war: Und so darauf der gewinnendt theyl ferrer anzeygen würde, daß die verlüstig parthey eynes geistlichen oder weltlichen churfürsten, fürsten, prelaten, graffen, herrn, commun oder anderer obrigkeit underthan oder landtseß were und darauf bitten, dieselben obrigkeit für executorn und volnziehern der erlangten urtheil, recht, peenfäll und acht ime zu geben: Alßdann soll das cammergericht den oder dieselben zu executorn und volnziehern geben und inen gebieten, zu volnziehung der erlangten urtheil, verfallen peen und acht zu verhelfen; RKGO 1555, 3. Teil, Titel XLVIII § 5, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 266. 10 H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 246 mit entsprechenden Literatur- und Quellennachweisen. 31 H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 246. 32 RKGO 1555, 3. Teil, Titel XLVIII, § 4, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 265.
Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und Reichshofrat
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konnten wegen dieses insgesamt umständlichen Verfahrens zwischen Verkündung und Vollstreckung des Urteils oft mehrere Jahre liegen33. Die Vollstreckung selbst sollte in der Weise durchgeführt werden, daß die Exekutoren den Prozeßgewinner in die liegende und fahrende Habe des Geächteten einzusetzen hatten 34 , wobei die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt nicht ausgeschlossen war. Die im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändeten Gegenstände sollten nicht nur der Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers dienen, sondern auch für die Verfahrens- und Vollstreckungskosten haften 35 . Reichten die Güter des Geächteten zur Deckung der Exekutionskosten nicht aus, sollten letztere zu gleichen Teilen von allen Kreisen getragen werden 36 . Die Tatsache, daß sich der Reichstag im Jahre 1654 zu Regensburg erneut mit den einschlägigen Fragen eingehend befassen mußte, zeigt bereits, daß es noch immer mit dem Vollstreckungswesen nicht zum besten stand. Das ist insofern nicht ganz verständlich, als sich die Reichskreise inzwischen zu allgemein anerkannten Selbstverwaltungskörperschaften entwickelt hatten. Ihre wichtigsten Organe waren der Kreistag, der Kreishauptmann (Kreisoberst, Kreis-Feldmarschall) und die ihm zugeordneten Räte sowie seit dem Westfälischen Frieden die kreisausschreibenden Fürsten, in deren Hand die Einberufung und Leitung der Kreistage lag37. Insgesamt waren die Reichskreise zu Trägern wichtiger Reichsaufgaben geworden, die sie in eigener Regie erledigten 38 . Dabei blieb es auch nach den einschlägigen Bestimmungen des Westfälischen Friedensvertrages 39 und vor allem des Jüngsten ReichsabSo zutreffend B. Dick, (Fn. 27), S. 249 f. R K G O 1555, 3. Teil, Titel X L I X § 4, 5, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 271. Zur Durchführung der Exekution im einzelnen v g l . / F. Seyfarts, (Fn. 6), S. 591 ff. » R K G O 1555, 3. Teil, Titel X L I X § 4; in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 271. 3t R K G O 1555, 3. Teil, Titel X L I X § 6, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 271; vgl. ferner B. Dick, (Fn. 27), S. 214. 37 Das Amt der kreisausschreibenden Fürsten hatte sich seit dem 16. Jhdt. aus der ihnen übertragenen Funktion entwickelt, die Wahl des Kreishauptmanns und der Zugeordneten vorzubereiten sowie den Kreistag auszuschreiben; vgl. § 13 RA v. Speyer 1544: So haben wir uns mit Churfürsten, Fürsten, und Ständen des Heil. Reichs, ... vereinigt und verglichen, daß in den zehn Kreysen und Zirckeln, ... ein ieder Kreyß-Fürst (dem solches zu thun von Recht oder Gewohnheit gebührt) die Kreiß-Stände in seinem Kreyß zum förderlichsten an ein gelegene Mahlstatt erfordern und beschreiben soll,...; in: J. ]. Schmauß, Corpus Juris Publici, Leipzig 1745, S. 117. 55 54
18 Das Reich hatte ihnen nicht nur die Vollstreckung reichskammergerichtlicher Urteile, sondern auch die Sicherung des Landfriedens und vornehmlich die militärische Verteidigung des Reiches anvertraut. Darüber hinaus hatten die Reichskreise selbständige Funktionen im Bereich der Wirtschaft sowie im Wohlfahrts-, Steuer- und Polizeiwesen übernommen; vgl. H. Conrad, (Fn. 13), S. 103. 39
I P O Art. X V I I §§ 1 ff (§ 8), in: K. Zeumer,
(Fn. 2), Nr. 197, S. 432 f.
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schieds von 1654, der freilich die Reichskreise noch stärker als bisher in die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation einband40. Worin die Schwächen des Zwangsvollstreckungswesens weiterhin bestanden, zeigen - jedenfalls zum Teil - die auf dem Reichstag von 1654, also dem sog. Jüngsten Reichstag beschlossenen Neuerungen. Offenbar war das bisherige Vollstreckungsverfahren zu aufwendig und umständlich. Demgemäß wurden verschiedene Regelungen getroffen,
mit denen der bishero in puncto executionis übliche Proceß nach aller Möglichkeit abgekürtzt werden sollte41. So wurde auf die Achterklärung als Voraussetzung für die Vollstreckung verzichtet. Statt der sonst üblichen Executorialium, d. h. diverser mehr oder weniger unverbindlicher Vorankündigungen der Zwangsvollstreckung 42 , sollte jetzt - wie im Mandatsprozeß schon üblich - sofort in ipsa sententia definitiva ... dem
verlustigen Theil ... nach Gelegenheit der Partheyen Entsessenheit, geraumer Termin zur Parition bestimmt und ferner ein Termin ad docendum de paritione bey der den Executorialn einverleibten ordinari Straff ... sub comminatione realis executionis angesetzt werden43. Der Tenor dieser Klausel, wie man ihm nun allenthalben in der Praxis begegnet, konnte beispielsweise lauten: Dann ist beklagtem Theile zu wirklichen Execution und Vollziehung dieses Urteils Zeit dreier Monate pro termine et prorogatione von Amts wegen angesetzt, mit dem Anhange, wo er dem also nicht nachkommen wird, daß er jetzt alsdann und dann als jetzt in die Strafe zehn Mark löthigen Goldes halb dem kaiserlichen Fisco und zum andern halben Theile dem Kläger unnachlässig zu bezahlen, fällig erklärt seyn, und der Realexecution halber, auf weiteres Anrufen ergehen solle, was Recht ist44. Legte der Verurteilte gegen das Urteil innerhalb der festgesetzten Frist keine Rechtsmittel ein, so daß Rechtskraft eintrat, und zeigte er auch nicht an, daß er dem Urteil nachgekommen war, dann sollte er nach dem Jüngsten Reichsabschied auf Antrag des obsiegenden Theils vermög ergangener Urtheil ... in die darin benannte Pön samt Kosten und Schaden erklärt, und die Execution sowohl auf den Pön-Fall als [auch] in der Haupt-Sachen dem ausschreibenden Fürsten per mandata executorialia ... anbefohlen werden45. Wenn sich der Vollstreckungsschuldner der Exekution thätlich widersetze, sollte gegen ihn ohne
4Q 41 42 45 44 45
A. Laufs, Der Jüngste Reichsabschied von 1654, Bern und Frankfurt 1975, S. 3. JRA 1654 § 159, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 75. Vgl. oben S. 6. JRA 1654 § 159, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 75. H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 2 4 5 ; / F. Seyfarts, (Fn. 6), S. 589. JRA 1654 § 159, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 75.
Vollstreckungspraxis am Reichskammergericht und Reichshofrat
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Respect und Hinderung einiger anderwärtiger Disposition die poena in banni verhängt werden dürfen46. Neu war schließlich auch eine Regelung, die sich mit der Vollstreckung einer sententia definitiva ad omittendum vel non faciendum, also mit einem Unterlassungsurteil befaßte. Kam der Unterlassungsschuldner dem Urteil nicht nach, sollte nicht erst mit einer Declaration poenae begonnen, sondern es sollte sogleich, wie im Falle der Leistungsvollstreckung, ein kurtzer Termin ad praestandam cautionem de non amplius turbando, impediendo, excedendo, attentando, offendendo angesetzt und sodann die Vollstreckung in der schon beschriebenen Weise betrieben werden47. Der Erfolg jeder Exekution hing natürlich in der Praxis entscheidend davon ab, daß die Kreise ihre Vollstreckungsaufgaben erfüllten. War ein kreisausschreibender Fürst in mora exequendi, drohte ihm daher der Jüngste Reichsabschied an, daß er vom Cammer-Gericht hierzu per mandata executorialia angehalten werden sollte. Wenn auch das nichts nützte, konnte die Execution einem andern Stand in dem betreffenden Creyß, oder, wenn dieser sich weigerte, den ausschreibenden Fürsten des benachbarten Creyses aufgetragen ... werden und sollte dann von demselben unverweigerlich vollnzogen werden48. Eine perfekte Regelung durch Gesetz besagt im allgemeinen noch wenig über die Rechtswirklichkeit. Bereits die häufigen und wiederholten legislatorischen Bemühungen um die Zwangsvollstreckung reichskammergerichtlicher Entscheidungen sprechen dafür, daß die erhofften Erfolge nicht eingetreten waren49. - Dabei soll es in meiner folgenden Untersuchung nicht um die Frage gehen, ob und inwieweit die Landesherrn Urteile des R K G gegen ihre Untertanen, also die mittelbaren Reichsangehörigen vollstreckt haben oder nicht. Diese Frage wäre eine eigene Untersuchung wert. Der Schwerpunkt soll vielmehr auf den Reichskreisen liegen, die mit den politisch heikleren Vollstreckungen befaßt wurden und daher die Hauptlast der Exekutionen zu tragen hatten. " J R A 1654 § 161, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 76. 47 J R A 1654 § 162, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 76. Einzelheiten bei ]. F. Seyfarts, (Fn. 6), S. 611 f. H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 247 mit entsprechenden Literatur- und Quellennachweisen. " § 17 JRA, in: A. Laufs, (Fn. 40), S. 18. " Zu unüberwindlichen Spannungen mußte es vor allem dort kommen, wo mächtige Kreisstände neben schwächeren standen; H. Conrad, (Fn. 13), S. 103. Darüber hinaus waren die Kreise stets auf ein gutes Zusammenwirken mit dem Reich und den Territorialstaaten angewiesen, an dem es nicht selten mangelte; A. Laufs, „Reichskreise" in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 681-687 (686).
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Schon der Plan Maximilians, die Reichskreise zur Durchsetzung des Landfriedens zu zwingen, war, wie der Fall des Franz von Sickingen zeigt, weitgehend gescheitert. Der Reichsritter führte seit 1515 eine Fehde gegen die Stadt Worms, dem damaligen Sitz des RKG. Sickingen wurde vom Kaiser geächtet und daraufhin der oberrheinische Kreis mit der Vollstreckung der Reichsacht beauftragt. Der Kreistag lehnte allerdings die Hilfeleistung ab. Er berief sich vordergründig darauf, daß der Reichsabschied von 1512, der ja die Zuständigkeit der Kreise für die Vollstreckung vorsah50, noch nicht „ausgeführt" sei51. - Auch ein vier Jahre später unternommener Versuch des Kaisers, die Reichsacht gegen Sickingen durchzusetzen, führte nur zu einem Teilerfolg. Obwohl sich der Kaiser an alle Reichskreise gewandt hatte, gewährte ihm nur der fränkische die geforderte Hilfe52. Die übrigen Reichskreise verweigerten ihre Mitwirkung wiederum vordergründig mit dem Argument, daß die Reichsacht nicht durch ein Urteil des RKG gesprochen, sondern durch den Kaiser selbst verhängt worden sei53. Auch entsprach es gewiß nicht den Vorstellungen der Kreisstände, daß der Kaiser für jeden Kreis eigenmächtig einen Kreishauptmann ernannt hatte, der die Vollstreckung vornehmen sollte54. - Insgesamt dürften die Erfahrungen mit der Sickingschen Fehde das Vertrauen in die Reichskreise als Vollstreckungsorgane nicht gerade gestärkt haben55. Ahnliches gilt im Falle des fehdeführenden Ritters Götz v. Berlichingen, für den die in den Jahren 1508-1516 dreimal verhängte Reichsacht folgenlos blieb. Erst als er 1531 auf die Klage eines seiner Hintersassen erneut in die Reichsacht erklärt wurde, mußte er sich dem Urteil des RKG fügen und 410 fl. Schadensersatz leisten56. Wenn überhaupt, so war das Kreiswesen erst um die Mitte des 16. Jhdts., also mit dem Erlaß der Reichsexekutionsordnung57, so weit gefestigt, daß zumindest mit dem fränkischen Kreis, dem erst[en] und Vgl. oben S. 819. A. Laufs, (Fn. 13), S. 48. 52 A. Laufs, (Fn. 13), S. 48 f. 53 A. Laufs, (Fn. 13), S. 48 ff; R. Endres, (Fn. 17), S. 168 ff. 54 E. Langwerth von Simmern, (Fn. 29), S. 44. 55 E. Langwerth von Simmern, (Fn. 29), S. 46. Deswegen wurden die Reichskreise in anderen wichtigen Exekutionsangelegenheiten erst gar nicht um Hilfe gebeten und, im Falle des Bauernaufstandes, statt der Reichskreise der Schwäbische Bund mit der Niederschlagung beauftragt; R. Endres, (Fn. 17), S. 168 ff (170). 56 H. Ulmschneider, Götz von Berlichingen. Ein adliges Leben der deutschen Renaissance, Sigmaringen 1974, S. 231, Fn. 209. Angesichts der notleidenden Vollstreckungsmöglichkeiten des R K G war dies sicher ein nicht zu unterschätzender Erfolg, vgl. dazu B. Diestelkamp, (Fn. 5), S. 479; W. Sellert, Friedensprogramme und Friedenswahrung im Mittelalter, in: Wege europäischer Rechtsgeschichte, hrsg. v. G. Köhler (= Rechtshistorische Reihe Bd. 60), Frankfurt a. M., Bern, New York, Paris 1987, 453 ff (466). 57 Vgl. oben S. 821. 50
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furnembst[tn], ein einigermaßen funktionsfähiges Vollstreckungsorgan zur Verfügung stand58. Dennoch war und blieb die Vollstreckung reichskammergerichtlicher Entscheidungen ein schwieriges Problem. Obwohl die kreisausschreibenden Fürsten reine Ausführungsorgane sein sollten59, nahmen sie sich das Recht zu entscheiden, eine Zwangsvollstreckung durchzuführen oder nicht. O b mit der Vollstreckung begonnen wurde, hing meist von der militärischen Stärke und den politischen Interessen der Exekutoren ab. „Denn nicht alle Fürsten hatten den guten Willen und etliche auch nicht die Macht, die Kameralurteile auftragsgemäß zu vollstrecken" 60 . Wenn, so hat J. J. Moser die Lage treffend beschrieben, der kreisausschreibende Fürst siht, daß sich der Exequendus zur Wehr setzen oder es sonst zu Weitläuffigkeit kommen will, oder wo der Exequendus dem kreisausschreibenden Fürsten zeigen kann, wo er es ihme wieder könne und wollte entgelten lassen, so denckt eben jeder, warum er sich um eines anderen, und einer Sache wegen, die ihm nicht nutze oder schade, Verdruß zuziehen solle, und läßt also den Karren auch stehen61. Letztlich stand es also weitgehend im Belieben eines Reichskreises, ob ein Urteil vollzogen wurde oder nicht62. 58
R. Endres, (Fn. 17), S. 168 ff (173). ' T r e f f e n d heißt es bei J. ]. Riefl, D e r Reichshofrath in J u s t i z - G n a d e n und andern Sachen, Teil 1, A u g s b u r g 1791, S. 102: „Die Vollstreckung ist also d e n craysausschreibenden Fürsten nicht willkührig, s o n d e r n eine constitutionsmäßige Schuldigkeit... . Es ist den craysausschreibenden Fürsten nicht erlaubt, die merita causae zu prüfen, sie d ö r f e n keine Richter, keine interpretes, noch vielweniger reformatores vorstellen." 5
63 So zutreffend H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 248. Vgl. f e r n e r ] . E. Küster, Actenmäßige Berichtigung der sogenannten Actenmäßigen Darstellung der Ursachen, w a r u m die von d e m Kaiserlichen und R e i c h s - K a m m e r - G e r i c h t den kreisausschreibenden H e r r n Fürsten des niederrheinisch-westfälischen Kreises u n t e r m 27sten August 1789 gegen die Lüttischer A u f r ü h r e r aufgetragenen Executions-Commission bisher unvollstreckt geblieben ist, u n d deren Nachtrags, Berlin 1781, S. 1 8 ; / St. Piitter, Historische E n t w i c k l u n g der heutigen Staatsverfassung des Teutschen Reichs, Teil 3, Göttingen 1786, S. 241; A. Schulte, D e r deutsche Staat: Verfassung, Macht und G r e n z e n 919-1914, Stuttgart u n d Berlin 1933, S. 141; H. Zoepfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Stuttgart 1858, S. 529; T. G. Voigtei, Geschichte des deutschen Reiches, Halle 1806, S. 452; R. Smend, Das Reichskammergericht, W e i m a r 1911 ( N e u d r u c k Aalen 1965), S. 240; P. Wigand, Denkwürdigkeiten f ü r deutsche Staats- und Rechtswissenschaft, f ü r Rechtsalterthümer, Sitten u n d G e w o h n h e i t e n des Mittelalters, Leipzig 1854, S. 174; R. Brinkmann, Aus dem deutschen Rechtsleben, Kiel 1862, S. 29; A.K. M ally, D e r österreichische Kreis in der Exekut i o n s o r d n u n g des römisch-deutschen Reiches (= Wiener Dissertationen aus d e m Gebiete der Geschichte, Band 8), Wien 1967, S. 92.
" J. J. Moser, Einleitung zu d e m R e i c h s - H o f - R a t h s - P r o c e ß , Bd. 2, F r a n k f u r t u n d Leipzig 1734-1737, S. 838. 62 Ch.]. Zwirlein, Vermischte Briefe u n d A b h a n d l u n g e n ü b e r die Verbesserung des Justizwesens am Kammergerichte, 1. Teil, Berlin 1767, S. 301 ff. Typisch sind insoweit auch die u m die Mitte des 16. Jhdts. angeordneten kaiserlichen Achterklärungen gegen die Stadt M a g d e b u r g und den Markgrafen Albrecht. In beiden Fällen w u r d e der O b e r - b z w .
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Waren mit der Vollstreckung mehrere Kreise beauftragt worden, mußten diese sich zunächst einmal über das Ob und Wie der Exekution einigen63. Darüber gerieten die Beteiligten nicht selten in Streit, womit die Zwangsvollstreckung wieder in weite Ferne rückte64. Treffend hat daher Karl Friedrich Häberlin bemerkt: „Gnade Gott aber, wenn es dahin kommt, daß benachbarte Kreise zu Hilfe gerufen werden müssen! Dann wird gewöhnlich gar nichts aus der Sache..."65. Ein weiterer Grund für die miserable Vollstreckungspraxis bestand nach Auffassung des Reichskammergerichtsprokurators Christian Jakob Zwirlein vornehmlich darin, daß gerade diejenigen Reichskreise, von denen eine kaiser- und reichsfreundliche Haltung und damit Bereitschaft zur Exekution zu erwarten gewesen wäre, nämlich Österreich und Burgund, exemt, also von der RKG-Gerichtsbarkeit befreit waren66. Ein Exekutionsverfahren aus dem Ende des 18. Jhdts. gegen den Markgrafen von Baden zeigt beispielhaft das von Zwirlein angesprochene Problem. Die heute im Kreis Bühl gelegene Abtei Schwarzach hatte am RKG ein obsiegendes Urteil gegen den Markgrafen erstritten. Als der schwäbische Kreis die ihm vom RKG zuständigkeitshalber aufgetragene Urteilsexekution verweigerte, beantragte der Abt des Benediktinerklosters, den österreichischen Reichskreis mit der Vollstreckung zu beauftragen. Das Kammergericht gab dem Antrag statt. Doch am Wiener Hof bestanden erhebliche Zweifel, ob man dem RKG Folge leisten solle oder nicht. Der Reichsvizekanzler Colloredo sprach sich kategorisch gegen eine Urteilsexekution aus. Denn, so meinte er, man solle sich wegen des RKGs, das sich dem Einfluß des Kaisers weitgehend entziehe, nicht unnötig mit mächtigen Reichsständen anlegen67. Demgegenüber hatte Josef II. zunächst ein stärkeres Engagement des österreichischen Kreises in RKG-Angelegenheiten befürwortet. Er folgte Niedersächsische Kreis mit der Exekution beauftragt. Die Kreisstände lehnten jedoch die Exekution u. a. mit der Begründung ab, die Vollstreckung könne „dieser Zeit nicht füglich geschehen"; vgl. Staatsarchiv Dresden, Loc. 7873, Jüterbogische Kreis-Händel und Exekution der Magdeburgischen Acht, 1550, 1554. Den Hinweis auf die beiden Fälle verdanke ich Prof. Dr. Karlheinz Blaschke, Dresden. 63 ]. J. Moser, Von der Teutschen-Verfassung, Teil 1, Frankfurt und Leipzig 1774, S. 1226;/. E. Küster, (Fn. 60), Anlagen, S. 1 ff. " / . E. Küster, (Fn. 60), Anlagen, S. 35 f, 218 ff und 241 ff. Es handelt sich um den Prozeß in Sachen „des kaiserl. fiscalis generalis contra die Urheber des im Fürstenttum Lüttich entstandenen Aufruhrs..."; vgl. dazu auch J. J. Riefl, (Fn. 59), S. 107 ff; ferner noch F. Tbudicbum, Das vormalige Reichskammergericht und seine Schicksale, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 20, 1861, S. 148 ff, 215. 65 C. F. Häberlin, Handbuch des Teutschen Staatsrechts, Bd. 2, 9. Aufl., Berlin 1797, S. 495. " Ch.J. Zwirlein, (Fn. 62), S. 299. 67 A. K. Mally, (Fn. 60), S. 117.
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dann aber seinen Beratern und lehnte die Urteilsexekution gegen den Markgrafen von Baden mit der Begründung ab, Osterreich sei von der Gerichtsbarkeit des R K G exemt68. Der Erlaß eines reichskammergerichtlichen Exekutionsmandats an den österreichischen Kreis sei daher eine Anmaßung69. Das R K G übertrug daraufhin die Urteilsvollstrekkung 1784 wiederum dem schwäbischen Kreis, der allerdings nichts unternahm70. Aber auch sonst stand es mit der Vollstreckungspraxis reichskammergerichtlicher Urteile nicht zum besten. E. Langwerth von Simmern ist zu dem Ergebnis gekommen, daß für den Bereich des schwäbischen Kreises im Zeitraum von 1521 bis zum Westfälischen Frieden keine einzige Urteilsvollstreckung festzustellen sei71. Auch in der Zeit danach war das R K G mit der Erteilung von Vollstreckungsaufträgen an die Reichskreise - Zahlen liegen uns leider nicht vor - zurückhaltend. Zu den erfreulichen Ausnahmen dürfte der aus dem Beginn des 18. Jhdts. stammende Prozeß der Maria Beyel gegen die Nassau-Idsteinische Regierung gehören (1713-1723)72. Die Klägerin hatte man in ihrem Heimatort der Hexerei beschuldigt. Deswegen war sie nach einem Urteil des Idsteiner Stadtgerichts von der beklagten Regierung aus der Stadt vertrieben und es waren ihr Haus und ihr Vieh beschlagnahmt worden. Vor dem R K G klagte Maria Beyel auf Restitution des Eigentums, Wiederherstellung ihres guten Rufes und auf Aufhebung der Ausweisung 73 . Im Jahre 1715 entschied das R K G zugunsten der Klägerin. Da der Fürst des Nassau-Idsteinischen Territoriums zu den unmittelbaren Reichsangehörigen zählte, war die Vollstreckungskompetenz des oberrheinischen Reichskreises gegeben74. Dieser wurde denn auch vom R K G mit der Exekution der Entscheidung beauftragt75. Ob allerdings die Vollstreckung durchgeführt worden ist, ja, ob sie überhaupt eingeleitet worden war, konnte anhand des Aktenmaterials nicht festgestellt werden.
68 Zur Exemtion Österreichs vgl. W. Sellert, Über die Zuständigkeitsabgrenzung von Reichshofrat und Reichskammergericht insbesondere in Strafsachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge, Bd. 4), Aalen 1965, S. 22 ff. " Α. Κ. M ally, (Fn. 60), S. 119 70 Α. Κ. Mally, (Fn. 60), S. 121 " E. Langwerth von Simmern, (Fn. 29), S. 165 f.
Den Hinweis auf diesen Prozeß verdanke ich meinem Mitarbeiter P. Oestmann. " StA Wiesbaden, Abt. I, Teil 1 N r . 2529, Kurzmitteilung in: Repertorien des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden, Abt. I, Teil 1, bearbeitet von C. Helm und J. Hausmann, Wiesbaden 1987, S. 92 f. RK.GO 1555, 3. Teil, Titel X L 1 X § 3, in: A. Laufs, (Fn. 3), S. 270 7S Bundesarchiv Außenstelle Frankfurt, Urteilsbuch AR1-III/24, Bl. 92 R - 92 f. 72
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Angesichts der insgesamt trostlosen Vollstreckungspraxis ist es verständlich, daß das RKG den Erlaß von mandata de exequendo, also von Vollstreckungsaufträgen an die Reichskreise möglichst vermied. Statt dessen versuchte das RKG, den Vollstreckungsschuldner, wenn er dem Urteil keine Folge leistete, auch ohne daß es beantragt war, mit weiteren sog. Paritoria, also mit Strafandrohungen zum Entscheidungsvollzug anzuhalten. Damit verstieß das RKG gegen die einschlägigen Bestimmungen des Jüngsten Reichsabschiedes76. Nicht ohne Grund ist daher das RKG im Visitationsabschied von 1713 ernstlich erinnert worden, die Erkennung dergleichen vielfältigen Paritorien zu unterlassen und statt dessen sofort die Mandata de exequendo zu verfügen77. II. Gesetzliche Vorschriften über die Zwangsvollstreckung reichshofrätlicher Entscheidungen, die auch nur ansatzweise mit denen des RKG vergleichbar wären, haben wir nicht. Dafür gibt es eine Fülle von Ursachen, die hier nur in aller Kürze angedeutet werden können. Die Funktion des RHR war von Anfang an eine im ganzen mehr politische als die des RKG. So hat der RHR, wie sich aus seinen Protokollen ergibt, noch bis gegen Ende des 16. Jhdts. ein beachtliches Maß an politischer Tagesarbeit bewältigt78. Ja, man kann sogar sagen, daß sich der R H R bis zu diesem Zeitpunkt weniger als Gerichts-, sondern mehr als Regierung- und Verwaltungsinstanz verstanden hat79. Typisch ist insoweit auch die Verfahrensweise des RHR. Von einem förmlichen Prozeßverfahren, wie es am RKG üblich war, kann nicht die Rede sein. Was uns begegnet, sind prozessuale Versatzstücke. H. Mitteis hat ganz ähnliche Beobachtungen für die Praxis des Pariser Parlaments gemacht. Hier, so schreibt Mitteis, begegnet man nicht „eigentlichen Prozessen", sondern „Prozeßteilen" und „Beweisaufnahmen zu Verwaltungszwecken" 80 . Auch der RHR entschied nicht im Wege eines förmlichen Prozeßverfahrens, sondern auf diplomatischem Wege, gleichsam regierungs- und verwaltungsmäßig. Meist holte er nach Erhebung einer Klage zunächst einmal zusätzliche Informationen von den Parteien ein81 76
77
Vgl. oben S. 824 f.
§ 83 Abs. II Visitationsabschied v. 1713, in: J. J. Schmauß, (Fn. 37), S. 1208; H. Wiggenhorn, (Fn. 25), S. 247. 78
W. Seifert, Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte, Neue Folge, Bd. 18), Aalen 1973, S. 65. 79 W. Sellen, (Fn. 78), S. 65. 80 W. Sellen, (Fn. 78), S. 94. W. Sellen, „Kommunikationsprozeß", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 987 f.
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oder bestimmte Untersuchungskommissionen, die zwischen den streitenden Parteien vermitteln, gelegentlich aber auch Beweisaufnahmen durchführen sollten. In vielen Fällen versuchte er auch die an ihn herangetragenen Angelegenheiten sogleich, ohne die beklagte Partei vorher gehört zu haben, mit dem Erlaß von Reskripten 82 oder Mandaten 83 zu regeln. Auf diese Weise verfuhr er auch gegen den Protest der Reichsstände mit Prozessen, die er, als die Tätigkeit des R K G in den Jahren 1544-1548, 1688-1693 und 1704-1711 ruhte, an sich gezogen hatte84. Folglich war die mehr als 200 Jahre lang immer wieder erhobene Forderung der Reichsstände, der R H R möge sich wie das R K G eine Prozeßordnung geben, voll gerechtfertigt. Denn, so argumentierten die Stände, ohne verbindliche Prozeßordnung lasse sich doch die Ausübung
einer Gerichtsbarkeit... nicht wohl denken, weil sie sonst nur willkührlich seyen würdeSi. Dem hielt wiederum der R H R entgegen, die Reichsstände wollten diesem hohen von Römischen Kaysern bishero allein dependirten Tribunali nit weniger alß dem Cammergericht leges praescribiren und dasselbe under ihr direction pringe[enjib oder, wie sich der Reichshofrat Peter Freiherr v. Stralendorf/1624 gutachtlich geäußert hatte, daß man ohne daß dahin zihlet, entweder den RHR allemeligs zu cassiren, oder doch in allem dem Cammer g[eri]cht zu Speyer zu conformiren, et sublata Principis auctoritate, in eine regul zu bringen87. Auch nachdem im Westfälischen Friedensvertrag in Art. V § 54 bestimmt worden war: Quoad Processum iudiciarium Ordinatio Camerae Imperialis etiam in Judicio Aulico servabitur per omnia, bestand der R H R auf einer freieren Verfahrensweise. Dementsprechend sollte er gem. Tit. II § 8 der R H R O v. 1654 nur die substantialια der R K G O beachten, im übrigen aber an unnöttige gerichtssolennia, dadurch dem hauptwerkh und genuegsamen erkundigung der Wahrheit nichts zueoder abgehet, keineswegs verbunden, sondern vielmehr auff den gemeinen nuzen unnd fürderung der hailsamben justiz gewiesen und verpflichtet sein88.
'2 W. Sellert, „Reskriptsprozeß (Reichshofrat)", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 937 f. 83 Zum Begriff vgl. M. Uhlhorn, (Fn. 27), S. 5 ff. " W. Sellert, (Fn. 78), S. 94, 66, Fn. 51. ,s W. Sellert, (Fn. 78), S. 67. " W. Sellert, (Fn. 78), S. 71. 87 W. Sellert, (Fn. 78), S. 71, Fn. 84. " Vgl. W. Sellert, Die Ordnungen des Reichshofrats 1550-1766, 2. Halbb. 1626-1766 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 8/II), Köln 1990, S. 121 ff (128).
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Aber was hätte es dem R H R schon genutzt, wenn er den für das R K G und de iure auch für ihn verbindlichen Vorschriften89 über die Zwangsvollstreckung gefolgt wäre. Denn in Angelegenheiten der Zwangsvollstreckung hatte der R H R mit den gleichen Schwierigkeiten wie das R K G zu kämpfen. Auch er war hier mangels eigener Vollstreckungsorgane auf die Hilfe der Reichskreise angewiesen. Die freiere Verfahrensweise wirkte sich jedoch, wie gleich zu zeigen sein wird, in der Weise aus, daß es der R H R einfacher als das R K G hatte, die streitenden Parteien mit unkonventionellen Mitteln zu einem Vergleich zu bringen und damit der Zwangsvollstreckung aus dem Wege zu gehen. In der Vollstreckungspraxis reichshofrätlicher Urteile zeigt sich zunächst eine Tendenz, die wir bereits beim R K G beobachtet haben. Gleich dem R K G versuchte der R H R Vollstreckungsaufträge an die Reichskreise möglichst zu vermeiden90. Daß sich R H R und R K G mit der Anordnung von Vollstreckungen ihrer Urteile zurückhielten, belegt im übrigen auch der Westfälische Friedensvertrag. Dort wird nämlich nicht ohne Grund gefordert, daß das, was durch Gerichtsurteil entschieden worden sei, auch vollzogen werden müsse91. Ging es um Prozesse mit politischer Brisanz, ließ es der R H R möglichst erst gar nicht zu einer vollstreckbaren Entscheidung kommen. Denn in diesen Fällen war stets damit zu rechnen, daß die unterlegene Partei gegen das Urteil entweder Revision einlegte oder den Recursus ad comitia erhob, also an den Reichstag appellierte, um die Exekution zu vereiteln92. Zwar stritt man heftig darüber, ob diese Rechtsmittel überhaupt Suspensiveffekt hätten, m. a. W., ob die Vollstreckung ausgesetzt sein sollte, bis über die Revision oder den Rekurs entschieden worden war93. Die Einlegung eines Rechtsmittels war jedoch in jedem Falle für " A. Laufs,
„Reichskreise", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, v. A. Erler und E . K a u f m a n n ( H R G ) , Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 681 ff (684); Schmauß, Compendium Iuris Publici, 3. Aufl. Göttingen, 1754, S. 87.
hrsg.
], J.
90 W. Sellert, „Prozeß des Reichshofrats", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. v. A. Erler und E. Kaufmann ( H R G ) , Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 22 ff (28).
" I P O Art. X V I I § 7 Abs. II, in: K. Zeumer, (Fn. 2), N r . 197, S. 433. ,2 W. Sellert, „Recursus ad comitia", in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. V. A. Erler und E. Kaufmann ( H R G ) , Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 4 4 6 ^ 4 9 . Vgl. R H R - C o n c l u s u m v. 23. Oktober 1703, abgedruckt bei J. J. Moser, (Fn. 4), S. 2 5 2 - 2 5 3 . D o r t hat der R H R in der Sache Reichs-Ritterschaft in Francken Orts Röhn und Werra contra Castell der Vollstreckungskommission, den ausschreibenden Herren Fürsten des fränkischen Kreises, aufgegeben, die Grafen von Castell dahin zu weisen, daß, wenn sie gegen diese oder andere Reichs-Hof-Räthliche Sentenzen etwas zu Recht beständiges einzuwenden hätten, sie solches nicht auf dem Reichs-Tag, allwohin dergleichen RechtsSachen nicht gehörig wären, sondern durch die in denen Reichs-Constitutionibus enthaltenen Remedia Juris beobachten, oder aber in dem ihnen vorbehaltenen Petitorio gebührend ausführen sollten.
" W. Sellert, (Fn. 78), S. 409 ff.
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die Reichskreise ein willkommener Grund, die Exekution abzulehnen oder zu verzögern 94 . Im übrigen versuchte der R H R die an ihn herangetragenen Rechtsstreitigkeiten nicht in einem förmlichen Prozeßverfahren, sondern gütlich aus der Welt zu schaffen 95 . Hierzu hatte er ein ausgefeiltes Instrumentarium, wie beispielsweise das sog. „Schreiben um Bericht" 96 oder den sog. processus communicativus''7 entwickelt, womit den Parteien die Möglichkeit geboten wurde, zunächst einmal informell ihre Standpunkte darzulegen, um sich nach Klärung gegebenenfalls zu einigen. / . J. Moser hat insoweit mit Recht kritisiert, daß man bei den Entscheidungen des R H R oft nicht wisse, was und wann etwas vim definitivam haben solle oder nicht98. Darüber hinaus setzte der R H R gerne, auch wenn es die Parteien nicht beantragt hatten, Untersuchungs- und Vergleichskommissionen ein, deren Aufgabe es wiederum war, die Parteien zu einem Kompromiß zu bringen 99 . Dennoch hat der R H R auch vollstreckungfähige Entscheidungen gefällt. Das bedeutete allerdings noch keineswegs, daß diese Urteile nun auch immer dem Antrag der obsiegenden Parteien entsprechend zur Vollstreckung gebracht wurden. So kam es vor, daß der R H R das gefällte Urteile nicht sofort verkündete, um auf diese Weise die Vollstreckung zu verzögern. Der Vorwurf Johann Christian Herchenhahns, der R H R halte Urteile zurück, „wenn die Klugheit den Rath [gab], einen mächtigen Sachfälligen nicht zur Unzeit aufzubringen", war daher berechtigt'00. Preußen beanstandete daher 1756, daß der R H R „wohl eine Sentenz ligen lasse, und niemals publicire"101. So lag beispielsweise in dem bekannten Erbschaftsprozeß des Herzogs zu Braunschweig (Cellische Linie) gegen Herzog Heinrich Julius (Wolfenbüttelische Linie) das Urteil am 22. Dezember 1609 vor, nachdem der Prozeß insgesamt 9 Jahre gedauert hatte. Gleichwohl wurde auf Intervention des Kaisers dieses Urteil, weil sich dieser Successions-Streit zwischen nahen unverwandten Freunden erhielte, nicht verkündet. Durch seinen Geheimen Rat ließ der Kaiser anordnen, daß zwischen den Parteien zuvorderst unpartheyische qualificirte Commissarien nochmals einen gütl. Vergleich versuchen sollten. Als dieser Vergleichsversuch am Widerstand des Klägers scheiterte, verlangte der Kaiser wenig später 94
W. W. 96 W. 97 W. 98 W. 99 W. ,0 ° W. ,0 ' W. 95
Sellen, Sellen, Sellen, Sellen, Sellen, Sellen, Sellen, Sellen,
(Έη. 78), S. 411. (Fn. 78), S. 214 f. (Fn. 78), S. 181 ff. „Kommunikationsprozeß", (Fn. 81), Sp. 987 f. (Fn. 78), S. 419. (Fn. 78), S. 194 ff. (Fn. 78), S. 354. (Fn. 78), S. 355.
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erneut, die Parteien sollten einen Kompromiß schließen. Daraufhin wandte sich der Kläger an den Kurfürsten zu Mainz und machte denegata iustitia geltend. Der Kläger drohte damit, daß er den Verlauf des Prozesses der gantzen Welt durch öffentliche in Druck ausgehende Scripta notificiren würde, falls das Urteil nicht endlich zur Publikation käme. Obwohl der Mainzer Kurfürst am kaiserlichen Hof vorstellig wurde und verlangte, daß die rechtliche Erkenntniß und Publication allbereits begriffene Urtheil, ohne ferneren Verzug erfolgen solle, geschah zunächst nichts. Erst im Jahre 1616 wurde schließlich das Urteil verkündet102. - U m die Zurückhaltung einmal gefällter Urteile auszuschalten, sollte sich der Kaiser im Entwurf einer beständigen Wahlkapitulation v. 1711 verpflichten, die Vollstreckung der reichsgerichtlichen Urteile in keinerley Weise noch Wege [zu] hemmen oder [zu] hindern, vielweniger dieselbe [zu] verschieben, sondern jedermann ohne Ansehen der Person schleunig zu seinen erstrittenen Rechten [zu] verhelffenWi. Entschied sich der R H R unerwartet doch einmal für die Vollstreckung, so übertrug er sie traditionsgemäß einer commissio ad exequendumiM. Zum Kommissar bestimmte der R H R zwar regelmäßig einen kreisausschreibenden Fürsten105, gelegentlich aber auch einen der Reichshofräte106. Brandenburg-Preußen forderte daher bei den Verhandlungen über die Wahlkapitulation Karls VII., daß der Kaiser zu Kommissaren nur noch kreisausschreibende Fürsten ernennen dürfe107.
W. Sellen, (Fn. 78), S. 355 f. Art. XVII, abgedr. in: K. Zeumer, (Fn. 2), Nr. 205, S. 487. "» W. Sellert, (Fn. 78), S. 194;/./. Moser, (Fn. 61), S. 157 ff; V. Hanzely, Anleitung zur neuesten Reichshofrathspraxis, Bd. 2, Frankfurt und Leipzig 1784, S. 665 ff;/. F. Seyfarts, (Fn. 6), S. 589, mit entsprechendem Beispiel. Vgl. auch RHR-Conclusum v. 20. Dezember 1724 in dem Rechtsstreit Hirschmann Caspar contra den Stadt Magistrat zu Bopfingen. Dort entscheidet der RHR: Fiat nunc Expeditio decretae Commissionis Caesareae de exequendo auf die ausschreibende Herrn Fürsten des Schwäbischen Crayses..., in: /. /. Moser, (Fn. 4), S. 98 f. 105 M. Uhlhorn, (Fn. 27), S. 169 ff. 106 O. von Gschließer, Der Reichshofrat - Bedeutung und Verfassung, Schicksal und Besetzung einer obersten Reichsbehörde von 1559 bis 1806 (= Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte des ehemaligen Osterreich, Bd. 33), Wien 1942, S. 80. 107 A. Siemsen, Kur-Brandenburgs Anteil an den kaiserlichen Wahlkapitulationen von 1689 bis 1742 (= Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, Band III, Heft 3), Weimar 1909, S. 107. Folgt man A. Laufs, (Fn. 89), Sp. 681 (684), so hat sich die Vollstreckungspraxis des RHR besonders im fränkischen, schwäbischen und oberrheinischen Reichskreis, den sog. vorderen Reichskreisen, bis in die Zeit Karls VI. bewährt. Erstaunlicherweise hat sich auch das meist reichsfeindlich gesinnte Preußen aktiv an den Exekutionen reichshofrätlicher Erkenntnisse beteiligt. Das mag u. a. damit zusammenhängen, daß Preußen durch seine Besitzungen im Westen des Reiches zum niederrheinisch-westfälischen, niedersächsischen und zum fränkischen Kreis gehörte; Α. Κ. Mally, (Fn. 60), S. 107. 102 103
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Soweit der R H R kreisausschreibende Fürsten mit der Vollstreckung betraute, mußte er allerdings die gleichen negativen Erfahrungen wie das RKG machen. Kam daher ein Reichskreis trotz Ermahnungen und Androhungen von Strafen dem Vollstreckungsauftrag nicht nach, blieb dem R H R nichts anderes übrig, als einen anderen Kreis mit der Zwangsvollstreckung zu beauftragen. „Wollte auch dieser nicht exequieren", so fingen, folgt man einer zeitgenössischen Stimme, „die Strafkommunikationen wieder von vorne an ... , bis wieder transcribiert", d. h. ein anderer Reichskreis mit der Vollstreckung beauftragt wurde108. Folglich ist es nicht verwunderlich, daß der R H R ebenso wie das RKG großzügig mit Paritionen arbeitete und dem Schuldner zunächst mehrfach die Vollstreckung androhte, ehe er den Vollstreckungsauftrag erteilte. Selbst wenn der R H R einen Vollstreckungsauftrag erteilt hatte, geschah das mit der Anweisung, der Kreis solle erst nach weiteren Paritoria tätig werden. Eine insoweit typische Vollstreckungsanordnung des R H R lautet daher: ... fiat Comtnissio an die Crayß-ausschreibende Herrn Fürsten des Schwäbischen Crayses ... dem Grafen von Wieser eine zwey monatliche Frist ad parendum anzusetzen und erst nach Ablauf dieser Frist das Reichs-Urthel... zur würcklichen Execution zu bringen109. Bisweilen beauftragte der R H R auch die Vollstreckungskommission ohne Rücksicht auf die Interessen des Prozeßsiegers, doch noch einen Vergleich zwischen den Parteien - notfalls auch ohne deren Unterstützung - zu versuchen; und dies, obwohl nach der R H R O kein parthey wieder ihren willen zu einigem vergleich getrungen werden sollte110. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Rechtsstreit zwischen der „R.[eichs] Ritterschaft am Niederrheinstrom contra Churpfalz die Herrschaft Ebernburg betreffend". In dem hier interessierenden Reichshofratskonklusum v. 15. Februar 1771 heißt es u. a.: Rescrihatur dem Herrn Churfiirsten zu Mainz als dermaligen Herrn Bischof zu Worms und ausschreibenden Herrn Fürsten des oberrheinischen Crayses: Gleichwie Ihro Kaiserl. Maj. zu allergnädigsten Wohlgefallen gereiche, daß der Herr Churfürst sich dem kaiserlich-gesetzmäßigen Executionsauftrag in der gegen den Herrn Churfürsten zu Pfalz die Herrschaft Ebernburg betreffenden abgeurtheilten Sache nicht entzogen, und seine subdeligirte zu diesem Ende ausrucken lassen. Zwar kommt nach der Executionsordnung und übrigen Reichsgesetzen nichts anderes in Betracht, als daß mit stracklichen Vollzug der allerhöchst-kaiserlichen Erkänntnissen ohn10
' D. F. Haas, Vorschläge wie das Justizwesen am Kammergericht bey künftiger Visitation, oder am Reichstage nach den schon älteren Gesetzen einzurichten und zu verbessern sey, Bd. 2, o. Erscheinungsort 1786, S. 812. Vgl. ferner M. Uhlhorn, (Fn. 27), S. 1 7 0 ; / . / Rieft, (Fn. 59), S. 110. "" RHR-Conclusum v. 22. Januar 1726, in: / . ]. Moser, (Fn. 4), S. 131 ff (133). Tit. II, § 5 R H R O v. 1654, in: W. Sellen, (Fn. 88), S. 114 f.
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ausgesetzt fortgefahren würde. Nachdem jedoch Se. Königl. Majestäten in Preußen und Großbrittanien als Churfürsten zu Brandenburg und Braunschweig Ihro Kaiserl. Majestät durch Dero Comitialgesandschaften ersuchet, die ausgeruckte Executions-Commission zuforderst zur Stiftung eines gütlichen Auskommens... anzuweisen und zu authorisieren, hat der RHR ohne denen rechtskräftigen Erkänntnissen einigen Abbruch zu verstatten und ohne ein Präjudiz schaffen zu wollen, Ihme dem Herrn Churfürsten hiemit allergnädigst auffgejtragen, daß derselbe seinen zu diesem Executionsgeschäft abgeschickten Räthen anbefehle, wie sie zuvörderst an dem zur Execution bestimmten Ort zwischen sämtlichen Theilen die Güte versuchen sollen111. Gerade dieses Beispiel zeigt noch einmal, daß der RHR mit allen Mitteln versuchte - und dies sogar noch im Vollstreckungsverfahren - , die Parteien zu vergleichen. Allerdings hat der RHR auch Vollstreckungsaufträge erteilt, die durchgeführt wurden. Ein Beispiel ist eine Klage der ostfriesischen Bauernschaft aus dem Jahre 1682. Die Bauern hatten am RHR einen Prozeß begonnen, weil ihnen ihr Territorialherr bestimmte Rechte vorenthalten hatte. Die Klage der Bauernschaft war erfolgreich; aber auch die Urteilsvollstreckung, mit der der RHR den Kreisobristen des niederrheinischwestfälischen Kreises beauftragt hatte112. Ein weiteres und bekanntes Beispiel ist der unter Rudolf II. geführte Religionsprozeß gegen die Stadt Donauwörth. Hier hatten die katholischen Einwohner wegen Behinderung der Religionsausübung durch Protestanten geklagt und am RHR eine obsiegende Entscheidung erstritten. Als Donauwörth diese Entscheidung nicht befolgte, verhängte der Kaiser über die Stadt die Reichsacht. Mit der Vollstreckung wurde allerdings 1607 nicht der kreisausschreibende Fürst des schwäbischen Kreises, der Herzog zu Württemberg, sondern wegen besserer Erfolgsaussichten der Herzog von Bayern beauftragt, „der sich bald der Stadt so zu bemächtigen wußte, daß sie darüber aus einer evangelischen Reichsstadt in eine catholische Landstadt verwandelt wurde" 113 . Abgedruckt bei J.J. Rieft, (Fn. 59), S. 104 ff. F. Hertz, Die Rechtsprechung der höchsten Reichsgerichte im römisch-deutschen Reich und ihre politische Bedeutung, in: Mitteilungen des Instituts für Osterreichische Geschichtsforschung, Bd. 69, Graz und Köln 1961, S. 331 ff (344). '» J. St. Pütter, (Fn. 60), Teil 2, 2. Aufl., Göttingen 1768, S. 23; M. Uhlhorn, (Fn. 27), S. 170. - Eine weitere aufsehenerregende Zwangsvollstreckung war der Exekutionsauftrag des RHR in der sog. Mecklenburgischen Sache an das Direktorium des Niedersächsischen Kreises v. 10. Juni 1717; vgl. H.-J. Baiischmieter, Andreas Gottlieb von Bernsdorf und der Mecklenburgische Ständekampf (1680-1720) (= Mitteldeutsche Forschungen 26), Köln und Graz 1962, S. 113 ff; H. Duchhardt, Quellen zur Verfassungsentwicklung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (1495-1806) (= Texte zur Forschung, Bd. 43), Darmstadt 1983, S. 75 ff. 112
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Gelegentlich gelang es sogar den Protestanten, ihre Prozesse am R H R bis zum Vollstreckungsauftrag zu bringen. So klagte um die Mitte des 18. Jhdts. das Corpus Evangelicorum gegen das Fürstentum HohenloheWaldenburg, weil der Fürst dieses Territoriums seine protestantischen Untertanen zwingen wollte, zum Katholizismus überzutreten. Mit der Exekution des obsiegenden Urteils, das dem Fürsten bei Strafe verbot, einen solchen Zwang auszuüben, beauftragte der R H R den fränkischen Kreis114. Das unterlegene Fürstentum konnte jedoch durch geschickte Einflußnahme auf die kreisausschreibenden Fürsten von Bamberg und Ansbach die Urteilsvollstreckung abwenden. Dabei mag ihm zugute gekommen sein, daß das katholische Bamberg an der Wiederherstellung eines evangelischen Territoriums wenig Interesse gehabt haben dürfte" 5 . Obwohl wegen des Exemtionsprivilegs Österreichs die Kompetenz dieses Kreises nicht nur für die Vollstreckung reichskammergerichtlicher116, sondern auch reichhofrätlicher117 Entscheidungen umstritten war, hat der R H R gleichwohl durch diesen Kreis Vollstreckungen mit Erfolg durchführen lassen; so beispielsweise 1771 gegen den Kurfürst von Bayern. Dieser hatte Zollerhöhungen und Handelsbeschränkungen gegenüber der Reichsstadt Regensburg verhängt. Damit wollte er u. a. den dort tagenden Reichstag zur Ubersiedlung in eine andere Stadt zwingen118. In einem Rechtsstreit über diese Frage obsiegte die Stadt Regensburg. Eine Urteilsvollstreckung durch den zuständigen bayerischen Kreis kam nicht in Betracht. Denn der bayrische Kurfürst hätte als kreisausschreibender Fürst gegen sich selbst tätig werden müssen. Mit der aktiven Unterstützung Preußens und der Androhung eines Militäreinsatzes gelang es dem österreichischen Kreis, das Urteil des R H R durchzusetzen. Im Frühjahr 1772 konnte der Reichshofrat die erfolgreiche Exekution dem Kaiser melden" 9 . Sämtliche Beeinträchtigungen Regensburgs waren wieder aufgehoben worden. - Man sieht, 114 B. Sickert, Der Fränkische Reichskreis - Seine Amter und Einrichtungen im 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Fotodruckreihe Bd. 1), Würzburg 1970, S. 196. 115 B. Sicken, (Fn. 114), S. 196. Die Urteilsexekution nahmen dann die evangelischen Reichsstände selbst in die Hand und beauftragten damit die Markgrafschaft Ansbach, die sie erfolgreich durchführte. ' " Vgl. oben S. 13 f. 117 Vgl. dazu Α. K. Mally, (Fn. 60), S. 93 f. So vertrat der Reichshofrat Mulz 1698 die These, wegen der unzureichenden Exekution reichshofrätlicher Urteile solle der Kaiser die Urteilsvollstreckung selbst übernehmen, wenn die zuständigen Reichskreise dazu nicht fähig oder gewillt seien. Die Professoren Thomasius, Stryck und Cocceji widersprachen Mulz und lehnten eine Sonderrolle des Kaisers außer in den Fällen der Abwehr äußerer Feinde ausdrücklich ab. "« Α. K. Mally, (Fn. 60), S. 104. 1,9 Α. K. Mally, (Fn. 60), S. 114.
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daß Urteilsvollstreckungen des R H R auch mit Erfolg durchgeführt wurden. Sie waren allerdings die Ausnahme. III. Insgesamt war das Vollstreckungswesen der Reichsgerichte wenig effektiv. Das lag nicht zuletzt daran, daß die Reichskreise ihrer Struktur nach und gemessen an den allgemeinen Kriterien einer ordentlichen Gerichtsverfassung als Exekutivorgane reichsgerichtlicher Entscheidungen nicht besonders geeignet waren. Wie alle Reichsinstitutionen standen nämlich auch die Reichskreise im politischen Spannungsverhältnis zwischen Reich und Territorien und hatten daher die schwierige Aufgabe, die eigenen, d. h. die ständischen Angelegenheiten mit denen des Reiches abzustimmen. Hinzu kam, daß die Interessen der Stände untereinander nicht zuletzt wegen der konfessionellen Spaltung uneinheitlich waren, so daß die Reichskreise in vielen Fällen nicht mit-, sondern gegeneinander arbeiteten. Das galt vor allem dann, wenn es sich um Zwangsvollstreckungen reichsgerichtlicher Entscheidungen handelte, in denen entweder das Verhältnis von Untertanen gegen ihre Landesherrschaft betroffen war oder in denen es, wie in den Religionsprozessen, um die Konfliktlösung konfessioneller Streitigkeiten ging. Einer der schwersten Mängel der Reichskreise bestand jedoch darin, daß sie, obwohl de iure verpflichtet, die Zwangsvollstreckungen durchzuführen, de facto dazu nicht gezwungen werden konnten. Daß unter diesen Voraussetzungen die Frage, ob und wie eine Zwangsvollstreckung durchgeführt werden sollte, meistens nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten, sondern nach den Maßstäben politischer Opportunität entschieden wurde, ist nicht weiter verwunderlich120. Insgesamt bewegte sich der Aktionsradius der Reichskreise im Rahmen der Möglichkeiten und Grenzen, die durch die disparaten verfassungsrechtlichen Verhältnisse des Reiches vorgegeben waren. Die Mitglieder des R K G und des R H R waren sich dieser Lage voll bewußt. Deswegen hat Roman Herzog mit Recht die Frage gestellt, worin denn diese Richter den Sinn ihrer Tätigkeit sahen. Ihm könne, so meinte Herzog, keiner vormachen, „daß die Richter des Reichskammergerichts, die Wert und Unwert ihrer Verdikte ja täglich beobachten konnten, dreihundert Jahre nach der Devise gelebt hätten: Beachtet werden unsere Urteile zwar nicht, aber trotzdem fällen wir sie gern". Seine Vermutung, sie müßten „von einem ganz anderen, bescheideneren Urteilsbegriff ausgegangen" sein121, trifft nicht ganz den Kern 120 m
So zutreffend M. Uhlhorn, (Fn. 27), S. 171. R. Herzog, (Fn. 1).
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der Sache. Wie nämlich unsere Untersuchung gezeigt hat, realisierten die Reichsgerichte durchaus den engen Zusammenhang zwischen Urteil und Vollstreckung. Andererseits wußten sie sehr wohl um die Problematik der Zwangsvollstreckung und kalkulierten sie ein. Gerade deswegen haben die Richter der beiden Reichsgerichte nur ungern Urteile gefällt und noch unwilliger Vollstreckungsaufträge erteilt. Besonders die Tätigkeit des R H R zielte daher dominant auf eine gütliche Einigung der Parteien. Leider ist im einzelnen noch nicht untersucht worden, wie viele Prozesse am R H R und am R K G ohne Urteil durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich endeten. Man kann jedoch davon ausgehen, daß die Zahl der Vergleiche die Zahl der Urteile ganz erheblich überstieg. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß unter den gegebenen Umständen auch ein Urteil durchaus seine Wirkung haben konnte. Die Bedeutung der Reichskreise für die Zwangsvollstreckung reichsgerichtlicher Entscheidungen darf hier keinesfalls unterschätzt werden. Die 1782 von dem RKG-Assessor Franz Dietrich v. Ditfurth geäußerte Ansicht, daß die Entscheidungen des R K G in Ermangelung eines eigenen Exekutivorgans als kraftloses Pappier keinem Menschen nützen könn[t]en, sondern das Gericht verächt- und lächerlich mach[t]enul, vermag ich nicht zu teilen. Allein die tatsächliche Möglichkeit und damit die drohende Gefahr einer Vollstreckung dürfte viele Parteien entweder zur Urteilserfüllung veranlaßt oder vergleichsbereiter gemacht haben123, ganz abgesehen davon, daß reichsgerichtliche Urteile ja auch tatsächlich vollstreckt worden sind. Deswegen war - und hier ist Roman Herzog124 voll zuzustimmen - „Das ... Urteil ... keineswegs immer die alles entscheidende Trumpfkarte ... ; aber es war doch immerhin ein hoher Trumpf oder ... ein Joker, den die obsiegende Partei im weiteren Spiel piazieren konnte - vielleicht mit Erfolg, vielleicht auch nicht".
122 Zitiert nach S. Jahns, Die Personalverfassung des Reichskammergerichts unter Anpassungsdruck, in: B. Diestelkamp (Hrsg.), Das Reichskammergericht in der deutschen Geschichte (= Quellen und Studien zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, Bd. 21), Köln und Wien 1990, S. 59. I2) Vgl. auch die insoweit positive Beurteilung durch B. Diestelkamp, (Fn. 5), S. 478 ff; W. Sellen, (Fn. 56), 453 ff (466). W i e F n . 1.
Prozeßführung oder Urteil Rechtsvergleichendes zu Grundlagen der Rechtskraft U L R I C H SPELLENBERG
Der Richter entscheidet den von den Parteien vor ihn gebrachten (zivilrechtlichen) Rechtsstreit und urteilt über eine umstrittene Rechtslage oder ein bestrittenes subjektives Recht. Dabei würde man annehmen, daß schon dem Begriff der „Entscheidung" die Endgültigkeit innewohne, denn ein aufhebbares oder abänderbares Urteil ist eigentlich noch keine Entscheidung eines Streites, solange er noch fortgesetzt werden kann. Daß der Streit ein Ende habe und eine Bindung für die Zukunft eintrete, gilt als eine sachlogische Notwendigkeit. Verschiedentlich wird in der Rechtskraft sogar ein Charakteristikum der richterlichen Entscheidung im Gegensatz ζ. B. zu einer der Verwaltung gesehen 1 . Diese sachlogische Notwendigkeit der Streitbeendigung im Zivilrecht macht die Rechtskraft besonders interessant für die Rechtsvergleichung. Man kann möglicherweise daran auch das Gewicht und die Effizienz einer „Natur der Sache" erkennen, weil sich die Fragen in allen Systemen der Zivilgerichtsbarkeit gleichermaßen und gleichartig stellen müßten 2 . Es ist bemerkenswert, daß dennoch erhebliche Unterschiede zu beobachten sind. Im Folgenden soll ein Aspekt der Rechtskraft und ihrer objektiven Grenzen vor allem im anglo-amerikanischen Recht herausgegriffen werden, der die Grundlagen der Rechtskraft und ihrer Rechtfertigung berührt und weittragende Konsequenzen haben kann. Er zeigt, daß man dieses Problem doch recht verschieden angehen kann. In manchen Fällen kann Rechtsvergleichung unseren eigenen Vorrat an Argumenten und Lösungen vermehren. In jedem Fall aber verdeutlicht sie uns, was wir selbst machen und namentlich welche Lösungswege wir nicht eingeschlagen haben.
1 Bettermann A ö R 92 (1967), 505; FS Lent (1957) 25 ff, 41; ähnlich Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht (15. Aufl. 1993) § 9 1 S. 43; Stein/Jonas/Schumann Z P O Einleitung Χ Β Rdn. 477. In Frankreich: Vizioz, Etudes de procedure (1956) 70 ff, 92 ff. 2 Noch immer ist dabei m. E. richtig, wenn Zeuner, FS Zweigert (1981) 603 einen Mangel an rechtsvergleichenden Betrachtungen der Rechtskraft feststellt.
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Ich widme diese Skizze, und mehr kann es hier nicht sein, dem verehrten Jubilar, der wesentliches zur Rechtskraftlehre beigetragen hat, und in dankbarer Erinnerung an meine Göttinger Studien- und Doktorandenzeit, in der er meine Liebe zum Prozeßrecht geweckt hat. I. Rechtfertigung der Rechtskraft Obwohl die Endgültigkeit der richterlichen Entscheidung allgemein als sachnotwendig verstanden wird, wird dennoch ein eigentlich auf den ersten Blick verwunderliches Bedürfnis der Rechtfertigung der Rechtskraft empfunden. Das dürfte primär darauf beruhen, daß die Urteile einer als vorprozessual bestehend gedachten wahren Rechtslage entsprechen sollen. Der Richter soll das Recht nur finden und anwenden, und daher kann das Urteil falsch sein. Daß es dennoch bindet, bedarf der Rechtfertigung. Darüber soll aber nicht vergessen werden, daß die Bindungswirkung auch des richtigen Urteils ebenso wichtig und notwendig ist, nur bedarf sie weniger der Rechtfertigung. Diese wird recht einheitlich im deutschen, englischen und französischen Recht teils im öffentlichen Interesse, daß Frieden sei, teils im privaten Interesse der siegreichen Partei, nicht erneut vor Gericht gezogen zu werden, sondern sich ihres Sieges in Ruhe erfreuen zu können, gesehen, wobei das Gewicht teils mehr auf das eine3, teils mehr auf das andere4 gelegt wird. Turner5 hält dabei für möglich, daß bei genauerem Zusehen beide Argumente auf denselben Grund zurückführen könnten. Die Gründe tragen aber ebenso beim falschen wie beim richtigen Urteil. Das deutsche, französische wie englische Recht lassen bei besonders gravierender oder offensichtlicher Verfehlung jener Wahrheit außerordentliche Rechtsmittel gegen das Urteil mit dem Ziel seiner Aufhebung zu6.
Z. B. Habscheid, FS Fragistas (1966) Bd. 1 S. 530. Allein darauf beruft sich z. B. Berger, Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft bei der Prozeßstandschaft (1992) 13 f. 5 Spencer Bower/Turner, The Doctrine of Res Judicata (2. Aufl. 1969) 10; hingegen stellen beide Gründe deutlich nebeneinander Lockyer v. Ferryman (1877) 2 A.C. 519, (H.L.) 530 Blackburn, L.J.; Carl-Zeiss-Stiftung v. Rayner and Keeler (no. 2) [1966] 2 All ER 536, 549 Reid, L.J.; (H.L.). 6 Deutschland: §§ 579, 580 ZPO. Frankreich: Recours en révision, Art. 593-603 nouv. c. proc. c. England: Judicial Review, Order 53 Rules of the Supreme Court (RSC); David Kennedy v. Dandrick [1943] 2 All ER 606. Im übrigen kann in England Fraud u. ä. stets auch implizit gegen die Rechtskraft eingewandt werden. 3 4
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II. Rechtskraftfähige Urteile 1. In gewissem Sinne konsequent knüpft das deutsche Recht materielle Rechtskraft nur an das mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Urteil. Erst danach dürfen die Parteien die Richtigkeit des Urteils nicht mehr in Streit ziehen. Freilich stünde einer erneuten Klage mit demselben Streitgegenstand bereits vorher (einstweilen) die Rechtshängigkeit entgegen. Dagegen könnten die Parteien in einem anderen Prozeß, in dem das noch anfechtbare Urteil präjudizielle Wirkung hätte, implizit noch seine Richtigkeit bestreiten. Zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen kann der Richter freilich nach § 148 ZPO aussetzen. 2. Demgegenüber schreibt das französische Recht auch dem noch nicht formell rechtskräftigen Urteil autorité de la chose jugée zu. Man nimmt jedoch an, daß diese Rechtskraft ausgesetzt werde bzw. unter eine aufschiebende Bedingung trete, sobald gegen das Urteil ein Rechtsmittel eingelegt wird. Bei seiner Bestätigung erhalte das Urteil - wieder - rückwirkend seine Rechtskraft, und man spricht bei Unanfechtbarkeit mit ordentlichen Rechtsmitteln dann von force de chose jugée. (Vgl. Art. 480 und 593 nouv. c. proc. c.) Man verwendet nun diese Vorstellung der autorité de la chose jugée des noch anfechtbaren Urteils, um zu begründen, daß die unterlegene Partei nicht dieselbe Sache, statt Rechtsmittel einzulegen, anderweitig erneut anhängig machen kann7. Funktional entspricht das also der deutschen Rechtshängigkeitssperre8, wird aber als eine Art Rechtskraftsperre gesehen. Wegen der Suspension der Rechtskraft kann eine präjudizielle Bindung des Urteils für einen Folgestreit nicht in Anspruch genommen werden, solange das Rechtsmittel 9 schwebt10. Für die recht kurze Zeit bis zur Einlegung eines Rechtsmittels hat das französische Urteil grundsätzlich dieselbe Wirkung wie ein unanfechtbares. Während dieser Zeit könnte sich eine Partei in einem anderen Prozeß auf die Präjudizialität berufen. Freilich ist im Folgeprozeß das dann inzwischen eingelegte Rechtsmittel zu beachten, so daß im Endeffekt die Präjudizialbindung nicht mehr eintritt11. Der Richter
7 Cass. civ. 7. 7. 1890 D . P. 1890. 1. 301; Cass. civ. 21. 2. 1978 Bull. civ. I N r . 67 = Gaz. Pal. 1978, 2, somm. 144. 8 Ahnlich Tomasin, L'autorité de la chose jugée (1975) N r . 169 f. ' Damit sind grundsätzlich nur die Berufung und der Widerspruch gegen ein Versäumnisurteil gemeint; die Kassationsbeschwerde bewirkt keine Suspension der Rechtskraft, die erst mit der Aufhebung des Urteils endet. 10 J. Cl. Proc. Fase. 554 N r . 72. " Cass. civ. 30. 4. 1906 D . P. 1906. 1. 404, 2. Fall.
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kann, ja muß wohl dann den Folgeprozeß aussetzen 12 . Im Endeffekt muß man also auch in Frankreich die formelle Rechtskraft abwarten, und es ist ein mehr technischer Unterschied, daß man in Frankreich eine vorläufige Rechtskraft annimmt. 3. Weitergehend schreiben dagegen das englische und amerikanische Recht jedem Endurteil in der Sache (final judgment) die gleiche Rechtskraft - oder Bindungswirkung - zu, und erst seine Aufhebung durch ein ordentliches oder außerordentliches Rechtsmittel beseitigt sie mit dem Urteil, aber auch erst dann. Die Anhängigkeit einer Berufung genügt nicht, um die Rechtskraftwirkung auszuschließen 13 . Der Richter hat allerdings auch in England im Rahmen seiner ohnehin weiten Prozeßleitungsbefugnis die Möglichkeit auszusetzen, um den Ausgang des Rechtsmittels in dem vorgreiflichen Verfahren abzuwarten 14 . Praktisch ist der Unterschied bei der Bindungswirkung des anfechtbaren oder angefochtenen Urteils zum fanzösischen Recht also zwar nicht allzu groß, doch ist er erheblich hinsichtlich der Begründung. Seine weitesttragenden Wirkungen hat der englische issue estoppel jedoch dann bei der Rechtskraft der Gründe. Rechtskraft muß übrigens in allen Fällen von der Partei geltend gemacht werden III. Estoppel und Res Judicata 1.
Estoppel
Jener Verzicht auf formelle Rechtskraft hängt wohl mit der historisch ersten Wurzel der englischen Rechtskraft zusammen, die insbesondere die Rechtskraft der Gründe trägt und von der dort noch zu sprechen sein wird, nämlich dem Verbot, sich später in Widerspruch nicht eigentlich zum richterlichen Urteil zu setzen, sondern zum eigenen Prozessieren. Jedenfalls paßt der Verzicht auf ein formell rechtskräftiges Urteil dazu, wobei auch in England die Berufung befristet ist15. Bindung an den richterlichen Ausspruch und Bindung an eigenes Prozessieren sind durchaus zweierlei. Es scheint, daß anfangs in England
12 Cass. civ. 16. 1. 1975 D. 1975. IR. 70; Cass. civ. 21. 2. 1978 Bull. civ. I Nr. 67 = Gaz. Pal. 1978,1, somm. 144; Tomasin aaO Nr. 168 a. E. " Scott v. Pilkington, 2 Β & S. 11 (1862), 121 Eng. Rep. 978, 989 f. In USA: ζ. B. United States v. United Airlines 216 F. supp. 709, 715 (1962). 14 Vgl. etwa New Brunswick Ry. Co. v. British and French Trust Corp. [1939] Ch. 1, 16 (H.L.); wegen der Präzedenzwirkung auch, wenn nur dieselbe Rechtsfrage unter anderen Parteien schwebt. 15 Nach den Rules of the Supreme Court Order 59 Rule 4 beträgt ζ. Β. die Berufungsfrist zum Court of Appeal gegen Urteile des High Court vier Wochen.
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„Rechtskraft" in der Form des estoppel auch angenommen wurde, wenn der Prozeß ohne Urteil endete. Erstere beruht auf der Autorität des Ausspruches des zur Entscheidung berufenen staatlichen Richters, letztere kommt ohne diese aus und bleibt ähnlich wie das Verbot eines venire contra factum proprium auf der privaten Ebene der Parteibeziehungen. Diese historische Wurzel der englischen Rechtskraftlehre bezieht sich auf die Gründe, und das sind die Feststellungen präjudizieller Rechtsverhältnisse, aber vor allem und urspünglich zuerst von Tatsachen16. Recht bald wurde jedoch dazu noch eine Art richterliche Befestigung des Verhandlungsergebnisses verlangt17. Die Partei, die im Verfahren eine Behauptung aufgestellt oder zugestanden oder nicht bestritten hat, kann in einem anderen Verfahren nicht damit unvereinbares behaupten. Spätestens seitdem ein richterliches Urteil verlangt wird, heißt das dann, daß die Partei sich in einem zweiten Verfahren nicht in Widerspruch zu den Feststellungen setzen darf, die unter ihrer prozessualen Mitwirkung und Verantwortung im früheren Verfahren getroffen worden sind18. Auch heute noch gilt als Grund der Bindung jedoch nicht so sehr die richterliche Feststellung, sondern das im Verfahren und in der Beweisaufnahme unter der Verantwortung der Parteien selbst erreichte Ergebnis, denn es gilt die Verhandlungsmaxime. Daß man im gleichen Sinne auch von estoppel by record spricht, beruht darauf, daß die Behauptungen der Parteien und die (tatsächlichen) Feststellungen im Zuge des Prozesses schriftlich festgehalten werden, so daß die Parteien sich später zum unwiderleglichen Beweis auf diese urkundliche Festlegung berufen konnten' 9 . Der issue estoppel des angelsächsischen Prozeßrechts bezieht sich demgemäß auf das, worüber die Parteien im Laufe des Verfahrens gestritten und das Gericht dann entschieden hat, und nicht auf das, wenn man so will, worum gestritten wurde. Die issues (Streitpunkte) sind in der Regel im schriftlichen Urteil festgehalten. Es ist jedoch durchaus zulässig, andernfalls auf „Parteischriftsätze", „Zwischenent-
16 Dazu Miliar 39 Mich. L. Rev. (1940) 1 ff, 238 ff; Cohn, FS Nipperdey Bd. 1 (1965) 876 ff. " Miliar 35 111. L. Rev. 54 (1941) berichtet von ersten Entscheidungen in diesem Sinn vom Ende des 13. Jahrhunderts. ,g Zu dieser germanischen Wurzel und ihrer Geschichte vgl. Seelmann, Der Rechtszug im älteren deutschen Recht (1911) 188 f; Gài, Die Prozeßbeilegung nach den fränkischen Urkunden des 7.-10. Jahrhunderts (1910) 9, und ders. Savigny-Zeitschr. Germ. Abt. 33 (1912) 316; auf sie bezieht sich Miliar in seiner historischen Darstellung in 35 111. L. Rev. 41 ff (1941); Engelmann-Pilger, Die Grenzen der Rechtskraft des Zivilurteils im Recht der Vereinigten Staaten (1974) 86 f, 90 f. " Miliar 35 111. L. Rev. 45 (1941); 9 Holdsworth, History of English Law (1926) 147 f.
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Scheidungen", „Protokolle" u. ä.20, und sogar auf Zeugen für die mündliche Urteilsverkündung zurückzugreifen21. 2. Res Judicata Während auf dem Kontinent dieser Ansatz durch die römisch-rechtliche Res Judicata verdrängt wurde, trat diese in England nur daneben und bezieht sich nun nicht auf die Gründe des Urteils, sondern auf den Urteilsausspruch über den „Streitgegenstand" (cause of action). Sie bedeutet, daß der erfolgreiche oder erfolglose Kläger seine Klage nicht erneuern, der unterlegene Beklagte nicht das Gegenteil erneut zum Streit stellen und verlangen darf. Diese Sperre beruht auf dem Richterspruch, nicht auf dem Streitverhalten der Parteien. Man spricht daher von „Res Judicata", wobei es hier weniger wichtig ist, daß sie für die erforderliche Klage technisch mit einem Verbrauch und Ubergang des materiellen Anspruchs oder Klagerechts in den Anspruch aus dem Urteil (merger) erklärt wird, und für den erfolglosen Kläger bzw. Beklagten als Unzulässigkeit der Klagewiederholung (bar)11. „Cause of action " kann mit Streitgegenstand übersetzt werden, ist aber leicht mißverständlich, weil die englische Lehre und Praxis dabei nicht wie in Deutschland von Klageantrag und Lebenssachverhalt ausgehen, sondern vom rechtlich definierten Anspruchsgrund. Daß dabei das englische System der writs zugrundeliegt, scheint naheliegend, wonach in law ganz ähnlich der römischen actio23 nur gemäß einem der rechtlich vorgegebenen Anspruchsgründe geklagt werden kann. Mit dem Urteil erwächst dieser Anspruch in Rechtskraft, und er bzw. das entsprechende Klagerecht ist verbraucht. Daß die genauen Grenzen der cause of action auch nicht leicht abstrakt zu bestimmen sind24, liegt in der Natur der Sache, interessiert hier aber weniger als daß dabei jedenfalls nicht auf die Tatsachen zu 20 Näher Spencer Bower/Turner aaO S. 191; Randolph v. Tuck [1962] 1 Q. Β. 175, 183; es ist hier nicht der Ort, die verfahrensrechtliche Funktion solcher Unterlagen zu erörtern und zu vergleichen. 21 Marginson v. Blackburn Borrough Council [1939] 1 All ER 277 ff, 278; (handschriftliche Notizen in Kurzschrift des Richters im Vorprozeß); in USA ζ. B. Restatement 2d, Judgments § 27 S. 257. 22 Eigentlich unkorrekt, aber nicht selten wird auch von cause of action - estoppel oder umgekehrt von Res Judicata in bezug auf issues gesprochen (so ζ. B. in der - einzigen englischen - systematischen Darstellung Spencer Bower/Turner). In den USA soll sich Res Judicata als Oberbegriff durchsetzen, der collateral bzw. issue estoppel und cause of action estoppel umfasse (Freedman, Res Judicata and Collateral Estoppel [1988] 1 ff). 23 Vgl. Outram v. Morewood 3 East 346, 357 unten, Eng. Rep. 630, 634 (1803); anders Klagen in equity. 24 Hierzu ζ. B. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht (1970) 50 ff; Rimmelspacher, Materiellrechtlicher Anspruch und Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß (1970) 177 ff; Zeuner, FS Zweigert (1981) 605 ff; Spencer Bower/Turner aaO S. 373 ff. Zu
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sehen ist, die im konkreten Fall den erforderlichen Tatbestand erfüllen würden, und um die es bei issue estoppel geht. Es ist freilich nur natürlich, daß beide Ansätze in den rund 700 Jahren ihres Bestehens nebeneinander sich gegenseitig beeinflußten, obwohl bis heute die Rechtsprechung den grundsätzlichen Unterschied betont, der bereits besonders klar in Outram v. Morewood 1803 von Lord Ellenborough ausgesprochen wurde". So wie man sehr wohl annehmen kann, daß die Befestigung durch Urteile für issue estoppel von der römischen Res Judicata entlehnt wurde26, so mag man spekulieren, ob der Verzicht wenigstens auf formelle Rechtskraft für die Res Judicata nicht aus der germanischen Wurzel gewachsen ist27. IV. Rechtskraft der Streitpunkte Man ist estopped mit Behauptungen im zweiten Prozeß, die mit den Feststellungen im Vorverfahren nicht vereinbar sind28. Es muß also die Feststellung einer Tatsache oder eines Rechts im ersten Prozeß identifiziert und mit den Behauptungen im zweiten verglichen werden, gegen die der Einwand der Rechtskraft erhoben wird. Bezieht sich dies auf ein konkretes individuelles historisches Faktum, so kann dessen Identifizierung kaum Probleme aufwerfen, und soweit es um festgestellte Rechte oder Rechtsverhältnisse geht, scheinen zumindest keine der Abgrenzungen des Streitgegenstandes in Deutschland oder Frankreich vergleichbaren Probleme zu entstehen. Anlaß zu Diskussionen gibt aber die Feststellung, ob eine Tatsache oder ein Recht im Vorprozeß (in der gebotenen Weise) ausgestritten und festgestellt worden ist.
1. Englisches Recht Die Bindung setzt allemal voraus, daß die betroffene Partei eine faire und volle Möglichkeit hatte, ihre Behauptung zu beweisen, und entfällt ζ. B. wenn zu unrecht Beweisanträge abgelehnt wurden 29 , u. U. wohl den recht verschiedenen Kriterien in den einzelnen Jurisdiktionen der USA vgl. Freedman aaO S. 5, 15 f; in Frankreich Motulsky D. 1968 chron. 1 ff. 25 3 East 346, 355 ff, 102 Eng. Rep. 630, 633; heute ζ. B. Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 197 f Diplock, L.J.; in USA ζ. B. Cromwell v. Country of Sac 94 U.S. 351 (1876); Irving National Bank v. Law 10 F. 2d 721, 724 (1926). 26 So Millar 35 111. L. Rev. 54 (1941). 27 Historische Untersuchungen zur Genese sind mir hierzu jedenfalls nicht bekannt. 2' Spencer Bower/Turner aaO S. 146; Freedman aaO S.; Cromwell v. County of Sac 94 U.S. 351 (1876). 29 Vgl. etwa Ord. v. Ord. [1923] 2 Κ. B. 432, aber obiter, weil letztlich mit sehr genauer Unterscheidung die Identität der Streitpunkte verneint wurde. Vgl. Carl-Zeiss-Stiftung v. Rayner and Keeler (no. 2) aaO S. 573 (ebenfalls nur obiter).
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auch, wenn sie keinen Anlaß zu streiten hatte. Issue estoppel sei keine ganz feste Regel, sondern diene der Gerechtigkeit und Billigkeit, wird manchmal gesagt30. a)
Entscheidungserheblichkeit
Die englischen Regeln für das pleading legen großen Wert darauf, daß die Anwälte in den zahlenmäßig limitierten vorbereitenden Schriftsätzen klarstellen, welche Tatsachen sie behaupten und bestreiten31, und sie sollen sich auf entscheidungserhebliche Tatsachen beschränken32. Gegebenenfalls streicht der Richter nicht erheblichen und namentlich auch unklaren Vortrag33 und regt nur unter bestimmten Voraussetzungen verbesserten Vortrag an. Auch ist die Grenze zwischen den eigentlich allein vorgesehenen Tatsachen- und den Rechtsbehauptungen naturgemäß fließend34 und für die Bindungswirkung der Entscheidung nicht erheblich, da diese gleichermaßen richterlichen Feststellungen zu beidem eignet. Wenngleich nach den Regeln des Sachvortrages nicht erheblicher Vortrag letztlich ausgeschlossen werden soll, so kommt es doch vor, daß im Urteil Feststellungen über Rechte oder Tatsachen enthalten sind, die für die Entscheidung in der Sache nicht notwendig und nicht tragend, nicht ratio decidendi sind. Sie nehmen nicht an der Rechtskraft teil. Als Grund für die durchaus streng gehandhabte Unterscheidung35 wird genannt, daß eine siegreiche Partei gegen die ihr inhaltlich nachteilige Feststellung keine - selbständigen - Rechtsmittel einlegen könne36. Die Abgrenzung ist freilich schwierig. In der Tat kann bei solchem Prozeßausgang die betreffende Feststellung gegen die siegreiche Partei nicht entscheidend gewesen sein, und ein Rechtsmittel verlangt auch in England eine mindestens teilweise Abweisung des Antrags, so daß also
30 Z. B. Carl-Zeiss-Stiftung v. Rayner and Keeler (no. 2) [1966] 2 All ER 536, 573 Upjohn, L.J. (H.L.). 31 Dazu vgl. Hartwieg, Die Kunst des Sachvortrags im Zivilprozeß (1988) 95 ff. 32 Namentlich Order 18 rule 7 RSC; vgl. N.W. Salt Co. Ltd. v. Electrolytic Alkali Co. Ltd. [1913] 3 K.B. 422, 425; Re Vanderwell Trust (Nr. 2); White v. Vanderwell's Trustees Ltd. [1974] Ch. 269, 321 f. 33 O. 18 r. 7 und 19 RSC; Davy v. Garrett (1878) 7 Ch. D. 473, 483 ff; Murray v. Epsom Local Board [1897] ICh. 35. 34 Dazu Hartwieg aaO S. 105 ff; O. 18 r. 7 A. RSC. 35 Penn-Texas Corp. v. Murât-Anstalt (Nr. 2) [1964] 2 Q.B. 647 (C.A.), 660; Jones ν. Lewis [1919] 1 K.B. 328 (C.A.), 344 f, 351 f; Hoystead v. Taxation Commissioner [1926] A.C. 155, 188 ff; Thoday v. Thoday [1964] P. 181 (H.L.) 185; Randolph v. Tuck [1962] 1 Q.B. 175, 183; in USA z.B. Memorex Co. v. IBM Co. 555 F. 2d 1379, 1384 (1977); Evergreens v. Nunan 141 F. 2d 927 (1944). 36 Penn-Texas aaO S. 66, Denning, M.R.
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von der dadurch belasteten, doch in der Hauptsache erfolgreichen Partei der Punkt nicht ausgestritten werden kann. Bei alternativen oder mehrfachen Gründen für die Entscheidung könnten aber u. U. alle bis auf den einen entscheidenden Grund ausgeschlossen werden, insbesondere durch Beiziehung der genannten Hilfsunterlagen37. b) Implizite
Feststellungen
Während so überschießende Gründe (collateral issues) ausgeschieden werden, können auf der anderen Seite auch nicht oder nicht explizit getroffene Feststellungen binden. So kann es vorkommen, daß nicht alle streitigen und für das Urteil notwendig vorauszusetzenden Tatsachen- oder Rechtsfeststellungen ausdrücklich darin genannt worden sind. Auch insoweit wirkt dann der issue estoppel™. Hierbei geht es jedoch nicht darum, daß wie in Frankreich aus der Streitentscheidung die dafür notwendigen präjudiziellen Rechtsverhältnisse abgeleitet werden, wie ζ. B. das Eigentum des Klägers bei Klagen auf Schadensersatz wegen seiner Verletzung, sondern darum, daß aus dem Urteil abgeleitet wird, daß und welche Feststellungen der Richter über einen tatsächlich streitigen (oder als streitig geltenden) Punkt getroffen haben müsse, wenn es nicht ausdrücklich gesagt ist39. Es ist zuzugeben, daß die Unterscheidung sehr feinsinnig ist40, und man oft ebenso gut argumentieren könnte, die Entscheidung über die cause of action erfasse auch die Präjudizialpunkte notwendigerweise. Das wird aber nicht so gesehen, denn Res Judicata beschränkt sich strikt auf den Streitgegenstand ohne die Streitpunkte. Jene Regel wird vielmehr in Parallele gesetzt41 zu den Einreden und Einwendungen bzw. den sie begründenden Tatsachen, die eine unterlegene Partei hätte vorbringen können, aber nicht vorgetragen hat42. Als ζ. B. der Beklagte einer Patentverletzungsklage erfolglos die Neuheit des Patents bestritt, war er später auch präkludiert mit damals nicht vorge-
37 Spencer Bower/Turner aaO S. 181; in den USA bestehen anscheinend keine Bedenken bei alternativen Begründungen für beide estoppel zu bejahen. Irving National Bank v. Law 10 F 2d 721, 724 (1926); Ezagui v. Dow Chemical Corp. 598 F. 2d 727, 733 (1979). 38 R. v. Hartington, Middle Quarter (Inhabitants) (1855) 4. E. & Β. 780, 794 ff; 119 Eng. Rep. 288; in U S A ζ. B. Henderson v. Sniders Bros., Inc. 409 A 2d 1083, 1088 (1979). 39 Outram v. Morewood aaO; R. v. Hartington, Middle Quarter aaO. 45 Vgl. Wright v. Bennett [1948] 1 All ER 227, 230. 41 Vgl. Spencer Bower/Turner aaO S. 153 ff. 42 Henderson v. Henderson (1843) 3 Hare 110, 114 f, 67 Eng. Rep. 313; Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V / O Exportchleb [1965] 2 All ER. 4, 14; Hoystead v. Taxation Commissioner [1926] A.C. 155.
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brachten, möglicherweise relevanten anderen Vorveröffentlichungen 4 3 . Die Partei solle nicht mit mehr oder weniger neuer verbesserter Rechtskenntnis über die Relevanz von Tatsachen den Streit erneuern können 44 . W e n n derselbe Streitgegenstand erneut geltend gemacht w u r de45, also bei Res Judicata (bzw. cause of action estoppel) ist das selbstverständlich. Aber eine Rechtskraftbindung tritt auch f ü r einen nicht geltend gemachten möglichen Streitpunkt in einem anderen Prozeß mit anderem Gegenstand ein, namentlich w e n n der seinerzeit Beklagte nicht alle seine Einwendungen erhoben hatte 46 . Estoppel steht also prozessualer Präklusion nahe. D a ß hierbei nicht oder nicht primär auf die Entscheidung des Richters über den Streitgegenstand abgestellt wird, sondern auf das prozessuale Verhalten der Partei, zeigt sich u. a. daran, daß die Regel flexibel gehandhabt wird 47 und namentlich nicht eingreift, wenn die Partei die betreffende Tatsache damals entschuldbar nicht kannte 48 oder vernünftige G r ü n d e hatte, sie nicht geltend zu machen wie z. B. eine Aufrechnung 49 , u m den Anspruch später selbständig einzuklagen 50 . Man kann auch sagen, daß sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setze, wer einen bestimmten Lebenssachverhalt im Vorprozeß konstituiert hat und nun durch H i n z u f ü g e n neuer Tatsachen einen andren behauptet. Die Regel wird relativ weit ausgedehnt und nötigt z. B.
43 Shoe Machinery Co. ν. Cutían [1896] 1 Ch. 667, 672. Weitere Entscheidungen: Lockyer ν Ferryman (1877) 2 A.C. 519 (H.L.); Hopkins ν. Hopkins and Castle (1933) T.L.R. 99; Re Hilton; Ex parte March (1992) 67 L.T. 544; River Ribble Joined Committee v. Croston Urban District Council [1897] 1 Q.B. 251, 256. 44 Hoystead v. Taxation Commissioner [1926] A.C. 155, 165 f; Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V / O Exportchleb [1965] 2 All. ER 4, 14. 45 Auch Greenhalgh v. Mallard [1947] 2 All ER 255, 257. 46 Hopkins v. Hopkins and Castle aaO; Wright v. Bennett aaO; Public Trustee V. Kenward [1967] 2 All ER 870, 874 f; Humphries v. Humphries [1910] 2 K.B. 531, 534 f: Im Vorprozeß hatte der Beklagte den Abschluß eines Mietvertrages erfolglos bestritten; im zweiten Verfahren für weitere, inzwischen angefallene Mietraten wandte er erstmals Formmangel ein. Cooke v. Rickman [1911] 2 K.B. 1125, 1128 ff: Ein ähnlicher Fall; im ersten Prozeß hatte der Beklagte zugegeben, einen Teil der Summen (u. a.) aus einem Mietvertrag zu schulden, und erhob nun erstmals den Einwand fehlender consideration, d. h. der Vertragsungültigkeit deswegen. 47 Fidelitas Shipping Co. Ltd. v. V / O Exportchleb aaO; vgl. auch The N e w Brunswick Rail. Co. v. British and French Trust Corp. [1939] A.C. 1, 21 (dazu aber unten bei Fn. 55). 48 Lockyer v. Ferryman (1877) 2 App. Cas. 519, 525. 49 Genauer im englischen Recht eine Kompensation mit einer Gegenforderung. 50 Rigge v. Burbridge (1846) 15 M & W 598, 153 Eng. Rep. 988; Davis v. Hodges (1871) 6 Q.B. 687; anders aber in Public Trustee ν. Kenward aaO, weil nach dem Inhalt der damaligen Verhandlung eine abschließende Feststellung aller beiderseitigen Forderungen Gegenstand war, bzw. der Bekl. konkludent erklärt habe, keine anderen Gegenforderungen erheben zu wollen.
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den Beklagten auch implizite und nicht ausdrückliche Behauptungen des Klägers zu bestreiten. So war der Beklagte im Folgeprozeß um weitere Mietraten gebunden, der im ersten Verfahren nur den Vertragsabschluß erfolglos bestritten hatte und nun die Ungültigkeit wegen fehlender Form geltend machen wollte51. Der Kläger hatte im Vorprozeß nur ganz allgemein einen gültigen Vertrag behauptet. Auch dies ist auf dem Hintergrund der englischen Regeln des Pleading zu sehen. Der Kläger hätte nämlich erst auf ein dahingehendes Bestreiten und Verlangen des Beklagten Einzelheiten (particulars) zu den Wirksamkeitsvoraussetzungen des Vertrages vortragen und dann auch beweisen müssen52. Damit kann man in der Tat sagen, die Partei setze sich nun in Widerspruch zu ihrem eigenen Prozessieren; sie hat nicht gefragt, wo sie es hätte tun sollen, und hat damit in dieser Weise zur Feststellung des Tatbestandes beigetragen. Für die Einordnung als estoppel spricht nicht nur die deutlich artikulierte Unterscheidung der beiden Systeme der Rechtskraft noch in jüngsten Entscheidungen53, sondern namentlich die strikte Reduktion der Res Judicata auf den Streitgegenstand in Versäumnis- und ähnlich in Anerkenntnisurteilen. Daß bei Versäumnisurteilen nur über die cause of action54 und über keine issues mit Rechtskraft entschieden werde, wird - erst - 1939 vom House of Lords klargestellt, und zwar mit deutlichen Abgrenzungen zu streitigen Urteilen, in denen also über Gründe gestritten wurde55. Zwar muß auch beim Versäumnisurteil der Kläger irgendeinen Klagegrund (cause of action) geltend machen, da aber in casu über das Vorliegen der dafür nötigen Tatsachen und ggf. auch präjudiziellen Rechtsverhältnissen tatsächlich nicht gestritten wird, kann es voraussetzungsgemäß nicht zu issue estoppel kommen. Man empfindet eine offensichtliche Ungerechtigkeit, wollte man die Partei an implizite Feststellungen in einem späteren, u. U. viel gewichtigeren Prozeß binden, die aus welchen Gründen auch immer im früheren Versäumnisurteil ergehen ließ56. Auf den ersten Blick mag freilich die Bedeutung verwundern, die dem Unterschied zwischen Säumnis und nachlässiger Prozeßführung gegeben wird, es wird aber einleuchtend und konsequent auch hier die Humphries v. Humphries (Fn. 46). " Hartwieg aaO. " Ζ. B. Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 197, Diplock L.J. 54 Vgl. oben 3 b. " New Brunswick Rail Co. v. British and French Trust Corp. Ltd. [1939] A.C. 1, 21 per Lord Maugham, S. 28 Lord Shaw, 32 f Wright; Kok Hoong v. Leong Chong Kweng Kiun, Ltd. [1964] A.C. 993 früher Howlett v. Tarte (1861) 10 C.B.N. S. 813 mit nicht sehr präzisen Formulierungen. 56 So Kok Hoong aaO S. 1010. 51
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Partei, die um den Streitgegenstand gar nicht streiten will, anders behandelt als die, die streiten zu wollen erklärt hat. Im ersteren Fall gibt sie nur den Streitgegenstand auf, aber eben nicht mehr. Entsprechend ist bei einem Geständnis oder Anerkenntnis auszulegen, ob Folgeansprüche mit einbezogen sein sollen 57 . c) Identität der
Streitpunkte
Die Feststellung der beiden Identitäten der Parteien und Streitpunkte ist in letzter Zeit in England etwas unklar geworden, wobei beide Fragen in einer intrikaten Weise miteinander verknüpft werden. Die Probleme werden bei Verkehrsunfällen mit dritten Beteiligten diskutiert (running down cases), die im Kern stets dieselbe Struktur haben: Zwei Kraftfahrzeuge stoßen zusammen, wodurch deren Fahrer bzw. Eigentümer Schaden erleiden. Zugleich wird ein außenstehender Dritter oder Beifahrer verletzt. Dieser verklagt beide Fahrer bzw. Eigentümer auf Schadensersatz, und jeder von ihnen behauptet das alleinige oder mitwirkende Verschulden des anderen Fahrers und verkündet ihm dafür (und eventuell für Rückgriffsansprüche) den Streit (third party notice™). Das Gericht entscheidet über das Verschulden der beiden Beklagten und entsprechend über die Ansprüche des Klägers. Anschließend klagt der eine Fahrer bzw. Eigentümer seinen eigenen Schaden gegen den anderen ein, also nicht den Rückgriff wegen seiner vom ersten Urteil ggf. bereits festgesetzten Verpflichtung gegenüber dem Dritten. Die Frage ist, ob sie für ihren Folgeprozeß untereinander die im ersten Prozeß getroffenen Verschuldensfeststellungen noch bestreiten können. Die Reihenfolge der Klagen kann auch umgekehrt sein, daß also zunächst die beiden Fahrer ihren jeweiligen Schaden gegeneinander geltend machen, und daß dann der Dritte gegen sie beide oder einen von ihnen seinen Schaden einklagt. Diese Reihenfolge dürfte keinen Unterschied machen 59 . In einer Entscheidung 60 von 1939 steuerte Frau M den Wagen ihres Mannes, der neben ihr saß. Sie stieß mit dem vom Angestellten Β der beklagten Gemeinde gesteuerten Bus zusammen. Dabei wurde Frau M getötet, Herr M verletzt, es entstand Sachschaden an beiden Fahrzeugen und an Gebäuden von Ρ am Straßenrand. Dieser verklagte nun die Gemeinde und Herrn M gemeinsam auf Schadenersatz, wobei Verschulden von Frau M Herrn M zuzurechnen war. Die beiden Beklagten
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Vgl. Public Trustee ν. Kenward (Fn. 46). Dazu meine Ausführungen im ZZP 106 (1993) 318 ff. Spencer Bower/Turner aaO S. 245. Marginson v. Blackburn Bourrough Council [1939] 1 All E R 273, [1939] 2 K.B. 426.
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trugen beide vor, daß der jeweils andere (jeweils durch seinen „Verrichtungsgehilfen") allein schuld am Unfall sei und verkündeten darum je einander den Streit auf die sog. contribution (third party notice). Das Gericht stellte Mitverschulden fest und verurteilte beide Beklagte je zur Hälfte des Schadens. Der ebenfalls erhobene Anspruch der Gemeinde gegen Herrn M wegen des Schadens am Bus wurde damals - wegen Mitverschuldens des Busfahrers abgewiesen61. Danach klagte nun Herr M erstmals auf Ersatz seines eigenen Körperschadens, weiter als Administrator des Nachlasses seiner Frau auf Schadenersatz wegen deren Tötung und als deren personal representative drittens auf Schmerzensgeld für sie. Hinsichtlich der Klagen im Namen der verstorbenen Frau M wurde eine Rechtskraftbindung abgelehnt, da die Frau seinerzeit nicht Partei im Verfahren gewesen war. Auch issue estoppel wirke nur für und gegen die Parteien des früheren Verfahrens62. Sein eigener Anspruch wurde aber abgewiesen, da (wenigstens nach der Feststellung seines Mitverschuldens am Schaden von P.) zwischen den Parteien auch sein anspruchsausschließendes Mitverschulden rechtskräftig feststand. Im Anschluß an eine in England viel beachtete australische Entscheidung63 wird nun aber diskutiert und teilweise bezweifelt, daß die Frage im ersten Prozeß und im Zweitprozeß identisch sei. Fahrlässigkeit könne nämlich, so ζ. B. TurnerM, nicht als Faktum im luftleeren Raum festgestellt werden, sondern immer nur im Hinblick auf eine Sorgfaltspflicht einem bestimmten anderen gegenüber. Bei diesem Ansatz wäre im Vorprozeß also festgestellt worden, daß Herr M eine Fahrlässigkeit bzw. Pflichtverletzung gegenüber dem klagenden Hauseigentümer anzulasten sei (zusammen mit dem Busfahrer), und weiter sei entsprechend auf die Klage und Streitverkündung der Gemeinde gegen M festgestellt worden, daß der Busfahrer eine Pflicht gegenüber M verletzt hat6S. Dagegen wäre nicht Gegenstand des ersten Verfahrens gewesen, ob M sich selbst gegenüber eine Pflicht verletzt und fahrlässig gehandelt
61 Heute hätte die Gemeinde zur Hälfte obsiegt nach dem Law Reform (Contributory Neglicence) Act 1945. 62 So auch R v. Hutchins (1881) 6 Q . B . D . 300, 304; Dray v. Lewis (1873) 8 Ch. App. 1035, 1059 f; unter Berufung schon auf den Dutchess of Kingston's Case (1776) 2 Smith L . C . (13. Aufl.) 644, [1775-1802] All E R Rep. 623. " Jackson v. Goldsmith (1950) 81 C . L . R . 446. 64 Spencer Bower/Turner aaO S. 237 ff, 244 f. 65 Dies genügte zum Ausschluß seines und der Gemeinde Anspruches wegen mitwirkenden Verschuldens, so daß nicht entscheidungserheblich für den eventuellen Anspruch von der Gemeinde gegen M war, ob M selbst auch der Gemeinde gegenüber fahrlässig gehandelt habe.
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habe. Dies aber war nun die Frage im zweiten Prozeß im Hinblick auf den Anspruchsausschluß wegen seines mitwirkenden Verschuldens 66 . In diesem Sinne hat in der Tat der High Court 1961 entschieden als Τ und A zusammenstießen und zunächst Τ den A wegen seines eigenen Schadens verklagte und abgewiesen wurde, weil er allein schuld sei. Danach klagte R als Beifahrer von Τ gegen diesen und A, wobei A dem Τ wegen contribution den Streit verkündete 67 . In dieser letzteren Hinsicht sei Τ nicht durch Rechtskraft gebunden, denn die Frage einer Sorgfaltspflicht und ihrer schuldhaften Verletzung gegenüber der jetzigen Klägerin R sei vielleicht ähnlich, aber nicht identisch mit den Sorgfaltspflichten des Τ sich selbst gegenüber, die - allein - Gegenstand des Vorprozesses gewesen sei. 1964 aber entschied der High Court wiederum anders und wie in Marginson 68 und hielt bei der Klage einer Beifahrerin die Feststellungen über das jeweilige Verschulden im vorherigen Prozeß der Fahrer gegeneinander für bindend. Die Frage ist m. E. also, ob es sich um ein Faktum handelt und ob dieses durch das Rechtsverhältnis, in dem es relevant ist, identifiziert wird69, oder ob es sich hier überhaupt nur um die Frage nach einem Rechtsverhältnis der Sorgfaltspflicht handelt, das durch seine Parteien identifiziert wird. Eine neuere oder obergerichtliche Entscheidung scheint hierzu noch nicht ergangen zu sein. Gesichert erscheint jedenfalls das Prinzip, daß Ähnlichkeit des Streitpunkts nicht genügt, sondern Identität verlangt wird70. 2. Amerikanisches
Recht
Der issue bzw. nach amerikanischem Sprachgebrauch collateral estoppel in den USA hat namentlich in zweierlei Hinsicht eine andere Richtung genommen72. 66 Es wird deswegen erwogen, ob die Situation nach der Einführung der anteiligen Anspruchskürzung bei Mitverschulden anders zu entscheiden wäre; Spencer Bower/ Turner àaO S. 244. 67 Randolph v. Tuck [1961] 1 All ER 814; unter Berufung auf Jackson v. Goldsmith mit praktisch identischem Sachverhalt. Es sei vernachlässigt, daß Τ den Eigentümer A und seinen Fahrer S verklagt hatte und ebenso R. '» W o o d v. Luscombe [1964] 3 All ER 972; ebenso Bell v. Holmes [1956] 3 All ER 449. " Vergleichbare Tendenzen bzw. Unterscheidung von Fakten je nach ihrer rechtlichen Einordnung finden sich im Scheidungsrecht (Thoday v. Thoday [1964] P. 181, 189 ff, Willmer, L.J. 70 New Brunswick Rail. Co. v. British and French Trust Corp., Ltd. [1938] 4 All ER 747, 770, Romer, L.J. (H.L.); oben Fn. 55. 71 „collateral" würde im englischen Rechte gerade nicht wesentliche Feststellungen bezeichnen, die darum nicht in Rechtskraft erwachsen. 72 Dabei ist zu beachten, daß die Rechte der Einzelstaaten hierzu nicht immer übereinstimmen.
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Gegenseitigkeit
Hier verlangte man auch lange Zeit die Gegenseitigkeit, nach der sich Rechtskraft nur entgegenhalten lassen müsse, wer bei umgekehrter Feststellung auch davon profitiert hätte, und sich auf Rechtskraft nur berufen könne, wer sie sich anderenfalls auch entgegenhalten lassen müßte 73 . Dieses Prinzip verwarf 1942 der Supreme Court von Kalifornien durch den späteren Chief Justice Traynor 74 . Und in der Tat kann man argumentieren, daß eine Partei sich gleichermaßen in Widerspruch zu der unter ihrer Mitwirkung getroffenen Feststellung eines Vorprozesses setze, die Gegenteiliges in einem Folgeprozeß mit einer anderen Partei behauptet. Dieser Auffassung hat sich der US Supreme Court 197175 und die große Mehrheit der einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit angeschlossen76. Dabei haben durchaus ökonomische Gesichtspunkte des sparsamen Umgangs mit den Ressourcen der Gerichtsbarkeit eine Rolle gespielt77. Es genüge, wenn die Partei eine faire und ausreichende Chance hatte, die betreffende Frage vor Gericht auszustreiten. Die unterlegene Partei habe ihren Tag vor Gericht gehabt. Die große praktische Bedeutung z. B. für Produkthaftungsfälle liegt auf der Hand 78 . Auch der Gesichtspunkt des venire factum proprium, wenn man etwas derartiges in den USA der Rechtskraft zugrundelegen will, ergibt kein zwingendes Argument für die Gegenseitigkeit 79 , und man sieht in den USA keine zwingenden Gründe, wenn man von ihrer Prozeßführung ausgeht, dafür, daß die Partei darüber mit einem anderen
7) Vgl. Bigelow v. Old Dominion Co., 225 U. S. 111, 127 (1912) Triplett v. Loweill 297 U. S. 638 (1936). 74 Bernhard v. Bank of America 19 Cal2d 807, 122 P2d 892 (1942), unter Berufung auf zahlreiche frühere Urteile, die in diese Richtung gingen. Es gebe keinen vernünftigen oder hinreichenden Grund, jemand die Berufung auf Rechtskraft gegen seinen Kläger zu verweigern, wenn letzterer in einem früheren Prozeß in derselben Frage gegen einen anderen Beklagten verloren habe. 75 Blonder-Tongue Laboratories, Inc. v. University of Illinois Foundation, 402 U.S. 313 (1971); Parklane Hosiery Co., Inc. v. Shore 439 U.S. 322 (1979). 76 Z. B. United States v. United Airlines, Inc., 216 F Supp. 709 (Nevada 1962); Schwartz v. Public Administrator 24 N Y 2d 65, 246 N E E 2d 725 (1969); Ezagui v. Dow Chemical Corp. 598 F 2d 727, 732 f (1979) weiter Freedman, Res Judicata and Collateral Estoppel, S. 23, 31 ff; anders Ohio: Goodson v. McDonnough Power Equipment, Inc., 443 N.E. 2d 978 (1983). 77 Bruszewski v. United States 181 F 2d 419, 421 (1950); Blonder-Tongue aaO S. 329, 337 ff. Daß man auch ökonomisch mit dem gegenteiligen Ergebnis argumentieren kann, zeigt Goodson v. McDonnough Power Equipment, Inc., 443 N E 2d 978 (Ohio 1983). 7! Vgl. Ezagui (Fn. 76). 7 ' Ein Vertrauen der Gegenseite wird im angelsächsischen Recht nur bei estoppel in pais verlangt, nicht hier.
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Gegner erneut sollte streiten dürfen. Es mag der Gedanke mitschwingen, die Wahrheit sei bereits festgestellt worden. Diese Art von collateral bzw. issue estoppel kann immer nur gegen eine Partei geltend gemacht werden, gegen die im Vorprozeß entschieden wurde. Das kann sowohl der früher unterlegene Beklagte als auch der unterlegene Kläger sein80. Im Folgeprozeß wird ggf. eingehend geprüft, ob sie eine faire und ausreichende Gelegenheit zum Streiten hatten81. Neben Fragen, ob der vom Kläger gewählte Gerichtsstand für den Beklagten sehr fern lag oder wenig natürlich war, ob die Partei tatsächlich voll streiten konnte und z. B. Zugang zu Beweismitteln hatte82, ist vor allem wichtig, ob die unterlegene Partei Anlaß zu energischem Streiten hatte, weil sie die Folgen für Klagen anderer Kläger vorsehen konnte und mußte. So wurde späteren Klägern die Berufung auf die Rechtskraft verweigert, die zusammen sieben Millionen Dollar Schadenersatz nach einem Flugzeugabsturz verlangten, nachdem die erste Klage eines anderen Klägers nur auf 35.000 Dollar ging83. Das einleuchtende Argument war, daß der Beklagte im ersten Prozeß bei diesem Anspruch keinen hinreichenden Anlaß hatte, eine umfangreiche und kostenträchtige Verteidigung zu organisieren. Dabei ist nicht die aktuelle Summe des Vorprozesses allein entscheidend, sondern es sind auch die vorhersehbaren weiteren Klagen zu berücksichtigen, in denen die Rechtskraft geltend gemacht werden könnte. So wurde umgekehrt Rechtskraft bejaht, als nach einem Stromausfall in New York der Bürgermeister Koch und die Stadt New York nur 40.000 Dollar erfolgreich einklagten und anschließend andere Kläger insgesamt weitere 20 Mio. zugesprochen erhielten84. Ein häufiger verwandter Gesichtspunkt, um dem späteren Kläger oder auch entsprechend späteren Beklagten die Berufung auf eine Vorentscheidung in einem Verfahren, an dem sie nicht teilgenommen hatten, zu verweigern, ist, ob die Partei, die sich jetzt auf Rechtskraft beruft, im Vorprozeß sich der betreffenden Partei hätte anschließen können und
SQ Den Unterschieden im Detail bei „offensivem" und „defensivem" Gebrauch der Rechtskraft kann hier nicht nachgegangen werden (dazu Freedman aaO S. 31 ff; Parklane Hosiery v. Shore, Fn. 75). " Diese Notwendigkeit betonen: U.S. Supremem C o u r t Blonder-Tongue aaO S. 333; In Re Braen 900 F 2d 621, 628 (1990); Bsp: United States v. United Airlines, Inc. 2 1 6 F Supp. 709, 728 (1962); Restatement 2d, Judgments § 28. 82 Zur Frage, inwieweit ein J u r y trial zur Verfügung stehen muß, Parklane Hosiery v. Shore (Fn. 75) u. S. 337 ff Rehnquist dissenting. 83 Berner ν. British Commonwealth Pacific Airlines Ltd., 346 F. 2d 532 (1965). 84 Koch V. Consolidated Edison Co., 479 N Y 2 d 163, 468 NE2d 1, (1984); vgl. weiter in Re Braen aaO.
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sollen85. Auch damit sollen der Partei überraschende Rechtskraftfolgen erspart bleiben. Natürlich gilt die Voraussetzung, daß die unterlegene Partei genügenden Anlaß und eine volle und faire Möglichkeit zu streiten hatte, auch für den issue estoppel bei einem neuen Streitgegenstand unter denselben Parteien. Fehlt sie, so tritt insoweit keine Bindung ein86. b) Verzicht auf
Beweisführung
Eine differenzierte Antwort findet sich zu den Folgen, wenn die unterlegene Partei von ihren Möglichkeiten keinen (vollen) Gebrauch gemacht hat. Es wird zwischen nachlässigem Streiten und Verzicht darauf, eine Einwendung oder Einrede zu erheben oder zum Streit zu stellen, unterschieden. Einerseits kann auch in einem Prozeß um einen neuen Streitgegenstand der Streitpunkt nicht erneuert werden mit der Begründung, man wolle nun darum ernsthaft streiten87. Andererseits aber soll die Partei im Vorprozeß die Freiheit behalten, einzelne Streitpunkte ohne Furcht vor Folgen für andere Streitgegenstände ganz außer Streit zu lassen, weil es ihr ζ. B. im Hinblick auf den anhängigen Prozeß nicht zu lohnen scheint. In diesem Sinne verlangt die Bindung in den USA auch, daß tatsächlich gestritten wurde, und das Bestreiten des Punkts kann bis zur mündlichen Verhandlung bzw. vor dem Trial noch zurückgenommen werden88. Die englische Theorie von der Präklusion mit versäumtem Vorbringen durch issue estoppel findet in den USA keine oder keine volle Entsprechung. Natürlich schließt ein Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil auch in den USA eine Erneuerung desselben Prozesses mit einer anderen Begründung aus89, aber bewirkt eben nicht issue estoppel in einem Verfahren mit anderem Streitgegenstand90.
' 5 United States v. United Airlines Inc. 216 F. Supp. 709 (1962); B.R. DeWitt, Inc. v. Hall 225 N . E . 2d 195 (1967), 19 N . G . 2d 141; Bruszewski v. United States (Fn. 77); 232 Paklane Hosiery v. Shore 439 U.S. 322 (1979). ! 6 Ζ. Β. auch, wenn im Vorprozeß zu Unrecht - Beweisanträge abgelehnt wurden, die vermutlich die Entscheidung beeinflußt hätten (Miller v. Poretzky 595 F. 2d 780, 785 f (1978)). 87 In re Braen 900 F. 2d 621, 629 (1990). 88 Engelmann-Pilger aaO S. 74 f; Restatement 2d. Judgments § 27 Reporter's note S. 268; je m. Nachw. 89 Kaspar Wire Works, Inc. v. Leco Engineering March 574 F 2d 530, 538 f (1978) (Klagerücknahme); Cromwell v. County of Sac 94 U.S. 351 81877); (Versäumnisurteil). 90 Henderson v. Snider Bros., Inc. 409 A 2d 1083, 1088 (1979).
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V. Französisches und deutsches Recht Das anglo-amerikanische Recht stimmt mit dem deutschen und französischen darin überein, daß eine Klage mit demselben Streitgegenstand nicht wiederholt werden darf. Die Delimitation dieses Streit- oder besser Urteilsgegenstandes 91 ist naturgemäß nicht einheitlich. Das deutsche Recht geht vom Klagbegehren und dem Lebenssachverhalt aus, muß freilich in einem im einzelnen streitigen Umfang die rechtliche Begründung zur Eingrenzung benützen, das französische Recht legt den Klagantrag und die rechtliche Begründung (objet und cause) zugrunde, während das anglo-amerikanische Recht im wesentlichen nur auf den juristischen Klagegrund abstellt (cause of actionJ92. Das ist hier aber nicht näher zu untersuchen. Es geht um die Bindung eines Urteils für Klagen mit anderem Streitgegenstand. 1. Deutsches
Recht
Eine solche Präjudizialbindung kennt das deutsche Recht, wenn der Urteilstenor bzw. die darin enthaltene Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen des geltend gemachten prozessualen Anspruchs für einen Folgeprozeß vorgreiflich sind. Dies finden wir so auch im englischen und französischen Recht, nur daß dies dort nicht als besonderer Fall gegenüber der Rechtskraft der Gründe hervorgehoben wird. Die Väter der ZPO haben sich bekanntlich gegen eine Rechtskraft der Gründe des Urteils (und gegen Savigny) entschieden 93 . Einer der wesentlichen Gründe war, die Partei vor nicht vorhersehbaren Folgen einer solchen Bindung für andere Streitgegenstände zu schützen. Eine Rechtskraft tatsächlicher Feststellungen, die ein Urteil tragen, für Folgeprozesse stand trotz des Votums von Windscheid,94 nicht ernsthaft zur Debatte. Die vorgenannte Präjudizialbindung des deutschen Rechts dürfte sich also damit rechtfertigen, daß es in der Regel um Ansprüche wegen Nichterfüllung des im Vorprozeß zugesprochenen Anspruches geht, und der auf den ersten Blick vielleicht überraschende § 68 ZPO mit sei91 Ob beides identisch zu sein hat, ist hier nicht zu untersuchen. Vgl. dazu Motulsky D. 1968. chron. 1 ff Nr. 2, 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht § 151 I S. 927 andererseits. 92 So kann der Kläger in England z. B. nicht mehrere Ansprüche aus demselben Rechtsverhältnis nacheinander geltend machen, und insbesondere verbraucht eine Teilklage die ganze cause of action. Das ist praktisch u. a. deswegen erträglich, weil die Prozeßkosten nicht wesentlich vom Wert des Streitgegenstandes bestimmt werden. " Dazu Gaul, FS f. Flume Bd. 1 (1978) 471 ff. 94 Windscheid, Die actio des römischen Rechts vom Standpunkt des heutigen Rechts (1856) 77 f, 104.
Prozeßführung oder Urteil - Rechtsvergleichendes zur Rechtskraft
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ner Bindung auch an Beweisergebnisse, wenn man ihn auch zu Lasten der Hauptpartei anwendet95, rechtfertigt sich damit, daß hier der Folgeanspruch bereits mit der Streitverkündung erkennbar96, man könnte auch sagen teilweise im Prozeß befangen ist. Deshalb ist die Interventionswirkung auch nicht als bloße Rechtskraft ausgestaltet, sondern ähnelt mehr einer innerprozessualen Bindung97. Die Rechtskraft von Feststellungen präjudizieller Rechtsverhältnisse kennt das deutsche Recht in § 256 II ZPO durchaus, macht sie nur von einem Antrag einer Partei abhängig. In diesem Fall ist davon auszugehen, daß die Parteien die Folgewirkungen für andere Streitgegenstände hinreichend vorhersehen oder jedenfalls weitgehend bedenken können98. 2. Französisches
Recht
Im französischen Recht tritt diese Rechtskraftwirkung ohne einen solchen Antrag für die Rechtsverhältnisse ein, die der Richter notwendig für den Urteilsspruch bejaht haben muß. Art. 480 nouv. c. proc. c. sagt nun seit 1975, daß Rechtskraft das Urteil habe, das in seinem „Tenor" (dispositif) ganz oder teilweise über die Hauptsache entscheidet. Dabei darf man aber nicht davon ausgehen, daß im „Tenor" nach französischem Recht nur ebenso wenig stehen kann wie im deutschen Recht. Bei der Prüfung einer Rechtskraft der Gründe ist zunächst die umstrittene Frage zu unterscheiden, ob damit nur das, was auch förmlich im „dispositif" erscheint, rechtskraftfähig ist99, wie es die Väter des nouveau code de procédure civile 1975 wohl wollten100, und wie es nun
, s So Stein/Jonas/Leipold Z P O § 6 8 Rdn. 12; Haiemeyer ZZP 84(1971) 198; a. A. Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozeßrecht § 47 IV 6 b S. 270. " Engelmann-Pilger aaO S. 94 Fn. 115. 97 Das sollte wohl doch, was ich in ZZP 106 (1993) 337, 346 noch offengelassen habe, für eine Übernahme der echten Garantieklage ins deutsche Recht sprechen. § 68 Z P O ist gewissermaßen auf halben Wege Stehengeblieben, ohne daß für diese Zurückhaltung überzeugende Gründe zu sehen sind. " Mit ähnlichen Argumenten plädiert Miliar 39; Mich. L. Rev. 262 f (1940) für eine Übernahme dieser Antragslösungen ins amerikanische Recht anstelle des issue estoppel. Darin läge aber, wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, eine ganz wesentliche Veränderung des anglo-amerikanischen Systems. " So J. Cl. Proc. Fase. 554 No. 119 (Perrot) m. w. Nach.; Cass. civ. 5. 4. 1991 D. 1991. IR 129; Cass. com. 14. 5. 1991 D. 1991. IR 169; a. Α., weil eine ungeschickte Abfassung des Urteils die Rechtsstellung der Partei nicht verschlechtern dürfe, Normand R T D civ. 1978, 187; Cass. civ. 1 5 . 1 0 . 1 9 8 5 Gaz. Pal. 1986, 1, somm. 178 zust. Croze und Morel; mit Bedenken J. Cl. Proc. Fase. 508 No. 63 (Giverdon). 100 Siehe insb. auch Art. 455: „Das Urteil muß zusammenfassend die Behauptungen der Parteien und ihre Einwendungen widergeben; es ist zu begründen. Das Urteil nennt seine Entscheidung im Tenor."
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wohl die herrschende Lehre und Praxis annehmen101. Damit entfällt jedoch nur die alte Lehre von den motifs décisifs oder décisoires, derzufolge auch rechtskraftfähig die Entscheidungen des Richters waren, welche versehentlich nicht im Tenor, sondern in dem davor stehenden Begründungsteil des Urteils formuliert werden. Der Richter sollte (vielleicht) heute alle seine Entscheidungen zu den präjudiziellen Rechtsfragen in den Tenor aufzunehmen102, wodurch diese vorgreiflichen Feststellungen rechtskraftfähig werden. Von dieser Neuerung unberührt bleibt die alte Lehre von den Implizitentscheidungen (décisions implicites). An der Rechtskraft des richterlichen Ausspruches über den Streitgegenstand oder auch über präjudizielle Rechtsverhältnisse, wie er heute vielleicht geboten ist, nehmen weiter die Feststellungen des Richters teil, die juristisch logisch notwendig zuvor zu bejahen waren. Die Angelsachsen würden formulieren, daß ohne diese vorgreiflichen Feststellungen das Urteil nicht hätte ergehen können. Das wird in Frankreich ganz zu Recht u. a. mit praktischen Erwägungen begründet, daß nicht die ganze Fülle der juristischen Denkschritte, die zum Urteil geführt haben, im Tenor wiederholt werden könne103. Aber diese Argumentation setzt eben bereits voraus, was weitgehend unstreitig ist, daß diese richterlichen Feststellungen zu vorgreiflichen Rechtsverhältnissen überhaupt rechtskraftfähig sind104. Die Art. 480 und 455 sind so gesehen nur formale Ordnungsvorschriften, denen zufolge dies eben auch im Tenor des Urteils dargestellt werden soll. Die Rechtskraftwirkung entfällt nur für solche richterliche Feststellungen, die für das, was dann schließlich im Tenor tatsächlich niedergelegt wird, nicht i. d. S. vorgreiflich sind. Hinsichtlich der nicht immer einfachen Feststellung, was implizit entschieden ist, wird zum einen überwiegend wohl verlangt, daß die Frage in den conclusions der Anwälte tatsächlich und wohl streitig angesprochen105 und vom Richter dann auch entschieden106 wurde. Mehr oder 101 Vgl. die Analyse von Normand RTD. civ. 1988, 386 ff; zum aktuellen Stand J. Cl. Proc. Fase. 506 No. 69 ff (Fricero). 102 Perdriau J C P 1988, doctr. 3352 No. 34, 36 ff, 42 f; Perrot RTD civ. 1976, 836; a. A Estoup Gaz. Pal. 1990. 2. doctr. 245 und die ganz h. Praxis (vgl. Fn. 103). 103 Perdriau aaO; gutes Beisp.: TGI Lyon D. 1994. 323 (Prévault). 10'' J. Cl. Proc. Fase. 554 no. 120 ff m. Nachw.; Dalloz, Repertoire de procédure civile, chose jugée no. 88 f, 94 ff m. Nachw. 105 Cass. civ. 13.4.1977 D. 1977 IR 468; Cass. civ. 14.6.1988 Bull. civ. Ino. 188; Hebraud RTD civ. 1948. 500; Motulsky D. 1068. Chron. 1 no. 32 ff; vielleicht Perrot RTD civ. 1978, 865; offengelassen inj. Cl. Proc. Fase. 554 no. 120, 125 a. E. 106 Cass. civ. 21. 5. 1963 Bull. civ. I no. 266; Cass. civ. 5. 4. 1991 Bull. civ. II no. 109; Cass. com. 14. 5. 1991 Bull. civ. IV no. 160. Bei Säumnis des Beklagten ergeht ein Urteil grundsätzlich erst nach Prüfung der Begründetheit (oder Schlüssigkeit), und Versäumnisurteile werden den streitigen Urteilen weitgehend gleichgesetzt (art. 472 ff nouv. c. proc. c.).
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weniger weitgehend wird zweitens eine Rechtskraft des Präjudizialpunktes verneint, wenn zwar dasselbe Rechtsverhältnis im Folgeprozeß präjudiziell ist, jedoch dann im Zusammenhang mit einer ganz anderen Hauptfrage 107 . Diese Grenze ist nicht präzise zu ziehen. Daß jedoch präjudizielle Rechtsverhältnisse, nicht aber reine Tatsachenfeststellungen an der Rechtskraft auch für einen Prozeß über eine andere Hauptsache teilnehmen, ist seit alters unbestritten. VI. Zusammenfassung Die Bedenken, die der deutsche Gesetzgeber hier wegen unvorhersehbarer Bindungswirkungen hatte, sind m. W. in Frankreich nicht ernsthaft oder nachdrücklich erhoben worden. Und vor allem mag man annehmen, daß dieser Gefahr durch die vorgenannte Einschränkung begegnet werden soll, daß die Rechtskraft der Präjudizialfrage nicht wirkt, wenn sie in einem ganz anderen Zusammenhang auftritt. Es handelt sich jedoch zwischen dem deutschen und französischen Recht nur um verschiedene Antworten auf eine in gleicher Weise gestellte Frage nach Erstreckung der Rechtskraft einer Entscheidung über den Streitgegenstand auf die präjudiziellen Rechtsverhältnisse, die im richterlichen Kognitionsprozeß von ihm notwendig haben bejaht oder verneint werden müssen, um die Entscheidung in der Hauptsache zu erreichen. Daß die Rechtskraft dieser Präjudizialentscheidungen dann auch nicht mehr mit der Behauptung bestritten werden dürfen, die Tatsachen seien andere gewesen, versteht sich hier genauso von selbst wie für die Entscheidung in der Hauptsache. Tatsachenfeststellungen als solche erwachsen auch in Frankreich aber nicht in Rechtskraft. Dabei kommen deutsches und französisches Recht sich ziemlich nahe, indem hier die präjudiziellen Rechtsverhältnisse nur bindend festgestellt werden, wenn sie unter den Parteien streitig waren, während im deutschen Recht noch nach § 256 II Z P O zusätzlich ein Antrag auf diese Entscheidung gestellt werden muß. Demgegenüber sind im angelsächsischen Recht Tatsachen auch für andere Streitgegenstände bindend festgestellt. Das hat eine historisch ganz andere Wurzel und wird noch heute anders begründet. Damit ist freilich eine funktionale Äquivalenz, die in der Rechtsvergleichung besonders interessiert, noch nicht verneint. Da im angelsächsischen Recht über Tatsachen mit Rechtskraft auch nur entschieden wird, wenn sie für den Streitgegenstand oder ein präjudizielles Rechtsverhältnis erheblich sind, kann man fragen, ob ein erheb-
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J. CI. proc. Fase. 554 N o . 162 f; Hebraud
aaO.
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licher funktionaler Unterschied zum englischen Recht besteht, zumal wenn man in bestimmten Fällen in England beobachtet, daß Tatsachen über das betreffende Rechtsverhältnis identifiziert werden 108 . Jedoch geschieht dies wohl (noch) nicht generell. Die Antwort setzte einen eingehenderen Vergleich der praktischen Konsequenzen voraus, als er hier unternommen werden kann. Einstweilen möchte ich den Unterschied zwischen einem Ansatz bei der richterlichen Entscheidung und bei der Prozeßführung der Parteien, womit man in die Nähe einer prozessualen Präklusion kommt, auch schon wegen der unterschiedlichen historischen Grundlagen der Rechtskraftlehren nicht für unerheblich ansehen. Deutlich ist er jedenfalls gegenüber dem amerikanischen Recht 109 , wo wohl die Konzentration auf die Prozeßführung zum Verzicht auf die Identität der Parteien geführt hat, dafür aber auch Tatsachenfeststellungen einschließt. Wenn dagegen das französische Recht die Autorität des Richterspruches auf die logisch mitbejahten präjudiziellen Rechtsverhältnisse ausdehnt, so verlangt es wohl doch aus Gründen der Gerechtigkeit, daß die Parteien darüber gestritten haben oder haben sollten. So gründen beide Systeme wenigstens prinzipiell ihre Rechtskraft der Gründe trotz verschiedener Ausgangspunkte auf den Richterspruch und die Prozeßführung zusammen. Beide sehen auch die Gefahr überraschender Bindungswirkungen für die Parteien, wollen sie aber nur nach den U m ständen des Falles ausschließen, während § 256 Z P O erst auf Antrag schon einer Partei eine dann aber unbegrenzte Rechtskraftwirkung vorsieht.
O b e n S. 852 ff. A. A. vielleicht Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozeßrecht (1988) 66: in etwa der Bindungswirkung kraft Präjudizialität vergleichbar. 108
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Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union R O L F STÜRNER
I. Die Fragestellung Die Wahl eines vollstreckungsrechtlichen Themas für eine Festschrift, die Wolfram Henckel ehren soll, legt sich für den Autor ganz besonders nahe. Einmal ist Wolfram Henckel durch sein Schaffen selbst dem Verfahrens- und Vollstreckungsrecht in besonderer Weise verbunden; vor allem auf dem eng benachbarten Gebiet des Insolvenzrechts hat er mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten Maßstäbe gesetzt. Zum anderen war es Wolfram Henckel, der als Vorsitzender der Vereinigung deutscher Zivilprozeßrechtslehrer dem Autor für die Regensburger Tagung 1986 mit den „Prinzipien der Einzelvollstreckung" 1 ein Thema stellte, das sein methodisches Vorgehen auf dem Gebiet des Einzelvollstreckungsund Insolvenzrechts 2 entscheidend geprägt hat. Das Einzelvollstreckungsrecht ist bereits stärker europäisiert, als dies der juristischen Öffentlichkeit bewußt ist. Die Vollstreckung von Geldforderungstiteln in anderen EU-Staaten verläuft relativ reibungslos, soweit in Mobilien, Immobilien oder Rechte zu vollstrecken ist, die im Vollstreckungsstaat eindeutig belegen sind. Es gilt die klare Zweiteilung: Erkenntnisverfahren im Urteilsstaat nach seiner lex fori, Vollstreckungsverfahren im Vollstreckungsstaat unter seinem Vollstreckungsrecht; die Verknüpfung bildet das Vollstreckbarerklärungsverfahren, wie es Art. 31 ff EuGVÜ EU einheitlich regeln. Dieses Bild klarer Zweiteilung wird gestört, wenn bei Forderungen als Vollstreckungsobjekt Schuldner und Drittschuldner in verschiedenen Staaten ihren Sitz haben - praktisch häufig im Urteilsstaat und im Vollstreckungsstaat. Es sind dann zwei theoretische Möglichkeiten einer Vollstreckung denkbar: entweder vollstreckt der Gläubiger sofort im Staat des Drittschuldners und beantragt dort die Pfändung, wobei dieses Vorgehen die Einheitlichkeit des Vollstreckungsverfahrens am ehesten wahrt; oder aber der Gläubiger pfändet noch im Urteilsstaat am Sitz des Schuldners und begehrt die Anerken• Stürner Z Z P 99 (1986), 291 ff. Baur/Stürner, Zwangsvollstreckungs-, K o n k u r s - und Vergleichsrecht, Bd. I: Einzelvollstreckungsrecht, 12. Aufl. 1995, § 6 (Verfahrensgrundsätze); Bd. II: Insolvenzrecht, 12. Aufl. 1990, § 5 (Verfahrensgrundsätze). 2
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Rolf Stürner
nung des Pfändungsbeschlusses im Drittschuldnerstaat, was dann zu einer grenzüberschreitenden Vollstreckung im engeren Sinne führt. Bei der Herausgabe-, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung können sich ähnliche Probleme ergeben, wenn ζ. B. Zwangsgelder oder Ersatzvornahmekosten gleichermaßen im Urteilsstaat oder im Vollstreckungsstaat beantragt werden könnten und bei Festsetzung im Urteilsstaat die Vollstreckung des Zwangsgeldes im Vollstreckungsstaat anstünde - mit der Folge notwendiger Anerkennung von Vollstreckungsakten im anderen EU-Staat. Nun gibt es zur internationalen Forderungspfändung3 oder zur internationalen Vollstreckung von „Nichtgeldleistungstiteln"4 durchaus ältere und neuere Literatur. Es stellt sich aber die Frage, ob sich nicht für alle Fälle potentieller „grenzüberschreitender" Vollstreckung gleiche Grundregeln erarbeiten lassen, die zu einem geschlossenen und lückenlosen System europäischer Vollstreckung führen. II. Der Grundsatz der Meistbegünstigung des Gläubigers Das EuGVU selbst gibt keine klare Antwort auf die Frage, ob in der Europäischen Union grenzüberschreitende Vollstreckungsverfahren denkbar sein sollen. Art. 16 Nr. 5, Art. 31 ff, 33 E u G V U sprechen eher für eine klare Zweiteilung und die volle Verlagerung aller Vollstreckungsakte möglichst in einen Staat; dafür ließe sich auch die territoriale Beschränkung der Vollstreckungshoheit anführen, die vollstrekkende Ubergriffe auf fremdes Territorium verbietet („jurisdiction to enforce" 5 ). Andererseits geht Art. 43 EuGVÜ ganz offensichtlich von „gespaltener" bzw. „grenzüberschreitender" Vollstreckung innerhalb Europas aus, wenn er zwischen Zwangsgeldfestsetzung im Urteilsstaat und seiner Vollstreckung im Vollstreckungsstaat unterscheidet. Man mag 3 Gottwald, Die internationale Zwangsvollstreckung, IPRax 1991, 285 ff, 288 f; Marquardt, Das Recht der internationalen Forderungspfändung, 1975; Mühlhausen, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen deutscher Gerichte in Bankguthaben von Inländern bei Auslandsfilialen, WM 1986, 937-960, 985-991; Ilka Mössle, Internationale Forderungspfändung - unter besonderer Berücksichtigung der Schweiz, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs, 1991; Reichel, Internationale Forderungspfändung, AcP 131 (1929), 293-313; Rheinstein, Die inländische Bedeutung einer ausländischen Zwangsvollstreckung in Geldforderungen, RabelsZ 8 (1934), 277-309; Rosenbaum, Die Zwangsvollstreckung in Forderungen im internationalen Rechtsverkehr, 1930; Schack, Internationale Zwangsvollstreckung in Geldforderungen, Rpfleger 1980, 175-178; Weiter, Zwangsvollstreckung und Arrest in Forderungen - insbesondere Kontenpfändung - in Fällen mit Auslandsberührung, 1988. 4 Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld, 1992 (Bespr. v. BarJZ 1993, 603; Schack ZZP 106 [1993], 554 ff; Stürner RabelsZ 1994 Nr. 4); A. Stutz, Die internationale Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung unter dem EuGVÜ, 1992. 5 Hierzu Stürner, in: Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 1 ff, 21 m. Nw.
Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
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diese Regelung als bedenklichen Sündenfall charakterisieren und eng auslegen 6 . Man kann diese Vorschrift aber auch als eine N o r m begreifen, welche die Kooperation der EU-Staaten bei grenzüberschreitender Vollstreckung anordnet mit der Folge einer Meistbegünstigung des Gläubigers, der zwischen voller Vollstreckung im Vollstreckungsstaat (Anordnung bzw. Festsetzung und Zwangsgeldvollstreckung im Vollstrekkungsstaat) und gespaltener Vollstreckung (Anordnung im Urteilsstaat und Vollstreckung im Vollstreckungsstaat) wählen kann. Falls man Art. 43 E u G V Ü vor dem Hintergrund des Art. 220 E U V und den Marktfreiheiten interpretiert, muß die möglichst leichtgängige Vollstreckung über die Grenze Ziel der Rechtsanwendung sein mit einem möglichst geschlossenen europäischen Vollstreckungssystem, das in keine Sackgasse führt. Dann aber müssen sich die Vollstreckungsakte der EU-Staaten ergänzen, Vollstreckungsakte müssen wechselseitig anerkannt und berücksichtigt werden. N u r so ergibt die Vielgestaltigkeit der nationalen Vollstreckungsrechte, die man grundsätzlich nicht antasten sollte, ein Vollstreckungssystem ohne Rechtsschutzlücke. Die Grundlinien dieses Gesamtentwurfs sollen im folgenden näher ausgeführt werden. III. Die internationale F o r d e r u n g s p f ä n d u n g in der E U 1. Autonomes
Recht und
Europarecht
Für Forderungspfändungen mit Auslandsberührung gibt es kein spezielles europäisches Recht; insbesondere gilt das E u G V Ü nach ganz h. M. nicht für Pfändungsbeschlüsse. Grundsätzlich unterliegt die Forderungspfändung dem autonomen Recht der EU-Staaten, wobei sich allerdings die Frage nach unionskonformer Auslegung und Handhabung des autonomen internationalen Zivilverfahrensrechts stellt. 2. Deutsches
autonomes
Recht
Das deutsche autonome Recht bejaht für Forderungspfändung die deutsche internationale Zuständigkeit, falls nur der Vollstreckungsschuldner oder der Drittschuldner 7 seinen Sitz im Inland hat (§§ 828 Abs. 2, 23 Z P O ) . Das Problem liegt vor allem in der wirksamen Zustellung an den Drittschuldner (§ 829 Abs. 3 Z P O ) ins Ausland: hier steht die Praxis der deutschen Justizverwaltungen auf dem Standpunkt, die Zustellung von Pfändungsakten ins Ausland verletze fremde Souveränität und lehnt sogar Ersuchen unter dem Haager Zustellungsüberein' Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 1991, Rdn. 976 ff. ' Beispielsfall: B G H N J W 1983, 2773.
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Rolf Stürner
kommen 1965 ab. Ausländische Pfändungsakte gegen den Schuldner in Deutschland werden anerkannt, falls der Drittschuldner im pfändenden Staat seinen Sitz hat; wenn nur der Schuldner im Vollstreckungsstaat wohnt, wird die Anerkennung wohl verweigert8. 3. Geschlossenes System internationaler
Fordemngspfändung
in der EU
Die gegenwärtige Rechtspraxis ist mehrfach unbefriedigend. Zwar ist die direkte Zustellung eines Pfändungsaktes ins Ausland ein souveränitätsbeeinträchtigender Hoheitsakt auf fremdem Territorium; soweit indessen das Haager Zustellungsübereinkommen 1965 oder bilaterale Zusatzvereinbarungen bemüht werden, liegt ein völkerrechtswidriger Eingriff in fremde Souveränität gerade nicht vor, weil der Zustellungsstaat mitwirkt. Ein Verstoß des Zustellungsersuchens gegen den ordre public des Zustellungsstaates ist nach dem Selbstverständnis dieses Staates zu beurteilen; oft wird er schon nach diesem Selbstverständnis zu verneinen sein. In der EU zwingen die Grundfreiheiten des EU-Vertrages und die Zielsetzung des Art. 220 EUV zu einer vertragskonformen Auslegung und Handhabung autonomen und vertraglichen Rechts, die möglichst leichtgängigen grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und Rechtsschutz schaffen. Dies bedeutet, daß EU-Staaten unter sich die Zustellung an den Schuldner oder Drittschuldner unter dem Haager Zustellungsübereinkommen 1965 oder bilateralen Zusatzvereinbarungen nicht ablehnen dürfen, soweit sie zur wirksamen Forderungs- oder Rechtspfändung nötig ist; unionsrechtlich geboten ist auch die Anerkennung der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse9, die bei Klagen gegen den Drittschuldner die Aktivlegitimation verschaffen oder - wie teilweise im romanischen Rechtskreis - nach vollstreckungsrichterlicher Entscheidung selbst Vollstreckungstitel gegen den Drittschuldner sind. Wenn also ζ. B. der deutsche Vollstreckungsschuldner eine Forderung gegen den Pariser Drittschuldner hat, so kann der Gläubiger beim deutschen Amtsgericht des schuldnerischen Sitzes einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß gemäß §§ 829, 835 ZPO beantragen; die Pfändung ist mit der Zustellung nach Frankreich an den Drittschuldner bewirkt (§ 829 Abs. 3 ZPO). Die Zustellung nach Frankreich erfolgt unter dem Haager Zustellungsübereinkommen 1965 und der deutsch-französischen Zusatzvereinbarung'0 durch Vermittlung französischer Behörden. Weigert sich die deutsche Justizverwaltung, das Zustellungsgesuch weiterzuleiten, kann der Gläubiger das zuständige O L G anrufen (§§ 23 ff EGGVG). Frankreich verstößt gegen den EUV, falls es das Ersuchen ablehnt. Bei einer Klage des Gläubigers gegen den Drittschuldner in 8 Weiterer Beispielsfall: RGZ 77, 250 (Sonderfall der Priorität deutscher Pfändung vor ausländischer Tilgung). 9 In diesem Sinne allgemein I. Mössle aaO S. 238; mit Einschränkungen ähnlich Schuck, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 985. 10 Hierzu Jayme/Hausmann Nr. 107, 115.
Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
867
Frankreich müßte Frankreich die Aktivlegitimation des Gläubigers anerkennen. D e r Gläubiger könnte aber auch in Frankreich das Verfahren der „saisie attribution" betreiben (art. 55 ff décret 1992). Sie würde die Mitteilung an den deutschen Schuldner („dénonciation par acte d'huissier de justice") voraussetzen, für die deutsche Zustellungshilfe nötig ist, falls man nicht die Möglichkeit französischer fiktiver Inlandszustellung durch „remise au parquet" bejaht". D e r deutsche Gläubiger kann im Vollstreckungsverfahren einen Titel gegen den französischen Drittschuldner erlangen, insbesondere sofern dieser die Forderungen anerkennt oder nicht ernsthaft bestreiten kann (art. 64, 67 décret 1992). Deutsche Gerichte müßten diesen Titel gegen den Drittschuldner anerkennen und vollstrecken, falls der Drittschuldner Vollstreckungsgut in Deutschland hat (Art. 25 ff, 31 ff E u G V Ü ) . Will umgekehrt der deutsche Gläubiger gegen den Pariser Schuldner vollstrecken und hat dieser eine Forderung gegen einen Drittschuldner in Deutschland, so setzt die „saisie attribution" in Frankreich die Zustellung an den Drittschuldner („signification de l'acte d'huissier de justice") nach Deutschland voraus, für die Deutschland entgegen h. M. Zustellungshilfe leisten muß. Entsteht gegen den deutschen Drittschuldner im Vollstreckungsverfahren ein „titre exécutoire", so muß Deutschland anerkennen und vollstrecken (Art. 25 ff, 31 ff E u G V Ü ) ; anders, wenn an den Drittschuldner nur eine fiktive Inlandszustellung in Frankreich stattgefunden hat (remise au parquet; Art. 27 Nr. 2 E u G V Ü ) . D e r Gläubiger könnte auch in Deutschland einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß beantragen, die Zustellung an den Drittschuldner wäre eine unproblematische Inlandszustellung. Die Zustellung an den Schuldner in Frankreich erfolgt nach § 829 Abs. 2 Satz 4 Z P O durch fiktive Inlandszustellung mit Benachrichtigung des Schuldners (§ 175 Z P O ) . Falls der Drittschuldner nicht zahlt, muß der Gläubiger in Deutschland in jedem Falle klagen und einen Zahlungstitel erstreiten. Man sieht: die Vollstreckung aus Frankreich mag nicht ohne Reiz sein, insbesondere falls der Drittschuldner keine sachlichen Weigerungsgründe hat. I m E r g e b n i s läuft diese L ö s u n g auf die v o r z u g s w ü r d i g e stigung
des
Gläubigers
hinaus,
der
zwischen
Meistbegün-
allen M o d a l i t ä t e n
freie
W a h l h a b e n soll.
IV. Herausgabevollstreckung 1. Fremde Titel und ihre Vollstreckung in Deutschland Falls das G e r i c h t eines a n d e r e n E U - S t a a t e s z u r H e r a u s g a b e verurteilt, haben deutsche Vollstreckungsorgane nach Vollstreckbarerklärung
ent-
s p r e c h e n d § § 8 8 3 f f Z P O z u v e r f a h r e n , w e n n s i c h d i e S a c h e in D e u t s c h l a n d b e f i n d e t . D i e s gilt z u n ä c h s t u n a b h ä n g i g d a v o n , o b d e r a n d e r e
EU-
Staat z u r V o l l s t r e c k u n g derartiger Titel a u c h R e a l e x e k u t i o n kennt
oder
n u r Personalexekution (Zwangsgeld, H a f t ) o d e r beides. H a t das ausländ i s c h e G e r i c h t a b e r bereits ein n a c h s e i n e m R e c h t m ö g l i c h e s Z w a n g s g e l d z u r P e r s o n a l e x e k u t i o n festgesetzt, so m u ß m . E . eine deutsche Geldvolls t r e c k u n g f ü r diesen Z w a n g s g e l d t i t e l m ö g l i c h sein ( A r t . 4 3 E u G V Ü ) 1 2 .
" Ausführlich I. Mössle aaO S. 205 f zum alten französischen Vollstreckungsrecht. 12 Wie hier Remien aaO S. 324; a. A. wohl Schuck, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 969 ff; Kropholler Art. 43 Rdn. 2.
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Rolf Stíirner
Verurteilt etwa ein englisches Gericht den deutschen Schuldner zur Herausgabe eines PKW, der sich in Deutschland befindet, so nimmt der deutsche Gerichtsvollzieher auf Antrag des Gläubigers den PKW weg (§ 883 ZPO) und übergibt ihn dem englischen Gläubiger. Hätte aber das englische Gericht - ausnahmsweise - bereits eine „contempt fine" angeordnet - also keinen „writ of delivery" zur Realexekution im Sinne unmittelbaren Zwangs erlassen" - , so müßten deutsche Vollstreckungsorgane auf Antrag des Gläubigers diese „contempt fine" im Wege der Geldvollstreckung beitreiben und an die englische Staatskasse abliefern, wobei wegen näherer Einzelheiten auf die folgenden Bemerkungen zur Handlungsvollstreckung verwiesen wird. Der Gläubiger hätte sonach die Wahl zwischen deutscher Realvollstreckung und der Personalvollstreckung, die alleine in Frage käme, falls sich nur der Schuldner bzw. das Schuldnervermögen in Deutschland und die Sache in einem anderen EU-Staat befände.
2. Deutsche
Titel
Umgekehrt müssen deutsche Herausgabeurteile in anderen EU-Staaten mit dortigen Vollstreckungsmitteln realisiert werden. Deutsche Gerichte können nicht etwa ein Zwangsgeld gemäß § 888 Z P O festsetzen, um eine Inlandsvollstreckung mit Auslandswirkung herbeizuführen14 oder eine ausländische Geldvollstreckung zu ermöglichen; das wäre mit der Gesetzmäßigkeit des Vollstreckungseingriffs und dem numerus clausus der Vollstreckungsarten unvereinbar, weil Herausgabeurteile keine Handlungsvollstreckung zulassen. Verurteilt also ein deutsches Gericht den englischen Schuldner zur Herausgabe eines in England befindlichen PKW, so kann der deutsche Gläubiger die Vollstreckung in England durch „writ of delivery" oder - ausnahmsweise — „contempt"-Sanktion betreiben. Es kann aber nicht das deutsche Gericht den englischen Schuldner durch Zwangsgeld beugen, das in deutsches Vermögen zu vollstrecken wäre oder wie ein Geldforderungstitel in englisches Vermögen.
V. Handlungsvollstreckung 1. Vertretbare
Handlungen
a) Ausländische Titel Wenn ein ausländisches Gericht eines EU-Staates die Ersatzvornahme auf Kosten des deutschen Schuldners angeordnet hat (z. B. art. 1144 C.c. i. V. m. art. 82 loi 1992 Frankreich), so wird man von der Pflicht deutscher Gerichte auszugehen haben, die Ersatzvornahmekosten gegebenenfalls im Wege deutscher Geldforderungsvollstreckung beizutreiben (Art. 31 ff EuGVÜ). Allerdings werden andere europäische Staaten Ersatzvornahme oft noch weniger praktizieren als die deutsche Rechtsordnung, z. B. wird in England regelmäßig der Titel auf „damages" als „adequate remedy" lauten und gar keine „specific performance" gewäh13 14
Hierzu R.S.C, order 45; Remien aaO S. 110 f. Α. Α. offenbar Schuck, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 969.
Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
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ren. Wo Duldung einer vertretbaren Handlung durch den Schuldner auf deutschem Territorium erzwungen werden muß, hätten deutsche Vollstreckungsorgane nach § 892 Z P O zu verfahren. Ein französisches Gericht verurteilt beispielsweise den deutschen Schuldner mit Sitz in Frankreich, auf seinem Grundstück in Deutschland wettbewerbswidrige Reklameschriften zu beseitigen, die den klägerischen Konkurrenten anschwärzen. Es verurteilt ferner zu den Kosten einer Ersatzvornahme (Art. 1144 C.c., art. 82 loi 1992). Die deutschen Vollstreckungsorgane müssen nach Erteilung der deutschen Klausel (Art. 31 ff E u G V Ü ) die Geldforderung vollstrecken und notfalls mit Gewalt die Entfernung durch Beauftragte des Gläubigers ermöglichen (§ 892 Z P O ) .
b) Deutsche Titel Wenn ein deutsches Gericht zu einer vertretbaren Handlung im Ausland verurteilt, so kann es die Summe für eine Ersatzvornahme im Ausland selbst festsetzen (§ 887 Abs. 2 ZPO) 15 , die übrigen Unionsstaaten müssen sie im Weg der Geldforderungsvollstreckung beitreiben (Art. 31 ff EuGVÜ). Die Duldung der Ersatzvornahme auf dem ausländischen Grundstück müssen die ausländischen Vollstreckungsorgane mit ihren Zwangsmitteln erzwingen, also z. B. „astreinte" in Frankreich oder „contempt-fine" in England; wo - wie ζ. B. in Italien - solche Zwangsmittel fehlen, schlägt die Vollstreckung fehl. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, in Deutschland einen zusätzlichen Duldungstitel zu erstreiten und nach § 888 Z P O vorzugehen. D e r deutsche Kläger verklagt beispielsweise" den ebenfalls deutschen Beklagten in Deutschland, um ein Urteil zu erwirken, das den Beklagten verpflichtet, auf seinem spanischen Grundstück die vertraglich vereinbarte Grenzanlage anzubringen. Die Vollstreckung müßte in der Weise erfolgen, daß das deutsche Gericht Ersatzvornahme anordnet, wobei die Geldsumme in Deutschland direkt oder in Spanien nach Vollstreckbarerklärung (Art. 31 ff E u G V Ü ) vollstreckt werden kann. Die Duldung der Ersatzvornahme wäre primär durch Zwangsmittel des ausländischen Staates durchzusetzen; wenn das spanische Vollstreckungsrecht solche Beugemittel nicht kennt", schlägt die Vollstreckung insoweit zunächst fehl. Hier mag ein deutscher Duldungstitel helfen. Er müßte aber gesondert ausgeurteilt werden, weil die Verurteilung zur vertretbaren H a n d l u n g eine Duldungsvollstreckung nicht erlaubt. Das Zwangsgeld könnte in Deutschland oder im Wege der Geldforderungsvollstreckung (Art. 31 ff E u G V Ü ) in Spanien vollstreckt werden.
2. Nicht vertretbare
Handlung
Hier sind ebenfalls zwei Wege gangbar: entweder setzt der Urteilsstaat das Zwangsgeld fest und der Gläubiger betreibt im Vollstreckungsstaat die Geldforderungsvollstreckung (Art. 31 ff EuGVÜ) 18 ; oder der 15
Teilweise a. A. offenbar Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 973 m. N w . " Ähnlich O L G Stuttgart Z Z P 97 (1984), 487 ff m. Anm. Münzberg. 17 Art. 924, 925 L E C Spanien. 18 Ablehnend Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 974 ff.
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Rolf Stürner
Gläubiger beantragt im Vollstreckungsstaat das Zwangsmittel. In der E U komplizieren sich die Verhältnisse dadurch, daß manche Staaten eine Personalvollstreckung nicht kennen, sondern bei Nichterfüllung nur Schadensersatz zusprechen (Italien, Spanien)19; wo Zwangsgelder existieren, gehen sie teilweise an die Staatskasse (Deutschland, England), teilweise an den Gläubiger („astreinte" des französischen Rechtskreises)20. Art. 43 E u G V Ü gestattet nach seinem - deutschen - Wortlaut generell die Vollstreckung von Zwangsgeldtiteln innerhalb der EU, nach seiner Genese paßt er eher auf die „astreinte", die in Frankreich und den Benelux-Staaten an den Gläubiger zu zahlen ist. Vieles spricht dafür, auch hier dem Vollstreckungsgläubiger im Sinne einer Meistbegünstigung die Wahl zu lassen, ob er im Urteilsstaat das Zwangsgeld mit ausurteilen und im Vollstreckungsstaat eine Geldforderungsvollstreckung vornehmen läßt oder ob er schon für das Zwangsmittel den Vollstreckungsstaat bemühen will. Die Zwangsgeldandrohung durch den Urteilsstaat für Handlungen, die auf dem Territorium anderer Staaten vorzunehmen sind, begegnet zwar grundsätzlich völkerrechtlichen Bedenken (sehr streitig)21; Art. 43 EuGVÜ geht aber für den Unionsbereich von dieser Möglichkeit aus. Die Zwangsgeldfestsetzung im Urteilsstaat mit anschließender Geldforderungsvollstreckung im Vollstreckungsstaat überspielt auch die Rechtsschutzlücke bei fehlenden Zwangsmitteln im Vollstreckungsstaat22; auf den „ordre public" (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) wird sich ein Unionsstaat insoweit kaum berufen können. Ein deutsches Gericht verurteile beispielsweise einen englischen Redakteur zum Widerruf einer erweislich unwahren Behauptung in einer Tageszeitung mit Verbreitung in Deutschland, wo der Kläger wohnt. Der Kläger hätte die Wahl, ob er nach § 888 ZPO in Deutschland Zwangsgeldfestsetzung beantragen und das Zwangsgeld zugunsten der Staatskasse wie einen Geldtitel in England durchsetzen oder ob er den Widerrufstitel in England für vollstreckbar erklären lassen und gegebenenfalls contempt-Strafen beantragen wollte. Die Vollstreckung könnte - sehr fraglich! - allerdings daran scheitern, daß der Widerruf von Behauptungen in Medien dem englischen ordre public widerspricht (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) und die englischen Gerichte deshalb jede Vollstreckbarerklärung verweigern, was bei Geldforderungsvollstreckung weniger wahrscheinlich erschiene. " Art. 2933 Codice civile, 612 ff. Codice di procedura civile Italien; art. 924, 925 L.E.C. Spanien (dort aber art. 260 Ley procidimiento laboral: „apremio pecuniario" bzw. „economico"). 20 Ausführlich Remien aaO S. 192 ff. 21 Α. Α. Schuck, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 973; Remien aaO S. 299/300 m. Nw.; wie hier schon Stürner, in: Habscheid, Der Justizkonflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika, 1986, S. 25-27 m. Nw. 22 Bei fehlenden Zwangsmitteln zur Naturalvollstreckung besteht ein gesamteuropäischer Handlungsbedarf: Stürner, in: Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht, 1992, S. 1 ff, 16 m. Nw.; Rapprochement Droit Judiciaire/Projet de Directive 1994 („StormeKommission") Ziff. 13.1 ff.
Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
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Falls der deutsche Kläger gegen einen italienischen Journalisten einen Widerrufstitel erstreitet, fehlt in Italien ein Zwangsmittel. Er kann nur versuchen, das in Deutschland ausgeurteilte Zwangsgeld in Italien zu vollstrecken.
Neben dem Zwangsgeld kennen einige EU-Staaten (ζ. B. Deutschland, Großbritannien) die Haft als Zwangsmittel 23 . Man muß davon ausgehen, daß Haft nur die Gerichte des Vollstreckungsstaates anordnen können, der die Haft vollstreckt. Für den Vollzug von Haft, die ein anderer EU-Staat angeordnet hat, kennt das E u G V U Vollstreckungshilfe auch nicht ansatzweise. VI. Unterlassungsvollstreckung Für Unterlassungstitel gelten im Ausgangspunkt die Grundsätze, wie sie für nicht vertretbare Handlungen dargestellt sind. Obwohl sich beim Titel auf Duldung und Unterlassung im Ordnungsmittel Beugung und Repression miteinander verbinden, sind nur wenige Besonderheiten zu beachten. 1. Ausländische
Titel
Den Unterlassungs- oder Duldungstitel des Gerichts eines anderen EU-Staates („ordonnance", „injunction" etc.) müssen deutsche Gerichte nach Vollstreckbarerklärung mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft vollstrecken; dabei dürfen Vollstreckbarerklärung und Androhung des Ordnungsmittels zusammenfallen (§ 890 Abs. 2 ZPO) 2 4 , falls nicht schon das Auslandsurteil eine Androhung enthält. Oft wird es sich hier um den Titel eines summarischen Verfahrens handeln, so daß insbesondere die Wahrung rechtlichen Gehörs zu prüfen ist25. Es ist aber auch zu beachten, daß Ordnungsmittel gemäß § 890 Z P O nach deutschem Verständnis26 Verschulden bei der Zuwiderhandlung voraussetzen. Wenn bereits das ausländische Gericht ein Zwangsgeld verhängt hat, ist dieser Geldtitel in Deutschland zu vollstrecken (Art. 43 E u G V U ) , wobei fehlendes Verschulden als ordre-public-Verstoß (Art. 27 Nr. 1 E u G V Ü ) zu werten wäre. Ein französisches Gericht verurteile einen deutschen Konkurrenten zur Unterlassung einer wettbewerbswidrigen Werbung. D e r Kläger kann in Frankreich die „astreinte" festsetzen lassen und den Geldtitel in Deutschland zu seinen Gunsten voll-
" Wenn Jacob, The Fabric of English Justice, 1987, p. 205 ff, 208 f die Einzigartigkeit der contempt-Sanktion als Beugemittel betont, so wird er damit der deutschen Tradition der Ungehorsamsstrafen nicht gerecht; hierzu Baur/Stürner I, 12. Aufl. 1995, § 3 113, Rdn. 3.11 ff. 24 Vgl. L G München II IPRspr. 1986 Nr. 170 (österreichischer Titel, nicht E u G V Ü ! ) . 25 E u G H E 1980, 1553; 1984, 3971; dazu Gottwald Z Z P 103 (1990), 266. 26 B V e r f G E 58, 159; 20, 323; Baur/Stürner I, 12. Aufl. 1995, Rdn. 7. 11 f.
872
Rolf Stürner
strecken oder er kann mit der Vollstreckbarerklärung des Unterlassungstitels in Deutschland die Ordnungsgeldandrohung (§ 890 Abs. 2 Z P O ) verbinden und in Deutschland - wohl beim Gericht der Vollstreckbarerklärung - das Ordnungsgeld festsetzen lassen, das dann zugunsten der Staatskasse vollstreckt wird.
2. Deutsche Titel Unterlassungsurteile deutscher Gerichte müssen andere Staaten der Union für vollstreckbar erklären (Art. 31 ff E u G V Ü ) und mit ihren Beugemitteln (contempt-Sanktion, astreinte etc.) erzwingen. Es muß aber ebenso möglich sein, das Ordnungsgeld in Deutschland festzusetzen und im Ausland Geldforderungsvollstreckung zugunsten der Justizkasse zu betreiben (Art. 43 EuGVÜ). Wie bei der Handlungsvollstreckung ist diese Möglichkeit besonders interessant, wenn der andere Unionsstaat keine entsprechenden Beugemittel kennt. Ein Verstoß gegen den ordre public des anderen Unionsstaates (Art. 27 Nr. 1 E u G V Ü ) wird sich vor allem dann schwer begründen lassen, wenn Beugemittel nur bei der zivilprozessualen Vollstreckung fehlen, im übrigen aber durchaus bekannt sind (ζ. B. „apremio pecuniario" in Spanien bei Arbeitsgerichtsverfahren). Auch kennt Art. 171 E U V in seiner Maastrichter Neufassung inzwischen selbst das Zwangsgeld gegen EU-Staaten zur Vollstreckung von Urteilen des E u G H ; der Vorentwurf einer ZPO-Richtlinie, wie ihn die „Storme-Kommission" erarbeitet hat, sieht Zwangsgeld ausdrücklich als notwendiges gemeinsames Vollstreckungsmittel vor (Ziff. 13.1 ff). Nationaler Widerstand gegen grenzübergreifende Vollstreckung müßte auch im Rahmen einer ordre-public-Kontrolle die Grundprinzipien des Rechts der Europäischen Union beachten 27 . Das Unterlassungsurteil eines deutschen Gerichts gegen eine britische Tageszeitung müßte beispielsweise in England durch contempt-Sanktionen vollstreckt werden; bereits festgesetztes deutsches Ordnungsgeld wäre dort im Wege der Geldforderungsvollstreckung beizutreiben. Ein italienisches oder spanisches Gericht könnte zwar nach Vollstreckbarerklärung kein Ordnungsmittel verhängen, müßte aber doch wohl das deutsche Ordnungsgeld vollstrecken, ohne sich auf den „ordre public" berufen zu können.
3. Zustellung von Titeln mit
Beugecharakter
Wenn man die Pflicht der EU-Staaten zur Mitwirkung bei der Unterlassungsvollstreckung bejaht - sei es durch Einsatz eigener Beugemittel, sei es durch Vollstreckung von Zwangs- bzw. Ordnungsgeld (Art. 43 E u G V Ü ) - , so ist damit auch eine Pflicht zur Zustellung von Titeln bejaht, die Ordnungsgeld androhen oder aussprechen: ein EU-Staat kann sich zur Verweigerung der Zustellungshilfe nicht auf seinen ordre public 27
Ausführlich B G H N J W 1993, 3269, 3272 (r. Sp.) m. N w .
Das grenzübergreifende Vollstreckungsverfahren in der Europäischen Union
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berufen (Art. 13 Haager Zustellungsübereinkommen), weil damit die Vollstreckungsvoraussetzungen des EuGVÜ unterlaufen wären (Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ). Wohl aber liegt im Versuch direkter Zustellung zwangsandrohender Titel eine Mißachtung der Souveränität des Zustellungsstaates, falls er solche Direktzustellungen nicht zulassen will28; er kann dann die weitere Mitwirkung bei der Vollstreckung verweigern (Art. 47 Nr. 1 EuGVU), weil eine wirksame Zustellung fehlt. Die Frage ist vor allem von praktischer Bedeutung, wenn man bei zwangsandrohenden Titeln fiktive Inlandszustellungen ablehnt, wie sie nach korrekter Verfahrenseinleitung29 nahezu alle EU-Staaten kennen (z. B. §§ 174, 175 ZPO; art. 689 Abs. 3, 751, 684 C.p.c. Frankreich; zurückhaltend art. 142 C.p.c. Italien), weil auch fiktive Inlandszustellungen regelmäßig die Mitteilung der Zwangsandrohung ins Ausland voraussetzen. VII. Die Abgabe von Willenserklärungen Für die Vollstreckung der Abgabe einer Willenserklärung existieren in der EU drei verschiedene Modelle: Fiktion mit Rechtskraft des Urteils (§ 894 ZPO; § 367 E O Österreich; Frankreich30); Abgabe der Willenserklärung durch einen Gerichtsbeauftragten (England31); Ordnungs- bzw. Zwangsmittel wie bei nicht vertretbaren Handlungen (Vollstreckung aus Vergleich in Deutschland, wahlweises Vollstreckungsmittel in Frankreich32 und England33). Sowohl die Fiktion als auch die Abgabe der Willenserklärung durch einen Gerichtsbeauftragten müssen die übrigen EU-Staaten anerkennen und ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde legen. Bei der Fiktion ist um der Rechtssicherheit willen davon auszugehen, daß sie ihre Wirkung in den anderen EU-Staaten erst nach Vollstreckbarerklärung (Art. 31 ff EuGVÜ) entfaltet34. Sie gilt aber nach Vollstreckbarerklärung für den Zeitpunkt der Fiktionswirkung im Urteils28 Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, Rdn. 980, 592; so sogar die amerikanische Rechtsprechung für zwangsandrohende Zustellungen: F T C v. Saint-Gobain-Pontà-Mousson, 636 F 2d 1300 (D.C.Cir. 1980). 29 Hierzu ausführlich Stürner}Z 1992, 325 ff. J0 Z. B. Cour de Cassation (3e civ.) 19. 1. 1970, Gaz. Pal. 1970, 1 Jur. 282; Simler ]. Cl. civil Art. 1136 à 1145, Fase. 1, No. 128; Remien aaO S. 135; gleich Art. 3: 300 N.B.W. Niederlande. 51 Supreme Court Act 1981, Section 3 9 - J a c o b , The Fabric of Civil Justice, 1987, p. 203; Remien aaO S. 135; wahlweise Art. 3: 300 N.B.W. Niederlande; gleich § 848 Abs. 2 ZPO. 32 Simler aaO No. 128; sehr str.! 35 Allgemein zum contempt als subsidiäres Vollstreckungsmittel Remien aaO S. 110-112; wohl etwas zu festgelegt auf contempt-Sanktion Gottwald IPRax 1991, 285, 291 (r. Sp.). 3< So auch Gottwald IPRax 1991, 285 ff, 290; Rosenberg! Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, 10. Aufl. 1987, § 72 I 2 (S. 758).
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Staat, so daß zwei verschiedene Zeitpunkte der Geltung der Willenserklärung vermieden werden können 35 ; die Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat hat also „Rückwirkung". Wenn ein englisches Gericht die Willenserklärung durch einen Gerichtsbeauftragten hat abgeben lassen, so ist das Urteil bereits vollstreckt, die übrigen EU-Staaten müssen dann die Wirkung der Willenserklärung in ihrem Staate anerkennen, ähnlich wie beispielsweise bei der internationalen Forderungspfändung die Wirkung eines Pfändungsbeschlusses von den anderen EU-Staaten berücksichtigt werden muß. Falls Willenserklärungen wie nicht vertretbare Handlungen durch Ordnungs- bzw. Zwangsmittel erzwungen werden, gelten die für nicht vertretbare Handlungen erarbeiteten Regeln. M.E. muß man auch bei Willenserklärungen dem Gläubiger die Wahl lassen, ob er auf die Anerkennung von Urteilswirkungen im Vollstreckungsstaat vertrauen oder gegebenenfalls im Vollstreckungsstaat selbst vollstrecken will. Der deutsche Mieter miete unter deutschem Recht in München Geschäftsräume; Vermieter sei ein in London lebender Engländer. Nach Beendigung des deutschrechtlichen Mietvertrages verweigert der Engländer die Erklärung der Freigabe einer Kaution bei einer Londoner Bank. Falls ein deutsches Gericht zur Abgabe der Freigabeerklärung verurteilt (Art. 16 Nr. 1 a EuGVÜ, str.!), wäre das deutsche Urteil in England für vollstreckbar zu erklären (Art. 31 ff EuGVÜ) mit der Folge, daß der deutsche Kläger der englischen Bank die Urteilswirkung entgegenhalten könnte (§ 894 ZPO) und bei einer Zahlungsklage gegen die Bank in England englische Gerichte an diese Wirkung gebunden wären. Man könnte aber auch an eine Vollstreckung des deutschen Urteils in England in der Weise denken, daß nach Vollstreckbarerklärung in England (Art. 31 ff EuGVÜ) ein Gerichtsbeauftragter unter englischem Vollstreckungsrecht die Erklärung abgibt oder - zweifelhaft - gegen den Engländer eine contempt-Sanktion ergeht. Falls in einem - schlecht ausgehandelten - deutschen gerichtlichen Vergleich die Verpflichtung zur Freigabeerklärung enthalten wäre, so könnte der Gläubiger entweder in Deutschland Zwangsgeld festsetzen lassen, um es dann in England nach Anerkennung des Festsetzungsbeschlusses zu vollstrecken (Art. 3 I f f , 43 EuGVÜ) oder er könnte in England die Vollstreckung gleich wie bei entsprechender Verurteilung (Art. 50, 51 EuGVÜ) betreiben. Hat beispielsweise ein französisches Gericht den deutschen Schuldner aus einem Kaufvertrag deutschen Rechts zur Übereignung eines PKW nach § 930 BGB in Deutschland verurteilt, so gelten mit der Rechtskraft des französischen Urteils die Willenserklärungen als abgegeben, falls nur der französische Gläubiger Vollstreckbarerklärung betreibt (Art. 31 ff EuGVÜ). Deutsche Gerichte müßten dann ihrer Beurteilung die französische Fiktionswirkung zugrunde legen, falls der französische Käufer in Deutschland aus seinem Eigentumsrecht klagen wollte.
Insgesamt spielt in der EU die Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung nicht die gleiche Rolle wie in Deutschland, weil die meisten Rechtsordnungen das Abstraktionsprinzip nicht oder nicht so kennen wie das deutsche Recht. 55
Dies gegen die Bedenken von Gottwald IPRax 1991, 290.
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VIII. Schlußbemerkung Die grenzüberschreitende Vollstreckung läßt viele Zweifelsfragen, und kaum eine These dieses Beitrags kann sich auf gesicherten Kenntnisstand und abgeschlossene Rechtsentwicklung stützen. Wenn reibungsloser Rechtsschutz durch Vollstreckung innerhalb Europas gewährleistet sein soll, wird man nicht umhin können, die Kooperation der nationalen Systeme voranzutreiben - über sonst gepflogene internationale Zusammenarbeit hinaus.
Die Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Insolvenzverwalter WILHELM UHLENBRUCK
I. Problemstellung Ohne hier im einzelnen auf den Begriff des Freiberuflers1 einzugehen, soll im folgenden untersucht werden, ob die freiberufliche Praxis von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Rechtsanwälten, Notaren, Patentanwälten, Wirtschaftsprüfern sowie Steuerberatern zur Konkursmasse nach geltendem Recht oder zur Insolvenzmasse nach künftigem Recht gehört2. Zutreffend weist Wolfram HenckeP darauf hin, daß die Praxis der Anwälte, Steuerberater, Arzte und Zahnärzte als solche - nicht ihre Einrichtung - früher als schlechthin unveräußerlich angesehen wurde4. Zur Begründung ähnlicher Entscheidungen vor allem der ärztlichen Berufsgerichte5 wurde angeführt, die ganz auf die Person abgestellte und auf dem Vertrauen des Patienten zur ärztlichen Kunst beruhende Tätigkeit des Arztes sei mehr als nur ein Erwerbsgeschäft. Die ärztliche Praxis sei weder Gewerbebetrieb noch sei die ärztliche Leistung Markt- oder Handelsware. Vielmehr seien die Beziehungen zwischen Arzt und Patient ge' Einzelheiten bei Walter Schick, Die freien Berufe im Steuerrecht, 1973, S. 1; ders. N J W 1990, 2359; Ring D Ö V 1989, 838 ff. 2 Die vom Deutschen Bundestag am 21. 4./17. 6. 1994 verabschiedete neue Insolvenzordnung (InsO), die am 18. 10. 1994 verkündet worden ist (BGBl. I 1994 S. 2866 u. 2911), soll am 1. Januar 1999 nebst Einführungsgesetz in Kraft treten. Vgl. M. Balz/H. G. Landfermann, Das neue Insolvenzrecht. Gesetzestext und Materialien, IdW-Verlag Düsseldorf 1995; B. M. Kühler/H. Prutting (Hrsg.), Die neue Insolvenzordnung mit Einführungsgesetz. R WS-Dokumentation 18, Köln 1994; Das neue Insolvenzrecht. Insolvenzordnung und Einführungsgesetz mit Praxishinweisen von Wilhelm Uhlenbruck, Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Herne/Berlin 1994. Das Problem, ob eine freiberufliche Praxis zur Konkurs- bzw. Insolvenzmasse gehört, ist für das künftige Recht das gleiche wie für das geltende Recht, so daß sowohl die K O als auch die InsO 1994 bei nachstehender Untersuchung Berücksichtigung finden können. Wolfram Henckel war als Vorsitzender einer Unterkommission der vom Bundesminister der Justiz 1978 berufenen Reformkommission sieben Jahre tätig und hat die Ergebnisse der Kommission in wesentlichem Maße geprägt. ' Jaeger/Henckel, Konkursordnung mit Einführungsgesetzen. Großkommentar. 9. Aufl. 1977 § 1 K O Rdn. 12. 4 Vgl. R G Z 66, 139, 143; 75, 120; 115, 172; 144, 1 ff; G. Schuh, Medizinische Klinik 1963, 1359; W. Uhlenbruck, Rechtsfragen bei Praxisübernahmeverträgen, Arztrecht 1971, 100 ff. 5 Vgl. die ständige Rechtsprechung des ehemaligen Preußischen Ehrengerichtshofes Bd. I, S. 58 ff, zit. bei Berensmann-Winter, Ärztliche Mitteilungen 1960, 2145 Fn. 9.
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prägt durch das persönliche Vertrauensverhältnis, das Bewertungen etwa nach einem „Good-Will" schlechthin verbiete. Die Rechtslandschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten zu dieser Frage grundlegend geändert 6 . Die Rechtsprechung hat die ursprünglich strenge Haltung aufgegeben und den Praxisverkauf und -tausch grundsätzlich für zulässig erachtet 7 . Der „Good-Will" der freiberuflichen Praxis wird heute allgemein als veräußerlicher Vermögenswert angesehen 8 . W. Henckel9 hält trotzdem eine Praxisveräußerung durch den Konkursverwalter nach wie vor grundsätzlich für unzulässig, und zwar schon deshalb, „weil dem Gemeinschuldner die Chance erhalten bleibt, die Praxis fortzuführen und die Einnahmen als Neuerwerb für sich zu behalten". Anders als beim Kundenstamm des gewerblichen Unternehmers, der mit dem Unternehmen durch den Konkursverwalter verkauft werden könne, ohne daß damit die Neuerwerbschance als beeinträchtigt angesehen wird, beruhe das Verhältnis des Anwalts oder Steuerberaters zu seinen Klienten und das des Arztes zu seinen Patienten auf einer besonderen Vertrauensbeziehung, in die der Konkursverwalter nicht eingreifen dürfe. Wörtlich: „ O b der Anwalt/Arzt seine Klienten/Patienten einem anderen Kollegen anvertrauen will und wem, hat er allein zu entscheiden. Eine Praxisveräußerung durch den Konkursverwalter kommt deshalb nur mit Einwilligung des Gemeinschuldners in Betracht, der auch allein über seine Handakten und Behandlungsunterlagen disponieren kann. Das muß auch dann gelten, wenn der Gemeinschuldner die Praxis nicht mehr ausüben kann oder will." Der B F H hat in einem Urteil vom 22. 3. 1994 10 die Frage, ob die Praxis eines Steuerberaters und der dazugehörige Mandantenstamm 6 Vgl. Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, München 1992 § 19; Uhlenbruck, Arztrecht 1972, 100, 105; Rieger, Lexikon des Arztrechts, 1984 Rdn. 1401; Narr, Ärztliches Berufsrecht Rdn. 1147; Wollny, Unternehmens- und Praxisübertragungen, Rdn. 2074 ff; Gatzen, Bewertung von Arztpraxen, 1992; Cramer MedR 1992, 313 ff; MedR Heft 6/1994 (S. 213 ff) mit Beiträgen von H. J. Rieger, K. H. Möller, F.-J. Dahm, G. Steinhilper, R. Ratzel und U. H. Cramer zur Fortführung der Arztpraxis nach dem GSG. 7 B G H Z 16, 74 (Arzt); B G H Z 43, 47; B G H N J W 1973, 98 (Rechtsanwalt); B G H BB 1958, 496 (Steuerberater). 8 Zu den Schwierigkeiten, den Verkehrswert einer Praxis oder Gemeinschaftspraxis zu bestimmen, vgl. Rieger MedR 1993, 131 ff; Cramer MedR 1992, 313 ff; ferner B G H NJW 1991, 1547; O L G Koblenz FamRZ 1982, 280; 1988, 950; O L G Karlsruhe MedR 1990, 94. ' Bei Jaeger/Henckel aaO, § 1 KO Rdn. 12. 10 ZIP 1994, 1283, 1284. Die Entscheidung des B F H tendiert in die Richtung einer starken Literaturmeinung, die davon ausgeht, daß eine freiberufliche Praxis in all ihren Bezügen dem Konkursbeschlag unterliegt, weil nicht nur die Sachwerte eine Vermögensrechtliche Rechtsposition darstellen, sondern vielmehr auch die ideellen Werte veräußerbar sind. Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994 § 1 Rdn. 78 a; Hess/Kropshofer, KO, 4. Aufl. 1993, § 1 Rdn. 88; Gottwald(Heilmann/Klopp, Insolvenzrechts-Handbuch, § 2 7 Rdn. 6; Hess/Binz/Wienberg, GesO, 2. Aufl., § 1 Rdn. 119; Schick NJW 1990, 2359, 2361; G. Pape WPrax Heft 18/1994 S. 2 ff. Pape weist zutreffend darauf hin, daß bei Jaeger/Henckel (§ 1 KO Rdn. 12) keine abschließende Entscheidung getroffon wird. Zur Begründung der
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(ebenso wie die eines Arztes oder Rechtsanwahs) zur Konkursmasse i. S. von § 1 K O gehören, ausdrücklich offengelassen, da es für die Entscheidung des Rechtsstreits hierauf nicht ankam. Bemerkenswert ist aber die weitere Feststellung in den Entscheidungsgründen: „Die Zulässigkeit der Veräußerung und der Verwertung solcher freiberuflicher Praxen wird heute jedenfalls allgemein anerkannt, wenn auch teilweise noch gewisse Verwertungsbeschränkungen (ζ. B. Übertragung des Klienten- oder Patientenstamms nur mit Einwilligung des Gemeinschuldners) angenommen werden, auf die es aber im Streitfall nicht ankommt." Die h. M. ist der Auffassung von Henckel gefolgt". Danach kann die Praxis eines Rechtsanwalts, Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters durch den Konkursverwalter nur mit Zustimmung des Gemeinschuldners veräußert werden. V. Grub11 stellt hierzu allerdings klar, daß der Substanzwert einer Anwaltspraxis gem. § 1 K O dem Konkursbeschlag unterliegt, denn der Substanzwert setze sich aus der Büroeinrichtung einschließlich der Bürogeräte, der Bibliothek und den Räumlichkeiten zusammen. Hiervon zu unterscheiden sei der innere oder ideelle Wert einer Praxis, also der sog. Praxiswert. Festzustellen ist, daß diese Auffassung zu einer Privilegierung der in Konkurs befindlichen Freiberufler führt. Sie werden in die Lage versetzt, unter dem Schutzschild des Vollstreckungsverbots (§14 KO) ihrer Tätigkeit weiter nachgehen zu können, ohne daß der Neuerwerb in die Konkursmasse fällt oder der Gefahr einer Vollstreckung durch Altgläubiger ausgesetzt ist'3. W. Schick hat deswegen die Frage untersucht, ob die freiberufliche Praxis im Konkurs des Freiberuflers fortgeführt werden kann mit der Folge, daß die Aufwendungen für die Konkursbefangenheit einer freiberuflichen Praxis wird in der Literatur die Rechtsprechung zur Verkäuflichkeit freiberuflicher Praxen herangezogen (vgl. B G H Z 16, 71; B G H Z 43, 47; B G H N J W 1973, 98). " Vgl. für die Rechtsanwaltspraxis F G Düsseldorf ZIP 1992, 635 = EWiR 1992, 581 (Grub); Kilger/Karsten Schmidt K O 16. Aufl. § 1 Anm. 2 D a) bb); L. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Köln 1992 S. 177; Gottwald/Heilmann/Klopp, Insolvenzrechts-Handbuch, München 1990 § 27 Rdn. 6. Anders aber LG Darmstadt N J W 1994, 2962. 12 E W i R § 1 K O 1/92, 582. Überzeugend hat G. Pape (WPrax Heft 18/1994, S. 2, 3 ff) nachgewiesen, daß sich die Differenzierung zwischen der sachlichen Ausstattung einer Praxis und dem ideellen Wert nicht halten läßt. In der Tat scheint es angesichts der Ausführungen des B F H (ZIP 1994, 1286) nicht mehr vertretbar, einerseits die Betriebsfortführung durch den Konkursverwalter zuzulassen, andererseits aber die Verwertung des „Good-will" vom Konkursbeschlag auszuschließen. Räumt man dem Konkursverwalter die Befugnis ein, eine Steuerberaterkanzlei fortzuführen, so muß man ihm auch die Dispositionsbefugnis nach § 6 K O über das gesamte Schuldnervermögen einräumen, weil schon die Entscheidung, die Praxis fortzuführen, den Bereich der freiberuflichen Tätigkeit berührt. Bereits nach der Definition der Konkursmasse in § 1 Abs. 1 K O ist davon auszugehen, daß die freiberufliche Praxis als Ganzes dem Konkursbeschlag unterfällt. § 851 Z P O steht dem nicht entgegen. 13 Von dem Sonderproblem der zulässigen Vollstreckung der Kosten i. S. von § 63 K O soll hier abgesehen werden.
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Geschäftsfortführung nach Konkurseröffnung der Konkursmasse als Masseschulden zur Last fallen, Einnahmen dagegen in die Konkursmasse gehören14. Es spricht vieles dafür, den „Good-Will" einer freiberuflichen Praxis durch einstweilige Praxisfortführung im Konkurs zu erhalten bzw. zu nutzen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß vielfach die Zulassungsvoraussetzungen für den Freiberufler durch die Konkurseröffnung über sein Vermögen entfallen und er zudem nicht vom Konkursverwalter gezwungen werden kann, für die Konkursmasse bzw. Insolvenzmasse tätig zu werden. Nach W. Schick entspricht es „Grundgedanken des Konkursrechts, wenn man nach einer Möglichkeit sucht, die Tätigkeit im Konkursfall weiterzuführen"15. In Verfolgung dieser Gedankengänge nimmt eine Mindermeinung16 an, wegen der zunehmenden Kommerzialisierung freiberuflicher Praxen müsse die Praxis einschließlich des „Good-Will" zur Konkursmasse i. S. von § 1 K O gehören. Es stelle keine Verletzung des Berufsgeheimnisses dar, wenn der Konkursverwalter eine Arztpraxis mit Patientenkartei oder eine Anwaltspraxis mit Mandantenkartei veräußere, wobei allerdings die Patienten bzw. Mandanten der Veräußerung der Kartei jeweils im Einzelfall zustimmen müßten. Das Berufsgeheimnis solle nicht den Freiberufler schützen, sondern seine Patientenschaft bzw. Klientel. Der B G H hat in einem Urteil vom 25.11.1993 1 7 keine Bedenken getragen, daß eine GmbH ambulante Zahnbehandlungen als eigene vertragliche Leistungen anbietet und erbringt. Bislang entsprach es fast allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung18 und Literatur19, daß die Zahnärzte-GmbH oder die Ärzte-GmbH ebenso unzulässig ist wie eine Anwalts-GmbH. Zutreffend weist M. Henssler20 darauf hin, daß der B G H mit seinem Votum für die Zulässigkeit der Zahnärzte-GmbH Standespolitiker und Rechtswissenschaft überrascht hat. In der Tat rückt die Entscheidung die GmbH als zulässige Kooperationsform auch 14 Vgl. W. Schick, Der Konkurs des Freiberuflers - Berufsrechtliche, konkursrechtliche und steuerrechtliche Aspekte, NJW 1990, 2959, 2360. 15 NJW 1990,2361. " Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung. Kommentar. 11. Aufl. 1994 § 1 Rdn. 78 a) u. § 117 Rdn. 14; Heß/Kropshofer KO. Kommentar zur Konkursordnung. 4. Aufl. 1993 § 1 KO Rdn. 88. Gottwald/Heilmann/Klopp, Insolvenzrechts-Handbuch § 27 Rdn. 6; Heß/Binz/Wtenberg, GesO, 2. Aufl. § 1 Rdn. 119; Schick NJW 1990, 2359, 2361; Pape WPrax Heft 18/1994, S. 2 ff. 17 ZIP 1994, 381. Vgl. auch M. Henssler ZIP 1994, 844 ff. " O L G Celle GmbHR 1989, 297; AG Hannover GmbHR 1994, 120; einschränkend allerdings O L G Düsseldorf GRUR 1992,178. " Hachenburg/Ulmer § 1 GmbHG Rdn. 16; Lutter/Hommelhoff § 1 GmbHG Rdn. 7; Rowedder/Rittner § 1 GmbHG Rdn. 12, 16; Taupitz, Die Standesordnungen der freien Berufe, 1991, S. 288; anders aber schon Scholz/Emmerich § 1 GmbHG Rdn. 13. 20 ZIP 1994, 844 ff. Zur Zulässigkeit der Anwalts-GmbH s. BayObLG ZIP 1994, 1868 m. Anm. Henssler.
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für andere Freie Berufe in greifbare Nähe. Schon heute kommt beim Konkurs des Apothekers niemand auf die Idee, den Konkursbeschlag im Hinblick auf die Freiberuflichkeit des Apothekers in Frage zu stellen, wenngleich hier die Rechtsform der G m b H nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgeschlossen ist21. Das Urteil des B G H vom 25. 11. 1993 hat jedenfalls das Tor zur Freiberufler-GmbH weit aufgestoßen. Auch der B F H hat in seinem Urteil vom 22. 3.1994 2 2 die Befugnis eines Rechtsanwalts als Konkursverwalter über das Vermögen eines früheren Steuerberaters anerkannt, die Mandanten im Rahmen der von ihm fortgeführten Steuerberaterpraxis gegenüber den Finanzbehörden steuerlich zu vertreten. Zumindest für eine beschränkte Zeit, in der er die Praxis mit dem Ziel der Verwertung fortführe, sei er befugt, in dieser amtlichen Eigenschaft als Bevollmächtigter i. S. von § 80 A O für die Mandanten des Gemeinschuldners aufzutreten. Als vom Konkursverwalter fortführbares „Geschäft" i. S. von § 129 Abs. 2 K O sei zwar von der älteren Kommentarliteratur nur ein gewerblicher Betrieb angesehen worden. Diese Auslegung werde aber nach neuerer Auffassung als zu eng beurteilt mit der Folge, daß grundsätzlich auch freiberufliche Unternehmen vom Konkursverwalter fortgeführt werden können. Die Einstellung des bisherigen Praxisinhabers und jetzigen Gemeinschuldners als entlohnten Arbeitnehmer in dem fortzuführenden Betrieb sei konkursrechtlich keineswegs verboten, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht beim Konkursverwalter bleibe. Der Konkursverwalter dürfe eine freiberufliche Praxis des Gemeinschuldners dann fortführen, wenn er persönlich die hierfür erforderliche Berufszulassung besitze. Diese Voraussetzung war im Fall der Steuerberaterpraxis gegeben, weil der Konkursverwalter als Rechtsanwalt zur unbeschränkten Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 StBerG). Die für die Fortführung einer Rechtsanwaltspraxis durch den Konkursverwalter vertretene gegenteilige Ansicht des F G Düsseldorf 2 3 dürfte durch die Entscheidung des B F H ebenso überholt sein wie das Urteil des L G Hannover v. 13. September 199324, wonach ein Steuerberater gegen das
21 BVerfGE 17, 232; ferner Friauf, Das apothekenrechtliche Verbot des Fremd- und Mehrbesitzes, 1992. 22 ZIP 1994, 1283, 1284. Das eigentliche Problem liegt darin, ob angesichts des teils materiellen, teils immateriellen Charakters einer freiberuflichen Praxis überhaupt eine einheitliche Konkursbefangenheit der Praxis möglich ist. Die von der h. M. vorgenommene Differenzierung zwischen Substanzwert der Praxis und dem ideellen Wert führt jedenfalls dazu, daß der Freiberufler im Konkurs erheblich gegenüber anderen Schuldnern privilegiert wird, andererseits die Gläubiger dadurch geschädigt werden, daß ζ. B. der Gemeinschuldner die Kunden-, Klienten- oder Patientenkartei selbständig veräußert. 23 ZIP 1992, 635. 24 Stbg. 1994, 65. Instruktiv hierzu B F H D B 1994, 2168.
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Gebot zu gewissenhafter verschwiegener Berufsausübung verstößt, wenn er als Geschäftsführer einer Steuerberatungs-GmbH deren Mandantenstamm ohne Zustimmung der Mandanten an eine andere Steuerberatungs-GmbH veräußert. Im letzteren Fall kann es nur darauf ankommen, ob die Grundsätze, die nach der Rechtsprechung zur Wahrung der Verschwiegenheitspflicht entwickelt worden sind, beachtet werden. Zutreffend sieht auch die beim Deutschen Steuerberater Institut e. V., Fachinstitut des Deutschen Steuerberatersverbandes e. V., Bonn entwickelte Verlautbarung zum Handels- und Steuerrecht Nr. 9, 1993 auf S. 22 vor, daß die Einbringung oder Umwandlung einer Einzelpraxis in eine Steuerberatungs-GmbH den Schutzbereich des § 203 StGB nicht unmittelbar berührt. Das nach § 203 StGB geschützte Vertrauensverhältnis werde zu dem Einzelpraxisinhaber begründet und erstrecke sich nach der Einbringung der Praxis in die GmbH auf den bisherigen Einzelunternehmer als Geschäftsführer25. Nach wie vor vertreten allerdings die Steuerberaterkammern die Auffassung, in der Übertragung einer Steuerberaterpraxis durch den Konkursverwalter auch in der Rechtsform der GmbH, liege eine Verletzung der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht nach § 57 Abs. 1 StBerG. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob die Gläubiger es de lege lata und de lege ferenda weiter hinnehmen müssen, daß der Freiberufler im Insolvenzverfahren seine Praxis fortzuführen berechtigt ist, ohne daß ein entsprechender Gegenwert zur Masse fließt. Bejahendenfalls könnte der Schuldner u. U. wegen fehlender Zustimmung die Verwertung des „Good-Will" durch den Insolvenzverwalter über Jahre hinaus verhindern und sich existentiell wie Münchhausen am eigenen Schöpfe selbst aus der Misere ziehen. Richtig ist allerdings der Hinweis von W. Henckel26, daß die „Praxis als Berufssphäre" nicht Massebestandteil ist, „weil sie nur durch die Tätigkeit des Arztes oder Anwalts existiert, der Schuldner aber nicht im Interesse der Gläubiger zur weiteren Berufsausübung gezwungen werden kann"27. In der Tat wird der „Good-Will" einer freiberuflichen Praxis weitgehend von der Persönlichkeit und den Fähigkeiten ihres Inhabers bestimmt und geprägt. Nicht verkannt werden soll auch, daß die Praxiseinrichtung nur insoweit dem Konkursbeschlag nach § 1 KO unterliegt, als sie gem. § 811 Nr. 5 ZPO nicht zur Fortsetzung der freibe25 Die Entscheidung LG Koblenz NJW 1992, 1241 wird in der Verlautbarung, die von Michael Streck/Bernd Neufang/Wolfgang Wehmeier/Axel Pestke verfaßt worden ist, ausdrücklich abgelehnt. Die Verlautbarung Nr. 9 ist beim StollfußVerlag in Bonn erschienen.
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Jaeger/Henckel
% 29 KO Rdn. 106.
Nach heute allgemeiner Meinung fällt die Arbeitskraft des Gemeinschuldners nicht in die Konkursmasse und ist er nicht verpflichtet, für die Masse tätig zu werden. Vgl. auch O. Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Konkursrecht, 19. Aufl. München 1990 § 4 7 II S. 201. 27
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ruflichen Erwerbstätigkeit erforderlich ist28. So ist ζ. B. die Röntgenanlage eines Zahnarztes nur bedingt pfändbar 29 , wenn keine Gelegenheit für ihn besteht, Röntgenaufnahmen am gleichen Ort ohne besondere Umstände fertigen zu lassen. Da nach geltendem Recht die Arbeitskraft des Schuldners ebensowenig in die Konkursmasse fällt wie Neuerwerb, stellt sich ernstlich die Frage, ob der Freiberufler im Konkursfall nach geltendem und künftigem Recht eine Privilegierung genießt und ob sich diese Privilegierung aus der K O oder InsO rechtfertigen läßt. II. Verwertung und Fortführung der Praxis im Konkurs und Vergleich des Freiberuflers 1. Der gerichtliche Vergleich zur Abwendung
des Konkurses
Das gerichtliche Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses nach der VglO 1935 dient außer im Fall des Liquidationsvergleichs (§ 7 Abs. 4 VglO) der Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners. Der Freiberufler soll durch Fortführung seiner Praxis in die Lage versetzt werden, seinen Beruf weiter auszuüben, um ζ. B. beim Quotenund Erlaßvergleich durch termingerechte Zahlung der Vergleichsquoten mit Aufhebung des Verfahrens eine Restschuldbefreiung zu erlangen. Der gerichtliche Vergleich führt anders als der Konkurs (§ 6 K O ) nicht zum Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des freiberuflich Tätigen. Nach § 39 VglO hat der Vergleichsverwalter lediglich die Geschäftsführung sowie die Ausgaben für die Lebensführung des Schuldners zu überwachen. Die berufsrechtlichen Regelungen sehen nicht vor, daß mit der Eröffnung des Vergleichsverfahrens die Qualifikation oder Zulassung des Berufsangehörigen mit Eröffnung des Vergleichsverfahrens automatisch kraft Gesetzes erlischt oder widerrufen werden muß. Dem Interesse an einer Fortführung der freiberuflichen Praxis kann somit Rechnung getragen werden mit dem Ziel, daß der Freiberufler unter dem Schutzschild des Konkursverbots (§§ 46, 84 VglO) und der Vollstreckungsverbote (§§ 47, 48 VglO) seine Praxis fortführen kann, um nach Zahlung der Restquote die Schuldbefreiung zu erlangen.
28 Vgl. L G Mannheim B B 1974, 1458; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 51. Aufl. § 8 1 1 Rdn. 36; Zöller/Stöber, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl. § 8 1 1 Rdn. 28; MünchKommZPO-Sckilken § 811 Rdn. 26, 27. S. auch W. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht 1970, 349, 360 ff. " O L G Hamm JMBl. N R W 53, 40; Zöller/Stöber, § 8 1 1 Z P O Rdn. 28; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann § 811 Z P O Rdn. 36.
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2. Verwertung und Praxisfortführung im Konkurs a) Die freiberufliche
Praxis als Teil der Konkursmasse
Angesichts der veränderten Rechtsprechung zur Veräußerung und Kommerzialisierung einer freiberuflichen Praxis 30 muß heute die Frage gestellt werden, ob auch die Praxis eines Arztes, Rechtsanwalts, Wirtschaftsprüfers, Steuerberaters oder sonstigen Freiberuflers als Teil der Konkursmasse i. S. von § 1 K O anzusehen ist. Es ist W. Henckel zu folgen, daß die Praxis als Berufssphäre nicht Massebestandteil ist31. Die geltende Konkursordnung bietet keine Handhabe, den Schuldner zu zwingen, seinen Beruf im Interesse der Gläubiger weiter auszuüben. Die eingeschränkte Pfändbarkeit und damit die begrenzte Massezugehörigkeit der Praxiseinrichtung nach §§ 1 K O , 811 Nr. 5 Z P O bietet dem Schuldner nur solange Schutz, wie er seinen Beruf tatsächlich ausübt. Wird ζ. Β. die Zulassung eines Rechtsanwalts wegen Vermögensverfall nach § 1 5 Nr. 1 Β R A O 3 2 zurückgenommen, so entfällt der Schutz nach § 811 Nr. 5 Z P O mit der Folge, daß die gesamte Praxiseinrichtung durch den Konkursverwalter nach den § § 1 1 7 Abs. 1, 1, 6 Abs. 2 K O verwertet werden kann. Gleiches gilt, wenn nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesnotarordnung i. d. F. vom 7. 8. 1981 ( B G B l . I 1981, 803) der Notar wegen Konkurses seines Amtes enthoben wird oder die Bestellung eines Wirtschaftsprüfers nach § 20 Abs. 3 Nr. 1 der Wirtschaftsprüferordnung i. d. F. vom 24. 4. 1986 ( B G B l . I 1986, 560) widerrufen wird 33 . Bei den Heilberufen kann bei Vermögensverfall nicht nur die Berufszulassung unter dem Aspekt der fehlenden Zuverlässigkeit und Würdigkeit entzogen werden, sondern auch die Kassenärztliche Zulassung 34 . Trotz allem stellt sich die Frage, ob wegen der personenorientierten Merkmale einer freiberuflichen Praxis diese vom Konkursbeschlag des § 1 Abs. 1 K O ausgenommen ist. Es entspricht dem Gleichbehandlungsinteresse der Gläubiger und Schuldner, das gesamte einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen durch den Konkursbeschlag zu erfassen. Eine ungerechtfertigte - Privilegierung des Freiberuflers würde dessen Gläubiger in unangemessener Weise benachteiligen.
30 BGHZ 16, 71; 43, 47; BGH NJW 1965, 580; BGH NJW 1973, 98; BFH DB 1994, 2168; BFH ZIP 1994, 1283; LG Darmstadt NJW 1994, 2962. » Jaeger/Henckel § 29 KORdn. 106. 32 Vgl. auch die Regelung in § 141 Nr. 10, § 22 Nr. 1 Patentanwaltsordnung v. 20. 10. 1987. 33 Ahnliches gilt nach § 46 Abs. 3 S. 2 des Steuerberatungsgesetzes i. d. F. vom 9. 6. 1989 / BGBl. I 1989, 1062) für den Widerruf der Bestellung zum Steuerberater, wenn infolge gerichtlicher Anordnung eine Beschränkung in der Verfügung über das Vermögen eingetreten ist. 34 Zur Zulassungsentziehung im Kassenarztrecht vgl. Krauskopf bei Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 26 Rdn. 7 u. § 27 Rdn. 14; Schick NJW 1990, 2359.
V e r w e r t u n g einer freiberuflichen Praxis d u r c h den Verwalter
b) Die persönliche
Qualifikation
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Freiberuflers
Nach geltendem Recht ist der Freiberufler nicht gehindert, trotz Konkurseröffnung über sein Vermögen eine neue freiberufliche Tätigkeit zu beginnen, auch wenn sie inhaltlich mit der bisherigen Tätigkeit übereinstimmt35. Da es dem Konkursverwalter regelmäßig an der erforderlichen spezifischen Berufsqualifikation und Zulassung fehlt, ist er grundsätzlich außerstande, die freiberufliche Praxis des Gemeinschuldners weiterzuführen. Die Praxisunterlagen, vor allem die Krankenunterlagen des Arztes, unterliegen dem Berufsgeheimnis, so daß ohne Zustimmung der Patienten bzw. Klienten eine Übertragung der von der Schweigepflicht (§§ 203, 204 StGB) geschützten Unterlagen regelmäßig ausscheidet56. W. Schick37 hält es für denkbar, daß der Konkursverwalter dem Gemeinschuldner den Neubeginn ermöglicht, indem er ihm die Praxiseinrichtung, an der ihm nach § 6 Abs. 2 K O das Nutzungsrecht zusteht, verkauft oder verpachtet. Wegen der nach § 164 Abs. 1 K O auch nach Konkursbeendigung bestehenden Weiterhaftung des Freiberuflers ist ein Kauf jedoch nur dann sinnvoll, wenn das Konkursverfahren seinen Abschluß findet mit einem schuldbefreienden Zwangsvergleich nach den §§ 173 ff KO. Eine Verpachtung empfiehlt sich meist deswegen nicht, weil auf diese Weise das Konkursverfahren über das Vermögen des Freiberuflers und damit die Befriedigung der Gläubiger über Jahre hingeschleppt wird. Ökonomisch sinnvoll wäre es, ähnlich wie im gewerblichen Bereich eine freiberufliche Praxis auch bei Konkurseröffnung über das Vermögen des Praxisinhabers zumindest zeitweilig fortzuführen38. Voraussetzung ist aber, daß einmal der Gemeinschuldner mitmacht, zum anderen geklärt wird, in welchem Umfang Aufwendungen für die Praxisfortführung nach Konkurseröffnung zu Lasten der Konkursmasse anfallen. Die Tatsache, daß Neuerwerb nach geltendem Recht nicht in die Konkursmasse fällt, wird einen Freiberufler nicht gerade motivieren, eine Praxis im Konkurs fortzuführen, zumal ihm die h. M. die Praxiseinrichtung nach § 811 Nr. 5 ZPO weitgehend beläßt, weil sie nicht dem Konkursbeschlag nach § 1 K O unterfällt. Im übrigen setzt die Fortführung der freiberuflichen Tätigkeit ein Zusammenwirken zwiVgl. Schick N J W 1990, 2359, 2360. " Für die Patientenkartei vgl. insoweit das Urteil des B G H v. 11. 12. 1991 (NJW 1992, 737 = MedR 1992, 104). S. auch Bundschuh ArztR 1992, 111; Rieger MedR 1992, 147; Kuhn/Ublenbruck 11. Aufl. § 1 K O Rdn. 78 a u. § 117 K O Rdn. 14 c. Zur Rechtsanwaltspraxis s. LG Darmstadt N J W 1994, 2962. 37 N J W 1990, 2359, 2360. Der Eintritt des auch der Entscheidung des B F H vom 22. 3. 1994 (ZIP 1994, 1283) zugrundeliegenden „Idealfalles", daß der bisherige Praxisinhaber für die Konkursmasse die Praxis zeitweilig fortführt, wird meist dadurch verhindert, daß - wie im entschiedenen Fall - die Bestellung bzw. Approbation des Praxisinhabers wegen Vermögensverfalls widerrufen wird. 55
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sehen Konkursverwalter und freiberuflichem Gemeinschuldner voraus, denn höchstpersönliche Leistungen wie die Tätigkeit eines Arztes oder Rechtsanwalts kann der Konkursverwalter nicht erzwingen. Etwas anderes läßt sich auch nicht aus der Mitwirkungspflicht des Gemeinschuldners herleiten, denn diese bezieht sich nur auf die Verfahrensabwicklung und nicht auf die Praxisfortführung. 3. Die Verwertung der Patienten-, Kunden- und im Konkurs
Klientenkartei
Es entspricht heute allgemeiner Meinung, daß die persönlichen Unterlagen einer Arztpraxis, Zahnarztpraxis, Rechtsanwaltskanzlei, eines Notariats, einer Steuerberatungspraxis oder eines Wirtschaftsprüferbüros nicht in die Konkursmasse des Freiberuflers fallen 39 . Eine neuere Auffassung 40 hält den Konkursverwalter für berechtigt, unter den Kautelen, die der B G H in seinem Urteil vom 11. 12. 199141 für den Verkauf einer Arztpraxis entwickelt hat, eine Arzt-, Zahnarzt- oder Rechtsanwaltspraxis auch im Konkurs durch Übertragung auf einen Dritten zu verwerten. Zutreffend wird von dieser Mindermeinung darauf hingewiesen, daß der Schutz der persönlichen Unterlagen einer freiberuflichen Praxis letztlich nicht dem Schutz des Praxisinhabers, also des Freiberuflers dient, sondern ausschließlich dem Schutz der Klienten, Mandanten und Patienten. Diesem Schutz werde Genüge getan, wenn entweder die Zustimmung der Kunden, Klienten oder Patienten hinsichtlich der Übertragung eingeholt werde oder diesen die Möglichkeit gegeben werde, den Geschäftspartner, Steuerberater, Rechtsanwalt oder Arzt zu wechseln 42 . Der Konkursverwalter - auch wenn er selbst Rechtsanwalt, 39
Jaeger/Henckel § 1 K O Rdn. 12; § 29 K O Rdn. 106; Kilger/Karsten Schmidt § 1 K O Anm. 2 D a) bb); Kuhn/Uhlenbruck 10. Aufl. § 1 K O Rdn. 78 a u. § 117 K O Rdn. 14 c; Häsemeyer, Insolvenzrecht S. 177. 40 Bertbold Riexing, Die Betriebsfortführung durch den Konkursverwalter, Berlin 1987, S. 49; Heß/Kropshofer § 1 K O Rdn. 85; Kuhn/Uhlenbruck 11. Aufl. § 117 K O Rdn. 14 c. 41 MedR 1992, 104. Vgl. auch B G H Z 115, 123 = N J W 1991, 2955; B G H Z 116, 268 = N J W 1992, 737; B G H N J W 1992, 2348; O L G Köln N J W 1993, 793; O L G Hamm N J W 1993, 791; Bongen/Kremer N J W 1990, 2911; Körner-Dammann N J W 1992, 729; Taupitz M D R 1992, 421; Pape WPrax Heft 18/1994, S. 2, 4. Wie die Rechtsprechung zur Übertragbarkeit freiberuflicher Praxen zeigt, greift die Vorschrift des § 851 Z P O für die Übertragung nicht ein, so daß auch aus diesem Grunde kein Anlaß besteht, die Freiberuflerpraxis vom Konkursbeschlag auszunehmen. Auch die neuere Rechtsprechung zur eingeschränkten Übertragbarkeit von Honorarforderungen kann nicht dazu führen, daß die Gläubiger des freiberuflichen tätigen Gemeinschuldners erheblich schlechter gestellt werden, als die des gewerblich tätigen Schuldners (zutreffend Pape aaO, S. 3). 42 So zutreffend B. Riering, Die Betriebsfortführung durch den Konkursverwalter, S. 49; grundlegend auch Heinrich Hubmann, Die Zwangsvollstreckung in Persönlichkeitsund Immaterialgüterrechte, Festschrift für Heinrich Lehmann z. 80. Geburtstag, Berlin/ Frankfurt/Tübingen 1956, S. 812, 818.
Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Verwalter
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Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater ist - ist nicht berechtigt, in die Klientenkartei eines Kollegen oder die Patientenkartei eines Arztes ohne Zustimmung der Klienten bzw. Patienten Einsicht zu nehmen. Andererseits muß ihm die Möglichkeit eröffnet werden, wie beim freihändigen Verkauf einer freiberuflichen Praxis mit Zustimmung der Beteiligten auch die persönlichen Unterlagen des Freiberufler-Gemeinschuldners auf einen Dritten zu übertragen, vor allem, wenn dieser die berufliche Qualifikation besitzt und ebenfalls der beruflichen Schweigepflicht unterliegt. Bislang hat sich der B G H hinsichtlich der Frage, in welcher Form der Patient der Übergabe seiner Krankenunterlagen an den Praxisnachfolger des behandelnden Arztes zustimmen muß, nicht festgelegt. Handelt es sich um elektronisch abgespeicherte Behandlungsunterlagen, so ergibt sich nach Auffassung des B G H aber das Erfordernis einer schriftlichen Zustimmung des Patienten (§ 4 Abs. 2 S. 2 BDSG), wenn die Übergabe an den Praxisnachfolger als „Übermittlung" i. S. des § 3 Abs. 5 BDSG anzusehen ist43. Nichts anderes gilt für Patientenunterlagen, die manuell geführt werden. Auch für den Konkursverwalter greift zugunsten der Patienten bzw. Klienten der Schutz des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein, wonach bestraft wird, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm als Arzt, Zahnarzt, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist. Seit dem Urteil des B G H vom 11. 12. 1991 kann die Auffassung nicht mehr aufrechterhalten werden, die geschützte Geheimnisphäre werde durch Veräußerung der Praxis einschließlich Klienten- bzw. Patientenkartei nicht durchbrochen, da der Erwerber ebenfalls der Verschwiegenheitspflicht als Arzt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Rechtsanwalt unterliege. Der Geheimnisschutz im Hinblick auf die Patienten- bzw. Klientendaten besteht ebenso wie der Datenschutz auch gegenüber einem Erwerber, der selbst der beruflichen Verschwiegenheitspflicht unterliegt. In der Praxis sind Vorschläge gemacht worden 44 , wie man im Fall einer Praxisveräußerung den Anforderungen der Rechtsprechung genügen kann. Möglich ist, daß der Konkursverwalter trotz Veräußerung den alleinigen Gewahrsam an den gesamten Unterlagen behält. Dabei kann die Patienten- oder Klien-
43
Roßnagel N J W 1989, 2303, 2304; Rieger MedR 1992, 147, 148. " Vgl. H.-J. Rieger, Praxisverkauf und ärztliche Schweigepflicht, MedR 1992, 147 ff. Zutreffend der Hinweis von G. Pape (WPrax H e f t 18/1994 S. 4), daß es dem Verwalter im Insolvenzfall verboten ist, Einsicht in die personenbezogen Karteien und Akten des vormals freiberuflich tätigen Gemeinschuldners zu nehmen. Der Aspekt der beruflichen und standesmäßigen Verschwiegenheitspflicht kann aber nicht dazu führen, die Verwertung der freiberuflichen Praxis im Konkurs zu verneinen. Richtig ist allerdings, daß die Schweigepflicht zu erheblichen Erschwerungen des Verfahrens führt. So dürfte eine Betriebsfortf ü h r u n g ohne Mitwirkung des Schuldners kaum jemals in Betracht kommen.
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Wilhelm Uhlenbruck
tenkartei verschlossen in den vom Übernehmer nunmehr genutzten Praxisräumen verbleiben. Setzen Klienten oder Patienten die Behandlung bzw. das Vertragsverhältnis fort, ist hierin das Einverständnis zu sehen, daß der Erwerber in die Unterlagen Einsicht nimmt. Das Besitzmittlungsverhältnis muß allerdings im Praxisübernahmevertrag vereinbart werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, daß der Konkursverwalter als Praxisveräußerer dem Praxisübernehmer den verschlossenen Aktenschrank mit den persönlichen Unterlagen der Patienten oder Klienten übergibt. Der Erwerber erhält den Schlüssel zu diesem Schrank, verpflichtet sich jedoch im Praxisübernahmevertrag, die Unterlagen für den Veräußerer zu verwahren und diese nur in Anwesenheit der Patienten bzw. Klienten, die bei ihm als Praxisnachfolger erscheinen, herauszunehmen und in seine neuangelegte Kartei umzusortieren 45 . Es ist kein Grund ersichtlich, warum diese Lösungsansätze nicht auch für die Verwertung freiberuflicher Praxen durch einen Konkursverwalter nutzbar gemacht werden sollten. III. Verwertung und Fortführung der freiberuflichen Praxis nach dem Insolvenzrechts-Reformgesetz 1994 Der Deutsche Bundestag hat am 21. April und am 17. Juni 1994 aufgrund der Beschlußempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Insolvenzordnung (InsO)46 in der Fassung der Bundestags-Drucksachen 336/94 und 397/94 verabschiedet. Für die am 1. Januar 1999 in Kraft tretende InsO47 ergeben sich hinsichtlich der Verwertung freiberuflicher Praxen wesentliche Veränderungen gegenüber dem geltenden Recht. 1. Erweiterter
Begriff der
Insolvenzmasse
Nach § 35 InsO erfaßt das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Im Gegensatz zum geltenden Konkursrecht wird somit künftig auch der Neuerwerb eines Schuldners während des Verfahrens zur Insolvenzmasse gezogen. Dies hat vor allem Bedeutung für Einkünfte, die eine natürliche Person aus einer beruflichen Tätigkeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezieht. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es, der Gesetzentwurf verfolge das Ziel, auch nicht unternehmerisch tätigen Perso45 46 47
So auch Rieger MedR 1992, 147, 150. Bundestags-Drucksache 12/2443. BGBl. 1 1994 S. 2866 u. 2911.
Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Verwalter
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nen die Möglichkeit zu geben, ihre Schulden im Insolvenzverfahren zu bereinigen. Die Neuregelung in § 35 InsO eröffnet zudem einem freiberuflichen Schuldner die Möglichkeit, nach § 287 Abs. 2 S. 1 InsO seine Einkünfte aus der Praxis für die Zeit von 7 Jahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abzutreten mit dem Ziel, eine Rechtsschuldbefreiung zu erlangen. Auch kann der Freiberufler als natürliche Person, die nur eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (§ 304 Abs. 1 InsO), ein Verbraucherinsolvenzverfahren nach Maßgabe der §§ 304 ff InsO mit dem Ziel beantragen, durch einen Schuldenbereinigungsplan von seinen Verbindlichkeiten befreit zu werden. 2. Die Möglichkeiten
der Verwertung einer freiberuflichen nach der InsO
a) Das
Praxis
Eröffnungsverfahren
Stellt der freiberuflich tätige Schuldner selbst oder ein Gläubiger Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), so kann nach § 21 Abs. 1 InsO das Insolvenzgericht alle Maßnahmen treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Insbesondere kann das Gericht dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen und einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stillegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden. Ob bei einer freiberuflichen Praxis von einem „Unternehmen" gesprochen werden kann, wird letztlich zu bejahen sein. Da der Unternehmensbegriff in § 22 Abs. 1 InsO weit zu fassen ist, wird man den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, für verpflichtet ansehen müssen, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch eine freiberufliche Praxis weiterzuführen. Dabei ergeben sich schon die ersten Schwierigkeiten, denn der vorläufige Insolvenzverwalter besitzt in der Regel nicht die Qualifikation, die die Berufsausübung voraussetzt. Hier gilt die Feststellung von W. Schick'*, daß es, wenn die freiberufliche Tätig-
48 N J W 1990, 2359, 2361. Zutreffend der Hinweis von Pape (WPrax Heft 1 8 / 1 9 9 4 S. 5), daß der Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht befugt ist, in die geschützten Unterlagen des Gemeinschuldners Einblick zu nehmen und dessen Tätigkeit fortzuführen, auch wenn
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keit auch nur vorübergehend auf der bisherigen Grundlage weitergeführt werden soll, darauf ankommt, beides, nämlich Qualifikation und Berufsausübung, wieder zusammenzuführen. Wegen der Möglichkeit einer Restschuldbefreiung wird der Freiberufler künftig schon im Eröffnungsverfahren alles daransetzen, den Good-Will-Wert seiner Praxis durch Fortführung zu erhalten und einen sanierenden Insolvenzplan nach den §§ 253 ff InsO anzustreben. b) Die Liquidation der Praxis Wird die freiberufliche Praxis nicht nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO mit Zustimmung des Insolvenzgerichts bereits im Eröffnungsverfahren stillgelegt, um eine erhebliche Verminderung des Haftungsvermögens zu vermeiden, so bestimmt die Gläubigerversammlung im Berichtstermin, der nicht über 6 Wochen angesetzt werden soll und nicht über 3 Monate hinaus ab Verfahrenseröffnung angesetzt werden darf (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO), den weiteren Fortgang des Verfahrens. Nach § 156 Abs. 1 S. 2 InsO hat der Insolvenzverwalter im Berichtstermin darzulegen, ob Aussichten bestehen, die Praxis des Schuldners im ganzen oder in Teilen zu erhalten, und welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen. Sodann beschließt die Gläubigerversammlung im Berichtstermin, ob die Praxis des Schuldners stillgelegt oder vorläufig weitergeführt werden soll (§ 157 S. 1 InsO). Wird die Liquidation beschlossen, hat der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin das zur Insolvenzmasse gehörende Schuldnervermögen unverzüglich zu verwerten (§ 159 InsO). Zur Übertragung der freiberuflichen Praxis des Schuldners hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses, wenn ein solcher nicht bestellt ist, die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen (§ 160 Abs. 1, 2 Nr. 1 InsO). Bei der Liquidation einer freiberuflichen Praxis treten die gleichen Probleme auf wie bei einer Verwertung im Konkurs. Auch hier wird man mit einer neueren Auffassung annehmen müssen, daß der Insolvenzverwalter berechtigt ist, die Praxis durch Veräußerung zu verwerten und lediglich die Grundsätze zu beachten hat, die die Rechtsprechung im Hinblick auf den Datenschutz und das Berufsgeheimnis für die Veräußerung freiberuflicher Praxen entwickelt hat. c) Die Fortführung der freiberuflichen Praxis im eröffneten Insolvenzverfahren Nach § 218 Abs. 1 S. 1 InsO sind zur Vorlage eines Insolvenzplanes an das Insolvenzgericht der Insolvenzverwalter und der Schuldner beer selbst über die notwendige Qualifikation zur Fortführung der gemeinschuldnerischen Praxis verfügt. Im Regelfall ist eine Fortführung nur unter Einschaltung und Mitwirkung des Schuldners möglich.
Verwertung einer freiberuflichen Praxis durch den Verwalter
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rechtigt. Stimmen die Gläubiger im eröffneten Insolvenzverfahren einem vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplan zu, erfolgt die Sanierung im Wege des Insolvenzplans, der vom Gericht bestätigt und bekanntgemacht wird (§§ 248, 252 InsO). In der Regel wird jedoch der Freiberufler zur Bewältigung seiner Insolvenz das in den §§ 304 ff InsO geregelte Verbraucherinsolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung wählen49. Das „Verbraucherinsolvenzverfahren" ist nicht auf notleidende Konsumentenkredite beschränkt. Vielmehr erschien es dem Gesetzgeber sinnvoll, den Anwendungsbereich auch auf diejenigen natürlichen Personen zu erstrecken, die nur eine geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben (§ 304 Abs. 1 InsO). Für den Freiberufler stellt sich zunächst einmal die Frage, ob ζ. B. der Arzt eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit i. S. von § 304 Abs. 1 InsO ausübt. Letztlich wird man dies ebenso bejahen müssen wie für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts, Notars, Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters. Nach § 304 Abs. 2 InsO ist eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit insbesondere dann geringfügig, wenn sie nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Die freiberufliche Praxis wird im Regelfall den Anforderungen des § 304 InsO gerecht. aa) Fortbestehen der persönlichen Qualifikation des Schuldners Ein Verbraucherinsolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung kommt für den Freiberufler nur dann in Betracht, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht zum Wegfall bzw. Entzug der Erlaubnis zur Ausübung des Berufes führt. Durch das Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung ( E G InsO) 5 0 sind sowohl die Bundesnotarordnung in § 50 Abs. 1 Nr. 5 als auch die Bundesrechtsanwaltsordnung in §§ 7 Nr. 9, 14 Nr. 7 geändert worden. So ist ζ. B. die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 B R A O ) . Eine ähnliche Regelung findet sich in § 46 Abs. 2 Nr. 5 des Steuerberatungsgesetzes (Art. 62 E G InsO) 51 . Das künftige Insolvenzverfahren hat nicht zwingend ein allgemeines Verfügungsverbot für den Schuldner zur Folge. Vielmehr kann auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Freiberufler-Schuldner unter Aufsicht eines Treuhänders die Verfügungsbefugnis über
w Vgl. R. Schmidt-Räntsch, Das neue Verbraucherinsolvenzverfahren, M D R 1994, 321 ff. 5= Bundesrats-Drucksache 337/94. S1 Gleiches gilt nach § 21 Abs. 2 der Patentanwaltsordnung vom 7. September 1966 ( B G B l . I S. 557), der durch Art. 57 E G InsO entsprechend geändert worden ist.
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sein Vermögen belassen werden (§§ 313 Abs. 1, 292 Abs. 2 InsO). Im übrigen wird nach künftigem Recht das Verbraucherinsolvenzverfahren ebenso wie ein Restschuldbefreiungsverfahren grundsätzlich nicht dazu führen, eine Zulassung bzw. Approbation wegen Vermögensverfalls zu widerrufen. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Interessen der Patienten, Auftraggeber oder Klienten durch den Vermögensverfall des Freiberuflers gefährdet sind. bb) Die Sanierung des Freiberuflers nach der Insolvenzordnung Künftig hat der Freiberufler zwei gesetzliche Möglichkeiten, von seinen Verbindlichkeiten freizukommen: Einmal durch Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff InsO; zum anderen nach dem Verbraucherinsolvenzverfahren nach den §§ 304 ff InsO. Bei der Restschuldbefreiung sind nach § 302 InsO ausgenommen Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sowie Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten. Dem gerichtlichen Verbraucherinsolvenzverfahren hat ein außergerichtlicher Einigungsversuch vorauszugehen, der erfolglos geblieben ist (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Im übrigen haben Gläubiger und Schuldner an dem Verbraucherinsolvenzverfahren mitzuwirken. So hat der Schuldner einen Schuldenbereinigungsplan vorzulegen, der alle Regelungen enthalten kann, die unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen sowie der Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse des Schuldners geeignet sind, zu einer angemessenen Schuldenbereinigung zu führen (§ 305 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Die Gläubiger werden verpflichtet, konstruktiv an dem Zustandekommen einer Einigung mitzuwirken. So haben sie u. a. eine detaillierte schriftliche Aufstellung ihrer Forderungen kostenlos zu erteilen. Insbesondere haben sie dem Schuldner die Höhe ihrer Forderungen und deren Aufgliederung in Hauptforderung, Zinsen und Kosten anzugeben. O b die Finanzbehörden dieser Pflicht nachzukommen vermögen, ist zumindest zweifelhaft. Das Insolvenzgericht stellt den vom Schuldner genannten Gläubigern das Vermögensverzeichnis, das Gläubigerverzeichnis, das Forderungsverzeichnis sowie den Schuldenbereinigungsplan zu und fordert die Gläubiger zugleich auf, binnen einer Notfrist von einem Monat hierzu Stellung zu nehmen (§ 307 Abs. 1 S. 1 InsO). Dem Grundgedanken der Vertragsfreiheit, der das Verbraucherinsolvenzverfahren beherrscht, entspricht es, dem freiberuflichen Schuldner die Praxiswerte in vollem Umfang zu belassen, damit aus dem erwirtschafteten Einkommen die Gläubiger befriedigt werden. Fehlende Zustimmungen zu dem Schuldenbereinigungsplan können nach § 309 Abs. 1 InsO durch gerichtlichen Beschluß auf Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners ersetzt werden, wenn dem Plan mehr als die Hälfte der benannten Gläubiger
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zugestimmt hat und die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der Gläubiger beträgt. Voraussetzung für die Zustimmungsersetzung durch das Gericht ist, daß der Plan keinen Gläubiger diskriminiert und allen Gläubigern nicht weniger bietet, als sie bei der Durchführung eines Insolvenzverfahrens erhalten würden. Der auf diese Weise zustande gekommene Schuldenbereinigungsplan hat die Wirkungen eines Prozeßvergleichs. cc) Vereinfachtes
Insolvenzverfahren
Scheitert das Verfahren des Freiberuflers über den Schuldenbereinigungsplan, so wird nach künftigem Recht ein vereinfachtes Verbraucherinsolvenzverfahren durchgeführt. Bei der Eröffnung des Verfahrens wird abweichend von § 29 InsO nur ein Prüfungstermin bestimmt ( § 3 1 2 Abs. 1 InsO). In einfach gelagerten Fällen kann das Kleinverfahren auch ganz oder teilweise schriftlich durchgeführt werden ( § 3 1 2 Abs. 2 InsO). Die Verbraucherinsolvenz trägt dem Umstand Rechnung, daß im Regelfall verwertungsfähige Masse beim Schuldner nicht oder in nicht nennenswertem Umfang vorhanden ist.
IV. Schlußbetrachtung Nach geltendem Recht fällt die Arbeitskraft des Gemeinschuldners nicht in die Konkursmasse und ist dieser nicht verpflichtet, für die Masse tätig zu werden. Vielmehr ist Neuerwerb konkursfrei. Eine Privilegierung des Freiberuflers ist im Hinblick auf die berufliche Geheimhaltungspflicht und die Klienten-, Kunden- oder Patientenkartei deswegen nicht gerechtfertigt, weil die Rechtsprechung inzwischen auch die Veräußerung solcher Gegenstände grundsätzlich für zulässig hält, die der Geheimhaltungspflicht unterliegen 52 . Ebenso wie bei der Veräußerung einer freiberuflichen Praxis hat der Konkursverwalter bei der Verwertung die Interessen der Klienten, Kunden oder Patienten zu wahren. Wie der Veräußerer ist er an das Datenschutzgesetz und die strafrechtliche Vorschrift des § 203 StGB gebunden. Die Problematik einer Verwertung freiberuflicher Praxen in der Insolvenz ist nach der künftigen Insolvenzordnung weitgehend entschärft. Der Freiberufler hat die Möglichkeit, im Wege der Restschuldbefreiung, im Verfahren über den Schuldenbereinigungsplan oder im vereinfachten Insolvenzverfahren seine Einkünfte aus der Praxis den Gläubigern ganz oder teilweise für eine bestimmte Zeit zur Verfügung zu stellen, um nach Ablauf " Inzwischen wird schon die Frage erörtert, ob Honorarforderungen von Anwälten, Ärzten und Zahnärzten überhaupt pfändbar sind. Vgl. hierzu H. Diepold M D R 1993, 835 ff.
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der Frist Restschuldbefreiung zu erlangen. Die Liquidation der Freiberufler-Praxis durch den Insolvenzverwalter wird künftig die Ausnahme sein. Schließlich bildet auch das Instrument der in den §§ 270 ff InsO geregelten Eigenverwaltung dem Freiberufler die Möglichkeit, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Auch hierdurch eröffnet das Reformgesetz eine weitere Möglichkeit, durch Erfüllung eines im Auftrag der Gläubigerversammlung ausgearbeiteten Insolvenzplans zu einer Restschuldbefreiung zu gelangen.
Keine Erstattung der Finanzierungskosten des Käufers bei Wandlung des verbundfinanzierten Kaufvertrages? MAX VOLLKOMMER
I. Wird der mit einem Kreditvertrag i. S. des § 9 I VerbrKrG „verbundene" Kaufvertrag gewandelt (§§ 459, 462, 465 B G B ) , „so muß das gesamte Vertragswerk rückabgewickelt werden" 1 . Im Zeitpunkt des Wandlungsvollzugs haben i. d. R. alle drei Verbundbeteiligten untereinander Leistungen erbracht. Vom Kreditgeber ist der „Nettokreditbetrag" dem Verkäufer „zugeflossen" (vgl. die Formulierung in § 9 II 4 VerbrKrG), der Verkäufer hat die Kaufsache an den Käufer (Verbraucher) ausgeliefert, der sie bis zur Wandlungserklärung (möglicherweise auch noch danach) genutzt hat; der Käufer (Verbraucher) hat i. d. R. eine Anzahlung an den Verkäufer und Kreditraten an den Kreditgeber bezahlt. Nicht zweifelhaft sein kann, daß die Rückabwicklung im Ergebnis dazu führen muß, daß der Verkäufer die Kaufsache zurückerhält (verbunden mit einer zu entrichtenden Nutzungsentschädigung für den erfolgten Gebrauch der Sache), der Käufer (Verbraucher) die geleistete Anzahlung und die (vollen?) an den Kreditgeber geleisteten Raten und der Kreditgeber (jedenfalls) die ausgezahlte Nettokreditsumme. Große Unsicherheit besteht aber darüber, wie die „Rückabwicklung des Vertragswerks" im einzelnen durchzuführen ist. Kann der Käufer (Verbraucher), dem gegen den Kreditgeber doch nur ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht (§ 9 III 1 VerbrKrG), die geleisteten Raten unmittelbar vom Kreditgeber, dieser die Darlehensrückzahlung vom Verkäufer, dieser wiederum die Sache vom Käufer verlangen? Oder sind die Leistungen im Rahmen der geschlossenen Vertragsverhältnisse „übers Dreieck" rückabzuwickeln? 2 Im Gegensatz zur zweiseitigen Rückabwicklung nach Widerruf, bei der das beendete Kreditverhältnis „führt" (vgl. § 9 II 4 VerbrKrG), fehlt eine Regelung für die Rückabwicklung Bruchner/Ott/Wagner-Wieduwilt, VerbrKrG, 2. Aufl. 1994, § 9 Rdn. 127. So etwa Reinking/Nießen, ZIP 1991, 634, 635; vgl. zum Streitstand etwa Erman/ Klingsporn-Rebmann, B G B 9. Aufl. 1993, $ 9 VerbrKrG Rdn. 21 einerseits; Graf v. Westphalen/Emmerich/Kessler, VerbrKrG, 1991, § 9 VerbrKrG Rdn. 97 ff, 101 ff andererseits; eingehend zum ganzen Dauner-Lieb, Verbraucherschutz bei verbundenen Geschäften (§ 9 VerbrKrG), W M Sonderbeilage N r . 6/1991, S. 24 ff. 1
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Max Vollkommer
nach vollzogener Wandlung (kaufrechtliche Rückabwicklung); das Verb r K r G enthält insoweit eine Lücke 3 . Deren Schließung durch Entwicklung einer zweiseitigen Rückabwicklung unter Führung des Kreditverhältnisses ( § 9 II 4 VerbrKrG entspr) wäre wenig sinnvoll, da für die Klärung der Mangelhaftigkeit der Kaufsache im Streitfall nicht Kreditgeber und Verbraucher die „richtigen Parteien" sind; das sind allein die Kaufvertragsparteien. Daß sich der „Gesetzgeber" die gebotene „ökonomische Vertragsabwicklung" unter den Verbundbeteiligten bilateral unter „Führung" des Kaufvertragsverhältnisses vorgestellt hat, wird aus der Entwurfsbegründung 4 im Zusammenhang mit der Erläuterung des von den Beschränkungen der Subsidiarität befreiten - Einwendungsdurchgriffs deutlich. Nach der bisherigen Rechtslage mußte der Verbraucher vor Geltendmachung seines Leistungsverweigerungsrechts gegenüber dem Kreditgeber versucht haben, seine Rechte in zumutbarer Weise gegen den Verkäufer durchzusetzen 5 . Die Zurückdrängung des Grundsatzes der Subsidiarität führt im Ergebnis zu einer Verlagerung der Rückabwicklung in das Verhältnis der Kaufvertragsparteien. Wörtlich heißt es in der Begründung: „Die sofortige Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts gegenüber dem Kreditgeber dient nämlich einer ökonomischen Vertragsabwicklung. Der Kreditgeber kann sein Vertragsverhältnis zum Verkäufer von vornherein so gestalten, daß er leicht Regreß nehmen kann (ζ. B. indem er sich eine Bürgschaft einräumen läßt). Bei Insolvenz des Verkäufers trägt der Kreditgeber ohnehin das Risiko des Geschäfts" 6 . Kann aber der Kreditgeber im Fall des Leistungsverweigerungsrechts „sofort" beim Verkäufer in Höhe der Restdarlehenssumme „Regreß" nehmen, muß er gleichzeitig seinen Restdarlehensanspruch gegen den Verbraucher an den Verkäufer abtreten. 7 Bei der allein zwischen den Kaufvertragsparteien stattfindenden Abrechnung wird das Restdarlehen mit dem Kaufpreisrückzahlungsanspruch des Verbrauchers verrechnet, so daß es zu einer Anzahlung und Raten übersteigenden Zahlung des Verkäufers mit der Folge eines Bereicherungsausgleichs zwischen Käufer und Kreditgeber nicht kommt 8 . Im Dauner-Lieb, aaO S. 24 („sehr empfindliche Lücke"); 30. Entwurf eines Gesetzes über Verbraucherkredite, zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze, BT-Drucksache 11/5462. 5 Begründung des Entwurfs, S. 23. 6 Begründung des Entwurfs, S. 23/24 (Hervorhebungen von mir); dazu krit. - nicht überzeugend - Dauner-Lieb, aaO S. 24 f. Hinsichtlich seines Rückforderungsanspruchs trägt der Verbraucher (Käufer) - anders als bei dreiseitiger Rückabwicklung (vgl. dazu L G Braunschweig aaO, Fn. 9) - gleichfalls das Insolvenzrisiko des Verkäufers. 7 Vgl. die Fallgestaltungen in L G Hagen MDR 1994, 251 = N J W - R R 1994, 1260 und L G Bonn N J W - R R 1993, 1269. ' Abw. das ohne Abtretung des Darlehensrestanspruchs konzipierte „Verbrauchermodell" von Dauner-Lieb; danach ist „der Darlehensrückzahlungsanspruch des Kreditgebers im Wege der Kaufrückzahlung abzüglich bereits gezahlter Raten und einer eventuellen 3
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Finanzierungskosten und Wandlung des verbundfinanzierten Kaufvertrages
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Mittelpunkt des Interesses stand bisher die Frage nach der „richtigen" Abwicklungskonstruktion''. Die weitere Frage, ob die in den vom Verbraucher geleisteten Raten enthaltenen Zins- und Kostenanteile dem Kreditgeber oder seinem Rechtsnachfolger, dem Verkäufer, verbleiben, oder ob dem Verbraucher (auch) die in den Raten enthaltenen Kreditkosten zu erstatten sind, ist bisher nicht behandelt, allenfalls beiläufig angedeutet worden. So heißt es etwa im Zusammenhang mit der Erörterung eines im Verhältnis Kreditgeber/Verbraucher durchzuführenden Rückabwicklungsmodells bei Dauner-Lieb: „...im Ergebnis (kann) wertungsmäßig kein Zweifel daran bestehen, daß der Kreditgeber bei Abwicklung der Wandlung den Nettokaufpreis nur in Höhe der noch offenen Darlehensforderung behalten könnte und der Rest dem Verbraucher zustände. Offen wäre lediglich, ob der Kreditgeber Kosten- und Zinsanteile abziehen könnte, oder ob er dem Verbraucher die vollen Raten incl. Zinsanteile zurückerstatten müßte"'0. In der Folge kommt Dauner-Lieb nicht mehr auf die aufgeworfene Frage zurück. Sie ist Gegenstand von zwei neuen Entscheidungen von Landgerichten, die übereinstimmend gegen den Käufer (Verbraucher) entschieden haben". Da weitere Stellungnahmen in Schrifttum und Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nicht vorliegen, die Frage andererseits von erheblicher praktischer und theoretischer Bedeutung ist, soll sie in diesem Wolfram Henckel gewidmeten Beitrag erstmals aufgegriffen werden. Im wissenschaftlichen Werk des Jubilars bildet die Erforschung der Wechselbeziehungen, Querverbindungen und Gemeinsamkeiten von scheinbar Getrenntem ein Leitthema12; so darf die Behandlung eines „Verbund"-Problems auf das Interesse des Jubilars hoffen. II. Im Ausgangsfall des LG Hagen tritt das Problem geradezu klassisch in Erscheinung 13 . Der Kläger, ein Verbraucher, hatte vom Beklagten, einem Pkw-Hersteller, am 25. 2. 1992 einen fabrikneuen Pkw zum Preis Anzahlung" vom Käufer zu erfüllen; im Prozeß des Käufers gegen den Verkäufer auf Rückzahlung des „vollen Kaufpreises" wird Antragstellung auf „Zahlung direkt an den Kreditgeber" erwogen, soweit „diesem der Rückforderungsbetrag zusteht"; vgl. DaunerLieb, aaO, S. 27. 9 Vgl. nur die Nachw. oben Fn. 2; ferner zuletzt LG Braunschweig NJW 1994, 2701 = JuS 1995, 73 (Emmerich). Dauner-Lieb, aaO S. 26 (Hervorhebungen von mir). " LG Hagen (zust. Palandt/Putzo, BGB, 54. Aufl. 1995, VerbrKrG § 9 Rdn. 14), LG Bonn, je aaO (oben Fn. 7). 12 Wolfram Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 1 ff. 13 Im Berufungsurteil des LG Hagen ist gem. § 543 I Z P O von der Darstellung des Tatbestands abgesehen; die Angaben im Text beruhen auf dem nicht veröffentlichen Urteil der Vorinstanz; vgl. AG Iserlohn, Urteil vom 11.3. 1993, 41 C 693/92.
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von 26 555 D M gekauft und zweckbestimmt für diesen Vertrag einen Nettokredit in Höhe von 16 555 D M bei einer mit dem Hersteller zusammenarbeitenden Bank aufgenommen. Am 7. 7. 1992 erklärte der Kläger die Wandlung, am 17. 8.1992 der Beklagte dazu sein Einverständnis. In der Zeit bis zur Wandlung hatte der Kläger auf den Kredit Raten in Höhe von 1688,56 DM entrichtet. Die noch offene Kreditsumme ist von der Bank an den Beklagten abgetreten worden. Bei Rückgabe des Kfz war der Kläger 6953 km gefahren, die dem Beklagten zustehende Nutzungsentschädigung betrug unstreitig 1181 DM. Nach Abrechnung zwischen den Kaufvertragsparteien, die zu einer Zahlung an den Kläger geführt hatte, forderte der Kläger vom Beklagten noch einen Restbetrag, bei dessen Berechnung er davon ausging, daß er keine (zeitanteiligen) Zinsen und Kosten für den Kredit schulde. Das AG Iserlohn ist insoweit der Berechnung des Klägers gefolgt und hat sich auf den Rechtsgedanken aus § 9 VerbrKrG gestützt. Die Berufung des Beklagten führte zur Abweisung der Klage. Den Ausgangspunkt der Begründung des LG bildet der (negative) Befund, es existiere keine gesetzliche Regelung des Inhalts, „daß der Käufer im Falle der Wandlung eines verbundfinanzierten Kaufvertrags die Kosten der zeitweiligen Kreditanspruchnahme nicht zu tragen" habe. Irgendein Hinweis im Gesetz oder auch nur in den Gesetzgebungsmaterialien, daß eine solche zeitanteilige Erstattung von Zinsen und Kosten an den wandelnden oder mindernden Käufer gewollt gewesen sein könnte, lasse sich nicht finden. Dagegen spreche jedenfalls, daß eine Belastung des Kreditgebers mit den Kreditkosten auf eine sonst mit der Wandlung nicht verbundene Bestrafung hinausliefe, denn der Verkäufer habe nur den Kaufpreis zurückzuzahlen. Einen Ersatzanspruch (in Höhe der Kreditkosten) gegen den Verkäufer habe der Kreditgeber nicht, da dieser nicht Kreditnehmer sei. Der Verkäufer habe lediglich den Nettokredit im Rahmen seiner RückZahlungsverpflichtung an den Käufer an dessen Kreditgeber zurückzuzahlen. Auch die maßgeblichen Billigkeitserwägungen müßten nach Auffassung des LG dazu führen, die betreffenden Kreditkosten dem Käufer aufzubürden. Brauchte der Käufer, der den Kaufpreis ganz oder teilweise über einen Verbundkredit aufbringe, im Falle einer Wandlung überhaupt nichts dafür zu bezahlen, daß er bis dahin fremdes Kapital eingesetzt hat, wäre er gegenüber denjenigen, die den Kauf entweder mit eigenem Geld oder mit einem Nicht-Verbundkredit finanziert hätten, grundlos bevorzugt. Niemand erstatte nämlich dem Käufer, der den Kauf mit eigenem Geld finanziert hat, im Falle einer Wandlung die bis dahin entgangenen Zinsen; niemand nehme dem Käufer, der den Kauf mit einem Nicht-Verbundkredit finanziert hat, im Falle der Wandlung die Verpflichtung ab, gegenüber seinem Kreditgeber für die Kosten der
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zeitweiligen Kreditinanspruchnahme aufzukommen. Den Käufer bei der Wandlung des verbundfinanzierten Kaufvertrags doppelt zu belasten, nämlich zum einen mit der Erstattung der Nutzung des Kaufgegenstandes und zum anderen mit der Bezahlung der Kosten für den bis dahin in Anspruch genommenen Verbundkredit, sei auch keineswegs unbillig, denn dieser Käufer habe auch einen doppelten Nutzen gehabt, da er zum einen den Kaufgegenstand und zum anderen das fremde Kapital genutzt habe. Zu berücksichtigen sei schließlich, daß der Käufer im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrags für die Zeit bis zur Wandlung 4 % Zinsen auf den Kaufpreisbetrag erhalte. Werde er jedoch solcherart zu seinem Vorteil so behandelt, als habe er für den Kauf eigene Geldmittel eingesetzt, die er entweder bereits hatte oder sich auf seine Kosten beschafft hat, könne er billigerweise nicht beanspruchen, von diesen Geldbeschaffungskosten befreit zu werden, nur weil er sich für eine Verbundfinanzierung entschieden hat, und gleichwohl die 4 % Zinsen zu vereinnahmen. Dies wäre eine Belohnung des Käufers, die mit der Wandlung eines Kaufvertrags ebensowenig verbunden sein könne wie die bereits erwähnte Bestrafung des Kreditgebers. III. Die Frage der (endgültigen) Tragung der Kreditkosten bei Rückabwicklung des Verbundkredits nach Wandlung des Käufers ist vom Gesetzgeber des VerbrKrG ebensowenig geregelt wie die kaufrechtliche Rückabwicklung des verbundfinanzierten Kaufvertrags selbst14. Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung auf die Nichterstattbarkeit der Kreditkosten schließen zu wollen, wäre ebenso verfehlt wie ein Schluß auf die Erstattbarkeit. Die Ausführungen des LG zum „Befund" bei Gesetzeslage und Gesetzesentstehung sind nur als Antwort auf die Argumentation des AG zu verstehen. Das AG hat die Wandlung einer Minderung auf 0,00 DM gleichgestellt und zur Minderung unter Berufung auf eine Kommentarstelle 15 ausgeführt: „Für diesen Fall ist der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen, daß der Käufer den Kredit im Umfange des Minderungsbetrages, auch hinsichtlich des entsprechenden Anteiles an Zinsen und Kosten, nicht zurückzuzahlen braucht" 16 . An der angeführten Fundstelle in der amtlichen Begründung zum Entw. des VerbrKrG läßt sich allerdings eine entsprechende Aussage nicht feststellen'7. Es mag daher durchaus zutreffen, daß den Materialien zum Gesetz für die Frage nichts zu entnehmen ist. Irgendein Auslegungswert in der einen oder anderen Richtung kommt dem nicht zu. " Vgl. oben Fn. 3. 15 Palandt/Putzo, BGB, 52. Aufl. 1993, § 9 VerbrKrG Rdn. 13. 16 A G Iserlohn, Urt. v. 11. 3. 1993, 41 C 693/92.
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Die Argumentation des L G mit dem bei der Rückabwicklung eines Verbundkredits keineswegs selbstverständlichen Satz, daß die Belastung mit den Kreditkosten auf eine mit der Wandlung verbundene „Bestrafung des Kreditgebers" hinausliefe, ist nicht nachvollziehbar begründet. U m einen Anspruch des Käufers gegen den Kreditgeber auf Rückzahlung der geleisteten (vollen) Kreditraten (sog. Rückforderungsdurchgriff' 8 ) geht es bei der „kaufrechtlichen" Rückabwicklung zwischen den Kaufvertragsparteien, in deren Rahmen der Verkäufer zugleich als Rechtsnachfolger des Kreditgebers hinsichtlich der im Zeitpunkt der Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts gem. § 9 III 1 VerbrKrG offenen Darlehensforderung auftritt, gerade nicht. Bei dem praktizierten, in der Entwurfsbegründung zum VerbrKrG angedeuteten Rückabwicklungsmodell ist davon auszugehen, daß der Kreditgeber in Höhe des Darlehensrestes beim Verkäufer „Regreß genommen" hat19; hinsichtlich des zu diesem Zeitpunkt getilgten Darlehensteils hat der Kreditgeber bereits die vollen Raten vom Käufer erhalten. Selbst eine Entscheidung über die zeitanteilig entstandenen Kreditkosten zugunsten des Käufers beträfe doch immer nur das Verhältnis Verkäufer/Käufer und sagte nichts darüber aus, wer im Verhältnis zwischen Kreditgeber und Verkäufer für die Kreditkosten bei gescheiterten Kaufverträgen aufzukommen hat. Diese Frage ist Gegenstand des zwischen Kreditgeber und Verkäufer geschlossenen Rahmenvertrags. Die Vorstellung des L G von der (endgültigen) Kostenbelastung des Kreditgebers unterstellt eine mögliche, aber keineswegs naheliegende Regelung im Rahmenvertrag. Jedenfalls hat es der Kreditgeber in der Hand, bei Abschluß des Rahmenvertrags darauf zu achten, daß bei der Rückabwicklung von verbundfinanzierten Kaufverträgen, deren Scheitern letztlich der Verkäufer zu vertreten hat (vgl. §§ 459, 462 B G B ) , die Frage der Kreditkosten in seinem Sinne entschieden wird; tut er dies nicht und läßt er sich auf die Rückzahlung allein des Nettokredits durch den Verkäufer ein, kann dies schwerlich als „Bestrafung" durch den wandelnden Käufer gewürdigt " Das Zitat lautet: BT-Drs. 11/5462, S. 24; seit der 53. Aufl. ist die Stelle nicht mehr mit dem - ersatzlos gestrichenen - Zitat belegt; vgl. Palandt/Putzo, BGB, 53. Aufl. 1994, § 9 VerbrKrG Rdn. 14; insoweit unverändert die 54. Aufl. 1995. '» Abi. die h. M., vgl. MK !Habersack, BGB, 2. Aufl. (3. Lieferung 1992), § 9 VerbrKrG Rdn. 104; Münstermann/Hannes, VerbrKrG, 1991, § 9 Rdn. 527; Palandt/Putzo, BGB, 54. Aufl. 1995, § 9 VerbrKrG Rdn. 14; Bülow, VerbrKrG, 2. Aufl. 1993, § 9 Rdn. 59; Dauner-Lieb WM Sonderbeilage Nr. 6/1991, S. 22, 23, 26, 30; einschränkend Erman/Klingsporn-Rebmann, BGB, 9. Aufl. 1993, § 9 VerbrKrG Rdn. 21 und 29; offen Seibert, Handbuch zum Verbraucherkreditgesetz, 1991, § 9 VerbrKrG Rdn. 11; befürwortend Graf v. Westphalen/Emmerich/Kessler, VerbrKrG, 1991, § 9 Rdn. 101; Vollkommer, Festschrift für Franz Merz, 1992, S. 595, 603 ff; LG Braunschweig NJW 1994, 2701 = JuS 1995, 73 {Emmerich). " Vgl. oben I, zu Fn. 6, 7.
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werden. Bei der „kaufrechtlichen" Rückabwicklung des verbundfinanzierten Vertrags steht dem Käufer nach der Abtretung des Restdarlehensanspruchs an den Verkäufer - ähnlich wie im Fall der Rückabwicklung nach Widerruf (vgl. § 9 II 4 VerbrKrG) - nur noch eine einzige Rechtsperson als Abwicklungspartner gegenüber; die Situation entspricht damit der Rückabwicklung beim zweiseitigen Abzahlungskauf. Im Verhältnis des Abzahlungsverkäufers zum wandelnden Abzahlungskäufer kann dieser aber die entrichteten Kaufpreisraten in voller Höhe, also einschließlich eines in ihnen enthaltenen Zinsanteils, zurückfordern (§§ 465, 467 S. 1 Halbs. 1, 346 S. 1 BGB). Eine tragende Rolle in der Argumentation des LG Hagen kommt dem Vergleich der Verbundfinanzierung mit der Darlehensaufnahme des Käufers auf eigene Faust und mit dem Barkauf zu. Die Gleichstellung von Verbundfinanzierung und der Darlehensaufnahme auf eigene Faust ist verfehlt. Bei dieser stehen sich Darlehensgeber und Verkäufer „unverbunden" gegenüber; den Kreditgeber geht das Scheitern des Kaufgeschäfts nichts an, der Kreditvertrag ist auch bei Wandlung des Kaufvertrags voll wirksam, und der Kreditgeber hat Anspruch auf die vertraglich geschuldeten Zinsen und Kosten. Beim „Verbundkredit" bilden Kaufvertrag und Kreditvertrag eine „wirtschaftliche Einheit" ( § 9 1 VerbrKrG); auch wenn man der Lehre vom „rechtsgeschäftlichen Verbund", der zufolge die beiden Verträge auch eine rechtliche Einheit bilden20, nicht folgt und auch noch unter der Geltung des VerbrKrG von der „Trennungstheorie" ausgeht21, so läßt die Wandlung des Kaufvertrags doch den Bestand des Darlehensvertrags nicht unberührt. Nach der überwiegend zu § 9 VerbrKrG vertretenen Auffassung bildet die Durchführung des Kaufvertrags die Geschäftsgrundlage für den Kreditvertrag 22 ; mit der Vollziehung der Wandlung des Kaufs (§ 465 BGB) entfällt die Geschäftsgrundlage für das Darlehen, erbrachte Leistungen sind nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen rückabzuwickeln23. Ein Anspruch des Kreditgebers auf die Zinsen und Kosten setzt aber einen wirksamen Kreditvertrag voraus; im Fall der Rückabwicklung des Kreditvertrags gem. § 812 I 1 BGB ist für einen Anspruch des Kreditgebers auf die Kreditkosten (Erfüllungsanspruch) kein Raum. 23 Gernhuber, Festschrift für Karl Larenz, 1973, S. 455, 470 ff; ders., Das Schuldverhältnis, 1989, § 31 III, IV; Vollkommer, Festschrift für Franz Merz, 1992, S. 595, 603 ff. 21 So die überwiegende Meinung; vgl. bes. deutlich MK/Habersack, § 9 VerbrKrG Rdn. 59, 40; ferner: Bülow, VerbrKrG, § 9 Rdn. 15 a. E.; Brucbner/Ott/Wagner-Wieduwilt, VerbrKrG, § 9 Rdn. 24-26; Seibert, Handbuch zum VerbrKrG, § 9 Rdn. 4; Vortmann, VerbrKrG, 1991, § 9 Rdn. 7; Dauner-Lieb, WM Sonderbeilage Nr. 6/1991, S. 5. 22 Bruchner/Ott/WagnerWieduwilt, VerbrKrG, § 9 Rdn. 129, 132; Graf v. Westpbalen/Emmerich/Kessler, VerbrKrG, § 9 Rdn. 101 a. E.; Lwowski/Peters/Gößmann, VerbrKrG, 1993, S. 166; einschr. MK/Habersack, § 9 VerbrKrG Rdn. 105. 25 Bruchner/Ott/Wagner-Wiedirwilt, aaO Rdn. 132.
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Gleichfalls verfehlt ist die Gleichstellung des Käufers bei verbundfinanzierten Kauf mit einem Barzahlungskäufer. Der wesentliche Unterschied zum Barzahlungskauf besteht gerade darin, daß im Fall des § 9 1 V e r b r K r G der Käufer nicht nur einen Kaufvertrag, sondern zwei Verträge - Kauf und Darlehensvertrag - abschließt. Soweit nun der - bar entrichtete - Kaufpreis „auf eigene Faust" im Kreditweg beschafft worden ist, ist dazu bereits Stellung genommen. Soweit dagegen der Käufer Eigenmittel ohne Kreditaufnahme einsetzt, stellt sich aber das Problem der Belastung mit Kreditbeschaffungskosten gerade nicht. Daß der Barzahlungskäufer im Fall der Wandlung mit einer Verzinsung von 4 % des Kaufpreises (§§ 347 S. 3, 246 B G B ) im Vergleich zu einer günstigeren Anlage nur einen geringen Ausgleich für seinen Kapitaleinsatz erhält, trifft zu, kann aber nicht die Belastung mit Kreditkosten im Fall einer Kaufpreisfinanzierung rechtfertigen. Ist die Verbundfinanzierung aber nicht mit dem Barkauf vergleichbar, entfällt auch das Argument der „Belohnung" des Käufers dadurch, daß ihm zusätzlich zu den Kreditbeschaffungskosten ein Zinsanspruch gem. § 347 S. 3 B G B zustünde. Die Verzinsung des „empfangenen" Kaufpreises gem. § 347 S. 3 B G B setzt voraus, daß ihn der Käufer entrichtet hat, d. h. der Käufer eigenes Kapital eingesetzt hat; im Fall des finanzierten Kaufs ist das aber - abgesehen von einer Anzahlung - nicht der Fall; in Höhe des finanzierten Kaufpreisteils ist der Verbraucher gerade nicht Barkäufer, sondern Kreditnehmer mit der Folge, daß ihm bei Scheitern des Kauf- und Kreditvertrags24 die an den Kreditgeber geleisteten Kreditkosten zu erstatten sind. Hat der Käufer beim Verbundkredit aber keinen Zinsanspruch gem. § 347 S. 3 B G B , so kann dieser einer Kreditkostenerstattung nicht entgegenstehen. Kann damit keine Rede davon sein, daß der Käufer beim verbundfinanzierten Kaufvertrag einen „doppelten Nutzen" hat, so entfällt auch jeder Grund dafür, ihn „doppelt zu belasten". Die Entscheidung des L G Hagen ist daher weder im Ergebnis noch in der Begründung zu billigen. Richtig müßte daher die Lösung des Problems wie folgt aussehen 25 : Nimmt der Käufer eines Kraftfahrzeugs zur Finanzierung des Kaufpreises einen mit dem Kaufvertrag verbundenen Kredit i. S. des § 9 VerbrKrG in Anspruch, so kann er bei Wandlung des Kaufvertrags von dem Verkäufer, dem der Kreditgeber seinen Restdarlehensanspruch abgetreten hat, Erstattung der Zinsen und Kosten des Kredits verlangen.
Damit tritt aber bei der Rückabwicklung des verbundfinanzierten Kaufvertrags der Verkäufer nicht nur hinsichtlich der abgetretenen Vgl. oben zu Fn. 22. Formulierung in Anlehnung an den Leitsatz zur Entscheidung des L G Hagen in M D R 1994, 251. 24
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Rest-Darlehensforderung in die Gläubigerstellung des Kreditgebers ein, sondern hinsichtlich der Ratenrückzahlung auch in seine Schuldnerstellung. Für die kaufrechtliche Rückabwicklung (§§ 465, 467 S. 1, 346 ff BGB) ist damit § 9 II 4 VerbrKrG in „spiegelbildlicher" Anwendung wie folgt zu lesen: „Ist der Nettokreditbetrag dem Verkäufer zugeflossen, so tritt der Verkäufer im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen der Wandlung (§§ 462, 465, 467, 346 f f BGB) in die Rechte und Pflichten des Kreditgebers aus dem Kreditvertrag ein. "
Zur Normqualifikation im Beweisrecht Dargestellt anhand der Zivilprozeßordnung des Kantons Zürich HANS U L R I C H W A L D E R
I. In der Zivilprozeßordnung des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 findet sich unter dem Titel „Allgemeine Vorschriften" innerhalb des 3. Abschnitts über das Beweisverfahren eine Reihe von Bestimmungen, die sich auf beweisrechtliche Einzelfragen beziehen 1 . Davon sind die meisten rein verfahrensrechtlicher Natur 2 , so § 134 über den Zeitpunkt der Beweiserhebung, § 136 über den Beweisauflagebeschluß, durch welchen das Beweis verfahren eingeleitet zu werden pflegt, § 137 über die Beweisantretungsschrift, § 138 (nachträgliche Beweisantretung), § 141 über den direkten Beweisabnahmebeschluß, § 143 über den Umfang der Bindung des Gerichts an den Beweisabnahmebeschluß, § 144 über die Delegation der Beweisabnahme an eine Abordnung des Gerichts, § 146 über die Beweisverhandlung und § 147 über die Stellungnahme der Parteien zum Beweisergebnis. Die übrigen vier Bestimmungen haben zumindest eine materiellrechtliche Komponente. Es handelt sich um die Sicherstellung gefährdeter Beweise (§ 135), um die Beweiserhebung von Amtes wegen (§ 142), um die Schutzmaßnahmen gegen Verletzung von Interessen einer Partei oder von Drittpersonen (§ 145) und um die Bestimmung über die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 148). Die schweizerischen Zivilprozeßordnungen enthalten natürlich ohnehin immer wieder Aussagen, die in Wirklichkeit dem materiellen Recht zuzuordnen sind oder doch der Diskussion materiellrechtlicher Fragen rufen. So ist die Nebenintervention an ein rechtliches (rechtserhebliches) Interesse am Prozeßausgang gebunden (Zürich § 4 4 Abs. 1), setzt die Streitverkündung mit ihren Wirkungen ein materielles Rechtsverhältnis zwischen dem Streitverkünder und dem Streitberufenen voraus 3 und unterliegt der Parteiwechsel ' Zahlreiche beweisrechtliche Vorschriften finden sich demgegenüber im materiellen Recht des Bundes, so solche über die Beweislast (Art. 8 ZGB), über Vermutungen (ζ. B. Art. 3 ZGB), Ausschluß von Beweismitteln (Art. 158 Ziff. 2 ZGB). 2 Das trifft auch zu für den Bereich der Bestimmungen über die Beweismittel, die den größten Teil des Beweisrechts innerhalb der Zürcher Z P O ausmachen. 3 Vgl. Max Güldener, Uber die materiellen Wirkungen der Streitverkündung, Zeitschrift für schweizerisches Recht Neue Folge, Band 68 (1949) S. 235 ff.
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besonderer Regelung bei Veräußerung des Streitobjektes (Zürich § 49 Abs. I) 4 . Die Entschädigugspflicht der einen Partei für die außergerichtlichen Kosten und Umtriebe der andern (Zürich § 68 Abs. 1) ist nichts anderes als Haftpflichtrecht5. Ein gerichtlicher Vergleich setzt privatrechtliche Einigung der Parteien voraus6 und bezüglich der anzuwendenden Prozeßmaxime, der Prorogation und der Unterwerfung unter ein Schiedsgericht ist es von Bedeutung, ob die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen können oder nicht7. Im folgenden soll versucht werden, die angeführten beweisrechtlichen Bestimmungen der Zürcher Zivilprozeßordnung im Hinblick auf materiellrechtlichen Inhalt zu betrachten. Daß dieser Versuch Wolfram Henckel zu seinem 70. Geburtstag gewidmet werden darf, ist Ausdruck auch des Dankes für das warme Interesse, das der Jubilar der schweizerischen Rechtsordnung stets entgegengebracht hat. II. Gemäß § 135 ZPO trifft das Gericht zur Sicherstellung gefährdeter Beweise auf Antrag einer Partei die geeigneten Vorkehren. Neben die keinerlei materiellrechtliche Probleme bietenden Fälle, da eine Beweisperson wegen drohender Abreise ins entfernte Ausland oder wegen stark gefährdeter Gesundheit vorzeitig gehört werden muß, gehören dazu jene Situationen, in denen es zwar nicht nötig ist, daß Beweisobjekte sofort zur Kenntnis genommen werden, in denen aber auf die Möglichkeit ihrer Entfernung oder Unbrauchbarmachung eingewirkt werden muß. Eine Korrespondenz beispielsweise ist beweismäßig sicherzustellen. Dieser Fall ist wiederum zu unterscheiden von demjenigen der Edition zur Erfüllung der Auskunftspflicht nach Privatrecht, die nur bei Existenz eines entsprechenden Anspruchs zugelassen wird8 und die eine (oft im summarischen Verfahren beurteilte9) besondere Klage 4 Gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 2 der Bundeszivilprozeßordnung (anwendbar auf Prozesse, die direkt vor dem Bundesgericht stattfinden) bleibt die Veräußerung der im Streit liegenden Sache oder die Abtretung des streitigen Anspruchs während der Rechtshängigkeit ohne Einfluß auf die Legitimation zur Sache. 5 Die wörtliche Aufnahme von Bestimmungen des Obligationenrechts in kantonales Haftpflichtrecht (Verantwortlichkeit des Staates, der Gemeinden und öffentlichrechtlicher Körperschaften) ändert nichts daran, daß sie in diesem Zusammenhang kantonalrechtlichen Charakter haben. 6 Wurde jedoch ein Vergleich vom Gericht unrichtig protokolliert, so liegt ein Verfahrensfehler vor, ebenso betrifft die Auslegung einer Parteierklärung Verfahrensrecht (etwa stillschweigender Verzicht auf den eingeklagten Zins). 7 Max Guldener, Schweizerisches Zivilprozeßrecht, 3. Auflage, Zürich 1979, S. 170. 8 Hans Ulrich Walder, Zivilprozeßrecht, 3. Aufl., Zürich 1983, § 29 Rdn. 126. 9 ZPO 222 Ziff. 2.
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voraussetzt. Geht es dabei um die Einsichtnahme zwecks Vorbereitung eines Prozesses, so steht in unserem Zusammenhang die Sicherstellung des Materials, das als Beweis in Anspruch genommen werden will, zur Diskussion. Ist nun aber eine Sicherungsmaßnahme nötig, weil Beseitigung des an sich erst als Beweismittel für bereits bekannte Vorgänge edierbaren Materials droht, so werden dem Privatrecht zuzuordnende Verfügungsrechte der betroffenen Person tangiert, wird ihr doch auferlegt, die betreffenden Objekte (ζ. B. Tonaufnahmen) unverändert zu belassen oder gar beim Gericht zu deponieren. Dazu gehört auch etwa das Verbot an eine Bank, Aktenstücke, für welche die gesetzliche Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist, zu vernichten. Das ist deshalb von Bedeutung, weil demgegenüber die Vorlegung von Urkunden aufgrund von Privatrecht an das Bestehen einer Auskunftspflicht gebunden ist. Fehlt eine solche, d. h. praktisch bei allen Vertragsverhältnissen, so ist eine Edition auch nicht prozessual erzwingbar. Ein markanter Unterschied gegenüber der Beweissicherung im beschriebenen Sinne besteht aber auch gegenüber den Sicherungen aufgrund von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. Im Gegensatz zu diesen kann der Eingriff in die Eigentumsrechte der betroffenen Person bei der Beweissicherung nicht zeitlich limitiert werden unter Fristansetzung an die gesuchstellende Partei, den Prozeß in der Sache anhängig zu machen unter der Androhung des Dahinfallens der Maßnahme. Auch eine Sicherstellungspflicht für allfälligen Schaden 10 ist hier nicht vorgesehen, ja es ist sogar fraglich, ob der Beweisführer einen allfälligen Schaden überhaupt ersetzen müßte, wiederum im Unterschied zur Verantwortlichkeit bei vorsorglichen Maßnahmen 11 . Jedenfalls ist dafür keine Rechtsgrundlage ersichtlich und auch das Bundesrecht macht Personen nicht schon deshalb haftpflichtig, weil sie prozessuale Rechte wahrgenommen haben. Es wäre zudem nicht denkbar, diese Haftpflicht vom Ausgang des später zu führenden oder allenfalls sogar nicht einmal geführten Prozesses abhängig zu machen; mit den Einschränkungen, die mit solchen Vorkehren verbunden sind, hätte der Prozeßausgang nichts zu tun. Die vorsorgliche Beweisabnahme ist dem Beweisführer als scheinbar rein prozessuales Instrument in die Hand gegeben; daß es eine privatrechtliche K o m ponente hat, ist bisher noch kaum diskutiert worden.
III. Nach § 142 Abs. 1 Z P O stellt das Gericht, wenn es sich um Rechtsverhältnisse handelt, über welche die Parteien nicht frei verfügen können, den '= Z P O 227 Abs. 2. " Z P O 227 Abs. 1.
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Sachverhalt von Amtes wegen fest12. Wir haben hier dieselbe Thematik vor uns wie in den bereits (Ziff. I) erwähnten Bestimmungen bezüglich Prozeßmaximen, Prorogation und Schiedsgerichtsbarkeit. Die Verfügungsfähigkeit mit Bezug auf den Streitgegenstand - im Internationalprivatrecht unter der Bezeichnung Parteiautonomie bekannt 13 - ist, obgleich in der Zivilprozeßordnung erwähnt, nur scheinbar ein Begriff des kantonalen Rechts. O b die Parteien über ein Rechtsverhältnis frei verfügen können, wird im Bundesprivatrecht geregelt. Dementsprechend liegt die Thematik auch in der Kompetenz des Bundesgerichts bei Behandlung zivilrechtlicher Berufungen. Hinzu kommt, daß der Bundesgesetzgeber die Fälle der Beweisabnahme von Amtes wegen über den Bereich der nicht frei verfügbaren Rechtsverhältnisse hinaus erweitert hat14. Soweit (was § 142 Abs. 2 Z P O vorsieht) ausnahmsweise außerhalb der privatrechtlich motivierten Situationen von Amtes wegen Beweise abgenommen werden, ist die Bestimmung jedoch eine verfahrensrechtliche. Sie ist es auch insofern, als es um die Prozeßvoraussetzungen geht, die von Amtes wegen geprüft werden müssen, sofern nicht die Prozeßvoraussetzungen ihrerseits auf privatrechtlichen Regeln beruhen. So ist es zwar eine rein prozeßrechtliche Frage, ob eine bestimmte Klage am Ort der gelegenen Sache erhoben werden kann oder ob eine Prozeßkaution rechtzeitig geleistet wurde, doch wird auf die vom prozeßunfähigen Kläger eingeleitete Klage nicht eingetreten, weil es um den Mangel der vom Privatrecht beherrschten Handlungsfähigkeit geht, dessen zwingender Charakter sich vorliegendenfalls auch im Beweisrecht niederschlagen muß.
IV. Gemäß § 145 Z P O ordnet das Gericht zum Schutze dafür würdiger Interessen das Geeignete an. Das „Geeignete" kann in verschiedenen Maßnahmen bestehen, welche die Kenntnisnahme der Beteiligten am Beweisergebnis einschränken. Hier wird aber das öffentliche Recht des Verfahrens wegen des privatrechtlich eingerichteten Geheimnisschutzes seinerseits betroffen. Wer als Partei auf den Schutz seiner Interessen vor Beweismaßnahmen Wert legt, kann die dazu geschaffenen Rechtsbehelfe in Anspruch nehmen. Dementsprechend mußte auch die nicht am Prozeß als Partei beteiligte Person sich mit privatrechtlichen Mitteln zur Wehr setzen können. Es gibt aber hierfür weder eine beklagte Partei noch ein vollziehbares Rechtsbegehren. Demzufolge verbleiben nur die Rechsbehelfe, welche die Zivilprozeßordnung im konkreten Fall zur Entsprechend ist es nicht an Zugeständnisse gebunden. Vgl. für die Rechtswahl Keller/Girsberger im Kommentar zum IPRG, Zürich 1993, Ν 52 bis 54 zu Art. 16. 14 Vgl. etwa Art. 343 Abs. 4 O R (Arbeitsvertrag). 12
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Verfügung stellt: Gesuch um Wiedererwägung (nicht ausdrücklich normiert), Rekurs und Nichtigkeitsbeschwerde 1 5 . Dies führt dazu, daß - da auf Wiedererwägung kein Anspruch besteht - der zivilrechtlich gewährleistete Persönlichkeits- oder Geheimnisschutz am Ablauf von Fristen zu scheitern droht, obgleich diese zeitliche Begrenzung dem Bundesprivatrecht widerspricht.
V. N a c h § 148 Z P O würdigt das Gericht die Beweise nach freier Uberzeugung. Es berücksichtigt dabei das Verhalten der Parteien im Prozeß, namentlich die Verweigerung der Mitwirkung bei der Beweiserhebung. Bezüglich des allgemein eingeführten Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung, die sich auf die erhältlich gemachten Beweismittel bezieht, k o m m t mit dem „Verhalten der Parteien" ein Element in das Prozeßrecht hinein, das an das Verhalten von Parteien im Privatrecht erinnert. Es werden also Handlungen und Unterlassungen zwar nicht direkt dem Urteil, wohl aber dem Beweisergebnis zugrunde gelegt. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, es liege auch hier eine privatrechtliche Materie vor, zu deren Behandlung der kantonale Gesetzgeber (anders als bei der in Ziff. I erwähnten Entschädigungsfolge, die dem kantonalen Verfahrensrecht folgt) gar nicht berechtigt sei. D e m ist aber nicht so. G r u n d für die allgemein gefaßte und bei den einzelnen Beweismitteln näher geordnete Regel ist der, daß das Parteiverhalten nicht als solches mit Folgen belegt, sondern in den Kreis der Tatsachenermittlung einbezogen wird: Antwortverweigerung der befragten Partei bedeutet dann etwa, daß die wahrheitsgemäße A n t w o r t zu ihren Ungunsten hätte lauten müssen 16 . Privatrechtlich ist es dagegen zu sehen, wenn etwa ein Beklagter, von dem etwas, weil ohne Rechtsgrund geleistet, zurückgefordert wird, sich darüber ausschweigt, welcher Rechtsgrund der Zuwendung zugrunde liegen soll. „Führt er einen bestimmten Rechtsgrund an, so genügt es, daß der Kläger dartut, daß sich dieser nicht verwirklicht habe. Dagegen kann vom Kläger nicht verlangt werden, daß er auch das Fehlen anderweitiger, v o m Beklagten überhaupt nicht behaupteter Rechtsgründe nachweise" 17 .
15 Nach den §§ 273 und 283 Z P O stehen diese Rechtsmittel auch Drittpersonen zu Gebote, wenn ein Entscheid in ihre Rechte eingreift. " Das zeigte sich noch besonders deutlich in § 81 der Zivilprozeßordnung vom 13. April 1913 mit folgendem Wortlaut: „Verweigert eine Partei bei der persönlichen Befragung die Antwort, so hat der Richter die Tatsachen, auf welche die Einvernahme sich bezieht, als bewiesen zu betrachten". 17 Max Güldener, Beweiswürdigung und Beweislast nach schweizerischem Zivilprozeßrecht, Zürich 1955, S. 54 Ziff. 4.
Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen Gewand? MANFRED W O L F
1. Problemlage Trotz der Regelung des Kostenersatzes in den §§91 ff Z P O gibt es immer wieder Fallgestaltungen, in denen diese Vorschriften nicht ausreichen und deshalb nach anderen Anspruchsgrundlagen vorwiegend materiellrechtlicher Natur gesucht wird. So greifen die §§ 91 ff Z P O insbesondere nicht ein, wenn ein Prozeßrechtsverhältnis zwischen den Parteien gar nicht begründet wurde, etwa weil die Klage zwar bei Gericht eingereicht, mangels Einzahlung des Kostenvorschusses aber nicht zugestellt wurde, der Beklagte in Erwartung der Zustellung aber bereits einen Anwalt konsultiert und dieser vorauseilend eine Klageerwiderung bei Gericht eingereicht hatte'. Hier kommen nur außerprozessuale Erstattungsansprüche in Betracht. In anderen Fallkonstellationen greifen die §§ 91 ff Z P O an sich ein, ihr Ergebnis erscheint aber durch außerprozessuale Erstattungsansprüche korrekturbedürftig. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Beklagte Anlaß zur Klageerhebung gegeben hat, die Klage wegen eines vorprozessualen Ereignisses aber nicht begründet ist und der Kläger trotz Veranlassung des Beklagten nach § 91 Z P O die Kosten zu tragen hat, weil die Voraussetzungen einer Erledigung der Hauptsache nicht vorliegen. Dies gilt bei einseitiger Erledigungserklärung insbesondere, wenn die Klage von Anfang an unzulässig oder unbegründet ist oder wenn eine bei Klageeinreichung noch zulässige und begründete Klage vor ihrer Zustellung an den Beklagten und damit vor Rechtshängigkeit (§ 261 I mit § 253 I ZPO) unzulässig oder unbegründet wird. Da nach h. M.2 eine Kostenverteilung nach den Grundsätzen der Erledigung der Hauptsache bei einseitiger Erledigungserklärung nur in Betracht kommt, wenn die Klage erst nach Rechtshängigkeit unzulässig oder un' So der Sachverhalt in B G H N J W 1988, 2032 = Z Z P 101 (1988), 298 m. Anm. BeckerEberhard; s. auch die rückwirkende Beseitigung der Zulässigkeit der Berufung durch einen Berichtigungsbeschluß nach § 319 Z P O in B G H LM H . 1/1995 § 3 1 9 Z P O N r . 19 m. Anm. Heinrich. 2 S. etwa B G H Z 83, 12, 13; B G H N J W - R R 1988, 1151; B G H LM H . 9/1994 §254 Z P O N r . 18; Thomas/Putzo, Z P O , 18. Aufl. 1993, § 91 a Anm. 7 a bb; a. A. MünchKomm Z P O / B e l z § 91 a Rdn. 75 m. w. N .
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begründet geworden ist, hat der Kläger bei bereits vor Rechtshängigkeit unzulässigen oder unbegründeten Klagen nach § 91 Z P O die Kosten zu tragen. Diese prozessuale Kostentragungspflicht des Klägers erscheint korrekturbedürftig, wenn der Beklagte die Klageerhebung zu vertreten hat, etwa weil er den vom Kläger angemahnten Betrag verspätet erst nach Klageeinreichung, aber noch vor Rechtshängigkeit gezahlt hat oder wenn der Kläger Stufenklage auf Erteilung einer zu Unrecht verweigerten Auskunft erhebt, sich dann aber nach Verurteilung und Erteilung der Auskunft herausstellt, daß der auf der zweiten Stufe eingeklagte Anspruch von Anfang nicht bestand 3 . Neben der Frage, welche außerprozessualen Kostenerstattungsansprüche dem Kläger zum Erfolg verhelfen können, ist auch die prozessuale Geltendmachung solcher Ansprüche zu prüfen. 2. Außerprozessuale
Kostenerstattung
Zur außerprozessualen Kostenerstattung sollen alle Ansprüche gezählt werden, die ihre Grundlage nicht in dem mit Rechtshängigkeit entstehenden Prozeßrechtsverhältnis der Parteien 4 und damit nicht unmittelbar in den §§ 91 ff Z P O finden. Als solche Ansprüche kommen hier in erster Linie materiellrechtliche Ansprüche, insbesondere Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verzugs (§ 286 BGB), positiver Vertragsverletzung oder auf Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsschluß oder wegen Prozeßbetrugs (§ 823 II BGB mit § 263 StGB) oder aus § 826 BGB, aber auch Aufwendungsersatzansprüche oder Ansprüche aus vertraglicher Kostenübernahme in Betracht 5 . Diese Ansprüche sind rein materiellrechtlicher N a t u r und sollen nicht im einzelnen dargestellt werden. Ihre Voraussetzungen sind gegenüber dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch aus §§91 ff Z P O insofern enger, als sie als Schadensersatzansprüche Verschulden erfordern, während die Kostenerstattung nach § 91 ff Z P O ohne diese einschränkenden Voraussetzungen gewährt wird. Es sind aber immer wieder Versuche festzustellen, die materiellen Kostenerstattungsansprüche mit dem prozessualen Kostenrecht zu vermengen, was einer kritischen Uberprüfung bedarf. a) Die Erwägung, die verschuldensunabhängige Kostentragungspflicht nach §§ 91 ff Z P O in analoger Anwendung als Anspruchsgrundlage auf J
S. B G H LM H . 9/1994 § 254 Z P O Nr. 18 m. Anm. Wax. S. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. 1993, § 2 II 3 a. 5 S. etwa Thomas/Putzo, Z P O , 18. Aufl. 1993, vor § 91 Anm. IV 2; ausführlich BeckerEberhard, Grundlagen der Kostenerstattung bei der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche, 1985, S. 50 ff; sowie Loritz, Die Konkurrenz materiellrechtlicher Ersatzansprüche und prozessualer Kostenerstattungsansprüche und -normen bei Anspruchsentstehung und -durchsetzung, 1979, S. 28 ff. 4
Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen Gewand?
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das außerprozessuale Verhältnis vor Rechtshängigkeit zu übertragen, ist zu Recht überwiegend abgelehnt worden, weil für eine verschuldensunabhängige Haftung der Parteien keine Rechtfertigung besteht. Die prozessual begründete Haftung der Parteien für die Prozeßkosten nach §§91 ff Z P O ist hauptsächlich gerechtfertigt, weil ihnen die Vorteile des staatlichen Rechtsschutzes mit der Gewährung einer friedlichen Rechtsdurchsetzung und staatlicher Richtigkeitsgewähr zugute kommen. Davon profitiert auch die unterlegene Partei, was es zusammen mit dem Veranlassungsgedanken 6 rechtfertigt, ihr die Kosten aufzuerlegen. Der Veranlassungsgedanke allein ohne die Vorteile des rechtsstaatlichen Gerichtsschutzes oder - im Falle der Klagerücknahme - des freiwilligen Verzichts hierauf (s. § 269 I Z P O ) erlaubt es nach den Wertungen der prozessualen Kostenvorschriften jedoch nicht, einem Beteiligten die Kosten aufzuerlegen. Die analoge Heranziehung der prozessualen Kostenvorschriften als Anspruchsgrundlage außerhalb eines Prozesses ist deshalb nicht zu befürworten 7 . b) Neben einem generellen Rückgriff auf die §§91 ff Z P O zur Begründung außerprozessualer Kostenerstattungsansprüche ist auch die analoge Anwendung einzelner Normen, insbesondere von § 93 Z P O erwogen worden, um eine beim Kläger als unangemessen empfundene Kostenbelastung auf den Beklagten abzuwälzen. Während § 93 Z P O vorsieht, daß entgegen § 91 Z P O nicht dem unterlegenen Beklagten, sondern dem siegreichen Kläger die Kosten auferlegt werden, wenn der Beklagte zur Klageerhebung keine Veranlassung gegeben hat und den Klageanspruch sofort anerkennt, soll durch analoge Anwendung von § 93 Z P O erreicht werden, daß dem siegreichen Beklagten die Kosten auferlegt werden, wenn er den Kläger, insbesondere durch nicht rechtzeitige oder fehlerhafte Information zur Erhebung einer unzulässigen oder unbegründeten Klage veranlaßt hat und der Kläger sofort nach Erlangung der ihm vorenthaltenen Information den Prozeß durch Klagerücknahme oder Klageverzicht zu Ende bringt 8 . Geht man davon aus, daß die verschuldensunabhängige Abwälzung der Prozeßkosten auf die unterlegene Partei aufgrund der Veranlassung und des Profitierens vom rechts6 Stein/Jonas/Bork, Z P O , 21. Aufl. 1994, vor § 9 1 Rdn. 6; § 9 3 Rdn. 1 stellt allein auf die Verursachung ab und schließt vom Unterliegen auf die Verursachung der Kosten; ähnlich Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. 1993, § 87 V 5. 7 S. zu weiteren Argumenten B G H N J W 1988, 2032 = Z Z P 101 (1988), 298, 302 m. Anm. Becker-Eberhard 303, 314 f je m. w. N.; Stein/Jonas/Bork, Z P O , 21. Aufl. 1994 vor § 9 1 Rdn. 14; M ü n c h K o m m Z P O / B e i z vor § 9 1 Rdn. 9; Becker-Eberhard aaO (Fn. 5) S. 123 ff. » S. etwa Becker-Eberhard a a O (Fn. 5) S. 296 ff; Rixecker M D R 1985, 633, 635; MünchK o m m Z P O / L ü k e , § 2 5 4 Rdn. 24; Zöller/Herget, Z P O , 18. Aufl. 1993, § 2 5 4 Rdn. 5; Assmann, Das Verfahren der Stufenklage, 1990, S. 90 ff.
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staatlichen Gerichtsverfahren gerechtfertigt ist9, so läßt sich die Ausnahmevorschrift des § 93 Z P O problemlos daraus erklären, daß beim Beklagten, der den Prozeß weder veranlaßt hat noch aufgrund des sofortigen Anerkenntnisses vom Gerichtsverfahren profitiert, die den §§91 ff ZPO zugrundeliegenden Gründe für eine Kostenbelastung nicht vorliegen. Anders ist die Situation dagegen bei der vorgeschlagenen analogen Anwendung von § 93 Z P O zugunsten des Klägers. Hier hat der Kläger durch seine Klageerhebung das Gerichtsverfahren veranlaßt10 und davon auch profitiert, weil der Beklagte, sei es mit oder ohne vorgeschaltete Auskunftsklage, erst durch das gerichtliche Verfahren dem Kläger die erforderliche Auskunft hat zukommen lassen. Auch wenn man anerkennt, daß der Beklagte durch das Vorenthalten seiner Informationen die Einleitung des Verfahrens mit veranlaßt hat, so ist doch zu berücksichtigen, daß die Kostenzuweisung nach §§ 91 ff ZPO in einem stark vereinfachten und formalisierten Verfahren erfolgt11, das für eine Prüfung und Abwägung, ob der Kläger oder der Beklagte den überwiegenden Veranlassungsbeitrag geleistet hat, nicht vorgesehen und nicht geeignet ist. Eine analoge Anwendung von § 93 ZPO zugunsten des Klägers verbietet sich deshalb12. Gegen eine analoge Anwendung von § 93 Z P O spricht auch, daß angesichts materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche kein Bedürfnis für den Rückgriff auf § 93 ZPO besteht. In den Fällen, in denen die analoge Anwendung von § 93 ZPO erwogen wird, hat der Beklagte grundsätzlich eine ihn materiellrechtlich, insbesondere auch aus § 242 BGB, treffende Auskunftspflicht verletzt, die er schadensersatzrechtlich zu vertreten hat. Besteht eine solche Auskunftspflicht dagegen nicht, so ergibt die materiellrechtliche Wertung, daß der Kläger für die Informationsbeschaffung selbst verantwortlich ist, der Beklagte deshalb nicht die Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat und die materiellrechtliche Wertung nicht durch eine analoge Anwendung von § 93 ZPO unterlaufen werden darf. 3. Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen
Verfahren?
Ist danach davon auszugehen, daß eine analoge Anwendung der §§91 ff ZPO für eine außerprozessuale Kostenerstattung allgemein und eine analoge Anwendung von § 93 ZPO speziell zugunsten des Klägers ' Zusammenfassend zum Rechtsgrund prozessualer Kostenerstattungsansprüche auch Loritz aaO (Fn. 5) S. 78 ff. 10 So zu Recht Stein/Jonas/Bork, Z P O , 21. Aufl. 1994, § 93 Rdn. 1. 11 So zu Recht B G H LM § 91 a Z P O Nr. 39. 12 So auch B G H LM H. 9/1994 § 254 Z P O Nr. 18 m. w. N . und Anm. Wax. Eine Sonderregelung enthält insoweit § 93 b Abs. 2 Z P O .
Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen Gewand?
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abzulehnen und statt dessen auf materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche zurückzugreifen ist, so hat der B G H in einer Entscheidung vom 5. 5. 199413 insofern einen neuen Weg beschritten, als er zwar den Kostenerstattungsanspruch aus dem materiellen Recht herleitet, für dessen prozessuale Durchsetzung aber das Verfahren nach §§91 ff Z P O wählt, also eine materiellrechtliche Kostenerstattung im prozessualen Gewand vorsieht. a) Ein solches Vorgehen hat zunächst einige Gründe der prozeßökonomischen Vereinfachung für sich. Bei der Kostenentscheidung nach §§91 ff Z P O wird kein neuer Streitgegenstand eingeführt mit der Folge, daß die Kostenentscheidung nicht wiederum selbst Prozeßkosten verursacht, wie es der Fall wäre, wenn der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch mit Hilfe einer Leistungs- oder Feststellungsklage eingeklagt würde. Ebenso kann die Festsetzung der Kosten im einzelnen ihrer Höhe nach im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff Z P O durch den Rechtspfleger erfolgen. b) Diesen prozeßökonomischen Vorteilen stehen jedoch auch Bedenken und Nachteile gegenüber. Wendet man wie der B G H auf den materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich seiner prozessualen Durchsetzung die §§ 91 ff Z P O entsprechend an, so fragt sich zunächst, was eigentlich der Streitgegenstand des Verfahrens ist. Im Urteil des BGH 14 wurde die Auffassung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts bestätigt, daß eine Erledigung der Hauptsache nicht eingetreten sei, gleichzeitig nahm der B G H an, daß dem Kläger ein materiellrechtlicher Schadensersatzanspruch auf Kostenerstattung zustehe' 5 . Gleichwohl erkennt der BGH, nachdem er das Berufungsurteil aufgehoben hatte, daß das klageabweisende Urteil des Landgerichts in dem Sinne abzuändern sei, daß die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Die maßgebliche und alleinige Feststellung des BGH-Urteils besteht danach in der Kostentragungspflicht des Beklagten. Versteht man dies als Tenor eines Feststellungsurteils, so fehlt dem Urteil die Entscheidung über die Kosten hinsichtlich dieses Feststellungsurteils. Sieht man dagegen die Feststellung der materiellrechtlichen und der prozessualen Kostentragungspflicht in einem einzigen Tenor miteinander vermengt 16 , so ist der Umfang des Streitgegenstandes und der Gegenstand der Beschwer für eine etwaige Anfechtung mit Rechtsmitteln " B G H LM H . 9/1994 § 254 Z P O N r . 18 m. Anm. Wax; ähnliche Überlegungen schon bei Sannwald N J W 1985, 898. 14 B G H LM H . 9/1994 § 254 Z P O N r . 18. 15 S. zum Sachverhalt bei Fn. 3. " So könnte Sannwald N J W 1985, 898, 900 verstanden werden; s. auch Wax in Anm. zu B G H LM H . 9/1994 § 254 Z P O N r . 18.
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nicht deutlich erkennbar. Versteht man den Ausspruch aber als K o stenentscheidung nach § 91 Z P O , wie es das Urteil in den Entscheidungsgründen andeutet, so fehlt eine selbständige Entscheidung über den schadensersatzrechtlichen Streitgegenstand. Diese Entscheidung ist dann Bestandteil der Kostenentscheidung nach § 91 Z P O . Dieser U m stand hat nicht nur theoretische Bedeutung, sondern bringt erhebliche praktische Konsequenzen mit sich. aa) Ist der Streitgegenstand Bestandteil der Kostenentscheidung nach § 91 Z P O , so wäre ein Urteil erster Instanz, das gemäß den Vorgaben des B G H ergeht, nach § 99 Abs. 1 Z P O kaum anfechtbar, weil es an einer anfechtbaren Hauptsacheentscheidung fehlt. Auch wenn man sich der Auffassung anschließen will, daß Rechtsmittel im Instanzenzug verfassungsrechtlich nicht garantiert sind17, so ist doch nicht erkennbar, warum für die Prozeßkosten, die Bestandteil eines materiellrechtlichen Schadensersatzanspruchs sind, solche Rechtsmittelbeschränkungen gelten sollen, wenn diese für andere Schadensersatzurteile nicht gelten. Es wäre dann ζ. B. die Entscheidung über die Verzugszinsen anfechtbar, nicht aber die Entscheidung über die Zahlung der Prozeßkosten als Schadensersatz. Darin läge vor dem Hintergrund einer rechtsstaatlichen Rechtsschutzgarantie eine Ungleichbehandlung, die mit Art. 3 G G kaum vereinbar wäre. Auch ist nicht ersichtlich, welchen Sinn es machen und welchen Vorteil es bringen sollte, aus einer einheitlichen Klage über den materiellrechtlichen Ersatz von Verzugszinsen und Prozeßkosten die Entscheidung über die Prozeßkosten aus dem Streitgegenstand herauszunehmen und sie zum Bestandteil der Entscheidung nach § 91 Z P O zu machen. Dadurch könnte entgegen dem Zweck von § 5 Z P O auch die Zulässigkeit eines Rechtsmittels hinsichtlich der Verzugszinsen aufgrund einer Verkürzung der Rechtsmittelsumme ( § 5 1 1 a, § 546 Abs. 1 Z P O ) beeinträchtigt werden. Ebenso könnte die erstinstanzliche Zuständigkeit (§ 23 Nr. 1 G V G ) beeinflußt werden. Derart weitgehende Eingriffe in die gerichtliche Zuständigkeit sind nicht angebracht. Will man sie vermeiden und beläßt die Prozeßkosten als Schadensposten im Streitgegenstand, wenn sie mit anderen Schadensposten zusammen geltend gemacht werden, so ist um so weniger ersichtlich, warum allein dann anders verfahren werden soll, wenn die Prozeßkosten isoliert als Schaden geltend gemacht werden. Es erscheint dann richtiger, über die Prozeßkosten, wenn sie als materiellrechtlicher Schadensersatz geltend gemacht werden, immer als Streitgegenstand in der Hauptsache zu entscheiden und sie, gleichgültig ob sie isoliert oder zusammen mit anderen Schadensposten geltend gemacht werden, nicht in die Entscheidung nach § 91 Z P O einzubeziehen. 17 S. zur Diskussion etwa Wolf, Gerichtsverfassungsrecht aller Verfahrenszweige, 6. Aufl. 1987, §27 114.
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bb) Gegen die Einbeziehung des materiellrechtlichen Kostenersatzes in die Kostenentscheidung nach § 91 Z P O spricht aber auch, daß diese Entscheidungsform mit ihrem vereinfachten Verfahren für materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche nicht geeignet ist'8. Die Kostenentscheidung nach §§ 91, 92 Z P O erfolgt im Normalfall in Anlehnung und in Abhängigkeit von der materiellrechtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand, da die Kostenentscheidung sich an Sieg und Verlust der Hauptsache orientiert' 9 . Weitere Tatbestandsvoraussetzungen sind nicht zu prüfen, so daß es sich um eine weitgehend schematisierte Entscheidung ohne den Aufwand eines eigenständigen Erkenntnisverfahrens handelt. Auch § 91 a Z P O macht die Abhängigkeit der Kostenentscheidung vom Stand der Hauptsache deutlich und zeigt mit der Ermessensentscheidung darüber hinaus, daß eine sorgfältige Ermittlung aller Umstände im Rahmen der Kostenentscheidung gerade nicht erfolgen soll. Soweit sich die Kostenentscheidung wie in §§ 93 ff Z P O nicht am Stand der Hauptsache ausrichtet, wird entweder auf einfache Kriterien wie die Kostenteilung zurückgegriffen 20 oder es werden Billigkeits- und Ermessensentscheidungen vorgesehen 21 . N u r selten wird an Vorgänge wie die Veranlassung (§ 93 ZPO) 22 oder das Verschulden (§ 95 ZPO) angeknüpft, die vom materiellrechtlichen Anspruch verschieden sind und deshalb einer besonderen Feststellung 23 allein für die Kostenentscheidung bedürfen. Dies ändert nichts am Grundsatz, daß die Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen allein im Hauptsacheverfahren für die dort zu treffende Entscheidung erfolgt, wenn die Kostenentscheidung an die Hauptsacheentscheidung anknüpft. Nirgendwo ist im Gesetz ein Erkenntnisverfahren über den materiellrechtlichen Anspruch ohne Entscheidung in der Hauptsache und statt dessen nur eine Kostenentscheidung vorgesehen. Ein Erkenntnisverfahren nur für die Kostenentscheidung widerspricht den §§ 91 ff Z P O und würde im Hinblick auf die Belastung des Gerichts und der Anwälte auch nicht mehr die Kostenfreiheit der Kostenentscheidung nach §§91 ff Z P O rechtfertigen. Umgekehrt würden rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze und insbesondere des Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 G G verletzt, wenn über den materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch, soweit er die Prozeßkosten zum Inhalt hat, lediglich in einem vereinfach,s
So auch B G H LM § 91 a Z P O N r . 39; Becker-Eberhard aaO (Fn. 5) S. 322 ff. " Auch § 93 b Abs. 1, § 94 und § 96 Z P O stellen auf Feststellungen in der Hauptsache ab. 20 21 22 21
So insbesondere in § 93 a Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 93 c Z P O . So in § 93 a Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2, § 93 d Abs. 2 Z P O . So im G r u n d e auch § 93 b Abs. 2 und 3 Z P O . S. etwa M ü n c h K o m m Z P O / B e i z § 93 Rdn. 8; § 95 Rdn. 4.
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ten Verfahren, etwa analog § 91 a Z P O , entschieden würde. Zwar verletzt die im summarischen Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 91 a Z P O ergehende Kostenentscheidung auf Seiten des Klägers nicht Art. 103 Abs. 1 GG 2 4 , weil der Kläger kein verfassungsrechtlich geschütztes Recht auf eine Kostenentscheidung gemäß der Erledigung der Hauptsache in Abweichung von § 91 Z P O hat und er diese Vergünstigung deshalb auch mit den Einschränkungen der summarischen Billigkeitsentscheidung nach § 91 a Z P O hinnehmen muß 25 . Der Anspruch des Beklagten aus Art. 103 Abs. 1 Z P O ist dagegen schon deshalb nicht verletzt, weil er mit seiner Erledigungserklärung auch der Verfahrensweise nach § 91 a Z P O zustimmt 26 . Diese Erwägungen können auf einen materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch, der den Schutz des Art. 14 G G genießt 27 , jedoch nicht übertragen werden 28 . Vielmehr ist den materiellrechtlichen Ansprüchen über Art. 14 G G auch ein effektiver Rechtsschutz zu gewährleisten 29 , was den Anspruch auf volles rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 G G einschließt. Ein Unterschied je nach dem, ob es sich um Prozeßkosten oder um andere Nachteile und Schäden handelt, läßt sich dabei nicht rechtfertigen. Das vereinfachte Verfahren der Kostenentscheidung nach §§ 91 ff Z P O , insbesondere in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 91 a Z P O , eignet sich deshalb nicht für die rechtskraftverbindliche Feststellung materiellrechtlicher Kostenerstattungsansprüche 30 . Materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche können deshalb nicht im vereinfachten Verfahren nach §§ 91 ff Z P O festgestellt werden. cc) Eine weitere Besonderheit der prozessualen Kostenentscheidung besteht darin, daß sie gemäß § 308 Abs. 2 Z P O keines Antrags bedarf und das Gericht deshalb ohne Rücksicht auf etwaige Anträge die Kosten anteilig beiden Parteien auferlegen darf entsprechend dem Verhältnis ihres Unterliegens. Demgegenüber gilt für materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche das Antragsprinzip des § 308 Abs. 1 Z P O , das als Ver24 So im Ergebnis auch MünchKomm ZPO/Lindacher § 91 a Rdn. 19 f, 48; a. A. Smid ZZP 97 (1984), 245, 274; ders., MDR 1985, 190. 25 Α. A. insoweit Smid ZZP 97 (1984), 245, 283 ff. 26 Insoweit übereinstimmend Smid ZZP 97 (1984), 245, 301. 27 S. zum Schutz schuldrechtlicher Ansprüche durch Art. 14 GG BVerfG NJW 1994, 41. 2» S. auch Smid ZZP 97 (1984), 245, 308 ff. 29 Ζ. B. BVerfGE 35, 348, 361 f; 49, 220, 225. 30 Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 91 a Rdn. 29 a will bei der Kostenentscheidung nach § 91 a materiellrechtliche Erstattungsansprüche berücksichtigen, soweit sie „ohne besondere Schwierigkeiten und insbesondere ohne neue Beweiserhebungen" feststellbar sind, wobei unklar ist, ob dies auch im Sinne einer rechtskraftfähigen Entscheidung möglich sein soll. Für die Berücksichtigung unstreitiger und eindeutiger Forderungen auch BGH MDR 1981, 126. Dagegen zu Recht Smid ZZP 97 (1984), 245, 310.
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längerung der materiellrechtlichen Dispositionsfreiheit über das subjektive Recht in das Prozeßrecht hinein zu verstehen ist31. Einer Partei darf deshalb eine materiellrechtliche Kostenerstattung nur insoweit zugesprochen werden, als sie dies beantragt hat. Macht ζ. B. der Kläger Prozeßkostenerstattung im Wege eines Schadensersatzanspruchs geltend, stellt das Gericht aber fest, daß er infolge eigenen Mitverschuldens nicht vollen, sondern nur teilweisen Ersatz verlangen kann, so darf das Gricht dem Kläger in Ubereinstimmung mit § 308 Abs. 1 ZPO zwar weniger zusprechen, es darf aber nicht, wie es nach § 308 Abs. 2 Z P O mit §§ 91, 92 Z P O möglich wäre, dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch zuerkennen, wenn er dies nicht beantragt hat. An dem Antragsprinzip für materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche festzuhalten, ist neben der Beachtung des Grundsatzes der Parteiherrschaft im Zivilprozeß auch deshalb sinnvoll, weil sich der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch nicht notwendig mit der prozessualen Kostenerstattung nach § 91 Z P O deckt, sondern insbesondere etwa hinsichtlich der vorprozessualen Vorbereitungskosten darüber hinausgehen kann32. c) Zum Teil wird erwogen, den materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch allein in einem Feststellungsurteil auszusprechen und die Kostenfestsetzung auf der Grundlage dieses Feststellungsurteils im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff Z P O durch den Rechtspfleger vorzunehmen33. Dazu wäre eine unbezifferte Feststellungsklage zu erheben mit dem Antrag, daß der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe34. Dies ist jedoch im Hinblick auf die Subsidiarität der Feststellungsklage35 zu überprüfen. Da zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die entstandenen Kosten weitgehend beziffert werden können, ist wegen des Vorrangs der Leistungsklage diese Bezifferung vorzunehmen und mit der Leistungsklage einzuklagen, sei es als Zahlungsklage oder als Freistel" Den Zusammenhang der Ausübung subjektiver Rechte mit dem Prozeßzweck und speziell die Rechtfertigung der Dispositionsmaxime aus der Ausübungsfreiheit des subjektiven Rechts hat Henckel in seinem grundlegenden Werk über „Prozeßrecht und materielles Recht", 1970 immer wieder zu Recht hervorgehoben, etwa S. 61 ff, 113. 32 S. etwa BGHZ 111, 168, 177; MünchKomm ZPO/Beiz vor § 91 Rdn. 10 ff, 18; § 91 Rdn. 16; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. 1994 vor § 91 Rdn. 20; E. Schneider MDR 1981, 353, 359 ff; vgl. auch Siebert, Die Prinzipien des Kostenerstattungsanspruchs und die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Kosten des Rechtsstreits, 1985. 33 Dafür etwa Sannwald NJW 1985, 898, 900; zuvor schon Blanckmeister Recht 1908, 352; Sieg DRiZ 1952, 26. 34 Für eine Feststellungsklage auch BGH LM H. 9/1994 § 254 ZPO Nr. 18 m. Anm. Wax; s. ferner KG NJW 1991, 499; Sannwald NJW 1985, 898; Brüchen AnwBl. 1989, 60; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl. 1993, § 91 a Anm. 7 a bb (2). " S. etwa BGHZ 5, 314, 315; E. Schneider MDR 1981, 353, 357.
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lungsklage, soweit die Kosten nur geschuldet, aber noch nicht bezahlt sind 36 . N u r insoweit eine Bezifferung nicht möglich ist, besteht ein rechtliches Interesse für die Feststellungsklage 37 . Von diesen Grundsätzen beim materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch eine Ausnahme zu machen, besteht ebenso wie sonst bei Schadensersatzklagen kein Anlaß. Die Bezifferung der Kosten ist für die zumeist anwaltlich vertretenen Parteien kein Problem und im übrigen angesichts gesetzlicher Gebührentabellen auch nicht schwieriger als die Feststellung anderer Schadensbeträge, wie ζ. B. Reparaturkosten 38 . Die Erhebung einer Feststellungsklage wird vor allem deshalb vorgesehen, weil die anschließend notwendige Bestimmung der Beträge im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff Z P O erfolgen soll 39 . Dies hat aber nicht nur den Nachteil, daß im Kostenfestsetzungsverfahren nicht alle Schäden, sondern nur die nach § 91 Z P O zu ersetzenden, berücksichtigt werden können 40 . Es kann auch ein Mitverschulden, soweit es sich auf einzelne Schadensposten begrenzt, in dem vereinfachten Verfahren nach §§ 103 ff Z P O nicht zur Geltung gebracht werden. Dieses Verfahren ist auch für Fragen zur Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität nicht geeignet. Solche Fragen wären ähnlich wie bei Grundurteilen u. U. im Betragsverfahren zu klären 41 . Ferner setzt die Feststellungsklage mit anschließendem K o stenfestsetzungsverfahren für die Schadensberechnung stets ein zweites Verfahren in Gang, was bei der Leistungsklage vermieden werden könnte. Der Richter, der bei Bezifferung der Beschwer der Feststellungsklage und allgemein bei der Bestimmung der Sicherheitsleistung nach §§ 709 ff Z P O die Kosten ohnehin im wesentlichen errechnen muß, ist mit dieser Arbeit vertraut und kann sie bei einer Leistungsklage zumeist prozeßökonomisch erledigen. Schließlich ist auch die Verschiebung der Zuständigkeit hinsichtlich der Erstzuständigkeit des Rechtspflegers ( § 2 1 Nr. 1 RpflG) sowie die Veränderung hinsichtlich der Rechtsmittel (Erinnerung und sofortige Beschwer nach § 104 Abs. 3 S. 1 Z P O statt Berufung und Revision) nicht von der Hand zu weisen 42 . Die Unterschiede hinsichtlich der Rechtsmittel betreffen neben den ZustänS. Sannwald NJW 1985, 898. S. etwa BGHZ 5, 314, 315; BGH NJW 1984, 1118 u. 1552; BGH NJW-RR 1988, 445; MiinchKomm ZPO/Lühe § 256 Rdn. 49, 53, 55. 38 Mit der Schwierigkeit argumentieren Reinelt NJW 1974, 345 und Sannwald NJW 1985, 898; dagegen zu Recht E. Schneider MDR 1981, 353, 356. 3 ' So ausdrücklich Sannwald NJW 1985, 898, 900. 40 S. MiinchKomm Z P O / B e h § 103 Rdn. 34, 43. 41 S. dazu etwa MiinchKomm ZPO/Musielak § 304 Rdn. 22, 24. « Bedenken zu Recht auch bei E. Schneider MDR 1981, 353, 357; Becker-Eberhard aaO (Fn. 5) S. 322 f; a. A. Sannwald NJW 1985, 898, 900. 36 37
Materiellrechtliche Kostenerstattung im kostenrechtlichen Gewand?
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digkeiten (s. § 567 Abs. 4 ZPO) auch die Summe der Beschwer (§ 567 Abs. 2 ZPO). Aus allen diesen Gründen sollte die Betragsfestsetzung deshalb nicht im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff ZPO erfolgen. Dann macht aber auch die Feststellungsklage keinen Sinn. Vielmehr sind die materiellrechtlich zu ersetzenden Kosten im Wege der Leistungsklage geltend zu machen. 4. Zusammenfassende
Bewertung
Der speziell auf die Ausnutzung und Veranlassung des gerichtlichen Verfahrens abstellende prozessuale Kostenerstattungsanspruch aus §§ 91 ff ZPO erlaubt es nicht, die §§91 ff ZPO auf die vor- und außerprozessuale Kostenerstattung analog anzuwenden43. Auch für eine analoge Anwendung von § 93 ZPO zugunsten des Klägers ist kein Raum44. Statt einer Vermengung materiellrechtlicher und prozessualer Kostenerstattung ist am Prinzip der strengen Trennung beider festzuhalten. Außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs der §§91 ff ZPO kommen allein materiellrechtliche Kostenerstattungsansprüche in Betracht, die nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen von der prozessualen Kostenerstattung grundsätzlich zu trennen sind. Entgegen jüngsten Andeutungen des BGH 4 5 ist der materiellrechtliche Kostenerstattungsanspruch auch nicht im vereinfachten summarischen Verfahren der Kostenerstattung durchzusetzen46. Vielmehr ist dafür das Erkenntnisverfahren mit der Leistungsklage zu wählen, soweit die Kosten bereits bezifferbar sind. Eine Feststellungsklage kommt in Betracht, soweit die Kosten noch nicht errechnet werden können. Auch im Anschluß an ein Feststellungsurteil über den materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch kann die Kostenfestsetzung nicht im Verfahren nach §§91, 103 ff ZPO erfolgen, vielmehr muß der ausstehende Betrag wie sonstige materiellrechtliche (Schadens-)Ersatzansprüche mit der Leistungsklage eingeklagt werden. Auch Verfahrens mäßig ist deshalb eine strenge Trennung zwischen materiellrechtlicher und prozessualer Kostenerstattung geboten.
41
S. oben 2 a.
44
O b e n 2 b. O b e n 3. O b e n 3 b.
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Ist der „manque de base légale" ein Kassationsgrund, der über die Unterscheidung des materiellen Rechts und des Zivilprozeßrechts hinausgeht? PELAYIA Y E S S I O U - F A L T S I
I. Einleitende Bemerkungen* Es ist wahrscheinlich unvermeidlich, daß zwischen materiellem und Prozeßrecht unterschieden wird, wenn man die Kontrolle gerichtlicher Urteile durch die Obersten Gerichtshöfe festzulegen versucht. Dies gilt sowohl für das System der Revision des deutschen Rechts als auch für jenes der Kassation des französischen 1 . Bei einer näheren Betrachtung der charakteristischen Rechtsordnungen Europas stellt man fest, daß die Anfechtungsgründe der Urteile durch eine Revision oder eine Kassation hauptsächlich dadurch bestimmt werden, ob sie eine Verletzung des materiellen oder des prozessualen Rechts angehen. Beispiele aus dem deutschen 2 , österreichischen 3 , französischen 4 , italieni* Für ihren Beitrag bei der Ubersetzung dieser Arbeit möchte ich Frau Panajotta Lakkis, Rechtsanwältin, danken. 1 S. rechtsvergleichend insb. A. Tunc, La Cour Judiciaire Suprême, une enquête comparative, Rev. intern, dr. comp. 30 (1978) (Spezialband), S. 85; Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. neubearbeitete Auflage, 1960, S. 3 9 ^ 7 , 251-252. 1 Obwohl im deutschen Recht als allgemeiner Revisionsgrund die Gesetzesverletzung im materiellen Sinn zu verstehen ist (§§ 549, 550 ZPO), wird zugleich zwischen Verfahrensverstößen („das Gesetz in bezug auf das Verfahren verletzt sei", § 554 III 3 b, § 559 II 2: error in procedendo), und Verletzungen des materiellen Rechts (error in judicando) differenziert. Uber die Wichtigkeit und die praktischen Folgen der Unterscheidung in Revisionsgründe, die Verletzungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts bilden, s. ζ. B. Rosenberg/Scbwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Auflage, München 1993, § 1 4 111; MünchKomm Z P O - W a l c h s h ö f e r , § 549 Rdn. 16; insbesondere Schwinge, aaO (Fn. 1), S. 34-38. J Im österreichischen Recht versteht die Rechtsprechung den Revisionsgrund, der sich auf die „unrichtige Beurteilung der Sache" (§ 503 Abs. 1 Z. 4 ö Z P O ) bezieht, überwiegend als die Anwendung des materiellen Rechts angehend. Dagegen wird die unrichtige Anwendung des Prozeßrechts nur im Rahmen der Revisionsgründe des § 503 Abs. 1 Ζ. 1 ö Z P O (Nichtigkeit des Berufungsurteils) und des § 503 Abs. 1 Z. 2 ö Z P O (Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens) beschränkt. Kritisch Fasching, Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch, Wien 1984, Nr. 1916. In bezug auf „materielle Anfechtungsgründe" s. auch Rechberger-Simotta, Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren, 3. Auflage, Wien 1986, Nr. 722. 4 Im französischen Recht waren bis zum Gesetz des 23. Juli 1947 die Vorschriften über die Kassation über verschiedene Gesetze verstreut, die vor und nach dem ancien Code de Procedure Civile erlassen worden sind. S. Vincent/Guinchard, Procedure Civile, 21ème édi-
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sehen5 und belgischen6 Recht zeigen uns in genügendem Maße, daß sich am Untergrund sowohl der Revision als auch der Kassation die Differenzierung materiellen und prozessualen Rechts befindet, auch wenn dies unter diversen juristischen Aspekten oder in größerem oder kleinerem Maße geschieht 7 . Selbstverständlich hängt diese Unterscheidung sowohl von den Abgrenzungskriterien des Prozesses vom materiellen Recht ab als auch von der Aufgabe dieser Rechtsmittel und deren rechtspolitischer Funktion 8 . tion, Paris 1987, Nr. 1023. Die Kassationsgründe, die aus den Vorschriften der entsprechenden Gesetze hervorkamen, sind von der lange Zeit herrschenden Auslegung in 4 Kategorien klassifiziert worden: 1 ) Gesetzesverletzung, 2) Unzuständigkeit oder fehlende Gerichtsbarkeit, 3) Nichtbeachtung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift, wenn ihre Verletzung ausdrücklich unter der Folge der Nichtigkeit steht, 4) Erlassung sich widersprechender Urteile. S. Rigaux, La nature du controle de la Cour de Cassation, Bruxelles 1966, Nr. 15; Marty, La distinction du fait et du droit, Paris 1929, Nr. 49, mit unter Fn. e' weiteren Nachw. (In Glasson/Tissier/Morel, Traité théorique et pratique d'organization judiciaire, de compétence et de procédure civile, 3ème edition, IV, Nr. 947, wurden 5 Kategorien erkannt, denn die Unzuständigkeit wurde von der fehlenden Gerichtsbarkeit unterschieden). Diese klassische Differenzierung der Kassationsgründe wurde von Rigaux (Nr. 15) kritisiert, weil sie unsystematisch sei und, hauptsächlich, weil sie den Kassationsgrund wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" (manque de base légale) nicht beachte. Nach dem décret Nr. 79-941 vom 7 November 1979 (der Art. 604, 605 und 639 des nouveau Code de Procédure modifiziert hat) sind die „causes du pourvoi à cassation": 1) „la non-conformité du jugement aux règles de droit" (Art. 604: violation de la loi); 2) excès de pouvoir; 3) incompétence; 4) inobservation des formes; 5) motivation inexistante ou insuffisante; 6) contrariété de jugements; 7) perte de fondement juridique. S. Vincent/Guinchard, aaO, Nr. 1034. Im Rahmen dieser „causes à cassation" spricht die französische Lehre noch immer von „vices de forme" und von „vices de fond". S. ζ. Β. Vincent/Guinchard, aaO, Nr. 1039. Der durchgreifende Wesensunterschied zwischen Verfahrens- und materiellrechtlicher Revision wurde im französischen Schrifttum ζ. B. insbesondere von Plassard, Des ouvertures communes à Cassation et à requête civile, Thèse, Paris 1924, S. 257 n. 301 fg., betont („II semble que la révision, institution unique dans son principe et ses origines, tende à se scinder en deux, et que cette scission déjà amorcée corresponde à la distinction que nous posions en début de ce travail, entre l'erreur in judicando et l'erreur in procedendo. Au sein de l'institution semblent en effet se différencier déjà deux recours très différents, l'un pour vice de jugement, l'autre pour vice de procédure). S. auch Schwinge, aaO (Fn. 1), S. 35. 5 In Italien sind die Kassationsgründe im § 360 itZPO enthalten. Auch sie unterscheiden sich durch Tradition in materielle (errores in judicando) und in prozessuale (errores in procedendo). S. Cappelletti/Perillo, Civil Procedure in Italy, The Hague 1965, Nr. 10, 07 d, S. 274 und dort die Fußnoten. ' In Belgien werden ebenfalls die Kassationsgründe klassisch in diejenigen, die eine Gesetzesverletzung (la contravention à la loi), und in diejenigen, die Prozeßverstöße (la violation des formes de procédure) angehen, unterschieden. S. Rigaux, aaO (Fn. 4), Nr. 11, 115. 7 Das englische Recht scheint sich demgegenüber für solcherlei rechtsvergleichende Überlegungen nicht zu eignen. Die Voraussetzungen der Urteilsanfechtung im House of Lords erlauben keine Unterscheidungen. Rechtsvergleichend Jolowicz, Appelate Proceedings, Towards a Justice with a Human Face, The first International Congress on the Law of Civil Procedure, Antwerpen/Deventer, 1978, S. 129 (126-151). 8 Uber dieses Thema, die Kassation betreffend: Vincent/Guinchará, aaO (Fn. 4), Nr. 1034 mit weiteren Nachw. in Fn. 131 ; die Revision betreffend: Schwinge, aaO (Fn. 1 ),
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Die Unterscheidung der Kassationsgründe in materiell- und prozeßrechtliche findet sich im Kern auch in der griechischen Rechtsordnung 9 . Nach Art. 559 Nr. 1 der g r Z P O ist ein Hauptkassationsgrund die Verletzung des materiellen Rechts. Darunter versteht man sowohl die falsche Auslegung als auch die falsche Anwendung jeder materiellrechtlichen Norm. Auf der anderen Seite werden die sogenannten prozessualen Kassationsgründe im Gesetz einschränkend aufgezählt (Art. 559 Nr. 2 ff). Es handelt sich um Sanktionen für die Verletzung nur vereinzelter Prozeßvorschriften. Die Kriterien dieser Unterscheidung haben an sich keine größeren Probleme verursacht 10 . Schwankend ist jedoch die griechische Lehre - weniger die griechische Rechtsprechung - , wenn es darauf ankommt, die materiell- oder zivilprozeßrechtliche Natur des Kassationsgrundes zu erkunden, der sich „mangelnde gesetzliche Grundlage des Urteils" (nach dem französischen terminus „manque de base légale") nennt und im Art. 559 Nr. 19 g r Z P O angesprochen wird". Danach gilt: „Die Kassation ist ... zulässig, wenn ... das Urteil einer rechtlichen Grundlage entbehrt, insbesondere wenn es keine Begründung oder in einer für den Ausgang des Prozesses wesentlichen Frage eine ungenügende oder sich widersprechende Begründung bringt; ..." l l a .
S. 26, 34-38, 48, 250. Schwinge hat seit der ersten Auflage seiner Monographie die Ansicht vertreten, daß sich die Revision aus materiellrechtlichen und diejenige aus prozessualen Gründen durch ihre verschiedenen Zwecke unterscheiden. ' ''Rammos, Handbuch für das Zivilprozeßrecht II, Athen 1980, S. 1041; *Kerameus, Zivilprozeßrecht, Allgemeiner Teil, Athen-Thessaloniki 1986, Nr. 215-217. Zum Teil differenziert s. heute *Beys, Zivilprozeßrecht, 10. Band, Athen 1977, Art. 559, S. 2126-2129. 10 Es sind jedoch drei Kassationsgründe, unter ihnen auch der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" (s. für Einzelheiten unten Fn. 11), als „materiellrechtlicher Abstammung" bezeichnet worden, obwohl sie traditionell als prozessual angesehen wurden, denn „ihr Kern ist die materiellrechtliche Wirkung der Verletzung auf den Prozeßausgang". So Kerameus, aaO (Fn. 9), Nr. 216. " Ζ. B. Mitsopoulos, Zivilprozeßrecht A', Athen 1972, S. 25 ff, versteht diesen Kassationsgrund als materiellrechtlich, im Gegensatz zu *Litzeropoulos, Die Artikel 173 und 200 grBGB und die Kassation wegen falscher Rechtsgeschäftsauslegung, Ehrenband des Areopag, Athen 1963, S. 534; *Papalambrou, Die Rechtsnormverletzung und der Mangel der gesetzlichen Grundlage als Kassationsgründe nach der grZPO, Athen 1975, S. 30; Psomas, Dike 3, 562, welche diesen Kassationsgrund als prozessualen charakterisiert haben. Auf der anderen Seite hat Kerameus (s. Fn. 10) ihn als „materiellrechtlicher Abstammung" bezeichnet. 1,1 Die Ubersetzung dieser Regelung stammt von Baumgärtel/Rammos, Das griechische Zivilprozeßgesetzbuch mit Einführungsgesetz, Köln/Berlin/Bonn/München, 1969, Art. 577 Nr. 19 (der früheren Numerierung) der grZPO/1967. Der Inhalt dieser Norm hat sich nicht geändert, als man mit dem G. 958/1971 die grZPO/1967 allgemein modifiziert hat (und auch die Numerierung geändert hat).
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Von einer mangelhaften gesetzlichen Grundlage 12 ist in der griechischen" wie auch in der französischen 14 Lehre die Rede, wenn im angefochtenen Urteil die als bewiesen angesehenen Tatsachen nicht vollständig vorgebracht werden, so daß eine Nachprüfung durch das Kassationsgericht möglich wäre, und zwar daraufhin, ob das Tatsacheninstanz gericht den Tatsachenstoff richtig unter die angewendete Rechtsnorm subsumiert hat. Da die ausdrückliche Aufführung der Tatsachen in dem Untersatz des Urteils notwendig ist, damit das Kassationsgericht die Urteilsschlußfolgerung prüfen kann, führt jeder Mangel der Begründungen, der diese Nachprüfung unmöglich macht, zu einer Kassation wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage". In diesem Falle ist in der griechischen Lehre" 15 und Rechtsprechung, im Gegenteil zur direkten Verletzung materiellrechtlicher Normen gemäß Art. 559 Nr. 1 grZPO, von einer indirekten Verletzung die Rede. Diese Untersuchung wird mit der Hoffnung vorgebracht, daß sie einen rechtsvergleichend interessanten Aspekt zum Verhältnis zwischen materiellem und prozessualem Recht belichten wird, ein Thema, das der verehrte Jubilar so ertragreich bearbeitet hat. A m Anfang wird die historische Entwicklung dieses Kassationsgrundes in Griechenland untersucht (II), dem wird die Untersuchung der aktuellen Lehre und Rechtsprechung folgen (III). Die Arbeit wird mit den Schlußbemerkungen abgeschlossen (IV). 12 Dieser Kassationsgrund wird in der griechischen Praxis sehr oft angewendet. Die Untersuchung der Rechtsprechung des Areopags belegt, daß ein großer Teil der Kassationsanträge auf den „Mangel der gesetzlichen Grundlage" gestützt wird, obwohl ein kleinerer Teil von Urteilen deswegen auch tatsächlich kassiert wird. ,J Mitsopoulos, aaO (Fn. 11), S. 25 f; * M i t s o p o u l o s G., Unbestimmte Begriffe im Kassationsverfahren, Neues Recht 21 (1965), S. 1 f, 117 f; 225 f; * M i t s o p o u l o s G., Die Unterscheidung zwischen Tatfrage und Rechtsfrage im Kassationsverfahren, Juristische Tribüne 15, 945 f; ders., ZZP 81, 251 f; * Mitsopoulos G., Die Theorie des Zivilprozeßrechts, Dike 1970, 7f; Mitsopoulos G., Considérations sur la distinction du fait et du droit, Studi in onore di Antonio Segni III, S. 405 f; Kerameus, aaO (Fn. 9), Nr. 216; Rammos, aaO (Fn. 9), S. 1056; Bey s, aaO (Fn. 9), S. 2248; s. auch *Aravantinos, Der gerichtliche Gedankengang und die Art. 807 Nr. 17 und Nr. 19 grZPO/1967, Ehrenband des Areopags, Athen 1963; *Zissis, Die indirekte Verletzung von Verfahrensregeln, Neues Recht 11 (1955), S. 149 f = Studien und Aufsätze I, S. 146 f; Yessiou-Faltsi, Der Mangel der gesetzlichen Grundlage als Kassationsgrund, Dike 3 (1972), S. 563 f = Die Prozeßordnung I, Studien privaten und verwaltungsrechtlichen Prozeßrechts, Thessaloniki 1981, S. 371—400; *Psomas, Der Mangel der gesetzlichen Grundlage als Kassationsgrund, Dike 3 (1972), S. 545-562, "'ders., Der Mangel der gesetzlichen Grundlage und der Beweisschluß, Dike 20 (1989), S. 801-843; Papalambrou, aaO (Fn. 11). 14 S. oben, Fn. 4. Umgekehrt wird in der deutsche Lehre (s. z. B. Schwinge, aaO [Fn. 1], § 9 S. 198), die Ansicht vertreten, daß bei unvollständigem Tatbestand eine Verletzung des § 3 1 3 dZPO vorliegt. Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, aaO (Fn. 2), § 143 VII 7 (und Fn. 70), S. 880. 15 S. für die Hinweise Fn. 13.
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II. Die historischen Hintergründe des Art. 559 N r . 19 g r Z P O 1. Das Kassationsgericht (Areopag) ist in Griechenland nach dem Vorbild des französischen Kassationshofes 16 mit der Z P O von Maurer von 183517 gegründet worden. Die Kassationsgründe waren in Art. 807 enthalten. Art. 807 Nr. 6 und Nr. 7 lauteten: „... Urtheile koennen vom Kassationsgerichte aus folgenden Gründen cassirt werden: ... 6) wegen Mangel der Entscheidungsgründe oder des Dispositivs eines Urtheiles; 7) wegen falscher Anwendung oder falscher Auslegung eines Civilgesetzes . . . " . Darauf folgend bestimmte der Art. 809: „Wegen falscher Anwendung oder falscher Auslegung eines Gesetzes kann nur dann Kassation gesucht werden, wenn in dem Dispositiv eines Urtheiles eine ausdrückliche, directe oder indirecte, Zuwiderhandlung gegen die klaren Bestimmungen eines Gesetzes ... enthalten ist". Die Lehre 18 hat eingewendet, daß Art. 807 Nr. 6 einer genaueren Formulierung bedürfe. Sie hat aber zugleich angenommen, daß ein gänzliches Fehlen der Begründung auch dann vorhanden wäre, wenn die entgegenlautenden Begründungen sich als entgegengesetzt miteinander aufhöben oder wenn die Begründung gänzlich unbestimmt sei. Die Formulierung des Art. 809 grZPO andererseits, die zwischen einer „direkten oder indirekten" Verletzung unterschied, hat die Lehre gezwungen, weiter in die Kriterien der Differenzierung dieser beiden Verletzungsarten einzudringen 19 . Jedoch wurde der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" als Kassationsgrund zu jenem Zeitpunkt noch nicht als selbständiger Begriff untersucht 20 . Der Areopag hat bis 1911 wiederholt Urteile wegen Mangels der Entscheidungsgründe kassiert, ohne jedoch zu unterscheiden, ob dieser " S. *Fragistas, Zivilprozeßrecht, Neudruck 1970, S. 47 f; *Vasileiou/Gidopoulou, Das Rechtsmittel der Kassation, 2. Auflage, Athen 1931, § 9, S. 37. Der Areopag hat, dem Willen des Gesetzgebers entsprechend (s. Maurer, Das griechische Volk II, § 441 Anfang), „... nie über eine Tatsache zu erkennen, sondern immer nur über Rechtspunkte". Später haben jedoch die Gesetzgebung und die Rechtsprechung die Ansicht, der Areopag sei lediglich Kassationsgericht, aufgegeben. S. Vasileiou/Gidopoulou, aaO, § 9, S. 38 f. 17 Wie vielleicht bekannt ist, ist die erste grZPO von Ludwig von Maurer in deutscher Sprache abgefaßt worden (Gesetzbuch über das Civil-Verfahren, Beilage zu Nr. 22 des Regierungsblattes, Nauplia 1834). Sie wurde von K. Schinai, dem Schwiegersohn von Κ. v. Savigny, ins Griechische übersetzt. 18 S. * E k o n o m i d e s / Livadas/Gidopoulos, Handbuch für das Zivilprozeßrecht, 7. Auflage, Athen 1926, § 2 4 7 Bern. 3b. Es handelt sich um das rechtsbeständigste Handbuch jener Zeit, das die Wissenschaft des Zivilprozeßrechts in Griechenland gegründet hat. " S. Vasileiou/Gidopoulos, aaO (Fn. 16), § 30, S. 200. 20 S. Vasileiou/Gidopoulos, aaO (Fn. 16), § 30 II Bern. 5, S. 197.
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Mangel sich auf Normen des materiellen oder des prozessualen Rechts bezog21. Der Areopag hat weiter angenommen, daß eine unverständliche Begründung deren Fehlen gleichstand22 und daß auch die lediglich floskelhafte Nichtberücksichtigung eines Einwands einen Kassationsgrund wegen „Mangel der Entscheidungsgründe" bildete23. Auf der anderen Seite hat der Areopag festgelegt, daß eine unzureichende 24 oder indirekte, jedoch deutliche Begründung 25 keinen Kassationsgrund bildete. Ebenso wurde fehlende Begründung für die Nichtbewertung eines Vorwands, der nicht konkret ausgedrückt wurde 26 oder unbestimmt war27 oder für dessen Vorbringung kein rechtliches Interesse vorlag28, nicht als Kassationsgrund angenommen. Die Rechtsprechung dieser Periode charakterisiert die Tendenz, die Kontrolle wegen Begründungslosigkeit nur auf die maßgeblichen Vorwände zu begrenzen 29 . Die vom Art. 809 ermöglichte Kontrolle der „indirekten" Verletzung, die später für die Grundlegung der Prüfung des „Mangel der gesetzlichen Grundlage" benutzt worden ist, hatte man damals noch nicht erwogen. 2. Die Kassationsgründe des Art. 807 sind durch § 2 des Gesetzes ΓΨΟΘ71911 modifiziert worden. Der Art. 807 Nr. 6 über die Begründungslosigkeit wurde abgeschafft. Nach Art. 807 N r . 15 existierte ein Kassationsgrund, „wenn das Urteil hinsichtlich der Urteilsformel unvollständig war" 30 . Daneben wurde Art. 807 N r . 7 durch Art. 807 N r . 17 ersetzt, nach welchem eine Kassation erfolgte, „wenn ein materielles Gesetz falsch angewendet oder ausgelegt wurde" 31 . Das Gesetz ΓΨΟΘ' hat 21 S. unter anderem Areopag 192/1898, Themis 9, 612; 148/1905, Themis 17, 113; 138/1901, Themis 12, 546 (Begründungslosigkeit einer Rechtskraft). Areopag 166/1901, Themis 16, 69 (unbegründete UnStatthaftigkeit der Berufung). Areopag 299/1904, Themis 16, 69 (unbegründete Verjährung). Areopag 229/1907, Themis 19, 187 (Begründungslosigkeit einer Rechtshängigkeit). Areopag 216/1890, Themis 2, 7; 277/1904, Themis 16, 51; 284/1907, Themis 19, 220 (unbegründete Unzulässigkeit). 22 Areopag 499/1904, Themis 16, 388 (340). 23 Areopag 49/1899, Themis 10, 324. 24 Areopag 303/1910, Themis 21, 580. 25 Areopag 408/1902, Themis 14, 276; 306/1904, Themis 16, 83; 477/1904, Themis 16, 309; 482/1904, Themis 16, 321; 372/1905, Themis 17, 389; 238/1906, Themis 19, 201; 205/1908, Themis 20, 103; 122/1911, Themis 22, 321. 26 Areopag 292/1900, Themis 12, 34. 27 Areopag 463/1904, Themis 16, 290; 345/1904, Themis 16, 129; 298/1906, Themis 18, 167. 28 Areopag 121/1905, Themis 17, 619. 29 S. charakteristisch Areopag 33/1891, Themis 2, 70; 362/1896, Themis 8, 82; 226/1898, Themis 9, 643; 160/1902, Themis 14, 2; 116/1905, Themis 17, 82; 329/1910, Themis 21, 643. 30 S. Ekonomides/Livadas/Gidopoulos, aaO (Fn. 21), § 247 aa., Nr. 15. 31 Nach Gidopoulos (Vasileiou/Gidopoulou, aaO [Fn. 16], S. 129 Bern. 1 a) ist in diesem Punkt keine Änderung eingetreten, denn die Rechtsprechung hatte unter dem Begriff „zivil" der alten Formulierung immer das materielle Gesetz verstanden.
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letztlich in Art. 807 Nr. 7 die Nichtbewertung vorgebrachter Tatsachen, die maßgebend für den Ausgang des Prozesses waren, ausdrücklich als Kassationsgrund anerkannt. Es ist insoweit der herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung gefolgt, daß die Begründungslosigkeit einen Kassationsgrund bildet, wenn sie einen Vorwand betrifft, der für den Prozeß maßgebend ist. Die Abschaffung des Mangels der Entscheidungsgründe als selbständigen Kassationsgrundes wurde jedoch nicht in die Richtung ausgelegt, daß das Urteil nicht kassiert werden konnte, wenn der Mangel in der Begründung nicht erkennen ließ, ob das Gesetz richtig angewendet worden war. Die Lehre32 hat angenommen, daß in diesem Fall das Urteil wegen falscher Anwendung des materiellen Rechts nach Art. 807 Nr. 17 kassiert werden konnte, ohne daß die Anführung eines selbständigen Grundes wegen Begründungslosigkeit nötig wäre. In den ersten Jahrzehnten der Anwendung des G. ΓΨΟΘ71911 hat sich der Areopag nicht mit der Nachprüfung der „gesetzlichen Grundlage" des angefochtenen Urteils befaßt, wie sie die Lehre definiert hatte. In dieser Periode hat der Areopag durch eine Reihe von Kassationsurteilen33 die Entscheidungen unterer Gerichte wegen Nichtbewertung maßgebender Tatsachenbehauptungen aufgehoben, und hat weiterhin, wie auch früher, angenommen, daß das Fehlen einer Antwort des Gerichts auf nicht maßgebende Vorwände keinen Kassationsgrund bildete34. Er hat jedoch die Kassation eines Urteils verweigert, das die subjektiven Gründe für die Nichterwerbung eines Urkundenbeweises angenommen hatte, um den Beweis durch Zeugen zu erlauben35, ohne weiter zu präzisieren, welche die Tatsachen waren, die diese Unmöglichkeit verursacht hatten36. Im Jahre 1923 hat sich der Areopag ebenfalls geweigert, ein Urteil zu kassieren, das angenommen hatte, die Voraussetzungen für die Übertragung des Sorgerechts für ein Kind vom unschuldigen auf den schuldigen Ehepartner läge vor, ohne daß im Urteil diese Voraussetzungen angeführt waren, und dies mit der Begründung, es handele sich hier-
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''Gidopoulos L., Die prozessuale Nichtigkeit nach dem G. ΓΨΟΘ', Athen 1929, S. 45 (58). S. auch dem., in Vasileiou/Gidopoulou, aaO (Fn. 16), § 34, S. 228-229. 33 S. beispielshalber Areopag 176/1915, Themis 27, 66; 100/1921, Themis 32, 419 (unbegründete Nichtbeachtung eines maßgebenden Einwands der Rechtskraft), Areopag 71/1914, Themis 25, 210 (unbegründete Nichtbeachtung eines Vorwands über die Verjährungsunterbrechung), Areopag 136/1914, Themis 25, 433 (unbegründete Nichtbeachtung eines Einwands über die Zahlung). » Areopag 58/1931, Themis 42, 245; 394/1932, Themis 44, 8. " Nach der griechischen ZPO, wo das System der Einschränkung des Zeugenbeweises herrscht (Art. 393 grZPO), wird in diesem Fall die Einschränkung aufgehoben (Art. 394 § 1 b). 36 Areopag 135/1924, Themis 35, 625, mit kritischer Anmerkung der Redaktion. S. entgegengesetzt etwa um die gleiche Zeit die Cour de Cassation, vom 13. April 1923, Juris Classeur de Proc. Civil, Pourvoi en Cassation, Apr. Art. 474-516, Fase F3, Nr. 53.
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bei nicht um die falsche Auslegung oder Anwendung der relevanten Normen, sondern bloß um einen Mangel der Entscheidungsgründe, welcher kein Kassationsgrund nach dem G. ΓΨΟΘ' sei37. 3. Der erste Versuch des Areopags in 1937 38 , die „gesetzliche Grundlage" des angefochtenen Urteils zu prüfen, der augenscheinlich in der französischen Judikatur 39 seine Abstammung hatte, aber sich auf die Art. 807 Nr. 17 und 809 (falsche Anwendung des materiellen Rechts) geAreopag 238/1923, Themis 35, 99. 321/1937, Themis 49, 56. 39 Der französische Kassationshof hat diesen Kassationsgrund seit dem 22. Mai 1812 angenommen, als er einem Kassationsantrag gegen ein Strafurteil mit einer völlig unbestimmten Begründung stattgegeben hat; s. Marty, aaO (Fn. 4), Nr. 139, S. 283. Dies war die Reaktion des französischen Kassationshofes gegen die Taktik mancher Richter der Tatsacheninstanzgerichte, unklare und unbestimmte Begründungen zu benutzen, um schwerer geprüft werden zu können. Außerdem hat schon in 1903 Fay e in seiner entsprechenden Monographie, La Cour de Cassation, Paris 1903, reédition 1970, eine neue Gruppierung der Kassationsgründe eingeführt: 1) Die Gesetzesverletzung (contravention à la loi), 2) die Verfahrensverletzung (violation des formes), 3) den Mangel der gesetzlichen Grundlage (défaut de base légale). Der französischen Rechtsprechung nach muß z. B. das Urteil kassiert werden, das die Scheidung ausspricht, wenn nicht niedergeschrieben worden ist, welche Tatsachen die Fortsetzung des verheirateten Zusammenlebens unerträglich gemacht haben (Cass. civ. 6 mai 1953, D 1953, 479; Cass. civ. 11 mai 1953, D 1953, 495). Das Problem der base légale des angefochtenen Urteils ist allerdings oft bei der Evaluierung der zivilen Haftung aufgekommen. So hat man z. B. ein Urteil aufgehoben, das den Fahrer von der Haftung mit der Begründung freigesprochen hatte, daß er Vorfahrt hatte und die Verkehrsverordnungen eingehalten hatte, ohne weiter darauf einzugehen, ob wegen der schlechten Sichtverhältnisse eine Pflicht zu gesteigerter Vorsicht bestanden hatte. S. Cass. civ. 3 dec. 1954, D 1955, 450. Parallel zum französischen Recht, aber nicht ähnlich, ist die Entwicklung des italienischen. Eines der meist besprochenen Probleme im Kassationsrecht in Italien war der Kassationsgrund wegen „difetto di motivazione", der als der „manque de base légale" der französischen Rechtsprechung entsprechend angesehen wurde; vgl. Ascarelli, Le fait et le droit devant la Cour de Cassation italienne, im Band Le fait et le droit, Etudes de logique juridique, Bruxelles 1961, S. 113 (126). Der itZPO von 1865 nach war die Verletzung des Art. 360, der die Begründung der gerichtlichen Urteile vorschrieb, ein Kassationsgrund. So konnte der Rechtsprechung nach nicht nur das völlige Fehlen einer Begründung zu der Kassation führen, sondern auch eine unzulängliche Begründung oder eine Begründung entgegen den logischen Regeln. Das Prüfungsausmaß, das so dem Kassationsgericht zugesprochen wurde, ist von der Lehre kritisiert worden. S. Rigaux, aaO (Fn. 4), Nr. 199; Ascarelli, aaO (Fn. 5), S. 126. Die itZPO 1942 hat die Prüfungsmacht des Kassationsgerichts einschränken wollen, und hat ausdrücklich (nur) die Nichtbeachtung von durch die Parteien vorgetragenen Tatsachen, die maßgebend für den Ausgang des Prozesses waren, als Kassationsgrund festgelegt („per omesso esame di un fatto decisivo che è stato oggetto di discussione tra le parti"). Diese Regelung ist in dem Sinne ausgelegt worden, daß die Kassation wegen Nichtberücksichtigung vorgebrachter Tatsachen nur für den Fall zugelassen worden ist, in dem das erlassene Urteil genau wegen dieses Versäumnisses unrichtig war; s. Ascarelli, aaO (Fn. 5), S. 126-127. Der Art. 360 Nr. 5 der itZPO, der die oben genannte Anordnung enthielt, ist durch den Art. 42 des G. 581/1950 modifiziert worden. Heute ist in der italienischen Prozeßordnung der fünfte Kassationsgrund die Begründungslosigkeit 37
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stützt hat, ist völlig gebilligt worden40. Seitdem hat das Kassationsgericht ζ. B. folgende Voraussetzungen aufgestellt: Tatsachen, die eine triftige Erschütterung des Eheverhältnisses anzeigten, müßten substantiiert aufgeführt werden, damit nachgeprüft werden könne, ob diese Tatsachen wirklich die Erschütterung hätten hervorbringen können41; Tatsachen der Grobheit, die den Ehepartner zwängen, sich vom ehelichen Heim zu entfernen, müßten substantiiert aufgeführt werden, damit nachgeprüft werden könne, ob ein böswilliges Verlassen vorliege oder nicht42; alle Voraussetzungen zur Erlangung eines Rechtes müßten in Genauigkeit niedergeschrieben werden, eine unbestimmte Begründung reiche nicht aus43; die jeweiligen Tatsachen, die einen Rechtsmißbrauch ausmachen sollten, müßten substantiiert aufgeführt werden, damit die Nachprüfung der richtigen Anwendung des Art. 281 grBGB möglich sei44. 4. Die Einführung eines Kassationsgrundes wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" hat Georg Rammos der Redaktionskommission zur oder die unzulänglichen oder widersprüchlichen Begründungen eines Punktes, der maßgebend für den Ausgang des Prozesses war („per omessa, insufficiente o contraditoria motivazione circa un punto decisivo della controversia prospettata dalle parti o rilevabile d'ufficio"). Dieser Anordnung nach muß der Richter sein Urteil nach den von den Parteien vorgebrachten Tatsachen begründen, und seine Begründungen müssen sich mit den Regeln der Logik vereinbaren lassen. Die Mängel der Begründungen machen das Urteil revisibel, wenn die Argumentation des Richters unklar ist. S. Ascarelli, aaO (Fn. 5), S. 127-128. Im belgischen Recht demgegenüber ist eine Entwicklung wie im französischen und im griechischen Recht nicht erkennbar. Die beiden Kassationsgründe, die sich in Frankreich auf die Urteilsbegründungen beziehen (d. h. die Begründungslosigkeit und der „Mangel der gesetzlichen Grundlage"), sind in Belgien an den Art. 97 des Grundgesetzes angeknüpft worden („Tout jugement est motivé"). Der Kassationsgrund wegen Begründungslosigkeit des Urteils ist insbesondere auf den Art. 608 (609) C. Jud. gestützt worden, der die Verfahrensverstöße als Kassationsgrund eingeführt hat, wenn diese wesentlich sind oder wenn ihre Verletzung ausdrücklich unter die Folge der Nichtigkeit gestellt ist. Der Rechtsprechung des belgischen Kassationshofs nach wird der Begründungslosigkeit sowohl die Begründung, die nicht in Zusammenhang mit dem Urteilstenor steht, gleichgestellt als auch die widersprüchlichen, unklaren oder unzulänglichen Begründungen. Die belgische Lehre hat im Prinzip die französische Theorie des Mangels der gesetzlichen Grundlage verworfen. Der Staatsanwalt des belgischen Kassationshofes Paul Leclerq hat im Jahre 1931 diesen Begriff stark kritisiert, weil er überflüssig und wegen seiner Unklarheit gefährlich sei. Die belgische Lehre scheint sich diesen Ansichten angeschlossen zu haben (s. Rigaux, aaO [Fn. 4], Nr. 200-201). Trotzdem steht Rigaux, aaO, zurückhaltend vor dieser Kritik, indem er präzisiert, daß der Begriff des Mangels der gesetzlichen Grundlage in der französischen Lehre hinreichend konkretisiert worden ist. 40 Redaktionsbemerkungen, Themis 49, 57 S. auch Bern. Ch. Pratsikas in Themis 59 und P. Zissis in Neues Recht 2, S. 250 f. " Areopag 180/1942, Themis 54, 35; 101/1943, Themis 54, 351; 127/1943, Themis 55, 7; 97/1949, Themis 60, 289; 677/1954, Juristische Tribüne 2, 1252. " Areopag 368/1947, Themis 59, 12 mit Bern. Ch. Pratsikas. " Areopag 152/1946, Neues Recht 2, 250 mit Bern. P. Zissis. 44 Areopag 607/1954, Juristische Tribüne 2, 1179.
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Vorbereitung der neuen griechischen Z P O vorgeschlagen, der mit der Taktik des Areopags in diesem Punkt einverstanden war und diesen Kassationgrund eher an die Verletzungen materiellen Rechts angeknüpft hat45. Dennoch wurde der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" zum ersten Mal gesetzlich noch früher, nämlich mit der Modifizierung des Gesetzes 3810/1956 (Art. 5), eingeführt. Das G. 3810 hat so die Einführung dieses Grundes unter dem gleichen Wortlaut in die neue grZPO (s. heute Art. 559 Nr. 19) vorbereitet. 5. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" im griechischen Recht als Kassationsgrund von der Rechtsprechung gestaltet wurde, und dies nicht am Rande eines prozessualen Kassationsgrundes, der die Begründungslosigkeit anging, sondern unter dem breiten Schirm, den der Kassationsgrund der Verletzung des materiellen Rechts bietet. Aus diesem Grund hat man hier von einer indirekten Rechtsverletzung gesprochen. III. Wird durch diesen Kassationsgrund die Anwendung nur des materiellen Rechts oder auch des prozessualen Rechts nachgeprüft? 1. Die ausdrückliche Adoption des „Mangel der gesetzlichen Grundlage" als Kassationsgrund in 1956 (Art. 5 G. 3810), und später von der grZPO 1967/1971 (Art. 559 Nr. 19) 4 \ hat die Rechtslehre zu einer erweiterten Auslegung dieses Kassationsgrundes angestachelt, eine Meinung, die schon früher ausgedrückt worden war. Diese Tendenz jedoch hat die Rechtsprechung des Areopags, nach einigen einzelnen Schwankungen, letztlich nicht geteilt, da sie die Anwendung dieses Kassationsgrundes nur in bezug auf die Anwendung des materiellen Rechts eingeschränkt hat. Diese Entwicklung soll im letzten Teil dieser Arbeit aufgezeigt werden. 2. Die griechische Lehre 47 hat sogleich angenommen, daß das G. 3810/ 1956 den Begriff „Mangel der gesetzlichen Grundlage" gegenüber dem Begriff der „manque de base légale" der französischen Lehre und Rechtsprechung erweitert hat. Anders als in Frankreich 48 wurde auch das völSitzungsberichte der Redaktionskommission III, Athen, 1951, 111, 141. Art. 5 G. 3810/1956 ist in der ZPO von Maurer als An. 807 Nr. 19 zugefügt worden und hat seitdem in dem heute geltenden Art. 559 Nr. 19 ZPO 1968/1971 den gleichen Wortlaut behalten. 47 S. insbesondere Sonrías, Die Kassation im Zivilverfahren nach dem G. 3810/1957, Athen 1959, S. 118. 48 Die französische Lehre hatte den „Mangel der gesetzlichen Grundlage" sowohl vom völligen Fehlen der Begründung unterschieden - das bloß ein Formverstoß ist, da beim Mangel der gesetzlichen Grundlage eine Begründung zwar vorhanden ist, jedoch aus die45 46
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lige Fehlen einer Begründung unter den „Mangel der gesetzlichen Grundlage" gezählt, weil auch in diesem Fall die richtige Subsumtion nicht nachgeprüft werden kann. N a c h dem Wortlaut des Art. 5 G. 3 8 1 0 wurde insbesondere angenommen, daß ein völliges Fehlen der Begründung dann vorlag, wenn in der Urteilsformel eine Anordnung vorzufinden war, ohne daß sich in den Urteilsbegründungen der entsprechende Gedankengang befand. Auf diese Weise hat man auch den Unterschied v o m Kassationsgrund wegen Nichtbewertung maßgebender Einwände hervorgehoben, in welchem letzteren Falle es gleichfalls in der Urteilsformel keine Anordnung gibt 49 . Die widersprüchlichen Begründungen im Sinne des Art. 5 G. 3 8 1 0 wurden, wie auch früher, insofern mit der Begründungslosigkeit verglichen, als sie dem Kassationsgericht die Nachprüfung unmöglich machten, welche Tatsachen v o m Tatsacheninstanzgericht angenommen worden waren, damit in Kombination mit der Urteilsformel nachgeprüft werden konnte, ob das Gesetz richtig angewendet worden war 5 0 . W a s die Mängel der Begründungen angeht, hat man zwischen quantitativen und qualitativen unterschieden: Ein quantitativer Mangel liegt vor, wenn im Urteil die Tatsachen, die eine Voraussetzung für die Anwendung der im Urteil angewendeten Rechtsnorm sind, nicht erschöpfend beschrieben werden. Ein qualitativer Mangel liegt vor, wenn die Begründung sich einfach auf die Rechtsnorm beruft, ser nicht erkannt werden kann, ob das Urteil eine richtige Grundlage hat - als auch von der Gesetzesverletzung. S. Marty, aaO (Fn. 4), Nr. 139; Glasson/Tissier/Morel, aaO (Fn. 4), Nr. 952. S. auch spezifischer Mimin, Les énonciations nécessaires, base légale des jugements, J.O.P. 46,1, 541; Toumon, Le défaut de motifs, vice de forme des jugements, J.C.P. 46, I, 553; Le Clec'h, Moyens de forme et moyens de fond devant la Cour de Cassation, J.C.P. 47, 634; Le Clec'h, De l'insuffisance de motifs, manque de base légale des décisions judiciares, J.C.P. 48, I, 690; Le Clec'h, Manque de base légale et violation de la loi en matière civile, J.C.P. 48, I, 720; Motulsky, Le manque de base légale, J.C.P. 49, I, 775. Vincent/Guinchard, aaO (Fn. 4), Nr. 1034, betonen, daß, obwohl es unter den französischen Autoren noch Differenzen gibt, dem Katalog der Kassationsgründe die „motivation inéxistante ou insuffisante" und die „perte de fondement juridique" hinzugefügt werden müssen. So zählt in Frankreich die Kassation wegen Mangels von Begründung zu den Kassationsgründen, die sich auf das Verfahren („vice de forme") beziehen. Im Gegenteil ist der französische Kassationshof bei der Nachprüfung des Mangels der gesetzlichen Grundlage nicht nur bei der formellen Nachprüfung der Urteilsbegründungen geblieben, sondern er ist in eine wesentlichere Nachprüfung übergegangen („vice de fond"). S. Vincent/Guinchard, aaO, Nr. 1039. Der Mangel der gesetzlichen Grundlage gilt als „moyen de fond", denn man beruft sich auf ihn im Verhältnis zur Rechtsnorm, deren richtige Anwendung nicht durch die Urteilsbegründungen verifiziert werden kann. Der Mangel der gesetzlichen Grundlage betrifft die Begründungslosigkeit bezüglich des Tatbestands. S. Rigaux, aaO, Nr. 196. " Sourlas, aaO (Fn. 47). 55 Sourlas, aaO (Fn. 47); Areopag 522/1960, Juristische Tribüne 9, 287; 152/1962, Juristische Tribüne 10, 764; 513/1966, Juristische Tribüne 15, 419. Der Widerspruch im rechtlichen Gedankengang wurde nicht als Kassationsgrund wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" angesehen.
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o h n e die T a t s a c h e n , auf d e n e n sie basiert, z u nennen; ζ. B . w e n n das U r teil a n n i m m t , d a ß d e r A u t o f a h r e r d e n S c h a d e n aus Fahrlässigkeit v e r u r sacht hat, o h n e diese Fahrlässigkeit z u präzisieren 5 1 . D i e s e L e h r e hat ihre B e d e u t u n g nicht v e r l o r e n , da d e r h e u t e geltende A r t . 5 5 9 N r . 1 g genau d e n gleichen W o r t l a u t beibehalten hat. 3. A u f G r u n d des A r t . 5 G . 3 8 1 0 / 1 9 5 7 u n d später des heute geltenden A r t . 5 5 9 N r . 19 g r Z P O hat d e r A r e o p a g eine R e i h e v o n U r t e i l e n u n t e r schiedlichster A r t kassiert 5 2 . T r o t z d e r a u s d r ü c k l i c h e n
Inkraftsetzung
des „ M a n g e l d e r gesetzlichen G r u n d l a g e " als K a s s a t i o n s g r u n d spricht d e r A r e o p a g i m m e r n o c h v o n einer indirekten R e c h t s v e r l e t z u n g . W i e a u c h f r ü h e r w i r d d a m i t dieser K a s s a t i o n s g r u n d einer R e c h t s v e r l e t z u n g gleichgestellt 5 3 . 4. D e n n o c h hat die R e c h t s l e h r e , o b w o h l d e r A r e o p a g v o n A n f a n g an den Begriff d e r indirekten R e c h t s v e r l e t z u n g als die U n m ö g l i c h k e i t d e r N a c h p r ü f u n g d e r richtigen A n w e n d u n g des materiellen R e c h t s v e r s t a n den hat, s c h o n v o r d e r M o d i f i z i e r u n g des G . 3 8 1 0 angedeutet 5 4 , d a ß a u c h
51 Sourlas, aaO (Fn. 47), S. 120; Yessiou-Faltsi, aaO (Fn. 13), S. 574 mit weiteren Nachweisen; Beys, aaO (Fn. 9), S. 2254 f. S. aber auch Papalambron, aaO (Fn. 13), S. 43. 52 In der Rechtsprechung des Areopags ist auch heute unter dem Art. 559 Nr. 19 die Kassation wegen unzulänglicher oder zum Teil sich widersprechender Begründungen üblich. S. beispielshalber Areopag 611/1968, Juristische Tribüne 17, 289; 360/1969, Juristische Tribüne 17,120; 449/1970, Juristische Tribüne 18, 1299; 266/1970, Juristische Tribüne 18, 1044; 323/1970, Juristische Tribüne 18, 1080; 633/1971, Juristische Tribüne 20, 191 (192); 407/1981, Juristische Tribüne 30, 23; 584/1982, Juristische Tribüne 31, 376; 1508/1988, Juristische Tribüne 38, 63; Die Mehrzahl der aufgehobenen Urteile wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" bilden heute jedoch die Fälle einer unzulänglichen (S. ζ. B. Areopag 620/1968, Juristische Tribüne 17, 297; 380/1968, Juristische Tribüne 16, 963; 253/1970, Juristische Tribüne 18, 1038; 543/1970, Juristische Tribüne 18, 1441; 478/1971, Juristische Tribüne 19, 1267; 153/1971, Juristische Tribüne 19, 634; 336/1971, Juristische Tribüne 19, 975; 1037/1977, Juristische Tribüne 26, 922; 294/1980, Juristische Tribüne 28, 1720; 1475/1980, Juristische Tribüne 29, 850) oder unklaren (S. ζ. B. Areopag 685/1967, Juristische Tribüne 16, 267; 221/1969, Juristische Tribüne 17, 965; 124/1970, Juristische Tribüne 18, 825) Begründung. So ist ζ. B. in der Rechtsprechung des Areopags die Aufhebung wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" häufig, wenn die Begründungen unzulänglich sind und die Nachprüfung der richtigen Anwendung des Art. 281 grBGB über den Rechtsmißbrauch unmöglich erscheint. S. Areopag 234/1967, Juristische Tribüne 15, 979; 621/1968, Juristische Tribüne 17, 297; 230/1968, Juristische Tribüne 16, 733; 203/1971, Juristische Tribüne 19, 729; 388/1971, Juristische Tribüne 19, 1096, 479/1971, Juristische Tribüne 19, 1267; 408/1971, Juristische Tribüne 19, 1108; 479/1971, Juristische Tribüne 19, 1267; 441/1981, Juristische Tribüne 30, 36. 53 S. beispielshalber Areopag 602/1961, Juristische Tribüne 10, 344; 13/1962Juristische Tribüne 10, 506; 192/1961, Juristische Tribüne 9, 998; 474/1966, Juristische Tribüne 15, 317; 339/1971, Juristische Tribüne 19, 979; 479/1971, Juristische Tribüne 19, 1267; 663/1971, Juristische Tribüne 20, 217. 54 Zissis, aaO (Fn. 13), S. 149 f; *Lipovats, Juristische Tribüne 4, 401; Juristische Tribüne 9, 328; Juristische Tribüne 13, 1063.
„ M a n q u e de base légale" als Kassationsgrund
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die Normen des Prozeßrechts, wie diejenigen des materiellen Rechts, direkt oder indirekt verletzt werden können. Eine indirekte Verletzung des Prozeßrechts müsse zur Kassation des Urteils wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" führen, wenn die Verletzung sich unter den prozessualen Gründen befindet, die ausschließlich in der Z P O enthalten sind. Nach dieser Meinung muß das Urteil kassiert werden, wenn sich das Gericht ζ. B. als unzuständig erklärt hat, ohne alle Tatsachen anzugeben, die zu dieser Entscheidung geführt haben (s. heute Art. 559 Nr. 5 grZPO) 55 . Die Nachprüfung der Prozeßnormen wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" wurde nach dem G. 3810 erleichtert, da die entsprechende Regelung nicht wie der frühere Art. 809 Z P O (der nur von der indirekten Verletzung des materiellen Rechts handelte56) differenzierte57. Die Begriffsbestimmungen, zu welchen sich heute die Lehre entschieden hat, sind im wesentlichen gefestigt. Was zunächst die Beziehung der Kassationsgründe wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" und wegen falscher Anwendung oder Auslegung eines Gesetzes zueinander betrifft, wird folgendes angenommen: Der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" hat mit der falschen Auslegung eines Gesetzes als Fall der Gesetzesverletzung (heute Art. 559 Nr. 1 grZPO) natürlich gar nichts zu tun. Im Gegenteil ist dieser Kassationsgrund mit der zweiten Art der Gesetzesverletzung verwandt, nämlich mit der falschen Gesetzesanwendung. Im letzteren Fall ist es jedoch aus den in den Begründungen angeführten Tatsachen mit Sicherheit nachweisbar, daß die Rechtsnorm falsch angewendet worden ist. Demgegenüber ist es bei dem „Mangel 55 A u c h in Frankreich, o b w o h l die „causes de p o u r v o i en cassation", die sich auf die „manque de base légale" berufen, in der Praxis meistens z u r N a c h p r ü f u n g der A n w e n d u n g des materiellen Rechts geführt haben, u n d o b w o h l der Begriff „ m o y e n de f o n d " benutzt wird, hat es in der Rechtsprechung des Kassationshofes Fälle gegeben, in denen die Anw e n d u n g von N o r m e n nachgeprüft w o r d e n ist, die in anderen R e c h t s o r d n u n g e n als p r o zessual angesehen werden. So liegt nach der französischen Rechtsprechung ein Mangel der gesetzlichen G r u n d l a g e auch dann vor, w e n n das angefochtene Urteil, u m den Beweis d u r c h Zeugen zu erlauben, annimmt, daß die Erlangung einer Beweisurkunde aus subjektiven G r ü n d e n unmöglich ist, o h n e weiter zu präzisieren, welche Tatsachen diese U n m ö g lichkeit belegen. S. Cass. civ. 13 avril 1923, Juris Classeur, N r . 53. Ferner sind Urteile kassiert w o r d e n , die auf der Rechtskraft basierten, w e n n sie nicht genau diejenigen Elemente des ersten Urteils angaben, aus denen dessen Rechtskraft hervortritt, damit der Kassationshof nachprüfen konnte, o b diese wirklich existiert. S. Cass. civ. 26 mars 1902, D.P. 1902,1, 264: „la sentence attaquée n'a pas légalement justifié l'application qu'elle a faite des dispositions de l'art. 1351 C . civ." 56
S. Sourlas, a a O (Fn. 47), S. 120. In diese R i c h t u n g hat man sich auch auf den Einführungsbericht des G . 3810 berufen. Diesem Bericht nach w u r d e „die Rechtsprechung des Areopags, was die Prozeßverstöße angeht, a n g e n o m m e n , in d e m ein spezieller Kassationsgrund wegen Mangels der gesetzlichen Grundlage hinzugefügt w i r d " . 57
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der gesetzlichen Grundlage" lediglich unmöglich, die richtige Anwendung nachzuprüfen. Wenn das Tatsacheninstanzgericht den Sachverhalt vollständig niedergeschrieben hätte, könnte das Kassationsgericht sich entweder für die richtige oder die falsche Anwendung einer Rechtsnorm entscheiden. Gerade aus diesem Unterschied stammt die Differenzierung in der griechischen Lehre und Rechtsprechung zwischen direkten und indirekten Rechtsverletzungen 58 . Da weiterhin der Begriff „Mangel der gesetzlichen Grundlage" im obigen Sinne mit der Nachprüfung der richtigen Anwendung des Rechts zusammenhängt, liegt dementsprechend ein Kassationsgrund zunächst vor, wenn die Kontrolle der richtigen Anwendung einer Norm des materiellen Rechts nicht möglich ist. Gemäß Art. 559 Nr. 1 grZPO bildet auch die Unmöglichkeit der Nachprüfung der richtigen Anwendung des internationalen Rechts, des ausländischen Rechts, des Gewohnheitsrechts und der Normen über die Auslegung von Rechtsgeschäften einen Kassationsgrund 59 . Schließlich hält auch heute ein großer Teil der griechischen Lehre unter dem heute geltenden Art. 559 Nr. 19 grZPO die Nachprüfung der richtigen Anwendung sowohl des materiellen Rechts als auch des Prozeßrechts durch den Kassationsgrund des „Mangel der gesetzlichen Grundlage" für möglich 60 . Es scheint jedoch, daß diese Lehre den Areopag nicht beeinflußt hat. Es lassen sich nur vereinzelte Versuche einer Verbindung der Prozeßverstöße mit dem Begriff der „gesetzlichen Grundlage" eines Urteils 58 S. ζ. B. Mitsopoulos, aaO (Fn. 13), ZZP 81, S. 261; Kerameus, aaO (Fn. 13), S. 505; Yessiou-Faltsi, aaO (Fn. 13), S. 569 Fn. 33. 59 Der Areopag hat sich in der Tat mit dem „Mangel der gesetzlichen Grundlage" eines Urteils befaßt, das eine Norm des Gewohnheitsrechts angewendet hatte (Areopag 460/1971, Juristische Tribüne 19, 1249); auch hat das Kassationsgericht wiederholt Urteile wegen Prüfungsunmöglichkeit der richtigen Anwendung der Normen über die Auslegung von Rechtsgeschäften (Art. 173-200 grBGB: „Mangel der gesetzlichen Grundlage") aufgehoben, indem es angenommen hat (ζ. B. Areopag 590/1968, Juristische Tribüne 17, 277), daß das Tatsacheninstanzgericht durch seine „gänzlich unzulängliche Begründung, was die Verwertung oder Verwerfung der oben genannten Auslegungsnormen der Art. 173 und 200 grBGB betrifft, die Kontrolle der richtigen Anwendung dieser unmöglich gemacht hat". S. auch Areopag 195/1968, Juristische Tribüne 16, 707; 58/1969, Juristische Tribüne 17, 561. 60 Rammos, aaO (Fn. 9), S. 1056; Mitsopoulos, Dike 3 (1972), S. 595; Kerameus, Dike 3 (1972), S. 589, 590, 597-599; Beys, aaO (Fn. 9), S. 2262-2264; Psomas, aaO (Fn. 13), S. 561-562, 592. Es herrscht jedoch eine Meinungsverschiedenheit, was den Anwendungsbereich dieses Grundes betrifft. Nach der herrschenden Lehre kann nur dann bei den angewendeten Prozeßnormen die gesetzliche Grundlage eines Urteils geprüft werden, wenn ein ausdrücklicher prozessualer Kassationsgrund besteht. Nach der Gegenmeinung kann der Kassationsgrund „Mangel der gesetzlichen Grundlage" zu der Kontrolle der richtigen Anwendung einer jeden angewendeten Prozeßnorm führen. A.M. Stavropoulos, Art. 577, § 110, S. 811 (er widersetzt sich der Anwendung des Art. 559 Nr. 19 bei der Nachprüfung von Prozeßnormen).
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feststellen. So hat der Areopag in 1961 61 ein Urteil wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" kassiert, in dem die Bewertung oder Nichtbewertung einer Beweisurkunde nicht erwähnt wurde, so daß die Nachprüfung der richtigen Anwendung des Art. 807 Nr. 9 grZPO unmöglich war (ein Urteil kann kassiert werden, wenn es gesetzesgemäß vorgebrachte Beweismittel nicht bewertet hat). In 1964 hat der Areopag" angenommen, daß ein Urteil des Tatsacheninstanzgerichts wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" kassiert werden muß, wenn es ein Geständnis ohne Begründung unberücksichtigt gelassen hat, und in 1967 63 , wenn der bewertete Sachverhalt die Nachprüfung der richtigen Anwendung der Normen über die Rechtskraft, deren Verletzung einen Kassationsgrund bildet, nicht ermöglicht. Die Rechtsprechung des Areopags bleibt in den letzten Jahren konstant: den „Mangel der gesetzlichen Grundlage" verbindet sie nur mit der Anwendung des materiellen Rechts 64 . 6. Wenn man in Betracht auf die beschriebene Meinungsverschiedenheit zwischen der griechischen Lehre und Rechtsprechung, was den materiell- oder prozeßrechtlichen Charakter des Kassationsgrunds „Mangel der gesetzlichen Grundlage" betrifft, zu einigen konklusiven Gedanken kommen wollte, müßte man auch folgende Punkte beachten 65 . Dieser Kassationsgrund, wie er im Art. 559 grZPO gemeint wird, setzt natürlich einen Prozeßverstoß des Richters gegen seine Pflicht, sein Urteil zu begründen, voraus, die heute aus dem Art. 305 Nr. 4 Z P O entnommen werden kann. Die griechische Verfassung sieht ebenfalls vor (Art. 93 § 3), daß jedes Urteil spezifisch begründet werden muß. Beim Kassationsgrund des Art. 559 Nr. 19 Z P O wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" ist jedoch nicht der Mangel der Begründung in sich der wichtigste Aspekt, sondern dessen Resultat: die Unmöglichkeit für das Kassationsgericht nachzuprüfen, ob im konkreten Fall das Gesetz richtig angewendet worden ist. Aus diesem Grund war auch die Taktik der Rechtsprechung, von einer indirekten Rechtsverletzung zu sprechen, ge61
106/1961, Juristische Tribüne 9, 828 mit entgegengesetzten Bemerkungen der Redak-
tion. 6 4 5 / 1 9 6 4 , Juristische Tribüne 1 3 , 3 7 3 . 4 8 2 / 1 9 6 7 , Juristische Tribüne 1 6 , 2 8 . " Das hat eine neuere Forschung bestätigt. S. Psomas, Studien über das Revisionsverfahren, Athen 1990, S. 195 ( 2 3 3 - 2 3 5 ) . S. auch Areopag 150/1973, Juristische Tribüne 21, 902; 9 8 2 / 1 9 7 2 , Juristische T r i b ü n e 21, 494; 6 1 2 / 1 9 7 6 , Juristische T r i b ü n e 25, 5; 1442/1980, D i k e 12, 130; 3 3 7 / 1 9 8 1 , Juristische Tribüne 29, 1530; 1110/1989, Griechische Justiz 32, 756. Es ist jedoch bemerkenswert, daß der Areopag in seinem Urteil 7 4 0 / 1 9 7 9 , Juristische T r i b ü n e 28, 50, ein Urteil wegen Prüfungsunmöglichkeit der richtigen Anwendung des Art. 947 g r Z P O (was die Zusprechung einer Geldstrafe betraf) - also wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" - durch die Begründung, daß die N o r m materiellrechtlichen Charakter habe, kassiert hat. 62
63
65
S. auch Yessiou-Faltsi,
a a O (Fn. 13), S. 561 Fn. 47.
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lungen. Wenn man also den Mangel der gesetzlichen Grundlage als die Unmöglichkeit der Nachprüfung der richtigen Anwendung nur des materiellen Rechts im Urteil versteht, muß man diesen Kassationsgrund zu den Gründen zählen, die sich auf die Verletzung des materiellen Rechts beziehen. Diese Folgerung entspricht jedoch nicht der Wirklichkeit, wenn man diesen Begriff auch an die Unmöglichkeit der Nachprüfung der richtigen Anwendung der Prozeßnormen knüpft. In diesem Falle wäre eine allgemeine Bezeichnung angebracht. Der „Mangel der gesetzlichen Grundlage" würde dann über der Grundunterscheidung der Kassationsgründe in materielle und zivilprozeßrechtliche stehen und könnte mit allen Gründen koexistieren. Auf diese Weise würde dieser Kassationsgrund einen universellen Charakter erhalten66. IV. Schlußbemerkungen 1. Trotz des Einflusses der französischen Lehre und Rechtsprechung, was den Kassationsgrund wegen „Mangel der gesetzlichen Grundlage" betrifft, hat die griechische Entwicklung von einem Punkt an eine autonome Richtung eingeschlagen. 2. Die nunmehr gefestigte Rechtsprechung des Areopags, im Gegensatz zu der griechischen Lehre, hat die Ansicht bestätigt, die bei diesem Kassationsgrund auf strenger Differenzierung zwischen materiellem Recht und Zivilprozeßrecht beharrt. Wenn nämlich die Subsumtionskontrolle unmöglich gemacht wird, weil das Urteil überhaupt keine Begründungen enthält oder wegen der unvollkommenen oder widersprüchlichen Darstellung der Tatsachen - ein Fall, der in Griechenland unter dem Namen der indirekten Gesetzesverletzung bekannt ist - , geht der Areopag nur dann in die Kassation des Urteils über, wenn es sich um eine Norm des materiellen Rechts handelt, genau wie auch in der sogenannten direkten Verletzung eines Gesetzes vorgesehen wird (Art. 559 Nr. 1 grZPO).
66 Vgl. Mitsopoulos, aaO (Fn. 13), ZZP 81, S. 262: „Logisch kann der ,manque de base légale' dem Mangel einer Subsumtionsmöglichkeit wegen der unvollständigen oder widersprüchlichen Darstellung der Tatsachen gleichgestellt werden". Vgl. auch Psomas, aaO (Fn. 13), Dike 3, S. 562, 590, welcher hervorhebt, daß der Kassationsgrund „Mangel der gesetzlichen Grundlage" eine Verletzung der Anordnungen der Logik angeht.
Gedanken zur Abgrenzung des Anspruches als Objekt der Verjährung und der Verjährungsunterbrechung Zum Verjährungsbeginn nach § 852 Abs. 1 BGB und zur Verjährungsunterbrechung bei Teilklagen ALBRECHT ZEUNER
I. Zu den zentralen Begriffen in den Grenz- und Verschränkungsbereichen zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht, die in so besonderem Maße das wissenschaftliche Interesse von Wolfram Henckel gefunden haben, gehört nicht zuletzt auch der des Anspruches. So hat sich der Jubilar in seinem weitgespannten, gedankenreichen Werk auch mit ihm intensiv beschäftigt und dabei eindrücklich die Vielzahl und Verschiedenheit der Funktionen herausgestellt, denen dieser Begriff nach geltendem Recht zu dienen hat1. Ein Komplex solcher Funktionen, auf den der Blick im folgenden gelenkt werden soll, ist der des Anspruches als Objekt der Verjährung und der Verjährungsunterbrechung2, also jener Bereich, dessen gesetzliche Regelung im BGB mit der bekannten Anspruchsdefinition des § 194 beginnt. Verbindungen zum Verfahrensrecht findet man zunächst vor allem in der Vorschrift des § 203 BGB über die Hemmung der Verjährung bei Verhinderung des Berechtigten an der Rechtsverfolgung durch Stillstand der Rechtspflege oder in anderer Weise durch höhere Gewalt, des weiteren in der Regelung der §§ 209 ff BGB über die Unterbrechung der Verjährung durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruches sowie schließlich in der Bestimmung des § 218 BGB, daß ein rechtskräftig festgestellter Anspruch einer eigenständigen dreißigjährigen Verjährung unterliegt. Für den Beginn der Verjährung enthalten die allgemeinen Vorschriften der §§ 198 ff BGB dagegen auf den ersten Blick nur insofern eine mittelbare Andeutung eines Zusammenhanges mit verfahrens1 S. ζ. B. Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß, 1961, S. 253 ff; ders., Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 126, 172 f, 260 f; den., J Z 1962, 335; ders., A c P 174, 97, 120 ff. -' Zu den insoweit von vornherein zu beachtenden Unterschieden s. Henckel, J Z 1962, 335.
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rechtlichen Tatbeständen, als § 198 S. 2 B G B bestimmt, daß die Verjährung von Ansprüchen auf ein Unterlassen erst mit der Zuwiderhandlung beginnt; liegt dem doch offenbar der Gedanke zugrunde, daß vorher eine die Verjährung unterbrechende gerichtliche Geltendmachung eines solchen Anspruches sinnvollerweise nicht erwartet werden kann 3 .
II. 1. Wichtige Besonderheiten weist in ähnlicher Hinsicht dann namentlich auch die in § 852 Abs. 1 B G B enthaltene Regelung auf, nach der Ansprüche auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjähren, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, und ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren seit der Begehung der Handlung. V o m Wortlaut her wird gewiß auch hier - ähnlich wie in § 198 S. 2 B G B - nicht auf einen verfahrensrechtlichen Tatbestand Bezug genommen. Mit dem Abstellen auf die Kenntnis des Verletzten vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen wird der Verjährungsbeginn indessen wiederum erkennbar an Umstände geknüpft, auf die es für die Möglichkeit einer gerichtlichen Geltendmachung des Anspruches wesentlich ankommt 4 . Wenn dabei in diesem Zusammenhang zugunsten des Berechtigten auf das subjektive Element der Kenntnis von den für die Rechtsverfolgung wesentlichen Gegebenheiten abgehoben wird, so bedeutet das freilich eine Abweichung von dem allgemeinen Ansatz der §§ 198 ff B G B , die den Verjährungsbeginn an objektive Kriterien knüpfen. Angesichts der auf der einen Seite zu bedenkenden relativen Kürze der Dreijahresfrist des § 852 Abs. 1 B G B und der auf der anderen Seite nicht zu übersehenden Bedeutung, die der vollen Durchsetzbarkeit deliktsrechtlicher Schadensersatzansprüche beizumessen ist, erscheint diese Regelung aber durchaus sinnvoll. Das gilt um so mehr, als es zur Frage des Zweckes der Verjährung in den Gesetzesmaterialien zum B G B generell heißt, der Schwerpunkt liege nicht darin, dem Berechtigten sein gutes Recht zu entziehen, sondern darin, dem Verpflichteten ein Schutzmittel zu geben,
3 Vgl. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II, 15. Aufl. 1960, § 232 I 3; s. dazu auch Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand (Fn. 1) S. 81 f. Ähnliche Gründe lassen sich von der Sache her auch für die mit Recht allgemein anerkannte Auffassung ins Feld führen, daß für den Verjährungsbeginn nach § 198 S. 1 BGB auf die Fälligkeit des Anspruches abzustellen ist; vgl. dazu ζ. B. Enneccerus/Nipperdey aaO § 232 I 1; Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 7. Aufl. 1989, S. 256; Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 5. Aufl. 1992, Rdn. 108; von Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts II 2,1918, S. 510; BGHZ 55, 340, 341. 4 Vgl. Mot. Mugdan II, S. 414.
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mit dem er sich gegen voraussichtlich unberechtigte Ansprüche ohne Eingehen auf die Sache verteidigen könne 5 . Der angesprochene Zusammenhang zwischen der Möglichkeit der gerichtlichen Rechtsverfolgung und dem Beginn der dreijährigen Verjährung nach § 852 Abs. 1 B G B findet bei der Auslegung der Vorschrift einen zutreffenden Ausdruck darin, daß man davon ausgeht, die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis sei dann vorhanden, wenn der Verletzte auf Grund der ihm bekannten Tatsachen den Anspruch gegen eine bestimmte Person im Wege der Klage mit hinreichender Aussicht auf Erfolg geltend machen könne und ihm damit die Erhebung einer Klage zuzumuten sei6. Von hier aus wird ζ. B. in vollem Umfange deutlich, daß außer der Kenntnis des Schadens und der Person des Schädigers (einschließlich der diesen als solchen kennzeichnenden Schadensverursachung) auch diejenige der weiteren haftungsbegründenden Umstände gehört. So kann insbesondere in allen Fällen, in denen die Haftung ein vom Geschädigten zu beweisendes Verschulden des Verletzers voraussetzt, die dreijährige Verjährungsfrist nicht beginnen, solange dem Geschädigten nicht hinreichende Anhaltspunkte für die Schuldhaftigkeit des schadensursächlichen Verhaltens bekannt sind; fehlt es hieran, so hat der Geschädigte unbeschadet der Kenntnis vom Schaden und vom Schädiger noch nicht die nach § 852 Abs. 1 B G B erforderliche weitergehende Kenntnis von der Person des „Ersatzpflichtigen" 7 . 2. a) Trotz der in alledem festzustellenden klaren und von der Sache her einleuchtenden Grundkonzeption bleiben gewichtige Zweifelsfragen. Dies gilt insbesondere für das Feld der Kenntnis vom Schaden. Wie allgemein angenommen wird, setzt der Beginn der dreijährigen Verjährung insoweit jedenfalls nicht voraus, daß der Geschädigte bereits volle Kenntnis von Umfang und Höhe seiner Einbußen hat 8 . Vom Verfahrensrecht her gesehen ist hierzu an die in § 287 Abs. 1 Z P O vorgesehene erweiterte Möglichkeit der gerichtlichen Schadensfeststellung zu erinnern sowie daran, daß dem Verletzten bei Ungewißheit der Schadenshöhe u. U. auch die Möglichkeit eines unbezifferten Klageantrages eingeräumt wird. Insoweit ist daher gerade die Klage ein geeignetes Mittel,
S. Mot. M u g d a n l l , S. 512. Vgl. R G Z 1 5 7 , 15, 19; B G H Z 6, 195, 201 f; B G H N J W 1977, 198, 199; 1984, 661; MünchKomm BGB/Mertens, 2. Aufl. 1986, § 852 Rdn. 9; Soergel/Zeuner, BGB, 11. Aufl. 1985, § 852 Rdn. 9. 7 Vgl. R G Z 76, 61, 63; B G H Z 75, 1, 4; B G H N J W 1984, 661; 1991, 2350; MünchKomm BGB/Mertens (Fn. 6), § 852 Rdn. 28; Soergel/Zeuner (Fn. 6), § 852 Rdn. 15. » Vgl. z . B . BGB-RGRK/KVe/i, 12. Aufl. 1989, § 852 Rdn. 43; MünchKomm B G B / Mertens (Fn. 6), § 852 Rdn. 19; Soergel/Zeuner (Fn. 6), § 852 Rdn. 13. s
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um Klarheit zu schaffen, so daß in der Tat kein Anlaß besteht, den Verjährungsbeginn unter dem Gesichtspunkt weiter hinauszuschieben, dem Verletzten könne die Erhebung einer Klage noch nicht zugemutet werden. Erhebliche Schwierigkeiten bereiten jedoch Spätschäden, die erst geraume Zeit nach der Verletzung zu früher entstandenen Schäden hinzutreten. In den Gesetzesmaterialien wird dieses Problemfeld ausdrücklich mit der Bemerkung erwähnt, das Erfordernis der Kenntnis des Schadens gewinne namentlich Bedeutung f ü r die Fälle, in welchen zuerst ein Schaden in Erfahrung gebracht worden sei und später ein zweiter Schaden zur Kenntnis gelange 9 . Den Belangen des Verletzten käme es sicher in hohem Maße entgegen, wenn man bei Mehrheit der auf eine unerlaubte Handlung zurückzuführenden Schadenskomplexe oder Schadensposten den Beginn der dreijährigen Verjährung f ü r jeden gesondert bestimmte, indem man jeden als eigenständigen Schaden und Gegenstand der erforderlichen Kenntnis bewertete. Das Verfahrensrecht ließe einer solchen Behandlung des Problems freien Raum: Jeder beanspruchte Zahlungsbetrag kann grundsätzlich gesondert mit einer Klage geltend gemacht werden und bezeichnet insoweit einen eigenen prozessualen Anspruch mit der Folge, daß nach § 322 Abs. 1 Z P O entsprechend auch die Rechtskraft des ergehenden Urteils und die nach § 2 1 8 B G B von dieser ausgelöste dreißigjährige Verjährung auf ihn beschränkt bleibt. Interessanterweise findet man zur Frage der Bedeutung von Prozeß und Rechtskraft eine deutlich andere Konzeption im anglo-amerikanischen Rechtskreis. Zur Funktion der Rechtskraft gehört hier nicht nur, daß ein neuer Streit um das durch den Richterspruch beschiedene Begehren ausgeschlossen und damit vor allem der siegreichen Prozeßpartei das im Urteil festgelegte Prozeßergebnis gesichert wird; der Rechtskraft kommt vielmehr darüber hinaus die Bedeutung zu, daß dem Kläger grundsätzlich auch die Möglichkeit abgeschnitten wird, auf der Grundlage dessen, was bereits claim oder cause of action des ersten Verfahrens war, ein weiteres, im Vorprozeß noch nicht erhobenes Begehren gerichtlich geltend zu machen'0. So wird etwa im englischen Recht angenommen, daß alle Personenschäden, die jemand auf Grund einer zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung erleidet, zu einer einheitlichen cause of action gehören und daher nur einmal den Gegenstand einer Sachentscheidung bilden können. Liegt eine Entscheidung über diese cause of action schon vor, so wird in der späteren Geltendmachung weiterer, erst nachträglich eingetretener Schadensfolgen grundsätzlich ein unzulässiges „splitting" der cause of action gesehen, dem die Rechtskraft entgegengesetzt werden kann". In den USA geht man weithin sogar noch darüber hinaus, indem man sowohl Personen- als auch Sachschäden, die auf ein einheitliches Verletzungsgeschehen zurückgehen, als zu ein und derselben claim oder cause of action gehörig zusammenfaßt, so daß die Rechtskraft einer zu diesem Komplex einmal ergan-
' Mot. Mugdan II, S. 414. S. Zeuner, Festschrift für Zweigert, 1981, S. 603, 604 ff. " S. Spencer Bower/Turner, The Doctrine of Res Judicata, 2. Aufl. 1969, S. 379 ff. 10
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genen Sachentscheidung grundsätzlich jeder weiteren Klage entgegensteht, mit der Ersatz für zusätzliche Schäden verlangt werden soll 12 . Unbeschadet der Unsicherheiten, die sich bei dieser Regelung hinsichtlich der Frage ergeben, wie die von der betreffenden Rechtskraftwirkung erfaßte cause of action oder claim im einzelnen genauer abgegrenzt werden soll, ist der Grundgedanke klar zu erkennen: Durch die gegen das „splitting" einheitlicher Gesamtkomplexe gerichtete Funktion der Rechtskraft wird der Partei, die gerichtlichen Rechtsschutz begehrt, mit Nachdruck auferlegt, für eine konzentrierte und erschöpfende Behandlung der zugrunde liegenden Streitigkeiten zu sorgen, und in Verbindung damit dem Gegner ein einschneidender Schutz dagegen gewährt, im selben Zusammenhang durch weitere Forderungen erneut belästigt werden zu können.
b) Ist der Rechtskraft nach deutschem Recht eine derartige Wirkung fremd, so fällt bei einem Vergleich doch auf, daß in gewisser Hinsicht ähnliche Tendenzen, Haftungskomplexe im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens als Gesamtheit zu einem Abschluß zu bringen, hierzulande in der Auslegung zu finden sind, die der Vorschrift des § 852 Abs. 1 B G B ganz überwiegend gegeben wird: Daß der Schaden, auf dessen Kenntnis es für den Beginn der dreijährigen Verjährung ankommt, stets nur der einzelne konkrete Schadensposten sei und daher bei einer Mehrheit solcher Einzelschäden gegebenenfalls auch die Verjährung je gesondert beginne, wird nur vereinzelt angenommen 13 . Die herrschende Meinung geht demgegenüber seit jeher von dem Grundsatz aus, daß i. S. des § 852 Abs. 1 B G B der gesamte durch eine unerlaubte Handlung verursachte Schaden als eine Einheit anzusehen sei; hat der Verletzte Kenntnis davon erlangt, daß ihm überhaupt ein Schaden entstanden ist, so sollen danach auch alle Folgezustände als bekannt gelten, die als möglich vorauszusehen waren 14 . Auf die gesonderte Kenntnis vom tatsächlichen Eintritt weiterer Schadensfolgen wird demgegenüber nur insoweit abgestellt, als es sich um Folgen handelt, mit denen auf Grund des zunächst bekanntgewordenen Schadens noch nicht zu rechnen war. Wie nicht zu verkennen ist, weicht diese Konzeption von dem sonst weithin geltenden Prinzip ab, daß die Verjährung des Anspruches nicht vor Eintritt seiner Fälligkeit beginnt. Indessen gibt es ähnliche Ausnahmen auch in einer Reihe anderer Fälle - so insbesondere auch nach § 852 Abs. 1 B G B bei der von der Begehung der unerlaubten Handlung an laufenden dreißigjährigen Verjährung. Von hier aus ist daher nichts Entscheidendes gegen die Konzeption der h. M. einzuwenden. Und zu ihren Gunsten läßt sich sicher ins Feld führen, daß es einem S. Restatement of the Law, Second, Judgments, 1982, § 24 C o m m e n t b. S. in diesem Sinne insbesondere F. Peters, J Z 1983, 121. M S. z. B. R G WarnR 1912 N r . 432; 1913 N r . 143; R G Z 83, 354, 360; B G H Z 67, 372, 373; B G H N J W 1988, 965; B G B - R G R K / Ä V e / t (Fn. 8), § 852 Rdn. 44, 45; M ü n c h K o m m BGB/Mertens (Fn. 6), § 852 Rdn. 20; Soergel/Zeuner (Fn. 6), § 852 Rdn. 13. 12
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öffentlichen Interesse entspricht, auf eine Konzentration der Austragung und Erledigung von Haftungsstreitigkeiten hinzuwirken. Auch handelt es sich um eine Aufgabe, die keineswegs nur auf der Ebene des Verfahrensrechtes erfüllt werden kann - etwa nach Art der erwähnten Rechtskraftwirkung im anglo-amerikanischen Rechtskreis - , sondern die sich im Rahmen des geltenden Rechtes zwanglos in den Rahmen der materiellrechtlichen Verjährungsregelung einfügt 15 . Bestätigt wird die Annahme, daß eine solches Grundverständnis dem mit der Vorschrift verfolgten Zweck entspricht, im übrigen auch durch die Entstehungsgeschichte: § 852 Abs. 1 B G B geht auf die ähnliche Vorschrift des A L R I 6 § 54 zurück 16 , auch zu dieser wurde offenbar bereits das Prinzip der Schadenseinheit vertreten 17 , und aus den Gesetzesmaterialien zum B G B ergibt sich keinerlei Anhalt dafür, daß man gegenüber dem preußischen Recht insoweit irgendeine Änderung im Sinne gehabt hätte. c) Von wesentlicher Bedeutung bleibt indessen eine sachgerechte Abgrenzung dessen, was unter dem Gesichtspunkt der Schadenseinheit sinnvollerweise als von der Kenntnis des Verletzten umfaßt angesehen werden kann und von daher für den Anspruch als Gegenstand der von dieser Kenntnis abhängigen Verjährung bestimmend ist. Denn daß hinsichtlich eines von der ursprünglichen Kenntnis nicht erfaßten weiteren Schadens eine eigenständige Verjährung eingreift, unterliegt nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes keinem Zweifel. Und daß sich an diesem Punkte erhebliche Unsicherheiten ergeben können, ist seit jeher bemerkt worden 18 . Als kennzeichnend für die sich hier eröffnende Problematik darf eine Entscheidung des B G H aus dem Jahre 1990 gelten, in der über folgenden Fall zu befinden war 19 : Im Alter von 3V2 Jahren hatte der Kläger einen schweren Verkehrsunfall mit einem Schädelhirntrauma und einem Halswirbelsäulen-Schleudertrauma erlitten. Als er nach mehreren M o naten aus der stationären Behandlung entlassen wurde, bestand noch eine diskrete Halbseitenlähmung; auch war die Beweglichkeit der Halswirbelsäule eingeschränkt. Mit 6V2 Jahren wurde der Kläger eingeschult; mit dem fünften Schuljahr wechselte er in die Hauptschule über. In der Schule wie in der Freizeit betrieb er auch Sport. Mehr als zehn Jahre nach dem Unfall kam er bei einem Fußballspiel zu Fall. Kurz danach
Vgl. von Tuhr (Fn. 3), S. 511. " S. Dernburg, Das bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens II 2, 3. Aufl. 1906, § 389. 17 Vgl. Koch/Johow, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten I, 8. Aufl. 1884,1 6 § 54 Anm. 48. " Vgl. z. B. Engelmann, Festschrift für Binding I, 1911, S. 203, 215 ff. " BGH NJW 1991, 973 = NVZ 1991, 143 mit Anm. F. Peters. 15
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traten unkontrollierte Gehbewegungen auf. Untersuchungen ergaben einen Schaden im Bereich der Halswirbelsäule, der möglicherweise auf einen durch den früheren Unfall verursachten und von den behandelnden Ärzten zunächst nicht erkannten Bänderriß zurückzuführen ist. Nach einer nunmehr durchgeführten Operation stellte sich im weiteren Verlauf eine vollständige Querschnittslähmung ein. Der Kläger ist daher nunmehr schwerstbehindert und bedarf der Pflege rund um die Uhr. Die nach Eintritt der Spätschäden gegen die an dem zugrunde liegenden Verkehrsunfall beteiligte Kraftfahrzeugfahrerin und ihren Haftpflichtversicherer erhobene Schadensersatzklage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes stand einem Anspruch nach § 7 oder § 18 Abs. 1 S. 1 StVG, über den allein zu befinden war, gemäß § 14 StVG a. F. auf jeden Fall die Einrede der Verjährung entgegen, für die es - in gleicher Weise wie nach § 852 B G B für Ansprüche aus Delikt - entscheidend auf den Zeitpunkt der Kenntnis vom Schaden ankam. Und zu diesem Punkt hatte das Berufungsgericht angenommen, die gesetzlichen Vertreter des Klägers hätten die Kenntnis von dem mit der Klage geltend gemachten Schaden nach dem Grundsatz der Schadenseinheit bereits im Jahre des Verkehrsunfalles erlangt. Zugrunde lagen dem folgende Erwägungen: Sofern die eingetretene Querschnittslähmung überhaupt eine Folge des früheren Verkehrsunfalles sei, gehe sie auf das Halswirbelsäulen-Schleudertrauma mit der von den Ärzten zunächst nicht diagnostizierten Verletzung der Bandstrukturen zurück. Auch wenn das Gesamtbild der Verletzung zunächst weniger von diesem Trauma als vielmehr vor allem von der Hirnkontusion bestimmt gewesen sei, habe sich doch schon aus der Behandlung mit einer Schanz'schen Krawatte ein deutlicher Hinweis auf die auch an der Halswirbelsäule eingetretenen Verletzungen ergeben. Nach medizinischer Auskunft seien Gesundheitsschäden wie die des Klägers für Verletzungen im Bereich des ersten und zweiten Halswirbels geradezu typisch. Aus diesem Grunde führe allein die erst später in vollem Umfang erkannte Schwere der entsprechenden Verletzung des Klägers nicht zu einer rechtlich eigenständigen Beurteilung i. S. eines gegenüber dem Halswirbelsäulen-Schleudertrauma selbständigen Grundleidens. In der Frage der für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Schadenskenntnis fand diese Auffassung die volle Zustimmung des B G H , der dazu betonte, daß es für die Einschätzung dessen, womit bei einer Verletzung zu rechnen sei, entscheidend auf die medizinische Sicht ankomme. Bemerkenswerterweise hatte die Revision des Klägers gleichwohl Erfolg: Der B G H gab ihr unter dem Gesichtspunkt statt, daß die Berufung der Beklagten auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kenntnis von der „Schadenseinheit" unter den gegebe-
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nen Umständen gegen § 242 B G B verstoße. Begründet wird dies im wesentlichen mit folgendem: Zwar seien die späteren Verletzungsfolgen als solche schon alsbald nach dem Unfall in medizinischen Fachkreisen vorhersehbar gewesen; selbst bei voller Berücksichtigung des für eine berechenbare Schadensregulierung besonders hohen Stellenwertes von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sei aber eine Einbeziehung in die Kenntnis von der Schadenseinheit für das Rechtsempfinden ausnahmsweise deshalb nicht tragbar, weil zunächst alle Beteiligten einschließlich der Arzte von nur vorübergehenden Verletzungsfolgen ausgegangen seien und sich hierauf berechtigterweise eingestellt hätten, wohingegen die dann tatsächlich eingetretene Gesundheitsbeschädigung außergewöhnlich schwer und existenzbedrohend sei. d) Gegenüber dieser Entscheidung drängt sich sogleich die Frage auf, ob es für das schließlich erreichte Ergebnis wirklich erst der Heranziehung des § 242 B G B bedurfte und sich die angemessene Lösung des Falles nicht vielmehr ohne weiteres daraus ergeben hätte, daß die ursprüngliche Schadenskenntnis der gesetzlichen Vertreter des Verletzten von vornherein nicht die dann unerwarteterweise eingetretenen schweren Spätfolgen einschloß. Dies gilt um so mehr, als es nicht an höchstrichterlichen Entscheidungen fehlt, die in dieser Richtung annehmen, daß sich die Kenntnis des Verletzten von einem zunächst als vorübergehend angesehenen Körper- oder Gesundheitsschaden nicht auch auf eine später unerwartet eingetretene Verschlimmerung des Zustandes mit schweren Dauerfolgen beziehe 20 . Wenn der B G H demgegenüber meint, in dem erwähnten Fall auf seiten des Verletzten an sich eine die schweren Spätfolgen umfassende frühzeitige Schadenskenntnis i. S. des Verjährungsrechtes bejahen zu müssen und die sich daraus ergebende befremdliche Konsequenz nur auf dem Wege über § 242 B G B zurechtrücken zu können, so liegt dem offenbar die Annahme zugrunde, daß in der Regel primär nach objektiven Kriterien bestimmt werden müsse, welche einzelnen Folgen eine Schadenskenntnis i. S. von § 852 Abs. 1 B G B (und entsprechender Vorschriften wie der des § 14 StVG a. F.) einschließe und unter welchen Umständen demgegenüber ein weiterer Schaden anzuerkennen sei, hinsichtlich dessen es für den Beginn der Verjährung auf eine eigenständige Kenntnserlangung ankomme. Deutlich in diese Richtung weist u. a. die Bemerkung, daß hinsichtlich des Komplexes der Schadenseinheit die medizinische Sicht maßgebend sei. Klärungsbedürftig ist danach das in seiner Bedeutung weit über den konkreten Einzelfall hinausreichende Grundsatzproblem, ob ein solcher
20 S. in diesem Sinne z. B. R G WarnR 1909 Nr. 301; J W 1914, 195; B G H VersR 1963, 161, 162.
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Ansatz nach der Konzeption der geltenden Verjährungsregelung sachgerecht ist oder ob nach dieser nicht vielmehr mit subjektivem Akzent darauf abgehoben werden muß, was aus der jeweiligen Sicht des Verletzten mit der von ihm erlangten Schadenskenntnis insgesamt überschaubar und vorhersehbar war21. Wie nicht näher dargelegt zu werden braucht, hätte ein solches Gesetzesverständnis im Falle der erwähnten BGH-Entscheidung zur Folge, daß der eingetretene Spätschaden von vornherein nicht zu der Schadenseinheit gehörte, auf die sich die nach dem Unfall erlangte Kenntnis der gesetzlichen Vertreter des Verletzten bezog. Versucht man angesichts dieser Lage Klarheit darüber zu gewinnen, welche Vorstellungen insoweit bei der Schaffung des § 852 Abs. 1 B G B bestanden, so findet man in den Gesetzesmaterialien zunächst nur den knappen Hinweis, das Erfordernis der Schadenskenntnis sei namentlich für die Fälle von Bedeutung, in denen „zuerst ein Schaden in Erfahrung gebracht" worden „und später ein zweiter Schaden zur Kenntnis gelangt" sei22. Dies hilft auf den ersten Blick sicher nicht viel weiter, weil dabei noch die entscheidende Frage offenbleibt, an welche Voraussetzungen in diesem Sinne die Annahme eines „zweiten Schadens" geknüpft sein soll, ob es dazu - wie insbesondere offenbar der B G H annimmt - eines aus objektiver Sicht gegenüber dem ursprünglichen Schaden eigenständigen neuen Geschehens bedarf oder ob es maßgeblich darauf ankommt, wie sich die Dinge typischerweise aus der Lage des Verletzten darstellen. Wichtige Anhaltspunkte lassen sich aber den Gesetzesmaterialien zu den allgemeinen Regeln der Verjährung entnehmen, in denen u. a. folgendes zu lesen ist23: Zweck der Anspruchsverjährung sei es, der Behelligung mit veralteten Ansprüchen ein Ziel zu setzen. Der Verkehr ertrage es nicht, daß lange verschwiegene, in der Vergangenheit vielleicht weit zurückliegende Tatsachen zur Quelle von Anforderungen in einem Zeitpunkt gemacht würden, in welchem der in Anspruch genommene Gegner infolge der verdunkelnden Macht der Zeit nicht mehr oder nur noch schwer in der Lage sei, die ihm zur Seite stehenden entlastenden Umstände mit Erfolg zu verwerten. Anforderungen dieser Art seien der Regel nach innerlich unbegründet. Und weiter heißt es dann: Geschehe im einzelnen Fall der materiellen Gerechtigkeit Eintrag, gehe der Berechtigte seines wohlbegründeten Anspruches durch die Verjährung verlustig, so sei dies ein Opfer, das er dem Gemeinwohl bringen müsse. Gegenüber der beharrlichen Nichtbetätigung des Anspruches, ohne welche die Verjährung nicht möglich
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Vgl. in diesem Sinne M ü n c h K o m m B G B ! Mertens M o t . Mugdan II, S. 414. Mot. Mugdan I, S. 512.
(Fn. 6), § 852 Rdn. 20.
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sei, und dem daraus abzuleitenden geringen Interesse des Berechtigten an dem Inhalte des Anspruches werde dieses Opfer kaum als ein solches angesehen werden können, das besonders hart empfunden werden dürfte. Vom Standpunkt dieser Äußerungen aus gesehen zeichnet sich deutlich ab, daß in Fällen der zur Erörterung stehenden Art die vom B G H vorgenommene grundsätzliche Abgrenzung der von der ursprünglichen Schadenskenntnis mit erfaßten Spätschäden nicht dem hier umrissenen Zwecke der Verjährung entspricht. Denn hält man sich noch einmal den Fall der erwähnten BGH-Entscheidung vor Augen, so kann man mit Sicherheit feststellen, daß hinsichtlich der für den Verletzten unerwartet eingetretenen Spätschäden von vornherein weder von einer beharrlichen Nichtbetätigung des Anspruches und einem daraus abzuleitenden geringen Interesse die Rede sein kann noch etwa davon, daß es darum ginge, lange verschwiegene Tatsachen zur Grundlage von Ansprüchen zu machen, gegen die sich der in Anspruch Genommene jetzt nur schwer verteidigen könne und die der Regel nach innerlich unbegründet seien oder - wie es in den Gesetzesmaterialien an anderer Stelle heißt - hinsichtlich deren die Vermutung dafür streite, daß sie aus dem einen oder anderen Grunde ungerechtfertigt seien 24 . e) Läßt sich bereits danach feststellen, daß die für die Verjährung tragenden Gesichtspunkte des Schutzes vor unangemessenen Verzögerungen bei der Geltendmachung von Ansprüchen keineswegs eine so umfassende objektive Ausdehnung des in seiner Wurzel subjektiv angelegten Begriffes der Kenntnis des Verletzten vom Schaden rechtfertigen, wie sie vom B G H vertreten wird, so rundet sich das Bild endgültig ab, wenn man eine weitere Seite der Problematik bedenkt: Will der Verletzte dauerhaft eine verjährungsbedingte Entwertung seines Anspruches auf Ersatz von etwaigen Spätschäden verhindern, die, auch wenn sie für ihn aus seiner Position nicht ohne weiteres vorhersehbar sind, doch jedenfalls aus objektiver Sicht möglich erscheinen, so steht er nach der Verjährungskonzeption des B G H vor folgender Situation: Auch wenn der Schädiger seine Verantwortlichkeit für den Schadensfall grundsätzlich nicht bestreitet und den bereits eingetretenen Schaden ohne gerichtliches Verfahren alsbald ersetzt, bleibt die Gefahr des Verjährungsablaufes hinsichtlich der etwaigen Spätschäden in vollem Umfange bestehen. Denn in der Ersatzleistung für vorhandene Schäden liegt typischerweise noch keine Anerkennung des die künftigen Schäden betreffenden Anspruches, die dessen Verjährung nach § 208 B G B unterbräche. Und selbst eine den vollen Anspruch umfassende
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Anerkennung i. S. von § 208 BGB könnte dem Verletzten nur vorübergehend helfen, da durch sie die Verjährung zwar unterbrochen würde, aber nach § 217 BGB alsbald mit der kurzen Frist des § 852 Abs. 1 BGB von neuem zu laufen begänne25, so daß zur Erhaltung des Anspruches schon in nicht sehr ferner Zeit ein weiterer Unterbrechungsakt erforderlich werden könnte. Etwas anderes ergäbe sich nach der Rechtsprechung des B G H nur dann, wenn der Ersatzpflichtige dem Geschädigten hinsichtlich des Zukunftsschadens ein schriftliches Anerkenntnis erteilt hätte, das darauf abzielte, eine Feststellungsklage entbehrlich zu machen; denn ist zwischen dem Geschädigten und dem Ersatzpflichtigen eine Vereinbarung dieser Art zustande gekommen, so kann nach Ansicht des B G H dadurch u. U. ein Feststellungsurteil mit der Folge ersetzt werden, daß sich die Verjährung der Ersatzansprüche für den Zukunftsschaden nach §218 BGB richtet26. All dies läuft im Ergebnis darauf hinaus, daß der Verletzte, der etwaige Ansprüche wegen ihm entstehender Spätschäden vor einer möglichen Verjährung sichern will, u. U. schon in einem Stadium der Entwicklung, in dem die Dinge aus seiner Sicht noch keineswegs akut zu sein brauchen, dazu gedrängt wird, entweder Klage zu erheben oder mindestens den Abschluß einer an die Stelle eines Urteils tretenden Vereinbarung zu verlangen, um auf diese Weise eine Unterbrechung der Verjährung und daran anschließend eine dreißigjährige Verjährung nach §218 BGB zu erreichen. Der danach in den Mittelpunkt der Sachbehandlung gestellten Klage, die - da es an einem bezifferbaren Schaden noch fehlt - von vornherein nur auf die Feststellung gerichtet sein kann, daß der Schädiger verpflichtet ist, dem Verletzten allen Schaden zu ersetzen, der diesem infolge des die Verantwortlichkeit begründenden Geschehens entsteht, kommt in diesem Zusammenhang sicher die materiellrechtliche Funktion zu, dem Beklagten die Ernsthaftigkeit des klägerischen Begehrens mit seiner zukunftsbezogenen Dimension nachhaltig vor Augen zu führen; und mit einem der Klage stattgebenden Urteil (wie auch mit einem Anerkenntnis) wird der geltend gemachte Anspruch grundsätzlich außer Streit gestellt und damit die Grundlage für die nunmehr eingreifende dreißigjährige Verjährung geschaffen. Dies erscheint auf den ersten Blick
" Vgl. Enneccerus/Nipperdey (Fn. 3), § 235 I; Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl. 1995, § 208 Rdn. 1. 26 S. B G H N J W 1985, 791; zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber auch die vom B G H in N J W 1992, 2228 vertretene Auffassung, daß es für eine derartige verjährungsrechtliche Wirkung nicht schon ausreicht, wenn der Ersatzpflichtige in einer Abfindungserklärung des Geschädigten einen auf den Zukunftsschaden gerichteten Vorbehalt akzeptiert.
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durchaus klar und einleuchtend. Erhebliche Zweifel stellen sich jedoch ein, sobald man überlegt, warum es in dem zur Erörterung stehenden Bereich wegen des materiellrechtlichen Zweckes, eine vorzeitige Verjährung zu verhindern, eines derartigen prozessualen Aufwandes bedürfen soll: Sind, wie dies regelmäßig der Fall sein wird, zunächst Primärschäden geltend gemacht und ersetzt worden, so sind zugleich die Umstände, aus denen sich die Möglichkeit künftiger Spätschäden ergibt, dem Verantwortlichen typischerweise ebenso bekannt wie dem Verletzten. Insoweit ist daher nicht recht einzusehen, daß erst noch eine Klage notwendig wäre, um den Verantwortlichen auf seine Haftung wegen etwaiger künftiger Schäden aufmerksam zu machen. Hinzu kommt, daß mit einer entsprechenden Klage inhaltlich kaum Wesentliches i. S. der Prozeßfunktion der Streitentscheidung und -beendigung erreicht werden kann 27 . Denn daß auf Seiten des Beklagten ein haftungsbegründender Tatbestand vorliegt, dürfte zwischen den Beteiligten im Zusammenhang mit dem Ersatz des Primärschadens regelmäßig sowohl hinsichtlich der Tat- als auch der Rechtsfrage bereits weithin geklärt sein. Mit grundsätzlichen Streitigkeiten muß bei der einer Regulierung von Primärschäden nachfolgenden Geltendmachung von Spätschäden dagegen stets insoweit gerechnet werden, als es um Gegenstand und Umfang dieser Schäden geht sowie um die Frage des Ursachenzusammenhanges mit dem haftungsbegründenden Verhalten und um ein etwaiges mitwirkendes Verschulden hinsichtlich der Entstehung dieser Schäden oder einer unterbliebenen Abwendung oder Minderung. Uber alle diese Punkte kann jedoch naturgemäß nicht entschieden werden, solange die betreffenden Schäden noch gar nicht eingetreten sind. Die Rechtskraft der Entscheidung, die die Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz aller aus einem bestimmten haftungsbegründenden Geschehen entstehenden Schäden feststellt, hat dementsprechend keinerlei Bindungswirkung hinsichtlich der Frage, inwieweit ein später geltend gemachter Schaden tatsächlich auf den jeweiligen zum Ersatz verpflichtenden Umstand zurückzuführen ist. Der zuvor geführte Feststellungsprozeß befaßt sich damit auf der einen Seite inhaltlich zu einem guten Teil mit Fragen, die zwischen den Beteiligten typischerweise gar nicht umstritten zu sein brauchen, während auf der anderen Seite das Hauptstreitpotential der Ansprüche auf Ersatz von Spätschäden ausgeklammert bleibt und deshalb von vornherein absehbar ist, daß zu gegebener Zeit ein weiterer Prozeß erforderlich werden kann. Unter dem Blickwinkel der Streitentscheidungs- und Streitbeendigungsfunktion des Prozesses erscheint es daher insgesamt gesehen wenig sinnvoll,
J7
Vgl. dazu auch F. Peters, J Z 1983, 121, 125.
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den Verletzten im Hinblick auf mögliche Spätschäden zu einer vorgezogenen Feststellungsklage zu drängen. Das aber ist ein Umstand, durch den zugleich der Eindruck bestärkt wird, der sich in der zur Erörterung stehenden Verjährungsfrage bereits aus den vorangehenden Überlegungen ergeben hat. Gewiß kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß nach materiellem Recht die Klageerhebung u. U . das gebotene Mittel ist, um eine drohende Verjährung zu verhindern, und daß es unter solchen Umständen nicht etwa noch zusätzlich darauf ankommt, inwieweit auf diesem Wege auch das prozessuale Ziel der Streiterledigung zu erreichen ist. Daß die verjährungsrechtlichen Wirkungen der Prozeßführung, die aus verfahrensrechtlicher Sicht im allgemeinen eher den Charakter von Nebeneffekten haben, im Einzelfall zu dem mit einer Klage verfolgten Hauptzweck werden können, muß nach geltendem Verjährungsrecht hingenommen werden. Bei der Auslegung verjährungsrechtlicher Vorschriften ist jedoch i. S. eines funktionsgerechten Ineinandergreifens von materiellem Recht und Prozeßrecht Bedacht darauf zu nehmen, daß ein solcher prozessual unergiebiger Einsatz verfahrensrechtlicher Instrumente auf das materiellrechtlich unerläßliche Maß beschränkt bleibt. Im vorliegenden Zusammenhange heißt das, daß es auch unter dem angedeuteten Blickwinkel eines möglichst gezielten und sparsamen Einsatzes prozessualer Mittel sachgerecht erscheint, i. S. von § 852 Abs. 1 B G B die Kenntnis der „Schadenseinheit" entgegen der Ansicht des B G H auf nachträglich eintretende Spätschäden nur insoweit zu beziehen, als sie aus der jeweiligen Position des Verletzten unmittelbar zu erwarten sind. Da damit für diese Schäden der Beginn der dreijährigen Verjährung entsprechend hinausgeschoben wird, entfällt für den Verletzten insoweit der Zwang zu einer vorzeitigen, in der Sache wenig hilfreichen Klageerhebung. Der mit der Verjährungsregelung verfolgte Zweck bleibt dabei - wie sich gezeigt hat - voll gewahrt, und N o t hilfekorrekturen unter Berufung auf § 242 B G B nach Art der besprochenen BHG-Entscheidung erübrigen sich von Anfang an. III. 1. In einem gewissen Zusammenhang mit dem erörterten Komplex mag noch auf eine weitere verjährungsrechtliche Frage hingewiesen werden, bei der sich wiederum ein Problem des Ineinandergreifens von materiellem Recht und Prozeßrecht stellt: Wird mit einer Klage ein Teil eines Anspruches geltend gemacht - wird etwa bei einer „Schadenseinheit", hinsichtlich der nach § 852 Abs. 1 B G B die Verjährung einheitlich zu laufen begonnen hat, zunächst nur auf Ersatz des bereits feststehenden Schadensteiles geklagt - , so wird nach § 209 B G B die Verjährung
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grundsätzlich auch nur in dieser Höhe unterbrochen 28 . Es entspricht dies dem Umstand, daß nach § 322 Abs. 1 Z P O auch die Rechtskraft einer ergehenden Sachentscheidung in gleicher Weise beschränkt ist29. Mit Recht ist freilich seit langem anerkannt, daß in Fällen, in denen mit einem bezifferten Klageantrag ein dem Kläger zustehender Anspruch in voller Höhe geltend gemacht werden soll, wegen veränderter Währungsoder Preisverhältnisse oder dgl. aber später eine Erhöhung des beanspruchten Betrages erforderlich wird, die von der ursprünglichen Klage ausgelöste Verjährungsunterbrechung sich auch auf die nachträgliche Erhöhung der Klagesumme bezieht 30 . Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Situation, daß mit einer Klage zunächst ein Teilschaden oder ein sonstiger Teilbetrag eines Anspruches geltend gemacht und die Klage dann im Verlaufe des Verfahrens erweitert wird. Das R G hatte in einer frühen Entscheidung zunächst offengelassen, ob in Fällen dieser Art die durch die Teilklage ausgelöste Verjährungsunterbrechung auch den erst mit der Klageerweiterung zur Entscheidung gestellten Anspruchsteil erfassen könne 31 , und sich dazu auf eine in diese Richtung weisende Stimme in der Literatur 32 bezogen. Wenige Jahre später hat es diese Frage jedoch endgültig verneint und dazu folgendes bemerkt 33 : D a nach dem Recht des B G B die Unterbrechung der Verjährung nur insoweit eintrete, als der Anspruch rechtshängig werde, laufe bei einer Teilklage die Verjährung des nicht eingeklagten Teiles weiter, so daß der Rest verjähre, wenn die Teilklage nicht vorher auf das Ganze erweitert werde; völlig ausgeschlossen sei es dann aber, daß diese Wirkung der bereits eingetretenen Verjährung durch eine an und für sich zur Unterbrechung geeignete Handlung nachträglich wieder entfalle. 2. Seit dieser Entscheidung wird die Frage allenthalben im selben Sinne behandelt 34 . Soweit ersichtlich, ist bislang aber nicht ernsthaft erörtert worden, ob nicht die Berücksichtigung der Wertung, die der eine Klageerweiterung begünstigenden Vorschrift des § 264 Nr. 2 Z P O zugrunde liegt, zu einem anderen Ergebnis führt: Wie nicht näher darge-
Vgl. Henckel, JZ 1962, 335, 336; B G H NJW 1988, 965, 966. Vgl. Mot. Mugdan I, S. 532. Objekt der Verjährungsunterbrechung ist in diesem Sinne der Streitgegenstand, vgl. Henckel, J Z 1962, 335; B G H N J W 1983, 2813; 1988, 965, 966. 30 Vgl. Brandner, VersR 1970, 873; Henckel, J Z 1962, 335, 338; MünchKomm BGB/von Feldmann, 3. Aufl. 1993, § 209 Rdn. 9; B G H VersR 1984, 868. 31 RGZ 57, 372, 376. 32 Rehbein, Das Bürgerliche Gesetzbuch mit Erläuterungen 1,1899, S. 319. 33 RGZ 65, 398, 399. 34 S. z . B . B G H Z 6 7 , 372, 373; B G H N J W 1988, 965; N J W - R R 1988, 692; BGBRGRK/Johannsen, 12. Aufl. 1982, § 2 0 9 Rdn. 25; MünchKomm B G B / ™ « Feldmann (Fn. 30), § 209 Rdn. 9: Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl. 1980, § 209 Rdn. 11. 28
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tan zu werden braucht, dient die in § 263 Z P O festgelegte Beschränkung der Klageänderung den Interessen des Beklagten, der namentlich vor einer wesentlichen Erschwerung seiner Verteidigung geschützt werden soll. Wenn § 264 Nr. 2 Z P O demgegenüber bei unverändertem Klagegrund eine Erweiterung der Klage ohne Einschränkung zuläßt, so kommt darin die gesetzgeberische Auffassung zum Ausdruck, daß insoweit keine unzumutbare Erschwerung der Verteidigung zu befürchten sei. Da aber auch für die Verjährung der Gedanke eine maßgebliche Rolle spielt, daß Schutz vor einer Inanspruchnahme gewährt werden soll, gegenüber der mit typischen Erschwerungen der Verteidigungsmöglichkeiten gerechnet werden muß, liegt es nahe, aus der Zulassung der Klageerweiterung zugleich Folgerungen für die Verjährungsfrage abzuleiten: Ist es dem Beklagten nach § 264 Nr. 2 Z P O prozessual zumutbar, sich auf eine Erweiterung der Klage einzulassen, so vermag es nicht zu überzeugen, daß er hinsichtlich dieses Teilanspruches doch verjährungsrechtlich geschützt werden soll, wenn die Verjährung insoweit bei ununterbrochenem Ablauf zwischen Erhebung und Erweiterung der Klage ihr Ende gefunden hat. Da der Beklagte, gegen den vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Teilklage erhoben worden ist, sich hinsichtlich des einheitlichen Klagegrundes auf jeden Fall auf seine Verteidigung einrichten und zudem von Anfang an mit der Möglichkeit der Klageerweiterung rechnen muß, trifft in diesen Fällen auch der Grundgedanke der Verjährung - Schutz vor Ansprüchen, deren Geltendmachung wegen Zeitablaufs nicht mehr zu erwarten war - von der Sache her nicht zu. Als Folgerung bietet sich daher an, daß mit einer Teilklage die Verjährung auch hinsichtlich des Restes insoweit unterbrochen wird, als dieser nach § 264 Nr. 2 Z P O noch im selben Verfahren geltend gemacht wird 35 . Läßt der Kläger die Möglichkeit der Klageerweiterung dann freilich ungenutzt, so muß diese Unterbrechung wieder entfallen - ähnlich wie dies § 212 Abs. 1 B G B bei einer Klagerücknahme vorsieht. Wie am Rande angemerkt sei, befindet sich die vertretene Auffassung übrigens in einem bemerkenswerten Einklang mit einer für Klagefristen bestehenden festen Rechtsprechung. Denn in diesem Bereich ist seit langem anerkannt, daß eine fristgerecht erhobene Teilklage auch noch nach " Hingewiesen sei hierzu auch auf die von A. Blomeyer vertretene Auffassung (Zivilprozeßrecht - Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. 1985, § 4 9 III 2), daß während des Verfahrens über einen Teil eines Anspruches das sich aus der Rechtshängigkeit ergebende Verbot der Prozeßverdoppelung eingreife, wenn wegen des Restanspruches, der in dem schwebenden Verfahren nach § 264 N r . 2 Z P O durch Klageerweiterung geltend gemacht werden kann, eine selbständige Klage erhoben wird. Nach h. M. kommt der Rechtshängigkeit freilich keine solche auf eine Prozeßkonzentration gerichtete Funktion zu; vgl. Stein/Jonas/Schumann, Z P O , 20. Aufl. 1987, § 261 Rdn. 57; R G J W 1901, 651; B G H W M 1971, 83.
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Ablauf der Frist im Rahmen der dafür geltenden verfahrensrechtlichen Regelung erweitert werden kann36. Da kein wesentlicher Sachgrund dafür zu erkennen ist, Klage- und Verjährungsfristen insoweit unterschiedlich zu behandeln, kann hierin zugleich eine Bekräftigung der zur Verjährung vorgetragenen Gedanken gefunden werden. In systematischer Hinsicht bestätigt sich bei alledem erneut die von Wolram Henckel für benachbarte Bereiche schon vor vielen Jahren eindrücklich vertretene Auffassung, daß in Fragen der Verjährung, sosehr ihre Wurzeln im materiellen Recht liegen, eine nachhaltige Beachtung der Funktionszusammenhänge mit dem Verfahrensrecht geboten ist57.
36 S. z. B. RGZ 12, 299, 301; 93, 312, 315; 102, 380; 129, 293, 296; BGH LM § 268 ZPO a. F. Nr. 3; MDR 1964, 831; VersR 1973, 53, 54; Stein/Jonas/Schumann (Fn. 35), § 264 Rdn. 71. 37 JZ 1962, 335.
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Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
I. Monographien 1. Prozeßführungsmacht kraft Rechtsscheins Dissertation, Heidelberg 1956, unveröffentlicht 2. Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozeß Habilitationsschrift, Heidelberger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Band 8, Heidelberg 1961 3. Vom Gerechtigkeitswert verfahrensrechtlicher Normen Göttinger Rektoratsrede, Göttinger Universitätsreden, Göttingen 1966
Heft
49,
4. Studienreform Vortragsreihe der Niedersächsischen Landesregierung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in Niedersachsen, herausgegeben im Auftrage des Niedersächsischen Ministerpräsidenten, Heft 37, Göttingen 1967 5. Prozeßrecht und materielles Recht Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, Band 78, Göttingen 1970 6. Pflichten des Konkursverwalters gegenüber derungsberechtigten, RWS-Skript Nr. 25 1. Auflage Köln 1979; 2. Auflage Köln 1979 7. Aktuelle Probleme der Warenlieferanten RWS-Skript Nr. 125 1. Auflage Köln 1983; 2. Auflage Köln 1984
Aus-
beim
und
Abson-
Kundenkonkurs,
8. Prozeßrecht und materielles Recht Thrazische Juristische Abhandlungen, Band 18, Athen - Komotini 1988
II. Kommentierungen Jaeger, Konkursordnung mit Einführungsgesetzen, begründet von Ernst Jaeger, 9. Auflage 1. Lieferung, §§ 1-9, Berlin 1977, S. 1-310 2. Lieferung, §§ 10-18, Berlin 1980, S. 311-590 3. Lieferung, §§ 19-28, Berlin 1982, S. 591-753 4. Lieferung, §§ 29-12, Berlin 1991, S. 754-1358
Großkommentar,
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Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
III. Aufsätze, Festschriftbeiträge, Rezensionen 1. Parteibegriff und Rechtskrafterstreckung ZZP 70 (1957), S. 448-465 2. Die ergänzende Vertragsauslegung AcP 159 (1960/61), S. 106-126 3. Materiellrechtliche Folgen der unzulässigen Prozeßaufrechnung ZZP 74 (1961), S. 165-186 4. Die Grenzen der Verjährungsunterbrechung J Z 1962, S. 335-339 5. Der gewillkürte Parteiwechsel D R i Z 1962, S. 335-339 6. Rezension von Wilhelm Weber, Treu und Glauben (§ 242 B G B ) , Sonderausgabe aus J . v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Auflage, Band II, „Recht der Schuldverhältnisse", Teil 1 b, Berlin 1961 B B 1962, S. 456 7. Rezension von Rudolf Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht ZZP 76 (1963), S. 478-480 8. Bestand und Problematik des weltlichen Eherechts Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Band S. 382-394
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(1964),
9. Sanktionen bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ZZP 77(1964), S. 321-371 10. Die Verfahrensrevision im Sozialgerichtsprozeß in: Rechtsschutz im Sozialrecht, Beiträge zum ersten Jahrzehnt der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Köln 1965, S. 105-125. 11. Zur Auslegung des § 265 Z P O Rezension von Wolfgang Grunsky, Die Veräußerung der streitbefangenen Sache ZZP 82 (1969), S. 333-359 12. Die Verantwortung der Verfahrensbeteiligten für die Beschleunigung des Zivilprozesses in: Festschrift für Hans Schima, Wien 1969, S. 205-216 13. Die Klagerücknahme als gestaltende Verfahrenshandlung in: Festschrift für Eduard Bötticher, Berlin 1969, S. 173-195 14. Rezension von Fritz Baur, Zwangsvollstreckungen Konkurs- und Vergleichsrecht, 8. Auflage 1969, sowie Fälle und Lösungen zum
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Verzeichnis der Schriften von W o l f r a m Henckel
Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 2. Auflage, Karlsruhe 1969 ZZP 84 (1971), S. 4 4 7 ^ 6 2 15. Der Gegenstand des Verfahrens zur Feststellung von Konkursforderungen in: Festschrift für Karl Michaelis, Göttingen 1972, S. 151-172 16. Rezension des Entwurfs eines Verwaltungsgerichtsgesetzes Vereinheitlichung der Verwaltungsgerichtsordnungen und Sozialgerichtsgesetzes AöR 97(1972), S. 445-452
zur des
17. Fortsetzung des Zivilprozesses nach dem Rücktritt vom Prozeßvergleich in: Festschrift für Eduard Wahl, Heidelberg 1973, S. 4 6 5 ^ 7 4 18. Einziehungsermächtigung und Inkassozession in: Festschrift für Karl Larenz, München 1973, S. 643-660 19. Vorbeugender Rechtsschutz im Zivilrecht AcP 174 (1974), S. 97-144 20. Wert und Unwert juristischer Konstruktion im Konkursrecht in: Festschrift für Friedrich Weber, Berlin 1975, S. 237-252 21. Rückwirkungen richterlicher Rechtsfortbildung Verträge Versicherungsrecht 1975, S. 773-784
auf
bestehende
22. Sachmängelhaftung beim Kauf im Konkurs in: Festschrift für Franz Wieacker, Göttingen 1978, S. 366-383 23. Rezension von Wilhelm L. Pastor, Der Wettbewerbsprozeß, 2. Auflage, Köln 1973 ZZP 89(1976), S. 224-229 24. Rezension von Paul Ramer, Die prozessualen Gestaltungsklagen des schweizerischen Rechts in rechtsvergleichender Darstellung mit dem deutschen Recht, Zürich 1973 ZZP 89 (1976), S. 227-229 25. Rezension von Rolf Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, Tübingen 1976 ZZP 92(1979), S. 100-107 26. Empfehlen sich gesetzliche Maßnahmen zur Reform der Mobiliarsicherheiten? Verhandlungen des 51. Deutschen Juristentages 1976, Band III Teil 0, S. 0 8 - 0 31
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Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
27. Masselosigkeit und Masseschulden in: Einhundert Jahre Konkursordnung 1877-1977, Festschrift des Arbeitskreises für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e. V. Köln zum einhundertjährigen Bestehen der Konkursordnung vom 10. Februar 1877, Köln 1977, S. 169-187 28. Rezension von Fritz Baur, Zwangsvollstreckungs-, Konkurs- und Vergleichsrecht, 10. Auflage, Heidelberg, Karlsruhe 1978 NJW 1979, S. 100 29. Die Betriebsveräußerung im Konkurs ZIP 1980, S. 2-9 30. Zur Anwendung des § 613 a BGB im Konkurs ZIP 1980, S. 173-174 31. Gedanken zur Entstehung und Geschichte der Zivilprozeßordnung in: Gedächtnisschrift für Rudolf Bruns, München 1980, S. 111-128 32. Wandlungen im Konkursrecht - Notwendigkeit und Grundlagen einer Reform in: Rechtswissenschaft und Rechtsentwicklung, Ringvorlesungen von Professoren der Juristischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen, Göttingen 1980, S. 183-195 33. Die Problematik der mangels Masse abgewiesenen Konkursanträge - mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung in: Internationales Symposium für Kreditschutz, Wien 1980, Insolvenzrecht, S. 132-136, herausgegeben vom Kreditschutzverband von 1870, Wien 34. Rezension von Othmar Jauernig, ZwangsvollstreckungsKonkursrecht, 15. Auflage, München 1980 JZ 1981, S. 247-248
und
35. Rezension der Festschrift für Werner Flume, Köln 1978 ZZP 94(1981), S. 347-350 36. Vorausverfügung und Aufrechnung bei der Miete beweglicher Sachen und bei der Rechtspacht im Konkurs des Vermieters und des Verpächters in: Festschrift für Fritz Baur, Tübingen 1981, S. 4 4 3 ^ 6 3 37. Die Verbindungen des verfahren ZIP 1981, S. 1296-1303
Sanierungsverfahrens
zum
Konkurs-
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38. Das Sanierungsverfahren in einem künftigen Insolvenzrecht in: Protokoll der konkursrechtlichen Arbeitstagung der IG Metall am 29. und 30. O k t o b e r 1981 in Frankfurt am Main, herausgegeben vom Vorstand der IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Köln 1982, S. 176-197 39. Haftungsfragen bei der Verwaltungstreuhand in: Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart, Festschrift f ü r Helmut Coing, München 1982, Band II, S. 137-147 40. Die Gläubigeranfechtung - ein taugliches Mittel zur Beseitigung von Verkürzungen der Konkursmasse? ZIP 1982, S. 391-399 41. Reform oder „Amputation" ? FLF 1983 N r . 3, S. 91-93 42. Rezension von Klaus M enzinger, Das freie Nachforderungsrecht der Konkursgläubiger, Fragwürdigkeit und Grenzen, Berlin 1982 und von Hans-Peter Ackmann, Schuldbefreiung durch Konkurs?, Bielefeld 1983 Z Z P 97(1984), S. 105-114 43. Die Anpassung des Rechts der Betriebsübernahme (§ 613 a BGB) an die Insolvenzsituation de lege lata und de lege ferenda Z G R 1984, S. 225-257 44. Reform des Insolvenzrechts Z Z P 97(1984), S. 369-395 Nachdruck in: Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, herausgegeben von der Juristischen Gesellschaft Osnabrück-Emsland, Osnabrücker rechtswissenschaftliche Abhandlungen Band 27, Köln, Berlin, München 1991, S. 225-252 Ubersetzt ins Japanische in: Hanrei Taimuzu N r . 598, S. 152-165 45. Zum gegenwärtigen Stand der Kommentarliteratur des Bürgerlichen Gesetzbuchs JZ 1984, S. 966-971 Nachdruck in: Alternativkommentare, Anspruch und Kritik, 1987, S. 41-53 46. Grenzen der Vermögenshaftung JuS 1985, S. 836-842 47. Gegenseitige Verträge in Konkurs und Vergleich, Rezensionsaufsatz zu dem gleichnamigen Buch von Wolfgang Marotzke, München 1985 Z Z P 99 (1986), S. 419-445
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48. Richter im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, Festvortrag zum 275. Jubiläum des OLG Celle in: 275 Jahre Oberlandesgericht Celle, Ansprachen und Vorträge aus Anlaß des Jubiläums - 14. Oktober 1986, Celle 1986; ferner in JZ 1987, S. 209-215 49. Die internationalprivatrechtliche Anknüpfung der Konkursanfechtung in: Beiträge zum Internationalen Verfahrensrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift für Heinrich Nagel, München 1987, S. 93-111 50. Blick über die Grenzen hinaus - Die Göttinger Juristenfakultät von innen gesehen Göttinger Tageblatt vom 10. 5. 1987, Hochschule und Wissenschaft, Sonderveröffentlichung zum 250jährigen Bestehen der GeorgAugust-Universität, S. 2 51. Bericht aus dem Arbeitsgebiet (Vorstellungsbericht) in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1986, Göttingen 1987, S. 129-135 52. Die Vorschläge der Kommission für Insolvenzrecht zur Sicherung der Bauhandwerker in: Dokumentation des Kolloquiums „Sicherung von Bauforderungen und Neuregelung der Bauhandwerkersicherung", herausgegeben vom Zentralverband des deutschen Handwerks, 1987 53. Justus Claproth - Göttinger Lehrer des Konkursrechts im 18. Jahrhundert in: Rechtswissenschaft in Göttingen, Göttinger Juristen aus 250 Jahren, herausgegeben von Fritz Loos, 1987, S. 100-122 54. Rezension von Johannes Mauder, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, seine Stellung im System der Grundrechte und seine Auswirkung auf die Abgrenzungsproblematik zwischen Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit, Münchener Universitätsschriften, Reihe der Juristischen Fakultät, Band 67, München 1986 ZZP 101 (1988), S. 4 8 1 ^ 8 8 55. Zur Geschichte der Zivilprozeßrechtslehrervereinigung 1920-1933 in: Festschrift für H. W. Fasching zum 65. Geburtstag, Wien 1988, S. 213-226 56. Bati Alman Aciz Hukukuna Iliskin Reform Planari Iflas Hukukunda Onerilen Degisikliker (Pläne zur Insolvenzrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland, Das Reorganisationsverfahren) in: Hukuk Arastirmalari, Marmara Universitesi Hukuk Fakültesi Yayini, Cilt 3, Sayi 2, 1988, S. 49-56
Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
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57. Federal Alemanya' da sirket kurtarmaya iliskin yeni düzenleme (Pläne zur Insolvenzrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland, Das Liquidationsverfahren) in: Istanbul Ticaret, 14 E K I M 1988, Yil: 31, Sayi: 1530, Sayfa 2, 21 E K I M 1988, Yil: 31, Sayi 1531, Sayfa 2, 28 E K I M 1988, Yil: 31, Sayi 1532, Sayfa 2 58. Rechtsdogmatik und Gesetzgebung in der Gegenwart - Zivilrecht in: Gesetzgebung und Dogmatik, 3. Symposion der Kommission „Die Funktion des Gesetzes in Geschichte und Gegenwart" am 29. und 30. April 1988, herausgegeben von O k k o Behrends und Wolfram Henckel, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philosophisch-Historische Klasse, Dritte Folge Nr. 178, Göttingen 1989 59. Deregulierung im Insolvenzverfahren KTS 1989, S. 477-494 60. Konkursrecht und allgemeines Zivilrecht in: Grundfragen des Privatrechts, Vorträge anläßlich des Symposiums zum 65. Geburtstag von Günther Jahr, herausgegeben von Gerhard Lüke, Band 123 der Schriftenreihe Annales Universitatis Saraviensis, Köln 1989, S. 1-17 61. Zum Begriff der Unentgeltlichkeit und zu den subjektiven Voraussetzungen bei der Schenkungsanfechtung des Konkursverwalters ZIP 1990, S. 137-141 62. Der Streitgegenstand im konkursrechtlichen Anfechtungsprozeß in: Festschrift für Karl Heinz Schwab, München 1990, S. 213-235 63. Rezension von Karsten Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, Befunde, Kritik, Perspektiven (Beiträge zum Insolvenzrecht Bd. 7), Köln 1990. VIII, 277 S. in: ZIP 1991, S. 133-135 64. Insolvenzanfechtung in: Insolvenzrecht im Umbruch, Analysen und Alternativen, Würzburger Arbeitstagung der Vereinigung der Zivilprozeßrechtslehrer zum Referentenentwurf einer Insolvenzordnung, herausgegeben von Dieter Leipold, KTS-Schriften zum Insolvenzrecht Band 1, Köln 1991, S. 239-254
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Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
65. Haftung für Altverbindlichkeiten eines insolventen Unternehmens wegen Betriebsübergangs in: Festschrift für Theodor Heinsius, Berlin 1991, S. 261-288 66. Insolvenzrechtsreform zwischen Vollstreckungsrecht und Unternehmensrecht in: Festschrift für Franz Merz, Köln 1992, S. 197-215 67. Rezension von Karl August Bettermann, Staatsrecht - Verwaltungsrecht - Zivilrecht, Schriften aus vier Jahrzehnten, Köln 1988, IX, 880 S. ZZP 105 (1992), S. 93-105 68. Stein-Jonas - ein Großkommentar zur Zivilprozeßordnung JZ 1992, S. 645-656 69. Gutachten Insolvenzanfechtung - Artt. 4 und 5 des Vorentwurfs (VE) - und Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens in: Stellungnahmen und Gutachten zur Reform des deutschen Internationalen Insolvenzrechts, im Auftrag der Sonderkommission „Internationales Insolvenzrecht" des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht vorgelegt von Hans Stoll, bearbeitet von Fotios Karantzenis und Gerwin Janke, Tübingen 1992, S. 156-170 70. Das Recht auf Entscheidung in angemessener Frist und der Anspruch auf rechtliches Gehör. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das deutsche zivilgerichtliche Verfahren in: Verfahrensgarantien im nationalen und internationalen Prozeßrecht, Festschrift für Franz Matscher, Wien 1993, S. 185-196 71. Die Behandlung der Neumasseschulden bei Massearmut ZIP 1993, S. 1277-1283 72. ΠΡΟΒΛΗΜΑΤΑ ΜΕΤΑΒΑΣΕΩΣ ΑΠΟ ΜΙΑ ΟΙΚΟΝΟΜΙΑ ΚΕΝΤΡΙΚΟΥ ΣΧΕΔΙΑΣΜΟΥ ΣΤΗΝ ΚΟΙΝΩΝΙΚΗ ΟΙΚΟΝΟΜΙΑ ΤΗΣ ΑΓΟΡΑΣ ΑΠΟ ΝΟΜΙΚΗ ΣΚΟΠΙΑ (Probleme der Überleitung einer zentralistischen Planwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft aus juristischer Sicht) ΕΠΙΣΤΗΜΟΝΙΚΗ ΕΠΕΤΗΡΙΔΑ ΤΟΥ ΔΙΚΗΓΟΡΙΚΟΥ ΣΥΛΛΟΓΟΥ ΘΕΣΣΑΛΟΝΙΚΗΣ 13 (1992), S. 177-187 73. Die Aufhebung gestaltender Entscheidungen in: Festschrift für Georgios G. Mitsopoulos. ΓΙΜΗΤΙΚΟΣ ΤΟΜΟΣ ΓΕΩΡΓΙΟΥ Γ. ΜΗΤΣΟΠΟΥΛΟΥ (Athen - Komotini 1993), S. 345-367 74. Die Veräusserung der Streitsache in: Recht und Rechtsdurchsetzung. Festschrift für Hans Ulrich Walder, Zürich 1994, S. 193-211
Verzeichnis der Schriften von W o l f r a m Henckel
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75. Rechtsfragen der Privatisierung und Vermögensfragen (in chinesischer Sprache) in: Jahrbuch des Deutsch-Chinesischen Instituts für Wirtschaftsrecht der Universitäten Göttingen und Nanjing, Band 4, 1993, Verlag der Chinesischen Enzyklopädie, 1994, S. 1-16 76. Zur Dogmatik der besitzlosen Mobiliarsicherheiten, Festschrift für Albrecht Zeuner zum 70. Geburtstag, Tübingen 1994, S. 193-218 Zur Veröffentlichung eingereichte und angenommene, noch nicht publizierte Manuskripte: - Prinzip und Grenzen der Prozeßbeschleunigung Athen ... - Rezension von Johann Killinger: Insolvenzanfechtung gegen Insider. Schriften zum Bürgerlichen Recht, Band 145, Berlin 1991, 204 S., in: ZZP. IV. Urteilsanmerkungen 1. J Z 1961, 294-295, Anm. zum Beschluß des O L G Düsseldorf vom 18. 5. 1960 - 3 W 82/60, JZ 1961, 293 2. ZZP 74 (1961), 293-298, Anm. zum Urteil des B G H vom 30. 1. 1961 - II ZR 98/59, ZZP 74 (1961), 291 3. ZZP 75 (1962), 351-354, Anm. zum Urteil des B G H vom 8. 11. 1961 - VIII ZR 149/60, ZZP 75 (1962), 347 4. ZZP 75 (1962), 359-362, Anm. zum Urteil des BGH vom 8. 1. 1962 - VII ZR 65/61, ZZP 75 (1962), 354 5. JZ 1963, 290-293, Anm. zum Urteil des BGH vom 16. 5. 1962 V Z R 155/60, J Z 1963, 289 6. J Z 1963, 682-683, Anm. zum Urteil des B G H vom 22. 1. 1962 VII ZR 264/61, J Z 1963,681 7. AP Nr. 33 zu § 133 BGB, Anm. zum Urteil des BAG vom 27. 8. 1 9 7 0 - 2 AZR 519/69 8. AP Nr. 11 zu § 75 b HGB, Anm. zum Urteil des BAG vom 1. 2. 1971 - 3 AZR 31/70 9. JZ 1973, 32-33, Anm. zum Urteil des B G H vom 7. 3. 1972 - VI ZR 158/70, JZ 1973, 29 10. JuS 1975, 221-224, Anm. zum Urteil des BGH vom 7. 3. 1972 VI ZR 158/70, JZ 1973, 29 = NJW 1973, 1283 11. ZGR 1975, 232-236, Anm. zum Urteil des B G H vom 13. 2. 1974 VIII ZR 147/72, BGHZ 62, 131 12. EzA Nr. 1 zu § 113 Betriebsverfassungsgesetz, Anm. zum Urteil des BAG vom 17. 9.1974 - 1 AZR 16/74 13. ZZP 88 (1975), 329-330, Anm. zum Urteil des B G H vom 31. 10. 1974 - III ZR 82/72, ZZP 88 (1975), 324
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Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
14. KTS 1979, 171-177, Anm. zum Beschluß des Großen Senats des BAG vom 13. 12. 1978 - GS 1/77, KTS 1979, 150 15. AP Nr. 1 zu § 60 KO, Anm. zum Urteil des BAG vom 31.1. 1979 5 AZR 749/77 16. ZIP 1980, 524-527, Anm. zum Urteil des BGH vom 12. 5. 1980 VIIIZR 167/79 17. ZIP 1983, 712-714, Anm. zum Urteil des LG Lübeck vom 22. 3. 1983 - 5 O 46/81, ZIP 1983, 711 18. Die Sozialgerichtsbarkeit 1983, 494, Anm. zum Urteil des BSG vom 14.12. 1982 - 10 RAr 5/82, SGb. 1983, 492 19. EzA Nr. 3 zu § 22 KO, Anm. zum Urteil des LAG Köln vom 7. 10. 1982- 10 Sa 731/82 20. EWiR §55 Nr. 2 KO 1/85, 409, Anm. zum Urteil des OLG Karlsruhe vom 27. 12. 1984 - 9 U 100/84 = ZIP 1985, 235 21. EWiR §3 AnfG 2/85, 537, Anm. zum Urteil des BGH vom 10. 1. 1985 - IX ZR 2/84 = ZIP 1985, 372 = WM 1985,427 22. JZ 1986, 297-299, Anm. zum Urteil des BGH vom 26. 9.1985 VII ZR 19/85 23. EWiR § 41 KO 1/86, 495, Anm. zum Urteil des OLG Hamm vom 5.11.1985-27 U 115/84 = ZIP 1986, 725 24. EWiR §455 BGB 1/86, 981, Anm. zum Urteil des BGH vom 18. 6. 1986 VIII ZR 165/85 = ZIP 1986,1052 = WM 1986, 1081 25. JZ 1986, 694-697, Anm. zum Urteil des BGH vom 30.1. 1986 IX ZR 79/85 26. JZ 1987, 359-361, Anm. zum Urteil des BGH vom 9. 7. 1986 VIII ZR 232/85 27. EWiR § 11 AnfG 1/87, 427, Anm. zum Urteil des BGH vom 5. 2. 1987 - IX ZRR 161/85 = ZIP 1987, 601 = BGHZ 100, 36 28. EWiR § 859 ZPO 1/92, 307, Anm. zum Urteil des BGH vom 5. 12. 1991 - I X ZR 270/90 29. EWiR § 3 Auf G 1/92, 315, Anm. zum Urteil des LG Hamburg vom 11. 7. 1991 - 302 O 83/91 = ZIP 1991, 1507 30. EWiR § 7 VglO 1/92, 615, Anm. zum Urteil des BGH vom 9. 4. 1992 - IX ZR 304/90 = ZIP 1992, 708 = WM 1992, 885 31. EWiR § 60 KO 5/93, 1005, Anm. zum Beschluß der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 24. 6.1993 - 1 BvR 338/91 = ZIP 1993, 1246 32. EWiR § 400 BGB 1/94, 337, Anm. zum Urteil des BGH vom 10. 2. 1994 - IX ZR 55/93 = ZIP 1994, 474 = WM 1994, 509 33. EWiR § 30 KO 2/94, 373, Anm. zum Urteil des BGH vom 30. 9. 1993 - IX ZR 227/92 = ZIP 1993, 1653 = WM 1993, 2099 = DB 1993, 2427 34. EWiR § 42 VglO 1/94, 923, Anm. zum Urteil des BGH vom 26. 5. 1994 - IX ZR 39/93 = ZIP 1994, 1121
Verzeichnis der Schriften von Wolfram Henckel
V. Geburtstagsadressen 1. Geburtstagsadresse zum 70. Geburtstag von Friedrich Weber JZ 1975,333 2. Geburtstagsadresse zum 80. Geburtstag von Friedrich Weber ZIP 1985,581
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