Festschrift für Wolfram Reiß: Zum 65. Geburtstag 9783504380632

Die Umsatzsteuer mit ihren systematischen Facetten, ihre Beeinflussung durch europäische Rechtsgedanken und Überlegungen

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German Pages 785 [773] Year 2008

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Festschrift für Wolfram Reiß: Zum 65. Geburtstag
 9783504380632

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Festschrift für Wolfram Reiß

FESTSCHRIFT FÜR

WOLFRAM RE ISS ZUM 65. GEBURTSTAG heraus~e~eben

von

Paul Kirchhof Hans Nieskens unter Mitarbeit von

Daniel Dürrschmidt Hans R. Weggenmann

2008

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\k!rlag Dr.OiloSchmidt

Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeiebnet diese Publikation in der Deutschen Natioruilbibliografie; detaillierte biblio!ll'afische Daten sind im Internet über http://dob.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schntidt KG Gustav-Hcinemaon-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-sclnnidt.de ISBN 978-3-504-06038-1 ©2008 by Verlag Dr. Otto Schntidt KG, Köin

Das Werk einachließlli:h aller seiner Teile ist urheberrechtlli:h geschützt. jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist1 bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt inabesondere für Ve:rvielfältignngen, llearbeitungen, Ühemetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspcichetung und Veratheitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich.

Einbandgestaltung nsch eloern llotwwf von: )an P. Lichtenford Textformatierung: A. Quednsu, Haan Druck und Verarbeitung: Käse!, Krugzell Ptioted in Gerrrumy

Vorwort Professor Dr. Wolfram Reiß vollendet am 5. Januar 2008 sein 65. Lebensjahr und erreicht damit einen Höhepunkt seines Wirkens als Forscher und Lehrer, der zugleich mit dem Ausscheiden aus dem Amt eines ordentlichen Professors an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg verbunden ist. Dieses Ereignis ist seinen Schülern, Kollegen und Freunden Anlass, Wolfram Reiß als Hochschullehrer und Wissenschaftler, als Förderer eines systematischen Steuerrechts, als Vorbild und steuerpolitischen Mahner mit dieser Festschrift zu würdigen. Herausgeber und Autoren verbindet die Achtung und Bewunderung für das wissenschaftliche Werk von Wolfram Reiß, der hohe Respekt vor seinem in der Steuerpraxis und der konkreten Rechtsanwendung wurzelnden Fragen und seinem auf diese Rechtswirklichkeit ausgerichteten Antworten. Sein wissenschaftliches Wirken befruchtet vor allem das Umsatzsteuerecht, dessen System, dessen Entwicklung und zunehmend auch dessen Prägung durch europäisches Recht. Deshalb bildet die Umsatzsteuer mit ihren systematischen Facetten, ihre Beeinflussung durch europäische Rechtsgedanken und Überlegungen zu ihrer Reform einen Schwerpunkt dieser Festschrift. Forschung und Interessen von Wolfram Reiß gelten auch dem Recht der Personen- und Kapitalgesellschaften, so dass diese Festschrift sich in ihrem zweiten Hauptteil dem Ertragsteuerrecht – und hier vor allem dem Unternehmensteuerrecht – widmet. Die Herausgeber haben bei der Planung dieser Festschrift erlebt, wie weitreichend und vielfältig die Aufmerksamkeit der Steuerjuristen für Werk und Wirken von Wolfram Reiß ist. Dieser Befund stellte uns allerdings auch vor die Aufgabe, manchen seiner Weggefährten, die ihm gleichermaßen beruflich und persönlich verbunden sind, um Verständnis zu bitten, dass eine solche Festschrift ein noch handliches Buch bleiben muss. Doch hoffen wir, durch die Beiträge dieses Werkes auch diesen Kreis seiner Kollegen und Gesprächspartner in den wissenschaftlichen Dialog einzubeziehen und damit an der Ehrung für Wolfram Reiß zu beteiligen. Wolfram Reiß wird sein wissenschaftliches Werk fortsetzen. Dafür wünschen wir ihm weiterhin viel Schaffenskraft und Gesundheit sowie hinreichend Muße für seine Familie. Heidelberg, München, Nordkirchen und Nürnberg, im Januar 2008 Paul Kirchhof Hans Nieskens

Daniel Dürrschmidt Hans R. Weggenmann

V

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Inhalt Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

Laudatio Hans Nieskens Laudatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

I. Umsatzsteuer 1. Prinzipien der Verkehr- und Verbrauchsteuern Klaus Tipke Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht . . . .

9

Harald Schaumburg Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht .

25

2. Grundsatzfragen des Umsatzsteuerrechts Hans Nieskens Wahlrechte in der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Holger Stadie Der V. Senat des Bundesfinanzhofs und die Gewaltenteilung . . . . . . . . .

67

Hermann-Josef Tehler Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen – Vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfene Rechtsnorm oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . .

81

Karl Albrecht Schachtschneider Steuern auf Steuern – Umsatzbesteuerung der Mineralölsteuer . . . . . . . 101

3. Einfluss des Europarechts auf die Umsatzsteuer Michael Tumpel Unternehmensvermögen bei gemischter Nutzung nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Wolfram Birkenfeld Überlegungen zu grenzüberschreitenden Leistungen – Global Contracts 137 VII

Inhalt Seite

Roman Seer Die umsatzsteuerliche Behandlung des Verwaltungssponsoring . . . . . . . 157 Markus Achatz Der Handel mit Zahnersatz im Binnenmarkt – Anmerkungen zum Problem der juristischen Doppelbesteuerung im UmsatzsteuerBinnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Wilfried Wagner Verwertung beweglicher Sachen und Grundstücke durch Insolvenzverwalter als steuerbare sonstige Leistung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Otto-Gerd Lippross Vorsteuerabzug bei konkurrierenden Befreiungsvorschriften – Kritische Bemerkungen zum „Eurodental-Urteil“ des EuGH vom 7.12.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Friedrich Klenk Die Besteuerung der Veräußerung von Investitionsgütern durch den Pauschallandwirt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

4. Gesellschaftsbeziehungen in der Umsatzsteuer Ralph Korf und Nina Verena Schneider Tertium datur – (Sach-)Einlage und Leistungsaustausch . . . . . . . . . . . . . 213 Christoph Wäger Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding beim Beteiligungserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

5. Reformüberlegungen zur Umsatzsteuer Michael Langer Das endgültige Mehrwertsteuersystem nach dem Ursprungslandprinzip – ein ewiger Traum vom „echten“ umsatzsteuerlichen Binnenmarkt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Claudia Hillek und Heidi Friedrich-Vache Das Reverse-Charge-Verfahren im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Dieter Kempf Die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens als Möglichkeit der Bekämpfung von Umsatzsteuerausfällen und seine praktischen Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Jörg Kraeusel Die Zukunft der Umsatzsteuer aus deutscher Sicht – Risiken, Chancen und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 VIII

Inhalt Seite

Werner Widmann Die Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop) – ein Beitrag zur Vollendung des umsatzsteuerlichen Binnenmarktes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

II. Ertragsteuerrecht 1. Die Einkommensteuer im Gesamtsteuersystem Monika Jachmann Zur Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Paul Kirchhof Die Gleichheit der Steuerschuldner vor dem Einkommensteuergesetz . . 359

2. Unternehmenssteuerrecht Joachim Lang Kritik der Unternehmensteuerreform 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Georg Crezelius Zur Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Dieter Schulze zur Wiesche Die Mitunternehmerschaft – Rechtsgrundlagen, Umfang . . . . . . . . . . . . 413 Dirk Pohl und Arndt Raupach Verluste aus eigenkapitalersetzenden Darlehen im Gesellschaftsund Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Wolfgang Bolk Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters – Ein Beitrag auch zur Neubesinnung bei sozialversicherungspflichtigen Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

3. Buchführung und Bilanzen Dieter Dziadkowski Ist die Maßgeblichkeit noch zu retten? – Eine Rückschau auf das Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Heinrich Weber-Grellet Die Unterschiede handels- und steuerrechtlicher Wertaufhellung – Ein Beitrag zur weiteren Objektivierung des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . 483 Klaus Henselmann Niedrige Steueraufwandsquoten als Beleg einer erfolgreichen Steuerplanung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 IX

Inhalt

III. Europa und Internationales Steuerrecht 1. Rechtsentwicklungen in Europa Seite

Berthold U. Wigger Zur Einführung einer EU-Steuer: mehr Kontra als Pro . . . . . . . . . . . . . . . 513 Wolfram Scheffler Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung – Auswirkungen eines Übergangs von der direkten Methode auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . 529 Harald Herrmann Werbeverbote für Steuerberater und kein Ende – Neuerungen des EU-Rechts und der Berufsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

2. Steuergestaltung Wolfgang Schön Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Dietmar Gosch Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008 . . . . . . . . . . . 597 Peter Fischer Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken nach deutschem und europäischem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 W. Christian Lohse Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht – am Beispiel von Steuerbetrug, -umgehung und -missbrauch sowie ähnlichen Begriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645

3. Internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungsabkommen Moris Lehner Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Michael Lang Die Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen im Lichte von Columbus Container . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679 Hans R. Weggenmann und Christian Rödl Sonderregelungen für Personengesellschaften in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697

X

Inhalt

IV. Außersteuerliche Normen Seite

Volker H. Peemöller Corporate Governance in Familienunternehmen – Notwendigkeit oder Modeerscheinung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

V. Schriftenverzeichnis und Stichwortverzeichnis Schriftenverzeichnis von Wolfram Reiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749

XI

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Autorenverzeichnis Prof. Dr. Markus Achatz Universitätsprofessor, Vorstand des Instituts für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre an der Johannes-Kepler-Universität Linz, Partner der Sozietät Leitner + Leitner, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in Österreich und Zentraleuropa, Linz Diplom-Finanzwirt Wolfgang Bolk Regierungsdirektor, Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen Dr. Wolfram Birkenfeld Richter am Bundesfinanzhof a.D., Rechtsanwalt, München Prof. Dr. Georg Crezelius Lehrstuhl für Steuerrecht, Universität Bamberg Prof. Dr. Dieter Dziadkowski München Prof. Dr. Peter Fischer Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a.D., Düsseldorf; Honorarprofessor an der Universität Bielefeld Dr. Heidi Friedrich-Vache Steuerberaterin, Indirect Tax Services (Manager), KPMG DTG AG, München Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München; Honorarprofessor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Prof. Dr. Klaus Henselmann Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Prüfungswesen, FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg Prof. Dr. Harald Herrmann Lehrstuhl für Wirtschaftsprivatrecht und Versicherungsrecht, Wirtschaftsund Sozialwissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg Claudia Hillek Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Indirect Tax Services (Partner), KPMG DTG AG, München Prof. Dr. Monika Jachmann Richterin am Bundesfinanzhof, Prof. für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München XIII

Autorenverzeichnis

Prof. Diplom-Kaufmann Dieter Kempf Vorsitzender des Vorstandes der DATEV eG, Nürnberg Prof. Dr. Dr. h.c. Paul Kirchhof Bundesverfassungsrichter a.D., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg Dr. Friedrich Klenk Richter am Bundesfinanzhof a.D., München Ralph Korf Rechtsanwalt, Steuerberater, Partner, PricewaterhouseCoopers AG, München Jörg Kraeusel Ministerialdirigent, Leiter der Unterabteilung IV A, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Prof. Dr. Joachim Lang em. Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität zu Köln Prof. Dr. Michael Lang Universitätsprofessor, Institutsvorstand, Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht, Wirtschaftsuniversität Wien Michael Langer Regierungsdirektor im Referat IV A 6, Bundesministerium der Finanzen, Bonn Prof. Dr. Moris Lehner Lehrstuhl für Öffentliches Wirtschafts- und Steuerrecht, Ludwig-Maximilians-Universität, München Prof. Dr. Otto-Gerd Lippross Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen Prof. Dr. W. Christian Lohse Vorsitzender Richter am Finanzgericht a.D., München; Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg Prof. Dr. Hans Nieskens Vorsitzender des UmsatzsteuerForum – Vereinigung zur wissenschaftlichen Pflege des Umsatzsteuerrechts e.V., München Prof. Dr. Volker H. Peemöller Universitätsprofessor, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg XIV

Autorenverzeichnis

Dr. Dirk Pohl Rechtsanwalt, Steuerberater, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, München Prof. Dr. Arndt Raupach Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP, München Dr. Christian Rödl, LL.M. (Columbia) Rechtsanwalt, Steuerberater, Rödl & Partner, Nürnberg Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider Professur für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht, Rechtsund Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg Prof. Dr. Harald Schaumburg Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Partner, Flick Gocke Schaumburg Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater, Bonn; Honorarprofessor an der Universität zu Köln Prof. Dr. Wolfram Scheffler Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Steuerlehre, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg Diplom-Kauffrau Nina Verena Schneider München Prof. Dr. Wolfgang Schön Geschäftsführender Direktor Rechnungslegung und Steuern, Max-PlanckInstitut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, Max-PlanckGesellschaft, München Prof. Dr. Dieter Schulze zur Wiesche ehemals Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen Prof. Dr. iur. Roman Seer Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Steuerrecht, Juristische Fakultät, RuhrUniversität Bochum Prof. Dr. Holger Stadie Lehrstuhl für Steuerrecht und Öffentliches Recht, Universität Leipzig Prof. Dr. Hermann-Josef Tehler ehemals Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen Prof. Dr. Klaus Tipke Emeritus der Universität zu Köln XV

Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Michael Tumpel Universitätsprofessor, Institut für betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Johannes Kepler Universität, Linz (Österreich) Dr. Christoph Wäger Richter am Bundesfinanzhof, München Dr. Wilfried Wagner Vizepräsident des Bundesfinanzhofs, München Prof. Dr. habil. Heinrich Weber-Grellet Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München Diplom-Kaufmann Dr. Hans R. Weggenmann Steuerberater, Rödl & Partner, Nürnberg Werner Widmann Ministerialdirigent, Leiter der Abteilung 4 Steuern, Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, Mainz Prof. Dr. Berthold U. Wigger Ordinarius für Volkswirtschaftslehre, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg

XVI

Hans Nieskens

Wolfram Reiß zum Fünfundsechzigsten Wolfram Reiß ist am 5. Januar 2008 65 Jahre alt geworden. Kraft Gesetzes scheidet er deshalb mit Ablauf des Wintersemesters 2007/2008 aus seinem Amt als ordentlicher Professor mit dem Lehrstuhl für Deutsches und Internationales Steuerrecht, Finanz- und Haushaltsrecht an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg aus. Der größte Teil seiner beruflichen Tätigkeit war der Lehre gewidmet, zunächst als Dozent und späterer Professor an der Fachhochschule für Finanzen, Nordrhein-Westfalen in Nordkirchen und später als ordentlicher Professor an den Universitäten Darmstadt und Erlangen-Nürnberg. Es war ihm hierbei stets ein Anliegen, die komplizierten Strukturen des Rechts, vor allem des Steuerrechts, aufzuzeigen, zu vereinfachen, zu systematisieren und als Gesamtgebilde zu vermitteln. Insbesondere seine Tätigkeit als Dozent an der Fachhochschule für Finanzen legte hierbei den Grundstein seiner Vorliebe für systematische Grundstrukturen.

I. Wolfram Reiß ist Berliner. Aufgewachsen im Osten Deutschlands, besuchte er zunächst die Volksschule in Cochstedt, Sachsen-Anhalt. Gerade in dieser für viele durch Entbehrungen geprägten Nachkriegszeit half ihm der Beruf seines Vaters als Müller, stets satt zu werden. Schweren Herzens entschlossen sich die Eltern noch kurz vor dem Mauerbau zur Flucht in den Westen via Berlin. Dem war eine halbjährige Haft des Vaters vorausgegangen. Die Entlassung erfolgte unter der Voraussetzung einer zukünftigen informellen Mitarbeit bei und für die Staatssicherheit. Von den Alternativen Haft, Spitzeltätigkeit oder Verlassen von Haus und Hof erschien den Eltern das Letztere als die vorzugswürdige Alternative. Vater und Mutter bauten sich in Essen eine neue Existenz auf. Der junge Wolfram fand zunächst bei einer Tante in Bremen Unterschlupf, wo er für ein Jahr das Gymnasium besuchte, um dann seinen Eltern nach Essen zu folgen. 1962 legte er in Essen sein Abitur ab. Noch im gleichen Jahr nahm Wolfram Reiß in Bonn das Studium der Germanistik auf, da seine Leidenschaft zunächst der deutschen Literatur und deren Unterrichtung galt. So verwundert es nicht, wenn Wolfram Reiß nach seinem ursprünglichen Berufswunsch gefragt, antwortet, er habe Professor für Germanistik werden wollen, dieses Ziel aber aufgegeben, da es ihm zu hoch gesteckt erschien, eine Professorenstelle ausfüllen zu können. Dieser glücklichen Fehleinschätzung ist zu verdanken, dass er dann doch noch den Weg zur Jurisprudenz fand und im Jahre 1967 das erste juristische Staatsexamen ablegen konnte. Wie ernst es Wolfram Reiß indes mit der Germanistik war, verrät sein Aufenthalt 1962/1963 in den Vereinigten Staaten, wo er als Deutschlehrer am Hobart & William Smith College, in Geneva, up-state New York, einem „private college 3

Hans Nieskens

for undergrade studies“ tätig war. Das Honorar von damals stattlichen 400 US-$ pro Monat war aber zum Glück nicht hoch genug, um ihn auf Dauer in den Staaten zu halten. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen arbeitete er als Assistent am strafrechtlichen Institut der Universität Bonn unter der Leitung von Prof. Dr. G. Grünwald, seinem späteren wissenschaftlichen Förderer. Obwohl seine Dissertation bereits 1969 im Entwurf vorlag, dauerte es nochmals sechs Jahre, bis er sich 1975 zum Doktor jur. promovieren konnte. Die Hauptverantwortung für diese zeitliche Verzögerung lag in erster Linie im Privaten begründet: Er lernte seine Ehefrau Monika kennen, mit der er bis heute glücklich verheiratet ist, sorgte für Nachwuchs – 1973 wurde sein Sohn Malte, 1977 Tochter Miriam geboren –, baute ein Haus und pflanzte einen Baum. Hierzu musste er zunächst 1972 die zweite juristische Staatsprüfung ablegen und einen ordentlichen Beruf ergreifen. 1971 trat er in die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen ein, wurde Sachgebietsleiter sowie stellvertretender Vorsteher im Finanzamt Duisburg-Nord und schließlich Umsatzsteuerhilfsreferent bei der OFD Düsseldorf. Bereits der Titel seiner Dissertation „Störung der Strafrechtspflege durch Berichterstattung“ verdeutlicht seine Neigung für das Strafrecht. Insoweit war es nicht verwunderlich, dass seine Habilitationsschrift an der Universität Bonn – ausgezeichnet 1986 mit dem Albert Hensel Preis und ebenfalls betreut von Prof. Dr. G. Grünwald – den Titel „Besteuerungsverfahren und Strafverfahren“ trug. Die venia legendi wurde ihm für das Steuerstrafrecht und das Steuerprozessrecht verliehen. Nicht zuletzt sein Wechsel im Jahre 1977 von der OFD Düsseldorf zur Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen, Nordkirchen, bedeutete für Wolfram Reiß die Möglichkeit, sich systematisch wissenschaftlich mit der gesamten Bandbreite des Steuerrechts auseinander setzen zu können. Bis 1989 unterrichtete er in nahezu allen Steuerrechtsfächern an der Fachhochschule und entdeckte hier seine Vorliebe für das Umsatzsteuer- und das Bilanzsteuerrecht. Bereits sehr früh setzte er sich wissenschaftlich in einer Vielzahl von Aufsätzen mit praktischen Problemen zur Umsatzsteuer und zum Ertragsteuerrecht auseinander. Stets war es ihm dabei ein Anliegen, die Grundstrukturen des jeweiligen Problems aufzubereiten und einer praxisorientierten Lösung zuzuführen. Wolfram Reiß wurde damit schon frühzeitig dem Ruf eines Wissenschaftlers gerecht, der aus der Praxis für die Praxis Probleme wissenschaftlich aufbereiten und lösen konnte. Eine Veränderung, wenn auch keine Zäsur, bewirkte das Jahr 1991: Wolfram Reiß nahm den Ruf an die Technische Hochschule Darmstadt, Lehrstuhl für Finanz- und Steuerrecht, an, ehe er im Jahre 1997 an die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg auf den Lehrstuhl für Deutsches und Internationales Steuerrecht, Finanz- und Haushaltsrecht berufen wurde. Diese Veränderung hatte sich bereits mit seiner vier Jahre währenden Tätigkeit als Privatdozent an der Universität Bonn, der Vertretung am Lehrstuhl Finanz- und Steuerrecht der Tech4

Wolfram Reiß zum Fünfundsechzigsten

nischen Hochschule Darmstadt und dem Lehrauftrag für Steuerstrafrecht an der Universität Münster angekündigt.

II. Will man die wissenschaftliche Arbeit von Wolfram Reiß mit einem Schlagwort umschreiben, so stößt man unweigerlich auf den Begriff der tiefgreifenden Beharrlichkeit. Exemplarisch hierfür sei nur seine stete und beharrliche Behauptung angeführt, „die Umsatzsteuer“ sei „eine allgemeine Verbrauchsteuer“, die er bereits 1989 in seinem Vortrag auf der Tagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft zum Belastungsgrund der Umsatzsteuer vertrat. Mittlerweile gehört diese These zum allgemeinen Zitierfundus des BFH. Genauso beharrlich hat er sich mit Beginn der 90er Jahre der Beeinflussung des reinen nationalen Umsatzsteuerrechts durch die europarechtlichen Vorgaben, vor allem der 6. EG-Richtlinie und heutigen Mehrwertsteuersystemrichtlinie in der Interpretation des EuGH zugewandt. Stets war ihm dabei jedoch wichtig zu betonen, dass das Gesetz Maßstab allen Rechts sein muss, nicht dagegen das Richterrecht. In seinem Beitrag „Vor dem Gesetz“ setzte er sich 2001 kritisch mit dem sogenannten Anwendungsvorrang, der Vorlagepflicht durch den BFH nach Art. 234 EG und den aus den Urteilen des EuGH ableitbaren Rechtsfolgen auseinander. Er wendet sich ausdrücklich gegen die These des BFH, wonach jedes deutsche Gericht ohne vorherige Anrufung, sei es des EuGH, sei es des BVerfG, ein formell ordnungsgemäß vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Gesetz wegen des sog. Anwendungsvorrangs der Richtlinie nicht anzuwenden braucht. Auch hier fungiert er als einsamer Rufer in der Wüste, und es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob er auch mit dieser Meinung mehrheitsfähig werden wird. Welchen unschätzbaren Fundus umsatzsteuerlicher Systemgedanken Wolfram Reiß besitzt, dokumentieren seine Beiträge im Rahmen der Veranstaltungen des UmsatzsteuerForums, Vereinigung zur wissenschaftlichen Pflege des Umsatzsteuerrechts e.V. Bereits seit den Anfängen des UmsatzsteuerForums im Jahre 1982 der wissenschaftlichen Pflege des Umsatzsteuerrechts verbunden, ist er auch über seine Tätigkeit als Beirat des UmsatzsteuerForums zu einer unverzichtbaren Stütze der Vereinigung geworden. Kaum ein großer Kongress des UmsatzsteuerForums kommt ohne seine tiefgreifenden Analysen aus, wie seine Redebeiträge 2001 in Köln (Der Vorsteuerabzug – die Achillesferse der Mehrwertsteuer), 2003 in Frankfurt (Umsatzsteuer und Finanzdienstleistungen), 2004 in Bamberg (Die Zukunft der deutschen Umsatzsteuer in Europa) oder 2005 in Frankfurt (Die Vermittlungsleistungen in der Umsatzsteuer) dokumentieren. Die Sprengkraft seiner Argumentation kann bisweilen erst durch den EuGH entschärft werden, wie seine Darstellung zum Begriff der Vermittlungsleistung und dem daran anknüpfenden Steuerbefreiungstatbestand in § 4 Nr. 8 UStG zeigt. Seine am Wortlaut und dem System ausgerichtete Betrachtung und Problemanalyse hat immerhin das FG Brandenburg bei seiner Vorlage an den EuGH 2006 dazu veranlasst, unter Hinweis auf Reiß 5

Hans Nieskens

Zweifel an der bisherigen höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung anzumelden. Zumindest die umsatzsteuerliche Bewertung der sog. Untervermittlung als steuerbefreite sonstige Leistung hat der EuGH – entgegen der gefestigten Meinung des Bundesfinanzhofs – geteilt.

III. Neben seinen zahlreichen Veröffentlichungen im Bereich der Umsatzsteuer hat sich Wolfram Reiß aber auch wissenschaftlich der Unternehmensbesteuerung unter besonderer Berücksichtigung mittelständischer Unternehmen in der Rechtsform der Personengesellschaft gewidmet. Mit Leidenschaft hat er bei der Beurteilung verdeckter Gewinnausschüttungen für eine innerbilanzielle Lösung gestritten, die vom BFH leider nicht übernommen wurde. Seine Mitarbeit im Kompaktkommentar Einkommensteuer von Kirchhof mit den Kommentierungen zu § 15 und § 16 EStG ebenso wie im EStG-Kommentar Kirchhof/Söhn/Mellinghoff dokumentiert seinen unerschöpflichen wissenschaftlichen Fundus, den er auch als Beiratsmitglied der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft einbringt.

IV. Wie sehr Wolfram Reiß sich der Internationalität des Steuerrechts verpflichtet fühlt, dokumentieren seine Engagements auf internationalem Parkett. Ob das von ihm referierte Generalthema II des IFA-Kongresses in Sydney 2003 (Finanzdienstleistungen und Mehrwertsteuer) betroffen ist oder ein mehrmonatiger Aufenthalt in St. Petersburg im Rahmen seines Forschungssemesters 2006, stets war und ist es ihm ein Anliegen, den Blick über den deutschen Steuerrechtszaun zu wagen. Mit einem Schmunzeln nimmt allerdings der Chronist zur Kenntnis, dass der Jubilar sich im Rahmen seiner Forschungsprojekte auch die „Tax Reform in Turkmenistan“ auf die Fahne geschrieben hat.

V. Mit der Festschrift wird das berufliche Lebenswerk des Geehrten gewürdigt. Die Festschrift wird aber auch von der persönlichen Verbundenheit mit ihm getragen. Wolfram Reiß ist ein Kollege und Freund, der immer ein offenes Ohr hat, sozial engagiert und hilfsbereit ist und stets das Menschliche bei seinen Gesprächspartnern sieht und anspricht. Es ist nicht verwunderlich, dass Wolfram Reiß auch politisch engagiert tätig war, getragen von der Erkenntnis einer sozialen Verantwortung auch für die Schwachen dieser Gesellschaft. Insoweit ehren wir Wolfram Reiß auch als sozial engagierten Bürger.

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1. Prinzipien der Verkehr- und Verbrauchsteuern Klaus Tipke

Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Über Folgerichtigkeit im Allgemeinen III. Folgerichtigkeit im Umsatzsteuerrecht 1. Zur Ausgangsbasis der Folgerichtigkeit 2. Folgerichtigkeit und europäisches Gemeinschaftsrecht 3. Folgerichtigkeitsäußerungen des Jubilars 4. Folgerichtigkeit und Existenzminimum 5. Folgerichtigkeit und Überwälzbarkeit 6. Rechtsschutz des Steuerträgers

IV. Mangelnde Folgerichtigkeit im „Recht“ der besonderen Verbrauch- und Verkehrsteuern 1. Kaffeesteuer und kommunale Verbrauch- und Aufwandsteuern sind nicht folgerichtig 2. Folgerichtigkeitsverstöße durch die besonderen Verkehrsteuern 3. Keine Rechtfertigung der Folgerichtigkeitsverstöße durch Art. 105 IIa, 106 GG V. Rück- und Ausblick

I. Einleitung Da Wolfram Reiß seit der 12. Auflage im Lehrbuch Tipke/Lang die §§ 13 und 14 (später §§ 14 und 15) über die Umsatzsteuer und die (speziellen) Verkehrsteuern bearbeitet hat, lag es nahe, zu seinen Ehren auch ein Thema aus diesem Bereich zu wählen. W. Reiß ist allerdings auch – wiederum bis in die Details hinein – im Einkommensteuergesetz zu Hause.1 Als ehemaliger Lehrer an der Fachhochschule für Finanzen in Nordkirchen konnte und kann W. Reiß auf einem soliden Wissensfundament aufbauen. Dabei ist er durchaus kein Positivist. Schon 1979 zeigte er mit seinem Aufsatz „Die umsatzsteuerliche Organschaft – eine überholte Rechtsfigur“2, dass er das Umsatzsteuergesetz nicht bloß gesetzestechnisch angeht, sondern substan-

__________ 1 S. das Verzeichnis seiner Veröffentlichungen am Ende dieser Schrift. 2 Reiß, Die umsatzsteuerliche Organschaft – eine überholte Rechtsfigur, StuW 1979, 343 ff.

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tiell-verbrauchsteuerrechtlich. So kam er zu dem Ergebnis: „Die Sonderbehandlung der Organschaft hat im Mehrwertsteuersystem keine Berechtigung.“ 1989 hielt W. Reiß auf der Tagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Bamberg-Staffelstein den grundlegenden Vortrag über den „Belastungsgrund der Umsatzsteuer“3. Wie andere Nordkirchener Lehrer erkannte er früher als einige Bundesrichter am BFH den Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer. So wusste der von mir hochgeschätzte Kollege W. Reiß, dass er auf der DStJG-Tagung 1989 mit dem Widerspruch von Verkehrsteuer-Dogmatikern rechnen musste. Der Herausgeber des Tagungsbandes – um Neutralität zwischen Verkehr- und Verbrauchsteuer-Apologeten bemüht – resümierte den Vortrag von W. Reiß wie folgt: „Das Ergebnis der Untersuchung von Reiß mündet in die These: die Umsatzsteuer ist eine Vermögensverwendungssteuer. Reiß gelangt zu dieser Folgerung vor allem über den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit … Die Vermögensverwendung sei neben dem Vermögensbestand und der Vermögensmehrung ein Indikator für die Prüfung der Leistungsfähigkeit.“ Unter dem Aspekt der tatbestandlichen Anknüpfung könne man die Umsatzsteuer zwar zum Teil als Verkehrsteuer bezeichnen. Was den Belastungsgrund betreffe, sei das aber irrelevant.4

Wer diesen Standpunkt 1989 vertrat, konnte dafür von den VerkehrsteuerPositivsten durchaus noch verbale „Prügel“ bekommen. Einige Kritiker von W. Reiß zogen sich schließlich auf die Behauptung zurück: Die Unterscheidung Verkehrsteuer/Verbrauchsteuer sei rein akademisch. Unterschiedliche Rechtsfolgen ergäben sich daraus nicht.5 Auch die Belastungsgrundlage „Leistungsfähigkeit“ war 1989 für die Umsatzsteuer keineswegs – so wie für die Einkommensteuer – gesichert. Die kontroverse Diskussion ist im Tagungsband nicht abgedruckt, was ganz ungewöhnlich ist. Der Herausgeber merkt aber an: „In der Diskussion bezweifelte Kirchhof, Heidelberg, ob man den elementaren Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auf die Umsatzsteuer anwenden könne. Besteuert werde nur, wer auf dem Markt ‚nachfrage‘, nicht derjenige, der nachfragen könnte, aber spare. Kirchhof gab zu bedenken, ob man nicht den Fundamentalgrundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit auf die Einkommensteuer und Vermögensteuer beschränken müsse, den Bereich also, in dem der Steuertatbestand die Individualität in Einkommen und Vermögen zur Kenntnis nehme. Reiß widersprach …“6

__________ 3 Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, in Woerner (Hrsg.), Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht, DStJG 13, Köln 1990, S. 3 ff. 4 Woerner, Resümee, in Woerner (Hrsg.), Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht, DStJG 13, Köln 1990, S. 250 f. 5 So tendenziell noch immer Klenk in Sölch/Ringleb, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Vor § 1 Rz. 11: Die Fragestellung „Verkehrsteuer“ oder „Verbrauchsteuer“ sei von „dubioser praktischer Relevanz“(s. dazu unter III 2). 6 Woerner, Resümee, in Woerner (Hrsg.), Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht, DStJG 13, Köln 1990, S. 250.

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Die Meinung von W. Reiß wurde nachdrücklich auch vertreten von der „Kölner Schule“ der Steuerrechtswissenschaft7, aber auch von H. Söhn8 und von H. Stadie9. Der Bundesfinanzhof10 und das Bundesverfassungsgericht11 brauchten indessen relativ lange, bis sie sich zum Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) bekannten. Gegen die EuGH-Rechtsprechung12, die sich der Verbrauchsteuerversion angeschlossen hatte, ließ sich der Standpunkt der Verkehrsteuer-Positivisten auf die Dauer nicht halten. Da die Kontroverse beendet ist, braucht sie hier nicht noch einmal dargestellt zu werden.13 Im Folgenden soll hauptsächlich erörtert werden, inwieweit die Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer sowie die besonderen Verkehr- und (Fiskal-) Verbrauchsteuern dem Folgerichtigkeitsgebot entsprechen.

II. Über Folgerichtigkeit im Allgemeinen Das Folgerichtigkeitsgebot ist ein besonders wichtiges Kriterium der Gerechtigkeit und der Gleichbelastung.14 Das Folgerichtigkeitsgebot braucht eine Ausgangsbasis (auch als „Grundentscheidung“ oder „Ausgangstatbestand“ bezeichnet), von der aus richtig geschlussfolgert werden kann. Diese Ausgangsbasis darf keine beliebige sein; sie muss eine sachgerechte sein, sonst führt die Folgerichtigkeit zur Ungerechtigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, der Gesetzgeber habe bei der Auswahl des Steuergegenstandes einen weitgehenden Entscheidungsspielraum; bei der Ausgestaltung des Ausgangstatbestandes müsse er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen.15 Jedoch: „Was ist der Steuergegenstand, was der Ausgangstatbestand der Verbrauch- und Verkehrsteuern? Was ist die Grundentscheidung? Sind die vom Verfassungsgericht verwendeten Begriffe „Steuergegenstand“ und „Ausgangstatbestand“ inhaltsgleich zu verstehen? Darauf wird zurückzukommen sein.

__________ 7 Nachweise dazu bei H. Stadie in Rau/Dürrwächter, Loseblatt, Lfg. Febr. 2007, Einf. Anm. 58. 8 Söhn, Die Umsatzsteuer als Verkehrsteuer und/oder Verbrauchsteuer, StuW 1975, 1 ff.; Söhn, Der Leistungsaustausch im Umsatzsteuerrecht, FS H. v. Wallis, 1985, S. 443 ff. 9 Stadie, Das Recht des Vorsteuerabzugs, Köln 1989, S. 1 ff. 10 S. jetzt BFH v. 12.1.2006 – V R 3/04, BStBl. 2006 II, 479 – unter Berufung auf EuGHUrteile. 11 BVerfG v. 29.10.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, 155. Anders noch BVerfG v. 5.3.1974 – 1 BvR 712/68, BVerfGE 36, 321; BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106, 125. 12 Ständige Rechtsprechung; Nachweise durch H. Stadie (Fußn. 7), Einf. Anm. 73 Fußn. 1. 13 Es kann dazu auf H. Stadie (Fußn. 7), Einf. Anm. 50 ff. (mit Nachweisen) hingewiesen werden, ferner auf W. Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 1. 14 P. Kirchhof, Die freiheitliche Struktur der Steuerrechtsordnung – Ein Verfassungstest für Steuerreformen, StuW 2006, 14 li., formuliert es so: „Die praktisch bedeutsamste steuerliche Wirkung erreicht der Gleichheitssatz im Gebot der Folgerichtigkeit.“ 15 Nachweise der BVerfG-Rechtsprechung dazu durch K. Tipke, StuW 2007, 207 Fußn. 47.

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III. Folgerichtigkeit im Umsatzsteuerrecht 1. Zur Ausgangsbasis der Folgerichtigkeit Es ist nicht eben hilfreich, wenn das Verfassungsgericht als Ausgangsbasis für folgerichtige Schlussfolgerungen nebeneinander den „Steuergegenstand“, den „Ausgangstatbestand“ und die „Grundentscheidung“ nennt. Im Übrigen: Wenn man dem Gesetzgeber die Bestimmung des Steuergegenstandes oder des Ausgangstatbestandes frei überlässt, liefert man sich ihm schon vorzeitig aus. Ein gerechter Steuergegenstand oder Ausgangstatbestand muss doch dem Leistungsfähigkeitsprinzip entsprechen.16 Der Gesetzgeber überschreibt den Ersten UStG-Abschnitt mit „Steuergegenstand und Geltungsbereich“. Aber haben wir nicht längst erkannt, dass die in diesem Abschnitt genannten Umsätze der Unternehmer nur ein steuertechnisches Vehikel sind, die Endverbraucher zu belasten, während die Unternehmer eben – wie insbesondere der Vorsteuerabzug zeigt – nicht belastet werden sollen. Das könnte man die „Grundentscheidung“ nennen, die sich hinreichend sicher den §§ 1 I 1 Nr. 4; 10 I 2; 14; 15; 17 I, II, 29 UStG entnehmen lässt.17 Die Frage ist dann, ob diese Grundentscheidung – die Belastung der Endverbraucher (genauer ihrer Aufwendungen) – dem Leistungsfähigkeitsprinzip entspricht. Das wird heute allgemein bejaht.18 Die Leistungsfähigkeit der Unternehmer könnte am Umsatz gar nicht sachgerecht gemessen werden. Es wird nicht nur die Ansicht vertreten, dass auch der Verbrauch (die Einkommens- oder Vermögensverwendung) ein geeigneter Belastungsmaßstab sei; von den Advokaten einer direkten Ausgabensteuer und der konsumbasierten Einkommensteuer wird der Verbrauch als Maßstab sogar bevorzugt, weil durch die Verbrauchsanknüpfung das Sparen nicht belastet wird.19 Von dieser Differenz abgesehen, besteht der Unterschied zwischen Anknüpfung an die Einkommensentstehung und Einkommensverwendung nur im Zeitpunkt des Zugriffs. Irgendwann wird jedes (gespeicherte) Einkommen verwendet. Wenn es richtig ist, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip das sachgerechte Grundprinzip des Steuerrechts ist, dann wäre es nicht folgerichtig, das nur für einzelne, nicht für alle Steuern zu verlangen. Soweit das Leistungsfähigkeits-

__________ 16 Dazu Tipke, StuW 2007, 207. 17 So auch H. G. Ruppe, (Österr.) UStG, 3. Aufl., Wien 2005, Einf. Rz. 32 ff. Das Steuerobjekt enthalte nur die rechtstechnische Anknüpfung, sage aber nichts über den Belastungsgrund, über die Belastungskonzeption. Das verwendete Einkommen ist Gradmesser der Leistungsfähigkeit (s. unten Fußn. 19); K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 971 ff.; H. Stadie, (Fußn. 7), Einf. Anm. 85 ff.; W. Reiß in Tipke/Lang (Fußn. 13), § 14 Rz. 1; E. Höhn/R. Waldburger, Steuerrecht I, 9. Aufl., Bern u. a. 2001, S. 607 f.; D. Riedo, Vom Wesen der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer, Diss. Zürich/Bern 1999. 18 W. Reiß (Fußn. 13), § 14 Rz. 1; H. G. Ruppe (Fußn. 17), Einf. Rz. 38 (Das verwendete Einkommen ist Gradmesser der Leistungsfähigkeit“); K. Tipke (Fußn. 17), S. 982 ff. 19 Auch H. G. Ruppe (Fußn. 17), Einf. Rz. 38, meint: Das konsumierte Einkommen ist ein Gradmesser der persönlichen Leistungsfähigkeit, der dem erzielten Einkommen gleichsteht, wenn nicht sogar überlegen ist.

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Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht

prinzip in Verfassungen verankert worden ist, beschränken diese es denn auch nicht auf einzelne Steuern. Ein gerechtes Steuerrecht braucht einen Maßstab, der Gleichheitssatz einen Vergleichsmaßstab. Es ist aber niemand in der Lage, ein sachgerechteres Prinzip als Maßstab zu benennen als das Leistungsfähigkeitsprinzip. Auch P. Kirchhof, der 1989 noch bezweifelte, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip die Umsatzsteuer fundieren könne, ist inzwischen der Ansicht: „Der steuerspezifische Vergleich gewinnt seine Konturen dadurch, dass die Gleichheit der Last jeweils mit Blick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (direkte Steuern) oder seine vermutete Leistungsfähigkeit (indirekte Steuern) beurteilt wird.20 Richtig ist allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht sich mit der Verallgemeinerung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch Ausdehnung auf alle Steuern noch immer zurückhält. Lerke Osterloh stellt dazu zutreffend fest: „Als konkrete Erscheinungsform gilt in der Tradition des Art. 134 WRV das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als Maßstab steuerrechtlicher Lastengleichheit. Dieses Prinzip hat zwar speziell für das Einkommensteuerrecht inzwischen deutliche Konturen erhalten, ist jedoch in seiner generellen Tragweite auch für andere Steuerarten vom BVerfG bisher kaum näher entfaltet worden. Dem entspricht die zurückhaltende Formulierung, nach der die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ‚ausgerichtet‘ werden müsse, was ‚insbesondere‘ im Einkommensteuerrecht gelte, das auf die Leistungsfähigkeit hin ‚angelegt‘ sei.21

Die Zurückhaltung des Verfassungsgerichts – zumal außerhalb der Einkommensteuer – dürfte (auch) damit zusammenhängen, dass das Gericht alle von Art. 105 II a und Art. 106 GG erfassten Steuern und Steuerarten als solche für grundrechtlich tabuisiert hält, so dass sie als solche nicht am Leistungsfähigkeitsprinzip gemessen werden können (s. dazu unter IV. 3). J. Englisch meint zu P. Kirchhofs Ausführungen zum Thema „Leistungsfähigkeitsprinzip und Umsatzsteuer“22: Im Detail bleibe „manches unklar und widersprüchlich“.23 Ich verstehe P. Kirchhof so: Er akzeptiert zwar den Maßstab der (vermuteten) Leistungsfähigkeit auch für die Umsatzsteuer, hält diesen Maßstab aber nicht für einen hinreichenden Steuerrechtfertigungsgrund. Gerechtfertigt werden sollen Einkommensteuer und Umsatzsteuer erst dadurch, dass der Staat über den von ihm organisierten und geschützten Markt einen Beitrag zur Einkommensentstehung und -verwendung leistet. J. Englisch spricht zu Recht von Überlegungen äquivalenztheoretischer Art und äußert dazu: „Es fällt schwer, sich den Staat als Repräsentanten marktwirtschaftlicher Unternehmer vorzustellen. Auch lässt sich eine am Wert des Umsatzes bemessene Verbrauchsteuer so nicht rechtfertigen, weil die Intensität bzw.

__________ 20 P. Kirchhof, Die freiheitsrechtliche Struktur der Steuerrechtsordnung – Ein Verfassungstest für Steuerreformen, StuW 2006, 13 li. 21 In M. Sachs (Hrsg.), GG, 2. Aufl., München 1999, Art. 3 GG Rz. 134. 22 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541 (542 ff.). 23 J. Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel mit Schlussfolgerungen für indirekte Steuern, Kölner jur. Habilitationsschrift, Köln 2006, S. 627, Fußn. 51.

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Kosten der Marktnutzung nicht abhängig von der Höhe des Umsatzes sind.“24 P. Kirchhof leitet aus seiner Theorie den Schutz des Existenzminimums auch im Umsatzsteuerrecht ab. Dieser Schutz lässt sich aber auch auf Art. 1 I GG und auf das Leistungsfähigkeitsprinzip gründen. Im Übrigen trägt es nicht zur Klarheit bei, wenn als Ausgangsbasis oder Ausgangsprämissen für Folgerichtigkeit nebeneinander genannt werden: der Steuergegenstand, der Ausgangstatbestand und zusätzlich noch der Steuerrechtfertigungsgrund. M. E. muss Ausgangsbasis das Leistungsfähigkeitsprinzip sein. Im Umsatzsteuerrecht muss es darum gehen, die Leistungsfähigkeit des Verbrauchers folgerichtig an dessen Verbrauch (Verwendung von Vermögen oder Einkommen) zu messen.25 Da Einkommensteuer und Umsatzsteuer sich mit ihrem jeweiligen Vor- und Nachteilen ausgleichend ergänzen26, ist ihre Kombination in der ganzen Welt verbreitet. Wer diese erfolgreiche Kombination argumentativ aufzulösen versucht, hat wohl keine Chancen, sich erfolgreich durchzusetzen. 2. Folgerichtigkeit und europäisches Gemeinschaftsrecht Wer Folgerichtigkeit auch im Umsatzsteuerrecht einfordert, muss mit dem Einwand rechnen: Wegen der Bindungen des nationalen Umsatzsteuerrechts an das europäische Gemeinschaftsrecht könne das Folgerichtigkeitsgebot im Umsatzsteuerrecht nur sehr eingeschränkt entfaltet werden. P. Kirchhof führt dazu aus: „Je mehr die 6. EG-Richtlinie in den Mittelpunkt der materiellen Belastung der Steuerpflichtigen rückt …, desto mehr entstehen innerhalb des Umsatzsteuerrechts Bewertungswidersprüche und Zuständigkeitsverlagerungen, die letztlich dem verfassungsrechtlichen Gebot einer folgerichtigen, widerspruchsfreien und unausweichlichen Besteuerung widersprechen. Das gegenwärtige Umsatzsteuerrecht ist ein offensichtlicher Reparaturfall.“27 Das wird aber nur wenig belegt. Folgerichtiges Denken lässt sich grundsätzlich nicht auf nationales Recht beschränken. Für nationales, supranationales und internationales Recht gilt: Auch Diktatoren, Päpste, auch Rat und Kommission der EG, auch Richter (die des EuGH eingeschlossen), können gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstoßen, sie können es aber als Denkgesetz nicht aufheben. Das folgerichtige Denken ist nicht an Grenzen gebunden. Durchbrechungen des Folgerichtig-

__________ 24 J. Englisch (Fußn. 23), S. 649 mit Fußn. 142. Der Verfasser dieses Beitrages hat seine Kritik an der P. Kirchhofschen Steuer-Rechtfertigungstheorie in seiner Schrift „Die Steuerrechtsordnung“ Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 614 ff. (zur Einkommensteuer) und S. 981 f. (zur Umsatzsteuer) geäußert und kann darauf verweisen. 25 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 545 li, dazu: „Sodann fordert der Gleichheitssatz, dass die vom Gesetzgeber getroffene Grundentscheidung zur Besteuerung des Umsatzes folgerichtig umgesetzt wird.“ Die Frage ist eben: Worin drückt sich die Grundentscheidung aus? 26 Näher dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 982 ff.; H. G. Ruppe (Fußn. 17), Einf. Rz. 39, 59. 27 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 547 li.

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keitsgebots müssen gerechtfertigt werden. Auch Rat und Kommission der EG sind der Kritik unterworfen. Auch ihre MwSt-Richtlinien können Inkonsequenzen enthalten. H. Nieskens spricht allerdings nicht ohne Grund von einer „bisweilen nicht nachvollziehbaren Richtliniengläubigkeit.“28 Inkonsequentes Richtlinienrecht kann und sollte geändert werden. Die Rechtsprechung des EuGH wird laufend rezensiert und kritisiert, auch vom Jubilar.29 Auch der EuGH kann seine Rechtsprechung ändern. 3. Folgerichtigkeitsäußerungen des Jubilars Der Jubilar hat stets folgerichtig im Sinne des Verbrauchsteuerprinzips gedacht. Einige Beispiele mögen das belegen: „Die Netto-Allphasen-Steuer mit Vorsteuerabzug belastet allein die Aufwendungen für nichtunternehmerischen Endverbrauch mit Umsatzsteuer …“ Es bestehen allerdings „noch erhebliche Defizite in der konsequenten Umsetzung …“30 Es ist nicht folgerichtig, an Lieferungen und sonstige Leistungen unterschiedliche Rechtsfolgen zu knüpfen. Die Unterscheidung Lieferung/sonstige Leistung hat „nichts mit dem Wesen der Umsatzsteuer zu tun“.31 „Bei der Frage, ob eine einheitliche Leistung vorliegt oder eine Mehrheit ggf. unterschiedlich zu behandelnder Leistungen, ist auf die Sicht des Verbrauchers abzustellen, allerdings unter Beachtung des Zwecks der jeweils anzuwendenden Normen über den Leistungsort, die Befreiung und den Steuersatz.“32 „Die Schadensersatzleistung wird nicht besteuert, weil die Einkommensverwendung nicht an einen willentlichen Verbrauch anknüpft. Sie ist daher kein Maßstab für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schädigers.“33 „Da die Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer den Verbraucher, nicht den Unternehmer belasten will, kann man von einer echten Befreiung nur sprechen, wenn der Verbraucher entlastet werden soll und entlastet wird.“34 „Zutreffend verlangt das BVerfG eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend, dass bei umsatzsteuerlichen Begünstigungen durch Befreiungen oder Steuersatzermäßigungen nicht an die Rechtsform des Unternehmers, sondern an die Art der erbrachten Leistung und ihre Bedeutung für den Verbraucher angeknüpft wird. Die Umsatzsteuer ist bezüglich des Unternehmers als bloßem Steuereinsammler neutral.“35 § 2 III UStG wird dem Verbrauchsteuergedanken nur zum Teil gerecht. Unter dem Verbrauchsteueraspekt müssten alle entgeltlichen Versorgungsleistungen der öffent-

__________ 28 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 577 re. 29 S. etwa in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 37, 89. 30 Reiß, Vorsteuerabzug – Achillesferse der Mehrwertsteuer, UR 2002, 563; s. auch in Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 14. 31 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 14. 32 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 29 a. E. 33 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 33. So im Ergebnis auch H. G. Ruppe (Fußn. 17), § 1 Rz. 170 (Schadensersatz kein Entgelt für eine Leistung). 34 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 88. 35 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 88.

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Klaus Tipke lichen Hand erfasst werden. Die Art der Tätigkeit der öffentlichen Hand, ob hoheitlich oder gewerblich, sollte unerheblich sein.“36 „Da das Gesetz prinzipiell die Unternehmer durch Vorsteuerabzug entlastet, ist es inkonsequent, das bei steuerfreien Leistungen nicht zu tun.“37 § 15 II Nr. 1 entspricht zwar der 6. MwSt-Richtlinie, diese aber nicht folgerichtig dem Verbrauchsteuerprinzip.38

4. Folgerichtigkeit und Existenzminimum Da auch die Umsatzsteuer durch das Leistungsfähigkeitsprinzip fundiert wird, muss sie auch Rücksicht auf das Existenzminimum nehmen, denn in Höhe ihres Existenzminimums sind die Bürger nicht steuerlich leistungsfähig. Der Schutz des Existenzminimums vor Steuerbelastung ergibt sich auch schon aus Art. 1 I GG. Schwieriger als diese Feststellung ist die technische Umsetzung des Schutzes. Die Technik der Umsatzsteuer kann wohl mit Steuerbefreiungen arbeiten, sie ermöglicht aber nicht die Gewährung eines Freibetrages an die Steuerträger. Zum Existenzminimum gehören Mittel zur Ernährung, für das Wohnen und für die Kleidung, aber auch andere unvermeidbare Aufwendungen privater Art, z. B. Arztkosten. Das geltende Umsatzsteuergesetz berücksichtigt das Existenzminimum nur lückenhaft, nämlich durch die Entlastung des Wohnens durch Steuerbefreiung des Vermieters von Immobilien (§ 4 Nr. 12 UStG) und die Entlastung der Aufwendungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit durch die Steuerbefreiung der heilberuflichen Dienstleistungen (§ 4 Nr. 14 UStG). Grundnahrungsmittel werden hingegen mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % belastet. Das ist nicht folgerichtig. Aufwendungen für Kleidung werden sogar voll – zurzeit mit 19 % – belastet. Das Einkommensteuergesetz nimmt keine Rücksicht darauf, wie viel der einzelne Bürger individuell für seine Ernährung, für seine Kleidung und für seine Wohnung aufwendet. Alle erhalten die gleichen Freibeträge. Auch der Kindesunterhalt wird einheitlich berücksichtigt. M. E. ist es nicht erforderlich, das Existenzminimum überhaupt im Umsatzsteuergesetz zu berücksichtigen. Im Rahmen der Einheit der Steuerrechtsordnung kann die Belastung des Existenzminimums durch die Umsatzsteuer technisch auch durch das Einkommensteuergesetz ausgeglichen werden. Die (tatbestandlich ohnehin zu weite) Befreiung der Grundstücksvermietung durch das Umsatzsteuergesetz könnte dann entfallen. Schon jetzt berücksichtigt das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum die Umsatzsteuer. Damit ist es jedoch nicht getan. Zur Rückgängigmachung der Belastung des Existenzminimums mit Umsatzsteuer müsste der einkommensteuerliche Grundfreibetrag um einen Betrag erhöht werden, der bei der Anwendung des Eingangs-

__________ 36 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 130. 37 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 14 Rz. 170. 38 Hinweis auch auf die aus dem Verbrauchsteuerprinzip sich ergebenden Schlussfolgerungen von H. Stadie in Rau/Dürrwächter, Komm. zum UStG, Einf. Rz. 92–116.

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steuersatzes zu einer Steuerersparnis führt, die der durchschnittlichen Umsatzsteuerbelastung des Existenzminimums im Umfang des subjektiven Nettoprinzips entspricht. Wird der durchschnittliche Grundfreibetrag nicht erreicht, so müsste eine Vergütung mit einer Steuer verrechnet oder ausbezahlt werden. Sind Kinder zu unterhalten, so müsste entsprechend mit der Umsatzsteuerbelastung des Existenzminimums der Kinder verfahren werden.39 Eine Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung von Grundnahrungsmitteln würde zu einem Konflikt mit der 6. Richtlinie führen, die dafür einen Steuersatz von mindestens 5 % vorsieht. 5. Folgerichtigkeit und Überwälzbarkeit Da der Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer nur realisiert wird, wenn die Steuer auf den Verbraucher als gewollten Steuerträger überwälzt wird, ist das Gelingen der Überwälzung Verbrauchsteuerbedingung. Misslingt die Überwälzung, wird aus der Verbrauchsteuerlast eine Unternehmersteuerlast. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts typisiert jedoch stark. Sie lässt die bloße generelle Möglichkeit der Überwälzung genügen: Eine rechtliche Gewähr werde nicht verlangt. Es reiche aus, dass die Steuer auf Überwälzung angelegt sei und vom Gesetzgeber weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich gemacht werde.40 Es ist verständlich, dass der Gesetzgeber die Methode der indirekten Belastung der Verbraucher wählt. Dabei muss er aber auf die Unternehmer Rücksicht nehmen. Er darf sich ihrer Hilfe bedienen, darf aber Unternehmer nicht zu Verlierern der indirekten Methode der Verbrauchsbesteuerung machen. Das wäre keine folgerichtige Umsetzung des Verbrauchsteuercharakters der Umsatzsteuer. Dass das Umsatzsteuergesetz nur auf die Möglichkeit der Überwälzung angelegt sei, lässt sich ihm nicht entnehmen. Die Überwälzung ist umsatzsteuerrechtlich nicht bloß eine marktabhängige Möglichkeit, sie muss im Einzelfall auch realisiert werden können.41 Dem Unternehmer, dem die Überwälzung nicht gelingt, darf nicht eine Sonderlast auferlegt werden, die die er-

__________ 39 Dazu auch J. Lang, Reform der Unternehmensbesteuerung auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt und zur deutschen Einheit, StuW 1990, 107 (126); H. Stadie (Fußn. 38), Einf. Anm. 192–194 m. w. N.; J. Englisch (Fußn. 23), S. 655 ff. 40 BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375, 384 betr. Nachsteuer auf Schaumwein und Branntwein; v. 16.3.1971 – 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfG 30, 292, 326 betr. Mineralölsteuer; v. 20.4.2004 – 1 BvR 1748/99, 905/00, BVerfGE 110, 274, 294 betr. Strom- und Mineralölsteuer. Weitere Nachweise bei H. Stadie (Fußn. 38), Einf. Rz. 184 Fußn. 1, 2. Die Überwälzbarkeit im Einzelfall verlangt auch H. Stadie nicht. Er nimmt aber Rücksicht, „wenn bei bestimmten Unsatzarten eine Abwälzung grundsätzlich unmöglich ist“ (Einf. Rz. 185). 41 Dazu auch den Fall BVerfG v. 11.2.1994 – 2 BvR 633/86, BVerfGE 91, 186, 205 betr. 3. Verstromungsgesetz. – Nach Art. 1 II des schweizerischen Mehrwertsteuergesetzes hat die Steuererhebung nach dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität, mit Anrechenbarkeit der Vorsteuer sowie unter Berücksichtigung der Überwälzung zu erfolgen. Dazu D. Dziadkowski/E. Forster/J. Röhner, Zur Verankerung der Überwälzbarkeit einer allgemeinen Verbrauchsteuer im schweizerischen MwStG-Entwurf, ASA 66 (1997/98), 337 ff.

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folgreichen Überwälzer nicht zu tragen haben. Eine solche Behandlung verletzt den Gleichheitssatz. Der Umsatzsteuerbescheid kann mit dieser Begründung angefochten werden. Mindestens ist aber eine Billigkeitsentscheidung (§§ 163, 227 AO) angebracht. Weicht ein Einzelfall (hier: Fall der Nichtüberwälzung) erheblich von den Regelfällen gelungener Überwälzung ab, so muss das starre Gesetz (im Einzelfall) durch billiges Recht korrigiert werden. Zu dem etwaigen Einwand, der Gesetzgeber habe die starre Lösung gewollt, sie dürfe daher nicht im Billigkeitswege unterlaufen werden: Der Gesetzgeber dürfte nicht den Gleichheitssatz verletzen, daher auch den Billigkeitserlass nicht ausschalten wollen. 6. Rechtsschutz des Steuerträgers Da der Gesetzgeber technisch den Unternehmer, nicht den Verbraucher als Steuerträger zum Steuerschuldner erklärt, der Steuerbescheid dem Unternehmer, nicht dem Verbraucher bekannt gegeben wird, fragt es sich, wie sich der Verbraucher wehren kann, der meint, auf ihn sei eine zu hohe Umsatzsteuerlast überwälzt worden? P. Kirchhof hat die Rechtsschutzfrage schon 1989 aufgeworfen42 und dann nochmals 2002.43 Er ist der Meinung, Rechtsgrund der Lastüberwälzung sei „der zivilrechtliche Vertrag“, das Umsatzsteuergesetz sei „nur eine Rahmenbedingung“ für diesen Vertragsschluss. Die reale Belastung des Steuerträgers finde „ihren Geltungsgrund nicht im Gesetz, sondern in einer vertraglichen Vereinbarung“, damit verlagere sich der Rechtsschutz von der Finanz- zur Zivilgerichtsbarkeit. Da der Bundesgerichtshof 1978 den Zivilrechtsweg zwar nicht verneinte, jedoch auch nicht wirksam Rechtsschutz gewährte44, regt P. Kirchhof an, „darüber nachzudenken …, ob das Umsatzsteuerrecht dem Steuerträger ein subjektives öffentliches Recht gewähren und ihm damit einen individuellen Rechtsschutz jedenfalls für den ausdrücklichen vertraglichen Vorbehalt sichern sollte“.45 H. Stadie nennt Kirchhofs Ausführungen46 „unklar“47 und vertritt klar folgenden Standpunkt: „Der Leistungsempfänger (Steuerträger, Verbraucher) kann, wenn er die Steuerpflicht des Umsatzes oder die Höhe des vom leistenden Unternehmer zugrunde gelegten Steuer-

__________ 42 P. Kirchhof, Rechtsstaatlichen Anforderungen an den Rechtsschutz in Steuersachen, in Trzaskalik (Hrsg.), Der Rechtsschutz in Steuersachen, DStJG 18, Köln 1995, S. 27 ff. 43 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541 (547) li. 44 BGH v. 14.12.1977 – VIII ZR 34/76, DB 1978, 786. 45 P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 548 re. 46 P. Kirchhof, Rechtsstaatlichen Anforderungen an den Rechtsschutz in Steuersachen, in Trzaskalik (Hrsg.), Der Rechtsschutz in Steuersachen, DStJG 18, Köln 1995, S. 17, 28; P. Kirchhof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541 (547 f.). 47 In Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Anm. 214, Fußn. 4.

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Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht satzes bestreitet, der Umsatzsteuerbelastung bei der Preisvereinbarung regelmäßig nicht ausweichen, da die Unternehmer im Zweifel von der Steuerpflicht des Umsatzes ausgehen und sich zudem durchgängig nach der Auffassung der Finanzverwaltung richten. Der Steuerträger kann diese steuerrechtliche Frage nicht vor den Zivilgerichten klären, da das Alleinentscheidungsrecht über steuerrechtliche Fragen den Finanzbehörden zusteht, so dass Steuerfestsetzungen (Steueranmeldungen) Bindungswirkung für die Zivilgerichte haben … Daraus kann jedoch nicht folgen, dass, da der leistende Unternehmer kein Interesse an der Klärung der Rechtsfrage hat, dem Steuerträger der Rechtsschutz verwehrt wird. Zur Gewährleistung des verfassungsrechtlich (Art. 19 IV GG) gebotenen Rechtsschutzes … muss dem Steuerträger die Klagemöglichkeit vor den Finanzgerichten zustehen …“48

H. Stadie ist zuzustimmen. Dem Steuerträger ist Rechtsschutz im Finanzrechtsweg zu gewähren, da es sich um eine Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten (§ 33 FGO) handelt, nicht um einen Streit über das (Netto-)Entgelt. Rechtsgrund der Steuerüberwälzung ist nicht der zivilrechtliche Vertrag, sondern das Umsatzsteuergesetz (§ 14 UStG). Es geht nicht um das Entgelt, sondern um den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag (steuerfrei, 7 %, 19 %?). Der Steuerträger kann durch den an den Unternehmer gerichteten Steuerbescheid beschwert (§ 350 AO) oder in seinen Rechten verletzt (§ 40 II FGO) sein. Aus dem Steuerbescheid ergibt sich verbindlich die geschuldete und überwälzbare Steuer. Dadurch ist der Steuerträger betroffen. Auf die Bekanntgabe des Bescheids an den Steuerträger kommt es nicht an.49 Der Steuerträger kann geltend machen, er werde durch den an den Unternehmer gerichteten Steuerbescheid in seinem Recht verletzt, nur mit einer gesetzmäßigen Steuer belastet zu werden. Dagegen lässt sich nicht einwenden, die Rechtsverletzung des Steuerträgers sei nur eine mittelbare. Wenn das Gesetz sich eines mittelbaren Belastungsweges (unter Zwischenschaltung von Unternehmern) bedient, muss folgerichtig auch die mittelbare Belastung als Rechtsschutzvoraussetzung genügen.50

IV. Mangelnde Folgerichtigkeit im „Recht“ der besonderen Verbrauch- und Verkehrsteuern 1. Kaffeesteuer und kommunale Verbrauch- und Aufwandsteuern sind nicht folgerichtig Von den besonderen Bundesverbrauchsteuern, die keine Lenkungsteuern sind, existiert nur noch die Kaffeesteuer. (Die Lenkungs-Verbrauchsteuern werden hier nicht erörtert).51

__________ 48 In Rau/Dürrwächter (Fußn. 47), Einf. Anm. 116; s. auch ebenda § 18 Anm. 212 ff. 49 K. Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 350 AO Tz. 17. 50 So auch H. Stadie (Fußn. 47), § 18 Anm. 214: „Wenn der Staat die Umsatzbesteuerung im Wege der indirekten Besteuerung durch Einschaltung der Unternehmer als Verwaltungshelfer vornimmt, so kann er sich durch diese Form der mittelbaren Verwaltung nicht der Grundrechtsbindung entziehen.“ 51 Dazu H. Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), Festschrift Reiß, Köln 2008, S. 25, 38 f.

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Die Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer hat besondere (Fiskalzweck-) Verbrauchsteuern grundsätzlich überflüssig gemacht. Das gilt auch für die Kaffeesteuer; denn die Lieferung von Kaffee ist mit Umsatzsteuer belastet. Eine Kaffeesteuer neben der Umsatzsteuer wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Kaffeeverbraucher eine besondere Leistungsfähigkeit demonstrieren würde. Das ist aber nicht der Fall.52 Das Volksgetränk „Kaffee“ wird denn auch mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz (7 %) belastet. Es ist aber nicht folgerichtig, einerseits den ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden, andererseits aber eine besondere Kaffeesteuer zu erheben. Das Nebeneinander von Umsatz- und Kaffeesteuer zeigt, dass dem Gesetzgeber das Einmaleins folgerichtigen Denkens fremd ist. Es gibt nicht nur keine Kaviarsteuer; es gibt auch keine Teesteuer (mehr). Für die unterschiedliche Behandlung des Verbrauchs von Kaffee und Tee ist kein Grund ersichtlich. Im Bereich der kommunalen Verbrauch- und Aufwandsteuern (Art. 105 IIa GG) ist kein Ansatz folgerichtig zu Ende gedacht. Warum wird der Getränkekonsum belastet, nicht das Speisen? Warum werden billige, aber harmlose Vergnügungen belastet, nicht aber das Halten eines Sportflugzeugs oder einer Luxusyacht, nicht die Beteiligung an einer teuren Kreuzfahrt? Es ist auch nicht folgerichtig, wenn Städte auf aus beruflichen Gründen gehaltene Zweitwohnungen eine besondere Steuer erheben, während die Zweitwohnungsmiete einkommensteuerrechtlich als Betriebsausgabe/Werbungskosten abgezogen werden kann. Ebenso wenig ist es folgerichtig, von Forstwirten, die zum Schutze gegen Wildverbiss jagen, und ihre Aufwendungen als Betriebsausgaben abziehen können, eine Jagdsteuer zu erheben.53 J. Langs Resümee lautet: „Die nicht dem europäischen Harmonisierungsgebot unterworfenen örtlichen Aufwandsteuern bilden ein Konglomerat, dessen Willkür nicht zu rechtfertigen ist.“54 2. Folgerichtigkeitsverstöße durch die besonderen Verkehrsteuern Betrachten wir die Grunderwerbsteuer und die Versicherungsteuer. Sie werden nicht neben der Umsatzsteuer erhoben. Aber sie sind auch nicht an die Umsatzsteuer angepasst worden. Die Umsatzsteuer will den privaten Verbrauch, die private Einkommensverwendung belasten, nicht die Gewinnverwendung von Unternehmen. Das wird durch Vorsteuerabzug und Steuerüberwälzung erreicht. Daran gemessen ist es nicht folgerichtig, Unternehmer ausnahmsweise mit so genannten Verkehrsteuern (ohne Vorsteuerabzug) zu belasten. Unternehmen dürfen ihre Investitionsaufwendungen ertragsteuerlich absetzen. In zwei Ausnahmefällen müssen sie aber auf die Investition eine Steuer zahlen,

__________ 52 Zustimmend J. Englisch (Fußn. 23), S. 647: „Die Kaffeesteuer … ist … leistungsfähigkeitswidrig, weil sie den keine besondere Leistungsfähigkeit indizierenden Konsum eines allgemein genossenen Volksgetränks zusätzlich zur Umsatzsteuer belastet.“ 53 Ausführlich dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1103 ff. 54 In Tipke/Lang (Fußn. 29), § 8 Rz. 107 a. E.

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Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht

bei Anschaffung eines Betriebsgrundstücks die Grunderwerbsteuer und bei Abschluss einer betrieblichen Versicherung eine Versicherungsteuer. Diese können zu Unternehmensteuern werden. Es ist insbesondere nicht folgerichtig, wenn der Landwirt die Viehversicherungsprämien als Betriebsausgaben abziehen kann, er aber zugleich eine Viehversicherungsteuer zahlen muss. Zustimmend führt J. Englisch dazu aus: „Kein sachgerechter Indikator steuerlicher Konsumleistungsfähigkeit sind Vermögensaufwendungen zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken, insbesondere unternehmerische Investitionen. Sie verkörpern keinen endgültigen Vermögensverbrauch in Gestalt physischen Verbrauchs von Gegenständen, der Inanspruchnahme von Nutzungsvorteilen oder dem Genuss von Dienstleistungen zur privaten Bedürfnisbefriedigung. Stattdessen sollen sie der Wertschöpfung dienen und letztlich Einkommen generieren. Sie bilden daher ein Element der Bestimmung der Einkommensleistungsfähigkeit. Hier sind sie … nach dem objektiven Nettoprinzip zwingend als leistungsfähigkeitsmindernd … anzusehen … Der Vorsteuerabzug des modernen Umsatzsteuerrechts … ist darum sachgerecht … Die bewusst in Kauf genommene Belastung auch des unternehmerischen Aufwands mit traditionell als besondere Verkehrsteuern eingestuften Steuern wie etwa der Grunderwerbsteuer oder der Versicherungsteuer verstößt gegen jedes rechtsethisch vertretbare Konzept steuerlicher Leistungsfähigkeit und ist darum gleichheitswidrig.“55

Das auf keiner sachgerechten Ausgangsprämisse beruhende Folgerichtigkeitsdenken der Verkehrsteuerdogmatiker lautet: „Grundstück ist Grundstück“, „Versicherung ist Versicherung“ – und im „Recht“ der kommunalen Aufwandsteuern: „Jagd ist Jagd“, hingegen gilt z. B. nicht: „Vergnügen ist Vergnügen.“ Es entspricht nicht folgerichtig der Konsumleistungsfähigkeit, auch den Verkäufer eines Grundstücks zum Steuerschuldner zu erklären, statt nur den, der für die Anschaffung des Grundstücks etwas aufwendet. Die Versicherungsteuer ist auch nicht auf das subjektive Nettoprinzip der Einkommensteuer abgestimmt. „Die Versicherungsteuer auf die Unfall- und Haftpflichtversicherung trifft einen Aufwand“ – so W. Reiß –, der „nach § 10 EStG z. T. einschließlich der Versicherungsteuer als Sonderausgabe behandelt wird. Es macht wenig Sinn56, einerseits steuerliche Anreize zur Vorsorge zu gewähren, aber andererseits den Aufwand für die Vorsorge mit einer steuerlichen Belastung zu verbinden.“57 An Folgerichtigkeit mangelt es auch dann, wenn man im Abzug von Versicherungsbeiträgen keine Lenkungsmaßnahme sieht, sondern eine Reduktion der Einkommensteuer-Bemessungsgrundlage wegen verminderter subjektiver Leistungsfähigkeit. Der Gesetzgeber darf nacheinander – zeitlich versetzt – zunächst das entstandene Einkommen und später das verwendete Einkommen belasten. So wie aber Steuern auf das Einkommen (z. B. als Einkommensteuer und Erbschaftsteuer) sich nicht überlappen dürfen, so dürfen auch Einkommensverwendungs-

__________ 55 J. Englisch (Fußn. 23), S. 652 f., zur Versicherungsteuer auch ebenda S. 675. 56 Man kann auch sagen: „Es ist nicht folgerichtig …“ 57 W. Reiß in Tipke/Lang (Fußn. 29), § 15 Rz. 44.

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steuern sich nicht überschneiden. Ein und derselbe wirtschaftliche Vorgang darf z. B. nicht mit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer oder mit Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer belastet werden. Darin läge eine das Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verletzende Sonderbelastung. 3. Keine Rechtfertigung der Folgerichtigkeitsverstöße durch Art. 105 IIa, 106 GG Im Anschluss an die Lehre einiger Staatsrechtslehrer nimmt das Bundesverfassungsgericht an, die von Art. 105 IIa, 106 GG erfassten Steuern und Steuerarten dürften als solche nicht an den Grundrechten gemessen werden. Der Gesetzgeber habe weitgehenden Entscheidungsspielraum bei der Auswahl des Steuergegenstandes als Ausgangstatbestand. Erst die einmal getroffene Belastungsentscheidung müsse im Binnenbereich einer Steuer folgerichtig umgesetzt werden.58 Das bedeutet: Es kann nicht geltend gemacht werden, es sei nicht folgerichtig, den Kaffeeverbrauch zu belasten, den Verbrauch von Tee oder Kaviar aber nicht. Die Kaffeesteuer als solche, erfasst von Art. 106 I Nr. 2 GG, ist unantastbar.59 Es ist schon nicht sicher, was Steuergegenstand der Kaffeesteuer ist: der Kaffee, der tatsächliche Übergang des Kaffees aus dem Herstellungsbetrieb in den freien Verkehr, der Kaffeeverbrauch, Aufwendungen für den Erwerb von Kaffee? Es könnte auch nicht geltend gemacht werden, es sei nicht folgerichtig, grundsätzlich die betrieblichen Aufwendungen von Unternehmen nicht zu belasten, beim Erwerb von Betriebsgrundstücken und betrieblichen Versicherungen aber eine Ausnahme zu machen. Das lasse Art. 106 I Nr. 4 GG nicht zu. Er meine Verkehrsteuern im traditionellen Sinne; die Verkehrsteuergesetze hätten traditionell nicht zwischen privaten und unternehmerischen Aufwendungen unterschieden. Nur wurde diese Tradition früher auch nicht durch die Mehrwertsteuer abgebrochen. Die Mehrwertsteuer löst ihre eigene Folgerichtigkeit aus. Die Vertreter der Art. 105 IIa, 106 GG-Steuerrechtfertigung berufen sich u. a. auf die Einheit der Verfassung, die es nicht zulasse, dass von Art. 105 IIa, 106 GG erfasste Steuern verfassungswidrig, grundrechtswidrig sein könnten. Das Grundgesetz hat aber keinen einheitlichen Charakter. Die Grundrechte sind ethisch fundiert, die Art. 105 IIa, 106 GG sind es nicht. Die Väter des Grundgesetzes wollten nur Steuerhoheiten (Gesetzgebungs-, Ertrags-, Verwaltungshoheit) auf Bund, Länder und Gemeinden verteilen. In ihre Verteilung haben sie die zu ihrer Zeit existierenden Steuern einbezogen. Über Steuergerechtigkeit, insbesondere über Folgerichtigkeit, haben sie nicht nachgedacht; dazu fehlte es auch an Kompetenz und an Vorarbeiten. Die Weimarer Republik war

__________ 58 Dazu Tipke, StuW 2007, 207. 59 Man könnte Art. 106 I Nr. 2 GG m. E. auch so verstehen, dass die an sich gerechtfertigten Verbrauchsteuern folgerichtig aufeinander abgestimmt werden müssen, ebenso die Verbrauch- und Aufwandsteuern i. S. des Art. 105 IIa GG.

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Das Folgerichtigkeitsgebot im Verbrauch- und Verkehrsteuerrecht

nur ein formaler Rechtsstaat. Dass die Väter des Grundgesetzes Steuergerechtigkeit (Folgerichtigkeit eingeschlossen) nicht gewollt hätten, sollte man ihnen nicht unterstellen. Wer folgerichtige Ableitungen nur im Binnenbereich einer Steuer zulässt (um seinem Art. 105 IIa, 106 GG-Verständnis zu entsprechen), kappt unnötig das Folgerichtigkeitskriterium im Steuerrecht in erheblichem Umfang. Er sorgt für den Bestandsschutz ungerechter Steuern wie die Kaffeesteuer, die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuer und die besonderen Verkehrsteuern in ihrem traditionellen (auf die Urkundensteuern zurückgehenden) Verständnis. Hätte das Verfassungsgericht sich durch sein Art. 105 IIa, 106 GG-Verständnis nicht selbst blockiert, hätte es uns von ungerechten Steuern, auch von der Gewerbesteuer, befreien können. Vom Gesetzgeber, der diesen Weg gehen könnte, ist das leider nicht zu erwarten.

V. Rück- und Ausblick Die Verteidiger des nicht bloß technischen Verkehrsteuer-Verständnisses der Umsatzsteuer haben ihre Stellung auf Dauer nicht halten können. Diese Unannehmlichkeit teilen sie mit denen, die von einem Prinzipien getragenen Steuerrecht, auch vom Leistungsfähigkeitsprinzip, nichts wissen wollten. Oft waren Verkehrsteueradvokaten und Prinzipiengegner dieselben Gesetzespositivisten. Der Ruhestand dürfte ihnen über den Misserfolgsverdruss hinweggeholfen haben. Der Jubilar Wolfram Reiß war von Anfang an – vor dem Bundesfinanzhof und vor dem Bundesverfassungsgericht – auf der Seite derer, die sich durchgesetzt haben. Es wäre m. E. ein weiterer Fortschritt in Sachen „Steuergerechtigkeit“, wenn das Bundesverfassungsgericht sein Art. 105 IIa, 106 GG-Verständnis ändern würde, damit auch die Auffassung, Folgerichtigkeit könne nur im Binnenbereich einer Steuer entfaltet werden, obsolet würde. Die Kappung des Folgerichtigkeitsgebots schränkt die Entfaltung der Steuergerechtigkeit nicht unerheblich ein. Noch ist nicht allseits zur Kenntnis genommen worden, dass Spezialsteuern, die an einzelne Einkommens- oder Einkommenverwendungsarten, an einzelne Vermögensarten oder Wirtschaftsgüter anknüpfen, grundsätzlich das Folgerichtigkeits- oder Verallgemeinerungsgebot verletzen. Insoweit gibt es offenbar noch ein Erkenntnisproblem, nicht bloß ein Durchsetzungsproblem.

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Harald Schaumburg

Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht Inhaltsübersicht I. Geltung des Leistungsfähigkeitsprinzips 1. Verfassungsrechtliche Fundierung 2. Europarechtliche Parallelen 3. Lenkungsnormen 4. Normative Defizite II. Konsumleistungsfähigkeit

III. Besonderheiten 1. Umsatzsteuer 2. Grunderwerbsteuer 3. Besondere Verbrauchsteuern a) Kaffeesteuer b) Alkoholsteuern c) Energiesteuer IV. Ausblick

I. Geltung des Leistungsfähigkeitsprinzips Dass zwecks Verwirklichung von Steuergerechtigkeit Steuern nur nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erhoben werden dürfen, ist heute weitgehend Allgemeingut1 und im Grundsatz durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abgesichert2. Das Bekenntnis zum Leistungsfähigkeitsprinzip als Leitprinzip zur Verwirklichung von Steuergerechtigkeit beruht letztlich auf dem nicht bloß erkenntnistheoretischen Befund, dass Steuern nur aus verfügbarem Einkommen oder gespeichertem Einkommen (Vermögen) gezahlt werden können. Wer hierüber nicht verfügt, dem fehlt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit3, der ist überhaupt nicht in der Lage den insoweit vom Staat geforderten Solidarbeitrag zu entrichten. Wer dagegen über hohes Einkommen bzw. gespeichertes Einkommen (Vermögen) verfügt, dem kommt eine entsprechend höhere Leistungsfähigkeit zu mit der Folge, dass er auch in höherem Maße zum Steueraufkommen beizutragen hat.4 Steuersubjekte mit

__________ 1 Vgl. die Nachweise bei Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 479. 2 BVerfG v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, 319 (343 f.); BVerfG v. 28.11.1984 – 1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287 (310); BVerfG v. 10.2.1987 – 1 BvL 18/81, 1 BvL 20/82, BVerfGE 74, 182 (199 f.); BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60 (86); BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (269 ff.); BVerfG v. 30.9.1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 (95); BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73 (125); BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27 (26 f.); zuletzt BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, NJW 2007, 573 (574). 3 Zur Differenzierung zwischen wirtschaftlicher und steuerlicher Leistungsfähigkeit Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 480 f. 4 BVerfG v. 29.5.1990, BVerfGE 82, 60 (89); BVerfG v. 10.11.1998, BVerfGE 99, 246 (260); Tipke, Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 481.

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gleicher steuerlicher Leistungsfähigkeit sind in Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG dementsprechend in gleicher Höhe steuerlich zu belasten.5 1. Verfassungsrechtliche Fundierung Wenn auch das Leistungsfähigkeitsprinzip allgemeine Akzeptanz gefunden hat, so ist doch dessen verfassungsrechtliche Fundierung durchaus zweifelhaft. Das liegt daran, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip im Grundgesetz einer ausdrücklichen Regelung entbehrt.6 Dass die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich geboten ist, ergibt sich allerdings aus den Grundrechten, deren Anwendung im Steuerrecht den Rückgriff auf eben dieses Leistungsfähigkeitsprinzip erfordert. Dies gilt im besonderen Maße für die Anwendung des Gleichheitssatzes im Steuerrecht. Hier ist das Leistungsfähigkeitsprinzip der entscheidende Maßstab für die Anwendung des Gleichheitssatzes. So gesehen ist das Leistungsfähigkeitsprinzip der verkürzte Ausdruck für gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.7 Dass gerade das Leistungsfähigkeitsprinzip und nicht etwa das Kopfsteuer- oder Äquivalenzprinzip für die Anwendung des Gleichheitssatzes maßgeblich ist, ist freilich nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG selbst abzuleiten.8 Die hierfür wesentlichen Wertmaßstäbe ergeben sich aus der verfassungsrechtlichen Werteordnung, in deren Rahmen dem Sozialstaatsprinzip eine besondere Bedeutung zukommt.9 Das dem Art. 20 Abs. 1 GG entsprechende Sozialstaatsprinzip fordert nämlich einen sozialen Ausgleich, der u. a. ein Legitimationsgrund etwa für die Steuerprogression bietet, die Personen mit höherer steuerlicher Leistungsfähigkeit entsprechend höher belastet.10 Neben dem Sozialstaatsprinzip werden in der aktuellen Diskussion als Anknüpfungspunkt für das Leistungsfähigkeitsprinzip auch noch weitere verfassungsrechtliche Grundsätze benannt. Hierzu ge-

__________ 5 Zur horizontalen und vertikalen Steuergerechtigkeit BVerfG v. 4.12.2002, BVerfGE 107, 27 (46 f.); Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 165 ff. 6 Zur Verankerung des Leistungsfähigkeitsprinzips in anderen Verfassungen die Übersicht von Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 488 ff. 7 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 500. 8 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 483; hierzu auch Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 632. 9 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 484. 10 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 403 ff., 484; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 141 f.; Jachmann, Leistungsfähigkeitsprinzip und Umverteilung, StuW 1998, 293 ff. (295); demgegenüber nicht auf das Leistungsfähigkeitsprinzip, sondern isoliert auf das Sozialstaatsprinzip zurückgreifend und die Steuerprogression regelnden Normen als Sozialzwecknormen charakterisierend Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 187; Beiser, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Lichte des Gemeinschaftsrechts „Rechtssicherheit ist Prinzipien- oder Regelsicherheit“, StuW 2005, 295 ff. (296).

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

hören die Freiheitsrechte11, das Übermaßverbot12 und das rechtsstaatliche Willkürverbot13. Wolfram Reiß hat auf der 14. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft die verfassungsrechtliche Grundlage des Leistungsfähigkeitsprinzips auf das Demokratieprinzip zurückgeführt.14 Zur Begründung verweist er u. a. darauf, „dass die am Beginn der Entwicklung der Europäischen Staaten zu egalitären Demokratien stehenden Menschenrechte die Steuergleichmäßigkeit unter Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse auf die an Rechten gleich geborenen Bürger/Menschen verteilen wollen“. Es kann hier offen bleiben, ob dem so verstandenen Demokratieprinzip wirklich eine an der Leistungsfähigkeit orientierte Besteuerung abgeleitet werden kann.15 Dies deshalb, weil die pluralistische Werteordnung des Grundgesetzes, insbesondere das im Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip, in ihrer Gesamtheit eine Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verlangt.16 Insoweit bedarf es auch keines Rückgriffs auf außerhalb des Verfassungsrechts liegender Wertungen.17 2. Europarechtliche Parallelen Das Leistungsfähigkeitsprinzip, und zwar auch in der Konkretisierung des objektiven Nettoprinzips18 ist nicht nur verfassungsrechtlich fundiert, sondern auch in Anwendung der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten geboten19. Soweit nämlich die betroffenen Normen und Normengruppen insbesondere des Einkommen- und Körperschaftsteuergesetzes dazu führen, dass beschränkt steuerpflichtige EU-Bürger mit inländischen Einkünften steuerlich höher belastet werden als unbeschränkt Steuerpflichtige mit entsprechenden inländischen Einkünften und unbeschränkt Steuerpflichtige mit ihren in der EU erzielten ausländischen Einkünften höher besteuert werden als mit ihren vergleichbaren inländischen Einkünften, beruhen die entsprechenden Belastungsdivergenzen durchweg darauf, dass für Steuerausländer und somit auch

__________ 11 Kirchhof, Besteuerung im Verfassungsstaat, Tübingen 2000, S. 17 ff.; Kirchhof, Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, StuW 1985, 319 ff. (323 f.); Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 123 ff. 12 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/88, S. 144 ff. 13 Vogel/Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, Heidelberg 1999, Rz. 519. 14 Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, in DStJG 13, Köln 1990, S. 3 ff. (11 f.). 15 Kritisch hierzu Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 633. 16 Zu dieser mehrdimensionalen Ableitung Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/88, S. 100, 125; Lang, Konkretisierungen und Restriktionen des Leistungsfähigkeitsprinzips, in FS Kruse, Köln 2001, S. 313 ff. (315); Vogel/ Waldhoff, Grundlagen des Finanzverfassungsrechts, Heidelberg 1999, Rz. 523. 17 So aber Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 483 f. 18 Zu Einzelheiten Tipke, Hütet das Nettoprinzip!, in FS Raupach, Köln 2006, S. 177 ff.; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. 19 Hierzu Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306 ff.

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für EU-Bürger hinsichtlich ihrer inländischen Einkünfte und für Steuerinländer hinsichtlich ihrer ausländischen (EU-)Einkünfte das Leistungsfähigkeitsprinzip jedenfalls partiell normativ suspendiert ist.20 Im Hinblick darauf ergibt sich: Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist relevanter Vergleichsmaßstab nicht nur bei der Anwendung des verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitssatzes, sondern auch der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten. Beide Rechtsebenen sind insoweit auf eine gleichheitsgerechte Besteuerung gerichtet. 3. Lenkungsnormen Das Leistungsfähigkeitsprinzip findet zwar uneingeschränkt auf Fiskalzwecknormen21 Anwendung22, unklar ist aber, ob das auch für Lenkungsnormen23 gilt. Hier ist zu differenzieren: Soweit Lenkungsnormen auf eine Steuervergünstigung oder Steuersubvention gerichtet sind, wird das Leistungsfähigkeitsprinzip zu Gunsten des Bedürfnis- oder Verdienstprinzips24 zurückgedrängt25. Eine Einschränkung oder gar gänzliche Abkehr vom Leistungsfähigkeitsprinzip bedarf allerdings einer besonderen Rechtfertigung, die sich im Wesentlichen am Gemeinwohlprinzip zu orientieren hat.26 Soweit demgegenüber Lenkungsnormen Sonderbelastungen etwa in Verfolgung ökologischer Lenkungsziele auferlegen, wird das Leistungsfähigkeitsprinzip keineswegs suspendiert; jedenfalls darf auf eine Steuerverschärfung gerichtete Lenkungsnorm unter keinen Umständen zum Entzug des existenznotwendigen Lebensbedarfs und somit auch zu keiner existenzgefährdenden Steuerbelastung führen27.

__________ 20 Zu weiteren Einzelheiten Schaumburg/Schaumburg, Steuerliche Leistungsfähigkeit und europäische Grundfreiheiten im Internationalen Steuerrecht, StuW 2005, 306 ff. (308 ff.). 21 Zur Begrifflichkeit Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 20. 22 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 77 ff.; Lang, Konkretisierungen und Restriktionen des Leistungsfähigkeitsprinzips, in FS Kruse, Köln 2001, S. 313 ff. (320 f.). 23 Hierzu Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 21; Kirchhof, Lenkungssteuern, in GS Trzaskalik, Köln 2005, 395 ff. 24 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 530. 25 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 340 ff.; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 124. 26 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 126. 27 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 126, § 8 Rz. 118; Lang, Verwirklichung von Umweltschutzzwecken, in DStJG 15, Köln 1993, S. 115 ff. (157 f.); Lang, Konkretisierungen und Restriktionen, in FS Kruse, Köln 2001, S. 313 ff. (324); Hey, Rechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben unter dem Vorbehalt ihrer ökologischen und ökonomischen Wirksamkeit – Zugleich Anmerkung zu Frank Rainer Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, StuW 1998, 32 ff. (51); Jachmann, Ökologie versus Leistungsfähigkeit – Gilt es neue Wege in der Steuerrechtfertigung zu gehen?, StuW 2000, 239 ff. (241 f.), Söhn, Umweltsteuern und Finanzverfassung, in FS Stern, München 1997, S. 587 ff. (593 ff.), Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, Köln 1997, S. 160 ff.; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 63.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

4. Normative Defizite Obwohl das Leistungsfähigkeitsprinzip als verfassungsrechtlich gebotenes Leitprinzip gerechter Besteuerung allgemeine Akzeptanz genießt, bleibt das deutsche Steuerrecht in zunehmendem Maße hinter den entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorgaben zurück. So verletzt insbesondere das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 gerade in den für die Praxis wichtigen Normenbereichen das Leistungsfähigkeitsprinzip, obwohl die Wissenschaft auf die schwerwiegenden Folgen einer derartigen Verletzung hingewiesen hat.28 Besonders gravierend sind die Verstöße gegen das objektive Nettoprinzip im Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht. Gegen das objektive Nettoprinzip als eine Konkretisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips29 verstoßen etwa die Regelungen zur Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG), zum Mantelkauf (§ 8c KStG) sowie zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung (§ 8 GewSt)30. Beim objektiven Nettoprinzip handelt es sich zwar um eine einfach gesetzliche, durch den Steuergesetzgeber bestimmte Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebots der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, für die das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen hat, ob die Geltung dieses Prinzips auch verfassungsrechtlich geboten ist31, es ist aber gleichwohl ein über das Leistungsfähigkeitsprinzip aus der Verfassung abgeleitetes Subprinzip32, das nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe, etwa im Rahmen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen durchbrochen werden darf33. Das setzt indessen voraus, dass eine Typisierung und Pauschalierung überhaupt zulässig ist. Das Bundesverfassungsgericht lässt zwar z. B. eine vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung

__________ 28 Vgl. hierzu die Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages vom 25.4.2007, Protokoll Nr. 16/56; ferner Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 ff. 29 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 502 f.; Tipke, Das Nettoprinzip – Angriff und Abwehr, dargestellt am Beispiel des Werkstorprinzips, BB 2007, 1525 ff. (1526 f.); Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 9 Rz. 54 f.; Lang, Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Steuerabzugsverbote für Geldstrafen und Geldbußen – Ein Beitrag zur Anwendung des Gleichheitssatzes und der Rückwirkungsverbote nach Art. 20 III, 103 II GG auf Vorschriften, die das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbrechen, StuW 1985, 10; Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. 30 Hierzu Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 ff. (1304 f.). 31 BVerfG v. 4.12.2002, BVerfGE 107, 27 ff. (47); hierzu Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. (4 ff.). 32 Hierzu zuletzt Tipke, Das Nettoprinzip – Angriff und Abwehr, dargestellt am Beispiel des Werkstorprinzips, BB 2007, 1525 ff. (1527); Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. (4 ff.). 33 BVerfG v. 4.12.2002, BVerfGE 107, 27 ff. (48).

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und Pauschalierung grundsätzlich zu34, die entsprechenden Regelungen müssen aber zur Vereinfachung überhaupt geeignet sein und dürfen nicht unverhältnismäßig sein. Deshalb müssen Typisierungen und Pauschalierungen so bemessen sein, dass eine ganz überwiegende Zahl von Fällen hierdurch zutreffend erfasst wird.35 Dass diese Voraussetzungen durch die Zinsschranken- und Mantelkaufregelungen nicht erfüllt sind, ist, worauf im Rahmen der Sachverständigenanhörung im Deutschen Bundestag mit Nachdruck hingewiesen wurde, offenkundig.36 Auch die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungstatbestände, die durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 massiv erweitert worden sind, verstoßen ebenfalls gegen das objektive Nettoprinzip und damit gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.37 Verstöße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip indizieren zugleich eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Das gilt nicht nur für einzelne Regelungen im Binnenbereich einer Steuer, sondern auch für Steuern als solche im Gesamtsteuersystem.38 Hieraus folgt, dass auch eine Steuer insgesamt den Gleichheitssatz verletzen kann, wenn durch sie die Gleichmäßigkeit der Gesamtsteuerbelastung gestört wird.39 Im Hinblick darauf haben sich nicht nur einzelne Steuernormen oder Normengruppen, sondern auch Steuern als solche gegenüber dem Gleichheitssatz zu legitimieren. Die rechtliche Relevanz der Gesamtsteuerbelastung hat schließlich auch Bedeutung für den grundrechtlich gesicherten Schutz des Existenzminimums40 mit der Folge, dass alle die private Existenz berührenden Steuern, also direkte und indirekte Steuern gleichermaßen, einzubeziehen sind.41

__________ 34 BVerfG v. 25.9.1992, BVerfGE 87, 153 ff. (169 ff.); BVerfG v. 10.4.1997, BVerfGE 96, 1, 6 f.; BVerfG v. 7.12.1999, BVerfGE 101, 297 (310 f.); hierzu auch Kirchhof, Grundlinien des Steuerverfassungsrechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, StbJb 1994/1995, S. 5 ff. (20 f.); Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. (11 f.). 35 BVerfG v. 25.9.1992, BVerfGE 87, 153 ff. (172); zu qualitativen und quantitativen Typisierungen Lang, Der Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im deutschen Einkommensteuerrecht, StuW 2007, 3 ff. (11 f.). 36 Zu weiteren Einzelheiten Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 ff. (1305 f.). 37 Zur Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzip auch auf die Gewerbesteuer als Ertragsteuer Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1146 ff.; Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 12 Rz. 1; Wendt, Zur Vereinbarkeit der Gewerbesteuer mit dem Gleichheitssatz und dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, BB 1987, 1257 ff. (1259 ff.); Gosch, Einige aktuelle und zugleich grundsätzliche Bemerkungen zur Gewerbesteuer, DStZ 1998, 327 ff. (329). 38 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 577 ff., 1044 f. 39 Zu Einzelheiten und zum stark differenzierten Meinungsbild Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, II, 2. Aufl. Köln 2000/2003, S. 298 ff., 577 ff., 1044 f. 40 Zur Ableitung Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 420 ff. 41 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 424.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

II. Konsumleistungsfähigkeit Die Geltung des Leistungsfähigkeitsprinzips im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht, also für indirekte Steuern, ist keinesfalls selbstverständlich. So wird vereinzelt etwa bei der Umsatzsteuer deren Verkehrsteuercharakter in den Vordergrund gerückt.42 Im Hinblick darauf wird ihr insoweit jedwede Orientierung am Leistungsfähigkeitsprinzip abgesprochen. In Anknüpfung an die bloß gesetzestechnische Ausgestaltung wird darauf abgestellt, dass die Umsatzsteuer als indirekte Steuer in der freien Marktwirtschaft ihre innere Berechtigung aus dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage herleite.43 Überhaupt wird davon ausgegangen, dass indirekte Steuern, soweit sie den Verbrauch belasten, mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbar seien44, so dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Berücksichtigung des Leistungsfähigkeitsprinzips nicht bestehe.45 Insbesondere die Umsatzsteuer wird mitunter äquivalenztheoretisch als eine Steuer auf die am Markt eingesetzte Kaufkraft begründet.46 Dass die indirekten Steuern – Verkehr- und Verbrauchsteuern – entsprechend ihrer teleologischen Ausrichtung ebenso wie die direkten Steuern – Ertragsteuern – am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtet sind, entspricht indessen heute ganz überwiegender Ansicht in Rechtsprechung47 und Literatur48. Zu

__________ 42 Vgl. hierzu die Literaturübersicht bei Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 55. 43 So Herting, Gedanken zur „Optimalen Umsatzsteuer“, BB 1955, 389 ff. (391); Herting, Zur Wiedereinführung der umsatzsteuerlichen Organschaft, UStR 1958, 25 ff. (25); dieser Theorie zum Teil folgend BFH v. 13.12.1962 – V 87/60 S, BStBl. III 1963, 72; BFH v. 27.6.1968 – V R 128/66, BStBl. II 1968, 488; BVerfG v. 5.3.1974 – 1 BvR 712/68, BStBl. II 1974, 267. 44 So etwa Kruse, Über die Gleichmäßigkeit der Besteuerung, StuW 1990, 322 ff. (328); Kruse, Steuerspezifische Gründe und Grenzen der Gesetzesbindung, in DStJG 5, Köln 1982, S. 71 ff. (74 f.), Stobbe, DStJG 11, Köln 1988, Diskussionsbeitrag, S. 317 f.; Beermann, Zur Charakterisierung der Verbrauchsteuern und zur bedingten Steuerschuld, in DStJG 11, Köln 1988, S. 282 ff. (284 f.); Horn, Mehrwertsteuer – die tragende Steuer eines künftigen Systems?, StuW 1970, 145 ff. (146). 45 So etwa BFH v. 26.6.1984 – V R 60/83, BFHE 141, 369 – zur Branntweinsteuer; offen lassend BFH v. 21.5.1999 – VII R 25/97, BFHE 189, 223 – zur Schaumweinsteuer. 46 Kirchkof, Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, StuW 1985, 319 ff. (324); Kirchkof, Die Widerspruchsfreiheit im Steuerrecht als Verfassungspflicht, StuW 2000, 316 ff. (326 f.); Kirchkof, Entwicklungsmöglichkeiten der Umsatzsteuer im Rahmen von Verfassungs- und Europarecht, UR 2002, 541 ff. (543 f.); Kirchkof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen – Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AÖR 328 (2003), 1 ff. (7); hiergegen Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 981 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 649. 47 BVerfG v. 7.5.1963 – 2 BvL 8/61, 2 BvL 10/61, BVerfGE 16, 64 ff. (74); BVerfG v. 27.7.1971, BVerfGE 31, 314 ff. (331); BVerfG v. 5.3.1974, BVerfGE 36, 321 ff. (333); BVerfG v. 12.10.1978, BVerfGE 49, 343 ff. (354); BVerfG v. 6.12.1983, BVerfGE 65, 325 (345 ff.); BVerfG v. 7.5.1998, BVerfGE 98, 106 ff. (124 f.); BVerfG v. 20.4.2004, BVerfGE 110, 274 ff. (297); BFH v. 12.1.2006, BStBl. II 2006, 479; anders noch BFH v. 26.6.1984, BFHE 141, 369.

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jenen, die die indirekten Steuern, insbesondere die Umsatzsteuer dem Regime des Leistungsfähigkeitsprinzips unterstellen, gehört auch Wolfram Reiß. Er hat insbesondere im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer immer wieder deutlich gemacht, dass diese auf die Belastung des Endverbrauchers abziele und somit als Verbrauchsteuer die Konsumleistungsfähigkeit des Endverbrauchers erfasse.49 Damit ergibt sich folgendes Bild: Das Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert sich bei den direkten Steuern – Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer – im Einkommen bzw. gespeicherten Einkommen (Vermögen) und bei den indirekten Steuern – Umsatz-, Grunderwerb- und spezielle Verbrauchsteuern – in der Verwendung des Einkommens und Vermögens (Konsum).50 Dass bei den indirekten Steuern die Konsumleistungsfähigkeit erfasst wird, beruht im Wesentlichen darauf, dass die indirekten Steuern auf Überwälzung angelegt sind, wonach nicht etwa der Unternehmer, sondern der Endverbraucher wirtschaftlich belastet wird. Dessen Leistungsfähigkeit offenbart sich darin, dass er Einkommen oder gespeichertes Einkommen (Vermögen) verwendet. Hierin allein besteht der wertungsmäßige Legitimationsgrund für die Erhebung indirekter Steuern.51 Die Überwälzung verschlechtert freilich die Qualität des Zugriffs auf die steuerliche Leistungsfähigkeit.52 Dies beruht schon allein darauf, dass das Existenzminimum des jeweiligen Endverbrauchers allenfalls typisierend berücksichtigt werden kann.53 Darüber hinaus scheitert in nicht seltenen Fällen die Überwälzung mit der Folge, dass das eigentliche Belastungsziel und damit die Erfassung der Konsumleistungsfähigkeit verfehlt wird.54 Das ändert aber nichts an dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass auch indirekte Steuern durch das Leistungsfähigkeitsprinzip legitimiert sein müssen.55

__________ 48 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 980 f.; Tipke, Über Umsatzsteuer-Gerechtigkeit, StuW 1992, 103 ff. (110); J. Förster, Die Verbrauchsteuern, Heidelberg 1989, 100 f.; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 55; vgl. im Übrigen die Nachweise bei Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 58. 49 Vgl. Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, in DStJG 13, Köln 1990, S. 3 ff.; Reiß in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 14 Rz. 1; Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in FS Tipke, Köln 1995, S. 433 ff. (434). 50 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 95. 51 Einzelheiten bei Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 646 ff. m. w. N., a. A. z. B. Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl. 2005, Einleitung Rz. 8 – wonach die Verankerung z. B. der Grunderwerbsteuer in Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG ausreichend ist. 52 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 85. 53 So etwa über die ermäßigten Umsatzsteuersätze auf lebensnotwendige Verbrauchsgüter; weitergehend für eine Vergütung der das Existenzminimum belastenden Umsatzsteuer, Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1003 ff.; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 193; Lang, Reform der Unternehmensbesteuerung auf dem Weg zum europäischen Binnenmarkt und zur deutschen Einheit, StuW 1990, 107 ff. (126 f.). 54 Hierzu weiter unten. 55 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 85.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

III. Besonderheiten Auch wenn im Grundsatz das Leistungsfähigkeitsprinzip bei den Verkehr- und Verbrauchsteuern keinen Einschränkungen ausgesetzt ist, so ergeben sich doch Besonderheiten unmittelbar aus dem Anwendungsbereich dieser Steuern. 1. Umsatzsteuer Dass die Umsatzsteuer als indirekte Steuer von der Belastungswirkung her als Verbrauchsteuer zu qualifizieren ist, hat Wolfram Reiß immer wieder herausgestellt.56 Dass die Umsatzsteuer von ihrer rechtstechnischen Ausgestaltung her auch eine Verkehrsteuer ist, spielt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere können dem Verkehrsteuercharakter der Umsatzsteuer keine Orientierungsmaßstäbe für eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung gewonnen werden.57 Auch der EuGH versteht die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer, als eine den Endverbraucher belastende Steuer mit der Folge deren Neutralität auf Unternehmerebene.58 Das die Umsatzsteuer tragende Verbrauchsteuerprinzip59 ist darauf gerichtet, nur den Endverbraucher, nicht aber den Unternehmer steuerlich zu belasten.60 Damit kommt es entsprechend dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer allein auf die Konsumleistungsfähigkeit des Verbrauchers und nicht etwa auf die Einkommensleistungsfähigkeit des Unternehmers an. Damit wird zugleich die Wettbewerbsneutralität der Umsatzsteuer sichergestellt.61 Dass der Verbrauch steuerlich belastet wird und die Umsatzsteuer an der Einkommensverwendung anknüpft, wird u. a. auch dadurch deutlich, dass maßgebliche Bemessungsgrundlage das vom Leistungsempfänger (Verbraucher) tatsächlich aufgewendete Entgelt ist (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG).62 Dem entspricht es, bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) etwa im Falle der Unein-

__________ 56 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 14 Rz. 1; Reiß in Reiß/ Kraeusel/Langer, UStG, Einführung Rz. 43 ff.; Reiß, Die Unternehmereinheit – eine überholt Rechtsfigur, StuW 1978, 126 ff. (127); Reiß, Die umsatzsteuerliche Organschaft – eine überholte Rechtsfigur, StuW 1979, 343; Reiß, DVR 1986, 130 ff.; Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, in DStJG 13, Köln 1990, S. 3 ff. (13); Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in FS Tipke, Köln 1995, S. 433 ff.; Reiß, Umsatzsteuer-Kongreß-Bericht 1988/89, S. 43 ff. (57). 57 Reiß, Zur Umsatzsteuer, StuW 1987, 351 ff.; Schön, Personengesellschaften und Bruchteilsgemeinschaften im Umsatzsteuerrecht, in DStJG 13, Köln 1990, S. 81 ff. (111 f.). 58 EuGH v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-8315; EuGH v. 26.6.1997 – Rs. C-370/95, C-371/95 und C-372/95 – Careda, EuGHE 1997, I-3721; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-409/04 – Teleos u. a., UR 2007, 774; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-184/05 – Twoh International, UR 2007, 782; EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Albert Collée, UR 2007, 813 m. Anm. Maunz. Vgl. weitere Hinweise bei Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 73. 59 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 2, §§ 14, 15, 21 Abs. 1, § 29 UStG. 60 Hierzu Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Einführung Rz. 46 ff. 61 Hierzu Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in FS Tipke, Köln 1995, S. 433 ff. (440 f.). 62 Hierzu Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 14 Rz. 136.

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bringlichkeit des Entgelts eine Korrektur der umsatzsteuerlichen Bemessungsgrundlage vorzunehmen (§ 17 Abs. 1, 2 UStG). Da die Sollbesteuerung, die unter Verbrauchsteuergesichtspunkten nicht gerechtfertigt ist63, auf eine Vorfinanzierung der Steuer durch den Unternehmer hinausläuft, ist eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung dahingehend geboten, dass eine Uneinbringlichkeit bereits dann anzunehmen ist, wenn die Forderung bei Fälligkeit der Umsatzsteuer nicht beglichen wird.64 Im Unterschied zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die darauf gerichtet sind, bei unbeschränkter Steuerpflicht das Welteinkommen und somit die weltweite Einkommensleistungsfähigkeit (Gesamtleistungsfähigkeit) zu erfassen65, ist die Umsatzsteuer durch das Territorialitätsprinzip geprägt: Nur das im Inland verwendete Einkommen soll von der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer belastet werden (inländische Konsumleistungsfähigkeit). Diese territoriale Beschränkung wird durch das Bestimmungslandprinzip zum Ausdruck gebracht, wonach die Einkommensverwendung endgültig nur mit der Umsatzsteuer des Staates zu belasten ist, in dem der Endverbrauch erfolgt.66 Dem Bestimmungslandprinzip wird in den Fällen der Ausfuhr durch Steuerbefreiung bei Aufrechterhaltung des Vorsteuerabzuges entsprochen.67 Korrespondierend damit wird im Importstaat die Einfuhr steuerlich in gleicher Höhe wie ein binnenstaatlicher Umsatz belastet.68 Auf diese Weise werden die Verbraucher nach dem Maß ihrer getätigten Aufwendungen ungeachtet der Herkunft der Leistung gleichmäßig mit Umatzsteuer belastet.69 Diese gewollte Belastungswirkung wird freilich in den Fällen gestört, in denen der ausführende Unternehmer die Voraussetzungen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftlichen Lieferung nicht nachweisen kann.70 Kann der entsprechende Ausfuhr-, Beleg- oder Buchnachweis nämlich nicht erbracht werden, wird die Steuerbefreiung versagt mit der Folge, dass die durch das Bestimmungslandprinzip vorgegebene Entlastungstechnik scheitert und der liefernde Unternehmer entgegen der Intention des Gesetzes mit der Umsatzsteuer belastet wird. In den Fällen der innergemeinschaftlichen Lieferung entfaltet indessen § 6a Abs. 4 UStG eine Vertrauensschutzregelung zu Gunsten des liefernden Unternehmers, wenn die vorgenannten Nachweise deshalb nicht erbracht wer-

__________ 63 Die Sollbesteuerung widerspricht dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer; hierzu Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 115.1. 64 Hierzu im Einzelnen Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 115.2, 181; § 17 Anm. 207 f.; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 17 UStG Rz. 122 ff. 65 Hierzu Schaumburg, Das Leistungsfähigkeitsprinzip im internationalen Steuerrecht, in FS Tipke, Köln 1995, S. 125 ff. (130 f.). 66 Hierzu Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in FS Tipke, Köln 1995, S. 433 ff. (441 ff.); Reiß in Reiß/Kraeusel/ Langer, UStG, Einführung Rz. 66 ff.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 695 ff. 67 § 4 Nr. 1–3, § 15 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a UStG. 68 Zu dieser Ent- und Belastungstechnik Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 14 Rz. 104. 69 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 14 Rz. 101. 70 Vgl. §§ 6, 6a UStG.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

den können, weil ihnen unrichtige Angaben des Abnehmers zu Grunde liegen und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Diese Regelung ist das normative Minimum dessen, was im Hinblick auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer geboten ist.71 Daher ist diese Vertrauensschutzregelung auch im Zusammenhang mit Ausfuhrlieferungen (§ 6 UStG) entsprechend anzuwenden oder aber im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme zur Geltung zu bringen.72 Jedenfalls ist es angesichts der im Umsatzsteuergesetz intendierten Belastungswirkungen nicht gerechtfertigt, die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung oder einer innergemeinschaftlichen Lieferung nur deshalb zu versagen, weil die entsprechende Nachweise nicht oder nicht rechtzeitig geführt werden, wenn feststeht, dass die betreffenden Waren tatsächlich ausgeführt bzw. in einen anderen Mitgliedstaat geliefert worden sind.73 Jede andere Lösung führte dazu, dass die Umsatzsteuer ihres Verbrauchsteuercharakters entkleidet und zur Unternehmensteuer mutieren würde. Die Konsumleistungsfähigkeit entfiele als Legitimationsgrund für die vom Unternehmer planwidrig zu tragende Umsatzsteuerlast. Da aber der Umsatz kein sachgerechter Gradmesser wirtschaftlicher Leistungskraft ist74 und somit eine Orientierung an der Einkommensleistungsfähigkeit fehlt, ist in diesen Fällen ein Billigkeitserlass als ultima-ratio geboten.75 2. Grunderwerbsteuer Wolfram Reiß hat dargelegt, dass auch die Grunderwerbsteuer eine die Einkommensverwendung belastende Steuer ist, die die sich im Erwerb eines Grundstücks ausdrückende Leistungsfähigkeit erfasst.76 Im Hinblick darauf kann die Grunderwerbsteuer auch als einphasige, bloß Grundstücksumsätze belastende Sonderumsatzsteuer bezeichnet werden.77 Die Gleichartigkeit mit der Umsatzsteuer ergibt sich insbesondere aus § 4 Nr. 9 UStG, wonach eine Steuerbefreiung eintritt, wenn der Umsatz unter das Grunderwerbsteuergesetz

__________ 71 A. A. Pump, UStB 2007, 165 ff. – der in seiner Kritik an § 6a Abs. 4 UStG den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer außer Betracht lässt. 72 Vgl. hierzu den Vorlagebeschluss des BFH v. 2.3.2006 – V R 7/03, BStBl. II 2006, 672. 73 EuGH v. 27.9.2007 – Rs. C-146/05 – Albert Collée, UR 2007, 813 m. Anm. Maunz; Vorlagebeschluss des BFH v. 10.2.2005 – V R 59/03, BStBl. II 2005, 537; zur Abgrenzung BFH v. 7.12.2006 – V R 52/03, BStBl. II 2007, 420. 74 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 981 m. w. N. 75 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 979, 1001; Stadie in Rau/ Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 111.1; Rietlein/Mehrbrey, Grenzen der Umsatzbesteuerung bei Manipulationsfällen im Rahmen des sog. „Exports über den Ladentisch, BB 2001, 446 ff. (450). 76 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 15 Rz. 3; ebenso Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1017 ff.; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 323 f.; Fischer in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. 2007, Vorb. Rz. 109: „Plausibler Belastungsgrund“; differenzierend Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl. 2005, Einleitung Rz. 8. 77 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 15 Rz. 2; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1017; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 324; a. A. Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl. 2005, Einleitung Rz. 15.

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fällt. Dadurch soll eine Doppelbelastung durch Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer vermieden werden.78 Obwohl somit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer als Einkommensverwendungsteuern auf der gleichen wertungsmäßigen Ebene liegen, unterscheiden sie sich dennoch in ihrer gesetzestechnischen Ausgestaltung, so dass etwa eine Integration der Grunderwerbsteuer in die Umsatzsteuer nur sehr schwer umsetzbar ist.79 Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass im Rahmen der Grunderwerbsteuer nicht nur Unternehmer Steuersubjekte sind und somit auch ein entsprechender Vorsteuerabzug nicht vorgesehen ist.80 Wenn auch das Grunderwerbsteuergesetz keine normative auf Überwälzung angelegte Entlastungstechnik kennt, erfolgt die Überwälzung in tatsächlicher Hinsicht zumeist aber dadurch, dass etwa im Kaufvertrag vereinbart wird, dass der Erwerber die Grunderwerbsteuer zu zahlen hat.81 Darüber hinaus wird auf einer weiteren Stufe der Grundstückserwerber, wenn er das Grundstück zur Leistungserbringung nutzt, die Grunderwerbsteuer auf den Endverbraucher im Preis abwälzen.82 Insoweit wird durch die Grunderwerbsteuer ebenso wie bei der Umsatzsteuer die Konsumleistungsfähigkeit erfasst.83 Soweit indessen die Grunderwerbsteuerbelastung auf Unternehmensebene verbleibt, mutiert die Grunderwerbsteuer zu einer Unternehmensteuer, die im Ergebnis eine unternehmerische Investitionen treffende Sonderbelastung darstellt.84 Eine derartige Sonderbelastung entbehrt indessen einer Rechtfertigung.85 Sie kann auch nicht in einer Bewertungsdifferenz gesehen werden, wonach die qualitative Verschiedenheit der Grundstücke untereinander bewirke, dass bei ihnen die Unterschiede in der Wertschätzung so groß seien, dass sie auch bei hohen Verkehrsteuern Umsätze ermöglichen.86 Der vorstehende Bewertungsdifferenzgedanke vermag allenfalls zu erklären, dass die Grunderwerbsteuer im Allgemeinen nicht ihre eigene Quelle verstopft.87 Schließlich vermag auch der Hinweis, der Sinn der meisten Verkehrsteuern und somit auch der Grunderwerbsteuer, erschöpfe sich darin, dem Staat Geld

__________ 78 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1017, 1021 m. w. N.; eine Gleichartigkeit verneinend Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, 3. Aufl. 2005 Rz. 14. 79 Vgl. hierzu Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 15 Rz. 2; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1016; Fischer in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., München 2007, Vorb. Rz. 141. 80 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1024 ff.; Fischer in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. München 2007, Vorb. Rz. 145. 81 Beide an dem Erwerbsvorgang beteiligte Vertragsteile sind Gesamtschuldner (§ 13 GrEStG). 82 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, Rz. 2. 83 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1021 ff. 84 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1024 f. 85 Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. Köln 2000, S. 511 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 653. 86 So Mirre, HdFW 1927, 274 ff. (298); in abgewandelter Form auch heute noch Kirchhof, Gutachten für den 57. DJT, München 1988, F 13; Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR IV, Heidelberg 1999, § 88 Rz. 66, 74 f., 155 f.; ähnlich Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, Einleitung Rz. 9. 87 So Tipke, Die Umsatzsteuer im Steuersystem, UStR 1972, 2 ff. (4).

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

zu bringen88, die Grunderwerbsteuer nicht gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG zu legitimieren.89 Die im Erwerb von Grundstücken zum Ausdruck kommende Konsumleistungsfähigkeit hat allerdings eine begrenzte Reichweite. Dies deshalb, weil nur Rechtsvorgänge erfasst werden, die sich auf inländische Grundstücke beziehen. Insofern gilt uneingeschränkt das Territorialitätsprinzip, das mit dem für Verkehr- und Verbrauchsteuern allgemein geltende Bestimmungslandprinzip harmoniert. Mit dem Charakter einer Einkommensverwendungsteuer ist es allerdings unvereinbar, wenn die Grunderwerbsteuer an Vorgänge anknüpft, ohne dass hierfür eine Gegenleistung erbracht wird.90 Ein bloßer Rechtsträgerwechsel, der nicht auf einem Leistungsaustausch beruht, indiziert keine Leistungsfähigkeit. Das gilt insbesondere in den Fällen von Umwandlungen. Im Hinblick darauf verstößt die Grunderwerbsteuer insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.91 Dementsprechend ist es mit der Grunderwerbsteuer als Einkommensverwendungsteuer auch unvereinbar, dass in den Fällen, in denen die Grunderwerbsteuer an eine Gegenleistung anknüpft (§ 9 Abs. 1 GrEStG) spätere Zahlungsausfälle grundsätzlich ohne Bedeutung sind.92 Auch hier gilt: Wird kein Entgelt entrichtet, also kein Einkommen bzw. gespeichertes Einkommen (Vermögen) verwendet, fehlt der eigentliche Legitimationsgrund für die Erhebung der Grunderwerbsteuer. 3. Besondere Verbrauchsteuern Besondere Verbrauchsteuern, zu denen auf Bundesebene etwa die Kaffee-, Tabak-, Alkohol- und die Energiesteuern gehören, wollen die in der Einkommensverwendung liegende Leistungsfähigkeit desjenigen treffen, der die steuerbare Ware ge- oder verbraucht. Nur aus Gründen der Praktikabilität und Zweckmäßigkeit werden die Verbrauchsteuern nicht beim eigentlichen Belastungsträger, dem Konsumenten, sondern beim Hersteller oder Händler erhoben. Als indirekte Steuern sind die besonderen Verbrauchsteuern im Grundsatz somit darauf gerichtet, den Verbraucher steuerlich zu belasten. Das ist

__________ 88 89 90 91

BFH v. 8.11.1972 – II B 24/72, BStBl. II 1973, 94. Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1024 ff. Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1027. Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 15 Rz. 39; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1027; Schaumburg, Umwandlungen und Verschmelzungen im Verkehrsteuerrecht, Berlin 1974, S. 81 ff.; ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dagegen verneinend BFH v. 7.7.2004 – II R 3/02, BStBl. II 2004, 1006; anders beim Formwechsel vgl. BFH v. 4.12.1996 – II B 116/96, BStBl. II 1997, 661; nach Fischer in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl. München 2007, Vorb. Rz. 120 – wäre es systematisch richtiger, wie bei der Umsatzsteuer nur entgeltliche Umsätze von Grundstücken der Steuer zu unterwerfen; a. A. Pahlke in Pahlke/Franz, GrEStG, § 7 GrEStG Rz. 61. 92 Hierzu Sack in Boruttau, GrEStG, 16. Aufl., München 2007, § 9 GrEStG Rz. 215.

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heute einhellige Meinung.93 Diese mit den einzelnen Verbrauchsteuern verknüpfte Belastungswirkung vermag das derzeitige verbrauchsteuerbezogene Selektionssystem aber nicht zu erklären. Den derzeit geltenden Verbrauchsteuern liegt kein rationales System zu Grunde, die Auswahl der Steuerobjekte wird von fiskalischer Ergiebigkeit und nicht durch Kriterien der Steuergerechtigkeit diktiert.94 Diese dem Gleichheitssatz und dem Leistungsfähigkeitsprinzip widersprechende fiskalische Beliebigkeit kommt beispielhaft darin zum Ausdruck, dass zwar Schaumwein, nicht aber Wein95 sowie Kaffee, nicht aber Tee96 belastet werden. Eine derart bloß segmentive Belastung bestimmter Waren bedarf aber ebenso einer besonderen Rechtfertigung wie die zusätzliche Belastung neben der Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer.97 Ob und ggf. in welchem Umfang Sonderbelastungen im Binnensystem der besonderen Verbrauchsteuern und Zusatzbelastungen neben der Umsatzsteuer durch einzelne Verbrauchsteuern sich gegenüber dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu rechtfertigen vermögen, hängt davon ab, ob mittels der besonderen Verbrauchsteuern entweder eine besondere Leistungsfähigkeit oder ein Lenkungszweck abgebildet werden soll.98 Hierzu einige Einzelheiten: a) Kaffeesteuer Es ist nicht erkennbar, dass mit der auf Kaffee erhobenen besonderen Verbrauchsteuer gesundheitspolitische Lenkungseffekte erzielt werden sollen. Im Hinblick darauf ist die Kaffeesteuer als Fiskalzweck-Verbrauchsteuer zu quali-

__________ 93 Vgl. etwa Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1046 ff.; Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 36; Förster, Die Verbrauchsteuern, Heidelberg 1989, S. 100; Peters, Das Verbrauchsteuerrecht, München 1989, Rz. 25; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, München 2000, S. 27 ff.; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 3 Rz. 34; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 65 ff.; Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997, S. 124 f.; BVerfG v. 7.5.1963 – 2 BvL 8/61, 2 BvL 10/61, BVerfGE 16, 64 ff. (74); BVerfG v. 12.10.1978 – 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 ff. (354); BVerfG v. 6.12.1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (346); BVerfG v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106 ff. (123 f.); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 ff. (288 f.). 94 Hierzu Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 16 Rz. 12; Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1039 ff.; J. Förster, Die Verbrauchsteuern, Heidelberg 1989, S. 60; Peters, Das Verbrauchsteuerrecht, München 1989, Rz. 50; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 56 f.; Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, München 2000, S. 37 ff. 95 Die Verletzung des Gleichheitssatzes verneinend BFH v. 25.4.1972 – V R 19/69, BFHE 105, 554; BFH v. 21.5.1999 – VII R 25/97, BFH/NV 1999, 1568; zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1060 ff. 96 Zur Kritik Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1055 f.; zu Wettbewerbsverzerrungen Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 692 f. 97 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1043 ff.; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 59. 98 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II; 2. Aufl. Köln 2003, S. 1050.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

fizieren99 mit der Folge, dass deren Rechtfertigung neben der Umsatzsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer allein darauf beruhen kann, dass mit dem Konsum eines derart nicht unbedingt lebensnotwendigen Verbrauchsguts eine besondere steuerliche Konsumleistungsfähigkeit indiziiert wird.100 Indessen: Selbst wenn man Kaffee als nicht lebensnotwendiges Genussmittel ansieht101, ist die steuerliche Sonderbelastung gerade des Kaffeekonsums inkonsequent, weil andere vergleichbare „Genussmittel“ einer derartigen Sonderbelastung nicht unterliegen. Schließlich ergibt sich auch ein unauflösbarer Zielkonflikt dadurch, dass einerseits Kaffee als Nahrungsmittel durch Anwendung des begünstigten Steuersatzes102 umsatzsteuerlich entlastet, andererseits aber zugleich durch die Kaffeesteuer einer steuerlichen Zusatzbelastung unterworfen wird.103 Die Kaffeesteuer entbehrt somit insgesamt einer an der Konsumleistungsfähigkeit orientierten Legitimationsgrundlage. Eine Sonderleistungsfähigkeit der Kaffeetrinker ist jedenfalls nicht festzustellen. b) Alkoholsteuern Die in Deutschland erhobenen Alkoholsteuern, die den Konsum von Bier, Branntwein und Schaumwein belasten104, werden als gesundheitspolitische Lenkungsteuern gerechtfertigt.105 Darüber hinaus wird aber auch davon ausgegangen, dass die Besteuerung von alkoholischen Getränken in der Ausschöpfung der durch den Erwerb dieser Genussmittel indizierten besonderen steuerlichen Leistungsfähigkeit liege.106 Ob die Lenkungsziele tatsächlich geeignet sind, mag dahinstehen: Die Alkoholsteuern sind ebenso wie die Tabaksteuer jedenfalls abstrakt geeignet, gesundheitspolitische Effekte zu erzeugen, d. h., den Konsum von Alkohol und Tabak, weil gesundheitsschädlich, einzuschränken. Insoweit sind die angestrebten Lenkungszwecke unter Gemeinwohlgesichtspunkten gerechtfertigt.107 Die Alkoholsteuern sind indessen auch Fiskalzwecksteuern.108 Im Hinblick darauf müssen sich die vorgenannten Steuern auch gegenüber dem Leistungsfähigkeitsprinzip legitimieren, so dass jedenfalls das Existenzminimum von diesen Steuern verschont bleiben muss. Da es sich bei Alkohol ebenso wie bei Tabak aber nicht um lebensnotwendige Lebensmittel handelt, auf deren Konsum also ohne wirkliche Not verzichtet werden kann, wird insoweit die Konsumleistungsfähigkeit als gegenüber dem Steuer-

__________ 99 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1055 f. 100 So Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 87. 101 Von Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1056 – wird dies verneint. 102 § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. Nr. 12 der Anlage 2. 103 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1056. 104 Nicht aber von Wein, vgl. zur Rechtfertigung BFH v. 5.8.2002 – VII R 105/99, ZfZ 2003, 17. 105 Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, München 2000, S. 41 f. 106 Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 65. 107 Zur Rechtfertigung von Lenkungszwecksteuern durch Gemeinwohlzwecke Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1057, 1074. 108 Vgl. die Nachweise bei Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 56, 62 f.

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zahler wirkendes Schutzprinzip nicht aktiviert.109 Rechtfertigungsdefizite verbleiben dennoch: Wenn es um gesundheitspolitische Lenkungsziele geht, müssen alle Alkoholika mit Alkoholsteuern belastet werden.110 c) Energiesteuer Die Energiesteuer, die im Wesentlichen die Lieferung von Mineralöl, Kohle und Erdgas betrifft, ist gleichermaßen Fiskalzweck- und Lenkungszwecksteuer.111 Als Fiskalzwecksteuer ist sie darauf gerichtet, die konsumtive und produktive Verwendung von Einkommen bzw. gespeichertem Einkommen (Vermögen) zu erfassen.112 Zugleich verfolgt die Energiesteuer ökologische Lenkungszwecke, die darauf abzielen, den Energieverbrauch und damit schädliche Emissionen abzusenken.113 Darüber hinaus wird auch eine Orientierung am Äquivalenzprinzip dahingehend erkennbar, dass insbesondere die auf Mineralöl lastende Energiesteuer jedenfalls partiell als äquvalenzähnlichen Ausgleich für die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrseinrichtungen angesehen werden kann.114 Im Hinblick darauf, dass die Energiesteuer jedenfalls auch Fiskalzwecksteuer ist, hat sich diese an der Leistungsfähigkeit zu orientieren. Unter dem Gesichtspunkt der Fiskalzwecksteuer erfasst die Energiesteuer einerseits die Konsumleistungsfähigkeit des privaten Endverbrauchers und andererseits die Einkommensleistungsfähigkeit des Unternehmers.115 Soweit bestimmungsgemäß die konsumtive Verwendung von Einkommen bzw. gespeichertem Einkommen (Vermögen) beim privaten Endverbraucher erfasst werden soll, ist der insoweit relevanten Konsumleistungsfähigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass das Existenzminimum steuerlich verschont bleiben muss.116 Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Belastung von Benzin für notwendige Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie von Heizöl für die Beheizung privater Wohnräume.117 Dass die Energiesteuer jedenfalls auch die konsumtive Einkommensverwendung belastet, ergibt sich daraus, dass sie als indirekte Steuer auf Überwälzung

__________ 109 Vgl. Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 64 f. 110 Zur Kritik an der fehlenden Besteuerung von Wein Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1058 ff. 111 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1092 ff.; zu den den Umweltschutz dienenden Lenkungszielen Hey, Rechtliche Zulässigkeit von Umweltabgaben unter dem Vorbehalt ihrer ökologischen und ökonomischen Wirksamkeit – Zugleich Anmerkung zu Frank Rainer Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, StuW 1998, 32 ff. 112 Bongartz in Bongartz, EnergieStG, StromStG, Vorb. Rz. 4; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 88. 113 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1092 f. 114 Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR IV, Heidelberg 1999, § 88 Rz. 166; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 63; kritisch zu diesem äquivalenztheoretischen Ansatz Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1092 f. 115 Insoweit unterscheiden sich die Energiesteuern von der Umsatzsteuer. 116 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1096. 117 Hierzu Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1096 f.

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angelegt ist.118 Hierfür genügt im Grundsatz119 die Gewährleistung der abstrakten Abwälzbarkeit.120 Für den Bereich der Energiesteuer wird die Überwälzbarkeit im Grundsatz durch das Steueraussetzungsverfahren sichergestellt. Dieses Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) bewirkt, dass eine Steuer nicht entsteht, so lange Energieerzeugnisse aus dem Steuerlager nicht zum freien Verkehr entnommen werden (§ 8 Abs. 1 EnergieStG). Im Kern geht es darum, innerhalb der Unternehmerkette, also im Rahmen des sog. Lagerund Beförderungsverfahrens (§ 7 ff. EnergieStG), das Entstehen einer Energiesteuer zu vermeiden. Erst die Entnahme in den freien Verkehr, also typischerweise zu dem Zeitpunkt, zu dem die Energieerzeugnisse dem Endverbrauch zugeführt werden, entsteht somit die Energiesteuer. Damit wird der Zeitpunkt der Steuerentstehung möglichst nah an die Abgabe der Energieerzeugnisse an den Verbraucher herangeführt.121 Auch wenn die Energiesteuer auf Überwälzung angelegt ist, so erfolgt doch deren Entrichtung in aller Regel zeitlich vor dem Zeitpunkt, zu dem das Entgelt seitens des Verbrauchers eingeht. Fällt das Entgelt aus, so ist unter bestimmten Voraussetzungen die Energiesteuer zu erstatten (§ 60 EnergieStG). Das ist im Hinblick darauf, dass in den vorgenannten Fällen die Energiesteuer auf Überwälzung angelegt ist, also nicht vom liefernden Unternehmer, sondern vom Abnehmer zu tragen ist, konsequent. Jede andere Lösung wäre systemwidrig.122 Andernfalls mutiert die Energiesteuer planwidrig zu einer Unternehmensteuer123, für die eine Rechtfertigung auf der Grundlage der für den Unternehmer maßgeblichen Einkommensleistungsfähigkeit nicht gegeben ist.124

__________ 118 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 37, 55; Bongartz in EnergieStG, StromStG, Vorb. Rz. 9. 119 Falls die Überwälzung scheitert, ist allerdings ein Erlass aus Billigkeitsgründen geboten; vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1055. 120 BVerfG v. 10.5.1962 – 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 ff. (97); BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274 ff. (289, 295); BVerfG v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 ff. (384); BVerfG v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 ff. (20); Teichner in Teichner/Alexander/Reiche, MinöStG, Vorb. Rz. 7a; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 72 f., 266; Peters/Bongartz/ Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, München 2000, S. 32. 121 Hierzu Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 144; Stobbe, Die Harmonisierung der besonderen Verbrauchsteuern in der Europäischen Gemeinschaft (Teil 2), ZfZ 1993, 194 ff. (197). 122 Vgl. Begr. BT-Drucks. 12/561, 16; BFH v. 8.8.2006 – VII R 28/05, ZfZ 2007, 45; a. A Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 275 ff.; Jarsombeck, ZfZ 1998, 11 ff. – die im Ergebnis die Bevorzugung von Mineralölhändlern gegenüber Händlern mit anderen verbrauchsteuerpflichtigen Erzeugnissen beanstanden; § 53 MinöStDV als Vorgängerregelung des § 60 EnergieStG wurde allerdings für verfassungsgemäß (BFH v. 1.12.1998 – VII R 21/97, ZfZ 1999, 133) und für europarechtskonform (EuGH v. 22.1.2001 – Rs. C-80/01, ZfZ 2002, 196) gehalten. 123 Vgl. hierzu Teichner in Teichner/Alexander/Reiche, MinöStG, Vorb. Rz. 7a; Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 74, 187. 124 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1054 f.; Englisch, Wettbewerbsgleichheit im grenzüberschreitenden Handel, Habil. Köln 2006, S. 683 f.; vgl. auch Ossenbühl/di Fabio, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Erhöhung der Tabaksteuer, StuW 1988, 349 ff. (354).

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Soweit die Energiesteuer den produktiven (betrieblichen) Verbrauch belastet, ist sie im Ergebnis ebenfalls eine besondere Unternehmensteuer.125 Eine derartige Produktionsmittelsteuer ist allerdings unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt.126 Die mit der Energiesteuer verknüpften Belastungswirkungen sind auf das Steuergebiet beschränkt. Dem entspricht das Bestimmungslandprinzip, wonach sich der Steueranspruch nach den Bestimmungen des Staates richtet, in dem der Steuerentstehungstatbestand erfüllt wird.127 Das Steueraussetzungsverfahren (§ 5 EnergieStG) dient auch der Realisierung des Bestimmungslandprinzips, in dem es ermöglicht, die Energiesteuer möglichst nahe am Verbrauch im Bestimmungsland zu erheben.128 Das gilt im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ebenso wie im Verhältnis zu Drittstaaten (§§ 11, 13 EnergieStG). Das Steueraussetzungsverfahren ist allerdings nur unter strengen Voraussetzungen möglich. So ist etwa die Verbringung von Energieerzeugnissen aus Steuerlagern im Steuergebiet in Betrieben in andere Mitgliedstaaten nur dann zulässig, wenn es sich insoweit um berechtigte Empfänger handelt (§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 3 EnergieStG). Zu den berechtigten Empfängern gehören nur solche Personen, denen von einem anderen Mitgliedstaat eine Zulassung erteilt worden ist.129 Werden die hierfür erforderlichen Nachweise nicht ordnungsgemäß erbracht, sind diese etwa gefälscht oder von nicht autorisierten Stellen erteilt worden, wird die Energiesteuer nach gängiger Praxis der Hauptzollämter ohne Rücksicht etwa darauf erhoben, ob der betreffende Lieferer (Steuerlagerinhaber) die Unrichtigkeit der vom nicht berechtigten Empfänger erteilten Angaben erkannte, also gutgläubig war.130 Das gilt auch in den Fällen, in denen feststeht, dass die Energieerzeugnisse tatsächlich in einen Mitgliedstaat der EU oder in einen Drittstaat gelangt und dort verbraucht worden sind. In diesen Fällen wird somit eine Energiesteuer erhoben, obwohl die betreffenden Erzeugnisse oder Waren im Steuergebiet nicht verbraucht worden sind und zudem eine Überwälzung im Hinblick auf das angenommene wirksame Steueraussetzungsverfahren unterblieben ist.131 Damit werden die Energiesteuern in den vorgenannten Fällen planwidrig zu einer besonderen Unternehmensteuer, die freilich mit der insoweit relevanten Einkommensleistungs-

__________ 125 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1054. 126 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1054. 127 Ausnahmsweise gilt für den nicht kommerziellen Bereich das sog. Ursprungslandprinzip; hierzu Reiche in Teichner/Alexander/Reiche, MinöStG, § 5 MinöStG Rz. 6. 128 Hierzu Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997, S. 53 ff.; Jatzke, Das neue Verbrauchsteuerrecht im EG-Binnenmarkt, BB 1993, 41 ff. (46 ff.). 129 Zu den in der Praxis auftretenden Problemen Scheuer, Neuere Entwicklungen im nationalen und internationalen Tabaksteuerrecht, ZfZ 2007, 2 ff. (4). 130 Eine dem § 6a Abs. 4 UStG vergleichbare Regelung ist im EnergieStG nicht enthalten. 131 Vgl. zur Branntweinsteuer BFH v. 29.10.2002 – VII R 48/01, BFH/NV 2003, 279.

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Das Leistungsfähigkeitsprinzip im Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht

fähigkeit des Unternehmers unvereinbar ist.132 Im Hinblick darauf, dass in den vorgenannten Fällen der Unternehmer (Steuerlagerinhaber) lediglich als zwangsverpflichteter Gehilfe des Staates, als Steuereinnehmer für diesen tätig ist133, ist die Energiesteuer dem planwidrig belasteten Unternehmer aus Billigkeitsgründen zu erlassen.134 Das gilt insbesondere dann, wenn die Energiesteuer, deren Abwälzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gescheitert ist, im Ergebnis erdrosselnde Wirkung zeigt.135

IV. Ausblick Obwohl das Leistungsfähigkeitsprinzip auch Geltung für das Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht beansprucht, fehlt es doch weitgehend an einer normativen Orientierung hieran. Das beruht nicht zuletzt darauf, dass den Verkehrund Verbrauchsteuern ein aufeinander abgestimmtes Normensystem versagt geblieben ist. Auch wenn die legislativen Spielräume durch europarechtliche Vorgaben eingeschränkt sind, bleibt der Gesetzgeber aufgerufen, das gesamte Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht stärker am Leistungsfähigkeitsprinzip auszurichten. In diesem Zusammenhang hat Wolfram Reiß wichtige Hinweise gegeben. Es ist davon auszugehen, dass er auch weiterhin den Gesetzgeber an seine Pflicht erinnert, für ein gleichheitsgerechtes Verkehr- und Verbrauchsteuerrecht zu sorgen.

__________ 132 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1054; vgl. auch Ossenbühl/ di Fabio, Verfassungsrechtliche Grenzen einer Erhöhung der Tabaksteuer, StuW 1988, 349 ff. (354); Jatzke, Das System des deutschen Verbrauchsteuerrechts, Berlin 1997, S. 74 f., 186. 133 Zur Verfassungsmäßigkeit der Indienstnahme des Unternehmers zur Erhebung der Steuer BVerfG v. 16.3.1971 – 1 BvR 52/66, 1 BvR 665/66, 1 BvR 667/66, 1 BvR 754/66, BVerfGE 30, 392; BVerfG v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380; vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Rz. 172 ff.; Hey, Steuern verwalten durch Banken – Zur Heranziehung der Banken zu Steuerverwaltungsaufgaben aus Anlass der BGH-Urteile v. 15.7.1997, FR 1998, 497 ff.; Trzaskalik, Die Steuererhebungspflichten Privater, in DStG 12, Köln 1989, S. 157 ff. (163). 134 Tipke, Die Steuerrechtsordnung II, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1055; Neumayer/Parmen, ZfZ 1997, 218 ff. (219 f.); sachliche Billigkeitsgründe verneinend BFH v. 17.12.1974 – VII R 111/72, BFHE 115, 2; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 227 AO Rz. 33; v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 227 AO Rz. 142; differenzierend Hey/Hoffsümmer, Steuerentlastung bei Zahlungsausfall im Rahmen der Strom- und Erdgasbesteuerung, UVR 2007, 55 ff. (58) – die für eine entsprechende Gesetzesänderung plädieren. 135 Zur Erdrosselungsteuer- und Übermaßbesteuerung vgl. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. Köln 2005, § 4 Rz. 209 ff. m. w. N.; speziell zur nicht abwälzbaren Stromsteuer Hey/Hoffsümmer, Steuerentlastung bei Zahlungsausfall im Rahmen der Strom- und Erdgassteuer, UVR 2007, 55 ff. (62 f.).

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2. Grundsatzfragen des Umsatzsteuerrechts Hans Nieskens

Wahlrechte in der Umsatzsteuer Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer III. Die Wahlrechte in der Umsatzsteuer 1. Systematischer Ansatz 2. Arten und Einteilung der Wahlrechte a) Gesetzliche Wahlrechte b) Person des Wahlberechtigten c) Unechte Wahlrechte d) Echte Wahlrechte (1) Wahlrechte des Leistungsempfängers im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Binnenmarkt (2) Wahlrechte des Leistenden in Bezug auf das Verfahren im weitesten Sinne (3) Wahlrechte in Form von Optionserklärungen

(4) Wahlrechte bei Sondertatbeständen (5) Ungeschriebene Wahlrechte 3. Die echten Wahlrechte im Focus des Belastungsgrundes a) Wahlrechte des Leistungsempfängers im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Binnenmarkt b) Wahlrechte des Leistenden in Bezug auf das Verfahren im weitesten Sinne c) Wahlrechte in Form von Optionserklärungen d) Wahlrechte bei Sondertatbeständen e) Ungeschriebene Wahlrechte IV. Resümee

„Die Umsatzsteuer steht … abseits von allen anderen Steuern, sie ist problematischer als die anderen.“ Popitz, Umsatzsteuergesetz, 1928, S. 4

I. Einleitung Obwohl die obige Feststellung von Popitz 80 Jahre alt ist, beschreibt sie die Umsatzsteuer im Jahre 2008 zutreffender denn je. Die Verknüpfung mit der Ertragsteuer funktioniert nicht mehr, wie ein Blick in § 15 Abs. 1a UStG1 zeigt, der EuGH dominiert zunehmend die deutsche Rechtsanwendung, wie

__________ 1 Vgl. hierzu BFH, Urt. v. 12.8.2004 – V R 49/02, BStBl. II 2004, 1090 = UR 2005, 96; zusammenfassend Nieskens, Änderungen in der Umsatzsteuer 2006–2007, UR 2007, 125 (132).

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die Diskussionen zur sog. Holding-Rechtsprechung2 überaus deutlich machen. Vielleicht liegt die momentane Verunsicherung aber auch schlicht daran, dass Gesetzgeber, Verwaltung und bisweilen auch die Rechtsprechung es schlicht verlernt haben, sich am Gesetz zu orientieren3. Die vielen fruchtbaren Diskussionen mit Wolfram Reiß, vor allem zur Systematik des Umsatzsteuerrechts, haben immer wieder zwei Grundlinien seiner Argumentation deutlich hervortreten lassen: zum einen fragte er stets, wo steht es im Gesetz?, zum anderen hinterfragte er stets den Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung. Bezogen auf die Umsatzsteuer ließ er sich dabei stets von der einen klaren und unverrückbaren Aussage leiten: „Die Umsatzsteuer ist eine Verbrauchsteuer, sie ist die allgemeine Verbrauchsteuer“4. Unter Beachtung dieser Vorgaben soll der Versuch unternommen werden, der Frage nachzugehen, ob und welche Wahlrechte der Unternehmer in der Umsatzsteuer ausüben kann, wie sie unter Beachtung des Belastungszwecks zu interpretieren sind und welche Folgewirkungen sich hieraus ergeben. Besonders im Focus der Betrachtung stehen dabei die möglichen Wahlrechte, die zu steuerlichen Vorteilen des Unternehmers führen, also diejenigen im Bereich des Vorsteuerabzugsrechts.

II. Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer Mittlerweile unbestritten ist, dass der Belastungsgrund der Umsatzsteuer5 in der Besteuerung des allgemeinen Verbrauchs liegt und lediglich aus Praktikabilitätsgründen der Verbraucher nicht direkt besteuert wird.6 Zwar definiert § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die von einem Unternehmer ausgeführten entgeltlichen Lieferungen und sonstigen Leistungen als Anknüpfungspunkt der Umsatzbesteuerung. Gem. § 13 a Abs. 1 Nr. 1 UStG ist der Unternehmer (grundsätzlich) Schuldner der Steuer.

__________ 2 EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Partizipations SA, UR 2001, 500 m. Anm. Wäger; EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, UR 2004, 292 m. Anm. Wäger; EuGH, Urt. v. 26.6.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik AG, UR 2005, 382; EuGH, Urt. v. 26.6.2003 – Rs. C-442/01 – KapHag, UR 2003, 443; BMF, Schr. v. 4.10.2006 – IV A 5 – S 7300 – 69/06, UR 2006, 667; BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 – S 7300 – 10/07, UR 2007, 150. 3 Vgl. hierzu Reiß in Gedächtnisschrift für Johann Georg Helm, Berlin 2001, Vor dem Gesetz, 785 ff. 4 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 1. 5 Vgl. hierzu ausführlich Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des Umsatzsteuergesetzes, DStJG 13, Köln 1990, S. 3 ff. m. w. N. 6 Vgl. hierzu Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 1.13; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Anm. 58 m. w. N.; anders dagegen noch BFH, Urt. v. 9.3.1989 – V B 44/48, BStBl. II 1989, 580; BVerfG, Urt. v. 5.3.1974 – I BvR 712/68, BVerfGE 36, 321.

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Wahlrechte in der Umsatzsteuer

Dieser Anknüpfungspunkt ist aber nur technischer Natur. Die systematische Ausgestaltung der Umsatzsteuer als eine vom jeweiligen leistenden Unternehmer überwälzbare Steuer, die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs beim Leistungsempfänger, der ebenfalls Unternehmer ist und das hieraus ableitbare Prinzip der Neutralität der Steuer innerhalb der Unternehmerkette führen dazu, dass letztendlich der Endverbraucher der Steuerträger ist. Belastungsgrund7 oder, wie Reiß8 es formuliert, „Steuergut der Umsatzsteuer“ sind die Aufwendungen oder die Aufkommensverwendungen der Endverbraucher. Besteuert wird der Verbrauch im Sinne einer in der Verwendung von Einkommen bzw. Aufwendungen für gebrauchs- oder verwendungsfähige Güter zum Ausdruck kommenden Leistungsfähigkeit des Konsumenten oder Endverbrauchers.9 Indes berührt die Analyse der Umsatzsteuer als eine allgemeine Verbrauchsteuer nicht eine akademische Frage alleine nach dem Belastungsgrund. Vielmehr spiegelt sich in dieser Erkenntnis das Wesen der Umsatzsteuer wieder. Der Belastungsgrund als systemtragender Grundgedanke der Umsatzsteuer ist folglich im Rahmen der Auslegungsgrenzen, wie sie sich aus dem objektiven Wortlaut der Normen ergeben, zu berücksichtigen.10 Selbstverständlich gilt allerdings auch im Rahmen der teleologischen Auslegung unter Berücksichtigung des materiellen Belastungsgrundes einer Besteuerung des Verbrauchs der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung und der Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz.11 Auch der EuGH bestätigt den systematischen Ansatz der Umsatzsteuer als einer Besteuerung der Einkommensverwendung durch den Verbraucher für dessen nicht unternehmerischen Konsum.12

III. Die Wahlrechte in der Umsatzsteuer 1. Systematischer Ansatz Unter Beachtung des zuvor beschriebenen Belastungsgrundes scheint es systemwidrig zu sein, dem in die Leistungskette involvierten Unternehmer ein

__________ 7 Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 1.15. 8 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 1. 9 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, Köln 1993, 893 ff. – fortgeführt Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, 968. 10 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einführung Anm. 86. 11 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Einführung Rz. 45. 12 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 15.10.2002 – Rs. C-427/98 – Kommission/Deutschland, UR 2002, 523; EuGH, Urt. v. 10.9.2002 – Rs. C-141/00 – Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, UR 2002, 513; EuGH, Urt. v. 6.11.2003 – Rs. C-45/01 – Christoph-DornierStiftung für klinische Psychologie, UR 2003, 584 m. Anm. Widmann; vgl. hierzu Nieskens, Aktuelles zur EuGH-Rechtsprechung – Fünf Thesen zum besseren Missverständnis des EuGH, UR 2004, 441 (446 f.).

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– wie auch immer – geartetes Wahlrecht einzuräumen.13 Wahlrecht in diesem Sinne kann letztlich nur bedeuten, dem Unternehmer eine Einflussmöglichkeit bzgl. des Grundes und der Höhe eines verbrauchsrelevanten Vorgangs einzuräumen, der Umsatzsteuer auslösen kann. Die konsequente Ausgestaltung der Umsatzsteuer als einer allgemeinen Verbrauchsteuer müsste indes von dem Ansatz ausgehen, dass alleine der Gesetzgeber den Grund der Belastung aus Sicht des privaten Endverbrauchers definiert und insoweit die Steuereinnahme generiert. Da der Unternehmer nur als Steuereinsammler fungiert, der durch das Neutralitätsprinzip aber nicht wirtschaftlich belastet werden soll, scheint ein ihm gewährtes Wahlrecht systemkontraproduktiv. Die Bestätigung dieses Ansatzes hängt jedoch maßgeblich davon ab, welche Wahlrechte die Umsatzsteuer überhaupt vorsieht und welche Ertragskonsequenzen sich daraus ergeben. Im nachfolgenden soll daher versucht werden – auszugsweise – die Wahlrechte der Umsatzsteuer zu nennen, zu katalogisieren und anhand des Verbrauchsteuergedankens zu interpretieren. 2. Arten und Einteilung der Wahlrechte Wie ein Blick ins deutsche Umsatzsteuergesetz und in die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) zeigt, gibt es Wahlrechte in der Umsatzsteuer.14 Da im Steuerrecht der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes wie auch der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung gilt15, darf mit dem Begriff des Wahlrechtes nicht die Möglichkeit assoziiert werden, sich durch einen Wahlakt aus der Besteuerung verabschieden zu wollen. Gemeint ist vielmehr eine durch das Gesetz gerechtfertigte Möglichkeit, eine von mehreren Möglichkeiten zur Erfüllung der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung wählen zu können. a) Gesetzliche Wahlrechte In den Focus der Betrachtung werden daher nur solche Wahlrechte gestellt, die sich aus dem Gesetz ergeben. Wahlmöglichkeiten, die die Verwaltung eröffnet, rechtfertigen sich alleine aus im Einzelfall hinnehmbaren Vereinfachungen. Diese ins Belieben der Verwaltung gestellten Vereinfachungen sind nicht systemimmanent und dürfen die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nicht berühren. Sie stellen keine Wahlrechte zugunsten des Steuerpflichtigen, sondern verwaltungsseitig nicht beanstandete, in Anspruch genommene Vereinfachungen dar. So ordnet beispielsweise Abschnitt 122 Abs. 2 UStR eine Geringfügigkeitsgrenze von 5 % an, um die Steuerbefreiung gem. § 4 Nr. 28 UStG

__________ 13 Zu den Wahlrechten in der Umsatzsteuer vgl. bereits Rose, Options- und Gestaltungsmöglichkeiten im Mehrwertsteuerrecht, Schriften zur Unternehmensführung, Bd. 3, 1967, S. 35 ff.; kritisch zu den Wahlrechten unter Verbrauchsteuergesichtspunkten Dziadkowski, Zur Zuordnung gemischt genutzter Gegenstände im Umsatzsteuerrecht, StuW 2001, 316 Fn. 5. 14 BFH, Urt. v. 20.4.1995 – IV R 7/93, BStBl. II 1995, 708. 15 Vgl. hierzu Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 150 m. w. N.

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in Anspruch nehmen zu können, allerdings unter gleichzeitiger Versagung des Vorsteuerabzugs auf eben diese 5 % unschädlichen Umsätze. Die hieraus ableitbare Vereinfachung ist ähnlich offensichtlich wie die sich aus der Anweisung in Abschnitt 15b Abs. 7 UStR für die Verkaufskommission über die EU-Grenze ergebende. Obwohl der Transport über die EU-Grenze zunächst den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Verbringens und im Anschluss daran den Tatbestand der steuerpflichtigen Lieferung in dem anderen Mitgliedsland bewirkt, beanstandet die Verwaltung nicht die Annahme einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung des Kommittenten im Inland und eines innergemeinschaftlichen Erwerbs des Kommissionärs im EU-Ausland infolge des Transports. Die Vereinfachung rechtfertigt sich unter Beachtung einer zu vermeidenden Registrierung des Inländers im Ausland bei Aufkommensneutralität infolge des Vorsteuerabzugs. b) Person des Wahlberechtigten Eine Analyse der umsatzsteuerlichen Wahlrechte im Hinblick auf den Belastungsgrund der Umsatzsteuer macht es erforderlich, die vorhandenen Wahlrechte nach der Person des Wahlberechtigten zu unterscheiden. Die in der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) angesprochenen Wahlrechte richten sich in erster Linie an den Mitgliedstaat, dem es gestattet wird, eine bestimmte Regelung der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie zu übernehmen, nicht zu übernehmen oder zu modifizieren. Exemplarisch sei hierfür zum einen Art. 106 MwStSystRL genannt, wonach die Mitgliedstaaten auf Antrag bis zum 31.3.2006 einen ermäßigten Steuersatz für arbeitsintensive Dienstleistungen einführen konnten.16 Zum anderen eröffnet Art. 194 MwStSystRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei steuerpflichtigen Leistungen eines nicht im Inland ansässigen Unternehmers den Leistungsempfänger zum Steuerschuldner zu erklären. Während die Bundesrepublik Deutschland von der Möglichkeit des Art. 106 MwStSystRL keinen Gebrauch gemacht hat, hat sie die Wahlmöglichkeit gemäß Art. 194 MwStSystRL durch § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG umgesetzt. Die durch die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) solchermaßen mit einer Wahlmöglichkeit ausgestatteten Adressaten, nämlich die EU-Mitgliedsländer, schaffen in Ausübung ihrer eingeräumten Wahlmöglichkeit den Tatbestand, der von den Steuerpflichtigen, den Unternehmern, erfüllt wird oder nicht. Die hier in Rede stehende systematische Betrachtung der Wahlrechte im Hinblick auf den Belastungsgrund der Umsatzsteuer setzt an den von den jeweiligen Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht gesetzten tatbestandlichen Dispositionsmöglichkeiten des Unternehmers an. Nur insoweit kann sich eine Auswirkung auf den Belastungsgrund direkt ergeben.

__________ 16 Vgl. hierzu Vellen, Übersicht über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten, UR 2007, 365 ff.

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Ebenfalls nicht mit in die hier vorzunehmende Analyse fallen Wahlrechte, die der Finanzbehörde zustehen. Zu denken ist insbesondere an die Abwehrmaßnahmen, die den Finanzbehörden zur Bekämpfung des Umsatzsteuer-Missbrauchs durch den Gesetzgeber eingeräumt worden sind. Gemäß § 13d Abs. 2 Satz 1 UStG17 kann der leistende Unternehmer frühestens – aber eben auch später – ab dem Zeitpunkt haftungsmäßig für die den Leistungsempfänger treffende Vorsteuerberichtigung in Anspruch genommen werden, in dem die beim Leistungsempfänger festgesetzte Steuer nach § 13d Abs. 1 UStG im Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet worden ist. § 18f UStG18 gibt den Finanzbehörden die Möglichkeit, die Auszahlung eines Vorsteuerüberhangs von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. § 25d Abs. 4 Satz 2 UStG19 gestattet den Finanzbehörden die Möglichkeit, im Falle der Haftung nach § 25d UStG die Vergütung von Vorsteuerüberhängen oder die Erstattung von Umsatzsteuer bei Herabsetzung der Umsatzsteuer aufgrund von Steueranmeldungen bis zum Abschluss der Prüfung, ob die Haftungsvoraussetzungen vorliegen, vorläufig zu versagen20. § 27b Abs. 1 UStG21 schließlich gibt den Finanzbehörden die Möglichkeit zur Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau.22 In seiner Entscheidung Federation of Technological Industries u. a.23 hat der EuGH es abgelehnt, Art. 273 MwStSystRL (bisher Art. 22 Abs. 8 der 6. EGRichtlinie) als Rechtsgrundlage für eine gesamtschuldnerische Umsatzsteuerhaftung anzusehen.24 Damit entfällt die vom Gesetzgeber bei Einführung des § 13d UStG angeführte Begründung mit dem Verweis auf Art. 273 MwStSystRL (bisher Art. 22 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie). Soweit der EuGH lediglich

__________ 17 Zweites Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003 – StÄndG 2003) v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645 (2654) in der bis 31.12.2007 gültigen Fassung – vgl. RegE JStG 2008 v. 26.7.2007, BR-Drucks. 544/07, wonach § 13d UStG mit Wirkung zum 1.1.2008 ersatzlos aufgehoben ist. 18 Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG) v. 19.12.2001, BStBl. II 2002, 32. 19 Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG) v. 19.12.2001, BStBl. II 2002, 32. 20 Kritisch hierzu Reiß, Vorsteuerabzug – Achillesferse der Mehrwertsteuer?, UR 2002, 561 (569 ff.) – Verstoß gegen das Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer. 21 Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze (Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz – StVBG) v. 19.12.2001, BStBl. II 2002, 32. 22 Kritisch zu allen neuen gesetzgeberischen Maßnahmen im StVBG Nieskens, Umsatzsteuer im Spannungsfeld zwischen Systematik und Fiskalinteressen, UR 2002, 577 (582 ff.). 23 EuGH, Urt. v. 11.5.2006 – Rs. C-384/04 – Federation of Technological Industries u. a., UR 2006, 410. 24 So bereits Nieskens, Wichtigste Änderungen der Umsatzsteuer durch das Steueränderungsgesetz 2003 und das Haushaltsbegleitgesetz 2004, UR 2004, 105 (129); Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13d UStG Anm. 5; Köhler in Plückebaum/ Malitzky/Widmann, UStG, § 13d UStG Rz. 5.

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mit der Bestimmung in Art. 205 MwStSystRL (bisher Art. 21 Abs. 3 der 6. EGRichtlinie) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, neben dem Unternehmer eine andere Person als Haftungsschuldner für Steuern auf umsatzsteuerpflichtige Leistungen in Anspruch nehmen zu können, wird damit zwar die Grundaussage des § 25d UStG für EU-rechtmäßig angesehen. Eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die Haftungsschuld gem. § 13d UStG ergibt sich hieraus jedoch nicht, da § 13d UStG lediglich die Haftung aus der Rückgängigmachung eines Vorsteuerabzugs, nicht aber aus steuerpflichtigen Leistungen beinhaltet.25 Konsequenterweise hat der Gesetzgeber § 13d UStG mit Wirkung zum 1.1.2008 durch das Jahressteuergesetz ersatzlos aufgehoben.26 Ungeachtet der zuvor beschriebenen EU-rechtlichen Problematik27 verbietet sich die Nutzbarmachung der sich in den zuvor beschriebenen Normen widerspiegelnden Wahlrechte für die hier maßgebliche Analyse nach dem Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Sämtliche Normen dienen der Bekämpfung des Umsatzsteuer-Missbrauchs und begründen eine zusätzliche Inanspruchnahmemöglichkeit für den Staat zur Kompensation von Steuerausfällen infolge Missbrauchs. Unter verbrauchsteuerlichen Aspekten wird die Belastung auf der Seite des Endverbrauchers überhaupt nicht tangiert. Davon abzugrenzen sind die sog. Antragswahlrechte, also echte Wahlrechte des Unternehmers, die einen Antrag an die Finanzbehörden voraussetzen, der von den Finanzbehörden im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens beschieden werden muss.28 Das Wahlrecht liegt hier nicht bei den Finanzbehörden, sondern beim Unternehmer. Es knüpft an die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes an, wie sich z. B. aus § 20 Abs. 1 UStG deutlich ergibt: der Unternehmer führt steuerpflichtige Umsätze aus, die Entstehung der Umsatzsteuer erfolgt grundsätzlich unter Beachtung der Vorgaben des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG. Er kann aber wahlweise die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten wählen, sofern er einen Antrag stellt und einen der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG genannten Anwendungsfälle verwirklicht. c) Unechte Wahlrechte Soweit das Umsatzsteuergesetz dem Unternehmer Wahlrechte einräumt, sind diese dahin zu unterteilen, ob sie bei Erfüllung eines gesetzlichen Tatbestandes durch bewusste Willenserklärungen des Unternehmers mehr als eine Rechtsfolge ermöglichen (sog. echte Wahlrechte) oder den Unternehmer durch

__________ 25 Ebenso Hahne, Anm. zu EuGH, Urt. v. 11.5.2006 – Rs. C-384/04 – Federation of Technological Industries u. a., UR 2006, 416 (417). 26 Vgl. Art. 8 Nr. 5, Art. 28 Abs. 4 RegE JStG 2008 v. 26.7.2007, BR-Drucks. 544/07. 27 Zum Verstoß von § 18f UStG und § 25d Abs. 3 UStG gegen das Gebot des Sofortabzugs der Vorsteuer vgl. Reiß, Vorsteuerabzug – Achillesferse der Mehrwertsteuer?, UR 2002, 561 (572 f.); Nieskens, Umsatzsteuer im Spannungsfeld zwischen Systematik und Fiskalinteressen, UR 2002, 577 (582 f.). 28 Ebenso Michels, Steuerliche Wahlrechte, Diss. 1982, S. 43 f.

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ein rein faktisches Verhalten dazu zwingen, einen gesetzlichen Tatbestand erst erfüllen zu können (sog. unechte Wahlrechte).29 Zu den unechten Wahlrechten sind damit folglich diejenigen Gestaltungsmöglichkeiten zu zählen, die es dem Unternehmer ermöglichen, einen umsatzsteuerrechtlich erheblichen Tatbestand zu erfüllen oder nicht. So löst ein Unternehmer im Sinne des § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a bis d UStG nur dann den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs aus, wenn er die in § 1a Abs. 3 Nr. 2 UStG beschriebene Erwerbsschwelle überschreitet. Der Unternehmer hat es somit in der Hand, zu wählen, ob er die Erwerbsbesteuerung auslösen will oder nicht. Dieses Wahlrecht ist jedoch kein echtes, da er nur durch sein rein faktisches Verhalten (Erwerbe im vorangegangenen und im laufenden Kalenderjahr von mehr als 12 500 Euro) steuert, ob er den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs gem. § 1a UStG verwirklicht oder nicht. Erst mit der Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes begibt sich der Unternehmer in den Anwendungsbereich des Umsatzsteuergesetzes ohne Möglichkeit der Beeinflussung des Belastungsgrundes. Gleiches gilt für den Kleinunternehmer bei Bestimmung seiner Umsatzgrenzen (§ 19 Abs. 1 Satz 1, 2 UStG und § 19 Abs. 3 UStG) für die Inanspruchnahme der Kleinunternehmerregelung. Die Steuerbarkeit der unentgeltlichen Wertabgabe hängt in den Fällen des § 3 Abs. 1b Nr. 1 bis 3 UStG und des § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG von der Vorsteuerentlastung des entnommenen oder verwendeten Gegenstandes ab. Damit hat der Unternehmer ein Gestaltungsmittel über die Vorsteuerabzugsberechtigung im Hinblick auf die Steuerbarkeit der unentgeltlichen Wertabgabe. Auch dies ist kein Wahlrecht im Hinblick auf die Beeinflussung des Belastungsgrundes. Weitere unechte Wahlrechte sind: – § 2 Abs. 3 UStG: nur, wenn die juristische Person des Öffentlichen Rechts einen Betrieb gewerblicher Art betreibt, ist sie unternehmerisch tätig; – § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG: nur, wenn die Lieferung mit der Übergabe eines Gegenstandes einhergeht, bestimmt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG, ansonsten bleibt es bei der Regelung des § 3 Abs. 7 UStG; – § 3c Abs. 3 UStG: die besondere Ortsbestimmung des § 3c UStG ist nur dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige, der Unternehmer, von den Mitgliedstaaten definierte Lieferschwellen überschreitet; – § 4 Nr. 4a Satz 1 Buchst. a Satz 2 UStG: die Steuerbefreiung für Lieferungen der in der Anlage 1 bezeichneten Gegenstände entfällt mit Auslagerung des Gegenstandes aus einem Umsatzsteuerlager durch den Unternehmer;

__________ 29 Vgl. hierzu bereits Michels, Steuerliche Wahlrechte, Diss. 1982, S. 41 f., der – ohne die Differenzierung in echte und unechte Wahlrechte vorzunehmen – die steuerrechtlichen Wahlrechte (im Sinne der echten Wahlrechte) ausdrücklich auf die Fälle anwenden will, in denen ein Sachverhalt realisiert wird.

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Wahlrechte in der Umsatzsteuer

– § 10 Abs. 1 Satz 6 UStG: vereinnahmte und verauslagte Beträge gehören dann beim Unternehmer nicht zu dessen Bemessungsgrundlage, wenn er die Vereinnahmung oder Verausgabung im Namen und für Rechnung eines anderen durchführt; – § 18 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 UStG: die Höhe der vom Unternehmer geschuldeten Umsatzsteuer ist maßgeblich dafür, ob er vierteljährliche oder monatliche oder gar keine Voranmeldungen abgeben muss; – § 25 Abs. 2 Nr. 3 UStG: erteilt der erste Abnehmer in einem innergemeinschaftlichen Reihengeschäft keine Rechnung im Sinne des § 14a Abs. 7 UStG, weist er insbesondere nicht auf das Vorhandensein eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäftes hin, scheidet für ihn die Vereinfachung gem. § 25b Abs. 2 und Abs. 3 UStG aus. Ebenfalls unter die sog. unechten Wahlrechte fallen diejenigen faktischen Gestaltungen, die zu Lasten des betroffenen Unternehmers von seinem Leistungsaustauschpartner initiiert werden.30 Auch insoweit führt das faktische Verhalten erst zu der Verwirklichung oder Nichtverwirklichung eines Steuertatbestandes, nur eben ausgelöst durch eine andere Person. Hierzu zählt: – § 13 Abs. 1 Nr. 1a Satz 4 UStG: der Unternehmer hat bereits vor Ausführung der Leistung Umsatzsteuer zu entrichten, sofern der Leistungsempfänger bereits vor Ausführung der Leistung das Entgelt oder Teilentgelt entrichtet, der Unternehmer es also vereinnahmt; – § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 9 UStG: erfüllt die Rechnung des Leistungsaustauschpartners nicht die Vorgaben der Mindeststandards gem. § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 9 UStG, scheidet beim leistungsempfangenden Unternehmer mangels Verwirklichung des Tatbestandes in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG der Vorsteuerabzug aus; – § 14c Abs. 2 Satz 4 UStG: der die Rechnung ausstellende Unternehmer kann im Falle des § 14c Abs. 2 UStG die Rechnung berichtigen, sofern die durch seine Rechnung ausgelöste Gefährdung des Steueraufkommens u. a. durch Rückzahlung der Vorsteuerbeträge durch den Empfänger der Rechnung beseitigt worden ist. Ein weiterer Anwendungsfall der sog. unechten Wahlrechte liegt vor, wenn im Wege der Auslegung ein verwirklichter Tatbestand als steuerbar oder nicht steuerbar, Lieferung oder sonstige Leistung, steuerpflichtig oder steuerfrei oder steuerpflichtig mit 19 % oder 7 % bewertet wird. So leistet ein Sportverein mit Zurverfügungstellung seiner Sportstätten an seine Mitglieder gegen Mitgliedsbeitrag31 steuerbar im Leistungsaustausch, führt eine Leistung infolge eines

__________ 30 Nicht zu den Wahlrechten – weder echt noch unecht – zählt dagegen die Möglichkeit gem. § 3d Satz 2 UStG durch eine verwendete andere Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (UStIdNr.) den Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs (auch) in das Land, dessen UStIdNr. verwendet worden ist, zu verlegen. § 3d Satz 2 UStG führt nicht zu einer Ortsverlagerung, sondern zu einer kumulativen Erwerbsbesteuerung. 31 EuGH, Urt. v. 21.3.2002 – Rs.-C 174/00 – Kennemer Golf- & Countryclub, UR 2002, 320 m. Anm. Widmann und jetzt BFH, Urt. v. 9.8.2007 – V R 27/04, UR 2007, 811.

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Werkvertrages zu einer sonstigen Leistung, sofern die erforderlichen Materialien allesamt vom Auftraggeber stammen32 und ist eine im Zusammenhang mit einer Warenlieferung gewährten Kreditgewährung nur dann als eigenständige gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG steuerfreie Leistung zu bewerten, wenn die Vorgaben nach Abschnitt 29a UStR erfüllt sind. d) Echte Wahlrechte Im Unterschied zu den unechten Wahlrechten zeichnen sich die echten Wahlrechte dadurch aus, dass nach Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes der Unternehmer sich hinsichtlich der eintretenden Rechtsfolgen alternativ verhalten kann. Exemplarisch sei hierzu die Wahlmöglichkeit gem. § 9 Abs. 1 UStG im Falle der Grundstücksvermietung angeführt. Die Vermietung eines Grundstücks oder Grundstücksteils führt – sofern keine der in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG genannten Ausnahmen betroffen sind – zu einem steuerfreien Umsatz. Dieser steuerfreie Umsatz kann hinsichtlich seiner Rechtsfolge von dem vermietenden Unternehmer über § 9 Abs. 1 UStG dadurch beeinflusst werden, dass er zur Steuerpflicht optiert. Voraussetzung für die Optionserklärung ist aber eben die (grundsätzliche) Steuerfreiheit des Umsatzes. Unbeachtlich für die Einordnung des Wahlrechtes als echtes Wahlrecht ist, ob das Gesetz an die Ausübung des Wahlrechts zusätzliche Anforderungen stellt.33 Ein echtes Wahlrecht der besonderen Art stellt § 3 Abs. 8 UStG dar. Der leistende Unternehmer hat bei verwirklichtem Tatbestand der Lieferung eines Gegenstandes aus dem Drittlandsgebiet ins Inland mit der Leistungsortsbestimmung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG (Ort im Drittland) die Möglichkeit der Ortsverlagerung ins Inland, für den Fall, dass er als Schuldner der deutschen Einfuhrumsatzsteuer fungiert. Im Unterschied zu den zuvor angesprochenen Optionsrechten wirkt die Übernahme der Einfuhrumsatzsteuer nur faktisch wie eine Option, er gibt jedoch keine Erklärung gegenüber den Finanzbehörden oder dem Leistungsaustauschpartner ab. Letztlich ist die Übernahme der Einfuhrumsatzsteuerschuld ein faktisches Verhalten. Im Unterschied zu den unechten Wahlrechten wird hierdurch nicht erst ein gesetzlicher Tatbestand begründet, sondern die Rechtsfolge eines bereits verwirklichten Tatbestandes verändert.

__________ 32 Vgl. hierzu BFH, Urt. v. 9.6.2004 – V R 50/02, UR 2005, 679 zur richtlinienkonformen Auslegung von § 3 Abs. 4 UStG unter Beachtung der einschlägigen EuGHRechtsprechung, wonach im Unterschied zur deutschen Gesetzesfassung die Einordnung eines Umsatzes als Werklieferung oder Werkleistung auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung vom Wesen des Umsatzes aus der Sicht einer Durchschnittsverbrauchers abhängen soll. 33 Nicht mit in die Betrachtung einbezogen worden sind die in § 27 Abs. 1a, Abs. 6, Abs. 10 UStG angesprochenen echten Wahlrechte, da sie unter Beachtung des Belastungsgrundes wegen ihrer nur temporär begrenzten Wirkung und der Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit ausgeblendet werden können.

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Bei dem Versuch der Katalogisierung der im deutschen Umsatzsteuerrecht anzutreffenden echten Wahlrechte lässt sich folgende Einteilung herauskristallisieren: (1) Wahlrechte des Leistungsempfängers im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Binnenmarkt Sowohl im Bereich der Vermittlungsleistungen als auch im Bereich der Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und Beförderungsleistungen nebst damit zusammenhängender weiterer Dienstleistungen kann der Leistungsempfänger die Steuerbarkeit des Umsatzes aus dem Land des vermittelten Umsatzes, der Tätigkeit oder des Beginns der Beförderung verlagern in ein Land, dessen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (UStIdNr.) er benutzt. Betroffen sind die Wahlrechte gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 UStG, § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 2 UStG, § 3b Abs. 3 Satz 2 UStG, § 3b Abs. 4 UStG, § 3b Abs. 5 Satz 2 UStG und § 3b Abs. 6 Satz 2 UStG. (2) Wahlrechte des Leistenden in Bezug auf das Verfahren im weitesten Sinne Betroffen ist hier zum einen das Wahlrecht zum sog. One-Stop-Shop des drittländischen Unternehmers für E-Commerce-Leistungen in der EU ausgeführt an private Konsumenten, § 18 Abs. 4c UStG i. V. m. § 3a Abs. 3a UStG. Zum anderen geht es um das Wahlrecht gemäß § 18a Abs. 6 UStG, wonach der Unternehmer wahlweise seine Zusammenfassende Meldung nicht mehr vierteljährlich, sondern kalenderjährlich abgeben kann. Gemäß § 22a UStG kann der ausländische Unternehmer, der ausschließlich steuerfreie Umsätze im Inland ausführt und keine Vorsteuerbeträge abziehen kann, sich durch einen Fiskalvertreter hinsichtlich seiner umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten vertreten lassen. § 20 Abs. 1 UStG gestattet dem Unternehmer – unter weiteren Voraussetzungen – auf Antrag den wahlweisen Wechsel von der Soll- zur Ist-Besteuerung. Ein ausländischer Busunternehmer kann für seine Personenbeförderung statt der Beförderungseinzelbesteuerung die Regelbesteuerung auf Antrag wählen, § 16 Abs. 5b UStG. Gemäß § 27a Abs. 1 Satz 4 UStG kann die Organgesellschaft wahlweise eine eigene UStIdNr. beantragen. Ein Verfahrenswahlrecht im weitesten Sinne ist auch das Wahlrecht zur Festlegung des Verfahrens bei der Vorsteueraufteilung gemäß § 15 Abs. 4 UStG.34 Der vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer hat ein den Verhältnissen des Einzelfalls angemessenes Verfahren anzuwenden, er wählt hierzu die Schätzungsmethode der Aufteilung.35

__________ 34 Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 UStG Rz. 679. 35 Vgl. hierzu BFH, Beschl. v. 3.5.2005 – V B 200/04, BFH/NV 2005, 1641; EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – Rs. C-4/94 – BLP Group plc, UR 1996, 427.

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(3) Wahlrechte in Form von Optionserklärungen Das deutsche Umsatzsteuerrecht gewährt dem leistenden Unternehmer – in Übereinstimmung mit den europarechtlichen Vorgaben – in einer Reihe von Fällen eine Wahlmöglichkeit dergestalt, dass er mittels einer Optionserklärung die vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsfolge seines verwirklichten Tatbestandes verändern kann. Betroffen sind vor allem folgende Fälle: – § 1a Abs. 4 UStG Der eigentlich die Erwerbsbesteuerung nicht auslösende Unternehmer im Sinne des § 1a Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a bis c UStG kann zur Erwerbsbesteuerung optieren. – § 3c Abs. 4 UStG Auch ohne Überschreiten der maßgebenden Lieferschwelle gemäß § 3c Abs. 3 UStG kann der leistende Unternehmer zur sog. Versandhandelsregelung mit Ortsverlagerung gemäß § 3c Abs. 1 UStG optieren. – § 9 Abs. 1 UStG Bei bestimmten, eigentlich steuerfreien Umsätzen (z. B. Umsätze, steuerfrei nach § 4 Nr. 9a UStG oder § 4 Nr. 12a UStG) kann der Unternehmer zur Steuerpflicht optieren. – § 19 Abs. 2 UStG Der Kleinunternehmer gemäß § 19 Abs. 1 UStG kann zur Regelbesteuerung optieren. – § 23a Abs. 3 UStG Der Unternehmer im Sinne des § 23a Abs. 1, 2 UStG kann zur Durchschnittssatzbesteuerung optieren. – § 24 Abs. 4 UStG Der pauschal besteuerte Land- und Forstwirt (§ 24 Abs. 1 UStG) kann zur Regelbesteuerung optieren. (4) Wahlrechte bei Sondertatbeständen Im Unterschied zu den zuvor beschriebenen Wahlrechten in Form von Optionserklärung weisen die Wahlrechte im Rahmen der Sondertatbestände des § 25a UStG und § 25c UStG, obwohl sie auch zum Teil Optionserklärung beinhalten (vgl. § 25a Abs. 8 und § 25c Abs. 3 UStG) Besonderheiten auf. § 25a und § 25c UStG regeln im Gesamtkontext einen für bestimmte Steuerpflichtige und für bestimmte ausgeführte Umsätze systematisch abschließend geregelten Sachverhalt – Lieferung gebrauchter Gegenstände oder von Anlagegold –. In diesem Rahmen weisen die in § 25a Abs. 2, Abs. 4 und Abs. 8 UStG sowie § 25c Abs. 3 UStG geregelten Wahlrechte einen abschließenden Sondertatbestand auf. Sie beruhen auf der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, nämlich – § 25a Abs. 2 UStG Wahlmöglichkeit des Wiederverkäufers zur Anwendung der Differenzbesteuerung auch auf selbst eingeführte Kunstgegenstände, Sammlungsstücke 56

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und Antiquitäten sowie für Kunstgegenstände, die an ihn selbst steuerpflichtig ausgeführt worden sind: Art. 316 MwStSystRL (bisher Art. 26a Teil B Abs. 4 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie) – § 25a Abs. 4 UStG Der Wiederverkäufer kann die Differenzbesteuerung nach der Gesamtdifferenz bemessen: Art. 318 MwStSystRL (bisher Art. 26a Teil B Abs. 10 Unterabs. 1, 2 der 6. EG-Richtlinie) – § 25a Abs. 8 UStG Der Wiederverkäufer hat das Wahlrecht, statt der Differenzbesteuerung die Regelbesteuerung durchzuführen: Art. 319 MwStSystRL (bisher Art. 26a Teil B Abs. 11 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie) – § 25c Abs. 3 UStG Wahlmöglichkeiten des Anlagegold herstellenden, Gold umwandelnden oder Anlagegold liefernden Unternehmers sowie des diesbezüglich vermittelnd tätigen Unternehmers, statt der Steuerfreiheit die Steuerpflicht des Umsatzes in Anspruch zu nehmen: Art. 348, 349 und 350 MwStSystRL (bisher Art. 26b Teil C Abs. 1 bis 3 der 6. EG-Richtlinie). (5) Ungeschriebene Wahlrechte Neben den gesetzlich normierten Wahlrechten kennt das Umsatzsteuerrecht auch ungeschriebene Wahlrechte auf der Basis der BFH- und EuGH-Rechtsprechung. Der wichtigste Anwendungsfall ist das Wahlrecht zur Zuordnung eines angeschafften, hergestellten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenstandes zum Unternehmensvermögen.36 Der EuGH räumt dem Unternehmer ein umfassendes Zuordnungs-Wahlrecht bei angeschafften, hergestellten oder innergemeinschaftlich erworbenen Gegenständen ein, soweit sie mindestens 10 %, aber höchstens 99,9 % unternehmerisch genutzt werden (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG). Das Wahlrecht gewährt dem Unternehmer, ungeachtet des Grades der unternehmerischen Nutzung zwischen 10 % und 99,9 %, die Möglichkeit, den Gegenstand ganz, gar nicht oder zu einem beliebigen Teil dem Unternehmensvermögen zuzuordnen. Ein weiteres ungeschriebenes Wahlrecht findet sich in der Auslegung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG. Obwohl der Unternehmer eigentlich zur Bemessung seiner unentgeltlichen Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG für den auch privat verwendeten Unternehmens-Pkw die vorsteuerentlasteten Ausgaben

__________ 36 EuGH, Urt. v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, UR 2001, 149; EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, UR 2003, 288 m. Anm. Burgmaier; EuGH, Urt. v. 21.4.2005 – Rs. C-25/03 – HE, UR 2005, 324 m. Anm. Widmann; EuGH, Urt. v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – P. Charles und T. S. Charles-Tijmens, UR 2005, 563; EuGH, Urt. v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Grundstücksgemeinschaft Jörg und Stefanie Wollny, UR 2006, 638; Anm. Widmann, UR 2006, 644; Anm. Stadie, UR 2006, 645.

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anzusetzen hat, lässt die Verwaltung37 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung38 dem Unternehmer die Wahlmöglichkeit, ob er diesen Wert: – mit Hilfe der 1 %-Regel minus eines Abschlags in Höhe von 20 % für die nicht vorsteuerentlasteten Kosten, – anhand der durch ein geführtes Fahrtenbuch ermittelten tatsächlich privat gefahrenen Kilometer im Verhältnis zu den hierzu maßgeblichen Kosten oder – schätzweise ermitteln will. 3. Die echten Wahlrechte im Focus des Belastungsgrundes Unter Beachtung der zuvor erfolgten Gruppeneinteilung der echten Wahlrechte bedarf es nunmehr der Analyse, inwieweit die dem Unternehmer solchermaßen eingeräumten Wahlrechte mit dem Wesen der Umsatzsteuer als einer allgemeinen, den Endverbraucher belastenden Verbrauchsteuer kompatibel ist. a) Wahlrechte des Leistungsempfängers im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Binnenmarkt Die hier in Rede stehenden Wahlrechte betreffen Dienstleistungen unter Beteiligung von Leistungsaustauschpartnern aus zwei unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten.39 Auch die Besonderheiten des Umsatzsteuer-Binnenmarktes beeinträchtigen nicht die Qualifizierung der Umsatzsteuer als eine allgemeine Verbrauchsteuer. Leistungen im Binnenmarkt müssen ebenfalls sicherstellen, dass nur der private Endverbrauch letztlich besteuert wird, folglich bei einem grenzüberschreitenden Leistungsverkehr zwischen Unternehmern dem Leistungsempfänger die Möglichkeit der Entlastung mittels des Vorsteuerabzugs gegeben sein muss. So, wie es im innerstaatlichen Bereich den Grundsatz der Wettbewerbsneutralität zu beachten gilt, zwingt auch der Charakter der Umsatzsteuer als indirekte Steuer mit Belastung des Endverbrauchers und nicht des Unternehmers zu einer Umsetzung des Grundsatzes der Wettbewerbsneutralität im EU-grenzüberschreitenden Leistungsverkehr.40 Diese Vorgaben zwingen zur Beachtung des sog. Bestimmungslandprinzips im grenzüberschreitenden Leistungsverkehr auch innerhalb der EU. Nur eine Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip führt zu einer systemgerechten und gleichmäßi-

__________ 37 BMF, Schr. v. 27.8.2004 – IV B 7 – S 7300 – 70/04, BStBl. I 2004, 864; BMF, Schr. v. 7.7.2006 – IV B 2 – S 2177 – 44/06, IV A 5 – S 7206 – 7/06, BStBl. I 2006, 446. 38 Vgl. hierzu BFH, Urt. v. 11.3.1999 – V R 78/98, DStR 1999, 848. 39 Es ist davon auszugehen, dass mit der Verwendung der UStIdNr. eines anderen Mitgliedstaates gleichzeitig die Ansässigkeit des diese Nummer verwendenden Unternehmers in dem anderen Mitgliedsland initiiert ist. 40 EuGH, Urt. v. 1.4.1982 – 89/81 – Hong-Kong-Trade, EuGHE 1982, 1277; vgl. hierzu ausführlich Achatz/Tumpel, EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis, Wien 2001, S. 71.

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gen Belastung der Endverbraucher als Steuerträger nach Maßgabe ihrer Aufwendungen für den Verbrauch an einem bestimmten Ort.41 Die Wahlmöglichkeit mit Hilfe der UStIdNr. den Ort einer sonstigen Leistung in ein anderes EU-Mitgliedsland verlagern zu können, berührt diese Grundprinzipien nicht. Sie gibt den beteiligten Unternehmern lediglich die Möglichkeit, ihre steuerlichen Erklärungs- und Zahlungspflichten bei den Steuerbehörden des Landes erfüllen zu können, bei dem sie registriert sind. Die Ortsverlagerung mittels einer verwendeten UStIdNr. des Leistungsempfängers führt zu einer Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug (sofern kein Ausschlussgrund gem. § 15 Abs. 2 UStG vorliegt). Diese sich aus § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG ergebende Rechtsfolge gilt über Art. 196 der MwStSystRL (bisher Art. 21 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie) EU-weit. Die Ortsverlagerung verlangt stets einen Leistungsempfänger, der als Unternehmer handelnd eine UStIdNr. einsetzen kann. In seinem Verhältnis zum Leistenden wird dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität Rechnung getragen. Ob letztlich der Verbrauch zutreffend im Bestimmungsland versteuert wird, hängt davon ab, ob der nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG, § 3a Abs. 2 Nr. 4 UStG und § 3b Abs. 3 bis 6 UStG zu bestimmende Ort tatsächlich den Ort des tatsächlichen Verbrauchs der Leistung markiert, eine Untersuchung, die hier nicht angestellt werden soll. Die zuvor beschriebenen Wahlrechte dienen daher dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität und beeinträchtigen damit nicht den Belastungsgrund. b) Wahlrechte des Leistenden in Bezug auf das Verfahren im weitesten Sinne Soweit die hier angesprochenen Wahlrechte das Verfahren im engeren Sinne berühren (vgl. die Wahlrechte gem. § 16 Abs. 5b UStG, § 18 Abs. 4c UStG, § 20 Abs. 1 UStG, § 22a UStG und § 27 Abs. 1 Satz 4 UStG), werden verfahrensrechtliche Erleichterungen ermöglicht, die keinerlei Auswirkungen auf den Belastungsgrund der Umsatzsteuer haben. Die Wahlmöglichkeit nach § 15 Abs. 4 UStG überlässt dem Unternehmer die Möglichkeit, einen sachgerechten Aufteilungsmaßstab in Abhängigkeit von der Art der zu beurteilenden Verwendungsumsätze zu wählen. Die hieraus ableitbare Möglichkeit des Schätzansatzes ist, aus rechtlicher Sicht, stets ein sachgerechter Schätzansatz. Hiermit dokumentiert sich für den nicht abziehbaren Teil der Vorsteuer die Endverbrauchsbesteuerung.42 Der Unternehmer wird insoweit technisch wie ein Endverbraucher behandelt, gespeist von der Annahme, dass ihm die Abwälzung auf den tatsächlichen Endverbraucher ge-

__________ 41 Ebenso Reiß in Festschrift für Tipke, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, Köln 1995, S. 433 (442 f.). 42 EuGH, Urt. v. 1.4.1982 – 89/81 – Hong-Kong-Trade, EuGHE 1982, 1277; vgl. hierzu ausführlich Achatz/Tumpel, EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis, Wien 2001, S. 71.

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lingt.43 Ob der Schätzansatz zu 100 % zutrifft oder nicht, ist unbeachtlich, da es sich um einen Schätzansatz handelt. Durch die Wahl der Schätzmethode wird indes der Belastungsgrund nicht berührt, da lediglich eine von mehreren möglichen – aber dennoch zutreffenden – Alternativen die Definitivbelastung herstellt. c) Wahlrechte in Form von Optionserklärungen Die Optionserklärung zur Erwerbsbesteuerung in § 1a Abs. 4 UStG und zur Ortsverlagerung im Rahmen der Versandhandelsregelung gem. § 3c Abs. 4 UStG führt zur Umsetzung des Bestimmungslandprinzips. Für den Fall der optierten Erwerbsbesteuerung löst der erwerbende Unternehmer im Bestimmungsland die Erwerbsteuer bei gleichzeitigem Vorsteuerabzug aus, der leistende Unternehmer wird im Ursprungsland gem. § 6a UStG durch die Steuerbefreiung entlastet. Dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität ist Rechnung getragen. Die Verlagerung des Orts der Lieferung gem. § 3c UStG in das Bestimmungsland führt zu einer tatsächlichen Besteuerung des Verbrauchs in dem Land, in dem der Verbrauch stattfindet.44 Die Option des Kleinunternehmers und des pauschalierenden Land- und Forstwirts zur Regelbesteuerung genügt ebenfalls dem Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Durch die Ausübung des Wahlrechts zugunsten der Regelbesteuerung reihen sich diese Personen ein in die Gruppe der wettbewerbsneutral agierenden Unternehmer. Das Wahlrecht gem. § 23a Abs. 3 UStG aus der Regelversteuerung in die Durchschnittssatzbesteuerung bewirkt letztlich eine Vereinfachung der Vereinsbesteuerung und führt zu einer tatsächlichen Nichtbesteuerung der in § 23a Abs. 1 UStG genannten Unternehmer.45 Dies gilt zumindest dann, wenn diese Unternehmer ausschließlich nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG ermäßigt besteuerte Umsätze tätigen. Bis hierhin beeinflusst das Wahlrecht zugunsten der Durchschnittssatzbesteuerung den Belastungsgrund der Umsatzsteuer nicht, da nach wie vor die Leistung an den Endverbraucher zur definitiven Steuereinnahme führt. Da jedoch die Pauschalierung der Vorsteuer ungeachtet der Differenzierung erfolgt, ob die Eingangsleistung dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen ist oder nicht46, wird insoweit eigentlich nicht zu gewährende Vorsteuer abzugsfähig. Damit entfällt insoweit die Inanspruchnahme des Unternehmers als technischer Endverbraucher für die nicht abzugsfähige Vorsteuer. Insoweit verstößt das Wahlrecht gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer.

__________ 43 Reiß in Festschrift für Tipke, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer, Köln 1995, S. 433 (437 f.). 44 Reiß in Festschrift für Tipke, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer, Köln 1995, S. 433 (450). 45 RegE Vereinsförderungsgesetz, Allgemeiner Teil, BT-Drucks. 11/4176, 9. 46 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 23a UStG Anm. 2; Birkenfeld, USt-Hdb. § 229 Rz. 26.

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Die Möglichkeit, in den Fällen des § 4 Nr. 9a, Nr. 12, Nr. 8 a–g, Nr. 13 und 19 UStG durch eine Option von der Steuerbefreiung zur Steuerpflicht gelangen zu können, gibt dem Unternehmer die Wahlmöglichkeit, die Steuerbelastung auf eine andere Person, seinen Leistungsempfänger oder dessen Kunden, abwälzen zu können. Indes wäre es verfehlt, hieraus einen Verstoß gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer ableiten zu wollen.47 Zwar steht letztlich das Wahlrecht – nach Ausübung des Rechts – nicht dem Endverbraucher, also dem Belasteten, sondern einem Unternehmer in der Leistungskette zu. Alleine unter Berücksichtigung des Belastungsgrundes bewirkt die Optionserklärung hin zur Steuerpflicht des Umsatzes eine dann wettbewerbsneutrale Ausgestaltung der Tätigkeit des optierenden Unternehmers: die geschuldete Umsatzsteuer wird im Preis auf den Leistungsempfänger überwälzt, der Vorsteuerabzug bleibt erhalten. Ohne Optionserklärung führt die Steuerfreiheit des Umsatzes mit dem einhergehenden mangelnden Vorsteuerabzug zu einer (technischen) Endverbraucherbelastung beim Unternehmer. Mit der Optionserklärung wird – bildlich gesprochen – der Staffelstab der Endverbraucherbelastung weiter gereicht. Die Wahlmöglichkeit gem. § 9 Abs. 1 UStG verstößt damit nicht gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer. d) Wahlrechte bei Sondertatbeständen Ungeachtet der Frage, ob die Differenzbesteuerung gem. § 25a UStG als sog. „fiktive Restmehrwertsteuer“48 der Vermeidung einer systemwidrigen Mehrfachbelastung dient49 oder aber eine eventuelle mehrfache Belastung des Verbrauchs durch die mangelnde Vorsteuerabzugsberechtigung durch den Wiederverkäufer im System begründet liegt50, führen die in § 25a Abs. 2, 4 und 8 UStG ausgewiesenen Wahlrechte jedenfalls nicht zu einer darüber hinaus gehenden Beeinträchtigung des Belastungsgrundes der Umsatzsteuer. In den Fällen des § 25a Abs. 2 und 4 UStG wird lediglich der Anwendungsbereich der Differenzbesteuerung erweitert, das Wahlrecht in § 25a Abs. 8 UStG führt zur Rückkehr in die Regelbesteuerung. Eben so wenig wie die Wahlrechte in § 25a UStG verstößt auch das Wahlrecht in § 25c Abs. 3 UStG gegen den Verbrauchsteuergedanken des Umsatzsteuerrechts. § 25c Abs. 3 UStG ermöglicht die Rückkehr in das Regelsystem: Steuerpflicht des Umsatzes bei Vorsteuerabzugsmöglichkeit. Der Sondertatbestand des § 3 Abs. 8 UStG schließlich verstößt ebenfalls nicht hinsichtlich der Wahlmöglichkeit des leistenden Unternehmers gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Zwar kann der Leistungsempfänger hinsicht-

__________ 47 So aber Tehler, Die Umsatzsteuer als angewandte Verkehr- und/oder Verbrauchsteuer, Diss. 1986, 159 f.; Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 178; ebenfalls kritisch Dziadkowski, Zur Zuordnung gemischt genutzter Gegenstände im Umsatzsteuerrecht, StuW 2001, 316 Fn. 5. 48 Vgl. hierzu BFH, Urt. v. 16.4.1997 – XI R 87/96, UR 1997, 339. 49 Zustimmend Widmann in Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, § 25a UStG Rz. 17–26 m. w. N. 50 Langer in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 25a UStG Rz. 30.

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lich der Steuerschuldnerschaft der Einfuhrumsatzsteuer den Ort der Leistung beeinflussen. Durch die Kombination im Verbund mit der Einfuhrumsatzsteuer und dem Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG wird der Grundsatz der Wettbewerbsneutralität auf Unternehmerebene sichergestellt. e) Ungeschriebene Wahlrechte Die in Interpretation des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG von der Verwaltung und Rechtsprechung eingeräumten Wahlmöglichkeiten zur Bestimmung der zutreffenden Bemessungsgrundlagen bei einer unentgeltlichen Wertabgabe in Form der Privatnutzung eines Firmen-Pkws stellen wiederum nur Möglichkeiten einer sachgerechten Schätzung dar. Grundsätzlich ist die Bemessungsgrundlage anhand der vorsteuerentlasteten Kosten zu ermitteln. Wo ein solcher Kostenansatz nicht vorliegt, muss der Unternehmer ggf. durch Schätzung die Bemessungsgrundlage ermitteln. Ungeachtet der Frage, ob er die 1 %-Regel oder einen anderen Schätzansatz wählt, verbleibt es auch insoweit bei dem zuvor dargestellten Ansatz, dass durch die Wahl der Schätzmethode der Belastungsgrund nicht berührt wird. Lediglich eine von mehreren möglichen – aber dennoch zutreffenden – Alternativen stellt die Definitivbelastung her. Wesentlich komplizierter gestaltet sich die Frage nach der Wirkung der vom EuGH postulierten Zuordnungswahlfreiheit des Unternehmers. Sowohl die Wahlmöglichkeit, einen gemischt genutzten Gegenstand ganz dem Unternehmensvermögen zuordnen zu können, obwohl dieser Gegenstand nur ganz geringfügig (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG: mindestens 10 %) unternehmerisch genutzt wird, als auch die Zuordnung insgesamt zum Privatvermögen, obwohl der gemischt genutzte Gegenstand ganz überwiegend unternehmerisch genutzt wird, verstößt gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Ungeachtet der Schwierigkeit, die in einem reinen Willensakt manifestierte freie Zuordnungswahl nach außen zu dokumentieren51, lässt die Zuordnungswahlfreiheit zugunsten einer Zuordnung des gemischt genutzten Gegenstandes insgesamt zum Privatvermögen die tatsächliche unternehmerische Verwendung außer acht. Im Umfang der unternehmerischen Nutzung steht dem Unternehmer ein Vorsteuerabzugsrecht zu, eines der wesentlichen Säulen des Systems der Umsatzsteuer als einer allgemeinen Verbrauchsteuer. Gegen diesen Grundsatz wird verstoßen, kann der Unternehmer aufgrund einer bloßen rein subjektiven Wahlrechtsausübung52 die Zuordnung insgesamt zum Privatvermögen vornehmen. Die Aussagen des EuGH in der Sache Bakcsi53 zugunsten eines auch insoweit geltenden schrankenlosen Wahlrechts waren denn auch erkennbar von dem Bestreben geprägt, in dem konkreten Fall – kein Vorsteuerabzug aus dem Anschaffungsvorgang – die Doppelbelastung zu vermeiden. Es rächt sich indes, die Systemwidrigkeit an der einen Stelle (keine Vor-

__________ 51 Vgl. hierzu Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 UStG Rz. 251 ff. 52 Dziadkowski, Zur Zuordnung gemischt genutzter Gegenstände im Umsatzsteuerrecht, StuW 2001, 316 (321). 53 EuGH, Urt. v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, UR 2001, 149.

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Wahlrechte in der Umsatzsteuer

steuerentlastung bei Erwerb, trotz Umsatzsteuerbelastung bei Veräußerung) durch eine weitere Systemwidrigkeit an der anderen Stelle (Zuordnungsmöglichkeit zum Privatvermögen) korrigieren zu wollen. Besonders eklatant zeigt sich der Verstoß des schrankenlosen Zuordnungswahlrechts gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer bei der Zuordnung des gemischt genutzten Gegenstandes insgesamt zum Unternehmensvermögen. Nicht zuletzt die völlig verfehlte Entscheidung54 des EuGH in Sachen Wolfgang Seeling55 verdeutlicht die unter verbrauchsteuerlichen Gesichtspunkten damit verbundene Schieflage. Ein Unternehmer, der sein hergestelltes oder angeschafftes Gebäude nur ganz geringfügig (in Höhe von 10 %) unternehmerisch nutzt, kann wegen der vom EuGH festgestellten steuerpflichtigen unentgeltlichen Wertabgabe (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG) zunächst den vollen Vorsteuerabzug beanspruchen. Die auf die private Nutzung entfallende Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe berichtigt den zu viel in Anspruch genommenen Vorsteuerbetrag nur ratierlich und bewirkt damit letztlich den Ausgleich. Indes verschafft diese Sichtweise dem Unternehmer für den mit seiner privaten Nutzung verbundenen Verbrauch ungerechtfertigte Privilegien, vor allem im Hinblick auf seine Liquidität und auf mögliche Zinsvorteile.56 Der Verstoß gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass durch die ratierliche Rückzahlung des zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs infolge der Besteuerung der privaten Nutzung als unentgeltliche Wertabgabe nur eine Abschwächung der Belastungswirkung herbeigeführt werde.57 Es mag zwar gegenüber dem selbstnutzenden Immobilieneigentümer letztlich zu einer – wenn auch abgeschwächten – Belastung des privaten Verbrauchs kommen. Der Verstoß gegen den Belastungsgrund liegt aber im Vergleich zum nichtunternehmerisch tätigen Immobiliennutzer, der seine Immobilie nicht dem Unternehmensvermögen zuordnen kann. Die Ungleichbehandlung liegt in der vollständigen Abziehbarkeit der Vorsteuer bei dem einen und der Nichtabziehbarkeit bei dem anderen. Die Vorsteuer als das maßgebliche Element des der Umsatzsteuer zugrundeliegenden Systems führt mit ihrem Abzug zur Wettbewerbsneutralität beim Unternehmer und mit ihrem Nichtabzug beim Privatkonsumenten zur Definitivbelastung. In dem Moment, wo einem als Endverbraucher Agierenden der Vorsteuerabzug zugestanden wird, liegt ein Verstoß gegen das System58 und damit gegen den Belastungsgrund vor.

__________ 54 Zutreffend Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 15.49. 55 EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Wolfgang Seeling, UR 2003, 288 m. Anm. Burgmaier. 56 Ebenso Reiß in Tipke/Lang, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 156; Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 15.49. 57 Vgl. hierzu Popitz, Umsatzsteuergesetz, 1928, S. 40. 58 Ebenso Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 15.48.

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Hans Nieskens

Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang auch der Versuch zur Reparatur59 dieses Systemverstoßes, beispielsweise durch eine erhöhte Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe, wie durch § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG60 geschehen und durch den EuGH in Sachen Grundstückgemeinschaft Wollny61 bestätigt. Eine kritische Analyse der EuGH-Entscheidung belegt den Verdacht, dass der EuGH selbst die durch seine Entscheidung in Sachen Seeling62 eröffneten systemwidrigen Gestaltungsmöglichkeiten eindämmen wollte. Keinesfalls liegt der Entscheidung aber – wie Stadie63 meint – eine systematische Neuausrichtung zugrunde. Wirtschaftlich führt die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe unter Beachtung der Vorgaben von § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 UStG durchaus zu einer Berichtigung des zu Unrecht vorgenommen Vorsteuerabzugs und gestaltet sich damit die Besteuerung der unentgeltlichen Wertabgabe zu einer Vorsteuerberichtigung. Es bleibt aber eine bloße Reparaturmaßnahme, was sich eindrucksvoll daraus ableiten lässt, dass der EuGH in seiner Entscheidung nicht etwa selbst den Begriff der Ausgaben definiert, sondern nur den Ermessensrahmen definiert64, innerhalb dessen sich jeder Mitgliedstaat bewegen kann. Im Übrigen folgt hieraus die fast zwangsweise unterschiedliche Belastung der unentgeltlichen Wertabgabe in den einzelnen Mitgliedstaaten, ebenfalls kein Beitrag zur Wettbewerbsneutralität und systemgerechten Belastung. Es zeigt sich wieder einmal sehr eindrucksvoll, dass die der Systematik des Umsatzsteuerrechts nicht gerecht werdende Zuordnungswahlfreiheit stets weitere Verkomplizierungen des ehemals einfachen Konzeptes der Umsatzsteuer nach sich zieht.65 Statt einer Reparatur wäre unter systematischen Aspekten der richtige Weg, die Zuordnungsgrundsätze zu überdenken: soweit eine unternehmerische Nutzung vorliegt, ist der Gegenstand dem Unternehmensvermögen zuzuordnen, soweit er außerunternehmerisch genutzt wird, ist die Zuordnung zu versagen.66

__________ 59 Widmann, Anm. zu EuGH, Urt. v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Grundstücksgemeinschaft Jörg und Stefanie Wollny, UR 2006, 644, spricht von einer „Notbremsreaktion“. 60 § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG i. d. F. von Art. 5 Nr. 7 EURLUmsG v. 9.12.2004, BGBl. I 2004, 3310. 61 EuGH, Urt. v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Grundstücksgemeinschaft Jörg und Stefanie Wollny, UR 2006, 638 m. Anm. Widmann, UR 2006, 644 und Stadie, UR 2006, 645. 62 EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Wolfgang Seeling, UR 2003, 288 m. Anm. Burgmaier. 63 Stadie, Anm. zu EuGH, Urt. v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Grundstücksgemeinschaft Jörg und Stefanie Wollny, UR 2006, 645. 64 Vgl. hierzu eindrucksvoll BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 56/04, UR 2007, 650 m. Anm. Widmann – zur Weitergeltung der bisherigen Rechtslage zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage des Eigenverbrauchs trotz vollen Vorsteuerabzugs. 65 Dziadkowski, Zur Zuordnung gemischt genutzter Gegenstände im Umsatzsteuerrecht, StuW 2001, 316 (319). 66 Ebenso Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 157.

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Wahlrechte in der Umsatzsteuer

IV. Resümee Über 30 (echte) Wahlrechte in der deutschen Umsatzsteuer verdeutlichen die Notwendigkeit einer Analyse nach der Kompatibilität dieser Wahlrechte mit dem Belastungsgrund der Umsatzsteuer als einer allgemeinen Verbrauchsteuer. Zu einfach ist der Ansatz, diese Wahlrechte, die ausschließlich den Steuersubjekten des Umsatzsteuerrechts, also den Unternehmern, zustehen mit dem Hinweis als systemwidrig anzusehen, weil sie dem Unternehmer und nicht dem Belastungssubjekt, dem privaten Endverbraucher, die Wahlmöglichkeiten einräumen. Die Überprüfung der Wahlrechte am Belastungsgrund der Umsatzsteuer setzt zunächst eine Klassifizierung der Wahlmöglichkeiten voraus. Auszuscheiden aus der Analyse sind dabei die Wahlrechte, die nur der Finanzverwaltung oder den Mitgliedstaaten zustehen und diejenigen, die lediglich durch ein faktisches tatsächliches Verhalten den Tatbestand, aber nicht die Rechtsfolge einer gesetzlichen Norm beeinflussen (sog. unechte Wahlrechte). Die in die Analyse einzubeziehenden sog. echten Wahlrechte sind mit dem Belastungsgrund der Umsatzsteuer weitestgehend kompatibel. Lediglich das Wahlrechte gem. § 23a Abs. 3 UStG und das ungeschriebene Zuordnungswahlrecht verstoßen gegen den Belastungsgrund der Umsatzsteuer. Die Systemwidrigkeit des Zuordnungswahlrechts kann nicht durch – wiederum systemwidrige – Reparaturaktionen beseitigt oder geheilt werden. Richtigerweise ist das Zuordnungswahlrecht gänzlich zu überdenken und neu zu justieren. Eine Zuordnungsmöglichkeit alleine in Höhe und im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Nutzung scheint der richtige Ansatz zu sein.

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Holger Stadie

Der V. Senat des Bundesfinanzhofs und die Gewaltenteilung Inhaltsübersicht I. Nichtanwendung eines Parlamentsgesetzes (Umsatzsteuergesetz) wegen Unvereinbarkeit mit der EG-Richtlinie 1. Entscheidungen zum Vorsteuerabzug 2. Entscheidungen zu Steuerbefreiungen II. Rechtfertigung durch den BFH III. Fehlinterpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1987

IV. Ergebnis: Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz V. Reaktion der an der Gesetzgebung beteiligten Organe VI. Notwendigkeit der „Anklage“ beim Bundesverfassungsgericht VII. Befürchtungen

I. Nichtanwendung eines Parlamentsgesetzes (Umsatzsteuergesetz) wegen Unvereinbarkeit mit der EG-Richtlinie Reiß hatte bereits 2001 unter dem harmlos erscheinenden Titel „Vor dem Gesetz“1 die Entscheidung des V. Senats des Bundesfinanzhofs vom 23.11.20002, mit der dieser § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG a. F. (Vorsteuerabzugsverbot bei Reisekosten) wegen Unvereinbarkeit mit Art. 17 der sog. 6. EG-Richtlinie3 für unanwendbar erklärt hatte, zutreffend als Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG, wonach nicht nur die vollziehende Gewalt, sondern auch die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden ist, gebrandmarkt. Da nicht nur der V. Senat des BFH in weiteren Entscheidungen, sondern selbst mehrere Finanzgerichte sich inzwischen befugt sehen, Regelungen eines nationalen Parlamentsgesetzes eigenmächtig für unanwendbar zu erklären, ist es geboten, erneut und mit Nachdruck auf diese Verfassungsverstöße hinzuweisen. 1. Entscheidungen zum Vorsteuerabzug Dem Urteil des BFH vom 23.11.2000 folgten weitere Entscheidungen, mit denen Vorsteuerabzugsverbote des Umsatzsteuergesetzes wegen (angeblicher)

__________ 1 Gedächtnisschrift für Johann Georg Helm, Berlin 2001, S. 785 (GS Helm). 2 BFH v. 23.11.2000 – V R 49/00, BStBl. II 2001, 266. 3 77/388/EWG, ABl. EG Nr. L 145/1977, 1.

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Holger Stadie

Unvereinbarkeit mit Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 168 Buchst. a MwStSystRL4) für nicht anwendbar erklärt wurden: Zu erwähnen ist die Entscheidung des BFH vom 11.12.2003, wonach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG a. F. nicht mit der genannten Richtlinienbestimmung zu vereinbaren und deshalb nicht mehr anzuwenden sei.5 Hinzuweisen ist ferner auf die BFH-Entscheidung vom 10.2.2005, wonach auch § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG a. F. hinsichtlich der durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG angeordneten Beschränkung bei den Bewirtungsaufwendungen insoweit wegen des Anwendungsvorranges des Art. 17 Abs. 2 der 6.EG-RL a. F. (jetzt Art. 168 MwStSystRL) nicht zu beachten sei.6 Selbst einzelne Finanzgerichte haben sich als befugt angesehen, das vom Bundestag beschlossene Umsatzsteuergesetz zu missachten, indem sie wegen von ihnen angenommener Verstöße gegen Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL a. F. die Bestimmungen – des § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG a. F. i. V. m. § 12 Nr. 1 EStG7, – des § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG a. F. (Umzugskosten)8 und – des § 15 Abs. 1b UStG a. F.9 nicht anwenden. 2. Entscheidungen zu Steuerbefreiungen Auch bei den Steuerbefreiungen ist es inzwischen ständige Praxis, dass die Gerichte über die Befreiungen nach dem Umsatzsteuergesetz hinaus ein Berufungsrecht auf die Bestimmungen über Steuerbefreiungen der EG-Richtlinie bejahen. So soll sich ein gemeinnütziger Pferdesportverein für seine Umsätze aus der Pensionspferdehaltung nach der Entscheidung des BFH vom 19.2.2004 grundsätzlich auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL) berufen können.10 Ferner soll sich nach dem Urteil des BFH vom 18.8.2005 eine Legasthenietherapeutin unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) berufen können.11 Der Gipfel dieser Entscheidung ist der Satz: „Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie (…) hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass …“12 Der BFH

__________ 4 5 6 7 8 9 10 11 12

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2006/112/EG, ABl. EU Nr. L 347/2006, 1. BFH v. 11.12.2003 – V R 48/02, UR 2004, 203 = BStBl. II 2006, 384. BFH v. 10.2.2005 – V R 76/03, BStBl. II 2005, 509. FG München v. 23.2.2006 – 14 K 3585/03, DStR 2006, 1365 (Rev.-Az. V R 25/06); vgl. auch FG Nds. v. 22.11.2000 – 5 V 205/99, EFG 2001, 177. FG Hamburg v. 4.4.2006 – III 105/05, EFG 2006, 1627. FG Nds. v. 10.2.2000 – 5 K 515/99, UR 2000, 160; FG Nds. v. 10.2.2000 – 5 K 570/99, UR 2000, 163. BFH v. 19.2.2004 – V R 39/02, BStBl. II 2004, 672. BFH v. 18.8.2005 – V R 71/03, BStBl. II 2006, 143; ebenso BFH v. 1.2.2007 – V R 34/05, UR 2007, 425. A. a. O., 146 r. Sp.

Der V. Senat des Bundesfinanzhofs und die Gewaltenteilung

legt nunmehr also schon selbst die EG-Richtlinie aus, obwohl dazu ausschließlich der EuGH berufen ist (Art. 234 Abs. 1 Buchst. b EG). Wenn das der BFH wirklich dürfte, dann dürften es auch die Finanzgerichte und ebenso die Gerichte in den übrigen Mitgliedstaaten! Die dadurch eintretende Rechtszersplitterung soll doch gerade durch das Auslegungsmonopol des EuGH verhindert werden. Bemerkenswert sind schließlich auch die Entscheidungen des BFH vom 19.5.2005 und 28.9.2006 zu bestimmten Dienstleistungen der Studentenwerke. Soweit § 4 Nr. 23 UStG diese nicht erfasst, wendet der BFH schlicht und einfach die Befreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) an. So sollen die kurzfristigen Vermietungen an Studenten wie auch an Bedienstete, welche in den Studentenwohnheimen tätig sind13, sowie die Verpflegungsleistungen an Studenten und Bedienstete der Studentenwerke14 nach Ansicht des BFH „mit dem Hochschulunterricht eng verbundene Dienstleistungen“ i. S. dieser Vorschrift sein, so dass sich die Studentenwerke auf diese Befreiung berufen könnten. Der BFH bezieht sich in beiden Fällen auf den vom EuGH festgestellten Zweck dieser Befreiung, wonach der Zugang zum Hochschulunterricht nicht durch höhere Kosten versperrt werden soll, die entstünden, wenn dieser oder die mit ihm eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen der Mehrwertsteuer unterworfen wären15, und legt dann eigenmächtig Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 131 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) aus.15a Diese beiden Entscheidungen sind besonders erschreckend. Zu dem eklatanten Verstoß gegen Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 GG: Bindung der Gerichte an das Gesetz) wie auch gegen Gemeinschaftsrecht (Art. 234 Abs. 1 Buchst. b EG: Verpflichtung zur Vorlage beim EuGH) kommt noch hinzu, dass die vom BFH gefundene Auslegung des Art. 131 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL – um mit einem Lieblingswort von Reiß zu sprechen – „abenteuerlich“ ist und wohl kaum vom EuGH geteilt werden würde. Denn Wohnen und Essen haben nichts mit dem Hochschulstudium zu tun, da auch Nichtstudenten wohnen und essen müssen, so dass die Kosten dafür nicht den Zugang zum Hochschulstudium erschweren. Der V. Senat hat darüber hinaus mehrfach den weiteren Fehler gemacht, im jeweiligen Leitsatz seiner Entscheidungen zu formulieren: Die Umsätze „sind nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g“16 bzw. „i“17 der Richtlinie (…) „steuerfrei“. Das hieße, dass die Steuerbefreiungen der EG-Richtlinie automatisch wie allgemeingültige Rechtsnormen wirken würden und auch gegen den Willen des Betroffenen anzuwenden wären, obwohl das selbst vom EuGH noch nicht

__________ 13 BFH v. 19.5.2005 – V R 32/03, BStBl. II 2005, 900. 14 BFH v. 28.9.2006 – V R 57/05, UR 2007, 108. 15 EuGH v. 20.6.2002 – Rs. C-287/00, EuGHE 2002, I-5811 = UR 2002, 316 – Rz. 47. 15a Vgl. auch BFH v. 21.3.2007 – V R 28/04. UR 2007, 687. 16 BFH v. 18.8.2005 – V R 71/03, BStBl. II 2006, 143. 17 BFH v. 19.5.2005 – V R 32/03, BStBl. II 2005, 900; BFH v. 28.9.2006 – V R 57/05, UR 2007, 108.

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postuliert worden ist. Bekanntlich hat der EuGH seine Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien nur zugunsten der Bürger entwickelt und eine Wirkung zu deren Lasten stets verneint.18 Erfolgten diese Fehler des V. Senats des BFH im Übereifer des unerklärlichen Drangs, die EG-Richtlinie anzuwenden, oder beruhen sie auf mangelnder Kenntnis des Gemeinschaftsrechts und der EuGH-Rechtsprechung zu den Wirkungen einer Richtlinie? Für Letzteres spricht, dass es in der bereits eingangs genannten Entscheidung vom 23.11.2000 doch tatsächlich heißt: „Da die Richtlinie … unmittelbar Rechte und Pflichten (sic!) für den Einzelnen erzeugen kann, …“ Auch die Finanzgerichte legen nun schon die Steuerbefreiungsvorschriften der EG-Richtlinie aus und wenden sie unmittelbar an: So heißt es in den Entscheidungen des FG Düsseldorf vom 16.8.200619 und vom 21.9.200620, dass Betreuungsleistungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL) steuerfrei seien21, und in der Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 9.11.200622, dass sich der Kläger (Golfverein) hinsichtlich der Steuerfreiheit der Mitgliedsbeiträge und Unterrichtsentgelte unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m der EG-Richtlinie a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. m MwStSystRL) berufen könne. Nach Ansicht des FG Köln vom 29.1.200723 sind die Umsätze des Klägers in unmittelbarer Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, h und i der EG-Richtlinie a. F. (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h und i MwStSystRL) von der Umsatzsteuer befreit, „da eine entsprechende Befreiungsvorschrift im nationalen Umsatzsteuerrecht fehlt“, so dass die Umsätze unter die genannten Richtlinienbestimmungen „subsumiert werden“ können.24 Umgekehrt behandelt das FG Niedersachsen25 die langfristige Vermietung von Stellplätzen auf Campingplätzen entgegen § 4 Nr. 12 UStG als steuerpflichtig, weil dem angeblich Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 1 der 6. EGRichtlinie a. F. (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL) entgegenstehe.

__________ 18 Vgl. EuGH v. 26.2.1986 – Rs. C-152/84, EuGHE 1986, 723; EuGH v. 14.7.1994 – Rs. C-91/92, EuGHE 1994, I-3325 = NJW 1994, 2493; EuGH v. 22.9.1998 – Rs. C-185/97, EuGHE 1998, I-5199 = NZA 1998, 1223; EuGH v. 13.7.2000 – Rs. C-456/98, EuGHE 2000, I-6007 = NJW 2000, 3267; EuGH v. 5.10.2004 – Rs. C-397/01 bis C-403/01, EuGHE 2004, I-8835. 19 FG Düsseldorf v. 16.8.2006 – 5 K 5856/02 U, EFG 2007, 300. 20 FG Düsseldorf v. 21.9.2006 – 5 K 4729/02 U, UR 2007, 576. 21 Vgl. auch FG Düsseldorf v. 22.11.2006 – 5 K 3327/02 U, UR 2007, 462 (Zusammenschlüsse von Krankenkassen sollen sich auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der 6. EGRL, jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL, berufen können). 22 FG Rh.-Pf. v. 9.11.2006 – 6 K 2704/04, EFG 2007, 295 m. Anm. Valentin. 23 FG Köln v. 29.1.2007 – 7 K 6072/04, EFG 2007, 800. 24 Ähnlich FG Nds. v. 28.9.2006 – 16 K 76/05, EFG 2007, 1047. 25 FG Nds. v. 16.2.2006 – 16 K 5/05, UR 2007, 143.

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II. Rechtfertigung durch den BFH Der V. Senat des BFH „begründet“ seine Befugnis zur Nichtanwendung des nationalen Gesetzes wegen der seiner Ansicht nach gegebenen Unvereinbarkeit mit Vorschriften der EG-Richtlinie in recht schlampiger Weise, was nur den Schluss zulässt, dass er in seinem Übereifer, die EG-Richtlinie anzuwenden, die verfassungsrechtliche Problematik nicht gesehen hat (oder nicht sehen will). So heißt es in der Entscheidung vom 23.11.2000, dass die Klägerin sich wegen der Unvereinbarkeit des Ausschlusses vom Vorsteuerabzugsrecht durch § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG hinsichtlich der Reisekosten, die auf Übernachtungen entfallen, auf das ihr günstigere Gemeinschaftsrecht berufen könne (was übrigens im Widerspruch zu der bereits oben zitierten Äußerung, dass die EG-Richtlinie unmittelbar Pflichten erzeugen könne, steht), weil „keine Zweifel“ an der Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts bestünden.26 Zur rechtlichen Absicherung findet sich der Hinweis: „vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1995, I-1883, UR 1995, 404“ sowie der Satz: „Der Senat übt (…) lediglich die vom BVerfG für verfassungskonform beurteilte Befugnis zur vorrangigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegenüber unzutreffend umgesetzten innerstaatlichen Recht aus (BVerfG-Beschluss vom 8. April 1987 …)“. In der Entscheidung vom 19.2.200427 wird dann nur noch ausgeführt, dass der Steuerpflichtige sich unmittelbar auf eine Richtlinienbestimmung berufen könne, wenn diese ihm eine gegenüber dem nationalen Recht günstigere Rechtsposition einräume und die Richtlinienbestimmung u. a. „hinreichend genau“ sei. Es wird zwar der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1987 genannt, allerdings nur mit einem vorangestellten „vgl.“. In den Urteilen vom 19.5.200528 und vom 28.9.200629 heißt es dann noch knapper, dass der Kläger sich auf die Steuerbefreiung der EG-Richtlinie berufen könne, ohne dass das Gericht es noch für nötig erachtet, diese Aussage wenigstens mit einem Zitat zu unterlegen. Lediglich in der Entscheidung vom 18.8.200530 macht sich der BFH mal wieder die Mühe, das Berufungsrecht mit einem EuGH-Zitat zu belegen. Danach könne sich der Einzelne auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau „erscheinen“.31 Eine Auseinandersetzung mit dem Befehl des Art. 20 Abs. 3 GG findet in keiner der genannten Entscheidungen statt. Der V. Senat des BFH leitet mithin ganz offensichtlich aus der üblichen Formel des EuGH, wonach sich ein einzelner gegenüber einer nachteiligen nationalen Vorschrift auf Bestimmungen einer Richtlinie vor einem nationalen Gericht berufen könne, soweit diese „inhaltlich als unbedingt und hin-

__________ 26 27 28 29 30 31

BFH v. 23.11.2000 – V R 49/00, BStBl. II 2001, 266. BFH v. 19.2.2004 – V R 39/02, BStBl. II 2004, 672. BFH v. 19.5.2005 – V R 32/03, BStBl. II 2005, 900. BFH v. 28.9.2006 – V R 57/05, UR 2007, 108. BFH v. 18.8.2005 – V R 71/03, BStBl. II 2006, 143. EuGH v. 10.9.2002 – Rs. C-141/00, EuGHE 2002, I-6833 = UR 2002, 513 – Rz. 51.

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reichend genau erscheinen“32, seine Befugnis ab, nationales Recht ohne weitere Voraussetzungen an der EG-Richtlinie zu messen und bei Unvereinbarkeit für unanwendbar zu erklären. Der BFH verkennt dabei, dass diese Rechtsprechung des EuGH nicht per se in das nationale Recht hineinwirkt, d. h. nicht ohne weiteres den Befehl des Art. 20 Abs. 3 GG, wonach die nationalen Gerichte an die Gesetze gebunden sind, außer Kraft setzen kann. Vielmehr kann sich eine solche Wirkung nur aus Art. 23 Abs. 1 GG (bzw. Art. 24 Abs. 1 GG a. F.) ergeben, wenn dem EuGH derartige Hoheitsrechte übertragen worden sind. Obwohl Art. 249 Abs. 3 EG (= Art. 189 Abs. 3 EGV) eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien gerade nicht vorsieht, hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung vom 8.4.1987 die erwähnte Rechtsprechung des EuGH im Ansatz als zulässige Rechtsfortbildung gebilligt33, so dass sie über das Zustimmungsgesetz i. S. des Art. 23 GG in das nationale Recht hineinwirkt und insoweit das Parlamentsgesetz verdrängen kann.

III. Fehlinterpretation der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1987 Das Bundesverfassungsgericht hat indes nicht etwa entschieden, dass, wie der BFH annimmt, dem nationalen Gericht die Verwerfungsbefugnis ohne weiteres zusteht, d. h. auch dann, wenn der EuGH die unmittelbare Wirkung für die konkrete Konfliktsituation noch nicht ausgesprochen hat. Diese Frage stand im damaligen Verfahren überhaupt nicht zur Debatte, weil der EuGH nämlich im konkreten Fall die unmittelbare Wirkung der Richtlinie festgestellt hatte. Dass das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung auch nur diese Konstellation im Auge hatte, wird durch den kurze Zeit später ergangenen Beschluss vom 4.11.198734 bestätigt, in dem es heißt: „In seinem Beschluss vom 8.4.1987 (…) hat der Zweite Senat des BVerfG entschieden, dass der BFH Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat, weil er sich seiner Bindung zufolge Art. 177 Abs. 3 EWGV (a. F.; jetzt Art. 234 Abs. 2 EGV) an eine im selben Verfahren ergangene Vorabentscheidung des EuGH entzogen hat.“ In dem Beschluss vom 4.11.1987 wird dann diese Auffassung lediglich auf den Fall ausgedehnt, in dem die Vorabentscheidung zu der klärungsbedürftigen Frage bereits in einem anderen Verfahren vor dem EuGH ergangen war.34a Folglich kann nicht etwa, wie der V. Senat des BFH offensichtlich annimmt35, der genannten Entscheidung des BVerfG vom 8.4.1987 der Freibrief entnom-

__________ 32 Grundlegend EuGH v. 19.1.1982 – Rs 8/81, EuGHE 1982, 53 = UR 1982, 71; vgl. auch EuGH v. 8.6.2006 – Rs. C-430/04, EuGHE 2006, I-4999 = UR 2006, 459 – Rz. 28 f. 33 BVerfG v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 = UR 1987, 355. 34 BVerfG v. 4.11.1987 – 2 BvR 763/85, UR 1988, 25. 34a Ebenso BVerfG v. 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83 und 10/91, BVerfGE 85, 191 (204). 35 In den o. g. Entscheidungen des BFH v. 23.11.2000 (Fn. 24) und v. 19.2.2004 (Fn. 25) wird auf den Beschluss des BVerfG v. 8.4.1987, BVerfGE 75, 223 bzw. NJW 1988, 1459, Bezug genommen.

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men werden, dass jedes nationale Gericht eigenständig entscheiden darf, ob Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind (die Formulierung „erscheinen“ wird neuerdings vom EuGH zumeist durch „sind“ ersetzt36). Vielmehr verlangt Art. 20 Abs. 3 GG weiterhin, solange keine gegenteilige Entscheidung des BVerfG ergangen ist, dass die Verwerfungskompetenz der nationalen Gerichte erst und nur dann besteht, wenn der EuGH die Richtlinienwidrigkeit und die unmittelbare Wirkung der Richtlinienbestimmung (das Berufungsrecht des Einzelnen auf diese) im Rahmen einer Vorabentscheidung nach Art. 234 EG ausgesprochen hat.37 Die Einholung einer Vorabentscheidung ist nach Auffassung des EuGH allerdings dann nicht erforderlich, wenn – außer dem Fall, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war – die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts „derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt“38. Das ist indes nicht der Fall, wenn der Gesetzgeber die fragliche nationale Regelung erst nach Ergehen der Richtlinie erlassen hat. Da wegen der Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue (Art. 10 EG) davon auszugehen ist, dass die Mitgliedstaaten richtlinienkonforme Gesetze erlassen wollten, kann die inhaltliche Unvereinbarkeit mit der Richtlinie nicht offenkundig sein, wenn das nationale Parlament auf Vorschlag der Regierung und mit Zustimmung des Bundesrates die fragliche Bestimmung erlassen hat, d. h. wenn drei Verfassungsorgane (!) eine Vereinbarkeit der Norm mit der EG-Richtlinie angenommen haben. Folglich bedarf es, wie bereits Reiß dargelegt hat39, in diesen Fällen schon deshalb stets einer vorhergehenden Entscheidung des EuGH, welche die Richtlinienwidrigkeit der betreffenden nationalen Vorschrift feststellt, weil die Richtlinienwidrigkeit der nationalen Vorschrift nicht zweifelsfrei sein kann. Doch unabhängig davon ist nach deutschem Verfassungsrecht wegen des Gewaltenteilungsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Gerichte an das Parlamentsgesetz) und des alleinigen Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG kein Gericht befugt, ein nachkonstitutionelles Gesetz, aus welchen Gründen auch immer, autonom für nicht anwendbar zu erklären. Ansonsten würde jedes Gericht, von einem Amtsgericht bzw. Arbeitsgericht bis zu einem obersten Bundesgericht, frei bestimmen kön-

__________ 36 Vgl. EuGH v. 11.7.2002 – Rs. C-62/00, EuGHE 2002, I-6325 = UR 2002, 436 – Rz. 25; v. 8.6.2006 – Rs. C-430/04, EuGHE 2006, I-4999 = UR 2006, 459 – Rz. 29. 37 Di Fabio, Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip?, NJW 1990, 947 (953); Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 11.; Reiß, Vor dem Gesetz, in GS Helm (2001), S. 785, 798 f.; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Einf. Anm. 257. 38 EuGH v. 6.10.1982 – Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415 (3431) = NJW 1983, 1257 – Tz. 16; EuGH v. 15.9.2005 – Rs. C-495/03, EuGHE 2005, I-8151 = BFH/NV Beilage 2006, 43; vgl. auch BVerfG v. 31.5.1990 – 2 BvL 12, 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159, 193 f. 39 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 10 f.; Reiß, Vor dem Gesetz, in GS Helm (2001), S. 785, 795.

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nen, welches nationale Recht seiner Ansicht nach anzuwenden sei und welches nicht. Dieser Zustand wäre in keiner Weise mehr mit der verfassungsrechtlichen Bindung der Gerichte an bestehendes Recht und Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar und unterliefe das grundsätzliche Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG. Letzteres soll gerade verhindern, dass sich jedes Gericht nach seinem Gutdünken über den Willen des konstitutionellen Gesetzgebers hinwegsetzt40, und so dessen Autorität wahren.41 Eine zusätzliche faktische, mittelbare Verwerfungskompetenz hinsichtlich des nationalen Rechts hat auf Grund der o. g. Rechtsprechung des BVerfG lediglich noch der EuGH. Die Befugnis zur Nichtanwendung einer nationalen Norm kann sich folglich für ein nationales Gericht nur aus einer EuGH-Entscheidung ableiten, so dass nicht etwa das nationale Fachgericht über den Anwendungsvorrang konstitutiv und eigenständig befindet, sondern lediglich die Entscheidung des EuGH innerstaatlich umsetzt.42 Mithin bedarf es selbst bei Gesetzen, die vor der betreffenden EG-Richtlinie ergangen waren, für deren Anwendungsvorrang stets einer diesbezüglichen EuGH-Entscheidung.43 Es stellt demgemäß eine völlige Verkennung der Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG und der Funktion der Rechtsprechung dar, wenn Klenk44 (ehemaliger Richter des V. BFH-Senats) meint: „BFH und Finanzgerichte tun jedenfalls gut daran, die Richtlinienbestimmungen nur dann (ohne vorherige Anfrage beim EuGH; Verf.) unmittelbar anzuwenden, wenn die Sache klar zu sein scheint. Unter dieser Voraussetzung hat die Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung ein Gewicht, wie es die dritte Gewalt bislang noch nie hatte. Sie wendet das gemeinschaftsrechtswidrige Gesetz nicht an, steht also insoweit über der Legislative.“ (sic!) Man stelle sich Folgendes vor: Der Bundestag hat bewusst eine von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzesvorlage zur Umsetzung einer EG-Richtlinie mit modifiziertem Inhalt beschlossen, der nicht mit der Richtlinie zu vereinbaren ist. Oder er setzt eine Richtlinie bewusst verspätet um, weil er damit ein europapolitisches Zeichen setzen will, wie z. B. im Falle der verspäteten Um-

__________ 40 BVerfG v. 20.3.1952 – 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51, BVerfGE 1, 184, 197 f. 41 BVerfG v. 29.11.1967 – 1 BvL 16/63, BVerfGE 22, 373, 378; BVerfG v. 21.12.1997 – 2 BvL 6/95, BVerfGE 97, 117, 122. 42 Im Gegensatz zum V. Senat des BFH hat dies der VIII. Senat des BGH für das Zivilrecht erkannt und dem EuGH die Frage vorgelegt, wie die einschlägige Richtlinie (zum Verbraucherschutz) auszulegen ist und ob sie ggf. unmittelbare Wirkung hat; BGH v. 16.8.2006 – VIII ZR 200/05, NJW 2006, 3200. Allerdings kommt eine unmittelbare Wirkung im Zivilrecht entgegen der Annahme des BGH nicht in Betracht; dazu näher Hummel, Zum Anwendungsvorrang von EG-Richtlinien im Zivilrecht, EuZW 2007, 268. 43 Ebenso im Ergebnis Reiß, Vor dem Gesetz, in GS Helm (2001), S. 785, 795. 44 Klenk, Die Zukunft der deutschen Umsatzsteuer, UVR 2006, 107 (110).

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setzung der 6. EG-Richtlinie (77/388/EWG) durch das UStG 1980.45 Soll wirklich jedes Amtsgericht befugt sein, eine derartige Willensbekundung des Parlaments (des Souveräns) zu unterlaufen?46

IV. Ergebnis: Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz Demgemäß war die o. g., bereits von Reiß zu Recht heftig gescholtene Entscheidung des BFH v. 23.11.200047, wonach das Vorsteuerabzugsverbot des § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG a. F. (Übernachtungskosten) nicht mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) zu vereinbaren und deshalb nicht anzuwenden sei, ein skandalöser Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Gerichte an das Parlamentsgesetz) und das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG bei nachkonstitutionellen Gesetzen. Diese Missachtung des Gesetzgebers ist auch deshalb unfassbar, weil die Bundesregierung in ihrem Entwurf zur Einführung der Vorschrift von deren Vereinbarkeit mit der 6. EG-Richtlinie ausgegangen war, weil sich bei derartigen Aufwendungen unternehmerische und private Interessen überschneiden würden.48 Der Finanzausschuss des Bundestages hatte sich dem ausdrücklich angeschlossen.49 Es ist folglich der glatte Hohn, wenn der BFH meint, dass „keine Zweifel“50 daran bestünden, dass die Bestimmung des § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG a. F. hinsichtlich der Übernachtungskosten nicht mit der EG-Richtlinie zu vereinbaren sei. Dass die Sichtweise der an der Gesetzgebung beteiligten Organe wohl sachlich falsch sein dürfte51, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da auch sachlich unsinnige Gesetze die Judikative gem. Art. 20 Abs. 3 GG binden. Insoweit geht es allein darum, ob kein vernünftiger Zweifel i. S. der o. g. EuGH-Rechtsprechung52 besteht. Gleichermaßen skandalös ist die o. g. Entscheidung des BFH vom 10.2.2005, dass § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG a. F. hinsichtlich der durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG angeordneten Beschränkung bei den Bewirtungsaufwendungen insoweit wegen des Anwendungsvorranges des Art. 17 Abs. 2 der 6.EG-RL (a. F. = Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) nicht zu beachten sei.53 Auch damit verstieß

__________ 45 Der Finanzausschuss begründete die verspätete Umsetzung mit Zweifeln, ob nicht mit der 6. EG-Richtlinie „die Grenzen einer Harmonisierung überschritten worden sind“, und mit verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der faktischen Rechtsetzungsbefugnis der Bundesregierung; Bericht des Finanzausschusses v. 8.5.1979, BT-Drucks. 8/2827, Allg., Teil I, S. 63. 46 Dazu bereits Stadie, Unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien und Bestandskraft von Verwaltungsakten, NVwZ 1994, 435 (437). 47 BFH v. 23.11.2000 – V R 49/00, UR 2001, 65 = BStBl. II 2001, 266. 48 Vgl. Reg.-Entwurf StEntlastungsG 1999/2000/2002, BT-Drucks. 14/265 – zu Art. 8 Nr. 8 Buchst. b. 49 BT-Drucks. 14/443 – zu Art. 7 Nr. 11 Buchst. b. 50 A. a. O., 268 (Tz. 3). 51 Dazu Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 39. 52 Zu Fn. 35. 53 BFH v. 10.2.2005 – V R 76/03, BStBl. II 2005, 509.

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der BFH eklatant gegen Art. 20 Abs. 3 GG, weil Bundesregierung und Gesetzgeber (Bundestag und Bundesrat) eine Vereinbarkeit mit EG-Recht (und Verfassung) angenommen hatten, so dass die Unvereinbarkeit nicht zweifelsfrei sein konnte und der BFH zuvor eine Entscheidung des EuGH hätte einholen müssen. Entgegen der Ansicht des BFH hat sich zudem der EuGH nicht explizit mit der Frage beschäftigt, ob eine prozentuale Beschneidung des Vorsteuerabzugs wegen des gemischten Charakters der Aufwendungen mit Art. 17 Abs. 2 der EG-RL a. F. („soweit“) zu vereinbaren ist, geschweige denn diese Frage verneint. Unerklärlich sind deshalb auch die oben dargestellten Entscheidungen des BFH vom 19.5.2005, vom 18.8.2005 und vom 28.9.2006, in denen der V. Senat schlicht und einfach das Umsatzsteuergesetz, wonach eine Steuerbefreiung jeweils nicht in Betracht kam, ignorierte und den Klägern die Steuerbefreiung jeweils durch eigenmächtige Auslegung der EG-Richtlinie gewährte. Das ist in zweifacher Hinsicht unfassbar. Zum einen liegen aus verfassungsrechtlicher Sicht jeweils Verstöße gegen Art. 20 Abs. 3 GG vor, zum anderen werden das Auslegungsmonopol des EuGH und die damit verknüpfte Vorlagepflicht der nationalen Gerichte (Art. 234 Abs. 1 Buchst. b i. V. m. Abs. 3 EG) missachtet. Bei diesen Fehlern des V. Senats des BFH kann auch die Unbekümmertheit der o. g. Finanzgerichte nicht mehr verwundern, mit der diese unter Missachtung des Art. 20 Abs. 3 GG Teile des Umsatzsteuergesetzes, d. h. eines Gesetzes des Bundestages, wegen angenommener Verstöße gegen die EG-Richtlinie nicht anwenden und dabei ihr eigenes Verständnis vom Charakter der streitigen Ausgaben als „zweifelsfrei“ ansehen. So meint doch tatsächlich das FG München, dass sich aus der Erwähnung des § 12 Nr. 1 EStG in § 15 Abs. 1a UStG (Nr. 1 a. F.) eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs ergebe, welche nicht durch Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der 6. EGRL (a. F.., jetzt Art. 176 Unterabs. 2 MwStSystRL) gedeckt sei.54 Übersehen wird, dass es sich bei der Erwähnung des § 12 Nr. 1 EStG in § 15 Abs. 1a UStG schlicht nur um die Klarstellung dessen handelt, was bereits aus Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 168 Buchst. a MwStSystRL)/§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG folgt.55 Auch das FG Hamburg ist der Ansicht, dass § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG a. F. (Vorsteuerabzugsverbot bei Umzugskosten) gegen Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 168 Buchst. a MwStSystRL) verstoße und deshalb unanwendbar sei, da die Versagung des Vorsteuerabzugs in diesem Fall nicht durch Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der 6. EG-RL a. F. (jetzt Art. 176 Unterabs. 2 MwStSystRL) gedeckt sei.56 Das Gericht missachtet damit nicht nur Art. 20

__________ 54 FG München v. 23.2.2006 – 14 K 3585/03, DStR 2006, 1365 (Vorsteuerabzug bei Anschaffung eines Smokings; Rev.-Az. V R 25/06); vgl. auch FG Nds. v. 22.11.2000 – 5 V 205/99, EFG 2001, 177. 55 Dazu ausführlich Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 707 f. 56 FG Hamburg v. 4.4.2006 – III 105/05, EFG 2006, 1627 = DStR 2006, 1367 (Rev.-Az. V R 29/06); ebenso Nieskens, UR 2007, 125 (132).

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Abs. 3 GG, sondern macht – wie der BFH – darüber hinaus den unverzeihlichen Fehler, sein (unzutreffendes) Verständnis vom Charakter der Umzugskosten als „zweifelsfrei“ anzusehen. Das diese betreffende Vorsteuerabzugsverbot war erst zum 1.4.1999 vom Gesetzgeber auf Vorschlag der Bundesregierung eingefügt worden, so dass schon aus diesem Grunde, wie oben dargelegt, ein Verstoß gegen die EG-Richtlinie nicht zweifelsfrei sein kann. Da zudem auch Reiß57 und weitere nicht unwichtige Stimmen im Schrifttum58 zu Recht von gemischten Aufwendungen ausgehen, kann auch aus diesem Grund nicht ernsthaft davon ausgegangen werden, dass die Unvereinbarkeit mit der EGRichtlinie zweifelsfrei sei.59 Das FG Hamburg übersieht, dass der Vorsteuerabzug bei Umzugskosten schon nach der Grundregel des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen ist und § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG a. F. ohnehin nur klarstellend war.60 Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, weshalb § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG durch den Gesetzgeber zum 1.1.2007 gestrichen wurde, nachdem die Vorschrift erst zum 1.4.1999 eingefügt worden war. Die Bundesregierung geht nunmehr davon aus, dass die Vorschrift gegen Art. 17 Abs. 6 der 6. EG-Richtlinie (a. F.; jetzt Art. 176 MwStSystRL) verstoßen habe.61 Muss etwa davon ausgegangen werden, dass zukünftig immer dann, wenn ein Finanzgericht eine Vorschrift des Umsatzsteuergesetzes für unvereinbar mit der EG-Richtlinie ansieht, die Bundesregierung die Streichung der Vorschrift veranlassen wird? Nicht minder schlimm ist das Urteil des FG Berlin v. 16.9.200362, wonach nicht die Entscheidung des EuGH abzuwarten sei, sondern bereits das entsprechende Votum des Generalanwalts ausreiche! Den Vogel schießt derzeit das FG Köln ab, welches in seiner Entscheidung vom 29.1.200763 einerseits auf mehreren Seiten unter Berufung auf diverse BFH-Entscheidungen die streitigen Umsätze unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g–i EG-RL a. F. (= Art. 132 Abs. 1 Buchst. g–i MwStSystRL) subsumiert, eine Vorlage an den EuGH verneint, weil die klaren Richtlinienbestimmungen keiner Auslegung bedürften, dann jedoch die Revision zulässt, weil hinsichtlich der Zuordnung zu den einzelnen Steuerbefreiungstatbeständen der genannten Vorschriften noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliege.64

__________ 57 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 169 a. E. 58 Wagner in Sölch/Ringleb, UStG (EL 54 Sept. 05), § 15 UStG Rz. 540; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 15 UStG Rz. 309; Stadie, Umsatzsteuerrecht, Rz. 15.103, Fn. 1. 59 Schlicht unfassbar wird es schließlich, wenn das Gericht mehrere Seiten darauf verwendet zu begründen, warum der Verstoß gegen die EG-Richtlinie „zweifelsfrei“ sei. Entsprechendes gilt für die Entscheidung des FG Köln (Fn. 60). 60 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 721. 61 Begr. RegE JStG 2007, BR-Drucks. 622/06, zu Art. 7 Nr. 8 Buchst. a. 62 FG Berlin v. 16.9.2003 – 7 K 7400/02, EFG 2004, 54 (55). 63 FG Köln v. 29.1.2007 – 7 K 6072/04, EFG 2007, 800. 64 Ähnlich das o. g. (Fn. 20) FG Düsseldorf v. 21.9.2006 – 5 K 4729/02 U, UR 2007, 576.

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V. Reaktion der an der Gesetzgebung beteiligten Organe Wer nun gedacht hätte, dass die Bundesregierung diese eklatanten Verstöße gegen das Gewaltenteilungsprinzip anprangert und nach Wegen sucht, dem Einhalt zu gebieten, sieht sich getäuscht. Viel schlimmer: Das Bundesfinanzministerium setzt der Sache noch eins drauf, da es nämlich sogar davon ausgeht, dass der Bundesfinanzhof dem Gesetzgeber vorschreiben könne, was dieser zu beschließen habe. So heißt es doch allen Ernstes im Entwurf der Bundesregierung für das Steueränderungsgesetz 2003, mit dem der o. g. § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG aufgehoben wurde, auf der 1. Seite: „Das Umsatzsteuerrecht ist (…) an die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anzupassen“65 und später in der Einzelbegründung: „Die Änderung dient der Rechtsbereinigung. (…) Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 23.11.2000 (…) auf einen Vorrang des Gemeinschaftsrechts (…) erkannt.“66 In gleicher Weise heißt es im Entwurf der Bundesregierung für das Jahressteuergesetz 2007, mit dem § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG aufgehoben und die Nr. 1 als neuer Abs. 1a modifiziert wurde: „Der BFH hat mit Urteil vom 10.2.2005 (…) entschieden, dass sich der Unternehmer auf das ihm günstigere Gemeinschaftsrecht (…) berufen kann. Die Regelung (…) ist daher (sic!) aufzuheben.“ Ferner: „Mit Urteil vom 12.8.2004 (…) hat der BFH entschieden, dass (…). (D)ie bisher in § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG enthaltene Einschränkung ist aufzuheben.“ Erstaunlicherweise haben die Gesetzgebungsorgane das abgenickt. Zwar beschließt der Bundestag auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts generell fast alles, was aus dem Bundesfinanzministerium vorgeschlagen wird, weil den Abgeordneten verständlicherweise die Detailkenntnisse fehlen; hier geht es jedoch nicht um inhaltliche Fragen, sondern um die verfassungsrechtliche Stellung und das Selbstverständnis des Bundestages. Folglich hätte zumindest der Finanzausschuss des Bundestages deutlich machen müssen, dass die Rechtsprechung nicht dem Bundestag vorzuschreiben hat, was er zu beschließen hat. Die Rechtsprechung ist an die Gesetze des Bundestages gebunden, nicht umgekehrt! Auch im Schrifttum wird der beschriebenen Rechtsprechung des V. Senats des BFH applaudiert und doch tatsächlich der Gesetzgeber sogar als verpflichtet angesehen, die BFH-Erkenntnisse umzusetzen. So heißt es z. B.67 bei Nieskens: „Nachdem bereits der BFH mit seinem Urteil vom 23.11.2000 die EU-Rechtswidrigkeit dieser Norm (…) festgestellt und die Verwaltung dieses Urteil anerkannt hat68, war der Gesetzgeber lange Zeit eine gesetzliche Korrektur des

__________ 65 BR-Drucks. 630/03 v. 5.9.2003, S. 1 (A.2.). 66 BR-Drucks. 630/03 v. 5.9.2003, zu Art. 4 Nr. 18 Buchst. b, S. 86. Ähnlich Begr. zum Reg.-Entwurf d. JStG 2007, BR-Drucks. 622/06, zu Art. 7 Nr. 8 Buchst. a und b. 67 Vgl. ferner Grünwald, Rechtswidrige Einschränkung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1a UStG, DStR 2006, 1356; Fuhrmann, Wichtige Neuregelungen durch das Jahressteuergesetz 2007, KÖSDI 2007, 15392, 15400, Tz. 43. 68 Wofür ist die Anerkennung durch die Verwaltung von Bedeutung?

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§ 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG schuldig (sic!) geblieben.“69 Und ferner: „Der Gesetzgeber ist dieser Vorgabe des BFH mit der ersatzlosen Streichung des § 15 Abs. 2 Nr. 3 UStG gefolgt.“70 Nach alledem wundert man sich kaum noch darüber, dass jetzt auch schon der Bundesminister der Finanzen Bestimmungen des von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Umsatzsteuergesetzes „im Vorgriff auf eine beabsichtigte gesetzliche Neuregelung“ für nicht anwendbar erklärt71, weil der Unternehmer sich auf die ihm günstigere Regelung der 6. EG-Richtlinie berufen könne. Auch das ist ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Das Unglaubliche daran ist, dass der Bundesminister der Finanzen damit offen zum Ausdruck bringt, welche Bedeutung er den Gesetzgebungsorganen auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts noch beimisst. Sie haben das zu beschließen, was die Regierung vorlegt. Was wäre eigentlich, wenn der Bundestag in den beiden Fällen die Vorschriften nicht aufgehoben hätte?

VI. Notwendigkeit der „Anklage“ beim Bundesverfassungsgericht Richtigerweise hätte die Bundesregierung, der Bundestag oder eine Fraktion gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG beim Bundesverfassungsgericht im Wege des sog. Organstreitverfahrens die Feststellung beantragen müssen, dass der Bundesfinanzhof als durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestatteter Beteiligter (Art. 95 GG) seine Rechte nach dem Grundgesetz überschritten bzw. seine Pflichten verletzt hat. Eine solche Vorgehensweise ist dem Gewaltenteilungsprinzip der Verfassung und der überragenden Stellung des Parlaments geschuldet.

VII. Befürchtungen Es ist zu befürchten, dass auch das Bundesverwaltungsgericht dem vom Bundesfinanzhof propagierten Trend folgen wird, denn die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer antwortete auf die Frage, ob die Verwaltungsgerichte wegen verspäteter Umsetzung von EU-Richtlinien in die Rolle eines „Quasi-Gesetzgebers“ gedrängt würden: „‚Jein‘: Richter lösen – anders als der Gesetzgeber – nur Einzelfälle. Aber sie müssen nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie anstelle des Gesetzgebers entscheiden, ob die Richtlinie überhaupt unmittelbar anwendbar ist – wenn ja, mit welchen Auswirkungen – oder inwieweit sie über eine richtlinienkonforme Auslegung das nationale

__________ 69 Nieskens, Wichtigste Änderungen der Umsatzsteuer durch das Steueränderungsgesetz 2003 und das Haushaltsbegleitgesetz 2004, UR 2004, 105 (119). 70 Nieskens, Änderungen in der Umsatzsteuer 2006–2007, UR 2007, 125 (133). 71 So jetzt BMF, Schr. v. 23.6.2005 – IV A 5 – S 7303a – 18705, BStBl. I 2005, 816, zu § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG a. F. i. V. m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG; BMF, Schr. v. 28.3.2006 – IV A 5 – S 7304 – 11/06, BStBl. I 2006, 346, zu § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UStG a. F; BMF, Schr. v. 18.7.2006 – IV A 5 - S 7303a - 7/06, BStBl. I 2006, 450, zu § 15 Abs. 1a Nr. 3 UStG a. F.

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Holger Stadie Recht ‚korrigiert‘. Ob die Gerichte also wollen oder nicht: Sie haben inzwischen die Rolle einer eigenständigen Vermittlungsinstanz zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht erlangt – dies umso mehr, je weniger der Gesetzgeber diese Rolle auszufüllen gedenkt.“72

Davon findet sich in der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.198773 keine Silbe und auch nicht die Spur einer Andeutung. Im Übrigen kann auch die Auslegung nationalen Rechts niemals dazu führen, dass dieses korrigiert wird, auch nicht in Anführungszeichen.

__________ 72 Interview in: Der kleine Advokat, Leipzig 2007, Heft 39 (Juli), S. 11 f. 73 Fn. 32.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen Vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig verworfene Rechtsnorm oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in nationales Recht

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1. Keine Änderung bestandskräftiger Entscheidungen trotz Feststellung der Verfassungswidrigkeit 2. Vollstreckung aus bestandskräftigen verfassungswidrigen Hoheitsakten 3. Änderung des BVerfGG vom 21.12.1970 4. Analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Urteile der Fachgerichte 5. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG

III. Entscheidungen des EuGH 1. Keine Änderung bestandskräftiger Entscheidungen trotz unrichtiger Auslegung des Gemeinschaftsrechts 2. Durchbrechung der Bestandskraft in Ausnahmefällen 3. Anwendung der Grundsätze des EuGH auf das nationale Verfahrensrecht 4. Vollstreckung aus bestandskräftigen gemeinschaftswidrigen Hoheitsakten IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Das Bundesverfassungsgericht und der EuGH haben in letzter Zeit zunehmend unmittelbar Einfluss genommen auf die Anwendung, Nichtanwendung, Auslegung oder auch Änderung nationaler umsatzsteuerrechtlicher Vorschriften. So hat z. B. das Bundesverfassungsgericht durch drei Beschlüsse1 zu einer Neuorientierung bei der Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG geführt. Der EuGH hat zur Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) festgestellt, dass es auf die Rechtsform des Unternehmens für die Gewährung der Steuerbefreiung nicht

__________ 1 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494 m. Anm. Widmann; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158 = UR 2000, 72; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498.

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ankommt.2 Im Urteil vom 11.6.1998 hat der EuGH3 entschieden, dass ein Mitgliedstaat die unerlaubte Veranstaltung eines Glückspiels nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist. Im Urteil vom 17.2.2005 hat der EuGH4 dies wie folgt präzisiert: „Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glückspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt. Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.“ Die Rechtsprechung des EuGH führte zu einer Änderung in der Anwendungspraxis des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG bzw. zu einer gesetzlichen Neuregelung.5 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie es sich mit der Umsatzsteuer verhält, die bestandskräftig festgesetzt ist, wenn die seinerzeit der Festsetzung zu Grunde gelegte Rechtsauffassung nunmehr nach Ergehen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. des EuGH im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung steht.

II. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 1. Keine Änderung bestandskräftiger Entscheidungen trotz Feststellung der Verfassungswidrigkeit § 79 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG regelt die Folgen von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, durch die eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklärt wird, auf dessen Grundlage Entscheidungen ergangen sind, die schon rechtskräftig geworden sind oder auch sonst nicht mehr anfechtbar sind. Da der Gesetzgeber bei Erlass des BVerfGG im Jahre 1951 davon ausging, dass die Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes dessen Nichtigkeit mit

__________ 2 EuGH, Urt. v. 10.9.2002 – Rs. C-141/00 – Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, EuGHE 2002, I-6833 = UR 2002, 513. 3 EuGH, Urt. v. 11.6.1998 – Rs. C-283/95 – Fischer, EuGHE 1998, I-3369 = UR 1998, 384 m. Anm. Lausterer. 4 EuGH, Urt. v. 17.2.2005 – Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis, EuGHE 2005, I-1131 = UR 2005, 194 m. Anm. Birk/Jahndorf. 5 Vgl. dazu Dziadkowski, Rien ne va plus – Bundestag und Bundesrat uneins über die Umsatzbesteuerung von Geldspielautomaten, UR 2005, 482.

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Wirkung „ex nunc“ sein würde6, sollte mit § 79 BVerfGG die Rechtsfolge der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens begrenzt werden. Das geschah vor allem durch die bis heute unverändert gebliebene Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, in der als Grundsatz bestimmt ist, dass – vorbehaltlich des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung – nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben, also in ihrer Existenz nicht mehr in Frage gestellt werden sollen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz machte der Gesetzgeber nur für das Strafrecht. Niemand soll gezwungen sein, den Makel einer Strafe auf sich lasten zu lassen, die auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht. Nur in diesem Fall soll deshalb die Rechtskraft der Entscheidung durchbrochen werden. Hinsichtlich aller sonstigen Hoheitsakte (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen) verbleibt es dagegen bei dem Grundsatz des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG.7 Wenn also das Bundesverfassungsgericht durch seine Beschlüsse vom 29.10. 1999 und 10.11.19998 festgestellt hat, dass die Anwendungspraxis zu § 4 Nr. 14 UStG nicht dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG entspricht, so bleiben nach nationalem Recht bestandskräftige Entscheidungen davon unberührt. Bestandskräftige Umsatzsteuerfestsetzungen, die z. B. von der Steuerpflicht der ärztlichen Umsätze ausgingen, weil diese Umsätze durch einen Unternehmer in der Rechtsform einer GmbH ausgeführt wurden, bleiben trotz der Neuorientierung bei der Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG unberührt. 2. Vollstreckung aus bestandskräftigen verfassungswidrigen Hoheitsakten Sonstige Hoheitsakte (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen) bleiben nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unberührt. Doch gilt für sie, soweit aus ihnen noch nicht vollstreckt worden ist, das Verbot der Vollstreckung nach den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift. Dabei ist, wenn die Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, § 767 ZPO entsprechend anzuwenden. Der Rechtsgedanke des § 767 ZPO ist auch auf Vollstreckungsverfahren außerhalb der Zivilprozessordnung anzuwenden. § 157 FGO erklärt bei Nichtigkeit von Landesrecht § 767 ZPO im Vollstreckungsverfahren ausdrücklich für anwendbar.9 Das Bundesverfassungsgericht hatte aus diesen Regelungen und aus Satz 4 des § 79 Abs. 2 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zu Stande gekommen sind, nicht rückwirkend auf-

__________ 6 BT-Drucks. I/788, 34. 7 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 8 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494 m. Anm. Widmann; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158 = UR 2000, 72; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498. 9 Vgl. auch Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 256 AO Rz. 10.

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gehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben, abgewendet werden sollen.10 3. Änderung des BVerfGG vom 21.12.1970 An dieser Zielrichtung und Systematik hat sich nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber mit dem vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21.12.1970 § 79 BVerfGG geändert und dieser Vorschrift ihre bis heute gültige Fassung gegeben hat.11 Nach der Neufassung ist die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens nicht mehr – wie bisher zum In-KraftTreten des Änderungsgesetzes – auf den Fall beschränkt, dass das in dem Strafverfahren ergangene Urteil auf einer vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Strafnorm beruht. Wiederaufnahmefähig sind vielmehr jetzt ausdrücklich auch die Verfahren, in denen das rechtskräftige Urteil auf der Grundlage einer Norm oder einer Normauslegung ergangen ist, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 6.12.200512 dazu festgestellt, dass die Ergänzungen in § 79 Abs. 1 BVerfGG nicht lediglich die Wiederaufnahmemöglichkeit des Strafverfahrens erweitern, sondern dass die Ergänzungen in gleichem Umfang auch die Vollstreckungsverbote des § 79 Abs. 2 BVerfGG erweitern. Das gilt sowohl für den Fall, dass eine Rechtsnorm vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist als auch für den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die Norm selbst, sondern deren Auslegung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat. Es kann, so das Bundesverfassungsgericht, sachlich keinen Unterschied machen, ob eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung im Sinne dieser Regelung auf der verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm oder auf einer verfassungswidrigen Vorschrift beruht. § 79 Abs. 2 BVerfGG sei insoweit analog anzuwenden, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht auf die Nichtigkeit einer Norm erkennt, sondern sich darauf beschränkt hat, deren Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz festzustellen13, ebenso wenn eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf einer Auslegungsvariante beruht, deren Verfas-

__________ 10 BVerfG, Beschl. v. 21.3.1974 – 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217; BVerfG, Beschl. v. 10.5.1994 – 1 BvR 1534/92, BVerfGE 91, 83 (90); BVerfG v. 27.11.1997 – 1 BvL 12/91, BVerfGE 97, 35 (48). 11 BGBl. I 1970, 1765. 12 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 13 BVerfG, Beschl. v. 21.3.1974 – 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217; BVerfG, Beschl. v. 22.3.1990 – 2 BvL 1/86, BVerfGE 81, 363 (384).

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sungswidrigkeit bzw. Unvereinbarkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.14 4. Analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG auf Urteile der Fachgerichte Von der analogen Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG und speziell seines Satzes 3 können, so das Bundesverfassungsgericht, auch Entscheidungen grundsätzlich nicht ausgenommen werden, durch welche Zivilgerichte angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und sonstigen auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen des bürgerlichen Rechts die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.15 Zwar bestehen zwischen dieser Art, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchzusetzen, und den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung einer Regelung vorgibt, Unterschiede. Sie sind nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die Ungleichbehandlung derjenigen, die von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der einen oder anderen Art betroffen werden, rechtfertigen könnten. Da die beiden Fallkonstellationen einander hinsichtlich der Gewährung von Grundrechtsschutz so ähnlich sind, müssen sie, so das Bundesverfassungsgericht, im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz gleich behandelt werden.16 Das gilt allerdings nur, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben bei der rechtlichen Subsumtion im Einzelfall beanstandet, sondern für die Auslegung des bürgerlichen Rechts über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe setzt, an welche die Zivilgerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen ebenso gebunden sind, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift verfassungskonform in der Weise ausgelegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt.17 Es dürften keine Zweifel bestehen, diese grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum bürgerlichen Recht auch auf die übrigen Rechtsgebiete und damit auch auf das Steuerrecht zu übertragen. Wenn also das Bundesverfassungsgericht eine steuerrechtliche Vorschrift für verfassungswidrig, unvereinbar mit dem Grundgesetz oder deren Auslegung für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt, bleiben zwar alle Hoheitsakte (Verwaltungsentscheidungen und Gerichtsentscheidungen), die auf dieser Norm

__________ 14 BVerfG, Beschl. v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88 (94); BVerfG, Beschl. v. 15.6.1983 – 1 BvR 1025/79, BVerfGE 64, 229 (242); BVerfG, Beschl. v. 9.1.1991 – 1 BvR 929/89, BVerfGE 83, 201 (214). 15 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 16 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 17 BVerfG, Beschl. v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88 (94).

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beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist jedoch unzulässig. Das Gleiche gilt auch für Entscheidungen der Fachgerichte, die durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Steuerrechtsnormen die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen.18 Für Hoheitsakte anderer staatlicher Stellen, Steuerbescheide der Finanzverwaltung, kann nichts anderes gelten. Durch Beschluss vom 16.3.2005 hat das Bundesverfassungsgericht19 entschieden, dass § 33c Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz EStG 1997 gegen das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleitete Gebot der horizontalen Steuergleichheit sowie gegen das spezielle Verbot der Benachteiligung alleinstehender Elternteile gegenüber Kinderlosen (Art. 6 Abs. 1 GG) verstößt. Danach verbietet es sich, die einkommensteuerliche Freistellung der erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Elternteile um eine zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) zu kürzen. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Fall ausdrücklich mit der Verfassungswidrigkeit mit der Wirkung „ex nunc“ auch dessen Nichtigkeit festgestellt. Bestandskräftige Hoheitsakte (Verwaltungsakte, Gerichtsentscheidungen), die die erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten alleinerziehender Elternteile um eine zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) gekürzt haben, bleiben – trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Nichtigkeit – unberührt. Das Gleiche gilt für die in der Änderbarkeit bestandskräftiger Kindergeldfestsetzungen im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge bei der Grenzbetragsberechnung des § 32 Abs. 4 EStG.20 Die Vollstreckung aus den bestandskräftigen Hoheitsakten dürfte nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 unzulässig sein. 5. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG Mit Beschluss vom 10.11.199921 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmens unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbietet. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass auch ein durch ein in der Rechtsform einer GmbH & KG betriebenes Unternehmen bei Vorliegen der Voraussetzungen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG in Anspruch nehmen kann, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen.

__________ 18 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 19 BVerfG, Beschl. v. 16.3.2005 – 2 BvL 7/00, DStR 2005, 958. 20 FG Thür., Urt. v. 22.2.2006 – III 801/05, EFG 2006, 1000 – rkr.; FG Thür., Urt. v. 22.2.2006 – III 762/05, EFG 2006, 1095 – Rev. BFH, Az. III R 40/06; FG Nds., Urt. v. 15.12.2005 – 11 K 50/05, EFG 2006, 544 – rkr.; FG Düsseldorf, Urt. v. 12.1.2006 – 14 K 4361/05 KG, EFG 2006, 506 – Rev. BFH, Az. III R 9/06. 21 BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498.

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In zwei weiteren Beschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht22 entschieden, dass das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbietet. Im ersten Rechtsstreit ging es um einen selbständigen Heileurythmisten, der sich in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt fühlte, weil seine Umsätze nicht als steuerfrei behandelt wurden. Das Finanzamt hatte die Steuerbefreiung abgelehnt, weil die Tätigkeit nicht von einer staatlichen Erlaubnis abhing, nicht durch Gesundheitsbehörden beaufsichtigt wurde und weil die Ausbildung nicht gesetzlich geregelt war. Im zweiten Rechtsstreit ging es um einen medizinischen Fußpfleger aus Nordrhein-Westfalen, dem die Steuerbefreiung verwehrt wurde, weil es in Nordrhein-Westfalen keine Regelungen über Ausbildung, Prüfung und staatliche Anerkennung von medizinischen Fußpflegern gab. Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu fest, dass die berufsrechtliche Regelung kein eigenständiger Differenzierungsgrund sei, von dessen Vorliegen die Ähnlichkeit mit einer „heilberuflichen Tätigkeit i. S. d. § 4 Nr. 14 UStG“ allein abhängig gemacht werden könne. Die frühere Rechtsauffassung ging davon aus, dass eine „ähnliche heilberufliche Tätigkeit“ nur vorlag, wenn sie in wesentlichen Merkmalen mit einem der im Gesetz genannten Berufe vergleichbar war.23 Erforderlich war, dass das typische Bild des Katalogberufs mit seinen wesentlichen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar war. Dazu gehörte neben der Vergleichbarkeit der jeweils ausgeübten Tätigkeit auch eine vergleichbare Regelung der Berufserlaubnis und der Berufsaufsicht.24 Die bestandskräftigen Hoheitsakte (Verwaltungsakte, Gerichtsentscheidungen), die nach der früheren Auffassung von steuerpflichtigen Umsätzen ausging, bleiben von den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts unberührt. Die Vollstreckung aus den bestandskräftigen Hoheitsakten dürfte jedoch nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts vom 6.12.2005 unzulässig sein.25 Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts ist eine analoge Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG und speziell seines Satzes 3 bei Entscheidungen geboten, durch welche die Zivilgerichte, das gilt auch für die anderen Fachgerichte bzw. anderer Hoheitsträger, angehalten werden, bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen die jeweils einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt.26 Durch die

__________ 22 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494 m. Anm. Widmann; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158 = UR 2000, 72. 23 Abschn. 90 Abs. 2 UStR 2000. 24 BFH, Urt. v. 21.7.1994 – V R 134/92, UR 1995, 309; BFH, Urt. v. 26.8.1993 – V R 45/89, BStBl. II 1993, 887 = UR 1994, 159. 25 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 26 BVerfG, Beschl. v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88 (94); BVerfG, Beschl. v. 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89, BVerfGE 89, 214 (232) = ZIP 1993, 1775.

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Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.1999 und 10.11.199927 hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Verfehlung verfassungsrechtlicher Vorgaben bei der rechtlichen Subsumtion im Einzelfall beanstandet, sondern für die Auslegung über den Einzelfall hinausreichende Maßstäbe gesetzt, an welche die Steuergerichte und die Finanzverwaltung in gleichgelagerten Fällen ebenso gebunden sind, wie wenn das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsvorschrift in der Weise auslegt, dass es die verfassungswidrige Interpretationsmöglichkeit ausschließt.28 Durch die Feststellung, dass das Gleichbehandlungsgebot, Art. 3 Abs. 1 GG, eine allein nach der Existenz berufsrechtlicher Regelungen unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbietet, beziehungsweise dass das Gleichbehandlungsgebot, Art. 3 Abs. 1 GG, eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmens unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbietet, hat das Bundesverfassungsgericht dem § 4 Nr. 14 UStG auch für die Rechtsanwendung in anderen Fällen reproduzierbare – und für die Verwaltungs- und Gerichtspraxis – verbindliche Konturen gegeben. Zugleich hat das Gericht Gesichtspunkte herausgearbeitet, aus denen sich eine strukturelle Störung der Steuergerechtigkeit bei der Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG ergeben kann. Durch diese Rechtsprechung hat § 4 Nr. 14 UStG eine bedeutsame Konkretisierung erfahren, die der Verwaltung und der Rechtsprechung bei die Beurteilung künftiger Fälle abstrakt generell und auf vorhersehbare Weise den Weg weist. Dies unterscheidet sich, auch wenn die abschließende Feststellung und Normausfüllung Sache der Hoheitsträger bzw. der Fachgerichte bleibt, hinsichtlich der Gewährung des Grundrechtsschutzes nicht von der verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsvorschrift im genannten herkömmlichen Sinne. Die Sicherung des Grundrechtsschutzes auch für denjenigen, dessen Grundrechte verletzt wurden, weil ein Hoheitsträger bzw. Fachgericht die Rechtsprechung zur verfassungsmäßigen Konkretisierung einer bestimmten Norm noch nicht berücksichtigen konnte, ist unter dem Gesichtspunkt des nach § 79 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVerfGG zu gewährenden Vollstreckungsschutzes ein Gebot der Gleichbehandlung. Im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes ist es deshalb verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, so das Bundesverfassungsgericht, den Fall der die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte sichernden Auslegung von zivilrechtlichen Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen im Rahmen des § 79 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 2 und Satz 1 BVerfGG anders zu behandeln als den Fall der verfassungskonformen Auslegung.29 Diese grundsätzlichen Ausführungen sind auch auf andere Rechtsnormen damit auch auf steuerrechtliche Normen zu übertragen.

__________ 27 BVerfG, Beschl. v. 29.10.1999 – 2 BvR 1264/90, BStBl. II 2000, 155 = UR 1999, 494 m. Anm. Widmann; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 1820/92, BStBl. II 2000, 158 = UR 2000, 72; BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498. 28 BVerfG, Beschl. v. 10.6.1975 – 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88 (94). 29 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen

Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben zu einer Neuorientierung bei der Begriffsbestimmung des „ähnlichen Berufs“ i. S. d. § 4 Nr. 14 UStG geführt.30 Mit Urteil vom 13.4.2000 hat der BFH31 entschieden, dass die Leistungen eines Heileurythmisten durch heilberufliche Tätigkeit jedenfalls dann nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind, wenn sie ihrer Art nach von den Sozialversicherungsträgern für den Patienten übernommen werden.32 Das BMF33 nahm die beiden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass, mit Schreiben vom 28.2.2000 die bisherige Verwaltungsauffassung zu ändern. Nunmehr gilt es als ein ausreichendes Indiz für das Vorliegen einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit, wenn der jeweilige Unternehmer oder seine Berufsgruppe nach § 125 Abs. 2 SGB V durch die zuständige Stelle der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen ist. Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG gilt für nicht mehr anfechtbare Entscheidungen i. S. d. § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, deren zwangsweise Vollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, § 767 ZPO entsprechend. Der Rechtsgedanke des § 767 ZPO ist auch auf Vollstreckungsverfahren außerhalb der ZPO anzuwenden. § 157 FGO erklärt bei der Nichtigkeit von Landesrecht § 767 ZPO im Vollstreckungsverfahren ausdrücklich für sinngemäß anwendbar.34 Im Zivilprozess sind nach § 767 Abs. 1 ZPO Einwendungen, die den durch das zu vollstreckende Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, vom Schuldner im Wege der Vollstreckungsgegenklage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. Derartige Einwendungen sind zufolge § 767 Abs. 2 ZPO allerdings nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen die Einwendungen beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach der Zivilprozessordnung spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Im Einspruchsverfahren gegen eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme muss es sich also um Gegengründe handeln, die gegen den der Umsatzsteuerfestsetzung zu Grunde liegenden Anspruch in dem im § 767 Abs. 2 ZPO bestimmten Zeitrahmen noch nicht vorgebracht werden

__________ 30 BFH, Urt. v. 19.12.2002 – V R 28/00, BStBl. II 2003, 532 = UR 2003, 284; BFH, Urt. v. 13.4.2000 – V R 78/99, UR 2000, 436. 31 BFH, Urt. v. 13.4.2000 – V R 78/99, UR 2000, 436. 32 Vgl. dazu Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 4 Nr. 14 UStG Rz. 58 – April 2003; Kellersmann, Umsatzsteuerbefreiung heilberuflicher Leistungen zwischen Grundrechten und Europarecht, UR 2000, 505; Heidner, Entwicklung der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Heilhilfsberufen, UR 2004, 559. 33 BMF, Schr. v. 28.2.2000 – IV D 2 – S 7170 – 12/00, BStBl. I 2000, 433 = UR 2000, 219; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl. 2006, § 4 Nr. 14 UStG Rz. 6; Heidner, Entwicklung der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Heilhilfsberufen, UR 2004, 559; Tehler, Das Bundesverfassungsgericht als Wegweiser zur richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG, UR 2000, 235; Nieskens, Die Heilbehandlung im Umsatzsteuerrecht – was kann, darf und muss der Arzt steuerfrei behandeln?, UVR 2006, 13; Nieskens, Heilbehandlung oder Schönheitsoperation – das Augenlasern im Focus der Umsatzsteuer, UVR 2007, 14. 34 Vgl. auch Kruse in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 256 AO Rz. 10.

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konnten, weil sie erst danach entstanden sind. Bei den Steuerfestsetzungen, die vor den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 29.10.1999 und 10.11.1999 bestandskräftig geworden sind, ist diese Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 767 ZPO erfüllt. Die Einwendungen konnten vor Ergehen der Beschlüsse noch nicht geltend gemacht werden, weil die Maßstäbe, aus denen diese Einwendungen nunmehr abgeleitet werden können, damals vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entwickelt und der Verwaltungspraxis noch nicht verbindlich vorgegeben worden waren. Das hat sich inzwischen geändert. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht nunmehr fest, dass die vormaligen Entscheidungen mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind. Soweit für eine solche Feststellung im Einzelfall noch rechtliche Konkretisierungen und tatsächliche Ermittlungen notwendig sind, weist § 79 Abs. 2 BVerfGG hierfür den Weg. Das danach im Verwaltungsverfahren eröffnete Einspruchsverfahren ist geeignet, auch schwierige materiellrechtliche Fragen im Verhältnis zwischen Vollstreckungsschuldner und Vollstreckungsgläubiger zu klären. Die Begrenzung in sinngemäßer Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO stellt sicher, dass dabei das Erkenntnisverfahren nicht in vollem Umfange wiederholt wird.35

III. Entscheidungen des EuGH 1. Keine Änderung bestandskräftiger Entscheidungen trotz unrichtiger Auslegung des Gemeinschaftsrechts Entscheidungen des EuGH gerade zu umsatzsteuerrechtlichen Fragen sind erheblich zahlreicher als entsprechende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Das liegt zum einen darin begründet, dass die deutschen Steuergerichte umsatzsteuerrechtliche Zweifelsfragen, auch wenn verfassungsrechtliche Fragen berührt sind, nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen sondern dem EuGH. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Steuergerichte in immerhin 27 Mitgliedstaaten gehalten sind, bei umsatzsteuerrechtlichen Zweifelsfragen im Wege des Vorabentscheidungsersuchen den EuGH anzurufen. Deswegen stellt sich gerade auch hier die Frage, wie es sich mit der Umsatzsteuer verhält, die bestandskräftig festgestellt ist, wenn die seinerzeit der Festsetzung zu Grunde gelegte Rechtsauffassung nunmehr nach Ergehen der Entscheidung des EuGH im Widerspruch zur neueren Rechtsprechung steht. Eine gemeinschaftsrechtliche Regelung zu den weiteren Folgen einer Entscheidung des EuGH, wie z. B. § 79 BVerfGG die Wirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts regelt, gibt es nicht. Insoweit muss zunächst auf die Grundsätze des EuGH und des Bundesverfassungsgericht zurückgegriffen werden, die sie in ihrer bisherigen Rechtsprechung in dieser Frage aufgestellt haben.

__________ 35 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60.

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Wie der EuGH in den Rechtssachen Linneweber und Akritidis36 ausgeführt hat, wird nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der EuGH in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 234 EG vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre.37 Daraus folgt, so der EuGH, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangene Urteil entstanden sind anwenden können und müssen, „wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen.“ Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 EG treffen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgaben, Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EG. Die Mitgliedstaaten haben zudem alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden könnten, Art. 10 Abs. 2 EG. Für den EuGH stellt sich in dem Zusammenhang die Frage, ob die Erfüllung dieser Verpflichtung – die Anwendung einer Vorschrift mit der vom EuGH vorgenommenen Auslegung – auch geboten ist, wenn die Verwaltungsentscheidung bestandskräftig geworden ist, bevor beantragt wurde, sie zu revidieren, um einer Vorabentscheidung des Gerichts Rechnung zu tragen.38 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH39 gehört die Rechtssicherheit zu den im Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Die Bestandskraft einer Verwaltungsentscheidung, die nach Ablauf angemessener Klagefristen oder Erschöpfung des Rechtsweges eingetreten ist, trägt zur Rechtssicherheit bei. Daher, so der EuGH, verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen. Durch die Beachtung dieses Grundsatzes lässt sich verhindern, dass Handlungen der Verwaltung, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können.

__________ 36 EuGH, Urt. v. 17.2.2005 – Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis, EuGHE 2005, I-1131 = UR 2005, 194 m. Anm. Birk/Jahndorf. 37 Vgl. auch Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 11; Stadie, Umsatzsteuerrecht 2005, S. 20 f. 38 EuGH, Urt. v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, EuGHE 2004, I-837 = NVwZ 2004, 459. 39 EuGH, Urt. v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, EuGHE 2004, I-837 = NVwZ 2004, 459; EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277.

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2. Durchbrechung der Bestandskraft in Ausnahmefällen Der EuGH hat jedoch entschieden, dass in bestimmten Fällen eine Schranke für diesen Grundsatz bestehen kann.40 Der in Art. 10 EG verankerte Grundsatz der Zusammenarbeit verpflichtet nach den Ausführungen des EuGH eine Verwaltungsbehörde auf entsprechenden Antrag hin, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom EuGH vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn – die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen, – die Entscheidung in Folge eines Urteils in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist, – das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshof zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 234 Abs. 3 EG erfüllt war, und – der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat41. Diese Grundsätze hat der EuGH im Urteil vom 19.9.200642 weiter präzisiert: „Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach den Grundsätzen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates sind; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzprinzip), und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip).“

Das aus Art. 10 EG folgende Effektivitätsprinzip ist nicht verletzt, wenn ein Unternehmer gegen einen Gebührenbescheid innerhalb einer angemessenen Frist ab seiner Bekanntgabe einen Rechtsbehelf einlegen und seine aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte geltend machen kann. Der EuGH hat in der Entscheidung die für die Einlegung eines Einspruchs vorgesehene Einmonatsfrist nicht als unangemessen beanstandet. Daraus folgt für das nationale Recht, dass die Monatsfrist für die Einlegung eines Einspruchs gemäß § 355 Abs. 1 AO 1977 gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist.43

__________ 40 EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277. 41 EuGH, Urt. v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, EuGHE 2004, I-837 = NVwZ 2004, 459. 42 EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277. 43 BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 67/05, UR 2007, 334.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen

Der EuGH44 hatte zwar im Urteil vom 25.7.1991 entschieden, dass sich ein säumiger Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen könne, die ein einzelner zum Schutz der ihm durch die Bestimmung einer Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben habe, und dass eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen könne. Der EuGH hat mittlerweile jedoch wiederholt klargestellt, dass diese Entscheidung nur durch die besonderen Umstände des Falles gerechtfertigt war, in dem der Klägerin durch den Ablauf der Klagefrist jede Möglichkeit genommen war, ihren auf eine Gemeinschaftsrichtlinie gestützten Anspruch auf Gleichbehandlung geltend zu machen.45 Das Äquivalenzprinzip verlangt, so der EuGH, dass bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften einschließlich der vorgesehenen Fristen nicht danach unterschieden wird, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht oder gegen internes Recht vorliegt. Danach muss z. B., wenn nach den für Rechtsbehelfe geltenden nationalen Vorschriften ein nach innerstaatlichem Recht rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen ist, sofern seine Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ wäre, die gleiche Verpflichtung zur Rücknahme unter den gleichen Voraussetzungen im Falle eines Verwaltungsaktes gelten, der gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.46 3. Anwendung der Grundsätze des EuGH auf das nationale Verfahrensrecht Ob die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten so weit geht, dass diese allein durch das Fehlen von Rücknahmeregelungen verhindern können, dass gemeinschaftswidrige bestandskräftige Bescheide aufgehoben werden müssen, erscheint zweifelhaft.47 In der nationalen Abgabenordnung ist die Aufhebbarkeit und Änderbarkeit von Steuerbescheiden gesondert geregelt. Für die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten gelten die §§ 130, 131 AO, die den vergleichbaren Korrekturvorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts, §§ 48 ff. VwVfG entsprechen. Für die Korrektur von Steuerbescheiden und ihnen gleich gestellten Verwaltungsakten hat der Gesetzgeber durch die Änderungsvorschriften in den §§ 172 ff. AO ein hiervon abweichendes, eigenständiges Sys-

__________ 44 EuGH, Urt. v. 25.7.1991 – Rs. C-208/90 – Emmott, EuGHE 1991, I-4269 = UR 1993, 315; vgl. auch Lippross, Umsatzsteuer, 21. Aufl. 2005, S. 38. 45 EuGH, Urt. v. 2.12.1997 – Rs. C-188/95 – Fantask, EuGHE 1997, I-6783 = NVwZ 1998, 833; vgl. auch BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 67/05, UR 2007, 334; Leonard/ Szczekalla, Anwendungsvorrang und Bestandskraft, UR 2005, 420. 46 EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277. 47 Leonard/Szczekalla, Anwendungsvorrang und Bestandskraft, UR 2005, 420; Ruffert, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, JZ 2004, 620; Frenz, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, DVBl, 2004, 375.

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tem geschaffen. Mit dieser Zweigleisigkeit der Korrektursysteme ist ein insgesamt vollständiges, durch analoge Anwendung einzelner Korrekturvorschriften oder Rechtsfortbildung grundsätzlich nicht erweiterungsfähiges Regelungswerk entstanden.48 Eine Rücknahmepflicht für Steuerbescheide besteht damit nur, wenn die Voraussetzungen des Tatbestandes einer der Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO vorliegen. Diese sehen aber gerade keine Möglichkeit vor, einen bestandskräftigen Bescheid unter Beachtung der späteren Rechtsprechung des EuGH zu ändern. Nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Buchst. a AO ist eine Änderung oder Aufhebung des Bescheids nur zu Gunsten des Steuerpflichtigen nur zulässig, so weit dieser vor Ablauf der Einspruchsfrist zugestimmt oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Wegen der Anknüpfung an die Einspruchsfrist scheidet eine Anwendung dieser Vorschrift aus.49 Eine Änderung eines Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Diese Vorschrift setzt u. a. voraus, dass eine Tatsache oder ein Beweismittel nachträglich bekannt geworden ist. Die steuerliche Würdigung von Tatsachen und die juristische Subsumtion unter den Tatbestand einer anspruchsbegründenden Steuerrechtsnorm sind Schlussfolgerungen und keine Tatsachen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH erläutert und verdeutlicht der EuGH durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die er in Ausübung aus Art. 234 EG vornimmt, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist.50 Daher sind Urteile des EuGH keine Tatsachen und keine Beweismittel i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.51 Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Es ist in der Rechtsprechung und Literatur52 unstreitig, dass ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in der Weise in die Vergangenheit wirken muss, dass nunmehr der veränderte an Stelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Die Änderung der rechtlichen Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts kann nicht zu einer Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen.53

__________ 48 Leonard/Szczekalla, Anwendungsvorrang und Bestandskraft, UR 2005, 420. 49 A. A. Meilicke, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, BB 2004, 1087. 50 EuGH, Urt. v. 17.2.2005 – Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis, EuGHE 2005, I-1131 = UR 2005, 194 m. Anm. Birk/Jahndorf. 51 Vgl. auch BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 28/05, UR 2007, 329. 52 BFH, Beschl. v. 19.7.1993 – GS 2/92, BFHE 172, 66 = BStBl. II 1993, 897; BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 28/05, UR 2007, 329; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 44; Leonard/Szczekalla, Anwendungsvorrang und Bestandskraft, UR 2005, 420. 53 A. A. Eicker/Ketteler, Die verfahrensrechtliche Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht im Steuerrecht am Beispiel der Rs. Manninen und die Frage der Durchbrechung der Bestandskraft, BB 2005, 131.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen

4. Vollstreckung aus bestandskräftigen gemeinschaftswidrigen Hoheitsakten Durch die Rechtsprechung des EuGH und des BFH54 ist geklärt, dass bestandskräftige Umsatzsteuerfestsetzungen nicht geändert werden können auf Grund der Änderung der rechtlichen Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts. Ungeklärt ist die Frage, ob aus Hoheitsakten (Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen), soweit aus ihnen noch nicht vollstreckt ist, ein Verbot der Vollstreckung besteht. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den Regelungen des § 79 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass einerseits zwar unanfechtbar gewordene Akte der öffentlichen Gewalt, die auf verfassungswidriger Grundlage zu Stande gekommen sind, nicht rückwirkend aufgehoben und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihm ausgegangen sind nicht beseitigt werden, andererseits jedoch zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen.55 Fraglich ist, ob dieser Rechtsgedanke auf unanfechtbare Akte der öffentlichen Gewalt angewendet werden kann, die auf gemeinschaftswidriger Grundlage zu Stande gekommen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist es, mangels einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates, die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, festzulegen.56 Diese Regelungen dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln, und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Das Bundesverfassungsgericht wendet § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG analog auf nicht mehr anfechtbare Entscheidungen an, die auf einer vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen verfassungskonformer Auslegung als verfassungswidrig verworfener Interpretationsvariante einer Rechtsvorschrift oder auf der Auslegung und Anwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe beruhen, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist.57 Die EG ist eine überstaatliche Rechtsgemeinschaft. Man unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht.58 Das sekundäre Ge-

__________ 54 EuGH, Urt. v. 13.1.2004 – Rs. C-453/00 – Kühne und Heitz, EuGHE 2004, I-837 = NVwZ 2004, 459; EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277; BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 28/05, UR 2007, 329; BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 51/05, UR 2007, 331; BFH, Urt. v. 23.11.2006 – V R 67/05, UR 2007, 334; FG Berlin, Urt. v. 16.8.2006 – 2 K 5010/01, EFG 2006, 1726 m. Anm. Büchter-Hole – Rev. BFH, Az. V R 45/06. 55 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 56 EuGH, Urt. v. 19.9.2006 – Rs. C-392/04 und C-422/04 – 21 Germany GmbH und Arcor AG & Co. KG, NVwZ 2006, 1277. 57 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2005 – 1 BvR 1905/02, ZIP 2006, 60. 58 BVerfG, Beschl. v. 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, BVerfGE 85, 191.

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meinschaftsrecht beruht auf dem primären Gemeinschaftsrecht. Zum primären Gemeinschaftsrecht zählt der Vertrag über die Europäischen Gemeinschaften, zum sekundären Gemeinschaftsrecht zählen die Richtlinien. Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie beruht insbesondere auf Art. 93 GG. Die innerstaatliche Geltung des Gemeinschaftsrechts beruht auf Art. 23 GG und der Zustimmung des Gesetzgebers zum Vertrag über die Europäische Union.59 Die Richtlinien gelten grundsätzlich nicht unmittelbar für den Steuerpflichtigen, sie wenden sich an die Mitgliedstaaten, für die sie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, denen sie jedoch „die Wahl der Form und Mittel“ überlassen, Art. 249 Abs. 3 EG.60 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH61 kann sich der Steuerpflichtige auf Richtlinienbestimmungen jedoch unmittelbar berufen, die hinreichend klar und genau und nicht an Bedingungen geknüpft sind. Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung oder einer sonstigen Norm des Gemeinschaftsrechts hat Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem nationalem Recht zur Folge. Dieser Anwendungsvorrang der Richtlinien ist im primären Gemeinschaftsrecht verankert und wird vom Bundesverfassungsgericht anerkannt.62 Bestehen Zweifel über den Inhalt und die Auslegung der Richtlinie, so können Finanzgerichte und muss der Bundesfinanzhof ein Vorlageverfahren beim EuGH durchführen (Art. 234 EG).63 Der EuGH ist im Rahmen des Vorlageverfahrens nur zur Klärung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsfragen berufen. Der EuGH entscheidet dabei nicht über den Inhalt des nationalen Rechts. Auf Grund der Befugnisse aus Art. 234 EG erläutert und verdeutlicht der EuGH, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ab ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre.64 Diese Entscheidung trifft er mit Bindung für das vorlegende Gericht. Nach Auffassung von Reiß65 kann entgegen der ganz herrschenden Meinung die Nichtbeachtung eines nachkonstitutionellen Gesetzes wegen eines Anwendungsvorranges europäischer Richtlinien (oder sonstigen Primär- oder

__________ 59 Gesetz v. 28.12.1992, BGBl. II 1992, 1251; vgl. dazu Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, vor § 1 UStG Rz. 20; Stadie, Umsatzsteuerrecht 2005, S. 19. 60 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 7 m. w. N. 61 EuGH, Urt. v. 6.7.1995 – Rs. C-62/93 – Soupergaz, EuGHE 1995, I-1883 = UR 1995, 404; vgl. auch Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, vor § 1 UStG Rz. 21 mit umfangreichen Nachweisen. 62 BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223 = UR 1987, 355; BVerfG, Beschl. v. 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82, BVerfGE 85, 191; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2004 – 2 BvR 2248/03, DVBl 2004, 1411. 63 Lippross, Umsatzsteuer 21. Aufl. 2005, S. 38. 64 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 9. 65 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 11; BFH, Urt. v. 23.11.2000 – V R 49/00, UR 2001, 65 m. Anm. Nieskens; Probst, Zur unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien, UR 1990, 302; Birkenfeld, Der Einfluss des Gemeinschaftsrechts auf die Rechtswirkung im Steuerrecht, StuW 1998, 55.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen

Sekundärrechts) nur in Betracht kommen, wenn zuvor der EuGH im Vorlageverfahren nach Art. 234 EG über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts entschieden hat. Nach Reiß verpflichtet das Europarecht zwar die Mitgliedstaaten einschließlich aller Organe zur Beachtung des Anwendungsvorranges europäischen Rechts. Es greift aber nicht in die verfassungsmäßigen Kompetenzverteilungen innerhalb eines Mitgliedstaates ein. Nach deutschem Verfassungsrecht ist kein deutsches Gericht befugt, ein nachkonstitutionelles Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit unbeachtet zu lassen, sofern nicht das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit festgestellt hat. Stellt der EuGH fest, dass Richtlinien nicht oder unzutreffend umgesetzt wurden und geschah dies zum Nachteil des Bürgers, so kommt der günstigeren Richtlinienbestimmung der Anwendungsvorrang zu. Das bedeutet, dass das nationale Recht von dem vorlegenden Gericht nicht angewandt wird sondern stattdessen die Richtlinienregelung. Diese vom EuGH vorgenommene Rechtsfortbildung des Gemeinschaftsrechts unter dem Gesichtspunkt des „effet utile“66 ist vom Bundesverfassungsgericht auch für das nationale Recht als verfassungsgemäß erlaubt und geboten angesehen worden.67 Nationale Umsatzsteuernormen, die gegen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie verstoßen, hat der Gesetzgeber zu ändern. Das ist verfassungsrechtlich geboten. Der Bürger hat Anspruch darauf, aus dem nationalen Gesetz seine steuerlichen Rechte und Pflichten zu erfahren.68 Dieser Verpflichtung kommt der Gesetzgeber nach.69 Da die Mehrwertsteuer weitgehend harmonisiert ist, ist das nationale Umsatzsteuerrecht insoweit lediglich an Hand der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und des sonstigen abgeleiteten Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des Primärrechts zu beurteilen.70 Soweit im Einzelfall der Anwendungsvorrang einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts zweifelhaft ist, ist die Kompetenzverteilung zwischen dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht zu beachten. Über die Gültigkeit und Auslegung einzelner Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts entscheidet grundsätzlich nicht das nationale Gericht, sondern der EuGH auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens (Art. 234 EG). Nur soweit der EuGH dabei hinter dem in der Bundesrepublik Deutschland

__________ 66 EuGH, Urt. v. 22.2.1984 – Rs. C-70/83 – Kloppenburg, EuGHE 1984, 1075 = UR 1984, 164 m. Anm. Weiß; EuGH, Urt. v. 22.6.1989 – Rs. C-103/88 – Fratelli Costanzo, EuGHE 1989, 1839 = NVwZ 1990, 649. 67 BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987 – 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223; BVerfG, Beschl. v. 4.11.1987 – 2 BvR 876/85, NJW 1988, 2173; vgl. auch Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Einführung Rz. 107. 68 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 14 Rz. 12. 69 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 17.5.2001 – Rs. C-322/99 und C-323/99 – Fischer und Brandenstein UR 2001, 293 – Änderung des § 15a UStG; BFH, Urt. v. 10.2.2005 – V R 76/03, BStBl. II 2005, 509 = UR 2005, 237 m. Anm. Heidner – Änderung des § 15 Abs. 1a UStG; BFH, Urt. v. 11.12.2003 – V R 48/02, UR 2004, 203; m. Anm. Filtzinger, UR 2004, 360 – Änderung des § 15 Abs. 2 Nr. 3 UStG. 70 EuGH, Urt. v. 22.10.1993 – Rs. C-37/92 – Vanacker und Lesage, EuGHE 1993, I-4947; EuGH, Urt. v. 13.12.2001 – Rs. C-324/99 – Daimler-Chrysler, EuGHE 2001, I-9897; BFH, Urt. v. 13.1.2005 – V R 12/02, HFR 2005, 1012.

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geltenden Grundrechtsstandard zurückbleibt, behält sich das Bundesverfassungsgericht eine zusätzliche Prüfung des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts in der Bundesrepublik vor.71 Soweit der EuGH also bei der Auslegung einzelner Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundrechtsstandard beachtet, bestehen zwar zwischen dieser Art, die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte auf das einfache Recht durchzusetzen, und den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung einer Regelung vorgibt, Unterschiede. Unter Beachtung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts dürften diese jedoch im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht von solcher Art und Gewicht sein, dass sie die Ungleichbehandlung derjenigen, die von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der einen oder der anderen Art betroffen werden, rechtfertigen könnten. In der Gewährung des Grundrechtsschutzes, weiterhin überwacht durch das Bundesverfassungsgericht, sind die beiden Fallkonstellationen so ähnlich, dass sie im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz gleich behandelt werden müssen. Somit kann der allgemeine Rechtsgedanke, dass zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben würden, abgewendet werden sollen auch auf Hoheitsakte angewendet werden, die auf gemeinschaftswidriger Weise zu Stande gekommen sind. Voraussetzung ist, dass durch die vom EuGH vorgenommene Auslegung des Gemeinschaftsrechts festgestellte Gemeinschaftswidrigkeit einen Verstoß gegen den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundrechtsstandard beinhaltet. Eine Gleichbehandlung der beiden Fälle erscheint auch angesichts der ergebnisgleichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH zur Anwendung des § 4 Nr. 14 UStG bzw. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) geboten. Das Bundesverfassungsgericht hatte durch Beschluss vom 10.11.199972 entschieden, dass es auf die Rechtsform des Unternehmens für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG wegen Art. 3 GG nicht ankomme. Durch Urteil vom 10.9.2002 entschied der EuGH73, dass die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig ist. Problematik könnte sich in diesem konkreten Fall lediglich in der Anwendung des § 767 Abs. 2 ZPO ergeben.

__________ 71 BVerfG, Beschl. v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155; BVerfG, Beschl. v. 9.1.2001 – 1 BvR 1036/99, NJW 2001, 1267; BVerfG, Beschl. v. 31.5.2007 – 1 BvR 1316/04, UR 2997, 737; vgl. Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, vor § 1 UStG Rz. 21. 72 BVerfG, Beschl. v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498. 73 EuGH, Urt. v. 10.9.2002 – Rs. C-141/00 – Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH, EuGHE 2002, I-6833 = UR 2002, 513.

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Änderung und Vollstreckung bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen

Im Urteil vom 17.2.2005 hat der EuGH74 entschieden, dass Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-Richtlinie nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glückspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind nicht gilt. In dem Urteil vom 11.10.2001 führt der EuGH75 wörtlich aus: „… müssen die Mitgliedstaaten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, verbietet es dieser Grundsatz insbesondere, gleichartige und deshalb untereinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.“ Nach den Ausführungen des EuGH beruht die Gemeinschaftswidrigkeit des nationalen § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG letztlich auf einem Verstoß gegen den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundrechtsstandard; es liegt ein Verstoß gegen Art. 3 GG vor. Das Bundesverfassungsgericht hat aus den Regelungen des § 79 Abs. 2 BVerfGG den allgemeinen Rechtsgedanken abgeleitet, dass zukünftige Folgen, die sich aus einer zwangsweisen Durchsetzung verfassungswidriger Entscheidungen ergeben abgewendet werden sollen.76 Wendet man diesen allgemeinen Rechtsgedanken auch auf den Fall an, dass bestandskräftige Steuerfestsetzungen auf nationalen Normen beruhen, die nach den Feststellungen des EuGH nicht dem Gemeinschaftsrecht und auch nicht dem Grundrechtsstandard in der Bundesrepublik Deutschland entsprechen, dürfte eine Vollstreckung aus den bestandskräftigen Steuerfestsetzungen unzulässig sein.

IV. Zusammenfassung Das Bundesverfassungsgericht und der EuGH nehmen in letzter Zeit durch ihre Entscheidungen unmittelbar Einfluss auf die Anwendung des nationalen Umsatzsteuerrechts. Bis zum Ergehen der Entscheidungen vergeht regelmäßig eine geraume Zeit. In dieser Zeit werden Steuerfestsetzungen mit gleicher Problematik – aus welchem Grund auch immer – bestandskräftig. Wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des EuGH eine Änderung der Rechtsauffassung hervorgerufen, wird die Frage aktuell, wie mit den zwischenzeitlich bestandskräftig gewordenen Entscheidungen zu verfahren ist. Die bestandskräftigen Entscheidungen sind nach gesicherter Rechtsprechung nicht mehr änderbar. Der EuGH lässt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen Ausnahmen zu. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist

__________ 74 EuGH, Urt. v. 17.2.2005 – Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritides, EuGHE 2005, I-1131 = UR 2005, 194 m. Anm. Birk/Jahndorf. 75 EuGH, Urt. v. 11.10.2001 – Rs. C-267/99 – Adam, EuGHE 2001, I-7467 = UR 2001, 497; EuGH, Urt. v. 23.10.2003 – Rs. C-109/02 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2003, I-12691 = UR 2004, 34 m. Anm. Nieskens. 76 BVerfG, Beschl. v. 21.3.1974 – 1 BvL 22/71 und 21/72, BVerfGE 37, 217; BVerfG, Beschl. v. 10.5.1994 – 1 BvR 1534/92, BVerfGE 91, 83 (90); BVerfG v. 27.11.1997 – 1 BvL 12/91, BVerfGE 97, 35 (48).

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eine Vollstreckung aus bestandskräftigen verfassungswidrigen Entscheidungen nicht zulässig. § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG ist dabei unter bestimmten Voraussetzungen analog auch auf Entscheidungen der Fachgerichte anzuwenden. Fraglich ist, ob eine Vollstreckung auch aus bestandskräftigen gemeinschaftswidrigen Hoheitsakten unzulässig ist. Falls mit der Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit durch den EuGH gleichzeitig ein Verstoß gegen den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundrechtsstandard festgestellt wird, könnte der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte allgemeine Rechtsgedanke gelten, dass eine zwangsweise Durchsetzung solcher Entscheidungen abgewendet werden soll.

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Steuern auf Steuern – Umsatzbesteuerung der Mineralölsteuer Inhaltsübersicht I. Einführung II. Verletzung des Sachlichkeitsprinzips

III. Bedenken aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip IV. Verletzung des Prinzips des rechten Maßes

I. Einführung Der Kraftstoffverbrauch wird zweifach versteuert, nämlich durch die Mineralölsteuer nach § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 2 EnergieStG, in welche die ÖkoSteuer eingerechnet ist1, und die Umsatzsteuer (die Mehrwertsteuer) nach § 1 Abs. 1 UStG. Beide Steuern sind trotz unterschiedlicher Technik und auch unterschiedlicher Zwecke der Substanz nach Verbrauchsteuern.2 Die Umsatzsteuer wird nicht nur auf den Entgeltanteil des Kraftstoffs erhoben, welche der Kraftstoffindustrie und den Kraftstoffhändlern zukommt, den Produktpreis oder Nettopreis, sondern auch auf den Mineralölsteueranteil einschließlich des Öko-Steueranteils, den der Staat vereinnahmt. Nur die Umsatz-/Mehrwertsteuer selbst wird von dem Entgelt als der Bemessungs-/Besteuerungsgrundlage abgezogen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG; Art. 11 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern).3 Der Staat besteuert somit auch die Steuerzahlungen, welche er den Kraftstoffverbrauchern abverlangt, plakativ formuliert: Der Staat besteuert Steuerzahlungen. Wie jede Besteuerung muss der Staat auch diese Steuern vor seiner Verfassung und seinem Verfassungsgesetz, dem Grundgesetz, rechtfertigen können. Der Steuergesetzgeber hat kein Recht, ohne Sachgrund und maßlos Steuern vorzuschreiben. Das Grundgesetz enthält auch ein Steuerverfassungsrecht. Die allgemeinen Prinzipien des Rechtsstaates, die durch die Grundrechte und durch das Sozialprinzip geschützten Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Brüder-

__________ 1 Gesetz zur Neuregelung der Besteuerung von Energieerzeugnissen und zur Änderung des Stromsteuergesetzes vom 15.7.2006, BGBl. I 2006, 1534; vgl. BVerfGE 110, 274 ff. 2 Reiß, Umsatzsteuer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 1, S. 501 f.; Birk, Steuerrecht, 8. Aufl., Heidelberg 2005, Rz. 1261, S. 409, Rz. 1271, S. 412; P. Kirchhof, Staatliche Einnahmen, HStR, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 88 Rz. 156; vgl. BFH, BStBl. II 1979, 513 (533); BVerfGE 110, 274 (Ls. 1, 295 f.) für die Mineralölsteuer. 3 Birk, Steuerrecht, 8. Aufl., Heidelberg 2005, Rz. 191 ff., S. 66 ff., Rz. 1263 f., S. 409 f.

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lichkeit4, ziehen auch dem Steuerstaat verfassungsrechtliche Grenzen. Die Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer wirft Bedenken aus dem Sachlichkeitsprinzip, dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Gleichheitsprinzip auf. Entgegen diesen Prinzipien gibt es keine Steuergerechtigkeit. Das Steuerverfassungsrecht lässt dem Steuergesetzgeber, jedenfalls für die Erschließung von Steuerquellen, bis zur Grenze des Willkürverbots weite Gestaltungsmöglichkeiten5, die aber durch die Mehrwertbesteuerung der Verbrauchsteuern, zumal der Mineralölsteuer, überschritten werden. Das Prinzip des rechten Maßes löst Bedenken gegen die Höhe der Besteuerung des Kraftstoffverbrauches insgesamt aus. Der Verfassungsverstoß verletzt die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG, die allgemeine Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und gegebenenfalls der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG.6

II. Verletzung des Sachlichkeitsprinzips 1. Das Grundgesetz kennt als eine aufgeklärte, dem Prinzip der praktischen Vernunft verpflichtete Verfassung ein umfassendes Sachlichkeitsprinzip. Dieses wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung praktiziert.7 Dieses Sachlichkeitsprinzip ist nichts anderes als das Willkürverbot. Das Bundesverfassungsgericht stützt das Willkürverbot auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, aus dem es auch ein Prinzip der Gesetzgebungsgleichheit herleitet.8 Richtiger lässt sich das Willkürverbot mit dem Prinzip der allgemeinen Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG begründen, weil die äußere Freiheit, mit Kant, die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“9 ist.10 Jedenfalls ist das Willkürverbot fundamentales Prinzip des Rechtsstaates.11 Willkür ist, sagt Paul Kirchhof, das „grobe Unrecht, das schlechthin unverantwortbare Staatshandeln“, die „Verletzung von Elementarprinzipien

__________ 4 Schachtschneider, Res publica res populi. Grundlegung einer allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, Berlin 1994, S. 1 ff., 234 ff., 275 ff., passim; Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, Berlin 2006, S. 22 ff., 35 ff., 97 ff.; Schachtschneider, Freiheit in der Republik, Berlin 2007, S. 49 ff., 405 ff., 636 ff. 5 Hinweise in Fn. 21. 6 Vgl. die Hinweise in Fn. 57. 7 BVerfGE 3, 58 (135 f.); BVerfGE 93, 165 (178); BVerfGE 110, 274 (291, 299); dazu Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 443 ff., 627 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 155, 370; P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR, Bd. V, Heidelberg 1992, § 124 Rz. 235 ff., spricht vom „Objektivitätsgebot“, dessen Gehalt die Sachlichkeit ist, insbesondere Rz. 184 ff., 235 ff., 253 ff. 8 Etwa mit divergierenden Formeln BVerfGE 3, 58 (135 f.); BVerfGE 89, 48 (51); st. Rspr.; gestützt auf Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 1925, 2. Aufl., München 1959, S. 95 f., 216 ff., u.ö. 9 Kant, Metaphysik der Sitten, 1797/1798, in Weischedel (Hrsg.), Werke in zehn Bänden, Bd. 7, Darmstadt 1968, S. 345. 10 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 420 ff., 436 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 328 ff., 337 ff. 11 BVerfGE 84, 90 (121).

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des Rechts“, der „gegensätzliche Korrelatbegriff von Gerechtigkeit“, jedenfalls die grobe, evidente Unsachlichkeit.12 Wenn der Gesetzgeber ohne vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden Grund Gleiches ungleich regelt und Ungleiches gleich, ist das gleichheitswidrig und verletzt Art. 3 Abs. 1 GG.13 Die Willkür ist dadurch gekennzeichnet, dass gesetzliche Unterscheidungen und ungleiche Rechtsfolgen nicht begründbar sind.14 Das Begründbarkeitsgebot, welches untrennbar mit dem Sachlichkeitsgebot verbunden ist, ist die notwendig formale Logik des Willkürverbots. Willkür verletzt die dem Staat gebotene praktische Vernunft in nicht hinnehmbarer Weise. Wegen der Formalität des Willkürverbots15 unterscheidet sich das Willkürverbot der Sache nach nicht von dem ebenfalls formalen Prinzip der Verhältnismäßigkeit (dazu 3). Willkür ist in der durch die Gleichheit in der Freiheit gekennzeichneten Republik16 die Staatswidrigkeit an und für sich. Im Bodenreformurteil hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass kein Verfassungsgesetz das Willkürverbot missachten dürfe.17 Das Sachlichkeitsprinzip ist nichts anderes als das sittliche Prinzip der praktischen Vernunft oder eben die Beachtung des kategorischen Imperativs bei der Gesetzgebung. Praktische Vernunft ist das Fundamentalprinzip des Rechts und damit des Staats des Rechts, des Rechtsstaates.18 Auch der Steuergesetzgeber muss den Gleichheitssatz, besser: das Freiheitsprinzip, beachten. Das verbietet ihm nach ständiger Rechtsprechung eine Steuerpolitik der Willkür.19 Demgemäß ist auch das Steuerverfassungsrecht dem Sachlichkeitsprinzip verpflichtet. Wegen der Gewaltenteilung hält sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Vorwurf, der Gesetzgeber habe die Sachlichkeit verletzt, zurück – im Übermaß.20 Es pflegt dem Gesetzgeber, zumal im Steuerrecht, große, zunehmend größere, volkswirtschaftliche, finanzpolitische, sozialpolitische, ökologische oder steuertechnische Einschätzungsund Gestaltungsspielräume zuzugestehen21: „Nicht ob der Gesetzgeber im Einzelfall die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung ge-

__________ 12 P. Kirchhof (Fn. 7), HStR, Bd. V, § 124 Rz. 92, 235, 246. 13 St. Rspr., etwa BVerfGE 1, 14 (52); BVerfGE 80, 48 (51); P. Kirchhof (Fn. 7), HStR, Bd. V, § 124 Rz. 23, 235. 14 BVerfGE 58, 369 (374); BVerfGE 93, 165 (178); BVerfGE 95, 267 (316 f.); BVerfGE 101, 54 (101); BVerfGE 110, 274 (291, 299). 15 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 436 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 337 ff. 16 Dazu allgemein Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 19 ff., 405 ff., 599 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 35 ff. 17 BVerfGE 84, 90 (121). 18 Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 20 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 256 ff., 405 ff. 19 BVerfGE 65, 325 (354); BVerfGE 110, 274 (291); BVerfGE 112, 268 (279); Vogel, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, HStR, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 87 Rz. 93. 20 BVerfGE 36, 1 (14 f.); BVerfGE 35, 257 (262); BVerfGE 97, 350 (370 ff.). 21 Für die Steuergesetzgebung etwa BVerfGE 13, 181 (202 f.); BVerfGE 49, 343 (369); BVerfGE 65, 325 (354 f.); BVerfGE 84, 239 (271); BVerfGE 93, 121 (136); BVerfGE 93, 165 (178); BVerfGE 93, 319 (350); BVerfGE 110, 274 (299); dazu (zustimmend) Selmer, Finanzordnung und Grundgesetz. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Finanz- und Steuersachen, AöR 101 (1976), S. 445 ff.

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funden hat“, prüft das Gericht, sondern ob ein „einleuchtender Grund“ für „die Gleich- oder Ungleichbehandlung besteht“, ob diese „mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist“, ob die gesetzgeberische Würdigung der Lebensverhältnisse der Lebenserfahrung „geradezu“ widerspricht.22 2. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung, zumal mit der (sogenannten) neuen Willkürformel des Ersten Senats, dass der Gesetzgeber Gesetze begründen können müsse.23 Freiheitlichkeit im Sinne des Modernen Staates, also bestmöglich der Republik, ist ausschließlich die begründbare Sachlichkeit. Jedes Steuergesetz muss demgemäß sachlich begründbar sein und sachlich begründet werden. Für die Umsatzbesteuerung der Mineralölbesteuerung jedoch ist eine sachliche Begründung nicht möglich. Die Besteuerung ließe sich nur damit begründen, dass der Kraftstoffverbrauch eine ergiebige Steuerquelle ist24, welche zudem steuertechnisch ohne Probleme ausgebeutet werden kann. Diese Überlegung dürfte auch die Öko-Steuer tragen, weil diese den programmierten Umweltschutz nicht wirklich fördert. Dem Umweltschutz hätte es gedient, wenn der Gesetzgeber Vorschriften gemacht hätte, welche den Kraftstoffverbrauch wirksam einschränken, etwa Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen und mehr noch die Kraftfahrzeuge mit benzinsparenden Motoren auszustatten. Wenn auch die Steuereffizienz ein Gesichtspunkt ist, welcher die Ausgestaltung einer Steuer zu rechtfertigen vermag25, so genügt jedoch dieser Gesichtspunkt allein zur Rechtfertigung der Steuer nicht.26 Im Übrigen sind Lenkungsteuern, wie sich die Öko-Steuer versteht27, verfassungsrechtlich mehr als bedenklich (dazu IV 4), wenn und weil sie grundrechtsgeschütztes Handeln durch Abgaben an den Staat, wie man sagt, durch „marktsteuernde Instrumente“, zu behindern oder gar zu verhindern versuchen. Das wirkt sich für die Armen als Verbot aus und für die Reichen als Vorzug. Keinesfalls dürfen Lenkungsteuern sozial diskriminieren.28 Polizeiliche Zwecke darf der Staat nicht mit dem Steuergesetz zu erreichen versuchen und schon gar nicht aus dem bekämpften Handeln Einnahmen schöpfen wollen.

__________ 22 St. Rspr., etwa BVerfGE 26, 302 (310); BVerfGE 65, 325 (354 f.); BVerfGE 110, 274 (299). 23 Seit BVerfGE 55, 72 (88); st. Rspr. des Ersten Senats, BVerfGE 93, 165 (178) – zur Erbschaftssteuer; BVerfGE 110, 274 (291); vgl. aber auch Zweiter Senat, etwa BVerfGE 71, 39 (58 f.). 24 Für das Jahr 2006 ist nach der Lohn- und Einkommensteuer (131,4 Mrd. Euro) und der Mehrwertsteuer (111 Mrd. Euro) die Mineralölsteuer mit 39,9 Mrd. Euro die dritthöchste Steuereinnahme des Bundes (Deutschland in Zahlen 2006, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, S. 68). 25 Reiß, Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer, in DStJG 13, Köln 1998, S. 13. 26 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, Köln 1993, S. 537, 969. 27 BVerfGE 110, 274 (292 f.). 28 I. d. S. P. Kirchhof, Verfassungsrechtliche Maßstäbe für eine Steuergesetzgebung, Jb Fachanwälte für Steuerrecht 1999/2000, 2000, S. 56 f.

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3. Es gibt positive Steuerrechtfertigungslehren, insbesondere das Äquivalenzprinzip und das Leistungsfähigkeitsprinzip, aber auch das Kopfsteuerprinzip. Diese Prinzipien können dazu beitragen, die Sachlichkeit eines Steuergesetzes zu begründen, wenn sie nicht durch andere Prinzipien negiert oder relativiert werden. Fragwürdig ist es, die Steuerrechtfertigung aus der Leistungsfähigkeit herzuleiten29; denn die Leistungsfähigkeit vermag jede Besteuerung zu rechtfertigen, wenn der Steuerschuldner die Steuerpflicht zu erfüllen vermag. Das Leistungsfähigkeitsprinzip kann die soziale Differenzierung der Steuerpflichten begründen und ist darum eigentlich kein Steuerrechtfertigungsprinzip, sondern ein Steuerbegrenzungsprinzip (dazu III). Auch das Bundesverfassungsgericht hat dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht die Kraft zugemessen, Steuerarten, die von der allgemeinen Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners abstrahieren, wie insbesondere die Verbrauchsteuern, ins Unrecht zu setzen.30 Die besondere Leistungsfähigkeit sieht das Gericht in der Leistung selbst.31 Die vom Rechtsprinzip genauso wie vom Willkürverbot gebotene Sachlichkeit, welche dem Sozialprinzip genügen muss32, wird nicht verletzt, wenn Steuern erhoben werden, deren Höhe nicht nach der Leistungsfähigkeit der Steuerschuldner differenziert ist, sondern jeden Steuerschuldner unterschiedslos, etwa nach dem Verbrauch, verpflichtet, also „von der Leistungsfähigkeit des Inhabers der zu besteuernden Wirtschaftseinheit abstrahiert“33. 4. Die grundsätzliche Sachlichkeit einer Steuerart ergibt sich jedoch daraus, dass der Verfassungsgeber eine Steuerart im Grundgesetz verankert hat.34 So kennt das Grundgesetz in seinem Steuerverteilungssystem in Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG die Verbrauchsteuern. Die Verbrauchsteuern, die Akzisen, haben im Übrigen jahrhundertelange Tradition.35 Sie können nicht als unsachlich disqualifiziert werden, weil sie nicht wie die Einkommensteuer nach der Leistungsfähigkeit differenzieren. Die Steuerarten, welche das Grundgesetz nennt

__________ 29 So aber Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, Köln 1993, S. 469 ff., 478 ff. – Steuergerechtigkeit schafft Steuerrechtfertigung; Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 517, für die Einkommensteuer S. 559 f., für die Umsatzsteuer S. 900 f., für die besonderen Verbrauchsteuern S. 962; vgl. („Fundamentalnorm“) J. Lang, Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 81 ff., S. 82 ff.; sibyllinisch Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen. Ein Beitrag zu den Grundfragen des Verhältnisses Steuerrecht und Verfassungsrecht, Köln 1983, S. 50 ff.; Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 33 ff., S. 12 ff.; kritisch Leisner, Von der Leistung zur Leistungsfähigkeit – die soziale Nivellierung. Ein Beitrag wider das Leistungsfähigkeitsprinzip, StuW 1983, S. 97 ff. („Pseudobegründung der Leistungsfähigkeit“, S. 97); Leisner, Der Gleichheitsstaat. Macht durch Nivellierung, Berlin 1980, S. 189 ff. 30 BVerfGE 26, 1 (8); BVerfGE 65, 325 (346 ff.). 31 St. Rspr.; BVerfGE 43, 1 (8 ff.); BVerfGE 65, 325 (346 f.); BVerfGE 99, 266 (238 f.); BVerfGE 110, 274 (297); vgl. auch BVerfGE 115, 97 (115); so auch Reiß (Fn. 25), Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer, S. 20. 32 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 551 ff., 599 ff., 636 ff. 33 I. d. S. BVerfGE 26, 1 (7); BVerfGE 65, 325 (346 ff.); BVerfGE 115, 97 (115). 34 BVerfGE 26, 1 (8); BVerfGE 46, 224 (236); P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 68; Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 528 ff., 791, 816, 828 f., 908 ff., 933, für die Verbrauchsteuern ablehnend S. 956, 959. 35 Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 960 f.

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und damit ins Recht setzt, sind gestaltungsfähig.36 Wenn der Gesetzgeber diese Steuerarten umformt, verlieren sie nicht schon die grundgesetzliche Rechtfertigung, jedenfalls so lange nicht, als die Steuerart in ihrem Kern erhalten bleibt. Freilich darf nicht eine Steuerart Umsatzsteuer, Verbrauchsteuer oder Einkommensteuer genannt werden, die es nicht ist, um die grundgesetzliche Rechtfertigung zu erschleichen. Dieser Vorwurf kann aber der Umsatzsteuer nicht gemacht werden, obwohl sie zur Mehrwertsteuer umgestaltet wurde37, auch nicht der Mineralölsteuer. Den Verbrauchsteuern, zu denen auch die Mineralölsteuer gehört (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EnergieStG), kann somit nicht entgegen gehalten werden, dass sie einem wie auch immer zu materialisierenden Leistungsfähigkeitsprinzip nicht genügen. Vielmehr müsste sich umgekehrt das Leistungsfähigkeitsprinzip den Vorwurf gefallen lassen, mit dem Grundgesetz unvereinbar zu sein, wenn es zu derartigen Ergebnissen führt. 5. Die Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer aber ist steuerverfassungsrechtlich nicht begründbar und entbehrt der Sachlichkeit. Das gilt auch für die Mehrwertbesteuerung des bereits durch die Mineralölsteuer besteuerten Kraftstoffverbrauchs, weil das eine nicht begründbare Zweifachbesteuerung desselben Sachverhalts mit gleichartigen Steuern, nämlich Verbrauchsteuern, ist, zumal diese unterschiedlich verteilt werden (Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 und 4 GG). Der Staat könnte die gleichen Steuereinnahmen durch Erhöhung der Mineralölsteuer erzielen. Das aber rechtfertigt nicht zwei unterschiedliche Steuern auf denselben Sachverhalt, die einen spezifischen Zweck verfolgen, jedenfalls eine verfassungsrechtlich fragwürdige Wirkung haben, nämlich den Ländern die Beteiligung an dem nicht unbeachtlichen Umsatzsteueraufkommen zu ermöglichen. Bemerkenswert ist, dass die Europäische Gemeinschaft sich lange etwa zur Hälfte aus dem Aufkommen der Mehrwertsteuer finanziert hat (Art. 2 Abs. 1 Buchst. c Eigenmittelbeschluss v. 29.9.2000, ABl. EG Nr. L 253/2000, 42).38 Die Gemeinschaft ist somit an einem hohen Mehrwertsteueraufkommen interessiert. Dasselbe Geschäft, dasselbe Handeln der Menschen, nämlich die Beschaffung von Kraftstoff, wird mit zweifachen Steuern belegt und vor allem die Steuerhöhe durch die eine, die erste, Steuer, wesentlich gehoben, weil die Bemessungsvorschrift die Mineralölsteuer als Verbrauchsteuer in das Entgelt einzubeziehen gebietet, nach dem sich die Höhe der Mehrwertsteuer richtet (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Es gäbe keinen Sachverhalt, welchen der Gesetzgeber mit der Mehrwertsteuer in der nach dem Gesetz geschuldeten Höhe besteuern könnte, wenn der Gesetzgeber nicht die Mineralölsteuer auf den Verbrauch vorgeschrieben hätte. Die Bemessungsgrundlage der Mehrwertsteuer wäre ohne den Mineralölsteueranteil das Entgelt, das der Kraftstoffverkäufer von

__________ 36 Vogel/Walter, Bonner Kommentar, GG, München 1972, Art. 106 GG (Zweitbearbeitung) Rz. 162 ff.; i. d. S. P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 68. 37 Kritisch P. Kirchhof, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL 39, Berlin 1981, S. 219; aber zustimmend P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 68. 38 Dazu Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 7, S. 506 f.; Oppermann, Europarecht, 3. Aufl., München 2005, § 11 Rz. 18 ff., S. 257 f.

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dem Kraftstoffkäufer fordern würde, das Netto-Entgelt gewissermaßen. Dieser (sogenannte) Produktpreis wäre ohne die Mineralölsteuer für Normalbenzin 0,6545 Euro geringer. Der Mehrwertsteuerbetrag würde demgemäß 0,124355 Euro weniger betragen. Es gibt nur einen Umstand, der diese Besteuerung in dieser Höhe ermöglicht, das ist das Gesetz, welches die Mineralölsteuer vorschreibt. Der Gesetzgeber kann und darf aber den Sachgrund nicht schaffen, welcher nach dem Sachlichkeitsprinzip sachlich rechtfertigen soll. Anders ist ein Prinzip der Sachlichkeit nicht denkbar. Sachliche Rechtfertigungen müssen aus der Logik des Rechts, das die Wirklichkeit des Lebens ordnet, in der Wirklichkeit bestehen. Nur die Wirklichkeit kann Gesetze rechtfertigen. Die Umsatzsteuer auf die Mineralölsteuer hat nur eine „Wirklichkeit“, die des Energiesteuergesetzes und demgemäß die pflichtgemäßen Mineralölsteuerzahlungen. Die Steuerpflicht hat keine Rechtfertigungskraft, weil sie kein Sachverhalt, der zu rechtfertigen vermag, ist, sondern lediglich Erhöhung der Mineralölsteuer. Jeder Besteuerungstatbestand muss an einen Lebenssachverhalt39 anknüpfen, den der Steuerpflichtige ganz unabhängig von dem Gesetz durch seine Verhältnisse oder sein Handeln verwirklicht. Der Gesetzgeber darf nur Gegebenheiten, Verhältnisse von Menschen und Handlungen von Menschen, zum Anlass nehmen, Steuerpflichten zu begründen. Der einzige Grund, der fraglos keiner sachlichen Rechtfertigung fähig ist, also grob unsachlich und darum grobes Unrecht ist, ist ein Steuertatbestand, welchen der Gesetzgeber in die Welt setzt, ohne dass die Welt dazu einen Anlass gegeben hätte, abgesehen von dem (unstillbaren) Finanzbedarf des Staates. Der Sache nach erhöht die Bemessungsregelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG die Höhe der Mineralölsteuer und im Übrigen die aller anderen Verbrauchsteuern, ohne einen neuen Steuersachverhalt durch einen neuen Steuertatbestand einer Steuerpflicht zu unterwerfen. Der Gesetzgeber erhöht nicht die Mineralölsteuer, sei es aus rechtlichen oder sei es aus politischen Gründen, sondern bezieht die Verbrauchsteuern in die Mehrwertsteuern ein, als sei der Verbrauch, der spezifisch besteuert wird, oder gar die Verbrauchsteuer selbst, Umsatz oder sogar Mehrwert. Besteuerung schafft keinen Mehrwert. Die kritisierte Bemessungsregelung ist eine allgemeine Erhöhung der jeweiligen Verbrauchsteuern um den Mehrwertsteuersatz, ohne dass die Verbrauchsteuern in das System der Umsatzsteuer gehören. Darum löst auch das gleichheitsrechtliche Prinzip der Systemtreue40, welches das Bundesverfassungsgericht vor allem im Steuerrecht im Sinne der „vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit“ praktiziert41, Bedenken gegen die Erhöhung der Verbrauchsteuern um die Mehrwertsteuer aus. Dieser Aspekt der Sachlosigkeit des als Bemessungsregelung verschleierten und zudem sachwidrigen besonderen Umsatzsteuersatzes ist der

__________ 39 Vgl. die Sprache der Steuerrechtswissenschaft, etwa Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 95, S. 28; Vogel (Fn. 19), HStR, Bd. IV, § 87 Rz. 72. 40 Dazu Tipke (Fn. 29), Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 110 ff.; J. Lang, Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts (Fn. 29), § 4 Rz. 26 ff., S. 71 f.; Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 58, 156 ff. 41 St. Rspr.; BVerfGE 9, 20 (28); BVerfGE 71, 81 (95 f.); zurückhaltend BVerfGE 59, 36 (49); BVerfGE 61, 138 (149).

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wesentliche Grund der Verfassungswidrigkeit der Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer. Der Gesetzgeber ist durch das steuerrechtliche Bestimmtheitsprinzip gehalten, die Tatbestandsmerkmale der Steuergesetze bestmöglich zu bestimmen.42 Gerade dieses Bestimmtheitsprinzip erweist das Rechtsprinzip der Sachlichkeit der Steuertatbestände im substantiellen Sinne, nämlich in dem Sinne, dass jeder Steuertatbestand einem Sachverhalt des Lebens folgen muss. Das Bundesverfassungsgericht hat von der „Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte“ gesprochen.43 Die Besteuerung einer Steuerschuld ist in diesen Sinne nicht steuerwürdig; denn sie knüpft nicht an Sachverhalte, sondern ausschließlich an die Steuergesetzeslage an. Die Legaldefinition des Entgelts in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG erweitert nicht nur die Bemessungsgrundlage, sondern schafft einen sachlosen Steuertatbestand. Der Gesetzgeber fingiert damit den (vermeintlichen) Steuersachverhalt, nicht ein Handeln des Steuerpflichtigen oder einen Zustand, der dem Steuerpflichtigen zuzurechnen ist. Die Umsatzsteuer hat der Gesetzgeber aus dem Entgeltbegriff der Bemessungsgrundlage ausgeklammert, weil sonst die Umsatzsteuer mit jedem steuerbaren Geschäft erhöht würde. Andererseits hätte wiederum der Gesetzgeber den Steuersachverhalt geschaffen, der den Wettbewerb verzerrt hätte, so dass verfassungsrechtlich bedenkliche Elemente des früheren Allphasen-Brutto-Umsatzsteuerprinzips44 beibehalten worden wären. Zu Lasten der Verbraucher jedoch hat der Gesetzgeber auf das erhebliche Steueraufkommen aus der Mehrwertsteuer auf die Verbrauchsteuern nicht verzichtet. Er hat damit aber das rechtsstaatlich fundamentale Sachlichkeitsprinzip missachtet. Wenn das auch schon lange praktiziert wird45, so muss sich diese Praxis doch den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gefallen lassen. Wenn der Steuergesetzgeber denselben Effekt durch Erhöhung der Verbrauchsteuern erzielen will, wird er sich in manche Schwierigkeiten begeben, welche ihm das System des Verbrauchsteuerrechts bereitet und welche vor allem mit dem grundgesetzlichen System der Verteilung des Steueraufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, aber auch der Europäischen Union verbunden sind. Auch dieser Systembruch löst verfassungsrechtliche Bedenken aus.

__________ 42 St. Rspr.; BVerfGE 13, 153 (160); BVerfGE 99, 216 (243); Vogel (Fn. 19), HStR, Bd. IV, § 87 Rz. 72; Papier, Der Bestimmtheitsgrundsatz, in DStJG 12, Köln 1989, S. 61 ff.; allgemein zum Bestimmtheitsprinzip Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 273 ff. 43 BVerfGE 13, 318 (328); i. d. S. BVerfGE 110, 274 (292); so auch P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 41; i. d. S. auch Vogel (Fn. 19), HStR, Bd. IV, § 87 Rz. 72. 44 Dazu Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 3, S. 503 f.; Birk, Steuerrecht (Fn. 2), Rz. 1271 ff., S. 412 ff.; Tipke (Fn. 26), Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 893 ff.; vgl. BVerfGE 18, 1 ff.; BVerfGE 21, 12 (25 ff.). 45 Vgl. etwa Eckhardt/Schettler, Grundriß der Umsatzsteuer, Stuttgart 1949, S. 68.

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III. Bedenken aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip 1. Die Leistungsfähigkeit der Steuerschuldner vermag Steuerpflichten nicht zu begründen (dazu II, 3), weil eine solche Begründung über die allgemeine Rechtfertigung der staatlichen Besteuerung nicht hinausgehen würde.46 Diese Rechtfertigung ergibt sich bereits aus dem Prinzip des Steuerstaates.47 Die Besteuerung ist ausweislich des X. Abschnitts des Grundgesetzes mit den Art. 104a ff. GG Grundlage des staatlichen Finanzwesens. Es ist auch das rechtsstaatliche Finanzierungssystem eines freiheitlichen Gemeinwesens, der Republik. Der Moderne Staat finanziert sich durch Steuern, also aus dem Eigentum und den Unternehmungen, der Erwerbsarbeit und dem Verbrauch der Bürger (und sonstigen Bevölkerung), nicht durch eigenes Eigentum und eigentlich auch nicht durch eigene Unternehmen.48 Staatlichen Unternehmen ist es jedenfalls verwehrt Gewinn anzustreben.49 Das Steuerprinzip gewährleistet zum einen die Distanz des Staates zur, wie man sagt, Wirtschaft, also zu den Unternehmen, welche durch die Privatheitlichkeit definiert sind50, und ermöglicht dadurch die Gleichheitlichkeit der Besteuerung, die „steuerliche Lastengleichheit“, die „gleiche Lastenzuteilung“ oder „Belastungsgleichheit“51. Das stärkt die Bürgerlichkeit der Bürger, deren Gleichheit in der Freiheit. Der Staat als die „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ (Kant)52 ist die Einrichtung der Bürger, mittels deren sie das gute Leben aller in allgemeiner Freiheit, das Gemeinwohl, zu verwirklichen suchen. Der Staat ist somit Sache der

__________ 46 So bereits Schmoller, Die Lehre vom Einkommen in ihrem Zusammenhang mit den Grundprinzipien der Steuerlehre, ZgS 19 (1863), S. 33 ff. (57); Littmann, Ein Valet dem Leistungsgerechtigkeitsprinzip, in Haller u. a. (Hrsg.), Theorie und Praxis des finanzpolitischen Interventionismus, FS Neumark, Tübingen 1970, S. 113 ff.; dazu Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 33 ff., S. 12 ff.; Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 50 ff.; J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 81 ff., S. 82 ff.; Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 1, S. 502 („übergreifende Fundamentalregel“). 47 Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 897; Vogel, Der Finanzund Steuerstaat, HStR, Bd. I, 1987, § 27 Rz. 51 ff., 69 ff.; P. Kirchhof (Fn. 37), VVDStRL 39 (1981), S. 215; P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 45 ff. 48 P. Kirchhof (Fn. 37), VVDStRL 39 (1981), S. 215 f. mit Fn. 3; P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 298 ff.; P. Kirchhof, Der sanfte Verlust der Freiheit. Für ein neues Steuerrecht – klar, verständlich, gerecht, München 2004, S. 6, 52 ff. 49 BVerfGE 61, 82 (107); Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht. Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG, Berlin 1986, S. 310 ff. 50 Schachtschneider (Fn. 49), Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 281 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 491 ff.; Freitag, Unternehmen in der Republik, Berlin 2001, S. 6, 157 ff. (163). 51 St. Rspr.; BVerfGE 23, 242 (256); BVerfGE 84, 239 (268 ff., 271); BVerfGE 93, 121 (134 ff.); BVerfGE 99, 216 (243); BVerfGE 115, 97 (116); Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 151 ff., S. 50 ff.; Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 50 ff.; P. Kirchhof, HStR (Fn. 2), Bd. IV, § 88 Rz. 104 ff., 107 ff.; vgl. v. Arnim, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL 39, Berlin 1981, S. 318 ff. („Lastengleichheit“); Tipke, Die Steuerrechtsordnung (Fn. 29), Bd. I, S. 311 ff. 52 Kant (Fn. 9), Metaphysik der Sitten, S. 431.

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Bürger.53 Demgemäß sind alle Bürger verpflichtet, bestmöglich zur Verwirklichung des Gemeinwohls beizutragen. Das ist die bürgerliche Sittlichkeit. Zunächst gehört dazu, dass sie ihren Staat finanziell ausstatten. Die Steuerpflicht ist somit grundlegende Bürgerpflicht.54 Dieser Pflicht können die Bürger nur im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit nachkommen. Wollte man einer unterschiedslosen Steuerpflicht das Wort reden, also dem Kopfsteuerprinzip, so wäre nicht nur die Finanzierung des Modernen Staates ausgeschlossen, vielmehr könnte der Staat auch seiner Verteilungsaufgabe, welche ihm das Sozialprinzip aufgibt, nicht genügen. Um der sozialen Gerechtigkeit willen ist die Republik auch Verteilungsstaat.55 Die Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit zu besteuern, ist die Logik der republikanischen Gleichheit, der Lastengleichheit nämlich. Die „steuerliche Lastengleichheit“ ist sei langem das Wesen der Steuergerechtigkeit.56 2. Steuerschulden werden aus dem Eigentum beglichen.57 Nach Art. 14 Abs. 2 GG „verpflichtet Eigentum“ und soll „sein Gebrauch zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“58. Das ist auch eine Aussage zum Steuerverfassungsrecht. Das steuerverfassungsrechtliche Leistungsfähigkeitsprinzip59 folgt somit aus den Grundprinzipien des bürgerlichen Gemeinwesens, der Republik, als der Staatsform der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.60 Die Leistungsfähigkeit ist Voraussetzung der Besteuerung. Nur wer einer Steuerpflicht zu genügen vermag, kann zur Steuerzahlung verpflichtet werden. Darum ist es verfassungswidrig, das Existenzminimum, jedenfalls einkommensteuerrecht-

__________ 53 Schachtschneider (Fn. 4), Res publica res populi, S. 350 ff., 514 ff., 519 ff., 637 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 60 ff., 297 ff., 484 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 19 f., 50 ff., 94 ff. 54 I. d. S. BVerfGE 84, 239 (268 ff.); BVerfGE 93, 121 (135); P. Kirchhof (Fn. 37), VVDStRL 39, Berlin 1998, S. 339 ff.; P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 105. 55 v. Arnim (Fn. 51), VVDStRL 39, S. 293 ff., 339 ff.; Zacher, Das soziale Staatsziel, HStR, Bd. I, Heidelberg 1987, § 25 Rz. 48 ff.; Schachtschneider, Flächentarife und die Soziale Frage, in Krause/Veelken/Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. GS für Wolfgang Blomeyer, Berlin 2004, S. 245 ff. 56 BVerfGE 84, 239 (268 ff.), das die „lange Regelungstradition“ aufzeigt; BVerfGE 93, 121 (135); BVerfGE 115, 97 (110 ff.); vgl. auch J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 81 f., S. 82 f. 57 Zum Eigentumsschutz gegen Steuerpflichten Schachtschneider, Steuerverfassungsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung und der verdeckten Gewinnausschüttung. Rechtsgrundsätze versus Gerichtspraxis, Berlin 2004, S. 57 ff.; P. Kirchhof (Fn. 48), Der sanfte Verlust der Freiheit, S. 98 ff.; Pausenberger, Eigentum und Steuern in der Republik. Ein Betrag zum steuerverfassungsrechtlichen Halbteilungsgrundsatz, Diss. Erlangen-Nürnberg 2005, S. 211 ff.; Klawonn, Die Eigentumsgewährleistung als Grenze der Besteuerung, Berlin 2007, S. 51 ff., 133 ff.; jetzt hilfreich BVerfGE 115, 97 (110 ff.). 58 Vgl. BVerfGE 20, 351 (356); BVerfGE 25, 112 (117); BVerfGE 37, 132 (140); BVerfGE 52, 1 (29); Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30, Berlin 1972, S. 100 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 560 ff.; grundsätzlich Leisner, Sozialbindung des Eigentums, Berlin 1972. 59 Dazu P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 114 ff.; Vogel (Fn. 19), HStR, Bd. IV, § 87 Rz. 90 ff.; weitere Hinweise in Fn. 29, 46, zur Rechtsprechung Fn. 72. 60 Hinweise in Fn. 4.

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lich, zu besteuern.61 Das Leistungsfähigkeitsprinzip gibt kein Argument für oder gegen eine Steuerart, sondern Argumente für Grenzen der Besteuerung, insbesondere Begrenzungen der Steuerhöhe. Wer Steuertatbestände ausschließlich durch die Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sieht, hat eine differenzierende Steuerbegründungslehre aufgegeben. Das Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigt jedwede Besteuerung, wenn der Steuerschuldner leistungsfähig ist, also jede Art von Besteuerung, die dem Staat Einnahmen verspricht. Das würde die Abschöpfung all der Einkommen und Vermögen der Bürger erlauben, welche diese nicht benötigen, um ihr Leben zu fristen. Für die Steuererhebung würde der bloße Fiskalzweck genügen, wie das der Bundesfinanzhof 1973 ein wenig resignierend, fast zynisch bemerkt hat: „Die meisten Verkehrsteuern einschließlich der Umsatzsteuer haben keinen tieferen Sinn als den, dem Staat Geld zu bringen.“62

Das Bundesverfassungsgericht hat aber nicht nur das Einkommen oder Vermögen, das ein Mensch braucht, um menschenwürdig zu leben, in etwa also den Sozialhilfesatz, als untere Grenze der Steuerpflichten, jedenfalls der aus Einkommen, festgelegt63, sondern mit dem Hälftigkeitsgrundsatz, wiederum für die Einkommensteuer, eine, wenn auch pauschale, Höchstgrenze angemahnt.64 In diesem Sinne hat Walter Leisner zu Recht kritisiert, dass sich die Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip nur wenig von den Jahrhunderte alten Gewohnheiten der Straßenräuber unterscheide, die nur dort nahmen, wo es etwas zu holen gab. Das Leistungsfähigkeitsprinzip sei nichts anderes als die Feststellung der Tatsache, daß je mehr vorhanden sei, desto mehr und leichter es genommen werden könne. Eine Rechtfertigung für die Besteuerung oder gar eine staatstheoretische Legitimation für Herrschaft könne daraus nicht abgeleitet werden.65 Die Amerikaner nennen dieses Prinzip nach einem bekannten Bankräuber die „Willy-Sutton-Rule“. 3. Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist das große Steuergerechtigkeitsprinzip und wird vornehmlich als solches gelehrt.66 Als Gerechtigkeitsprinzip ist das Leistungsfähigkeitsprinzip ein Teil des Prinzips der sozialen Gerechtigkeit und

__________ 61 St. Rspr.; BVerfGE 66, 214 (222 ff.); BVerfGE 112, 278 (281); P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 127; Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 683 ff. 62 BFH, Beschl. v. 8.11.1972 – II B 24/72, BStBl. II 1973, 94 (96); nicht unkritisch Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 1, S. 501. 63 Hinweise in Fn. 61. 64 BVerfGE 93, 121 (138), abweichendes Votum Böckenförde, BVerfGE 93, 149 ff.; abweichend, für die Kombination von Einkommen- und Gewerbesteuer ablehnend BVerfGE 115, 97 (108 ff., insb. 114 ff.); dazu P. Kirchhof (Fn. 28), Verfassungsrechtliche Maßstäbe für die Steuergesetzgebung, S. 52; P. Kirchhof (Fn. 48), Der sanfte Verlust der Freiheit, S. 32 ff.; Schachtschneider (Fn. 57), Steuerverfassungsrechtliche Probleme der Betriebsaufspaltung, S. 51 ff.; Pausenberger (Fn. 57), Eigentum und Steuern in der Republik, S. 245 ff., 308 ff.; eher kritisch J. Lang, Finanzverfassungsrechtliche Grundlagen der Steuerrechtsordnung, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 3 Rz. 8, S. 45, § 4 Rz. 223, S. 12 f. 65 Leisner (Fn. 29), StuW 1983, 97 ff. 66 Hinweise in Fn. 29.

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folgt damit aus dem Sozialprinzip.67 Jederzeit muss die staatliche Ordnung die Gerechtigkeit der Verteilung des Eigentums im Volke gewährleisten.68 Das folgt nicht nur aus dem Sozialprinzip, welches die Gemeinschaftlichkeit der Verantwortung für das gute Leben aller, die Brüderlichkeit nämlich, zum Verfassungsprinzip erhebt, ohne das das menschheitliche Prinzip der Gleichheit in der Freiheit nicht lebbar wäre, weil nicht frei sein kann, wer nicht selbständig ist.69 Selbständig ist aber nicht, wer um seinen Lebensunterhalt bangen muss.70 Die Pflicht des Staates, das Eigentum gerecht zu teilen, folgt auch aus dem Recht auf Eigentum, welches Art. 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu einem Menschenrecht erhoben hat und das in republikanischer (nicht liberalistischer) Lesweise auch in der Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG verankert ist.71 Das menschheitlich und verfassungsrechtlich tief verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip zieht somit als Steuergerechtigkeitsprinzip Steuerpflichten, welche die Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners übersteigen, Grenzen, nämlich die Grenze der Gerechtigkeit, die der Gesetzgeber entfalten muss. Steuern entgegen der Leistungsfähigkeit sind nicht gleichheitlich und darum ungerecht. In der Tradition des Art. 13 der Menschenrechtserklärung von 1789, Art. 134 der Weimarer Verfassung von 1919 und auch des Art. 128 der Bayerischen Verfassung von 1946 hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder auf das Leistungsfähigkeitsprinzip als grundsätzlichem Gebot der Steuergerechtigkeit hingewiesen. Es sieht das Gleichheitsprinzip durch das Leistungsfähigkeitsprinzip materialisiert.72 4. Das Leistungsfähigkeitsprinzip kann aber wegen seiner Offenheit den indirekten Steuern, wie insbesondere der Mehrwertsteuer und der Mineralölsteuer als solchen, nicht mit dem Argument entgegengehalten werden, dass diese

__________ 67 Dazu Schachtschneider (Fn. 4), Res publica res populi, S. 234 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 636 ff.; Schachtschneider, Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, in Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 289 ff.; Schachtschneider, Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, in Siebold/Emmerich-Fritsche (Hrsg.), Schachtschneider, Freiheit – Recht – Staat, Berlin 2005, S. 683 ff. 68 Schachtschneider (Fn. 55), Flächentarife und die Soziale Frage, S. 245 ff.; auch Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 551 ff., 586 ff., 599 ff. 69 Zum Prinzip der Selbständigkeit Kant (Fn. 9), Metaphysik der Sitten, S. 432; Krüger (Fn. 47), Allgemeine Staatslehre, S. 531, 810; Maihofer, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 2. Aufl., Berlin 1994, S. 452 ff. (458 f.); weitere Hinweise in Fn. 67, 68. 70 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 579 ff.; Schachtschneider, Recht auf Arbeit – Pflicht zur Arbeit, in Schachtschneider u. a. (Hrsg.), Transport – Wirtschaft – Recht, GS für Johann Georg Helm, 2001, S. 827 ff. (830 ff.). 71 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 551 ff. 72 BVerfGE 6, 55 (67); BVerfGE 112, 268 (279 ff.); st. Rspr.; Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 153, S. 50 f.; Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 52 ff., auch S. 76 ff., 153 ff., 169 ff.

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Steuern auch von Verbrauchern erhoben werden, deren allgemeine Leistungsfähigkeit nicht ausreicht, um die Steuerlasten zu tragen. Die Kritik der Verbrauchsteuern mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip73 trägt nicht. Die Verbrauchsteuern werden nicht nach der alle seine Möglichkeiten umfassenden Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerschuldners differenziert. Das können, aber sie müssen das auch nicht.74 Die jeweilige Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners erweist sich in dem Verbrauchsgeschäft, in der durch die „Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“75. Der Schuldner vermag das Verbrauchsgut zu erwerben. Welche Umstände ihm die finanzielle Möglichkeit verschafft haben, ob Vermögen, ob Einkommen oder ob private oder staatliche Hilfe, etwa Sozialhilfe, ist unerheblich. Schlechterdings kann, wenn der Konsument anonym bleibt, die Verbrauchsteuerschuld nicht davon abhängig gemacht werden, ob der Verbraucher seine Verpflichtung aus dem Verbrauchsgeschäft mit Mitteln erfüllt, die sein durch das Menschenwürdeprinzip gewährleistetes Existenzminimum ausmachen.76 Dieses Existenzminimum wird durch die Vorschriften des Sozialhilferechts sichergestellt. Die Sozialhilfeansprüche decken auch Beschaffungen, die mit Verbrauchsteuern belegt sind. Was der Mensch um seiner Würde willen benötigt, ist sozialrechtlich festgelegt (§ 1 SGB XII, § 1 Abs. 1 SGB I).77 Dadurch vermeidet das Gemeinwesen, dass ein Mensch in solcher Not ist, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Zum Lebensunterhalt gehört es auch, die anfallenden Steuern zu begleichen. 5. Das Leistungsfähigkeitsprinzip wäre allemal überzogen, wenn es gegen die grundgesetzlich gesicherten Steuerarten gewendet würde, weil die Leistungsfähigkeit, welche das Steuerrecht nicht zu schonen vermag, auf andere Weise, nämlich sozialrechtlich, gewährleistet wird. Es überzeugt nicht, die Gesamtbesteuerung etwa einer Familie mit geringem Einkommen gemäß einem Warenkorb zu berechnen und die (relative) Armut dieser Familie den Steuerpflichten entgegenzuhalten. Wenn die Familie ihren Lebensunterhalt nicht

__________ 73 Vgl. etwa J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 111, S. 94, auch Rz. 85, S. 84 f.; Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 959 ff., tiefgehend. 74 So auch BVerfGE 65, 325 (346, 354); ebenso P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 155. 75 BVerfGE 65, 325 (346); vgl. auch BVerfGE 16, 64 (74); BVerfGE 49, 343 (354); Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 1, S. 501; kritisch J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 85, S. 84 f., Rz. 111, S. 94; Tipke (Fn. 26), Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 903 ff. 76 P. Kirchhof (Fn. 48), Der sanfte Verlust der Freiheit, S. 68 f.; dazu Tipke (Fn. 29), Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 116 ff.; Tipke (Fn. 26), Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 899 ff., 922 ff., der das Leistungsfähigkeitsprinzip auch für die indirekten Steuern, zumal zum Schutz des Existenzminimums, stärken will; so auch J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 85, S. 84, Rz. 111, S. 94. 77 Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 648 f.

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bestreiten kann, ist sie sozialhilfeberechtigt78 und kann aufgrund der Sozialhilfe (dem Gesetz nach) in Würde leben. Die gesamte Rechtsordnung, sowohl das Steuerrecht als auch das Sozialhilferecht, bilden eine Einheit, welche für die Leistungsfähigkeit eines Menschen oder einer Familie zu berücksichtigen ist. Es lässt sich nicht bestreiten, dass leistungsschwache Bevölkerungskreise durch die Verbrauchsteuern im Verhältnis zu ihren finanziellen Möglichkeiten härter zur Finanzierung des Staates herangezogen werden als leistungsstarke Bevölkerungskreise, eben weil die Verbrauchsteuern weder dem Grunde noch der Höhe nach von der Leistungsfähigkeit des Verbrauchers abhängen.79 Diese Ungleichbehandlung kann aber einerseits durch die Einkommensteuersätze und andererseits durch Sozialhilfe ausgeglichen werden. Der Ausgleich ist zwar nicht auf Heller und Pfennig berechenbar, schon weil die verbrauchsteuerbelasteten Beschaffungen der Menschen nicht berücksichtigt werden können und auch nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn deren Privatheit gewahrt werden soll. Es kommen nur pauschalierende und typisierende Regelungen in Betracht, die als solche aber nötig und rechtmäßig sind.80 Der Einheit der Rechtsordnung, zu der vor allem das Steuerrecht und das Sozialrecht gehören, kann verfassungsrelevant der Vorwurf der Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch die Verbrauchsteuern nicht gemacht werden. Die Stabilisierung des sozialen Ausgleichs, welche auch dem Leistungsfähigkeitsprinzip des Steuerverfassungsrechts genügt, leistet die gleichheitliche nationale Verteilung des Volkseinkommens, welche sich nach Bedarf, Leistung, Markt und Eigentum, aber auch Erbe richtet81 und ihren nationalen Verteilungsmaßstab im Flächentarifvertrag hat82. 6. Wenn man mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip die Verbrauchsteuern ins Unrecht setzen wollte, müssten Berechnungen jedenfalls für typische Gruppen der Bevölkerung durchgeführt werden, welche ergeben müssten, dass die unterschiedslos erhobenen Verbrauchsteuern die Steuergerechtigkeit, gemessen am Leistungsfähigkeitsprinzip, unerträglich verletzen. Die Ungerechtigkeit müsste so stark sein, dass die verfassungsgesetzlichen Entscheidungen für die Verbrauchsteuern als verfassungswidrige Verfassungsnorm ins Unrecht gesetzt werden müssten. Eine solche Überlegung ist wenig überzeugend, weil den leistungsschwachen Bevölkerungskreisen nichts übrig bleibt, als eine bescheidene Lebensführung, welche auch nur geringere Verbrauchsteuerlasten mit sich bringt. Die Armut in der Bevölkerung zu bekämpfen ist eine Pflicht des Ge-

__________ 78 Sozialhilfeansprüche sind Eigentum, Schachtschneider (Fn. 32), Das Recht am und das Recht auf Eigentum, S. 749; a. A. BVerfGE 14, 288 (293); BVerfGE 95, 267 (300); st. Rspr. 79 Dazu kritisch J. Lang, Einführung in das besondere Steuerschuldrecht, in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 8 Rz. 121 f., S. 212 f. 80 St. Rspr.; BVerfGE 13, 331 (341); BVerfGE 93, 121 (138); BVerfGE 112, 268 (280 f.); Selmer (Fn. 21), AöR 101 (1976), S. 457; dazu J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 132, S. 101 f. 81 Dazu Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 579 ff., 586 ff., 599 ff. 82 Schachtschneider (Fn. 55), Flächentarife und die Soziale Frage, S. 245 ff.; das kritisiert grundsätzlich Leisner (Fn. 66), Der Gleichheitsstaat, S. 231 ff.

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meinwesens aus dem menschheitlichen Sozialprinzip. Dieser Pflicht genügt eine Eigentumsordnung, welche sicherstellt, dass jeder Mensch im Lande seinen von der Menschenwürde gebotenen Bedarf finanzieren kann. Eine solche Eigentumsordnung muss insbesondere das Recht auf Arbeit, das sowohl aus dem Sozialprinzip als auch aus der Eigentumsgewährleistung folgt83, verwirklichen. Aus diesem Menschenrecht auf Arbeit folgt ein subjektives Recht auf bestmögliche Beschäftigungspolitik, welches derzeit, vor allem durch die europäische und globale wirtschaftliche Integration, verletzt wird.84 Die Wirkung der illusionären Europapolitik und der noch fragwürdigeren Globalisierungspolitik erlauben aber nicht schon einen Verfassungsvorwurf gegen die herkömmlichen Steuerarten, welche ihre Rechtfertigung nicht nur in der steuerrechtlichen Tradition, sondern in dem Text des Grundgesetzes finden. 7. Dennoch ist zu bedenken, ob das Leistungsfähigkeitsprinzip als Steuergerechtigkeitsprinzip den (indirekten) Verbrauchsteuern nicht dem Grunde, aber der Höhe nach Grenzen zieht, welche durch die Besteuerung des Kraftstoffverbrauchs überschritten sind. Wie schon dargelegt ist, ist der Kraftstoffverbrauch nicht nur mittelbar mit den Steuern belastet, welche in den eigentlichen Produktpreis eingehen, etwa die Lohnsteuerkosten, sondern durch die Mineralölsteuer einschließlich der Öko-Steuer und darüber hinaus durch die Mehrwertsteuer. Alle mittelbaren und unmittelbaren Steuerlasten hat der Verbraucher zu tragen, also auch die leistungsschwache Bevölkerung, wenn sie Kraftstoff benötigt. Der Kraftfahrzeugverkehr ist keineswegs Luxus, so dass hohe Steuern gerechtfertigt wären, sondern gehört zur Normalität des Berufsund Alltagslebens der Menschen in Deutschland und vielen anderen Ländern. Die Besteuerung des Kraftstoffs ist durch die Kombination der Steuern, vor allem aber durch die Mineralölsteuer selbst, exorbitant hoch. Der Staat schöpft, weil sich die Menschen dieser Besteuerung schlecht entziehen können, im Übermaß ab. Das Steueraufkommen aus der Kraftstoffbeschaffung beträgt derzeit fast 50 Mrd. Euro. Das ist in etwa das Doppelte der Aufkommen aus Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer zusammen und ebenso fast das Doppelte der Gewerbesteuer, ja fast die Hälfte der Mehrwertsteuer insgesamt. Der Kraftfahrzeugverkehr wird somit in einer Weise besteuert, welche auch im Vergleich zur entsprechenden Besteuerung in anderen Staaten der Gerechtigkeit ins Gesicht schlägt. Auch in der Europäischen Union ist die Mineralölsteuer durchaus unterschiedlich bemessen. Die Besteuerung erbringt gut 10 % des Gesamtsteueraufkommens in Deutschland. Diese außerordentliche Ergiebigkeit der Besteuerung des Kraftverkehrs erweist die spezifische Leistungsfähigkeit der Kraftfahrer, aber auch deren Bereitschaft, diese Steuern zu tragen, um mit ihren Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr teilnehmen zu können, als wäre das das Leben an und für sich. Das große Steueraufkommen aus

__________ 83 Schachtschneider (Fn. 70), Recht auf Arbeit – Pflicht zur Arbeit, S. 827 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 579 ff. 84 Dazu Schachtschneider (Fn. 67), Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit, S. 305 ff.; Schachtschneider (Fn. 67), Demokratische und soziale Defizite der Globalisierung, S. 690.

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der Kraftstoffbesteuerung wirft Fragen der steuerrechtlichen Gleichheitlichkeit und Verhältnismäßigkeit auf, löst aber gerade keine Bedenken wegen des Leistungsfähigkeitsprinzips aus. Insgesamt führt das Leistungsfähigkeitsprinzip weder zu Bedenken gegen die Mineralölsteuer als solche, noch gar gegen die Mehrwertsteuer als solche und auch nicht gegen die Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer einschließlich der Öko-Steuer. Die jüngste (ab dem 1.1.2007) Erhöhung der Mehrwertsteuer auf (grundsätzlich) 19 % allerdings rückt diese Steuern, die den Verbrauch der Armen nicht anders trifft als den der Reichen weiter an die verfassungsrechtliche Grenze des Leistungsfähigkeitsprinzips, auch die Mehrwertsteuer auf die Mineralölsteuer.

IV. Verletzung des Prinzips des rechten Maßes 1. Das Prinzip des rechten Maßes praktiziert das Bundesverfassungsgericht stetig als Verhältnismäßigkeitsprinzip.85 Paul Kirchhof hat auf die Nähe von „Gleichmaß und Übermaß“ hingewiesen.86 Beides sind Aspekte des aristotelischen Rechtsprinzips des rechten Maßes.87 Die Materialisierung der als Willkürverbot oder Verhältnismäßigkeitsprinzip88 judizierten praktischen Vernunft89 ist Sache des Gesetzgebers90. Die Rechtsprechung hat aber die Aufgabe, den Gesetzgeber daraufhin zu überprüfen, ob er das Prinzip der praktischen Vernunft, das nichts anderes ist als das Prinzip der Sittlichkeit der Politik, verletzt hat. Die Rechtsprechung hat somit die letzte Verantwortung für die praktische Vernunft der Politik. Sie ist funktional Gesetzgeber.91 Freilich unterliegt sie einem Gebot der Zurückhaltung, welches aus der horizontalen Gewalten-

__________ 85 P. Kirchhof (Fn. 7), HStR, Bd. V, § 124 Rz. 161 ff., 250 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 436 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 337 ff. 86 P. Kirchhof (Fn. 7), HStR, Bd. V, § 124 Rz. 161 ff., 193, 250, 291. 87 Nikomachische Ethik, 2. Buch 1106 a 11, übers. und hrsg. O. Gigon, 6. Aufl., München 1986. 88 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip allgemein etwa BVerfGE 7, 377 (405 f.); BVerfGE 91, 389 (401); st. Rspr.; grundlegend Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Köln 1961, S. 134 ff. u.ö.; Lerche, Grundrechtsschranken, HStR, Bd. V, Heidelberg 1992, § 122 Rz. 16 f.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 342 ff.; umfassend Emmerich-Fritsche, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, Berlin 2000. 89 Zur praktischen Vernunft als Rechtsprinzip, welche als die formalen, also nicht unterschiedlichen Prinzipien des Willkürverbots und der Verhältnismäßigkeit praktiziert werden, Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 420 ff., insb. S. 436 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 337 ff. 90 Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 329 ff., 343 ff. 91 Schachtschneider (Fn. 4), Res publica res populi, S. 819 ff., 858 ff., 909 ff., 978 ff., 990 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Freiheit in der Republik, S. 420 ff.; Schachtschneider (Fn. 4), Prinzipien des Rechtsstaates, S. 207 ff., 329 ff., 343 ff.

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teilung, aus der Teilung der Ausübung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, folgt.92 2. Die skizzierten Verfassungsprinzipien gelten auch für die Steuergesetzgebung.93 Die Materialisierung des Prinzips des rechten Maßes, des Verhältnismäßigkeitsprinzips also oder eben des Willkürverbots, welche alle Prinzipien des Grundgesetzes zu beachten hat, vor allem das Sozialprinzip, leistet insbesondere das Leistungsfähigkeitsprinzip (dazu III); aber auch jede andere grobe Unsachlichkeit des Gesetzgebers ist steuerrechtliche Willkür. Das Leistungsfähigkeitsprinzip hat nicht die Materialität, die es erlauben würde, die Mineralölsteuer oder auch nur die Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer als Willkür auszuweisen. Die Sachlosigkeit der Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer jedoch (dazu II) ist dem Begriff der Willkür gemäß als grobe Unsachlichkeit ein Verstoß gegen das Willkürverbot. Hinzu kommt aber die Willkür des Steuersatzes, der sich aus der Kombination zweier Verbrauchsteuern auf den Kraftstoffverbrauch, nämlich der Mineralölsteuer mit der Öko-Steuer und Mehrwertsteuer, ergibt. Dieser Steuersatz ist eine grobe Missachtung des Prinzips des rechten Maßes. 3. Die Gesamtbelastung des Kraftstoffverbrauchs ist außergewöhnlich hoch. Sie macht (wie der Preis schwankend) etwa 250 % des Preises des Kraftstoffs aus, in dem selbst schon Steuerkosten, Lohnsteuern, Unternehmensteuern usw. eingeflossen sind, des Nettopreises also, oder etwa 75 % des Tankstellenverkaufspreises für Normalbenzin. Kaum eine andere Steuer belastet das Steuergut auch nur annähernd in einem solchen Maße. Die Einkommensteuern sind jedenfalls geringer als das Einkommen, jetzt höchstens 42 % (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG). Die Umsatzsteuer ist geringer als der Umsatz, obwohl technisch (im Gegensatz zur Einkommensteuer) ein Steuersatz, welcher über dem Umsatz liegt, denkbar wäre. Das erweist die hier kritisierte Besteuerung des Kraftstoffverbrauchs. Die Verbrauchsteuern im Übrigen sind regelmäßig geringer als der Produktpreis des Verbrauchsgutes. Bemerkenswert ist allerdings die Tabaksteuer, welche für Zigaretten einschließlich der Mehrwertsteuer auch etwa 75 % des Kaufpreises beträgt. Keine andere Steuer jedoch führt zu einem derartigen Missverhältnis zwischen dem Produktpreis für das Verbrauchsgut und der auf den Verbrauch erhobenen Steuer. Dieses Missverhältnis ist sachwidrig und nicht zu rechtfertigen. 4. Weder die Mineralölsteuer noch die Umsatzsteuer sind Lenkungsteuern.94 Beide bezwecken ausschließlich, dem Staat Finanzmittel zu verschaffen. Sie beruhen in der Terminologie von Dieter Birk auf Fiskalzwecknormen.95 Die

__________ 92 Schachtschneider (Fn. 4), Res publica res populi, S. 955 ff.; vgl. die Hinweise zum Spielraum des Gesetzgebers in Fn. 21. 93 BVerfGE 84, 239 (268, 271); BVerfGE 115, 97 (115 ff.). 94 Die Umsatzsteuer „ist die allgemeine Verbrauchsteuer“ Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 1, S. 502; Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 1261, S. 409; Tipke (Fn. 26), Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1003, sieht in der Mineralölsteuer eine „Mixtur aus Äquivalenz- und Lenkungssteuer“. 95 Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 107, S. 32, Rz. 168, S. 58; Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 221 f., 255 ff.

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1999 eingeführte Öko-Steuer, technisch und in der Sache eine Erhöhung der Mineralölsteuer, versteht sich als Lenkungsteuer, obwohl sie der Sache nach auch wesentlich Fiskalzwecke verfolgt, weil mit ihrem Aufkommen vor allem die Finanzierung der Rentenversicherung unterstützt werden soll.96 Die Mineralölsteuer und die Mehrwertsteuer bezwecken nicht wirklich, den Kraftfahrzeugverkehr einzuschränken97, jedenfalls haben sie nicht die Wirkung. Ganz im Gegenteil profitieren sie von dem ständig steigenden Straßenverkehr und demgemäß von dem ständig steigenden Kraftstoffumsatz. Die Deklaration der Öko-Steuer überzeugt nicht, weil es wirksamere Mittel gäbe, der Umweltbelastung durch den Kraftfahrzeugverkehr entgegenzuwirken. Der Einsatz des Instruments der Steuer bleibt ohnehin, wie jede Lenkungsteuer98, fragwürdig, wenn polizeiliche Zwecke, hier der Umweltschutz, verfolgt werden.99 Maßgeblich ist, dass die Steuern auf den Kraftstoffverbrauch insgesamt den Kraftfahrzeugverkehr nicht unterbinden wollen, sondern diesen zum Anlass nehmen, dem Staat Einnahmen zu verschaffen, schärfer, die Bevölkerung, die auf den Kraftfahrzeugverkehr nicht verzichten kann oder will, abzuschöpfen. Der Versuch, die Mineralölsteuer zu ihrer Rechtfertigung dogmatisch im Sinne eines Sozialzwecks zur Umweltsteuer umzuwidmen100, ist ein ideologischer Rettungsversuch einer überhöhten Fiskalzwecksteuer, der angesichts der Verkehrsrealität diese Steuer als ungeeignet und folglich gänzlich verfassungswidrig erscheinen lässt. Die Gleichheitlichkeit der Besteuerung verbietet es, dass die Kraftfahrer in ganz außergewöhnlicher Weise zur Finanzierung des Staatshaushaltes beizutragen genötigt werden, wenn sie von ihrem durch die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG, gegebenenfalls die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG, auch durch die Freizügigkeit des Art. 11 GG und die Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG, jedenfalls durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG und die Freiheit der Person des Art. 2 Abs. 2 GG101, verfassungsgeschützten Recht, sich mit Kraftfahrzeugen zu bewegen, Gebrauch machen wollen. Lenkungsteuern, die freiheitsrechtlich geschütztes Handeln mittels Steuern unterbinden wollen, sind Instrumente eines vormundschaftlichen Staates, nicht die eines Rechtsstaates, der es den Bürgern

__________ 96 BVerfGE 110, 274 (294, 296 f.); zur Rechtfertigung der Umweltsteuer kritisch J. Lang (Fn. 79), Einführung in das besondere Steuerschuldrecht, § 8 Rz. 121 ff., S. 212 ff.; Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 167 ff., S. 57 ff., insb. Rz. 175, S. 60. 97 Anders BVerfGE 110, 274 (296 f.). 98 Allgemein lässt das Bundesverfassungsgericht Lenkungsteuern zu, st. Rspr.; etwa BVerfGE 16, 147 (161); BVerfGE 98, 106 (117); BVerfGE 110, 274 (292 f., 296 f.); vgl. dazu J. Lang (Fn. 64), Finanzverfassungsrechtliche Grundlagen der Steuerrechtsordnung, § 3 Rz. 11, S. 46; auch J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 111, S. 94, der von „Sozialzwecksteuern“ spricht; kritisch P. Kirchhof (Fn. 48), Der sanfte Verlust der Freiheit, S. 10 ff., 54 ff. 99 Dazu P. Kirchhof, Verfassungsrechtliche Grenzen von Umweltabgaben, in DStJG 15, Köln 1993, S. 3 ff., 7; P. Kirchhof, Steuergleichheit, StuW 1989, 299 ff. 100 J. Lang (Fn. 79), Einführung in das besondere Steuerschuldrecht, § 8 Rz. 121 ff., S. 212 ff. 101 Dazu Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, HStR, Bd. VI, Heidelberg 1989, § 152, Rz. 65.

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überlässt, ob sie von ihrer Freiheit und ihren Freiheitsrechten Gebrauch machen, und gegenüber legalem Handeln Neutralität wahrt. 5. Die steuerliche Sonderbelastung hat gleichheitswidrigen Abschöpfungscharakter, wenn sie nicht durch besondere Leistungen des Staates für den Kraftfahrzeugverkehr gemäß dem Äquivalenzprinzip gerechtfertigt werden kann. Als Verbrauchsteuer darf die steuerliche Belastung des Kraftstoffverbrauchs über das Maß, welches das Äquivalenzprinzip ergeben würde, nicht hinausgehen, wenn das Gleichheitsprinzip gewahrt werden soll. Die Belastungen gehen aber weit darüber hinaus. Das Steueraufkommen aus der Mineralölsteuer mit der Mehrwertsteuer macht fast 50 Mrd. Euro aus. Hinzu kommt die Kraftfahrzeugsteuer, die Kraftfahrzeugversicherungssteuer u. a. m. Die Kosten für den Straßenverkehr, die jährlich von Bund, Ländern und Gemeinden aufgewandt werden, dürften bei weitem nicht die Hälfte dieses Betrages erreichen. Von den Kraftfahrern wird somit ein Sonderbeitrag zur Finanzierung des Staatshaushalts abverlangt, der unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht schon deswegen gerechtfertigt ist, weil sie es leisten und zu leisten vermögen. Eine maßvolle Verbrauchsteuer auf den Kraftstoffverbrauch mag genauso gerechtfertigt sein wie maßvolle Verbrauchsteuern im übrigen, weil, um es zu wiederholen, das Grundgesetz Verbrauchsteuern neben der Umsatzsteuer nennt. Das Übermaß der kombinierten Mineralöl- und Mehrwertsteuer, also der Verbrauch- und der Umsatzsteuer, beides der Sache nach Verbrauchsteuern102, ist jedoch gleichheitswidrig. Es belastet die Kraftfahrer, nicht aber den andern Teil der Bevölkerung, der Kraftfahrzeuge nicht nutzt. Die unterschiedliche Inanspruchnahme für die Finanzierung des Staates ist nicht begründbar. Sie ist, soweit sie nicht vom Äquivalenzprinzip gerechtfertigt ist, willkürlich, also grobes Unrecht. Sie verletzt das rechte Maß, das materiale Rechtsprinzip an und für sich. Unrecht ist wegen ihrer Höhe bereits die Mineralölsteuer. Dieses Unrecht wurde bereits durch das Öko-Steuergesetz verstärkt.103 Seit langem aber geht die Mehrwertsteuer auf die Mineralölsteuer über das zumutbare Maß hinaus und ist darum als Willkürakt grobes Unrecht. Die steuerliche Gesamtbelastung des Kraftstoffverbrauchs ist mit Rechtsprinzipien nicht zu vereinbaren. 6. Die Einkommensverwendungsteuern, zu denen die Verbrauchsteuern und insbesondere auch die Mehrwertsteuer gehören104, leiden ohnehin unter der Rechtfertigungsschwäche, dass das Einkommen, welches verwendet wird, mittels der Einkommensteuer schon besteuert wurde. Dennoch werden die Einkommensverwendungsteuern als gerechtfertigt und als rechtmäßig angesehen105, wohl vor allem, weil die Steuertradition und der Verfassungstext es

__________ 102 Hinweise in Fn. 2. 103 A. A. BVerfGE 110, 274 (291 ff.). 104 BVerfGE 16, 65 (74); BVerfGE 49, 343 (354); Reiß (Fn. 2), Umsatzsteuer, § 14 Rz. 1, S. 502; J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 111, S. 94. 105 BVerfGE 16, 64 (74); BVerfGE 49, 343 (354); BVerfGE 65, 325 (346 f.); P. Kirchhof (Fn. 2), HStR, Bd. IV, § 88 Rz. 155 ff.; grundsätzliche Kritik von Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 528 ff.

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ausschließen, sie ins Unrecht zu setzen. Dass aber ausgerechnet eine Eigentumsverwendungsteuer, die Mineralölsteuer, erhöht durch die Öko-Steuer, im Verbund mit der Mehrwertsteuer und auch der Kraftfahrzeugsteuer, genutzt werden, um mehr als 10 % des Steueraufkommens des Staates zu vereinnahmen, ist schwer zu rechtfertigen, wenn überhaupt eine Steuerrechtfertigung versucht wird. Auch die Steuerhöhe zu rechtfertigen gebieten das Gleichheitsprinzip und durchaus auch das den Gleichheitssatz materialisierende Leistungsfähigkeitsprinzip106, wenn dieses nicht darauf reduziert werden soll, dass die Leistungsfähigkeit durch die Beschaffungsakte erwiesen wird. 7. Das Übermaß der Besteuerung des Kraftstoffverbrauchs könnte durch das steuerverfassungsrechtliche Äquivalenzprinzip107, den Fiskalzweck der Steuern108, gerechtfertigt sein. Durch das besondere Äquivalenzprinzip sind Steuern gerechtfertigt, wenn deren Aufkommen ausschließlich oder doch wesentlich verwendet wird, um staatliche Leistungen zu finanzieren, die den besonderen Steuerpflichtigen in besonderer Weise zugute kommen. Letztlich beruht das gesamte Steuersystem auf dem allgemeinen Äquivalenzprinzip, weil der Staat als Einrichtung der Bürger zur Verwirklichung des gemeinen Wohls von den Bürgern durch Steuern finanziert wird.109 Wenn der Staat jedoch für besondere Bürger besondere Leistungen erbringt, ist es durch das besondere Äquivalenzprinzip im engeren Sinne gerechtfertigt, dass die Bürger, die durch die Leistungen des Staates einen Nutzen haben, diese Leistungen finanzieren. Die Steuer hat im Falle besonderer Äquivalenz die Funktion einer pauschalen Gebühr. Das Hauptbeispiel in diesem engeren Sinne äquivalenter Steuern sind die Steuern, welche auf den Kraftfahrzeugverkehr erhoben werden, insbesondere die Mineralölsteuer, aber auch die Kraftfahrzeugsteuer und andere Steuern mehr. Nach Art. 1 Abs. 1 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes vom 28.3.1960 (BGBl I 1960, 201 ff.) ist „der auf den Kraftverkehr entfallende Teil des Aufkommens an Mineralölsteuer für Zwecke des Straßenwesens zu verwenden“. Dieses Gesetz war Ausdruck des Äquivalenzprinzips. Diese Zweckbindung wurde durch § 22 Haushaltsbegleitgesetz 1973 aufgehoben. Die Mineralölsteuer wird dennoch auch mit dem Äquivalenzprinzip gerechtfertigt.110 Die Ausgaben des Staates, welche dem Kraftfahrzeugverkehr zugute kommen, vor allem also für den Straßenbau, betragen aber nur einen Teil des Steueraufkommens aus den Steuern, welche Kraftfahrer zu zahlen haben. Diese Ausgaben belaufen sich auf etwa 17 Mrd. Euro für das ganze Straßennetz

__________ 106 So Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 33 ff., 157 ff., S. 12 ff., 50 ff.; in diesem Sinne schon Birk (Fn. 29), Das Leistungsfähigkeitsprinzip, S. 50 ff.; ebenso Tipke, Die Steuerrechtsordnung (Fn. 26), Bd. II, S. 899 ff.; J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 81 ff., S. 82 ff. 107 Tipke (Fn. 29), Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 475 ff.; J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 86 f., S. 85; Birk (Fn. 2), Steuerrecht, Rz. 29 ff., S. 11 ff. 108 J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 20, S. 69. 109 Vgl. Vogel (Fn. 47), HStR, Bd. I, § 27 Rz. 62, 64 ff. 110 Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1003; vgl. J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 88, S. 86.

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Deutschlands (Stand 2002)111, während die Steuern auf den Kraftverkehr, zu denen auch die Mineralölsteuer mit der Umsatzsteuer gehören, 2006 etwa 60 Mrd. Euro erbracht haben. Das Mehraufkommen wird durch den „Sozialzweck“112 zu Gunsten der Rentenfinanzierung und als Lenkungsteuer zum Umweltschutz zu rechtfertigen versucht.113 Die Rechtfertigung der durch die Umsatzsteuer erhöhten Mineralölsteuer als Lenkungsteuer ist schon kritisiert worden. Sie ist als Lenkungsinstrument nicht nur untauglich, sondern auch freiheitsrechtlich bedenklich. Vor allem kann die Höhe dieser Besteuerung mit dem ohnehin fragwürdigen Lenkungszweck nicht begründet werden. Außerdem ist die Maut für Lastkraftwagen dazugekommen.114 Die Mineralölsteuer ist als Verbrauchsteuer tragfähig, aber nur in begrenzter Höhe. An sich ist die formale Rechtfertigung, die sich aus der Nennung der Verbrauchsteuern in Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG ergibt, durch das allgemeine Äquivalenzprinzip materialisiert, weil Verbrauchsteuern durchgehend eine Rechtfertigung darin zu finden vermögen, dass die Möglichkeit, durch Verbrauch Vermögen zu verwenden, auch durch den Staat geschaffen wird, der in vielfältiger Weise das Leben sichert und fördert. Allein schon die Rechtlichkeit der Lebensverhältnisse ist ein öffentliches Gut, das finanziert werden muss. Das rechtfertigt nicht nur die Besteuerung allgemein, sondern auch Verbrauchsteuern. Wenn der Staat besondere Daseinsvorsorge betreibt, wie vor allem durch den Straßenbau, so rechtfertigt das gemäß dem besonderen Äquivalenzprinzip besondere Steuern, nämlich die auf den Kraftfahrzeugverkehr bezogenen Verbrauchsteuern. Die Verbrauchsteuern dürfen somit entweder gemäß dem besonderen Äquivalenzprinzip den Ausgaben des Staates entsprechen, welche den Verbrauch ermöglichen, oder sie dürfen an den allgemeinen Leistungen des Staates für das gemeinsame Leben orientiert sein. Diese allgemeinen Leistungen des Staates werden jedoch durch alle Steuern finanziert und müssen darum den allgemeinen steuerverfassungsrechtlichen Prinzipien, allem voran dem gleichheitlichen Leistungsfähigkeitsprinzip, genügen. Das bedarf eines Maßes der Gerechtigkeit, des rechten Maßes. 8. Für die Besteuerung des Vermögens durch Einkommen- und Vermögensteuern hat das Bundesverfassungsgericht den Halbteilungsgrundsatz entwickelt, wonach die „steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages“ (pauschaliert) „in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt und dabei insgesamt auch Belastungsergebnisse vermeidet, die einer vom Gleichheitssatz gebotenen Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit zuwider laufen“115. Wenn Verbrauchsteuern nicht

__________ 111 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Verkehr in Zahlen, Hamburg 2005/06, S. 127. 112 J. Lang (Fn. 29), Rechtsstaatliche Ordnung des Steuerrechts, § 4 Rz. 21 f., 124 ff., S. 69 f., 99 f. 113 Tipke (Fn. 26), Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, S. 1003; vgl. J. Lang (Fn. 79), Einführung in das besondere Steuerschuldrecht, § 8 Rz. 111 ff., S. 208 ff., insb. Rz. 121 f., S. 212 f.; vgl. BVerfGE 110, 274 (292 f., 296 f.). 114 Walter, Die LKW-Maut in Deutschland, Diss. Erlangen-Nürnberg, i. V. 115 Hinweise in Fn. 64.

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über 100 % des Nettowarenpreises hinausgehen, ist ein tragfähiger Grundsatz gefunden, der dem Prinzip des rechten Maßes genügt. Nach einem solchen Grundsatz würde auch die Einkommensverwendung zur Hälfte privatnützig und zur anderen Hälfte sozialpflichtig sein und damit der vom Bundesverfassungsgericht herangezogenen politischen Leitentscheidung des Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechen. Verbrauchsteuern dürfen danach entweder 100 % des Nettowarenpreises nicht übersteigen oder müssen durch das besondere Äquivalenzprinzip, quasi als Gebühren, gerechtfertigt werden können. Weitere Belastungen des Verbrauchs lassen sich mit Lenkungsargumenten nicht rechtfertigen, wenn das besteuerte Handeln durch die Freiheitsrechte geschützt ist. Die Mineralölsteuer übersteigt diese Maßstäbe mit etwa 250 % des Nettopreises des Benzins bei weitem. Ihre Höhe lässt sich mit dem Äquivalenzprinzip nicht rechtfertigen. Das gilt erst recht für die Mehrwertsteuer auf die ökologisierte Mineralölsteuer. Jedenfalls die Mehrwertbesteuerung der Mineralölsteuer übersteigt das Verfassungsprinzip des rechten Maßes und ist auch darum dem Willkürvorwurf ausgesetzt.

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3. Einfluss des Europarechts auf die Umsatzsteuer Michael Tumpel

Unternehmensvermögen bei gemischter Nutzung nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Rechtsprechung des EuGH zur Zuordnung von Gegenständen zum Unternehmensvermögen 1. Die Einlage in das Unternehmensvermögen berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug 2. Vollständiger Vorsteuerabzug bei beabsichtigter unternehmerischer Nutzung im Zeitpunkt der Anschaffung 3. Keine Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug 4. Wahlrechte des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Zuordnung von privat und unternehmerisch genutzten Gegenständen

III. EuGH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gebäuden 1. Ausschluss der Steuerbefreiung bei teilweise privat genutzten Gebäuden des Unternehmens 2. Kein Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei Nichtbesteuerung des Eigenverbrauchs 3. Verteilung der Herstellungskosten auf den Berichtigungszeitraum für die Bemessung des Eigenverbrauchs IV. Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zur gemischten Nutzung von Gegenständen V. Schlussbemerkung

I. Vorbemerkung Dem Jubilar ist zuzustimmen, wenn er in der 18. Auflage von Tipke/Lang, Steuerrecht1, die Rechtsprechung des EuGH2 kritisiert, welche ein freies Zuordnungswahlrecht3 hinsichtlich gemischt genutzter Gegenstände postuliert, indem er schreibt: „M. E. hat ein so weitgehendes freies Zuordnungswahlrecht keine Grundlage in der 6. Richtlinie. Bei sog. gemischt-genutzten Gegenständen wäre es richtiger, von vornherein anteilig den Vorsteuerabzug im Umfange der außerunternehmerischen Verwendung zu versagen. Art. 5 VI und 6 II lassen aus Vereinfachungsgründen eine volle objektiv

__________ 1 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 157, S. 588 f. 2 Siehe unten. 3 Siehe Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 157, S. 588.

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Michael Tumpel erfolgende Zuordnung zum Unternehmen bestehen, wenn es erst nachträglich zu einer Zweckänderung kommt. Dann wird der Ausgleich, statt über eine Vorsteuerkorrektur, über eine Besteuerung der Entnahme oder Verwendung zu außerunternehmerischen Zwecken geschaffen. Für weitergehende Wahlrechte besteht weder Raum noch Bedürfnis. Der Problematik der Weiterveräußerung von ohne Vorsteuerabzugsrecht erworbenen Gegenständen ist durch eine großzügige Auslegung der Differenzbesteuerung (Art. 26a, § 25a UStG) zu begegnen. Korrespondierend zur Abschaffung des freien Zuordnungsrechts bedarf es allerdings auch einer Änderung des Art. 20 zur Vorsteuerkorrektur … Hier muß eine Vorsteuerkorrektur auch bei der nachträglichen Einlage in das Unternehmen ermöglicht werden.“

Der folgende Beitrag versucht, die EuGH-Rechtsprechung zur Frage der gemischt-genutzten Gegenstände zu analysieren sowie die von Reiß aufgezeigte Lösung auf der Grundlage der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (2006/112/EG) näher zu begründen und kritisch zu würdigen.

II. Rechtsprechung des EuGH zur Zuordnung von Gegenständen zum Unternehmensvermögen 1. Die Einlage in das Unternehmensvermögen berechtigt nicht zum Vorsteuerabzug Nach Auffassung des EuGH knüpft Art. 17 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 167 MwStSystRL) den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs an den Steueranspruch, der im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung entsteht.4 Nach Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 MwStSystRL) ist der Steuerpflichtige, soweit er als solcher die Gegenstände für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, in diesem Zeitpunkt befugt, die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für diese Gegenstände abzuziehen. Wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände hingegen nicht für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 9 MwStSystRL), sondern für seinen privaten Verbrauch verwendet, besteht kein Recht auf Vorsteuerabzug.5 Die Regelung des Art. 20 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 187 MwStSystRL) über die Vorsteuerabzugsberichtigung enthält nach der Rechtsprechung des EuGH keine Bestimmung hinsichtlich der Entstehung eines Rechts auf Vorsteuerabzug.6 Im Fall von Einlagen in das Unternehmen steht daher kein nachträglicher Vorsteuerabzug zu. Problematisch erweist sich diese Folge vor allem in Hinblick auf den der Mehrwertsteuer inhärenten Grundsatz der steuerlichen Neutralität.7 Bei Einlage eines vorher außerhalb des unternehmerischen Bereichs angeschafften Gegenstandes entsteht wegen der Restumsatzsteuer letztlich ein Verschmutzungseffekt. Der EuGH hat diese im Urteil in der

__________ 4 5 6 7

EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 8. EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 9. EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 11. Lohse, Der Neutralitätsgrundsatz im Mehrwertsteuerrecht, in Achatz/Tumpel (Hrsg.), EuGH-Rechtsprechung und Umsatzsteuerpraxis, Wien 2001, S. 69.

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Unternehmensvermögen bei gemischter Nutzung

Rechtssache Lennartz8 geäußerte Auffassung für im hoheitlichen Bereich angeschaffte Gegenstände in der Rechtssache Waterschap Zeeuws Vlaanderen9 bestätigt. 2. Vollständiger Vorsteuerabzug bei beabsichtigter unternehmerischer Nutzung im Zeitpunkt der Anschaffung Aus dem Urteil in der Rechtssache Rompelman10 ergibt sich, dass eine Person, die Gegenstände für Zwecke ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit i. S. d. Art. 4 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 9 MwStSystRL), d. h. für eine unternehmerische Tätigkeit erwirbt, dies auch dann als Steuerpflichtiger (d. h. Unternehmer) tut, wenn die Gegenstände nicht sofort für diese wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden.11 Der EuGH folgert im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL), wonach die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder für unternehmensfremde Zwecke einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt ist, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat, dass ein Steuerpflichtiger bei einer teilweise privaten Verwendung des Gegenstands eine entgeltliche besteuerte Dienstleistung erbringt. Bei Personen, die Gegenstände zum Teil für Zwecke der besteuerten Umsätze und teilweise für private Zwecke verwenden und die im Zeitpunkt des Erwerbs der Gegenstände die gezahlte Vorsteuer ganz oder zum Teil zurückerhalten haben, geht der EuGH davon aus, dass sie die Gegenstände in vollem Umfang für Zwecke ihrer besteuerten Umsätze i. S. d. Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 MwStSystRL) verwenden. Folgerichtig haben diese Personen ein Recht auf vollständigen und sofortigen Abzug der beim Erwerb der Gegenstände geschuldeten Vorsteuer.12 Von einem diesbezüglichen Zirkelschluss des EuGH, weil Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) den vorangegangenen Vorsteuerabzug verlange13, kann m. E. nicht gesprochen werden. Entscheidend ist, dass der Vorsteuerabzug zusteht, soweit der Gegenstand für besteuerte Umsätze verwendet wird und die Mehrwertsteuersystemrichtlinie keine Vorschrift enthält, die bei bloß teilweiser unternehmerischer Nutzung das Recht auf Vorsteuerabzug einschränkt.14 Diese Bedingung ist durch Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a

__________ 8 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795. 9 EuGH v. 2.6.2005 – Rs. C-378/02 – Waterschap Zeeuws Vlaanderen, EuGHE 2005, I-4685 – Rz. 39. 10 EuGH v. 14.2.1985 – Rs. 268/83 – Rompelman, EuGHE 1985, 655 – Rz. 22. 11 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 14. 12 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 26. 13 Krumenacker, UFS zum Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gebäuden, SWK 2006, 542 (542); Krumenacker, Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gegenständen und Dienstleistungen, UR 2007, 473 (480). 14 Ruppe, SWK 1996, A 450 Fn. 3.

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MwStSystRL) erfüllt. Für eine bestimmte Abfolge, wonach der Vorsteuerabzug dem Tatbestand des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) vorgelagert sein müsse, gibt es in der Richtlinie keinen Anhaltspunkt. 3. Keine Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug Das Recht auf Vorsteuerabzug darf von den Mitgliedstaaten nicht eingeschränkt werden. Dies gilt grundsätzlich, selbst wenn die Gegenstände nur in untergeordnetem Umfang für Zwecke wirtschaftlicher Tätigkeiten verwendet werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur bei Normierung der Beschränkung des Vorsteuerabzugs in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie möglich15 oder wenn ein Mitgliedstaat auf der Basis des Art. 397 MwStSystRL (früher Art. 27 der 6. EG-Richtlinie) vom Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig ermächtigt wurde. Von der Mehrwertsteuersystemrichtlinie abweichende Sondermaßnahmen können nur dann eingeführt werden, wenn dies zur Vereinfachung der Steuererhebung oder zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen notwendig ist. Auf dieser Rechtsgrundlage wurde Deutschland ermächtigt16, bis zum 31.12. 2009 abweichend von Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 168 MwStSystRL) Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom Abzug der Mehrwertsteuer auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden. Die Umsetzung erfolgte mit Wirkung vom 1.4.199917 durch § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG, wonach die Lieferung, die Einfuhr und der innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt, nicht für das Unternehmen ausgeführt gilt. Weil die Ermächtigung durch eine Entscheidung des Rates bloß die Einschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug vorsieht, nicht aber den Ausschluss der Unternehmenszugehörigkeit wie dies § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG bei unter 10 %iger unternehmerischer Nutzung normiert, bedeutet dies nach der EuGHRechtsprechung, dass auch bei einer Nutzung von mehr als 90 % für unternehmensfremde Zwecke eine Zugehörigkeit zum Unternehmen zu 100 % gegeben ist, wenn der Unternehmer nicht anders entscheidet. Ausgeschlossen wird durch diese Regelung daher bloß der Vorsteuerabzug, und damit die Steuerbarkeit bei Entnahme oder Verwendung gem. Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL). Die Veräußerung ist gestützt auf Art. 136 Buchst. a und b MwStSystRL (Art. 13 Teil B Buchst. c der 6. EG-Richtlinie) steuerfrei.18

__________ 15 16 17 18

EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 29 ff. Ermächtigung vom 19.11.2004, ABl. EU Nr. L 357/2004, 33. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BGBl. I 1999, 402. Vgl. im Ergebnis auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 628.

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Wenn im Zeitpunkt der Anschaffung des Gegenstandes der unternehmerische Zweck nicht mindestens 10 % erreicht, steht somit der Vorsteuerabzug auch nicht hinsichtlich des unternehmerisch genutzten Teils zu. Ob Vorsteuerbeträge, die im Zusammenhang mit der unternehmerischen Verwendung anfallen, abzugsfähig sind, ist fraglich. Zumal § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG postuliert, dass diese Gegenstände nicht als solche für das Unternehmen angesehen werden dürfen, könnte daher argumentiert werden, dass für unternehmensfremde Gegenstände kein Vorsteuerabzug möglich ist.19 Auch die Ermächtigung durch eine Entscheidung des Rates, dass für „Ausgaben für solche Gegenstände“ der Vorsteuerabzug ausgeschlossen werden kann, spricht für die fehlende Möglichkeit des Vorsteuerabzugs. Zumal allerdings Einschränkungen des Vorsteuerabzugs nach der Judikatur des EuGH grundsätzlich eng auszulegen sind20 und der Vorsteuerabzug für Aufwendungen für die Anschaffung eines Investitionsgutes vom Vorsteuerabzug der Aufwendungen für dessen Gebrauch und Erhaltung grundsätzlich zu trennen ist21, überzeugt die Lösung22, dass ein Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der unternehmerischen Verwendung eines unter 10 % unternehmerische genutzten Gegenstandes zusteht. Nach Auffassung der Verwaltungspraxis ist der Unternehmer, der einen Gegenstand bei der Anschaffung zu unter 10 % unternehmerisch nutzt, bei einer nachträglichen Verwendungsänderung, so dass die unternehmerische Nutzung zumindest 10 % beträgt, zu keiner positiven Vorsteuerkorrektur gem. § 15a UStG berechtigt.23 Für diese Rechtsauffassung spricht, dass der Gegenstand nicht dem Unternehmen zugeordnet wurde, was aber Voraussetzung für die Vorsteuerberichtigung wäre und eine spätere Einlage nicht mehr zum Vorsteuerabzug berechtigt. Unter Beachtung der Tatsache, dass die Ermächtigung durch die Entscheidung des Rates es Deutschland aber bloß ermöglicht, abweichend von Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 168 MwStSystRL) den Abzug der Mehrwertsteuer auf Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen auszuschließen, die zu mehr als 90 % für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden, diese Gegenstände aber entsprechend der Entscheidung des Unternehmers im Unternehmen bleiben, muss bei Wegfall der für den Ausschluss des Vorsteuerabzugs geltenden Voraussetzung bei einer Nutzungsänderung, gestützt auf den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, der Vorsteuerabzug gem. Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) und damit die Berichtigung gem. Art. 187 MwStSystRL (Art. 20 der 6. EG-Richtlinie) zulässig sein.24

__________ 19 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 629. 20 EuGH v. 8.1.2002 – Rs. C-409/99 – Metropol und Stadler, EuGHE 2002, I-81 – Rz. 59; EuGH v. 14.9.2006 – Rs. C-228/05 – Stradasfalti, EuGHE 2006, I-8391 – Rz. 34. 21 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 33. 22 Ruppe, UStG, § 12 öUStG Rz. 87. 23 BMF, Schr. v. 6.12.2005 – IV A 5 – S 7316 – 25/05, BStBl. I 2005, 1068 – Rz. 6; Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 15 UStG Rz. 457; Widmann, Die umsatzsteuerliche Zuordnung von Vorbezügen eines Unternehmens zu seinem Unternehmen, DB 2000, 1145 (1147 f.). 24 Siehe im Ergebnis auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 631.

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Im umgekehrten Fall, bei dem ein Gegenstand zunächst zu mindestens 10 % unternehmerisch genutzt wurde und der Vorsteuerabzug nach Wahl des Unternehmers zur Gänze vorgenommen wurde, hat eine verstärkte nicht unternehmerische Nutzung einen umfangreicheren Verwendungseigenverbrauch zur Folge.25 Es stellt sich aber die Frage, ob sich der Unternehmer unter Umständen unmittelbar auf die Richtlinie in Verbindung mit der Ermächtigung durch die Entscheidung des Rates berufen könnte, welche bloß den Vorsteuerabzug ausschließt. Innerhalb des Berichtigungszeitraums würde eine Nutzungsänderung in diesem Fall zu einer Berichtigung gem. § 15a UStG führen. Außerhalb des Berichtigungszeitraums käme es zu keinem Eigenverbrauch.26 4. Wahlrechte des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Zuordnung von privat und unternehmerisch genutzten Gegenständen Im Urteil in der Rechtssache Lennartz27 wurde vom EuGH festgestellt, dass Investitionsgüter, die sowohl für private als auch für unternehmerische Zwecke verwendet werden, als Gegenstände des Unternehmens behandelt werden können. Die Mehrwertsteuer ist in diesem Falle grundsätzlich voll abzugsfähig. Im Folgeurteil in der Rechtssache Armbrecht28 macht der EuGH deutlich, dass ein Steuerpflichtiger, der einen Teil eines Gegenstands in seinem Privatvermögen belassen möchte, daran durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht gehindert ist. Er kann daher den Gegenstand dem Mehrwertsteuersystem entziehen. Eine solche Auslegung erlaubt es dem Steuerpflichtigen, selbst zu entscheiden, ob der privat genutzte Anteil eines Gegenstands im Hinblick auf die Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie Teil seines Unternehmen sein soll.29 Entsprechend dem Urteil in der Rechtssache Bakcsi30 hat der Steuerpflichtige auch die Möglichkeit, ein Investitionsgut in vollem Umfang seinem Privatvermögen zuzuordnen, selbst wenn er dieses sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke nutzt. Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthält nach Auffassung des EuGH keine Bestimmungen, die einem Steuerpflichtigen verbieten würden, ein Investitionsgut, das er sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke erwirbt, in vollem Umfang in seinem Privatvermögen zu belassen und dem Mehrwertsteuersystem zur Gänze zu entziehen.31 Ordnet der Steuerpflichtige den Gegenstand allerdings nicht dem Unternehmen zu, kann die bei Erwerb des Gegenstandes geschuldete oder abgeführte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden.

__________ 25 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 625. 26 Vgl. Tumpel, Lennartz, Armbrecht und (k)ein Ende, in Achatz/Ehrke-Rabel/Heinrich/ Leitner/Taucher, Steuerrecht – Verfassungsrecht – Europarecht, Festschrift für Ruppe, Wien 2007. 27 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795. 28 EuGH v. 4.10.1995 – Rs. C-291/92 – Armbrecht, EuGHE 1995, I-2775 – Rz. 19. 29 EuGH v. 4.10.1995 – Rs. C-291/92 – Armbrecht, EuGHE 1995, I-2775 – Rz. 20. 30 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 27. 31 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 26.

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Konsequenz der vorliegenden Urteile, in welchen sich der EuGH mit der Frage der Zuordnung von gemischt genutzten Gegenständen befasst hat, ist somit, dass es dem Steuerpflichtigen frei steht, zu wählen, erworbene Gegenstände zur Gänze dem Unternehmen zuzuordnen (Rechtssache Lennartz), zur Gänze im Privatvermögen zu belassen (Rechtssache Bakcsi) oder nur teilweise dem Unternehmen zuzuordnen (Rechtssache Armbrecht).32 Fraglich bleibt, ob eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen eine zumindest geringfügige unternehmerische Nutzung im Zeitpunkt des Erwerbs voraussetzt bzw. es für eine Zuordnung zum Privatvermögen einer zumindest geringfügig privaten Nutzung bedarf. Da zufällige völlig untergeordnete Nutzungen entweder in der Privat- oder Unternehmenssphäre nicht für die Zuordnung entscheidend sein sollten33, müsste konsequenterweise eine Zuordnung zum Unternehmensvermögen möglich sein, wenn ansonsten eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Problematisch erscheint dieses Ergebnis allerdings insbesondere in jenen Fällen, in denen der Gegenstand nach den gesamten Umständen allein für eine nicht unternehmerische Verwendung bestimmt ist (z. B. Swimmingpools im Wohnbereich).34 Wird ansonsten keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt, kann diese hingegen durch den bloßen Eigenverbrauch nicht begründet werden.

III. EuGH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gebäuden 1. Ausschluss der Steuerbefreiung bei teilweise privat genutzten Gebäuden des Unternehmens Im Urteil in der Rechtssache Seeling35 bestätigt der EuGH zuerst seine Rechtsprechung, wonach ein Steuerpflichtiger wählen kann, ob der privat genutzte Teil eines Gegenstands für die Anwendung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie seinem Unternehmen zugeordnet werden soll.36 Bei Investitionsgütern, die sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet werden, kann sich der Steuerpflichtige entscheiden, ob er diese Gegenstände seinem Unternehmensbereich zuordnen will. Bei voller Zuordnung dieser Gegenstände kann die Vorsteuer beim Erwerb grundsätzlich sofort und vollständig abgezogen werden.37 Die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen wird jedoch gem. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) einer Dienstleistung gegen Entgelt gleich-

__________ 32 Vgl. Ruppe, UStG, § 12 öUStG Rz. 86/1. 33 Heinrich, Die umsatzsteuerliche Behandlung gemischt genutzter Wirtschaftsgüter nach dem EuGH-Urteil Bakcsi, ÖStZ 2001, 470 (474). 34 Vgl. Forgách in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 15 UStG Rz. 127. 35 EuGH v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101. 36 EuGH v. 4.10.1995 – Rs. C-291/92 – Armbrecht, EuGHE 1995, I-2775 – Rz. 20; EuGH v. 8.3.2001 – Rs C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 25. 37 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 26; EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 25.

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gestellt und gem. Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 75 MwStSystRL) auf der Grundlage des Betrages der Ausgaben für die Erbringung der Dienstleistung besteuert, sofern der Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der entrichteten Mehrwertsteuer berechtigt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind Befreiungen grundsätzlich eng auszulegen.38 Aus diesem Grund kann die für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen erfolgende Verwendung einer Wohnung in einem dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes nicht nach Art. 13 Teil B Buchst. b der 6. EGRichtlinie (jetzt Art. 135 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL) befreit sein. Steuerpflichtige, die Gebäude dem Unternehmen zuordnen, haben somit die Möglichkeit, sämtliche für die gesamten Herstellungskosten geschuldeten Vorsteuerbeträge abzuziehen. Die Tatsache, dass dies zur Folge haben kann, dass ein Letztverbrauch nicht versteuert wird, weil bei dem in Art. 20 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 187 MwStSystRL) vorgesehenen Berichtigungszeitraum der Vorsteuerabzug teilweise korrigiert werden kann, hat der EuGH in Kauf genommen.39 Er bezeichnet dies als Folge einer bewussten Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers. Dies könne nicht zur Konsequenz haben, dass eine weite Auslegung der Befreiungsbestimmung geboten wäre. Die Mitgliedstaaten haben zudem seit Inkrafttreten der Richtlinie 95/7/EWG im Mai 1995 die Möglichkeit, den Zeitraum für die Vorsteuerberichtigung bei Grundstücken auf 20 Jahre auszudehnen. Die Verwendung eines Grundstücks für unternehmensfremde Zwecke konnte daher nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Seeling40 nicht mehr als steuerfreie unentgeltliche Wertabgabe gem. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG betrachtet werden.41 2. Kein Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei Nichtbesteuerung des Eigenverbrauchs In Österreich wurde, anders als in Deutschland, zur Verhinderung von Steuerausfällen vorgesehen, dass die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstückes (bzw. Gebäudes), das zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen oder für den Bedarf seines Personals, einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt wird, nicht gilt. Parallel dazu wurde der Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen sowie für die Einfuhr von Gegenständen, soweit diese im Zusammenhang mit der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Grundstückes für private Zwecke steht, aus-

__________ 38 EuGH v. 15.6.1989 – Rs. 348/87 – Stichting Uitvoering Financiële Acties, EuGHE 1989, 1737 – Rz. 13; EuGH v. 20.6.2002 – Rs. C-287/00 – Kommission/Deutschland, EuGHE 2002, I-5811 – Rz. 43. 39 EuGH v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EugHE 2003, I-4101 – Rz. 54. 40 EuGH v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101. 41 Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 12 UStG Rz. 56.

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geschlossen. Auf diese Weise soll der Vorsteuerabzug selbst bei Zuordnung des gesamten gemischt genutzten Gebäudes zum Unternehmensvermögen für den nicht unternehmerisch genutzten Anteil verhindert werden. Nach den Erläuterungen im Gesetzgebungsverfahren soll die im Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL) vorgesehenen Möglichkeit genutzt werden, wonach die Mitgliedstaaten Abweichungen vom Eigenverbrauch vorsehen können, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Die Zulässigkeit, die Ausnahme von der Besteuerung des Eigenverbrauchs und den damit verbundenen Ausschluss vom Vorsteuerabzug auf die Regelung des Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL) stützen zu können, ist aber im Hinblick auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache Charles & Charles-Tijmens42 umstritten.43 Nach dem Urteil in der Rechtssache Charles & Charles-Tijmens ist Zweck des Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren einzuräumen, indem die Mitgliedstaaten davon absehen können, bestimmte Leistungen oder Verwendungen Dienstleistungen gegen Entgelt gleichzustellen.44 Die Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL) kann jedoch nicht dazu angewandt werden, um es den Steuerpflichtigen zu versagen, die beim Erwerb dieser Gegenstände geschuldete Vorsteuer nicht vollständig und sofort abzuziehen. Eine solche Beschränkung des Vorsteuerabzugsrechts widerspräche nämlich Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL).45 Eine allgemeine auf Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL) gestützte Ausnahme von der Besteuerung für den privaten Bedarf eines durch den Steuerpflichtigen genutzten Teils, falls die beim Erwerb des betreffenden Gegenstands geschuldete Vorsteuer vollständig abzugsfähig gewesen wäre, wäre auch mit den Zweck dieser Vorschriften unvereinbar, weil dies nach Meinung des EuGH unvermeidlich zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde.46 Der EuGH betont im Urteil in der Rechtssache Charles & Charles-Tijmens, dass ein Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, einen gemischt genutzten Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuzuordnen und den Vorsteuerabzug sofort und vollständig abzuziehen. Allerdings muss korrespondierend der Eigenverbrauch in Höhe der Ausgaben für die Verwen-

__________ 42 EuGH v. 14.7.2005 – Rs C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037. 43 Prechtl/Aigner, Versagung des Vorsteuerabzugs für gemischt genutzte Gebäude gemeinschaftsrechtswidrig, SWK 2005, 671 (674); Pirklbauer/Wagner, Zum Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gebäuden, ÖStZ 2006, 372 (374). 44 EuGH v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037 – Rz. 27; in diesem Sinne auch EuGH v. 11.9.2003 – Rs. C-155/01 – Cookies World, EuGHE 2003, I-8785 – Rz. 59. 45 EuGH v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037 – Rz. 28. 46 EuGH v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037 – Rz. 29.

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dung des genannten Gegenstands für unternehmensfremde Zwecke besteuert werden.47 Auch wenn nach der in dem Urteil in der Rechtssache Charles & CharlesTijmens48 zugrunde liegenden Bestimmung des niederländisches Rechts die Eigenverbrauchsbesteuerung und damit ein Ausschluss vom Vorsteuerabzug allgemein vorgesehen war, wenn Gegenstände oder Dienstleistungen nicht unternehmerisch genutzt wurden, wird wohl auch eine auf Grundstücke (bzw. Gebäude) eingeschränkte Bestimmung wie die österreichische Regelung als gemeinschaftsrechtswidrig zu betrachten sein, weil in diesem Fall ebenso wie nach der niederländischen Regelung die Unterscheidung aufgrund der privaten Verwendung vorgenommen wird. Auch gilt es zu bedenken, dass Steuerpflichtige, welche Gebäude errichten und diese gemischt nutzen, durch diese Regelung gerade im Vergleich mit Unternehmern, welche Gebäude herstellen und an Dritte vermieten benachteiligt werden. Eine solche Wettbewerbsverzerrung ist aber mit Art. 26 Abs. 2 MwStSystRL (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 der 6. EGRichtlinie) unvereinbar.49 3. Verteilung der Herstellungskosten auf den Berichtigungszeitraum für die Bemessung des Eigenverbrauchs Die deutsche Finanzverwaltung ist mit Schreiben vom 13.4.200450 sowie nachfolgender gesetzlicher Regelung in § 10 Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 UStG hingegen nach dem Urteil in der Rechtssache Seeling einen anderen Weg gegangen. Um neben einen allzu großen Stundungseffekt auch einen unversteuerten Letztverbrauch nach Ablauf des Berichtigungszeitraums zu vermeiden, werden die Anschaffungs- oder Herstellungskosten gleichmäßig über den Berichtigungszeitraum von 10 Jahren verteilt als Bemessungsgrundlage für die Verwendung eines Grundstücks (bzw. Gebäudes) angesetzt. Der EuGH erachtete diese Vorgangweise Deutschlands in der Rechtssache Wollny51 als gemeinschaftsrechtskonform.52 Bei gemischter Nutzung von Gebäuden im Falle der Zuordnung zum Unternehmen steht der Vorsteuerabzug grundsätzlich sofort und in voller Höhe zu.53 Entscheidet sich der Steuerpflich-

__________ 47 EuGH v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037 – Rz. 30. 48 EuGH v. 14.7.2005 – Rs. C-434/03 – Charles & Charles-Tijmens, EuGHE 2005, I-7037 – Rz. 6. 49 Zur Frage der Wettbewerbsverzerrung bei Errichtung privat genutzter Gebäude vgl. auch das Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen VwGH v. 24.9.2007 – 2006/15/0056 (EU 2007/0008), n. v.; Aktenzeichen des EuGH Rs. C-460/07. 50 BMF, Schr. v. 13.4.2004 – IV B 7 – S 7206 – 3/04, BStBl. I 2004, 468; Abschn. 155 UStR 2005. 51 EuGH v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Wollny, EuGHE 2006, I-8297. 52 Vgl. dazu Widmann, Umsatzsteuerliche Bemessung der Privatnutzung eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes für Zwecke der Vorsteuerberichtigung, UR 2006, 644 f.; Stadie, Umsatzsteuerliche Bemessung der Privatnutzung eines insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Gebäudes für Zwecke der Vorsteuerberichtigung, UR 2006, 645 f. 53 EuGH v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Wollny, EuGHE 2006, I-8297 – Rz. 22.

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tige dafür, ein Gebäude insgesamt seinem Unternehmen zuzuordnen, ist er aber verpflichtet, die Mehrwertsteuer auf den Betrag der Ausgaben für die private Verwendung zu zahlen.54 Der Begriff „Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung“ i. S. d Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 75 MwStSystRL) kann aber wegen der gemeinsamen Zielsetzung und der sich nach der Systematik der 6. EG-Richtlinie insoweit ergänzenden Rolle der Art. 6 und 20 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 26 und 187 MwStSystRL) von den Mitgliedstaaten innerhalb ihres Ermessensspielraums nach Auffassung des EuGH so ausgelegt werden, dass für die Zwecke der Bestimmung der Besteuerungsgrundlage für die private Nutzung eines Unternehmensgegenstands die Regeln über die Berichtigung der Vorsteuerabzüge angewandt werden.55 Entsprechend der im Urteil verwendeten Formulierung dürfte eine solche Verteilung auf den Berichtigungszeitraum hingegen nicht zwingend sein. Eine Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die Nutzungsdauer kommt somit ebenfalls in Betracht.56

IV. Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zur gemischten Nutzung von Gegenständen Reiß57 kritisiert zutreffend das durch die Judikatur des EuGH geschaffene freie Zuordnungswahlrecht als zu weitgehend und ohne Rechtsgrundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Für ein so weitgehendes Wahlrecht bestünde nach Auffassung von Reiß weder Raum noch Bedürfnis. Die Möglichkeit einen auch nur untergeordnet unternehmerisch genutzten Gegenstand dem Unternehmen zuzuordnen und den Vorsteuerabzug in Folge sofort und zur Gänze in Anspruch zu nehmen, schafft für Steuerpflichtige gegenüber Nichtsteuerpflichtigen einen Vorteil. Dies widerspricht allerdings dem Grundsatz der Neutralität, weil zwar das Mehrwertsteuersystem so ausgestaltet ist, dass insoweit ein Gegenstand für besteuerte Umsätze verwendet wird, der Vorsteuerabzug zustehen soll, nicht aber durch einen sofortigen vollständigen Vorsteuerabzug die Verbrauchsteuerbelastungswirkung der Mehrwertsteuer für nicht unternehmerische genutzte Gegenstände beseitigt werden soll. Der EuGH argumentiert seine Rechtsprechung zum sofortigen vollständigen Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gegenständen damit, dass die Besteuerung des Eigenverbrauchs letztlich ebenfalls zur Nutzung des Gegenstandes für besteuerte Umsätze führt.58 Diese Betrachtung erscheint grundsätzlich schlüssig und lässt sich auch nicht als unzulässiger Zirkelschluss abtun.59 Allerdings erscheint diese Auslegung der Bestimmungen der 6. EG-Richtlinie und der

__________ 54 EuGH v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101 – Rz. 43; EuGH v. 14.9.2006 – Rs C-72/05 – Wollny, EuGHE 2006, I-8297 – Rz. 24. 55 EuGH v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Wollny, EuGHE 2006, I-8297 – Rz. 37. 56 Vgl. Prodinger, EuGH-Urteil Wollny: Das Ende von Seeling?, SWK 2006, 782 (784). 57 Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 157, S. 588 f. 58 EuGH v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 26. 59 So aber Krumenacker, Vorsteuerabzug bei gemischt genutzten Gegenständen und Dienstleistungen, UR 2007, 480.

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Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht zwingend. Unter Beachtung des Grundsatzes der Neutralität der Besteuerung erscheint vielmehr eine Auslegung, wie sie auch von Reiß favorisiert wird, dem Telos des Mehrwertsteuersystems entsprechend. Zum einen bezwecken die Regelungen der Art. 17 und 26 MwStSystRL (Art. 5 Abs. 6 und 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) bloß die Neutralisierung des Vorteils, wenn ein unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzug in Anspruch genommener Gegenstand später nicht für besteuerte sondern für private Zwecke verwendet wird. Deutlich wird dieser Zweck dadurch, dass die Besteuerung unter dem Vorbehalt des vorausgegangenen Vorsteuerabzugs steht. In den Fällen der Lieferung oder Dienstleistung ist dies ansonsten nicht Voraussetzung für die Besteuerung.60 Dementsprechend erscheint es keineswegs zwingend, die Besteuerung des Eigenverbrauchs mit der Besteuerung von Lieferungen und Dienstleistungen im Hinblick auf die Voraussetzung für den Vorsteuerabzug gem. Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) gleichzusetzen. Zum anderen gilt es zu bedenken, dass der Vorteil aus dem sofortigen Vorsteuerabzug auch privat genutzter Gegenstände zwar durch die Besteuerung des Eigenverbrauchs pro rata temporis wieder verringert wird. Dennoch sind Fälle denkbar, bei denen es durch den begrenzten Berichtigungszeitraum gem. Art. 187 MwStSystRL (Art. 20 der 6. EG-Richtlinie) zu einem gänzlich unversteuerten Letztverbrauch kommt. Durch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, die Bemessungsgrundlage des Eigenverbrauchs bei der Nutzung von Gegenständen des Anlagevermögens unter Berücksichtigung der Dauer des Berichtigungszeitraums des Art. 187 MwStSystRL (Art. 20 der 6. EG-Richtlinie) festzulegen, lässt sich der Betrag des Vorsteuerabzugs zwar zur Gänze wieder rückführen. Es verbleibt dennoch ein Zinsvorteil aufgrund des Stundungseffekts, welcher aus der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs bei Erwerb des Gegenstandes resultiert.61 Auch Stundungseffekte bei der Besteuerung haben gemeinschaftsrechtliche Relevanz, wie der EuGH zumindest im Ertragsteuerbereich schon mehrfach festgestellt hat.62 Solche ergeben sich durch den Vorsteuerabzug bei von vornherein auch privat genutzten Gegenständen zwangsläufig. Aus diesem Grunde dürfte eine andere von Reiß vorgeschlagene Auslegung des Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) richtiger sein. Danach wäre bei gemischt-genutzten Gegenständen der Vorsteuerabzug von vornherein anteilig im Umfang der nicht unternehmerischen Nutzung zu versagen. Dies ließe sich unschwer mit dem Wortlaut des Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) in Einklang bringen, weil danach der Vorsteuerabzug eben nur, „soweit“ die Gegenstände für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, zustehen soll. Als „besteuerte Umsätze“ in

__________ 60 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831. 61 Vgl. Aigner/Prechtl, EuGH bestätigt deutsche Eigenverbrauchsbesteuerung bei gemischt genutzten Gebäuden, SWK 2006, 952 ff. 62 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-397/98 und C-410/98 – Metallgesellschaft ua und Höchst, EuGHE 2001 I-1727.

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Unternehmensvermögen bei gemischter Nutzung

diesem Sinne könnten eben nur die gem. Art. 14 und 24 MwStSystRL (Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie) besteuerten Lieferungen und Dienstleistungen betrachtet werden. Eine solche Auslegung würde die Neutralität des Mehrwertsteuersystems gewährleisten und damit der Zielsetzung der Richtlinie entsprechen.63 Doch auch systematische Argumente lassen sich für eine solche Auslegung ins Spiel bringen. Im Sinne von Reiß lässt sich den Bestimmungen der Art. 17 und 26 MwStSystRL (Art. 5 Abs. 6 und Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) eine eingeschränkte Funktion für solche Fälle zumessen, bei denen Gegenstände zunächst für eine vollständige unternehmerische Nutzung erworben wurden, später allerdings vorübergehend auch eine private Verwendung erfolgt. Aus Vereinfachungsgründen wird in solchen Fällen ein Ausgleich nicht über eine Vorsteuerkorrektur, sondern über die Besteuerung der Entnahme oder Verwendung geschaffen. Eine Auslegung wie sie Reiß zutreffend vorschlägt, führt allerdings dazu, dass die vom EuGH im Hinblick auf die Weiterveräußerung von ohne Vorsteuerabzug erworbenen Gegenständen erwogenen Vorgangsweise64, einer Entnahme (ohne Eigenverbrauchsbesteuerung mangels Vorsteuerabzug) und nachfolgenden Veräußerung aus dem Privatvermögen nicht funktioniert. Überhaupt erscheint eine solche Vorgangsweise eher missbräuchlich als systematisch. Vielmehr sollte in diesem Fällen einerseits durch eine großzügige Auslegung der Differenzbesteuerung begegnet werden. Die Differenzbesteuerung bezweckt für genau jene Fälle, in denen Wiederverkäufer ohne Vorsteuerabzug erworbene Gegenstände weiterveräußern, die Verhinderung eines Verschmutzungseffekts durch die Mehrwertsteuervorbelastung, welche im Widerspruch zur Neutralität der Mehrwertsteuer steht. Solche Effekte sollten generell ausgeschaltet werden, so dass die Differenzbesteuerung über den wahrscheinlich allzu engen Wortlaut der Bestimmungen der Art. 312 ff. MwStSystRL (Art. 26a der 6. EG-Richtlinie) hinaus, die Neutralität gewährleisten soll. Für den Fall der Einlage von im Privatvermögen erworbener oder selbst geschaffener Gegenstände erscheint es nicht zwingend, diese vom Vorsteuerabzug auszuschließen, wie es sich der Judikatur des EuGH entnehmen lässt.65 Vielmehr müsste, wie auch Reiß dies fordert, eine Entlastung im Ausmaß der nach Art. 187 MwStSystRL (Art. 20 der 6. EG-Richtlinie) berichtigten Vor-

__________ 63 Nach dem Entwurf für eine Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie soll ein neu eingefügter Art. 168a MwStSystRL-E folgenden Wortlauts dies nun verwirklichen: „Beim Erwerb eines Grundstücks, bei der Bebauung, bei der Renovierung oder beim erheblichen Umbau ist die ursprüngliche Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug, das gleichzeitig mit dem Steueranspruch entsteht, auf den Anteil der tatsächlichen Verwendung des Grundstücks für Umsätze, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, beschränkt.“ 64 EuGH v. 8.3.2001 – Rs. C-415/98 – Bakcsi, EuGHE 2001, I-1831 – Rz. 44. 65 EuGH v. 11.7.1991 – Rs C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 – Rz. 8; EuGH v. 30.3.2006 – Rs. C-184/04 – Uudenkaupungin kaupunki, EuGHE 2006 I-3039; vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 971.

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steuer erfolgen.66 Zwar entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug gem Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie) grundsätzlich in jenem Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Dies schließt aber nicht aus, dass ein einmal beim Erwerb entstandenes Vorsteuerabzugsrecht, das zunächst mangels Zuordnung des Gegenstandes zum Unternehmensvermögens nicht geltend gemacht werden konnte, im Falle der Nutzung für besteuerte Umsätze i. S. d. Art. 168 MwStSystRL (Art. 17 Abs. 2 der 6. EGRichtlinie) bei der Einlage im Wege der Berichtigung gem. Art. 187 MwStSystRL (Art. 20 der 6. EG-Richtlinie) ausgeübt wird. Weil eine diesbezügliche Rechtsprechungsänderung des EuGH aber nicht zu erwarten ist, sollte entweder im Wege einer Richtlinienänderung oder durch eine Durchführungsmaßnahme gem. Art. 397 MwStSystRL (Art. 29a der 6. EGRichtlinie) eine im Sinne vom Reiß veränderte Anwendung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten ermöglicht werden. Eine Durchführungsmaßnahme gem. Art. 397 MwStSystRL erscheint zulässig, zumal auch der Auslegungsspielraum diagnostizierbar ist.

V. Schlussbemerkung Reiß hat die wissenschaftliche Diskussion im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus durch seine Forschungsarbeiten zum Umsatzsteuerrecht insgesamt stets bereichert. Auch für die Frage des Vorsteuerabzugs bei gemischtgenutzten Gegenständen hat Reiß eine Lösung gefunden, die eine gemeinschaftsweite Bewältigung der durch die Rechtsprechung des EuGH geschaffenen Probleme bringen könnte.

__________ 66 Lechner, Unternehmerischer und unternehmensfremder Bereich, in Woerner (Hrsg.), Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht (DStJG 13), Köln 1990, S. 52 ff.

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Überlegungen zu grenzüberschreitenden Leistungen – Global Contracts1 Inhaltsübersicht I. Einführung: umsatzsteuerrechtliche Überlegungen bei Verträgen über grenzüberschreitende Leistungen 1. Systematik 2. Beurteilung der Steuerbarkeit 3. Der Grundlagenfall Levob

III. Beurteilung einer einheitlichen Leistung als Lieferung oder Dienstleistung IV. Ortsbestimmung 1. Lieferung 2. Dienstleistung 3. Ungelöste Probleme

II. Einzelheiten 1. Umfang des Umsatzes V. Fortentwicklung der Grundlagen2. Leistung und Umsatz entscheidungen für Global Contracts 3. Einheitliche Leistung oder selbstänin der Praxis dige Leistungen VI. Besonderheiten 4. Grenzen 5. Gesamtbetrachtung aus der Sicht des VII. Ergebnis Durchschnittsverbrauchers 6. Haupt- und Nebenleistung

I. Einführung: umsatzsteuerrechtliche Überlegungen bei Verträgen über grenzüberschreitende Leistungen Unternehmer, die weltweit Leistungen anbieten und ausführen, versuchen, die umsatzsteuerrechtlichen Probleme, soweit als möglich, mit dem Leistungsempfänger zu klären und vertraglich zu gestalten. Vertragsmuster mit umsatzsteuerrechtlich zutreffender Beurteilung sind insbesondere bei grenzüberschreitenden Leistungen gefragt. In sog. Global Contracts ist es notwendig, auch die umsatzsteuerrechtlichen Folgen zu bedenken, wenn ein Unternehmer Leistungen – vom Ausland anbietet und sie im Inland (Deutschland) empfangen werden oder – vom Inland anbietet und sie im Ausland empfangen werden. Klärungsbedürftig ist, ob und wo die Leistungen steuerbar erbracht werden, ob sie steuerfrei oder steuerpflichtig ausgeführt werden, welche Bemessungsgrund-

__________ 1 In Spandau steht nicht nur der Juliusturm mit nicht mehr vorhandenen Geldreserven. Hier ist Wolfram Reiß mit vorhandenen und sich weiter vermehrenden steuerrechtlichen Wissensschätzen groß geworden. Vielleicht haben die Spandauer das noch nicht gewusst. Aber hoffentlich jetzt. Der Verfasser (früher Berlin-Lichterfelde) grüßt den Spandauer in freundschaftlicher Verbundenheit.

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lage anzunehmen und welcher Steuersatz anwendbar ist, wer Steuerschuldner ist und nach welchem Verfahrensrecht der Umsatz beurteilt wird. 1. Systematik Dabei ist insbesondere bei komplexen Leistungen (in dieser Reihenfolge) zu prüfen, – Wird eine einheitliche Leistung oder werden mehrere Leistungen erbracht? – Wird dadurch ein Umsatz oder werden mehrere Umsätze ausgeführt? – Handelt es sich dabei um Lieferungen von Gegenständen oder (auch) um Dienstleistungen? – Wo (in welchem Staat) wird die Lieferung und/oder die Dienstleistung umsatzsteuerrechtlich bewirkt? – Ist der Umsatz steuerpflichtig? – Welcher Steuersatz ist maßgebend? – Wer ist Steuerschuldner? – Wie muss abgerechnet werden? – Wer kann Vorsteuer abziehen oder ist der Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausgeschlossen? – In welchem Verfahren ist der Umsatz anzumelden? – In welchem Verfahren ist der Vorsteuerabzug durchzuführen? Die folgenden Überlegungen greifen einige der materiell rechtlichen Fragen auf. Sie beschränken sich auf die Bestimmung der Steuerbarkeit. Richtungweisend sind die Lösungen des EuGH, die dieser aus dem Gemeinschaftsrecht ableitet. Die gemeinschaftsrechtlichen Ergebnisse werden bei Zweifeln über die Anwendung der einschlägigen einzelstaatlichen Vorschrift in richtlinienkonformer Auslegung des jeweiligen nationalen Rechts (in der Gemeinschaft) angewendet. 2. Beurteilung der Steuerbarkeit Bei komplexen grenzüberschreitenden Leistungen ist zu beurteilen, welchem Staat das Besteuerungsrecht zusteht. Umsatzsteuerrechtlich ist dafür der Ort zu bestimmen, an dem die Leistung ausgeführt wird oder als ausgeführt gilt. Der Staat, in dessen Gebiet die Leistung umsatzsteuerrechtlich erbracht worden ist, hat das Besteuerungsrecht und entscheidet, ob der Umsatz steuerfrei, steuerermäßigt2 oder mit dem allgemeinen Steuersatz besteuert wird, ob ein Vorsteuerabzug zugelassen wird und wer Steuerschuldner ist. Das Umsatzsteuerrecht dieses Staates ist sachlich und verfahrensrechtlich maßgebend.

__________ 2 Vgl. z. B. BFH v. 3.11.2005 – V R 61/03, UR 2006, 178 – Hausanschlussleistung zur Wasserversorgung; BFH v. 18.1.2005 – V R 61/03, UR 2005, 315 – Beiladung.

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Grundsätzlich wird das Besteuerungsrecht nur einem Staat zugeordnet.3 Deshalb gibt es für Umsatzsteuer keine Doppelbesteuerungsabkommen. Innerhalb der EU ist das materielle (sachliche) Umsatzsteuerrecht weitgehend durch die Richtlinie 77/388/EWG (= 6. EG-Richtlinie), ab 1.1.2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystRL) harmonisiert und berechenbar. Das Verfahrensrecht ist weitgehend Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Bei Drittländern sind deren jeweilige Besonderheiten zu beachten. Es kann in Ausnahmenfällen zu einer doppelten Nichtbesteuerung oder einer Doppelbesteuerung kommen. 3. Der Grundlagenfall Levob4 Ein Unternehmer in den USA veräußerte einer Versicherung (Levob) in den Niederlanden eine Basis-Software, die diese auf Datenträgern aus den USA in die Niederlande einführte. Der Unternehmer aus den USA entwickelte die Basis-Software in den Niederlanden für die Bedürfnisse der Versicherung fort, installierte sie auf Rechnern der Versicherung, schulte das Personal und setzte sie in Betrieb. Darüber rechnete er mit mehreren Rechnungen ab. Dieser Fall zeigt eine Reihe von umsatzsteuerrechtlichen Problemen, die bei „komplexen“ grenzüberschreitenden Dienstleistungen auftreten. Sie sind in der schon erwähnten Reihenfolge zu prüfen. Dies hat der EuGH getan. Seine Darlegungen sind für alle vergleichbaren Fälle richtungweisend.5 Sie werden in richtlinienkonformer Auslegung des jeweiligen nationalen Rechts (in der Gemeinschaft) angewendet. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis6, dass bei diesem komplexen Geschehen nur ein Umsatz durch den Unternehmer aus den USA in den Niederlanden ausgeführt worden ist. Dieser Umsatz, den der EuGH als Entwicklung und Einrichtung einer Individual-Software beurteilt, ist in den Niederlanden steuerbar und steuerpflichtig. Darin gehen alle Bestandteile auf, die dazu geführt haben, dass dieser Umsatz vereinbarungsgemäß empfangen werden konnte, somit auch der Erwerb und die Einfuhr der Basis-Software auf Datenträger und die Schulung der Mitarbeiter. Die Bemessungsgrundlage für diesen einen Umsatz schließt sämtliche Entgelte für die Bestandteile – somit auch für die Basis-Software – ein. Aus diesem Grund hatte der Leistungsempfänger Levob den Prozess geführt. Der EuGH erklärt nicht, weshalb der Leistungsempfänger (Kunde) Levob sich gegen die Bemessungsgrundlage in einem gegen ihn gerichteten Steuerbescheid

__________ 3 Vgl. z. B. EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05– Aktiebolaget, UR 2007, 420 – Rz. 45. 4 EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, UR 2006, 20. 5 Vgl. z. B. EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget, UR 2007, 420. 6 EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20.

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wenden darf, obwohl der steuerpflichtige Umsatz durch den amerikanischen Unternehmer ausgeführt wurde. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass (nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden) ein Übergang der Steuerschuldnerschaft stattgefunden hat (vgl. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 UStG) Ebenso selbstverständlich setzt der EuGH voraus, dass der Vorsteuerabzug als Veranlassung des Rechtsstreits erkannt wird. Grundsätzlich ist die Steuer, die kraft Gesetzes auf den Leistungsempfänger übergeht, als Vorsteuer abziehbar (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Der Vorsteuerabzug ist aber dann nicht oder nicht vollständig zugelassen, wenn eine Versicherung (Levob) mit unecht steuerfreien Ausgangsumsätzen dafür Eingangsleistungen durch Entwicklung und Einrichtung einer Individual-Software bezieht (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG mit § 4 Nr. 10 UStG).

II. Einzelheiten 1. Umfang des Umsatzes Die Klärung des Umfangs des Umsatzes (ein oder mehrere Umsätze) steht an oberster Stelle der Prüfungsskala, weil davon der sowohl der Ort der steuerbaren Umsätze als auch gegebenenfalls in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Befreiungen7 und die Anwendung des Steuersatzes8 abhängen können. Der Umfang des Umsatzes hängt aber vom Umfang der Leistung ab. Dadurch beginnt die Prüfung mit der Beurteilung der Leistung, um von dieser Antwort auf den Umsatz zu schließen. 2. Leistung und Umsatz Ein Umsatz setzt eine Leistung voraus. Ohne Leistung kein Umsatz. Die Verknüpfung, die der EuGH herstellt, nach der jeder Umsatz in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten sei9, ist missverständlich. Sie wird klarer, wenn sie umgestellt wird. Dann ergibt sich (z. B. aus Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL; Art. 2 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie), dass jede selbständige Leistung regelmäßig als ein Umsatz zu beurteilen ist.10

__________ 7 Vgl. z. B. EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan (CPP), EuGHE 1999, I-973 – Rz. 27. 8 BFH v. 9.10.2002 – V R 5/02, UR 2003, 143 – Getreidelieferung und Einsaat. 9 EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20 – Rz. 20. 10 Im Urteil CPP führt der EuGH noch aus, dass jede Dienstleistung in der Regel als selbständige Leistung zu beurteilen sei, vgl. EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan (CPP), EuGHE 1999, I-973 – Rz. 29.

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Leistung ist nach deutschem Verständnis alles, was Gegenstand des Rechtsverkehrs sein kann.11 Gemeinschaftsrechtlich besteht die Leistung in der Zuwendung eines bestimmten (konkreten) verbrauchbaren Vorteils12 an einen identifizierbaren Empfänger (zur eigenen Verwendung). 3. Einheitliche Leistung oder selbständige Leistungen Der Umfang der Leistung(en) ist somit zuerst zu klären. Der EuGH hat den Weg dazu gewiesen. Bei einem Leistungsbündel ist durch eine Gesamtbetrachtung zu bestimmen13, ob eine, zwei oder mehrere getrennte, d. h. selbständige, Leistungen vorliegen oder ob mehrere Leistungen ausgeführt worden sind, die bei wirtschaftlichem Verständnis umsatzsteuerrechtlich zu einer einheitlichen Leistung gebündelt werden müssen. Die Gesamtbetrachtung ist an dem wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs14 auszurichten. Dabei ist die Sicht des Leistungsempfängers, nicht des leistenden Unternehmers maßgebend. Als Sicht des Leistungsempfängers wird der Verständnishorizont eines Durchschnittsverbrauchers herangezogen. Das bedeutet, der leistende Unternehmer kann die Leistung nicht vertraglich auf eine oder mehrere Leistungen festlegen15, wenn diese Sicht nicht mit der Betrachtung der Verhältnisse durch einen Durchschnittsverbraucher übereinstimmt. Die Sicht des Durchschnittsverbrauchers erschließt sich für den umsatzsteuerrechtlichen Beurteiler, wenn er untersucht:

__________ 11 Vgl. BFH v. 19.12.1956 – V 74/76 U, BStBl. III 1956, 43 – Mieterausbauten; vgl. dazu auch Popitz/Kloss/Grabower, UStG, 3. Aufl., 1928, S. 355. Im Entwurf vom 15.2.2007 eines neuen Mehrwertsteuergesetzes für die Schweiz schlägt der Schweizerische Bundesrat vor, die Leistung in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c so zu definieren: Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet Leistung: Die auf einer rechtlichen Beziehung beruhende entgeltliche Einräumung eines wirtschaftlichen Wertes mit Ausnahme der Tilgung einer Schuld in Form eines allgemein anerkannten Zahlungsmittels sowie der Rückgängigmachung einer Leistung. 12 Vgl. EuGH v. 18.12.1997 – Rs. C-384/95 – Landboden Agrardienst, EuGHE 1997, I-7387 = UR 1988, 102; EuGH v. 29.2.1996 – Rs. C-215/94 – Mohr, EuGHE 1996, I-959 = UR 1996, 119 – Rz. 21 – jeweils Verpflichtung zur Aufgabe landwirtschaftlicher Produktion. Der EuGH hat die umsatzsteuerrechtliche Leistung bisher nur im Zusammenhang mit dem Entgelt oder dem Leistungsempfänger beurteilt; vgl. dazu auch Widmann, UR 1996, 120. 13 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget, UR 2007, 420 – Rz. 21 m. w. N. 14 Beispiel: BFH v. 25.11.2004 – V R 4/04, BFHE 208, 470 = BStBl. II 2005, 415 – für den wirtschaftlicher Gehalt des Erwerbs eines Computerprogramms: Wenn der wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs nicht auf die Verwertung des Computerprogramms, sondern auf seine Anwendung durch den Leistungsempfänger gerichtet ist, unterliegt der Umsatz dem regelmäßigen Steuersatz (vgl. BFH v. 24.8.2000 – V B 87/00, BFH/NV 2001, 213 – zur Anwendung einer Bibliothekssoftware; BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BFHE 182, 423 = BStBl. II 1997, 372 – Veräußerung von Standardsoftware; FG Hamburg v. 22.5.1997 – II 209/94, EFG 1997, 1557; FG Köln v. 19.5.1999 – 4 K 1135/96, EFG 1999, 1159; BMF v. 22.12.1993 – IV C 3 - S 7240 - 21/93, BStBl. I 1994, 45. 15 BFH v. 3.3.1988 – V R 182/83, BFHE 153, 90 = BStBl. II 1989, 205 – Pornofilm und Schallplatte.

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– Weshalb wird die Leistung nachgefragt? – Wofür bezahlt der Leistungsempfänger? – Wie und wofür will dieser die Leistung(en) erwerben und einsetzen (verbrauchen)? Dabei sind die charakteristischen Merkmale der Leistung(en) zu ermitteln und zu würdigen. Die dafür wichtigen Tatsachen zu ermitteln und zu würdigen, ist Sache der nationalen Gerichte und unter diesen der Tatsachengerichte. 4. Grenzen Der Beurteilung als einheitliche Leistung sind aber Grenzen gesetzt: „Künstliche“ Aufspaltungen in Leistungselemente und selbständige Leistungen sind zu unterlassen16, wenn sie zwar rechtlich möglich, aber tatsächlich durch den Verbrauch der (gebündelten) Leistung(en) nicht angezeigt sind. Eine Aufspaltung wäre wirklichkeitsfremd17, wenn der leistende Unternehmer zwei oder mehr Handlungen (Dienstleistungen) vornimmt oder Elemente (Gegenstände) liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden.18 Eine Bündelung mehrerer Leistungen zu einer einheitlichen Leistung ist nur für Leistungen desselben Unternehmers zugelassen. Leistungen anderer Unternehmer sind davon unabhängig zu beurteilen. Wenn der Gegenstand der einen Leistung mit dem Gegenstand der anderen Leistung nichts zu tun hat, bleiben die Leistungen selbständig.19 Das ist der Fall, wenn die einzelnen Leistungen inhaltlich, technisch, wirtschaftlich oder in anderer Weise nicht so aufeinander abgestimmt sind (wie z. B. eine Lieferung und die Bearbeitung des Liefergegenstands durch den Lieferer), dass sie als einzelne Faktoren hinter dem Ganzen zurücktreten20 und etwas selbständiges „Drittes“ bilden. Mehrere Leistungen werden auch nicht deshalb zu einer einheitlichen Leistung verschmolzen, weil sie einem einheitlichen (wirtschaftlichen) Ziel dienen21, das einseitig der leistende Unternehmer verfolgt. Das gilt insbesondere für dem Leistungsempfänger „aufgedrängte Koppelungsgeschäfte“. Durch bloße rechtsgeschäftliche Verbindung lässt sich eine umsatzsteuerrechtliche Einheitlichkeit (anstelle von umsatzsteuerrechtlich gesondert zu beurteilen-

__________ 16 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget, UR 2007, 420 – Rz. 23; EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-1/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20 – Rz. 22. 17 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget, UR 2007, 420 – Rz. 22. 18 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget, UR 2007, 420 – Rz. 22; EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-1/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20 – Rz. 22. 19 Vgl. z. B. BFH v. 2.3.2006 – V R 25/03, UR 2006, 648 – Beschaffung von Reisebetreuung und Beschaffung eines Touristenvisums. 20 Vgl. BFH v. 18.12.1980 – V B 24/80, BFHE 132, 147 = BStBl. II 1981, 197 m. N. 21 BFH v. 20.11.1975 – V R 138/73, BFHE 118, 99 = BStBl. II 1976, 307 – Pauschalreise.

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den Leistungen) grundsätzlich nicht herstellen.22 Nur der Gesetzgeber kann, wie z. B. bei Reiseleistungen in § 25 UStG, mehrere selbständige Leistungen zu einer Leistung bündeln.23 Beispiele für mehrere selbständige Leistungen Ein Unternehmer, der einem Landwirt Saatgut liefert und es einsät, erbringt eine dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Lieferung des Getreides und eine dem Regelsteuersatz unterliegende Einsaat und darf darüber getrennt abrechnen.24 Filmvorführung (sonstige Leistung) und Schallplattenverkauf (Lieferung) sind ihrem wirtschaftlichen Inhalt nach jeweils selbständige Leistungen.25

5. Gesamtbetrachtung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers Die Gesamtbetrachtung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers als Leistungsempfänger kann dazu aber führen, dass mehrere tatsächlich unabhängige Leistungen wirtschaftlich als eine – einheitliche – Leistung anzusehen sind.26 Diese Prüfung ist bei grenzüberschreitenden Leistungen wichtiger als bei inländischen Leistungen. Bei grenzüberschreitenden Leistungen hängt die Steuerbarkeit von den Orten ab, an denen die Leistung(en) erbracht werden. Aber auch bei inländischen Leistungen kann von dieser Untersuchung die zutreffende Beurteilung der Steuerpflicht oder der Steuersatzes abhängen. Beispiele für eine einheitliche Leistung Die Anpassung von Konfektionsschuhen an die spezifischen Bedürfnisse des Auftraggebers unter Verwendung von Material des Auftraggebers ist als einheitliche Leistung zu beurteilen, bei der weder die Abgabe der Materialien noch die damit verbundene Bearbeitung des Konfektionsschuhs als selbständige Leistung anzusehen sind.27 Die Entwicklung einer urheberrechtlich geschützten Software, die Installation und die Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte ist eine einheitliche Leistung, wenn der Urheber oder Nutzungsberechtigte dem Leistungsempfänger die in § 69c UrhG bezeichneten Rechte auf Vervielfältigung und Verbreitung nicht nur als Nebenfolge einräumt.28

__________ 22 BFH v. 3.3.1988 – V R 182/83, BFHE 153, 90 = BStBl. II 1989, 205 – Pornofilm und Schallplatte; BFH v. 20.11.1975 – V R 138/73, BFHE 118, 99 = BStBl. II 1976, 307 – Pauschalreise. Selbständige Leistungen sind auch gegeben, wenn steuerpflichtige Reiseleistungen obligatorisch mit einer steuerfreien Verschaffung von Versicherungsschutz durch Reiserücktrittsversicherung verbunden werden, vgl. BFH v. 13.7.2006 – V R 24/02, UR 2006, 650. 23 Vgl. BFH v. 1.6.2006 – V R 104/01, UR 2006, 650 – Sprachreisen; ebenso BFH v. 18.3.2004 – V R 104/01, UR 2004, 485 – Vorlagebeschluss; vgl. dazu EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-200/04 – iSt internationale Sprach- und Studienreisen GmbH, EuGHE 2005, I-8691 = UR 2005, 694. 24 BFH v. 9.10.2002 – V R 5/02, UR 2003, 143 – Getreidelieferung und Einsaat. 25 BFH v. 3.3.1988 – V R 182/83, BFHE 153, 90 = BStBl. II 1989, 205 – Pornofilm und Schallplatte. 26 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – CPP, EuGHE 1999, I-973 = UR 1999, 254 = UVR 1999, 157 – Rz. 28 ff. (29). 27 BFH v. 9.6.2005 – V R 50/02, UR 2005, 679 – Bearbeitung von Konfektionsschuhen. 28 BFH v. 9.6.2005 – V R 50/02, UR 2005, 679 – Softwareentwicklung; vgl. auch BFH v. 18.8.2005 – V R 42/03, UR 2006, 26 – Übertragung von Senderechten an Übersetzungen von Nachrichtensendungen in die Gebärdensprache.

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Wolfram Birkenfeld Die Überlassung von Grundstücksteilen für die Aufstellung der Strommasten und die Einräumung des Rechts zur Überspannung der Grundstücke29 ist eine einheitliche Leistung.

Nur als widerlegbare Beweisanzeichen für oder gegen das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sind die Preisvereinbarung und die Abrechnung der Leistung(en) zu beurteilen. Wenn der leistende Unternehmer seinen Kunden eine aus mehreren Teilen zusammengesetzte Dienstleistung gegen Zahlung eines Gesamtpreises erbringt und den Gesamtpreis in Rechnung stellt, kann dies für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung sprechen, wenn die Beteiligten dies so vereinbart haben und die Vereinbarung auch der Sicht des Leistungsempfängers entspricht. Anderenfalls ist der Gesamtpreis unter Anwendung der einfachstmöglichen Berechnungs- oder Bewertungsmethode auf die einzelnen (z. B. auch steuerbefreiten oder steuerermäßigten) Leistungen aufzuteilen.30 6. Haupt- und Nebenleistung Wenn die Beurteilung des Leistungsgeschehens dazu führt, dass mehrere selbständige Leistungen vorliegen, muss untersucht werden, ob die Leistungen im Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung(en) stehen. Diese Prüfung ist notwendig, weil Nebenleistungen das rechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Gemeinschaftsrechtlich ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.31 Dem ist die Rechtsprechung des BFH unter Aufgabe der früheren32 inhaltlich vergleichbaren Erklärung einer Nebenleistung gefolgt. Er hat eine Leistung als

__________ 29 BFH v. 11.11.2004 – V R 30/04, UR 2005, 157 – Grundstücksnutzung für Hochspannungsleitung; vgl. auch BFH v. 21.6.2001 – V R 80/99, UR 2001, 446 – Einmalzahlung für Grabpflegeleistungen. 30 EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan (CPP), EuGHE 1999, I-973 – Rz. 45 f.; EuGH v. 22.10.1998 – Rs. C-308/96, C-94/97 – Madgett und Baldwin, EuGHE 1998, I-6229 = UR 1999, 38 – Rz. 24; BFH v. 31.5.2001 – V R 97/98, UR 2001, 36 – Nutzung von Sportanlagen. 31 EuGH v. 3.7.2001 – Rs. C-380/99 – Bertelsmann, EuGHE 2001, I-5163 = UR 2001, 346 – Rz. 20; EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan (CPP), EuGHE 1999, I-973 – Rz. 30; EuGH v. 22.10.1998 – Rs. C-308/96, C-94/97 – Madgett und Baldwin, EuGHE 1998, I-6229 = UR 1999, 38 – Rz. 24; EuGH v. 11.1.2001 – Rs. C-76/99 – Kommission/Frankreich, EuGHE 2001, I-249 – Rz. 27. 32 BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BFHE 182, 423 = BStBl II 1997, 372 – Handbuch zur Basissoftware. Danach setzte eine Nebenleistung voraus, dass sie im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich ist, mit ihr eng zusammenhängt, die Hauptleistung wirtschaftlich ergänzt, verbessert oder abrundet und üblicherweise zusammen mit ihr vorkommt; vgl. auch BFH v. 12.12.1985 – V R 15/80, BFHE 146, 181 = BStBl. II 1986, 499).

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Nebenleistung zu einer Hauptleistung angesehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.33 Beispiele zur Nebenleistung Der Versand einer Sachprämie ist Nebenleistung zur Lieferung der Prämie, wenn die Kunden die Lieferung der Prämie frei Haus beanspruchen können.34 Die Lieferung eines Handbuchs zur Nutzung einer Software ist eine unselbständige Nebenleistung zur Verschaffung der Software.35 Die Duldung der Flur- und Aufwuchsschäden ist eine bloße Nebenleistung zu der einheitlichen Leistung „Duldung der Errichtung und des Betriebs einer Überlandleitung“.36

III. Beurteilung einer einheitlichen Leistung als Lieferung oder Dienstleistung Wenn ein Vorgang als einheitliche Leistung erkannt worden ist und dieser sowohl Lieferungselemente als auch Elemente sonstiger Leistungen aufweist, ist zu entscheiden, ob er als Lieferung oder sonstige Leistung zu beurteilen ist. Ob bestimmte Leistungen als Umsätze durch Lieferungen von Gegenständen oder durch die Erbringung von Dienstleistungen zu beurteilen sind, richtet sich nach dem „Wesen“ dieser Umsätze.37 Auch dafür ist wiederum eine Gesamtbetrachtung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers vorzunehmen.38 Der Durchschnittsverbraucher soll nicht die juristische Einordnung als Lieferung oder Dienstleistung bestimmen. Der von ihm erkaufte wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs ist daraufhin zu untersuchen, ob er die Verfügungsmacht an einem Gegenstand erlangt hat oder ob an ihn eine Dienstleistung ausgeführt worden ist. Der für den Leistungsempfänger (Durchschnittsverbraucher) dominierende der beiden Bestandteile bestimmt die Einordnung der (einheit-

__________ 33 BFH v. 31.5.2001 – V R 97/98, UR 2001, 36 – Nutzungsüberlassung von Sportanlagen. Gegenbeispiel: Die Verschaffung von Versicherungsschutz durch einen Gebrauchtwagenverkäufer ist keine unselbständige Nebenleistung zur Fahrzeuglieferung, vgl. BFH v. 9.10.2002 – V R 67/01, BFHE 200, 126 = BStBl. II 2003, 378 = UR 2003, 21. 34 EuGH v. 3.7.2001 – Rs. C-380/99 – Bertelsmann, EuGHE 2001, I-5163 = UR 2001, 346. 35 BFH v. 13.3.1997 – V R 13/96, BFHE 182, 423 = BStBl. II 1997, 372 – Softwarehandbuch. 36 BFH v. 11.11.2004 – V R 30/04, UR 2005, 157 – Errichtung von Strommasten und Bestellung einer Dienstbarkeit zur Überspannung des Grundstücks. 37 EuGH v. 2.5.1996 – Rs. C-231/94 – Faaborg-Gelting Linien A/S, EuGHE 1996, I-2395 = UR 1996, 220 – Restaurationsumsätze. 38 EuGH v. 25.2.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan, EuGHE 1999, I-973 = UR 1999, 254 – Rz. 28; EuGH v. 17.5.2001 – Rs. C-322/99 und C-323/99 – Fischer und Brandenstein, EuGHE 2001, I-4049 = UR 2001, 293 – Rz. 62; BFH v. 30.9.1999 – V R 77/98, BFHE 190, 231 = BStBl. II 2000, 14; BFH v. 23.10.1997 – V R 36/96, BFHE 185, 71 = BStBl. II 1998, 584; BFH v. 21.6.2001 – V R 80/99, BFHE 195, 440.

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lichen) Leistung als Lieferung oder Dienstleistung.39 Zu fragen ist, welche Leistungselemente für den Empfänger von ausschlaggebender Bedeutung und welche für ihn unbedeutend oder nebensächlich sind. Der wirtschaftliche Zweck, den der Leistungsempfänger mit dem Erwerb der Leistung verfolgt, und der besondere Nutzen, den er durch den Bezug der Leistung erfährt, können Aufschlüsse geben. Bei dieser Beurteilung kann die Bedeutung der Leistungselemente nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt40 für die Umsatztätigkeit des Empfängers, durch Art, Umfang und Dauer ihrer Verwendung und die Kosten für den Bezug geprägt werden. Es kommt nicht auf ein quantitatives Überwiegen eines Dienstleistungselements gegenüber einem Lieferungselement oder umgekehrt an, sondern darauf, ob eines dieser Elemente qualitativ überwiegt.41 Auch bestimmen „Zutaten“ und „sonstige Nebensache“ bestimmen nicht das Wesen eines Umsatzes und prägen ihn nicht deshalb als Lieferung.42 Preisvereinbarungen sind wiederum für die Qualifikation der Leistung als ein bestimmter Umsatz nicht ausschlaggebend. Die vertraglichen Preisvereinbarungen begründen oder ändern das Wesen des wirtschaftlichen Vorgangs nicht, können ihn aber bestätigen.43 Der wirtschaftliche Gehalt eines Leistungsbündels ist als Lieferung angesehen worden, z. B. bei einem (bloßen) Kfz-Ölwechsel44 oder wenn der Unternehmer von einer Vorlage des Kunden Fotokopien herstellt und diese dem Kunden in Broschürenform zusammengefasst überlässt45 oder wenn ein Hochseekabel geliefert und verlegt wird46. Vorgänge mit mehreren Leistungen sind dagegen als einheitliche sonstige Leistung beurteilt worden, wenn z. B. ein Unternehmer Reparaturen (Arbeiten) an einem PKW ausführt und dafür in geringem Umfang Gegenstände verwendet47, wenn er eine Kfz-Inspektion mit Ölwechsel durchführt48, wenn der Inhaber

__________ 39 Vgl. u. a. EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-1/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20 – Rz. 27; EuGH v. 2.5.1996 – Rs. C-231/94 – Faaborg-Gelting Linien A/S, EuGHE 1996, I-2395 = UR 1996, 220 – Rz. 14 – Restaurationsumsätze. 40 BFH v. 9.10.2002 – V R 5/02, BFHE 200, 135 = BStBl. II 2004, 470; BFH v. 19.12.1991 – V R 107/86, BFHE 166, 411 = BStBl. II 1992, 449; BHH v. 26.9.1991 – V R 33/87, BFHE 166, 407 = BStBl. II 1992, 313; BFH v. 25.11.1976 – V R 71/72, BFHE 120, 568 = BStBl. II 1977, 270. 41 Vgl. BFH v. 10.8.2006 – V R 38/05, BFH/NV 2006, 2221; BFH v. 26.10.2006 – V R 58, 59/04, BFH/NV 2007, 374 – Restaurationsumsatz. 42 BFH v. 9.6.2005 – V R 50/02, UR 2005, 679 – Anpassung von Konfektionsschuhen. 43 Vgl. dazu EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-1/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, EuGHE 2005, I-9433 = UR 2006, 20 – Rz. 25. 44 BFH v. 30.9.1999 – V R 77/98, BFHE 190, 231 = BStBl. II 2000, 14. 45 BFH v. 19.12.1991 – V R 107/86, BFHE 166, 411 = BStBl. II 1992, 449. 46 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget NN, UR 2007, 420. 47 EuGH v. 17.5.2001 – Rs. C-322/99 und C-323/99 – Fischer und Brandenstein, EuGHE 2001, I-4049 = UR 2001, 293 – Rz. 63. 48 BFH v. 30.9.1999 – V R 77/98, BFHE 190, 231 = BStBl. II 2000, 14.

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eines „Kopiercentrums“ eine Fotokopie von einer Vorlage herstellt49, wenn ein Gärtner ein Grab bei Grabpflegearbeiten neu bepflanzt50, wenn der Unternehmer mit der Angelerlaubnis auch die vom Angler gefangenen Fische veräußert.51

IV. Ortsbestimmung Bei grenzüberschreitenden Umsätzen hängt die Steuerbarkeit, insbesondere einer Lieferung oder Dienstleistung in Deutschland, von der Bestimmung des Ortes des Umsatzes ab. Die einheitliche Festlegung des steuerlichen Anknüpfungspunkts bei der Lieferungen von Gegenständen und bei Dienstleistungen soll eine angemessene Abgrenzung des jeweiligen Geltungsbereichs des nationalen Mehrwertsteuerrechts herbeiführen. Es sollen Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten verhindert werden, die sowohl zu einer Doppelbesteuerung als auch zur Nichtbesteuerung von Umsätzen führen könnten.52 1. Lieferung Für die wichtigsten Lieferungen, bei denen der Gegenstand nicht versandt oder befördert wird, gilt als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung an den Erwerber befindet (Art. 31 MwStSystRL, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der 6. EG- Richtlinie). Dagegen gilt als Ort der Lieferung, bei der der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert wird, der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet (Art. 32 Unterabs. 1 MwStSystRL, Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG- Richtlinie). Für eine „gestreckte“ Lieferung, bei der sich der Gegenstand der Lieferung (z. B. ein Seekabel) auf das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates und auf ein Gebiet außerhalb der Gemeinschaft erstreckt, beschränkt sich die Steuerbarkeit auf den Teil des Hoheitsgebietes (Art. 5 Abs. 1–4 MwStSystRL; Art. 3 Abs. 1–4 der 6. EG-Richtlinie), auf dem er seine Hoheitsgewalt unbeschränkt ausüben kann.53 Dadurch wird eine einheitliche Lieferung aufgeteilt und die Teile der Lieferung können in verschiedenen Mitgliedstaaten geliefert54 wor-

__________ 49 50 51 52

BFH v. 19.12.1991 – V R 107/86, BFHE 166, 411 = BStBl. II 1992, 449. BFH v. 21.6.2001 – V R 80/99, BFHE 195, 440 = UR 2001, 446. BFH v. 4.7.2001 – V R 41/01, UR 2003, 143. Vgl. entsprechend EuGH v. 4.7.1985 – Rs. 168/84 – Berkholz, EuGHE 1985, 2251 = StRK 6. USt-RL EWG Art. 9 Abs. 1 R. 1 – Rz. 14; EuGH v. 12.5.2005 – Rs. C-452/03 – RAL Channel Islands u. a., EuGHE 2005, I-3947 = UR 2005, 443 – Rz. 23; EuGH v. 15.9.2005 – Rs. C-58/04 – Köhler, EuGHE 2005, I-8219 = BStBl. II 2007, 150 = UR 2005, 543 – Rz. 22; EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget NN, UR 2007, 420 – Rz. 43 ff. 53 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-111/05 – Aktiebolaget NN, UR 2007, 420 – Rz. 57 ff. 54 Vgl. dazu Korf, IStR 2007, 405.

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den sein (Art. 32 Unterabs. 1 MwStSystRL; Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der 6. EGRichtlinie). 2. Dienstleistung Der Ort für Dienstleistungen wird in Art. 43 ff. MwStSystRL; Art. 9 der 6. EGRichtlinie bestimmt. Ein Vorrang des allgemeinen Dienstleistungsorts (Art. 43 MwStSystRL) gegenüber den besonderen Orten für Dienstleistungen besteht nicht. In jedem Einzelfall stellt sich vielmehr die Frage, ob eine der Bestimmungen für den Ort von besonderen Dienstleistungen (Art. 44 ff. MwStSystRL; Art. 9 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie) einschlägig ist; andernfalls gilt der Sitz des Unternehmers als allgemeiner Dienstleistungsort (Art. 43 MwStSystRL, Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie).55 Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, dieses Regelungskonzept in ihrem nationalen Umsatzsteuerrecht „umzusetzen“. Dadurch versucht die Gemeinschaft, Kompetenzkonflikte um das Besteuerungsrecht von Umsätzen mit Dienstleistungen zu vermeiden. In Deutschland ist dies in den §§ 3a, 3b UStG, § 1 UStDV geschehen. Wegen der vielen unterschiedlichen Dienstleistungsorte entstehen Abgrenzungsprobleme. Sie werden nach deutschem Recht so gelöst: – – – –

§ 3b UStG hat Vorrang vor § 3a UStG. § 3a Abs. 2 UStG hat Vorrang vor § 3a Abs. 4 und § 3a Abs. 3 UStG. § 3a Abs. 4 und Abs. 3 UStG haben Vorrang vor § 3a Abs. 1 UStG. § 3a Abs. 1 UStG wird von § 1 UStDV verdrängt.

3. Ungelöste Probleme Der EuGH beantwortet in dem Grundlagenfall Levob nicht, wie die Doppelbesteuerung aufgelöst wird56, die darin liegt, dass die Einfuhr des Datenträgers mit der Basis-Software aus den USA in die Niederlande Einfuhrumsatzsteuer unterworfen worden war und der Wert der Basis-Software (nochmals) in die Bemessungsgrundlage für die Dienstleistung durch Entwicklung einer IndividualSoftware einbezogen wurde. Die Doppelbesteuerung kann durch Aufhebung des Bescheids über die Einfuhrumsatzsteuer aufgelöst werden. Die Voraussetzungen bestimmt das nationale Verfahrensrecht. In Deutschland wäre die Auflösung der Doppelbesteuerung nach § 174 Abs. 1 AO (widerstreitende Steuerfestsetzungen) möglich.

__________ 55 EuGH v. 12.5.2005 – Rs. C-452/03 – RAL Channel Islands u. a., EuGHE 2005, I-3947 = UR 2005, 443 – Rz. 24. 56 Zur Vermeidung der Mehrwertsteuer-Doppelbelastung vgl. EU-Kommission, Konsultationspapier, EU-UStB 2007, 30 – Bericht Vellen; Schmitz/Erdbrügger, Konsultationspapier der EU zur Vermeidung der Mehrwertsteuer-Doppelbelastung, BB 2007, 1651.

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V. Fortentwicklung der Grundlagenentscheidungen für Global Contracts in der Praxis Als umsatzsteuerrechtliche Orientierungshilfe für Verträge mit grenzüberschreitenden Leistungen dienen drei Lösungen mit gesicherten Grundsätzen aus der Rechtsprechung des EuGH. Lieferung oder sonstige Leistung In einem Restaurant auf einer Fähre einer Reederei aus Kopenhagen werden bei der Überfahrt von Deutschland nach Dänemark – noch in deutschen Gewässern – Speisen und Getränke serviert. Die deutsche Steuerbehörde besteuert die Umsätze der Reederei als Lieferungen mit geschätzten Bemessungsgrundlagen.

Der EuGH hat entschieden57, dass Restaurationsumsätze als Dienstleistungen (sonstige Leistungen) i. S. d. Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie und nicht als Lieferungen anzusehen sind. Der Ort der Dienstleistungen bestimmt sich nach dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des leistenden Unternehmers (Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie). Dazu stellt der EuGH folgende Grundsätze auf: Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen. Dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Die Abgabe von Speisen und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen der Speisen. Dabei wird dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die sowohl einen Speisesaal mit Nebenräumen (Garderoben u. a.) als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst. Gegebenenfalls werden Kellner das Gedeck auflegen, den Gast beraten, die angebotenen Speisen und Getränke erläutern, diese auftragen und schließlich nach dem Verzehr die Tische abräumen. Somit ist der Restaurationsumsatz durch eine Reihe von Vorgängen gekennzeichnet, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei weitem überwiegen. Er ist daher als Dienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie zu betrachten. Etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel „zum Mitnehmen“ bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen. Restaurationsumsätze an Bord von Fährschiffen sind somit Dienstleistungen.58

__________ 57 EuGH v. 2.5.1996 – Rs. C-231/94 – Faaborg/Gelting, EuGHE 1996, I-2395 = UR 1996, 220. 58 Vgl. dazu die deutsche Rechtsanwendung in § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG; BFH v. 10.8.2006 – V R 55/04, UR 2006, 691 – Mahlzeitendienst; BFH v. 10.8.2006 – V R 38/05, UR 2006, 694 – Schulspeisung; Hinweis auf EuGH v. 10.3.2005 – Rs. C-491/03 – Herrmann, BFH/NV Beilage 2005, 210 – Rz. 24, 26, 27.

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Wolfram Birkenfeld Art des Umsatzes entscheidet über das Besteuerungsrecht Ein in Deutschland ansässiger Unternehmer sammelte mit französischen Subunternehmern Abfall in Frankreich ein und sortierte, beförderte, bearbeitete den Abfall zur Wiederverwertung oder beseitigte ihn. Die Subunternehmer stellten dem deutschen Unternehmer dafür französische Umsatzsteuer in Rechnung. Den Antrag des deutschen Unternehmers auf Erstattung der französischen Umsatzsteuer im Vorsteuervergütungsverfahren lehnten die französischen Steuerbehörden ab, weil er steuerbare Leistungen durch die Bearbeitung von beweglichen körperlichen Gegenständen (Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie) am Tätigkeitsort in Frankreich steuerpflichtig ausgeführt habe. Vorsteuer könne nur im allgemeinen Steuerfestsetzungsverfahren in Frankreich abgezogen werden.

Der EuGH59 entschied, dass der Antragsteller eine einheitliche komplexe Dienstleistung durch Abfallbewirtschaftung erbracht und dass er diesen Umsatz in Deutschland (Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie) ausgeführt hat. Dafür war maßgebend: Geht es wie hier um die Qualifizierung einer komplexen Leistung als Ganzes zu Mehrwertsteuerzwecken, so ist für die Subsumtion unter Art. 9 Abs. 1 oder Art. 9 Abs. 2 Buchst. c Gedankenstrich 4 der 6. EG-Richtlinie entscheidend, dass eine sachgerechte und gleichmäßige Besteuerung gewährleistet ist. Fiele eine solche komplexe Leistung unter Art. 9 Abs. 2 Buchst. c Gedankenstrich 4 der 6. EG-Richtlinie, so wäre sie für Mehrwertsteuerzwecke dem Recht des Mitgliedstaats unterworfen, in dem sie tatsächlich ausgeführt wird. Angesichts der Komplexität dieser Leistung hätte das immer dann, wenn eine Teilleistung in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Sitzes des Hauptunternehmens erbracht wird, eine Ungewissheit über den Mehrwertsteuersatz zur Folge, den das Hauptunternehmen seinen Kunden berechnen muss. Die allgemeine Regel in Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie erlaubt demgegenüber eine sichere, einfache und praktikable Subsumtion solcher Leistungen nach dem Ort, an dem der Leistungsschuldner den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine ständige Niederlassung hat, von der aus die Dienstleistung erbracht wird. Diese Bestimmung erlaubt eine sachgerechte und gleichmäßige Besteuerung der komplexen Leistung als Ganzes und vermeidet Zuständigkeitskonflikte zwischen den Mitgliedstaaten. Verkauf von Werbeartikeln bei einer Werbekampagne Im Rahmen einer Werbekampagne in Frankreich für eine Automobilfabrik aus Deutschland verkauft die beauftragte französische Werbeagentur Werbeartikel, veranstaltet für die Automobilfabrik Pressekonferenzen, Seminare und Cocktailempfänge.

__________ 59 EuGH v. 25.1.2001 – Rs. C-429/97 – Kommission/Frankreich, EuGHE 2001, I-637 = UR 2001, 265.

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Der EuGH60 beurteilt sämtliche erwähnten Leistungen der französischen Werbeagentur für die deutsche Automobilfabrik – auch die Lieferung von Werbeartikeln – als „Leistungen auf dem Gebiet der Werbung“ i. S. v. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie, weil diese Vorgänge entweder die Übermittlung einer Werbebotschaft umfassen oder mit dieser Übermittlung untrennbar verbunden sind. Das bedeutet, die Werbeleistungen der Agentur sind in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig (§ 3a Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. § 3a Abs. 3 Satz 1 UStG) am Sitz des Leistungsempfängers erbracht worden. Die Werbeagentur muss netto abrechnen (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–8, § 14a Abs. 5 Satz 3 UStG) und auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers hinweisen (§ 14a Abs. 5 Satz 2 UStG). Die Steuerschuldnerschaft für die Leistung der französischen Werbeagentur geht auf die deutsche Automobilfabrik über (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 UStG). Sie kann die angemeldete übernommene Steuer als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Ausübungsvoraussetzung ist nicht die Rechnung, sondern die Steueranmeldung.

VI. Besonderheiten Die folgenden Beispiele sollen zeigen, dass durch Global Contracts umsatzsteuerrechtlich zwar die Grundlagen für weltweite unternehmerische Aktivitäten bestimmt werden können, aber weitere – teilweise länderspezifische – Besonderheiten zu beachten sind. Reverse charge in Deutschland Ein Unternehmer in den USA (U) hat einer Versicherungs-Holding in Deutschland eine Basis-Software verkauft und sie für die Bedürfnisse der Holding (Verwaltung der Beteiligungen, die die Holding hält und für ihre entgeltlichen Managementleistungen gegenüber ihren Versicherungs-Beteiligungsgesellschaften) fortentwickelt, installiert, das Personal geschult und das Programm in Betrieb gesetzt. Darüber hat er mit mehreren Rechnungen (insgesamt 1 Mio. Euro und 190 000 Euro Umsatzsteuer) abgerechnet.

U hat eine in Deutschland steuerbare und steuerpflichtige Dienstleistung ausgeführt. Es handelt sich um Leistungen von Ingenieuren sowie Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e Gedankenstrich 3 der 6. EG-Richtlinie = § 3a Abs. 4 Nr. 3 bis 5 UStG i. V. m. § 3a Abs. 3 Satz 1 UStG.61 Die Steuerschuldnerschaft geht auf die Versicherungs-Holding als Leistungsempfänger über (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Die Holding ist Unternehmer

__________ 60 EuGH v. 17.11.1993 – Rs. C-68/92 – Kommission/Frankreich, EuGHE 1992, I-5882 = StRK 6. RL Art. 9 R. 6a; EuGH v. 17.11.1993 – Rs. C-69/92 – Kommission/Luxemburg, EuGHE 1992, I-5907 = StRK 6. RL Art. 9 R. 6b. 61 Vgl. EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, UR 2006, 20.

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(vgl. § 13b Abs. 2 Satz 1 UStG), weil sie Managementleistungen gegen Entgelt an ihre Beteiligungsgesellschaften ausführt. Soweit sie „bloß“ Einnahmen durch Beteiligungsverwaltung bezieht, ist sie nicht Unternehmer.62 Obwohl die Holding die Software auch für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen hat, geht die Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 2 Satz 3 UStG nach der Rechtsprechung des BFH63 auch insoweit auf sie über. Dienstleistungsexport in andere Mitgliedstaaten Ein Unternehmer aus Köln (U) hat der Austria-Bank in Wien eine Basis-Software verkauft, sie für die Bedürfnisse der Bank fortentwickelt, installiert, das Personal geschult und in Betrieb gesetzt. Darüber hat er mit mehreren Rechnungen (insgesamt 1 Mio. Euro und 190 000 Euro Umsatzsteuer) abgerechnet.

U hat eine in Österreich steuerbare und steuerpflichtige Dienstleistung ausgeführt. Es handelt sich um Leistungen von Ingenieuren sowie Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e Gedankenstrich 3 der 6. EG-Richtlinie = § 3a Abs. 10 Nr. 4–6 öUStG mit § 3a Abs. 9 Buchst. a öUStG.64 Die Steuerschuldnerschaft geht auf die Bank als Leistungsempfänger über (§ 19 Abs. 1 Satz 2 öUStG). Die Voraussetzungen für den Übergang der Steuerschuldnerschaft in Österreich bei Dienstleistungen: – Der leistende (deutsche) Unternehmer hat keinen Sitz/Betriebsstätte in Österreich, – der Leistungsempfänger ist (in- oder ausländischer) Unternehmer oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Die Bank kann die übernommene Steuer grundsätzlich als Vorsteuer abziehen (§ 11 Abs. 1a öUStG i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 öUStG). Da dafür auch die allgemeinen Vorschriften für den Vorsteuerabzug gelten, ist der Abzug ausgeschlossen, soweit die Eingangsleistungen für steuerfreie Ausgangsumsätze verwendet werden (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 und 5 öUStG). Trotz des Übergangs der Steuerschuldnerschaft haftet der leistende (deutsche) Unternehmer für die Steuer (§ 19 Abs. 1 Satz 3 öUStG). Ausnahme: Die Steuerschuld geht auf einen anderen ausländischen Unternehmer über, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.65 Der ausländische leistende Unternehmer muss sich in Österreich nicht registrieren lassen, wenn er nur Umsätze nach § 19 öUStG ausführt. Er muss abrechnen (§ 11 Abs. 1a öUStG), darf aber keine Umsatzsteuer in der Rechnung

__________ 62 Vgl. die Holdingrechtsprechung des EuGH, z. B. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 m. w. N. 63 BFH v. 3.11.2005 – V R 56/02, BFH/NV 2006, 889. 64 Vgl. EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, UR 2006, 20. Das österreichische Umsatzsteuergesetz ist abgedruckt bei Hartmann/ Metzenmacher, UStG, B 20, 2007. 65 öUStR 2000, Rz. 2601.

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ausweisen (§ 11 Abs. 1a Satz 2 öUStG). Er muss in der Rechnung auf den Übergang der Steuerschuldnerschaft hinweisen (§ 11 Abs. 1a Satz 1 öUStG). Reverse charge im Drittland (Schweiz) Ein Unternehmer aus Köln (U) hat der Niederlassung in Zürich (Schweiz) der deutschen Versicherungs-AG (AG), mit ausschließlich steuerfreien Versicherungsumsätzen, eine Basis-Software verkauft, sie für die Bedürfnisse der Versicherung fortentwickelt, installiert, das Personal geschult und in Betrieb gesetzt. Darüber hat er mit mehreren Rechnungen (insgesamt 1 Mio. SF) abgerechnet.

U hat eine nicht in Deutschland steuerbare Dienstleistung ausgeführt. Es handelt sich aus deutscher Sicht um Leistungen von Ingenieuren sowie Datenverarbeitung und die Überlassung von Informationen nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e Gedankenstrich 3 der 6. EG-Richtlinie = § 3a Abs. 4 Nr. 3–5 UStG i. V. m. § 3a Abs. 3 Satz 2 UStG66, die am Ort der ausländischen Betriebsstätte in der Schweiz steuerbar ist. Dem entspricht die Beurteilung nach dem Mehrwertsteuergesetz der Schweiz (MWStG-CH). Nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. c und d MWStG-CH gilt als Ort der Leistungen von Ingenieuren (Buchstabe c) und als Ort von Leistungen durch Datenverarbeitung und Informationsüberlassung (Buchstabe d) der Ort, an dem der Empfänger eine Betriebsstätte hat, für die die Dienstleistung erbracht worden ist.67 Die Steuerschuldnerschaft geht auf den Empfänger (Inhaber der Betriebsstätte) über. Nach Art. 10 Buchst. a MWStG-CH hat der Empfänger den Bezug einer Dienstleistung zu versteuern, wenn er nach Art. 24 MWStG-CH steuerpflichtig ist und es sich um eine unter Art. 14 Abs. 3 MWStG-CH fallende Dienstleistung handelt, die ein im Inland (Schweiz) nicht steuerpflichtiger Unternehmer mit Sitz im Ausland im Inland (Schweiz) erbringt, der nicht nach Art. 27 MWStGCH für die Steuerpflicht optiert. Die objektive Steuerpflicht des Empfängers wird erst ausgelöst, wenn er Leistungen dieser Art von über 10 000 SF im Kalenderjahr bezieht (Art. 24 MWStGCH). Die Steuer beträgt 7,6 % des Entgelts von 1 Mio. SF, somit 76 000 SF. Grundsätzlich ist die Steuer auf den Bezug von Dienstleistungen von Unternehmern mit Sitz im Ausland nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. b MWStG-CH – unabhängig von einer Rechnung – auch als Vorsteuer abziehbar. Das gilt aber nicht, wenn die bezogene Dienstleistung für Umsätze verwendet wird, die von der Steuer ausgenommen sind (Art. 38 Abs. 3 MWStG-CH). Nach Art. 18 Nr. 18 MWStG-CH sind Versicherungsumsätze von der Steuer ausgenommen.

__________ 66 Vgl. EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-41/04 – Levob Verzekeringen BV, OV Bank NV, UR 2006, 20. 67 Das Schweizerische Mehrwertsteuergesetz ist abgedruckt bei Hartmann/Metzenmacher, UStG, B 25, 2007.

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Damit schuldet die AG als Leistungsempfänger 7,6 % MwSt auf das Entgelt von 1 Mio. SF, weil sie eine Softwareinstallation von dem nicht in der Schweiz ansässigen Unternehmer U bezogen hat. Die AG kann die Steuer auf den Bezug dieser Dienstleistung nicht als Vorsteuer abziehen. Transfer der Dienstleistung an den Sitz des Leistungsempfängers im Inland Die Niederlassung (N) in Zürich (Schweiz) der deutschen Versicherungs-AG (AG), mit ausschließlich steuerfreien Versicherungsumsätzen, überträgt die von dem Unternehmer U in Zürich entwickelte Software an die AG mit Sitz in Köln. Dafür berechnet N der AG 1,5 Mio. Euro.

Die Überlassung der von der Betriebsstätte in der Schweiz bezogenen Dienstleistung an den Inhaber der Betriebsstätte ist nach gemeinschaftsrechtlicher Beurteilung kein steuerbarer Umsatz. Das bleibt bei Dienstleistungen auch dann so, wenn die Dienstleistung – grenzüberschreitend im Unternehmen „verschoben“ wird, – durch Rechnung abgerechnet wird. Die Betriebsstätte ist Teil des Unternehmens ihres Inhabers. Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte oder umgekehrt sind Innenleistungen. Dazu hat der EuGH68 entschieden, dass eine feste Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat, die kein von dem Unternehmen, zu dem sie gehört, verschiedenes Rechtssubjekt ist und der das Unternehmen Dienstleistungen erbringt, nicht aufgrund der Kosten, mit denen sie wegen der genannten Dienstleistungen belastet wird, als Steuerpflichtiger anzusehen ist. Damit hätte die AG erreicht, dass sie die Individualsoftware mit 7,6 % Umsatzsteuer (an Stelle von 19 % Umsatzsteuer) erhält. Das gleiche Ergebnis kann erreicht werden, wenn eine Organgesellschaft die Dienstleistung in einem Staat mit niedrigen Steuersätzen bezieht und sie dem Organträger oder einer anderen Organgesellschaft im Inland überlässt. Nun gilt es jedoch, die Besonderheiten des Umsatzsteuerrechts in dem jeweiligen Drittland – hie die Schweiz – zu beachten. Nach schweizerischer Rechtspraxis, bei der Art. 14 Abs. 3 MWStG-CH entsprechend angewendet wird, wird eine Betriebsstätte als Steuersubjekt angesehen. Das hat zur Folge, dass die Betriebsstätte die Software mit 7,6 % Umsatzsteuer erwirbt und diese Steuer als Vorsteuer abziehen kann. Sie verwendet die Software (aus schweizerischer Sicht) für eine entgeltliche im Ausland steuerbare Dienstleistung (Art. 14 Abs. 3 MWStG-CH). Nach der Beurteilung des Vorgangs in Deutschland hat die Betriebsstätte aber einen nicht steuerbaren Innenumsatz ausgeführt. Es kommt zu einer doppelten Nichtbesteuerung.

__________ 68 EuGH v. 23.3.2006 – Rs. C-210/04 – FCE Bank, EuGHE 2006, I-2803 = UR 2006, 331.

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Global Contracts

VII. Ergebnis Für Global Contracts können umsatzsteuerrechtlich nur die Grundlagen bestimmt werden. Von größter Bedeutung ist die richtige Bestimmung der Leistung. Daraus ergibt sich die Beurteilung des Umsatzes, z. B. durch Lieferung, Werklieferung oder sonstige Leistung, und die Klärung, an welchem Ort der Umsatz erbracht worden ist. Dies ist der Schlüssel für das anwendbare Umsatzsteuerrecht. Das Umsatzsteuerrecht des anderen Staates – selbst eines Mitgliedstaates der EU – muss darauf untersucht werden, ob es in Einzelheiten von den in Deutschland geltenden Regelungen abweicht. Die Abweichung darf in anderen EUMitgliedstaaten nicht gegen die vom EuGH für die Mitgliedstaaten entwickelten Grundsätze für die Anwendung des harmonisierten Umsatzsteuerrechts der Mehrwertsteuersystemrichtlinie bzw. der 6. EG-Richtlinie gerichtet sein, weil der Unternehmer das für ihn günstigere Umsatzsteuerrecht der Gemeinschaft in jedem Mitgliedstaat einklagen kann. Wenn ein Vorsteuerabzug für den Bezug einer Dienstleistung im Inland nicht zugelassen ist, lohnt es sich zu prüfen, ob eine Steuerersparnis dadurch erreicht werden kann, dass die Dienstleistung von einer Betriebsstätte oder einer Organgesellschaft in einem Staat mit niedrigen Steuersätzen bezogen und der Sitzgesellschaft (Organträger oder andere Organgesellschaft) im Inland überlassen wird.

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Die umsatzsteuerliche Behandlung des Verwaltungssponsoring Inhaltsübersicht I. Einführung II. Phänomen des Verwaltungssponsoring III. Steuerbarkeit einer Leistung der öffentlichen Hand 1. Leistungsaustausch 2. Unternehmereigenschaft durch Begründung eines Betriebes gewerblicher Art a) Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb nach dem Sponsoring-Erlass vom 18.2.1998

b) Übertragung der Kriterien auf den Betrieb gewerblicher Art c) Vagheit der Abgrenzung nach dem Sponsoring-Erlass IV. Bemessungsgrundlage und Steuersatz 1. Tauschähnlicher Umsatz 2. Wertungswidersprüchlichkeit zum Gemeinnützigkeitsregime V. Vorsteuerabzug VI. Fazit zur gemeinschaftsrechtlichen Lage

I. Einführung Die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand leidet in § 2 Abs. 3 UStG unter einer Friktion, die Wolfram Reiß als eine Fehlentwicklung des deutschen Umsatzsteuergesetzes bezeichnet hat.1 Für ein harmonisiertes Umsatzsteuerrecht innerhalb der EU ist es in der Tat verfehlt, auf eine nationale Regelung des nicht harmonisierten Körperschaftsteuerrechts zu verweisen.2 Das körperschaftsteuerliche Verständnis des Begriffs „Betrieb gewerblicher Art“ lässt sich nicht ohne weiteres in Einklang mit der Umsatzsteuerpflicht von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Art. 13 MwStSystRL3 bringen. Indem etwa die Vermögensverwaltung vom Betrieb „gewerblicher Art“ typologisch (negativ) ausgegrenzt wird4, verengt sich der nationale Unternehmerbegriff gegenüber dem gemeinschaftsrechtlich Steuerpflichtigen i. S. d. Art. 13 MwStSystRL (früher Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie).5 Wolfram Reiß wertet die unterlassene Anpassung des § 2 Abs. 3 UStG an die 6. EG-Richtlinie als einen Vertragsbruch, der auch nicht durch eine richtlinienkonforme Auslegung über-

__________ 1 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Bonn/Berlin, § 2 UStG Rz. 130 – September 2002. 2 Reiß (Fn. 1), a. a. O. 3 Mit Wirkung vom 1.1.2007 ist die 6. EG-Richtlinie abgelöst worden von der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2006/112/EG vom 28.11.2006, ABl. EU Nr. L 347/2006, 1. Dies hat aber grundsätzlich zu keinen Änderungen des geltenden Rechts geführt. 4 Statt vieler BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391 (394). 5 Seer/Wendt, Strukturprobleme der Besteuerung der öffentlichen Hand, DStR 2001, 825 (831 f.).

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brückt werden kann.6 Im Folgenden soll die vom Jubilar konstatierte Fehlentwicklung am Beispiel des sog. Verwaltungssponsoring, das neuerdings in der Verwaltungs(rechts-)wissenschaft als eigenständige Kategorie entdeckt worden ist, reflektiert werden. Zugleich möchte ich einen ersten Überblick über das bisher im Umsatzsteuerrecht kaum behandelte Problemfeld des Verwaltungssponsoring geben.

II. Phänomen des Verwaltungssponsoring Verwaltungssponsoring bedeutet, dass ein Sponsor, meist ein Wirtschaftsunternehmen, einer öffentlichen Einrichtung (z. B. in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts) Geld- oder Sachleistungen zur Verfügung stellt, um sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Als Gegenleistung soll die Verwaltung eine Werbeleistung erbringen, indem sie auf die empfangene Unterstützung aufmerksam macht. Umsatzsteuerlich ist zu fragen, ob diese „Gegenleistung“ steuerbar ist. Zur Illustration mögen einige Beispiele dienen: Beispiel 1 Das Gymnasium G der Stadt S besitzt keine Schulaula. Der Industrielle I, der früher selbst diese Schule besucht hat, sponsert den Bau einer Aula mit 1 Mio. Euro, was den Baukosten entspricht. Die Aula wird auf Wunsch des I nach ihm benannt. Die Nutzung erfolgt im übrigen nur für schulische Zwecke. Abwandlung In der Schulzeitung, auf einer Anzeige und im Internet weist die Schule vereinbarungsgemäß auf den großzügigen Sponsor hin. Gleichzeitig führt ein Link auf die Internetseite des Unternehmens. Beispiel 27 Eine Werbefirma überlässt ein mit Werbeaufdrucken versehenes Fahrzeug an eine juristische Person des öffentlichen Rechts (z. B. einer Stadt für den Schulbetrieb) ohne besonderes Entgelt mit der Maßgabe, das Fahrzeug werbewirksam zu nutzen. Es wird vertraglich vereinbart, dass die Einrichtung das Fahrzeug nur in dem für eigene Zwecke notwendigen Umfang einsetzt. Das Fahrzeug wird auf die Stadt zugelassen, die auch die laufenden Kosten trägt. Nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer geht das Fahrzeug ohne weitere Zahlung in das Eigentum der Stadt über. Ab diesem Zeitpunkt kann sie die Werbeaufdrucke entfernen. Abwandlung Die Stadt hat mit dem Fahrzeug spezielle Werbefahrten durchzuführen und es werbewirksam abzustellen. Beispiel 3 Das Bekleidungsunternehmen B kleidet die Polizei des Landes H kostenlos mit neuen Uniformen ein. Als Gegenleistung darf B sich „offizieller Sponsor der Polizei von H“ nennen und wirbt damit unter anderem auf seiner Homepage.

__________ 6 Reiß (Fn. 1), § 2 UStG Rz. 189 – September 2002. 7 Das Beispiel ist nachgebildet der OFD Hannover, Vfg. v. 11.2.2003 – S 7100 - 427 - StO 351, S 7100 - 915 - StH 446, UR 2004, 41.

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Die umsatzsteuerliche Behandlung des Verwaltungssponsoring

III. Steuerbarkeit einer Leistung der öffentlichen Hand 1. Leistungsaustausch Voraussetzung für die Steuerbarkeit der Sponsoringleistungen ist gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ein Leistungsaustausch zwischen Sponsor und Gesponserten. Der Sponsor führt mit seiner Sponsoringleistung eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Gesponserten aus; das Entgelt besteht in der Werbeleistung, die der Gesponserte erbringt. Es liegt ein tauschähnlicher Umsatz i. S. d. § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG vor. Der Gegenwert kann bei einem tauschähnlichen Umsatz durch eine Gegenleistung erbracht werden, die nicht in Geld bestehen, aber in Geld ausdrückbar sein muss. Eine aktive Werbeleistung einer gesponserten Körperschaft ist eine solche geldwerte sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG). Dies hat der BFH in dem sog. Ballonfahrt-Fall deutlich gemacht.8 Dort hatte ein gemeinnütziger Luftsportverein, dem der Sponsor „unentgeltlich“ Freiballone mit einer Firmenaufschrift zur Verfügung gestellt hatte, eine bestimmte Mindestanzahl von Aktionsluftfahrten mit diesen Ballonen durchgeführt. Aber auch die Aufnahme eines Hinweises auf einen Sponsor in einer Vereinszeitschrift, auf Plakaten, in einem Ausstellungskatalog oder auf der Internetseite des Gesponserten ist selbst dann eine geldwerte Gegenleistung, wenn das Sponsoren-Logo nicht besonders hervorgehoben wird. 2. Unternehmereigenschaft durch Begründung eines Betriebes gewerblicher Art a) Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb nach dem Sponsoring-Erlass vom 18.2.19989 In seinem Ballonfahrt-Urteil10 hat der BFH für die Frage nach der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG) die ertragsteuerlichen Kriterien des Sponsoring-Erlasses für die Umsatzsteuer übernommen. Ein (voll steuerpflichtiger) wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb soll danach nur dann vorliegen, wenn der steuerbegünstigte Empfänger aktiv an einer Werbemaßnahme teilnimmt und damit eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ausübt.11 Davon negativ abzugrenzen seien passive Werbeleistungen, bei denen die steuerbegünstigte Körperschaft dem Sponsor nur die Nutzung ihres Namens zu Werbezwecken in der Weise gestattet, dass der Sponsor selbst zu Werbezwecken oder zur Imagepflege auf seine Leistungen an die Körperschaft hinweist. Über diese bloße Duldungsleistung hinaus bleibe der Gesponserte aber auch dann unterhalb der Schwelle des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs, wenn er auf Plakaten, Ausstellungs-

__________ 8 BFH v. 1.8.2002 – V R 21/01, BStBl. II 2003, 438 (439). 9 BMF, Schr. v. 18.2.1998 – IV B 2 - S 2144 - 40/98, IV B 7 - S 0183 - 62/98, BStBl. I 1998, 212. 10 BFH v. 1.8.2002 – V R 21/01, BStBl. II 2003, 438 (440). 11 BMF, Schr. v. 18.2.1998 – IV B 2 - S 2144 - 40/98, IV B 7 - S 0183 - 62/98, BStBl. I 1998, 212 – Tz. 9.

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katalogen oder in anderer Weise lediglich auf die Unterstützung durch den Sponsor hinweise. Dies könne unter Verwendung dessen Namens, Emblems oder Logos, aber ohne besondere Hervorhebung geschehen.12 Danach begründen also auch aktive Werbeleistungen des Gesponserten dann noch keinen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, wenn sie von geringer Intensität sind. b) Übertragung der Kriterien auf den Betrieb gewerblicher Art Ein Leistungsaustausch allein führt noch nicht zur Umsatzsteuerpflicht. Hinzukommen muss grundsätzlich die Unternehmereigenschaft des Leistenden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind gem. § 2 Abs. 3 UStG nur Unternehmer, soweit sie im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art tätig werden. Zur Abgrenzung von bloß vermögensverwaltenden Tätigkeiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts orientiert sich die h. M. an der in § 14 AO normierten Abgrenzung zwischen einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und bloßer Vermögensverwaltung.13 Die Begriffe des „wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs“ (§ 14 Satz 1 AO) und der des „Betriebes gewerblicher Art“ (§ 4 Abs. 1 KStG) entsprechen einander. Sie sind strukturund funktionsgleich.14 Beide Begriffe erfordern eine selbständige, nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit, die lediglich mit Einnahmeerzielungsabsicht durchgeführt sein muss. Sie dienen dazu, öffentliche Hand und steuerbegünstigte Körperschaften steuerlich insoweit mit privatwirtschaftlichen Unternehmern gleichzustellen, als sie mit diesen in Wettbewerb treten (können). Betrieb gewerblicher Art und wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb ließen sich zu einem einzigen Begriff miteinander verschmelzen. Zumindest sollten bei der Abgrenzung zwischen steuerpflichtiger und steuerfreier Sphäre bei denselben wirtschaftlichen Aktivitäten nicht unterschiedliche Ergebnisse gefunden werden. Deshalb macht es Sinn, sich bei der Abgrenzung des Verwaltungssponsoring an den für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe angewandten Kriterien zu orientieren. c) Vagheit der Abgrenzung nach dem Sponsoring-Erlass Die in dem Sponsoring-Erlass getroffene Abgrenzung bleibt indessen äußerst vage. So begründet die Benennung eines Saals in einem Museum nach dem Sponsor nach der offenbar mit den übrigen Landesfinanzministerien abgestimmten Ansicht des bayerischen Finanzministeriums15 noch keinen wirt-

__________ 12 BMF, Schr. v. 18.2.1998 – IV B 2 - S 2144 - 40/98, IV B 7 - S 0183 - 62/98, BStBl. I 1998, 212 – Tz. 9, im Fettdruck. 13 Siehe Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, Köln 2002, S. 59 ff. 14 Zu den steuerstrukturellen Gemeinsamkeiten beider Begriffe s. Hey, Die Steuerbegünstigung der gemeinnützigen Tätigkeit der öffentlichen Hand, StuW 2000, 467 (468 f.); Seer/Wolszytnski, Steuerrechtliche Gemeinnützigkeit der öffentlichen Hand, Berlin 2002, S. 57 ff. 15 FinMin. Bay., Vfg. v. 11.2.2000 – 3 - S 0183 - 12/14 - 59238, DStR 2000, 594; ebenso OFD Nürnberg, Vfg. v. 21.2.2000 – S 0183-19/St 31, FR 2000, 407.

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schaftlichen Geschäftsbetrieb und damit auch keinen Betrieb gewerblicher Art, wenn sich das Museum etwa in städtischer Trägerschaft befindet. Gleiches muss bei der Benennung einer Schulaula nach dem Sponsor im 1. Beispielsfall gelten. Allerdings wird dies in der Abwandlung des 1. Beispiels schon zweifelhaft. Zwar wäre das Logo auf der Internetseite des Gesponserten ohne Verlinkung unschädlich. Der Internet-Link selbst könnte aber bereits eine aktive Werbeleistung sein, vergleichbar mit Werbeseiten des Sponsors in Vereinszeitschriften etc. Zwar hat das FG München16 in einem ähnlich gelagerten Fall kürzlich die Existenz eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs bei einem gemeinnützigen Sportverein verneint. Auf der Internetseite des gesponserten Vereins befand sich kein Logo des Sponsors, einer Versicherung, sondern ein Link auf ein Versicherungsbüro, dessen Seite erst das Logo der Versicherung aufwies. Das FG München sah in dem Internet-Link noch keine aktive Werbung, da es an einem direkten (Werbe-)Bezug fehle. Darin sei nur eine steuerunschädliche Duldungsleistung des Gesponserten zu sehen. Wenn ein Logo auf der Internetseite nur eine passive Duldungsleistung darstelle, könne ein Link ohne Logo erst recht nicht schädlich sein. Allerdings ist die Verlinkung auf Internetseiten weiterhin umstritten.17 Inzwischen wurde gegen das Urteil Revision18 eingelegt. Die Abgrenzung trägt damit recht willkürliche Züge. So soll die farbliche Hervorhebung, die Größe des Logos und die Platzierung im Ausstellungskatalog, auf Plakaten etc. relevant sein.19 Ein einzelnes Logo auf der letzten Seite eines Katalogs könnte demnach zur Steuerpflicht führen, der Abdruck aller Logos ohne besondere Hervorhebung dagegen nicht! Die Effektivität einer Werbung hängt aber weniger von der Größe eines Logos, sondern mehr vom Verbreitungsgrad des Mediums ab. Ein kleines Logo auf einer hochfrequentierten Internetseite kann eine gewaltige Werbewirkung haben. Ein sich von diesen Kriterien etwas absetzender Abgrenzungsvorschlag fragt danach, ob die Sponsorenleistung nur der Kostenminderung dient oder ob ein eigenwirtschaftlicher Zweck verfolgt wird.20 Stehe das Einwerben von Finanzierungsbeiträgen im Vordergrund, werde die Körperschaft des öffentlichen Rechts wirtschaftlich tätig; eine Steuerbefreiung sei nicht gerechtfertigt. Im zweiten Beispielsfall etwa hat sich die Schule zu weiteren Werbefahrten verpflichtet. Sie hat damit unter Anwendung des Ballonfahrt-Urteils21 aktiv an der Werbemaßnahme mitgewirkt. Allerdings führt dies nur dann zu einem Betrieb gewerblicher Art, wenn eine Einrichtung vorliegt und sich die Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wirtschaftlich heraushebt und von einigem Gewicht ist. Damit mar-

__________ 16 17 18 19

FG München v. 15.5.2006 – 7 K 4052/03, EFG 2006, 1362 ff. Siehe Urteilsanmerkung Trossen, EFG 2006, 1364 m. w. N. Aktenzeichen beim BFH: I R 42/06. Boochs, Rechtliche Aspekte des Sponsoring, Die ROTEN SEITEN zum Magazin Stiftung & Sponsoring, 2/2001, 7. 20 Rückert, Ertragsteuerliche Behandlung des Sponsoring, SpuRt 1998, 182 (185); Schauhoff, Große Aufregung um das Sponsoring, DB 1998, 494 (496). 21 BFH v. 1.8.2002 – V R 21/01, BStBl. II 2003, 438.

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kiert § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG eine Art Aufgriffsgrenze22, die mit § 64 Abs. 3 AO vergleichbar ist, umsatzsteuerlich allerdings nur in der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG eine gewisse Entsprechung findet. Die Finanzverwaltung wendet eine sich an § 64 Abs. 3 AO anlehnende Umsatzgrenze (30 678 Euro) an.23 Diese kann bei der Überlassung von Werbemobilien relevant werden, weil deren Wert auf die Laufzeit der Werbeleistung zu verteilen ist.24 Letztlich kommt es m. E. aber dem Telos der Norm entsprechend auf die Wettbewerbsrelevanz der Betätigung an. Der Sponsoring-Erlass befasst sich damit nicht und trägt so Züge einer Billigkeitsregelung25, zumal er auch gewisse aktive Werbeleistungen des Gesponserten außerhalb der Sphäre eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs belässt (siehe oben a). So hat auch das FG Hamburg in seiner Entscheidung vom 10.3.200626 ausgeführt, dass die Abgrenzung der Finanzverwaltung nicht tragfähig sei. Schon der Einsatz der Werbemobile im öffentlichen Straßenverkehr stelle eine aktive Werbeleistung dar. Eine bloße Duldung liege nicht vor, weil der Gesponserte die Fahrzeuge nicht ohne die angebrachten Werbeflächen erhalten hätte, die Werbung also nur zusammen mit der Überlassung möglich sei. Auch der Sponsoring-Erlass fingiere eine Steuerfreiheit nur, wenn der Hinweis ohne besondere Hervorhebung erfolge. Die Werbeflächen höben die Werbeträger aber besonders hervor, unabhängig davon, ob die Fahrten nur im ideellen Bereich stattfänden oder darüber hinausgehende Werbefahrten durchgeführt würden. Somit werde in beiden Varianten ein steuerpflichtiger Betrieb gewerblicher Art begründet. Das Ergebnis ist zutreffend. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob zusätzliche Werbefahrten vereinbart wurden, da das Fahrzeug auch beim Einsatz für den Hoheitsbetrieb im öffentlichen Straßenverkehr bewegt wird. Dagegen liegt im 3. Beispielsfall unter Anwendung der Kriterien des Sponsoring-Erlasses eine bloße Duldungsleistung vor, weil der Sponsor selbst mit der Sponsorenleistung wirbt. Die Polizei hat nicht aktiv an der Werbeleistung mitgewirkt, begründet daher noch keinen Betrieb gewerblicher Art. In der Praxis führt die falsche Einschätzung unter Umständen dazu, dass die steuerfreie Tätigkeit nachträglich steuerpflichtig wird. Ist die Sponsoringleistung dann bereits aufgebraucht worden, müssen die anfallenden Steuern aus anderen Quellen der Körperschaft geleistet werden. Den Aufforderungen, Kriterien für die Abgrenzung aufzustellen, ist das Bundesfinanzministerium bis

__________ 22 Seer, Inhalt und Funktion des Begriffs „Betrieb gewerblicher Art“ für die Besteuerung der öffentlichen Hand, DStR 1992, 1751 (1754). 23 Siehe R 6 Abs. 5 KStR 2004. 24 OFD Frankfurt, Vfg. v. 23.2.2000 – S 7119 A - 5 - St V 10, USt-Kartei § 3 Abs. 12 UStG – S 7119 Karte 2; vgl. außerdem zur Aufgriffsgrenze in ähnlichen Fällen OFD Hannover, Vfg. v. 11.2.2003 – S 7100 - 427 - StO 351, S 7100 - 915 - StH 446, UR 2004, 41; OFD Erfurt, Vfg. v. 28.2.2001 – S 7119 A - 04 - St 343, UR 2001, 222; OFD Karlsruhe und Stuttgart, Vfg. v. 28.4.2000 – S 7100 Karte 16; OFD Frankfurt, Vfg. v. 23.2.2000 – S 7119 A - 5 - St V 10, USt-Kartei § 3 Abs. 12 UStG – S 7119 Karte 2. 25 Thiel, Sponsoring im Steuerrecht, DB 1998, 842 (846); Kasper, Sozialsponsoring im Zivil- und Steuerrecht, Die ROTEN SEITEN zum Magazin Stiftung & Sponsoring 5/2005, 11. 26 FG Hamburg v. 10.3.2006 – VII 266/04, EFG 2006, 1624 (1625 f.).

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jetzt aber nicht nachgekommen. Deshalb ist der Abschluss eines Sponsoringvertrages zu empfehlen, in dem die Leistungen des Sponsors und die Gegenleistungen des Gesponserten festgelegt sind. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, da schon eine unglückliche Wortwahl zur Annahme eines steuerpflichtigen Leistungsaustauschs führen kann. Im Zweifelsfall ist vor Abschluss des Sponsoringvertrages eine (mittlerweile kostenpflichtige) verbindliche Auskunft des Finanzamtes nach § 89 Abs. 2–5 AO einzuholen.

IV. Bemessungsgrundlage und Steuersatz 1. Tauschähnlicher Umsatz Beim tauschähnlichen Umsatz gilt der Wert eines jeden Umsatzes als Entgelt für den anderen Umsatz, wobei die Umsatzsteuer nicht zum Entgelt gehört (§ 10 Abs. 2 Sätze 2 und 3 UStG). Der Wert bemisst sich danach, was der Sponsor für die Werbeleistung aufwenden will.27 Er umfasst alle Ausgaben des Sponsors, die er aufwendet, um die Werbeleistung zu erhalten.28 Besteht das Sponsoring in einer Sachleistung, ist für die Bemessungsgrundlage der Einkaufspreis des Gegenstandes ohne Umsatzsteuer maßgebend. Auch im Fall des Werbemobils ist der Nettoeinkaufspreis maßgebend, die aufgewandten Kosten für die Beschriftung des Fahrzeugs werden nicht in die Bemessungsgrundlage eingerechnet, da sie den objektiven Wert des Fahrzeugs nicht erhöhen, sondern – im Gegenteil – eher mindern. Daher nimmt das FG Hamburg29 einen Abschlag in Höhe von 15 % der Anschaffungskosten vor. Dies sieht auch das FG München30, versagt aber gleichwohl eine Minderung der Bemessungsgrundlage. Das Dulden der Werbefolien gehöre zur Gegenleistung des Gesponserten. Die eintretende Wertminderung werde durch den Vorteil egalisiert, dass der Gesponserte damit überhaupt erst seine Gegenleistung mit dem Fahrzeug erbringen könne. Dieser Argumentation vermag ich nicht zu folgen. 2. Wertungswidersprüchlichkeit zum Gemeinnützigkeitsregime Auf der Basis des sog. Sponsoring-Erlasses bilden aktive Werbeumsätze, die über bloße Hinweise auf den Sponsor hinausgehen, einen Betrieb gewerblicher Art und unterliegen so dem Regelsteuersatz des § 12 Abs. 1 UStG in Höhe von 19 %. Bloße Hinweise und andere Arten eher „passiver Werbeumsätze“ juristischer Personen des öffentlichen Rechts und ihrer Einrichtungen bleiben dagegen nicht steuerbar, obwohl der Gesponserte ein Entgelt erhält, für das er eine wirtschaftliche Leistung erbringt. Zwar liegt hier regelmäßig ein Leistungs-

__________ 27 BFH v. 1.8.2002 – V R 21/01, BStBl. II 2003, 438 (440). 28 BFH v. 10.7.1997 – V R 95/96, BStBl. II 1997, 668; Hundt-Eßwein, Umsatzsteuerliche Behandlung von Sponsoring-Leistungen, UStB 2004, 316 (320). 29 FG Hamburg v. 5.5.2006 – 2 K 108/04, EFG 2006, 1865 (1866) – nrkr.; ebenfalls für eine Minderung der Bemessungsgrundlage Leidel, UR 2003, 328 (332). 30 FG München v. 13.5.2004 – 14 K 2886/03, EFG 2004, 1329 (1330 f.).

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austausch im Sinne eines do ut des vor.31 Jedoch fehlte bei Anwendung des Sponsoring-Erlasses in den genannten Fällen der gesponserten Körperschaft des öffentlichen Rechts die Unternehmereigenschaft. Unklar lässt der SponsoringErlass aber, welcher Tätigkeitssphäre die „passive Werbetätigkeit“ zuzuordnen ist. Dem einleitenden Hinweis auf den Anwendungserlass zu § 67a AO, Tz. 9, kann aber entnommen werden, dass der Erlass von einer steuerfreien Vermögensverwaltung ausgeht. Dies bewirkt umsatzsteuerlich einmal mehr einen Wertungswiderspruch im Verhältnis zur Behandlung der gemeinnützigen Körperschaften. Handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, so bildet der Leistungsaustausch einen steuerbaren und, falls kein Befreiungstatbestand (z. B. § 4 Nr. 20 UStG) eingreift, auch einen steuerpflichtigen Umsatz. Da kein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt, findet allerdings nur der ermäßigte Steuersatz von 7 % gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG Anwendung; dem die Vorsteuerabzugsberechtigung gegenübersteht. Handelt es sich bei dem Gesponserten dagegen um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, bleibt die „passive Werbeleistung“ mangels Unternehmereigenschaft nicht steuerbar. Diese unterschiedliche Besteuerung gleicher Leistungen widerspricht dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität der Besteuerung und ist überdies mit Art. 13 MwStSystRL nur vereinbar, wenn man die im Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben stehende Duldungsleistung als eine Tätigkeit ansieht oder als solche behandelt, die der öffentlichen Einrichtung „im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegt“. So ließe sich etwa die mit der Schulaula zusammenhängende Namensnennung im 1. Beispielsfall als mit dem Schulbetrieb eng verbundene Dienstleistung i. S. d. Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL verstehen. Ebenso könnte die Duldungsleistung der Polizei im 3. Beispielsfall noch dem hoheitlichen Sektor zugeordnet werden.

V. Vorsteuerabzug Entsprechend unterschiedliche Folgen ergeben sich im Zusammenhang mit dem Vorsteuerabzug. Ein Vorsteuerabzug kommt in Bezug auf die Leistung des Sponsors auf Seiten der gesponserten Einrichtung der öffentlichen Hand nur in Betracht, wenn diese insoweit einen Betrieb gewerblicher Art unterhält. Im Fall des sog. Werbemobils gewähren die meisten Oberfinanzdirektionen32 den Vorsteuerabzug, wenn das Fahrzeug für zusätzliche Werbefahrten genutzt wird, allerdings nur anteilig für die auf diese Fahrten entfallenden Fahrleistungen. Nicht zu überzeugen vermag jedoch die generelle Versagung des Vorsteuerabzugs für die Fahrten des Werbemobils im hoheitlichen Sektor. Hier handelt

__________ 31 Zum Kausalzusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung s. Reiß in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 34 ff. 32 Vgl. OFD Hannover, Vfg. v. 11.2.2003 – S 7100 - 427 - StO 351, S 7100 - 915 - StH 446, UR 2004, 41; OFD Erfurt, Vfg. v. 28.2.2001 – S 7119 A - 04 - St 343, UR 2001, 222; OFD Karlsruhe und Stuttgart, Vfg. v. 28.4.2000 – S 7100 Karte 16; OFD Frankfurt, Vfg. v. 23.2.2000 – S 7119 A - 5 - St V 10, USt-Kartei § 3 Abs. 12 UStG – S 7119 Karte 2.

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es sich vielmehr um eine gemischte Nutzung, da das Fahrzeug zwar für hoheitliche Zwecke bewegt wird, damit zugleich aber auch (sichtbar!) einen Werbezweck erfüllt. § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG enthält für die gemischte Nutzung kein „Alles-oder-nichts-Prinzip“, sondern verlangt nach einer sachgerechten Schätzung. Da der hoheitliche Zweck nicht vom Werbezweck getrennt, kein Nutzungsanteil abgeschichtet werden kann, fällt eine nachvollziehbare Quantifizierung schwer. Der siamesische Zwilling lässt sich insoweit allenfalls durch eine 50:50-Relation, die den Doppelzweck abbildet, trennen. Spätestens seit dem Seeling-Urteil des EuGH ist zumindest für die Praxis geklärt, dass der Unternehmer ein umfängliches Zuordnungswahlrecht bezüglich seines Unternehmensvermögens besitzt.33 Das Werbemobil kann dem Unternehmensvermögen zu 100 % zugeordnet werden, so dass der volle Vorsteuerabzug aus den Anschaffungskosten zu gewähren ist, auch wenn die Körperschaft neben der Werbetätigkeit hoheitlich tätig wird. Es kommt nicht auf die weitere Verwendungsmöglichkeit des Fahrzeugs an, sondern unmittelbar auf die bei der Überlassung des Fahrzeugs vereinbarte Nutzung im Rahmen der erbrachten Werbetätigkeit.34 Dem vollen Vorsteuerabzug steht die Besteuerung der Verwendung im hoheitlichen Bereich als sonstige Leistung (unentgeltliche Wertabgabe aus dem Unternehmen) gem. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG gegenüber. Zur Ermittlung des nichtunternehmerischen Nutzungsanteils lässt die Finanzverwaltung unterschiedliche Methoden einschließlich der einkommensteuerlichen 1 %-Regel zu.35 Falls kein brauchbarer Nutzungsanteil geschätzt werden kann, bleibt – wie gerade erwähnt – eine 50 %ige Wertabgabe. Das Fahrzeug kann allerdings auch von vornherein nur anteilig dem unternehmerischen Bereich zugeordnet werden, so dass auch die Vorsteuer nur anteilig abziehbar ist. Die Vorsteuerbeträge, die auf die laufenden Kosten des Fahrzeugs entfallen, sind dann ebenfalls nur anteilig abziehbar. Die Umsatzsteuer wird schließlich zum echten Kostenfaktor, wenn der Sponsor seinerseits nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Ist der Sponsor eine Sparkasse, Bank oder Versicherung, für die der Vorsteuerausschluss nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG eingreift, sollten daher aktive Werbeleistungen und die damit verbundene Begründung eines Betriebes gewerblicher Art tunlichst vermieden werden.

__________ 33 EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101, dazu krit. Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 156 f. 34 Siehe EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations S. A., EuGHE 2001, I-6663 – Rz. 32; BFH v. 10.4.1997 – V R 26/96, BStBl. II 1997, 552; FG BW v. 24.9.2004 – 9 V 50/02, EFG 2005, 320 (323); Leidel, Umsatzsteuerliche Behandlung der Überlassung von Werbemobilen an soziale Institutionen, Sportvereine und Kommunen, UR 2003, 328 (331). 35 Siehe BMF, Schr. v. 27.8.2004 – IV B 7 - S 7300 - 70/04, BStBl. I 2004, 864; BMF, Schr. v. 7.7.2006 – IV B 2 - S 2177 - 44/06, IV A 5 - S 7206 - 7/06, BStBl. I 2006, 446.

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VI. Fazit zur gemeinschaftsrechtlichen Lage Die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art umsatzsteuerpflichtig. Die Einordnung als Betrieb gewerblicher Art hängt in der Verwaltungspraxis von der Qualität der Werbeleistung nach den Kriterien des Sponsoring-Erlasses ab. Nur die aktive Werbeleistung unterliegt der Umsatzsteuer. Bloße Duldungs- bzw. „passive Werbeleistungen“ der gesponserten Körperschaft sind nicht umsatzsteuerbar, während gemeinnützige Institutionen dieselben Leistungen versteuern müssen. Weist beispielsweise ein städtisches Museum auf einen Sponsor hin, führt es noch keine steuerbare Leistung aus, während ein Museum in Trägerschaft eines gemeinnützigen Vereins einen steuerpflichtigen Umsatz zu 7 % (ermäßigter Steuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG) Umsatzsteuer tätigt. Das städtische Museum hat dadurch regelmäßig einen umsatzsteuerlichen Vorteil, insbesondere wenn der Sponsor eine nicht vorsteuerabzugsberechtigte Bank, Sparkasse etc. ist.36 Aber auch bei aktiven Werbeleistungen scheitert die Annahme eines Betriebes gewerblicher Art nicht selten an der von der Finanzverwaltung angewendeten Umsatzgrenze. Besonders signifikant zeigt sich die Divergenz zum Gemeinschaftsrecht bei vermögensverwaltenden Tätigkeiten der Körperschaften des öffentlichen Rechts. Auf Grund der Verweisung in § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG auf den körperschaftsteuerlichen Begriff des Betriebes gewerblicher Art wird auch die Vermögensverwaltung aus der Umsatzsteuerpflicht ausgeklammert. Dies widerspricht Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie), der Körperschaften des öffentlichen Rechts nur insoweit zu Nichtsteuerpflichtigen erklärt, als sie Aufgaben im Rahmen der öffentlichen Gewalt durchführen. Entscheidend ist, ob die Körperschaften des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer für sie geltenden Sonderregelungen tätig werden, es kommt somit auf die Form des Handelns an.37 Ausgenommen sind Tätigkeiten, die unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer betrieben werden.38 Demnach ist die Vermögensverwaltung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts grundsätzlich unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG unternehmerisch, auch wenn sie körperschaftsteuerrechtlich nicht den Betrieben gewerblicher Art zugerechnet wird.39 Daran wird der Rechtsanwender auch nicht durch die insoweit wohl eindeutige Bedeutung des nationalen Begriffs „Betrieb gewerblicher Art“ gehindert. In der Tat kommt insoweit keine richtlinienkonforme Auslegung in Betracht.40 Aufgrund des Anwendungsvorrangs der Richtlinie wird die nationale Einschrän-

__________ 36 Rasche, Sponsoring von Vereinen und öffentlicher Hand, UStB 2001, 208 (211). 37 Heidner in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., München 2005, § 2 UStG Rz. 151. 38 EuGH, Urt. v. 17.1.1989 – Rs. 231/87, 129/88, EuGHE 1989, 3233; EuGH, Urt. v. 15.5.1990 – Rs. C-4/89 – Carpaneto Piacentino, EuGHE 1990, I-1869; EuGH, Urt. v. 12.9.2000 – Rs. C-359/97 – Kommission / Großbritannien und Nordirland, EuGHE 2000, I-6355 = UR 2000, 518. 39 Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, München, § 2 UStG Rz. 232 – Januar 2000. 40 Zutreffend Reiß (Fn. 6).

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kung des Unternehmerbegriffs in § 2 Abs. 3 UStG insoweit jedoch derogiert. Zwar ist der Anwendungsvorrang der Mehrwertsteuersystemrichtlinie gegenüber dem nationalen Gesetz zu Lasten des Bürgers ausgeschlossen.41 Hier geht es aber nicht um einen Eingriff in Freiheit und Eigentum des Bürgers, sondern umgekehrt um die Verpflichtung des Staates zur umsatzsteuerlichen Gleichbehandlung seiner Einrichtungen mit Privatrechtssubjekten. Dementsprechend bejaht der EuGH mittlerweile – m. E. überzeugend – die Möglichkeit, sich im Weg einer Konkurrentenklage gegen die Nichtbesteuerung von öffentlichen Einrichtungen zur Wehr zu setzen.42 Da die Mehrwertsteuersystemrichtlinie hinreichend klar („self-executing“) ist, können sich allerdings auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu ihren Gunsten unmittelbar auf den gemeinschaftsrechtlich weiteren Begriff des Steuerpflichtigen berufen.43 Der engere Begriff des Betriebes gewerblicher Art bleibt damit für die Vermögensverwaltung nur noch im Bereich des Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie) auf gemeinschaftskonforme Weise anwendbar. Dort hat die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, Tätigkeiten, die nach Art. 132, 135, 136, 371, 374–377, 378 Abs. 2, Art. 379 Abs. 2, Art. 380–390 MwStSystRL (Art. 13 oder Art. 28 der 6. EGRichtlinie) von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die der Einrichtung im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Darunter können auch „passive Werbeleistungen“ im Bereich des Verwaltungssponsoring fallen (siehe oben IV 2). Der EuGH hat allerdings in seinem Urteil Marktgemeinde Welden44 darauf hingewiesen, dass bei einer fingierten Steuerfreiheit nach Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 4 der 6. EG-Richtlinie) die Voraussetzungen einer möglichen Wettbewerbsverzerrung nach dem Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie zu prüfen ist. Der BFH folgt dem EuGH und hält § 2 Abs. 3 UStG wegen Verstoßes gegen Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie) für nicht anwendbar, wenn die Behandlung der Entgelte aus Vermögensverwaltung als nichtsteuerbar zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt.45 Es ist höchste Zeit, dass der Gesetzgeber § 2 Abs. 3 UStG den gemeinschaftsrechlichen Vorgaben entsprechend anpasst.

__________ 41 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, Köln, Einf. UStG Rz. 252 – November 2000; Rasche, Sponsoring von Vereinen und öffentlicher Hand, UStB 2001, 208 (211); Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 8. 42 EuGH, Urt. v. 8.6.2006 – Rs. C-430/04 – Feuerbestattungsverein Halle, EuGHE 2006, I-4999 = UR 2006, 459; BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; skeptisch noch Reiß, EuGH-Vorlage des BFH vom 8.7.2004, VII R 24/03: Konkurrentenklage, IStR 2005, 53. 43 Siehe Reiß in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 8 m. w. N. 44 EuGH, Urt. v. 6.2.1997 – Rs. C-247/95 – Marktgemeinde Welden, EuGHE 1997, I-779. 45 BFH v. 11.6.1997 – XI R 33/94, BStBl. II 1999, 418.

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Der Handel mit Zahnersatz im Binnenmarkt Anmerkungen zum Problem der juristischen Doppelbesteuerung im Umsatzsteuer-Binnenmarkt

Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Eurodental III. Allgemeine Folgerungen zum Verhältnis von unechter Steuerbefreiung und echter Steuerbefreiung für Exportlieferungen im harmonisierten Binnenmarkt 1. Die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb unecht befreiter Gegenstände 2. Die Steuerbefreiung für die Einfuhr unecht befreiter Gegenstände aus Drittstaaten 3. Wettbewerbsverzerrungen beim Vorrang der unechten Steuerbefreiung

4. Zur Systemkonformität der Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb 5. Zwischenergebnis IV. Implikationen einer Sonderregelung gem. Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EGRichtlinie) 1. Die Rechtsmeinung des EuGH 2. Zum Problem der Doppel-Nichtbesteuerung 3. Zum Verbot der Doppelbesteuerung 4. Zur engen Auslegung von Art. 370 MwStSystRL V. Schlussbemerkungen

I. Vorbemerkung Anlässlich unserer jüngsten Begegnung im Juni 2007 hat mir der Jubilar die Frage gestellt, inwieweit das EuGH-Urteil Eurodental1 mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Ich hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt mit den Folgerungen aus dem Urteil noch nicht näher beschäftigt. Die Diskussion mit dem Jubilar zeigte jedoch sehr rasch, dass seine Frage keineswegs unberechtigt war. Unechte Steuerbefreiungen sind ein Fremdkörper im Mehrwertsteuersystem und bedingen im grenzüberschreitenden Warenverkehr erst recht systemwidrige Ergebnisse. Die Ausgangslage wird zudem unübersichtlich, wenn in grenzüberschreitenden Fällen der eine Mitgliedstaat der harmonisierten Rechtsgrundlage folgend die unechte Befreiung anwendet, der andere

__________ 1 EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98; vgl. zum Urteil auch Bramerdorfer/Bürgler/Fritscher-Notthaft, Eurodental-Entscheidung des EuGH bringt zwingende Verknüpfung von ig Erwerb und ig Lieferung, taxlex 2007, Heft 8, 369; Billig, Vorsteuerabzugsrecht infolge einer übergangsweise zulässigen Ausnahmeregelung gem. Art 28 Abs. 3 Buchst. a der 6.EG-Richtlinie?, UR 2007, 81 ff.

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hingegen gestützt auf die Ausnahmeregelung des Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) die Umsätze weiterhin besteuert. In der Folge wird versucht, die in diesem Zusammenhang auftretenden Rechtsfragen systematisch zu erörtern.

II. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Eurodental Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eurodental ist eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg, deren Tätigkeit im Wesentlichen darin bestand, für in Deutschland niedergelassene Kunden Zahnersatz anzufertigen und zu reparieren. Nach luxemburgischem Mehrwertsteuerrecht sind die Lieferungen von Zahnersatz dem Gemeinschaftsrecht entsprechend gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) unecht von der Umsatzsteuer befreit. Fraglich war, ob die echte Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-Richtlinie, nunmehr Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL) der unechten Steuerbefreiung vorgeht. In diesem Falle wäre dem Luxemburger Unternehmer für die Lieferung des Zahnersatzes der Vorsteuerabzug zugestanden. Zu entscheiden war damit die Frage des Vorrangs des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie (nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL) vor Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (nunmehr Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL). In der Rechtssache Eurodental stellt der EuGH klar, dass die unechte Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie der echten Steuerbefreiung für Ausfuhrumsätze und innergemeinschaftliche Lieferungen vorgeht. Ein nach Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie befreiter Umsatz begründet kein Recht auf Vorsteuerabzug, und zwar selbst dann nicht, wenn dieser Umsatz innergemeinschaftlichen Charakter hat. Der EuGH hat dieses Ergebnis umfassend begründet: Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass in der Gemeinschaft die Umsatzsteuer als allgemeine zum Preis der Gegenstände proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist, die ungeachtet der Zahl der Umsätze und der Produktions- und Vertriebsstufen anfällt.2 Eine Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen von unecht befreiten Gegenständen würde demgegenüber zu einer vollständigen Befreiung von der Mehrwertsteuer führen, da die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie bedingen würde, dass der innergemeinschaftliche Erwerb gem. Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. EG-Richtlinie steuerbefreit wäre. Systematisch qualifiziert der EuGH die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie als spezifische Befreiung, die Vorrang vor den Steuerbefreiungen allgemeiner Natur für die innergemeinschaftlichen Umsätze hat.3 Schließlich sichert der EuGH das Ergebnis mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ab: Würde für inner-

__________ 2 EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 39 ff. 3 EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 43 ff.

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Der Handel mit Zahnersatz im Binnenmarkt

gemeinschaftliche Umsätze das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet, wären Steuerpflichtige, die einen innergemeinschaftlichen Umsatz bewirken, besser gestellt als Steuerpflichtige, die inländische Umsätze bewirken. Auch aus diesem Grund geht die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Umsätze vor.4 Sehr ausführlich setzt sich der EuGH in diesem Zusammenhang aber auch mit dem Vorbringen der deutschen Regierung auseinander, dass die Nichtgewährung des Vorsteuerabzuges für die innergemeinschaftliche Lieferung in Luxemburg in Anbetracht der für Deutschland gem. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Übergangsregelung zur Doppelbesteuerung führen kann.5 Da Deutschland keine unechte Steuerbefreiung für die Lieferung der fraglichen Gegenstände vorsieht, würde im Rahmen einer Erwerbsbesteuerung in Deutschland deutsche Umsatzsteuer anfallen und der Gegenstand somit nicht nur mit nicht abzugsfähiger Luxemburger Umsatzsteuer, sondern auch mit deutscher Umsatzsteuer belastet an den deutschen Verbraucher gelangen. Der EuGH ließ diesen Einwand jedoch nicht gelten: Bei der durch Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung handelt es sich nicht um eine harmonisierte Besteuerung, sondern nur um eine für einen vorübergehenden Zeitraum für den betreffenden Mitgliedstaat zugelassene Besteuerung. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie müsse daher eng ausgelegt werden und könne in seiner Reichweite folglich nicht auf Mitgliedstaaten erstreckt werden, die ihre nationalen Vorschriften dem Gemeinschaftsrecht entsprechend harmonisiert haben.6 Es könne nach Auffassung des EuGH daher nicht zugelassen werden, dass jener Mitgliedstaat, der den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie entsprechend den Vorsteuerabzug ausschließt, durch die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates beeinträchtigt wird. Dies müsse umso mehr gelten, als es auch Luxemburg im gegenständlichen Fall nicht erlaubt wäre, nach Einführung der unechten Befreiung ein Recht auf Vorsteuerabzug mit dem Ziel zu eröffnen, eventuelle Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen. Es liegt vielmehr am Mitgliedstaat, der die Übergangsregelung nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie praktiziert, die Wettbewerbsverzerrungen durch Übergang auf die endgültige Gemeinschaftsregelung zu beseitigen. Die Beibehaltung der Übergangsregelung kann aber keinesfalls ermächtigen, Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil jener Staaten zu schaffen, die die Bestimmungen der 6. EGRichtlinie umgesetzt haben.7 Im Übrigen sei es nach Auffassung des EuGH Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, alles zu tun, um die endgültige Gemeinschaftsregelung der Mehrwertsteuerbefreiungen zu erlassen und so die Wettbewerbsverzerrungen schritt-

__________ 4 5 6 7

EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 46 ff. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 48 ff. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 53 ff. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 56 ff.

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weise zu beseitigen, die sich aus den von der 6. EG-Richtlinie zugelassenen Ausnahme- und Übergangsregelungen ergeben.8

III. Allgemeine Folgerungen zum Verhältnis von unechter Steuerbefreiung und echter Steuerbefreiung für Exportlieferungen im harmonisierten Binnenmarkt 1. Die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb unecht befreiter Gegenstände Der vom EuGH in der Rechtssache Eurodental judizierte Vorrang der unechten Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie) vermeidet bei erster Betrachtung im harmonisierten Binnenmarkt systemwidrige Doppelnichtbesteuerungen: Nach Art. 140 Buchst. a MwStSystRL (früher Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) ist der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, deren Lieferung durch den Steuerpflichtigen im Inland auf jeden Fall steuerfrei wäre, von der Steuerpflicht befreit.9 Ist aber der innergemeinschaftliche Erwerb deshalb befreit, da Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A der 6. EU-Richtlinie) eine Befreiung für die Inlandslieferung vorsieht, würde eine echte Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung letztlich zu einer systemwidrigen vollständigen Entlastung von der Umsatzsteuer führen. Aus dieser Warte erscheint es konsequent, die unechte Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) auch auf den Fall der innergemeinschaftlichen Lieferung anzuwenden. Der im Schrifttum aus dem EMAG-Urteil des EuGH10 für den Fall einer unechten Steuerbefreiung gefolgerte Entfall eines steuerbaren Erwerbs11 dürfte angesichts des Umstandes, dass der EuGH im EMAG-Fall gerade keinen Sachverhalt zu entscheiden hatte, in dem eine unechte Steuerbefreiung anzuwenden war, zu weit gehen. Vielmehr prüft der EuGH im Fall Eurodental die Wirkungen der Ausnahme- bzw. Übergangsregelung nach Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a 6. EG-Richtlinie) unter der Prämisse einer Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland. Würde die unechte Steuerbefreiung tatsächlich zum Entfall der Erwerbsbesteuerung führen, hätte es der Ausführungen des EuGH zur Sondersituation im Bestimmungsland nicht bedurft. Im Übrigen hat der Mitgliedstaat des Erwerbs seine Besteuerungskompetenz unabhängig von der Behandlung im Lieferstaat vorzunehmen (Art. 21 VO (EG) Nr. 1777/2005 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 77/388/EWG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem). Die unechte Steuer-

__________ 8 9 10 11

EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 57. Vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 40. EuGH, Urt. v. 6.4.2006 – Rs. C-245/04 – EMAG, EuGHE 2006, I-3227 – Rz. 29. Vgl. Bramerdorfer/Bürgler/Fritscher-Notthaft, Eurodental Entscheidung des EuGH bringt zwingende Verknüpfung von ig Erwerb und ig Lieferung, taxlex 2007, Heft 8, 369.

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befreiung im Herkunftstaat berührt somit nicht die Steuerbarkeit des Erwerbs im Bestimmungsland. Eine Erfassung des innergemeinschaftlichen Erwerbs unterbleibt nach dem klaren Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 MwStSystRL (früher Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) nur dann, wenn die Steuerbefreiung gem. Art. 282 ff. MwStSystRL (früher Art. 24 der 6. EG-Richtlinie) für Kleinunternehmer zur Anwendung gelangt. Der Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs setzt von diesem Fall abgesehen weder nach dem Wortlaut der maßgeblichen Richtlinienbestimmungen noch systematisch das Vorliegen einer echt steuerbefreiten innergemeinschaftlichen Lieferung im anderen Mitgliedstaat voraus. 2. Die Steuerbefreiung für die Einfuhr unecht befreiter Gegenstände aus Drittstaaten Im Fall der Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet ist Art. 143 Buchst. a MwStSystRL (früher Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) zu beachten: Danach ist die Einfuhr für jene Gegenstände befreit, deren Lieferungen im Inland auf jeden Fall steuerfrei ist. Da nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) die Lieferung von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker im Inland steuerbefreit ist, kann hieraus die Steuerbefreiung für die Einfuhr derartiger Gegenstände gefolgert werden. Diese Sicht hat für Österreich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.9.200012 bestätigt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die österreichische Finanzverwaltung die Auffassung vertreten, dass die echte Befreiung für Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen der unechten Befreiung vorgeht. Für Ausfuhrlieferungen von Zahnersatz wurde demgemäß der Vorsteuerabzug gewährt.13 Im Anschluss an das VwGH-Erkenntnis vertritt demgegenüber das BMF seit dem 1.1.2001 die Auffassung, dass bei Lieferung von Zahnersatz ins Ausland die unechte Steuerbefreiung Vorrang hat.14 Aus der Steuerfreiheit für die Einfuhr folgert das österreichische BMF die Steuerfreiheit für den innergemeinschaftlichen Erwerb.15 Diese Folgerung führt zwar im Prinzip zu dem oben III 1 skizzierten Ergebnis, stützt sich aber im Binnenmarkt auf den falschen Tatbestand: Wie oben gezeigt, ist die Befreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs nicht auf Art. 140 Buchst. b MwStSystRL (früher Art. 28c Teil B Buchst. b der 6. EG-Richtlinie), sondern auf den Umstand zu stützen, dass die Lieferung durch Steuerpflichtige in ihrem jeweiligen Gebiet auf jeden Fall steuerfrei wäre (Art. 140 Buchst. a MwStSystRL16).

__________ 12 Erkenntnis des VwGH v. 28.9.2000 – 99/16/0302, VwSlg 7547 F/2000. 13 öBMF v. 4.6.1997, ÖStZ 1997, 313; Kolacny, Die umsatzsteuerliche Behandlung von Goldmünzen, SWK 1999, 183. 14 Rz. 972 öUStR. 15 Rz. 3941 öUStR; Erkenntnis des VwGH v. 17.12.2002 – 2002/14/0113, VwSlg 7547 F/ 2000. 16 Früher Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie.

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3. Wettbewerbsverzerrungen beim Vorrang der unechten Steuerbefreiung Der vom EuGH in der Rechtssache Eurodental angenommene Vorrang der unechten Steuerbefreiung führt allerdings auch im harmonisierten Binnenmarkt zu Wettbewerbsverzerrungen. Diese sind zunächst durch das Steuersatzgefälle im Binnenmarkt bedingt. Die unechte Befreiung im Herkunftsland führt in Verbindung mit der Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb dazu, dass die grenzüberschreitend gehandelte Ware lediglich mit der Mehrwertsteuer des Herkunftstaates belastet in das Gebiet des einführenden Mitgliedstaates gelangt. Der Umstand, dass im Bestimmungsland Waren, die mit nicht abzugsfähiger Vorsteuer des Herkunftslandes belastet sind, mit Waren konkurrieren, die mit nicht abzugsfähiger Vorsteuer des Bestimmungslandes belastet sind, begründet allerdings nicht ohne weiteres eine gemeinschaftswidrige Wettbewerbsverzerrung. Immerhin ergeben sich ähnlich verzerrende Wettbewerbslagen auf Grund des bestehenden Steuersatzgefälles für den Binnenmarkthandel im System der Binnenmarktregelung auch bei anderen Sachverhaltskonstellationen (z. B. beim Versandhandel mit steuerpflichtigen Waren unterhalb der Lieferschwelle). Wenngleich insbesondere bei massivem Wettbewerb die Richtlinie eine Gleichbehandlung der Verbraucher im Bestimmungsland anstrebt, scheitert eine solche beim Handel mit Zahnersatz am Vorrang der unechten Steuerbefreiung in Verbindung mit der Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb. Damit scheint der durch die Anwendung der unechten Steuerbefreiung bedingte Wettbewerbsvorteil von Herkunftstaaten mit niedrigerem Steuersatzniveau durch die Richtlinie selbst vorgegeben. Im Fall der Einfuhr aus Drittstaaten steht die Belastung mit der Steuer des Herkunftstaates freilich in einem klaren Spannungsverhältnis mit der Teleologie der Einfuhrbesteuerung: Die Besteuerung der Einfuhr soll sicherstellen, dass die importierte Ware im Bestimmungsland inländischen Waren belastungsmäßig gleichgestellt wird. Mit der Steuerbefreiung der Einfuhr wird dieses Ziel regelmäßig verfehlt: Ist das ausländische Belastungsniveau niedriger, werden inländische Waren diskriminiert. Ist dagegen das ausländische Belastungsniveau höher als das inländische, scheinen Inlandswaren bevorzugt. Die auf Grund eines Steuersatzgefälles eintretende Benachteiligung ausländischer Waren stellt jedoch keine diskriminierende Besteuerung nach Art. 90 EG17 und auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 GATT bzw. Art. 14 EWRA dar, da der Importstaat im Fall der steuerfreien Einfuhr auf die eingeführte Ware keine Abgaben erhebt. Sie ist auch in einem harmonisierten Binnenmarkt hinzunehmen, zumal die Harmonisierung gerade nicht die Höhe der Steuersätze erfasst. Wettbewerbsverzerrungen ergeben sich aber nicht nur aus den Steuersatzunterschieden, sondern auf dem Boden des vom EuGH vertretenen Vorranges der unechten Steuerbefreiung auch auf Grund der für die Anwendung der Steuerbefreiung maßgebenden persönlichen Voraussetzungen. Beachtet man den

__________ 17 Vgl. dazu ausführlich unten.

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Anwendungsbereich der unechten Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie), greift die Steuerbefreiung für Zahnersatzlieferungen nur dann, wenn diese durch Zahnärzte oder Zahntechniker erfolgen. Lieferungen von Zahnersatz durch Unternehmer, die diese persönlichen Voraussetzungen nicht erfüllen, unterliegen demgegenüber nicht der unechten Steuerbefreiung sondern der Steuerpflicht.18 Bezieht man den Anwendungsbereich der unechten Steuerbefreiung auf die innergemeinschaftliche Lieferung und konsequent auf den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz durch Zahnärzte oder Zahntechniker, trägt der Gegenstand im Bestimmungsland eine unterschiedliche Mehrwertsteuerbelastung, je nachdem, welcher Unternehmer als Lieferer bzw. als Erwerber aufgetreten ist. Liefert etwa ein Zahnersatz-Produzent an einen Zahnersatz-Händler, ist die Lieferung im Herkunftsland als innergemeinschaftliche Lieferung echt steuerbefreit, der innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland steuerpflichtig. Erwirbt ein Zahnarzt vom Zahn-Produzenten, tritt dagegen eine vollständige Entlastung ein, da für den Zahn-Produzenten die unechte Steuerbefreiung nicht greift und der Zahnarzt im Bestimmungsland die Steuerbefreiung für die Erwerbsbesteuerung in Anspruch nimmt. Der Vorrang der unechten Steuerbefreiung vermag somit keinesfalls, die Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkthandel zu beseitigen, es scheint vielmehr, dass die These vom Vorrang der unechten Befreiung derartige Wettbewerbsverzerrungen geradezu verstärkt. 4. Zur Systemkonformität der Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb Immerhin kann kritisch hinterfragt werden, ob im Fall der unechten Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) tatsächlich eine Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Erwerbs bzw. der Einfuhr Platz greifen muss, zumal Art. 140 Buchst. a MwStSystRL (früher Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) bzw. Art. 143 Buchst. a MwStSystRL (früher Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der 6. EGRichtlinie) diese Befreiung an die Voraussetzung knüpft, dass die Lieferung durch Steuerpflichtige im Gebiet des Mitgliedstaates „auf jeden Fall“ steuerfrei ist. Zweifelhaft könnte nämlich sein, ob eine unechte Steuerbefeiung, die an persönliche Eigenschaften des leistenden Unternehmers anknüpft, dieser Voraussetzung entspricht. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) befreit die Lieferung immerhin nur für den Fall, dass diese durch Zahnärzte oder Zahntechniker erfolgt. In der Rechtssache VDP Dental Laboratory NV19 hat der EuGH hiezu ausgesprochen, dass weder die Ziele der Befreiung noch der Grundsatz der Neutralität rechtfertigen würden, die Befreiung auf Lieferungen auszudehnen, die nicht von Zahnärzten oder Zahntechnikern erbracht werden.

__________ 18 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – Rs. C-401/05 – VDP Dental Laboratory NV, UR 2007, 104. 19 EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – Rs. C-401/05 – VDP Dental Laboratory NV, UR 2007, 104.

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Vertritt man daher, dass der innergemeinschaftliche Erwerb bzw. die Einfuhr derartiger Gegenstände steuerpflichtig ist, ergibt sich allerdings – wendet das Herkunftsland auf die Lieferung die unechte Befreiung gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) an – ein Kumulationseffekt, da der Gegenstand sowohl im Herkunftstaat mit nicht abzugsfähiger Vorsteuer wie auch im Bestimmungsland mit Erwerbsteuer belastet würde. Diese Kumulation wäre wohl als internationale juristische Doppelbesteuerung zu qualifizieren, da dasselbe Wirtschaftsgut in zwei Steuerrechtsordnungen mit Umsatzsteuer belastet wird. Fraglich ist, ob eine derartige juristische Doppelbesteuerung im System einer harmonisierten Umsatzsteuer mit dem steuerlichen Diskriminierungsverbot nach Art. 90 EG vereinbar ist. Für Zeiträume vor der Harmonisierung des Binnenmarkthandels hat der EuGH zur Einfuhrbesteuerung zwischen Mitgliedstaaten vertreten, dass eine solche Doppelbesteuerung gegen Art. 90 EG verstößt.20 Die harmonisierten Vorschriften zur Einfuhrbesteuerung haben danach den Mitgliedstaaten verboten, die Einfuhr durch Privatpersonen gelieferter Waren der Einfuhrumsatzsteuer zu unterwerfen, soweit im Wert der Ware zum Zeitpunkt des Exports noch eine nicht abgezogene Mehrwertsteuer enthalten war. Vielmehr war der Einfuhrstaat verpflichtet, die im Gegenstand enthaltene Restmehrwertsteuer anzurechnen, da es ansonsten zu einer Diskriminierung der eingeführten Ware gegenüber gleichartigen inländischen Waren käme.21 Die Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf das gegenständliche Problem ist jedoch fraglich, wenn man beachtet, das die grundfreiheitsrechtliche Relevanz juristischer Doppelbesteuerungen im Grund für Binnenmarktfälle umstritten ist: In seiner bisherigen Rechtsprechung geht der EuGH im Grundsatz jedenfalls davon aus, dass der EG-Vertrag keinerlei Vorschriften enthält, die internationale juristische Doppelbesteuerungseffekte verbieten würden. Die Beseitigung derartiger Effekte wäre zwar im Interesse des freien Warenverkehrs wünschenswert, sie könne jedoch nur durch eine Harmonisierung der Abgabensysteme erreicht werden.22 Die zeitlich nach der Schul-Rechtsprechung in diesem Zusammenhang ergangene Judikatur des EuGH zeigt vielmehr, dass der EuGH die Berücksichtigung einer ausländischen Abgabe im Rahmen eines inländischen Systems grundsätzlich ablehnt. So verweigert der EuGH in der Rechtsache Scharbatke, Abgaben des Ausfuhrstaates ungeachtet ihrer Gleichartigkeit auf inländische Abgaben für das eingeführte Erzeugnis anzurechnen.23 In diesem Urteil hält der EuGH ausdrücklich fest, dass die Schul-Rechtsprechung auf Abgaben nicht übertragbar ist, die durch autonome nationale Rechtsvorschriften geregelt werden.

__________ 20 EuGH, Urt. v. 5.5.1982 – Rs. 15/81 – Gaston Schul, EuGHE 1982, 1409. 21 EuGH, Urt. v. 5.5.1982 – Rs. 15/81 – Gaston Schul, EuGHE 1982, 1409; EuGH, Urt. v. 21.5.1985 – Rs. 47/84 – Schul II, EuGHE 1985, 1491. 22 EuGH, Urt. v. 5.12.1989 – Rs. C-165/88 – oro Amsterdam Beheer, EuGHE 1989, 4081 – Rz. 21 ff. 23 EuGH, Urt. v. 27.10.1993 – Rs. C-72/92 – Scharbatke, EuGHE 1993, I-5509.

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Das Diskriminierungsverbot nach Art. 90 EGV ist danach nicht bereits verletzt, wenn das inländische Abgabensystem gleichartige Steuern des Ausfuhrstaates außer Betracht lässt: Vielmehr klammert der EuGH regelmäßig die im Ausland eingetretene Vorbelastung bei der Prüfung der Diskriminierung aus und beschränkt sich darauf, die Belastung des inländischen Abgabensystems für eingeführte und inländische Waren zu vergleichen. Art. 90 EG ist demnach ungeachtet einer Vorbelastung im Ausland nicht verletzt, wenn das inländische Abgabensystem für eingeführte und inländische Waren eine inlandsbezogene Gleichbehandlung vorsieht. Diese auf das inländische Abgabensystem eingeschränkte vergleichende Prüfung entspricht im Übrigen auch der bisher ergangenen Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten im Bereich der direkten Steuern.24 Vor diesem Hintergrund kann aus der Schul-Rechtsprechung keineswegs ein allgemeines Verbot der juristischen Doppelbesteuerung aus Art. 90 EG gefolgert werden. Die Rechtsprechung zeigt vielmehr, dass der EuGH eine Beseitigung der Doppelbesteuerung grundsätzlich nur im Rahmen des harmonisierten Gemeinschaftsrechts für möglich erachtet. Beseitigung der Doppelbesteuerung kann somit nur insoweit erfolgen, als das harmonisierte Gemeinschaftsrecht dafür eine Grundlage bietet. Dementsprechend judiziert der EuGH für das Mehrwertsteuerrichtlinienrecht, dass Richtlinienbestimmungen im Lichte des Verbots der Doppelbesteuerung auszulegen sind.25 Ungeachtet dieses Postulats geht der EuGH allerdings auch davon aus, dass das Mehrwertsteuerrichtlinienrecht doppelte Besteuerungen nicht gänzlich ausschließt, zumal das Richtlinienrecht zwar eine weitestgehende, aber noch nicht vollständige Harmonisierung bietet.26 Juristische Doppelbesteuerungen sind daher im Bereich der indirekten Steuer nur dann als Verstoß gegen das steuerliche Diskriminierungsverbot zu qualifizieren, wenn sie harmonisierte Abgaben betreffen und das Sekundärrecht eine Handhabe bietet, im Auslegungswege die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Darüber hinaus bedarf die vollständige Beseitigung der doppelten Besteuerung nach dem derzeitigen Stand in der Rechtsprechung eines Tätigwerdens des Gemeinschaftsgesetzgebers. Bei dieser Ausgangslage erscheint der Vorrang der unechten Steuerbefreiung im Handel mit Zahnersatz aber nicht länger überzeugend: Systematisch lässt sich eine Vermeidung der Doppelbesteuerung für diese Fälle dadurch herbeiführen, dass im Herkunftstaat entgegen der Auffassung des EuGH für die innergemeinschaftliche Lieferung der Vorsteuerabzug gem. Art. 169 Buchst. b MwStSystRL (früher Art. 17 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie) gewährt wird. Vertritt man die Auffassung, dass für den Binnenmarkthandel mit Zahnersatz nach der harmonisierten Rechtsgrundlage der Mehrwertsteuersystemrichtlinie eine Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb nicht

__________ 24 Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerckhaert und Morres, DStR 2006, 2118. 25 EuGH, Urt. v. 3.10.1985 – Rs. 249/84 – Profant, EuGHE 1985, 3237 – Rz. 25 ff. 26 EuGH, Urt. v. 5.12.1989 – Rs. C-165/88 – oro Amsterdam Beheer, EuGHE 1989, 4081 – Rz. 21 ff.

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zum Tragen kommen kann, da die für Inlandslieferungen vorgesehene Befreiung nicht „in jedem Fall“ gilt, muss der Binnenmarktregelung entsprechend wohl im Herkunftstaat die echte Umsatzsteuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen der unechten Mehrwertsteuerbefreiung gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EGRichtlinie) vorgehen, um eine juristische Doppelbesteuerung zu vermeiden. Für die Einfuhr aus dem Drittlandsgebiet führt die Steuerpflicht der Einfuhr zur Doppelbesteuerung, sofern im Herkunftsland eine unechte Steuerbefreiung angewendet wird. Art. 90 EG ist in diesem Fall nicht anwendbar. Allerdings sehen Art. 3 Abs. 2 und Art. 14 EWRA vergleichbare Diskriminierungsverbote vor, nach denen die aus dem Gebiet eines Vertragstaates importierten Waren nicht mit höheren inländischen Abgaben belastet werden dürfen als gleichartige Inlandswaren. Geht man davon aus, dass die vom EuGH zum Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten gestützt auf Art. 90 EG entwickelten Grundsätze jedenfalls auch im Rahmen des EWRA und auch des GATT von Bedeutung sind27, wäre danach der Einfuhrstaat verpflichtet, die enthaltene Restmehrwertsteuer des Herkunftstaates auf die Einfuhrumsatzsteuer anzurechnen, wobei die ausländische Restmehrwertsteuer nicht in die Bemessungsgrundlage der Einfuhrumsatzsteuer einbezogen werden dürfte.28 5. Zwischenergebnis Der vom EuGH vertretene Vorrang der unechten Steuerbefreiung führt dazu, dass im harmonisierten Binnenmarkt bei der innergemeinschaftlichen Lieferung von Zahnersatz Wettbewerbsverzerrungen auftreten, je nachdem, welche persönlichen Eigenschaften der Lieferant aufweist: Während die Lieferung durch Zahnärzte und Zahntechniker infolge Anwendung der unechten Steuerbefreiung mit der Steuer des Herkunftslandes belastet ist, führt die Lieferung durch andere Händler zu einer Belastung im Erwerbstaat (Bestimmungsland) oder gar zur vollständigen Entlastung, wenn der Erwerb durch einen unecht befreiten Zahnarzt (Zahntechniker) erfolgt. Ob diese Wettbewerbsverzerrungen mit dem System der harmonisierten Mehrwertsteuer vereinbar sind, erscheint zweifelhaft, zumal diese Wettbewerbsverzerrungen dadurch vermieden werden könnten, dass unechte Steuerbefreiungen im harmonisierten Binnenmarkt nur dann Vorrang vor der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen haben, wenn sie objektbezogen (in jedem Fall) gewährt werden (z. B. in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie). Bei unechten Befreiungen, die nach den persönlichen Voraussetzungen des leistenden Unternehmens differenzieren, ist dagegen ein Vorrang der echten Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen zu postulieren, zumal die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb nicht zwingend greift. Ein solcher Vorrang der Binnen-

__________ 27 Vgl. dazu Ruppe, UStG, 3. Aufl., § 1 öUStG Rz. 437. 28 EuGH, Urt. v. 5.5.1982 – Rs. 15/81 – Gaston Schul, EuGHE 1982, 1409; EuGH, Urt. v. 21.5.1985 – Rs. 47/84 – Schul II, EuGHE 1985, 1491.

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marktregelung ließe sich auch unschwer systematisch begründen: Unechte Steuerbefreiungen sind nämlich in ständiger Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen.29 Art. 13 Teil A Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie bezog sich (seiner Überschrift zufolge) auf Steuerbefreiungen im Inland. Dies hätte systematisch den Anker geboten, für Binnenmarktsachverhalte den Anwendungsbereich der unechten Steuerbefreiung einzuschränken.

IV. Implikationen einer Sonderregelung gem. Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) 1. Die Rechtsmeinung des EuGH Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) erlaubt jenen Mitgliedstaaten, die am 1.1.1978 die in Anhang X Teil A MwStSystRL genannten Umsätze besteuert haben, diese ungeachtet einer im harmonisierten Regelwerk bestehenden Befreiung weiterhin zu besteuern. Anhang X Teil A MwStSystRL zu Art. 370 MwStSystRL führt u. a. die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker an. Der EuGH führt zur bestehenden Übergangsregelung gem. Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) zum einen aus, dass eine mitgliedstaatliche Vorschrift, die sich auf diese Regelung stützt, außerhalb des harmonisierten Rechtsrahmens steht, und zum anderen, dass Wettbewerbsverzerrungen, die durch derartige Übergangsregelungen bedingt werden, im Grund hinzunehmen sind. So können jedenfalls die Ausführungen des EuGH in Rz. 57 des Urteils Eurodental gedeutet werden, wenn er schlicht darauf hinweist, dass es Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers sei, „alles zu tun, um die endgültige Gemeinschaftsregelung der Mehrwertsteuerbefreiung zu erlassen und so die schrittweise Harmonisierung des nationalen Rechts im Bereich der Mehrwertsteuer zu verwirklichen, die allein geeignet ist, die Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen, die sich aus den von der 6. EG-Richtlinie zugelassenen Ausnahme- und Übergangsregelungen ergeben“. Dem EuGH ist zunächst sicherlich darin zu folgen, dass nachteilige Wettbewerbssituationen in einem Mitgliedstaat, der die Übergangsregelung des Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) anwendet, nicht durch Maßnahmen im anderen Mitgliedstaat beseitigt werden können, dessen Regelung der harmonisierten Rechtsgrundlage entspricht. Fraglich ist allerdings, ob derartige Wettbewerbsverzerrungen auch vom Mitgliedstaat, der die Übergangs- bzw. Ausnahmeregelung anwendet, hinzunehmen sind. Zu beachten ist ferner, dass derartige Ausnahme- und Übergangsregelungen nicht nur zu Doppelbesteuerungen führen30, sondern derartige Rege-

__________ 29 EuGH, Urt. v. 12.6.2003 – Rs. C-275/01 – Sinclair Collis, EuGHE 2003, I-5965; vgl. jüngst auch EuGH, Urt. v. 14.6.2007 – Rs. C-434/05 – Horizon College, UR 2007, 587. 30 Die allerdings nur dann eintreten, wenn man mit der Rechtsmeinung des EuGH einen Vorrang der unechten Steuerbefreiung annimmt – vgl. die dem entgegenstehenden Thesen oben III 4, die auch die Doppelbesteuerung bei Bestehen einer Ausnahmeregelung vermeiden.

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lungen auch systemwidrige Nichtbesteuerungen bedingen können. Fraglich ist, ob und inwieweit derartige Effekte den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen. 2. Zum Problem der Doppel-Nichtbesteuerung Der Fall einer Nichtbesteuerung tritt ein, wenn für die Lieferung von Zahnersatz durch Zahntechniker oder Zahnärzte das Recht auf Vorsteuerabzug im Herkunftstaat auf Grund der Ausnahmeregelung nicht ausgeschlossen ist und Lieferungen an Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten ausgeführt werden, die auf die Gegenstände die unechte Steuerbefreiung anwenden. Systemwidrige Effekte treten zunächst für den Fall der Erwerbsbesteuerung des Abnehmers auf, da (wenn) der innergemeinschaftliche Erwerb ebenfalls der unechten Steuerbefreiung gem. Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie) unterliegt. Allerdings ist eine solche Befreiung der Erwerbsbesteuerung (wie oben III 4 gezeigt) keineswegs zwingend. Eine vollständige Entlastung tritt aber auch dann ein, wenn die Lieferung im Rahmen der Versandhandelsregelung gem. Art. 33 MwStSystRL (früher Art. 28b Teil B der 6. EG-Richtlinie) ausgeführt wird und der Lieferant im Bestimmungsland die Lieferschwelle überschreitet oder zur Besteuerung im Bestimmungsland optiert. Da im Herkunftsland das Recht auf Vorsteuerabzug durch die Befreiung im Bestimmungsland nicht ausgeschlossen wird, entfaltet die unechte Steuerbefreiung im Bestimmungsland in diesen Fällen de facto die Wirkung einer echten Steuerbefreiung. Hierdurch treten Wettbewerbsnachteile für all jene Zahnärzte und Zahntechniker ein, die Zahnersatzlieferungen ausführen und vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind, seien sie im Bestimmungsland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig, der Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) gemeinschaftskonform umgesetzt hat. Österreich ist derartigen Wettbewerbsvorteilen von Lieferanten aus Herkunftstaaten mit einer entsprechenden Übergangsregelung dadurch begegnet, dass die gemeinschaftskonform umgesetzte Steuerbefreiung für die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker gesetzlich explizit für jene Fälle ausgeschlossen wird, bei denen sich der Ort der Lieferung gem. Art. 3 Abs. 3 öUStG aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates nach Österreich verlagert, wenn der Lieferant im anderen Mitgliedstaat das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 20 öUStG). Eine vergleichbare Einschränkung für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Erwerbe findet sich im österreichischen Umsatzsteuergesetz nicht. Das Anliegen des österreichischen Gesetzgebers, die insbesondere durch die Übergangsregelung in Deutschland herbeigeführten Wettbewerbsnachteile zu neutralisieren, erscheint zunächst verständlich. Objektiv betrachtet freilich widerspricht die 1998 erfolgte Novellierung31 der Befreiungsbestimmung dem

__________ 31 öBGBl. I 1998/9.

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Gemeinschaftsrecht. Es erscheint zweifelhaft, ob ein Mitgliedstaat berechtigt ist, nachteilige Wettbewerbsverzerrungen, die sich aus einer von einem anderen Mitgliedstaat angewendeten Ausnahme- bzw. Übergangsvorschrift ergeben, durch einzelstaatliche Maßnahmen zu neutralisieren, die für sich betrachtet in der harmonisierten Gemeinschaftsregelung keine Deckung finden. Es wird wohl auch in diesem Fall gelten müssen, dass die Anwendung einer Ausnahme- bzw. Übergangsregelung durch einen Mitgliedstaat die anderen Mitgliedstaaten nicht verpflichtet und wohl auch nicht berechtigt, von der harmonisierten Gemeinschaftsregelung abweichende Sondervorschriften zum Zwecke der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen zu implementieren. 3. Zum Verbot der Doppelbesteuerung Folgt man dem vom EuGH in der Rechtssache Eurodental eingenommenen Rechtsstandpunkt, treten wettbewerbsverzerrende Doppelbesteuerungen dann ein, wenn die Gegenstände aus einem Herkunftstaat geliefert werden, der den harmonisierten Rechtsgrundlagen entsprechend die unechte Steuerbefreiung gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) anwendet und die Lieferung an Abnehmer eines Mitgliedstaates erfolgt, der die Ausnahme- bzw. Übergangsregelung des Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) in Anspruch genommen hat. Im Fall eines innergemeinschaftlichen Erwerbs unterliegt der Erwerber in diesen Fällen im Bestimmungsland der Erwerbsteuerpflicht, da die unechte Steuerbefreiung in Folge der Übergangsregelung nicht anwendbar ist. Erfolgt die Lieferung durch einen Zahnarzt oder Zahntechniker und tritt somit im Lieferstaat den Vorgaben des EuGH folgend der Ausschluss von Vorsteuerabzug ein, ist damit der Gegenstand mit nicht abzugsfähiger Vorsteuer des Lieferstaates und Erwerbsteuer des Bestimmungslandes belastet. Ähnliche Effekte treten auf, wenn die Lieferungen im Rahmen der Versandhandelsregelung erfolgen und der Lieferant im Bestimmungsland die Lieferschwelle überschreitet. Ein solches Belastungsergebnis für den grenzüberschreitenden Sachverhalt im Binnenmarkt erscheint jedoch angesichts einer bloßen Einfachbelastung eines rein innerstaatlichen Sachverhalts gemeinschaftsrechtlich bedenklich: Wie bereits oben III 4 gezeigt, ist nach Art. 90 EG das steuerliche Diskriminierungsverbot verletzt, wenn Waren aus anderen Mitgliedstaaten höher besteuert werden als gleichartige inländische Erzeugnisse. Eine Verletzung des steuerlichen Diskriminierungsverbots liegt dabei nach der Rechtsprechung des EuGH schon immer dann vor, wenn die Besteuerungsgrundlage für eingeführte Erzeugnisse Preise oder Kosten enthält, die in den steuerlichen Wert der inländischen Erzeugnisse nicht einbezogen werden und dies zu zusätzlichen Belastungen für die erst genannten Erzeugnisse führt.32 Zur Rechtslage vor Einführung der Binnenmarktregelung hat der EuGH demgemäß auch ausgesprochen, dass das steuerliche Diskriminierungsverbot verletzt ist, wenn die Einfuhr

__________ 32 EuGH, Urt. v. 3.2.2000 – Rs. C-228/98 – Charalampos Dounias, EuGHE 2000, I-577.

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durch Privatpersonen gelieferter Waren der Einfuhrumsatzsteuer zu unterwerfen ist und im Wert der Ware zum Zeitpunkt der Einfuhr eine ausländische Restmehrwertsteuer enthalten ist.33 Die aus dieser Rechtsprechung ableitbare These eines Verbots der Doppelbesteuerung steht allerdings, wie oben III 4 gezeigt, unter einem Harmonisierungsvorbehalt.34 Wer dieser Auffassung35 folgt, wird freilich die Anwendung des Art. 90 EG auf die Doppelbesteuerungen beim Binnenmarkthandel mit Zahnersatz bei Bestehen einer Ausnahme- bzw. Übernahmeregelung ablehnen. Immerhin kann argumentiert werden, dass diese Doppelbesteuerungseffekte gerade nicht durch die harmonisierte Rechtsgrundlage, sondern durch Regelungen ausgelöst werden, die außerhalb des harmonisierten Rahmens stehen. Ein solcher Harmonisierungsvorbehalt überzeugt meines Erachtens allerdings nicht, zumal auch sonst Grundfreiheiten nicht unter einem Harmonisierungsvorbehalt stehen, wie die reichhaltige Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten bei den direkten Steuern zeigt. Aus Art. 293 EG ist vielmehr abzuleiten, dass die Beseitigung internationaler Doppelbesteuerung für jede Art von Steuern ein primärrechtliches Anliegen ist, das unabhängig davon besteht, ob harmonisierende Rechtsgrundlagen erlassen worden sind. 4. Zur engen Auslegung von Art. 370 MwStSystRL Von diesem Argument abgesehen bietet das Mehrwertsteuer-Richtlinienrecht dann eine Handhabe für die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Binnenmarkthandel mit Zahnersatz, wenn die Auslegung den Vorrang der Binnenmarktregelung gegenüber der Ausnahme- bzw. Übergangsregelung postuliert. Ein solcher Vorrang der Binnenmarktregelung erscheint nicht zuletzt deshalb vertretbar, da zweifelhaft ist, ob die Ausnahme- bzw. Übergangsvorschrift des Art. 370 MwStSystRL (früher Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) sich auch auf den Fall der viel später eingeführten Regelung des Binnenmarkthandels bezieht. Der EuGH geht in seinem Urteil in der Rechtsache Eurodental jedenfalls davon aus, dass die in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EGRichtlinie (nunmehr Art. 370 MwStSystRL) vorgesehene Ausnahmeregelung eng ausgelegt werden muss.36 Aus dieser Warte betrachtet erscheint es keineswegs zwingend, dass sich diese Ausnahmeregelung auf jene Sachverhalte erstreckt, die von der Binnenmarktregelung erfasst werden. Es dürfte dem von der Binnenmarktregelung angestrebten Harmonisierungsziel widersprechen, dass die einem Mitgliedstaat gewährte Ausnahme- bzw. Übergangsregelung dazu führt, dass Binnenmarktsachverhalte entweder einer juristischen Dop-

__________ 33 EuGH, Urt. v. 5.5.1982 – Rs. 15/81 – Gaston Schul, EuGHE 1982, 1409. 34 Vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.5.1985 – Rs. 47/84 – Schul II, EuGHE 1985, 1491. 35 Waldhoff in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2. Aufl., Art. 90 EG Rz. 13; Schön, Der freie Warenverkehr, die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und der Systemgedanke im europäischen Steuerrecht (Teil II), EuR 2001, 341; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Recht, Köln 2002, S. 867 und 881; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 193 ff. 36 EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental, UR 2007, 98 – Rz. 54.

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pelbesteuerung oder einer Nichtbesteuerung unterliegen. Eine solche auf die Ziele der Binnenmarktregelung fokussierte Auslegung schränkt zwangsläufig den Anwendungsbereich der Ausnahme- bzw. Übergangsregelungen auf rein innerstaatliche Sachverhalte ein. Gerade die Untätigkeit der Mitgliedstaaten zur Beseitigung derartiger Ausnahme- bzw. Übergangsregelungen rechtfertigt meines Erachtens, den Anwendungsbereich dieser Regelungen interpretativ soweit als möglich einzuschränken, um der endgültigen Gemeinschaftsregelung einen möglichst weiten Anwendungsbereich zu verschaffen. Vertritt man, dass die Anwendung der Ausnahme- bzw. Übergangsregelung auf rein innerstaatliche Sachverhalte eingeschränkt ist, wäre – folgt man dem EuGH zum Vorrang der unechten Befreiung – der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz vom Mitgliedstaat, der derartige Ausnahme- bzw. Übergangsregelungen vorsieht, steuerfrei zu stellen. Geht man abweichend von der EuGH-Judikatur davon aus, dass der innergemeinschaftliche Erwerb in jedem Fall steuerpflichtig ist37, besteht für den Mitgliedstaat, der die Ausnahmeregelung anwendet, kein Anpassungsbedarf. Die Doppelbesteuerung wäre vom Herkunftstaat durch Anwendung einer echten Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen zu beseitigen. Im Rahmen der Versandhandelsregelung hat der die Ausnahme- bzw. Übergangsregelung anwendende Mitgliedstaat als Bestimmungsland jedoch die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) anzuwenden, um gemeinschaftswidrige Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Wird die Ausnahme- bzw. Übergangsregelung vom Herkunftsland angewendet, bedarf die Vermeidung einer Nichtbesteuerung keiner innerstaatlichen Gegenmaßnahme des Bestimmungslandes. Vielmehr ist vom Herkunftstaat die Ausnahmeregelung auf Binnenmarktsachverhalte nicht anzuwenden und daher auf Zahnersatzlieferungen von Zahnärzten die Gemeinschaftsrechtslage und damit die unechte Steuerbefreiung gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL (früher Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie) anzuwenden.

V. Schlussbemerkungen Der Verdacht des Jubilars hat sich bestätigt: Der EuGH wird wohl nicht umhin kommen, seine Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen unechten Steuerbefreiungen und der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen und innergemeinschaftlicher Erwerbe weiter zu präzisieren und auch zu hinterfragen. Der Vorrang der unechten Befreiung im Binnenmarkthandel führt zu Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu Lieferungen von nicht unecht befreiten Unternehmern. Diese lassen sich vermeiden, wenn man den Anwendungsbereich der unechten Steuerbefreiung auf rein innerstaatliche Sachverhalte einschränkt und auf Binnenmarktsachverhalte die Binnenmarktregelung anwendet.

__________ 37 Vgl. oben III 4.

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Mit dem EuGH-Urteil Eurodental hat der EuGH überdies die Verantwortung zur Vermeidung wettbewerbsverzerrender Belastungseffekte aus der Anwendung von Ausnahme- bzw. Übergangsregelungen voreilig dem Gemeinschaftsgesetzgeber überantwortet. Angesichts des Einstimmigkeitsprinzips für die Harmonisierung und damit auch für den Rückbau von Ausnahme- und Übergangsregelungen bedeutet dies Stillstand. Vor diesem Hintergrund ist die auf Art. 370 MwStSystRL gestützte Ausnahmeregelung eng auszulegen und nicht auf Binnenmarktsachverhalte anzuwenden, um der endgültigen Gemeinschaftsregelung einen möglichst breiten Anwendungsbereich einzuräumen. Juristische Doppelbesteuerungen sind in einem harmonisierten Mehrwertsteuersystem jedenfalls soweit wie möglich zurückzudrängen. In jedem Fall wird der EuGH auch seine zurückhaltende Rechtsprechung zum Anwendungsbereich des Art. 90 EG zumindest für die Umsatzsteuer zu überdenken haben, da juristische Doppelbesteuerungen in einem harmonisierten Mehrwertsteuersystem ohne Rechtfertigung sind.

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Verwertung beweglicher Sachen und Grundstücke durch Insolvenzverwalter als steuerbare sonstige Leistung? Inhaltsübersicht I. Tätigkeit des Insolvenzverwalters für das Vermögen des Schuldners gegen Vergütung als steuerbare Geschäftsführungsleistungen II. Das BFH-Urteil vom 18.8.2005 zur Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrecht 1. Hintergrund der Entscheidung 2. Kritik an der BFH-Entscheidung im Schrifttum III. BGH-Urteil vom 29.3.2007 zum Anwendungsbereich des § 170 Abs. 2 InsO

IV. Konsequenzen für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Verwertungskostenverteilung 1. Bestätigung der BFH-Rechtsprechung zur Verwertung beweglicher Gegenstände 2. Umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung der Verwertung von beweglichen Gegenständen und Immobilien mit Absonderungsrecht V. Ergebnis

Wolfram Reiß hat sich – soweit ersichtlich – im Rahmen seiner Arbeiten über das Umsatzsteuerrecht erst spät der Schnittstelle zum Insolvenzrecht literarisch zugewandt.1 Vielleicht ließ das näher kommende „offizielle“ Ende einer langjährigen Laufbahn als Hochschullehrer bei ihm Insolvenzassoziationen aufkommen. Jetzt – zum Zeitpunkt seiner Emeritierung – bietet es sich2 an, seine angesammelte wissenschaftliche „Masse“ zum Umsatzsteuerrecht – zu seinen Gunsten – zu verwerten. Ein von ihm angeschnittenes Thema – die Verwertung von Sicherungsgut in der Insolvenz – war in letzter Zeit nicht nur Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und gequälter, aber auch weiterführender Reaktionen des insolvenzrechtlichen Schrifttums, sondern auch einer dem Steuerrecht hilfreiche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Konsequenzen dieses „Dialogs“ für die einschlägige BFH-Rechtsprechung sollen hier erörtert werden. Damit verbinde ich meine besten Wünsche für Wolfram Reiß im jetzt eröffneten Ruhestands-Verfahren.

__________ 1 Reiß, Umsatzsteuer und Insolvenzrecht, in Krause/Veelken/Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa. Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer, Berlin 2004, S. 427. 2 Aus meiner vergleichbaren Situation des Abschieds aus der „Verfügungsbefugnis“ über Umsatzsteuerfragen kraft Amtes.

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I. Tätigkeit des Insolvenzverwalters für das Vermögen des Schuldners gegen Vergütung als steuerbare Geschäftsführungsleistungen Dass der Insolvenzverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahrens „Geschäftsführungsleistungen“ gegen Entgelt ausführt, macht § 63 InsO deutlich: Nach der Vorschrift hat er „Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen“. Umsatzsteuerrechtlich sind diese Verwalterleistungen also Gegenstand eines Leistungsaustauschs und damit steuerbar i. S. v. § 1 Abs. 1 UStG. Dass Tätigkeit und Vergütung gesetzlich verknüpft sind, ist nach dieser Vorschrift unschädlich. Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters sind gem. § 54 InsO Kosten des Insolvenzverfahrens. Sie sind gem. § 53 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Soweit in §§ 165 ff. InsO – insbesondere §§ 170, 171 InsO – für die Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrecht – sei es durch den Insolvenzverwalter, sei es durch den Gläubiger – eine Regelung über die Behandlung der Verwertungskosten getroffen wurde, stellt sich aus Sicht des Umsatzsteuerrechts die Frage, ob hier lediglich das Entgelt des Insolvenzverwalters zu prüfen ist oder ob ein weiterer Leistungsaustausch zu erfassen ist, der ggf. sich zwischen Insolvenzverwalter und Gläubiger abspielt und der entweder auf Gesetz oder auf Vereinbarung beruht.

II. Das BFH-Urteil vom 18.8.20053 zur Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrecht Der BFH war mit folgendem Sachverhalt befasst4: Der Insolvenzverwalter über den Nachlass eines Autohändlers veräußerte im Streitjahr 2000 die sicherungsübereigneten Fahrzeuge des Autohauses sowie ein zum Nachlass gehörendes, mit einer Grundschuld belastetes Grundstück. Aus der Veräußerung der Fahrzeuge behielt er die Feststellungs- und die Verwertungskostenpauschale i. S. d. § 171 InsO ein und zahlte den Nettoerlös an

__________ 3 BFH, Urt. v. 18.8.2005 – V R 31/04, BFHE 211, 551 = BStBl. II 2007, 183 = UR 2006, 221 = BFH/NV 2005, 2328 – Leitsätze: „1. Verwertet ein Insolvenzverwalter freihändig eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht eines Sicherungsnehmers besteht, so erbringt er dadurch keine Leistung gegen Entgelt an den Sicherungsgeber. Die Verwertungskosten, die der Insolvenzverwalter in diesem Fall kraft Gesetzes vorweg für die Masse zu entnehmen hat, sind kein Entgelt für eine Leistung. 2. Vereinbaren der absonderungsberechtigte Grundpfandgläubiger und der Insolvenzverwalter, dass der Insolvenzverwalter ein Grundstück für Rechnung des Grundpfandgläubigers veräußert und vom Veräußerungserlös einen bestimmten Betrag für die Masse einbehalten darf, führt der Insolvenzverwalter neben der Grundstückslieferung an den Erwerber eine sonstige entgeltliche Leistung an den Grundpfandgläubiger aus. Der für die Masse einbehaltene Betrag ist in diesem Fall Entgelt für eine Leistung.“ 4 Revision gegen FG Bdb., Urt. v. 16.3.2004 – 1 K 2949/02, EFG 2004, 1003.

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den absonderungsberechtigten Gläubiger aus. Für den Grundstücksverkauf vereinbarte er mit der absonderungsberechtigten Bank eine Beteiligung am Verwertungserlös von 4 % zu Gunsten der Masse. Das Finanzamt erfasste sowohl die Verwertungskostenpauschale gem. § 171 Abs. 2 InsO als auch die Erlösbeteiligung der Masse am Grundstücksverkauf bei der Umsatzsteuerfestsetzung als Leistungsentgelt. Das Finanzgericht war ebenfalls der Ansicht, der Insolvenzverwalter habe mit den Verwertungen gegenüber den Gläubigern umsatzsteuerbare und – mangels einer Befreiung – umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistungen erbracht.5 Der Insolvenzverwalter legte Revision ein mit dem Ziel, die Beteiligung der Masse am Grundstücksverwertungserlös und die Verwertungskostenpauschale hinsichtlich der Fahrzeuge als nicht umsatzsteuerpflichtig zu behandeln. Die Revision hatte Erfolg hinsichtlich der Verwertungskosten der beweglichen Gegenstände i. S. d. §§ 170 f. InsO, nicht aber hinsichtlich der Beteiligung am Grundstücksveräußerungserlös.6 Der BFH ging von folgenden Grundsätzen aus: (1.) Verwertung beweglicher Sachen keine steuerbare sonstige Leistung an den Gläubiger Mit der Verwertung der Kraftfahrzeuge als bewegliche Sachen hat der durch den Insolvenzverwalter vertretene Schuldner keine sonstige Leistung gegen Entgelt an den Gläubiger erbracht, dem die Fahrzeuge zur Sicherung übereignet worden waren. Der Insolvenzverwalter kann eine bewegliche Sache gem. § 166 Abs. 1 InsO freihändig verwerten. Er entnimmt dabei die Verwertungskosten dem Verwertungserlös aufgrund der ihm durch § 170 InsO eingeräumten Befugnis vor der Befriedigung des absonderungsberechtigten Gläubigers. Das FG hatte für den Fall der Verwertung nach § 166 InsO eine sonstige Leistung des Insolvenzverwalters an den Gläubiger angenommen, weil diese Form der Verwertung an die Stelle der Verwertung nach § 168 Abs. 3 InsO trete (Übernahme des Gegenstands durch den Gläubiger selbst). Dem hielt der BFH entgegen: Der Insolvenzverwalter handelt bei der freihändigen Verwertung weder im Auftrag des absonderungsberechtigten Gläubigers noch erhält er von diesem seine Verwertungskosten ersetzt. Der absonderungsberechtigte Gläubiger selbst wendet im Zusammenhang mit der Verwertung des Sicherungsguts nichts i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG auf. Die Verwertungskosten sind deshalb kein Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung des Insolvenzverwalters an den Sicherungsgeber (vgl. auch Abschn. 2 Abs. 3 UStR 2005). Auch aus § 171 Abs. 2 InsO ergibt sich nicht, dass mit der Verwertung des Sicherungsguts nach § 166 InsO eine steuerbare Leistung an den Gläubiger verbunden ist. Nach dieser Vorschrift sind als Kosten der Verwertung pauschal

__________ 5 FG Bdb., Urt. v. 16.3.2004 – 1 K 2949/02, EFG 2004, 1003. 6 Die Finanzverwaltung sieht sich bestätigt, vgl. OFD Frankfurt a. M., Vfg. v. 18.9.2006 – S 7100 A-237-St 11, UR 2007, 233.

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5 % des Verwertungserlöses bzw. die tatsächlichen Verwertungskosten anzusetzen, wenn sie erheblich niedriger oder höher waren. Der Gläubiger hat kein Recht auf Befriedigung in Höhe des vollen Kaufpreises; vielmehr sind stets vorweg die Kosten der Feststellung und der Verwertung des Gegenstands für die Insolvenzmasse zu entnehmen (vgl. § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO). (2.) Verwertung durch Grundstückslieferung als steuerbare Leistung des Insolvenzverwalters an den Grundpfandgläubiger? Anders war nach dem BFH-Urteil der Fall des freihändigen Verkaufs des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter zu beurteilen. Aufgrund der Vereinbarung des Grundpfandgläubigers mit dem Insolvenzverwalter hat dieser gleichzeitig mit der Veräußerung des Grundstücks auch an den Grundpfandgläubiger eine Leistung gegen Entgelt erbracht: – Außerhalb des Insolvenzverfahrens kann der Grundpfandgläubiger grundsätzlich die Zwangsvollstreckung betreiben. Er kann aber auch den Grundstückseigentümer beauftragen, das überschuldete Grundstück in dessen eigenem Namen für Rechnung des Grundpfandgläubigers zu veräußern. Der Grundstückseigentümer ist dann verpflichtet, dem Grundpfandgläubiger den Veräußerungserlös abzüglich des vereinbarten Entgelts herauszugeben. Damit liefert der Grundstückseigentümer dem Grundstückserwerber das Grundstück, gleichzeitig erbringt er gegenüber dem Grundpfandgläubiger eine entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer unterliegt. – Ähnlich verhält es sich auch in der Insolvenz des Grundstückseigentümers. Wird das mit einem Absonderungsrecht belastete Grundstück nicht – wie in § 165 InsO vorgesehen – durch Zwangsversteigerung oder -verwaltung verwertet, sondern freihändig veräußert, und vereinbart der Insolvenzverwalter mit dem Grundpfandgläubiger gegen Entgelt, z. B. in Form einer prozentualen Beteiligung am Verwertungserlös, dessen Verwertung, liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG vor. Die vereinbarte Massebeteiligung steht der gesetzlichen Massebeteiligung nach § 170 InsO nicht gleich. § 170 Abs. 1 InsO ist eine Sonderregelung gegenüber § 55 Nr. 1 InsO. Danach sind die Kosten der Verwertung der Insolvenzmasse grundsätzlich Masseverbindlichkeiten; nach § 170 Abs. 1 InsO sind aber die dort genannten Verwertungskosten vorweg für die Insolvenzmasse zu entnehmen, so dass die Masse nicht mit den Verwertungskosten belastet bleibt. Dies gilt aber nur für die Verwertung von beweglichen Sachen und Forderungen, nicht aber für die Verwertung von Grundstücken. Hier hat der Insolvenzverwalter kein gesetzliches Recht, die Verwertungskosten vom Veräußerungserlös für die Masse einzubehalten. Insolvenz- und Grundpfandgläubiger können lediglich vereinbaren, dass der Grundpfandgläubiger der Masse die Verwertungskosten ersetzt. Dabei handelt es sich – anders als im Fall des § 170 Abs. 1 InsO – um eine geldwerte Leistung des Grundpfandgläubigers. Sie ist das Entgelt für die Geschäftsbesorgungsleistung des Insolvenzverwalters, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer unterliegt. 188

Verwertung durch Insolvenzverwalter als steuerbare sonstige Leistung?

1. Hintergrund der Entscheidung Der BFH hielt sich streng an die normierten Vorgaben der Insolvenzordnung, die ersichtlich keine Gleichbehandlung der Verwertungskosten bei beweglichen Sachen einerseits und Grundstücken andererseits zu Gunsten der Masse regelt. Eine umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung der Grundstücksverwertungskosten im Sinne einer „ergebnisorientierten“ Entlastung der Masse schied für den BFH angesichts der insolvenzrechtlich unterschiedlichen Vorgaben aus. 2. Kritik an der BFH-Entscheidung im Schrifttum Die Insolvenzpraxis, jedenfalls soweit sie durch das insolvenzrechtliche Schrifttum repräsentiert wird, hatte an der Entscheidung wenig Freude. Aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht könnte man dies aufgrund der weitgehend fehlenden Abstimmung der Insolvenzordnung mit dem Umsatzsteuerrecht als übliche Folge eines Dauerzustands abtun. Das würde aber der Art der Einwendungen – die insbesondere die insolvenzrechtlichen Grundlagen für die Entscheidungen betreffen – nicht gerecht. Im Kern gehen sie auf Folgendes hinaus: De Weerth7 geht von einer Erlösverteilungsabrede im Verhältnis Grundstückseigentümer (für ihn handelnd der Insolvenzverwalter) zur Bank aus. Nach seiner Ansicht liegt bei sog. „kalter Zwangsverwaltung“, wenn die Bank ausdrücklich keinen Verzicht auf Einleitung von Zwangsmaßnahmen erklärt, keine Leistung der Bank im umsatzsteuerrechtlichen Sinn vor. Erhält sie (die Bank) Geldbeträge, dann aufgrund ihres Grundpfandrechts, also aufgrund ihres Sicherungsrechts. Es fehlt nach der Ansicht von de Werth also auch am Leistungsaustausch – anders als nach der Ansicht des BFH, derzufolge den – vom Grundstückseigentümer bzw. dem für ihn handelnden Insolvenzverwalter einbehaltenen – Beträgen für die Verwaltung eigenständige Verwaltungsleistungen zugrunde liegen. Ganter (Mitglied des IX. Zivilsenats des BGH) wendet ein8: Die Abgrenzung des BFH zwischen gesetzlichen und vereinbarten Kostenbeiträgen trägt nicht. Maßgeblich ist, dass die Verwertungsleistung nicht zu Gunsten des gesicherten Gläubigers, sondern zugunsten der Masse und damit der Gläubigergesamtheit erbracht wird. Im Übrigen ist die Abgrenzung zwischen gesetzlichen und vereinbarten Kostenbeiträgen nicht trennscharf zu ziehen.

__________ 7 Zur vermeintlichen Umsatzsteuerpflicht von Massekostenbeiträgen im Insolvenzverfahren, DZWIR 2005, 375 ff. – rechtlich bedenklich bereits zum Gerichtsbescheid der Sache V R 31/04, der aufgrund Antrags auf mündliche Verhandlung seine Wirkung verlor. 8 Ganter/Brünink, Insolvenz und Umsatzsteuer aus zivilrechtlicher Sicht, NZI 2006, 257 – II 1.

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III. BGH-Urteil vom 29.3.20079 zum Anwendungsbereich des § 170 Abs. 2 InsO Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist das inzwischen ergangene, vorbezeichnete Urteil des IX. Zivilsenats des BGH vom 29.3.2007 zur analogen Anwendung des § 170 Abs. 2 InsO auf den nicht ausdrücklich geregelten Fall, dass der Insolvenzverwalter Sicherungsgut dem Sicherungsnehmer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Verwertung herausgibt, die Verwertung aber erst danach erfolgt. Der BGH führt insbesondere aus: „Insoweit liegt eine Regelungslücke vor, die ersichtlich mit den Wertungen der Insolvenzordnung und des § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG nicht in Einklang steht. Nach den Vorstellungen der Insolvenzordnung und des Umsatzsteuergesetzes soll die wegen der Lieferung der sicherungsübereigneten Gegenstände an den Sicherungsnehmer entstehende Umsatzsteuer im Ergebnis stets der Gläubiger tragen. Bei Verwertung dieser Sicherheit durch den Sicherungsnehmer vor10 Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergibt sich dies aus § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG. Bei Verwertung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist es unerheblich, ob die Verwertung durch den Verwalter selbst erfolgt oder ob dieser die Verwertung gemäß § 170 Abs. 2 InsO dem Gläubiger überlässt. In beiden Fällen ist auch hier gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3, § 170 Abs. 2 InsO die Umsatzsteuer wegen der Lieferung an den Gläubiger aus dem Erlös zugunsten der Masse zu entnehmen.“

Die für die befürwortete Analogie vorausgesetzte Annahme einer planwidrigen Regelungslücke in § 170 Abs. 2 InsO – wovon der der BFH (als materienfremdes Gericht) im Rahmen seiner Problematik Abstand genommen hatte – bejahte der BGH für seinen Fall: Er verwies auf einen Regelungsvorschlag zu § 195 InsO-E (§ 170 InsO) im Gesetzgebungsverfahren: „Führt die Verwertung eines Gegenstandes, an dem ein Absonderungsrecht besteht, durch den Insolvenzverwalter oder durch den Gläubiger zu einer Belastung der Insolvenzmasse mit Umsatzsteuer, so ist aus dem Verwertungserlös ein Betrag in Höhe der Umsatzsteuerbelastung vorweg an die Masse abzuführen.“

Dieser Antrag wurde im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt, weil eine weitere Kostenbelastung der gesicherten Gläubiger vermieden werden sollte. Nach Auffassung des BGH schließt die Ablehnung des Vorschlags – der den Streitfall des BGH erfasst hätte11 – die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke nicht aus. Die Vorschlagsregelung sei weit umfassender angelegt und nicht auf seinen Ausnahmefall der Verwertung gerichtet gewesen. Entscheidend sei nach dem Ziel des Insolvenzverfahrens, dass die bei Verwertung angefallene Umsatzsteuer vom Gläubiger an die Masse abgeführt werde.

__________ 9 BGH, Urt. v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, UR 2007, 583 = DB 2007, 1351. 10 Hervorhebung durch mich. 11 Daraus folgt m. E. an sich die Problemkenntnis des Gesetzgebers bei der Regelung.

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Verwertung durch Insolvenzverwalter als steuerbare sonstige Leistung?

IV. Konsequenzen für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Verwertungskostenverteilung Berücksichtigt man die Einwendungen des Schrifttums und den vom BGH angewandten Rahmen des Anwendungsbereichs von § 170 Abs. 2 InsO – einschließlich analoger Anwendbarkeit – für den Fall des BFH-Urteils vom 18.8.2005, dürfte umsatzsteuerrechtlich die Beurteilung zu bevorzugen sein, dass auch die Verwertung von Grundstücken von mit Absonderungsrecht durch freihändige Veräußerung durch den Insolvenzverwalter aufgrund Kostenvereinbarung und Masseentlastungsvereinbarung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger kein steuerbarer Leistungsaustausch ist. 1. Bestätigung der BFH-Rechtsprechung zur Verwertung beweglicher Gegenstände Das BFH-Urteil kommt zwar der insolvenzrechtlichen Interessenlage entgegen, zusätzliche Belastungen der Masse oder der Gläubiger durch Umsatzsteuer zu vermeiden, soweit es Verwertung beweglicher Gegenstände betrifft. Er geht dabei zutreffend davon aus, dass keine insolvenzrechtliche Vorschrift die Annahme einer „gesonderten“ bzw. zusätzlichen sonstigen Leistung des Insolvenzverwalters an den (absonderungsberechtigten) Gläubiger rechtfertigt. Insbesondere folgt nicht aus § 168 Abs. 3 InsO (der als Verwertungsmöglichkeit die Übernahme des Gegenstands durch den Gläubiger selbst vorsieht), dass der Insolvenzverwalter mit der Verwertung nach § 166 InsO eine Geschäftsbesorgungsleistung an diesen Gläubiger erbringt. Damit handelt es sich – was der BFH nicht ausdrücklich ausführt – auch bei solchen Verwertungstätigkeiten durch den Insolvenzverwalter um die „allgemeine“ Geschäftsführungstätigkeit als Insolvenzverwalter, die nach der Vergütungsregelung gemäß § 63 InsO gegen Entgelt erfolgt. Diese Tätigkeit erbringt der Insolvenzverwalter (als gesetzlicher Vermögensverwalter) für das von ihm verwaltete Vermögen (das zur Insolvenzmasse gehört, § 80 InsO) bzw. für die Gesamtheit der Gläubiger. Umsatzsteuerrechtlicher Leistungsempfänger ist der Schuldner, für dessen Unternehmen der Insolvenzverwalter tätig ist; diesem gegenüber hat er auch die Rechnung über die Vergütung auszustellen.12 Der Umfang dieses Entgelts richtet sich nach der gem. §§ 63, 65 InsO in Verbindung mit der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung (InsVV13) berechneten Vergütung. Grundsätzlich ist gem. § 63 Satz 2 InsO ein Regelsatz anzuwenden, von dem aber ggf. wegen Umfang und der Schwierigkeit der Geschäftsführung abgewichen werden kann. Hohe Aufwendungen bei der Verwertung von Gegenständen können also zu höherer Vergütung führen.

__________ 12 BFH, Urt. v. 20.2.1986 – V R 16/81, BFHE 146, 287 = BStBl. II 1986, 579; Abschn. 192 Abs. 7 UStR. 13 Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung v. 19.8.1998, BGBl. I 1998, 2205.

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Da die Verwaltervergütungen als Kosten des Insolvenzverfahrens vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind (§§ 53, 54 InsO), führen hohe Vergütungen zur Masseminderung. Hier greift der Zweck der Regelung der Erlösverteilung durch §§ 170, 171 InsO ein: Die Kosten, die durch die Wahrnehmung der Absonderungsrechte (also der Rechte einzelner absonderungsberechtigter Gläubiger) verursacht werden, sollen auch von den absonderungsberechtigten Gläubigern selbst getragen werden und nicht zu Lasten der übrigen Insolvenzgläubiger gehen, wenn sie auf einem Aufwand beruhen, der den Umfang überschreitet, den der Verwalter zur Wahrnehmung der ihm gesetzlich obliegenden Aufgaben zwangsläufig betreiben muss.14 § 3 Abs. 1 Buchst. a InsVV lässt die Festsetzung einer den Regelsatz übersteigenden Vergütung insbesondere bei Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten zu. Nach §§ 170, 171 InsO sind die Kosten der Verwertung (einer beweglichen Sache) mit pauschal fünf vom Hundert des Verwertungserlöses vorweg an die Masse abzuführen. Dieser Betrag ist somit vom absonderungsberechtigten Gläubiger zu tragen. Umsatzsteuerrechtlich kann diese Kostenbelastung des Gläubigers aufgrund der Tätigkeit des Insolvenzverwalters durchaus zur Frage nach einem Leistungsaustausch (Verwertungsleistungen zugunsten des Gläubigers gegen Verwertungsaufwand) führen. Die Frage ist aber – wie vom BFH zur Verwertung beweglicher Gegenstände geschehen – zu verneinen. Der Insolvenzverwalter führt die Verwertungsleistung unmittelbar (als Verwalterleistung) an die Masse aus. Die spezielle Auswirkung für den absonderungsberechtigten Gläubiger ist allenfalls ein Reflex ohne umsatzsteuerrechtlich konstitutive Wirkung für einen weiteren Leistungsaustausch. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO wirkt sich – umsatzsteuerrechtlich – lediglich (über die Berechnungsgrundlage für die Verwaltervergütung) auf die Höhe des Entgelts der Geschäftsführungsleistungen des Insolvenzverwalters für die Masse aus15. 2. Umsatzsteuerrechtliche Gleichbehandlung der Verwertung von beweglichen Gegenständen und Immobilien mit Absonderungsrecht Die abweichende Beurteilung des freihändigen Verkaufs eines zu Gunsten eines Grundpfandgläubigers belasteten Grundstücks (mit einem Absonderungsrecht belasteter unbeweglicher Gegenstand) durch den Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren (s. oben zu II 2) stützte der BFH auf die außerhalb des Insolvenzverfahrens mögliche Veräußerung des grundpfandbelasteten Grundstücks durch den Eigentümer im Auftrag des Grundpfandgläubigers als Vergleichsfall. In diesem Fall ergibt sich ein umsatzsteuerpflichtiger Geschäftsbesorgungsumsatz.

__________ 14 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., München 2003, § 170 InsO Rz. 8. 15 Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., München 2003, § 170 InsO Rz. 12.

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Verwertung durch Insolvenzverwalter als steuerbare sonstige Leistung?

Auch wenn der BFH zutreffend die ausdrückliche Beschränkung der Regelung in § 170 InsO auf bewegliche Gegenstände hervorhebt, wird andererseits im Schrifttum darauf hingewiesen, dass für die freihändige Verwertung von (belasteten) Immobilien „ohne jeden erkennbaren sachlichen Grund“ in § 1 InsVV keine gesetzlichen Feststellungskostenpauschalen vorgesehen seien; entsprechende Vereinbarungen mit Massezufluss seien aber zulässig; die gesetzliche Regelung finde dann entsprechend Anwendung.16 Für das Fehlen der gesetzlichen Verwertungskostenregelung dürfte nichts anderes gelten. Legt man der Beurteilung insbesondere den vorrangigen Zweck der Verwertungskostenregelung zugrunde, die Masse nicht durch erhöhte Verwertungskosten und damit höhere Vergütungen des Insolvenzverwalters zu schmälern, wenn die Kosten durch Wahrnehmung der Rechte einzelner absonderungsberechtigter Gläubiger entstehen, so spricht viel dafür, die hier thematisierten Verwertungsvereinbarungen (auch die „vereinbarten“ Immobilienverwertungen) umsatzsteuerrechtlich als Bestandteil der Tätigkeit des Verwalters für die Masse und nicht als unmittelbar gegenüber dem absonderungsberechtigten Gläubiger erbracht anzusehen. Zwar entspricht auch die BFH-Lösung im Besprechungs-Urteil vom 18.5.2005 dem insolvenzrechtlichen Ziel, dass die bei Lieferung von sicherungsübereigneten Gegenständen an den Sicherungsnehmer entstehende Umsatzsteuer vom Gläubiger getragen werden soll. Allerdings könnte dieser Weg der Annahme eines (weiteren) Leistungsaustauschs des Insolvenzverwalters mit dem Gläubiger auch zu weiteren insolvenzrechtlichen Problemen führen, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger seine volle Befriedigung verfolgen wollte. Die Kostenvereinbarung mit dem absonderungsberechtigten Gläubiger – mit Vorwegentnahme der Verwertungskosten aus den Erlös für die Insolvenzmasse (wie im BFH-Fall) – betrifft also nicht die Begründung eines steuerbaren Leistungsaustauschs zwischen den Vereinbarungsbeteiligten, sondern nur die Höhe der Verwaltervergütung für die Geschäftsführungsleistung gegenüber der Masse.

V. Ergebnis Die Verwertung beweglicher Gegenstände wie auch die freihändige Verwertung unbeweglicher Gegenstände mit Absonderungsrecht (vgl. §§ 165 und 166 InsO) durch den Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren gehören zur allgemeinen Verwaltertätigkeit gegenüber der Masse (mit dem Schuldner als Leistungsempfänger). Die Regelungen zur Verteilung des Erlöses in §§ 170, 171 InsO wirken sich umsatzsteuerrechtlich nur auf die Höhe Entgelts an den Verwalter (Verwaltervergütung) aus; sie begründen keinen zusätzlichen Leistungsaustausch mit dem betroffenen absonderungsberechtigten Gläubiger.

__________ 16 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, 4. Aufl., München 2006, § 1 InsVV Rz. 59.

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Otto-Gerd Lippross

Vorsteuerabzug bei konkurrierenden Befreiungsvorschriften Kritische Bemerkungen zum „Eurodental-Urteil“ des EuGH vom 7.12.2006

Inhaltsübersicht I. Einführung II. Das Problem III. Der Ausgangssachverhalt IV. Rechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen der Entscheidung des EuGH V. Die Begründung des EuGH für seine Entscheidung 1. Wortlaut der Richtlinie

2. Ziel der Richtlinie 3. Systematik der Richtlinie 4. Grundsatz der steuerlichen Neutralität VI. Das gemeinschaftsrechtliche Defizit VII. Ergebnis

I. Einführung Wolfram Reiß hat sich in zahlreichen Veröffentlichungen – in betonter Loyalität gegenüber der Institution des EuGH und dessen Kompetenzen – immer wieder kritisch mit dessen Rechtsprechung, insbesondere auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, auseinandergesetzt. Einzelne Urteile haben den Wissenschaftler, der die Entwicklung dieses Rechtsgebiets seit Jahrzehnten subtil verfolgt und wie kaum ein anderer durch seine wissenschaftlichen Beiträge gefördert hat, zu geradezu zorniger Kritik veranlasst. Z. B. hat er in seinem Beitrag „Kein Renditefonds – Zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie“1 die schwerwiegenden Begründungsfehler nachgewiesen, die dem EuGH in seinem Urteil vom 26.6.2003 zur Frage der Steuerbarkeit der Ausgabe von Gesellschaftsanteilen2, dem Urteil vom 6.2.2003 zur Lieferung von Kraftstoff beim Kfz-Leasing3 und dem Urteil vom 8.5.2003 zur außerunternehmerischen Nutzung eines Unternehmensgebäudes4 unterlaufen sind. In die Kette schwer nachvollziehbarer Entscheidungen des EuGH reiht sich auch das Urteil des EuGH vom 7.12.20065 ein. Reiß hat dieses Urteil in

__________ 1 2 3 4 5

Reiß, Kein Renditefonds – Zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie, UR 2003, 428. EuGH, Urt. v. 26.6.2003 – Rs. C-442/01 – KapHag Renditefonds, EuGHE 2003, I-6851. EuGH, Urt. v. 6.2.2003 – Rs. C-185/01 – Auto Lease Holland B.V., EuGHE 2003, I-1317. EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98.

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einem umfangreichen Aufsatz6 analysiert und nachgewiesen, dass die Entscheidung die Verletzung europäischer Grundfreiheiten „sanktioniert“, also billigt und zu einer neutralitätswidrigen Umsatzbesteuerung führt.7 In diesem Beitrag sollen vor allem die evidenten Begründungsmängel des „EurodentalUrteils“ aufgezeigt werden, die einem Gericht im Rang des EuGH nicht unterlaufen dürften.

II. Das Problem Ein steuerbarer Umsatz kann die Voraussetzungen mehrerer Befreiungsvorschriften erfüllen. Z. B. kann die Lieferung von Blindenwaren die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 19 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG erfüllen und zugleich als Ausfuhrlieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. a UStG steuerfrei sein. Damit liegt eine Konkurrenz von Befreiungsvorschriften vor. Dieses Konkurrenzverhältnis wäre belanglos, wenn die Befreiungen gleiche Auswirkungen hätten. Tatsächlich ist jedoch zwischen Steuerbefreiungen, die den Vorsteuerabzug ausschließen und solchen Befreiungen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, zu unterscheiden (§ 15 Abs. 2 und 3 UStG). Steuerbefreiungen mit dem Recht zum Vorsteuerabzug für Eingangsleistungen werden deshalb auch als „echte“ Befreiungen den „unechten“ Steuerbefreiungen, die zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs führen, gegenübergestellt.8 Liegen für einen Umsatz sowohl die Voraussetzungen einer echten als auch einer unechten Befreiungsvorschrift vor, entsprach es in Deutschland bisher der ganz h. M., dass die – weitergehenden – Wirkungen der echten Befreiung den Vorrang haben und damit der Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen ist.9 Die Frage der Konkurrenz der Befreiungsvorschriften ist auch nicht etwa deshalb belanglos, weil der Unternehmer – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 4 Nr. 19 UStG – auf die Befreiung verzichten kann. Denn der Verzicht nach § 9 Abs. 1 UStG kommt nur bei Umsätzen an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen in Betracht und würde nicht eingreifen, wenn diese Voraussetzungen bei der Ausfuhrlieferung nicht vorliegen. In dem „Eurodental-Urteil“ des EuGH vom 7.12.2006 ging es um die Konkurrenz zwischen der Steuerbefreiung für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten (jetzt Art. 132 MwStSystRL) und der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (jetzt Art. 138 MwStSystRL). Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen führt nicht zum Ausschluss des Vor-

__________ 6

7 8 9

Reiß, Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzbesteuerung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr – Zur Billigung der Versagung des Vorsteuerabzugs für innergemeinschaftlich befreite Lieferungen durch den EuGH, UR 2007, 565. Vgl. demgegenüber Billig, Vorsteuerabzugsrecht infolge einer übergangsweise zulässigen Ausnahmeregelung gem. Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie?, UR 2007, 81 – die dem Urteil zustimmt. Vgl. z. B. Reiß, Umsatzsteuerrecht, 9. Aufl., Münster/Köln 2005, S. 163. Vgl. Reiß, Umsatzsteuerrecht, 9. Aufl., Münster/Köln 2005, S. 249; Stadie, Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, Rz. 10.6; Abschn. 204 Abs. 4 UStR 2005.

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Vorsteuerabzug bei konkurrierenden Befreiungsvorschriften

steuersteuerabzugs (Art. 169 Buchst. b MwStSystRL), während die Steuerbefreiung nach Art. 132 MwStSystRL den Vorsteuerabzug für die entsprechenden Eingangsbezüge ausschließt. Der EuGH kommt in seinem Urteil vom 7.12. 2006 zu dem Ergebnis, dass der Vorsteuerausschluss für steuerfreie Umsätze i. S. v. Art. 132 MwStSystRL auch dann zur Anwendung kommt, wenn zugleich die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen. Im Konkurrenzverhältnis der Befreiungsvorschriften haben also nach Auffassung des EuGH die Wirkungen der „unechten“ Befreiungsvorschriften nach Art. 132 MwStSystRL den Vorrang vor den Wirkungen der „echten“ Befreiungsvorschriften.

III. Der Ausgangssachverhalt Der eigentliche Sachverhalt ist relativ einfach gelagert: Die Luxemburger Firma Eurodental liefert Zahnersatz an Abnehmer in Deutschland. Die Abnehmer in Deutschland sind offensichtlich nicht private Kunden, sondern Unternehmer, insbesondere Zahnärzte oder Zwischenhändler, weil sich die Frage der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen anderenfalls nicht stellen würde. Der in dem Urteil aufgezeichnete „rechtliche Rahmen“ für die Entscheidung des Gerichts ist demgegenüber umfangreich und kompliziert, weil Gemeinschaftsrecht, Luxemburger Recht und deutsches Recht dargestellt werden und das deutsche Recht vom Gemeinschaftsrecht abweicht. Während nach Luxemburger Recht in Übereinstimmung mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL die Dienstleistungen und Lieferungen von Zahnersatz durch Zahntechniker und Zahnärzte steuerfrei sind, werden diese Leistungen in Deutschland nur befreit, soweit die Lieferung durch Zahnärzte erfolgt und der Zahnersatz nicht im eigenen Unternehmen des Zahnarztes hergestellt oder wiederhergestellt worden ist (vgl. § 4 Nr. 14 Satz 4 Buchst. b UStG). Die steuerpflichtigen Leistungen der Zahntechniker und der Zahnärzte in den Fällen des § 4 Nr. 14 Satz 4 Buchst. b UStG werden nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG mit dem ermäßigten Steuersatz besteuert. Diese Abweichung vom Gemeinschaftsrecht beruht auf der Ermächtigung nach Art. 370 i. V. m. Anhang X Teil A Nr. 1 MwStSystRL.

IV. Rechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen der Entscheidung des EuGH Der EuGH kommt zum Ergebnis, dass der Luxemburger Firma Eurodental in Luxemburg der Vorsteuerabzug zu versagen ist, auch wenn die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung vorliegen und die deutschen Abnehmer der Erwerbsbesteuerung unterliegen. Ist der Abnehmer ein Zahnarzt, der die Erwerbsschwelle nach § 1a Abs. 3 UStG überschreitet, ist der innergemeinschaftliche Erwerb, da keine der Befreiungsvorschriften des § 4b Nr. 1–4 UStG eingreift, steuerpflichtig. Die Steuer ist gem. § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG regelmäßig mit 7 % zu berechnen. Die Erwerbsteuer kann der Zahnarzt nicht als Vorsteuer abziehen, da er den Eingangsumsatz für einen nach § 4 Nr. 14 197

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Satz 1 UStG steuerfreien Umsatz verwendet (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG). Das hat zur Folge: Die in Luxemburg angefallene Vorsteuer kann nicht abgezogen werden. Sie geht als Kostenfaktor in den von dem Luxemburger Lieferanten in Rechnung gestellten Preis, der die Bemessungsgrundlage für die Erwerbsbesteuerung in Deutschland ist, ein. Es kommt damit zu einer wettbewerbsverzerrenden Doppelbesteuerung. Ein in Deutschland ansässiger Konkurrent der Fa. Eurodental ist dagegen zum Vorsteuerabzug berechtigt, weil er eine steuerpflichtige Leistung an den deutschen Zahnarzt erbringt. Die Umsatzsteuerbelastung in der Unternehmerkette bis zum Patienten beschränkt sich auf die für die Lieferung des Dentalunternehmens an den Zahnarzt geschuldete Umsatzsteuer. Der EuGH hat durchaus erkannt, dass seine Entscheidung, der Firma Eurodental für die grenzüberschreitende, innergemeinschaftliche Lieferung den Vorsteuerabzug zu versagen, eine wettbewerbsverzerrende Wirkung hat.10 Diese Wirkung sei jedoch eine Folge der Entscheidung der deutschen Regierung, Lieferungen von Zahnersatz durch Zahntechniker und Ärzte nicht von der Steuer zu befreien, sondern von der Übergangsregelung Gebrauch zu machen und als steuerpflichtige Umsätze zu behandeln. Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage, wie denn die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH wären, wenn Deutschland diese Umsätze befreien würde: An der Steuerbefreiung der (Weiter-)Lieferung des Zahnersatzes der deutschen Zahnärzte an die Patienten würde sich nichts ändern. Die von dem Luxemburger Unternehmen belieferten Zahnärzte würden weiterhin, sofern sie die Erwerbsschwelle nach § 1a Abs. 3 UStG überschreiten, den Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs erfüllen. Dieser Erwerb würde weder nach deutschem Recht (§ 4b UStG) noch nach Gemeinschaftsrecht unter eine Befreiungsvorschrift fallen und deshalb zu einer Umsatzsteuerbelastung führen: – Art. 140 Buchst. a MwStSystRL greift nicht ein, weil die Lieferung von Zahnersatz nicht „in jedem Fall“, sondern nur dann steuerfrei ist, wenn sie durch Zahnärzte oder Zahntechniker erfolgt.11 – Art. 140 Buchst. b MwStSystRL ist nicht anwendbar, da Zahnersatz nicht „in jedem Fall“ einfuhrumsatzsteuerfrei eingeführt werden kann.12 – Art. 140 Buchst. c MwStSystRL greift nicht ein, da die Erwerber nicht nach Art. 170 und 171 MwStSystRL erstattungsberechtigt sind. – Auch die besonderen Tatbestände nach Art. 141 MwStSystRL, nach denen von den Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Steuerbefreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs getroffen werden müssen, greifen sämtlich nicht ein. Die wettbewerbsverzerrende Wirkung würde im Übrigen auch dann eintreten, wenn das Luxemburger Unternehmen den Zahnersatz nicht an einen Zahn-

__________ 10 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98 – Rz. 52 ff. 11 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – Rs. C-401/05 – VDP Dental Laboratory NV, UR 2007, 104; Nieskens, EU-UStB 2007, 4. 12 Vgl. OFD Frankfurt a. M., Vfg. v. 11.1.2007 – S 7236 A - 17 - St 112, UR 2007, 551.

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Vorsteuerabzug bei konkurrierenden Befreiungsvorschriften

arzt, sondern an einen Zwischenhändler in Deutschland liefern würde: Der Zwischenhändler wäre zum Abzug der Erwerbsteuer berechtigt, weil die Weiterlieferung des nicht selbst hergestellten Zahnersatzes steuerpflichtig wäre. Die Weiterlieferung würde regelmäßig an einen Zahnarzt erfolgen, der den Zahnersatz wiederum gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. e MwStSystRL steuerfrei an seine Patienten liefern würde. Im Ergebnis würde der Zahnersatz in der Leistungskette bis zum Endverbraucher mit der in Luxemburg nicht abziehbaren Vorsteuer und der Umsatzsteuer belastet, die der Zwischenhändler dem Zahnarzt berechnet. Würde der Zahnarzt den Zahnersatz bei einem in Deutschland ansässigen Zahntechniker bestellen, wäre dessen Lieferung steuerfrei und würde die im Preis abgewälzte Umsatzsteuerbelastung sich auf die Vorsteuerbeträge beschränken, die der deutsche Zahntechniker nicht abziehen konnte. Es bleibt also dabei, dass die Nichtabziehbarkeit der Vorsteuer in Luxemburg zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.

V. Die Begründung des EuGH für seine Entscheidung Nachdem nun die problematischen Folgen der Entscheidung des EuGH aufgezeigt sind, stellt sich die Frage, wie der EuGH seine Entscheidung begründet hat und ob diese Gründe tragfähig sind. Der EuGH stützt seine Entscheidung auf den Wortlaut der Regelungen der 6. EG-Richtlinie, das mit ihr verfolgte Ziel, die Systematik der Richtlinie und den Grundsatz der steuerlichen Neutralität.13 1. Wortlaut der Richtlinie Mit dem Argument vom „Wortlaut der Richtlinie“ beruft sich der EuGH vor allem auf den Wortlaut von Art. 17 Abs. 3 Buchst. b i. V. m. Art. 28c der 6. EGRichtlinie. Danach ist der Vorsteuerabzug für Verwendungsumsätze zu gewähren, die die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllen. Der EuGH vermisst in der Vorschrift eine Regelung, die den Vorsteuerabzug auch dann eröffnet, wenn die innergemeinschaftliche Lieferung zugleich die Voraussetzungen einer Befreiungsvorschrift nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie erfüllt. Darüber hinaus ergebe sich auch im Umkehrschluss aus Art. 17 Abs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie (Art. 169 Buchst. c MwStSystRL), dass die in Art. 13 der 6. EG-Richtlinie bezeichneten Befreiungen nur selektiv und nur unter ganz besonderen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug eröffnen. Diese Deduktionen des EuGH sind m. E. rabulistisch und kaum nachvollziehbar. Der Wortlaut der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften legt das gegenteilige Auslegungsergebnis nahe: – Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtline (Art. 168 MwStSystRL) eröffnet den Vorsteuerabzug grundsätzlich nur für „besteuerte“ Verwendungsumsätze des Unternehmers.

__________ 13 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98 – Rz. 38.

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– Art. 17 Abs. 3 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie (Art. 169 Buchst. b MwStSystRL) lässt den Vorsteuerabzug auch für Umsätze zu, die die Voraussetzungen der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen erfüllen. – Der Wortlaut dieser Regelungen enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorsteuerabzugsberechtigung entfällt, wenn der Verwendungsumsatz gleichzeitig auch die Voraussetzungen einer vorsteuerschädlichen Befreiungsvorschrift erfüllt. 2. Ziel der Richtlinie Als Ziel der Richtlinie bezeichnet der EuGH den Grundsatz, „dass in der Gemeinschaft, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist“14. Mit diesem Ziel sei es unvereinbar, den Vorsteuerabzug für innergemeinschaftliche Umsätze, die nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie (Art. 132 MwStSystRL) befreit sind, zu gewähren. Denn die Steuerbefreiung nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie hätte wiederum zur Folge, dass auch der innergemeinschaftliche Erwerb nach Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (Art. 140 Buchst. a MwStSyStRL) steuerfrei wäre. Während also der Verbrauch im Ursprungsmitgliedstaat wegen der fehlenden Vorsteuerabzugsberechtigung nicht vollständig von der Mehrwertsteuer entlastet würde, käme es bei einer grenzüberschreitenden Lieferung in den Bestimmungsmitgliedstaat zu einer vollständigen Entlastung von der Steuer. Damit würde zugleich der in Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (Art. 169 Buchst. a MwStSystRL) verankerte Grundsatz verletzt, dass im Ausland bewirkte Umsätze nur dann zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn sie als Inlandsumsätze ebenfalls zum Vorsteuerabzug berechtigen würden. Bei diesen Ausführungen hat das Gericht offensichtlich verkannt, dass die Steuerbefreiung nach Art. 13 der 6. EG-Richtline (=Art. 132 MwStSystRL) gerade nicht zwangsläufig zu einer korrespondierenden Befreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs führt. Die Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb nach Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (= Art. 140 Buchst. a MwStSystRL) ist nicht an bestimmte Befreiungsvorschriften gekoppelt, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten, den innergemeinschaftlichen Erwerb von solchen Gegenständen zu befreien, „deren Lieferung durch Steuerpflichtige in ihrem jeweiligen Gebiet in jedem Fall mehrwertsteuerfrei ist“. Das Gesetz stellt damit sicher, dass solche Gegenstände, deren Lieferung in jedem Fall steuerfrei ist, bei innergemeinschaftlichen Warenbewegungen nicht mit Umsatzsteuer belastet werden. Solche Gegenstände sind z. B. menschliche Organe, menschliches Blut und Frauenmilch (vgl. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie = Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL), deren innergemeinschaftlicher Erwerb in Deutschland nach § 4b Nr. 1 i. V. m.

__________ 14 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98 – Rz. 39.

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§ 4 Nr. 17 Buchst. a UStG steuerfrei ist. Zahnersatz ist dagegen kein Gegenstand, dessen Lieferung nach Gemeinschaftsrecht in jedem Fall steuerfrei wäre. Vielmehr müssen persönliche Merkmale des Lieferers hinzukommen, der entweder Zahntechniker oder Zahnarzt sein muss (vgl. oben III). Der innergemeinschaftliche Erwerb von Zahnersatz ist also nicht befreit. Damit fällt die Argumentation des Gerichts in sich zusammen. Eine ganz andere Frage ist, ob es nicht systematisch geboten wäre, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen den innergemeinschaftlichen Erwerb von Zahnersatz unter der Voraussetzung steuerfrei zu stellen, dass die korrespondierende Lieferung in dem anderen Mitgliedstaat durch einen Zahntechniker oder einen Zahnarzt erfolgt. Dazu bedürfte es allerdings einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung, weil Befreiungsvorschriften als Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind15 und deshalb der Anwendungsbereich einer Steuerbefreiungsvorschrift nicht über ihren Wortlaut hinaus ausgedehnt werden darf. Der Wortlaut des Art. 140 Buchst. a MwStSystRL ist eindeutig: Er regelt eine gegenstandsbezogene Befreiung, die nicht an persönliche Merkmale des Lieferers gekoppelt ist. Die Bestimmung entspricht wörtlich der Steuerbefreiung für Einfuhren in Art. 143 Buchst. a MwStSystRL: Die Einfuhr ist nur dann steuerfrei, wenn die Lieferung in dem Mitgliedstaat der Einfuhr „in jedem Fall mehrwertsteuerfrei ist“. Diese Voraussetzungen liegen bei der Lieferung von Zahnersatz nicht vor und deshalb wird auch – soweit ersichtlich – nirgendwo die Auffassung vertreten, dass Zahnersatz steuerfrei eingeführt werden könnte. 3. Systematik der Richtlinie Der EuGH stützt seine Entscheidung weiter auf die systematische Unterscheidung zwischen „spezifischen Steuerbefreiungen“, die in Art. 13 der 6. EG-Richtlinie (= Art. 132 MwStSystRL) „einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind“ und der „allgemeinen Steuerbefreiung“ für innergemeinschaftliche Lieferungen, die sich „in unbestimmter Weise auf die wirtschaftlichen Tätigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten bezieht“. Dieser Systematik soll es entsprechen, der spezifischen Steuerbefreiung den Vorrang vor der allgemeinen Steuerbefreiung einzuräumen.16 M. E. gibt diese begriffliche Unterscheidung zwischen „allgemeinen“ und „spezifischen“ Steuerbefreiungen nichts her. Die Befreiungen nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie sollen bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten begünstigen. Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen setzt eine bestimmte Warenbewegung voraus und soll das Bestimmungslandprinzip umsetzen. Es handelt sich jeweils um Steuerbefreiungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Zielsetzungen. Wesentlich sind vor allem die unterschiedlichen Wirkungen hinsichtlich des Vorsteuerabzugs: Die Steuerbefreiung für innerge-

__________ 15 So die ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. dazu exemplarisch EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EuGHE 2003, I-4101. 16 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98 – Rz. 44.

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meinschaftliche Lieferungen eröffnet den Vorsteuerabzug und hat deshalb eine weiterreichende Begünstigungswirkung. Unter systematischen Gesichtspunkten ist schwer nachvollziehbar, warum die weitergehende Begünstigungswirkung eines Befreiungstatbestandes nur deshalb entfallen soll, weil gleichzeitig auch die Voraussetzungen einer Befreiungsvorschrift mit geringerer Begünstigung vorliegen. 4. Grundsatz der steuerlichen Neutralität Maßgebende Auslegungsmaxime in der Rechtsprechung des EuGH ist der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.17 Dieser Grundsatz verbietet es, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Leistungen unterschiedlich zu behandeln. Die Wettbewerbsneutralität wird insbesondere durch den Vorsteuerabzug gesichert, da der Vorsteuerabzug gewährleistet, dass die Umsatzsteuerbelastung des Endverbrauchs unabhängig davon ist, wie viele Produktions- und Vertriebsstufen ein Produkt durchlaufen hat.18 Den Grundsatz der Neutralität zieht der EuGH auch in seinem EurodentalUrteil19 heran. Er sieht die Wettbewerbsneutralität verletzt, wenn ein bestimmter steuerfreier Umsatz (hier Lieferung von Zahnersatz durch einen Zahntechniker) – im Inland ausgeführt – nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, während „derselbe“ Umsatz als innergemeinschaftlicher Umsatz zum Vorsteuerabzug berechtigen würde. Der Unternehmer, der den „inländischen“ Umsatz bewirkt, würde gegenüber dem Unternehmer, der den innergemeinschaftlichen Umsatz bewirkt, benachteiligt. Diese Argumentation ist kaum nachzuvollziehen. Der EuGH übersieht, dass es hier um unterschiedliche Märkte mit unterschiedlichen Marktbedingungen geht. Innergemeinschaftliche Lieferungen unterliegen anderen Regeln als Lieferungen, die im Inland an inländische Abnehmer abgewickelt werden. Die besondere Begünstigung innergemeinschaftlicher Lieferungen durch die Steuerbefreiung mit Vorsteuerabzugsberechtigung wird kompensiert durch die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs. Der Unternehmer, der seine Produkte innergemeinschaftlich an Abnehmer in anderen Mitgliedstaaten liefert, befindet sich im Wettbewerb mit Unternehmern, die vergleichbare innergemeinschaftliche Lieferungen bewirken, und solchen Unternehmern, die in dem anderen Mitgliedstaat entsprechende Lieferungen als reine Inlandslieferungen durchführen. Tatsächlich führt die Entscheidung des EuGH zu einer evidenten Benachteiligung von Zahntechnikern in anderen Mitgliedstaaten, die innergemeinschaft-

__________ 17 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 27.4.2006 – Rs. C 443/04 und C-444/04 – Solleveld, EuGHE 2006, I-3617; EuGH, Urt. v. 12.1.2006 – Rs. C-246/04 – Turn- und Sportverein Waldburg, EuGHE 2006, I-589. 18 Vgl. z. B. EuGH, Beschl. v. 3.3.2004 – Rs. C-395/02 – Transport Service NV, UR 2005, 107. 19 Vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2006 – Rs. C-240/05 – Eurodental Sàrl, UR 2007, 98 – Rz. 46 ff.

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Vorsteuerabzug bei konkurrierenden Befreiungsvorschriften

liche Lieferungen an Abnehmer in Deutschland durchführen bzw. vornehmen wollen (vgl. oben IV). Deutsche Zahntechniker, die Zahnärzte in Luxemburg innergemeinschaftlich beliefern, haben demgegenüber im Wettbewerb mit Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten, in denen die Lieferung von Zahnersatz durch Zahntechniker steuerfrei ist, Wettbewerbsvorteile: Sie führen steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen aus und sind – anders als die Konkurrenten aus anderen Mitgliedstaaten – zum Vorsteuerabzug berechtigt, weil nach deutschem Recht die Lieferung von Zahnersatz durch Zahntechniker steuerpflichtig ist und deshalb kein Ausschluss vom Vorsteuerabzug eingreift. Auch der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer liefert somit keine tragfähige Begründung für die Entscheidung des EuGH, die im Gegenteil – wie Reiß nachgewiesen hat – den innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr behindert.20

VI. Das gemeinschaftsrechtliche Defizit Wettbewerbsverfälschend kann sich der Vorsteuerabzug für innergemeinschaftliche Lieferungen nur dann auswirken, wenn der korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb nach Art. 140 Buchst. a MwStSystRL steuerfrei ist und damit eine vollständige Entlastung von Mehrwertsteuer erfolgt, während der rein inländische Umsatz auf Grund fehlender Vorsteuerabzugsberechtigung nicht vollständig von der Mehrwertsteuer entlastet wird. Beispiel Ein deutscher Unternehmer liefert Blutkonserven an ein Krankenhaus in Frankreich, das diese Lieferung unter Verwendung seiner Umsatzsteuer-Identifkationsnummer bezieht. Der innergemeinschaftliche Erwerb ist steuerfrei, da die Lieferung menschlichen Bluts als Inlandslieferung in Frankreich „in jedem Fall“ steuerfrei ist (Art. 140 Buchst. a i. V. m. Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL).

Im Falle einer reinen Inlandslieferung würde dem deutschen Lieferer der Vorsteuerabzug für seine Eingangsbezüge versagt (vgl. § 15 Abs. 2 Nr. 1, § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG). Nach der Entscheidung des EuGH ist dem deutschen Lieferer der Vorsteuerabzug auch dann zu versagen, wenn er die Blutkonserven an das Krankenhaus in Frankreich liefert. Die Gewährung des Vorsteuerabzugs – entsprechend der bisherigen Rechtsauffassung in Deutschland – würde zu einer Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu konkurrierenden französischen Lieferanten führen, weil diese nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind und deshalb angefallene Vorsteuerbeträge in ihren Preis für die Lieferung der Blutkonserven einkalkulieren müssten. Es bleibt die Frage, ob der vom EuGH beschrittene Weg, bei Konkurrenz von Befreiungsvorschriften den Vorsteuerabzug für innergemeinschaftliche Liefe-

__________ 20 Reiß, Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzbesteuerung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr – Zur Billigung der Versagung des Vorsteuerabzugs für innergemeinschaftlich befreite Lieferungen durch den EuGH, UR 2007, 565.

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Otto-Gerd Lippross

rungen zu versagen, der richtige Weg ist, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Bei der Lieferung von Blutkonserven ist auch eine Konkurrenzsituation mit Drittlandsanbietern gegeben, die Blutkonserven einfuhrumsatzsteuerfrei und damit ohne jede Mehrwertsteuerbelastung in die Gemeinschaft liefern können (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 UStG; Art. 143 Buchst. a i. V. m. Art. 132 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL). Die Wettbewerbsneutralität würde in diesem Fall am ehesten gewährleistet, wenn die Versagung des Vorsteuerabzugs aufgehoben und die Befreiung für die Lieferung von Blut etc. in eine echte Steuerbefreiung umgewandelt würde. Es liegt an der EU-Kommission, hier die Initiative zu ergreifen und das Problem durch eine gemeinschaftsrechtliche Regelung angemessen zu lösen.

VII. Ergebnis Die Eurodental-Entscheidung des EuGH leidet an schwerwiegenden Begründungsfehlern. Der EuGH hat insbesondere den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung für den innergemeinschaftlichen Erwerb nach Art. 28c Teil B Buchst. a der 6. EG-Richtlinie (Art. 140 Buchst. a MwStSystRL) verkannt. Die Versagung des Vorsteuerabzugs bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, die zugleich auch die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung ohne Vorsteuerabzugsberechtigung erfüllen, führt daher zu schwerwiegenden Wettbewerbsverzerrungen. Die EU-Kommission sollte dem Appell von Reiß21 folgen und auf eine gemeinschaftsrechtliche Regelung hinwirken, die den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr gewährleistet und Wettbewerbsverzerrungen vermeidet.

__________ 21 Reiß, Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzbesteuerung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr – Zur Billigung der Versagung des Vorsteuerabzugs für innergemeinschaftlich befreite Lieferungen durch den EuGH, UR 2007, 565.

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Friedrich Klenk

Die Besteuerung der Veräußerung von Investitionsgütern durch den Pauschallandwirt Inhaltsübersicht I. Sinn und Zweck der Pauschalregelung der Art. 295 ff. MwStSystRL II. Die Besteuerung der Veräußerung von Investitionsgütern

III. Steuerfreiheit oder Steuerpflicht der Veräußerung 1. Landwirtschaftliche Gebäude 2. Maschinen und ähnliche bewegliche Investitionsgüter IV. Zusammenfassung

Reiß ist zwar bislang nicht mit Veröffentlichungen zum Landwirtschaftsrecht hervorgetreten; seine akademische Karriere hat ihn jedoch in den Freistaat Bayern verschlagen, dem die Besteuerung der Landwirte immer ein Herzensanliegen war. Eine kleine Blüte aus diesem weiß-blau-grünen Feld sei dem Laureaten zur Emeritierung überreicht.

I. Sinn und Zweck der Pauschalregelung der Art. 295 ff. MwStSystRL Die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger gem. Art. 295 ff. MwStSystRL (Richtlinie 2005/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) sowie die Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG beruht auf dem Wunsch der Mitgliedstaaten, die Landwirtschaft (oder jedenfalls die kleineren Landwirte) möglichst von der Umsatzbesteuerung zu verschonen und gleichzeitig von Vorsteuern zu entlasten. Dies soll der Vereinfachung und Entbürokratisierung des Besteuerungsverfahrens dienen.1 Der deutsche Gesetzgeber hat dies dadurch erreicht, dass er Ausgangssteuer und Vorsteuer gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3, Satz 3 UStG in gleicher Höhe festsetzt, der Landwirt also für die im Rahmen seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze grundsätzlich keine Steuer

__________ 1 Hierzu heißt es in der BR-Drucks. 142/1/06 (neu): „Nach § 24 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) werden für die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausgeführten Umsätze die Umsatzsteuer und die Vorsteuer jeweils mit einem Durchschnittssatz festgelegt. Diese Regelung beruht auf Artikel 25 der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern und dient der Vereinfachung und Entbürokratisierung. Rund 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe versteuern ihre Umsätze nach Durchschnittsätzen. Die Vorsteuerpauschalierung ist ein sehr erfolgreiches Beispiel für Deregulierung und Entbürokratisierung und hilft sowohl den Bauern als auch der Steuerverwaltung, Zeit und Kosten zu sparen.“

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Friedrich Klenk

entrichten muss, gleichwohl aber dem Abnehmer die Durchschnittssatzsteuer in Rechnung stellen darf. In der Regel erhält er deshalb die Vorsteuer pauschal gem. Art. 301 Abs. 1 Alt. 1 MwStSystRL (früher Art. 25 Abs. 6 Buchst. a der 6. EG-Richtlinie) von seinem Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger erstattet; im Ergebnis steht er deshalb grundsätzlich wie der Landwirt, der die Vorsteuer gem. Art. 301 Abs. 1 Alt. 2 MwStSystRL (früher Art. 25 Abs. 6 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie) von der öffentlichen Hand vergütet erhält. Aus diesem Schema fällt die Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 UStG. Die dort genannten Umsätze werden mit „Durchschnittssätzen“ in Höhe des Regelsteuersatzes besteuert; es wird lediglich der Vorsteuerabzug wie in den Fällen der §§ 23 und 23a UStG pauschaliert. Im Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG beträgt die Steuer 19 % und die pauschalierte Vorsteuer 9 % der Bemessungsgrundlage, so dass die Umsätze effektiv mit 10 (19–9) % besteuert werden. Der Gesetzgeber spricht zwar in § 15a Abs. 7 UStG von einer „Durchschnittssatzbesteuerung nach den §§ 23, 23a oder 24“ und behandelt in all diesen Fällen den Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur „Durchschnittssatzbesteuerung“ und umgekehrt gleich. Gleichwohl ist die „Durchschnittssatzbesteuerung“ nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3. Satz 3 UStG eine Scheinbesteuerung und die „Durchschnittssatzbesteuerung“ nach §§ 23, 23a, 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 UStG eine bloße Pauschalierung des Vorsteuerabzugs. Die gemeinsame Pauschalregelung dient dem Ausgleich der Belastung durch die Mehrwertsteuer, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird. Diese Belastung erklärt sich daraus, dass die Pauschallandwirte grundsätzlich kein Recht auf Vorsteuerabzug haben (vgl. Art. 302 MwStSystRL und Art. 25 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EGRichtlinie). Aufgrund der Entstehungsgeschichte der gemeinsamen Pauschalregelung kann eigentlich kaum zweifelhaft sein, dass der innere Grund hierfür darin lag, dass der Pauschallandwirt wie ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Betriebsinhaber behandelt werden sollte.2 Aus Art. 295 ff. MwStSystRL, Art. 25 der 6. EG-Richtlinie ergibt sich dies jedoch nicht: Dort (Art. 300 MwStSystRL, Art. 25 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie) ist zwar bestimmt, dass die Pauschalausgleich-Prozentsätze auf den Preis ohne Mehrwertsteuer der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und landwirtschaftlichen Dienstleistungen, die der Pauschallandwirt geliefert oder erbracht hat, angewandt werden. Damit ist aber nur die Berechnung des Pauschalausgleichs (der Vorsteuervergütung) geregelt; eine ausdrückliche Regelung, ob und wie die Umsätze des Pauschallandwirts besteuert werden, wird man darin nicht sehen können. Der BFH hatte deshalb den EuGH in der Rechtssache Stadt Sundern gefragt, ob die Mitgliedstaaten, die die Pauschalregelung des Art. 25 der 6. EG-Richtlinie in ihr innerstaatliches Recht übernommen haben, die Pauschallandwirte im

__________ 2 Vgl. dazu Klenk, Durchschnittssatzbesteuerung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, UR 2002, 597.

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Veräußerung von Investitionsgütern durch den Pauschallandwirt

Ergebnis von der Zahlung von Umsatzsteuer freistellen dürfen oder müssen. Diese Frage erschien dem EuGH in ihrer genauen Bedeutung unklar. Gleichwohl hat er entschieden, „dass die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen … gilt und dass die sonstigen Umsätze der Pauschallandwirte der allgemeinen Regelung dieser Richtlinie unterliegen.“3 Er lässt also nicht sämtliche im Rahmen des landund forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze unbesteuert, sondern allenfalls die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die landwirtschaftlicher Dienstleistungen. Dieses Nebeneinander von Regelbesteuerung und Pauschalregelung entspricht zwar kaum dem Vereinfachungszweck der gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger, ist aber vom EuGH so gewollt. Nachträglich wird es bestätigt durch Art. 302 MwStSystRL, wonach der Pauschallandwirt, der einen Pauschalausgleich in Anspruch nimmt, „in Bezug auf die dieser Pauschalregelung unterliegenden Tätigkeiten“ kein Recht auf Vorsteuerabzug hat. Im Umkehrschluss kann daraus geschlossen werden, dass der Pauschallandwirt in Bezug auf seine anderen Tätigkeiten grundsätzlich ein Recht auf Vorsteuerabzug hat und diese anderen Tätigkeiten demnach der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften unterliegen. Bleibt also nur die Frage, ob die Tätigkeiten, die der Pauschalregelung unterliegen, wie im Fall des § 24 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 UStG unbesteuert bleiben oder besteuert werden dürfen. Der BFH ist der Rechtsprechung des EuGH gefolgt; wörtlich führt er im Urteil Stadt Sundern4 aus: „§ 24 UStG gilt zwar seinem Wortlaut nach für ‚die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze‘. Dies ist aber in richtlinienkonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass damit nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen gemeint sind, auf die die Pauschalregelung des Art. 25 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG Anwendung findet.“

II. Die Besteuerung der Veräußerung von Investitionsgütern Hieran knüpft die weitere Frage an, ob auch die Veräußerung von Investitionsgütern, die keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind, nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes besteuert wird. Die Finanzverwaltung verneint dies; nach ihr gilt der Durchschnittssatz nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG allgemein für sog. Hilfsumsätze, die zwar zur unternehmerischen Tätigkeit gehören, jedoch nicht den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens bilden, wie z. B. beim Verkauf gebrauchter landwirtschaftlicher Geräte.5

__________ 3 EuGH v. 26.5.2005 – Rs. C-43/04 – Stadt Sundern, EuGHE 2005, I-4491 = UR 2005, 397; Vellen, UStB 2005, 191; nachfolgend BFH, Urt. v. 22.9.2005 – V R 28/03, BFHE 211, 566 = BStBl. II 2006, 280 = DStR 2005, 2123 m. Anm. Klenk. 4 BFH, Urt. v. 22.9.2005 – V R28/03, BFHE 211, 566 = BStBl. II 2006, 280. 5 Abschn. 265 Abs. 3 UStR; ebenso ohne Begründung Huschens in Vogel/Schwarz, UStG, § 24 UStG Rz. 88 ff. – Lfg. 124 2/2007.

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Friedrich Klenk

Dies entspricht auch dem Wortlaut des § 24 UStG, da die Hilfsumsätze im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführt werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der Rechtsprechung des BFH ist aber das Tatbestandsmerkmal „im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführte Umsätze“ richtlinienkonform restriktiv dahin auszulegen, dass damit nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen gemeint sind, auf die die Pauschalregelung der Art. 295 ff. MwStSystRL (Art. 25 der 6. EG-Richtlinie) Anwendung findet. Dass die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf Hilfsumsätze, wie die Veräußerung von Investitionsgütern (die keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse sind) Anwendung findet, scheint aber ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des Art. 300 MwStSystRL werden die PauschalausgleichProzentsätze nur auf den Preis der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und der landwirtschaftlichen Dienstleistungen des Pauschallandwirts angewandt; nach der Rechtsprechung des EuGH gilt die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen; gebrauchte Maschinen und ähnliche Investitionsgüter sind aber keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Die auf diesen Anlagegütern lastende Vorsteuer wird gem. Art. 296, 300 MwStSystRL bereits bei der Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen durch Zahlung des Pauschalausgleichs vergütet; eine weitere Entlastung bei der Weiterveräußerung sieht Art. 295 ff. MwStSystRL nicht vor. Der Pauschalausgleich gleicht gem. Art. 296 Abs. 1 MwStSystRL die Belastung durch die Mehrwertsteuer aus, die auf die von den Pauschallandwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen gezahlt wird. Er gleicht zwar die Mehrwertsteuerbelastung des Pauschallandwirts durch sämtliche besteuerten Eingangsumsätze aus. Hierbei ist jedoch in erster Linie an Investitionsgüter wie Maschinen und Gebäude zu denken, die anders als die übrigen Dienstleistungen und Gegenstände, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, nicht ermäßigt besteuert werden dürfen (vgl. Anhang III Kategorie 11 MwStSystRL). Das französische Mehrwertsteuerrecht, das die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger maßgeblich mit prägte, sah sogar bei seiner Einführung im Jahre 1954 lediglich für landwirtschaftliche Maschinen eine Vorsteuervergütung vor.6 Die Zahlung eines Pauschalausgleichs für gebrauchte Maschinen und ähnliche Investitionsgegenstände entspricht deshalb weder dem Wortlaut noch dem Sinn der gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger. Als Zwischenergebnis ist deshalb festzuhalten, dass die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf die Veräußerung gebrauchter

__________ 6 Vgl. Philippe, La TVA à l´heure européene, Paris 1993, Tz. 490.

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Veräußerung von Investitionsgütern durch den Pauschallandwirt

Maschinen und ähnlicher Investitionsgüter keine Anwendung findet. Dies dürfte auch die überwiegende Ansicht im Schrifttum sein.7 Gegen dieses Ergebnis können auch nicht „Vereinfachungsgründe“ geltend gemacht werden.8 Einfacher wäre es auch, die Jagdverpachtung durch einen Pauschallandwirt nicht zu besteuern; gleichwohl hat der EuGH im Urteil Stadt Sundern entschieden, dass sie nach den allgemeinen Vorschriften zu versteuern ist. Dem EuGH liegt die Einschränkung der Pauschalregelung offensichtlich mehr am Herzen als die „Vereinfachung“. Im Übrigen mag die Erstattung des Pauschalausgleichs durch den Erwerber zwar insoweit zu einer „Vereinfachung“ führen, als sie in einem Teil der Mitgliedstaaten – wie z. B. grundsätzlich in Deutschland – zu einer Nichtbesteuerung der Landwirte führt. Anders ist es aber in den Ländern, in denen nach dem Vorbild Frankreichs die Zahlung des Pauschalausgleichs gem. Art. 301 Abs. 1 Alt. 2 MwStSystRL durch die öffentliche Hand erfolgt; in diesen Ländern würde die widersinnige Zahlung eines Pauschalausgleichs für gebrauchte Maschinen und ähnliche Investitionsgüter keineswegs zu einer Vereinfachung führen. Es erscheint auch ausgeschlossen, dass die Mitgliedstaaten die Zahlung des Pauschalausgleichs unterschiedlich regeln dürfen, je nachdem ob die Zahlung durch den Erwerber der Gegenstände bzw. den Dienstleistungsempfänger oder die öffentliche Hand erfolgt. Im Übrigen hat das eigentliche Ärgernis, dass es die Finanzverwaltung den Pauschallandwirten weiterhin erlaubt, für die Veräußerung landwirtschaftlicher Maschinen den Durchschnittssatz des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in Rechnung zu stellen, mit Vereinfachung wenig zu tun. Es bleibt also dabei, dass die gemeinsame Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeuger auf die Veräußerung gebrauchter Maschinen und ähnlicher Investitionsgüter keine Anwendung findet. Abzulehnen ist auch die Ansicht, dass § 24 UStG in diesem Punkte günstiger ist als das Gemeinschaftsrecht und deshalb die Regelbesteuerung der Veräußerung gebrauchter Maschinen und ähnlicher Investitionsgegenstände unterbleiben kann.9 Nach der Rechtsprechung des BFH kann § 24 UStG richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass unter den „im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätzen“ nur die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen zu verstehen sind.10 Wenn dies richtig ist, dann muss die richtlinienkonforme Auslegung auch für die Veräußerung gebrauchter Maschinen

__________ 7 Vgl. Lange in Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 24 UStG Rz. 419 – Lfg. 197, Nov. 2006; Leonard in Bunjes/Geist, UStG, 8. Aufl., München 2005, § 24 UStG Rz. 1a; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 24 UStG Rz. 66 – Lfg. 56, Sept. 2005; Schuhmann in Rau/Dürrwächter, UStG, § 24 UStG Anm. 121.1 – Lfg. 124, Oktober 2005, Völkel, Umsatzsteuerliche Behandlung von gemischt genutzten Maschinen, UR 2003, 565. 8 In diesem Sinne aber Leingärtner/Zaisch, Besteuerung der Landwirte, Kap. 57 Rz. 13 – Lfg. 32, Sept. 2006. 9 So noch Schuhmann in Rau/Dürrwächter, UStG, § 24 UStG Anm. 121.1 – Lfg. 124, Oktober 2005; Völkel, Umsatzsteuerliche Behandlung von gemischt genutzten Maschinen, UR 2003, 565 (570). 10 Vgl. BFH, Urt. v. 22.9.2005 – V R 28/03, BFHE 211, 566 = BStBl. II 2006, 280.

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Friedrich Klenk

und ähnlicher Investitionsgüter gelten; § 24 UStG ist dann dahin auszulegen, dass die Durchschnittssatzbesteuerung nicht für die Veräußerung gebrauchter Maschinen und ähnlicher Investitionsgüter gilt; § 24 UStG ist dann nicht günstiger als das Gemeinschaftsrecht. Demnach unterliegt die Veräußerung dieser Investitionsgüter den allgemeinen Vorschriften der Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bzw. des Umsatzsteuergesetzes.

III. Steuerfreiheit oder Steuerpflicht der Veräußerung 1. Landwirtschaftliche Gebäude Veräußert der Pauschallandwirt ein landwirtschaftliches Gebäude, ist die Lieferung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei. Eine Option zur Steuerpflicht ist möglich, da § 24 Abs. 1 Satz 2 UStG nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und für landwirtschaftliche Dienstleistungen gilt. 2. Maschinen und ähnliche bewegliche Investitionsgüter Für die Veräußerung beweglicher Investitionsgüter wie z. B. gebrauchter Maschinen hatte ich die Frage aufgeworfen, ob die Veräußerung des Anlagevermögens nach § 4 Nr. 28 UStG steuerfrei ist.11 Nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 28 UStG ist dies ausgeschlossen, da der Pauschallandwirt das Anlagevermögen nicht für nach § 4 Nr. 8–27 UStG steuerfreie Umsätze verwendet hat und der Vorsteuerabzug auch nicht nach § 15 Abs. 1a Nr. 1 UStG ausgeschlossen war. Die Befreiung erscheint auch sachlich nicht gerechtfertigt, wenn man der Auffassung des EuGH folgt, dass die Pauschalregelung des Art. 25 der 6. EGRichtlinie (Art. 295 ff. MwStSystRL) nicht darauf beruht, dass die Pauschallandwirte grundsätzlich nicht besteuert werden. Schließlich spricht auch die Vorschrift des § 15a Abs. 7 UStG dafür, dass die Veräußerung beweglichen Anlagevermögens nicht steuerfrei ist. Nach dieser Vorschrift ist eine Änderung der Verhältnisse auch beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG und umgekehrt und beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung nach den §§ 23, 23a oder 24 UStG und umgekehrt gegeben. Demnach soll beim Übergang von der Nichterhebung der Steuer nach § 19 Abs. 1 UStG oder der Durchschnittssatzbesteuerung nach den §§ 23, 23a oder 24 UStG zur allgemeinen Besteuerung die Vorsteuer nachträglich zu Gunsten des Unternehmers berichtigt werden. In all diesen Fällen findet § 4 Nr. 28 UStG keine Anwendung.

__________ 11 Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 24 UStG Rz. 57 – Lfg. 55, April 2006.

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Veräußerung von Investitionsgütern durch den Pauschallandwirt

Die Veräußerung beweglicher Investitionsgüter ist deshalb steuerpflichtig; allerdings kommt eine Berichtigung (partielle Nachholung) des Vorsteuerabzugs gem. § 15a Abs. 7 UStG in Betracht.

IV. Zusammenfassung Der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG und der gemeinsamen Pauschalregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Art. 295 MwStSystRL unterliegen nur die Lieferungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse und landwirtschaftliche Dienstleistungen, nicht aber die Veräußerung von sonstigen Investitionsgütern wie Maschinen und Gebäuden. Die Veräußerung eines Gebäudes ist nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei; die Veräußerung von Maschinen und ähnlichen Investitionsgütern ist steuerpflichtig, kann aber gem. § 15a Abs. 7 UStG eine Vorsteuerberichtigung zu Folge haben.

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4. Gesellschaftsbeziehungen in der Umsatzsteuer Ralph Korf und Nina Verena Schneider

Tertium datur – (Sach-)Einlage und Leistungsaustausch Inhaltsübersicht I. Ausgangslage und Befund 1. Eingrenzung des Themas 2. Die Auffassung von Rechtsprechung und Verwaltung 3. Die Meinungen im Schrifttum 4. Zweifel am Vorliegen einer steuerbaren Leistung

II. Überlegungen zur bisherigen Diskussion III. Lösungsvorschlag

I. Ausgangslage und Befund 1. Eingrenzung des Themas Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern bieten seit jeher einen fruchtbaren Nährboden für zahlreiche umsatzsteuerliche Diskussionen, zu denen auch unser Emeriturus Celebris wertvolle Gedanken1 beigetragen hat. Das beginnt bei der Frage, wann eine Gesellschaft für die Umsatzsteuer überhaupt relevant ist; hier sei etwa auf Stille, Außen-, Innen- oder Metagesellschaft hingewiesen. Die Geschäftsführung für die Gesellschaft ist ein weiterer Bereich, in dem sich in letzter Zeit neue Entwicklungen ergeben haben. Schließlich ist die Diskussion über Leistungsaustausch und Entgeltlichkeit im Zusammenhang mit der Aufnahme in die Gesellschaft und mit Gesellschaftereinlagen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs erneut lebhaft geworden. Viele spannende Themen – allerdings würde bereits eine systematische Gliederung der noch nicht abschließend geklärten Fragen den Umfang eines Beitrags zu dieser Festschrift sprengen, von einer vertieften Erörterung ganz zu

__________ 1 Zum Beispiel: Reiß, Die Stille Gesellschaft im Umsatzsteuerrecht, BB 1986, 1407; Reiß, Gesellschafter und Gesellschafterbeitrag im Umsatzsteuerrecht, UR 1988, 298; Reiß, Sacheinlagen, Geschäftseinbringungen, Umwandlungen von Unternehmensträgern und steuerfreie Umsätze von Gesellschaftsanteilen, UR 1996, 357; Reiß, Kein Renditefonds – zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie, UR 2003, 428.

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Ralph Korf und Nina Verena Schneider

schweigen. Deshalb werden sich die nachfolgenden Ausführungen im Wesentlichen auf einen Teilaspekt beschränken, nämlich die Sacheinlage.2 2. Die Auffassung von Rechtsprechung und Verwaltung3 Bis zur KapHag-Entscheidung des EuGH vom 26.6.20034 waren der BFH und die Finanzverwaltung5 der Auffassung, dass bei der Gründung einer Personengesellschaft und auch beim Eintritt in eine solche Gesellschaft eine steuerbare Leistung der Gesellschaft vorliegt.6 Die Leistung der Gesellschaft wurde in der Übertragung von Gesellschaftsanteilen gem. § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG gesehen, das Entgelt in der Bar- oder Sacheinlage.7 Wegweisend ist in diesem Zusammenhang das Urteil des BFH vom 18.12.1975.8 Der BFH entschied, dass eine Publikums-Kommanditgesellschaft durch die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen steuerbare Leistungen an die Gesellschafter erbringt. Diese seien jedoch nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG steuerfrei. Diese Ansicht hat der BFH in seinen nachfolgenden Urteilen9 wiederholt bestätigt. Allerdings sei erwähnt, dass sich die Rechtsauffassung des BFH lange nur auf Publikumsgesellschaften beschränkte und weitgehend auf den Vorgang

__________ 2 Der Konvention halber wird das Begriffspaar „Bareinlage“ und „Sacheinlage“ verwendet, obwohl beide Begriffe höchst unpräzise sind. Eine Bareinlage wird fast nie in bar, also durch Übergabe von Geldmünzen und Banknoten, geleistet, sondern durch Übertragung von „Buchgeld“. Die „Sacheinlage“ bezieht sich nicht nur auf Sachen i. S. d. § 90 BGB, also sinnlich wahrnehmbare und räumlich abgegrenzte Gegenstände, sondern mindestens auch auf (zivilrechtliche) Gegenstände, deren Übertragung umsatzsteuerlich durch sonstige Leistung erfolgt, also beispielsweise Wertpapiere, Gesellschaftsanteile, Rechte, Software etc. Die Begriffe sind durch Bilanz- und Ertragsteuerrecht geprägt und setzen ein einlagefähiges „Wirtschaftsgut“ beziehungsweise einen „Vermögensgegenstand“ voraus. Für das Umsatzsteuerrecht ist diese Abgrenzung nicht relevant. Deshalb spräche nichts dagegen, auch die Erbringung von Dienstleistungen wie Geschäftsführung oder Beratung an die Gesellschaft umsatzsteuerlich als möglichen Inhalt einer „Sacheinlage“ zu bezeichnen, so auch Burgmaier, Sacheinlagen des Gesellschafters, in Nieskens (Hrsg.), Umsatzsteuer-Kongress-Bericht, Köln, 2007, S. 109 ff., 110. 3 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich aus Platzgründen auf die Diskussion im Zusammenhang mit Personengesellschaften. Eine Darstellung der Erwägungen bei Kapitalgesellschaften findet man bei Buttenhauser, Die umsatzsteuerliche Beurteilung von Gesellschaftsakten bei Personen- und Kapitalgesellschaften, Regensburg 2006, S. 141 ff. 4 EuGH, Urt. v. 26.6.2003 – Rs. C-442/01 – KapHag, EuGHE 2003, I-6851; zum Inhalt des Urteils weiter unten. 5 Abschn. 6 Abs. 2 UStR. 6 Das Verfahren in der Sache KapHag Renditefonds, welches zur Vorlage an den EuGH geführt hatte, wurde durch Urteil vom 1.7.2004 abgeschlossen. Der BFH folgt der Auffassung des EuGH und kommt zu dem Ergebnis, dass eine Personengesellschaft bei der Aufnahme eines Gesellschafters gegen Bareinlage an diesen keine steuerbare Leistung erbringt; BFH, Urt. v. 1.7.2004 – V R 32/00, BStBl. II 2004, 1022. 7 Huschens, Umsatzsteuer bei der Aufnahme von Gesellschaftern in Personengesellschaften, INF 2003, 700 (701). 8 BFH, Urt. v. 18.12.1975 – V R 131/73, BStBl. II 1976, 265. 9 BFH, Urt. v. 20.5.1976 – V R 122/73, UR 1976, 187; BFH, Urt. v. 29.1.1988 – X R 7/81, BStBl. II 1988, 506 (506 f.); BFH, Urt. v. 21.11.1991 – V R 99/87, BStBl. II 1992, 637.

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Tertium datur – (Sach-)Einlage und Leistungsaustausch

der Gesellschafteraufnahme gegen Bar- oder Sacheinlage aus Sicht der Gesellschaft gerichtet war. Dahinter stand zum einen der Gedanke, dass die Anleger in erster Linie den steuerlichen Vorteil aus der Verlustzuweisung der Gesellschaft im Auge hatten, wenn sie sich an der Publikums-KG beteiligten. Die Gesellschaft wendete also mit dem Gesellschaftsanteil dem Anleger quasi noch etwas anderes zu, nämlich die Verlustzuweisung. Für die Gesellschaft hatte diese Auffassung natürlich zur Folge, dass die Vorsteuern aus den für die Anwerbung der Anleger bezogenen Vorleistungen nicht abziehbar waren. Zu der Frage, ob die Einlage von Wirtschaftsgütern in eine Nicht-PublikumsPersonengesellschaft aus Sicht des Gesellschafters eine steuerbare Leistung darstellt, hat der BFH erstmals in seiner Entscheidung vom 8.11.199510 Stellung genommen. Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass die Einlage von Wirtschaftsgütern, die bisher dem Einzelunternehmen des Gesellschafters dienten, in eine neu zu gründende Personengesellschaft eine steuerbare Leistung an die Gesellschaft darstellt. Der BFH teilt nicht die Auffassung, dass die Sacheinlage in diesem Zusammenhang eine nichtsteuerbare Leistungsvereinigung darstelle. Das Gericht führt aus, dass sich die umsatzsteuerliche Behandlung von Leistungen der Gesellschafter an die Gesellschaft danach richte, ob diese Leistungen durch die Beteiligung am Gewinn und Verlust der Gesellschaft abgegolten würden, oder ob es Leistungen seien, Leistungen, die gegen ein (Sonder-)Entgelt erbracht würden und somit auf einen Leistungsaustausch gerichtet seien. Nur im zweiten Fall liege eine steuerbare entgeltliche Leistung vor, die auf einer konkreten Leistungsbeziehung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft beruhe. Der BFH betont, dass zwischen der Gesellschafterleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen muss. Der BFH beantwortet die Frage, worin das Entgelt für die Sacheinlage durch den Gesellschafter bestehe, dahingehend, dass die Einlage von Wirtschaftsgütern durch einen Einzelunternehmer in die neu gegründete Personengesellschaft auf die gesamthänderische Beteiligung an dieser Gesellschaft gerichtet sei. Somit leiste der Gesellschafter an die Gesellschaft, um hierdurch seine Gesamthands-Beteiligung zu begründen und diese mit wirtschaftlichem Wert zu versehen.11 Nach Auffassung des BFH handle es sich insoweit um einen tauschähnlichen Umsatz, wenn nicht eine Geschäftsveräußerung im Ganzen anzunehmen sei. Auch in späteren Entscheidungen vom 15.5.199712 und vom 30.9.199913 bejaht der BFH das Vorliegen einer steuerbaren Leistung des (Gründungs-)Gesellschafters an die Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten. An der bisherigen Differenzierung zwischen Publikums- und Nicht-Publikumsgesellschaften hält der BFH jedoch nicht länger fest.

__________ 10 BFH, Urt. v. 8.11.1995 – XI R 63/94, BStBl. II 1996, 114. 11 BFH, Urt. v. 8.11.1995 – XI R 63/94, BStBl. II 1996, 114. Dies entspricht auch der Praxis der Finanzverwaltung; Abschn. 6 Abs. 2 Satz 2 UStR. 12 BFH, Urt. v. 15.5.1997 – V R 67/94, BStBl. II 1997, 705. 13 BFH, Urt. v. 30.9.1999 – V R 9/97, BFH/NV 2000, 607; Vorinstanz FG Nds., Urt. v. 12.1.1995 – V 350/93, EFG 1997, 433 – auszugsweise Wiedergabe.

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Im Urteil vom 30.9.1999 verwies der BFH den Fall an das Finanzgericht (FG) zurück. Dieses hatte entschieden, dass eine Sacheinlage (verschiedener Wirtschaftsgüter einschließlich einer Milchquote und einschließlich von Früchten am Halm) in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten und Übernahme von Verbindlichkeiten nicht im Leistungsaustausch erfolge. Das FG war der Ansicht, die Wirtschaftsgüter seien ohne Gegenleistung und deshalb nicht entgeltlich übertragen worden. Weder enthalte der Gesellschaftsvertrag Angaben, ob und in welchem Umfang der einbringende Gesellschafter Anteile an der GbR erhalten solle, noch ergebe sich die Entgeltlichkeit aus der bilanziellen Behandlung der Sacheinlage bei der Gesellschaft. Da im Zeitpunkt der Einlage kein steuerlicher Buchwert für die eingebrachten Wirtschaftsgüter vorgelegen habe, habe sich die Einlage wertmäßig nicht auf das Kapitalkonto des Gesellschafters auswirken können. Auch sei zwischen der Übernahme der Schulden des Gesellschafters durch die Gesellschaft und der Einlage der Wirtschaftsgüter kein wirtschaftlicher Zusammenhang zu sehen. Unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung weist der BFH den Fall zur erneuten Würdigung an das FG zurück. Der BFH betont entgegen der Ansicht des FG vielmehr das Vorliegen einer steuerbaren Leistung gegen Entgelt, wenn der Gesellschafter Wirtschaftsgüter in eine Personengesellschaft einlegt, um dadurch Gesellschafterrechte an der Gesellschaft zu erlangen. Auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache KapHag Renditefonds vom 26.6.200314 lässt den BFH nicht von seiner bisherigen Rechtsprechung zur steuerlichen Behandlung der Sacheinlage aus Sicht des Gesellschafters abweichen. Der EuGH führt im Urteil KapHag aus, dass der bloße Erwerb und das bloße Halten von Beteiligungen keine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. 6. EGRichtlinie darstellen. Dasselbe müsse auch für die Veräußerung solcher Beteiligungen gelten. Daher stelle die Aufnahme eines neuen Gesellschafters in eine Personengesellschaft gegen Bareinlage keine wirtschaftliche Tätigkeit der Gesellschaft dar. Die Gesellschaft wird also mit der Übertragung der neuen Anteile nicht wirtschaftlich (unternehmerisch) tätig, d. h., sie erbringt keine Leistung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne. Der Umsatzsteuer unterliegen nach herkömmlichen Verständnis aber nur Lieferungen und Leistungen, die im Leistungsaustausch oder – unter gewissen weiteren Voraussetzungen – unentgeltlich erbracht werden. Im Gesetzestext ist das Merkmal des Leistungsaustauschs durch die Worte „gegen Entgelt“ umschrieben. Man kann sich also fragen, ob die Sacheinlage des Gesellschafters dann überhaupt im Leistungsaustausch erfolgt.15 Hierzu stellt der BFH mit Urteil vom 13.11.200316 fest, dass die Ausführungen der KapHag-Entscheidung keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Ein-

__________ 14 EuGH, Urt. v. 26.6.2003 – Rs. C-442/01 – KapHag, EuGHE 2003, I-6851. 15 Statt vieler: Korf, Folgen des KapHag-Urteils des EuGH zur Umsatzsteuer bei Aufnahme von Gesellschaftern gegen Bareinlage, DB 2003, 1705. 16 BFH, Urt. v. 13.11.2003 – V R 79/01, BStBl. II 2004, 375.

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bringung von Wirtschaftsgütern aus Sicht des Gesellschafters haben. Nach Ansicht des BFH betrifft die EuGH-Rechtsprechung nur die Frage des Leistungsaustausches aus Sicht der Gesellschaft. Aus der KapHag-Entscheidung gehe jedoch nicht hervor, dass ein Einzelunternehmer, der Wirtschaftsgüter seines Unternehmens in eine Gesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einbringt, seinerseits keine Leistung erbringe.17 Dem EuGHUrteil sei nicht zu entnehmen, dass auch die Leistung des Gesellschafters nicht steuerbar sein soll. Vielmehr habe der EuGH ausgeführt, dass der bloße Erwerb einer Beteiligung gegen Bareinlage den Gesellschafter nicht zum Steuerpflichtigen werden lässt.18 3. Die Meinungen im Schrifttum Die herrschende Meinung in der Literatur folgt im Ergebnis der Rechtsprechung des BFH und sieht die Sacheinlage des Gesellschafters als steuerbare Leistung gegen Entgelt, sofern der Gesellschafter Unternehmer ist und er den Einbringungsgegenstand seinem Unternehmen zugeordnet hat. Überwiegend wird vertreten, die Einlage erfolge gegen die Übertragung von Gesellschaftsrechten.19 Hierzu wird ausgeführt, dass das Entgelt nicht in der eigentlichen Gewährung der Gesellschaftsrechte zu sehen sei, sondern in der gesamthänderischen Beteiligung an der Gesellschaft, die durch die Gesellschaftsanteile verkörpert werde. Dem stehe nicht entgegen, dass der Gründungsgesellschafter seine Anteile grundsätzlich bereits mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages, also vor seiner Einlageleistung erlangt.20 Dieser Auffassung wird zum Teil entgegen gehalten, dass der Gründungsgesellschafter seine Gesellschaftsrechte gerade bereits durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrages erhalte. Deshalb sei die Einbringung von Wirtschaftsgütern in eine Gesellschaft nicht mehr notwendig, um Gesellschafter zu werden. Vielmehr bestehe die Gegenleistung in der Befreiung des Gesellschafters von seiner gesellschaftsvertraglichen Einlageverpflichtung.21 Ferner wird der Annahme, dass die Gesellschaftsrechte eine Gegenleistung für die Sacheinlage darstellen, entgegen gehalten, dass bei der Gründung einer Personengesellschaft die Gesellschaftsrechte durch den Gesellschafter selbst geschaffen werden und bereits deshalb keine steuerbare Leistung der Gesellschaft vorliegen könne. Weil die Gesellschaft zum Zeitpunkt der Gründung

__________ 17 BFH, Urt. v. 13.11.2003 – V R 79/01, BStBl. II 2004, 375. 18 BFH, Urt. v. 13.11.2003 – V R 79/01, BStBl. II 2004, 375. 19 Statt vieler z. B. Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG Rz. 387. 20 Vgl. die Nachweise bei Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 110 – Fn. 359. 21 Das Argument, die Einlage sei nicht mehr notwendig, um Gesellschafter zu werden, findet sich auch bei Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 112.

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noch nicht existent sei, könne sie folglich keine steuerbare Leistung an den Gesellschafter erbringen.22 Weiter wird in der Literatur die Ansicht vertreten, die Gegenleistung für die Einbringung von Wirtschaftsgütern liege in der durch die Sacheinlage bewirkten Wertsteigerung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung.23 Das vordergründige Ziel der Sacheinlage im Rahmen der Gründung einer Gesellschaft sei die Mehrung des Gesellschaftsvermögens.24 Deshalb wird auch die Auffassung abgelehnt, der Gesellschafter erbringe seine Einlage, um von seiner Einlageschuld befreit zu werden. Dieses Argument sei zu kurzsichtig, da der Gesellschafter für gewöhnlich weiter blicke und nach einer Wertsteigerung seiner Anteile an der Gesellschaft strebe.25 Des Weiteren sei das Entgelt nicht in der Gewährung der Gesellschaftsrechte zu sehen, da es nicht auf das Teilhaberecht per se ankomme, sondern vordergründig auf den dem Teilhaberecht innewohnenden Wert. Das Gesellschaftsrecht sei nur ein „Werkzeug“, um den Wert des Teilhaberechts im Rechtsverkehr greifbar zu machen, der sich aus der Beteiligung am Gewinn und Verlust, den Stimmrechten und dem Anteil an einem späteren Liquidationserlös zusammensetze. Weiter wird argumentiert, dass die Entgeltlichkeit der Gewährung der Gesellschaftsanteile deshalb abzulehnen sei, weil der Gesellschafter die Anteile bereits mit Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrages erhalte. Der Gesellschafter leiste einzig mit der Absicht, das Beteiligungsrecht mit Wert zu versehen.26 4. Zweifel am Vorliegen einer steuerbaren Leistung Weil nach Ansicht des EuGH die Vergabe eines Gesellschaftsanteils keine steuerbare Tätigkeit ist, kommt eine Minorität27 zu dem Ergebnis, dass der Sacheinlage keine solche Leistung gegenüberstehen kann. Somit liegt mangels steuerbarer (Gegen-)Leistung der Gesellschaft kein Leistungsaustausch im Sinne eines tauschähnlichen Vorganges vor. Nach anderer Auffassung28 verbietet es sich jedoch, aus dem Urteil in Sachen KapHag solche Rückschlüsse ableiten zu wollen. Der EuGH habe lediglich

__________ 22 Seer, DStR 1988, 367; Dobratz, Leistung und Entgelt im Europäischen Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, S. 202. 23 Reiß, BB 1986, 1407 (1410); Reiß, UR 1988, 298 (301 f.): „über das Mitgliedschaftsrecht vermittelte Teilhabe am Vermögen der Gesellschaft“; Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 107 ff. 24 Vgl. die Nachweise bei Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 108 – Fn. 352. 25 Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 110 f. – m. w. N. Fn. 361. 26 Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 112. 27 Z. B. Huschens, Umsatzsteuer bei der Aufnahme von Gesellschaftern in Personengesellschaften, INF 2003, 703; Husmann in Rau/Dürrwächter, UStG, § 1 UStG Rz. 250; weitere Nachweise dieser Auffassung (keine Leistung mangels Gegenleistung) bei Buttenhauser, Beurteilung von Gesellschaftsakten, S. 100. 28 Reiß, Kein Renditefonds, UR 2003, 428 (436); Nieskens, Aktuelles zur EuGH-Rechtsprechung, UR 2004, (450); Alvermann, Unternehmensgründung und Umstrukturierung, UStB 2005, 28 (29).

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festgestellt, dass die Aufnahme eines Gesellschafters gegen Bareinlage nicht steuerbar sei – nichts darüber hinaus. Deshalb sei die Sacheinlage unverändert als tauschähnlicher Umsatz zu sehen. Welche Bedeutung käme sonst Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie (Art. 19 MwStSystRL) zu, wenn nicht die Aussage, dass die Einlage eines Gesamt- oder Teilvermögens durch den Gesellschafter eine entgeltliche Leistung nach Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL) darstelle?29 Dieser Regelung sei vielmehr zu entnehmen, dass im Gemeinsamen Mehrwertsteuersystem grundsätzlich von der Steuerbarkeit von Sacheinlagen auszugehen ist.30 Gegen diese Meinung, die einen entgeltlichen Leistungsaustausch ablehnt, wird auch vorgetragen, eine Gegenleistung im Sinne von Entgelt durch die Gesellschaft könne auch dann vorliegen, wenn die Aktivität der Gesellschaft nicht als umsatzsteuerliche Leistung zu qualifizieren sei.31 Diesen Ansatz hat Burgmaier jüngst argumentativ ausgebaut und auf konzeptionelle Unterschiede zwischen Umsatzsteuergesetz und EG-Recht hingewiesen. Ausgangspunkt der Diskussionen sei § 3 Abs. 12 UStG (tauschähnlicher Umsatz), der aber in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie als Tatbestand unbekannt sei und deswegen bei richtlinienkonformer Auslegung des Gesetzes nicht berücksichtigt werden dürfe. Voraussetzung für einen tauschähnlichen Umsatz sei nach der deutschen Vorschrift, dass die Gegenleistung (für eine Lieferung oder sonstige Leistung) in einer Lieferung oder sonstigen Leistung bestehe. Danach läge ein tauschähnlicher Umsatz nicht vor, wenn die Gegenleistung (Gewährung von Gesellschaftsrechten) nicht als sonstige Leistung zu beurteilen wäre. Ohne die Gegenleistung als Dienstleistung läge bei der Sacheinlage kein Umsatz vor. Das hält Burgmaier unter Berufung auf den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c sowie Art. 73 MwStSystRL für unzutreffend. „Entgelt“ und „Gegenleistung“ seien synonyme Begriffe. Das ergebe sich aus der Tatsache, dass in der englischen Sprachfassung in beiden genannten Artikeln das Wort „consideration“ verwendet werde. Auch der EuGH verwende neben dem Begriff „Gegenleistung“ auch den des „Gegenwerts“, dies sei Indiz dafür, dass die Gegenleistung keine Leistung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sein müsse.32

II. Überlegungen zur bisherigen Diskussion Jede der vorgestellten Meinungen mag für sich oder mit anderen zusammen richtig sein, überzeugend begründet ist – unter Berücksichtigung der Entwicklungen in den letzten Jahren, insbesondere der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs – keine mehr. Allerdings ist die Ausgangslage auch

__________ 29 Reiß, Kein Renditefonds, UR 2003, 428 (450). 30 Dobratz, Leistung und Entgelt im Europäischen Umsatzsteuerrecht, Köln 2005 S. 205. 31 Ulrich/Teiche, Die Aufnahme von Gesellschaften in eine (Publikums-)Personengesellschaft und ihre umsatzsteuerlichen Konsequenzen, DStR 2005, 92 (97). 32 Burgmaier, Sacheinlagen des Gesellschafters, in Nieskens (Hrsg.), UmsatzsteuerKongress-Bericht, Köln 2007, S. 109, 114 f.

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kompliziert, da man zur Erörterung einer umsatzsteuerlichen Frage vielfach auf Begriffe zurückgreifen muss, die im Umsatzsteuerrecht nicht definiert sind und aus anderen Rechtsgebieten entlehnt werden müssen. Die früheren Diskussionsbeiträge waren oft vom deutschen Zivilrecht geprägt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sind die Begriffe der Mehrwertsteuer-Richtlinien autonom und nach Sinne und Zweck der Richtlinienbestimmung auszulegen. Anders als bei den Doppelbesteuerungsabkommen gibt es keine Regel, dass bei fehlender Definition im Abkommen auf innerstaatliche Terminologie zurückgegriffen werden darf, sofern die Richtlinie dies nicht ausdrücklich gestattet. Es ist (wohl) unstreitig, dass die Steuerbarkeit einer Ausgangsleistung nicht davon abhängt, dass die hierfür empfangene Gegenleistung selbst auch einen steuerbaren Umsatz darstellt. Die bloße Entgeltsentrichtung, insbesondere die Geldzahlung oder Überweisung, ist keine Leistung im wirtschaftlichen Sinne.33 Sie ist deshalb auch kein steuerbarer Umsatz, sie fällt nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer, wie der EuGH formuliert. Hierfür ist unerheblich, ob der Zahlende Unternehmer ist (und als solcher handelt) oder nicht. Sie ist aber eine „Gegenleistung“ für die Beantwortung der Frage, ob der Leistende im Leistungsaustausch und damit gegen Entgelt gehandelt hat. Eine Gegenleistung kann auch eine Leistung im wirtschaftlichen Sinne sein, die aber deswegen nicht umsatzsteuerbar ist, weil sie nicht von einem als solchen handelnden Unternehmer erbracht wird. Der Autokäufer, der seinen Gebrauchtwagen in Zahlung gibt, liefert das Fahrzeug an den Händler und erbringt somit eine Gegenleistung für die Lieferung des Neuwagens an ihn. Der Heranwachsende, der gelegentlich – aber nicht nachhaltig – im Supermarkt beim Einräumen der Kartons hilft, erbringt eine Dienstleistung an den Ladeninhaber und damit eine Gegenleistung für die Überlassung von Süß- oder Tabakwaren an ihn durch den Inhaber. Es muss aber eine Gegenleistung vorliegen, damit eine Ausgangsleistung entgeltlich erbracht wird. Leistung ist eine vom natürlichen Handlungswillen getragene Verschaffung eines Vorteils auf der Grundlage eines Rechtsverhältnisses, das Inhalt von Leistung und Gegenleistung definiert, an einen identifizierbaren Leistungsempfänger.34 Die bloße Wertveränderung von Gesellschaftsanteilen als Reflex von Handlungen entweder der Gesellschaft oder des Gesellschafters ist daher keine Ge-

__________ 33 Abschn. 1 Abs. 3 Satz 3 UStR, ebenso EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – Rs. C-108/99 – Cantor Fitzgerald International, EuGHE 2001, I-7257 = UR 2001, 494 – Rz. 23; EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – Rs. C-409/89 – Mirror Group plc, EuGHE 2001, I-7175 = UR 2001, 490 – Rz. 26, 27. 34 Vgl. dazu ausführlich Dobratz, Leistung und Entgelt im Europäischen Umsatzsteuerrecht, Köln 2005, S. 34–69. Er hält es (S. 52) aber für möglich, dass eine „nicht willentliche Leistung“ unter Umständen steuerbar sein könnte.

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genleistung, weil es ihr an dem erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung fehlt.35 Sollte Burgmaiers Berufung auf die englische Fassung der Art. 2 und 73 MwStSystRL so zu verstehen sein, dass er die – behauptete – Wertsteigerung der Anteile als Gegenleistung der Gesellschaft ausreichen lassen will, so kann man dem folgendes entgegenhalten: Die Berufung auf den Wortlaut von EuGHEntscheidungen kann gefährlich sein, weil vielfach bei der Übersetzung aus der Verfahrenssprache (und der Arbeitssprache Französisch) Fehler und missverständliche Formulierungen entstehen, die das Gericht selbst so nicht gemacht hat. So wird aus dem englischen „supply“ gerne eine „Lieferung“, auch wenn im englischen Text eindeutig keine Lieferung gemeint war. Von den gängigen Sprachen enthält nur die deutsche Textfassung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie die Worte „Wert der Gegenleistung“. In der spanischen36, portugiesischen37, niederländischen38 und wohl auch der französischen39 Fassung ist ausdrücklich die „Gegenleistung“ erwähnt; in der englischen40 und italienischen41 Version ist dann von „consideration“ oder „corrispettivo“ die Rede. Die Gegenleistung ist direkt angesprochen und nicht als Bezugsgröße eines Werts. Auch die von Burgmaier konstatierte Verwendung des gleichen Begriffs „consideration“ in Art. 2 und Art. 73 MwStSystRL in der englischen Fassung42 kommt in den anderen gängigen Sprachfassungen nicht vor, dort heißt es in Art. 2 MwStSystRL bei der Voraussetzung der Entgeltlichkeit „a titolo oneroso“, „à titre onéreux“, „a título oneroso“ und „onder bezwarende titel“. Es ist daher fraglich, ob man aus der englischen Sprachfassung schließen kann, „Entgelt“ und „Gegenleistung“ seien synonym.

__________ 35 Das hat der EuGH bereits für den Fall entschieden, dass Genossenschaftsanteile dadurch an Wert verloren, dass die Genossenschaft für die Einlagerung von Kartoffeln durch ihre Mitglieder in einzelnen Jahren kein Lagergeld erhoben hatte. Die Finanzverwaltung war davon ausgegangen, dass die Wertminderung der Anteilsscheine die Gegenleistung für die Einlagerung darstellte, was der EuGH verneinte, vgl. EuGH, Urt. v. 5.2.1981 – Rs. 154/80 – Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, EuGHE 1981, 455 – Rz. 12. 36 „la base imponible estará constituida por la totalidad de la contraprestación que quien realice la entrega o preste el servicio obtenga o vaya a obtener, con cargo a estas operaciones“. 37 „tudo o que constitui a contraprestação que o fornecedor ou o prestador tenha recebido ou deva receber em relação a essas operações, do adquirente, do destinatário ou de um terceiro“. 38 „omvat de maatstaf van heffing alles wat de leverancier of dienstverrichter voor deze handelingen als tegenprestatie verkrijgt of moet verkrijgen“. 39 „la base d’imposition comprend tout ce qui constitue la contrepartie obtenue ou à obtenir par le fournisseur ou le prestataire pour ces opérations“. 40 „the taxable amount shall include everything which constitutes consideration obtained or to be obtained by the supplier, in return for the supply“. 41 „la base imponibile comprende tutto ciò che costituisce il corrispettivo versato o da versare al fornitore o al prestatore per tali operazioni“. 42 „supply of goods for consideration“ (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL); „everything which constitutes consideration“ (Art. 73 MwStSystRL).

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Ebenso wenig überzeugt das Argument, aus der Existenz von Art. 19 MwStSystRL (früher Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie) müsse oder könne geschlossen werden, dass bei Sacheinlagen von Gesamt- oder Teilvermögen auf Seiten des einbringenden Gesellschafters „an sich“ entgeltliche Leistungen vorlägen, die in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fielen. Art. 19 MwStSystRL lautet in seinem Unterabsatz 1: „Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.“

Hier werden drei (!) Arten erwähnt, wie das Gesamt- oder Teilvermögen übertragen wird, nämlich entgeltlich, unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft. Diese Nebenordnung deutet vielmehr an, dass nach dem Verständnis der Richtlinien-Verfasser die Einbringung in eine Gesellschaft weder entgeltlich noch unentgeltlich erfolgt, sondern in anderer Art und Weise. Diese Struktur dreier gleichwertiger Leistungsarten findet sich auch in allen anderen gängigen Sprachfassungen, so dass man hier nicht von einer deutschen Sonderübersetzung ausgehen kann.43 Eine Person, die einer Gesellschaft die Verfügungsmacht an einem Gegenstand im umsatzsteuerlichen Sinne verschafft, liefert diesen Gegenstand. Hierfür ist zunächst unerheblich, ob die Person an der Gesellschaft beteiligt ist, beteiligt werden will oder nichts mit dem derzeitigen oder künftigen Gesellschafterbestand zu tun hat. Diese Lieferung kann außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer erfolgen, zum Beispiel weil die liefernde Person kein Unternehmer ist oder jedenfalls bei dieser Lieferung nicht „als Unternehmer“ han-

__________ 43 Englisch: „In the event of a transfer, whether for consideration or not or as a contribution to a company, of a totality of assets or part thereof, Member States may consider that no supply of goods has taken place and that the person to whom the goods are transferred is to be treated as the successor to the transferor.“; französisch: „Les États membres peuvent considérer que, à l’occasion de la transmission, à titre onéreux ou à titre gratuit ou sous forme d’apport à une société, d’une universalité totale ou partielle de biens, aucune livraison de biens n’est intervenue et que le bénéficiaire continue la personne du cédant.“; Spanisch: „Los Estados miembros quedan facultados para considerar que la transmisión, a título oneroso o gratuito o bajo la forma de aportación a una sociedad, de una universalidad total o parcial de bienes no supone la realización de una entrega de bienes y que el beneficiario continúa la personalidad del cedente.“; portugiesisch: „Os Estados-Membros podem considerar que a transmissão, a título oneroso ou gratuito ou sob a forma de entrada numa sociedade, de uma universalidade de bens ou de parte dela não implica uma entrega de bens e que o beneficiário sucede ao transmitente“; italienisch: „In caso di trasferimento a titolo oneroso o gratuito o sotto forma di conferimento a una società di una universalità totale o parziale di beni, gli Stati membri possono considerare che non è avvenuta alcuna cessione di beni e che il beneficiario succede al cedente“; niederländisch: „De lidstaten kunnen, in geval van overgang van het geheel of een gedeelte van een algemeenheid van goederen onder bezwarende titel, om niet of in de vorm van een inbreng in een vennootschap, zich op het standpunt stellen dat geen levering van goederen heeft plaatsgevonden en dat degene op wie de goederen overgaan, in de plaats treedt van de overdrager.“

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delt. Sie kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen – und zwar mit unterschiedlichen Rechtsfolgen in Abhängigkeit von der Frage, ob die leistende Person als Unternehmer gehandelt hat. Die Verschaffung der Verfügungsmacht bleibt aber in allen möglichen Konstellationen eine Lieferung. Art. 19 MwStSystRL regelt dazu einen Ausnahmetatbestand: Wenn ein Gesamt- oder Teilvermögen übertragen wird, können die Mitgliedstaaten bereits das Vorliegen einer Lieferung verneinen. Es kommt dann nicht mehr darauf an, ob diese Übertragung in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt oder nicht. Für diese Auslegung spricht Folgendes: Im deutschen Text ist vom „Rechtsnachfolger“ die Rede, in der italienischen, englischen und portugiesischen Fassung von „nachfolgen“. Im Niederländischen heißt es „an die Stelle treten“, und im spanischen wie im französischen Text wird den Mitgliedstaaten eingeräumt, den Begünstigen der Übertragung so anzusehen, als ob er die Person des Übertragenden fortsetze („continúa la personalidad“, „continue la personne“). Im Ergebnis können die Mitgliedstaaten die Übertragung auf jemand anderes als nicht erfolgt behandeln. Das heißt, es liegt keine Lieferung vor, und es stellt sich nicht die Frage, ob sie steuerbar wäre oder nicht. In seinem Urteil Abbey National44 hatte der EuGH in Randziffer 30 bereits ausgeführt: „Gem. Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Wenn ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, ist die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens folglich nicht als eine Lieferung von Gegenständen im Sinne der 6. EG-Richtlinie anzusehen. Nach Art. 2 der 6. EG-Richtlinie unterliegt eine solche Übertragung damit nicht der Mehrwertsteuer und ist deshalb kein besteuerter Umsatz i. S. v. Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie.“

Im späteren Urteil Zita Modes S.à.r.l.45 verweist der EuGH auf diese Entscheidung und arbeitet den Regelungsinhalt des heutigen Art. 19 MwStSystRL heraus: „Mit seinen zusammen zu prüfenden ersten beiden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 8 der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach Art. 5 Abs. 8 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie Gebrauch gemacht hat, die Übertragung einer Vermögensmasse für Mehrwertsteuerzwecke nicht als Lieferung von Gegenständen zu behandeln, dieser Grundsatz der Nicht-Lieferung für jede Übertragung einer Vermögensmasse oder nur dann gilt, wenn der Begünstigte eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausübt wie der Übertragende.“ (Rz. 20) „Gem. Art. 5 Abs. 8 Satz 1 der 6. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens so behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Hat ein Mitgliedstaat von dieser Befugnis Ge-

__________ 44 EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98 – Abbey National, EuGHE 2001, I-1361. 45 EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes, EuGHE 2003, I-14393.

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Ralph Korf und Nina Verena Schneider brauch gemacht, gilt die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens folglich nicht als eine Lieferung von Gegenständen für die Zwecke der 6. EG-Richtlinie. Nach Art. 2 der 6. EG-Richtlinie unterliegt eine solche Übertragung damit nicht der Mehrwertsteuer (siehe Urteil Abbey National, Rz. 30).“ (Rz. 29)

Art. 19 MwStSystRL enthält also einen „Grundsatz der Nicht-Lieferung“ („No supply rule“, „regola della non avvenuta cessione“, „règle de la non-livraison“, „regla de la no entrega“). Das ist etwas anderes als eine Lieferung, die als solche zwar existiert, aber nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Aus Art. 19 MwStSystRL lässt sich daher wohl nicht der Schluss ziehen, dass die Lieferung eines Gegenstandes durch einen Gesellschafter an eine Gesellschaft „an sich“ steuerbar und entgeltlich erfolgt. Die nebeneinander gestellte Erwähnung der drei Begehungsformen „entgeltlich“, „unentgeltlich“ oder „durch Einbringung in eine Gesellschaft“ spricht vielmehr dafür, dass die Einbringung in eine Gesellschaft „an sich“ weder entgeltlich noch unentgeltlich erfolgt. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Übertragung von Gesellschaftsanteilen durch die Gesellschaft in bestimmten Konstellationen eine sonstige Leistung im Sinne des Umsatzsteuerrechts darstellt, mag sie in den Anwendungsbereich fallen oder nicht. Bei einer Kapitalerhöhung ist das aber nicht der Fall. Die Aussage „Da die Gesellschaft mit der Übertragung der neuen Anteile nicht wirtschaftlich (unternehmerisch) tätig ist, erbringt sie dadurch keine Leistung, die Hingabe des Gegenstands erfolgt also nicht im Leistungsaustausch“46 wird im Urteil Kretztechnik47 bestätigt. Der Gerichtshof führt wörtlich aus: „Aus der Sicht des Anteilseigners stellt die Zahlung der zur Kapitalerhöhung erforderlichen Beträge keine Gegenleistung dar, sondern eine Investition oder Kapitalanlage.“ (Rz. 26)

Hierfür ist unerheblich, ob es sich um eine börsennotierte Gesellschaft handelt oder nicht (Rz. 21). Die Auffassung des BFH48, die EuGH-Entscheidung beantworte nur die Frage des Leistungsaustausches aus Sicht der Gesellschaft, ist durch diese spätere EuGH-Entscheidung überholt, denn der Gerichtshof äußert sich explizit zur Sicht des Anteilseigners. In Cantor Fitzgerald49 hatte der EuGH festgestellt: „Der Mehrwertsteuer unterworfen sind nämlich die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, nicht aber die als Gegenleistung erbrachten Zahlungen“ (Rz. 17); die Zahlung des Anteilseigners ist nicht einmal eine Gegenleistung, sondern eine Investition. Bei einer Investition oder Kapitalanlage mag der Anteilseigner zwar eine Rendite erwarten oder erhoffen, aber keine Leistung der Gesellschaft, in die investiert wird. Das unterscheidet die reine Investition auch von

__________ 46 Korf, Folgen des KapHag-Urteils des EuGH zur Umsatzsteuer bei Aufnahme von Gesellschaftern gegen Bareinlage, DB 2003, 1705 (1708). 47 EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik AG, EuGHE 2005, I-4357. 48 BFH, Urt. v. 13.11.2003 – V R 79/01, BStBl. II 2004, 375. 49 EuGH, Urt. v. 9.10.2001 – Rs. C-108/99 – Cantor Fitzgerald International, EuGHE 2001, I-7257 = UR 2001, 494.

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Tertium datur – (Sach-)Einlage und Leistungsaustausch

der Vermögensverwaltung, bei der der „Investor“ Auftraggeber und Empfänger der Dienstleistung Vermögensanlage ist. Diese wird aber vom Verwalter erbracht und nicht vom Investitionsobjekt. Wenn aber aus der Sicht des Anteilseigners eine Zahlung nicht als Gegenleistung erfolgt, also in Erwartung und für eine (Haupt-)Leistung der Gesellschaft, dann spielt es auch keine Rolle, ob der Anteilseigner „zur Kapitalerhöhung erforderliche Beträge“ an die Gesellschaft zahlt, ihr die Verfügungsmacht an einem Gegenstand verschafft oder eine sonstige Leistung an sie erbringt (etwa Abtretung von Ansprüchen, Übertragung von Rechten). Die Bareinlage und die Sacheinlage sind daher aus der Sicht des Gesellschafters gleich zu behandeln – sie werden nicht „als Gegenleistung“ für eine Leistung der Gesellschaft geleistet. Deshalb ist es aus der Sicht des Gesellschafters auch gleichgültig, ob seitens der Gesellschaft eine Leistung an ihn erbracht wird oder nicht, und – falls ja – ob diese Leistung in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt oder nicht. Soweit ersichtlich, bestreitet niemand, dass die umsatzsteuerliche Behandlung von Einlagen in Gesellschaften für Personen- und Kapitalgesellschaften gleich sein muss. Das wäre auch schwer zu bestreiten, denn die Umsatzsteuer ist rechtsformneutral. Sie muss es auch sein, denn eine einheitliche50 Anwendung des harmonisierten Rechts kann nicht auf mehr als 27 verschiedene Zivil- und Gesellschaftsrechtsordnungen Rücksicht nehmen. Damit rücken aber die erwähnten Schwierigkeiten in den Fokus, die darauf beruhen, dass die Diskussion über Einlagen von Gesellschaftern mit dem Vokabular des Zivil- und Gesellschaftsrechts und vielleicht des Bilanz- und Ertragsteuerrechts geführt wird. Nach deutschem Recht gibt es bei Kapitalgesellschaften bezifferte Gesellschaftsanteile. Sie entstehen durch Eintragung im Handelsregister, werden zunächst übernommen und können danach übertragen werden. Es lässt sich also feststellen, ob ein Gesellschafter nach einer bestimmten Transaktion mehr Gesellschaftsanteile hat oder nicht. Wendet der Gesellschafter der Gesellschaft einen Gegenstand zu oder erbringt er eine Dienstleistung und hat danach nicht mehr Gesellschaftsanteile als vorher, so liegt jedenfalls keine „Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen“ vor. Bei Personenge-

__________ 50 EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes S.à.r.l., EuGHE 2003, I-14393 = UR 2004, 19 – Rz. 34: „Nach ständiger Rechtsprechung verlangen jedoch die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz, dass Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft eine autonome und einheitliche Auslegung finden müssen, die unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist (siehe u. a. EuGH, Urt. v. 18.1.1984 – Rs. 327/82 – Ekro, EuGHE 1984, 107 – Rz. 11; EuGH, Urt. v. 19.9.2000 – Rs. C-287/98 – Linster, EuGHE 2000, I-6917 – Rz. 43; EuGH, Urt. v. 9.11.2000 – Rs. C-357/98 – Yiadom, EuGHE 2000, I-9265 – Rz. 26; EuGH, Urt. v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 – Adolf Truley, EuGHE 2003, I-1931 – Rz. 35).“

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Ralph Korf und Nina Verena Schneider

sellschaften ist das keineswegs so einfach. An Gesamthands-Gemeinschaften wie der BGB-Gesellschaft, der OHG oder der KG gibt es zivilrechtlich keine übertragbaren Gesellschaftsanteile (§§ 719 Abs. 1 BGB; 105 Abs. 3; 161 Abs. 2 HGB). Es gibt den Eintritt und den Austritt von Gesellschaftern. Ertragsteuerlich hängt es davon ab, auf welchem „Kapitalkonto“ eines Gesellschafters die Übertragung eines Gegenstands gebucht wird, ob dies als „Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen“ gewertet wird oder nicht. Auch die Begriffe „Einlage“ und „Einbringung“ werden nicht einheitlich verwendet. Für das Umsatzsteuerrecht sind diese Differenzierungen nicht hilfreich. Hier kommt es lediglich darauf an, ob der Gesellschafter (auch der künftige Gesellschafter) eine Investition tätigt oder in Erwartung einer Gegenleistung der Gesellschaft handelt. Bei einer Investitionshandlung ist gleichgültig, ob diese in der Zahlung von Geldmitteln, in der Verschaffung der Verfügungsmacht an einem Gegenstand oder in einer sonstigen Leistung (Übertragung eines Rechts, Befreiung von Verbindlichkeiten) besteht. Die Leistung des Gesellschafters erfolgt aber dann auch nicht zwingend unentgeltlich, wie es manche Autoren51 befürchten. Wenn man aus Art. 19 MwStSystRL die Einlage als „die dritte Art“ neben entgeltlich und unentgeltlich herausliest, wäre das mögliche Problem gelöst. Auf der Ebene des Gesellschafters fällt auch dann keine Umsatzsteuer an, wenn er die Leistung als Unternehmer erbringt, und bei der Gesellschaft stellt sich die Frage des Vorsteuerabzugs nicht. Die Tatsache, dass in Art. 19 MwStSystRL nur die Lieferung von Gegenständen ausdrücklich genannt ist, mag vielleicht dagegen sprechen, bei der Übertragung von Gesamt- oder Teilvermögen auch sonstige Leistungen als NichtUmsatz zu behandeln, wie dies im Umsatzsteuergesetz wohl der Fall ist. Sie spricht aber nicht dagegen, dass auch eine sonstige Leistung entgeltlich, unentgeltlich oder „als Einlage“ erbracht wird. Man kann die Worte „als Einlage“ so verstehen, dass damit „als Investition oder Kapitalanlage“ gemeint ist.

III. Lösungsvorschlag Auf dieser Grundlage lassen sich viele Ungereimtheiten der heutigen Diskussion beseitigen und die Entscheidungen des EuGH in ein logisches System bringen: Eine Person, die einer Gesellschaft eine Lieferung oder sonstige Leistung „als Investor“ erbringt, handelt weder entgeltlich noch unentgeltlich. Hierfür ist unerheblich, ob die Person bereits an der Gesellschaft beteiligt ist oder sich erstmals beteiligen will. Ebenso unbeachtlich sind die Rechtsform des Leistungsempfängers und die Frage, ob die Gesellschaft bereits vor der Investitionshandlung besteht oder erst mit ihr begründet wird. Deshalb müssten die-

__________ 51 Heinrichshofen, Steine statt Brot – Die Folgen der „KapHag Renditfonds-Entscheidung“ des EuGH, UStB 2003, 316 (319); Jorde/Grünwald, Risiko Umsatzsteuer bei Umstrukturierungen, BB 2004, 743 (744).

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Tertium datur – (Sach-)Einlage und Leistungsaustausch

se Grundsätze auch auf Investitionshandlungen in Einzelunternehmen übertragbar sein, zum Beispiel durch Begründung einer stillen Gesellschaft. Liegt die Investitionshandlung in einer Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, so können die Mitgliedstaaten, die diese Möglichkeit gewählt haben, Lieferungen als nicht erfolgt behandeln (sonstige Leistungen wohl nicht) und den Empfänger als Rechtsnachfolger des Investors ansehen. Das Investitionsobjekt (Gesellschaft oder Einzelunternehmen) ist mit der Annahme der Investition und der damit gegebenenfalls verbundenen Aufnahme als Gesellschafter oder durch Ausgabe von Gesellschaftsanteilen nicht wirtschaftlich tätig im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 2 MwStSystRL und seiner Vorgängernormen. Mit anderen Worten: es liegt keine steuerbare Tätigkeit vor. Die eigentliche Investitionshandlung löst weder beim Investor Umsatzsteuer aus noch führt sie beim Investitionsobjekt zu Vorsteuern. Sowohl der Investor als auch das Investitionsobjekt können Eingangsleistungen beziehen, die mit der Investitionshandlung zusammen hängen. Die Vorsteuer aus diesen Eingangsleistungen ist weder beim Investor noch beim Investitionsobjekt steuerbaren Umsätzen direkt zuzuordnen. Die Frage, ob die Vorsteuer abziehbar ist, beantwortet sich daher nach den vom EuGH erarbeiteten Grundsätzen: Wenn die Investitionshandlung bei demjenigen Steuerpflichtigen, der die Eingangsleistung bezogen hat, direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammenhängt, ist der Vorsteuerabzug nach Maßgabe der allgemeinen steuerbaren Tätigkeit gegeben, also unter Umständen nur anteilig unter Berücksichtigung eines Pro-rata-Satzes, wenn auch abzugsschädlich steuerfreie Umsätze erbracht werden. Es mag sein, dass dieses Modell an der einen oder anderen Stelle noch des Feinschliffs bedarf, um aus jeder Betrachterperspektive zu glänzen. Derzeit sind aber keine Richtlinienvorschriften oder Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs ersichtlich, die gegen diese Lösung sprächen. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten52 gilt nicht. Die Tatsache, dass Wolfram Reiß im Jahr 1968 als Assistent an der Universität Bonn seine akademische Laufbahn begann, sollte natürlich niemanden verleiten, wieder zu solch markanten Slogans wie „Unter den Talaren …“ zurückzufallen. Aber – ein bisschen frischer Wind schadet der Diskussion um Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nicht.

__________ 52 http://de.wikipedia.org/wiki/Satz_vom_ausgeschlossenen_Dritten.

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Christoph Wäger

Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding beim Beteiligungserwerb Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Vorsteuerabzug im System des Mehrwertsteuerrechts 1. Funktion des Vorsteuerabzugs im Mehrwertsteuersystem 2. Vorsteuerabzug als Recht des Unternehmers 3. Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs a) Erfordernis des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs b) Einzelfälle c) Verhältnis der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zum nationalen Recht

4. Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug III. Besteuerung der Holding 1. Unternehmereigenschaft 2. Vollumfängliche Unternehmerstellung der Holding? 3. Vorsteuerabzug der Holding a) Ausgangslage b) EuGH-Urteil Cibo Participations c) Grenzen des Vorsteuerabzugs? 4. Besteuerung bei der Veräußerung von Beteiligungen IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Holdinggesellschaft zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, stellt sich bereits seit Einführung des Netto-Allphasenbesteuerungssystems mit Vorsteuerabzug durch das Umsatzsteuergesetz 1967. Zwar erbringt eine Holdinggesellschaft mit dem bloßen Halten eigener Beteiligungen keine entgeltlichen Leistungen. Für den Vorsteuerabzug derartiger Gesellschaften spricht aber auf den ersten Blick, dass es für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG nur auf eine Verwendung bezogener Leistungen durch Unternehmer für ihr Unternehmen ankommt. Fasst man die Begriffe „Unternehmer“ und „für das Unternehmen“ als Gegensatz zu dem Begriffspaar „Endverbraucher“ und „privater Konsum“ auf, ist man geneigt, einer ihre eigenen Beteiligungen verwaltenden Holdinggesellschaft den Vorsteuerabzug zuzubilligen, da die Beteiligungsverwaltung geschäftliche Bezüge aufweist, die eine Einordnung als Privatkonsum nicht zwingend erscheinen lässt. Die Annahme eines auch Holdinggesellschaften uneingeschränkt zustehenden Vorsteuerabzugs würde dann auf einer umsatzsteuerlichen Dreiteilung in die Sphären der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsatztätigkeit, der nichtsteuerbaren, aufgrund ihres Geschäftsbezugs gleichwohl unternehmerischen Holdingtätigkeit und des auf der Endverbraucherstufe erfolgenden Privatkonsums beruhen. Dies könnte zumindest dann gelten, wenn Holdinggesellschaften neben dem bloßen Halten ihrer Beteiligungen gegenüber 229

Christoph Wäger

ihren Tochtergesellschaften auch entgeltliche Dienstleistungen erbringen. Holdinggesellschaften wären dann insbesondere aus den beim Erwerb von Beteiligungen entstandenen Kosten zum Vorsteuerabzug berechtigt. Ob eine derartige Sichtweise mit dem Gemeinschaftsrecht und dabei mit den Bestimmungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vereinbar ist, soll im Folgenden untersucht werden.

II. Vorsteuerabzug im System des Mehrwertsteuerrechts 1. Funktion des Vorsteuerabzugs im Mehrwertsteuersystem Nach Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL beruht das Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktionsund Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist. Dabei wird die Mehrwertsteuer bei allen Umsätzen abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat. Der Abzug um den Steuerbetrag, der die Kostenelemente der Ausgangsumsätze belastet, erfolgt durch den Vorsteuerabzug. Der Vorsteuerabzug entlastet den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer und gewährleistet die vollständige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung der wirtschaftlichen Tätigkeiten, die der Mehrwertsteuer unterliegen, ohne dass es auf den Zweck oder das Ergebnis dieser Tätigkeit ankommt.1 Der Vorsteuerabzug ist dabei aber an die Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe geknüpft. Verwendet der Unternehmer die bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen auf dieser Stufe für Zwecke besteuerter Umsätze, ist der Abzug der auf Vorstufen angefallenen Steuer zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung geboten. Verwendet der Unternehmer die von ihm erworbenen Gegenstände und Dienstleistung demgegenüber z. B. für Umsätze, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, kommt es weder zur Steuererhebung auf der Stufe des Unternehmers noch zu einem Vorsteuerabzug.2

__________ 1 EuGH, Urt. v. 14.2.1985 – Rs. 268/83 – Rompelman, EuGHE 1985, 655 = StRK 6. UStRL EWG Art. 4 R. 1 = UR 1985, 199 – Rz. 19; EuGH, Urt. v. 21.9.1988 – Rs. 50/87 – Kommission/Frankreich, EuGHE 1988, 4797 – Rz. 15; EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – Rs. C-4/94 – BLP, EuGHE 1995, I-983 – Rz. 26; EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98 – Abbey National, EuGHE 2001, I-1361 = UR 2001, 164 – Rz. 24; EuGH, Urt. v. 27.11.2003 – Rs. C-497/01 – Zita Modes, EuGHE 2003, I-14393 = UR 2004, 19 – Rz. 38; EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax plc, Leeds Permanent Development Services Ltd. und County Wide Property Investments Ltd., EuGHE 2006, I-1609 = UR 2006, 232 – Rz. 78. 2 EuGH, Urt. v. 30.3.2006 – Rs. C-186/04 – Uudenkaupungin kaupunki, EuGHE 2006, I-3039 – Rz. 24; EuGH, Urt. v. 14.9.2006 – Rs. C-72/05 – Wollny, EuGHE 2006, I-8297 – Rz. 20.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

2. Vorsteuerabzug als Recht des Unternehmers Das Recht auf Vorsteuerabzug steht nur den Steuerpflichtigen i. S. v. Art. 9 ff. MwStSystRL und damit nur Unternehmern zu.3 Für die Begründung der Unternehmereigenschaft müssen entgeltliche Leistungen erbracht werden. Ein nur allgemeiner geschäftlicher Bezug reicht nicht aus. So hat der EuGH bereits 1982 in der Rechtssache Hong-Kong Trade entschieden, dass ein Verband, dessen Aufgabe darin besteht, den Handel zu fördern ohne zugleich eigene Umsätze zu erbringen, im Hinblick auf die kostenlose Erteilung von Auskünften nicht Unternehmer und dementsprechend auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Unter Hinweis auf Art. 2 der 1. EG-Richtlinie versagte der EuGH den Vorsteuerabzug für Tätigkeiten, denen zweifelslos geschäftlicher Charakter zukommt und die nicht dem Privatkonsum auf der Endverbraucherstufe dienen. Beschränke sich die Tätigkeit eines Dienstleistenden darauf, Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, fehle es, so der EuGH, an einer Besteuerungsgrundlage, so dass diese unentgeltlichen Leistungen nicht der Mehrwertsteuer unterlägen. Der Dienstleistende sei dann einem Endverbraucher gleichzustellen, da auf seiner Stufe der Produktions- und Vertriebsweg endet. Dem Anwendungsbereich des Mehrwertsteuersystems unterläge demgegenüber nur die Erbringung entgeltlicher Leistungen. Wer Dienstleistungen ausschließlich unentgeltlich erbringe, könne nicht als Steuerpflichtiger angesehen werden, so dass für diese Dienstleistenden auch keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug bestehe.4 3. Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs a) Erfordernis des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs Für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs muss über die bloße Verwendung für unternehmerische Zwecke und damit in der Sprache der Richtlinie über die bloße Verwendung für wirtschaftliche Tätigkeiten i. S. v. Art. 9 MwStSystRL hinaus eine Verwendung für bestimmte Umsätze vorliegen. Zum Vorsteuerabzug berechtigen gem. Art. 168 MwStSystRL nur steuerpflichtige sowie die in Art. 169 MwStSystRL aufgeführten steuerfreien Umsätze. Die Verwendung für diese Umsätze setzt voraus, dass die Aufwendungen für die Eingangsleistung entsprechend Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL die Kostenelemente des zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsatzes unmittelbar belasten. Es kommt somit darauf an, dass die bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen mit den Umsätzen nach Art. 168 f. MwStSystRL direkt und unmittelbar

__________ 3 EuGH, Urt. v. 14.2.1985 – Rs. 268/83 – Rompelman, EuGHE 1985, 655 = UR 1985, 199 – Rz. 16; EuGH, Urt. v. 14.7.1988 – Rs. 123, 330/87 – Jeunehomme, EuGHE 1988, 4517 = UR 1989, 380 – Rz. 13; EuGH, Urt. v. 19.11.1998 – Rs. C-85/97 – SFI, EuGHE 1998, I-7447 = UR 1999, 205 – Rz. 38. 4 EuGH, Urt. v. 1.4.1982 – Rs. 89/81 – Hong-Kong Trade, EuGHE 1982, 1277 = UR 1982, 246 – Rz. 10 ff.

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Christoph Wäger

zusammenhängen.5 Dieser direkte und unmittelbare Zusammenhang kann entweder zu einzelnen Umsätzen i. S. v. Art. 168 f. MwStSystRL oder aber zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Unternehmens bestehen. Bei einer ausschließlichen Verwendung für andere als die nach Art. 168 f. MwStSystRL begünstigten Umsätzen besteht demgegenüber kein Recht auf Vorsteuerabzug. Ebenso ist es bei einer Verwendung für nichtunternehmerische Zwecke, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.6 Entscheidend für die Feststellung der Verwendung ist im Übrigen nicht die tatsächliche Verwendung, sondern die Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs.7 b) Einzelfälle Der EuGH hat sich bereits mehrfach zum Problemkreis des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs geäußert, wobei eine Vielzahl der von ihm vorgelegten Auslegungsfragen den Vorsteuerabzug aus Beratungsleistungen, häufig in Zusammenhang mit der Übertragung von Gesellschaftsanteilen, betraf. Dabei bejahte der EuGH z. B. in seinem Urteil in der Rechtssache BLP den erforderlichen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen den von Handelsbanken, Rechtsanwälten und Steuerberatern beim Verkauf von Gesellschaftsanteilen bezogenen Leistungen und der nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL steuerfreien Übertragung dieser Gesellschaftsanteile.8 In der Rechtssache Midland stellte der EuGH fest, dass die Kostenelemente in der Regel vor dem Ausgangsumsatz entstehen müssen, damit Aufwendungen für eine bezogene Leistung zu den Kostenelementen eines einzelnen Umsatzes gehören und so den notwendigen direkten und unmittelbaren Zusammenhang begründen.9 Durch Rechtsanwälte erbrachte Beratungsleistungen, die ein Unternehmer als Folge und nach Abwicklung des Ausgangsumsatzes bezieht, gehören daher nicht zu den Kostenelementen eines einzelnen Umsatzes, sondern zu den Preiselementen aller Produkte des Unternehmens und hängen daher

__________ 5 EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – Rs. C-4/94 – BLP, EuGHE 1995, I-983 = UR 1996, 427 – Rz. 18 ff.; EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-98/98 – Midland Bank, EuGHE 2000, I-4177 = UR 2000, 342 – Rz. 24; EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98 – Abbey National, EuGHE 2001, I-1361 = UR 2001, 164 – Rz. 26; EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 29; EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax plc, Leeds Permanent Development Services Ltd. und County Wide Property Investments Ltd., EuGHE 2006, I-1609 = UR 2006, 232 – Rz. 79. 6 EuGH, Urt. v. 8.2.2007 – Rs. C-435/05 – Investrand, UR 2007, 225 – Rz. 28. 7 EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-396/98 – Schloßstraße, EuGHE 2000, I-4279 = UR 2000, 336; EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-400/98 – Breitsohl, EuGHE 2000, I-4321 = UR 2000, 329. 8 EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – Rs. C-4/94 – BLP, EuGHE 1995, I-983 = UR 1996, 427 – Rz. 17 ff. 9 EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-98/98 – Midland Bank, EuGHE 2000, I-4177 = UR 2000, 342 – Rz. 30.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

direkt und unmittelbar mit der Gesamttätigkeit zusammen.10 Ebenso weisen auch Eingangsleistungen für den Verkauf eines Geschäftsbetriebs, der steuerlich zur Übertragung eines Gesamtvermögens gem. Art. 19 MwStSystRL führt, nach dem EuGH-Urteil Abbey National keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu einzelnen Umsätzen auf, sondern gehören als Teil der allgemeinen Kosten zur gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmers.11 Zu den direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammenhängenden Gemeinkosten gehören z. B. nach dem EuGH-Urteil Kretztechnik die Kosten für die Börseneinführung von Aktien des Unternehmens, wenn die Börseneinführung dazu dient, das Kapital zugunsten der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens im Allgemeinen zu stärken.12 Beziehen sich die Leistungen von Rechtsanwälten und anderen Beratern auf die Aufnahme von Bankdarlehen zur Förderung der allgemeinen Unternehmenstätigkeit, handelt es sich nach dem Urteil in der Rechtssache BLP gleichfalls um allgemeine Kosten des Unternehmens.13 Für den Vorsteuerabzug aus Gemeinkosten kommt es im Übrigen nicht zwingend auf die Verhältnisse des Gesamtunternehmens an. Entstehen Gemeinkosten für einen klar abgegrenzten Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens, handelt es sich nach dem EuGH-Urteil Abbey National um Kosten dieses Unternehmensteils, so dass die in diesem Unternehmensbereich ausgeführten Umsätze für den Vorsteuerabzug entscheidend sind.14 Besteht kein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zu einzelnen Umsätzen, kann hieraus aber nicht auf eine automatische Ersatzzuordnung zur Gesamttätigkeit des Unternehmers geschlossen werden. So fehlt nach dem EuGH-Urteil Investrand der direkte und unmittelbare Zusammenhang nicht nur zu Einzelumsätzen, sondern auch zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit, wenn die Kosten für die Eingangsleistung auch ohne Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit entstanden wären. Ausschließlicher Entstehungsgrund der Kosten müssen unternehmerische Tätigkeiten sein, woran es bei Beratungskosten zur Durchsetzung einer Forderung aus einem nichtunternehmerischen Verkauf von Gesellschaftsanteilen fehlt.15

__________ 10 EuGH, Urt. v. 8.6.2000 – Rs. C-98/98 – Midland Bank, EuGHE 2000, I-4177 = UR 2000, 342 – Rz. 31. 11 EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98 – Abbey National, EuGHE 2001, I-1361 = UR 2001, 164 – Rz. 34 ff. 12 EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik, EuGHE 2005, I-4357 = UR 2005, 382 – Rz. 36. 13 EuGH, Urt. v. 6.4.1995 – Rs. C-4/94 – BLP, EuGHE 1995, I-983 = UR 1996, 427 – Rz. 25. 14 EuGH, Urt. v. 22.2.2001 – Rs. C-408/98 – Abbey National, EuGHE 2001, I-1361 = UR 2001, 164 – Rz. 39 f. 15 EuGH, Urt. v. 8.2.2007 – Rs. C-435/05 – Investrand, UR 2007, 225 – Rz. 31 ff.

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Christoph Wäger

c) Verhältnis der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zum nationalen Recht Zwischen den Regelungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und des Umsatzsteuergesetzes bestehen erhebliche Unterschiede. Auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts ist bereits als Besonderheit zu berücksichtigen, dass die Richtlinie für den Vorsteuerabzug nach Art. 168 f. MwStSystRL anders als bei der Bestimmung der steuerbaren Umsätze nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL nicht auf den Steuerpflichtigen, der als solcher und damit in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger handelt, sondern auf die Verwendung von Eingangsleistungen für Zwecke bestimmter Umsätze, der steuerpflichtigen Umsätzen nach Art. 168 MwStSystRL und der in Art. 169 MwStSystRL genannten steuerfreien Umsätze, abstellt. Ganz anders ist es nach nationalem Recht.16 § 15 Abs. 1 UStG verlangt einen Leistungsbezug des Steuerpflichtigen „für sein Unternehmen“ und knüpft damit eigentlich an den Unternehmer an, der wie bei Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL in seiner Eigenschaft als Unternehmer und somit „als solcher“ handelt. Eine weitergehende Anordnung eines Vorsteuerabzugs bei Verwendung für steuerpflichtige Umsätze fehlt, ergibt sich erst daraus, dass sich das Vorsteuerabzugsverbot nach § 15 Abs. 2 UStG nur auf steuerfreie Umsätze bezieht. Regelungstechnisch weicht das Umsatzsteuergesetz auch insoweit von der Richtlinie ab, als sich das Recht auf Vorsteuerabzug für die steuerfreien Umsätze i. S. v. Art. 169 MwStSystRL nicht aus einer positiven Gesetzesanordnung, sondern erst aus der Rückausnahme nach § 15 Abs. 3 UStG ergibt. Legt man das nationale Recht richtlinienkonform aus, kommt es für die Frage, ob ein Leistungsbezug für das Unternehmen i. S. v. § 15 Abs. 1 UStG vorliegt, darauf an, dass die Aufwendungen für die bezogenen Leistungen einen direkten und unmittelbaren Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen des Unternehmers i. S. v. Art. 168 f. MwStSystRL aufweisen. Eine Abweichung von der Richtlinie besteht dann nur im Hinblick auf die Regelungstechnik des § 15 UStG, nicht aber auch materiell-rechtlich. Würde für den Vorsteuerabzug als Leistungsbezug demgegenüber ein Handeln für das Unternehmen nach § 15 Abs. 1 UStG mit Verwendung für andere als steuerfreie Zwecke i. S. v. § 15 Abs. 2 UStG ausreichen , bestünde nach nationalem Recht ein weitergehender Vorsteuerabzug als nach der Richtlinie. 4. Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug Der Steuerpflichtige (Unternehmer) unterliegt nicht mit allen entgeltlichen Leistungen der Mehrwertsteuer, sondern nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL nur mit den Leistungen, die er als solcher und damit in seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger erbringt. Nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie können sich die Aktivitäten eines Unternehmers somit auf unterschiedliche Tätigkeitssphären beziehen.

__________ 16 Vgl. hierzu Reiß, IStR 2004, 450 (451); Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Anm. 50.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

Ähnlich ist es im Bereich des Vorsteuerabzugs. Für den Unternehmer besteht kein allumfassendes Recht auf Vorsteuerabzug. Er ist vielmehr nur bei Verwendung der von ihm bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke besteuerter Umsätze nach Art. 168 MwStSystRL sowie bei Verwendung für die in Art. 169 MwStSystRL genannten steuerfreien Umsätzen zum Vorsteuerabzug berechtigt. Bei einer ausschließlichen Verwendung für andere als die in Art. 168 MwStSystRL aufgeführten steuerfreien Umsätze kann er keinen Vorsteuerabzug beanspruchen. Ebenso ist es bei einer ausschließlichen Verwendung für nichtunternehmerische Zwecke. Über die maßgebliche Verwendung ist anhand des jeweiligen direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zu entscheiden.17 Der Unternehmer ist nicht berechtigt, Eingangsleistungen auch bei völligem Fehlen dieses Zusammenhangs seinem Unternehmen zuzuordnen. Zuordnungswahlrechte bestehen aber im Hinblick auf gemischt genutzte Gegenstände. Verwendet ein Unternehmer einen Gegenstand, den er vollständig seinem Unternehmen zugeordnet hat, sowohl für unternehmerische Zwecke, die nach Art. 168 f. MwStSystRL zum Vorsteuerabzug berechtigen, als auch für private Zwecke, ist er im Hinblick auf die Erwerbskosten dieses Gegenstandes in vollem Umfang zum Vorsteuerabzug berechtigt. Denn die private Verwendung eines Gegenstandes, der aufgrund seiner unternehmerischen Verwendung zum Vorsteuerabzug berechtigt, ist nach Art. 26 MwStSystRL steuerbar und selbst bei der Eigennutzung von Grundvermögen für private Zwecke nicht steuerfrei.18 Für den Unternehmer führt dies im Hinblick auf den somit vollumfänglichen Anspruch auf Vorsteuerabzug bei nur sukzessiver Besteuerung der Privatnutzung zu Liquiditätsvorteilen. Ein gemischt genutzter Gegenstand, bei dem der Unternehmer über den Umfang der Unternehmenszuordnung entscheiden kann, setzt gemeinschaftsrechtlich keine unternehmerische Mindestnutzung voraus. Unabhängig davon, wie gering der Anteil der Verwendung für unternehmerische Zwecke sein mag, ist der Unternehmer berechtigt, den Gegenstand in vollem Umfang seinem Unternehmen zuzuordnen.19 Anders ist es allerdings im nationalen Recht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG aufgrund einer nach Art. 395 MwStSystRL erteilten Ermächtigung.20 Das Mehrwertsteuersystem zwingt den Unternehmer gleichwohl nicht zur vollumfänglichen Unternehmenszuordnung. Es steht dem Unternehmer vielmehr frei, den Gegenstand z. B. im Umfang der Privatnutzung als für nicht das Unternehmen bezogen zu behandeln, so dass sich der Vorsteuerabzug auf den unternehmerischen Nutzungsanteil beschränkt, zugleich aber auf die Besteuerung der Privatverwendung nach Art. 26 MwStSystRL unterbleibt.

__________ 17 Siehe oben II 3 a und b. 18 EuGH, Urt. v. 8.5.2003 – Rs. C-269/00 – Seeling, EUGHE 2003, I-4101 = UR 2003, 288. 19 EuGH, Urt. v. 11.7.1991 – Rs. C-97/90 – Lennartz, EuGHE 1991, I-3795 = UR 1991, 291. 20 Vgl. hierzu Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 UStG Rz. 600.

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III. Besteuerung der Holding 1. Unternehmereigenschaft Der Grundsatz, dass nur die Personen, die entgeltliche Leistungen erbringen oder die Ausübung einer derartigen Leistungstätigkeit zumindest beabsichtigen, Unternehmer sind, gilt auch für Holdinggesellschaften. Die Holding ist daher im Ausgangspunkt nicht als Unternehmer anzusehen, da es sich beim Erwerb und beim Halten von Beteiligungen im Regelfall nicht um Nutzung eines Gegenstandes im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit nach Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL handelt.21 Dividenden stellen keine Gegenleistung für eine nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL steuerfreie Leistung des Gesellschafters dar.22 Die Holding ist nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Erwerb und Halten von Gesellschaftsanteilen führen aber dann zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit des Gesellschafters, wenn er unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung der Gesellschaft eingreift.23 Diese Eingriffe müssen dabei im Rahmen entgeltlicher Leistungen nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL erfolgen, um eine Unternehmerstellung des Gesellschafters und damit die Unternehmerstellung der Holding zu begründen.24 Liegen derartige Leistungen vor, sind als Entgelt nur die hierfür im Rahmen des Leistungsaustausches vereinbarten Vergütungen zu erfassen. Dividenden, die eine entgeltlich beratende Holdinggesellschaft von der beratenen Tochtergesellschaft bezieht, gehören nicht zum Entgelt.25 Nach dieser Rechtsprechung sind geschäftsleitende Holdinggesellschaften ohne eigene Umsatztätigkeit nicht als Unternehmer anzusehen. Dies entspricht den allgemeinen mehrwertsteuerrechtlichen Grundsätzen, wie die Versagung des Vorsteuerabzugs im EuGH-Urteil Hong-Kong Trade zeigt.26 Zwar kann man den Zuschnitt der unternehmerischen Tätigkeitssphäre nach dem Stand der

__________ 21 EuGH, Urt. v. 20.6.1991 – Rs. C-60/90 – Polysar, EuGHE 1991, I-3111 = UR 1993, 119 – Rz. 13; EuGH, Urt. v. 22.6.1993 – Rs. C-333/91 – Sofitam, EuGHE 1993, I-3513 = StRK 6. USt-RL EWG Art. 19 R. 1 – Rz. 17; EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 – Floridienne und Berginvest, EuGHE 2000, I-9567 = UR 2000, 530 – Rz. 17; BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 6. 22 EuGH, Urt. v. 22.6.1993 – Rs. C-333/91 – Sofitam, EuGHE 1993, I-3513 = StRK 6. USt-RL EWG Art. 19 R. 1 – Rz. 13; EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 41; BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 3. 23 EuGH, Urt. v. 20.6.1991 – Rs. C-60/90 – Polysar, EuGHE 1991, I-3111 = UR 1993, 119 – Rz. 14. 24 EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 – Floridienne und Berginvest, EuGHE 2000, I-9567 = UR 2000, 530 – Rz. 19 EuGH, Beschl. v. 12.7.2001 – Rs. C-102/00 – Welthgrove, EuGHE 2001, I-5679 = UR 2001, 533 – Rz. 18; EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 21; BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 7. 25 EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 – Floridienne und Berginvest, EuGHE 2000, I-9567 = UR 2000, 530 – Rz. 20 ff.; EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 41 ff. 26 S. oben II 2.

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gegenwärtigen EuGH-Rechtsprechung und die sich aus ihr ergebende Eingrenzung des Unternehmensbereichs auf entgeltliche Leistungen auch mit durchaus überlegenswerten Argumenten kritisieren.27 Ob der EuGH aber bereit wäre, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung das Mehrwertsteuerrecht letztlich anhand des Kriteriums des Privatkonsums auszulegen, so dass Geschäftsaktivitäten auch ohne Verfolgung entgeltlicher Leistungszwecke Unternehmenscharakter zukommen könnte28, erscheint aber zumindest sehr zweifelhaft. Die Abgrenzung nach dem Kriterium der entgeltlichen Leistungstätigkeit kann für sich die klare Bestimmung des Anwendungsbereichs des Mehrwertsteuersystems nach Art. 2 MwStSystRL in Anspruch nehmen, die rein geschäftsleitende und andere geschäftliche Aktivitäten, denen kein Leistungsaustauschcharakter zukommt, vom Mehrwertsteuersystem ausschließt. Aufgrund der eigenständigen Unternehmensdefinition der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist m. E. im Übrigen auch nicht davon auszugehen, dass der EuGH den mehrwertsteuerlichen Unternehmensbegriff im Hinblick auf seine Rechtsprechung zu anderen Rechtsgebieten wie z. B. dem Wettbewerbsrecht ändern wird.29 2. Vollumfängliche Unternehmerstellung der Holding? Zu der nach nationalem Recht bestehenden Rechtslage hat der BFH bereits zum Umsatzsteuergesetz 1967 entschieden, dass auch Erwerbsgesellschaften und somit auch Holdinggesellschaften über einen nichtunternehmerischen Bereich verfügen können.30 Das Ende dieser Sphärentheorie wird bisweilen im Schrifttum postuliert31, m. E. allerdings zu Unrecht.32 Nach den allgemeinen Grundsätzen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie besteht kein Zweifel, dass Unternehmer sowohl im Hinblick auf die Steuerbarkeit ihrer Umsätze als auch im Hinblick auf den Vorsteuerabzug über unterschiedliche Tätigkeitssphären verfügen.33 Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die auf eine Sonderstellung von juristischen Personen hindeuten. Diese weisen nur insoweit die Besonderheit auf, dass sie anders als natürliche Personen nicht über einen Privatbereich verfügen. Entscheidend ist für die steuerliche Beurteilung aber nicht die Abgrenzung des Unternehmens vom Privatkonsum, sondern die Definition des Unternehmensbereichs durch die entgelt-

__________ 27 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG Rz. 208. 28 von Wallis in Festschrift für Rädler, 1999, S. 639 ff.; Kessler/Schmidt, DStR 2001, 1677 (1681); Dannecker/Steger, BB 2005, 1028 (1032); Englisch, UR 2007, 290 (291). 29 A. M. Stadie, UR 2007, 1. 30 BFH v. 20.12.1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176; vgl. auch BFH v. 18.11.2004 – V R 16/03, BStBl. II 2005, 503. 31 von Streit, UR 2003, 1; Grünewald, DStR 2005, 1377; vgl. auch z. B. Stapperfend, UR 2006, 112 (116) – der die Frage nach der weiteren Geltung der Sphärentheorie für noch ungeklärt ansieht; Rüth, UStB 2006, 10 – der eine Dreisphärentheorie favorisiert. 32 Ebenso Schmidt, UVR 2006, 269 (270); BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 2 ff. 33 Siehe oben II 4.

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liche Leistungserbringung. Dementsprechend verfügen auch Kapitalgesellschaften über einen nichtunternehmerischen Bereich, soweit ihre Tätigkeiten einer entgeltlichen Leistungserbringung nicht zuzurechnen sind.34 Auch aus Sicht des EuGH können Holdinggesellschaften über einen nichtunternehmerischen Bereich verfügen. So bestimmt sich der Unternehmenscharakter der Darlehensvergabe durch eine Holdinggesellschaft nach dem EuGH-Urteil Floridienne/Berginvest nach den für alle Unternehmer geltenden Grundsätzen, so dass eine Holding bei einer Darlehensvergabe nur dann unternehmerisch tätig ist, wenn diese nicht nur gelegentlich erfolgt und sich nicht nach Art eines privaten Anlegers auf die Verwaltung von Anlagen beschränkt.35 Hieran hat der EuGH in seinem Holding-Urteil EDM zumindest im Grundsatz festgehalten.36 Wären Holdinggesellschaften aufgrund einer entgeltlichen Leistungstätigkeit in einem Teilbereich und ihrer bloßen Stellung als juristische Person stets unternehmerisch tätig, käme demgegenüber im Widerspruch zur EuGH-Rechtsprechung jeder Darlehensvergabe durch eine Holdinggesellschaft unternehmerischer Charakter zu.37 Soweit der EuGH im Urteil EDM im Übrigen darauf hingewiesen hat, dass die Darlehensvergabe aus Unternehmensmitteln zwingend unternehmerisch erfolgt38, gilt dies für alle Unternehmer unabhängig von ihrer Rechtsform. Die im Schrifttum39 gegen die Fortgeltung der Sphärentheorie angeführten EuGH-Urteile Floridienne/Berginvest und EDM sprechen somit eher für die Sphärentheorie als gegen sie. An den unterschiedlichen Tätigkeitssphären auch einer Kapitalgesellschaft ist daher m. E. weiterhin festzuhalten. Jede andere Auslegung würde im Übrigen den Grundsatz der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer40 durchbrechen und zu einer durch Sachgründe nicht zu rechtfertigenden Privilegierung von Kapitalgesellschaften gegenüber anderen Rechtsformen unternehmerischen Handelns führen. Gleichwohl bleibt in diesem Bereich die weitere Entwicklung der Rechtsprechung und dabei insbesondere der Ausgang des Vorabentscheidungsersuchens C-437/06 – Securenta – abzuwarten.

__________ 34 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 UStG Rz. 72; Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG Anm. 498. 35 EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 – Floridienne und Berginvest, EuGHE 2000, I-9567 = UR 2000, 530 – Rz. 26 ff. 36 EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, EuGHE 2004, I-4295 = UR 2004, 292 – Rz. 65 ff.; zum nichtunternehmerischen Charakter der Darlehensvergabe durch Holdinggesellschaften vgl. auch Englisch, UR 2007, 290 (300). 37 Vgl. Reiß, IStR 2004, 450 (452). 38 EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, EuGHE 2004, I-4295 = UR 2004, 292 – Rz. 68; vgl. Reiß, IStR 2004, 450 (452). 39 A. M. von Streit, UR 2003, 1 (2 ff.); Grünewald, DStR 2005, 1377 (1378 ff.) – ohne aber sich zu den Ausführungen des EuGH zum Unternehmenscharakter der Darlehensvergabe zu äußern. Eine Auslegung von EuGH-Urteilen anhand von Begründungsunterschieden zu Schlussanträgen eines Generalanwalts halte ich nicht für sinnvoll. 40 Vgl. hierzu z. B. Wäger in Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht, Köln 2007, S. 87 ff., 89 f.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

Die unterschiedlichen Tätigkeitssphären einer Holdinggesellschaft sind auch beim Beteiligungserwerb zu beachten. Ergibt sich der Unternehmenscharakter einer erster Beteiligung der Holding aus den sich gegenüber dieser Tochtergesellschaft erbrachten entgeltlichen Dienstleistungen, folgt hieraus somit nicht automatisch die Unternehmenszuordnung der weiteren von ihr gehaltenen Beteiligungen.41 3. Vorsteuerabzug der Holding a) Ausgangslage Unternehmerstellung und Tätigkeitssphären der Holding sind im Regelfall nur Vorfragen für das Kernproblem der Holding, den Vorsteuerabzug aus den Kosten für den Erwerb von Beteiligungen. Unstrittig ist dabei, dass eine Holding, die steuerpflichtige Leistungen erbringt, im Hinblick auf die dieser Leistungstätigkeit unmittelbar zuzurechnenden Kosten zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Ob hierzu auch die Kosten für den Beteiligungserwerb gehören, kann dagegen noch nicht als abschließend geklärt angesehen werden. Insoweit kommt es darauf an, ob zwischen den Erwerbskosten und den steuerpflichtigen Leistungen der Holding ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang besteht.42 Zuordnungsentscheidungen des Unternehmers spielen dabei keine Rolle, da diese nur den Umfang der Unternehmenszuordnung gemischt genutzter Gegenstände betreffen, diese Zuordnungsentscheidung aber eine unternehmerische Teilnutzung voraussetzt.43 Ob die hierfür erforderliche unternehmerische Teilnutzung vorliegt, weil die für den Beteiligungserwerb bezogenen Leistungen zumindest auch der steuerpflichtigen Leistungstätigkeit der Holding zuzurechnen sind, ist eine Vorfrage für eine hierauf aufbauende Zuordnungsentscheidung. b) EuGH-Urteil Cibo Participations Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Cibo Participations ist eine Holdinggesellschaft, die gegenüber ihren Tochtergesellschaften steuerpflichtige Leistungen erbringt, im Hinblick auf die Erwerbsnebenkosten ihrer Beteiligungen wie z. B. rechtliche und steuerliche Beratungskosten zum Vorsteuerabzug berechtigt. Zwar belasten diese Erwerbskosten die Kostenelemente der entgeltlichen Leistungen der Holding nicht unmittelbar, da die Erwerbskosten zu diesen Leistungen keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang aufweisen. Es bestehe aber, so der EuGH, ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holding, so dass es sich um

__________ 41 Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 UStG Rz. 213 und 500 – auf der Grundlage der von ihm aber kritisierten EuGH-Rechtsprechung; BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 6 und 11; a. M. Englisch, UR 2007, 290 (294). 42 Siehe oben II 3 a und b. 43 Siehe oben II 4.

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allgemeine Kosten des Unternehmens und damit um Preiselemente aller Produkte der Holdinggesellschaft handele.44 Da der EuGH darüber hinaus bestätigte, dass Dividenden kein Entgelt für eine steuerfreie Leistung darstellen, führt sein zugleich gegebener Hinweis auf die Vorsteueraufteilung nach dem sog. Pro-rata-Satz gem. Art. 173 ff. MwStSystRL dazu, dass eine Holding, die nur steuerpflichtige entgeltliche Leistungen erbringt, im Hinblick auf die Kosten für den Erwerb von Beteiligungen im Grundsatz zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Die nichtsteuerbare Vereinnahmung von Dividenden und das Halten der Beteiligung schränken den Vorsteuerabzug nicht ein.45 c) Grenzen des Vorsteuerabzugs? Der vom EuGH auf der Grundlage der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holding bejahte Vorsteuerabzug aus den Kosten für den Beteiligungserwerb führt m. E. nicht dazu, dass Holdinggesellschaften, die entgeltliche Leistungen erbringen, generell und ausnahmslos zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.46 Denn der Gesichtspunkt der Gemeinkosten begründet nach der EuGH-Rechtsprechung für den Unternehmer keine automatische Berechtigung zum Vorsteuerabzug. So hat der EuGH in seinem Urteil Investrand den Vorsteuerabzug auf der Grundlage eines Zusammenhangs mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit verneint, da Aufwendungen nicht ihren ausschließlichen Entstehungsgrund in der unternehmerischen Tätigkeit hatten.47 Es stellt sich somit die Frage, ob die bei Unternehmenskäufen im Rahmen eines sog. share deals bisweilen in zweistelliger Millionenhöhe anfallenden Erwerbsnebenkosten für die umsatzsteuerpflichtigen Leistungen von Investmentbanken und anderen Beratern zum Vorsteuerabzug berechtigen, wenn sich die Umsatztätigkeit der die Beteiligung erwerbenden Holdinggesellschaft gegenüber der erworbenen Tochtergesellschaft auf z. B. 100 000 Euro jährlich beschränkt und es sich dabei unter Umständen nicht einmal um eigenständig erbrachte Leistungen, sondern nur um den Weiterverkauf von Drittleistungen im Rahmen einer Leistungskommission nach Art. 28 MwStSystRL handelt. Die Annahme, es läge dann ähnlich wie im Fall des Börsengangs eines Industrieunternehmens zwischen den Erwerbsnebenkosten der Beteiligung und der unternehmerischen Gesamttätigkeit der Holding ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang vor, so dass die Berufung auf die EuGH-Urteile Cibo Parti-

__________ 44 EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 32 f. 45 Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 2 UStG Rz. 43.2; Reiß, IStR 2004, 450 (453); Eggers/Korf, DB 2002, 1238 (1240). 46 So anscheinend aber z. B. von Streit, UR 2003, 1; Eggers, WPg 2007, 616 (617 f.); Feil/ Roscher, BB 2007, 1079 (1081 f.) – ohne aber diese Frage ausdrücklich zu beantworten. Gegen ein pauschale Bejahung des Vorsteuerabzugs ersichtlich BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – Tz. 8 ff. 47 Siehe oben II 3 b.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

cipations und Kretztechnik den Vorsteuerabzug ermöglicht, dürfte wohl nicht nur bei der Finanzverwaltung zu Akzeptanzproblemen führen.48 Besteht die entgeltliche Leistungstätigkeit der Holding nicht in der Übernahme von Management- oder Beratungsfunktionen, sondern nur in einer bloßen Darlehensüberlassung, setzt sich die Holding noch größeren Schwierigkeiten aus. Soweit der Darlehensvergabe einer Holding nach der EuGH-Rechtsprechung überhaupt Unternehmenscharakter zukommt49 und somit eine Option zur Besteuerung nach § 9 UStG möglich ist, erscheint die Annahme, der Beteiligungserwerb diene der unternehmerischen Vergabe eines Darlehens an die Tochtergesellschaft eher lebensfremd. Ausgangspunkt für die steuerliche Würdigung ist m. E., dass sich aus dem Beteiligungserwerb zunächst ergebende Vorsteuerüberhänge ebenso wie z. B. bei Immobilieninvestitionen für sich genommen unschädlich sind. Ebenso wie im Immobilienbereich kann auch der Vorsteuerabzug einer Holding nicht von einer steuerlichen Prüfung abhängen, ob und in welchem Zeitraum der Unternehmer Erwerbskosten durch seine allgemeine Leistungstätigkeit amortisiert, zumal dann auch die Wertentwicklung und ein ggf. später erfolgender Verkauf des erworbenen Wirtschaftsguts zu berücksichtigen wären. Im Hinblick auf die Gesamtheit dieser Faktoren kommt eine „Kostenträgerrechnung“, die nur Erwerbsaufwendungen und Leistungsentgelte kalkulatorisch gegenüberstellt, nicht aber auch die Wertentwicklung der Beteiligung einbezieht, nicht in Betracht.50 Im Übrigen ist auch zu beachten, dass die Steuerverstrickung von Beteiligungen ebenso wie bei anderen Wirtschaftsgütern mit Ablauf von Berichtigungszeiträumen nach § 15a UStG entfallen kann. Letztlich dürfen die Anforderungen an die entgeltliche Leistungstätigkeit der Holding für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs aus Erwerbskosten aber nicht überspannt werden. Erbringt eine Holding nach dem Gesamtbild eines eigenständigen Geschäftsbetriebs substanziell entgeltliche Leistungen gegenüber ihren Tochtergesellschaften, die ggf. wie im Fall Cibo Participations sogar eine Beteiligung der Holding am Umsatz der Tochtergesellschaften rechtfertigen, ist ihr der Vorsteuerabzug aus Erwerbsnebenkosten für den Kauf einer Beteiligung nicht zu versagen. Für Holdinggesellschaften dürfte es sich im Hinblick auf die weiterhin bestehenden Unsicherheiten als vorteilhaft erweisen, ihren entgeltlichen Leistungsbereich möglichst weitgehend aufzubauen und für die Begründung einer Organschaft mit der Tochtergesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu nutzen. Ist die Tochtergesellschaft nach ihrer Tätigkeit zum Vorsteuerabzug berech-

__________ 48 Vgl. FG Hess. v. 15.3.2007 – 6 K 1476/02, rkr., EFG 2007, 1381. 49 Vgl. hierzu Wäger in Nieskens, Umsatzsteuer-Kongress-Bericht, Köln 2007, S. 87 ff., 96 f. 50 Ähnlich Englisch, UR 2007, 290 (298).

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tigt, führt die Umsatzzurechnung im Rahmen einer beim Beteiligungserwerb begründeten Organschaft dazu, dass die Holding umsatzsteuerrechtlich keine Beteiligung, sondern einen Geschäftsbetrieb erwirbt und der für den Vorsteuerabzug aus Erwerbskosten erforderliche direkte und unmittelbare Zusammenhang zu den gesamten Umsätzen des Organkreises besteht.51 4. Besteuerung bei der Veräußerung von Beteiligungen Die Veräußerung der dem Unternehmen zugeordneten Beteiligungen ist nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL als entgeltliche Dienstleistung steuerbar52 und nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL steuerfrei. Entgegen Stellungnahmen im Schrifttum53 beschränkt sich die Steuerbarkeit der Veräußerung der dem Unternehmen zugeordneten Beteiligungen nicht zwingend auf den Fall des gewerblichen Wertpapierhandels. Zwar hat der EuGH mehrfach darauf hingewiesen, dass der Verkauf von Anteilen an Gesellschaften keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Richtlinie darstellt und nicht in deren Anwendungsbereich fällt.54 Der EuGH hat dies aber zumindest durch Bezugnahme auf frühere Urteile stets damit begründet, dass die Beurteilung der Veräußerung von Beteiligungen der Beurteilung beim Erwerb und Halten von Beteiligungen folgt55 und in diesem Zusammenhang auf seine Rechtsprechung verwiesen, nach der eben diesem Erwerb und Halten im Regelfall kein Unternehmenscharakter zukommt56. Ist der Schluss von der Beurteilung beim Erwerb und Halten von Beteiligungen auf die Beurteilung der Veräußerung von Beteiligungen zutreffend, ergibt sich hieraus für den Fall, dass Erwerb und Halten der Beteiligung unternehmerisch erfolgen zugleich der Unternehmenscharakter der Beteiligungsveräußerung. Auch die Veräußerung von Beteiligungen, die aufgrund anderer entgeltlicher Leistungstätigkeiten als einem Wertpapierhandel dem Unternehmen der Holding zugeordnet wurden, ist somit

__________ 51 Vgl. hierzu Robisch, UR 2001, 100 (104 f.). 52 Zum Dienstleistungscharakter vgl. EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik, EuGHE 2005, I-4357 = UR 2005, 382. 53 Z. B. Eggers, WPg 2007, 616 (619); Feldt, UR 2007, 161 (169); Englisch, UR 2007, 290 (299); Mühleisen/Trapp, UR 2007, 633 (637); ähnlich auch Reiß, IStR 2004, 450 (453); demgegenüber wie hier Schmidt, UVR 2006, 269 (271); BMF, Schr. v. 26.1.2007 – IV A 5 - S 7300 - 10/07, BStBl. I 2007, 211 = UR 2007, 150 – 13; Feil/Roscher, DB 2007, 1079 (1083). 54 Vgl. zuletzt EuGH, Urt. v. 8.2.2007 – Rs. C-435/05 – Investrand, UR 2007, 225 – Rz. 25. 55 EuGH, Urt. v. 26.6.2003 – Rs. C-442/01 – KapHag, EuGHE 2003, I-6851 = UR 2003, 443 – Rz. 40; EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, EuGHE 2004, I-4295 = UR 2004, 292 – Rz. 58 ff.; EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik, EuGHE 2005, I-4357 = UR 2005, 382 – Rz. 19. 56 EuGH, Urt. v. 20.6.1996 – Rs. C-155/94 – Wellcome Trust, EuGHE 1996, I-3013 = UR 1996, 423 – Rz. 33 ff.; EuGH, Urt. v. 6.2.1997 – Rs. C-80/95 – Harnas & Helm, EuGHE 1997, I-745 = UR 1997, 141 – Rz. 15; EuGH, Urt. v. 21.10.2004 – Rs. C-8/03 – BBL, EuGHE 2004, I-10157 = UR 2004, 642 – Rz. 38; EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-77/01 – EDM, EuGHE 2004, I-4295 = UR 2004, 292 – Rz. 57; EuGH, Urt. v. 26.5.2005 – Rs. C-465/03 – Kretztechnik, EuGHE 2005, I-4357 = UR 2005, 382 – Rz. 19.

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Tätigkeitssphären und Vorsteuerabzug der Holding

steuerbar.57 Wurde im Zusammenhang mit dem Beteiligungserwerb ein Vorsteuerabzug in Anspruch genommen, kann eine steuerfreie Anteilsveräußerung daher bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ggf. zu einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 4 Sätze 1 und 2, Abs. 1 Satz 1 UStG führen.

IV. Zusammenfassung Unternehmerbegriff und Unternehmensumfang werden durch das Erfordernis entgeltlicher Leistungstätigkeit geprägt. Dies gilt auch für Holdinggesellschaften, deren Tätigkeit nur bei Vorliegen entgeltlicher Leistungen unternehmerischer Charakter zukommt. Sind Tätigkeiten einer Holding ihrem entgeltlichen Leistungsbereich nicht zuordnungsfähig, handelt die Holding insoweit nichtunternehmerisch. Auch Holdinggesellschaften können somit über einen nichtunternehmerischen Bereich verfügen. Für den Vorsteuerabzug aus Kosten eines ihrem Unternehmensbereich dienenden Beteiligungserwerbs kommt es darauf an, dass diese Kosten mit der unternehmerischen Gesamttätigkeit der Holding direkt und unmittelbar zusammenhängen. Entscheidend ist hierfür der Umfang der unternehmerischen Tätigkeit der Holding. Für die Holding dürfte es sich im Regelfall empfehlen, zur Absicherung des Vorsteuerabzugs aus den Kosten eines Beteiligungserwerbs eine Organschaft zu der von ihr erworbenen Tochtergesellschaft zu begründen.

__________ 57 Zum Unternehmenscharakter von Erwerb und Halten in diesem Fall vgl. z. B. EuGH, Urt. EuGH, Urt. v. 6.2.1997 – Rs. C-80/95 – Harnas & Helm, EuGHE 1997, I-745 = UR 1997, 141 – Rz. 16; EuGH, Urt. v. 14.11.2000 – Rs. C-142/99 – Floridienne und Berginvest, EuGHE 2000, I-9567 = UR 2000, 530 – Rz. 18 ff.; EuGH, Beschl. v. 12.7.2001 – Rs. C-102/00 – Welthgrove, EuGHE 2001, I-5679 = UR 2001, 533 – Rz. 15 ff.; EuGH, Urt. v. 27.9.2001 – Rs. C-16/00 – Cibo Participations, EuGHE 2001, I-6663 = UR 2001, 500 – Rz. 20.

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5. Reformüberlegungen zur Umsatzsteuer Michael Langer

Das endgültige Mehrwertsteuersystem nach dem Ursprungslandprinzip – ein ewiger Traum vom „echten“ umsatzsteuerlichen Binnenmarkt? Seit dem 1.1.1993 sind im Bereich der indirekten Steuern die Kontrollen an den Binnengrenzen in der EU zum 1.1.1993 entfallen. Damit wurde das Ziel entsprechend Art. 14 EGV erreicht, der in Unterabsatz 2 einen Binnenmarkt als Raum definiert „in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen in Kapital gewährleistet ist“. Fraglich erscheint aber auch heute noch, ob damit im umsatzsteuerlichen Bereich wirklich eine Europäische Union ohne Grenzen erreicht worden ist. Das ist sicher eine Frage der Definition, die zu bejahen ist, wenn man darunter nur die sichtbaren Kontrollen durch Grenzbeamte versteht. Zu einem „echten“ Binnenmarkt gehören aber mehr als offene Schlagbäume. Diese kommen vorrangig dem privaten Endverbraucher zugute, weil dieser die Waren mit der Umsatzsteuer des EU-Mitgliedstaats belastet erwerben kann, in dem er sie tatsächlich einkauft. Im unternehmerischen Bereich verbleibt es aber auch nach dem 1.1.1993 bei einer Grenze. Seitdem wird zwar im innergemeinschaftlichen kommerziellen Warenverkehr keine „Einfuhrumsatzsteuer“ an den Grenzen erhoben. Dieser umsatzsteuerliche Grenzausgleich wird aber weiterhin verschämt unter dem Begriff „Erwerbssteuer“ in das normale Besteuerungsverfahren einbezogen. Wie bereits vor dem 1.1.1993 sind Lieferungen in einen anderen EU-Mitgliedstaat an einen anderen – zum Vorsteuerabzug berechtigten – Unternehmer – jetzt als innergemeinschaftliche Lieferung – steuerfrei (Art. 138 MwStSystRL1 = § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG); diese Befreiung gilt auch für Lieferungen an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer, Kleinunternehmer, Landund Forstwirte, die die Durchschnittssatzbesteuerung anwenden, und an juristische Personen des öffentlichen Rechts, wenn dieser Personenkreis die „Erwerbsschwelle“ überschritten (Art. 139 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 MwStSystRL = § 1a Abs. 3 UStG) bzw. zur Erwerbsbesteuerung optiert hat (Art. 3 Abs. 3 MwStSystRL = § 1a Abs. 4 UStG) und somit seine innergemeinschaftlichen Erwerbe der Umsatzbesteuerung unterwirft oder unterwerfen muss. Mit dieser Regelung wird erreicht, dass die Umsatzsteuer auch weiterhin im Bestimmungsland (Verbrauchsland) der Ware erhoben wird. Um diesen Effekt tatsäch-

__________ 1 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU Nr. L 347/2006, 1.

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Michael Langer

lich zu erzielen, besteht seit 1993 auf Gemeinschaftsebene ein für Unternehmen und Verwaltung aufwändiges Kontrollverfahren. Danach muss der liefernde Unternehmer – quartalsmäßig – eine Zusammenfassende Meldung (Art. 262–271 MwStSystRL = § 18a UStG) abgeben, in der er die Finanzverwaltung über seine innergemeinschaftlichen Lieferungen im Meldezeitraum an Abnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten durch Angabe der UmsatzsteuerIdentifikationsnummer (USt-IdNr.) seiner Abnehmer und der Summe der Bemessungsgrundlagen der im Meldezeitraum an diese ausgeführten Lieferungen informiert. Die EU-Mitgliedstaaten übermitteln diese Daten an die anderen betroffenen EU-Mitgliedstaaten nach den Regelungen der sog. Zusammenarbeits-Verordnung2. Diese Besteuerungsform mit einem Zufluss der Mehrwertsteuer an das Bestimmungsland (Verbrauchsland) ist auch deshalb erforderlich, weil es in der EU noch keine wesentlich angenäherten Steuersätze bei der Umsatzsteuer gibt. Die vom Rat am 19.10.1992 verabschiedete „Richtlinie zur Annäherung der Umsatzsteuer“ schafft im Ergebnis nur die erhöhten Steuersätze in der EU ab 1993 ab und legt Mindestsätze fest. Die Anwendungsdauer dieser Mindestsätze wurde inzwischen mehrfach vom EU-Ministerrat bis Ende 2010 verlängert.3 An der zum 1.1.1993 bestehenden Situation hat sich – auch nach der Erweiterung der EU auf inzwischen 27 EU-Mitgliedstaaten – nicht viel geändert. Weiterhin kommt es in der EU zu erheblichen Steuersatzunterschieden (z. B. Nullsatz in Großbritannien und Irland, Normalsatz von 25 % in Dänemark). Ein engerer Spielraum von wenigen Prozentpunkten – wie von der Europäischen Kommission bereits mehrfach vorgeschlagen – konnte bislang nicht erreicht werden, weil die Finanzminister in der Regel auch als Haushaltsminister darauf achten müssen, dass die gewachsenen Einnahmestrukturen in ihrem eigenen Land so wenig wie möglich verändert werden. Dies zeigt, dass wir seit 1993 zwar keine körperlichen Grenzen haben, aber zumindest Grenzen aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze, die einen Grenzausgleich durch die Besteuerung nach dem Bestimmungslandprinzip (Verbrauchslandprinzip) bedingen. Eine Beseitigung dieses Grenzausgleichs wurde bereits als Endziel der Harmonisierung in Art. 4 der 2. EG-Richtlinie im Jahr 19674 festgelegt. Danach sollen die Steuerbefreiung bei der „Ausfuhr“ und die Besteuerung bei der „Einfuhr“ durch eine Besteuerung dieser Umsätze wie Inlandsumsätze ersetzt werden. Damit werden Umsätze in dem Land besteuert, in dem der leistende Unter-

__________ 2 Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27.1.1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MwSt.), ABl. EG Nr. L 24/1992, 1; ab 1.1.2004: Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92, ABl. EU Nr. L 264/2003, 1. 3 Vgl. Art. 97 MwStSystRL; bis 31.12.2006: Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 1 und 2 der 6. EG-Richtlinie. 4 Zweite Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, ABl. EG 1967, 1303.

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Das endgültige Mehrwertsteuersystem

nehmer seinen Sitz hat. Dieses Prinzip war auch in Art. 35 der 6. EG-Richtlinie5 übernommen worden. Entsprechend hatte die Europäische Kommission im August 1987 dem Rat ihre Vorstellungen zur weiteren Harmonisierung der indirekten Steuern vorgelegt.6 Sie sahen vor – eine Besteuerung aller Umsätze beim grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr im Ursprungsland, – eine Anwendung von lediglich zwei Mehrwertsteuersätzen mit Bandbreiten von 14 bis 20 % beim allgemeinen und von 4 bis 9 % beim ermäßigten Steuersatz und einem festen Anwendungsbereich, – die Einführung eines Ausgleichsmechanismus (Clearing-Verfahren), um sicherzustellen, dass das Umsatzsteueraufkommen dem Bestimmungsmitgliedstaat zufließt. Bei den Beratungen auf Gemeinschaftsebene waren diese Vorschläge nicht durchsetzbar. Dies gilt auch für den Kompromissvorschlag der Europäischen Kommission aus dem Mai 1989, der nur noch einen Mindeststeuersatz beim allgemeinen Steuersatz (ohne konkrete Höhe), die Beibehaltung von Nullsätzen (Steuerbefreiungen mit Vorsteuerabzug) für inländische Umsätze, für einzelne Bereiche (Lieferungen von neuen Fahrzeugen, Versandhandelslieferungen, Umsätze an steuerbefreite Unternehmer und Nichtunternehmer) eine Besteuerung im Bestimmungsland und die Einführung eines makroökonomischen Clearing-Verfahrens auf der Basis statistischer Daten vorsah.7 Hauptgrund für das Scheitern der Vorschläge war im Wesentlichen der Wunsch nach weiterer Beibehaltung des Bestimmungslandprinzips (Verbrauchslandprinzip) und die Bedenken gegen das Funktionieren eines – wie auch immer ausgestalteten – Clearing-Mechanismusses. Entsprechend einigte sich der Rat auf die Übergangsregelung ab 1.1.1993.8 Das Endziel der Umsatzsteuerharmonisierung mit einer Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip war vom Rat bei der Verabschiedung der Übergangsrege-

__________ 5 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. EG Nr. L 145/ 1977, 1. 6 Vgl. im Einzelnen BT-Drucks. 11/1321 und 11/1324. 7 Vgl. im Einzelnen BR-Drucks. 353/89. 8 Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16.12.1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen, ABl. EG Nr. L 376/1991, 1; Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom 27.1.1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der indirekten Besteuerung (MwSt), ABl. EG Nr. L 24/1992, 1; Richtlinie 92/77/EWG des Rates vom 19.10.1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern – Annäherung der Mehrwertsteuersätze, ABl. EG Nr. L 316/1992, 1; Richtlinie 92/111/EWG des Rates vom 14.12.1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung von Vereinfachungsmaßnahmen, ABl. EG Nr. L 384/ 1992, 47.

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Michael Langer

lung bekräftigt und in Art. 28l der 6. EG-Richtlinie erneut aufgenommen worden. Dieses Ziel sollte bereits zum 1.1.1997 verwirklicht werden. Die Europäische Kommission sollte rechtzeitig entsprechende Vorschläge dem Rat zur Entscheidung vorlegen. Überlegungen zum endgültigen Mehrwertsteuersystem legte die Europäische Kommission dem Rat zwar am 23.7.1996 vor. Diese beinhalteten insbesondere Überlegungen zu einer generellen Besteuerung am Sitzort, zum grenzüberschreitenden Vorsteuerabzug sowie zur Harmonisierung des Vorsteuerabzugsrechts, zur weitgehenden Annäherung der Steuersätze und zu einem makroökonomischen Clearing-Verfahren.9 Vorschläge hierzu sollten zwischen 1996 und 1999 dem Rat vorgelegt werden. Die Überlegungen enthielten aber weder inhaltliche Aussagen noch Aussagen, bis zu welchem Zeitpunkt die jeweiligen Vorschläge vom Rat angenommen werden sollten. Seitdem hat offensichtlich auch die Europäische Kommission erkannt, dass ein endgültiges Mehrwertsteuersystem in kurzer Zeit nicht zu verwirklichen ist. In ihrer Mitteilung an das Parlament und den Rat „Strategie zur Verbesserung der Funktionsweise des MWSt-Systems im Binnenmarkt“ vom 7.6.200010 mit den vier Hauptzielen Vereinfachung und Modernisierung des gegenwärtigen Mehrwertsteuersystems, einheitlichere Anwendung der bestehenden Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten und Verstärkung der Verwaltungszusammenarbeit, insbesondere im Hinblick auf die Betrugsbekämpfung, und auch in ihrer Mitteilung vom 20.10.2003 „Bilanz und Aktualisierung der Prioritäten der MWSt-Strategie“ (KOM [2003] 614)11 strebt sie das Ziel eines endgültigen Mehrwertsteuersystems nur noch langfristig an. So erklärt die Europäische Kommission, dass sich die künftigen Arbeiten an zwei Leitlinien orientieren werden: der Bekräftigung des Grundsatzes der Besteuerung am Verbrauchsort und der Vereinfachung der Pflichten der Wirtschaftsbeteiligten. Die neue Mehrwertsteuersystemrichtlinie hat zwar das Endziel der Umsatzsteuerharmonisierung zum 1.1.2007 in Art. 402 Abs. 1 MwStSystRL aufgenommen. Bisher hat die Europäische Kommission allerdings noch keine entsprechenden Vorschläge dem EU-Ministerrat unterbreitet. Vielmehr hat der Rat das zunächst vorgesehene – von allen Seiten als unrealistisch angesehene – Ende der Übergangsregelung in 1997 bei der Übernahme der Vorschriften der 6. EG-Richtlinie nicht übernommen, vor allem auch deshalb, weil der Termin 1997 abgelaufen war. Der Rat hat aber auch keinen neuen festen Termin festgelegt. Art. 402 Abs. 1 MWStSystRL enthält keine konkrete Aussage zum Zeitpunkt, für den die Verwirklichung des endgültigen Mehrwertsteuersystems nach dem Ursprungslandprinzip angestrebt wird. Mit der Verwirklichung dieses Ziels scheint sich nunmehr auch der Rat noch Zeit lassen zu wollen. Die Europäische Kommission hat nach Art. 404 MwStSystRL nur die Verpflichtung, alle vier Jahre nach Inkrafttreten der Mehrwertsteuersystemricht-

__________ 9 Vgl. hierzu im Einzelnen BR-Drucks. 637/97. 10 Vgl. hierzu im Einzelnen BR-Drucks. 402/00. 11 ABl. EU Nr. C 96/2004, 5, 21.

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Das endgültige Mehrwertsteuersystem

linie (also zum ersten Mal zum 1.1.2011) dem Rat über das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems in der EU und der Übergangsregelung zu berichten und ggf. Vorschläge für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem vorzulegen. Der Rat muss hierzu zu der Feststellung gelangen, dass die Voraussetzungen für einen Übergang zum endgültigen Mehrwertsteuersystem erfüllt sind, und kann dann über die Vorschläge der Europäischen Kommission entscheiden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass in naher Zukunft nicht mit einem Auslaufen der Übergangsregelung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr bei der Umsatzsteuer gerechnet werden kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom 20.10. 200312 das Verbrauchslandprinzip in den Vordergrund ihrer Überlegungen gerückt hat. Damit wendet sie sich sogar gegen eine Ursprungslandbesteuerung und stellt den Charakter der Mehrwertsteuer als Verbrauchsteuer in den Vordergrund, mit der – systematisch sicherlich unzweifelhaft richtigen – Folge, dass dem Verbrauchsland die Steuer unmittelbar zufließen muss. Aber selbst wenn alle politischen und technokratischen Schwierigkeiten bei der Festlegung eines Mehrwertsteuersystems mit Besteuerung im Ursprungsland beseitigt und ein solches System in der EU verwirklicht werden könnte, ist es damit aber nicht getan, solange weiterhin jeder der inzwischen 27 Steuergläubiger in der EU darauf pocht, dass ihm die zustehende Umsatzsteuer auch tatsächlich in zutreffender Höhe zufließt. Hierfür muss zwingend ein Ausgleichsmechanismus gefunden werden. Ohne diesen hätte der Bestimmungsmitgliedstaat durch die Erstattung der in Rechnung gestellten ausländischen Umsatzsteuer an seinen inländischen Unternehmer Einnahmeverluste zu Gunsten des Ursprungslands. Die Ausgestaltung dieses Ausgleichsmechanismusses war wie ausgeführt – neben der Steuersatzangleichung – der entscheidende Punkt, warum es nicht bereits zum 1.1.1993 zu einem endgültigen Mehrwertsteuersystem mit Besteuerung im Ursprungsland gekommen ist. Schon die Ausarbeitung eines solchen Verfahrens wird zu erheblichen Schwierigkeiten führen. Dies hat auch die sog. Ursprungslandkommission 1994 in ihrem Gutachten13 aufgezeigt. Sie hat sich letztendlich für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem mit einer Besteuerung am tatsächlichen Leistungsort bei Lieferungen als systematisch sachgerechte und bereits derzeit weitestgehend praktizierte Lösung ausgesprochen. Bei Dienstleistungen sollten die bisherigen Regelungen weitgehend beibehalten werden, da sie bereits derzeit eine Besteuerung am tatsächlichen Verbrauchsort sicherstellen. Zur Vermeidung einer steuerlichen Erfassung ausländischer Unternehmer im Inland müssten die Regelungen aber in derartigen Fällen so angepasst werden, dass der Leistungsort sich dann nach dem EU-Mitgliedstaat des Leistungsempfängers bestimmt. Auch wenn Aussagen in dem Gutachten zur Steuersatzharmo-

__________ 12 KOM [2003] 614, ABl. EU Nr. C 96/2004, 5, 21. 13 Gutachten der Ursprungslandkommission, Ausarbeitung der endgültigen Regelung für die Umsatzbesteuerung des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs und für ein funktionsfähiges Clearing-Verfahren (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 52), Bonn 1994.

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nisierung fehlen, kann man erkennen, dass auch bei diesen Überlegungen eine Annäherung der Steuersätze Voraussetzung für ihre Verwirklichung wäre, um Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Anders als die Europäische Kommission spricht sich die Ursprungslandkommission für ein mikroökonomisches Clearingverfahren aus, bei dem die Unternehmer die Daten über ihre Umsätze an Abnehmer in anderen EU-Mitgliedstaaten, z. B. im Rahmen ihrer regelmäßigen Umsatzsteuererklärungen (Umsatzsteuer-Voranmeldungen), melden. Der Ursprungsmitgliedstaat berechnet anhand dieser Angaben die Zahlung des Ausgleichs an den jeweiligen Bestimmungsmitgliedstaat und überweist ihm diesen Betrag zu einem festgelegten Zeitpunkt. Ein makroökonomisches ClearingVerfahren scheidet aus, weil die verfügbaren makroökonomischen Daten mit erheblichen Unsicherheiten und Fehlerquellen behaftet sind. Bei einem – wie auch immer ausgestalteten – Ausgleichsmechanismus muss auch geklärt werden, ob im privaten Bereich generell eine Besteuerung im Ursprungsland ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich zu Gunsten des Bestimmungslands zugelassen wird; die Ursprungslandkommission hat in ihrem Gutachten14 zu recht eine Einbeziehung dieser Umsätze in einen Ausgleichsmechanismus vorgesehen, weil nur so dem Verbrauchsmitgliedstaat die Umsatzsteuer in zutreffender Höhe zufließt. Dies wird – auch aus Wettbewerbsgründen – nur erreicht werden können, wenn die Umsatzsteuersätze zumindest weitgehend angenähert sind. Aber selbst eine Punktharmonisierung bei den Steuersätzen wird diesen Grenzausgleich nicht beseitigen, da unterschiedliche Handelsströme bestehen bleiben. Wettbewerb soll es ja auch im europäischen Binnenmarkt weiterhin geben. Sieht man in der Rückschau, wie mühsam der Weg hin zum europäischen Binnenmarkt ab 1.1.1993 war, mit dem aber nur der Wegfall der körperlichen Grenzkontrollen erreicht wurde, und wie wenige Entscheidungen seitdem vom Rat hin zu einem endgültigen Mehrwertsteuersystem getroffen worden sind, wird ein tatsächlich endgültiger Binnenmarkt in der EU bei der Umsatzsteuer – wenn überhaupt – dann allenfalls nur sehr langfristig möglich sein. Der umsatzsteuerliche Grenzausgleich als unsichtbare Steuergrenze wird endgültig erst aufgehoben werden können, wenn es keiner genauen Zuweisung von Umsatzsteuerbeträgen an die einzelnen EU-Mitgliedstaaten mehr bedarf. Dies ist – hier haben wir das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland als bestehendem Binnenmarkt mit ihrem föderativen System vor Augen – nur möglich, wenn es in der EU nur einen Steuergläubiger gibt und die eingenommene Umsatzsteuer auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten nach einem bestimmten Schlüssel – einem EU-Länderfinanzausgleich – verteilt wird. An die Verwirklichung einer solchen Regelung ist bei der derzeitigen Konstellation in der EU nicht zu denken.

__________ 14 Siehe Gutachten der Ursprungslandkommission, Ausarbeitung der endgültigen Regelung für die Umsatzbesteuerung des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs und für ein funktionsfähiges Clearing-Verfahren (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 52), Bonn 1994.

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Das Reverse-Charge-Verfahren im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr Inhaltsübersicht I. Aktuelle Entwicklungen bei der Betrugsbekämpfung in der Umsatzsteuer und Bestrebungen der generellen Steuerschuldverlagerung 1. Das gegenwärtige Erhebungsverfahren in der nationalen Umsatzsteuer 2. Gemeinschaftsrechtliche Bestrebungen bezüglich des Erhebungsverfahrens II. Gegenwärtige Reverse-Charge-Regelungen im nationalen Umsatzsteuerrecht 1. Reverse-Charge für Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers a) Werklieferungen b) Sonstige Leistungen 2. Kriterium der Ansässigkeit und Fragen bei deren Begriffsbestimmung 3. Reverse-Charge für die Lieferung sicherheitsübereigneter Gegenstände und Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen

4. Reverse-Charge für Bauleistungen 5. Unbeachtlichkeit des Leistungsbezugs für den unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich III. Reverse-Charge-Regelungen im Umsatzsteuerrecht des EU-Auslands 1. Beispiel: Reverse-Charge-Verfahren in Frankreich für bestimmte Lieferungen 2. Rechnungsstellung bei ReverseCharge im europäischen Vergleich a) Hinweis auf Reverse-Charge in der Rechnung b) Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug IV. Resümee

I. Aktuelle Entwicklungen bei der Betrugsbekämpfung in der Umsatzsteuer und Bestrebungen der generellen Steuerschuldverlagerung Die Europäische Kommission hat in ihrer Mitteilung über die Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Bekämpfung von Steuerbetrug (IP/06/697) die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs als eines ihrer wichtigsten Anliegen bezeichnet. Dass das gegenwärtige Erhebungsverfahren bei der Umsatzsteuer betrugsanfällig und dadurch reformbedürftig ist, ist unbestritten. Die Verluste für den jeweiligen Fiskus entstehen zum einen durch nicht abgeführte Umsatzsteuerbeträge und zum anderen durch im Ergebnis zu Unrecht vergütete

__________ * Heidi Friedrich-Vache dankt Prof. Dr. Reiß sehr herzlich für die wunderbare Ausbildung und Unterstützung.

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Claudia Hillek und Heidi Friedrich-Vache

Vorsteuerbeträge. Die bisherigen Diskussionsansätze zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs stellen weitgehend eine Fortschreibung der bestehenden Maßnahmen dar, so wie die Ausdehnung oder die Modifikation des sog. ReverseCharge-Verfahrens bzw. die Intensivierung der Kontrollmaßnahmen, die derzeit nur mit zeitlichem Abstand zum jeweiligen Geschäftsvorfall1 erfolgen können. Gerade das Reformmodell, ein generelles „Reverse-Charge-Verfahren mit R-Check“2 auf europäischer Ebene einzuführen, wurde in der Literatur3 zahlreich diskutiert und bestehende Vor- und Nachteile im Hinblick auf das Ziel, die bestehenden Betrugsmöglichkeiten zu verhindern, analysiert. Das Planspiel zur generellen Verlagerung der Steuerschuld bei Leistungen auf den unternehmerischen Leistungsempfänger bei einem Rechnungsbetrag von mehr als 5000 Euro und die hierüber erfolgte Machbarkeitsstudie einer vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft4 selbst kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass eine generelle Systemumstellung auf Reverse-Charge einerseits die Wirtschaft und die beteiligten Unternehmer in unterschiedlichem Maße belaste, zu Mehraufwand bei der Finanzverwaltung führe und zusätzlichen Umsatzsteuerbetrug bewirke, jedoch andererseits die nach gegenwärtigem Umsatzsteuerrecht bestehenden Betrugsmöglichkeiten (z. B. bei Karussellgeschäften, Vorsteuerbetrug) in einem solchen Ausmaß verhindere, dass sich im Ergebnis ein positiver Nettoeffekt ergebe. Daher wird der Antrag nach Art. 395 MwStSystRL5 (vormals Art. 27 der 6. EG-Richtlinie) von Deutschland und Österreich weiterverfolgt, der zum Ziel hat, für alle steuerbaren und steuerpflichtigen Umsätze in Deutschland bzw. Österreich mit einem Rechnungsbetrag von über 5000 Euro einen Über-

__________ 1 Mattes, Setzt dem Umsatzsteuerbetrug ein Ende!, UR 2006, 689 (690). 2 Nach dem vom BMF in Auftrag gegebenen Planspiel, vgl. PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse Charge Verfahren“, Zusammenfassender Ergebnisbericht, München, November 2005. 3 Vgl. z. B. Eckert, Überblick zum geplanten Reverse-Charge-Verfahren bei der Umsatzsteuer, BBK, Fach 2, S. 1301; Matheis/Groß, Best of Both Worlds?, UR 2006, 379; Matheis/Groß/Vogl, Steuerreformmodelle im Praxistest, DStR 2006, 214; Mattes, Setzt dem Umsatzsteuerbetrug ein Ende!, UR 2006, 689; Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch Reverse-Charge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis, BB 2006, 356; Tiedtke, Systemwechsel bei der Umsatzsteuer, UR 2006, 249; Wagner, Vor- und Nachteile des Reverse-ChargeModells aus der Sicht der Gerichtsbarkeit, UVR 2006, 141; Weimann, Cross-Check, Mittler- oder Reverse-Charge-Modell: Überlegungen zu einer Reform des Umsatzsteuersystems, IWB, Fach 3, Gruppe 7, S. 695; Widmann, Systembezogene Änderungen bei der Umsatzbesteuerung „Reverse-Charge-Verfahren“, UR 2006, 624; Widmann, Planspiel, Finanzministerkonferenz, Sachverständigenrat, Koalisationsvertrag: alle wollen jetzt nur das eine: Reverse Charge, UR 2006, 13; Zugmaier, Übergang der Steuerschuldnerschaft auch bei Leistungen für den nichtunternehmerischen Bereich, NWB, Fach 7, S. 6637. 4 Vgl. das vom BMF in Auftrag gegebene Planspiel, vgl. PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse Charge Verfahren“, Zusammenfassender Ergebnisbericht, München, November 2005. 5 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), ABl. EU Nr. L 347/2006, 1; die Mehrwertsteuersystemrichtlinie hat zum 1.1.2007 die 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG v. 17.5.1977 ersetzt.

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Reverse-Charge-Verfahren

gang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger im jeweiligen Umsatzsteuerrecht für alle Leistungen von Unternehmen an andere Unternehmen (B-2-B bzw. Business-to-Business) zu verankern. Auf der Grundlage von Art. 395 MwStSystRL können die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, Ausnahmen von den Grundsätzen des Umsatzsteuerrechts zu genehmigen, wenn diese zweckentsprechend, restriktiv und verhältnismäßig sind. Würde letztlich die Kommission diese Maßnahmen genehmigen, hätte dies eine radikale Änderung des Umsatzsteuersystems zur Folge, bei der auch eines seiner Hauptmerkmale, die fraktionierte Zahlung, d. h. die Abführung der geschuldeten Umsatzsteuer in Teilbeträgen auf den verschiedenen Stufen der Unternehmerkette, aufgegeben würde.6 1. Das gegenwärtige Erhebungsverfahren in der nationalen Umsatzsteuer Grundsätzlich ist nach gegenwärtigem (Erhebungs-)System in seiner technischen Ausgestaltung der leistende Unternehmer, der steuerbare und steuerpflichtige Umsätze ausführt, betreffend die von ihm erbrachten Umsätze gem. § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG Schuldner der Umsatzsteuer. Das Gesetz verlagert jedoch bereits heute in den Ausnahmefällen des § 13b Abs. 1 UStG7 bei bestimmten Umsätzen, unter den weiteren Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 UStG, die Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger (sog. ReverseCharge). Im Ergebnis fällt damit die Steuerschuld und der Anspruch auf Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG) in der Person des Leistungsempfängers (im selben Erklärungszeitraum) zusammen.8 Infolge dessen wird das Risiko für den Fiskus, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer nicht entrichtet, der Leistungsempfänger aber aus der vorliegenden Rechnung den Vorsteuerabzug aus der empfangenen Leistung geltend macht, weitgehend vermieden. Eine besondere Gefahr für den Steueranspruch liegt auch dann vor, wenn der Fiskus beispielsweise seinen Steueranspruch gegen den im Ausland ansässigen, leistenden Unternehmer durchsetzen muss, was in der Vorschrift des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG aufgegriffen wird. Gerade in diesen Fällen hat der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer für den im Ausland ansässigen Unternehmer zu entrichten. Gerechtfertigt wird die derzeit in bestimmten Fallkonstruktionen bestehende Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger zum einen als Regelung zur effektiven Erhebung von Steuern, die von den im Ausland ansässigen Unternehmern oder bestimmten inländischen Unternehmern geschuldet würden. Andererseits kommt es durch die Verlagerung der Steuer-

__________ 6 Vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission, IP/06/1023. 7 Durch Art. 18 Nr. 5 StÄndG 2001 (Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften – Steueränderungsgesetz 2001 – v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3794) ist § 13b UStG zum 1.1.2002 neu in das Umsatzsteuergesetz eingeführt worden und am 1.1.2002 in Kraft getreten. 8 Im Ergebnis führt diese Verlagerung der Steuerschuld in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist (in der Regel der Unternehmer i. S. d. § 2 UStG) dazu, dass die Umsatzsteuer faktisch nicht erhoben wird.

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schuldnerschaft auf den Leistungsempfänger zu erheblichen administrativen Erleichterungen für die im Ausland ansässigen Unternehmer, aber auch für die Finanzverwaltung.9 In den Fällen des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2–4 UStG, in denen bei Lieferungen sicherungsübereigneter Gegenstände außerhalb des Insolvenzverfahrens, bei (steuerpflichtigen) Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, sowie bei bestimmten Bauleistungen der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner wird, soll die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers sicherstellen, dass die Steuer tatsächlich angemeldet und abgeführt wird. Damit dient die Maßnahme insgesamt der Sicherung des Steueraufkommens, weil die Gefahr vermieden wird, dass bei den genannten Umsätzen der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend macht10, obwohl der leistende Unternehmer die Steuer nicht entrichtet hat, weil er sich beispielsweise als im Ausland ansässiger Unternehmer nicht im Inland umsatzsteuerlich erfassen lässt/lassen will oder zahlungsunfähig ist.11 Auf der Ebene eines Unternehmers liegen damit die Vorteile des ReverseCharge-Verfahrens insbesondere in der Vermeidung einer Registrierung eines im Ausland ansässigen Unternehmers in Deutschland bzw. analog in einem anderen EU-Mitgliedstaat sowie in einem Cashflow-Vorteil. Letzterer liegt darin begründet, dass keine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den leistenden Unternehmer mehr erfolgt, der die Umsatzsteuer dann abzuführen hat, wenn die Leistung ausgeführt wurde, die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer hingegen unter Umständen erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Leistungsempfänger bezahlt erhält. Im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens erlangt der Leistungsempfänger in dem gleichen Voranmeldungszeitraum den Anspruch auf Vorsteuerabzug aus dem Leistungsbezug, in dem der ReverseCharge-Umsatz von ihm zu erklären ist. Auf der Seite des Fiskus bedeutet die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in erster Linie die – bereits erwähnte – Vermeidung von Steuerausfällen und von Umsatzsteuerbetrug, welche 2003 nach einer Veröffentlichung des IFO-Instituts noch etwa 4 Mrd. Euro pro Jahr, 2005 noch etwa 1–2 Mrd. Euro betrugen. Diese Systemänderung soll es beispielsweise den als „Missing Trader“ bezeichneten Betrügern unmöglich machen, nicht gezahlte Vorsteuer mit gefälschten Rechnungen beim Finanzamt zurückzufordern. Bei dem Reverse-Charge-Verfahren muss der Leistungserbringer dem Leistungsempfänger keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen mit der Konsequenz, dass nicht mehr der Leistungserbringer, sondern der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Fiskus abführen muss. Der Leistungsempfänger kann die Umsatzsteuer mit seinen Vorsteuern verrechnen. Damit werden die Geldströme, die derzeit von Betrügern ausgenutzt werden können, vermieden.

__________ 9 Vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 13b UStG Rz. 12. 10 Der Sofortabzug der Vorsteuerbeträge ist seit ständiger EuGH-Rechtsprechung im System der Umsatzsteuer als Allphasen-Nettoumsatzsteuer verankert. 11 Vgl. Langer in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 13b UStG Rz. 13.

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2. Gemeinschaftsrechtliche Bestrebungen bezüglich des Erhebungsverfahrens Die Finanzminister der Mitgliedstaaten haben sich im Kampf gegen den Steuerbetrug geeinigt, auch die von Österreich und Deutschland favorisierte Methode12 des „Reverse-Charge“ (nochmals) zu prüfen und beauftragten Mitte 2007 die EU-Kommission, Möglichkeiten einer Einführung des sog. ReverseCharge-Verfahrens in einem interessierten Mitgliedstaat (Österreich13) zu analysieren und mit einem zeitlich befristeten Pilotprojekt neue Methoden zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs noch einmal auszuloten. Bei positiver Analyse der Auswirkungen eines solchen Feldversuchs durch die EU-Kommission ist derzeit Österreich bereit, einen Pilotversuch für das Reverse-Charge-Verfahren in der EU gegen den Umsatzsteuerbetrug durchzuführen, wonach erst der Endverbraucher die Umsatzsteuer zahlt, die der Verkäufer oder Dienstleister an das Finanzamt abführt. Dabei sollen die Auswirkungen auf die nicht an dem Pilotprojekt teilnehmenden Mitgliedstaaten, insbesondere auf ihre Haushalte, auch unter dem Aspekt der Konkurrenzfähigkeit ihrer Unternehmen sowie eine etwaige Betrugsverlagerung in andere Mitgliedstaaten, die nicht an dem Pilotprojekt teilnehmen, geklärt werden. Die Pilotphase könnte frühestens 2009 beginnen und würde sicherlich mindestens drei Jahre dauern. Im Falle einer positiven Evaluation mit nachfolgender Rechtsetzung im Jahr 2012 könnte Deutschland – optimistisch betrachtet – ab 2013 die generelle Umstellung auf das Reverse-Charge-Verfahren umsetzen. Österreich und Deutschland bestehen seit Jahren auf einem solchen Systemwechsel in der Umsatzsteuer, sie scheiterten bisher aber am Widerstand Frankreichs, Italiens und Polens. Diese Mitgliedstaaten befürchten, dass das Reverse-Charge-Modell

__________ 12 Deutschland hatte bisher andere Reformen blockiert, um eine Umstellung auf ein generelles Reverse-Charge-System durchzusetzen. Dieses bereits im Frühjahr 2006 gebündelte Maßnahmenpaket beinhaltet geplante Vereinfachungen der EU-Kommission betreffend die europäischen Rahmenregelungen für die Umsatzbesteuerung, auf die nicht zuletzt die Unternehmer warten. Dabei sollen Schwierigkeiten, die im grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen aus den unterschiedlichen nationalen Umsatzsteuersystemen und Umsatzsteuersätzen resultieren, beseitigt werden und auch der Umsatzsteuerbetrug bekämpft werden, z. B. Änderung bei der Erklärung der innergemeinschaftlichen Lieferungen mit dem Ziel, eine schnellere Verfügbarkeit dieser Informationen zwischen den Steuerverwaltungen zu erreichen, oder die Prüfung der gesamtschuldnerischen Haftung für Fälle, in denen Informationen über innergemeinschaftliche Lieferungen nicht oder nicht korrekt vorgelegt wurden, sofern dies zu einem Ausfall der Umsatzsteuer auf der nachfolgenden Stufe führt. Von der Grundsystematik ist das Umsatzsteuerrecht auf europäischer Ebene natürlich harmonisiert. Dass eine Vielzahl innerhalb der Mitgliedstaaten abweichende Einzelregelungen existiert, zeigt sich insbesondere auch bei den Reverse-Charge-Regelungen und diesbezüglich im Bereich der Rechnungsstellung, siehe hierzu Punkt III ff. 13 Österreich habe bereits mit der Umstellung der Bauwirtschaft auf das ReverseCharge-Modell (eingeführt wie in Deutschland mit Sondergenehmigung durch die EU-Kommission) gute Erfahrungen gemacht und allein durch die Umstellung die Abgabensituation um 200 Mio. Euro verbessern können, so eine Presseinformation v. 20.4.2007 des österreichischen Bundesfinanzministeriums für Finanzen.

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als grundlegende Änderung des gegenwärtigen Umsatzsteuersystems andere Türen für Betrüger öffnet. Eine entsprechende Änderung des Umsatzsteuersystems müsste nach Auffassung der Mitgliedstaaten die Betrugsmöglichkeiten tatsächlich und deutlich reduzieren – dies haben die Mitgliedstaaten bereits vereinbart –, es dürften keine unverhältnismäßigen administrativen Aufwendungen für Unternehmen (insbesondere die steuerehrlichen Unternehmer) und Finanzverwaltungen entstehen sowie keine neuen Schlupflöcher für Betrüger eröffnet werden. Weiterhin darf die Anwendung des neuen Steuersystems insgesamt nicht diskriminierend sein, d. h., etwaige Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt müssen vermieden werden, wobei die Steuerneutralität und Gleichbehandlung inländischer und nicht im Inland ansässiger Unternehmer gewährleistet sein muss. Neben dem generellen Reverse-Charge-Verfahren (mit R-Check) wurden auch weitere Vorschläge in die Diskussion eingebracht, wie beispielsweise das sog. Mittler-Modell mit seinem Übergang zu einer Schlussbesteuerung auf der letzten Stufe der Leistungskette (zwischen Unternehmern wird hierbei keine Umsatzsteuer erhoben) oder die generelle Ist-Versteuerung, d. h. Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (die ursprünglich von Seiten des BMF bevorzugt wurde und bestimmte weitere Kontrollmechanismen vorsah, sog. Cross-Check). Die Systemdebatte konzentriert sich – wie bereits beschrieben – nunmehr allein auf die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens, welches bereits im gegenwärtigen System der Umsatzbesteuerung mit primärer Steuerschuldnerschaft des Leistenden in § 13b UStG – sozusagen als Ausnahme – vorgesehen ist. Die Regelung des § 13b UStG wird nachfolgend als „Vorreiter“ des generellen Reverse-Charge-Verfahrens dargestellt, wobei aufgezeigt werden soll, dass bereits in den bestehenden Regelungen und insbesondere in den praktischen Ausgestaltungen auf europäischer Ebene im Vergleich der Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestehen.

II. Gegenwärtige Reverse-Charge-Regelungen im nationalen Umsatzsteuerrecht Gemeinschaftsrechtliche Grundlage des Reverse-Charge-Verfahrens im grundsätzlich harmonisierten Umsatzsteuersystem in Europa ist Art. 196 MwStSystRL. Hiernach ist das Reverse-Charge-Verfahren bei steuerpflichtigen Lieferungen oder Dienstleistungen von nicht im Inland ansässigen Unternehmern möglich sowie bei der steuerpflichtigen Erbringung von sog. Katalogleistungen (Art. 56 MwStSystRL), innergemeinschaftlichen Güterbeförderungen (Art. 47 ff. MwStSystRL) und Vermittlungsleistungen (Art. 44 MwStSystRL). Die deutsche Reverse-Charge-Vorschrift des § 13b UStG wurde mit Wirkung zum 1.1.200214 eingeführt, die für den Leistungseinkauf, d. h. für den in Deutsch-

__________ 14 Art. 18 Nr. 5 StÄndG 2001, BGBl. I 2001, 3794. Zugleich wurden die Regelungen des bis dahin gültigen sog. Abzugsverfahrens (§ 18 Abs. 8 UStG i. V. m. §§ 51 ff. UStDV) mit der Begründung von Problemen bei der Anwendung des Verfahrens aufgehoben.

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land steuerbaren und steuerpflichtigen Bezug von Leistungen eine Steuerschuldverlagerung auf den Leistungsempfänger vorsieht.15 Mit Wirkung zum 1.4.2004 sind § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG neu gefasst, der Tatbestand des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG eingefügt und § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG angepasst worden.16 1. Reverse-Charge für Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers Der Zweck des Übergangs der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger liegt laut Regierungsentwurf17 zum Steueränderungsgesetz 2001 in der Sicherstellung der Besteuerung und damit der Eindämmung des Umsatzsteuerbetrugs. Im Bereich der Leistungserbringung eines im Ausland ansässigen Unternehmers nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG rechtfertige sich ReverseCharge mit der Schwierigkeit des Fiskus als Steuergläubiger, den nicht im Inland ansässigen Unternehmer zu besteuern, da die Hoheitsgewalt an der Grenze endet. Selbst mit dem Amtshilfeabkommen zwischen den Staaten bleibt das Verfahren umständlich und langwierig.18 Gemeinschaftsrechtliche Grundlage für die Verlagerung der Steuerschuld in den Fällen der Leistung durch einen im Ausland bzw. nicht im Inland ansässigen Unternehmer (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) ist Art. 194 MwStSystRL (vormals Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der 6. EG-Richtlinie). Die Umkehr der Steuerschuld erfolgt, wenn eine im Inland steuerpflichtige Werklieferung (nicht hingegen reine Lieferung19) oder sonstige Leistung von einem Unternehmer, der im Ausland (im Drittland oder in einem anderen EUMitgliedstaat) ansässig ist, an einen unternehmerischen Leistungsempfänger20 ausgeführt wird. Von praktischer Relevanz ist diesbezüglich insbesondere die Tatbestandsvoraussetzung der „Ansässigkeit“ des leistenden Unternehmers im Ausland, da

__________ 15 Reverse-Charge ist z. B. auch dann anzuwenden, wenn bei Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts der letzte Abnehmer für seinen Lieferanten (mittlerer Unternehmer) die lokale Umsatzsteuer des Bestimmungslandes (am Ende der Beförderung/Versendung) aus der Lieferung des mittleren Unternehmers schuldet und abzuführen hat. Auch hier ist ebenso wie bei § 13b Abs. 2 UStG keine Gesamtschuldnerschaft zusammen mit dem Leistenden – wie etwa bei §§ 13c, 25d UStG – vorgesehen, sondern der Leistungsempfänger ist alleiniger Steuerschuldner. 16 Art. 14 Nr. 2 Buchst. a und b i. V. m. Art. 29 HBeglG 2004, BGBl. I 2003, 3076. 17 BR-Drucks. 399/01, Begründung zu Art. 14, Nr. 4 – zu § 13b UStG. 18 Das Amtshilfeabkommen besteht insbesondere mit den EU-Staaten gemäß der EGAmtshilfe-Richtlinie 77/799/EWG vom 19.12.1977, ABl. EG Nr. L 336/1977, 15; vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 2. 19 Lieferungen sind lediglich im Rahmen des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 und 5 UStG erfasst, d. h. bei vorliegendem Doppelumsatz im Rahmen der Sicherungsübereignung und insbesondere bei Grundstücksveräußerungen (Lieferung eines Grundstücks) sowie im Sonderfall der Lieferung von Gas und Elektrizität. Zu Lieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers siehe aber später das Beispiel Frankreich unter Punkt III 1. 20 Oder an eine juristische Person öffentlichen Rechts.

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insbesondere deren Begriffsbestimmung von praktischer Relevanz ist. Nach deutscher Auffassung (§ 13b Abs. 4 Satz 1 UStG) ist ein Leistender dann im Ausland ansässig, wenn er zum Zeitpunkt der Leistungserbringung (§ 13b Abs. 4 Satz 2 UStG) im Inland21 weder seinen Wohnsitz i. S. d. § 8 AO, seinen Sitz i. S. d. § 9 AO, seine Geschäftsleistung i. S. d. § 10 AO noch eine Zweigniederlassung hat. Eine deutsche Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder eine Registrierung für umsatzsteuerliche Zwecke in Deutschland ist nach deutschem Umsatzsteuerrecht kein Merkmal für die Ansässigkeit im Inland. Vermietet hingegen ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Inland ein Grundstück steuerpflichtig (unter Ausübung der Option nach § 9 UStG), wird er insoweit als im Inland ansässig behandelt (Abschn. 182a Abs. 22 Satz 2 UStR), mit der Konsequenz, dass (unternehmerische) Mieter letztlich nicht zum Steuerschuldner werden. Der Leistungsempfänger schuldet die Umsatzsteuer – bei Unsicherheit darüber, ob der Leistende zum Zeitpunkt der Leistungsausführung im Ausland ansässig war – nur dann nicht, wenn ihm der Leistende durch eine Bescheinigung des nach abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamtes (in diesem Fall dann ein deutsches Finanzamt) nachweist, dass er kein Unternehmer i. S. d. § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG ist (§ 13b Abs. 4 Satz 3 UStG).22 a) Werklieferungen Die Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei der Lieferung von Gegenständen erfolgt nur dann, wenn die Merkmale einer Werklieferung erfüllt sind. Diese Beschränkung auf Werklieferungen als spezielle Unterform der Lieferung sei nach deutscher Auffassung sachgerecht, da bei den übrigen Lieferungen eine Umsatzbesteuerung entweder durch die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer auf den Zollwert des eingeführten Gegenstandes erfolgt23 oder vom Abnehmer ein innergemeinschaftlicher Erwerb zu besteuern ist. Erwirbt der ausländische Unternehmer einen Gegenstand im Inland, so ist dieser ebenfalls umsatzsteuerbelastet. Bei Werklieferungen sei jedoch die Sicherstellung der Besteuerung erforderlich, weil die Wertschöpfung des Dienstleistungselements sonst nicht steuerlich erfasst wird, welches in der Werklieferung regelmäßig enthalten ist.24 Dadurch, dass beispielsweise bei der Erbringung von Werklieferungen durch einen nicht im Inland ansässigen Unternehmer die Umsatzsteuerschuld auf den leistungsempfangenden Unternehmer übergeht, wird vermieden, dass sich

__________ 21 Oder auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete. 22 Der leistende Unternehmer hat die Bescheinigung zu beantragen nach BR-Drucks. 399/01, Begründung zu Art. 14, Nr. 4 – zu § 13b UStG. 23 Eine Steuerpflicht in Deutschland ist insbesondere durch die Vorschrift des § 3 Abs. 8 UStG gegeben, wenn der Lieferer der Ware Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, d. h. die Ware im Inland zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr abfertigt. 24 Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 21.

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der ausländische Leistende für Zwecke der Umsatzbesteuerung registrieren lassen muss. Damit muss er nicht am allgemeinen Besteuerungsverfahren teilnehmen. Auf Seiten des Fiskus soll die Anwendung des Reverse-ChargeVerfahrens für die Sicherung des Umsatzsteueraufkommens sorgen, da es einfacher erscheint, sich an den in der Regel inländischen Leistungseinkäufer zu halten. Neben Deutschland sehen z. B. auch Länder wie Belgien, Frankreich, Italien, Österreich oder Rumänien ein Reverse-Charge-Verfahren für Werklieferungen vor, während beispielsweise Griechenland und Luxemburg keine Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf den die Werklieferung empfangenen Unternehmer zulassen. Dies bedeutet, dass in diesen Ländern eine umsatzsteuerliche Registrierung, die stets für den betroffenen Unternehmer mit administrativem und finanziellem Aufwand verbunden ist, für den Leistenden erforderlich wird und die Rechnungsstellung unter Ausweis griechischer bzw. luxemburgischer Umsatzsteuer zu erfolgen hat.25 Auch in Drittländern wie der Schweiz oder Norwegen26, die grundsätzlich Reverse-Charge-Regelungen in ihren nationalen Umsatzsteuergesetzen kennen, ist ein Reverse-Charge-Verfahren für Werklieferungen nicht vorgesehen. Doch die Schwierigkeit der Prüfung, in welchen Mitgliedstaaten ein Reverse-Charge-Verfahren für Werklieferungen gesetzlich normiert ist, besteht gerade bei Werklieferungen bereits eine Stufe zuvor, nämlich in der Begriffsbestimmung der Werklieferung an sich. Gerade die Begriffsabgrenzung, wann eine Werklieferung in den jeweiligen Mitgliedstaaten vorliegt, weicht teilweise stark von dem deutschen Begriffsverständnis ab, womit wiederum deutlich wird, wie wenig harmonisiert die Umsatzsteuer in Bezug auf ein grundlegendes Verständnis der in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie verwendeten Begriffen ist, selbst wenn diese darin bereist teilweise kurz definiert werden. b) Sonstige Leistungen Die sonstigen Leistungen, die im Inland steuerbar (und steuerpflichtig) sind, sind nach deutschem Umsatzsteuerrecht insbesondere Vertragsbeziehungen, bei denen beispielsweise die Leistung im Zusammenhang mit einem in Deutschland belegenen Grundstück steht (z. B. Leistungen von Bau- und Vermessungsingenieuren und Architekten), die am Tätigkeitsort im Inland zu besteuern sind, sowie Dienstleistungen, die am Ansässigkeitsort des leistungsempfangenden Unternehmers zu besteuern sind, wie z. B. die Überlassung von Lizenzen und Patenten, Beratung rechtlicher oder technischer Natur, Personalgestellungen oder typische Finanzumsätze wie die Kreditgewährung. Für diese sog. Katalogleistungen i. S. d. Art. 56 der MwStSystRL ist in Art. 196 der MwStSystRL grundsätzlich das Reverse-Charge-Verfahren vorgesehen, wenn diese sonstigen Leistungen von einem im Ausland ansässigen Unternehmer ausgeführt werden. Doch auch bei den in Art. 56 MwStSystRL katalogmäßig aufgeführten sonstigen Leistungen besteht keine einheitliche Umsetzung in den EU-Mitgliedstaaten in der Hinsicht, dass beispielsweise nicht für alle in

__________ 25 Stand: Juli 2007. 26 Stand: Juli 2007.

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Art. 56 MwStSystRL aufgezählten Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten ein Reverse-Charge gesetzlich normiert ist. So ist z. B. in Finnland oder Lettland kein Reverse-Charge normiert für Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, in den Niederlanden, Ungarn, Österreich, Italien oder Portugal dagegen geht die Steuerschuldnerschaft nicht über bei der Zugangsgewährung zu Erdgas- und Elektrizitätsverteilungsnetzen und damit verbundener Dienstleistungen. Die Slowakei sieht ferner kein Reverse-Charge-Verfahren für die Vermittlungen der in Art. 56 MwStSystRL genannten Katalogleistungen vor.27 Das deutsche Umsatzsteuerrecht sieht wie viele andere Mitgliedstaaten dagegen vollständig für alle in Art. 56 MwStSystRL bzw. § 3a Abs. 4 UStG genannten Katalogleistungen das Reverse-Charge-Verfahren vor, ebenso wie für alle anderen sonstigen Leistungen, so z. B. auch für sonstige Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück i. S. d. § 3a Abs. 2 Nr. 1 UStG. Bulgarien, Dänemark, Griechenland, Lettland oder Luxemburg28 haben wiederum grundsätzlich kein Reverse-Charge-Verfahren für derartige grundstücksbezogene Dienstleistungen. Ebenfalls unter diese Fallgruppe, wonach der Leistende ein im Ausland ansässiger Unternehmer sein muss, fällt das zum 1.1.2005 (im Zuge der Einführung der Ortsvorschrift des § 3g UStG für die Lieferung von Gas und Elektrizität) eingeführte Reverse-Charge für Lieferungen von Gas über das Erdgasnetz und Elektrizität. Für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in diesem Bereich steht der Vereinfachungszweck im Vordergrund, damit der im Ausland ansässige Lieferer nicht im Inland für Zwecke der Umsatzbesteuerung erfasst werden muss.29 2. Kriterium der Ansässigkeit und Fragen bei deren Begriffsbestimmung Die Auffälligkeit, dass Art. 194 MwStSystRL (wie auch § 13b UStG) von einem „im Ausland ansässigen“ Steuerpflichtigen spricht, während sonst durchgängig die Bezeichnung des „nicht im Inland ansässigen“ Steuerpflichtigen gebraucht wird, soll an dieser Stelle nicht weiter verwundern.30 Der in erheblichem Maße praxisrelevante Begriff der „Ansässigkeit“ ist in Deutschland gesetzlich weder allgemein noch speziell definiert (allenfalls in Einzelfällen und selbst dann durch Finanzverwaltung und Rechtsprechung nicht einheitlich verwendet31). Gemeinschaftsrechtlich ist ebenfalls nicht unmittelbar vorgegeben, auf welches Kriterium bei der Bestimmung der Ansäs-

__________ 27 28 29 30

Stand betreffend die Regelungen der insgesamt angeführten Mitgliedstaaten: Juli 2007. Stand: Juli 2007. Vgl. Regierungsentwurf EURLUmsG, BR-Drucks. 605/04, Begründung zu Art. 5 Nr. 9. Nur die Formulierung des „nicht im Inland ansässigen“ Unternehmers ist sachgerecht, da nach dem Zweck des Reverse-Charge-Verfahrens entscheidend ist, dass ein nicht im Inland ansässiger Unternehmer vom Steuergläubiger (Fiskus) nicht oder nur schwer besteuert werden kann, vgl. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 16. 31 Vgl. Reichel/Ahrens, Ansässigkeit des Unternehmers und Zuständigkeit der Finanzämter im Umsatzsteuerrecht, UStB 2006, 143.

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sigkeit abzustellen ist.32 Ein Hinweis auf nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Ebene ergibt sich jedoch aus den Regelungen zum Leistungsort, namentlich aus § 3a UStG (Art. 43 MwStSystRL). Denn die Ansässigkeitskriterien, die den Leistungsort und die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers betreffen, sollten übereinstimmen, da diese bei der Anwendung des ReverseCharge-Verfahrens zusammenspielen.33 Danach ist maßgebend der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit, die feste Niederlassung, Wohnort oder Ort des gewöhnlichen Aufenthalts. Mithin ist es nicht entscheidend, dass der Unternehmer zum Zeitpunkt der Leistungsausführung im Ausland ansässig ist, sondern dass dieser nicht im staatsrechtlichen Inland ansässig und damit für den Steuergläubiger schwer oder überhaupt nicht zu greifen ist. Hinsichtlich des genannten Zwecks des Übergangs der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger – die Sicherstellung der Umsatzbesteuerung – sollte jedoch nicht nur entscheidend sein, ob der Leistende für den Fiskus greifbar ist, sondern insbesondere auch, ob dieser im Inland über Vermögen verfügt, in welches zur Verwirklichung des Steueranspruches eine Vollstreckung möglich ist.34 Die in § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG wie auch die in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie aufgeführten Kriterien stellen hierauf nicht ab, da die genannten Ansässigkeitskriterien nicht notwendig mit inländischem Vermögen verbunden sein müssen (Ausnahme: steuerpflichtige Vermietung im Inland), sondern lediglich die mögliche Erfassung des Unternehmers durch den inländischen Fiskus vermitteln. Die Tatsache, dass ein Unternehmer im Inland für Zwecke der Umsatzbesteuerung erfasst ist bzw. bei einem Finanzamt im Inland umsatzsteuerlich geführt wird (wie dieser Begriff z. B. in § 25b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG verwendet wird), ist dagegen kein Merkmal dafür, dass der Leistende im Inland ansässig ist. Gleiches gilt, wenn ihm eine entsprechende deutsche UmsatzsteuerIdentifikationsnummer erteilt wurde (Abschn. 182a Abs. 22 Satz 6 UStR). Maßgebend sollen allein die in § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG genannten Kriterien sein, die allerdings nach Auffassung des BFH richtlinienkonform ausgelegt werden müssen.35 Der Wohnsitz ist nach deutscher Auffassung gem. § 8 AO der Ort, an dem eine Person eine Wohnung innehat, anhand deren sich darauf schließen lässt, dass diese beibehalten und benutzt wird. Da der Gesetzgeber in § 13b UStG anders als in § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3a Nr. 1 UStG (hier wird Wohnort verwendet) von Wohnsitz spricht, soll wohl das abgabenrechtliche Verständnis zu Grunde liegen. Da – wie erwähnt – die Ansässigkeitskriterien richtlinienkonform auszulegen sind, muss vielmehr auf Wohnort oder üblichen Aufenthalt abgestellt

__________ 32 So auch bereits BFH, Urt. v. 22.5.2003 – V R 97/01, BStBl. II 2003, 819 – zur richtlinienkonformen Auslegung der Begriffe „ansässig“ und „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit“ im Vorsteuer-Vergütungsverfahren. 33 So z. B. auch Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 17. 34 Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 29 f. 35 Vgl. BFH, Urt. v. 22.5.2003 – V R 97/01, BStBl. II 2003, 819.

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werden. Der Sitz einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse ist nach § 11 AO der Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung oder dergleichen bestimmt ist. Dieses Ansässigkeitskriterium ist offensichtlich nicht richtlinienkonform, da nach Art. 43 MwStSystRL für die Ansässigkeit auf den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit abzustellen ist36, womit der formale (statuarische) Sitz nicht ausreicht, um eine Ansässigkeit im Inland zu begründen. Der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit kann sich mithin nur nach dem Ort der Geschäftsleitung richten.37 Die Zweigniederlassung wird von § 12 Satz 2 Nr. 2 AO als Beispiel für eine Betriebsstätte genannt, weshalb nicht jede Betriebsstätte eine Zweigniederlassung ist. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist die Zweigniederlassung als feste Niederlassung im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie mit den vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen zu verstehen, d. h., dass hierfür Personal- und Sachmittel ständig zusammenwirken, die für die Erbringung der betreffenden Leistungen erforderlich sind und eine autonome Leistungserbringung möglich ist.38 Ob für das Vorliegen einer Zweigniederlassung die Eintragung in das Handelsregister erforderlich ist, ist derzeit noch strittig. Mit rechtskräftigem Urteil vom 28.6.200639 hat bereits das FG München entschieden, dass der Begriff „ansässig“ EU-richtlinienkonform umzusetzen und auszulegen ist, so dass nach deutschem Recht maßgebliche Anknüpfungsbegriffe wie die Zweigniederlassung am Gemeinschaftsrecht auszurichten sind. Daher ist die Eintragung in das Handelsregister gem. § 12 Satz 2 Nr. 2 AO für das Vorliegen einer inländischen Zweigniederlassung bei richtlinienkonformer Auslegung des Begriffs der Zweigniederlassung nicht erforderlich. Denn würden die Mitgliedstaaten den zur Ansässigkeit führenden Begriff der Zweigniederlassung nach nationalem Recht definieren, würde dies zum einen dazu führen, dass die Mitgliedstaaten den Umfang der Ermächtigungsgrundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie beeinflussen könnten, zum anderen das Risiko beinhalten, dass es in Konfliktfällen zu Steuerausfällen infolge umsatzsteuerlicher Nichtbesteuerung oder zu einer Doppelbesteuerung käme. Mit Urteil vom

__________ 36 Vgl. auch BFH, Urt. v. 22.5.2003 – V R 97/01, BStBl. II 2003, 819. 37 Vgl. FG Köln, Urt. v. 21.3.2001 – 2 K 6848/98, EFG 2001, 1330; a. A. Klenk, IStR 2000, 568 – Anmerkung zum Urteil. 38 Vgl. EuGH, Urt. v. 20.2.1997 – Rs. C-260/95 – DFDS, EuGHE 1997, I-1005; EuGH, Urt. v. 4.7.1985 – Rs. 168/84 – Berkholz, EuGHE 1985, 2251; EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-190/95 – ARO Lease, EuGHE 1997, I-4383; BFH, Urt. v. 10.2.2005 – V R 56/03, HFR 2005, 1208. Das vermietete Grundstück ist vom Gesetzeszweck als Zweigniederlassung im Sinne einer festen Niederlassung anzusehen. Nach Abschn. 182a Abs. 22 Satz 5 UStR soll der Leistende jedoch nur mit den steuerpflichtigen Vermietungsumsätzen als im Inland ansässig gelten. Zwar ist diese Beschränkung der Begründung der Ansässigkeit auf bestimmte Umsätze, für die dann das ReverseCharge-Verfahren keine Anwendung findet, inkonsequent, jedoch von der praktischen Seite nachvollziehbar (schließlich ist der Leistende den Finanzbehörden diesbezüglich bekannt) und auch in anderen Fallkonstellationen (z. B. bei im Ausland ansässigen Leistungsempfängern) wünschenswert und erforderlich. 39 FG München, Urt. v. 28.6.2006 – 3 K 4109/04, EFG 2006, 1545.

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18.10.200640 hat das FG Köln ebenfalls entschieden, dass es sich bei dem Begriff der Ansässigkeit um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff handelt, dessen Inhalt EU-richtlinienkonform zu bestimmen ist. Diesbezüglich bleibt abzuwarten, ob höchstrichterlich – wie anzunehmen – entschieden wird, dass es entsprechend der Mehrwertsteuersystemrichtline nicht auf die nationalen Begründungen einer Zweigniederlassung durch deren Eintragung ins Handelsregister ankommen kann, sondern anhand des Vorliegens der Kriterien der festen Niederlassung die Ansässigkeit zu bejahen oder abzulehnen ist.41 Nach österreichischem Recht zählen z. B. zu den im Ausland ansässigen Unternehmern die, die im Inland weder Wohnsitz, Sitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte haben; der Begriff geht also weiter (vgl. Punkt Ansässigkeit, wonach nach deutscher Auffassung nicht jede Zweigniederlassung eine Betriebsstätte ist). Andere EU-Mitgliedstaaten stellen für das Vorliegen der Ansässigkeit im Gegensatz zum deutschen Recht bereits auf eine (ggf. freiwillige) Registrierung des Unternehmers für umsatzsteuerliche Zwecke ab, d. h. auf das Vorhandensein einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des jeweiligen Mitgliedstaates. Verwendet also beispielsweise ein deutscher Unternehmer gegenüber dem Leistungsempfänger seine italienische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bei seiner (in Italien steuerbaren und steuerpflichtigen) Dienstleistungserbringung, für die nach italienischem Recht grundsätzlich das Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden wäre, scheitert dieses an der Ansässigkeit des deutschen Unternehmers in Italien, die durch die umsatzsteuerliche Registrierung in Italien besteht.42 Die Besonderheit in Italien besteht – wie bereits erwähnt – gleichwohl darin, dass eine freiwillige Registrierung für Umsatzsteuerzwecke möglich ist. Eine solche ist nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht verwehrt. Es besteht hier grundsätzlich eine Registrierungspflicht, wenn im Inland steuerbare Ausgangsumsätze (nicht Reverse-Charge-Umsätze) durch den Unternehmer erbracht werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Reverse-Charge-Verfahren auch dann anzuwenden ist, wenn der nach deutschem Verständnis im Ausland ansässige, leistende Unternehmer in Deutschland umsatzsteuerlich registriert ist. Dies trifft besonders schwer in dem Fall, in dem der Leistungsempfänger ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist. Denn diesem droht (ebenfalls) die umsatzsteuerliche Registrierung, auch wenn der ausländische Leistende in Deutschland bereits registriert ist, aber eben nicht als ansässig gilt. Der vor-

__________ 40 FG Köln, Urt. v. 18.10.2006 – 10 K 614/03, EFG 2007, 230 – welches zum früher geltenden Abzugsverfahren Stellung nimmt; derzeit noch offenes Verfahren, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt beim BFH (V B 209/06). 41 Zu prüfende Kriterien wären hierbei u. a. die Ausübung der Geschäftsleitung, die Art der wahrgenommenen Aufgaben, Eintragung im Telefonbuch, die Anmietung von Büroräumen, der Abschluss von Arbeitsverträgen, der Umfang der Tätigkeit von Arbeitnehmern und die Art der Arbeiten, die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen sowie der Erlass von Umsatzsteuerbescheiden von der zuständigen Finanzbehörde. 42 In Italien ist eine freiwillige Registrierung für Zwecke der Umsatzbesteuerung möglich. Ferner liegt inländische Ansässigkeit durch einen ausländischen Unternehmer hier auch bei erfolgender Fiskalvertretung vor (Stand: Juli 2007).

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stehende Zweck der Reverse-Charge-Regelungen im Falle des ausländischen Leistenden, für diesen eine umsatzsteuerliche Registrierung zu vermeiden, geht ins Leere bzw. läuft hier ad absurdum, denn weshalb sollte sich ein weiterer ausländischer Unternehmer umsatzsteuerlich registrieren lassen, wenn einer der Vertragsparteien bereits registriert ist und damit für die Finanzbehörden greifbar ist? Zudem bedeutet eine umsatzsteuerliche Registrierung für den Leistungsempfänger insbesondere weiteren finanziellen und verwaltungstechnischen Aufwand, der eigentlich – wenn auch nach der Gesetzesbegründung und der Ausgestaltung des § 13b UStG im Unterschied zum früher geltenden Abzugsverfahren nur für den leistenden Unternehmer – gerade für einen ausländischen Unternehmer vermieden werden soll. Es ist kein Grund ersichtlich, dass das Ziel des Reverse-Charge, die Vermeidung einer umsatzsteuerlichen Registrierung im Inland, nicht auch für den ausländischen Leistungsempfänger gelten soll, sowohl im Grundfall, in dem der „im Ausland ansässige“ Leistende nicht für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst ist, als auch in dem voran beschriebenen Unterfall – und gerade hier –, dass der ausländische Leistende im Inland für Zwecke der Umsatzsteuer registriert ist. Denn die derzeitige Regelung, wonach eine Registrierung nur für den ausländischen Leistenden vermieden wird, stellt eine Ungleichbehandlung gegenüber dem ausländischen Leistungsempfänger dar, der sich dann im Inland umsatzsteuerlich registrieren lassen muss. 3. Reverse-Charge für die Lieferung sicherheitsübereigneter Gegenstände und Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen Die nachfolgenden Tatbestände, für die das Reverse-Charge-Verfahren gilt, stellen die zweite Fallgruppe dar, bei der das Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden ist, unabhängig davon, wo der leistende Unternehmer ansässig ist. Bei der Lieferung von sicherheitsübereigneten Gegenständen durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb eines Insolvenzverfahrens (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG) und von Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG ab 1.4.200443), ist das Reverse-Charge auf den Erwerber im ersten Fall dadurch gerechtfertigt, dass der Leistende in der Regel zur Entrichtung und Abführung des geschuldeten Umsatzsteuerbetrags nicht in der Lage ist, der Leistungsempfänger jedoch auf der anderen Seite den Vorsteuerabzug vornehmen könnte.44

__________ 43 Vgl. zum früheren Abzugsverfahren nach § 18 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 und 3 UStG die Begründung zu Art. 1 Nr. 22 Buchst. c UStBG-RegE, BT-Drucks. 12/2463, 34 f.; zur Erweiterung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG vgl. Regierungsentwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2004, BR-Drucks. 652/03, Begründung zu Art. 10 Nr. 1. 44 Die diesbezügliche Umkehr der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ist EU-rechtlich durch entsprechende Ermächtigung abgesichert, die der Rat Deutschland mit Wirkung zum 4.6.2002 erteilt hat. Eine solche Ermächtigung wurde Deutschland auch am 30.3.2004 für die Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG) erteilt.

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Bei Verwertung eines zur Sicherheit überlassenen Gutes liegt eine Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer im Zeitpunkt der Verwertung des Sicherungsgutes vor, für die der verwertende Sicherungsnehmer (z. B. eine Bank, die die Kreditgewährung über das Sicherungsgut des Sicherungsgebers bzw. Kreditnehmers absichert) die Umsatzsteuer schuldet. Auch bei Umsätzen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen – Rechtsvorgänge, die ein inländisches Grundstück betreffen45 –, muss ein steuerbarer und steuerpflichtiger Umsatz vorliegen. Hierunter fallen insbesondere die steuerpflichtige Veräußerung von bebauten und unbebauten Grundstücken sowie die Bestellung und Übertragung von Erbbaurechten, d. h., es muss ein wirksamer Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG vorliegen, der z. B. in den Fällen des Grundstücksverkaufs zum Schutz des Käufers, der die Umsatzsteuer dann zunächst aufwenden muss, bereits in dem gem. § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag46 (oder einer notariell zu beurkundenden Vertragsergänzung oder Vertragsänderung) erklärt werden muss (§ 9 Abs. 3 Satz 2 UStG). 4. Reverse-Charge für Bauleistungen Auch im Rahmen der Erbringung von sog. Bauleistungen (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG) liegt der Zweck der Umkehr der Steuerschuldnerschaft in der Sicherstellung der Besteuerung. Das Reverse-Charge ist beim Auftraggeber anzuwenden, wenn eine Bauleistung im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (vor allem Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsarbeiten) ausgeführt wird und der Auftraggeber ein Unternehmer ist, der selbst Bauleistungen als „Bauleister“ im Sinne des Umsatzsteuergesetzes auf der Ausgangsseite erbringt. Vom Begriff des Bauwerks werden dabei nicht nur Gebäude erfasst, sondern sämtliche Anlagen, die mit dem Erdboden verbunden oder infolge ihres Gewichts auf dem Erdboden ruhen und aus Baustoffen oder Bauteilen mit baulichem Gerät hergestellt sind. Allgemein formuliert liegen Bauleistungen vor, wenn sie sich unmittelbar auf die Substanz des Bauwerks auswirken, wenn eine Substanzveränderung im Sinne einer Substanzerweiterung, Substanzverbesserung, Sub-

__________ 45 Befindet sich das Grundstück (und Gebäude) im Inland, liegt ein steuerbarer Umsatz vor, da sich nach § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG der betroffene Gegenstand zum Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht im Inland befindet. Janzen schlägt zur Zuordnung der Steuerschuld aus der Übertragung von Wirtschaftsgütern vor, in dem notariellen Vertrag durch Steuerklauseln Vorsorge zu treffen für den Fall, dass die Finanzverwaltung die umsatzsteuerliche Behandlung nicht akzeptiert, vgl. Janzen in Lippross (Hrsg.), Basiskommentar Steuerrecht, § 13b UStG Rz. 48. 46 Da hierfür Reverse-Charge anzuwenden ist, haben die Vertragsparteien zu beachten, dass der notariell zu beurkundende Vertrag keine Umsatzsteuer – wenn sie im Vertrag die Option zur Umsatzsteuerpflicht deutlich machen – gesondert ausweist, da der Vertrag ebenfalls als Rechnung angesehen werden kann, in der die Umsatzsteuer nicht gesondert ausgewiesen sein darf (§ 14a Abs. 5 UStG), vgl. hierzu Punkt III 2.

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stanzbeseitigung oder Substanzerhaltung bewirkt wird.47 Besonders bei dieser Regelung, die Reverse-Charge vorsieht, ist, dass in Zweifelsfällen (ob die Voraussetzungen vorliegen) die Beteiligten im Bereich der Bauleistungen vereinbaren können, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet. Diese Handhabung wird von der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn der Leistungsempfänger den Umsatz in zutreffender Höhe versteuert. Ebenfalls beanstandet es die Finanzverwaltung nicht, wenn die Voraussetzungen des § 13b UStG nicht vorlagen, jedoch der Leistungsempfänger den Umsatz in zutreffender Höhe versteuert hat.48 Diese Vereinfachungsklausel „im Zweifel für die Bauleistung“ wird verständlicherweise von Seiten der Finanzverwaltung im umgekehrten Fall, d. h., wenn beide Vertragparteien bei vorliegender Bauleistung und leistungsempfangenden „Bauleister“ Reverse-Charge nicht anwenden, nicht akzeptiert, obwohl bei nicht angewendetem Reverse-ChargeVerfahren auch in diesem Fall – von einem betrügerischen Verhalten wird hier nicht ausgegangen – vom leistenden Unternehmer die Umsatzsteuer in zutreffender Höhe abgeführt wird.49 Wird Reverse-Charge nicht von den Vertragsparteien angewandt, d. h., der Leistende führt die gesondert in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ab, die der Leistungsempfänger an ihn entrichtet, schuldet der Leistende die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG50, da bei vorliegendem Reverse-Charge-Fall ein gesonderter Umsatzsteuerausweis gerade nicht zulässig ist (§ 14a Abs. 5 Satz 2 UStG). Der Leistungsempfänger hat aus der Rechnung keinen Vorsteuerabzug. Auch aus diesem Grund – nicht nur aus Liquiditätsgründen – akzeptiert die Finanzverwaltung konsequenterweise den vorgenannten Fall des nichtangewandten Reverse-Charge-Verfahrens auf beiden Vertragsseiten nicht. 5. Unbeachtlichkeit des Leistungsbezugs für den unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich Bei allen in § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–5 UStG aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen kommt als weitere Tatbestandsvoraussetzung hinzu, dass der Leistungsempfänger ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Die Beschränkung der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens insbesondere auf unternehmerische Leistungsempfänger, ist damit begründet, dass nur diese von den Finanzbehörden (umsatzsteuerlich) erfasst sind bzw. erfasst werden können. Dabei ist es nach § 13b Abs. 2 Satz 3 UStG unbeacht-

__________ 47 Vgl. Art. 1 Nr. 22 Buchst. e UStBG, BStBl. I 1992, 552. 48 Vgl. Abschn. 182a Abs. 17 UStR. 49 Die Umsatzsteuer ist in dem Voranmeldungszeitraum als Vorsteuer abzugsfähig, in dem die Umsatzsteuer entsteht, vgl. Abschn. 182a Abs. 33–35 UStR. Schuldet der Unternehmer als Empfänger der Leistung die Umsatzsteuer, ist der Besitz einer ausgestellten Rechnung für die Ausübung des Vorsteuerabzuges nicht erforderlich, vgl. EuGH, Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-90/02 – Bockemühl, EuGHE 2004, I-3329. 50 Vgl. Abschn. 182a Abs. 31 Satz 5 UStR. Die ausgewiesene Steuer kann vom Leistungsempfänger grundsätzlich nicht als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG abgezogen werden.

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lich, ob die Leistung für den unternehmerischen Bereich oder nichtunternehmerischen Bereich erfolgt. Unternehmer i. S. d. § 2 UStG sind auch Kleinunternehmer (§ 19 UStG), Unternehmer, die nur steuerfreie Umsätze ausführen, z. B. Ärzte oder Mietshausbesitzer. Durch ihre Unternehmereigenschaft sind sie daher ebenfalls verpflichtet, den Übergang der Steuerschuldnerschaft zu beachten. Ein Leistungsempfänger wie beispielsweise ein Arzt, der ausschließlich die Umsatzsteuer für Umsätze gem. § 13b UStG schuldet, hat nach § 18 Abs. 4a Satz 1 UStG entsprechende Umsatzsteuer-Voranmeldungen sowie eine Umsatzsteuererklärung abzugeben. Bemerkenswert ist, dass der Übergang der Steuerschuld auch dann eintritt, wenn der Leistungsempfänger die Leistung nicht für den unternehmerischen Bereich bezieht, sondern gem. § 13b Abs. 2 Satz 3 UStG für seinen nichtunternehmerischen Bereich (z. B. für ein selbstgenutztes Einfamilienhaus bei erbrachten Bauleistungen an einen „Bauleister“ i. S. d. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG). Die Regelung ist sachgerecht51, da der Leistungsempfänger schon bei entsprechenden Umsätzen für seinen unternehmerischen Bereich Steuerschuldner ist und ihm deshalb die Steuerschuldnerschaft insoweit auch für den nichtunternehmerischen Bereich zuzumuten ist. Insbesondere geht es insoweit auch um die direkte Besteuerung des eigenen Verbrauchs und nicht etwa um die Erfüllung von Pflichten in fremder Angelegenheit, so dass sich die Frage der Zumutbarkeit prinzipiell erst gar nicht stellt. Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie spricht diesbezüglich ebenfalls lediglich von dem Empfänger bzw. steuerpflichtigen Empfänger der Leistungen und verlangt nicht, dass dieser Empfänger als Steuerpflichtiger handelt. Vordergründig erscheint die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens auch bei Leistungsbezug für den nichtunternehmerischen Bereich untypisch, es ist jedoch nachvollziehbar, dass dem leistende Unternehmer nicht auferlegt werden soll, seinen Leistungsempfänger danach zu befragen, ob er die Leistung für seinen unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich bezieht, um dann entscheiden zu können, ob Reverse-Charge angewendet werden muss oder nicht.52 Eine derartige Zuordnungsentscheidung hat gegebenenfalls der Leistungsempfänger bei Leistungsbezug bzw. bei Rechnungsstellung noch gar nicht getroffen. Auch im Bereich der unentgeltlichen Wertabgaben ist auf der Vorstufe – bei Leistungsbezug der anschließend für den nichtunternehmerischen Bereich „genutzten“ Leis-

__________ 51 Nach Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13b UStG Anm. 122. A. A. Hidien, Mehrwertsteuerschuldnerschaft qualifizierter Leistungsempfänger für Eingangsleistungen gemäß § 13b UStG, RIW 2002, 208 (214) – der hierin einen Verstoß gegen das Übermaßverbot sieht. Auch im Bereich des früher geltenden Abzugsverfahrens hat der BFH entschieden, dass dieses auch bei Werklieferungen, die für den nichtunternehmerischen Bereich bezogen werden, vom Leistungsempfänger anzuwenden ist, d. h. die Umsatzsteuer einzubehalten und abzuführen ist, vgl. BFH, Urt. v. 3.11.2005 – V R 56/02, BStBl. II 2006, 477. 52 Zu bedenken ist schließlich auch, dass nicht Privatperson hier das Reverse-ChargeVerfahren anzuwenden hätten, die ausschließlich für ihren nichtunternehmerischen Bereich Leistungen beziehen, sondern hiervon nur die unternehmerischen Leistungsempfänger betroffen sind.

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tungen – noch nicht zu entscheiden, ob diese für den unternehmerischen Bereich oder den nichtunternehmerischen schließlich genutzt werden.

III. Reverse-Charge-Regelungen im Umsatzsteuerrecht des EU-Auslands Hinsichtlich sonstiger Leistungen, die in den EU-Ländern jeweils von im Ausland ansässigen Unternehmern erbracht werden, herrscht bei der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens weitgehende Harmonisierung. Allerdings bestehen Unterschiede in der Umsetzung der Regelung in den verschiedenen europäischen Mitgliedstaaten vor allem bei Werklieferungen bzw. Lieferungen53 von im Ausland ansässigen Unternehmern. Hinzu kommen nationale Erweiterungen des Anwendungsbereichs aufgrund diverser Sondergenehmigungen der EU (z. B. das „Reverse-Charge-Verfahren“ bei Bauleistungen in Deutschland und Österreich) sowie die unterschiedliche Auslegung der Voraussetzungen im Einzelnen (z. B. der Begriff des „im Ausland ansässigen Unternehmers“). Hingegen besteht im Bereich der erwähnten ersten Fallgruppe vor allem bei Werklieferungen und Lieferungen von im Ausland ansässigen Unternehmern unterschiedliche Umsetzungen. Im Vergleich zum Leistungseinkauf soll nachfolgend der nach den nationalen Vorschriften grundsätzlich analog zu behandelnde Leistungsverkauf untersucht werden. Gemeint sind hierbei die Fälle, in denen in einem anderen EUMitgliedstaat, beispielsweise durch einen in Deutschland ansässigen Unternehmer, (steuerbare und steuerpflichtige) Leistungen erbracht werden, die in diesem EU-Land dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegen. Folge des Reverse-Charge-Verfahrens soll sein und ist auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten die Vermeidung einer umsatzsteuerlichen Registrierung des leistenden Unternehmers im jeweiligen Mitgliedstaat, wenn er hier eine steuerbare und steuerpflichtige Leistung ausführt. Nicht nur bei den materiellen Tatbestandsvoraussetzungen besteht unterschiedliche Handhabe in den verschiedenen EUMitgliedstaaten, sondern auch im praktisch relevanten Bereich der Rechnungsstellung mit ihrer – nach deutscher Auffassung – eher formalen Bedeutung bei Anwendung des Reverse-Charge, denkt man daran, dass das Vorliegen einer Rechnung nicht erforderlich ist, damit der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug betreffend den von ihm erklärten „deutschen“ Reverse-Charge-Umsatz geltend machen kann.

__________ 53 Für Lieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers sieht das deutsche Umsatzsteuerrecht kein Reverse-Charge-Verfahren in § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG vor, sondern für die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände oder von Gas und Elektrizität ist in § 13b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 5 UStG Reverse-Charge vorgesehen sowie für die Lieferung des ersten Abnehmers an den letzten Abnehmer bei Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfts nach § 25b UStG.

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1. Beispiel: Reverse-Charge-Verfahren in Frankreich für bestimmte Lieferungen Die Umsetzung des Reverse-Charge-Verfahrens erfolgt auch in einigen EUMitgliedstaaten für bestimmte Lieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers, was im deutschen Umsatzsteuergesetz nicht vorgesehen ist (bis auf die Regelung des § 25b Abs. 2 UStG). So sehen beispielsweise Belgien, Finnland, Großbritannien, Schweden, Spanien sowie der junge Mitgliedstaat Rumänien ein Reverse-Charge-Verfahren bei im jeweiligen Mitgliedstaat erbrachten, steuerbaren und steuerpflichtigen Lieferungen vor.54 Seit September 2006 wurden auch in Frankreich die Reverse-Charge-Regelungen diesbezüglich erweitert. Voraussetzung zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens in Frankreich ist, dass grundsätzlich in Frankreich steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen erbracht werden. Der Leistende (Lieferer) ist Steuerpflichtiger (Unternehmer) und nicht in Frankreich ansässig. Verfügt der Leistungsempfänger über eine französische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (unabhängig davon, ob er in Frankreich ansässig ist), greift das Reverse-Charge-Verfahren, d. h., für die Lieferung des ausländischen Lieferanten hat der unternehmerische Abnehmer die französische Umsatzsteuer zu melden und abzuführen. Dies betrifft insbesondere den Fall, wonach der beispielsweise deutsche Lieferant die Ware innerhalb Frankreichs bezieht und sie beispielsweise zunächst in seinem französischen Lager hält, um sie bei Feststehen des Abnehmers an diesen zu liefern. Würde die Ware aus einem anderen Mitgliedstaat nach Frankreich gelangen, hätte der deutsche Lieferant bereits einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Frankreich zu erklären (bereits mit Folge einer umsatzsteuerlichen Registrierungspflicht), womit Reverse-Charge nicht mehr zur Anwendung kommen kann. Da Frankreich das Reverse-Charge-Verfahren in seinen Tatbeständen um die Erbringung steuerpflichtiger Lieferungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers erweitert hat, sind Unternehmer, die ausschließlich in Frankreich steuerbare Umsätze erbringen, die unter das ReverseCharge-Verfahren fallen, nicht länger berechtigt, sich in Frankreich für umsatzsteuerliche Zwecke registrieren zu lassen, d. h., es muss eine De-Registrierung erfolgen. Neben Frankreich sehen auch Belgien, Finnland, Großbritannien (hier allerdings beschränkt auf die Lieferung von Mobiltelefonen und Computerchips, um dem „Missing-Trader“-Betrug hier zu begegnen), Niederlande, Rumänien, Schweden und Spanien ein Reverse-Charge-Verfahren für Lieferungen (mit Warenbezug im betreffenden Land) vor.55 Hierbei besteht jedoch folgende Einschränkung bzw. Erleichterung aus Sicht des Leistungsempfängers: Das Re-

__________ 54 Stand: Juli 2007. In Deutschland sowie beispielsweise in Dänemark, Österreich oder der Tschechischen Republik ist ein Reverse-Charge-Verfahren für derartige Umsätze nicht vorgesehen, was eine Registrierungspflicht (und damit einhergehende Erklärungspflichten) des Leistenden in dem jeweiligen Mitgliedstaat verlangt sowie grundsätzlich den gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer in der Rechnung. 55 Stand: Juli 2007.

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verse-Charge kommt nur dann zur Anwendung, wenn der Leistungsempfänger in dem betreffenden Land ansässig ist oder bei Nichtansässigkeit eine Fiskalvertretung hat (z. B. Regelung in Belgien) oder für Zwecke der Umsatzbesteuerung in dem betreffenden Land umsatzsteuerlich registriert ist (z. B. Frankreich, Rumänien oder Großbritannien).56 Gleiches gilt im Übrigen auch für Werklieferungen, für die das Reverse-Charge-Verfahren nur Anwendung findet, wenn der Leistungsempfänger hier für Zwecke der Umsatzbesteuerung erfasst ist (z. B. Tschechische Republik, Frankreich, Rumänien). Damit wird dem entgegengewirkt, dass sich der Leistungsempfänger, falls er ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist, in dem jeweiligen EU-Mitgliedstaat umsatzsteuerlich registrieren lassen muss. Eine solche Regelung wäre in Deutschland ebenfalls wünschenswert.57 2. Rechnungsstellung bei Reverse-Charge im europäischen Vergleich Abweichend vom Grundsatz der primären Steuerschuld des leistenden Unternehmers regelt § 13b UStG die Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf den leistungsempfangenden Unternehmer. Insoweit wird die Umsatzsteuer als direkte Steuer erhoben, womit mangels abwälzbarer Steuer abweichend vom Grundsatz des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG kein Anlass mehr besteht, dass der Leistende die Umsatzsteuer in seiner Rechnung ausweist (§ 14a Abs. 5 Satz 3 UStG).58 Der leistende Unternehmer ist, obwohl er zum Ausweis der Umsatzsteuer nicht berechtigt ist, nach § 14 Abs. 2 UStG verpflichtet, eine Rechnung auszustellen. Gleichwohl ist das Vorliegen einer (ordnungsgemäßen) Rechnung (i. S. d. § 14 Abs. 4 UStG) nach deutschem Umsatzsteuerrecht, d. h. im Falle der Steuerbarkeit und Steuerpflicht des Umsatzes in Deutschland, nicht Voraussetzung für den Anspruch auf Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG des Leistungsempfängers (vgl. Punkt III 4). In der Rechnung ist auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers hinzuweisen (§ 14a Abs. 5 UStG), wobei der Leistungsempfänger nicht nur dann zum Steuerschuldner wird, wenn er in der Rechnung auf seine Steuerschuldnerschaft hingewiesen wird.59 Umgekehrt wird durch den Hinweis die Steuerschuldner-

__________ 56 Stand: Juli 2007. 57 Siehe hierzu bereits die Ausführungen unter Punkt II 2. 58 Dies versteht sich jedoch nicht als Kann-Vorschrift, denn weist der Leistende die Umsatzsteuer in seiner Rechnung aus, schuldet er den ausgewiesenen Betrag nach § 14c Abs. 1 UStG; der Leistungsempfänger kann hieraus den Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG auch nicht geltend machen, sondern nur im Rahmen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG. 59 Anders als § 25b Abs. 2 Nr. 3 UStG enthält § 13b Abs. 2 UStG keinen derartigen Vorbehalt, d. h. die Steuerschuldnerschaft des unternehmerischen Leistungsempfängers entsteht unabhängig von dem Hinweis, wenn ein Tatbestand des § 13b UStG erfüllt ist, vgl. Abschn. 182a Abs. 31 Satz 4 UStR 2005; so nach EuGH, Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-90/02 – Bockemühl, EuGHE 2004, I-3329.

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schaft des Leistungsempfängers nicht begründet, wenn die Voraussetzungen des § 13b UStG objektiv nicht vorliegen.60 Die Bemessungsgrundlage bestimmt sich nach dem Entgelt i. S. d. § 10 Abs. 1 Sätze 1–3 und 6 UStG. Im Sinne der Umsatzsteuer als Verbrauch(er)steuer ist das Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Anders als in den Fällen, in denen der Leistende die Umsatzsteuer schuldet, kann bei Anwendung des Reverse-Charge nicht davon ausgegangen werden, dass im Zweifel die zivilrechtliche Preisvereinbarung die Umsatzsteuer enthält, d. h., die Umsatzsteuer ist von dem in der Rechnung ausgewiesenen Betrag (Entgelt) zu berechnen. Auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten hat die Rechnungsstellung ohne gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer des jeweiligen EU-Landes zu erfolgen. Es gilt auch hier zu beachten, dass ein Ausweis der jeweiligen Umsatzsteuer grundsätzlich zur zwingenden Registrierungspflicht im Ausland führt. Ist der Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b Abs. 2 UStG, entfällt für den Leistenden abweichend vom Grundsatz des § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG die Steuerschuldnerschaft.61 Die Steuerschuld des Leistungsempfängers entsteht nach nationalem Recht gem. § 13b Abs. 1 Satz 1 UStG grundsätzlich mit Rechnungsausstellung, spätestens jedoch mit Ablauf des der Leistungsausführung folgenden Kalendermonats, wobei der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers selbst nicht von der Vorlage einer Rechnung abhängt. Allerdings erfolgt die Berechtigung zum Vorsteuerabzug in dem Voranmeldungszeitraum, in dem die Steuerschuld entsteht. a) Hinweis auf Reverse-Charge in der Rechnung Ein Hinweis auf das anzuwendende deutsche Reverse-Charge-Verfahren, d. h. auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, ist nicht verpflichtend, aber sinnvoll. Strittig war bis zum EuGH-Urteil v. 1.4.200462, ob ein fehlender Hinweis auf Reverse-Charge in der Rechnung bedeutet, dass die Steuerschuldnerschaft nicht auf den Leistungsempfänger übergeht. Nach Auffassung des EuGH, der hier für einen deutschen Sachverhalt und zu den deutschen Reverse-Charge-Regelungen entschieden hat, verhindert ein fehlender Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers diese nicht. Erhält der Leistungsempfänger demnach eine Rechnung betreffend einen in Deutschland steuerbaren und steuerpflichtigen Umsatz, die nicht auf Reverse-Charge hin-

__________ 60 So ständige Verwaltungsauffassung, wonach beispielsweise nach der Billigkeitsregelung „im Zweifel für die Bauleistung“ eine Bauleistung i. S. d. § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG anzunehmen ist (vgl. z. B. OFD Magdeburg, Vfg. v. 27.5.2004 – S 7500 18 - St 241, n. v.), nicht jedoch den umgekehrten Fall erfasst, dass eine Rechnung unter gesondertem Umsatzsteuerausweis erfolgen kann, wenn eine Bauleistung und damit ein Tatbestand des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG vorliegt. 61 Diesbezüglich ist gerade keine Gesamtschuldnerschaft vom Gesetzgeber vorgesehen worden. 62 EuGH, Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-90/02 – Bockemühl, EuGHE 2004, I-3329.

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weist, schuldet der Leistungsempfänger dennoch die deutsche Umsatzsteuer und hat diese zu erklären und abzuführen. In den meisten EU-Mitgliedstaaten ist die Aufnahme eines Hinweises, dass der Leistungsempfänger für den Umsatz die Umsatzsteuer des betreffenden EUMitgliedstaates schuldet, nicht erforderlich. Allerdings kann in einigen Mitgliedstaaten ohne ordnungsgemäße Rechnung, d. h. wenn insbesondere der Hinweis auf Reverse-Charge in der Rechnung fehlt, der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug in den jeweiligen Ländern (z. B. Belgien, Frankreich, Griechenland, Lettland, Rumänien, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern63) nicht geltend machen. In Belgien beispielsweise muss dieser Hinweis einer bestimmten Formulierung64 entsprechen (siehe hierzu auch Punkt III 2 b). Eine solche Formulierung kann jedoch, falls sie durch den Leistenden nicht auf der Rechnung angebracht wurde, nachträglich (handschriftlich oder mittels eines Stempels) durch den Leistungsempfänger auf der Rechnung angebracht werden, um sich den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu sichern. Bei einer derartigen Regelung – unter Nichtanwendung der EuGH-Rechtsprechung65 – fragt man sich doch nach dem Sinn einer derartig formalen Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Nicht dass ein Hinweis erforderlich ist, der nach Auffassung des EuGH nicht entscheidend ist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs, auch dass dieser Hinweis einen vorgeschriebenen Wortlaut einhalten muss, ist doch für die beteiligten Unternehmer als ein unzumutbarer Aufwand zu werten. Grundsatz der Umsatzbesteuerung ist, den Unternehmer nicht mit Umsatzsteuer im Ergebnis zu belasten, wenn dieser unternehmerisch handelt. Bei derartig formalen Vorschriften – auch wenn diesbezügliche Mängel leicht beseitigt werden können (durch entsprechendes Abstempeln der Rechnung) – droht eindeutig die Gefahr, dass Unternehmer letztlich mit Umsatzsteuer belastet bleiben, indem ihnen der Vorsteuerabzug verwehrt wird, nur weil sie keine derart tiefe Kenntnis über das ausländische Umsatzsteuerrecht, hier z. B. das belgische, besitzen. Mithin ist jeder Unternehmer gezwungen, bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen stets und im Idealfall vor Leistungsausführung umsatzsteuerliche Beratungsleistungen zu beziehen. Nur damit kann er selbst dem Ziel der Umsatzsteuer, den Unternehmer bei seinem unternehmerischen Handeln nicht mit Umsatzsteuer zu belasten, zur Geltung verhelfen. b) Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug Der Leistungsempfänger kann die von ihm nach § 13b Abs. 2 UStG geschuldete Umsatzsteuer nach deutschem Umsatzsteuergesetz vollumfänglich als Vorsteuer abziehen, wenn er die Leistung für sein Unternehmen bezieht und zur

__________ 63 Stand: Juli 2007. 64 Diese Formulierung hat wie folgt zu lauten: „Belgian VAT due by the customer – Art. 51, § 2 of the Belgian VAT Code“ (Stand Juli 2007). 65 Vgl. EuGH, Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-90/02 – Bockemühl, EuGHE 2004, I-3329.

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Ausführung von Umsätzen verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen (ansonsten anteiliger Vorsteuerabzug). Soweit an nicht im Inland ansässige Unternehmer Umsätze ausgeführt werden, für die diese die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 2 UStG schulden, haben sie die für Vorleistungen in Rechnung gestellte Steuer im allgemeinen Besteuerungsverfahren und nicht im Vorsteuer-Vergütungsverfahren geltend zu machen.66 In den EU-Ländern Italien und Spanien beispielsweise ist zwar ebenso wie in Deutschland (oder Großbritannien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen67) das Vorliegen einer (ordnungsgemäßen) Rechnung nicht erforderlich, um den Vorsteuerabzug geltend machen zu können, jedoch wird der Vorsteuerabzug nur gewährt, wenn der Leistungsempfänger sich eine „self-invoice“ ausstellt und vorlegt.68 Nach deutschem Recht ist es ferner auch nicht erforderlich – wie etwa in den Mitgliedstaaten Belgien, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Rumänien, Schweden, Slowenien, Tschechische Republik oder Ungarn –, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers auf der Rechnung anzugeben. Alle vorgenannten Beispiele sollen aufzeigen, dass die Umsatzbesteuerung im Falle des ReverseCharge-Verfahrens derzeit alles andere als harmonisiert ist.

IV. Resümee Die anfangs beschriebene Situation, dass grundsätzlich bei den sonstigen Leistungen, die von im Ausland ansässigen Unternehmern erbracht werden, das Reverse-Charge-Verfahren weitgehend harmonisiert ist (insbesondere im Vergleich zu anderen Bereichen wie z. B. im Bereich der Werklieferung oder der Lieferungen) kann damit, wenn man die jeweilige Ausgestaltung in den EUMitgliedstaaten genauer betrachtet und hier bis in die letzte relevante Stufe verfolgt und prüft, die gerade für die Praxis entscheidend ist, nicht mehr voll aufrechterhalten werden. Da das gegenwärtige Reverse-Charge-Verfahren im bestehenden System der Umsatzbesteuerung mit grundsätzlicher Steuerschuld des Leistenden eine Ausnahmeregelung für bestimmte, ausgewählte Umsätze darstellt, bleibt zu bezweifeln, dass durch die von Deutschland und Österreich (noch) geplante Umstellung auf das generelle Reverse-Charge-Verfahren, d. h. auf die generelle Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers, neben der erhofften Vermeidung von Steuerausfällen insbesondere durch derzeit bestehende Betrugsmöglichkeiten auch – wie es wünschenswert wäre – eine weitere Harmonisierung der Umsatzbesteuerung in Europa erreicht wird.

__________ 66 So bereits BMF, Schr. v. 5.12.2001 – IV D 1 - S 7279 - 5/01, BStBl. I 2001, 1013. Für Unternehmer, die nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind, und nur Umsatzsteuer nach § 13b UStG schulden, gelten die Einschränkungen des § 18 Abs. 9 Sätze 6 und 7 UStG entsprechend (§ 15 Abs. 4b UStG). 67 Stand: Juli 2007. 68 In Belgien besteht seit Mai 2007 nach den gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls die Möglichkeit, wenn dem Leistungsempfänger eine Rechnung nicht vorliegt, sich selbst eine „self-invoice“ auszustellen, deren Vorliegen ihn dann zum Vorsteuerabzug berechtigt.

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Dieter Kempf

Die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens als Möglichkeit der Bekämpfung von Umsatzsteuerausfällen und seine praktischen Probleme Inhaltsübersicht I. Problemstellung – Stabilisierung des Aufkommens aus der Umsatzsteuer II. Bisherige Entwicklung der europäischen Gesetzgebung und Ableitung der Ursachen für Mehrwertsteuerausfälle III. Diskutierte Lösungsmöglichkeiten IV. Grundsätzliche Funktionsweise des Reverse-Charge-Verfahrens V. Ergebnisse des Planspiels zum „Reverse-Charge-Verfahren“ VI. Kritische Würdigung des ReverseCharge-Verfahrens 1. Prüfung der Unternehmereigenschaft, Prüfung der R-Nummer

2. Bagatellgrenze 3. Massenabrechnungen 4. Ameisenkriminalität 5. R-Check 6. Wegfall bisheriger Sonderregelungen der Dauerfristverlängerung, beim Voranmeldezeitraum und der Ist-Versteuerung 7. Kosten für die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens VII. Konformität des Reverse-ChargeVerfahrens mit der 6. EG-Richtlinie VIII. Aktuelle Entwicklungen

I. Problemstellung – Stabilisierung des Aufkommens aus der Umsatzsteuer Die Steuern vom Umsatz sind mit einem Volumen von 139,7 Mrd. Euro im Jahr 2005 (108,4 Mrd. Euro Umsatzsteuer, 31,3 Mrd. Euro Einfuhrumsatzsteuer)1 nach der Lohnsteuer die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Das Ifo-Institut verfolgt seit Jahren intensiv die Aufkommensentwicklung der Steuern vom Umsatz. Über viele Jahre hinweg zeigten sich hier keine wirklich überraschenden Ergebnisse. Ab dem Jahr 2001 jedoch brach das Aufkommen ein und blieb in den Folgejahren von der nach der volkswirtschaftlichen Entwicklung errechneten Aufkommenserwartung mehr oder weniger stark abgekoppelt.

__________ 1 BMF v. 24.4.2007, Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2006, http://www.bundesfinanzministerium.de/lang_de/nn_4144/nsc_ true/DE/Steuern/Steuerschaetzung__einnahmen/Steuereinnahmen/0601011a6002,tem plateId=renderPrint.html.

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So berechnete das Ifo-Institut für 2005 eine leicht gefallene Steuerausfallquote in Höhe von 11 % oder rund 17 Mrd. Euro2, die sich im Wesentlichen durch den Vergleich des tatsächlichen Aufkommens mit dem theoretischen Aufkommen (abgeleitet aus der volkswirtschaftlichen Bemessungsgrundlage) ergibt, wobei gewisse Korrekturen vorgenommen wurden. In dieser errechneten Ausfallquote sind sowohl unvermeidbare Steuerausfälle infolge von Insolvenzen und Änderungen von Rechtsprechung enthalten als auch die Folgen schattenwirtschaftlicher und steuerbetrügerischer Aktivitäten. Insgesamt ergibt sich die in der nachfolgenden Tabelle 1 dargestellte Entwicklung der Steuerausfallquote, die in der Tabelle selbst allerdings in nicht zutreffender Weise als „Hinterziehungsquote“ bezeichnet wird. Möglicherweise ist auch aufgrund dieser unglücklichen Bezeichnung in der Öffentlichkeit vielfach der Eindruck entstanden, dass es sich bei dem gesamten errechneten Volumen von ca. 17 Mrd. Euro um die Folgen von Umsatzsteuerhinterziehung handeln würde. Jahre

1997

1998

1999*

2000

2001

2002

2003

2004

2005

Quote

8,5 %

8%

7%

9%

11 %

11,5 %

11,5 %

11,5 %

11 %

* Der vorübergehende Rückgang der Hinterziehungsquote im Jahr 1999 geht auf steuerrechtliche Änderungen in diesem Jahr zurück, die zu Mehreinnahmen führten. Diese Steuereffekte konnten makroökonomisch nicht erfasst werden. Dadurch sank die Steuerhinterziehungsquote ab. Tabelle 1: Berechnungen der Steuerausfallquote des Ifo-Institutes München. Quelle: Gebauer/Parsche, Bestätigung des leichten Absinkens der Mehrwertsteuerausfallquote im Jahr 2005, Ifo-Institut, Schnelldienst 21/2005, S. 13.

Trotz des Absinkens der Mehrwertsteuerausfallquote, die darauf hindeutet, dass mit einer gewissen Zeitverzögerung die vom Gesetzgeber ergriffenen Maßnahmen zu wirken beginnen, kann ein Rechtsstaat einen derartig hohen Steuerausfall nicht tolerieren, auch wenn dabei an dieser Stelle noch offen bleiben muss, wie viel davon auf Schattenwirtschaft und Steuerbetrug entfallen sollte. Folgerichtig sucht der Gesetzgeber nach Gestaltungsalternativen zum bestehenden Umsatzsteuersystem, um für mehr Steuergerechtigkeit und größere Stabilisierung des Aufkommens der Steuern vom Umsatz zu sorgen. Es sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die vermutlich zu realisierenden Steuereinnahmen nur im einstelligen Bereich liegen werden, da das Gesamtausfallvolumen viele uneinbringliche Ausfälle erfasst. So scheinen vor allen Dingen die durch Karussellbetrug resultierenden Ausfälle, die in der öffentlichen Diskussion eine relativ große Rolle spielen, in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen zu sein. Wurden z. B. für das Jahr 2001 in einer Veröffentlichung des Ifo-Instituts im Jahr 2003 noch etwa 4 Mrd. Euro als „vor-

__________ 2 Gebauer/Parsche, Bestätigung des leichten Absinkens der Mehrwertsteuerausfallquote im Jahr 2005, Ifo-Institut, Schnelldienst 21/2005, S. 13.

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sichtige Schätzung“ angenommen3, so werden einer neueren Veröffentlichung zu Folge für das Jahr 2005 nur noch 1 bis 2 Mrd. Euro unterstellt.4 Da alle zur Reduzierung des Steuerausfalls bisher ergriffenen oder diskutierten Maßnahmen – wie zum Beispiel die Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens – nicht nur den Fiskus, sondern in besonderer Weise auch die Unternehmen berühren, die den gesetzlichen Auflagen in ihrer täglichen betrieblichen Praxis nachkommen müssen, lohnt ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit unseres geltenden Mehrwertsteuersystems, um den Ursachen der Betrugsanfälligkeit besser auf die Spur zu kommen.

II. Bisherige Entwicklung der europäischen Gesetzgebung und Ableitung der Ursachen für Mehrwertsteuerausfälle Nachdem im Jahr 1916 der Umsatzsteuergedanke des Altertums im Rahmen des Reichsstempelgesetzes mittels eines Warenumsatzstempels als Steuer auf Warenlieferungen wieder aufgegriffen worden war, galt ab 1918 das Umsatzsteuergesetz, das das System einer Allphasen-Bruttoumsatzsteuer einführte.5 Im Rahmen der Harmonisierung der Umsatzsteuern innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wurde der Wechsel zu dem System der AllphasenNettoumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug notwendig. Dabei konnten wesentliche Nachteile der Allphasen-Bruttoumsatzsteuer, wie der Anstieg der Steuerlast mit der Anzahl der durchlaufenden Produktions- und Handelsstufen und die damit verbundenen Wettbewerbsverzerrungen, beseitigt werden. So wurde das heute mit Modifikationen noch geltende Umsatzsteuersystem im Jahre 1968 mit der Erwartung, ein einfaches, praktikables und sich selbst kontrollierendes Umsatzsteuersystem zu schaffen, eingeführt.6 Die Anfänge des Europäischen Mehrwertsteuersystems datieren zurück ins Jahr 1967, als die 1. EG-Richtlinie festlegte, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ihre allgemeinen indirekten Steuern durch ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem ersetzen sollten, mit der Transparenz bei der Steuerbefreiung der Ausfuhren und der Wiederbesteuerung der Einfuhren im Handel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft geschaffen werden sollte. Anfang der 70er Jahre hatten dann alle damaligen Mitgliedstaaten eine Mehrwertsteuer eingeführt. Als Grundlage des heutigen Systems gilt allgemein jedoch die 6. EG-Richtlinie vom 17.5.19777, mit der erreicht werden sollte, dass jeder EU-Mitgliedstaat eine einheitliche Mehrwertsteuergrundlage haben

__________ 3 Gebauer, Entwicklung des Umsatzsteueraufkommens und finanzielle Auswirkungen neuerer Modelle bei der Umsatzbesteuerung, Ifo-Schnelldienst 6/2003, S. 31. 4 Gebauer/Parsche, Bestätigung des leichten Absinkens der Mehrwertsteuerausfallquote im Jahr 2005, Ifo-Institut, Schnelldienst 21/2005, S. 13. 5 BMF, Lexikon Steuern, Umsatzsteuer, http://www.bundesfinanzministerium.de/cln_ 04/nn_3506/DE/Service/Lexikon__A__Z/U/001.html. 6 Mittler, Die Mehrwertsteuer wird zur Archillesferse der Staatseinnahmen in Europa, Ifo-Schnelldienst 2/2004. 7 Richtlinie 77/388/EWG v. 17.5.1977, 6. EG-Richtlinie.

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sollte. Dem Wesen der Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer entsprechend, entschied man sich bei der Besteuerung von Transaktionen zwischen den Mitgliedstaaten für das Bestimmungslandprinzip. Die Mehrwertsteuersätze sind danach jene des Landes des Endverbrauchs und die gesamten Einnahmen fließen in die Staatskasse dieses Landes. Durch die Anwendung des Nullsteuersatzes wird erreicht, dass die Ausfuhren von der Steuer befreit sind, während die Einfuhren in dem anderen Land mit einer Einfuhrumsatzsteuer belegt werden. Wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren eines Bestimmungslandprinzips sind aber wirkungsvolle Grenzkontrollen, mit denen der tatsächliche Warenverkehr nachvollzogen und kontrolliert werden kann. Natürlich ist dieses Verfahren dann für die beteiligten Händler mit viel Verwaltungsaufwand verbunden. Es sei auch nicht verschwiegen, dass dieses Verfahren bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen schnell an die Grenzen der Kontrollmöglichkeiten stößt. Will man diesen hohen Verwaltungsaufwand vermeiden und gleichzeitig einen Binnenmarkt ohne Grenz- und Zollkontrollen schaffen, so ist dies mit einem Besteuerungszugriff am Ursprung der Lieferung oder Leistung besser zu erreichen. Deshalb entschloss sich die EU-Kommission im Jahr 1987 die Einführung der Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip vorzuschlagen.8 Diese Form der innergemeinschaftlichen Besteuerung hätte die exportintensiven Staaten erheblich begünstigt. Daher schlug die Kommission die Schaffung eines umsatzsteuerlichen, innergemeinschaftlichen Finanzausgleichs, eines sog. Clearing-Systems9 vor, mit dem die in den Ländern des Verbrauchs erhobene Steuer aufgrund makroökonomischer Statistiken oder aufgrund mathematisch-statistischer Stichproben den Ländern hätte zugewiesen werden können, in denen der Verbrauch erfolgte. Ein derartiges „ideales System“ erfordert jedoch harmonisierte Steuersätze und Besteuerungs- und Abzugsregelungen sowie den politischen Willen, die Souveränität über nationale Steuerangelegenheiten zumindest teilweise aufzugeben. Es wurde schnell klar, dass eine derartige Regelung von den meisten Mitgliedstaaten nicht akzeptiert werden würde. Der Vorschlag wurde nie realisiert. Eine vom Europäischen Rat einberufene Arbeitsgruppe stellte eine Alternative auf, die Übergangsregelung, die dann von der EU-Kommission aufgegriffen wurde und im Jahre 1993 in Kraft trat.10 Danach gilt das Ursprungslandprinzip im Wesentlichen nur noch für den Verkauf an Endverbraucher. Ausnahmen von dieser Regelung waren vorgesehen für Fernverkäufe bzw. sog. Versendungslieferungen. Soweit diese über der sog. Lieferschwelle liegen, müssen die Steuern im Bestimmungsland deklariert und entrichtet werden. Damit die Besteuerung dort sichergestellt ist, muss das liefernde Unternehmen sog. Fiskalvertreter benennen, die die dortigen Deklarationspflichten übernehmen und für die Entrichtung der Steuer verantwortlich sind. Weitere Ausnahmen,

__________ 8 EU Kommission (KOM [87] 322). 9 EU Kommission (KOM [87] 323). 10 Richtlinie 91/680/EWG v. 16.12.1991; Richtlinie 92/111/EWG v. 14.12.1992.

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auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll, galten für steuerbefreite juristische Personen und neue Verkehrsmittel (Boote, Flugzeuge, Kfz). Für Lieferungen zwischen registrierten Unternehmen sollte weiterhin das Bestimmungslandprinzip gelten. Ohne Grenzkontrollen kann ein derartiges System jedoch nur funktionieren, wenn: – man registrierte von nicht-registrierten Unternehmen unterscheiden kann (z. B. durch Verwendung einer sog. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer); – die Unternehmer ausführliche Verzeichnisse der Lieferungen in andere Mitgliedstaaten führen (sog. Zusammenfassende Meldung) und diese einer zentralen Stelle des Sitzstaats (in Deutschland dem Bundeszentralamt für Steuern) gemeldet werden; – die Staaten der EU durch intensiven Datenaustausch diese Meldungen miteinander abgleichen. Dieses Übergangssystem sollte bis 1996 gelten. In Art. 35a der 6. EG-Richtlinie (in geänderter Fassung) wurde die EU-Kommission aufgefordert, bis Ende 1994 Vorschläge für ein endgültiges System vorzulegen. Dies ist allerdings, letztlich auch in Ermangelung legislativer Vorschläge der Mitgliedstaaten, bis heute nicht geschehen. Wesentliches Kennzeichen dieser Übergangsregelung ist, dass es eine Mixtur der beiden unterschiedlichen Grundprinzipien der Bestimmungsland- und Ursprungslandbesteuerung enthält. Abhängig von der Art der Lieferung oder Leistung und abhängig davon, ob der Lieferungs- oder Leistungsempfänger Unternehmer oder nicht-unternehmerischer Endverbraucher ist, gelten unterschiedliche Besteuerungsprinzipien. Unterschiede ergeben sich auch durch die Frage, ob der empfangende Unternehmer die Lieferung oder sonstige Leistung für seine unternehmerische oder seine nicht-unternehmerische Sphäre verwendet. Sonderregelungen gelten für den sog. Fernabsatz und für elektronische Dienstleistungen. Kaum mehr durchschaubar sind die Regelungen zur Besteuerung von Beförderungsleistungen und insbesondere von Reiseleistungen. Der Arbeitsschwerpunkt der EU-Kommission hat sich von der Umstellung auf ein endgültiges System hin zur Verbesserung der geltenden Übergangsregelung verlagert. In diesem Zusammenhang war auch den seit den Anfängen völlig veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. So hat seit den 80er Jahren der Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Grundgedanken des an einem Warenverkehr orientierten Besteuerungssystems waren deshalb nicht mehr wirklich brauchbar. Besonders deutlich wird dies bei Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologie, weswegen die EU-Kommission eine Reihe von sektoralen Richtlinien vorgelegt hat. Die obige Schilderung macht auch ohne Hinweis auf die sich daraus ergebenden Detailregelungen, wie z. B. zur Personenbeförderung, bereits deutlich, dass diese Konstruktion unseres europäischen Umsatzsteuerrechts in hohem Maße fehler- und betrugsanfällig ist. Wesentliche Gründe dafür sind:

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– Steuerentlastung (durch Vorsteuerabzug) und Steuerbelastung (durch die Pflicht zur Abführung der Steuer) entstehen bei unterschiedlichen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. – Die an einer umsatzsteuerlich relevanten Transaktion Beteiligten können in unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU ansässig sein, deren Kontrollsystem nicht ausreichend ausgeprägt und nicht aufeinander abgestimmt ist (vgl. das sog. FISCALIS-Projekt). – Wegen des Wegfalls der Grenzkontrollen können Warenbewegungen nicht mehr wirklich kontrolliert und nachvollzogen werden. – Dienstleistungen (dies gilt insbesondere für elektronische Dienstleistungen) sind in allen für die Besteuerung wesentlichen Punkten, wie z. B. – Ort der Leistungserbringung – Zeitpunkt der Leistungserbringung – Klassifikation des Leistungsempfängers, etc. noch schlechter zu kontrollieren als Warenlieferungen. – Die Steuersätze der einzelnen Mitgliedstaaten der EU sind so unterschiedlich, dass es immer lohnen wird über „Gestaltungsformen“ nachzudenken. – Durch unterschiedliche Besteuerungsregeln im Verkehr mit außergemeinschaftlichen Staaten ergeben sich weitere Gestaltungs- und Missbrauchsmöglichkeiten. Es ist also gerade unser geltendes Mehrwertsteuersystem, das die Hauptursache für den Steuerausfall darstellt. Dabei sind drei Viertel des gesamten fakturierten Umsatzsteuervolumens aus fiskalischer Sicht ein Nullsummenspiel, da Lieferungen und sonstige Leistungen beim Empfänger auf der unternehmerischen Ebene zur Vorsteuererstattung führen und nur ein Viertel in der öffentlichen Kasse verbleibt. Im Jahr 2000 wurden zum Beispiel von 560 Mrd. Euro fakturierten Mehrwertsteuerbeträgen 420 Mrd. Euro als Vorsteuer erstattet, nur 140 Mrd. Euro verblieben beim Staat.11 Dieses millionenfache Berechnungs- und Verrechnungs-, Zahlungs- und Erstattungssystem zwischen dem leistenden und dem empfangenden Unternehmen und den beteiligten Finanzverwaltungen birgt ausreichend Betrugs- und Hinterziehungspotenzial. Da der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden kann, bevor eigene Umsätze erbracht und erklärt werden und der Vorsteuerabzug beim Empfänger auch dann rechtens ist, wenn der leistende Unternehmer seiner Mehrwertsteuerzahllast nicht nachkommt oder nicht mehr nachkommen kann, ist das Risiko für den Fiskus unvermeidlich. Dabei ist die Bandbreite der Risiken groß – sie reicht von der Nichterklärung von Umsätzen, über die Erklärung von Vorsteuerbeträgen, die gar nicht entstanden sind, über die Fälschung von Rechnungen bis hin zu bandenmäßigen und aufwendig getarnten Organisationen von Umsatzsteuerkarus-

__________ 11 Vgl. Mittler, Die Mehrwertsteuer wird zur Archillesferse der Staatseinnahmen in Europa, Ifo-Schnelldienst 2/2004, S. 6.

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sellen, an denen zahlreiche Unternehmen beteiligt sind.12 So gibt es zahllose praktische Beispiele für den Umsatzsteuerbetrug: es wird vermutet, dass Leasing-Geschäfte mit hochwertigen Industriegütern durch planmäßige Insolvenzen Umsatzsteuerausfälle in Millionenhöhe produzieren, oder dass Unternehmer in der Kfz-Branche die Differenzbesteuerung zu ihren Gunsten ausnutzen bzw. Autos verkaufen, die nur zum Schein unter Inanspruchnahme der Steuerbefreiung exportiert wurden, in Wirklichkeit aber Deutschland nie verlassen haben.13

III. Diskutierte Lösungsmöglichkeiten Der Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug ist nicht zuletzt aus Überlegungen zur Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung sinnvoll und notwendig. Von daher ist es richtig, über Erhebungstechniken und -modelle nachzudenken, die die Nachteile des bestehenden Systems vermeiden, insbesondere seine Betrugsanfälligkeit deutlich einschränken. Dazu liegt eine Vielzahl von Modellen auf dem Tisch: – – – –

das Konzept der Vorstufenbefreiung (das sog. Mittler-Modell14), Ist-Versteuerung mit Umsatzsteuer Cross-Check15, das Ifo-Modell (erst zahlen, dann erstatten16), das Reverse-Charge-Verfahren mit Änderung der Steuerschuldnerschaft.

Insbesondere durch die Vorstellung des Mittler-Modells wurde eine breite systematische Debatte zur Modifikation der Erhebung der Umsatzsteuer angestoßen. Dieses Konzept der Vorstufenbefreiung geht davon aus, dass bei Lieferungen zwischen Unternehmern keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, solange die Lieferung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer erfolgt. Dieser Lösungsvorschlag folgt der einfachen Überlegung, dass Vorsteuerbetrug nicht möglich ist, wo keine Umsatzsteuer berechnet wird. Derartige Befreiungen gibt es heute bereits als Sonderregelung für Umsätze der Unternehmer in der Luftfahrt und Seeschifffahrt, um die hohen Liquiditätsbelastungen bei den Abnehmern zu vermeiden. Die Ausweitung dieses Verfahrens auf weitere (oder alle) Arten von Lieferungen an andere Unternehmer erfordert aber eine zweifelsfreie Identifikation des zur steuerfreien Lieferung zugelassenen Abnehmerkreises durch den Lieferanten. Mittler schlägt hierzu die Einführung einer speziellen sog. F-Umsatzsteueridentifikationsnummer vor. Prob-

__________ 12 Vgl. Mittler, Die Mehrwertsteuer wird zur Archillesferse der Staatseinnahmen in Europa, Ifo-Schnelldienst 2/2004, S. 5 ff. 13 Vgl. Mittler, Die Mehrwertsteuer wird zur Archillesferse der Staatseinnahmen in Europa, Ifo-Schnelldienst 2/2004, S. 7. 14 Mittler, Einfuhr von Vorstufenbefreiungen als Mittel zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2001, 385. 15 BMF, Schr. v. 12.11.2003 – IV B 2 - S 7050 - 107/03, UR 2004, 16 – systembedingte Änderungen bei der Umsatzbesteuerung – Modell einer generellen Ist-Versteuerung mit Cross-Check. 16 Sinn, u. a., Ifo-Schnelldienst 2/2004, S. 34 f.

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lematisch erscheint die Übertragbarkeit dieses Modells auf Dienstleistungen, weil dort erhebliche Probleme bei der Unterscheidung zwischen unternehmerischer oder nicht-unternehmerischer Verwendung der Dienstleistung entstehen. Die Ist-Versteuerung mit Cross-Check beschreibt ein Verfahren, bei dem die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten erfolgen würde, statt wie bisher in der Regel nach vereinbarten Entgelten. Dieser Vorschlag des BMF beruht auf der Überlegung, dass Vorsteuern erst in dem Voranmeldezeitraum in Abzug gebracht werden können, in dem der Zahlungsvorgang erfolgte. Dabei ist insbesondere der Zeitpunkt der „Vereinnahmung“ für unbare Zahlungen (Fälle, in denen der Zeitpunkt der Vereinnahmung schwer zu bestimmen ist, wie Kartenzahlung, Kontokorrentverkehr etc.17) besonders zu definieren sowie durch ein Kontrollsystem (Cross-Check) sicherzustellen, dass das Risiko, dass Vorsteuerbeträge durch den Leistungsempfänger geltend gemacht werden, ohne dass das Entgelt durch den Leistenden versteuert wurde, ausgeschaltet wird. Der Voranmeldungszeitraum ist zu vereinheitlichen, heute geltende Vereinfachungen für Quartalszahler und Dauerfristverlängerungen müssen entfallen. Alle umsatzsteuerlichen Transaktionen aller Marktteilnehmer müssen miteinander auf Basis elektronischer Übermittlungen der Liefer- und Empfangsdaten abgeglichen werden. Hier zeigt sich die Dimension eines solchen CrossCheck-Verfahrens, das das zentrale Element zur Verfolgung der Betrugsszenarien darstellt. Aus Sicht des Ifo-Institutes wäre eine Ist-Besteuerung und Kopplung der Mehrwertsteuererstattung an den Leistungsempfänger mit der Abführung der Steuer das wirkungsvollste Mittel zur Betrugsbekämpfung, wenngleich ein solches System ebenfalls mit einem erheblichen Verwaltungsaufwand verbunden wäre.18 De facto ist das Ifo-Modell eine Weiterentwicklung des italienischen Scontrino-Modells. Der Käufer einer Ware darf den Vorsteuerabzug erst geltend machen, wenn er den Nachweis der Zahlung der Mehrwertsteuer an das Finanzamt durch den Verkäufer erbracht hat. Der Verkäufer muss die mit dem Inkasso vereinnahmte Mehrwertsteuer zeitgleich an den Fiskus abführen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass einerseits an den Käufer keine Vorsteuer erstattet wird, die nicht zuvor als Mehrwertsteuer bezahlt und an den Fiskus abgeführt wurde, sowie andererseits, dass die in einer Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer mit der Bezahlung der Rechnung durch den Käufer tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wird.19 Je nach barer oder unbarer Zahlung sind zwei Verfahren zu unterscheiden:

__________ 17 PSP Peters Schönberger GmbH, „Systembezogene Änderungen bei der Umsatzbesteuerung – ‚Generelle Ist-Versteuerung mit Cross-Check‘ und ‚Reverse-ChargeVerfahren‘“, Vergleichende Studie, November 2005, S. 7. 18 Ifo-Institut, Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung zu Fragen der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung, Öffentliche Anhörung vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 10.11.2004, München 5.11.2004. 19 Sinn, u. a., Ifo-Schnelldienst 2/2004, S. 35.

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1. Bei unbaren Zahlungen wird der separat ausgewiesene Mehrwertsteuerbetrag einer Rechnung über ein Treuhandkonto direkt von dem mit der Transaktion befassten Kreditinstitut an das Finanzamt abgewickelt. 2. Der Mehrwertsteueranteil von Rechnungen, deren Bezahlung bar erfolgt, wird direkt am Point-of-Sale-System abgebucht oder in Ausnahmefällen über ein System von Steuermarken abgewickelt. Die Vertreter der EU-Kommission, aber auch Vertreter einiger Mitgliedsländer signalisierten im Verlauf der Diskussion, dass man von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit systematischer Änderungen nicht bzw. noch nicht überzeugt ist. Es wurde somit eine Lösung gesucht, für die es eine breitere Basis der Zustimmung innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu geben schien – das Reverse-Charge-Verfahren. Dieses Reformmodell geht von dem Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger aus und kehrt damit die Zahllast um. Die Umsatzsteuer bliebe damit – formal – eine Allphasensteuer. Im Folgenden soll das Reverse-Charge-Verfahren, dem insbesondere die deutschen und österreichischen Finanzverwaltungen die größten Wirkungen bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges zubilligen, detaillierter betrachtet werden, um zu prüfen, ob es geeignet erscheint, die Schwachstellen der bisherigen Umsatzsteuererhebung zu beseitigen und nicht neue Gefahrenquellen zu eröffnen.

IV. Grundsätzliche Funktionsweise des Reverse-Charge-Verfahrens Das Reverse-Charge-Verfahren sieht vor, die Steuerschuld für Umsätze zwischen Unternehmen grundsätzlich vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger zu verlagern. Lediglich bei Leistungen an private Endverbraucher soll es bei der heute geltenden Regelung der Steuerschuld des leistenden Unternehmers bleiben.20 Dies ist ohne Zweifel eine tief greifende Änderung des bisherigen Verfahrens. Strittig ist in der Literatur aber die Frage, ob es sich hierbei um eine tiefgreifende Systemänderung handelt. Im Reverse-Charge-Verfahren wird die im geltenden Verfahren verankerte Trennung von Vorsteuerberechtigung und Umsatzsteuerschuld durch verschiedene Personen aufgehoben, Vorsteueranspruch und Umsatzsteuerschuld werden beim Leistungsempfänger (E) konzentriert. Der leistende Unternehmer (L) erstellt nur noch eine Rechnung über den Netto-Betrag und führt keine Umsatzsteuer mehr ab. Der Leistungsempfänger (E) ist verpflichtet, die Umsatzsteuer für diesen Umsatz zu melden und abzuführen. Dabei kann er seinen Vorsteueranspruch geltend machen und eine Verrechnung der beiden Beträge vornehmen. Die Lieferung innerhalb der Unternehmerkette bleibt damit steuerfrei.

__________ 20 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Nr. 14/2006, Der aktuelle Begriff, 16.3.2006.

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Voraussetzung für die Anwendung des Verfahrens ist, dass der Leistungsempfänger (E) gegenüber dem leistenden Unternehmer (L) seine Berechtigung zum Vorsteuerabzug zweifelsfrei nachweist. Der leistende Unternehmer (L) ist seinerseits verpflichtet, deren Gültigkeit zu überprüfen. Kann ein solcher Nachweis nicht erbracht werden, findet das bisherige Umsatzsteuer-Verfahren Anwendung. Beide Unternehmer sind verpflichtet, ihre nach dem Reverse-ChargeVerfahren getätigten Umsätze gesondert auszuweisen. Ferner besteht die Pflicht des leistenden Unternehmens (L), die Einzelumsatzmeldungen elektronisch den Finanzbehörden zu senden, damit sichergestellt ist, dass ein Abgleich mit den in Summe übermittelten Voranmeldungen auf Seiten der Leistungsempfänger vorgenommen werden kann. Zur Vereinfachung des Verfahrens kann eine Bagatellgrenze eingeführt werden, wonach lediglich Umsätze oberhalb dieser Grenze nach dem Reverse-ChargeVerfahren besteuert werden. In der vom BMF in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie, die auf Basis eines Planspiels durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PSP Peters Schönberger GmbH, München21, erstellt wurde, legt diese Bagatellgrenze auf einen Betrag in Höhe von 5000 Euro fest. Die Untersuchungen zur Festlegung der Bagatellgrenze haben ergeben, dass bei ca. 30 Mrd. Rechnungen, die jährlich in Deutschland erstellt werden, nur ca. 140 Mio. Rechnungen (entspricht 0,47 % des Gesamtvolumens an Rechnungen) über einen Betrag von mehr als 5000 Euro lauten, wovon der größte Teil Fakturen innerhalb des unternehmerischen Bereichs betrifft.

Grafik: Reverse-Charge-Verfahren. Quelle: PSP, Planspiel Reverse Charge, Zusammenfassender Ergebnisbericht, S. 2.

__________ 21 PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, www.pspmuc.de/studien/studien.php.

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V. Ergebnisse des Planspiels zum „Reverse-Charge-Verfahren“22 Das Planspiel hat im Wesentlichen die erwarteten Wirkungen des ReverseCharge-Verfahrens bestätigt. Da der Zahlungsfluss zwischen den beteiligten Unternehmen netto erfolgt, ist ein Auseinanderfallen von nicht entrichteter Umsatzsteuer und vergüteter Vorsteuer nicht mehr möglich und die Schwachstelle des Vorsteuerabzuges trotz Nichtentrichtung der Umsatzsteuer wird beseitigt. Der Fiskus trägt in diesem Fall kein Ausfallrisiko mehr. Insoweit sind auch Insolvenzen, ob planmäßig in betrügerischer Absicht herbeigeführt oder aus anderen Gründen eingetreten, der Betrug durch Vorsteuererstattung auf Basis von Scheinrechnungen bzw. Karussellgeschäfte und ähnliche Missbrauchsszenarien nicht mehr relevant. Gerade hier sehen die Befürworter des Systemwechsels den besonderen Nutzen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft schätzt, dass unter der Bedingung eines funktionierenden Kontrollverfahrens in Deutschland jährlich ein positiver Saldo von ca. 3,8 Mrd. Euro Aufkommenswirkung erzielt werden könnte. Dieser Betrag ergibt sich durch ein geschätztes Volumen aus dem Wegfall bestehender Betrugsszenarien in Höhe von ca. 3,4 Mrd. Euro, dem Wegfall von Ausfallrisiken durch Insolvenzen und andere Niederschlagungen in Höhe von 1,8 Mrd. Euro sowie einen gegenläufigen Effekt durch mögliche neue Betrugsszenarien in Höhe von 1,4 Mrd. Euro. Das Planspiel geht davon aus, dass allein die Ausfälle aus Karussellgeschäften (geschätzte Höhe: 2,1 Mrd. Euro) jährlich um 2 Mrd. Euro zurückgehen würden und damit als Betrugsszenario praktisch vollständig an Bedeutung verlieren würden.23 Hinzuweisen ist hier jedoch auf die bereits eingangs erwähnten Schätzungen des Ifo-Institutes, das in seiner Einschätzung vom Oktober 2005 bereits von einem deutlich geringeren Aufkommen ausgeht:24 „Insbesondere wird eine wirkungsvolle Bekämpfung des in den Medien viel zitierten Karussellbetrugs lediglich 1–2 Mrd. Euro in die Kassen des Fiskus spülen, da die daraus resultierenden Ausfälle (nicht zuletzt infolge verstärkter Kontrollen) in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen zu sein scheinen.“

Aktuell wird der Anteil der Ausfälle durch Karussellgeschäfte sogar nur noch auf rund 1 Mrd. Euro geschätzt.25 Neben einmaligen steuerlichen Übergangseffekten (Übergangslösung für Dauerfristverlängerungen, Abschaffung der Quartalszahler-Regelung, Wegfall des Finanzierungsvorteils der bisherigen Ist-Versteuerer, Monatsüberschreitungen), geschätzt in Höhe von 525 Mio. Euro, werden die Finanzverwaltung im Jahr der Einführung mit Kosten in Höhe von 61 Mio. Euro (in den Folgejahren

__________ 22 Vgl. PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 45 ff. 23 Vgl. PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 18. 24 Gebauer/Parsche, Bestätigung des leichten Absinkens der Mehrwertsteuerausfallquote im Jahr 2005, Ifo-Institut, Schnelldienst 21/2005, S. 13. 25 O. V., Betrug bei Umsatzsteuer geht zurück, Handelsblatt 29.5.2007, Nr. 101, S. 4.

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in Höhe von 53 Mio. Euro) sowie die Unternehmen im Jahr der Einführung mit Kosten in Höhe von 2 Mrd. Euro (in den Folgejahren in Höhe von 200 Mio. Euro) belastet.26 Auf Grund der erzielbaren positiven Aufkommenseffekte, die nach Einschätzung der Gutachter die mit einer Einführung verbundenen Aufwendungen und die grundsätzlichen mit einem Verfahrenswechsel verbundenen Risiken überwiegen, haben sich die Finanzminister der Länder für die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens ausgesprochen.27 Auch der Koalitionsvertrag vom November 200528 enthält das Ziel der Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens als Maßnahme zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges.

VI. Kritische Würdigung des Reverse-Charge-Verfahrens Die entscheidenden Herausforderungen für die Einführung eines ReverseCharge-Verfahrens entspringen allerdings aus der Praxis. Im Folgenden werden einige Fragestellungen insbesondere im technisch-organisatorischen Bereich benannt, die in besonderer Weise die Praxistauglichkeit des Verfahrens betreffen. Auf rechtliche Betrachtungen wird bewusst verzichtet. 1. Prüfung der Unternehmereigenschaft, Prüfung der R-Nummer Problematisch für das leistende Unternehmen ist, dass es Umsätze an Unternehmer und Umsätze an Nichtunternehmer sowie Umsätze unterhalb der Bagatellgrenze und oberhalb derselben unterschiedlich zu behandeln hat. Nur wenn der Abnehmer Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes ist und eine Leistung für sein Unternehmen bezieht, darf er die Lieferung und Leistung ohne Umsatzsteuer beziehen, sofern diese wiederum die Bagatellgrenze (in Höhe von 5000 Euro) überschreitet. Das Reverse-Charge-Verfahren erfordert daher in einem ersten Schritt die zweifelsfreie Identifikation des Unternehmers, der berechtigt ist, Leistungen zum Netto-Preis zu erlangen. Dazu muss eine Identifikationsnummer – die sogenannte R-Nummer – eingeführt werden. Durch technische Systeme, deren flächendeckende Verfügbarkeit heute noch nicht gegeben ist, ist sicherzustellen, dass hier nicht ein neues Betrugsszenario, der sog. R-Nummer-Betrug, entsteht. Beispielhaft seien einige Fragestellungen benannt: – Ist die Vergabe der R-Nummern so eindeutig, dass nur berechtigte Unternehmer eine R-Nummer erhalten können?

__________ 26 PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 31. 27 Vgl. Finanzministerkonferenz, Mitteilung v. 20.10.2005, UR 2005, 662. 28 „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 11.11.2005, S. 72 – Punkt 2.7 Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges.

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– Können unberechtigte Dritte (z. B. Privatpersonen) in den Besitz einer R-Nummer gelangen und sich so erfolgreich als Unternehmer ausweisen? – Ist eine jederzeitige Prüfung der R-Nummer durch den leistenden Unternehmer möglich? – Wie weit geht die Verifikationsverpflichtung des leistenden Unternehmers? Muss der leistende Unternehmer eine Identifikationsprüfung des Kunden veranlassen? Reicht es aus, wenn er sich davon vergewissert hat, dass der Kunde die ihm eindeutig zuordenbare R-Nummer verwendet? Was passiert, wenn sich der Kunde eine existierende Identität und die dazu gehörige R-Nummer unberechtigt angeeignet hat und der leistende Unternehmer dies nicht erkannt hat? – Wie wird mit Fällen umgegangen, in denen während des Leistungsprozesses die Anspruchsgrundlage für die R-Nummer entfällt? Ist der leistende Unternehmer verpflichtet, sich bis zur endgültigen Abwicklung der Leistung von der berechtigten Nutzung zu überzeugen? – Welche Folgen hat es für die Verfahrensbeteiligten, wenn der empfangende Unternehmer die Leistungen mit seiner R-Nummer nicht für die unternehmerische, sondern die private Sphäre erwirbt? Trifft in diesem Fall den leistenden Unternehmer eine Mitschuld für die nicht abgeführte Umsatzsteuer? Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn die nicht-unternehmerische Verwendung vom leistenden Unternehmer erkennbar war oder hätte erkennbar sein müssen? Es ist von den Konstrukteuren eines neuen Modells der Umsatzsteuererhebung zu fordern, dass die Sorgfaltspflichten der Verfahrensbeteiligten eindeutig geregelt werden und damit insbesondere ein klarer Vertrauensschutz für den leistenden Unternehmer vereinbart wird. Vertrauensschutz kann aber nur erreicht werden, wenn die vorgestellten Lösungen praktikabel und bereits im Vorfeld bekannt sind. Bisher ist dies nicht der Fall. Offen bleiben bisher insbesondere die Fragen zur Dokumentationspflicht von Art und Sorgfalt der vorgenommenen R-Nummern-Prüfung und der Historienfunktion dieser Prüfung. Ohne einen wirksamen Vertrauensschutz für gutgläubig leistende Unternehmer wäre von einer deutlichen Beeinträchtigung der Wirtschaft auszugehen, z. B. durch die Verzögerung der Abwicklung oder gar Aufhebung von Geschäften. Bereits heute existieren für innergemeinschaftliche Lieferungen Informations- und Dokumentationspflichten, die bei den Unternehmen erheblichen Aufwand verursachen. Eine Übertragung auf alle zwischenunternehmerischen Umsätze größer 5000 Euro würde diesen Aufwand deutlich erhöhen. Ganz abgesehen von den trotz sorgfältiger Prüfung verbleibenden Restrisiken. 2. Bagatellgrenze Die Einführung einer Bagatellgrenze (vorgeschlagen in Höhe von 5000 Euro) ist aus Gründen der Beschränkung des Kontrollumfangs unausweichlich. Gleichwohl ist die Festlegung der Bagatellgrenze weitgehend willkürlich. In der Pra287

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xis gilt es deshalb einen Wert zu finden, der einen tragbaren Kompromiss zwischen Vereinfachung einerseits und Risikoabwägung andererseits darstellt. Daneben sind für eine funktionierende Handhabung noch weitere Detailfragen zu klären. So ist z. B. zu klären, welche Konsequenzen der Grundsatz der Einheitlichkeit einer Leistung im Zusammenhang mit der Bagatellgrenze hat. Der leistende Unternehmer muss z. B. eine rechtlich komplizierte Würdigung vornehmen, ob er eine einheitliche Leistung oder mehrere selbständige Leistungen erbracht hat.29 Ebenfalls zu klären sind die Fragen, wie mit Leistungen gegen Ratenzahlung umzugehen ist und wie nachträgliche Entgeltsminderungen, wie z. B. Boni, Skonti oder Volumenrabatte auf die Anwendung der Bagatellgrenze wirken. Wenn diese Fragen nicht eindeutig für alle Verfahrensbeteiligten festgelegt werden können, würde dies zu einer signifikanten Erhöhung der Abweichungen zwischen der Behandlung beim leistenden Unternehmer und beim Leistungsempfänger führen. Es ist zu befürchten, dass mit der Einführung einer aus Praktikabilitätsgründen erforderlichen Bagatellgrenze die erzielten Vereinfachungen durch erhöhte Anforderungen an die Rechnungsprüfung wieder aufgehoben werden. 3. Massenabrechnungen Um Steuerrisiken zu meiden, ist der leistende Unternehmer verpflichtet, vor jeder Rechnungsstellung die Unternehmereigenschaft des Kunden zu prüfen und diese Prüfung zu dokumentieren. Neben der informationstechnischen Anforderung an die Buchhaltungssysteme, die in der Lage sein müssen, je nach Ergebnis der R-Nummern-Abfrage eine Rechnung mit oder ohne Umsatzsteuer zu erzeugen, ist weiter zu prüfen, ob Massenabrechnungsverfahren noch sinnvoll vollautomatisch ablaufen können. Führen die notwendigen Plausibilitätsprüfungen und die Überprüfung der Unternehmereigenschaft zu Zweifeln, muss das Abrechnungsverfahren gestoppt werden. Dies würde in besonderem Maße für jene Fälle gelten, wo aus der Art des Umsatzes und der Art der Unternehmereigenschaft des empfangenden Unternehmers nicht zweifelsfrei auf die unternehmerische Verwendung geschlossen werden kann. 4. Ameisenkriminalität Weiterhin besteht das Problem, dass die Festlegung einer Bagatellgrenze dazu führen könnte, dass sich Betrugsszenarien genau unterhalb dieser Schwelle bilden. Letztlich könnten damit viele kleine Betrugsfälle („Ameisenkriminalität“) in der Summe einen durchaus erheblichen Steuerausfall bedeuten und damit genauso großen Schaden anrichten wie einige wenige große Fälle, wobei jedoch viele kleine Betrugsfälle kontrolltechnisch weit schwieriger in den Griff zu bekommen sind.30

__________ 29 Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch Reverse-Charge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis – Fluch oder Segen, BB 2006, 356. 30 Gebauer, Entwicklung des Umsatzsteueraufkommens und finanzielle Auswirkungen neuerer Modelle bei der Umsatzbesteuerung, Ifo-Schnelldienst 6/2003, S. 28 ff.

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Letztlich ist auch die Gefahr nicht auszuschließen, dass sich unterhalb der Bagatellgrenze eine neue Art von Karussellgeschäften etabliert, die jedoch aufgrund der für den Betrug notwendigen Logistik wohl kaum signifikante Bedeutung für das Steueraufkommen haben dürfte. 5. R-Check Mit dem Begriff des R-Check wird das Kontrollverfahren umschrieben, mit dem die Finanzverwaltung die missbräuchliche Verwendung von R-Nummern durch den Abgleich der Meldungen der leistenden Unternehmer mit jenen der empfangenden Unternehmer sicherstellen soll. Um das Volumen der zu überprüfenden Transaktionen einzuschränken, nimmt man einen Systembruch in Kauf. Im Gegensatz zum System der Ist-Versteuerung mit Cross-Check-Verfahren sollen nicht Meldungen über einzelne Transaktionen miteinander verglichen werden, sondern es sind auf der Seite des Leistenden Einzelmeldungen vorgesehen, auf der Seite des Empfangenden „verrechnete“ zusammenfassende Meldungen im Rahmen der „normalen“ Voranmeldung. Es liegt auf der Hand, dass dieses Verfahren eine Reihe von Fehlerquellen im Abgleich der Daten in sich birgt (sog. Mismatches), deren Klärung den beteiligten Unternehmen abverlangt wird. Beispielhaft seien einige mögliche Gründe für derartige Mismatches genannt: – Durch Eingabe- oder Übertragungsfehler werden fehlerhafte R-Nummern gemeldet, die nicht zu den beteiligten Unternehmen passen. – Der empfangende Unternehmer ändert die Verwendungsfiktion der Lieferung, ohne den leistenden Unternehmer davon zu informieren. – Die Einzelmeldung des leistenden Unternehmers und die Sammelmeldung des empfangenden Unternehmers fallen zeitlich auseinander. – Die beteiligten Unternehmer erfassen nachträgliche Korrekturen des Entgelts in unterschiedlicher Art und Weise und/oder in unterschiedlichen Voranmeldezeiträumen. Bereits das Planspiel hat gezeigt, dass es auf Grund vielschichtiger Ursachen zu erheblichen Differenzen gekommen ist. Unterschiedliche Behandlung steuerlicher Sachverhalte, bei denen Leistung, Zahlung und Rechnungsstellung auseinanderfielen, Verlust von Rechnungen, vergessene R-Meldungen, generelle Unsicherheit über die meldetechnische Behandlung von Gutschriften oder fehlerhafte Konsolidierung von R-Meldungen bei umsatzsteuerlichen Organschaften31 sind einige der dort genannten Beispiele. Die Studie enthält deshalb folgenden Hinweis: „Die Herausforderung in der Prüfungspraxis der Finanzämter wird darin bestehen, möglichst wenige, dafür aber prüfungswürdige Hinweise zu verfolgen. Die Lösung des Zielkonfliktes liegt damit in einem noch zu schaffenden, wirksamen und national einheit-

__________ 31 PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 22.

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Dieter Kempf lichen Risikomanagementsystem (RMS) für den R-Check. Letztlich kann hierdurch die Funktionsfähigkeit des R-Checks sichergestellt werden. Ohne ein solches automatisiert ablaufendes Instrumentarium wäre das Kontrollverfahren nicht administrierbar und damit nach Ansicht von PSP unbrauchbar. Die Umsetzung eines RMS für den R-Check wird nach den Untersuchungen von PSP für realistisch und durchführbar angesehen, bedarf jedoch noch einiger Anstrengungen seitens der Finanzverwaltung.“

Dieser Empfehlung kann man nur uneingeschränkt zustimmen. Zur Darstellung der Dimensionen des Kontrollproblems sei hier nur die nachfolgende Berechnung angestellt: In Deutschland sind lt. dem „Statistischen Jahrbuch 2004“ 2,92 Mio. Umsatzsteuerpflichtige registriert. Geht man nun davon aus, dass jeder dieser Umsatzsteuerpflichtigen in jedem Monat mindestens eine Transaktion nach dem Reverse-Charge-Verfahren entweder als leistender Unternehmer oder als empfangender Unternehmer zu melden hat, so ergeben sich hieraus fast 3 Mio. Meldungen für den R-Check. Unterstellt man weiterhin, dass lediglich 20 % der Meldungen nicht zu einem automatischen Ausgleich zwischen der Summe der Einzelmeldungen an ein- und den selben Leistungsempfänger und dessen summarischer Meldung führen, dann ergibt dies einen Mismatch von 600 000 Meldungen, in dessen Folge die Verfahrensbeteiligten, also bis zu 1,2 Mio. Unternehmen, zur Klärung aufgefordert werden müssten. Um eine unverhältnismäßige Belastung der Unternehmen aufgrund systembedingter Abweichungen im Kontrollverfahren zu vermeiden, ist zuerst die Einrichtung eines verlässlichen Risikomanagements zu fordern, bevor „die Prüfhinweise des Kontrollverfahrens in der Praxis überhand nehmen und die Differenzen somit nicht mehr bewältigt werden können … (und) der ursprüngliche Zweck des R-Checks, die Verhinderung von Betrug, … damit fehlschlagen“32 könnte, wie es die Autoren des Planspiels bereits selbst dargelegt haben. Insbesondere ist zu fordern, dass neben rein quantitativen Verfahren der Gestaltung des Risikomanagementsystems auch qualitative Verfahren zum Einsatz kommen müssen. Z. B. darf bei der Überprüfungspraxis oder der Aufforderung zur Aufklärung nicht außer Acht bleiben, ob es sich bei den Verfahrensbeteiligten um etablierte Unternehmen mit geringem Betrugsrisiko handelt oder um Unternehmen, deren steuerliche Verhältnisse ohnehin im Rahmen finanzamtlicher Außenprüfungen lückenlos geprüft werden. 6. Wegfall bisheriger Sonderregelungen der Dauerfristverlängerung, beim Voranmeldezeitraum und der Ist-Versteuerung Um die Zahl möglicher Mismatches nicht auch noch durch systembedingte Unverträglichkeiten zu erhöhen, wird es unabdingbar sein, dass bestimmte Vereinfachungs- und Sonderregelungen des bisherigen Umsatzsteuersystems nach Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens nicht mehr gewährt werden

__________ 32 PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 23.

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Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens

können. Hierzu ist an erster Stelle die Regelung für Quartalsanmelder und -zahler nach § 18 Abs. 2 Satz 1 UStG zu nennen. Ein paralleles Nebeneinander von Quartalsanmeldungen und Monatsanmeldungen würde die Fehleranfälligkeit aufgrund zeitlicher Mismatches deutlich erhöhen.33 Gleiches gilt sicherlich für die Möglichkeit des Wegfalls der Dauerfristverlängerung nach §§ 46 ff. UStDV. Gerade ein Wegfall der Dauerfristverlängerung würde aber eine erhebliche Erschwernis für die Auftragsbuchführung durch Angehörige der steuerberatenden Berufe mit sich bringen, da in der auf 10 Tage begrenzten Zeitspanne vielfach nicht einmal der Belegfluss zwischen Mandant und Steuerberater zuverlässig sichergestellt werden kann. Ein Wegfall dieser Regelung würde damit insbesondere die kleinen und mittelständischen Unternehmen und ihre steuerlichen Berater in besonderer Weise belasten. 7. Kosten für die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens Eine nicht zu unterschätzende Frage bei der Beurteilung der Praxistauglichkeit des Systems stellen die Kosten für die Unternehmen zur Implementierung solcher Systeme dar. Die Studie geht von einer Summe der einmaligen Kosten inkl. Prozess-Umstellung, Schulung etc. in Höhe bis zu ca. 2,0 Mrd. Euro und laufender Kosten in Höhe bis zu ca. 0,2 Mrd. Euro p. a.34 aus. Bezieht man diese geschätzten Kosten auf die ca. 2,9 Mio. umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland, so wären danach für jedes dieser Unternehmen lediglich einmalige Kosten in Höhe von ca. 690 Euro zu veranschlagen. Ein Wert, der bei näherer Betrachtung sehr niedrig erscheint, wenn man bedenkt, dass hierunter nicht nur die Kosten der Umstellung der Abrechnungsund Finanzbuchführungssysteme, sondern auch die Schulungsaufwendungen des davon betroffenen Personals enthalten sein müssen. Noch ambitionierter erscheint die Schätzung der laufenden Kosten. Danach sollten pro Unternehmen und Monat lediglich Kosten in Höhe von 5,75 Euro zu veranschlagen sein. Dies mag richtig sein, wenn man hierunter nur die Kosten der getrennten Ermittlung der „normalen Umsätze“ von den „R-Umsätzen“ und die der zusätzlichen monatlichen Meldung subsumiert. Beachtet man jedoch, dass nach Angaben des Institutes für Mittelstandsforschung die Kosten für eine Umsatzsteuervoranmeldung im Mittel bei 15,62 Euro liegen35,

__________ 33 A. A. PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 26. 34 PSP Peters Schönberger GmbH, Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer „Reverse-Charge-Verfahren“ im Auftrag des BMF, November 2005, S. 31. 35 Institut für Mittelstandsforschung, Ermittlung bürokratischer Kostenbelastungen in ausgewählten Bereichen, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, in Kooperation mit der REFACONSULT GmbH, Dortmund, und dem Institut für Wirtschafts- und Politikforschung Richter & Schorn, Köln/ Bonn, Januar 2006.

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so darf die Höhe der geschätzten laufenden monatlichen Mehrkosten durchaus in Zweifel gezogen werden. Jede Rückfrage aufgrund eines Mismatches beim R-Check und die dann beim Unternehmen ausgelösten Abstimm- und Prüfmechanismen sowie die zugehörige Korrespondenz mit den Finanzbehörden dürfte aber endgültig dazu führen, dass bereits mit der Beantwortung einer derartigen Rückfrage der angesetzte Kostenrahmen in Höhe von ca. 69 Euro p. a. mehr als ausgeschöpft sein wird.

VII. Konformität des Reverse-Charge-Verfahrens mit der 6. EG-Richtlinie Ohne eine vollständige Würdigung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens in Deutschland und im Kreis der EU-Mitgliedstaaten vorzunehmen, sei hier auch noch auf die Anträge Österreichs und Deutschlands entsprechend Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie des Rates vom 17.5.1977 (77/388/EWG) sowie die entsprechende Antwort der Europäischen Kommission vom 19.7.200636 hingewiesen. Nach Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen zu verhindern. Mit diesem Verfahren werden Ausnahmeregelungen von den harmonisierten allgemeinen Grundsätzen des Mehrwertsteuer-Rechts genehmigt, die nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs restriktiv und verhältnismäßig sein müssen. Die Kommission macht deutlich, dass sie die durch den Mehrwertsteuerbetrug und insbesondere durch den Karussellbetrug verursachten Steuerausfälle sehr ernst nimmt. Die Prüfung der Kommission erfolgte „sehr vorsichtig und … (innerhalb) enger Maßstäbe, damit die Ausnahmeregelungen nicht das allgemeine Mehrwertsteuersystem untergraben“. Nach Auffassung der Kommission sind die Anträge Deutschlands und Österreichs ein Versuch, das Mehrwertsteuersystem grundlegend zu verändern. Insbesondere die Entstehung von drei unterschiedlichen Steuersystemen 1. das klassische Mehrwertsteuer-System, 2. die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für Lieferungen zwischen Unternehmern (sog. B2B-Lieferungen), wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, und 3. das innergemeinschaftliche System sowie die damit für die steuerehrlichen Unternehmer verbundenen administrativen Belastungen und die deutlich erhöhten Mittel der deutschen und österreichischen Steuerbehörden für die Mehrwertsteuer-Kontrollen führen nach Ansicht der Kommission nicht zu einer Vereinfachung, sondern zu einer

__________ 36 Mitteilung der Kommission an den Rat gemäß Art. 27 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG, Brüssel, 19.7.2006, KOM(2006) 404.

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Komplizierung der Steuererhebung. Weiterhin ist die Kommission der Auffassung, dass es nicht binnenmarktverträglich wäre und den Zielen der LissabonStrategie zuwider laufen würde, wenn man einzelnen Mitgliedstaaten solch einschneidende Ausnahmeregelungen, die Auswirkungen auf alle Unternehmen haben, gestatten würde. Zusammenfassend kommt die Kommission zum Ergebnis, dass die Einführung eines Reverse-Charge-Verfahrens nicht unter Art. 27 der 6. EG-Richtlinie fällt und somit abzulehnen ist.

VIII. Aktuelle Entwicklungen Es steht außer Frage, dass – nicht nur in Deutschland – die Steuerausfälle im Bereich der Umsatzsteuer nicht hingenommen werden können. Gleichwohl darf nach den aktuellen Schätzungen in Deutschland und den Ergebnissen der Pilotstudie durchaus in Zweifel gezogen werden, ob die Annahme von EUKommissar Kovács richtig ist, dass den Mitgliedstaaten Einnahmen zwischen 200 bis 250 Mrd. Euro pro Jahr37 entgehen. Solange jedoch der politische Wille zur Aufgabe eines Stücks nationalstaatlicher Souveränität bei der Gestaltung des Steuersystems, bei der Festlegung der Steuersätze und der Befreiungssachverhalte und damit verbunden eine loyale Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fehlt, wird die im Grundsatz einfache Umsatzsteuer ihrem Ruf in einer Welt immer komplizierter werdenden Lieferungs- und Leistungsbeziehungen nicht mehr gerecht werden können. Die aktuelle Diskussion zeigt, dass die notwendige Zusammenarbeit zur Betrugsbekämpfung zwar vielfach gefordert, aber längst noch nicht realisiert ist. Die Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten und die EU-Kommission selbst halten unterschiedliche Wege der Betrugsbekämpfung für denkbar und wollen sich nicht ausschließlich auf das Reverse-Charge-Verfahren beschränken. So hat der ECOFIN-Rat am 5.6.2007 in Luxemburg38 beschlossen, folgende konventionelle Maßnahmen mit Nachdruck weiter zu verfolgen: – Änderungen bei der Erklärung der innergemeinschaftlichen Lieferungen und Leistungen mit dem Ziel der Reduzierung der Zeitrahmen, – schnellere Verfügbarkeit dieser Informationen zwischen den Steuerverwaltungen, – Prüfung der gesamtschuldnerischen Haftung für Fälle, in denen Informationen über innergemeinschaftliche Lieferungen nicht oder nicht korrekt vorgelegt wurden, sofern dies zu einem Ausfall von Mehrwertsteuer auf einer nachfolgenden Stufe führt, – Verbesserung der Bestätigungsmeldungen und der Information über für Zwecke der Mehrwertsteuer erfasste Unternehmen für Unternehmer, die

__________ 37 Kovács, Opening speech at the conference „Tackling VAT fraud: possible ways forward“, Brüssel 29.3.2007. 38 Rat der Europäischen Union, Mitteilung an die Presse über die 2804. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, Luxemburg 5.6.2007, 10319/07 (Presse 126), http:// www.consilium.europa.eu/Newsroom.

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am innergemeinschaftlichen Handel teilnehmen, ohne die von Mitgliedstaaten eingesetzten Risikoanalysen zu behindern. Der ECOFIN-Rat hat sich in gleicher Sitzung intensiv mit den Forderungen Deutschlands und Österreichs befasst, zur Betrugsbekämpfung ein generelles Reverse-Charge-Verfahren einzuführen. Dabei verfolgen Deutschland und Österreich das Ziel, „die europarechtliche Option für die Anwendung dieses Verfahrens zu erhalten, ohne dass dies in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zur Anwendung kommen muss“39, da die Mehrheit der Mitgliedstaaten Bedenken gegen eine derartige Option hat. Der ECOFIN-Rat hat deshalb die Europäische Kommission ersucht, eine Analyse der Effekte einer derartigen Option unter Zugrundelegung einer Bagatellgrenze in Höhe von 5000 Euro vorzunehmen und die Ergebnisse der Analyse bis Ende 2007 vorzulegen. Insbesondere sind dabei folgende Aspekte sind zu klären: – „Effekte auf Mitgliedstaaten, die das Reverse-Charge-Verfahren nicht anwenden, insbesondere auf deren Haushalte, auch unter dem Aspekt der Konkurrenzfähigkeit ihrer Unternehmen, – Kohärenz und Harmonisierung des Mehrwertsteuerrechts in der EU, – Aufwand und Vollzug eines Reverse-Charge-Verfahrens für Steuerpflichtige und Verwaltung, – Betrugsverlagerung in andere Mitgliedstaaten, die ein Reverse-Charge-Verfahren nicht anwenden, – Risiko neuer Betrugsformen, – Möglichkeit der Durchführung eines zeitlich befristeten Pilotprojektes in einem interessierten Mitgliedstaat“.40 Für die Realisierung des empfohlenen zeitlich befristeten Projektes ist Österreich vorgesehen. Die Diskussion, die mit dem zitierten Beschluss vorerst ihr Ende gefunden hat, zeigt deutlich, dass es für Deutschland wichtig ist, sich nicht nur auf den vermeintlichen Königsweg der Einführung eines ReverseCharge-Verfahrens zu verlassen, sondern daneben auch alle konventionellen Maßnahmen zur Systemvereinfachung und Betrugsbekämpfung aktiv zu unterstützen. Die in diesem Beitrag aufgezeigten Probleme und Aufwendungen für die betroffenen Unternehmen sowie die in der Diskussion der Mitgliedstaaten der EU geführte Diskussion lassen die Einführung eines ReverseCharge-Verfahrens und einen dadurch erhofften Erfolg bei der Betrugsbekämpfung derzeit mehr als ungewiss erscheinen. Tiedtke hat in seinem Aufsatz in der Umsatzsteuer-Rundschau ein zitierwürdiges Fazit zur politischen Diskussion verfasst:41

__________ 39 Rat der Europäischen Union, Mitteilung an die Presse über die 2804. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, Luxemburg 5.6.2007, 10319/07 (Presse 126), http:// www.consilium.europa.eu/Newsroom, S. 18. 40 Rat der Europäischen Union, Mitteilung an die Presse über die 2804. Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen, Luxemburg 5.6.2007, 10319/07 (Presse 126), http:// www.consilium.europa.eu/Newsroom, S. 18.

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Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens „Die beklagte Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems ist überhaupt erst durch einen Systembruch, nämlich das 1993 eingeführte ‚Übergangssystem‘ entstanden. Weitere Systembrüche würden die Situation weiter verschlechtern. Eine Rückkehr zum ursprünglichen System wäre auch ohne Grenzen innerhalb der EU möglich, wenn die Steuersätze harmonisiert würden, Vorsteuer anderer Mitgliedstaaten im Heimatland abziehbar und ein Clearing zwischen den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten eingeführt würde. Wenn das Richtige politisch undurchführbar und nur das Falsche machbar erscheint, ist dies ein Problem der Politik und nicht des Umsatzsteuersystems.“

__________ 41 Tiedtke, Das Reverse Charge Modell steht vor der Einführung, UR 2006, 253.

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Jörg Kraeusel*

Die Zukunft der Umsatzsteuer aus deutscher Sicht Risiken, Chancen und Perspektiven Inhaltsübersicht I. Die Umsatzsteuer als tragende Säule des deutschen Steuersystems II. Systembedingte Schwächen des Umsatzsteuersystems III. Bisherige Maßnahmen zur Verringerung des Steuerausfalls 1. Gesetzgeberische Maßnahmen 2. Organisatorische Maßnahmen IV. Entwicklung der Reformdiskussion in Deutschland 1. Das Mittler-Modell 2. Das „Reverse-Charge-Modell“ 3. Generelle Ist-Besteuerung mit Crosscheck 4. Ist-Besteuerung mit Quellensteuererhebung 5. Die elektronische Umsatzsteuerverrechnung (Überrechnungssystem) VII. 6. Das Umsatzsteuer-Audit V. Reformdiskussion auf EU-Ebene VI. Die Einführung des „Reverse-ChargeVerfahrens“ mit Cross-check in Deutschland 1. Historische Entwicklung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ in Deutschland a) Planspiel und Machbarkeitsstudie b) Ergebnisse des Planspiels und der Machbarkeitsstudie c) Konsequenzen für die Politik d) Umsetzung des Projekts „ReverseCharge-Verfahren“ durch die Finanzverwaltung 2. Inhaltsbeschreibung des „ReverseCharge-Verfahrens“ a) Verlagerung der Steuerschuld b) Der R-Check durch die Verwaltung c) Die Bagatellgrenze VIII.

d) Betrugsbekämpfung/Neue Betrugsmöglichkeiten 3. Bewertung des „Reverse-ChargeVerfahrens“ a) Das „Reverse-Charge-Verfahren“ bedeutet keinen Systemwechsel b) Vorteile des „Reverse-ChargeVerfahrens“ gegenüber der heute geltenden Regelung c) Bedeutung der 5000-Euro-Grenze d) Vertrauensschutzregelung e) Auswirkungen des „ReverseCharge-Verfahrens“ auf insolvenzbedingte Steuerausfälle f) Kontrolldichte g) Neue Betrugsrisiken h) Zusammenfassung 4. Chancen für die Einführung Alternative Lösungen 1. Gesetzesänderung unter Beibehaltung der gegenwärtigen Sollbesteuerung mit Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers a) Streichung der Vertrauensvorschrift des § 6a Abs. 4 UStG b) Monatliche Abgabe von Zusammenfassenden Meldungen c) Vortrag von Erstattungsguthaben auf den nächsten Besteuerungszeitraum d) Einführung einer „ReverseCharge-Regelung“ für Umsätze mit Industrieschrott und Altmetallen e) Anwendung des Cross-checkVerfahrens im jetzigen Umsatzsteuersystem 2. Maßnahmen zur Verbesserung des Verwaltungsvollzugs Schlussbemerkung

__________ * Der Beitrag ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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Jörg Kraeusel

I. Die Umsatzsteuer als tragende Säule des deutschen Steuersystems Die Umsatzsteuer ist eine der tragenden Säulen des deutschen Steuersystems. Nach der jüngsten Steuerschätzung vom Mai 20071 hat sich wieder bestätigt, dass die Umsatzsteuer die mit Abstand ertragreichste Steuer in Deutschland ist. Danach sollen im Jahr 2007 insgesamt 172,5 Mrd. Euro (einschl. Einfuhrumsatzsteuer) in den Steuersäckel fließen. Im Jahre 2011 sollen es schon 194 Mrd. Euro sein. Damit ist klar, dass das Aufkommen der Umsatzsteuer besonderer Sicherung bedarf. Systembedingte Mängel führen hier sofort zu erheblichen Steuermindereinnahmen. Deshalb ist die Steuerpolitik schon seit einer Reihe von Jahren bemüht, das Umsatzsteuersystem vor Steuerausfällen zu schützen. Die Zukunft des deutschen Umsatzsteuerrechts hängt maßgeblich davon ab, ob dieses Ziel gelingt.

II. Systembedingte Schwächen des Umsatzsteuersystems Zweifellos sind wir bisher noch nicht ans Ziel gelangt. Die Schwäche des derzeitigen Umsatzsteuersystems liegt nach wie vor darin, dass der Steueranspruch des Staates und der Vorsteueranspruch des Unternehmers unabhängig von einander existieren. Somit kann Vorsteuer abgezogen werden, ohne dass die zugrunde liegende Ausgangssteuer entrichtet wird. Dies erleichtert den Steuerbetrug. Dabei sind immer zwei Unternehmer betroffen, die entweder zusammen oder unabhängig voneinander durch betrügerisches Handeln Aufkommensverluste verursachen können. Die besondere Gefahr – die Achillesferse des gegenwärtigen Systems – liegt darin, dass der Fiskus mit der Auszahlung erschlichener Vorsteuern nicht nur wie bei nicht entrichteten Steuern nichts einnimmt, sondern ihm gehörendes Geld auszahlt, das der Fiskus niemals erhalten hat.2 Es steht also völlig außer Frage, dass das bestehende System die geschilderten Betrugsgeschäfte erleichtert.3 Darüber hinaus werden auch andere systembedingte Steuerausfälle begünstigt. Die Hinterziehung der Umsatzsteuer ist in den letzten Jahren in Fachliteratur, Presse und Politik intensiv zum Gegenstand der Diskussion geworden.4 Die Folgen missbräuchlichen Verhaltens haben auch den EuGH beschäftigt. In zwei Entscheidungen vom 21.2.20065 hat er sich mit der Frage beschäftigt, wie

__________ 1 BMF, Ergebnisse der Steuerschätzung vom 8. bis 11.5.2007, http://www.bundesfinanz ministerium.de. 2 Vgl. hierzu Jochum, Kann der Betrugsanfälligkeit des geltenden Umsatzsteuerrechts allein durch einen Systemwechsel wirksam begegnet werden?, UR 2005, 88 (89). 3 Vgl. hierzu Kemper, Umsatzsteuerkarussellbetrug – Organisierte Kriminalität und ihre wirtschaftlichen Zusammenhänge, UR 2005, 1. 4 Vgl. z. B. Ammann, Weitere Überlegungen zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung auf dem Prüfstand, UR 2002, 258; Wagner, Zulässige Systemumstellungen zur Eindämmung des Mehrwertsteuerbetrugs aus Sicht der Rechtsprechung, UVR 2003, 386; Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekämpfung, UR 2006, 569.

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Die Zukunft der Umsatzsteuer

solche Umsätze umsatzsteuerlich zu behandeln sind.6 Auch die deutschen Finanzgerichte haben sich mit der Frage der Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen und anderen Umsatzsteuerbetrügereien beschäftigt, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen.7 Die Urteile können in bestimmten Einzelfällen helfen, missbräuchliche Gestaltungen rückabzuwickeln, aber sie können nicht verhindern, die bereits entstandenen Steuerausfälle zu vermeiden, wenn die Beteiligten insolvent werden oder sonst nicht mehr greifbar sind. Bereits seit 2001 finden deshalb in Deutschland Überlegungen statt, die Umsatzbesteuerung betrugssicherer zu gestalten. Dabei wurde neben konventionellen Maßnahmen im Bereich der Gesetzgebung und des Verwaltungsvollzugs auch daran gedacht, das geltende Umsatzsteuersystem zu modifizieren. Anlass für die Überlegungen waren die enormen von Instituten geschätzten Steuerausfälle. Interessant in diesem Zusammenhang sind Zahlen, die das ifo-Institut seit Jahren veröffentlicht. Erst kürzlich wurden wieder aktuelle Zahlen bekannt gemacht.8 Jahre

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007

(MwSt-Ausfallquote in %)

8,5

7,5

9

11,5

11,5

11,5

12

11,5

9,5

7,5

Betrag in Mrd. Euro

12

11

14

18

18

18

18,5

18

15

14

Der Steuerausfall errechnet sich aus der Differenz zwischen einem theoretischen Soll-Umsatzsteueraufkommen, welches aus den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen abgeleitet werden kann, und dem tatsächlichen kassenmäßigen Steueraufkommen.

__________ 5 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax plc, EuGHE 2006, I-1609 = UR 2006, 232 m. Anm. Wäger = UVR 2006, 134 = IStR 2006, 276 = BFH-PR 2006, 206 = DStR 2006, 420 = BFH/NV Beilage 2006, 260; EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-223/03 – University of Huddersfield Higher Education Corporation, EuGHE 2006, I-1751 = UR 2006, 217 = DB 2006, 597 = IStR 2006, 279 = BFH-PR 2006, 208 = BFH/NV Beilage 2006, 268 = DStRE 2006, 1139. 6 Im Einzelnen Billig, Missbräuchliche Praktiken im Bereich des Mehrwertsteuerrechts, UR 2006, 437; Rolletschke, Karussellprobleme – Anmerkungen zum EuGH-Urt. in den Rechtssachen Optigen u. a. v. 12.1.2006, UR 2006, 189; Lange, Rechtsmissbrauch im Mehrwertsteuerrecht – Anmerkung zum EuGH-Urt. v. 21.2.2006, Rs. C-255/02, Halifax, DB 2006, 519; Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekämpfung, UR 2006, 569; Rüth/Ziche, Die Folgen missbräuchlichen Verhaltens in der Umsatzsteuer – Eine Analyse nationalen und europäischen Rechts, EU-UStB 2006, 25. 7 Vgl. hierzu Nieuwenhuis, Umsatzsteuerkarusselle – Eine Zusammenfassung der Rechtslage, zugleich Anmerkung zum Urteil des Hessischen Finanzgerichts zum „Buffer II“, UR 2005, 177; Rüth/Ziche, Die Folgen missbräuchlichen Verhaltens in der Umsatzsteuer – Eine Analyse nationalen und europäischen Rechts, EU-UStB 2006, 25. 8 Vgl. Nam/Parsche, Trotz 19 % Mehrwertsteuer wird für 2007 ein weiteres Absingen der Ausfallquote erwartet, ifo Schnelldienst 60 (10), S. 41.

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Jörg Kraeusel

Danach ist festzustellen, dass die Mehrwertsteuer-Ausfallquote in den Jahren 2001 bis 2005 erheblich über dem Schnitt der davor liegenden und der nachfolgenden Jahre lag. Das war wohl auch der Grund für die intensiven Überlegungen und dann auch ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung des Steueraufkommens. Ab 2005 konnte dann erstmals seit längerem ein gewisses Absinken der Mehrwertsteuer-Ausfallquote festgestellt werden.9 Ifo ist der Auffassung, dass das Absinken der Quote damit zusammenhängt, dass die in den letzten Jahren ergriffenen Maßnahmen mit gewisser Zeitverzögerung das Mehrwertsteuer-Aufkommen etwas stabilisiert hätten. Dieser Rückgang der Ausfallquote hat sich dann nach Berechungen des ifo-Instituts auch 2006 fortgesetzt. Für das Jahr 2007 erwartet das ifo-Institut sogar ein weiteres Absinken der Mehrwertsteuer-Ausfallquote.

III. Bisherige Maßnahmen zur Verringerung des Steuerausfalls 1. Gesetzgeberische Maßnahmen Der Gesetzgeber hat einige wichtige Maßnahmen zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung eingeführt. Folgende Übersicht der in den letzten Jahren getroffenen Maßnahmen: Vorschrift

Inhalt

Fundstelle

§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 UStG

Erweiterung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers auf alle steuerpflichtigen Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen und auf bestimmte Bauleistungen, die an bauleistende Unternehmer erbracht werden

Mit Wirkung vom 1.1.2004 eingefügt durch das Haushaltsbegleitgesetz 2004 (HBeglG 2004) v. 29.12.2003, BGBl. I 2003, 3076

§§ 13c und 13d UStG

Einführung neuer Haftungsvorschriften: – Haftung bei Abtretung, Verpfändung und Pfändung von Forderungen; – Haftung bei Änderung der Bemessungsgrundlage (Vorschrift wurde mit dem JStG 2008 wieder aufgehoben)

Mit Wirkung vom 1.1.2004 eingefügt durch das Steueränderungsgesetz 2003 (StÄndG 2003) v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645

__________ 9 Gebauer/Parsche, Leichtes Absinken der Mehrwertsteuerhinterziehungsquote im Jahr 2005, Ifo-Schnelldienst 58 (9), 12.

300

Die Zukunft der Umsatzsteuer Vorschrift

Inhalt

Fundstelle

§ 14 Abs. 2 UStG

Verpflichtung des Unternehmers zur Ausstellung einer Rechnung insbesondere im unternehmerischen Bereich und bei Leistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück

Mit Wirkung zum 1.8.2004 eingefügt durch Art. 12 Nr. 1 des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung v. 23.7.2004, BGBl. I 2004, 1842

§ 14 Abs. 4 UStG

Bestimmte Rechnungsangaben (z. B. Steuernummer oder UStIdNr.) erforderlich und Voraussetzung für Vorsteuerabzug

Mit Wirkung zum 1.1.2004 eingefügt durch Art. 5 Nr. 15 StÄndG 2003 (Steueränderungsgesetz 2003) v. 15.12.2003, BGBl. I 2003, 2645

§ 18 Abs. 2 Satz 4 UStG

Monatliche Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen in Neugründungsfällen

Mit Wirkung v. 1.1.2002 eingefügt durch Art. 1 Nr. 3 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

§ 18f UStG

Sicherheitsleistung bei der Erstattung von Vorsteuerüberschüssen

Mit Wirkung vom 1.1.2002 eingefügt durch Art. 1 Nr. 5 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

§ 25d UStG

Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer

Mit Wirkung vom 1.1.2002 eingefügt durch Art. 1 Nr. 6 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

§ 26 Abs. 1 Nr. 1, §§ 26b, 26c UStG

Erweiterung des Ordnungswidrigkeitenrahmens bei Verstoß gegen Rechnungsausstellungs- und -aufbewahrungsvorschriften sowie bei Schädigung des Umsatzsteueraufkommens; Einführung einer Strafvorschrift bei gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Schädigung des Umsatzsteueraufkommens

Mit Wirkung vom 1.1.2002 eingefügt durch Art. 1 Nr. 7 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

301

Jörg Kraeusel Vorschrift

Inhalt

Fundstelle

§ 27b UStG

Unangekündigte UmsatzsteuerNachschau

Mit Wirkung vom 1.1.2002 eingefügt durch Art. 1 Nr. 9 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

§ 370a AO

Einführung einer neuen Strafvorschrift bei gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Steuerhinterziehung

Mit Wirkung vom 1.1.2002 eingefügt durch Art. 2 Nr. 3 StVBG (Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Steuergesetze – Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922

Vor allem mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz hatte der Gesetzgeber sich eine Eindämmung von Steuerausfällen bei der Umsatzsteuer erhofft, es sollten Mehrsteuern in Höhe von 5 Mrd. DM erzielt werden. Dieses Mehraufkommen hat sich zwar in der Folge leider nicht erzielen lassen10, aber das Absinken der Ausfallquote ab dem Jahr 2005 wird mit diesen Maßnahmen in Zusammenhang gebracht.11 2. Organisatorische Maßnahmen Darüber hinaus wurde eine Reihe von Maßnahmen im organisatorischen Bereich umgesetzt, durch die sichergestellt werden kann, dass den Bediensteten in den Finanzämtern umfangreichere Maßnahmen als bisher zur Beurteilung des Einzelfalls zur Verfügung stehen. Beispielsweise wurden beim Bundeszentralamt für Steuern Datenbanken (USLO, ZAUBER) eingerichtet, die Daten über innergemeinschaftliche Lieferungen sowie zu Betrugsfällen speichern. Außerdem wurde eine Koordinierungsstelle zur Betrugsbekämpfung in länderund staatenübergreifenden Fällen (KUSS) beim Bundeszentralamt für Steuern eingeführt.12 Zudem wird zur Zeit ein effizientes Risikomanagementsystem auf der Basis der Umsatzsteuer-Voranmeldungen entwickelt und in Kürze eingesetzt.13 Ein

__________ 10 Vgl. Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „ReverseCharge-Verfahren“, UR 2006, 624 (625). 11 Zu den Wirkungen der bisherigen Gesetzesänderungen vgl. Widmann, Mittel und Wege zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2005, 14. 12 Zu den organisatorischen Maßnahmen vgl. Widmann, Mittel und Wege zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2005, 14 (16). 13 Vgl. hierzu Widmann, Mittel und Wege zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2005, 14 (18).

302

Die Zukunft der Umsatzsteuer

solches Risikomanagement ist auch für das reibungslose Funktionieren eines „Reverse-Charge-Verfahrens“ unerlässlich.

IV. Entwicklung der Reformdiskussion in Deutschland 1. Das Mittler-Modell In zeitlichem Zusammenhang mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz hat Mittler14 mit den „Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer“ eine gezielte Systemdebatte angestoßen. Seine ursprüngliche Idee, nur die zwischenunternehmerischen Lieferungen generell von der Umsatzsteuer zu befreien, nahm auf, was als Vorstufenbefreiung bereits seit 1968 im deutschen Umsatzsteuerrecht für bestimmte Leistungen in der Luftfahrt gilt15. 2. Das „Reverse-Charge-Modell“ Dieses Modell setzt ebenfalls bei den Umsätzen im zwischenunternehmerischen Bereich an. Nicht der leistende Unternehmer schuldet die Umsatzsteuer, sondern der Leistungsempfänger. Es erfolgt eine Umkehrung der Steuerschuld. Das Modell wird durch einen Kontrollmechanismus ergänzt, bei dem der leistende Unternehmer zusätzlich zu seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für jeden einzelnen „Reverse-Charge-Umsatz“ eine Einzelmeldung elektronisch abgeben muss. Diese werden dann den Leistungsempfängern anhand der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zugeordnet und mit dessen Angaben in der Umsatzsteuervoranmeldung abgeglichen.16 3. Generelle Ist-Besteuerung mit Cross-check Das BMF hat im November 2003 in einem Schreiben an die Spitzenverbände der Wirtschaft die generelle Umstellung auf die Ist-Besteuerung auch beim Vorsteuerabzug vorgeschlagen.17 Dabei sollen elektronische Meldungen zu jedem einzelnen Umsatz vom leistenden Unternehmer und vom Leistungsempfänger einen so genannten „Cross-check“ ermöglichen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks und auch die FDP-Bundestagsfraktion forderten die Umstellung auf die Ist-Besteuerung, allerdings ohne Cross-check.18

__________ 14 Mittler, Vorstufenbefreiung bei der Umsatzsteuer, UR 2001, 385. 15 Vgl. Widmann, Zu den Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer, UR 2002, 14; zur weiteren Geschichte des Mittler-Modells vgl. Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „Reverse-Charge-Verfahren“, UR 2006, 624 (626); vgl. auch Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekämpfung, UR 2006, 569 (576). 16 Im Einzelnen vgl. unten unter VI. 17 Vgl. BMF, Schr. v. 12.11.2003 – IV B 2 - S 7050 - 107/03, UR 2004, 16, vgl. hierzu auch Wesselbaum-Neugebauer, Soll- versus Ist-Besteuerung oder die Finanzierungsneutralität der Umsatzsteuer, UR 2004, 401; Widmann, Mittel und Wege zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2005, 14 (17). 18 Vgl. BT-Drucks. 15/2977 v. 28.4.2004.

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Jörg Kraeusel

Dieses Modell wurde gleichzeitig mit dem „Reverse-Charge-Modell“ in einem Planspiel einer Prüfung unterzogen und dann verworfen.19 4. Ist-Besteuerung mit Quellensteuererhebung Das Modell basiert auf dem Prinzip einer generellen Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten für alle Umsätze. Diese „Ist-Besteuerung“ soll dadurch gekennzeichnet sein, dass die Umatzsteuer auf einen Ausgangsumsatz erst dann entsteht, wenn der leistende Unternehmer das Entgelt vereinnahmt hat. Der Leistungsempfänger kann erst in diesem Zeitpunkt den Vorsteuerabzug gelten machen. Der leistende Unternehmer soll zwar wie im geltenden System Schuldner der Umsatzsteuer bleiben, aber bei der Steuererhebung bedient man sich eines „Tricks“: Die „Quelle“, d. h. der Leistungsempfänger, hat die Umsatzsteuer über seine Bank an das Finanzamt des leistenden Unternehmers und nicht mehr direkt an diesen zu überweisen. Der Leistungsempfänger haftet dafür, falls weder er noch der Steuerschuldner ihren Pflichten nachkommen.20 Dieses Modell wurde in der Literatur kritisch gewürdigt.21 5. Die elektronische Umsatzsteuerverrechnung (Überrechnungssystem) Dieses Modell wurde speziell für Österreich vorgeschlagen.22 Bei diesem Modell stellt der leistende Unternehmer auch weiterhin eine Rechnung mit allen Pflichtangaben einschließlich des Steuerausweises aus, allerdings erhält er vom Erwerber nur das Nettoentgelt. Der Leistungsempfänger muss sich gegenüber dem Verkäufer mit einer Chipkarte identifizieren. Erforderlich ist außerdem ein Pincode. Der leistende Unternehmer kann dann über Finanzonline, das elektronische Portal der österreichischen Finanzverwaltung, die elektronische Bestätigung einholen, dass der Leistungsempfänger berechtigt ist, eine unternehmerische Vorleistung in Empfang zu nehmen. Ist die Antwort negativ, muss der Leistungsempfänger das gesamte Entgelt einschl. Umsatzsteuer entrichten. Ist die Antwort positiv, muss der Leistungsempfänger nur den Nettopreis entrichten. Die Finanzverwaltung verbucht die vom leistenden Unternehmer angemeldete (aber nicht entrichtete) Umsatzsteuer und die vom Leistungsempfänger angemeldete (aber nicht an den leistenden Unternehmer ge-

__________ 19 Vgl. unten VI 1 b. 20 Vgl. im Einzelnen Lohse/Parsche/Gebauer, Sicherung des MwSt-Aufkommens durch Ist-Versteuerung mit Quellensteuererhebung, BB 2006, 1481. 21 Vgl. Matheis/Groß, Grenzen der Überwachung – Gedanken zur Praktikabilität einer „Ist-Versteuerung mit Quellensteuererhebung“, UVR 2006, 276 – die ausführen, dass die Funktionalität dieses Modells auf dem gegenwärtigen Stand nicht gewährleistet ist; Weber, Das ifo-Modell zur Eindämmung des Umsatzsteuerbetrugs – Banken als Erfüllungsgehilfen des Fiskus?, UVR 2006, 299; dort wird das Modell vor allem deshalb kritisiert, weil es mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden ist, der zum großen Teil den Banken aufgebürdet wird. 22 Zum Inhalt vgl. Mattes, Setzt dem Umsatzsteuerbetrug ein Ende! – Eine Forderung, welche nicht nur von der EU-Kommission, sondern vor allem von den durch den Umsatzsteuerbetrug geschädigten Steuerzahlern erhoben wird, UR 2006, 689.

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Die Zukunft der Umsatzsteuer

zahlte) Vorsteuer und verrechnet die Beträge, ohne dass von einem der Beteiligten eine Zahlung oder Gutschrift erfolgt. 6. Das Umsatzsteuer-Audit Von Jochum23 wurde vorgeschlagen, einen selbstregulierenden UmsatzsteuerAudit einzuführen. Dieses ist dem Öko-Audit nachempfunden. Wie das ÖkoAudit soll das Umsatzsteuer-Audit in erster Linie darauf abzielen, durch Schaffung von ökonomischen Anreizen staatliche Schutzziele (im Umweltrecht Umweltschutz über das Ordnungsrecht hinaus, im Steuerrecht Vermeidung von missbräuchlichen und betrügerischen Gestaltungen durch Kontrollen der Unternehmer) durch eine Selbstkontrolle der Wirtschaftsbeteiligten zu erfüllen. Die Anwendung ist freiwillig und wird den Unternehmern durch wirtschaftliche Anreize schmackhaft gemacht. Den Unternehmern soll also die Prüfung von steuerlichen Sachverhalten überlassen werden. Der Prüfungsumfang könnte sich nach den Vorstellungen des „Erfinders“ an der derzeitigen Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) orientieren. Der ökonomische Anreiz könnte darin bestehen, den Unternehmern, die sich für ein UmsatzsteuerAudit entscheiden, zu gestatten, die Umsatzsteuer nach dem Prinzip der IstBesteuerung abzuführen, also später als andere Unternehmer. Nach den Vorstellungen von Jochum sollen nicht auditierte Unternehmer ihre Vorsteuern nur noch gegen Sicherheitsleistung erstattet bekommen.

V. Reformdiskussion auf EU-Ebene Die Reformdiskussion in Deutschland wurde in Brüssel sicherlich aufmerksam verfolgt, dort aber nicht aufgegriffen. Allmählich setzte sich in Deutschland sogar eine Ahnung durch, dass es schwer sein würde, die europäischen Voraussetzungen für eine zielgerichtete Betrugsbekämpfung, die an die systembedingten Wurzeln reicht, zu schaffen. Aus Brüssel war stets zu hören, dass man von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit systematischer Änderungen nicht überzeugt sei.24 Mit der Mitteilung der EU-Kommission an den Rat vom 31.5.200625 wurden zwar konkrete Maßnahmen angekündigt, die Einführung eines „Reverse-Charge-Verfahrens“ aber sehr zurückhaltend beurteilt. Die EUKommission führte aus, dass alle Änderungen des bestehenden Mehrwertsteuersystems folgende Bedingung erfüllen müssten26:

__________ 23 Vgl. Jochum, Kann der Betrugsanfälligkeit des geltenden Umsatzsteuerrechts allein durch einen Systemwechsel wirksam begegnet werden?, UR 2005, 88 (91). 24 Vgl. auch unten unter VI 4. 25 Vgl. EU-Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetrugs v. 31.5.2006, KOM (2006) 254 endg. 26 Vgl. hierzu auch Mattes, Setzt dem Umsatzsteuerbetrug ein Ende! – Eine Forderung, welche nicht nur von der EU-Kommission, sondern vor allem von den durch den Umsatzsteuerbetrug geschädigten Steuerzahlern erhoben wird, UR 2006, 689.

305

Jörg Kraeusel

– Reduzierung der bestehenden Betrugsmöglichkeiten und Ausschluss neuer gewichtiger Betrugsrisiken, – keine Schaffung von unverhältnismäßigem, zusätzlichem Verwaltungsaufwand weder für Unternehmer noch für die Finanzverwaltung, – Sicherstellung der Neutralität der Steuer und – Sicherstellung, dass es in einem Mitgliedstaat keine Ungleichbehandlung zwischen inländischen und nicht im Inland ansässigen Unternehmern gibt (keine Diskriminierung).

VI. Die Einführung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ mit Cross-check in Deutschland 1. Historische Entwicklung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ in Deutschland a) Planspiel und Machbarkeitsstudie Bei der Änderung der Umsatzbesteuerung durch Einführung des generellen „Reverse-Charge-Verfahrens“ für zwischenunternehmerische Umsätze geht es um die Stabilisierung des Aufkommens aus der Mehrwertsteuer.27 Es sollen bestimmte Formen von Umsatzsteuerbetrug (insbesondere der Karussellbetrug) und systembedingte Umsatzsteuerausfälle aufgrund von Unternehmernsinsolvenzen wirkungsvoll verhindert werden. In den Jahren 2004 und 2005 wurde deshalb ein Planspiel durchgeführt.28 Dieses Planspiel hat innerhalb der Projektlaufzeit von dreizehn Monaten die Ausgestaltung, Funktionsfähigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit eines „Reverse-Charge-Verfahrens“ mit R-Check und die damit verbundenen finanziellen Auswirkungen aufseiten der Finanzverwaltung und der betroffenen Unternehmen untersucht. Gleichzeitig wurde auch ein Modell untersucht, das auf der Basis einer generellen Ist-Besteuerung, unterstützt durch ein Crosscheck-Verfahren helfen sollte, Betrugsrisiken einzudämmen. Der Auftrag umfasste neben der Durchführung des Planspiels auch die Erstellung einer Machbarkeitsstudie und einer Kosten-/Nutzenanalyse sowie die Erarbeitung von Vorschlägen zur Fortentwicklung des „Reverse-Charge-Verfahrens“29.

__________ 27 Vgl. Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „ReverseCharge-Verfahren“, UR 2006, 624. 28 Vgl. hierzu Matheis/Groß, Grenzen der Überwachung – Gedanken zur Praktikabilität einer „Ist-Versteuerung mit Quellensteuererhebung“, UVR 2006, 276; Matheis/ Groß/Vogl, Steuerreformmodelle im Praxistext – Die Erfahrungen der Münchener Steuerplanspiele zur Umsatzsteuer im Lichte der angekündigten „Großen Steuerreform“, DStR 2006, 214; Matheis/Groß, Best of Both Worlds? – Lösungsansätze zur Ausgestaltung und Umsetzung des Reverse-Charge-Verfahrens, UR 2006, 379. 29 Vgl. Matheis/Groß/Vogl, Steuerreformmodelle im Praxistext – Die Erfahrungen der Münchener Steuerplanspiele zur Umsatzsteuer im Lichte der angekündigten „Großen Steuerreform“, DStR 2006, 214.

306

Die Zukunft der Umsatzsteuer

b) Ergebnisse des Planspiels und der Machbarkeitsstudie Eines der wichtigen Ergebnisse des Planspiels war es zunächst, dass herausgefunden wurde, welche Ursachen für den vom ifo-Institut geschätzten Steuerausfall verantwortlich sind. Das Ergebnis: Steuerausfalltypen Gesamter unterstellter jährlicher Umsatzsteuerausfall (modifizierter ifo-VAT-Gap), geschätzt für das Jahr 2005 (auf der Basis der im Jahr 2005 vorliegenden Zahlen)

Mrd. Euro 17,0

Hiervon entfällt auf Steuerausfall aus Insolvenzen – Insolvenztyp 1 – Ausfall von Umsatzsteuerzahllasten

3,1

– Insolvenztyp 2 – Ausfall von berichtigter Umsatzsteuer

2,6

Andere nicht RC-sensible Steuerausfälle

6,8

Betrug mit fraktionierter Zahlung – Umsatzsteuerausfälle aus Karussellgeschäften

2,1

– Umsatzsteuerausfälle aus nicht angemeldeter Umsatzsteuer

1,3

– Umsatzsteuerausfälle aus unberechtigtem Vorsteuerabzug

1,1

Die Übersicht zeigt, dass nicht nur betrügerische Machenschaften den Steuerausfall verursachen, sondern auch die Insolvenzen hierzu maßgeblich beitragen. Die Zahlen zeigen weiterhin, dass von den insgesamt 17 Mrd. Euro ein relativ großer Teilbetrag in Höhe von 6,8 Mrd. Euro überhaupt nicht durch ein „Reverse-Charge-Verfahren“, also weder positiv noch negativ beeinflusst werden kann. Auf der Basis eines vorgeschlagenen Rechtsrahmens (R-UStG) wurden dann im Planspiel insbesondere weggefallene Betrugsrisiken identifiziert und neue, durch den Verfahrenswechsel bedingte Risiken aufgedeckt, beschrieben und quantifiziert. Schnell wurde auch klar, dass das Verfahren einer „Generellen Ist-Besteuerung mit Cross-Check“ nicht konkurrenzfähig ist, weil es wesentlich verwaltungsaufwendiger ist und außerdem einen einmaligen Steuerausfall im Jahr der Einführung von 21,4 Mrd. Euro nach sich ziehen würde. Dagegen löst das „Reverse-Charge-Verfahren“ im Jahr der Einführung sogar positive Übergangseffekte von ca. 0,5 Mrd. Euro aus. Nach dem Ergebnis des Planspiels würden sich beim „Reverse Charge-Verfahren mit R-Check“ per saldo jährlich ca. 3,8 Mrd. Euro Mehreinnahmen ergeben, im Erstjahr ca. 4, 3 Mrd. Euro.

307

Jörg Kraeusel

c) Konsequenzen für die Politik Die Ergebnisse des Planspiels haben die Politik veranlasst, sich für die Einführung eines „Reverse-Charge-Verfahrens“ zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs auszusprechen.30 Ziel auf allen Ebenen der Politik, seien es die Länder oder der Bund, ist es, ein betrugssicheres Umsatzsteuersystem zu schaffen. Dieses Ziel ist sogar im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD verankert. Am 1.12.2005 hat dann die Finanzministerkonferenz „vor dem Hintergrund, dass das Ziel der Einführung des „Reverse-Charge-Modells“ nunmehr auch Bestandteil des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 ist“, beschlossen „dass das Projekt mit hoher Priorität vorangebracht wird“. d) Umsetzung des Projekts „Reverse-Charge-Verfahren“ durch die Finanzverwaltung Zur Umsetzung der Projektes wurde Anfang 2006 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Umsatzsteuer Reverse-Charge“ unter dem Dach einer Bund-/LänderKoordinierungsgruppe „Reverse Charge“ gegründet. Die Arbeitsgruppe, die sich wiederum in drei Unterarbeitsgruppen (UAG Rechtsrahmen, UAG R-Check und UAG RMS) aufteilt, hatte die Aufgabe, bis Mitte 2007 ein steuerfachliches Feinkonzept mit einem verfeinerten Rechtsrahmen, der Konzeption eines R-Checks und der Konzeption eines „Risikomanagementsystems“ zu entwickeln. Der Verfasser leitete das Gesamtprojekt. Gleichzeitig und parallel hierzu wurde und wird auch weiterhin im Auftrag der Finanzministerkonferenz verstärkt daran gearbeitet, das gegenwärtige Besteuerungsverfahren mit fraktionierter Zahlung betrugssicherer zu machen. Dazu gehört der bundesweite Einsatz eines von drei Ländern entwickelten Risikomanagementsystems für Umsatzsteuer-Voranmeldungen, die bundesweite Einführung der Wirtschafts-Identifikationsnummer (W-IdNr., § 139c AO) und die Schaffung eines bundesweiten Informationssystems für die Zugehörigkeit von Unternehmen zu Organkreisen.

__________ 30 Vgl. Finanzministerkonferenz, Mitteilung v. 20.10.2005, UR 2005, 662.

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Die Zukunft der Umsatzsteuer

2. Inhaltsbeschreibung des „Reverse-Charge-Verfahrens“31 a) Verlagerung der Steuerschuld Das Zusammenfallen von Steuerschuld und Vorsteuerabzugsberechtigung beseitigt die Systemschwäche der klassischen Mehrwertsteuer.32 Bei dem von Deutschland angestrebten Verfahren schuldet nicht (mehr) der leistende Unternehmer die Steuer für seinen (inländischen) Umsatz (= Lieferungen und Dienstleistungen), sondern der Leistungsempfänger, vorausgesetzt dieser ist selbst ein Unternehmer. Das bedeutet: – „Reverse-Charge“ findet nur bei Umsätzen zwischen Unternehmern statt, – Umsatzsteuerschuld und Recht auf Vorsteuerabzug fallen in einer Person zusammen. Der leistende Unternehmer muss – wie auch schon bei den heute geltenden „Reverse-Charge-Regelungen“ – in dem Verfahren wissen, ob er selbst oder sein Abnehmer die Steuer schuldet. Zur Identifizierung erhält ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Abnehmer von der Finanzverwaltung ein Zusatzmerkmal zu seiner Nummer, mit der er bei der Steuerverwaltung registriert ist (z. B. Buchstabe „R“ für „Reverse“). Hierzu trifft die Finanzverwaltung eine Feststellung. Diese Regelung gilt nicht für Umsätze, die unter den bisherigen § 13b UStG fallen (soweit diese Regelungen unverändert bleiben), für Kleinunternehmer i. S. d. § 19 UStG, für pauschalierende Land- und Forstwirte und für Unternehmer, die steuerfreie Umsätze (mind. 90 %) ausführen. Durch die Äußerung gegenüber dem leistenden Unternehmer, dass er ein R-Unternehmer sei, dem für diese Zwecke auch eine R-Nummer erteilt wurde, signalisiert der unternehmerische Leistungsempfänger, dass für diesen Umsatz die Steuerschuld auf ihn übergeht („Reverse-Charge“). Ist der Leistungsempfänger ein vorsteuerabzugsberechtigter Unternehmer, ist er verpflichtet, bei unternehmerischen Einkäufen (oberhalb der Bagatellgrenze) die Steuerschuld zu übernehmen. Alle Unternehmer sind in einer Datenbank (USEG-Datenbank, die es heute schon gibt) gespeichert. Diese dient auch der Abfrage des Status des Leistungsempfängers (Bestätigungsabfrage) durch den leistenden Unternehmer. Die Berechtigung bzw. Verpflichtung des Leistungsempfängers muss nämlich vom leistenden Unternehmer bei dieser Datenbank elektronisch überprüft werden

__________ 31 Eine Kurzbeschreibung und Darstellung der technischen Umsetzung enthält auch der Beitrag von Matheis/Groß/Vogl, Steuerreformmodelle im Praxistext – Die Erfahrungen der Münchener Steuerplanspiele zur Umsatzsteuer im Lichte der angekündigten „Großen Steuerreform“, DStR 2006, 214 (215 f.); die Autoren haben federführend an der Durchführung der Planspiele mitgewirkt; vgl. auch Widmann, Planspiel, Finanzministerkonferenz, Sachverständigenrat, Koalitionsvertrag: Reverse-Charge – Zum gegenwärtigen Stand der Mehrwertsteuersystem-Debatte in Deutschland, UR 2006, 13; Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch ReverseCharge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis, BB 2006, 356. 32 Vgl. Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „ReverseCharge-Verfahren“, UR 2006, 624.

309

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(Online-Abfrage) – ein vergleichbares Verfahren gibt es auch im innergemeinschaftlichen Handel. Ist die Überprüfung erfolgreich, schuldet der Leistende grundsätzlich keine Mehrwertsteuer und hat insoweit keine Zahlungen an das Finanzamt zu leisten. Der Leistungsempfänger entrichtet dann an seinen Lieferanten nur das Nettoentgelt (ohne Umsatzsteuer). Der Leistungsempfänger erklärt dem Finanzamt gegenüber die Umsatzsteuerschuld, die aber zugleich – bei Vorliegen der Voraussetzungen – mit dem Vorsteuerabzug verrechnet wird. Im Entwurf des Rechtsrahmens ist auch eine Gutglaubensschutzregelung für die leistenden Unternehmer enthalten. In diesen Fällen schuldet der Leistungsempfänger die Steuer. b) Der R-Check durch die Verwaltung Um zu verhindern, dass Nichtberechtigte eine R-Nummer missbrauchen, dass es also zu einem unversteuerten Letztverbrauch kommt, ist eine Kontrolle der unter einer R-Nummer ausgeführten Umsätze durch die Verwaltung erforderlich. Die Kontrolle wird dadurch ermöglicht, dass der leistende Unternehmer (neben seiner periodischen Voranmeldung) jeden einzelnen Reverse ChargeUmsatz elektronisch an die Finanzverwaltung (zentrale Stelle) melden muss. Folgende Daten sind zu melden: – – – – –

die Steuernummer des leistenden Unternehmers, die Steuernummer des Leistungsempfängers, die laufende Rechnungsnummer, das Ausstellungsdatum der Rechnung, die Bemessungsgrundlage des R-Umsatzes.

Der Leistungsempfänger muss in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung die Summen der R-Bezüge gesondert angeben. Die elektronischen Einzelmeldungen des leistenden Unternehmers werden mit den Summen der R-Bezüge des Leistungsempfängers elektronisch abgeglichen (R-Check). Stimmen die Beträge nicht überein, setzt eine Kontrolle ein, die mittels eines effektiven Risiko-Management-Systems unterstützt werden muss. Anhand der beim Leistungsempfänger gesondert angegebenen R-Umsätze lassen sich umgekehrt auch die Angaben des leistenden Unternehmers in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung nachprüfen, soweit es um von ihm erklärte R-Umsätze geht. c) Die Bagatellgrenze Die Abwicklung der Umsätze (insbesondere Bargeschäfte) soll speziell bei den Unternehmen, die an Endverbraucher leisten (Einzelhandel, Handwerk), durch die Online-Abfrage und -Meldungen möglichst nicht belastet werden. Auch soll der Anreiz zu einem unversteuerten Letztverbrauch (Stichwort: Ameisenkriminalität) weitgehend vermieden werden. Daher bleiben Umsätze bis zu 310

Die Zukunft der Umsatzsteuer

einem Rechnungsbetrag von unter 5000 Euro (unabhängig von der Zahlungsweise) vom Reverse Charge-Verfahren ausgenommen. Soweit es sich beim Leistungsempfänger nicht um einen solchen handelt, der unter das System fällt (z. B. Endverbraucher, öffentliche Hand im hoheitlichen Bereich, Unternehmer, der steuerfreie Leistungen ausführt, Kleinunternehmer, Land- und Forstwirt) bleibt es auch oberhalb der 5000-Euro-Grenze beim jetzigen Verfahren, d. h., der leistender Unternehmer schuldet dann auch weiterhin die Steuer und weist die Umsatzsteuer in der Rechnung aus. Die Höhe der Bagatellgrenze ist bei dem Verfahren von erheblicher Bedeutung. Sie wurde in dem Planspiel besonders intensiv geprüft. Eine Simulation in dem Planspiel ergab, dass die ideale Grenze für Deutschland bei 5000 Euro liegt. Eine Absenkung oder Erhöhung der Grenze wäre unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten nach den Ergebnissen des Planspiels nicht zweckmäßig. Eine Absenkung würde das Risiko eines unversteuerten Letztverbrauchs und den Aufwand zumindest für die Unternehmer erhöhen. Bei einer Erhöhung der Bagatellgrenze würde insbesondere der Vorsteuerbetrug wieder begünstigt werden. d) Betrugsbekämpfung/Neue Betrugsmöglichkeiten Das Planspiel hat neue – aber durch den R-Check und das Risiko-Managementsystem beherrschbare – Betrugsmöglichkeiten aufgezeigt, die erst mit dem „Reverse-Charge-Verfahren“ möglich werden. Festzuhalten ist, dass nach den Ergebnissen des Planspiels die negativen finanziellen Auswirkungen wesentlich geringer ausfallen, als die positiven Aufkommenseffekte aus den wegfallenden Betrugsfällen. Insbesondere durch die Festlegung der Bagatellgrenze auf 5000 Euro, ab der das „Reverse-Charge-Verfahren“ gelten soll, können die Betrugsmöglichkeiten erheblich reduziert werden. Tabellarische Zusammenfassung der Kosten-/Nutzenanalyse Aufkommenswirkungen

Folgejahr Mio. Euro

1. Wegfall von bestehenden Betrugszenarien

3.370

2. Wegfall von Ausfallrisiken durch Insolvenzen und andere Niederschlagungen

1.830

Summe aus 1. und 2. 3. Neue Betrugszenarien Saldo der positiven und negativen Aufkommenswirkungen

5.200 ./. 1.390 3.810

Die Zahlen beruhen aber noch auf den Schätzungen des Jahres 2005. Es ist der damals geltende Steuersatz von 16 % zugrunde gelegt. Durch den inzwischen angehobenen allgemeinen Steuersatz und durch die Folgen des Wirtschaftsaufschwungs dürften sich Änderungen ergeben, die hier noch nicht berücksichtigt 311

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sind. So dürften die Ausfälle aus Insolvenzen und anderen Niederschlagungen tendenziell sinken und damit auch die Höhe des Wegfalls von Ausfallrisiken in diesem Bereich. 3. Bewertung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ a) Das „Reverse-Charge-Verfahren“ bedeutet keinen Systemwechsel Beim „Reverse-Charge-Verfahren“ – wie auch beim Ist-Besteuerungsmodell – handelt es sich nicht um einen Systemwechsel bei der Umsatzsteuer, sondern um partielle Änderungen bei der Durchführung der Besteuerung. Die bereits seit dem 1.1.2002 geltende Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b UStG) wird auf weitere Sachverhalte ausgedehnt, allerdings unter Einbeziehung eines besonderen Kontrollverfahrens. Es bestehen somit zwei Erhebungsformen nebeneinander: die Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers als Regelfall sowie die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers in den Fällen des heutigen § 13b UStG sowie bei der anzustrebenden allgemeinen „Reverse-Charge-Regelung“ mit R-Check. b) Vorteile des „Reverse-Charge-Verfahrens“ gegenüber der heute geltenden Regelung PSP schätzt, dass sich mit dem „Reverse-Charge-Verfahren“ unter der Bedingung eines funktionierenden Kontrollverfahrens in Deutschland jährlich ein positiver Saldo von ca. 3,8 Mrd. Euro Aufkommenswirkungen erzielen ließe, wie sich aus der Tabelle33 ergibt. Hierbei spielt auch eine Rolle, dass Steuerausfälle reduziert werden können, die ihre Ursache nicht in betrügerischen Machenschaften haben, sondern in der systembedingten Abzugsfähigkeit der Vorsteuer unabhängig von der Verpflichtung des leistenden Unternehmers, die geschuldete Umsatzsteuer an den Fiskus abzuführen. Der leistende Unternehmer, der die an sich geschuldete Umsatzsteuer nach dem Sollprinzip abgeführt hat, bekommt im Falle der Nichtzahlung des Entgelts durch den insolvent gewordenen Leistungsempfänger die Umsatzsteuer erstattet, während der insolvent gewordene Leistungsempfänger nicht mehr in der Lage ist, die ihm vom Fiskus ausbezahlten Vorsteuern an diesen zurück zu erstatten. Andererseits ist auch völlig klar, dass die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger nicht alle Umsatzsteuerausfälle vermeiden bzw. verhindern kann, denn gegen das schlichte Nichterklären von Umsätzen hilft das „Reverse-Charge-Modell“ nicht.34

__________ 33 Oben VI 2 d. 34 Vgl. Matheis/Groß, Grenzen der Überwachung – Gedanken zur Praktikabilität einer „Ist-Versteuerung mit Quellensteuererhebung“, UVR 2006, 276 (279 ff.).

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Die Zukunft der Umsatzsteuer

c) Bedeutung der 5000-Euro-Grenze Die 5000-Euro-Grenze spielt eine wichtige Rolle. PSP hat überzeugend dargelegt, dass eine Absenkung oder Erhöhung der Grenze unter Kosten-NutzenGesichtspunkten nicht zweckmäßig wäre. Eine Absenkung würde das Risiko eines unversteuerten Letztverbrauchs und den Aufwand zu mindest für die Unternehmer erhöhen. Bei einer Erhöhung der Bagatellgrenze (z. B. auf 10 000 Euro) würden – risikobehaftete – Vorsteuererstattungen wiederum den Regelfall bilden. d) Vertrauensschutzregelung Ein Knackpunkt des „Reverse-Charge-Modells“ ist die Frage, ob eine Vertrauensschutzregelung zugunsten des leistenden Unternehmers einführen werden soll. Danach soll der leistende Unternehmer nicht haften, wenn die ungerechtfertigte Anwendung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ auf unrichtigen Angaben des Leistungsempfängers beruht und der leistende Unternehmer bei Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten die Unrichtigkeit der Angaben nicht erkennen konnte. PSP hält eine solche Regelung insbesondere deshalb für sinnvoll, weil die Unternehmerbefragungen eindeutig gezeigt hätten, dass eine solche Regelung eine entscheidende Bedingung für die Akzeptanz des „Reverse-Charge-Verfahrens“ wäre. Außerdem habe sich im Planspiel gezeigt, dass leistende Unternehmer bei Geltung einer Vertrauensschutzregelung deutlich häufiger von den vorhandenen Kontrollmöglichkeiten Gebrauch machten. Ohne eine solche Vertrauensschutzregelung dürfte ein „Reverse-Charge-Modell“, wie oben beschrieben, für die Wirtschaft nicht akzeptabel sein.35 Sie muss allerdings nach Meinung des Verfassers so ausgestaltet sein, dass eine faire Risikoverteilung zwischen Unternehmer und Fiskus eintritt. Der Unternehmer muss bestimmte Sorgfaltspflichten erfüllen. Insbesondere muss er sich darüber vergewissern, ob sein Abnehmer ein Unternehmer ist, der berechtigt ist, Lieferungen und sonstige Leistungen ohne umsatzsteuerliche Belastung zu erwerben. Er muss sich in Abholfällen außerdem über die Identität des Abholers vergewissern. Hat er seine Sorgfaltspflichten erfüllt, dann wird er von jeglicher Haftung entlastet.36 e) Auswirkungen des „Reverse-Charge-Verfahrens“ auf insolvenzbedingte Steuerausfälle PSP hat deutlich gemacht, dass ein bedeutsamer Teil der Umsatzsteuerausfälle (5,7 Mrd. Euro) entsteht, weil Unternehmer in Zahlungsschwierigkeiten oder in Insolvenz geraten sind. Die Einführung eines „Reverse-Charge-Verfahrens“

__________ 35 Gl. A. Matheis/Groß, Best of Both Worlds? – Lösungsansätze zur Ausgestaltung und Umsetzung des Reverse-Charge-Verfahrens, UR 2006, 379 (388 f.). 36 Kritisch zur Wirksamkeit einer Gutglaubensvorschrift allerdings Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch Reverse-Charge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis, BB 2006, 356 (358).

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mit einer Bagatellgrenze von 5000 Euro würde diese Ausfälle nach Schätzungen von PSP um etwa 1,8 Mrd. Euro verringern. Darauf hinzuweisen ist, dass auch beim „Reverse-Charge-Modell“ Ausfälle bei Insolvenzen nicht vermieden werden können, soweit Umsätze zwischen Unternehmern unterhalb der Bagatellgrenze von 5000 Euro oder an Endverbraucher betroffen sind. f) Kontrolldichte Die Herausforderung in der Prüfungspraxis der Finanzämter wird darin bestehen, möglichst nur prüfungswürdige Hinweise zu verfolgen. Die Lösung liegt nach Auffassung von PSP in einem wirksamen und national einheitlichen Risikomanagementsystem speziell für den „R-Check“. Ohne ein solches automatisiert ablaufendes Instrumentarium erscheine das Kontrollverfahren nicht administrierbar. Für den „R-Check“ wird von PSP eine ausreichende Kontrolldichte aller gemeldeten R-Umsätze zugrunde gelegt, die durch ein Risikomanagementsystem zielgerichtet ausgesteuert werden müssten. Eine ausreichende Kontrolldichte ist zwingende Voraussetzung für die Effizienz des „Reverse-Charge-Verfahrens“. Nieskens37 ist allerdings der Auffassung, dass die vorgesehene Kontrolle im Rahmen des sog. R-Checks mangels Effektivität verpufft. Aufgabe des Risikomanagementsystems muss es sein, Risikofälle im „R-Check“ zielgerichtet heraus zu filtern. Nur so kann die erforderliche Effizienz bei der Aufdeckung des R-Nummern-Betrugs erreicht werden. Außerdem muss das geltende Besteuerungsverfahren im Vollzug weiter verbessert werden.38 Hierzu gehört die Einführung von wirksamen Risiko-Managementsystemen auf der Basis des geltenden Rechts, übrigens nicht nur bei der Umsatzsteuer, sondern auch bei den Ertragsteuern. Des Weiteren müssen die technischen und organisatorischen Voraussetzungen der Informationsübermittlung und des Informationsaustausches zwischen den Ländern verbessert werden. Es liegt auf der Hand, dass bei einem Umsatzsteuersystem immer zwei Beteiligte agieren: der leistende Unternehmer auf der einen Seite und der Leistungsempfänger auf der anderen Seite. Wenn die Beteiligten in unterschiedlichen Bundesländern ansässig sind, dann bedarf es zur zielgerichteten Kontrolle eines effektiven Informationsaustauschsystems. Dabei wird die noch einzuführende W-IdNr. eine wichtige Rolle spielen. Auch sie ist unabdingbare Voraussetzung für die Einführung des „Reverse-Charge-Modells“. g) Neue Betrugsrisiken Natürlich muss man sich auch die negativen Effekte des „Reverse-ChargeModells“ ansehen. Diese sind bereits in der Zahl von 3,8 Mrd. Euro berücksichtigt und müssen nicht mehr heraus gerechnet werden. PSP beziffert die

__________ 37 Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch Reverse-Charge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis, BB 2006, 356 (359). 38 Vgl. auch oben VI 1 d.

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neuen Ausfallrisiken mit einem unversteuerten Letztverbrauch in einer Größenordnung von jährlich rund 1,4 Mrd. Euro. Dieser Betrag unterteilt sich in Steuerausfälle aus dem „R-Nummern-Betrug“ sowie Steuerausfälle aus der „dolosen Systemdualität“. Unter dem Begriff „R-Nummern-Betrug“ sind all jene Szenarien zu verstehen, in welchen Letztverbraucher unter Verwendung ungültiger R-Nummern, Verwendung gültiger R-Nummern anderer Unternehmer oder unberechtigter Verwendung der eigenen R-Nummer versuchen, privat genutzte Leistungen „netto“ zu beziehen und damit die Umsatzsteuer zu umgehen – auch Ameisenkriminalität genannt. Der R-Nummernbetrug könnte nach Schätzungen von PSP zu Ausfällen in Höhe von 820 Mio. Euro führen – vorausgesetzt, wir verfügen bei der Einführung des Modells über ein wirksames Kontrollsystem mit allen erforderlichen Komponenten, angefangen von der Technik über das RisikoManagementsystem bis zur personellen Ausstattung. Bei der dolosen Systemdualität handelt es sich um Fälle, bei denen z. B. Leistungen an Letztverbraucher unter Zwischenschaltung von Scheinfirmen ausgeführt werden, die vor Entrichtung der entsprechenden Umsatzsteuerzahllast untertauchen. Geschätztes Steuerausfallrisiko: 570 Mio. Euro. Die neuen Betrugsrisiken können allerdings nur dann wirksam eingedämmt werden, wenn die für das „Reverse-Charge-Verfahren“ vorgesehenen Kontrollmaßnahmen (vor allem der R-Check) funktionieren. h) Zusammenfassung Insgesamt hat ein generelles „Reverse-Charge-Verfahren“ Vor- und Nachteile. Die Vorteile für den Fiskus dürften neben dem zu erwartenden zusätzlichen Mehrwertsteueraufkommen auch darin liegen, dass die Steuerbeitreibung erleichtert wird. Er bekommt die ihm zustehende Umsatzsteuer aus dem Saldo aus Steuer und Vorsteuer aus der Hand eines einzigen Steuerpflichtigen – des Leistungsempfängers (soweit dieser nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt ist). Für den leistenden Unternehmer besteht der Vorteil darin, dass er nicht mehr die Umsatzsteuer vorfinanzieren muss, falls sein Leistungsempfänger nicht rechtzeitig zahlt. Auch der Leistungsempfänger hat Vorteile, weil der Vorsteuerabzug unabhängig ist vom Vorliegen einer Rechnung mit allen Pflichtmerkmalen nach § 14 Abs. 4 UStG. Er muss also nicht mehr die Rechnung daraufhin überprüfen, ob sie ordnungsgemäß ausgestellt wurde.39 Nachteilig ist das „Reverse-Charge-Verfahren“ wegen des zusätzlichen Verwaltungsaufwands für den leistenden Unternehmer und für den Fiskus. Es wird ein zusätzliches Besteuerungsverfahren neben der Regelbesteuerung mit zusätzlichen Meldepflichten sowohl für den leistenden Unternehmer als auch

__________ 39 Gl. A. Wagner, Vor- und Nachteile des Reverse-Charge-Modells aus der Sicht der Gerichtsbarkeit, UVR 2006, 141.

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für den Leistungsempfänger eingeführt, und es gibt zusätzliche Risiken für den leistenden Unternehmer, wenn er seine Kontrollpflichten nicht sorgfältig erfüllt und damit nicht in den Genuss der Vertrauensschutzregelung kommt.40 Ob die Vorteile die Nachteile überwiegen, wird unterschiedlich gesehen. Die Finanzminister sind der Auffassung, dass die Vorteile überwiegen. Im Schrifttum ist die Meinung uneinheitlich.41 Nach Meinung des Verfassers kann die Einführung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ mit R-Check nur dann befürwortet werden, wenn gewährleistet ist, dass Bund und Länder im Verwaltungsvollzug die vorgesehenen Kontrollmechanismen bewältigen. 4. Chancen für die Einführung Die Chancen für die Einführung eines generellen „Reverse-Charge-Verfahrens“ mit R-Check hängen davon ab, ob es gelingt, eine gemeinschaftsrechtliche Grundlage zu schaffen. Das Europarecht42 lässt derzeit ein wie von Deutschland angestrebtes generelles „Reverse-Charge-Verfahren“ in der Unternehmerkette nicht zu. Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthält derzeit insoweit lediglich zwei punktuelle Ansätze für „Reverse-Charge-Regelungen“: – Ausdrücklich vorgesehene oder fakultativ zugelassene „Reverse-Charge-Regelungen“ in Titel XI Kapitel 1 Abschnitt 1 MwStSystRL (Steuerschuldner gegenüber dem Fiskus – Art. 193–205 MwStSystRL), – die Ermächtigung zur Einführung von Sondermaßnahmen nach Art. 395 MwStSystRL. Die Bundesregierung hatte am 7.4.2006 bei der Kommission zunächst einen Antrag gestellt, wonach der Rat D nach dem bis 31.12.2006 geltenden Art. 27 der 6. EG-Richtlinie ermächtigen sollte, das „Reverse-Charge-Verfahren“ bei zwischenunternehmerischen Umsätzen ab 5000 Euro einführen zu können.43 Auch Österreich hatte einen solchen Antrag gestellt. A wollte ursprünglich die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei allen zwischenunternehmerischen Leistungen einführen, deren Entgelt 10 000 Euro überschreitet. Die Steuerschuldnerschaft soll auch dann auf den Leistungsempfänger übergehen, wenn der Gesamtbetrag aller von einem Leistungserbringer an den Leistungsemp-

__________ 40 Gl. A. Wagner, Vor- und Nachteile des Reverse-Charge-Modells aus der Sicht der Gerichtsbarkeit, UVR 2006, 141. 41 Kritisch z. B. Tiedke, Systemwechsel bei der Umsatzsteuer – Das Reverse Charge Modell steht vor der Einführung, UR 2006, 249; Jochum, Kann der Betrugsanfälligkeit des geltenden Umsatzsteuerrechts allein durch einen Systemwechsel wirksam begegnet werden?, UR 2005, 88 (91), Kemper, Qualifizierung der Umsatzsteuerhinterziehung und ihre systematische Bekämpfung, UR 2006, 569 (577); zustimmend dagegen Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „ReverseCharge-Verfahren“, UR 2006, 624. 42 Richtlinie 2006/112/EG, genannt Mehrwertsteuersystemrichtlinie – MwStSystRL. 43 Vgl. Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „ReverseCharge-Verfahren“, UR 2006, 626.

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fänger in Rechnung gestellten Entgelte in einem Voranmeldungszeitraum über 40 000 Euro liegt. Die Kommission hat dann allerdings mit ihrer Mitteilung vom 19.7.200644 an den Rat diese Anträge abgelehnt (d. h., sie wird dem Rat keine Vorschläge für eine Ermächtigung der beiden Mitgliedstaaten unterbreiten). Nach der Ablehnung des deutschen Antrags auf die Ermächtigung durch den Rat bedarf es zur erforderlichen EU-rechtliche Absicherung des „ReverseCharge-Verfahrens“ einer Änderung des Gemeinschaftsrechts. Dabei möchten Deutschland und Österreich lediglich eine fakultative Regelung, d. h., niemand soll gezwungen sein, ein solches Verfahren einzuführen. Hierzu ist in einem ersten Schritt die Vorlage eines entsprechenden Vorschlags durch die EUKommission erforderlich, die das alleinige Initiativrecht hat. In einem zweiten Schritt müssten dann alle 27 EU-Mitgliedstaaten zustimmen (Einstimmigkeitsprinzip). Während der deutschen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurden im Kontext mit dem auch auf Gemeinschaftsebene als sehr wichtig angesehenen Ziel der Betrugsbekämpfung Fortschritte erzielt. So hat der ECOFIN-Rat hat am 5.6.2007 unter deutscher Präsidentschaft Schlussfolgerungen zur Mehrwertsteuer-Betrugsbekämpfung verabschiedet und damit sowohl der EU-Kommission als auch der nachfolgenden portugiesischen Präsidentschaft wichtige Aufgaben übertragen.45 Das Thema Mehrwertsteuer-Betrugsbekämpfung will der Rat entschlossen angehen. Hierzu griff der Rat einen von der EU-Kommission vorgelegten Bericht und die dort aufgezeigten Maßnahmevorschläge auf. Er ist sich einig, dass in einem ersten Schritt bestimmte Maßnahmen mit Nachdruck verfolgt werden sollen. Der Rat fordert die EU-Kommission auf, die hierfür notwendigen Rechtsetzungsvorschläge einschließlich einer Rechtsfolgenabschätzung bis spätestens Ende 2007 vorzulegen, so dass der Rat sie bis Ende 2008 verabschieden kann. Darüber soll die EU-Kommission weitere Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung zügig zu prüfen und hierzu im zweiten Halbjahr 2007 einen Bericht vorzulegen, so dass der Rat über das weitere Vorgehen bis Ende 2007 entscheiden kann. Hierbei geht es im Wesentlichen um zwei Maßnahmen: – die Besteuerung innergemeinschaftlicher Umsätze entweder im Mitgliedstaat der Ankunft (Bestimmungsmitgliedstaat) oder im Mitgliedstaat des Abgangs (Ursprungsland) mit einem einheitlichen Steuersatz von 15 % und einem bilateralen (= mikroökonomischen) Clearing-Verfahren; – die Einführung eines allgemeinen „Reverse-Charge-Verfahrens“

__________ 44 EU-Kommission, Mitteilung v. 19.7.2006, IP/06/1023, UVR 2006, 225. 45 Vgl. Rat der EU, Schlussfolgerungen v. 5.6.2007, 10319/07 (Presse 126), www. consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ecofin/94524.pdf.

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Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat bisher allerdings Bedenken gegen eine derartige Option. Deshalb hat der Rat die EU-Kommission beauftragt, eine Analyse der Effekte einer derartigen Option auf den Binnenmarkt unter Zugrundelegung einer Schwelle von 5000 Euro auszuarbeiten und diese bis spätestens Ende 2007 vorzulegen. Im Rahmen der Analyse sollen folgende Aspekte geklärt werden: – Effekte auf Mitgliedstaaten, die das „Reverse-Charge-Verfahren“ nicht anwenden, insbesondere auf deren Haushalte, auch unter dem Aspekt der Konkurrenzfähigkeit ihrer Unternehmen; – Kohärenz und Harmonisierung des Mehrwertsteuerrechts in der EU; – Aufwand für den Vollzug eines „Reverse-Charge-Verfahrens“ für Steuerpflichtige und Verwaltung; – Betrugsverlagerung in andere Mitgliedstaaten, die ein „Reverse-Charge-Verfahren“ nicht anwenden; – Risiko neuer Betrugsformen; – Möglichkeit der Durchführung eines zeitlich befristeten Pilotprojektes in einem interessierten Mitgliedstaat. Somit hängt das weitere Schicksal des „Reverse-Charge-Verfahrens“ davon ab, ob die Kommission bereit ist, einen Vorschlag für ein Pilotprojekt vorzulegen und ob alle 27 Mitgliedstaaten einer solchen Regelung zustimmen. Österreich hat sich bereit erklärt, dieses Pilotprojekt durchzuführen. Selbst wenn es zur Verabschiedung einer Richtlinie zur Ermächtigung Österreichs kommt, dürfte es bei positivem Ausgang einige Jahre dauern, bis auch Deutschland ein solches „Reverse-Charge-Verfahren“ durchführen kann. Folgender Zeitplan ist nach Meinung des Verfassers denkbar: 2008:

Verabschiedung der Richtlinie zur Ermächtigung Österreichs, das Pilotprojekt durchzuführen;

2009–2011: Österreich führt das Pilotprojekt aus; 2012:

Auswertung des Pilotprojekts, Vorschlag und Verabschiedung für eine Richtlinie zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, ein „Reverse-Charge-Verfahren“ fakultativ einzuführen (setzt wieder Einstimmigkeit im Rat voraus);

2013:

frühester Zeitpunkt für die Einführung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ in Deutschland.

VII. Alternative Lösungen 1. Gesetzesänderung unter Beibehaltung der gegenwärtigen Sollbesteuerung mit Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers Da noch in den Sternen steht, ob es jemals zur Verabschiedung einer Richtlinie für eine „Reverse-Charge-Regelung“ auf optionaler Basis kommt, muss überlegt werden, welche fakultativen Maßnahmen zur Sicherung des Steuer318

Die Zukunft der Umsatzsteuer

aufkommens bei der Umsatzsteuer ergriffen werden können. Neben der Optimierung der Verwaltungskontrolle, die als Daueraufgabe anzusehen ist, bieten sich nach Meinung des Verfassers auch gesetzliche Maßnahmen an, die in Betracht gezogen werden könnten, soweit das Gemeinschaftsrecht nicht entgegensteht. Man könnte daran denken, statt eines für Wirtschaft und Verwaltung aufwendigen „Reverse-Charge-Verfahrens“ das gegenwärtige System der Sollbesteuerung mit Steuerschuldnerschaft des leistenden Unternehmers im Sinne einer effektiveren Betrugsbekämpfung zu verbessern. Allerdings sind die Möglichkeiten bereits weitgehend ausgereizt. Das EU-Recht lässt nur begrenzt Möglichkeiten zu, wie die folgende, allerdings nicht abschließende Aufzählung zeigt. a) Streichung der Vertrauensvorschrift des § 6a Abs. 4 UStG Der Bundesrechnungshof fordert seit langem, die Vorschrift zu streichen.46 In der Literatur wird er teilweise unterstützt47, teilweise wird ihm aber heftig widersprochen48. b) Monatliche Abgabe von Zusammenfassenden Meldungen Man könnte daran denken, eine Verpflichtung zur monatlichen Abgabe von Zusammenfassenden Meldungen einzuführen. Allerdings macht eine solche Verpflichtung nur Sinn, wenn sie gemeinschaftsweit eingeführt wird. Das Gemeinschaftsrecht steht jedenfalls einer solchen Verpflichtung nicht entgegen. (vgl. Art. 263 Abs. 1 MwStSystRL). c) Vortrag von Erstattungsguthaben auf den nächsten Besteuerungszeitraum Man könnte daran denken, Vorsteuerüberschüsse, die sich in Umsatzsteuer-Voranmeldungen ergeben, nicht mehr sofort auszuzahlen, sondern auf den nächsten Besteuerungszeitraum vorzutragen, damit dem Finanzamt ausreichend Zeit bleibt, die Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu prüfen. Das Gemeinschaftsrecht räumt diese Möglichkeit ausdrücklich ein (vgl. Art. 183 MwStSystRL). Geringfügige Überschüsse können sogar von der Erstattung ausgeschlossen werden. d) Einführung einer „Reverse-Charge-Regelung“ für Umsätze mit Industrieschrott und Altmetallen Art. 199 Abs. 1 Buchst. d MwStSystRL räumt ausdrücklich die Möglichkeit ein, für diese Umsätze eine „Reverse-Charge-Regelung“ einzuführen.

__________ 46 Vgl. Bundesrechnungshof, Bericht, BT-Drucks. 15/1495, 25. 47 Vgl. z. B. Ammann, Betrugsresistenz der Umsatzsteuer sowie Vertrauensschutz für Steuerfreiheit und Vorsteuerabzug sind gleichzeitig möglich, UR 2005, 533 (536). 48 Vgl. z. B. Winter, Ende des Vertrauensschutzes bei innergemeinschaftlichen Lieferungen?, UR 2005, 247.

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e) Anwendung des Cross-check-Verfahrens im jetzigen Umsatzsteuersystem Zur Kontrolle des Vorsteuerabzugs im jetzigen System der Sollbesteuerung könnte ein Cross-check-Verfahren eingeführt werden. Dieses dürfte aber nicht verhindern können, dass der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug bereits gelten machen kann, bevor der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführt. Das Cross-check-Verfahren kann deshalb allenfalls dazu dienen, leichter und schneller zu erkennen, ob die Beteiligten ihren Erklärungspflichten nachgekommen sind.49 2. Maßnahmen zur Verbesserung des Verwaltungsvollzugs Diese bleiben ein Dauerthema, an dem seit Jahren zusammen mit den Ländern gearbeitet wird.50

VIII. Schlussbemerkung Bei einer Abwägung der Chancen und Risiken ist der Verfasser zu dem Schluss gekommen, dass es angesichts der nach wie vor viel zu hohen Steuerausfälle am zielführendsten wäre, das Übel an der Wurzel zu packen und nicht an den Symptomen herum zu doktern, also ein „Reverse-Charge-Verfahren“ einzuführen. Eine Lösung dahingehen zu suchen, innergemeinschaftliche Lieferungen der Besteuerung zu unterwerfen, wie es offensichtlich von der EU-Kommission favorisiert wird, hält der Verfasser nicht für zielführend. Der Einführung des „Reverse-Charge-Verfahrens“ steht allerdings entgegen, dass es bisher keine gemeinschaftsrechtliche Grundlage gibt. Die Entwicklung auf EU-Ebene bleibt hier abzuwarten. Erst gegen Ende des Jahres 2007 wird sich zeigen, ob die EU-Kommission bereit sein wird, einen Vorschlag für ein Pilotprojekt vorzulegen. Danach sind die Mitgliedstaaten am Zug. Es wird sicherlich noch viel Überzeugungsarbeit brauchen, sie zu einer Zustimmung zu bewegen. Sollte diese nicht zu erreichen sein, ist das „Reverse-Charge-Modell“ am Ende. Dann wird man über alternative Lösungen nachdenken müssen.

__________ 49 Vgl. auch Widmann, Mittel und Wege zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung, UR 2005, 14 (18). 50 Vgl. auch oben unter III 2.

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Die Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop) – ein Beitrag zur Vollendung des umsatzsteuerlichen Binnenmarktes? Inhaltsübersicht I. Einführung und Bestandsaufnahme zur Mehrwertsteuerharmonisierung im Binnenmarkt II. Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 29.10.2004 III. Verfahrensmäßige Problemfelder

IV. Beispiel V. Erschwernisse bei der Betrugsbekämpfung VI. Zusammenhang mit dem ReverseCharge-Verfahren VII. Schlussbemerkung

I. Einführung und Bestandsaufnahme zur Mehrwertsteuerharmonisierung im Binnenmarkt Bekanntlich ist das zum 1.1.1993 eingeführte umsatzsteuerliche Binnenmarktregime nur als Übergangsregelung bis zum Ende des Jahres 1996 in Kraft getreten. Der dies bestimmende Art. 28l der 6. EG-Richtlinie1 ist allerdings mit einer Selbstverlängerungsklausel bis zum Inkrafttreten der endgültigen Regelung so weise gefasst, dass es keiner besonderen Aktivitäten der Europäischen Kommission oder der Mitgliedstaaten zur ewigen Fortgeltung dieser Übergangsregelung bedarf. Deshalb gilt sie auch noch gegenwärtig. Art. 28l Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie kündigt an, dass die Übergangsregelung von einer endgültigen Regelung abgelöst wird, die von dem Grundsatz ausgeht, dass die gelieferten Gegenstände und die erbrachten Dienstleistungen im Ursprungsmitgliedstaat zu besteuern sind. Wolfram Reiß hält die materielle Besteuerung nach dem Ursprungslandprinzip für „eine falsche Weichenstellung“2. Er hat dies auf dem Umsatzsteuer-Kongress 2004 in Bamberg so begründet: „Alle Versuche der Kommission zur Einführung eines angeblich vom Binnenmarkt verlangten Übergangs zu einer materiellen Besteuerung nach dem Herkunftslandprinzip sind nicht an der Halsstarrigkeit der Mitgliedstaaten gescheitert, sondern am unzutreffenden Ausgangspunkt der Kommission.“

__________ 1 Abgedruckt u. a. bei Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, Bd. I, Teil C 60, S. 1 ff.; s. auch Lohse/Peltner in Rau/Dürrwächter, UStG, Bd. VII. 2 Reiß, Zukunft der Umsatzsteuer in Deutschland und Europa, in Nieskens (Hrsg.), Umsatzsteuer-Kongress-Bericht, Köln 2007, S. 13 (29).

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Allein das Bestimmungslandprinzip führe zu einer systemgerechten Belastung im Land des Endverbrauchs, dem die Steuer zusteht. Aus der Sicht des Binnenmarkts nötig seien allerdings Regelungen, die es den Unternehmern ermöglichen, ihre Deklarations- und Zahlungspflichten gegenüber jedem Mitgliedstaat, in dem sie Umsätze ausführen, in ihrem Heimatland zu erfüllen. Die seit dem 1.1.2007 geltende Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie3 – sie löste die 6. EG-Richtlinie ab – spricht in ihrem Artikel 402 zwar auch davon, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Bestimmungen für die Besteuerung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten nur eine Übergangsregelung darstellen. Aber sie enthält sich – im Unterschied zum erwähnten Art. 28l der 6. EG-Richtlinie – gleichsam mit der aus Erfahrung gebotenen Vorsicht jeder zeitlichen Fixierung hinsichtlich des Endes dieser Übergangsregelung. Art. 404 MwStSystRL schreibt nun lediglich folgendes vor: „Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten erlangten Informationen alle vier Jahre nach der Annahme dieser Richtlinie einen Bericht über das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in den Mitgliedstaaten und insbesondere über das Funktionen der Übergangsregelung für die Besteuerung des Handelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und fügt ihm gegebenenfalls Vorschläge für die endgültige Regelung bei.“

Da die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie zum 1.1.2007 in Kraft getreten ist, ist die Europäische Kommission erst im Jahr 2011 verpflichtet, einen derartigen Bericht vorzulegen. Weil sie nur „gegebenenfalls“ Vorschläge vorlegen muss, ist sie noch einmal nicht gezwungen, dies zu tun. Sie braucht demnach ihre dermaleinst vielleicht bestehende Auffassung, dass die Zeit für eigene Vorschläge noch nicht reif sei, danach nicht besonders zu begründen. Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, dass es seit dem 1.1.1993 keine wirklichen Fortschritte in Richtung auf ein endgültiges, am Ursprungslandprinzip ausgerichtetes System für den umsatzsteuerlichen Binnenmarkt gegeben hat. Wolfram Reiß ist nach dem obigen Zitat darüber gewiss nicht traurig. Aber es ist eben auch sonst nichts substanziell Bedeutendes im Sinne eines Fortschritts zur Vereinfachung der überaus komplizierten Regelungen für die Umsätze im Binnenmarkt passiert. Angesichts der hohen Erwartungen, die es zumindest in Deutschland in den Jahren vor und nach 1993 gegeben hatte, müsste dies von der Politik als Enttäuschung gewertet werden.4 Immerhin hatte der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel im März 1993 eine aus Vertretern der Wissenschaft, Wirtschaft, Beraterschaft und Verwaltung beste-

__________ 3 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 11.12.2006, ABl. EU Nr. L 347/2006, 1; abgedruckt u. a. bei Plückebaum/Malitzky/Widmann, UStG, Bd. I/2, Teil C 400, S. 1 ff.; s. auch Lohse/Peltner in Rau/Dürrwächter, UStG, Bd. VI; Huschens, Die neue Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie, UVR 2007, 142 ff., 204 ff.; BMF, Schr. v. 11.1.2007 – IV A 2 - S 7056 - 6/07, UR 2007, 178. 4 S. auch Widmann, 10 Jahre umsatzsteuerlicher Binnenmarkt in Europa, UVR 2003, 147.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

hende sog. „Ursprungsland-Kommission“ eingesetzt5, die im Jahr 1995 umfängliche Vorschläge für eine Regelung vorlegte, nach der es für die Unternehmer beim Warenverkehr tatsächlich keinen Unterschied mehr gemacht hätte, ob sie eine Ware von Nürnberg nach München oder von Nürnberg nach Paris liefern.6 Mit dem Wegfall der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen wäre eine Gleichbehandlung aller Umsätze im Gemeinschaftsgebiet erzielt worden. Die administrativen Pflichten der Unternehmer im steuerberechtigten Bestimmungsland wollte die Ursprungsland-Kommission aus zumindest damals guten Gründen aber nicht antasten. Das fiskalische Hauptproblem der Mehrwertsteuer im Binnenmarkt auf der Grundlage des Ursprungslandprinzips ist der grenzüberschreitende Vorsteuerabzug, denn der Staat des Leistungsempfängers muss Vorsteuern erstatten, die der Ursprungsstaat als Steuern eingenommen hat. Diese Fragen sollten durch ein sich selbst regulierendes Clearing-System zwischen den Mitgliedstaaten überwunden werden. Wir wissen, dass die Europäische Kommission sich seinerzeit dieser Vorschläge, vorsichtig formuliert, allenfalls mit großer Distanz angenommen hat und es entspricht wohl der historischen Wahrheit, wenn man feststellt, dass diese Vorschläge von der Europäischen Kommission letztlich in keinem Rechtsakt aufgegriffen wurden. Die Europäische Kommission reklamiert das ihr unstreitig zustehende alleinige Initiativrecht zur Vorlage von Richtlinienvorschlägen augenscheinlich in der Weise, dass Anstöße aus Mitgliedstaaten als ungehörig empfunden werden. Es hat seit der sog. Binnenmarkt-Richtlinie vom 16.12.19917, mit welcher die Übergangsregelung geschaffen wurde, zwar 26 Richtlinien zur Änderung der 6. EG-Richtlinie gegeben, aber keine hat uns dem Ursprungslandprinzip oder dem oben definierten Binnenmarkt wirklich näher gebracht. Die Europäische Kommission sieht dies inzwischen selbst so. Bemerkenswert dazu sind ihre Ausführungen in der Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament über vom Normalsatz abweichende Mehrwertsteuersätze vom 10.7.20078, in der unter dem Stichwort „Subsidiarität“ u. a. folgendes zu lesen ist: „Die Mehrwertsteuer ist eine harmonisierte Steuer auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, deren freier Verkehr innerhalb der Gemeinschaft einen der Wesenszüge eines echten Binnenmarktes ausmacht. Die Mehrwertsteuer war jedoch nie

__________ 5 Vgl. BMF, Bundesministerium der Finanzen setzt Arbeitsgruppe zur Umsatzbesteuerung in Europa nach dem Ursprungslandprinzip ein, BMF-Finanznachrichten 34/93 v. 5.5.1993 = UR 1993, 194; Dziadkowksi, „Dauernde Übergangsregelung“ oder Neuregelung der Umsatzbesteuerung im Binnenmarkt?, UR 1993, 344. 6 Siehe Schriftenreihe des BMF, Heft 54; s. auch Ursprungslandkommission, Ausarbeitung der endgültigen Regelung für die Umsatzbesteuerung des innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs und für ein funktionsfähiges ClearingVerfahren – Zusammenfassung und Ergebnisse, UR 1994, 213. 7 Richtlinie 91/680/EWG des Rates v. 16.12.1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen, ABl. EG Nr. L 376/1991, 1. 8 Kommissionsdokument KOM (2007) 380 endgültig.

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Werner Widmann eine voll harmonisierte Steuer, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten in einigen Bereichen Wahlmöglichkeiten und Ausnahmeregelungen, so auch bei den Mehrwertsteuersätzen. Der 1992 erfolgten Einigung auf den derzeitigen Stand der Harmonisierung lagen zwei wesentliche Überlegungen zugrunde: (1) Was wurde für erforderlich erachtet, um Wettbewerbsverzerrungen im neu zu schaffenden Binnenmarkt zu vermeiden … und (2) der höhere Grad der Harmonisierung, der für das sogenannte ‚endgültige‘ Mehrwertsteuersystem erforderlich war, das auf einer Besteuerung im Ursprungsland basiert. Dieses Ziel hätte eine weit größere Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze erfordert, als damals noch zu einem späteren Zeitpunkt durchsetzbar war. Dementsprechend wurde bisher kein nennenswerter Fortschritt hin zu einem ‚endgültigen‘ Mehrwertsteuersystem erzielt, obwohl die Kommission entsprechende Vorschläge gemacht hat, und es besteht wenig Hoffnung, dass dieses Ziel kurz- oder mittelfristig erreicht werden kann. Die Kommission hat daher zwischenzeitlich eine andere Mehrwertsteuer-Strategie entwickelt, die andere Prioritäten setzt. Eine davon ist der Ansatz, potentielle wirtschaftliche Auswirkungen unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten dadurch auszugleichen, dass die Regel der Besteuerung am Ort der Erbringung der Leistung geändert wurde, so dass bei Dienstleistungen, bei denen dies erforderlich ist, die Besteuerung nunmehr in dem Mitgliedstaat sichergestellt wird, in dem der Verbrauch stattfindet. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht länger zwingend, genau denselben Stand der Harmonisierung aufrecht zu erhalten, der 1992 erforderlich war. Dieser Flexibilität, die den Mitgliedstaaten unter Subsidiaritätsgesichtspunkten eingeräumt werden kann, sind jedoch Grenzen gesetzt, da nach wie vor die Gefahr von Marktverzerrungen oder unverhältnismäßigen Befolgungskosten bei grenzüberschreitend gehandelten Gegenständen und Dienstleistungen besteht.“

Man vermisst bei diesen Ausführungen nur eine Glückwunschadresse zum 65. Geburtstag von Wolfram Reiß oder wenigstens eine Fußnote mit Hinweis auf den erwähnten Vortrag in Bamberg im Jahr 2004 – der übrigens noch vor dem Richtlinienvorschlag vom 29.10.2004 gehalten wurde.

II. Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 29.10.2004 Weil es also auf dem Gebiet der materiellen Umsatzsteuerharmonisierung in Richtung Ursprungslandprinzip keine praktischen Fortschritte gibt, hat sich die Europäische Kommission auch zunehmend den Fragen des Verfahrens zugewandt, um den Unternehmern die Erfüllung der steuerlichen Pflichten in den Mitgliedstaaten, in denen die Umsätze steuerbar sind, zu erleichtern. Dagegen lässt sich grundsätzlich nichts einwenden. Allerdings ist es nicht immer eindeutig und klar, ob der Harmonisierungsauftrag gem. Art. 93 EG alle beschlossenen oder vorgeschlagenen Maßnahmen wirklich deckt, denn das Funktionieren des umsatzsteuerlichen Binnenmarktes verlangt z. B. nicht wirklich eine Regelung darüber, ob Steuerpflichtige elektronisch oder auf Papierformularen ihren Erklärungspflichten nachkommen müssen. Man kann es selbstverständlich für zweckmäßig halten, dass dieses Feld vereinheitlicht wird, aber zum Funktionieren des Binnenmarktes im Hinblick auf eine unabweisbare materielle Gleichbehandlung aller Umsätze ist die Frage der formellen Erfüllung von Erklärungspflichten doch eher sekundär. 324

Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

Zu nennen als Beiträge zur Harmonisierung der Verfahrensfragen sind z. B. die Richtlinie vom 17.10.2000 zur Bestimmung des Mehrwertsteuerschuldners9 – jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, dass es zwar natürlich für den Fiskus und den Unternehmer nicht trivial ist, wer Umsatzsteuer schuldet, dass es aber doch letztlich eine Verfahrensfrage ist, wie der Schuldner (ob als Leistender oder als Leistungsempfänger) gegenüber dem Fiskus in Erscheinung zu treten hat. Ebenso zu erwähnen ist die Richtlinie vom 20.12.2001 zur Rechnungserteilung10. Auch die Frage der Rechnungsgestaltung ist verwoben mit materiellen Fragen des Vorsteuerabzugs. Die Rechnung als Voraussetzung des Vorsteuerabzugs ist aber, bezogen auf die zwingenden Angaben im Rechnungsdokument, eine mehr formelle Angelegenheit. Die Pflichten von Drittlandsunternehmern bei der Erbringung elektronischer Dienstleistungen wurden durch die Richtlinie vom 7.5.200211 geregelt, die auch den Ort der Dienstleistung bestimmt. Dort ist zum ersten Mal im vielfältigen Regelungsgeflecht der europäischen Vorgaben zur Umsatzsteuer vorgesehen, dass (nur) Drittlandsunternehmer ihre im Gemeinschaftsgebiet steuerbaren elektronischen Dienstleistungsumsätze sämtlich nur in einem Mitgliedstaat ihrer Wahl ausschließlich auf elektronischen Weg erklären können, in dem sie sich dann umsatzsteuerlich registrieren lassen müssen. Der Drittlandunternehmer zahlt die Summe der Steuern, die auf die Umsätze in den verschiedenen Mitgliedstaaten entfallen, allein an den Registrierungsstaat und dieser leitet die Einzelbeträge an die betreffenden Mitgliedstaaten weiter. Die technischen Einzelheiten zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang regeln die Art. 28-34 ZusammenarbeitsVO, die anlässlich des Inkrafttretens der Richtlinie vom 7.5.2002 zum 1.1.2004 in die Zusammenarbeits-Verordnung eingefügt wurden. In Deutschland hat man zur Umsetzung dieser Vorgaben zum 1.7.2003 § 3a Abs. 4 UStG um die Nummer 14 und den § 18 UStG um einen Absatz 4c ergänzt.12 Diese für einen nur sehr kleinen Kreis von Drittlandsunternehmern bestehenden Regelungen waren – mit Ausnahme der Regelungen zur Zahlung der Steuerbeträge an die nationalen Steuerbehörden des Verbrauchstaates – erkennbar das Vorbild für die Bestimmungen, welche der Vorschlag der Euro-

__________ 9 Richtlinie 2000/65/EG des Rates v. 17.10.2000 zur Änderung der Richtlinie 77/388/ EWG bezüglich der Bestimmung des Mehrwertsteuerschuldners, ABl. EG Nr. L 269/ 2000, 44. 10 Richtlinie 2001/115/EG v. 20.12.2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungserteilung, ABl. EG Nr. L 15/2002, 24. 11 Richtlinie 2002/38/EG v. 7.5.2002 zur Änderung und vorübergehenden Änderung der Richtlinie 77/388/EWG bezüglich der mehrwertsteuerlichen Behandlung der Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie bestimmter elektronisch erbrachter Dienstleistungen, ABl. EG Nr. L 128/2002, 41; s. dazu Vellen, Neue EU-Rechtsakte zur Umsatzbesteuerung des Elektronischen Geschäftsverkehrs, UR 2003, 53. 12 S. dazu Abschn. 39c Abs. 7-14 UStR 2005.

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päischen Kommission vom 29.10.200413 zur Schaffung einer Einzigen Anlaufstelle enthält. Die Einzige Anlaufstelle, auch – One-Stop-Shop – genannt, soll dazu dienen, dass jeder Unternehmer mit Sitz im Gemeinschaftsgebiet, der in anderen EUMitgliedstaaten steuerbare Umsätze ausführt, diese bei seinem für ihn zuständigen Finanzamt in seinem Sitzstaat erklären kann. Der Gedanke, dies so zu regeln, wie man es auch Drittlandsunternehmern schon seit vier Jahren erlaubt, liegt zwar nicht fern, aber es wird sich in dieser Untersuchung schnell zeigen, dass die technischen Schwierigkeiten, die für die Verwaltung mit einer derartigen Regelung verbunden wären, so groß sind, dass zumindest gegenwärtig erhebliche Zweifel daran bestehen, ob der richtige Weg eingeschlagen wird. Die Europäische Kommission hat diesen Richtlinienvorschlag nach Durchführung eines Konsultationsverfahrens im ersten Halbjahr 2004 vorgelegt. Obwohl das dazu im März 2004 vorgelegte Konsultationspapier14 „nicht unbedingt die Auffassung der Kommission“ wiedergeben sollte – man fragt sich freilich, warum die Kommission ein Papier vorlegt, in dem sie ihre eigene Auffassung nicht zum Ausdruck bringt –, ist der schließlich vorgelegte Richtlinienvorschlag weitestgehend identisch mit den bereits im Konsultationspapier zur Diskussion gestellten Maximen. Das UmsatzsteuerForum hat sich skeptisch zu dem Konsultationspapier geäußert.15 Nimmt man die geltenden Regelungen zum Ort der Lieferungen und der sonstigen Leistungen, dann werden bei der Einzigen Anlaufstelle vor allem folgende Umsätze zu erklären sein: Versandhandelsumsätze gem. § 3c UStG (sog. Fernverkäufe), Lieferungen von Gegenständen und Installation und Montagen im Bestimmungsland (§ 3 Abs. 6 UStG), Dienstleistungen im Zusammenhang mit Grundstücken (§ 3a Abs. 2 UStG), Lieferungen bei Messen, Ausstellungen und auf Märkten (§ 3 Abs. 7 UStG). Selbstverständlich besteht für eine Teilnahme der Unternehmen am Verfahren der Einzigen Anlaufstelle nur dann Bedarf, wenn sie Steuerschuldner für ihre Umsätze sind, Wird nach einer Norm in einem Mitgliedstaat, der die Steuerbarkeit der Umsätze reklamiert, die Steuerschuld von leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger

__________ 13 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Vereinfachung der mehrwertsteuerlichen Pflichten; Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 77/388/EWG an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige; Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 hinsichtlich der Einführung von Verwaltungsvereinbarungen im Zusammenhang mit der Regelung der einzigen Anlaufstelle und dem verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer, KOM (2004) 728 endg; Ratsdokument 14248/04, BR-Drucks. 1002/04 v. 28.12.2004. 14 Europäische Kommission, Vereinfachung der Mehrwertsteuerpflichten: Einzige Anlaufstelle – Konsultationspapier vom März 2004, UR 2004, 412. 15 Vgl. Nieskens, Einzige Anlaufstelle für Umsatzsteuererklärungen im EU-Ausland – Stellungnahme des UmsatzsteuerForums zum Konsultationspapier „Vereinfachung der Mehrwertsteuerpflichten“ der EU-Kommission, UR 2004, 410.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

verlagert, wie z. B. gem. dem deutschen § 13b UStG, dann braucht der leistende ausländische Unternehmer sich grundsätzlich im Mitgliedstaat der Leistung als Steuerschuldner nicht registrieren zu lassen. Die Einzige Anlaufstelle bringt insofern keine Änderung oder Erleichterung gegenüber dem geltenden Recht.

III. Verfahrensmäßige Problemfelder Schon diese erste, sehr kursorische Beschreibung des Ansatzes der einzigen Anlaufstelle macht eines deutlich: Mit der Verwirklichung des Ursprungslandsprinzips hat sie nichts oder jedenfalls nur sehr wenig zu tun, denn es werden weiterhin die bisherigen Regelungen zum Ort des Umsatzes unverändert gelassen und es ändert sich überhaupt nichts an der Geltung des Bestimmungslandsprinzips, das durch die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen und des korrespondierenden steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbs im Binnenmarkt weiterhin gilt. Nur die Registrierung in dem Staat, in dem die Umsätze ausgeführt werden, entfällt und das mit der Vorlage der Originalbelege reichlich schwerfällige Verfahren der Vorsteuer-Vergütung16 wird ersetzt durch die Angabe der Vorsteuern in der elektronischen Steuererklärung. Dies ist gewiss eine große Erleichterung. Der leistende Unternehmer braucht in dem Staat des Besteuerungsrechts dann z. B. keinen Steuerberater, um seine Steuererklärungspflichten erfüllen zu können. Das geht in die oben zitierte, von Reiß geforderte Richtung eines Binnenmarktes hinsichtlich der Regelungen zu den administrativen Pflichten der Steuerpflichtigen. Das Maß dieser Erleichterungen wird aber davon abhängen, ob es im Ansässigkeitsstaat der Unternehmer Steuerberater oder andere Helfer gibt, die in der Lage sind, Umsätze in den verschiedenen Mitgliedstaaten korrekt, z. B. nach Steuersätzen, Steuerbefreiungen, Optionen zur Steuerpflicht u. ä. zu erklären. Schon an dieser unvermeidlichen Konsequenz der einzigen Anlaufstelle ist ihr praktischer Nutzen beträchtlich in Frage zu stellen. Wenn man sich die Vielzahl der derzeitigen Steuersätze und Steuersatzdifferenzierungen innerhalb der EU vor Augen führt, wird man kaum glauben dürfen, dass die Richtigkeitsgewähr der Steuererklärungen, die bei der Einzigen Anlaufstelle eingehen, sehr hoch sein wird. Jedenfalls reicht die Benutzung einer Steuersatzübersicht bestimmt nicht aus, um die zutreffenden Steuersätze für bestimmte Waren und Dienstleistungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu ermitteln. Ob es in jedem Mitgliedstaat Verwaltungsanweisungen nach Art des BMF-Schreibens zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG17 gibt, das z. B. auch hinsichtlich der EU-zollrechtlichen Einordnung von getrockneten Schweineohren auf dem Laufenden gehalten wird18, darf man wohl bezweifeln. Sonst wäre übrigens die oft gehörte Behauptung, kaum ein anderer Staat habe eine so lähmende Überreglementierung im Steuerrecht wie Deutschland, nicht ernst zu nehmen.

__________ 16 Vgl. dazu die §§ 59-62 UStDV. 17 BMF, Schr. v. 5.8.2004 – IV B 7 - S 7220 - 46/04, BStBl. I 2004, 638. 18 Vgl. BMF, Schr. v. 16.10.2006 – IV A 5 - S 7221 - 1/06, BStBl. I 2006, 620.

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Das von dem niederländischen Umsatzsteuer-Experten Ben Terra auf einer Veranstaltung der internationalen Wirtschaftsprüfervereinigung in Brüssel im Jahr 2005 gebrauchte Bild, dass die einzige Anlaufstelle letztlich nur den Effekt von 27 nebeneinander aufgestellten Briefkästen – je EU-Mitgliedstaat einen – habe, in die der Unternehmer bisher seine Erklärungen einzuwerfen habe, während er künftig 27 Erklärungen nur in einen Briefkasten einwerfen müsse, ist zwar eingängig, trifft aber nicht ganz den genauen Befund der vorgesehenen Abläufe. Wenn die – nur elektronisch übermittelbare – Umsatzsteuervoranmeldung am 20. Tag nach dem Ende eines Quartals für die in den verschiedenen Mitgliedstaaten ausgeführten Umsätze abzugeben ist, dann geht diese Voranmeldung nur an das Finanzamt – bildlich gesprochen in dessen Briefkasten –, in dem sich der Teilnehmer des One-Stop-Shop-Verfahrens dafür hat registrieren lassen. Daneben muss der Unternehmer aber seine inländischen Umsätze aus seinem Sitzland im normalen Verfahren seines Sitzlandes anmelden. Um im Briefkastenbild zu bleiben: Der Briefkasten des Sitzstaates wird also öfters benutzt als die anderen und, vor allem, der Briefkasten für die Auslandsumsätze hängt nicht am Haus des Adressaten der Voranmeldung. Denn die eigentliche Arbeit, die mit dem One-Stop-Shop-Verfahren verbunden ist, geht erst richtig los, wenn der Unternehmer seine Erklärung elektronisch bei der für ihn zuständigen Einzigen Anlaufstelle abgegeben hat. Dann nämlich muss diese nationale Steuerbehörde die bei ihr eingegangenen elektronischen Daten so sortieren, dass sie sie an die Finanzbehörden des steuerberechtigten Mitgliedstaates – in der Diktion der Europäischen Kommission an die „Verbrauchstaaten“ – weiterleiten kann. Die nationale Einzige Anlaufstelle agiert also lediglich als Bote des Steuerpflichtigen zur Übermittlung einer für den Verbrauchstaat bestimmten Steuererklärung. Die Einzige Anlaufstelle hat mit der materiellen Bearbeitung der Angelegenheit zunächst überhaupt nichts zu tun. Der Verbrauchstaat erhält, wie bereits oben erwähnt, die Steuer unmittelbar vom Unternehmer überwiesen. Insofern ändert sich der bürokratische Aufwand für den Unternehmer gegenüber bisher nicht. Er muss, wenn er z. B. in 15 EU-Mitgliedstaaten steuerpflichtige Umsätze ausführt, wie bisher 15 Überweisungen an die nationalen Finanzkassen vornehmen – allerdings jetzt zum gleichen Zeitpunkt, während bisher ggf. unterschiedliche Erklärungs- und Zahlungstermine nach den nationalen Rechten zu beachten waren. Wenn sich wegen eines Vorsteuerüberschusses keine Zahllast, sondern ein Guthaben ergibt, dann muss der Verbrauchstaat, aus dem die Vorsteuern stammen, den Steuerpflichtigen diese Vorsteuern erstatten. Insofern ändert sich für die Verwaltung nichts gegenüber den Abläufen, die üblich sind, wenn sich ein ausländischer Unternehmer wegen seiner Umsätze im Inland bei einem Finanzamt registrieren lässt und dort regelmäßig Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgibt, die selbstverständlich auch Vorsteuerüberschüsse enthalten können. Bereits oben wurde erwähnt, dass allerdings das Vorsteuer-Vergütungsverfahren nicht mehr nötig ist.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

IV. Beispiel Ein anschauliches und alltägliches Beispiel für derartige Abläufe mag folgender Fall sein: Der in Brüssel wohnende Vermieter V eines Geschäftshauses in Nürnberg ohne weitere steuerliche Aktivitäten in Deutschland hat auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze gem. § 4 Nr. 12 UStG nach § 9 UStG verzichtet, so dass er steuerpflichtige Umsätze in Deutschland macht. V wird bisher beim Finanzamt Trier, das in Deutschland zentral für belgische Unternehmer mit Umsätzen im Inland zuständig ist19, geführt. Das Finanzamt in Trier bearbeitet deshalb die Umsatzsteuer-Voranmeldungen von V, vierteljahrlich oder ggf. monatlich, wenn die 6136-Euro-Vorjahreszahllastgrenze des § 18 Abs. 2 UStG überschritten wird.

Gibt es die Einzige Anlaufstelle nach dem Kommissionsvorschlag, könnte sich V in Belgien für die Teilnahme am One-Stop-Shop-Verfahren registrieren lassen und müsste dann seine in Nürnberg steuerbaren und steuerpflichtigen Vermietungsumsätze stets quartalsweise beim One-Stop-Shop in Belgien elektronisch erklären. Damit gibt es schon eine erste denkbare Friktion: Hat V bisher in Deutschland beim Finanzamt Trier monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgeben müssen, dann erhält das Finanzamt Trier jetzt nur noch vierteljährliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen vom belgischen One-Stop-Shop in elektronischer Form. Ein ganz wesentlicher Ansatz zur rechtzeitigen Kontrolle der von den Unternehmen erklärten Umsätze geht damit verloren, denn es liegt auf der Hand, dass die Abgabe monatlicher Umsatzsteuer-Voranmeldungen eine raschere Reaktion bei der Überprüfung z. B. im Wege der Umsatzsteuer-Nachschau gem. § 27b UStG20 ermöglicht, als die nur quartalsweise eingehenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Dass der Fiskus in diesen Fällen sein Geld später als bisher erhält, soll auch nicht unerwähnt bleiben. Ebenso freilich muss auch ggf. der Unternehmer länger auf seine UmsatzsteuerErstattungen in den Fällen der Vorsteuerüberschüsse warten.

V. Erschwernisse bei der Betrugsbekämpfung Der Vereinfachungseffekt der einzigen Anlaufstelle hat hier einen Preis, dessen Höhe bezüglich der durch Zeitverzögerungen verminderten Kontrollmöglichkeiten noch überhaupt nicht absehbar ist. Der auch von der Europäischen Kommission in der oben zitierten Passage verwendete Begriff der „Befolgungskosten“, welcher erkennbar nur auf die Unternehmer bezogen wird, hat jedoch auch für den Aufwand der Verwaltung seine Berechtigung. Mag man dort auch von „Interventionskosten“ sprechen, so ist es doch letztlich gleichgültig, bei welchem von der Mehrwertsteuer betroffenen Subjekt – Unternehmer oder Verwaltung – ein vermeidbarer oder jedenfalls minimierbarer Aufwand entsteht.

__________ 19 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStZustVO i. d. F. ab dem 19.12.2006 gem. Art. 9 JStG 2007. 20 S. dazu Abschn. 282b UStR 2005.

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Wir erinnern uns: Der deutsche Gesetzgeber hat als eine wichtige Maßnahme zur Betrugsbekämpfung durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz im Jahr 2001 die monatliche Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen bei neu gegründeten Unternehmen für die ersten beiden Jahre nach Unternehmensaufnahme vorgeschrieben.21 Dies würde für die Teilnehmer des One-Stop-Shop nicht gelten. Filtzinger22 hat daher zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass es für inländische Unternehmer mit „ausreichender krimineller Energie“ reizvoll sein könnte, ihren Sitz ins EU-Ausland zu verlegen und ihre gesamten bisherigen Aktivitäten im Inland über unselbständige Betriebsstätten zu betreiben. Wenn sie dann am One-Stop-Shop-Verfahren teilnehmen, brauchen sie ihre inländischen Umsätze in ihrem Sitzstaat nur noch vierteljährlich elektronisch zu melden. Die Finanzbehörde im Sitzstaat übermittelt diese Quartalsmeldung, wie schon geschildert, dem für die Unternehmen aus dem Sitzstaat zentral zuständigen Finanzamt in Deutschland. Das könnte der Auftakt für reichlich fette Jahre für die betrügerischen Unternehmer sein, denn es gehört sehr viel Phantasie zu der Vorstellung, dass das zentral zuständige Finanzamt in Deutschland die Richtigkeit der Quartalsmeldungen einigermaßen zuverlässig überprüfen kann. Um es deutlich zu sagen: Die Administration wird drastisch erschwert. Nun kann man gewiss sofort hiergegen einwenden, dass auch die derzeitige Kontrolle der Umsätze von nicht im Inland ansässigen Unternehmern durch die nach der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung berufenen Finanzämtern nur sehr viel schwieriger möglich ist, als die Prüfung inländischer Unternehmer. Das stimmt zwar insofern, als es bei nicht im Inland ansässigen Unternehmern oft keine inländischen Geschäftsräume gibt, in denen die Umsätze ausgeführt werden und auch die Unterlagen werden regelmäßig nicht im Inland aufbewahrt. Aber immerhin: die inländische Finanzbehörde kann die Vorlage aller Unterlagen im Inland verlangen und ist selbst uneingeschränkt Herr des Verfahrens. Das Verfahren der einzigen Anlaufstelle nimmt aber seinen Anfang mit einer im Ausland abgegebenen elektronischen Steuererklärung, die erst von der ausländischen Behörde an die zuständige inländische Behörde überspielt wird. Der Steuerpflichtige tritt also zunächst nicht mit der für ihn materiell zuständigen Behörde in Verbindung. Das Konsultationspapier der Europäischen Kommission vom März 2004 führt dazu unter der Überschrift „Überprüfung und Kontrolle“ folgendes aus: „Es sei daran erinnert, dass die Erklärungen ohne vorherige Überprüfung durch den Mitgliedstaat der Identifizierung unverzüglich automatisch an den betreffenden Mitgliedstaat des Verbrauchs weitergeleitet werden. Anhand der von den einzelnen Mitgliedstaaten übermittelten Erklärungen würde der Mitgliedstaat des Verbrauchs gemäß seinen Vorschriften eine erste Überprüfung vornehmen.

__________ 21 S. dazu Abschn. 230a UStR 2005. 22 Filtzinger, Was bringt die einzige Anlaufstelle?, UR 2007, 169.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop) Gibt eine Erklärung Anlass zu Nachfragen, wäre es Sache des Mitgliedstaates des Verbrauchs, sich direkt an den betreffenden Steuerpflichtigen zu wenden (wie dies auch bisher schon der Fall ist). In allen mit Bußgeldern und Zinsen für verspätete Erklärungen oder Zahlungen zusammenhängenden Fragen sowie bei Beschwerden, wären ausschließlich die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des Verbrauchs anzuwenden. Erforderlichenfalls könnte die Kontrolle auch wie folgt erfolgen: (1) Jeder Mitgliedstaat könnte wie bisher von den nicht in seinem Gebiet ansässigen Steuerpflichtigen Buchungsunterlagen anfordern, die in den meisten Fällen außerhalb seines Gebiets aufbewahrt werden. (2) Treten bei der Beschaffung dieser Informationen oder Unterlagen Schwierigkeiten auf, kann jeder Mitgliedstaat wie bisher auf das vorhandene Instrumentarium der gegenseitigen Amtshilfe im Bereich der Mehrwertsteuer zurückgreifen (Auskunfts-, Überprüfungs- und Zustellungsersuchen usw.). Die Kontrollmöglichkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten würden also in keiner Weise eingeschränkt. Das Gegenteil wäre der Fall, denn die Kontrolle würde durch die Verfügbarkeit von globalen Informationen über die Lage der Steuerpflichtigen sogar erleichtert, was wiederum die Möglichkeit der Unternehmen, die Steuer zu umgehen, einschränken würde. Die freiwillige Erfüllung der Pflichten würde den Unternehmen dadurch erheblich erleichtert, dass sie ihre sämtlichen Pflichten über eine einzige nationale Kontaktstelle in ihrer eigenen Sprache erfüllen könnten.“

Das erscheint reichlich optimistisch, denn es ist kein Geheimnis, dass die Bearbeitungsdauer von Amtshilfeersuchen mitunter so lange dauert, dass die Erwähnung der Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung als wichtiges Ziel der europäischen Zusammenarbeit der Finanzbehörden der Mitgliedstaaten in den Ohren von Steuerfahndern geradezu wie Hohn klingt. Mit den Vorstellungen von Wolfram Reiß zur Erleichterung der administrativen Pflichten der Steuerpflichtigen durch abschließende Bearbeitung der Umsatzbesteuerung in ihrem Sitzstaat hat dies erst recht nichts zu tun. Aber die zutage tretende Sichtweise der Europäischen Kommission legt nur den fundamentalen Unterschied zwischen den in Deutschland unternommenen Versuchen zur Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung und ihrem Ansatz offen: Während in Deutschland z. B. mit den Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer – Schaffung einer Vorstufenbefreiung im zwischenunternehmerischen Lieferverkehr – vom August 200123 und dem daraus entwickelten generellen Ansatz der Verlagerung der Steuerschuld auf den unternehmerischen Leistungsempfänger - sog. Reserve-Charge-Verfahren – bei Umsätzen über mehr als

__________ 23 S. UR 2001, 385; Widmann, Zu den Mainzer Vorschlägen zur Umsatzsteuer, UR 2002, 14; Widmann, Chancen und Risiken eines Umsatzsteuer-Systemwechsels – Vermeidung des Umsatzsteuerbetrugs durch das Mittler-Modell, UR 2002, 588.

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5000 Euro24 versucht wird, die Systemschwächen der Mehrwertsteuer zu reduzieren, möchte die Europäische Kommission möglichst am System nichts ändern, sondern vor allem die Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen verstärken und ertüchtigen. Das ist zwar grundsätzlich nicht falsch, nimmt aber viel zu wenig Rücksicht auf die unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen in den EU-Mitgliedstaaten, und – auch das muss offen gesagt werden – neben den differenzierten Verwaltungsstrukturen gibt es auch bedeutsame Unterschiede in der Verwaltungskultur – angefangen von Fristen über Sanktionen bis hin zu völlig unterschiedlichen Rechtsbehelfs- und Gerichtsverfahren. Auch darf nicht übersehen werden, dass die Organisation der Prüfungsdienste in den EU-Mitgliedstaaten völlig unterschiedlich ausgestaltet ist. Dies wird trotz aller Bemühungen der Europäischen Kommission um eine Verbesserung der Abläufe noch lange so bleiben. Es gibt nämlich gar kein Mandat für Europa in dieser Hinsicht. Der Verzicht auf die kundige Beratung der ausländischen Steuerpflichtigen durch einen inländischen zur Steuerberatung befugten Experten, der mit der Möglichkeit der Abgabe der Umsatzsteuererklärung im One-Stop-Shop für alle vom Unternehmer im Gemeinschaftsgebiet ausgeführten Umsätze in vielen Fällen wahrscheinlich einhergehen wird, kann jeden Fachmann, dem an einem einfachen, raschen und gleichmäßigen Vollzug der Steuergesetze gelegen ist, nur mit größter Sorge erfüllen. Die Europäische Kommission hat diese Gesichtspunkte bisher erkennbar leider völlig vernachlässigt. Es wird kaum einen Steuerberater in Deutschland geben, der sich dem Haftungsrisiko aussetzen will, das mit der verantwortlichen Steuererklärung nach derzeit bis zu 26 ausländischen Umsatzsteuergesetzen verbunden ist und ähnlich dürfte es bei den steuerberatenden Berufen in den anderen Mitgliedstaaten auch sein. Darüber hilft auch die fast schon naive Ankündigung der Europäischen Kommission nicht wirklich hinweg, dass die Mitgliedstaaten ihr die Texte der nationalen Umsatzsteuergesetze übermitteln sollten, damit sie von der Europäischen Kommission in alle EU-Amtssprachen übersetzt werden können. Damit wäre zwar sämtlichen Unternehmern und ihren Beratern im EU-Gebiet, z. B. das finnische, portugiesische, lettische oder griechische Umsatzsteuergesetz in den Amtsprachen verfügbar, aber ob dabei jeweils der letzte Stand der Gesetzgebung berücksichtigt ist, wäre nicht erkennbar.

__________ 24 S. dazu Finanzministerkonferenz, Mitteilung v. 20.10.2005, UR 2005, 662; Groß/ Matheis/Vogl, Umsatzsteuerliche Reformvorhaben im „Steuerlabor“ – Zusammenfassung der Ergebnisse der Steuerplanspiele zum „Reverse-Charge-Verfahren“ und zur „Generellen Ist-Versteuerung mit Cross-Check“, UVR 2006, 44; Nieskens, Die Umsatzsteuermissbrauchsbekämpfung durch Reverse-Charge mit R-Check und seine Auswirkungen auf die Beratungspraxis, BB 2006, 356; Matheis/Groß, Grenzen der Überwachung – Gedanken zur Praktikabilität einer „Ist-Versteuerung mit Quellensteuererhebung“, UVR 2006, 276; Widmann, Systembezogene Änderung bei der Umsatzbesteuerung „Reverse-Charge-Verfahren“, UR 2006, 624.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

Man stelle sich beispielsweise vor, ein polnischer oder schwedischer Steuerberater hätte für einen seiner Mandanten mit in Deutschland steuerbaren Umsätzen im Jahr 2006 die fünf allein in diesem Jahr ergangenen Gesetze verfolgen müssen, mit denen das Umsatzsteuergesetz geändert wurde – teilweise bekanntlich mit völlig unverständlichen und kaum nachvollziehbaren Inkrafttretensdaten wie z. B. den 19.12.200625. Bis diese Änderungen in allen Übersetzungen eingearbeitet sind, wäre der 20.1.2007, zu dem ggf. die noch im Dezember 2006 in Deutschland ausgeführten Umsätze elektronisch im Sitzstaat des leistenden Unternehmers der einzigen Anlaufstelle zu melden wären, ganz gewiss längst vergangen. Es kann nur noch einmal betont werden: Die praktischen Vollzugsfragen, die sich bei einer unveränderten Annahme des Vorschlags der Europäischen Kommission ergäben, sind überhaupt nicht absehbar und schon gar nicht erprobt.

VI. Zusammenhang mit dem Reverse-Charge-Verfahren Die Europäische Kommission wäre gut beraten, wenn sie die Skepsis, die sie gegenüber den österreichischen und deutschen Absichten zur Einführung der generellen Steuerschuldverlagerung für bestimmte zwischenunternehmerische Umsätze hegt und pflegt, auch an ihre eigenen Vorschläge anlegte. Deutschland hat mit einem in jüngster Zeit beispiellos gründlichen Planspiel die Fragen des Reverse-Charge-Verfahrens ausgelotet und dennoch möchte die Europäische Kommission alles noch einmal selbst überprüfen. Das ist zwar legitim, kommt aber reichlich spät und steht in deutlichem oder sogar ärgerlichen Widerspruch zu den Methoden, die sie bei der Vorlage eigener Vorschläge beachtet. Immerhin besteht bei der beabsichtigten Überprüfung des Reverse-ChargeVerfahrens für die Europäische Kommission die Gelegenheit, die Verträglichkeit mit dem Verfahren der einzigen Anlaufstelle zu überprüfen. Da wird man allerdings zu ernüchternden Ergebnissen kommen: Wenn sich bei einem steuerpflichtigen Umsatz, den ein in einem Mitgliedstaat ansässiger Unternehmer in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger verlagert, dann hat der leistende Unternehmer im OneStop-Shop-Verfahren nichts zu melden oder zu zahlen, denn er ist gar nicht der Steuerschuldner. Man könnte ihn zwar vielleicht verpflichten, die von der Reverse-Charge-Regelung betroffenen Umsätze gleichwohl im One-Stop-ShopVerfahren elektronisch anzugeben, damit der Verbrauchstaat von diesen Umsätzen erfährt. Diese Meldung passt aber überhaupt nicht zu den Vorstellungen vom sog. R-Check, den das deutsche Planspiel zum Reverse-Charge-Verfahren vorsieht, um neue Betrugsformen zur Ermöglichung eines unversteuerten Letztverbrauchs zu verhindern. Die Furcht vor diesen neuen Betrugsformen ist ein Hauptargument der EU-Kommission für ihre zögerliche Haltung zum generel-

__________ 25 Vgl. Art. 20 JStG 2007, BGBl. I 2006, 2878 = BStBl. I 2007, 28.

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len Reverse-Charge-Verfahren nach den österreichischen und deutschen Vorstellungen. Gerade die Betrugsbekämpfung ist aber der Ausgangspunkt für den österreichischen und deutschen Vorstoß zu Systemmodifikationen. Die Meldung des Reverse-Charge-Umsatzes soll nach den Ergebnissen des erwähnten Planspiels nämlich elektronisch unter Angabe der sog. R-Nummer des zur Teilnahme am Revers-Charge-Verfahren zugelassenen Leistungsempfängers durch den leistenden Unternehmer im Rahmen der laufenden Umsatzsteuer-Voranmeldungen erfolgen. Es ist ohne weiteres erkennbar, dass unterschiedliche Meldepflichten für inländische und ausländische Unternehmer den Nutzen des R-Checks im Hinblick auf die Betrugsbekämpfung erheblich beeinträchtigen werden. Deshalb war das vom Bundesfinanzminister Steinbrück hergestellte Junktim zwischen der Schaffung einer EU-rechtlichen Grundlage für die deutschen Vorstellungen zum Reverse-Charge-Verfahren und der Zustimmung Deutschlands zum sog. Mehrwertsteuerpaket, dessen Inhalt u. a. auch die Einzige Anlaufstelle war, im Rahmen der Beratungen des ECOFIN-Rats nicht wirklich zielführend – ungeachtet dessen, dass es die Position des Bundesrates vom 29.4.2005 missachtete. Der Bundesrat hatte sich zum Vorschlag der Europäischen Kommission vom 29.10.2004 hinsichtlich der Einzigen Anlaufstelle dezidiert ablehnend wie folgt geäußert: „1. Bereits aus heutiger Sicht sind nach Auffassung des Bundesrates die Überlegungen der Kommission zu einer ‚Einzigen Anlaufstelle‘, die bei den örtlichen Finanzämtern einzurichten wären, problematisch. Die Belange der Verwaltung sind bisher unzureichend berücksichtigt. So würde die angesprochene Möglichkeit für den Unternehmer, bei der genannten Anlaufstelle alle steuerlichen Verpflichtungen auf elektronischem Wege erledigen zu können, die Schaffung weiterer technischer Voraussetzungen über die vorhandenen hinaus bedeuten. Die Finanzämter sind zur Zeit weder personell noch organisatorisch in der Lage, die mit einer Anlaufstelle verbundenen Arbeiten (Entgegennahme von Erklärungen, Prüfung der EU-weiten Zuständigkeiten, Beratung, Auskunftserteilung usw.) zu bewältigen. Zudem sind Fragen nach der Kostenträgerschaft für die Einrichtung und Unterhaltung der ‚Einzigen Anlaufstelle‘ nicht erwähnt. 2. Der Bundesrat hält es jedoch für denkbar, dem nachvollziehbaren Bedürfnis der Wirtschaftsbeteiligten nach erleichterten Verwaltungsverfahren auf anderem Wege als der Schaffung zusätzlicher Verfahrensvorschriften Rechnung zu tragen, beispielsweise durch Schaffung zentraler Auskunftsstellen bei den schon heute für die Unternehmer der jeweiligen Mitgliedstaaten zentral zuständigen Finanzämtern. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Überlegungen in die Beratungen auf EU-Ebene einzubringen.“26

Nun mag man manche Argumente des Bundesrats aus dem Jahr 2005 als Ausdruck eines übersteigerten Festhaltens an überkommenen föderalen Verwaltungsstrukturen und der beamtenmäßigen Unbeweglichkeit gegenüber Neuerungen abtun, aber die Kritik an der grundsätzlichen Funktionsweise des OneStop-Shop-Verfahrens ist auch im Jahr 2007 noch unverändert berechtigt.

__________ 26 Vgl. BR-Drucks. 28/05 (Beschluss) v. 29.4.2005.

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Einzige Anlaufstelle (One-Stop-Shop)

Am Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Juni 2007 hat Bundesfinanzminister Steinbrück das Junktim wieder aufgegeben, weil die Europäische Kommission die genaue Prüfung der Reverse-Charge-Vorschläge bis Ende des Jahres 2007 zugesagt hat. Dies war das Ergebnis der Sitzung des ECOFIN-Rates am 5.6.2007 in Luxemburg.27 Huschens28 teilt mit, dass im vom ECOFIN-Rat grundsätzlich angenommenen sog. Mehrwertsteuerpaket nur noch eine „abgespeckte“ Version des One-Stop-Shop-Verfahrens enthalten sei, d. h., im Wesentlichen werden nur die Versandhandelsverkäufe sowie die elektronischen Dienstleitungen durch EU-Unternehmer betroffen sein. Die dazu erforderlichen Änderungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie sollen noch im Jahr 2007 beschlossen werden, damit die Regelungen spätestens zum 1.1.2010 EU-weit in Kraft treten können. Weil die steuerliche Erfassung von Versandhandelsumsätzen bei Überschreiten der Lieferschwelle im Verbrauchsland ohnehin eher zu den „No-go-Areas“ der EU-weiten Mehrwertsteueradministration gerechnet werden dürften, werden sich kaum gravierende Änderungen gegenüber dem derzeitigen Zustand ergeben. Man kann sogar hoffen, dass sich manche Unternehmer mit Versandhandelsumsätzen in andere Mitgliedstaaten eher in ihrem Heimatstaat beim OneStop-Shop melden als im jeweiligen Mitgliedstaat, in denen die Umsätze wegen der Überschreitung der Lieferschwelle steuerbar sind. Das gleiche gilt sicher auch für die auch nur schwer erfass- und kontrollierbaren Ferndienstleistungen gegenüber privaten Leistungsempfängern.

VII. Schlussbemerkung Die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Einzigen Anlaufstelle halten nicht, was sie auf den ersten Blick versprechen. Sie sind kein wirklicher Beitrag für eine Verfahrenserleichterung für die Unternehmer und sie erschweren der Verwaltung die Arbeit. Außerdem bieten sie nicht akzeptable Anreize zur leichteren Tarnung betrügerischer Unternehmer mit grenzüberschreitenden Umsätzen. Dem Bedarf der Wirtschaft nach einer Erleichterung der Erklärungspflichten im Binnenmarkt sollte primär durch eine Vereinfachung des materiellen Rechts Rechnung getragen werden, so z. B. durch die Harmonisierung der Steuerbefreiungen, aber auch durch die Harmonisierung der Bestimmungen über den Vorsteuerabzug. Mit der Verlegung des Orts einer Leistung an den Ort des Leistungsempfängers unter gleichzeitiger Verlagerung der Steuerschuld auf den unternehmerischen Leistungsempfänger braucht sich der leistende Unternehmer im Verbrauchsland gar nicht erst steuerlich erfassen zu lassen. Das ist dann viel einfacher als der One-Stop-Shop. In diese Richtung gehen zu Recht die Vorschläge der Europäischen Kommission im sog. MehrwertsteuerPaket bezüglich des Ortes der sonstigen Leistungen.

__________ 27 Vgl. die Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union v. 5.6.2007. 28 Huschens, Die neue Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Teil II), UVR 2007, 204.

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Die Anregung des Bundesrates zur Verbesserung der Unterrichtungsmöglichkeiten über die ausländischen Vorschriften bietet viel mehr als die bloße Übersetzung von Gesetzestexten. Anscheinend wurde sie von der Europäischen Kommission bisher nicht aufgegriffen. Das ist bedauerlich, denn derartige Maßnahmen dienen der notwendigen Kooperation von Steuerpflichtigen und Verwaltung unter dem Schlagwort der tax compliance, deren Bedeutung für die Betrugsbekämpfung auch bei der Umsatzsteuer nicht unterschätzt werden sollte. Auch wenn jetzt voraussichtlich ab dem Jahr 2010 erst einmal nur eine kleine Lösung der Einzigen Anlaufstelle kommt, sollte dies nicht der Auftakt für weitere Bemühungen um die Einrichtung eines großen One-Stop-Shops sein. Den hat auch Wolfram Reiß mit seiner berechtigten und EU-rechtlich wohlbegründeten Forderung nach einem am Subsidiaritätsprinzip ausgerichteten unternehmerfreundlichen Binnenmarktregime bestimmt nicht bestellt.

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1. Die Einkommensteuer im Gesamtsteuersystem Monika Jachmann

Zur Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Darum zahlt der Bürger Steuern an „seinen“ Staat III. Steuern im freiheitlichen Rechtsstaat 1. Die Steuerpflicht als Eingriff in Freiheitsgrundrechte 2. Eingriff durch Ertragsteuern und Verbrauchsteuern a) Ertragsteuern b) Verbrauchsteuern

IV. Zur Rechtfertigung der Regelbesteuerung 1. Ertragsteuern und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 2. Verbrauchsteuern a) Abschöpfung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit b) Korrelat nicht wahrgenommener Gemeinwohlverantwortung V. Zur Relation von Ertrag- und Verbrauchsteuern zueinander VI. Schluss

I. Einleitung Wolfram Reiß ist der Prototyp des rundum versierten Steuerexperten.1 Besonders verdient hat er sich jedoch um die Verbrauchsteuern gemacht. Mit deren Rechtfertigung beschäftigt sich der folgende Beitrag, insbesondere auch unter dem Blickwinkel ihrer Abstimmung mit den Ertragsteuern.

II. Darum zahlt der Bürger Steuern an „seinen“ Staat Steuern werden ohne unmittelbar korrespondierende Gegenleistung zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung des Staates im Interesse der staatlichen Allgemeinheit erhoben. Dementsprechend ist das Steueraufkommen des Staates

__________ 1 Aus seinem umfassenden literarischen Werk sei nur verwiesen auf die bekannten Schriften zur Umsatzsteuer: Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Kommentar; Reiß, Umsatzsteuerrecht, 9. Aufl., Münster 2005; zur Körperschaftsteuer: Lange/Reiß, Lehrbuch der Körperschaftsteuer, 9. Aufl., Herne u. a. 2005; zum Unternehmensteuerrecht: Falterbaum/Bock/Reiß/Eberhart, Buchführung und Bilanz, 20. Aufl., Achim 2007.

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auch von der Allgemeinheit zu finanzieren. Die Steuer findet so ihren rechtfertigenden Grund als Solidarbeitrag des Einzelnen zur Finanzierung der Erfüllung der im demokratischen Verfahren bestimmten allgemeinen Staatsaufgaben.2 Im Steuerstaat korrespondiert der Allgemeinheit der Steuer die relative Belastungsgleichheit im Verhältnis der einzelnen Steuerpflichtigen untereinander. Die Steuer ist also – gleichheitsrechtlich – im Hinblick auf die Verteilung der steuerlichen Belastung auf die Mitglieder der staatlichen Gemeinschaft zu rechtfertigen. Die Steuergleichheit als elementares Wesensgesetz des Steuerstaates ist individualrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet. Vom Einzelnen kann – gleichheitsgerecht – die Mitfinanzierung der allgemeinen staatlichen Aufgabenerfüllung via Gemeinlast nur in dem Maße verlangt werden, in dem ihn eine Mitverantwortung für die allgemeinen staatlichen Belange trifft. Diese Mitverantwortung ist aus der verfassungsrechtlich fundierten Einbindung des Einzelnen in die staatliche Gemeinschaft abzuleiten.

III. Steuern im freiheitlichen Rechtsstaat 1. Die Steuerpflicht als Eingriff in Freiheitsgrundrechte Im Rahmen der gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind Freiheitsgrundrechte insoweit relevant, als ihrer wertsetzenden Bedeutung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen ist. Jenseits dessen erwachsen aus den Freiheitsgrundrechten, insbesondere aus Art. 12 und 14 GG3, Obergrenzen für die steuerliche Individualbelastung. Diese freiheitsgrundrechtlich vorgegebenen steuerlichen Belastungsgrenzen können überschritten sein, auch wenn die Anforderungen der Besteuerungsgleichheit gewahrt sind. Ausgangspunkt eines etwaigen freiheitsgrundrechtlichen Schutzes vor übermäßigen steuerlichen Belastungswirkungen ist der durch sie bewirkte Grundrechtseingriff; der Steuereingriff erfährt seine konkrete Gestalt im Steuertatbestand. Die Steuerwürdigkeitsentscheidung des

__________ 2 Vgl. auch Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, Köln 2001, S. 5; anders im Ansatz P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (7). 3 Zur direkten Steuer als Eigentumsbeeinträchtigung nunmehr deutlich BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97; vgl. Pezzer, Der Halbteilungsgrundsatz ist tot, und nun?, DB 2006, 912; krit. Wernsmann, Die Steuer als Eigentumsbeeinträchtigung, NJW 2006, 1169; vgl. zum Streitstand zur Frage eines Eigentumseingriffs via Besteuerung i. Ü. stellvertretend einerseits BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 (661), andererseits BVerfG, Urt. v. 8.4.1997 – 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (300); BVerfG, Beschl. v. 14.1.1987 – 1 BvR 1052/79, BVerfGE 74, 129 (148); BVerfG, Beschl. v. 19.10.1983 – 2 BvR 298/81, BVerfGE 65, 196 (209); BVerfG, Beschl. v. 21.6.1977 – 2 BvR 70, 361/75, BVerfGE 45, 272 (296); BVerfG, Beschl. v. 9.3.1971 – 2 BvR 326, 327, 341, 342, 343, 344, 345/69, BVerfGE 30, 250 (271 f.); im Überblick Depenheuer in v.Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 5. Aufl. 2005, Art. 14 GG Rz. 161 ff. m. w. N.

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Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern

Gesetzgebers orientiert sich nicht allein an der abstrakten Höhe des einem Steuerpflichtigen zufließenden oder in seinem Bestand vorhandenen Vermögens. Sie stellt maßgeblich auch auf die Grundlage dieses Zuflusses oder Bestandes ab. Hieran ist auch der freiheitsgrundrechtliche Schutz vor dem Steuerzugriff auszurichten. Maßgeblich ist insoweit etwa, inwieweit eine durch Art. 14 GG geschützte Art der Freiheitsbetätigung Steuergegenstand ist und so durch die Besteuerung beschränkt wird. 2. Eingriff durch Ertragsteuern und Verbrauchsteuern a) Ertragsteuern Die Besteuerung der Erträge, die ein Steuerpflichtiger durch den Einsatz seines Eigentums erzielt, greift in das Recht zur Eigentumsnutzung ein.4 Die Freiheit, ein Eigentumsobjekt zu nutzen, umfasst auch die Freiheit zur ertragbringenden Anlage. Objekt des Steuerzugriffs ist dabei die Nutzung vorhandenen Eigentums nach der Entscheidung des Eigentümers und zu seinem Nutzen.5 Der Zugriff auf das zu erwerbende Vermögen ist lediglich die Folge der Beschränkung der Eigentumsnutzung für Zwecke des Erwerbs. Das individuell erworbene, einem Einzelnen bereits zugeordnete Privateigentum wird gerade als Ergebnis der ertragsorientierten Freiheitsausübung besteuert. Zielobjekt des Steuerzugriffs ist die privatnützige Ertragserzielung. Parallel zur Ausrichtung der Nutzungsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG gerade auf eine ertragbringende Nutzung lassen sich auch im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG berufliche Tätigkeit und Erwerb nicht trennen.6 Zur Freiheit der Berufsausübung gehört die Erwerbschance.7 Der Steuergesetzgeber, der in das wirtschaftliche Ergebnis der beruflichen Tätigkeit eingreift, beeinträchtigt die

__________ 4 Papier in Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 18 Rz. 101; s. auch K. Vogel, Finanzverfassung und politisches Ermessen, Karlsruhe 1972, S. 36 ff.; K. Vogel, Lenkungsteuern und Eigentumsgarantie, BayVBl. 1980, 523 (525); P. Kirchhof in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 90; a. A. etwa Möstl, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung – Dargestellt am Beispiel der Vermögensteuer, Veräußerungsgewinnbesteuerung und Abgeltungssteuer, DStR 2003, 720 (725). 5 Vgl. auch Wittmann, Besteuerung des Markteinkommens – Grundlinien einer freiheitsschonenden Besteuerung, StuW 1993, 35 (41). 6 Zur Eigennützigkeit der Berufsfreiheit im Sinne einer Erwerbsfreiheit siehe stellvertretend BVerfG, Beschl. v. 17.7.1974 – 1 BvR 51, 160, 285/69, 1 BvL 16, 18, 26/72, BVerfGE 38, 61 (102); BVerfG, Beschl. v. 1.4.1971 – 1 BvL 22/67, BVerfGE 31, 8 (32); BVerfG, Beschl. v. 16.3.1971 – 1 BvR 52, 665, 667, 754/66, BVerfGE 30, 292 (335); BVerfG, Beschl. v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380 (383); BVerfG, Urt. v. 4.4.1967 – 1 BvR 84/65, BVerfGE 21, 261 (266); BVerfG, Urt. v. 11.6.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (397); Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Kommentar, Stand: Juni 2006, Art. 12 GG Rz. 20; Isensee in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 115 Rz. 245. 7 Isensee, Sozialversicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung, ZRP 1982, 137 (141).

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Freiheit zur Berufsausübung.8 Das BVerfG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung zwar ausgeführt, Steuergesetze seien nur dann an Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, wenn sie „infolge ihrer Gestaltung in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufs stehen und – objektiv – eine berufsregelnde Tendenz deutlich erkennen lassen“9. Hieran soll es – vorbehaltlich der Fälle einer Erdrosselung – bei allgemeinen Steuergesetzen, insbesondere auch des Einkommensteuerrechts10, „in aller Regel“ fehlen. Begründet wird dies damit, dass diese „Normen mit einem unspezifischen Adressatenkreis ohne unmittelbare Beziehung zu einem Beruf an generelle Merkmale wie Gewinn, Ertrag, Umsatz oder Vermögen“ anknüpfen.11 Dabei erscheint aber schon die Eingriffsvoraussetzung einer berufsregelnden Tendenz problematisch, soweit damit für einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG – abweichend von den allgemeinen grundrechtsdogmatischen Grundsätzen – mehr als eine Beeinträchtigung der beruflichen Betätigung verlangt werden soll.12 Maßgeblich abzustellen ist auch sub specie Art. 12 GG auf den sozialen Sinn einer eingreifenden Maßnahme. Insoweit weist der Steuerzugriff auf die Einnahmeerzielung via Berufsausübung durchaus eine objektiv berufsregelnde Tendenz auf, erfährt die Berufsausübung doch in den durch sie erzielten Einnahmen – neben der beruflichen Entfaltung – ihren wesentlichen Sinn. Gerade diese Einnahmen werden zum Teil abgeschöpft.

__________ 8 Vgl. auch Papier in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Kommentar, Stand: Juni 2006, Art. 14 GG Rz. 169; Bodenheim, Der Zweck der Steuer, Baden-Baden 1979, S. 284 f.; Birk, Steuerrecht und Verfassungsrecht – Eine Analyse ausgewählter Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs zu verfassungsrechtlichen Grenzen der Besteuerung, DV 2002, 91 (104); s. weiter F. Kirchhof, Der Weg zur verfassungsgerechten Besteuerung – Bestand, Fortschritt, Zukunft, StuW 2002, 185 (193); Friauf in Friauf (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht (DStJG Bd. 12), Köln 1989, S. 3, 26; BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 83/74, 183/75, 428/75, BVerfGE 47, 34 (38 f.) – Sondervotum Simon; P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (22 f.); P. Kirchhof, 57. DJT 1988, Gutachten, F 16; Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Kommentar, Stand: Juni 2006, Art. 12 GG Rz. 415; Papier, Die Beeinträchtigung der Eigentums- und Berufsfreiheit durch Steuern vom Einkommen und Vermögen, Der Staat Bd. 11, 1972, S. 483, 492 ff.; vgl. auch Herzog, Leitlinien und Entwicklungstendenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Steuerfragen, StbJb. 1985/86, S. 27, 30; a. A. v. Arnim, Besteuerung und Eigentum, VVDStRL Bd. 39, 1981, S. 286, 309 f. 9 BVerfG, Beschl. v. 30.10.1961 – 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181 (186); BVerfG, Urt. v. 22.3.1963 – 1 BvR 78/56, BVerfGE 16, 147 (162); BVerfG, Beschl. v. 12.10.1976 – 1 BvR 197/73, BVerfGE 42, 374 (384); BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 83/74, 183/75, 428/75, BVerfGE 47, 1 (21); BVerfG, Urt. v. 10.12.1980 – 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (297 ff.); BVerfG, Beschl. v. 29.11.1989 – 1 BvR 1402, 1528/87, BVerfGE 81, 108 (121); BVerfG, Urt. v. 8.4.1997 – 1 BvR 48/94, BVerfGE 95, 267 (302). 10 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 83/74, 183/75, 428/75, BVerfGE 47, 1 (21). 11 BVerfG, Beschl. v. 11.10.1977 – 1 BvR 343/73, 83/74, 183/75, 428/75, BVerfGE 47, 1 (21 f.). 12 Stellvertretend Manssen in v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 5. Aufl. 2005, Art. 12 GG Rz. 73 ff.; Breuer in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 148 Rz. 29 ff.

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Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern

Der freiheitsgrundrechtlich relevante Steuereingriff durch eine Ertragsteuer besteht im einzelnen tatbestandlichen Steuerzugriff auf eine ertragsorientierte Eigentumsnutzung13 bzw. Arbeitsleistung, nicht nur in der Begründung einer abstrakten Geldschuld. Mit der Besteuerung von Einkommen greift der Steuergesetzgeber auf das Ergebnis der Einkommenserzielung zu. Belastet wird der Steuerpflichtige, der in der tatbestandlich vorgegebenen Weise durch wirtschaftliche Ertragserzielung am Markt Einkommen erwirtschaftet. Die geltende Besteuerung von Einkommen ist Ertragsbesteuerung im Sinne einer steuerlichen Abschöpfung des Ergebnisses wirtschaftlicher Ertragserzielung am Markt. Belastungsgrund von Einkommen- und Körperschaftsteuer ist das Erzielen konkreter Einkünfte. Die Erwerbshandlung und ihr Erfolg bestimmen den Steuertatbestand. Steuerbar sind zwar die Einkünfte als das Ergebnis von Erwerbstätigkeit verschiedener Art, nicht die Erwerbstätigkeit selbst. Insoweit ist es sachgerecht, auf einfachgesetzlicher Ebene den Gegenstand von Einkommen- und Körperschaftsteuer im Einkommen zu sehen. Der Einkommensteuertatbestand setzt aber Zielgerichtetheit voraus. Der bloße Vermögenszuwachs begründet noch keine Einkommensteuerbarkeit. Die Einkommensteuer greift zu, weil die Ausübung wirtschaftlicher Freiheit erfolgreich war. Sie belastet die Effektivität wirtschaftlichen Handelns und damit die Freiheit wirtschaftlicher Ertragserzielung. Aus freiheitsgrundrechtlicher Sicht ist steuerliches Eingriffsziel die – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit begründende – privatwirtschaftliche Ertragserzielung. b) Verbrauchsteuern Verbrauchsteuern sind Warensteuern, die den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter belasten.14 Typisch für die Verbrauchsteuer ist ihre individuelle Vermeidbarkeit durch das Verhalten des Verbrauchers. Dabei ist die Umsatzsteuer, hinsichtlich ihrer Wirkung allgemeine Verbrauchsteuer15, gesetzestechnisch als

__________ 13 Anders der Ansatz P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (10). 14 BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991/95, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (123 f.); BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994 – 8 N 1.93, BVerwGE 96, 272 (281); BT-Drucks. 2/480, 107. 15 Tipke, Über Umsatzsteuer-Gerechtigkeit, StuW 1992, 103 (108); Stern, Staatsrecht, Bd. II., 1980, S. 1154; Jakob, Umsatzsteuer, 3. Aufl. 2005, § 1 Rz. 11; Reiß in Tipke/ Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 14 Rz. 1 Fn. 2 – m. w. N. zum Streitstand; Söhn in Festschrift v. Wallis, Bonn 1985, S. 439 (444); Söhn, Die Umsatzsteuer als Verkehrsteuer und/oder Verbrauchsteuer, StuW 1975, 1; a. A. (Verkehrsteuer) BFH, Beschl. v. 9.3.1989 – V B 48/88, BStBl. II 1989, 580 (582); BFH, Beschl. v. 16.10.1986 – V B 64/86, BStBl. II 1987, 95 (96); BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994 – 8 N 1.93, BVerwGE 96, 272 (286) – „zumindest … im Schnittpunkt zwischen Verkehrs- und Verbrauchsteuer“; im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 4.2.1958 – 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244 (260); ebenso etwa K. Vogel/Walter in Dolzer/K. Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 106 GG Rz. 248. – Das Grundgesetz klassifiziert die Umsatzsteuer sowohl als Verbrauchsteuer als auch als Verkehrsteuer (Art. 106 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. Art. 106 Abs. 3 GG).

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Verkehrssteuer ausgestaltet – mit einem wertbezogenen Steuermaßstab.16 Neben sie treten als besondere Verbrauchsteuern insbesondere Mineralöl-, Strom-, Tabak-, Kaffee- sowie verschiedene Alkoholsteuern17, auf kommunaler Ebene örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern18 – mit regelmäßig mengenbezogenen Bemessungsmaßstäben.19 Eingriffsziel der allgemeinen wie der besonderen Verbrauchsteuern ist das freie Konsumverhalten des Einzelnen jenseits seiner wirtschaftlichen Ertragserzielung. Verbrauchsteuern belasten den Privatkonsum.20 Steuerträger ist der Endverbraucher21, Steuerschuldner bei der Umsatzsteuer der Unternehmer, bei den besonderen Verbrauchsteuern der Hersteller bzw. derjenige, der das verbrauchsfähige Gut in den Verkehr bringt.22 Der Zeitpunkt der Besteuerung wird auf die den Verbrauch ermöglichenden Verkehrsakte vorverlagert.23 Der Endverbraucher wird durch Überwälzung der Steuer bei der Einkommensverwendung belastet. Dass diese Überwälzung dem Unternehmer nicht immer (vollständig) gelingt, ist für die Einordnung einer Steuer als Verbrauchsteuer insoweit unerheblich, als die Überwälzung lediglich dem Typus der Verbrauchsteuer als indirekte Steuer entsprechen muss.24 Unternehmer können einerseits dann mit der Steuer belastet sein, wenn die vorgesehene Überwälzung – vor allem aus Wettbewerbsgründen – misslingt. Andererseits wird zum Teil auch der unternehmerische Verbrauch selbst besteuert: So belastet etwa die Stromsteuer nicht nur den privaten Stromverbrauch des Endverbrauchers, sondern zum Teil auch den im Unternehmen (§ 5, § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 1 StromStG).25 Gesetzgeberisches Ziel der sog. ökologischen Steuerreform26 war es, den Einsatz des Produktionsfaktors „Energie“ zu verteuern.27 Dem Typus der Verbrauchsteuer als wettbewerbsneutraler

__________ 16 BVerfG, Urt. v. 16.12.1997 – 2 BvR 1991/95, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (125). 17 Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 3 BierStG, § 130 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG, § 1 Satz 2 KaffeeStG, § 1 Abs. 1 Satz 3 MinöStG, § 1 Abs. 1 Satz 3, § 23 Abs. 1 Satz 2 SchaumwZwStG, § 1 Satz 3 TabStG, § 1 Abs. 1 Satz 3 StromStG. 18 Vgl. dazu Jachmann in v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 5. Aufl. 2005, Art. 105 GG Rz. 55 ff. 19 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.8.1994 – 8 N 1.93, BVerwGE 96, 272 (281). 20 BVerfG, Beschl. v. 6.12.1983 – 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (345). 21 BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124) m. w. N.; BVerfG, Beschl. v. 28.1.1970 – 1 BvL 4/67, BVerfGE 27, 375 (384); BFH, Urt. v. 26.6.1984 – VII R 60/83, BFHE 141, 369, (375); BT-Drucks. 2/480, 107; D. Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997, S. 123; zur Umsatzsteuer s. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 982; Birk, Steuerrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2006, Rz. 90. 22 Krit. insoweit Hidien in Dolzer/K. Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 106 GG Rz. 1411; D. Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997, S. 124; Förster, Die Verbrauchsteuern, Heidelberg 1989, S. 74. 23 Birk, Steuerrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2006, Rz. 89 f. 24 BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124). 25 Sog. Produktionssteuer oder Faktoreinsatzsteuer. 26 Mit dem Gesetz zum Einstieg in die ökologische Steuerreform v. 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 378) wurde die Stromsteuer eingeführt und die Mineralölsteuer erhöht. 27 BT-Drucks. 14/40, 1 f.; BR-Drucks. 474/99, 1.

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Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern

Privatkonsumsteuer28 entspricht dies insoweit, als das besteuerte Gut durch Verarbeitung in ein Produkt eingeht, das seinerseits Gegenstand des privaten Konsums ist.29 Die Verbrauchsteuer findet jedoch ihre begriffliche Grenze dort, wo eine Steuer nicht mehr typische Konsumgüter erfasst und maßgeblich durch ihre unternehmenssteuerlichen, den Wettbewerb beeinflussenden Wirkungen geprägt ist.30 Dass auch der Hersteller zugleich primärer Konsument des besteuerten Guts sein kann, ändert nichts daran, dass es zum Wesen der Verbrauchsteuer gehört, dass grundsätzlich Steuerschuldner nicht der Letztverbraucher ist.31 Die grundrechtsdogmatische Einordnung der Verbrauchsteuer hat bei dem dem Steuergesetz entsprechenden sozialen Eingriffsinn anzusetzen. Belastet wird danach der Endverbraucher in seiner Konsumfreiheit, verstanden als allgemeine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Konsumenten. Dieser Steuereingriff erfolgt im System der indirekten Steuer freilich weniger unmittelbar als bei der direkten Ertragsbesteuerung die Belastung der wirtschaftlichen Ertragserzielung. Die grundrechtliche Eingriffsqualität der indirekten Steuer ergibt sich aus der staatlichen Veranlassung bzw. Herausforderung der Übertragung der Steuerlast durch den Steuerpflichtigen auf den Endverbraucher. Diese hoheitliche Beschränkung der Kaufkraft ist bei Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten.32 Sie manifestiert sich, auch wenn man auf die Nutzung von Geldvermögen als Eigentumsobjekt für den Erwerb von Gütern bzw. Dienstleistungen abstellen wollte, nicht in einem für die Annahme eines Eigentumseingriffs hinreichenden konkreten Eigentumsgegenstand. Steuergegenstand der Umsatzsteuer ist zwar die entgeltliche Leistung des Unternehmers (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und damit eine Betätigung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 14 Abs. 1 GG (Gewerbebetrieb). Soweit jedoch ein Vorsteuerabzug erfolgt und entsprechend dem Steuertypus der Verbrauchsteuer von einer Überwälzung auf den Endverbraucher auszugehen ist, fehlt es an einer grundrechtlich relevanten Belastung des Unternehmers. Eine solche liegt andererseits vor, soweit ein Verbrauch im Unternehmen besteuert wird.

__________ 28 J. Lang in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 115, 137. 29 Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Verkehrsgewerbe, Köln 2000, S. 30 m. w. N. 30 Vgl. Jachmann in v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 5. Aufl., 2005, Art. 105 GG Rz. 55 f.; J. Lang in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 115, 137; Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Verkehrsgewerbe, Köln 2000, S. 33. 31 A. A. BFH, Urt. v. 26.6.1984 – VII R 60/83, BFHE 141, 369 (375); Lechelt, Bundesgesetzliche Verbrauchsteuern, NWB Fach 14, S. 215. 32 A. A. P. Kirchhof, der etwa auf Art. 14 Abs. 1 GG abstellt, vgl. etwa P. Kirchhof in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 101.

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IV. Zur Rechtfertigung der Regelbesteuerung 1. Ertragsteuern und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Besteuerungsgleichheit ist proportionale Gleichheit. Sie bedarf als solche der Wertekonkretisierung. Maßgebliche Direktive hierfür ist insbesondere das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG).33 Die sozialstaatliche Einbindung des Einzelnen in die staatliche Allgemeinheit verlangt eine Staatsfinanzierung durch den zahlungsfähigen Einzelnen.34 Hierin spiegelt sich die qualitativ gleiche Verantwortung aller Staatsbürger für das Gemeinwohl wider.35 Der höheren Leistungsfähigkeit korrespondiert im Sozialstaat eine höhere soziale Verantwortung.36 Gleiche Besteuerung meint danach nummerisch unterschiedliche Besteuerung nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Das traditionell anerkannte Leistungsfähigkeitsprinzip ist insoweit verfassungsrechtlich fundiert. Es fungiert als Maßstab für die steuerliche Belastungsgleichheit und gebietet eine Bemessung der Steuer nach der Fähigkeit, Steuern, d. h. Geldzahlungen, zu erbringen. Gleicher wirtschaftlicher Erfolg ist gleich zu belasten. Dieser Erfolg wird in einer Steigerung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gemessen, die mit der Höhe des sog. disponiblen Einkommens wächst.

__________ 33 BVerfG, Beschl. v. 17.10.1984 – 1 BvR 527/80, 528/81 und 441/82, BVerfGE 68, 143 (152); BVerfG, Urt. v. 3.11.1982 – 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79 und 363/80, BVerfGE 61, 319 (343 f.); BVerfG, Beschl. v. 9.2.1972 – 1 BvL 16/69, BVerfGE 32, 333 (339); Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., Köln 2000, S. 402 f.; Benda in Benda/Maihofer/Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 17 Rz. 170; P. Kirchhof in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 127; Birk, Zum Stand der Theoriediskussion in der Steuerrechtswissenschaft, StuW 1983, 293 (295); Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, Köln 1983, S. 161 ff. Vgl. auch Martens, Grundrecht auf Steuergerechtigkeit?, KritV 1987, 39 (55 ff.); zum Sozialstaatsprinzip Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter A I 2 b aa, A II 2. 34 P. Kirchhof in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 46 – am Ende; vgl. auch J. Lang, Verantwortung der Rechtswissenschaft für das Steuerrecht, StuW 1989, 201 (209). 35 Vgl. Isensee in Festschrift H. P. Ipsen, 1977, S. 409 (430); Walz, 53. DJT 1980, Gutachten, F 40 – mit dem zutreffenden Hinweis, dass sich das sog. Leistungsfähigkeitsprinzip juristisch als gemeinschaftsbezogene staatsbürgerliche Pflicht erschließt; Wendt, Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, DÖV 1988, 710 (715); allg. zur Gemeinwohlverantwortung des Bürgers als Verfassungserwartung Isensee in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 2. Aufl. 2000, § 115 Rz. 163. Die Freiheit des Einzelnen wird durch die das Menschenbild des Grundgesetzes prägende Gemeinschaftsgebundenheit (BVerfG, Urt. v. 20.7.1954 – 1 BvR 459, 484, 548, 555, 623, 651, 748, 783, 801/52, 5, 9/53, 96, 114/54, BVerfGE 4, 7 [15 f.]) im Sinne einer gegenseitigen Verantwortung zur Sicherstellung und Förderung des sozialen Zusammenlebens bestimmt und begrenzt. 36 Vgl. Birk, StuW 1983, 293 (295, 298).

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2. Verbrauchsteuern a) Abschöpfung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit Nach traditioneller Sichtweise belasten Verbrauchsteuern den Privatkonsum als Indikator von Zahlungsfähigkeit.37 Darüber hinaus werden besonderen Verbrauchsteuern diverse Lenkungszwecke beigemessen. Soll eine Verbrauchsteuer die im Verbrauch zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Potenz abschöpfen, liegt auch eine gleichheitsrechtliche Rechtfertigung der Verbrauchsteuer nach Maßgabe der im Verbrauch indizierten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen nahe.38 Ob aber das sog. Leistungsfähigkeitsprinzip taugliches tertium comparationis der Besteuerungsgleichheit nur für den Bereich der direkten Steuern oder auch für den der indirekten Steuern ist, wird konträr diskutiert.39 Wenn das BVerfG das Leistungsfähigkeitsprinzip auf das „Gebiet“ des Steuerrechts bezieht40, spricht dies für eine Erstreckung auf das gesamte Gebiet der direkten und indirekten Steuern. Geht doch das Gericht davon aus, dass auch in der Einkommensverwendung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bürgers zum Ausdruck kommt.41 Angesichts ihrer strukturellen Überwälzung ist bei der Verbrauchsteuer der Zugriff auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerträgers zwar weniger stringent, wohl aber typisierend möglich.42 Durch die Umsatzsteuer soll die in einem Verbrauch zum Ausdruck kommende allgemeine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers abgeschöpft werden. Als Endverbrauchsteuer belastet sie den Nachfrager in seiner Kaufkraft, die aus seinem Einkommen oder Vermögen entstanden sein mag.43 Sie ist als Solidarbeitrag des Einzelnen zur Finanzierung der allgemeinen staat-

__________ 37 Vgl. BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124); D. Müller, Struktur, Entwicklung und Begriff der Verbrauchsteuern, Berlin 1997, S. 125 ff. m. w. N.; zur Krit. stellvertretend Beermann in Kruse (Hrsg.), Zölle, Verbrauchsteuern, europäisches Marktordnungsrecht (DStJG Bd. 11), Köln 1988, S. 283, 284 ff. 38 Vgl. BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124). 39 Vgl. insbes. BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (134 f.); zum Leistungsfähigkeitsprinzip und den Verbrauchs- und Aufwandsteuern s. Heun in Dreier (Hrsg.), Bd. I, 1996, Art. 3 GG Rz. 66; Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., Köln 2000, S. 508 f.; Jobs in Lange, Gesamtverantwortung statt Verantwortungsparzellierung im Umweltrecht, 1997, S. 273 (285); Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernorm, 1983, S. 240 ff.; P. Kirchhof, Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit, StuW 1985, 319 (324); zum Streitstand J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 85. 40 BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990 – 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60 (86). 41 BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (134). 42 Vgl. J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 85. 43 Vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, Stuttgart u. a. 2000, S. 156 f.; so auch P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (23).

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lichen Aufgabenerfüllung, d. h. als Ausdruck der Übernahme von Gemeinwohlverantwortung zu rechtfertigen.44 Die Sonderbelastung eines speziellen Verbrauchs durch besondere Verbrauchsteuern über die allgemeine Abschöpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durch Umsatz- und Einkommensteuer hinaus, d. h. die Zusatzbelastung des Konsumenten spezieller Güter jenseits der steuerlichen Abschöpfung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schon durch die Umsatzsteuer sowie die Ertragsbesteuerung erscheint nur gerechtfertigt, soweit in dem speziellen Konsum eine gesteigerte Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt. Durch den Verbrauch müsste eine besondere Leistungsfähigkeit indiziert werden. Insoweit erscheint die Besteuerung beispielsweise von Kaffee durch eine besondere Verbrauchsteuer willkürlich45, da der Konsum von Kaffee keinen graduellen Unterschied zum Konsum von Tee oder Gewürzen aufweist. Mit dem Verbrauch von Strom, Tabak, Alkohol oder Kaffee wird – beurteilt aus der maßgeblichen Perspektive unseres gegenwärtigen Gemeinwesens – gerade ein Verbrauch des alltäglichen Lebens des Durchschnittsbürgers belastet. Die Annahme, darin komme eine gesteigerte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck – als Grundlage einer Rechtfertigung dieser Verbrauchsteuern als Fiskalzwecksteuern – erscheint fiktiv. Weil jedoch der Nicht-Leistungsfähige etwa der Tabak- und Alkoholsteuer ausweichen kann, wird die Übernahme der Steuer als Kennzeichen seiner besonderen Leistungsfähigkeit angesehen.46 Besteuerbar wären danach jedenfalls Güter jenseits des existenznotwendigen Bedarfs. Die genannte Argumentation läuft jedoch auf eine Gleichstellung von Zahlungskraft bzw. wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Steuerzahlung für die Beibehaltung eines speziellen Konsums hinaus. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mutiert zur Toleranz gegenüber Konsumverteuerung. Damit rückt der sachliche Hintergrund dieser Toleranz bzw. der korrespondierenden steuerlichen Konsumbelastung in den Blickwinkel der Steuerrechtfertigung. Ein ggf. verfolgter Lenkungszweck – Minderung des besteuerten Konsums – kann aber den Fiskalzweck auch einer besonderen Verbrauchsteuer – d. h. deren originäre Rechtfertigung als Regelbesteuerung – nicht tragen, sondern nur eine etwaige Abweichung von der gleichmäßigen Belastung des jeweiligen Verbrauchs. b) Korrelat nicht wahrgenommener Gemeinwohlverantwortung Setzt man jedoch bei der dem Leistungsfähigkeitsprinzip vorgreiflichen Gemeinwohlverantwortung an, eröffnet sich eine andere Rechtfertigungsperspektive für die Regelbesteuerung durch besondere Verbrauchsteuern. Der be-

__________ 44 A. A. P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (7) – der die Rechtfertigung in der Teilhabe des Einzelnen am Leistungsangebot der Rechtsgemeinschaft sieht. 45 Vgl. J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 16 Rz. 12 – willkürlich und nach ihrer faktischen Ergiebigkeit ausgewählt. 46 Vgl. Birk, 14. ÖJT, Bd. III/2, 2003, S. 53, 60.

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Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern

steuerte Konsum etwa von Tabak zeitigt in Gestalt der damit eingegangenen Gesundheitsrisiken47 für die Raucher wie die Passivraucher negative Effekte für die staatliche Allgemeinheit. Entsprechend kann die Heranziehung des Rauchers als Verursacher dieser negativen Effekte zur korrespondierenden Wahrnehmung seiner Gemeinwohlverantwortung via Steuerzahlung (als Regelbesteuerung) gerechtfertigt werden.48 Ein analoger Ansatz kann auch die systemimmanente Rechtfertigung sog. Öko-Steuern tragen. Unter Lenkungsaspekten erscheint eine ökologisch motivierte Regelbesteuerung durch Verbrauchsteuern schon insoweit schwer zu rechtfertigen, als die sog. Öko-Steuer der Gegenwart ihren festen Platz in der staatlichen Einnahmenplanung hat. Ein umweltschädliches, aber tolerables Verhalten soll lediglich verteuert, nicht unterbunden49, das Steueraufkommen nicht minimiert werden.50 So ist auch die Praxis sog. lenkender Steuergesetzgebung wenig geprägt von der zu fordernden klaren Abgrenzung der verfolgten ökologischen Ziele und der Evaluation der angestrebten Lenkungswirkungen.51 Auch jenseits dessen erscheint die mit der traditionellen Einordnung der sog. Öko-Steuern verbundene Rechtfertigung als Abweichung von einer gleichmäßigen Regelbesteuerung zur Verfolgung ökologischer Sachzwecke nur einen Teilausschnitt dessen abzudecken, was die politische Idee einer Ökologisierung des Steuersystems im grundlegenden Ansatz meint, nämlich die Besteue-

__________ 47 Vgl. dazu BGH, Urt. v. 25.11.1993 – I ZR 259/91, BGHZ 124, 230 (235). 48 Dies gilt insbesondere wegen der Einführung der Tabaksteuer als Luxusgütersteuer, vgl. dazu auch F. Kirchhof, Die Tauglichkeit von Abgaben zur Lenkung des Verhaltens, DVBl 2000, 1166 (1174 f.). 49 Söhn in Festschrift Stern, München 1997, S. 587, 590 m. w. N. 50 So wird in der Gesetzgebungspraxis ein durch Erreichen des Lenkungszwecks bedingter Aufkommensrückgang typischerweise durch eine höhere Besteuerung kompensiert. Zu denken ist etwa an die Mineralölsteuer, deren Aufkommen von 34 Mrd. DM im Jahre 1990 auf 42 Mrd. Euro im Jahre 2002 angewachsen ist, obwohl auch der ökologische Lenkungszweck im Sinne einer Energieeinsparung zumindest teilweise realisiert wurde. Durch technische Weiterentwicklungen im Kraftfahrzeugbereich wurde der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch gesenkt. Die Jahreskilometerfahrleistung im Personenverkehr sank von 1991 bis 2000 um 0,5 v. H. und der Kraftstoffverbrauch im gleichen Zeitraum um 2 v. H. Der Straßengüterverkehr nahm allerdings zu, vgl. UBA, Umweltdaten Deutschland, 2002, S. 16; BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Februar 2003, S. 29. Die Einnahmen aus der Mineralölsteuer stiegen seit 1990 von 6,3 v. H. auf 9,6 v. H. des Gesamtsteueraufkommens im Jahre 2002, während beispielsweise die Steuern vom Einkommen von 46,4 v. H. des Gesamtsteueraufkommens im Jahre 1990 auf ca. 39,7 v. H. im Jahre 2002 zurückgegangen sind, vgl. BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Februar 2003, S. 35. 51 Vgl. stellvertretend Rodi, Ökonomische, ökologische und andere öffentliche Zwecke im Abgabenrecht, JZ 2000, 827 (834) – Probleme bei der Feststellung von Wirkungen ergeben sich insbes. daraus, dass das individuelle Verhalten nicht nur durch die Besteuerung beeinflusst wird, sondern auch durch andere Faktoren, etwa die globalen Produktions- und Energiemärkte oder auch die Entwicklung energiesparender (z. B. Effizienzklasse A-Glühbirnen) oder energieintensiver (z. B. Stand-by-Schaltungen) Geräte.

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rung eines Vorgangs nach dessen Umweltschädlichkeit.52 Im Lichte der Steuersystematik besehen bedeutet dies, dass die originäre Öko-Steuer schon ihren Belastungsgrund in einer Gemeinwohlminderung findet. Leistungsfähigkeitsorientierte Steuern können nach herkömmlichem Verständnis zu umweltbezogenen Lenkungszwecken erhöht oder gesenkt werden.53 Diese steuersystematische Konstruktion stößt jedoch an ihre Grenzen, wo eine eigenständige Steuerart ihren Belastungsgrund in der Umweltschädlichkeit eines Vorgangs finden soll. Im Konzept einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommt die Besteuerung eines nicht wirtschaftskraftindizierenden Vorgangs nicht in Betracht. Dies gilt gerade für die Umweltinanspruchnahme bzw. -belastung.54 Denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als monetäre Belastbarkeit für das Allgemeinwohl wird durch sie gerade nicht typischerweise erhöht.55 Auch der etwaige Lenkungszweck einer Steuer kann deren Fiskalfunktion nicht rechtfertigen, geht es dabei doch um allgemeine Lastenzuteilung an die

__________ 52 Vgl. Jachmann in v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 4. Aufl. 1999, Art. 105 GG Rz. 56; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, Köln 2001, S. 109 ff.; Jachmann, Ökologie versus Leistungsfähigkeit – Gilt es neue Wege in der Steuerrechtfertigung zu gehen?, StuW 2000, 239 (241). 53 Stellvertretend P. Kirchhof in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 3, 23, 31; Müller-Franken, Forum – Verfassungs- und europarechtliche Fragen der Einführung nationaler Öko-Steuern, JuS 1997, 872 (875). Vgl. dazu auch Selmer in Breuer/Kloepfer/Marburger/Schröder (Hrsg.), Umweltschutz durch Abgaben und Steuern, UTR Bd. 16, 1992, S. 15, 30 ff.; zu speziellen gleichheitsrechtlichen Problemen der aktuell geltenden sog. ÖkoSteuer (Mineralölsteuergesetz und Stromsteuergesetz), deren Behandlung jedoch den Rahmen vorliegender Untersuchung sprengen würde, Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Hrsg.), Ökosteuer und Grundgesetz, Wiesbaden Juni 2003, S. 4 f., 20 ff., 29 ff. – m. w. N. zum Streitstand. 54 Selmer, Sonderabfallabgaben und Verfassungsrecht, Berlin 1996, S. 76; P. Kirchhof in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 3, 22 f.; Trzaskalik, Der instrumentelle Einsatz von Abgaben, StuW 1992, 135 (141); Köck, Umweltsteuern als Verfassungsproblem, JZ 1991, 692 (697); a. A. Osterloh, „Öko-Steuern“ und verfassungsrechtlicher Steuerbegriff, NVwZ 1991, 823 (826). 55 Vgl. Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Verkehrsgewerbe, Köln 2000, S. 27; Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, Lohmar u. a. 1997, S. 160 ff.; Stenger, Das Steuerrecht als Instrument des Umweltschutzes, Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 182 ff., 186 f.; P. Kirchhof in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 3, 22 f.; Arndt, Energiesteuer und Grundrechte, ZRP 1996, 176 (181); Kloepfer/Thull, Rechtsprobleme einer CO2-Abgabe, DVBl. 1992, 195 (199); Trzaskalik, Der instrumentelle Einsatz von Abgaben, StuW 1992, 135 (141); zusammenfassend, jedoch krit. Söhn in Festschrift Stern, München 1997, S. 587, 591 ff.; a. A. Gawel, Umweltabgaben zwischen Steuer- und Gebührenlösung, Baden-Baden 1999, S. 92 – „Umweltleistungsfähigkeit“; Gawel, Umweltlenkungssteuern und Leistungsfähigkeitsprinzip, StuW 1999, 374 (378 ff.); gegen die Anwendbarkeit des Leistungsfähigkeitsprinzips auf Umweltabgaben: Selmer, Sonderabfallabgaben und Verfassungsrecht, Berlin 1996, S. 30 m. w. N.; Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, Berlin 1986, S. 159; Köck, Umweltsteuern als Verfassungsproblem, JZ 1991, 692 (697).

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Kumulation von Ertragsteuern und (besonderen) Verbrauchsteuern

Mitglieder der staatlich verfassten Gemeinschaft entsprechend deren individueller Gemeinwohlverantwortung, erwachsend aus der Allgemeinbeziehung von Bürger und Staat. Insoweit impliziert jedoch die Erkenntnis, dass die Zukunft von Staat und Gesellschaft der Gegenwart in der Nachhaltigkeit ihrer Entwicklung liegt, auch eine grundsätzliche Akzeptanz gegenüber einer begrenzten ökologischen Ausrichtung der Besteuerung – und dies nicht als das System der Regelbesteuerung durchlöchernde, grundsätzlich abzulehnende56, Lenkung – sondern als Ausdruck der Regelbesteuerung. Die Wahrung des Guts einer nachhaltig gesunden Umwelt57 liegt in der Verantwortung jedes Mitglieds der staatlich verfassten Gemeinschaft. Diese Verantwortung ist – vergleichbar der sozialstaatlichen – Ausdruck der (Jedermann-)Beziehung des Einzelnen zum Staat, verstanden als allgemeiner Verantwortungsstatus jedes Bürgers. Es geht dabei um eine originäre Verantwortung, im Ansatz unabhängig von der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund wäre die Wertekonkretisierung der proportionalen Besteuerungsgleichheit nach Maßgabe des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) zu ergänzen durch das Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG). So würde der elementaren Bedeutung einer nachhaltig gesicherten Umwelt für die Lebensfähigkeit der grundgesetzlich verfassten staatlichen Gemeinschaft Rechnung getragen. Zwar impliziert das Wesen der Steuer als Mittel zur Erzielung staatlicher Einnahmen, dass steuerbar nur Sachverhalte sein können, die typischerweise abschöpfbare Finanzkraft vermuten lassen. Insoweit kann steuerbar nur ein Zahlungsfähigkeit indizierender Sachverhalt sein.58 Jede Steuer muss – so die Terminologie des BVerfG59 – eine Quelle steuerlicher Belastbarkeit ausschöpfen. Diese „Quelle steuerlicher Belastbarkeit“ macht aber noch nicht (allein) den sog. Belastungsgrund einer Steuer aus. Dieser ist vielmehr untrennbar verbunden mit der gleichheitsrechtlichen Steuerrechtfertigung. Wenn zutreffend geltend gemacht wird, nichtfiskalische Zwecke könnten nicht zum Austausch des Belastungsgrundes führen60, weil die Steuer dort

__________ 56 Jachmann, Wider das Steuerchaos, Stuttgart u. a. 1998, S. 24; Boss/Rosenschon, Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland, Kiel 1997, S. 46; Birk, 14. ÖJT, Bd. III/2, 2000, S. 53, 58. 57 Dieses Gut umfasst alle natürlichen Umweltmedien wie z. B. Luft, Wasser, Boden, Atmosphäre, die natürlichen Energieflüsse, den natürlichen Stoffhaushalt, alle biotischen und abiotischen Faktoren einschließlich dem Menschen als Teil der natürlichen Lebensgemeinschaft, vgl. dazu Kalusche, Ökologie – ein Lernbuch, 3. Aufl., Wiesbaden 1999, S. 6; Umweltprogramm der Bundesregierung aus dem Jahre 1971, BT-Drucks. 6/2710, 6. 58 Stellvertretend Selmer/Brodersen, Die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts, DVBl. 2000, 1153 (1159) m. w. N. 59 BVerfG, Urt. v. 7.5.1998 – 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124). 60 Stellvertretend Trzaskalik, Der instrumentelle Einsatz von Abgaben, StuW 1992, 135 (140 f.); zum Meinungsstand Selmer/Brodersen, Die Verfolgung ökonomischer, ökologischer und anderer öffentlicher Zwecke durch Instrumente des Abgabenrechts, DVBl. 2000, 1153 (1159) m. w. N.

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zugreife, wo Zahlungsfähigkeit bestehe oder vermutet werden dürfe61, so ist damit zwar das Wesen jeder Steuer beschrieben62, nicht aber auch hinreichend der jeweilige steuerliche Belastungsgrund, in dem die spezifische Belastungswürdigkeit einer grundsätzlich indizierten Zahlungsfähigkeit zum Ausdruck kommt und aus dem sich der Maßstab für die relative Besteuerungsgleichheit ergibt. Diese Differenzierung ist unerheblich, solange man auch die grundlegende Steuerrechtfertigung allein auf die Zahlungsfähigkeit stützt. Die Orientierung auch der Belastungsgleichheit an der finanziellen Belastbarkeit eines Umweltstörers63 bedeutet jedoch mehr als die zwangsläufige Anknüpfung einer Steuer an einen Sachverhalt, bei dessen Vorliegen Zahlungsfähigkeit vermutet werden kann. Auch eine Öko-Steuer kann nicht an die bloße Umweltbelastung anknüpfen, sondern immer nur an die durch einen umweltschädlichen Verbrauch indizierte Zahlungsfähigkeit. Die Indikation von Zahlungsfähigkeit als notwendige Bedingung jeglichen Steuerzugriffs bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass auch die grundsätzliche Rechtfertigung der Steuererhebung und – in der Konsequenz – die relative Belastungsgleichheit ausnahmslos an der relativen Zahlungsfähigkeit bzw. finanziellen Belastbarkeit auszurichten wäre. Finanzielle Belastbarkeit meint insoweit nur, dass die Steuer ohne sie ins Leere griffe; sie ist nicht zugleich zwangsläufig tertium comparationis der Besteuerungsgleichheit. Dieses tertium comparationis ist bei der originären Öko-Steuer in der Wahrnehmung von Umweltverantwortung zu sehen. Während aber Leistungsfähigkeit positiv durch Erwerb oder Verbrauch indiziert wird, zeigt ein umweltschädlicher Verbrauch nur negativ ein Stück „Nicht-Wahrnehmung“ von Umweltverantwortung auf. Eine originär ökologische Steuerrechtfertigung hat sich damit – im Sinne einer Generaläquivalenz64 – auf eine typisierend gruppenbezogene Umweltverantwortung zu beziehen.65 Die Möglichkeit der Übernahme von Mitverantwortung für das Gemeinwohl bestimmt sich im sozialen Rechtsstaat grundsätzlich nach der freiheitlich erworbenen Zahlungsfähigkeit. Wie die soziale Sicherung gehört aber auch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen zu den elementaren, die staatliche Allgemeinheit betreffenden Aufgaben.66 Die relative Entlastung des weniger Zahlungskräftigen aus der Mitverantwortung gerade für die Umwelt ist insoweit nicht zwingend, als etwa der sparsame Umgang mit Energie auch von ihm verlangt werden kann. Die individuellen Möglichkeiten einer freiheit-

__________ 61 P. Kirchhof in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 3, 21. 62 So zutreffend Arndt, Rechtsfragen einer deutschen CO2-/Energiesteuer entwickelt am Beispiel des DIW-Vorschlages, Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 46 f. 63 Vgl. zur Begrifflichkeit P. Kirchhof in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgabenund Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 3, 23. 64 Vgl. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., Köln 2002, S. 476; zust. J. Lang, Entwurf eines Steuergesetzbuchs, Bonn 1993, Rz. 748. 65 J. Lang, Entwurf eines Steuergesetzbuchs, Bonn 1993, Rz. 749. 66 Vgl. stellvertretend J. Lang in Kirchhof (Hrsg.), Umweltschutz im Abgaben- und Steuerrecht (DStJG Bd. 15), Köln 1993, S. 115, 117.

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lichen Wahrnehmung von Umweltverantwortung verlaufen nicht parallel mit der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die originäre Rechtfertigung einer Steuer aus nicht wahrgenommener Umweltverantwortung kommt insoweit in Betracht, als der Freikauf von dieser Wahrnehmung von Umweltverantwortung durch den Leistungsfähigen akzeptiert werden kann, aber gleichzeitig der mittelbare steuerliche Zwang zur Umweltschonung für den weniger Leistungsfähigen nicht dessen individuelle Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt. Dass auf diesem Wege Steuerpflichtige mit geringerem Einkommen wegen gleichen Konsums zu den Staatseinnahmen dasselbe beitragen wie Bezieher höherer Einkommen, bedeutet – gerechtfertigt aus der gleichen Umweltverantwortung für das Allgemeinwohl – noch keine Verletzung der relativen Besteuerungsgleichheit. Das ökologische Prinzip überlagert insoweit das Leistungsfähigkeitsprinzip. Steuerliche Belastungsgrenze ist jedoch das von der Besteuerung freizustellende Existenzminimum.67 Angesichts des Vorrangs der Selbsthilfe vor staatlicher Unterstützung darf auch die steuerlichen Belastung nach Maßgabe der Umweltverantwortung des Einzelnen nicht dazu führen, dass der Steuerpflichtige zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs auf staatliche Sozialleistungen angewiesen ist. Eine existenznotwendige Umweltinanspruchnahme dürfte nicht in einer Weise belastet werden, dass sie nur noch besonders zahlungskräftigen Bürgern möglich wäre, wobei die Abgrenzung des Bereichs des indisponiblen Konsums der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers obliegt. Eine analoge Rechtfertigungsproblematik wie bei der besonderen Verbrauchsteuer ergibt sich bei der Aufwandsteuer als Abschöpfung besonderer Leistungsfähigkeit dann, wenn nicht ein Aufwand belastet wird, der typisierend als Indikator besonderer Leistungsfähigkeit verstanden werden kann, sondern ein Aufwand, der der allgemeinen Lebensführung des Durchschnittsbürgers zugeordnet werden muss. Zu denken ist insoweit etwa an das Halten eines Hundes. Die Rechtfertigung der Hundesteuer als Fiskalzwecksteuer aus der Indikation besonderer Leistungsfähigkeit kann insoweit schwerlich gelingen. Analog der Rechtfertigung besonderer Verbrauchsteuern ist jedoch zu fragen, ob die Hundesteuer ihrer Intention nach tatsächlich besondere Leistungsfähigkeit abschöpfen oder vielmehr denjenigen, der das besteuernde kommunale Gemeinwesen mit den typischen nachteiligen externen Effekten der Hundehaltung belastet, zu einer korrespondierenden Gemeinwohlverantwortung heranziehen soll. Nur aus letztgenannter Perspektive kann die Hundesteuer als Fiskalzwecksteuer gerechtfertigt sein.

V. Zur Relation von Ertrag- und Verbrauchsteuern zueinander Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit zur Abstimmung von Ertragsteuern und Verbrauchsteuern bestünde, soweit die durch sie hervorgerufenen Belas-

__________ 67 Vgl. dazu Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter B II und F I 2.

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tungswirkungen als Grundrechtseingriffe zu addieren wären. Die Addition der Belastungswirkungen verschiedener Steuern als Addition von Grundrechtseingriffen ist geboten, soweit die Belastungswirkungen der jeweiligen Steuern im Hinblick auf einen bestimmten verfassungsrechtlichen Maßstab denselben sozialen Belastungssinn haben.68 Sie kommt zum einen als Grundlage für die Verhältnismäßigkeitsprüfung steuerlicher Freiheitseingriffe in Betracht. Zum anderen beeinflusst sie insoweit die Besteuerungsgleichheit, als die Summe aller zu addierenden Steuerbelastungen eines Steuerpflichtigen in Relation zur gleichgerichteten Belastung anderer Steuerpflichtiger zu setzen ist.69 Ist eine ertragsteuerliche Belastungswirkung im dargelegten Sinn als Eingriff in Art. 12 bzw. 14 GG fassbar, so ist nach dessen Verhältnismäßigkeit zu fragen. Die Frage nach einer freiheitsgrundrechtlichen Deckelung der individuellen Steuerlast jenseits des durch Erdrosselung und Konfiskation abgesteckten Bereichs führt zu Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG70, wonach Eigentumsgebrauch und Allgemeinwohl in angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Einen Maßstab für die Wertigkeit von Eigentumsgebrauch und Allgemeinwohl im Rahmen der gebotenen Abwägung liefert Art. 14 Abs. 2 Satz 2 GG zunächst nicht. Insoweit erlangt das Subsidiaritätsprinzip zugunsten eines Primats der individuellen Selbstverantwortung bzw. Privatinitiative entscheidende Bedeutung.71 Es führt zu einem abstrakten Vorrang der Privatnützigkeit des Eigentums vor einer Verwendung zur Finanzierung staatlichen Handelns. Die so beschriebene Obergrenze der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist Ausdruck eines grundsätzlichen Vorrangs der Privatnützigkeit privatwirtschaftlichen Handelns. Dieser Vorrang der Privatnützigkeit privatwirtschaftlichen Handelns gilt aber nicht nur für die ertragsorientierte Eigentumsnutzung. Er erfasst in gleicher Weise die erwerbende Berufsausübung.72 Ist Leistungseigentum primär privatnützig, dann notwendig auch seine Erzielung.73

__________ 68 Vgl. Lücke, Der additive Grundrechtseingriff sowie das Verbot der übermäßigen Gesamtbelastung des Bürgers, DVBl. 2001, 1469 (1475). 69 Letzteres ist etwa relevant für die Beurteilung der Gewerbesteuer in Relation zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, die vorliegend jedoch dahingestellt sei. 70 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655 (661). 71 Vgl. stellvertretend Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze der Besteuerung, FR 1999, 1280 (1284 ff.); Butzer, Der Halbteilungsgrundsatz und seine Ableitung aus dem Grundgesetz, StuW 1999, 227 (241); Jachmann, Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit – Belastungsgrenzen im Steuersystem, StuW 1996, 97 (104). 72 Vgl. allg. zur parallelen Bewertung der Beschränkbarkeit der Rechte aus Art. 12 und 14 GG BVerfG, Beschl. v. 29.11.1967 – 1 BvR 175/66, BVerfGE 22, 380 (386 f.); BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (334 f.); BVerfG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 BvF 1/91, DVBl. 1998, 394 (397); Depenheuer in v.Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. I, 5. Aufl. 2005, Art. 14 GG Rz. 99. 73 Zur Parallele der Verhältnismäßigkeitsprüfung von Eingriffen in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) und der Eigentumsnutzung (Art. 14 Abs. 1 GG) vgl. auch Gaßner/Dürschke, Schutz des Bürgers vor Überforderung in der Sozialversicherung, SGb 1998, 621 (626).

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Zunächst kann von Privatnützigkeit jedenfalls dann nicht mehr die Rede sein, wenn von dem für die eigene Lebensführung Erwirtschafteten der existenznotwendige Bedarf weggesteuert wird.74 Dabei ist – aus freiheitsgrundrechtlicher Sicht – der steuerlich zu belassende Individualbedarf deutlich höher anzusetzen als die Bedarfsgrenze, von der an Sozialhilfe gewährt wird.75 Die freiheitsgrundrechtliche Fundierung der Steuerfreiheit des individuellen Existenzminimums76 ist via Art. 6 I und II GG auf das Existenzminimum der Familie des Steuerpflichtigen auszudehnen.77 Zur Bestimmung der Belastung des steuerfrei zu belassenden Existenzminimums sind jedenfalls die in der Besteuerung der eigenen Arbeitsleistung sowie der Eigentumsnutzung zur Ertragserzielung liegenden Grundrechtseingriffe zu addieren. Dies ist im Hinblick auf die parallele Ausrichtung der grundrechtlichen Freiheiten aus Art. 12 und 14 GG auf eine primär privatnützige Ertragserzielung möglich und geboten. Der indirekten Besteuerung existenznotwendigen Konsums ist im Rahmen des gegenwärtigen Steuersystems grundsätzlich durch eine entsprechende Entlastung bei der Einkommensbesteuerung Rechnung zu tragen. Indirekte Konsumsteuern erhöhen das steuerlich freizustellende Existenzminimum. Sollte eine derartige Gewichtsverlagerung von der Ertrags- zur indirekten Konsumbesteuerung hin ergeben, dass das steuerliche Existenzminimum durch die Freistellung von der Einkommensbesteuerung typischerweise nicht mehr gesichert wäre, wäre dies im Rahmen der indirekten Konsumbesteuerung zu gewährleisten. Der abstrakte Vorrang der privaten Eigentumsnutzung zwingt auch jenseits der persönlichen Lebensführung zu einer Deckelung der individuellen Steuerbelastung: Jedenfalls die Hälfte der privatwirtschaftlich durch Einsatz von Ar-

__________ 74 Vgl. auch P. Kirchhof in Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 2. Aufl. 1999, § 88 Rz. 99; P. Kirchhof, Der Grundrechtsschutz des Steuerpflichtigen: Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im vergangenen Jahrzehnt, AöR 128 (2003), 1 (17); Mellinghoff, Die Verantwortung des Gesetzgebers für ein verfassungsmäßiges Steuerrecht, DStR 2003, Beihefter 3, 1 (11); Wendt, Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, DÖV 1988, 710 (720); Söhn, FinArch, 46 (1988), 154 (166); Martens, Grundrecht auf Steuergerechtigkeit?, KritV 1987, 39 (57); krit. gegenüber einer freiheitsgrundrechtlichen Begründung der Steuerfreiheit des Existenzminimums Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 4 AO Rz. 421. 75 Vgl. auch Friauf in Friauf (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht (DStJG Bd. 12), Köln 1989, S. 3, 31 f.; Wendt, Empfiehlt es sich, das Einkommensteuerrecht zur Beseitigung von Ungleichbehandlungen und zur Vereinfachung neu zu ordnen?, DÖV 1988, 710 (720); P. Kirchhof, 57. DJT 1988, Gutachten, F 51; P. Kirchhof, Steuergerechtigkeit und sozialstaatliche Geldleistungen, JZ 1982, 305 (309); Isensee in Festschrift Broermann, Berlin 1982, S. 365 (389). – Das BVerfG geht aus freiheitsrechtlicher Sicht davon aus, dass der Steuergesetzgeber dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen „zumindest“ das belassen müsse, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stelle, vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.9.1992 – 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153 (171). 76 Zur parallelen Fundierung des Existenzminimums als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter B II 1. 77 Vgl. Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter F I 2.

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beitskraft oder Eigentum erzielten Erträge darf nicht durch Steuern abgeschöpft werden.78 Wenn der Bürger mehr als die Hälfte des Erworbenen an den Staat als Steuer abliefern muss, dann arbeitet er primär fremd- und nicht mehr primär eigennützig.79 Dabei muss die hälftige Teilung – nach Maßgabe der gebotenen freiheitsgrundrechtlichen Effektuierung des Subsidiaritätsprinzips80 – grundsätzlich zugunsten der Privatnützigkeit überschritten werden.81 Aus diesem sog. Halbteilungsgrundsatz sind aber keine globalen Schlüsse zu ziehen. Insbesondere besagt er nicht, die Gesamtbelastung des Einzelnen dürfe – unter Einbeziehung sämtlicher Einzelsteuern, ggf. auch nichtsteuerlicher Abgaben – 50 v. H. des insgesamt privat Erwirtschafteten nicht übersteigen. Gegenstand der Vorrangregel ist zunächst der durch die Ertragsbesteuerung bewirkte einzelne Eingriff in Art. 12 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG. Dies führt erst im Ergebnis auch zu einem Vorrang der Privatnützigkeit des gesamten von einem Steuerpflichtigen Erwirtschafteten. Im Einzelnen zu klären ist, welche Steuerarten und Vermögensbestandteile nach Maßgabe des Primats der Privatnützigkeit des Erwirtschafteten die Angemessenheit der steuerlichen Belastung beeinflussen und inwieweit die Belastungswirkungen verschiedener Steuern zu addieren sind. Die Belastungsobergrenze einer annähernd hälftigen Ertragsteilung knüpft daran an, dass der Bürger die Erträge aus einer bestimmten privatwirtschaftlichen Tätigkeit für die Bezahlung von Steuern verwenden muss, die gerade wegen dieser Betätigung anfallen.82 Sein Anwendungsfeld sind damit (Soll-)Ertragsteuern.83

__________ 78 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; relativierend BVerfG, Beschl. v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97. 79 Vgl. Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze der Besteuerung, FR 1999, 1280 (1286); Butzer, Der Halbteilungsgrundsatz und seine Ableitung aus dem Grundgesetz, StuW 1999, 227 (241); Jachmann, Sozialstaatliche Steuergesetzgebung im Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Freiheit – Belastungsgrenzen im Steuersystem, StuW 1996, 97 (104); Loritz, Verfassungsrechtlicher Rahmen für eine vernünftige Neubewertung des Grundbesitzes, DStR 1995, Beihefter, 1 (6); Loritz, Der praktische Wert der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie für die unternehmerische Betätigung, BB 1993, 225 (229). 80 Dazu im Einzelnen Jachmann, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, Aachen 1996, S. 58 ff., 64; s. auch Butzer, Der Halbteilungsgrundsatz und seine Ableitung aus dem Grundgesetz, StuW 1999, 227 (239 ff.) – jeweils m. w. N. 81 Vgl. auch P. Kirchhof, 57. DJT 1988, Gutachten, F 82; Friauf in Friauf (Hrsg.), Steuerrecht und Verfassungsrecht (DStJG Bd. 12), Köln 1989, S. 3, 9; a. A. FG Münster, Urt. v. 15.5.1998 – 4 K 7270/97 E, EFG 1998, 1656 ff. Bei volkswirtschaftlichen Verwerfungen oder besonderen staatlichen Bedarfssituationen kann die Grenze zulasten des Steuerpflichtigen überschritten werden, vgl. Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, Stuttgart u. a. 2000, S. 56; Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaats, Stuttgart u. a. 2001, S. 153; Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze der Besteuerung, FR 1999, 1280 (1291). 82 Vgl. auch Loritz, Der praktische Wert der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie für die unternehmerische Betätigung, BB 1993, 225 (229). 83 Zum Streitstand über den Kreis der einzubeziehenden Steuerarten Bornheim, „Halbteilungsgrundsatz“ und Steuerhinterziehung, StuW 1998, 146 (148); Rose, Der Steuerplafondierungsbefehl des BVerfG und seine Durchsetzung, DB 1997, 494 (496) – jeweils m. w. N.

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Steuern, die nach ihrem sozialen Eingriffssinn nicht die Ertragserzielung, sondern den privaten Konsum belasten, können wegen ihrer andersartigen freiheitsgrundrechtlichen Relevanz nicht in die Basis des Halbteilungsgrundsatzes einbezogen werden.84 Dies gilt auch insoweit, als es um existenznotwendigen Konsum geht.85 Die Besteuerung der Vermögensverwendung ist in die Bemessung der steuerlichen Gesamtbelastung der Ertragserzielung grundsätzlich nur insoweit einzubeziehen, als Erträge aus der Veräußerung von Eigentumsobjekten abgeschöpft werden sollen. Demgegenüber wird in Bezug auf die Gesamtsteuerlast des Endverbrauchers argumentiert86, es könne nur ausschlaggebend sein, welche Güter er durch Verwendung seines Nettoeinkommens erwerben könne. Auf welche Steuerarten die Gesamtsteuerlast, die diese Verwendungsmöglichkeiten einschränke, im Einzelnen verteilt sei, könne nicht relevant sein. Während aber Gegenstand des Eingriffs in Art. 14 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG via Ertragsbesteuerung das wirtschaftende Vermögen bzw. die Arbeitsleistung sind, greift die Umsatzsteuer beim Endverbraucher auf die Nutzung der Früchte dieses Wirtschaftens zu.87 Abzustimmen wären Ertrag- und Verbrauchsteuern insoweit, als eine Verbrauchsbesteuerung ertragsteuerlichen Aufwand darstellen kann. Dies ist nicht nur im Rahmen des sog. Halbteilungsgrundsatzes zu berücksichtigen, sondern vor allem durch einen entsprechenden Abzug im Rahmen der Ertragsteuern. Ertragsteuerlich abschöpfbare objektive Leistungsfähigkeit erwächst aus dem wirtschaftlichen Ergebnis privatnütziger Ertragserzielung. Ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Maßstab der Besteuerungsgleichheit, ist folgerichtig auch der für die Erwirtschaftung erforderliche Aufwand zu berücksichtigen. Denn in Höhe des erforderlichen Aufwands entspricht den wirtschaftlichen Erträgen kein Zuwachs an Leistungsfähigkeit.88

__________ 84 Vgl. auch BFH, Beschl. v. 8.9.2000 – VII B 114/00, BFH/NV 2001, 347 – zur Kraftfahrzeugsteuer; FG Köln, Urt. v. 20.5.2003 – 15 K 3668/02, EFG 2003, 1178; a. A. etwa Tipke in Festschrift Ritter, Köln 1997, S. 587, 601; Fleischmann, Ist die derzeitige Steuerbelastung noch mit dem „Halbteilungsgrundsatz“ vereinbar?, DB 1998, 1484 (1485). 85 A. A. Seer in Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (DStJG Bd. 23), Köln 2000, S. 87, 113; Seer, Der sog. Halbteilungsgrundsatz als verfassungsrechtliche Belastungsobergrenze der Besteuerung, FR 1999, 1280 (1288). 86 Vgl. insbes. Tipke, Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 580; Arndt/ Schumacher, Die verfassungsrechtlich zulässige Höhe der Steuerlast – Fingerzeig des BVerfG an den Gesetzgeber?, NJW 1995, 2603 (2605). 87 Geißler, Der Unternehmer im Dienste des Steuerstaats, Stuttgart u. a. 2001, S. 165; Rose, Überlegungen zur Realisierung des Halbteilungsgrundsatzes, StuW 1999, 12 (16). Vgl. demgegenüber zur besonderen gleichheitsrechtlichen Problematik besonderer Verbrauchsteuern als Zusatzbelastung neben der allg. Abschöpfung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durch Einkommensteuer und Körperschaftsteuer Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter D I 2. 88 Grundsätzlich zur verfassungsrechtlich gebotenen ertragsteuerlichen Berücksichtigung von Aufwendungen bei Verlusten Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter C II 2 a, III 3.

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Monika Jachmann

Sollte der Gesetzgeber seine Gestaltungsfreiheit zu einer weitgehenden Konsumorientierung der Ertragsbesteuerung89 nutzen, ergäben sich daraus insoweit grundsätzlich keine weitergehenden Abstimmungserfordernisse zwischen Ertrag- und Verbrauchsteuern, als grundrechtsdogmatisch der Steuereingriff auch bei einer konsumorientierten Einkommensteuer in der Abschöpfung des durch wirtschaftliche Ertragserzielung Erwirtschafteten besteht. Der Staat wartet hierfür nur den letztmöglichen Zeitpunkt innerhalb der – lebenszeitlich orientierten – wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab.90

VI. Schluss Die Steuer als Solidarbeitrag zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben korrespondiert der Gemeinwohlverantwortung des Bürgers. Ertragsteuern beschränken die Freiheit zur privatnützigen wirtschaftlichen Ertragserzielung, Verbrauchsteuern das freie Konsumverhalten des Einzelnen jenseits seiner wirtschaftlichen Ertragserzielung. Eine gleichmäßige ertragsteuerliche Regelbesteuerung bestimmt sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, bemessen nach der Höhe des disponiblen Einkommens. Unter Leistungsfähigkeitsaspekten ist die Sonderbelastung eines speziellen Verbrauchs neben der allgemeinen Abschöpfung von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durch die Umsatzsteuer nur zu rechtfertigen, soweit in dem speziellen Verbrauch eine gesteigerte Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt. Setzt man jedoch bei der dem Leistungsfähigkeitsprinzip vorgreiflichen Gemeinwohlverantwortung an, kann die steuerliche Belastung eines gemeinwohlschädlichen Verbrauchs als Heranziehung des Verursachers negativer Effekte für die staatliche Allgemeinheit zur korrespondierenden Wahrnehmung seiner Gemeinwohlverantwortung via Steuerzahlung gerechtfertigt werden. Nach diesen Grundsätzen ist eine originäre Ökosteuer grundsätzlich zu rechtfertigen. Die Relation von Ertragund Verbrauchsteuern bestimmt sich insbesondere nach der jeweiligen grundrechtlichen Eingriffsqualität des Steuerzugriffs.

__________ 89 Dazu Jachmann, Nachhaltige Entwicklung und Steuern, Stuttgart u. a. 2003, unter C IV 2. 90 Vgl. J. Lang in Festschrift Kruse, Köln 2001, S. 313, 327.

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Die Gleichheit der Steuerschuldner vor dem Einkommensteuergesetz Inhaltsübersicht I. Einzelperson, Mitunternehmerschaft, Körperschaftsteuersubjekt 1. Ausgangstatbestand: erfolgreiches Nutzen einer Erwerbsgrundlage 2. Erwerbsgemeinschaften II. Erwerbsgemeinschaften und Einzelpersonen III. Die rechtliche Bedeutung von Erwerbsgemeinschaften 1. Verselbständigung eines wirtschaftlichen Organismus 2. Die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person 3. Die rechtliche Annäherung von Körperschaften und Personengesellschaften

IV. Gleichstellung von Erwerbsgemeinschaften und Einzelpersonen 1. Die Einbeziehung der Körperschaften in die Einkommensteuer 2. Erwerbsgemeinschaften und Einzelperson V. Steuergleichheit in einem weltoffenen Markt 1. Der vermeintliche Steuerwettbewerb unter Staaten 2. Die Steuer als eine Rahmenbedingung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen

I. Einzelperson, Mitunternehmerschaft, Körperschaftsteuersubjekt Wolfram Reiß ist ein Steuersystematiker von besonderer gedanklicher Weite. Er begleitet das Umsatzsteuerrecht1 mit der strukturierenden Kraft seiner Wissenschaft, erläutert ebenso die schwierigsten Fragen des Einkommensteuerrechts2, diskutiert das Zusammenwirken von direkten und indirekten

__________ 1 Reiß, Umsatzsteuerrecht, 9. Aufl. 2005; Reiß, Zur Umsatzsteuer, StuW 1983, 364; Reiß, Neubesinnung bei der Eigenverbrauchsbesteuerung?, StuW 1984, 175; Reiß, Zur Umsatzsteuer, StuW 1987, 351; Reiß, Gesellschaftereinlagen und Unternehmensumstrukturierungen im Umsatzsteuerrecht, StuW 1992, 25; Reiß in Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, S. 501 ff. – § 14 (Umsatzsteuerrecht). 2 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, §§ 15, 15b, 16 EStG; Reiß, Ertragsteuerliche Behandlung von Gesamthandsbeteiligungen und Beteiligungserträgen, StuW 1986, 232; Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in Franz Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung, 1994, S. 3 ff.; Reiß, Die einkommensteuerliche Behandlung der Realteilung gewerblich tätiger Personengesellschaften, StuW 1995, 199; Reiß, Gesellschaftsrechtlich unzulässige Gewinnausschüttung und ihre Rückabwicklung, StuW 1996, 337; Reiß, Bilanzierung von Beteiligungen an Personengesellschaften, DStR 1998, 1887; Reiß, Individualbesteuerung von Mitunternehmern nach dem Steuersenkungsgesetz, StuW 2000, 399.

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Steuern3, arbeitet im Bilanz- und Unternehmensteuerrecht4 sowie im europäischen und internationalen Steuerrecht5. Mit seinen Studien zum Steuerstraf- und Wirtschaftsstrafrecht6 macht er die Zugehörigkeit der Steuerpflichten zu den unverzichtbaren Inhalten einer freiheitlichen Staats- und Wirtschaftsordnung bewusst, die klare gesetzliche Vorgaben fordert, der Steuergestaltung Grenzen setzt, die staatsbürgerliche Verantwortlichkeit des Steuerzahlers hervorhebt. 1. Ausgangstatbestand: erfolgreiches Nutzen einer Erwerbsgrundlage Alle diese Fragen habe ich mit Wolfram Reiß vielfach, vor allem im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, erörtert. Literarisch sind wir uns insbesondere bei der Kommentierung des Steuersubjekts im Einkommensteuerecht begegnet.7 Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG ist grundsätzlich steuerpflichtig, wer Einkünfte aus einer der dort genannten sieben Arten von Erwerbsgrundlagen erzielt. Voraussetzungen der Steuerschuld

__________ 3 Reiß, Zur bilanziellen und umsatzsteuerlichen Behandlung von Mietereinbauten und Mieterumbauten, DStZ 1981, 323; Reiß, Verdeckte Gewinnausschüttung und Umsatzsteuer, DB 1990, 1936. 4 Reiß, Buchführung und Bilanz, 20. Aufl. 2007 – zusammen mit Falterbaum, Bolk und Eberhart; Reiß, Bilanzierungsfragen bei Bauwerken auf fremden Grund und Boden, DStZ 1980, 385; Reiß, Verdeckte Gewinnausschüttung und Steuerbilanzgewinn – zur nachträglichen Korrektur nicht erfasster verdeckter Gewinnausschüttungen, StuW 2003, 21. 5 Reiß, Der Bundesfinanzhof im Spannungsfeld nationalen und supranationalen Umsatzsteuerrechts, UR 1993, 336; Reiß, Die nicht ordnungsgemäße Umsetzung von EGSteuerrichtlinien und ihre Folgen, StuW 1994, 323; Reiß, Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in Joachim Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion. Festschrift für Klaus Tipke zum 70. Geburtstag, Köln 1995, S. 433 ff.; Reiß, Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzbesteuerung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr – Zur Billigung der Versagung des Vorsteuerabzugs für innergemeinschaftlich befreite Lieferungen durch den EuGH, UR 2007, 565. 6 Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, 1987; Reiß, Hinterziehung von Steuern, die der Fiskus nicht erhebt, Wistra 1983, 55; Reiß, Zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt am Beispiel der Steuerhinterziehung, Wistra 1986, 193; Reiß, Widersprechende Entscheidungen von Straf- und Finanzgerichten in derselben Rechtssache, StuW 1986, 68; Reiß, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei der Steuerhinterziehung, Wistra 1987, 161; Reiß, Tolerierung der Steuerverkürzung durch den Steuerreformgesetzgeber 1990 und ihre Folgen, Wistra 1989, 248; Reiß, Das Steuerrecht als Erkenntnisquelle des Gesellschaftsrechts und des Untreuestrafrechts am Beispiel der verdeckten Gewinnausschüttung, StuW 1992, 233; Reiß, Steuer gegen Strafe, in Samson/Dencker/Frisch/Frister/Reiß (Hrsg.), Festschrift für Gerald Grünwald zum siebzigsten Geburtstag, 1999, S. 495 ff.; Reiß, Auswirkung der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der EMRK im Steuerrecht, in Tipke/Söhn (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, Köln 2005, S. 473 ff. 7 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG, insb. Rz. 200 ff.; Paul Kirchhof in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 2 EStG Rz. 4 ff.

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sind danach drei tatbestandsbegründende Merkmale8: der Zustandstatbestand der marktbezogenen Einkunftsquelle, der Erwerbsgrundlage, die das Einkommensteuergesetz in sieben Einkunftsarten (landwirtschaftlicher Betrieb, Gewerbebetrieb, Freiberuflerpraxis, Arbeitsplatz des Arbeitnehmers u. a.) verdeutlicht. Sodann folgt der Handlungstatbestand: Nur wer tatsächlich seine Erwerbsgrundlage (Zustandstatbestand) genutzt hat, kommt als Steuerschuldner in Betracht. Die Einkommensteuer belastet nicht die berufliche Fähigkeit, erwerben zu können, sondern die finanzielle Leistungsfähigkeit dessen, der erworben hat. Dritte Voraussetzung der Steuerschuld ist der Erfolgstatbestand: Der Einkommensteuer unterliegen die durch Nutzung der Erwerbsgrundlage erzielten Einkünfte, also der Vermögenszuwachs, den der Steuerpflichtige durch Nutzung der Erwerbsgrundlage erwirtschaftet hat. Nur die positiven Einkünfte führen zu einer Steuerpflicht, die negativen Einkünfte lösen keine Steuererstattung aus, sondern können allenfalls in anderen Besteuerungszeiträumen die positiven Einkünfte mindern. Dieser Grundtatbestand enthält zugleich eine Rechtfertigung für die Einkommensteuer. Wer in seiner Erwerbsgrundlage die von seiner Rechtsgemeinschaft bereitgestellten Erwerbsmöglichkeiten erfolgreich genutzt hat, insbesondere das Vertragsrecht zum Abschluss seiner Verträge, das Währungsrecht zum Vereinbaren eines Preises, die gut ausgebildeten Arbeitskräfte zur Führung eines Unternehmens, Kaufkraft und Nachfragebereitschaft für das Entgelt seiner Leistung, soll durch die Zahlung einer maßvollen Einkommensteuer zur Finanzierung dieses Erwerbssystems beitragen. Wenn der Staat in der Garantie der Eigentümerfreiheit (Art. 14 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in privater Hand belässt, muss er sich durch Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens, durch Steuern, finanzieren. Wenn der Gesetzgeber dabei auf das am Markt erzielte Einkommen und die am Markt eingesetzte Kaufkraft (Umsatz) zugreift, folgt die Steuer den erwerbswirtschaftlichen Initiativen des Grundrechtsberechtigten und wählt so eine freiheitsschonende Form der Belastung. 2. Erwerbsgemeinschaften Diese tatbestandliche Fassung des Einkommensteuersubjekts erscheint einsichtig und ist im Einkommensteuergesetz auch folgerichtig angelegt. Allerdings erwirbt der Mensch oft nicht als Einzelperson, sondern in Erwerbsgemeinschaften. Er ist Partner einer Ehe, Mitunternehmer einer Personengesellschaft, Anteilseigner einer Körperschaft. Die in diesen Erwerbsgemeinschaften erzielten Einkünfte müssen jeweils den einzelnen Beteiligten zugerechnet werden. Für die Ehegatten sieht § 26b EStG im Regelfall die Zusammenveranlagung vor. Für die Mitunternehmerschaft regelt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 15 Abs. 3 EStG eine vergleichbare Zurechnung: Nutzen mehrere Personen gemeinsam eine Erwerbsgrundlage, so erzielen sie Einkünfte aus dieser

__________ 8 Paul Kirchhof in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 2 EStG Rz. 2, 34 ff.

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Erwerbsgrundlage je nach ihrem Anteil an der Leistungserbringung. Der Gewinnanteil wird dem Gesellschafter als eigene gewerbliche Einkünfte bereits mit der im Gesellschaftsbereich eingetretenen Vermögensmehrung zugerechnet, mag der Gesellschafter seinen Gewinnanteil entnehmen oder nicht. Hier unterscheidet sich die Rechtslage des Gesellschafters einer Personengesellschaft grundlegend von dem Rechtsverhältnis zwischen Körperschaft und Anteilseigner. Dort wird die Vermögensmehrung der Körperschaft selbst als Steuersubjekt zugerechnet; der Anteilseigner erzielt eigene Einkünfte erst bei einer Ausschüttung. In diesem Trennungsprinzip sind die thesaurierten Gewinne bei der Körperschaft bis zu einer Ausschüttung abgeschirmt. Aus diesem Nebeneinander von Einzelperson, Personengesellschaft und Körperschaft ergeben sich bedeutende Abgrenzungsfragen, systematische Brüche, auch Widersprüchlichkeiten. Wolfram Reiß hat diese Probleme in einer systematisch vertieften, dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit verpflichteten Kommentierung9 dargestellt, geordnet und kritisiert. Am Anfang steht die „ungelöste Problematik einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung bei Körperschaften“10, wenn der Gewinn zunächst bei der Körperschaft und sodann nach Ausschüttung nochmals beim Anteilseigner besteuert wird. Zudem sind die Zurechnungstatbestände, die Aufwandstatbestände, die Steuersätze und die Gestaltungsmöglichkeiten bei Mitunternehmerschaft und Körperschaft höchst unterschiedlich. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist gefährdet. Sodann ist die Personengesellschaft, die als solche weder Einkommen- noch Körperschaftsteuersubjekt ist, von den Körperschaften abzugrenzen, zu denen nach § 1 und § 3 KStG auch nicht rechtsfähige Personenvereinigungen gehören, wenn ihr Einkommen weder nach Körperschaftsteuergesetz noch nach Einkommensteuergesetz bei „anderen Steuerpflichtigen“ zu versteuern ist. Die Personengesellschaft ist nach der Rechtsprechung des BFH11 zwar nicht Einkommensteuersubjekt, aber doch partielles Steuersubjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation. Die zivilrechtliche Verselbstständigung des von den Gesellschaftern gemeinsam betriebenen Gewerbebetriebs hebt die Personengesellschaft von den Einzelbetrieben der Gesellschafter ab, so dass steuererhebliche Rechtsgeschäfte zwischen Personengesellschaft und Gesellschafter möglich sind. Wolfram Reiß12 legt dar, die neue Lehre von der Steuersubjektfähigkeit der Personengesellschaft solle erklären, dass

__________ 9 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 200 f. 10 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 202. 11 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751; BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691; BFH v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617; BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328. 12 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 202 f.

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(1) Veräußerungsgeschäfte zwischen der Personengesellschaft und dem Gesellschafter zu fremdüblichen Bedingungen als normale gewinnrealisierende Geschäftsvorfälle besteuert werden, (2) alle anderen Leistungen, insbesondere Vermietungen, Dienstleistungen, Darlehensgewährungen, der Personengesellschaft an ihre Gesellschafter zu fremdüblichen Bedingungen ebenfalls nach den allgemeinen Regeln des Einkommensteuergesetzes behandelt werden, (3) einkommensteuerlich erhebliche Leistungsbeziehungen zwischen gewerblichen Schwesterpersonengesellschaften möglich sind, (4) auch Innengesellschaften einen eigenen Gewerbebetrieb unterhalten können und (5) eine Personengesellschaft ihrerseits Mitunternehmer einer anderen Personengesellschaft sein kann. Außerdem stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit als Mitglieder der Gesellschaft in der Gesellschaft eine originär gewerbliche Betätigung entfalten, wenn die Gesellschaft selbst – als Außenoder Innengesellschaft – einen Gewerbebetrieb betreibt oder zwar nicht die Gesellschaft, wohl aber der Gesellschafter gewerblich tätig ist. In der Beobachtung dieser Problematik und in der Beunruhigung über ihre Folgen begegnen Wolfram Reiß und ich uns immer wieder.13 Der gleichheitserhebliche Bruch zwischen Körperschaften und anderen Gewerbetreibenden wird nun durch die Unternehmensteuerreform 2008 noch vertieft. Das gibt Anlass zu einigen Grundsatzüberlegungen über Idee und Realität gegenwärtiger Steuerpolitik.

II. Erwerbsgemeinschaften und Einzelpersonen Wolfram Reiß14 hat sich eingehend mit der unterschiedlichen Belastung einer – transparenten – Besteuerung von Einkünften aus Personenunternehmen und einer – getrennten – Besteuerung von Körperschaften und Anteilseignern auseinandergesetzt. Dabei beobachtet der pragmatische Systematiker die Beharrungskräfte eines eingeführten und von den Beteiligten praktizierten Steuerrechts, begegnet nunmehr aber neuen Belastungsunterschieden, die Kapital vor Arbeit, Großunternehmen vor Kleinunternehmen bevorzugen. Die Einkommensbesteuerung von Erwerbsgemeinschaften hat nach der traditionellen, allerdings im Tarif gemäßigten Doppelbelastung der Körperschaften mit Körperschaftsteuer und der Anteilseigner mit Einkommensteuer, einem Körper-

__________ 13 Vgl. Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 200, 203, 205 f., 466 f.; Paul Kirchhof in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl. 2007, § 2 EStG Rz. 55 bis 60. 14 Reiß in Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3.

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schaftsteuersystem mit Vollanrechnungsverfahren15 und dem Halbeinkünfteverfahren16 den Anspruch auf prinzipielle Gleichbelastung aller Einkunftsarten und Rechtsformen verlassen und ist zur Schedulenbesteuerung übergegangen. Nicht mehr die im erzielten Einkommen ausgedrückte Leistungsfähigkeit bietet den Belastungsmaßstab, sondern die Fluchtfähigkeit des Kapitals, das leichter Hand ins Ausland ausweichen kann und deswegen durch ein Steuerprivileg im Inland gehalten werden soll. Dass auch die Arbeitskräfte – die klugen Köpfe – abwandern können und auch tatsächlich nach guter Ausbildung in Deutschland dem deutschen Markt verloren gehen, wird nicht gesehen. Die Frage, ob dort, wo Erfinder, Unternehmensgründer, Künstler und Wissenschaftler erfolgreich sind, sich das notwendige Kapital nach den Gesetzen der Marktwirtschaft von allein einfindet, wird nicht gestellt. In der Absicht, das Kapital innerhalb eines weltoffenen Marktes zu begünstigen und dadurch im Inland zu binden, wurde der Körperschaftsteuersatz von 25 % auf 15 % gesenkt (§ 23 Abs. 1 KStG)17. Eine Körperschaft konkurriert nunmehr mit einem zu 15 % vorbelasteten Betriebsvermögen mit einer Personengesellschaft oder einem Einzelkaufmann, dessen Betriebsvermögen bis zu 45 % vorbelastet ist. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen werden mit einer Abgeltungssteuer von 25 % belastet (§ 32d, § 43a EStG), während andere Einkünfte – insbesondere aus Arbeit – mit bis zu 45 % belastet sind. Zudem wird ein Teil der Steuerbelastung der Kapitalgesellschaften nach Ersetzung des Halbeinkünfteverfahrens durch ein Teileinkünfteverfahren – nach § 3 Nr. 40 EStG 2008 sind nunmehr 40 % steuerfrei gestellt – auf die Anteilseigner verlagert. Im Ergebnis bevorzugt die Tarifentlastung der thesaurierten Gewinne die Körperschaft gegenüber der Personengesellschaft und der Einzelperson, weil diese ihre nicht entnommenen oder individuell investierten Gewinne voll der progressiven Steuer mit einem Spitzensatz der Einkommensteuer von 45 % belasten müssen. Allerdings hat § 34a EStG 2008 eine „Begünstigung der nicht entnommenen Gewinne“ eingeführt, um eine annähernde Belastungsgleichheit bei Körperschaften und Personengesellschaften herzustellen. Diese Gleichstellung erreicht allerdings nur einen kleinen Teil der ertragstarken Personenunternehmen, kann auch die strukturellen Unterschiede eines Dualismus separater Körperschaftbesteuerung und transparenter Einkommensbesteuerung – insbesondere bei nicht abzugsfähigen Ausgaben und bei Verlusten – nicht auffangen, vor allem aber das Belastungsgefälle zur Einzelperson nicht ausgleichen. Auch eine verbesserte Investitionsförderung (§ 7g EStG) ist mehr Angleichungsgeste, als dass sie eine Belastungsgleichheit bewirken könnte. Mate-

__________ 15 Körperschaftsteuerreformgesetz v. 31.8.1976, BGBl. I, 1976, 2597. 16 Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung vom 23.10.2000, BGBl. I, 2000, 1433 – nunmehr mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007 (BGBl. I, 2007, 1912) zu einem Teileinkünfteverfahren zurückgenommen (§ 3 Nr. 40 EStG). 17 Joachim Lang, BB-Forum: Unternehmenssteuerreform im Staateswettbewerb, BB 2006, 1769; Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetz 2008, BB 2007, 1303.

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rielle Gleichheit fordert, dass gleiche Leistungsfähigkeit bei Einzelperson, Mitunternehmerschaft und Körperschaft gleich besteuert wird. Zudem hat die Beratungspraxis bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts die im Gesellschaftsrecht nicht vorgesehene Personengesellschaft mit beschränkter Haftung – die GmbH & Co. KG – erfunden.18 Damals wurden die ausgeschütteten Gewinne doppelt – einmal bei der GmbH und später beim Gesellschafter – belastet. Deshalb wurde die GmbH & Co. KG als Ersatzform für die ursprünglich reine GmbH ersonnen: Die GmbH wurde Komplementärin und verpachtete ihr Betriebsvermögen an die KG zu einem Preis, der gerade ihre eigenen Aufwendungen deckte. Im Ergebnis fiel damit der Unternehmensgewinn bei der KG an, die Doppelbelastung war mit Ausnahme des eigenen Gewinnanteils der GmbH als Mitglied der KG vermieden, die bisherige Organisationsform des Unternehmens aber weitgehend erhalten. Auf dieser Grundlage kann eine Erwerbsgemeinschaft auch heute die Vorteile eines Personenunternehmens mit denen einer Kapitalgesellschaft vereinen, ohne die Rechtsform wechseln zu müssen.19 Benachteiligt ist wiederum die Einzelperson, die insbesondere nicht Gewinne auf eine Körperschaft verlagern kann, die erst dann ausgeschüttet werden, wenn der Anteilseigner einem günstigeren Einkommensteuersatz unterliegt oder gar Verluste erwirtschaftet hat. Das Hauptanliegen steuerlicher Belastungsgleichheit gilt somit dem Vergleich zwischen Erwerbsgemeinschaft und Einzelperson. Der Blick allein auf die Unternehmensteuer20 blendet diesen Vergleich aus der rechtspolitischen Diskussion aus. Doch es geht nicht nur um die rechtsformneutrale Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften, sondern ebenso um die Gleichheit zugunsten von Einzelpersonen.

III. Die rechtliche Bedeutung von Erwerbsgemeinschaften 1. Verselbständigung eines wirtschaftlichen Organismus Allerdings macht es tatsächlich einen wesentlichen Unterschied, ob ein Gewinn von einer Kapitalgesellschaft oder einer Einzelperson erzielt wird. In einer Kapitalgesellschaft wird der wirtschaftliche Organismus eines Gewerbebetriebes verselbständigt, in der Zuordnung von Kapital und Arbeit über die Gründergeneration hinaus verstetigt, im Angebot an Leitungsorgane und Arbeitnehmer zu einer Erwerbsgrundlage für eine Vielzahl wechselnder Personen, als stetiger und gefestigter Ort von Produktion und Handel zu einem Bestandteil der Infrastruktur und des Wirtschaftsstandortes, in der von Gründern und Kapitalgebern unabhängigen Existenz auch zu einem Kontinuitätsgaranten, der Erbfälle überlebt, Personal austauschen kann, Großprojekte bewältigt

__________ 18 Anerkannt durch das Bayerische Oberlandesgericht (1912) OLGE 27, 331; vgl. auch KGJ 44, 341; sowie später (1922) durch RGZ 105, 201. 19 Vgl. im Einzelnen Schneeloch, Besteuerung und betriebliche Steuerpolitik, Bd. 2, 2. Aufl. 2002, S. 441 f. 20 Vgl. dazu Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl. Köln 2003, S. 1203 f.

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und seine Einflusssphären und Standorte im Weltmarkt verändern kann. Je nach dem Grad der Anonymisierung – von der Ein-Mann-GmbH bis zur anonymen Kapitalgesellschaft – löst sich die Erwerbsgemeinschaft immer mehr von den beteiligten Personen, wird vom Wirtschaftssubjekt zu einem Organisationselement des Wirtschaftens, entwickelt sich von einer dem einzelnen Menschen zugehörigen Erwerbsgrundlage zu einem Betrieb, der immer wieder anderen Menschen als Erwerbsgrundlage dient. Dennoch beurteilt eine von den Grundrechten geprägte Rechtsordnung den Erfolg eines Wirtschaftssystems nach seinen Auswirkungen auf den einzelnen Menschen, nicht nach Größe und Wachstum von Unternehmen. Wie der Staat für die Menschen da ist und nicht die Menschen für den Staat21, so hat auch das Wirtschaftsunternehmen den Menschen zu dienen und nicht der Mensch dem Unternehmen. Diese Selbstverständlichkeit zu betonen besteht Anlass, weil die reale Mächtigkeit von weltweit tätigen Unternehmen sich der Macht der Staaten annähert oder sie gar übertrifft, die fast menschenlose, allein durch Computer und Roboter produzierende Fabrik in ihren Funktionen wie in ihren Gewinnen gänzlich neu dem Menschen zugeordnet werden muss, das anonyme Fondseigentum den verfassungsrechtlich vorausgesetzten Zusammenhang zwischen Eigentümerertrag und Eigentümerverantwortlichkeit für die durch Kapitaleinsatz erzielten Wirkungen wieder neu herzustellen hat, der Einfluss der Unternehmen auf das Leben der Menschen – ihre Ernährung, ihre Wohnung, ihre Informationen, ihre Bewegungsmöglichkeiten, ihre Freizeitgestaltung – neu zu legitimieren ist. Wir stehen vor einem Umbruch, ähnlich wie ihn Gerhart Hauptmann bei den Webern beschrieben hat22: Der technische und weltwirtschaftliche Fortschritt kann und soll nicht aufgehalten werden, ist aber rechtlich im Dienst von Humanum und Humanität zu formen. 2. Die Grundrechtsfähigkeit der juristischen Person Die unterschiedliche Struktur von anonymer Kapitalgesellschaft und persönlichkeitsbestimmter Erwerbsgemeinschaft ist dem Verfassungsrecht geläufig. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Unterschiede vor allem für die gespaltenen Eigentümerrechte an einer Kapitalgesellschaft und für die juristischen Personen des öffentlichen Rechts entwickelt. Grundrechte sind in erster Linie Individualrechte des einzelnen Menschen, die seine Freiheitssphäre schützen und darüber hinaus eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung des Einzelnen im Gemeinwesen sichern sollen.23 Juristische Personen des Privatrechts werden in den Schutzbereich materieller Grundrechte24 nur dann einbezogen, wenn deren Bildung und Betätigung Ausdruck

__________ 21 Vgl. Art. 1 des Chiemseer Verfassungsentwurfs, zitiert nach: Wernicke/Booms (Hrsg.), Der Parlamentarische Rat: 1948-49; Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, S. 580. 22 Gerhart Hauptmann, Die Weber, 1892. 23 BVerfG v. 14.4.1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192 (195) – Sparkassen. 24 Anders die grundrechtsgleichen Gewährleistungen insbesondere des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG, BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (104) – Sasbach.

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der freien Entfaltung der privaten natürlichen Personen ist. Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei juristischen Personen des Privatrechts regelmäßig erfüllt.25 Eine Ausnahme gilt jedoch, wenn eine Kapitalgesellschaft so anonym geworden ist, dass sie kaum noch der persönlichen Entfaltungsfreiheit dient. Während ein Grundrecht grundsätzlich die individuelle Verhaltensfreiheit schützt, die Eigentümerfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG demnach das Recht begründet, ein Wirtschaftsgut zu besitzen, zu verwalten, zu nutzen und über es zu verfügen26, sind diese Eigentümerpositionen bei einer Aktiengesellschaft aufgespalten.27 Das Eigentum ist in Anteilseigentum und Eigentum des Unternehmensträgers aufgeteilt. Das Anteilseigentum ist in seinen mitgliedschaftsrechtlichen und seinem vermögensrechtlichen Element gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum.28 Der Anteilseigner kann sein Eigentum regelmäßig nicht unmittelbar nutzen und die mit ihm verbundene Verfügungsbefugnis nicht allein wahrnehmen, sondern ist in der Nutzung auf den Vermögenswert beschränkt und kann seine Verfügungsbefugnisse – abgesehen von der Veräußerung oder Belastung seiner Beteiligung – nur mittelbar über die Organe der Gesellschaft wahrnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat daraus die Konsequenz gezogen, dass der Gestaltungsraum des demokratischen Gesetzgebers bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG umso mehr wächst, als die Eigenart des Anteilseigentums bei Kapitalgesellschaften immer anonymer wird.29 Zur Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) betont das Gericht in derselben Entscheidung30 den personalen Grundzug des Berufs in seiner Beziehung zur Persönlichkeit des Menschen, der die freie Gründung und Führung von Klein- oder Mittelbetrieben ersichtlich schütze (Unternehmerfreiheit), dessen personaler Grundzug aber bei den Großunternehmen nahezu gänzlich verloren gehe. Zudem greife die Unternehmerfreiheit beim Großunternehmen über die Gewährleistung eines persönlichkeitsgeprägten Verhaltens deutlich hinaus und erziele Wirkungen auch weit jenseits des wirtschaftlichen Schicksals des eigenen Unternehmens, namentlich in einer Wirtschaft, in der, wie in der Bundesrepublik, die Konzentration weit fortgeschritten ist.31 Die Vereinigungsfreiheit meine den freien Zusammenschluss gleichberechtigter Mitglieder zu einem gemeinsamen Zweck, der über seine Tätigkeiten ohne

__________ 25 Vgl. BVerfG v. 9.4.1975 – 2 BvR 879/73, BVerfGE 39, 302 (312) – AOK; BVerfG v. 14.4.1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192 (196) – Sparkassen. 26 BVerfG v. 31.3.1998 – 2 BvR 50/98, BVerfGE 97, 350 – Euro; BVerfG v. 19.6.1985 – 1 BvL 57/79, BVerfGE 70, 191 – Fischereibezirke. 27 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (341 f.) – Mitbestimmung. 28 BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263 (276) – Feldmühle-Urteil; BVerfG v. 7.5.1969 – 2 BvL 15/67, BVerfGE 25, 371 (407) – lex Rheinstahl; BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (342) – Mitbestimmung. 29 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (347 f.) – Mitbestimmung. 30 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (362 f.) – Mitbestimmung. 31 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (363) – Mitbestimmung.

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fremde Einflüsse entscheide.32 Dieser Prozess freier sozialer Gruppenbildung ereigne sich in Vereinen und Gesellschaften, während größere Kapitalgesellschaften nur bedingt als Träger des Prozesses freier sozialer Gruppenbildung angesehen werden könnten. Bei diesen anonymeren Kapitalgesellschaften habe der Gesetzgeber wiederum einen weiteren Gestaltungsraum und dürfte auch eine Fremdbestimmung – eine unternehmerische Mitbestimmung – bei der Organbestellung und der Willensbildung der Gesellschaft vorsehen.33 Die materiellen Grundrechte und der zu ihrer Verteidigung geschaffene Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde sind auf juristische Personen öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nicht anwendbar. Denn die juristischen Personen öffentlichen Rechts handeln in aller Regel nicht in Wahrnehmung unabgeleiteter, ursprünglicher Freiheiten, sondern auf Grund von Kompetenzen, die vom positiven Recht zugeordnet, inhaltlich bemessen und begrenzt sind. Die Regelung dieser Beziehungen und die Entscheidung daraus resultierender Konflikte sind nicht Gegenstand der Grundrechte, weil der unmittelbare Bezug zum Menschen fehlt.34 Die Grundrechte sind selbst dann unanwendbar, wenn die juristische Person öffentlichen Rechts bei Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auch die Grundrechte Einzelner fördert.35 Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen gilt nur dann, wenn die juristische Person öffentlichen Rechts auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten angelegt ist, wie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten36, bei den Universitäten und Fakultäten37, bei Handwerksinnungen38. Auch bei diesen grundrechtsschützenden Körperschaften unterscheidet das Gericht aber je nach Grundrechten und spricht den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten für die Rundfunkfreiheit Grundrechtsfähigkeit zu, nicht aber für den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.39 Selbst bei einer öffentlich-rechtlichen Sparkasse, deren Kunden mit ihr Bankgeschäfte wie mit jeder anderen Bank machen, hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsfähigkeit verneint: Auch wenn wegen der weitgehenden Angleichung an das private Bankgewerbe für die Beurteilung der Funktion der öffentlich-rechtlichen Sparkassen nicht mehr deren öffentliche Aufgabe,

__________ 32 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (358 f.) – Mitbestimmung. 33 BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 (359) – Mitbestimmung. 34 BVerfG v. 2.5.1967 – 1 BvR 578/63, BVerfGE 21, 362 (368 f.) – Sozialversicherungsträger; BVerfG v. 31.10.1984 – 1 BvR 35, 356, 794/82, BVerfGE 68, 193 (205 f.) – Zahntechniker-Innungen; BVerfG v. 14.4.1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192 (196) – Sparkassen. 35 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (103 f.) – Sasbach. 36 BVerfG v. 24.3.1987 – 1 BvR 478/86, BVerfGE 74, 297 (317 f.) – 5. Rundfunkentscheidung. 37 BVerfG v. 16.1.1963 – 1 BvR 316/60, BVerfGE 15, 256 (262) – universitäre Selbstverwaltung. 38 BVerfG v. 14.5.1985 – 1 BvR 700/82 BVerfGE 70, 1 (20) – OrthopädietechnikerInnungen. 39 BVerfG v. 23.3.1988 – 1 BvR 686/86, BVerfGE 78, 101 (102 f.) – Eigentumsrechte von Rundfunkanstalten.

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sondern die privatwirtschaftliche Unternehmenstätigkeit bestimmend wäre, könne dies nicht zu einem Grundrechtsschutz führen, weil auch dann der erforderliche Bezug zum Freiheitsraum natürlicher Personen fehle. Als Träger des Unternehmens käme nur die hinter der Sparkasse stehende Gebietskörperschaft in Betracht; diese aber wäre auch dann nicht ohne weiteres grundrechtsfähig, wenn sie sich auf dem Gebiet des Privatrechts wirtschaftlich betätigte.40 Nach dieser Rechtsprechung ist nicht die Rechtsform der juristischen Person als solche maßgebend, sondern die Zuordnung des Entscheidungs- und Verantwortungsbereichs der juristischen Person zur Freiheitssphäre des Einzelnen und ihre Unabhängigkeit vom Staat. Juristische Personen sind immer dann grundrechtsfähig, wenn sie den Bürgern zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen und als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen Bestand haben.41 In Übereinstimmung mit diesen Maßstäben ist auch der Gewinn eines Einzelkaufmanns oder einer persönlichkeitsgeprägten Personengesellschaft deutlich einem oder wenigen Menschen zugeordnet, während der Gewinn einer Kapitalgesellschaft von dem dort verselbständigten Gewerbebetrieb erzielt wird. Auch der wirtschaftliche Erfolg dieses Gewerbebetriebes dient allerdings Menschen, den Vorstandsmitgliedern, den sonstigen leitenden Angestellten, den Anteilseignern, den Lohnempfängern. Das Einkommensteuerrecht steht deshalb vor der Frage, ob es diesen Gewinn bei der Körperschaft besteuert und dann den weitergereichten Gewinn beim Anteilseigner entlastet – der Ausgangsgedanke des früheren Anrechnungsverfahrens – oder aber bei der Körperschaft steuerlich verschont und erst bei den dahinterstehenden Menschen besteuert wird – das Modell der Lohnsteuer. Entscheidend aber bleibt – das ist rechtlicher Anspruch und hoffentlich auch Realität –, dass die Gewinnerzielung der Kapitalgesellschaft letztlich einzelnen Menschen – Steuerschuldnern der Einkommensteuer – dient. Wäre diese Zurechnung nicht mehr möglich, müssten Körperschaft und Anteilseigner je gesondert besteuert werden. 3. Die rechtliche Annäherung von Körperschaften und Personengesellschaften Grundsätzlich muss jeder Gewinn letztlich als Erfolg eines einzelnen Menschen versteuert werden. Den ersten Schritt dieser Angleichung von Körperschaften, Personengesellschaften und Einzelpersonen bei der Besteuerung des Einkommens hat die Rechtsordnung schon weitgehend vollzogen. Das Verfassungs-

__________ 40 BVerfG v. 14.4.1987 – 1 BvR 775/84, BVerfGE 75, 192 (200) – Sparkassen; vgl. auch Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG v. 15.8.1994 – 2 BvR 1430/94, NJW 1995, 582 – keine Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Sparkassen auch gegenüber Ermittlungsmaßnahmen in Strafverfahren. 41 Vgl. auch Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 20.9.1995 – 1 BvR 597/95, NJW 1996, 1588 – zur Betroffenheit der Kassenärztlichen Vereinigung durch einen Hoheitsakt; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG v. 23.1.1997 – 1 BvR 1317/86, NJW 1997, 1634 – Betroffenheit der Ärztekammer Hamburg (Versorgungswerk) durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz.

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recht, das Europarecht und auch eine in der neueren Zivilrechtsprechung angelegte Entwicklung stellen zumindest Mitunternehmerschaften und juristische Personen gleich. Art. 19 Abs. 3 GG spricht den Grundrechtsschutz auch der „juristischen Person“ zu, wenn das Grundrecht seinem Wesen nach auf diese anwendbar ist. Diese juristische Person bezeichnet nach gefestigter Rechtsprechung nicht notwendig die Verselbständigung eines betrieblichen Organismus zum förmlichen Rechtssubjekt, sondern bezieht auch Mitunternehmerschaften und weniger formalisierte Betriebseinheiten ein.42 Ebenso anerkennt Art. 48 EGV, dass die Grundfreiheiten – naturgemäß mit Ausnahme der Freizügigkeit der Arbeitskräfte – auch für Gesellschaften gelten, mögen diese nach dem jeweiligen Privatrecht rechtsfähig sein oder nicht.43 Auch im Zivilrecht bestätigt die Rechtsprechung inzwischen, dass der AußenGesellschaft des Bürgerlichen Rechts Rechtsfähigkeit zukommt, soweit sie durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.44 Die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ist mittlerweile als scheckund wechselfähig anerkannt45, wird im Zivilprozess nach § 50 ZPO als aktiv und passiv parteifähig46 angesehen, ist nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO insolvenzfähig, kann Gründerin und Gesellschafterin einer Genossenschaft, Handelsgesellschaft oder GbR sein.47 Auch im Zivilrecht wird nunmehr die Frage gestellt, ob „es drei Arten von Rechtsträgern (natürliche Personen, juristische Personen und Gesamthandsgesellschaften)“ gibt oder ob Körperschaften und rechtsfähige Personengesellschaften nur Varianten der Einzelfigur „juristische Person“ sind.48 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Schwarzwaldklinik49 hervorgehoben, dass die bloße Wahl der Organisationsform eines Unternehmens für sich genommen keine Belastungsunterschiede rechtfertige. Anlass dieser Unterscheidung war die unterschiedliche Besteuerung medizinischer Leistungen im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht, Gegenstand der Entscheidung das Umsatzsteuerrecht. Allein die Rechtsform eines Unternehmens böte grundsätzlich keinen sachlichen Grund für die um-

__________ 42 BVerfG v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7 (12) – Investitionshilfe; BVerfG v. 29.7.1959 – 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89 (99) – Großer Erftverband; BVerfG v. 18.5.1965 – 2 BvR 40/60, BVerfGE 19, 52 (55) – Überbesetzung. 43 Müller-Huschke in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 48 EGV Rz. 3 m. w. N., Holoubek in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 55 EGV Rz. 1; Glaesner in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 EGV Rz. 18; vgl. Kiemel in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-EGV, 5. Aufl. 1997, Art. 73b EGV Rz. 11. 44 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056. 45 Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl. München 2007, § 705 BGB Rz. 24. 46 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056. 47 BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, NJW 1981, 682; BGH v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, NJW 1992, 499; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, NJW 1992, 2222. 48 Karsten Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: Rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993 (996); Raiser, Gesamthand und juristische Person im Licht des neuen Umwandlungsrechts, AcP 194 (1994), 495 (505). 49 BVerfG v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151 (156 f.) – Schwarzwaldklinik.

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satzsteuerliche Ungleichbehandlung. Zwar hat diese Entscheidung weder in der Rechtspolitik noch in der Verfassungsrechtsprechung bisher eine klare Linie freiheits- und gleichheitsgerechter Einkommensteuerbelastung veranlassen können. Der Erneuerungsauftrag jedoch besteht unverändert fort.

IV. Gleichstellung von Erwerbsgemeinschaften und Einzelpersonen Diese Annäherung von Körperschaften und Personenvereinigungen weist den Weg, um im Einkommensteuerrecht alle Formen – gemeinschaftlicher oder individueller – Erwerbstätigkeiten im Steuersubjekt gleichzustellen. Diese Reform vollzieht sich in zwei Schritten: Zunächst sind die Körperschaften in die Einkommensteuer zu integrieren. Sodann sind die Erwerbsgemeinschaften den natürlichen Personen gleichzustellen. 1. Die Einbeziehung der Körperschaften in die Einkommensteuer Eine rechtsformneutrale Besteuerung wird nicht durch Ausgliederung der Unternehmen in eine Sondersteuer erreicht, sondern durch Einbeziehung aller einkommensteuererzielenden Erwerbsgemeinschaften in eine einheitliche Einkommensteuer. Erst die Integration der Körperschaftsteuer in die Einkommensteuer unterwirft die verschiedenen zivilrechtlichen Erwerbsgemeinschaften einem einheitlichen Besteuerungsregime, das sich insbesondere in einem einheitlichen linearen Steuersatz ausdrückt und damit die Grundvoraussetzung für eine rechtsformneutrale Besteuerung schafft.50 Das Einkommensteuerrecht kann jede rechtlich greifbare Erwerbsgemeinschaft zu einem Steuersubjekt – einer steuerjuristischen Person – verselbständigen. In diesem Steuersubjekt werden bisherige Mitunternehmerschaften und Körperschaften gleichermaßen zum Steuerschuldner, zum Adressaten der Zurechnung, des Verfahrens, der Haftung und der Vollstreckung, aber auch der Berücksichtigung von Verlusten. Die steuerjuristische Person ist also Zurechnungs- und Handlungssubjekt, dem Einnahmen und Aufwendungen zuzuordnen sind, und das einen tauglichen Haftungsschuldner bildet. Umfasst werden alle zivilrechtlich abgrenzbaren Erwerbsgemeinschaften: die Europäische Gesellschaft (SE), die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, rechtsfähige und nichtsrechtsfähige Vereine, die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Patenreederei, die freiberufliche Partnerschaft, die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, die Erbengemeinschaft, Personenvereinigungen ausländischen Rechts. Diesen Erwerbsgemeinschaften werden Zweckvermögen – Stiftungen, sonstige Zweckvermögen inländischen und ausländischen Rechts – gleichgestellt.

__________ 50 Paul Kirchhof, Der Karlsruher Entwurf und seine Fortentwicklung zu einer vereinheitlichten Ertragsteuer, StuW 2002, 3 (12, 18).

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Eine solche steuerjuristische Person ist – wie die natürliche Person – Unternehmensträger. Das Vermögen wird diesen Unternehmen, der Erwerbsgrundlage, zugerechnet. Das mit der Gesellschaftsgründung entstandene Steuersubjekt erfüllt die steuerbegründenden Tatbestände des Zustandstatbestandes (Erwerbsgrundlage), des Handlungstatbestandes (Nutzung der Erwerbsgrundlage) und des Erfolgstatbestandes (Gewinn). Deswegen treffen alle einkommensteuerrechtlichen Pflichten – die Steuerschuld, die Steuerhaftung, die Zurechnung, das Verfahren und die Vollstreckung – dieses Steuersubjekt. Das Steuersubjekt ist steuerlich rechtsfähig, zivilrechtliche Unterschiede sind unerheblich. Dies gilt insbesondere für die gesellschaftsrechtliche Haftung, die vielfach als Differenzierungsgrund für eine unterschiedliche Besteuerung von Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft herangezogen wird. Diese Differenzierung entspricht aber weder dem einkommensteuerlichen Belastungsgrund noch der Wirklichkeit. Eine Einkommensteuerschuld entsteht, weil jemand Einkünfte erzielt hat, nicht weil er für Fehler während der Erwerbstätigkeit haftet. Zudem ist die Rechtsrealität geprägt von kapitalistischen Personengesellschaften und personalistischen Kapitalgesellschaften. Die Steuergestaltung nutzt die Personengesellschaft als Instrument, um in Abkehr von ihrem Grundgedanken Verluste zuzuordnen und zu verschieben. Die gesellschaftliche Haftung verliert ein Stück ihrer praktischen Bedeutung, wenn die persönliche Haftung durch Beteiligung einer Kapitalgesellschaft als Komplementär einer KG ausgeschlossen wird, der Kapitalgesellschafter persönlich für die Schulden der Kapitalgesellschaft bürgt oder das wirtschaftliche Risiko des Personengesellschafters durch Versicherungen gemäßigt und aufgefangen wird.51 2. Erwerbsgemeinschaften und Einzelperson Sind die Körperschaften in die Einkommensteuer einbezogen, muss sodann das Gefälle zwischen deren Besteuerung und der Besteuerung der Einzelpersonen eingeebnet werden. Es darf keinen Unterschied machen, ob ein Steuerpflichtiger mit seinem Grundfreibetrag, der Entlastung seiner geringeren Anfangseinkommen, seinen Vereinfachungspauschalen, seinem Verlustausgleich als Einzelperson oder als steuerjuristische Person erfasst wird. Sodann ist die Wertschöpfung nur einmal – bei der steuerjuristischen Person – zu besteuern; die Weiterleitung der Erträge des Unternehmens an den Beteiligten begründet keinen weiteren Wert, die Verteilung der erwirtschafteten Wertschöpfung bietet keinen eigenständigen Besteuerungsgrund. Die natürliche Person beansprucht eine steuerliche Entlastung für die existenzsichernden Aufwendungen für sich und ihre Familie (Grundfreibetrag), kann Aufwendungen in einer Pauschale geltend machen, dort ihre Einkünfte – entgegen dem Trennprinzip bei juristischen Personen – um ihre Verluste

__________ 51 Zur Gleichstellung auch der steuerjuristischen Personen der öffentlichen Hand aus Gründen der Wettbewerbsneutralität vgl. Paul Kirchhof, Einkommensteuergesetzbuch, 2004, S. 199 f.

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mindern, erwartet auch eine steuerliche Entlastung ihrer Anfangseinkommen jenseits des Existenzminimums, die bei einem Einheitssteuersatz durch eine Teilbesteuerung der Eingangseinkünfte – etwa der ersten 5000 Euro nur zu 60 %, der folgenden 5000 Euro nur zu 80 % – erreicht werden kann. Für diese personenbezogenen Entlastungstatbestände muss die steuerjuristische Person durchlässig werden. Wird der Handwerker als Gewerbetreibender oder aber in Form einer GmbH tätig, darf ihn allein die Wahl der Organisationsform nicht vom Abzug seiner persönlichkeitsbezogenen Entlastungstatbestände ausschließen. Die Offenheit einer steuerjuristischen Person für persönliche Steuerentlastungsbeträge erscheint bei der zur Haftungsbeschränkung gegründeten GmbH eines Handwerksbetriebes unproblematisch, ist aber bei der anonymen Kapitalgesellschaft ausgeschlossen. Deswegen sollte die Transparenz nur gewährt werden, wenn die steuerjuristische Person und der Beteiligte zustimmen. In diesem doppelten Zustimmungserfordernis wird gewährleistet, dass die Transparenz entsprechend den tatsächlichen und rechtlichen Interessenlagen zugesprochen wird. Bei der haftungsbegrenzenden Handwerker-GmbH wird der Handwerker den Gewinn seiner steuerjuristischen Person um seine Steuerentlastungsbeträge mindern. Bei der anonymen Kapitalgesellschaft wird der Anteilseigner – im Quellenverfahren besteuert – seine persönlichen Entlastungsbeträge bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nicht geltend machen können. Ehegatten können in ihrer ehelichen Erwerbsgemeinschaft Einkünfte untereinander ausgleichen, persönliche Steuerentlastungsbeträge übertragen. In der Regel werden die persönlichen Entlastungsbeträge im Lohnsteuerverfahren geltend gemacht; ausnahmsweise bedarf es einer besonderen Veranlagung. Ähnliches gilt für den Verlustausgleich. Soweit Gewinne einer steuerjuristischen Person auf einen Beteiligten entfallen, können sie mit seinen Verlusten desselben Veranlagungszeitraums ausgeglichen werden (Verlustübernahme). Soweit Verluste einer steuerjuristischen Person auf einen Beteiligten entfallen und er für diese Verbindlichkeiten gesellschaftsrechtlich unbeschränkt haftet, kann der Beteiligte sie wie eigene Verluste mit seinen positiven Einkünften ausgleichen (Verlustübergabe). Voraussetzung ist wiederum jeweils die Zustimmung der steuerjuristischen Person und des Beteiligten. Wenn der Gewinn bei der steuerjuristischen Person schon einmal besteuert worden ist, begründet die Weiterleitung dieses versteuerten Gewinns an einen Beteiligten keine neue Wertschöpfung, löst damit auch keine weitere Einkommensteuerschuld aus. Beteiligungserlöse aus dem Anteil einer steuerjuristischen Person sind deshalb beim Empfänger nicht zu versteuern. Die Erwerbskosten bleiben insoweit steuerlich unerheblich, weil die bloße Verteilung der erwirtschafteten Erträge keinen eigenen Wert schöpft. Diese Transfers sind insgesamt steuerunerheblich. Der Finanzmarkt ist insoweit von steuerlichen Barrieren, Lenkungstatbeständen und Gestaltungsanreizen gänzlich entlastet. Einer besonderen Überlegung bedürfen die Veräußerungseinkünfte, der Gewinn aus der Veräußerung von Erwerbsgrundlagen im Ganzen oder von Antei373

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len an steuerjuristischen Personen. Auch in einer solchen Veräußerung wird grundsätzlich nur der von der juristischen Person erwirtschaftete – und dort besteuerte – Gewinn realisiert. Insoweit bilden Veräußerungserlöse einen Sonderfall des Beteiligungserlöses. Dennoch liegt in dem Vorgang der Veräußerung eine eigene Wertschöpfung, vergleichbar mit dem Händlergewinn aus dem Verkauf eines alltäglichen Wirtschaftsgutes. Diese Wertschöpfung könnte in einer Pauschalierung – etwa der widerlegbaren Vermutung von Veräußerungskosten in Höhe von 9/10 des zugeflossenen Veräußerungspreises (Kostenpauschale) – vereinfacht festgestellt und besteuert werden. Die Integration der Körperschaften in die Einkommensteuer in einer einheitlichen steuerjuristischen Person und die Gleichstellung der natürlichen mit der steuerjuristischen Person durch eine Transparenz der steuerjuristischen Person für persönliche Entlastungsbeträge und Verluste schaffen materielle Belastungsgleichheit für alle Einkommensteuersubjekte, geben dem Steuerpflichtigen die in Art. 9 Abs. 1 GG garantierte Vereinigungsfreiheit zurück, verteilen die Steuerlast gleichmäßig auf alle Bezieher von Einkommen und erlauben insoweit einen allgemeinen, niedrigen Steuersatz, erübrigen Steuergestaltungen und machen den Gerechtigkeitsgedanken des Einkommensteuerrechts in einem einfachen System sichtbar. Insoweit mag Wolfram Reiß – gegenüber dem politischen System eher skeptisch, steuerrechtlich aber Systematiker – diesen Reformvorschlag als einen Anstoß für Grundsatzüberlegungen des Gesetzgebers verstehen, die unsere gemeinsamen Bemühungen um eine Erläuterung des geltenden, zerklüfteten Rechts zwar nicht erübrigen, wohl aber die „konzeptionslos schwankende neuere Gesetzgebung“ auf einen festen Weg weisen.52

V. Steuergleichheit in einem weltoffenen Markt Diese in der Einfachheit gleichmäßige Besteuerung trifft allerdings auf die Kritik, sie vernachlässige das Gebot der Gegenwart, die deutsche Besteuerung von Unternehmen im internationalen Steuerwettbewerb zu verbessern.53 Dieses Reformziel fordert eine ertragsteuerliche Entlastung von Kapitalgesellschaften und ertragstarken Personenunternehmen, weil diese im Vergleich mit den übrigen Staaten der EU zu hoch besteuert seien, nimmt dafür aber eine Mehrbelastung anderer Unternehmen und Einzelpersonen in Kauf, die letztlich die Entlastung der größeren Unternehmen mittragen müssen. Die These, Steuerrecht entstehe im Wettbewerb, ist inzwischen allgemein geläufig. Sie erstaunt: Sie bezieht den Wettbewerb – einen Kerngedanken des geltenden Wirtschaftssystems – nicht auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen, auch nicht auf den Inlandswettbewerb zwischen weltweit tätigen und überwiegend im Inland tätigen Unternehmen, sondern sucht unter dem

__________ 52 Reiß in Paul Kirchhof (Hrsg.), EStG, Kompaktkommentar, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 206; zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, BGBl. I 1999, 402. 53 Vgl. Entwurf eines Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007.

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Stichwort des „Steuerwettbewerbs“ Staaten bei der Rechtsetzung zu Konkurrenten zu machen. Dieser Gedanke beruht auf einem elementaren, für unsere Wirtschaftsverfassung bedrohlichen Missverständnis. 1. Der vermeintliche Steuerwettbewerb unter Staaten Ein Staat gewährleistet in einer weltoffenen Wirtschaft und Gesellschaft das unausweichliche, deshalb gleiche Recht, sucht dieses – insbesondere in der Europäischen Union – in gemeinsamen Rechtsquellen und Rechtsinhalten mit anderen Staaten abzustimmen, erreicht ein europäisches Ideal, wenn alle Mitgliedstaaten sich in der Europäischen Union auf das beste Recht gemeinsam verständigen. Dabei wahrt der Staat Distanz zum Rechtsbetroffenen, wirbt nicht um dessen Gunst, sucht ihn in seiner rechtstaatlichen Distanz und gleichheitsrechtlichen Gebundenheit nicht durch Vorzugsangebote für sich einzunehmen. Brot ist käuflich, Recht nicht. Deswegen darf es keinen Wettbewerb der Rechtssysteme geben. Ein Unternehmer, dem das deutsche Steuerrecht zu verwirrend und zu belastend erscheint, verlegt seinen Sitz in einen anderen Staat, in dem er ein ihm genehmeres Recht erwarten darf. Das Recht, aus- oder einzuwandern, bei Verfolgung Asyl zu genießen, ist jedoch nicht wettbewerbliche Nachfrage nach dem besseren Recht, sondern Wahrnehmung der Freiheit zur Wahl des Lebensoder Wirtschaftsmittelpunktes. Ein „Steuerwettbewerb“ wäre deshalb ein Wettstreit um die niedrigsten Steuersätze, der sein illegitimes Ziel idealtypisch bei einer Nullbelastung, damit der Zerstörung des steuerfinanzierten, also freiheitlichen54 Verfassungsstaates erreicht. Auch im Übrigen folgt das Entstehen von Recht nicht den Prinzipien von Angebot und Nachfrage, sondern der Kultur eines Maßes. Ein kommunaler „Standortwettbewerb“ durchbricht das unabdingbare Abgabenrecht, insbesondere die Gewerbesteuer55, lockt ein Unternehmen also durch illegale Abgabenvorteile an, kann dieses rechtswidrige Verhalten aber nicht aus einem Wettbewerb rechtfertigen. Das Bemühen der Länder um eine bessere Schule oder Hochschule folgt nicht den Gesetzmäßigkeiten eines „Kultur- und Bildungswettbewerbs“, ist vielmehr Ausdruck der Autonomie, bei der sich die jeweilige demokratische politische Einheit um die bessere Lösung bemüht, nicht aber den anderen als Konkurrenten verdrängen wird. Die kulturelle Autonomie der Länder erreicht ihr Idealziel, wenn die Schulen aller Länder ähnliche Spitzenleistungen erreichen. Autonomes Bemühen um die beste Lösung unterscheidet sich vom freiheitlichen Wettbewerb in zwölf Grundsatzfolgen: – Die Bürger des anderen Hoheitsträgers sind nicht wechselbereite Kunden, sondern durch Staatsangehörigkeit gebundene Bürger.

__________ 54 BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (134) – Vermögensteuer. 55 Nach § 16 Abs. 4 Satz 1 GewStG besteht ein gesetzliches Differenzierungsverbot. Der Hebesatz der kommunalen Gewerbesteuer muss für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen gleich sein; vgl. Gosch in Blümich, GewStG, Stand Oktober 2006, § 16 GewStG Rz. 22.

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– Der andere Hoheitsträger ist in einem Status rechtlich gesichert, kann nicht im Wettbewerb verdrängt und „feindlich“ übernommen werden. – Eine finanzielle Schwäche wird durch andere Länder im Rahmen eines Finanzausgleichs gemäßigt und aufgefangen. – Die Zusammenarbeit der Staaten und Länder – der Mitgliedstaaten bei der 6. EG-Richtlinie, der Bundesländer in der ARD oder im ZDF, der Kultusminister in der Kultusministerkonferenz – führt nicht zu einem rechtlich zu beanstandenden Kartell, sondern nimmt sachgerecht Autonomie wahr; die Aufgaben sind im Recht zugewiesen oder zugelassen, nicht im Markt erkundet worden. – Der Wettbewerb folgt den Prinzipien der Tauschgerechtigkeit, die Autonomie denen der Bedarfsgerechtigkeit.56 – Der Wettbewerber kämpft um Gewinnmaximierung ohne Haltepunkt; Autonomie entfaltet eine Kultur des Maßes, achtet ein Übermaßverbot, sucht im parlamentarischen Verfahren den Ausgleich, dient der Freiheit und den Lebensbedürfnissen der Gesetzesadressaten. – Der Wettbewerber strebt nach einem Wachstum seines Unternehmens, sucht seine Ertrags- und Einflusssphäre möglichst auszudehnen; der Gesetzgeber hingegen bringt Recht als ein möglichst rares, deswegen wertvolles Gut hervor, wirkt auf Deregulierung, Privatisierung, auch einen „schlankeren Staat“ hin, definiert seinen Auftrag in klaren Kompetenz- und Befugnisregeln. – Der private Wettbewerber scheidet bei Misserfolg durch Insolvenz aus dem Markt aus; Staat und Gesetzgeber sind insolvenzunfähig und wirken – jedenfalls in der Europäischen Union und innerhalb eines Bundesstaates – bei finanzieller Gefährdung anderer Staaten auf deren Resolvenz hin. – Das Wettbewerbsrecht sichert immer wieder eine Gleichheit in der freiheitlichen Ausgangschance.57 Staaten oder staatliche Untergliederungen hingegen sind auf bewusste und transparente Zusammenarbeit im gleichen Erfolg angelegt. Wenn die Staaten in den Vereinten Nationen einen gemeinsamen Frieden anstreben, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Agrarmarkt gemeinsam regeln, die deutschen Bundesländer Forschungspolitik betreiben, Kommunen in Zweckverbänden ihre Aufgaben gemeinsam wahrnehmen, dann arbeiten die Hoheitsträger zusammen, sind in einem gemeinsamen Ziel verbunden. Das ist rechtlich erwünscht; das Wettbewerbsrecht gilt nicht. – Der Wettbewerber sucht seinen Ertrag durch Verhandlungsgeschick zu mehren, der Verfassungsstaat das Recht möglichst gleichmäßig und transparent zuzuteilen.

__________ 56 Paul Kirchhof, Die freiheitsrechtliche Struktur der Steuerrechtsordnung, StuW 2006, 3. 57 Zur Entwicklung eines Kartellrechts gegen Widerstand der Industrie: Mierzejewski, Ludwig Erhard, Biographie, 2006, S. 130, 147, 170 ff., 195.

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– Der Kunde erwartet vom Wettbewerber eine wirtschaftliche Leistung, der Bürger vom Staat vor allem Recht. So bleibt es bei dem für jeden Verfassungsstaat strukturgebenden Ausgangsbefund: Der Staat ist nicht frei, deswegen auch nicht zum freiheitlichen Wettbewerb berechtigt. – Ein Wettbewerb schafft Sieger und Besiegte, rechtfertigt diesen Unterschied allein aus dem fairen Verfahren, in dem nur einer der Wettbewerber den von allen erstrebten Erfolg – den Auftrag im Wirtschaftswettbewerb, die Goldmedaille im Sportwettbewerb, die Regierungsmehrheit im politischen Wettbewerb – erreichen kann. Der Staat aber ist nicht freiheitsberechtigt, sondern freiheitsverpflichtet. Sein Recht schafft nicht Sieger und Besiegte, sondern eine gleichmäßige und maßvolle Besteuerung. 2. Die Steuer als eine Rahmenbedingung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen Deswegen stehen die Unternehmen, nicht die Staaten in einem Wettbewerb. Bei diesem Unternehmenswettbewerb bietet die Steuer eine Rahmenbedingung. Allerdings lehren praktische Erfahrungen und insbesondere viele Gespräche mit international tätigen Unternehmern, dass ein Unternehmer sich nicht von einer niedrigen Tarifbelastung anregen lässt, im Inland zu bleiben oder in Deutschland zu investieren. Soweit das Steuerrecht überhaupt die Standortwahl bestimmt, blickt der Unternehmer nicht nur vordergründig auf eine vermeintliche Signalwirkung des Tarifs, sondern beobachtet, ob und inwieweit das Steuerrecht in seiner Kompliziertheit und Lenkungswirkung seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit beengt, ob es ihm die für Unternehmen unverzichtbare Planungssicherheit gewährt, ob er eine in der Sicherheit des einfachen Steuerrechts wirtschaftsverständige Finanzverwaltung antrifft, ob Anwendung und Vollzug des Steuerrechts streitanfällig, in den Gestaltungsund Vollzugskosten berechenbar, in Belastungsgrund und Rechtsfolge einsichtig sind. Diesen Voraussetzungen genügt das deutsche Steuerrecht gegenwärtig nicht. Deswegen erreicht den Steuerwissenschaftler immer wieder die fast bedrängende Frage, ob das politische System Deutschlands zum großen steuerlichen Erneuerungswurf fähig sei. Diese Frage beantworte ich zunächst durch die Erinnerung an die Wiedervereinigung Deutschlands, eine historisch einmalige Erneuerungsleistung unserer Bürger, die 1989 niemand unmittelbar erwartet, viele aber nachdrücklich erhofft haben. Sodann verweise ich auf die jüngste Unternehmensteuerreform58, die inzwischen für eine Einkunftsart, die Einkünfte aus Kapitalvermögen, den Gedanken eines einheitlichen Steuersatzes von 25 % bei vereinfachter, privilegienfreier Bemessungsgrundlage und fortbestehender Entlastung kleinerer Einkommen aufgenommen und sich zu eigen gemacht hat.

__________ 58 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912.

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Wenn diese Steuer allerdings nur für Einkünfte aus Kapitalvermögen gilt, andere Einkunftsarten hingegen mit einer Progression bis zu 45 % belastet bleiben, entsteht eine grobe Ungleichheit insbesondere zwischen Einkünften aus Finanzkapital und aus Arbeit. Die steuerbare Leistungsfähigkeit ist unabhängig von der Einkunftsart: Der Wert eines verdienten Euro bleibt gleich, mag er durch Arbeit oder durch Kapital verdient sein. Deswegen wird dieser erste Reformschritt Angleichungsfolgen für die anderen Einkunftsarten bewirken müssen: Das Verfassungsrecht verlangt, dass der Gesetzgeber ein Belastungsgefälle zwischen 25 % und 45 % je nach Einkunftsart vermeidet. Die Einheitssteuer von 25 % vollzieht deshalb einen großen Reformschritt, bleibt aber auf dem ersten Siebtel der notwendigen Reformstrecke stehen. Das Verfassungsrecht, die Steuerrechtswissenschaft und die politische Vernunft werden diesen voreiligen Haltepunkt beanstanden und das Steuerrecht erst anerkennen, wenn alle Steuersubjekte und alle Einkunftsarten aufgrund einer vereinfachten Bemessungsgrundlage einheitlich besteuert werden. Wenn hier Wissenschaft, rechtspolitische Einsicht und verbindliches Verfassungsrecht zusammenwirken, wird der Steuergesetzgeber sehr bald den richtigen Weg beschreiten.

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2. Unternehmenssteuerrecht Joachim Lang

Kritik der Unternehmensteuerreform 2008 Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das zentrale Ziel: Verbesserung der Steuerwettbewerbsfähigkeit durch tarifliche Entlastung von Unternehmen III. Keine Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung 1. Tarifliche Entlastung von Kapitalgesellschaften und Sondertarifierung bei transparent besteuerten Einkünften aus Personenunternehmen 2. Zur rechtsformneutralen Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften

IV. Gegenfinanzierung der Tarifentlastung von Unternehmen 1. Gleichheitswidrige Verletzung des Nettoprinzips durch die Zinsschrankenregelung (§ 4h EStG 2008, § 8a KStG 2008) 2. Gleichheitswidrige gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Kosten (§ 8 Nr. 1 GewStG 2008) 3. Europarechtswidrige Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 AStG 2008 V. Resümee

I. Einleitung Wolfram Reiß1 hat die Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung in seinem Referat auf der 18. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft 1993 in Fulda als Folge von Steuern beurteilt, deren Belastungsstrukturen weitgehend unabänderlich seien, so die Differenzierungen zwischen gewerblichen und übrigen Einkunftsarten, zwischen Betriebsvermögen und anderem Vermögen. Für problematisch erachtet er den sog. Einkünftedualismus, die Differenzierung nach Gewinneinkünften mit Betriebsvermögen und Überschusseinkünften ohne Erwerbsvermögen, folglich die grundsätzliche Nichtberücksichtigung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten beim sog. Privatvermögen2. Er stellt die transparente Besteuerung von Mitunternehmereinkünften der Steuersubjektivität der Körperschaftsteuer gegenüber3 und weist

__________ 1 Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3. 2 Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3, 6 ff. 3 Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3, 17 ff.

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schließlich auf die unterschiedlichen Belastungsgründe von Einkommensteuer, Vermögensbesteuerung einschließlich der Erbschaftsteuer einerseits und der Gewerbesteuer andererseits hin4. Der Bericht des Jubilars über die Unabänderlichkeiten des Unternehmensteuerrechts wirkte auf Reformenthusiasten ernüchternd. Er hat sich jedoch als bisher wahr erwiesen. Alle Ertragsteuerreformen mit dem Ziel, die von Wolfram Reiß geschilderten Unabänderlichkeiten zu überwinden, sind in der Geschichte der Bundesrepublik bisher gescheitert, wie kürzlich Klaus Tipke5 nachgewiesen hat. Indessen bildet die politische Macht der gegenwärtigen Koalition den Freibrief für eine Veränderung des Unternehmenssteuerrechts, wie es sich Wolfram Reiß wohl nicht vorgestellt, geschweige denn gewünscht hat. Man kann dem deutschen Gesetzgeber nicht vorwerfen, er habe keine unternehmensteuerlichen Strukturreformen geleistet. Vor allem hat er das Körperschaftsteuersystem mehrfach umgestellt, ohne allerdings den von Wolfram Reiß zitierten Dualismus transparenter Besteuerung von Einkünften aus Personenunternehmen (Einzelunternehmen, Personengesellschaften) und getrennter Besteuerung von Körperschaften (namentlich von Kapitalgesellschaften) anzutasten. 1976 ersetzte er das klassische Körperschaftsteuersystem der Doppelbelastung durch ein Körperschaftsteuersystem mit Vollanrechnungsverfahren.6 Dieses Verfahren, das die Körperschaftsteuer als Vorauszahlung auf die Einkommensteuer behandelte und damit der gleichmäßigen, synthetischen Besteuerung von Einkommen am besten entsprach, wurde ab 2001 durch das sog. Halbeinkünfteverfahren mit der Begründung abgelöst7, die Vollanrechnung der Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer sei wegen der Herstellung einer einheitlichen Ausschüttungsbelastung zu kompliziert, zudem missbrauchsanfällig und nicht europatauglich, weil sich u. a. die Anrechnung ausländischer Körperschaftsteuer fiskalisch nicht realisieren lasse.8 Die Unternehmensteuerreform 20089 steht nicht unter dem Stern eines Systemwechsels. Sie ist an dem eigentlich einzigen Ziel ausgerichtet, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Besteuerung von Unternehmen zu

__________ 4 Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3, 24 f., 38 f. – Zusammenfassung. 5 Tipke, Ein Ende dem Einkommensteuerwirrwarr!?, Rechtsreform statt Stimmenfangpolitik, Köln 2006, S. 22 ff. – Über gescheiterte Steuerreformen seit mehr als einem halben Jahrhundert. 6 Körperschaftsteuerreformgesetz v. 31.8.1976, BGBl. I 1976, 2597. S. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, Dok. 1 KSt Anm. 100. 7 Durch Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) v. 23.10.2000, BGBl. I 2000, 1433. 8 Dazu Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Heft 66, Berlin 1999, S. 43 ff.; m. w. N. krit. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 11 Rz. 13 ff. 9 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912.

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verbessern.10 Dies soll allerdings nicht mehr als 5 Mrd. Euro kosten.11 Der von Peer Steinbrück vielfach präsentierte Werbeslogan „Unternehmensteuerreform 2008 – eine Investition, die sich lohnt“ bezieht sich nicht nur auf die tariflich entlasteten Unternehmen. Die Reform soll nur vorübergehend aufkommensmindernd wirken. Längerfristig soll sie auch den Staat zum Gewinner machen, das Steueraufkommen steigern.12 Die Unternehmensteuerreform ist von rechtsgedankenlosem Fiskalismus geprägt. Wie sich diese Qualität deutscher Steuergesetzgebung darstellt, soll hier zu Ehren des Jubilars skizziert werden.

II. Das zentrale Ziel: Verbesserung der Steuerwettbewerbsfähigkeit durch tarifliche Entlastung von Unternehmen Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Steuersystems lebt nicht nur von einer niedrigen Tarifbelastung der Unternehmen. Ebenso bedeutsam ist ein wohlstrukturiertes, d. h. ein möglichst einfaches, nicht streitanfälliges Steuerrecht, das wirtschaftliche Entscheidungen möglichst wenig verzerrt, Steuerplanungssicherheit bietet und beim Vollzug der Steuergesetze eine im Wesentlichen störungsfreie Zusammenarbeit der Unternehmen mit den Finanzbehörden gewährleistet. Diese Kriterien erfüllt das deutsche Steuerrecht gegenwärtig nicht. Es ist unverständlich kompliziert und verzerrt wirtschaftliche Entscheidungen weit mehr als andere Steuersysteme. Daher liegt Deutschland nach den vom World Economic Forum jährlich durchgeführten Meinungsumfragen bei der Effizienzbewertung der Steuersysteme regelmäßig auf den allerletzten Plätzen. Obgleich alle vom deutschen Steuerrecht Betroffenen seit Jahren eindringlich die Vereinfachung des Steuerrechts fordern, baut der Gesetzgeber die Komplexität der deutschen Steuergesetze ungerührt mit jedem Steueränderungsgesetz weiter aus. Infolgedessen ist das Verhältnis zwischen Steuerzahlern und Finanz-

__________ 10 Der erste Satz im Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD fokussiert das Reformbedürfnis auf die „Ertragsteuerbelastung von Kapitalgesellschaften und ertragstarken Personenunternehmen“, die im Vergleich mit den übrigen Staaten der EU hoch sei, vgl. BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007. 11 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 30: „Die Unternehmensteuerreform führt bei voller Jahreswirkung (ohne Gegenrechnung volkswirtschaftlicher Effekte) zu Steuermindereinnahmen bei den öffentlichen Gebietskörperschaften in Höhe von 5 Mrd. Euro.“ 12 Vgl. Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 31 – Schaubild zur Entwicklung des Steueraufkommens bis 2012; geschickte Formulierung des Fiskalziels, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 30: Die Unternehmensteuerreform solle einerseits „einen Beitrag zur weiteren Verbesserung der guten Rahmenbedingungen zugunsten von Wachstum und Beschäftigung“ leisten. Gleichzeitig benötige „der Staat aber auch ausreichende finanzielle Mittel, um beispielsweise die für die privaten Unternehmen notwendigen Vorleistungen – wie beispielsweise öffentliche Infrastruktur – bereitzustellen“.

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behörden tiefgreifend gestört. Deutschland hält einen einsamen Weltrekord der Steuerprozesse.13 Der Bundesfinanzminister ließ schon in ersten Fernsehinterviews erkennen, dass ihn die rechtliche Seite der Besteuerung, besonders das Vereinfachungsbedürfnis wenig interessiert. Sein Reformimpetus war von Anfang an auf die Tarifentlastung der Kapitalgesellschaften und ertragsstarken Personenunternehmen gerichtet. Danach wurden die schwächeren, auf Fremdfinanzierung angewiesenen Unternehmen rasch zu Verlierern der Reform. Im Koalitionsvertrag14 wurde noch Anderes vereinbart: Die Regierungsparteien hatten sich vorgenommen, das international wettbewerbsunfähige, viel zu komplexe deutsche Unternehmenssteuerrecht grundlegend zu erneuern. Nur mit einer grundlegenden Unternehmensteuereform sei die Steuerbasis zu sichern, könnten neue Arbeitsplätze geschaffen und das wirtschaftliche Wachstum belebt werden. Es wurde „weitgehende Rechtsform- und Finanzierungsneutralität“ vereinbart.15 Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit solle der beherrschende Grundsatz im deutschen Einkommensteuerrecht bleiben.16 Priorität solle die Steuervereinfachung haben: „Wir stimmen darin überein, das Einkommensteuerrecht zu vereinfachen, um mehr Transparenz, Effizienz und Gerechtigkeit zu erreichen.“17 Diese Versprechungen des Koalitionsvertrages wurden nicht eingehalten. Die Koalitionsgesetzgebung blähte die Steuergesetze mit Buchstabenparagraphen weiter auf und verletzte massiv fundamentale Besteuerungsprinzipien.18 Die Koalition nahm zum Beispiel die hochkomplexe, das Nettoprinzip verletzende Zinsschrankenregelung von § 4h EStG 2008 und § 8a KStG 2008 für eine Gegenfinanzierung von weniger als 1 Mrd. Euro in Kauf.19

__________ 13 Nach dem letzten Geschäftsbericht der Finanzgerichte (EFG 2006, 942) gingen im Jahre 2004 bei den Finanzgerichten 62 811 Klagen ein. In den USA beträgt die Zahl neuer Steuerprozesse pro Jahr nur etwa 4000, in Japan sogar nur 600. Der Geschäftsbericht klagt darüber, dass die Steuergesetzgebung noch keine Tendenzen zur Vereinfachung und zur Konfliktvermeidung erkennen lasse (EFG 2006, 945). 14 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 11.11.2005, Rz. 3383 ff. 15 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 11.11.2005, Rz. 3406. 16 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 11.11.2005, Rz. 3454 f. 17 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 11.11.2005, Rz. 3459 f. 18 Dazu Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303. Zum gegenwärtigen Stellenwert des objektiven Nettoprinzips J. Lang, StuW 2007, 3. 19 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 42: Die angesetzten 1,475 Mrd. Euro wurden bei der Erweiterung der Zinsschranke auf die Abschreibungen (EBITDA anstelle von EBIT) auf etwa 800 Mrd. Euro reduziert.

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III. Keine Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung 1. Tarifliche Entlastung von Kapitalgesellschaften und Sondertarifierung bei transparent besteuerten Einkünften aus Personenunternehmen Die Koalition hat zutreffend erkannt, dass Deutschland mit einer nominalen Ertragsteuerbelastung thesaurierter Gewinne von Kapitalgesellschaften in Höhe von 38,65 % nicht wettbewerbsfähig ist20 und das gesamte Reformkonzept an dem Ziel ausgerichtet, die Thesaurierungsbelastung im engen Rahmen von 5 Mrd. Euro unter die optisch bedeutende Grenze von 30 % zu drücken. Mit budgetär spitzem Bleistift kamen 29,83 % zustande.21 Ein Teil der Steuerbelastung wurde mittels Umwandlung des Halbeinkünfteverfahrens in ein Teileinkünfteverfahren auf die Anteilseigner verlagert.22 Immerhin sinkt die Steuerbelastung der ausgeschütteten Gewinne von maximal 53,21 % im Jahr 2007 nach Einführung der Abgeltungsteuer von 25 % auf 48,33 % ab 2009.23 Wegen des hohen Anteils von Personenunternehmen in Deutschland24 konnte die Tarifentlastung thesaurierter Gewinne nicht auf Kapitalgesellschaften beschränkt bleiben. Daher wurde die „Begünstigung der nicht entnommenen Gewinne“ nach § 34a EStG 2008 mit dem Ziel eingeführt, die Gewinne von Personenunternehmen „in vergleichbarer Weise wie das Einkommen einer Kapitalgesellschaft tariflich zu belasten“25. Da jedoch 96,6 % der Einzelunternehmen und 92,3 % der Personengesellschaften unterhalb der Grenze von 30 % belastet sind26, erreicht die Sondertarifierung des § 34a EStG nur die kleine Elite besonders ertragstarker Personenunternehmen, bei denen die Inhaber bzw. Gesellschafter zumeist dem Spitzensatz der Einkommensteuer unterliegen und für ihre adäquate Lebensführung nur einen Bruchteil der erwirtschafteten Gewinne benötigen, so dass die Sondertarifierung des § 34a EStG 2008 entsprechend genutzt werden kann.

__________ 20 Vgl. Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 29. Anteile an der Belastung von 38,65 %: 20,83 Körperschaftsteuer; 16,67 Gewerbesteuer bei einem Hebesatz von 400; Solidaritätszuschlag 1,15. 21 Vgl. Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 31: Verringerung des Körperschaftsteuersatzes von 25 % auf 15 % und Senkung der Gewerbesteuermesszahl für Kapitalgesellschaften (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 GewStG 2002) von 5 % auf 3,5 % (§ 11 Abs. 2 GewStG 2008: einheitlich 3,5 %). 22 Nach § 3 Nr. 40 EStG 2008 werden nunmehr 40 % steuerfrei gestellt. 23 Vgl. Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 32 f. Bei einem Einkommensteuersatz von 22 Prozent liegt die Belastung bereits bei 39,6 %, s. die Tabelle von Knief/ Nienaber, BB 2007, 1309 (1310). 24 Dazu die detaillierte Untersuchung von J. Meyer, GmbHR 2002, 177. 25 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 62. 26 So die den Eckpunkten zur Unternehmenssteuerreform v. 12.7.2006 beigefügte Statistik des BMF.

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Indessen stellte sich alsbald heraus, dass das Ziel tariflicher Belastungsgleichheit im Dualismus separater Besteuerung von Kapitalgesellschaftsgewinnen und transparenter Besteuerung von Personenunternehmensgewinnen schwerlich zu erreichen ist. Da sich die Ertragsteuerbelastung der Kapitalgesellschaft auch auf die nicht abzugsfähigen Ausgaben erstreckt, während bei Personenunternehmen Entnahmen anzusetzen sind, wenn die Einkommensteuer aus dem Gewinn bezahlt wird, ergibt sich bei Personenunternehmen eine deutlich über 30 % liegende Belastung, nämlich 36,20 %.27 Gleichwohl besteht hier kein Nachbesserungsbedarf, da der Gesetzgeber die Vorteile transparenter Besteuerung wie besonders die Verlustverrechnung auf Inhaber- bzw. Gesellschafterebene beibehalten hat.28 Die Rechtsformabhängigkeit der Besteuerung hat sich weiter zugunsten der Personenunternehmen verschoben. Nachdem die Koalition mit dem Steueränderungsgesetz 2007 die sog. Reichensteuer eingeführt hatte29, machte sie nun die wirtschaftlich besonders leistungsfähigen Steuerpflichtigen zu den Gewinnern der Unternehmensteuerreform 2008, was wohl manchem Sozialdemokraten das Messer in der Tasche aufgehen ließ. Die kleinen und mittleren Unternehmen werden mit einer Verbesserung der Investitionsförderung nach § 7g EStG 2008 abgespeist.30 Über die sozialpolitische Ausgewogenheit eines derartigen Reformansatzes lässt sich trefflich streiten. Grundsätzlich weist aber die Absenkung der Tarifbelastung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau in die richtige Richtung, und von einer derartigen Reformmaßnahme profitieren eben nur die Unternehmen, deren Ertragsteuerbelastung über dem wettbewerbsfähigen Niveau liegt. Mit den Maßnahmen der Tarifentlastung wird die in der Europäischen Union höchste nominale Thesaurierungsbelastung von Kapitalgesellschaften31 so re-

__________ 27 Dazu Thiel/Sterner, Entlastung der Personenunternehmen durch Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns, DB 2007, 1099. Im Weiteren Cordes, WPg 2007, 526; Dörfler/Graf/Reichl, DStR 2007, 645; Grützner, StuB 2007, 445; Kleineidam/ Liebchen, DB 2007, 409; Knief/Nienaber, BB 2007, 1309; Lühn/Lühn, StuB 2007, 253 – Vergleich mit Kapitalgesellschaften; Schiffers, GmbHR 2007, 505 – Rechtsformvergleich. 28 Vgl. hierzu Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E, DStR 2007, 925. 29 So die linksideologische Bezeichnung für die Anhebung des Spitzensatzes der Einkommensteuer auf 45 % für zu versteuernde Einkommen ab 250 000 Euro. Hierzu sollte man sich daran erinnern, dass der Spitzensatz der Einkommensteuer am Ende der Ära von Helmut Kohl 53 % betrug. Die „Reichensteuer“ verknüpfte die Koalition mit der verfassungswidrigen (zutreffend Loschelder in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 32c EStG Rz. 3) Tarifbegrenzung bei Gewinneinkünften nach § 32c EStG, die lediglich bis zum Inkrafttreten der Unternehmensteuerreform 2008 gelten soll und daher letztmals für den Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden ist (§ 52 Abs. 44 EStG 2008). 30 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 32: „Damit auch kleine Unternehmen von der Steuerreform profitieren, werden zusätzlich die bisherigen sog. Ansparabschreibungen nach § 7g EStG modifiziert.“ 31 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 29.

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duziert, dass sie ab 2008 im Mittelfeld europäischer Belastungen liegt.32 Dies verbessert die Steuerwettbewerbsfähigkeit Deutschlands ganz erheblich, wirkt dem Impetus, Gewinne in das Ausland zu verlagern, entgegen und lässt sich – last not least – als Reform „zugunsten von Wachstum und Beschäftigung“33 auch sozialpolitisch rechtfertigen. Die Sondertarifierung nach § 34a EStG 2008 begünstigt die Gewinneinkünfte gegenüber den Überschusseinkünften und bedarf daher der gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung. Das Bundesverfassungsgericht entschied 200634, dass die Tarifbegrenzung bei gewerblichen Einkünften nach § 32c EStG 1993 mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Es anerkannte die reichlich inkongruente Kompensation der gewerbesteuerlichen Zusatzbelastung als ausreichenden Rechtfertigungsgrund, ließ es allerdings offen, ob die auf Sicherung des Standorts Deutschland gerichteten Förderungs- und Lenkungsziele die Tarifbegrenzung für sich allein rechtfertigen könnten.35 Die Entscheidung hat die Fachwelt allgemein überrascht, weil der vorlegende X. Senat des Bundesfinanzhofs die Gleichheitswidrigkeit des § 32c EStG 1993 überzeugend begründet hatte.36 Ganz anders als etwa im Bereich der Familienbesteuerung judizierte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unternehmensbesteuerung immer schon sehr zurückhaltend gegenüber dem Gesetzgeber.37 § 34a EStG 2008 ist Teil eines neuen Einkommensteuerrechts, das sich unter dem Druck der Globalisierung schrittweise vom Ordnungsprinzip der synthetischen Einkommensteuer abzuwenden scheint. Die Unternehmenssteuerreform 2008 leitet einen Paradigmenwechsel zur Schedulenbesteuerung mit dem Ziel ein, alle dem Standortwettbewerb besonders ausgesetzten Einkünfte einem Sonderregime zu unterwerfen. Das zeigt sich besonders bei der abgeltenden 25-%-Besteuerung von Kapitaleinkünften nach den §§ 32d, 43 Abs. 5 EStG.38

__________ 32 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 31. Zu den positiven ökonomischen Effekten Herzig, WPg 2007, 7 (9 f.); Schreiber/Overesch, DB 2007, 813. 33 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 30. 34 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (183 ff.). Nach diesem Beschluss ist der mit dem Standortsicherungsgesetz v. 13.9.1993 (BGBl. I 1993, 1569) eingeführte § 32c EStG mit dem Grundgesetz vereinbar. § 32c EStG 1993 wurde mit dem Steuersenkungsgesetz v. 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433) ab 2001 durch die Gewerbesteueranrechnung nach § 35 EStG ersetzt. 35 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (191). 36 BFH, Beschl. v. 24.2.1999 – X R 171/96, BStBl. II 1999, 450 – im Anschluss an die h. M. im Schriftttum. Dazu mit zahlreichen Nachweisen Jachmann, Besteuerung von Unternehmen als Gleichheitsproblem, in Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 23), Köln 2000, S. 9, 46 ff. 37 Dies beklagt Schulze-Osterloh, Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung, in Festschrift für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 531. 38 Dazu ausführlich Englisch, Verfassungsrechtliche und steuersystematische Kritik der Abgeltungsteuer, StuW 2007, 221 – mit dem Ergebnis, dass sich der Gesetzgeber mit der Abgeltungsteuer endgültig vom „Ideal einer synthetischen Einkommensteuer“ verabschiede. Die Abgeltungsteuer wird hier aus Platzgründen nicht näher behandelt.

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In diesem neuen Umfeld gewinnt die Standortsicherung als Rechtfertigungsgrund Durchschlagskraft: § 34a EStG ist Teil eines Konzepts, die progressive Einheitssteuer überall dort zu begrenzen, wo sie sich im internationalen Steuerwettbewerb nicht durchzusetzen vermag. Daraus entstehen neue Anforderungen an Belastungsgleichheit, so die vom Gesetzgeber mit § 34a EStG 2008 angestrebte Belastungsgleichheit zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Jedenfalls dürfte das Bundesverfassungsgericht in der Sondertarifierung des § 34a EStG 2008 keine Verletzung des Gleichheitssatzes erkennen. 2. Zur rechtsformneutralen Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften Der Gewinn an Steuerwettbewerbsfähigkeit ist mit dem Wandel der Einkommensteuer zur Schedulensteuer teuer erkauft. Hierzu stellt sich die Frage, ob das Ziel der Steuerwettbewerbsfähigkeit nicht mit geringerem Schaden für die Struktur des Ertragsteuerrechts hätte erreicht werden können. Ein derartiger Schaden wäre mit der rechtsformneutralen Gleichbehandlung von Kapitalund Personengesellschaften nicht entstanden. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel der Rechtsformneutralität ist aufgegeben worden, ohne seine Effektuierung für das Ziel der Steuerwettbewerbsfähigkeit sorgfältiger geprüft zu haben. Die Dominanz der Personenunternehmen in Deutschland hat die seit dem 33. Deutschen Juristentag 1924 geführte Diskussion über die Rechtsformneutralität des deutschen Unternehmenssteuerrechts immer wieder belebt. Die akademischen Debatten39 bewirkten jedoch kein rechtsformneutraleres Unternehmenssteuerrecht. 1998 berief Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine die „Brühler Kommission“40, die ein Konzept für eine „rechtsformneutrale Unternehmensteuer“ erarbeiten sollte. Dies leistete die „Brühler Kommission“

__________ 39 Dazu m. w. N. J. Lang, StuW 1989, 3; J. Lang, StuW 1990, 107; Graß, Unternehmensformneutrale Besteuerung, Berlin 1992; Englisch, DStZ 1997, 778; Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KStG Anm. 180 ff.; Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3; Jachmann, Besteuerung von Unternehmen als Gleichheitsproblem, in Pelka (Hrsg.), Europa- und verfassungsrechtliche Grenzen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 23), Köln 2000, S. 9, 19 ff.; Hey in Ebling (Hrsg.), Besteuerung von Einkommen (DStJG 24), Köln 2001, S. 155; Sieker in Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (DStJG 25), Köln 2002, S. 145; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1190 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 18 Rz. 530; Schultes-Schnitzlein, Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung in Deutschland und Brasilien, Diss. jur. Köln 2006; Weinelt, Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung, Verfassungsrechtliches Gebot oder rechtspolitische Forderung?, Hamburg 2006. 40 Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Heft 66, Berlin 1999, S. 11 – Auftrag.

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nicht; sie beschränkte sich auf Empfehlungen wie die erwähnte Umstellung des körperschaftsteuerlichen Vollanrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren41 und die Sondertarifierung nicht entnommener Gewinne in Höhe des Körperschaftsteuersatzes42; dieser Vorschlag führte ein Jahrzehnt später zum § 34a EStG 2008. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu § 32c EStG 1993 verneinte ein Verfassungsgebot der Rechtsformneutralität43, und der 66. Deutsche Juristentag44 beschloss 2006: „Die dualistische Struktur der Unternehmensbesteuerung – Trennungsprinzip bei juristischen Personen und Transparenzprinzip bei Personenunternehmen – hat sich bewährt. Sie entspricht – bei typisierter Betrachtung – zivilrechtlichen Rechtsformunterschieden und sollte daher beibehalten werden.“ Demnach bestätigt der gegenwärtige Diskussionsstand die eingangs zitierte Erkenntnis von Wolfram Reiß zur Unabänderlichkeit der transparenten Besteuerung von Personenunternehmen und separaten Besteuerung von Körperschaften. Der Jubilar setzte klar an den Anfang seines Referats: „Empfiehlt sich eine rechtsformunabhängige Besteuerung der Unternehmen? Nein, sie empfiehlt sich nicht.“45 Davon ausgehend können alle Vorschläge zu einer allgemeinen Unternehmensteuer46 als politische Illusion verworfen werden. Mit einem derartigen Vorschlag47 ist in jüngster Zeit die Stiftung Marktwirtschaft gescheitert.48 Besonders das Doppelbesteuerungsrecht bereitet den Unternehmensteuermodellen unüberwindliche Schwierigkeiten, namentlich die Unterscheidung zwischen Besteuerung von Unternehmensgewinnen nach Art. 7 OECD-MA und Divi-

__________ 41 Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Heft 66, Berlin 1999, S. 49 ff. 42 Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Heft 66, Berlin 1999, S. 82 ff. 43 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (197). Dazu krit. Keß, FR 2006, 869. 44 66. Deutscher Juristentag, Besteuerung von Einkommen – Aufgaben, Wirkungen und europäische Herausforderungen, München 2006, Teil Q, S. 170. 45 Reiß, Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in: Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3, 4. 46 Dazu Hey in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Einf. KStG Anm. 180 ff.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1203 ff. 47 Siehe Kommission „Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft, Steuerpolitisches Programm, Berlin, Januar 2006, S. 16 ff. – Konzept einer einheitlichen Unternehmensteuer. Dazu Hey, StuB 2006, 267. 48 Die Idee der allgemeinen Unternehmensteuer war selbst innerhalb der von mir geleiteten Kommission umstritten. Obgleich ich für die Beratung der mittel- und osteuropäischen Staaten eine allgemeine Unternehmensteuer ausgearbeitet hatte (J. Lang, Entwurf eines Steuergesetzbuchs, Schriftenreihe des BMF, Heft 49, Bonn 1993, §§ 150 ff.), plädierte ich vor allem wegen der internationalen Untauglichkeit der allgemeinen Unternehmensteuer (s. Fn. 49) dafür, von dem im Januar 2006 publizierten Projektkonzept nicht abzuweichen und eine überzeugende Lösung für den Zugang von Personenunternehmen zur Körperschaftsteuer zu erarbeiten.

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dendenbesteuerung nach Art. 10 OECD-MA.49 Mithin bleibt nur der Weg, die Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung durch Integration von Personenunternehmen in die Körperschaftsteuer zu verbessern. Grundvoraussetzung der Körperschaftsteuerpflicht ist eine zivilrechtliche Ausgestaltung der Rechtsform, die eine separate Besteuerung des Unternehmens praktisch ermöglicht. Die Diskussion der Option zur Körperschaftsteuer während der letzten Unternehmensteuerreform im Jahre 200050 zeigte deutlich, dass „virtuelle Kapitalgesellschaften“, wie sie bei Einzelunternehmen zu konstruieren sind, nicht durchsetzungsfähig sind. Die Zusammenarbeit in der Kommission „Steuergesetzbuch“ war zwar politisch nicht erfolgreich, fachlich jedoch ergiebig. Die zur „einheitlichen Unternehmensteuer“ gewonnenen Erkenntnisse lassen sich auch für die Ausgestaltung der Körperschaftsteuer verwerten.51 Danach sollte die Körperschaftsteuerpflicht zunächst auf die Personenhandelsgesellschaften erweitert werden, weil deren zivilrechtliche Ausgestaltung besonders in der Rechtsform der GmbH & Co. KG52 die separate Besteuerung des Unternehmens nahezu ebenso gut wie bei einer Kapitalgesellschaft ermöglicht. Unternehmerisch tätige BGB-Gesellschaften (u. a. Freiberuflersozietäten) sollten für die Körperschaftsteuer optieren können. Keinen Zugang zur Körperschaftsteuer sollten Einzelunternehmen, vermögensverwaltende Personengesellschaften und Personengemeinschaften haben. Diese Abgrenzung der Körperschaftsteuerpflicht basiert auf der Erkenntnis, dass Optionen praktisch schwierig zu handhaben sind. Sie sollten demnach eng abgesteckt und möglichst unwiderruflich sein. Auch zeigt die von der Kommission „Steuergesetzbuch“ vorgeschlagene, m. E. zu komplexe Kleinunternehmerregelung53, dass die Körperschaftsteuerpflicht nicht zu weit ausgedehnt werden sollte. Schließlich fordert das internationale Steuerrecht eine

__________ 49 Es gibt nur sehr wenige Länder mit einer allgemeinen Unternehmensteuer wie Brasilien. Die Erkenntnis internationaler Untauglichkeit einer allgemeinen Unternehmensteuer hat mir vermittelt die Dissertation von Schultes-Schnitzlein, Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung in Deutschland und Brasilien, Diss. jur. Köln 2006. M. Lang verneint eine europarechtliche Verpflichtung zur Rechtsformneutralität im Steuerrecht, vgl. M. Lang, IStR 2006, 397. 50 Entwurf eines Steuersenkungsgesetzes, BT-Drucks. 14/2683 v. 15.2.2000, 77 f. – § 4a EStG-E war nicht ausgereift und scheiterte wegen vermeidbarer Fehler bei der Ausgestaltung der Option. S. Hey, Unternehmenssteuerreform: Integration von Personenunternehmen in die niedrige Besteuerung thesaurierter Gewinne, in Festschrift Arndt Raupach, Köln 2006, S. 479, 491 f. 51 Vgl. Müller-Gatermann, Unternehmensteuerreform 2008, Stbg 2007, 145 (155 ff.): „Bei Anwendung des Körperschaftsteuerregimes auf Personenunternehmen sind Gestaltungen am ehesten beherrschbar.“ 52 Wahrscheinlich erledigt die Körperschaftsteuerpflicht der KG die steuerinduzierte Rechtsform der GmbH & Co. KG. 53 Kommission „Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft, Steuerpolitisches Programm, Berlin, Januar 2006, S. 29 f.

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klare, doppelbesteuerungsrechtlich praktizierbare Abgrenzung der Körperschaftsteuerpflicht.54 Die Kommission „Steuergesetzbuch“ hat die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Gesellschafters mit dem Vorschlag bewahrt, bei personenbezogenen Unternehmen Entnahmen unmittelbar bei dem Gesellschafter zu versteuern und dementsprechend von der unternehmensteuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehen (sog. transparente Entnahme).55 Auf diese Weise kann die Steuerfreiheit des Existenzminimums besonders bei Familienunternehmen mit vielen zu versorgenden Personen gesichert werden. Die Regelung der transparenten Entnahme sollte rechtsformneutral auch auf personenbezogene Kapitalgesellschaften übertragen werden, indem sämtliche offene und verdeckte Ausschüttungen unmittelbar bei den Gesellschaftern im Zeitpunkt des Zuflusses besteuert werden; kongruent hierzu sind die Ausschüttungen steuerbilanziell aus der körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage auszuscheiden.56 Damit würde sich u. a. die schwierige Praxis der verdeckten Gewinnausschüttungen bei der personenbezogenen GmbH weitgehend erübrigen, weil die Angemessenheit der Ausschüttung, zum Beispiel die Angemessenheit von Geschäftsführerbezügen nicht mehr zu prüfen ist. Es kommt allein auf den Vorteilszufluss beim Gesellschafter an; dabei bedürfen nur noch nicht geldwerte Vorteile einer Bewertung. Nach alledem könnte die niedrige, international wettbewerbsfähige Ertragsteuerbelastung thesaurierter Gewinne durchaus mit dem Prinzip der synthetischen Einkommensteuer in Einklang gebracht werden.

IV. Gegenfinanzierung der Tarifentlastung von Unternehmen 1. Gleichheitswidrige Verletzung des Nettoprinzips durch die Zinsschrankenregelung (§ 4h EStG 2008, § 8a KStG 2008) Die Gegenfinanzierung der Tarifentlastung von Unternehmen ist von tiefen Einschnitten in das objektive Nettoprinzip geprägt. Die Zinsschrankenregelung in § 4h EStG und § 8a KStG 2008 dient dem Zweck, Gewinnverlagerun-

__________ 54 Vgl. hierzu den Überblick über die ertragsteuerliche Einordnung der Personengesellschaft in den Mitgliedstaaten der EU, der Schweiz und den USA von Hey/Bauersfeld, IStR 2005, 649. 55 Kommission „Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft, Steuerpolitisches Programm, Berlin, Januar 2006, S. 29 f. Vgl. auch J. Lang, Perspektiven der Unternehmensteuerreform, in Bericht der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Heft 66, Berlin 1999, Anhang Nr. 1, S. 40 ff. – Auszahlungsabzugsverfahren. 56 Im Prinzip werden die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter wie im geltenden Steuerbilanzrecht der Personengesellschaft behandelt. Es könnten also z. B. in der Steuerbilanz keine Pensionsrückstellungen für Gesellschafter gebildet werden.

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gen in das Ausland zu verhindern.57 Sie ist Teil des Konzernsteuerrechts (§ 4 Abs. 2 Buchst. b EStG), gehört systematisch in das Körperschaftsteuerrecht und sollte daher ausschließlich in § 8a KStG geregelt sein.58 § 4h Abs. 1 EStG regelt die Zinsschranke höchst komplex: Zinsaufwendungen sind zunächst in Höhe von Zinserträgen uneingeschränkt abzugsfähig. Darüber hinaus sind Zinsaufwendungen nur bis zur Höhe von 30 % des um die Zinsaufwendungen und -erträge bereinigten Gewinns vor Abschreibungen (sog. EBITDA) abzugsfähig. Nicht abzugsfähige Zinsaufwendungen sind vortragsfähig, dürfen aber den EBITDA-Wert der Folgejahre nicht beeinflussen. Nach § 4h Abs. 2 Buchst. a EStG greift die Zinsschranke bei Zinsaufwendungen von weniger als 1 Mio. Euro nicht Platz (Freigrenze), ebenso nicht nach der Escape-Klausel des § 4h Abs. 2 Buchst. c EStG, wenn die Eigenkapitalquote des Betriebs die des Gesamtkonzerns nicht um mehr als 1 % unterschreitet. Die Berechnung der Eigenkapitalquote nach den IFRS bildet einen Fremdkörper im Einkommensteuerrecht und belegt daher den körperschaftsteuerlichen Charakter der Norm. Die Zinsschrankenregelung ist als Norm gegen Gestaltungsmissbrauch konzipiert, greift indessen weit über diesen Normzweck hinaus, indem jedwede Fremdfinanzierung vom Steuerabzug ausgeschlossen wird.59 Auch reine Inlandskonzerne sind von der Zinsschranke betroffen, darunter mittelständische Personenunternehmen mit Besitz- und Betriebsgesellschaften, um unternehmerisches Risiko abzugrenzen, wie dies zum Beispiel bei Hotels, Kinobetrieben, Kaufhäusern und im Lebensmittelhandel üblich ist. Die Freigrenze von 1 Mio. Euro mag zwar die meisten mittelständischen Unternehmen verschonen. Jedoch kann dadurch die Maßgeblichkeit des Nettoprinzips nicht ausgeschaltet werden. Oberhalb von 1 Mio. Euro schränkt die Zinsschranke den Zinsabzug flächendeckend ein und ist daher insbesondere geeignet, Unter-

__________ 57 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 31 (vgl. auch S. 35): „Die sog. Zinsschranke bei der Körperschaftsteuer ist deshalb grundsätzlich gegen eine übermäßige Fremdkapitalfinanzierung gerichtet und soll verhindern, dass allein aus Gründen der Steueroptimierung eine hohe Fremdkapitalquote angestrebt wird. Sie soll insbesondere verhindern, dass Konzerne mittels grenzüberschreitender konzerninterner Fremdkapitalfinanzierung in Deutschland erwirtschaftete Gewinne ins Ausland transferieren.“ 58 Zutreffend die in Fn. 57 zitierte Begründung. Der systematischen Zugehörigkeit zum Körperschaftsteuerrecht steht nicht entgegen, dass auch Personenunternehmen von der Zinsschrankenregelung betroffen sein können. Schon bisher enthielt § 8a Abs. 5, 6 KStG entsprechende Anwendungen für Personengesellschaften. Eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft kann als gewerbliches Unternehmen Organträger i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG sein. 59 Dazu Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 (1305 f.). Rödder/Stangl, DB 2007, 479 (485): Es müsse klar sein, dass das Ziel der geplanten Zinsschranke Missbrauchsbekämpfung ist und „dass Kollateralschäden so gut es geht vermieden werden müssen“.

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nehmen, die sich in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befinden, zu erdrosseln.60 Das Nettoprinzip ist kein statistisch ausschaltbares Prinzip, sondern Teil gerechter Individualbesteuerung, auf die jedes Steuersubjekt verfassungsrechtlich Anspruch hat.61 Der zitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts62 zu § 32c EStG 1993 hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, wonach Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips durch besondere sachliche Gründe gerechtfertigt werden müssen63; dabei lässt das Bundesverfassungsgericht eine rein fiskalische Rechtfertigung nicht gelten64. Zu dieser Judikatur stellt sich zunächst die Frage, ob die Sicherung von Steuersubstrat nicht a priori der Kategorie fiskalischer Gründe angehört, die untauglich sind, Durchbrechungen des objektiven Nettoprinzips zu rechtfertigen. Darf der Staat Gewinne in seinem Land zu Lasten der Steuergerechtigkeit einsperren, zumal unter der Herrschaft des Europarechts?65 Zudem steht das Volumen der Gegenfinanzierung in argem Missverhältnis zur Schwere des Eingriffs in eine gerechte Aufteilung der Steuerlasten.66 Würde man all dies billigen, so kann die fehlende Zielgenauigkeit der Missbrauchsnorm gleichheitsrechtlich nicht hingenommen werden. Missbrauchsnormen erfordern gerade ein gezieltes Wirken gegen steuerlich unerwünschtes Verhalten. Wenn sich aber der Normadressat im Falle eines rein inländischen Konzerns gar nicht unerwünscht verhalten kann, dann kann ihm gegenüber die Verletzung des Nettoprinzips nicht gerechtfertigt werden. Die Norm ist daher verfassungswidrig, wenn sie nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung auf die Fälle des Gestaltungsmissbrauchs reduziert werden kann, was hier nicht möglich ist.

__________ 60 Köhler, Erste Gedanken zur Zinsschranke, DStR 2007, 597 (604). 61 S. Hey, Das Individualsteuerprinzip in Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, in Gedächtnisschrift für C. Trzaskalik, Köln 2005, S. 219. 62 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181 f.). 63 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (181) – Hinweis auf: BVerfG, Beschl. v. 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280 (290); BVerfG, Beschl. v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 (48). 64 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182): Ungleiche Belastungen könnten „nicht schon allein mit dem Finanzbedarf des Staates oder einer knappen Haushaltslage gerechtfertigt werden“; Hinweis auf: BVerfG, Beschl. v. 17.1.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (80); BVerfG, Beschl. v. 1.6.1965 – 2 BvR 616/63, BVerfGE 19, 76 (84 f.); BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990 – 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60 (89); BVerfG, Beschl. v. 5.2.2002 – 2 BvR 305, 348/93, BVerfGE 105, 17 (45). Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen sei, müsse er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten, Hinweis auf: BVerfG, Beschl. v. 29.5.1990 – 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60 (89). 65 S. Führich, Ist die geplante Zinsschranke europarechtskonform?, IStR 2007, 341. 66 S. Fn. 19. Töben/Fischer, GmbHR 2007, 532: Der Schaden der Zinsschranke dürfte größer sein als der erhoffte Finanzierungseffekt.

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2. Gleichheitswidrige gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Kosten (§ 8 Nr. 1 GewStG 2008) Mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 200867 sind die Hinzurechnungstatbestände des § 8 GewStG umstrukturiert und erweitert worden.68 Durch die Ausweitung der Hinzurechnungen69 sollte die Abwanderung von Steuersubstrat erschwert werden.70 Die umfassendere Besteuerung von Kosten hat der Gesetzgeber einerseits durch die Absenkung der Hinzurechnungen auf 25 % und einen Freibetrag von 100 000 Euro abgemildert, andererseits durch die Nichtabzugsfähigkeit der Gewerbesteuer verschärft. Ob das Nettoprinzip durch die neue gewerbesteuerliche Rechtslage stärker oder weniger stark verletzt wird, hängt vom Einzelfall ab. Die Zahl der substanzbesteuerten Steuerpflichtigen dürfte erheblich zunehmen. Bei Mieten, Pachten und Leasingraten drohen gewerbesteuerliche Mehrfachbelastungen, da es auf die Gewerbesteuerbelastung beim Vermieter, Verpächter oder Leasinggeber nicht mehr ankommt.71 Die Leasingbranche und Branchen, deren Unternehmen wie z. B. die des Lebensmittelhandels Geschäftsräume ganz überwiegend anmieten, sind besonders betroffen. Mithin steigt das Bedürfnis, den Stellenwert des objektiven Nettoprinzips im Gewerbesteuerrecht klären zu lassen. Der Gewerbesteuer unterliegt der objektive Gewerbeertrag.72 Dazu konstatierte das Bundesverfassungsgericht73: „Bei der Einkommensteuer zeigt sich die Leistungsfähigkeit in der individuellen Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen selbst und bei der Gewerbesteuer in der objektivierten Ertragskraft des Betriebes.“ Der Beschluss zu § 32c EStG 1993 beanstandete die Hinzurechnungen nach § 8 GewStG nicht.74 Damit scheint es das Bundesverfassungsgericht zu akzeptieren, dass die Belastungsentscheidung, an die objektivierte Ertragskraft des Betriebes anzuknüpfen, die Geltungskraft des objektiven Netto-

__________ 67 Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912 – Art. 3 Nr. 1 UntStRefG. 68 Dazu Bergemann/Markl/Althof, DStR 2007, 693. 69 Auf alle Fremdkapitalzinsen und deren Substitute sowie auf die Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten. 70 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 31. Dabei hebt der Entwurf die „Fremdkapitalzinsen und deren Substitute“ besonders hervor. Zudem werden Renten, dauernde Lasten (§ 8 Nr. 1, b), Gewinnanteile des stillen Gesellschafters (§ 8 Nr. 1, c), die pauschal (20/75 Prozent) angesetzten Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten (§ 8 Nr. 1, d und e), sowie die pauschal (25 Prozent) angesetzten Finanzierungsanteile entgeltlich überlassener Rechte, insbesondere Konzessionen und Lizenzen (§ 8 Nr. 1, f) hinzugerechnet. Anders als bisher (§ 8 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3, Nr. 7 GewStG 2002) kommt es auf die Gewerbesteuerbelastung des Empfängers nicht mehr an. 71 S. Fn. 70. 72 So der Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 78. 73 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (186). 74 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (185): Hinzurechnungen seien „objektsteuertypische Elemente“.

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prinzips schwächt, die Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips möglicherweise sogar ganz in das Belieben des Gesetzgebers stellt. Eine derartige Konsequenz der Anknüpfung an die „objektivierte Ertragskraft“ lässt sich einem obiter dictum wohl nicht entnehmen, denn auch die Gewerbesteuer ist dem Leistungsfähigkeitsprinzip gleichheits- und freiheitsrechtlich unterworfen.75 Danach darf die Objektivierung der Ertragskraft nur bedeuten, dass die persönlichen Verhältnisse des Unternehmers unberücksichtigt bleiben können. Wohl aber muss die Ertragskraft des in der Gemeinde ansässigen Unternehmens zutreffend bestimmt sein. Leistungsfähigkeitsprinzip und Nettoprinzip gelten auch für die Gewerbesteuer.76 Die Hinzurechnung von Kosten verfälscht die Ertragskraft, löst Sustanzsteuereffekte aus. Im Extremfall kann die Besteuerung von Kosten erdrosselnd wirken. Die umfassendere Besteuerung von Kosten verschärft die Unvereinbarkeit der Gewerbesteuer mit dem Gleichheitssatz, dessen systemtragender Vergleichsmaßstab im Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip ist.77 Infolge der Mehrfachbelastungen dürfte auch die Gefahr von erdrosselnden Steuerbelastungen, die das Verbot der Erdrosselungssteuer (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG)78 verletzen, zunehmen. Das Bundesverfassungsgericht sollte einerseits erkennen, wohin der Weg führen kann, wenn der Vergleichsmaßstab des Leistungsfähigkeitsprinzips ausgeschaltet wird, und andererseits berücksichtigen, dass es durchaus Wege gibt, die Stetigkeit der Kommunalfinanzen besser und zugleich im Einklang mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip zu gewähren. So sieht das Vier-Säulen-Modell der Kommission „Steuergesetzbuch“79 eine streng gewinnabhängige kommunale Unternehmensteuer ohne Substanzsteuereffekte vor, die durch eine Direktbeteiligung der Kommunen an der von den Arbeitgebern einbehaltenen Lohnsteuer ergänzt wird; ganz im Unterschied zur Lohn-

__________ 75 Grundlegend hierzu Jachmann, Ansätze zu einer gleichheitsgerechten Ersetzung der Gewerbesteuer, BB 2000, 1432. S. auch Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, Stuttgart 2000, S. 111 f. 76 So die h. M. im juristischen Schrifttum: J. Lang, StuW 1989, 3 (16); J. Lang, StuW 1990, 107 (123 f.); Jachmann, Ansätze zu einer gleichheitsgerechten Ersetzung der Gewerbesteuer, BB 2000, 1432. S. auch Jachmann, Steuergesetzgebung zwischen Gleichheit und wirtschaftlicher Freiheit, Stuttgart 2000, S. 111 f.; Jachmann in Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung (DStJG 25), Köln 2002, S. 195, 205 f.; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl., Köln 2003, S. 1139 f.; Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 12 Rz. 1; Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 (1307); umfassend FG Nds., Beschl. v. 23.7.1997 – IV 317/91, EFG 1997, 1456 ff.; FG Nds., Beschl. v. 24.6.1998 – IV 317/91, EFG 1998, 1428, dazu Seer, FR 1998, 1022. 77 Dazu m. w. N. J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 81 ff. 78 Dazu m. w. N. J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 4 Rz. 213. 79 Kommission „Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft, Steuerpolitisches Programm, Berlin, Januar 2006, S. 40 ff.; Jachmann, Eine neue Qualität der kommunalen Steuerfinanzierung: Das Vier-Säulen-Modell der Kommission Steuergesetzbuch, StuW 2006, 115.

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summensteuer werden weder das Unternehmen noch der Arbeitnehmer zusätzlich belastet80. 3. Europarechtswidrige Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 AStG 2008 Schließlich wird die Tarifentlastung der Unternehmen durch die Besteuerung von Funktionsverlagerungen nach § 1 Abs. 3 AStG 2008 gegenfinanziert und dabei wiederum der Zweck verfolgt, die Verlagerung von Steuersubstrat in das Ausland zu erschweren.81 Die Regelung des § 1 Abs. 3 AStG 2008 ist extrem kompliziert82, gesetzestechnisch verunglückt83 und in hohem Maße streitanfällig. Entgegen der Entwurfsbegründung84 wird der internationale Fremdvergleichsgrundsatz nicht präzisiert, sondern nur streitträchtig gemacht und Konflikte mit den ausländischen Finanzverwaltungen provoziert. Der Entwurf des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 verweist ungerührt auf den Ausbau von Personalkapazitäten für Streitschlichtungen.85 Mit der Ermittlung des Einigungsbereichs nach § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG 2008 (Funktionsanalyse; innerbetriebliche Planrechnungen) sind enorme Kosten verbunden. Die Beratungsbranche reibt sich im Stillen die Hände. Der vage Tatbestand der Funktionsverlagerung erfasst nicht nur die mit der als solche schon schwerlich abzugrenzenden Unternehmensfunktion übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter, sondern alle dazugehörenden Chancen, Risiken und sonstigen Vorteile (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG 2008). Mit der m. E. verfassungswidrig unbestimmten86 Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG 2008 schränkt der Gesetzgeber nicht nur das Realisationsprinzip an der Grenze drastisch ein; er leistet sich auch eine Sollertragsbesteuerung im Bereich des Ungewissen87. Er will offensichtlich nicht erkennen, dass sich ein EG-

__________ 80 Kommission „Steuergesetzbuch“ der Stiftung Marktwirtschaft, Steuerpolitisches Programm, Berlin, Januar 2006, S. 43 f.; Jachmann, Eine neue Qualität der kommunalen Steuerfinanzierung: Das Vier-Säulen-Modell der Kommission Steuergesetzbuch, StuW 2006, 115 (120 f.). 81 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 34. 82 S. Frischmuth, Die Konzeption der Funktionsverlagerungsversteuerung nach dem UntStRefG 2008, StuB 2007, 386. 83 Überzeugend die Kritik von Wassermeyer, DB 2007, 535. 84 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 34. 85 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 85: „Kommt es zu internationalen Besteuerungskonflikten, greifen die üblichen Streitschlichtungsinstrumente: Verständigungs- und Schiedsverfahren. Zur zügigeren Erledigung dieser Verfahren sind beim Bundeszentralamt für Steuern zusätzliche Personalkapazitäten geschaffen worden.“ 86 Vergleichbar mit der Regelung der Mindestbesteuerung (§ 2 Abs. 3 Sätze 2-8, § 10d Abs. 1 Sätze 2-4 EStG i. d. F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002); wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3; Art. 19 Abs. 4 GG) vom BFH dem BVerfG vorgelegt: BFH v. 6.9.2006 – XI R 26/04, BStBl. II 2007, 167. 87 Hey, Verletzung fundamentaler Besteuerungsprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303 (1307).

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Mitgliedstaat auf diese Art nicht mehr steuerlich einmauern darf. Mit dem SEStEG88 hat der deutsche Steuergesetzgeber die europarechtlichen Vorgaben wohl notdürftig eingehalten.89 Hingegen hat er mit der Neufassung des § 1 AStG die Politik des Grenzverhaltens gegenüber der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs überspannt. Mit den Urteilen Hughes de Lasteyrie du Saillant90 und N91zur Wegzugsbesteuerung, Cadburry Schweppes92 zur Hinzurechnungsbesteuerung93 sowie Marks & Spencer94 und Test Claimants in the Thin Cap95 zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnis hat der Europäische Gerichtshof Meilensteine zur grenzüberschreitenden Ertragsbesteuerung gesetzt. Im Ausgangspunkt effektuiert der EuGH die Grundfreiheiten ganz im Sinne des in Art. 14 EGV statuierten Raumes ohne Binnengrenzen. Danach haben sich die Mitgliedstaaten jeglicher ertragsteuerlicher Benachteiligung internationaler Transaktionen im Vergleich zu innerstaatlichen Transaktionen zu enthalten. Im Prinzip darf eine Transaktion zwischen Essen und Paris nicht anders behandelt werden als eine Transaktion zwischen Essen und München. Die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit den Grundfreiheiten des EGVertrages prüft der EuGH zweistufig: Auf der ersten Stufe prüft er die Verletzung von Grundfreiheiten. Er prüft, ob die nationale Maßnahme in- und ausländische Steuersubjekte ungleich behandelt oder ob sie die Ausübung von

__________ 88 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782 = BStBl. I 2007, 4. 89 Dazu m. w. N. Schwenke, Europarechtliche Vorgaben und deren Umsetzung durch das SEStEG, DStZ 2007, 235; Schmidtmann, IStR 2007, 229 – Hinzurechnungsbesteuerung; Wassermeyer, DB 2006, 2420 – Entstrickung. 90 EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409. Dazu insbesondere Beiser, ÖStZ 2004, 282; P. Fischer, FR 2004, 630 – Steuergerechtigkeit in Europa; Wassermeyer, GmbHR 2004, 613; Mössner, StbJb 2004/2005, S. 109; Schaumburg in Festschrift für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 411. 91 EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N, EuGHE 2006, I-7409 = FR 2006, 1128. 92 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 = BB 2006, 2118 m. Anm. Sedemund. Dazu BMF, Schr. v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99; krit. hierzu Köplin/ Sedemund, BB 2007, 244; Kraft/Bron, IStR 2006, 614; Sedemund, BB 2006, 2781; Thömmes/Nakhai, IWB Fach 11A, S. 1065; Wassermeyer/Schönfeld, GmbHR 2006, 1065; Hahn, DStZ 2007, 201; Hackemann, IStR 2007, 351. 93 Umfassend hierzu Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln 2005. 94 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. Dazu Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2006, 186; Balmes/Grammel/Sedemund, BB 2006, 1474; Herzig/Wagner, DStR 2006, 1; Hey, GmbHR 2006, 113; M. Lang, SWI 2006, 3; Saß, DB 2006, 123; Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 29. 95 EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, 249; Anm. Rainer, IStR 2007, 259; Anm. Schönfeld, IStR 2007, 260.

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Grundfreiheiten beeinträchtigt.96 Hat der EuGH eine Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Steuersubjekten oder eine Beschränkung von Grundfreiheiten festgestellt, so prüft er auf einer zweiten Stufe, ob die Diskriminierungen oder Beschränkungen gerechtfertigt werden können.97 Hierzu zieht der EuGH nicht nur die im EG-Vertrag ausdrücklich niedergelegten sog. geschriebenen Rechtfertigungsgründe heran. Er bedient sich auch sog. ungeschriebener Rechtfertigungsgründe, die er selbst richterrechtlich entwickelt hat. Bei der grenzüberschreitenden Ertragsbesteuerung hat der EuGH vornehmlich drei Rechtfertigungsgründe statuiert: die Mißbrauchsbekämpfung98, die Gefahr eines doppelten Steuerabzugs99 und die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis100. Mit der Besteuerung der Funktionsverlagerungen beeinträchtigt der deutsche Gesetzgeber die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EG), da der Tatbestand der Funktionsverlagerungen weit über die steuerliche Behandlung innerstaatlicher Geschäftsvorfälle hinaus greift. Zum Beispiel verwirklichen Produktionsverlagerungen zwischen Schwestergesellschaften weitgehend nicht den Tatbestand einer verdeckten Gewinnausschüttung. Eine besondere Behinderung grenzüberschreitender gegenüber innerstaatlichen Transaktionen muss auch in dem enormen, kostenintensiven Bürokratieaufwand bei der Anwendung des § 1 Abs. 3 AStG 2008 gesehen werden. Die Verletzung der Niederlassungsfreiheit ist nicht zu rechtfertigen. Der Verlagerung von Unternehmensfunktionen kann nicht allgemein unterstellt werden, sie seien Steuerumgehungskonstruktionen im Sinne „rein künstlicher

__________ 96 Zur Verwirklichung des Binnenmarktziels entfaltet der EuGH die Grundfreiheiten zum einen gleichheitsrechtlich als Diskriminierungsverbote (s. Englisch, Dividendenbesteuerung, Köln 2005, S. 235 ff.; Wernsmann in Schulze/Zuleeg, Europarecht, Baden-Baden 2006, § 30 Rz. 79 ff.) und zum anderen freiheitsrechtlich als Beschränkungsverbote (Wernsmann in Schulze/Zuleeg, Europarecht, Baden-Baden 2006, § 30 Rz. 106 ff.). 97 Zur Rechtfertigungsdogmatik Englisch, Dividendenbesteuerung, Köln 2005, S. 273 ff.; Wernsmann in Schulze/Zuleeg, Europarecht, Baden-Baden 2006, § 30 Rz. 112 ff. 98 Insbesondere EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 = BB 2006, 2118 – Rz. 50; EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, 249 – Rz. 72: Nach ständiger Rechtsprechung könne eine „nationale Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, gerechtfertigt sein, wenn sie sich auf rein künstliche Konstruktionen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen …“ Dazu insbesondere Böing, Steuerlicher Gestaltungsmissbrauch in Europa, Hamburg 2006; Böing, RIW 2007, 161; Hahn, DStZ 2007, 201; Hahn, IStR 2007, 323. 99 Insbesondere EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 – Rz. 47. 100 EuGH v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N, EuGHE 2006, I-7409 = FR 2006, 1128 – Rz. 44; EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, 249 – Rz. 49: „Es ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt bleiben, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen …“

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Kritik der Unternehmensteuerreform 2008

Konstruktionen“101; sie bergen auch nicht die Gefahr eines doppelten Steuerabzugs102. Die Besteuerung von Funktionsverlagerungen wahrt nicht die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis. Die Neuregelung in § 1 AStG kann nicht als Maßnahme zur Beseitigung der Doppelbesteuerung103 qualifiziert werden. Im Gegenteil, die Neuregelung provoziert die ausländischen Finanzverwaltungen und dürfte eine Reihe von Verständigungsverfahren auslösen, wie die Begründung des Regierungsentwurfs104 offen zugibt.

V. Resümee Zusammenfassend ist festzustellen: Die Unternehmensteuerreform 2008 dient hauptsächlich dem Ziel, die Tarifbelastung der Unternehmen im Wettbewerb der Steuersysteme von einem Spitzenplatz auf eine mittlere Position herunter zu brechen. Dabei werden andere Faktoren der Steuerwettbewerbsfähigkeit wie insbesondere Effizienzkriterien wie Einfachheit, Transparenz und Entscheidungsneutralität vernachlässigt. Die Maßnahmen der Gegenfinanzierung und der Sicherung von Steuersubstrat verletzen gravierend die gleichmäßige Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und das Europarecht. Sie belegen, dass sich der deutsche Gesetzgeber eigentlich dem Steuerwettbewerb nicht stellen will, sondern dazu neigt, sich steuerlich abzuschotten. Nach alledem ist zu bezweifeln, ob die Unternehmensteuerreform 2008 das deutsche Unternehmenssteuerrecht international wettbewerbsfähiger gemacht hat.

__________ 101 EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, 249 – Rz. 72. 102 S. EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 103 S. EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, IStR 2007, 249 – Rz. 49. 104 Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 der Fraktionen CDU/CSU und SPD, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, 85.

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Zur Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Steuersystematik 1. Transparente Mitunternehmerbesteuerung 2. Optionsmodell 3. Thesaurierungsbegünstigung III. § 34a EStG 2008 1. Belastungsneutralität? 2. Nachbelastung

3. Steuerfreie Gewinne und nichtabzugsfähige Betriebsausgaben 4. Entnahmen 5. Erbschaftsteuer 6. Verluste 7. Sonderfall: doppelstöckige Personengesellschaften IV. Fazit

I. Einleitung Kernpunkt der Unternehmensteuerreform 2008 ist die Absenkung des Körperschaftsteuertarifs in § 23 Abs. 1 KStG auf 15 v. H. Um Einzelunternehmer und Mitunternehmer mit ihren Gewinneinkünften (Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit) in vergleichbarer Weise wie das Einkommen der Kapitalgesellschaft – einschließlich Gewerbesteuer – tariflich zu belasten, hat der Steuergesetzgeber in § 34a EStG die sog. Thesaurierungsbegünstigung geregelt.1 Der Anteil des Gewinns aus einem Betrieb oder Mitunternehmeranteil, den der Steuerpflichtige in einem konkreten Wirtschaftsjahr nicht entnommen hat, soll auf Antrag nicht dem höheren persönlichen progressiven Steuersatz des Steuerpflichtigen, vielmehr mit einem ermäßigten Steuersatz von 28,25 v. H. unterliegen (§ 34a Abs. 1 Satz 1 EStG). Wird der im laufenden Wirtschaftsjahr nicht entnommene Gewinn (§ 34a Abs. 2 EStG) in einer späteren Steuerperiode entnommen, so soll der Begünstigungsgrund entfallen, und es kommt zu einer Nachversteuerung mit einem pauschalen Steuersatz von 25 v. H. (§ 34a Abs. 4 Sätze 1, 2 EStG). Die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG wirft speziell für steuerrechtliche Mitunternehmerschaften zahlreiche grundsätzliche und Einzelfragen auf, die im Folgenden skizziert werden sollen. Das Thema liegt hier insbesondere deshalb nahe, weil sich Wolfram Reiß seit langem mit der Konzeption der Mitunternehmerbesteuerung im Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland befasst.2

__________ 1 Vgl. nur BR-Drucks. 220/07, 101. 2 Z. B. Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl. 2007, §§ 15, 16 EStG passim.

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II. Steuersystematik 1. Transparente Mitunternehmerbesteuerung Nach deutschem Steuerrecht waren und sind nur die natürlichen Personen und die Körperschaften Subjekte des Einkommensteuergesetzes bzw. des Körperschaftsteuergesetzes. Im Anwendungsbereich des Körperschaftsteuergesetzes gilt – entsprechend dem Zivilrecht – das Trennungsprinzip, mithin eine eigenständige Besteuerung der Körperschaft einerseits und des Anteilseigners andererseits. Diese Trennung führt u. a. dazu, dass schuldrechtliche Leistungsbeziehungen zwischen der Körperschaft/Kapitalgesellschaft und dem Anteilseigner im Prinzip wie Leistungsbeziehungen unter fremden Dritten anerkannt werden. Eine Grenze bildet nur die verdeckte Gewinnausschüttung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Demgegenüber werden Personengesellschaften nach dem Transparenzprinzip besteuert.3 Im Rahmen der Personengesellschaftsbesteuerung ist allein der Gesellschafter/der steuerrechtliche Mitunternehmer des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG Steuersubjekt. Er unterliegt entsprechend seiner Rechtsqualität entweder dem Einkommensteuergesetz oder dem Körperschaftsteuergesetz. Das Transparenzprinzip führt dazu, dass das Ergebnis einer Personengesellschaft/Mitunternehmerschaft nicht der proportionalen Körperschaftsteuer unterliegt, sondern dass der Gewinn, aber auch der Verlust unmittelbar und ausschließlich dem Gesellschafter zuzurechnen ist und bei ihm der progressiven Einkommensteuer unterfällt. Im Einzelnen zeigt der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, dass nicht nur die personengesellschaftsrechtlichen Gewinnanteile unmittelbar und ohne Anwendung des § 11 EStG als gewerbliche Einkünfte behandelt werden, vielmehr werden über § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG auch solche Vergütungen erfasst, die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat. Das transparente System der Personengesellschaftsbesteuerung behandelt also nicht nur diejenigen Einkünfte als gewerbliche, die der Gesellschafter causa societatis erzielt, sondern auch solche, die ihre Ursache in einer allgemein-schuldrechtlichen Rechtsbeziehung des Gesellschafters zu der Gesellschaft haben. Obwohl die derzeitige Fassung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ihre Ursache nicht in einem bestimmten steuertheoretischen Verständnis der gesamthänderisch verbundenen Personen hat und obwohl das Gesellschaftsrecht die gesamthänderisch verfasste Personengesellschaft (mittlerweile) mit einer selbständigen Wirkungseinheit ausstattet4, ist es steuerrechtlich bislang dabei geblieben, dass die Besteuerung der Personengesellschaft letztlich transparent ist, also eine Art Durchgriffsbesteuerung darstellt. Daran ändert auch nichts die Aufgabe der früheren

__________ 3 Groh, Trennungs- und Transparenzprinzip im Steuerrecht der Personengesellschaften, ZIP 1998, 89; Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 11 Rz. 2, § 18 Rz. 9. 4 Statt aller K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., Köln u. a. 2002, §§ 8 III, 60 II.

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Zur Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG

Bilanzbündeltheorie5, die mittlerweile durch die Lehre der partiellen Steuerrechtsfähigkeit der Personengesellschaft ersetzt worden ist.6 Die partielle Steuerrechtssubjektqualität der Personengesellschaft bedeutet nur, dass bei der Feststellung, ob der Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht ist und bei der Ermittlung der Einkünfte hieraus auf die Gesamthandsebene abzustellen ist. Allein für Zwecke der Gewinnermittlung ist der Transparenzgedanke aufgegeben worden. 2. Optionsmodell Die derzeitige Unternehmensbesteuerung ist rechtsformabhängig, weil sie im Bereich des Körperschaftsteuergesetzes zum Trennungsprinzip mit grundsätzlicher Doppelbelastung, im Anwendungsbereich des Einkommensteuergesetzes zur transparenten Besteuerung führt. Im Zuge der Unternehmensteuerreform des Jahres 2000 war ursprünglich das sog. Optionsmodell vorgesehen. Nach diesem Modell haben/hatten Personenunternehmen auf Antrag die Möglichkeit wie ein Körperschaftsteuersubjekt – also entsprechend dem Trennungsprinzip – besteuert zu werden. Das in § 4a KStG-E 2000 vorgesehene Optionsmodell wirft/warf die Frage auf, ob daraus auch die Gleichbehandlung von Leistungsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter bei Kapitalgesellschaft und Personengesellschaft zu folgern ist. Letztlich ist das Optionsmodell im Jahre 2000 deshalb gescheitert, weil es zu einer Aufdeckung der stillen Reserven im Sonderbetriebsvermögen der bisher nach Mitunternehmergrundsätzen besteuerten Personengesellschaft gekommen wäre. § 4a KStG-E 2000 stand konsequenterweise auf dem Standpunkt, dass in Zukunft kein Sonderbetriebsvermögen mehr existieren durfte; es galt als entnommen. 3. Thesaurierungsbegünstigung Der hier zu diskutierende § 34a EStG ist letztlich eine „Mischlösung“, weil es zwar grundsätzlich bei der transparenten Mitunternehmerbesteuerung bleibt, für einbehaltene Gewinne aber auf Antrag (§ 34a Abs. 1 Satz 2 EStG) ein Sondertarif gewährt wird, letztlich jedoch nicht eine konsequente und separate Besteuerung auf Gesellschaftsebene einerseits und (zusätzlich) auf Anteilseignerebene andererseits stattfindet. Das zeigt sich schon daran, dass die durch die Unternehmensteuerreform auf ca. 30 v. H. abgesenkte Tarifbelastung für Kapitalgesellschaften (Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer) auf das zu versteuernde Einkommen der Gesellschaft/Körperschaft Anwendung findet. Demgegenüber besteht die Technik der Thesaurierungsbegünstigung in § 34a Abs. 1-3 EStG darin, dass der Gewinn auf Gesellschaftsebene allein ein Zwischenschritt ist.7 Substrat der Begünstigung nach § 34a EStG ist – entsprechend der Idee des § 15

__________ 5 Dazu Crezelius in Westermann, Handbuch der Personengesellschaften, Stand Februar 2007, Rz. II 224 ff. 6 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751. 7 Treffend Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E – Was will der Gesetzgeber und was hat er geregelt?, DStR 2007, 925 (927).

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Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – der individuelle Gewinnanteil des Gesellschafters/ Mitunternehmers. § 34a Abs. 1 Satz 2 EStG macht das auch dadurch deutlich, dass der Antrag auf Thesaurierungsbegünstigung für jeden Betrieb und jeden Mitunternehmeranteil gesondert gestellt werden kann. Zusätzlich ist auf § 34a Abs. 2 EStG hinzuweisen, aus dem deutlich wird, dass es nicht auf den nicht entnommenen Gewinn auf der Gesamthandsebene ankommt, sondern auf den nicht entnommenen Gewinn des Betriebs oder des individuellen Mitunternehmeranteils. All dies entspricht der traditionellen Systematik der Mitunternehmerbesteuerung. Der Mitunternehmeranteil des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG setzt sich nämlich aus drei Komponenten zusammen: dem Gewinnanteil am Gesamthandsergebnis der Gesellschaft sowie aus dem Ergebnis aus (eventuellen) Sonderbilanzen und Ergänzungsbilanzen. Schon an dieser Stelle zeigt sich, dass die Technik des § 34a EStG letztlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen muss, als dies bei einer Kapitalgesellschaft bzw. einem Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft der Fall ist. Wenn denn in die Ermittlung des thesaurierungsbegünstigten, des nicht entnommenen Gewinns auch die Ergebnisse der Sondergewinnermittlung einfließen, dann setzt dies voraus, dass die Figur der Sonderbilanz überhaupt möglich ist. Ursache dafür ist aber § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, so dass nochmals deutlich wird, dass das Thesaurierungsmodell des § 34a EStG lediglich eine Tarifbegünstigung darstellt, an der grundsätzlichen dualistischen Systematik des deutschen Unternehmensteuerrechts aber nichts ändert.

III. § 34a EStG 2008 1. Belastungsneutralität? Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierungsparteien vom 11.11.2005 war vereinbart worden, dass es bei einer Absenkung des Körperschaftsteuertarifs im Gegenzug für Personenunternehmen zu einer Begünstigung kommen muss, wenn die Gesamtbelastung der Körperschaften auf unter 30 v. H. gesenkt wird. Hintergrund der Aussage ist das Postulat einer steuerrechtlichen Belastungsneutralität der unterschiedlichen Rechtsformen, letztlich also der Gedanke der rechtsformneutralen Besteuerung.8 Zwar entspricht die Forderung nach einer rechtsformneutralen Besteuerung dem steuerrechtlichen Zeitgeist, doch kann man sehr darüber diskutieren, ob es tatsächlich eine rechtsformneutrale Besteuerung (zwischen den verschiedenen Rechtsformen) geben soll. Zu berücksichtigen sind nämlich nicht nur die vom UmwStG zur Verfügung gestellten Umstrukturierungsmodalitäten, sondern auch die Wahlmöglichkeiten, die

__________ 8 Vgl. Dörfler/Graf/Reichl, Die geplante Besteuerung von Personenunternehmen ab 2008 – Ausgewählte Problembereiche des § 34a EStG im Regierungsentwurf, DStR 2007, 645; Herzig/Watrin, Betriebswirtschaftliche Anforderungen an eine Unternehmensteuerreform, StuW 2000, 380; Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E – Was will der Gesetzgeber und was hat er geregelt?, DStR 2007, 925; Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 18 Rz. 530 ff. – alle m. w. N.

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sich aus einer nicht rechtsformneutralen Besteuerung ergeben. Nach hier vertretener Auffassung ist es nicht überzeugend, mit dem Hinweis darauf, dass die Rechtsformwahl nicht von steuerrechtlichen Überlegungen abhängig sein darf, Besteuerungsunterschiede eliminieren zu wollen. Unterschiedliche (zivilrechtliche) Typen mit unterschiedlichen steuerrechtlichen Konsequenzen gewähren Wahlfreiheit, also ein Stück Freiheit. Jedenfalls bei Personenzusammenschlüssen in der Rechtsform der Personen- oder Kapitalgesellschaft geht es um einen gemeinsam zu verwirklichenden Zweck, regelmäßig um die Gewinnerzielung. Führt man sich aber vor Augen, dass die für die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter verbleibenden Gewinnanteile durch den Steuerzugriff geschmälert sind, dann kann es durchaus so liegen, dass die steuerliche Belastung in die zivilrechtlichen Rechtsformwahlüberlegungen einzugehen hat. Dem soll hier aber nicht weiter nachgegangen werden. Zu überprüfen bleibt daher, ob das von § 34a EStG gesetzte Ziel, durch den begünstigten Steuersatz (§ 34a Abs. 1 Satz 1 EStG) eine annähernde Gesamtsteuerbelastung wie bei Kapitalgesellschaften zu erreichen (15 v. H. Körperschaftsteuer zuzüglich 14 v. H. Gewerbesteuer = 29 v. H. zuzüglich Solidaritätszuschlag = 29,83 v. H.)9, erreicht wird. Im Ergebnis ist dies zu verneinen: Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass § 34a EStG auf den Mitunternehmeranteil abstellt, also die Ergebnisse aus Ergänzungsbilanzen und Sonderbilanzen einschließt. Das ist steuersystematisch im Grundsatz richtig, weil Sonderbetriebseinnahmen und Sondervergütungen sowie die Ergebnisse aus Ergänzungsbilanzen in den (Gesamt-)Gewinn der Mitunternehmerschaft eingehen. Da Sondervergütungen und Sonderbetriebseinnahmen, die von der Gesamthandsebene gezahlt werden, regelmäßig abgeflossen sind, sind alle Berechnungsmodelle bezüglich der Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG deshalb nicht exakt, weil sie unterstellen, dass der gesamte Gewinn einbehalten wird. Hinzuweisen ist hier auch auf § 37 Abs. 3 Satz 6 EStG, wonach es nicht möglich ist, die Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG schon im Vorauszahlungsverfahren zu berücksichtigen. Diese Einschränkung ist schon im Binnensystem des Einkommensteuergesetzes kritisch zu sehen, weil die Steuerpflichtigen gezwungen sein können, Beträge aus der Unternehmensebene zur Bezahlung der Einkommensteuervorauszahlungen zu entnehmen und damit das Thesaurierungspotential zu mindern, obschon im laufenden Jahr abzusehen ist, dass diese Beträge ansonsten im Betrieb verbleiben würden. In der Begründung10 wird § 37 Abs. 3 Satz 6 EStG mit der Überlegung gerechtfertigt, dass die Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung antragsgebunden ist und der Antrag grundsätzlich erst im Rahmen der Abgabe der Einkommensteuererklärung gestellt werden kann. Das entspricht dem Wortlaut des § 34a Abs. 1

__________ 9 Vgl. Gragert/Wißborn, Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Ermäßigte Besteuerung nicht entnommener Gewinne von Einzel- und Mitunternehmern ab 2008, NWB Fach 3, S. 14621, 14622. 10 BR-Drucks. 220/07, 105.

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EStG, ist aber trotzdem steuersystematisch nicht überzeugend. Zu bedenken ist, dass das Konzept des § 34a EStG nichts an der transparenten Mitunternehmerbesteuerung11 ändert. Wenn aber § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die Zurechnung des mitunternehmerischen Gewinns auf den Gesellschafter ohne effektiven Zufluss anordnet, dann kann der Sinn einer Thesaurierungsbegünstigung nur darin liegen, dass diejenigen Beträge begünstigt sind, die nicht zwangsweise aus dem Unternehmen abfließen. Anders formuliert: § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG ist zumindest deshalb verwirrend, weil er suggeriert, dass tatsächlich eine Gleichbehandlung mit einem Kapitalgesellschafter besteht, bei dem es dann aber doch auf den Zufluss nach § 11 Abs. 1 EStG ankommt. Und im Übrigen: Wenn in Personengesellschaftsverträgen sog. Steuerentnahmeklauseln enthalten sind, dann ist dies regelmäßig von der Überlegung getragen, dass die Gesellschafter verpflichtet sein sollen, den gesamten oder einen Teil des Gewinns der Gesellschaft in der Gesellschaft zu belassen, andererseits aber aufgrund der transparenten Mitunternehmerbesteuerung zumindest diejenigen Beträge in ihre Privatsphäre überführen dürfen, die zu Einkommensteuerzahlungen benötigt werden. Auch hier wird deutlich, dass das eigentliche Thesaurierungssubstrat nur ein Nettobetrag sein kann. An dieser Stelle zeigt sich prototypisch der Nachteil des Thesaurierungsmodells. Es will eine annähernde Gleichbehandlung mit den Kapitalgesellschaften erreichen, bleibt aber auf halbem Wege zum Optionsmodell stehen, so dass sich notwendigerweise Friktionen zwischen der Grundidee des § 34a EStG einerseits und der transparenten Mitunternehmerbesteuerung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG andererseits ergeben müssen. Zu Unterschieden im Vergleich zur Kapitalgesellschaft/zum Kapitalgesellschafter kommt es auch durch die Nachbelastung (Nachversteuerungsbetrag) nach § 34a Abs. 4 Satz 2 EStG. Da die spätere Entnahme, wie die Gewinnausschüttung aus einer Kapitalgesellschaft, mit einem festen Steuersatz nachbelastet wird, kommt es bezüglich des nicht entnommenen Gewinns auf die Dauer gesehen zu einer Steuerbelastung, die über dem Spitzensatz der Einkommensteuer liegt. Hier zeigt sich auch, dass die Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung insbesondere für solche Unternehmen in Frage kommt, bei denen Gewinne auf Dauer im Unternehmen eingeschlossen sein sollen. Ob dies volkswirtschaftlich vernünftig ist, mag offen bleiben. Auch in diesem Zusammenhang hätte man daher eher an das Modell einer Körperschaftsbesteuerung von Personenunternehmen denken können. 2. Nachbelastung Der Grundtatbestand der Nachversteuerung mit dem Pauschalsatz von 25 v. H. findet sich in § 34a Abs. 4 Sätze 1, 2 EStG, Sonderfälle der Nachversteuerung regelt § 34a Abs. 6 EStG. Voraussetzung der Nachversteuerung ist das Entstehen eines sog. Nachversteuerungsbetrags. Zunächst ist erforderlich, dass der

__________ 11 Oben II 1, 3.

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positive Saldo der Entnahmen und Einlagen (Überentnahme) des Wirtschaftsjahres bei einem Betrieb oder Mitunternehmeranteil größer ist als der durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Gewinn. Der Nachversteuerungsbetrag ergibt sich, wenn zum Ende des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein nachversteuerungspflichtiger Betrag festgestellt worden war. Den Nachversteuerungsbetrag übersteigende Entnahmen führen nicht zur Nachbelastung, weil sie aus regelbesteuerten nicht entnommenen Gewinnen oder aus versteuerten Altgewinnen erfolgen. Aus all dem ergibt sich eine für die Steuerpflichtigen ungünstige Verwendungsreihenfolge, weil alle nicht entnommenen, aber in früheren Perioden voll versteuerten Gewinne, in der Konstellation der Thesaurierungsbesteuerung eingeschlossen werden, da vorrangig die in den Vorjahren begünstigt besteuerten Gewinne als wieder entnommen gelten. Im Ergebnis kommt es zu einer Art Lifo-Verfahren, also zur Nachversteuerung im frühest möglichen Zeitpunkt. Wenn dies mit Praktikabilitätsgesichtspunkten gerechtfertigt wird12, dann sollte berücksichtigt werden, dass verwaltungsökonomische Gesichtspunkte eine sachlich gerechtfertigte Lösung nicht überspielen können. Es dürfte den Gesellschaftern einer Personengesellschaft kaum einsichtig sein, dass die in früheren Perioden stehen gelassenen und voll versteuerten Gewinne – beispielsweise auf einem persönlichen Rücklagekonto –, die im zeitlichen Anwendungsbereich des § 34a EStG entnommen werden, gleichwohl der Nachversteuerung nach § 34a Abs. 4 Satz 2 EStG unterliegen sollen. Offenbar hat sich der Steuergesetzgeber davor gescheut, bezüglich der Behandlung von Altrücklagen eine – zugegeben komplizierte – Verwendungsreihenfolge zu regeln.13 In einem konkreten Sachverhalt müssen/mussten die Steuerpflichtigen daher überlegen, die bereits versteuerten Altrücklagen zu entnehmen, womit aber die Eigenkapitalsituation der Gesellschaft verschlechtert wird.14 Immerhin ist anzuerkennen, dass § 34a EStG Ausnahmen von der vorgeschriebenen Verwendungsreihenfolge kennt: Bei der Überführung oder Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter in ein anderes Betriebsvermögen nach § 6 Abs. 5 Sätze 1-3 EStG kann der Steuerpflichtige auf Antrag die Nachversteuerung durch gleichzeitige Übertragung des Nachversteuerungsbetrages vermeiden (§ 34a Abs. 5 Satz 2 EStG). Bei unentgeltlichen Übertragungen von Betrieben oder Mitunternehmeranteilen nach § 6 Abs. 3 EStG geht der Nachversteuerungsbetrag automatisch auf den Rechtsnachfolger über (§ 34a Abs. 7 EStG).

__________ 12 Gragert/Wißborn, Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Ermäßigte Besteuerung nicht entnommener Gewinne von Einzel- und Mitunternehmern ab 2008, NWB Fach 3, S. 14621, 14638. 13 Vgl. auch Dorenkamp, Nachgelagerte Besteuerung von Einkommen – Besteuerungsaufschub für investierte Reinvermögensmehrungen, Berlin 2004, S. 279 ff.; Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E – Was will der Gesetzgeber und was hat er geregelt?, DStR 2007, 925 (929). 14 Zu Übergangsfällen noch unten III 4.

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3. Steuerfreie Gewinne und nichtabzugsfähige Betriebsausgaben Nach der Grundidee des Thesaurierungsmodells des § 34a EStG sind die begünstigten, nicht entnommenen Gewinnanteile des Betriebs oder der Mitunternehmerschaft von den nicht begünstigten Gewinnanteilen und vom Nachversteuerungsbetrag zu separieren (vgl. § 34a Abs. 2, 4 EStG). Nach § 34a Abs. 2 EStG ist der nicht entnommene Gewinn der nach §§ 4 Abs. 1 Sätze 1, 5 EStG ermittelte Gewinn vermindert um den positiven Saldo der Entnahmen und Einlagen der Rechnungsperiode. Und § 34a Abs. 4 Satz 1 EStG formuliert den Nachversteuerungsbetrag in der Weise, dass der positive Saldo der Entnahmen und Einlagen des Wirtschaftsjahres den nach §§ 4 Abs. 1 Sätze 1, 5 EStG ermittelten Gewinn übersteigt. Damit geht § 34a EStG von dem traditionellen Gewinnbegriff der §§ 4, 5 EStG aus, doch kommt es zu Schwierigkeiten in den Sonderkonstellationen steuerfreier Gewinnanteile und nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben. Bei den steuerfreien Gewinnanteilen handelt es sich insbesondere um Auslandseinkünfte des Personenunternehmens, die abkommensrechtlich aufgrund der Betriebsstättenbesteuerung im Ausland besteuert werden, in der Bundesrepublik Deutschland dann aber steuerfrei sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung15 sind steuerfreie Gewinnanteile nicht Gegenstand der Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG. Die Aussage ist missverständlich oder selbstverständlich, weil sich die Tarifbegünstigung des § 34a EStG nur auf solche Gewinnanteile beziehen kann, die de iure Substrat der (deutschen) Einkommensbesteuerung sind. Weiterhin ist dann zu entscheiden, wie die steuerfreien Gewinnanteile bei der Nachversteuerung zu behandeln sind. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die steuerfreien Gewinnanteile – jedenfalls auf einer ersten Stufe – in dem nicht entnommenen Gewinn enthalten sind. Hier meint die Gesetzesbegründung16, dass die Entnahmen des § 34a Abs. 2 EStG vorrangig mit den steuerfreien Gewinnanteilen des laufenden Wirtschaftsjahres zu saldieren sind, so dass dem Steuerpflichtigen dadurch ein erhöhtes Thesaurierungsvolumen zur Verfügung steht. Das ist im Ergebnis zu begrüßen, vom Wortlaut des § 34a Abs. 2 EStG ist das aber nicht unmittelbar gedeckt. Es zeigt sich, dass die unmittelbare Bezugnahme des § 34a EStG auf die Systematik der §§ 4, 5 EStG und die Ausgestaltung der Thesaurierungsbegünstigung als Tarifnorm zu Auslegungskonflikten mit dem materiellen Recht führen. Letztlich muss entscheidend sein, dass steuerfreie Gewinnanteile nicht der Regelbesteuerung bei den Personenunternehmen unterliegen, so dass damit von vornherein der Weg in das System des § 34a EStG versperrt sein sollte. Schwieriger ist die Rechtslage bei den nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben. In diesem Zusammenhang meint die Begründung17, dass die Thesaurierungsbegünstigung nicht in Frage komme, weil die nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben tatsächlich verausgabt werden und infolge dessen nicht entnahmefähig

__________ 15 BR-Drucks. 220/07, 102. 16 BR-Drucks. 220/07, 102. 17 BR-Drucks. 220/07, 102 f.

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seien. Das spielt insbesondere eine Rolle bei der Gewerbesteuer. Nach § 4 Abs. 5b EStG (2008) sind die Gewerbesteuer und die darauf entfallenden Nebenleistungen keine Betriebsausgaben (mehr). Zwar weicht der Wortlaut des § 4 Abs. 5b EStG vom Text des § 4 Abs. 5 EStG ab, doch dürfte die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer wie die traditionelle nichtabzugsfähige Betriebsausgabe ebenfalls dem unternehmerischen Gewinn außerbilanziell hinzuzurechnen sein.18 Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang die zitierte Gesetzesbegründung, dann folgt aus dem tatsächlichen Abfluss der Gewerbesteuer, dass das Gewerbesteuervolumen von vornherein den begünstigungsfähigen Gewinn mindert, so dass der Steuersatz von 28,25 v. H. des § 34a Abs. 1 Satz 1 EStG lediglich eine „akademische Größe“ darstellt. Wenn man dies damit begründen würde, dass nicht abzugsfähige Betriebsausgaben eben nicht entnahmefähig seien, dann passt dies nicht in die Systematik des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG. Auch wenn der steuerrechtliche Gewinn Komponenten nicht abzugsfähiger Betriebsausgaben enthält, ist er zweifelsfrei nicht entnommen worden. Zu berücksichtigen ist auch, dass der innere Sinn der Systematik des § 34a EStG darin besteht, dass der thesaurierte Gewinn begünstigt ist, die in die Privatsphäre überführten Gewinnbestandteile nicht. Da aber die Gewerbesteuer trotz § 4 Abs. 5b EStG im Grundsatz den Betriebsausgabebegriff des § 4 Abs. 4 EStG erfüllt, so dass eine betriebliche Veranlassung zweifelsfrei ist, müsste es steuersystematisch so liegen, dass die gezahlte Gewerbesteuer auch nicht als Entnahme im Rahmen des § 34a EStG qualifiziert werden kann. Schließlich passt auch § 34a Abs. 4 EStG nicht auf die Gewerbesteuersituation. § 34a Abs. 4 EStG geht davon aus, dass es im Grundsatz zu einer Nachversteuerung kommen kann. Dies ist aber bei der schon gezahlten Gewerbesteuer nie der Fall. 4. Entnahmen Schon vorstehend19 ist auf die nicht unproblematische Verknüpfung des § 34a EStG mit dem Entnahmebegriff des § 4 Abs. 1 Sätze 1, 2 EStG hingewiesen worden. Steuersystematisch ist davon auszugehen, dass im Unterschied zu steuerpflichtigen Betriebseinnahmen und abziehbaren Betriebsausgaben Entnahmen und Einlagen auf den steuerpflichtigen Gewinn keinen Einfluss haben sollen.20 Wenn § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG Entnahmen und Einlagen neutralisiert, dann ist der innere Grund dafür darin zu sehen, dass nur dasjenige Substrat der Einkommensbesteuerung sein soll, das durch den Betrieb erwirtschaftet worden ist, nicht aber diejenigen Vermögensabgänge und -zuwächse, die ihre Ursache in der außerbetrieblichen Sphäre haben.

__________ 18 So auch Gragert/Wißborn, Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Ermäßigte Besteuerung nicht entnommener Gewinne von Einzel- und Mitunternehmern ab 2008, NWB Fach 3, S. 14621, 14629; Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E – Was will der Gesetzgeber und was hat er geregelt?, DStR 2007, 925 (928). 19 III 3. 20 Z. B. Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl. 2007, § 4 EStG Rz. 87; Heinicke in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 4 EStG Rz. 300.

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Damit hat die Grundidee des § 34a EStG nichts zu tun, weil es Sinn der Tarifbegünstigung für thesaurierte Gewinne ist, zwischen einbehaltenen und ausgeschütteten Gewinnen zu unterscheiden. Insofern kann die Bezugnahme des § 34a EStG auf den Entnahmebegriff nur verwirren. Schon der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG zeigt, dass sich Entnahmen auf Wirtschaftsgüter beziehen, nicht aber auf den Gewinn. Anders formuliert: Der Entnahmebegriff will Wertabgänge auf der Aktivseite der Bilanz neutralisieren, demgegenüber der Gewinn eine Rechengröße der Passivseite der Bilanz darstellt. Das rechtssystematische Problem besteht letztlich darin, dass der Steuergesetzgeber mit § 34a EStG eine Parallele zur Kapitalgesellschaft ziehen will, eine derartige Parallele aber rechtssystematisch nicht möglich ist, weil bei der Kapitalgesellschaft zwischen Gewinn der Gesellschaft und Dividende des Anteilseigners (Fremdverbindlichkeit) exakt getrennt werden kann, demgegenüber bei der Personengesellschaft der Gewinnanteil unmittelbar dem jeweiligen Personengesellschafter/Mitunternehmer zusteht. Dass die Bezugnahme des § 34a Abs. 2, 4 EStG auf den Entnahmebegriff des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht passt, zeigt sich insbesondere bei § 4 Abs. 1 Satz 3, § 4g EStG. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG konstruiert eine fiktive Entnahme, wenn ein Wirtschaftsgut aus dem Betriebsvermögen in eine Auslandsbetriebsstätte überführt wird und die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Besteuerungsrecht bezüglich des Veräußerungsgewinns aus diesem Wirtschaftsgut beschränkt wird. Wenn man hier den Wortlaut des § 34a EStG wörtlich nimmt, dann kommt es über § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG zu einer Entnahme aufgrund Entstrickung, obwohl das in eine ausländische Betriebsstätte überführte Wirtschaftsgut nicht die Unternehmenssphäre verlassen hat und jedenfalls der Entstrickungsakt als solcher nicht zu einem Transfer von Vermögenswerten von der Unternehmensebene in die Privatsphäre des Personenunternehmers geführt hat. Die Schwierigkeiten des Entnahmebegriffs zeigen sich dann insbesondere bei Sonderbetriebseinnahmen und Sondervergütungen im Rahmen einer Mitunternehmerschaft. In der Praxis liegt es häufig so, dass an den Personengesellschafter/Mitunternehmer gezahlte Sondervergütungen oder Sonderbetriebseinnahmen auf einem Gesellschafterkonto „geparkt“ werden. Zu denken ist auch daran, dass man die für die Steuerpflichtigen ungünstige Verwendungsreihenfolge des § 34a EStG21 im Übergang zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 34 EStG so zu vermeiden versucht hat, dass man Altrücklagen auf ein Fremdkapitalkonto/Darlehenskonto umgebucht hat. Jedenfalls dann, wenn es sich bei dem betreffenden Gesellschafterkonto um ein Fremdkapitalkonto handelt, ist nicht mehr die Gesamthandsebene betroffen, so dass insofern nach der Idee des § 34a EStG eine Entnahme zu bejahen sein könnte.22 Dabei würde

__________ 21 Oben III 2. 22 Vgl. auch Dörfler/Graf/Reichl, Die geplante Besteuerung von Personenunternehmen ab 2008 – Ausgewählte Problembereiche des § 34a EStG im Regierungsentwurf, DStR 2007, 645 (647, 651); Kleineidam/Liebchen, Die Mär von der Steuerentlastung durch die Unternehmensteuerreform 2008, DB 2007, 410.

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aber außer Acht gelassen, dass auch das Fremdkapitalkonto eines Personengesellschafters steuerrechtlich als Sonderbetriebsvermögen zu qualifizieren ist, so dass die Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft auch ein handelsrechtliches Fremdkapitalkonto erfasst. Da § 34a Abs. 2 EStG an den nicht entnommenen Gewinn des Mitunternehmeranteils anknüpft, dieser Mitunternehmeranteil aber aus der Beteiligung am Gesamthandsvermögen und dem Sonderbetriebsvermögen besteht, kann nach dem Verständnis der Mitunternehmerbesteuerung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – an dem § 34a EStG nichts ändert – bei Transaktionen zwischen der Gesamthandsebene und der Sonderbilanzebene der thesaurierte Gewinn nicht berührt sein.23 Man wird derartige Vorgänge wohl als Entnahme aus dem Gesamthandsvermögen mit gleichzeitiger Einlage in das Sonderbetriebsvermögen, in die Sonderbilanz, zu begreifen haben, die dann aber nicht die Entnahmevoraussetzungen des § 34a EStG erfüllen. Dies entspricht der Teleologie des § 34a EStG, der die Thesaurierungsbegünstigung dann nicht gewähren will, wenn die jeweiligen Beträge der Privatsphäre des Personenunternehmers zuzurechnen sind. Dann passt aber wieder nicht die unmittelbare Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 EStG! 5. Erbschaftsteuer Werden Beträge aus dem Personenunternehmen entnommen, um Erbschaftoder Schenkungsteuer zu zahlen, dann ist dies zweifelsfrei eine (Privat-)Entnahme, die die Nachversteuerung nach § 34a Abs. 4 Sätze 1, 2 EStG auslösen würde. § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG ordnet allerdings an, dass die Erbschaft- und Schenkungsteuerbeträge anlässlich der Übertragung eines Betriebs- oder Mitunternehmeranteils die Nachversteuerung nicht auslösen. Wirtschaftlich ist das deshalb sinnvoll, weil die Verwendungsreihenfolge des § 34a EStG ansonsten dazu geführt hätte, dass die Entnahme aus privaten Gesellschafterkonten zu einer Nachversteuerung geführt hätte. Zum einen zeigt sich hier, dass der Gesetzgeber an der von ihm vorgegebenen Verwendungsreihenfolge selbst Zweifel hat. Zum anderen muss berücksichtigt werden, dass die Nachversteuerung über § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG nur aufgeschoben wird, da der nachversteuerungspflichtige Betrag als solcher unverändert in der festgestellten Höhe bestehen bleibt. Im Übrigen macht die Ausnahmeregelung in § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG die nicht besonders abgestimmten Maßnahmen des Steuergesetzgebers deutlich. Nach dem Entwurf des „Gesetzes zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge“24 werden im Unternehmen gehaltene liquide Mittel als nicht begünstigtes Vermögen qualifiziert (§ 28a Abs. 1 Nr. 2 ErbStG-E). Während also das Erbschaftsteuerrecht derartige Wirtschaftsgüter mit erbschaftsteuerrechtlichen Nachteilen belegt, ist es offenbar der Sinn und Zweck des § 34a EStG Gewinnanteile in Personenunternehmen zu binden. Wer dies vermeiden will, muss

__________ 23 Thiel/Sterner, Entlastung der Personenunternehmen durch Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns, DB 2007, 1099 (1102). 24 BT-Drucks. 15/5555; BR-Drucks. 341/05.

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dafür Sorge tragen, dass die liquiden Mittel des Personenunternehmens in (produktive) Wirtschaftsgüter umgeschichtet werden. Dass dies nicht besonders sinnvoll ist und zu Fehlinvestitionen führen kann, liegt auf der Hand. 6. Verluste Soweit es um Verluste aus einem Personenunternehmen/einer Personengesellschaft geht, ist zunächst auf § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG hinzuweisen, wonach der Verlustrücktrag ausgeschlossen ist, soweit die Einkünfte im Vorjahr nach § 34a EStG begünstigt besteuert worden sind. § 34a Abs. 8 EStG zeigt dann, dass die Verrechnung von Verlusten nur mit solchen positiven Einkünften möglich ist, die nicht der Thesaurierungsbegünstigung unterlegen haben. Damit sind betriebliche Verluste in Jahr ihrer Entstehung zunächst mit positiven anderen Einkünften auszugleichen. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall. Verluste aus anderen Einkunftsarten können nur mit solchen gewerblichen Einkünften ausgeglichen werden, die der Regelbesteuerung unterliegen. Daraus ergibt sich der praktische Ratschlag, die Thesaurierungsbegünstigung auf einen Teil des nicht entnommenen Gewinns zu beschränken. Soweit der thesaurierte Gewinn der Regelbesteuerung unterliegt, ist der Ausgleich von Verlusten aus anderen Einkunftsarten möglich. In dieser Variante muss der nachversteuerungsfreie Teil des nicht entnommenen Gewinns entsprechend gemindert werden. Für den Verlustabzug betrieblicher Verluste beschränkt sich die Verlustverrechnung auf die positiven Einkünfte, die der Regelbesteuerung ohne § 34a EStG unterlegen haben. Das ist dann ohne Probleme, wenn im Vortragsjahr allein betriebliche Gewinne vorhanden sind. Um den Verlustabzug in ausreichender Höhe auszuschöpfen, müssen gegebenenfalls nicht entnommene Gewinne der Regelbesteuerung unterworfen werden. Schwierigkeiten kann der Verlustrücktrag machen, wenn im Jahr der Verlustentstehung die Thesaurierungsbegünstigung in Anspruch genommen worden war. Hier kann es hilfreich sein, den Antrag auf Besteuerung auf Anwendung der Thesaurierungsbegünstigung zu widerrufen (§ 34a Abs. 1 Satz 4 EStG). 7. Sonderfall: doppelstöckige Personengesellschaften Einzugehen ist schließlich noch auf die Sonderkonstellationen der doppelstöckigen Personengesellschaft, also auf die Frage, wie sich das Einbehaltungs-/Entnahmemodell des § 34a EStG auswirkt, wenn eine Personengesellschaft eine mitunternehmerische Beteiligung an einer anderen Personengesellschaft hält. Auszugehen ist davon, dass für die beiden Mitunternehmerschaften verfahrensrechtlich ein eigenständiges Feststellungsverfahren durchzuführen ist.25

__________ 25 BFH v. 11.12.2003 – IV R 42/02, BStBl. II 2004, 353 (355); Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 420 ff.; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl. 2007, § 15 EStG Rz. 620.

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Materiell-rechtlich ist die Beteiligung der Obergesellschaft an der Untergesellschaft kein eigenständiges Wirtschaftsgut.26 Sie ist in der steuerrechtlichen Gewinnermittlung der beteiligten Personengesellschaft daher zwar auszuweisen, jedoch nicht (selbständig) zu bewerten. Folge davon ist es, dass dem Ausweis der Beteiligung an der Untergesellschaft für die einkommensteuerrechtliche Gewinnermittlung im Ergebnis keine Wirkung beizumessen ist. Dieses Ergebnis ist unabhängig davon, ob man von einem Merkposten „Beteiligung an der Untergesellschaft“ im Sinne einer Spiegelbildmethode ausgeht27 oder von der Summe der Anteile an den Wirtschaftsgütern im Gesamthandsvermögen der Unter-Personengesellschaft28. Im Zusammenhang mit § 34a EStG stellt sich dann die Frage, ob der nicht entnommene Gewinn der Ober-Personengesellschaft mit Wirkung für die Mitunternehmer der Obergesellschaft durch Entnahmen „für andere betriebsfremde Zwecke“ bzw. durch Einlagen beeinflusst werden kann, die ihre Ursache in Vermögensverschiebungen zwischen Obergesellschaft und Untergesellschaft haben.29 Ausgangspunkt muss die Überlegung sein, dass der Antrag (§ 34a Abs. 1 Satz 2 EStG) auf die Thesaurierungsbegünstigung für den Gewinn der Obergesellschaft zu stellen ist. Im Gewinn der Obergesellschaft sind trotz des selbständigen Feststellungsverfahrens bei der Untergesellschaft deren Gewinnanteile enthalten. Zu entscheiden ist, ob Entnahmen bei der Obergesellschaft, die spiegelbildlich Einlagen bei der Untergesellschaft darstellen und die die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG erfüllen, im Rahmen des § 34a EStG als „Entnahmen“ zu berücksichtigen sind. Führt man sich vor Augen, dass es bei § 34a EStG um den in dem zu versteuernden Einkommen enthaltenen Gewinn geht und Steuersubjekt nur der einzelne Mitunternehmer ist, dann sollten Vermögensverschiebungen zwischen den beiden Gesellschaften außer Betracht gelassen werden. Auch hier zeigt sich nochmals die unglückliche Technik des § 34a EStG, der auf den Entnahmebegriff des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG abstellt, der (hier) bei doppelstöckigen Personengesellschaften mit dem Sinn und Zweck des § 34a EStG nicht konform geht.

IV. Fazit Die vorstehenden Ausführungen dürften gezeigt haben, dass der sicherlich gut gemeinte § 34a EStG jedenfalls keinen Beitrag zur Steuervereinfachung liefert. Die materiellen Schwierigkeiten rühren daher, dass der Steuergesetzgeber

__________ 26 BFH v. 30.4.2003 – I R 102/01, BStBl. II 2004, 804 (805). 27 L. Mayer, Steuerbilanzielle Behandlung von Mehrwerten bei Erwerb einer Beteiligung an einer doppelstöckigen Personengesellschaft – Anwendung der Spiegelbildmethode in der Steuerbilanz, DB 2003, 2034. 28 Nickel/Bodden, Verlustausgleich und Verlustverrechnung nach § 15a EStG bei doppelstöckigen Kommanditgesellschaften, FR 2003, 391. 29 Vgl. Thiel/Sterner, Entlastung der Personenunternehmen durch Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns, DB 2007, 1099 (1104); Gragert/Wißborn, Die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG – Ermäßigte Besteuerung nicht entnommener Gewinne von Einzel- und Mitunternehmern ab 2008, NWB Fach 3, S. 14621, 14632.

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einerseits eine gewisse Belastungsgleichheit mit der Besteuerung der Kapitalgesellschaft bzw. ihres Anteilseigners herstellen möchte, dabei aber auf halbem Wege stehen geblieben ist, weil § 34a EStG es letztlich beim klassischen Transparenzprinzip des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG belässt. Steuerrechtsdogmatisch sauberer wäre es gewesen, Personengesellschaften die Möglichkeit zur Körperschaftsbesteuerung einzuräumen.30 Dann hätte man allerdings wieder vor dem Problem gestanden, wie das (steuerrechtliche) Sonderbetriebsvermögen in der Mitunternehmerschaft beim Gang in das Körperschaftssystem zu behandeln ist.31 Die Lösung wäre nach hier vertretener Auffassung sehr einfach gewesen: Man hätte sich einfach von der Figur des Sonderbetriebsvermögens bei Personengesellschaften verabschieden können. Das wäre ein echter Beitrag zur Rechtsformneutralität gewesen. Die im bisherigen Sonderbetriebsvermögen aufgelaufenen stillen Reserven hätten „eingefroren“ werden bzw. einer zeitlich gestreckten Besteuerung unterworfen werden können.

__________ 30 So im Ergebnis Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E – Was will der Gesetzgeber und was hat er geregelt?, DStR 2007, 925 (931). 31 Vgl. oben II 2.

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Die Mitunternehmerschaft Rechtsgrundlagen, Umfang

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die steuerliche Mitunternehmerschaft 1. Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen einer steuerlichen Mitunternehmerschaft a) Rechtsgrundlage b) Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft c) Einheitliche Beurteilung der Gesamtumstände 2. Der Mitunternehmeranteil a) Zivilrechtliche Betrachtung b) Der steuerliche Mitunternehmeranteil 3. Der Gewinnanteil am Gesamtgewinn a) Grundsätze b) Umfang des gewerblichen Gewinns c) Das steuerliche Kapitalkonto d) Gewinnermittlung und Gewinnverteilung

4. Einzelfälle a) Zusammentreffen einer verdeckten Mitunternehmerschaft und Kommanditanteil, der nicht die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft erfüllt b) Zusammentreffen eines Mitunternehmeranteils mit einem nießbrauchbelasteten Anteil c) Zusammentreffen von Beteiligung an der Gesamthand (Kommanditist) und stiller Gesellschaft d) Mitunternehmerschaft bei gleichzeitiger Unterbeteiligung an einem Anteil III. Behandlung von Veräußerungsgewinnen 1. Allgemeines 2. Steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn 3. Ermittlung des Veräußerungsgewinns IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Mitunternehmerschaft, Mitunternehmer, Mitunternehmeranteile sind steuerliche Begriffe, die sich mit den zivilrechtlichen Begriffen Gesellschaft, Gesellschafter und Gesellschaftsanteil nicht decken. Eine Mitunternehmerschaft kann verschiedene Rechtsgrundlagen haben.1 Es fragt sich, ob diese unterschiedlichen Rechtsgrundlagen (Rechtsverhältnisse) steuerlich ihre Selbständigkeit behalten oder als eine Einheit (Mitunternehmeranteil) zu behandeln sind, mit der Folge, dass ein Gesellschafter mehrere Anteile an einer Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) besitzen kann, was insbesondere für die Frage, ob eine steuerbegünstigte Anteilsveräußerung oder Anteilsaufgabe gege-

__________ 1 Schulze zur Wiesche, Einheitliche Beurteilung einer Mitunternehmerschaft bei unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, DB 1998, 2552.

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ben ist und auch wie ein eventueller Veräußerungsgewinn zu ermitteln ist, bedeutsam ist.

II. Die steuerliche Mitunternehmerschaft 1. Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen einer steuerlichen Mitunternehmerschaft a) Rechtsgrundlage Die Mitunternehmerschaft ist ein steuerrechtlicher Begriff.2 Sie umfasst alle Aktivitäten eines Gesellschafters, die in einem Zusammenhang mit der Mitunternehmerschaft stehen.3 Ihr liegt in der Regel ein Gesellschaftsverhältnis4 zugrunde oder im Ausnahmefall ein vergleichbares Gemeinschaftsverhältnis5. Gegenstand der Mitunternehmerschaft ist die gemeinsame Erzielung von Gewinneinkünften i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG. In der Regel wird ein Gesellschaftsverhältnis die Grundlage einer Mitunternehmerschaft sein. Bei gewerblichen Mitunternehmerschaften ist es der Gesellschaftsvertrag einer OHG oder KG. Nach der Rechtsprechung kann jedes Gemeinschaftsverhältnis, bei der die Gemeinschafter die Voraussetzungen eines Mitunternehmers erfüllen, Grundlage für eine Mitunternehmerschaft sein. Für die Beurteilung, ob eine Mitunternehmerschaft gegeben ist, sind alle Rechtsverhältnisse, die mit der Gesellschaft oder Gemeinschaft begründet sind, mit zu berücksichtigen. Es kommt hierbei auf die Gesamtumstände an.6 Erfüllt der Gesellschaftsvertrag einer KG nicht die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft, räumt jedoch ein Anstellungsvertrag mit der KG dem Kommanditisten eine beherrschende Stellung ein, liegt auf Grund der Gesamtumstände eine Mitunternehmerschaft vor. Ist ein Kommanditist gleichzeitig stiller Gesellschafter nach Art einer atypisch stillen Gesellschaft, so begründet diese keine von der Kommanditbeteiligung selbständige Mitunternehmerschaft. Es liegt eine einheitliche Mitunternehmerschaft vor. Eine Mitunternehmerschaft liegt nur bei unmittelbaren Rechtsbeziehungen vor, nicht bei mittelbaren Rechtsbeziehungen über eine andere Personengesellschaft. Beispiel A ist beherrschender Gesellschafter der X-KG, der Y-KG und der Z-KG und deren Geschäftsführender Gesellschafter. Diese drei Gesellschaften sind alleinige Gesellschafter

__________ 2 Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 160; Bitz in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 15 EStG Rz. 23. 3 Schulze zur Wiesche in Bornfelder (Hrsg.), Steuergerechtigkeit durch Steuervereinfachung, Festschrift zum 20jährigen Bestehen der Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen in Nordkirchen, Baden-Baden 1997, S. 111. 4 Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 266. 5 Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 275. 6 Vgl. BFH v. 24.4.1980 – IV R 61/77, BStBl. II 1980, 690.

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Die Mitunternehmerschaft der B-OHG. Als beherrschender Gesellschafter der Obergesellschaften führt er die Geschäfte der B-OHG. Er erhält hierfür keine besondere Vergütung. Mangels unmittelbarer Rechtsbeziehungen ist er nicht Mitunternehmer der B-OHG. Anders wäre die Rechtslage, wenn er aufgrund eines Anstellungsvertrages mit der B-OHG deren Geschäfte führt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG).

b) Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft Ist ein Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen, werden alle Vergütungen, die der Gesellschafter im Rahmen dieser Mitunternehmerschaft bezieht, als gewerbliche Einkünfte der Mitunternehmerschaft angesehen7 (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG). Der Gesellschafter ist jedoch nur dann als Mitunternehmer anzusehen, wenn er Mitunternehmerinitiative entwickeln kann und ein gewisses Mitunternehmerrisiko trägt.8 Die Rechtsprechung9 stellt hier auf die Gesamtumstände und nicht auf das Gesellschaftsvertragsverhältnis isoliert betrachtet ab. Er ist Mitunternehmer, wenn beide Merkmale vorliegen, wobei beide Merkmale unterschiedlich ausgeprägt sein können.10 Es ist auch nicht erforderlich, dass diese beiden Merkmale im Gesellschaftsvertrag selbst ihre Grundlage haben.11 So ist ein stiller Gesellschafter auch dann als atypisch stiller Gesellschafter und damit als Mitunternehmer anzusehen, wenn er zwar nicht an den stillen Reserven, einschließlich eines Firmenwerts beteiligt ist, jedoch die Mitunternehmerinitiative z. B. durch die Geschäftsführungsbefugnis derart ausgeprägt ist, dass die Gesamtumstände das Gesellschaftsverhältnis als Mitunternehmerschaft beurteilen lassen.12 Da die stille Gesellschaft eine Innengesellschaft ist, die Geschäftsführungsbefugnis des Stillen sich daher nicht aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben kann, wird die Grundlage hierfür im Zweifel der Anstellungsvertrag sein. Das Gesellschaftsverhältnis und daher die Mitunternehmerschaft hat seine Grundlage nicht allein im Gesellschaftsvertrag, sondern in der Summe aller Verträge, auch wenn diese als Leistungsaustauschverträge ausgestaltet sind, soweit diese im inneren Zusammenhang mit der Mitunternehmerschaft stehen. In die Gesamtbeurteilung sind daher alle Rechtsverhältnisse, die mit der Mitunternehmerschaft im Zusammenhang stehen, einzubeziehen, da es nach der Rechtsprechung des BFH13 auf die Gesamtumstände ankommt.

__________ 7 8 9 10

Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 400. Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 262. BFH, Beschl. v. 25.6.1984 – GrS 4/84, BStBl. II 1984, 751. Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 262; BFH v. 15.12.1992 – VIII R 42/90, BStBl. II 1994, 702 = DB 1994, 2114; BFH v. 21.9.1995 – IV R 65/94; BStBl. II 1996, 66. 11 A. A. Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 262; BFH v. 13.7.1993 – VIII R 50/92, BStBl. II 1994, 282 = DB 1994, 918. 12 BFH v. 20.11.1990 – VIII R 10/87, DB 1991, 1052; BFH v. 11.12.1990 – VIII R 122/86, DB 1991, 1054; BFH v. 15.12.1992 – VIII R 42/90, BStBl. II 1994, 702 = DB 1994, 2114. 13 BFH, Beschl. v. 25.6.1984 – GrS 4/84, BStBl. II 1984, 751.

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Die Rechtsprechung14 hat zwar im Zusammenhang mit der Frage der Angemessenheit der Vergütung den Rechtsstandpunkt vertreten, dass die einzelnen Rechtsverhältnisse, auf die sich die Vergütungsansprüche stützen, isoliert zu betrachten sind, sofern nicht bei den einzelnen Vereinbarungen gegenseitig Bezug genommen ist. Dies gilt jedoch nicht für die Frage, ob ein Rechtsverhältnis eine Mitunternehmerschaft begründet. Ist ein Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen, so färbt dieses grundsätzlich auf die gesamten Beziehungen des Gesellschafters zur Personengesellschaft ab. Das gilt meines Erachtens auch dann, wenn ein Gesellschafter unterschiedliche Rechtsverhältnisse zur Personengesellschaft begründet hat. Besitzt ein Gesellschafter mehrere Anteile und sind seine Rechte hinsichtlich eines Gesellschaftsanteils z. B. durch eine Nießbrauchtreuhand derart eingeschränkt, dass dieser Anteil isoliert betrachtet keine Rechtsstellung eines Mitunternehmers vermittelt, so wird die Mitunternehmerschaft hierdurch nicht berührt. c) Einheitliche Beurteilung der Gesamtumstände Erfüllt ein Kommanditist auf Grund der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen nicht die Voraussetzungen eines Mitunternehmers und erfüllt er jedoch auf Grund einer atypisch stillen Beteiligung am Betrieb der Kommanditgesellschaft die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft, so umfasst diese Mitunternehmerschaft auch die KG-Beteiligung. Möglich ist auch, dass die Mitunternehmerschaft sich auf rein obligatorische Rechtsverhältnisse stützt. Das ist der Fall, wenn ein Anstellungsvertrag, ein Darlehensvertrag oder Mietoder Pachtvertrag dem Leistungsverpflichteten eine derartige Stellung in der Mitunternehmerschaft verschafft, dass er einem Gesellschafter gleichsteht. Anzeichen hierfür sind u. A. die erhebliche Beeinflussung der Geschäftspolitik und gewinnabhängige Vergütungen. Im Vergleich zur stillen Gesellschaft und zur Innengesellschaft ist der sog. verdeckte Mitunternehmer auch wirtschaftlich am Gesellschaftsvermögen beteiligt. Seine Aktivitäten werden in diesem Falle im Sonderbereich festgehalten. Gleiches gilt, wenn ein mittelbarer Gesellschafter, der über eine andere Gesellschaft (Obergesellschaft), deren Gesellschafter er ist, der Gesellschaft (Untergesellschaft) Leistungen in der Form von Diensten, Darlehensgewährungen, Nutzungsüberlassung erbracht hat und hierfür von der Untergesellschaft Vergütungen erhalten hat. In diesem Falle sind die Vergütungen als Sonderbetriebseinnahmen bei der Untergesellschaft zu erfassen. Er ist somit hinsichtlich dieser Vergütungen als Mitunternehmer der Untergesellschaft zu behandeln (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Es kommt also hier nicht darauf an, dass die unmittelbaren Rechtsbeziehungen die Mitunterstellung vermitteln. Voraussetzung für die Mitunternehmerstellung in der Untergesellschaft ist, dass er dieser (Untergesellschaft) gegenüber Leistungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz

__________ 14 BFH v. 14.2.1978 – VIII R 11/75, BStBl. II 1978, 427 = DB 1978, 1476.

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Die Mitunternehmerschaft

1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG erbracht und Mitunternehmer i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Obergesellschaft ist. 2. Der Mitunternehmeranteil a) Zivilrechtliche Betrachtung Der Begriff Gesellschaftsanteil umfasst die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen). Das Zivilrecht15 geht bei einer Personengesellschaft grundsätzlich davon aus, dass im Gegensatz zur GmbH die Gesellschafter nur einen Anteil haben können. Erwirbt ein Gesellschafter einer Personengesellschaft einen weiteren Anteil hinzu, behält dieser neu hinzuerworbene grundsätzlich nicht seine rechtliche Selbständigkeit.16 Grundsätzlich kann ein Gesellschafter einer Personengesellschaft nur einen Anteil an einer Personengesellschaft haben.17 Das gilt insbesondere dann, wenn der Gesellschafter einen weiteren Anteil von einem anderen Gesellschafter hinzuerwirbt oder sein Kapitalkonto im Rahmen einer Kapitalerhöhung aufstockt. Dieser Rechtsgrundsatz gilt jedoch nur insoweit, als die Anteile mit gleichen Rechten ausgestattet sind.18 Das ergibt sich aus dem Anwachsungsprinzip, wonach der Anteil im Falle des Ausscheidens auf die verbleibenden Gesellschafter übergeht. Diese erhalten keinen neuen Anteil, der Anteil am Gesamthandsvermögen erhöht sich. Ist jedoch ein Gesellschafter Miterbe eines verstorbenen Gesellschafters, fällt der Gesellschaftsanteil entsprechend der Erbquote ihm zu (Anwachsen). Anderes gilt jedoch, wenn der Anteil der Testamentsvollstreckung unterliegt.19 Der Testamentsvollstrecker nimmt die Gesellschaftsrechte treuhänderisch für die Miterben wahr. Hier behält der Anteil handelsrechtlich seine Selbständigkeit. Gleiches gilt, wenn ein Gesellschafter einen Anteil hinzuerwirbt, der mit

__________ 15 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 124 HGB Rz. 1b; Glanegger/Stuhlfelner, HGB, 7. Aufl., vor 120-122 HGB Rz. 3; BFH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BFHE 24, 106; Priester, Zwingende Einheitlichkeit des Personengesellschaftsanteils – ein überholtes Prinzip, DB 1998, 55; Ulmer, Testamentsvollstreckung am Kommanditanteil, NJW 1990, 73. 16 BGH v. 10.6.1963 – II ZR 88/61, DB 1963, 1316; OLG Hamm, Beschl. v. 22.9.1981 – 15 W 219/81, NJW 1982, 835. 17 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 124 HGB Rz. 2; Glanegger/Stuhlfelner, HGB, 7. Aufl., vor 120-122 HGB Rz. 3; BGH v. 11.4.1957 – II ZR 182/55, BGHZ 24, 106 = DB 1957, 477; BGH v. 20.4.1972 – II ZR 143/69, BGHZ 58, 316 = DB 1972, 1283; BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, NJW 1984, 363 = DB 1984, 181; BGH v. 10.6.1963 – II ZR 88/61, DB 1963, 1316; kritisch Esch, Einheitlichkeit der Personengesellschaftsbeteiligung, BB 1993, 664; Lüttge, Die zulässige Mehrfachbeteiligung an einer Personengesellschaft, NJW 1994, 5. 18 Priester, Die zwingende Einheitlichkeit des Personengesellschaftsanteils – ein überholtes Prinzip, DB 1998, 55. 19 Priester, Die zwingende Einheitlichkeit des Personengesellschaftsanteils – ein überholtes Prinzip, DB 1998, 55; BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 182 = DB 1989, 1915; BGH v. 10.1.1996 – IV ZB 21/94, DB 1996, 468.

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einem Nießbrauch belastet wird.20 Hier wird auch der mit dem Nießbrauch belastete Anteil seine Selbständigkeit behalten müssen; Gleiches muss gelten, wenn der Altgesellschafter Nießbraucher des zweiten Anteils wird. Eine rechtliche Selbständigkeit eines Anteils wird auch dann gegeben sein, wenn der Altgesellschafter Vorerbe eines weiteren Anteils wird, weil er hinsichtlich dieses Anteils erheblichen Beschränkungen unterliegt. Die Selbständigkeit eines Anteils wird man auch dann anerkennen müssen, wenn der Komplementär einen Kommanditanteil hinzuerwirbt und die Gesellschaftsrechte, Stimmrechte sowie Gewinnbeteiligung unterschiedlich ausgestaltet sind.21 Beispiel 1 A ist an der X-KG beteiligt. Die Gründungskommanditisten sind mit besonderen Rechten ausgestattet (Sitz im Beirat, höheres Stimmrecht, Einfluss auf Gesellschaftsführung usw.) Den Investorkommanditisten ist das Widerspruchsrecht genommen. Sie haben außerdem beschränkte Informationsrechte und ein beschränktes Entnahmerecht. A ist sowohl als Gründungskommanditist, als auch als Investorkommanditist beteiligt. Beispiel 2 A ist Kommanditist der X-KG. Er erwirbt einen weiteren Anteil hinzu, der mit einer Verkaufsauflage oder mit einem Optionsrecht zu Gunsten eines Dritten belastet ist. Beispiel 3 A ist Gesellschafter der X-KG. Er hat einen Anteil geerbt, der mit einem Nießbrauch belastet ist. Wegen der Belastung dieses Anteils kann eine Anwachsung mit dem Altanteil nicht erfolgen.

Die Selbständigkeit der Anteile kann vertraglich vereinbart werden22, insbesondere dann, wenn die Stimmrechte mit dem Anteil verbunden sind und die Anteile unterschiedlich mit Rechten und Pflichten ausgestattet sind. Das gilt insbesondere, wenn die Vereinbarung eines Treuhandverhältnisses die Selbständigkeit eines Anteils nicht beeinflusst. In der Regel kann man jedoch davon ausgehen, dass der Hinzuerwerb eines Anteils durch Anwachsung die beiden Anteile vereinigt, mit Ausnahme des Falls, dass ein Anteil durch Rechte Dritter belastet ist und Sonderrechte und Pflichten jeweils mit dem Anteil verbunden sind. b) Der steuerliche Mitunternehmeranteil Der Begriff Mitunternehmeranteil umfasst das gesamte Engagement des Gesellschafters (Mitunternehmers) bei der Personengesellschaft. Er umfasst, so-

__________ 20 Janssen/Nickel, Unternehmensnießbrauch, Bielefeld 1998, S. 30 ff. 21 Priester, Die zwingende Einheitlichkeit des Personengesellschaftsanteils – ein überholtes Prinzip, DB 1998, 55. 22 Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 124 HGB Rz. 1b; Priester, Die zwingende Einheitlichkeit des Personengesellschaftsanteils – ein überholtes Prinzip, DB 1998, 55; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 47 III 1, S. 1380 ff.; Huber, Vermögensanteil, Heidelberg 1970, S. 11.

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fern es sich um eine Gesamthandgemeinschaft handelt, seinen Anteil am Gesamthandvermögen und alle Wirtschaftsgüter, die der Gesellschafter der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hat (Sonderbetriebsvermögen I und Sonderbetriebsvermögen II). Das Steuerrecht behandelt jedoch das Gesamthandvermögen wie Bruchteilseigentum (§ 39 Abs. 2 AO). Es rechnet somit das Betriebsvermögen bruchteilsmäßig den Gesellschaftern als den Steuerpflichtigen unmittelbar zu. Der Anteil am Gesellschaftsvermögen einer Personenhandelsgesellschaft stellt somit kein bilanzierungsfähiges Wirtschaftsgut dar.23 Wächst der Anteil eines Ausgeschiedenen den verbleibenden Gesellschaftern an, erwerben diese nicht einen neuen Geschäftsanteil, sondern es erhöhen sich die ideellen Bruchteile an den einzelnen vorhandenen Wirtschaftsgütern. Ist Grundlage für die Mitunternehmerschaft ein stilles Gesellschaftsverhältnis oder eine Innengesellschaft und der Mitunternehmer formaljuristisch nicht Miteigentümer, so sind diesem als wirtschaftlichen Eigentümer (§ 39 Abs. 1 AO) die Wirtschaftsgüter im Gesamthandvermögen bruchteilsmäßig insoweit zuzurechnen, als sie seiner Beteiligung am Gesellschaftsvermögen entsprechen. Ist ein Kommanditist gleichzeitig atypisch stiller Gesellschafter, ist seine bruchteilsmäßige Beteiligung an den einzelnen Wirtschaftsgütern um die atypisch stille Beteiligung zu erhöhen. Die rechtliche Grundlage für seine Mitunternehmerschaft stellen zwar der Gesellschaftsvertrag der KG und der Gesellschaftsvertrag der atypisch stillen Beteiligung dar, es liegt jedoch eine einheitliche Mitunternehmerschaft vor. Den Mitunternehmeranteil bilden somit die Bruchteile an den Wirtschaftsgütern, soweit diese ihm steuerlich zuzurechnen sind, und die Wirtschaftsgüter, die im Alleineigentum des Gesellschafters (Mitunternehmers) stehen, der Gesellschaft jedoch auf längere Dauer zur Nutzung überlassen worden sind. Der Mitunternehmeranteil des Gesellschafters einer Personengesellschaft steht somit dem Betrieb des Einzelgewerbetreibenden gleich, was besonders im Falle der Anteilsveräußerung oder der Anteilsaufgabe deutlich wird. Der Anteil an der Gesamtheit behält auch dann nicht seine Selbständigkeit, wenn er im Falle eines Hinzuerwerbes entweder mit Sonderrechten oder Beschränkungen, wie die Belastung durch einen Nießbrauch, Testamentvollstreckung, Treuhandschaft oder Kaufoption eines Dritten oder mit mehr Rechten ausgestattet sind. Der Mitunternehmeranteil kann sich u. U. nur auf Sonderbetriebsvermögen stützen, wenn die Mitunternehmerstellung nur auf eine obligatorische Rechtsbeziehung begründet ist, z. B. auf eine Nutzungsüberlassung aufgrund eines Miet- oder Pachtvertrages, der ihm eine gesellschafterähnliche Stellung einräumt, eines Geschäftsführervertrages, der ihm eine beherrschende Stellung einräumt, so dass er als verdeckter Mitunternehmer anzusehen ist oder wenn er als mittelbarer Gesellschafter (Gesellschafter einer Obergesellschaft) von der Untergesellschaft Vergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG erhält. In diesen Fällen ergibt sich die kapitalmäßige Beteiligung nur aus der Sonderbilanz, da er am Gesellschaftsvermögen selbst nicht beteiligt ist.

__________ 23 Kritisch Reiß in Kirchhof, EStG, § 15 Rz. 338 m. w. N.

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3. Der Gewinnanteil am Gesamtgewinn a) Grundsätze Grundlage für die Gewinnermittlung einer gewerblichen Personengesellschaft ist die Handelsbilanz. Sind jedoch an einen Nichtgesellschafter, der jedoch steuerlich als Mitunternehmer zu behandeln ist, Gewinnansprüche vergütet oder sonstige Leistungen vergütet worden, die den Handelsbilanzgewinn gemindert haben, so sind diese Vergütungen dem steuerlichen Gewinn wieder hinzuzurechnen. Soweit dies eine Beteiligung am Handelsbilanzgewinn ist, erfolgt eine Korrektur der Gesellschaftsbilanz.24 Soweit es sich um Sondervergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG handelt, sind diese in einer Sonderbilanz als Sonderbetriebseinnahmen dem Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft wieder hinzuzurechnen. b) Umfang des gewerblichen Gewinns Ist ein Gesellschafter Mitunternehmer, so gehören alle Gewinnanteile, die der Gesellschafter (Mitunternehmer) von der Gesellschaft bezieht, und die Vergütungen für Tätigkeiten gegenüber der Gesellschaft, gleich aus welchem Rechtsgrund25, für Darlehensüberlassungen und Nutzungsüberlassungen zu seinen gewerblichen Einkünften (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Das gilt grundsätzlich auch für weitere Anteile an der Mitunternehmerschaft, die der Gesellschafter neben dem die Mitunternehmerschaft begründeten Anteil hält und die ihm formaljuristisch zuzurechnen sind, aber mit Rechten Dritter belastet sind (Bestellung eines Nießbrauchs, Vereinbarung einer Treuhand oder Anordnung einer Testamentsvollstreckung), auch wenn die Voraussetzungen eines Mitunternehmers in Bezug auf die weiteren Anteile nicht erfüllt sind. Allein maßgebend ist, dass er Einkünfte auch aus diesen Anteilen bezieht. Es handelt sich hierbei nicht um Sondervergütungen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG, sondern um steuerrechtliche Korrekturen des sich aus der Handelsbilanz ergebenden Gewinnanteils. Gleiches gilt, wenn ihm lediglich ein Nutzungsrecht an weiteren Anteilen eingeräumt worden ist, ohne dass ihm die Gesellschaftsrechte aus den weiteren Anteilen zustehen. Die Mitunternehmerschaft wirkt sich auf alle Rechtsbeziehungen innerhalb der Personengesellschaft aus. Alle Vermögensmehrungen, die er innerhalb der Mitunternehmerschaft erfährt, sind ihm als gewerbliche Einkünfte zuzurechnen. Ist der Mitunternehmer gleichzeitig stiller Gesellschafter, handelt es sich bei dem Gewinnanspruch aus der stillen Beteiligung um Vergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 1 Halbs. 2 EStG, sofern der stille Gesellschafter nicht als Mitunternehmer zu behandeln ist. Nicht jedoch handelt es sich bei der atypisch stillen Beteiligung bei dem Gewinnanspruch um eine Sondervergütung i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG, weil der Gewinnanspruch des atypisch Stillen sich auf den Handelsbilanzgewinn bezieht und

__________ 24 BFH v. 2.5.1984 – VIII R 276/81, BStBl. II 1984, 820. 25 Schulze zur Wiesche in Bordewin/Brandt, EStG, § 15 EStG Rz. 233 ff.

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Ausfluss seiner Gesellschafterstellung ist, im Gegensatz zu den Sondervergütungen, die einem Gesellschafter gezahlt werden für Leistungen, die auch von einem Dritten erbracht werden können und die unter Fremden üblichen Bedingungen abgewickelt werden.26 Die Zurechnung zu den Einkünften einer gewerblichen Mitunternehmerschaft hat jedoch dort seine Grenze, wo der Gewinnanspruch einer anderen gewerblichen Mitunternehmerschaft originär zuzurechnen ist. Beispiel 4 A ist Kommanditist der X-KG und gleichzeitig atypisch Unterbeteiligter am Anteil des B. Die Unterbeteiligungsgesellschaft zwischen A und B bildet gegenüber der X-AG eine selbständige Mitunternehmerschaft und ist daher steuerlich ein selbständiges Gewinnzurechnungs- und Ermittlungssubjekt. Die Gewinnermittlung der Mitunternehmerschaft A und B kann daher in die Gewinnermittlung der X-KG nicht einbezogen werden.

c) Das steuerliche Kapitalkonto Ist Grundlage der Mitunternehmerschaft ein atypisch stilles Beteiligungsverhältnis oder eine Innengesellschaft und ist dem Mitunternehmer wirtschaftlich ein Bruchteil des Gesellschaftsvermögens zuzurechnen, ist die Einlage des Mitunternehmers, die in der Handelsbilanz als Fremdkapital ausgewiesen ist, als Eigenkapital zu behandeln und als solches dem Mitunternehmer zuzurechnen. Seine Einlage stellt somit Eigenkapital dar. Dieses ist in der Steuerbilanz der Gesellschaft auszuweisen, nicht in einer Sonderbilanz. Ist ein Kommanditist gleichzeitig noch atypisch stiller Gesellschafter am Unternehmen der gleichen Gesellschaft, so gehört die atypisch stille Beteiligung nicht zu seinem Sonderbetriebsvermögen, sondern erhöht diese seine bruchteilsmäßige Beteiligung am Gesellschaftsvermögen (Gesamthandvermögen). Das Kapitalkonto, das sich aus der Kommanditbeteiligung ergibt, ist somit in der Steuerbilanz um seine Einlage als stiller Gesellschafter zu erhöhen. Der verdeckte Mitunternehmer und der Mittelbare Gesellschafter, der über Leistungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG zum Mitunternehmer geworden ist und daher am Gesellschaftsvermögen auch nicht wirtschaftlich i. S. v. § 39 Abs. 1 und 2 AO beteiligt sind, haben ihre kapitalmäßige Beteiligung in einer Sonderbilanz auszuweisen. d) Gewinnermittlung und Gewinnverteilung Der Gewinn der Personengesellschaft ist um die Gewinnansprüche atypisch stiller Beteiligter und Innengesellschafter, soweit sie als Mitunternehmer anzusehen ist, zu erhöhen.27 Dies betrifft nicht nur die Beteiligung am Gewinn

__________ 26 Anders noch Schulze zur Wiesche, Einheitliche Beurteilung einer Mitunternehmerschaft bei unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, DB 1998, 2552; Schulze zur Wiesche in Bordewin/Brandt, EStG, § 15 EStG Rz. 396a, 398. 27 BFH v. 2.5.1984 – VIII R 276/81, BStBl. II 1984, 820.

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der Gesellschaft und die sonstigen Vergütungen für Gesellschafterleistungen, die wegen ihrer Unüblichkeit und Unangemessenheit wirtschaftlich Gewinn darstellen. Ist ein Kommanditist gleichzeitig stiller Gesellschafter, ist im Falle einer atypisch stillen Gesellschaft sein Gewinn aus der KG-Beteiligung um den Gewinn aus der atypisch stillen Beteiligung zu erhöhen. Da der Gewinnanspruch des stillen Beteiligten aus dem ungeschmälerten Gewinn nicht dem Restgewinn berechnet wird, ist er dem Vorabgewinn zuzurechnen und nicht dem zur Verteilung stehenden Restgewinn. Handelt es sich um eine typisch stille Gesellschaft, die den Regelungen des HGB entspricht, bleibt der Gewinn der Gesellschaft unverändert, der Gewinnanspruch aus dem stillen Gesellschaftsverhältnis wird als Sonderbetriebseinnahme dem Gesamtgewinn des Gesellschafters wieder hinzugerechnet. Gründet die Mitunternehmerstellung auf Rechtsverhältnisse, die keine Ansprüche auf den Gesamtgewinn vermitteln, ergibt sich seine Beteiligung am Gesamtgewinn aus der Sonderbilanz des Mitunternehmers. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn der Gewinn durch nicht leistungsrechte Vergütungen zu Lasten der übrigen Gesellschafter abgeschöpft wird und sich hierdurch eine nicht den Beiträgen entsprechende gerechte Gewinnverteilung ergibt, was den Gewinn der Personengesellschaft erhöht, der auf die am Gesamthandvermögen beteiligten Gesellschaften zu verteilen ist. Der Sondergewinn mindert sich auf diese Weise. 4. Einzelfälle a) Zusammentreffen einer verdeckten Mitunternehmerschaft und Kommanditanteil, der nicht die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft erfüllt Auch ein verdeckter Mitunternehmer ist Mitunternehmer i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG. Daher umfasst die Mitunternehmerschaft auch einen KG-Anteil, der isoliert betrachtet, die Voraussetzungen einer Mitunternehmerstellung nicht erfüllt. Beispiel 5 A ist Kommanditist der X-KG, das Widerspruchsrecht i. S. d. § 164 HGB ist ausgeschlossen, im Fall seines freiwilligen Ausscheidens erhält er nur den Buchwert. Den Gewinn stellt der Komplementär fest. Es wird unterstellt, dass die Beteiligung die Voraussetzungen für einen Mitunternehmer nicht erfüllt. A ist gleichzeitig Geschäftsführer und Prokurist der KG aufgrund eines Anstellungsvertrags mit der KG und einer hohen Tantiemevereinbarung. Außerdem hat er der Personengesellschaft ein Grundstück (wesentliche Betriebsgrundlage) vermietet (verdeckter Mitunternehmer).

A ist als verdeckter Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen. Dies hat steuerlich auch Auswirkung auf seine Kommanditbeteiligung. Es ist unerheblich, dass die Kommanditbeteiligung isoliert betrachtet nicht die Voraussetzungen für eine Mitunternehmerstellung erfüllt. Für die Frage der Mitunter422

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nehmerstellung sind die einzelnen Rechtsverhältnisse, auf die sich die Gesellschafterstellung stützen kann, nicht isoliert zu betrachten. Begründet der Anstellungsvertrag ein verdecktes Gesellschaftsverhältnis, ist der verdeckte Gesellschafter als Mitunternehmer der Mitunternehmerschaft anzusehen; das hat auch Auswirkung auf die Kommanditbeteiligung. Als Mitunternehmer ist seine Gewinnbeteiligung aufgrund seines KG-Anteils als gewerblich zu qualifizieren. Nach der Rechtsprechung des BFH28 kommt es für die Frage der Mitunternehmerschaft bzw. bei der Mitunternehmerstellung auf die Gesamtverhältnisse an, wobei die Merkmale Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko beide gegeben sein müssen. Es kommt hierbei nicht darauf an, dass sie auf den gleichen Rechtsverhältnissen beruhen. So kann auch ein typisch stiller Gesellschafter ohne Beteiligung an den stillen Reserven als Mitunternehmer zu qualifizieren sein, weil die Mitunternehmerinitiative als Geschäftsführer besonders stark ausgeprägt ist. Da die stille Gesellschaft als Innengesellschaft nicht Grundlage für die Geschäftsführung sein kann, muss sich diese notgedrungen aufgrund eines selbständigen Anstellungsverhältnisses ergeben, so dass sich die Mitunternehmerstellung aus einer Bündelung unterschiedlicher Rechtsverhältnisse, die jedoch in einem inneren Zusammenhang stehen, ergeben kann. Beispiel 6 A ist Kommanditist der X-GmbH & Co. KG. Die Kommanditisten sind von ihren Mitwirkungsrechten ausgeschlossen und daher steuerlich nur als stille Gesellschafter anzusehen. A ist jedoch gleichzeitig als Geschäftsführer verdeckter Mitunternehmer der Komplementär-GmbH. A und X-GmbH bilden außerhalb der KG eine selbständige Mitunternehmerschaft. A ist gewissermaßen am Anteil der Komplementär-GmbH an der KG unterbeteiligt. Da die GmbH & Co. KG selbst keine Mitunternehmerschaft darstellt, ist diese nicht selbständiges Gewinnermittlungssubjekt, sondern es ist die GmbH. Da jedoch die Beteiligung an der KG den Betrieb der GmbH fördert, also die verdeckte Mitunternehmerschaft, ist der „Kommanditanteil“ des A als Sonderbetriebsvermögen II des A in die Gewinnermittlung der Gesellschaft A & X-GmbH mit einzubeziehen.

b) Zusammentreffen eines Mitunternehmeranteils mit einem nießbrauchbelasteten Anteil Ist der Steuerpflichtige bereits Mitunternehmer durch einen eigenen Anteil und erwirbt er einen weiteren mit einem Vollnießbrauch belasteten Anteil hinzu, so kommt es, weil er bereits Mitunternehmer ist, hinsichtlich des mit dem Nießbrauch belasteten Anteils nicht darauf an, ob er auch hinsichtlich dieses Anteils als Mitunternehmer anzusehen ist oder nicht.29

__________ 28 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751. 29 Hierzu Janssen/Nickel, Unternehmensnießbrauch, Bielefeld 1998, S. 73 ff.; Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 305.

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Dieter Schulze zur Wiesche Beispiel 7 A erwirbt neben seinem bisherigen Mitunternehmeranteil einen weiteren mit dem Vollnießbrauch (Unternehmensnießbrauch) zugunsten des D belasteten Anteil hinzu. Der Gewinnanteil des A aus seinem Anteil beträgt 150 000 Euro. Der Gewinnanteil auf den nießbrauchbelasteten Anteil beträgt ebenfalls 150 000 Euro. 20 v. H. des Gewinns sind nach dem Gesellschaftsvertrag dem Kapitalkonto gutzuschreiben. Zunächst sind A und D als Gesellschafter und Mitunternehmer, deren Gewinnanteile i. H. v. jeweils 150 000 Euro zuzurechnen. D steht aufgrund der Nießbrauchsvereinbarung nur der entnahmefähige Gewinn = 120 000 Euro zu. 30 000 Euro stehen A als Eigentümer zu. D hat i. H. v. 30 000 Euro Sonderbetriebsausgaben, A i. H. v. 30 000 Euro Sonderbetriebseinnahmen. A D Gewinnanteil lt. HB 150 000 Euro 150 000 Euro Betriebsausgabe D ./. 30 000 Euro Steuerliche Zurechnung + 30 000 Euro Gesamtgewinn Anteil 180 000 Euro 120 000 Euro

Dies gilt grundsätzlich auch für ein Treuhandnießbrauchsverhältnis.30 Ist der Nießbrauchbesteller in seinen Rechten so eingeschränkt, dass er isoliert betrachtet nicht als Mitunternehmer anzusehen ist, führt dies auch zu keinem anderen Ergebnis, soweit ihm der nicht entnahmefähige Gewinn zivilrechtlich zuzurechnen ist, weil er hinsichtlich seines eigenen Anteils Mitunternehmer ist. Ist der Anteil lediglich mit einem Ertragsnießbrauch belastet, ist dem Nießbrauchbesteller und Anteilseigner der volle Gewinn zuzurechnen. Hinsichtlich des Entnahmefähigen Gewinns liegt jedoch eine Betriebsausgabe vor, soweit eine betriebliche Veranlassung gegeben ist.31 Gleiches gilt auch für Treuhandverhältnisse und Testamentvollstreckung32, wenn der Treuhänder oder Miterbe bereits einen weiteren Anteil inne hat und daher bereits Mitunternehmer ist. Ist hingegen der Nießbraucher bereits aufgrund eines eigenen Anteils Mitunternehmer, werden ihm die entnahmefähigen Gewinne zugerechnet. Hierbei ist unerheblich, ob er hinsichtlich des Nießbrauchs die Voraussetzungen eines Mitunternehmers erfüllt oder nicht. Ebenso ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn die Mitunternehmerschaft des Nießbrauchbestellers nicht auf dem Anteil an der Personenhandelsgesellschaft als Kommanditist, sondern auf einer atypisch stillen Beteiligung beruht. Ist jedoch der Beschenkte, auch wenn er bereits aufgrund eines anderen Anteils Mitunternehmer ist, nicht als wirtschaftlicher Eigentümer des geschenkten

__________ 30 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241 = DB 1994, 2423. 31 Schulze zur Wiesche, Die ertragsteuerliche Behandlung von Nießbrauch und Treuhand an einem KG-Anteil, BB 2004, 355; Schulze zur Wiesche, Die ertragsteuerliche Behandlung von Nießbrauch und Treuhand am Mitunternehmeranteil, FR 1999, 281. 32 Wacker in Schmidt, EStG, § 15 EStG Rz. 296 ff.

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Die Mitunternehmerschaft

Anteils anzusehen, weil sich der Schenker neben einer Nießbrauchtreuhandbestellung das volle Verfügungsrecht auch über den Anteil vorbehalten hat, so sind ihm die Gewinnanteile aus diesem Anteil nicht zuzurechnen. Beispiel 8 A ist Kommanditist der X-KG. Er hat einen weiteren Anteil von B erworben. Dieser nimmt jedoch weiterhin die Gesellschaftsrechte für A treuhänderisch wahr. Da A Treugeber ist, wird ihm der Anteil des B zugerechnet. Beide Anteile sind Grundlage der Mitunternehmerschaft.

c) Zusammentreffen von Beteiligung an der Gesamthand (Kommanditist) und stiller Gesellschaft Wie bereits ausgeführt, kann der stille Beteiligte unter den von der Rechtsprechung33 entwickelten Voraussetzungen Mitunternehmer sein. Erfüllt die KGBeteiligung isoliert betrachtet nicht die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft, kann infolge individueller Vereinbarung die stille Beteiligung zur KG eine Mitunternehmerschaft begründen, insbesondere, wenn der stille Beteiligte über die stille Beteiligung alle Mitwirkungsrechte erhält, von denen die Kommanditisten aufgrund des Gesellschaftsvertrages ausgeschlossen sind. Ist der Kommanditist aufgrund der stillen Beteiligung Mitunternehmer, werden seine Gewinnanteile aus der KG-Beteiligung als gewerbliche Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft behandelt, weil er aufgrund der stillen Beteiligung als Mitunternehmer anzusehen ist. Ist der Kommanditist aufgrund der KG-Beteiligung als Mitunternehmer anzusehen, ist der steuerliche Gewinnanteil der KG um den Gewinnanteil der atypisch stillen Gesellschaft aufzustocken. Handelt es sich jedoch um eine echte stille Beteiligung, ist er wie ein Darlehnsgeber zu behandeln und somit der Gewinnanteil als Sonderbetriebseinnahme i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG. d) Mitunternehmerschaft bei gleichzeitiger Unterbeteiligung an einem Anteil Die Unterbeteiligung hat nicht die Beteiligung am Handelsgewerbe der Personengesellschaft zum Gegenstand, sondern lediglich die an der Beteiligung des Hauptgesellschafters.34 Der Unterbeteiligte ist lediglich mittelbar Gesellschafter der Personengesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG.35

__________ 33 BFH v. 10.8.1994 – I R 133/93, BStBl. II 1995, 171; BFH v. 23.4.1996 – VIII R 13/95, BStBl. II 1998, 325; BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328; BFH v. 2.10.1997 – IV R 75/96, BStBl. II 1998, 134. 34 Schulze zur Wiesche, Völlige Gleichstellung der atypisch stillen Gesellschaft mit der Personenhandelsgesellschaft, DStZ 1998, 285; BFH v. 2.10.1997 – IV R 75/96, BStBl. II 1998, 134. 35 Schulze zur Wiesche, Völlige Gleichstellung der atypisch stillen Gesellschaft mit der Personenhandelsgesellschaft, DStZ 1998, 285; BFH v. 2.10.1997 – IV R 75/96, BStBl. II 1998, 134.

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Dieter Schulze zur Wiesche Beispiel 9 A ist Kommanditist der X-AG. Gleichzeitig ist er am Gesellschaftsanteil des B unterbeteiligt. a) Es liegt eine Unterbeteiligung nach Art einer typisch stillen Gesellschaft vor. b) Es liegt eine Unterbeteiligung nach Art einer atypisch stillen Gesellschaft vor. Zu a): Die Unterbeteiligung nach Art einer typisch stillen Gesellschaft stellt kein selbständiges Gewinnermittlungssubjekt dar.36 Der Gewinnanspruch des Unterbeteiligten ist beim Hauptgesellschafter B als Sonderbetriebsausgabe zu behandeln. Da der Unterbeteiligte gleichzeitig über seine eigene Hauptbeteiligung Mitunternehmer der Personengesellschaft ist und die Unterbeteiligung am Anteil des anderen Gesellschafters seine Beteiligung stärkt, handelt es sich bei der Unterbeteiligung um sog. Sonderbetriebsvermögen II. Daher ist der Gewinnanspruch als Sondervergütung i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG zu behandeln. A hat daher auch hinsichtlich der Unterbeteiligung gewerbliche Einkünfte. Zu b): Es liegen grundsätzlich zwei selbständige Mitunternehmerschaften vor. Beispiel 10 A ist nicht Gesellschafter der X-KG, sondern ist jeweils an den Anteilen von B und C unterbeteiligt. a) Beide Unterbeteiligungen sind atypisch. b) Die Unterbeteiligung an B ist atypisch, die an C typisch. Zu a): Es liegen grundsätzlich zwei selbständige Mitunternehmerschaften vor. Die Gewinnermittlung bei beiden Mitunternehmerschaften erfolgt grundsätzlich jeweils getrennt, es sei denn, der Unterbeteiligte ist, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG vorliegen (Überlassung von Wirtschaftsgütern an die Hauptgesellschaft durch den Unterbeteiligten) auch als Gesellschafter zur Hauptgesellschaft anzusehen. Zu b): Die Beteiligungen sind grundsätzlich getrennt zu beurteilen, daher sind die Beteiligung am Anteil des B als Mitunternehmeranteil, die an C als Kapitalbeteiligung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzusehen. Es erfolgt jedoch eine Umqualifizierung nach § 20 Abs. 3 EStG. Das wäre der Fall, wenn die Unterbeteiligung an C als Sonderbetriebsvermögen II der Mitunternehmerschaft A-B anzusehen wäre. Da die Beteiligung am Anteil C in der Regel keinen Einfluss auf das Beteiligungsverhältnis A-B hat, dürfte Sonderbetriebsvermögen zu verneinen sein. Notwendiges Sonderbetriebsvermögen II käme nur dann in Betracht, wenn A der Hauptgesellschaft Wirtschaftsgüter zur Nutzung überlassen hätte oder für die Hauptgesellschaft tätig ist, so dass ein Zusammenhang zum Betrieb der Personengesellschaft besteht. Die Mitunternehmerschaft des A an der KG selbst bezieht sich nur auf das der KG überlassene Sonderbetriebsvermögen. Die Mitunternehmerschaften an der Unterbeteiligungsgesellschaft werden selbständig behandelt, die Anteile an der Unterbeteiligungsgesellschaft sind nicht Sonderbetriebsvermögen der KG.

__________ 36 Schulze zur Wiesche, Völlige Gleichstellung der atypisch stillen Gesellschaft mit der Personenhandelsgesellschaft, DStZ 1998, 285; BFH v. 2.10.1997 – IV R 75/96, BStBl. II 1998, 134.

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III. Behandlung von Veräußerungsgewinnen 1. Allgemeines Werden Anteile einer Mitunternehmerschaft, ohne dass die Mitunternehmerschaft beendet wird, veräußert, ergeben sich zwei Problemkreise. Zum einen sind die Voraussetzungen für einen steuerbegünstigten Veräußerungs-, bzw. Aufgabegewinn gegeben? Zum anderen wie ist der Veräußerungsgewinn zu ermitteln? Geht man von den gesamten Anschaffungskosten der Mitunternehmeranteile aus, die im Verhältnis des veräußerten Anteils zum gesamten Anteil aufzuteilen sind, oder von den unmittelbaren Anschaffungskosten des veräußerten Bruchteils desMitunternehmeranteils, wenn Identität zwischen dem angeschafften und dem veräußerten Bruchteil des Mitunternehmeranteils besteht. 2. Steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn Eine Anteilsveräußerung i. S. d. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nur dann gegeben, wenn der gesamte Anteil veräußert oder aufgegeben wird. Das heißt, dass die Mitunternehmerschaft als solche beendet werden muss. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hatte bisher den Bruchteil einer Beteiligung analog einem Teilbetrieb hinsichtlich der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen gleichbehandelt. Nach der Fassung § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG i.F.d. Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz ist eine Veräußerung oder Aufgabe nur dann begünstigt, wenn mit der Veräußerung oder Aufgabe die Mitunternehmerschaft des Veräußernden oder Ausscheidenden beendet wird. Beispiel 11 A ist Kommanditist und Mitunternehmer der X-KG. Er hat einen weiteren Anteil von B hinzuerworben und veräußert den von B erworbenen Anteil an einen Dritten weiter. A ist mit seinem ursprünglichen Anteil weiterhin Mitunternehmer. Daher ist der Veräußerungsgewinn als laufender Gewinn zu behandeln. Das gilt auch dann, wenn ein weiterer Anteil mit einer Testamentsvollstreckung belastet war und der Testamentsvollstrecker den Anteil veräußert hat. Es sei denn, der Anteil gehörte in das Gesamthandsvermögen einer Erbengemeinschaft, bei der alle Erben als Mitunternehmer anzusehen waren. Der Anteil an einer anderen Mitunternehmerschaft gehört nicht zum Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft, auch dann nicht, wenn der Gesellschafter an dieser beteiligt ist. Beispiel 12 A ist Kommanditist der X-KG und gleichzeitig deren atypisch stiller Gesellschafter. Er veräußert seinen Anteil als atypisch stiller Gesellschafter. A veräußert zwar einen Gesellschaftsanteil, über den KG-Anteil ist er jedoch weiterhin als Mitunternehmer anzusehen. Er hat seinen Mitunternehmeranteil insgesamt weder veräußert, noch aufgegeben. Der Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der atypisch stillen Beteiligung ist somit als laufender Gewinn zu behandeln.

Veräußert der Gesellschafter einer Personengesellschaft einen Anteil an der Mitunternehmerschaft, der wesentliche Grundlage für die steuerliche Mit427

Dieter Schulze zur Wiesche

unternehmerschaft ist, so ist mit der Veräußerung die Mitunternehmerschaft beendet und sein Restbetriebsvermögen in das Privatvermögen überführt, mit der Folge, dass der Mitunternehmeranteil aufgegeben ist. Die Aufgabe eines Mitunternehmeranteils wäre begünstigt. Beispiel 13 A hat einen Kommanditanteil, den er als Gründer erworben hat, der mit einem Mehrfachstimmrecht ausgestattet ist und das Recht einräumt, positiv auf die Geschäftspolitik einzuwirken und einen Anteil der nicht dem Regelstatut des Handelsgesetzbuchs über die Kommanditgesellschaft entspricht, und daher selbständig keine Mitunternehmerschaft begründen kann. A veräußert den Anteil, den er als Gründer erworben hat und behält den anderen Anteil zurück.

Mit der Anteilsveräußerung sind die Voraussetzungen für eine Mitunternehmerstellung entfallen und somit der verbleibende Anteil in das Privatvermögen überführt, was zur Aufdeckung aller stillen Reserven führt, die in dem Mitunternehmeranteil enthalten waren. Die Aufgabe ist nach § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG begünstigt. Beispiel 14 A ist Kommanditist der X-KG. Die Kommanditbeteiligung entspricht nicht dem Regestatut des Handelsgesetzbuchs. A ist jedoch noch atypisch stiller Beteiligter mit Beteiligung an den stillen Reserven und an der Geschäftsführung. Er ist aufgrund der atypisch stillen Beteiligung als Mitunternehmer anzusehen. Er veräußert die atypisch stille Beteiligung. Die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft sind somit entfallen. Es liegen daher die Voraussetzungen einer begünstigten Betriebsausgabe vor.

Ist der Gesellschafter unmittelbar über eine Kommanditbeteiligung an einer Gesellschaft beteiligt und mittelbar über eine andere Personengesellschaft, deren Gesellschafter er ebenfalls ist, die einen Anteil an der erstgenannten Gesellschaft hält, so handelt es sich um zwei selbständige Mitunternehmerschaften. Veräußert er den KG-Anteil, so liegt die Veräußerung eines gesamten Anteils i. S. v. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vor. Gleiches gilt, wenn er lediglich den Anteil veräußert, der ihm eine mittelbare Beteiligung vermittelt. Ist der Gesellschafter neben dem Kommanditanteil noch an einem Anteil eines anderen Gesellschafters unterbeteiligt, und als Mitunternehmer des Hauptbeteiligten anzusehen, liegt ebenfalls eine selbständige Mitunternehmerschaft zwischen dem Hauptbeteiligten und dem Unterbeteiligten vor, mit der Folge, dass bei Veräußerung seiner unmittelbaren Beteiligung ohne die Unterbeteiligung die Voraussetzungen für einen begünstigten Veräußerungsgewinn gegeben sind. 3. Ermittlung des Veräußerungsgewinns Der Gewinn aus der Veräußerung ergibt sich aus dem Veräußerungspreis und im Falle der Entnahme aus dem gemeinen Wert abzüglich des letzten Buchwertansatzes. Ist Gegenstand der Veräußerung der Anteil am Anteil einer Personengesellschaft. Der zu verschiedenen und zu unterschiedlichen Anschaf428

Die Mitunternehmerschaft

fungskosten erworben wurde, fragt sich, wie der Veräußerungsgewinn zu ermitteln ist. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Gesellschafter einer Personengesellschaft grundsätzlich nur einen Anteil hat, auch wenn er von Dritten Anteile hinzuerworben hat. Im Gegensatz zur Kapitalgesellschaft behalten die hinzuerworbenen Anteile nicht ihre Selbständigkeit. Die Anschaffungskosten sind somit zusammenzurechen. Beispiel 15 A hat im Zusammenhang mit der Gründung einen KG-Anteil von nominal 400 000 Euro erworben. Später hat er von B einen Anteil von nominal 100 000 Euro für 200 000 Euro erworben. Im Jahr darauf veräußert einen Nominalanteil von 100 000 Euro für 300 000 Euro. Buchwert des Anteils (Bruchteil an den einzelnen Wirtschaftsgütern) = 600 000 Euro Kaufpreis für 100 000 Euro Nominalwert von 500 000 Euro = 120 000 Euro Buchkapital = 20 v. H. des Gesamtanteils Veräußerungspreis = 300 000 Euro Veräußerungsgewinn = 180 000 Euro Würde es sich um den Anteil an einer Kapitalgesellschaft handeln, würde der hinzu erworbene Anteil seine Selbständigkeit behalten. Ist Gegenstand der Veräußerung der zuletzt erworbene Anteil, so ergäbe sich folgende Rechung: Veräußerungspreis = 300 000 Euro Buchwert veräußerter Anteil = 200 000 Euro Veräußerungsgewinn = 100 000 Euro

Bruchteile am Betriebsvermögen können Gegenstand des Rechtsverkehrs sein, ebenso Bruchteile eines Gesellschaftsanteils. Voraussetzung für die Zugrundelegung der Anschaffungskosten eines vom Veräußerer bestimmten Bruchteils ist, dass dieser die Identität des angeschafften mit dem veräußerten Gegenstand nachweist. Beispiel 16 A ist Kommanditist der X-KG mit einer Einlage von 500 000 Euro (Buchwert) und gleichzeitig atypisch stiller Gesellschafter mit einer Einlage von 250 000 Euro. Er veräußert die atypisch stille Beteiligung an B für 300 000 Euro. Hier ergibt sich die Identität des angeschafften und veräußerten Anteils aus der Rechtsform der Beteiligung.

Aber auch in Fällen, in denen der weitere Erwerb einer Beteiligung an einer Personengesellschaft zum Verkauf bestimmt ist, ist eine Abgrenzung von der bereits vorhandenen Beteiligung gegeben. Beispiel 17 A ist Kommanditist einer Kommanditgesellschaft. Er erbt einen Anteil mit der Auflage, diesen Anteil an eine bestimmte Person weiter zu veräußern. Mit der Verkaufsauflage grenzt sich die ererbte Beteiligung von der übrigen Beteiligung ab. Im Falle der Veräußerung wird der Veräußerungsgewinn in der Weise ermittelt, dass dem Veräußerungspreis die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers gegenüber gestellt werden.

Auch in all den übrigen Fällen, in denen sich eine hinzu erworbene Beteiligung von der übrigen Beteiligung abgrenzt, z. B. durch eine Kaufoption zu Gunsten 429

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eines Dritten, ein Vorkaufsrecht, durch eine Belastung mit einem Nießbrauch, ist der Identitätsnachweis erbracht, mit der Folge, dass nicht von einem Durchschnittswert als Anschaffungskosten auszugehen, sondern von den Anschaffungskosten des veräußerten Bruchteils des Mitunternehmeranteils.

IV. Zusammenfassung Grundlage einer Mitunternehmerschaft sind alle Rechtsverhältnisse eines Gesellschafters mit seiner Personengesellschaft, die Grundlage für seine Gewinnund Risikobeteiligung, seine Mitbestimmungs- und Kontrollrechte sind. Sind mehrere Beteiligungsverhältnisse Grundlage der Mitunternehmerschaft (z. B. KG-Beteiligung und atypisch stille Beteiligung), so hat der Gesellschafter nur einen Mitunternehmeranteil. Der Mitunternehmeranteil ist Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung der Gesellschaften (Mitunternehmerschaft). Er setzt sich zusammen aus den Bruchteilen am Gesellschaftsvermögen und den Wirtschaftsgütern, die der Gesellschafter der Gesellschaft zur Nutzung überlässt. Eine steuerbegünstigte Veräußerung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG liegt nur vor, wenn er den Mitunternehmeranteil insgesamt aufgibt, es reicht nicht aus, dass er den KG-Anteil veräußert, aber weiterhin Mitunternehmer aufgrund einer atypisch stillen Beteiligung bleibt. Der Veräußerungsgewinn eines Bruchteils seines Mitunternehmeranteils wird nicht aus den Durchschnittsanschaffungskosten ermittelt, wenn Identität zwischen dem veräußerten und angeschafften Anteil nachgewiesen werden kann.

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Verluste aus eigenkapitalersetzenden Darlehen im Gesellschafts- und Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Von der Eigenständigkeit steuerrechtlicher Tatbestände II. Gesellschaftsrecht 1. Einführung 2. Überblick über das Eigenkapitalersatzrecht a) Rechtsprechungsregeln b) Novellenregelung des GmbHG 1980 c) Weiterentwicklung der Rechtsprechungsregeln aa) Zweistufiges Schutzsystem bb) Kleingesellschafter-Sanierungsprivileg cc) Rechtsformspezifische Anwendung? d) Besonderheiten beim Finanzplandarlehen aa) Krisenbestimmtes Darlehen als Finanzplandarlehen im engeren Sinne bb) Finanzplandarlehen im weiteren Sinne cc) Finanzplandarlehen als nicht ausgezahltes Darlehen dd) Bindung des Gesellschafters ee) Rechtsformspezifische Anwendung? 3. Ausblick auf das MoMiG

III. Steuerrecht 1. Wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen (§ 17 EStG) a) Darlehenshingabe in der Krise b) Darlehenshingabe vor der Krise c) Krisenbestimmte Darlehen/ Finanzplandarlehen d) Strikte Anknüpfung an das Gesellschaftsrecht? 2. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Betriebsvermögen – Abzugsverbote nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bei der Teilwertabschreibung von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen? a) Verwaltungsauffassung b) Pro und Contra IV. Auswirkung der Änderung des Gesellschaftsrechts durch das MoMiG 1. Wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen 2. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Betriebsvermögen a) Rechtslage bis zum geplanten Jahressteuergesetz 2008 b) Auswirkung des geplanten Jahressteuergesetz 2008 V. Fazit

Für die Verfasser dieses Beitrages ist es eine besondere Freude, an einer Festschrift zu Ehren von Wolfram Reiß mitzuwirken, da sie Wolfram Reiß im Rahmen ihrer steuerrechtlichen Tätigkeit häufig begegnet sind. Arndt Raupach hat Wolfram Reiß für die langjährige gemeinsame Tätigkeit im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e. V. zu danken. Dirk Pohl begegnete Wolfram Reiß zum ersten Mal im Jahre 1985 als junger Finanzanwärter, während dessen Tätigkeit als Dozent und Professor an 431

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der Fachhochschule für Finanzen in Nordkirchen. Später waren es die scharfsinnigen Ausführungen von Wolfram Reiß zur einkommensteuerlichen Behandlung der qualifizierten Nachfolgeklausel1, die die Dissertation von Dirk Pohl über die Unternehmensnachfolge im Einkommensteuerrecht beeinflusst haben.2 Dies war im weiteren Sinn auch der Anstoß für das Thema des vorliegenden Beitrags der Festschrift. Denn die Behandlung der eigenkapitalersetzenden Darlehen bei Kapitalgesellschaften beruht auf der gleichen Grundproblematik wie der Meinungsstreit über die Behandlung der qualifizierten Nachfolgeklausel bei Personengesellschaften: Dem Ineinandergreifen von Gesellschafts- und Steuerrecht.

I. Von der Eigenständigkeit steuerrechtlicher Tatbestände3 Es gibt keine Maßgeblichkeit des Zivilrechts für das Steuerrecht im Sinne einer Rangpriorität.4 Das Steuerrecht ist dem Zivilrecht nicht untergeordnet. Ausgerichtet am Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sollen die Steuergesetze Sachverhalte erfassen, in denen sich diese Leistungsfähigkeit ausdrückt. Demgemäß besteht zwischen Steuerrecht und Zivilrecht (insbesondere dem Gesellschaftsrecht) eine enge Verbindung. Der Sachverhalt ist durch das Zivilrecht vorgeprägt, denn er verwirklicht sich in dem durch das Zivilrecht organisierten Rechtsverkehr. Anschließend knüpft das Steuerrecht an die wirtschaftlichen Ergebnisse des Rechtsverkehrs an.5 Der zivilrechtliche Vorgang ist dem steuerrechtlichen also vorgelagert, was man zutreffend zwar nicht als Vorrang des Zivilrechts, aber als die „Vorherigkeit“ des Zivilrechts gegenüber dem Steuerrecht beschreibt.6 Man kann angesichts dieses Befundes das Ertragsteuerrecht nicht ohne Klärung und Analyse der zivilrechtlichen Vorfragen anwenden. Eine andere Frage ist es dann, ob man für das Steuerrecht zur Erfassung des wirtschaftlichen Sachverhalts von dem zivilrechtlichen Verständnis abweichen muss, um – dessen spezifischen Aufgaben und Bedürfnissen zu entsprechen und – die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu sichern. Davon ausgehend beschäftigt sich der Beitrag zunächst mit dem Gesellschaftsrecht unter Berücksichtigung des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Mo-

__________ 1 Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 2007, § 16 EStG Rz. B 121 ff. 2 Pohl, Unternehmensnachfolge durch Teilungsanordnung und Sondererbfolge im Einkommensteuerrecht (Rechtsordnung und Steuerwesen Band 24, hrsg. Schön), Köln 1997. 3 Dazu Raupach, Darf das Steuerrecht andere Teile der Rechtsordnung stören?, in Festschrift für Klaus Tipke, Köln 1995, S. 105 ff. 4 BVerfG v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992, 212. 5 Wobei es hier auch Wechselwirkungen zu beachten gilt. So ist manche zivilrechtliche Gestaltung allein durch das Steuerrecht motiviert, vgl. Knobbe-Keuk, Das Steuerrecht – eine unerwünschte Quelle des Gesellschaftsrechts, Jahr 1986, S. 1 ff. 6 Siehe P. Kirchhoff, StuW 1983, 173 (181); P. Kirchhoff, Die Kunst der Steuergesetzgebung, NJW 1987, 3217 (3221).

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dernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.5.20077, dem sog. „MoMiG“, (siehe unter II). Daran schließt sich die steuerliche Einordnung von Verlusten aus eigenkapitalersetzenden Darlehen im Privat- und Betriebsvermögen an (siehe unter III). Abschließend erfolgt ein Ausblick auf den Einfluss des MoMiG auf die Besteuerung (siehe unter IV 1 und 2a) und auf die geplante Neuregelung im Jahressteuergesetz 20088 (siehe unter IV 2 b).

II. Gesellschaftsrecht 1. Einführung Das Eigenkapitalersatzrecht ist hochkomplex. Es steht im Spannungsverhältnis zwischen der grundsätzlichen Finanzierungsfreiheit des Gesellschafters und dem Gläubigerschutz, der eine Finanzierungsfolgenverantwortung des Gesellschafters bedingt. Es wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des II. Zivilsenats des BGH, entwickelt. Dabei überlagern sich in einem zweistufigem Schutzsystem – die Rechtsprechungsregeln zur Behandlung eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen als haftendes Kapital i. S. d. §§ 30, 31 GmbHG und – die sog. „Novellenregelung“ nach § 32a, § 32b GmbHG, § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO, § 6 AnfG. Mittlerweile soll sich sogar der juristische Berufsstand des spezialisierten „Kapitalersatzrechtlers“ entwickelt haben9, um der immer weiter ausdifferenzierten Fallgestaltungen Herr zu werden bzw. diese aufgrund „unerschöpflicher Phantasie“ erst hervorzubringen.10 Nach wie vor ist die Rechtsprechung des BGH zum Bereich der Kapitalerhaltung im Fluss, wie jüngst die Änderung des Haftungskonzepts zum existenzvernichtenden Eingriff gezeigt hat.11 Das Recht der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen lässt sich auf folgende Grundgedanken zurückführen12: – Die Finanzierungsfreiheit des Gesellschafters ist anzuerkennen. Er kann die Gesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital finanzieren. Auch in der Krise besteht kein Gebot, neue Mittel zuzuführen (kein Zuführungsgebot). In der Krise stehen dem Gesellschafter dann aber nur zwei Wege offen: – Liquidation oder – Zuführung von Eigenkapital.

__________ 7 BR-Drucks. 354/07. 8 Stand bei Abschluss dieses Beitrags: Regierungsentwurf v. 26.7.2007. 9 Claussen, Die GmbH braucht eine Deregulierung des Kapitalersatzes, GmbHR 1996, 316 (317). 10 Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 8. 11 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, GmbHR 2007, 927 – Trihotel. 12 Siehe Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 1 ff.

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– Soweit der Gesellschafter stattdessen Darlehen gewährt, muss er sich an seiner Finanzierungsfolgeverantwortung als Gesellschafter festhalten lassen, solange die Krise andauert: „Es ist die Verantwortung des Gesellschafters für eine ordnungsgemäße Unternehmensfinanzierung, die ihn in der Krise zwar nicht positiv verpflichtet, fehlendes Kapital aus seinem Vermögen nachzuschießen, der er sich aber nicht in der Weise zum Nachteil der Gläubiger entziehen kann, dass er bei einer tatsächlich beabsichtigten Finanzhilfe, anstatt sie durch die objektiv gebotene Einbringung haftenden Kapitals zu leisten, auf eine andere ihm weniger riskant erscheinende Finanzierungsform ausweicht.“13

– Das Darlehen bleibt nominal Fremdkapital, wird aber materiell in funktionales Eigenkapital umqualifiziert. Die Finanzierungsfolgeverantwortung gilt dann nicht nur in Bezug auf in der Krise zugeführte Darlehen, sondern auch für den Fall bei Beginn der Krise stehengelassene Darlehen. Den Gesellschafter trifft ein Abzugsverbot, wenn er einmal die Wahl getroffen hat, in der Krise nicht für eine sofortige Liquidation oder neues haftendes Kapital zu sorgen, sondern das Darlehen weiter zu gewähren. Es geht aus diesem Grund auch nicht darum, ob es dem Gesellschafter möglich war, das Darlehen bei Beginn der Krise abzuziehen, sondern ob die Möglichkeit zur sofortigen Liquidation der Gesellschaft bestand, anstelle das Darlehen stehen zu lassen. – Die Grundsätze für Gesellschafterdarlehen gelten entsprechend für Kreditsicherheiten eines Gesellschafters für von der Gesellschaft aufgenommene Drittdarlehen und wurden – viel kritisiert – auf eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassungen ausgedehnt. 2. Überblick über das Eigenkapitalersatzrecht In der Sache geht es um die (nachrangige) Stellung des Gesellschafters mit dem eigenkapitalersetzenden Darlehen in der Insolvenz, aber insbesondere auch um den Erstattungsanspruch der Gesellschaft im Fall einer zuvor erfolgten Rückgewähr der empfangenen Darlehensbeträge an den Gesellschafter. a) Rechtsprechungsregeln Aus der Rechtsprechung folgt eine entsprechende Anwendung der Kapitalerhaltungsgrundsätze nach §§ 30, 31 GmbHG. D. h., es besteht eine Auszahlungssperre nach § 30 Abs. 1 GmbHG, soweit das Stammkapital angegriffen wird, und es entsteht im Falle eines Verstoßes ein Rückzahlungsanspruch nach § 31 GmbHG.14

__________ 13 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (389). 14 Rechtsprechung seit BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258 – LufttaxiEntscheidung.

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b) Novellenregelung des GmbHG 1980 Mit der Novelle des GmbHG 1980 sollten nach der damaligen Gesetzesbegründung die Rechtsprechungsregeln durch eine ausdrückliche Spezialregelung im Gesetz abgelöst werden (siehe § 32a, § 32b GmbHG, § 135 InsO, § 6 AnfG). c) Weiterentwicklung der Rechtsprechungsregeln aa) Zweistufiges Schutzsystem Der BGH hat jedoch (entgegen der Gesetzesbegründung) angesichts der Schwächen der gesetzlichen Regelung entschieden, dass die Rechtsprechungsregeln neben der Novellenregelung in einem zweistufigen Schutzsystem fortbestehen.15 Dies bezieht sich weniger auf die Tatbestandsvoraussetzungen (Krise der Gesellschaft), sondern insbesondere darauf, dass nach den Rechtsprechungsregeln Ansprüche nur innerhalb von fünf Jahren verjähren (§ 31 Abs. 5 GmbHG). Hingegen erfordern §§ 32a, 32b GmbHG, § 135 InsO eine Rückzahlung im letzten Jahr vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder danach, wobei dem Insolvenzverwalter für diesen Fall nach § 146 InsO zwei Jahre Zeit bleiben, um die Anfechtung zu erklären (außerhalb der Insolvenz: § 6 Nr. 2 AnfG: Befriedigung im letzten Jahr vor der Anfechtung).16 bb) Kleingesellschafter-Sanierungsprivileg Die Fortführung der Rechtsprechungsregeln neben der Novellenregelung wurde mittelbar durch den Gesetzgeber im Rahmen der später hinzugefügten Ausnahmen vom Eigenkapitalersatz für mit 10 % oder weniger am Stammkapital beteiligte Nur-Gesellschafter sowie des zum Zwecke der Sanierung eintretenden Gesellschafters bestätigt. Denn in § 32b Abs. 3 Sätze 2 und 3 GmbHG wird von der insgesamten Nichtanwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz gesprochen. cc) Rechtsformspezifische Anwendung? Die Regelung über den Eigenkapitalersatz gelten bei der OHG und KG ohne natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter entsprechend (§ 129a, § 172a HGB). Für die AG gelten die Regeln entsprechend, wenn es sich um einen „Unternehmer-Aktionär“ handelt. Das ist regelmäßig nur bei Bestehen einer Sperrminorität von 25 % der Fall.17 Ob die Regelungen auch für eine ausländische Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz im Inland gelten, insbesondere für die weit verbreitete englische Limited18, ist sehr umstritten. Überwiegend wird davon ausgegangen,

__________ 15 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370. 16 Siehe zu den Unterschieden im Einzelnen Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 10 f. 17 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381 (390 f.). 18 Siehe dazu Pohl in Festschrift für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 375 ff.

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dass die Regelungen zu eigenkapitalersetzenden Darlehen die Limited nicht treffen, da sie dem Gesellschaftsstatut untersteht. Dies gilt sowohl für die Rechtsprechungsregeln als auch die Novellenregelung.19 Vielmehr ist das englische Recht maßgeblich, wonach es kein Sonderrecht für kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen gibt.20 d) Besonderheiten beim Finanzplandarlehen Umstritten ist, wie ein sog. „Finanzplandarlehen“ einzuordnen ist. Bereits der Begriff ist schillernd und wird nicht einheitlich verstanden. Insoweit wird auch von einer nicht eigenkapitalersetzenden, sondern eigenkapitalgleichen Gesellschafterleistung gesprochen.21 Es sind verschiedene Abstufungen zu unterscheiden: aa) Krisenbestimmtes Darlehen als Finanzplandarlehen im engeren Sinne Darunter ist ein Darlehen zu verstehen, das vor der Krise hingegeben wird. Auf Grund der Krisenbestimmung hat der Gesellschafter anstelle das Darlehen zu zuführen bzw. abzuziehen ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten bereits bei der Darlehensgewährung zum Ausdruck gebracht, dass er für den Fall einer (späteren) Kreditunwürdigkeit auf das Recht zur Kündigung des Darlehens aus wichtigen Gründen verzichtet. bb) Finanzplandarlehen im weiteren Sinne Allerdings können die Zwecke eines Finanzplandarlehens über die Krisenbestimmung weit hinausgehen. D. h., dass das Darlehen von vorneherein – unabhängig von einer Krise – in die Finanzplanung der Gesellschaft einbezogen wird und die erforderliche Kapitalausstattung nur durch eine Kombination von Eigen- und Fremdkapital erreicht22 werden kann. Aus diesem Grund unterscheidet der VIII. Senat des BFH auch zwischen dem auf Krisenfinanzierung angelegten Darlehen und dem Finanzplandarlehen. Hier kann man aber nicht strikt trennen. Jedes Finanzplandarlehen ist zumindest auch, aber ggf. nicht ausschließlich, auf Krisenfinanzierung angelegt.

__________ 19 Mock/Schildt in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 16 Rz. 62 ff.; Kallmeyer, Vor- und Nachteile der englischen Limited im Vergleich zur GmbH oder GmbH & Co. KG, DB 2004, 636 (639). 20 Fleischer, Gläubigerschutz in der kleinen Kapitalgesellschaft: Deutsche GmbH versus englische private limited company, DStR 2000, 1015 (1017) – unter Verweis auf die „Jahrhundertentscheidung“ des House of Lords in Sachen Salomon v. A. Salomon & Co. Ltd. aus dem Jahr 1897. 21 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., Köln 2004, § 32a/b GmbHG Rz. 169 – die deshalb auch die Bezeichnung „Risikodarlehen“ oder „Quasikapital“ vorschlagen. 22 BFH v. 13.7.1999 – VIII R 31/88, BStBl. II 1999, 724.

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cc) Finanzplandarlehen als nicht ausgezahltes Darlehen Andere unterscheiden im Krisenfall von vorneherein nur zwischen dem bereits gewährten Darlehen und verwenden den Begriff des Finanzplandarlehens ausschließlich für das noch nicht ausgezahlte Darlehen.23 dd) Bindung des Gesellschafters Bei einem Finanzplandarlehen soll die Bindung des Gesellschafters nicht (einseitig) aus dessen Finanzierungsfolgenverantwortung, sondern aus der Übereinstimmung von Gesellschafter und Gesellschaft über den Leistungszweck resultieren, d. h. aus der vor der Krise erfolgten privatautonomen Ausübung der Finanzierungsfreiheit.24 Es spricht viel dafür, darin für das ausgezahlte Darlehen im Krisenfall keine besondere Kategorie zu sehen, sondern nur einen Fall des in der Krise stehengelassenen Darlehens.25 Nur bei dem noch nicht ausgezahlten Darlehen entsteht in der Krise eine eigenständige Kategorie. Da Grundlage der Parteiwille ist, ist der Gesellschafter verpflichtet, das noch nicht in Anspruch genommene Darlehen auch tatsächlich zur Verfügung zu stellen.26 Diese vorgelagerte Wahl, das Darlehen (auch) für die Krise zu bestimmen, kann dann bei Eintritt der Krise nicht mehr zurückgezogen werden. ee) Rechtsformspezifische Anwendung? Jedenfalls dürfte auch bei einem Finanzplandarlehen eine Bindung mit Rücksicht auf den Grundsatz der Kapitalerhaltung vorliegen, die nicht ohne weiteres auf jede Vereinbarung zwischen einem Gesellschafter und einer Gesellschaft ausländischer Rechtsform, wie die Limited, erstreckt werden kann. Hier dürften an die Auslegung des Parteiwillens zur Vereinbarung eines Finanzplandarlehens (im weiteren Sinne) erhöhte Anforderungen zu stellen sein. Soweit es aber nicht um eine (einseitige) Bindung des darlehensgewährenden Gesellschafters aus der Finanzierungsverantwortung geht, kann die Vereinbarung eines solchen Finanzfolgenplandarlehens u. E. nicht von vornherein ausgeschlossen werden, nur weil das englische Recht kein Sonderrecht für kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen kennt. 3. Ausblick auf das MoMiG Zur angestrebten Reform des GmbH-Rechts legte das Bundesministerium der Justiz den Referentenentwurf des MoMiG am 29.5.2006 vor. Der Entwurf ist im Fachschrifttum und auch auf dem Juristentag 2006 zumindest in Bezug auf

__________ 23 Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 95 ff. 24 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., Köln 2004, § 32a/b GmbHG Rz. 169. 25 BGH v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 59. 26 Dauner-Lieb in v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002, Tz. 9.7, S. 348.

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die Neuregelung des Eigenkapitalrechts überwiegend auf Zustimmung gestoßen.27 Am 23.5.2007 wurde der Regierungsentwurf vorgelegt28 und mit dem Inkrafttreten wird Ende des ersten Quartals 2008 gerechnet. Kernpunkte in Bezug auf das Eigenkapitalersatzrecht sind: – Streichung der §§ 32a, 32b GmbHG und generelle Subordination aller Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz (unabhängig von der Frage eines Eigenkapitalersatzes) sowie Anfechtungsmöglichkeit nach § 135 Nr. 2 InsO-E bei Befriedigung des Gesellschafters innerhalb eines Jahres vor Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens; – Erstreckung auf alle Gesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, d. h. auch auf ausländische Rechtsformen wie die Limited (§ 39 Abs. 4 Satz 1 InsO-E)29; – Beibehaltung des Sanierungsprivilegs in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO-E und des Klein-Gesellschafter-Privilegs (§ 39 Abs. 5 InsO-E); – Unterbindung der Fortführung der bisher auf §§ 30, 31 GmbHG gestützten Rechtsprechungsregeln durch einen ausdrücklichen Ausschluss der Anwendung der Vorschrift auf die Rückgewähr der Gesellschafterdarlehen in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG-E.

III. Steuerrecht Der Ausgangspunkt für die steuerrechtliche Betrachtung ist, dass aus der Perspektive des Gesellschafters zwei Wirtschaftsgüter vorliegen, – die GmbH-Beteiligung und – die Darlehensforderung. Wenn der Gesellschafter der Gesellschaft Fremdkapital zur Verfügung stellt, ist diese Entscheidung für die Finanzierungsfreiheit im Grundsatz nachzuvollziehen. Allerdings überträgt sich das Spannungsverhältnis zwischen Finanzierungsfreiheit und Finanzierungsfolgenverantwortung auch auf das Steuerrecht:

__________ 27 Kritisch aber K. Schmidt, GmbH-Reform, Solvenzgewährleistung und Insolvenzpraxis – Gedanken zum MoMiG-Entwurf, GmbHR 2007, 1. 28 BR-Drucks. 354/07; siehe Überblick Breitenstein/Meyding, Der Regierungsentwurf zum MoMiG: Die Deregulierung des GmbH-Rechts schreitet voran, BB 2007, 1457; Noack, Der Regierungsentwurf des MoMiG – Die Reform des GmbH-Rechts geht in die Endrunde, DB 2007, 1395; Seibert, Der Regierungsentwurf des MoMiG und die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, GmbHR 2007, 673; vgl. weiter die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins v. 5.9.2007, www.anwaltsverein.de. 29 Zur Frage der Insolvenzeröffnung in Deutschland: Altmeppen, Schutz vor „europäischen“ Kapitalgesellschaften, NJW 2004, 97; Pohl in Festschrift für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 375, 383 f.; Ulmer, Gläubigerschutz bei Scheinauslandsgesellschaften, NJW 2004, 1201.

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1. Wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen (§ 17 EStG) Die Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH30 legt für den § 17 EStG einen „normspezifischen Anschaffungskostenbegriff“ zugrunde. Danach kann auch der Verlust eines Gesellschafterdarlehens zu (nachträglichen) Anschaffungskosten auf die Beteiligung führen und dementsprechend nach § 3c Abs. 2 EStG eine Erhöhung des nach den Grundsätzen des Halbeinkünfteverfahrens zu berücksichtigenden Verlustes aus der Beteiligung bewirken, wenn eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis vorliegt; ansonsten würde das Gesellschafterdarlehen einen in der privaten Vermögenssphäre eintretenden und damit einkommensteuerlich unbeachtlichen Verlust darstellen. So führt der BFH mit Urteil vom 10.11.1998 aus31: „Der Begriff der nachträglichen Anschaffungskosten in § 17 EStG [muss] weit ausgelegt werden, damit das die Einkommenfestsetzung beherrschende Nettoprinzip ausreichend wirksam werden kann.“

Dies beurteilt der Senat danach, ob das Darlehen dadurch veranlasst ist, dass im Zeitpunkt der Gewährung oder Weitergewährung (= dem Stehen lassen) ein Dritter das Risiko der Kreditgewährung nicht mehr eingegangen wäre (sog. Krise), was im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH zu eigenkapitalerhaltenden Darlehen zu bewerten sei.32 Der derzeitige Stand ist wie folgt zusammenzufassen: a) Darlehenshingabe in der Krise Nur das in der Krise hingegebene Darlehen ist stets mit dem Nominalwert als Anschaffungskosten im Rahmen der Ermittlung eines Veräußerungs- oder Auflösungsgewinns bzw. -verlustes nach § 17 EStG zu berücksichtigen. b) Darlehenshingabe vor der Krise Ansonsten soll der schleichende Wertverlust des Darlehens bis zum Eintritt der Krise nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst sein. Erst die Wahl bei Eintritt der Krise, die Gesellschaft nicht zu liquidieren, führt zur Umqualifizierung mit dem dann noch bestehenden gemeinen Wert des Darlehens, der regelmäßig bei 0 Euro liegen dürfte.33 Gegen diese Rechtsprechung wird vorgebracht, dass sie angesichts des dem Anschaffungskostenabzug zugrunde liegenden objektiven Nettoprinzips nicht überzeuge. Das objektive Nettoprinzip unterscheide sich grundlegend von der Gläubigerschutzfunktion des Eigenkapitalersatzrechts.34 Das ist zutreffend. Denn der über die wirtschaftlichen

__________ 30 31 32 33 34

Siehe BFH v. 24.4.1997 – VIII R 23/93, BStBl. II 1999, 342. BFH v. 10.11.1998 – VII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 (349). BFH v. 10.11.1998 – VII R 6/96, BStBl. II 1999, 348 (349). Siehe auch BFH v. 13.7.1999 – VIII R 31/98, BStBl. II 1999, 724. Siehe auch Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 17 EStG Rz. 173.

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Verhältnisse der Gesellschaft informierte Gesellschafter nimmt den schleichenden Darlehenswertverlust bis zur Krise aufgrund seiner Gesellschafterstellung hin. Kein fremder Dritter würde abwarten, bis sein Schuldner kreditunwürdig wird. c) Krisenbestimmte Darlehen/Finanzplandarlehen In der Praxis ist aber wegen der vorstehenden Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH zur Sicherung des steuerlichen Abzugs eines Darlehensverlusts für den Fall eines unternehmerischen Fehlschlags zu empfehlen, das gewährte Darlehen von vornherein auf Krisenfinanzierung anzulegen (z. B. durch [qualifizierten] Rangrücktritt oder Ausschluss des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund für die Krise) bzw. als sog. Finanzplandarlehen (im weiteren Sinne) auszugestalten, wonach die Kapitalausstattung von vornherein auf eine Kombination von Eigen- und Fremdfinanzierung abgestimmt ist (Indizien: Gewährung in der Aufbauphase, günstige Konditionen, lange Laufzeit, Fehlen von einzelnen Kündigungsrechten, Unentbehrlichkeit, Satzungsvereinbarung, Bindung an Gesellschafterstellung). Denn in diesen Fällen anerkennt der VIII. Senat den vornehmlich eigenkapitalerhaltenden Charakter der Darlehensgewährung und damit die Berücksichtigung des Nominalbetrages als Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG.35 Dabei mag dahinstehen, wie das krisenbestimmte Darlehen und das bereits ausgezahlte Finanzplandarlehen abzugrenzen sind. U. E. enthält jedes Finanzplandarlehen zumindest auch die Krisenbestimmung und die damit verbundene vorgelagerte Wahl, in der Krise nicht zu liquidieren. d) Strikte Anknüpfung an das Gesellschaftsrecht? Die Finanzverwaltung folgert aus der Rechtsprechung des VIII. Senats, dass die Anknüpfung an das zivilrechtliche Eigenkapitalersatzrecht absolut ist. Danach ist ein Verlust des Darlehens nicht im Rahmen von § 17 EStG zu berücksichtigen, wenn die Eigenkapitalersatzregeln nach § 32a Abs. 3 Satz 2 oder 3 GmbHG auf die Gesellschafter einer GmbH – oder auf Aktionäre mit Beteiligung an einer AG unter der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG von 25 % – nicht anwendbar sind.36 Entsprechend wird auch bei Darlehen an ausländische Kapitalgesellschaften verfahren. Das ist nicht überzeugend. Denn man muss anerkennen, dass die Darlehenshingabe in allen Fällen wirtschaftlich durch zwei sich überlagernde Momente veranlasst ist, – die Förderung der Gesellschaft auf Grund der Gesellschafterstellung und – die im Bereich der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen (Zinsen) steuerlich irrelevante Vermögenssphäre.

__________ 35 BFH v. 13.7.1999 – VIII R 31/88, BStBl. II 1999, 724; s. auch zusammenfassend Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 17 EStG Rz. 171. 36 OFD Kiel v. 14.12.1999 – S 2244 A - St 231, FR 2000, 161; OFD Düsseldorf v. 5.11.2002 – S 2244 - 55 - St 122 - K, GmbHR 2002, 1262; Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, § 17 EStG Rz. 151a.

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Wenn man – wie der VIII. Senat im Ansatz zutreffend – die steuerlich irrelevante Vermögenssphäre nicht berücksichtigt, kann im Rahmen des „normspezifischen Anschaffungskostenbegriffs“ des § 17 EStG nicht danach differenziert werden, ob die Hingabe des Darlehens zur Sanierung der Gesellschaft auch gesellschaftsrechtlich einem besonderen Rechtsinstitut unterliegt. Gemessen an der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) ist der Verlust im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft identisch und falls die Insolvenz überwunden wird, kann in allen Fällen das Darlehen zurückgeführt werden. So ist auch das FG Düsseldorf der strikten Anknüpfung an das Gesellschaftsrecht mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 17.10.200537 für einen Sanierungsfall entgegen getreten, in dem nach der Ausnahmeklausel des § 32a Abs. 3 Satz 3 GmbHG kein eigenkapitalersetzendes Darlehen vorlag. Mit Urteil vom 19.5.200638 wurde durch das FG Düsseldorf auch abgelehnt, die Finanzierungshilfen eines Aktionärs nur dann zu berücksichtigen, wenn entsprechend den Grundsätzen des BGH-Urteils vom 26.3.198439 eine 25 % Beteiligung (Sperrminorität) und damit ein im Gesellschaftsrecht als eigenkapitalersetzend eingestuftes Darlehen vorliegt. Beide Fälle sind derzeit beim VIII. Senat des BFH anhängig.40 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aber auch auf das rechtkräftige Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 22.6.200441, in dem der Darlehensverlust eines Gesellschafters einer englischen Limited mit effektivem Verwaltungssitz im Inland nicht anerkannt wurde. Zur Begründung wurde angeführt, das englische Recht kenne kein Sonderrecht zum Eigenkapitalersatz für Darlehen an eine Limited. Das Urteil ist bereits aus den vorstehenden Gründen nicht überzeugend und darüber hinaus EG-rechtswidrig.42 Die unterschiedlichen Gläubigerschutzkonzepte erscheinen nicht als taugliches Differenzierungskriterium. Jedoch liegt darin derzeit, will man kein Verfahren bis zum EuGH führen, ein gravierender Nachteil der Rechtsform der Limited. 2. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Betriebsvermögen – Abzugsverbote nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG bei der Teilwertabschreibung von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen? Der Wertverlust aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Betriebsvermögen ist im Rahmen der Einkommensteuer nach § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG zur Hälfte und im Rahmen der Körperschaftsteuer nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG überhaupt nicht zu berücksichtigen. Die Streitfrage, ob im Fall des Ver-

__________ 37 38 39 40 41 42

FG Düsseldorf v. 17.10.2005 – 11 K 2558/04 E, EFG 2006, 110 (112). FG Düsseldorf v. 19.5.2006 – 12 K 6536/04, DStR 2007, Heft 1, S. VIII. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381. BFH VIII R 66/05; BFH VIII R 29/06. FG Rh.-Pf. v. 22.6.2004 – 2 K 2455/02, EFG 2005, 38. S. näher Pohl in Festschrift für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 375, 386.

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lustes oder der vorherigen Teilwertabschreibungen auf eigenkapitalersetzende Darlehen im Betriebsvermögen § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ebenfalls zur Anwendung kommen, ist bisher nicht entschieden. Dabei ist der Wortlaut des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG („Betriebsvermögensminderungen …, die mit den in § 3 Nr. 40 zugrunde liegende Betriebsvermögensmehrungen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen …“) und erst recht derjenige des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG („Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, …“) weit gefasst. a) Verwaltungsauffassung Das BMF-Schreiben zu § 8b KStG vom 28.4.200343 klammert die Frage aus. In einem zuvor bekannt gewordenen Arbeitsentwurf wurde die Wertminderung von eigenkapitalersetzenden Darlehen unter § 8b Abs. 3 KStG gefasst. Ein im September 2004 erschienener Aufsatz von zwei Angehörigen der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen, die eine entsprechende Auffassung vertraten44, hat – trotz der Vielzahl von gegenteiligen Äußerungen im Schrifttum45 – für erhebliche Unsicherheit in der Praxis gesorgt. Es wird davon berichtet, dass ein offiziell bisher nicht veröffentlichter Entwurf eines BMF-Schreiben vom 7.8.2006 vorliegen soll46, worin die Einschränkung der Verlustberücksichtigung vorgesehen sein soll. b) Pro und Contra Für die Anwendung von § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG bzw. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG auf eigenkapitalersetzende Darlehen wird u. a. Folgendes ausgeführt: – Nach der Gesetzessystematik erfordere § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG – im Gegensatz zu § 3c Abs. 1 EStG – keinen unmittelbaren Zusammenhang. Auch § 8b Abs. 3 Satz 2 KStG schließe die Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG aus und sehe in § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG nur einen schlichten Zusammenhang vor.

__________ 43 BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292. 44 Buchna/Sombrowski, Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F., DB 2004, 1956. 45 Gosch, KStG, 2005, § 8b KStG Rz. 276 f.; Schmidt/Hageböke, Nochmals: Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F. – Erwiderung und Replik zu Buchna/ Sombrowski, DB 2004 S. 1956, DB 2004, 2715 (2716), Dumler, Nochmals: Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F., DB 2004, 2715 (2717 f.); Rödder/Stangl, Wertminderungen eigenkapitalersetzender Darlehen im Betriebsvermögen einer Kapitalgesellschaft und § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG, DStR 2005, 354 (356); Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8b KStG Anm. 85; Dötsch/Pung in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG, § 8b KStG Rz. 49. 46 BMF, Schr. v. 7.8.2006 – VI B 2 - S 2128 - 2/06, zitiert nach Korn/Strahl, Handlungsbedarf und weitere steuerliche Hinweise zum Jahresende 2006, KÖSDI 2006, 15312 (15328).

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– Soweit das Gesellschafterdarlehen als kapitalersetzend einzustufen sei, liege ein solcher Zusammenhang vor. Denn entsprechend der Rechtsprechung zu § 17 EStG seien kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen als „funktionales Eigenkapital“ zu qualifizieren.47 Dabei gehe es nicht darum, entsprechend der normspezifischen Rechtsprechung zu § 17 EStG die Darlehen als nachträgliche Anschaffungskosten der Beteiligung zu erfassen. Vielmehr ergeben sich aus diesen Rechtsprechungsgrundsätzen nur der besondere Charakter des Darlehens im Vergleich zu einem „normalen“ Darlehen und damit der erforderliche Zusammenhang. – Nur dies entspreche auch dem Zweck des § 8b Abs. 3 KStG, dass Verluste in der Kapitalgesellschaft nur einmal berücksichtigt werden könnten.48 Die vorstehenden Ausführungen überzeugen mit der ganz h. M. im Schrifttum nicht: – Es bleibt dabei, dass Beteiligungen und Darlehensforderung zwei zu unterscheidende Wirtschaftsgüter sind.49 Das Abzugsverbot bezieht sich spiegelbildlich auf die Freistellung von Veräußerungsgewinnen aus dem Wirtschaftsgut „Beteiligung“ und kann sich daher auch nur auf diejenigen Wertminderungen beziehen, die aus einer Wertminderung der Substanz dieses Wirtschaftsgutes resultieren.50 Wertänderungen in der Substanz eines anderen Wirtschaftsgutes („Darlehensforderung“) werden durch die Vorschrift nicht erfasst. Letztlich kann man auch bei Anwendung des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG als Vorschrift der Gewinnermittlung 2. Stufe51 den Substanzverlust bei dem Wirtschaftsgut „Darlehensforderung“ nicht einem anderen Wirtschaftsgut zuschreiben. – Dies zeigt sich auch daran, dass Zinserträge aus einem Gesellschafterdarlehen anders als Gewinnausschüttungen aus einer Beteiligung voll steuerpflichtig sind. – Es mag zwar zutreffend sein, dass dadurch die Abzugsverbote für Beteiligungsverluste durch entsprechende Gestaltung recht einfach ausgehebelt werden können.52 Daraus erklärt sich zwar das Unbehagen der Finanzver-

__________ 47 Buchna/Sombrowski, Nochmals zu Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F., DB 2005, 1539 (1540). 48 Buchna/Sombrowski, Nochmals zu Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F., DB 2005, 1539. 49 BFH v. 18.12.2001 – VIII R 27/00, BStBl. II 2002, 733; BFH v. 20.4.2005 – X R 2/03, BStBl. II 2005, 694; siehe auch Gosch, KStG, 2005, § 8b KStG Rz. 276. 50 Pung in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, § 8b KStG n. F. Rz. 49; Gosch, KStG, 2005, § 8b KStG Rz. 276 m. w. N. 51 Wassermeyer, Nochmals: Aufwendungen mit Eigenkapitalersatzcharakter als nicht zu berücksichtigende Gewinnminderungen nach § 8b Abs. 3 KStG n. F., DB 2004, 2715. 52 So auch Gosch, KStG, 2005, § 8b KStG Rz. 277.

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waltung. Die Rechtsfolge ist aber letztlich nur Ausfluss der Freiheit des Gesellschafters, die Gesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital zu finanzieren.53

IV. Auswirkung der Änderung des Gesellschaftsrechts durch das MoMiG Im Schrifttum wurde zunächst die folgende Frage angesichts der geplanten Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG aufgeworfen: Wird nun der VIII. Senat seine bisherige Rechtsprechung zum „normspezifischen Anschaffungskostenbegriff“ zu § 17 EStG unter Geltung eines MoMiG aufrechterhalten, ausweiten oder aufgeben müssen?54 1. Wesentliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Privatvermögen U. E. würden zukünftig alle Gesellschafterdarlehen im Privatvermögen (auch bei einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz im Inland) unter den „normspezifischen Anschaffungskostenbegriff“ des § 17 EStG fallen und mit dem Nominalbetrag zu berücksichtigen sein. Denn mit der Darlehenshingabe verwirklicht der Gesellschafter auch ein Risiko, das ihn allein aus seiner Gesellschafterstellung trifft: Das Darlehen ist in der Insolvenz subordiniert, weil er Gesellschafter ist. Es kommt zu einer Ausdehnung der Verstrickung.55 Auch für Darlehen, die unter das Sanierungsprivileg fallen, sollte nichts anderes gelten. Hier ergibt sich die gesellschaftsrechtliche Veranlassung bereits aus der Sanierungsabsicht. Im Fall einer insolvenzrechtlich privilegierten Darlehensgewährung durch einen Kleingesellschafter mag eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis aber im Einzelfall auch ausscheiden. 2. Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Betriebsvermögen a) Rechtslage bis zum geplanten Jahressteuergesetz 2008 Wenn nach der Neuregelung bereits gesellschaftsrechtlich Eigenkapital nur noch das von den Gesellschaftern aufgebrachte haftende Kapital sein kann, andere Finanzierungen dagegen nicht mehr in materielles Eigenkapital umqualifiziert werden56, bestätigt dies, dass die Verluste eines Gesellschafterdarlehens im Betriebsvermögen nicht § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG, § 8b Abs. 3 KStG unterstellt sind. Darin läge nach Inkrafttreten des MoMiG kein Widerspruch zur normspezifischen Auslegung des § 17 EStG. Denn einerseits handelt es sich um die Darlehensforderung als eigenständig zu bilanzierendes Wirtschafts-

__________ 53 Siehe allgemein BFH v. 5.2.1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 532. 54 Siehe auch Mohr, Kapitalersetzende Leistungen bei der mittelständischen GmbH, GmbH-StB 2006, 297 (300). 55 Schäfer, Reform des GmbHG durch das MoMiG – viel Lärm um nichts?, DStR 2006, 2085 (2087). 56 Vgl. Bayer/Graff, Das neue Eigenkapitalersatzrecht nach dem MoMiG, DStR 2006, 1654.

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gut des Betriebsvermögens, während es andererseits bei § 17 EStG um den nicht in einem anderen Kontext steuerrelevanten Wertverlust des Darlehens geht.57 b) Auswirkung des geplanten Jahressteuergesetz 2008 Die vorstehenden Überlegungen unter IV 2a zu Darlehensverlusten im Betriebsvermögen werden aber zu Makulatur, wenn das Jahressteuergesetz 2008 entsprechend dem vorliegenden Regierungsentwurf vom 26.7.2007 Gesetz werden sollte. Danach sollen im Rahmen der Körperschaftsbesteuerung Gewinnminderungen des körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschafters im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung nicht zu berücksichtigen sein, wenn das Darlehen an eine Gesellschaft gewährt wurde, an der er zu mehr als 1/4 unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist oder war.58 Die Neuregelung in § 8b Abs. 3 Sätze 4-8 KStG-E soll nur dann nicht anzuwenden sein, wenn nachgewiesen wird, dass auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte, wobei in diesen Fällen nur die eigenen Sicherungsmittel der Gesellschaft zu berücksichtigen sein sollen. Es soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs „klargestellt“ werden, dass die Gesellschafterfinanzierung durch Eigenkapital und durch nicht fremdübliche Gesellschafterdarlehen hinsichtlich evtl. Gewinnminderungen gleichbehandelt wird. Des Weiteren wird in der Begründung aufgeführt, die Darlehensüberlassung sei insbesondere in den folgenden Fällen nicht als fremdüblich anzusehen: – Das Darlehen ist nicht verzinslich. – Das Darlehen ist verzinslich, aber es wurden keine Sicherheiten vereinbart. – Das Darlehen ist verzinslich und es wurden Sicherheiten vereinbart, aber das Darlehen wird bei Eintritt der Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert. Entgegen den Ausführungen in der Begründung des Regierungsentwurfs handelt es sich nicht um eine klarstellende Regelung, sondern um eine konstitutive Neuregelung, wie die vorstehenden Ausführungen zu III 2 de lege lata belegen.59 Die Regelung gilt erst für Verluste ab dem Veranlagungszeitraum 2008. Bemerkenswert ist dabei, dass die Regelung nur für körperschaftsteuerpflichtige Gesellschafter gelten soll. In § 3c EStG ist keine entsprechende Regelung für einkommensteuerpflichtige Gesellschafter (Begrenzung im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens bzw. ab 2009 Teileinkünfteverfahren) vorgese-

__________ 57 Vgl. Hoffmann, Anmerkung zum BMF-Schreiben v. 8.9.2006, GmbHR 2006, 1116 (1118). 58 Auf die weiteren Einzelheiten, insbesondere Inanspruchnahme aus gestellten Sicherheiten, Darlehensgewährungen durch nahe stehende Personen i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG, wird im Rahmen des vorliegenden Beitrags nicht eingegangen. 59 Siehe auch Centrale Dr. Otto-Schmidt, Stellungnahme v. 13.8.2007 zum Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008), GmbHR 2007, 924.

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hen. Darin dürfte eine gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung der körperschaftsteuerlichen Gesellschafter liegen. Darüber hinaus überzeugt die beabsichtigte volle Gleichstellung mit einer Eigenkapitalfinanzierung nicht. Es bleibt sowohl in der Handels- als auch Steuerbilanz dabei, dass durch den Gesellschafter Fremdkapital gewährt wird und auch bilanziell auszuweisen ist. Erst wenn auf dieses Fremdkapital verzichtet wird, liegt eine Stärkung des Eigenkapitals vor. Nach den Rechtsgrundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 9.6.199760 ist für diesen Eigenkapitalzugang der Teilwert der eingelegten Darlehensforderung maßgeblich. D. h., wenn der Verlust der Darlehensforderung bei dem Gesellschafter steuerlich nicht zu berücksichtigen ist und die Einlage der Forderung zu einem Ertrag bei der Gesellschaft (Differenz zwischen dem Teilwert der eingelegten Darlehensforderung und der passivierten Verbindlichkeit) führt, liegt eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung vor. Die Gesetzesbegründung hat diesen Schwachpunkt sogar erkannt und verweist dazu auf die Möglichkeit von Billigkeitsregelungen durch Erlass der Steuerschuld.61 Der Gesetzgeber muss also von vornherein mit Billigkeitsmaßnahmen arbeiten, um die Neuregelung abzufedern. Der Hinweis auf die Möglichkeit des Drittvergleichs überzeugt ebenso wenig. Der bloße Umstand, dass keine Zinsen gezahlt werden oder die Zinsen angesichts der bestehenden Sicherheiten nicht dealing at arm’s length sind, führt nur deshalb nicht zu einer Einkünftekorrektur, weil der Große Senat des BFH keine Nutzungseinlage anerkannt hat.62 Dies ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Leistungsbeziehung auf der Grundlage eines Darlehensvertrages handelt. Ansonsten wäre auch bei einem zu hohem Zinssatz, den die Gesellschaft zahlt, neben einer verdeckten Gewinnausschüttung im Hinblick auf den übersteigenden Zins nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das zu teuer (und nicht zu „billig“) gewährte Darlehen bei einem Verlust unter die neue Abzugsbeschränkung des § 8b Abs. 3 Sätze 4-8 KStG-E zu fassen. Die Leistungsbeziehung ist in all den vorstehenden Fällen entsprechend dem Fremdvergleich zu korrigieren, soweit dies unter Geltung der Einkünfte Korrekturnormen (verdeckte Gewinnausschüttung, verdeckte Einlage und § 1 AStG) möglich ist, aber nicht grundsätzlich umzuqualifizieren. Ansonsten müsste konsequenterweise auch der Zinsabzug versagt werden. Darüber hinaus zeigt die Begründung des Regierungsentwurfs ein mangelndes wirtschaftliches Verständnis: Selbstverständlich gibt es Darlehensfinanzierungen ohne Sicherheitsleistungen, aber in der Regel mit sehr hohen Zinsen. Von der bisherigen Bereitschaft des Kapitalmarktes in derartiger Form ins Risiko zu gehen, lebte bisher die Private Equity Branche. Warum ein Darlehen, wenn Sicherheiten vereinbart wurden, bei Eintritt der Krise sofort zurückgefordert werden muss, um dem Fremdvergleich zu bestehen, bleibt ein Geheimnis der

__________ 60 BFH v. 9.6.1996 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307. 61 Konkret angeführt wird der sog. „Sanierungserlass“ des BMF, Schr. v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, 240. 62 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348.

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Verfasser der Begründung des Regierungsentwurfs. Wenn ausreichende Sicherheiten vorhanden sind, dürfte es zivilrechtlich überhaupt nicht möglich sein, das Darlehen außerordentlich zu kündigen. Auch eine Rechtfertigung unter Anknüpfung an den Grundgedanken, der dem Recht der eigenkapitalersetzenden Darlehen im Gesellschaftsrecht zu Grunde liegt, überzeugt nicht. In der Krise stehen dem Gesellschafter danach nur zwei Wege offen: – Liquidation oder – Zuführung von Eigenkapital. Jedoch zeigt die geplante Gesetzesänderungen durch das MoMiG, dass die äußert schwierige Abgrenzung der eigenkapitalersetzenden Darlehen im Gesellschaftsrecht entfallen soll und es noch einen dritten Weg gibt: Die Zuführung von Gesellschafterfremdkapital, das zwar Kraft Gesetzes subordiniert wird, aber nicht in Eigenkapital umqualifiziert wird. Unkoordiniert werden also nahezu zeitgleich – im Regierungsentwurf des MoMiG, federführend durch das Bundesministerium der Justiz, die Regeln über die eigenkapitalersetzenden Darlehen im Gesellschaftsrecht in Abgrenzung zu „normalen“ Gesellschafterdarlehen aufgegeben und – im Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2008, federführend durch das Bundesministerium der Finanzen für das Steuerrecht, gesetzlich verankert. Allenfalls in den Fällen, in denen bei Hingabe des Gesellschafterdarlehens bereits feststünde, dass die Insolvenz unvermeidlich ist, wäre es gerechtfertigt, die Darlehensgewährung einer Eigenkapitalzuführung gleichzustellen. Aber wenn der Gesellschafter nicht von der Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft ausgehen würde, dürfte er kaum weitere Mittel – sei es als Eigenkapital oder als Fremdkapital – hingeben. Hinzutritt, dass die Grundstruktur des § 8b KStG dabei nicht berücksichtigt wird: – Dividenden sollen nach § 8b Abs. 1 KStG bei der empfangenden Körperschaft steuerfrei bleiben, um eine doppelte Belastung sowohl bei der ausschüttenden Körperschaft als auch der empfangenen Körperschaft zu verhindern. – Entsprechend sollen dann auch Veräußerungsgewinne nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei gestellt werden.63 Dies erscheint zwingend im Hinblick auf noch nicht ausgeschüttete Gewinnrücklagen sowie durchaus folgerichtig in Bezug auf die stillen Reserven.64 – Umgekehrt sollen dann nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG Verluste aus der Veräußerung einer Kapitalgesellschaftbeteiligung auch nicht zu berücksichtigen sein. Zwingend ist dies angesichts des Zwecks der Vorschrift der Befreiung

__________ 63 Begründung im Regierungsentwurf v. 15.2.2000, BT-Drucks. 14/2683, 96, 120. 64 Allerdings können der äußere Wert (beispielsweise der Börsenkurs eines Unternehmens) und der innere Wert der Betätigung erheblich auseinander fallen.

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von Gewinnen (Vermeidung einer wirtschaftlichen Doppelbelastung) nicht.65 Erst recht unhaltbar wird die Vorschrift, wenn man sie über die Eigenkapitalfinanzierung auch auf die Fremdfinanzierung durch Gesellschafter ausdehnen will.

V. Fazit Es fehlt die ordnende Hand des Gesetzgebers, wenn insbesondere die Entwürfe des MoMiG und des Jahressteuergesetzes 2008, zumindest im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Beitrages (Mitte September 2007), unkoordiniert nebeneinander herlaufen. Anzuerkennen ist vorrangig die Finanzierungsfreiheit des Gesellschafters. Er kann seine Gesellschaft auch in der Krise mit Fremdkapital finanzieren, muss dann aber bestimmte Restriktionen gegenüber anderen Fremdkapitalgebern hinnehmen. Dies wird auch nach dem MoMiG so bleiben, wenn eine Sanierung der Gesellschaft nicht gelingt. Dies rechtfertigt es im Rahmen einer normspezifischen Auslegung des Anschaffungskostenbegriffs des § 17 EStG alle Gesellschafterdarlehen bei der Ermittlung des Verlustes aus einer wesentlichen Beteiligung zu berücksichtigen, da der Verlust anders steuerlich nicht in Erscheinung treten kann. Dagegen ist im Bereich des Betriebsvermögens zu berücksichtigen, dass steuerlich zwei relevante und zu trennende Wirtschaftsgüter – die Beteiligung und – das Darlehen, vorliegen, die weiterhin, auch entsprechend den Wertungen des Gesellschaftsrechts, strikt zu trennen sind. Gesellschafterdarlehen sind kein Eigenkapital, sondern bleiben in der Krise subordiniertes Fremdkapital. Dass die Finanzverwaltung der dadurch hervorgerufenen Gestaltungsanfälligkeit im Jahressteuergesetz 2008 einen Riegel vorschieben will, mag aus fiskalischer Sicht nachvollziehbar sein. Es ist aber bereits nicht verständlich, warum Verluste aus einer Beteiligung nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG steuerlich nicht berücksichtigt werden können. Wenn man diese Regelung nunmehr auch noch auf Gesellschafterdarlehen ausdehnt, kann man in Anlehnung an Adorno nur mit der Erkenntnis enden: „Es gibt nichts Richtiges im Falschen.“66

__________ 65 Siehe Watermeyer in Herrmann/Heuer/Raupach, Steuersenkungsgesetz, § 8b KStG R 52. 66 Theodor Adorno, „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, Minima Moralia, I 18, in Gesammelte Schriften, Bd. 4, S. 19.

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Wolfgang Bolk

Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters Ein Beitrag auch zur Neubesinnung bei sozialversicherungspflichtigen Gesellschaftern

Inhaltsübersicht I. Gesellschaftsrechtliche Vorfragen II. Typisch stille Gesellschaft 1. Einkünfte des typisch stillen Gesellschafters a) Gewinn- und Verlustanteile b) Vergütungen c) Gewinnausschüttungen 2. Bilanzierung a) Handelsbilanz b) Steuerbilanz

III. Atypisch stille Gesellschaft 1. Einkünfte des atypisch stillen Gesellschafters a) Gewinnanteile (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 EStG) b) Vergütungen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG) c) Sozialversicherungspflicht des atypisch stillen Gesellschafters d) Pensionszusagen e) Gewinnausschüttungen 2. Bilanzierung a) Handelsbilanz b) Steuerbilanz

I. Gesellschaftsrechtliche Vorfragen Eine stille Gesellschaft beruht auf einer Vermögenseinlage1 in das Handelsgewerbe eines Dritten (Einzelkaufmann, Personenhandelsgesellschaft oder Kapitalgesellschaft), ohne nach außen in Erscheinung zu treten (§ 230 Abs. 1 HGB).2 Die stille Gesellschaftsform wird durch §§ 230 ff. HGB nicht umfassend geregelt. Zusätzlich gelten deshalb die Vorschriften der §§ 705 ff. BGB, denn die stille Gesellschaft ist im Innenverhältnis eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Da die Vermögenseinlage des stillen Gesellschafters in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts übergeht, verfügt die stille

__________ 1 Im Unterschied zum partiarischen Darlehen, das nicht auf Förderung eines gemeinsamen Zwecks gerichtet ist, sondern auf der Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Verzinsung beruht; vgl. BFH v. 13.9.2000 – I R 61/99, BStBl. II 2001, 67. 2 Dagegen ist von einer Unterbeteiligung die Rede, wenn einem Dritten im Innenverhältnis eine Beteiligung am Ertrag und/oder der Substanz eines Gesellschaftsanteils auf schuldrechtlicher Grundlage oder in der Form einer GbR (§ 705 ff. BGB) eingeräumt wird und Rechtsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Unterbeteiligten nicht begründet werden. Vgl. auch Pupeter, Der Unterbeteiligte als virtueller Gesellschafter einer GmbH, GmbHR 2006, 910; unter Auswertung der Entscheidung des BFH v. 18.5.2005 – VIII R 34/01, BStBl. II 2005, 857.

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Gesellschaft nicht über eigenes Vermögen, das als Gesamthandsvermögen i. S. d. § 719 BGB zu beurteilen wäre. Der stille Gesellschafter und der Inhaber eines Handelsgeschäfts (Kaufmann) schließen sich zwar zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks zusammen, im Außenverhältnis bleibt jedoch der Kaufmann alleiniger Inhaber des Geschäfts. Alle Rechtsverhältnisse geht er im eigenen Namen ein. Dem stillen Gesellschafter stehen lediglich Einsichts- und Kontrollrechte nach den Regeln des § 233 HGB zu. Der stille Gesellschafter hat Anspruch auf Beteiligung am laufenden Gewinn. Er kann bei entsprechender Vereinbarung auch – bis zur Höhe seiner Einlage – am Verlust beteiligt sein (§ 231 Abs. 2 und § 232 Abs. 2 HGB). Soweit eine Begrenzung des Verlustanteils auf die Einlage nicht vereinbart oder jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, werden Verluste auch dann dem Stillen zugerechnet, wenn dadurch sein „Einlagekonto“ negativ wird. Dies widerspricht nicht § 232 Abs. 2 HGB.3 Künftige Gewinnanteile müssen zur Wiederauffüllung der durch Verluste geminderten Einlage eingesetzt werden (§ 232 Abs. 2 Satz 2 HGB), so dass deren Auszahlung abweichend von § 233 Abs. 3 HGB nicht verlangt werden kann.4 Bei der Auseinandersetzung erhält der Stille seine Einlage zurück (§ 235 HGB); im Fall der Insolvenz kann er die Einlage als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 236 Abs. 1 HGB).

II. Typisch stille Gesellschaft 1. Einkünfte des typisch stillen Gesellschafters a) Gewinn- und Verlustanteile Nach dem gesetzlichen Leitbild ist der stille Gesellschafter an den stillen Reserven und am Geschäftswert (Firmenwert) nicht beteiligt. Er ist folglich nicht Mitunternehmer i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und erzielt daher in Höhe seiner Gewinnanteile Einnahmen aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG). Dies gilt allerdings nur, sofern die Einlage zum Privatvermögen gehört und auch nicht mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Zusammenhang steht. Ist der stille Gesellschafter selbst Unternehmer und beteiligt er sich aus betrieblichen Gründen an einem Handelsgewerbe, stellt die stille Beteiligung Betriebsvermögen dar, die mit den Anschaffungskosten zu bilanzieren ist (§ 246 Abs. 1, § 253 Abs. 1 HGB, § 5 Abs. 1 und 6, § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Die bezogenen Gewinnanteile sind sodann gewerbliche Einkünfte (§ 20 Abs. 3,

__________ 3 BFH v. 23.7.2002 – VIII R 36/01, BStBl. II 2002, 858. Nach Reiß handelt es sich dabei um eine unzutreffende Auslegung des § 232 HGB, vgl. Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 222. 4 BFH v. 23.7.2002 – VIII R 36/01, BStBl. II 2002, 858.

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Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters

§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG), und zwar in dem Veranlagungszeitraum, in dem der Gewinn erwirtschaftet wurde.5 Wird die typisch stille Gesellschaft durch Kündigung aufgelöst, vereinnahmt der Stille das Auseinandersetzungsguthaben. Dabei handelt es sich nicht um eine Gegenleistung und folglich nicht um eine Veräußerung der Beteiligung i. S. d. § 23 EStG.6 Soweit die Beteiligung zum Betriebsvermögen des stillen Gesellschafters gehört hat, stellt der Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben eine auf Geldzahlung gerichtete Forderung dar, die an die Stelle der bisher aktivierten Einlageforderung tritt. Soweit dieser Anspruch von der bilanzierten Einlageforderung abweicht, ist die Differenz gewinnwirksam zu erfassen (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nimmt der stille Gesellschafter auch am Verlust teil (§ 231 HGB), mindert sich die Einlage um die Verlustanteile. Übersteigen die Verlustanteile die Einlage, entsteht ein negatives Einlagekonto, soweit dies vertraglich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.7 Der Verlust unterliegt den Beschränkungen des § 15a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG, darf aber mit künftigen Gewinnanteilen verrechnet werden (§ 15a Abs. 2 EStG). Hat ein Verlustanteil zur Minderung der Einlage geführt, müssen künftige Gewinnanteile zur Wiederauffüllung des Einlagekontos stehen bleiben (§ 232 Abs. 2 Satz 2 HGB). Soweit der stille Gesellschafter seine Einlage noch nicht geleistet hat, kann der Verlustausgleich nicht auf § 15a Abs. 1 Satz 2 EStG (erweiterte Außenhaftung) gestützt werden, denn diese Regelung gilt nur für Kommanditisten und deren Haftung den Gläubigern der Gesellschaft gegenüber entsprechend § 171 Abs. 1 HGB.8 b) Vergütungen Soweit der typisch stille Gesellschafter Vergütungen für eine Tätigkeit im Dienst der GmbH erzielt, die dort zutreffend gewinnmindernd gebucht werden, sind diese anders als bei der atypisch stillen Gesellschaft nicht seinem Gewinnanteil vergleichbar der Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hinzuzurechnen. Vielmehr sind die allgemeinen Grundsätze für die Zuordnung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) mit Lohnsteuerabzug zu beachten. Der Lohnsteuer unterliegt der Bruttolohn einschließlich des Arbeitnehmeranteils zur Gesamtsozialversicherung9, denn der Arbeitnehmer hat die Beiträge zur Gesamtsozialversicherung zur Hälfte (Arbeitnehmeranteil)

__________ 5 Grundsatz der phasengleichen (korrespondierenden) Erfassung. Der Beschluss des Großen Senats des BFH (BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632) zum Verbot der Aktivierung noch nicht beschlossener Gewinnausschüttungen ist für die Beurteilung der stillen Gesellschaft ohne Bedeutung. Vgl. auch BFH v. 18.12.2002 – I R 11/02, BStBl. II 2003, 400. 6 BFH v. 18.10.2006 – IX R 7/04, BFH/NV 2007, 133 = DStR 2006, 2206. 7 BFH v. 23.2.2002 – VIII R 36/01, BStBl. II 2002, 858. 8 BFH v. 26.5.1994 – IV B 4/93, BFH/NV 1994, 784. 9 BAG v. 7.3.2001 – GS 1/00, NJW 2001, 3570 – unter III 1.

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wirtschaftlich aus dem ihm zustehenden Bruttoentgelt zu tragen (§ 346 SBG III, § 249 SGB V, § 168 SGB VI, § 58 SGB XI).10 Demzufolge werden nur die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung als Gegenleistung für die Erbringung der Arbeitsleistung und damit als Arbeitslohn angesehen11, weil nur der einbehaltene Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögensvorteil ist.12 Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung gehört dagegen nicht zum Arbeitslohn. § 3 Nr. 62 EStG hat insoweit lediglich deklaratorische Bedeutung.13 c) Gewinnausschüttungen Ist der stille Gesellschafter auch Gesellschafter der GmbH, sind Gewinnausschüttungen – unabhängig davon, ob diese auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechendem Beschluss beruhen oder i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als verdeckte Gewinnausschüttungen14 zu qualifizieren sind – bis zum 31.12.2008 unter Beachtung des Halbeinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40d EStG) als Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu beurteilen. Nach Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform 2008 wird ab 2009 insoweit die Abgeltungsbesteuerung greifen, wenn die GmbH-Anteile zum Privatvermögen des Gesellschafters gehören (§ 32d Abs. 1 EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008).14a Soweit die Anteile dagegen im Betriebs-

__________ 10 BAG v. 7.3.2001 – GS 2/00, NJW 2001, 3570 – unter III 1 d). Vgl. auch Müller-Glöge in MünchKomm. BGB, Bd. 4, 4. Aufl., München 2004, § 611 BGBRz. 1147. Vgl. auch BFH v. 29.10.2004 – XI B 170/03, BFH/NV 2005, 539; BFH v. 19.5.2004 – VI B 120/03, BFH/NV 2004, 1263. 11 Breinersdorfer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 19 EStG Rz. B 304. 12 BAG v. 7.3.2001 – GS 1/00, NJW 2001, 3570; BFH v. 16.1.2007 – IX R 69/04, BStBl. II 2007, 579. 13 BFH v. 6.6.2002 – VI R 178/97, BStBl. II 2003, 34; BFH v. 4.11.2003 – VIII R 59/03, BStBl. II 2004, 584. Nach Auffassung von Reiß (Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 394) steht die Entscheidung des VI. Senats „im klaren Widerspruch zur Entscheidung des Großen Senats“, BFH v. 19.10.1970 – GrS 1/70, BStBl. II 1971, 177. Dem Urteil sei auch in der Sache selbst im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG (BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BStBl. II 2002, 618) nicht zu folgen. Ob dies zwingend ist, kann hier dahinstehen, denn im Falle der Entscheidung des BVerfG ging es nicht um die Frage, ob der Arbeitgeberbeitrag Arbeitslohn sei, sondern welche Konsequenzen im Hinblick auf die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen gegenüber den Rentenbezügen zu ziehen seien. Hinsichtlich der Entscheidung des Großen Senats v. 19.10.1970 ist anzumerken, dass diese durch den Beschluss v. 25.2.1991 (BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 [698]) nicht unwesentlich relativiert wurde. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf den Beschluss des BFH v. 1.2.2006, mit der die mögliche Verfassungswidrigkeit der Regelungen des Alterseinkünftegesetzes im Hinblick auf eine Doppelbesteuerung angedeutet wird, vgl. BFH v. 1.2.2006 – X B 166/05, BFH/NV 2006, 876. Im Falle der Steuerpflicht der Arbeitgeberbeiträge würden diese Bedenken erheblich an Gewicht gewinnen. 14 Vgl. zur Angemessenheit der Gewinnanteile des stillen Gesellschafters BFH v. 6.2.1980 – I R 50/76, BStBl. II 1980, 477; BFH v. 16.12.11981 – I R 167/78, BStBl. II 1982, 387. 14a § 52a EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008.

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Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters

vermögen gehalten werden, ist ab 2009 das sog. Teileinkünfteverfahren mit einer Steuerpflicht von 60 % der Gewinnanteile nach § 3 Nr. 40 EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 anzuwenden.15 2. Bilanzierung a) Handelsbilanz Die stille Gesellschaft ist als Innengesellschaft nicht Kaufmann (§ 1, § 6 Abs. 1 HGB) und deshalb als solche nach Handelsrecht weder buchführungs- noch bilanzierungspflichtig (§§ 238 ff. HGB). Die nach § 232 HGB gebotene Gewinnermittlung erfolgt nur auf der Grundlage des Jahresabschlusses des Geschäftsinhabers, im Falle der GmbH & Still folglich nur der GmbH. Die geleistete Einlage des Stillen ist in der Handelsbilanz der GmbH als Vermögenszugang (z. B. Bank) zu aktivieren. Solange die Einlage vereinbart, aber noch nicht geleistet ist, ist eine Forderung auszuweisen. Die Verpflichtung zur Rückzahlung der Einlage gehört zu den Verbindlichkeiten16 und ist damit grundsätzlich als Fremdkapital zu passivieren.17 Der Gewinnanteil des Stillen gehört nicht zur Gewinnverwendung18, sondern wird im Jahresabschluss der GmbH als Ergebnis eines Teilgewinnabführungsvertrages behandelt.19 Er mindert den Jahresüberschuss und ist in der Gewinnund Verlustrechnung der GmbH als Aufwand aus Teilgewinnabführung zu bezeichnen (§ 277 Abs. 3 Satz 2 HGB) sowie in der Bilanz als Verbindlichkeit zu passivieren (§ 232 Abs. 3 HGB). Für den Fall, dass der Stille zugleich Gesellschafter der GmbH ist, erfolgt der Ausweis unter den Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern (§ 42 Abs. 3 GmbHG).

__________ 15 Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E, DStR 2007, 925 (928) – unter 3.3.1: Hey weist zu Recht darauf hin, dass die unterschiedliche Behandlung der Gewinnausschüttung in das Privatvermögen für den Fall eines Antrags auf Besteuerung mit dem persönlichen Steuersatz auf 100 % der Ausschüttung gegenüber dem sog. Teileinkünfteverfahren im Betriebsvermögen nicht erklärlich sei. 16 Vgl. dazu ausführlich Bordt in Handbuch des Jahresabschlusses, Abt. III/1; Adler/ Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Stuttgart 1998, § 246 HGB Rz. 90 f. m. w. N. 17 Abweichend hiervon wird die stille Beteiligung jedoch als Sonderposten im Eigenkapital behandelt, wenn die Gesellschaft für mindestens fünf Jahre nicht gekündigt werden kann, abweichend von § 236 HGB eine Rückzahlung der Einlage erst nach Befriedigung aller Gläubiger verlangt werden kann und der stille Gesellschafter am Verlust beteiligt ist. Die Einlage ist in diesen Fällen als Sonderposten innerhalb des Eigenkapitals auszuweiten, vgl. z. B. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Stuttgart 1998, § 246 HGB Rz. 90 ff., § 266 HGB Rz. 189. Dies wird aus § 10 Abs. 5 KWG abgeleitet, der die Bilanzierung stiller Beteiligungen an Banken regelt. 18 Ellrott/M. Ring in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 6. Aufl., München 2006, § 247 HGB Anm. 229. 19 Förschle in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 6. Aufl., München 2006, § 277 HGB Anm. 10.

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Entsprechend § 232 Abs. 3 HGB erhöht der Gewinnanteil die Einlage des stillen Gesellschafters nur, wenn dies vertraglich vereinbart ist. Für den Fall der noch nicht oder nicht vollständig geleisteten Einlage ist der Gewinnanteil zunächst mit der insoweit bestehenden Forderung zu verrechnen. b) Steuerbilanz Die handelsbilanzielle Sachbehandlung gilt ohne Abweichung auch für die Steuerbilanz (Maßgeblichkeitsgrundsatz, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG).

III. Atypisch stille Gesellschaft 1. Einkünfte des atypisch stillen Gesellschafters a) Gewinnanteile (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 EStG) Abweichend von den gesetzlichen Vorgaben kann der stille Gesellschafter auch an den stillen Reserven und dem Geschäftswert beteiligt werden. Diese Vereinbarung der Beteiligten führt zur Entstehung einer atypisch stillen Gesellschaft, wenn die Beteiligung Mitunternehmerrisiko vermittelt und der Gesellschafter im Rahmen seiner Mitwirkungsrechte20 auch Mitunternehmerinitiative entfalten kann.21 Mitunternehmerrisiko trägt der stille Gesellschafter insbesondere dann, wenn er an der Wertentwicklung des Unternehmens durch Beteiligung an den stillen Reserven und/oder einem Geschäftswert partizipiert.22 Für die Verwirklichung der Mitunternehmerinitiative genügt bereits die Wahrnehmung der Kontrollrechte im Rahmen des § 233 HGB. Der BFH23 geht darüber hinaus auch ohne zusätzliche Vermögensrechte von einer atypischen Beteiligung aus, wenn eine intensive Beteiligung des Stillen an der Geschäftsführung möglich ist, weil die Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der stille Gesellschafter an einer GmbH beteiligt ist, die von ihm bereits als Gesellschafter-Geschäftsführer beherrscht wird. Dafür ist unbeachtlich, ob sich die Möglichkeit zur Entfaltung einer ausgeprägten Mitunternehmerinitiative24 aus dem Gesellschaftsvertrag der stillen Gesellschaft oder lediglich aus der Stellung des stillen Gesellschafters als Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH ergibt.

__________ 20 Dafür genügen bei Beteiligung an den stillen Reserven bereits Kontrollrechte i. S. d. § 233 HGB. 21 § 15a Abs. 5 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. 22 BFH v. 27.5.1993 – IV R 1/92, BStBl. II 1994, 700; BFH v. 15.12.1992 – VIII R/42/90, BStBl. II 1994, 702; BFH v. 14.10.2003 – VIII B 281/02, BFH/NV 2004, 188. Vgl. auch OFD Erfurt, Vfg. v. 23.10.2003 – S 2241 A - 08 - L 221, FR 2003, 1299. Offen ist, ob dies auch gilt, wenn der Stille zwar an den stillen Reserven, nicht jedoch am Verlust teilnimmt. Der BFH hat die Revision an das FG Münster zurückverwiesen, vgl. BFH, Urt. v. 7.11.2006 – VIII R 5/04, AO-StB 2007, 121. 23 BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286 m. w. N. 24 BFH v. 30.9.2005 – VIII B 150/04, BFH/NV 2006, 299; BFH v. 15.1.2004 – VIII B 62/03, n. v.; BFH v. 26.11.2003 – VIII R 64/03, BFH/NV 2004, 631.

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Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters

Als Mitunternehmer bezieht der atypisch an einer GmbH beteiligte stille Gesellschafter grundsätzlich gewerbliche Einkünfte (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Das gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung25 auch dann, wenn die Tätigkeit der GmbH tatsächlich lediglich vermögensverwaltend sein sollte und daher nicht die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs i. S. d. § 15 Abs. 2 EStG erfüllt. Dem ist zuzustimmen, denn der Stille beteiligt sich an einer GmbH, die kraft Rechtsform bereits gewerblich tätig ist. Seine Einkünfte können deshalb nur denen entsprechen, an denen er beteiligt ist.26 Einer Bezugnahme auf § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG und die dort normierte Geprägetheorie bedarf es deshalb nicht. Diese Auffassung teilt der BFH wohl nicht, denn eine atypisch stille Gesellschaft sei selbst Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation.27 Dies habe zur Folge, dass sich die einkommensteuerrechtliche Qualifikation der Einkünfte der atypisch stillen Gesellschaft nicht nach der Qualifikation der Einkünfte beim tätigen Gesellschafter (GmbH), sondern nach der eigenen Tätigkeit der atypisch stillen Gesellschaft richte. Eine nichtgewerblich tätige GmbH & atypisch Still könne deshalb nur über § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als gewerblich geprägte Personengesellschaft Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielen. Dies setze jedoch entsprechend der in dieser Vorschrift getroffenen ausdrücklichen Regelung voraus, dass die Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen werde.28 b) Vergütungen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG) Soweit der stille Gesellschafter bei unstreitig gewerblich tätigen Gesellschaften Vergütungen29 für eine Tätigkeit im Dienst der GmbH erzielt, die dort (zutreffend) gewinnmindernd gebucht werden, sind diese ebenso wie weitere Ergebnisse aus einer etwaigen Sonderbilanz des Stillen dessen Gewinnanteil auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung hinzuzurechnen (§ 15 Abs. 1

__________ 25 BMF v. 26.11.1987 – IV B 2 - S 2241 - 61/87, BStBl. I 1987, 765. 26 Zustimmend m. E. zu Recht Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 229. 27 BFH v. 14.7.1998 – VIII B 112/97, BFH/NV 1999, 169; BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328 m. w. N.; unter Aufgabe der gegenteiligen Auffassung in der Entscheidung BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311. 28 Ebenso Gschwendtner, Die atypisch stille Gesellschaft als beschränkt rechtsfähiges Steuersubjekt im Einkommensteuerrecht, DStZ 1998, 335 (339); Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 359 m. w. N. Danach soll es für die Qualifikation der Einkünfte des Stillen darauf ankommen, ob § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG erfüllt sei. So lag auch der Fall in der Entscheidung des BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286. 29 Leider oftmals irreführend als „Vorwegvergütungen“ bezeichnet, so dass die Abgrenzung zum Vorweggewinn, der einem Gesellschafter im Rahmen der Gewinnverteilung vorweg (vorab) zuzurechnen ist, in der Praxis zu Differenzen hinsichtlich § 15a EStG, neuerdings auch im Hinblick auf die Belastung der geschäftsführenden Tätigkeit mit Umsatzsteuer führt. Vgl. dazu BFH v. 6.6.2002 – V R 43/01, BStBl. II 2002, 36; BMF v. 31.5.2007 – IV A 5 - S 7100/07/0031 – DOK 2007/0222008, BStBl. I 2007, 503.

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Nr. 2 Halbs. 2 EStG) und erhöhen in Folge den „Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft“.30 Das Gleiche gilt für Vergütungen, die der atypisch Stille von der GmbH für die Überlassung von Wirtschaftsgütern zur Nutzung oder für die Gewährung von Darlehen bezieht. Diese Fragen sind seit Jahren unstreitig und entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BFH.31 c) Sozialversicherungspflicht des atypisch stillen Gesellschafters Im Rahmen von Arbeitsverträgen zwischen der GmbH und dem atypisch still beteiligten Gesellschafter kann sich die Situation ergeben, dass wegen einer weisungsabhängigen, mithin einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit steuerrechtlich zwar gewerbliche Einkünfte anzunehmen sind, dennoch Sozialversicherungspflicht besteht.32 Die GmbH ist in diesen Fällen zur Einbehaltung des Arbeitnehmeranteils verpflichtet und schuldet ihrerseits den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Neben dem Gehalt (Arbeitslohn) stellt der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung (selbstverständlich) Aufwand der Arbeitgeberin, also der GmbH dar. Der für Lohnsteuerfragen zuständige VI. Senat des BFH33 hat entschieden, dass die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nicht zum Arbeitslohn eines Arbeitnehmers gehören. Dem ist der VIII. Senat34 gefolgt. Eine steuerbare Einnahme liege nicht vor, weil der Arbeitgeberbeitrag nicht Gegenleistung für die Arbeitsleistung sei. Nichts anderes ergebe sich aus § 3 Nr. 62 EStG, der lediglich deklaratorische Bedeutung für die Steuerfreiheit gesetzlich geschuldeter Zukunftssicherungsleistungen habe.35 Der Arbeitgeber habe seinen Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag aufgrund einer eigenen ihm unmittelbar auferlegten öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zu erbringen. Sein Beitrag sei im Rahmen des Generationenvertrags nicht „fremdnützig“ für den Arbeitnehmer, sondern ausschließlich für Dritte, nämlich für gegenwärtig zu finanzierende Rehabilitanten und Rentner bestimmt. Der Arbeitnehmer habe aufgrund der Zahlung des Arbeitgebers weder einen individuellen mitglieds- oder beitragsrechtlichen Vorteil noch einen sonstigen Vermögenszuwachs erlangt.36 Der Arbeitgeberanteil sei vielmehr „systemnützig“, denn er werde von der Gesamtheit aller Arbeitnehmer mitverdient, entsprechend berechnet, aber vom Arbeitgeber geschuldet, der damit eine eigene Pflicht erfülle (vgl. dazu

__________ 30 BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612; aktuell BFH v. 30.3.2006 – IV R 25/04, BFH/NV 2006, 1912; BFH v. 30.8.2007 – IV R 14/06, DStR 2007, 1902. 31 Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 560 ff. m. w. N. 32 Zur Sozialversicherungspflicht vgl. BSG v. 24.1.2007 – B 12 KR 31/06 R, juris. 33 BFH v. 6.6.2002 – VI R 178/97, BStBl. II 2003, 34. 34 BFH v. 4.11.2003 – VIII R 59/03, BStBl. II 2004, 584 – zur Frage der Einkünfte eines Kindes i. S. d. § 32 Abs. 4 EStG. Vgl. auch BFH v. 16.1.2007 – IX R 69/04, BFH/NV 2007, 1225. 35 Drenseck in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 19 EStG Rz. 50 – Arbeitgeberanteil zur Gesamtsozialversicherung. 36 BSG v. 29.6.2000 – B 4 RA 57/98, BSGE 86, 262 – zur Rentenversicherung.

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Einkünfte des an einer GmbH still beteiligten Gesellschafters

§ 346 SBG III, § 249 SGB V, § 168 SGB VI, § 58 SGB XI). Anders ist dies im Hinblick auf den Arbeitnehmeranteil.37 Angesichts dieser Entscheidung stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Urteil für Kommanditisten und vor allem auch atypisch stille Gesellschafter haben könnte, die sich in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis38 mit ihrer Gesellschaft befinden. Es geht also um die Streitfrage, ob der Arbeitgeberanteil zu den Vergütungen für eine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft gehören kann und wenn dies zu bejahen wäre, ob die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 EStG eingreift. Der Große Senat des BFH39 hatte seinerzeit entschieden, dass die Arbeitgeberanteile, die eine KG für einen Kommanditisten, der sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen sei, zu den (Sonder-)Vergütungen gehöre, die der Kommanditist von der KG für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezogen habe (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG). Die von der Gesellschaft entrichteten Arbeitgeberanteile seien als dem Gesellschafter für seine Tätigkeit im Dienste der Gesellschaft gewährte „Vergütungen“ anzusehen, denn sie seien unmittelbare Folge der Tätigkeit des Gesellschafters für die Gesellschaft. Der Gesellschafter einer Personengesellschaft solle nach Möglichkeit so gestellt werden, wie er als Einzelunternehmer stünde. Daraus folge aber, dass alle Aufwendungen, die unmittelbar auf dem Dienstverhältnis des Gesellschafters bei der Gesellschaft beruhen, in den Gewinn einzubeziehen und bei der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung (§ 180 AO) dem Gesellschafter zuzuteilen seien. Eine solche Belastung des Gewinns stellen nach BFH auch die in Rede stehenden Arbeitgeberanteile dar, bei denen es sich um Gehaltsnebenkosten handele. Die von der Gesellschaft entrichteten Arbeitgeberbeiträge habe der Gesellschafter auch „bezogen“. Eine Vergütung sei schon dann „bezogen“, wenn die Zahlung im Interesse des Gesellschafters liege und ihm einen geldwerten Vorteil verschaffe. Der geldwerte Vorteil bestehe im Anspruch des Gesellschafters auf Leistungen aus der Sozialversicherung. Dieser Rechtsauffassung folgte der XI. Senat des BFH40 und gewährte die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 62 EStG in Folge nicht. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG qualifiziere entsprechende Vergütungen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb41 und deshalb sei es unbeachtlich, ob zivilrechtlich und sozialversicherungsrechtlich betrachtet ein Arbeitsverhältnis vorliege. § 3 Nr. 62 EStG sei „naturgemäß“ nur auf Leistungen zwischen einander fremden Personen, nämlich auf Ausgaben des Arbeitgebers zugunsten seines Arbeitnehmers beschränkt. Entfalle aufgrund der Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG das Begriffspaar

__________ 37 38 39 40 41

BFH v. 16.1.2007 – IX R 69/04, BStBl. II 2007, 579. LAG Berlin v. 26.3.2003 – 5 TA 1306/01, n. v. BFH, Beschl. v. 19.10.1970 – GrS 1/70, BStBl. II 1971, 177. BFH v. 8.4.1992 – XI R 37/88, BStBl. II 1992, 812. BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 (698).

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„Arbeitgeber-Arbeitnehmer“, so könne § 3 Nr. 62 EStG denkgesetzlich nicht mehr zum Zuge kommen.42 Die weitergehende Frage, ob es sich hinsichtlich der Arbeitgeberanteile überhaupt um Vergütungen handele, die der Kommanditist ebenfalls als Gegenleistung für die erbrachte Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezogen habe, wurde dagegen nicht mehr untersucht. Dies war offensichtlich auch Folge der Entscheidung der Vorinstanz, die den Arbeitgeberanteil als Bestandteil des Lohns behandelt hatte, was mit der Revision nicht angegriffen worden war. Die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Überlegungen wurden überwiegend ohne weitere Erläuterung im Schrifttum übernommen.43 Dabei werden die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung in einer Reihe mit Abfindungen und Zuschüssen zu Lebensversicherungen erwähnt. Zum Beleg wird auch auf ein Urteil des VIII. Senats44 hingewiesen, mit der die Entscheidung des XI. Senats zu § 3 Nr. 62 EStG auf eine Abfindung für einen ArbeitnehmerKommanditisten übertragen wird, der dafür die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 9 EStG geltend gemacht hatte. Auf den entscheidenden Unterschied, dass die Abfindung unstreitig Arbeitslohn darstellt, der Arbeitgeberanteil aber nicht zum Arbeitslohn gehören könnte, geht der VIII. Senat gar nicht ein. Teilweise wird im Schrifttum zur Rechtfertigung der Besteuerung des Arbeitgeberanteils auch auf die Entscheidung des BFH zur Frage der Aktivierung von Vergütungen an Gesellschafter einer Personengesellschaft als Herstellungskosten hingewiesen.45 Auch diese Entscheidung hilft jedoch bei der Lösung des Problems nicht weiter, weil nicht die Höhe der dem Kommanditisten zuzurechnenden Vergütung entscheidungserheblich war, sondern lediglich die Frage, ob Vergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG in der Gesamthandsbilanz zu den aktivierungspflichtigen Herstellungskosten gehören. Dies war zu bejahen, denn es handelt sich unstreitig um Aufwand der Gesellschaft, der in die Fertigungskosten einzubeziehen ist. Nach BFH biete die Regelung zu den Vergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG keine rechtliche Handhabe, den in § 255 Abs. 2 HGB festgelegten Begriff der Herstellungskosten zu modifizieren.46 Zu diesen Fertigungskosten gehöre auch der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, denn maßgebend für diese Frage sei allein, ob Aufwendungen entstanden sind, die durch die Fertigung veranlasst sind. Dies ist absolut unstreitig und hat zugleich keine Bedeutung für die Rechtsfrage, ob entsprechende Beträge als Vergütung für eine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft zu würdigen sind oder nicht. Auch bei nichtselbständig beschäftigten Arbeitnehmern, die in der Fertigung tätig sind, sind die Lohnkosten zu-

__________ 42 Diese Schlussfolgerung war schon damals mindestens im Hinblick auf den Wortlaut der Regelung nicht zwingend. 43 Vgl. für viele Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 584; Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 394. 44 BFH v. 23.4.1996 – VIII R 53/94, BStBl. II 1996, 515. 45 BFH v. 8.2.1996 – III R 35/93, BStBl. II 1996, 427. 46 BFH v. 8.2.1996 – III R 35/93, BStBl. II 1996, 427.

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züglich Arbeitgeberanteil Teil der Herstellungskosten (§ 255 Abs. 2 HGB, § 5 Abs. 1 und 6, § 6 Abs. 1 EStG). Der Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des VI. Senats und den Entscheidungen zur Beurteilung des Arbeitgeberanteils bei einem Mitunternehmer ist offenkundig. Wenn die Zahlung des Arbeitgeberbeitrags47 schon dem Grunde nach nicht Gegenleistung für eine Tätigkeit ist, dann kann sie auch nicht Vergütung i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG sein. Dies kann auch nicht mit der Umqualifizierung der Vergütungen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gerechtfertigt werden. Auf die Frage, ob der Arbeitgeberanteil i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG allein deshalb bezogen ist, weil er in der Gesellschaft zu Aufwand geführt hat, kommt es deshalb mangels Gegenleistung schon gar nicht mehr an. Der Arbeitgeberanteil ist zwar als Aufwand der Gesellschaft zu würdigen, er unterliegt aber nicht der korrespondierenden Hinzurechnung im Sonderbereich des „Arbeitnehmer-Kommanditisten“ oder des tätigen atypisch stillen Gesellschafters.48 Inzwischen hat die Streitfrage erneut die Finanzgerichte erreicht. Das FG Münster49 hat unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des BFH bei einem Kommanditisten die von der KG abgeführten Arbeitgeberbeiträge als Vergütungen i. S. d. § 15 EStG beurteilt und die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der VIII. Senat des BFH50 als unzulässig verworfen, weil der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage (leider) nicht dargelegt habe.51 Er habe nicht dargetan, inwieweit die Tragfähigkeit der bisherigen Rechtsprechung durch die Entscheidung des VI. Senats52 zweifelhaft geworden sei. Dabei bemüht der VIII. Senat in seiner (zu) kurzen Begründung ebenfalls den gerade hier nicht zielführenden Vergleich zwischen Einzelunternehmer und Mitunternehmer und hält eine Hinzurechnung der Arbeitgeberanteile zu den Vergütungen allein schon deshalb für geboten, weil es sich um Aufwendungen (Betriebsausgaben) der KG handele, die unmittelbar durch das Dienstverhältnis mit der KG veranlasst seien. Es komme nicht darauf an, ob die Leistungen der KG bzw. der hiermit verbundene Vorteil dem Kommanditisten zugegangen sei. Dies wird nicht begründet. Offen bleibt auch, warum der Senat am klaren Wortlaut der Vorschrift vorbei nicht von „bezogenen Vergütungen“, sondern von „zugegangen Vorteilen“ spricht. Dieser Entscheidung ist schon deshalb nicht zu folgen, weil eine Vergütung i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG allgemein anerkannt – und auch nach Auffassung eines (früheren) Mitglieds des VIII. Senats – nur eine Gegenleistung für eine

__________ 47 Vgl. zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung des Arbeitgeberbeitrags auch BSG v. 29.6.2000 – B 4 RA 57/98, BSGE 86, 262. 48 Paus, Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung als Gewinnanteil des Kommanditisten, DStZ 2006, 336; Bolk, Der sozialversicherungspflichtige Kommanditist, FR 2003, 839. 49 FG Münster v. 2.6.2005 – 3 K 2131/04, n. v. 50 BFH v. 18.5.2006 – VIII B 145/05, n. v. 51 § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Vgl. dazu auch Gräber/Ruban, FGO, § 116 FGO Rz. 33. 52 BFH v. 6.6.2002 – VI R 178/97, BStBl. II 2003, 34.

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Leistung sein kann.53 Dies ist nicht anders, nur weil der Empfänger der Vergütung Mitunternehmer ist, dessen Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu bestimmen sind.54 Diese Vorschrift hat die Aufgabe, Einkünfte aufgrund einer Tätigkeit als Mitunternehmer als gewerblich zu qualifizieren und damit im Ergebnis in den Gewerbeertrag einzubeziehen. Aufgabe ist dagegen nicht, für sonst nicht steuerpflichtige Bezüge eine Steuerpflicht zu begründen und damit den Mitunternehmer gegenüber anderen Steuerpflichtigen zu benachteiligen. Dies aber ist die Folge, wenn Beiträge, die ein Einzelunternehmer für seine Tätigkeit erst gar nicht entrichten muss und die einem Mitunternehmer nicht zugute kommen, als steuerpflichtig behandelt werden.55 Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde, die hier jedenfalls verfahrensrechtlich mangels Kenntnis der näheren Umstände nicht kritisiert werden soll, setzt sich der Senat mit seinen Anmerkungen zur materiell-rechtlichen Rechtsfrage darüber hinaus in Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung, ohne auf diese einzugehen.56 Ausdrücklich wurde entschieden, dass Vergütung nur sein könne und folglich zu einem Aktivposten in der Sonderbilanz im Wege der korrespondierenden Bilanzierung nur führen könne, was als Gegenleistung zu beurteilen sei.57 Ein gleichzeitig entstehender Aufwand reiche dafür nicht aus, wenn dieser auf einer eigenen Verpflichtung der Gesellschaft beruhe. Unstreitig ist dies im Fall der Sozialversicherungspflicht gegeben. Beachtlich ist schließlich auch, dass die Vergütung für eine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezogen sein muss. Dies deutet daraufhin, dass lediglich solche Vergütungen hinzuzurechnen sind, mit denen die Gesellschaft die Nutzung der Arbeitskraft des Gesellschafters abgelten will.58 Demzufolge bestimmen sich die Vergütungen nach denjenigen Beträgen, die der Gesellschafter für

__________ 53 Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 561 – kursiv besonders hervorgehoben. Vgl. auch BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612. 54 Gl.A. Paus, Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung als Gewinnanteil des Kommanditisten, DStZ 2006, 336. Nach BFH gehört die Erstattung des Arbeitgeberanteils an einen Hausgewerbetreibenden nicht zur Gegenleistung für die von ihm ausgeführte Tätigkeit, vgl. BFH v. 20.7.1982 – VIII R 143/77, BStBl. II 1983, 196. Demgegenüber sei die Zahlung des Arbeitgeberanteils im Rahmen der Tätigkeit eines Kommanditisten unmittelbar durch das Dienstverhältnis mit der KG verursacht. Dies rechtfertige eine unterschiedliche Beurteilung. 55 Paus, Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung als Gewinnanteil des Kommanditisten, DStZ 2006, 336 (337). 56 Verwiesen wird lediglich auf den Beschluss v. 27.4.1993, wonach die Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe, weil eine Klärung durch den BFH bereits hinreichend erfolgt sei, vgl. BFH, Beschl. v. 27.4.1993 – VIII B 38/92, BFH/NV 1993, 599. Das mag für 1993 noch gelten können. Bedingt durch die zwischenzeitliche Rechtsprechung der anderen Senate des BFH wäre eine erneute vertiefte Auseinandersetzung mit dem Problem insbesondere auch vor dem Hintergrund des Beschlusses des Großen Senats (BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 [698]) angezeigt gewesen. 57 BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612. 58 BFH v. 28.10.1999 – VIII R 41/98, BStBl. II 2000, 339 – zu 2 a der Gründe.

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seine Tätigkeit tatsächlich erhalten hat bzw. beanspruchen kann.59 Dieser Anspruch ist grundsätzlich am Bruttolohn einschließlich des Arbeitnehmeranteils zur Gesamtsozialversicherung ausgerichtet.60 Folgerichtig hat der BFH61 nur die Arbeitnehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung als Gegenleistung für die Erbringung der Arbeitsleistung und damit als Arbeitslohn angesehen62, weil nur der einbehaltene Arbeitnehmeranteil ein dem Arbeitnehmer verschaffter Vermögensvorteil ist.63 Dieser fließt ihm bei eigenem Rechtsanspruch gegen die Versorgungseinrichtung als Arbeitslohn zu64 und wird daher im Fall des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG nur insoweit als Vergütung bezogen. Einer weiteren Auseinandersetzung mit der Rechtsfrage, ob § 3 Nr. 62 EStG auf die Arbeitgeberanteile anzuwenden sei, die aufgrund einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit eines Mitunternehmers im Dienst seiner Gesellschaft abzuführen sind, bedarf es angesichts der geänderten sozialversicherungsrechtlichen und auch steuerrechtlichen Beurteilung zur nur deklaratorischen Bedeutung dieser Vorschrift nicht mehr. Handelt es sich hinsichtlich des Arbeitgeberanteils erst gar nicht um Arbeitslohn bzw. eine Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung, bedarf es keiner Steuerfreistellung dieser Bezüge (mehr). Dies gilt auch in den Fällen der Bestimmung der Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nur eine Zuordnung der Einkünfte des Mitunternehmers, jedoch keine abweichende Beurteilung im Hinblick auf ein ggf. gleichzeitig bestehendes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zwischen der Gesellschaft und ihrem Mitunternehmer. Auch das FG Düsseldorf65 hat sich mit der Rechtsfrage beschäftigt und bei einem Arbeitnehmer, der gleichzeitig atypisch still am Handelsgewerbe seines Arbeitgebers beteiligt ist, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des IX. Senats66 daran festgehalten, dass der Arbeitgeberanteil zum Arbeitslohn gehöre, weil die „Entrichtung dieser Beiträge unmittelbare Folge der Tätigkeit des Gesellschafters sei.“ Der Unterschied zum Arbeitnehmer i. S. d. § 19 EStG sei gerechtfertigt, weil dort Arbeitslohn zufließe, die Vergütung von einem Mitunternehmer aber bezogen werde. Voraussetzung für eine Vergütung i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG sei nicht, dass sie Gegenleistung für eine Arbeitsleistung sei. Vielmehr reiche es aus, wenn sie für Leistungen gewährt werde, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, die Zahlung im Interesse des Gesellschafters liege und ihm einen geldwerten Vorteil verschaffe.

__________ 59 BFH v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 – zu 3. der Gründe. 60 BAG v. 7.3.2001 – GS 2/00, NJW 2001, 3570 – unter III 1. 61 Vgl. nur BFH v. 29.10.2004 – XI B 170/03, BFH/NV 2005, 539; BFH v. 19.5.2004 – VI B 120/03, BFH/NV 2004, 1263. 62 Breinersdorfer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 19 EStG Rz. B 304. 63 BAG v. 7.3.2001 – GS 2/00, NJW 2001, 3570. 64 BFH v. 16.1.2007 – IX R 69/04, BFH/NV 2007, 1225. 65 FG Düsseldorf v. 18.1.2006 – 7 K 3855/05 F, EFG 2006, 736. 66 BFH v. 8.4.1992 – XI R 37/88, BStBl. II 1992, 812.

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Das FG setzt sich nicht genügend mit der Entscheidung des Großen Senats67 auseinander, wonach Vergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auf besonderen Vertragsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter beruhen.68 Diese Beziehungen, hier das Dienstverhältnis, werden steuerrechtlich geradezu anerkannt, denn ein Dienstverhältnis bleibt ein solches auch dann, wenn der Lohn als (Sonder-)Vergütung eines gewerblich tätigen Mitunternehmers zu würdigen ist.69 Damit stimmt überein, dass § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG nur auf Mitunternehmer, nicht dagegen auf Einzelunternehmer anzuwenden ist. Das Bestreben nach Gleichstellung darf demzufolge nicht dazu führen, die handelsrechtliche Selbständigkeit der Personengesellschaft einkommensteuerrechtlich als unbeachtlich anzusehen. Eine Gleichstellung des Mitunternehmers mit einem Einzelunternehmen ist folglich nur gerechtfertigt, soweit das Gesetz eine solche zulässt. Der fragliche Sachverhalt ist freilich bei einem Einzelunternehmer erst gar nicht denkbar. Dieser schuldet nun mal unter keinen Umständen für seine Tätigkeit im eigenen Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge. Stattdessen ist im Gegensatz dazu festzuhalten, dass bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen mit Mitunternehmern eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber den Sozialkassen besteht, nicht jedoch gegenüber dem Mitunternehmer. Der passivierten Verpflichtung zur Entrichtung des Arbeitgeberanteils in der Gesamthandsbilanz einer KG bzw. Bilanz des Inhabers des Handelsgewerbes im Falle einer stillen Gesellschaft kann nur dann korrespondierend ein betragsgleicher Aktivposten in der Sonderbilanz gegenüberstehen, wenn dieser Betrag zu einer (Sonder-)Vergütung führt70 und damit einen Anspruch gegenüber der Gesellschaft darstellt.71 Der Kommanditist oder atypisch stille Gesellschafter würde im Falle der Aktivierung entgegen der Rechtsprechung des BFH72 „etwas versteuern, was ihm nicht zugute kommt“. Mit dieser Begründung hat der IV. Senat zu Recht die Aktivierung eines Pensionsanspruchs in der Sonderbilanz der nicht begünstigten anderen Mitunternehmer abgelehnt.73 Die weiteren Überlegungen des FG zur Frage des Zufließens im Unterschied zum Beziehen einer Vergütung gehen vollends an der Sache vorbei, denn dar-

__________ 67 68 69 70 71

BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 – zu C II 3. BFH v. 12.2.1992 – XI R 49/89, BFH/NV 1993, 156. BFH v. 23.4.1996 – VIII R 53/94, BStBl. II 1996, 515. BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612 – zu 2. Vgl. zur korrespondierenden Bilanzierung BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612; aktuell BFH v. 30.3.2006 – IV R 25/04, BFH/NV 2006, 1912. 72 BFH v. 30.3.2006 – IV R 25/04, BFH/NV 2006, 1912. Vgl. auch BFH v. 22.6.2006 – IV R 56/04, BStBl. II 2006, 838 – zur Zurechnung von Sonderbetriebseinnahmen bei einem ungetreuen Mitunternehmer, soweit ihm die Einnahmen „zugute kommen.“ 73 Vgl. dazu bereits Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 587; Köster in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Anm. 514; Gosch, StBp 1998, 138; Gschwendtner, Korrespondierende Bilanzierung bei Pensionszusagen von Personengesellschaften an einen Gesellschafter, DStZ 1998, 777; Bolk, Problemkreise bei der Gewinnermittlung und Gewinnverwendung bei Personengesellschaften, BuW 1995, 230.

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auf kommt es für die Frage der Qualifikation einer Vergütung wahrlich nicht an. Dies hat lediglich im Unterschied zu § 11 EStG die Bedeutung, dass eine Vergütung, die von einem Mitunternehmer bezogen wird, korrespondierend zeit- und betragskonform in Gesamthands- und Sonderbilanz erfasst wird.74 Inzwischen hat der IV. Senat des BFH75 die vom FG Düsseldorf zugelassene Revision entschieden. Der Senat hält in seiner jetzigen Besetzung daran fest, dass der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung im Rahmen eines Dienstverhältnisses mit einem atypisch stillen Gesellschafter zu den Vergütungen und damit zu den Sonderbetriebseinnahmen gehöre und folglich aus dem Sonderbetriebsvermögen entnommen werde. Damit bejaht der IV. Senat, dass in der Sonderbilanz des Mitunternehmers – ohne dies zu erwähnen – im Hinblick auf die ggf. noch nicht abgeführten Arbeitgeberbeiträge korrespondierend zur Passivierung in der Gesamthandelsbilanz eine Forderung zu aktivieren sei, obwohl der Mitunternehmer keinen Anspruch gegenüber seiner Gesellschaft hat. Trotz Hinweises auf die Erwägungen des BVerfG76, wonach auch die Arbeitgeberanteile letztlich dem Arbeitnehmer als eigene Leistungen zuzurechnen seien, vermeidet die Entscheidung letztlich dennoch eine Antwort auf die Frage, ob der Arbeitgeberanteil als Entgelt für die Arbeitsleistung zu qualifizieren ist. Ausreichend sei vielmehr entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, dass der Rentenberechtigte einen wirtschaftlichen Vorteil in der Form des Versicherungsschutzes erlange. Abweichend von der Entscheidung des BSG77 genüge es daher für den Ansatz einer Sonderbetriebseinnahme, dass der in Frage stehende Vorteil bei wirtschaftlicher Betrachtung als Gegenleistung für die erbrachte Tätigkeit zu werten sei. Dies ergebe sich neben dem Vergleich mit einem Einzelunternehmer auch aus einem Vergleich mit einem Mitunternehmer, dem für seine Tätigkeit (Beitrag) im Rahmen der Gewinnverteilung ein Vorweggewinn (Vorabgewinn) zugewiesen werde. Wie schon den Finanzgerichten und dem VIII. Senat ist im Hinblick auf diese Überlegungen entgegenzuhalten, dass ein Vergleich dieser Art schon deshalb nicht zielführend ist, weil ein Mitunternehmer, dessen Tätigkeit (lediglich) durch einen Vorweggewinn im Rahmen der gesellschaftsvertraglichen Gewinnverteilung berücksichtigt wird, nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Unabhängig davon, ob man die Entscheidung des IV. Senats im Ergebnis für zutreffend hält, bleibt dennoch festzuhalten, dass eine Divergenz zur Entscheidung des VI. Senats bestehen geblieben ist. Es ist deshalb zu fragen, ob die Bemühungen des IV. Senats, unter allen Umständen und in der Begründung nicht überzeugend an der bisherigen Rechtsprechung festhalten zu wollen und Fragen nach der künftigen Besteuerung der Altersrente zu vermeiden, ausrei-

__________ 74 Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 404, 440; Reiß in Falterbaum/Bolk/Reiß/Eberhart, Buchführung und Bilanz, 20. Aufl., Achim 2007, S. 1193. 75 BFH v. 30.8.2007 – R IV 14/06, DStR 2007, 1902. 76 BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BStBl. II 2002, 618. 77 BSG v. 29.6.2000 – B 4 RA 57/98 R, BSGE 86, 262.

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chend sind, bei künftigen Streitfällen eine Anrufung des Großen Senats zu vermeiden. d) Pensionszusagen Pensionszusagen an Mitunternehmer, die im Dienst ihrer Gesellschaft tätig sind, stellen eine Verpflichtung der Gesellschaft dar, die als Pensionsrückstellung zu passivieren ist (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6, § 6a EStG). Dies gilt sowohl für Zusagen der Gesellschaft, die diese unmittelbar ihrem als Geschäftsführer tätigen Gesellschafter macht, als auch im Rahmen einer GmbH & Co. KG für Zusagen der Komplementär-GmbH an deren Geschäftsführer, wenn die KG im Rahmen ihrer Verpflichtung die Aufwendungen der Komplementärin ersetzt, wozu auch die Zuführung zur Pensionsrückstellung gehört.78 Gleiches muss auch für eine atypisch stille Gesellschaft gelten. Die Pensionszusage führt auf der Seite des Mitunternehmers zu gegenwärtigen Bezügen i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG und nicht zu nachträglich zu versteuernden Einkünften i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 2 EStG erst nach Eintritt des Versorgungsfalls. Die Anwartschaft ist nach den Grundsätzen der additiven Gewinnermittlung mit korrespondierender Bilanzierung im Gleichklang mit der Gewinnminderung im Gesamthandsbereich zeit- und betragskonform im Sonderbereich gewinnerhöhend auszuweisen. Dafür ist unbeachtlich, ob der Anspruch bereits unverfallbar ist.79 Schon früh wurde im Schrifttum verlangt, dass diese Hinzurechnung ausschließlich im Sonderbereich des pensionsberechtigten Mitunternehmers zu erfolgen habe, denn nur dieser verfüge über einen Anspruch gegenüber der Gesellschaft.80 Es sei nicht zu rechtfertigen, anderen Mitunternehmern eine Besteuerung für Bezüge zuzumuten, die ihnen nicht zugute kommen werden. Der BFH81 hat sich seinerzeit mit der Rechtsfrage befasst und im Ergebnis offen gelassen, ob die Zurechnung im Sonderbereich des Begünstigten oder aller Mitunternehmer nach Beteiligungsverhältnissen zu erfolgen habe. Das Schrifttum hat diese Entscheidungen mit unterschiedlicher Zielrichtung zum

__________ 78 BFH v. 7.2.2002 – IV R 62/00, BStBl. II 2005, 88. 79 BFH v. 30.8.2007 – IV R 14/06, DStR 2007, 1902 – zu 3 c bb der Gründe. 80 Lang in Festschrift Ludwig Schmidt, München 1993, S. 291, 304; Patt/Rasche, Besteuerung der Pensionszusage an den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA nach den Grundsätzen der Mitunternehmerschaft?, DB 1993, 2440; Bolk, Problemkreise bei der Gewinnermittlung und Gewinnverwendung bei Personengesellschaften, BuW 1995, 230; Gosch, Korrespondierende Bilanzierung von Pensionszusagen an Personengesellschafter, StBp 1998, 138; Gschwendtner, Korrespondierende Bilanzierung bei Pensionszusagen von Personengesellschaften an einen Gesellschafter, DStZ 1998, 777; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 587. 81 BFH v. 16.12.1992 – I R 105/91, BStBl. II 1993, 792; BFH v. 2.12.1997 – VIII R 15/86, DStR 1998, 482.

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Anlass genommen, je nach Interessenlage der Beteiligten vorzugehen.82 Eine einheitliche Meinung konnte sich dabei wohl kaum entwickeln. Die Finanzverwaltung hat ihren Kopf in den Sand gesteckt und kurzer Hand den früheren R 41 Abs. 8 EStR ersatzlos gestrichen. Die Rechtsfrage ist inzwischen einer sachgerechten Erledigung zugeführt worden, die allerdings diejenigen, die eine gegenwärtige steuerliche Belastung des Pensionsberechtigten verhindern wollten, wohl kaum zufrieden stellen wird. Der IV. Senat des BFH83 hat entsprechend der wohl herrschenden Meinung zu Recht entschieden, dass der Aufwand einer GmbH & Co. KG für die Erstattung der Zuführung zur Pensionsrückstellung, die die Komplementär-GmbH zugunsten des GmbH-Geschäftsführers und Kommanditisten der KG gebildet habe, in der Sonderbilanz des begünstigten Kommanditisten durch einen entsprechend hohen Aktivposten auszugleichen sei. Diese Rechtsgrundsätze sind uneingeschränkt auf die atypische GmbH & Still zu übertragen. Erteilt die GmbH dem stillen Gesellschafter im Rahmen eines Anstellungsvertrages aus Anlass seiner Tätigkeit für die GmbH eine Pensionszusage, dann steht der zu passivierenden Pensionsrückstellung in der Handelsund Steuerbilanz der GmbH in gleicher Höhe ein Pensionsanspruch auf der Aktivseite der Sonderbilanz für den Stillen gegenüber. Die damit verbundene Gewinnerhöhung ist deshalb allein dem pensionsberechtigten (atypisch stillen) Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung des Gewinns in dem Wirtschaftsjahr zuzurechnen, in dem auch die jeweilige Zuführung zur Pensionsrückstellung den Gewinn der GmbH mindert. Das gilt auch dann, wenn an der atypischen GmbH & Still weitere stille Gesellschafter beteiligt sein sollten. Die Versorgungsanwartschaft ist in der Sonderbilanz des Pensionsberechtigten korrespondierend mit der Entwicklung der Pensionsrückstellung nach Maßgabe der Bewertungsgrundsätze des § 6a EStG gewinnerhöhend aufzustocken. Nach Eintritt des Versorgungsfalls sind die tatsächlich geleisteten Versorgungszahlungen erfolgsneutral in der Bilanz der Gesellschaft und mit umgekehrten Vorzeichen auch in der Sonderbilanz (hier als Entnahme) zu erfassen. Soweit sich dabei Differenzen zwischen dem Barwertabbau und der Zahlung ergeben, sind diese gewinnwirksam zu erfassen und dem Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zuzurechnen. Die Sonderbilanz ist daher auch nach Eintritt des Versorgungsfalls fortzuführen und die Ergebnisse gehören auch weiterhin zum gesondert und einheitlich festzustellenden Gewinn der Mitunternehmerschaft. Soweit die Versorgungsanwartschaft vor Tilgung des Anspruchs untergehen sollte, steht der Gewinnerhöhung aufgrund der Auflösung der Rückstellung korrespondierend ein Sonderbetriebsaufwand des Gesellschafters gegenüber.84 Das gilt selbst dann, wenn der Mitunternehmer unter

__________ 82 Vgl. Nachweise bei Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 586. 83 BFH v. 30.3.2006 – IV R 25/04, BFH/NV 2006, 1912. 84 Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 587.

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Fortbestand seiner Versorgungsanwartschaft aus der Gesellschaft ausscheiden sollte (§ 15 Abs. 1 Satz 2 EStG).85 e) Gewinnausschüttungen Ist der atypisch stille Gesellschafter auch Gesellschafter der GmbH, gehört die Beteiligung an der GmbH regelmäßig zum Sonderbetriebsvermögen II des stillen Gesellschafters.86 Daher sind Gewinnausschüttungen – unabhängig davon, ob diese auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechendem Beschluss beruhen oder i. S. d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als verdeckte Gewinnausschüttungen87 zu qualifizieren sind – bis einschließlich 2008 unter Beachtung des Halbeinkünfteverfahrens und ab 2009 des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40d EStG) als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu beurteilen (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 20 Abs. 3 EStG). Nach Inkrafttreten der Unternehmensteuerreform (2008) wird insoweit nicht die Abgeltungsbesteuerung greifen (§ 32d Abs. 1 EStG i. d. F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008).88 2. Bilanzierung a) Handelsbilanz Auch die atypisch stille Gesellschaft ist als solche nach Handelsrecht weder buchführungs- noch bilanzierungspflichtig (§ 238 HGB). Die zur typisch stillen Gesellschaft (II 2) dargestellten Überlegungen gelten hier gleichermaßen. b) Steuerbilanz Umstritten ist, ob für die atypisch stille Gesellschaft als solche abweichend von der Handelsbilanz eine selbständige Steuerbilanz aufzustellen ist. Die Finanzverwaltung89 verneint eine solche Pflicht. Sie ist der Auffassung, dass sich die steuerliche Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft aus der Addition der Ergebnisse der Steuerbilanz der GmbH und einer etwaigen Sonderbilanz des atypisch stillen Gesellschafters ergebe. Aus dieser „additiven Gewinn-

__________ 85 Bolk in Bonner Handbuch der Personengesellschaften, D 144 ff. 86 BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286; a. A. Carlè, GmbH & atypisch Still im Steuerrecht und Gesellschaftsrecht, KÖSDI 1999, 12193. Vgl. zur Abgrenzung zwischen Sonder-Betriebsvermögen I und Sonder- Betriebsvermögen II aktuell BFH v. 27.6.2006 – VIII R 31/04, BStBl. II 2006, 874; Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 408 ff.; Carlé in Korn, EStG, § 15 EStG Rz. 218; Schneider in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Anm. 751; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 517. 87 Zur Beurteilung verdeckter Gewinnausschüttungen und deren Zurechnung vgl. ausführlich OFD Erfurt v. 23.10.2003 – S 2241 A - 08 - L 221, FR 2003, 1299 – Tz. 3.2.2.2. 88 Vgl. dazu auch allgemein Hey, Unternehmensteuerreform: das Konzept der Sondertarifierung des § 34a EStG-E, DStR 2007, 925 (928). 89 OFD Erfurt v. 23.10.2003 – S 2241 A - 08 - L 221, FR 2003, 1299; unter Berufung auf BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311; BFH v. 13.7.1993 – VIII R 85/91, BStBl. II 1994, 243.

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ermittlung“ folge auch ohne „eigene“ Steuerbilanz der Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft.90 Das Fachschrifttum folgt dieser Auffassung überwiegend nicht.91 Unter Bezug auf Entscheidungen des BFH92, wonach die atypisch stille Gesellschaft „Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation“ sei, wird die Erstellung einer „eigenen“ Steuerbilanz für die GmbH & atypisch Still verlangt. In dieser Bilanz soll die Einlage des Stillen als Eigenkapital und das Betriebsvermögen der GmbH als Betriebsvermögen der stillen Gesellschaft ausgewiesen werden, um es auf diese Weise entsprechend der „Gemeinschaftsordnung“ allen Beteiligten einheitlich zuordnen zu können. Dies führt dazu, dass die Steuerbilanz der GmbH keine einzelnen Vermögensgegenstände mehr enthält, sondern nur noch die spiegelbildlich bilanzierte Beteiligung an der atypisch stillen Gesellschaft.93 Der Differenzen sind nicht von materieller Bedeutung, denn unstreitig stellt die Einlage des atypisch Stillen steuerrechtlich betrachtet keine Verbindlichkeiten, sondern Eigenkapital dar. Für diese Feststellung bedarf es indes nicht zwingend einer selbständigen Steuerbilanz. Stattdessen genügt es mit Blick auf § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV, der Handelsbilanz Erläuterungen beizufügen, aus denen sich der steuerliche Gesamtgewinn der GmbH & Still und seine Verteilung ergibt.94 Diese Sachbehandlung ist auch schon deshalb zu bevorzugen, weil die Gewerbesteuerschuld der atypisch stillen Gesellschaft (unstreitig) die GmbH trifft, denn § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG qualifiziert nur eine Personengesellschaft als Steuerschuldnerin. Der Gewerbesteuerbescheid ist deshalb (nur) an die GmbH zu richten. Demzufolge ist die Gewerbesteuerrückstellung auch nur in der Handels- und Steuerbilanz der GmbH zu passivieren. Dennoch ist auch der

__________ 90 Vgl. zur korrespondierenden Bilanzierung und additiven Gewinnermittlung BFH v. 28.3.2000 – VIII R 13/99, BStBl. II 2000, 612; BFH v. 11.12.2003 – IV R 42/02, BStBl. II 2004, 353; BFH v. 5.6.2003 – IV R 36/02, BStBl. II 2003, 871 – zu III 2 der Gründe; Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 15 EStG Rz. E 350; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 404. 91 Vgl. Suchanek/Hagedorn, Steuerpraxisfragen der GmbH & atypisch Still, FR 2004, 1149; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 347 m. w. N. 92 BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328; BFH v. 5.7.2002 – IV B 42/02, BFH/NV 2002, 1447. 93 BFH v. 24.3.1999 – I R 114/97, BStBl. II 2000, 399; BFH v. 20.4.2003 – I R 102/01, BStBl. II 2004, 804; BFH v. 30.10.2002 – IV R 33/01, BStBl. II 2003, 272; Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 16 EStG Rz. C 41; Wacker in Schmidt, EStG, 26. Aufl., München 2007, § 15 EStG Rz. 690; Ley, Die Anwendung von § 15a EStG auf doppelstöckige Personengesellschaften, DStR 2004, 1498 m. w. N.; Bolk in Falterbaum/Bolk/Reiß/Eberhart, Buchführung und Bilanz, 20. Aufl., Achim 2007, S. 335 ff. 94 So zutreffend Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 232. So wohl im Ergebnis auch BFH v. 5.7.2002 – IV B 42/02, BFH/NV 2002, 1447 – wenn dort der Steuerbilanz-Gewinn aus dem Jahresüberschuss des Inhabers des Handelsgeschäfts laut Handelsbilanz abgeleitet wird. Kritisch ist dabei allerdings anzumerken, dass der BFH statt vom Jahresüberschuss der Kapitalgesellschaft auszugehen, den Bilanzgewinn zugrunde legt. Vgl. zum Unterschied zwischen Bilanzgewinn und Jahresüberschuss § 268 Abs. 1 HGB und § 29 Abs. 1 GmbHG.

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atypisch stille Gesellschafter über die vereinbarte Gewinnverteilung – aber nur auf diese Weise – durch Gewerbesteuer belastet und zur Anrechnung nach § 35 EStG berechtigt. Daneben ist eine Sonderbilanz für den atypisch stillen Gesellschafter zu erstellen, in der das ihm zuzurechnende Sonderbetriebsvermögen auszuweisen ist. Das gilt für das Sonderbetriebsvermögen I, soweit der Stille Wirtschaftsgüter an die GmbH zur Nutzung überlässt oder Darlehen gewährt. Außerdem gehört dazu die Beteiligung an der GmbH, an der sich der Gesellschafter selbst atypisch still beteiligt hat, als Sonderbetriebsvermögen II.95 Dem folgend stellen Ausschüttungen Sonderbetriebseinnahmen dar, die in einer Sonder-Gewinn- und Verlustrechnung darzustellen sind. Für den Fall der Pensionszusage an den atypisch stillen Gesellschafter ist in der Sonderbilanz die Versorgungsanwartschaft korrespondierend zur Pensionsrückstellung in der Bilanz der GmbH gewinnerhöhend zu aktivieren96 und in der Sonder-Gewinn- und Verlustrechnung neben anderen Vergütungen als Sonderbetriebseinnahme auszuweisen. Die Pflicht zur Aufstellung dieser Sonderbilanz trifft den Inhaber des Handelsgewerbes, hier die GmbH als Vertreterin im Außenverhältnis auch gegenüber der Finanzverwaltung. Bei der Aufstellung der Sonderbilanz ist allerdings die Mitwirkung des atypisch stillen Gesellschafters insbesondere dann geboten, wenn die Ausübung von Bilanzierungs- und/oder Bewertungswahlrechten hinsichtlich des Sonderbetriebsvermögens des Mitunternehmers in Betracht kommt.97 Fehlt es nachweislich an dieser Mitwirkung, liegt keine „eingereichte“ Sonderbilanz vor. Die nachfolgend dem Finanzamt eingereichte Sonderbilanz ist weder eine berichtigte Bilanz (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG), noch eine geänderte Bilanz (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG), sondern eine erstmals eingereichte Bilanz. Dies gewinnt besondere Bedeutung, wenn es zunächst versäumt wurde, etwa aus Anlass einer Veräußerung eine zulässige Rücklage nach § 6b EStG gewinnmindernd zu passivieren.

__________ 95 BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286. 96 Vgl. III 1 d; BFH v. 30.3.2006 – IV R 25/04, BFH/NV 2006, 1912 – zur vergleichbaren Sachbehandlung bei einer KG. 97 BFH v. 25.1.2006 – IV R 14/04, BStBl. II 2006, 418 – zur fehlenden Mitwirkung bei der Aufstellung einer Sonderbilanz für einen Kommanditisten.

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3. Buchführung und Bilanzen Dieter Dziadkowski

Ist die Maßgeblichkeit noch zu retten? Eine Rückschau auf das Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz

Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Entwicklung des Maßgeblichkeitsprinzips seit 1948 1. Von der Währungsreform bis zur Aktienrechtsreform 1965 2. Die Maßgeblichkeit nach der Aktienrechtsreform 1965

3. Die Maßgeblichkeit seit dem Bilanzrichtliniengesetz 1985 4. Die Beeinflussung der Gewinnermittlung durch das Europäische Gemeinschaftsrecht III. Ausblick

I. Einführung Das Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz ist seit über 130 Jahren vom Maßgeblichkeitsprinzip beeinflusst worden.1 Seit fast 30 Jahren pflege ich mit Wolfram Reiß einen fruchtbaren Gedankenaustausch insbesondere auf dem Gebiet des Mehrwertsteuerrechts und des Ertragsteuerrechts. Das Zusammenwirken mit dem Jubilar2 brachte für mich immer wieder eine Bereicherung meines Wissensstandes, wobei beeindruckend ist, mit welcher Breite und Tiefe er das gesamte Steuerrecht abdeckt. Er verachtet auch nicht die Methode der historischen Auslegung und beschäftigt sich mit mannigfaltigen Fra-

__________ 1 Alsheimer, Einhundert Jahre Prinzip der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, ZfB 1974, 841; Dziadkowski, Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz, Beck’sches Handbuch der Rechnungslegung, B 120 – Stand 1992; Stobbe in Herrmann/Heuer/Raupach (Hrsg.), EStG/KStG, § 5 EStG Anm. 51-126 – Stand 2003; Burkhalter, Der steuerrechtliche Maßgeblichkeitsgrundsatz, Diss. St. Gallen 2003; Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005. 2 U. a. Dziadkowski/Reiß (Hrsg.), Umsatzsteuer-Kongreß-Bericht 1997/1998 (Schriften zum Umsatzsteuerrecht Bd. 11), Köln 1998 – über die Darmstädter Hochschultage für das Umsatzsteuerrecht in der Praxis; Reiß, Neue Zweifelsfragen zur Realteilung von Personengesellschaften, StuW 1995, 280 (282) – anlässlich der 1. Sächsischen Steuertagung, s. auch Reiß, Die einkommensteuerliche Behandlung der Realteilung gewerblich tätiger Personengesellschaften, StuW 1995, 199.

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gen der Rechtsentwicklung verschiedener Steuerarten.3 Besondere Aufmerksamkeit hat Wolfram Reiß seit jeher der steuerlichen Gewinnermittlung gewidmet.4 Fragen zum Verhältnis von Steuerbilanz und Handelsbilanz haben jüngst durch die Europäisierung5 und Internationalisierung auf globaler Ebene6 wieder erhebliche Aktualität gewonnen. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 wurde der Versuch unternommen, die Arbeiten der EU-Kommission zur Vereinheitlichung der Gewinnermittlungsvorschriften im EU-Raum, dem inzwischen auch Bulgarien und Rumänien angehören, zu beschleunigen.7 Einzelfragen zu diesem angestrebten Konzept sind in einem besonderen Beitrag in dieser Schrift vorbehalten.8 An dieser Stelle soll lediglich den Fragen nachgegangen werden, die im Laufe der letzten Jahrzehnte zum Maßgeblichkeitsprinzip aufgeworfen wurden.9

II. Die Entwicklung des Maßgeblichkeitsprinzips seit 1948 1. Von der Währungsreform bis zur Aktienrechtsreform 1965 Bekanntlich beginnt die Geschichte des Maßgeblichkeitsprinzips im Jahre 1874 mit Regelungen zur steuerlichen Einkommensermittlung in der Hansestadt Bremen und dem Königreich Sachsen, zwei Wirtschaftszentren der damaligen Zeit.10 Nachdem es seither nur einzelstaatliche Regelungen gegeben hatte, wurde erstmals 1920 eine reichseinheitliche Bestimmung im Einkommensteuergesetz 1920 getroffen.11 Nach einer Modifizierung im Einkommensteuer-

__________ 3 Reiß, Zurück zu den Wurzeln? – Zur Geschichte der Körperschaftsteuer in Deutschland, in 50 Jahre Steuerreformen in Deutschland, Bonn 2003, S. 65 ff. 4 U. a. Reiß in Falterbaum/Bolk/Reiß, Buchführung und Bilanz, 19. Aufl., Achim 2003; Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), EStG, §§ 15 und 16 EStG. 5 U. a. Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005; Herzig, Chancen für eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen und der Gewinnermittlung in Europa, in Brandt (Hrsg.), Für ein europataugliches Steuerrecht, Stuttgart u. a. 2007, S. 29 ff. – Dokumentation des Dritten Deutschen Finanzgerichtstags im Januar 2006. 6 Hierzu nur Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, Düsseldorf 2004; Endres/Oestreicher/Scheffler/Spengel, The Determination of Corporate Taxable Income in the EU Member States, Alphen aan den Rijn 2007; Hey in Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 17 Rz. 47 ff. 7 TM, Berliner Konferenz zur direkten Besteuerung in der EU, IStR 2007, Länderbericht Heft 11, 2. 8 Vgl. Scheffler, Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung – Auswirkungen eines Übergangs von der direkten Methode auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, in Kirchhof/Nieskens (Hrsg.), Festschrift Reiß, Köln 2008, S. 529. 9 Zur gegenwärtigen Situation Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005. 10 Für das Königreich Sachsen s. § 22 Nr. 1 EStG v. 22.12.1874, GVBl. 24. Stück vom Jahre 1874 No. 180, 471 (479). Dziadkowski/Henselmann, Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz, Beck’sches Handbuch der Rechnungslegung, B 120 – Stand 2004. 11 § 33 Abs. 2 REStG v. 29.3.1920, RGBl. I 1920, 359.

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Ist die Maßgeblichkeit noch zu retten?

gesetz 192512 wurde im Einkommensteuergesetz 193413 das Maßgeblichkeitsprinzip in der Weise verankert, in der es bis heute grundsätzliche Gültigkeit besitzt. Eine besondere Bedeutung erlangte nach dem 2. Weltkrieg das D-Markbilanzgesetz, das mit der Währungsreform am 21.6.1948 in Kraft trat.14 Hiermit wurde die Basis für die Erstellung der Eröffnungsbilanzen für die DM-Zeit geschaffen. Die DM-Eröffnungsbilanz kann weitgehend als Einheitsbilanz betrachtet werden, wenn auch die Wertfindung zum Zeitpunkt der Währungsreform als problematisch beurteilt werden muss.15 Die handelsrechtliche Grundlage bildete das Handelsgesetzbuch von 189716, das hinsichtlich der Bilanzierungsvorschriften für Aktiengesellschaften durch das Aktiengesetz von 193717 ergänzt wurde. Für die Besteuerung waren die jeweiligen Einkommen- und Körperschaftsteuergesetze zu beachten. Dies galt insbesondere im Hinblick auf die Bewertung. Es muss daran erinnert werden, dass in den ersten Nachkriegsjahren die Ertragsbesteuerung einer Gesetzgebung entsprang, die aus einer Kombination deutscher Rechtstradition und besatzungspolitischer Einflussnahme bestand. Nach den Vorgaben der Besatzungsmächte war „für ein möglichst hohes Aufkommen aus den Steuern Sorge zu tragen“18. Bekanntlich wurde durch die konfiskatorische Steuergesetzge-

__________ 12 § 12 REStG v. 10.8.1925, RGBl. 1925, 189. 13 § 5 Abs. 1 EStG v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 1005. Zu den einzelnen Entwicklungsphasen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes s. Burkhalter, Der steuerrechtliche Maßgeblichkeitsgrundsatz, Diss. St. Gallen 2003, S. 92 ff.; Mayer, Entwicklung der Maßgeblichkeit in Deutschland, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 147 ff.; bereits Barth, Die Entwicklung des deutschen Bilanzrechts, Stuttgart 1953/1955. 14 Gesetz über die Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark und die Kapitalneufestsetzung (D-Markbilanzgesetz) v. 21.8.1949, Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinten Wirtschaftsgebietes Nr. 32 v. 30.8.1949. Nach § 1 DMBG hatten Kaufleute für den 21.6.1948 ein Inventar und eine Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark aufzustellen. 15 Vgl. Beuck/Paret, D-Markbilanzgesetz, Köln 1949. Es sollte eine „Unität von Handels- und Steuerbilanz“ hergestellt werden. Zumindest bei Beginn der neuen DMRechnung sollte diese Unität gewahrt werden. Das D-Markbilanzgesetz war ein Gesetz des Handelsrechts, dass allerdings auch steuerrechtliche Bedeutung hatte und insofern einem Doppelzweck diente. Nach Beuck/Paret waren „die Bewertungsbestimmungen in starkem Maße von steuerlich-formalrechtlichen und steuerlichmateriellen Gedanken geleitet. Eine wirkliche ‚Handelsbilanz‘ hätte sich mit dem Hinweis auf das geltende Recht (§ 40 HGB, § 131 AktG) begnügen können“, vgl. Beuck/Paret, D-Markbilanzgesetz, Köln 1949, S. 4. Nach § 74 DMBG galten die handelsrechtlichen Wertansätze auch als steuerliche Ausgangswerte. Das D-Markbilanzgesetz wurde als ein „unter fiskalischen Gesichtspunkten geschaffenes Handelsgesetz“ bezeichnet, vgl. Senftleben, Die Problematik der DM-Eröffnungsbilanz, BB 1949, 194. 16 HGB v. 10.5.1897, RGBl. 1897, 219. 17 AktG v. 30.1.1937, RGBl. I 1937, 104. 18 Direktive 551 der Combined Chiefs of Staff (CCS) an den Supreme Commander Allied Expeditionary Force (SCAEF) v. 28.4.1944, Appendix C „Financial Guide for Germany“, Ziff. 11, zitiert nach van Scherpenberg, Öffentliche Finanzwirtschaft in Westdeutschland 1944-1948, 1984, S. 93.

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bung die Schattenwirtschaft „gefördert“. Bis zur Währungsreform spielte die Einkommensteuer keine große Rolle.19 Der Startschuss zur Neuordnung der Besteuerung in Deutschland fiel mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 64 vom 22.6.194820, mit dem auch eine Wiederherstellung der Steuermoral erreicht werden sollte.21 Anlässlich der Währungsreform sollten die Voraussetzungen für einen ökonomischen Neubeginn und auch für einen Bedeutungswandel des Einkommensteuerrechts geschaffen werden. Die Einkommensteuer sollte ihren Wiedergutmachungscharakter verlieren. Da die französische Militärregierung Vorbehalte gegen die von den angloamerikanischen Militärregierungen beabsichtigten Steuersenkungen hatte, wurden die ursprünglich geplanten Tarifsenkungen nicht realisiert. Allerdings entfalteten die ersten Senkungsmaßnahmen ein positives Signal. Eine ausreichende Verringerung der Steuerbelastung − der Marginalsatz der Einkommensteuer erreichte bei einem Einkommen von 9000 DM immer noch 50 v. H. − wurde jedoch nicht herbeigeführt. Um eine merkliche Entlastung zu erzielen, wurde die Bemessungsgrundlage „zu versteuerndes Einkommen“ und als gewichtiges Element der steuerliche Gewinn als Zielgröße auserkoren. Im Rahmen der „vorläufigen Neuordnung von Steuergesetzen“ begann in den drei West-Zonen das Zeitalter der Sonderabschreibungen. Mit der Reduzierung der Bemessungsgrundlage durch die Einführung einer Sonder-AfA wurde die Steuerbasis „schlanker“ und führte bei optisch hohen Steuersätzen zu merklichen Entlastungen und erträglichen Steuerbelastungen. Die Investitionsfreude wurde gestärkt. Mit der Vorschrift des § 71a EStG, die eine Abschreibung bis zu 50 v. H. zuließ, begann auch die Dominanz der Steuerbilanz über die Handelsbilanz.22 Den Unternehmen wurde durch diese Maßnahmen ermöglicht, Ersatzgüter für die durch Kriegseinwirkung vernichteten Güter mit Hilfe großzügiger Steuerstundungen teilweise zu finanzieren. Durch die Inanspruchnahme der Vergünstigungen wurde ein gewaltiger Kapazitätserweiterungseffekt initiiert. Ein Grundstein für das spätere Wirtschaftswunder war gelegt. Grundsätzlich war die Sonderabschreibung oder Bewertungsfreiheit jedoch daran gekoppelt, dass das jeweilige Wahlrecht auch in der Handelsbilanz entsprechend ausgeübt wurde. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass in der Handelsbilanz nicht höhere ausschüttungsfähige Gewinne ausgewiesen werden konnten und nicht für Investitionen verwendet wurden. Der faktische Zwang, zur Erlangung steuerlicher Vergünstigungen in der Handelsbilanz Unterbewertungen vorzuneh-

__________ 19 Mersmann, DB 1950, 158. 20 Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuergesetzen, StZBl. 1948, 123. Vgl. hierzu auch Beuck/Paret, D-Markbilanzgesetz, Köln 1949, S. 3. 21 Helmerich, Die Wiederherstellung der Steuermoral, BB 1948, 109. 22 Dziadkowski, Zur Dominanz der Steuerbilanz über die Handelsbilanz, WPg 1988, 409; Dziadkowski, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer als Zielgröße von Reformansätzen, in Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Steuerrechtsprechung – Steuergesetz – Steuerreform, in Festschrift für Klaus Offerhaus, Köln 1999, S. 1091, 1097.

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men, wurde in der Literatur als „umgekehrte Maßgeblichkeit“ bezeichnet.23 Bekanntlich hat diese Rückwirkung steuerlicher Entscheidungen auf das Bild der Handelsbilanz in gewissem Umfang eine „Deformierung der Handelsbilanz“24 verursacht. Eine weitere Beeinflussung der handelsrechtlichen Bilanzierung durch das Steuerrecht ist dadurch bedingt, dass vielfach handelsbilanzielle Rechtsprechung durch den BFH ergeht.25 2. Die Maßgeblichkeit nach der Aktienrechtsreform 1965 Im Rahmen der Aktienrechtsreform 1965, mit der das Aktiengesetz aus dem Jahre 1937 aufgehoben wurde, fanden Bestimmungen zum Verhältnis von Handelsbilanz und Steuerbilanz ausdrücklich Eingang in ein handelsrechtliches Gesetzeswerk. In § 154 Abs. 2 Nr. 2 und § 155 Abs. 3 Nr. 2 AktG wurden Sondervorschriften erlassen. Es entbrannte eine heftige Diskussion, ob die aktienrechtliche Bilanz als Grundlage der Steuerbilanz26 gelten könne und ob die Bilanzierungsvorschriften des Aktiengesetzes 1965 auch für Unternehmen in anderer Rechtsform Geltung erlangen und damit für deren Steuerbilanzen ebenfalls Bedeutung haben könnten.27 Es setzte sich die Auffassung durch, die steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften als besondere aktienrechtliche Wert-

__________ 23 U. a. Flämig, Die Umkehrung des Maßgeblichkeitsprinzips der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, DB 1968, 2045 m. w. N.; ähnlich bereits Baier, Bilanzmäßige Behandlung von 7c-, 7d-, und 7f-Darlehn, StuW 1954, Sp. 87; Wall, ZfB 1954, 295. Aus jüngerer Zeit vgl. Burkhalter, Der steuerliche Maßgeblichkeitsgrundsatz im Lichte der Entwicklung des Rechnungslegungsrechts, St. Gallen 2003, S. 18 f.; Hey in Tipke/ Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, S. 663 f.; Mayer, Entwicklung der Maßgeblichkeit in Deutschland, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 147 ff. 24 Karsten, Die Deformierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung durch steuerliche Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, BB 1967, 425. 25 Hierzu umfassend Döllerer, Handelsrechtliche Entscheidungen des BFH, in Kirchhof/Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht – Verfassungsrecht – Finanzpolitik, Festschrift für Franz Klein, Köln 1994, S. 699 ff., 711, 714; Moxter, Bilanzierung nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, Tübingen 1982; Pezzer, Bilanzierungsprinzipien als sachgerechte Maßstäbe der Besteuerung, in Doralt (Hrsg.), Probleme des Steuerbilanzrechts (DStJG 14), Köln 1991, S. 3 f.; Vgl. auch die jüngste Entscheidung des BFH, Beschl. v. 4.12.2006 – GrS 1/05, BStBl. II 2007, 508 = FR 2007, 845 – zu einem originär erworbenen Kiesvorkommen als materielles Wirtschaftsgut; BFH, Urt. v. 19.10.2006 – III R 6/05, FR 2007, 695 – zu einem entgeltlich erworbenen Domain-Namen als nichtabnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut. 26 Albach, NB 1966, 178; Albach, Bewertungsprobleme des Jahresabschlusses nach dem Aktiengesetz 1965, BB 1966, 377; Littmann, Die aktienrechtliche Rechnungslegungsvorschriften vom 6. September 1965 in der Sicht des Bilanzsteuerrechts, DStR 1966, 233; Thiel, ZfbF 1966, 545; Thiel, Aktuelle Fragen des Einkommensteuerrechts, StbJb 1965/66, Köln 1966, S. 217 ff.; Döllerer, Rechnungslegung nach dem neuen Aktiengesetz und ihre Auswirkungen auf das Steuerrecht, BB 1965, 1405; Birkholz, Das neue Aktienrecht in steuerlicher Sicht, BB 1966, 709. 27 Boelke, Die Bewertungsvorschriften des Aktiengesetzes 1965 und ihre Geltung für die Unternehmen in anderer Rechtsform, Berlin 1970; Döllerer, Steuerliche Bemerkungen zum neuen Aktienrecht, BB 1967, 1261; Rehbinder, Gelten die neuen Bewertungsvorschriften des Aktienrechts auch für Unternehmen mit anderer Rechtsform?, NJW 1966, 1549 ff.; von Wallis, NB 1967, 21.

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ansätze anzusehen, um die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen nicht an handelsrechtlichen Vorschriften scheitern zu lassen.28 Die umgekehrte Maßgeblichkeit war damit in Form handelsrechtlicher Öffnungsklauseln gesetzlich verankert. Umstritten war nach wie vor, wie weitreichend die Ausübung von Wahlrechten in der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung anzuerkennen sei. Das Machtwort sprach schließlich der BFH mit dem Beschluss des Großen Senats vom 3.2.1969.29 Seither sind handelsrechtliche Wahlrechte generell in gewinnerhöhender Weise in der Steuerbilanz auszugleichen. Handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte stellen Aktivierungsgebote und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte Passivierungsverbote in der Steuerbilanz dar. Diese Einschränkung von erfolgswirksamen handelsrechtlichen Wahlrechten soll bezwecken, den „vollen Gewinn“ zu erfassen und der Besteuerung zu unterwerfen. Die Grundsatzentscheidung des BFH aus dem Jahre 1969 hat bis heute Gültigkeit und ist vom Gesetzgeber später noch verfestigt worden. Allerdings begann eine erneute Diskussionsphase um das Maßgeblichkeitsprinzip im Zusammenhang mit der Einberufung der Steuerreformkommission, die 1971 ihr viel beachtetes Gutachten vorlegte.30 In den umfassenden Überlegungen zur Neugestaltung der Vorschriften über die Gewinnermittlung nahm die Kommission eingehend zu den „Mängeln des gegenwärtigen Rechtszustandes“31 Stellung und schlug schließlich die Einführung einer eigenständigen Steuerbilanz vor.32 Durch die inhaltliche Übernahme der handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sollte erreicht werden, dass die für steuerliche Zwecke zu erstellende Bilanz aus demselben Buchführungswerk entwickelt werden kann, das für die handelsrechtlichen Belange eingerichtet ist. Soweit das Steuerrecht keine abweichende Regelung enthielte, könnte daher eine ordnungsgemäß erstellte Handelsbilanz auch in Zukunft zugleich als Steuerbilanz zugrunde gelegt werden.33 Das gewichtige Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen griff den Vorschlag der Kommission auf und legte noch in 1971 den Referenten-Entwurf eines Einkommensteuergesetzes 1974 vor.34 Die Kommission hatte u. a. vorgeschlagen, die Verknüpfung der Steuerbilanz mit der Handelsbilanz durch eine konforme Behandlung der Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte auszudrücken. Wahlrechte soll-

__________ 28 Mathiak, Maßgeblichkeit der tatsächlichen Handelsbilanzansätze für die Steuerbilanz und umgekehrte Maßgeblichkeit, StbJb. 1986/87, Köln 1987, S. 70 ff., 88. 29 BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291. Döllerer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, BB 1969, 501. 30 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971. 31 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 428 ff. 32 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 432, 438. 33 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 433 – Tz. 20. 34 Referentenentwurf eines Einkommensteuergesetzes v. 10.12.1971. Hierzu Klotz, BB 1972, 34 m. w. N.

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ten nur noch bei Aufstellung der Handelsbilanz ausgeübt werden können.35 Der Gesetzesentwurf wurde nach einiger Zeit zurückgezogen, zumal die steuerpolitischen Kräfte weitgehend durch die Kontroverse „Kinderfreibetrag versus Kindergeld“ gebunden waren.36 Im Schrifttum wurden Fragen der Maßgeblichkeit heftig diskutiert. Dieter Schneider hatte „Sieben Thesen zum Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz“37 entwickelt. Insbesondere die betriebswirtschaftliche Literatur setzte sich mit den reformbedürftigen Bilanzierungsvorschriften auseinander.38 Die Kommission, die vom 17.12.1968 bis zum 31.3.1971 23 jeweils mehrtägige Vollsitzungen abhielt, unterbreitete zur Gewinnermittlung einen 140 Seiten umfassenden Bericht, der in einem in der Anlage 32 beigefügten konkreten „Vorschlag für eine Neufassung der Vorschriften über die steuerliche Gewinnermittlung“ gipfelte.39 Bemerkenswert ist, dass sich die Kommission bereits 1968 mit Fragen der Harmonisierung im Bereich der Europäischen Gemeinschaften, insbesondere der Abschreibungsmethoden beschäftigte. Sie stellte bereits damals rechtsvergleichende Betrachtungen für das noch überschaubare Kern-Europa an.40 Die Kommission kam 1971 zu dem Ergebnis, dass es nicht sinnvoll sei, die Vorschläge der EG-Kommission zur Angleichung der Abschreibungsmodalitäten in den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Die Kommission stellte fest: „Eine Harmonisierung der Abschreibungsmethoden ist deshalb …. nur dann sinnvoll, wenn zugleich damit die Rechtsvorschriften über die Gewinnermittlung insgesamt innerhalb des Bereichs der EG einander angeglichen werden. Da hierfür in überschaubarer Zeit keine Aussichten bestehen, sieht die Kommission auch keine Möglichkeit, von sich aus Vorschläge zur Harmonisierung der Abschreibungsmethoden zu machen, die von den anderen Staaten aufgegriffen werden könnten.“41

__________ 35 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 434 – Tz. 23. 36 BT-Drucks. 7/1470, § 12 Abs. 1 EStG-E, S. 246 – Begründung. Vgl. Klotz, Der Referentenentwurf des Einkommensteuergesetzes 1974, BB 1972, 34; Dziadkowski, Betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Anpassung des deutschen Handelsbilanzrechts und Bilanzsteuerrechts an die EG-Bilanzrichtlinie, StuW 1979, 228. 37 Dieter Schneider, Sieben Thesen zum Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz, DB 1970, 1697. 38 U. a. Bareis, Zur Reform des Maßgeblichkeitsprinzips, WPg 1972, 498; Gail, Zur Einführung des Begriffs einer eigenständigen Steuerbilanz, WPg 1971, 320; Jacobs, Das Bilanzierungsproblem in der Ertragsteuerbilanz, Stuttgart 1971; Maaßen, Trennung von Handelsbilanz und Steuerbilanz?, FR 1972, 145; Marettek, Bemerkungen zum Sinn des Maßgeblichkeitsprinzips, StuW 1971, 342; Niemann, Bilanzierungswahlrechte (Institut Finanzen und Steuern Heft 98), Bonn 1971; Dieter Schneider, Eine Reform der steuerlichen Gewinnermittlung?, StuW 1971, 326; Rudolf Thiel, ZfbF 1971, 534. 39 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 420-561 – Abschnitt V, S. 1072-1080 – Anlage 32. 40 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 490. 41 Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen Heft 17), Bonn 1971, S. 491 – Tz. 240.

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Wie weise diese Entscheidung war, zeigt der Zustand in der EU Ende 2007. Ob in absehbarer Zeit Harmonisierungsergebnisse erzielt werden können, bleibt äußerst fraglich. 3. Die Maßgeblichkeit seit dem Bilanzrichtliniengesetz 1985 Nachdem die Diskussion um das Maßgeblichkeitsprinzip nach Rücknahme des Einkommensteuergesetz-Entwurfs 1974 abgeflaut war, entbrannte anlässlich der Vorbereitungen zum Bilanzrichtliniengesetz erneut ein Meinungsstreit über das Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz. Bis zum Inkrafttreten des Bilanzrichtliniengesetzes42 war streitig, ob die umgekehrte Maßgeblichkeit als allgemeiner Grundsatz auch dann galt, wenn sie in der einzelnen Steuernorm, die die Rechtsgrundlage für die Begünstigung bildete, nicht ausdrücklich vorgeschrieben war. Die Finanzverwaltung vertrat die Meinung, dass nicht nur die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung für die steuerrechtliche Gewinnermittlung maßgeblich seien, sondern generell die Behandlung in der Handelsbilanz.43 Der BFH verneinte allerdings mit Urteil vom 24.4.198544 eine generelle formelle Maßgeblichkeit.45 Im Eilverfahren schuf der Gesetzgeber § 6 Abs. 3 EStG in Verbindung mit der Verabschiedung des Bilanzrichtliniengesetzes.46 Im Rahmen der Transformation der 4. EG-Richtlinie (Bilanz-Richtlinie)47 wurde die Dominanz der Steuerbilanz ausgeweitet. § 247 Abs. 3 und § 273 HGB (Sonderposten mit Rücklagenanteil), § 254 und § 279 Abs. 2 HGB (Zulässigkeit erhöhter Abschreibungen) und § 280 Abs. 2 HGB (Ausnahme vom Wertaufholungsgebot) führten zur Anpassung der Handelsbilanz an die Steuerbilanz.48 Da § 6 Abs. 3 EStG allerdings nur bestimmte Regelungen mit Wahlrechtscharakter erwähnte, war er als misslungen zu beurteilen. Die Einzelregelungen des Handelsgesetzbuchs 1985, die aus steuerlichen Gründen getroffen wurden, sah man als Wiederannäherung des Steuerbilanzrechts an das Handelsbilanzrecht an.49 Literaturstimmen plädierten für eine „Einheitsbilanz“.50 Eine

__________ 42 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (BiRiLiG) v. 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355 = BStBl. I 1985, 704. 43 Stellungnahme des BMF in BFH v. 24.4.1985 – I R 65/80, BStBl. II 1986, 324 (325). 44 BFH v. 24.4.1985 – I R 65/80, BStBl. II 1986, 324 (325). 45 BFH v. 25.4.1985 – IV R 83/83, BStBl. II 1986, 350. 46 Dziadkowski, Zur Dominanz der Steuerbilanz über die Handelsbilanz, WPg 1988, 409. 47 Vierte Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften 78/660/EWG v. 14.8.1978, ABl EG Nr. L 222/1978, 11. Vgl. Dziadkowski, Betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Anpassung des deutschen Handelsbilanzrechts und Bilanzsteuerrechts an die EG-Bilanzrichtlinie, StuW 1979, 228. 48 Wassermeyer, Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und die Umkehr dieses Grundsatzes, in Doralt (Hrsg.), Probleme des Teuerbilanzrechts (DStJG 14), Köln 1991, S. 29 ff., 42 f. 49 Robisch/Treisch, Neuere Entwicklungen des Verhältnisses von Handelsbilanz und Steuerbilanz – Anhaltspunkte für eine Trendwende?, WPg 1997, 156 (160); Sigloch, Ein Valet dem Maßgeblichkeitsprinzip?, BFuP 2000, 157 (161 f.) m. w. N. 50 U. a. Streim, BFuP 1990, 527.

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umfassende Verankerung der umgekehrten Maßgeblichkeit erfolgte sodann im Wohnungsbauförderungsgesetz vom 22.12.198951. Seither gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG: „Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung sind in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben.“

Nach Jakob führt § 5 EStG in ein Konglomerat steuer- und handelsrechtlicher Rechtsschichten. Die Basis ist durch einen direkten Verweis in das Handelsrecht gekennzeichnet, wird aber durch zwingende steuergesetzliche Ausnahmen als Leges speciales (z. B. Aktivierungsgebot für bestimmte Abgaben gem. § 5 Abs. 5 Nr. 2 EStG) überlagert. Der Ausgangspunkt der Gewinnermittlung bestehe in einer „Gemengelage von Handels- und Steuerrecht“52. Ballwieser warf 1990 die Frage auf: „Ist das Maßgeblichkeitsprinzip überholt?“53 Er kam zu dem Ergebnis: „(1) Es gilt die formelle Maßgeblichkeit im Ansatz- und Bewertungsbereich bei korrespondierenden Wahlrechten in Handels- und Steuerbilanz. … (7)

Für das Maßgeblichkeitsprinzip spricht bis auf weiteres auch das Fehlen einer im Einzelnen ausgearbeiteten Alternative, die theoretisch überzeugt und praktisch umsetzbar ist.“54

Eine entsprechende Alternative wurde bis heute nicht entwickelt. Es stellt sich die Frage, ob anlässlich der fortschreitenden Internationalisierung der Rechnungslegung55 eine umfassende Reform des deutschen Handelsbilanzrechts zu erwarten ist. Auf der Suche nach dem richtigen Gewinn56 hat der BFH seit jeher auch das Handelsbilanzrecht für Zwecke der Steuerbilanz konkretisiert und präzisiert, während der BGH lediglich vereinzelt über Bilanzierungsfragen urteilt.57 Insbesondere der Bereich „Rückstellungen“ wurde massiv von der BFH-Rechtsprechung geprägt. Nach dem Regierungswechsel 1998 wurden im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/200258 eine Vielzahl neuer Bilanzierungsnormen eingeführt oder erheblich geändert. Die Steuerbemessungsgrundlage sollte deutlich verbreitert werden. Nach h. M. wurde durch die Neuregelungen eine

__________ 51 52 53 54 55

BStBl. I 1989, 505. Jakob, Einkommensteuer, 3. Aufl., München 2003, S. 210. Ballwieser, BFuP 1990, 477. Ballwieser, BFuP 1990, 477 (481). Wagner, Aufgabe der Maßgeblichkeit bei einer Internationalisierung der Rechnungslegung?, DB 1998, 2073 – mit einer Analyse der ökonomischen Wirkungen des Bilanzsteuerrechts. 56 Küting, Auf der Suche nach dem richtigen Gewinn, DB 2006, 1441. 57 Mayer, Entwicklung der Maßgeblichkeit in Deutschland, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 147, 165. 58 BGBl. I 1999, 402.

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massive Einschränkung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes bewirkt.59 Ein Ziel des Gesetzgebers war, durch die Einschränkung von Wahlrechten eine Objektivierung der Gewinnermittlung herbeizuführen. Weber-Grellet erblickt in den nunmehr zahlreichen steuerrechtlichen Bilanzierungsvorschriften den Ausgangspunkt für die Entwicklung eines völlig selbstständigen Bilanzsteuerrechts nach Aufgabe des Maßgeblichkeitsgrundsatzes.60 Die Diskussion um die Eigenständigkeit der Steuerbilanz erfuhr eine weitere Belebung durch die Vorlage des Karlsruher Entwurfs des Einkommensteuergesetzes im Jahre 2001.61 Die Auswirkungen auf die Steuerbilanz wurden von Scheffler eingehend analysiert.62 Es bleibt festzuhalten, dass nach diesem Entwurf das Maßgeblichkeitsprinzip grundsätzlich erhalten bleiben soll, aber durch zahlreiche Durchbrechungen erheblich begrenzt würde. Es entsteht der Eindruck, eine Realisierung dieses Vorschlags könnte zu einem beschränkten Bestandsvergleich führen. Der Schritt zu einer Gewinnermittlung als Einnahmen-Überschussrechnung i. S. d. § 4 Abs. 3 EStG wäre nicht weit. Ein Beispiel bildet der Vorschlag, für Rechnungsabgrenzungsposten ein Ansatzverbot zu verankern.63 Der Sinn und Zweck der Rechnungsabgrenzung besteht aber gerade darin, eine zutreffende Ermittlung des Periodenergebnisses sicherzustellen.64 Eine völlige Entkopplung der Steuer- von der Handelsbilanz birgt jedoch die Gefahr in sich, dass die angestrebte Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch Verstöße gegen das Nettoprinzip und andere tragende Grundsätze des Steuerrechts realisiert werden könnte.65 In nächster Zukunft dürfte allerdings die bevorstehende Europäisierung des Bilanzrechts die bedeutendste Herausforderung für die steuerliche Gewinnermittlung und insbesondere für eine etwaige Rettung des Maßgeblichkeitsprinzips bilden.

__________ 59 Mayer, Entwicklung der Maßgeblichkeit in Deutschland, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 147, 167; Kußmaul/Klein, Überlegungen zum Maßgeblichkeitsprinzip im Kontext jüngerer nationaler sowie internationaler Entwicklungen, DStR 2001, 546. 60 Weber-Grellet, Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im Lichte aktueller Entwicklungen, BB 1999, 2659 (2662, 2666). 61 Kirchhof, Erläuterungen zum Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, DStR 2001, 913. 62 Scheffler, Auswirkungen des Karlsruher Entwurfs zur Reform des EStG auf die Steuerbilanz, StuB 2001, 904. 63 Scheffler, Auswirkungen des Karlsruher Entwurfs zur Reform des EStG auf die Steuerbilanz, StuB 2001, 904 (913). Vgl. auch Dziadkowski, Die Überschussrechnung – eine Alternative zur Steuerbilanz?, BB 2000, 399; im Hinblick auf WeberGrellet, Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im Lichte aktueller Entwicklungen, BB 1999, 2659 (2662, 2666) – der eine „Überschußrechnung auf Zahlungsbasis“ als denkbare Alternative zur steuerbilanziellen Gewinnermittlung ansah. 64 Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 5 EStG Rz. 89. 65 U. a. Homburg, Die Zinsschranke – eine bespiellose Steuerinnovation, FR 2007, 717; Hey, Verletzung fundamentaler Steuerprinzipien durch die Gegenfinanzierungsmaßnahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BB 2007, 1303; vgl. auch Link, Die Maßgeblichkeit angesichts der Einführung von IAS/IFRS in die Rechnungslegung, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 207, 227.

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4. Die Beeinflussung der Gewinnermittlung durch das Europäische Gemeinschaftsrecht Seit der Verabschiedung der 4. EG-Richtlinie im Jahre 197866 war der Gesetzgeber um eine steuerneutrale Umsetzung des vorrangigen Gemeinschaftsrechts bemüht, um eine Einwirkung des harmonisierten Handelsrechts über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auf die Steuerbilanz so gering wie möglich zu halten.67 Trotzdem stellten sich wiederholt Fragen hinsichtlich des Verhältnisses des Bilanzsteuerrechts zur Bilanzrichtlinie. Vor ca. einem Jahrzehnt wurde erstmals durch das FG Köln in der Rechtssache „DE und ES“ eine Steuerbilanzfrage an den EuGH herangetragen.68 Ohne Scheu entschied der EuGH mit Urteil vom 14.9.199969 über die Zulässigkeit von Garantierückstellungen, ohne Zweifel an seiner Zuständigkeit zu bekunden. Die im Mittelpunkt der späteren EuGH-Rechtsprechung stehenden Freiheitsrechte wurden noch nicht thematisiert. Da das Ertragsteuerrecht im Gegensatz zum Mehrwertsteuerrecht nicht harmonisiert ist, kam die Entscheidung überraschend. Während ich damals weitgehend auf Unverständnis stieß, weil ich davon ausging, der EuGH werde im Ertragsteuerbereich ähnliche Aktivitäten entfalten und Anstöße geben wie im Mehrwertsteuerrecht, werden die Entscheidungen des EuGH inzwischen auch beim Gesetzgeber beachtet. Im Fall „BIAO“ begründete der EuGH dann seine Zuständigkeit ausführlich und beantwortete die Vorlagefragen des FG Hamburg im Gegensatz zum Generalanwalt, der die Zuständigkeit verneint hatte, umfassend.70 Der EuGH kann somit auch zu Zweifeln bei der Auslegung von Bilanzierungsfragen, die die Steuerbilanz betreffen, um Vorabentscheidung gebeten werden.71 Welche Entwicklung das Maßgeblichkeitsprinzip nehmen wird, bleibt weiter abzuwarten. Ob die EU-Kommission ihr Vorhaben, ihre angestrebten Rahmenbedingungen für eine gesetzliche Grundlage zur Gewinnermittlung der Arbeitsgruppe, die mit der Vorbereitung einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (GKKB) betraut ist, vorzustellen, realisieren konnte, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.72 Inwieweit sich die Chan-

__________ 66 Dziadkowski, Betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Anpassung des deutschen Handelsbilanzrechts und Bilanzsteuerrechts an die EG-Bilanzrichtlinie, StuW 1979, 228. 67 Kreile, Zum Vorentwurf einer EG-Richtlinie über die Harmonisierung der steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften, DB 1988, Beilage 18. BT-Drucks. 10/317, 68; BT-Drucks. 10/4268, 3, 88. 68 FG Köln v. 16.7.1997 – 13 K 812/97, EFG 1997, 1166. 69 EuGH v. 14.9.1999 – Rs. C-275/97 – DE+ES Bauunternehmung, EuGHE 1999, I-5331 = FR 1999, 1184; sowie Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 26.11. 1998 – Rs. C-275/97 – DE+ES Bauunternehmung, IStR 1998, 776. Vgl. Dziadkowski, DE + ES: Quo vadis, Steuerbilanz?, IStR 1999, 636; Dziadkowski, Der EuGH entscheidet zu deutschem Bilanzrecht, FR 1999, 1300. 70 EuGH v. 7.1.2003 – Rs. C-306/99 – BIAO, FR 2003, 561 = IStR 2003, 95; Anm. Dziadkowski; FR 2003, 552. 71 So auch u. a. Scheffler, Steuerbilanz und EuGH: Vorabentscheidungszuständigkeit, true and fair view und Vorsichtsprinzip, Wertaufhellung, StuB 2003, 298. 72 Der Beitrag wurde Ende November 2007 abgeschlossen.

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cen für eine Harmonisierung der Gewinnermittlung in Europa verbessert haben, kann daher noch nicht beantwortet werden.73 Erfreulich ist, dass sich Fortschritte bei der Konvergenz der Rechnungslegungsstandards in den wichtigsten Partnerländern der EU – u. a. Kanada, Japan, USA – abzeichnen. Ebenfalls in China und Indien hat die EU-Kommission positive Entwicklungen festgestellt.74 Im Vorfeld des geplanten Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes75, durch das das deutsche Handelsbilanzrecht an internationale Entwicklungen angepasst werden soll, ist erneut eine lebhafte Diskussionsphase um die Maßgeblichkeit entstanden. Wie seit Jahrzehnten stehen sich Befürworter und Gegner des Maßgeblichkeitsprinzips gegenüber. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Maßgeblichkeit eines modernisierten Handelsbilanzrechts empfohlen werden kann oder ob nur eine eigenständige Steuerbilanz den Anforderungen einer sachgerechten Besteuerung gerecht werden kann. Die Zukunft des deutschen Steuerbilanzrechts76 und die Zukunft der steuerlichen Maßgeblichkeit in Europa77 stehen auf dem Prüfstand. Außerdem wird – wenn auch zaghaft – über die steuerliche Gewinnermittlung auf der Basis einer Ist-Rechnung mittels Einnahmen-Ausgabenrechnung nachgedacht.78 Schön nimmt eine abwartende Haltung ein und empfiehlt eine Bilanzierung nach IAS/IFRS für eine Probezeit. Erst dann könne „das letzte Wort darüber gesprochen werden, ob sie für die steuerliche Gewinnermittlung eine überzeugende Grundlage bietet“79. Bis zu diesem Zeitpunkt könne es bei dem bisherigen Modell der Maßgeblichkeit bleiben, da es eine juristisch und ökonomisch solide Grundlage besitzt. Nach intensiver Erörterung der gegenwärtigen Vorschläge erblickt er bislang noch kein tragfähiges Konzept für eine systemgerechte steuerliche Gewinnermittlung ohne Rückgriff auf das durch die BFHRechtsprechung fortentwickelte Steuerbilanzrecht.

__________ 73 Herzig, Chancen für eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen und der Gewinnermittlung in Europa, in Brandt (Hrsg.), Für ein europataugliches Steuerrecht, Stuttgart u. a. 2007, S. 29 ff. 74 Bericht der Komm. v. 6.7.2007, GmbHR 2007, Heft 15, R 235. 75 Hierzu Ernst, Modernisierung des deutschen Bilanzrechts, in Marten/Quick/Ruhnke (Hrsg.), IFRS für den Mittelstand, Düsseldorf 2005, S. 81 ff.; Matthias Schmidt, IFRSPerspektiven für den Mittelstand, in Rautenberg (Hrsg.), Sächsische Steuertagung 2005, Stuttgart u. a. 2005, S. 59 ff.; Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, Düsseldorf 2004. 76 Oestreicher, Zukunft des Steuerbilanzrechts aus deutscher Sicht, WPg 2007, 572. 77 Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005. 78 Weber-Grellet, Der Maßgeblichkeitsgrundsatz im Lichte aktueller Entwicklungen, BB 1999, 2659, 2666 – unter VII 4; zum Ausweg aus der Krise: Dziadkowski, Die Überschussrechnung – eine Alternative zur Steuerbilanz?, BB 2000, 399. Vgl. auch Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, Düsseldorf 2004, S. 334, 371. 79 Schön, Zur Zukunft für das Maßgeblichkeitsprinzip, in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, Köln 2005, S. 1, 121.

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Ist die Maßgeblichkeit noch zu retten?

III. Ausblick Seit seiner Entstehung in Bremen und Sachsen entfacht das Maßgeblichkeitsprinzip immer wieder heftige Diskussionsphasen.80 Von der Entstehungsphase bis zur Auflösungsphase, die durch das Verbot der Drohverlustrückstellungen beschleunigt wurde, bildet die Maßgeblichkeit ein dankbares Feld für Literaturbeiträge81 und Gerichtsentscheidungen.82 Während das Schrifttum bis 1965 noch überschaubar war83, ist durch die Aktienrechtsreform 1965, das Gutachten der Steuerreformkommission 1971 und schließlich die Transformation der Bilanzrichtlinie durch das Bilanzrichtliniengesetz in 1985 eine wahre Flut von Beiträgen über das Verhältnis von Handels- und Steuerbilanz hereingebrochen.84 Da der Steuergesetzgeber durch die Rücknahme seines Gesetzentwurfs zum EStG 1974 hinsichtlich des Steuerbilanzrechts mittels Aufschnürung des ursprünglich einheitlichen Reformentwurfs versäumt hat, eine eigenständige Steuerbilanz zu kodifizieren, befindet sich der entsprechende Regelungsbereich seit über 30 Jahren in einem Schwebezustand. Bekanntlich wurden immer wieder lediglich einige partielle Neuregelungen – primär mit gewinnerhöhender Wirkung – vom Gesetzgeber verabschiedet. Die 1971 von der Steuerreformkommission festgestellten Mängel bestehen weitgehend immer noch. Das Ziel, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, dominiert die Gesetzesvorhaben. Ein tragendes Konzept wurde bislang nicht entwickelt. M. E. kann eine praktikable Lösung des Problemfeldes nur dann erreicht werden, wenn die Reformmaßnahmen auf dem Gebiet des Handelsbilanzrechts und zugleich des Steuerrechts zweigleisig in Angriff genommen werden. Eine strikte Trennung der Regelungen für kapitalmarktorientierte und andere Unternehmen ist notwendig.85 Das kaufmännische Rechenwerk könnte eine gemeinsame und maßgebliche Grundlage für die Gewinnermittlung bilden. Für kapitalmarktorientierte Unternehmen dürften die nach internationalen Regeln, die nicht in einem demokratischen Gesetzgebungsverfahren entwickelt wurden, erstellten Bilanzen nicht maßgeblich für die steuerliche Gewinnermittlung werden. Für andere Unternehmen wäre zu prüfen, ob nicht ein beschränkter Bestandsvergleich auf der Basis einer Einnahmenüberschussrech-

__________ 80 Zu den einzelnen Entwicklungsphasen s. Burkhalter, Der steuerrechtliche Maßgeblichkeitsgrundsatz, Diss. St. Gallen 2003, S. 91 ff. 81 Zum Schrifttum bis 1965, 1966–1970, 1971-1983, ab 1984 s. Stobbe in Herrmann/ Heuer/Raupach (Hrsg.), EStG/KStG, § 5 EStG Vor Anm. 61, E 79-83. 82 Moxter, Bilanzrechtsprechung, 5. Aufl., Tübingen 1999; Moxter, Wege zur Vereinfachung des Bilanzsteuerrechts, in Kirchhof/Jakob/Beermann (Hrsg.), Steuerrechtsprechung – Steuergesetz – Steuerreform, in Festschrift für Klaus Offerhaus, Köln 1999, S. 619, 621. 83 Stobbe in Herrmann/Heuer/Raupach (Hrsg.), EStG/KStG, § 5 EStG Vor Anm. 61, E 79 – führt 30 Quellen an. 84 Die Produktion der zahlreichen Beiträge dürfte auch durch die technische Entwicklung der Textverarbeitung und die Zunahme der Fachvertreter begünstigt sein. 85 Ballwieser, IRZ 2006, 23.

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Dieter Dziadkowski

nung besser geeignet wäre, die für die Besteuerung sachgerechte Leistungsfähigkeitsmesslatte zu schaffen.86 Inzwischen liegt der Referentenentwurf eines Bilanzrechtsmoderninierungsgesetzes (BilMoG) vor.87 Das bewährte, kostengünstige und einfache HGBBilanzrecht soll auf Dauer beibehalten und für den Wettbewerb mit den internationalen Rechnungslegungsstandards gestärkt werden.88 Das BilMoG soll das HGB-Bilanzrecht zu einem Regelwerk ausbauen, das den internationalen Rechnungslegungsstandards gleichwertig, aber wesentlich kostengünstiger und einfacher zu handhaben ist. Insbesondere soll es dabei bleiben, dass die HGBBilanz die Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung89 bildet. Damit soll auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass mittelständische Unternehmen nur ein Rechenwerk – die sog. Einheitsbilanz – aufstellen müssen. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob die geplanten Neuregelungen für eine Rückkehr zur Einheitsbilanz geeignet sind.90 Durch die geplante Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit könnte jedoch das klassische Maßgeblichkeitsprinzip gerettet werden.91 Die Entwicklung eines eigenständigen Steuerbilanzrechts wird derzeit wie bereits in den Jahren 1971 bis 1974 diskutiert.92 Im Augenblick sind wir aber von einer eigenständigen Steuerbilanz noch weit entfernt, wenn auch die Änderungen in den letzten Jahren zu zahlreichen neuen Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsprinzips geführt haben.

__________ 86 Vgl. Bergkämper, Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 EStG Anm. 536 ff. Es wäre zu prüfen, ob zur früheren Regelung in § 4 Abs. 2 EStG 1953 zurückgekehrt werden könnte. Nach dieser Vorschrift waren nur „ins Gewicht fallende Schwankungen“ des Betriebsvermögens durch Zu- und Abschläge zu erfassen. 87 Pressemitteilung des BMJ v. 16.10.2007, StuB 2007, 781. 88 Zur Frage, ob die IFRS die richtige Grundlage für eine gemeinsame steuerliche Bemessungsgrundlage in der EU darstellen, vgl. Breithecker/Klapdor/Rokitta, StuW 2007, 145. Siehe auch Füllbier, Systemtauglichkeit der International Finacial Reporting Standards für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittling, StuW 2006, 228. 89 Vgl. Breidert/Moxter, Zur Bedeutung wirtschaftlicher Berachtungsweise in jüngeren höchstrichterlichen Bilanzrechtsentscheidungen, WPg 2007, 912. 90 Siehe auch Velte/Leimkühler, Der Referentenentwurf für ein Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, StuB 2007, 837 (840). 91 Schlotter, Verfassungsrechtliche Grenzen bei der Ausgestaltung des Steuerbilanzrechts, FR 2007, 951 (959). 92 Ausführlich hierzu Breithecker/Klapdor/Rokitta, Stellen die IFRS die richtige Grundlage für eine gemeinsame steuerliche Bemessungsgrundlage in der EU dar?, StuW 2007, 160 m. w. N. M. E. dürfte aber ein europäisches Steuerbilanzrecht via Richtlinie auf absehbare Zeit am Einstimmigkeitsprinzip scheitern.

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Die Unterschiede handels- und steuerrechtlicher Wertaufhellung Ein Beitrag zur weiteren Objektivierung des Steuerrechts Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Handelsrechtliche Konzeption 1. Regelungen 2. Literatur 3. Fazit III. Rechtsprechung 1. BFH

2. EuGH 3. Fazit IV. Steuerrechtliche Konzeption 1. Abgrenzung 2. Rechtsgrundlagen 3. Objektiver Fehlerbegriff V. Ergebnisse

I. Einleitung Die nachfolgenden Ausführungen beruhen auf zwei Axiomen, auf der Zweckdifferenz von Handelsrecht und Steuerrecht und auf der notwendigen Objektivierung steuerrechtlicher Begriffe und Institute.1 Handelsbilanzrecht und Bilanzsteuerrecht beruhen bekanntermaßen auf unterschiedlichen Regelungen und verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Reichweite der Klammer, die durch den Verweis des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung hergestellt wird, ist ungewiss. Gilt die Verweisung prinzipiell oder nur subsidiär – unter Vorrang des spezielleren Steuerbilanzrechts und der spezielleren steuerrechtlichen Grundsätze? Diese Unsicherheit ist ein Grund dafür, dass über den genauen Inhalt etlicher bilanz- und bilanzsteuerrechtlicher Begriffe nach wie vor keine Einigkeit besteht und vielleicht auch gar nicht bestehen kann. Ein Beispiel für diese Unterschiedlichkeit bilden die Wertaufhellungs-Grundsätze und der Fehlerbegriff.

II. Handelsrechtliche Konzeption 1. Regelungen Die Grundsätze der Wertaufhellung sind ansatzweise in der 4. EG-Richtlinie und in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB geregelt. Nach Art. 31 Abs. 1 Buchst. c Doppel-

__________ 1 Dazu – in Zusammenhang mit der Gewinnerzielungsabsicht – Reiß in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 43 – insbesondere Fußn. 2; Weber-Grellet, Feststellung subjektiver Tatbestandsmerkmale im Besteuerungsverfahren, DStR 2007, Beihefter zu Heft 39, 40.

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buchst. bb der 4. EG-Richtlinie müssen alle voraussehbaren Risiken und zu vermutenden Verluste berücksichtigt werden, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind, selbst wenn diese Risiken oder Verluste erst zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tag der Aufstellung der Bilanz bekannt geworden sind. Ähnlich heißt es in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB: Es ist vorsichtig zu bewerten, namentlich sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind; Gewinne sind nur zu berücksichtigen, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind2. Diese Regelungen ordnen an, dass bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt gewordene Risiken und Verluste zu berücksichtigen sind. Daraus folgt: – Die Wertaufhellungsgrundsätze beziehen sich nur auf Risiken und Verluste und sind eine Ausprägung des Vorsichtsprinzips.3 – Die Wertaufhellungsgrundsätze gebieten die zusätzliche Berücksichtigung bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt gewordener Risiken und Verluste. Die Wertaufhellungsgrundsätze relativieren insoweit das Stichtagsprinzip. – Das Gesetz unterscheidet ausdrücklich zwischen der (objektiven) Entstehung und dem (subjektiven) Bekanntwerden von Ereignissen. Nur die (subjektiv) bekannt gewordenen Risiken und Verluste sind zu berücksichtigen, nicht die objektiv bis zur Bilanzaufstellung vorhandenen. 2. Literatur Wertaufhellende Tatsachen sollen nach der objektiven Konzeption solche sein, die im Bilanzierungszeitpunkt begründet waren4; jede Information bis zum Tag der Bilanzaufstellung sei zu berücksichtigen5. Auf der Basis der sog. subjektiven Konzeption sollen (einschränkend) nur die nachträglich bekannt gewordenen Ereignisse berücksichtigt werden, die zum Stichtag voraussehbar waren.6 Es kommt darauf an, was der Kaufmann am Bilanzstichtag nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wissen konnte; nach dem Bilanzstich-

__________ 2 Ähnlich bereits Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 7. Aufl., Düsseldorf 1987, S. 226 f., 238. 3 Für eine imparitätische Wertaufhellungskonzeption Hommel/Berndt, Wertaufhellung und funktionales Abschlussstichtagsprinzip, DStR 2000, 1745. 4 Moxter, Unterschiede im Wertaufhellungsverständnis zwischen den handelsrechtlichen GoB und den IAS/IFRS, BB 2003, 2559 (2561); Winkeljohann/Geißler in Beck’scher Bilanzkommentar, 6. Aufl., München 2006, § 252 HGB Rz. 38. 5 Gschwendtner, Anmerkung zu BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, DStZ 2000, 646 (649). 6 Küting/Kaiser, Aufstellung oder Feststellung: Wann endet der Wertaufhellungszeitraum?, Wpg 2000, 577 (579); Gschwendtner, Anmerkung zu BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, DStZ 2000, 646 (648).

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Unterschiede handels- und steuerrechtlicher Wertaufhellung

tag zugehende Erkenntnisse über die am Bilanzstichtag geltenden Verhältnisse zählen nur mit dieser Einschränkung.7 Nach Auffassung von Kammann ist grundsätzlich die Stichtagsperspektive maßgeblich. Daher könnten nur solche künftigen Entwicklungen Berücksichtigung finden, die zum Stichtag voraussehbar gewesen seien. Der tatsächliche spätere Geschehensablauf könne nicht als im eigentlichen Sinnwert aufhellend auf den Stichtag zurückbezogen werden. Dem Wertaufhellungsgedanken moderner Prägung komme nur eine eingeschränkte Bedeutung zu8, nämlich bei der „Bestandserhellung“ von am Stichtag dem Grunde nach ungewissen Verbindlichkeiten. Nach Auffassung von Ciric ist zur Lösung des Konflikts zwischen Periodisierung und Objektivierung nicht auf die Wertverhältnisse abzustellen, die sich aufgrund nach dem Abschlussstichtag erlangbarer Informationen ergäben, sondern abzustellen sei auf das am Abschlussstichtag bei angemessener Sorgfalt Wissbare („Objektivierung auf kleinstem Nenner“). Allerdings seien nach dem Abschlussstichtag eingetretene Verluste dann anzusetzen, wenn sie für die Vermögenslage des Kaufmanns von ausschlaggebender Bedeutung seien.9 Nach dem Plan des Gesetzes ist zum Bilanzstichtag auf das Wissen des sorgfältigen Kaufmanns abzustellen (das „Wissbare“); das individuelle Wissen ist kein ausreichender normativer Maßstab. Das Wissbare kann durch nachträglich bekannt gewordenes, nicht hingegen durch nachträglich entstandenes „Wissbares“ ergänzt und „aufgehellt“ werden; die Stichtags-Aufhellung erfasst bis zur Bilanzaufstellung wissbar Gewordenes. Insoweit ist die sog. subjektive Konzeption zu eng; alle späteren (potenziellen) Kenntnisse verbessern den subjektiven Kenntnisstand zum Bilanzstichtag. Ein weiterer Streit betrifft die Frage des Wertaufhellungszeitraums. Das Gesetz stellt auf die Aufstellung ab.10 Spätere Erkenntnisse sollen auch im Wege einer Bilanzberichtigung nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Kropff hingegen hält den Zeitpunkt der Feststellung für zutreffend.11 3. Fazit Trotz der relativ eindeutigen vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben besteht nach wie vor Unklarheit, wie die Einzelheiten der Wertaufhellung zu bestimmen sind. Maßgebliche Ursache dieser Unsicherheit ist m. E. der Umstand, dass nicht zwischen einer handels- und einer steuerrechtlichen Wertaufhellungskonzeption getrennt wird.

__________ 7 Moxter, Zur phasengleichen Aktivierung von Gewinnansprüchen einer Muttergesellschaft, in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 487, 496. 8 Kammann, Stichtagsprinzip und zukunftsorientierte Bilanzierung, Köln 1988, S. 375. 9 Ciric, Grundsätze ordnungsmäßiger Wertaufhellung, Düsseldorf 1995, S. 152 f. 10 So auch Küting/Kaiser, Aufstellung oder Feststellung: Wann endet der Wertaufhellungszeitraum?, Wpg 2000, 577 (596). 11 Kropff, Wann endet der Wertaufhellungszeitraum?, Wpg 2000, 1137 (1138); Moxter, Unterschiede im Wertaufhellungsverständnis zwischen den handelsrechtlichen GoB und den IAS/IFRS, BB 2003, 2559 (2563).

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III. Rechtsprechung 1. BFH In dem Urteil vom 27. April 1965 – I 324/62 S12 – (Wechseldiskont) heißt es: „Daß eine Verpflichtung zur Berücksichtigung solcher Umstände besteht, die zur Zeit der Bilanzaufstellung die Verhältnisse am Stichtag aufhellen, kommt bereits in den Urteilen des Reichsfinanzhofs VI A 381/31 vom 2. März 1932 (RStBl. 1932 S. 510), VI A 516/33 vom 12. April 1934 (RStBl. 1934 S. 943), I A 97/34 vom 4. September 1934 (RStBl. 1934 S. 1366), VI 281/41 vom 22. Oktober 1941 (RStBl. 1941 S. 894) und im Urteil des Bundesfinanzhofs I 118/55 U vom 3. Juli 1956 (BStBl. 1956 III S. 248, BFHE 63 S. 133) zum Ausdruck. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kaufmann die Bilanz innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit aufgestellt hat (vgl. § 39 Abs. 2 Satz 2 HGB). Es gilt in der Regel auch, wenn die bekannt gewordenen Umstände steuerlich zu Lasten des Kaufmanns gehen. Der Grundsatz, daß wertaufhellende Umstände, die in der Zeit zwischen dem Bilanzstichtag und dem Tage der Bilanzaufstellung entstehen oder bekannt werden, zu berücksichtigen sind, ist keine Abweichung vom Stichtagsprinzip, die nach dem Gesetz auch nicht zulässig wäre. Er beruht vielmehr im Gegenteil gerade auf der Überlegung, daß die Verhältnisse am Stichtag so zutreffend wie möglich erfaßt werden sollen. Dieser Grundgedanke gilt gleichermaßen für die Verpflichtungen, die der Kaufmann bei der Aufstellung der Bilanz nach den Vorschriften des Handelsrechts zu erfüllen hat, wie für seine steuerlichen Verpflichtungen. Der Kaufmann hat daher bei Bilanzaufstellung alle diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Beachtung der steuerlichen Vorschriften für die Verhältnisse am Bilanzstichtag von Bedeutung sind, auch wenn diese Umstände am Bilanzstichtag noch nicht eingetreten oder bekannt waren (im Ergebnis ebenso Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 7. Aufl., § 6 Tz. 106; Littmann/ Förger, Rückstellungen, 1964, S. 137).“

Der VIII. Senat führt in seinem Urteil vom 28. März 2000 – VIII R 77/9613 – dazu aus: „Das in diesem Sinne verstandene Wertaufhellungsprinzip besagt, dass die Frage, ob ein – positives oder negatives – Wirtschaftsgut in der Bilanz auszuweisen ist, nach dem Erkenntnisstand eines sorgfältigen Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung zu beantworten ist (subjektive Richtigkeit der Bilanz, ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BFHUrteile vom 14. August 1975 IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl. II 1976, 88; vom 23. Mai 1984 I R 266/81, BFHE 141, 261, BStBl. II 1984, 723 m. w. N.; vom 9. August 1995 XI R 72/94, BFH/NV 1996, 312, am Ende). Der BFH hat in diesen und in anderen Urteilen ausgeführt, dass der Kenntnisstand auf die am Bilanzstichtag objektiv bestehenden Verhältnisse zu beziehen sei (vgl. insbesondere auch die BFH-Urteile vom 27. April 1965 I 324/62 S, BFHE 82, 445, BStBl. III 1965, 409, und vom 19. Dezember 1972 VIII R 18/70, BFHE 108, 106, BStBl. II 1973, 218, sowie die weiteren Nachweise bei Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 82). Er hat in anderen Entscheidungen aber auch gefordert, dass die Bilanz so aufzustellen sei, wie sie ein vorsichtig abwägender ordentlicher Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände und Verhältnisse am Bilanzstichtag aufgestellt hätte (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 17. Mai 1978 I R 89/76, BFHE 175, 172, BStBl. II 1978, 497, und die weiteren Nachweise bei Herrmann/Heuer/

__________ 12 BFH, Urt. v. 27.4.1965 – I 324/62 S, BFHE 82, 445 = BStBl. III 1965, 409. 13 BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, BFHE 191, 339 = BStBl. II 2002, 227.

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Unterschiede handels- und steuerrechtlicher Wertaufhellung Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 82; Moxter, a. a. O., S. 245 f.; derselbe, Festschrift Knobbe-Keuk, 1997, S. 487, 496 f.; zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. eingehend Ciric, Grundsätze ordnungsmäßiger Wertaufhellung 1995, S. 59 f.). Der hier zu beurteilende Sachverhalt nötigt nicht dazu, die Streitfrage vom Grundsätzlichen her zu erörtern. Die Klägerin durfte die künftige Rückabwicklung des Kaufvertrages nach beiden Wertaufhellungskonzeptionen am Bilanzstichtag 31. Dezember 1990 noch nicht berücksichtigen. Nach der subjektiven, auf die am Bilanzstichtag vom Kaufmann erkennbaren Verhältnisse abstellenden Konzeption nicht, weil sie – wie ausgeführt – am Bilanzstichtag nur mit einer Nachbesserung oder Minderung rechnen musste. Nach der objektiven Konzeption nicht, weil die Ausübung des Wahlrechts zur Wandlung eine rechtsgestaltende Erklärung und damit keine ansatzaufhellende, sondern eine ansatzbeeinflussende Tatsache ist (vgl. dazu u. a. – für Wandlung – BFH-Urteil vom 14. Juli 1966 IV 389/62, BFHE 86, 729, BStBl. III 1966, 641; allgemein für Vertragsänderung oder -aufhebung nach dem Bilanzstichtag Urteil vom 17. November 1987 VIII R 348/82, BFHE 152, 226, BStBl. II 1988, 430, und Beschluss vom 26. März 1991 VIII R 55/86, BFHE 166, 21, BStBl. II 1992, 479, unter B III 4 b cc der Gründe; für rückwirkenden Vertragsschluß Urteil vom 25. Juli 1995 VIII R 38/93, BFHE 178, 331, BStBl. II 1996, 153, unter II 1 der Gründe; für Vergleich Urteil vom 17. Mai 1978 I R 89/76, BFHE 125, 172, BStBl. II 1978, 497; für Anerkenntnis Urteil in BFHE 157, 121, BStBl. II 1991, 213). Es reicht nicht aus, dass die zur Wandlung führenden Mängel objektiv bereits am Bilanzstichtag vorhanden waren. Eine ansatzaufhellende Tatsache für das Entstehen einer unbedingten Verpflichtung zur Rückerstattung des Kaufpreises und für eine Inanspruchnahme aus dieser Verpflichtung könnte die Wandlung allenfalls dann sein, wenn bereits am Bilanzstichtag Verhandlungen über eine mögliche Rückabwicklung des Kaufvertrages aufgenommen worden sind und die Rückabwicklung nach dem Stand der Verhandlungen in diesem Zeitpunkt wahrscheinlich war (vgl. BFH-Urteile vom 22. Juni 1967 IV 172/63, BFHE 90, 116, BStBl. II 1968, 5, und in BFHE 178, 331, BStBl. II 1996, 153). Daran fehlt es hier.“

Der VIII. Senat lässt demnach offen, ob alle wertaufhellende Tatsachen zu erfassen seien (so die objektive Konzeption) oder nur solche wertaufhellende Tatsachen, die im Rahmen dessen liegen, was der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des Bilanzstichtags wissen konnte (sog. subjektive Konzeption; Beschränkung der Wertaufhellung auf das zum Bilanzstichtag Wissbare).14 Der Große Senat lässt in dem Beschluss vom 7. August 200015 die Frage, welcher Konzeption zu folgen sei, ebenfalls ausdrücklich offen, da der spätere Gewinnverwendungsbeschluss eine neue Tatsache sei und zu einem neuen Wirtschaftsgut führe: „Auch das Gebot, wertaufhellende Tatsachen zu berücksichtigen, die erst nach dem Bilanzstichtag bekannt werden (Stichtagsprinzip), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dies gilt unabhängig davon, ob man das Wertaufhellungsprinzip in einer subjektiven oder in einer objektiven Konzeption versteht (vgl. dazu Moxter, Phasengleiche Aktivierung von Gewinnansprüchen, Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 487 ff.,

__________ 14 Zu dieser Unterscheidung vgl. Gschwendtner, Anmerkung zu BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, DStZ 2000, 646 (648). – Dazu auch Engel-Ciric, Die Interpretation des Abschlußstichtagsprinzips in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, DStR 1996, 1298 (1304): Dem Kaufmann dürfe nur die Berücksichtigung des am Abschlussstichtag bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung maßgebenden Wertes zugemutet werden. 15 BFH, Beschl. v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BFHE 192, 339 = BStBl. II 2000, 632.

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Heinrich Weber-Grellet 496 ff.). Die Entscheidungen, die erforderlich sind, um aus dem Jahresüberschuss den Bilanzgewinn zu entwickeln, fallen regelmäßig erst nach dem Bilanzstichtag. Selbst wenn man diese wertaufhellend auf den Bilanzstichtag zurückbezieht, folgt aus dem Bilanzgewinn noch keine entsprechende Gewinnverwendung. Vielmehr setzt die Gewinnverwendung die zusätzliche Entscheidung der Gesellschafter voraus, den Bilanzgewinn (teilweise) ausschütten zu wollen. Diese Entscheidung wird typischerweise erst nach dem Bilanzstichtag getroffen.“

In dem Urteil vom 30. Januar 200216 schränkt der I. Senat die Entscheidung in BFHE 82, 445 = BStBl. III 1965, 409, ein, indem er als wertaufhellende Umstände nur noch nachträglich bekannt gewordene Umstände ansieht; gleichzeitig hält er die objektiv am Bilanzstichtag bestehenden Verhältnisse für maßgeblich: „Allerdings hat der Senat mit Urteil in BFHE 108, 185, BStBl. II 1973, 320, entschieden, dass eine nicht mehr angefochtene Entscheidung auch dann zum Bilanzstichtag zu beachten sei, wenn sie erst nach dem Bilanzstichtag rechtskräftig geworden ist. Dieses Urteil ist (unter 2. der Entscheidungsgründe) unter Berufung auf die Senatsentscheidung vom 27. April 1965 I 324/62 S (BFHE 82, 445, BStBl. III 1965, 409) auf die Erwägung gestützt, dass der Kaufmann verpflichtet sei, ‚alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Verhältnisse zum Bilanzstichtag von Bedeutung sind, auch wenn sie in jenem Zeitpunkt noch nicht eingetreten oder noch nicht bekannt sind‘. An dieser Aussage hält der Senat, was die zum Bilanzstichtag ‚noch nicht eingetretenen‘ Umstände betrifft, nicht fest. Als ‚wertaufhellend‘ sind vielmehr nur die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung lediglich bekannt oder erkennbar wurden. Der zu beurteilende Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung ist daher auf die am Bilanzstichtag – objektiv – bestehenden Verhältnisse zu beziehen (BFH-Urteil vom 28. März 2000 VIII R 77/96, BFHE 191, 339, BFH/NV 2000, 1156, m. w. N.). Diese Beurteilung entspricht neuerer Rechtsprechung (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 15. März 2000 VIII R 34/96, BFH/NV 2001, 297; in BFHE 191, 339, BFH/NV 2000, 1161; in BFHE 185, 160, BStBl. II 1998, 375; vom 15. Dezember 1999 I R 91/98, BFHE 191, 33, BStBl. II 2000, 381; vgl. auch BFHBeschluss vom 7. August 2000 GrS 2/99, BFHE 192, 339, BStBl. II 2000, 632) und steht im Einklang mit der durch das Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) vom 19. Dezember 1985 (BGBl. I 1985, 2355) in das HGB eingefügten Vorschrift des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB.“

In der Entscheidung vom 15. September 2004 – I R 5/04, BIAO17 – setzt der I. Senat seine objektive Betrachtungsweise fort und hält für „aufhellend“ die bis zum Tag der Bilanzerstellung erlangten Kenntnisse über den Wert ausgewiesener Aktiv- oder Passivpositionen zum Bilanzstichtag. Wie der Umstand der (teilweisen) Erfüllung einer Forderung nach dem Bilanzstichtag18 zeige, könne auch der spätere Wegfall eines Risikos aus einem Avalkredit dessen Bilanzwert bereits zum Bilanzstichtag aufhellen19. In der Entscheidung vom 19.10.2005 – XI R 64/0420 – stellt der XI. Senat darauf ab, dass weder am Bilanzstichtag noch im Zeitpunkt der Veranlagung An-

__________ 16 17 18 19 20

BFH, Urt. v. 30.1.2002 – I R 68/00, BFHE 197, 530 = BStBl. II 2002, 688. BFH, Urt. v. 15.9.2004 – I R 5/04 – BIAO, BFHE 208, 116 = DStR 2005, 238. BFH, Urt. v. 20.8.2003 – I R 49/02, BFHE 203, 319 = BStBl. II 2003, 941. Vgl. BFH, Urt. v. 4.4.1973 – I R 130/71, BFHE 109, 55 = BStBl. II 1973, 485. BFH, Urt. v. 19.10.2005 – XI R 64/04, BStBl. II 2006, 371 = DStR 2006, 371.

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Unterschiede handels- und steuerrechtlicher Wertaufhellung

haltspunkte für eine mögliche Rückforderung und für eine drohende Inanspruchnahme bestanden hätten.21 2. EuGH Der EuGH führt in der Entscheidung vom 7.1.2003 – BIAO22 – aus, dass die Rückzahlung keine Tatsache darstelle, die eine rückwirkende Neubewertung verlange: „Nach Artikel 31 Absatz 1 Buchstabe c bb der Vierten Richtlinie müssen für die Bewertung der Posten im Jahresabschluss alle voraussehbaren Risiken und zu vermutenden Verluste berücksichtigt werden, die in dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr entstanden sind. Für die Bewertung der Aktiva und Passiva ist somit grundsätzlich auf den Bilanzstichtag abzustellen. … Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Vorgang wie die Rückzahlung des der Corporación del cobre gewährten Kredits durch diese Gesellschaft nach dem Bilanzstichtag nicht tatsächlich auf das fragliche Geschäftsjahr bezieht. Daher stellt dieser Vorgang keine Tatsache dar, die eine rückwirkende Neubewertung einer sich auf diesen Kredit beziehenden Rückstellung erfordert, die auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen ist. … Dass Umstände wie die Verringerung oder der Wegfall eines solchen Risikos im Jahresabschluss völlig unerwähnt bleiben, kann jedoch irreführend sein und daher gegen den Grundsatz des den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes verstoßen (in diesem Sinne Urteil Tomberger, Randnr. 22). Die Beachtung dieses Grundsatzes verlangt nämlich, dass an irgendeiner Stelle im Jahresabschluss der Wegfall oder die Verringerung eines solchen Risikos erwähnt wird. Die geeignetste Methode der Aufnahme dieser Angabe in den Jahresabschluss ist nach dem nationalen Recht zu bestimmen. … Daher ist auf den dritten Teil der Fragen zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die nach dem Bilanzstichtag (auf den für die Bewertung der Bilanzposten abzustellen ist) erfolgte Rückzahlung eines Kredits keine Tatsache darstellt, die eine rückwirkende Neubewertung einer Rückstellung erfordert, die sich auf diesen Kredit bezieht und auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen ist. Die Beachtung des Grundsatzes des den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes verlangt jedoch, dass im Jahresabschluss der Wegfall des mit dieser Rückstellung erfassten Risikos erwähnt wird.“

3. Fazit Die sog. subjektive Konzeption wird zwar in dem Urteil des VIII. Senats23 als mögliche Alternative erwähnt; sie scheint aber in der Rechtsprechung des BFH keine praktische Bedeutung mehr zu haben. Insbesondere der I. Senat stellt klar und unmissverständlich auf die objektiv bestehenden Verhältnisse zum Bilanzstichtag ab, wie sie sich auch aus den wertaufhellenden Umständen ergeben.

__________ 21 So auch BFH, Beschl. v. 17.3.2006 – IV B 177/04, BFH/NV 2006, 1286. 22 EuGH, Urt. v. 7.1.2003 – Rs. C-306/99 – BIAO, EuGHE 2003, I-1 = BStBl. II 2004, 144 – Rz. 121-126. 23 BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, BFHE 191, 339 = BStBl. II 2002, 227.

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IV. Steuerrechtliche Konzeption 1. Abgrenzung Das handelsrechtliche Konzept beruht auf dem Vorsichtsprinzip und auf § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB; handelsrechtlich sind die Fragen der Bilanzierung und Bewertung nach den subjektiven Kenntnissen des (ordentlichen) Kaufmanns zu beantworten. Von dem Kaufmann kann insoweit nicht mehr verlangt werden, als seine Kenntnisse ihm ermöglichen; Rechenschaft kann der Kaufmann nur auf der Grundlage seiner ihm zu Gebote stehenden Mittel und Möglichkeiten legen. Steuerrechtlich ist die Lage insoweit ganz anders. Im Vordergrund stehen nicht mehr die Möglichkeiten des Kaufmanns, sondern maßgeblich ist die zu bestimmten Stichtagen gegebene objektive Situation. Die steuerrechtlich maßgebliche Leistungsfähigkeit ist nicht nach den subjektiven Erkenntnissen zu bemessen, sondern nach den objektiv vorliegenden Stichtagsverhältnissen. Im Steuerrecht geht es darum, die am Bilanzstichtag objektiv gegebenen Verhältnisse so zutreffend wie möglich zu erfassen.24 Auf das subjektiv Gewusste oder das bei gehöriger Sorgfalt subjektiv Wissbare kann es nicht ankommen. Steuerrechtlich ist die Leistungsfähigkeit zum Bilanzstichtag zu messen. Diese Beurteilung ist nach den bei der Veranlagung (bis zur Grenze der Bestandskraft) bekannten Verhältnissen vorzunehmen. Ob diese Kenntnisse dem Steuerpflichtigen am Bilanzstichtag oder am Tag der Bilanzaufstellung bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, ist steuerrechtlich irrelevant. Indes bleibt das Stichtagsprinzip dabei vollkommen unangetastet; nur die besseren Erkenntnisse im Hinblick auf die Bilanzstichtagsverhältnisse, die sich bis zur Veranlagung ergeben haben, sind zu berücksichtigen25. Objektiv neue Umstände, die erst nach dem Bilanzstichtag eintreten, dürfen auch steuerrechtlich nicht erfasst werden. 2. Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlagen der steuerrechtlichen Konzeption sind das Stichtagsprinzip, das Amtsermittlungsprinzip, das Veranlagungsprinzip, die Regelung des § 4 Abs. 2 EStG und der Zweck der Steuerfestsetzung. Das Stichtagsprinzip verlangt, dass die bis zu einem bestimmten Tag oder zum Ende eines bestimmten Zeitraums eingetretenen Verhältnisse der Gewinnermittlung und der Steuerfestsetzung zugrunde gelegt werden sollen. Zugrun-

__________ 24 Moxter, Zur phasengleichen Aktivierung von Gewinnansprüchen einer Muttergesellschaft, in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 487, 497. 25 BFH, Urt. v. 30.1.2002 – I R 68/00, BFHE 197, 530 = BStBl. II 2002, 688: Als „wertaufhellend“ sind vielmehr nur die Umstände zu berücksichtigen, die zum Bilanzstichtag bereits objektiv vorlagen und nach dem Bilanzstichtag, aber vor dem Tag der Bilanzerstellung lediglich bekannt oder erkennbar wurden. Der zu beurteilende Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung ist daher auf die am Bilanzstichtag – objektiv – bestehenden Verhältnisse zu beziehen.

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de zu legen sind die objektiven Umstände, soweit sie am Stichtag vorhanden und bei Veranlagung bekannt waren. Auf die Kenntnisse des Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt des Stichtags und zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung kann es nicht ankommen, da das Veranlagungsverfahren als öffentlich-rechtliches Verfahren einen „objektiven Charakter“ besitzt und die Veranlagung nicht vom Wissen des Steuerpflichtigen abhängig sein kann. Die Veranlagung erfolgt nicht auf der Basis der Kenntnisse des Steuerpflichtigen, sondern allein auf der Grundlage der objektiven, nach dem Amtsermittlungsprinzip (§ 88 AO) ermittelten Fakten; es besteht kein sachlicher Grund, im Rahmen der bilanziellen Gewinnermittlung das Amtsermittlungsprinzip fallen zu lassen. Diese steuerlichen Grundprinzipien verdrängen entgegenstehende handelsrechtliche Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung. Die Bilanzaufstellung ist (anders als bei der handelsrechtlichen Beurteilung) im Rahmen des Veranlagungsverfahrens nur ein notwendiger Zwischenschritt, dem keine besondere Bedeutung zukommt. Steuerrechtlich maßgeblich ist der Zeitpunkt der Veranlagung (bzw. der der Beendigung des Einspruchs- oder Klageverfahrens), der die zeitliche Zäsur für die Steuerfestsetzung bildet. Die bisherige Diskussion krankt an der undifferenzierten Gleichsetzung der handels- und steuerrechtlichen Problematik und an der unzureichenden Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen. Die sog. subjektive und objektive Konzeption werden als alternative Möglichkeiten nebeneinander gestellt, ohne die bedeutsamen handels- und steuerrechtlichen Unterschiede zu beachten.26 Die handelsrechtliche Wertaufhellungskonzeption enthält nur einen begrenzten Ausschnitt der weitergehenden steuerrechtlichen Konzeption; der handelsrechtlichen Streitfrage über den Wertaufhellungszeitraum im Fall einer verspätet aufgestellten Bilanz27 kann steuerrechtlich daher keine entscheidende Bedeutung zukommen.

__________ 26 Vgl. nur Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz. 280; Engel-Ciric, Die Interpretation des Abschlußstichtagsprinzips in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, DStR 1996, 1298 (1303); Hoffmann, Wertaufhellung – das Bilanzierungsproblem schlechthin, BB 1996, 1157 (1163); Gschwendtner, Anmerkung zu BFH, Urt. v. 28.3.2000 – VIII R 77/96, DStZ 2000, 646 (649); Moxter, Zur phasengleichen Aktivierung von Gewinnansprüchen einer Muttergesellschaft, in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 487, 496; Moxter, Unterschiede im Wertaufhellungsverständnis zwischen den handelsrechtlichen GoB und den IAS/IFRS, BB 2003, 2559 (2561); Werndl erkennt eine weitgehende Konformität von Handels- und Steuerrecht, vgl. Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 EStG Rz. A 133. 27 Dazu Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 EStG Rz. A 143; Moxter, Unterschiede im Wertaufhellungsverständnis zwischen den handelsrechtlichen GoB und den IAS/IFRS, BB 2003, 2559 (2563).

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3. Objektiver Fehlerbegriff Dieser Konstellation entsprechend ist auch der steuerrechtliche Fehlerbegriff – abweichend vom handelsrechtlichen – „objektiv“ zu verstehen.28 § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG setzt allein voraus, dass die Vermögensübersicht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter Befolgung der Vorschriften des Einkommensteuergesetzes entspricht. Die „objektive Nicht-Entsprechung“ genügt; das Wissen des Steuerpflichtigen ist nicht maßgeblich. Auch eine nach den Erkenntnismöglichkeiten eines ordentlich handelnden Kaufmanns aufgestellte Bilanz kann falsch sein.29 Steuerrechtlich ist daher an objektive Umstände anzuknüpfen. Der steuerrechtliche Fehlerbegriff geht über die handelsrechtlichen Wertaufhellungsgrundsätze hinaus; er stellt auf die wirklichen Verhältnisse zum Bilanzstichtag ab (nicht nur auf die vom Steuerpflichtigen erkannten), und er erfasst nicht nur die zum Tag der Bilanzaufstellung nachträglich erkannten Verhältnisse, sondern die bis zum Tag der Veranlagung, und er ist nicht nur auf Risiken und Verluste beschränkt, sondern gilt für alle Besteuerungsgrundlagen. Amtsermittlung und objektiver Fehlerbegriff führen zwangsläufig und unausweichlich zu einer weitergehenden „Wertaufhellungskonzeption“.

V. Ergebnisse – Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Systematik und der unterschiedlichen Teleologie von Handels- und Steuerrecht sind eine handelsrechtliche und eine steuerrechtliche Wertaufhellungskonzeption zu unterscheiden. – Handelsrechtlich entspricht eine subjektive Betrachtungsweise dem Wesen der Handelsbilanz und den entsprechenden gesetzlichen Regelungen. Die handelsrechtliche Wertaufhellungskonzeption führt zu einer partiellen Relativierung des Stichtagsprinzips. Bei Risiken und Verlusten sind die Stichtagsverhältnisse nach dem subjektiven Erkenntnisstand am Tag der Bilanzaufstellung zu beurteilen. – Steuerrechtlich sind die objektiven Verhältnisse zum Bilanzstichtag maßgeblich, wie sie sich zum Zeitpunkt der Veranlagung (bzw. zum Ende des Einspruchs- oder Klageverfahrens) darstellen. Aus steuerrechtlicher Hinsicht ist der Tag der Bilanzaufstellung insoweit irrelevant. Der in dem Urteil vom 27.4.196530 ausgesprochene Grundsatz, dass die Berücksichtigung wertaufhellender Umstände dazu dient, die Verhältnisse am Stichtag so zutreffend

__________ 28 So bereits Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 EStG Rz. C 106 – Stand Januar 1991; a. A. die BFH-Rechtsprechung, zuletzt BFH, Urt. v. 5.6.2007 – I R 47/06, DStR 2007, 1711 = BB 2007, 2337. 29 Prinz/Schulz, Verweigerte Bilanzberichtigung als Instrument zur Versagung „unliebsamer Rechtsprechung“?, DStR 2007, 776 (777); a. A. Werndl in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 6 EStG Rz. A 142. 30 BFH, Urt. v. 27.4.1965 – I 324/62 S, BFHE 82, 445 = BStBl. III 1965, 409.

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wie möglich zu erfassen, entspricht dem steuerrechtlichen Anliegen, der Steuerfestsetzung möglichst objektiv richtige Sachverhalte zugrunde zu legen. – Über die bisherige Rechtsprechung hinaus sind daher nicht nur die bis zur Bilanzaufstellung, sondern die bis zur Veranlagung bekannt gewordenen Tatsachen und Erkenntnisse, soweit sie zur Beurteilung der am Bilanzstichtag gegebenen tatsächlichen objektiven Verhältnisse geeignet sind, zu berücksichtigen. – Dieser Ansatz entspricht dem generellen steuerrechtlichen Anliegen, auf objektive Kriterien abzustellen. Das gilt insbesondere auch für die sog. subjektiven Tatbestandsmerkmale, die soweit wie möglich in einem objektiven Sinn zu verstehen sind. Die steuerrechtliche Leistungsfähigkeit kann nicht nach „subjektiven Absichten“ gemessen und beurteilt werden. In diese Richtung hat sich auch Wolfram Reiß am 20. März 2007 im BFH anlässlich des Symposiums zur Bedeutung subjektiver Tatbestandsmerkmale geäußert; im Rahmen seines Referats zu subjektiven Merkmalen im Umsatzsteuerund Erbschaftsteuerrecht vertrat er die Auffassung, dass die reinen „Absichtsäußerungen“ nicht genügen könnten; es müsse insoweit auf objektive Anhaltspunkte abgestellt werden.31 In diesem Sinn fügt sich die steuerrechtliche Wertaufhellungskonzeption in die allgemeine Tendenz.

__________ 31 Reiß, Subjektive Elemente in verkehrs- und verbrauchsteuerlichen Tatbeständen, DStR 2007, Beihefter zu Heft 39, 27 (28, 34).

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Niedrige Steueraufwandsquoten als Beleg einer erfolgreichen Steuerplanung? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Betragseffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke 2. Probleme a) Vernachlässigung von eventuellen Substanzsteuern und definitiven Verkehrsteuern b) Steuerüberwälzung und marktbestimmte Steuerlasten c) Steuern der Anteilseigner d) Aufwand der Steuererhebung e) Aufwand durch steuerlich induzierte Sachverhaltsgestaltungen f) Interpretationsprobleme III. Zeiteffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke 2. Probleme a) Keine Diskontierung der künftigen Mehr- oder Minderbelastungen

b) Maßnahmen zur möglichst schnellen Verlustnutzung c) Ermessensspielräume bei der Nutzungsdauer d) Ermessensspielräume bei der Nutzungsdauer e) Latente Steuerschulden aus der Aktivierung eines Geschäfts- oder Firmenwertes f) Interne Steuerschätzungen und Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung g) Ordentliche, prognosefähige Gewinne aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und anderen Erfolgen IV. Risikoeffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke 2. Probleme V. Fazit

I. Einleitung Für die Anteilseigner stellen Steuerzahlungen grundsätzlich negative Zielbeiträge dar. Sie vermindern die verfügbaren finanziellen Überschüsse des Unternehmens und führen so – ceteris paribus – zu einem geringeren Unternehmenswert. Will das Management im Interesse der Shareholder handeln, so sollte es versuchen, die Steuerbelastung des Unternehmens zu reduzieren. Die Rechnungslegung beinhaltet auch Informationen über die Besteuerung. Nach § 275 HGB werden die „Steuern vom Einkommen und Ertrag“ sowie „sonstige Steuern“ als getrennte Aufwandspositionen ausgewiesen.1 Die internationale Rechnungslegung verlangt schon nach IAS 1.81 (d) die Angabe des Steueraufwands. Sie kennt mit IAS 12 sogar einen ganzen Standard, der sich mit der umfangreichen Berichterstattung über Ertragsteuern beschäftigt.2

__________ 1 Dies gilt für das Gesamtkosten- und das Umsatzkostenverfahren. 2 Siehe insbesondere IAS 12.79-82A.

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Aus Sicht des Kapitalmarkts stellen Steueraufwendungen mittlerweile ähnlich wie Personalkosten, Materialverbrauch und andere Aufwandsarten einen Gegenstand der Jahresabschlussanalyse dar. Die Steueraufwandsquote – meist synonym auch als Konzernsteuerquote3 oder effektiver Steuersatz4 (effective tax rate) bezeichnet – errechnet man dabei wie folgt:5 Steuerquote = Steueraufwand : Gewinn vor Steuern. Unternehmen mit geringen bilanziellen Steuerquoten werden dabei von externen Analytikern positiv beurteilt.6 Es liegt daher nahe, dass die Unternehmensleitung solche bilanziellen Steuerquoten auch für interne Steuerungsund Beurteilungszwecke verwendet. Speziell die Leistungsfähigkeit der Steuerabteilung des Unternehmens wird an der Höhe der Konzernsteuerquote gemessen. Man setzt dadurch einen Anreiz zum zielkonformen Handeln mit den externen Maßstäben.7 Teilweise wird auch eine hieran gekoppelte erfolgsabhängige Vergütung vorgeschlagen.8 Der folgende Beitrag versucht zu zeigen, dass eine Unternehmenspolitik, die sich am Erreichen einer geringen bilanziellen Steueraufwandsquote orientiert, in vielen Fällen den wahren Interessen der Shareholder zuwider läuft. Eine tatsächlich erfolgreiche Steuerabteilung sollte bei ihrer Steuerplanung deshalb auch weitere Aspekte berücksichtigen. Wegen der größeren Bedeutung für Publikumsgesellschaften und der umfangreicheren Angabepflichten konzentrieren sich die Ausführungen primär auf die IFRS-Rechnungslegung.

II. Betragseffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke Bei der Konzernsteuerquote handelt es sich um eine empirische Methode zur Messung der Steuerbelastung. Die Auswertung empirischer Daten hat den generellen Vorteil, dass man diejenige Steuerbelastung ermittelt, die sich unter Berücksichtigung des vollständigen, in aller Regel sehr komplexen Steuersys-

__________ 3 Vgl. Mammen, Der Einfluss der Steuerlatenz auf die Konzernsteuerquote, PiR 2007, 105; Müller, Die Konzernsteuerquote – Modephänomen oder ernst zu nehmende Kennziffer?, DStR 2002, 1684. 4 Vgl. die Terminologie in IAS 12.86 und IAS 12.81 (c) (ii). 5 Vgl. Herzig/Dempfle, Konzernsteuerquote, betriebliche Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, DB 2002, 1. 6 Vgl. Zielke, Internationale Steuerplanung zur Optimierung der Konzernsteuerquote, DB 2006, 2585. 7 Vgl. Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S80. 8 Eine Studie von Philips zeigt, dass Unternehmen geringere Konzernsteuerquoten haben, wenn die erfolgsabhängige Vergütung ihrer Geschäftsbereichsmanager auf der Grundlage von Nachsteuergrößen berechnet wird, vgl. Phillips, Corporate TaxPlanning Effectiveness: The Role of Compensation Based Incentives, The Accounting Review 2003, 847-874.

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Niedrige Steueraufwandsquoten

tems einschließlich aller Sondervorschriften tatsächlich ergeben hat.9 Das stellt ihren wesentlichen Vorteil gegenüber Tarifvergleichen und modellgestützten Belastungsvergleichen mit Veranlagungssimulationen dar.10 Insbesondere schlagen sich in der bilanziellen Steueraufwandsquote nach IFRS folgende Sachverhalte nieder:11 – die unternehmensbezogenen Ertragsteuersätze der Länder, in denen der Konzern tätig ist; – damit die Ansiedlung operativer Tätigkeiten wie Beschaffung, Produktion und Logistik in Niedrigsteuerländern; – die Optimierung von Beteiligungsstrukturen; – die rechtliche Verselbständigung nicht-operativer Aufgaben wie Holding von Beteiligungen, Geldanlagen und Finanzierungen, Leasing, Factoring, Versicherungen, Franchising, Rechteverwaltung und Lizenzierung in allgemeinen „Steueroasen“ oder in Ländern mit spezieller Vorzugsbesteuerung (Funktionsverlagerungen); – die ländermäßige Verschiebung von Gewinnen in Niedrigsteuergebiete durch Verrechnungspreisgestaltungen und Kostenallokationen; – die Schaffung von unbesteuerten „weißen Einkünften“ und anderen vorteilhaften Qualifikationskonflikten12; – die Nutzung von Freibeträgen, Freigrenzen und Progressionsvorteilen; – der Anfall nicht steuerbarer oder steuerfreier Einkünfte (Steuerbefreiungen) und nicht abzugsfähiger Aufwendungen; – die steuerliche Geltendmachung von Verlusten; – die Ausschöpfung von Steueranrechnungsbeträgen. Damit erfasst die Konzernsteuerquote unstrittig wichtige Teile der Steuerbelastung. Eine Überleitungsrechnung gemäß IAS 12.81 (c) soll die Differenz zwischen dem ausgewiesenen Steueraufwand und demjenigen Steueraufwand, den man erwarten würde, wenn man den Tarifsteuersatz auf das IFRS-Periodenergebnis vor Ertragsteuern anwendet, erklären.13

__________ 9 Vgl. Henselmann/Schmidt, Gabler-Kompakt-Lexikon Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2003, S. 149. 10 Vgl. hierzu Schmidt/Sigloch/Henselmann, Internationale Steuerlehre, Wiesbaden 2005, S. 452 ff. 11 Vgl. Herzig/Dempfle, Konzernsteuerquote, betriebliche Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, DB 2002, 1 (6 f.); Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S87 f.; Zielke, Internationale Steuerplanung zur Optimierung der Konzernsteuerquote, DB 2006, 2585. 12 Vgl. Henselmann/Schmidt, Gabler-Kompakt-Lexikon Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2003, S. 131, 185. 13 Hierbei kann es sich um den Tarifsteuersatz im Sitzland des Unternehmens oder um einen gewichteten Durchschnitt der Steuersätze in den verschiedenen Tätigkeitsländern handeln (IAS 12.85). Im Fall mehrerer Ertragsteuerarten muss selbstverständlich die kombinierte Ertragsteuerbelastung berechnet werden.

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2. Probleme Jedoch muss vor einer Überschätzung der Aussagekraft dieser bilanziellen Steuerquote gewarnt werden. Versetzt man sich in die Lage eines Anteilseigners, so sind für diesen bereits dem Grunde nach weitere Treiber der Steuerbelastung von Bedeutung: a) Vernachlässigung von eventuellen Substanzsteuern und definitiven Verkehrsteuern So handelt es sich bei der Kennzahl nach IAS 12.86 nur um den Steueraufwand aus Ertragsteuern.14 Vernachlässigt werden somit eventuelle Substanzsteuern und definitive Verkehrsteuern wie nicht abzugsfähige Vorsteuer.15 Relevant ist dies besonders für Branchen, die wie Banken keiner Umsatzsteuerpflicht unterliegen. b) Steuerüberwälzung und marktbestimmte Steuerlasten Ganz grundsätzlich ausgeblendet wird die Frage der Steuerüberwälzung und der marktbestimmten Steuerlasten. Für indirekte Steuern geht man pauschal von einer vollständigen Überwälzung der Steuerschuld aus, bei direkten Steuerarten verneint man sie. Jedoch ist diese pauschale Einteilung unrealistisch.16 Ob in der Realität eine Überwälzung von Steuerzahlungen stattfindet, hängt nicht von der politischen Absicht des Gesetzgebers und der Bezeichnung der Steuer ab. Vielmehr sind die ökonomischen Verhältnisse, wie etwa der Verlauf der Nachfragekurve nach den Produkten des Unternehmens entscheidend. Gleiches gilt für die Veränderung von Preisen für Inputfaktoren durch Überwälzung auf das Unternehmen, die sog. marktbestimmten Steuerlasten. Da sich in der Realität keine Vergleiche mit einer Welt ohne Steuern machen lassen, muss zwar unvermeidlich eine Überwälzungsannahme getroffen werden. Jedoch könnte diese in Extremfällen auch von der üblichen „Pauschalannahme“ abweichen. Beispielsweise gibt es Länder, in denen der Erwerb von privaten Kraftfahrzeugen besonders hohen Konsumsteuern unterworfen wird. Dort liegt der Nettopreis des Fahrzeugs in der Regel besonders günstig, da sich sonst nur wenige Stück absetzen ließen.17 Hier wäre die Reduzierung der Umsatzerlöse wegen der hohen Konsumbesteuerung als Steuerlast anzusehen. c) Steuern der Anteilseigner Ein weiteres gravierendes Manko stellt die Vernachlässigung von Steuern der Anteilseigner dar. Eine solche wäre nur dann zulässig, wenn diese persön-

__________ 14 Vgl. Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S82. 15 Vgl. § 15 UStG. 16 Vgl. Henselmann, Erfolgsmessung und Steuerbelastung, Heidelberg 1994, S. 69. 17 Diese Tatsache macht man sich beim Pkw-Reimport zunutzte. Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 5, §§ 1a, 1b, 3d, 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG.

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Niedrige Steueraufwandsquoten

lichen Steuern über alle Alternativen gleich wären. In der steuerlichen Realität existieren aber zum Teil gravierende Unterschiede, z. B. zwischen regulären Gewinnausschüttungen, Veräußerungsgewinnen, (Gesellschafter-)Fremdfinanzierung, anderen Formen von Vertragsausschüttungen, Abgeltungssteuern auf Kapitalerträge oder der Besteuerung von Personengesellschaften. Bei der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre wird eine Optimierung der Steuerbelastung über die ökonomische Einheit von Gesellschaft und Gesellschafter angestrebt. Sie geht damit konform mit einer unternehmenswertorientierten Geschäftspolitik – maximizing shareholder value. Entsprechend gibt sie Empfehlungen u. a. zur Rechtsformwahl und rechtlichen Strukturierung, zur Finanzierungs- und Ausschüttungspolitik. Hingegen erreicht eine Geschäftspolitik, die ausschließlich auf eine Minimierung der Konzernsteuerquote ausgerichtet ist, in der Praxis bestenfalls zufällig ein Gesamtoptimum von institutioneller Besteuerung der Unternehmung und der persönlichen Besteuerung des Anteilseigners. d) Aufwand der Steuererhebung Neben den Steuerzahlungen als Keimzelle der Steuerbelastung sollte nicht vergessen werden, dass die Steuererhebung auch zu erheblichem Aufwand für das Unternehmen führen kann. Hier sind Planungs-, Deklarations-, und Kontrollkosten zu nennen. Vermehrte Anstrengungen zur Senkung der Steuerzahlungen werden in der Regel gestiegene Steuererhebungskosten mit sich bringen. Fremdleistungen durch Steuerberatungsgesellschaften erhöhen jedoch den sonstigen betrieblichen Aufwand, Eigenleistungen einer Steuerabteilung wohl primär den Personalaufwand. Sie gehen somit nicht mit in die Konzernsteuerquote ein. Für interne Controllingzwecke wäre eine Einbeziehung bei der Leistungsbeurteilung zumindest möglich. Aus externer Sicht liegen jedoch keine Daten vor. e) Aufwand durch steuerlich induzierte Sachverhaltsgestaltungen Weitreichender und weniger offenkundig ist der Zusatzaufwand durch steuerlich induzierte Sachverhaltsgestaltungen. Beispielsweise werden für Funktionsverlagerungen besondere Gesellschaften im Ausland gegründet. Diese zusätzlichen Einheiten ziehen einmalige und laufende Kosten wie Büromieten, Personal, Telefon, Reisespesen, Jahresabschluss- und Prüfungskosten, Registergebühren u. a. nach sich. In anderen Fällen lässt man komplexe Vertragswerke erarbeiten, deren abgestimmtes Zusammenwirken zu einer geringeren Besteuerung führen soll. Jedoch schafft auch noch der bloße Vollzug zusätzlichen Verwaltungsaufwand, z. B. durch Dokumentationserfordernisse. Steuerlich induzierte Sachverhaltsgestaltungen lösen somit auch wieder Belastungen aus. Es kommt faktisch zur Substitution von Steuerkosten durch andere Kostenarten. Naturgemäß haben weder Steuerberater noch Steuerabteilungen ein Interesse daran, hierauf hinzuweisen. 499

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Zum Nutzen des Unternehmens und seiner Gesellschafter ist zu hoffen, dass die Kostensubstitution nur partiell ist und eine Nettoersparnis verbleibt. Das ist nicht immer auf den ersten Blick festzustellen. Die Zusatzkosten lassen sich teilweise nur schwer von operativen Ausgaben abgrenzen. Nicht selten werden auch größere Ausgaben zur steuerlichen Strukturoptimierung als „Anfangsinvestition“ getätigt, denen man bedeutende „Dauerersparnisse“ in der Folgezeit gegenüberstellt. Kritisch zu hinterfragen ist aber die tatsächliche Amortisation dieser Strukturen, da geschäftspolitische Neuausrichtungen und/oder exogene Datenänderungen regelmäßige Änderungszwänge bewirken können. f) Interpretationsprobleme Die Aussagekraft der Konzernsteuerquote im Zeit- und Betriebsvergleich wird daneben durch gewisse Interpretationsprobleme gestört. So fallen nicht abzugsfähige Aufwendungen – sowie teilweise steuerfreie Erträge – oft für bestimmte Sachverhalte unanhängig vom Beschäftigungsniveau und der Ertragslage des Unternehmens an. Die hierauf entfallenden Steuern weisen somit eine Art Fixkostencharakter auf. Ihr Stellenwert hängt von der Höhe des Gesamtgewinns ab. Sinkt der Gewinn, so erhöht sich automatisch die relative Bedeutung nicht abzugsfähiger Aufwendungen und die Konzernsteuerquote steigt, ohne dass die Steuerabteilung hierauf Einfluss besitzt. Im Falle negativer Gewinne kommt es – einen Gleichlauf zwischen Jahresabschlussgewinn und Steuerbemessungsgrundlage vorausgesetzt – zu einem Bruch mit negativem Zähler und negativem Nenner. Der negative Zähler spiegelt einen Ertrag durch Steuererstattungen wider. Dies macht deutlich, dass in dieser Situation keine möglichst niedrige, sondern vielmehr eine möglichst hohe Konzernsteuerquote vorteilhaft wäre.18 Besonders schwer zu deuten sind negative Steuerquoten.19 Sie entstehen durch (Ertrags-)Steueraufwand trotz Verlusten oder Steuererträgen trotz Gewinnen. Letztlich zeigen diese Situationen, dass die zeitliche Abstimmung zwischen Zähler und Nenner nur lückenhaft ist.

III. Zeiteffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke Sowohl der Steueraufwand im Zähler als auch der Gewinn im Nenner ergeben sich letztlich durch eine bilanzielle Umperiodisierung von Zahlungen. In einer

__________ 18 Vgl. Hannemann/Peffermann, IAS-Konzernsteuerquote: Begrenzte Aussagekraft für die steuerliche Performance eines Konzerns, BB 2003, 727 (730). 19 Vgl. Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S83.

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Niedrige Steueraufwandsquoten

Welt unvollkommener und unvollständiger Kapitalmärkte lassen sich diese Bilanzierungsregeln nur normativ festlegen. Dies geschieht sowohl im Rahmen der IFRS-Rechnungslegung als auch der Steuerbilanz.20 Beide Rechtskreise können – und werden in der Regel – jedoch unterschiedliche Periodisierungsvorschriften verwenden. Als Konsequenz weicht dann für ein bestimmtes Jahr der steuerbilanzielle Gewinn vom IFRS-Gewinn vor Ertragsteuern ab. Der tatsächliche Steueraufwand des Jahres „passt“ nicht mehr zum Gewinn der Rechnungslegung. Beispielsweise wirft eine Maschine mit Anschaffungskosten von 600 laufende Objektzahlungsüberschüsse, die mit dem EBITDA übereinstimmen, von 300 ab. Trotz einer geschätzten Nutzungsdauer von 6 Jahren nach IAS 16.56 darf sie steuerlich nur über 4 Jahre abgeschrieben werden (Abbildung 1). Jahr Zahlungsüberschuss vor Steuern steuerliche Bilanzierung steuerliche Abschreibung

t0 600

steuerlicher Gewinn Steuerzahlung Zahlungsüberschuss nach Steuern Barwert bei 6 %

t1

t2

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300 300 300 300 450 300 150 0 – 150 – 150 – 150 – 150

300 0 0

300 0 0

150 – 60

150 – 60

150 – 60

150 300 300 – 60 – 120 – 120

240

240

240

240

180

180

1093,02

Abbildung 1: Steuerzahlungen (bei Nutzungsdauer 4 Jahre) und Barwert des Unternehmens

Den IFRS-Abschreibungen von 100 p. a. stehen somit in den ersten 4 Jahren Steuerabschreibungen von 150 gegenüber. Bei einem Ertragsteuersatz von 40 % führt dies relativ zum IFRS-Gewinn vor Steuern (!) zu Mindersteuerzahlungen von 50 · 0,40 = 20. Dieser vierfachen Entlastung entsprechen jedoch absehbare Steuermehrzahlungen von 100 · 0,40 = 40 in den Jahren 5 und 6. Ein jährlicher Vergleich des tatsächlichen Steueraufwands mit dem IFRSGewinn würde hier zu im Zeitablauf stark schwankenden – erst geringen, dann hohen – (vorläufigen) Konzernsteuerquoten führen (Abbildung 2).21

__________ 20 Bei Betätigung in mehreren Ländern kann es selbstverständlich zu unterschiedlichen steuerlichen Bilanzierungsregeln kommen. Vgl. Endres u. a., The Determination of Corporate Taxable Income in the EU Member States, Alphen aan den Rijn 2007. 21 Vgl. Hannemann/Peffermann, IAS-Konzernsteuerquote: Begrenzte Aussagekraft für die steuerliche Performance eines Konzerns, BB 2003, 727.

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Klaus Henselmann Jahr EBITDA IFRS-Bilanzierung IFRS-Abschreibung

t0

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300 300 300 300 300 300 600 500 400 300 200 100 0 – 100 – 100 – 100 – 100 – 100 – 100

IFRS-Gewinn vor Steuern Aufwand für Steuerzahlung

200 200 200 200 200 200 – 60 – 60 – 60 – 60 – 120 – 120

IFRS-Gewinn nach tatsächlichen Steuern Steuerquote vorläufig

140 140 140 140 80 80 30 % 30 % 30 % 30 % 60 % 60 %

Abbildung 2: Vorläufige Konzernsteuerquoten ohne Antizipation der späteren Mehrzahlungen

Allerdings vermindert sich dieses Problem durch die Berücksichtigung latenter Steuern. IAS 12 sieht grundsätzlich verpflichtend die Berücksichtigung latenter Steuern vor.22 Im oben genannten Fall würde die spätere Mehrbelastung als „zu versteuernde temporäre Differenz“ (IAS 12.15) gelten. Dies führt zu einer Passivierung als Rückstellung und zu einem Steueraufwand in der GuV (IAS 12.58). Die spätere Auflösung der Rückstellung ergibt einen Ertrag aus latenten Steuern. Damit stellt sich folgendes Ergebnis ein: Die Summe aus tatsächlichen und latenten Steuern im externen IFRS-Abschluss ist während der gesamten Nutzungsdauer der Maschine konstant. Anfängliche tatsächliche Minderzahlungen (Jahre 1 bis 4) werden durch latenten Steueraufwand angehoben, spätere tatsächliche Mehrbelastungen (Jahre 5 und 6) durch Erträge aus latenten Steuern reduziert. Ceteris paribus verändert sich die Konzernsteuerquote im Zeitablauf nicht (Abbildung 3). Jahr IFRS-Gewinn vor Steuern Aufwand für Steuerzahlung

t0

t1

t2

t3

200 – 60

200 – 60

200 – 60

t4

t5

t6

200 200 200 – 60 – 120 – 120

IFRS-Gewinn nach tatsächlichen Steuern Steuerquote vorläufig Rückstellung für latente Steuern Aufwand/Ertrag aus latenten Steuern gesamter Steueraufwand

140 140 140 140 80 80 30 % 30 % 30 % 30 % 60 % 60 % 20 40 60 80 40 0 – 20 – 20 – 20 – 20 40 40 – 80 – 80 – 80 – 80 – 80 – 80

IFRS-Gewinn nach (gesamten) Steuern Steuerquote

120 120 120 120 120 120 40 % 40 % 40 % 40 % 40 % 40 %

Abbildung 3: Konzernsteuerquoten mit latenten Steuern

__________ 22 Nach Handelsgesetzbuch werden latente Steuern weniger umfassend gebildet als nach IFRS. In diesen Fällen bleibt es bei den zeitlichen Verschiebungen. Vgl. § 274, § 306 HGB; Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S81.

502

Niedrige Steueraufwandsquoten

2. Probleme Diese eben dargestellte, scheinbar so elegante Lösung weist jedoch eine Reihe von Problemfeldern auf. a) Keine Diskontierung der künftigen Mehr- oder Minderbelastungen Zunächst einmal gibt es bei der Abgrenzung latenter Steuern keine Diskontierung der künftigen Mehr- oder Minderbelastungen.23 Die Umperiodisierung erfolgt zum Nominalbetrag ohne Berücksichtigung von Zinseffekten. Tatsächlich ist jedoch bei konstantem Steuertarif eine vierjährige steuerliche Nutzungsdauer günstiger als eine sechsjährige (Abbildung 4):24 Jahr Zahlungsüberschuss vor Steuern steuerliche Bilanzierung steuerliche Abschreibung

t0 600

steuerlicher Gewinn Steuerzahlung Zahlungsüberschuss nach Steuern Barwert bei 6 %

t1

t2

t3

t4

t5

t6

300 300 300 300 300 300 500 400 300 200 100 0 – 100 – 100 – 100 – 100 – 100 – 100 200 200 200 200 200 200 – 80 – 80 – 80 – 80 – 80 – 80 220

220

220

220

220

220

1081,81

Abbildung 4: Steuerzahlungen (bei Nutzungsdauer 6 Jahre) und Barwert des Unternehmens

Die Verkürzung der steuerlichen Nutzungsdauer in Abbildung 1 ist also aus Sicht der Anteilseigner von Vorteil und führt zu einem höheren Unternehmenswert, obwohl sie sich nicht auf die Konzernsteuerquote auswirkt. Generell bleiben alle Maßnahmen der Steuerbilanzpolitik, die durch zeitliche Verschiebungen eine Minderung des Steuerbarwerts bewirken, unsichtbar.25 b) Maßnahmen zur möglichst schnellen Verlustnutzung Das Gleiche gilt für Maßnahmen zur möglichst schnellen Verlustnutzung. Ein sofortiger Verlustausgleich oder Verlustrücktrag ist steuerlich günstiger als erst später zahlungswirksame Verlustvorträge. Als Gestaltung kommt beispielsweise die Schaffung von Organschaften in Frage. Nach IFRS führen Verlustvorträge – ihre Werthaltigkeit vorausgesetzt26 – jedoch sofort zur Aktivierung latenter Steuern und zu einem entsprechenden Steuerertrag.27 Obwohl

__________ 23 Vgl. IAS 12.53. 24 Einer Abgrenzung latenter Steuern bedarf es hier nicht. 25 Vgl. Herzig/Dempfle, Konzernsteuerquote, betriebliche Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, DB 2002, 1 (4). 26 Vgl. IAS 12.34 ff. 27 Vgl. Hannemann/Peffermann, IAS-Konzernsteuerquote: Begrenzte Aussagekraft für die steuerliche Performance eines Konzerns, BB 2003, 727 (729).

503

Klaus Henselmann

der Barwert der Steuererstattungszahlungen sinkt, bleibt die bilanzielle Steueraufwandsquote unverändert. c) Ermessensspielräume bei der Nutzungsdauer Die Nutzungsdauer ist nach IFRS nicht strikt gegeben, sondern hängt von den Einschätzungen des Unternehmens ab.28 Hier existieren natürlich Ermessensspielräume. Auch eine einheitlich in der Steuerbilanz und im IFRS-Abschluss auf 4 Jahre verkürzte Nutzungsdauer verwirklicht die Steuerbilanzpolitik. Sie ist genauso wirksam. Zwar kommt es hier zu absoluten Verschiebungen im Gewinnausweis, aber die bilanzielle Quote des Steueraufwands bleibt unberührt (Abbildung 5). Jahr EBITDA IFRS-Bilanzierung IFRS-Abschreibung IFRS-Gewinn vor Steuern Aufwand für Steuerzahlung

t0 600

t1

t4

t5

t6

300 300 300 300 450 300 150 0 – 150 – 150 – 150 – 150

300 0 0

300 0 0

150 – 60

t2

150 – 60

t3

150 – 60

150 300 300 – 60 – 120 – 120

IFRS-Gewinn nach tatsächlichen Steuern Steuerquote vorläufig Rückstellung für latente Steuern Aufwand/Ertrag aus latenten Steuern gesamter Steueraufwand

90 90 90 90 180 180 40 % 40 % 40 % 40 % 40 % 40 % 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 – 60 – 60 – 60 – 60 – 120 – 120

IFRS-Gewinn nach (gesamten) Steuern Steuerquote

90 90 90 90 180 180 40 % 40 % 40 % 40 % 40 % 40 %

Abbildung 5: Konzernsteuerquoten bei einheitlich verkürzter Nutzungsdauer

Es sei daher nochmals ausdrücklich betont, dass die mangelnde Erfassung der intertemporalen Gewinnausweispolitik in der Konzernsteuerquote beileibe nicht an das Auftreten latenter Steuern gebunden ist. Dies stellt vielmehr ein generelles Problem dar. d) Ermessensspielräume bei der Nutzungsdauer Dies führt automatisch weiter zur Frage, welcher Gewinnausweis denn nun der „richtige“ Eichstrich für die Berechnung der Effektivsteuerbelastung sei. Obwohl die Konzernsteuerquote in IAS 12.81 (c) (ii) im Englischen als „effective tax rate“ und im Deutschen als „effektiver Steuersatz“ bezeichnet wird, handelt es sich um keine wirkliche Effektivsteuerbelastung im ökonomischen Sinne. Diese muss sich von normativen und letztlich willkürlichen Bilanzierungsregeln lösen. Eine ökonomische Effektivsteuerbelastung kann nur auf der Grundlage von Zahlungsströmen – sowohl der Objektzahlungsreihe als auch

__________ 28 Zu den Kriterien vgl. IAS 16.56 f.

504

Niedrige Steueraufwandsquoten

der Steuerzahlungsreihe – berechnet werden. Meist vergleicht man die interne Rendite einer Investition vor Steuerzahlungen (r) mit der internen Rendite nach Abzug von Steuern (rs). Die relative Renditeminderung gilt als effektive Steuerbelastung (Abbildung 6):29 ökonomische Effektivsteuerbelastung = (r – rs) : r = (44,5 % – 30,5 %) : 44,5 % = 14,0 % : 44,5 % = 31,6 %. Diese Zahl weicht deutlich von der Konzernsteuerquote ab. Jahr Zahlungsüberschuss vor Steuern interne Rendite r Zahlungsüberschuss nach Steuern interne Rendite rs

t0

t1

t2

t3

t4

t5

t6

– 600 44,5 % – 600 30,5 %

300

300

300

300

300

300

240

240

240

240

180

180

Abbildung 6: Interne Renditen vor und nach Steuern

e) Latente Steuerschulden aus der Aktivierung eines Geschäftsoder Firmenwertes Ausnahmsweise werden nach IFRS keine latenten Steuerschulden aus der Aktivierung eines Geschäfts- oder Firmenwertes passiviert.30 Grundsätzlich wirken sich Goodwillabschreibungen im Konzernabschluss nicht auf die steuerliche Bemessungsgrundlage aus. In der Steuerbilanz des Mutterunternehmens bleibt die Beteiligung mit ihren Anschaffungskosten aktiviert. Daher mindern Firmenwertabschreibungen zwar den IFRS-Gewinn, aber nicht die Ertragsteuern. Als Konsequenz davon steigt die Konzernsteuerquote über die Tarifbelastung an. Der Effekt sollte allerdings in der von IAS 12.81 (c) verlangten Überleitungsrechnung ausgewiesen werden und von einem aufmerksamen Bilanzanalytiker korrigierbar sein.31 Indessen besteht hier ein Zusammenhang mit Einmaleffekten aus der Veräußerung der Beteiligung. Gesetzt den Fall, die Anteile werden zu den ursprünglichen Anschaffungskosten verkauft, so entsteht steuerlich gar kein Gewinn. Haben jedoch Firmenwertabschreibungen stattgefunden, so weist der

__________ 29 Zu unterschiedlichen Konzepten der ökonomischen Steuerbelastung vgl. im Überblick Henselmann, Erfolgsmessung und Steuerbelastung, Heidelberg 1994, S. 74 ff.; Fullerton, Which Effective Tax Rate?, National Tax Journal 1984, 23; King/Fullerton, The Taxation of Income from Capital, Chicago 1984, S. 9; Boadway, The Theory and Measurement of Effective Tax Rates, in Mintz/Purvis (Hrsg.), Impact of Taxation on Investment Activity, Kingston 1988, S. 61 ff.; Schneider, Wider leichtfertige Steuerbelastungsvergleiche, WPg 1988, 281; Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 6. Aufl., Wiesbaden 1990, S. 163; Devereux/Griffith, Evaluating Tax Policy for Location Decisions, International Tax and Public Finance 2003, S. 107 ff. 30 Vgl. IAS 12.15 (a), 12.21, 12.66. 31 Vgl. Dahlke/von Eitzen, Steuerliche Überleitungsrechnung im Rahmen der Bilanzierung latenter Steuern nach IAS 12, DB 2003, 2237 (2240).

505

Klaus Henselmann

IFRS-Abschluss für den gleichen Preis einen entsprechenden Veräußerungsgewinn auf. Es tritt ein Kompensationseffekt ein: Dieser Gewinn ohne Steuerzahlungen reduziert die Konzernsteuerquote.32 Letztlich sind Zähler und Nenner zeitlich nicht genügend aufeinander abgestimmt. f) Interne Steuerschätzungen und Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Dem verbuchten Steueraufwand liegen meist interne Schätzungen durch Veranlagungssimulation33 oder Steuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung34 zugrunde. Der Steuerfall wurde hier von den Finanzbehörden noch nicht abschließend geprüft, der Steuerbescheid folgt in der Regel den Angaben des Steuerpflichtigen. Dessen Steuererklärung wird in strittigen Grenzfällen der für ihn günstigen Rechtsauffassung entsprechen. Mit Hilfe einer aggressiven Steuerpolitik lässt sich so (zunächst) die Konzernsteuerquote senken. Kommt es dann zu einer Außenprüfung, so entstehen nicht selten erhebliche Nachzahlungen. Diese sind periodenfremder Aufwand, kompensieren aber eigentlich nur die ursprünglich „geschönten“ Berechnungen.35 g) Ordentliche, prognosefähige Gewinne aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und anderen Erfolgen Der Jahresabschluss nimmt eine Trennung zwischen ordentlichen, prognosefähigen Gewinnen aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit und anderen Erfolgen vor. Die Gewinn- und Verlustrechnung muss die der gewöhnlichen Tätigkeit zuzurechnenden Steuern gesondert zeigen.36 Darüber hinaus existieren aber auch innerhalb der Besteuerung Einmaleffekte, welche die Prognosefähigkeit des Steueraufwandes beeinträchtigen. Hierzu zählen z. B.:37 – Abweichungen von der Regelbesteuerung bei Veräußerungsgewinnen (siehe oben); – Impairment von Goodwill; – Anpassungen der latenten Steuern bei Änderungen der Werthaltigkeit von Verlustvorträgen;

__________ 32 Vgl. Herzig/Dempfle, Konzernsteuerquote, betriebliche Steuerpolitik und Steuerwettbewerb, DB 2002, 1 (8). 33 Vgl. Henselmann/Schmidt, Gabler-Kompakt-Lexikon Internationales Steuerrecht, Wiesbaden 2003, S. 174 f. 34 Vgl. für Deutschland § 164 AO. Sie können noch bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung geändert werden. 35 Vgl. die Angabepflicht nach IAS 12.81 (b). 36 Vgl. IAS 12.77. 37 Vgl. Dahlke/von Eitzen, Steuerliche Überleitungsrechnung im Rahmen der Bilanzierung latenter Steuern nach IAS 12, DB 2003, 2237 (2238).

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Niedrige Steueraufwandsquoten

– Anpassungen der latenten Steuern bei Änderungen der nationalen Steuersätze; – Umstellungseffekte bei Steuerreformen, wie z. B. der seinerzeitige Wechsel vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Nach IAS 12.80 muss die steuerliche Überleitungsrechnung entsprechende Informationen bereitstellen. Neben der Prognosefähigkeit ist hier auch die Frage angesprochen, inwieweit diese Komponenten von der Steuerabteilung beeinflussbar und somit verantwortbar sind.

IV. Risikoeffekte der Steuerbelastung 1. Grundgedanke Die bilanzielle Steueraufwandsquote ist eine einwertige Größe. Risiken lassen sich an ihr nicht ablesen. Sie versagt also völlig, wenn es darum geht die „Belastung“ des Unternehmens durch steuerlich induzierte und nicht abgesicherte Risiken zu messen.38 Bei Risikoaversion der Anteilseigner mindern zusätzliche Risiken ceteris paribus den Unternehmenswert. 2. Probleme Verschiedene originäre steuerliche Risiken können aus der Sachlage des Steuerpflichtigen, aus der Anwendung und Auslegung der Rechtslage, aus der Entwicklung der Rechtslage sowie aus Haftungsregeln erwachsen:39 – Sachlage des Steuerpflichtigen: Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, wenn ein Tatbestand (Sachverhalt) verwirklicht wird, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO). Dabei kommt es auf den Willen oder Einfluss des Steuerpflichtigen nicht an. Das kann oftmals zu ungewollten und kaum vorhersehbaren Steuerbelastungen führen. – Anwendung der Rechtslage: Bei gegebenem Tatbestand hängt die Besteuerung von dessen rechtlicher Qualifikation ab. Wegen der Komplexität des Steuerrechts stellt die Anwendung und Auslegung der Rechtslage jedoch kein triviales Problem dar. Unbestimmte Rechtsbegriffe, Ermessensnormen oder Gesetzeslücken, die durch Analogien aufgefüllt werden, lassen häufig mehrere Interpretationen zu und erschweren so eine sichere Steuerplanung.40 – Entwicklung der Rechtslage: Ein spezifisch steuerliches Risiko stellt die sich ständig im Fluss befindliche Rechtslage dar. Dies kann durch Gesetzes-

__________ 38 Vgl. Henselmann/A. Rose, Management steuerlicher Risiken, in Götze u. a. (Hrsg.), Risikomanagement, Heidelberg 2001, S. 185 ff. 39 Vgl. auch die Einteilung von G. Rose, Über die Feststellung und Beurteilung von Steuerrisiken im Rahmen der Jahresabschlussprüfung von Kapitalgesellschaften, in Matschke/Schildbach, Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung. Festschrift für Prof. Dr. Günter Sieben zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1998, S. 531 ff. 40 Vgl. G. Rose, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 3. Aufl., Wiesbaden 1992, S. 12 f.

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Klaus Henselmann

änderungen41, durch geänderte Rechtsprechung und durch neue Verwaltungsvorschriften erfolgen. Besonders problematisch hierbei ist die Tatsache, dass der Steuerpflichtige in der Vergangenheit Entscheidungen getroffen hat, deren Wirkungen noch in die Zukunft weiterreichen, und die von der neuen, allenfalls teilweise vorhersehbaren Rechtslage berührt werden. Die Mitnahme kurzfristiger Vorteile mit unsicherer Geltungsdauer und langfristig nachteiligem Exit stellt hier eine Versuchung, aber auch eine Gefahr dar.42 – Haftungsregeln: Steuerzahlungen erfolgen grundsätzlich zur Begleichung eigener Steuerschulden. Daneben kommt allerdings auch die Haftung für fremde Steuerschulden in Betracht.43 Die steuerliche Risikoposition stellt dabei zum Teil auch eine bewusste geschäftspolitische Entscheidung dar. Eine Senkung des erwarteten Steueraufwands ist häufig nur dann möglich, wenn im Gegenzug auch Risiken eingegangen werden. Eine Risikoabsicherung wiederum kostet Geld:44 So bietet eine defensive Gestaltung bestimmter Sachverhalte durchaus die Möglichkeit, Einzelrisiken zu vermeiden, die typischerweise besonders hoch sind. Dazu gehören z. B. Geschäfte mit Angehörigen, Zwischenschaltung ausländischer Basisgesellschaften, Verlustzuweisungsmodelle, oder „zugespitzte“ Rechtskonstruktionen, die leicht in den Verdacht des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) geraten. Hier sollten zumindest die Konditionen einen gewissen Sicherheitsabstand von den nur unscharf definierten Grenzen des steuerlich Zulässigen einhalten.45 Im manchen Fällen kann es empfehlenswert sein, erwünschte Rechtsfolgen, die durch unvorhersehbare Ereignisse vom Wegfall bedroht sind, anderweitig durch gezielte Sachverhaltsverwirklichung abzusichern. Beispielhaft zieht bei einer Betriebsaufspaltung ein Todesfall u. U. das Ende der personellen Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen nach sich. Die ansonsten zwingende Betriebsaufgabe des Besitzunternehmens mit voller Gewinnrealisierung kann aber z. B. durch eine vorherige eigengewerbliche Tätigkeit vermieden werden. Als Preis dieser Sicherheit nimmt man jedoch u. U. Zusatzkosten und/oder eine nachteilige Einschränkung der unternehmerischen Dispositionsfreiheit in Kauf.

__________ 41 Vgl. kritisch zur Gesetzgebungshektik z. B. Karrenbrock, Die Berücksichtigung steuerrechtsspezifischer Ungewissheit in der Unternehmensplanung, Habil. Universität Münster 1999, S. 80. 42 Vgl. Herzig, Gestaltung der Konzernsteuerquote – eine neue Herausforderung für die Steuerberatung?, WPg 2003, Sonderheft, S. S87. 43 Haftungsschuldner nach § 191 Abs. 1 AO. 44 Vgl. ausführlicher Henselmann/A. Rose, Management steuerlicher Risiken, in Götze u. a. (Hrsg.), Risikomanagement, Heidelberg 2001, S. 192 ff. 45 Vgl. Karrenbrock, Die Berücksichtigung steuerrechtsspezifischer Ungewissheit in der Unternehmensplanung, Habil. Universität Münster 1999, S. 174.

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Niedrige Steueraufwandsquoten

V. Fazit Die Konzernsteuerquote bildet sicher einen besseren Maßstab für die Steuerbelastung eines Unternehmens als der bloße Blick auf die gesetzlichen Tarifsteuersätze. Dennoch muss vor Fehlurteilen gewarnt werden.46 Eine Zusammenfassung wichtiger Kritikpunkte gibt die folgende Tabelle wieder (Abbildung 7): in Konzernsteuerquote erfasst nach Beeinflussbarkeit durch Steuerabteilung

Betragseffekte

kaum

teils

überwiegend

Tarifsteuersätze Steuersystem operative Standorte

Beteiligungsstrukturen steuerfreie Einkünfte nicht abzugsfähige Aufwendungen Verlustnutzung

Funktionsverlagerungen Verrechnungspreise Qualifikationskonflikte

nicht erfasst

Nicht-Ertragsteuern Steuerüberwälzung persönliche Steuern Steuererhebungskosten Kosten für Sachverhaltsgestaltung

Zeiteffekte

Glättung durch latente Steuern Trennung zwischen gewöhnlichem und anderem Steueraufwand

Zinseffekte der Steuerbilanzpolitik Zinseffekte der Verlustnutzung ökonomisch richtige Periodisierung Verzerrungen durch Firmenwertabschreibung und Veräußerungen Steuernachzahlungen bei Betriebsprüfungen

Risikoeffekte

(nur realisierte Risiken)

eingegangene steuerliche Risiken Absicherungskosten

Abbildung 7: Grenzen der Konzernsteuerquote

__________ 46 Müller spricht sogar von einer „Erwartungslücke“, vgl. Müller, Die Konzernsteuerquote – Modephänomen oder ernst zu nehmende Kennziffer?, DStR 2002, 1684 (1686). Ebenso warnend Becker/Fuest/Spengel, Konzernsteuerquote und Investitionsverhalten, zfbf 2006, 740.

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Klaus Henselmann

Die bilanzielle Steueraufwandsquote ist – entgegen vieler Meinungen – kein wirkliches Maß für die Effektivsteuerbelastung, denn ein betriebswirtschaftlich zutreffender Steuerbelastungsbegriff umfasst mehr Sachverhalte als sich in ihr niederschlagen. Umgekehrt kann die Steuerabteilung allenfalls Teile der Konzernsteuerquote wirklich beeinflussen. Ihre Gesamthöhe sollte daher nicht als Maßstab für eine im Sinne der Anteilseigner effektive Steuerplanung betrachtet werden.

510

1. Rechtsentwicklungen in Europa Berthold U. Wigger

Zur Einführung einer EU-Steuer: mehr Kontra als Pro Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Eigenmittelsystem der Europäischen Union III. Steuerpolitik 1. Steuerkoordination a) Harmonisierung der indirekten Steuern b) Harmonisierung der direkten Steuern

2. EU-Steuervorschläge der Europäischen Kommission IV. Eine eigene Steuer für die EU? – Ein theoretisches Gegenargument 1. Das Modell 2. Effiziente Steuerlösung 3. Unitarische Steuerlösung 4. Geteilte Steuerlösung V. Schlussbemerkungen

I. Einleitung Schon seit langem, besonders aber seit der Aufnahme der vergleichsweise einkommensschwachen osteuropäischen Staaten in die Europäische Union (EU) gibt es verschiedene Bestrebungen, nicht nur die Ausgabenseite, sondern auch die Einnahmenseite des EU-Budgets völlig neu zu gestalten.1 So haben in jüngerer Zeit der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso, der frühere britische Premierminister Tony Blair und der frühere österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Einführung einer sogenannten EUSteuer vorgeschlagen.2 Grundsätzlich würde es sich dabei um eine Steuer han-

__________ 1 Wird im Weiteren von der Finanzierung der EU gesprochen, so ist streng genommen das Finanzierungssystem der Europäischen Gemeinschaften gemeint. Die EU besitzt bislang keine eigene Rechtspersönlichkeit. Die Finanzierung des EU-Budgets erfolgt über den Haushalt der Europäischen Gemeinschaften. 2 Siehe dazu Crolly, Blair denkt über EU-Steuer nach, Die Welt vom 21.12.2005; Schüssel, Vorstellung des Programms des österreichischen Vorsitzes, Rede des Vorsitzenden des Europäischen Rates vor dem Europäischen Parlament, Plenardebatte des Europäischen Parlaments, 18.1.2006, Straßburg; o. V., Blair fast EU-Steuer ins Auge, Handelsblatt vom 20.12.2005 – Online-Ausgabe. Auch die frühere EU-Kommissarin Michaele Schreyer (2000) und der frühere deutsche Finanzminister Hans Eichel haben sich in der Vergangenheit für die EU-Steuer eingesetzt, vgl. Schreyer, Die Europäische Finanzverfassung vor der Erweiterung, in Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Reformen zur Erweiterung der Europäischen Union, Baden-Baden 2000, S. 119–129. Siehe dazu auch Schick/Märkt, Braucht die EU eine eigene Steuer?, DStZ 2001, 1 (1 f., 27–35).

513

Berthold U. Wigger

deln, die auf zentraleuropäischer Ebene legalisiert und deren Einnahmen dem EU-Budget zufließen würden. Zwar hat der europäische Rat in seiner jüngsten Entscheidung über das System der Eigenmittel der EU die Einführung einer EU-Steuer verworfen. Damit ist das Thema EU-Steuer aber keineswegs ein für alle Mal vom Tisch. Das gegenwärtige System regelt die Eigenmittel der EU bis zum Jahr 2013. Bis dahin wird die Europäische Kommission das Eigenmittelmittelsystem der Union erneut überprüfen und gegebenenfalls Alternativen dazu entwickeln. Von der Einführung einer EU-Steuer versprechen sich deren Befürworter im Wesentlichen zweierlei, nämlich effizientere Budgetentscheidungen und transparentere Finanzierungsregeln. Das Effizienzargument fußt auf dem föderalen Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Entscheidungen über die Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Sektors sollen danach möglichst auf derselben staatlichen oder föderalen Ebene getroffen werden, damit die Nutznießer öffentlicher Leistungen auch deren Finanzierungslasten angemessen in Rechnung stellen.3 Das Transparenzargument andererseits geht von der Annahme aus, dass die redistributiven Elemente des europäischen Finanzierungssystems mit einer EU-Steuer für die Bürger leichter zu erkennen seien und als Folge die gelegentlich polemisch geführte Nettoempfänger-Nettozahler-Diskussion obsolet würde. Beide Argumente sind freilich nicht ohne Widerspruch geblieben. Gegen das Effizienzargument wurde eingewendet, dass das gegenwärtige Finanzierungssystem der EU zwar in der Tat mit dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz kaum kompatibel sei4, dass die Befürworter einer EU-Steuer aber ebenso offen lassen, inwiefern eine solche Steuer geeignet sei, zu mehr fiskalischer Äquivalenz beizutragen.5 Gegen das Transparenzargument andererseits wurde eingewendet, dass sich die Nettoempfänger-Nettozahler-Kritik eher gegen die Ausgaben- als gegen die Einnahmenpraxis der EU richte und sich daher nicht durch die Einführung eines neuen Einnahmeinstruments beheben lasse. Im Übrigen könne auch eine EU-Steuer für distributive Zwecke verwendet werden, die einzelne Gruppen oder ganze Länder unbillig diskriminieren.6

__________ 3 Zum Prinzip der fiskalischen Äquivalenz siehe Olson, The Principle of „Fiscal Equivalence“: The Devision of Responsibilities Among Different Levels of Government, American Economic Review 59 (1969), 479–487; Musgrave, Who Should Tax, Where and What?, in C.E. McLure Jr. (Hrsg.), Tax Assignment in Federal Countries, Canberra 1983, S. 2–19. 4 Siehe z. B. Folkers, Finanz- und Haushaltspolitik, in Klemmer (Hrsg.), Handbuch Europäische Wirtschaftspolitik, München 1998, S. 559–663. 5 Im Detail siehe z. B. Mutén, The Case for an EU Tax is Not Convincing, Intereconomics 36 (2001), S. 228–230; Caesar, Haushalts- und Steuerpolitik in der EU, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 222 (2002), S. 132–150; Wartha, Die Reform des Finanzierungssystems der Europäischen Union: Eine eigene Steuer für die EU-Ebene?, Frankfurt a. M. 2007. 6 Siehe dazu Tabellini, Principles of Policymaking in the European Union: An Economic Perspective, CESifo Forum, 3(2), 2002, S. 16–22.

514

Zur Einführung einer EU-Steuer

Der vorliegende Beitrag stellt erneut die Frage, ob der EU-Ebene eine eigene Steuerhoheit zugewiesen werden sollte. Statt freilich auf Transparenz oder fiskalische Äquivalenz abzustellen, entwickelt der vorliegende Beitrag ein Argument, das sich auf die Theorie sogenannter vertikaler fiskalischer Externalitäten in föderalen Organisationen stützt. Diese Theorie liefert einen Ansatz, mit dem sich die strategische Interaktionen zwischen über- und untergeordneten staatlichen Ebenen in föderalen Organisationen abbilden lassen.7 Sie gibt insbesondere Aufschluss darüber, auf welcher fiskalischen Ebene innerhalb einer Föderation die Besteuerungshoheit angesiedelt werden sollte. Auf der Grundlage der Theorie vertikaler fiskalischer Externalitäten entwickelt der vorliegende Beitrag ein dezidiertes Argument gegen die Einführung einer EUSteuer. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass eine EU-Steuer die mit Steuern ohnehin verbundenen Effizienzverluste weiter erhöhen und außerdem das öffentliche Budget zuungunsten der auf nationaler Ebene erbrachten öffentlichen Leistungen verzerren würde. Um die theoretische Analyse geeignet in den europäischen Kontext einbetten zu können, gibt der vorliegende Beitrag zunächst einen kurzen Überblick über das gegenwärtige Eigenmittelsystem der EU sowie den Stand und die Perspektiven der Steuerharmonisierung.8 Ferner wird kurz auf einige konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung einer EU-Steuer eingegangen. Sodann entwickelt der Beitrag seinen zentralen theoretischen Ansatz und leitet seine beiden Kernthesen her. Der Beitrag schließt mit einigen Anmerkungen zur künftigen Finanzierung der Europäischen Union.

II. Das Eigenmittelsystem der Europäischen Union Gemäß Art. 269 EGV verfügt die Europäische Union mit dem Eigenmittelsystem über ein eigenes Budget, das es ihr erlaubt, ihre Verantwortlichkeiten wahrzunehmen und die dabei entstehenden Kosten zu decken. Das gegenwärtige Eigenmittelsystem setzt sich zusammen aus den sogenannten traditionellen Eigenmitteln sowie den Mehrwertsteuereigenmitteln und den am Bruttonationaleinkommen orientierten Eigenmitteln (BNE-Eigenmittel).9 Die EU muss mit diesen Eigenmitteln ihre gesamten Ausgaben decken, da sie keine Schulden aufnehmen darf. Die traditionellen Eigenmittel sind Einnahmen, die insbesondere aus der gemeinsamen Agrarpolitik entstehen (im Wesentlichen Agrarabschöpfungen und

__________ 7 Zur Theorie der fiskalischen Externalitäten siehe insbesondere Keen, Vertical Tax Externalities in the Theory of Fiscal Federalism, IMF Staff Papers 45 (1998), S. 454– 485. 8 Ausführlichere Darstellungen finden sich u. a. bei Guth, Die derzeitige Finanzverfassung der EU: Entwicklungen und Erfahrungen, in Caesar (Hrsg.), Zur Reform der Finanzverfassung und Strukturpolitik der EU, Baden-Baden 1997, S. 91–110; aktueller Wartha, Die Reform des Finanzierungssystems der Europäischen Union: Eine eigene Steuer für die EU-Ebene?, Frankfurt a. M. 2007. 9 Daneben verfügt die EU über in ihrem Umfang freilich geringfügige Einnahmen z. B. aus der Besteuerung von EU-Bediensteten, Sanktionen und (Straf-)Gebühren.

515

Berthold U. Wigger

Zolleinnahmen).10 Die EU hat volle Souveränität hinsichtlich der Legalisierung und Erhebung dieser Mittel. Sie umfassen freilich nur rund zwölf Prozent ihres Budgets. Die quantitativ weitaus bedeutsameren Mehrwertsteuer- und BNE-Eigenmittel werden im Unterschied zu den traditionellen Eigenmitteln nicht von der EU, sondern von ihren Mitgliedsländern festgelegt. Diese Mittel gleichen daher multilateral ausgehandelten Mitgliedsbeiträgen.11 Jedes Mitgliedsland transferiert einen bestimmten Prozentsatz der Mehrwertsteuerbasis und des Bruttonationaleinkommens an die EU. Die den Eigenmitteln zugrunde gelegte Mehrwertsteuerbasis stimmt dabei indessen nicht mit der Summe der nationalen Mehrwertsteuerbasen überein. Vielmehr werden die Mehrwertsteuer-Eigenmittel berechnet, indem virtuell in jedem Mitgliedsland ein vereinheitlichter Mehrwertsteuersatz auf eine harmonisierte Mehrwertsteuerbasis angewendet wird. Um die – zumindest unterstellte – regressive Wirkung der Mehrwertsteuer zu vermeiden, wird die harmonisierte Mehrwertsteuerbasis auf höchstens fünfzig Prozent des Bruttonationaleinkommens beschränkt. Die im Laufe der Zeit immer wichtiger gewordenen, direkt am Bruttonationaleinkommen bemessenen BNE-Eigenmittel dienen als ein Residual, um die gesamten Einnahmen und die gesamten Ausgaben des EU-Budgets zum Ausgleich zu bringen. Die BNE-Eigenmittel werden anhand einer einheitlichen sogenannten Call-Rate bestimmt, die aufgrund des Residualcharakters dieser Mittel jährlich variieren kann. Gemäß dem aktuellen Eigenmittelbeschluss ist das EU-Budget insgesamt auf 1,24 Prozent der Summe der Bruttonationaleinkommen der Mitgliedsländer beschränkt.

III. Steuerpolitik 1. Steuerkoordination Die EU übt mittlerweile einen erheblichen Einfluss auf die Steuerpolitik ihrer Mitgliedsländer aus. In ihrer gegenwärtigen Gestalt stellt die Steuerpolitik in Europa eine Mischung dar aus Steuerkoordination in einigen Gebieten und Steuerwettbewerb in anderen. Der Steuerwettbewerb wird allerdings im europäischen Kontext von wissenschaftlicher Seite oft eher kritisch beurteilt12 und von offizieller Seite sogar gelegentlich als Hindernis für ein reibungsloses

__________ 10 Im Detail siehe z. B. Huber, Zur Finanzierung der Europäischen Union, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 50 (2001), 49–58. 11 Siehe auch Caesar, Eine neue Finanzverfassung für die EU?, Wirtschaftsdienst 6 (2002), 322–329. 12 Siehe z. B. Sinn, Tax Harmonization and Tax Competition in Europe, European Economic Review 34 (1990), 489–504; Pitlik, Steuerwettbewerb oder Steuerharmonisierung in der WWU?, in Caesar (Hrsg.), Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion: regionale und globale Herausforderungen, Bonn 1998, S. 169–193.

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Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarktes aufgefasst.13 Entsprechend gibt es in der EU starke Bestrebungen nach einer weiteren Koordination der Steuerpolitiken ihrer Mitgliedsländer. Klassische Instrumente der Steuerkoordination sind Empfehlungen und Richtlinien mit dem Ziel, mehr Konvergenz zwischen den Steuerpolitiken der Mitgliedsländer herbeizuführen. Diese Instrumente haben freilich in der Regel keinen rechtlich bindenden Charakter. Eine intensivere Steuerkoordination beinhaltet Steuerharmonisierung, die von partieller Harmonisierung in Form einer Vereinbarung über minimale und maximale Steuersätze bis hin zu vollständiger Harmonisierung in Form von identischen Steuerbasen und Steuersätzen reichen kann. Seit der Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes richtet die EU ein besonderes Augenmerk auf die Steuerharmonisierung als Mittel zur weiteren ökonomischen Integration ihrer Mitgliedsländer. Darüber hinaus hat die Einführung der Währungsunion im Jahr 1999 zu neuen Forderungen nach intensiverer Steuerharmonisierung geführt.14 a) Harmonisierung der indirekten Steuern Art. 93 EGV definiert die legale Basis für die Harmonisierung der Mehrwertsteuer, der speziellen Verbrauchsteuern und anderer indirekter Steuern. Der Artikel fordert, dass die Maßnahmen zur Harmonisierung der indirekten Steuern einem besseren Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarktes zu dienen haben. Insbesondere sollen steuerinduzierte Verzerrungen der Güterströme innerhalb der EU abgebaut werden. Anstrengungen zur Harmonisierung der Mehrwertsteuern gibt es bereits seit geraumer Zeit. Entsprechend ist die Harmonisierung der Mehrwertsteuern im Vergleich zu anderen Steuerarten in der EU bereits sehr weit fortgeschritten. Trotz dieser Anstrengungen folgt das gegenwärtige europäische Mehrwertsteuersystem indessen keinen einheitlichen steuersystematischen Grundsätzen – insbesondere ist es kein reines Ursprungslandsystem. Es stellt vielmehr eine Mischung dar aus Ursprungsland- und Bestimmungslandprinzip mit sehr komplizierten und fehleranfälligen Clearing-Methoden, die umfangreiche Kontrollen erfordern. Für die Zukunft hat die Europäische Kommission freilich ein reines Ursprungslandsystem und sogar eine vollständige Harmonisierung der nationalen Mehrwertsteuern auf der Agenda. b) Harmonisierung der direkten Steuern Die Perspektiven der Harmonisierung der direkten Steuern sind völlig anders. Die Europäischen Verträge enthalten keine expliziten Bestimmungen hinsicht-

__________ 13 Siehe Europäische Kommission, Steuerpolitik in der Europäischen Union – Prioritäten für die nächsten Jahre, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Brüssel 2001, KOM (2001) 260. 14 Siehe Europäische Kommission, Steuerpolitik in der Europäischen Union – Prioritäten für die nächsten Jahre, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Brüssel 2001, KOM (2001) 260.

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lich der Harmonisierung der direkten Steuern. Gleichwohl setzen einige Abmachungen die Harmonisierung der direkten Steuern zumindest implizit auf die Agenda. Art. 293 EGV fordert Verhandlungen zwischen den Mitgliedsländern zur Beseitigung von Doppelbesteuerung. Art. 94 EGV kann sogar als eine legale Basis für die Koordinierung der direkten Steuern aufgefasst werden, weil er die Entscheidungsmechanismen für die Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften regelt, die sich unmittelbar auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken.15 Die Besteuerung von Arbeitseinkommen wird auf der europäischen Ebene nur insoweit koordiniert, als notwendig ist, um Diskriminierung im Gemeinsamen Markt zu vermeiden, die Grundfreiheiten zu sichern und die uneingeschränkte Mobilität zu fördern.16 Auch wenn die Einnahmen aus der Besteuerung von Arbeitseinkommen in allen Mitgliedsländern erheblich zu den öffentlichen Einnahmen beitragen, so variieren die spezifischen Besteuerungsregeln in den einzelnen Ländern zum Teil beträchtlich. Auch die Besteuerung von Unternehmen in der EU basiert auf zum Teil sehr unterschiedlichen nationalen Systemen und die Steuersätze variieren erheblich.17 In der Vergangenheit stellten diese Unterschiede große Hindernisse dar für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit oder Integration von Unternehmen in der EU. Deshalb wurden im Jahr 1990 zwei Richtlinien erlassen – die Fusionsrichtlinie und die Mutter-Tochter-Richtlinie – mit dem Ziel einer Effizienzverbesserung im Unternehmensbereich des Gemeinsamen Marktes.18 Die Fusionsrichtlinie soll steuerliche Nachteile vermeiden, die gegebenenfalls durch Verkaufserlöse bei der Restrukturierung von Gesellschaften mit Unternehmen in verschiedenen Mitgliedsländern entstehen. Die Mutter-TochterRichtlinie soll die doppelte Besteuerung von Gewinnen von Muttergesellschaften mit Töchtern in verschiedenen Mitgliedsländern ausschließen. Basierend auf Art. 293 EGV gibt es des Weiteren Schlichtungsverfahren, um die Doppelbesteuerung von Unternehmen zu vermeiden sowie einen Europäischen Ver-

__________ 15 Siehe Patterson/Martinez Serrano, Tax Co-ordination in the European Union, Working Paper Econ 125, Directorate-General for Research, Economic Affairs Series, Luxemburg 2000; Europäische Kommission, Steuerpolitik in der Europäischen Union – Prioritäten für die nächsten Jahre, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Brüssel 2001, KOM (2001) 260. 16 Siehe Patterson/Martinez Serrano, Tax Co-ordination in the European Union, Working Paper Econ 125, Directorate-General for Research, Economic Affairs Series, Luxemburg 2000; Europäische Kommission, Steuerpolitik in der Europäischen Union – Prioritäten für die nächsten Jahre, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss, Brüssel 2001, KOM (2001) 260. 17 Siehe Patterson/Martinez Serrano, Tax Co-ordination in the European Union, Working Paper Econ 125, Directorate-General for Research, Economic Affairs Series, Luxemburg 2000; Spengel, Unternehmensbesteuerung in der EU quo vadis?, in Lüdicke (Hrsg.), Deutsches Steuerrecht im europäischen Rahmen, Köln 2004, S. 109–155. 18 Beide Direktiven stützen sich auf Art. 94 EGV; im Einzelnen siehe Patterson/ Martinez Serrano, Tax Co-ordination in the European Union, Working Paper Econ 125, Directorate-General for Research, Economic Affairs Series, Luxemburg 2000.

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haltenskodex zur Unternehmensbesteuerung, der – freilich rechtlich nicht bindende – Leitlinien zur Vermeidung von nachteiligem Steuerwettbewerb enthält.19 Intensivere Formen der Koordinierung werden zwar von der Europäischen Kommission geprüft. Allerdings wird nicht erwartet, dass in der näheren Zukunft substantielle Maßnahmen ergriffen werden.20 Angesichts des inzwischen sehr intensiven Steuerwettbewerbs um mobiles Kapital und die daran gekoppelte Erosion der nationalen Steuerbasen wurden die weitestreichenden Schritte zur Koordinierung der direkten Steuern bisher im Bereich der Kapitaleinkommensteuern gemacht. Die 2003 verabschiedete und 2005 in Kraft getretene Richtlinie zur EU-Zinsbesteuerung soll die steuerliche Erfassung von grenzüberschreitenden Zinszahlungen an Privatanleger in der EU verbessern und Steuerhinterziehung vermeiden. Die Richtlinie enthält Regelungen zum verbesserten Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsländern bzw. einheitliche Regelungen zur Erhebung von Quellensteuern in jenen Mitgliedsländern, in denen das Bankgeheimnis in bisheriger Form erhalten bleibt. 2. EU-Steuervorschläge der Europäischen Kommission Die Europäische Kommission konkretisiert in einem Gutachten von 2004 verschiedene Steuern als Kandidaten für eine künftige EU-Steuer. In die engere Wahl gezogen werden eine EU-Mehrwertsteuer und eine EU-CO2/Energiesteuer. Daneben wird aber auch die Einführung einer EU-Körperschaftsteuer, sprich einer direkten Steuer, diskutiert.21 Der Vorschlag zur EU-Mehrwertsteuer beinhaltet ein Zuschlagssystem. Die EU erhält das Recht, auf die Mehrwertsteuersätze der Mitgliedsländer einen Aufschlag zu erheben. Die Steuersätze der Mitgliedsländer sollen weiterhin innerhalb der vorgegebenen Bandbreiten schwanken dürfen. Es soll aber ein einheitlicher EU-Steuersatz gelten, so dass zunächst eine vollständige Harmonisierung der Bemessungsgrundlage in den einzelnen Mitgliedsländer notwendig wäre, um systematische Ungleichbehandlung zwischen den Mitglieds-

__________ 19 Siehe Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Rates „Wirtschafts- und Finanzfragen“ vom 1. Dezember 1997 zur Steuerpolitik – Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 1. Dezember 1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung – Besteuerung von Zinserträgen, Official Journal C 002/1997, 1–6. 20 Siehe Bénassy-Quéré/Dées/Fontagnné/Kadareja/Lahrèche-Rèvil, The Reform of Taxation in EU Member States, Working Paper Econ 127, Directorate-General for Research, Economic Affairs Series, Luxemburg 2001; Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss: Ein Binnenmarkt ohne unternehmenssteuerliche Hindernisse. Ergebnisse, Initiativen, Herausforderungen, Brüssel 2003, KOM (2003) 726; C.E. McLure Jr., The European Commission’s Proposal for Corporate Tax Harmonisation, CESifo Forum 6 (1), 2005, S. 32–41. 21 Siehe Europäische Kommission, Bericht der Kommission über das Funktionieren des Eigenmittelsystems, Brüssel 2004, KOM (2004) 505 endg./2.

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ländern zu vermeiden. Die Kommission sieht den dafür noch notwendigen Harmonisierungsbedarf allerdings als gering an. Bei einer EU-CO2/Energiesteuer würde die Besteuerung an den CO2- oder Energiegehalt eines Energieträgers anknüpfen. Freilich hat sich die Europäische Kommission bei ihrem Vorschlag noch nicht auf eine bestimmte Ausgestaltung festgelegt. Insbesondere ist offen, ob es sich um eine Steuer auf bestimmte Energieträger (z. B. Flugbenzin) oder eine allgemeine Energiesteuer handeln soll. Indessen sind die Harmonisierungsbemühungen für eine EUSteuer mit der EU-Energie-Richtlinie bereits vergleichsweise weit fortgeschritten und dem Kommissionsvorschlag kann entnommen werden, dass sich mit der weitgehend harmonisierten Steuerbasis für Motorkraftstoffe ein guter Anknüpfungspunkt für eine EU-Steuer bietet.22 Der Vorschlag einer EU-Körperschaftsteuer ist im Vergleich zu den beiden anderen Kandidaten weitaus ambitionierter. Sowohl die nationalen Bemessungsgrundlagen als auch die Steuersätze unterscheiden sich nämlich zum Teil erheblich. Daran haben auch verschiedene Harmonisierungsbestrebungen in der Vergangenheit bisher wenig geändert. Entsprechend hält die Kommission die Einführung einer EU-Körperschaftsteuer für weitaus schwieriger und schätzt die dafür notwendige Vorbereitungszeit erheblich länger ein als die Vorbereitungszeit für die beiden anderen Kandidaten.

IV. Eine eigene Steuer für die EU? – Ein theoretisches Gegenargument Vorschläge für eine eigene EU-Steuer beziehen sich – soweit sie als realistische Kandidaten eingeschätzt werden – im Wesentlichen auf indirekte Steuern, die in der Europäischen Union bereits umfangreich harmonisiert worden sind und in Zukunft weiter harmonisiert werden sollen. Nachdem die Harmonisierungsbestrebungen zum Abschluss gekommen sind, dürfte es in der EU bei den indirekten Steuern praktisch keinen Wettbewerb mehr geben. Die indirekten Steuern dürften dann vielmehr einheitlich hinsichtlich Steuerbasis und Steuersatz von den Mitgliedsländern der EU festlegt werden. Die Zuweisung von Besteuerungshoheit an die EU bei den indirekten Steuern würde dann – zugegebenermaßen grob vereinfacht – bedeuten, dass zwei staatliche Ebenen, nämlich die EU und das Kartell der Mitgliedsländer auf die gleiche oder zumindest eine ähnliche Steuerbasis zugreifen. Der gleichzeitige Zugriff über- und untergeordneter staatlicher Ebenen auf eine Steuerbasis führt zu sogenannten vertikalen Steuerexternalitäten.23

__________ 22 Damit wären verbleites und unverbleites Benzin, Diesel und Auto- und Erdgas eingeschlossen. Kraftstoffe im Bereich der Industrieproduktion fallen aber nicht unter die EU-Energie-Richtlinie. 23 Beachte, dass vertikale Steuerexternalitäten nicht allein bei identischen Steuerbasen entstehen. Auch bei zwar nicht identischen aber einander überlappenden Steuerbasen – etwa wenn die EU eine Energie- oder Co2-Steuer erhebt und die Mitgliedsländer eine Mehrwertsteuer auf Mineralöl – kommt es zu vertikalen Steuerexternalitäten.

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Zur Einführung einer EU-Steuer

Vertikale Steuerexternalitäten wurden u. a. untersucht von Flowers24, Keen25, Dahlby26, Wrede27 und Keen/Kotsogiannis28. Der vorliegende modelltheoretische Ansatz lehnt sich an Keen29 an, der sich ebenfalls mit vertikalen Steuerexternalitäten bei indirekten Steuern befasst. Eine besondere Eigenschaft des vorliegenden Ansatzes besteht darin, dass die Modellpolitiker weder vollständig eigennützig noch vollständig gemeinnützig handeln. Es wird gezeigt, dass die Wohlfahrtseffekte einer EU-Steuer eng verbunden sind mit dem Ausmaß der Eigennutzorientierung der Politiker auf den verschiedenen staatlichen Ebenen. Je stärker diese Orientierung, desto weniger wünschenswert ist die Einführung einer EU-Steuer. 1. Das Modell Man betrachte eine föderale Organisation mit n t 1 identischen Mitgliedsländern und einer zentralstaatlichen Ebene. In jedem Mitgliedsland lebe ein repräsentativer Konsument, dessen Präferenzen definiert seien durch die folgende Nutzenfunktion: U(c, x, g, G) = c+u(x)+J(g)+*(G). Darin messen c und x den privaten Konsum des Konsumenten, g das lokale öffentliche Gut, das in dem Mitgliedsland bereitgestellt wird, in dem der Konsument lebt, und G die Ausgaben der zentralstaatlichen Ebene pro Mitgliedsland. Der private Konsum x werde sowohl von dem jeweiligen Mitgliedsland als auch von der Zentrale besteuert. Die Funktionen u, J und * erfüllen die üblichen Monotonie-, Konkavitätsund Inada-Bedingungen. Die spezifische Form der Nutzenfunktion vereinfacht die formale Analyse erheblich. Die additive Separierbarkeit impliziert, dass die Nachfrage nach dem besteuerten Gut x unabhängig ist von dem Angebot des lokalen öffentlichen Gutes g und der zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland G. Die Quasi-Linearität andererseits beinhaltet, dass die Steuern nur einen Substitutionseffekt, aber keinen Einkommenseffekt auf die Nachfrage x auslösen, so dass die Effekte auf x direkt zu den Wohlfahrtseffekten der Besteuerung in Beziehung gesetzt werden können. Schließlich hat die spezifische Form der Nutzenfunktion die praktische Implikation, dass U die gleiche

__________ 24 Flowers, Shared Tax Sources in a Leviathan Model of Federalism, Public Finance Quarterly 16 (1988), S. 67–77. 25 Keen, Pursuing Leviathan: Fiscal Federalism and International Tax Competition, Mimeo 1995; Keen, Vertical Tax Externalities in the Theory of Fiscal Federalism, IMF Staff Papers 45 (1998), S. 454–485. 26 Dahlby, Fiscal Externalities and the Design of Intergovernmental Grants‘, International Tax and Public Finance 3 (1996), S. 55–83. 27 Wrede, Vertical and Horizontal Tax Competition: Will Uncoordinated Leviathans End Up on the Wrong Side of the Laffer Curve?, FinanzArchiv 53 (1996), S. 461–479. 28 Keen/Kotsogiannis, Does Federalism Lead to Excessively High Taxes?, American Economic Review 92 (2002), S. 363–370. 29 Keen, Vertical Tax Externalities in the Theory of Fiscal Federalism, IMF Staff Papers 45 (1998), S. 454–485.

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Dimension wie das Konsumgut c hat. Wird letzteres als Geldgut definiert, so misst U die individuelle Wohlfahrt in Geldeinheiten. Alle Güter werden in kompetitiven Märkten angeboten und die Grenzraten der Transformation zwischen den einzelnen Gütern seien alle gleich eins, d. h. die Produktion einer zusätzlichen Einheit des privaten Gutes x beinhaltet beispielsweise den Verzicht auf eine Einheit des lokalen öffentlichen Gutes g. Die Budgetbeschränkung eines einzelnen Konsumenten lautet c + (1+W) x = m. Darin bezeichnet m das exogen gegebene verfügbare Einkommen des Konsumenten und W = t + T den konsolidierten Steuersatz auf x, bestehend aus dem Steuersatz des jeweiligen Mitgliedslandes t und dem Steuersatz der Zentrale T. Individuelle Nutzenmaximierung liefert die indirekte Nutzenfunktion V(W, g, G) = v(W) + J(g)+*(G),

(1)

mit VW = v’(W) = – x(1+ W), worin x(1+ W) die kompensierte Nachfrage nach dem privaten Konsum x bezeichnet. Für die weitere Analyse beachte, dass für die kompensierte Nachfrageelastizität gilt: H(W) = – x(1+W) x’/x > 0. Der Einfachheit halber wird unterstellt, die konsolidierten Steuereinnahmen, W x, seien konkav in W, so dass die Steuereinnahmen dem bekannten Muster einer Laffer-Kurve folgen. Die staatlichen Ebenen werden durch einen Politiker im jeweiligen Mitgliedsland und einen zentralstaatlichen Politiker repräsentiert. Es wird angenommen, dass die Politiker weder ausschließlich egoistische noch ausschließlich benevolente Ziele verfolgen. Die Präferenzen der Politiker bestehen vielmehr aus einer gewogenen Summe des Umfangs des staatlichen Budgets und der Wohlfahrt der Konsumenten. Im Einzelnen laute die Zielfunktion der Politiker in den Mitgliedsländern S(W, g, G)= D g + V(W, g, G),

(2)

und die Zielfunktion des Politikers auf der zentralstaatlichen Ebene F(W, g, G)= D G + V(W, g, G).

(3)

Darin misst D t 0 die Stärke des Interesses der Politiker an dem Budget, über das sie verfügen. Die Budgetorientierung der Politiker lässt sich mit Niskanens30 ökonomischer Theorie der Bürokratie begründen. Die Wohlfahrtsorientierung hingegen lässt sich damit begründen, dass die an einer Wiederwahl interessierten Politiker die Interessen der Konsumenten, d. h. der Wähler, nicht vollständig vernachlässigen dürfen. Die Annahme, dass die Stärke des Eigeninteresses der Politiker auf der Mitgliedslandsebene und der zentralstaatlichen Ebene einander gleichen, mag im europäischen Kontext kritisch erscheinen. Unter den gegebenen Bedingungen

__________ 30 Niskanen, Bureaucracy and Representative Government, Chicago & New York 1971.

522

Zur Einführung einer EU-Steuer

in der EU könnte insbesondere eingewendet werden, dass die Politiker auf der EU-Ebene aufgrund der nur eingeschränkten demokratischen Kontrolle und Transparenz höhere D-Werte aufweisen als die Politiker in den Mitgliedsländern. Indessen soll die Einführung einer EU-Steuer gerade mit einer Stärkung des europäischen Parlaments und mehr Transparenz der EU-Finanzierung einhergehen und sich der parlamentarischen Entscheidungsfindung in den Mitgliedsländern angleichen. Im Übrigen wird sich später zeigen, dass die abgeleiteten Ergebnisse durch höhere D-Werte auf der EU-Ebene noch verstärkt würden. Das Modell wird durch die Budgets der Mitgliedsländer und der zentralstaatlichen Ebene geschlossen. Jedes Mitgliedsland verausgabt seine Steuereinnahmen t x für die Bereitstellung des lokalen öffentlichen Gute g und die zentralstaatliche Ebene seine Steuereinahmen T x für die Ausgaben pro Mitgliedsland G. Entsprechend lauten die Budgetbeschränkungen: g = t x(1+W),

(4)

G = T x(1+W).

(5)

Im Weiteren werden drei verschiedene Szenarien untersucht. Zunächst wird die effiziente Steuerlösung hergeleitet – effizient freilich nur in einem zweitbesten Sinne, weil die öffentlichen Ausgaben in jedem Fall durch allokativ verzerrende Steuern zu finanzieren sind. Die effiziente Lösung dient als Maßstab, an dem sodann die unitarische und die geteilte Steuerlösung gemessen werden. In der unitarischen Lösung wird nur einer staatlichen Ebene Besteuerungshoheit zugewiesen – also entweder der Zentrale oder dem Kartell der Mitgliedsländer. Die Einnahmen werden in diesem Fall sowohl für das lokale öffentliche Gut in den Mitgliedsländern als auch für die zentralen Ausgaben pro Mitgliedsland verwendet. In der geteilten Lösung dagegen haben beide staatlichen Ebenen Besteuerungshoheit und finanzieren mit ihren Steuereinnahmen jeweils getrennt ihre Ausgaben. 2. Effiziente Steuerlösung Die effiziente Steuerlösung wird charakterisiert durch ein Maximum an Wohlfahrt für die Konsumenten. Entsprechend maximiert die effiziente Lösung den Ausdruck V(W, g, G) unter der Nebenbedingung g +G = W x(1+W), durch entsprechende Wahl von W, g und G. Der effiziente konsolidierte Steuersatz W* und die effizienten Mengen des lokalen öffentliches Gutes g* und der zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland G* sind implizit definiert durch: J ’(g*) = * ’(G*) = MCPF(W*),

(6) 523

Berthold U. Wigger

worin W ª º H W » MCPF(W) = «  ¬  W ¼



die Grenzkosten öffentlicher Mittel (Marginal Costs of Public Funds) zum Steuersatz W misst. Gleichung (6) lässt sich intuitiv leicht erklären. Das erste Gleichheitszeichen besagt, dass in der effizienten Lösung ein zusätzlicher Euro für das lokale öffentliche Gut den Konsumenten den gleichen zusätzlichen Nutzen stiften soll wie ein zusätzlicher Euro für die zentralen Ausgaben pro Mitgliedsland. Der (geldwerte) Grenznutzen aus dem lokalen öffentlichen Gut und den zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland sind demnach ausgeglichen. Damit sichert das erste Gleichheitszeichen eine optimale Aufteilung des Budgets zwischen den lokalen und den zentralstaatlichen Ausgaben. Das zweite Gleichheitszeichen (in Verbindung mit dem ersten) besagt, dass der (geldwerte) zusätzliche Nutzen aus den lokalen oder den zentralstaatlichen Ausgaben den Grenzkosten der öffentlichen Mittel gleichen soll. Letztere messen den geldwerten Nutzenentgang, der den Konsumenten pro zusätzlichem Euro an Steuereinnahmen entsteht. Sie beinhalten neben den direkten Steuerlasten auch die Zusatzlasten der Besteuerung. Ceteris paribus sind die MCPF umso höher, je höher die kompensierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem Gut x, H(W). Da die Zusatzlasten der Besteuerung umso höher sind, je höher die kompensierte Preiselastizität, sollten die lokalen und zentralstaatlichen öffentlichen Ausgaben umso geringer sein, je höher die Zusatzlasten der Besteuerung. 3. Unitarische Steuerlösung Im Falle der unitarischen Besteuerung hat entweder das Kartell der Mitgliedsländer oder die EU-Ebene die volle Besteuerungshoheit. Die jeweilige Ebene finanziert mit den Steuereinnahmen sowohl die öffentlichen Güter in den Mitgliedsländern als auch die EU-Ausgaben je Mitgliedsland. Zwar führen beide Varianten im vorliegenden Modell zum gleichen Ergebnis. Im Folgenden wird aber angenommen, dass das Kartell der Mitgliedsländer mit der Besteuerungshoheit ausgestattet sei. Diese Variante deckt sich eher mit den gegenwärtigen steuerpolitischen Zielsetzungen in der Europäischen Union, die Harmonisierung der Mehrwertsteuer und anderer Verbrauchsteuern zwischen den Mitgliedsländern weiter voranzutreiben. Sind sowohl die staatlichen als auch die föderalen Ausgaben in der Hand des Kartells der Mitgliedsländer, so zielt das Eigeninteresse des Politikers in jedem Mitgliedsland nicht mehr nur auf das jeweilige mitgliedstaatliche Budget, sondern auf das gesamte Budget, das sowohl die Ausgaben für das lokale öffentliche Gut als auch die Ausgaben pro Mitgliedsland umfasst. Jedes Mitglied des Kartells der Mitgliedländer versucht nun durch die Wahl von W, g und G den Ausdruck D (g + G) + V (W, g, G) 524

Zur Einführung einer EU-Steuer

unter der Nebenbedingung g+G=Wx zu maximieren. Die optimale Lösung im Falle unitarischer Besteuerung ist implizit gegeben durch J ’(g u) = * ’(G u) = MCPF(W u)

D,

(7)

worin das Superscript u die unitarische Lösung kennzeichnet. Der Grenznutzen aus dem lokalen öffentlichen Gut und den zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland sind wie in der effizienten Situation ausgeglichen. Das bedeutet, dass die Eigennutzorientierung der Politiker nicht zu einer Verzerrung der Zusammensetzung der öffentlichen Ausgaben von Mitgliedsland und zentralstaatlicher Ebene führt – ein Ergebnis, das unmittelbar aus der Annahme gleicher Eigennutzorientierung auf beiden staatlichen Ebenen resultiert. Der Grenznutzen aus dem lokalen öffentlichen Gut und den zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland gleichen jedoch nur dann den tatsächlichen Grenzkosten der öffentlichen Mittel, MCPF, wenn D = 0 gilt. Nur in diesem Fall ist das Ergebnis im Falle unitarischer Besteuerung effizient. Für alle D > 0 gilt hingegen, dass die Politiker des Kartells der Mitgliedsländer die tatsächlichen MCPF unterschätzen. Dies führt zu Überbesteuerung und zu einer Überbereitstellung sowohl des lokalen öffentlichen Gutes g als auch der zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland G. Weil die Politiker ein größeres Interesse an mitgliedstaatlichen oder zentralstaatlichen Ausgaben haben als der repräsentative Konsument, ist das Ergebnis zunächst nicht überraschend. Im nächsten Abschnitt, der sich mit der Aufteilung der Besteuerungshoheit auf beide föderale Ebenen befasst, wird sich freilich zeigen, dass sich die Effizienzverluste, die auf das Eigeninteresse der Politiker zurückzuführen sind, erhöhen. 4. Geteilte Steuerlösung Im Falle geteilter Besteuerungshoheit steht jeder Ebene die Gesetzgebungshoheit – zumindest die Gestaltungshoheit für den Steuersatz – getrennt zu. Jeder Ebene soll dadurch eine eigenständige Finanzierung des jeweiligen Haushalts ermöglicht werden. Das Kartell der Mitgliedsländer wählt den Steuersatz t (in jedem Land), so dass jedes Land die Bereitstellung des lokalen öffentlichen Gutes finanzieren kann. Die zentralstaatliche Ebene wählt dagegen den Steuersatz T, um die öffentlichen Ausgaben G in jedem Mitgliedsland zu finanzieren. Die strategische Interaktion zwischen dem Kartell der Mitgliedsstaaten und der zentralstaatlichen Ebene wird durch ein nichtkooperatives Spiel dargestellt. Beide Ebenen verfolgen eine Nash-Strategie, wobei die strategische Variable jeder Ebene der Steuersatz ist, über den sie autonom bestimmen kann.31 Als Nash-Spieler wählt jede Ebene jenen Steuersatz, der eine beste Antwort

__________ 31 Steuersätze als strategische Variablen lassen sich mit dem Prinzip „revenues first, expenditures second“ rechtfertigen.

525

Berthold U. Wigger

auf den Steuersatz der anderen Ebene darstellt, wobei die Budgetbeschränkungen beider Ebenen jeweils in Rechnung gestellt werden. Unter Berücksichtigung der Zielfunktionen der Politiker auf den beiden Ebenen (2) und (3) und den staatlichen Budgetbeschränkungen (4) und (5) sind die Steuersätze im Nash-Gleichgewicht bei geteilter Besteuerungshoheit, td und Td, definiert durch: td = arg max tt 0 S[t+ Td, t x(1 + t + Td), Td x(1 + t + Td)], Td= arg max Tt 0 F[td + T, td x(1 + td + T), T x(1 + td + T)]. Die Steuersätze im Gleichgewicht sind implizit durch die folgenden Bedingungen erster Ordnung bestimmt: D (x + td x’) – x + J ’(x + td x´)+ * ’ Td x’ = 0, D (x + Td x’) – x + J ’ td x´+ * ’(x + Td x’) = 0. Nach einigen Umformungen erhält man: J ’(g d) = MCPF(W d) – D – eS,

(8)

* ’(G ) = MCPF(W ) – D – eF,

(9)

d

d

worin eS und eF definiert sind durch ª T d  td º eS = D «  H W d » d  W «¬ »¼

ª º Wd H W d » «  d «¬   W »¼

ª td  T d º eF = D «  H W d » d  W «¬ »¼

ª º Wd H W d » «  d «¬   W »¼



Td  Wd



Td  Wd

H W d ,

H W d .

Wegen x + W x’ > 0 gilt eS = 0 und eF = 0, mit > 0 für D > 0. Es folgt demnach, dass im Falle der geteilten Besteuerung der Grenznutzen aus dem lokalen öffentlichen Gut und den zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland für D > 0 noch weiter nach unten von den tatsächlichen Grenzkosten der öffentlichen Mittel, MCPF, abweichen als im Falle der unitarischen Besteuerung. Dafür verantwortlich sind vertikale Steuerexternalitäten, die auftreten, wenn die Besteuerungshoheit auf verschiedene über- und untergeordnete staatliche Ebenen aufgeteilt werden und die Politiker nicht ausschließlich gemeinnützig handeln. Wenn eine der beiden Ebenen ihren Steuersatz anhebt, internalisiert sie zwar sowohl die Erosion der eigenen Steuerbasis als auch die der anderen Ebene, weil die Wohlfahrt der Konsumenten von den Ausgaben beider Ebenen abhängt. Da aber auf jeder Ebene die Politiker den eigenen Ausgaben ein zusätzliches, von der Wohlfahrt der Konsumenten losgelöstes Gewicht beimessen, unterschätzen sie die Erosion der Steuerbasis der jeweils anderen Ebene. Ein Teil der negativen Anreizeffekte der Besteuerung wird demnach auf jeder Ebene nicht internalisiert, sondern ist extern. Auf der mitgliedstaatlichen 526

Zur Einführung einer EU-Steuer

Ebene wird der externe Effekt durch eS und auf der zentralstaatlichen Ebene durch eF gemessen. Wiederum sind die Verzerrungen umso stärker, je größer die Eigennutzorientierung der Politiker und je größer die kompensierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem besteuerten Gut, d. h. je größer D und je größer H. Ergebnis 1 Die Aufteilung der Besteuerungshoheit zwischen den Mitgliedsländern und der zentralstaatlichen Ebene verstärkt die durch die Eigennutzorientierung der Politiker bedingte ineffizient hohe Besteuerung. Dieser Effekt ist umso stärker, je eigennütziger die Politiker und je größer die kompensierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem besteuertem Gut.

Zwar werden die vertikalen fiskalischen Externalitäten, die die beiden staatlichen Ebenen wechselseitig auslösen, durch gleichermaßen stark ausgeprägte Eigennutzorientierungen der Politiker auf beiden Ebenen verursacht. Im Allgemeinen unterscheiden sich die Externalitäten aber in ihrer Intensität, weil die Mitgliedsländer und die zentralstaatliche Ebene im Allgemeinen unterschiedlich hohe Budgets haben. Das wiederum führt dazu, dass neben der höheren Überbesteuerung auch die Aufteilung des öffentlichen Budgets auf die Ausgaben für das lokale öffentliche Gut und die zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland verzerrt werden. Um das zu zeigen, subtrahiere man Gleichung (9) von Gleichung (8). Das liefert nach einigen Umformungen: J ’(g d) = * ’(G d) + D

td  T d  Wd

H W d

(10)

Gleichung (10) impliziert, dass die Aufteilung des öffentlichen Budgets verzerrt ist, wenn die beiden staatlichen Ebenen mit unterschiedlichen Sätzen besteuern, und zwar zugunsten derjenigen Ebene mit dem niedrigeren Steuersatz. Da beide Ebenen die gleiche Basis besteuern, ist das gleichbedeutend damit, dass das Budget zugunsten der staatlichen Ebene mit dem niedrigeren Budget verzerrt wird. Wiederum sind die Verzerrungen umso stärker, je größer die Eigennutzorientierung der Politiker und je größer die kompensierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem besteuerten Gut, d. h. je größer D und je größer H. Ergebnis 2 Die Aufteilung der Besteuerungshoheit zwischen den Mitgliedsländern und der zentralstaatlichen Ebene verzerrt die Verwendung des öffentlichen Budgets für das lokale öffentliche Gut in jedem Mitgliedsland und den zentralstaatlichen Ausgaben pro Mitgliedsland in Richtung jener staatlichen Ebene, die über das kleinere Budget verfügt. Dieser Effekt ist umso stärker, je eigennütziger die Politiker und je größer die kompensierte Preiselastizität der Nachfrage nach dem besteuertem Gut.

Da die Steuereinnahmen (und damit das Budget) auf beiden staatlichen Ebenen bestimmt werden durch die mit dem jeweiligen Steuersatz multiplizierte gemeinsame Steuerbasis, wirkt der Steuersatz einer staatlichen Ebene auf die durch die andere Ebene ausgelöste vertikale Externalität wie ein Hebel. Deshalb ist die von einer staatlichen Ebene ausgelöste Externalität umso stärker, je höher der Steuersatz der anderen staatlichen Ebene. 527

Berthold U. Wigger

Auf den europäischen Kontext angewendet legen die Ergebnisse 1 und 2 nahe, dass die Einführung einer EU-Steuer erstens zu insgesamt höherer (und ineffizienterer) Besteuerung führen wird und dass zweitens das öffentliche Budget zugunsten der EU-Ausgaben (und entsprechend zuungunsten der nationalen Ausgaben) verzerrt wird. Beachte, dass diese Resultate verstärkt würden durch die Annahme, die Eigennutzorientierung der Politiker sei in den Mitgliedsländern und der EU-Ebene nicht gleich, sondern höher auf der EU-Ebene.

V. Schlussbemerkungen Der vorliegende Beitrag hat sich mit der Frage beschäftigt, ob der EU-Ebene als dann in weiteren Grenzen als bisher eigenständiger föderaler Ebene der Europäischen Union eine eigene Besteuerungshoheit zugewiesen werden sollte. Die Frage wurde unter der Annahme behandelt, dass die Zuweisung der Besteuerungshoheit zu einer konkurrierenden Besteuerung derselben oder zumindest einander sehr ähnlichen Bemessungsgrundlagen durch die Mitgliedsländer und die EU-Ebene führt. Als Folge weitreichender Steuerharmonisierungsmaßnahmen wurden die Mitgliedsländer dabei als ein Kartell von Staaten modelliert, das einen einheitlichen Steuersatz auf eine in jedem Mitgliedsland gleichermaßen definierte Bemessungsgrundlage erhebt.32 Letzteres wurde dabei nicht allein mit der gegenwärtigen Harmonisierungsrealität begründet, sondern mehr noch mit den weiteren Harmonisierungsbemühungen, die auf der EU-Agenda stehen. Es wurde gezeigt, dass unter diesen Annahmen die Einführung einer EU-Steuer zu insgesamt ineffizienteren Steuern im Sinne zu hoher Besteuerung in der EU führen würde und dass zudem das öffentliche Budget zugunsten der EU-Ausgaben bzw. zuungunsten der nationalen Ausgaben verzerrt würde. Diese Resultate unterstützen die gelegentlich geäußerte Befürchtung, die Einführung einer EU-Steuer führe zu insgesamt steigenden Steuerlasten für die EU-Bürger.33 Sie widersprechen zudem der Hoffnung, eine EU-Steuer begünstige effizientere Budgetentscheidungen. Alles in allem legt der vorliegende Beitrag nahe, dass der EU-Ebene keine eigene Besteuerungshoheit zugewiesen werden sollte, wenn die Mitgliedsländer der EU die bisherige Politik der Steuerharmonisierung fortsetzen. Bei weitgehend harmonisierten nationalen Steuern ist die gegenwärtige Praxis, das Budget der EU mit Beiträgen der Mitgliedsländer zu finanzieren, die bessere Alternative.

__________ 32 Beachte, dass diese Annahme Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedsländern ausschließt. Steuerwettbewerb würde eine horizontale Externalität auslösen, die typischerweise eine ineffizient geringe Besteuerung bewirkt. 33 Siehe beispielsweise Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Neuordnung des Finanzierungssystems der Europäischen Gemeinschaft, Gutachten vom 18./19.12.1998, BMWi-Studienreihe Nr. 455 (1998).

528

Wolfram Scheffler

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung Auswirkungen eines Übergangs von der direkten Methode auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage

Inhaltsübersicht I. Zielsetzung und Vorgehensweise a) Problemstellung b) Zielsetzung c) Konzentration auf den Vertrieb durch ein ausländisches Tochterunternehmen d) Vorgehensweise II. Grundsätzliche Effekte der beiden Methoden zur zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung 1. Direkte Methode: verrechnungspreisorientierte Erfolgszuordnung a) Zusammensetzung der Kosten b) Aufgabenverteilung c) Auswirkungen auf die Erfolgszuordnung 2. Indirekte Methode: konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage

3. Vergleich der beiden Methoden III. Einfluss des Anteils der einzelnen Kostenarten 1. Allgemeine Beschreibung der Effekte a) Abweichungen bei den Aufteilungsfaktoren b) Abweichungen bei der Gewichtung der Aufteilungsfaktoren 2. Kapitalintensives Unternehmen 3. Personalintensives Unternehmen 4. Materialintensives Unternehmen 5. Auswertung IV. Einfluss der Finanzierung V. Ergebnisse

I. Zielsetzung und Vorgehensweise a) Problemstellung Traditionell erfolgt die zwischenstaatliche Erfolgszuordnung innerhalb eines internationalen Konzerns nach der direkten Methode, d. h. für konzerninterne Lieferungen und Leistungen ist ein angemessenes Entgelt festzusetzen. Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit des Verrechnungspreises bildet der Drittvergleich. Aufgrund der mit der direkten Methode verbundenen praktischen und methodischen Probleme1 hat die EU-Kommission vorgeschlagen,

__________ 1 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 875–877; Jacobs/Spengel/Schäfer, ICT and Profit Allocation within Multinational Groups, intertax 2004, 273–275; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, München 2000, S. 75–124; Oestreicher, Gewinnaufteilung, in Endres u. a., Die internationale Unternehmensbesteuerung im Wandel, München 2005, S. 74–81; Schneider, Wider

529

Wolfram Scheffler

von der verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung (direkte Methode) auf die einheitliche konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (indirekte Methode) überzugehen.2 Die Grundstruktur der einheitlichen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (CCCTB) ist wie folgt gekennzeichnet:3 – Für die Teile eines Unternehmens, die sich innerhalb der EU befinden, wird nach einheitlichen Kriterien eine gemeinsame Bemessungsgrundlage ermittelt. – Diese Gesamtbemessungsgrundlage wird mit Hilfe einer (mehrdimensionalen) Schlüsselung auf die Staaten aufgeteilt, in denen das Unternehmen eine Betriebsstätte oder eine Tochtergesellschaft hat. – Jeder Mitgliedstaat hat das Recht, den auf ihn entfallenden Anteil an der Gesamtbemessungsgrundlage mit dem von ihm festgesetzten Steuersatz zu besteuern. Die Analyse des Einflusses des der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung zugrunde liegenden Konzepts ist nicht nur aus theoretischer Sicht bedeutsam. Sie ist auch steuerpolitisch sehr relevant. Zum einen hat sich die EU-Kommission verpflichtet, bis zum Jahr 2008 einen Vorschlag zur konkreten Ausgestal-

__________ Markpreisen als Verrechnungspreise in der Besteuerung internationaler Konzerne, DB 2003, 53–58; Schröer, Entscheidungswirkungen steuerlicher Erfolgsabgrenzungsparadigmen bei multinationalen Unternehmen, zfbf 2004, 259–281. 2 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 23.10.2001. Ein Binnenmarkt ohne steuerliche Hindernisse. Strategie zur Schaffung einer konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für die grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit in der Europäischen Union, KOM (2001) 582 endg. Zu einer ersten Beurteilung der bisherigen Ergebnisse siehe Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 24.11.2003. Ein Binnenmarkt ohne unternehmenssteuerliche Hindernisse, Ergebnisse, Initiativen, Herausforderungen, KOM (2003) 726 endg.; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 2.5.2007. Umsetzung des Programms der Gemeinschaft für mehr Wachstum und Beschäftigung und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen: Weitere Fortschritte im Jahr 2006 und nächste Schritte zu einem Vorschlag einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), KOM (2007) 223 endg. 3 Siehe hierzu z. B. Kahle, Konzernbesteuerung in der EU: Übergang zur formelhaften Gewinnaufteilung?, WPg 2007, 210–217; Oestreicher, Konzernbesteuerung in Europa. Zum Vorschlag einer konsolidierten körperschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage für die grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit in der EU, StuW 2002, 347–356; Scheffler, EU-einheitliche Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage: Konsolidierungsvoraussetzungen, BB 2003, Beilage 3, 34–36; Schön, Perspektiven der Konzernbesteuerung, ZHR 2007, 426–445; Spengel/Braunagel, EU-Recht und Harmonisierung der Konzernbesteuerung in Deutschland, StuW 2006, 45–49; Weiner, The European Union and Formula Apportionment: Caveat Emptor, ET 2001, 380–388.

530

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

tung der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage vorzulegen.4 Zum anderen hat die derzeitige Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, diese auf europäischer Ebene bestehenden Bestrebungen zu unterstützen.5 b) Zielsetzung In diesem Beitrag werden die Effekte untersucht, die sich durch den mit der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage verbundenen konzeptionellen Wechsel des Konzepts zur zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung ergeben. Aus Sicht der Mitgliedstaaten der EU ist diese Fragestellung insoweit von Interesse, wie sich die Aufteilung des Gesamterfolgs auf den Staat, in dem die Spitzeneinheit ansässig ist, und auf den Staat, in dem eine Grundeinheit (Betriebsstätte, Tochtergesellschaft) tätig ist, auf ihr Steueraufkommen auswirkt: Veränderung des Steueraufkommens im Sitzstaat des Mutterunternehmens

V 0 u '%0*

Veränderung des Steueraufkommens im Tätigkeitsstaat des Tochterunternehmens

V 7 u '%0*

mit

V0

= Steuersatz im Sitzstaat des Mutterunternehmens (Spitzeneinheit),

V7

= Steuersatz im Sitzstaat des Tochterunternehmens (Grundeinheit),

'%0* = Veränderung der Bemessungsgrundlage durch Wechsel des Konzepts der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung.

Die durch den Wechsel des Konzepts der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung resultierende Veränderung der Bemessungsgrundlage in dem jeweiligen Mitgliedstaat ( '%0* ) entspricht der Differenz zwischen dem Gewinn der in diesem Staat ansässigen Konzerneinheit, der sich bei einer verrechnungspreisorientierten Aufteilung des Gesamtgewinns der Bemessungsgrundlage ( %0*93 ) ergibt, und dem im Rahmen der konsolidierten KörperschaftsteuerBemessungsgrundlage zugeteilten Anteil am Gesamtgewinn ( %0*&&&7% ), mit '%0* %0*93  %0*&&&7% .

__________ 4 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 2.5.2007. Umsetzung des Programms der Gemeinschaft für mehr Wachstum und Beschäftigung und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von EUUnternehmen: Weitere Fortschritte im Jahr 2006 und nächste Schritte zu einem Vorschlag einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB), KOM (2007) 223 endg., S. 8. 5 Vgl. http://bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Koalitionsvertrag/koa litionsvertrag.html, Abschn. II 2 8. Siehe hierzu auch den Bericht zur Internationalen Steuerkonferenz über eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, 15. und 16.5.2007 im Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht des BMF, Juni 2007, S. 61–65.

531

Wolfram Scheffler

Während aus Sicht der Staaten sich das Steueraufkommen um das Produkt „Steuersatz u Veränderung der Bemessungsgrundlage“ verändert, ist aus Sicht eines grenzüberschreitend tätigen Unternehmens die Aufteilung auf die beteiligten Staaten (nur) insoweit von Bedeutung, als sich in den beiden Staaten die Steuerbelastung unterscheidet:6 V 0  V 7 u '%0* V 0  V 7 u %0*93  %0*&&&7%

c) Konzentration auf den Vertrieb durch ein ausländisches Tochterunternehmen Die Auswirkungen auf die Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Staaten sowie die Steuerbelastung der Unternehmen werden anhand einer konkreten Fallgestaltung untersucht: Ein in Deutschland ansässiges Unternehmen (Mutterunternehmen, Spitzeneinheit) vertreibt seine Produkte über im Ausland gegründete Kapitalgesellschaften (Tochterunternehmen, Grundeinheit). Die Produkte werden von dem inländischen Mutterunternehmen hergestellt. In den Ländern, in denen die Abnehmer ansässig sind, wird jeweils ein Tochterunternehmen gegründet. Das Mutterunternehmen veräußert die von ihr produzierten Produkte an die Tochterunternehmen. Beim Vertrieb an die konzernexternen Abnehmer werden die Tochterunternehmen als Eigenhändler tätig, d. h. die ausländischen Tochterunternehmen übernehmen die mit der Vertriebsfunktion verbundenen Risiken.7 Unberücksichtigt bleiben eine andere Aufteilung der betrieblichen Funktionen (wie Produktion oder Forschung und Entwicklung im Ausland) sowie die weiteren Effekte einer konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, wie grenzüberschreitende Verlustverrechnung oder Zwischenerfolgseliminierung. Es wird davon ausgegangen, dass das Vertriebs- bzw. Produktionstochterunternehmen bereits besteht, d. h. die Effekte einer Funktionsverlagerung auf die zwischenstaatliche Erfolgszuordnung werden nicht analysiert. d) Vorgehensweise Die grundsätzlichen Effekte der verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung (direkte Methode) sowie der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemes-

__________ 6 Zur Bedeutung der grenzüberschreitenden Erfolgszuordnung siehe Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl., München 2002, S. 868–870; Scheffler, Besteuerung der grenzüberschreitenden Unternehmenstätigkeit, 2. Aufl., München 2002, S. 14–16. 7 Zum Einfluss der Besteuerung auf die Gestaltung des Auslandsvertriebs unter den geltenden Rahmenbedingungen siehe z. B. Prinz, Besteuerungsfragen inländischer Vertriebsmodelle bei international tätigen Unternehmen, FR 1996, 479–485; Scheffler, Auslandsvertrieb: Gestaltungsempfehlungen aus steuerlicher Sicht, RIW 2001, 321– 328.

532

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

sungsgrundlage (indirekte Methode) werden im Abschnitt II vorgestellt. Dieser Ausgangsfall verdeutlicht die methodische Vorgehensweise. Für die Analyse der praktischen Bedeutung wird das Grundmodell verfeinert. Um den Einfluss des Anteils der einzelnen Kostenarten abzubleiten, wird im Abschnitt III zwischen kapitalintensiven Unternehmen, personalintensiven Unternehmen und materialintensiven Unternehmen unterschieden. Im ersten Schritt wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen vollständig fremdfinanziert ist. Im zweiten Schritt (Abschnitt IV) wird geprüft, welche Veränderungen sich ergeben, wenn das Unternehmen mit Eigenkapital finanziert ist. Abschnitt V fasst die Ergebnisse zusammen. In diesem Zusammenhang wird auch kurz darauf eingegangen, in welcher Beziehung die Änderung der Art und Weise der Erfolgszuordnung zur Verteilung der Besteuerungsrechte bei der Umsatzsteuer steht. Damit wird zum einen einer der Forschungsschwerpunkte von Herrn Reiß aufgegriffen. Zum anderen soll dadurch auch die langjährige Zusammenarbeit mit Herrn Reiß im Studienbereich „Steuern und Prüfung“8 sowie im Steuerinstitut Nürnberg9 verdeutlicht werden.

II. Grundsätzliche Effekte der beiden Methoden zur zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung 1. Direkte Methode: verrechnungspreisorientierte Erfolgszuordnung a) Zusammensetzung der Kosten Leitbild für die Festlegung von Preisen und damit für die Prüfung der Angemessenheit von Verrechnungspreisen ist die Idee, dass ein Unternehmen nur dann auf Dauer besteht, wenn es beim Verkauf seiner Produkte einen Preis erzielt, der die angefallenen Kosten deckt und der es ihm erlaubt, einen angemessenen Gewinn zu erzielen. Diese Überlegung wird im Rahmen der folgenden Analysen dadurch umgesetzt, dass für die Simulation der Marktpreise auf die Kostenaufschlagsmethode abgestellt wird. Es wird unterstellt, dass der kalkulatorische Gewinn (repräsentiert durch den Gewinnaufschlag) mit dem tatsächlich erzielten Gewinn übereinstimmt. Vereinfachend wird davon ausgegangen, dass die Rendite der drei Produktionsfaktoren sowie in den beiden Ländern gleich hoch ist. Bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode erfolgt eine Konzentration auf drei Grundkostenarten: Kapitalkosten, Personalkosten sowie Materialverbrauch. In diesem Abschnitt wird davon ausgegangen, dass sich die Gesamtkosten auf

__________ 8 Im Studienbereich „Steuern und Prüfung“ werden Forschung und Lehre der beiden eng miteinander verbundenen Bereiche „Besteuerung“ sowie „Prüfung und Unternehmensbewertung“ im Lehrprogramm inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt. Siehe hierzu http://www.stup.wiso.uni-erlangen.de/. 9 Aufgabe des Steuerinstituts Nürnberg ist die Erforschung nationaler, europäischer und internationaler Steuerfragen aus betriebswirtschaftlicher, rechtswissenschaftlicher und volkswirtschaftlicher Perspektive sowie die Etablierung von Forschung und Lehre im Bereich der Steuerwissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg. Siehe hierzu http://www.steuerinstitut.wiso.uni-erlangen.de/.

533

Wolfram Scheffler

1000 belaufen und dass auf die drei Kostenarten jeweils ein Drittel der Gesamtkosten entfällt. Eine differenzierte Aufteilung der Gesamtkosten wird im nachfolgenden Abschnitt III vorgenommen. Bei den Kapitalkosten erfolgt eine Differenzierung in Abschreibungen und Zinskosten, wobei die Abschreibungen den Wertverzehr der für die Produktion eingesetzten Anlagen und die Zinskosten die Fremdkapitalzinsen auf das gebundene Kapital repräsentieren. Bei den Aktiva werden drei Arten von Wirtschaftsgütern betrachtet (Tab. 1): maschinelle Anlagen (Nutzungsdauer 5 Jahre), Gebäude (Nutzungsdauer 40 Jahre) sowie Betriebs- und Geschäftsausstattung (Nutzungsdauer 10 Jahre). Die Abschreibungen werden linear verrechnet. Bezogen auf die Abschreibungen beläuft sich der Anteil der maschinellen Anlagen auf 70 %, der der Gebäude auf 20 % und der der Betriebs- und Geschäftsausstattung auf 10 %. Die Zinskosten betragen 5 % des jeweils gebundenen Kapitals. maschinelle Anlagen Anteil an den Abschreibungen

Gebäude

Geschäftsausstattung

Summe

70 %

20 %

10 %

100 %

Nutzungsdauer

5 Jahre

40 Jahre

10 Jahre



Anschaffungskosten

872,27

1993,77

249,22



Abschreibungen

174,45

49,84

24,92

249,22

Kapitalbindung

523,36

1021,81

137,07



26,17

51,09

6,85

84,11

200,62

100,93

31,78

333,33

Zinskosten Summe der Kapitalkosten

Tab. 1: Aufteilung der Kapitalkosten auf die Wirtschaftsgüter

Die Zusammensetzung der Kapitalkosten aus den beiden Komponenten „Abschreibungen“ und „Zinskosten“ wird beispielhaft für die maschinellen Anlagen erläutert. Die Anschaffungskosten der maschinellen Anlagen betragen 872,27. Bei einer Nutzungsdauer von fünf Jahren belaufen sich die Abschreibungen in jedem Jahr auf 174,45: Abschreibungen =

Anschaffungskosten AK 872,27 = = = 174,45 Nutzungsdauer N 5

Die Zinskosten errechnen sich aus der durchschnittlichen Kapitalbindung der für die Leistungserbringung eingesetzten Wirtschaftsgüter. Diese Durchschnittsbildung erlaubt es, den einperiodigen Berechnungsaufbau beizubehalten. Ein mehrperiodiger Aufbau der Berechnungen würde zwar zu genaueren Ergebnissen führen. Er würde methodisch aber zu keinen weiteren Erkenntnissen führen, lediglich das Ausmaß der berechneten Effekte würde sich von Jahr zu Jahr verändern.

534

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

Die durchschnittliche Kapitalbindung entspricht bei linearer Abschreibung der Hälfte aus Anschaffungskosten und dem Restbuchwert zu Beginn des letzten Nutzungsjahres. Aus Anschaffungskosten von 872,27 und einer fünfjährigen Nutzungsdauer ergibt sich für die Maschinen eine durchschnittliche Kapitalbindung von 523,36: durchschnittliche = 1 u (Anschaffungskosten + Restbuchwert zu Beginn des letzten Nutzungszujahres) Kapitalbindung 2 =

=

1 2 1 2

u (Anschaffungskosten +

u (872,27 +

872,27 5

Anschaffungskosten ) Nutzungsdauer

) = 523,36.

Bei einem Zinssatz von 5 % betragen die Zinskosten 26,17: Zinskosten

= durchschnittliche Kapitalbindung u kalkulatorischer Zinssatz = 523,36 u 5 % = 26,17

Die Addition der Abschreibungen und der Zinskosten ergibt Kapitalkosten von 200,62 = 174,45 + 26,17. Für die Gebäude sowie die Betriebs- und Geschäftsausstattung sind die Berechnungen analog durchzuführen. In der Summe belaufen sich die Kapitalkosten auf 333,33 = 200,62 (maschinelle Anlagen) + 100,93 (Gebäude) + 31,78 (Betriebs- und Geschäftsausstattung). Bei den Personalkosten und dem Materialverbrauch werden im Ausgangsfall gleichfalls Aufwendungen von jeweils einem Drittel der Gesamtkosten von 1000 angenommen. Als Gewinnaufschlag auf die Kosten wird ein einheitlicher Wert von 20 % angesetzt, so dass ein Gewinn von 200 entsteht. Da das ausländische Tochterunternehmen als Eigenhändler tätig wird, gilt dieser Gewinnaufschlag sowohl für das inländische Tochterunternehmen als auch für die im Ausland ansässige Vertriebsgesellschaft. b) Aufgabenverteilung Die Produktion erfolgt im Inland und der Vertrieb wird vom Ausland aus vorgenommen. Für die Verteilung der Kosten und Erlöse auf das inländische Mutterunternehmen sowie das ausländische Tochterunternehmen hat diese Aufgabenteilung folgende Auswirkungen: (1) Die maschinellen Anlagen dienen der Produktion, so dass sie ausschließlich im Inland eingesetzt werden. Insoweit werden die Kapitalkosten vollständig im Inland verrechnet. Die Gebäude und die damit verbundenen Kapitalkosten verteilen sich auf das inländische Mutterunternehmen und das ausländische Vertriebsunternehmen jeweils zur Hälfte. Die Betriebsund Geschäftsausstattung dient der Vertriebstätigkeit, d. h. die daraus resultierenden Kapitalkosten werden ausschließlich im Ausland verrechnet. 535

Wolfram Scheffler

(2) Bei den Personalkosten wird angenommen, dass sie zu 10 % im Verwaltungsbereich, zu 67,50 % bei der Produktion und zu 22,50 % im Vertrieb entstehen. Der Verwaltungsbereich verteilt sich im Verhältnis 85 zu 15 auf das In- und Ausland. Bei Personalkosten von 333,33 fallen damit im Inland 253,33 und im Ausland 80,00 an. Der inländische Anteil setzt sich aus Löhnen im Produktionsbereich (= 225,00 = 67,50 % u 333,33) und im Verwaltungsbereich (= 28,33 = 85 % u 10 % u 333,33) zusammen. Im Ausland sind die Personalkosten im Vertrieb (= 75,00 = 22,50 % u 333,33) und in der Verwaltung (= 5,00 = 15 % u 10 % u 333,33) zusammenzufassen. (3) Die Materialkosten stehen ausschließlich mit der Produktion im Inland in Zusammenhang. (4) Der Außenumsatz entsteht nur beim ausländischen Tochterunternehmen. Die Lieferung der produzierten Erzeugnisse vom inländischen Mutterunternehmen an ihre im Ausland ansässige Vertriebseinheit führt beim Mutterunternehmen zu Ertrag und beim Tochterunternehmen in gleicher Höhe zu Aufwand. c) Auswirkungen auf die Erfolgszuordnung Unter den erläuterten Rahmenbedingungen errechnet sich bei Gesamtkosten von 1000 für die Lieferung der von dem Mutterunternehmen im Inland erstellten Produkte an das ausländische Vertriebsunternehmen ein Verrechnungspreis von 1005,31:

+

= +

+ = + =

Abschreibungen davon a) Maschinen (Anteil 100 %)10 b) Gebäude (Anteil 50 %) c) Betriebs- und Geschäftsausstattung (Anteil 0 %) Zinskosten davon a) Maschinen (Anteil 100 %) b) Gebäude (Anteil 50 %) c) Betriebs- und Geschäftsausstattung (Anteil 0 %) Kapitalkosten Personalkosten a) Produktion (Anteil 100 %) b) Verwaltung (Anteil 85 %) Materialverbrauch (Anteil 100 %) Summe der Kosten Gewinnaufschlag (20 % der Kosten) Preis für die Lieferung vom inländischen Mutterunternehmen an das ausländische Vertriebsunternehmen (Verrechnungspreis)

199,38 174,45 24,92 0,00 51,71 26,17 25,55 0,00 251,09 253,33 225,00 28,33 333,33 837,76 167,55 1005,31

__________ 10 Der angegebene Anteil bezieht sich jeweils auf den Anteil des inländischen Mutterunternehmens an den Kosten der betreffenden Kostenart.

536

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

Auf Ebene des ausländischen Tochterunternehmens stellt sich die Kalkulation wie folgt dar:

+

= +

+ = + + =

Abschreibungen davon a) Maschinen (Anteil 0 %)11 b) Gebäude (Anteil 50 %) c) Betriebs- und Geschäftsausstattung (Anteil 100 %) Zinskosten davon a) Maschinen (Anteil 0 %) b) Gebäude (Anteil 50 %) c) Betriebs- und Geschäftsausstattung (Anteil 100 %) Kapitalkosten Personalkosten a) Vertrieb (Anteil 100 %) b) Verwaltung (Anteil 15 %) Materialverbrauch (Anteil 0 %) Summe der Kosten Gewinnaufschlag (20 % der Kosten) Einkaufspreis (= Verrechnungspreis) Preis beim Verkauf an Endabnehmer

49,84 0,00 24,92 24,92 32,40 0,00 25,55 6,85 82,24 80,00 75,00 5,00 0,00 162,24 32,45 1005,31 1200,00

Das Unternehmen erwirtschaftet insgesamt einen Gewinn in Höhe von 20 % der Gesamtkosten. Der Gewinn von 200 verteilt sich auf die beiden Unternehmensteile im Verhältnis 167,55 (inländisches Mutterunternehmen: Produktion) zu 32,45 (ausländisches Tochterunternehmen: Vertrieb). Der jeweilige Anteil am Gesamtgewinn entspricht dem Gewinnaufschlag auf die bei der betreffenden Unternehmenseinheit entstandenen Kosten. Der Gewinn aus der Produktion wird dem Mutterunternehmen zugeordnet. Beim Tochterunternehmen entsteht insoweit ein Gewinn, als er auf die von ihm ausgeübte Vertriebsfunktion entfällt. 2. Indirekte Methode: konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage Die Art und Weise der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung beeinflusst nicht die Höhe des von dem Unternehmen erzielten Gewinns. Die Unterschiede ergeben sich, wie der Gesamtgewinn von 200 (= 20 % der Kosten von 1000) auf das inländische Mutterunternehmen (produzierende Einheit) sowie das ausländische Tochterunternehmen (Übernahme der Vertriebsfunktion) aufgeteilt wird. Bei der indirekten Methode erfolgt die zwischenstaatliche Erfolgszuordnung mit Hilfe von Schlüsselgrößen. Für die Analysen wird davon ausgegangen, dass bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (CCCTB) unternehmensindividuelle Schlüsselgrößen verwendet werden. Entsprechend der

__________ 11 Der angegebene Anteil bezieht sich jeweils auf den Anteil des ausländischen Tochterunternehmens an den Kosten der betreffenden Kostenart.

537

Wolfram Scheffler

häufig diskutierten „Drei-Faktoren-Methode“12 werden die drei Faktoren „Vermögen“, „Löhne“ und „Umsätze“ jeweils zu einem Drittel einbezogen: Bemessungsgrundlage im Land i = Gesamtgewinn

u(

+(

+(

1

u

3 1 3 1 3

u u

Vermögen im Staat i Gesamtvermögen Personalkosten im Staat i Summe der Personalkosten Umsatz im Staat i ) Gesamtumsatz

Das Vermögen wird aus der Kapitalbindung abgeleitet. Aus Tab. 2 ist zu entnehmen, dass von dem Gesamtvermögen von 1682,24 auf das Inland 1034,27 (= 61,48 %) und auf das Ausland 647,98 (= 38,52 %) entfällt. Die Personalkosten verteilen sich zwischen dem Mutterunternehmen und dem Tochterunternehmen im Verhältnis 253,33 zu 80,00 oder 76 % zu 24 %. Die Umsätze werden ausschließlich dem Tochterunternehmen zugerechnet. Die Lieferung des inländischen Mutterunternehmens an das ausländische Vertriebsunternehmen stellt keinen Außenumsatz dar, so dass bei der Ermittlung des auf das inländische Mutterunternehmen entfallenden Anteils am Gesamtgewinn beim Faktor „Umsatz“ ein Wert von Null angesetzt wird. Vermögen (= Kapitalbindung) maschinelle Anlagen Aufteilung 100 : 0 Gebäude Aufteilung 50 : 50 Geschäftsausstattung Aufteilung 0 : 100 Summe Anteil an Schlüsselgröße „Vermögen“

Anteil im Inland

Anteil im Ausland

523,36

523,36

0,00

1021,81

510,90

510,90

137,07

0,00

137,07

1682,24

1034,27

647,98

100,00 %

61,48 %

38,52 %

Tab. 2: Zusammensetzung der Schlüsselgröße „Vermögen“

__________ 12 Diese Aufteilung wird beispielsweise in einigen Staaten der USA praktiziert, vgl. Hellerstein/McLure, The European Commission’s Report on Company Income Taxation: What the EU Can Learn form the Experience of the US States, ITPF 2004, 211– 213; Sørensen, Company Tax Reform in the European Union, ITPF 2004, 95–96; Weiner, The European Union and Formula Apportionment: Caveat Emptor, ET 2001, 381–382; Weiner/Mintz, An Exploration of Formula Apportionment in the European Union, ET 2002, 348–350.

538

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

Mit Hilfe der ermittelnden Schlüsselgrößen kann die Aufteilung des Gesamtgewinns von 200 vorgenommen werden: – Gewinn des inländischen Mutterunternehmens 

       u u  u  u           u u   u   u      u 

– Gewinn des ausländischen Tochterunternehmens 

       u u  u  u           u u   u   u      u 

Bei der indirekten Erfolgszuordnung entfällt auf das Inland ein Anteil von 91,65. Der ausländischen Tochtergesellschaften werden Einkünfte von 108,35 zugerechnet. 3. Vergleich der beiden Methoden Während bei einer verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung (direkte Methode) dem inländischen Mutternehmen ein Gewinn von 167,55 zugeordnet wurden, sind es bei einer Erfolgszuordnung nach dem Konzept der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage nur 91,65. Der Anteil am Gesamtgewinn sinkt von 83,78 % auf 45,83 %. Die Verschiebung der Bemessungsgrundlagen zu Lasten des Inlands (Sitzstaat der produzierenden Einheit) beläuft sich auf 75,90 oder 37,95 % des Gesamtgewinns (Tab. 3). Umgekehrt stellt sich die Situation aus Sicht des Staats dar, in dem das Tochterunternehmen ansässig ist. Auf die Vertriebsfunktion entfallen bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage 108,35 (= 54,17 % des Gesamtgewinns). Bei der direkten Methode sind es nur 32,45 (entspricht 16,22 %). Dementsprechend erhöht sich durch den Wechsel des Zuordnungskonzepts die Bemessungsgrundlage im Ausland um 75,90, d. h. um 37,95 % des Gesamtgewinns.

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Wolfram Scheffler

direkte Methode

(1) Inland

indirekte Methode

Vergleich

absolut

in Prozent

absolut

in Prozent

absolut

in Prozent

(2)

(3)

(4)

(5)

(6) = (4)–(2)

(7) = (5)–(3)

167,55

83,78 %

91,65

45,83 %

– 75,90

– 37,95 %

Ausland

32,45

16,22 %

108,35

54,17 %

+ 75,90

+ 37,95 %

Summe

200,00

100,00 %

200,00

100,00 %

0,00

0,00 %

Tab. 3: Gewinnaufteilung im Ausgangsfall

Wie aus Tab. 4 deutlich wird, ist aus Sicht des Inlands (Sitzstaat der produzierenden Einheit) die Minderung des Gewinns des Mutterunternehmens um 75,90 auf folgende Effekte zurückzuführen: (1) Bei der direkten Methode setzen sich die Kapitalkosten aus den beiden Komponenten „Abschreibungen“ und „Zinskosten“ zusammen. Bei der indirekten Methode erfolgt die Aufteilung des aus auf den Kapitaleinsatz resultierenden Anteils am Gesamtgewinn entsprechend dem eingesetzten Vermögen. Das Vermögen entspricht dem gebundenen Kapital, so dass hinsichtlich der Zinskosten und der Schlüsselgröße „Vermögen“ für die direkte und indirekte Erfolgszuordnung das gleiche Verhältnis gilt: 61,48 % (Inland) zu 38,52 % (Ausland). Bei der direkten Methode gehen auch die Abschreibungen in die Kalkulation ein. Dies führt dazu, dass sich das Verhältnis der Kapitalkosten auf 75,33 % zu 24,67 % verschiebt. Da die Kapitalkosten ein Drittel der Gesamtkosten von 1000 ausmachen, errechnet sich aus den Kapitalkosten ein Anteil am Gesamtgewinn von 66,67 = 20 % u 1/3 u 1000. Dieser Betrag wird bei der direkten Methode zu 75,33 % dem Inland zugewiesen. Bei der indirekten Methode sind es nur 61,48 %. Bezogen auf den Produktionsfaktor „Kapital“ kommt es also bei einem Übergang zur konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zu einer Minderung des in Deutschland steuerpflichtigen Gewinns um 13,85 Prozentpunkte (= 75,33 % – 61,48 %) oder um 9,23 (= 13,85 % u 66,67). (2) Von den Personalkosten fallen 76 % im Inland an. Stimmen diese mit den gezahlten Löhnen überein, werden sowohl bei der direkten Methode als auch bei einer Schlüsselung des Gesamtgewinns dem Inland jeweils 50,67 (= 76 % u 20 % u 1/3 u 1000) des auf den Einsatz von Mitarbeitern zurückzuführenden Gewinns zugewiesen. (3) Bei der direkten Methode entsteht aus dem Gewinnaufschlag auf den ausschließlich im Inland anfallenden Materialverbrauch beim Mutterunternehmen ein anteiliger Gewinn von 66,67 = 100 % u (20 % u 333,33). Bei der indirekten Methode bildet der Materialverbrauch keine Schlüsselgröße, so dass dem Inland insoweit kein Gewinn zugerechnet wird. (4) Bei der direkten Methode bleibt aufgrund der Konzentration auf die Faktoren, die zur Leistungserstellung beitragen, der Umsatz unberücksichtigt. Aus Sicht der produzierenden Einheit besteht insoweit gegenüber der indi540

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

rekten Methode kein Unterschied, da ihr der Außenumsatz nicht zugerechnet wird. direkte Methode

indirekte Methode

Vergleich

Kapitalkosten / Vermögen

Inland Ausland

75,33 % Inland 24,67 % Ausland

61,48 % Inland 38,52 % Ausland

Personalkosten / Löhne

Inland Ausland

76,00 % Inland 24,00 % Ausland

76,00 % 24,00 %

Materialkosten

Inland

Umsatz

100,00 % –

– Ausland

– 13,85 % + 13,85 %

keine Abweichung Inland

– 100,00 %

100,00 % Ausland + 100,00 %

Tab. 4: Veränderung der Aufteilung des Gesamtgewinns im Ausgangsfall

Aus Sicht des Auslandes, d. h. des Staats, in dem das Vertriebsunternehmen seinen Sitz hat, wirken die vorstehend beschriebenen Effekte mit umgekehrtem Vorzeichen: + Erhöhung, soweit der Anteil des Auslands an den Kapitalkosten geringer ist als der Anteil des Auslands am eingesetzten Vermögen (gemessen an der durchschnittlichen Kapitalbindung), bezogen auf den Teil des Gewinns, der sich aus dem Produktionsfaktor „Kapital“ ergibt (38,52 % – 24,67 %) u 20 % u 333,33

+ 9,23

± keine Abweichung bezogen auf den Teil des Gewinns, der sich aus dem Produktionsfaktor „Personal“ ergibt (24,00 % – 24,00 %) u 20 % u 333,33

± 0,00

+ Erhöhung um den Anteil der Schlüsselgröße „Umsatz“, bezogen auf den Gewinnaufschlag auf die Gesamtkosten 1 /3 u 20 % u 333,33

+ 66,67

= Erhöhung des Anteils des Gewinns des ausländischen Tochterunternehmens

+ 75,90

III. Einfluss des Anteils der einzelnen Kostenarten 1. Allgemeine Beschreibung der Effekte Bei der Analyse des Einflusses des Anteils der einzelnen Kostenarten an den Gesamtkosten wird zwischen kapitalintensiven, personalintensiven und materialintensiven Unternehmen unterschieden. Die Grundüberlegung besteht darin, dass der dominierenden Kostenart jeweils ein Anteil an den Gesamtkosten von 70 % zugewiesen wird. Für die beiden anderen Kostenarten verbleibt jeweils ein Anteil von 15 %. Bei der direkten Methode beeinflusst das Gewicht, das einer Kostenart zugewiesen wird, die zwischenstaatliche Erfolgszuordnung über auf diese Kosten 541

Wolfram Scheffler

verrechneten Gewinnaufschlag den Verrechnungspreis. Demgegenüber ist bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage das Gewicht der drei Schlüsselgrößen „Vermögen“, „Löhne“ und „Umsatz“ mit jeweils einem Drittel unabhängig davon, welche relative Bedeutung die einzelnen Produktionsfaktoren in der konkreten Unternehmenssituation besitzen. a) Abweichungen bei den Aufteilungsfaktoren Bei der verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung gehen in die Preiskalkulation die Kapitalkosten (mit den Unterkomponenten Abschreibungen und Zinskosten), die Personalkosten und der Materialverbrauch ein. Bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage werden die Schlüsselgrößen „Vermögen“, „Löhne“ und „Umsatz“ verwendet. Übereinstimmung besteht nur hinsichtlich der Löhne sowie der Zinskosten bzw. des Vermögens. Abweichungen ergeben sich insbesondere deshalb, weil bei der direkten Methode auf den Materialverbrauch und bei der indirekten Methode auf die Umsätze abgestellt wird. Eine weitere, deutlich geringere Differenz resultiert daraus, dass beim Produktionsfaktor „Kapital“ das Verhältnis der Abschreibungen vom Verhältnis des Vermögens (gemessen am durchschnittlich gebundenen Kapital) abweicht. b) Abweichungen bei der Gewichtung der Aufteilungsfaktoren Bei der direkten Methode entfällt auf den jeweiligen Produktionsfaktor rechnerisch ein Gewinn von „Gewinnaufschlag u Anteil der betreffenden Kostenart an den Gesamtkosten“. Bei der indirekten Methode ergibt sich der auf einen bestimmten Faktor entfallende Anteil am Gesamtgewinn aus dem Anteil, mit dem dieser Faktor in die Schlüsselung des Gesamtgewinns eingeht. In Abhängigkeit davon, ob es sich um die dominierende Kostenart (Anteil an den Gesamtkosten 70 %) oder um eine der beiden anderen Kostenarten (Anteil jeweils 15 %) handelt, unterscheiden sich die beiden Methoden der zwischenstaatlichen Erfolgszuordnung bei Gesamtkosten von 1000 und einem Gewinnaufschlag von 20 % wie folgt: direkte Methode

Gewinnaufschlag u Anteil der betreffenden Kostenart an den Gesamtkosten = 20 % u 70 % u 1000 bzw. 20 % u 15 % u 1000

indirekte Methode

Gewicht einer Schlüsselgröße u Gesamtgewinn = 1/3 u Gesamtgewinn = 1/3 u (Gewinnaufschlag auf die Gesamtkosten) = 1/3 u 20 % u 1000

Differenz

dominierender Faktor: Minderung um 73,33 = (33,33 % – 70,00 %) u 200 bzw. nicht dominierender Faktor: Erhöhung um 36,67 = (33,33 % – 15,00 %) u 200

542

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

2. Kapitalintensives Unternehmen Ein kapitalintensives Unternehmen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Kapitalkosten 70 % der Gesamtkosten von 1000 ausmachen. Die Kapitalkosten von 700 setzen sich aus Abschreibungen von 523,36 und Zinskosten von 176,64 (= 5 % der durchschnittlichen Kapitalbindung von 3532,71) zusammen. Die Personal- und Materialkosten werden mit jeweils 150 angesetzt. Von dem Gesamtgewinn von 200 entfällt bei einem kapitalintensiven Unternehmen auf das inländische Mutterunternehmen ein Anteil von 158,26. Beim Übergang auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage reduziert sich der inländische Gewinn um 66,60 auf 91,65. Der dem ausländischen Vertriebsunternehmen zugerechnete Gewinn beläuft sich bei einer verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung auf 41,74. Bei der direkten Methode erhöht er sich auf 108,35. Die Erhöhung des Gewinns des ausländischen Tochterunternehmens um 66,60 ist spiegelbildlich zur Minderung des im Inland ausgewiesenen Gewinns. Die Einzeleffekte, die beim Wechsel auf die indirekte Methode entstehen, lassen sich wie folgt gruppieren: inländischer Gewinn

ausländischer Gewinn

anteilige Minderung, soweit der Anteil der Kapitalkosten höher ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, verstärkt, soweit der Anteil des Inlands an den Kapitalkosten höher ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, – (70,00 % u 75,33 % – 33,33 % u 61,48 %) u 200 = – 64,47

anteilige Minderung, soweit der Anteil der Kapitalkosten höher ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, abgeschwächt, soweit der Anteil des Auslands an den Kapitalkosten niedriger ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, – (70,00 % u 24,67 % – 33,33 % u 38,52 %) u 200 = – 8,86

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Personalkosten geringer ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn + 76 % u (33,33 % – 15,00 %) u 200 = + 27,87

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Personalkosten geringer ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn + 24 % u (33,33 % – 15,00 %) = + 8,80

Minderung, soweit der Gesamtgewinn auf die Materialkosten entfällt – 15,00 % u 200 = – 30,00

Erhöhung um den Anteil der Schlüsselgröße „Umsatz“, bezogen auf den Gesamtgewinn 33,33 % u 200 = + 66,67

Gesamteffekt: – 66,60

Gesamteffekt: + 66,60

Tab. 5: Verschiebung der Besteuerungsrechte bei kapitalintensiven Unternehmen

3. Personalintensives Unternehmen Bei einem personalintensiven Unternehmen belaufen sich die Personalkosten auf 700. Die Kapitalkosten und die Materialkosten betragen jeweils 150. Die 543

Wolfram Scheffler

Kapitalkosten von 150 verteilen sich mit 112,15 auf die Abschreibungen und mit 37,85 (= 5 % der durchschnittlichen Kapitalbindung von 757,01) auf die Zinskosten. Bei der direkten Methode entfällt von dem Gesamtgewinn auf das Inland ein Betrag von 159,00. Beim Übergang auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage reduziert sich der inländische Gewinn um 67,34 auf 91,65. Der im Ausland zu versteuernde Gewinn erhöht sich durch den Wechsel von der direkten Erfolgszuordnung zur konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage folglich von 41,00 auf 108,35. Die Ursachen für diese Verschiebung sind in der Tab. 6 zusammengestellt. inländischer Gewinn

ausländischer Gewinn

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Kapitalkosten niedriger ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, abgeschwächt, soweit der Anteil des Inlands an den Kapitalkosten höher ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, + (33,33 % u 61,48 % – 15,00 % u 75,33 %) u 200 = + 18,39

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Kapitalkosten niedriger ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, verstärkt, soweit der Anteil des Auslands an den Kapitalkosten niedriger ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, + (33,33 % u 38,52 % – 15,00 % u 24,67 %) u 200 = + 18,28

anteilige Minderung, soweit der Anteil der Personalkosten höher ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn – 76 % u (70,00 – 33,33 %) u 200 = – 55,73

anteilige Minderung, soweit der Anteil der Personalkosten höher ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn – 24 % u (70,00 – 33,33 %) u 200 = – 17,60

Minderung, soweit der Gesamtgewinn auf die Materialkosten entfällt – 15,00 % u 200 = – 30,00

Erhöhung um den Anteil der Schlüsselgröße „Umsatz“, bezogen auf den Gesamtgewinn 33,33 % u 200 = + 66,67

Gesamteffekt: – 67,34

Gesamteffekt: + 67,34

Tab. 6: Verschiebung der Besteuerungsrechte bei personalintensiven Unternehmen

4. Materialintensives Unternehmen Ein materialintensives Unternehmen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Gesamtkosten aus Materialkosten von 700 sowie Kapitalkosten und Personalkosten von jeweils 150 zusammensetzen. Die Kapitalkosten von 150 ergeben sich – wie beim personalintensiven Unternehmen – aus Abschreibungen von 112,15 und kalkulatorischen Zinsen von 37,85. Bei der direkten Methode wird dem inländischen Mutterunternehmen ein Gewinn von 185,40 zugerechnet. Der Wechsel zur indirekten Methode führt zu einer Minderung des inländischen Gewinns um 93,74 auf 91,65. Der dem ausländischen Vertriebsunternehmen zugerechnete Gewinn beläuft sich bei einer verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung auf 14,60. Bei der indirekten Methode erhöht er sich 544

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

auf 108,35. Die Einzeleffekte sind in der nachstehenden Tabelle wiedergegeben. inländischer Gewinn

ausländischer Gewinn

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Kapitalkosten niedriger ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, abgeschwächt, soweit der Anteil des Inlands an den Kapitalkosten höher ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, + (33,33 % u 61,48 % – 15,00 % u 75,33 %) u 200 = +18,39

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Kapitalkosten niedriger ist als das Gewicht der Größe „Vermögen“, bezogen auf den Gesamtgewinn, verstärkt, soweit der Anteil des Auslands an den Kapitalkosten niedriger ist als der Anteil am eingesetzten Vermögen, + (33,33 % u 38,52 % – 15,00 % u 24,67 %) u 200 = + 18,28

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Personalkosten geringer ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn + 76 % u (33,33 % – 15,00 %) u 200 = + 27,87

anteilige Erhöhung, soweit der Anteil der Personalkosten geringer ist als das Gewicht der Größe „Löhne“, bezogen auf den Gesamtgewinn + 24 % u (33,33 % – 15,00 %) u 200 = + 8,80

Minderung, soweit der Gesamtgewinn auf die Materialkosten entfällt – 70,00 % u 200 = – 140,00

Erhöhung um den Anteil der Schlüsselgröße „Umsatz“, bezogen auf den Gesamtgewinn 33,33 % u 200 = + 66,67

Gesamteffekt: – 93,74

Gesamteffekt: + 93,74

Tab. 7: Verschiebung der Besteuerungsrechte bei materialintensiven Unternehmen

5. Auswertung Bei der direkten Methode hängt die Verteilung des Gesamtgewinns auf das inländische Mutterunternehmen (Einheit, die Produktionsfunktion übernimmt) und das ausländische Tochterunternehmen (Einheit, die Vertriebsfunktion übernimmt) davon ab, ob es sich um ein kapital-, personal- oder materialintensives Unternehmen handelt (Tab. 8, Spalten 3 und 4). Demgegenüber ist bei der indirekten Methode das Verhältnis zwischen in- und ausländischem Gewinn unabhängig davon, welches Gewicht den drei Produktionsfaktoren zukommt (Spalten 5 und 6). Die Ursache hierfür ist, dass bei der direkten Methode der Gewinnaufschlag auf die bei der jeweiligen Einheit anfallenden Kosten verrechnet wird, während bei der indirekten Methode das Gewicht der Schlüsselgrößen unabhängig von den individuellen Verhältnissen des betrachteten Unternehmens ist.

545

Wolfram Scheffler

Ausland

Veränderung im Inland

… bezogen auf Gesamtgewinn

(5)

(6)

(7) = (5) – (3)

(8)

32,45

91,65

108,35

– 75,90

– 37,96 %

41,74

91,65

108,35

– 66,60

– 33,30 %

direkte Methode

indirekte Methode

dominierender Faktor

Geamtgewinn

Inland

Ausland

Inland

(1)

(2)

(3)

(4)

Gleichverteilung

200,00

167,55

Kapital

200,00

158,36

Personal

200,00

159,00

41,00

91,65

108,35

– 67,34

– 33,67 %

Material

200,00

185,40

14,60

91,65

108,35

– 93,74

– 46,87 %

Tab. 8: Gewinnaufteilung in Abhängigkeit vom Anteil der einzelnen Kostenarten (Fremdfinanzierung)

Die Verschiebung der Gewinnzuordnung zu Lasten des inländischen Steueraufkommens und damit zugunsten des ausländischen Steueraufkommens ist auf folgende Faktoren zurückzuführen: – Da der Materialverbrauch in die Schlüsselung nicht eingeht, kommt es beim Vertrieb von im Inland produzierten Wirtschaftsgütern über eine ausländische Tochterkapitalgesellschaft insoweit zu einer Minderung des dem Inland zugewiesenen Anteils am Gesamtgewinn. Analog führt die Schlüsselgröße „Umsatz“ im Ausland zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage um ein Drittel (= Anteil dieses Faktors an der Schlüsselung) des Gesamtgewinns. – Beim dominierenden Faktor ergibt sich insgesamt eine Verringerung des anteiligen Gewinns um 73,33 = (70,00 % – 33,33 %) u 200. Demgegenüber erhöht sich hinsichtlich der beiden Faktoren, denen eine geringere Bedeutung zukommt, bei der indirekten Methode der Anteil am Gesamtgewinn um jeweils 36,67 = (33,33 % –15,00) u 200.13 – Bei den Personalkosten werden die Veränderungen bei beiden Zuordnungskonzepten nach den gleichen Kriterien auf das Inland und Ausland verteilt. Bei den Kapitalkosten kommt es insoweit zu Verschiebungen, als das Verhältnis der Kapitalkosten (direkte Methode) vom Verhältnis des Vermögens (indirekte Methode) abweicht. Der Wechsel des Zuordnungskonzepts wirkt sich bei materialintensiven Unternehmen am stärksten aus, weil der Rückgang des auf den Materialverbrauch entfallenden Gewinnaufschlags ausschließlich im Inland auftritt. Dementsprechend erhöht sich der dem ausländischen Tochterunternehmen zugerechnete Gewinn sowohl über die Schlüsselung der Umsätze als auch durch die erhöhte Zurechnung über die beiden Schlüsselgrößen „Vermögen“ und „Löhne“.

__________ 13 Bei der Erhöhung um 73,33 bzw. der Minderung um 36,67 sind die Verschiebungen vom Materialverbrauch zur Schlüsselgröße „Umsatz“ zusammenzufassen.

546

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

Bei kapital- und personalintensiven Unternehmen ergeben sich aus Sicht des inländischen Steueraufkommens bezogen auf die dominierende Kostenart sowie den Materialverbrauch negative Bemessungsgrundlageneffekte, die durch eine Erhöhung bei dem dritten Produktionsfaktor (Personal bzw. Kapital) zum Teil kompensiert werden. Durch den zusätzlichen Einflussfaktor „Abweichung des Verhältnisses bei den Kapitalkosten“ bzw. der Schlüsselgröße „Vermögen“ ergeben sich für kapital- und personalintensive Unternehmen per Saldo nahezu die gleichen Gesamteffekte, obwohl sich bei kapitalintensiven Unternehmen die Abweichungen bei den Einzeleffekten jeweils stärker bemerkbar machen. Die gegenläufigen Einzeleffekte gleichen sich weitgehend aus.

IV. Einfluss der Finanzierung Bei der bislang untersuchten Fremdfinanzierung sind die in der Kostenrechnung angesetzten Zinskosten mit entsprechenden Ausgaben verbunden. Die Höhe der Kosten stimmt mit der Summe der Aufwendungen überein. Der Gesamtgewinn von 200 entspricht dem nach steuerrechtlichen Kriterien berechneten Gewinn. Bei der in diesem Abschnitt betrachteten Eigenfinanzierung werden in der Kostenrechnung weiterhin Zinskosten verrechnet, so dass sich insoweit weder die Kalkulation noch der Verrechnungspreis verändert. Die Abweichung gegenüber der Fremdfinanzierung besteht darin, dass bei einer Eigenfinanzierung die Zinskosten lediglich kalkulatorischer Art sind. Die Zinskosten gehen zwar in die Preiskalkulation ein. Sie sind allerdings nicht mit Ausgaben verbunden. Aufgrund des an Zahlungen anknüpfenden steuerrechtlichen Gewinnbegriffs fällt der zu versteuernde Gewinn um die kalkulatorischen Zinsen höher aus. In Abhängigkeit davon, welche Bedeutung den einzelnen Produktionsfaktoren zukommt, ergeben sich kalkulatorische Zinsen von 84,11 (jeder Produktionsfaktor wird jeweils mit einem Drittel angesetzt), von 176,64 (kapitalintensives Unternehmen mit einem Anteil der Kapitalkosten von 70 %) oder von 37,85 (personal- bzw. materialintensive Unternehmen mit einem Anteil der Kapitalkosten von 15 %). Der Gesamtgewinn von 200 (so bei Fremdfinanzierung) erhöht sich um die kalkulatorischen Zinsen (Tab. 9, Spalte 2). Die Auswirkungen der Eigenfinanzierung auf die zwischenstaatliche Erfolgszuordnung bei Anwendung der direkten Methode (Tab. 9, Spalten 3 und 4) und der indirekten Methode (Spalten 5 und 6) führen dazu, dass die Verschiebungen bei materialintensiven Unternehmen sowohl absolut (Spalte 7) als auch relativ (Spalte 8) weiterhin am größten sind. Bei Eigenfinanzierung sind bei – absoluter Betrachtung – die Effekte bei kapitalintensiven Unternehmen allerdings nahezu gleich groß wie bei materialintensiven Unternehmen. Bezogen auf den Gesamtgewinn sind die Auswirkungen bei kapitalintensiven Unternehmen aber am geringsten. Bei personalintensiven Unternehmen fallen die Abweichungen absolut am geringsten aus, bei relativer Betrachtung nehmen personalintensive Unternehmen eine Mittelposition ein. 547

Wolfram Scheffler

Ausland

Veränderung im Inland

… bezogen auf Gesamtgewinn

(5)

(6)

(7) = (5) – (3)

(8)

64,85

130,20

153,91

– 89,06

– 31,35 %

109,78

172,60

204,03

– 94,25

– 25,03 %

direkte Methode

indirekte Methode

dominierender Faktor

Geamtgewinn

Inland

Ausland

Inland

(1)

(2)

(3)

(4)

Gleichverteilung

284,11

219,26

Kapital

376,64

266,86

Personal

237,85

182,27

55,58

109,00

128,85

– 73,27

– 30,80 %

Material

237,85

208,67

29,18

109,00

128,85

– 99,67

– 41,90 %

Tab. 9: Gewinnaufteilung in Abhängigkeit vom Anteil der einzelnen Kostenarten (Eigenfinanzierung)

V. Ergebnisse Analysiert wurden die Effekte, die sich bei einem Übergang von der verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung (direkte Methode) auf die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (indirekte Methode) ergeben. Dabei erfolgte eine Konzentration auf die Effekte der zwischenstaatlichen Aufteilung des von einem Unternehmen erzielten Gewinns. Erfolgt die Produktion im Inland und der Vertrieb durch ein im Ausland ansässiges Tochterunternehmen, ergeben sich folgende Ergebnisse: (1) Ein Übergang zur indirekten Methode führt dazu, dass im Vergleich zur direkten Methode ein deutlich höherer Anteil des Gesamtgewinns dem Ausland zugeordnet wird. Die wichtigste Ursache hierfür ist, dass bei einer verrechnungspreisorientierten Erfolgszuordnung dem Inland die auf den Materialverbrauch entfallenden Gewinnanteile zugerechnet werden, während bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage der Materialverbrauch keine Schlüsselgröße darstellt. Vielmehr wird über die Schlüsselgröße „Umsatz“ dem Ausland ein Drittel des Gesamtgewinns zugeordnet. (2) Zu einer weiteren Verschiebung der Besteuerungsrechte kommt es, wenn bei den Schlüsselgrößen „Vermögen“ und „Löhne“ der in dem betrachteten Unternehmen festgestellte Anteil der Produktionsfaktoren „eingesetztes Kapital“ und „Personal“ von dem in der Schlüsselgröße mit jeweils einem Drittel festgesetzten Anteil abweicht. Beim dominierenden Faktor ergibt sich eine Verringerung des anteiligen Gewinns, während sich bei den beiden Faktoren, denen eine geringere Bedeutung zukommt, bei der indirekten Methode der Anteil am Gesamtgewinn erhöht. (3) Veränderungen ergeben sich auch daraus, dass bei einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation der Produktionsfaktor „eingesetztes Kapital“ über die Abschreibungen (Wertverzehr der für die Produktion eingesetzten Anlagen) 548

Auslandsvertrieb und zwischenstaatliche Erfolgszuordnung

sowie kalkulatorische Zinsen (Verzinsung des gebundenen Kapitals) erfasst wird, während bei der indirekten Methode der Wert des eingesetzten Vermögens als Schlüsselgröße verwendet wird. Da sich die Zinskosten aus dem gebundenen Kapital ableiten, stimmt das Verhältnis der Zinskosten mit dem Verhältnis des eingesetzten Vermögens überein. Abweichungen ergeben sich insoweit, als sich das Verhältnis der Abschreibungen nicht mit dem Verhältnis der Zinskosten deckt. (4) Bei einer Fremdfinanzierung stimmen grundsätzlich die in der Kostenrechnung angesetzten Zinsen mit den gezahlten Zinsen überein. Demgegenüber kommt es bei einer Eigenfinanzierung zu einer Erhöhung des steuerpflichtigen Gewinns, weil die kalkulatorischen Zinsen zwar in die Preiskalkulation eingehen, sie aber nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen. Dies führt dazu, dass sich bei einer Eigenfinanzierung im Vergleich zur Fremdfinanzierung absolut betrachtet die Verschiebungen der Besteuerungsrechte verstärken. Besonders stark macht sich dieser Effekt bei kapitalintensiven Unternehmen bemerkbar. Aus den Untersuchungen leitet sich die Überlegung ab, bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zusätzlich den Materialaufwand und die Abschreibungen als Schlüsselgrößen zu verwenden: (1) Durch Einbezug des Materialverbrauchs würde auch dieser Produktionsfaktor berücksichtigt und nicht nur die Kapitalkosten und die Personalkosten. (2) Beim Einbezug der Abschreibungen würden die Kapitalkosten vollständig erfasst und nicht nur – über das eingesetzte Vermögen – die kalkulatorischen Zinsen. Aus methodischer Sicht zeigt sich, dass der direkten Methode eine produktionsbezogene Betrachtung zugrunde liegt, d. h. es erfolgt eine Konzentration auf die Faktoren, die zur Leistungserstellung beitragen. Demgegenüber löst sich die indirekte Methode von der ausschließlichen Betrachtung des Leistungserstellungsprozesses. Bei der konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage werden nämlich mit den Schlüsselgrößen „Vermögen“ und „Löhne“ die Produktionsfaktoren nur zum Teil erfasst (der Materialverbrauch bleibt unberücksichtigt) und mit der Schlüsselgröße „Umsatz“ zusätzlich die Absatzseite berücksichtigt.14 An dieser Stelle soll offen bleiben, ob die direkte Methode mit ihrer Konzentration auf den Prozess der Leistungserstellung zu einer „gerechteren“ Aufteilung der Besteuerungsrechte zwischen den beteilig-

__________ 14 Vgl. Frebel, Erfolgsaufteilung und -besteuerung im Konzern, Lohmar 2006, S. 143– 147; Kahle, Konzernbesteuerung in der EU: Übergang zur formelhaften Gewinnaufteilung, WPg 2007, 213; Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Taxation Papers, The Delineation and Apportionment of an EU Consolidated Tax Base for Mulit-jurisdictional Corporate Income Taxation: a Review of Issues and Options, 2006, S. 46; Oestreicher, Konzern-Gewinnabgrenzung, München 2000, S. 179–184; Weiner/Mintz, An Exploration of Formula Apportionment in the European Union, ET 2002, 350; Salzberger, Unitary Taxation – Vorbild für eine Konzernbesteuerung in der Europäischen Union?, IStR 1999, 101.

549

Wolfram Scheffler

ten Staaten führt als die indirekte Methode, die über den Faktor „Umsatz“ auch die „Konsum-Infrastruktur“ in den Aufteilungsprozess einbezieht. Festzustellen ist allerdings, dass die konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage nicht nur bei der Art und Weise der Aufteilung des Erfolgs eines Unternehmens zu einer konzeptionellen Änderung führt, sondern auch bei der zwischenstaatlichen Verteilung der Gewinne eine – um umsatzsteuerliche Begriffe zu verwenden – Ausweitung des Bestimmungslandsprinzips (dort wo der Leistungsempfänger ansässig ist) zu Lasten des Ursprungslandsprinzips (dort wo der Leistungserbringer ansässig ist) stattfindet. Insoweit würde es zu einer weiteren Systemänderung kommen. Bezieht man den als langfristige Lösung angestrebten Übergang der Umsatzsteuer vom Bestimmungsland- zum Ursprungslandprinzip mit ein, würde sich die bisherige Ausrichtung der Verteilung des Steueraufkommens „Zuordnung der Ertragsteuern nach dem Ort der Produktion und Zuordnung der Umsatzsteuer nach dem Ort des Verbrauchs“ umkehren in eine Verteilung des Steueraufkommens nach dem Konzept „teilweise Zuordnung der Ertragsteuern nach der Ansässigkeit des Leistungsempfängers und teilweise Zuordnung der Umsatzsteuer nach dem Ort der Leistungserstellung“. Es bliebe bei einer unterschiedlichen Zuordnung der Besteuerungsrechte bei den beiden Steuerarten, allerdings würde sich sowohl bei den Ertragsteuern als auch bei der Umsatzsteuer die Aufteilung der Besteuerungsrechte verändern. Würden beide Reformvorhaben realisiert, würde es also zu einer anders gelagerten Austarierung der Besteuerungsrechte auf die Staaten kommen. Wie fruchtbar die Zusammenarbeit mit Herrn Reiß ist, wird daran deutlich, dass ich diese Erkenntnis einer Diskussion mit ihm verdanke.

550

Harald Herrmann

Werbeverbote für Steuerberater und kein Ende Neuerungen des EU-Rechts und der Berufsethik Der Jubilar hat das letzte Jahrzehnt seines aktiven Berufslebens in der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Erlangen-Nürnberg an der Seite des Verfassers gearbeitet und dabei neben schönen Stunden und erfreulichen Erfolgen auch manch Schwieriges mit und neben ihm erlebt. Umso mehr besteht Anlass, ihm mit diesem Beitrag Dank zu sagen. Das Thema gehört zwar nicht zum Steuerrecht, in dem der Jubilar, aber nicht der Verfasser zu Hause ist; doch dürfte das Freiberufsrecht der Steuerberater sein Interesse finden, zumal der rechtsethische Aspekt Gegenstand der Jahrestagung 2007 im beratenden Ausschuss für Berufsrecht der Bundessteuerberaterkammer geworden ist. Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gesetzliche und kammerrechtliche Werbeverbote 1. Informationswerbung und Signalling: das Beispiel McZahn und McSteuer 2. Werbung um Praxis und Ambulance Chasing III. Europarechtliche Risiken 1. Dienstleistungsfreiheit und DijonDoktrin

2. Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes und Gestaltungsspielraum IV. Konzepte wettbewerblicher Selbstregulierung und Steuerung 1. Corporate und Professional Governance: Mechanismen und Prinzipien 2. Berufsethische Grundlagen 3. Praktische Folgerungen V. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einleitung Die Geschichte freier Berufe, ihrer Verbände und Kammern zeigt in den Ländern der westlichen Welt stark wettbewerbswidrige Züge.1 Vieles spricht sogar dafür, dass der Großteil wettbewerbsbeschränkender self-regulations konstitutiv für die Entwicklung der zentralen Typusmerkmale freier Berufe gewesen ist. Man denke nur an die Beschränkungen des Marktzutritts nach Ausbildungsanforderungen oder an preiswettbewerbliche Restriktionen. Auch der Zusammenschluss in Verbänden mit strengen Aufsichtskompetenzen, die bis zum Zwangsausschluss aus dem Markt reichen, ist ebenso wettbewerbswidrig

__________ 1 Vgl. nur Waddington, Medicine. The market and professional autonomy, in Conze/ Kocka (Hrsg.), Bildungsbürgertum, Teil I, 2. Aufl., 1992, S. 388 ff.; Überblick in Herrmann, Recht der Kammern und Verbände, Baden-Baden 1996, S. 56 ff.

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wie freiberufstypisch.2 An die Stelle einer wettbewerblichen Marktverfassung tritt die kooperative Verbandsorganisation. Dennoch setzt sich in Europa unaufhaltsam die Erkenntnis durch, dass beide Steuerungsformen nebeneinander zu treten haben. Im Europarecht scheint sich sogar das Prinzip zu etablieren: so viel Wettbewerb wie möglich und so viel Verbandsaufsicht wie nötig. Das gilt vor allem für die Ausnahmebereiche und Rechtfertigungslehren des europäischen Kartellrechts. Der EuGH hat in den beiden grundlegenden Entscheidungen in den Fällen Arduino3, Wouters4 und neuestens in Cipolla5 strenge Anforderungen gestellt; und die Kommission hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie die Unterschiede der Freiberufsrechte in den Mitgliedstaaten6 zum Anlass nehmen wird, gegen zu weit reichende Wettbewerbsbeschränkungen durch die staatlichen Rechte oder die Selbstregulierungen der Berufsverbände auf der Grundlage der Art. 81 f. EG einzuschreiten.7 Gleichwohl fehlt es bislang an einer Konzeption wettbewerbsoffener selfregulation. Einig ist man sich nur darin, dass Kammern und Verbände freier Berufe notwendig sind, um ein hohes Qualitätsniveau und unabhängige Aufgabenwahrnehmung auf den Freiberufsmärkten zu sichern. Auch das Prinzip der Selbstregulierung soll als solches unangetastet bleiben.8 Damit sind aber implizit auch mindestens zweierlei Folgerungen verbunden: Erstens: wo Verletzungen des Europarechts festzustellen sind, sollte dies nicht einfach durch Verbotsverfügungen und Nichtigkeitssanktionen bekämpft werden. Stattdessen bedarf es der Entwicklung von Konzepten europarechtskonformer und stärker wettbewerbsoffener Selbstregulierung. Das Gleiche gilt zweitens in Fällen, in denen keine europäischen Rechtsverletzungen vorliegen, aber politischer Handlungsbedarf besteht. Der Verfasser hat unlängst zur ersten Thematik ein Konzept entwickelt, wie bei kartellrechtswidrigen Werbe-

__________ 2 Grundlegend Deneke, Die freien Berufe, Stuttgart 1956; zu neuen Lehren Herrmann, Recht der Kammern und Verbände, Baden-Baden 1996, S. 44 ff. 3 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – Rs. C-35/99 – Arduino, EuGHE 2002, I-1529 = NJW 2002, 882. 4 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – Rs. C-309/99 – Wouters, Savelbergh / Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Adocaten, EuGHE 2002, I-1577 = NJW 2002, 877. 5 EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – Rs. C-94/04 und C-202/04 – Cipolla, EuGHE 2006, I-11421 = EuR 2007, 82. 6 Paterson/Fink/Ogus, Economic impact of regulation in the field of liberal professions in different Member States, 2003, download at http://europa.eu.int/intz/comm/ competition/publications/prof_services_ihs_part1.pdf. 7 Europäische Kommission, COM (2004) 83 endg., S. 1, 6: „The Commission will … continue to carry out case-work where appropriate. A coherent application of Articles 81 and 82 will be guaranteed through co-ordination in the European Competition Network.“ 8 Europäische Kommission, COM (2004) 83 endg., S. 5: „While the Commission acknowledges that some regulation in this sector (sc. Of liberal professions) is justified, it believes that in some cases more pro competitive mechanisms can and should be used instead of certain traditional restrictive rules.“

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verboten von Freiberufskammern reagiert werden kann.9 Nunmehr soll es um den zweiten Themenkomplex gehen. D. h., es werden die gesetzlichen Werbeverbote der Steuerberater mit Blick darauf untersucht, ob sie die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG verletzen. Es wird zu zeigen sein, dass dies bei richtiger Auslegung nicht der Fall ist, aber politischer Handlungsbedarf besteht. Zur gebotenen Reaktion hierauf soll ein zukunftsweisendes Konzept entwickelt werden. Folgende Untersuchungsbereiche werden angesprochen: Zunächst werden die Werbeverbote vorgestellt, die teils im Gesetzes-, teils im Satzungsrecht geregelt sind (II). Es folgt eine europarechtliche Risikoanalyse10, die sowohl auf die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG als auch auf das Kartellverbot des Art. 81 EG gestützt wird (III). Da sich eine erhebliche europarechtliche Gefahr für die untersuchten Berufsnormen ergibt, werden anschließend Lösungsansätze vorgestellt, die dem Fortbestand der berufsverbandlichen Selbstverwaltung im neuen Umfeld wettbewerblicher Rahmenbedingungen dienen und der Ethik der professional governance folgen (IV).

II. Gesetzliche und kammerrechtliche Werbeverbote 1. Informationswerbung und Signalling: das Beispiel McZahn und McSteuer Das Werberecht der Steuerberater ist der Entwicklung des Rechtsanwaltsrechts in engem Schulterschluss gefolgt und hat zunächst die älteren sog. Standesrichtlinien aufgegeben, nachdem das BVerfG die entsprechenden Richtlinien der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für verfassungswidrig erklärt hat.11 An die Stelle der alten Richtlinien traten § 57a StBerG12 und § 10 BO (Berufsordnung)13. Beide Vorschriften enthalten sowohl das Gebot sachlich informierender Werbung als auch ein Verbot der Werbung um Praxis. § 57a StBerG verbindet die genannten Regeln mit den Worten: „Werbung ist nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.“ Dies wird durch § 10 Abs. 2 Sätze 2–4 BO ergänzt: „Die Unterrichtung muss sachlich zutreffend und objektiv nachprüfbar sein. Die Darstellung darf nicht reklamehaft sein. Vergleichende, wertende oder irreführende Aussagen sind nicht zulässig.“ Sachliche Unterrichtung i. S. d. § 57a StBerG schließt jede primäre Gefühlsorientierung aus. Mag das Sachlichkeitsgebot als solches noch sachangemessene

__________ 9 Herrmann in Ehlermann (Hrsg.), European Competition Law Annual 2004, 2006, S. 101 ff. 10 Zur Methode rechtlicher Risikoanalyse s. näher Herrmann in FS Horn, 2006, S. 1091 ff. 11 BVerfG, Beschl. v. 14.7.1987 – 1 BvR 537/81 u. a., BVerfGE 76, 171 (184) = NJW 1988, 191 ff.; vgl. § 61 BOStB v. 2.6.1997, DStR 1997, Beihefter zu Heft 26. 12 StBerG v. 16.8.1961 i. d. F. v. 22.12.2006, BGBl. I 2006, 3416. 13 Berufsordnung Steuerberater v. 2.6.1997, DStR 1997, Beihefter zu Heft 26.

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Gefühlsappelle zulassen, so wird dies durch die Zusammenbindung mit dem Wort „unterrichten“ vollends ausgeschlossen, da das bloße Aussenden von Gefühlssignalen kaum als Unterrichtung aufgefasst werden kann. Sowohl die äußere Aufmachung der Werbung (Form) als auch der Inhalt sollen ohne wesentlichen Gefühlsappell gefasst sein. Zur übereinstimmenden Bestimmung des § 43b BRAO ist etwa str., ob eine Anzeigenplatzierung in der Tageszeitung14, ein Fettdruck im Telefonbuch15 oder das Image des Münchener Isartors16 als unsachlich unterrichtend anzusehen sind. Der gleiche Streit scheint für das Auftreten von Steuerberatern unausweichlich. Damit ist ein wesentlicher Bestandteil moderner Freiberufswerbung beschränkt, der in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung als Image-Werbung oder auch als signalling bezeichnet wird. Seit der grundlegenden Studie von Akerlof17 ist bekannt, dass der freie und unbeschränkte Preiswettbewerb bei den sog. Vertrauensgütern adverse Selektionseffekte hat. Da der Kunde das Verhältnis von Preis und Qualität weder vor noch nach Erwerb des Gutes einschätzen kann, niedrigere Preise aber im Wettbewerb Nachfrage auf sich ziehen, würde der Anbieter zu immer mehr Preis- und Kostensenkungen mit entsprechenden Qualitätsminderungen angereizt, bis das Gut praktisch wertlos ist (sog. Zitronenmarktmodell). Dieser Gefahr wird durch Signaleffekte entgegengewirkt, die großenteils sogar von der Zugehörigkeit der Freiberufler zu Kammern und Verbänden mit qualitätssichernden Aufgaben abhängig sind. Die Qualität der freiberuflichen Leistung wird nicht direkt beschrieben, da der Mandant die dafür nötige Fachkenntnis typischer Weise nicht hat, sondern man gibt an, dass man gut beleumundet ist, d. h. in anerkannten Fachverbänden Mitglied ist, dort oder an anderen berufenen Einrichtungen bestimmte Spezialqualifikationen erworben hat und dergleichen mehr. Zum Kennzeichnung des Berufs-Image werden Symbole und andere Zeichen verwendet, die nicht fachlich unterrichten, sondern gefühlsmäßige Einschätzungen auslösen. Zwar kann man sagen, dass es auch Image-Werbung gibt, die informativ und nicht rein emotional abläuft. Dazu gehören etwa die Angabe der Bildungseinrichtung, an der man studiert oder Zusatzqualifikationen erworben hat, und ein etwaiges Hochschulranking. Aber solche Informationen gehören immer mit anderen mehr emotional wirkenden Angaben zusammen, da das Wesen des Images ganzheitlich zu verstehen ist, so dass die verstandesfernen Dimen-

__________ 14 Dagegen OLG Frankfurt, Urt. v. 25.1.1996 – 6 U 150/95, AnwBl. 1996, 234 (235 f.); a. A. Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 1997, § 43b BRAO Rz. 39. 15 Dagegen Lingenberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzen des Standesrechts, Köln 1988, § 73 BRAO Rz. 8 f.; a. A. schon Kornblum, Zum Werbeverbot für die rechts- und wirtschaftsberatenden akademischen freien Berufe, BB 1985, 65 (69); Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 1997, § 43b BRAO Rz. 39. 16 Dagegen BGH, Urt. v. 13.5.1985 – AnwSt (R) 1/85, NJW 1985, 2959; a. A. Bornkamm, Die Grenzen anwaltlicher Werbung, WRP 1993, 643 (650); Eylmann in Henssler/ Prütting, BRAO-Kommentar, 1997, § 43b BRAO Rz. 41. 17 Akerlof, Markets for Lemons, Qu.J.Ec. 1970, S. 488 ff.; zur Bedeutung für das moderne Marketing s. Bayon in Diller (Hrsg.), Vahlens Großes Marketing Lexikon, 2. Aufl., München 2001, S. 645 f. – Stichwort Informationsökonomik.

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sionen nicht ausgeblendet werden können. Auch gibt es keine trennscharfe Abgrenzung von Informations- und Emotionsanteilen in der Image-Werbung. Beschränkt man die Image-Werbemöglichkeiten freier Berufe, wie es die Werbeverbote des § 57a StBerG tun, so bedeutet das einen erheblichen Eingriff, da der Wettbewerb ohne diese nicht funktionsfähig wäre. Doch liegt darin zunächst eine rein ökonomische Bewertung, keine juristische, so dass insofern auf den europarechtlichen Abschnitt (unten zu III) verwiesen werden darf. Reichlich „phantasievoll“ ist allerdings die neuste Erfindung heilberuflicher Werbepraxis: „McZahn“.18 Ein Krefelder Betriebswirt importiert seit Jahren unter dieser Firma Zahnersatz und Implantate aus China und anderen Billiglohnländern, um sie in Deutschland zu Niedrigpreisen zu vertreiben. Der sprachliche Anklang an McDonalds wird für die Kundenassoziation extremer Preisgünstigkeit ausgenutzt. Offensichtlich handelt es sich um ein Signal im Sinne des signalling, das ganzheitlich das Image erzeugen will, wie McDonalds als Discounter am Markt tätig zu sein. Neuestens möchte er sein Importkonzept mit einem bundesweiten Praxisnetz auf Franchisebasis verbinden. Teilnehmende Zahnärzte zahlen eine Eintrittsgebühr von 35 000 Euro und treten 20–45 % ihrer Honorarforderungen an McZahn ab, wofür sie als Gegenleistung eine schlüsselfertige Praxis in günstiger Stadtlage mit 8–10 Behandlungsräumen erhalten. Der Franchisegeber kauft die benötigten Materialien und übernimmt die Praxisverwaltung. Das Beispiel hat mit „McOhr“ und mit der „Aldisierung“ der Schönheits- und Befruchtungsmedizin bereits Schule gemacht. McOhr importiert billige Hörgeräte und verbindet dies wohl auch bereits mit Franchise-Konzepten à la McZahn. Ob ähnliches auch als Praxisfranchising für Schönheitschirurgen und Befruchtungsspezialisten funktioniert, ist der veröffentlichten Literatur bisher nicht zu entnehmen. Doch gibt es hier bereits die Einrichtung von InternetAuktionen, so dass eine weitere Ausbreitung der Discount-Medizin auch in diesen Gebieten konstatiert werden kann. Es gibt deshalb Anlass zu der Vermutung, dass wir vielleicht auch bald mit McSteuer zu rechnen haben. Auch hier würde ein unterschwelliges Signal mit Anklang an McDonalds und dessen Bekanntheit als Discounter der Gastronomie an den Markt abgegeben, um Nachfrage auf sich zu ziehen. Ob dies dem Verbot (unsachlicher) Imagewerbung unterfallen würde, wird zu prüfen sein. Unter werblichem Aspekt fällt auf, dass McZahn mit Assoziationen zu McDonalds arbeitet, die zum freiberuflichen Charakter seiner Franchise-Nehmer wenig passen. Insbesondere die auf niedrigen Zeitaufwand und Massenumsatz abzielende Organisation der Schnellküchen passt wenig zur typisch vertrauensvollen und von höherer geistiger Ausbildung bestimmten Tätigkeit von Zahnärzten und Steuerberatern. Ein Schutz vor einer solchen ImageWerbung wäre auch möglich, wenn man freiberufsadäquates signalling zuließe und nur die Werbung mit freiberufsfremden Assoziationen verböte.

__________ 18 Vgl. Lindner, Billig will ich, Die Zeit v. 21.6.2007, S. 35 f.

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2. Werbung um Praxis und Ambulance Chasing Neben das Gebot der Informationswerbung tritt das Verbot der Werbung um Praxis (auch sog. Mandatswerbung), das in mehreren Berufsrechten und eben auch für Steuerberater als förmliches Gesetz geregelt ist (§ 43b BRAO, § 57a StBerG). Während die Bundesrechtsanwaltskammer darauf verzichtet hat, dazu satzungsrechtliche Einzelheiten zu regeln, haben die Bundessteuerberaterkammer und die Wirtschaftsprüferkammer folgende Regelungen getroffen: § 10 Abs. 3 BOStB19 bestimmt wörtlich: „Werbung ist berufswidrig, so weit sie auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände zum Anlass für seine Werbung nimmt“. Im Kern übereinstimmend regelt § 35 BO WP/vBP20: „Werbung, die auf die Erteilung eines Auftrages im Einzelfall gerichtet ist, ist unzulässig. Angebote zur Erlangung von Aufträgen sind nur zulässig, wenn hierzu eine Aufforderung des möglichen Auftraggebers vorliegt.“ Sowohl die gesetzliche als auch die kammerrechtliche Regelung setzen nur voraus, dass die Mandatswerbung in der Absicht erfolgt, einen Auftrag im Einzelfall zu erlangen. § 10 BO präzisiert noch dahingehend, dass der Werbende positive Kenntnis des Dienstleistungsbedarfs des potentiellen Mandanten hat. Auch bei diesem Verbot handelt es sich also um einen erheblichen Eingriff in den funktionsfähigen Wettbewerb freier Berufe. Er geht zwar nicht so weit wie die Vorschrift zur Informationswerbung. Aber die Auslegung kann ergeben, dass Mandatswerbung bereits vorliegt, wenn bestimmte Werbemaßnahmen im Kern an eine unbestimmte Allgemeinheit gerichtet sind, zugleich aber auch Einzelnen zugänglich werden, mit denen ein aktuelles oder potentielles Mandatsverhältnis besteht. Das ist etwa bei der Versendung von Rundschreiben21 oder bei Vernissagen22 der Fall. Enger ist die Fallgruppe des sog. ambulance chasing. Hierbei geht es um die Ausnutzung einer besonderen Angewiesenheitssituation, weil der Umworbene nicht mehr frei in seiner Wahl für den „richtigen“ Anbieter bleibt.23 Damit sind hauptsächlich die Fälle gemeint, in denen nicht nur Abschleppunterneh-

__________ 19 § 10 BO v. 2.6.1997 i. d. F. v. 24.10.2001, DStR 2002, 518 f.; Abdruck in KleineCosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., München 2004, S. 301 ff. 20 § 35 BO WP/vBP (Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer / vereidigten Buchprüfer) v. 11.6.1996 i. d. F. v. 11.3.2002, BAnz. 2002, 789; Abdruck in Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., München 2004, S. 303 ff. 21 Vgl. nur OLG Stuttgart, BRAK-Mitt. 1989, 213; krit. Eylmann in Henssler/Prütting, BRAO-Kommentar, 1997, § 43b BRAO Rz. 45. 22 Vgl. nur BGH, Urt. v. 4.7.1991 – I ZR 2/90, BGHZ 115, 105; Han. RAK, Hamburger AnwBl. 1995, 89; Feurich/Braun, BRAO, 3. Aufl. 1995, § 43b BRAO Rz. 71; krit. v. Falkenhausen, Darf der Rechtsanwalt um Praxis werben?, NJW 1992, 25. 23 Vgl. Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., München 2004, Rz. 347; unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 1.3.2001 – I ZR 300/98, NJW 2001, 2087, 2089 – Anwaltswerbung II.

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mer ihre Dienste am Unfallort aufdrängen, sondern auch Rechtsanwälte auf den Gängen der Polizeipräsidien auftauchen, um Alkoholsündern nach misslungenem Bluttest ihre Hilfe aufzunötigen.24 Bekannt sind auch aufdringliche Gefängnispraktiken von Strafanwälten oder die Ausnutzung heilberuflicher Peinlichkeiten.25 Ob auch ambulance chasing bei Steuerberatern praxiserheblich ist, ist der Literatur nicht zu entnehmen, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Denn selbstverständlich kann man auch Werbung in unmittelbarer Nähe von Finanzämtern und Finanzgerichten postieren oder durch direkte Ansprache an den Mann bringen. Entsprechendes ist überall dort möglich, wo Beteiligte anderweitiger Verfahren, wie z. B. Ehescheidungen, Erbschaftsstreitigkeiten, Anlageberatungen, typischer Weise mit steuerlichen Problemen konfrontiert werden und dabei in eine gewisse psychische Drucksituation geraten. Damit wird die Betrachtung der neueren Werbepraxis zur Informations- und Direktwerbung abgeschlossen. Was bringt nun die aktuelle europarechtliche Rechtsprechung Neues für die rechtliche Beurteilung?

III. Europarechtliche Risiken 1. Dienstleistungsfreiheit und Dijon-Doktrin Der EuGH hat die Freiberufsrechte bis vor Kurzem nur einmal am Rande nach der Dienstleistungsfreiheit i. S. d. Art. 49 EG beurteilt26, weil meist nicht staatliche Regeln, sondern Verbandsrechte angegriffen wurden. Noch im Fall Arduino27 ging es allein um die Vereinbarkeit mit dem Kartellverbot des Art. 81 EG, da keine staatliche Preisregelung, sondern die einer Rechtsanwaltskommission beanstandet wurde. Ein italienisches Gericht hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die dortige Rechtsanwalts-Gebührenordnung von 1984 mit Art. 81 EG in Einklang stehe, obgleich einheitliche Mindest- und Höchstpreise nach Streitwerten festgelegt werden. Zwar gibt es gesetzliche Grundlagen, doch war letztlich die alle zwei Jahre geforderte Einschätzung eines aus gewählten Rechtsanwälten bestehenden Nationalkomitees („CNF“) ausschlaggebend, die an keinerlei Kriterien des Allgemeininteresses gebunden wurde. Der EuGH hat zwar keinen Verstoß gegen Art. 81 EG angenommen, aber die Maßstäbe für Geltungsausnahmen vom Kartellverbot, wie folgt, streng gefasst: – Die Staatlichkeit des Entscheidungsverfahrens soll nur dann rechtfertigend wirken, wenn der Berufsverband lediglich entscheidungsvorbereitend tätig wird, und – die „Letztentscheidungsbefugnis“ bei einer staatlichen Stelle liegt.

__________ 24 Vgl. nur EG Celle, Beschl. v. 29.10.1990 – EGH 5/90 (I2), BRAK-Mitt. 1991, 168. 25 S. nochmals Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., München 2004, Rz. 347. 26 EuGH, Urt. v. 5.6.1997 – Rs. C-398/95 – SETTG, EuGHE 1997, I-3091; EuGH, Urt. v. 30.3.2006 – Rs. C-451/03 – Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, EuGHE 2006, I-2941 – Rz. 37. 27 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – Rs. C-35/99 – Arduino, EuGHE 2002, I-1529 = NJW 2002, 882.

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Das nahm der EuGH für den ministeriellen Genehmigungsvorbehalt zu den Anwaltsgebührenregeln an, da deren Wirksamkeit von der Genehmigung in vollem Umfang abhänge und der Minister dadurch jede Änderung des Vorschlags des CNF erreichen könne.28 Auch das gesetzlich vorgesehene Zusammenwirken des Ministers mit dem Staatsrat und dem CIP (interministerieller Preisausschuss) sei auf die Wahrung von Allgemeininteressen gerichtet, so dass die Gebührenbeschlüsse des CNF auch deshalb nicht als Kartellverbotsverletzungen zu beurteilen seien. Erst im Dezember 2006 hat sich diese Rechtslage mit der Cipolla-Entscheidung29 geändert. In der Folge der Arduino-Entscheidung hatte der italienische Staat eine Gebührenordnung für Rechtsanwälte mit Mindesthonoraren erlassen und war dazu im Wesentlichen den Vorschlägen des nationalen Berufsverbandes CNF gefolgt. Darin sah das Gericht keine Kartellverbotsverletzung, sondern eine staatliche Entscheidung, die eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit i. S. d. Art. 49 EG darstelle und insofern lediglich nach der DijonDoktrin gerechtfertigt sein könne. Nach Art. 49 EG sind den Mitgliedstaaten Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Grundsatz verboten. Das gilt auch dann, wenn es sich um Regelungen handelt, die ohne Unterschied für Inländer und EG-Ausländer gelten, aber für Letztere mit besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden sind.30 Ausnahmen können seit der grundlegenden Entscheidung des EuGH von 1979 im Fall Cassis de Dijon31 nur dann zugelassen werden, wenn die Regelung zum Schutz hervorragend wichtiger Gemeinwohlinteressen geeignet und dringend geboten ist, keine weniger freiheitsbeschränkende Regelung in Betracht kommt (Erforderlichkeitsgebot32) und das Verhältnismäßigkeitsgebot gewahrt ist. In casu ging es um ein Einfuhrverbot für französischen Weinbrand mit dem Namen Cassis de Dijon, der in Deutschland unter der Bezeichnung „Likör“ vertrieben werden sollte, obgleich hier geregelt war, dass nur Getränke mit einem Mindestalkoholgehalt von 25 % als Likör etikettiert werden durften. Da Cassis de Dijon unter dieser Marge lag, wurde die Einfuhr verweigert. Der EuGH sah den dafür in Anspruch genommenen Verbraucherschutz zwar als dringendes Allgemeinwohlinteresse an, stellte aber fest, dass es in Wahrheit um den Schutz hochprozentiger Branntweinhersteller gehe und zudem das Erforderlichkeitsgebot verletzt sei, weil offensichtlich ein weniger

__________ 28 EuGH, Urt. v. 19.2.2002 – Rs. C-35/99 – Arduino, EuGHE 2002, I-1529 = NJW 2002, 882 – Rz. 40 f. 29 EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – Rs. C-94/04 und C-202/04 – Cipolla, EuGHE 2006, I-11421 = EuR 2007, 82. 30 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – Rs. 33/74 – Binsbergen, EuGEH 1974, I-1299 – Rz. 10; EuGH, Urt. v. 5.12.2006 – Rs. C-94/04 und C-202/04 – Cipolla, EuGHE 2006, I-11421 = EuR 2007, 82 – Rz. 56 m. w. N. 31 EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe Zentrale/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766. 32 Auch sog. Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes.

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einschneidender Eingriff ausgereicht hätte, wenn man etwa eine hervorgehobene Promille-Angabe auf dem Etikett verlangt hätte.33 Genau an diesen Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes knüpft das CipollaUrteil nun implizit an, indem unter Bezugnahme auf den Kommissionsbericht über den Wettbewerb freiberuflicher Dienstleistungen34 die „Asymmetrie der Information“ zwischen Mandanten und Rechtsanwälten betont wird. Bei intensivem Wettbewerb mit Niedrigpreisen sei das „Risiko des Verfalls der Qualität“ gegeben, so dass nicht auszuschließen sei, dass Mindesthonorare dieser Gefahr entgegenwirken. Jedoch handelte es sich um ein Vorlageverfahren nach Art. 234 Abs. 3 EG, so dass die Frage nicht abschließend zu entscheiden war. Das vorlegende Gericht wurde aber instruiert, es müsse prüfen, „ob für Anwälte geltende Berufsregeln und insbesondere Vorschriften über die Organisation, die Qualifikation, das Standesrecht, die Kontrolle und Haftung als solche ausreichen, um die Ziele des Verbraucherschutzes und der geordneten Rechtspflege zu erreichen“35. Eine solche Alternativprüfung bedeutet nichts anderes, als dass mildere Mittel als eine Preisregulierung ins Auge zu fassen sind. Das wird vom Gericht zwar nicht ausdrücklich hervorgehoben, doch versteht es sich ganz einfach dadurch, dass die Festsetzung von Mindestpreisen neben der von Fix- und Höchstpreisen zu den intensivsten Eingriffen in den Wettbewerb gehören, während die aufgeführten Alternativen organisationaler Regulierung aus der Sicht funktionsfähigen Wettbewerbs weniger einschneidende Maßnahmen darstellen.36 2. Grundsatz schonendsten Mitteleinsatzes und Gestaltungsspielraum Ein Vorbehalt dahingehend, dass dem staatlichen Gesetzgeber eine Entscheidungsprärogative zustehe, wie sie das Grundgesetz im Verhältnis zu einfachen Gesetzen regelt37, kommt in diesen Formulierungen nicht zum Ausdruck und ist auch in der Tradition der Cassis de Dijon-Entscheidung nicht festzustellen. Zwar gibt es gute Gründe dafür, doch sind diese in ihrer Reichweite derzeit noch heftig umstritten. Unbestritten ist zunächst der Ansatzpunkt bei der Keck-Entscheidung des EuGH von 1993, wonach für bestimmte weniger einschneidende Maßnahmen als Importrestriktionen, nämlich die sog. Verkaufs-

__________ 33 Siehe EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe Zentrale/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766 – Rz. 13 f. 34 Europäische Kommission, Mitteilung v. 9.2.2004, KOM (2004) 83 endg., S. 10; zitiert in EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe Zentrale/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766 – Rz. 68. 35 EuGH, Urt. v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 – Rewe Zentrale/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766 – Rz. 69. 36 Vgl. nur Ingo Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 8. Aufl., Stuttgart 2005, S. 63 f., 73 f. 37 Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u. a., BVerfGE 50, 290 – Mitbestimmungsurteil; BVerfG, Urt. v. 26.5.1981 – 1 BvL 56/78 u. a., BVerfGE 57, 139 (159); BVerfG, Urt. v. 16.2.1983 – 2 BvE 1/83 u. a., BVerfGE 62, 1 (50).

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modalitäten, eine Art Subsidiarität der Dienstleistungsfreiheit angenommen worden ist. Daraus hat man in der Literatur zum Teil sehr generelle Subsidiaritätsregeln im Sinne einer EU als föderalem Gemeinwesen hergeleitet.38 Es mag sein, dass dies auch deshalb zu weit geht, weil die Tauglichkeit von Grundfreiheiten für die Etablierung genereller Kompetenzregeln zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten begrenzt erscheint.39 Die Keck-Entscheidung wird deshalb vom EuGH in Cipolla zu Recht eingeschränkt. Hinzu kommt, dass auch die Wettbewerbsfreiheit eine Grundfreiheit ist, und zu dieser sehr weitreichende Kompetenzabgrenzungen über Eingriffsbefugnisse mitgliedstaatlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge und dergleichen in den Wettbewerb entwickelt wurden40, kann eine entsprechende Auslegung zu Art. 49 EG nicht grundsätzlich verwehrt sein. Auch das US-amerikanische Antitrustrecht hat eine ähnliche Kompetenzordnung zur sog. state action exemption herausgebildet, nach der den Einzelstaaten und deren Verbänden mit öffentlichen Funktionen ein erheblicher Gestaltungsspielraum eingeräumt ist, wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen durchzuführen, wenn diese zur Erreichung ihrer Zwecke erforderlich und verhältnismäßig erscheinen.41 Dazu kann die Ansicht von Fox hervorgehoben werden, wonach bei Verbänden mit Öffentlichkeitsaufgaben das strenge Übermaßverbot der älteren Rechtsprechung aufzugeben sei, „… to give the state breathing space in effectuating state policy, and to give a private group breathing space in carrying out what they reasonably understand they are told to do“42. Der Verfasser hat diese Sicht rechtsvergleichend auf das europäische Kartellrecht übertragen. Es besteht kein Grund, entsprechendes nicht auch für Regulierungen von Freiberufsverbänden zu wagen.43 Auch diese Einschätzung wird nun aber unter den Vorbehalt gestellt, dass keine offensichtlichen Fehleinschätzungen und groben Unverhältnismäßigkeiten feststellbar sind. Insbesondere sind prognostische Beurteilungen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen aufgrund staatlicher Delegation den damit betrauten Verbänden grundsätzlich vorbehalten, aber doch insoweit begrenzt,

__________ 38 Vgl. nur Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, Berlin 1999, S. 26 ff., 90 ff., 106 ff.; Weyer, Freier Warenverkehr und nationale Regelungshoheit in der Europäischen Union, Berlin u. a. 1997, S. 291 ff., 302 f. 39 So Müller-Graff, Die Verdichtung des Binnenmarktrechts zwischen Handlungsfreiheiten und Sozialgestaltung, in Europarecht Beiheft 1, 2002, S. 32 f., 39. 40 Vgl. nur Art. 86 EG; näher schon Herrmann, Interessenverbände und Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 1986, S. 315 ff. 41 Grundlegend Parker vs. Brown, 317 U.S. 341 (1943); grundlegend präzisiert in Goldfarb vs. Virginia State Bar, 421 U.S. 773 (1973); dazu s. nochmals Herrmann, Interessenverbände und Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 1986, S. 223 ff. 42 Fox, Antitr. L.J. 48 (1979), S. 1571, 1579 Fn. 36; rechtsvergleichend schon Herrmann, Interessenverbände und Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 1984, S. 231 ff., 233. 43 Vorarbeiten schon bei Herrmann in Sahner u. a., Zur Lage der freien Berufe, Bd. 1, 1989, S. 299, 386 f.; im Ergebnis ähnlich Stober Eisenmenger in Kluth (Hrsg.), Handbuch des Kammerrechts, 2005, S. 211, 239 – sog. Koregulierung.

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als vertretbare Prognoseverfahren44 anzuwenden und allgemein oder zumindest verbreitet anerkannte wissenschaftliche Methoden zugrunde zu legen sind.45 Speziell für die Werbebeschränkungen fragt sich zunächst, ob es noch im Einschätzungsspielraum liegt, wenn Image-Werbung generell und nicht nur für den Fall unangemessener Ausnutzung von Ängsten oder emotionaler Betroffenheit verboten wird. Trotz der aufgezeigten Zusammenhänge des signalling mit der Funktionsfähigkeit von freiberuflichem Wettbewerb überhaupt darf die Frage wohl bejaht werden. Image-Werbung wird nicht vollends ausgeschlossen, sondern nur bei wesentlicher Gefühlsbetonung. Zwar wurde schon angedeutet, dass es weniger einschneidende Möglichkeiten gibt, wenn nur die sachwidrige Image-Werbung verboten wird. Doch liegt der weiter gehende Verbotsgehalt noch im Rahmen verbreitet anerkannter Einschätzung und wissenschaftlicher Forschungen, so dass keine offensichtlichen Fehler zu erkennen sind. Zum hier dargestellten Beispiel McZahn/McSteuer ergibt sich, dass das die Werbeaktion durchaus gegen das Image-Werbeverbot verstoßen könnte. Zwar besagt die McDonalds-Parallele nicht, dass die in Anlehnung hieran durchgeführte Discount-Werbung Verletzungen der Gebührenverordnung für Steuerberater (GebVO)46 in Aussicht stellt und insofern sachwidrig informierend i. S. d. § 57a StBerG ist. Denn insbes. zur sog. Zeitgebühr i. S. d. § 13 GebVO sind erhebliche Spielräume für einen Niedrigpreiswettbewerb zugelassen, die auch im Anwaltsrecht ein Äquivalent haben und dort vom BGH im Fall Anwaltshotline gebilligt worden sind.47 Auch ist die außergerichtliche Beratung seit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) v. 1.7.2006 völlig von der gesetzlichen Honorarregulierung ausgenommen, was das OLG Stuttgart kürzlich veranlasst hat, die Werbung mit Billigtarifen von 20 Euro zu gestatten.48 Dennoch handelt es sich insofern um eine problematische Assoziation, als die Angebotsstruktur der McDonalds-Häuser krasse Unterschiede zur freiberuflichen, auf hohe geistige Tätigkeit und individuelle Vertrauensbildung fokussierenden Dienstleistung aufweist. Dazu wurde oben zu II bereits das Nötige ausgeführt, so dass hier nur noch einmal die assoziative Fehlorientierung hervorgehoben sei, die dahin geht, dass McDonalds Schnellküchen betreibt, die auf Tempo und Massenumsatz sowie die daraus resultierenden Kosteneinsparungen und Preissenkungen setzen.

__________ 44 Vgl. nur die Diskussion zur Ministerfreistellung von Unternehmenszusammenschlüssen bei Knöpfle, Gesamtwirtschaftliche Vorteile eines Zusammenschlusses und überragendes Interesse der Allgemeinheit als Zulassungskriterien, WuW 1974, 5 – und öfter; Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 70 GWB Rz. 39. 45 Näher nochmals Herrmann, Interessenverbände und Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 1984, S. 303 f., 332 f. 46 4. Gebührenverordnung für Steuerberater i. d. F. v. 5.5.2004, BGBl. I 2004, 718. 47 BGH, Urt. v. 26.9.2002 – I ZR 44/00, BGHZ 152, 153 ff. – Anwaltshotline; dazu Herrmann, New Economy und Recht freier Berufe, NWiR Okt. 2003, abrufbar unter www.nwir.de. 48 OLG Stuttgart, Urt. v. 28.12.2006 – 2 U 134/06, NJW 2007, 924 = AnwBl. 2007, 229.

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Das Mc-Kürzel kann deshalb sehr wohl als sachwidrige Image-Werbung anzusehen sein. Allerdings bedarf es dafür nicht der strengen Fassung des § 57a StBerG. Denkbar wäre etwa, dass man für unzulässige Image-Werbung voraussetzt, dass der Werbende freiberufswidrige Assoziationen weckt. Ein ähnliches Bild ergibt sich für das Verbot der Mandatswerbung. Zwar kann man auch hierzu, wie gezeigt, die Ansicht vertreten, dass ein bloßes Verbot des ambulance chasing ausreichen würde, die vom Gesetz bezweckten Ziele des Verbraucherschutzes zu erreichen. Aber der hier befürwortete Gestaltungsspielraum scheint nicht überschritten, da auch für das generellere Mandatswerbeverbot vertretbare Gründe sprechen. Insbes. wird dafür angeführt, dass die Voraussetzungen des ambulance chasing praktisch oft schwer erweislich sind, und dass deshalb dem weiter gefassten Verbot eine Art Präventivfunktion zukommt. Dazu kann man, wie der Verfasser selbst, anderer Meinung sein, doch liegt die Einschätzung des deutschen Gesetzgebers nicht offenbar falsch.

IV. Konzepte wettbewerblicher Selbstregulierung und Steuerung Damit sind die gesetzlichen Werbeverbote für deutsche Steuerberater aus der unmittelbaren Schusslinie des Europarechts genommen. Zusammenfassend sei aber nochmals betont, dass dies nur aufgrund der Annahmen zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum geschehen ist, und dass diese derzeit noch nicht auf gesicherter Rechtsprechung und Lehre basieren. Selbst wenn sich die hier vertretene Ansicht aber durchsetzen sollte, lässt sich die Forderung nicht von der Hand weisen, dass die nationalen Freiberufsrechte von sich aus den Weg zu weiterer Wettbewerbsöffnung finden; und zwar sollte dies gerade deshalb geschehen, weil nationale und verbandliche Gestaltungsspielräume eröffnet sind. Hier soll deshalb das Konzept der professional governance vorgestellt werden, das auch für die künftige Entwicklung des Werberechts wichtige Impulse geben kann. 1. Corporate und Professional Governance: Mechanismen und Prinzipien Im geltenden deutschen Unternehmens- und Privatrecht hat das Recht der corporate governance (CG) und der private governance49 in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung genommen. Darunter versteht man eine in den USA entwickelte Steuerungsform zur Kontrolle von Management-Entscheidungen, die ursprünglich allein auf die Vorstände von Großunternehmen zielte, damit diese ausgewogen im Interesse der Aktionäre und anderer Interessentengruppen entscheiden. Ausgangspunkt der Entwicklung war die berühmte Untersuchung von Berle und Means über „The Modern Corporation and Private

__________ 49 Dazu näher Köndgen, Privatisierung des Rechts – Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 2006, 477; Herrmann, Wirtschaftsprivatrecht BGB/HGB, Bd. 1, Frankfurt a. M., Nürnberg 2007, S. 11 ff., 200 ff.

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Property“ von 1932.50 Darin wurde die These aufgestellt und bis zu einem gewissen Grade auch belegt, dass die Unternehmensvorstände zunehmend nicht mehr im Interesse ihrer Eigenkapitalgeber, der Aktionäre, handeln, sondern eigene Interessen und allenfalls noch Interessen der weiteren Belegschaft verfolgen. Die Verselbständigung der Management-Interessen von denen der Shareholders wurde deutlich. Um eine stärkere Rückbindung zu erreichen, wurde in der Folgezeit teils mehr auf Kapitalmarkt- und Arbeitsmarktfunktionen aufgebaut (insbesondere die Chicago-Schule), teils primär auf hoheitliche Regulierung gesetzt. In der neueren Diskussion besteht aber Einigkeit, dass Beides sich nicht gegenseitig ausschließt, sondern aufeinander bezogen werden muss. Um ein Zusammenwirken hoheitlicher und marktlicher Steuerung zu bewirken, wird zumeist die folgende Regelungsmechanismen und -prinzipien entwickelt51: – Einrichtung einer halbstaatlichen Kommission: Expertengremium mit Verbandsvertretern beider Marktseiten und Sachverständigen; – Erlass von Musterregeln durch die Kommission (Codes of Ethics), die teils auf interne (Aufsichtsrat), teils auf externe Kontrollen (Marktkräfte) über das Management gerichtet sind, – alle Interessentengruppen haben die Option, entweder sich den Kontrollkompetenzen zu unterwerfen oder auszutreten (voice or exit), z. B. durch Aktienverkauf, Kreditkündigung; – freiwillige Compliance der Kodex-Adressaten, wobei der Kodex entweder als reine Empfehlung oder als normatives Leitbild aufgefasst wird; – staatliches Gebot über verbindliche öffentliche Compliance-Erklärung. Von diesen mehr verhaltensmäßig konzipierten CG-Mechanismen kann man folgende stärker zielorientierte Prinzipien unterscheiden: – – – –

Gewaltenteilung, Transparenz, Reduktion von Interessenkonflikten, Motivation zu wertorientiertem Handeln.

Im Wege der Gewaltenteilung versuchen die CG-Konzepte, die Zuständigkeiten für Führungsentscheidungen auf verschiedene Organe zu verteilen, so dass ein System von checks and balances entsteht und die Gefahren opportunistischen Verhaltens vermindert werden. Beispielsweise werden die Entscheidungen des Vorstands einer AG durch den Aufsichtsrat überwacht. – Zur Transparenz geht es um den Ausgleich von Informationsasymmetrien, die zwischen den verschiedenen Interessengruppen des Unternehmens bestehen. Da die

__________ 50 Überarbeitete Fassung mit Vorwort von Berle, The modern corporation and private property, New York 1968. 51 Näher zu dieser Unterscheidung v. Werder in Hommelhoff u. a., Handbuch CG, 2003, S. 12 ff.

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Aktionäre kaum Kenntnis von den Umsätzen und Erträgen des Unternehmens haben, müssen jährlich Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt und publiziert werden. Zugleich wird opportunistisches Verhalten leichter entdeckbar, wodurch präventive Abschreckungseffekte bewirkt werden. – Interessenkonflikte bestehen etwa zwischen Aktionären und dem top management, wie von Berle und Means grundlegend aufgezeigt und im Principalagent-Konzept theoretisch ausgearbeitet. CG-Regeln können dem Management verbieten, persönliche Vorteile aus Geschäftschancen der AG zu ziehen. Aktienoptionsprogramme können dem Management Anreize geben, im Einklang mit Aktionärsinteressen zu handeln. – Unter dem Prinzip der Wertorientierung versteht man schließlich, dass Anreize gesetzt werden, Interessenkonflikte nicht im Wege wertvernichtender Streitigkeiten, sondern dadurch zu lösen, dass nach Win-win-Positionen gesucht wird, die für alle Beteiligten Vorteile bieten und den Gesamtwert der Unternehmung steigern. Beispiele sind nicht nur im Bereich der Kapitalmarktorientierung zu suchen, sondern bestehen etwa auch darin, dass Anreize zur Schadensverhütung anstatt zur Schadensvergütung gesetzt werden, indem das Risiko persönlicher Haftung gesteigert wird. In den USA, Kanada und Australien hat man Governance-Konzepte inzwischen auch in einigen Freiberufsrechten erprobt und hierfür den Begriff der professional governance (PG) eingeführt. Im Vorgriff auf eine umfänglicher angelegte empirische Auswertung52 lässt sich sagen, dass ca. 34 % der mit „professional governance“ bezeichneten Einrichtungen im Bereich freier Berufe tätig sind. Etwa 40 % gehören zu den Lehr- und Heilberufen einschließlich der pharmazeutischen Freiberufe sowie zu den hauptsächlich psychologisch tätigen Coaches. Doch sind nur etwas weniger als die Hälfte von diesen53 als Verbände oder non-government organisations organisiert. Der Rest sind staatliche oder für diese in Abhängigkeit tätige Einrichtungen. In Belgien hat die Fédération des Entreprises de Belgique in 2001 recommandations on „Corporate Governance Dans Les Sociétés Non Cotées“ veröffentlicht.54 Keine echte Entsprechung zur PG-Entwicklung enthält der Code of Conduct for Lawyers in the EU55, den der Council of the Bars and Law Societies of the European Union (CCBE) bereits in 1988 erlassen hat, und der heute in der Fassung vom Dez. 2002 gilt.56 Die CCBE ist ein reiner Interessenverband, der bereits 1960, also lange vor der Governance-Bewegung, gegründet worden ist. Sie

__________ 52 Internet-Recherche von 571 www-Seiten von Einrichtungen, die den Begriff der PG als Name oder zur Erklärung ihrer Aktivitäten benutzen. Dem Folgenden sind Auswertungen eines Samples der ersten 100 bei Google erfassten Einrichtungen zugrunde gelegt. 53 15 % der Gesamtheit. 54 Download unter www.feb.be. 55 Die deutsche Übersetzung des Titels lautet deshalb treffend „Standesregeln …“ anstatt PG-Kodex, vgl. Henssler/Prütting, BRAO, 1997, Anhang S. 1435. 56 Download unter http://www.ccbe.org.; auch veröffentlicht in Henssler/Prütting, BRAO, 1997, Anhang S. 1435 ff.

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wurde zwar von der EU Kommission offiziell als Vertretungsorganisation von rund 700 000 europäischen Rechtsanwälten anerkannt und genießt Anhörungsstatus.57 Aber darin liegt keine Beauftragung durch die zuständige Regierungsstelle, wie sie die CG-Kommissionen in Deutschland und anderwärts bekommen haben. Schließlich zielen die Regeln hauptsächlich auf das „statement of common rules which apply to all lawyers from the European Economic Area whatever Bar or Law Society they belong to in relation to their cross-border practice“ (No. 1.3.1). Doch ist damit weniger eine Harmonisierung zu Zwecken internationaler Transparenz gemeint, als vielmehr Rechtssicherheit durch Verweise auf die nationalen Berufsrechtsnormen (No. 1.2.2.; 2.4; 2.6.1 sec. 2) intendiert. Das betrifft insbesondere auch die Werberegeln (No. 2.6.1) und die Normen zur Honorarabrechnung (No. 3.4.2). Es gibt jedoch auch PG-ähnliche Regeln. Das betrifft v. a. die Freiwilligkeit der Normbefolgung gem. No. 1.2.1: „Rules of professional conduct are designed through their willing acceptance by those to whom they apply …“ Auch sind gewisse gemeinsame Grundwerte formuliert, von denen der Code annimmt, dass sie „… are based on the same values and in most cases demonstrate a common foundation“ (No. 1.2.2 sec.2). Dazu gehört die „absolute independence, free from all other influence, especially such as may arise from his personal interests or external pressure“ (No. 2.1.1). Auch die Regelungen zur confidentiality (No. 2.3), zu „incompatible occupations“ (No. 2.5) sowie zu „conflict of interest“ (No. 3.2.1) scheinen auf eine gemeinsame Grundlage gestützt. Doch versucht der Code auch insoweit nicht wegzukommen von den Traditionalismen der überkommenen Standesethik, sondern er bestätigt sie immer wieder (insbes. No. 2.2: „Relationship of trust can only exist if a lawyer’s personal honour, honesty and integrity are beyond doubt. For the lawyer these traditional virtues are professional obligations“). Von einer competitive regulation im Sinne der neueren Regulierungslehren ist – trotz der vielfältig belegten Hinweise auf die nationalen Standesregeln – keine Spur. Es ergibt sich also noch einiger Abstand zu den PG-regulations im engeren Sinne. 2. Berufsethische Grundlagen Vor allem zu den vorstehend erörterten Governance-Mechanismen und -prinzipien sind berufsethische Fundamente gut erforscht58 und mit der zunehmenden Verbreitung der Governance-Regime59 auch weithin anerkannt.60 Dazu sogleich mehr. Aber auch zur wettbewerbsfunktionalen Ausrichtung der neuen Freiberufsrechte kann man auf einigen ethischen Grundlagen aufbauen.

__________ 57 Siehe die Mitteilungen auf der zitierten Homepage. 58 Vgl. – grundlegend – Wieland, Die Ethik der Governance, 3. Aufl., Marburg 2004; Wieland, Normativität und Governance, Marburg 2005. 59 Dazu Köndgen, Privatisierung des Rechts – Private Governance zwischen Deregulierung und Rekonstitutionalisierung, AcP 2006, 477; Herrmann, Grundlehren BGB/ HGB, Bd. 1, Nürnberg 2006, S. 26 ff., passim. 60 Vgl. die Nachweise bei Wieland, Governanceethik im Diskurs, Marburg 2004.

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Historischer Ausgangspunkt ist hier nicht etwa erst das berühmte Werk von Max Weber über die protestantische Ethik und den „Geist des Kapitalismus“61, worin vor allem die calvinistische Vorsehungslehre als geistliche Motivation der Bildung von Eigentum und Mehrung von Wohlstand religionssoziologisch erforscht wurde. Vielmehr lässt sich bereits Adam Smith’s Vorstellung von den indirekt wohlstandsmehrenden Funktionen des menschlichen Eigennutzes als naturtheologisch verankerter Glaube an die Weisheit der Schöpfung („wisdom of God“) erweisen, zumal Smith an der Universität von Glagow Vorlesungen über Naturtheologie hielt.62 Sehr gut belegt ist auch das Zusammenwirken des Freiburger Kreises um Walter Eucken als Begründer der ordoliberalen Theorie der sozialen Marktwirtschaft mit den Theologen Dietrich Bonnhoeffer, Helmuth Thielicke und Otto Dibelius.63 In der modernen Diskussion ethisch-philosophischer Meinungsströmungen wird der Zusammenhang von Wettbewerb und Verantwortungsethik im Sinne von Jonas betont und der Gegensatz zu motivations- bzw. gesinnungsethischen Theorien betont.64 Man geht von der im Protestantismus grundlegenden Anthropologie des sündhaften Menschen aus, der egoistisch handelt, aber gerade dadurch in einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung Gutes bewirkt. Vorausgesetzt ist dabei die Achtung der Freiheit und Würde aller anderen Marktteilnehmer ebenso wie das Unterlassen bzw. die Verhinderung von Machtmissbrauch, wobei es sich insoweit um Aufgaben handelt, die im Wettbewerb nicht von selbst bewirkt werden und für die deshalb unterstützend die staatliche Rahmenordnung benötigt wird. Inwieweit hierzu auch Regulierungen von Verbänden und Freiberufskammern berufen sind, ist wirtschaftsethisch noch wenig erforscht, aber durch das deutsche und europäische Kartellrecht im Grundsatz anerkannt.65 Für die Governance-Ethik sind die Transaktionskostenökonomik von Ronald Coase und deren Weiterentwicklung durch Oliver Williamson grundlegend, wonach – stark vereinfachend gesagt – die Entscheidung über ökonomisch effiziente Organisationsformen danach erfolgt, unter welchen institutionellen

__________ 61 Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Gesammelte Ausätze zur Religionssoziologie, 1920/1988; teilweise wird auch bereits die Konzeption der invisible hand von Adam Smith in An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, 1776/1979, als Bezugnahme auf das Theologumenon der Hand Gottes im Alten Testament angesehen, vgl. nur Grampp, What did Adam Smith mean by the invisible hand?, Journal of Political Economy 2000, 108/3. 62 Alvey, The Secret, Natural Theological Foundation of Adam Smith’s Work, Journal of Markets and Morality 2004, 335 (338 f.). 63 Siehe Lachmann in Resch (Hrsg.), Mehr als man glaubt, 2000, S. 187 ff., 192 f. 64 Lachmann in Resch (Hrsg.), Mehr als man glaubt, 2000, S. 203. 65 Das geschieht in der Form sog. Freistellungen und Geltungsausnahmen mit Rückausnahmen bei Verbandsmissbräuchen, s. Herrmann, Interessenverbände und Wettbewerbsrecht, Baden-Baden 1984; zu den Neuerungen seit den neusten Kartellrechtsreformen von 2004 Herrmann in Ehlermann (Hrsg.), European Competition Law Annual 2004, 2006, S. 101 ff.

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Bedingungen die Transaktionskosten am geringsten sind. Das gilt nicht nur für die dualistische Gegenüberstellung von Märkten und Hierarchien66, sondern auch für die Entscheidung über optimale Governance-Strukturen von Konzernen und Verbänden.67 Nicht das Streben nach Gewinnmaximierung des Einzelnen ist also maßgebend, sondern es geht um die Realisierung einer „Kooperationsrente“ im Rahmen von „gewollt langfristig und adaptiv angelegten Vertragsarrangements, in denen alle Vertragspartner sich auf ein bestimmtes Tun und Lassen verpflichten“68. Daraus werden Postulate der Kooperationsbereitschaft und Teamfähigkeit, des sozialen Lernens sowie der Selbstbindung, Transparenz und Verbindlichkeit als „moralische Hintergrundannahmen der Gesellschaft“ im Sinne von Rawls hergeleitet.69 Allerdings konzentriert sich die ethische Diskussion derzeit, soweit ersichtlich, noch ausschließlich auf die Grundlagen dynamischer Steuerung von Unternehmen und Verbänden. Dennoch lässt sich fast im Wege des Erst-rechtSchlusses denken, dass auch das Handeln von freiberuflich Tätigen nicht nur von der individuellen Gewinnmaximierung motiviert, sondern vom Streben nach Kooperationsrenten angeleitet wird. Auch hier sind also die erwähnten Leitwerte der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit maßgebend. Im Anschluss an Wieland kann man unterscheiden70: – Leistungswerte: Kompetenz, Leistungsbereitschaft, Flexibilität, Innovationsorientierung; – Interaktionswerte: Loyalität, Konfliktfähigkeit, Teamgeist, Offenheit; – moralische Werte: Gerechtigkeit, Fairness, Verantwortungsfähigkeit, Vertragstreue, Ehrlichkeit. 3. Praktische Folgerungen Nach alledem besteht Anlass, über ein analoges Vorgehen zu § 161 AktG nachzudenken. Wie dort wäre daran zu denken, dass eine unabhängige Regierungskomission einberufen wird, die einen PG-Kodex erarbeitet. Ob dort eine Einigung auf Grundregeln für alle Freiberufe möglich sein wird, darf eher bezweifelt werden. Doch gibt es vielleicht hinreichende Gemeinsamkeiten in den Gruppen der Heilberufe, rechts- und wirtschaftsberatenden sowie in den technischen und weiteren Freiberufen. Die Codices könnten ebenso veröffentlicht werden wie der CGK, so dass den Verbänden jährlich eine öffentliche Erklärung aufzuerlegen wäre, ob sie dem für sie zutreffenden Kodex folgen, und inwieweit sie hiervon abweichen.

__________ 66 Dazu – grundlegend – Williamson, Markets and Hierarchies, New York 1975. 67 Williamson, The mechanisms of governance, New York u. a. 1996; Wieland, Die Ethik der Governance, 3. Aufl., Marburg 2004, S. 49. 68 Wieland, Die Ethik der Governance, 3. Aufl., Marburg 2004, S. 52. 69 Wieland, Die Ethik der Governance, 3. Aufl., Marburg 2004, S. 74, 76 f.; in Anlehnung an Rawls, Political Liberalism, New York u. a. 1993, S. 266 ff.: „background justice“. 70 Wieland, Die Ethik der Governance, 3. Aufl., Marburg 2004, S. 75.

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Welche inhaltliche Ausrichtung könnte ein solcher PG-Kodex haben? Zweifellos geht es um die Erarbeitung von weniger wettbewerbsbeschränkenden, dafür aber europarechtlich risikofrei gerechtfertigten Selbstregulierungen. Beispielsweise könnten die erörterten Verbote der Image-Werbung aufgegeben werden, soweit keine unangemessen emotionale Image-Bildung vorliegt oder die Angewiesenheitssituation des Werbeadressaten ausgenutzt wird. Auch das Verbot der Werbung um Praxis könnte auf Regelungen gegen ambulance chasing eingeengt werden, gegen die nach dem Ergebnis dieser Untersuchung eindeutig keine europarechtlichen Einwände bestünden. Konkretisierungen dessen, was als unzulässige Aufdringlichkeit anzusehen sein soll, wären durchaus wünschenswert.71

V. Zusammenfassung und Ausblick Folgende Ergebnisse der Untersuchung können zusammengefasst werden: – Die Werbeverbote sind für Steuerberater formell gesetzlich verankert und nur in Teilbereichen durch die Berufsordnung konkretisiert. Man kann das Verbot nicht sachlich unterrichtender Werbung von dem der Mandatswerbung unterscheiden. Weniger wettbewerbsbeschränkende Fassungen gehen dahin, dass die Image-Werbung nur dann verboten wird, wenn sie freiberufswidrige Assoziationen weckt oder emotionale Abhängigkeiten oder Angewiesenheitssituationen ausnutzt. Ersteres könnte in den Beispielsfällen McZahn/McSteuer angenommen werden; Letzteres bei der Mandatswerbung durch sog. ambulance chasing (II). – Die weiten Fassungen der gesetzlichen Werbeverbote stehen dann mit Art. 49 EG und dem dazu jüngst ergangenen Cipolla-Urteil in Einklang, wenn man dem deutschen Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum einräumt, wie er in der Rechtsprechung seit der Keck-Entscheidung diskutiert und rechtsvergleichend durch die US-amerikanische state-action-exemption nahe gelegt wird. § 57a StBerG liegt zwar innerhalb dieser Grenzen, doch ist die Anerkennung des nationalen Gestaltungsspielraums nicht gesichert (III). – Die Annahme eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums und einer entsprechenden Kammerbefugnis der Selbstregulierung gibt jedenfalls Anlass, über wettbewerbsoffenere Formen der Werbeverbote nachzudenken. Hierfür sind moderne Entwicklungen der professional governance interessant, die analog der corporate governance in vielen Teilen der Welt entwickelt wurden (IV 1). – Es gibt eine entwickelte Governance-Ethik, die von denen der Standesethik freier Berufe deutlich unterschieden ist und stärkere Öffnungen für den Wettbewerb zulässt (IV 2).

__________ 71 Zur „fließenden Grenze“ insoweit s. den Überblick bei Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., München 2004, Rz. 341 ff.

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– Deshalb wird für die Einrichtung einer PG-Komission plädiert, die für Freiberufsgruppen codices analog dem CG-Kodex veröffentlichen sollte. Für Kammern und Verbände sollte eine öffentliche Erklärungspflicht über die Befolgung des PG-Kodex geschaffen werden. – Inhaltlich könnte der PG-Kodex für rechts- und wirtschaftsberatende Berufe eingeschränkte informationswerbliche Regeln und solche zum ambulance chasing treffen (IV 3).

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2. Steuergestaltung Wolfgang Schön

Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die zwei Gesetzgebungsebenen 1. Die relevanten Situationen 2. Das Verhältnis zwischen EU-Recht und innerstaatlichem Recht III. Grundsätze des „Rechtsmissbrauchs“ im EU-Recht 1. Der gedankliche Ort der „Rechtsmissbrauchslehre“ 2. Die Effektivität des Gemeinschaftsrechts 3. Die Zielsetzung des Binnenmarktes IV. Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten 1. Keine freie Wahl des anwendbaren Rechts

2. Freie Wahl der Anknüpfung an ein staatliches Territorium 3. „Rein künstliche Konstruktionen“ a) „U-Turn“-Transaktionen b) Gesellschaftsgründung c) Umqualifizierung von Schuldverhältnissen d) Die Relevanz der Absicht des Steuerzahlers V. Rechtsmissbrauch auf dem Gebiet der Steuerrichtlinien 1. Die Relevanz der freien Auswahl im sekundären EU-Recht 2. Die Absicht, Steuern zu sparen VI. Schlussfolgerung

I. Einleitung Das Thema des „Rechtsmissbrauchs“ im Europäischen Steuerrecht ist bereits seit vielen Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Kontroversen, es hat jedoch erst in jüngerer Zeit durch grundlegende Urteile des Europäischen Gerichtshofs auf den Gebieten der Grundfreiheiten und der steuerlichen Richtlinien besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Insbesondere die Verfahren „Cadbury Schweppes“ und „Halifax“ werden nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland vertieft diskutiert. Der Beitrag versucht, ein systematisches Verständnis dieser Rechtsprechung zu entwickeln und dabei deutlich zu machen, dass die besonderen Wertungen des Binnenmarktes und seiner Gesetzgebung auch für das Institut des Rechtsmissbrauchs besondere sachliche Vorgaben treffen.

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II. Die zwei Gesetzgebungsebenen 1. Die relevanten Situationen Jedwede substantielle Analyse des „Rechtsmissbrauchs“ im Gemeinschaftsrecht muss sich der Tatsache bewusst sein, dass Rechtsmissbrauch auf verschiedenen Gesetzgebungsebenen stattfinden kann. In dieser Hinsicht müssen wir zwischen dem Missbrauchskonzept innerhalb des Rahmens des europäischen Primär- und Sekundärrechts einerseits und den innerstaatlichen Regelungen und Steuervermeidungskonzepten andererseits unterscheiden, die im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht überprüft werden.1 Um die Angelegenheit noch komplizierter zu gestalten, vermischen sich diese zwei Perspektiven immer dann, wenn die Zulässigkeit einer innerstaatlichen Missbrauchsvorschrift von ihrer Vereinbarkeit mit einem EUMissbrauchskonzept abhängt. Für die weitere Analyse müssen die folgenden Situationen berücksichtigt werden: – Sekundäres EG-Recht – in den meisten Fällen eine Richtlinie – enthält eine spezielle Missbrauchsvorschrift. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinie in ihr innerstaatliches Recht überführt. In diesen Fällen hängt die Vereinbarkeit von innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften und Gemeinschaftsrecht von der Auslegung der in der Richtlinie enthaltenen Missbrauchsvorschrift durch den EuGH ab. Es gab mehrere Fälle in dieser Hinsicht, zu Anfang Denkavit (Art. 3 Abs. 2 Mutter-Tochter-RL)2 und Leur Bloem (Art. 11 FusionsRL)3. – Sekundäres Gemeinschaftsrecht enthält materiell-rechtliche Vorschriften, welche angeblich vom Steuerzahler missbraucht worden sind, aber nicht durch eine spezifische europäische Missbrauchsregelung geschützt werden. In diesen Fällen hängt die Zulässigkeit von innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften von der Frage ab, ob das Gemeinschaftsrecht ein allgemeines Konzept des Missbrauchs akzeptiert – entweder im Rahmen einer teleologischen Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts oder auf der Grundlage eines allgemeinen Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts. Diese Frage wurde vom EuGH erstmals in „Meilicke“ aus dem Jahre 1992 erörtert (zu der 2. Gesellschaftsrechtsrichtlinie)4 und wurde 2006 im Halifax-Urteil bejaht (hinsichtlich der 6. EG-Richtlinie – Umsatzsteuer)5. Der EuGH ging sogar so weit anzunehmen, dass man sich auf eine solch allgemeine Konzeptualisierung des Rechtsmissbrauchs sogar dann stützen kann, wenn wir eine spezifische

__________ 1 Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 f.; ausführliche Analyse bei Schön, Gestaltungsmissbrauch im Europäischen Steuerrecht, IStR 1996, Beihefter 2. 2 EuGH, Urt. v. 17.10.1996 – Rs. C-283/94 u. a. – Denkavit, EuGHE 1996, I-5063 f. 3 EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161. 4 Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, EuGH v. 16.7.1992 – Rs. C-83/91 – Meilicke, EuGHE 1992, I-4871 f. – Rz. 17 f.; siehe ebenfalls Ling McCarthy, Abuse of rights: The effects of the Doctrine on VAT Planning, British Tax Planning 2006, 160 f. 5 EuGH, Urt. v. 21.2.1996 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609; siehe ebenfalls EuGH, Urt. v. 3.3.2005 – Rs. C-32/03 – I/S Fini H, EuGHE 2005, I-1599 f.

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Missbrauchsvorschrift im Rahmen der Richtlinie finden, auf welche – aus verfahrensrechtlichen Gründen – man sich im jeweiligen Fall nicht berufen konnte. – Innerstaatliches Recht enthält eine Missbrauchsvorschrift, die grenzüberschreitenden Fällen die Gleichbehandlung mit Inlandsfällen versagt. Eine solche Regelung muss im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten überprüft werden. Dieses Thema wurde in der bisherigen Judikatur des EuGH recht häufig behandelt. Der Stand der Rechtsprechung sieht so aus, dass zwei miteinander verbundene Themen angesprochen werden müssen: Zuerst wird gefragt, ob die Grundfreiheiten die vom Steuerzahler gewählte Transaktion überhaupt schützen. Wird dies bejaht, muss gefragt werden, ob die Bekämpfung der Steuervermeidung die vom inländischen Gesetzgeber oder Richter ergriffene Maßnahme rechtfertigt. Es gibt viele Beispiele für diese Art von Überprüfung in der Rechtsprechung des EuGH. Unter den bekanntesten Fällen, die in jüngerer Zeit entschieden wurden, finden wir „Marks & Spencer“ (zum grenzüberschreitenden Verlustausgleich)6, „Cadbury Schweppes“ (zur Hinzurechnungsbesteuerung)7 und „Test Claimants“ in the Thin Cap Group Litigation (zur Unterkapitalisierung)8. 2. Das Verhältnis zwischen EU-Recht und innerstaatlichem Recht Dieser zweistufige Ansatz hat bestimmte Folgen hinsichtlich der Anwendung innerstaatlichen Steuerrechts. Zuvörderst ist innerstaatliches Recht nicht anwendbar in Fällen, die vom Gemeinschaftsrecht abgedeckt werden, wenn und soweit es die Grenzen des Missbrauchskonzepts nach EU-Recht überschreitet. In dieser Hinsicht kann der Steuerzahler sich auf die Rahmenbedingungen berufen, die das EU-Recht bereitstellt. Dazu ist akzeptiert, dass jedenfalls die Grundfreiheiten die Steuerzahler mit individuellen Rechten ausstatten.9 Darüber hinaus kann man sich auch in den meisten Fällen auf Richtlinien, die Steuern betreffen, berufen, da sie darauf angelegt sind, individuelle Ansprüche des Steuerzahlers gegenüber dem Staat festzulegen, die dem nationalen Gesetzgeber nicht viel Ermessenspielraum überlassen.10 In anderen Fällen dürfen Mitgliedstaaten durchaus Missbrauchskonzepte verwenden, die über das im EU-Recht enthaltenen Missbrauchskonzept hinausgehen, z. B. bei der Anwendung innerstaatlicher Missbrauchsvorschriften, die nicht unter die Kontrolle der Grundfreiheiten fallen (z. B. weil sie nicht zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Fällen unterscheiden) und die auch nicht harmonisierte Bereiche betreffen.

__________ 6 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer v. Halsey, EuGHE 2005, I-10837. 7 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995. 8 EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de. 9 EuGH, Urt. v. 21.6.1974 – Rs. 2/74 – Reyners, EuGHE 1974, 631 f. – Rz. 24, 28. 10 EuGH, Urt. v. 17.10.1996 – Rs. C-283/94 u. a. – Denkavit, EuGHE 1996, I-5063 – Rz. 37 f.

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Während der Steuerzahler in den geschilderten Fällen berechtigt ist, sich auf EU-Recht gegen die innerstaatliche Gesetzgebung zu berufen, sollte man nicht vergessen, dass das sich zu Lasten des Steuerzahlers auswirkende EU-Recht in der Regel nicht unmittelbare Wirksamkeit entfaltet. Deshalb greift eine europäische Missbrauchsnorm nicht automatisch ein, solange innerstaatliches Recht überhaupt kein Missbrauchskonzept enthält oder ein Konzept vorsieht, das sich gegenüber dem Steuerzahler als liberaler erweist als dies vom EURecht erfordert wird. Um einige Beispiele zu geben: Wenn nach EU-Recht Mitgliedstaaten dazu berechtigt sind, gesetzliche Vorschriften gegen den Gebrauch von ausländischen Basisgesellschaften im Rahmen eines Missbrauchskonzeptes zu erlassen, oder es ihnen gestattet ist, Unterkapitalisierungsregelungen aus demselben Grund einzuführen, wirkt sich dieser gemeinschaftsrechtliche Gesetzgebungsspielraum überhaupt nicht auf die Steuerzahler aus, solange der innerstaatliche Gesetzgeber nicht Regelungen in Kraft setzt, die gemäß dem EU-Konzept zulässig sind. Falls und insoweit die innerstaatliche Gesetzgebung (z. B. das britische Steuerrecht) überhaupt keine allgemeine Missbrauchsregelung enthält, greift EU-Recht ebenfalls nicht ein und bestimmt keinen Rechtsbehelf zugunsten des britischen Fiskus. Daher hat der Gerichtshof vor kurzem in der Rechtssache „Kofoed“ deutlich gemacht, dass die Anwendung des Missbrauchstatbestandes der europäischen Fusions-Richtlinie nur dann einem Steuerpflichtigen entgegengehalten werden kann, wenn das nationale Recht eine entsprechende Umsetzungsnorm statuiert10a . EU-Recht setzt die Grenzen für innerstaatliche Missbrauchsregelungen fest, aber macht ihre Inkraftsetzung nicht überflüssig. Die einzige (scheinbare) Ausnahme von dieser Regel bezieht sich auf die Notwendigkeit, innerstaatliche Gesetzgebung in Konformität mit der EU-Gesetzgebung auszulegen, wenn und soweit sich das innerstaatliches Recht als doppeldeutig zu diesem Punkt erweist. Erneut ist der Halifax-Fall von großer Relevanz. In diesem Urteil entschied der EuGH, dass auf der Grundlage eines allgemeinen europäischen Konzepts des „Rechtsmissbrauchs“ bestimmten Gestaltungen des Steuerpflichtigen die Anerkennung bei der Anwendung der 6. EG-Richtlinie (Umsatzsteuer) versagt werden konnte.11 Aus deutscher Sicht machte der BFH in einem jüngeren Urteil klar, dass es in solchen Fällen geboten ist, § 42 AO in Konformität mit der Definition des EuGH zum „Rechtsmissbrauch“ auszulegen.12 In Belgien hat das Parlament eine Missbrauchsregelung für den Umsatzsteuerbereich in Kraft gesetzt, welche den Vorgaben des EuGH folgt.13 In Großbritannien scheint die Auffassung vorzuherrschen,

__________ 10a EuGH, Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-321/05 – Kofoed, GmbHR 2007, 880 m. Anm. Rehm/Nagler. 11 EuGH, Urt. v. 21.2.1996 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 67 f. 12 BFH v. 9.11.2006 – V R 42/04 DB 2006, 91; dazu kritisch List, DB 2007, 131; siehe auch Widmann, DStR 2006, 736. 13 Degadt/Hoorebeke, New Belgian Anti-Abuse Measures: Belgian Legislator adopts Halifax Doctrine, Tax Planning International European Union Focus 8 (2006), Ausgabe 10, S. 14; für eine ausführliche Analyse dieses methodologischen Problems siehe Balthus, „Les ‚pratiques abusives‘ en matière de TVA“, Journal de Droit Fiscal 80 (2006), 338 (348 f.).

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dass keine gesetzlich angeordnete Implementierung notwendig ist.14 Aber die Umsetzung der Aussagen des Halifax-Urteils zum Rechtsmissbrauch in innerstaatliches Recht hängt von dem Ermessensspielraum der britischen Richter ab, das britische Umsatzsteuergesetz von 1994 in Übereinstimmung mit der Richtlinie auszulegen (so wie durch den EuGH interpretiert). Dieser Spielraum wird nicht durch EU-Recht definiert, sondern durch die Gewaltenteilung zwischen dem Parlament und der Judikative, wie sie sich aus der ungeschriebenen Verfassung des Vereinigten Königreichs ergibt. Falls und insofern innerstaatliches britisches Recht die Gerichte nicht ermächtigt, bestimmte Transaktionen die „Anerkennung“ zu versagen, ist das EU-Recht nicht in der Lage, dieses Hindernis zu bewältigen. Die Folge wäre, dass das britische Parlament die richtige Institution wäre, die Auslegung der 6. EG-Richtlinie durch den EuGH einschließlich des allgemeinen Missbrauchskonzepts in das englische Recht umzusetzen.

III. Grundsätze des „Rechtsmissbrauchs“ im EU-Recht 1. Der gedankliche Ort der „Rechtsmissbrauchslehre“ Begriff und Anwendung des „Rechtsmissbrauchs“ werden in vielen Jurisdiktionen seit Jahrzehnten diskutiert.15 Der praktische Teil dieser Diskussion widmet sich der tatsächlichen Abgrenzung von illegalem (Steuerhinterziehung), missbräuchlichem (Steuervermeidung) und akzeptablem Verhalten (Steuerplanung). Aus wissenschaftlicher Sicht befasst sich ein Großteil der Literatur mit den rechtlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer Rechtsmissbrauchslehre. Während einige die Bedeutung der „teleologischen Interpretation“ in der Bekämpfung von missbräuchlichen Gestaltungen hervorheben, halten andere einen gesetzlichen Sondertatbestand – wie § 42 AO – für vorzugswürdig.16 Zu dieser methodischen Frage hat der EuGH in einer

__________ 14 Tailby, Halifax – A Basis for Optimism?, The Tax Journal v. 17.4.2006, S. 4 f.; Mitchell/Moss/Gillham, Controlled Foreign Companies Legislation and the Abuse of Law, Tax Planning International Review 33 (2006), Ausgabe 12, S. 3 f. (5). 15 Für eine aktuelle Behandlung in verschiedenen Rechtsprechungen siehe Harris, Fair in Love but not Taxation: The English Origin of the Australasian General AntiAvoidance Rule, Teil I, IBFD-Bulletin 2007, 65 f.; Harris, Fair in Love but not Taxation: The English Origin of the Australasian General Anti-Avoidance Rule, Teil III, IBFD-Bulletin 2007, 109 f.; Leclerq, Interacting Principles: The French Abuse of Law Concept and the EU Notion of Abusive Practices, IBFD-Bulletin 61 (2007), 235 f.; Locher, Rechtsmissbrauchsüberlegungen im Recht der direkten Steuern in der Schweiz, Archiv für Schweizerisches Abgabenrecht 75 (2007), 675 f.; Pedroli, L’elusione fiscale nel diritto italiano, Archiv für Schweizerisches Abgabenrecht 75 (2007), 701 f.; siehe ebenfalls viele nationale Abhandlungen und den General Report von Zimmer, Form and Substance in Tax Law, in International Fiscal Association (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International Vol. LXXXVIIa, Den Haag 2002 – Oslo Congress. 16 Zur britischen Diskussion siehe Freedman, Defining Taxpayer Responsibility: In Support of a General Anti-Avoidance Principle, British Tax Review 2004, 332 f.; Gammie, Sham and Reality: The Taxation of Composite Transactions, British Tax Review 2005, 197 f.; Tiley, Tax Avoidance Jurisprudence as Normal Law, British Tax Review 2004, 304 f.

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Kette von Urteilen, die viele Themenkreise des EU-Rechts über das Steuerrecht hinaus abdeckt, klargemacht, dass die Anwendung des „Rechtsmissbrauchs“ im EU-Recht eng mit den Zielsetzungen der jeweils erschlichenen oder umgangenen EG-Rechtsvorschriften verknüpft ist.17 Die Teleologie einer Regelung muss herangezogen werden, wenn man feststellen will, welche Transaktionen als missbräuchlich erachtet werden müssen und welche nicht. In diesem Sinne hat GA Maduro – in einer der jüngsten umfassendsten Analysen dieses Punktes – verdeutlicht, dass die Anwendung der Rechtsmissbrauchslehre ihre Grundlage in „Zweck und Zielen der Gemeinschaftsbestimmung“ findet.18 Dies gilt sowohl für das Primärrecht – in besonderem Maße die Grundfreiheiten – als auch für das Sekundärrecht – insbesondere in Bezug auf die die Steuern betreffenden Richtlinien. Da der Zweck einer Rechtsvorschrift von überragender Bedeutung für die Feststellung von Missbrauch und Umgehung ist, verleihen die spezifischen Ziele und Zielsetzungen des Gemeinschaftsrechts der europäischen Diskussion einige besondere Nuancen. Vor diesem Hintergrund scheint es empfehlenswert, einige der wichtigsten Grundzüge des Gemeinschaftsrechts im Allgemeinen hervorzuheben, so wie sie im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht festgesetzt und vom EuGH ausgearbeitet wurden. 2. Die Effektivität des Gemeinschaftsrechts Der erste Hauptbestandteil der Rechtsauslegung in der Rechtsprechung des EuGH, der berücksichtigt werden muss, verweist auf die Notwendigkeit, die Wirksamkeit und die gleichmäßige Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.19 Von Anfang an verdeutlichte der EuGH, dass dem Gemeinschaftsrecht „Effet Utile“ verliehen werden muss, d. h. die effektive Anwendung, um die Zielsetzungen des EG-Vertrages und Sekundärrechts20 zu verwirklichen. Da der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten und die Wirksamkeit der Harmonisierung durch die Richtlinien nicht durch innerstaatliches Recht beeinträchtig werden sollen, muss zunächst der Spielraum der innerstaatlicher Gesetzgebung im Rahmen der Missbrauchsgesetzgebung auf ein Minimum reduziert werden.21

__________ 17 Zum Beispiel EuGH, Urt. v. 21.11.2002 – Rs. C-436/00 – X and Y, EuGHE 2002, I-10829 f. – Rz. 42; EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 52; Böing, EWS 2007, 55 (57); Lange, DB 2006, 519 (520 f.); Hahn, IStR 2006, 667 (669). 18 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 65; für eine wegweisende Analyse der Rechtsprechung des EuGH siehe Brown, Is there a General Principle of Abuse of Rights in European Community Law?, in Institutional Dynamics of European Integration, Essays in Honour of Henry G. Schermers, vol. II, 1994, S. 511 f. 19 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 65. 20 EuGH, Urt. v. 4.12.1974 – Rs. 71/74 – van Duyn, EuGHE 1974, 1337 f. – Rz. 12. 21 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 65, 89.

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In unserem Kontext ist der EuGH sich der Gefahr bewusst, dass innerstaatliche Gesetzgeber den allgemeinen Begriff des Steuermissbrauchs verwenden könnten, um gesetzgeberischen Protektionismus zu rechtfertigen oder um sich von der Notwendigkeit zu befreien, EU-Richtlinien vollständig anzuwenden. Dies hat einige praktische Konsequenzen zur Folge. Zuvörderst scheint es klar zu sein, dass der Begriff des Missbrauchs restriktiv für Bereiche verwendet wird, wo die Vereinbarkeit von innerstaatlichen Missbrauchsvorschriften mit primärem oder sekundärem Gemeinschaftsrecht getestet wird.22 Dies hat zur Annahme geführt, dass der Rechtsmissbrauch eine Überprüfung der besonderen Situation des Steuerzahlers erfordert, und nicht den Weg bereitet für pauschale Vorschriften.23 Man kann auch annehmen, dass die Tendenz des EuGH, die Anwendung der Missbrauchsvorschriften auf „rein künstliche Konstruktionen“24 zu begrenzen, im gleichen Sinne verstanden werden muss. Andererseits müssen unkontrollierte Ermessenspielräume für innerstaatliche Finanzbehörden vermieden werden. Daher müssen die Kriterien für den Rechtsmissbrauch „objektiv“ sein, d. h. „überprüfbar“ für Dritte25. Hinsichtlich der Anwendung innerstaatlicher Beweisverfahren muss die Wirksamkeit der verfahrensrechtlichen Absicherung des Gemeinschaftsrechts gewährleistet sein.26 Auch insoweit ist es das Ziel des EuGH, die Auswirkung von nationalen Missbrauchsregelungen zu minimieren, welche diese vielleicht auf die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrecht haben könnten, und den verdeckten Protektionismus unter dem Deckmantel von Missbrauchsvorschriften zu begrenzen. Andererseits erscheint der EuGH sehr viel großzügiger im Hinblick auf die Anwendung von Missbrauchskonzepten innerhalb des Rahmens des Gemeinschaftsrechts selbst.27 Insofern das Gemeinschaftsrecht als solches – entweder

__________ 22 EuGH, Urt. v. 17.10.1996 – Rs. C-283/94 u. a. – Denkavit, EuGHE 1996, I-5063 f. – Rz. 26; EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 40. 23 EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11779 f. – Rz. 37; EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 41, 44; EuGH, Urt. v. 21.11.2002 – Rs. C-436/00 – X and Y, EuGHE 2002, I-10829 f. – Rz. 42 f. 24 EuGH, Urt. v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 f. – Rz. 26; EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 51; EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11779 f. – Rz. 37; EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 72. 25 EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 81; Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 65, 89. 26 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 76; EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110/99 – Emsland Stärke, EuGHE 2000, I-11569 f. – Rz. 54. 27 Es sollte allerdings angemerkt werden, dass der EuGH selbst nicht immer eine klare Grenze zieht zwischen Fällen, in denen innerstaatliche Vorschriften geprüft werden, und Fällen, wo die Rechtsmissbrauchslehre direkt auf EU-Recht angewandt wird, siehe z. B. EuGH, Urt. v. 26.9.2000 – Rs.C-478/98 – Kommission / Belgien, EuGHE 2000, I-7589 f. – Rz. 45.

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im Rahmen einer besonderen Missbrauchsregelung oder als allgemein rechtlicher Begriff – auf Missbrauchsvorschriften als eine Begrenzung der Ansprüche des Steuerzahlers verweist, erfordert die Wirksamkeit des EU-Rechts zwar eine gleichmäßige Anwendung einer gegebenen Regelung oder Begriff, aber nicht notwendigerweise eine besonders enge Auslegung. Deshalb zögerte der EuGH im Halifax-Urteil nicht, ein recht weit gefasstes Missbrauchkonzept bei der 6. EG-Richtlinie anzuwenden – solange dies gleichmäßig EU-weit angewandt wird28. Darüber hinaus erfüllen manche Missbrauchsregelungen, die wir im sekundären Gemeinschaftsrecht finden, nicht die strengen Voraussetzungen, die der EuGH für innerstaatliche Gesetzgebung festgelegt hat, was am Maßstab der Grundfreiheiten geprüft wird. Um ein Beispiel zu geben: Art. 3 Abs. 2 Mutter-Tochter-RL legt fest, dass der Steuerzahler sich nicht auf die Vorteile dieser Richtlinie für Dividendenausschüttungen berufen kann, wenn die Mindesthaltefrist der Beteiligung von zwei Jahren nicht erfüllt ist.29 Solch eine pauschale Zweijahresfrist würde sicherlich nicht akzeptiert werden vom EuGH, wenn sie von innerstaatlichen Gesetzgebern vorgeschlagen wird, weil sie nicht die Besonderheiten eines Falls berücksichtigen würde, nicht auf den „künstlichen Charakter“ einer Transaktion abstellt und dem Steuerzahler das Recht vorenthält, die tatsächliche wirtschaftliche Substanz einer Transaktion zu beweisen. Daher scheint der EuGH zu akzeptieren, dass der europäische Gesetzgeber mehr Handlungsspielraum bei der Gestaltung der Missbrauchsvorschriften besitzt als der nationale Gesetzgeber, der danach streben könnte, sich aus den Zwängen des Gemeinschaftsrechts zu befreien, indem er sich auf missbräuchliches Verhalten der Steuerpflichtigen beruft. 3. Die Zielsetzung des Binnenmarktes Die Vorschriften des EG-Vertrages und des sekundären Gemeinschaftsrechts bilden keinen Selbstzweck. Diese Vorschriften wurden eingeführt, um ein vorrangiges Ziel des Vertrages, nämlich die Begründung eines Binnenmarktes (Art. 3 Buchst. c, Art. 14 EG) zu fördern. Diesem Markt wird die Aufgabe zugedacht, die optimale Ressourcenallokation innerhalb der EU zu gewährleisten (Art. 98 EG). Deshalb sind ein freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Freizügigkeit innerhalb der EU (und in vielen Fällen sogar darüber hin-

__________ 28 Böing, ESW 2007, 55 (56); siehe Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 79: „Außerdem berücksichtigt die Anwendung des gemeinschaftlichen Auslegungsgrundsatzes vollauf das Ziel einer einheitlichen Anwendung der Mehrwertsteuervorschriften in allen Mitgliedstaaten, das den verfahrensmäßigen Anforderungen und den Grenzen beim Erlass nationaler Maßnahmen zur Verhütung bestimmter Arten von Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung nach Artikel 27 zugrunde liegt“; siehe ebenfalls Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht, Steuer und Wirtschaft International 2006, 273 (279); Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 (195). 29 Siehe EuGH, Urt. v. 17.10.1996 – Rs. C-283/94 u. a. – Denkavit, EuGHE 1996, I-5063 f. – Rz. 23 f.

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aus) erforderlich.30 Vor diesem Hintergrund ist es dem einzelnen Bürger überlassen, darüber zu entscheiden, was produziert und konsumiert wird und wie er seine geschäftliche Tätigkeit organisiert und koordiniert. Dies beinhaltet die Freiheit, Unternehmen zu gründen, Zweigniederlassungen zu eröffnen und den effizientesten Organisationsaufbau und die günstigste Rechtsstruktur für Unternehmen zu wählen, und den jeweiligen organisatorischen Einheiten jeweils Wirtschaftsgüter, Personal und Risiken zuzuweisen.31 Das Funktionieren des Binnenmarkts erfordert diese grundsätzliche Entscheidungsfreiheit der Marktbürger. Diese Entscheidungsfreiheit liegt vielen der Vorschriften zugrunde, die wir im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht finden. Die Grundfreiheiten sollen gewährleisten, dass die Wahl zwischen innerstaatlicher und grenzüberschreitender Investition nicht durch innerstaatliches Recht – einschließlich des Steuerrechts – verzerrt wird. Daher darf auch das Konzept des Rechtsmissbrauchs nicht verwendet werden, um neue Verzerrungen zu schaffen, die den freien Fluss von Ressourcen im Binnenmarkt behindern können.32 Darüber hinaus sollen die Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft im Rahmen der Steuergesetzgebung diese Grundfreiheit unterstützen: Die Mutter-TochterRichtlinie und die Richtlinie über gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren wurden verabschiedet, um die Zahlungen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren von der Last einer verzerrenden Quellensteuer zu befreien; die Fusionsrichtlinie wurde konzipiert, um Steuerhindernisse für grenzüberschreitende Reorganisationen von internationalen Unternehmen abzubauen. Beide Richtlinien stützen sich auf die Hypothese, dass die Freiheit, eher ein grenzüberschreitendes als ein innerstaatliches Unternehmen zu gründen, steuerlichen Hindernissen33 nicht unterworfen wird.

__________ 30 Schön, Tax Competition in Europe – the Legal Perspective, EC Tax Review 9 (2000), 90 (91 f.). 31 Schön, The Mobility of Companies and the Organisational Freedom of Company Founders, European Company and Financial Law Review 3 (2006), 122 f. 32 EuGH, Urt. v. 21.11.2002 – Rs. C-436/00 – X und Y, EuGHE 2002, I-10829 f. – Rz. 42; EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 52; Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 (194). 33 EuGH, Urt. v. 17.10.1996 – Rs. C-283/94 u. a. – Denkavit, EuGHE 1996, I-5063 f. – Rz. 22 (Mutter-Tochter-RL); EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 45 (Fusionsrichtlinie): „Diese Auslegung steht mit den Zielen sowohl der Richtlinie als auch ihres Artikels 11 im Einklang. Nach der ersten Begründungserwägung der Richtlinie wird mit ihr das Ziel verfolgt, wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen zu schaffen, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen. In derselben Begründungserwägung heißt es weiter, dass Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und der Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten beträfen, nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund von steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden dürften. Nur wenn der beabsichtigte Vorgang die Steuerhinterziehung oder -umgehung als Beweggrund hat, können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 und der letzten Begründungserwägung der Richtlinie deren Anwendung versagen.“

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Daher müssen Missbrauchsvorschriften in dieser Richtlinie eng ausgelegt werden, um den steuerlichen Rahmen für grenzüberschreitende Reorganisationen zu verbessern. Ein ähnlicher Verweis auf die Zielsetzungen des Binnenmarkts wird in den Richtlinien zur Umsatzsteuer vorgenommen, welche versuchen, „Neutralität“ in Bezug auf Produktion und Konsum von Gütern und Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union zu gewährleisten.34 Erneut entspricht das Konzept der Neutralität dem der Entscheidungsfreiheit – der Steuerzahler soll dazu berechtigt sein, seine Geschäfte ohne jedwede steuerlichen Verzerrungen durchzuführen. Transaktionen im Rahmen der üblichen Geschäftstätigkeit35 müssen anerkannt werden, da die Umsatzsteuerregelungen so ausgelegt werden müssen, dass es zu keiner Beeinträchtigung des rechtmäßigen Wirtschaftsverkehrs kommt36. Diese letzte Bemerkung führt uns zum Kern des Steuervermeidungsproblems. Die ökonomische Theorie, welche dem Binnenmarkt (einschließlich der Grundfreiheiten und sekundärem EU-Steuerrecht) zugrunde liegt, erstrebt eine effektive Entscheidungsfreiheit für den Steuerzahler. Dies bedeutet, dass die Wahl des Steuerzahlers, seine wirtschaftliche Tätigkeit nach Belieben zu gestalten, im Grundsatz durch Gemeinschaftsrecht geschützt ist. Jedwede Begrenzung dieser Freiheit ist im Grundsatz durch Gemeinschaftsrecht verboten.

IV. Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten Vor diesem Hintergrund kann die zentrale Frage nach der Reichweite des „Rechtsmissbrauchs“ im Gemeinschaftsrecht dahin formuliert werden, welche Entscheidungen des Steuerzahlers anerkannt werden müssen und welche Entscheidungen des Steuerzahlers bei der Anwendung des Steuerrechts unbeachtlich bleiben können. Dies gilt vor allem bei der Anwendung der Grundfreiheiten, weil jede Grundfreiheit darauf angelegt ist, die Entscheidung der EU-Bürger zu schützen, ihre jeweilige Geschäftstätigkeit entweder in einem innerstaatlichen oder einem grenzüberschreitenden Rahmen zu gestalten. Was bedeutet diese grundlegende Gestaltungsfreiheit der europäischen Bürger für die Anwendung des „Rechtsmissbrauchs“ in steuerlichen Belangen? 1. Keine freie Wahl des anwendbaren Rechts In seinen Urteilen zum europäischen Gesellschaftsrecht hat der EuGH verdeutlicht, dass die EU-Bürger das grundlegende Recht besitzen, zu entscheiden, welche Rechtsordnung auf ihre geschäftliche Tätigkeit Anwendung finden soll.

__________ 34 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 78. 35 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 69. 36 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 86.

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Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht

Die Urteile „Centros“37, „Überseering“38 und „Inspire Art“39 bringen grundsätzlich zum Ausdruck, dass Wirtschaftssubjekte die Freiheit besitzen, nach Wunsch in Europa ein Unternehmen zu gründen und ihre Geschäftstätigkeit gemäß der Rechtsordnung auszuüben, der dieses Unternehmen untersteht. Eine Unternehmensgründung in Großbritannien, bei der das Unternehmen keine Geschäftstätigkeit in Großbritannien ausübt, wird nicht als missbräuchlich erachtet; im Gegenteil, der EuGH betrachtet diese Auswahl des anwendbaren Rechts als ein Kernstück der Niederlassungsfreiheit, die gem. Art. 43, 48 EG geschützt ist. Aus der Sicht des Steuerrechts wird niemand erwarten, dass der Binnenmarkt den Steuerzahlern freie Wahl hinsichtlich des angenehmsten Steuerumfelds gewährt. Die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten beinhaltet ihren Anspruch, einen Besteuerungstatbestand durch obligatorische Vorschriften zu definieren. Besteuerung ist im Grundsatz nicht freiwillig; die Regeln über die subjektive Steuerpflicht verweisen auf gesetzliche Anknüpfungspunkte, wie sie durch Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder wirtschaftliche Aktivitäten zur Verfügung gestellt werden. Die Grundfreiheiten schützen demgegenüber nicht den Wunsch des Steuerzahlers, schlichtweg das maßgebliche Steuerrecht auszuwählen. Andernfalls wäre die „ausgewogene Aufteilung der Besteuerungshoheit“ innerhalb der EU in Gefahr. Der EuGH hat die Notwendigkeit erkannt, die bindende Kraft innerstaatlicher Steuergesetzgebung gegen willkürliche Besteuerungsoptionen der Steuerpflichtigen zu verteidigen. Beispielhaft sind die Urteile in „Marks & Spencer“40 und in „Oy AA“41. In beiden Fällen schützte der EuGH nicht den Wunsch des Steuerzahlers, bestimmte Verlustbeträge nach Wahl Unternehmen innerhalb einer Konzerngruppe zuzuweisen und dadurch die Verluste – unabhängig von ihrer territorialen Herkunft – dort zu „verwenden“, wo das Steuerniveau am höchsten ist. Es kann nicht hingenommen werden, dass Konzerne Verluste und Gewinne frei auf die Ansässigkeitsstaaten der beteiligten Gesellschaften verteilen.42 Es soll ihnen nicht ermöglicht werden, ihre Verluste und Gewinne nach Belieben von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu transferieren43 und dafür bloße Buchungsvorgänge in Anspruch zu nehmen44. Um es anders auszudrücken: Solange die Mitgliedstaaten die Befugnis haben, den Steuertatbestand und den Steuerpflichtigen zu definieren, ist der Steuerzahler nicht in der Lage,

__________ 37 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 – Centros, EuGHE 1999, I-1459 f. – Rz. 23 f. 38 EuGH, Urt. v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00 – Überseering, EuGHE 2002, I-9919 f. – Rz. 78 f. 39 EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, EuGHE 2003, I-10155 f. – Rz. 95 f. 40 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 – Rz. 51. 41 EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-231/04 – Oy AA, www.curia.europa.eu/de. 42 EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-231/04 – Oy AA, www.curia.europa.eu/de – Rz. 56. 43 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 102. 44 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 108.

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freiwillig „auszutreten“ und sich einer anderen Steuergesetzgebung zu unterwerfen. 2. Freie Wahl der Anknüpfung an ein staatliches Territorium Andererseits hat der EuGH häufig entschieden, dass der Steuerzahler sich dafür entscheiden darf, die Bindung an seinen bisherigen Wohnsitz- oder Tätigkeitsstaat zu durchbrechen und seinen Wohnsitz und/oder seine Wirtschaftstätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen.45 Dies hat zur Folge, dass der Steuertatbestand nach dem Wechsel nicht mehr im Heimatstaat, sondern im Aufnahmestaat verwirklicht wird. Der EuGH hat früh klargemacht, dass in Bezug auf direkte Steuern die faktischen Einnahmeausfälle, die von einem solchen Standortwechsel herrühren, keine steuergesetzlichen Hindernisse gegen den freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie die Freizügigkeit innerhalb der EU rechtfertigen.46 Es liegt keine Umgehung der Steuerpflicht im europäischen Sinne vor, wenn Steuern nicht im Sitzstaat, sondern im Aufnahmestaat gezahlt werden.47 Im Hinblick auf den Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens ist es wichtig festzuhalten, dass der Steuerzahler seine wirtschaftliche Tätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat sogar mit dem expliziten Ziel transferieren darf, in den Genuss der geringeren Steuerbelastung zu kommen, die dort herrscht.48 Ein Steuerzahler mag seinen Wohnsitz nach Großbritannien oder sein Unternehmen nach Estland verlagern, einfach nur, um Steuern zu sparen. Dies bedarf weiterer Erläuterung, denn es ist eng verknüpft mit dem Begriff des Steuerwettbewerbs innerhalb der Mitgliedstaaten. Ausgangspunkt der Diskussion zum Steuerwettbewerb ist das Ziel des Binnenmarktes, ein Territorium zu konstituieren, in dem Güter, Dienstleistungen, Personen und Kapital frei verlagert werden können auf der Suche nach

__________ 45 EuGH, Urt. v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 f. – Rz. 51 (Verlagerung des Wohnsitzes durch eine Person); EuGH, Urt. v. 21.11.2002 – Rs. C-436/00 – X und Y, EuGHE 2002, I-10829 f. – Rz. 44 (Aktienübertragung ins Ausland); EuGH, Urt. v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 f. – Rz. 26 (Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft); EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11779 f. – Rz. 34 (Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft); ungenau Böing, EWS 2007, 55 (59) – der auch im Steuerrecht eine freie Rechtswahl behauptet; ähnlich Hahn, IStR 2006, 667 (668 f.) 46 EuGH, Urt. v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 f. – Rz. 25. 47 EuGH, Urt. v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 f. – Rz. 23; EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11779 f. – Rz. 37. 48 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 36, 49; Leclerq, Interacting Principles: The French Abuse of Law Concept and the EU Notion of Abusive Practices, IBFD-Bulletin 61 (2007), 235 (242); Vinther/ Werlauff, Tax Motives are Legal Motives – The Borderline between the Use and the Abuse of the Freedom of Establishment with Reference to the Cadbury Schweppes Case, ET 2006, 383 f.

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dem Standort, wo sie am nützlichsten verwendet werden können.49 Diese Allokation von Ressourcen sollte – nach dem ursprünglichen Konzept der EWG – ausschließlich von den geographischen und wirtschaftlichen Vorzügen des jeweiligen Standortes bestimmte werden, nicht aber von vorteilhafter Besteuerung oder anderen rechtlichen Ungleichheiten. Unterschiede in der Besteuerung von Wirtschaftsaktivitäten in verschiedenen Ländern wurden als politisches Hindernis für diesen idealen Markt betrachtet und sollten mit der Zeit durch Harmonisierung abgeschafft werden. Vor diesem Hintergrund hätte man durchaus argumentieren können, dass ein Mitgliedstaat die Befugnis haben sollte, defensive Maßnahmen gegen die Verlagerung von Wirtschaftstätigkeiten in andere Mitgliedstaaten zu ergreifen, wenn diese lediglich auf die Ausnutzung von unterschiedlichen Steuerniveaus abzielen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich jedoch eine andere Sicht der Steuerharmonisierung herausgebildet. Steuerliche Disparitäten werden als ein Ausdruck gesunden „Steuerwettbewerbs“ betrachtet und von den Binnenmarktvorschriften akzeptiert, solange die Mitgliedstaaten über Maßnahmen der Steuerharmonisierung keinen Konsens gebildet haben. Darüber hinaus kann sich Steuerwettbewerb als vorteilhaft erweisen, da er einen nützlichen Druck auf Regierungen ausübt, überflüssige öffentliche Ausgaben zu reduzieren und Wirtschaftssubjekten ein attraktives „Kosten-Nutzen Paket“ anzubieten. Falls es Mitgliedstaat A gelingt, seinen Steuerzahlern dieselbe Menge an Kollektivgütern für weniger Steuergelder anzubieten, kann die Wahl der Bürger und Unternehmen des Mitgliedstaates B, sich der Gemeinschaft der Steuerzahler im Mitgliedstaat A anzuschließen und die gute Haushaltsführung dieses Staates zu genießen, zur allgemeinen Effizienz führen und somit die optimale Ressourcenallokation fördern, die vom Binnenmarkt angestrebt wird. Da das Gemeinschaftsrecht dies wünscht (oder zumindest dies akzeptiert), ist kein Mitgliedstaat dazu berechtigt, seine eigenen Bürger und Unternehmen davon abzuhalten, die Vorteile des Steuerwettbewerbs50 zu genießen. Da Steuerwettbewerb voraussetzt, dass Bürger ihre Wirtschaftstätigkeiten verschiedenen Jurisdiktionen zuweisen, kann man nicht die Absicht des Steuerzahlers, Steuerersparnisse durch die Verlagerung seines Wohnsitzes oder seiner Wirtschaftstätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat zu erzielen, als missbräuchliches Verhalten einstufen. Weiterhin ist kein Mitgliedstaat dazu berechtigt, kompensatorische Steuern zu erheben, die die Steuervorteile, die in einem anderen Land genossen werden51,

__________ 49 Schön, Tax Competition in Europe – the Legal Perspective, EC Tax Review 9 (2000), 90 (92 f.). 50 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 55, 51, 109, 116; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 63; Douma/Engelen, Case Note: Halifax plc and Others v. Commissioners of Customs and Excise: the ECJ applies the abuse of rights doctrine in VAT cases, British Tax Review 2006, 429 f. (439). 51 EuGH, Urt. v. 26.10.1999 – Rs. C-294/97 – Eurowings, EuGHE 1999, I-7449 f. – Rz. 44.

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aufheben sollen. Dieser Punkt wurde in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ durch Generalanwalt Léger explizit anerkannt: „Meiner Ansicht nach stellt die Tatsache, dass eine Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat eine Tochtergesellschaft zu dem erklärten Zweck gründet, in den Genuss der in diesem Staat geltenden günstigeren Steuerregelung zu kommen, für sich genommen keine missbräuchliche Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit dar.“52

Die grundsätzliche Befürwortung des „gesunden“ Steuerwettbewerbs in der Rechtsprechung des Gerichtshofs führt zu der weitergehenden Frage, ob Mitgliedstaaten die Befugnis besitzen, Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten einzuführen, wenn das steuerliche Verhalten zwischen Mitgliedstaaten zu „schädlichem Steuerwettbewerb“ führt, wie er von der OECD53 und der EG54 in ihren jeweiligen Stellungnahmen zu dem Thema definiert wird. Die Anwendung von Missbrauchskonzepten oder -vorschriften unterliegt auch insoweit dem institutionellen Rahmen der EU. In der Vergangenheit wurden ausgeprägte Formen des „schädlichen Steuerwettbewerbs“ entweder durch die Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu staatlichen Beihilfen (Art. 87 f. EG)55 oder durch politischen Konsens in Form von so genanntem „soft law“ wie dem „Verhaltenskodex“ von 1997, angegangen56. Vor diesem Hintergrund haben Generalanwälte Geelhoed57, Léger58 und Mengozzi59 darauf hingewiesen, dass Mitgliedstaaten nicht in der Lage sein sollen, unilateral gegen „schädlichen Steuerwettbewerb“ vorzugehen. Sollte dies durch den Gerichtshof ebenso gesehen werden, wäre die Anwendung von einseitigen Missbrauchsregelungen durch den verlierenden Mitgliedstaat auch dann nicht

__________ 52 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 40. 53 OECD, Harmful Tax Competition – An Emerging Global Issue, Paris 1998. 54 Europäische Kommission, Towards Tax-Coordination in the European Union – A Package to Tackle Harmful Tax Competition, Mitteilung vom 1.10.1997, KOM (1997) 495 endg.; einen kürzlich erschienenen Überblick bietet Bridgland, The EU Code of Conduct to Eliminate Harmful or Potentially Harmful Business Tax Regimes: The Future, Tax Planning International European Union Focus 8 (2006), Ausgabe 1, S. 8 f. 55 Schön, State Aid in the Area of Taxation, in Hancher/Ottervanger/Slot, EC State Aids, 3. Aufl., London 2006, S. 241 f. – Rz. 10–040 f. 56 Europäische Kommission, Towards Tax-Coordination in the European Union – A Package to Tackle Harmful Tax Competition, Mitteilung vom 1.10.1997, KOM (1997) 495 endg.; einen kürzlich erschienenen Überblick bietet Bridgland, The EU Code of Conduct to Eliminate Harmful or Potentially Harmful Business Tax Regimes: The Future, Tax Planning International European Union Focus 8 (2006), Ausgabe 1, S. 8 f. 57 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 64. 58 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 56–58. 59 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container Services, www.curia.europa.eu/de – Rz. 161 f.

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legitim, wenn die Steuervorteile, die vom Aufnahmestaat angeboten werden, konstituierende Elemente des „schädlichen Steuerwettbewerbs“ abbilden.60 3. „Rein künstliche Konstruktionen“ Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, dass die relevante Grenzziehung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Entscheidungen der Steuerpflichtigen zwischen den Gegenpolen der freien Rechtswahl einerseits und der Verwirklichung eines steuerlichen Anknüpfungspunktes andererseits liegt. Die wesentliche Herausforderung, die das Konzept des „Rechtsmissbrauchs“ stellt, liegt darin, die Grauzone zu untersuchen, in der eine geringe oder atypische Wirtschaftsaktivität herrscht, die möglicherweise nicht ausreicht, um die Anwendung des materiellen Gemeinschaftsrechts zu rechtfertigen, insbesondere den Schutz der Grundfreiheiten hervorzurufen. In der Rechtssprechung des EuGH sind diese Situationen beschrieben worden als „rein künstliche Konstruktionen“, bei denen zwar die rechtliche Wirklichkeit der Transaktionen nicht angezweifelt wird (andernfalls würden sie als reines Scheingeschäft i. S. v. § 41 AO bezeichnet werden), aber denen die ökonomische Substanz größtenteils fehlt. Um das Ausmaß des Begriffs der „rein künstlichen Konstruktionen“ zu bewerten, ist es notwendig, die verschiedenen Fallarten genauer zu untersuchen. a) „U-Turn“-Transaktionen Die erste Kategorie von Fällen betrifft Situationen, in denen eine Wirtschaftstätigkeit ausgeübt wird, die aber nicht von Dauer ist, sondern in einem zweiten Schritt aufgehoben wird. Der EuGH musste sich mit dieser Art von „U-Turn“-Transaktionen61 ziemlich häufig auseinandersetzen, wenn Geschäftsleute eine grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit entfalteten, um den heimischen Markt zu günstigeren Konditionen zu beliefern. Im wegweisenden Fall „van Binsbergen“62 eröffnete ein niederländischer Anwalt ein Büro in Belgien, nur um einfacheren Zugang zu Gerichten in den Niederlanden zu erhalten. In anderen Fällen wurden der Export und der darauf folgende Import von Gütern dazu verwendet, sich die vorteilhaften Regelungen zunutze zu machen, die auf grenzüberschreitende Verkäufe anwendbar waren.63 Der EuGH stufte diese Transaktionen als missbräuchlich und als nicht abgedeckt durch die Grundfreiheiten (oder relevantes Sekundärrecht) ein.

__________ 60 Vinther/Werlauff, Tax Motives are Legal Motives – The Borderline between the Use and the Abuse of the Freedom of Establishment with Reference to the Cadbury Schweppes Case, ET 2006, 383 (385 f.). 61 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 66; zur Ähnlichkeit dieser Sicht mit der Rechtsprechung des BFH zum „Gesamtplan“ siehe Fischer, FR 2006, 297. 62 EuGH, Urt. v. 3.12.1974 – Rs. 33/74 – van Binsbergen, EuGHE 1974, 1299 f. – Rz. 13. 63 Siehe u. a. EuGH, Urt. v. 3.3.1993 – Rs. C-8/92 – General Milk Products, EuGHE 1993, I-779 f.; EuGH, Urt. v. 21.2.1996 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 76; EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110/99 – Emsland Stärke, EuGHE 2000, I-11569 f. – Rz. 54.

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Ein typisches Beispiel aus steuerlicher Sicht ist „Hughes de Lasteyrie du Saillant“64: Das französische Recht sieht eine befristete Steuerfreistellung für nicht realisierte Veräußerungsgewinne in Aktienbeteiligungen vor, wenn Steuerzahler das Land verlassen, bloß um Aktien im Ausland zu veräußern und im Anschluss nach Frankreich zurück zu kehren. Der EuGH akzeptierte die Sichtweise, dass diese Vorgehensweise einem missbräuchlichen Verhalten gleichkommt und deshalb mittels innerstaatlicher Gesetzgebung bekämpft werden kann.65 Dennoch bestand die französische Regelung nicht den Proportionalitätstest: Weil die Steuer ohne Prüfung der besonderen Umstände erhoben wurde, wenn der Steuerzahler innerhalb einer Frist von fünf Jahren zurückkehrte, entschied das Gericht, dass dies nicht eng genug auf „U-Turn“Transaktionen beschränkt war, sondern ebenfalls Situationen erfassen konnte, in denen eine tatsächliche Verlagerung des Wohnortes angestrebt war, aber aufgrund später veränderter Umstände wieder rückgängig gemacht wurde. Dieser Fall verdeutlicht eine weitere Besonderheit des „Missbrauchs“ im Zusammenhang der Grundfreiheiten: Im Zuge der Verbesserung der optimalen Ressourcenallokation innerhalb des Binnenmarktes wird jedwede effiziente Verlagerung von Gütern, Dienstleistungen, Personen und Kapital geschützt. Dies bedeutet, dass alle Transaktionen, die im Zuge normaler Geschäftsbeziehungen ausgeführt wurden, in den Anwendungsbereich des Binnenmarktes66 fallen. Eine solche Verlagerung geschieht allerdings dann nicht, wenn die Transaktion unmittelbar aufgehoben wird, nachdem sie ausgeführt wurde. Deshalb ist die Erkenntnis, dass „U-Turn“-Gestaltungen nicht dem Schutz der Grundfreiheiten unterliegen, verknüpft mit dem grundlegenden Ziel des Binnenmarktes, den Rahmen für ernsthafte, von Wirtschaftssubjekten getroffene Entscheidungen über die Allokation von Ressourcen zu verbessern. Eine solche ernsthafte Willensbildung ist aber auch dann geschützt, wenn sie aufgrund von nachträglichen neuen Entwicklungen wieder rückgängig gemacht werden muss. b) Gesellschaftsgründung Ein besonderes Problem bildet die Gründung von Gesellschaften. Dies ist auf den rechtlichen Rahmen zurückzuführen, den das EU-Gesellschaftsrecht für die Anerkennung von Kapitalgesellschaften zur Verfügung stellt.67 Gemäß den Regelungen der Publizitäts-Richtlinie aus dem Jahre 1968 kann ein Unternehmen, das gemäß den Gesetzen eines Mitgliedstaates eingetragen ist, auch dann nicht für nichtig erklärt werden, wenn es für betrügerische oder andere

__________ 64 EuGH, Urt. v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 f. – Rz. 51. 65 EuGH, Urt. v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 f. – Rz. 51. 66 EuGH, Urt. v. 3.3.1993 – Rs. C-8/92 – General Milk Products, EuGHE 1993, I-779 f. – Rz. 21. 67 Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in Wank u. a. (Hrsg.), FS für Herbert Wiedemann zum 70. Geburtstag, München 2002, S. 1271 f.

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missbräuchliche Zwecke gegründet wurde. Die Rechtssicherheit erfordert, dass ein Unternehmen, das im Register eingetragen ist und Vertragsbeziehungen und andere Verpflichtungen eingegangen ist, nicht vor den Augen seiner Gläubiger und anderer Vertragspartner verschwinden darf. Deshalb wird die Gründung eines Unternehmens im Europäischen Recht dem Grunde nach als Ausübung der Grundfreiheiten akzeptiert. Auch das Steuerrecht ist nicht in der Lage, die rechtliche Existenz eines solchen Unternehmens und damit auch das von ihm erworbene Eigentum und die Verbindlichkeiten, die es eingegangen ist, zu bestreiten. Schließlich kann die bloße Tatsache, dass ein Unternehmen gegründet wurde, um Steuern zu sparen, nicht die Anwendung von Missbrauchsvorschriften hervorrufen. Vielmehr können Missbrauchsregeln nicht angewandt werden, wo „die Gründung einer beherrschten ausländischen Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art mit einer wirtschaftlichen Realität zusammenhängt“68. Vor diesem Hintergrund ist es nicht einfach zu ermitteln, ob und in welcher Weise die Gründung einer Gesellschaft überhaupt für steuerliche Zwecke im Sinne des Missbrauchskonzepts außer Acht gelassen werden kann. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass die Steuergesetzgebung nicht verpflichtet ist, dem Gesellschaftsrecht in seiner Qualifikation zu folgen, wenn es um die Zuordnung der Besteuerungshoheit geht: Während die Gesellschaftsrechtsvorschriften in der Regel abhängig sind vom Ort der Gesellschaftsgründung, tendieren Steuerregelungen dazu, stattdessen den Ort der Geschäftsleitung ins Visier zu nehmen. Deshalb stellt die bloße Gründung einer „Briefkastengesellschaft“ im Mitgliedstaat A, die vom Mitgliedstaat B aus geführt wird, nicht die Steuerhoheit des Mitgliedstaats B in Frage, die Gewinne dieses Unternehmens zu besteuern, und macht daher nicht die Anwendung eines Missbrauchskonzeptes erforderlich. Der Hauptanwendungsbereich für die Anwendung des Rechtsmissbrauchs auf ausländische Gesellschaften ist die Hinzurechnungsbesteuerung. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof seine Formel wiederholt, dass nur „rein künstliche Konstruktionen“ nicht vor diskriminierenden Steuervorschriften geschützt sind69. Aber was bedeutet dies konkret? Vor dem Hintergrund, dass die Hinzurechnungsbesteuerung nur Sinn macht, wenn die ausländische Tochtergesellschaft nicht ohnehin der innerstaatlichen Körperschaftsteuer unterworfen wird, müssen wir uns fragen, ob ein Unternehmen, das rechtmäßig gegründet und eingetragen ist und dessen „Ort der Geschäftsleitung“ im Ausland liegt, überhaupt „künstlich“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung sein kann. Bei Berücksichtigung des grundlegenden Ziels der Grundfreiheiten, die gegenseitige Marktdurchdringung innerhalb der EU zu verbessern, sollte der entscheidende „Test“ darin bestehen, ob die Tochtergesellschaft überhaupt in den

__________ 68 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 65. 69 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 55; Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 108.

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Markt des Aufnahmestaats integriert ist. Dies wurde durch den EuGH bereits im Jahre 1991 in der Rechtssache „Factortame“70 verdeutlicht. In „Cadbury Schweppes“ beschrieb der EuGH den Geltungsbereich des Art. 43 EG als „die tatsächliche Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung auf unbestimmte Zeit“71. Die Tochtergesellschaft hat „in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates teilzunehmen“72. Bei genauerer Betrachtung kann eine solche Integration in zwei Richtungen verwirklicht werden. Ein erster Test würde von dem Unternehmen verlangen, Güter, Dienstleistungen oder Kapital in den Markt des Landes zu liefern, in dem es angesiedelt ist.73 Bei diesem Test könnte ein „künstliches Arrangement“ festgestellt werden, wenn das Unternehmen nur Märkte außerhalb seines Sitzlandes beliefert, z. B. ein Dienstleistungsunternehmen nur Serviceleistungen an das Mutterunternehmen erbringt oder eine Holdinggesellschaft nur in internationale Wertpapiere investiert. Dennoch ist dieser Test unvollständig, da er nicht die wirtschaftliche Auswirkung eines Unternehmens als Kunde berücksichtigt. Denn die Integration in eine nationale Volkswirtschaft kann auch dadurch gelingen, dass ein Unternehmen seinerseits Leistungen aus diesem Territorium in Anspruch nimmt. Falls das untersuchte Tochterunternehmen Geschäftsräume in seinem Aufnahmestaat anmietet und unter den Einheimischen Angestellte für sich gewinnt, verwendet es wirtschaftliche Ressourcen, die in diesem Land verfügbar sind und vollzieht damit die Integration in diesen ausländischen Markt, die erforderlich ist, um gemäß den Regelungen des Binnenmarktes geschützt zu werden. In diesem Sinne unterstreicht der EuGH die Notwendigkeit, dass das Tochterunternehmen „Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände“ hat74, auch wenn es das Ziel des Unternehmens ist, konzerninterne Dienstleistungen an das Mutterunternehmen zu liefern, das sich in einer anderen Rechtssprechung befindet. Wenn wir aber akzeptieren, dass das Erfordernis der Marktintegration gegeben ist, wenn ein Unternehmen Ressourcen verwendet, die in seinem Sitzstaat vorhanden sind, wird es extrem schwierig sein, ein Unternehmen zu finden, dass als „künstlich“ bezeichnet werden kann, obwohl es ein effektives Management (und deshalb Geschäftsräume und mindestens einen Angestellten – den Geschäftsführer des Unternehmens) im Sitzstaat vorweisen kann. Die Diskussion in der jüngeren Literatur darüber, wie viele Faxmaschinen und Sekretärinnen man benötigt, um als vollständig niedergelassen i. S. d. Art. 43

__________ 70 EuGH, Urt. v. 25.7.1991 – Rs. C-221/89 – Factortame, EuGHE 1991, I-3905 f. – Rz. 20. 71 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 54, 66. 72 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 53. 73 Simpson, Case Note: Cadbury Schweppes plc v.Commissioners of Inland Revenue: the ECJ sets strict test for CFC legislation, British Tax Review 2006, 677 (682 f.). 74 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 67.

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EG zu gelten75, zeigt auf, dass der „Künstlichkeits“-Test uns nicht weiter bringt. Es sollte akzeptiert werden, dass das Kriterium des „Ortes der Geschäftsleitung“ genügt, um zu beweisen, dass ein Unternehmen mit Firmensitz im Ausland keine „künstliche Gestaltung“ in diesem Sinne bildet.76 c) Umqualifizierung von Schuldverhältnissen Eine zweite „Wahl“ betrifft vertragliche Schuldverhältnisse, die ein Steuerzahler eingeht. Je nach Art dieser Schuldverhältnisse können die steuerlichen Folgen variieren. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Unterkapitalisierung“, wenn eine ausländische Muttergesellschaft sich dafür entscheidet, ein Darlehen an ihre innerstaatliche Tochtergesellschaft zu vergeben, anstatt Eigenkapital zuzuführen. Da die Zinsen als abziehbare Kosten betrachtet werden, während die Dividendenzahlungen der Körperschaftssteuer auf der Ebene der Tochtergesellschaft unterliegen, könnte dies zu einer Verlagerung des Einkommens von dem Mitgliedstaat führen, in dem die Tochtergesellschaft sich befindet, in den Mitgliedstaat, wo die Muttergesellschaft ansässig ist. In der Regel entspricht die freie Wahl des Steuerpflichtigen zwischen Fremdkapital und Eigenkapital dem oben geschilderten Grundkonzept, dass jedes Wirtschaftssubjekt in der EU die Freiheit besitzt, seine oder ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten zu gestalten. Da diese Wahl die Effizienz der Finanzstruktur eines Unternehmens beeinflussen und daher zu einer besseren Ressourcenallokation innerhalb der EU führen könnte, wird dies im Ausgangspunkt durch die Grundfreiheiten geschützt.77 Daher ist ein Mitgliedstaat nicht befugt, schlichtweg schuldrechtliche Verträge als gesellschaftsrechtliche Beiträge zu bezeichnen (es sei denn, dieselbe Umqualifizierung gilt für innerstaatliche Darlehensausgestaltungen).78 Vor diesem Hintergrund hat der EuGH in „Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation“ gefragt, ob eine solche Gestaltung in der Form eines Gesellschafterdarlehens als gänzlich künstliche Konstruktion im oben genannten Sinne betrachtet werden kann.79 Sollte dies

__________ 75 Rödder/Schönfeld, IStR 2006, 49 (51); Leclerq möchte die „Proportionalität“ zwischen den gelieferten Leistungen und den von der Tochtergesellschaft verwendeten Ressourcen in Betracht ziehen, vgl. Leclerq, Interacting Principles: The French Abuse of Law Concept and the EU Notion of Abusive Practices, IBFD-Bulletin 61 (2007), 235 (243). 76 In dieser Hinsicht ist die Bemerkung vom EuGH, dass eine „Briefkastengesellschaft“ als missbräuchlich nicht anerkannt werden müsse (EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995), nicht sehr hilfreich, da diese Gesellschaften besteuert werden können, ohne dass man auf Hinzurechnungsbesteuerung zurück greifen muss; siehe ebenfalls Leclerq, Interacting Principles: The French Abuse of Law Concept and the EU Notion of Abusive Practices, IBFDBulletin 61 (2007), 235 (243). 77 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 66. 78 EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, EuGHE 2002, I-11779 f. – Rz. 37. 79 EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 74.

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der Fall sein, würden die Zinszahlungen „in Wirklichkeit als Ausschüttungen“ betrachtet werden.80 Der EuGH wiederholte dazu die oben erläuterte Grenzziehung, dass einerseits solche Gestaltungen im Prinzip als wirksam anerkannt werden müssen, der Steuerzahler aber nicht in die Lage versetzt werden darf, sich nach Belieben für eine Steuerhoheit zu entscheiden. Deshalb muss die wirtschaftliche Realität der Gestaltung näher untersucht werden. Wie wir vorher gesehen haben, erfordert dieser Test, dass die vertragliche Gestaltung zwischen den Beteiligten als gültige Geschäftsbeziehung unter dem Schutz des Binnenmarkts angesehen werden kann. Dafür muss diese Geschäftsbeziehung als „unter normalen Wettbewerbsbedingungen“ entstanden angesehen werden81, d. h., sie muss dem Fremdvergleichsgrundsatz82 entsprechen. Da der Fremdvergleichsgrundsatz Bezug nimmt auf die vertragliche Situation, die „unter Bedingungen des freien Wettbewerbs zwischen unabhängigen Wirtschaftssubjekten entstanden wäre“, betrachtet der EuGH jedwede abweichende Übereinkunft zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft als nicht konform mit dem Effizienzkriterium des Binnenmarktes. Anders formuliert: Da ein Darlehensvertrag, der nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, nicht zu der effizienten Ressourcenallokation beiträgt (in diesem Fall: der Allokation von Kapital), wird er als „künstlich“ betrachtet und nicht durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrags geschützt. Es steht jedem Mitgliedstaat daher frei, solches Fremdkapital in Eigenkapital umzuqualifizieren. d) Die Relevanz der Absicht des Steuerzahlers Auf der Grundlage der Erkenntnis, dass die Absicht des Steuerzahlers, Steuern zu sparen, keine Rechtfertigung für mitgliedstaatliche Gesetzgebung gegen grenzüberschreitende Transaktionen bietet, kann man zu der vorläufigen Schlussfolgerung kommen, dass der subjektive Tatbestand des Steuerzahler in der Regel keine Relevanz für die Anwendung der Grundfreiheiten besitzt. Lediglich die Frage, ob eine echte wirtschaftliche Tätigkeit stattfindet, muss beantwortet werden, um herauszufinden, ob eine grenzüberschreitende Transaktion geschützt ist. Sollten danach „rein künstliche Konstruktionen“ festzustellen sein, so ist ein Mitgliedstaat berechtigt, dieser durch die Anwendung von Missbrauchsregeln die Anerkennung zu versagen. Nichtsdestotrotz mag es einige Situationen geben, in denen das subjektive Element eine begrenzte Rolle spielt. Dies ist der Fall, wenn eine Transaktion durch den Steuerzahler in gutem Glauben begonnen wurde, aber nach einiger Zeit abgebrochen werden musste oder aus einem anderen Grund nicht die Kriterien eines vollständigen Handelsgeschäfts erfüllt. Wenn dies der Fall ist,

__________ 80 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 64. 81 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 108 (für Dienstleistungen, die von einer Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft erbracht werden). 82 EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 80 f.

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muss der Steuerzahler in der Lage sein zu beweisen, dass er valide geschäftliche Gründe für die scheinbar künstliche Konstruktion hatte.83 Deshalb müssen wir zwei Fälle unterscheiden: Besteht eine tatsächliche wirtschaftliche Aktivität, so ist die Absicht des Steuerzahlers von vornherein irrelevant. Ein Missbrauch liegt nicht vor. Hat hingegen keine wirtschaftlich akzeptable Transaktion stattgefunden, so muss der Steuerzahler immer noch in der Lage sein zu beweisen, dass er in gutem Glauben handelte, also beabsichtigte, eine tatsächliche wirtschaftliche Aktivität durchzuführen. Dies wird auch dann einsichtig, wenn wir unser Augenmerk auf das Ziel des Binnenmarkts lenken, nämlich die Entscheidungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte. Die (steuerliche) Anerkennung dieser Entscheidungsfreiheit sollte nicht von der Tatsache abhängen, ob die Maßnahmen von Erfolg gekrönt sind oder nicht. Bei gescheiterten Geschäften muss der ernsthafte Wille ausreichen, vollgültige Handelsgeschäfte durchzuführen.

V. Rechtsmissbrauch auf dem Gebiet der Steuerrichtlinien 1. Die Relevanz der freien Auswahl im sekundären EU-Recht Wir haben in der vorangegangenen Analyse gesehen, dass die Grundfreiheiten einen Mitgliedstaat daran hindern, die Missbrauchskonzepte oder -regeln anzuwenden, um die Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten in andere Mitgliedstaaten zu bekämpfen, auch wenn es das ausdrückliche Ziel des Steuerzahlers ist, sich der Besteuerung in seinem oder ihrem Sitzstaat zu entledigen. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass der Steuerzahler zwar nicht in der Lage ist, einfach das anwendbare Steuerrecht auszuwählen, er oder sie vermag es aber, tatsächliche wirtschaftliche Aktivitäten in eine andere Rechtsprechung zu verlagern, um in den Genuss vorteilhafter Besteuerung zu kommen. Auch auf dem Gebiet der Steuerrichtlinien kann das Missbrauchskonzept definiert werden mit Verweis auf die Bandbreite an Entscheidungen, die der Steuerzahler zu nutzen berechtigt ist. Dies wurde durch Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache „Halifax“ für den Vorsteuerabzug zum Ausdruck gebracht. In seinen ausführlichen Schlussanträgen verwies Generalanwalt Poiares Maduro auf (was er bezeichnet als) das „objektive Element“ missbräuchlichen Verhaltens: „Es handelt sich tatsächlich um ein zweckgerichtetes Kriterium, anhand dessen der Zweck und die Ziele der angeblich missbrauchten Gemeinschaftsregelung mit dem Zweck und dem Erfolg verglichen werden, die durch die betreffende Tätigkeit erreicht worden sind. Das zweite Kriterium ist wichtig nicht nur, weil es den Standard vorgibt, anhand dessen Zweck und Erfolg der betreffenden Tätigkeit zu prüfen sind. Es stellt auch eine Sicherung in den Fällen dar, in denen der einzige Zweck der Tätigkeit darin bestehen kann, die Steuerschuld zu verringern, in denen aber dieser Zweck tatsächlich

__________ 83 Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 29.6.2006 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 82.

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Wolfgang Schön aus einer Entscheidung zwischen unterschiedlichen Steuerregelungen folgt, die der Gemeinschaftsgesetzgeber absichtlich zur Verfügung gestellt hat. Besteht somit zwischen der Anerkennung des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anspruchs und den von der betreffenden Rechtsvorschrift angestrebten Zielen und Ergebnissen kein Widerspruch, kann ein Missbrauch nicht festgestellt werden.“84

Es ist wiederholt anerkannt worden, dass es Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Steuersystemen gibt „welche die Gemeinschaftsgesetzgebung beabsichtigt, offen zu lassen“ und andere, auf die das nicht zutrifft. Insofern müssen wir für jede Vorschrift des sekundären Gemeinschaftsrechts feststellen, ob sie in Kraft gesetzt wurde, um dem Steuerzahler eine gewisse Option zur Wahl zu stellen, oder ob das Recht, welches sie oder er für sich beansprucht, in Konflikt gerät mit den Zielen und Ergebnissen der Richtlinie. Darüber hinaus akzeptierte der EuGH in der Rechtssache „Halifax“, dass die „6. EG-Richtlinie nicht vom Steuerzahler verlangt, die eine (Transaktion) auszuwählen, die darin besteht, die höchste Umsatzsteuer zu zahlen“. Im Gegenteil, wie der Generalanwalt in Randzahl 85 seiner Schlussanträge bemerkte, können die Steuerzahler es sich aussuchen, ob sie ihr Unternehmen „so strukturieren, um ihre Steuerpflicht zu begrenzen“. Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass dies auch für andere Richtlinien im Bereich der Steuern gilt: Steuerplanung als solche ist ein rechtmäßiges Ziel, welches aber durch akzeptable Mittel85 erreicht werden muss. In der Halifax-Rechtssache war die konkrete Frage, ob ein steuerbefreites Unternehmen, das nicht berechtigt war, Rückerstattung für die Vorsteuer zu verlangen, dieses Ergebnis durch eine zwischengeschaltete Tochtergesellschaft erreichen konnte, die dem steuerbefreiten Unternehmen steuerpflichtige Dienstleistungen erbringen und erhebliche Vorsteuerabzüge für seine Investitionen verlangen sollte. Generalanwalt Poiares Maduro und der EuGH haben diese Gestaltung nicht als eine zulässige Option anerkannt, mit der eine Person Steuervorteile erzielen darf. Ein ähnlich typisches Beispiel ist der LeurBloem-Fall, welcher die Umstrukturierungsmöglichkeiten der Fusionsrichtlinie behandelt. Diese Richtlinie zielt darauf ab, grenzüberschreitende Reorganisationen durch eine Beseitigung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen bei besonderen Arten von Fusionen, Spaltungen, Einbringung von Unternehmensteilen und Austausch von Aktien zu erleichtern. Als diese Richtlinie in den Niederlanden in Kraft gesetzt wurde, wurde ihr Anwendungsbereich auf reguläre, innerstaatliche Fälle ausgeweitet, aber nicht auf Unternehmen, die überhaupt kein Gewerbe betrieben. Diese Begrenzung wurde auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 11 FusionsRL getestet, welcher vorsieht, dass „ein Mitgliedstaat die Anwendung der Titel II, III, IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen kann, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmens-

__________ 84 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 88. 85 Makkes/de Preter, Abuse of Rights: The End of VAT Planning?, Tax Planning International European Union Focus 8 (2006), Ausgabe 3, S. 15 (17); Ridsdale, Halifax and others v. Commissioners of Customs and Excise (Rs. 255/02), Tax Planning International Review 33 (2006), Ausgabe 3, S. 10 (11).

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Rechtsmissbrauch und Europäisches Steuerrecht teilen oder ein Austausch von Anteilen (a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung- oder -umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder der Austausch von Anteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht.“

Während der EuGH befand, dass eine allgemeine Nichtanerkennung dieser Tätigkeit aus der Sicht der Richtlinie die in Art. 11 FusionsRL beschriebenen Grenzen überschritt, gab er zugleich einige Hinweise für die Auslegung dieser Vorschrift in anderen Fällen. Einerseits verdeutlichte er, dass auch steuerlich motivierte Restrukturierungen in den Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie fallen können.86 Daher führt das bloße Ziel, Steuerersparnisse durch Restrukturierung des Unternehmens zu erzielen, nicht unverzüglich zur Anwendung des Art. 11 FusionsRL. Andererseits kam der EuGH zum Schluss, dass eine Fusion mit einem inaktiven Unternehmen, die nur ausgeführt wurde, um einen horizontalen Verlustausgleich zu erzielen, kein „vernünftiger, wirtschaftlicher Grund“ gem. Art. 11 FusionsRL war.87 Daher war der innerstaatliche Gesetzgeber dazu berechtigt, solche Fusionen von den Vorteilen dieser Richtlinie auszuschließen, d. h. die Befreiung von der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen zu versagen. So wie die Vielfalt der Vorschriften, die wir im sekundären EU-Recht finden, recht groß ist, so sind auch die Entscheidungsoptionen vielfältig, die den Steuerzahlern zugestanden werden. Dabei muss das Ausmaß ihrer Freiheit in jedem einzelnen Fall festgestellt werden. Natürlich wird die Freiheit, die dem Steuerzahler zugestanden werden kann, besonders groß sein, wenn die Richtlinien darauf abzielen, grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeiten zu erleichtern. Dies gilt insbesondere für die direkten Steuern, die durch die Mutter-Tochter-Richtlinie, die Fusionsrichtlinie und die Richtlinie über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren abgedeckt wird.88 Demgegenüber wird im Hinblick auf die Umsatzsteuer und besondere Verbrauchssteuern versucht, auf der Ebene des EU-Rechts ein ganzes Steuersystem zu begründen, das vor missbräuchlichem Verhalten geschützt werden muss und in dem das Erfordernis gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen für Wirtschaftssubjekte nach breit gefächerter Besteuerung von Gütern und Dienstleistungen verlangt. Daher sprechen gute Gründe dafür, die Entscheidungsfreiheit der Steuerpflichtigen auf diesem Gebiet begrenzter zu veranschlagen als auf dem Gebiet der direkten Steuern.89 Darüber hinaus hat der EuGH in „Halifax“ akzeptiert – im Gegensatz zu den Grundfreiheiten, wo nur „rein künstliche Konstruktionen“ als missbräuchlich behandelt werden können, dass auch effektive wirtschaftliche Tätigkeiten, die

__________ 86 EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 36. 87 EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 43. 88 Rousselle/Liebman, The Doctrine of Abuse of Community Law: The Sword of Damocles Hanging over the Head of EC Corporate Tax Law?, ET 2006, 559 f. 89 Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 (195).

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so gestaltet werden, dass sie ein vorteilhaftes Steuerergebnis erzielen, durch Anwendung eines Missbrauchskonzepts umqualifiziert werden können.90 In dem entschiedenen Fall war die Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft, die gegründet wurde, um steuerpflichtige Dienstleistungen zu erbringen und entsprechende Vorsteuern abzuziehen, durchaus kein „Scheingeschäft“. Dennoch war es eine Gestaltung, die nicht normales Geschäftsgebaren befolgte und daher für Umsatzsteuerzwecke außer Acht gelassen werden durfte. 2. Die Absicht, Steuern zu sparen Während der EuGH im Rahmen der Grundfreiheiten verdeutlicht hat, dass die Absicht des Steuerzahlers, Steuern durch die Verlagerung von Aktivitäten in andere Mitgliedstaaten zu sparen, durch das EU-Recht geschützt wird, kann dasselbe nicht von der Anwendung der Steuerrichtlinien der EG behauptet werden.91 Wie bereits oben ausgeführt wurde, ist nicht jede steuerlich motivierte Tätigkeit von den in den Steuerrichtlinien verankerten Regeln abgedeckt. Im Gegenteil, außerhalb des Geltungsbereichs der Grundfreiheiten ist das Ziel, Steuern zu sparen, für die Anwendung der Missbrauchslehre von erheblicher Bedeutung. Dies ist auf die Tatsache zurück zu führen, dass das Konzept des Steuerwettbewerbs auf die Wahl des Anknüpfungspunktes in internationalen steuerlichen Angelegenheiten begrenzt ist; der Steuerwettbewerb ermöglicht aber nicht alle Arten von steuerminimierenden Instrumenten innerhalb eines Steuersystems. Die Absicht der Steuerersparnis ist vielmehr aus der Sicht des Steuerpflichtigen nur legitim, „wo dieser Zweck tatsächlich aus einer Entscheidung zwischen unterschiedlichen Steuerregelungen folgt, die der Gemeinschaftsgesetzgeber absichtlich zur Verfügung gestellt hat“92. In Übereinstimmung mit diesem Konzept befand der EuGH in „Leur Bloem“, dass es notwendig für den Genuss der Vorteile der Richtlinie ist, dass der Steuerzahler aus vernünftigen wirtschaftlichen Gründen gehandelt hat.93 Eine ähnliche Haltung wurde vom EuGH in der Entscheidung Emsland Stärke eingenommen, die allerdings nicht direkte oder indirekte Steuern betraf, sondern im landwirtschaftlichen Sektor gezahlte Preisabschläge. In diesem Urteil be-

__________ 90 Der EuGH ist nicht unmissverständlich in Bezug auf diesen Punkt. Während er anerkennt, dass die gewählten Transaktionen gem. Art. 4 der 6. EG-Richtlinie (Rz. 48 f.) eine authentisch „wirtschaftliche Tätigkeit“ sind, verlangt er von den nationalen Gerichten, dass sie die „wahre Substanz und Bedeutung der betroffenen Transaktionen feststellen“, um das missbräuchliche Wesen der Transaktion zu ermitteln (Rz. 81). Man kann sich nicht des Gefühls erwehren, dass der EuGH nicht genau weiß, welche Art von Test der nationale Richter anzuwenden habe. 91 Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht, Steuer und Wirtschaft International 2006, 273 (279); Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 (195); für die entgegengesetzte Betrachtungsweise siehe Douma/Engelen, Case Note: Halifax plc and Others v. Commissioners of Customs and Excise: the ECJ applies the abuse of rights doctrine in VAT cases, British Tax Review 2006, 429 f. (440). 92 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 88. 93 EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 39 f.

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fand der EuGH, dass ein subjektives Element notwendig ist, um Missbrauch festzustellen, also „die Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden“94. In dem Halifax-Urteil, das sich mit der Abzugsfähigkeit von Vorsteuern befasste, machte der EuGH endgültig klar, dass die Absicht des Steuerzahlers, Steuern zu sparen, dem Missbrauchskonzept im Bereich der Steuerrichtlinien zugrunde liegt. Laut EuGH muss „auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird“95. Laut Generalanwalt Poiares Maduro muss dieses subjektive Element wie folgt umschrieben werden: Da es sich als unzweckmäßig erweisen könnte, den „Geisteszustand“ der konkreten steuerpflichtigen Person zu untersuchen, sollte man sich eher der Frage zuwenden, ob es „für die ausgeführte einschlägige wirtschaftliche Tätigkeit keine andere objektive Erklärung gibt, als dass durch sie das fragliche Recht gegenüber den Steuerbehörden begründet werden soll“96. Dieser Zweck – so schreibt Generalanwalt Poiares Maduro –, „der nicht mit der subjektiven Absicht der an diesen Tätigkeiten Beteiligten verwechselt werden darf – wird objektiv bestimmt, nämlich durch die Feststellung, dass die einzige wirtschaftliche Rechtfertigung darin besteht, einen Steuervorteil zu verschaffen“97. Durch diese Unterscheidung versucht Generalanwalt Poiares Maduro mit der (etwas hypothetischen) Situation zurecht zu kommen, in der ein Steuerzahler dem Rat einer anderen Person folgt (welche die Steuervorteile im Sinn hat), aber sich der steuerlichen Folgen selbst nicht bewusst ist. Dennoch sollte diese – doch weit hergeholte – Unterscheidung nicht unseren Blick auf die Tatsache verstellen, dass in 99 % der relevanten Fälle wir nach den Zielen und Beweggründen des Steuerzahlers selbst suchen, wenn wir versuchen festzustellen, ob dieses subjektive Element in Hinsicht auf die Transaktionen des Steuerzahlers vorhanden ist. Deshalb sollte man grundsätzlich nicht von der grundlegenden Annahme abweichen, dass missbräuchliches Ver-

__________ 94 EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110/99 – Emsland Stärke, EuGHE 2000, I-11569 f. – Rz. 53. 95 EuGH, Urt. v. 21.2.1996 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 75; für eine kritische Bewertung der praktischen Vorzüge dieses Rates siehe de la Feria, The European Court of Justice’s solution to aggressive VAT planning- further towards legal uncertainty? EC Tax Review 15 (2006), 27 f. (30 f.); darüber hinaus wird ausgiebig diskutiert, ob der EuGH eine Abgrenzung zwischen dem „einzigen“ und dem „grundlegenden“ Zweck einer Transaktion einführen wollte, vgl. de la Feria, Giving themselves extra VAT? The ECJ ruling in Halifax, British Tax Review 2006, 119 f. (122 f.; Makkes/de Preter, Abuse of Rights: The End of VAT Planning?, Tax Planning International European Union Focus 8 (2006), Ausgabe 3, S. 15 (16 f.); Vanistendael, Halifax and Cadbury Schweppes: One Single Theory of Abuse in Tax Law?, EC Tax Review 15 (2006), 192 (195). Erneut ist der Eindruck des Autors, dass der EuGH seine Formulierung nicht so durchdacht wählte, dass diese feinen Abgrenzungen gerechtfertigt werden können. 96 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 86. 97 Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1751 f. – Rz. 87.

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halten in den Steuerrichtlinien eine Absicht, Steuern zu sparen, erforderlich macht, im Gegensatz zu validen geschäftlichen Gründen, die für die von dem Steuerzahler und seinen Vertragspartnern ausgeführten Transaktionen akzeptiert werden.

VI. Schlussfolgerung Die vorangegangene Analyse bezweckte es, die Funktionsweise des „Rechtsmissbrauchs“ im Europäischen Steuerecht zu erläutern. Um die zugrunde liegende Gedankenführung zu ermitteln, wurde das Thema der „Entscheidungsfreiheit“ in den Mittelpunkt gerückt, d. h., es wurden die bislang veröffentlichten Entscheidungen des EuGH darauf untersucht, welche Auswahlmöglichkeiten akzeptiert sind und welche Gestaltungen im primären und sekundären Gemeinschaftsrecht nicht anerkannt werden. Hinsichtlich der Grundfreiheiten scheint es klar zu sein, dass es zwar keine bloße „Rechtswahl“ für Steuerzahler gibt, die Freiheit, wirtschaftliche Tätigkeiten zwischen Mitgliedstaaten aus steuerlichen Gründen zu verlagern, jedoch unangefochten besteht. Dem können Missbrauchskonzepte oder -regelungen nicht entgegengehalten werden. Daher können nur „rein künstliche Konstruktionen“, denen keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit zugrunde liegt, als missbräuchlich betrachtet werden, da sie überhaupt nicht durch die Grundfreiheiten geschützt werden. Im sekundären Gemeinschaftsrecht hängt die Anwendung der Missbrauchskonzepte von der Bandbreite an Auswahlmöglichkeiten ab, die dem Steuerzahler in den relevanten Regelungen der Steuerrichtlinien vorbehalten werden. Während die Steuerrichtlinien im Bereich der direkten Steuern eine Tendenz an den Tag legen, die Freiheit des Steuerzahlers zu erweitern und deshalb ein eng definiertes Missbrauchskonzept voraussetzen, versuchen die Richtlinien zur indirekten Besteuerung, ein voll ausgestattetes Steuersystem zu begründen, und sind daher zugänglicher für die Anwendung von weit gefassten Missbrauchskonzepten. Nicht nur rein künstlichen Konstruktionen, sondern auch denjenigen Transaktionen, die mit der Absicht ausgeführt werden, Steuern zu sparen, aber nicht durch die gemeinschaftsrechtliche Gesetzgebung geschützt sind, kann unter diesem erweiterten Konzept die Anerkennung versagt werden. Nichtsdestotrotz akzeptiert der EuGH im Grundsatz das Bestehen von Steuerplanung als solches: „Der Steuerpflichtige hat das Recht, seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält.“98

__________ 98 EuGH, Urt. v. 21.2.1996 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 73.

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Die Zwischengesellschaft nach „Hilversum I und II“, „Cadbury Schweppes“ und den Jahressteuergesetzen 2007 und 2008 Inhaltsübersicht I. Vorbemerkungen II. Die sog. Basisgesellschafts-Rechtsprechung des BFH als Ausgangslage und die Rechtsprechungslinien III. Spezialgesetzliche und allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschriften 1. Überblick über die Regelungslage 2. Die Spruchpraxis des BFH zum Verhältnis von spezieller zu allgemeiner Missbrauchsvermeidung IV. Europarechtliche Anforderungen nach „Inspire Art“ und „Cadbury Schweppes“ und Konsequenzen insbesondere für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung 1. Das Inspire-Art-Urteil des EuGH

2. Das Cadbury-Schweppes-Urteil des EuGH a) Das Urteil b) Die Konsequenzen aa) Die bisherige Regelungsfassung bb) Die neue Regelungsfassung V. Die Verwaltungspraxis und die Folgen: Nichtanwendungserlasse, Nichtanwendungsgesetze oder die Geschichte vom Hase und Igel, aufgezeigt an dem alten und dem neuen § 50d Abs. 3 EStG 1. Der alte § 50d Abs. 3 EStG 2. Der neue § 50d Abs. 3 EStG VI. Schlussbemerkungen und Ausblicke

I. Vorbemerkungen Wolfram Reiß ist einer der letzten Steuer-Generalisten unserer im Spezialistentum „versinkenden“ Zeit. Der Bogen seiner Steuerinteressen reicht weit: vom Umsatzsteuer- zum Einkommensteuerrecht und von dort zur Körperschaftsteuer und zur Abgabenordnung. Auch der Gestaltungsmissbrauch als „klassisches Querschnittsthema“ hat ihn beschäftigt. Letzteres berührte zwar überwiegend umsatzsteuerrechtliche Fragen.1 Angesichts der Reiß’schen Steuer-Neugier bin ich jedoch gewiss: Schon wegen der Brandaktualität der Fragen rund um den erst soeben einer gesetzgeberischen Generalrevision un-

__________ 1 Reiß, Gestaltungsmißbrauch durch „vorgeschaltete“ bedürftige Ehegatten zur Erlangung des Vorsteuerabzugs, UR 1993, 213; Reiß, Gestaltungsmißbrauch durch Option zur Steuerpflicht bei insolventen Unternehmen, UR 1992, 42; Reiß, Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43.

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terzogenen2 § 42 AO für das gesamte Steuerrecht wird er einen diesbezüglichen Seitenblick in das Internationale Steuerrecht nicht verschmähen. Es sei deswegen gerechtfertigt, dass ich mich zu seinen Ehren und aus Anlass seines „Fünfundsechzigsten“ der Zwischengesellschaft annehme – ein Begriff, der gerne auch mit gefälligen Synonymen konkurriert: Strohfirmen, Sitz-, Domizil- und Basisgesellschaften oder auch schlicht „Briefkästen“. Hinter solchen begrifflichen Verkürzungen3 verbergen sich gemeinhin Firmen, welche über keinen eigenen aktiven Geschäftsbetrieb im Sitzstaat sowie über kein hinlängliches eigenes Personal verfügen, keine Büroräume nutzen, kurzum solche mit gewissen Substanzdefiziten. Die Verwaltungspraxis und die Rechtsprechung mutmaßen bei Ein- oder Zwischenschaltung einer solchen Gesellschaft – manchmal vielleicht etwas vorschnell (?) – eine Rechtsmissbräuchlichkeit, das jedenfalls immer dann, wenn die betreffende Gesellschaft in einem Niedrigsteuerland ansässig ist und wenn jedenfalls vordergründig keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für ihre Einschaltung erkennbar sind. Folge eines Rechtsmissbrauchs ist gemeinhin, dass durch die Gesellschaft „hindurchgeblickt“ wird, dass sie also nicht abschirmt.

II. Die sog. Basisgesellschafts-Rechtsprechung des BFH als Ausgangslage und die Rechtsprechungslinien Wirft man einen Blick auf die Linie der einschlägigen Rechtsprechung, so ist etwa bis zum Jahre 2000 eine vergleichsweise Ruhe und Kontinuität zu gewärtigen. Die sog. Basisgesellschaft-Rechtsprechung des BFH hatte sich bis dahin inhaltlich kaum bewegt oder gewandelt. Sie stagnierte weitgehend bei dem, das sich aus dem Leitsatz beispielsweise der grundlegenden Entscheidung vom 21.1.1976 (I R 234/734) ergibt und dort wie folgt ablesen lässt: „Eine GmbH mit Sitz in der Schweiz ist nicht berechtigt, die Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer gemäß Art. 6 Abs. 3 DBA-Schweiz 1931 geltend zu machen, wenn sie lediglich als Rechtsträger für Beteiligungsbesitz eines in der Bundesrepublik ansässigen Steuerpflichtigen fungiert, für ihre Errichtung beachtliche Gründ fehlen und sie keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.“ – Das Ganze wurde auf dieser Basis als Rechtsmissbrauch i. S. d. § 6 StAnpG angesehen.

In dieser Weise ging es in der Folgezeit beständig weiter, bis hinein in die jüngere Zeit: mit dem Urteil „Niederländische Stiftung I“ vom 27.8.1997

__________ 2 Siehe dazu unten III 1 und 2. – Im Zeitpunkt der Manuskripterstellung stand das allerdings noch nicht endgültig fest; das Gesetz befand sich noch im Entwurfsstadium (dräute aber einer hinlänglichen Realisierungswahrscheinlichkeit, was den Verfasser mutig bewog, den Willen für die Tat zu nehmen). 3 Zum Definitorischen äußern sich Dörn, BuW 2003, 228; Strunk, IWB Gruppe 2, S. 1253. 4 BFH v. 21.1.1976 – I R 234/73, BStBl. II 1976, 513; s. auch BFH v. 5.3.1986 – I R 201/ 82, BStBl. II 1986, 496 – beide zu Art. 6 Abs. 3 DBA-Schweiz 1931.

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(I R 8/975) sowie – ein später „Ausreißer“ – dem Urteil „Hilversum I“ vom 20.3.2002 (I R 38/006). Der BFH hat diese seine Rechtsprechung ausdrücklich nie aufgegeben. Mit der langjährigen Stetigkeit und relativen Ruhe dieser Rechtsprechung war es aber gleichwohl seit geraumer Zeit vorbei. Sie geriet von zwei Seiten „in die Zange“ neuerer Entwicklungen. Daraus ergab sich eine, wenn man so will, geläuterte Betrachtungsweise. – Der eine der beiden Zangenhebel erwuchs in Gestalt spezialgesetzlicher nationaler Missbrauchsverhinderungsregelungen. Diese Sondervorschriften resultieren daher, dass es dem Gesetzgeber (und noch mehr der gesetzesvor7wie nachbereitenden Exekutive) oftmals nicht genügt, nur auf die (bislang?, siehe dazu nachfolgend) vergleichsweise konturenarmen Merkmale und den offenen Tatbestand des § 42 AO oder auf die Einsicht der Richter und deren grundgesetzlich verbürgtes Auslegungsmonopol zu vertrauen. Er will präzisere, womöglich auch engere Vorgaben liefern. Daraus entwickelte sich in der Rechtsprechung sodann aber eine spezielle Konkurrenzlehre, was das Verhältnis zwischen dem allgemeinen abgabenrechtlichen § 42 AO und eben jenen Vorschriften betrifft. – Und die andere Hebelwirkung resultierte und resultiert aus dem Europarecht. Dieses konstituiert ein eigenständiges Verständnis von dem, was missbräuchlich sein soll. Überdies erlauben die EG-vertraglich verbürgten Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote es nicht, ohne weiteres und mir nichts, dir nichts aus dem Umstand einer Niedrigbesteuerung im Ausland oder auch aus dem Ausnutzen eines Steuergefälles, auf einen Steuergestaltungsmissbrauch rückzuschließen. – Schließlich wird das Ganze garniert und gewürzt durch verschiedentliche (und oftmals leerlaufende, untaugliche) Versuche, mittels gesetzgeberischer Korrekturen des § 42 AO Gestaltungsräume zu schließen und eine klassische „Gestaltungsberatung“ unter Inanspruchnahme legitimer Rechte mehr und mehr zu einer kontradiktorischen „Abwehrberatung“ werden zu lassen.

III. Spezialgesetzliche und allgemeine Missbrauchsvermeidungsvorschriften 1. Überblick über die Regelungslage a) Zunächst zu dem 1. Hebel, zu den Spezialgesetzen und deren „Grundlegung“ in § 42 AO: Jene Grundlegung ist bekanntermaßen recht unscharf formuliert: „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz

__________ 5 BFH v. 27.8.1997 – I R 8/97, BStBl. II 1998, 163. 6 BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819. 7 Dem Verfasser gegenüber bemühte ein Vertreter des BMF kürzlich den schönen Begriff „Vor-Gesetzgeber“. Ob das der Verfassungsgeber tatsächlich so gewollt hat?

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nicht umgangen werden“ (§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Nachweispflicht für ein derart missbräuchliches Verhalten trifft im Grundsatz das Finanzamt. Die Antwort darauf, wann etwas in diesem Sinne „missbräuchlich“ ist, wurde bislang der Rechtsprechung überantwortet. Mit dem Jahressteuergesetz 2008 ist nun erstmals der Versuch unternommen worden, dem Begriff des Missbrauchs regulative Konturen zu verleihen: Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO n. F. liegt danach ein Missbrauch vor, „wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt“. Abweichendes gilt, wenn der Steuerpflichtige für die Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO n. F.). Dieses Bemühen des Gesetzgebers um gesetzliche Klarheit ist zu begrüßen. Es liegt überdies, das sei vorweggenommen, weitgehend auf der Linie der Rechtsprechung. Dennoch: ob dieser Regelungsversuch gelingt und jeden Zweifel beseitigt, ist eher zu bezweifeln. Denn die Inanspruchnahme eines „Steuervorteils“ dürfte steuerlich an sich unverdächtig sein. Als „störend“ erkennt das Gesetz auch nur den „gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil“. Das Rätseln darüber, wann ein solcher vorliegt, geht also weiter (unter III 2). b) Zu den darauf aufbauenden spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschriften gehören in grenzüberschreitenden Zusammenhängen (außerhalb von zwischenstaatlichen Abkommen) neben besagtem § 50d EStG derzeit vor allem § 50g Abs. 4 EStG, § 34c Abs. 6 Satz 5 EStG sowie die §§ 7 ff. AStG. Die ersten beiden dieser Regelungen seien hier vernachlässigt, sie betreffen Sonderbereiche und sind auch nicht aussagekräftig: § 50g Abs. 4 EStG steht in Zusammenhang mit der Umsetzung der EG-Zinsrichtlinie und wiederholt lediglich das, was sich dort in Art. 5 Satz 2 ZinsRL findet: Die Entlastung nach Absatz 1 ist zu versagen, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für Geschäftsvorfälle die Steuervermeidung oder der Missbrauch sind. Und § 34c Abs. 6 Satz 5 EStG verhindert den Abzug nicht anrechenbarer, im ausländischen Vertragsstaat auf Drittstaateneinkünfte angefallener Steuern bei der Ermittlung der Einkünfte. Verhindert wird dies dann, wenn die Auslandsbesteuerung ihre Ursache in einer Gestaltung hat, für die wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen. Beide Vorschriften greifen also im Grunde nur die von der Rechtsprechung geprägten Erfordernisse für einen Missbrauchsverdacht auf. Eigenständige, über § 42 Abs. 1 AO hinausgehende Inhalte fehlen. Das betraf übrigens noch eine weitere vergleichbare Vorschrift, die aber in letzter Sekunde des Gesetzgebungsverfahrens nicht Gesetz geworden ist: § 26 UmwStG des ursprünglichen Entwurfs8 des SEStEG, wo von „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ die Rede war. Das ist anders bei § 50d Abs. 3 EStG, jedenfalls in dessen derzeitiger, soeben durch das Jahressteuergesetz 2007 geänderter, beträchtlich verschärfter Fassung. Sie betrifft die Inanspruchnahme vor allem abkommensrechtlicher sowie

__________ 8 BT-Drucks. 16/2710, 21.

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richtliniengemäßer Vergünstigungen. Darauf komme ich später im Einzelnen noch ausführlicher zurück. Und das ist auch anders bei den Hinzurechnungsvorschriften der §§ 7 ff. AStG: Bei diesen beiden Normenkomplexen bedient sich der Gesetzgeber im Vergleich zu § 42 AO einer anderen Regelungstechnik. Bei § 42 AO wählt er den „klassischen“ Ansatz, nämlich den, das in Rede stehende inkriminierte Einkommen einer anderen Person als derjenigen, die die Einkommen formal erzielt hat, steuerlich zuzurechnen. Gemeinhin wird dies der Anteilseigner der Zwischengesellschaft als Hintermann sein. An besagtem § 50d Abs. 3 EStG, vor allem aber an der außensteuergesetzlichen Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG, also den sog. CFC-Regelungen, bestätigt sich hingegen ein anderes Vorgehen des Gesetzgebers. Regelungstechnisch wird hier die Spreu passiv tätiger Zwischengesellschaften von dem Weizen der aktiv tätigen Zwischengesellschaften getrennt. Sind daneben noch weitere wesentliche tatbestandliche Erfordernisse erfüllt – bei §§ 7 ff. AStG: die Niedrigbesteuerung des Ansässigkeitsstaats jener Gesellschaft ebenso wie ihre Deutschbeherrschung, bei § 50d Abs. 3 EStG: (neuerdings, siehe unten V 2) u. a. die eigene Wirtschaftstätigkeit, die eigenen Substanzerfordernisse –, dann kommt es zur Hinzurechnung der Zwischengesellschaftsgewinne. Wohlgemerkt der Hinzurechnung, nicht jedoch der Zurechnungsverschiebung. Der Gesetzgeber greift zwar in beiden Fällen auf den Hintermann durch jene Gesellschaft hindurch. Er tut dies allerdings nicht dadurch, dass er die formale Existenz dieser Gesellschaft in Frage stellt. Die persönliche Zurechnung des Gewinns wird nicht verschoben. Der Gewinn erhöht vielmehr im Wege der Hinzurechnung das Einkommen des Gesellschafters. Ähnlich verhält es sich bei der Anti-Treating-Shopping-Regelung des § 50d Abs. 3 EStG: Auch hier wird die steuerliche Existenz der Außengesellschaft anerkannt, es werden ihr jedoch die Abkommensvergünstigungen als Limitation of Benefits versagt. 2. Die Spruchpraxis des BFH zum Verhältnis von spezieller zu allgemeiner Missbrauchsvermeidung Das alles wirkt sich nun ganz konkret auf das Verhältnis zwischen der allgemeinen abgabenrechtlichen Norm des § 42 AO einerseits und der Spezialnormen andererseits aus. Denn der BFH9 geht in seiner noch jüngeren, gleichwohl bereits vielfach verfestigten und bestätigten Rechtsprechung von einem Spezialitätengrundsatz aus: Schafft der Gesetzgeber eine sondergesetzliche Missbrauchsvermeidungsnorm, dann muss er sich daran festhalten lassen. Er hat – so Peter Fischer10 – „seinen claim abgesteckt“. Die Generalklausel des § 42 AO hat zurückzutreten. Wer sich jenseits der durch das „Dictum des Gesetzgebers“ spezialgesetzlich gezogenen Tatbestandsgrenze bewegt, umgeht weder diese Grenzziehung noch eine allgemeine Zurechnungsnorm, sondern

__________ 9 BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 10 P. Fischer, SWI 1999, 104 (106).

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befindet sich im „rechtsfreien Raum“.11 Diese Sichtweise hat beim Gesetzgeber allerdings keinen rechten Anklang gefunden: Ihr verdankt § 42 AO seinen bisherigen 2. Absatz, wonach – so die mittlerweile schon wieder überholte, veraltete Fassung – „Absatz 1 (…) anwendbar (ist), wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist“. An dieser selbstbehauptenden Kreation hat der Fiskus jedoch keine große Freude gehabt. Ihr liegt ein offenbares Missverständnis über die Phänomene von Ursache und Wirkung zugrunde, und sie läuft deswegen nach Meinung ihrer Kritiker12, die sich der BFH in seinem Delaware-Urteil13 zueigen gemacht hat, schlicht leer: Entweder es liegt nach Maßgabe des besagten Spezialitätenvorrangs ein Missbrauch vor, dann bedarf es des § 42 AO ohnehin nicht. Oder aber die Missbrauchsannahme scheidet aus. Dann lässt sich dieser Befund über § 42 AO nicht aus dem Weg räumen. Es fehlt vielmehr schlicht am Missbrauchstatbestand. Aber: Der BFH14 macht zu dem Spezialitätenvorrang in ständiger Spruchpraxis eine Ausnahme, die von der Regelungstechnik des Gesetzes abhängig ist. Uneingeschränkt greift der Vorrang nur in jenen Fällen, in denen es im Ergebnis zu einer Zurechnungsverschiebung kommt. In den Fällen der Hinzurechnung soll die Anwendung von § 42 AO insoweit „logisch vorrangig“ sein. Denn diese Norm setze „logisch früher“ bei der Einkünftezurechnung an. Das Außensteuergesetz gehe dieser Frage demgegenüber sozusagen aus dem Weg. Nicht anders wird in § 50d Abs. 3 EStG verfahren, so dass hier (wohl, vom BFH bislang aber noch unbeantwortet) parallel vorzugehen ist.15 Allerdings hat der BFH zugleich zum Ausdruck gebracht, dass die tatbestandlichen und teleologischen Wertungsvorgaben der Spezialnorm in den Regelungsbereich von § 42 AO hineinwirken. Die Spezialnorm setzt so gesehen also doch den Maßstab für das, was als missbräuchlich angesehen werden kann. So war nach seinerzeitiger Regelungslage unter der Ägide noch des § 10 Abs. 5 und 6 AStG a. F. beispielsweise das Einschalten einer Kapitalanlagegesellschaft wegen deren grundsätzlicher Akzeptanz durch das Außensteuergesetz auch dann hinzunehmen, wenn ein solches Unternehmen nur über wenig Substanz in Gestalt von Personal u. ä. verfügt. Das bloße Erzielen von passiven ausländischen Einkünften löst für sich genommen regelmäßig noch kein Missbrauchsverdikt aus. Es muss schon mehr hinzukommen, um das zu bewirken. Nach Meinung des BFH soll dieses Mehr offenbar typische Briefkastenfirmen betreffen. Vor dem Hintergrund der jüngsten (siehe oben III 1) Novellierung des § 42 Abs. 1 und 2 AO wird sich an alldem kaum etwas ändern: Wenn danach die zu einem – gesetzlich „nicht vorgesehenen“ – „Steuervorteil“ führende „unange-

__________ 11 P. Fischer, SWI 1999, 196; s. a. Gosch in Harzburger Steuerprotokoll 1999, Köln 2000, S 225 ff.; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 44. 12 Z. B. Crezelius, Vom Missbrauch zum Misstrauen. Zur geplanten Änderung des § 42 AO, DB 2001, 2214; Pezzer, Kommentar zu BFH v. 17.10.2001 – I R 97/00, FR 2002, 279; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 43. 13 BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50. 14 Vgl. z. B. BFH v. 23.10.1991 – I R 40/89, BStBl. II 1992, 1026; BFH v. 10.6.1992 – I R 105/89, BStBl. II 1992, 1029. 15 Siehe Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 44.

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messene rechtliche Gestaltung“ den Nachweis „nach dem Gesamtbild der Verhältnisse“ beachtlicher außersteuerlicher Gründe erfordern soll, dann dürfen die Dinge im Ergebnis jedenfalls nicht durch eine Art „Beweislastumkehr“16 auf den Kopf gestellt werden. Die Inanspruchnahme eines gesetzlich ermöglichten „Steuervorteils“ aus rein steuerlichen Gründen ist in dem diesen Vorteil einräumenden Gesetz regelmäßig ebenso angelegt wie – Stichwort Vertrags- und Gestaltungsfreiheit – die meisten dafür „auszudenkenden“ (zivilrechtlichen) Gestaltungswege. Dass jener „Steuervorteil“ regelungsüberschießend ist, muss sich letztlich schon ausdrücklich aus dem Gesetz selbst ergeben17, und zwar vorzugsweise nach Regelungswortlaut und -telos, nicht jedoch nach Maßgabe der „Gesetzesbegründung und der Gesetzesmaterialien“, wie noch der ursprüngliche Regierungsentwurf zu § 42 AO-E weismachen wollte18, hilfsweise der tatbestandlichen Vorgaben einer speziellen Gestaltungsvermeidungsnorm und lediglich hilfshilfsweise einer allgemeinen Wertung, diese aber wieder immer nur innerhalb des Wertungsrahmens der vorstehenden Regelungswerke.19 Andernfalls bleibt der gewählte Gestaltungsweg beanstandungsfrei. Dessen ungeachtet bleibt nach wie vor manches im Ungewissen: Insbesondere die „Inbezugsetzung“ der „Angemessenheit“ des eingeschlagenen Weges mit dem „gesetzlich vorgesehenen Steuervorteil“ setzt schwierige Wertungsentscheidungen voraus. Auszunehmen sind jedenfalls nicht per se steuerlich motivierte Gestaltungen, auch dann nicht, wenn sie „unangemessen“ sein mögen, sondern allein unnötig komplizierte, „rein künstliche Gestaltungen“, die bar jeglicher wirtschaftlicher Vernunft und die ausschließlich zur Steuervermeidung bestimmt sind20 (was allerdings immer voraussetzt, dass die Vermeidung eines Steuernachteils, wie vom Gesetzgeber offenbar vermeint, was aber keineswegs ausgemacht ist, überhaupt ein „Steuervorteil“ i. S. d. § 42 Abs. 1 AO i. d. F. des JStG 2008 ist21).22 Alles andere wäre reiner Dezisionis-

__________ 16 Siehe den Referentenentwurf zum JStG 2008, S. 135 f. zu § 42 AO-E. 17 Siehe jetzt auch unter Hinweis auf die Unbestimmtheit des Begriffs des Steuervorteils: BFH v. 2.8.2007 – IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270 – zu (dem längst schon wieder abgeschafften) § 2b EStG zur Abzugsbeschränkung von negativen Einkünften aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften und ähnlichen Modellen. 18 Dort S. 135 zu § 42 AO-E. 19 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf BFH, Urt. v. 28.6.2006 – I R 97/05, DStR 2006, 1938 – zur sog. Mobilisierung von Körperschaftsteuer-Guthaben mittels fremdfinanzierten Erwerbs von Zwergbeteiligungen und damit einhergehender disproportionaler Sonderdividende, das alles um der andernfalls gewissen (und verfassungswidrigen, siehe BFH, Urt. v. 31.5.2005 – I R 107/04, BStBl. II 2005, 884; dagegen Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, Aktenzeichen 1 BvR 2192/05) „Enteignung“ der Guthaben durch §§ 37 ff. KStG „vorzubeugen“. Wie man hört, gab dieses Urteil dem Gesetzgeber offenbar den Anlass für die Neuformulierung des § 42 AO. Es ist, wie aufgezeigt, jedoch höchst zweifelhaft, ob sich an dem Ergebnis unter der Ägide der Neuregelung etwas geändert hätte. 20 Siehe auch zutr. Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 232 – bezogen auf das EuGH-Urteil „Cadbury Schweppes“. 21 Siehe dazu auch unten.

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mus. Und als (neues) Problem könnte sich zudem die von § 42 Abs. 2 Satz 1 AO n. F. angeordnete steuerschädliche „Ausstrahlung“ der Vorteilswirkung „beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten“ herauskristallisieren. Denn bislang ging die Rechtsprechung einen anderen Weg: Der Gestaltungsmissbrauch bei dem einen musste keineswegs ein Gestaltungsmissbrauch bei dem anderen sein; die Rechtsfolgen einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung können vielmehr nur bei demjenigen Steuerpflichtigen gezogen werden, der aus der Gestaltung einen steuerlichen Vorteil erzielt.23 Offenbar soll das jetzt undifferenziert in einen Topf geworfen werden, was wiederum die steuerliche Mithaft des Steuerpflichtigen bedingen kann, wenn (irgend-) einem x-beliebigen Dritten aus einer inkriminierten Gestaltung ein unangemessener und nicht regelungsgetragener Steuervorteil erwächst. Wie das dann durch außersteuerliche Gründe widerlegt werden können soll, bleibt im Dunklen. Immerhin scheint sich der Gesetzgeber mit § 42 Abs. 1 Satz 2 AO n. F. dem von der Rechtsprechung entwickelten Spezialitätenvorrang nunmehr wenigstens anzunähern, indem dort bestimmt ist, dass sich „die Rechtsfolgen“ nicht nach § 42 AO richten, sondern nach „einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz (…), die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient“, sofern deren Tatbestand erfüllt ist. Ob darin aber, wie teilweise gemutmaßt wird, eine glatte Kehrtwendung und ein glatter Umschwung auf die Linie des BFH liegt, ist eher zu bezweifeln. Zwar war noch kurz zuvor – in der Vorfassung des neuen Regelungsentwurfs, dort in § 42 Abs. 2 AO-E24 – explizit hervorgehoben worden, § 42 Abs. 1 AO sei „neben anderen Vorschriften“ anzuwenden. Daran gemessen erkennt die Neuregelung jetzt den Vorrang der spezielleren Norm an; die Prüfungsreihenfolge von besonderer und allgemeiner Vorschrift wird gesetzlich klar festgelegt. Dennoch kann und soll es augenscheinlich zur Idealkonkurrenz beider Normenkomplexe kommen (können), dann nämlich, wenn der Tatbestand der spezielleren Norm nicht erfüllt ist. Für diesen Fall konterkariert das Gesetz die Rechtsprechung nach wie vor, indem es der Spezialnorm jedliche Abschirmwirkung versagt.25 Das aber wird, so viel ist jetzt schon gewiss, nach wie vor nicht „funktionieren“, weil es eben wegen jener Spezialnorm unbeschadet des prinzipiellen Nebeneinanderstehens dieser Norm einerseits und § 42 AO andererseits an einer Missbräuchlichkeit fehlt und damit für § 42 AO kein Raum verbleibt. Das vorausgesetzt, tut die Neuregelung mit dem in § 42 Abs. 1 Satz 2 AO n. F. angeordneten Rechtsfolgenvorrang der Spezialnorm aber dennoch einen Schritt in die richtige Richtung und geht damit in gewisser Weise sogar über die Gedankenansätze der Judikatur hinaus. Denn so recht einleuchten will das geschilderte, doch recht komplizierte Ineinandergreifen von Zurechnung als logischer Vorstufe und Hinzu-

__________ 22 Anders verhält es sich bei den unter Politikern so beliebten Sozialzwecknormen, die in der Tat ein „gutes“, sprich erwünschtes Verhalten mit einem „echten“ Steuervorteil belohnen. 23 Z. B. BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2001, 43; BFH v. 18.7.2001 – I R 48/97, DStR 2001, 1883. 24 BT-Drucks. 16/6290, 116. 25 BT-Drucks. 16/7036, 33; von Wedelstädt, DB 2007, 2558.

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rechnung als Rechtsfolgenregelung nicht. Bei Licht betrachtet schlägt nicht nur der Tatbestand, sondern auch die vom Gesetzgeber gewollte Rechtsfolge – die Lösung des Konflikts über die Hinzurechnung statt der veränderten Einkunftszurechnung – spezialgesetzlich durch und wird die „allgemeine“ Zurechnungsverschiebung ihrerseits spezialgesetzlich verdrängt.

IV. Europarechtliche Anforderungen nach „Inspire Art“ und „Cadbury Schweppes“ und Konsequenzen insbesondere für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung Zu dem erwähnten anderen Zangenhebel, also den europarechtlichen Einflüssen, sind namentlich zwei jüngere Urteile des EuGH, das Urteil Cadbury Schweppes26 sowie auch das zur Umsatzsteuer ergangene Urteil Halifax27, anzusprechen. Daneben verdient aber auch das schon zuvor ergangene, das Gesellschaftsrecht betreffende Urteil Inspire Art28 Beachtung. Diese Judikatur hat den BFH nicht unberührt gelassen, sie wird ihn – das lässt sich mit Gewissheit prophezeien – in naher Zukunft eher verstärkt beeinflussen. 1. Das Inspire-Art-Urteil des EuGH Sichtbar wird dies zunächst an dem Urteil Inspire Art. Es betraf eine Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der britischen Ltd. Der EuGH hat dazu geurteilt, der Umstand, dass eine Kapitalgesellschaft in dem einen Mitgliedstaat nur gegründet worden sei, um in den Genuss vorteilhafter Rechtsvorschriften zu gelangen, stelle für sich allein genommen keinen Missbrauch dar. Die formale Existenz der Gesellschaft sei hinzunehmen; ein etwaiger Missbrauch sei im konkreten Einzelfall nachzuweisen. Übertragen auf das Steuerrecht könnte sich daraus eine carte blanche ergeben; vorausgesetzt, die betreffende Gesellschaft ist in ihrem Gründungsstaat tatsächlich ansässig und damit dort unbeschränkt steuerpflichtig, wäre der andere Mitgliedstaat gehalten, sie anzuerkennen. Ob es soweit kommt, ist freilich mehr als fraglich. Immerhin hat der BFH sich des Argumentationsansatzes, der diese EuGH-Entscheidung trägt, durchaus schon bedient, nämlich zum einen in einem Urteil zu einer britischen, aber in Deutschland agierenden britischen limited company aus dem Jahre 200129 zum Abzug von Betriebsausgaben bei unter Umständen nur unzulänglich benannten Hintermännern des Zahlungsempfängers und zum anderen in der sog. Dublin-Docks-II-Entscheidung vom 25.2.200430.

__________ 26 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, DStR 2006, 1686. 27 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 = UR 2006, 232 = DStR 2006, 420. 28 EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, IStR 2003, 849. 29 BFH v. 17.10.2001 – I R 19/01, IStR 2002, 274; s. auch – noch deutlicher – FG München, Urt. v. 19.3.2002 – 6 K 5037/00, EFG 2002, 880. 30 BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. I 2005, 14.

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Zunächst zu dem Benennungsverlangen: Hier drehte sich der Rechtsstreit darum, ob ein deutsches Bauunternehmen Gelder als Betriebsausgaben abziehen durfte, die sie an eine englische Ltd. überwiesen hatte, die als Subunternehmer auf inländischen Baustellen tätig geworden war. Nach Erkenntnissen der Finanzbehörden handelte es sich bei der Ltd. um ein typisches „BüroserviceDomizil“ bzw. eine „Korrespondenzadresse“. Großbritannien sei aus gesellschafts- und steuerrechtlichen Gründen als „De-facto-Steueroase“ zu klassifizieren. Der Betriebsausgabenabzug wurde mit Blick auf § 160 AO versagt. Der BFH hielt in dem Britische-Ltd-Urteil dagegen: Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Ltd. um eine Domizil- oder Briefkastenfirma handeln könnte, seien bei vernünftiger Beurteilung der Gegebenheiten nicht erkennbar gewesen. Solche Vermutungen wurden jedenfalls nicht bereits dadurch genährt, dass der Vertragsschluss über einen Telefax-Anschluss in den Niederlanden erfolgt sei und dass die Ltd. in Großbritannien residiere. Großbritannien und die Niederlande seien gemeinhin nicht als typische sog. Steueroasen bekannt. Es entspreche auch „der durch die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten geschützten Normalität“ und sei als solches unverdächtig, dass ein englisches Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat der EG tätig werde. Die Klägerin habe sich von daher also nicht der Gefahr bewusst sein müssen, dass die Gesellschaft „zur Umgehung der Steuerpflicht von Inländern eingeschaltet“ worden wäre. Und in der Dublin-Docks-II-Entscheidung erkennt der BFH in einer steuerrechtlichen Nichtanerkennung einer ordnungsgemäß nach dem Gesellschaftsrecht eines anderen EU-Mitgliedstaates gegründeten Kapitalgesellschaft unter ausdrücklichem Hinweis auf die Inspire-Art-Entscheidung einen möglichen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit.31 Die von vornherein auf unbestimmte Dauer erfolgende Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft zwischen dem Steuerpflichtigen und einer Einkunftsquelle könne im Inland wie im Ausland nicht voneinander abweichend behandelt werden, ohne dass noch besondere außersteuerliche Beweggründe für das Eingehen des Engagements darzutun wären. Teilweise ist dieser Passus dahingehend gewürdigt worden, der BFH habe sich „innerhalb der EU … weitgehend von seiner Basisgesellschaften-Rechtsprechung verabschiedet“32.

__________ 31 Nicht unerwähnt soll bleiben: Die Dublin-Docks-Urteile des BFH stehen im diaetralen Gegensatz zu entsprechenden einschlägigen Erkenntnissen des österreichischen VwGH, vgl. VwGH v. 9.12.2004 – 2002/14/0074, IStR 2005, 20; zustimmend Fischer, Zum Streit zwischen „Außentheorie“ und „Innentheorie“, FR 2005, 585; Loukota, Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften, SWI 2005, 205, krit. M. Lang, VwGH zur Anwendung des § 22 BAO auf irische IFSC-Gesellschaften, SWI 2005, 67; vgl. ferner VwGH v. 10.8.2005 – 2001/13/0018, 0019, ÖStZ 2005, 430. Diese Unterschiede sollten zu denken geben. Sie beleuchten die Ungewissheit um die gegenwärtige Regelungslage. 32 Grotherr, IWB Fach 3 Deutschland, Gruppe 2, S. 1292.

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2. Das Cadbury-Schweppes-Urteil des EuGH a) Das Urteil Das könnte so zu deuten sein, könnte aber auch in gewisse Kollision zu der nächsten und mit Sicherheit markanteren Wegmarke geraten, die aus Sicht des Europarechts zwischenzeitlich mit dem EuGH-Urteil Cadbury Schweppes gesetzt worden ist. Hier fehlen naturgemäß noch konkrete einschlägige Folgeentscheidungen auf nationaler Ebene. Soviel lässt sich aber jetzt schon sagen: Dieses lange und mit Spannung erwartete Urteil des EuGH zur sog. CFCGesetzgebung in Großbritannien hat ein Ergebnis erbracht, mit welchem man nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Philippe Léger vom 2.5.200633 in dieser Form vielleicht gar nicht mehr gerechnet hatte. Denn der EuGH hat die besagte Gesetzeslage jedenfalls für den Fall uneingeschränkt verworfen und als EG-rechtswidrig gebrandmarkt, dass sie zum Zwecke einer steuerlichen Missbrauchsbekämpfung pauschal durch Zwischengesellschaften mit Kapitalanlagecharakter in ausländischen Niedrigsteuerländern „hindurchgreift“ und die Gesellschafter einer inländischen Besteuerung unterwirft. Nur wenn die besagte Gesetzgebung den Missbrauch im Einzelfall ahndet und wenn es sich um „rein künstliche Gestaltungen (handelt), die dazu bestimmt sind, der normalerweise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen“, soll und darf es sich anders verhalten. Angestrebt werden muss ein Steuervorteil, welcher über die Freiheit jedes Steuerpflichtigen hinausgeht, eine für ihn auch steuerlich vorteilhafte Gestaltung zu wählen (!). Auch die Abwanderung in eine „Steueroase“, um innerstaatliche Steuern zu sparen, ist aus Sicht des EuGH keineswegs vorwerfbar. Sie rechtfertigt es per se nicht, von jener „rein künstlichen Gestaltung“ auszugehen. Der erstrebte Steuervorteil muss dazu ein Mehr darstellen. Er muss das Hauptmotiv für die Schaffung einer bloßen „Hülle“ sein, und er darf sich wohl auch nicht mit dem Telos der in Rede stehenden Steuernorm vertragen. Die Fragestellung fokussiert sich also zunächst auf den so gesehen etwas schillernden, wenig greifbaren Begriff des „Steuervorteils“, der sich jetzt auch in § 42 Abs. 1 AO i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2008 wiederfindet. Solange der „Steuervorteil“ (der – wie schon erwähnt – keineswegs zwingend als bloße Umkehrung des vermiedenen Steuernachteils verstanden werden muss) in der Regelungsstruktur gleichsam angelegt, ihr immanent ist, kann seine Inanspruchnahme eigentlich nicht missbräuchlich sein. Dazu gibt es aber, das sei nicht verschwiegen, auch innerhalb des BFH durchaus unterschiedliche Wertungsansätze. Das alles hat vor allem weit reichende Folgen für die im Vergleich zur britischen noch weitaus schärferen deutschen Gesetzeslage im Außensteuergesetz: Die dort in den §§ 7 ff. AStG geregelte sog. Hinzurechnungsbesteuerung war – ob mit oder ohne erneute EuGH-Anrufung – jedenfalls in ihrer bisherigen

__________ 33 Schlussanträge des Generalanwalt Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995.

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Ausgestaltung nicht länger haltbar, weil ihr ein genereller Missbrauchsahndungscharakter zugrunde liegt und weil sie durchgängig mit nicht widerlegbaren Pauschalen und Typisierungen arbeitet. Ich erwähne hier den Passivitäts- bzw. Aktivitätskatalog34, die auf deutscher Seite erforderliche Beherrschungssituation, die Niedrigbesteuerung. Zumindest bedurfte es der Beifügung eines sog. Motivtests im Einzelfall, also der Möglichkeit, einen Gegenbeweis zu liefern. Nur die besagten rein künstlichen Gebilde sind als verdächtig zu behandeln. Wann genau davon im Einzelnen nun die Rede sein kann, ist allerdings mehr als fraglich. Der EuGH benutzt die bekannten Begriffe der „Briefkastenfirma“ und der „Strohfirma“ und verlangt objektive, von dritter Seite nachprüfbare Anhaltspunkte für eine tatsächliche wirtschaftliche Aktivität der ausgelagerten Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat. Das „Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft“ wird anhand von „Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen“ substanziell spezifiziert.35 Das entspricht im Grundsatz der Spruchpraxis der Finanzgerichte. Meines Erachtens werden selbst diese spärlichen Anforderungen durch die Möglichkeit des Gegenbeweises bei dem von Amts wegen anzustellenden „Motivtest“ wieder relativiert.36 Denn das Motiv für die Zwischenschaltung kann dann auch die Beschränkung auf eine reine Kapitalanlagen- und Finanzierungstätigkeit sein. In § 7 Abs. 6 und 6a AStG einerseits und § 8 Abs. 1 Nr. 7 AStG andererseits wird eine solche Tätigkeit unter gewissen und einschränkenden Voraussetzungen als unverdächtig anerkannt. Das Kapitalanlagen- und Finanzierungsgeschäft erfordert indes regelmäßig keinen großen Apparat. Das wiederum aber kann doch nur bedeuten, dass auch eine Außengesellschaft mit minimalen „Ausrüstungsgegenständen“ durchaus aktiv sein kann. Es kann und darf der Auslandsgesellschaft hinsichtlich des Substanzgebots schließlich nicht mehr abverlangt werden, als einer vergleichbaren inländischen Gesellschaft. In diesem Sinne hatte der BFH etwa in der sog. Delaware-Entscheidung vom 20.3.200237 eine Konzern-Finanzierungsgesellschaft mit Gründungsaufwand von nur 100 $ nicht als missbräuchlich angesehen, obschon diese lediglich über einen Büroraum, einen Telefonanschluss sowie eine Teilzeitschreibkraft mit Jahreslohnaufwand zwischen 1500 $ und 3000 $ verfügte. Mit diesen Subsidien ausgestattet, wurde die Gesellschaft mit fremdfinanziertem Eigenkapital ihrer deutschen Mutter in Höhe von 225 Mio. $ versehen, was in Deutschland den Betriebsausgabenabzug der Zinsen sicherte. Der BFH sah diese Konstruktion als Teil der unternehmerischen Freiheit an, die – wie ich meine: zu Recht – an den

__________ 34 Der sich wegen seiner pauschalen und typisierenden Missbrauchsunterstellung aber ohnehin nicht mit den europarechtlichen Vorgaben vertragen dürfte, s. dazu EuGH, Urt. v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, DStR 2007, 662. 35 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 67. 36 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 70. 37 BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50.

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spezialgesetzlichen Regelungsvorgaben des Außensteuergesetzes zu messen sei. Dieser Maßstab sollte weiterhin Geltung haben. Im Übrigen misst auch der EuGH dem Umstand Bedeutung bei, dass die Gesellschaft auf unbegrenzte Dauer und nicht nur „einmalig“ eingeschaltet wirkt; es genügt „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit“38. Das entspricht ebenfalls der Spruchpraxis des BFH, und zwar sowohl in der Entscheidung vom 17.11.2004 (I R 55/0339), dem Niederländischen-Stiftung-IIUrteil, als auch dem späteren Hilversum-II-Urteil vom 31.5.2005 (I R 74, 88/0440). Jedenfalls ist der im Inland ansässigen „beherrschenden“ Gesellschaft, also der Muttergesellschaft, als derjenigen, die dazu – so der EuGH – „am ehesten in der Lage ist“, die Gelegenheit zu geben, Beweise für die tatsächliche Ansiedlung der beherrschten ausländischen Gesellschaft und deren tatsächliche Betätigung vorzulegen. Nur dann, wenn sie beweisfällig bleibt, kann eine Regelungsmaßnahme wie die in §§ 7 ff. AStG gerechtfertigt sein. Insbesondere den seitens deutscher Finanzämter gern erhobenen Einwand, eine vergleichbare Tätigkeit, wie die von der ausländischen Zwischengesellschaft wahrgenommene, lasse sich ebenso gut von der im Inland ansässigen ausüben, lässt der EuGH – ebenfalls zu Recht – nicht gelten. Solche fiktiven Alternativüberlegungen sind unzulässig. Auch das entspricht letztlich einmal mehr der BFHRechtsprechung, und zwar in dem erwähnten sog. Delaware-Urteil. b) Die Konsequenzen aa) Die bisherige Regelungsfassung Am Ende dürfte der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung in ihrer bisherigen (Ver-)Fassung ein probater Anwendungsbereich nach allem wohl nur noch gegenüber Drittstaaten bleiben und (jedenfalls uneingeschränkt) auch das nur, soweit im Rahmen des Schutzbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EG die sog. Stand-still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG greift (was angesichts der zahlreichen Änderungen des Außensteuergesetzes nach dem Systemwechsel zum Halbeinkünfteverfahren und damit nach dem 31.12.1993 eher zu bezweifeln ist). Unterstellt man deshalb die prinzipielle Europarechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung, so fragt sich, wie es hiernach auf nationaler Ebene weitergeht. Ob der Stab über die Hinzurechnungssteuer durch ein Finanzgericht aus eigener Kraft gebrochen werden kann, ist durchaus zweifelhaft. Womög-

__________ 38 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 54. 39 BFH v. 17.11.2004 – I R 55/03, BFH/NV 2005, 1016. 40 BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118.

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lich kommt es zu einer abermaligen Anrufung des EuGH41, das allerdings ohnehin nur insoweit, als das BMF mittels seines schnellen und rückwirkend auf alle noch offenen Fälle anzuwendenden „Verschonungsschreibens“ vom 8.1.200742 den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nach wie vor43 nicht genügt.44 Unabhängig davon möchte ich noch einige Punkte hervorheben: – Der erste Punkt betrifft den Steuervorteil, den der EuGH bei fehlender tatsächlicher Existenz der Zwischengesellschaft als schädliches Hauptmotiv ansieht. Es sei in diesem Zusammenhang auf eine jüngere Entscheidung des BFH vom 7.9.2005 (I R 118/04 „Belgische Konzern-Finanzierungsgesellschaft“45) hingewiesen. Danach misst der BFH einem Steuervorteil keine innerstaatliche Bedeutung bei, den der Steuerpflichtige mittels der Zwischenschaltung durch Ausnutzung des ausländischen Steuerrechts erzielen will; etwaige (Missbrauchs-)Erwägungen im betreffenden Ausland sind innerstaatlich unbeachtlich.46 – Der zweite Punkt betrifft die Durchsetzung des staatlichen Steueranspruchs: Können die derzeitigen Regelungen – gewissermaßen „normkonservierend“ – gerettet werden, indem ihnen ein in Deutschland de lege lata bislang fehlender Motivtest qua Judikatur schlicht beigefügt wird? Ist das noch Aufgabe der Rechtsprechung? Eine schwierige und weitreichende Frage, die ich hier nicht abschließend beantworten kann.47 Allerdings scheint mir die konkrete Situation auch weitgehend unproblematisch zu sein. Denn selbst wenn man – wie auch das BMF in seinem Schreiben vom 8.1.200748 – davon ausgeht, dass die §§ 7 ff. AStG a. F. künftig in einschlägigen Zusammenhängen unanwendbar bleiben sollen, dann heißt das doch nur, dass der bis dato spezialiter weitgehend verdrängte § 42 AO wieder vollumfänglich in Erscheinung tritt. § 42 AO ermöglicht nun aber den vermissten Motivtest. Allerdings: auch ein auf diese Weise wiederbelebter § 42 AO muss den Missbrauch an dem vom EuGH nicht verworfenen, sondern nur gemeinschaftsrechtlich unanwendbaren gesetzten Recht messen. Das bedeutet: die Einschränkungen, die den Missbrauchsverdacht des § 42 AO kraft Spezialvorschriften zurückgedrängt haben, bleiben unbeschnitten erhalten. Nach wie

__________ 41 Schönfeld erachtet das als unnötig, vgl. Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 203. 42 BMF, Schr. v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99. 43 Umfassend dazu Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 201 ff. 44 Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 235 m. w. N. 45 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 537. 46 BFH v. 7.9.2005 – I R 118/04, BStBl. II 2006, 537 – Ausnutzung belgischer Steuervergünstigungen. 47 Siehe dazu Gosch, Vielerlei Gleichheiten – Das Steuerrecht im Spannungsfeld von bilateralen, supranationalen und verfassungsrechtlichen Anforderungen, DStR 2007, 1553. 48 BMF, Schr. v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99.

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vor setzt das an sich europarechtswidrige Sonderrecht also die Messlatten für den Missbrauchsvorwurf, sofern diese dem Steuerpflichtigen günstig sind. – Das aber schlägt dann wieder den Bogen zu der Gleichbehandlung von Gebietsfremden und Gebietsansässigen. Wenn im Inland eine auf Dauer eingeschaltete Kapitalgesellschaft unbeanstandet bleibt, dann können die Dinge grenzüberschreitend eigentlich nicht anders liegen. Ähnlich verhält es sich mit dem Verlangen, die Zwischengesellschaft müsse in ihrem Ansässigkeitsstaat am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig teilnehmen. Beides trägt der deutschen Regelungslage nicht Rechnung. Mit der Gleichbehandlung ist jedoch ernst zu machen. Mit anderen Worten: der Standard, den der EuGH in Cadbury Schweppes für den Motivtest setzt, gerät dazu womöglich in Kollision. Strenggenommen nimmt der EuGH lediglich eine Beurteilung vor gemeinschaftsrechtlichem Hintergrund vor, setzt aber nicht zugleich und automatisch das innerstaatliche Anforderungsniveau. Meine These lautet vielmehr: Es bleibt der nationalen Rechtspraxis unbenommen, nach Maßgabe des § 42 AO und hiernach im Zusammenspiel mit den Wertungen etwaiger sondergesetzlicher Missbrauchsvermeidungsvorschriften hinter dem vom EuGH verlangten Substanzprofil des EuGH zurückzubleiben. Die zum Teil großzügigere Rechtsprechung des BFH wird also keineswegs von vornherein in Frage gestellt oder konterkariert. Der EuGH setzt nur den europarechtlich gebotenen, nicht den nationalen Standard.49 bb) Die neue Regelungsfassung Daran gemessen schlägt der deutsche Gesetzgeber indes, wen wundert’s, im Jahressteuergesetz 2008 einen abermals eher restriktiven Kurs ein, steht er doch – so hat es unlängst Welf Müller50 auf den Punkt gebracht – mit dem EuGH in Sachen Außensteuergesetz „auf dem Kriegsfuß“. Die Kritik Müllers an der Neuregelung in § 8 Abs. 2 AStG teile ich allerdings, jedenfalls, was das europarechtlich geforderte Regelungsprofil anbelangt, nicht uneingeschränkt: Zwar belässt der Gesetzgeber es hier (in § 8 Abs. 1 AStG) bei den genannten und geläufigen Missbrauchstypisierungen der Niedrigbesteuerung, des Passivitätskatalogs als Missbrauchsindizien. Das aber könnte unter Umständen – jedenfalls teilweise51 – durchaus auch vor den Augen des EuGH standhalten52 und muss nicht von vornherein gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen. Denn immerhin räumt der Gesetzgeber jetzt die bisher fehlende Gegenbeweismöglichkeit im Einzelfall ein, auch wenn diese Möglichkeit ins Leere laufen soll,

__________ 49 A. A. offenbar Wassermeyer, Anmerkung zu EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, DB 2006, 2050; s. auch Lieber, Kommentar zu EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, FR 2006, 993 (995). 50 Müller, Status:Recht 2007, 278. 51 Sicherlich nicht, was z. B. die Beteiligungen von 1 v. H. bzw. unterhalb von 1 v. H. bei Kapitalanlagegesellschaften i. S. v. § 7 Abs. 6 AStG anbelangt. 52 Siehe aber auch oben IV 2 a zu nicht aktiven Tätigkeiten.

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1. wenn eine Amtshilfe zwischen den betroffenen Staaten aufgrund der Amtshilfe-Richtlinie nicht gewährleistet ist, 2. für Einkünfte der Zwischengesellschaft aus Tochtergesellschaften und Betriebsstätten außerhalb des EU-/EWR-Raums; 3. für durchlaufende Einkünfte und Einkünfte, die den Fremdvergleichstest nicht bestehen. Die Verengung des Blickwinkels auf die Niederlassungs- und die damit einhergehende Aussperrung der Kapitalverkehrsfreiheit könnte sich noch als fehlsam herausstellen. Allein der Aspekt der Steueraufsicht mag bezogen auf Drittstaaten eine Unterscheidung rechtfertigen53, ansonsten scheint sie wenig belastbar. Gleiches betrifft auch den Nachweis der vorausgesetzten „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“, wenn – und das ist nach der Regelungsbegründung offenbar beabsichtigt – darin eine „stabile und kontinuierliche“ Teilnahme am Wirtschaftsleben des anderen Mitgliedstaates, eine „tatsächliche Ansiedlung“ im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit mit entsprechender Ausstattungssubstanz verlangt werden. Die bloße Verwaltung von Beteiligungen ohne gleichzeitige Ausübung geschäftsleitender Funktionen soll ebenso wenig genügen wie eine gelegentliche Kapitalanlage oder eine Fremdbeauftragung mit entsprechender Wahrnehmung von „Kernfunktionen“ durch einen anderen. All das lässt sich weder dem EuGH-Urteil Cadbury Schweppes noch der bisherigen und nach wie vor einschlägigen BFH-Rechtsprechung entnehmen und ist bei weitem zu restriktiv. Eine derartige Auslegung des Begriffs „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“, wie sie die Finanzverwaltung erhofft, ist auch zukünftig und auf der Basis der Neuregelung alles andere als ausgemacht. In jedem Fall ist zu gewärtigen: Der sog. Motivtest erfordert, so er denn angestellt wird, immer eine „echte“ Einzelfallprüfung, nicht aber die bloße (und ohnehin selbstverständliche) Subsumtion unter Tatbestandsmerkmale. Das betone ich deswegen, weil die herkömmlich herausgestellten Merkmale, die in Jahrzehnten von der Rechtsprechung zum Steuerrechtsmissbrauch aufgestellt worden sind, oftmals ein in gewisser Weise gesetzesgleiches Eigenleben entwickelt haben. Dem gilt es – worauf Michael Lang kürzlich zutreffend hingewiesen hat54 – vorzubeugen.

__________ 53 Siehe auch Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: BFH v. 4.4.2007 – I R 57/06, DStR 2007, 1474; Aktenzeichen des EuGH Rs. C-377/07. 54 M. Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht im Lichte von Halifax und Cadburry Schweppes, SWI 2006, 273 (283); Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelerg 2007, § 50d EStG Rz. 42.

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V. Die Verwaltungspraxis und die Folgen: Nichtanwendungserlasse, Nichtanwendungsgesetze oder die Geschichte vom Hase und Igel, aufgezeigt an dem alten und dem neuen § 50d Abs. 3 EStG Aber auch losgelöst von der CFC-Gesetzgebung und der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG mochte sich die Verwaltung mit den bisherigen Rechtsprechungserkenntnissen bislang nicht recht anfreunden. Sie hat zwar das letzte einschlägige Dublin-Docks-Urteil des BFH vom 25.2.2004 (I R 42/0255), also das sog. Dublin-Docks-II-Urteil, zum Anlass genommen, ihren Nichtanwendungserlass gegen das Dublin-Docks-I-Urteil aus dem Jahre 200056 aufzuheben. Das hat sie aber nicht gehindert, einen abermaligen Nichtanwendungserlass in die Welt zu setzen.57 Er richtet sich gegen das Urteil des BFH vom 31.5.2005 (I R 74, 88/0458), die Hilversum-II-Entscheidung. Sie hat darüber hinaus dafür Sorge getragen, dass die gesetzlichen Anforderungen an die Missbrauchsvermeidung beträchtlich angezogen worden sind. Worum ging und geht es bei diesem Streit, den Keßler und Eicke59 in einer Stellungnahme als „bemerkenswerten Schlagabtausch zwischen Gerichten, Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen“ gekennzeichnet haben und der nachhaltig an die Geschichte vom Hasen und vom Igel erinnert? 1. Der alte § 50d Abs. 3 EStG Hintergrund hierfür ist § 50d Abs. 3 EStG, welcher den beschränkt steuerpflichtigen Bezieher von Kapitalerträgen in Gestalt eines Treaty overriding60 abkommens- oder EG-rechtliche Steuerentlastungen von der Kapitalertragsteuer nimmt, und zwar nach der bis zum Veranlagungszeitraum 2006 geltenden Fassung, (1) soweit Personen als Anteilseigner an ihr beteiligt sind, denen die Entlastung bei einem Direktbezug der beschränkt steuerpflichtigen Kapitalerträge nicht zustände, und (2) für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen, und (3) die ausländische Gesellschaft keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.

__________ 55 BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. I 2005, 14. 56 BFH v. 19.1.2000 – I R 94/97, BStBl. II 2001, 222; s. auch BFH v. 19.1.2000 – I R 117/ 97, BFH/NV 2000, 824. 57 BMF, Schr. v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166. 58 BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118. 59 Keßler/Eicke, Treaty-Shopping mit Holding in Luxemburg, PIStB 2006, 167. 60 Offen mag an dieser Stelle bleiben, ob das bislang von der Rechtsprechung goutierte Treaty overriding nach wie vor uneingeschränkt völker-, verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügt; ein Rechtsprechungswandel zu diesem zunehmend beliebten Instrument des Gesetzgebers erscheint keineswegs von vornherein ausgeschlossen; vgl. Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 41 am Ende.

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Bei Vorliegen der obigen drei Bedingungen ging das Gesetz typisierend von einer missbräuchlichen Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft aus. Wann das der Fall ist, war natürlich recht streitanfällig. Es gibt einige einschlägige Urteile des BFH, von denen insbesondere die beiden HilversumUrteile hervorzuheben sind. In dem Hilversum-I-Urteil vom 20.3.200261 stellte sich die Frage, ob einer niederländischen BV für die Gewinnausschüttungen einer deutschen Beteiligungsgesellschaft die volle Kapitalertragsteuerbefreiung nach der MutterTochter-Richtlinie zusteht, wenn sie funktionslos ist und an ihr ausschließlich eine auf den Bermudas ansässige Holdinggesellschaft beteiligt ist. Ein DBA mit den Bermudas hat Deutschland nicht abgeschlossen. Der BFH sah die BV als funktionslos an. Es fehle letztlich an allem, an Substanz ebenso wie an eigener Wirtschaftsaktivität. Dass die konzerneingebundene BV in den Niederlanden über aktiv tätige Schwester- und Obergesellschaften verfügte, verfing ebenso wenig wie der Umstand, dass die Niederlande kein Niedrigsteuerland sind. Dem angebotenen Nachweis, keine Steuerumgehung beabsichtigt zu haben, maß der BFH keine Bedeutung bei. Das wurde naturgemäß kritisiert. Angemerkt wurde vor allem, der BFH typisiere und versage der BV den gebotenen Einzelnachweis. Der BFH hat diese seine Beurteilung letztlich nicht aufrechterhalten. Sein Hilversum-II-Urteil vom 31.5.200562, dem eigentlich ein paralleler Sachverhalt zugrunde lag – Klägerin war hier eine Schwester-BV der seinerzeitigen Klägerin –, stützt er statt dessen darauf, dass die Auslagerung der Beteiligung auf die BV nur konzernstrategisch begründet worden sei. Tatsächlich handele es sich um einen aktiven Konzern, der in einem EG-Staat residiere, dort sein aktives Kerngeschäft habe und bei dem das konzerninterne Strukturkonzept langfristig, also nicht nur zum Zweck der Kapitalertragsteuerbefreiung, angelegt gewesen sei. Der Substanzlosigkeit auch dieser BV maß er angesichts dessen keine Bedeutung bei. § 50d Abs. 3 EStG fand demnach keine Anwendung.63 Der dagegen gerichtete behördliche Nichtanwendungserlass des BMF geht davon aus, die drei Ausschlussgründe müssten nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift sowie nach der historischen Auslegung nicht kumulativ vorliegen.64

__________ 61 BFH v. 20.3.2002 – I R 38/00, BStBl. II 2002, 819. 62 BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118. 63 Es ist derzeit zu dieser Regelungsfassung noch ein weiteres Revisionsverfahren (unter dem Aktenzeichen I R 26/06) beim BFH anhängig, das eine luxemburgische SOPARFI (= société de participations financières) betrifft. Die Vorinstanz (FG Köln, Urt. v. 16.3.2006 – 2 K 1139/02, EFG 2006, 896) hat der Klage unter Bezugnahme auf jenes Hilversum-II-Urteil entsprochen. Angesichts der gänzlichen Funktionslosigkeit der klagenden SOPARFI erscheint fraglich, ob das richtig ist. 64 BMF, Schr. v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166; vgl. zur Kritik hieran Hergeth/Ettinger, Nichtanwendungserlass zum Urteil des BFH vom 31.5.2005 zu § 50d Abs. 3 EStG, IStR 2006, 307; Grotherr, Keine deutsche Kapitalertragsteuerentlastung bei Einschaltung einer ausstattungslosen Zwischenholdinggesellschaft im Ausland – Nichtanwendungserlass zur Hilversum-II-Entscheidung des BFH, IStR 2006, 361.

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Mit dem anderslautenden, wohl zweifelsfreien Gesetzeswortlaut hat das nur wenig zu tun. 2. Der neue § 50d Abs. 3 EStG Vielleicht sah das die Verwaltung auch so. Sie hat jedenfalls durch das Jahressteuergesetz 2008 für eine Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG Sorge getragen. Die Ausschlussgründe müssen fortan nicht mehr sämtlich erfüllt sein, ihr alternatives Vorliegen genügt. Damit aber keineswegs genug: Die Daumenschrauben wurden auch bei den Funktionserfordernissen, die an die AuslandsGesellschaft zu stellen sind, angezogen. Vor allem aber weitet das Gesetz den Anwendungsbereich der Regelung erheblich aus.65 Sie dürfte, soviel vorweg, beträchtlich über das selbst gesteckte Ziel hinausgeschossen sein. Europarechtlichen Anforderungen dürfte die Neuregelung jedenfalls kaum standhalten. Im Einzelnen: Die ausländische Gesellschaft muss nunmehr einen Drei-Faktoren-Test66 (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 EStG) überstehen, damit sie eine deutsche Kapitalertragsteuerentlastung bei Beteiligung einer nichtentlastungsberechtigten Person beanspruchen kann. Positiv formuliert müssen – für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen, und – die ausländische Gesellschaft muss mehr als 10 v. H. ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielen, und – die ausländische Gesellschaft muss mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen. Wie bisher müssen an der unmittelbar abkommensberechtigten ausländischen Gesellschaft Personen beteiligt sein, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie unmittelbar beteiligt wären. Das ist eine unerlässliche Grundvoraussetzung, welche – fortan aber, wie gesagt, (nur) alternativ („oder“), nicht wie bislang kumulativ („und“) – um eines der folgenden Merkmale ergänzt werden muss: Erstens: Für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft fehlen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe; insoweit gilt das Bisherige fort. Zweitens: Die ausländische Gesellschaft erzielt nicht mehr als 10 v. H. ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit. Dieses Merkmal greift das bisher in § 50d Abs. 3 EStG a. F. enthaltene Merkmal der Eigenwirtschaftlichkeit auf, quantifiziert dieses je-

__________ 65 Das dazu wie üblich ergangene, regelungserläuternde BMF-Schreiben datiert v. 3.4.2007: BMF, Schr. v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007, 446. 66 Vgl. Latham & Watkins, Client Alert Number 527, 28 July 2006 p. 2.

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doch, indem es den Umfang der eigenwirtschaftlichen Betätigung auf 10 v. H. des Gesamten festlegt und damit zum einen (und positiv gewendet) eine Geringfügigkeits- als Unschädlichkeitsgrenze bestimmt, zum anderen jedoch (und negativ gewendet) im Ergebnis eine ins Gewicht fallende aktive Wirtschaftstätigkeit verlangt. Das Gesetz knüpft der Sache nach ersichtlich an das „fast ausschließlich“ aktive Tun gem. § 9 AStG an. Die Orientierung des Vomhundertsatzes an den Bruttoerträgen im betreffenden Wirtschaftsjahr erschwert jedenfalls jegliche Steuerplanung und kann (Zufalls-)Ergebnisse mit „wechselnder Missbräuchlichkeit“ im jeweiligen Wirtschaftsjahr nach sich ziehen. Helfen könnte hier nur eine (dem Gesetz allerdings nicht zu entnehmende) Betrachtung über einen längeren „Vergleichszeitraum“.67 Ergänzend bestimmt § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG n. F. zudem, dass es an einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit fehlt, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Eine reine Vermögensverwaltung (einschließlich Holdingtätigkeit) ist im Ergebnis ebenso schädlich wie die Auslagerung (das „Outsourcing“) von Funktionen auf Management-, Beratungs- oder ähnliche Gesellschaften; letzteres betrifft in erster Linie Kapitalanlage- und Finanzierungs-Gesellschaften. Zwar verfügt das Gesetz diese Schädlichkeit nur anteilig („soweit“); in Zusammenhang mit der 10-v. H.-Grenze des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG n. F. wird die Kapitalertragsteuer-Vergünstigung aber wohl zumeist in toto versagt werden müssen. Insoweit erweist sich die Unterscheidung zwischen „guten“ (= aktiven) und „schlechten“ (= passiven) Einkünften namentlich bei einer (als solche wohl nach wie vor „aktiven“) geschäftsleitenden Holding als misslich: Den „guten“ Einkünften aus der geschäftsleitenden Tätigkeit sowie den ebenfalls „guten“ Dividenden68 stehen ggf. die „schlechten“ Zinseinkünfte gegenüber.69 Die Holding wäre so gesehen gezwungen, ihre Tätigkeit um andere (und „artfremde“) Aktivitäten anzureichern, um die 10-%-Hürde zu nehmen; das (zusätzliche) Erfordernis eines Sachzusammenhangs zwischen den jeweiligen Tätigkeiten lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Zum Dritten: Die begehrte Erstattung oder Freistellung scheidet sodann aus, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Damit wird das Erfordernis einer substanziellen Geschäfts-

__________ 67 Die die Finanzverwaltung in der Tat auch einräumt: Im BMF-Schreiben vom 3.4.2007 (BMF, Schr. v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007, 446) wird ein Drei-Jahres-Zeitraum präsentiert. Da das contra legem geschieht, kann sich das einmal mehr als Bumerang für denjenigen Steuerpflichtigen erweisen, der in einem anderen Streitpunkt im Zusammenhang mit § 50d Abs. 3 EStG um Rechtsschutz vor den Finanzgerichten nachsucht; denn die Finanzgerichte sind an die Verwaltungsanweisung nicht gebunden. 68 BMF, Schr. v. 3.4.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DOK 2007/0115524, BStBl. I 2007, 446. 69 Günkel/Lieber, Braucht Deutschland eine Verschärfung der Holdingregelung in § 50d Abs. 3 EStG?, DB 2006, 2197 (2199).

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ausstattung konstituiert. Hiergegen lässt sich mit einiger Gewissheit die einschlägige EuGH-Rechtsprechung in Position bringen, die zwar – wie dargetan – ebenfalls ein Substanzgebot verlangt, dies jedoch eben unter den Vorbehalt des Motivtests stellt und Gesellschaften mit einschlägigen „genuin substanzgeminderten“ Geschäftszwecken nicht von vornherein ausklammert oder als missbräuchlich ansieht. Eine infolge fehlender Substanz ausgelöste Missbrauchsvermutung bestätigt sich danach nicht und wird nicht relevant, wenn Gestaltungen „eine andere Erklärung haben können (!) als nur die Erlangung von Steuervorteilen“, so der EuGH in der Rechtssache Halifax.70 Zudem steht in Frage, wie sich das strikte Substanzgebot mit der steuerlichen Behandlung vergleichbarer inländischer Gesellschaften vertragen soll, bei denen ein solches Erfordernis bislang fremd ist. Unabhängig davon konzediert der Gesetzgeber (immerhin), dass eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr bereits dann vorliegt, wenn die ausländische Gesellschaft Dienstleistungen nur gegenüber einem Auftraggeber erbringt, auch gegenüber einem konzernzugehörigen. In einer weiteren (ergänzenden, aber kumulativ erforderlichen) Voraussetzung verlangt § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG n. F., dass ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgebend sind (§ 50d Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 EStG); organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 AStG), bleiben hiernach außer Betracht (§ 50d Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 EStG). Mit diesem Erfordernis zielt die Neuregelung unmissverständlich gegen das besagte Hilversum-IIUrteil des BFH vom 31.5.2005 (I R 74, 88/0471). Befürchtet wird ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich eine andernfalls leichthin mögliche missbräuchliche Umgehung der Missbrauchsvermeidungsvorschrift. Es ermangele an hinreichenden Überprüfungsmöglichkeiten. Auch dieses Verständnis verträgt sich kaum mit dem vom EuGH eingeforderten „Motivtest“ im Einzelfall. Es wird überdies der genannten BFH-Rechtsprechung nicht gerecht, der es nicht darum ging, substanzlose Zwischen-Gesellschaften gesellschaftsübergreifend um Substanzmerkmale konzernverbundener Gesellschaften anzureichern. Der Rechtsprechung ging es vielmehr allein darum, einen Missbrauch auszuschließen, wenn angesichts aktiver Konzernstrukturen ein Missbrauchsvorwurf gänzlich unangebracht und durch objektive Merkmale nicht indiziert war. Schließlich zum Vierten: § 50d Abs. 3 Satz 4 EStG n. F. bestimmt zwei Ausnahmetatbestände und nimmt diese von dem Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 Satz 1 bis 3 EStG n. F. und den darin enthaltenen Einschränkungen aus: zum einen für börsennotierte ausländische Gesellschaften, vorausgesetzt, mit der „Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft [findet] ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse statt“

__________ 70 So EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609 = UR 2006, 232 = DStR 2006, 420 – Rz. 74, zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung. Siehe dazu aber auch abgrenzend BFH vom 9.11.2006 – V R 43/04, DB 2007, 91. 71 BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118.

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(Börsenklausel); zum anderen für ausländische Gesellschaften, für die das Investmentsteuergesetz gilt, namentlich also für Fonds, die als Kapitalgesellschaft ausgestaltet sind. Folgt man der Finanzverwaltung, dann soll das Ganze – und hier schließt sich der Kreis – wieder alles unter dem Anwendungsvorbehalt des § 42 AO stehen. Man begnügt sich hier einmal mehr mit dem Hinweis auf § 42 Abs. 2 AO a. F. Alles, was dazu zu sagen ist, habe ich aber bereits herausgestellt.72 Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Exegese bestätigt die Eingangsthese: Die Neuregelungen schießen ersichtlich über das Ziel einer Missbrauchsvermeidung hinaus. Jegliche – und fern jeglicher „Steuerunanständigkeit“ liegende – (Konzern-)Steuerplanung wird (über Gebühr) erschwert. Vor allem aber sind einmal mehr die gemeinschaftsrechtlichen Einwände von Gewicht. Diese Einwände betreffen namentlich den Umstand, dass schon die alternativ verwirklichten Tatbestandsmerkmale ausreichen, um Missbrauch annehmen zu können – dies, obschon die Merkmale für sich genommen kaum geeignet sind, einen Missbrauch auszulösen. Auch das pauschale Erfordernis einer wenigstens 10 %igen „Aktivität“ erscheint allzu grob gestrickt73 und sperrt Einzelfallerwägungen – den besagten „Motivtest“ – ab. Hier wird wieder Abhilfe über § 42 AO zu suchen sein, der als bislang spezialgesetzlich verdrängte Allgemeinnorm wiederauflebt und den Motivtest ermöglicht.74 Und was das Europarechtliche betrifft: in der Rechtssache Cadbury Schweppes ging es um eine sog. Outbound-Situation, in anderen Konstellationen, vor allem bei § 50d Abs. 3 EStG, geht es jedoch um einen sog. Inbound-Fall, also um die Beurteilung einer die EG-Grundfreiheiten ausübenden und beanspruchenden Auslands-Gesellschaft im Inland, mithin um jene Konstellation, welche auch dem EuGH-Urteil Inspire Art75 zugrunde lag.76 Dieser Unterschied sollte eine wesentliche Rolle spielen.

VI. Schlussbemerkungen und Ausblicke Bei alledem bleibt festzuhalten: die Entwicklung zur steuerlichen Behandlung von Zwischengesellschaften im Internationalen Steuerrecht ist weder aus deutscher noch aus europäischer Sicht abgeschlossen. Viele Versatzstücke

__________ 72 Siehe unter III 2. 73 Ebenso Keßler/Eicke, Neue Gestaltungshürden in der Anti-Treaty-Shopping-Regel und des § 50d Abs. 3 EStG, DStR 2007, 781; Böing, Eine Missbrauchsnorm im Fadenkreuz des Gemeinschaftsrechts, RIW 2007, 161; Bünning/Mühle, Jahressteuergesetz 2007: Der Regierungsentwurf zur Änderung des § 50d Abs. 3 EStG, BB 2006, 2159; Schönfeld, Kommentar zum BMF-Schreiben vom 3.4.2007, FR 2007, 507. 74 Dies verbunden mit der Folge, dass bei gelingender Entlastung auch die Missbrauchsvorschrift gem. § 42 AO endgültig versperrt ist; zutreffend Schönfeld, Kommentar zum BMF-Schreiben v. 3.4.2007, FR 2007, 507 (510). 75 EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, IStR 2003, 849. 76 Zutreffend Lieber, Kommentar zu EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, FR 2006, 993 (995).

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Die Zwischengesellschaft

greifen teils ineinander, teils laufen sie nebeneinander her. Eine klare Linie ist nicht erkennbar. Insbesondere die Folgen von Cadbury Schweppes zeichnen sich für die nationale Ebene noch immer und trotz der gesetzgeberischen Reaktion nur in Konturen ab. Ich selbst vertrete dazu die Grundthese, dass Cadbury Schweppes zwar die Grenzen nach unten markieren mag, dass es jedoch nicht Aufgabe der EuGH-Judikatur ist, den Acker erschöpfend zu bestellen. Der Missbrauchsbegriff ist in erster Linie ein nationaler. So gesehen bleiben dann aber auch durchaus nationale Spielräume, die sich teilweise auch „nach oben“ zugunsten des Steuerpflichtigen erweisen können. Der nationale Gesetzgeber muss keineswegs immer nur wie ein Berater die Grenzlinien austesten, wie weit er gehen kann. Er kann das Tempo auch selbst mitbestimmen. Mit dem, was sich zunächst in dem BMF-Schreiben vom 8.1.200777 sowie nunmehr in der Neufassung des § 8 Abs. 3 AStG wiederfindet, kann von einer solchen Souveränität allerdings keine Rede sein; die Verwaltung ebenso wie (der dieser faktisch offenbar nachgeordnete) Gesetzgeber versuchen sich hier einmal mehr nur darin, die Grenzen auszuloten, „was noch geht“, eine weitere Bruchlandung dürfte gewiss sein. Dennoch werden die entscheidenden Wegmarken im grenzüberschreitenden Bereich naturgemäß durch den EuGH beeinflusst. Das wirkt sich auf die Mitgliedstaaten der EG ebenso wie auf die EWR-Staaten aus.78 Ob sich über die Kapitalverkehrsfreiheit Auswirkungen auch auf Drittstaaten ergeben, ist derzeit ungewiss. Der Boden ist hierzu noch etwas schwankend. Einerseits steht die Kapitalverkehrsfreiheit als fünfte Grundfreiheit selbständig neben den vier anderen Freiheiten. Andererseits zeichnet sich eine Tendenz in der EuGHRechtsprechung ab, jene Freiheit hinter die vier anderen in eingeschränkter Weise zurücktreten zu lassen und auf diese Weise die Drittstaateneffekte aufzufangen.79 Das alles bleibt abzuwarten. Alles in allem (und gerade deswegen) plädiere ich aber für einen großzügigen, gelasseneren und unverkrampfteren Umgang mit dem Phänomen der Zwischengesellschaften im Internationalen Steuerrecht. Wirklichen Missbräuchen lässt sich ohnehin nicht mit nationalem Arsenal begegnen, auch nicht mit nach wie vor konturenarmen Konstrukten wie dem neuformulierten § 42 AO i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2008. Dazu bedarf es – neben einem klaren, vereinfachten, weitestgehend sozialzweckbefreiten und standortfreundlichen Steuerrecht – im grenzüberschreitenden Bereich der Absprache mit den anderen Staaten. Dass das möglich ist, zeigt im Augenblick das Änderungsprotokoll

__________ 77 BMF, Schr. v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99. 78 Auch Liechtenstein ist also gewissermaßen im Boot. Der BGH hat das erst kürzlich im Hinblick auf eine liechtensteinische AG bestätigt, vgl. BGH, Urt. v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, DStR 2005, 1870; dazu Rehm, Vom Außenseiter zum Liebling? Liechtensteinische Gesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz als unternehmerische Gestaltungsoption, Der Konzern 2006, 166. 79 Siehe dazu z. B. Dölker/Ribbrock, Die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten – nunmehr gefestigte EuGH-Rechtsprechung?!, BB 2007, 1928; Gosch, BFH-PR 2007, 20 m. w. N.; s. jetzt auch EuGH, Urt. v. 10.5.2007 – Rs. C-492/04 – Lasertec, IStR 2007, 439 – Rz. 18 ff.

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Dietmar Gosch

zum DBA-USA. Dessen Artikel 28 und die dort gesetzten Standards bei den Limitation of Benefits mögen in ihrer Kompliziertheit abschrecken. Dass diese strukturierten Regelungen im Effekt steuerwirksamer sind, als nationale Alleingänge, darf dennoch gewiss sein. Sie dürften § 50d Abs. 3 EStG als speziellere Regelungen auch vorgehen.80 Ansonsten hilft langfristig wohl nur ein einheitliches EG-DBA. Aber das gehört schon zum „Weltenwurf“, zum Politischen und nicht mehr nur zum kleinen Einmaleins unserer Steuerwelt, die sich auch künftig auf die kreativen Impulse und anregenden „Querdenkereien“ von Wolfram Reiß freut.

__________ 80 Offenlassend BFH, Beschl. v. 28.11.2001 – I B 169/00, BFH/NV 2002, 774; s. auch Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d EStG Rz. G 26; Gosch in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 41; s. jetzt auch FG Köln, Urt. v. 25.1.2007 – 2 K 5824/04, EFG 2007, 1088; dagegen Revision beim BFH, Aktenzeichen I R 21/07.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken nach deutschem und europäischem Recht Inhaltsübersicht I. Zur Entfaltung und Beschädigung des fraus-legis-Gedankens in Europa 1. Die fraus-legis-Doktrin – ein Danaergeschenk? 2. Erscheinungsformen eines Theoriedefizits 3. Wertsetzungskompetenzen in einem Mehrebenensystem II. Wolfram Reiß zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht 1. Methodologische Grundaussagen 2. Die Rechtsprechung des BFH zur Zwischenvermietung 3. Würdigung

III. Exkurs: zum Streit zwischen Außenund Innentheorie IV. Neuere EuGH-Urteile auf dem Prüfstand der Innentheorie 1. Missbrauch von Grundfreiheiten – institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch 2. Das EuGH-Urteil v. 21.2.2006 in der Rechtssache Halifax 3. Das EuGH-Urteil v. 5.7.2007 – Rs. C-321/05 – Hans Markus Kofoed 4. Das EuGH-Urteil v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes V. Ausblick

I. Zur Entfaltung und Beschädigung des fraus-legis-Gedankens in Europa 1. Die fraus-legis-Doktrin – ein Danaergeschenk? Okko Behrends1 hat den fraus-legis-Gedanken als ein „Geschenk des römischen Rechts an die neuzeitlichen Rechtsordnungen“ bezeichnet. Dieser Gedanke ist seit dem Ende des 11. Jahrhunderts von den Schülern der in jener Zeit entstandenen Juristenfakultäten nach ganz Europa getragen worden, denn die in den oberitalienischen Rechtsschulen ausgebildeten Juristen dachten in europaweit gleichen Rechtskategorien. Sie konnten sich untereinander leichter – vermutlich auch über die fraus legis – verständigen als die heutigen Juristen und vor allem die Steuerrechtler aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.2 Ob heute die römisch-rechtliche Tradition europaweit fortgeführt wird, muss aufgrund rechtsvergleichender Untersuchungen bezweifelt wer-

__________ 1 Behrends, Die fraus legis: Zum Gegensatz von Wortlaut- und Sinngeltung in der römischen Gesetzesinterpretation, Göttingen 1982, S. 10. 2 Coing, Von Bologna bis Brüssel – Europäische Gemeinsamkeiten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Kölner Juristische Gesellschaft Bd. 9), Bergisch Gladbach 1989. Siehe hierzu auch P. Fischer, Europa macht mobil – bleibt der Verfassungsstaat auf der Strecke?, FR 2005, 457.

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den.3 Gleichwohl gilt es, zumindest auf der Grundlage rechtsethischer Minima die Verständigung zwischen europäischen Rechtsordnungen zu suchen und Bewahrenswertes aus dem nationalstaatlichen Rechtsdenken der Mitgliedstaaten zusammenzuführen.4 Dies ist, soweit es die Entwicklung allgemeiner europarechtlicher Grundsätze betrifft, die Aufgabe des EuGH.5 Diesem obliegt nicht nur die dogmatische Entfaltung der Grundfreiheiten und die Verhinderung von Diskriminierungen, sondern im Rahmen seiner durch den EG-Vertrag konstituierten richterrechtlichen Kompetenz auch der Aufbau einer kohärenten rechtlichen Ordnung unter Berücksichtigung des die Selbstbewahrung dieser Ordnung „aus eigener Kraft“6 – d. h. auch ohne einfallbezogene Spezialnormen – gewährleistenden fraus-legis-Gedankens. Allerdings bemerkt Fleischer7 zu Recht, der EuGH bleibe hinter dem Entwicklungsstand der nationalen Rechtsordnungen zurück. Seine Rechtsprechung tendierte dahin, die Anwendung des Missbrauchsgedankens um der Marktfreiheiten willen „massiv zu begrenzen“8. 2. Erscheinungsformen eines Theoriedefizits Die Verhinderung der Gesetzesumgehung liegt im Interesse einer auf Integration ausgerichteten Gemeinschaft. Dass sich der EuGH dieser Aufgabe nur zögerlich annimmt, mag mehrere Gründe haben. Allein die Tatsachen, dass der EuGH – mit dem Begriff „Missbrauch“ völlig verschiedene Tatbestände wie den institutionellen Missbrauch von Rechten einerseits wie auch die Gesetzesund Steuerumgehung andererseits „unter einem Dach zusammenfasst“9 und

__________ 3 Böing, Steuerlicher Gestaltungsmissbrauch in Europa, Hamburg 2006; s. auch Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, EuGH v. 21.11.1996 – Rs. C-367/96 – Kefalas, EuGHE 1998, I-2843 – Rz. 22.; Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1281 f.: „Die Traditionen hierzu sind sehr unterschiedlich.“ 4 Siehe auch Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865; Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1281 – „Rechtsmissbrauch auf europäischer und nationaler Ebene“. 5 Zu übergreifenden Grundsätzen Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I, Tübingen 1996; Schilling, Bestand und allgemeine Lehren der bürgerschützenden allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, EuGRZ 2000, 3 ff. (38 ff.); Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (871 ff.) m. w. N. 6 So die berühmte, auch durch die Rechtsprechung des BFH rezipierte Formulierung von Teichmann, Die Gesetzesumgehung, Göttingen 1962, S. 69. 7 Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (870). Siehe auch Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 207 ff. 8 Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1281. 9 Zu Recht kritisch Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (872 f.).

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

hinsichtlich deren tatbestandlicher Voraussetzungen nicht ausreichend differenziert, – den Gerichten der Mitgliedstaaten einen Rückgriff auf nationale Rechtsmissbrauchsverbote gestattet10, – den dogmatisch nicht aufgearbeiteten „Missbrauch“ an die – exegetisch nicht belastbare – „Künstlichkeit“ einer Gestaltung knüpft11, die freilich inhaltlich ausreichend elastisch ist, um auch – so im EuGH-Urteil in der Rechtssache Test Claimants12 – den Rechtsgedanken des Fremdvergleichs (arm’s length principle) aufzunehmen, – die Rechtsgeltung von „umgangenen“ Normen durch subjektive Elemente einer „Missbrauchsabsicht“ relativiert und – durch die generelle, nicht nur auf die Gesamtplanfälle sich erstreckende Gestattung einer salvierenden Funktion „außersteuerlich beachtlicher Gründe“ (good business reasons) die Normativität der Rechtsordnung in Frage stellt, weisen darauf hin, dass die Bedeutung des besagten Geschenks für eine europäische Rechtsordnung noch nicht erkannt ist. Man hat bisweilen den Eindruck, dass es als Geschenk nicht gewürdigt, bisweilen sogar als Danaergeschenk gefürchtet wird, das die zu Lasten der „Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme“ (unten 3) vergötzte Freiheiten behindert. Hatte es zunächst den Anschein, als würde der EuGH mit der Verhinderung von „U-Turn“-Konstruktionen zwecks Ausnutzung von nationalen Regelungsdifferenzen13 den – vermutlich – gemeineuropäischen Grundsatz übernehmen, dass eine Gesetzesumgehung auch dann vorliegt, wenn „rechtsmissbräuch-

__________ 10 Zuletzt EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax u. a., EuGHE 2006, I-1609; kritisch hierzu Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (874): Der EuGH sollte eine eigenständige Missbrauchskonzeption entwickeln. 11 Z. B. EuGH v. 16.7.1998 – Rs. C-264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4695 – Rz. 28; EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 – Rz. 60; EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 – Rz. 44.; EuGHE v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants, IStR 2007, 249 = RIW 2007, 469 – Rz. 72: „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Konstruktionen“. 12 EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants, IStR 2007, 249 = RIW 2007, 469 – Rz. 81 ff. 13 Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (869); Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1273 ff.: „Missbrauch von Grundfreiheiten“; Kofler, Treaty Shopping, Quota Hopping und Open Skies: Die gemeinschaftsrechtliche Problematik von Limitation-onBenefits-Klauseln in Doppelbesteuerungsabkommen mit den Vereinigten Staaten, in FS für Helmut Loukota, Wien 2005, S. 231 ff. – Eine U-turn-Situation wird angesprochen im Urteil des EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02 – de Lasteyrie du Saillant, EuGHE 2004, I-2409 – Rz. 54, mit Blick auf eine nur vorübergehende Wohnsitzverlegung zum Zwecke der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung. Hier stellt sich freilich die Frage, ob eine sinnvolle Rechtsanwendung nicht über den Rechtsbegriff „Wohnsitz“ gesteuert werden kann.

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lich“ ein künstlicher Auslandsbezug geschaffen wird, um unbequeme Vorschriften des inländischen Rechts umgehen zu können14, haben infolge des EuGH-Urteils v. 30.9.200315 in der Rechtssache Inspire Art das europäische Recht und noch mehr die nationalen Gesellschaftsrechte16 Schaden genommen. Dies gilt schon deshalb, weil durch das vom EuGH geschöpfte Richterrecht notwendigerweise zu beantwortende Folgefragen vor allem haftungsrechtlicher, aber auch bilanz- und steuerrechtlicher Art17 aufgeworfen werden, zu deren Lösung weder der EuGH noch die Gerichte der Mitgliedstaaten nach ihrer Organstruktur und dem von ihnen anzuwendenden Verfahren in der Lage sind – nach deutschem Verfassungsverständnis ein klassischer Fall des Verbot der richterlichen Rechtsfortbildung. Wenn ein „Missbrauchsverdikt“ die schlichte – überflüssigerweise subjektivvorwurfsvoll angereicherte – Feststellung enthält, dass ein in Anspruch genommenes (Freiheits-)Recht nicht existiert18 und die berufene Norm entgegen dem Subsumtionsvorschlag des Steuerpflichtigen nicht einschlägig ist, muss sich die Frage nach einem „Missbrauch der Niederlassungsfreiheit“ (Art. 43 EG) durch Gründung einer sog. Scheinauslandsgesellschaft wie folgt gestellt werden: Ist die voraussetzungslose Freiheit des Einwählens in eine ausländische Rechtsordnung ohne jegliche reale Mobilität und Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsleben eines Aufnahmestaates durch den Inhalt der Niederlassungsfreiheit gedeckt? Denn der Zweck der Niederlassungsfreiheit, die „bei der Beurteilung des Verhaltens des Steuerpflichtigen … zu berücksichtigen“ ist, besteht nach durch das EuGH Urteil v. 12.9.200619 in der Rechtssache Cadbury Schweppes bestätigtem Verständnis darin, „es den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats zu erlauben, in einem anderen Mitgliedstaat eine Zweitniederlassung zu gründen, um dort ihren Tätigkeiten nachzugehen, und so die gegenseitige wirtschaftliche und soziale Durchdringung auf dem Gebiet der selbständigen Erwerbstätigkeit innerhalb der Gemeinschaft zu fördern … Zu diesem Zweck will die Niederlassungsfreiheit es den Staatsangehörigen der Gemeinschaft ermöglichen,

__________ 14 Hay, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., München 2002, S. 153 f.: „fraudolöse Anknüpfung, wenn ein Erwerbsvorgang nur zum Zweck der Umgehung des inländischen Rechts in das Ausland verlegt worden ist. Siehe auch BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318. Hierzu Teichmann, Die Gesetzesumgehung im Spiegel der Rechtsprechung, JZ 2003, 764. 15 EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, EuGHE 2003 I-10155. 16 Nach Art. 7 Satz 1 VO (EG) Nr. 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft „muss der Sitz der SE in der Gemeinschaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung befindet“. Man wird mit Spannung beobachten müssen, ob beflissene Freiheitsrechtler dies als Verstoß gegen Grundfreiheiten ansehen werden. 17 Siehe nur Hennrichs, Bilanz- und steuerrechtliche Aspekte der sog. Scheinauslandsgesellschaften, Zivil- und Wirtschaftsrecht im Europäischen und Globalen Kontext, in FS für Norbert Horn, 2006, S. 387. 18 Statt vieler Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates – Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“ und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973, S. 68 ff. 19 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995= DB 2006, 2045 – Rz. 53 f.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen ihrer Herkunft teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen. In Anbetracht dieses Zieles der Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat impliziert der Niederlassungsbegriff im Sinne der Bestimmungen des Vertrages über die Niederlassungsfreiheit die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit … Daher setzt sie eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraus.“

Inhalt der Niederlassungsfreiheit kann es hingegen nicht sein, dass die mitgliedstaatlichen Zivilgerichte – und schon gar nicht die Finanzgerichte – verpflichtet wären, Inlandssachverhalte aus dem einzigen Grund nach ausländischem Recht zu beurteilen, dass Beteiligte – die Gesellschafter einer Scheinauslandsgesellschaft – dies so bestimmt haben. Hierüber können Vertragspartner nicht disponieren. Mit Recht geht z. B. Kindler20 von der verfassungsrechtlichen Unverbindlichkeit einer EG-vertraglichen Gründungsanknüpfung aus, deren Statuierung er als „ausbrechenden Akt“ im Sinne des MaastrichtUrteils des BVerfG21 einstuft. Es ist verwunderlich, dass die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung diesen Rechtsbruch nahezu widerstandslos hingenommen hat. Der BFH22 hat das EuGH-Urteil in der Rechtssache Inspire Art zum Anlass genommen, nahezu jegliche „auf Dauer angelegte“ Zwischenschaltung von Gesellschaften dem Missbrauchsverdikt zu entziehen, „wenn ein Steuerpflichtiger – aus welchen Gründen auch immer – zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht“. Auf der Grundlage der EuGH-Rechtsprechung verbiete es die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit, die in einem Mitgliedstaat errichtete Kapitalgesellschaft in einem anderen Mit-

__________ 20 Kindler in MünchKomm/Internationales Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., München 2004, Rz. 122 ff.: Von der Niederlassungsfreiheit als einem wesentlichen Beitrag zur Errichtung eines gemeinsamen Marktes „würde sich eine kollisionsrechtlich verstandene Niederlassungsfreiheit radikal verabschieden, weil sie statt einer ökonomisch verstandenen Standortwahlfreiheit eine voraussetzungslose Rechtswahlfreiheit schaffen würde. Die Niederlassungsfreiheit dient also nicht mehr der Intensivierung des ökonomischen Wettbewerbs bei möglichst gleichförmigen rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern einem ‚Wettbewerb der Rechtsordnungen‘. Eine derartige juristisch-virtuelle Mobilitätsgarantie hat mit der ursprünglichen Idee des Binnenmarktes nichts mehr zu tun. Niederlassungsfreiheit bedeutet nach herkömmlichem Verständnis nicht, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte verpflichtet wären, Inlandssachverhalte nach ausländischem Recht zu beurteilen, nur weil einige der Beteiligten (die Gesellschafter) dies so bestimmt haben. … Auch deshalb wäre der mit einem kollisionsrechtlichen Verständnis der Niederlassungsfreiheit verbundene Bedeutungswandel dieser Rechtsfigur – von der Stärkung der Marktintegration zu einem Motor des Wettbewerbs der Rechtsordnungen – als wesentliche Änderung eines Staatsvertrags im Sinne der Rechtsprechung des BFH einzustufen.“ 21 BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, BVerfGE 89, 155. 22 BFH v. 25.4.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14; kritisch hierzu P. Fischer, Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht, in FS für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 339.

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gliedstaat gegenüber dort ansässigen Kapitalgesellschaften zu benachteiligen. Deshalb lasse „sich schwerlich rechtfertigen, die entsprechende Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften innerhalb der EG als Missbrauch i. S. d. § 42 Abs. 1 AO 1977 n. F. zu behandeln“. Diese Auffassung ist keineswegs „folgerichtig“23, sondern unzutreffend, weil die territoriale Anknüpfung durch substantielle Merkmale der Ansässigkeit dem nationalen Steuerschuldrecht zuzuordnen ist, das der Jurisdiktion des EuGH grundsätzlich entzogen ist (unten IV 3). 3. Wertsetzungskompetenzen in einem Mehrebenensystem Dass das Europäische Steuerrecht – ebenso wie das Gesellschaftsrecht24 – „auf dem Wege von der Rechtspolitik zur Rechtsdogmatik“ sein könnte, ist eher Wunschdenken denn Realität. Dies gilt jedenfalls so lange, wie eine Diskussion über Verfassungsprinzipien, die in einem Mehrebenensystem die Kompetenz zur letztentscheidenden Hervorbringung normativer Wertungsvorgaben festlegen, verweigert wird. Das Problem ist durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Halifax25 manifest geworden: Unter der wohl einhellig konsentierten Voraussetzung, dass das Europäische Recht sich gegen Missbrauch und Umgehung verwahren muss und sich auch schützt26, ist zu klären, ob dieses seinen Missbrauchsbegriff autonom oder durch Verweisung auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bildet.27 Die hier angesprochene Frage nach der

__________ 23 So aber Böing, Der Begriff des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, EWS 2007, 55 (59 f.). Dass es Steuerpflichtigen möglich sein soll, allein durch einen papierenen Gründungsakt ein Steuerregime auszuwählen, ist – mit Verlaub – eine abwegige Vorstellung. 24 So die Feststellung von Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff. 25 EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax u. a., EuGHE 2006, I-1609. Zu dieser Entscheidung M. Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht im Lichte von Halifax und Cadbury Schweppes, SWI 2006, 273; Lange, Rechtsmissbrauch im Mehrwertsteuerrecht, DB 2006, 519; List, Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts aus der Sicht des § 42 AO und des Gemeinschaftsrechts, DB 2007, 131; Zorn, Umsatzsteuer und Missbrauch, in FS für Alois Pircher, 2007, S. 217. Die Auffassung von Wäger, das EuGH-Urteil in der Rechtssache Halifax dürfte „die Anwendung des § 42 AO im Bereich des Umsatzsteuerrechts beendet“ haben, beruht auf typischerweise „außentheoretischen“ Implikationen, vgl. Wäger, UR 2006, 240 – Urteilsanmerkung. Der BFH ist der Auffassung, § 42 stelle keine nach Art. 27 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG Maßnahme dar, nicht gefolgt; s. BFH v. 9.11.2006 – V R 43/04, BStBl. II 2007, 344: Die Vorschrift normiere vielmehr einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der nach der Rechtsprechung des EuGH auch im Mehrwertsteuerrecht gelte. 26 Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarktes, Baden-Baden 2001. 27 Vgl. Scheibeler, Begriffsbildung durch den Europäischen Gerichtshof – autonom oder durch Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen?, Berlin 2004. Zum Missbrauch von sekundärem Gemeinschaftsrecht s. auch Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1276.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

Kompetenz-Kompetenz ist ungeachtet dessen zu stellen, dass sich diese Alternative durch eine Konvergenz beider Rechtshierarchie-Ebenen relativieren kann: Nach hier vertretener Auffassung wird der europäische Rechtsbegriff des Missbrauchs/der Umgehung konkretisiert nach den Regeln über die Bildung allgemeiner Grundsätze: nämlich durch die „fünfte Auslegungsmethode“ (Peter Häberle) in Gestalt des wertenden Vergleichs von Rechtsinstituten, durch den nationalstaatliches Rechtsdenken zusammengeführt wird. Ohnehin wird der Rechtsbegriff „Missbrauch“ durch die Verwendung im Sekundärrecht ein solcher des EG-Rechts.28 Andererseits ist es offensichtlich, dass nationale Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch und Umgehung, so sie denn maßgeblich (geblieben) sind, keine den Grundfreiheiten zuwider laufende Diskriminierung oder Behinderung bewirken dürfen. Das EuGH-Urteil in der Rechtssache Halifax zeigt: Das Unterfangen, die Traditionslinien der vielfältig schillernden Rechtsfiguren „Rechtsmissbrauch“, „Gestaltungsmissbrauch“ und „Umgehung“ im In- und Ausland nachzuzeichnen und den grenzüberschreitenden Gemeinsamkeiten nachzuspüren, ist nicht sehr weit fortgeschritten.29 Der EuGH nimmt sich der Herausforderung einer Begrenzung von Freiheiten durch deren „missbrauchsverhindernde“ teleologische Restriktion auf der Tatbestands- oder der Rechtsfertigungsebene nur zögerlich an. Dieses Defizit ist schmerzlich. Denn die Harmonisierung der Steuersysteme setzt einen europäischen Konsens über Prinzipien, Strukturen und vor allem rechtsethische Minima der Besteuerung voraus. Diese Vorgaben können nur den bewährten Rechts- und Gerechtigkeitstraditionen der nationalen Rechtsordnungen entstammen – vorausgesetzt, diese können eine stimmige – nicht notwendigerweise einstimmige30 – Doktrin anbieten. Daher sollten die deutsche Traditionslinie und die neueren dogmatischen Erkenntnisse zum Rechtsmissbrauch offensiv nach Europa getragen werden. Dem EuGH sollte eine kohärente Dogmatik der Steuerumgehung als eine im Sinne des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (dort Nr. 7) zu achtende (sic!) „bewährte nationale Regelung“, die für die „Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme“ unerlässlich ist, vorgestellt werden. Es dürfte nicht ratsam sein abzuwarten, was in dieser Hinsicht aus Luxemburg oder Brüssel auf die deutsche Rechtsordnung zukommt.

__________ 28 Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 207 ff., 223 ff., 240 – zu Art. 2 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie, Art. 11 FusionsRL; Art. 5 Abs. 2 ZinsRL. 29 Zutreffend Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865; s. auch Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 207 ff. 30 Hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro, EuGH v. 21.11.1996 – Rs. C-367/ 96 – Kefalas, EuGHE 1998, I-2843 – Rz. 23.

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II. Wolfram Reiß zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht 1. Methodologische Grundaussagen Zur Dogmatik des Rechtsmissbrauchs hat Wolfram Reiß Wesentliches beigetragen. In grundlegenden Beiträgen hat er sich mit der Anwendung des § 42 AO befasst.31 Während der V. Senat des BFH u. a. zur Problematik der Zwischenvermietung32 und der Anwendung des § 19 Abs. 3 UStG33 „in vorbildlicher Weise“ gezeigt habe, wie der ebenso „konturenarme“ wie missbrauchsanfällige § 42 AO angewendet werden müsse, sei seine Rechtsprechung zur Vorschaltung von Ehepartnern zur Erlangung des Vorsteuerabzugs „ein Lehrbuchbeispiel für eine verfehlte freischwebende Anwendung“ dieser Vorschrift. Reiß setzt dem von ihm benannten Defizit eine Exegese des § 42 AO entgegen, wie sie in dieser Art klarsichtig und prägnant – leider – im Schrifttum selten zu finden ist. Seine Überlegungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: § 42 AO sei eine „normative Ergänzung des § 38 AO“. Die Anwendung der Vorschrift setze die Ermittlung des steuergesetzlichen Belastungs- bzw. Entlastungstatbestandes durch Auslegung des Steuergesetzes sowie die Feststellung des verwirklichten Tatbestandes voraus. Die Bestimmung greife ein, wenn der Sachverhalt den vom Gesetzgeber beschriebenen Tatbestand erfülle, obgleich dies im Wortlaut der steuergesetzlichen Normen nur unvollkommen zum Ausdruck komme. Der verwirklichte Sachverhalt entspreche zwar nicht dem vom Gesetzgeber im Wortlaut beschriebenen Tatbestand, er führe aber denselben wirtschaftlichen Erfolg – Hensel spricht vom „Wirtschaftstatbestand“ – herbei, der den steuergesetzlichen, durch systematische und teleologische Auslegung ermittelten „eigentlichen, die Besteuerung rechtfertigenden Belastungsgrund“ darstelle. In dieser Situation sei eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende, aber seinen Sinn erfüllende Anwendung des Steuergesetzes nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten. § 42 AO ermächtige den Rechtsanwender nicht zu einem „frei schwebenden Missbrauchsurteil“, sondern verpflichte ihn zu einer schulmäßigen Auslegung oder einem ebensolchen Analogieschluss. Es gehe auch nicht um eine Missbilligung der gewählten Gestaltung. Entgegen seinem missverständlichen Wortlaut ermächtige § 42 AO den Rechtsanwender nicht, den verwirklichten Sachverhalt durch einen fiktiven zu ersetzen, den der Rechtsanwender für eine angemessene Gestaltung hält. Reiß fährt fort:34

__________ 31 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff.; Reiß, Gestaltungsmissbrauch durch „vorgeschaltete“ bedürftige Ehegatten zur Erlangung des Vorsteuerabzugs, UR 1993, 213. 32 BFH v. 15.12.1983 – V R 131/75, V R 131/75, V R 133/76, BStBl. II 1984, 393; BFH v. 14.5.1992 – V R 8/96, BStBl. II 1990, 100. 33 BFH v. 13.7.1989 – V R 8/96, BStBl. II 1990, 100. 34 Reiß, Gestaltungsmissbrauch durch „vorgeschaltete“ bedürftige Ehegatten zur Erlangung des Vorsteuerabzugs, UR 1993, 213 (215); unter Bezugnahme auf Hensel, Zur Dogmatik des Begriffs „Steuerumgehung“, in Festgabe für Ernst Zitelmann, 1923, S. 217 f.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken „§ 42 AO handelt von einer unvollkommenen Steuergesetzgebung, bei der der gesetzliche Wille im Wortlaut der Steuernorm nur unvollkommen, aber doch erkennbar zum Ausdruck gekommen ist. Er hebt hingegen nicht die Prärogative des Gesetzgebers und die Bindung des Richters an das Gesetz auf. Weder ist der Richter durch § 42 AO ermächtigt, den steuergesetzlichen Belastungsgrund auf weitere Sachverhaltskonstellationen auszudehnen, auch wenn diese dem Rechtsanwender angemessen erscheint, noch darf der Richter einen anderen Sachverhalt zugrunde legen, der den Steuerbelastungsgrund erfüllen würde.“

Unter den Voraussetzungen einer methodologisch einwandfreien Anwendung des Steuergesetzes sei die Anwendung des § 42 AO zur Herstellung der steuerlichen Belastungsgleichheit zwingend, sie stehe nicht im Belieben des Rechtsanwenders. Reiß wendet sich entschieden gegen die gängigen Kriterien, die für ihn zu Recht lediglich heuristischen Wert haben:35 – Für die Unterscheidung, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse angemessen oder unangemessen gestaltet wurden, fehlten jegliches Kriterium und „bereits die Legitimation des Rechtsanwenders, diese Frage zu stellen.“36 – Sei die Anwendung des § 42 AO geboten, sei es unerheblich, ob die Gestaltung dem Rechtsanwender unökonomisch, gekünstelt oder schwerfällig erscheint. Diese Kriterien vernebelten nur die eigentliche ratio der Vorschrift. Es sei absurd anzunehmen, dass der Gesetzgeber die Besteuerung an die Verwirklichung unökonomischer oder gekünstelter Sachverhaltsgestaltungen knüpfen würde. – Weshalb eine außersteuerlich gerechtfertigte Gestaltung zur Vermeidung der Besteuerung führen solle, sei „völlig unerfindlich“. Das Steuerrecht knüpfe mit sämtlichen Belastungstatbeständen an außersteuerliche wirtschaftliche Erfolge an. Mithin könne es für die Bewertung einer Gestaltung als missbräuchlich nicht darauf ankommen, ob es einen außersteuerlichen Grund zur gewählten Gestaltung gegeben habe oder nicht, wenn und solange der wirtschaftliche Erfolg erzielt werde. – Es gehe nicht um einen Missbrauch des außersteuerlichen Rechts, sondern um den Nichtgebrauch des vom Gesetzgeber vorausgesetzten Gebrauchs bestimmter Gestaltungsmöglichkeiten.37 – Auch die Steuervermeidungsabsicht könne als solche keinen Besteuerungsgrund abgeben. Steuerrecht sei kein Strafrecht, so dass es auf gute und böse Absichten nicht ankomme.

__________ 35 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff., 53 f. 36 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff., 51. 37 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff., 51 f.; unter Bezugnahme auf Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl., Berlin 1933, § 16.

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2. Die Rechtsprechung des BFH zur Zwischenvermietung Solchermaßen methodologisch gerüstet befasst sich Reiß in seinem Referat für die „Regensburger Hochschultage für das Umsatzsteuerrecht in der Praxis“ (1988) u. a. mit der missbräuchlichen Umgehung des Vorsteuerausschlusses durch Zwischenvermietung. Hier gab und gibt es zwei Varianten: zum einen Vertragsgestaltungen, die der BFH als verdeckte Geschäftsbesorgungsverträge qualifiziert hat, sowie um „echte“ Mietverträge, bei denen der BFH ebenfalls den Vorsteuerabzug versagt hat. Für letztere Fälle legt Reiß dar, dass die Zulassung der Option bei Einschaltung von Zwischenpersonen, die die empfangene Leistung steuerfrei an Endverbraucher weitergeben, zu einer gleichheitswidrigen unterschiedlichen Belastung des Endverbrauchers führen würde. Dessen Belastung oder Entlastung hinge „von der Geschicklichkeit und Gestaltung eines ‚vorgeschalteten’ Unternehmers ab. Exakt mit einer derartigen Gestaltung wird der gesetzgeberische Be- und Entlastungstatbestand verfehlt. Auf den Fall der Zwischenvermietung konkret bezogen ergibt sich, dass der Endmieter von einer Umsatzsteuer auf die Vermieterleistung befreit sein soll, nicht aber von der Umsatzsteuer, die auf Vorleistungen beruht, die die Vermieterleistung erst ermöglichen.“

Exakt das Gegenteil werde durch die Zwischenvermietung erreicht. Indes:38 „Entgegen der Rechtsprechung bedarf es zur Begründung des von der Rechtsprechung befürworteten Ergebnisses nicht des Nachweises oder der Widerlegung, ob die Zwischenvermietung wirtschaftlich sinnvoll, durch außersteuerliche Gründe gerechtfertigt oder sonst durch beachtliche Interessen gerechtfertigt war. Das Institut der Zwischenvermietung ist als solches ungeeignet, den steuerlichen Belastungsgrund zu vermeiden, weil es aus der Sicht des maßgebenden Endverbrauches zu keiner Veränderung des wirtschaftlichen Erfolges führt.“

3. Würdigung Dieses methodische Credo zielt in das Zentrum der aktuellen Diskussion über die Gesetzes- und die zwillingsverschwisterte Steuerumgehung. Es geht um die Frage, wie zwingende Normen des Steuerrechts gegen „missbräuchliches“ Ausweichverhalten gesichert werden können. Dies ist nur möglich, wenn im Mittelpunkt der Umgehungsverhinderung dasjenige (Steuer-)Gesetz steht, das Grundlage eines unzutreffenden Subsumtionsvorschlags des Steuerpflichtigen ist. Hier sieht Reiß zutreffend, dass der im gesetzlichen Tatbestand ggf. unvollkommen erfasste steuergesetzliche Belastungsgrund zum Tragen kommen muss. Die Versuche, die „Unangemessenheit“ durch Kaskaden sich gegenseitig substituierender Hilfsbegriffe („unüblich“, „künstlich“, schwerfällig“, „unökonomisch“ usw.) zu beschreiben, müssen scheitern, weil sie keinen normativen Konnex zur gesetzlichen Belastungsentscheidung haben. Für die herrschende zivilistische Doktrin ist selbstverständlich, dass mit dem von ihr vertretenen Verzicht auf eine eigene Rechtsfigur der Gesetzes- und

__________ 38 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff., 61.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

Steuerumgehung auch das Erfordernis einer Umgehungsabsicht entfällt.39 Für die Gesetzesumgehung genügt der objektive Verstoß. Es geht nicht um subjektive Vorwerfbarkeit der „Umgehungshandlung“, sondern um „die Autorität“ oder – weniger pathetisch – um die Bewahrung der objektiven Rechtsordnung mittels Durchsetzung einer nach ihrem Sinn und Zweck zwingenden Rechtsnorm.40 Larenz/Wolf41 schreiben zu Recht: „Die objektive Umgehung muss um so mehr genügen, je stärker der Zweck des Verbotsgesetzes Beachtung verlangt.“ Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass bezogen auf das Steuerrecht die Rechtsgeltung des Steuergesetzes aus verfassungsrechtlichen Gründen unabdingbar und der Disposition des Steuerpflichtigen entzogen ist. Dies vorausgesetzt muss man in Übereinstimmung mit Reiß die Doktrin der h. M. ablehnen, dass es dem Steuerpflichtigen generell gestattet sein soll, gegen die Geltung des Gesetzes zu optieren, indem er „außersteuerliche Gründe“ (good business reasons)42 mit einer den Gesetzesverstoß salvierenden Wirkung vortragen darf. Oft kann man lesen: Um den Vorwurf eines Steuermissbrauchs auszuräumen, genüge es, dass der Steuerpflichtige für seine Rechtsgestaltung „irgendeine (!) andere plausible Erklärung vorbringt“. Diese Art von rechtsblinder Generosität hat § 42 AO zu einem untauglichen Instrument entwertet. Vielmehr haben die „legitimen außersteuerlichen Gründe“ eine andere – inhaltlich eingeschränkte, fallgruppenspezifische – Funktion: Mit ihrem Vortrag kann der Steuerpflichtige dartun, dass hintereinandergeschaltete Rechtsgeschäfte nicht auf einem Gesamtplan43 beruhen, vielmehr ein oder mehrere Einzelakte ihre jeweils selbständige Funktion haben.44

__________ 39 Armbrüster in MünchKomm/BGB, § 134 BGB Rz. 16 m. w. N.; Staudinger/Sack, BGB, § 134 BGB Rz. 145; Soergel/Hefermehl, BGB, § 134 BGB Rz. 40; Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 39 f.; Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates – Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“ und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973, S. 82 ff.: „Objektivierung des Missbrauchsurteils“; Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., München 2004, § 40 V: „Die objektive Umgehung muss umso mehr genügen, je stärker der Zweck des Verbotsgesetzes Beachtung verlangt.“ Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I Allgemeiner Teil, 8. Aufl., Heidelberg 1995, § 10 III 1. 40 BGH v. 12.7.1962 – VIII ZR 28/61, BGHZ 37, 363 (366); BGH v. 23.6.1971 – VIII ZR 166/70, BGHZ 56, 285 (289); BGH v. 19.12.1968 – VII ZR 83 und 84/66, BGHZ 51, 255 (262); ausführlich Teichmann, Die Gesetzesumgehung, Göttingen 1962, S. 69 ff. – mit Darstellung des Streitstandes. 41 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 9. Aufl., München 2004, § 40 V. 42 Allgemein P. Fischer, Geltungsanspruch des Steuergesetzes, Steuerumgehung und „wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe“, FR 2001, 1212; Rödder, Good business reasons – Theorie des Gestaltungsmissbrauchs und praktische Vorgaben für die Steuergestaltungsberatung, in Freundesgabe für Rudolf Gocke, 2002, S. 235. 43 Statt vieler P. Fischer, Zum Streit um das Argumentationsmuster des sog. Gesamtplans am Beispiel der Anteilsrotation, FR 2003, 1013. 44 Siehe hierzu P. Fischer, Geltungsanspruch des Steuergesetzes, Steuerumgehung und „wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe“, FR 2001, 1212.

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Bemerkenswert ist, dass sich für Reiß die Frage nach einer Abschirmwirkung einer zwischengeschalteten Person nicht stellt. Dem ist zuzustimmen, weil die Frage nach der Anwendbarkeit des gesetzlichen Tatbestandes aus der Perspektive des die Gestaltung steuernden master mind zu beurteilen ist. Eine Steuerung des Gesamtgeschehens ist auch über abhängige und/oder beherrschte Kapitalgesellschaften möglich. Hiervon ist auch der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Halifax – wie selbstverständlich – inzident ausgegangen (unten IV 3). Reiß sieht im Streit um die methodologischen und tatbestandlichen Implikationen der „Tatbestandsvermeidung und Steuerumgehung“ einen „Dauerbrenner“.45 Zu dem bislang noch nicht geklärten Streit um die Entbehrlichkeit oder Unentbehrlichkeit des § 42 AO wollte er jedenfalls im Jahre 1988 nicht Stellung nehmen. Dies erscheint weise, denn – so Hartmut Hahn46 – Streitigkeiten, die fast ein Jahrhundert andauern, „haftet schon allein deshalb der Hauch des Akademischen an, weil es sich offenbar leben lässt, ohne sie entscheiden zu müssen“. Indes wäre es verwunderlich, wenn sich Wolfram Reiß als praktisch orientierter Wissenschaftler und didaktisch versierter Hochschullehrer um eine Lösung der Sachfragen herumdrücken würde. Im Gegenteil: er hat am Beispiel der Zwischenvermietung seinen Standort eindeutig beschrieben (oben II 2). Allein dies zählt, nicht das Schwenken eines Banners oder das Vorzeigen eines Feldzeichens. Karl Larenz47 schreibt: „Denkweisen, die im juristischen Arbeiten hervortreten, lassen sich nur erfassen, wenn man ihnen auf der Spur bleibt. Erst aus den Beispielen, die sie aus der Rechtsprechung und der juristischen Dogmatik aufzeigt, werden die Aussagen einer juristischen Methodenlehre voll verständlich, überprüfbar und für die juristische Praxis verwertbar.“

Man wird Reiß nicht Unrecht tun, wenn man sein Rechtsdenken, gemessen an seiner Auffassung jedenfalls in der Nähe der sog. Innentheorie einordnet (welcher der Verfasser mit Verve anhängt48).

III. Exkurs: zum Streit zwischen Außen- und Innentheorie Die Außentheorie49 sieht in § 42 AO einen selbständigen, zu dem Einzelsteuergesetz hinzutretenden Besteuerungstatbestand mit eigenem Norminhalt, der

__________ 45 Reiß, Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongress-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43 ff., 44. 46 Hahn, § 42 AO und Steuerkultur – zu einem unbekannten Standortfaktor, DStZ 2005, 183. 47 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., Berlin u. a. 1991, S. 7. 48 Statt vieler P. Fischer, Zum Streit um das Argumentationsmuster des sog. Gesamtplans am Beispiel der Anteilsrotation, FR 2003, 1013. 49 Statt vieler Gosch, § 42 AO – Anwendungsbereich und Regelungsreichweite, Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 225; Clausen, Struktur und Rechtsfolgen des § 42 AO, DB 2003, 1589; Rose, Missbrauchs-Innentheorie und Steuerplanungssicherheit, FR 2003, 1274.

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tatbestandlich konkretisierte „unangemessene“ oder „missbräuchliche“ Gestaltungen der Steuer unterwirft. § 42 AO sei, so behaupten ihre Anhänger, ein Tatbestand, der erfüllt sein müsse, wenn seine Rechtsfolgen eintreten sollen.50 Hiernach ist begrifflich zu präzisieren, was „Missbrauch“ ist und ob eine Missbrauchsabsicht erforderlich ist. Nach der „Innentheorie“ beschränkt sich die Funktion des § 42 AO auf die Aufforderung an den Rechtsanwender zu einer methodisch abgesicherten Anwendung der materiellen Steuerrechtsnorm ggf. durch Analogie oder teleologische Reduktion.51 Die Normgeltung soll ohne eine den Einzelfall treffende Spezialbestimmung („aus eigener Kraft“; oben I 1) gesichert werden. Nach ihrem Grundverständnis gibt es keine besondere Rechtsfigur der Gesetzesumgehung. Die Innentheorie wird befehdet insbesondere mit dem Argument, sie sei „mehr eine Doktrin als eine fachlich anerkannte Interpretation“52 und eine „Negation“ einer konstitutiven Geltung des § 42 AO53; günstigstenfalls sei sie nutzloses „Theoriedesign“ (Heuermann). Dem ist zu widersprechen. Die praktische Relevanz der Innentheorie zeigt sich darin, dass auf ihrer Grundlage – die Verhinderung der Gesetzesumgehung strikt am Wertungsmaßstab derjenigen Norm bewirkt wird, die Gegenstand eines maliziösen Subsumtionsvorschlags ist („Bewahrung der Norm aus eigener Kraft“), – jeder Rechtskreis – Bundes- und Landesrecht, Völkerrecht (Doppelbesteuerungsabkommen), Europarecht – auf seiner Hierarchieebene die Missbrauchsabwehr organisieren muss, – eine Missbrauchsabsicht nicht vorausgesetzt und damit zugleich die Rechtsanwendung von dem mit dem Missbrauchsbegriff assoziierten „subjektiv-

__________ 50 Clausen, Struktur und Rechtsfolgen des § 42 AO, DB 2003, 1589 (1596); zustimmend Heuermann, Vermieten als unangemessenes Gestalten durch gegenläufige Rechtsgeschäfte auf der Nutzungsebene, StuW 2004, 124: „In der Tat führt § 42 eigenständige Tatbestandsmerkmale auf. Der Rechtsanwender muss zu dem Urteil gelangen, dass die Gestaltung, die der Steuerpflichtige gewählt hat, rechtsmissbräuchlich ist und Steuern vermeidet. … Dieser Subsumtionsvorgang tritt zu der ohnedies im Tatbestand des § 42 Abs. 1 angelegten („das Steuergesetz“) Auslegung der Steuernorm … hinzu, ergänzt durch eine wirtschaftlich intendierte Betrachtung des Sachverhalts“. 51 Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, Heidelberg 1980, S. 224 ff.; s. bereits Becker, RAO, 9. Aufl., § 5 RAO Anm. 2, 5, 11; Becker, Zur Auslegung des Steuergesetzes, StuW 1924, 146; P. Fischer, Innentheoretische Bemerkungen zur Bekämpfung der Steuerumgehung im internationalen Steuerrecht, SWI 1999, 104. Aus der österreichischen h. M.: Gassner, Interpretation und Anwendung der Steuergesetze, Wien 1972, S. 72 ff., 97 ff., 115, ff.; Doralt/Ruppe, Steuerrecht, Bd. II, Wien 2001, Rz. 432; Kofler, Die steuerliche Abschirmwirkung ausländischer Finanzierungsgesellschaften, Wien 2002, S. 281. 52 Clausen, Struktur und Rechtsfolgen des § 42 AO, DB 2003, 1589; Rose, MissbrauchsInnentheorie und Steuerplanungssicherheit, FR 2003, 1274 (1589). 53 Heuermann, Vermieten als unangemessenes Gestalten durch gegenläufige Rechtsgeschäfte auf der Nutzungsebene, StuW 2004, 124 (125 ff.): „Auch Innentheoretiker können § 42 nicht einfach zukleben.“

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missbilligenden Ballast“ befreit wird, während demgegenüber der Umgehungsvorsatz einer selbständigen Figur der Gesetzesumgehung Konturen verleiht54, – die Rechtsgeltung des nach allen Regeln der Interpretation angewendeten Gesetzes nicht durch „außersteuerliche Gründe“ (good business reasons) in Frage gestellt werden kann, – das Verhältnis des § 42 AO zu speziellen Anti-Umgehungs-Normen eindeutig definiert werden kann55, – in steuerstrafrechtlicher Hinsicht das Problem der strafbegründenden Analogie (Art. 103 Abs. 2 GG) entschärft wird56. Sieker57 schreibt zu Recht: „Mit der Anpassung des § 42 an die allgemeine Umgehungslehre verlagert sich die Umgehungsproblematik auch im Steuerrecht auf die Bestimmung der Reichweite der einschlägigen steuerrechtlichen Normen, auf die genaue Analyse des verwirklichten Sachverhalts und die Entscheidung der Normanwendung im konkreten Fall.“

Nach dem von Larenz angemahnten deduktiven Prüfmodus (oben III 3) soll nachfolgend analysiert werden, auf welchen methodischen Prämissen die neuere Rechtsprechung des EuGH beruht. Es ist zu untersuchen, was mit welcher Begründung entschieden, nicht welche Theorie proklamiert wird.

IV. Neuere EuGH-Urteile auf dem Prüfstand der Innentheorie 1. Missbrauch von Grundfreiheiten – institutioneller und individueller Rechtsmissbrauch Die Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch hebt darauf ab, dass die ein Rechtsinstitut beherrschenden und seine Funktionsfähigkeit sichernden ordnungspolitischen Wertungen zugleich die immanenten Schranken der

__________ 54 Zutreffend Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 2, 39 ff.: Die Erforderlichkeit einer Umgehungsabsicht wird durch das jeweilige zur Umgehungsproblematik vertretene Grundverständnis bestimmt. 55 Ebenso Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 36 ff. 56 BGH v. 14.12.2000 – II B 123/99, BFH/NV 2001, 738: „Wie die Entwicklung der Rechtsprechung zu den §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 3 GrEStG ergeben hat, bedarf es zum Versagen der Steuerbefreiung bei Sachverhalten, wie sie auch dem Streitfall zugrunde liegen, nicht des Rückgriffs auf § 42 AO 1977; vielmehr ist das Ergebnis bereits im Auslegungswege zu erzielen.“ 57 Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 35; unter Bezugnahme auf Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., Heidelberg 1992, § 17, 5.

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Rechtsausübung bestimmen.58 Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Mitgliedstaat der EU der Ausübung von Grundfreiheiten – Warenverkehr, Freizügigkeit, Dienstleistungen und Kapitalverkehr – im Sinne eines tatbestandsmäßigen Ausschlusses oder auf der Ebene der Rechtfertigung einer festgestellten Diskriminierung oder Beschränkung den Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenhalten kann59, betrifft im Kern die Frage nach den Grenzen der Freiheitsrechte und ist daher dogmatisch angesiedelt bei der Lehre vom „institutionellen Rechtsmissbrauch“.60 Die Verpflichtung auf den Sinngehalt von rechtlichen Institutionen bedeutet, dass jede Rechtsausübung sich nur im Rahmen des vom jeweiligen Rechtsinstitut gesetzten Zweckes bewegen darf.61 Erwägungen zu Zweck und Zweckerreichung werden angestellt, wenn sich der Handelnde zwar formal auf ein Recht berufen kann, gleichzeitig aber materielle Gesichtspunkte die Frage nahelegen, ob die Ausübung des Rechts noch mit dem generellen Ordnungsgehalt der Gewährleistung dieses Rechts durch die Rechtsordnung zu vereinbaren ist. „Missbräuchlich“ in diesem Sinne bedeutet: „ohne einen im Gefüge der Rechtsnormen sachlich gerechtfertigten Grund“. Der Missbrauch von Grundfreiheiten ist eine „typische Problemlage des institutionellen Rechtsmissbrauchs“.62 Der individuelle Rechtsmissbrauch ist gekennzeichnet durch die besondere Treuwidrigkeit einer an einem Rechtsverhältnis beteiligten Person.63 Hier ergeben sich individuelle Schranken der Ausübung von Rechten aus dem konkreten Rechtsverhältnis und der jeweiligen Interessenlage der Beteiligten.

__________ 58 Grundlegend Raiser, Rechtsschutz und Institutionenschutz im Privatrecht, in Summum ius summa iniuria, Tübingen 1963, S. 145 ff.; Teichmann, Die Gesetzesumgehung, Göttingen 1962, S. 76 ff.; Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates – Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“ und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973, S. 79 ff.; Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 12 ff.; Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1279. 59 Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1272 ff. 60 Hierzu Teichmann, Die Gesetzesumgehung, Göttingen 1962, S. 76 ff.; Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates – Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“ und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973, S. 79 ff. 61 So die Definition von Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I Allgemeiner Teil, 6. Aufl., Heidelberg 1984, § 10 III – S. 145 ff.); zum „Instituts- und Normenmissbrauch“ Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., Tübingen 1959/60, § 239 II 5; Pestalozza, Formenmissbrauch des Staates – Zu Figur und Folgen des „Rechtsmissbrauchs“ und ihrer Anwendung auf staatliches Verhalten, München 1973, S. 68 ff.; gleichbedeutend: „Institutsmissbrauch“. – Aus der Rechtsprechung: BGH v. 12.7.1951 – III ZR 168/50, BGHZ 3, 94, 103 f.: „Ausnutzung formeller Möglichkeiten der Gesetze entgegen ihrem unzweideutigen Rechtsgedanken“; BGH v. 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204 (208): Verfolgung von „Zwecken und Zielen, für die diese Rechtsform nicht bestimmt ist“. 62 Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1279. 63 Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1279; Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 13 f.

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Auch eine solche Problemlage kann im Recht der EU – z. B. beim Missbrauch des aktienrechtlichen Anfechtungsrechtes – auftreten.64 Um die zweckwidrige Wahrnehmung eines Rechts geht es indes bei der Gesetzes- und Steuerumgehung nicht.65 Der EuGH kennt indes diese Unterscheidung nicht. Fleischer66 bemerkt zu Recht, dass der Sonderung von Missbrauchs- und Umgehungssachverhalten „strukturierende Kraft“ zukomme. In dieser Hinsicht fehle es dem Gemeinschaftsrecht an „dogmatischer Durchbildung“67. Der EuGH neige vielfach dazu, beide Figuren unter dem Einheitsdach des Rechtsmissbrauchs zusammenzufassen. Dieses zutreffend erkannte Defizit hat negative Folgen hinsichtlich des Erfordernisses subjektiver Tatbestandselemente sowie für die salvierende Bedeutung der good business reasons. 2. Das EuGH-Urteil v. 21.2.2006 in der Rechtssache Halifax Das EuGH-Urteil v. 21.2. 200668 in der Rechtssache Halifax betraf den Fall einer großangelegten, unter Einbeziehung einer Vielzahl von abhängigen Gesellschaften organisierten Zwischenvermietung zur Umgehung der pro-rataRegelung des Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie 77/388/EWG. Bereits Generalanwalt Poiares Maduro hatte für die Geltung eines allgemeinen Missbrauchsverbots plädiert: „Es genügt … eine vergleichende Untersuchung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, um deutlich zu machen, dass dieses Interesse den Gebrauch gewisser allgemeiner Bestimmungen und unbestimmter Begriffe auf dem Gebiet des Steuerrechts zur Verhütung rechtswidriger Steuerumgehung nicht ausschließt. Die Rechtssicherheit ist gegen andere Wertentscheidungen des Rechtssystems abzuwägen. Das Steuerrecht darf nicht eine Art rechtlicher Wilder Westen werden, in dem praktisch jedes opportunisti-

__________ 64 Hierzu Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (868 f.) – am Beispiel der EuGH-Urteile in den Rechtssachen Kefalas und Diamantis. 65 Ausführlich Sieker, Umgehungsgeschäfte – Typische Strukturen und Mechanismen ihrer Bekämpfung, Tübingen 2001, S. 12 ff. Zutreffend auch Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, Heidelberg 1980, S. 226 ff. – mit dem Hinweis, dass hier Unvereinbares miteinander in Beziehung gesetzt wird. „Denn in den Fällen, die die Vorschrift treffen will, wird typischerweise weder ein subjektives Freiheitsrecht missbraucht, noch wird dadurch, dass die steuerrechtsanwendenden Stäbe der Eigenqualifikation des Steuerpflichtigen nicht folgen, die rechtsgeschäftliche Privatautonomie tangiert. Die Formel vom Missbrauch bürgerlich-rechtlicher Gestaltungsformen ist verfehlt, weil sie zumindest assoziativ jenes Verhältnis von Freiheit und Bindung, wie es sich im Privatrecht entwickelt hat, auf steuerliche Sachverhalte überträgt …“ 66 Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (870). 67 Siehe auch Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1272: Es gelte, für künftige Fälle eine geordnete Konzeption zu entwickeln. 68 EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax, EuGHE 2006, I-1609; ausführlich hierzu P. Fischer, Gedanken zum Gesamtplan im deutschen und europäischen Recht, FR 2006, 297.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken sche Verhalten zu tolerieren ist, solange es im Einklang mit einer streng formalistischen Auslegung der einschlägigen Bestimmungen steht und der Gesetzgeber nicht ausdrücklich Maßnahmen ergriffen hat, um dieses Verhalten zu unterbinden.“

Die Begründung der dies in der Sache bestätigenden Antwort des EuGH weist auf das Dogmatikdefizit seiner Rechtsprechung hin. Auch der EuGH (Rz. 68 f.) befürwortet ein „Missbrauchsverbot“ als allgemeines Prinzip: Es sei daran zu erinnern, „dass nach ständiger Rechtsprechung eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt ist. … Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts kann nämlich nicht so weit gehen, dass die missbräuchlichen Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt werden, d. h. diejenigen Umsätze, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen.“

Als Belegstellen für den ersten Satz bezieht sich der EuGH auf Entscheidungen, die sich mit dem institutionellen Rechtsmissbrauch befassen wie die Urteile in den Rechtssachen Kefalas und Diamantis69, ferner auf das Urteil in der Rechtssache Fini H70, wo mit dem Hinweis auf eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht – vermutlich in Anbetracht einer Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse – der Vorsteuerabzug für private Nutzung angemieteter Räume ausgeschlossen werden soll: Es sei „jedenfalls Sache des nationalen Gerichts, den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu verweigern, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass dieses Recht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise geltend gemacht wird.“ In dem EuGH-Urteil v. 11.10.197771 in der Rechtssache Cremer, das den zweiten Satz des vorstehenden Zitats belegen soll, werden – eher beiläufig – „missbräuchliche Praktiken eines Exporteurs unter Ausnutzung der für die Berechnung der Erstattungen vorgenommenen pauschalen Beurteilung“ angesprochen. Das weiterhin zitierte EuGH-Urteil v. 3.3.199372 in der Rechtssache General Milk Products spricht die Sachverhaltsvariante an, dass die Einfuhr und die Wiederausfuhr von Cheddar-Käse „nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt wurden, die Gewährung von Währungsausgleichsbeträgen missbräuchlich auszunutzen“. Die tatsächliche Prüfung, „ob es sich um ein Scheingeschäft gehandelt hat“, falle – so der EuGH – in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts. Um eine Scheinausfuhr bzw. einen gesamtplanmäßigen Reimport mittels kurzfristig hinter der Grenze geparkter Lastkraftwagen ging es im Urteil v. 14.12.200073 in der Rechtssache Emsland-Stärke. Das hierzu beurteilende „künstliche Handelsge-

__________ 69 EuGH v. 12.5.1998 – Rs. C-367/96 – Kefalas u. a., EuGH 1998, I-2843 – Rz. 20; EuGH v. 23.3.2000 – Rs. C-373/97 – Diamantis, EuGHE 2000, I-1705 – Rz. 33. 70 EuGH v. 3.3.2005 – Rs. C-32/03 – Fini H, EuGHE 2005, I-1599. 71 EuGH v. 11.10.1977 – Rs. 125/76 – Cremer, EuGHE 1977, 1593 – Rz. 21. 72 EuGH v. 3.3.1993 – Rs. C-8/92 – General Milk Produts, EuGHE 1993, I-779. 73 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-110/99 – Emsland-Stärke, EuGHE 2000, I-11569.

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schäft“74 unterliegt in der Tat dem Verdacht des Scheingeschäfts.75 Gleichwohl stützt sich der EuGH nicht mehr auf diesen Gesichtspunkt, sondern sieht diese Gestaltung als rechtmissbräuchlich an. In der Rechtssache Halifax (Rz. 70) wird hieraus gefolgert: „Dieses grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken gilt auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer.“ Allerdings (Rz. 72 ff.) erfordern der Grundsatz der Rechtssicherheit und das Recht des Steuerpflichtigen, „seine Tätigkeit so zu gestalten, dass er seine Steuerschuld in Grenzen hält“, „auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis zum einen, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Zum anderen muss auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Denn wie der Generalanwalt … ausgeführt hat, ist das Missbrauchsverbot nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung von Steuervorteilen.“

Der EuGH fährt fort (Rz. 76): Es ist Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts – soweit dadurch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nicht beeinträchtigt wird – festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines missbräuchlichen Verhaltens im Ausgangsverfahren erfüllt sind. Hierzu nimmt er „Klarstellungen“ für das vorlegende Gericht vor, „um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben“, indem er den Zweck des Vorsteuerabzugs herausarbeitet. Weiterhin (Rz. 81) sei es Sache des nationalen Gerichts, „den tatsächlichen Inhalt und die wirkliche Bedeutung der fraglichen Umsätze festzustellen“. Dabei könne es „den rein willkürlichen Charakter dieser Umsätze sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen, die in den Steuersparplan einbezogen sind“. Diese nachdrücklichen teleologisch-systematischen Vorgaben des EuGH zum Vorsteuerabzug lassen es als fraglich erscheinen, welche good business reasons der EuGH als umsatzsteuerrechtlich salvierend anerkennen würde. Sind die Umsätze und die Einschaltung von Zwischengesellschaften als solche willkürlich, stellt sich die Frage, wieso es dem Steuerpflichtigen erlaubt sein sollte,

__________ 74 Siehe auch EuGH v. 10.1.1983 – Rs. C-229/83 – Leclerc / Au blé vert, EuGHE 1985, I-35: In Frankreich verlegte Bücher wurden nach Belgien ausgeführt und sofort wieder eingeführt, um die französische Buchpreisbindung zu unterlaufen. Siehe hierzu mit weiteren Nachweisen aus der Judikatur des EuGH Schön, Der „Rechtsmissbrauch“ im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS für Herbert Wiedemann, 2002, S. 1271 ff., 1274; Fleischer, Der Rechtsmissbrauch zwischen Gemeineuropäischem Privatrecht und Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 865 (870). 75 Ausführlich P. Fischer, Gedanken zum Gesamtplan im deutschen und europäischen Recht, FR 2006, 297 (300).

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

mit Erwägungen zur Zuordnung von Vermögen, mit gesellschafts-, bankenaufsichts- und insolvenzrechtliche Gründen, die unschwer zu finden sind, geeignet sein könnten, die Normativität des Mehrwertsteuersystems und den Zweck des Vorsteuerabzugs auszuhebeln. Eine weitere Frage bleibt offen: Ist die „Verhinderung der Gesetzes- und Steuerumgehung“ nicht nur ein norminspirierendes Prinzip76, sondern ein gemeinschaftsrechtlicher Grundsatz77, ist es zwingend, dass der EuGH dessen Voraussetzungen und Konturen festlegt. Europäisches Primär- und Sekundärrecht einerseits und mitgliedstaatliches Recht andererseits sind getrennte Rechtskreise, die eine Verhinderung der Umgehung – jedenfalls im rechtlichen Ausgangspunkt – selbst organisieren müssen. Die Vorstellung, dass eine nationale Norm wie § 42 AO mit „Steuergesetz“ eine europäische Steuernorm wie insbesondere eine Mehrwertsteuerrichtlinie meinen könnte, ist nicht akzeptabel, weil mitgliedstaatliche Disparitäten dem Harmonisierungsauftrag zuwider laufen und die Effektivität des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen würden. Auch ist die Aussage des BFH, § 42 AO normiere „einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der nach der Rechtsprechung des EuGH auch im Mehrwertsteuerrecht gilt“78, zumindest missverständlich, denn der EuGH kann nur die Richtlinie auslegen, aber keine Aussage zu Inhalt und Reichweite einer nationalen Norm treffen. Bedenkenswert ist freilich der Vorschlag von Helmut Lecheler, der EuGH möge sich bei der Entwicklung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen „auf das wirklich Unabdingbare beschränken und den unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen einen ihnen gebührenden Respekt zeigen“. In dieser Hinsicht wäre zu wünschen, dass sich der EuGH „in wertender Rechtsvergleichung“79 nicht an irgendeinem rechtsethischen Minimum, sondern u. a. an der angelsächsischen substance-over-form-Doktrin orientiert. 3. Das EuGH-Urteil v. 5.7.2007 – Rs. C-321/05 – Hans Markus Kofoed Das EuGH-Urt. v. 5.7.200780 betrifft, soweit vorliegend einschlägig, die Anwendung der Missbrauchsklausel des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 90/ 434/EWG. Der EuGH führt unter Bezugnahme auf seine Urteile in den Rechts-

__________ 76 Schilling, Bestand und allgemeine Lehren der bürgerschützenden allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, EuGRZ 2000, 3 ff. (38 ff.) – Verbot des Missbrauchs. 77 Lecheler, Der Beitrag der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Europäischen Integration, ZEuS 2003, 337 ff. (343 ff.). 78 BFH v. 9.11.2006 – V R 43/04, BStBl. II 2007, 344 – Vorsteuerabzug beim sog. Sparkassen- oder Bankenmodell. Andererseits trifft die Aussage dieses Urteils zu, dass § 42 AO 1977 keine Sondermaßnahme i. S. d. Art. 27 der 6. EG-Richtlinie 77/388/ EWG darstellt. 79 Lecheler, Der Beitrag der allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Europäischen Integration, ZEuS 2003, 337 ff. (352). 80 EuGH v. 5.7.2007 – Rs. C-321/05 – Hans Markus Kofoed, www.curia.europa.eu/de.

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sachen Centros81, Halifax82, Agip Pretroli83 und Cadbury Schweppes84 aus: Diese Bestimmung „spiegelt … den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wider, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist. Die betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf die Normen des Gemeinschaftsrechts ist nicht gestattet. Die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken, d. h. Vorgänge geschützt werden, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs, sondern nur zu dem Zweck durchgeführt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen …“

Die Besonderheit des zu beurteilenden Falles lag darin, dass Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Richtlinie 90/434/EWG nicht in das dänische Recht umgesetzt worden war. Die Antwort des EuGH ist nicht eindeutig. Zum einen weist er darauf hin, dass es der Grundsatz der Rechtssicherheit verbiete, dass Richtlinien selbst Verpflichtungen für Einzelne begründen können. Darüber hinaus erfordere die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht „nicht unbedingt“ ein gesetzgeberisches Tätigwerden in jedem Mitgliedstaat, „soweit die sich aus den nationalen Umsetzungsmaßnahmen ergebende Rechtslage so hinreichend bestimmt und klar ist, dass die betroffenen Einzelnen Kenntnis vom Umfang ihrer Rechte und Pflichten erlangen können“. Außerdem könne der Umsetzung einer Richtlinie „in bestimmten Fällen (je nach ihrem Inhalt) bereits durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein“, so dass eine förmliche, ausdrückliche Übernahme von Richtlinienbestimmungen in spezifische nationale Rechtsvorschriften nicht erforderlich sei. „Der Natur der Sache nach“ sind allgemeine Rechtsgrundsätze auch dann unmittelbar geltendes Recht, wenn sie nicht in nationalstaatliches Recht umgesetzt worden sind. Offensichtlich scheut der EuGH davor zurück, das Verbot der Gesetzes- und Steuerumgehung als allgemeinen Grundsatz des Europarechts zu etablieren; stattdessen schiebt er den „Schwarzen Peter“ den Mitgliedstaaten zu. 4. Das EuGH-Urteil v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes Selbstredend stellt es keinen „Missbrauch der Niederlassungsfreiheit“ dar, wenn eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat zu dem alleinigen Zweck gründet und mit Kapital ausstattet, um in den Genuss eines dort geltenden günstigeren Steuersystems zu gelangen (Rz. 34) oder ein bestehendes Steuergefälle auszunutzen. Das Ausnutzen eines Steuergefälles innerhalb der EU mittels realer Mobilität ist zuvörderst ein politisches Problem.85 Andererseits kann eine nationale

__________ 81 82 83 84

EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97 – Centros, EuGHE 1999, I-1459 – Rz. 24. EuGH v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax u. a., EuGHE 2006, I-1609 – Rz. 68 und 69. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-456/04 – Agip Petroli, EuGHE 2006, I-3395 – Rz. 19 und 20. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 35. 85 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 55.

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, gerechtfertigt sein, „wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen“ (Rz. 51).86 Dem EuGH geht es darum, „Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird“ (Rz. 55). Damit soll das Recht der Mitgliedstaaten geschützt werden, „ihre Steuerzuständigkeit in Bezug auf die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten auszuüben“. Die „Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten“ soll „gewahrt bleiben“ (Rz. 56).87 Der nationale Steuerstaat ist berechtigt, „Praktiken entgegenzuwirken, deren einziges Ziel darin besteht, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird“ (Rz. 59). Andererseits gilt es, die „wirtschaftliche Realität“ (Rz. 65) eines Outsourcing in einen anderen Mitgliedstaat anzuerkennen. „Diese Gründung muss mit einer tatsächlichen Ansiedlung zusammenhängen, deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat nachzugehen“ (Rz. 66) und darf nicht lediglich eine „fiktive Ansiedlung“ sein, „die keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats entfaltet“ (Rz. 68). „Dergleichen könnte insbesondere bei einer Tochtergesellschaft der Fall sein, die eine ‚Briefkastenfirma’ oder eine ‚Strohfirma’ ist“ (Rz. 68). Entsprechende objektive Feststellungen müssen sich „u. a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen“ (Rz. 67). Von „wirtschaftlich beachtlichen Gründen“, welche eine hiernach anzunehmende „künstliche“ und folglich rechtsmissbräuchliche Gestaltung salvieren könnte, ist nicht mehr die Rede. Damit bestätigt der EuGH das Recht eines Mitgliedstaats „auf Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten“88. Auch das EuGH-Urteil v. 12.7.200789 will der Gefahr Rechnung tragen, dass die steuerpflichtigen Einkünfte einer Tochtergesellschaft „durch rein künstliche Gestaltungen“ der Besteuerung ganz oder teilweise entzogen werden.

__________ 86 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 51 m. w. N. 87 Siehe auch EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants, IStR 2007, 249 = RIW 2007, 469 – Rz. 74: Bestimmte missbräuchliche Verhaltensweisen können „das Recht der Mitgliedstaaten in Gefahr bringen, ihre Steuerzuständigkeit in Bezug auf die in ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten auszuüben, und so die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen …“ 88 EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, BStBl. II 2007, 492 – Rz. 42; EuGH v. 12.7.2007 – Rs. C-231/05 – OY AA, www.curia.europa.eu/de – Rz. 54. 89 EuGH v. 12.7.2007 – Rs. C-231/05 – OY AA, www.curia.europa.eu/de – Rz. 58.

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Diese Aussagen des EuGH revolutionieren die bisherige steuerrechtliche Sicht der sog. Basisgesellschaften. Man könnte pointiert sagen: Ein halbes Jahrhundert Bemühungen um eine fallgruppenbezogene Anwendung der § 6 StAnpG bzw. § 42 AO sowie die Normierung einer Hinzurechnungsbesteuerung im Außensteuergesetz90 – nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers ein Instrument der Bekämpfung des Missbrauchs91 – waren „eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne“ (Buch des Predigers Salomo II 11). Freilich haben die zitierten Aussagen des EuGH eine kompetenzrechtlich begrenzte Bedeutung: Die Mitgliedstaaten sind in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen dafür zuständig, „die Kriterien für die Aufteilung ihrer Besteuerungsbefugnis vertraglich oder einseitig festzulegen“92. Die nationalen Steuerstaaten sind es, welche die steuerschuldrechtliche Anknüpfung an das eigene Territorium bestimmen, indem sie die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ansässigkeit festlegen. Diese Festlegung kann freilich auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europarecht überprüft werden. In diesem Zusammenhang habe ich vorgeschlagen, die Markteinkommenstheorie zu ergänzen durch eine Theorie der wirtschaftlichen Substanz, die anknüpft an eine tatsächliche Wirtschaftstätigkeit und substantielle wirtschaftliche Präsenz der Körperschaft. Zurechnungssubjekt des steuerlichen Handlungstatbestands kann hiernach nur derjenige sein, der über eine rechtlich und organisatorisch verfasste unternehmerische Substanz sowie über unternehmensbezogenes Know-how verfügt, mit denen die fraglichen Leistungen erbracht werden können und auch erbracht werden.93 Dies stimmt inhaltlich überein mit den Zurechnungskriterien, die Generalanwalt Léger94 in seinen

__________ 90 Zur österreichischen Position M. Lang, Österreich auf dem Weg zu einem eigenen Außensteuergesetz?, in FS des Fachsenats für Steuerrecht zum 50-Jahr-Jubiläum der Kammer für Wirtschaftstreuhänder, 1998, S. 277 ff., 280 f. 91 „Oasenbericht“ der Bundesregierung, BT-Drucks. IV/2114, Abschn. II.; BT-Drucks. 12/1506, 350. 92 Zuletzt EuGH v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerkhaert und Morres, EuGHE 2006, I-10967 – Rz. 22 und 23; EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants, IStR 2007, 249 = RIW 2007, 469 – Rz. 49; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-231/05 – OY AA, www.curia.europa.eu/de – Rz. 52 m. w. N. 93 P. Fischer, Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht, in FS für Arndt Raupach, Köln 2006, S. 355 ff.; P. Fischer, Zum Streit zwischen „Außentheorie“ und „Innentheorie“ – am Beispiel des Erkenntnisses des österr. VwGH zu „Briefkastengesellschaften in der irischen IFSC-Steueroase“, FR 2005, 585; M. Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht im Lichte von Halifax und Cadbury Schweppes, SWI 2006, 273 f.; unter Hinweis auf die Gutachten (Tanzer) und Referate (Gassner, Fischer) für den 15. Österr. Juristentag 2003, Bd. III/2, 2004. 94 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 100 ff.; hierzu M. Lang, Rechtsmissbrauch und Gemeinschaftsrecht im Lichte von Halifax und Cadbury Schweppes, SWI 2006, 273 (277 ff.). Es wird die Auffassung vertreten, der EuGH habe das von Generalanwalt Léger vorgeschlagene Kriterienbündel nicht übernommen; so z. B. Böing, Der Begriff des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, EWS 2007, 55 (60). Allerdings hat der EuGH diese Konkretisierung des „Künstlichen“ auch nicht ausdrücklich abgelehnt, sondern in Rz. 67 ff. der

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Überlegungen zum fraus-legis-Gedanken

Schlussanträgen in der Rechtssache Cadbury Schweppes – der Sache nach – als europarechtlichen Korridor für eine national-steuerschuldrechtliche Anknüpfung des Steueranspruchs an das Inland vorgeschlagen hat: materielle Präsenz der Tochtergesellschaft, Echtheit der ausgeübten Tätigkeit, wirtschaftlicher Wert dieser Tätigkeit für die Muttergesellschaft. In diese Richtung – „tatsächliche Wirtschaftstätigkeit und substantielle wirtschaftliche Präsenz“ – weist auch der EU-Verhaltenskodex (Abschn. B 3).95 Die sog. Hilversum-Rechtsprechung des I. Senats des BFH96 dürfte damit vom EuGH ad acta gelegt worden sein.97 Die zu entwickelnden „Substanz“-Kriterien98 sind individuell-funktionsbezogen99 sowie unterschiedslos auf ansässige und nichtansässige Unternehmen100 anzuwenden. Die Gestaltung darüber hinaus101 einem „wirtschaftlichen Motivtest“ (commercial purpose test) zu unterziehen, dürfte den hierfür nicht kompetenten Rechtsanwender überfordern; es ist auf die Kritik von Wolfram Reiß aus dem Jahre 1988 zu verweisen (oben II 1).102 Der Gesetzgeber des § 50d Abs. 3 EStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 2007 ist mit der Normierung des Tatbestandsmerkmals „Fehlen wirtschaftlicher oder außersteuerlicher Gründe“ einem fundamentalen Irrtum erlegen, der nunmehr durch die im Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 vorgeschlagene Änderung des § 42 AO potenziert werden soll. Die steuerschuldrechtliche Anknüpfung eines

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Entscheidungsgründe mit der Formulierung „u. a.“ die Feststellung weiterer objektiver Umstände offen gelassen. Eine Begrenzung auf Briefkasten- und Strohmannfirmen ist nicht ersichtlich. ABl. EG Nr. C 2 v. 6.1.1998, 1 ff. Hierzu Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 207, 232 ff. BFH v. 31.5.2005 – I R 74/04, BStBl. II 2006, 118; hierzu Lieber, Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung bei Zwischenschaltung einer funktionslosen Holdinggesellschaft, IWB 2006/12, Fach 3, Gruppe 3, S. 1433. Anders Musil, Spielräume des deutschen Gesetzgebers bei der Verhütung grenzüberschreitender Steuerumgehung, RIW 2006, 287. Der BFH ist zwar „zu gemeinschaftsrechtlich haltbaren“ Ergebnissen gelangt, er hat aber den nationalstaatlich-steuerschuldrechtlichen Rahmen nicht ausgeschöpft. Die steuerschuldrechtlichen Prämissen des BFH waren unzutreffend; es trifft entgegen Böing nicht zu, dass die Rechtsprechung des BFH zur der des EuGH „parallel“ laufe, vgl. Böing, Der Begriff des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, EWS 2007, 55 (60). Es ist davon auszugehen, dass die Verwaltung eine neue Serie von DublinDock-Urteilen erstreiten wird; s. Hahn, Bemerkungen zum EuGH-Urteil „Cadbury Schweppes“, IStR 2006, 667 (670). Zu den wesentlichen Fallkonstellationen Eilers, Substanzerfordernis an ausländische Finanzierungsgesellschaften, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 325 ff. Zutreffend Eilers, Substanzerfordernis an ausländische Finanzierungsgesellschaften, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 325, 327 ff. Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS für Franz Wassermeyer, München 2005, S. 207, 239. So Böing, Der Begriff des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, EWS 2007, 55 (61). In dieser Hinsicht kritisch Drüen, Unternehmensumstrukturierung als Steuerumgehung?, DStZ 2006, 539 (543).

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Peter Fischer

Steueranspruchs an das Inland ist der Anwendung der DBA vorgelagert103, so dass sich die zumeist ohne ausreichende steuerschuldrechtliche Erdung erörterten Fragen nach Zulässigkeit eines treaty shopping nicht stellen.

V. Ausblick Wolfram Reiß hat ein durch fachliche Breite und dogmatischen Tiefgang beeindruckendes wissenschaftliches Werk geschaffen. Mit seinen Beiträgen zum fraus-legis-Gedanken steht er in der Tradition von Albert Hensel, der rechtsstaatlich und steuerethisch Richtungweisendes auch zur Steuerumgehung beigetragen hat. Es ist hervorzuheben, dass Reiß seine Vision von einem gerechten Steuerrecht gradlinig auch gegen übermächtig scheinende herrschende Meinungen verficht. Nicht zuletzt deswegen ist Reiß ein würdiger Träger des Albert-Hensel-Preises, der ihm für seine Bonner Habilitationsschrift „Besteuerungsverfahren und Strafverfahren – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung des Grundsatzes nemo tenetur se ipsum prodere im Besteuerungsverfahren“ verliehen worden ist. Das Preisgeld hat er für einen humanitären Zweck gespendet.

__________ 103 Jeder Steuerstaat sichert durch steuerschuldrechtliche Zurechnung die innerstaatliche Anknüpfung eines im Inland verwurzelten (radizierten) Besteuerungsobjekts – durch Anwendung des § 2 EStG oder spezialgesetzlich durch Hinzurechnungsbestimmungen. Siehe auch BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235 – unter II 2, mit Nachweisen der Literatur; vgl. auch öVwGH v. 10.12.1997 – 93/13/0185, ÖStZB 1998, 566.

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W. Christian Lohse

Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht – am Beispiel von Steuerbetrug, -umgehung und -missbrauch sowie ähnlichen Begriffen

Inhaltsübersicht I. Einführung II. Ältere Rechtsgrundlagen 1. Mehrwertsteuer 2. Amtshilfe im Steuerrecht 3. Körperschaftsteuer 4. Verbrauchsteuern III. Neuere Rechtsgrundlagen mit teilweise veränderter Rechtsterminologie 1. Amtshilfe im Mehrwert- und Verbrauchsteuerrecht

2. Ertragsteuern 3. Verbrauchsteuern 4. Mehrwertsteuer IV. Die Terminologie des EuGH 1. Mehrwertsteuer 2. Direkte Steuern 3. Gesellschaftsteuer V. Schlussbemerkungen zur deutschen Steuerrechtsentwicklung VI. Fazit

I. Einführung Das steuerliche1 Sekundärrecht der EU verwendet die Tatbestandsmerkmale Steuerhinterziehung, Steuerumgehung, Steuermissbrauch, Steuervermeidung, Steuerbetrug und Steuerflucht, ohne dass diese Begriffe gegeneinander abgegrenzt oder definiert werden. Daneben ist im deutschen Fachschrifttum der Missbrauchsbegriff in einem weiteren Sinne als Oberbegriff für die vorgenannten Tatbestandsmerkmale nicht ungebräuchlich.2 Es ist an der Zeit, aus Gründen der Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und Systematik etwas Ordnung in diese Begriffsvielfalt zu bringen. Das gemeinschaftsrechtliche Ergebnis widme ich Wolfram Reiß, der sich bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit diesen Grundsätzen stets besonders verpflichtet fühlt. Die Wahl eines Themas zu „Sprache und Recht“ bot sich mir auch als Dank dafür an, dass Wolfram Reiß wesentlich zu meiner Antrittsvorlesung „Sprachenvielfalt und einheitliche Rechtsanwendung in der EG“3 beigetragen hat.

__________ 1 Zollrechtliche Vorschriften werden in diesem Beitrag nicht berücksichtigt, weil – im Gegensatz zu § 3 Abs. 3 AO – Zölle nicht unter den Steuerbegriff des EG-Vertrags fallen. 2 Siehe z. B. Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverhütung aus EG-rechtlicher Sicht, FS für Wassermeyer, München 2005, S. 207; Böing, Steuerlicher Gestaltungsmissbrauch in Europa, Diss. Münster 2006; Böing, Der Begriff des steuerlichen Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, EWS 2007, 55; Hahn, Zu Inhalt und Funktion des Begriffs des Gestaltungsmissbrauchs im Gemeinschaftsrecht, IStR 2007, 323. 3 Lohse, UR 2002, 393.

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II. Ältere Rechtsgrundlagen 1. Mehrwertsteuer Soweit ersichtlich, enthielt das steuerliche Sekundärrecht zum ersten Mal im Mehrwertsteuerrecht den Begriff der Steuerhinterziehung. Art. 13 Abs. 1 der 2. MwSt-RL4 eröffnete den Mitgliedstaaten, die dies für notwendig hielten, die Möglichkeit und ein Verfahren, „in Ausnahmefällen Sondermaßnahmen zu treffen, um Steuererhebungen zu vereinfachen und bestimmte Steuerhinterziehungen zu verhindern“. Nach Art. 13 Abs. 3 der 2. MwSt-RL konnte der Rat über beantragte Abweichungen „zur Verhinderung der Steuerhinterziehungen“ sogar nur „mit qualifizierter Mehrheit“ entscheiden. Die Erweiterung der Begriffswelt auf den heute noch sachlich maßgeblichen Umfang brachte die 6. MwSt-RL5. Zunächst erweiterte Erwägungsgrund 17 der 6. MwSt-RL die Möglichkeit von Abweichungsmaßnahmen auf die Verhütung von Steuerumgehungen. Daher wurde als Nachfolgevorschrift des Art. 13 der 2. MwSt-RL der Artikel 27 in die 6. MwSt-RL aufgenommen, dessen Absatz 1 Satz 1 lautet: „Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern.“

Neben dieser Regelung gestattete der Eingangssatz vieler Steuerbefreiungen6 der 6. MwSt-RL den Mitgliedstaaten, die Steuerfreiheit von Bedingungen abhängig machen, die sie „zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen7 Missbräuchen“ festlegen. Im Mehrwertsteuerrecht enthalten außerdem die 8. MwSt-RL8 und die 13. MwSt-

__________ 4 (Zweite) Richtlinie 67/228/EWG des Rates v. 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, ABl. EG Nr. 71 v. 14.4.1967, 1303. 5 Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates v. 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. EG Nr. L 145 v. 13.6.1977, 1. 6 Siehe Eingangssätze von Art. 13 Teile A und B, Art. 14 Abs. 1 und Art. 15 sowie Art. 28c Teile A, B und D der 6. MwSt-RL. 7 Dieser Begriff bezieht sich auch auf die davor stehenden Tatbestände Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen. Dies ergibt sich aus der englischen (preventing any possible evasion, avoidance or abuse) und französischen (prévenir toute fraude, évasion et abus éventuels) Richtlinienfassung. In dem in Abschnitt III 4 abgedruckten Art. 131 MwStSystRL, der Nachfolgevorschrift der Eingangssätze, ist er zu Recht entfallen, allerdings nur in der deutschen Sprachfassung. 8 Achte Richtlinie 79/1072/EWG des Rates v. 6.12.1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige, ABl. EG Nr. L 331 v. 27.12.1979, 11 – aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Steuergesetze Nr. 552.

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RL9 jeweils einen Erwägungsgrund mit folgendem Wortlaut: „Bestimmte Formen der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung müssen vermieden werden.“ In Art. 3 Abs. 1 Satz 4 der 13. MwSt-RL wird dies dadurch konkretisiert, dass die Mitgliedstaaten den Erstattungsantragstellern aus Drittstaaten Pflichten auferlegen dürfen, „die erforderlich sind, um Steuerhinterziehungen zu vermeiden“. Schließlich bezeichnet im Mehrwertsteuerrecht der Erwägungsgrund 8 Gold-RL10 den „Mechanismus der Verlagerung der Steuerschuld“ auf den Erwerber bestimmter Goldprodukte als Beitrag „zur Vorbeugung von Steuerhinterziehungen“. Den Begriffen Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Steuermissbrauch stehen in den englischen und französischen Sprachfassungen der vorstehenden Mehrwertsteuervorschriften einheitlich grundsätzlich folgende Begriffe gegenüber: deutsch

französisch

englisch

Steuerhinterziehung

fraude

evasion

Steuerumgehung

évasion

avoidance

Steuermissbrauch

abus

abuse

Zu beachten ist dabei allerdings, dass in den englischen Sprachfassungen des Art. 13 der 2. MwSt-RL und des Art. 3 der 13. MwSt-RL sowie des Erwägungsgrundes 8 Gold-RL für die Begriffe „Hinterziehung“ im Deutschen und „fraude“ im Französischen nicht „evasion“, sondern „fraud“ als Parallelbegriff verwendet wird. Aus der Existenz einheitlicher Parallelbegriffe in der deutschen und französischen Sprachfassung sowie aus der Zusammengehörigkeit des Art. 3 der 13. MwSt-RL mit dem ihm zugrunde liegenden Erwägungsgrund, der den Begriff evasion enthält, folgt die steuerrechtliche Identität der beiden englischen Tatbestandsmerkmale „fraud“ und „evasion“. 2. Amtshilfe im Steuerrecht Im Sekundärrecht tauchte nach den ersten MwSt-Richtlinien erst im Jahre 197611 ein verwandter Begriff der Hinterziehung auf. Im ersten Erwägungs-

__________ 9 Dreizehnte Richtlinie 86/560/EWG des Rates v. 17.11.1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige, ABl. EG Nr. L 326 v. 21.11.1986, 40 = Beck’sche Textausgabe Steuergesetz Nr. 553. 10 Richtlinie 98/80/EG des Rates v. 12.10.1998 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und Änderung der 6. MwSt-RL – Sonderregelung für Gold, ABl. EG Nr. 281 v. 17.10.1998, 31. 11 Die Gesellschaftsteuer-Richtlinie (ABl. EG Nr. L 249 v. 17.7.1969) enthielt noch keine ausdrückliche Bestimmung, die die Mitgliedstaaten ermächtigt, allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, -umgehung und -missbrauch zu treffen; siehe EuGH, Urt. v. 8.11.2007 – Rs. C-251/06 – Ing. Auer, www.curia.europa. eu/de – Rz. 39 f.

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grund der zunächst nicht für Steuern erlassenen Beitreibungs-UnterstützungsRichtlinie12 wird festgestellt, dass durch die Beschränkung der nationalen Beitreibungsvorschriften auf das jeweilige Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten „betrügerischen Praktiken Vorschub geleistet wird“. Daher ist es nach dem Erwägungsgrund 2 Beitreibungs-Unterstützungs-RL „erforderlich, gemeinschaftliche Regeln zur gegenseitigen Unterstützung bei der Beitreibung zu erlassen.“ Die Parallelbegriffe13 der betrügerischen Praktiken lauten in der französischen Sprachfassung des Erwägungsgrundes 1 Beitreibungs-Unterstützungs-RL „opérations frauduleuses“ und in der englischen Sprachfassung „fraudulent operations“. Die im Folgejahr 1977 erlassene Amtshilfe-Richtlinie14 beklagt in ihrem ersten und dritten Erwägungsgrund, dass die „Praktiken der Steuerhinterziehung und Steuerflucht über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinaus“ das Funktionieren des gemeinsamen Marktes beeinträchtigen und dass die bilaterale Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen nicht ausreicht, „um die neuen Formen der Steuerhinterziehung und der Steuerflucht wirksam einzudämmen“. Der zweite Erwägungsgrund weist darauf hin, dass der Rat daher bereits am 10.2.1975 eine Entschließung „zur Bekämpfung der internationalen Steuerflucht und Steuerumgehung angenommen“ habe. Für die beiden deutschen Begriffspaare „Steuerhinterziehung und der Steuerflucht“ und „Steuerflucht und Steuerumgehung“ stehen in der englischen und französischen Sprachfassung der vorstehenden Erwägungsgründe jeweils einheitlich französisch: „la fraude et l’évasion“ und englisch: „evasion and avoidance“. Daraus folgt, dass der Begriff Steuerflucht in den beiden deutschen Begriffspaaren nicht nur unrichtig, sondern auch durch unterschiedliche Begriffe zu berichtigen ist. Im ersten Begriffspaar (des ersten und dritten Erwägungsgrundes) ist er in Anlehnung an die Terminologie der Gegenüberstellung in Abschnitt II 1 durch Steuerumgehung zu ersetzen. Eine solche Ersetzung würde im zweiten Erwägungsgrund zu einem sinnlosen Nebeneinander von „Steuerumgehung und Steuerumgehung“ führen. Daher ist darin „Steuerflucht“ in Anlehnung an fraude im Französischen und evasion im Englischen durch Steuerhinterziehung zu ersetzen.

__________ 12 Richtlinie 76/308/EWG des Rates v. 15.3.1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen, ABl. EG Nr. L 73 v. 19.3.1976, 18. Der heutige Titel der Richtlinie bezieht sich auch auf alle Steuern, siehe aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Zölle und Verbrauchsteuern Nr. 510. 13 Zur Gleichwertigkeit aller Sprachfassungen des Gemeinschaftsrechts siehe EuGH, Urt. v. 6.10.1982 – 283/81 – C.I.L.F.I.T., EuGHE 1982, 3415. 14 Richtlinie 77/799/EWG des Rates v. 19.12.1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, ABl. EG Nr. L 336 v. 27.12.1977, 15. Der Anwendungsbereich erstreckt sich heute auch auf Steuern auf Versicherungsprämien, siehe aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Zölle und Verbrauchsteuern Nr. 520. Die zwischenzeitliche Anwendung der Amtshilfe-Richtlinie auf indirekte Steuern ist durch ZusammenarbeitsVerordnungen (siehe Abschnitt III 1) wieder beseitigt worden.

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3. Körperschaftsteuer Im Jahre 1990 begann mit der Fusions-Richtlinie15 und der Mutter-TochterRichtlinie16 die Teilharmonisierung der Körperschaftsteuer für grenzüberschreitende Vorgänge. Die darin enthaltenen Vorschriften zur allgemeinen Verhinderung von Steuerausfällen sind unterschiedlich formuliert. Die FusionsRichtlinie gestattet in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Fusions-RL – in Vollzug des etwas knapper aber ähnlich formulierten (letzten) Erwägungsgrundes 9 FusionsRL – den Mitgliedstaaten die Versagung oder Rückgängigmachung der Steuervorteile für Fusionen, Spaltungen usw., wenn eine solche Gestaltung „als hauptsächlichen Beweggrund oder einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat; vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn einer der genannten Vorgänge nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht.“ Allgemeiner formuliert Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-RL: „Die vorliegende Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen.“ In diesen Richtlinien entsprechen die englischen und französischen Parallelbegriffe von Hinterziehung, Umgehung und Missbrauch denjenigen in der Gegenüberstellung in Abschnitt II 1. Diese gewinnt dadurch an Bedeutung, weil sie sich auch für das Sekundärrecht zu den direkten Steuern als zutreffend und maßgeblich erweist. 4. Verbrauchsteuern Die im Zusammenhang mit der Öffnung des Binnenmarktes zum 1.1.1993 geschaffene Verbrauchsteuerharmonisierung führte bei den Steuerbefreiungen in der Mineralölsteuer-Richtlinie17 und der Alkoholsteuer-Richtlinie18 zu Regelungen, die denen der Eingangssätze der MwSt-Befreiungen ähneln. Nach dem Erwägungsgrund 22 AlkoholSt-RL darf den Mitgliedstaaten „nicht die Möglichkeit genommen werden, Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Mißbrauch im Zusammenhang mit Steuerbefreiungen zu bekämpfen“. Daher können die

__________ 15 Richtlinie 90/434/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 1. Der heutige Titel der Richtlinie bezieht sich auch auf weitere Strukturierungsvorgänge, siehe aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Steuergesetze Nr. 135. 16 Richtlinie 90/435/EWG des Rates v. 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 6; aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Steuergesetze Nr. 2. 17 Richtlinie 92/81/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle, ABl. EG Nr. L 316 v. 31.10.1992, 12. 18 Richtlinie 92/83/EWG des Rates v. 19.10.1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke, ABl. EG Nr. L 316 v. 31.10.1992, 21; aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Zölle und Verbrauchsteuern Nr. 210.

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Mitgliedstaaten nach den Eingangssätzen des Art. 27 Abs. 1 und 2 AlkoholSt-RL die Befreiungen von Bedingungen abhängig machen, die sie „zur Vermeidung von Steuerflucht, Steuerhinterziehung oder Mißbrauch festlegen“. Der entsprechende Eingangssatz für Steuerbefreiungen in Art. 8 MineralölSt-RL gestattet den Mitgliedstaaten Maßnahmen, die sie „zur Verhinderung von Steuerhinterziehung und -vermeidung oder Mißbrauch festlegen“. Es fällt auf, dass die Aufzählung der drei zu verhindernden Handlungen in den beiden deutschsprachigen Regelungen sowohl begrifflich als auch nach ihrer Reihenfolge voneinander abweichen. Demgegenüber ist die Aufzählung in der französischen und englischen Sprachfassung beider Richtlinien identisch. Sie lautet im Französischen jeweils: „fraude, évasion ou abus“ und im Englischen jeweils: „evasion, avoidance or abuse“19. Daraus folgt, dass beide Formulierungen in der deutschen Sprachfassung unrichtig sind. Daher sind die Begriffe Steuerflucht und Steuervermeidung in Anlehnung an die Gegenüberstellung des Abschnitts II 1 durch Steuerumgehung zu ersetzen. Darüber hinaus müssen nach dieser Richtigstellung die drei Begriffe in der Alkoholsteuer-Richtlinie in der Reihenfolge „Steuerhinterziehung, -umgehung oder Missbrauch“ gelesen werden.

III. Neuere Rechtsgrundlagen mit teilweise veränderter Rechtsterminologie Seit etwa einem Jahrzehnt existieren im Gemeinschaftsrecht Vorschriften zur Verbesserung der Rechtsetzung und zur Gewährleistung von Klarheit und Wirtschaftlichkeit des Sekundärrechts. Dem dient insbesondere die Interinstitutionelle Vereinbarung vom 22.12.1998: gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften20, die zu einem Gemeinsamen Leitfaden für die Abfassung von Rechtstexten (Gemeinsamer Leitfaden) geführt hat. In den anschließend erlassenen Steuerrechtsakten können nur teilweise Verbesserungen festgestellt werden. Teilweise sind Unrichtigkeiten fortgeführt oder sogar neu geschaffen worden. Bedauernd darf an dieser Stelle am Rande vermerkt werden, dass die in den wörtlichen Zitaten dieses Beitrags enthaltenen Begriffe „Bekämpfung, Vorbeugung, Vermeidung, Eindämmung, Verhütung und Verhinderung“ in Bezug auf Hinterziehung usw. ohne Vereinheitlichungstendenz weiter geführt werden.

__________ 19 Dies entspricht den Eingangssätzen für die MwSt-Befreiungen der 6. MwSt-RL. Siehe dazu Abschnitt II 1 und Fn. 7. 20 ABl. EG Nr. C 73 v. 17.3.1999, 1. Dem gleichen Zweck dienen auch die Interinstitutionellen Vereinbarungen vom 20.12.1994 über ein beschleunigtes Arbeitsverfahren für die amtliche Kodifizierung von Rechtstexten (ABl. EG Nr. C 102 v. 4.4.1996, 2) und vom 28.11.2001 über die systematischere Neufassung von Rechtsakten (ABl. EG Nr. C 77 v. 28.3.2002, 1).

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1. Amtshilfe im Mehrwert- und Verbrauchsteuerrecht Durch die Änderungs-Richtlinie 2003/93/EG21 wurde die MehrwertsteuerAmtshilfe aus dem Anwendungsbereich der Amtshilfe-Richtlinie herausgenommen und in einer neuen MwSt-Zusammenarbeits-Verordnung22 geregelt. Erwägungsgrund 1 MwStZusVO entspricht zwar wegen der übereinstimmenden Zielsetzung beider Rechtsakte inhaltlich dem Erwägungsgrund 1 Amtshilfe-RL, lautet jedoch: „Steuerhinterziehung und Steuerumgehung über die Grenze der Mitgliedstaaten hinweg … beeinträchtigen das Funktionieren des Binnenmarktes“. Diese Formulierung weicht von derjenigen in der AmtshilfeRichtlinie zutreffend insofern ab, als in Anlehnung an die französischen und englischen Parallelbegriffe évasion und avoidance nicht mehr von „Steuerflucht“, sondern von „Steuerumgehung“ über die Grenze gesprochen wird. Dies bestätigt die in Abschnitt II 2 vertretene Auffassung, dass der in der AmtshilfeRichtlinie enthaltene Begriff der Steuerflucht vom Umgehungsbegriff umfasst wird und durch diesen zu ersetzen ist. Die Änderungs-Richtlinie 2004/56/EG23 führte zu einer weiteren Änderung der Amtshilfe-Richtlinie, nämlich zur Herausnahme der Verbrauchsteuern aus deren Anwendungsbereich. Der erste Erwägungsgrund dieser Änderungsrichtlinie formuliert als Ziel der Amtshilfe: „Durch die Richtlinie 77/799/EWG … wurden die Grundregeln für die Verwaltungszusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten festgelegt, damit Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufgedeckt und verhindert werden und die Mitgliedstaaten eine korrekte Steuerfestsetzung vornehmen können. Diese Regeln bedürfen dringend der Verbesserung, Ergänzung und Modernisierung.“

Dieser Erwägungsgrund verwendet den Begriff Steuerbetrug anstelle der in den entsprechenden früheren Erwägungsgründen der Amtshilfe-Richtlinie enthaltenen Begriffe Steuerflucht und Steuerumgehung. Hier erscheint eine Berichtigung insofern geboten, als „Steuerbetrug“ durch „Steuerumgehung“ zu ersetzen ist. Die Unrichtigkeit des Betrugsbegriffs ergibt sich nicht nur aus dem Zusammenhang der Änderungs-Richtlinie mit der ursprünglichen Richtlinie, sondern auch wieder aus der französischen Sprachfassung der ÄnderungsRichtlinie. Denn die Parallelbegriffe für „Steuerhinterziehung und Steuerbetrug“ lauten in der französischen Fassung des ersten Erwägungsgrundes dieser Richtlinie „fraude et évasion fiscales“. Darüber hinaus zeigen auch die beiden bereits im Jahre 2003 erlassenen, im nächsten Abschnitt behandelten Richtlinien zur Harmonisierung der Zinsbesteuerung natürlicher und juristischer

__________ 21 Richtlinie 2003/93/EG des Rates v. 7.10.2003 zur Änderung der Amtshilfe-Richtlinie, ABl. EU Nr. L 264 v. 15.10.2003, 23. 22 Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7.10.2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU Nr. L 264 v. 15.10.2003, 1; aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Zölle und Verbrauchsteuern Nr. 530. 23 Richtlinie 2004/56/EG des Rates v. 21.4.2004 zur Änderung der Amtshilfe-Richtlinie, ABl. EG Nr. L 127 v. 29.4.2004, 70.

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Personen, dass Steuerhinterziehung und Steuerbetrug Synonyme sind und ihr Nebeneinander eine Tautologie darstellt. 2. Ertragsteuern Im europäischen Ertragsteuerrecht dürfen nach dem Erwägungsgrund 4 ZinsRL24 „die steuerlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Missbrauch und Steuerhinterziehung“ den in den Art. 56 ff. EG geschützten freien Kapitalverkehr weder diskriminieren noch beschränken. Andererseits darf es aufgrund des Erwägungsgrundes 6 Zins- und Lizenzgebühren-RL25 „den Mitgliedstaaten nicht verwehrt sein, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung von Betrug und Missbrauch zu ergreifen“. Dieser Erwägungsgrund bezieht sich auf Art. 5 Zins- und Lizenzgebühren-RL, der mit „Betrug und Missbrauch“ überschrieben ist und folgende Regelungen enthält: „(1) Diese Richtlinie steht der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Betrug und Missbrauch nicht entgegen. (2) Die Mitgliedstaaten können im Fall von Transaktionen, bei denen der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung, die Steuerumgehung oder der Missbrauch ist, den Rechtsvorteil dieser Richtlinie entziehen bzw. die Anwendung dieser Richtlinie verweigern.“

Die Parallelbegriffe in diesen Zinsvorschriften lauten: Erwägungsgrund 4 RL 2003/48

Überschrift und Art. 5 Abs. 1 RL 2003/49

Art. 5 Abs. 2 RL 2003/49

deutsch

Hinterziehung

Betrug

Hinterziehung

englisch

fraud

fraud

evasion

französisch

fraude

fraude

fraude

Die aus dieser Gegenüberstellung ersichtliche Existenz des einheitlichen französischen Parallelbegriffs fraude für die Begriffe Hinterziehung und Betrug erlauben den Schluss, dass es sich bei diesem Begriffspaar um Synonyme handelt.26 Damit führt der erstmals im Gemeinschaftsrecht mit eigenständiger Bedeutung verwendete Betrugsbegriff zu einer „Mehrdeutschigkeit“, d. h. zu

__________ 24 Richtlinie 2003/48/EG des Rates v. 3.6.2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen (von natürliche Personen), ABl. EG Nr. L 157 v. 26.6.2003, 38. 25 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 157 v. 26.6.2003, 49. 26 So bereits Thömmes, Missbrauch und Missbrauchsverkürzung aus EG-rechtlicher Sicht, in FS Wassermeyer, München 2005, S. 224. Gleiches gilt für das englische Begriffspaar fraud und evasion. Dies wird durch die Gegenüberstellung und die sprachlichen Hinweise auf die englische Terminologie am Ende des Abschnitts II 1 unterstrichen.

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Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht

zwei inhaltsgleichen deutschen Begriffen für ein und denselben Tatbestand, die es zu vermeiden bzw. zu beseitigen gilt.27 3. Verbrauchsteuern In das Jahr 2003 fällt auch die verbrauchsteuerrechtliche Ersetzung und Erweiterung der Mineralölsteuer-Richtlinie durch die Energiesteuer-Richtlinie28. Dabei wurde der Eingangssatz des Art. 8 MineralölSt-RL in den Art. 14 EnergieSt-RL übernommen, ohne den bereits in Abschnitt II 4 als unrichtig entlarvten Begriff „Steuervermeidung“ durch „Steuerumgehung“ zu ersetzen. Der unrichtige Vermeidungsbegriff wurde sogar neu in Art. 20 EnergieSt-RL aufgenommen. Diese Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten zu Meldungen an die Kommission, wenn bestimmte Energieerzeugnisse „Anlass zu Steuerhinterziehung, -vermeidung oder Missbrauch geben“. Insofern entspricht die Energiesteuer-Richtlinie nicht den neuen Rechtsetzungsvorschriften. Der in ihr enthaltene Begriff der Steuervermeidung ist durch „Steuerumgehung“ zu berichtigen. 4. Mehrwertsteuer Die Neukodifizierung des Mehrwertsteuerrechts in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie29 hat die Begriffe der 6. MwSt-Richtlinie grundsätzlich übernommen. Teilweise wird zusätzlich der Tatbestand des Steuerbetrugs anstelle des Hinterziehungsbegriffs neu eingeführt. Die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zu abweichenden Sondermaßnahmen, um „bestimmte Formen der Steuerhinterziehung oder -umgehung zu verhüten“ wird auch im Erwägungsgrund 59 MwStSystRL zugelassen. Dem entspricht die wörtliche Übernahme des Art. 395 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL aus dem in Abschnitt II 1 abgedruckten Art. 27 Abs. 1 Satz 1 der 6. MwSt-RL30. Er steht in einem Abschnitt, der mit „Maßnahmen zur Vereinfachung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung und -umgehung“ überschrieben ist und noch einen weiteren Artikel mit diesen Begriffen enthält. Beide Begriffe

__________ 27 Zur Vermeidung solcher „Mehrdeutschigkeiten“ siehe Lohse, Sprachenvielfalt und einheitliche Rechtsanwendung in der EG – Dargestellt am Beispiel der Umsatz-/ Mehrwertsteuer, UR 2002, 393, Lohse, Europäische Rechtsbegriffe und nationale Begriffspolitik im Mehrwertsteuerrecht, UR 2005, 665. 28 Richtlinie 2003/96/EG des Rates v. 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom, ABl. EU Nr. L 283 v. 31.10. 2003, 51; aktuelle Fassung in Beck’scher Textausgabe Zölle und Verbrauchsteuern Nr. 220. 29 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU Nr. L 347 v. 11.12.2006, 1; in aktueller Fassung deutsch, englisch und französisch mit ergänzenden Hinweisen abgedruckt in Lohse/Peltner, Mehrwertsteuersystem-Richtlinie, Köln 2007 – Sonderdruck aus Rau/Dürrwächter, Kommentar zum UStG. 30 In der amtlichen Entsprechungstabelle des Anhangs XII MwStSystRL ist als Nachfolgevorschrift des Art. 27 der 6. MwSt-RL unrichtig Art. 397 MwStSystRL angegeben.

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findet man auch in den Art. 11 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2 und Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL. In diese Vorschriften sind die Regelungen der 6. MwSt-Richtlinie übernommen worden, die im Jahre 2006 zur „Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung“ geschaffen worden sind. 31 In der Mehrwertsteuersystemrichtlinie beginnen die einzelnen Befreiungsvorschriften nicht mehr – wie in der 6. MwSt-Richtlinie – mit einem Eingangssatz, der den Mitgliedstaaten Bedingungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung usw. gestattet. Vielmehr ist den Steuerbefreiungen des Titels IX in Kapitel 1 die Generalnorm des Art. 131 MwStSystRL mit folgendem Inhalt vorangestellt: „Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“

Diese „strukturelle Verbesserung“ wurde in der Begründung des Richtlinienvorschlags der Kommission32 als Beispiel für die Einhaltung der Rechtsetzungs-Leitlinien bezeichnet. Denn durch die einleitende allgemeine Bestimmung konnten die mehrfach übereinstimmenden Eingangssätze und damit die nach den Leitlinien unerwünschten Wiederholungen beseitigt werden. Ähnlich wie der in Abschnitt II 1 genannte Erwägungsgrund 8 Gold-RL hält es der dem Art. 198 MwStSystRL zugrunde liegende Erwägungsgrund 55 MwStSystRL für gerechtfertigt, Erwerber als Steuerschuldner zu bestimmen, „um Steuerhinterziehungen zu verhindern“. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der englische Parallelbegriff anders als in der Gold-Richtlinie nicht fraud, sondern evasion lautet. Ohne Vorbild in der 6. MwSt-Richtlinie ist in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Begriff des Steuerbetrugs. Er befindet sich in der Überschrift „Verhütung von Wettbewerbsverzerrungen und Steuerbetrug“ über Abschnitt 4 im Kapitel 4, das in Titel XII MwStSystRL die Sonderregelungen für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten enthält. Zu diesem Abschnitt gehört auch Art. 343 MwStSystRL mit folgendem Absatz 1: „Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat zu besonderen Maßnahmen zur Bekämpfung des Steuerbetrugs ermächtigen, nach denen die gemäß der Differenzbesteuerung geschuldete Mehrwertsteuer nicht unter dem Betrag der

__________ 31 Richtlinie 2006/69/EG des Rates v. 24.7.2006 zur Änderung der Richtlinie 77/388/ EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Belämpfung der Steuerhinterziehung oder -umgebung, zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer sowie zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen, ABl. EG Nr. L 221 v. 12.8.2006, 9. 32 KOM (2004) 246 endgültig.

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Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht Steuer liegen darf, die bei Zugrundelegung einer Differenz (Handelsspanne) in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Verkaufspreises geschuldet würde.“33

Ein Vergleich der deutschen Sprachfassung des Art. 343 MwStSystRL und der zugehörigen Überschrift mit den entsprechenden französischen und englischen Sprachfassungen zeigt, dass der Begriff des Steuerbetrugs mit dem bisher im europäischen Steuerrecht üblichen Begriff der Steuerhinterziehung übereinstimmt. Denn die Parallelbegriffe des Steuerbetrugs an diesen beiden Textstellen lauten in der französischen Sprachfassung „fraude“ und in der englischen „evasion“; sie entsprechen damit den aus der Gegenüberstellung des Abschnitts II 1 ersichtlichen Parallelbegriffen der Steuerhinterziehung. Die bereits in Abschnitt III 2 bei der Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie festgestellte „Mehrdeutschigkeit“ hat also auch in die Mehrwertsteuersystemrichtlinie Eingang gefunden.

IV. Die Terminologie des EuGH Bei der Analyse deutschsprachiger EuGH-Rechtsprechung ist zu beachten, dass für jedes Verfahren vor dem EuGH grundsätzlich nur eine der 23 Amtssprachen Verfahrenssprache ist.34 Das in dieser Sprache ergangene Urteil enthält die maßgebliche Fassung. Daher ist in jedem Urteil stets auch die Verfahrenssprache angegeben. Die in den übrigen Sprachen veröffentlichten Urteilsfassungen sind nur Übersetzungen. Für die in deutscher Verfahrenssprache erlassenen Urteile gilt darüber hinaus, dass die Beratungssprache im EuGH französisch ist.35 Jede Entscheidung wird zunächst in dieser Sprache beraten und abgefasst. Daher kommt als Urtext jedes Urteils grundsätzlich zunächst der französische Text in Betracht. Es empfiehlt sich also häufig, sich nicht auf die Lektüre der deutschsprachigen Veröffentlichung zu beschränken. Allerdings ist ein – in der Literatur manchmal anzutreffender36 – Rückgriff auf die englische Fassung eines Urteils selbst dann überflüssig, wenn die Verfahrenssprache englisch war. Denn auch solchen Urteilen liegt ein französischer Urtext zugrunde. Die nachfolgenden Bemerkungen zu einzelnen EuGH-Urteilen sind keine Kritik an den Entscheidungsergebnissen des Gerichtshofs. Sie sollen nur terminologische Entwicklungen aufzeigen und Anregungen für Übersetzungen ins Deutsche zu geben. Anlass dazu ergibt sich aus dem Umstand, dass der EuGH

__________ 33 Eine entsprechende Ermächtigungsmöglichkeit galt bereits nach Art. 3 Richtlinie 94/05/EG des Rates v. 14.2.1994 zur Ergänzung des Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der 6. MwSt-Richtlinie – Sonderregelung für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten, ABl. EG Nr. L 60 v. 3.3. 1994, 16. Sie war jedoch nicht in den Text der 6. MwSt-Richtlinie aufgenommen worden. 34 Art. 29 EuGH-VerfahrensO; aktuelle Fassung in Beck’sche Textausgabe Sartorius II, Internationale Verträge – Europarecht Nr. 250. 35 Teil A Nr. 3 der Hinweise für die Prozessvertreter der Verfahrensbeteiligten für das schriftliche und das mündliche Verfahren vor dem EuGH, www.curia.europa.eu/ de/insit/txtdoefr/artrestxts/txt9/pdf. 36 Z. B. Anm. Burgmaier, UR 2004, 320 – Fn. 23.

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seit dem Jahre 2006 das im Gemeinschaftsrecht allgemein geltende Verbot des Rechtsmissbrauchs37 ausdrücklich und konkret auch in steuerrechtlichen Fällen anwendet.38 1. Mehrwertsteuer Die Entwicklung EuGH-Rechtsprechung zum Mehrwertsteuerbetrug und -missbrauch habe ich bereits an anderer Stelle bis zu den Urteilen Halifax39 und Kittel40 dargestellt.41 Daher kann ich mich hier auf die Folgeentwicklung und auf terminologische Gesichtspunkte beschränken. Die sich in den beiden vorgenannten Urteilen andeutende Abgrenzung zwischen Missbrauch und Steuerbetrug bzw. -hinterziehung wird in der folgenden Rechtsprechung nicht sehr konsequent fortgeführt. Dies zeigt sich auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer im Urteil Planzer42. Darin gestattet der EuGH den deutschen Finanzbehörden unter bestimmten Voraussetzungen die Nachprüfung einer Luxemburger Unternehmerbescheinigung, in der dem Antragsteller einer Vorsteuervergütung die Ansässigkeit in Luxemburg bescheinigt wird. In Rz. 36 des Urteils entnimmt der EuGH zunächst dem „sechsten Erwägungsgrund“ der 8. MwSt-RL, dass eines ihrer Ziele „darin besteht, bestimmte Formen der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung zu bekämpfen“. Konkret stützt er seine Entscheidung unter Berufung auf Rz. 68 des Urteils Halifax erst auf folgende Gründe: „(44) Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung eine betrügerische oder missbräuchliche43 Berufung auf Normen des Gemeinschaftsrechts nicht erlaubt. (45) Eine solche läge vor, wenn ein Steuerpflichtiger nach den in der Achten Richtlinie aufgestellten Bedingungen in den Genuss des Erstattungssystems zu kommen versuchte, obwohl der Sitz, dessen Anschrift in der Bescheinigung genannt wird, im Ausstellungsstaat keiner wirtschaftlichen Realität44 entspräche und der Betreffende außerdem nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässig wäre, so dass er nicht unter die genannte Achte Richtlinie, sondern unter die Dreizehnte Richtlinie fiele.

__________ 37 Französisch: abus de droit. 38 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel u. a., EuGHE 2006, I-6161 = UR 2006, 594 – Rz. 54; EuGH, Urt. v. 28.6.2007 – Rs. C-73/06 – Planzer, UR 2007, 654 – Rz. 44, für das Mehrwertsteuerrecht; EuGH, Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-312/05 – Kofoed, BFH/NV Beilage 2007, 358 – Rz. 38, für das Ertragsteuerrecht; EuGH, Urt. v. 7.6.2007 – Rs. C-178/05 – Kommission / Hellenische Republik, BFH/ NV Beilage 2007, 347 – für das Gesellschaftsteuerrecht – jeweils mit vielen Rechtsprechungshinweisen. 39 EuGH, Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255/02 – Halifax u. a., EuGHE 2006, I-1609. 40 EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs. C-439/04 und C-440/04 – Kittel u. a., EuGHE 2006, I-6161 = UR 2006, 594. 41 Vgl. Lohse, Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehung und Missbrauch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, BB 2006, 2222. 42 EuGH, Urt. v. 28.6.2007 – Rs. C-73/06 – Planzer, UR 2007, 654. 43 Französisch: frauduleusement ou abusivement. 44 Zum Fehlen einer „wirtschaftlichen Realität“ als Zeichen für Vorliegen missbräuchlicher Praktiken siehe auch Rz. 55 des EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 – und die darauf verweisende, in Abschnitt IV 2 angegebene Rechtsprechung.

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Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht (46) Hat die Steuerverwaltung des Erstattungsstaats beispielsweise im Fall eines Verdachts auf Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten Zweifel an der wirtschaftlichen Realität des in dieser Bescheinigung angegebenen Sitzes, kann sie jedoch aufgrund der sich aus dieser Bescheinigung ergebenden Vermutung nicht ohne weitere vorherige Nachprüfung gegenüber dem Steuerpflichtigen die Erstattung verweigern. (47/48) Ihr [stehen] dann die gemeinschaftsrechtlichen Instrumente der Verwaltungskooperation und der Amtshilfe zu Gebote, die zur korrekten Festsetzung der Mehrwertsteuer und zum Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung auf diesem Gebiet erlassen worden sind, so etwa die Maßnahmen, die die [Mehrwertsteuer-Zusammenarbeits-Verordnung und die dazu erlassene Durchführungsverordnung45 der Kommission] vorsehen.“

Bloße Übersetzungsdifferenzen zeigen die beiden Urteile Optigen46 und Kittel „zur betrügerischen Praxis“. Sie betreffen den sog. Karussellbetrug und den Vorsteuerabzug aus Eingangsumsätzen, die nach der Formulierung im Urteil Optigen „mit einem Mehrwertsteuerbetrug47 behaftet“ bzw. nach der Formulierung im Urteil Kittel „in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen“ waren. Die beiden Fälle unterscheiden sich im Sachverhalt dadurch, dass der Erwerber der Eingangsumsätze deren Zugehörigkeit zu einem Betrugskarussell im Urteil Kittel kannte und im Urteil Optigen nicht kannte. Die Parallelbegriffe für Mehrwertsteuerhinterziehung im Urteil Kittel und Mehrwertsteuerbetrug im Urteil Optigen lauten in den französischen Urtexten jeweils einheitlich „fraude à la TVA“. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum der Begriff „fraude“ im Urteil Kittel nicht wie im Urteil Optigen mit „Betrug“ ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl jenes zeitlich und sachlich ein Folgeurteil des Urteils Optigen darstellt. Es wäre zu begrüßen, wenn der EuGH den französischen Ausgangsbegriff „fraude“ künftig – wie ursprünglich im Urteil Optigen – als Betrug übersetzen würde. Dies würde auch der üblichen Übersetzung des französischen Adjektivs „frauduleux“ mit „betrügerisch“ ins Deutsche entsprechen. Sie ist nicht nur im Urteil Optigen, sondern durchgängig in allen steuerrechtlichen Entscheidungen des EuGH zu finden. Die Übersetzung von Adjektiven und Substantiven mit einheitlichem Wortstamm in der Ausgangssprache in Begriffe mit unterschiedlichen Wortstämmen in der Zielsprache ist kein Beitrag zur Rechtsklarheit. Die fast überraschende, aber begrüßenswerte Aufgabe des vom EuGH bis zum Jahre 2006 verwendeten „mehrdeutschigen“ Begriffs „Begründungserwägung“ zugunsten des von den übrigen EU-Organen benutzten Begriffs „Erwägungsgrund“48 ermutigt zu dem Vorschlag, die innerhalb der EuGHRechtsprechung bestehende „Mehrdeutschigkeit“ von Steuerhinterziehung

__________ 45 Verordnung (EG) Nr. 1925/2004 v. 29.10.2004 zur Regelung der Durchführung bestimmter Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1798/2003, ABl. EU Nr. L 331 v. 5.11.2004, 13. 46 EuGH, Urt. v. 12.1.2006 – Rs. C-354/03, C-355/03 und C-484/03 – Optigen u. a., EuGHE 2006, I-483 = UR 2006, 157. 47 Der Begriff Steuerhinterziehung kommt in diesem Urteil nirgends vor. 48 Siehe EuGH, Urt. v. 30.1.2007 – Rs. 150/04 – Kommission / Dänemark, BFH/NV Beilage 2007, 156 – Rz. 3.

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und Steuerbetrug auch aufzugeben. Dies könnte dazu beitragen, dass auch der Gemeinschaftsgesetzgeber diese in Abschnitt III 4 bereits bei Richtlinientexten festgestellte „Mehrdeutschigkeit“ zugunsten des Betrugsbegriffs aufgibt. 2. Direkte Steuern Das im Urteil Halifax für den Vorsteuerabzug erstmals ausgesprochene – dem Tatbestand und der Rechtsfolge des § 42 AO entsprechende – „Verbot missbräuchlicher Praktiken“ hat weite Kreise gezogen, insbesondere auch in die EuGH-Rechtsprechung zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Marktfreiheiten (Grundfreiheiten) im Ertragsteuerrecht. Auf diesem Gebiet befasste sich der EuGH wohl zum ersten Mal und nur am Rande im Jahre 1986 mit der „Gefahr der Steuerflucht“49, ohne allerdings dafür eine Rechtsgrundlage zu nennen oder ihren Inhalt zu beschreiben und ohne ihr eine einschränkende Wirkung der Niederlassungsfreiheit zu verleihen. Dieser Begriff ist eine Übersetzung von „évasion fiscale“ aus der für das Urteil maßgeblichen französischen Verfahrenssprache. Als grundlegend wird häufig erst das etwa 10 Jahre später ergangene Urteil Leur Bloem50 angesehen. Es betrifft die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Steuerumgehung“ in dem in Abschnitt II 3 auszugsweise wiedergegeben Text des Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Fusions-RL. Der EuGH verwendet im französischen Urtext dieses Urteils den französischen Parallelbegriff „évasion fiscale“ aus dieser Vorschrift. In der Folgerechtsprechung wird dieser französische Begriff zur Bezeichnung eines möglichen Rechtfertigungsgrundes für eine Verletzung der Grundfreiheiten durch nationale Vorschriften teilweise auch als Steuerflucht ins Deutsche übersetzt.51 Es wäre zu begrüßen, wenn der EuGH als einheitliche Übersetzung den Begriff der Steuerumgehung verwenden würde. Dem steht auch nicht Rz. 57 des Urteils Marks & Spencer52 entgegen, in dem die beiden deutschen Begriffe nebeneinander verwendet werden. Nach dieser Randzahl sind nationale Maßnahmen zulässig, „die speziell bezwecken, nur zur Umgehung des nationalen Steuerrechts oder zur Steuerflucht geschaffene Steuersachverhalte von einem Steuervorteil auszuschließen“. Die Parallelbegriffe kommen im französischen Urtext überhaupt nicht vor. Dieser gestattet unter Zitierung von Rz. 26 des Urteils ICI53 nur „d’exclure d’un avantage fiscal les montages purement artificiels“. Das bedeutet bei richtiger Überset-

__________ 49 EuGH, Urt. v. 28.1.1986 – Rs. 270/83 – Kommission / Frankreich, EuGHE 1986, 285 – Rz. 23, avoir fiscal. 50 EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161. 51 „la lutte contre l’évasion fiscale“ wird einerseits mit „Bekämpfung der Steuerflucht“ übersetzt, vgl. EuGH, Urt. v. 9.11.2006 – Rs. C-433/04 – Kommission / Belgien, BFH/NV Beilage 2007, 137 – Rz. 35; andererseits mit „Kampf gegen Steuerumgehung“, vgl. EuGH, Urt. v. 30.1.2007 – Rs. C-150/04 – Kommission / Dänemark, BFH/NV Beilage 2007, 156 – Rz. 51. Siehe auch die unterschiedlichen Übersetzungen von évasion in EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-231/05 – OyAA, IStR 2007, 631 – mit Steuerflucht in Rz. 46 und 51 sowie mit Steuerumgehung in Rz. 58, 60 und 62. 52 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 53 EuGH, Urteil v. 16.7.1998 – Rs. C- 264/96 – ICI, EuGHE 1998, I-4711.

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zung: „rein künstliche Konstruktionen von einem Steuervorteil auszuschließen“. Dass derartige „rein künstliche Konstruktionen“ auch zur Kennzeichnung von verbotenen „missbräuchlichen Praktiken“ benutzt werden, zeigt das Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas54. Nach Rz. 51 dieses Urteils kann „eine nationale Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf gerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates zu entgehen“. Diese als ständige EuGHRechtsprechung bezeichnete Aussage stützt der EuGH zunächst ebenfalls nur auf Rz. 26 seines Urteils ICI und die daran anschließende Rechtsprechung, die er weder mit konkreten Vorschriften noch mit einem allgemeinen Missbrauchsverbot55 begründet hat. Erst in Rz. 55 des Urteils führt er aus, „eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit lässt sich nur mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liegt, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen.“ Auf diese Randzahl verweist der EuGH auch in späteren Urteilen, in denen er „montages purement artificiels“ im deutschen Text teilweise wie in den vorstehenden Rz. 51 und 55 mit „rein künstlichen Gestaltungen“56 und teilweise wie früher im Urteil ICI und der Folgerechtsprechung mit „rein künstlichen Konstruktionen“ übersetzt.57 Die Bekämpfung „rein künstlicher Konstruktionen“ dient also sowohl der Umgehungs- als auch der Missbrauchbekämpfung, möglicherweise neuerdings sogar der „Bekämpfung von Steuerhinterziehung“58. Die sachliche Bedeutung des Urteils Leur Bloem wird darin gesehen, dass der in Art. 11 Fusions-RL eine Steuerumgehung ausschließende Tatbestand „der vernünftigen wirtschaftlichen Gründe mehr als das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil“ voraussetzt. „Eine Fusion durch Austausch von Anteilen, mit der nur dieser Zweck verfolgt wird, ist deshalb kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund im Sinne des genannten Artikels.“59 In jüngster Zeit

__________ 54 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, EuGHE 2006, I-7995 = IStR 2006, 670 = EWS 2006, 461. 55 Insofern trifft die Auffassung von Böing (a. a. O. Fn. 2) nicht zu, dass der Gerichtshof in dieser Rechtsprechung „Missbrauchsnormen für gerechtfertigt hält, die darauf gerichtet sind, Steuerhinterziehung, Steuerumgehungen und sonstige missbräuchliche Praktiken abzuwehren“. Auch soweit Gille Art. 11 Fusions-RL als Missbrauchstatbestand bezeichnet, entspricht dies erst der EuGH-Terminologie in der im Jahre 2006 begonnenen Rechtsprechung, vgl. Gille, Missbrauchstypisierungen im neuen Umwandlungssteuerrecht: Verstoß gegen die Fusions-RL?, IStR 2007, 194. 56 EuGH, Urt. v. 18.7.2007 – Rs. C-231/05 – OyAA, IStR 2007, 631 – Rz. 58, 62 f. 57 EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, EWS 2007, 360 – Rz. 74; EuGH, Urt. v. 29.3.2007 – Rs. C-347/04 – Rewe Zentralfinanz, BFH/NV Beilage 2007, 61 – Rz. 51. 58 EuGH, Urt. v. 11.10.2007 – Rs. C-451/05 – ELISA, www.curia.europa.eu/de – Rz. 91. 59 Zitate aus EuGH, Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28/95 – Leur Bloem, EuGHE 1997, I-4161 – Rz. 47.

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hat der EuGH im Urteil Kofoed den Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Fusions-RL und das Urteil Leur Bloem unter der Überschrift „Zur Möglichkeit der Berücksichtigung eines etwaigen Rechtsmissbrauchs“ zitiert und ausgeführt60: „[Diese Vorschrift] spiegelt somit den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wider, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist. Die betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf die Normen des Gemeinschaftsrechts ist nicht gestattet. Die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften kann nicht so weit reichen, dass missbräuchliche Praktiken, d. h. Vorgänge geschützt werden, die nicht im Rahmen des normalen Geschäftsverkehrs, sondern nur zu dem Zweck durchgeführt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (vgl. in diesem Sinne Urteile … Halifax Rz. 68 und 69 … sowie Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas Rz. 35).“

Diese Ausführungen lassen zwar – ebenso wie das MwSt-Urteil Planzer – eine systematische Trennung der in Art. 11 Fusions-RL enthaltenen Begriffe Hinterziehung und Umgehung sowie der auf allgemeinen Grundsätzen beruhenden Begriffe „betrügerisch“ und „missbräuchlich“ nicht mehr erkennen. Sie enthalten jedoch wieder – wie die zitierte Rz. 69 des Urteils Halifax – eine allgemeine Beschreibung des Tatbestands der „missbräuchlichen Praktiken“. Eine solche Beschreibung ist in der ebenfalls zitierten Rz. 35 des Urteils Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas nicht zu finden. Vielmehr hat dieses Urteil in seiner vorstehend abgedruckten Rz. 55 die missbräuchlichen Praktiken nur als „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen“ gekennzeichnet. Diese unterschiedlichen Formulierungen darf man allerdings nicht überbewerten. Sie bringen m. E. den gleichen Begriffsinhalt der „missbräuchlichen Praktiken“ jeweils nur mit anderen Worten zum Ausdruck und kennzeichnen das Gegenteil von „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“. Weitere Klärung können die Verfahren Part Service61 und Columbus Container Services62 bringen. 3. Gesellschaftsteuer Die in der jüngsten EuGH-Rechtsprechung festgestellte Zusammenschau und Vermischung der Begriffe Umgehung, betrügerisch und missbräuchlich ist nicht auf das Mehrwert- und Ertragsteuerrecht beschränkt. Dies zeigen folgende Ausführungen in Rz. 32 des Urteils Kommission gegen Hellenische Republik63: „Da die Richtlinie 69/33564 die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten Gesellschaftsteuer erheben können, abschließend harmonisiert und diese Richtlinie keine ausdrückliche

__________ 60 EuGH, Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-312/05 – Kofoed, BFH/NV Beilage 2007, 358 – Rz. 38. 61 Rechtssache C-425/06 – Part Service, ABl. EU Nr. C 326 v. 30.12.2006, 28. 62 Rechtssache C-298/05 – Columbus Container Services, Urteil für den 6.12.2007 angekündigt. 63 EuGH, Urt. v. 7.6.2007 – Rs. C-178/05 – Kommission / Hellenische Republik, BFH/ NV Beilage 2007, 347. 64 ABl. EG Nr. L 249 v. 17.7.1969, 25.

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Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht Bestimmung enthält, die die Mitgliedstaaten ermächtigen würde, allgemeine Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuerumgehung zu treffen, dürfen sich die Mitgliedstaaten der Anwendung des Gemeinschaftsrechts nur unter besonderen, eine missbräuchliche oder betrügerische Praxis bildenden Umständen widersetzen. Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts kann nämlich nicht so weit gehen, dass missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt würden, d. h. Handlungen, die nicht im Rahmen normaler Geschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu gelangen (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil Halifax u. a. Rz. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

Der letzte Satz des vorstehenden Zitats findet sich auch in Rz. 41 des Urteils Ing. Auer65. Dass zwischen den darin gegebenen Beschreibungen der missbräuchlichen Praktiken und den „rein künstlichen Konstruktionen“ der im letzten Absatz des vorstehenden Abschnitts vertretene Zusammenhang besteht, bestätigen die folgenden Formulierungen der in diesem Urteil anschließenden Randziffern: „(42) Der vom Gemeinschaftsrecht gebotene Schutz erstreckt sich somit nicht auf Situationen, in denen ein Rechtssubjekt sich nur deshalb – missbräuchlich oder betrügerisch – auf gemeinschaftsrechtliche Normen berufen möchte, um sich der Geltung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu entziehen. (43) Zwar reicht der Umstand, dass eine Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat mit dem Ziel gegründet wurde, in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, als solcher nicht aus, um auf das Bestehen einer missbräuchlichen Ausnutzung des Gemeinschaftsrechts zu schließen. (44) Doch fällt die Gründung einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat im Rahmen rein künstlicher, jeder wirtschaftlichen Realität barer Konstruktionen zu dem Zweck, die normalerweise zu zahlende Steuer zu umgehen, nicht mehr unter den Schutz, den die Richtlinie 69/335 den von ihr erfassten Gesellschaften bieten muss.“

V. Schlussbemerkungen zur deutschen Steuerrechtsentwicklung Das deutsche Steuerrecht enthält von den gemeinschaftsrechtlich identischen Begriffen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in § 370 AO die Steuerhinterziehung als Straftatbestand. Da gemeinschaftsrechtliche Begriffe autonom auszulegen sind, kann das in den verschiedenen gemeinschaftsrechtlichen Steuervorschriften enthaltene Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung nicht an das deutsche Strafrecht anknüpfen. Das gilt auch, wenn es durch Richtlinienumsetzung Eingang ins deutsche Recht findet. Die früher beabsichtigte Übernahme des Hinterziehungsbegriffs aus Art. 11 Fusions-RL ins Umwandlungssteuergesetz hätte daher bei der Auslegung der deutschen Umsetzungsvorschriften nicht an das deutsche Strafrecht anknüpfen dürfen.66 Etwas anderes

__________ 65 EuGH, Urt. v. 8.11.2007 – Rs. C-251/06 – Ing. Auer, www.curia.europa.eu/de. 66 A. A. Bödefeld, Die Missbrauchsregelung des § 26 UmwStG nach dem Regierungsentwurf des SEStEG, BB 2006, 77; Gille, Missbrauchstypisierungen im neuen Umwandlungssteuerrecht: Verstoß gegen die Fusions-RL?, IStR 2007, 194 – Fn. 7.

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gilt nur für Gemeinschaftsrecht, das auf das nationale Recht verweist. Dies ist in Art. 10 AbkEG-Schweiz67 zur Zins-Richtlinie wie folgt geschehen: „Die zuständigen Behörden der Schweiz und die einzelnen Mitgliedstaaten tauschen für die unter dieses Abkommen fallenden Erträge Informationen über Handlungen aus, die nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates als Steuerbetrug gelten oder ein ähnliches Delikt darstellen. Als ähnlich gelten ausschließlich Delikte, die nach den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates denselben Unrechtsgehalt wie Steuerbetrug aufweisen.“

Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff Steuerbetrug verweist auf den deutschen Straftatbestand der Steuerhinterziehung. Wegen dieser Bezugnahme hätte es sich angeboten, im Text des Art. 10 AbkEG-Schweiz den deutschen Hinterziehungsbegriff zu verwenden. Die verbindlichen Parallelbegriffe in der englischen und französischen Abkommensfassung68 hätten dies zugelassen. Sie lauten in englisch tax fraud und in französisch fraude fiscale. Die in Abschnitt IV 1 vorgeschlagene Verwendung des Betrugsbegriffs für die Übernahme dieser beiden Parallelbegriffe ins Deutsche bezieht sich auf das gemeinschaftsrechtliche und das darauf beruhende deutsche Steuerrecht und soll auch der Abgrenzung zum nationalen Strafrecht dienen. Im Zusammenhang mit Art. 11 Fusions-RL rückt die im Urteil Kofoed enthaltene Aussage ins Blickfeld, dass die in Richtlinien zugelassenen Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerbetrug, -umgehung und/oder -missbrauch nicht ohne Umsetzung ins nationale Recht zu Lasten eines Steuerpflichtigen angewendet werden dürfen. Denn nach ständiger Rechtsprechung „verbietet es der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Richtlinien selbst Verpflichtungen für Einzelne begründen können. Einzelnen gegenüber kann sich ein Mitgliedstaat deshalb nicht auf Richtlinien als solche berufen.“69 Diesen Gesichtspunkt scheint die deutsche Rechtsprechung70 zu übersehen. Sie verweigert unter Berufung auf das EuGH-Urteil Kittel einem bösgläubig an einem Karussellbetrug beteiligten Erwerber von Telefonen – m. E. zu Unrecht71 – den Vorsteuerabzug, weil der Lieferant von vornherein geplant hatte, die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer nicht abzuführen. Denn für solche Fälle hat der deutsche Gesetzgeber keinen Vorsteuerausschluss, sondern nur den Haftungstatbestand des § 25d UStG vorgesehen.

__________ 67 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizer Eidgenossenschaft über Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48/EG des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen festgelegten Regelungen gleichwertig sind, ABl. EU Nr. 386 v. 29.12.2004, 30. 68 Zur Verbindlichkeit aller EG-Amtssprachen-Fassungen des Abkommens mit der Schweiz siehe Art. 22 AbkEG-Schweiz. 69 EuGH, Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-312/05 – Kofoed, BFH/NV Beilage 2007, 358 – Rz. 39 ff. 70 FG Köln, Urt. v. 19.12.2006 – 6 K 84/02, DStRE 2007, 574; wohl auch BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524; FG München, Urt. v. 8.2.2007 – 14 K 1898/04, DStRE 2007, 1032. 71 Siehe im Einzelnen Lohse, Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehung und Missbrauch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, BB 2007, 2222 (2226).

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Verwirrende Begriffsvielfalt im Gemeinschaftsrecht

Knüpft ein nationaler Gesetzgeber nachteilige Rechtsfolgen an Steuerbetrug, -umgehung oder -missbrauch, so ist dies ohne weiteres zulässig, wenn die Vorschrift dem vom EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz bezeichneten Verbot des Rechtsmissbrauchs entspricht. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die nationale Vorschrift einer besonderen gemeinschaftsrechtlichen Genehmigung bedarf, wie dies in Art. 395 MwStSystRL für Abweichungen von dieser Richtlinie vorgesehen ist. Diese Unterscheidung ist bei der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfung des § 42 AO von Bedeutung, der in der Literatur teilweise als eine gemeinschaftsrechtlich genehmigungspflichtige Regelung beurteilt wurde und wird.72 Demgegenüber vertritt der BFH73 im Anschluss an das Urteil Halifax die Auffassung, dass § 42 AO einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts normiert, der nach der Rechtsprechung des EuGH auch im Mehrwertsteuerrecht gilt. § 42 AO stellt daher bisher keine von der 6. MwStRichtlinie abweichende Sondermaßnahme dar und bedurfte keiner Meldung oder Ermächtigung i. S. v. Art. 27 der 6. MwSt-RL. Dieselbe Beurteilung erscheint für die Neufassung des § 42 AO durch das Jahressteuergesetz 2008 ebenfalls möglich. M. E. kann zumindest Absatz 1 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift so ausgelegt werden, dass er nur dem allgemeinen Missbrauchsverbot entspricht. Eine weiter gehende Verhinderung von Steuerumgehungen im Umsatzsteuerrecht bedürfte als abweichende Sondermaßnahme einer Ermächtigung nach Art. 395 MwStSystRL oder müsste durch eine besondere Vorschrift dieser Richtlinie74 gedeckt sein, wie dies für die Einschränkung des Verzichts auf Steuerbefreiungen in Art. 137 Abs. 2 Unterabs. 2 MwStSystRL wohl der Fall ist.75 Dies sollte der Gesetzgeber nicht unbeachtet lassen.

VI. Fazit Es hat sich gezeigt, dass sich die in Abschnitt 1 bezeichneten Begriffe in Anlehnung an die französische gemeinschaftsrechtliche Terminologie im Steuerrecht auf die drei Begriffe Steuerbetrug, -umgehung und -missbrauch zurückführen lassen. Dies sollte in künftigen EU-Rechtsakten im Interesse der Rechtsanwender sowie im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die in den Rechtsetzungsvorschriften der EU geforderte Rechtsklarheit berücksichtigt

__________ 72 Vgl. List, Der Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts aus der Sicht des § 42 AO und des Gemeinschaftsrechts, zugleich Besprechung des BFH-Urteils v. 9.11.2006 – V R 43/04, DB 2007, 131 m. w. H. 73 BFH, Urt. v. 9.11.2006 – V R 43/04, BFH/NV 2007, 308. 74 Z. B. durch Art. 11 Abs. 2, Art. 19 Abs. 2 oder Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL. 75 Siehe dazu in Bezug auf die Vorgängervorschrift in Art. 13 Teil C Abs. 2 der 6. MwStRL: Lohse, Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehung und Missbrauch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, BB 2006, 2222 (2226).

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werden. Der EuGH hat seine im MwSt-Recht begonnene Rechtsprechung zur Abgrenzung dieser Begriffe76 nicht fortgeführt und nicht in andere Steuerrechtsgebiete übernommen. Dies zeigt insbesondere seine Frage nach einer „eventuellen Steuerumgehung mittels einer missbräuchlichen Ausnutzung der Bestimmungen“ des Gemeinschaftsrechts im Urteil Ing. Auer77.

__________ 76 Siehe dazu Lohse, Vorsteuerabzug bei Steuerhinterziehung und Missbrauch im Lichte der EuGH-Rechtsprechung, BB 2006, 2222 (2224). 77 EuGH, Urt. v. 8.11.2007 – Rs. C-251/06 – Ing. Auer, www.curia.europa.eu/de – Rz. 37.

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3. Internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungsabkommen Moris Lehner

Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Einführung II. Das Verständigungsverfahren nach Art. 25 OECD-MA in seiner überkommenen Struktur 1. Entwicklung des Verständigungsverfahrens 2. Die Verfahrensarten des Art. 25 OECD-MA a) Das Verständigungsverfahren zur Regelung von Einzelfällen nach Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA b) Die Konsultationsverfahren des Art. 25 Abs. 3 OECD-MA c) Die Stellung des Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren

III. Weiterentwicklung des Verständigungsverfahrens 1. Fortsetzung des allgemeinen Verständigungsverfahrens durch Schiedsverfahren 2. Das neue Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA 3. Vorabverständigungsvereinbarungen (APAs) IV. Europarechtliche Entwicklungen 1. Das EG-Schiedsabkommen 2. Zuständigkeit des EuGH

I. Einführung Wolfram Reiß hat das Internationale Steuerrecht an der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg zu einer festen Institution gemacht. Internationales Steuerrecht hat die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte im Zuständigkeitsbereich zweier oder mehrerer Staaten zum Gegenstand, die nicht nur im Bereich des materiellen Rechts, sondern auch im Bereich des Verfahrensrechts nachhaltig bestrebt sind, ihre im Fiskalbereich besonders sensible Souveränität zu bewahren. Aus diesem Grund können Zweifels- bzw. Streitfragen bei der Auslegung oder Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen grundsätzlich nur im gegenseitigen Einvernehmen der Vertragsstaaten geklärt werden. Das hierfür nach dem Muster des Art. 25 OECD-MA in der Vertragspraxis vorgesehene, als Verwaltungsverfahren ausgestaltete Verständigungsverfahren1 steht nicht nur im Spezialbereich der Gewinnberichtigung zwischen

__________ 1 Dazu unten II.

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Moris Lehner

verbundenen Unternehmen2 in einem stetigen Entwicklungsprozess. Eine von der OECD in diesem Jahr verabschiedete Ergänzung des Art. 25 OECD-MA durch einen neuen Absatz 5, der die Fortsetzung des herkömmlichen Verständigungsverfahrens durch ein obligatorisches Schiedsverfahren vorsieht, erscheint in diesem Zusammenhang besonders interessant.3 Auch über Zuständigkeiten des EuGH im Bereich des Abkommensrechts ist nachzudenken.4

II. Das Verständigungsverfahren nach Art. 25 OECD-MA in seiner überkommenen Struktur Art. 25 OECD-MA bildet das in der internationalen Vertragspraxis weitgehend übernommene Muster für ein Verständigungsverfahren5, das als spezielles Verwaltungsverfahren für die Beseitigung bzw. Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgestaltet ist. Es gibt den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Möglichkeit, Schwierigkeiten bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens auf Antrag des Steuerpflichtigen oder ohne Antrag im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen, ohne dafür die diplomatischen Vertretungen einzuschalten. Das Verständigungsverfahren steht im Zusammenhang mit den Verfahrensvorschriften der Art. 26 OECD-MA über den Informationsaustausch und über die in Art. 27 OECD-MA vorgezeichnete Amtshilfe bei der Vollstreckung von Steueransprüchen, die aber hier aus der weiteren Betrachtung ausgeblendet bleiben.6 1. Entwicklung des Verständigungsverfahrens Aus heutiger Sicht beginnt die Entwicklung der Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht sehr fortschrittlich mit einer vom Völkerbund im Jahre 1927 für Fälle der Doppelbesteuerung vorgeschlagenen Schlichtungsinstanz.7 Diese war in Gestalt des Völkerbundsrates vorgesehen, der zwar nur ein unverbindliches Vorschlagsrecht zur Streitschlichtung hatte, doch sollten die Vertragsstaaten die Möglichkeit haben, den Ständigen Internationalen Gerichtshof anzurufen, falls im Rat keine für die Vertragsstaaten annehmbare Lösung erreicht werden konnte.

__________ 2 3 4 5

Dazu unten IV. 1. Dazu unten III. Dazu unten IV. 2. Vgl. zur Bedeutung der vom Steuerausschuss der OECD entwickelten Musterabkommen auf dem Gebiet des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen Vogel in Vogel/ Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 123 ff.; zu den Übereinstimmungen und Abweichungen der deutschen Vertragspraxis Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 54 ff., 126 ff., 165 ff., 190 ff., 250 ff. 6 Vgl. dazu die Kommentierungen von Engelschalk in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008. 7 League of Nations, Double Taxation and Tax Evasion, Draft of a Bilateral Convention on Administrative Assistance in Matters of Taxation, D.T. 54 (4), London, 8.4.1927.

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Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht

Die gegenwärtige Struktur des Verständigungsverfahrens findet ihren Ursprung in einem Abkommensentwurf des Völkerbundes zur Vermeidung der zwischenstaatlichen Doppelbesteuerung aus dem Jahre 19298, einem Vorschlag für ein Amtshilfeabkommen in Steuersachen, in dem bereits ein unmittelbarer Verkehr der Behördenvertreter vorgesehen war. Weitere wichtige Entwicklungsschritte bilden die Abkommensentwürfe von Mexiko und London9, die nicht nur Initiativen der Steuerverwaltungen, sondern auch Rechtschutz auf Antrag des Steuerpflichtigen zum Ziel hatten. Neben den weitgehend mit dem heutigen Text übereinstimmenden Fassungen des Art. 25 OECD-MA im OECDMusterabkommen des Jahres 1963 und in den nachfolgenden Musterentwürfen10 sei auf ein 1979 veröffentlichtes Handbuch der Vereinten Nationen für Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern11 hingewiesen, das bereits Gewinnberichtigungsfälle12 als im Rahmen von Verständigungsverfahren zu lösende Problembereiche nennt. In einer 1987 verabschiedeten Resolution der Internationalen Handelskammer13 wird die nach wie vor wichtige Forderung nach einer Beteiligung des Steuerpflichtigen am Verständigungsverfahren erhoben und die Einrichtung eines internationalen Steuergerichts empfohlen. Die im Mai 2000 erhobene Forderung der Internationalen Handelskammer nach obligatorischen Schiedsverfahren markiert den Anfang einer neueren Entwicklung der Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht.14 Die OECD folgt dieser Forderung durch eine in diesem Jahr vorgestellte Ergänzung des Art. 25 OECD-MA, die ab Januar 2008 als neuer Absatz 5 der Vorschrift eingeführt werden soll.15 2. Die Verfahrensarten des Art. 25 OECD-MA Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA16 sieht ein Verständigungsverfahren zur Regelung von Einzelfällen auf Antrag des Steuerpflichtigen vor (Verständigungs-

__________ 8 League of Nations, Double Taxation and Tax Evasion, Draft of a Bilateral Convention on Administrative Assistance in Matters of Taxation, D.T. 52 (3), London, 8.4.1929; dazu Lehner, Möglichkeiten zur Verbesserung des Verständigungsverfahrens auf der Grundlage des EWG-Vertrages, München 1982, S. 9 ff.; Lehner in Vogel/ Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 4 ff.; umfassend zur geschichtlichen Entwicklung des Abkommensrechts Spitaler, Das Doppelbesteuerungsproblem, 2. Aufl., Köln 1936, S. 1 ff. 9 London and Mexico Model Tax Conventions, League of Nations, off. No. C 88 M. 88, 1946. 10 Dazu Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 35 ff. 11 United Nations, Dok. St/ESA/94, E 79 XVI 3, Manual for the Negotiation of Bilateral Tax Treaties between Developed and Developing Countries, 1979. 12 Dazu unten IV. 13 Resolution of International Tax Conflicts, ICC Doc. No. 180/240, ET 1984, 337; Doppelbesteuerung und Beilegung internationaler Steuerkonflikte, BB 1987, 595. 14 ICC Doc. No. 180/438; dazu Züger, ICC Proposes Arbitration in International Tax Matters, ET 2001, 221; vgl. auch Ribes, Compulsory Arbitration as a Last Resort in Resolving Tax Treaty Interpretation Problems, ET 2002, 400; unten III. 15 Dazu unten III. 16 Zum Verständigungsverfahren nach dem US-Musterabkommen s. Lehner in Vogel/ Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 50 ff.,125, 158, 180.

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verfahren im engeren Sinne).17 Ebenfalls als Verständigungsverfahren im engeren Sinne können die auf den Abschluss sogenannter Vorabverständigungsvereinbarungen gerichteten Advance Pricing Agreements gesehen werden.18 Art. 25 Abs. 3 OECD-MA bietet als weitere Verständigungsverfahren zwei Konsultationsverfahren zur Beseitigung von Schwierigkeiten oder Zweifeln bei der Auslegung oder Anwendung und zur Schließung von Lücken des Abkommens.19 Das Verständigungsverfahren des Art. 25 Abs. 2 OECD-MA und die Konsultationsverfahren nach Art. 25 Abs. 3 OECD-MA können zwar jeweils gesondert und unabhängig voneinander durchgeführt werden, doch sind Überschneidungen möglich und auch gewollt.20 Art. 25 Abs. 4 OECD-MA enthält Durchführungsbestimmungen für alle drei Verfahrensarten; er gestattet es den zuständigen Behörden, unmittelbar miteinander zu verkehren.21 a) Das Verständigungsverfahren zur Regelung von Einzelfällen nach Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA Das in Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA vorgesehene Verständigungsverfahren im engeren Sinne dient zur Vermeidung bzw. Beseitigung einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung in Einzelfällen und unterscheidet sich damit von den Konsultationsverfahren des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 OECD-MA, die sowohl einen Einzelfall als auch eine unbestimmte Zahl von Fällen zum Gegenstand haben können. Antragsberechtigt sind grundsätzlich nur Personen, die in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig und somit i. S. d. Art. 1 OECD-MA abkommensberechtigt22 sind, nach deutscher Vertragspraxis aber auch nicht abkommensberechtigte Personen, wenn sie, etwa in Haftungsfällen, von einer abkommenswidrigen Besteuerung betroffen sein können.23 In Fallkonstellationen, die von der Gleichbehandlungsvorschrift des Art. 24 OECD-MA erfasst werden, wird die Antragsberechtigung auch durch die Staatsangehörigkeit eines der beiden Vertragsstaaten begründet. Für die Antragsbefugnis reicht die Auffassung aus, dass Maßnahmen eines oder beider Vertragsstaaten zu einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung führen oder führen werden. Nicht erforderlich ist, dass eine Doppelbesteuerung droht. Eine dem Abkommen nicht entsprechende Besteuerung liegt auch dann vor, wenn etwa aufgrund unrichtiger Anwendung des Progressionsvorbe-

__________ 17 18 19 20

Dazu unten II 2 a. Dazu unten III. Dazu unten II 2 b. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 3 m. w. N. 21 Hier nicht zu vertiefen; vgl. dazu Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 180 ff. 22 Zur Abkommensberechtigung Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 1 OECD-MA Rz. 4. 23 Merkblatt zum Internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 – Tz. 2.1.2.

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halts ein zu hoher Steuersatz angesetzt wird.24 Die nach dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA vorgesehene Möglichkeit, den Antrag unbeschadet der nach dem innerstaatlichen Recht vorgesehenen Rechtsmittel zu stellen bedeutet, dass dieser vor, neben, anstelle und nach einem außergerichtlichen oder einem gerichtlichen Verfahren- bzw. Verfahrensantrag gestellt werden kann.25 Mit dieser Vorgabe wird allerdings nur die allgemeine völkerrechtliche „rule of the exhaustion of local remedies“ durchbrochen, die besagt, dass Einzelpersonen vor der Inanspruchnahme von zwischenstaatlichen Streitschlichtungsmöglichkeiten alle Rechtsschutzmöglichkeiten des innerstaatlichen Rechts ausgeschöpft haben müssen.26 Von diesem Recht zur Antragstellung ist die Frage nach den Möglichkeiten zur Umsetzung von Verständigungsergebnissen im innerstaatlichen Recht zu unterscheiden. Nach deutschem Recht besteht insoweit zwar die in § 175a AO vorgesehene Möglichkeit, bestandskräftige Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern. Dies gilt aber entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung27 mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht gegen die Rechtskraft von Urteilen.28 Die unter diesen Voraussetzungen umsetzbare Verständigungsvereinbarung steht in aller Regel unter dem Vorbehalt, dass sich der Antragsteller mit ihr einverstanden erklärt und dass anhängige Rechtsbehelfsverfahren erledigt werden.29 Danach ist der Steuerpflichtige gehalten, auf innerstaatliche Rechtsbehelfe zu verzichten und be-

__________ 24 Zu Einzelheiten Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 27 ff. m. w. N. 25 Vgl. OECD, MA-Kommentar, Ziff. 12; BFH v. 1.2.1967 – I 220/64, BStBl. III 1967, 495; BFH v. 12.10.1978 – I R 69/75, BStBl. II 1979, 64; BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583; zu Einzelheiten der in den Konsequenzen dieser Regelung uneinheitlichen Staatenpraxis Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 34, 91 ff., 103 ff. 26 Grundlegend zum Zusammenhang mit dem Verständigungsverfahren Mülhausen, Das Verständigungsverfahren im deutschen internationalen Steuerrecht, Berlin 1976, S. 125; dazu Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECDMA Rz. 34. 27 Merkblatt zum Internationalen Verständigungsverfahren und Schiedsverfahren in Steuersachen, BMF v. 1.7.1997 – IV C 5 - S 1300 - 189/96, IV C 6 - S 1301 Schz 34/97, BStBl. I 1997, 717 – Tz. 9.1.; das aktuelle Merkblatt enthält allerdings keine entsprechende Aussage, vgl. Merkblatt zum Internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461. 28 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Köln 1998, S. 813 f.; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 110 FGO Rz. 33; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 132; differenzierend Krabbe, Seminar C: Verständigungsverfahren, IStR 2002, 548 (549 f.); vgl. auch BFH v. 26.8.1993 – I B 25/93, BFH/NV 1994, 268: danach besteht zwar die Möglichkeit zur Einleitung eines Verständigungsverfahrens „unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits“, doch ist damit über das Verhältnis des Verständigungsergebnisses zur Rechtskraft eines Urteils noch nichts gesagt. 29 Vgl. Merkblatt zum Internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 – Tz. 4.2.

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reits eingelegte zurückzunehmen.30 Zu diesem Zweck sind in Deutschland mit § 354 Abs. 1a, § 362 Abs. 1a AO und § 50 Abs. 1a, § 72 Abs. 1a FGO Normen geschaffen worden, die eine Teilrücknahme, beschränkt auf den Gegenstand der Verständigungsvereinbarung ermöglichen. b) Die Konsultationsverfahren des Art. 25 Abs. 3 OECD-MA Das Konsultationsverfahren des Art. 25 Abs. 3 Satz 1 OECD-MA sieht vor, dass sich die zuständigen Behörden bemühen, Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des Abkommens entstehen, im gegenseitigen Einvernehmen zu beseitigen. Anlass dafür kann ein Verständigungsverfahren zur Lösung eines Einzelfalles sein, das dann in das Konsultationsverfahren übergeht bzw. mit diesem verbunden wird. Problematisch ist die Bindungswirkung von Auslegungsvereinbarungen, die für eine Vielzahl von Fällen getroffen werden. Sie entfalten grundsätzlich nicht die Bindungskraft, die dem Doppelbesteuerungsabkommen selbst zukommt, weil sie als bloße Verwaltungsvereinbarungen nicht nach den für die innerstaatliche Geltung völkerrechtlicher Verträge maßgeblichen Verfassungsbestimmungen31 zustande kommen. Nach deutschem innerstaatlichem Recht bewirkt die Verständigungsvereinbarung jedenfalls keine Bindung der Gerichte32, sie hat lediglich den Rang einer Verwaltungsvorschrift, wenn sie als solche bekanntgemacht wird.33 Auch die in Art. 25 Abs. 3 Satz 2 OECD-MA vorgesehene Beratung über die Beseitigung von Doppelbesteuerungen in Fällen, die im Abkommen nicht geregelt sind, begründet aus den genannten verfassungsrechtlichen Gründen keine Kompetenz zur Ergänzung des völkerrechtlichen Vertrages durch Verwaltungsvereinbarungen.34 c) Die Stellung des Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren Von der Regelung der Antragsbefugnis abgesehen, ist die Stellung des Steuerpflichtigen im Verständigungsverfahren in Art. 25 OECD-MA nicht näher ausgestaltet. Die Vertragsstaaten sind jedoch nach Auffassung des OECD-Kommentars35 verpflichtet, den Steuerpflichtigen gewisse wesentliche Rechte, u. a. das Recht, Erklärungen schriftlich oder mündlich abzugeben, sowie das Recht auf einen Rechtsbeistand einzuräumen. Aus allgemein rechtsstaatlichen Gründen über die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs und in Anbe-

__________ 30 Vgl. zur rechtsstaatlichen Problematik dieser Voraussetzung Ismer, Compulsory Waiver of Domestic Remedies before Arbitration under a Tax Treaty – a German Perspective, BIFD 2003, 18. 31 Dazu Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 45 ff. 32 BFH v. 10.7.1996 – I R 4/96, BStBl. II 1997, 15. 33 Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 154, 166 m. w. N. 34 So auch die deutsche Praxis für Änderungs- und Ergänzungsprotokolle; dazu Koch, Das Verständigungsverfahren – Verfahren und praktische Handhabung, IFA-Generalbericht, Cahiers de Droit Fiscal International LXVIa, Deventer 1981, S. 42 f. 35 OECD, MA-Kommentar, Ziff. 42.

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tracht der nach § 90 Abs. 2 AO erhöhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei der Ermittlung von Sachverhalten mit Auslandsbezug ist dies nachdrücklich zu unterstreichen.36 Die deutsche Finanzverwaltung ist bestrebt, diese Anforderungen zu erfüllen.37

III. Weiterentwicklung des Verständigungsverfahrens Das überkommene Verständigungsverfahren weist vor allem im Hinblick auf die Abhängigkeit seines Erfolges von der Einigungsbereitschaft der beteiligten Finanzverwaltungen und hinsichtlich der Umsetzung seiner Ergebnisse im Anwendungsbereich der innerstaatlichen Bestandskraft- und Rechtskraftvorschriften38 Schwächen auf. Auch die Stellung des Steuerpflichtigen im Verfahren ist normativ unzureichend ausgestaltet.39 1. Fortsetzung des allgemeinen Verständigungsverfahrens durch Schiedsverfahren Mit angestoßen durch das zwischen den Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Verrechnungspreisbildung vereinbarte Schiedsabkommen40 enthält eine zunehmende Zahl von Doppelbesteuerungsabkommen seit Beginn der 90er Jahre Schiedsklauseln in Gestalt von Vereinbarungen, dass nach erfolglosem Verständigungsverfahren als zweiter Schritt ein Schiedsverfahren eingeleitet werden kann.41 Gemeinsam ist diesen Verfahren trotz erheblicher Unterschiede in wichtigen Einzelheiten42, dass sie auf eine verbindliche Streitentscheidung durch einen von den Streitparteien berufenen Dritten abzielen. Eine wichtige Unterscheidung besteht zwischen fakultativen und obligatorischen Schiedsverfahren. Kennzeichen des fakultativen Schieds-

__________ 36 Vgl. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 116 f. m. w. N. 37 Nach BMF sollen die zuständigen deutschen Behörden den Steuerpflichtigen über den Stand und den Fortgang des Verfahrens unterrichten. Er hat das Recht, Anträge zu stellen, sich zu den für die Verständigung erheblichen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern und sich durch einen Bevollmächtigten vertreten zu lassen, vgl. Merkblatt zum Internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen, BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 340/06, BStBl. I 2006, 461 – Tz. 3.3.1. 38 Zum deutschen innerstaatlichen Recht oben II 2 a und c. 39 Vgl. zu der seit langem bestehenden Kritik insbesondere Avery Jones u. a., BTR 1980, 19; Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2001, S. 17 ff.; Tillinghast, BIFD 2002, 90; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 200. 40 Dazu unten IV. 41 Vgl. zur deutschen Vertragspraxis Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 260 ff.; zu Streitbeilegungsverfahren nach Welthandelsrecht und nach Investitionsschutzverträgen Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 355 ff. 42 Vgl. den Überblick bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 200 ff.

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verfahrens ist, dass es erst nach Entstehen eines Konflikts vereinbart wird bzw. vereinbart werden kann, einschließlich der Möglichkeit ein vorab gegebenes generelles Einverständnis der Vertragsstaaten zur Durchführung des Schiedsverfahrens zu widerrufen. Beim obligatorischen Schiedsverfahren bestehen diese Möglichkeiten nicht, vielmehr einigen sich die Parteien bereits vor dem Entstehen der Streitigkeit verbindlich über die Durchführung des Schiedsverfahrens. Beide Verfahren führen aber, wenn sie einmal eingeleitet sind, zu einer die Vertragsstaaten nach Maßgabe der dargestellten Vorbehalte43 bindenden Entscheidung. 2. Das neue Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA Der vom Steuerausschuss der OECD im Januar 2007 verabschiedete Art. 25 Abs. 5 OECD-MA44 sieht ein obligatorisches Schiedsverfahren als Fortsetzung eines gescheiterten Verständigungsverfahrens vor.45 Es handelt sich also nicht um ein eigenständiges Verfahren, das neben bzw. an die Stelle des Verständigungsverfahrens treten soll, vielmehr muss dem Schiedsverfahren ein herkömmliches Verständigungsverfahren vorangegangen sein. Nach seinem eindeutigen Wortlaut beschränkt sich das auf gesonderten Antrag des Steuerpflichtigen einzuleitende Verfahren auf die Fortsetzung eines Verständigungsverfahrens zur Lösung von Einzelfällen nach Art. 25 Abs. 1 und Abs. 2 OECDMA (Verständigungsverfahren im engeren Sinne)46, es dient somit der Verbesserung des Individualrechtsschutzes. Während ein Verständigungsverfahren im engeren Sinne bereits dann eingeleitet werden kann, wenn eine abkommenswidrige Besteuerung lediglich droht, erfordert die Fortsetzung durch das Schiedsverfahren, dass eine abkommenswidrige Besteuerung bereits eingetreten ist. Nachdem das neue Schiedsverfahren voraussetzt, dass das Verständigungsverfahren für die Dauer von mindestens zwei Jahren erfolglos geblieben ist, erscheint diese Voraussetzung nicht als Verschärfung, weil sich das Drohen einer abkommenswidrigen Besteuerung nach Ablauf dieses Zeitraums entweder konkretisiert oder als unbegründet erwiesen haben dürfte. Nicht unmittelbar im Text des Art. 25 Abs. 5 OECD-MA, sondern in einer den Staaten als gesonderte Musteranwendungsvereinbarung vorgeschlagenen Ergänzung der Abkommensvorschrift werden neben weiteren Einzelheiten des Verfahrens auch die Modalitäten der Schiedsrichterbestellung ausgeführt.47 Vorgesehen ist, dass die beteiligten Steuerverwaltungen jeweils einen Schiedsrichter benennen, die sich dann gemeinsam auf einen Dritten einigen. Gelingt die Einigung nicht, so entscheidet der Direktor des OECD-Zentrums für Steuerpolitik

__________ 43 Vgl. oben II 2 a und c. 44 OECD, http://www.oecd.org/dataoecd/17/59/38055311.pdf. 45 Art. 25 Abs. 5 OECD-MA wird mit entsprechenden Erläuterungen (OECD, MAKommentar, Ziff. 45 ff.) im Januar 2008 in das Musterabkommen aufgenommen. 46 Dazu oben II 2 a. 47 OECD, http://www.oecd.org/dataoecd/17/59/38055311.pdf, Ziff. 5 der von den Vertragsstaaten als gesonderte Verständigungsvereinbarung abzuschließende Musteranwendungsvereinbarung (Sample Agreement on Arbitration).

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und -verwaltung innerhalb von 10 Tagen über die Benennung. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ergeht entweder als Ergebnis eigenständiger und unabhängiger Rechtsfindung (independent opinion approach) oder als Auswahlentscheidung zwischen den letzten Angeboten der beteiligten Steuerverwaltungen (final offer approach).48 Was das Verhältnis der Verfahrensentscheidung zu innerstaatlichen Rechtsbehelfsverfahren anbelangt49, sieht der neue Art. 25 Abs. 5 Satz 2 OECD-MA zwar vor, dass ein Schiedsverfahren nicht durchgeführt werden soll, wenn ein innerstaatliches Gericht eines der beiden Vertragsstaaten über den Fall entschieden hat, doch kann dies nach innerstaatlichem Recht auch anders geregelt werden. Dieser Hinweis auf das innerstaatliche Recht relativiert auch die Aussage des OECD-Kommentars, wonach es nicht möglich sei, Schiedsverfahren und innerstaatliche Rechtsmittel parallel zu verfolgen.50 Vielmehr soll der Steuerpflichtige gehalten sein, zunächst die Aussetzung der innerstaatlichen Verfahren zu erwirken. Sobald ein Schiedsspruch ergeht, kann der Steuerpflichtige zwischen einer Zustimmung zu dem Ergebnis dieses Verfahrens mit Verzicht auf die innerstaatlichen Rechtsmittel und der Fortsetzung der innerstaatlichen Rechtsmittel wählen.51 Stimmt er dem Schiedsspruch zu, so resultiert daraus die Verpflichtung der Vertragsstaaten, innerhalb von sechs Monaten nach Erlass des Schiedsspruchs eine inhaltsgleiche Verständigungsvereinbarung abzuschließen, die dann ihrerseits nach Maßgabe des Art. 25 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA umzusetzen ist.52 Dieser Weg erscheint zwar trotz einer gewissen Umständlichkeit konsequent, weil er in das durch das Schiedsverfahren fortgesetzte Verständigungsverfahren zurückführt. Bedauerlich ist jedoch, dass dadurch eine autonome verfahrensbeendigende Wirkung des Schiedsspruchs ausgeschlossen bleibt. Es bleibt bei einer Verständigung zwischen den beteiligten Steuerverwaltungen mit allen Konsequenzen für die Umsetzung in das jeweilige innerstaatliche Recht.53 3. Vorabverständigungsvereinbarungen (APAs) Auf dem Gebiet der Verrechnungspreisbestimmung gewinnen neben den überkommenen Verständigungsverfahren und deren Fortsetzung durch das Schlichtungsverfahren nach dem EG-Schiedsabkommen54 präventive Verständigungsvereinbarungen zunehmende Bedeutung. Japanischem und amerikanischem

__________ 48 OECD, http://www.oecd.org/dataoecd/17/59/38055311.pdf, Anhang zur Kommentierung des Art. 25 Abs. 5 OECD-MA Ziff. 2 ff. 49 Dazu für das überkommene Verständigungsverfahren bereits oben II 2 b. 50 Vgl. zu dieser für die Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach deutschem Recht bestehenden Möglichkeit oben II 2 b. 51 Vgl. insoweit zu den Möglichkeiten des deutschen innerstaatlichen Verfahrensrechts oben II 2 b. 52 OECD, http://www.oecd.org/dataoecd/17/59/38055311.pdf, Anhang zur Kommentierung des Art. 25 Abs. 5 OECD-MA Ziff. 42. 53 Dazu oben II 2 a und c. 54 Dazu unten IV 1.

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Vorbild folgend, räumen mittlerweile viele Staaten die Möglichkeit von Advance Pricing Arrangements (APAs) ein.55 Es handelt sich dabei um zeitlich befristete formelle Absprachen zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen einerseits und der bzw. den betroffenen Steuerbehörden andererseits, in denen auf Antrag des oder der Steuerpflichtigen eine bestimmte Methode zur Bestimmung eines angemessenen Verrechnungspreises (vorab) für einen bestimmten Zeitraum verbindlich festgelegt wird. Durch APAs lassen sich umfassende Auseinandersetzungen über Gewinnberichtigungen bereits im Vorfeld vermeiden, doch stehen und fallen diese Möglichkeiten u. a. mit den für derartige Vorabverständigungen erforderlichen Rechtsgrundlagen.56 Auf völkerrechtlicher Ebene liegt es nahe, die in den jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Verständigungsverfahren als ausreichende Rechtsgrundlagen anzusehen, zumal diese Verfahren Vorabverständigungen unter Beteiligung des Steuerpflichtigen grundsätzlich nicht ausschließen. Die von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten allerdings bislang keine gesonderten Regelungen über APAs, auch fehlen im deutschen innerstaatlichen Recht gesetzliche Regelungen für verbindliche Vorabverständigungsvereinbarungen.57

IV. Europarechtliche Entwicklungen Der EG-Vertrag begründet keine spezielle Gemeinschaftskompetenz auf dem Gebiet der direkten Steuern. Richtlinien auf diesem Gebiet konnten deshalb bislang nur auf der Grundlage der Generalklausel des Art. 94 EG erlassen werden.58 Die Mitgliedstaaten unterliegen allerdings mit allen nationalen und völkervertraglichen Regelungen grenzüberschreitender Sachverhalte den Grund-

__________ 55 Vgl. Herzig (Hrsg.), Advance pricing agreements: (APAs); ein neues Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten?, Köln 1996; Grotherr, Advance Pricing Agreement – Verfahren zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten, BB 2005, 855; Schmid in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Steuerplanung, 2. Aufl., Herne/Berlin 2003, S. 1770 ff.; weitere Nachweise bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 316 ff.; vgl. dazu Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen, BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594. 56 Vgl. dazu Ismer/Kost, Sondervergütungen unter dem DBA-USA – Zugleich Anm. zum Urteil des FG Baden-Württemberg, EFG 2006, 677, IStR 2007, 120; Portner, Adavance Pricing Agreements (APAs) im deutschen Steuerrecht – innerstaatliche Aspekte und Abkommensrecht, IStR 1996, 156; Runge in Herzig (Hrsg.), Advance pricing agreements: (APAs); ein neues Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten?, Köln 1996, S. 43 ff.; Urtz, Die simultane Betriebsprüfung durch Finanzbehörden verschiedener Länder, SWI 1996, 476. 57 Vgl. dazu die Nachweise in Fn. 56. 58 Vgl. die Übersicht bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 254.

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freiheiten des EG-Vertrages.59 Die dazu ergangene umfangreiche Rechtsprechung des EuGH betrifft zwar vornehmlich die Ausgestaltung der innerstaatlichen Vorschriften über die beschränkte und die unbeschränkte Steuerpflicht60, mit zunehmender Tendenz aber auch die Regelungen der zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen.61 Art. 293 EG, der die Mitgliedstaaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft verpflichtet62, hat bislang keine besondere materiellrechtliche Bedeutung für die innergemeinschaftlichen Abkommen gehabt. Nach der Rechtsprechung des EuGH hat Art. 293 EG auch keine unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass er dem Einzelnen Rechte gewährt, auf die er sich vor den nationalen Gerichten berufen könnte.63 Mit diesem bislang sehr geringen materiellrechtlichen Stellenwert des Art. 293 EG kontrastiert die Bedeutung der Vorschrift für das Verfahrensrecht. Art. 293 EG ist Grundlage für ein multilaterales Schiedsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall der Gewinnberichtigung zwischen verbundenen Unternehmen.64 Denkbar, soweit ersichtlich bislang aber noch nicht diskutiert, erscheint die Möglichkeit, Art. 293 EG auch als Grundlage für eine Entscheidungskompetenz des EuGH im Anwendungsbereich der zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen zu entfalten.65 1. Das EG-Schiedsabkommen Das EG-Schiedsabkommen66 wurde von den Mitgliedstaaten im Jahre 1990 als multilateraler völkerrechtlicher Vertrag auf der Grundlage des Art. 293 EG abgeschlossen. Sein Anwendungsbereich ist auf Gewinnberichtigungen zwi-

__________ 59 Grundlegend EuGH v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, EuGHE 1995, I-225 – ständige Rechtsprechung; zu dieser Rechtsprechung umfassend insbesondere Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, Köln 2002; Reimer, Die Auswirkungen der Grundfreiheiten auf das Ertragsteuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, in Lehner (Hrsg.), Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, München 2000, S. 39 ff. 60 Vgl. die Nachweise in Fn. 59. 61 Vgl. dazu den Überblick bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einl. Rz. 265 ff. m. w. N.; grundlegend und aktuell Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007. 62 Vgl. dazu Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einl. Rz. 264 ff. 63 EuGH, Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-336/96 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793 – Rz. 16 f.; zustimmend Forsthoff, Treaty Override und Europarecht, IStR 2006, 510; Cordewener/Schnitger, Europarechtliche Vorgaben für die Vermeidung der internationalen Doppelbesteuerung im Wege der Anrechnungsmethode, StuW 2006, 56; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 81: „Bestimmung mit programmatischem Charakter“. 64 Dazu unten IV 1. 65 Dazu unten IV 2. 66 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen 90/436/EWG, ABl. EG Nr. L 225 v. 20.8.1990, 10 = BStBl. I 1993, 819.

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schen verbundenen Unternehmen begrenzt. Obwohl das EG-Schiedsabkommen, ähnlich wie das neue Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA67, an ein gescheitertes abkommensrechtliches Verständigungsverfahren anknüpft68, ist es, allein schon wegen seiner eigenständigen Regelung in einem multilateralen völkerrechtlichen Vertrag, nicht Bestandteil eines Verständigungsverfahrens. Bleibt das abkommensrechtliche Verständigungsverfahren über zwei Jahre hinweg erfolglos, so wird ein beratender Ausschuss eingesetzt, der neben einem zum Richteramt befähigten Vorsitzenden aus zwei Vertretern jeder beteiligten Behörde und aus einer geraden Anzahl von unabhängigen Personen besteht, die von den beteiligten Finanzverwaltungen im gegenseitigen Einvernehmen oder durch Losentscheid bestimmt werden. Der beratende Ausschuss gibt nach Anhörung der zur Aktenvorlage verpflichteten Unternehmen innerhalb von sechs Monaten eine Stellungnahme im sogenannten Schlichtungsverfahren ab. Auf dieser Grundlage entscheiden die beteiligten Behörden innerhalb von weiteren sechs Monaten im gegenseitigen Einvernehmen über die Beseitigung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung, die durch die angegriffene Gewinnberichtigung entstanden ist. Kommt eine entsprechende Einigung der beteiligten Finanzverwaltungen, deren Ergebnis von der Stellungnahme des beratenden Ausschusses abweichen kann, nicht zustande, so wird die Entscheidung des beratenden Ausschusses verbindlich. Die Umsetzung der jeweiligen Entscheidung folgt allerdings weitgehend den für die Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen geltenden Regeln.69 2. Zuständigkeit des EuGH Die Rechtsprechung des EuGH zu dem auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbaren innerstaatlichen Recht der direkten Steuern hat ein sehr beträchtliches Ausmaß erreicht; hinzu kommen mit zunehmender Tendenz Entscheidungen zu den von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen70. Wegen des Fehlens spezieller Gemeinschaftskompetenzen auf dem Gebiet der direkten Steuern finden diese Entscheidungen ihre Rechtsgrundlagen, von den auf der Grundlage der Generalklausel des Art. 94 EG erlassenen Richtlinien abgesehen71, bislang jedoch ausschließlich in den primärvertraglichen Diskriminierungsverboten.72 Auch im Anwendungsbereich des Schiedsabkommens, das die Mitgliedstaaten als multilateralen völkerrechtlichen Vertrag auf der Grundlage des Art. 293 EG abgeschlossen haben73, be-

__________ 67 Dazu oben III 2. 68 Einzelheiten des Verfahrens werden in einem Verhaltenskodex geregelt, BMF, Schr. v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570 – VerwaltungsgrundsätzeVerfahren; vgl. dazu Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 303 ff. 69 Dazu oben II 2 a. 70 Vgl. die Nachweise in Fn. 59 und 61. 71 Vgl. die Übersicht bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 254. 72 Vgl. die Nachweise in Fn. 59 und 61. 73 Dazu oben I.

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steht, von den insoweit ebenfalls zu beachtenden Diskriminierungsverboten abgesehen, keine Entscheidungszuständigkeit des EuGH. Grund dafür ist, dass das Abkommen weder primäres noch sekundäres Gemeinschaftsrecht, sondern „nur“ ein von den Mitgliedstaaten abgeschlossener völkerrechtlicher Vertrag ist. Geht es also nicht um Diskriminierungsprobleme, so kann der EuGH nach überkommenem Verständnis nicht darüber befinden, wie das Schiedsabkommen auszulegen und anzuwenden ist. Für die zwischen den Mitgliedstaaten der EG abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen gilt nichts anderes. Für diese hat der EuGH bereits ausdrücklich festgestellt, dass er nicht befugt ist, über die Auslegung von anderen als gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu entscheiden.74 Umso bemerkenswerter ist es, dass das zwischen Deutschland und Österreich abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen eine Zuständigkeit des EuGH im Rahmen des darin enthaltenen Verständigungsverfahrens vorsieht. Gem. Art. 25 Abs. 5 DBA-Österreich sind die Vertragsstaaten auf Antrag der i. S. d. Art. 25 Abs. 1 OECD-MA antragsberechtigten Person75 verpflichtet, den Fall nach einem gescheiterten Verständigungsverfahren im Rahmen eines Schiedsverfahrens entsprechend Art. 239 EG vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften anhängig zu machen.76 Der Gerichtshof wird jedoch im Rahmen dieser in den Art. 238 und 239 EG77 vorgesehenen Zuständigkeit nicht als Schiedsgericht tätig, vielmehr entscheidet er in seiner Funktion als Gemeinschaftsorgan.78 Die Begründung der Zuständigkeit des EuGH79 aufgrund der Art. 238 f. EG hat den Zuständigkeitsausschluss der innerstaatlichen Gerichte zur Folge.80 Für den vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist vor allem, dass der Gerichtshof die bei ihm anhängig gemachten Streitigkeiten nach dem von den Parteien ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarten Recht zu beurteilen hat.81 Dies kann, nachdem die Schieds-

__________ 74 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-141/99 – AMID, EuGHE 2000, I-11619; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Colomer, EuGH v. 20.11.1997 – Rs. C-336/96 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793 – Rz. 25; Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 46, 75. 75 Vgl. zu den Antragsvoraussetzungen oben II 2 a, die für das insoweit musterkonforme DBA-Österreich entsprechend gelten. 76 Vgl. dazu Züger, Der EuGH als Schiedsgericht im neuen DBA DeutschlandÖsterreich, SWI 1999, 21; Züger, ET 2001, 19; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 268. 77 Vgl. dazu neben anderen die Kommentierung von Cremer in Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., München, 2007, zu den Art. 238 und 239 EG. 78 Cremer in Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., München, 2007, Art. 239 EG Anm. 1. 79 Sie kann durch ein gesondertes Abkommen, aber auch, wie im vorliegenden Fall, durch Aufnahme einer entsprechenden Klausel in ein bereits bestehendes Abkommen erfolgen, vgl. Cremer in Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU- und EGVertrag, 3. Aufl., München, 2007, Art. 239 EG Anm. 2. 80 Cremer in Callies/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., München, 2007, Art. 238 EG Anm. 2. 81 EuGH, Urt. v. 7.12.1976 – Rs. 23/76 – Pellegrini, EuGHE 1976, 1807 – Rz. 11.; EuGH, Urt. v. 26.11.1985 – Rs. 318/81 – CO.DE.MI., EuGHE 1985, 3693 – Rz. 14.

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vereinbarung Teil des DBA-Österreich ist, nur das Abkommensrecht mit all den für seine Auslegung geltenden Besonderheiten sein.82 Unabhängig von dieser, in der deutschen Abkommenspraxis bislang einzigen Begründung einer Entscheidungszuständigkeit des EuGH83 im Bereich des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen, gibt es bereits aufgrund der bestehenden Richtlinien auf dem Gebiet der direkten Steuern Sachverhaltskonstellationen, in denen der EuGH im Rahmen seiner insoweit gem. Art. 234 EG eindeutig bestehenden Entscheidungszuständigkeit abkommensrelevante Fragen entscheiden muss.84 Vor diesem Hintergrund stellt sich die sehr weit gehende Frage, ob nicht bereits aus Art. 293 EG eine allgemeine Entscheidungszuständigkeit des EuGH für Fragen der innergemeinschaftlichen Doppelbesteuerung abgeleitet werden kann. Zwar begründet Art. 293 EG lediglich eine primärvertragliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft, doch ist es zweifellos Aufgabe des EuGH, darüber zu entscheiden, ob die Mitgliedstaaten ihre diesbezügliche Verpflichtung unter Beachtung der primärvertraglichen Diskriminierungsverbote und der auf dem Gebiet der direkten Steuern erlassenen Richtlinien85 erfüllt haben. Den Anlass für eine solche Entscheidung des Gerichtshofs könnte sowohl ein Vorabentscheidungsverfahren auf Ersuchen eines mitgliedstaatlichen Gerichts nach Art. 234 EG als auch ein Vertragsverletzungsverfahren nach Maßgabe der Art. 226 f. EG bilden. Ob Art. 293 EG die ihm insoweit zugedachte Bedeutung erfüllen kann, erscheint jedoch angesichts der sehr zurückhaltenden Auslegung des Art. 293 EG durch den Gerichtshof86, vor allem aber angesichts der ohne Angabe von Gründen geplanten Streichung dieser Vorschrift87 zweifelhaft.

__________ 82 Dazu umfassend Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 95 ff. 83 Vgl. zur deutschen Vertragspraxis zu Schiedsklauseln in DBA Lehner in Vogel/ Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 239 ff. 84 Vgl. dazu Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Art. 25 OECD-MA Rz. 269 ff. 85 Vgl. die Übersicht bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., München 2008, Einleitung Rz. 254. 86 Vgl. den Nachweis in Fn. 63. 87 Dazu Lehner, Beseitigt die neue Verfassung für Europa die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung?, IStR 2005, 397.

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Die Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen im Lichte von Columbus Container Inhaltsübersicht I. Columbus Container – der Stand des Verfahrens II. Treaty Override kein gemeinschaftsrechtliches Problem? III. Die Zulässigkeit der Anrechnungs- und der Freistellungsmethode

IV. Das gemeinschaftsrechtliche Gebot einer konsistenten Abkommenspolitik V. Mögliche Rechtfertigungsgründe für Ausnahmen VI. Zusammenfassung

I. Columbus Container – der Stand des Verfahrens Wolfram Reiß gehört zu den Steuerrechtswissenschaftlern, deren Interessensfeld besonders weit gesteckt ist. Im Umsatzsteuerrecht ist er genauso wie auf dem Gebiet der direkten Steuern als herausragender Experte ausgewiesen.1 In den letzten Jahren ist das Gemeinschaftsrecht verstärkt in sein Blickfeld gerückt.2 Vom 15.–17.2.2007 nahm er an der Wirtschaftsuniversität Wien an einer Konferenz teil, bei der die aktuell beim EuGH anhängigen Fälle analysiert wurden. Das deutsche Vorabentscheidungsersuchen Columbus Container

__________ * Frau Mag. Katharina Kubik danke ich für die Unterstützung bei der Literaturrecherche und der Fahnenkorrektur; Frau Mag. Sabine Heidenbauer, LL.M. danke ich für die kritische Diskussion dieses Manuskripts. Das Manuskript habe ich am 22.8.2007 abgeschlossen. 1 Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählen u. a. Reiß, Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, Köln 1987 – Habilitationsschrift; Reiß in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff (Hrsg.), EStG, §§ 15 und 16 EStG; Reiß in Rau/Dürrwächter, UStG, §§ 3b, 3c, 3e, 18b UStG; Mitherausgeber und Mitarbeiter des Reiß/Kraeusel/Langer, UStG; Reiß, Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer beim Unternehmens(ver)kauf, in Schaumburg (Hrsg.), Unternehmenskauf im Steuerrecht, 2. Aufl., Stuttgart 2000, S. 283. 2 Reiß, Thesen zur Umsatzbesteuerung im europäischen Binnenmarkt, UR 1997, 77; Reiß, Nationales Steuerrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Teil I DSWR 1998, 218; Reiß, Nationales Steuerrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Teil II, DSWR 1998, 255; Reiß, Umsatzsteuer und Internet – Eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung des EU-Richtlinienvorschlags zur mehrwertsteuerlichen Behandlung elektronischer Dienstleistungen, in Scheffler/Voigt (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven im Electronic Business, Grundlagen – Strategien – Anwendungsfelder, Wiesbaden 2000, S. 303; Reiß, Kein Renditefonds – zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie, UR 2003, 428; Reiß, Missachtung des Neutralitätsgebots am Beispiel der Besteuerung von Rundfunk- und Fernsehsendungen in Europa, EuGH-UStRep 2004, 73; Reiß, EuGH-Vorlage des BFH v. 8.7.2004, VII R 24/03: Konkurrentenklage wegen Umsatzsteuerpflicht, IStR 2005, 53.

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wurde dabei von Jürgen Lüdicke untersucht.3 Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine Schlussanträge. Mittlerweile wurden sie am 27.3.2007 von Generalanwalt Mengozzi vorgelegt.4 Ich möchte diese Schlussanträge zum Anlass nehmen, einige weitere Überlegungen zu Columbus Container anzustellen, um damit an die im Februar mit Wolfram Reiß in Wien geführten Diskussionen anzuknüpfen, und hoffe, mit dieser Themenwahl das Interesse des Jubilars zu treffen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Beitrag erscheint, wird das Urteil des EuGH vermutlich bereits vorliegen. Das Risiko, die hier angestellten Überlegungen könnten überholt sein, nehme ich in Kauf. EuGH-Urteile sind im Lichte der Schlussanträge zu verstehen. Vor diesem Hintergrund könnte eine Aufbereitung der Schlussanträge hilfreich sein: Soweit der EuGH Begründungslinien des Generalanwalts ausdrücklich folgt, steht deren Relevanz für die gemeinschaftsrechtliche Judikatur ohnehin außer Streit. Folgt der Gerichtshof aber Erwägungen des Generalanwalts nicht oder widerspricht er ihnen, ist dies ebenfalls aufschlussreich.

II. Treaty Override kein gemeinschaftsrechtliches Problem? Bei der Columbus Container Services BVBA & Co (im Folgenden: Columbus) handelt es sich um einen in Belgien ansässigen Rechtsträger, der dort als Steuerrechtssubjekt betrachtet, nach deutschem Steuerrecht allerdings wie eine Personengesellschaft behandelt wird. Folglich werden die Einkünfte von Columbus nach deutschem steuerrechtlichen Verständnis bei den Gesellschaftern erfasst. Das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Belgien sieht für derartige Einkünfte aufgrund der Betriebsstätte in Belgien die – unter Progressionsvorbehalt erfolgende – Freistellung der Einkünfte bei den deutschen Gesellschaftern vor. Aufgrund der niedrigen Steuerbelastung von Columbus in Belgien, die dort den Regelungen für „Coordination Centers“ unterworfen war, wurde nach § 20 Abs. 2 und 3 AStG die Freistellungs- durch die Anrechnungsmethode ersetzt und die Einkünfte bei den deutschen Gesellschaftern der Steuer unterworfen.5 Vorweg hielt der Generalanwalt fest, dass er das Vorbringen von Columbus, wonach die Vorschriften des § 20 Abs. 2 und 3 AStG gegen das Doppelbesteuerungsabkommen verstoßen, nicht zu prüfen brauche:

__________ 3 Lüdicke, Pending Cases Filed by German Courts I, in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), ECJ – Recent Developments in Direct Taxation, Wien 2006, S. 113 (163 ff.). 4 Schlussantrag Generalanwalt Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de. 5 Vgl Lüdicke in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), ECJ – Recent Developments in Direct Taxation, Wien 2006, S. 113 (163 ff.); Wassermeyer/Rainer, EuGH: Columbus Container: EG-Rechtswidrigkeit von § 20 Abs. 2 AStG, IStR 2007, 299; Franck, § 20 Abs. 2 AStG auf dem Prüfstand der Grundfreiheiten – Anmerkungen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtsache C-298/06 (Columbus), IStR 2007, 489.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen „Der Gerichtshof ist nämlich im Rahmen von Art. 177 EGV (jetzt Art. 234 EG) für die Beantwortung dieser Frage, die nicht zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gehört, nicht zuständig […]. […] Natürlich bedeutet diese Beurteilung jedoch nicht, dass der Gerichtshof, um eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen, die dem nationalen Gericht zweckdienlich ist, gegebenenfalls die Bestimmungen eines Doppelbesteuerungsabkommens nicht berücksichtigen könnte, wenn, wie im vorliegenden Fall, das vorlegende Gericht dieses Abkommen zu Recht als Teil des auf das Ausgangsverfahren anwendbaren rechtlichen Rahmens anführt […]. Im Übrigen meine ich, wie Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Denkavit Internationaal und Denkavit France […] ausgeführt hat, dass die tatsächliche Wirkung eines Doppelbesteuerungsabkommens auf die Situation eines Steuerpflichtigen bei der Beurteilung, ob in einem speziellen Fall eine Beschränkung der vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten vorliegt, zu berücksichtigen ist. Andernfalls würden insbesondere die wirtschaftliche Realität der Tätigkeit des Steuerpflichtigen und die mit dem grenzüberschreitenden Zusammenhang verbundenen eventuellen Anreize nicht beachtet.“6

Der Generalanwalt geht zutreffend davon aus, dass es ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entspricht, Doppelbesteuerungsabkommen genauso wie andere Vorschriften des nationalen Rechts zu behandeln. Ob ein Doppelbesteuerungsabkommen vom nationalen Gericht zutreffend oder unzutreffend ausgelegt wird, fällt genauso wenig in die Zuständigkeit des EuGH wie die Frage, ob eine andere Rechtsvorschrift des nationalen Rechts vom vorlegenden Gericht überzeugend interpretiert wird.7 Der EuGH ist genauso wenig dafür zuständig, die Rangfolge zwischen Doppelbesteuerungsabkommen und anderem nationalen Recht zu entscheiden, sowie er auch nicht entscheiden kann, wie das Verhältnis von zwei miteinander in Widerspruch stehenden nationalen Regelungen aufzulösen ist. Dies fällt in die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts. Der EuGH hat nationales Recht nicht auszulegen und den Rahmen des nationalen Rechts, den ihm das vorlegende Gericht präsentiert, um die Erheblichkeit der vorgelegten gemeinschaftsrechtlichen Frage darzutun, nicht nachzuprüfen.8 Im Hinblick auf Doppelbesteuerungsabkommen ist diese Position des EuGH aber nicht völlig selbstverständlich: Nach Art. 293 EG leiten, soweit erforderlich, „die Mitgliedstaaten untereinander Verhandlungen ein, um zugunsten

__________ 6 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 46 und 47; vgl. außerdem EuGH, Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-141/99 – AMID, EuGHE 2000, I-11619 – Rz. 18; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 27.4.2006 – Rs. C-170/05 – Denkavit II, EuGHE 2006, I-11949 – Rz. 33 bis 38; Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed, EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-513/04 – Kerckhaert und Morres, EuGHE 2006, I-10967 – Rz. 37; Cloer/Lavrelashvili/Biebl, Rechtsache Columbus: Unilateraler Switch-over im Fokus des Gemeinschaftsrechts, SWI 2007, 359 (361). 7 Vgl Forsthoff, Treaty Override und Europarecht, IStR 2006, 509 (509); ausnahmsweise könnte dem EuGH jedoch eine solche Kompetenz eingeräumt werden, siehe Art. 25 Abs. 5 DBA Österreich-Deutschland; vgl. auch Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 409 f. – Habilitationsschrift. 8 EuGH, Urt. v. 24.10.1996 – Rs. C-435/93 – Dietz, EuGHE 1996, I-5223 – Rz. 39; EuGH, Urt. v. 30.4.1998 – Rs. C-136/95 – Thibault, EuGHE 1998, I-2011 – Rz. 21; EuGH, Urt. v. 19.1.2006 – Rs. C-265/04 – Bouanich, EuGHE 2006, I-923 – Rz. 51.

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ihrer Staatsangehörigen […] die Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft“ sicherzustellen. Diese Vorschrift würde dem EuGH die Möglichkeit geben, Doppelbesteuerungsabkommen als in Ausführung dieser Vorschrift erlassen und somit als „mit gemeinschaftsrechtlichen Weihen“ versehen anzusehen. Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten könnten auf diese Weise ähnlich wie Richtlinien oder Verordnungen, die ebenfalls auf dem Boden des EG-Vertrages erlassen werden, als Teil des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden.9 Ein Verstoß gegen ein zwischen EUStaaten abgeschlossenes Doppelbesteuerungsabkommen könnte dann auch als Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht gewertet und vom EuGH dementsprechend aufgezeigt werden. Interessanterweise hat sich der EuGH diese Möglichkeit schon allein dadurch genommen, dass er bisher meist nur multilaterale, nicht aber bilaterale Abkommen als unter Art. 293 EG fallend qualifizierte.10

III. Die Zulässigkeit der Anrechnungs- und der Freistellungsmethode Der Generalanwalt geht auch davon aus, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, sich entweder für die Freistellungsmethode oder aber für die Anrechnungsmethode zu entscheiden, wenn sie sich entschlossen haben, Doppelbesteuerung zu vermeiden: „Der Gerichtshof hat auch in mehreren Rechtssachen zu entscheiden gehabt, in denen im Steuerrecht der betreffenden Mitgliedstaaten eine dieser beiden Methoden angewandt wurde, ohne dass er Ausführungen zur Rechtmäßigkeit dieser Methoden als solche oder zur Wahl einer von ihnen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht gemacht hätte […].“11

__________ 9 Vgl Vedder, Einwirkung des Europarechts auf das innerstaatliche Recht und auf internationale Verträge der Mitgliedstaaten: die Regelung der Doppelbesteuerung, in Lehner/Thömmes (Hrsg.), Europarecht und Internationales Steuerrecht, München 1994, S. 1 (15 ff.); Pistone, The Impact of Community Law on Tax Treaties, Den Haag 2002, S. 77 f.; Terra/Wattel, European Tax Law, 4. Aufl., Cambridge 2005, S. 407; a. A. offenbar jedoch im Bezug auf multilaterale Abkommen Kofler, Treaty Override, juristische Doppelbesteuerung und Gemeinschaftsrecht, SWI 2006, 62 (67 f.); Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 402 ff. m. w. N. 10 So z. B. EuGH, Urt. v. 14.12.2006 – Rs. C-170/05 – Denkavit II, EuGHE 2006, I-11949 – Rz. 43 ff.; EuGH, Urt. v. 12.12.2006 – Rs. C-374/04 – ACT Group Litigation, EuGHE 2006, I-11673 – Rz. 51 f.; EuGH, Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-336/96 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793 – Rz. 23 ff.; EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – Rs C-307/97 – Saint-Gobain, EuGHE 1999, I-6161 – Rz. 57; EuGH, Urt. v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D, EuGHE 2005, I-5821 – Rz. 50; EuGH, Urt. v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N, EUGHE 2006, I-7409 – Rz. 43; siehe auch Forsthoff, Treaty Override und Europarecht, IStR 2006, 509 (510); im steuerlichen Bereich stellt das Schiedsübereinkommen das einzige Abkommen dar, welches auf Basis des Art. 293 EG abgeschlossen wurde; vgl. auch hierzu Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 374 ff. m. w. N. 11 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 87.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen

Ein entscheidendes Argument ist für den Generalanwalt die Unterscheidung zwischen der Aufteilung und der Ausübung der Steuerhoheit: „In diesem Kontext hat der Gerichtshof ursprünglich festgestellt, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, im Rahmen bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Steuerhoheit festzulegen […]. In späteren Urteilen hat er hinzugefügt, dass sich diese den Mitgliedstaaten zugebilligte Freiheit auf einseitig erlassene Maßnahmen erstreckt […]. […] Bei der Ausübung der Steuerhoheit sind die Mitgliedstaaten jedoch verpflichtet, den Gemeinschaftsvorschriften nachzukommen […]. […] Die gegenwärtige Rechtsprechung des Gerichtshofs unterscheidet somit zwischen der Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten, bei der eine sich daraus ergebende mögliche unterschiedliche Behandlung nicht in den Anwendungsbereich der Verkehrsfreiheiten des Vertrags fällt, einerseits, und der Ausübung der Steuerhoheit durch die Mitgliedstaaten einschließlich derjenigen aufgrund einer vorherigen bilateralen oder einseitigen Aufteilung ihrer Steuerhoheit, bei der die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, den Gemeinschaftsvorschriften nachzukommen, andererseits […]. […] Aus dieser Zweiteilung geht hervor, dass die Mitgliedstaaten nicht nur zum einen die Möglichkeit behalten, die Doppelbesteuerung nicht zu vermeiden […], sondern auch zum anderen die Wahl des Mechanismus zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, was ihnen u. a. grundsätzlich erlauben muss, sich entweder für die Freistellungsmethode oder für die Methode der Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat erhobenen Steuern zu entscheiden.“12

Die Unterscheidung zwischen der Aufteilung und der Ausübung der Steuerhoheit ist höchst fragwürdig: Doppelbesteuerungsabkommen teilen die Steuerhoheit zwischen den Staaten auf. Gleichzeitig entscheiden ihre Regelungen aber auch über die Ausübung der Steuerhoheit: DBA-Normen beschränken die Besteuerungstatbestände des nationalen Rechts. Sie sehen Ermäßigungen oder Ausnahmen von der Steuerpflicht vor. Damit bestimmen sie auch den Umfang der Besteuerungstatbestände des nationalen Rechts und somit auch die Ausübung der Steuerhoheit mit. Schließlich kann es keinen Unterschied machen, ob ein Besteuerungstatbestand von vornherein eng umschrieben wird oder zunächst weiter, um ihn dann – beispielsweise mittels DBA-Norm – wieder einzuschränken.13 Da die DBA-Regelungen gleichzeitig die Aufteilung und auch die Ausübung der Steuerhoheit zum Gegenstand haben, ist diese Unterscheidung nicht haltbar. Der Generalanwalt schiebt eine weitere Begründung nach: „Wie der Gerichtshof entschieden hat, ist es nicht abwegig, dass sich ein Mitgliedstaat für die Zwecke der Aufteilung der Steuerhoheit an der völkerrechtlichen Praxis, insbesondere an dem von der OECD ausgearbeiteten Musterabkommen, orientiert […]. Aus Art. 23 des Musterabkommens betreffend Einkommen und Vermögen geht aber hervor,

__________ 12 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 82 bis 85. 13 So schon Stoll, Das Steuerschuldverhältnis in seiner grundlegenden Bedeutung für die steuerliche Rechtsfindung, Wien 1972, S. 104; Ruppe, Die Ausnahmebestimmungen des Einkommensteuergesetzes, Wien 1971, S. 28 ff.; Lang, Doppelbesteuerungsabkommen und innerstaatliches Recht, Wien 1992, S. 75.

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Michael Lang dass die Freistellungsmethode und die Anrechnungsmethode als zulässige Mechanismen für die Vermeidung oder Abmilderung der Doppelbesteuerung angesehen werden.“14

Zwar ist es zutreffend, dass es „nicht abwegig“ ist, wenn sich ein Mitgliedstaat an den OECD-Musterabkommen orientiert. Dies ist aber nicht die eigentliche Frage. Es kann nur darum gehen, ob die Orientierung an einem OECD-Musterabkommen bereits per se die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ausschließt. Tatsächlich misst der EuGH dem OECD-Musterabkommen immer wieder Bedeutung bei.15 Er ist bisher nie so weit gegangen, eine bilaterale Abkommensregelung nur deshalb für gemeinschaftsrechtskonform zu erklären, weil sie einer Vorschrift des OECD-Musterabkommens entspricht. Der Gerichtshof lässt aber schon erkennen, dass er zumindest erhöhten Argumentationsbedarf sieht, wenn eine dem OECD-Musterabkommen entlehnte Regelung gemeinschaftsrechtswidrig sein soll. Diese Position überrascht, da das OECD-Musterabkommen eben eine bloße Vertragsschablone ist. „Rechtsgrundlage“ ist bloß eine unverbindliche Empfehlung der OECD an ihre Mitgliedstaaten, beim Abschluss von DBA das Musterabkommen zugrunde zu legen. Das Musterabkommen wird ausschließlich von Regierungsvertretern entworfen und auch von diesen – unter Berücksichtigung der fiskalischen Bedürfnisse der Regierungen – weiterentwickelt. Mitunter gelingt es den Regierungsvertretern auch, in den offiziellen Kommentar der OECD zum Musterabkommen Auffassungen einzufügen, die von den Gerichten ihrer Staaten abgelehnt wurden.16 Im Regelfall bedarf eine Änderung des OECD-Musterabkommens keiner parlamentarischen Zustimmung. Da sich der EuGH – zurecht – nicht einmal davon beeindrucken lässt, wenn die Gesetzgebungen fast aller Mitgliedstaaten zur Auslegung einer Gemeinschaftsrechtsnorm eine übereinstimmende Auffassung beziehen, und sich nicht davor scheut, sich ohne weiteres über diese hinwegzusetzen, ist es nicht überzeugend, wenn der EuGH übereinstimmenden Positionen der Regierungen Bedeutung beimisst, die nicht einmal von der Zustimmung der Parlamente der Mitgliedstaaten getragen sind.

__________ 14 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 86. 15 Siehe z. B. EuGH, Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-336/96 – Gilly, EuGHE 1998, I-2793 – Rz. 31; EuGH, Urt. v. 14.9.1999 – Rs. C-391/97 – Gschwind, EuGHE 1999, I-5451 – Rz. 24; EuGH, Urt. v. 12.12.2002 – Rs. C-385/00 – De Groot, EuGHE 2002, I-11819 – Rz. 98; EuGH, Urt. v. 12.6.2003 – Rs. C-234/01 – Gerritse, EuGHE 2003, I-5933 – Rz. 45; EuGH, Urt. v. 19.1.2006 – Rs. C-265/04 – Bouanich, EuGHE 2006, I-923 – Rz. 51; EuGH, Urt. v. 23.2.2006 – Rs. C-513/03 – van Hilten-van der Heijden, EuGHE 2006, I-1957 – Rz. 48; EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs C-346/04 – Conijn, EuGHE 2006, I-6137 – Rz. 17; EuGH, Urt. v. 7.9.2006 – Rs. C-470/04 – N., EuGHE 2006, I-7409 – Rz. 45; EuGH, Urt. v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerckhaert und Morres, EuGHE 2006, I-10967 – Rz. 23; EuGH, Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Thin Cap Group Litigation, www.curia.europa.eu/de – Rz. 49. 16 Vgl. die in manchen Staaten umstrittenen Passagen des OECD-Kommentars zur Zulässigkeit von CFC-Regelungen, u. a. OECD, Kommentar, Art. 1 Nr. 23 ff., Art. 7 Nr. 10 f., Art. 9 Nr. 37 und 39.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen

IV. Das gemeinschaftsrechtliche Gebot einer konsistenten Abkommenspolitik Der Umstand, dass der Generalanwalt sowohl die Anrechnungs- als auch die Freistellungsmethode als gemeinschaftsrechtskonform erachtet, hindert ihn aber nicht, dennoch in eine detaillierte Prüfung anhand der Grundfreiheiten einzutreten. Zunächst vergleicht er zwei in Deutschland Ansässige mit Einkünften aus einer deutschen und aus einer belgischen Personengesellschaft. In beiden Fällen werden die Einkünfte in Deutschland beim Gesellschafter steuerlich erfasst. Die Anrechnung der in Belgien bei Columbus erhobenen Steuern auf die von ihren Gesellschaftern in Deutschland zu entrichtende Einkommensteuer gewährleistet „eine steuerliche Gleichbehandlung zwischen der Besteuerung der Einkünfte sowohl aus ausländischen Quellen als auch aus deutschen Quellen“17. Ebenso gelangte der Generalanwalt bei der Vermögensteuer, wo die Verpflichtung zur Anrechnung mangels belgischer Vermögensteuer leer lief, zur Ansicht, „dass die Anwendung der Anrechnungsmethode in dem im Ausgangsverfahren betroffenen Sachverhalt im Verhältnis zu einem vergleichbaren Sachverhalt, der sich ausschließlich im Inland abgespielt hat, zu keiner unterschiedlichen Behandlung geführt hat. In beiden Fällen unterliegen die Gesellschafter der Betriebsstätte nämlich der gleichen Steuer mit der gleichen Besteuerungsgrundlage und dem gleichen Steuersatz.“18

Allerdings stellte der Generalanwalt auch einen Vergleich zwischen der Situation der Gesellschaft von Columbus „und einem anderen grenzüberschreitenden Sachverhalt“ an.19 Er berief sich dabei auf das EuGH-Urteil Cadbury Schweppes20, in dem der EuGH verschiedene grenzüberschreitende Situationen als Vergleichspaar heranzog. Der Generalanwalt interpretierte die Beweggründe des EuGH folgendermaßen: „Die Gefahr einer Zersplitterung des Gemeinsamen Marktes, die durch nationale Regelungen wie die Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über beherrschte ausländische Gesellschaften herbeigeführt wird, dürfte somit die Ursache dafür sein, dass der Gerichtshof die objektive Vergleichbarkeit der Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat mit niedrigerem Besteuerungsniveau als in den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über beherrschte ausländische Gesellschaften vorgesehen eingerichtet hat, einerseits, und gebietsansässigen Gesellschaften, die eine Tochtergesellschaft in einem Mitgliedstaat mit höherem Besteuerungsniveau als in den erwähnten Rechtsvorschriften vorgesehen gegründet haben, andererseits, bejaht hat. In beiden Fällen geht es nämlich um eine Gesellschaft,

__________ 17 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 94. 18 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 106. 19 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 108. 20 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995.

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Michael Lang die von ihrem Niederlassungsrecht im Mitgliedstaat ihrer Wahl Gebrauch machen will.“21

Der Ansatz, den grenzüberschreitenden Fall nicht bloß dem Inlandsfall gegenüberzustellen, ist aber keineswegs neu.22 Der EuGH hat die Möglichkeit, zwei grenzüberschreitende Fallkonstellationen miteinander zu vergleichen, bereits in seinem Urteil Avoir fiscal23 mit dem Konzept der freien Rechtsformwahl angedeutet: „Denn da Artikel 52 Absatz 1 Satz 2 den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden.“24

Diesem Hinweis wurde anfangs keine allzu große Bedeutung beigemessen, zumal die Diskriminierung der Betriebsstätte gegenüber der Tochtergesellschaft mit der Diskriminierung der gebietsfremden Gesellschaft gegenüber der gebietsansässigen Gesellschaft zusammenfiel. Später sind aber wiederholt Konstellationen an den EuGH herangetragen worden, in denen die Tochtergesellschaft gegenüber der Betriebsstätte diskriminiert worden ist. In Marks & Spencer25 hat Generalanwalt Maduro auch dieses Vergleichspaar akzeptiert, dann aber im konkreten Fall auf Grund unterschiedlicher rechtlicher Regelungen keine Vergleichbarkeit der Situation angenommen. Die Ausführungen des Generalanwalts lassen darauf schließen, dass er gegebenenfalls auch bereit gewesen wäre, die Tochtergesellschaft der Betriebsstätte gegenüberzustellen.26 Im Urteil hat der EuGH dieses Vergleichspaar jedoch – ohne dies zu begründen – nicht herangezogen.27 In CLT-UFA28 geht es um die Frage, ob die inländische Betriebstätte einer ausländischen Gesellschaft einer inländischen Tochtergesellschaft einer ausländischen Muttergesellschaft gegenübergestellt werden kann. Generalanwalt Léger und der EuGH haben dieses Vergleichspaar ebenfalls akzeptiert.29

__________ 21 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 117. 22 Vgl Lang, Die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern, Wien 2007, S. 33 f. 23 EuGH, Urt. v. 29.1.1986 – Rs. 270/83 – Avoir fiscal, EuGHE 1986, 273. 24 EuGH, Urt. v. 29.1.1986 – Rs. 270/83 – Avoir fiscal, EuGHE 1986, 273 – Rz. 22. 25 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837. 26 Schlussanträge des Generalanwalts Maduro, EuGH v. 7.4.2005 – Rs. 446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 – Rz. 48. 27 EuGH, Urt. v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, EuGHE 2005, I-10837 – Rz. 32 ff.; vgl. dazu Lang, The Marks & Spencer Case – The Open Issues Following the ECJ’s Final Word, ET 2006, 54 (56 f.). 28 EuGH, Urt. v. 23.2.2006 – Rs. C-253/03 – CLT-UFA, EuGHE 2006, I-1831. 29 Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 14.4.2005 – Rs. C-253/03 – CLTUFA, EuGHE 2006, I-1831 – Rz. 78; EuGH, Urt. v. 23.2.2006 – Rs. C-253/03 – CLTUFA, EuGHE 2006, I-1831 – Rz. 30.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen

Ein weiteres Vergleichspaar ist im Schrifttum unter dem Schlagwort der „Meistbegünstigung“ diskutiert worden.30 Dabei geht es um den Vergleich von Gebietsfremden untereinander, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. In D31 hat der EuGH in einer derartigen unterschiedlichen Behandlung keinen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gesehen. Er hat dies damit begründet, dass sich die unterschiedliche Behandlung „aus dem Wesen bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ ergibt und daher keine Vergleichbarkeit vorliegt.32 Somit war die rechtliche Situation verschiedener Gebietsfremder im konkreten Fall nicht vergleichbar, was aber nicht bedeutet, dass der EuGH dieses Vergleichspaar überhaupt nicht in Betracht ziehen würde. Der Umstand, dass der EuGH sich überhaupt mit der rechtlichen Vergleichbarkeit auseinander gesetzt hat, hat bereits darauf schließen lassen, dass der EuGH an sich bereit ist, auch Gebietsfremde aus verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander zu vergleichen.33 Generalanwalt Mengozzi ist nun daran gegangen, die unterschiedlichen Auslandssachverhalte miteinander zu vergleichen: Die Anwendung der Anrechnungsmethode i. S. v. § 20 Abs. 2 AStG setzt grundsätzlich voraus,

__________ 30 Vgl. zum Thema „Meistbegünstigung“ mit unterschiedlichen Standpunkten u. a. Rädler, Most-favoured-nation Clause in European Tax Law?, EC Tax Review 1995, 66 (67); Schön, Die beschränkte Steuerpflicht zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und deutschem Verfassungsrecht, IStR 1995, 119 (122 ff.); Schuch, Werden die Doppelbesteuerungsabkommen durch EU-Recht zu Meistbegünstigungsklauseln?, in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen und EURecht, Wien 1996, S. 99 (116); Wattel, The EC Court’s Attempts to Reconcile the Treaty Freedoms with International Tax Law, Common Market Law Review 1996, 223 (252); Wassermeyer, Does the EC-Treaty Force the EU Member States to Conclude a Multilateral Tax Treaty, in Lang/Loukota/Rädler/Schuch/Toifl/Urtz/Wassermeyer/Züger (Hrsg.), Multilateral Tax Treaties, Wien 1997, S. 21 ff.; Lang, Die Zukunft des Internationalen Steuerrechts, Wien 1999, S. 78 ff.; Stockmann, Völkerrechtliche Meistbegünstigungsklausel und Internationales Steuerrecht, IStR 1999, 129 (136); Van Thiel, Free Movement of Persons and Income Tax Law: The European Court in Search of Principles, Amsterdam 2002, S. 486 ff.; Rädler, Most-FavouredNation-Treatment in Direct Taxation – Some New Aspects, SWI 2003, 360 (361); Schnitger, § 20 Abs. 2 und 3 AStG a. F. vor dem EuGH – Meistbegünstigung „Reloaded“?, FR 2005, 1076 (1079); Lang, Das Urteil in der Rechtssache D. – Gerät der Motor der Steuerharmonisierung ins Stottern?, SWI 2005, 365 (370 f.); Hofbauer, DBA-Diskriminierungsverbote und gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheiten – Meistbegünstigung, in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Die Diskriminierungsverbote im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Wien 2006, S. 289 (308 ff.); Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 137 ff.; Hohenwarter, The Allocation of Taxing Rights in the light of the Fundamental Freedoms of EC Law, in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Tax Treaty Law and EC Law, Wien 2007, S. 83 (119 ff.). 31 EuGH, Urt. v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D, EuGHE 2005, I-5821. 32 EuGH, Urt. v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D, EuGHE 2005, I-5821 – Rz. 61. 33 EuGH, Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 44; zuvor schon Schlussanträge des Generalanwalts Léger, EuGH v. 2.5.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, EuGHE 2006, I-7995 – Rz. 74 und 77; in der Literatur vgl. Gurtner/Hofbauer/Kofler, Treaty Override und Grundfreiheiten: zur Vereinbarkeit des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 d AStG mit EG-Recht, taxlex 2007, 55 (56).

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Michael Lang „dass die im Ausland erhobene Steuer unter dem vom AStG festgelegten Niveau, d. h. einem Satz von mindestens 30 % der Gewinne, liegt. Grundsätzlich ist daher § 20 Abs. 2 AStG nur dann anwendbar, wenn Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter aus Betriebsstätten in Deutschland ansässiger Personen stammen, die in Mitgliedstaaten belegen sind, deren Steuersatz mindestens 30 % beträgt. In diesem Fall findet nämlich grundsätzlich die Befreiung von der im Ausland erhobenen Steuer Anwendung.“34

Sichtlich ringt der Generalanwalt damit, die durch § 20 Abs. 2 AStG geschaffene Konstellation von der Anwendung der Anrechnungsmethode in anderen Fällen zu unterscheiden: „Die nachteilige steuerliche Behandlung im vorliegenden Fall ergibt sich nämlich nicht allein aus der Anwendung der unterschiedlichen Steuersysteme der Mitgliedstaaten, sondern sie beruht auf der im deutschen Steuerrecht getroffenen Entscheidung […], den Mechanismus der Anrechnung der im Ausland erhobenen Steuer für die betreffenden Einkünfte auszulösen, wenn diese Steuer unter dem im AStG festgesetzten Satz von 30 % liegt. […] Anders verhielte es sich meines Erachtens, wenn die Ersetzung der Freistellungsmethode durch die Anrechnungsmethode, die von der Bundesrepublik Deutschland beschlossen worden ist, unabhängig von dem Satz gelten würde, mit dem die betreffenden Einkünfte in Deutschland besteuert werden. In diesem Fall würde eine mögliche nachteilige Behandlung, die durch die Anwendung dieser Methode auf identische Einkünfte deutscher Steuerpflichtiger aus Betriebsstätten im Ausland verursacht würde, im Wesentlichen von dem in dem jeweiligen Mitgliedstaat erhobenen Steuersatz abhängen. Es würde sich damit um eine nachteilige Behandlung aufgrund der Koexistenz der verschiedenen Steuersysteme der Mitgliedstaaten handeln. Dies ist jedoch in der vorliegenden Rechtssache sicher nicht der Fall.“35

Die Anrechnungsmethode löst unbestreitbar kompensatorische Effekte aus, die der EuGH in Eurowings36 als Beeinträchtigung des Binnenmarkts „in seinen Grundlagen“ angesehen hat.37 Ob es tatsächlich entscheidend sein kann, dass die Festlegung der 30-%-Grenze „auf der im deutschen Steuerrecht getroffenen Entscheidung“38 beruht, ist fraglich. Die Festlegung der Anrechnungsmethode in einem DBA bedarf ebenfalls der Zustimmung des deutschen Gesetzgebers. Die Praxis zeigt, dass die Entscheidung für die Anrechnungsoder die Freistellungsmethode in den DBA auch in Wahrheit gar nicht Gegenstand der Verhandlungen ist, sondern jeder Staat akzeptiert, dass der Vertragspartner für die in seinem Staat Ansässigen die ihm sinnvoller erscheinende Methode vorsieht. Dementsprechend sehen auch zahlreiche deutsche DBA für in Deutschland Ansässige die Freistellungsmethode vor, obwohl der andere

__________ 34 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 125. 35 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 128 und 129. 36 EuGH, Urt. v. 26.10.1999 – Rs. C-294/97 – Eurowings Luftverkehr, EuGHE 1999, I-7447. 37 EuGH, Urt. v. 26.10.1999 – Rs. C-294/97 – Eurowings Luftverkehr, EuGHE 1999, I-7447 – Rz. 45. 38 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 128.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen

Vertragsstaat für „seine“ Ansässigen die Anwendung der Anrechnungsmethode anordnet.39 Interessant ist jedoch, dass der Generalanwalt nicht den Vergleich zwischen deutschen Gesellschaftern einer belgischen Gesellschaft, die Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter hat und deren Gesellschaftern deshalb der Anrechnungsmethode unterworfen sind, und deutschen Gesellschaftern einer belgischen Personengesellschaft, die andere Einkünfte vermittelt, zieht: „Eine solche Steuerbefreiung von Einkünften, die keinen Kapitalanlagecharakter haben, fördert wahrscheinlich die Niederlassung oder Investitionen im Ausland im Vergleich zu solchen im Inland. Allerdings kann die Verwendung unterschiedlicher Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung je nach dem Charakter der in Frage stehenden Einkünfte nicht beanstandet werden. Beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts bleiben die Mitgliedstaaten für die Bestimmung der Besteuerungsgrundlage zuständig […], meines Erachtens müssen sie aber auch in der Lage sein, sich nach Maßgabe des Charakters der Einkünfte für die Anwendung verschiedener Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu entscheiden, solange sie die Bestimmungen des Vertrags über die Verkehrsfreiheiten beachten. Im vorliegenden Fall gewährleistet, wie ich bereits ausgeführt habe, die Anrechnung der auf die Gewinne von Columbus erhobenen Steuer auf die Einkommensteuer der in Deutschland ansässigen Gesellschafter die Gleichbehandlung mit einem vergleichbaren innerstaatlichen Sachverhalt.“40

Der Grund, warum der Generalanwalt bei derartigen Einkünften eher den Vergleich mit inländischen Einkünften in Betracht zieht, sonst aber den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten betont, bleibt im Dunkeln. Viel strenger ist Generalanwalt Mengozzi, was den Vergleich zwischen gleichartigen Einkünften aus verschiedenen Mitgliedstaaten betrifft. Der Generalanwalt geht davon aus, dass die Situation von Steuerpflichtigen, die im selben Mitgliedstaat ansässig sind und gleichartige Einkünfte aus verschiedenen an-

__________ 39 Vgl. z. B. Art. 23 DBA Deutschland-Argentinien; Art. 22 DBA Deutschland-Australien; Art. 24 DBA Deutschland-China; Art. 24 DBA Deutschland-Dänemark; Art. 23 DBA Deutschland-Estland; Art. 23 DBA Deutschland-Finnland; Art. 17 DBA Deutschland-Griechenland; Art. 18 DBA Deutschland-Großbritannien; Art. 23 DBA Deutschland-Indien; Art. 22 DBA Deutschland-Irland; Art. 24 DBA DeutschlandIran; Art. 18 DBA Deutschland-Israel; Art. 24 DBA Deutschland-Italien; Art. 23 DBA Deutschland-Japan; Art. 23 DBA Deutschland-Kanada; Art. 23 DBA DeutschlandKorea; Art. 23 DBA Deutschland-Lettland; Art. 23 DBA Deutschland-Litauen; Art. 23 DBA Deutschland-Malta; Art. 23 DBA Deutschland-Mexiko; Art. 23 DBA Deutschland-Neuseeland; Art. 20 DBA Deutschland-Niederlande; Art. 24 DBA DeutschlandPortugal; Art. 23 DBA Deutschland-Rumänien; Art. 23 DBA Deutschland-Russland; Art. 23 DBA Deutschland-Schweden; Art. 24 DBA Deutschland-Singapur; Art. 23 DBA Deutschland-Slowenien; Art. 23 DBA Deutschland-Tunesien; Art. 23 DBA Deutschland-Ukraine; Art. 23 DBA Deutschland-USA; Art. 23 DBA DeutschlandZypern. 40 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 96.

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deren Mitgliedstaaten beziehen, objektiv vergleichbar ist.41 Dabei muss er sich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine derartige Annahme nicht im Widerspruch zu der im Urteil D begründeten und im Urteil ACT Group Litigation42 bestätigten Rechtsprechung des EuGH stehen würde. Immerhin hat der EuGH in D ausgesprochen, dass die „Tatsache, dass diese gegenseitigen Rechte und Pflichten nur für Personen gelten, die in einem der beiden vertragsschließenden Mitgliedstaaten wohnen, […] eine Konsequenz ist, die sich aus dem Wesen bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergibt“43.

Interessanterweise weist der Generalanwalt darauf hin, dass der EuGH in Saint-Gobain44 anerkannt hat, dass es Sachverhalte gibt, in denen die Vergünstigungen eines zweiseitigen Abkommens auf einen Ansässigen eines nicht an diesem Abkommen beteiligten Staats erstreckt werden können.45 Anstatt zu erklären, dass das Urteil Saint-Gobain durch das Urteil D überholt sei, versucht der Generalanwalt, diesen Widerspruch aufzulösen: Während es in der Rechtsache D um den Vergleich mit Gebietsfremden ging, ging es in SaintGobain um den Vergleich mit Gebietsansässigen. Diese Vergleichbarkeit zweier Gebietsansässiger könne daher nicht unter Hinweis auf das „Wesen der Doppelbesteuerungsabkommen“ abgewehrt werden.46 Der Widerspruch zwischen Saint-Gobain einerseits und D und ACT Group Litigation andererseits ist offensichtlich.47 Ob diese Urteile mit dem Argument, dass für die Vergleichbarkeit Gebietsfremder untereinander andere Maßstäbe gelten als für Gebietsansässige, überzeugend in Einklang gebracht werden können, ist fraglich. Immerhin ist das Bemühen des Generalanwalts, den Anwendungsbereich des Urteils D einzugrenzen, erkennbar und kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Das Argument, wonach die Frage der Vergleichbarkeit davon abhängt, ob eine Regelung in einem Doppelbesteuerungsabkommen enthalten ist, ist nämlich wenig überzeugend.48 Dass diese Argumentation den nationalen Gesetzgeber in die Lage versetzen würde, nahezu jede beliebige Diskriminierung in ein Doppelbesteuerungsabkommen zu „verpacken“ und auf diese Weise gemeinschaftsrechtlich zu immunisieren, ist evi-

__________ 41 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 144 f. 42 EuGH, Urt. v. 12.12.2006 – Rs. C-374/04 – ACT Group Litigation, EuGHE 2006, I-11673. 43 EuGH, Urt. v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D, EuGHE 2005, I-5821 – Rz. 61. 44 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, EuGHE 1999, I-6161. 45 EuGH, Urt. v. 21.9.1999 – Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, EuGHE 1999, I-6161 – Rz. 59. 46 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 142 ff. 47 Vgl näher Lang, Triangular Situations: Tax Treaty Entitlement in the Source State under EC Law, in Simonart/Remiche/De Cordt (Hrsg.), Liber amicorum Jacques Malherbe, Brüssel 2006, S. 685 (695 f.). 48 EuGH, Urt. v. 5.7.2005 – Rs. C-376/03 – D, EuGHE 2005, I-5821 – Rz. 58 ff.

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dent.49 Der Generalanwalt, der es offenbar nicht für realistisch erachtet, dass der EuGH seine in D begründete Rechtsprechung sobald wieder ausdrücklich über Bord werfen wird, zeigt dem Gerichtshof einen – dogmatisch fragwürdigen, pragmatisch aber begrüßenswerten – Weg auf, die Doppelbesteuerungsabkommen wieder der Kontrolle durch seine Rechtsprechung zu unterstellen. Die vom Generalanwalt vorgeschlagene Begründung läuft daher darauf hinaus, dass die Mitgliedstaaten in ihren Doppelbesteuerungsabkommen zwar nach Einkünften differenzieren und für bestimmte Einkünfte die Freistellungs-, für andere die Anrechnungsmethode anwenden dürfen. Sie dürfen aber nicht für dieselben Einkünfte im Verhältnis zu verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorsehen: Wenn es nämlich zur „Aufspaltung des Binnenmarkts“ führt, wenn der deutsche Gesetzgeber für Einkünfte aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten teils die Anrechnungs- und teils die Freistellungsmethode vorsieht und dabei nach der Höhe der Steuerbelastung in diesen Mitgliedstaaten unterscheidet50, würde wohl in gleicher Weise die Gefahr der „Aufspaltung des Binnenmarktes“ drohen, wenn der deutsche Gesetzgeber die Mitgliedstaaten namentlich bezeichnet, deren Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter er der Anrechnungsmethode unterwirft oder bei denen es bei der Freistellungsmethode bleiben soll. Fraglich könnte noch sein, ob entscheidungserheblich ist, dass es sich bei der deutschen Regelung des § 20 Abs. 2 AStG um eine „einseitige Maßnahme“ handelt. Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Urteile D und ACT Group Litigation könnte nämlich die Vergleichbarkeit der Situation bestritten werden, wenn die Anrechnungsmethode im Verhältnis zu einem bestimmten Staat im Doppelbesteuerungsabkommen selbst angeordnet ist, während im Falle von gleichartigen Einkünften aus einem anderen Mitgliedstaat die Freistellungsmethode zum Tragen kommt. Das „Wesen der Doppelbesteuerungsabkommen“ könnte zwar eine gesonderte Beurteilung erforderlich machen. Generalanwalt Mengozzi schlägt aber gerade vor, die Wirkungen dieser Urteile auf die Vergleichbarkeit Gebietsfremder zu beschränken.51 Zieht man für die Situation Gebietsansässiger daher die Überlegungen heran, die der EuGH in Saint-Gobain angestellt hat, spricht nichts dagegen, eine Verpflichtung des Ansässigkeitsstaats zur Anwendung der Freistellungsmethode auch dann anzunehmen, wenn das Doppelbesteuerungsabkommen die Anrechnungsmetho-

__________ 49 Siehe Forsthoff, Treaty Overright und Europarecht, IStR 2006, 509 (512); Kofler, Treaty Override, juristische Doppelbesteuerung und Gemeinschaftsrecht, SWI 2006, 62 (69 ff.); Lang/Dommes, Tax Treaty Law and EC Law – Reciprocity and the Balance of a Tax Treaty, in Lang/Schuch/Staringer (Hrsg.), Tax Treaty Law and EC Law, Wien 2007, S. 61 (75 ff.); einschränkend Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Wien 2007, S. 617 f. 50 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 128 ff. 51 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 147 f.

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de vorsieht, sofern für diese Einkünfte im Verhältnis zu einem anderen Mitgliedstaat die Freistellungsmethode zum Tragen kommt. Ein Doppelbesteuerungsabkommen, das die Anrechnungsmethode enthält, lässt dem Ansässigkeitsstaat durchaus die Möglichkeit, auf die ihm zur Besteuerung zugewiesenen Einkünfte völlig zu verzichten. Abkommensrechtliche Verpflichtungen stehen der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Freistellungsmethode nicht entgegen.

V. Mögliche Rechtfertigungsgründe für Ausnahmen Der Generalanwalt setzt sich auch mit der von der deutschen Regierung aufgeworfenen Frage auseinander, ob der Umstand „dass die belgische Regelung der Koordinierungsstellen in einer Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten […] als Maßnahme des schädlichen Steuerwettbewerbs genannt sei und dass die Kommission in Bezug auf diese Regelung ein förmliches Verfahren mit dem Ziel der Feststellung eingeleitet habe, dass diese Regelung Elemente einer staatlichen Beihilfe enthalte“52, als Rechtfertigung zur Beschränkung der Niederlassungsfreiheit akzeptiert werden könne. Er lehnt dies entschieden ab: „Wie Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas ausgeführt hat, ist in Ermangelung einer Gemeinschaftsharmonisierung einzuräumen, dass die Steuersysteme der einzelnen Mitgliedstaaten einem Wettbewerb untereinander ausgesetzt werden können […]. Man kann bedauern, dass dieser Wettbewerb unbegrenzt zu funktionieren scheint. Diese Frage bedarf jedoch, wie auch in der Präambel der von der Bundesrepublik Deutschland angeführten Entschließung des Rates eingeräumt wird, einer politischen Antwort und berührt damit in keiner Weise die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten aus dem Vertrag.“53

Der Generalanwalt lehnt die Relevanz des „Code of Conduct“54 zu Recht ab. Gerade vor diesem Hintergrund ist aber erstaunlich, dass der Generalanwalt keine kritischeren Worte zur Rechtsprechung des EuGH zur Bedeutung des OECD-Musterabkommens findet, das ebenfalls bloß „soft law“ darstellt und nicht einmal im gemeinschaftsrechtlichen Kontext erarbeitet wurde. Der Generalanwalt lässt sich auch nicht dadurch beeindrucken, dass die belgische Regelung nicht nur gegen den „Code of Conduct“ verstößt, sondern auch im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht stehen könnte: „Im Übrigen bin ich auch der Ansicht, dass die Tatsache, dass die in Rede stehende Steuerregelung als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe ange-

__________ 52 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 163. 53 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 166. 54 Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten v. 1.12.1997 über einen Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG Nr. C 2 v 6.1.1998, 1.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen sehen werden kann […], deren Überwachung nach dem Vertrag der Kommission obliegt, einem Mitgliedstaat nicht das Recht gibt, einseitig Maßnahmen gegen diese Regelung zu treffen, mit denen deren Wirkungen bekämpft werden sollen und die eine der im Vertrag vorgesehenen Grundfreiheiten beeinträchtigen würden […].“55

Dieser Auffassung ist zuzustimmen: In einer Rechtsgemeinschaft wie der EU kann für „Selbstjustiz“ kein Platz sein. Weiter hat die deutsche Regierung vorgebracht, dass die Bekämpfung künstlicher Konstruktionen Anlass für den Erlass von § 20 Abs. 2 und 3 AStG durch den deutschen Gesetzgeber gewesen sei. Wenig überraschend geht der Generalanwalt davon aus, „dass der Gerichtshof wohl nicht bereit ist, eine Regelung eines Mitgliedstaats zuzulassen, die jede angeblich künstliche Gestaltung kategorisch und verallgemeinernd von einem Steuervorteil ausschließt, ohne den nationalen Gerichten eine Einzelfallprüfung anhand der Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts u. a. auf der Grundlage von Angaben des betroffenen Steuerpflichtigen zu gestatten […].“56

Der EuGH hätte zu prüfen, „ob eine wirkliche Ansiedlung von Columbus in Belgien vorliegt, mit der die Verrichtung tatsächlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten in diesem Mitgliedstaat bezweckt ist und die auf objektiven und nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen kann, die sich u. a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins von Columbus in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen. Nur wenn dies nicht der Fall sein sollte, wäre die in Rede stehende nationale Maßnahme, so wie sie im vorliegenden Fall angewandt worden ist, durch das Ziel der Bekämpfung künstlicher Gestaltungen gerechtfertigt. […] Im Übrigen glaube ich entgegen dem, was die deutsche Regierung zu verstehen gibt, jedoch nicht, dass der Umstand, dass ein Unternehmen wie Columbus seine Tätigkeiten dem Besitz und der Verwaltung von Kapital widmet und gegebenenfalls Anlagen in anderen Mitgliedstaaten vornimmt, für die Feststellung des Vorliegens einer künstlichen Gestaltung in dem Sinne, dass dieses Unternehmen keine echten wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat ausübt, maßgeblich sein kann. […] Finanzielle Tätigkeiten sind nämlich nicht nur von vornherein nicht von der Verkehrsfreiheit ausgenommen, sondern es kann darüber hinaus nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass Kapitalanlagen eines Unternehmens wie Columbus zugunsten seiner Gesellschafter im Aufnahmemitgliedstaat oder zumindest über Finanzmittler oder Banken mit Sitz in Belgien getätigt werden.“57

__________ 55 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 167. 56 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 175. 57 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 182.

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Somit reicht es aus, dass Kapitalanlagen über „Finanzmittler oder Banken mit Sitz in Belgien getätigt werden“, wenn eine „tatsächlich greifbare Ansiedlung“ vorliegt, um das Vorliegen einer künstlichen Konstruktion zu verneinen.58 Der Generalanwalt vermutet, dass § 20 Abs. 2 und 3 AStG eine „unwiderlegbare Vermutung“ bewirkt, die außer Verhältnis zum erfolgten Zweck stünde. Er schließt aber nicht völlig aus, dass „das vorlegende Gericht […] über hinreichenden Spielraum dafür verfügen [könnte], u. a. auf der Grundlage anderer Bestimmungen des deutschen Steuerrechts zu beurteilen, ob im Ausgangsverfahren eine künstliche Gestaltung vorliegt.“59

Diese Bemerkung ist unter zwei Gesichtspunkten interessant: Die Auslegung des nationalen Rechts liegt zwar eindeutig in der Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, der Generalanwalt scheint aber auf diese Weise das nationale Gericht zu einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung, die sich über den Wortlaut der Regelung hinwegsetzt, zu ermuntern. Weiterhin scheint Generalanwalt Mengozzi eine widerlegbare Vermutung offenbar auch dann für zulässig zu erachten, wenn der Anwendungsbereich dieser Vermutung sehr weit gezogen ist. Dass dies mit weitgehenden Beweislastverschiebungen zu Lasten des Steuerpflichtigen verbunden sein kann, scheint er in Kauf zu nehmen. Schließlich setzt sich der Generalanwalt auch mit dem Rechtfertigungsgrund der Kohärenz auseinander. Seine Skepsis kann er nicht verhehlen: Er zitiert Stimmen, die den Begriff der Kohärenz als „etwas diffus“ oder „mysteriös“ beschreiben60, erwägt, ob der Begriff der Kohärenz des Steuersystems mit dem Rechtsmissbrauch oder dem Erfordernis der Bekämpfung künstlicher Gestaltungen zusammenfällt61, und meint schließlich, dass man sich fragen könne, ob der Begriff der Kohärenz „wirklich brauchbar ist.“62 Er weist darauf hin, dass es in „den Rechtssachen, in denen mit der Notwendigkeit der Kohärenz des Steuersystems am ernsthaftesten argumentiert wurde, […] nämlich um nationale Regelungen [ging], die in irgendeiner Weise eine unterschiedliche Behandlung eines innerstaatlichen Sachver-

__________ 58 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 183; vgl. außerdem Franck, § 20 II AStG auf dem Prüfstand der Grundfreiheiten – Anmerkung zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache C-298/06 (Columbus), IStR 2007, 489 (491); Wimpissinger, Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung ausländischer Betriebsstätteneinkünfe in Deutschland: Neue Erkenntnisse aus Cadbury Schweppes für Columbus Container?, SWI 2006, 559 (562 ff.). 59 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 179. 60 Siehe Schlussanträge der Generanwältin Kokott, EuGH v. 18.3.2004 – Rs. C-319/02 – Manninen, EuGHE 2004, I-7477 – Rz. 51; Vanistendael, Cohesion: The Phoenix rises from his ashes, EC Tax Review 2005, 211. 61 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 192. 62 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 193.

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Zukunft der Doppelbesteuerungsabkommen halts und eines grenzüberschreitenden Sachverhalts vornahmen, bei dem die betroffenen Steuerpflichtigen Gebrauch von einer der Verkehrsfreiheiten gemacht hatten“63.

Im vorliegenden Fall geht es aber um die unterschiedliche Behandlung verschiedener grenzüberschreitender Konstellationen. Selbst wenn es aber um die Wahrung des Territorialitätsprinzips gehen sollte, „wie dies die Bundesrepublik Deutschland für sich in Anspruch nimmt, so scheint es mir insbesondere, dass es inkohärent und mit diesem Grundsatz kaum vereinbar ist, Vermögensteuer auf das Vermögen zu erheben, das aus einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat stammt, der eine solche Steuer nicht erhebt und dessen Einkommensteuer unter dem in Deutschland angewandten Satz liegt, und auf die Anwendung der Vermögensteuer zu verzichten, wenn das Vermögen aus einer Betriebsstätte in einem Mitgliedstaat stammt, dessen Besteuerung höher als in Deutschland ist, während dieser andere Mitgliedstaat ebenfalls keine Vermögensteuer erhebt“64.

Die Skepsis des Generalanwalts gegenüber dem Rechtfertigungsgrund der Kohärenz ist nachvollziehbar. Hinter diesem Rechtfertigungsgrund verbergen sich meist völlig unterschiedliche Überlegungen65, sodass der EuGH gut beraten wäre, auf dieses Schlagwort völlig zu verzichten und sich jeweils mit den eigentlich dahinter stehenden Argumenten auseinanderzusetzen. Überzeugend ist auch der Gedanke des Generalanwalts, dass die Kohärenz dann, wenn es um den Vergleich unterschiedlicher grenzüberschreitender Konstellationen geht, schon allein aus diesem Grund keine Bedeutung haben könne.66 Allerdings stellt sich die Frage, ob dieselbe Überlegung nicht auch im Hinblick auf den Rechtfertigungsgrund der „künstlichen Gestaltungen“ zum Tragen kommen müsste: Ist es verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber künstliche Gestaltungen nur in Hinblick auf bestimmte Mitgliedstaaten aufgreift, nicht aber generell im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten? Der Gedanke, dass der Gesetzgeber durch eine Differenzierung nach Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht hat, dass die Erfassung künstlicher Gestaltungen für ihn nicht von so großer Bedeutung ist, als dass dies ein Einschränkung einer Grundfreiheit rechtfertigen würde, liegt nahe.

VI. Zusammenfassung Die Schlussanträge von Generalanwalt Mengozzi in Columbus Container enthalten Sprengstoff: Der Generalanwalt hinterfragt zwar nicht die Rechtsprechung des EuGH, nach der Treaty Override kein gemeinschaftsrechtliches Problem darstellen würde. Er knüpft aber an die bisherige Rechtsprechung zur

__________ 63 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 194. 64 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 197. 65 Näher Lang, Die Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern, Wien 2007, S. 54 ff. 66 Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH v. 29.3.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, www.curia.europa.eu/de – Rz. 195 ff.

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Vergleichbarkeit unterschiedlicher grenzüberschreitender Konstellationen an. Auch wenn das deutsche Vorabentscheidungsersuchen eine spezielle Situation betrifft, fällt es schwer, auf Basis der Überlegungen des Generalanwalts als zulässig zu erachten, dass ein Mitgliedstaat im Verhältnis zu einem anderen Mitgliedstaat die Anrechnungsmethode vorsieht, während er für die gleichen Einkünfte im Verhältnis zu einem dritten Mitgliedstaat die Freistellungsmethode anwendet. Den Rechtfertigungsgründen misst er im vorliegenden Verfahren nur geringe Bedeutung bei. Folgt der EuGH den Überlegungen des Generalanwalts, könnte aus der Rechtsprechung ein gemeinschaftsrechtliches Gebot an die Ansässigkeitsstaaten abzuleiten sein, eine konsistente Abkommenspolitik innerhalb der Gemeinschaft zu verfolgen und im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten für die gleichen Einkünfte entweder immer die Anrechnungs- oder immer die Freistellungsmethode vorzusehen.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Ansätze der deutschen Abkommenspolitik III. Auslegung der Sondervorschriften 1. Abkommensberechtigung für Personengesellschaften a) Historische Entwicklung der Sondervorschrift b) Unterschiede im Wortlaut c) OECD-Musterabkommen und OECD-Musterkommentar als Auslegungshilfe d) Wirkungsweise – Gleichstellungsthese

2. Definitionserweiterung für Unternehmensgewinne a) Historische Entwicklung der Sondervorschrift b) Wortlaut aa) Artikel 7 Absatz 7 Satz 1 bb) Artikel 7 Absatz 7 Satz 2 c) Sinn und Zweck der Sonderregelung d) Reichweite der Norm aa) Dividenden der Komplementär-GmbH bb) Betriebsstättenkonzeption IV. Ergebnisse

I. Vorbemerkung Wolfram Reiß gehört zu denjenigen Juristen, die sich mit der rechtlichen Würdigung einer Norm nicht zufrieden geben, ohne auch einen Blick auf die damit verbundenen materiellen Ergebnisse oder praktischen Auswirkungen geworfen zu haben: ein Blickwinkel, der geradezu die Interdisziplinarität der Rechtswissenschaften unterstreicht und vom Jubilar stets auch gelebt wird; eine Einstellung, die für ihn letztlich auch Garant dafür ist, sich unter Betriebswirten, Volkswirten und Sozialwissenschaftlern nicht nur zu behaupten, sondern auch deren Respekt zu verdienen; eine Denkrichtung, die stets auch seine Vielseitigkeit betont und das Ganze in seiner Verbundenheit nicht aus den Augen verliert. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit Sonderregelungen für Personengesellschaften in deutschen Doppelbesteuerungsabkommen und hat sich zum Ziel gesetzt, deren Systematik und Auswirkungen vor dem Hintergrund des nationalen Rechts und des Sinn und Zwecks der Abkommen zu durchleuchten. Um sich diesem Vorhaben nähern zu können, wird es notwendig sein, Auslegungsergebnisse an deren praktischen Auswirkungen zu messen. Damit soll die Vorgehensweise des Jubilars Pate stehen für nachfolgenden Beitrag.

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II. Ansätze der deutschen Abkommenspolitik Die zuletzt von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen sehen regelmäßig Sonderregelung für Personengesellschaften vor.1 Eine Auswahl der Abkommen allein aus diesem Jahrzehnt: DBA

Abkommensberechtigung der Personengesellschaft

Mitunternehmerkonzeption in Art. 7 Unternehmensgewinne

Österreich 2000



+

Tadschikistan 2003

+

+

Polen 2003

+



Aserbaidschan 2004

+



Singapur 2004



+

Kroatien 2006

+



Slowenien 2006

+



Belarus/Weißrussland 2006



+

Die Übersicht zeigt, dass sich regelmäßig zwei abkommensrechtliche Sondervorschriften für Personengesellschaften in den letzten Jahren etabliert haben: – eine Ansässigkeitsfiktion der Personengesellschaft, welche auf die Abkommensberechtigung der Personengesellschaft abzielt; – eine Definitionserweiterung für Unternehmensgewinne durch eine konkrete Bezugnahme auf nationale Vorschriften zur jeweiligen Mitunternehmerkonzeption. Im Ergebnis ging es den Abkommensverhandlern somit darum, bei der Abkommensberechtigung und den Unternehmenseinkünften speziell für Personengesellschaften nachzubessern. Beide Sonderregelungen sollen nachfolgend analysiert werden.

III. Auslegung der Sondervorschriften 1. Abkommensberechtigung für Personengesellschaften a) Historische Entwicklung der Sondervorschrift Der Ruf nach der Abkommensberechtigung der Personengesellschaft ist nicht neu; die Diskussion über Notwendigkeit und Sinn schon seit längerem in

__________ 1 Vgl. neben den nachstehenden ebenso: DBA-Ukraine 1995, DBA-Belgien 1967/2002, DBA-Usbekistan 1999.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften

Gang.2 Zur deutschen Abkommenspolitik gehört es bereits seit vielen Jahren, solche Sondervereinbarungen mit den Vertragspartnern zu vereinbaren.3 So enthält etwa das Doppelbesteuerungsabkommen mit Belgien aus dem Jahr 1967 bereits eine Sonderregelung für Personengesellschaften in Art. 4 Abs. 1 DBA-Belgien. Die Variationen sind genauso zahlreich, wie die unterschiedlichen Ausdrucksweisen und Fundstellen, einmal im Abkommen selbst zum anderen aber auch im Protokoll geregelt. Folgende Einteilung der Sonderregelungen bietet sich an:4 Umfassende Abkommensberechtigung Derartige Spezialvorschriften gestehen Personengesellschaften eine umfassende Abkommensberechtigung zu, die weder hinsichtlich des Personenkreises noch bezüglich des Besteuerungsobjekts eingeschränkt ist und somit gleichwertig neben der Abkommensberechtigung einer natürlichen Person oder einer (Kapital-)Gesellschaft steht. Sie wurden in deutsche Abkommen aufgenommen unabhängig davon, ob der andere Vertragsstaat Personengesellschaften transparent oder intransparent besteuert. Zum Teil ist die Abkommensberechtigung an eine subject to tax Klausel geknüpft, d. h., sie gilt nur, wenn die betreffenden Einkünfte im Sitzstaat der Personengesellschaft auch besteuert werden. Partielle Abkommensberechtigung Im Gegensatz zur umfassenden Abkommensberechtigung hat Deutschland in vielen Abkommen der Personengesellschaft eine nur partielle Abkommensberechtigung zugestanden. Dabei können zwei Arten von partieller Abkommensberechtigung unterschieden werden. Die eine bezieht sich auf bestimmte Besteuerungsobjekte, d. h. nur auf bestimmte Einkünfte, die andere bezieht sich auf einen abgegrenzten Personenkreis, d. h. nur auf bestimmte Steuersubjekte. Demnach bedeutet partiell hier, dass die Abkommensberechtigung nur teilweise gewährt wird, entweder auf einen bestimmten Personenkreis, wie etwa die Gruppe der Gesellschafter, die im Sitzstaat der Personengesellschaft ansässig ist, oder auf bestimmte Besteuerungsobjekte, wie Zins-, Dividendenund Lizenzeinkünfte. Entsprechend kann noch einmal zwischen steuerobjektbezogener und steuersubjektbezogener Abkommensberechtigung unterschieden werden. Sog. Vereinfachungsregelungen Schließlich sind Vereinfachungsregelungen zu nennen, welche die Abkommensberechtigung selbst nicht berühren, sondern lediglich im Erstattungver-

__________ 2 Vgl. etwa Manke, Personengesellschaften und DBA – Abkommensberechtigung und Abkommensschutz, in Vogel (Hrsg.), Grundfragen des Internationalen Steuerrechts (DStJG 8), Köln 1985, S. 195; Mäusli, Die Ansässigkeit von Gesellschaften im internationalen Steuerrecht, 1993; Lethaus, Wege zur Abkommensberechtigung der Personengesellschaft, in Kley/Sünner/Willemsen (Hrsg.), Steuerrecht, Steuer- und Rechtspolitik, Wirtschaftsrecht und Unternehmensverfassung, Umweltrecht, FS für Wolfgang Ritter, Köln 1997, S. 427. 3 Vgl. Krabbe, Germany’s tax treaty policy, BIFD 2000, 471. 4 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 189 ff.

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fahren ein einheitliches Vorgehen der Personengesellschaft zulassen, d. h. die Personengesellschaft als Sammelstelle für den Erstattungsantrag akzeptieren. Auf der Suche nach Beispielen für eine solche Vereinfachungsregelung wird stets die im Verhandlungsprotokoll vom 18.6.1971 zum DBA-Schweiz ausgehandelte Regelung vorgebracht.5 Selbst das Einführungsschreiben des BMF gibt Vereinfachungsgründe für die Regelung an.6 Der Vereinfachungscharakter muss der Regelung jedoch abgesprochen werden, denn dem Erstattungsantrag sind auch weiterhin die Bestätigungen der jeweils zuständigen Wohnsitzfinanzämter über die Ansässigkeit der Gesellschafter beizufügen. Nur so kann nachgewiesen werden, dass mindestens drei Viertel der Gewinne der Gesellschafter im Sitzstaat der Personengesellschaft besteuert werden. Zudem hat die Regelung schon allein deshalb nicht lediglich vereinfachenden Charakter, weil sie darüber hinaus auch materielle Wirkung dadurch entfaltet, dass sie in Drittstaaten ansässigen Gesellschaftern den Zugang zum betreffenden DBA Schweiz erst eröffnet. Sind mindestens 75 % der Gesellschafter im Sitzstaat der Personengesellschaft ansässig, kommt es nicht mehr darauf an, in welchen Staaten die übrigen Gesellschafter ihren Wohnsitz inne haben. Die Quellensteuererstattung würde dann unabhängig in vollem Umfang gewährt. Im Ergebnis kann die Regelung im Verhandlungsprotokoll vom 18.6.1971 zum DBASchweiz daher gerade nicht als Vereinfachungsregelung bezeichnet werden.7 Sie hat den Charakter einer partiellen Abkommensberechtigung. Umgekehrt findet sich in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-USA 1989 eine Vereinfachungsregelung, die allerdings als subjektbezogene partielle Abkommensberechtigung ausgestaltet ist. Die Regelung führt letztlich dazu, dass eine Personengesellschaft insoweit abkommensberechtigt ist, wie in ihrem Sitzstaat, in dem sie gegründet ist oder ihre Geschäftsleitung hat, Gesellschafter ansässig sind, bei denen die bezogenen Einkünfte besteuert werden. Eine in den USA gegründete transparent besteuerte Personengesellschaft erhält demnach für aus Deutschland bezogene Quelleneinkünfte nur in Bezug auf den Teil der Einkünfte Abkommensschutz, der auf in den USA ansässige Gesellschafter entfällt. Sind dort keine Gesellschafter ansässig, entfällt der Abkommensschutz gänzlich. Damit können in Drittstaaten ansässige Gesellschafter vom DBA-

__________ 5 Vgl. BMF, Schr. v. 26.3.1975 – IV C 6 - S 1301 - Schweiz - 3/75, BStBl. I 1975, 479 (504) – Anlage 2a, zu den Art. 10 bis 12 DBA-Schweiz: „Nach dem Recht eines Vertragsstaates errichtete Personengesellschaften (Offene Handelsgesellschaften, Kollektivgesellschaften, Kommanditgesellschaften), die in diesem Staat ihre Geschäftsleitung haben, können die in den Art. 10 bis 12 des Abkommens vorgesehenen Entlastungen von den Steuern des anderen Vertragsstaates beanspruchen, sofern mindestens drei Viertel der Gewinne der Gesellschaft Personen zustehen, die im erstgenannten Staat ansässig sind.“ 6 Vgl. BMF, Schr. v. 26.3.1975 – IV C 6 - S 1301 - Schweiz - 3/75, BStBl. I 1975, 479 – Tz. 4.1.4. und 4.2.5. 7 Vgl. Piltz, Die Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 130; Riemenschneider, Abkommensberechtigung von Personengesellschaften und abkommensrechtliche Behandlung der Einkünfte aus Beteiligungen inländischer Gesellschafter an ausländischen Personengesellschaften, 1995, S. 97 f.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften

USA 1989 nicht profitieren. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Umfang der Quellensteuerentlastung derselbe ist, wie er sich ohne diese Sonderregelung ergeben hätte. Die Sonderregelung im DBA-USA 1989 führt daher lediglich zu einer Vereinfachung. Die einzelnen Gesellschafter müssen ihre Quellensteuerermäßigung nicht einzeln für sich durchsetzen, sondern übertragen diesen Anspruch insoweit auf die Personengesellschaft. Der Abkommensschutz wird quasi vorverlagert, er kommt einer steuersubjektbezogenen partiellen Abkommensberechtigung gleich.8 Aufbauend auf die vorstehende Einordnung soll die nachfolgende Tabelle einen Überblick über die bislang in Kraft getretenen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen geben, welche Sonderregelungen für die Abkommensberechtigung von Personengesellschaften enthalten: umfassend ohne Einschränkung

Subject to tax

partiell subjektbezogen „Vereinfachung“ Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBAUSA 19899

objektbezogen

Nr. 2 des Protokolls zum DBA-Aserbaidschan

Art. 4 Abs. 4 DBAIsland

Art. 7 Abs. 7 DBAJapan

Art. 4 Abs. 1 DBABelgien

Nr. 2 des Protokolls zum DBA-Italien

Nr. 5 des Protokolls zum DBALiberia

Art. 4 Abs. 4 DBAFinnland und Nr. 1 des Protokolls

Art. 4 Abs. 4 DBAPolen

Art. 4 Abs. 4 DBAPortugal

Art. 4 Abs. 4 DBAKroatien

Art. 4 Abs. 4 DBASlowenien

Verhandlungsprotokoll v. 18.6.1971 zum DBA-Schweiz

Art. 3 Abs. 1 Buchst. g Doppelbuchst. dd DBASüdafrika

Art. 4 Abs. 4 DBATadschikistan

Art. 4 Abs. 4 DBASpanien

b) Unterschiede im Wortlaut Wie bereits aufgezeigt, unterscheidet sich der Wortlaut der Vorschriften für die fiktive Abkommensberechtigung in den einzelnen von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Vorschriften. Die deutschen Abkommen enthalten sowohl umfängliche als auch partielle Abkommensberechtigungen für Personengesellschaften. Sie sind in den neueren Abkommen mit einer Subject to

__________ 8 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 193. 9 Im Änderungsprotokoll vom 1.6.2006 zur Neufassung des DBA-USA entfällt die Vereinfachungsregelung für Personengesellschaften ersatzlos.

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tax Klausel versehen. Bis auf das DBA-Finnland (vgl. Nr. 1 des Protokolls zum DBA-Finnland) kommen die Vorschriften ohne weitere komplexe Nebenbedingungen aus. Wird der Abkommensschutz nicht eingeschränkt, d. h., gilt er vollumfänglich, wird mithin zugleich auch der Ansässigkeitsstaat definiert. Dies ist relevant für die Abgrenzung der Steuerhoheiten zwischen den Staaten und hat z. B. im DBA-Finnland dazu geführt, die Abkommensberechtigung mit komplexen Rückausnahmen im Protokoll wiederum einzuschränken.10 Wird die Personengesellschaft uneingeschränkt als ansässige Person fingiert, wirkt sich dies z. B. bei der Anwendung des Artikels 7 Absatz 1 des jeweiligen Abkommens aus. Durch das Ansässigkeitskriterium wird der Personengesellschaft in Art. 3 Abs. 1 Buchst. d OECD-MA das Unternehmen zugeordnet, da sie hierfür dann auch als Betreiberin in Frage kommt. Damit gilt die Personengesellschaft auch als „Unternehmen eines Vertragsstaates“, weshalb dem Sitzstaat bereits nach Artikel 7 Absatz 1 Halbsatz 1 des jeweiligen Abkommens das uneingeschränkte Besteuerungsrecht zusteht.11 Zusätzlich bedeutet dies, dass es auf die Betriebsstätteneigenschaft der Personengesellschaft nicht mehr ankommt, d. h., nicht jeder Gesellschafter betreibt über die Beteiligung eine anteilige Betriebsstätte im Ausland, sondern der Personengesellschaft wird unabhängig von Artikel 5 des jeweiligen Abkommens das Unternehmen zugeordnet, wobei dies nicht mit einer Zurechnung von Einkünften gleichgesetzt werden kann.12 Die partielle Abkommensberechtigung hat dagegen vornehmlich die Erstattung von Quellensteuern im Fokus. Die neueren Abkommen räumen der Personengesellschaft eine umfassende Abkommensberechtigung ein. Nicht in allen Abkommen wird dieser Abkommensschutz von der Besteuerung der betreffenden Einkünfte im Sitzstaat der Personengesellschaft abhängig gemacht (subject to tax Klausel). c) OECD-Musterabkommen und OECD-Musterkommentar als Auslegungshilfe Weder das OECD-Musterabkommen noch der OECD-Kommentar sehen Sonderbestimmungen zur Abkommensberechtigung von Personengesellschaften vor. Das Interesse Deutschlands, dennoch derartige Sonderregelungen mit seinen Abkommenspartnern zu vereinbaren, kommt allerdings im Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 4 OECD-MA zum Ausdruck. In Rz. 32 des Kommentars zu Art. 4 OECD-MA hat sich Deutschland vorbehalten, Personengesellschaften in Art. 4 OECD-MA ebenfalls eine Abkommensberechtigung zu gewähren. Anknüpfungspunkt der Ansässigkeit soll der Ort

__________ 10 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 190. 11 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 290. 12 Vgl. Chr. Schmidt/Blöchle in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, 2007, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 73.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften

der Geschäftsleitung sein. Die Abkommensbegünstigung soll sich jedoch nur auf im anderen Staat steuerpflichtige Einkünfte begrenzen.13 Der Vorbehalt wurde von Deutschland im Jahr 1995 vorgebracht und nochmals im Jahr 2000 bekräftigt und angepasst. Die Bekräftigung des Festhaltens an derartigen Sondervorschriften wurde für die Bundesrepublik Deutschland aufgrund des im Jahr 1999 von der OECD vorgestellten Partnership-Reports notwendig.14 Darin beschäftigte sich die OECD ausführlich mit der Frage nach der Notwendigkeit derartiger Sondervorschriften für Personengesellschaften und bezog sich dabei ausdrücklich auf die Regelung im Abkommen zwischen Italien und Deutschland.15 Dabei war allgemein zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine Personengesellschaft in einem Vertragsstaat ansässig ist. Als steuerlich transparent betrachtete Personengesellschaften können dabei nach herrschender Meinung keinen Abkommensschutz beanspruchen16, weil sie aufgrund der fehlenden persönlichen Steuerpflicht in ihrem Gründungsstaat das Ansässigkeitsmerkmal des Art. 4 OECD-MA nicht erfüllen.17 Sondervorschriften für die Abkommensberechtigung von Personengesellschaften erlangen daher vor allem in den Fällen Bedeutung, in denen für Personengesellschaften steuerlich dem Transparenzprinzip gefolgt wird, wie etwa in Deutschland. Die OECD stellte dabei die Vorund Nachteile solcher Bestimmungen gegenüber. Als Vorteile sind zu nennen18: – Eine Sonderregelung vermeidet administrative Schwierigkeiten bei der Bestimmung bzw. beim Nachweis der Ansässigkeit jedes einzelnen Gesellschafters. – In Fällen, in denen der eine Staat Personengesellschaften als Steuersubjekt und der andere Staat als transparent behandelt, sorgt die Regelung für eine reziproke Anwendung des Abkommens, d. h., die Gesellschaftsform wird abkommensrechtlich letztlich gleich behandelt, unabhängig davon, in welchem der beiden Staaten sie gegründet wurde.

__________ 13 Vgl. OECD, Musterkommentar, 2005, Art. 4 OECD-MA Rz. 32. 14 Vgl. OECD, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, Issues in International Taxation No. 6, Paris 1999, S. 65 f. – nachfolgend: „Partnership-Report 1999“. 15 Vgl. Nr. 2 Protokoll zum DBA-Italien 1989: „Eine Personengesellschaft gilt im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 als in dem Vertragsstaat ansässig, wenn sie nach dem Recht dieses Staates gegründet worden ist oder sich der Hauptgegenstand ihrer Tätigkeit in diesem Staat befindet. Die in den Artikeln 6 bis 23 vorgesehenen Beschränkungen des Besteuerungsrechts des anderen Vertragsstaats gelten jedoch nur insoweit, als die Einkünfte aus diesem Staat oder das dort gelegene Vermögen der Besteuerung im erstgenannten Staat unterworfen sind.“ 16 Vgl. etwa Piltz, Die Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 208;Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 117 ff. m. w. N., für den deutschen Abkommensanwender: S. 103 ff. 17 Vgl. OECD, Partnership-Report 1999, Rz. 42. 18 Vgl. OECD, Partnership-Report 1999, Rz. 44.

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– Wird die Abkommensberechtigung im Rahmen der Sonderregelung davon abhängig gemacht, dass die Einkünfte im Sitzstaat der Personengesellschaft tatsächlich auch der Besteuerung unterliegen, können durch die Spezialnorm keine ungerechtfertigten Quellensteuerermäßigungen oder Nichtbesteuerungen verursacht werden. Gerade Letzteres kann umgekehrt auch als Schwäche der Sonderregelung identifiziert werden, wenn die Abkommensberechtigung nicht an eine subjectto-tax-Regelung im Sitzstaat der Personengesellschaft festgemacht würde. Deutschland hat folglich mit der Änderung des OECD-Musterkommentars im Jahr 2000 seinen Vorbehalt, sich für Spezialregelungen auszusprechen, dahingehend ergänzt, diese Sonderregelungen stets an eine subject-to-tax-Bedingung zu koppeln. Als Nachteile gelten19: – Für den Quellenstaat sei es schwierig festzustellen, ob die Einkünfte, für welche die Quellensteuerermäßigung beantragt wird, tatsächlich der im Sitzstaat durch die Personengesellschaft unterhaltenen Betriebsstätte zugerechnet werden können. Seien die Einkünfte tatsächlich einer Betriebsstätte in einem Drittstaat zuzurechnen, könne es hier zu einem ungerechtfertigten Steuervorteil kommen, wobei die OECD vor allem Steueroasen im Fokus hat. – In Fällen, in denen der Abkommensvorteil in einer Quellensteuerermäßigung besteht, sei nicht geklärt, wie die Ermäßigung zu berechnen sei, wenn die Abkommensberechtigung der Personengesellschaft nur so weit reicht, wie ihre Gesellschafter im selben Staat ansässig sind und weitere Gesellschafter in Drittstaaten ansässig sind. – Wird die Abkommensberechtigung der Personengesellschaft unabhängig von der Ansässigkeit ihrer Gesellschafter gewährt, bestehe zudem das Risiko, dass Gesellschafter in Drittstaaten Abkommensvorteile erlangen, die ihnen ohne eine Sonderregelung nicht zugestanden hätten. Aufgrund der aufgezeigten Nachteile hielt es der Fiskalausschuss der OECD für wenig vielversprechend, eine alternative Sonderregelung zu entwickeln.20 Letztlich bedeutet dies, dass Deutschland in seinen Abkommen einen Sonderweg beschreitet, der von der OECD nicht gestützt wird. Die aufgezeigte Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile gibt allerdings Anlass dazu, sich auf die Wirkungsweise der Vorschrift zu besinnen. d) Wirkungsweise – Gleichstellungsthese Die Abwägung der OECD zeigt, dass es auch um eine wohl wünschenswerte Gleichstellung transparent besteuerter Personengesellschaften mit im anderen Staat intransparent besteuerten Personengesellschaften ankommen soll. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien, die ebenfalls zur Auslegung herangezogen werden können, unterstützt diesen Ansatz.

__________ 19 Vgl. OECD, Partnership-Report 1999, Rz. 45. 20 Vgl. OECD, Partnership-Report 1999, Rz. 46.

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In der Denkschrift zum Abkommen und zum Protokoll mit Kroatien aus dem Jahr 2006 heißt es zur gesonderten Abkommensberechtigung der Personengesellschaften in Art. 4 Abs. 4 DBA-Kroatien: „Absatz 4 fingiert die Ansässigkeit von Personengesellschaften und dient damit der Gleichbehandlung deutscher Personengesellschaften mit kroatischen Personengesellschaften.“21

Hintergrund dieses Gedankens ist, dass Kroatien Personengesellschaften als Körperschaftsteuersubjekt besteuert. Für die Abkommensanwendung bedeutet dies, dass jedenfalls aus Sicht Kroatiens dort gegründete Personengesellschaften abkommensberechtigte Personen sind, die ihre abkommensrechtlichen Ansprüche auch ohne Mitwirkung ihrer Gesellschafter durchsetzen können (Art. 3 Abs. 1 Buchst. c i. V. m. Art. 4 Abs. 1 DBA-Kroatien 2006). Umgekehrt könnten dies deutsche Personengesellschaften gerade nicht, weil das Ansässigkeitskriterium des Art. 4 Abs. 1 DBA-Kroatien nicht erfüllt ist. Die deutsche Personengesellschaft ist kein Steuersubjekt.22 Abkommensberechtigte Personen sind danach nur ihre Gesellschafter, soweit natürliche Personen oder Kapitalgesellschaften Anteilseigner sind.23 Der deutschen Personengesellschaft soll zur Gleichstellung mit der kroatischen Personengesellschaft Art. 4 Abs. 4 DBA-Kroatien weiterhelfen. Danach gelten Personengesellschaften als in dem Staat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet. Hat die deutsche Personengesellschaft ihren Geschäftsleitungssitz ebenfalls in Deutschland, wäre sie nach dieser Vorschrift als ansässig einzustufen. Abkommensberechtigt wäre nach Art. 1 DBA-Kroatien 2006 allerdings nur eine in einem Vertragsstaat ansässige Person, wobei bislang feststeht, dass die deutsche Personengesellschaft aufgrund Art. 4 Abs. 4 DBA-Kroatien 2006 die Ansässigkeit zugesprochen bekommt. Der Begriff „Person“ ist in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und c DBA-Kroatien 2006 definiert. Danach sind „Personen“ natürliche Personen und Gesellschaften. Gesellschaften sind nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c DBA-Kroatien 2006 juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden. Die deutsche Personengesellschaft erfüllt die Merkmale einer Gesellschaft im abkommensrechtlichen Sinne nicht. Sie ist damit nach dieser Definition keine Person im Sinne des DBA-Kroatien. Grund dafür ist, dass in der Begriffsdefinition für Personen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. b DBAKroatien wie in vielen deutschen Abkommen24 auf den Zusatz „andere Personenvereinigung“ verzichtet wurde. Die Ansässigkeitsfiktion der deutschen Personengesellschaft läuft daher bereits mangels Personeneigenschaft im DBAKroatien 2006 ins Leere, sie ist folglich missglückt. Ggf. könnte noch aus dem

__________ 21 Vgl. BT-Drucks. 16/2955, 27 – Denkschrift zum Abkommen und zum Protokoll DBAKroatien 2006. 22 Vgl. etwa Reiß in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 200. 23 Vgl. für viele: Chr. Schmidt/Blöchle in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, 2007, Art. 23 A/B OECD-MA Rz. 64. 24 Vgl. Übersicht bei Vogel in Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, 4. Aufl., München 2003, Art. 3 OECD-MA Rz. 23.

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Abkommenszusammenhang gefolgert werden, dass die Ansässigkeit, wie aus Art. 4 Abs. 1 DBA-Kroatien deutlich wird, stets an eine Person geknüpft ist und die Ansässigkeitsfiktion des Art. 4 Abs. 4 DBA-Kroatien somit zugleich auch die Personeneigenschaft voraussetzt bzw. mit umfasst. Dem steht jedoch, wie soeben aufgezeigt, der Wortlaut des Abkommens entgegen, so dass abgewägt werden müsste, ob diese Lücke durch den Abkommenszusammenhang geschlossen werden kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das DBA-Aserbaidschan 2004 in der Nr. 2 des Protokolls zu Artikel 4 eine dem DBA-Kroatien wortgleiche Regelung zur umfänglichen Ansässigkeitsfiktion der Personengesellschaft enthält. Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Aserbaidschan schließt allerdings in den Begriffsbestimmungen auch „alle anderen Personenvereinigungen“ in den Begriff der Person mit ein. Nach diesem Abkommen wäre die deutsche Personengesellschaft folglich als abkommensberechtigte Person in der Lage, Abkommensansprüche geltend zu machen. Die Gleichstellung mit der ausländischen Personengesellschaft, die bereits aufgrund ihrer persönlichen Körperschafsteuerpflicht abkommensberechtigte Person ist, wird deshalb für notwendig erachtet, weil es der deutschen Personengesellschaft ebenfalls ermöglicht werden soll, Ansprüche aus dem Abkommen geltend zu machen. In diesem Zusammenhang geht es vor allem darum, Quellensteuerermäßigungen im Ausland durchzusetzen.25 Vor diesem Hintergrund muss jedoch in Betracht gezogen werden, dass die Abkommensansprüche regelmäßig nach nationalem Recht durchzusetzen sind. Die Abkommen regeln nicht, auf welche Weise Erstattungen bzw. Ermäßigungen geltend zu machen sind, sie überlassen dies ausdrücklich dem nationalen Gesetzgeber. Wird die fiktive Abkommensberechtigung durch nationale Erstattungsvorschriften nicht nachvollzogen, d. h., weichen die erstattungsberechtigten Steuersubjekte voneinander ab, läuft der Abkommensschutz der Personengesellschaft ins Leere. Genau dieser Zustand stellt in der Praxis aber auch die Regel dar, weshalb sich die abkommensrechtliche Ansässigkeitsfiktion Kritik gefallen lassen muss.26 Nach nationalem Recht bleibt es dabei, dass die Personengesellschaft kein Steuersubjekt ist. Sie hat daher keinen allgemeinen Anspruch darauf, Quellensteuererstattungen durchsetzen zu können. Dies gilt für in- und ausländische Personengesellschaften gleichermaßen, es sei denn, es lässt sich aus den Erstattungsvorschriften des § 50d Abs. 1 EStG etwas Anderes ableiten. Wassermeyer folgert aus dem BFH-Beschluss vom 13.8.199727, dass Quellensteuern stets zu Lasten eines Steuerpflichtigen einzubehalten seien und folglich der Erstattungsantrag einer ausländischen Personengesellschaft abzuleh-

__________ 25 Vgl. Chr. Schmidt, Personengesellschaften im Abkommensrecht (Teil 1), Wpg 2002, S. 1140 f. m. w. N. 26 Vgl. Wassermeyer, Soll Deutschland die Abkommensberechtigung in seinen DBA verankern?, IStR 1999, 481. 27 Vgl. BFH, Beschl. v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700.

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nen sei, weil nach § 1 Abs. 4 EStG nur natürliche Personen steuerpflichtig seien. Andernfalls bestehe zusätzlich die Gefahr, dass Erstattungen doppelt erfolgten, weil neben der ausländischen Personengesellschaft zusätzlich jeder einzelne Gesellschafter einen Erstattungsantrag stellen könnte.28 Die Auffassung Wassermeyers ergibt sich jedoch nicht zwingend aus dem genannten BFH-Beschluss oder aus § 50d EStG. Vielmehr sucht § 50d EStG in seinem Terminus nicht nach einem Steuerpflichtigen, sondern nach einem Vergütungsschuldner und einem Vergütungsgläuber (bzw. Gläubiger). Sinn und Zweck der Vorschrift ist zudem, den Grundsatz des Quellensteuerabzugs nach den §§ 43 ff. und 50a EStG i. V. m. § 73e EStDV fortbestehen zu lassen. Der Quellensteuereinbehalt soll unabhängig davon erfolgen, ob sich nach den Vorschriften eines Doppelbesteuerungsabkommens ein niedriger Quellensteuerabzug ergibt oder das inländische Besteuerungsrecht vollends entfällt.29 Nur in Ausnahmen darf hiervon abgewichen werden, vgl. etwa § 44a Abs. 5, § 44b Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 7 EStG und §§ 73 f. EStDV. Unberührt davon bleibt auch das Recht des Vergütungsgläubigers, eine Freistellung im Steuerabzugsverfahren gem. § 50d Abs. 2 EStG sowie nach §§ 50g und 50h EStG zu beantragen. In diesem Sinne urteilte auch der BFH im o. g. Beschluss, wenn er hervorhebt, dass die Steueranmeldung des Vergütungsschuldners keine Festsetzung einer Steuerschuld gegenüber dem Vergütungsgläubiger beinhalte. Die Steueranmeldung enthalte umgekehrt auch keine gegenüber dem Vergütungsgläubiger vollziehbare Steuerfestsetzung.30 Gibt der Vergütungsschuldner eine geänderte Steueranmeldung beim Finanzamt ab, erfolgt auch nur eine Erstattung ihm gegenüber und nicht gegenüber dem Vergütungsgläubiger. Ob dies zwischen den Vertragsparteien zivilrechtlich anders geregelt ist, muss das Finanzamt dabei unberücksichtigt lassen, da es andernfalls zu Doppelerstattungen kommen könne.31 Allein dies hat der BFH im genannten Beschluss zum Ausdruck gebracht. Die Norm des § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG regelt dies, indem es heißt, dass der Erstattungsanspruch des Gläubigers von der Einbehaltungspflicht des Schuldners unberührt bleibe, also eigenständig vorzunehmen ist. Die gesamte Norm hat dabei jeweils den Gläubiger im Visier, der letztlich gem. § 50d Abs. 4 EStG auch dazu verpflichtet ist, seine Ansässigkeit im anderen Staat nachzuweisen. Das Begriffspaar Schuldner und Gläubiger geht somit von den zivilrechtlichen Gegebenheiten der Vertragspartner aus. Gläubiger einer Vergütung kann danach auch eine ausländische Personengesellschaft sein. Soweit sie im Ausland als Steuersubjekt ertragsteuerpflichtig ist, wird sie auch den Nachweis i. S. d. § 50d Abs. 4 EStG führen können. Der formal-zivilrechtliche Vertragspartner des Vergütungsschuldners ist somit antragsbefugt, obwohl ihm die betreffen-

__________ 28 Vgl. Wassermeyer, Soll Deutschland die Abkommensberechtigung in seinen DBA verankern?, IStR 1999, 481 (482). 29 Vgl. Gosch in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 5. 30 Vgl. BFH, Beschl. v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700 – unter II 5; ebenso BFH v. 28.6.2005 – I R 33/04, BStBl. II 2006, 489. 31 Vgl. BFH, Beschl. v. 13.8.1997 – I B 30/97, BStBl. II 1997, 700 – unter II 3.

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den Einkünfte aus deutscher steuerlicher Sicht mangels eigenständiger Steuerpflicht nicht zuzurechnen sind.32 Gegen diese Auffassung spricht allerdings die Entscheidung des BFH vom 29.10.1997. In der Entscheidungsbegründung heißt es hierzu, dass mit Vergütungsgläubiger nicht der zivilrechtliche Gläubiger gemeint sei, sondern allein der Steuerschuldner, was aus § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG folge, wonach der Schuldner den Steuerabzug auf Rechnung des beschränkt Steuerpflichtigen (Steuerschuldner) vorzunehmen habe. Im Regelfall sei jedoch der Steuerschuldner zugleich der Vergütungsgläubiger, was jedoch für Erstattungsanträge nicht bedeuten müsse, dass nur der zivilrechtliche Gläubiger die Erstattung beantragen könne. Dies würde den Missbrauchsregelungen entgegenstehen.33 Dem BFH ging es letztlich darum, § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige zur Anwendung zu bringen, um missbräuchlichen Erstattungsanträgen der Gläubiger entgegenwirken zu können. Mit Einführung der umfassenden Missbrauchsregelung in § 50d Abs. 3 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2007 könnte diese Auffassung jedoch bereits überholt sein.34 Jedenfalls wäre § 50d Abs. 3 EStG ebenfalls auf ausländische Personengesellschaften anwendbar, so dass ein missbräuchliches Treaty Shopping bereits aufgrund einer spezielleren Missbrauchsvorschrift vermeidbar wäre. Im Ergebnis lässt sich daher feststellen, dass es von der Erstattungsvorschrift des § 50d Abs. 1 EStG durchaus getragen ist, ausländischen Personengesellschaften die Erstattung zu gewähren. Dem Missbrauch wäre in § 50d Abs. 3 EStG die Stirn geboten. Der Gefahr der doppelten Erstattung, falls die Gesellschafter ebenfalls einen Erstattungsantrag stellen, könnte ebenfalls begegnet werden, indem im Erstattungsantrag der Gesellschaft zugleich der Verzicht der Gesellschafter auf Erstattung verlangt werden würde. Letztlich wäre jedoch eine klare gesetzliche Regelung im Rahmen der Erstattungsvorschriften wünschenswert. Im umgekehrten Fall, in dem die deutsche Personengesellschaft im Ausland die Erstattung von Quellensteuern beantragt, hängt die Frage danach, ob sie zur Erstattung berechtigt ist, ebenfalls von nationalen Vorschriften ab. Hier dürfte es vor allem schwer fallen, eine Ansässigkeitsbescheinigung vom deutschen Finanzamt zu erhalten. Die abkommensrechtliche Ansässigkeitsfiktion sollte einen solchen Nachweis jedoch entbehrlich machen, soweit die Nachweispflicht im nationalen Gesetz nicht als treaty override formuliert ist. Denn die abkommensrechtliche Festlegung darauf, dass die Personengesellschaft als in dem Staat ansässig „gilt“, in dem sich ihre Geschäftsleitung befindet, unterstellt bereits die Ansässigkeit. Vielmehr als den Ort ihrer Geschäftsleitung muss die Gesellschaft damit nicht nachweisen. Länder, die Personengesellschaften als Steuersubjekte behandeln, sollten mithin der deutschen Personen-

__________ 32 Vgl. ebenso Gosch in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 13. 33 Vgl. BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235. 34 Vgl. ebenso Gosch in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 50d EStG Rz. 13.

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gesellschaft die Erstattung von Quellensteuern gewähren. Länder, die Personengesellschaften als transparent besteuern, sind für die Quellensteuererstattung ggf. vor dieselben Unwägbarkeiten gestellt, wie dies an obigen Ausführungen für die deutsche Seite deutlich wurde. Damit lässt sich schließlich feststellen, dass dem Gleichstellungsgedanken bei der Vereinbarung von Ansässigkeitsfiktionen für Personengesellschaften erst dann Rechnung getragen ist, wenn zugleich auf Ebene des nationalen Rechts dafür Sorge getragen wird, transparenten Personengesellschaften den Zugang zur Erstattung von Quellensteuern zu eröffnen. Im Rahmen der deutschen Erstattungsregelungen in § 50d EStG wäre dies jedenfalls ermöglicht. 2. Definitionserweiterung für Unternehmensgewinne a) Historische Entwicklung der Sondervorschrift Sondervorschriften für Personengesellschaften im Rahmen des Artikels für Unternehmensgewinne haben in der Abkommenspolitik der Bundesrepublik Deutschland eine lange Tradition. Bereits in den jungen Jahren der Bundesrepublik Deutschland wurden Sonderregelungen für Personengesellschaften im Bereich der Unternehmensgewinne verankert. Eine aus dieser Zeit stammende Regelung ist z. B. noch in Art. 4 Abs. 3 DBA-Frankreich enthalten.35 Inhaltlich ging es darum, die Zuordnung der Betriebsstätte der Personengesellschaft zum Mitunternehmer im Unternehmensartikel ausdrücklich zu regeln.36 Die Tatsache, dass die Betriebsstätte der Personengesellschaft auch ohne Sonderregelung bereits durch Abkommensauslegung anteilig den Mitunternehmern zugeordnet wird, hat derartige Sonderregelungen entbehrlich gemacht. Sie wurden daher in Revisionsabkommen nicht mehr übernommen oder fortgeführt und sind vornehmlich noch in älteren Abkommen der Bundesrepublik Deutschland enthalten.37 Von ganz anderer Qualität hingegen ist die erstmals in Art. 7 Abs. 7 DBASchweiz 1971/1978/1989/1992 eingeführte Sonderregelung für Mitunternehmerschaften. Sie entspricht dem Wortlaut nach dem, was in den vergangenen

__________ 35 „Anteile eines Mitunternehmers an den Gewinnen eines Unternehmens, das in Form einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft betrieben wird und Anteile an den Gewinnen einer société de fait, einer association en participation oder einer société civile französichen Rechts können nur in dem Staat besteuert werden, in dem das Unternehmen eine Betriebsstätte hat, jedoch nur in Höhe des Anteils des Mitunternehmers an den auf die Betriebsstätte entfallenden Gewinnen.“ 36 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 285 f. 37 Derartige Regelungen sind noch enthalten in: Art. III Abs. 2 DBA-Großbritannien 1964/1970; Art. III Abs. 2 DBA-Irland 1962; Art. 4 Abs. 2 DBA-Israel 1962/77; Art. 5 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958/73; Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959/1991/2004; Art. 7 Abs. 6 DBA-Tunesien 1975. Sie fanden sich ebenfalls in den alten Abkommen mit Dänemark 1962, mit Pakistan 1958/70 und mit Schweden 1959. Die Revisionsabkommen mit Dänemark, Pakistan und Schweden hatten die Sondernorm nicht übernommen.

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Jahren auch in weiteren neueren Abkommen der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Unternehmensgewinne vereinzelt normiert wurde. Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz hatte in diesem Punkt lange ein Alleinstellungsmerkmal und musste zwangsläufig als Ausnahme gelten. Die gleiche Regelung ist jedoch inzwischen in den Doppelbesteuerungsabkommen mit Kasachstan (1997), mit Usbekistan (1999), mit Österreich (2000), mit Tadschikistan (2003), mit Singapur (2004) und Belarus (Weißrussland, 2006) aufgenommen worden, so dass der Ausnahmezustand der Schweiz Historie ist. Weshalb gerade zu den betroffenen Ländern die Notwendigkeit für diese Sonderregelung bestand, lässt sich historisch nicht nachvollziehen, da Deutschland seine Mitunternehmerkonzeption gegenüber allen Staaten gleich anwendet und auch in den genannten Ländern keine außergewöhnlichen Regelungen für die Besteuerung von Personengesellschaften gelten. Die Schweiz, Österreich und Singapur besteuern Personengesellschaften transparent, d. h. setzen die Steuerpflichten für die Ertragsteuern bei den Gesellschaftern an. Belarus und Tadschikistan besteuern Personengesellschaften als Körperschaften, d. h. verfolgen im Verhältnis Gesellschaft und Gesellschafter das Trennungsprinzip. Auch wird der Bereich der Sondervergütungen in den genannten Staaten unterschiedlich weit gefasst. Dies stellt im internationalen Kontext jedoch keine Besonderheit dar, welche eine Sonderregelung im Abkommen speziell zu den betreffenden Staaten zu erklären vermag. So bestehen z. B. auch im Vergleich USA und Deutschland erhebliche Unterschiede bei der Zurechnung von Sondervergütungen zu den Einkünften aus der Mitunternehmerschaft eines Gesellschafters.38 Dennoch bestand für die Abkommensverhandler z. B. im Änderungsprotokoll v. 1.6.2006 zum DBA-USA keine Notwendigkeit dafür, eine Sonderregelung ins Abkommen aufzunehmen. Auch enthalten die genannten Abkommen keine weiteren Abweichungen vom OECD-Musterabkommen oder von der weiteren Abkommenspolitik der Bundesrepublik Deutschland, die eine Sonderregelung erklären könnten. Soweit es um die Eindämmung sog. Qualifikationskonflikte geht, ist in den betreffenden Abkommen jeweils ebenfalls eine sog. Switch-over-Klausel enthalten. Aus der Historie lässt sich somit nicht erklären, weshalb nur in vereinzelten Abkommen die Notwendigkeit einer Sonderregelung erkannt und durchgesetzt wurde. b) Wortlaut Die wortgleichen Sonderbestimmungen in den Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz 1971/1978/1989/1992, DBA-Usbekistan 1999, DBA-Österreich 2000, DBATadschikistan 2003 und DBA-Belarus (Weißrussland) 2006 sowie Art. 7 Abs. 6 DBA-Kasachstan 1997 lauten: „Dieser Artikel gilt auch für die Einkünfte aus Beteiligungen an einer Personengesellschaft. Er erstreckt sich auch auf Vergütungen, die ein Gesellschafter einer Personenge-

__________ 38 Vgl. Weggenmann, Sondervergütungen unbeschränkt steuerpflichtiger Mitunternehmer einer ausländischen Personengesellschaft in der Rechtsprechung des BFH und aus der Sicht der OECD, IStR 2002, 1.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften sellschaft von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft, für die Gewährung von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezieht, wenn diese Vergütung nach dem Steuerrecht des Vertragsstaates, in dem die Betriebsstätte gelegen ist, den Einkünften des Gesellschafters aus dieser Betriebsstätte zugerechnet werden.“

Das OECD-Musterabkommen sieht eine solche Sonderregelung nicht vor und setzt sich im Übrigen auch in der Kommentierung damit nicht auseinander. aa) Artikel 7 Absatz 7 Satz 1 In Satz 1 der Vorschrift wird per Fiktion das angeordnet, was für transparent besteuerte Personengesellschaften ohnehin bereits aufgrund Abkommensauslegung im Ergebnis zutrifft: Es soll die Betriebsstättenkonzeption gelten, d. h., die als Betriebsstätte zu qualifizierende Personengesellschaft wird den einzelnen Gesellschaftern zugeordnet. Sie betreiben somit durch die Personengesellschaft ein Unternehmen im anderen Vertragsstaat. Für jeden Gesellschafter kommt somit Artikel 7 Absatz 1 des jeweiligen DBA zur Anwendung. Dies lässt sich jedenfalls für den Gewinnanteil aus der Personengesellschaft feststellen.39 Dass die Vorschrift des Satzes 1 nicht generell für Beteiligungen an Personengesellschaften Anwendung findet, sondern fest im Kontext zu Artikel 7 Absatz 1 steht, ergibt sich aus dem „auch“ im verwendeten Wortlaut. Demgegenüber ist nicht geregelt, dass die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 1 bei Beteiligungen an Personengesellschaften als erfüllt gelten. Aus Satz 1 der Norm ergeben sich somit für den deutschen Abkommensanwender keine Besonderheiten. Nicht übersehen werden darf dabei, dass es ggf. für den anderen Staat von Bedeutung sein könnte, den Kontext zu Personengesellschaften in Artikel 7 herzustellen.40 Hingegen lautet Art. 7 Abs. 7 Satz 1 DBA-Singapur: „Dieser Artikel ist auch auf Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person anzuwenden, die im anderen Vertragsstaat als Gesellschafter einer Personengesellschaft eine Geschäftstätigkeit ausübt.“

Bemerkenswert ist, dass die bloße Beteiligung an der Personengesellschaft dem Wortlaut nach nicht ausreicht, um Art. 7 DBA-Singapur zur Anwendung bringen zu können. Von dem Gesellschafter wird vielmehr gefordert, im anderen

__________ 39 Vgl. Buciek in Flick/Wassermeyer/Kempermann (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 692 ff.; Scherer in Debatin/ Wassermeyer (Hrsg.), DBA, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 351; Piltz, Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unter den Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen und DBA-Schweiz), IStR 1996, 457. 40 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 288 f. Beispielsweise enthält Art. III Abs. 2 DBA-Großbritannien eine Sondervorschrift für Personengesellschaften, weil für die britische Seite nicht feststeht, dass Personengesellschaften unter das Regime für Unternehmensgewinne fallen. Ähnlich ist die Situation in den Niederlanden, wo umstritten ist, ob ein sich passiv verhaltender Kommanditist als „Unternehmer“ gilt, dem eine Betriebsstätte zugeordnet werden kann.

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Vertragsstaat eine Geschäftstätigkeit auszuüben. Ob die Beteiligung an der ausländischen Personengesellschaft dem bereits genügt, lässt sich aus dem Wortlaut nicht entnehmen. Ebenfalls ist Satz 1 nicht als Fiktion („gilt“) formuliert, sondern mit dem Wort „ist“ als Anwendungsbefehl, der auf eine Tatbestandlichkeit beruhen soll. Das Wort „Geschäftstätigkeit“ lässt vielmehr darauf schließen, dass von dem Gesellschafter auch ein Handeln am Ort des Sitzes der Gesellschaft verlangt wird, sei es im Dienste der Gesellschaft oder auf eigene Rechnung außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses. Fraglich könnte damit sein, ob ein sich passiv verhaltender Kommanditist die Voraussetzungen des Satzes 1 erfüllt. Dies darf aufgrund des Wortlauts jedenfalls bezweifelt werden. bb) Artikel 7 Absatz 7 Satz 2 Satz 2 der Vorschrift ist in allen genannten Doppelbesteuerungsabkommen mit übereinstimmendem Wortlaut gefasst und erfährt dadurch einen eigenen Regelungsgehalt, weil er in Abgrenzung zur sog. Spezialitätsklausel (Artikel 7 Absatz 8 der betreffenden Abkommen bzw. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA) der Norm zu sehen ist. Die Spezialitätsklausel räumt anderen Verteilungsnormen den Vorrang vor Artikel 7 ein.41 Ohne Artikel 7 Absatz 7 Satz 2 würde es daher dabei bleiben, dass Vertragsbeziehungen zwischen Gesellschafter und Personengesellschaft zunächst nach den spezielleren Verteilungsnormen zu beurteilen sind. Während sich Satz 1 auf den Unternehmensgewinn bezieht, also auf die ohnehin der Norm unterfallenden Einkünfte der Personengesellschaft, bezieht Satz 2 auch die Vergütungen der Gesellschafter mit ein. Der letzte Halbsatz des Satzes 2 nimmt dabei für die Behandlung dieser Gesellschaftervergütungen jeweils Bezug auf die nationale Besteuerungssituation des Betriebsstättenstaates bzw. auf den Sitzstaat der Personengesellschaft. Aus deutscher steuerlicher Sicht sind damit die Sondervergütungen i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG angesprochen. Die Vorschrift enthält damit einen ausdrücklichen Verweis auf das jeweilige nationale Recht des Quellenstaates. Daraus kann auch abgeleitet werden, dass die Beurteilung des Sitzstaates für beide Vertragsstaaten bindend ist.42 Die nach nationalem Steuerrecht anwendbare Mitunternehmerkonzeption des Sitzstaates der Personengesellschaft wird somit in das Abkommen inkorporiert.43 c) Sinn und Zweck der Sonderregelung Sinn und Zweck der Sonderregelung vor allem des Satzes 2 erschließen sich durch einen Vergleich zur Situation ohne Sondervorschrift, beispielhaft am OECD-Musterabkommen dargestellt. Ohne Sondervorschrift sind auf Sonder-

__________ 41 Vgl. zum Begriff Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 OECD-MA Rz. 394. 42 Vgl. auch BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 92. 43 Vgl. Piltz, Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unter den Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen und DBA-Schweiz), IStR 1996, 457.

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vergütungen an Gesellschafter zunächst die weiteren Verteilungsnormen außerhalb Art. 7 OECD-MA anwendbar. Dies ergibt sich – wie dargestellt – zwingend aus Art. 7 Abs. 7 OECD-MA, wonach andere Abkommensartikel der Norm des Art. 7 OECD-MA vorgehen. Eine Sondervergütung an den Gesellschafter kann mithin nur dann Art. 7 OECD-MA zugeordnet werden, wenn der Betriebsstättenvorbehalt in der einschlägigen Verteilungsnorm dies anordnet, d. h. das Wirtschaftsgut, worauf die Zahlung der Vergütung fällig ist, tatsächlich der Betriebsstätte im Sitzstaat der Personengesellschaft zugeordnet werden kann. Diese abkommensrechtliche Auslegung gehört inzwischen zur ständigen Rechtsprechung des BFH.44 Die unterschiedlichen Rechtsfolgen bzw. Wirkungsweisen sollen an einem Beispiel verdeutlicht werden: Ein deutscher Gesellschafter ist an a) einer US-LP, b) an einer schweizerischen CH-OHG und c) an einer österreichischen Ö-KG beteiligt und gewährt den ausländischen Personengesellschaften jeweils ein Darlehen, wofür er Zinsen von den Gesellschaften erhält. Bei der US LP und der schweizerischen OHG werden die Zinsen als Betriebsausgaben erfasst; sie werden beim Gesellschafter nicht im Rahmen seiner beschränkten Steuerpflicht im Ausland erfasst. a) Nach dem DBA-USA 1989 erzielt der deutsche Gesellschafter abkommensrechtlich Zinsen i. S. d. Art. 11 DBA-USA, die auch nach dem Betriebsstättenvorbehalt nicht mehr tatsächlich der Auslandsbetriebsstätte zugeordnet werden können. Damit erhält Deutschland ein Besteuerungsrecht auf die Zinsen, welches gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG auch nationalrechtlich ausgeschöpft würde. Der reziproke Fall, indem ein US-Gesellschafter an einer deutschen KG beteiligt ist und von ihr Zinsen für eine Darlehensgewährung erhält, würde ebenfalls dazu führen, dass nunmehr die USA ein Besteuerungsrecht für die Zinsen erhalten und auch ausschöpfen. Deutschland müsste umgekehrt vom Besteuerungsrecht Abstand nehmen und könnte es im Rahmen der Mitunternehmerkonzeption i. S. d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG für sich nicht in Anspruch nehmen.45

__________ 44 Vgl. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; BFH v. 9.8.2006 – II R 59/05, DStRE 2007, 28; BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, DStRE 2007, 473. Zum unterschiedlichen Meinungsstand in der Literatur vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 323 ff. Zur Kritik vgl. Chr. Schmidt/Blöchle in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, 2007, Art. 23 A/B OECDMA Rz. 79 ff. 45 Anzumerken gilt es hier, dass sich die Finanzverwaltung an diese Auslegung nicht hält und dennoch ein Besteuerungsrecht für gegeben hält, vgl. Betriebsstättenerlass des BMF, Schr. v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 – Tz. 1.2.3. Nochmals zum Ausdruck gebracht wird dies im Entwurf eines Schreibens zur Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften: BMF, Schr. v. 10.5.2007 – IV B 4 - S 1300/07/0006, www.bundesfinanzministe rium.de – Tz. 5.1.

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b) Das Besteuerungsrecht im Fall der CH-OHG richtet sich für die Zinseinkünfte für beide Staaten gleichermaßen nach Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBASchweiz. Die Schweiz erkennt nach ihren nationalen Besteuerungsvorschriften Darlehensbeziehungen dieser Art an. Entsprechend ordnet die Schweiz diese Einkünfte nicht den Betriebsstätteneinkünften des Gesellschafters zu, weshalb in der Rechtsfolge des Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBASchweiz die Zinsen nicht den Unternehmensgewinnen zuzuordnen sind, sondern Art. 11 DBA-Schweiz, der die Besteuerung von Zinsen normiert. Nach Art. 11 Abs. 1 DBA-Schweiz hat die Schweiz als Quellenstaat kein Besteuerungsrecht. Diese Beurteilung hat Deutschland aufgrund der Einordnungsverkettung in Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Schweiz zu übernehmen. Danach können die Zinsen des Gesellschafters voll besteuert werden, wovon nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG auch Gebrauch gemacht würde. Im spiegelbildlichen Fall, in dem ein schweizerischer Gesellschafter an einer deutschen OHG beteiligt ist, bliebe das uneingeschränkte Besteuerungsrecht für die Zinsen ebenso bei Deutschland. Denn nun müsste die Bundesrepublik Deutschland Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Schweiz anwenden und käme aufgrund § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG als Betriebsstättenstaat zu einem Besteuerungsrecht für die Zinsen des schweizerischen Gesellschafters. Die Schweiz hätte diese Einordnung ebenso zu übernehmen. c) Das Besteuerungsrecht im Falle der Ö-KG richtet sich nach Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Österreich, wonach es darauf ankommt, ob Österreich die Zinseinkünfte beim Gesellschafter im Rahmen der Mitunternehmerkonzeption erfasst und folglich als Sonderbetriebseinnahmen besteuert oder so verfährt, wie im Falle der Schweiz und den USA. Österreich würde die Zinsen als Sonderbetriebseinnahmen dem Gesellschafter im Rahmen seiner beschränkten Steuerpflicht in Österreich zurechnen, d. h. als Einkünfte aus der Mitunternehmerschaft besteuern, was von Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Österreich auch getragen ist. Deutschland muss folglich die Qualifikation Österreichs übernehmen und die Zinsen als Betriebsstätteneinkünfte aus Österreich von der deutschen Besteuerung freistellen. Der reziproke Fall würde wiederum zu einem Besteuerungsrecht Deutschlands führen. Die Beispiele machen deutlich, dass die Sondervorschrift zugunsten desjenigen Staates geht, der die Mitunternehmerkonzeption möglichst weit fasst, d. h. auch Sondervergütungen in die Steuerpflicht aus der Beteiligung an der Personengesellschaft mit einschließt. Daher ist vor allem Deutschland daran gelegen, derartige Normen im Doppelbesteuerungsabkommen zu verankern. Wie vorstehende Beispiele zeigen, ist dies vor allem für die Fälle von Relevanz, in denen ausländische Gesellschafter Sondervergütungen von einer deutschen Personengesellschaft erhalten. Ohne Sonderregelung für Personengesellschaften in Artikel 7 würde die Spezialitätsklausel des Art. 7 Abs. 7 OECD-MA den anderen Verteilungsnormen den Vorrang einräumen und die Sondervergütung den Art. 10 OECD-MA (Dividenden), Art. 11 OECD-MA (Zinsen) oder Art. 12 OECD-MA (Lizenzen) zuordnen, wonach allein der Ansässigkeitsstaat, also das Ausland ein uneingeschränktes Besteuerungsrecht hat. Deutschland würde in 714

Sonderregelungen für Personengesellschaften

diesen Fällen mithin das Nachsehen haben. Möchte Deutschland diesen Besteuerungsanspruch abkommensrechtlich gegenüber dem anderen Staat durchsetzen, muss dies durch eine Sonderregelung im Sinne des vorgestellten Artikels 7 Absatz 7 Satz 2 erfolgen. Andernfalls bleibt es aufgrund der Spezialitätsklausel dabei, dass Sondervergütungen nach abkommensrechtlicher Auslegung nicht grundsätzlich den Unternehmensgewinnen des Artikels 7 Absatz 1 zuzuordnen sind.46 Diesen Zusammenhang verkennt die Finanzverwaltung, wenn sie in ihrem Entwurf vom 10.5.2007 zur „Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften“ die Auffassung vertritt, die Mitunternehmerkonzeption und hier insbesondere Sondervergütungen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ließen sich auch ohne ausdrückliche Regelung in den Doppelbesteuerungsabkommen ins Abkommen hineintragen.47 Die Auffassung widerspricht zudem der ständigen Rechtsprechung des BFH, wonach die Betriebsstättenkonzeption in Artikel 7 Absatz 1 im Vordergrund steht und somit aus abkommensrechtlicher Sicht ein Besteuerungsrecht für den Betriebsstättenstaat nur dann abzuleiten ist, wenn z. B. eine Darlehensforderung eines Gesellschafters tatsächlich der Betriebsstätte zugerechnet werden kann. Eine Darlehensforderung des Gesellschafters gehöre nicht etwa deshalb tatsächlich zur Betriebsstätte, weil sie nach den Grundsätzen des § 15 EStG als Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters anzusehen sei. Derartige Grundsätze des nationalen Rechts seien rechtlicher Art und können nicht mit tatsächlicher Zugehörigkeit im Sinne des Abkommens gleichgesetzt werden.48 Die von der Finanzverwaltung im genannten BMF-Entwurf dargelegte Begründung, der OECD-Partnership-Report 1999 gehe selbst in den Beispielen 13 und 15 davon aus, dass die Vertragsstaaten bei der Bestimmung von Unternehmenseinkünften Artikel 3 Absatz 2 anwenden würden, überzeugt nicht. Die angeführten Beispiele sollen lediglich die Anwendung des Methodenartikels im Abkommen erklären und machen keine Aussage darüber, wie Unternehmensgewinne in Artikel 7 zu bestimmen sind. Zudem kommt es in den Beispielen deshalb zum Qualifikationskonflikt, weil jeweils ein Vertragsstaat Darlehensbeziehungen zwischen Personengesellschaft und Gesellschafter nicht anerkennt. Dies unterscheidet sich von der deutschen Regelung des § 15 EStG, wonach Darlehensbeziehungen grundsätzlich Anerkennung finden und in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG lediglich eine Zurechnung zum Gewinn aus der Mitunternehmerschaft erfolgt. Letztlich besteht auch aus deutscher Sicht ein Unterschied zwischen Sondervergütung und Beitragsleistung gegen Gewinnvorab49,

__________ 46 Vgl. Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 375. 47 Vgl. Entwurf eines Schreibens zur Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften: BMF, Schr. v. 10.5.2007 – IV B 4 - S 1300/07/0006, www.bundesfinanzministerium.de – Tz. 5.1. 48 Vgl. BFH v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444; sowie ständige Rechtsprechung: BFH v. 9.8.2006 – II R 59/05, DStRE 2007, 28; BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, DStRE 2007, 473. 49 Vgl. Reiß in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 384.

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so dass in den Beispielen der OECD die Nichtanerkennung auch darauf beruhen könnte, dass die Zinsen als Gewinnvorab zu qualifizieren sind. d) Reichweite der Norm aa) Dividenden der Komplementär-GmbH Nicht unter die Vorschrift des Artikels 7 Absatz 7 Satz 2 lassen sich hingegen Dividenden, die der Gesellschafter einer GmbH & Co. KG von der Komplementär-GmbH erhält, subsumieren.50 Die Norm erstreckt sich nur auf Vergütungen, die ein Gesellschafter einer Personengesellschaft von der Gesellschaft bezieht. Zwar sind die Bedingungen des zweiten Halbsatzes der Vorschrift, wonach die Dividenden nach dem nationalen Recht zu den Einkünften der Mitunternehmerschaft zählen müssen, aus deutscher Sicht gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG erfüllt51, doch fehlt es an dem im ersten Halbsatz geforderten Bezug von der Personengesellschaft. Die Dividenden werden nicht von der KG, sondern von der GmbH bezogen. Auf die Dividendenausschüttung hat die KG keinen Einfluss, so dass auch kein mittelbarer Bezug angenommen werden kann. Von der Anwendung des Art. 7 Abs. 7 Satz 2 DBA-Schweiz auf Dividenden der Komplementär-GmbH hatte bisher auch der BFH abgesehen.52 Dennoch gelangte der I. Senat zu einem Besteuerungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland. Eine in Deutschland gegründete Komplementär-GmbH einer deutschen GmbH & Co. KG zahlte an den in der Schweiz ansässigen Gesellschafter Dividenden. Für den BFH ergab sich das Besteuerungsrecht Deutschlands aus dem Betriebsstättenvorbehalt des Art. 10 Abs. 7 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz, weil die Dividenden Nebeneinkünfte der deutschen Betriebsstätte darstellten. An dem Urteil lässt sich zeigen, dass der BFH seiner Linie treu bleibt und aufgrund Art. 7 Abs. 8 DBA-Schweiz den spezielleren Verteilungsnormen den Vorrang einräumt, wobei er den Weg zurück zu Art. 7 DBA-Schweiz über den Betriebsstättenvorbehalt der speziellen Verteilungsnorm für Dividenden findet. An der Begründung für die Anwendbarkeit des Betriebsstättenvorbehalts muss freilich gezweifelt werden.53 bb) Betriebsstättenkonzeption Fraglich könnte sein, ob mit der Sonderregelung für Personengesellschaften in Artikel 7 zugleich auch die Betriebsstättenkonzeption modifiziert wird, d. h. die tatsächliche Zurechnung von Betriebsstättenvermögen für Personengesell-

__________ 50 Vgl. Piltz, Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen unter den Doppelbesteuerungsabkommen (OECD-Musterabkommen und DBA-Schweiz), IStR 1996, 457; ebenso Scherer in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.), DBA, Art. 7 DBA-Schweiz Rz. 421. 51 Vgl. Reiß in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 7. Aufl., Heidelberg 2007, § 15 EStG Rz. 406. 52 Vgl. BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937. 53 Vgl. zur Kritik: Weggenmann, Personengesellschaften im Lichte der Doppelbesteuerungsabkommen, Bonn 2005, S. 354 ff., 375.

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Sonderregelungen für Personengesellschaften

schaften vom nationalen Recht abhängig gemacht wird. Hiefür spricht zunächst, dass gerade in Satz 2 der Vorschrift ausdrücklich Bezug auf das nationale Recht genommen wird. Die lex fori entscheidet somit, was als Unternehmensgewinn und folglich unter Betriebsstättenvermögen zu verstehen ist. Die allgemeinen Zurechnungsgrundsätze für Betriebsstätten54 sind folglich auf Personengesellschaften nicht anwendbar. Ebenso haben die inzwischen von der OECD im Jahr 2006 entwickelten Zurechnungsgründsätze für Betriebsstätteneinkünfte55 keinen Einfluss auf die allein nach der lex fori zu bestimmenden Mitunternehmereinkünfte. Der Bezug der Sondernorm für Personengesellschaften auf nationales Recht macht eine abkommensrechtliche Auslegung für die Zurechnung von Betriebsstätteneinkünften entbehrlich. Damit verbunden ist dann folglich auch die Zurechnung von Betriebsstättenvermögen, welches aus deutscher Sicht jedenfalls mit Sonderbetriebsvermögen oder Gesamthandsvermögen gleichzusetzen wäre. Dies hat vor allem Auswirkungen auf sog. passives Vermögen, welches für das operative Geschäft der Gesellschaft nicht notwendig ist (z. B. Wertpapieranlagen oder Beteiligungen). Soweit derartige Wirtschaftsgüter nach nationalem Steuerrecht dem Betriebsvermögen der Personengesellschaft (Gesamthandsbilanz) oder dem notwendigen, aber auch dem gewillkürten Sonderbetriebsvermögen (I oder II) zugerechnet wird, ist diese Zuordnung auch für abkommensrechtliche Zwecke zur Bestimmung der Unternehmenseinkünfte im Sinne des Artikels 7 zu übernehmen. Die materielle Auswirkung der Sondervorschrift im Hinblick auf die Bestimmung der Betriebsstätteneinkünfte zeigt das Urteil des FG Münster v. 2.6.2006, wonach der Gewinnanteil eines unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters einer niederländischen C.V. (entspricht einer deutschen KG) insofern der deutschen Besteuerung unterliegt, als der Gewinnanteil auf Drittstaatendividenden entfällt und die Beteiligungen der niederländischen C.V. an Kapitalgesellschaften im Ausland keine funktionale Bedeutung für ihre Tätigkeit in der niederländischen Betriebsstätte haben.56 Im Ergebnis würden somit die Drittstaatenbeteiligungen aus abkommensrechtlicher Sicht nicht der niederländischen Betriebsstätte der C.V. zugerechnet werden. Spielte sich der Fall jedoch in einem Land ab, z. B. Österreich oder die Schweiz, mit dem Deutschland im Doppelbesteuerungsabkommen eine Sondervorschrift für Personengesellschaften vereinbart hat, würde das funktional nicht der Personengesellschaft zuzuordnende Vermögen dann nicht herausgelöst werden können, wenn es nach nationalem Recht des Sitzstaates dem Betriebsvermögen der Perso-

__________ 54 Vgl. Betriebsstättenerlass des BMF, Schr. v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076. 55 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments Parts I (General Considerations), II (Banks) and III (Global Trading), December 2006; OECD, Revised Commentary on Article 7 of the OECD Model Tax Convention (Draft), 10.4.2007 – jeweils veröffentlicht auf der Homepage der OECD. 56 Vgl. FG Münster, Urt. v. 2.6.2006 – 9 K 4990/02 K, F, DStRE 2007, 220 – Revision beim BFH: I R 66/06.

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nengesellschaft zugerechnet werden würde. Diese Zurechnung würde mithin durch Artikel 7 Absatz 7 ins Abkommen hineingetragen werden.57 Weitere Auswirkungen ergeben sich auch für die Bestimmung der Einkunftsart der Personengesellschaft. Nach Artikel 7 Absatz 7 Satz 1 der Sondervorschriften gilt Artikel 7 auch für die Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft. Eine Definition für Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft ist im Abkommen nicht zu finden und erschließt sich auch aus dem Abkommenszusammenhang nicht, so dass letztlich nach Artikel 3 Absatz 2 der jeweiligen Abkommen wiederum die lex fori bestimmt, wann Einkünfte aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft vorliegen. Mit Blick auf § 15 Abs. 3 EStG bedeutet dies, dass auch gewerblich geprägte Personengesellschaften, die keine originären gewerblichen Einkünfte erzielen, dem Regime der Unternehmenseinkünfte im Abkommen zugeführt werden. Dasselbe lässt sich für eine Abfärbewirkung sagen. Dies hat wie zuvor beschrieben wiederum Auswirkungen auf die Zuordnung zum Betriebsstätten- bzw. Gesamthandsvermögen, wonach auch passive Einkünfte den Unternehmensgewinnen zugeführt würden. Die Spezialitätsklausel des Artikels 7 (z. B. Art. 7 Abs. 8 DBA-Österreich), wonach andere Abkommensartikel vorgingen, wäre aufgrund der Sonderregelung für Personengesellschaften verdrängt.

IV. Ergebnisse Die vorstehende Analyse zeigt, dass Sondervorschriften für Personengesellschaften in den deutschen Doppelbesteuerungsabkommen nicht nur klarstellende Bedeutung haben, sondern durchaus weitreichende materielle Wirkungen entfalten. Dies wird vor allem bei der Sonderregelung in Artikel 7 für Unternehmensgewinne deutlich. Sie führt jeweils zur Ausweitung des Besteuerungsrechts für den Staat, der die Mitunternehmerkonzeption sehr weit gefasst hat. Zusätzlich hat die Spezialnorm auch Einfluss auf die Zuordnung von Betriebsstätteneinkünften und der Bestimmung der Einkunftsart, weil sich diese Einordnung dann nicht mehr aus abkommensrechtlichen Grundsätzen ergibt, sondern allein aus dem nationalen Recht des Sitzstaates der Personengesellschaft. Dies führt u. U. dazu, dass auch passive Einkünfte, die funktional nicht dem Zweck der Personengesellschaft dienen, der Auslandsbetriebsstätte (Personengesellschaft) belassen werden müssen. Für die Sonderregelung zur Abkommensberechtigung von Personengesellschaften wäre es konsequent, wenn die nationalen Vorschriften der Staaten, für Deutschland in § 50d Abs. 1 EStG, den Erstattungsanspruch der Personengesellschaft deutlich regeln würden. Aus dem Wortlaut des § 50d EStG ergibt sich, dass ausländische Personengesellschaften einen Anspruch auf Erstattung haben, weil sie als Vergütungsgläubiger anzusehen sind.

__________ 57 Für die Schweiz wäre dennoch eine Freistellung der auf diesem passiven Vermögen beruhenden Einkünfte nochmals im Rahmen des Methodenartikels des Art. 24 DBASchweiz zu prüfen, wonach die Freistellung von der Erfüllung des Aktivitätsvorbehalts abhängt.

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Volker H. Peemöller

Corporate Governance in Familienunternehmen Notwendigkeit oder Modeerscheinung?

Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Kennzeichnung von Familienunternehmen 2. Begriff Corporate Governance 3. Problemstellung II. Ansätze eines Governance Kodex für Familienunternehmen 1. Spezifische Problemfelder von Familienunternehmen

2. Corporate Governance für Familienunternehmen 2.1 Family Governance 2.2 Übertragung des Managements auf Familienfremde 2.3 Einrichtung eines Beirats III. Schlussbetrachtung

I. Einleitung In der Präambel zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) wird ausdrücklich betont, dass er von börsennotierten Gesellschaften und gegebenenfalls Konzernen anzuwenden ist.1 Es geht um die Transparenz für die Aktionäre und Investoren auf dem Kapitalmarkt. Allerdings wird auch nicht börsennotierten Gesellschaften die Beachtung des Kodex empfohlen.2 Insofern hat der Kodex Ausstrahlungswirkung erreicht. Das hat dazu geführt, dass man sich speziell dort Gedanken über einen Corporate Governance Kodex gemacht hat, wo die Vorgaben für börsennotierte Gesellschaften nicht unmittelbar angewandt werden können, wie bei Genossenschaften und öffentlichen Betrieben. Dort stand man vor der Frage, sehr ausführlich über Abweichungen vom DCGK schreiben zu müssen oder einen eigenen Kodex zu entwickeln. Insofern sind eine Reihe eigenständiger Kodizes entstanden. Auch für Familienunternehmen wird verstärkt über eine Corporate Governance nachgedacht.3 In früheren Veröffentlichungen wurde allerdings noch darauf hingewiesen, dass sich das Problem der Corporate Governance für Eigentümer geführte Unternehmen kaum stellt.4

__________ 1 Vgl. Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2006, Präambel. 2 Vgl. Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex 2006, Präambel. 3 Vgl. Winkeljohann/Kellersmann, Corporate Governance im Mittelstand, insbesondere in Familienunternehmen, ZCG 2006, 8–12; Peemöller, Instrumente der Corporate Governance in Familienunternehmen, ZCG 2006, 81–87. 4 Vgl. Behr, Corporate Governance – Schlagwort oder Trendwende?, ST 1995, 1018.

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Volker H. Peemöller

1. Kennzeichnung von Familienunternehmen In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl unterschiedlicher Abgrenzungen von Familienunternehmen vorgenommen. Eine anerkannte, eindeutige Definition fehlt allerdings. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Familienunternehmen in den unterschiedlichsten Rechtsformen und Unternehmensgrößen auftreten. Eine Gleichsetzung mit dem Mittelstand negiert die Besonderheiten des Familienunternehmens. Entscheidend für die Kennzeichnung des Familienunternehmens ist der maßgebliche Einfluss einer oder mehrerer Familien auf das Unternehmen. Dieser Bezug ist gekennzeichnet durch eine gemeinsame Interessenlage und eine auf Dauer angelegte Verbindung. Unterschiedliche Auffassungen existieren darüber, wie der Einfluss im Familienunternehmen ausgeübt wird. Der Einfluss kann über zwei Funktionen geltend gemacht werden:5 – Eigentumsfunktion und der daraus abgeleiteten Kontrolle – Managementfunktion und der direkten Einflussnahme. Ein Ansatz zur Klassifizierung des Einflusses besteht im Konzept der F-PEC Skala.6 Diese Konzeption baut auf den drei Säulen eines möglichen Einflusses auf: Macht (Power), Erfahrung (Experience) und Kultur (cultur). Der F-PEC Ansatz bedeutet damit Family influence durch Power, Experience und Culture. Diese drei Kriterien können noch weiter untergliedert werden. Eine direkte oder indirekte Beeinflussung eines Unternehmens durch eine Familie kann über Eigentum, Governance und/oder die Beteiligung an der Geschäftsführung erfolgen. Mit der Erfahrungsdimension wird auf den Erfahrungszuwachs über Generationen in Familien-beeinflussten Unternehmen abgestellt. Es werden Regeln entwickelt und Rituale festgelegt, die zu einer Verbesserung der Überlebenschancen beitragen. Die Unternehmenskultur umfasst das Wertesystem des Unternehmens, das von der Familie beeinflusst ist und das Commitment der Familie für das Unternehmen. Für die einzelnen Größen werden Kriterien vorgegeben, so dass sie einfach zu erfassen sind. Dadurch lässt sich der Familieneinfluss auf ein Unternehmen ermitteln. Abb. 1 zeigt die drei Säulen der Faktoren auf. Ausschlaggebend für die Kennzeichnung von Familienunternehmen ist damit die tatsächliche oder mögliche signifikante Beeinflussung des Unternehmens über die Kapital- bzw. Stimmrechtsanteile am Unternehmen, aber auch durch die Entwicklung von Regeln und Ritualen und die Herausbildung von Grundwerten.

__________ 5 Vgl. Klein, Familienunternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden 2004, S. 3. 6 Vgl. Astrachan/Klein/Smyrnios, The F-PEC Scale of Family Influence: A Proposal for Solving the Family Business Definition Problem, in Family Business Review, März 2002, S. 46.

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Corporate Governance in Familienunternehmen Die F-PEC Skala

F-PEC Power(Macht)Skala

F-PEC Experience (Erfahrungs)Skala

Anteil am Eigenkapital (direkt u. indirekt)

Governance (Familien- und NichtFamilienmitglieder)

Management (Familien- und NichtFamilienmitglieder)

Generation der Eigentümer

F-PEC Culture(Kultur)Skala

Überlappung von Werten der Familie und des Unternehmens

Generation aktiv in der Führung Generation aktiv im Bei-/Aufsichtsrat

FamilienUnternehmens Commitment

Anzahl aktiv beitragender Familienmitglieder

Abb. 1: Die möglichen Einflüsse auf Familienunternehmen7

2. Begriff Corporate Governance Die Diskussion um Corporate Governance wurde maßgeblich durch den Cadbury Report ausgelöst, der von dem 1991 in Großbritannien eingesetzten Cadbury Committee verfasst wurde. Ausgangspunkt war das geringe Vertrauen in die finanzielle Berichterstattung der Unternehmen. Es wurde die Notwendigkeit gesehen, die Verantwortungsbereiche von Management und Wirtschaftsprüfern klar abzugrenzen und entsprechende Standards einzuführen, um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen.8 Das Cadbury Committee veröffentlichte 1992 einen Bericht9, der erstmals eine Art Verhaltenskodex für das Management, den so genannten Code of Best Practice, enthielt. Seine Einhaltung sollte auf freiwilliger Basis geschehen. Die London Stock Exchange verlangte dann allerdings von allen in Großbritannien tätigen, börsenzugelassenen Unternehmen im Rahmen des Jahresabschlusses eine Erklärung der Einhaltung des Code of Best Practice bzw. – falls sich das Unternehmen nicht konform zum Cadbury-Bericht verhält – eine Erklärung für dieses Verhalten. So versteht der Cadbury Report Corporate Governance als „the system by which the companies are directed and controled.“10 Es stellt sich die Frage nach den Rechten, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Organe, zu denen Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat gehören. Dies kann als enge Auslegung des Begriffs Corporate

__________ 7 Quelle: Klein, Familienunternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden 2004, S. 16. 8 Vgl. Macdonald, The Cadbury Report – Corporate Governance from an institutional perspective, ST 1995, 1051. 9 Vgl. The Cadbury Committee Report, 1992, S. 16. 10 Vgl. The Cadbury Committee Report, 1992, S. 16.

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Governance verstanden werden, das ein eher juristisches Verständnis wiedergibt und in erster Linie das Innenverhältnis im Unternehmen zum Inhalt hat.11 Eine weitere Auslegung des Begriffs Corporate Governance Kodex ergibt sich, wenn auch alle weiteren Interessentengruppen (Stakeholder) am Unternehmen einbezogen werden.12 In diesem Fall gehen die Regelungsinhalte über das Innenverhältnis hinaus und beziehen auch den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer, externe Aufsichtsgremien und Marktregulierungsinstitutionen mit ein.13 Durch die Einbeziehung aller Bezugsgruppen des Unternehmens muss die Unternehmensführung einen Interessenausgleich zwischen allen schutzwürdigen Belangen der Bezugsgruppen finden. Durch diese Erweiterung werden die Konturen des Begriffs zum Teil schwächer und konkrete Handlungshinweise lassen sich nicht immer eindeutig formulieren, da die Interessen der Bezugsgruppen weit auseinander fallen können. Der Hinweis auf die Erwartungen des Kapitalmarkts hilft dabei nicht weiter, weil dann wieder eine bewusste Einengung auf den Shareholder erfolgt. In den weiten Begriff Corporate Governance sind alle einzubeziehen, die vom Erfolg eines Unternehmens profitieren oder bei Misserfolg Verluste erleiden. Die Herausforderung der Corporate Governance besteht in der Entwicklung einer optimalen Form der Führung innerhalb des gesetzlichen Rahmens. Die Diskussion bezieht sich damit auf den institutionellen Rahmen, der am Unternehmensgeschehen beteiligten Gruppen.14 Mit der Weiterentwicklung des rechtlichen Regelwerkes ist es allerdings noch nicht getan. Hinzukommen muss die Veränderung der Einstellung und des Handelns der Betroffenen im Sinne eines Code of Best Practice. Eine optimale Form des Zusammenspiels von Führung und Kontrolle zeigt sich im nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens.15 Ziel ist die Schaffung von Mehrwert. 3. Problemstellung Eine klare Abgrenzung zwischen Regulierung und Corporate Governance Kodex liegt nicht vor. Eine Regulierung durch Gesetze und Verordnungen ist dort erforderlich, wo öffentliche Interessen geschützt werden sollen. Dies bezieht sich auf den Schutz von Minderheiten und den Schutz von Kleinaktionären. Diese Abgrenzung ist aber fließend und politisch motiviert.16 Hier hat in den letzten Jahren ein erheblicher Wandel stattgefunden. Firmenpleiten haben regelmäßig zu Verschärfungen der Gesetze und zu neuen Gesetzen geführt. Es kann schon von einer Regulierungsflut gesprochen werden. Der Gesetzgeber

__________ 11 Vgl. Lutter, Vergleichende Corporate Governance, ZGR 2001, 225. 12 Vgl. Langenbucher/Blaum, Audit Committee – Ein Weg zur Überwindung der Überwachungskrise? DB 1994, 2197. 13 Vgl. Berndt, Zur Zukunft der Corporate Governance, ZCG 2006, 2 f. 14 Vgl. Speckbacher, Das Shasrteholder Value-Konzept im Lichte der Corporate Governance-Debatte, WiSt 1998, 95. 15 Vgl. de Pury, Corporate Governance – Herausforderung für die Unternehmensführug, ST 1995, 1031. 16 Vgl. Berndt, Zur Zukunft der Corporate Governance, ZCG 2006, 2 f.

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belässt es auch nicht dabei, dass die Gesellschaften erklären, dass sie bestimmte Regelungen des Kodex nicht befolgen, sondern er droht bei Nichtbeachtung mit dem Erzwingen dieser Angaben durch gesetzliche Vorschriften. Von daher scheint die Regulierung im Vormarsch, während die Inhalte des Kodex nur geringen Veränderungen unterliegen. Diese Gesetze beziehen sich auf börsennotierte Kapitalgesellschaften. Für Familienunternehmen besteht kein Bedarf für vergleichbare Gesetze. In den Familienunternehmen zeigen sich die Probleme zwischen Unternehmensleitung und Anteilseignern nicht in der Schärfe, wie sie bei den kapitalmarktorientierten Unternehmen anzutreffen sind. Allerdings treten auch in Familienunternehmen Konflikte zwischen den Gesellschaftern oder den Familienstämmen auf, beziehungsweise es entbrennt ein Streit um die Nachfolge. Insofern sind Regeln hilfreich und nützlich, die sich auf die spezifischen Probleme von Familienuternehmen beziehen. Zum einen wird dazu auf den Deutschen Corporate Governance Kodex verwiesen, der in modifizierter Form zur Anwendung kommen könnte. Daneben existiert ein gesonderter Governance Kodex für Familienunternehmen.17 Allerdings handelt es sich dabei nicht um verbindliche Regelungen, sondern lediglich um Empfehlungen.18 Insofern stößt die Kritik an einem Governance Kodex für Familienunternehmen ins Leere, die durch einen Kodex weitere bürokratische Anforderungen für Familienunternehmen befürchtet.19 Zu fragen ist deshalb, welche Bestandteile ein Governance Kodex für Familienunternehmen enthalten sollte und mit welchem Verbindlichkeitscharakter er vorgegeben wird.

II. Ansätze eines Governance Kodex für Familienunternehmen 1. Spezifische Problemfelder von Familienunternehmen20 Regelungen zum Governance Kodex müssen zu einer Handhabung der spezifischen Risiken der Führung und Überwachung von Familienunternehmen beitragen und über Selbstverständlichkeiten hinausgehen. Insofern sollen im Folgenden wesentliche Gefahren von Familienunternehmen als Bezugsgrößen eines Governance Kodex angesprochen werden. – Risiken eine Streits zwischen den Gesellschaftern bzw. den Familienstämmen Konflikte können zwischen Familienstämmen, zwischen den Generationen oder zwischen dem Geschäftsführenden und den anderen Gesellschaftern ausbrechen, die z. B. durch Fragen der zukünftigern Ausrichtung, der Nachfolge oder des Eintritts weiterer Familienmitglieder entstehen können. In Familienunternehmen erhalten diese Konflikte häufig eine erhebliche emo-

__________ 17 18 19 20

Vgl. http://www.kodex-familienunternehmen.de. Vgl. Governance Kodex für Familienunternehmen, S. 4. Vgl. Hennerkes, Bitte keinen Kodex, FTD v. 29.9.2004. Vgl. Lange, Corporate Governance in Familienunternehmen, BB 2005, 2588 f.

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tionale Schärfe. Diese Konfliktpotentiale sollten über den Gesellschaftsvertrag und über Corporate Governance-Regelungen entschärft werden. – Risiken von Führungsfehlern Durch die Koppelung der Geschäftsführung an Familienmitglieder können eine Vielzahl an Problemen entstehen. Überalterung des Familienoberhaupts, Dominanz des Unternehmers und die geringen Auswahlmöglichkeiten für die Nachfolge sind einige Gefahren, die Führungsfehler zur Folge haben können. Zum einen besteht die Gefahr, dass die Familienmitglieder, die als Nachfolger die Geschäftsführung übernehmen sollen, nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügen und keine Instanz vorhanden ist, die eine Beurteilung der Qualifikationen vornimmt. Zum anderen entstehen Probleme auch dadurch, dass der Gründer oder das Oberhaupt der Familie sich nicht zurückzieht und bis ins hohe Alter die Geschicke des Unternehmens bestimmt. Durch adäquate Nachfolgeregelungen müssen Handlungshinweise für die Lösung dieser Probleme gefunden werden. – Risiken der Bestandssicherung Nach neueren Untersuchungen wird nur noch jedes dritte Familienunternehmen in Familienbesitz verbleiben.21 Die Ursachen sind vielfältig und können aus Schwierigkeiten in der Kapitalbeschaffung aus Gesellschaftermitteln, den fehlenden Führungspersönlichkeiten in der Familie oder auch aus Konflikten zwischen den Familienangehörigen um die zukünftige strategische Ausrichtung des Unternehmens entstehen. Viele Familienunternehmen verfügen nicht über die erforderlichen finanziellen und personellen Ressourcen, um eine Erfolg versprechende Strategie umsetzen zu können.22 Für die Aufnahme von Eigen- wie Fremdkapital ist aber eine hohe Übereinstimmung der Familienmitglieder erforderlich. Auch für diese Fälle müssten Gesellschaftsvertrag und Corporate Governance Regelungen vorsehen. 2. Corporate Governance für Familienunternehmen Die Begründung für die Corporate Governance ergibt sich aus dem Schutz der Investoren durch Transparenz und Verhaltensempfehlungen. Deshalb stellt sich die Frage, ob derartige Vorgaben für Familienunternehmen überhaupt erforderlich sind.23 Familienunternehmen werden als ein gesonderter Unternehmenstyp gesehen, der durch das Two Circle Model erklärt werden kann, wodurch familiengeführte Unternehmen als zwei sich überlappende soziale Systeme betrachtet werden.24 Es handelt sich um die Systeme Unternehmen

__________ 21 Vgl. Pricewaterhouse Coopers, Familienunternehmen Deutschland 2006, zitiert nach der FAZ v. 26.7.2006, S. 11. 22 Vgl. Moos, Corporate Governance im Familienunternehmen, ST 2002, 1062. 23 Vgl. Winkeljohann/Kellersmann, Corporate Governance im Mittelstand, ZCG 2006, 8 ff. 24 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, Familienunternehmen und Corporate Governance, Hamburg 2006, S. 32 f.

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Corporate Governance in Familienunternehmen

und Familie, die eine gemeinsame Schnittmenge aufweisen, aus der sich die Probleme der Familienunternehmen ableiten.

Familie

Unternehmen

Abb. 2: Two Circle Model

Bei den Familienunternehmen machen zwei Aspekte die Bedeutung der Corporate Governance sehr deutlich: – Zersplitterung der Eigentümerfamilie, – Fremdmanagement im Familienunternehmen. Beide Themenkreise nähern sich dabei der allgemeinen Corporate Governance Diskussion an, da in beiden Fällen Führung und Eigentum – zumindest für einen Teil der Familienmitglieder – auseinander fällt. Mit zunehmender Zersplitterung der Eigentümerfamilie gewinnt der Schutz der Minderheitsgesellschafter an Bedeutung, und die Fragen nach Information, Mitwirkung und Kontrolle dieser Gesellschafter sind zu beantworten. Auf der anderen Seite verlangt eine Fremdführung in Familienunternehmen – durch die Trennung von Führung und Eigentum – die Einrichtung von Kontrollorganen. Insoweit stellt die Corporate Governance Diskussion Familienunternehmen vor große Herausforderungen hinsichtlich des Unternehmensaufbaus, im Verhältnis der Eigenkapitalgeber zur Geschäftsführung und in ihrer Präsentation gegenüber den externen Kapitalgebern.25 Bei Familienunternehmen wird zum Teil betont, dass eine Erweiterung des Gesellschafterkreises zur Kapitalaufnahme selbst zum Preis eines verlangsamten Wachstums nicht erfolgt, um den Einfluss der Familie auf das Unternehmen nicht zu schmälern. Allerdings kann nicht davon ausgegangen werden, dass damit das Ziel der Corporate Governance Steigerung des Unternehmenswertes aufgegeben wird. Durch die Beachtung der Nebenzielen der Familienunternehmen müssen aber zum Teil Einschränkungen in der Zielerreichung in Kauf genommen werden. Aus der Abgrenzung der zwei sozialen Systeme wird die Governance von familiengeführten Unternehmen komplexer gesehen als die von Kapitalgesellschaften, bei denen die Trennung von Management und Eigentum im Vordergrund der Betrachtung steht. Neben der unternehmerischen Corporate Governance ist deshalb bei Familienunternehmen auch eine Family Governance zu thematisieren.26

__________ 25 Vgl. Hennerkes, Corporate Governance von Familienunternehmen, in Nippa u. a. (Hrsg.), Corporate Governance – Herausforderung und Lösungsansätze, Heidelberg 2002, S. 105. 26 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, Familienunternehmen und Corporate Governance, Hamburg 2006, S. 39.

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2.1 Family Governance Eine Family Governance umfasst die Vorgabe von Handlungsfolgen, die eine gemeinsame Verständigung über die vorliegende Situation und die daraus abzuleitenden Maßnahmen überflüssig macht, die in Familienunternehmen üblicherweise sehr konfliktträchtig sind. Es ist zu verhindern, dass familiäre Konflikte zu Unternehmenskonflikten werden, da sie als Hauptgrund für das Scheitern von Familienunternehmen gelten.27 Die beiden Systeme sollten deshalb eine gewisse Unabhängigkeit bzw. Verselbständigung von einander aufweisen. Eine verallgemeinernde inhaltliche Ausgestaltung in Form einer best practice wird bei der unterschiedlichen Ausgestaltung der Vielzahl von Familienunternehmen kaum möglich sein. Die Abgrenzung der beiden Systeme Unternehmen und Familie bedingt ein Abkoppeln in beiden Richtungen. Die Emanzipation des Unternehmens stellt das Überleben des Unternehmens in den Vordergrund. Deshalb sind Fragen nach der Art und Weise der Führung, aber auch der Kontrolle zu stellen. Letztendlich ist zu klären, wie die Funktionen des Unternehmens professionell ausgeübt werden. Das kann grundsätzlich ohne Familienmitglieder, aber auch ausschließlich durch Familienmitglieder erfolgen. Wenn ein wesentlicher Aspekt der Familienunternehmen in der Personenorientierung besteht, ist erkennbar, mit welchen Schwierigkeiten eine derartige Entscheidung im Einzelfall verbunden ist. Eine Lösung kann in der Einführung der wertorientierten Steuerung gesehen werden.28 Das Familienunternehmen bildet für die Familie häufig die entscheidende Existenzgrundlage. Insofern haben alle Aktivitäten und Entscheidungen direkte Auswirkungen auf die finanziellen Verhältnisse der Familienmitglieder. Familienunternehmen sind von einer Überlagerung der Unternehmensbelange mit den Motiven des Unternehmers und seinem eigenen persönlichen Umfeld geprägt. Aspekte der Unabhängigkeit und Selbständigkeit sowie die Sicherung von Vermögen und Familie spielen traditionell eine große Rolle. Das zentrale Anliegen der wertorientierten Steuerung, den Unternehmenswert und damit das Vermögen des Familienunternehmens in den Mittelpunkt des unternehmerischen Zielsystems zu stellen, ist vor diesem Hintergrund auch für Familienunternehmen relevant. In Anbetracht der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Unternehmers von seinem Unternehmen erscheint es zielführend, die Steuerung auf den Wert des Unternehmens auszurichten, um dessen Überlebensfähigkeit dauerhaft sicherzustellen und seinen inneren Wert zu steigern. Daran müssen sich alle Geschäftsführer ausrichten, unabhängig ob sie aus der Familie stammen oder nicht. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Verselbständigung der Familie vom Unternehmen. Das Überleben und der Zusammenhalt der Familie sind unabhängig von der Entwicklung des Unternehmens zu sichern. Es ist deshalb eine

__________ 27 Vgl. Hennerkes (Hrsg.), Familienunternehmen sichern und optimieren, Frankfurt 1998, S. 36. 28 Vgl. Peemöller/Faul, Wertorientierte Unternehmensführung für den Mittelstand, DSWR 2002, 305 ff.

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Reflexion über das Verhältnis zwischen Familie und Unternehmen und über den Sinn und Zweck sowie über Risiken und Abhängigkeiten erforderlich.29 Da die Beziehungen in der Familie nicht durch Effizienzerwägungen geprägt sind, müssen andere Werte an diese Stelle treten. Im Idealfall werden die Beziehungen durch Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit bestimmt.30 Das bezieht sich auf die Gleichbehandlung aller beteiligten Familienmitglieder und das Heraushalten von Interessenkonflikten zwischen Familienmitgliedern aus dem Unternehmen, z. B. bei der Besetzung von Führungspositionen. Mit der Family Governance sind zwei große Problembereiche verbunden: – Das Familienunternehmen wird – was das Unternehmen als auch die Familie betrifft – von den Vorstellungen und dem Wesen des Gründers bestimmt. Er prägt sowohl das Verhältnis der Familie zum Unternehmen als auch die Usancen, Grundsätze, Ziele und Methoden im Unternehmen. Diese Vorstellungen werden üblicherweise weder schriftlich festgehalten noch führen sie zu formalistischen Strukturen. Deshalb wird in Krisenzeiten der Geist des Gründers beschworen. Es ist außerordentlich schwierig, den richtigen Zeitpunkt in der Entwicklung eines Familienunternehmens zu finden, in dem die Harmonie unter den Beteiligten das Festlegen von allgemein anerkannten Grundregeln noch möglich macht. – Familie und Unternehmen lassen sich im Familienunternehmen nur gedanklich trennen. Die Verzahnung zwischen den beiden Sphären bleibt erhalten, gleichgültig ob es um Inhalte des Gesellschaftsvertrages, die Bedeutung und Besetzung von Beirats- oder Überwachungsgremien, den Zweck der Gesellschafterversammlung oder die Vergütung des Managements geht. Dieser Überlappungsbereich der beiden Systeme birgt das Konfliktpotential von Familienunternehmen. Für Familienunternehmen sind deshalb Regelungen sinnvoll, die – ohne zwingenden Druck durch Krisen – Hinweise auf die Gewinnung von Fremdmanagern enthalten. In einem derartigen Kodex könnte sowohl die Familien- als auch die Unternehmensstrategie enthalten sein.31 Es erscheint allerdings wenig sinnvoll, einen generellen Corporate Governance Kodex für Familienunternehmen vorzugeben. Die Vielfalt dieser Unternehmen bezüglich Größe, Rechtsform, Branche und Organisationsstruktur ist so groß, dass ein derartiger Kodex nur Allgemeinplätze enthalten könnte. Die einzelnen Familienunternehmen haben vielmehr einen individuellen Kodex für die eigene Verhaltenssteuerung vorzugeben, der mit zunehmender Größe des Unternehmens und Verzweigung der Familienstämme auch eine Transparenzfunktion im Hinblick auf die Mitarbeiter und die weiteren Stakeholder zu übernehmen hätte.

__________ 29 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, Familienunternehmen und Corporate Governance, Hamburg 2006, S. 44. 30 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, Familienunternehmen und Corporate Governance, Hamburg 2006, S. 34. 31 Vgl. Lange, Corporate Governance in Familienunterrnehmen, BB 2005, 2589.

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2.2 Übertragung des Managements auf Familienfremde Die Ausübung der Macht kann durch den Anteil am Eigenkapital und das Management erfolgen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob das Überleben der Familienunternehmen besser gesichert wird, wenn diese beiden Funktionen getrennt werden, und das Management in fremde Hände – außerhalb der Familie – gelegt wird. In der Mehrzahl (86 %) der deutschen Familienunternehmen sind die Familienmitglieder an der Geschäftsleitung beteiligt. Bei 43 % der Familienunternehmen besteht die Geschäftsleitung ausschließlich aus Familienmitgliedern.32 Dennoch wird seit Jahren über den Sinn der Managementbeteiligung von Familienmitgliedern kontrovers diskutiert.33 In der Praxis findet man Beispiele für erfolgreiche Familienunternehmen mit und ohne Managementbeteiligung der Familien. Deutliche Unterschiede bei der Wahrnehmung der Managementaufgabe durch die Familienmitglieder zeigen sich bei den Größenklassen der Unternehmen. Mit steigender Größe der Unternehmen nimmt die Beteiligung von Familienmitgliedern am Management deutlich ab. Von daher ist nach den Gründen zu fragen, warum der Anteil der Familienmitglieder am Management so unterschiedlich ist. Bei großen Familienunternehmen sind folgende Gründe dafür verantwortlich, dass die Managementpositionen fast ausschließlich von Familienfremden besetzt sind: – Professionalisierungsbedarf Entscheidungen in Familienunternehmen werden oft von emotionalen Erwägungen beeinflusst. Der Einfluss der Familie auf die Entscheidungen ist zum Teil diffus und im Einzelnen nicht geklärt. Damit werden Entscheidungen verzögert und sind insgesamt nicht konsistent. Im Laufe der Entwicklung wird deshalb eine klare Trennung zwischen den unterschiedlichen Interessen erforderlich. Die Entscheidungen sind auf sachlicher Basis zu treffen und das Management muss den Qualitätsanforderungen des Wettbewerbs genügen.34 – Gewinnungsmöglichkeiten Mit der Entwicklung und dem Wachstum von Familienunternehmen geht kein identisches Wachstum von Führungsqualitäten in den Familien einher. So wird immer wieder die Befürchtung geäußert, dass nicht genügend Familienmitglieder für Führungsaufgaben in Frage kommen, und damit eine Gefährdung des Unternehmens eintreten könnte. Wie die empirischen Untersuchungen zeigen, steigt der Bedarf an familienfremden Führungskräften immer dann, wenn das Unternehmen eine Wachstumsphase durchläuft.35

__________ 32 Vgl. Klein, Familienunternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden 2004, S. 217. 33 Vgl. Wimmer/Domayer/Oswald/Vater, Familienunternehmen – Auslaufmodell oder Erfolgstyp?, Wiesbaden 1996. 34 Vgl. May/Lehmann-Tolkmitt, Good Governance – Familienunternehmen zwischen Wert- und Werte-Orientierung, in Krüger/Klippstein/Merk/Wittberg (Hrsg.), Praxishandbuch des Mittelstandes, Wiesbaden 2006, S. 223. 35 Vgl. Eisenmann-Mittenzwei, Familienunternehmen und Corporate Governance, Hamburg 2006, S. 158.

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– Umfang der Geschäftsführung Verbunden mit der Entwicklung des Familienunternehmens steigt die Komplexität im Unternehmen, aber auch zur Umwelt, was die Märkte, aber auch die Erfüllung von Auflagen und Verpflichtungen betrifft. Die Führungsaufgaben werden umfangreicher, die Kenntnisse beziehen sich auf weitere Gebiete, die nicht mehr von einer Person allein gelöst werden können. Durch die häufige Ausrichtung des Gründers an mehr technischen oder kaufmännischen Aspekten wird es erforderlich, die fehlenden Kenntnisse durch einen Fremdmanager in das Unternehmen hereinzuholen.

Abb. 2: Gründe, die Führung an einen Fremdgeschäftsführer abzugeben36

Bei kleinen Familienunternehmen erfolgt die Besetzung der Führungspositionen durch Familienmitglieder in erster Linie unter Kostengründen. Diese Gesellschaften sind nicht in der Lage, die Ausgaben für fremde Führungskräfte zu erwirtschaften. Zum anderen sind in der Gründungsphase die Familienmitglieder mit dem Unternehmen eng verbunden, so dass ein Fremder weder die Kenntnisse von den betrieblichen Prozessen noch von den Märkten in dieser Tiefe hat. Damit stellt sich erst ab einer bestimmten Größenordnung die Frage nach dem Fremdmanager. Für die Corporate Governance von Familienunternehmen ist es von Bedeutung, welchen Einfluss die Geschäftsführung auf die Ertragskraft und damit auf die Überlebenschancen des Unternehmens hat. Eine direkte Analyse des Einflusses des Managements auf den Unternehmenswert bereitet Schwierigkeiten. Eine Quantifizierung ist dort möglich, wo täglich der Wert des Unternehmens ermittelt wird. Dies ist nur bei börsen-

__________ 36 Vgl. May/Lehmann-Tolkmitt, Good Governance – Familienunternehmen zwischen Wert- und Werte-Orientierung, in Krüger/Klippstein/Merk/Wittberg (Hrsg.), Praxishandbuch des Mittelstandes, Wiesbaden 2006, S. 225.

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notierten Gesellschaften der Fall. Hier zeigt sich allerdings recht deutlich, welche Erwartungen die Aktionäre an die Abberufung oder Berufung von Vorständen knüpfen, wie sich gerade in der letzten Zeit gezeigt hat. Bei anderen Unternehmen kann eine Beurteilung der Managementleistung nur durch eine Analyse der Geschäftsführung erfolgen. Hier sind insgesamt vier Felder der Geschäftsführung einer Analyse zu unterziehen37: – Analyse der Führungskraft Zu beurteilen ist die Ausbildung, der berufliche Werdegang hinsichtlich Aufgabenstellung, Aufstieg, Abwicklung erfolgreicher Projekte und objektive Leistungsergebnisse wie Umsatzentwicklung oder Ergebnis im verantwortlichen Bereich. Außerdem können noch Ausbildungs- und Trainingsergebnisse, öffentliche Reaktionen, Preise und Auszeichnungen herangezogen werden. Weitere wesentliche Inhalte der Führungstätigkeit ergeben sich aus dem Führungsstil, dem Informationsfluss, der Mitarbeiterentwicklung, der Karriereplanung der Mitarbeiter, dem Fehlermanagement, der Innovationsfreudigkeit und dem Verhalten in Stresssituationen. Hier könnte auf Beurteilungen durch Vorgesetzte oder andere Quellen, wie Kunden, Banken oder externe Experten, wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder auch Personalberater zurückgegriffen werden. Allerdings stellt sich immer die Frage, wer eine solche Beurteilung verlangt oder in Auftrag gibt. Häufig werden die Aspiranten aus dem Familienkreis einem solchen Verfahren nicht ausgesetzt. Ein standardisiertes und objektives Verfahren wird daher eher selten in diesen Bereichen sein. – Prozessbetrachtung Die Untersuchung des Entscheidungsprozesses bedeutet nichts anderes, als dass die Qualität der Führungskräfte einzeln und insgesamt sowie die Qualität des Prozesses ihrer Zusammenarbeit begutachtet wird. Die Bedeutung der formalen Betrachtungsweise ergibt sich aus der Kenntnis, dass ein Ergebnis nicht allein vom Inhalt eines Entscheidungsprozesses geprägt wird, sondern auch durch seine formale Gestaltung. Es lassen sich besondere Probleme, wie z. B. Planungs- und Realisationskonflikte, herausarbeiten und abgrenzen. – Strukturbetrachtung Die Erfüllung der Aufgabe ist der zentrale Angelpunkt der Organisation, wobei die Anforderungen der Aufgabenträger zu berücksichtigen sind. Für die Organisation stehen einige Kriterien zur Verfügung, die zur Beurteilung ihrer Effizienz herangezogen werden können. Dazu gehören Anpassungsfähigkeit, Konfliktvermeidung, Koordinationskraft und Aufgabenerfüllung.

__________ 37 Vgl. Peemöller/Husmann, Neue Ansätze für das Management Auditing durch die Interne Revision, BBK, Fach 28, S. 1064 ff. – 1/1998.

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– Funktionsbetrachtung Die Abgrenzung von Führungsfunktionen bereitet erhebliche Probleme. Deshalb sollten nur die Funktionen einbezogen werden, die unumgänglich der Geschäftsführung verbleiben. Dazu gehört erstens die Festlegung der Ziele. Es stellt sich hier die Frage nach Art und Höhe der Ziele auch im Vergleich zu den Wettbewerbern. Des weiteren ist eine Entscheidung über den Führungsstil zu treffen. Eine umfassende Würdigung der Geschäftsführung nach den vorgeschlagenen Kriterien wird Hinweise liefern, ob durch ein Fremdmanagement der Unternehmenswert des Familienunternehmens gesteigert werden kann. Wenn Familienmitglieder im Management keine vergleichbaren Leistungen zu Familienexternen erbringen, sind für das Unternehmen durch einen Führungswechsel Vorteile zu erwarten. Dann sollte in jedem Fall so schnell wie möglich auf ein professionelles Management umgestellt werden. Das Problem bei Familienunternehmen besteht nur darin, dass eine derartige Beurteilung selten erfolgen wird. Deshalb müssten Voraussetzungen für eine Beurteilung der Geschäftsführung geschaffen werden. Dazu sind die Kriterien der Beurteilung zu definieren, die Familienmitglieder müssen eine Karriere auch außerhalb des Familienbetriebes vorweisen können, und die Beurteilung hat von unabhängigen Experten zu erfolgen. Die Kompetenz, nicht die Herkunft sollte über die Besetzung des Managements in Familienunternehmen entscheiden.38 Ansonsten stehen nur objektive oder vermeintlich objektive Kriterien wie Umsatz, Rentabilität, Gewinn oder Cash Flow für die Beurteilung zur Verfügung. Die Entwicklung dieser Größen ist allerdings nicht allein vom Management abhängig. Es sollten insofern auch Maßnahmen zur Verbesserung der Finanzdaten ergriffen werden.39 Von der Geschäftsführung ist aber zu verlangen, dass sie die Kapitalkosten erwirtschaftet, wobei die Höhe der Kapitalkosten von den Eigentümern zu definieren ist. Empirische Untersuchungen über die Auswirkungen der Trennung von Management und Kapital auf die Rendite liegen aus früheren Jahren und bevorzugt aus den USA vor. Eine eindeutige Antwort hinsichtlich der positiven oder negativen Auswirkungen ergibt sich daraus nicht. Die Argumente sind sehr unterschiedlich. Einmal wird angeführt, dass die Übertragung des Managements an nicht beteiligte Manager einen negativen Einfluss auf den Unternehmenswert hat.40 Danach strebt das Management nach einer Maximierung seines persönlichen Vorteils und nicht nach einer Verbesserung der Rendite der Anteile. Dagegen wird auch die Ansicht vertreten, dass eine Trennung von Eigen-

__________ 38 Vgl. von Moos, Coporate Governance im Familienunternehmen, ST 2002, 1052. 39 Vgl. Beermann/Leissner, Aufbereitung der Finanzdaten im Vorfeld einer externen Unternehmernachfolge, in UM 4/2003, 153 ff. 40 Vgl. die aufgeführten Argumente bei Schreyögg/Steinmann, Zur Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt. Eine empirische Analyse der Beteiligungsverhältnisse in deutschen Großunternehmen, ZfB 1981, 533–558.

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tümern und Management nicht zu einer Verringerung des Unternehmenswertes führt, wenn die Eigentümer eine Struktur wählen, die eine Kontrolle über das Management erlaubt. Dies sollte durch einen unabhängigen Beirat erfolgen. Es wird dennoch zunehmend für eine Trennung plädiert41, weil – – – –

die familienfremden Führungskräfte leichter abzuberufen sind, kein familieninterner Streit über die Besetzung der Stellen entsteht, Planungssicherheit für das Management gegeben ist und nicht der Eindruck entstehen kann, dass Familienmitglieder bevorzugt werden.

2.3 Einrichtung eines Beirats Familienmitglieder sind häufig nicht in der Lage, Führungsqualitäten zu beurteilen, zur Durchführung einer effektiven Kontrolle oder zur Entwicklung von Leitlinien für die Einstellungsverträge der Fremdmanager beizutragen. In Familienunternehmen sollte – auch wenn es die Rechtsform nicht verlangt – ein Aufsichtsrat bzw. Beirat, Verwaltungsrat oder Gesellschafterausschuss eingesetzt werden. Good Governance verlangt allerdings eine spezifische Ausgestaltung des Beirats von Familienunternehmen. Zunächst sollte er nicht ausschließlich aus Familienmitgliedern bestehen. Wie die Untersuchungen zeigen, sind heute bereits fast drei Viertel aller Beiräte von Familienunternehmen ausschließlich oder überwiegend von familienfremden Personen besetzt.42 Mit wachsendem Gesellschafterkreis und wachsenden Familienunternehmen sollte der Kreis der Familienfremden im Beirat deutlich steigen. Bei der Auswahl der Beiratsmitglieder sollte auf ihre Kompetenz, ihre Unparteilichkeit und auf ihr Vermögen, Sachverstand in ein Familienunternehmen einzubringen, geachtet werden. Der Beirat wird sich im Konfliktfall nur behaupten können, wenn er auf Grund seiner Zusammensetzung über die erforderliche Kompetenz und Autorität verfügt. Entscheidend ist dabei, dass Interessenkonflikte, die zwischen den unterschiedlichen Familienstämmen entstehen können, nicht in den Beirat hineingetragen werden. Der Beirat sollte auch insgesamt über die Kompetenz verfügen, die Geschäftsführung sowohl zu beraten als auch zu kontrollieren. Familienunternehmen können sich keine teuren Spezialisten leisten, so dass der Beirat auf den Gebieten, Recht, Bilanzierung, Steuern und Finanzen Unterstützung leisten kann. Beirat und Geschäftsführung sollten zusammen zum Wohle des Unternehmens handeln und deshalb die wesentlichen Fragen und Probleme des Unternehmens gemeinsam meistern. Wichtig ist dafür ein Gesellschaftsvertrag und eine Geschäftsordnung,

__________ 41 Vgl. Klein, Familienunternehmen, 2. Aufl., Wiesbaden 2004, S. 253 f. 42 Vgl. May/Lehmann-Tolkmitt, Good Governance – Familienunternehmen zwischen Wert- und Werte-Orientierung, in Krüger/Klippstein/Merk/Wittberg (Hrsg.), Praxishandbuch des Mittelstandes, Wiesbaden 2006, S. 228.

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in denen die Rechte und Pflichten der Geschäftsführer und des Beirats abgegrenzt und beschrieben werden. Insbesondere Fremdgeschäftsführer machen die Erfahrung, dass ihre Entscheidungsfreiheit in Familienunternehmen in der Realität hinter ihren Erwartungen zurück bleibt und damit ein neues Problemfeld entsteht. Als Berater sind die Beiräte als Sparringspartner der Geschäftsführung zu verstehen, die bei der Lösung der Probleme helfen. Wichtig ist aber auch eine effiziente Kontrolle. Sie setzt unabhängige Beiräte voraus, die mit entsprechenden Rechten der Befragung und Einsicht in die Unterlagen ausgestattet sind. Hier sollte ein Katalog von Maßnahmen und Rechtsgeschäften festgelegt werden, die von der Geschäftsführung nur übernommen werden dürfen, wenn der Beirat diesen vorher zugestimmt hat. Da die Besetzung der Geschäftsführung in Familienunternehmen Konflikte aufwirft, sollte die Besetzung der Führungspositionen, aber auch die Bestellung und Abberufung des Managements durch den Beirat erfolgen. Er kann auch für die inhaltliche Ausgestaltung der Geschäftsführungsverträge und die Fragen der Vergütung verantwortlich sein. Unterstützung/Beratung der Geschäftsführung Beurteilung der Strategien Kontrolle der Geschäftsführung Auswahl, Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer Gestaltung der Geschäftsführerverträge und Bestimmung der Vergütung Erstellung einer Geschäftsordnung Vermittlung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführung Abb. 3: Möglicher Tätigkeitskatalog von Beiräten in Familienunternehmen

III. Schlussbetrachtung Die Corporate Governance Diskussion hat mehr oder weniger alle Bereiche des wirtschaftlichen Lebens erreicht. Familienunternehmen sind in diese Diskussion mit einbezogen. Die dort vorliegenden Risikopotentiale verlangen nach einer Regelung, die den betroffenen Gesellschaftern und Familienstämmen gerecht wird. Ein Governance Kodex kann dazu einen Beitrag leisten. Allerdings hat sich bisher kein eindeutiger Lösungsweg gezeigt. Diskutiert wird über die modifizierte Anwendung des Deutschen Corporate Governancve Kodex, die einheitliche Vorgabe eines Governance Kodex für Familienunternehmen und die spezielle Ableitung eines Kodex für das einzelne Unternehmen. Der DCGK liefert vielfältige Anregungen für die zu behandelnden Themen. Er ist aber weniger für Familienunternehmen geeignet, da die börsennotierten Kapitalgesellschaften und die Familienunternehmen zu viele Unterschiede aufweisen. Ein einheitlicher Governace Kodex für Familienunternehmen wird der Vielfalt dieser Gesellschaften nicht gerecht. Insofern zeigt die 735

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Entwicklung eines individuellen Governance Kodex die größten Vorteile, da dadurch die Probleme des jeweiligen Familienunternehmens gezielt behandelt werden können. Damit wird zum einen dokumentiert, dass den Fragen nach guter Corporate Governance ein hoher Stellenwert zukommt, und zum anderen wird Transparenz darüber geschaffen, wie anstehende Probleme gelöst werden sollen.

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Bücher, Beiträge in Festschriften und Sammelwerken Störung der Strafrechtspflege durch Berichterstattung, Bonn 1975 (Dissertation) Besteuerungsverfahren und Strafverfahren, Köln 1987 (Habilitationsschrift) § 14 (Umsatzsteuerrecht), § 15 (spezielle Verkehrsteuern), in Tipke/Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 12.–18. Aufl., Köln Umsatzsteuerrecht, 9. Aufl., Münster/Köln 2005 Buchführung und Bilanz („Grüne Reihe“), 20. Aufl., Achim 2007 (zusammen mit H. Falterbaum, W. Bolk, R. Eberhart) Lehrbuch der Körperschaftsteuer, 8. Aufl., Herne/Berlin 1996 (zusammen mit J. Lange) Einkunftsart und Einkunftsermittlung für die Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Gesamthandsgesellschaft, in W. Schlutius (Hrsg.), Gesellschaften und Gesellschafter im Steuerrecht, Festschrift zum 10jährigen Bestehen der Fachhochschule für Finanzen Nordrhein-Westfalen in Nordkirchen, Bonn 1986, S. 197–211 Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Umsatzsteuerrecht, in Soell (Hrsg.), Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1988/89, Köln 1989, S. 43–73 Der Belastungsgrund der Umsatzsteuer und seine Bedeutung für die Auslegung des UStG, in Woerner (Hrsg.), Umsatzsteuer in nationaler und europäischer Sicht (DStJG 13), Köln 1990, S. 3–37 Institutionelle und steuerrechtliche Behandlung einer tarifvertraglich vereinbarten, investiven Erfolgsbeteiligung, in Köbele/Schütt (Hrsg.), Erfolgsbeteiligung, ein neuer Weg zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, Köln 1992, S. 254–273 Spaltung von Kapitalgesellschaften im Verkehrsteuerrecht, in Herzig (Hrsg.), Besteuerung der Spaltung von Kapitalgesellschaften, Köln 1992, S. 56–66 Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung, in Wassermeyer (Hrsg.), Grundfragen der Unternehmensbesteuerung (DStJG 17), Köln 1994, S. 3–42 Der Verbraucher als Steuerträger der Umsatzsteuer im Europäischen Binnenmarkt, in J. Lang (Hrsg.), Die Steuerrechtsordnung in der Diskussion. Festschrift für Klaus Tipke zum 70. Geburtstag, Köln 1995, S. 433–455 5. Teil: Nr. D (Einkommensteuer), Nr. G (Umsatzsteuer), Nr. H (Gewerbesteuer), Nr. I (Grunderwerbsteuer), Nr. J (Erbschaft- und Schenkungsteuer), in Deutsches Steuerberater-Institut (Hrsg.), Steuerberaterhandbuch, 6. Aufl., Bonn 1996, S. 799–962, S. 1058–1143, S. 1156–1166, S. 1167–1181 und S. 1182– 1196 (zusammen mit W. Bolk) 739

Schriftenverzeichnis von Wolfram Reiß

Gesellschaftsrechtlich unzulässige Gewinnausschüttungen und ihre Rückabwicklung, in H. Mayer (Hrsg.), Unternehmensbesteuerung in Theorie und Praxis, Sächsische Steuertagung 1996, Stuttgart/München/Hannover/Berlin/ Weimar/Dresden 1997, S. 33–71 Phasengleiche Gewinnrealisierung bei Beteiligungen an Personengesellschaften, in Herzig (Hrsg.), Europäisierung des Bilanzrechts. Konsequenzen der Tomberger-Entscheidung des EuGH für die handelsrechtliche Rechnungslegung und die steuerliche Gewinnermittlung, Köln 1997, S. 117–140 Umsatzsteuerliche Problemfelder des Internet, in Herzig/Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 1998/99, Köln 1999, S. 319–413 Steuer gegen Strafe, in Samson/Dencker/Frisch/Frister/Reiß (Hrsg.), Festschrift für Gerald Grünwald zum siebzigsten Geburtstag, Baden-Baden 1999, S. 495–522 Umsatzsteuer und Internet – Eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung des EU-Richtlinienvorschlags zur mehrwertsteuerlichen Behandlung elektronischer Dienstleistungen, in Scheffler/Voigt (Hrsg.), Entwicklungsperspektiven im Electronic Business, Grundlagen – Strategien – Anwendungsfelder, Wiesbaden 2000, S. 303–327 Vor dem Gesetz, in Schachtschneider/Piper/Hübsch (Hrsg.), Transport – Wirtschaft – Recht, Gedächtnisschrift für Johann Georg Helm, Berlin 2001, S. 785– 800 Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Mitunternehmerschaften, in Herzig/ Günkel/Niemann (Hrsg.), Steuerberater-Jahrbuch 2001/2002, Köln 2002, S. 281– 319 Zurück zu den Wurzeln? – Zur Geschichte der Körperschaftsteuer in Deutschland, in Akademie für Steuer- und Wirtschaftsrecht des Steuerberater-Verbandes Köln GmbH (Hrsg.), 50 Jahre Steuerreformen in Deutschland, Bonn 2003, S. 65–120 IFA Branch Reports – Germany, in IFA (Hrsg.), Cahiers de Droit Fiscal International 2003, volume LXXXVIIIb, Consumption taxation and financial services, Den Haag 2003, S. 145–173, S. 351–386, S. 731–755 Umsatzsteuer und Insolvenzrecht, in Krause/Veelken/Vieweg (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und der Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für W. Blomeyer, Berlin 2004, S. 427–456 Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer beim Unternehmens(ver)kauf, in Schaumburg (Hrsg.), Unternehmenskauf im Steuerrecht, 3. Aufl., Stuttgart 2004, S. 283–322 Factoring und Forderungskauf in der Umsatzsteuer – zugleich ein Beitrag zur Haftung des Forderungserwerbers, in Carlé/Stahl/Strahl (Hrsg.), Gestaltung und Abwehr im Steuerrecht, Festschrift für Klaus Korn, Bonn/Berlin 2005, S. 521–554 Auswirkungen der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 der EMRK im Steuerrecht, in Tipke/Söhn (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik, Köln 2005, S. 473–505 740

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Gemeinnützige Organisationen, Leistungen im Gemeinwohlinteresse und harmonisierte Umsatzsteuer, in Walz/Hüttemann/Rawert/Schmidt (Hrsg.), Non Profit Law Yearbook 2005, Köln 2006, S. 47–74 Zukunft der Umsatzsteuer Deutschlands in Europa, in Nieskens (Hrsg.), Umsatzsteuer-Kongress-Bericht – Zukunft der Umsatzsteuer, Grundstücke und Grundstücksgeschäfte, Gesellschafter- und Gesellschaftsleistungen, Köln 2007, S. 13–44

Veröffentlichungen in Fachzeitschriften Vorsteuerabzug und Umsatz bei Umbauten (bzw. Bauten) auf Ehegattengrundstücken, Deutsche Steuer-Zeitung 1976, 395–398 Zwang zur Selbstbelastung nach der neuen Abgabenordnung, Neue Juristische Wochenschrift 1977, 1436–1437 Die umsatzsteuerliche Behandlung von Mietereinbauten auf fremden Grund und Boden, Umsatzsteuer-Rundschau 1977, 50–53 Die Unternehmereinheit – eine überholte Rechtsfigur, Steuer und Wirtschaft 1978, 126–136 Die umsatzsteuerliche Organschaft – eine überholte Rechtsfigur, Steuer und Wirtschaft 1979, 343–346 Zur Umsatzsteuer, Steuer und Wirtschaft 1980, 342–350 Zur umsatzsteuerlichen Behandlung des Kommissionsgeschäftes und seiner Bilanzierung, Deutsche Steuer-Zeitung 1980, 385–391 (zusammen mit W. Bolk) Bilanzierungsfragen bei Bauwerken auf fremdem Grund und Boden, Deutsche Steuer-Zeitung 1980, 125–130 Straffreiheit bei Steuerhinterziehung, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 1291–1292 Die Mitwirkungspflicht des Unfallbeteiligten, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 1806–1806 Zur bilanziellen Behandlung und umsatzsteuerlichen Behandlung von Mietereinbauten und Mieterumbauten, Deutsche Steuer-Zeitung 1981, 323–326 Leistender und Leistungsempfänger im Umsatzsteuerrecht – Zum BFH-Urteil vom 17. Juli 1980, V R 124/75, Steuer und Wirtschaft 1981, 81–88 Die Agentur im Gebrauchtwagenhandel oder ein fälliger Beitrag des Steuerrechts zu lauterem Geschäftsgebaren, Steuer und Wirtschaft 1981, 274–279 Zur Risikoverteilung zwischen Unternehmer und Fiskus hinsichtlich des Vorsteuerabzuges bei unrichtigen Rechnungen und Gutschriften, Betriebs-Berater 1981, 1632–1636 Die umsatzsteuerliche Behandlung von Gebäuden auf fremden Grund und Boden, Betriebs-Berater 1982, 1420–1420 741

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Gesetzliche Auskunftsverweigerungsrechte bei Gefahr der Strafverfolgung in öffentlichrechtlichen Verfahren, Neue Juristische Wochenschrift 1982, 1632– 1636 Zur umsatzsteuerlichen Behandlung von unentgeltlichen Sachzuwendungen an Arbeitnehmer nach dem Umsatzsteuergesetz 1980, Betriebs-Berater 1983, 188–190 Keine steuerfreie Rücklage beim Tausch eines Betriebsgrundstücks gegen ein Grundstück des notwendigen Privatvermögens?, Deutsche Steuer-Zeitung 1983, 86–88 Hinterziehung von Steuern, die der Fiskus nicht erhebt, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1983, 55–59 Zur Umsatzsteuer, Steuer und Wirtschaft 1983, 364–378 Rezension des Buches „Umsatzsteuer“ von Dziadkowski, Dieter, 1983, Steuer und Wirtschaft 1984, 382–382 Neubesinnung bei der Eigenverbrauchsbesteuerung?, Steuer und Wirtschaft 1984, 175–180 Umsatzsteuer-Mindestbemessungsgrundlage, Marktpreis und Vorsteuerabzug, Betriebs-Berater 1985, 1724–1728 Ertragsteuerliche Behandlung von Gesamthandsbeteiligungen und Beteiligungserträgen, Steuer und Wirtschaft 1986, 232–255 Zur Abgrenzung von untauglichem Versuch und Wahndelikt am Beispiel der Steuerhinterziehung, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1986, 193–199 Bemessungsgrundlage beim Eigenverbrauch und Mindestbesteuerungsgrundlage, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1986, 130–134 Die stille Gesellschaft im Umsatzsteuerrecht, Betriebs-Berater 1986, 1407–1411 Widersprechende Entscheidungen von Straf- und Finanzgerichten in derselben Rechtsache, Steuer und Wirtschaft 1986, 68–72 Zur Umsatzsteuer, Steuer und Wirtschaft 1987, 351–363 Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum bei der Steuerhinterziehung, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1987, 161–165 Beteiligung als stiller Gesellschafter – die neue Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 8 Buchst. j UStG, Umsatzsteuer-Rundschau 1987, 153–155 Sequestration zum Zwecke der Umsatzsteuerersparnis? Anmerkung zum BFHUrteil vom 24.4.86 VII R 184/83, BStBl II 1986, 586, DVR 1986, 174, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1987, 54–56 Steuerliche Kuriosa oder die Bilanzierung von Bruchteilsgemeinschaften nach den EStR, Finanz-Rundschau 1987, 113–114 Vorsteuerabzug bei mehreren Leistungsempfängern einer einheitlichen, unteilbaren Leistung, Betriebs-Berater 1987, 448–454 742

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Der zweijährige Verlustrücktrag gem. § 8 Abs. 4, § 33 Abs. 2, Abs. 3 KStG, Der Betrieb 1987, 451–456 Gesellschafter und Gesellschafterbeitrag im Umsatzsteuerrecht, UmsatzsteuerRundschau 1988, 298–303 Automatenaufstellung in fremden Geschäftsräumen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967), Umsatzsteuer-Rundschau 1988, 76–78 Beschlagnahmebefugnis der Strafgerichte gegenüber Strafgericht und Auslieferungs- und Auskunftspflichten der Behörden gegenüber Behörden und Staatsanwaltschaft, Strafverteidiger 1988, 31–37 Vorsteuerabzug als Mindestbemessungsrundlage?, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 243–247 Unzutreffender Steuerausweis in einer Rechnung und Vorsteuerabzug beim Empfänger, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 178–181 Vorkonkursliche Vermögensverwertung durch Sequester, Umsatzsteuer-Rundschau 1989, 210–211 Tolerierung der Steuerverkürzung durch den Steuerreformgesetzgeber 1990 und ihre Folgen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 1989, 248– 252 Rechtsnachfolge im Umsatzsteuerrecht, Steuerliche Vierteljahresschrift 1989, 103–129 Die Hinführung zur Steuerehrlichkeit – Bemerkung zum Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen, Zeitschrift für Rechtspolitik 1989, 168–171 Die Betriebsübertragung gegen Versorgungsbezüge als teilentgeltliches Veräußerungsgeschäft, Finanz-Rundschau 1990, 381–386 Verdeckte Gewinnausschüttung und Umsatzsteuer, Der Betrieb 1990, 1936– 1940 Die Besteuerung der Geldspielautomatenumsätze – ein Lehrstück verfehlter Gesetzesinterpretation, Betriebs-Berater 1991, 1764–1768 Einkaufspreis bei Differenzbesteuerung und verdeckter Preisnachlaß, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1991, 163–164 Beschränkung des Vorsteuerabzugs auf die für eine erbrachte Leistung gesetzlich geschuldete Steuer. Anmerkung zu EuGH vom 13.12.1989 – Rs. C-342, Umsatzsteuer-Rundschau 1991, 84–85 Gestaltungsmissbrauch durch Option zur Steuerpflicht bei insolventen Unternehmern, Umsatzsteuer-Rundschau 1992, 42–44 Gesellschaftereinlagen und Unternehmensumstrukturierungen im Umsatzsteuerrecht, Steuer und Wirtschaft 1992, 25–34 Bruchteilsgemeinschaften und gewerblicher Grundstückshandel, Finanz-Rundschau 1992, 364–366 743

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Das Steuerrecht als Erkenntnisquelle des Gesellschaftsrechts und des Untreuestrafrechts am Beispiel der verdeckten Gewinnausschüttung, Steuer und Wirtschaft 1992, 233–241 Gestaltungsmissbrauch durch „vorgeschaltete“ bedürftige Ehegatten zur Erlangung des Vorsteuerabzugs, Umsatzsteuer-Rundschau 1993, 213–218 Der Bundesfinanzhof im Spannungsfeld nationalen und supranationalen Umsatzsteuerrechts, Umsatzsteuer-Rundschau 1993, 336–338 Die nicht ordnungsgemäße Umsetzung von EG-Steuerrichtlinien und ihre Folgen, Steuer und Wirtschaft 1994, 323–330 Der vorschnelle Abschied vom Betrieb gewerblicher Art, Umsatzsteuer-Rundschau 1994, 388–390 Steuerfreie Sanierungsgewinne, Investitionszulagen und § 15a EStG, Der Betrieb 1994, 1846–1848 (zusammen mit B. Kretschmer) Innergemeinschaftliches Verbringen neuer Fahrzeuge, Umsatzsteuer- und Verkehrssteuer-Recht 1994, 304–305 (zusammen mit D. Burek) Rückgängigmachung von verdeckten Gewinnausschüttungen nach dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996, Betriebs-Berater 1995, 1320–1326 Die einkommensteuerliche Behandlung der Realteilung gewerblich tätiger Personengesellschaften, Steuer und Wirtschaft 1995, 199–212 Von vorläufigen Unternehmern, erfolglosen Nichtunternehmern, glücklichen erfolglosen Unternehmern und anderen Merkwürdigkeiten des Umsatzsteuerrechts, Umsatzsteuer-Rundschau 1995, 383–386 Zweifelsfragen zur Realteilung mit Spitzenausgleich, Deutsches Steuerrecht 1995, 1129–1134 Sacheinlagen, Geschäftseinbringungen, Umwandlungen von Unternehmensträgern und steuerfreie Umsätze von Gesellschaftsanteilen, Umsatzsteuer-Rundschau 1996, 357–377 Gesellschaftsrechtlich unzulässige Gewinnausschüttung und ihre Rückabwicklung, Steuer und Wirtschaft 1996, 337–355 Thesen zur Umsatzbesteuerung im europäischen Binnenmarkt, UmsatzsteuerRundschau 1997, 22–25 Bilanzierung von Beteiligungen an Personengesellschaften, Deutsches Steuerrecht 1998, 1887–1890 Nationales Steuerrecht und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Datenverarbeitung – Steuer – Wirtschaft – Recht 1998, 218–211, 255–259 Schwerpunktstudium Steuern und Prüfung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Steuer und Studium 1998, 389–394 (zusammen mit V. H. Peemöller und W. Scheffler) Berichtigung einer gutgläubigen unberechtigten in Rechnung gestellten Steuer im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens oder im Wege der Billigkeit, Umsatzsteuer-Rundschau 1999, 170–174 744

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Grundprobleme der Besteuerung von Personengesellschaften (Fachvortrag auf dem 21. Deutschen Steuerberatertag am 24.11.1998 in München), Die Steuerberatung 1999, 356–371, 417–421 Finanzgerichtsbarkeit, in Knapps Enzyklopädisches Lexikon des Geld-, Bankund Börsenwesens, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1999, S. 621–624 Kritische Anmerkungen zu den Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, Deutsches Steuerrecht 1999, 2011–2019 Value Added Taxation in Germany, Bulletin for International Fiscal Documentation 2000, 405–413 Die Revitalisierung des Mitunternehmererlasses – keine gesetzestechnische Meisterleistung, Betriebs-Berater 2000, 1965–1974 Individualbesteuerung von Mitunternehmern nach dem Steuersenkungsgesetz, Steuer und Wirtschaft 2000, 399–412 Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Umsatzbesteuerung elektronisch erbrachter Leistungen, Computer und Recht 2000, 757–763 (zusammen mit S. Schindhelm) „Fall Lothar Matthäus – Klausur im Steuerrecht“, Steuer und Studium 2001, 149–160 Vorsteuerabzug aus Emissionsaufwendungen beim Börsengang, UmsatzsteuerRundschau 2001, 41–49 Rechtsprechung des EuGH zur Umsatzsteuer im Jahr 2000, Recht der Internationalen Wirtschaft 2001, 258–269 Die Umsatzsteuer als EG-Steuer, Umsatzsteuer-Rundschau 2000, 106–110 (zusammen mit A. Hagen) Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechtes bei Mitunternehmerschaften – Bemerkungen zu den Vorschlägen des BMF, Betriebs-Berater 2001, 1225–1232 Rechtsprechung des EuGH zur Umsatzsteuer im Jahr 2001, Recht der Internationalen Wirtschaft 2002, 286–299 Vorsteuerabzug – Achillesferse der Mehrwertsteuer?, Umsatzsteuer-Rundschau 2002, 561–576 Rechtsprechung des EuGH zur Umsatzsteuer im Jahre 2002, Recht der Internationalen Wirtschaft 2003, 199–216 Verdeckte Gewinnausschüttung und Steuerbilanzgewinn – zur nachträglichen Korrektur nicht erfasster verdeckter Gewinnausschüttungen, Steuer und Wirtschaft 2003, 21–39 Null-Steuersatz für Finanzdienstleistungen, Umsatzsteuer-Rundschau 2003, 209–220 Finanzdienstleistungen und Mehrwertsteuer – Generalthema II des IFA-Kongresses Sydney, Internationales Steuerrecht 2003, 515–518 745

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Kein Renditefonds – zur Begründungsqualität der jüngeren EuGH-Rechtsprechung zur 6. EG-Richtlinie, Umsatzsteuer-Rundschau 2003, 428–441 Gutachten zur Gesetzgebung zum Umsatzsteuerbetrug, Die Steuerberatung 2004, 113–118 Neutralitätsgebot und Sofortabzug der Vorsteuer – Zum Zusammenwirken von europäischem Richtlinienrecht und nationalem Verfahrensrecht, Umsatzsteuer-Rundschau 2004, 275–285 Umsatzsteuerliche Beurteilung von ABS-Transaktionen, Betriebs-Berater 2004, 1367–1374 (zusammen mit S. Weber) EDM: Umsatzsteuer bei Beteiligung- und Wertpapierveräußerung durch Holdinggesellschaften, Internationales Steuerrecht 2004, 450–454 Rechtsprechung des EuGH zur Umsatzsteuer im Jahre 2003, Recht der Internationalen Wirtschaft 2004, 641–655 Missachtung des Neutralitätsgebots am Beispiel der Besteuerung von Rundfunk- und Fernsehsendungen in Europa, EuGH-Umsatzsteuerreport 2004, 73–79 Organschaftliche Ausgleichposten unter dem Regime des Halbeinkünfteverfahrens – Ausgewählte Einzelfragen, Steuern und Bilanzen 2004, 753–761 (zusammen mit R. Kuhn) EuGH-Vorlage des BFH vom 8.7.2004, VII R 24/03: Konkurrentenklage wegen Umsatzsteuerpflicht, Internationales Steuerrecht 2005, 53–55 Einbringung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens in das Betriebsvermögen einer Mitunternehmerschaft – Anmerkung zu dem BMF-Schreiben vom 29.3.2000 und 26.11.2004, Der Betrieb 2005, 358–366 Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a KStG: Bestimmung des Eigenkapitals bei Beteiligung an einer Personengesellschaft, Betriebs-Berater 2005, Beilage 3, S. 29–33 Vermittlungsleistungen in der Umsatzsteuer, Umsatzsteuer-Rundschau 2005, 593–606 Sanktionierung der Verletzung der europäischen Grundfreiheiten durch den EuGH bei neutralitätswidriger Umsatzbesteuerung im innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr – Zur Billigung der Versagung des Vorsteuerabzugs für innergemeinschaftlich befreite Lieferungen durch den EuGH, Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 565–575

Mitarbeit bei Kommentaren Kommentierungen zu §§ 15, 15b, 16 EStG, in Kirchhof (Hrsg.), KompaktKommentar Einkommensteuergesetz, 7. Aufl., Heidelberg 2007 Kommentierung zu §§ 15, 16 EStG, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), Kommentar zum EStG, Loseblattsammlung 746

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Kommentierung zu §§ 3b, 3c, 3e, 18b UStG, in Rau/Dürrwächter, Kommentar zum UStG, Loseblattsammlung Einführung UStG und Kommentierung zu §§ 2, 2a, 13, 13a, 16, 19, 20, 28, 29 UStG, in Reiß/Kraeusel/Langer (Hrsg.), Umsatzsteuergesetz, UStG mit Nebenbestimmungen, Gemeinschaftsrecht, Kommentar, Loseblattsammlung

Herausgeberschaften Umsatzsteuergesetz, UStG mit Nebenbestimmungen, Gemeinschaftsrecht, Kommentar, Bonn/Berlin, Loseblattsammlung (zusammen mit J. Kraeusel und M. Langer) Festschrift für Gerald Grünwald zum siebzigsten Geburtstag, Baden-Baden 1999 (zusammen mit E. Samson, F. Dencker, P. Frisch und H. Frister)

747

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Stichwortverzeichnis Abfärbewirkung – Personengesellschaft 718 Abfallbeseitigung 150 Abfindung 458 Abkommensberechtigung – fiktive 706 – partielle 699, 701 – Personengesellschaft 698, 702, 704 f. – umfassende 699, 701 – Vereinfachungsregelung 699, 701 Abkommenspolitik 698 ff. Absicht – Steuer sparen 594 f. – Steuerzahler 590 f. Absonderungsrecht – Verwertung eines Gegenstands 186 abus (frz.) 646 f., 650, 656 abuse (engl.) 646 f., 650, 656 abusivement (frz.) 656 Abzugsverbot 434, 441 ff. ACT-Group-Litigation-Urteil 690 f. Änderung – bestandskräftige gemeinschaftswidrige Umsatzsteuerfestsetzung 91 – bestandskräftige verfassungswidrige Umsatzsteuerfestsetzung 82 Äquivalenz – fiskalische 514 f. Äquivalenzprinzip 104 ff., 118 Aktiengesetz 1937 471 Aktienrechtsreform 1965 473 Aktivierungsgebot 474, 477 Albert-Hensel-Preis 644 Alkoholsteuer 39 Alkoholsteuer-Richtlinie 649 Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer 108 ff. Altmetalle – Reverse-Charge-Regelung 319 f. Ameisenkriminalität 288 Amtsermittlungsprinzip 490

Amtshilfe 647 f., 651, 657 – Mehrwertsteuerrecht 651 – in Steuersachen 666 – Verbrauchsteuerrecht 651 Amtshilfe-Richtlinie 648, 651 Amtssprachen – gleichwertig 648 – Parallelbegriffe 655, 662 Anknüpfung – staatliches Territorium 582 ff. Anrechnung(smethode) 679 ff., 687 ff., 691 f., 696 Ansässigkeit 257, 260 ff. – Betriebsstätte 262 – Sitz des Unternehmens 262 – Unternehmerbescheinigung 258 – Wohnsitz 261 – Zweigniederlassung 262 Ansässigkeit – Doppelbesteuerungsabkommen 705 f. – Nachweis 703, 708 Ansässigkeitsfiktion 698 Ansatz – systematischer 47 Anschaffungskosten 439 ff., 444 Anteilseigner 495, 498 f., 503, 507, 510 Anwendungsbereich – Mehrwertsteuer 222 Anwendungsvorrang – Gemeinschaftsrecht 5, 96, 166 f. Arbeit – Recht auf 114 ff. Arbeitgeberanteil – Sozialversicherung 452, 456 ff. Arbeitnehmer 461 Atypisch stille Gesellschaft 454 ff. Aufhebbarkeit – Umsatzsteuerfestsetzung 93 Aufkommensentwicklung – Umsatzsteuer 275 Aufteilung – Steuerhoheit 683 749

Stichwortverzeichnis

Aufteilungsfaktor 537 ff., 542 Aufwandsteuer 19 f. Ausfuhrlieferung – Zahnersatz 173 Ausgangstatbestand – für Folgerichtigkeit 11 f. Auslegung 53 – autonome 661 – autonome der Richtlinienregeln 225 – richtlinienkonforme 166 f., 219 Ausnahmeregelung 179 ff., 182 ff. Außengesellschaft 370 Außentheorie – Gesetzesumgehung 632 ff. Ausübung – Steuerhoheit 683 Auszahlungssperre 434 Autonomie 376 – kommunaler Standortwettbwerb 375 avoidance (engl.) 646 ff. Avoir-fiscal-Urteil 658, 686 Bagatellgrenze – Reverse-Charge-Verfahren 284, 287 f., 310, 313 Bankumsatz 260 Basisgesellschaft 598 ff., 642 ff. Bauleistung 265 – Leistender 266 f. – unternehmerischer, nichtunternehmerischer Bereich 267 Begriffsvielfalt – Gemeinschaftsrecht 645 ff. Begründbarkeit 104 Begründbarkeitsgebot 103 ff. Begründungserwägung – Begriff 657 Begünstigung – nicht entnommener Gewinn 364 Beihilfe – staatliche 584 Beirat 734 f. – Aufgabe 735 750

Beitreibungs-UnterstützungsRichtlinie 647 f. Belastungsgrund 47, 49, 52, 60, 63 f., 630 – Umsatzsteuer 10 f. Belastungsmaßstab – Fluchtfähigkeit 364 – Leistungsfähigkeit 364 Belastungsneutralität – steuerrechtliche 402 Belgien – Vertragsverletzungsurteil 658 Bemessungsgrundlage 108 ff., 271 Beratungssprache – im EuGH 655 Berichtigungszeitraum 132 Bestandskraft – Durchbrechung im Ausnahmefall 92 Bestandsvergleich 481 Besteuerung – Zusatzlast 524 Besteuerungshoheit 528 Besteuerungsrecht – eines Staates 139 Bestimmtheitsprinzip 107 ff. Bestimmungslandprinzip 34, 42, 246 f., 278, 322, 517, 550 Beteiligung 439 ff., 448 – Erwerb 236 – an Personengesellschaft 711 – Veräußerung 242 – wesentliche 439, 444 Betragseffekt 496, 509 Betrieb gewerblicher Art 157, 159 ff. Betriebsausgabe – nichtabzugsfähige 406 f. Betriebsstätte 680, 685 f., 688, 695, 711 – Ansässigkeit 262 – Steuersubjekt 154 – Teil des Unternehmens 154 Betriebsstättenkonzeption – Doppelbesteuerungsabkommen 711, 716 ff. Betriebsvermögen – Personengesellschaft 717 f.

Stichwortverzeichnis

Betrügerische Praktiken (Praxis) 648, 656 f. 660 f. Betrugsbehafteter Umsatz – Haftung des Erwerbers 662 – Vorsteuerausschluss des Erwerbers 662 Betrugskarussell 657, 662 Betrugsrisiko – Reverse-Charge-Verfahren 285 f., 311, 314 f. Bilanzierung 453, 466 – korrespondierende 464 f. Bilanzrichtliniengesetz 1985 476 Billigkeitserlass 35, 43 Binnenmarkt 321 – Grenzkontrolle 278 – seit 1.1.1993 245 – Zielsetzung 578 ff. Blutkonserve 203 Börseneinführung 233 Brüderlichkeit 111 ff. Buchführungspflicht 453, 466 Budgetorientierung 522 Bundessteuerberaterkammer 551, 553 Bundesverfassungsgericht – Entscheidungen zur unmittelbaren Wirkung von EG-Richtlinien 72 – Maastricht-Urteil 625 – Verwerfungsmonopol 74 f. Cadbury Report 723 Cadbury-Schweppes-Urteil 597 ff., 607 ff., 640 ff., 656, 659 f., 685, 692 Cashflow-Vorteil – Reverse Charge 254 CCCTB (einheitliche konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage 529 ff. C.I.L.F.I.T.-Urteil 648 Clearing-System 247, 278 – makroökonomisches 247 f. – mikroökonomisches 250 CLT-UFA-Urteil 686 Code of conduct 692 Columbus-Container-Urteil 679 f., 685, 689, 693, 695

Corporate Governance 562 ff., 565 ff. – Definition 723 f. CO2-Steuer 519 f. Cross-Check-Verfahren 256 – Anwendung im jetzigen Umsatzsteuersystem 320 – Ist-Versteuerung 256, 282 Dänemark – Vertragsverletzungsurteil 657 f. Darlehen 431 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 713 ff. – Eigenkapital ersetzendes 431 ff. Daseinsvorsorge 121 ff. Dauerfristverlängerung – Reverse-Charge-Verfahren 290 D-Markbilanzgesetz 1948 471 Demokratieprinzip 27 Denkavit-Urteil 681 De-Registrierung 269 Deutscher Corporate Governance Kodex 721 Dienstleistung 54, 58 – einheitliche Leistung 145 – innergemeinschaftliche 280 – Ort 148 – Transfer 154 Dienstleistungsexport 152 Dienstleistungsfreiheit 557 ff., 559 ff. Dijon-Doktrin 557 ff. Direkte Methode 529 f., 533 ff. Diskontierung 503 Diskriminierung 686, 690 Diskriminierungsverbot 176 ff., 181 f. Dividende 236 – Doppelbesteuerungsabkommen 714, 716 Dominanz – Steuerbilanz 472 Doppelbelastung 363, 365 Doppelbesteuerung 682 ff., 687, 689 ff. – internationale juristische 176 ff. – Umsatzsteuer 148, 198 – Verbot 181 ff. 751

Stichwortverzeichnis

– wirtschaftliche 446, 448 Doppelbesteuerungsabkommen 665 ff., 679 ff., 690 ff. – Abkommensberechtigung 668 – Ansässigkeit 705 f. – Aserbaidschan 2004 698, 701, 706 – Belarus, Weißrussland 2006 698, 710 – Belgien 701 – Betriebsstättenkonzeption 711, 716 ff. – Darlehen 713 ff. – Dividende 714, 716 – Drittstaat 700 – Finnland 701 f. – Frankreich 709 – Island 701 – Italien 701 – Japan 701 – Kasachstan 710 – Kroatien 2006 698, 701, 705 – Liberien 701 – Lizenz 714 – Österreich 2000 698, 710, 714 – Person 705 f. – Polen 2003 698, 701 – Portugal 701 – Schweiz 700 f., 709 f., 714, 716 – Singapur 710 f. – Slowenien 701 – Slowenien 2006 698 – Spanien 701 – Spezialitätsklausel 712 – Streitbeilegung 665 ff. – Südafrika 701 – Tadschikistan 2003 698, 701, 710 – Unternehmensgewinn 709 ff. – USA 1989 700 f., 713 – USA 2006 701, 710 – Usbekistan 710 – Zinsen 713 ff. – Zurechnung 716 ff. Doppelte Nichtbesteuerung 154, 180 ff. Drittlandsunternehmer 325 Drittstaat – Doppelbesteuerungsabkommen 700 752

Drittvergleich 446 Dublin Docks 606 f. Durchschnittssatzbesteuerung – Landwirt 205 ff. Durchschnittsverbraucher 141 D-Urteil 687, 690 f. EBITDA 501 f. ECOFIN-Rat – Reverse-Charge-Verfahren 294 Effektivität – Gemeinschaftsrecht 576 Effektivsteuerbelastung 505, 510 Effizienz – deutsches Steuersystem 381 EG-Kommission 513 f. – Überlegungen zum endgültigen Mehrwertsteuersystem 248 EG-Richtlinie – Anwendungsvorrang 74 f. – Auslegung durch den BFH 68 ff. – Auslegung durch den EuGH 69 – Auslegung durch Finanzgerichte 70 – Berufungsrecht 71 f. – offenkundiger Verstoß 68, 73 – unmittelbare Wirkung 70 ff., 78 EG-Richtlinie, 6. zur Mehrwertsteuer 321 – Konformität des Reverse-ChargeVerfahrens 292 EG-Vertrag 682 – Grundfreiheit 395 – Zustimmungsgesetz 72 Ehegatte – Erwerbsgemeinschaft 361 Eigenkapital 431 ff., 467 – funktionales 434 Eigenkapitalersatzrecht 433 ff., 440 Eigenkapitalfinanzierung 446, 448 Eigenmittel 514 ff. – BNE-Eigenmittel 516 – Mehrwertsteuer-Eigenmittel 516 – traditionelle 515 f. Eigenständigkeit – steuerlicher Tatbestand 432 f. Eigentümerfamilie 727

Stichwortverzeichnis

Eigentümerfreiheit 367 Eigentümerfunktion 722 Eigentum 110 ff. – Verteilung 111 ff. Einfuhr 173 ff., 178 Einheitliche konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage (CCCTB) 529 ff. Einheitsbilanz 476 Einkommensteuer – Integration der Körperschaften 374 – Integration der Körperschaftsteuer 371 – Rechtfertigung 361 Einkommensteuergesetz – Gleichheit der Steuerschuldner 359 ff. Einkommensteuersubjekt 361 Einkommensverwendungsteuern 119 ff. Einkünfte – stiller Gesellschafter 450 ff. – Zurechnung 640 ff. Einlage – bei Umsatzsteuer 124 Einlagekonto 450 Einlageverpflichtung 217 f. Einnahmen-Überschuss-Rechnung 478 Einzelkaufmann 369 Einzelperson 372 Einzige Anlaufstelle 325, 335 Elektrizität 260 Elektronische Dienstleistung 325 Elektronische Umsatzsteuerverrechnung – Beschreibung 304 ELISA-Urteil 659 Endverbrauch 229 Energiesteuer 40, 519 f. Energiesteuer-Richtlinie 653 Entgelt – Sonderentgelt 215 – umsatzsteuerliches 271 Entnahme 407 f. – fiktive 408

– transparente 389 Erdrosselungssteuer 393 Erbschaftsteuer – Nachversteuerung 409 Erfolgstatbestand 361, 372 Erfolgszuordnung – zwischenstaatliche 529 ff. Erhebungsverfahren – Umsatzsteuer 253, 273 Erlösverteilung – Verwertung von Sicherungsgut 192 Ermäßigung – Quellensteuer 704 Ermessensspielraum 504 Erstattungsantrag – Quellensteuer 700, 702, 706 ff. Erstattungsguthaben – Vortrag auf nächsten Besteuerungszeitraum 319 Ertragsteuer 341 ff., 495, 498, 501, 505, 509 – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 346 – Relationen zu den Verbrauchsteuern 353 ff. Erwägungsgrund – Begriff 657 Erwerbsgemeinschaft 361, 363, 366, 371 f. – Ehegatten 361 – Mitunternehmerschaft 361 – rechtliche Bedeutung 365 EU-Energie-Richtlinie 520 Eu-Recht – Verhältnis zu innerstaatlichem Recht 573 ff. Eurodental-Urteil 169 ff. Europäische Kommission siehe EGKommission Europäischer Gerichtshof – ACT Group Litigation 690 f. – Auslegungsmonopol 69, 76 – Avoir-fiscal 658, 686 – Cadbury Schweppes 597 ff., 607 ff., 640 ff., 656, 659 f., 685, 692 – C.I.L.F.I.T. 648 753

Stichwortverzeichnis

– CLT-UFA 686 – Columbus Container 679 f., 685, 689, 693, 695 – D 687, 690 f. – Denkavit 681 – ELISA 659 – Eurodental 169 ff. – Eurowings 688 – Halifax 597 ff., 617, 636 ff., 656, 658, 660 f., 663 – ICI 659 – Ing. Auer 647, 661, 663 – Inspire Art 605 f. – Kittel 656 f., 662 – Kofoed 639 ff., 656, 660 ff. – Leur Bloem 658 f. – Levob 139 ff., 148 – Marks & Spencer 658, 686 – Optigen 657 – OyAA 658 f. – Planzer 656 f., 660 – Rewe 659 – Saint Gobain 690 f. – Schul 176 ff. – Seeling 165 – Steuerumgehung 396 f. – Test Claiments in the Thin Cap Group Litigation 659 – Urteil 680, 685 – Vorabentscheidung 72 f. – Vorlageverpflichtung nationaler Gerichte 69, 76 Europäischer Rat 514 Europäisches Parlament 523 Eurowings-Urteil 688 EU-Steuer 513 ff. evasion (engl.) 646 ff. évasion (frz.) 646 ff., 658 Existenzminimum 110 ff. – Folgerichtigkeitsgebot 16 Externalität 515 – Steuerexternalität 520 f., 526 – vertikale fiskalische 527 Familienunternehmen – Definition 722 f. – Gefahr 725 f. 754

Family Governance 728 f. Family PEC-Skala 722 f. Fehlerbegriff – objektiver 492 Finanzierung – Staatshaushalt 118 ff. Finanzierungsfolgenverantwortung 434, 437 ff. Finanzierungsfreiheit 433, 437 f. Finanzplandarlehen 436 f. Finanzumsatz 259 f. Firmenwert 505 f. FISKALIS-Projekt 280 Fiskalzweck 111 ff. Fiskalzwecknorm 28, 117 ff. Flächentarifvertrag 114 ff. Fluchtfähigkeit – Belastungsmaßstab 364 Folgerichtigkeit – Äußerungen von W. Reiß 15 – Ausgangstatbestand 11 f. – Umsatzsteuer 12 Folgerichtigkeitsgebot – im Allgemeinen 11 f. – und Ausgangstatbestand 11 f. – und Europäisches Gemeinschaftsrecht 14 – und Existenzminimum 16 – als Kriterium der Gleichbelastung 11 Folgerichtigkeitsverstoß 20 f. – durch Kaffeesteuer 19 f. – durch kommunale Verbrauch- und Aufwandsteuer 19 f. – keine Rechtfertigung durch Art. 105 Abs. 2a, Art. 106 GG 22 f. – durch Verkehrsteuer 20 f. Frankreich – Vertragsverletzungsurteil 658 fraud (engl.) 647, 652, 662 fraude (frz.) 646 ff., 657, 662 fraudulent operations (engl.) 648 frauduleusement (frz.) 656 frauduleux (frz.) 657 fraus legis 621 ff. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit 101 ff., 110 ff.

Stichwortverzeichnis

Freistellung(smethode) 679 ff., 691 f., 696 Fremdkapital 444, 446 ff. Fremdkapitalkonto 408 f. Fremdmanagement 722, 730 f. Fremdvergleich 446, 623 Funktionsbetrachtung 733 Funktionsverlagerung – europarechtswidrige Besteuerung 394 ff. Fusionsrichtlinie 518, 649, 658 ff. Gas und Elektrizität 260 Gebäude – gemischt genutztes 129 ff. – Landwirtschaft 210 Gebietsansässiger 690 f. Gebietsfremder 687, 690 f. Gebot – Zurückhaltung 116 ff. Gebrauchtwaren-Richtlinie 655 Gegenleistung – Gegenwert 215, 217 ff., 224 f. Gegenstand – privat genutzter 128 – unternehmerisch genutzter 128 Geldspielautomat – Umsatzsteuerbefreiung 82 Gemeinnützigkeit 163 f. Gemeinschaftsrecht 166 f., 679, 681 f., 687, 689, 691 f. – Anwendbarkeit 95 – Anwendungsvorrang 166 f. – Begriffsvielfalt 645 ff. – Effektivität 576 – Folgerichtigkeitsgebot 14 – Gestaltungsmissbrauch 645 – richtlinienkonforme Auslegung 166 f. – sekundäres 572 – unmittelbare Anwendung 167 Gemeinschaftsrechtswidrigkeit 684 Gemeinwohl 109 ff. Generelle Ist-Besteuerung mit Crosscheck – Beschreibung 303

Gerechtigkeit – soziale 111 ff. Gerechtigkeitsprinzip 111 ff. Gesamtbilanz – Mitunternehmerschaft 466 Gesamtgewinn – Mitunternehmerschaft 403 Gesamthandelsbilanz 458 Geschäftsbetrieb – wirtschaftlicher 159 Geschäftsführung – Analyse 732 f. – Insolvenzverwalter 186 Geschäftsleitung 703 Geschäftswert 454, 505 f. Gesellschaft – atypisch stille 454 ff. – bürgerlichen Rechts 449 – Gründung 586 ff. – stille s. Stille Gesellschaft – typisch stille 450 ff. Gesellschafterdarlehen 445, 448, 589 Gesellschaftsanteil – Aufstockung 417 Gesellschaftsrecht – europäisches 586 Gesellschaftsvermögen 421 Gesetzesumgehung 622 ff. – Innentheorie – Außentheorie 632 ff. – nationales Recht 626 f. – Selbstbewahrung der Rechtsordnung 632 – U-turn-Gestaltung 623 f. Gesetzgeber – Gestaltungsspielraum 559 ff. Gestaltung – rein künstliche 659 ff., 693 ff. Gestaltungsmissbrauch 391 – im Gemeinschaftsrecht 645, 657, 663 – Jahressteuergesetz 2008 600, 603 f. – siehe auch Missbrauchsvermeidung Gestaltungsspielraum 103 ff. – Gesetzgeber 559 ff. Gewaltenteilung 103 ff. 755

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– horizontale 116 ff. Gewaltenteilungsgrundsatz 67, 73, 75, 78 f. Gewerbesteuerrückstellung 467 Gewinn – Begünstigung des nicht entnommenen 364 – steuerfreier 406 – thesaurierter 364 Gewinnanteil 420, 450, 454 Gewinnanspruch 420, 422 Gewinnausschüttung 452, 466 Gewinnberichtigung 665 ff. – Advance Pricing Agreements 668, 673 f. Gewinnermittlung 421, 467 – additive 466 f. – Harmonisierung 480 Gewinnverteilung 421, 463 Gewinnvorab – Personengesellschaft 715 Gläubiger – Quellensteuer 707 ff. Gläubigerschutz 439, 441 Gleichbelastung – Folgerichtigkeitsgebot 11 Gleichheit – in der Freiheit 103 ff., 109 ff. – des Steuerschuldners vor dem Einkommensteuergesetz 359 ff. Gleichheitlichkeit 115 ff. Gleichheitsprinzip 102 ff. Gleichheitssatz 26 – Art. 3 Abs. 1 GG 446 Gleichstellung – natürliche und steuerjuristische Person 374 Gleichwertigkeit – Amtssprachen 648 Global Contracts 137, 149, 155 Gold-Richtlinie 647, 654 Grenzausgleich – umsatzsteuerlicher 245 f., 250 Grenzüberschreitender Umsatz 137 ff. – Steuerbarkeit 138 – Systematik 138 756

Griechenland – Vertragsverletzungsurteil 656, 660 Gründungsgesellschafter 217 Grund – vernünftiger wirtschaftlicher 649, 659 f. Grunderwerbsteuer 35 Grundfreiheit 27, 573 – EG-Vertrag 395 – Rechtfertigung einer Beschränkung 658 f. – Rechtsmissbrauch 580 Grundrechtseingriff 340 ff. – Berufsfreiheit (Art. 12 GG) 341 f., 354 – Eigentum (Art. 14 GG) 341, 354 – Familie (Art. 6 GG) 355 Grundrechtsfähigkeit – juristische Person 366 ff. Grundrechtsstandard – Gemeinschaftsrecht 98 Grundstück – Vermietung 54 – Verwertung 185 ff. Gruppenbildung – Prozess freier sozialer 368 Güterbeförderung – innergemeinschaftliche 256 Hälftigkeitsgrundsatz 111 ff. Haftung – gesellschaftsrechtliche 372 Haftungsschuldner 50 f. Halbeinkünfteverfahren 445, 452, 466 Halbteilungsgrundsatz 121 ff. Halifax-Urteil 597 ff., 617, 636 ff., 656, 658, 660 f., 663 Handelsbilanz 453, 466 Handelsbilanzgewinn 420 Handelsgewerbe 449 Handlungstatbestand 361 Harmonisierung – Gewinnermittlung 480 – Steuersätze 246 – Umsatzsteuer 246, 268, 273, 277

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– Verbrauchsteuer 649 – siehe auch Teilharmonisierung Heilbehandlung – Auslegung von Gemeinschaftsrecht 86 – berufsrechtliche Regelung 87 – Rechtsformneutralität 86 Hellenische Republik siehe Griechenland Herkunftslandprinzip 321 Herstellungskosten 458 Hilfsumsatz – Landwirtschaft 207 ff. Hilversum I und II 597 ff., 609 Hinterziehungspotenzial – Vorsteuerabzug 280 Hinterziehungsquote – Umsatzsteuer 276 Hinzurechnung – Kosten der gewerbesteuerlichen 392 f. Hinzurechnungsbesteuerung 587, 607 ff. – §§ 7 ff. AStG a.F. 609 ff. – §§ 7 ff. AStG n.F. 611 ff. Holding 229 ff. – Darlehensvergabe 238, 241 – eigenständiger Geschäftsbetrieb 241 – Kosten für Beteiligungserwerb 239 ff. – Organschaft 241 – Unternehmereigenschaft 236 – Verwaltung der Tochtergesellschaft 236 – Vorsteuerabzug 239 ff. ICI-Urteil 659 Ifo-Institut – Ermittlung von Steuerausfällen 299 Ifo-Modell 282 IFRS-Gewinn 501 ff., 505 IFRS-Rechnungslegung 496, 502 ff., 506 Immobilie – Verwertung 185 ff.

Indirekte Methode 530, 537 ff. Indirekte Steuer 31 f. Industrieschrott – Reverse-Charge-Regelung 319 f. Informationsaustausch 666 Informationswerbung 553 f. Ing.-Auer-Urteil 647, 661, 663 Innentheorie – Gesetzesumgehung 632 ff. Innergemeinschaftliche Güterbeförderung 256 Innergemeinschaftliche Lieferung 34, 196, 245 f. Innergemeinschaftlicher Erwerb 172 ff., 200, 245 Insolvenz 441, 444 – Bedeutung im Reverse-ChargeVerfahren 313 f. Insolvenzverwalter – Verwertung als steuerbare sonstige Leistung 185 ff. Inspire Art 605 f. Integration – Körperschaft in Einkommensteuer 374 – Körperschaftsteuer in Einkommensteuer 371 Internationales Steuerrecht 665 ff. – Diskriminierungsverbot 676 f. – Streitbeilegung 665 ff. – Verpflichtung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung 677 f. – Verständigungsverfahren 665 ff., 677 – Zuständigkeit des EuGH 676 ff. Investition 224, 226 Investitionsgut 207 ff. – Veräußerung 210 Ist-Besteuerung mit Quellensteuererhebung – Beschreibung 304 Ist-Versteuerung – mit Cross-Check 256, 282 – Reverse-Charge-Verfahren 290 f. Jagdverpachtung – Landwirtschaft 210 757

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Jahressteuergesetz 2008 444 f., 447, 663 – Gestaltungsmissbrauch 600, 603 f. Juristische Person 370 Juristische Person öffentlichen Rechts 368 – Grundrechtsfähigkeit 368 Kaffeesteuer 19 f., 38 Kammerrecht 553 ff. Kapitaleinkommensteuer 519 Kapitalerhaltung 433 f., 437 Kapitalgesellschaft 214 Fn. 3, 225, 365 f. – anonyme 367 – Tarifentlastung 383 f. Kapitalkonto 216, 417 – steuerliches 421 Kapitalmarkt 501 Karussellbetrug 657, 662 – Umsatzsteuerausfall 285 Katalogleistung 256, 259 Kategorischer Imperativ 103 ff. Kittel-Urteil 656 f., 662 Kleingesellschafter-Sanierungsprivileg 435, 438 Kleinunternehmer 162 Körperschaft 364, 370 – Integration in die Einkommensteuer 374 – Trennungsprinzip 362 Körperschaftsteuer 519 f. – Integration in die Einkommensteuer 371 – Teilharmonisierung 649 Kofoed-Urteil 639 ff., 656, 660 ff. Kommanditanteil 418 Kommanditist 712 Kommission, Europäische siehe EG-Kommission Komplementär 418 Komplementär-GmbH 716 Kompliziertheit – deutsches Steuerrecht 377, 381 f. Kohärenz 694 f. Konkurrentenklage 167 Konstruktion 758

– rein künstliche 585, 659 ff., 693 ff. Konsum – privater 229, 237 Konsumleistungsfähigkeit 31 Kontrolldichte – Reverse-Charge-Verfahren 314 Kontrolle 735 – FISCALIS-Projekt 280 Kontrollratsgesetz Nr. 64 472 Kontrollrecht 450 Konzernsteuerquote 496 f., 499 ff., 509 f. Koordinierungsstelle zur Betrugsbekämpfung in länder- und staatenübergreifenden Fällen – Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung 302 Kopfsteuerprinzip 110 ff. Kosten – Einführung des Reverse-ChargeVerfahrens 291 – gewerbesteuerliche Hinzurechnung 392 f. Kostenaufschlagsmethode 533 Kostenträgerrechnung 241 Kraftfahrzeug – Ölwechsel 146 Krisenfinanzierung 436, 439 f. Landwirtschaft – Durchschnittssatzbesteuerung 205 ff. – Gebäude 210 – Hilfsumsatz 207 ff. – Jagdverpachtung 210 – Maschine 208 ff. – Pauschalregelung 205 ff. – Umsatzsteuer 205 ff. Lastengleichheit – steuerliche 109 ff. Latente Steuer 502 ff., 509 Lebenssachverhalt 107 Leistender 55, 59 Leistung 140 – charakteristische Merkmale 142 – einheitliche 141 ff., 145, 150 – Gesamtbetrachtung 141, 143

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– – – –

Haupt- und Nebenleistung 144 mehrere 142 selbständige 141, 143 Verwertung durch Insolvenzverwalter 185 Leistungsaustausch 159, 215 ff., 224 – aktive Werbeleistung 159 ff. – passive Werbeleistung 159 ff. Leistungsbündel 141 Leistungseinkauf 256 Leistungsempfänger 54, 58 Leistungsfähigkeit – Belastungsmaßstab 364 – Ertragsteuer 346 – steuerrechtliche 493 – Verbrauchsteuer 347 f. – wirtschaftliche 432, 441 Leistungsfähigkeitsprinzip 25 ff., 102 ff., 108, 116 ff. – Umsatzsteuer 12 f. Leistungskommission 240 Leistungsvereinigung 215 Leistungsverkauf 268 Lenkungsnorm 28 Lenkungsteuer 104 ff., 117 Lenkungswirkung 377 Leur-Bloem-Urteil 658 f. Levob-Urteil 139 ff., 148 Lieferung – einheitliche Leistung 145 – gestreckte 147 – Ortsbestimmung 147 – Reverse Charge 269 Limited 435 ff., 441 Liquiditätsvorteil 235 Lizenz – Doppelbesteuerungsabkommen 714 Maastricht-Urteil 625 Mainzer Vorschläge zur Umsatzsteuer 331 Managementaufgabe 730 Managementfunktion 722 Managementleistung – Beurteilung 732 Marginal Costs of Public Founds 524

Marks-&-Spencer-Urteil 658, 686 Maschine – Landwirtschaft 208 ff. Maß – Prinzip des rechten 102 ff., 115 Massenabrechnung – Reverse-Charge-Verfahren 288 Maßgeblichkeitsprinzip 469 Mehrbelastung 502 f. Mehrdeutschigkeit 652 f., 655, 657 f. Mehrwertsteuer 101, 516 f., 519, 646 f. – Ausfallquote 275 – gemeinschaftsrechtliche Entwicklung 277 Mehrwertsteuersystem – endgültiges 248 Mehrwertsteuersystemrichtlinie 252, 322, 653 ff. – Kommissionsvorschlag 654 Meistbegünstigung 687 Merkmal – tatbestandsbegründendes 361 Minderbelastung 501, 503 Minderheitenschutz 724 Mineralölsteuer 101 Mineralölsteuer-Richtlinie 649 f., 653 Missbräuchliche Praktiken (Praxis) 656, 658 ff. Missbrauchsregelung – allgemeine 574 Missbrauchsvermeidung 599 ff. – Neufassung des § 42 AO 600, 603 f. – § 50d Abs. 3 EStG a.F. 613 ff. – § 50d Abs. 3 EStG n.F. 615 ff. – Spezialitätengrundsatz 601 ff. – Treaty Shopping 601, 613 ff. – siehe auch Gestaltungsmissbrauch Missbrauchsvorschrift – § 42 AO 708 – § 50d EStG 708 Missing trader 254, 269 Mittler-Modell 256, 281 Mitunternehmer 419, 421 – Initiative 417 f. 759

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– transparente Besteuerung 400 – verdeckter 415 Mitunternehmeranteil 402 – Nießbrauchsbelastung 423 f. Mitunternehmerinitiative 454 Mitunternehmerkonzeption 712 ff. Mitunternehmerrisiko 454 Mitunternehmerschaft 370 – Anstellungsvertrag 414 – einheitliche Beurteilung 416 – Erwerbsgemeinschaft 361 – Gesamtbilanz 466 – Gesamtgewinn 403, 422 – Geschäftsführungsbefugnis 415 – Gesellschaftsvertrag 414 ff. – Rechtsgrundlage 413 ff. – verdeckte 422 – Voraussetzung 414 Mitunternehmerstellung 419 MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.5.2007) 432 f., 437 f., 444 f., 447 f. Mutter-Tochter-Richtlinie 518, 649 Nachbelastung 404 f. Nachversteuerung – Erbschaftsteuer 409 Nachweis – Ansässigkeit 703, 708 Nash-Gleichgewicht 526 Nash-Strategie 525 Nettoprinzip 29, 382, 389 f., 392 f. – objektives 439 Neutralität 33, 170 f. – steuerliche Belastung 230 Neutralitätsgrundsatz – Umsatzbesteuerung 202 Nichtanwendung – eines Gesetzes durch die Bundesregierung 79 Nichtbesteuerung – doppelte 154, 180 ff. Niederlassungsfreiheit 624 ff., 640 ff. Niederlassungsrecht 686 Nießbrauch 418 ff. 760

– Gesellschaftsanteil 418 Nullsummenspiel – Umsatzsteuer 280 Nutzungsdauer 501 ff. Obergesellschaft 419 – doppelstöckige Personengesellschaft 411 Objektivierung – steuerrechtlicher Begriffe 483 OECD-Musterabkommen 665 ff., 684, 692, 702 ff. OECD-Musterkommentar 702 ff. OECD Partnership Report 1999 703 ff., 715 ff. Öffentliche Hand – Umsatzsteuer 157 ff. Öko-Steuer 101 ff., 104 ff., 117 ff., 349 ff. One-Stop-Shop 325, 329, 335 ópérations frauduleuses (frz.) 648 Optigen-Urteil 657 Option 55 f., 59 ff. Optionserklärung 55 f., 59 ff. Optionsmodell – Unternehmensteuerreform 401 Organstreitverfahren 79 Ortsbestimmung – Umsatz 147 Ortsverlagerung 54, 58 f. OyAA-Urteil 658 f. Parallelbegriffe – in deutsch, englisch, französisch 647, 655, 657 f., 662 Pauschalregelung – landwirtschaftlicher Erzeuger 205 ff. Pensionszusage 464 ff. Person – Doppelbesteuerungsabkommen 705 f. – Gleichstellung der natürlichen mit steuerjuristischer 374 – steuerjuristische 371 ff. Personengesellschaft 369 f. – Abfärbewirkung 718

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– Abkommensberechtigung 698, 702, 704 f. – mit beschränkter Haftung 365 – Beteiligung an 711 – Betriebsvermögen 717 f. – doppelstöckige 410 – Eintritt in 214 – erstattungsberechtigte 707 ff. – gewerblich geprägte 455, 718 – Gewinnvorab 715 – Gleichstellungsthese 704 ff. – Gründung 214, 218 – Sondervergütung 712 ff. – Steuersubjekt 703 – Steuersubjektfähigkeit 362 – Transparenzprinzip 400 Personenunternehmen – Sondertarifierung 383 ff. Personenvereinigung – nicht rechtsfähige 362 Planspiel – Reverse-Charge-Verfahren 253, 285 f., 306 f. Planzer-Urteil 656 f., 660 Publikumsgesellschaft 214 Prinzip – der praktischen Vernunft 102 – der Verhältnismäßigkeit 103 ff., 115 – des rechten Maßes 102 ff., 115 – des Steuerstaates 109 ff. Privat equity 446 Privatheitlichkeit 109 ff. Prozessbetrachtung 732 Qualifikationskonflikt 710 Quellensteuer – Ermäßigung 704 – Erstattungsantrag 700, 702, 706 ff. – Erstattungsvorschrift 700, 702, 706 ff. – Gläubiger 707 ff. – § 50d EStG 706 ff. – Schuldner 707 ff. – Vergütungsgläubiger 707 ff. – Vergütungsschuldner 707 ff.

R-Check – Reverse-Charge-Verfahren 252, 289 f., 310 Realität – wirtschaftliche 656 f., 659 ff. Rechnung – Reverse Charge 270 ff. Rechnungslegung 495, 497, 501 f. Recht – auf Arbeit 114 ff. Rechtfertigung 692, 694 ff. – Einkommensteuer 361 – der Steuererhebung 339 f. Rechtsetzung der EU – Verbesserung 650 Rechtsformabhängigkeit 379 f. Rechtsformneutralität 383 ff., 386 ff. – Heilbehandlung 81, 86 – Umsatzsteuer 238 Rechtsformwahl 403 Rechtsmissbrauch – europäisches Steuerrecht 571 ff. – Grundfreiheit 580 ff. – individueller 635 f. – institutioneller 622 f., 635 ff. – Steuerrichtlinie 591 ff. – U-turn-Gestaltung 623 f. – Verbot 656, 659 f., 663 – siehe auch Gesetzesumgehung, Steuerumgehung Rechtsmissbrauchslehre 575 f. Rechtsordnung – Selbstbewahrung 632 Rechtsschutz – Steuerträger 18 f. Rechtsstaat 103 ff. Rechtsterminologie – Gemeinschaftsrecht 645 ff. Rechtstexte der EU – Verbesserung 650 Rechtsträger – Zwischenschaltung 625 f., 632 Reformdiskussion bei der Umsatzsteuer – alternative Lösungen 318 ff. – Entwicklung auf EU-Ebene 305 – Entwicklung in Deutschland 303 761

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Regelung – typisierende 114 ff. Regelungslücke – planwidrige (§ 170 InsO) 190 Registrierung 258 – freiwillige 263 – Reverse Charge 254 Regulierung 725 Rentenfinanzierung 120 ff. Rentenversicherung 117 ff. Restaurationsumsatz 149 f. Reverse-Charge-Modell – Beschreibung 303 Reverse-Charge-Verfahren 151 ff., 253, 332 f. – Abwägung der Chancen und Risiken 320 – aktuelle Entwicklung 293 – Ameisenkriminalität 288 – Aufkommenswirkungen 311 – Auswirkungen auf insolvenzbedingte Ausfälle 313 f. – Bagatellegrenze 284, 287 f., 310, 313 – Betrugsmöglichkeit 311, 314 f. – Bewertung 312 – Cashflow-Vorteil 254 – Chancen der Einführung 316 ff. – ECOFIN-Rat 294 – Einführung zur Bekämpfung von Umsatzsteuerausfällen 275 ff. – grundsätzliche Funktionsweise 283 f. – Industrieschrott und Altmetalle 319 f. – Inhaltsbeschreibung 309 – Konformität mit 6. EG-Richtlinie 292 – Konsequenzen für die Politik 308 – Kontrolldichte 314 – Kosten der Einführung 291 – kritische Würdigung 286 – Lieferung 269 – Massenabrechnungen 288 – Pilotprojekt 255 – Planspiel und Machbarkeitsstudie 252, 285 f., 306 f. 762

– R-Check durch die Verwaltung 252, 289 f., 310 – Rechnungshinweis 271 – Steuerentstehung 271 – Umsetzung durch die Finanzverwaltung 308 – Vermeidung einer Registrierung 254 – Vertrauensschutzregelung 313 – Vorsteuerabzug 272 – Vorteil 312 – Vor- und Nachteil 315 f. – Wegfall von Sonderregelungen 290 f. Rewe-Urteil 659 Richtlinie 682 Risikoeffekt 507, 509 Risikomanagement 290 Risikoposition 508 R-Nummer – Prüfung 286 f. Sache – Verwertung einer beweglichen 185 ff. Sacheinlage – Eingrenzung 214 Sachlichkeitsprinzip 102 ff. Sachprämie 145 Sachverhaltsgestaltung 499 Saint-Gobain-Urteil 690 f. Sanierung 441, 444 Schedulenbesteuerung 385 Scheingeschäft 638 Schiedsabkommen 675 ff. Schiedsverfahren 671 ff. – Neuerungen 672 f. – Schiedsvereinbarung 677 f. Schlussantrag 680, 692, 695 Schuldner – Quellensteuer 707 ff. Schuldverhältnis – Umqualifizierung 589 f. Schul-Urteil 176 ff. Schwarzwaldklinik 370 Scontrino-Modell 282 Selbständigkeit 112 ff.

Stichwortverzeichnis

Selbstbewahrung – Rechtsordnung 632 Shareholder 495 f., 499 Sicherung des Steueraufkommens – Organisatorische Maßnahmen 302 Sicherungsgut – Verwertung durch Insolvenzverwalter 185 ff. Sicherungsübereignung 264 f. Sittlichkeit 116 ff. – bürgerliche 109 ff. Sitz – Unternehmen 262 Software – Nebenleistung 145 Softwareumsatz 151 ff. (Soll-)Ertragsteuer 356 Sonderbetriebsvermögen 419, 463, 468 Sonderbilanz 462, 465, 468 Sonderentgelt 215 Sondertarifierung – Personenunternehmen 383 ff. Sondervergütung 420, 712 ff. Sondervorschrift 698 ff., 709 ff. Sonstige Leistung – Verwertung durch Insolvenzverwalter 185 ff. Sozialhilfe 113 Sozialprinzip 105 ff., 111 ff. Sozialstaatsprinzip 26 f. Sozialversicherungspflicht 452, 456 ff. Sozialzweck 120 ff. Spezialitätsklausel – Doppelbesteuerungsabkommen 712 Sphärentheorie 237 f. Sponsoring-Erlass 159 ff. Sprachenvielfalt – Gemeinschaftsrecht 645, 648 Staat 109 ff. Staatshaushalt – Finanzierung 118 ff. Standortwettbewerb – kommunaler 375

Steuer – auf Steuer 101 – indirekte 31 f. – latente 502 ff., 509 – sparen 594 f. Steuer(aufwands)quote 495 ff., 500 ff., 506 f., 510 Steuerausfall bei der Umsatzsteuer – Entwicklung 276 – Lösungsmöglichkeit 320 Steuerbefreiung – Einfuhr 201 – innergemeinschaftliche Lieferung 170 ff., 196 – innergemeinschaftlicher Erwerb 173 ff., 200 – konkurrierende 196 – landwirtschaftlicher Hilfsumsatz 210 f. – Umsatzsteuer 68 ff., 196 – unechte 170 ff. Steuerbelastung 495 ff., 505 ff., 509 Steuerberater 551, 553 ff. Steuerbetrug 645, 651 ff. Steuerbilanz 454, 466, 500 f., 505 – Dominanz 472 Steuerbilanzpolitik 503, 509 Steuereffizienz 104 ff. Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 477 Steuerentstehung – Reverse Charge 271 Steuererhebungskosten 499, 509 Steuerflucht 645, 647 ff., 651, 658 Steuergerechtigkeit 102 ff. – Prinzip 111 Steuergläubiger – in der Europäischen Union 249 f. Steuergleichheit 374 Steuerharmonisierung 515, 517, 528 Steuerhinterziehung 645 ff. Steuerhoheit – Aufteilung 683 – Ausübung 683 Steuerinstitut Nürnberg 533 Steuerkoordination 516 f. 763

Stichwortverzeichnis

Steuermissbrauch 645 ff. Steuerpflichtiger 231 Steuerplanung 495, 497, 507, 510 Steuerprinzip 109 ff. Steuerrecht – EU-Recht und innerstaatliches 573 ff. – Kompliziertheit des deutschen 377, 381 f. – Lenkungswirkung 377 – Rechtsmissbrauch und europäisches 571 ff. Steuerrechtssubjekt 680 Steuerreformkommission 1971 474 f., 481 Steuerrichtlinie – Rechtsmissbrauch 591 ff. Steuersatz 164, 327 – Annäherung im Binnenmarkt 246, 250 Steuerschuldner – Gleichheit vor dem Einkommensteuergesetz 359 ff. Steuerschuldnerschaft 253 Steuerschuldrecht 642 Steuerstaat – Prinzip des 109 Steuersubjekt 371 – partielles 362 – Personengesellschaft 703 Steuersubjektfähigkeit – Personengesellschaft 362 Steuersystem – Effizienz des deutschen 381 Steuersystematik – transparente Mitunternehmerbesteuerung 400 Steuerträger – Rechtsschutz 18 f. Steuerüberwälzung 32, 36, 498 Steuerumgehung 623, 630 ff., 645 ff. – Basisgesellschaft 642 ff. – Begriff des EU-Rechts 626 f., 639 f. – Behandlung durch den EuGH 396 f. – Belastungsgrund 630 – EuGH-Rechtsprechung 634 ff. 764

– good business reasons 623, 629, 631, 636, 638 f. – Innentheorie – Außentheorie 632 ff. – „künstlich“ 623 f., 629 f., 640 f. – Scheingeschäft 638 – Steuerschuldrecht 642 – Tatbestand des Gesetzes 628 – Umgehungsabsicht 623, 629 f. – „unangemessen“ 629 f. – Zurechnung von Einkünften 640 ff. – Zwischenschaltung eines Rechtsträgers 625 f., 632 Steuerung – wertorientierte 728 Steuervereinfachung 382 Steuervermeidung 645, 650, 653 Steuerwettbewerb 375, 516, 519, 583 – internationaler 374 Steuerwettbewerbsfähigkeit 381 f. Steuerzahler – Absicht 590 f. Stichtagsprinzip 490 Stille Gesellschaft 414, 449 ff. – Bilanzierung 453, 466 – Einkünfte 450 ff. – Einlagekonto 450 – Gewinnanteil 450, 454 – Gewinnausschüttung 452, 466 – Handelsgewerbe 449 – Kontrollrecht 450 – Pensionszusage 464 ff. – Sozialversicherungspflicht 452, 456 ff. – Vergütung 451, 455 – Verlustanteil 450, 454 – Vermögenseinlage 449 Stiller Gesellschafter 420, 422 – atypisch 423 – typisch 423 Strukturbetrachtung 732 Studienbereich „Steuern und Prüfung“ 533 Subject to tax Klausel 701 f. Subsidiarität 324 Substanzsteuer 498

Stichwortverzeichnis

Substanzsteuereffekt 393 Switch over Klausel 710 Systemwechsel – Reverse-Charge-Verfahren 312 Tabaksteuer 117 ff. Tätigkeit – wirtschaftliche 215 Tätigkeitsvergütung 451, 455 Tarifentlastung – Kapitalgesellschaft 383 f. Tatbestand – begründendes Merkmal 361 – Erfolgstatbestand 361 – Handlungstatbestand 361 – Zustandstatbestand 361 Tatbestandsmäßigkeit – der Besteuerung 48 Tatsache – wertaufhellende 484 Tauschähnlicher Umsatz 163, 215, 219 Tax compliance 336 Teileinkünfteverfahren 445, 453, 466 Teilwertabschreibung 441 ff. Teleologie – unterschiedliche von Handels- und Steuerrecht 492 Territorialitätsprinzip 695 Territorium – freie Wahl der Anknüpfung an ein staatliches 582 ff. Testamentsvollstrecker 417 Testamentsvollstreckung 417, 420 Test-Claiments-in-the-Thin-CapGroup-Litigation-Urteil 659 Thesaurierungsbegünstigung – Unternehmensteuerreform 2008 399 ff. Transparenzfunktion 729 Transparenzprinzip – Mitunternehmerbesteuerung 400 Treaty Overriding 613 ff., 679 f., 695 Treaty Shopping 601, 613 ff., 704, 708

Trennungsprinzip – Körperschaft 362 Treuhand 420 – Nießbrauch 424 ff. – Unterbeteiligung 425 Two Circle Model 726 f. Typisch stille Gesellschaft 450 ff. Übergangsregelung 182 ff. – Art. 370 MwStSystRL 179 ff. – bei der Umsatzsteuer seit 1993 245 – Ursprungslandprinzip 278 f. Überleitungsrechnung 497, 506 f. Übermaß 103 ff. Übermaßverbot 27 Überrechnungssystem – Beschreibung 304 Überwälzung – Umsatzsteuer 17 Umgehungsabsicht 623, 629 f. Umqualifizierung – Schuldverhältnis 589 f. Umsatz – Leistung 140 – tauschähnlicher 163, 215, 219 – Umfang 140 f. Umsatzsteuer 33, 101 – Belastungsgrund 10 f. – Bemessungsgrundlage 271 – De-Registrierung 269 – Entgelt 271 – Erhebungsverfahren 253, 273 – Folgerichtigkeit 12 – freiwillige Registrierung 263 – Jagdverpachtung 210 – Landwirtschaft 205 ff. – Leistungsfähigkeitsprinzip 12 f. – Mainzer Vorschläge 331 – öffentliche Hand 157 ff. – Rechnungstellung 270 ff. – Registrierung 258 – Steuerbefreiung 68 ff., 196 – Steuerbefreiung eines landwirtschaftlichen Hilfsumsatzes 210 f. – Steuerschuldnerschaft 253 – Steuersystem 297 765

Stichwortverzeichnis

– Überwälzung 17 – Umsatzsteuer-Identifikationsnummer 258, 263, 273 – Vorsteuervergütungsverfahren 273 Umsatzsteuer-Audit – Beschreibung 305 Umsatzsteueraufkommen – Stabilisierung 275 Umsatzsteuerausfall – betrugsbedingt, Maßnahme 300 – Einführung des Reverse-ChargeVerfahrens zur Bekämpfung 275 ff. Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung 329 Umsatzsteuererklärung 330 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer 258, 263, 273, 279 Umsatzsteuermissbrauch 50 f. Umsatzsteuersystem – europäisches 277 – Schwächen 298 Umsatzsteuer-Voranmeldung 328, 330 Umweltschutz 117 ff., 120 Untergesellschaft 416, 419 Unternehmen – Registrierung 279 – staatliches 109 ff. Unternehmensgewinn 698 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 709 ff. Unternehmensteuer 365 – allgemeine 387 – kommunale 393 Unternehmensteuerreform 2008 379 ff. – Thesaurierungsbegünstigung 399 ff. Unternehmer 231 Unternehmerbescheinigung – Ansässigkeit 258 Unternehmereigenschaft – Prüfung 286 f. Ursprungslandkommission – Gutachten 249 f. – Überlegungen zum endgültigen Mehrwertsteuersystem 249 766

Ursprungslandprinzip 245 ff., 278, 322, 517, 550 – Vorschlag der EG-Kommission 248 Urtext – von EuGH-Urteilen 655 U-turn-Gestaltung 623 f. U-turn-Transaktion 585 f. Veräußerung – Investitionsgut 210 Veräußerungseinkünfte 373 Veräußerungsgewinn – Ermittlung 428 – Steuerbegünstigter 427 Veranlagungsprinzip 490 Veranlagungsverfahren 491 Verbrauchslandprinzip 246 f., 249 Verbrauchsteuer 5, 25 ff., 46 ff., 48, 61 f., 101 ff., 105 ff., 230, 339 ff., 343 ff., 517 – Endverbraucher 344 – Grundrechtseingriff 343 ff. – Harmonisierung 649 f., 653 – kommunale 19 f. – Konsumsteuern 344 – Rechtfertigung von besonderen Verbrauchsteuern 348 ff. – Relation zu Ertragsteuern 353 ff. – Warensteuern 343 – wirtschaftliche Leistungsfähigkeit 347 ff. Verbot – Doppelbesteuerung 181 ff. Vereinfachung 48 f. Verfahren 55, 59 Verfahrensarten 667 ff. Verfahrenssprache – im EuGH 655 Vergleichspaar 685 ff. Vergütungsgläubiger – Quellensteuer 707 ff. Vergütungsschuldner – Quellensteuer 707 ff. Verhältnismäßigkeit 115 ff. – Prinzip 103 ff., 115 Verhaltenskodex 584

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Verkehrsfreiheit 681, 683, 689, 695 Verkehrsteuer 25 ff. – Folgerichtigkeitsverstoß 20 f. Verlagerung der Steuerschuld 326 – Reverse-Charge-Verfahren 309 ff. Verlust – aus Eigenkapital ersetzendem Darlehen 431 ff., 442 – Verrechnung 410 Verlustanteil 450, 454 Verlustausgleich 373 Verlustnutzung 503 Verlustübergabe 373 Verlustübernahme 373 Vermittlungsleistung 54, 256, 260 Vermögen – Gesamtvermögen 219, 222 f. – Teilvermögen 219, 222 f. Vermögenseinlage – stiller Gesellschafter 449 Vermögensverwaltung 157, 160, 164, 166 f. Vernunft – Prinzip der praktischen 102 Verordnung 682 Verrechnungspreis 529 f., 533 ff. Versandhandel 174 Versandhandelsumsatz 325, 335 Versicherungsumsatz 260 Versorgungsanwartschaft 465 Verständigungsverfahren 665 ff. – Antragsbefugnis 668 – Bindung der Gerichte 670 – europarechtliche Entwicklungen 674 ff. – historische Entwicklung 666 ff., 671 ff. – innerstaatliches Rechtsbehelfsverfahren 669 f. – Konsultationsverfahren 668, 670 f. – Regelung von Einzelfällen 668 f. – Stellung des Steuerpflichtigen 670 f. – Struktur 666 ff. – Vorabverständigung 763 f. Verstoß – gegen EG-Richtlinie 68, 73

Verteilung – Eigentum 111 ff. Verteilungsstaat 110 ff. Vertrauensschutzregelung – Reverse-Charge-Verfahren 313 Vertrauensvorschrift nach § 6a Abs. 4 UStG – Streichung 319 Verwaltungssponsoring 157 ff. Verwaltungsvollzug – Maßnahmen zur Verbesserung 320 Verwendungsreihenfolge 405, 408 Verwertung – steuerbare sonstige Leistung 185 ff. Verwertungskosten – Verteilung 191, 193 Vollstreckung – gemeinschaftswidrige Umsatzsteuerfestsetzung 90, 95 – verfassungswidrige Umsatzsteuerfestsetzung 81, 83 Vorabentscheidungsersuchen 679, 696 Vorabgewinn 463 Voranmeldezeitraum – Reverse-Charge-Verfahren 290 f. Vorbehalt des Gesetzes 48 Vorlagepflicht 5 Vorlageverfahren – EuGH 96 Vorsteuerabzug 164 ff., 323, 328, 335 – Ausschluss 165, 196 – Beratungsleistung 232 – direkter und unmittelbarer Zusammenhang 231 ff. – Funktion 230 – Gemeinkosten 233 – gemischte Nutzung 164 f. – Gesamttätigkeit des Unternehmens 233 – Hinterziehungspotenzial 280 – Holding 239 ff. – konkurrierende Steuerbefreiung 195 – Kostenelement 230 ff. – Recht des Unternehmers 231 – Reverse Charge 272 767

Stichwortverzeichnis

– – – –

Seeling-Urteil 165 Tätigkeitssphäre 234 Verbot 67, 76 Verhältnis zum nationalen Recht 234 – Voraussetzung 231 ff. Vorsteuerberichtigung 243 Vorstufenbefreiung 331 Vorsteuervergütungsverfahren 273 Vorweggewinn 463 Währungsreform 470 Wahl – Anknüpfung an staatliches Territorium 582 ff. – anwendbares Recht 580 f. Wahlrecht 48 ff., 54 ff. – Antragswahlrecht 51 – echtes 51 ff. – Gestaltungsmöglichkeit 52 – Optionserklärung 55 f., 59 ff. – unechtes 51 ff. – ungeschriebenes 57, 61 – Wahlberechtigter 49 ff. Warenverkehr – innergemeinschaftlicher 278 Wechseldiskont 486 Werbeartikel 150 Werbekampagne 150 Werbeleistung – Leistungsaustausch 159 ff. Werbeverbot 553 ff., 568 Werklieferung 258 Wertabgabe – unentgeltliche 165 Wertaufhellung 483 – handelsrechtliche Konzeption 483 ff. – Rechtsprechung 486 ff. – steuerrechtliche Konzeption 490 ff. – Tatsache 484 – Zeitraum 485 Wertpapierhandel 242 Wertsteigerung 218, 220 f. Wettbewerbsneutralität 162 Wettbewerbsverzerrung 171 ff., 174 ff. 768

– bei der Umsatzbesteuerung 198 Willkürverbot 27, 102, 116 Wirklichkeit – des Lebens 107 ff. Wirtschaftliche Gründe – vernünftige 649, 659 f. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit siehe Leistungsfähigkeit Wirtschaftliche Realität 656 f., 659 ff. Wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb 159 Wirtschaftsunternehmen 366 Wohnsitz – Ansässigkeit 261 Zahnarzt 197 Zahnersatz 197 Zahntechniker 197 Zeiteffekt 500, 509 Zielsetzung – Binnenmarkt 578 ff. Zinsabkommen – mit der Schweiz 662 Zinsbesteuerung – Teilharmonisierung 651 Zinsen – Doppelbesteuerungsabkommen 713 ff. Zins-Richtlinie 652, 662 Zinsschranke 389 f. Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie 652 Zuordnungswahlrecht 235 Zurechnung – Doppelbesteuerungsabkommen 716 ff. – Einkünfte 640 ff. Zurückhaltung – Gebot 116 ff. Zusammenarbeits-Verordnung 325 – Mehrwertsteuerrecht 651, 657 Zusammenfassende Meldung 246, 279 – monatliche Abgabe 319 Zusatzlast – Besteuerung 524 Zustandstatbestand 361, 372

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Zweckdifferenz – von Handels- und Steuerrecht 483 Zweifachbesteuerung 106 ff. Zweigniederlassung – Ansässigkeit 262

Zwischengesellschaft 597 ff. Zwischenschaltung – Rechtsträger 625 f., 632 Zwischenvermietung 628, 630 – Halifax-Urteil 636 ff.

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