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German Pages 692 Year 1966
Beiträge zur gesamten Strafrechtswissenschaft Festschrift für Hellmuth Mayer
Beiträge zur gesamten Strafrech tswissenschaft Festschrift für Hellmuth Mayer zum 70. Geburtstag am 1. Mai 1965
In Gemeinschaft mit Gnoter Bemmaoo. Hermann Rlei.Anne-Eva Rrauol'ck. Hanllürgen Rruos, Karl Enll:ipcb, Gerd Geilen, Gerald Grünwald, Karl Alfred Hall, Erost Heinitz, Joacbim H .. llmer, Hanll v. Hentill:, Richard Honi!!, Arthur Kaufmann, Friedrich· Wilhelm Kraule, Albert Kreb8, Richard Laoll:e, Dietrich Lang-Hinrichs..n, Theodor lencknf'r, Werner Maih.. fer, Peter NoU. Karl Peter8, elau8 RoxiD, Werner Saratedt, Friedrich SchalfsteiD, WerDer Schmid, Eberhard Schmid· hiWler, Eberhard Schmidt, Horat Schröder, Walter Stree. HeUmuth v. Weher. HaDI Welzel. JohaDnel WeIsel. herau8gegeben VOD
Friedrich Geerde und Wolfgang Naucke
DUNCKER & HUMßLOT . BERLIN
Alle Rechte, auch die des auszugswelsen Nachdrucks der photomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, vorbehalten. © lS66 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1966 bel Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Prlnted In Germany
Hellrnuth Mayer Der Jubilar wurde am 1. Mai 1895 als Sohn des Rechtshistorikers Professor Ernst Mayer in Würzburg geboren. Er besuchte dort die Schule und legte 1914 am Alten Gymnasium das Abitur ab. Am 1. Weltkriege nahm He1lmuth Mayer als Kriegsfreiwilliger - zuletzt als Leutnantteil. Nach dem Kriege studierte er - durch Beteiligung an Freikorps und am Aufbau der Reichswehr unterbrochen - Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg. Das Studium schloß er 1920 mit dem Refel'endarexamen ab. 1921 wurde er zum Dr. iur. et rer. pol. promoviert; 1923 folgte die Assessorprüfung. - Hellmuth Mayer ließ sich zunächst als Anwalt in Würzburg nieder. Er wurde Schriftführer der Deutschen strafrechtlichen Gesellschaft. 1928 habilitierte er sich in Erlangen; er erhielt die venia legendi für Strafrecht, Strafprozeßrecht, Zivilprozeßrecht, Deutsche Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie. 1930 folgte Hellmuth Mayer einem Ruf auf einen ordentlichen Lehrstuhl der Universität Rostock. Von 1939 ab leistete er wieder Kriegsdienst. 1947 übernahm er einen strafrechtlichen Lehrstuhl in Kiel, wo er vom Jahre 1956 an das Kriminologische Seminar der Christian-Albrechts-Universität aufbaute. Die seit der Anwaltstätigkeit nie mehr unterbrochenen Beziehungen zur Praxis wurden dadurch wieder enger geknüpft, daß Hellmuth Mayer von 1947-1963 - zunächst als Hilfsrichter, später als Oberlandesgerichtsrat - am Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht wirkte. In Kiel widmete der Jubilar seine Kraft und seine Kenntnisse in besonderem Maße auch Aufgaben in der Verwaltung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holstein. 1952/53 war er Beisitzer des Kirchengerichts; seit dem Jahre 1953 gehört Hellmuth Mayer der Landessynode und der Kirchenleitung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Schleswig-Holstein an. Das wissenschaftliche Werk Hellmuth Mayers umfaßt alle Teile des Strafrechts, das Strafprozeßrecht, die Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Kriminologie und Kriminalpolitik; subtile Untersuchungen des positiven Rechts, seines Inhalts, seiner Geschichte und seiner Deutung stehen neben weitgreifenden Vorschlägen für eine künftige Gesetzgebung. Mannigfaltige geistige Strömungen gehen in dieses wissenschaftliche Werk ein und verleihen ihm große Anziehungskraft und Originalität. Hellmuth Mayer beginnt seine wissenschaftliche Laufbahn als Schüler
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Hellmuth Mayer
Oetkers; einige der ersten Arbeiten stehen mittelbar unter dem Einfluß Bindings. Einflußreicher beinahe ist am Beginn der Vater; durch Ernst Mayer wurden für Hellmuth Mayer der Rechtshistoriker Konrad Maurer und der Pandektist Alois von Brinz bedeutsam. Dann treten, angeregt durch Binder, rechtsphilosophische Probleme stark in den Vordergrund. Die idealistische deutsche Philosophie bestimmt weithin - bis zu den jüngsten Arbeiten - das Denken Hellmuth Mayers. Untrennbar damit verbunden ist das früh sichtbar werdende Interesse an kriminalpolitischen und kriminologischen Fragen, das in ständiger Auseinandersetzung mit v. Liszt Gestalt gewinnt und vor allem in den Kieler Jahren immer stärker wird. Hinzu tritt das Bemühen, auf Grund der gewonnenen eigenen Erfahrung auch die allgemeinsten Fragen vom Standpunkt praktischer Rechtsanwendung aus zu sehen. Alle diese wissenschaftlichen Möglichkeiten und Neigungen sind durchdrungen von einem offen bekannten starken protestantischen Glauben. Diese Vielfalt erscheint in Hellmuth Mayers Werk als Einheit. Mit Betrachtungen über die Heiligkeit des Gesetzes verbindet sich ein unsentimentales, scharfsinniges Verständnis für den Gesetzesbrecher; strenges Betonen der Gesetzlichkeit des Strafrechts hindert nicht eine tiefgreifende kriminalpolitische Kritik am geltenden Gesetz. Abstrakteste Erörterungen über den Aufbau des Verbrechenssystems stehen neben plastischen Darlegungen zum Fürsorgerecht und zu Strafzumessungsfragen. Das Bewußtsein der Geschichtlichkeit und damit der Relativität allen Strafrechts schließt eine große Entschiedenheit bei der Lösung des konkreten Falles nicht aus. Der Jubilar verweist immer wieder auf die Autorität staatlichen Strafrechts, mahnt aber zugleich zu christlicher Nächstenliebe. Alle diese Denkweisen vereinigen sich zu dem einen Ziel, die richtige strafrechtliche Entscheidung zu finden und durchzusetzen. Als Zeichen des Dankes und der Verehrung überreichen Schüler, Freunde und Kollegen diese Festschrift dem verständnisvollen Lehrer, dem streitbaren Partner im wissenschaftlichen Gespräch, dem vielfältig anregenden Forscher. Die Herausgeber
Inhalt Redltsgesdddlte Eberhard Schmidt: Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegs-
gericht
............................................................
Strafrecht . Allgemeiner Teil Karl Alfred Hall: Entwicklung des Verbrechensbegriffes aus dem Geist
des Prozesses ......................................................
Dietrich Lang-Hinrichsen: "Verbandsunrecht" . Zugleich ein Beitrag zur
Lehre von den Ordnungswidrigkeiten ..............................
Arthur Kaufmann: Die ontologische Struktur der Handlung, Skizze einer
personalen Handlungslehre .........................................
11 13
33 35 49 79
Hermann Blei: Garantenpflichtbegründung beim unechten Unterlassen .. 119 Walter Stree: Garantenstellung kraft übernahme
145
Theodor Lenckner: Die Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis
pflichtgemäßer Prüfung ............................................ 165
WeTneT MaihofeT: Objektive Schuldelemente .......................... 185 Peter NoU: Schuld und Prävention unter dem Gesichtspunkt der Ratio-
nalisierung des Strafrechts ........................................ 219
Anne-Eva BTaurreck: Unrecht als die Betätigung antisozialer Gesinnung 235 KaTl Peters: Überzeugungstäter und Gewissenstäter .................... 257 GeTald GTi.i.nwald: Der Vorsatz des Unterlassungsdelikts ................ 281 FTiedTich W. KTause: Betrachtungen zur actio libera in causa, insbeson-
dere in der Form vorsätzlicher Begehung .......... . . . . . . . . . . . . . . . .. 305
EbeThaTd SchmidhäuseT: über Aktualität und Potentialität des Unrechts-
bewußtseins ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 317
RichaTd M. Honig: Irrig-Annehmen und Glauben als Tatmerkmale ..... 339
Inhalt
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Hans-Jürgen Bruns: Zum Verbot der Doppelverwertung von Tatbe-
standsmerkmalen oder strafrahmenbildenden Umständen (Strafbemessungsgrunden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 353
Horst Schröder: Die Koordinierung der Rücktrittsvorschriften .......... 377
Strafrecht . Besonderer Teil
393
Hans Welzel: Bemerkungen zu § 170 b StGB ........................... 395 Karl Engisch: Die Strafwürdigkeit der Unfruchtbarmachung mit Einwil-
ligung ............................................................. 399
Friedrich Schaffstein: Zur Auslegung des Begriffs der "heimtückischen"
Tötung als Mordmerkmal .......................................... 419
Ernst Heinitz: Zur neueren Rechtsprechung über den Untreuetatbestand 433
Gerd Geilen: Neue Entwicklungen beim strafrechtlichen Gewaltbegriff .. 445 Claus Roxin: Geld als Objekt vor. Eigentums- und Vermögens delikten .. 467 Günter Bemmann: Zur Anwendbarkeit des § 157 StGB ................ 485
Gerichtsverfassung und Strafprozeß
495
Richard Lange: Gesellschaftsgerichte in Ost und West .................. 497 Hellmuth von Weber: Internationale Rechtshilfe zur Beweisaufnahme im
Strafverfahren
.................................................... 517
Werner Sarstedt: Konkurrenz von Revisionsrügen ..................... 529 Werner Schmid: Zur Anrufung des Gerichts gegen den Vorsitzenden (§
238 StPO) ....................................................... 543
Wol/gang Naucke:
"Mißbrauch" des Strafantrags? ..................... 565
Johannes Wessels: Zur Vollstreckung von Ordnungsstrafen und Erzwin-
gungshaftbeschlüssen in Strafsachen ................................ 587
Kriminologie und Kriminalpolltik
603
Friedrich Geerds: Kriminalphänomenologie -
Ihre Aufgaben und Möglichkeiten .......................................................... 605
Albert Krebs: Aus der Praxis des Vollzugs der Sicherungsverwahrung .. 629
Inhalt Hans von Hentig: Brandstiftung aus Passion am Löschen
9 655
Joachim Hellmer: Zur Bedeutung der neuen Schmerzensgeldrechtspre-
chung für das Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 665
Anhang Hans-Joachim Wegner: Die Schriften Hellmuth Mayers
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Rechtsgeschichte
Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht Von Eberhard Schmidt, Heidelberg
A. "Le souverain est le premier serviteur de L'Etat." Dieses Wort Friedrichs des Großen, mit dem er sein dienerschaftliches Verhältnis zum Staat knapp und markant bezeichnet, ist nicht nur der Angelpunkt seiner staatstheoretischen und philosophischen überzeugung, sondern auch die bindende Richtschnur für sein am kategorischen Imperativ der Pflicht ausgerichtetes Handeln und Sich-Aufreiben für den Staat gewesen 1• Auch Friedrichs Vater, Friedrich Wilhelm 1., hat sein Leben in einer gewaltigen Arbeitsleistung für den von ihm geschaffenen preußischen Staat verzehrt. Aber die Grundlage dieses Lebenswerkes beruht nicht auf dem aufklärerisch-rationalen Denken, wie es in Friedrichs berühmtem Wort erscheint, sondern beruht auf dem Arbeitsethos des Calvinismus, ist ganz wesentlich religiös bestimmt, indem bei Friedrich Wilhelm I. "Religion, Lebensführung und Politik noch untrennbar zusammen gehören"2, und zwar mit der Maßgabe, daß Frömmigkeit im calvinistischen Sinne der zentrale Ursprung für die schlichte, sparsame, persönlich ganz entsagungsvolle Lebensführung des Königs selbst gewesen ist, daß "Gottesfurcht seine praktische Haltung im königlichen Dienst und Beruf", die Ausschließlichkeit der Hingabe an die Arbeit, die Preisgabe der persönlichen Ansprüche auf Zerstreuung, Aufwand und Genuß bestimmte3 • 1 Vgl. dazu insbes. Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson, 1924, S. 350, mit der treffenden Bemerkung, Friedrich habe ,.sich selbst rationalisiert", habe "gewissen leichtsinnig-genußliebenden Trieben seiner Natur, die er für den Herrscherberuf als ungeebmet und störend empfand, Einhalt geboten, um sich in den «ersten Diener des Staates» zu verwandeln". Dazu ausführlich Eb. Schmidt, Staat und Recht in Theorie und Praxis Friedrichs des Großen (Leipziger rechtsw. Studien, Heft 100, 1936), s. 8 ff., 19 ff. Hier der Nachweis, wie sehr aus dem dienerschaftlichen Verhältnis zum Staat das ganz einzigartige Selbstregiment Friedrichs entsprungen und von Friedrich als höchste Verpflichtung empfunden worden ist. I earl Hinrichs, Preußen als historisches Problem, Gesammelte Abhandlungen, hrsg. von Gerhard Oestreich, 1964, S. 32. a Klarsten Ausdruck findet Friedrich Wilhelms I. Lebens- und Staatsauffassung in seiner Instruction von 1722 für seinen "Successor". Vgl. Künzel und Haß. Die politischen Testamente der Hohenzollern Band I (4. Aufl. 1919), S. 42; dazu Eb. Schmidt (Anmerkung 1), S. 6. Vgl. ferner Hinrichs, Preußen, S.30.
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Eberhard Schmidt
Friedrich hat zu der Auffassung und Haltung, die in dem Wort von seinem dienerschaftlichen Verhältnis zum Staate zum Ausdruck gekommen ist, keinen leichten Zugang gefunden. Die Entwicklung seiner entscheidenden Jugendjahre ist von enormen Spannungen erschwert, beruhend auf den gewaltigen Gegensätzen zwischen seiner eigenen, überreichen Veranlagung und dem nüchtern-rechnerischen, ausschließlich auf Dienst und Arbeit eingestellten Wesen des Vaters, beruhend aber auch auf den nicht weniger gewaltigen Gegensätzen innerhalb der ihn umgebenden politischen wie geistig-kulturellen Welt. Daß Friedrich sich in das kunstvolle Staatsgefüge seines Vaters überhaupt hat einfügen können, in dem von dem lockenden Reichtum der westeuropäischen Geisteswelt so wenig zu spüren gewesen und aus dem gerade die geistigen und künstlerischen Werte, nach denen es den jungen Friedrich dürstete, verbannt gewesen sind, hat nur das Ergebnis schwerster innerer Auseinandersetzungen sein können. Diese Einfügung aber mußte doppelt erschwert werden durch die völlige Verständnislosigkeit, mit der Friedrich Wilhelm I. in ständiger Sorge um die Festigung seiner eigenen, "verzweifelt verwegenen Staatsgründung"· alle von seiner eigenen menschlichen Art abweichenden geistigen und charakterlichen Züge und Lebensäußerungen seines Sohnes beargwöhnte und verwarf. Hinzu kam, daß Friedrich gerade deshalb notwendig in die Gegnerschaft hineingezogen werden mußte, die sich bei der Königin und bei der geliebten älteren Schwester Wilhelmine, ja bei einer verzweigten Opposition bei Hofe gegen die Lebensstrenge und den absoluten Gehorsamsanspruch Friedrich Wilhelms und die drastischen Methoden entwickeln mußte, mit denen er in Familie und am Hof, in Armee und im Zivildienst jenen Gehorsamsanspruch zu realsieren verstandS. Zur katastrophalen Spannung aber mußten diese schon an sich schwerwiegenden Gegensätze gedrängt werden dadurch, daß sich mit ihnen die Gegnerschaft Habsburg-Österreichs gegen England und Frankreich verquicken und die Politik der großen Mächte somit in einem kaum durchschaubaren Intrigenspiel die gesamte Atmosphäre an dem so sittenstrengen Hofe des Soldatenkönigs vergiften konnte. Die Entladung dil:'ser Spannungen erfolgte in der bekannten Katastrophe vom Jahre 1730. Kronprinz Friedrich machte im Einvernehmen mit einigen jungen Offizieren von Steinfurt bei Sinsheim aus einen Fluchtversuch, der zwar schon in den allerersten Anfängen vereitelt werden konnte, aber zur Folge hatte, daß Friedrich sich kriegsgerichtlich verantworten mußte. Die tiefere Bedeutung dieses kriegsgerichtlichen Prozesses eben als einer naturnotwendigen Folge der Entladung jener , Carl HinTichs, Der Kronprinzenprozeß - Friedrich und Katte - 1936, S. 7. Zu alledem verweise ich auf Hinrichs, Preußen, S. 15 ft., 40 tt., 91 tt., 185 ft.; ferner vgl. Walther Hubatsch, Das Zeitalter des Absolutismus 1600 bis I
1789, 1961, S. 162 ft., 164.
Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht
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Spannungen aber bestand nicht darin, daß sich der Oberstleutnant im Regiment des Königs, Kronprinz Friedrich, wegen einer als versuchte Fahnenflucht ausgelegten kriminellen Handlung beschuldigt sah, sondern vielmehr darin, daß sich der Erbe des preußischen Königsthrons vor dem Werke seines Vaters, d. h. vor dem auf die Idee der Pflicht und der Entsagung gegründeten Staate preußischen Gepräges zu verantworten hatte. Gewiß: das äußere Bild jener dramatischen Ereignisse ist beherrscht von dem Verfahren, das vor dem forum externum des Küstriner Kriegsgerichts die Fahnenflucht des Kronprinzen und seiner Mitschuldigen juristisch zum Gegenstande hatte. Aber nur dadurch, daß sich zugleich im forum internum des Kronprinzen, ihm selbst im wesentlichen unbewußt, der Prozeß des preußischen Staates gegen den Thronerben um die Anerkennung der preußischen Staatsidee hat abspielen können, hat dieses kriegsgerichtliche Drama seine weittragende Bedeutung für die Entwicklung Preußens gewinnen können: Dieser Staat unterwarf seiner Idee den künftigen König und sicherte sich damit zugleich die Entfaltungsmöglichkeiten, die allein der innere Reichtum der genialen Persönlichkeit Friedrichs, ihm, dem Staat, gewähren konnte und dann tatsächlich gewährt hat.
B. I. Es ist hier nicht der Ort zu schildern, wie für Friedrich das Verhältnis zu seinem Vater immer unerträglicher geworden ist, so daß bei ihm der Entschluß hat reifen können, sich der Despotie des Vaters durch die Flucht zu entziehen. Auch sollen die Einzelheiten der Vorbereitung und der Durchführung dieses Fluchtversuchs nicht dargestellt werden'. Im Zusammenhang mit des Kronprinzen Fluchtversuch hat die Desertion des vom Kronprinzen von Anfang an in seine Pläne eingeweihten Leutnants von Keith aus der Festung Wesel gestanden. Engster Mitverschworener aber war nach der Versetzung Keiths nach Wesel der sehr ehrgeizige Leutnant von Katte; er sollte, als Friedrich seinem Vater auf die Reise nach Sachsen und an die westdeutschen Höfe sehr widerwillig folgen mußte, die Gelegenheit eines zwecks Soldatenwerbung beantragten Urlaubs aus Berlin benutzen, um zu Friedrich zu stoßen und ihn dann auf der Flucht zu begleiten. Da Katte aber den Urlaub nicht erhielt, also Berlin nicht verlassen konnte, unternahm Friedrich von Steinfurt aus den Fluchtversuch allein, zu dem ihm von einem Leutnant von Keith, • Sie ergeben sich aus den Verhören, die der König selbst und die von ihm Beauftragten. insbes. der Generalauditeur Mylius, mit dem Kronprinzen und dem in Berlin verhafteten Leutnant von Katte vom 12. 8. 1730 an durchgeführt haben. Dazu Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 25 ff. Bedeutsam besonders die von Katte eigenhändig verfaßte "Species facti" vom 27.-28. 8. 1730 (Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 44 ff.) und die Ergänzung dazu (Hinrichs, 8.a.0., S. 55 ff.).
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Eberhard Schmidt
einem Bruder des nach Wes el versetzten von Keith, die Pferde beschafft werden sollten. Friedrich ahnte nicht, daß er von Oberst von Rochow, der sich dabei auf Friedrichs Kammerdiener Gummersbach fest verlassen konnte, auf Schritt und Tritt beobachtet wurde und daß von Rochow die ganze Sache durchschaut hatte. Im Hinblick auf die geradezu bodenlose Unüberlegtheit und phantastische jugendliche Leichtfertigkeit, mit der der 18jährige Kronprinz seinen Fluchtversuch ins Werk setzte, war es geradezu selbstverständlich, daß von Rochow in dem Augenblick, wo Keith am frühesten Morgen des 5. August 1730 mit den Pferden im Lager von Steinfurt erschien, den Kronprinzen stellen und seinen Fluchtversuch vereiteln konnte. Rochow hat den Kronprinzen schonen und dem Könige den Vorfall verschweigen wollen. Aber Keith, der mit solcher Großherzigkeit Rochows nicht rechnen konnte, warf sich am nächsten Tage, einem Sonntag, dem aus der Kirche kommenden König zu Füßen und legte ihm reuevoll ein Geständnis ab. Friedrich Wilhelm mußte mit seinem Eingreifen warten, bis man sich wieder aur preußischem Boden befand. Er erteilte daher nur Rochow eine scharfe Warnung, den Kronprinzen tot oder lebendig nach Wes el zu bringen; im übrigen mußte er die Qual der Staatsvisiten in Mannheim, Darmstadt und Bonn ertragen und seine mit Angst und Sorge gemischte Wut zu bemeistern suchen. Der Kronprinz selbst erkannte erst am 10. August, also 5 Tage nach dem Fluchtversuch, daß der König über alles orientiert seL Er suchte sofort Herr der Situation zu werden, entdeckte sich dem vom König sehr geachteten Gesandten von Seckendorff und bat diesen, für ihn beim Könige einzutreten. Diese Mission hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt, wenn nicht der König noch vor Wesel zweierlei erfahren hätte: einmal, daß Friedrich unterwegs an Leutnant von Katte nach Berlin geschrieben hätte, ferner, daß Leutnant von Keith ausWesel desertiert seLDerKönig war sofort im klaren darüber, daß hier ein Zusammenhang mit Friedrichs Fluchtversuch bestand. Damit aber wurde die Sache für ihn sehr ernst. Er glaubte, vor einer großen Aktion der gegen ihn gerichteten höfischen Oppositionspartei zu stehen; er rechnete mit einem Anschlag gegen sein Leben; er sah, daß die Umtriebe des Kronprinzen die eherne Disziplin seines Offizierskorps zu erschüttern begannen, und fürchtete nunmehr eine katastrophale Wendung für seinen Staat und damit für sein gesamtes Lebenswerk. Hochverrat, Desertion! Diese Bilder erschienen vor seinem geistigen Auge. Er durfte die Sache jetzt nicht nur mit den Augen des vom eigenen Sohn beleidigten Vaters sehen; er hatte als König, als Haupt der Dynastie, als oberster Kriegsherr, als oberster Gerichtsherr sich vor seinen Staat zu stellen. Und so blieb nur eins: kriegsgerichtliche Untersuchung! 11. Faßte man das, was geschehen war, juristisch ins Auge, so lag bei dem aus Wesel entflohenen Leutnant von Keith der Tatbestand der Fahnenflucht klar zu Tage. Beim Kronprinzen sprach das äußere Ver-
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halten für versuchte Fahnenflucht, wobei freilich sehr viel darauf ankam, was Friedrich letzten Endes im Auge hatte, d. h. ob er sich dem Dienste im Heere seines Königs endgültig oder nur vorübergehend entziehen wollte. Friedrich hat seine Verteidigung denn auch sehr geschickt von vornherein darauf abgestellt, daß er nur deswegen ins Ausland habe gehen wollen, um alsbald von dort aus Versöhnungsverhandlungen mit seinem Vater einzuleiten; er habe also nicht desertieren, sondern nur echappieren wollen 7, um dadurch dem Vater das Unhaltbare seiner Lage klar zu machen und ihn zu einer gnädigeren Behandlung zu bestimmen; sobald ihm eine solche würde zugesichert worden sein, wäre er an den Hof und zur Armee zurückgekehrt. Bei Leutnant von Katte trafen mehrere juristische Gesichtspunkte zusammen: einmal die Unterstützung des Kronprinzen bei seinem objektiv als Fahnenflucht erscheinenden Unternehmen, sodann die Unterlassung der Anzeige dieses Vorhabens, endlich eigene Fahnenflucht je nach dem, ob Katte gesonnen war, den Dienst im Heere eigenmächtig endgültig zu verlassen. Freilich bot das Verhalten Kattes insofern eine juristische Schwierigkeit, als er sich tatsächlich von seinem Regiment gar nicht entfernt hatte. Er wurde verhaftet, während er ahnungslos in Berlin seinen Dienst tat, hatte also seinerseits bezüglich des eigenen Entweichens objektiv noch nichts Entscheidendes getan. Für ihn aber wurde entscheidend, daß er in seinem letzten Verhör 8 einräumte: "wenn der Kronprinz würde weg gewesen sein, so hätte er nachgehen wollen und würde ihm gefolgt sein". Dieses in Verbindung mit den ihn stark belastenden vielfältigen Verabredungen mit dem Kronprinzen fiel selbstverständlich zu seinen Ungunsten schwer ins Gewicht. Und es kam nun überdies hinzu, daß der König gerade das Verhalten Kattes zugleich unter dem Gesichtspunkt des sog. Crimen laesae majestatis ansehen zu müssen glaubte'. Das war für den Beschuldigten äußerst gefährlich. Unter den Begriff des Majestätsverbrechens konnte nämlich bei der uferlosen Ausdehnung dieses aus dem Recht der römischen Kaiserzeit stammenden und durch die 7 Vgl. Verhör vom 13.8.1730; Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 30. a Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 109. • Das hat der König in der berühmten KO vom 1. 11. 1730, mit der er über Katte die Todesstrafe verhängte, selbst zum Ausdruck gebracht: Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 137. Zu beachten aber Werner Hülle, Das rechtsge-
schichtliche Erscheinungsbild des preußischen Strafurteils (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N. F. Band 3) 1965, S. 59/60. Er gibt das gegen den Leutnant von Spaen ergangene "Urteil" (S. 58) wieder und stellt dabei fest, daß sich das Urteil über die Rechtsquelle, auf der die wegen "Verhehlung" des kronprinzlichen Planes erkannte Strafe beruht, ausschweigt. W. Hülle sieht sie schon in dem Treueid, den Offiziere dem König zu schwören hatten. Daß aber der König in seinem Todesurteil gegen Katte nicht nur auf den Treueid, sondern - wahrscheinlich der Strafdrohung wegen - auf das Crimen laesae majestatis mit abgestellt hat, übersieht Hülle. - Zum Crimen laesae majestatis vgl. Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der Deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 181 ff. 2 Festschrift für Hellmuth Mayer
Eberhard Schmidt
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Goldene Bulle auf das deutsche Recht übertragenen Deliktstypus jedes Verhalten subsumiert werden, daß sich irgendwie "aus feindseligem Gemüt" wider den Landesherrn und das Vaterland richtete. Sollte aber ein solches Verhalten nicht gegeben sein, wenn ein Offizier vom Regiment Gens d' Armes dem Kronprinzen zu offenem Abfall vom König zu verhelfen trachtete? Für Friedrich Wilhelm kam eine andere Auffassung kaum in Betracht. Welche Strafe aber drohte einem solchen "Verräter"? Die Antwort, die das damalige preußische RechtlO gab, lautete: "und soll solche boshafte Verrähterey durch Viertheilung gestraffet und die Straffe nach Beschaffenheit der Umstände durch Schleiffen (zur Richtstätte) oder Zangen-Reissen noch wohl gar geschärffet und gemehret werden. Es soll auch eines solchen Verrähters Gedächtniß durch Zerbrech- und Zerreissung seiner Ehren-Zeichen, Schleiffung seiner Wohnung, Confiscation der Güther und sonsten ausgerottet werden". Es war klar: für Katte ging es in diesem Prozeß ums Leben. III. In einem kriegsgerichtlichen Prozeß mußte, da die Beschuldigten Offiziere der königlichen Armee waren, über den Vorfall entschieden werden. 1. Die preußische Militärgerichtsorganisation hatte im Jahre 1712 11 ,
also kurz vor der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms I., eine einigermaßen feste und abgeschlossene Gestalt gewonnen. Die Zeiten waren vorbei, wo in jedem Regiment der Oberst, der ja bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts das Regiment auf eigene Kosten aufzustellen und die Offiziere aus eigenem Rechte zu ernennen hatte, aus eigener Kommandogewalt die Gerichtsbarkeit über seine Untergebenen handhabte, die sich im Werbungsvertrage zugleich den Kriegsartikeln und damit zugleich einer strafrechtlichen Aburteilung durch den Obersten oder das in seinem Namen sprechende Regimentsgericht unterwarfen. Die Kriegsartikel hatten im Zuge der großen politischen Wandlungen, die sich in Brandenburg-Preußen seit dem Großen Kurfürsten vollzogen, den Charakter privater Vereinbarungen zwischen dem Regimentsobersten einerseits und den von ihm angeworbenen Offizieren und Mannschaften andererseits verloren. Sie waren staatliches Militärstrafrecht geworden. Und zugleich damit hatte sich das gesamte Militärgerichtswesen geändert. Es war ebenfalls zugleich mit dem ganzen Militärwesen überhaupt verstaatlicht, d. h. angesichts des in voller Entwicklung begriffenen lanVgl. Ostpreußisches Landrecht 1721 Tit. V Art. VI, § 1. Vgl. dazu W. Hüne, a.a.O., S. 54 ff., Hans Schneider, Gerichtsherr und Spruchgericht (Wehrrechtliche Abhandlungen Heft 4) 1937, S. 45 ff. H. Schneider hat die geschichtliche Entwicklung, die zu der Kriegsgerichtsordnung und der Auditeur-Instruktion von 1712 geführt hat, S. 34 ff. eingehend dargestellt; er hat auch in interessanter Weise (S. 30 ff.) auf das Vorbild der schwedischen Militärgerichtsorganisation hingewiesen. 10
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Friedrich der Große als Kronprinz vor dem Kriegsgericht
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desherrlichen Absolutismus unter die gesetzgeberische und vollziehende Gewalt des Staatsoberhauptes, des Landesherrn, geraten l !. Die Regimentsobersten nahmen ihre Stellung im Regiment nicht mehr auf Grund eigenen Rechts, sondern auf Grund einseitiger Ernennung durch den König ein; ihre Gerichtsherrlichkeit war auf den König übergegangen lS • Dieser vereinte in seiner Person nach den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des ausgehenden 17. und ganzen 18. Jahrhunderts die Stellung als Gesetzgeber (auch in allen militärrechtlichen Dingen), als oberster Kriegsherr, als höchster Strafrichter in allen Zivil- und Militärstrafsachen und schließlich auch als oberster militärischer Gerichtsherr. 2. Diese Entwicklung ist ein Zeichen dafür, wie der Absolutismusl 4, der sich seit der Verdrängung der Stände von der politischen Bühne in Brandenburg-Preußen seit dem Ausgang des Dreißigjährigen Krieges entwickelt hat und zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gefestigt dasteht, auf die militärgerichtliche Organisation mit ihren bedeutsamsten Erscheinungen des "Gerichtsherrn" und des "Spruchgerichts"15 umgestaltend hat einwirken müssen. 3. Als absoluter Herrscher und oberster Kriegsherr übt der König selbst und persönlich eine gerichtsherrliche Funktion aus. Und zwar war dies dann erforderlich, wenn sich das Verfahren im Hinblick auf den Rang des Angeklagten oder auch im Hinblick auf die juristische Bedeutung der Sache nicht bloß vor einem unteren Garnison- oder Regimentsgericht, sondern vor einem sog. General- oder Oberkriegsgericht abzuspielen hatte. Im Falle des Kronprinzen trafen beide Gesichtspunkte zusammen: der Kronprinz war Oberstleutnant, also Stabsoffizier, und damit war die Zuständigkeit eines General- oder Oberkriegsgerichts für ihn gegeben; außerdem aber konnte, wie wir sahen, jedenfalls die Tat des Leutnants von Katte als crimen laesae majestatis bewertet werden, weswegen wiederum, und zwar auch ohne Rücksicht auf den militärischen Rang des Angeklagten, nur ein General- oder Ober kriegsgericht in der Sache urteilen durfte. In diesem Falle aber hatte der oberste Kriegsherr selbst die gerichtsherrliche Funktion zu übernehmen. Er hatte also einen Untersuchungsführer oder auch eine VgI. Hans Schneider, a.a.O., S. 21 ff., 34 ff. Treffend Hans Schneider, a.a.O., S. 48: "Nur für den König trifft, streng genommen, die Bezeichnung «Gerichtsherr» zu. Für den König war die Gerichtsherrlichkeit über die Armee ein wesentliches Kennzeichen seiner Souveränität. Treffend sprach daher die Präambel der KGO davon, daß "die Militärjurisdiction schlechterding von dem jure armorum suprematus und majestatis dependiret. .. U Dazu Hinrichs, Preußen, S. 15 ff., insbes. S. 40 ff., 185 ff. Zum Einfluß des Absolutismus auf das Wesen der Strafrechtspflege, insbes. des Inquisitionsprozesses, vgl. Eb. Schmidt, Einführung 3. Aufl. 1965, S. 195 ff., 198 ff. 15 Richtigerweise sind es diese Erscheinungen, die Hans Schneider zum Gegenstand seiner Untersuchung (oben Anmerkung 11) gemacht hat. 11
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Untersuchungskommission mit der Durchführung der Ermittlungen zu beauftragen, hatte den Gang dieser Ermittlungen ständig zu überwachen und hatte schließlich das Kriegsgericht selbst zu berufen, das dann freilich unabhängig von ihm und ohne seine persönliche Mitwirkung das Urteil in der Sache zu finden hatte. Aber jedes Einflusses auf die Entscheidung war nach damaligem Rechte der königliche Gerichtsherr nicht beraubt. Friedrich Wilhelm I. war als Landesherr eben nicht nur Gerichtsherr mit den soeben geschilderten Funktionen, er war als absoluter Monarch zugleich oberster Strafrichter sowohl in Zivil- wie in Militärstrafsachen. Und diese oberste strafrichterliche Funktion wurde im Wege des sog. "Bestätigungsrechts"le ausgeübt. D. h.: in allen Sachen von Bedeutung - und dazu gehörten ohne Zweifel alle von einem General- oder Oberkriegsgericht abzuurteilenden Sachen, zumal wenn dabei der Gesichtspunkt des Hochverrats, des crimen laesae majestatis, in Betracht zu ziehen war in allen solchen Sachen also mußte das Erkenntnis des Spruchgerichts dem Landesherrn zur sog. "Bestätigung" vorgelegt werden17 • Der Landesherr hatte nun mit eigener richterlicher Verantwortung das Urteil zu überprüfen. Er konnte es mildern, er konnte auch völlig Gnade walten lassen, er konnte es aber auch verschärfen. Sein Richterspruch trat in jedem Falle einer Änderung an die Stelle des gerichtlichen Erkenntnisses, so daß man geradezu sagen kann, daß das Gerichtsurteil gewissermaßen nur eine Vorbereitung für das die Sache erst endgültig erledigende richterliche Erkenntnis des Königs als obersten Strafrichters selbst gewesen ist. Wir werden sehen, wie dies für Herrn von Katte das Verhängnis bedeutete. 18 über die Entwicklung des Bestätigungsrechts, die in das 16. Jahrhundert zurückgeht, vgl. Eb. Schmidt, Einführung 3. Aufi., S. 179ff., ferner Eb. Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche der preußischen Könige des 18. Jahrhunderts (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, 95. Bd., 1943, 3. Heft), S. 12 U., sowie Heidelberger Jahrbücher VI, 1962, S. 95 ff. Nicht zutreffend Hans Schneider, S. 35 und S. 47, wonach das während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Militärstrafprozeß durchgesetzte Bestätigungsrecht "dann auch auf das allgemeine Strafverfahren übergegriffen" habe; dagegen Eb. Schmidt, Rechtssprüche und Machtsprüche, S. 13. 17 In welchen Fällen der König von seinem Bestätigungsrecht hat Gebrauch machen wollen, ist eindeutig kaum zu bestimmen, zwnal vielfacher historischer Wechsel hier nicht übersehen werden darf. Hans Schneider, S. 47, stellt für das Militärstrafverfahren fest, daß nach der Instruction vom 22. 4. 1726 in den von den Regiments- oder Garnisongerichten erledigten Sachen das Bestätigungsrecht auf die Regiments- bzw. Garnisonkommandeure übertragen worden sei, daß sich also der König das Bestätigungsrecht für alle sonstigen Fälle vorbehalten habe. Das konnte der König natürlich jederzeit ändern. Auch im Zivilstrafverfahren hat der König das Bestätigungsrecht nicht in allen Fällen, sondern nur in schwerwiegenden Fällen ausgeübt. Friedrich der Große hat aber dann von seinem Bestätigungsrecht, d. h. also von seiner höchstrichterlichen Funktion in Strafsachen sehr weitgehenden Gebrauch gemacht. Vgl. Eb. Schmidt, Einführung 3. Aufi., S. 248.
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C. I. Der Prozeß von 1730 hat sich streng nach den prozeßrechtlichen Regeln abgespielt, die in der Kriegsgerichtsordnung und in der Auditeurordnung von 1712 aufgestellt waren. 1. Der militärgerichtliche Prozeß ist genau wie der zivilgerichtliche Strafprozeß ein Inquisitionsprozeß im Sinne der auf der Carolina beruhenden gemeinrechtlichen Rechtsentwicklung gewesen. Der ganze Schwerpunkt hat also auf den vom König angeordneten Ermittlungen geruht. In zahlreichen Verhören galt es, den Sachverhalt aufzuklären. Der König hat diese Ermittlungen einer Untersuchungskommission übertragen, deren hervorragendstes Mitglied der Generalauditeur Mylius18 gewesen ist. In die Methoden dieses Ermittlungsverfahrens lassen uns die von Carl Hinrichs mitgeteilten Verhöre der Beschuldigten und die vielfachen Anweisungen, die Friedrich Wilhelm bezüglich der den Beschuldigten, insbesondere dem Kronprinzen, vorzulegenden Fragen und Vorhalte erteilt hat, einen sehr interessanten Einblick tun. Wir sehen dabei, daß die Verhöre sich in verschiedener Weise abgespielt haben. Bei den wichtigsten, bei denen es sich darum handelte, daß die vom König persönlich formulierten Fragen aufs Genaueste zu beantworten gewesen sind, begegnet uns die im gemeinrechtlichen Prozeß für die Spezialinquisition entwickelte Form der "artikulierten Verhöre"18. Die Protokolle verzeichnen genau die an den Beschuldigten gerichteten Fragen und die von ihm darauf erteilten Antworten1o• Aber daneben finden sich, insbesondere bei Zeugenvernehmungen, Protokolle, denen eine freie Erzählung des Verhörten zu entnehmen ist21 • Der Beschuldigte von Katte hat in einer sehr ausführlichen "Species facti" eine eigenhändig ausgearbeitete und niedergeschriebene Darstellung der mit der Vorbereitung und Durchführung des Fluchtplans zusammenhängenden Geschehnisse zu den Akten eingereicht2!, die für das Gericht ohne weiteres als Beweisgrundlage mit hat verwertet werden können.
18 W. Hülle, a.a.O., S. 58 nennt Mylius "den preußischen Schönfelder", ganz mit Recht; denn Mylius hat die großen Sammlungen brandenburg-preußischer Gesetze, Verordnungen, Reskripte etc. geschaffen (Corpus Constitutionum Marchicarum; Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium praecipue Marchicarum), die noch heute für die rechtsgeschichtliche Forschung unentbehrlich sind. - Friedrich der Große hat später zu Mylius in gespanntem Verhältnis gestanden, das zu mehrfachen Verwarnungen, schließlich aber zur Entlassung geführt hat: Hans Schneider, a.a.O., S. 51, Anm. 19. lU über ihre allgemeine Bedeutung Eb. Schmidt, Einführung 3. Aufl., S. 197. fO Beispiele für artikulierte Verhöre: Verhör des Kammerdieners Gummersbach (Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 77), vor allem das Verhör des Kronprinzen (Hinrichs, a.a.O., S. 90--106). 11 So das Verhör des Rittmeisters von Katte als Zeugen (Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 82 ff.) und des Obristleutnants von Rochow als Zeugen (ebenda S. 74 ff.). 2! Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 44--55; dazu Ergänzung S. 55-66.
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Freilich ist von Katte dann auch verhört worden, ob ad articulos oder in freierer Weise, ergibt sich aus Hinrichs Publikation nicht. 2. Während des Ermittlungsverfahrens ist der König von den Ergebnissen der Verhöre ständig unterrichtet worden. übrigens hat er im Anfang des Verfahrens den Verhören mehrfach beigewohnt2s • Die laufende Unterrichtung hat es dem König ermöglicht, den Verhörspers0nen für die von ihm für notwendig erachteten weiteren Verhöre genaue Anweisungen in Gestalt von persönlich formulierten Einzelfragen zu erteilen24 • Auch ist es Sache des Königs gewesen zu entscheiden, ob die durchgeführten Ermittlungen die zur Urteilsfindung erforderliche vollständige Aufklärung des Sachverhalts ergeben haben. 3. Sobald der König sich von der Entscheidungsreüe der Sache überzeugt hatte, hat er durch Kabinettsordre an den Generalleutnant von der Schulenburg vom 22. Oktober 173025 den Zusammentritt des Kriegsgerichts befohlen. Wie schon oben erwähnt, hat ein General- oder Oberkriegsgericht gebildet werden müssen, dessen persönliche Zusammensetzung der König bestimmte. Es bestand aus vier Offiziersgruppen (4 Generäle, 4 Obristen, 4 Majore, 4 Capitäne) unter dem Vorsitz des Generalleutnants von der Schulenburg. Eine Hauptverhandlung hat vor diesem Kriegsgericht nicht stattgefunden. Die Beschuldigten und Zeugen sind vor dem Kriegsgericht nicht erschienen2G • Auch fehlt es an einer Anklageschrift, mit der die Sache vor das Gericht gebracht worden wäre. Dem Gericht wurden lediglich die Akten zugeleitet. Der Generalauditeur Mylius, dem die KO vom 22. Oktober 1730 befohlen hatte, "dabei zu sein"17, hatte die Verlesung der Akten durchzuführen und etwa gewünschte Erläuterungen (namentlich in juristischer Beziehung) zu geben. Richterliche Funktionen haben dem Generalauditeur nicht zugestanden. Die Tatsache der Aktenverlesung wurde im Protokoll des Kriegsgerichts festgehalten;
I'
VgI. das erste Verhör des Kronprinzen vom 12. 8. 1730, das S. K. M. "selbst gehalten"; ferner das Verhör des Leutnants von Katte vom 27. 8. 1730 ,Jn höchster Gegenwart S. K. M. ". I, Beispiele: Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 80 ft., 85 ft. Der König sah die ganze Angelegenheit nicht nur unter strafrechtlichen, sondern namentlich bzgI. des Kronprinzen unter politischen Gesichtspunkten, wobei die Frage der Thronfolge für ihn besonders bedeutsam war. Aus diesem Gesichtswinkel formulierte er denn auch, wie der Text weiter unten zeigen wird, die Fragen, die er beantwortet wissen wollte. 11 Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 116. JI Es ist mindestens mißverständlich, wenn Hans Schneider, a.a.O., S. 43/44, von einer "Hauptverhandlung" unter dem Vorsitz eines Offiziers spricht. Auch bei W. Hillle, S. 58, findet sich diese Ungenauigkeit 17 In der KO vom 22. 10. 1730 befahl der König, daß außer Mylius auch der Geheime Rat Gerbet "dabei sein" solle. In Gerbet dürfte es sich um den Generalftskal Gerbet gehandelt haben, der keine ruhmvolle Rolle in der preußischen Justizgeschichte gespielt hat und schließlich wenig ehrenvoll entlassen wurde. VgI. Eb. Schmidt, Fiskalat und Strafprozeß, 1921, S. 107 ff.
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sie nahm 2 Tage (25. und 26. Oktober 1730) in Anspruch28 • Dann hatten die vier Offiziersgruppen auf Grund getrennter Beratung in getrennten Voten ihre Stellungnahmen darzulegen und dabei ihren Urteilsvorschlag bezüglich aller Beschuldigten zu begründen28 • Der Präsident von der Schulenburg hatte ein eigenes Votum abzustatten, das sehr knapp gehalten war, aber ebenfalls dem Könige Ureilsvorschläge unterbreitete. Die Voten der vier Offiziersgruppen und des Präsidenten wurden vom Generalauditeur Mylius zu "Sententien" ausgearbeitet3D • Während in anderen kriegsgerichtlichen Verfahren diese Sententien mit einem Immediatbericht des Generalauditeurs an den König geleitet wurdenIl, hat im Prozeß gegen den Kronprinzen der Präsident des Kriegsgerichts selbst mit Immediatbericht vom 29. Oktober 1730 "die vom versammelten Kriegsgericht gegebene vota und daraus abgefaßte Sententien" dem König übersandt3!. Damit erhielt der König Gelegenheit, von seinem "Bestätigungsrecht" Gebrauch zu machen. 11. Wie sich in den Verhören die Einzelheiten des inkriminierten Verhaltens der Beschuldigten allmählich herausgeschält haben, kann hier nicht dargestellt werden. Aber im Hinblick auf das, was wir eingangs über die hochpolitische Bedeutung des Kronprinzenprozesses dargelegt haben, sei auf zwei Momente hingewiesen, weil sie für das Verhältnis des Königs und des Kronprinzen untereinander von größter Bedeutung sind: 1. Wenn wir die dürre Aktensprache in der Hinrichsschen Publikation auf uns wirken lassen, so können wir an manchen Stellen dieser nüchternen, im häßlichsten Aktenstil verfaßten Protokolle doch deutlich wahrnehmen, wie sich menschliche Töne hervordrängen. Der König hat nämlich der Untersuchungskommission mehrfach Fragen geradezu aufgezwungen, die ganz deutlich die geheime Angst vernehmen lassen, daß seinen, des Königs und Vaters, Erziehungsfehlern ein gutes Teil der Schuld an den schlimmen Geschehnissen zufallen könnte, Fragen, die nichts anderes bezwecken, als den beschuldigten Kronprinzen zu entlastenden Aussagen zu Gunsten des Vaters und Erziehers zu veranlassen. So zum Beispiel33 : HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 117. Wiedergabe der Voten bei HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 117-130. ao HinTichs, Kronprinzenprozeß, hat die Sententien nicht mit abgedruckt, weil für seine Publikationszwecke die Voten genügten. Vgl. S. 193 "zu Seite 131 Anm. 1". W. Hiille, a.a.O., S. 58/59, druckt die gegen den Leutnant von Spaen ergangene Sentenz ab. Danneil hatte 1861 die Protokolle und Sen18 28
tenzen publiziert. Das Werk von Danneil habe ich nicht benutzen können.
HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 20, bezeichnet seine Aktenpublikation "als
erstmalige Veröffentlichung der Untersuchungs- und Kriegsgerichtsakten gegen Kronprinz Friedrich und Katte". Si Vgl. Hans SchneideT, a.a.O., S. 51. 8! HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 131. SI HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 80, und vor allem S. 85.
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"Es ließe der König ihn fragen, ob nicht seine (d. h. des Kronprinzen) schlimme conduite schuld, daß der König ihm ungnädig sei wegen seines Ungehorsams, ob nicht der König ihm, dem Kronprinz, lOOOmal gesagt, er solle sich bessern ... ob der König ihm nicht alles fürgestellt habe, Himmel und Hölle, in Gegenwart vieler, so der König zum Zeugen, ja der König habe Gott zum Zeugen." Oder in einem anderen Verhör: "ob nicht der König als Vater ihn ermahnt hätten und ihm nichts gesaget als zu seinem besten? - Ob nicht der König in seiner (des Kronpr.) Jugend alles getan hätte, sein Gemüt zu gewinnen? Ob der König darin habe reussieren können? - Ob nicht der König auf alle Art das Vertrauen des Prinzen, ja sozusagen dessen Gnade gesuchet hätte, da viel mehr der Prinz des Königs Gnade hätte suchen sollen?" Ist es nicht völlig deutlich, welche Motive den König bestimmt haben, alle diese Fragen an den Prinzen stellen zu lassen? Daß diese Fragen die für die Entstehung des Mißverhältnisses entscheidenden Punkte umgehen - nämlich die verständnislose Art, mit der Friedrich Wilhelm auf alle vermeintlichen Verstocktheiten, Bosheiten und Entartungserscheinungen bei dem nach liebevoller und verständnisvoller Entwicklung seiner reichen und drängenden inneren Anlagen verlangenden Sohne reagiert hat, die unerhört grausamen und entehrenden Schmähungen und Züchtigungen in Gegenwart Dritter -, das läßt die Stellung dieser Fragen fast nur noch erschütternder erscheinen. Im Verhältnis des Königs zum Kronprinzen spielte aber neben der väterlichen Angst und Sorge noch ein anderes wichtiges Moment eine Rolle. Der König war, gerade weil er die letzten und entscheidenden Motive des Kronprinzen zu erfühlen, geschweige denn zu verstehen gar nicht in der Lage war, begreiflicherweise an der Eignung Friedrichs für die Thronfolge irre geworden. Daß Friedrich nicht hingerichtet werden könnte, war ihm natürlich klar. Aber der Ausschluß von der Thronfolge ist ihm doch sehr ernstlich durch den Kopf gegangen34• Sollte es da nicht richtig sein, den Kronprinzen in den ohnehin zermürbenden Verhören für alle Fälle dahin zu dirigieren, daß er von sich aus auf die Thronfolge verzichtet? Da der König den Kronprinzen im Hinblick auf die reichsrechtlichen Bestimmungen der Goldenen Bulle, die das Thronfolgerecht in den Kurländern bindend regelten, nicht einseitig von sich aus von der Thronfolge ausschließen konnte, da außerdem in jedem Fall eine etwaige Änderung der Thronfolge von der Zustimmung des Reiches abhängig war, so mußte Friedrich Wilhelm sich sagen, daß die beim Reich etwa einzuleitenden Schritte durch eine Verzichtserklärung des Kronprinzen selber sehr erleichtert werden würden35 • Der König selbst konnte sich ja noch immer alle Schritte vorbehalten; er hatte ja 3' Walther Hubatsch (oben Anm. 5), S. 170. 35 Vgl. zu diesem Problem Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk,
1916, S. 312.
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die Möglichkeit, die Verzichtserklärung unbenutzt zu lassen, wenn das weitere Verhalten des Kronprinzen dies richtig erscheinen ließ. Aber eine vom Kronprinzen zu richterlichem Protokoll gegebene Erklärung des Thronverzichts hätte jedenfalls für den König eine wichtige Waffe für die Zukunft gegen alle politischen Widersacher, vor allem natürlich auch gegen den Kronprinzen, abgegeben. So erklärt sich, daß das große Verhör des Kronprinzen vom 16. September 173030 damit abschließt, daß, wie es im Protokoll ausdrücklich heißt, "auf Sr. Königl. Maj. Spezial-Befehl die von Sr. Maj. mit folgenden Worten vorgeschriebenen Fragen dem Kronprinzen vorgehalten" seien: "Was er meritiere und für eine Strafe gewärtig sei?" "Was ein Mensch, der seine Ehre bricht und zur Desertion complot macht, was der meritiert?" "Ob er meritiere, seine Tage mehr mit ehrlichen Leuten umzugehen?" "Ob er sein Leben wolle geschenket haben oder nicht?" "Ob er meritiere Landesherr zu werden?" Und schließlich das Letzte und Äußerste: "Dieweil er sich der Succession unfähig gemacht hätte durch Brechung seiner Ehre (sein Leben zu behalten), ob er wolle die Succession abtreten und renuncieren, daß es vom ganzen Römischen Reiche confirmiert werde, um sein Leben zu behalten?" I 2. Wie hat sich der Kronprinz - und damit komme ich zu dem zweiten entscheidenden Punkte - der ganzen Untersuchung gegenüber, insbesondere aber den sein Verhältnis zum Vater und seine Stellung als Thronfolger betreffenden Fragen gegenüber verhalten? So viel jugendliche Unbesonnenheit, Romantik und Kopflosigkeit aus dem Fluchtplan und der ungeschickten Art seiner Durchführung sprach, im Verfahren hat der 18jährige Kronprinz eine Denkklarheit, Besonnenheit, Geistesgegenwart und Willensfähigkeit an den Tag gelegt, die schlechthin erstaunlich ist und den gewaltigen Geist ahnen läßt, der sich in diesem jungen Kopf zu entfalten begann37 • Was ihn später in der Politik auszeichnete: die zähe Beharrlichkeit des Willens, die nur aus ungewöhnlicher Klugheit und Verstandesklarheit erklärbare, ganz scharfe Erfassung eines bestimmten politischen Zieles sowie die treffsichere Art in der Auswahl des zu seiner Erreichung richtigen Mittels - das alles können wir schon im Prozeß beobachten. Der Kronprinz sah ganz klar, in welche Gefahr er sich gebracht hatte. Der Verlust der Thronfolge stand drohend vor ihm. Dazu ging ihm das Schicksal seiner Gefährten, namentlich Kattes, persönlich sehr nahe. Er konnte sich und Katte nur retten, wenn er alles vermied, was den 38 37
Hinrichs, Kronprinzenprozeß, So auch Otto Hintze, a.a.O.
S. 90 ff.
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Zorn des zu allem fähigen Vaters steigern konnte. So bekundete er in allen Verhören äußerste Unterwerfungsbereitschaft, erging sich in immer erneuten Beteuerungen seiner Schuld, erbat auf den verschiedensten Wegen die Gnade des Vaters, aber er erklärte nichts, was ihn recht eigentlich hätte belasten können; die Absicht, endgültig und für immer sich dem Heeresdienst zu entziehen, gestand er nicht ein; aus der Desertion suchte er eine relativ harmlose Echappade zu machen. Vor allem aber: die peinlichen Fragen bezüglich seiner Thronfolgewürdigkeit fing dieser junge Mensch nach einem stundenlangen Verhör mit einer Geschicklichkeit und einer auf die väterliche Psyche abgestellten Treffsicherheit ab, daß er sich nicht im geringsten etwas vergab, dem Vater die ganze Verantwortung zuschob und ihn in eine Zwickmühle zwischen den Gefühlen als Vater und als Throninhaber hineindirigierte, die dem König jeden für den Kronprinzen nachteiligen Schritt eigentlich von vornherein unmöglich machte. Und so führte das Verhör vom 16. September 1730 zu folgenden diplomatischen Äußerungen des Kronprinzen: "Was er meritiere und für eine Strafe gewärtig sei?" R: Er unterwerfe sich des Königs Gnade und Wille. "Was ein Mensch, der seine Ehre bricht und zur Desertion complot macht, was der meritiert?" R: Er habe seine Ehre nicht gebrochen, nach seiner Meinung. "Ob er meritiere, seine Tage mehr mit ehrlichen Leuten umzugehen?" R: Was er getan, sei ihm sehr leid, aber auf solche Art habe er die Sache nicht angesehen. "Ob eT meritieTe LandesheTT zu weTden?" R: Er könne sein Richter nicht sein. "Ob er sein Leben wolle geschenket haben oder nicht?" R: Er submittiere sich des Königs Gnade und Wille. "Dieweil er sich der Succession unfähig gemacht hätte durch Brechung seiner Ehre (sein Leben zu behalten), ob er wolle die Succession abtreten und renuneieren, daß es vom ganzen Röm. Reiche confirmieret werde, um sein Leben zu behalten?" R: Sein Leben wäre ihm so lieb nicht, aber Se. Königl. Maj. würden so sehr ungnädig nicht auf ihn werden." Und aus dieser Haltung heraus erklärt sich auch der Zusatz, der sich am Schluß des Protokolls befindet: "Nach geendigtem heutigen examine hat der Kronprinz verlanget, noch ad protocollum zu nehmen, daß er wohl erkenne, ganz und gar und in allen Stücken unrecht zu haben, am meisten beklage er, daß
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Seine König!. Maj. chagrin darum hätten, bäthe dieselbe aber zu glauben, daß seine Intention niemals criminal gewesen, noch er gesuchet, Sr. König!. Maj. das geringste zu leide zu tun, er submittiere sich in allem des Königs Willen und Gnade, Sr. Maj. möchte es mit ihm machen, wie Sie es gut befinden würden, und bäthe dieselbe um Vergebung. " IH. Endlich der Abschluß des Prozesses. Das Kriegsgericht unter dem Vorsitz des Generalleutnants von der Schulenburg stand namentlich bezüglich des Kronprinzen einer schwierigen Situation gegenüber. Klug und taktvoll, letzten Endes auch juristisch richtig hat es hinsichtlich des Kronprinzen seine Zuständigkeit zur Aburteilung verneint. Die drei Capitäne hatten dabei in ihrem votum gerade auf die die Gnade des Königs und das Thronfolgerecht des Kronprinzen betreffenden Fragen jenes Protokolls hingewiesen und aus deren offensichtlich dynastischpolitischem Charakter gefolgert, es stehe ihnen nicht zu, "nach Beschaffenheit dieser Sache nur als Vasallen und Untertanen über unseres Königs Sohn und Familie zu sprechen, noch können wir dafür halten, daß dieses von einem Kriegsrecht (Kriegsgericht) abzumachen". Das entsprach der allgemeinen Meinung innerhalb des Gerichts. über von Katte und von Keith aber mußte geurteilt werden. Von Keith wurde allenthalben der vollendeten Desertion schuldig gesprochen; er sei "nach Kriegmanier zu citieren, und wann er nicht erscheinet, der Degen zu zerbrechen und sein Bildnis an Galgen zu hangen". Über Katte waren die Meinungen geteilt. Die eine Hälfte der Offiziersgruppen war für Todesstrafe, die andere für ewiges Gefängnis. Von der Schulenburg suchte von Katte zu retten, indem er sich mit seiner ausschlaggebenden Stimme dem letzten Votum anschloß. Das Gesamturteil lautete demgemäß auf ewigen Festungsarrest. Ein von Katte abgefaßtes, sehr reuevolles Gnadengesuches fügte von der Schulenburg bei Übersendung der Akten dem Urteil bei. Nunmehr hatte der König kraft seines Bestätigungsrechts zu sprechen. Was wird er tun? Die Unzuständigkeitserklärung hinsichtlich des Kronprinzen mochte dem König, dem inzwischen sein allzu weit getriebener Argwohn angesichts des Untersuchungsergebnisses doch stark zusammengeschrumpft war, als eine Erlösung erscheinen; er hat sie nicht beanstandet, sondern hat sie hingenommen und war damit zugleich seines eigenen Strafrichteramtes dem Sohne gegenüber enthoben. Die Angelegenheit des Kronprinzen konnte also durch Maßnahmen erledigt werden, die der König als Oberhaupt der Dynastie zu ergreüen hatte. Im Widerstreit seiner Gefühle wird das der König als starke Entlastung emp18
HinTichs, Kronprinzenprozeß, S. 132/33.
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funden haben. Erst recht war zur Verurteilung des entflohenen Leutnants Keith nichts zu bemerken. Aber diese Verurteilung, die ja nur in effigie vollstreckt werden konnte, genügte dem König für die Gesamterledigung des Falles nicht. Des Gedankens an das Crimen laesae majestatis konnte sich der König gerade Katte gegenüber nicht entschlagen. Katte mußte sterben, das stand ihm fest. Und doch zögerte er, in Ausübung seines oberstrichterlichen Amtes selbst das Todesurteil zu fällen. Er wünschte sehr, daß das Kriegsgericht ihm diese Verantwortung abnahm. So schickte er diesem die Akten kurzer Hand zurück mit einer in seiner ungelenken Schrift und unmöglichen Orthographie abgefaßten kurzen Randbemerkung: "sie sollen recht sprechen und nit mit den Flederwisch vorüber gehn da es Katte also wohll getahn soll das Krichgerich wieder zusammenkommen und ein anderes sprechen. F. W."". Obwohl das Wort "Todesurteil" nicht gefallen, waren sich die Offiziersrichter in keinem Augenblick im Unklaren, was diese Randbemerkung bezweckte. Aber das Kriegsgericht blieb fest. Die an den König zurückgehenden Akten enthielten nicht das gewünschte Todesurteil gegen Katte, sondern nur die standhafte Erklärung, daß das Urteil gegen Katte "nach denen Rechts-Regeln und Kriegs-Gebrauch bei obiger Bewandnis auf ewigen Festungsarrest abgefasset werden müsse"40. So mußte sich der König selbst zum Richter über Kattes Leben machen. Er tat es in der berühmten KO vom 1. Novembere 173041 • In ihr schwingt der ganze tödliche Ernst der preußischen Staatsidee und mit ihr ein unheimlicher Rechtsrigorismus mit, der Kants auf den kategorischen Imperativ gegründete Rechts- und Strafauffassung vorweg zu nehmen scheint. Die KO lautet folgendermaßen: "S. K. M. in Preußen Unser allergnädigster Herr, haben das Deroselben eingesandte Kriegsrecht durchgelesen, und seind mit demselben in allen Stücken sehr wohl zufrieden ... Wegen des Lieut. Keith confirmieren Seine König!. Maj. . .. den Spruch des Kriegesrechtes, was aber den Lieutnant Katten und deßen Verbrechen auch die von dem Kriegsrecht deshalb gefällte Sentenz anbelangt, so sind Seine König!. Maj. zwar nicht gewohnet, die Kriegsrechte zu schärfen, sondern vielmehr, wo es möglich, zu mindern. Dieser Katte aber ist nicht nur in Meinem Dienst Offizier bei der Armee, sondern auch bei der Guarde Gens d'armes. Und da bei der ganzen Armee alle meine Offiziere Mir getreu und hold sein müßen, so Kronprinzenprozeß, S. 132. Kronprinzenprozeß, S. 133-135. Auch hier ist die Stellungnahme des Kriegsgerichtes mit einem Immediatbericht des Präsidenten dem König zugeleitet worden. U Hinrichs, Kronprinzenprozeß, S. 135--137. a. Hinrichs, 40 Hinrichs,
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muß solches um so viel mehr geschehen von den Offiziers von solchen Regimentern, indem bei solchen ein großer Unterschied ist, denn Sie immediatement an Sr. K. M. allerhöchsten Person und dero Königl. Hause attachiert sein, Schaden und Nachteil zu verhüten, vermöge seines Eides. Da aber dieser Katte mit der künftigen Sonne tramiret zur Desertion, mit fremden Ministern und Gesandten allemal durch einander gesteckt, und er nicht davor gesetzet worden, mit dem Kronprinzen zu complottiern, au contrair es Sr. Königl. Maj. und Dero Generalfeldmarschall von Natzmer hätte angeben sollen: So wissen S. K. M. nicht, was vor kahle Raisons das Krieges-Recht genommen und Ihm das Leben nicht abgesprochen hätten. S. K. M. werden auf die Art sich auf keinen Offfizier noch Diener, die in Eid und Pflicht sein, sich verlassen können, denn solche Sachen, die einmal in der Welt geschehen sind, öfters geschehen können, es würden aber alsdann alle Thäter den Praetext nehmen, wie es Katten wäre ergangen, und weil der so leicht und gut durchgekommen wäre, ihnen dergleichen geschehen müßte. S. K. M. seind in Dero Jugend auch die Schule durchlaufen und haben das Lateinische Sprichwort gelernet fiat justitia et pereat mundus. Also wollen Sie hiermit und zwar von Rechts wegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen crimen laesae Majestatis mit glüenden Zangen gerißen und aufgehänget zu werden, Er dennoch nu,r, in Consideration seiner Familie, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht werden soll. Wann das Krieges-Recht dem Katten die Sentenz publizieret, soll Ihm gesagt werden, daß S. K. M. es leid thäte, es wäre aber beßer, daß er stürbe als daß die Justiz aus der Welt käme." So mußte Katte das Opfer seines Lebens bringen.
D. Der dramatisch-blutige Abschluß der tragischen Ereignisse, wie er sich unter den Fenstern des Kronprinzen auf dem Wall von Küstrin vollzog, ist hier nicht zu schildern. Anknüpfend an das in der Einleitung gesagte wollen wir die Frage stellen: Was hat das Erlebnis des Prozesses für die Persönlichkeitsentwicklung des Kronprinzen bedeutet? Der tiefste Anlaß zu den Spannungen, die sich in dem Prozeß entladen haben, ist die Gegensätzlichkeit gewesen, in der die Naturen, die geistigen Anlagen, die weltanschaulichen Einstellungen des Königs und des Kronprinzen zueinander gestanden haben und in der täglichen Berührung am Hof aufeinander haben prallen müssen. Friedrich Wilhelm hatte der geistigen Welt, die sich in der frühen Aufklärung entfaltete, mit ihrer Diesseitsbejahung, ihrer Liebe zu Kunst und Musik, ihrer Freude an geschmackvoller Betätigung des Geistes und ihrem immer
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kritischer werdenden Rationalismus - er hatte dieser Welt den Zugang zu seinem Hof und zu seinem eigenen Ich verschlossen, weil er aus dem am üppigen Hofe seines Vaters gemachten Erfahrungen wußte, wie sehr die Pflege dieser Welt der Schönheit, der Geistigkeit, der westeuropäischen Kultur den Staat, und ganz besonders diesen künstlich entstandenen, des eigenen natürlichen Reichtums noch so ganz entbehrenden preußischen Staat in die Gefahr außenpolitischer Abhängigkeit zu bringen vermochte. So verschrieb er sich und seinen Staat mit rücksichtsloser Einseitigkeit ganz und gar dem nüchternen, zweckgerichteten Wirtschaften und Arbeiten. Nichts fand Anerkennung, was nicht der Armee und der staatlichen Verwaltung und Wirtschaft zu Nutze war. Mit ungeheurer Energie ließ Friedrich Wilhelm nach diesen Gesichtspunkten seinen Willen in allen Zweigen des Staates wirksam werden, weil er wohl wußte, wie sehr die Existenz und die Weiterentwicklung seines staatlichen Lebenswerkes von der unermüdlichen und nie erlahmenden, durchgreifenden Betätigung seines Herrscherwillens abhängig waren. Und dieses alles gründete sich auf jene ernste religiöse Haltung, die in ihrer hausbackenen Nüchternheit und ihrer absoluten Sittenstrenge mit der Furcht vor einem ganz persönlich gedachten Gott die Furcht und den Abscheu vor einem nicht weniger persönlich gedachten Satan verband, der in Komödien, Opern, Balletts, Maskeraden und Redouten sein Wesen treibt und die Menschen verwirrt'!. Mit dieser Einstellung zur Welt mußte der Kronprinz früher oder später in Konflikt geraten. Die Natur hatte ihm die Möglichkeit zu einer solch starren Einseitigkeit, wie sie des Vaters Wesen beherrschte, versagt; sein Geist erwachte früh zu einem sehr beweglichen, sehr kritischen Denken; der Rationalismus der westeuropäischen, aufklärerischen Geistigkeit war sein Element, bot seinem hungrigen Geist die Nahrung, die er brauchte und suchte; ein starkes Bedürfnis nach Schönheit und Anmut lockte zu allen schönen Künsten und zu den Wissenschaften, denen seine Begabung sich gewachsen und doch auch verpflichtet fühlte. Die Erziehungsfehler, die der Vater mit dem brüsken Verbot jeder in diese Richtung weisenden Betätigung machte, mußten die Werte dieser verbotenen Welt nur noch heller erstrahlen, noch begehrenswerter erscheinen lassen, brachten aber auch die staatlichen und sittlichen Werte, die der Vater repräsentierte und dem Sohne vorlebte, in die große Gefahr, beim Sohne nur noch auf spöttische Verachtung zu stoßen. Das war der Gegensatz der Einstellungen, Haltungen und Kräfte, die in der Katastrophe von 1730 aufeinander prallten. CI Hinrichs, Preußen als historisches Problem, S. 40 ff., 185 H. Eb. Schmidt, Recht und Staat in Theorie und Praxis Friedrichs des Großen (oben Anm. 1), Seite 6.
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Das Bedeutungsvolle dieser Katastrophe für die weitere Entwicklung des preußischen Staates ist m. E. darin zu sehen, daß Friedrich diese Gegensätze nicht als ein Entweder-Oder angesehen, sich also nicht veranlaßt gefühlt hat, zwischen der Art seines Vaters und seiner eigenen Art, d. h. also zwischen Staatsräson und Aufklärungsideal zu wählen. Friedrich hat Größeres zu leisten vermocht. Dem inneren Gesetze seines eigenen Selbst ist er nicht untreu geworden. Aber er hat die geistige und zugleich die sittliche Kraft aufgebracht, die scheinbar unlösbaren Gegensätze in einer höheren Synthese zu vereinen43 • Den sittlichen Ernst der väterlichen Staatsidee hat er in williger Unterwerfung unter die eigene Lebensgesetzlichkeit des vom Vater geschaffenen staatlichen Werkes anerkannt und in sich aufgenommen, aber er hat zugleich die väterliche Staatsidee mit dem ganzen Reichtum seiner Person und den ihm selbst heiligen Werten aus dem Bereich des GeistigKulturellen zu verbinden gewußt. Das humanitäre Aufklärungsideal, auf das die geistige Elite seiner Zeit ausgerichtet war, und das er selbst aus tiefstem Herzen bejahte, wagte er mit der Staatsraison zusammenzufügen". Daß dies nicht ohne Schwierigkeiten gegangen ist und den späteren König Friedrich immer wieder vor tiefgreifende Probleme gestellt hat, wissen wir aus Friedrichs eigenen staatspolitischen, staatsphilosophischen und historisch-politischen Schriften. Aber nur weil er die Aufhebung jenes Gegensatzes "Staatsraison und Aufklärungsideal " gewagt hat, hat er, der Vollender des fürstlichen Absolutismus, einen durch seine inneren Werte aus der damaligen Staatenwelt herausragenden Staat zu schaffen vermocht.
Dazu vor allem Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson, S. 368 ff. Das hat sich insbes. in der Justizpolitik Friedrichs des Großen, aber auch in den großartigen Leistungen des "Retablissements" nach dem Siebenjährigen Kriege gezeigt. Dazu Eb. Schmidt, Recht und Staat, S. 28 ff., 47 ff. sowie Heidelberger Jahrbücher VI, S. 95 ff. 43
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Strafrecht - Allgemeiner Teil
Entwicklung des Verbrechensbegriffes aus dem Geist des Prozesses Von Kar! Alfred Hall, Marburg/Lahn Strafrechtswissenschaft als Anthropologie
Beginnen wir mit einer Frage. Was ist das Anliegen der Strafrechtslehre? Aufgabe der Kriminalpolitik ist defense sociale, Bekämpfung des Verbrechens, Änderung und Besserung der sozialen Umwelt. Ganz anders die Strafrechtsdogmatik. Sie will die Erscheinungen nicht ändern, sondern deuten. Es ist nicht ihre Absicht, das Verbrechen zu bekämpfen, sondern ein Stück Anthropologie zu leisten. Das Verbrechen ist eine immer wieder hervorbrechende Erscheinung des Menschen, die zu erkennen ein Akt der Selbsterkenntnis ist. "So ist der Mensch, das bringt er fertig!" Das, was da geschehen ist, ist menschenmöglich. Das bist Du und das bin auch ich! Nicht die Haltung des Verstehenden, sondern des Bestürzten und Staunenden ist uns angemessen. Das Staunen und die Bestürzung über uns selbst. - Im Verstehen-Wollen liegt ja auch eine Art von Neugier, die uns nicht zusteht. - Was uns ziemt, ist die Menschenliebe, die "mächtiger als alle Bedrohungen" sich dem "unablässig sich erneuernden Unrecht" entgegenstelltl. Das ist die Grundhaltung, in der wir uns hier auf diesen wenigen Seiten um eine Bestimmung des Begriffes "Verbrechen" bemühen wollen. Der philosophische Verbrechensbegriff
Die Bestimmung des Verbrechensbegriffes wird ganz verschieden ausfallen, je nach dem ein philosophierender oder ein prozedierender Jurist am Werke ist. Dem Philosophen geht es allein um Wahrheit und um die Ganzheit der Erscheinung. Er wird einen Verbrechensbegriff der allgemeinen Rechtslehre aufstellen, der nicht auf die besonderen Bedürfnisse der 1 Reinhold Schneider, Begegnung und Bekenntnis, 1963, S. 145 (über Werner Bergengruen, 1957).
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prozessualen Praxis zugeschnitten ist, d. h. hier: auf den Denkvorgang des die Tat unter das Gesetz subsummierenden Richters!. So kommen die Philosophen unter den Juristen zu Definitionen wie: "Verbrechen ist Auflehnung gegen den Allgemein-Willen in äußerer Tat"8, Verbrechen ist Unbotmäßigkeit, Ungehorsam gegen die Normen, übertretung der vom Staat gesetzten Verbote und Gebote'. Verbrechen ist Rechtsgutverletzung oder Verletzung elementarer sozialethischer Pflichten5• Verbrechen ist "unerträgliche Verletzung der Sittenordnung"8. Zeit und Ort des materiellen Strafrechts im Prozeß Wir wollen den anderen Weg gehen. Wir wollen versuchen, den Verbrechensbegrijj aus dem Geist des Prozesses zu entwickeln. Wir müssen es wieder lernen, das materielle Strafrecht und das Strafverfahrensrecht zusammen zu sehen. Wer einen Strafrechtsfall lösen will, muß es anders machen als die Philosophen. Er soll so tun, als ob er Richter, Ankläger und Verteidiger in einer Person sei und alles Für und Wider in sich austragen. Der Prozeß, der in der Öffentlichkeit vor den Schranken des Gerichts stattfindet, den verlegt er in seine eigene Brust. Er macht sich selbst noch einmal die Einwände, die ihm vorher in der Hauptverhandlung der Ankläger und der Angeklagte vorgetragen haben. Ankläger und Angeklagter sind nur Personifikationen der Einwände, die ein wissender Richter sich pflichtgemäß selbst machen sollte7• Es ist ein wahres Theatrum poenale, das der Richter da vor sich selber spielt. Er wiederholt damit in seinem Innern eine heute überwundene Form des Prozesses, den Inquisitionsprozeß, in dem Richter und Ankläger eine und dieselbe Person sind. Der Richter prozediert. Was heißt das? Procedere, das ist das langsame Voranschreiten von einem Verfahrensabschnitt zum anderen. Das prozessuale Denken ist ein Denken in der Zeit, von Zeit zu Zeit. Es soll erst I Vgl. Hall, Die Lehre vom Corpus delieti, 1933, S. 111, 144ft.: Der Kampf zwischen einem "prozessual-zeitgebundenen" und einem "überzeitlich-materiellrechtlichen" Denken. 3 So Hellmuth Mayer, Strafrecht Allg. Teil, S. 31, in Auslegung der §§ 95, 96 von Hegets Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), Bd. 7, S. 149 ff. der Jubiläumsausgabe von Hermann Glockner (1952). , Binding, Die Normen und ihre übertretung (3. Aufl., 1916), S. 96 ft., 108 ff.; Handbuch des Strafrechts I (1885), S. 155 ff., 166; Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Bd. I (1915), S. 8I. a Vgl. Welzel, Deutsches Strafrecht, 9. Aufl., 1965, S. 1 fi.; 4. • Hellmuth Mayer, Strafrecht, S. 50, 55. 7 Vgl. Hall, Festgabe für Heinrich Herrfahrdt, 1961, S. 101 f.
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dies, dann jenes festgestellt werden. Eins nach dem anderen. Zuerst muß über die Person des Beschuldigten Gewißheit bestehen. Darauf ist festzustellen, welchen Verbrechens er angeklagt ist. Erst dann kann der Angeklagte zur Sache vernommen werden. - Nun kann das Gericht in die Beweisaufnahme eintreten. Zeugen und Sachverständige werden vernommen, Urkunden verlesen. Nachdem so alle Beweise beisammen sind, hält der Staatsanwalt seine Anklagerede. Ihm antwortet der Verteidiger. Nach Rede und Gegenrede hat der Angeklagte das letzte Wort. Die Sache ist zur Entscheidung reif. Mit dem letzten Wort des Angeklagten im Ohr zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Jetzt in der geheimen Beratung ist die Höhe des Prozesses, seine liltf.Lij, erreicht. Der Richter wendet das materielle Recht auf die in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen an. Er schlägt nicht die Strafprozeßordnung, sondern das Strafgesetzbuch auf. Wir haben das materielle Recht in den zeitlichen Ablauf des Verfahrens hineingedacht. Das materielle Recht hat seinen prozessualen Ort und seine prozessuale Zeit gefunden. Der Verbrechensbegriff nach dem Maße des Inquisitionsprozesses Auch jetzt noch, da der Richter allein mit sich zu Rate geht, kann er das "Prozedieren" nicht lassen. Wie "verfährt" der Richter, wie "prozediert" er, wenn er in der geheimen Beratung an die festgestellten Tatsachen seinen "Urteilsmaßstab"8 anlegt; d. h. das materielle Recht anwendet? Er stellt nicht alles auf einmal uno actu fest, sondern so wie in der Hauptverhandlung eines nach dem andern: erst die Tatbestandsmäßigkeit, dann die Rechtswidrigkeit, dann die Schuld. Der Richter setzt sich selbst einen gedanklichen modus procedendi; er gibt sich eine Subsumtionsordnung, eine Art "Tagesordnung": Wie sind die einzelnen Fragen zu stellen und in welcher Reihenfolge sind sie zu behandeln? Wer von der Vorstellung ausgeht, daß sich die "Geschäfte der Welt" in einer bestimmten Reihenfolge abschließend "erledigen" lassen, der denkt "prozessual". - Wer davon durchdrungen ist, daß sich die Dinge nicht voneinander scheiden lassen, der denkt ganzheitlich-philosophisch. Wir werden nun sehen, daß die großartige Dreigliederungslehre Ernst Belings9 dem Zeitmaß des Inquisitionsprozesses nachempfunden ist. Der Inquisitionsprozeß hat die Tendenz, von der Tat ausgehend zum Täter 8 Vgl. James Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage (1925), S. 228, 245 ff. (materielles Justizrecht). U Ernst Beling, Die Lehre vom Verbrechen, 1906. Vgl. Wilhelm Class, Grenzen des Tatbestandes, 1933.
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zu gelangen lO . Eine Tendenz, die in der Teilung des Verfahrens in eine Generalinquisition und eine Spezialinquisition zum Ausdruck kommt. In der Generalinquisition sollte durch körperlichen Augenschein festgestellt werden, ob überhaupt eine verbrecherische Tat begangen sei. Hier wurde das corpus delicti festgestellt. Judici ante omnia constare debet de delicto ll • Erst in der Spezialinquisition wurde contra certam personam verfahren. Sie galt der Ermittlung des auctor delicti und zielte auf das Geständnis des Täters. Es ist bekannt, daß sich Beling bei der Aufstellung seines Begriffes der Tatbestandsmäßigkeit von rechtsstaatlichen Erwägungen leiten ließl2. Ein Jahrhundert nach Feuerbach hat Beling die letzten systematischen Folgerungen aus dem Satz nullum crimen sine lege gezogen. Aber auch der alte prozessuale Gegensatz von Tatfeststellung und Täterschaft hat - bewußt oder unbewußt - in ihm nachgewirkt. Diese Antithese von corpus delicti und auctor delicti ist auch ein Kennzeichen seines Systems. In der Dreigliederung des Verbrechensbegriffes ist zugleich eine Zweigliederung enthalten. Die rein objektiv bestimmte Tatseite - Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit - wird der Täterseite, der Schuld, gegenübergestellt, worunter er Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit verstand. Die Reihenfolge der drei Artmerkmale des Verbrechensbegriffes, ihre scharfe Trennung voneinander und die Gegenüberstellung von Tat und Täterseite; das war Belings Lehre und gerade darin zeigte sich, daß er prozessual dachte. Er hat seine Dreigliederungslehre aus dem Geiste d:es Inquisitionsprozesses entwickelt. Der Verbrechensbegriff nach dem Maße des Akkusationsprozesses
Wie ganz anders ist von vornherein die Lage des Richters im Akkusationsprozeß. Hier bringt der Ankläger den "Täter" gleich in den Prozeß mit, der inquirierende Richter muß ihn erst finden. Der Richter des Anklageprozesses kann sich gleich mit dem Täter beschäftigen, kann ihn fragen, was er gewollt hat, und auf seine Motivation eingehen. Er geht vorwärtsschauend vom Täter zur Tat. Er vollzieht im Geiste mit dem Täter die Tat; er sieht wie der Täter seinen Vorsatz in die Tat umsetzt. Der Richter des Inquisitionsprozesses geht rückschauend von der Tat zum Täter. Er ist ein historischer, nachträglicher Mensch. Er sieht zu10 U
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Näheres Hall, a.a.O., S. 2 ff. Vgl. Art. 6, S. 2, CCC "Darzu soll auch ... Cl Näheres Hall, a.a.O., S. 155 ff.
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erst das geschehene Unglück, die Tat, und forscht nach dem Täter, der den Erfolg "verursacht" hat, und fragt ihn dann, was er sich dabei gedacht hat. Aus dem Geist des Inquisitionsprozesses ist die "kausale"lI Handlungslehre, aus dem Geist des Akkusationsprozesses ist die finale Handlungslehre geboren. Für den Finalisten liegt es nahe, bei der Lösung
eines Falles mit dem Vorsatz des Täters, mit der Darstellung des "subj-ektiven Tatbestandes" zu beginnen". Für ihn ist der Vorsatz nicht bloßes "Spiegelbild" der vom Richter festgestellten Tat in der Seele des Täters, sondern Steuerung der Handlung, ihr finales Aktionszentrum 15 • Wer sich diese Zusammenhänge klar gemacht hat, wird erkennen, daß es sich bei dem Theorienstreit um die finale und "kausale" Handlungslehre nur um eine Frage des wechselnden Standpunktes des Betrachters handelt. Die Auflösung der Dreigliederungslehre
Wir können heute nicht mehr so bauen wie Beling. Erinnern wir uns, wie es zum Zerfall seines Systems gekommen ist. Die drei Kennzeichen seiner Lehre Reihenfolge, Trennung, Gegenüberstellung der Verbrechensmerkmale gelten nicht mehr. 1. Die richterliche Subsumtionsordnung, das Aufbauschema einer Fallösung, wird völlig anders, wenn wir mit dem subjektiven Tatbestand, mit dem Vorsatz des Täters, beginnen. Das liegt besonders nahe, wenn es sich um einen Fall des Versuches handelt.
2. Die scharfe Trennung der Verbrechensmerkmale ist nicht durchführbar. Beling wollte den Tatbestand "reinhalten von jeder Wertung im Sinne der Rechtswidrigkeit"18. Das entsprach ganz seinem dem zeitlichen Ablauf eines Prozesses gemäßen Denken. Dagegen wandten sich bald die "Philosophen" unter den Dogmatikern des Strafrechts. Sie dachten nicht "prozessual-zeitgebunden", sondern "überzeitlich-materiellrechtlich" oder "unabhängig-konstruktiv" 17. Sie fühlten sich nicht den Zeitgesetzen eines Prozesses, sondern nur dem Wahrheitswert des Systems des materiellen Strafrechts verpflichtet. 13 Wir wollen den eingebürgerten, m. E. nicht mehr ganz zutreffenden Ausdruck übernehmen. Ich selbst fühle mich als "Afinalist", aber durchaus nicht als "Kausalist". 14 Obwohl Wetzet seinen Hörern in einem "Schema für den Verbrechensaufbau" empfiehlt, bei der Fallösung mit dem "objektiven Tatbestand" zu beginnen DStR § 80 (9. Aufi.), S. 508 fi. 15 VgI. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufi. (1961), s. 7; Wetzet, DStR, 9. Aufi. (1965), S. 36. 18 Beting, Lehre vom Verbrechen, S. 206. 11 Näheres zu dieser Unterscheidung Hall, a.a.O., S. 111, 144 ff., 161 ff.
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Seit Max Ernst Mayer wissen wir, daß es normative Tatbestandselemente gibt, die nicht in der Außenwelt, sondern in der Innenwelt des wertenden Richters wirklich werden, die nicht Erkenntnisgrund, sondern Seinsgrund, ratio essendi, der Rechtswidrigkeit sind18• - Ja, wir müssen darüber hinaus erkennen, daß nicht nur einige, sondern in Wahrheit alle Tatbestandsmerkmale nonnativen Charakter haben. Schon allein dadurch, daß ein Umstand in einen gesetzlichen Tatbestand aufgenommen wird, wird er genormt, stilisiert, rechtlich gewertet. Der Tatbestand ist der Ring des Unrechts, Typisierung der RechtswidrigkeW". Wenn das richtig ist, dann ist die Hoffnung zwischen Tatirrtum und Rechtsirrtum oder, wie man es heute nennt, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum zu unterscheiden, für immer dahin. Jeder Tatbestandsirrtum ist auch ein Verbotsirrtum. Wer eine fremde Sache wegnimmt, die er für seine eigene hält, irrt über das Tatbestandsmerkmal "fremd" und zugleich über das Verbotensein der Wegnahme. 3. Die Gegenüberstellung von objektiver Tatseite und subjektiver Täterseite ist, so wie sie Beling gewollt hat, nicht möglich. Man erkannte bald, daß nicht alles Subjektive 2ur Schuld gehört und daß die Tat nicht rein objektiv begründet ist. Es gibt subjektive Unrechtselemente wie Zueignungsabsicht und Bereicherungsabsicht20• - Wir haben seit Beling eine zunehmende Subjektivierung des Tatbestandes erlebt. Wir begreifen heute den Vorsatz als den subjektiven Tatb€stand und die Absicht als die innere Seite der Rechtswidrigkeit21 • In dieser Entwicklung von fünf Jahrzehnten spiegelt sich die lange Geschichte der Lehre vom corpus delicti von Gandinus bis Boehmer wieder22 • Es war dieser Lehre nie vergönnt, klassisch zu sein. Zu keiner Zeit hat sich der Grundgedanke in reiner Gestalt durchgesetzt. Das ursprüngliche Ziel, in der Generalinquisition die Gewißheit der Tat durch körperliche Beweismittel herzustellen, war unerreichbar. Es ist nie ganz gelungen, den Beweis der Tat vom Beweis der Täterschaft zu trennen. Immer mehr Beweise der Täterschaft, wie das Geständnis, wurden auch zum Beweise der Tat herangezogen. Schließlich gehörten bei Boehmer sogar dolus und culpa zur veritas delicti. Für ihn war das corpus delicti die veritas delicti in abstracto, ein complexus argumentorum, sine quibus condemnatio fieri nequit23 • 18 M. E. Mayer, Der Allgemeine Teil des Deutschen Strafrechts, 1916, S. 182 ff. Mezger, Vom Sinn der strafrechtlichen Tatbestände, 1926. 18 Maurach, Deutsches Strafrecht Allg. Teil, 2. Aufl., 1958, S. 404 u. 178 ff. 20 H. A. Fischer, Die Rechtswidrigkeit (1911), S. 138 f. Hegler, ZStw 36 (1915), S. 31 ff. Vgl. dazu Welzel, DStR, 9. Aufl., S. 34 ff. n Vgl. Mezger-Blei, Strafrecht Allg. Teil, Stud. Buch, 10. Auf!. (1963), S. 85 f. !! Näheres Hall, a.a.O., S. 161. !3 Boehmer, Meditationes ad Art 6 CCC § 10. Näheres Hall, a.a.O., S. 105 ff.
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Diese Ganzheit aller Beweismittel der Tat und der Täterschaft fällt mit dem materiellrechtlichen Begriff eines bestimmten Verbrechens zusammen. Nur die Terminologie ist noch prozessual. Die argumenta bedeuten tatsächlich nicht mehr Beweismittel, sondern Elemente des Tatbestandes eines bestimmten Verbrechens. Es war in Gedanken nur noch ein kleiner Schritt zu tun von der existentia delicti zur essentia delicti.
Die normative Scb.uldlehre
Kehren wir zu Beling zurück. Wie weit wir uns von seiner Lehre entfernt haben, zeigt endlich unsere gänzlich andere Auffassung von der Schuld des Täters. Wir folgen nicht einer psychologischen, sondern einer normativen Schuldlehre2f • Vorsatz und Fahrlässigkeit sind nicht Schuldelemente, sondern nur Schuldformen, psychische Aktformen der Schuld. Auch ein Geisteskranker kann im psychologischen Sinne vorsätzlich und auch bewußt oder unbewußt fahrlässig, aber nicht vorwerfbar und darum nicht schuldhaft handeln. Die Schuld erscheint uns als Vorwurf, Vorwerfbarkeit und Zumutbarkeit. Wir sprechen von Vorwurf, wenn wir an den inneren Akt des Vorwerfens im Richter denken. Wir sprechen von Vorwerfbarkeit, wenn wir an die Tat denken, die vom Richter dem Täter vorgeworfen werden kann. Der Täter wird mit seiner Tat belastet, mit "Schuld beladen". Die Vorwerfbarkeit ist eine "Unwerteigenschaft" der Tat. Wir sehen die Tat als Gegenstand des Vorwurfes, als Objekt der Wertung des Richters, als das, was dem Täter vom Richter vorgeworfen wird25 • Wir sprechen von Zumutbarkeit, wenn wir an das "Können", an das "Vermögen" des Täters denken, den der Vorwurf der vorwerfbaren Tat trifft. - Oder müssen wir sagen: Es war dem schwachen Täter nicht zuzumuten, seine Rechtspflicht zu erfüllen28 ? Wir wagen eine andere Antithese als Beling. Wir werden nicht versuchen, die objektive und die subjektive Seite der Tat einander gegenüberzustellen. Wir fragen nach der Antithese die in dem richterlichen !4 Dazu kritisch Hellmuth Mayer, Strafrecht, S. 212 ff. Vgl. auch Erik Wolf, Strafrechtliche Schuldlehre, 1928, S. 173 ft. 2S Vgl. Wetzet, Um die finale Handlungslehre, S. 25; Wetzet, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 2. Aufl., S. 35; Wetzet, DStR, 9. Aufl., S. 125 ff. 28 Mezger, Strafrecht Lehrbuch, S. 372.
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Schuldvorwurf liegt. Der Richter stellt Tat und Täter einander gegenüber, hält ihm den Spiegel seiner Tat vor, wirft sie ihm vor. Wie soll man das verstehen? Täter, Tat und Richter
Das große Thema der Dogmatik des Strafrechts ist das Verhältnis des Täters zu seiner Tat. Immer wieder wurde - prozessual oder materiellrechtlich - versucht, die Tat dem Täter gegenüber zu stellen und immer wieder ist diese Antithese mißlungen. Immer wieder fällt der Täter in die Tat hinein. Können wir die Tat ohne den Täter und den "Täter allein" ohne seine Tat denken? Dieses Rätsel hat noch niemand gelöst. Und zu dem Täter und seiner Tat tritt noch ein Dritter, der Richter, der die Tat zum Vorwurf gegen den Täter erhebt. Im Prozeß wird die Polarität zwischen dem Täter und seiner Tat zum Drama. - Wir meinen hier nicht die Szene, die sich vor dem Tribunal, die Hauptverhandlung, die sich vor den Schranken des Gerichts abspielt. Wir meinen jene geistige Handlung, die sich im Innern des Richters, wenn er allein mit sich zu Rate geht, vollzieht. Wie wird der Richter "verfahren", wenn er auf die in der Hauptverhandlung festgestellten Tatsachen das Gesetz anwendet? In welcher Ordnung wird er "prozedieren"? Wenn wir uns nach dem Scheitern der Dreigliederungslehre um eine neue richterliche Subsumtionsordnung bemühen, so müssen wir zunächst alle Versuche aufgeben, die Merkmale der Täterschaft von denen der Tat zu trennen. Der Täter ist im Anklageprozeß gegenwärtig. Darum müssen wir die Tat von vorneherein im Hinblick auf den Täter betrachten. Der Täter ist gegenwärtig in seiner Tat. Die Ganzheit der Tat
Daraus können wir weiter lernen: Wir dürfen die Tat nie sektorenweise betrachten. Wenn wir ein Verbrechensmerkmal bestimmen, müssen wir immer zugleich die ganze Tat ins Auge fassen. Der italienische Kriminalist Maggiore hat in seinem Strafrechtslehrbuch dargelegt, das Verbrechen sei nicht "Handlung plus Rechtswidrigkeit plus Schuld", sondern es sei "ganz Handlung, ganz Rechtswidrigkeit, ganz Schuld" ("tutto azione, tutto antigiuridicitä, tutto colpevolezza Handlung, Rechtswidrigkeit, Schuld seien deshalb nicht "elementi U, sondern "aspetti deI reato U27• Maggiore verwahrt sich gegen die U ).
17 Giuseppe Maggiore, Principü di diritto penale Vol. I 2 (Ed. 1937), pag. 191-193; zitiert nach Schaffstein, ZStW 57 (1938), S. 332.
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Aufspaltung des Verbrechens in "parti e frammenti, in qui l'unita deI reato si dirompe"28. Ein Philosoph muß die Erscheinung so sehen. Der prozedierende Richter aber darf sich nicht mit dieser Gesamtschau zufrieden geben. Er muß das Ganze in seiner Gliederung, die Einheit in ihrer Unterschiedenheit betrachtenu.
Theatrum poenale Die "Prozessualisten" unter den Strafrechtslehrern wollten die Strafrechtsdogmatik aus dem Schiffbruch der Philosophie auf die Insel des Prozesses retten. Nur von fern sollte der Geist der Philosophie darüber wehen. Es ist anders gekommen. Die Philosophie hat die Zäune und Zelte unserer Systeme überschwemmt und umgeweht. Nachdem wir von den Philosophen so hart in die Schule genommen worden sind, wollen wir doch wieder das Prozedieren, das "prozessuale Gehen" lernen. Das folgende Bild soll zeigen, wie die "Tätertat" zwischen dem Richter und dem "Tater allein" steht. Der Richter will den unbekannten Täter kennen lernen. Er geht immer wieder um die Tat herum und begibt sich auf die Seite des Täters. Schließlich kehrt er zu seinem Standort zurück und erhebt die Tat zum Vorwurf gegen den Täter.
18 Maggiore, a.a.O., pag. 192 f., 297; zitiert nach Schaffstein, a.a.O., S. 329, Anm.64. It VgI. Schwinge, Irrationalismus und Ganzheitsbetrachtung in der deutschen Rechtswissenschaft (1938). Er verteidigt mit guten Gründen die Rationalität des Rechts.
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RICHTER
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TÄTER ALLEIN
: SCHULOVORWURF des Richters
\5. TÄTERTAT (corpus delicti) : TÄTER ALLEIN (auctoripse) J
subj. Entschuldg. ("aus Not"? )
( Inneres unbekannt)
2b subj. Rechtfertigung? Verbotsirrtum?
THEATRUM POENALE
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Entwicldung des Verbrechensbegriffes aus dem Geist des Prozesses Subsumtionsordnung des procedierenden Richters Erklärung der Tafel in Stich worten Der Wahrspruch fiel, die Sühne ward bemessen, doch aus der Untat wurde keiner klug. Gottfried Keller, Ein Schwurgericht Erster Akt. Der Richter betrachtet die Tätertat Was ist das, was da geschehen ist? 1. E r f ass u n g des U n r e c h t s typ u s a)
Die objektive Seite des Unrechtstypus Erster noch ganz undifferenzierter, äußerlicher Gesamteindruck der Tat. Der Richtert beleuchtet die Tat von seinem objektiven Standpunkt aus. Er sieht das vom Gesetzgeber in die Form des Tatbestandes gegossene Bild des Unrechts. (Tötung eines Menschen, Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.) Er stellt die Verletzung eines Rechtsgutes fest. Die Verletzung des Rechtsgutes ist durch eine Handlung eines noch unbekannten Täters herbeigeführt worden. - Bei den Kommisivdelikten durch Unterlassung bildet auch die Verletzung der dem Täter auferlegten Rechtspfticht zur Abwendung des Erfolges (Garantenpfticht), den Unrechtstypus der Tat.
Erstes "Vorurteil" des Richters über die Tat: Das Verbrechen ist eine tatbestandsmäßig-rechtswidrige Verursachung eines Erfolges durch die Handlung eines Täters. Die in dieser ersten Begriffsbestimmung schon unausgesprochen enthaltenen, weiteren Elemente des Verbrechens werden im folgenden Fortschreiten des richterlichen Subsumtionsprozesses aufgedeckt. b)
Die subjektive Seite des Unrechtstypus Die Belebung des Unrechtsbildes durch den Täter. Der Richter will den Täter kennenlernen. Er geht von außen um die Tat herum und begibt sich auf die entgegengesetzte Seite des Täters. Er betrachtet die Tat im Blickwinkel des Täters: Was hat sich der Täter bei seiner Tat gedacht oder nicht gedacht? Welchen Erfolg wollte er verwirklichen? Hatte er dabei ein gutes oder schlechtes oder gar kein Gewissen? Das ist die Frage nach der inneren Beziehung des Täters zu seiner Tat, nach den "psychischen" Elementen des Vorsatzes und der bewußten und unbewußten Fahrlässigkeit.
Vorsatz: Kenntnis der den Unrechtstypus bildenden Umstände ("Tatumstände") + Bewußtsein der Rechtswidrigkeit (oder Rechtsblindheit). Ob der Täter das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit hatte, kann aber erst abschließend festgestellt werden, wenn geklärt ist, ob ein objektiver Rechtfertigungsgrund vorliegt oder nicht. Irrtum: Unkenntnis der Tatumstände oder Mangel des Bewußtseins, Unrecht zu tun (s. unten 2 b). Jeder Tatbestandsirrtum ist zugleich Verbotsirrtum und wird wie ein Verbotsirrtum behandelt (Vorsatztheorie). Aber nicht jeder Verbotsirrtum ist ein Tatbestandsirrtum.
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Die subjektive Seite des Unrechtstypus bilden auch die "subjektiven Unrechts elemente" (Zueignungsabsicht u. a.). Bei den Kommisivdelikten durch Unterlassung gehört die Kenntnis der Garantenpfticht zum Vorsatz. Wenn überhaupt, an dieser Stelle des Systems können wir Tat und Täter nicht voneinander trennen. Der Täter hat sich mit seinem Vorsatz oder seiner Fahrlässigkeit ganz in seine Tat hineingegeben, ist ganz "Tat" geworden. Das ist ein Akt der Identifikation. Zweites "VoTuTteU" des Richters über die Tat: Das Verbrechen ist ein tatbestandsmäßig-rechtswidriges, vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten eines Täters. 2. Der Ein w a n dei n es Re c h tf er t i gun g s g run des a)
Die objektive Seite deT RechtfeTtigung Nachdem der Richter die subjektive Seite des Unrechtstypus betrachtet und die innere Beziehung des Täters zu seiner Tat (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) vorläufig erkannt hat, setzt er seinen Weg um die Tätertat herum fort und gelangt wieder auf die objektive Seite. - Er macht sich selbst den Einwand eines RechtfeTtigungsgTundes. Wird die Herbeiführung des Erfolges ausnahmsweise durch einen besonderen "ETlaubnissatz" (z. B. Notwehr § 53 I, II StGB, Notstand nach §§ 228, 904 BGB, übergesetzlicher Notstand, Einwilligung) gerechtfertigt? Nochmalige Betrachtung der ganzen Tat unter dem besonderen Gesichtspunkt der Rechtfertigung des Täters.
b) Die subjektive Seite deT RechtfeTtigung
Nun begibt sich der Richter wieder um die Tat herum auf die entgegengesetzte Seite des TäteTS. Was hat sich der Täter zur Frage seiner Rechtfertigung gedacht oder nicht gedacht? Er ist z. B. nur gerechtfertigt, wenn er bei objektiv gegebenen Notwehrstand die Verteidigungsabsicht hatte (subjektiver Rechtfertigungsgrund). Oder nahm der Täter irrtümlich ein objektiv nicht vorliegendes Notwehrrecht an? (Putativnotwehr). Die irrtümliche Annahme eines Rechtfertigungsgrundes ist ein TeineT VeTbotsiTTtum, der das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit und damit den Vorsatz ausschließt (Vorsatztheorie). c)
Antwort auf den Einwand eines RechtfeTtigungsgmndes (1) Der Richter bejaht das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. In den Tatbeständen des Besonderen Teils sind Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu einem Unrechtstypus vereinigt. Aber ein nachträglich hinzukommenden Rechtfertigungsgrund (Erlaubnissatz) "entzieht" den Tattypen die RechtswidTigkeit. Eine Tötung in Notwehr ist tatbestandsmäßig, aber nicht rechtswidrig. (2) Der Richter weist den Einwand eines Rechtfertigungsgrundes ab und kommt zu einem DTitten "VomTteil" über die Tat: Das Verbrechen ist ein tatbestandsmäßig typisiertes, vorsätzliches oder fahrlässiges, nicht gerechtfertigtes Verhalten des Täters.
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Zweiter Akt. Der Richter stellt die Tat dem Titer gegenüber. Er stellt die Frage nach der Schuld. 3.
Der R ich t e r wen d e t sie h von der Tat abu n d dem Täter zu Die Tat soll nicht mehr zwischen ihm und dem Täter stehen. Die Tat soll den Täter nicht mehr verdecken. Der Richter fragt nach dem "Täter allein". "Was ist das für ein Mensch?" Der Richter bejaht die Vorfrage nach der Zurechnungsfähigkeit des Täters (§§ 51, 55 StGB, § 3 JGG). Ist der Täter ein Mensch, dem man eine solche Tat vorwerfen kann? Ist er überhaupt durch einen Vorwurf "treffbar"? - Auch ein Geisteskranker kann im psychologischen Sinne "vorsätzlich" oder "fahrlässig" handeln. Zurechnungsfähigkeit ist Schuldvoraussetzung, nicht Vorsatzvoraussetzung.
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Nachdem der Richter den Täter erkannt hat, wendet er sich wieder zurück zur Tat Er macht sich selbst den Einwand eines Entschuldigungsgrundes (Unzumutbarkeit, z. B. §§ 54, 52, 53 UI StGB). Letzte Betrachtung der ganzen Tat unter dem besonderen Gesichtspunkt der Entschuldigung des Täters. a)
Die ob;ektive Seite der Entschuldigung
Bestehen Umstände, welche die Schuld dieses Täters (erhöhen, mildern oder) ausschließen? Hat der Täter z. B. "in Not" gehandelt? b)
Die sub;ektive Seite der Entschuldigung
Der Richter begibt sich zum letzten Mal auf die entgegengesetzte Seite des Täters. - Es war eine "Springprozession", ein Tanz des Richters um die Tat und über sie hinweg. - Er stellt die Frage: hat der Täter die schulderhöhenden, mildernden oder ausschließenden Umstände gekannt? Hat er z. B. nicht nur "in Not", sondern auch "aus Not" gehandelt? Oder nahm er in unverschuldetem Irrtum einen Entschuldigungsgrund an? 5.
Der S c h u I d vor w u r f des R ich t e r s Nachdem er den Einwand eines Entschuldigungsgrundes abgewiesen hat, erhebt der Richter den Schuldvorwurf. Er wirft dem Täter seine Tat vor. Wenn die Tätertat so leicht ist wie eine Feder, kann ich nicht damit werfen. Sie muß so schwer sein wie ein Stein. Der Gedanke
des Vorwurfs fordert einen Abstand des Täters von seiner Tat, die der Richter ihm "vorwirft", ihm "entgegenhält". Der Richter hält dem Täter
den "Spiegel" seiner Tat vor. Nur im Augenblick des Vorwurfes müssen wir den Täter von seiner Tat getrennt denken. Der Täter ist "schuldig", wenn ihn der Vorwurf trifft.
"Endurteil" des Richters Das Verbrechen ist ein tatbestandsmäßig typisiertes, vorsätzliches oder fahrlässiges, nicht gerechtfertigtes Verhalten, das der Richter dem zurechnungsfähigen Täter vorwirft. Diese Subsumtionsordnung will die prozessuale und die philosophische (unabhängig-konstruktive) Denkweise miteinander verbinden. Von den
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Karl Alf1'ed Hall "Prozessualisten" haben wir die antithetische Gegenüberstellung von "Tätertat" und "Täter allein" übernommen. Aber diese Antithese gelingt uns erst sehr spät und nur in einer ";uTistischen Sekunde", in dem Augenblick, in dem der Richter die Tat zum Vorwurf gegen den Täter erhebt. Und sogleich gehen beide, Tat und Täter, in die Synthese des richterlichen Schuldurteils ein. Wie die Lehre Betings enthält auch unser System eine Dreigliederung in der Zweigliederung. Wir werfen nacheinander die drei Fragen nach dem Unrechtstypus, nach der Rechtfertigung, nach der Entschuldigung auf. Aber jedesmal haben wir nicht Teile der Tat, sondern die ganze Tat betrachtet. Wir versuchten, die Einheit in ihrer Unterschiedenheit zu sehen. Nach einem Worte Goethes ist es "Grundeigenschaft der lebendigen Einheit: sich zu trennen, sich zu vereinen, sich im Allgemeinen zu ergehen, im Besonderen zu verharren ... *.
* Goethe, Maximen und Reflexionen 21 (Hamburger Ausgabe, Bd. 12, S. 36.7).
"Verbandsunrecht"* Zugleich ein Beitrag zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten Von Dietrich Lang-Hinrichsen, Mainz 1. Die Frage, ob und bejahendenfalls welche Sanktionen gegen Verbände, gleichviel ob sie den Charakter einer juristischen Person haben oder nichtl, vorgesehen werden sollen, hat bekanntlich seit Jahrhunderten Rechtswissenschaft und Praxis beschäftigt. Die Ansichten haben im Laufe der Zeit wiederholt gewechselt. Die Argumente dafür und dagegen haben jedoch keine bedeutsamen Wandlungen erfahren. Die geschichtliche Entwicklung des Problems ist wiederholt eingehend dargestellt worden!. Hier sollen nur in alle:!!" Kürze einige Punkte hervorgehoben werden, soweit es für die folgenden Ausführungen bedeutsam erscheint. In den Auseinandersetzungen spielten sowohl dogmatische als auch rechtspolitische Erwägungen für und wider die Notwendigkeit von Reaktionen eine Rolle. Im Mittelalter haben sich besonders die Kanonisten und Postglossatoren, vor allem Bartolus, mit dem Problem beschäftigt und überwiegend Sanktionen gegen Verbandspersonen bejaht. Die Lehren der Postglossatoren wurden in Deutschland rezipiert. So kam es in weitem Umfang zu Maßnahmen gegen Städte, Gemeinden und andere Personengesamtheiten. Die korporativen Strafen bestanden nach der Lehre der Postglossatoren und der sich anschließenden Praxis in Geldstrafe, Vermögenseinziehung, Tätigkeitseinschränkung und Auflösung. Während auf der einen Seite die politische Notwendigkeit und das praktische Bedürfnis betont wurden, traten auf der anderen Seite immer wieder die Zweifel hervor, ob Sanktionen gegen Verbände • Die folgenden Ausführungen geben mit einigen Ergänzungen die Antrittsvorlesung wieder, die der Verfasser am 8. Juli 1965 in der Universität Mainz gehalten hat. Wenige Schrifttumsnachweise sind nachträglich hinzugefügt worden. 1 Darüber, wieweit der Rahmen zu ziehen ist, gehen die Ansichten auseinander. So faßt z. B. RudoU Schmitt, Strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände, 1958, S. 13, 15, auch offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften, Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und nichtrechtsfähige Vereine darunter. Die Frage ist besonders bei den nichtrechtsfähigen Vereinen umstritten. Der Referentenentwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Stand: April 1965) (im folgenden abgekürzt: Entwurf OWiG) spricht in § 18 von juristischen Personen, nichtrechtsfähigen Vereinen und Personenhandelsgesellschaften. 2 VgI. z. B. Heinitz: Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Personen gesetzlich vorzusehen? Gutachten f. d. 40. Deutschen Juristentag (im folgenden abgekürzt: Heinitz JT), S. 67 ff.; Schmitt, a.a.O., S. 17 ff. mit eingehenden Schrifttumsnachweisen auch für das Folgende. 4 Festschrift für Hellmuth Mayer
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im Hinblick darauf, daß unschuldige Mitglieder von ihnen betroffen würden, gerechtfertigt seien und ob von einer Schuldfähigkeit der Verbände gesprochen werden könne. Durch die Festigung der Staatsgewalt zur Zeit des Absolutismus verloren die Verbände weitgehend ihre Macht, so daß das Bedürfnis zu eingreifenden Maßnahmen allmählich immer stärker zurücktrat. Die Entwicklung setzte sich, allerdings aus anderen Gründen, in der Zeit des Liberalismus fort. Aus seinem Streben, den einzelnen von korporativen Bindungen möglichst zu befreien, war er verbandsfeindlich eingestellt, was zu einer weiteren Zurückdrängung ihrer Bedeutung führte!. Daher konnte die Schrift des Erlanger Professors Malblanc "Observationes quaedam ad delieta universitatum spectantes" (1793), der die dogmatischen Bedenken hervorhob, einen durchgreifenden Einfluß auf die wissenschaftliche Erörterung gewinnen, obwohl sie neue Argumente gegen die Bestrafung nicht enthielt. Er folgerte die Unzulässigkeit einer Bestrafung aus der Unstatthaftigkeit einer Schuldzurechnung und aus der Natur der Strafe'. Es läßt sich, wie auch sonst, feststellen, daß immer dann, wenn das rechtspolitische Bedürfnis von Sanktionen als besonders stark empfunden wurde, die dogmatischen Bedenken zurückgedrängt wurden. Verlor es dagegen an Bedeutung oder wurde es nicht mehr als dringend erachtet, so wurden wieder die dogmatischen Schwierigkeiten betont'. So kam es, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts das Problem vorwiegend dogmatisch - im ablehnenden Sinne - behandelt und die Bedürfnisfrage kaum erörtert wurde. Daraus erklärt es sich, daß ein Teil der deutschen Strafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts entweder die Bestrafung ausdrücklich ablehnte oder eine Vorschrift dieses Inhalts - weil selbstverständlich überhaupt nicht mehr enthielt, wie dies auch im geltenden Strafgesetzbuch der Fall ists. Erst als die Macht der Verbände im Zuge der Industrialisierung wieder stieg, empfand man erneut das Bedürfnis nach Reaktionen. Es war in Deutschland nunmehr v. Liszt, der sich für die Körperschaftsstrafe einsetzte. Die dogmatischen Bedenken - insbesondere von der Schuldseite her - verloren für ihn vom Boden des Zweck:- und Sicherungsgedankens, wie ihn auch die Lehre der sozialen Verteidigung vertrat, an Bedeutung. Die Frage wurde nunmehr eingehend erörtert und teilweise bejaht, teilweise verneint7 • Bei den Anhängern einer Bestrafung zeigte sich wieder, daß man unter starker Betonung einer rechtspolitischen Notwendigkeit die dogmatischen Bedenken zu überwinden versuchte. In der deutschen Gesetzgebung fanden die Bestrebungen nur im Nebenstrafrecht (Gewerbe- und Steuerrecht) einen Niederschlag. Die Bestimmung der Reichsabgabenordnung von 1919 (damals § 357, jetzt § 393) gewann jedoch aufgrund der Rechtsprechung des Reichsgerichts nur eine geringe praktische Bedeutung und verlor sie durch die Beseitigung der Vermutungstatbestände durch Gesetz von 1939 ganz8• Auch im Ausland wird die Frage lebhaft diskutiert. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis wird die kriminelle Haftung überwiegend abgelehnt. Soweit sie in Gesetzgebung und Rechtsprechung anerkannt wird, beschränkt sie sich im wesentlichen auf Nebenstrafen, die sachlich als Sicherungsmaßnahmen anzusehen sind. In Italien wird der Grundsatz "Societas delinquere non potest" als verfassungsrechtlich angesehen. Der italienische Strafgesetz3 4 11
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Schmitt, a.a.O., S. 27 f. Heinitz JT, S. 71; Schmitt, a.a.O., S. 26 ff. Heinitz JT, S. 70. Vgl. hierzu Schmitt, a.a.O., S. 28. Vgl. Schmitt, a.a.O., S. 103 ff., 111 ff. Näheres Schmitt, a.a.O., S. 52; zum Stand der neueren deutschen Gesetz-
gebung und Rechtsprechung ebendort.
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entwurf von 1949 hat die Strafbarkeit ausdrücklich abgelehnt'. Im angloamerikanischen Rechtskreis ist eine strafrechtliche Haftung in größerem Umfang vorgesehen, auch für eine gewisse Anzahl von Justizstraftaten; im wesentlichen handelt es sich jedoch um Verwaltungs-, Steuer- und handelsrechtliche Deliktel t• In den Vereinigten Staaten ist sie größer als in Englandl l • Die Neigung der angloamerikanischen Länder, die Strafbarkeit in größerem Umfang als Kontinentaleuropa anzuerkennen, steht wohl weitgehend mit dem übergewicht des Zweckgedankens gegenüber der Vergeltungsidee in Zusammenhang. Seit dem Beginn der Strafrechtsreformbewegung sind die Erörterungen erneut in Fluß gekommen und nunmehr durch die Entschließung des "Sonderausschusses Strafrecht" des Bundestages, der den Entwurf zu einem Strafgesetzbuch von 1962 (E 1962) zu beraten begonnen hat, allerdings durch den Ablauf der Legislaturperiode des Bundestages (1965) an der Weiterarbeit verhindert war, in ein akutes Stadium getreten ua . Der Ausschuß entschied, daß besondere Sanktionen gegen Verbände über die bisherigen Regelungen (insbesondere die Vorschriften über den Verfall des § 109 E 1962) hinaus erforderlich seien, daß sie jedoch nicht Strafen, sondern Geldbußen nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten sein sollen. Im Ausschuß waren die Ansichten über die Art der Ahndung (Strafen oder Geldbußen) auseinandergegangen12 • In den E 1962 soll unter dem Titel "Weitere Folgen der Tat" eine Vorschrift (§ 120 a) mit folgendem Wortlaut aufgenommen werden: Als weitere Folgen der Tat sind gegen juristische Personen und Personenvereinigungen Geldbußen nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten zulässig1s• Der Referentenentwurf eines ebenfalls geplanten neuen Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Stand April 1965) enthält daher eine Vorschrift über Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen14 • , Heinitz JT, S. 79. 10 Zum ausländischen Strafrecht vgl. u. a. Heinitz JT, S. 66ff.; Schmitt, a.a.O., S. 29 ff.; Lang-HinTichsen, Das Strafensystem im ausländischen Strafrecht, Bonn 1955, S. 94 ff. U Heinitz JT, S. 81 ff. 11a Inzwischen ist der Entwurf 1962 von den Koalitionsparteien als Gesetzesvorlage im jetzigen Bundestag eingebracht worden, der inzwischen mit den Beratungen begonnen hat. Jt Niederschriften des Sonderausschusses "Strafrecht" (im folgenden abgekürzt: Sonderausschuß), S. 397 ff., 419 f. 13 Sonderausschuß, S. 419. 14 § 18 Abs. 1 des Referentenentwurfs (abgekürzt: Entwurf OWiG) hat folgenden Wortlaut: "Hat jemand als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, als Vorstand eines nichtrechtsfähigen Vereins oder als Mitglied des Vorstandes oder als vertretungsberechtigter
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Das Bedürfnis, auch gegen Verbände selbst Sanktionen vorzusehen, ist, wie gesagt, angesichts ihrer wachsenden Bedeutung, besonders im Wirtschaftsleben, immer dringlicher empfunden worden15• Man erachtete es als unzureichend, sich nur mit Reaktionen gegenüber Organen, Vertretern usw. zu begnügen, da es mit den gegenüber einem Individuum in Betracht kommenden Sanktionen häufig nicht möglich sei, gegen den individuellen Täter auf eine Sanktion zu erkennen, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem angerichteten Schaden und zu dem erstrebten oder erzielten Vorteil des Verbandes stehe. Einmal werde möglicherweise die Schuld des Täters geringer gewertet werden, da er in erster Linie nicht im eigenen Interesse, sondern zugunsten des Verbandes gehandelt habe und daher die Strafe entsprechend niedriger ausfalle. Ferner müsse die Geldstrafe seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend bemessen werden. Der Gewinn könne über die gegen ihn zu verhängende Geldstrafe meist nicht erfaßt werden, da er grundsätzlich dem Verband zugeflossen sepe. 2. Bei der Frage, welche Sanktionen gegen Verbände verhängt werden sollen, drehte sich die Diskussion zunächst nur um Strafen, da damals andere Sanktionsmittel im geltenden Recht nicht zur Verfügung standen. Gewisse Maßnahmen wie Auflösung von Verbänden usw. waren den Verwaltungsbehörden übertragen17 • Das Problem wurde daher lange Zeit hindurch unter dem Gesichtspunkt der Bestrafung von Verbänden behandelt 18 • Sie wurde im deutschen Schrifttum teils befürwortet, überwiegend aber in den letzten Jahren abgelehnt1 9 • Im "Sonderausschuß Strafrecht" trat jedoch, wie erwähnt, ein geringer Teil der Mitglieder für eine Bestrafung ein20 • Das Problem soll hier nicht noch einmal aufgerollt werden. Es ist so ausgiebig erörtert worden, daß neue Argumente kaum mehr beigebracht werden könnten. Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen, durch die 1. Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind, oder 2. die juristische Person oder die Personenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden." 15 VgI. hierzu näher Busch, Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, in: Leipziger Rechtswissenschaftliche Studien, Heft 78, Leipzig 1933, S. 96 ff.; Schmitt, a.a.O., S. 141 ff. le Die eingehendste Darstellung der Argumente findet sich in der genannten grundlegenden und umfassenden Monographie von Busch, insbesondere S. 96 ff. 17 VgI. u. a. die Zusammenstellung bei Hartung, 40. Deutscher Juristentag, Bd. H, E, S. 47 f. 18 Dieser Gesichtspunkt steht auch bei Busch, a.a.O., durchaus im Vordergrund. Er selbst setzt sich in erster Linie für Strafen ein. 11 Für eine Bestrafung traten im Schrifttum schließlich nur noch ein: Busch in seiner genannten Monographie, v. Weber, in: JZ 1953, S. 294 und JT Bd. lI, E, S. 62 ff. (Diskussion), und neuerdings Rotberg, Für Strafe gegen Verbände!, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, 1960, Bd. II, S. 193 ff. 10 Sonderausschuß, S. 379 ff.
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Daher seien nur diejenigen Gesichtspunkte kurz angeführt, die den weiteren Erörterungen zugrunde gelegt werden. Eine Bestrafung von Verbänden ist vom Boden der Grundprinzipien des deutschen Strafrechts aus einmal deshalb nicht zulässig, weil eine Handlung des Verbandes, zumindest im strafrechtlichen Sinne, nicht vorliegt, ferner dem Verband ein strafrechtlicher Schuldvorwurf im Sinne eines sozialethischen Tadels nicht gemacht werden kann. Es wäre ferner mit dem strafrechtlichen Schuldgedanken nicht vereinbar, dem Verband das Verschulden seiner Organe, Vertreter usw. zuzurechnen. Schließlich ist man sich fast ausnahmslos darüber einig, daß ein sozialethischer Tadel sich nur gegen eine Einzelperson richten kannu . 21 Im Hinblick darauf, daß auch in neuester Zeit wieder die Bestrafung der Verbände gefordert worden ist (so von Rotberg, siehe Anm. 19, und Mitgliedern des Sonderausschusses), seien noch einmal kurz die dogmatischen Hauptargumente gegen eine Bestrafung im Anschluß an Engisch, der sie in eindrucksvoller Weise vorgetragen hat, zusammengefaßt (Engisch, Referat beim 40. Deutschen Juristentag, Verhandlungen, Bd. II, 1954, E, S. 7 ff.; ähnlich, aber in einzelnen Punkten abweichend, Heinitz in seinem Gutachten JT, a.a.O. Engisch hat sich vor allem mit der Beweisführung Buschs auseinandergesetzt. Rotberg hat sich im wesentlichen Busch angeschlossen). Die Bestrafung der juristischen Personen scheitert einmal schon daran, daß es einem Verband an einer Handlungsfähigkeit überhaupt, zumindest aber im strafrechtlichen Sinne, fehlt. Allerdings wird auch von einzelnen Gegnern der Bestrafung eine Handlungsfähigkeit bejaht, wie z. B. von Heinitz (JT, S. 84 f.). Sehr entschieden hat sich gegen eine Handlungsfähigkeit nicht nur auf strafrechtlichem Gebiet, sondern überhaupt, Schmitt (a.a.O., S. 181 fi.) ausgesprochen. Mit Recht betont Engisch, die Handlung sei ein natürliches Gebilde. Im Sinne eines natürlichen Handlungsbegriffes könne aber nur der einzelne Mensch handeln. Wenn Rotberg die entgegengesetzte Auffassung vertritt, so geht er letztlich von v. Gierkes Lehre von der realen Verbandspersönlichkeit aus, auch wenn er dieser Doktrin gegenüber Zurückhaltung üben will. Er spricht vom Verband als einer gleichsam vernunftbegabten und mit einem Gesamtgewissen ausgestatteten Uberpersönlichkeit. Im einzelnen soll jedoch dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen werden (eingehende Behandlung bei Schmitt, a.a.O., S. 181 ff., der gerade auf die fehlende Handlungsfähigkeit das Hauptgewicht legt). Denn entscheidend dürfte - dies ist auch im deutschen und zum Teil im ausländischen Schrifttum die weit überwiegende Ansicht - in einem auf dem Schuld- und Sühnegedanken aufbauenden Strafrecht die mangelnde Schuldfähigkeit sein. Man hat dabei teils das psychologische, teils das normative Element in den Vordergrund gestellt. Dem ist in beiderlei Hinsicht beizutreten. Es genügt, auf den normativen Gesichtspunkt hinzuweisen. Der Schuldvorwurf enthält den Gedanken, daß der Adressat des Vorwurfs ein verantwortliches Subjekt ist, das sich anders hätte verhalten können und sollen. Diese Voraussetzungen sind nur bei einer natürlichen Person gegeben. Der Vorwurf bezieht sich auf ein sozialethisches Versagen und hat daher nur gegenüber der einzelmenschlichen Persönlichkeit Sinn, nicht aber gegenüber einem Verbande (Jescheck in: Niederschriften Bd.1, S.393; DOV 1953, S.542). Treffend hat Hellmuth Mayer gesagt, daß die sittliche Persönlichkeit etwas anderes sei als nur eine Individuation des objektiven Geistes, nämlich subjektiver Geist und personhaft sittlicher Wille. In schuldhafte Taten setze sich der Verbandsgeist nur durch Vermittlung des Verhaltens der einzelnen Verbandsgenossen und der Verbandsorgane um; der Verbandsgeist werde als fehlerhaftes Motiv immer nur im einzelnen existent. Eine andere Frage ist, ob eine Zurechnung der Schuld der Organe an den Verband stattfinden könnte. Aber auch dieser Gedanke ist wegen des individuellen Charakters der Schuld abzulehnen. Busch hat sich weiterhin um das Problem bemüht, ob nicht durch die Bestrafung des Verbandes in gerechter Weise die einzelnen betroffen werden dürften, die aus dem Verbandskreis heraus schuldhaft rechtswidrig gehandelt oder sich mit
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Beim 40. Deutschen Juristentag wurde von dem Gutachter Heinitz und den beiden Referenten Engisch und Hartung!! eine Bestrafung abgelehnt. Auch in der Diskussion wurden, abgesehen von v. Weber, kaum Gegenstimmen laut. Die zur Abstimmung gestellte These, daß Kriminalstrafen gegen Verbände nicht vorzusehen seien, wurde mit weit überwiegender Mehrheit angenommenu. In der Großen Strafrechtskommission wurde das Problem ebenfalls eingehend behandeltu. Es herrschte Einmütigkeit, daß Strafen gegen Verbände abzulehnen seien. Man suchte nach anderen Wegen, gegen Verbände bei Rechtsverstößen vorzugehen.
3. Wie schon erwähnt, hat sich v. Liszt für eine Bestrafung eingesetzt. Seine strafrechtliche Grundkonzeption hatte jedoch, wie schon angedeutet, weitgehend den Zweck- und Sicherungsgedanken im Auge, der sich innerhalb Deutschlands dahin auswirkte, neben einem System der Strafen ein System der Maßregeln der Besserung und Sicherung zu schaffen. So tauchte nunmehr die Frage auf, ob Maßregeln, die den besonderen Verhältnissen eines Verbandes angepaßt sind, als Reaktionen gegenüber Verbänden zu empfehlen seien. Auf dem Internationalen Strafrechtskongreß in Bukarest vom Jahre 1926 war bereits der Vorschlag gemacht worden, der Verbandskriminalität mit besonderen Sicherungsmaßregeln zu begegnen. Dies war auch das Hauptanliegen diesem Handeln solidarisch gezeigt haben. Es würde sich dann um eine Art von Verurteilung unter einer Kollektivbezeichnung handeln. Busch hat dies vor allem mit dem Gedanken eines gesteigerten strafrechtlichen Risikos der Verbandstätigkeit zu begründen versucht. Der dem Verband beitretende Genosse habe bewußt dieses Risiko übernommen. Als entscheidend sieht er jedoch den Gedanken der Schicksalsgemeinschaft an. Mit Recht hat Engisch dem entgegengehalten, dies laufe darauf hinaus, daß die Verbandsmitglieder dann schuldlos für das einstehen müßten, was andere schuldhaft getan hätten., mit denen sie durch Zufall, Ahnungslosigkeit und Gutgläubigkeit im Verband zusammengeführt worden seien. Nur insoweit der konkrete Vorwurf erhoben werden könnte, daß der einzelne sich schuldhaft an dem deliktischen Geschehen innerhalb des Verbandes beteiligt habe, sei eine Strafhaftung für das deliktische Geschehen gerecht. Die Bestrafung müsse dann aber nach Maßgabe der Schuld des einzelnen stattfinden. Schließlich ist die Bestrafung des Verbandes auch vom Gesichtspunkt der Strafe her abzulehnen. Enthält diese ein ethisches Mißbilligungsurteil, wie es im geltenden Recht der Fall ist und auch dem E 1962 zugrunde liegt, so kann eine Strafe gegen einen Verband aus den gleichen Gründen nicht ausgesprochen werden., wie ein Schuldvorwurf nicht erhoben werden kann. Wenn Rotberg sich gegen diese Argumentation mit dem Hinweis wendet, daß es im Recht, insbesondere im bürgerlichen Recht, anerkannt sei, daß das Verhalten eines Verbandes als gegen die guten Sitten verstoßend bezeichnet werde, so handelt es sich hierbei um eine Wertung, die in der Ebene des objektiven Unwerturteils über das Verhalten liegt, sich dagegen nicht auf einen Imperativ bezieht, der für die Schuld das Entscheidende ist. - An dieser Stelle sollten nur die dogmatischen Gesichtspunkte kurz zusammengefaßt werden. Ein Eingehen auf die rechtspolitischen Momente, die für eine Bestrafung angeführt werden, soll weiter unten erfolgen. !Z Verh. d. 40. Dt. JT, Bd. 11, E, S. 43 ff. IS a.a.O., E, S. 86. U Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. I, 1956, S. 71 fl., Bd. IV, 1958, S. 321 ff. (im folgenden abgekürzt: Niederschriften).
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des Korreferats von Hartung beim 40. Deutschen Juristentag. Seine Ausführungen fanden weithin Zustimmung, wenn es auch nicht mehr Zl". einer definitiven Abstimmung kam25• Als Maßregeln wurden u. a. genannt: Sicherungs- oder Präventivgeld, Entfernung einzelner Organe oder Angestellter, Verbot der Verbandstätigkeit für bestimmte Zeit, Verbot bestimmter Betätigungen, Auflösung des Verbandes usw. Im einzelnen gingen die Ansichten, welche Maßregeln zu empfehlen seien, auseinander. In der Folgezeit fand dieser Gedanke weitere Anhänger.
Die Problematik der Sicherungsmaßregeln liegt erheblich einfacher als die der Bestrafung. Sie setzen nicht notwendig eine Handlung voraus. Auch an einen gefährlichen Zustand können sich Sicherungsmaßnahmen knüpfen, also auch an Gefahren, die von einem Verbande ausgehen. Sie ....erlangen ferner nach ihrer Grundidee nicht ein Verschulden; auch die objektive Verwirklichung eines Rechtsverstoßes kann genügen. Schließlich liegt in den Maßregeln kein sozial ethischer Tadel. Dennoch können sie den Bedürfnissen, die man mit einer Sanktion gegenüber Verbänden anstrebt, allein nicht genügen. Sie haben ihrer Zielsetzung nach prophylaktischen Charakter, sollen also lediglich einer Gefährdung für die Zukunft vorbeugen. Es gibt aber auch Fälle, in denen diese Voraussetzungen nicht vorliegen, in denen aber dennoch die Notwendigkeit einer Reaktion bejaht wird. Für eine repressive Funktion könnten sie also, wenn ihr Sinn nicht denaturiert werden soll, nicht vorgesehen werden. Außerdem könnten sie - was allerdings nicht unbestritten ist - ihrer Zielsetzung nach für eine Abschöpfung der Gewinne, die ein Verband durch Rechtsverstöße erlangt hat, nicht nutzbar gemacht werden, da es sich hier um eine in der Vergangenheit liegende Wirkung handelt. 4. Eine neue Situation entstand, als durch das Wirtschaftsstrafgesetz von 1949 und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten von 1952 in die deutsche Gesetzgebung Ordnungswidrigkeiten als eine besondere Gruppe des Unrechts mit der Sanktion der Geldbuße eingeführt worden waren. Es ergab sich nun als dritte Alternative die Geldbuße. Bekanntlich hatte diese Gesetzgebung an die Lehren über das Verwaltungsunrecht - im Sinne von Goldschmidt und Erik Wolf - angeknüpft. Insbesondere hatte Eb. Schmidt als maßgebender Mitarbeiter bei den Vorarbeiten auf diesen Gedanken aufgebaut. Danach soll es sich beim Verwaltungsunrecht nicht um eine Verletzung von Rechtsgütern handeln, sondern um einen Ungehorsam gegenüber den zur Durchführung von Verwaltungsanordnungen erlassenen Ordnungsvorschriften. Dem Ordnungsunrecht sollen das für das Kriminaldelikt typische, ethisch vorwerfbare Unrecht der Tat und die kriminelle Willensrichtung des Täters fehlen. Der Gesetzgeber greife bei der Aufstellung solcher Normen im Interesse eines geordneten Zusammenlebens und einer reibungslosen Verwaltung selbstschöpferisch und gestaltend in das 25
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Sozialleben ein. Er schaffe hier durch konstitutive Normen erst die Möglichkeit eines rechtswidrigen Verhaltens, das an sich "völlig unspeziftsch und ambivalent" sei. Unrechtsqualität erhalte das wertneutrale Verhalten erst als Verstoß gegen die positiv geschaffene rechtliche Ordnung. Das Unrecht bestehe hier in dem Widerspruch zum Ordnungswert des Rechts, sein Kern sei Ordnungsverletzung und Verbotswidrigkeit. Das kriminelle Unrecht gründe sich dagegen auf den schon vorher auffindbaren materiellen Unwert der Handlung. Die Verletzung betreffe Werte, die bereits in der lebendigen Sittenordnung wirkten28 • In erster Linie soll es sich bei den Ordnungswidrigkeiten um Lässigkeiten handeln, die sich der einzelne gegenüber den Anordnungen der Verwaltungsbehörden dadurch zuschulden kommen lasse, daß er nicht diejenige mitwirkende Aktivität aufbringe, die das reibungslose Funktionieren der Verwaltungstätigkeit voraussetze 27 • Dieses Unrecht soll daher vom kriminellen Unrecht nicht quantitativ, sondern qualitativ unterschieden sein, es soll sozial ethisch keinen Unwert darstellen. Entsprechend soll auch die Schuld keine sozial-ethische Belastung des Täters sein, der Schuldvorwurf keinen sozial-ethischen Tadel enthalten. Das gleiche soll für die Sanktion, die Geldbuße, gelten. Sie wird als eine Warnung des Täters gekennzeichnet, die seine Aktivität steigern und anspornen, seinen Willen zum verwaltungsmäßigen Gehorsam und die Einsicht in seine Notwendigkeit stärken so11 28 , als ein scharfer Anruf, eine Pftichtenmahnung, eine Sanktion, die nicht die sittliche Persönlichkeit des Täters angeht. Ein sittliches Pathos wohne der Geldbuße im Gegensatz zur Strafe nicht inne, sie solle den Täter von weiteren Verstößen abhalten 29 • Auch hier bestehe also ein qualitativer Unterschied gegenüber der Strafe30• Diese Lehre ist bekanntlich nicht unbestritten. Insbesondere Hellmuth Mayerll, aber auch andere wie Welzel haben sich gegen sie gewandt. Man hat u. a. geltend gemacht, der Unterschied zwischen kriminellem Unrecht und Ordnungswidrigkeit sei nur ein quantitativer, ein gradueller. Welzel hat ausgeführt, daß vom kriminellen Kernbereich eine kontinuierliche Linie 26 Lange, JZ 1956, 521; ders., JZ 1956, 573 ff.; im Anschluß an ihn Michels, Strafbare Handlung und Zuwiderhandlung, Berlin 1963, S. 33 ff., 37 ff.; dafür, daß mit dem Hinweis auf eine präexistente Ordnung nicht ein Rückgriff auf naturrechtliche Gedankengänge gemeint ist, siehe Michels, a.a.O.,
S. 80 f.
27 Eb. Schmidt, Das neue westdeutsche Wirtschaftsstrafrecht, Beiheft zur Deutschen Rechtszeitschrift, 11, 1950, S. 27 f. 28 Eb. Schmidt, a.a.O., S. 27 ff.; Rotberg, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Kommentar, 3. Auflage, 1964, Einleitung S. 25 ff. !9 Rotberg, a.a.O., S. 27 f. 30 Vgl. hierzu auch Lang-Hinrichsen, Zur Frage der Schuld bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, Goltd. Arch. 1957, S. 225 ff. 31 Hellmuth Mayer, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1953, S. 71 ff.
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eines zwar schwächer werdenden, aber niemals ganz verschwindenden materialen Unrechts hin bis zu den entferntesten Bagatelldelikten und den Ordnungswidrigkeiten führe3!. Auf diese Kontroverse soll nicht näher eingegangen werden, vielmehr der Standpunkt des geltenden Rechts für die weiteren Erörterungen zunächst als Arbeitshypothese zugrunde gelegt werden.
5. Von dieser Grundlage aus erachtete man die Geldbuße als ein geeignetes Mittel für eine Reaktion gegenüber Verbänden. Gerade der Gedanke, daß die Ordnungswidrigkeit, der Schuldvorwurf und die Sanktion sozialethisch nicht unwertbehaftet seien, schien die Schwierigkeiten, die einer kriminellen Bestrafung entgegenstehen, auszuräumen. Die Gesetzgebung hat daher von dieser sich nun bietenden Möglichkeit Gebrauch gemacht. Im Laufe der Zeit sind über achtzig Bundesgesetze83, ferner auch Landesgesetze erlassen worden, die Bußgeldtatbestände enthalten, darunter auch solche, die Geldbußen gegenüber Verbänden androhen. Es soll nur auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (im folgenden Kartellgesetz genannt) § 41, das Außenwirtschaftsgesetz § 37 hingewiesen werden!'. Es fragt sich nun, ob die Geldbußenandrohungen gegenüber Verbänden im Einklang mit den oben wiedergegebenen Grundgedanken des Ordnungswidrigkeitenrechts und seiner Sanktionen stehen. Durchmustert man die Gesetze, die Bußgeldandrohungen enthalten, so ergibt sich, daß diese in immer weitergehendem Umfang sich nicht auf das eigentliche Verwaltungsunrecht beschränken. Die Begründung des genannten Entwurfes eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten erkennt dies auch an. Sie führt aus, daß mitunter auch Vergehenstatbestände in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt worden seien, da der Gesetzgeber sich nicht darauf beschränkt habe, nur die Fälle des echten Verwaltungsungehorsams (etwa die Verletzung von Melde-, AuskunftsWetzet, Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, in: JZ 1956, S.241. Zusammenstellung von Bundesgesetzen in dem von OLGRat Dr. Meyer für den Sonderausschuß erstatteten Gutachten, Sonderausschuß, S. 412 (linke Spalte). 36 Bußgeldandrohungen gegenüber Verbänden sind in folgenden Bundesgesetzen enthalten: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 41; Außenwirtschaftsgesetz, § 37; Kreditwesengesetz vom 10. 7. 1961, BGBl. I, S. 881, § 59; Gesetz über Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln vom 5. 9. 1961, BGBl. I, S. 1653, § 8; Gesetz zur Durchführung der VO Nr. 13/64 EWG (Milchund Milcherzeugnisse) des Rates der EWG, BGBl. I 1964, S. 821, § 15; Gesetz zur Durchführung der VO Nr. 14/64 (Rindfleisch) des Rates der EWG, BGBl I 1964, S. 829, § 14; Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts vom 27. 7. 1957, BGBl. I, S. 1110, § 42; Gesetz über forstliches Saat- und Pflanzgut vom 25. 9. 1957, BGBl. I, S. 1388, § 16; Gesetz über die Statistik für Bundeszwecke vom 3. 9. 1953, BGBl. I, S. 1314, § 15; Gesetz über den Ladenschluß vom 28. 11.1956, BGBl. I, S. 875, § 26 Abs. 3; Bundesbaugesetz vom 23. 6. 1960, BGBl. I, S. 341, § 156 Abs. 3; Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend vom 9. 8. 1000, BGBl. I, S. 665, § 69 Abs. 3. lI2
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pflichten usw.) als Ordnungsunrecht zu behandeln. Als Ordnungswidrigkeiten seien vielfach abstrakte Gefährdungsdelikte gewertet worden, und zwar auch Zuwiderhandlungen, die gegen Gebote oder Verbote, die dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen sollen (z. B. § 25 des Gesetzes über das Apothekenwesen vom 20.8.1960, BGBL I, S. 697; § 67 Abs. 1, 2; § 68 des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 9.8.1960, BGBL I, S. 665). In einer Anzahl von Gesetzen seien Erschleichungstatbestände, die im Vorfeld des Betruges lägen, nur mit Geldbuße bedroht (z. B. § 33 Abs.4 Nr. 1 des Außenwirtschaftsgesetzes vom 28. 4. 1961). Zwar habe sich der Gesetzgeber im allgemeinen von dem Grundsatz leiten lassen, solche Handlungen mit Geldbuße zu bedrohen, die ethisch farblos seien, aber auch Handlungen, bei denen der Unrechtsgehalt gering seiSI. Die in der Begründung genannten Beispiele lassen sich noch weitgehend vermehren, so z. B. Kartellgesetz § 38 Abs. 1 Ziff. 7 (vorsätzliche unrichtige oder unvollständige Angaben, um für sich oder einen anderen eine Erlaubnis. .. zu erschleichen ...), Ziff. 9 (vorsätzlich einem anderen einen wirtschaftlichen Nachteil zufügt, weil er Verfügungen der Kartellbehörde beantragt ... , also die Schädigung eines Konkurrenten herbeüührt). Lange hat mit Recht diese Fälle als Unrecht per se bezeichnet38• Der Kommentar zum Außenwirtschaftsgesetz von Sieg-Fahning-Kölling erklärt, daß die Erschleichung von Genehmigungen "auf der Grenze zum kriminellen Unrecht" stehe37 • Auch die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Aufsichtspflicht38, wenn sie innerhalb eines Betriebes eine mit Strafe oder Geldbuße bedrohte Handlung zur Folge hat, enthält, auch wenn es sich hierbei nur um eine objektive Bedingung der Ahnduag handelt, kein Ordnungsunrecht, sondern sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht. Es würde sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handeln. Ein überblick über die Gesetzgebung zeigt ferner, daß die neuen Bußgeldtatbestände auch durchaus nicht nur Bagatellunrecht, sondern häufig Unrecht großen Ausmaßes enthalten. Die Höhe der Geldbußen, die in den Gesetzen angedroht sind und die oft weit über das Maß des Ordnungswidrigkeitengesetzes (§ 5 OWiG, eintausend Deutsche Mark) hinausgehen, dürfte sich nicht nur mit der größeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des in Betracht kommenden Personenkreises erklären lassen, wie Langen meint, sondern auch dem Umfang und der Art des hier in Betracht kommenden Unrechts - sozialethisch unwertbehaftet - Rechnung tragen. In besonders markanter Weise ist das Gebiet des Verwaltungsunrechts im Kartellrecht überschritten worden. Die Begründung zum Kartellgesetz40, die darlegt, warum die Kartellverstöße ausnahmslos in das Gebiet der Ordnungswidrigkeiten eingereiht worden sind, erscheint um so weniger überzeugend, wenn man die Ausführungen eines Kenners der Entstehungsgeschichte des Gesetzes wie Staatssekretär Dr. Krille liest. Er weist darauf hin, daß man bei 35 Begründung zum Entwurf (Einleitung A) eines Ordnungswidrigkeitengesetzes, S. 5. 38 Lange, Handwörterbuch der Sozialwissenschaft, 44. Lieferung, Wirtschaftsstrafrecht, S. 255 f. 37 Kommentar zum Außenwirtschaftsgesetz, 1963, § 33, Randnote 9. 38 Die Verletzung der Aufsichtspflicht ist im Wirtschaftsrecht in mehreren Gesetzen als Geldbußtatbestand normiert, vgl. § 5 WiStrG, § 40 Kartellgesetz, § 36 Außenwirtschaftsgesetz. Dieser Tatbestand ist allgemein für das Gebiet der Ordnungswidrigkeiten in § 22 Referentenentwurf vorgesehen. 3t Lange, Handwörterbuch d. Sozialwissenschaft, S. 256. 40 Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, Drucksache Nr. 1158, S. 21 f.
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der Kartellgesetzgebung ganz bewußt "einer gewissen Dynamik", also den bestehenden Machtverhältnissen, Rechnung getragen habe41 • In scharfer Weise ist von Mitgliedern der Großen Strafrechtskommission daran Kritik geübt worden, daß hier Manipulationen, durch die oft ein in die Millionen gehender Schaden, z. B. durch Absprachen bei Bauvergaben, zum Nachteil der öffentlichen Hand, entsteht, zum Oronungsunrecht abgewertet worden sind. Eb. Schmidt hat in diesem Zusammenhang von "zweifellos kriminellen Sachverhalten", von "mißbräuchlicher Handhabung durch den Gesetzgeber" gesprochen. Andere Kommissionsmitglieder haben sich dem angeschlossen'!.
Es ist mithin in weitem Umfang ein Rechtsgebiet in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten einbezogen worden, das die Merkmale des Verwaltungsunrechts nicht aufweist, ein Gebiet, das sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht enthäit43• Das Rechtsgebiet der Ordnungswidrigkeiten hat damit aufgehört, eine einheitliche Materie zu sein. Wenn man Verhaltensweisen wie Bezug bestimmter Wirtschaftsgüter, Unterlassen von Meldungen und Anzeigen, Verweigerung von Auskünften, Verhinderung einer Besichtigung oder Untersuchung, Beziehen oder Nichtbeziehen von Milch aus einer bestimmten Molkerei usw. noch als wertneutrale Verhaltensweisen bezeichnen könnte, so trifft dies jedenfalls auf Handlungen, die im Vor.feld des Betruges liegen, auf eine große Zahl der abstrakten Gefährdungsdelikte z. B. auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts, des Apothekenwesens, des Jugendarbeitsschutzgesetzes, auf die AufsichtsNiederschriften, Bd. 8, 1959, S. 76. Niederschriften, Bd.8, 1959, S.80; vgl. auch Lange, Bockelmann in Niederschriften, Bd. 8, 1959, S. 78, 80. 43 Es wäre nicht richtig, abstrakte Gefährdungsdelikte schlechthin zum Verwaltungsunrecht zu rechnen. Es gibt bekanntlich auch abstrakte Gefährdungsdelikte, die zum kriminellen Unrecht gehören. Das maßgebende Kriterium wird in der Höhe des Grades der Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Gefahr liegen, die den Gesetzgeber zur Aufstellung der Vorschrüt veranlaßt hat. Ist der Grad des Eintritts der Gefahr besonders hoch und liegt die Beziehung auf das zu schützende Rechtsgut klar zutage, dann wird der Gesetzgeber die Tat mit Strafe bedrohen. Man hat hier von "verkappten konkreten Gefährdungsdelikten" gesprochen (UmhaueT, Ein Beitrag zur Lehre vom Begriff und Wesen des Polizeideliktes, Diss. Freiburg, 1904, S.54). Allerdings ist dieser Ausdruck: mißverständlich, da der Eintritt der Gefahr nicht zum Tatbestand gehört. Beim Verwaltungsunrecht dagegen liegt der Gefahreintritt erheblich ferner, der Bezug auf das zu schützende Rechtsgut ist nur durch Reflexion zu ermitteln (zu der Unterscheidung siehe Michels, a.a.O., S. 72 f.). Hellmuth Mayer hat auf das Beispiel des unterlassenen Raupens hingewiesen, bei welchem der Unrechtsgehalt in der Gefährdung der Obsternte des Nachbarn liegt (Strafrecht, S.73). Bei unterlassenen Meldungen, vorgeschriebenen Anzeigen usw. ist der Bezug zu dem gefährdeten Rechtsgut wesentlich weniger deutlich. Fälle dieser Art werden daher zum Verwaltungsunrecht gerechnet. Gerade bei der Differenzierung der abstrakten Gefährdungsdelikte zeigt sich die Problematik der Unterscheidung von Verwaltungsunrecht und Kriminalunrecht. Entscheidend für die hier anzustellende Betrachtung ist jedenfalls, daß die sog. verkappten konkreten Gefährdungsdelikte, die weitgehend als Ordnungswidrigkeiten behandelt werden, sozialethisch mißbilligtes Unrecht enthalten. 41
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pflichtverletzung und zahlreiche andere Bestimmungen mit Sicherheit nicht ZU 44 • U Es sollte übrigens nicht verkannt werden, daß sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht und durch positive Satzung geschaffenes Unrecht miteinander verbunden sein können. Dies läßt sich z. B. an den sog. Mischtatbeständen aufweisen. Lange und im Anschluß an ihn Michels (Lange, JZ 1956, S. 77 f.; Michels, a.a.O., S. 53 ff.) sind der Auffassung, daß bei den strafbaren Zuwiderhandlungen die Unrechtshandlung im Wesenskern und in der Struktur gegenüber dem Grundtatbestand der mit Geldbuße bedrohten Ordnungswidrigkeiten nicht verändert werde, sondern lediglich das Zuwider gegen den positiven Gesetzesbefehl eine andere, nämlich als sozialethisch relevant gekennzeichnete Bewertung erfahre. Auch hier seien die Gebote und Verbote, die das Verwaltungsunrecht ausmachten, konstitutiv für das Unrecht. Die Qualiftkationsmerkmale des § 3 Abs. 1 Wirtschaftsstrafgesetz bewirkten einen Umschlag vom Quantitativen ins Qualitative. Diese Begründung, die den Gegnern des Verwaltungsunrechts einen Ansatzpunkt für die Kritik in dem Sinne geboten hat, daß der Unterschied von Straftat und Ordnungswidrigkeit doch nur quantitativ sei, erscheint bedenklich. Es ist durchaus möglich, daß sich durch Hinzufügung von Qualiftkationsmerkmalen zu einem Grundtatbestand die Norm selbst ändert. Dies wird für die Merkmale des § 3 Wirtschaftsstrafgesetz anzunehmen sein. Die dem § 3 Nr. 1 zugrunde liegende Norm geht dahin, daß niemand durch eine Tat Ziele der Wirtschaftsordnung erheblich beeinträchtigen soll. Diese Norm ist nicht, wie es nach ~ange für Verwaltungsnormen charakteristisch sein soll, umkehrbar. Sie trägt eine präexistente Wertwidrigkeit in sich. Nur die Art, wie diese sozialethische Norm verletzt werden kann, hängt von der positivrechtlich geschaffenen Ordnung ab, also die Möglichkeit der Verletzung dieser Norm, die Begehungsweise. Sie ist verschieden, je nachdem welche positive Ordnung der Gesetzgeber geschaffen hat. Ähnliches ließe sich bei § 3 Nr. 2 nachweisen, jedenfalls sofern er das Handeln aus verwerflichem Eigennutz oder ein sonst verantwortungsloses Handeln, in welchem die Mißachtung des öffentlichen Interesses an dem Schutz der Wirtschaftsordnung zum Ausdruck kommt, betrifft. Es erfährt also nicht - bei angeblich gleichbleibender Struktur des Delikts - der Ungehorsam eine andere Wertung, sondern es wird eine andere, nämlich eine sozialethische Norm verletzt. - Wenn ferner nach § 6 Wirtschaftsstrafgesetz die Geldbuße das Entgelt, das der Täter für die Ordnungswidrigkeit empfangen, und den Gewinn, den er aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll, so ist dies zwar ähnlich wie in § 27 Abs.2 StGB als eine reine Bemessungsvorschrift behandelt. In Wirklichkeit dürfte ihr aber die sozialethische Norm zugrunde liegen, daß die durch Gesetzesverstöße erzielten Gewinne sozialethisch mißbilligt sind. Auch diese Norm ist nicht umkehrbar. Aus der positivrechtlich, erst durch den Gesetzgeber geschaffenen Ordnung ergibt sich hier lediglich die jeweilige Möglichkeit der Verletzung der sozialethischen Norm. Z. B. kann unter der Herrschaft eines Kartellzwanges (vgl. z. B. Reichskaligesetz von 19lO) ein Gewinn durch Verstoß gegen den Kartellzwang, unter der Herrschaft eines Kartellverbots (Kartellgesetz) durch Umgehung des Kartellverbots begangen werden. Verletzt wird aber stets - wenn auch in unterschiedlicher Begehungsweise - immer ein und dieselbe sozialethische Norm des Verbots einer Gewinnerzielung durch Gesetzesverstoß. Sie ist nicht umkehrbar, während die Norm: Kartellverbot oder Kartellzwang umkehrbar ist. Soweit also die Geldbuße der Gewinnabschöpfung dient, kann sie nicht wertneutral sein. Die Geldbuße wäre dann im Gebiet des reinen Verwaltungsunrechts teils sozialethisch neutral, soweit sie einen Mahnruf enthält, teils dagegen sozialethisch unwertbehaftet, soweit sie der Gewinnabschöpfung dient. Sie trägt daher in diesem Bereich einen Mischcharakter. Auch hier zeigt sich die Verschlingung von sozialethisch neutralem und sozialethisch unwertbehaftetem Unrecht. Es ergibt sich daraus ferner das Bedenkliche der Regelung, daß die Geldbuße auch der Gewinnabschöpfung dienen soll. Auf diese Frage wird noch zurückzukommen sein.
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6. Die Kontroverse darüber, ob die Ordnungswidrigkeit sich qualitativ vom kriminellen Unrecht und die Geldbuße sich qualitativ von der Geldstrafe unterscheiden, dürfte wohl wenigstens zum Teil darin begründet sein, daß jeder Autor, wenn auch unausgesprochen, sein Augenmerk auf eine bestimmte Gruppe der Ordnungswidrigkeiten richtet und seine Auffassung auf das ganze Gebiet ausdehnt. Für den Bereich des eigentlichen Verwaltungsunrechts erscheint die Ansicht, daß die Ordnungswidrigkeit und die Geldbuße wertneutral seien, immerhin vertretbar. Dies gilt dagegen nicht, soweit die Ordnungswidrigkeit sozialethisch zu mißbilligendes Unrecht enthält. In diesem Falle ist die Verhaltensweise nicht wertneutral. Dementsprechend kann auch der Schuldvorwurf nicht wertfrei sein. Wird etwas sozialethisch Mißbilligenswertes vorgeworfen, so enthält der Vorwurf notwendig einen sozialethischen Tadel. Das gleiche gilt für die Sanktion. Auch sie kann hier nicht wertneutral sein. Damit soll nicht gesagt werden, daß sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht stets eine kriminalrechtliche Ahndung erfordere. Da nicht alles sozialethisch Mißbilligte geahndet werden muß, braucht es auch, wenn eine Ahndung stattfinden soll, nicht notwendig kriminalrechtlich geahndet zu werden. Ob letzteres stattfinden soll, hängt von der Strafwürdigkeit, die, wie Sauer45 sagt, an der Rechtsidee orientiert ist, und von der Strafbedürftigkeit, für die wiederum vorwiegend rechtspolitische Gesichtspunkte maßgebend sind, ab. In diesem Rahmen liegt die Entscheidung, ob eine kriminalrechtliche oder nicht-kriminal rechtliche Ahndung stattfinden soll, in der Hand des Gesetzgebers. Es ist aber seiner Entscheidung entzogen, Unrecht, das zweifelsfrei sozialethisch unwertbehaftet ist, als sozialethisch wertfrei zu erklären. Das gleiche gilt für die auf dieses Unrecht bezogene Schuld und die Sanktion. Anscheinend wird häufig eine nicht-kriminal rechtliche Ahndung mit einer wertneutralen Ahndung identifiziert. Wollte man dem Gesetzgeber die Macht geben, sozialethisch Unwertbehaftetes für wertneutral zu erklären, so wäre dies ein Moralpositivismus, der nicht anerkannt werden könnte. Eine nicht-kriminalrechtliche, dennoch aber sozial ethisch unwertbehaftete Sanktion könnte ähnlich der Geldbuße darin bestehen, daß sie nicht in das Strafregister eingetragen, keine Ersatzfreiheitsstrafe vorgesehen wird, sie nicht als Vorstrafe gilt usw. Der Rechtsnatur nach aber wäre sie von der vom Verwaltungsunrecht her konzipierten wertneutralen Geldbuße wesensmäßig unterschieden. Diese Erwägungen sind für die weiteren Betrachtungen von entscheidender Bedeutung.. 7. Auch die Streitfrage, ob die Geldbuße vorwiegend präventiven oder repressiven Charakter hat, dürfte damit zusammenhängen, daß jeder Autor nur ein Teilgebiet der Ordnungswidrigkeiten ins Auge faßt. Handelt es sich 45
Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, 3. Auflage, 1955, § 7 I, H.
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wn das eigentliche Gebiet des Verwaltungsunrechts, so weisen alle Definitionen des Sinnes der Geldbuße, daß sie nämlich ein Mahnruf sei, daß sie den Betroffenen zur Beachtung der Verwaltungsinteressen anhalten solle usw., deutlich auf den vorwiegend präventiven Charakter hin, wie er auch von Eb. Schmidt48, Frau Dr. Koffka47 und anderen vertreten wird. Handelt es sich dagegen um sozialethisch mißbilligtes Unrecht, so dürfte die repressive Funktion im Vordergrund stehen.
8. Auch hier zeigt sich wieder, daß die Tatsache, daß das Gebiet der Ordnungswidrigkeiten entgegen der ursprünglichen Konzeption kein einheitliches Rechtsgebiet mehr ist, im Schrifttum nicht berücksichtigt wird. Die vom Verwaltungsunrecht her konzipierten Lehren werden unbesehen auf das gesamte Gebiet der Ordnungswidrigkeiten übertragen. Dies zeigt sich auch deutlich in ,dem Kommentar des Ordnungswidrigkeitengesetzes von Rotberg noch in der dritten Auflage (1964). Hier werden die für das Verwaltungsunrecht entwickelten Lehren vorgetragen, ohne daß eine Differenzierung der einzelnen Gruppen der Ordnungswidrigkeiten vorgenommen wird. Es besteht also weithin keine Klarheit über die Unterschiede der im Ordnungswidrigkeitenrecht untergebrachten Erscheinungen und vor allem nicht über deren notwendige Konsequenzen. 9. Die Ordnungswidrigkeiten sind im Laufe der Zeit ein Sammelbekken für heterogene Verhaltensweisen geworden, die nicht kriminalrechtlich geahndet werden sollen. Gleichviel, ob es sich um eigentliches Verwaltungsunrecht oder um sozialethisch unwertbehaftetes oder sogar strafwürdiges Unrecht (teilweise im Kartellgesetz) handelt, gleichviel, ob die Geldbuße gegen Einzelpersonen oder Verbände gerichtet ist, gleichviel, ob sie vorwiegend präventiven oder repressiven Zwecken dienen soll, ob sie gar in Wirklichkeit nur eine privilegierte Geldstrafe ist, oder ob sie in erster Linie als Mittel für die Gewinnabschöpfung gedacht ist, wie dies für einzelne Gesetze zutrifft, alles wird unterschiedslos unter den Begriff der Ordnungswidrigkeiten und der Geldbuße gebracht. Für alles sollen unterschiedslos die gleichen vom Verwaltungsunrecht her konzipierten Lehren von der Wertneutralität des Unrechts, der Schuld und der Geldbuße gelten. Die Geldbuße ist allmählich wie die Feuerwehr das "Mädchen für alles" geworden. Sie ist das "Sesam öffne dich" für den modernen Kriminalisten. Spielend löst sie jedes Sanktionsproblem, über das frühere Generationen sich vergeblich den Kopf zerbrochen haben. Überall da, wo man ein rechtspolitisches Bedürfnis aus sachlichen oder unsachlichen (vgl. Kartellgesetz) Gründen nicht durch Strafen befriedigen zu können glaubt, ist man heute aller Verlegenheit 48 47
Eb. Schmidt, Das neue westdeutsche Wirtschafts strafrecht, 1950, S.5l. Koffka, Niederschriften, Bd. 1, S. 300.
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enthoben. Die Geldbuße bietet willfährig ihre Dienste an. Sie hat den Vorzug, ohne Pathos, ganz nüchtern, ganz zahm zu sein, auch wenn sie exorbitante Höhen erreicht48 • Daraus ergibt sich ihre Sanftmut, ihre Anpassungsfähigkeit und vielseitige Verwendbarkeit. Die Große Strafrechtskommission schlug sogar vor, bei einzelnen Tatbeständen des Strafgesetzbuches Geldsanktionen, die das gleiche wie Geldbußen seien, (über die geplanten Vorschriften des Verfalls hinaus) anzudrohen, die gegenüber Verbänden in erster Linie für die Erfassung des unmittelbaren und mittelbaren Gewinns bestimmt sein sollten'" so. Dies hat 48 Im Entwurf zum Kartellgesetz hielt man sogar Geldbußen bis zu einer Million Deutsche Mark mit dem Gedanken der Ordnungswidrigkeiten für vereinbar. 48 Niederschriften, Bd. 4, S. 401 f. 50 Versucht man, von den Tatbeständen des geltenden Ordnungswidrigkeitenrechts ausgehend, eine Systematisierung nach den angegebenen Gesichtspunkten vorzunehmen, so dürften sich drei Gruppen ergeben: a) Das Verwaltungsunrecht im ursprünglichen Sinne - nach der Intention des Gesetzgebers-als ein sozialethisch neutrales Unrecht mit der ebenfalls sozialethisch neutralen Schuld und Geldbuße. Die Geldbuße müßte allerdings von ihrem Mischcharakter, ein Mahnruf und ein Mittel zur sozialethisch mißbilligten Gewinnabschöpfung zu sein, befreit werden. b) Diejenigen Ordnungswidrigkeiten, die sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht enthalten, das jedoch vom Gesetzgeber nicht für strafwürdig und strafbedürftig erachtet wird und daher mit einer nicht-kriminellen Sanktion geahndet werden soll. Zu dieser Gruppe wäre de lege ferenda folgendes zu sagen: :Qie Sanktion (vgl. dazu Näheres unten) würde notwendig einen sozialethischen Tadel enthalten, ohne daß sie strafrechtlichen Charakter trägt. Sie wäre hier vorwiegend repressiver Art, würde aber nicht ins Strafregister eingetragen und nicht mit einer Ersatzfreiheitsstrafe versehen werden. Ihrem Wesen nach wäre sie mit der Geldstrafe, ihren Auswirkungen nach mit der Geldbuße vergleichbar. Hier würde sich vielleicht eine Parallele zu dem in seiner Rechtsnatur bestrittenen Jugendarrest ergeben, wenn man sich der Meinung anschließt, daß er auch repressiven Charakter wie die Strafe hat, auch einen sozialethischen Tadel enthält, aber doch nicht eine Strafe ist, da sich an ihn nicht die mit der Stl"afe verbundenen Folgen anknüpfen. (VgI. Lange, Erziehung und Strafe im heutigen Jugendstrafrecht, Festschrift für Olivecrona, S. 368 ff.) Will man an dem Gedanken eines Verwaltungsunrechts festhalten, so dürfte die Gruppe unter b) nicht in das Gebiet der Ordnungswidrigkeiten eingereiht werden. Vielmehr müßte man sich dann entschließen, eine eigene Gruppe zu bilden, da sonst das Verwaltungsunrecht, um dessen Eigenständigkeit man sich- bemüht hat, denaturiert werden würde. Bereits Wetzet (Der Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht, JZ 1956, S. 240) hat einmal gesagt, daß sich zwischen das kriminelle Unrecht und die reinen Ordnungswidrigkeiten noch das breite Feld der Bagatelldelikte schiebe. Allerdings besteht das hier ins Auge gefaßte Gebiet nicht nur aus Bagatellunrecht. Vielmehr können in diese Gruppe auch andere sozialethisch unwertbehaftete Verstöße eingereiht werden, insbesondere solche, die bisher systemwidrig den Ordnungswidrigkeiten untergeordnet worden sind. Entscheidend ist der Gesichtspunkt, ob Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit bestehen, die u. U. auch bei Delikten, die den Rahmen des Bagatellunrechts überschreiten, verneint werden können. Man könnte für diese Gruppe den nach dem Entwurf 1962 für die Zukunft freigewordenen Terminus "übertretungen" gebrauchen, der dann allerdings einen wesentlich anderen Sinngehalt als bisher erhielte. Würde man diesen Weg gehen, dann könnte das Verwaltungsunrecht, soweit eine sichere Unterscheidung überhaupt möglich ist, rein erhalten bleiben. Andererseits würde die
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allerdings der Entwurf zum Strafgesetzbuch nicht übernommen; ihm ging es - bei aller sonstigen Großzügigkeit des Gesetzgebers auf diesem Gebiet - ersichtlich zu weit. 10. Auf Grund der angestellten Erwägungen ist es nunmehr möglich, zu dem Gedanken, Geldbußen gegenüber Verbänden anzudrohen, Stellung zu nehmen. Die Zulässigkeit wird damit begründet, daß die Geldbuße keinen sozial ethischen Tadel enthalte und daher die Bedenken, die gegen eine Strafandrohung bestehen, entfallen. Dies wird in allen Äußerungen, die zu dieser Frage abgegeben worden sind, deutlich. S~ Möglichkeit geschaffen werden, manches nicht-kriminell zu ahnden, was bisher kriminell geahndet wurde, aber in das Verwaltungsunrecht ohne Systemverletzung nicht eingeordnet werden konnte. Hiermit könnte man auch der vielbeklagten Hypertrophie des Stmfens entgegentreten. Soweit es sich nicht um Verwaltungsunrecht handelt, ergibt sich gegenwärtig die Alternative, entweder die kriminalrechtliche Ahndung beizubehalten oder bisher strafbare Verhaltensweisen, die in das Verwaltungsunrecht nicht eingeordnet werden könnten, ahndungsfrei zu lassen, was in manchen Fällen nicht unerheblichen Bedenken begegnet. Würde man eine solche Gruppe bilden, so wäre man auch nicht genötigt, einige bisherige übertretungen wie z. B. den Mundraub - aus dem Zwang des Systems heraus - zu Vergehen aufzuwerten, wie es im Entwurf geschehen ist; "dem Reim zuliebe machte er's". Als Sanktion für diese Gruppe könnte in leichten Fällen oder Erstfällen - der jeweiligen Besonderheit entsprechend - an einen Schuldspruch mit oder ohne Verwarnung, ferner an eine Verwarnung mit Vorbehalt einer Geldsanktion, im übrigen an eine Geldsanktion (mit Erzwingungshaft) gedacht werden. Jedoch soll der Sanktionsfrage hier nicht näher nachgegangen werden. Wahrscheinlich werden sich noch weitere Möglichkeiten finden lassen. Es sei jedoch betont, daß die Frage der jeweiligen Sanktion nicht das vordringlichste Anliegen dieser Vorschläge ist. Vielmehr besteht es darin, daß diese Verstöße abgesondert von den Strafbestimmungen geregelt werden, damit durch die Trennung zum Ausdruck gebracht wird, daß diese Gruppe vom Gesetzgeber als nicht strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht behandelt wird, also auch die Sanktion keinen kriminalrechtlichen Charakter trägt. Das Verfahren würde im wesentlichen dem Strafverfahren angepaßt sein müssen, wenn auch vielleicht mit gewissen Vereinfachungen. Jedenfalls hat die Entwicklung gezeigt, daß die bisherige Alternative von Ordnungswidrigkeiten und kriminellem Unrecht nicht ausreicht. Diese Trennung würde allerdings zu einer weiteren Komplizierung der Rechtsordnung führen. So gelangt man zu der ketzerischen Frage, ob es wirklich ein echtes Anliegen ist, das eigentliche Verwaltungsunrecht als ein wertneutrales Unrecht in der Gesetzgebung aufrechtzuerhalten oder ob es nicht verantwortet werden könnte, das Verwaltungsunrecht in die Gruppe des nicht kriminalstrafrechtlich zu ahndenden, sozialethisch unwertbehafteten Unrechts aufzunehmen und nicht umgekehrt, wie es gegenwärtig der Fall ist, sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht in das Gebiet der Ordnungswidrigkeiten einzureihen. Dies würde einen Verzicht auf die besondere Gruppe des Verwaltungsunrechts bedeuten. Die Abtrennung des Verwaltungsunrechts - man denke z. B. an die Unterscheidung abstrakter Gefährdungsdelikte (bald neutrales Verwaltungsunrecht und bald sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht) wird immer Schwierigkeiten bereiten. Letztlich muß in vielen Fällen der Gesetzgeber die Entscheidung durch sein Machtwort treffen. Der Wesensunterschied beider Gebiete ist sicher nur ein relativer. Selbst ein so enragierter Vertreter des Verwaltungsunrechts wie Michels erklärt, daß der Ungehorsam gegen bloße Ordnungsvorschriften "in sich" "natürlich" sozialethisch relevant ist - allerdings nur "von der Warte eines höheren Staats-
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hat z. B. Frau Dr. Koffka 51 ausgeführt, die gegen die Zulässigkeit einer Geldbußenandrohung gegenüber Verbänden vorgebrachten Einwände verkennten, daß die Maßnahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht ein minus, sondern ein völliges aliud gegenüber den Strafen seien. Handele es sich um einen verschärften Verwaltungsbefehl, so bestünde nicht die geringste Schwierigkeit, die Geldbuße auch Verbänden aufzuerlegen. Ähnlich lauten die Äußerungen Eb. Schmidts52 • Auch Rotberg53 begründet die Zulässigkeit von Geldbußen gegenüber Verbänden damit, daß es sich um eine wertneutrale Reaktion zum Zwecke der Durchführung von Verwaltungsaufgaben handele. Diese Argumentation berücksichtigt nicht, daß die Geldbuße, soweit sie bei Tatbeständen, die sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht enthalten, angedroht ist, gerade nicht wertneutral ist. Sieht man also die Androhung einer Strafe gegenüber Verbänden als unzulässig an, weil ein sozialethischer Tadel gegenethos" aus (Michels, a.a.O., S. 51). Aber warum sollte man nicht auch einmal die Warte eines höheren Staatsethos besteigen? Dies kann kaum ein sacrificum intellectus bedeuten, jedenfalls kein großes. Letztlich ist das Verwaltungsunrecht nicht, wie es manchmal nach dem Schrifttum erscheinen mag, ein Naturprodukt, das uns zwingend vorgegeben ist, sondern ein Produkt der Kunst, allerdings einer hohen. Gewiß mag es für die zahlreichen Väter und Paten des Verwaltungsunrechts schmerzlich sein, ihr mit so vielen Mühen geborenes, später ohne ihre Schuld millratenes Lieblingskind in die Wolfsschlucht zu werfen. Als Trost für die Zukunft wird die wohl kaum noch in Frage zu stellende Errungenschaft einer nicht kriminalrechtlichen Ahndung dieses Unrechts bleiben. Vielleicht wäre das Problem in seiner langen Dogmengeschichte nicht mit solchem Scharfsinn behandelt worden, wenn man schon früher die heute anerkannten Kategorien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als selbständige Voraussetzungen der Strafbarkeitserklärung erkannt hätte. Dann wäre es vermutlich nicht nötig gewesen, die nicht kriminalrechtliche Ahndung, die schließlich das Hauptanliegen war - die Verfahrensfragen haben demgegenüber nur sekundäre Bedeutung - durch die Herausarbeitung qualitativer Unterschiede zum kriminellen Unrecht zu begründen. So kam es auch zu dem Dogma der Gleichsetzung von nicht-krimineller und sozialethisch wertneutraler Ahndung. Man kann daher vielleicht die Behauptung wagen, daß die Notwendigkeit, eine qualitative Unterscheidung zu finden, aus der früheren dogmengeschichtlichen Situation zu erklären ist, nämlich, wie erwähnt, aus dem Fehlen der Kategorien der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit. Ist man imstande, eine nicht-kriminalrechtliche Ahndung durch Verneinung dieser Merkmale zu begründen - sie setzt keine qualitativen Unterschiede des Unrechts voraus - so ist das eigentliche Ziel, das die Lehren des Verwaltungsunrechts erstrebten, erreicht. Im Ergebnis würden diese Erwägungen wohl den Anschauungen von Hellmuth Mayer Rechnung tragen (Strafrecht, S. 70 ff.). c) In einer weiteren Gruppe des jetzigen Gebietes der Ordnungswidrigkeiten handelt es sich ebenfalls um sozialethisch unwertbehaftetes Unrecht. Hier hätten aber vom Gesetzgeber Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit bejaht werden müssen. Es trifft u. a., wie ausgeführt, bei einer Reihe von Tatbeständen des Kartellrechts zu. Dieses Gebiet ist in das Strafrecht zu verweisen. Auf diesem Wege ließe sich wohl das gegenwärtige Elend des Ordnungswidrigkeitenrechts beseitigen. 51 Niederschriften, Bd. 1, 1956, S. 300. 52 Niederschriften, Bd. I, 1956, S. 317. 53 Rotberg, Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Auflage, 1964, Einleitung, S. 28. 5 Festschrift für Hellmuth Mayer
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über Verbänden nicht ausgesprochen werden könne, so ist es geradezu ein Widerspruch, wenn man im Bereich sozialethisch unwertbehafteten Unrechts die Geldbuße für zulässig erachtet. Auch hier zeigt sich wieder, daß die dem Verwaltungsunrecht entnommenen Lehren ohne weiteres auf das ganze Gebiet der Ordnungswidrigkeiten übertragen werden, obwohl sie nur für das Gebiet des Verwaltungsunrechts entwickelt sind und auf den übrigen Teil der Ordnungswidrigkeiten keine Anwendung finden können. Die Generalisierung muß notwendig zu Fehlschlüssen führen. Danach ist die Geldbuße gegenüber Verbänden jedenfalls in dem zweiten Bereich der Ordnungswidrigkeiten als unzulässig anzusehen. Auf dem eigentlichen Gebiete des Verwaltungsunrechts ist die Problemlage etwas anders. Hier soll es sich, wie ausgeführt, nicht um einen sozialethischen Vorwurf handeln. Auf diesem Gebiet würde es darauf ankommen, ob gegenüber einem Verband überhaupt ein Vorwurf, auch wenn er keinen ethischen Gehalt hat, unzulässig ist. Diese Auffassung wird von Rudolf SchmiW' vertreten. Sie mag gewiß manches für sich haben. Der dogmatischen Frage braucht aber nicht weiter nachgegangen zu werden, da aus allgemeinen rechtspolitischen Erwägungen heraus die Sanktion der Geldbuße auch hier abzulehnen ist. Erachtet man bei Tatbeständen, die sozialethisch unwertbehaftet sind, eine Geldbuße für unzulässig, dann wäre es eine unerträgliche Diskrepanz, wenn man sie bei sozialethisch-neutralen Verhaltensweisen anerkennen würde. Abgesehen hiervon treffen allgemein auf den Bereich des reinen Ordnungsunrechts alle jene Erwägungen nicht zu, die man unter rechtspolitischen Gesichtspunkten für die Notwendigkeit einer Reaktion gegenüber Verbänden angeführt hat. Daß hier von den Verbänden Unrecht "größten Ausmaßes" begangen würde, daß die Macht der Verbände "gezügelt", "im Zaume gehalten"55 werden müßte usw., sind Gesichtspunkte, die jedenfalls für diesen Teil des Unrechts nicht in Betracht kommen. Daher ist auch insoweit eine Geldbuße abzulehnen. Sie hat also gegenüber Verbänden auf dem ganzen Gebiet der Ordnungswidrigkeiten auszuscheiden56. 54 Rudolf Schmitt, a.a.O., S. 216. Für denjenigen, der bereits die Möglichkeit der Handlung eines Verbandes ablehnt, muß die Geldbuße bereits aus diesem Grunde auch auf dem Gebiete des Verwaltungsunrechts in Fortfall kommen. Eb. Schmidt (Niederschriften, Bd. 1, S. 317) will anscheinend dieses Argument damit ausräumen, daß der gesetzliche Vertreter im Verwaltungsbereich den Verband auch in den Beziehungen vertreten kann, die zur Auslösung der Geldbuße führen. Ersichtlich will er hier mit dem Gedanken der Zurechnung einer Organ- und Vertreterhandlung an den Verband arbeiten. Hierauf braucht m. E. nicht näher eingegangen zu werden, da die im folgenden angeführten rechtspolitischen Gründe gegen eine Buße auch auf dem Gebiet des Verwaltungsunrechts durchschlagend sein dürften. s.o; Rotberg, Für Strafe gegen Verbände! in 100 Jahre deutsches Rechtsleben, S.200, 201. 6B Eine Geldbuße gegen Verbände wurde, allerdings häufig mit wesentlich anderer Begründung, abgelehnt: vom Bundesjustizministerium, Nieder-
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Es nimmt daher nicht wunder, daß ein Teil der Ausschußmitglieder des "Sonderausschusses Strafrecht" des Bundestages mit Überzeugungskraft darlegen konnte, daß eine Bestrafung von Verbänden unzulässig sei, wie ein anderer Teil ebenso überzeugend ausführte, daß die Unterstellung des Verbandsunrechts unter die Ordnungswidrigkeiten nicht angängig sei, wenn auch die Begründungen von der hier gegebenen abweichen57 • Von einem Ausschußmitglied wurde erklärt, daß gegenüber der damals allein zur Debatte stehenden Alternativen Strafe oder Geldbuße ein anderer Weg gesucht werden müßte58 • Es verblieb aber bei diesem Hinweis. 11. Geht man dieser Frage nach, so ist es notwendig herauszustellen, worin das entscheidende Anliegen einer Reaktion gegenüber Verbänden begründet ist, also die Frage des rechtspolitischen Bedürfnisses. Am eingehendsten hat wohl Busch in seiner genannten Monographie die Argumente herausgearbeitet, die für eine umfassende Reaktion gegenüber Verbänden angeführt werden können. Engisch5U und andere, in der Großen Strafrechtskommission insbesondere Frau Dr. Koffka lO, haben sich mit diesen Argumenten, die neuerdings von Rotberg01 wiederholt worden sind, auseinandergesetzt. Auf das reichhaltige Schrifttum im übrigen kann hier nur verwiesen werdenO!. Nur ganz kurz soll aas Wichtigste im Anschluß an Engisch erwähnt werden. Die Bestrafung nur des einzelnen Schuldigen soll nicht genügend motivierende Kraft besitzen, da der einzelne häufig die Verbandsinteressen derart überbewertet, daß er ihnen das Recht opfern zu sollen glaubt. Dies dürfte jedoch im allgemeinen eine Ausnahme sein. Mit Recht bemerkt Engisch, daß, wie der Ü1>erzeugungsverbrecher eine seltene Erscheinung sei, auch der Fall, daß ein Verbandsorgan usw. aus Selbstlosigkeit handele und sich dem Verbandsgeist so weit unterwerfe, daß er unter dessen Einfluß strafbare Handlungen begehe, nicht oft vorkomme. Der Normalfall sei, daß die Strafdrohung, die an den einzelnen gerichtet sei, diesen nicht weniger beeindrucke als die an den Verband selbst gerichtete, daß im Gegenteil der einzelne eher davor zurückschrecke, im VerballIdsinteresse strafbar zu werden, als eine Strafe des Verbandes in Kauf zu nehmen. Gegenüber dem Hinweis Buschs, die Strafe, die der einzelne Schuldige durch sein Tun verdient habe, sei nicht immer hoch genug, um der Größe des durch das Verbandsdelikt angerichteten Schadens und dessen Tragweite gerecht zu werden, weist Engisch zutreffend darauf hin, daß, wenn es keine Verbandsschuld als solche gäbe, sich auch das Prinzip der Individualisierung der Strafe entspreschriften, Bd. 1, S. 304, Referat von GoßTau, im Einklang mit der Strafrechtsabteilung; Jescheck, Zur Frage der Strafbarkeit von Personenverbänden, in: DOV 1953, 539 ff.; Rudolf Schmitt, a.a.O., S. 217 ff., mit weiteren Nachweisen. 57 Sonderausschuß, 23. Sitzung (Okt. 1964), S. 397 ff., 24. Sitzung (Okt. 1964), S. 419 ff. Vgl. Lang-HinTichsen, Zum gegenwärtigen Stand der Strafrechtsreform in der Bundesrepublik Deutschland, JR 1965, 246 f. 58 Abgeordneter HiTseh, Sonderausschuß, S. 408. 59 Engisch, 40. Juristentag, Bd. II, E, S. 33 ff. 10 Niederschriften, Bd. 4, S. 564 f. 01 RotbeTg, Für Strafe gegen Verbände!, a.a.O., S. 218 ff. 02 z. B. Lange, Zur Strafbarkeit von Personenverbänden, in JZ 1952, S. 261 ff.; Schmitt, a.a.O., S. 130 ff., 94 ff. mit weiteren Schrifttumsnachweisen.
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chend dem konkreten Grade der Schuld nicht durchführen lasse. Die Höhe der Verbandsstrafe könne dann nur noch an der Größe des bewirkten Schadens oder des erlangten Vorteils sowie der Kapazität des Verbandes ausgerichtet werden 83 • Auch erscheine es ungerecht, das Maß der Schuld des Verbandes aufgrund der Individualschuld der einzelnen Verbandsorgane zu bestimmen. Im übrigen sei es nicht stets ein Schuldminderungsgrund, daß der einzelne nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse des Verbandes gehandelt habe. Wer rechtlich nicht-erlaubte Mittel zur Wahrung der Verbandsinteressen benutze, verdiene deswegen grundsätzlich nicht Nachsicht. Auch in diesen Fällen sei oft eine harte Ahndung möglich. Wenn weiterhin geltend gemacht werde, daß der Verband häufig die Geldstrafe, ohne daß dies für ihn eine nennenswerte Belastung sei, für das schuldige Organ usw. übernehme, so müßte hier von den Begünstigungsbestimmungen Gebrauch gemacht werden. Sehr unerfreulich sei überdies die Perspektive, die sich eröffne, wenn man mit Busch daran denke, daß die Verbandsstrafe ein Druckmittel dafür sein solle, daß die wahrhaft Schuldigen genannt würden. Dies bedeute eine Spekulation auf Denunziationen. Es sei im übrigen nicht tragbar, eine Strafe gegen den Verband deshalb vorzusehen, weil der Einzeltäter in einem großen Betriebe nicht zu ermitteln sei. Eine Strafe gegen den Verband als solchen ohne Feststellung der Schuld bestimmter einzelner Verbandsangehöriger sei entschieden abzulehnen. Es bestehe dann auch die Gefahr, zu einer Verdachtsstrafe zu gelangen. Allen diesen Ausführungen ist zuzustimmen. Schließlich behält auch das schon in früheren Jahrhunderten vorgebrachte Argument, daß durch eine Verbandsbestrafung Unschuldige getroffen würden, auch heute noch unvermindert seine Kraft. Letztlich kommt die Verbandsstrafe auf eine Kollektivhaftung hinaus. Für die Frage eines rechtspolitischen Bedürfnisses ist es auch von Belang, daß sich aus einer vom Bundesjustizministerium bei den anderen Bundesministerien vorgenommenen Umfrage ergab, daß die meisten Ministerien - mit Ausnahme des Bundeswirtschafts- und des Bundesftnanzministeriums, die Sanktionen in gewissem Umfang für erforderlich hielten das Bedürfnis für Sondermaßnahmen gegen Verbände, jedenfalls im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, verneinten84 • Wenn sich diese Äußerungen auch nur auf Vorschriften im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs bezogen, da die Möglichkeiten des Nebenstrafrechts ausreichend seien, so ergibt sich doch, daß der immer wieder erhobene Ruf nach Sanktionen von der Praxis her gesehen durchaus nicht das Gewicht hat, das man ihm in den Diskussionen über diese Frage zuweilen beizumessen pftegtGs • 83 Gerade an dieser Erwägung zeigt sich deutlich die Problematik der Verbandsbestrafung überhaupt. 84 Siehe die Ausführungen von Goßrau, Niederschriften, Bd. 4, S. 321, in Verbindung mit dem Umdruck, Bd. 4, S. 570 f. unter II. Wenn übrigens der Vertreter des Bundesftnanzministeriums bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission im Hinblick auf das Abgabenrecht erklärte, daß auf Seiten des Verbandes ein Unrecht vorliege, das von ihm "gesühnt" werden müsse, so dürften diese Ausführungen kaum von der Strafrechtswissenschaft inspiriert sein (Niederschriften, Bd. 4, S. 327). G5 In diesem Sinne haben sich mehrere Autoren ausgesprochen, so auch Engisch, a.a.O., E, S. 39; ferner hat Heinitz, JT, S. 84, die Dringlichkeit angezweifelt. Weitere Nachweise bei Schmitt, a.a.O., S. 110. Bemerkenswert ist auch die Bemerkung Hartungs, daß er in der langen Zeit seiner Tätigkeit am Reichsgericht unter zahllosen Steuerstrafsachen nicht einen einzigen Fall erlebt habe, in welchem eine Körperschaft aufgrund des § 393 RAO zur Strafe verurteilt worden wäre (40. Juristentag, Bd. 11, E, S. 44). Allerdings muß dabei berücksichtigt werden, daß der Anwendungsbereich dieser Vorschrift gering war.
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Immer wieder erhält die Forderung nach Sanktionen durch die Faszinationskraft des viel zitierten Wortes von der "Herrschaft der Verbände" Nahrung S6 • Man sollte jedoch beachten, daß sie als Kraftzentren großer Macht ihren Einfluß in erster Linie auf die Gestaltung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens, die Gesetzgebung usw. ausüben. Es wäre nicht zutreffend, diese Gesichtspunkte undifferenziert auf das Gebiet deliktischen Verhaltens von Verbänden zu übertragen, wie es oft geschieht. Daher leiden hier die Debatten oft an übertreibungen. Mit Recht ist auch darauf hingewiesen worden, daß der Verband keineswegs immer oder auch nur überwiegend mit den einzelnen Verbandsorganen solidarisch sei, da diese häufig den Verband und die Verbandsangehörigen durch ihr deliktisches Verhalten im Ansehen schädigten67 • Im übrigen kann von einer Macht der Verbände im wesentlichen nur im Hinblick auf die großen Verbände gesprochen werden. Bei den Argumentationen im strafrechtlichen Schrifttum stehen diese einseitig im Blickpunkt. Es erklärt sich wohl dara.us, daß man bei den früheren Debatten vorwiegend an Reaktionen gegenüber juristischen Personen, Aktiengesellschaften usw. gedacht hat. Nachdem man aber im Laufe der Zeit andere Verbände, z. B. Personalgesellschaften des Handelsrechts, miteinbezogen hat und damit weitgehend auch kleinere Verbände, hat sich auf das Ganze gesehen die Lage wesentlich geändert. Man argumentiert aber immer noch aus der ursprünglichen Sicht und nimmt von dieser aus Generalisierungen vor, die auf das Gesamtbild nicht mehr zutreffen. Besonders treffend sind die Worte Henkels 88 , wenn er sagt, wir könnten es als Juristen nicht verhindern, daß die Kollektive in unserem öffentlichen Leben mehr und mehr in den Vordergrund träten, daß die Bedeutung der Persönlichkeit im Schwinden begriffen sei, daß die anonymen Mächte das öffentliche Leben bestimmten. In einem Punkte aber hätten die Juristen eine gewaltige Macht; sie könnten festhalten an den rechtlichen und ethischen Prinzipien der Rechtsgemeinschaft, die besagten, daß die Schuld einen persönlichkeitsbezogenen Vorwurf zum Inhalt habe, der nicht auf Personenverbände übertragen werden könne. 12. Durchschlagend für eine Maßnahme gegenüber Verbänden erscheint nur ein Gesichtspunkt, der im Schrifttum wiederholt hervorgehoben worden ist. Es handelt sich um die Notwendigkeit der Abschöpfung der Gewinne, die die Verbände durch Rechtsverstöße erlangt haben. Dieses Bedürfnis ist schon früher 69 betont worden, besonders aber in den 88 87
Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, Stuttgart Engisch, a.a.O., Bd. II, E, S. 36. Henkel, 40. Juristentag, Bd. II, E, S. 70. Er weist
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88 bei dieser Gelegenheit darauf hin, daß in der internationalen Rechtsprechung der Gedanke der Kollektivschuld und der Kollektivbestrafung weitgehend abgelehnt worden ist, a.a.O., S. 69. 6U Busch, a.a.O., S. 108.
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Diskussionen der letzten Jahre10 • Bei den Erörterungen der Großen Strafrechtskommission gelangte es deutlich in dem Referat von Frau Dr. Koffka und in einer Reihe von weiteren Äußerungen von Kommissionsmitgliedern zum Ausdruckl1 • Die Gewinne können im Wege der Bestrafung oder Geldbußenahndung bei den Organen, Vertretern usw. im allgemeinen bekanntlich nicht erfaßt werden, da sie gewöhnlich nicht diesen, sondern dem Verband zugeflossen sind. Gerade hier zeigt sich, wie Rudolf Schmitt12 zutreffend hervorhebt, die Ohnmacht des Individualstrafrechts gegenüber Verbänden. Im "Sonderausschuß Strafrecht" ist die Notwendigkeit der Gewinnabschöpfung als das zentrale Anliegen einer Reaktion gegenüber Verbänden überhaupt erachtet worden13 • Zwar hat bereits die Geldstrafe nach § 27 c StGB die Doppelaufgabe, durch die Bestrafung auch den Gewinn, den der Täter aus der Tat gezogen hat, zu erfassen. Entsprechende Funktionen hat die Geldbuße nach § 6 OWiG. Werden diese Reaktionsmittel gegenüber Verbänden jedoch nicht anerkannt, so ist diese Möglichkeit verschlossen. Abgesehen hiervon ist die Verkoppelung der beiden Aufgaben, der Ahndung und der Gewinnabschöpfung, in einer Sanktion überhaupt bedenklich, was schon oben angedeutet worden ist1'. Das den Bemessungsvorschriften zugrunde liegende Verbot, durch Gesetzesverstöße Gewinne zu erzielen, sollte als eine selbständige, gegen sozialethisch unwertbehaftetes Verhalten gerichtete (und daher auch nicht umkehrbare) Norm anerkannt werden, zumal sie auch anderen Bestimmungen der Rechtsordnung zugrunde liegt. Dies führt zu der Forderung, ein eigenständiges Institut der Gewinnabschöpfung zu schaffen. Dieser Gedanke liegt ersichtlich im Bereich des Strafrechts dem § 109 E 1962 zugrunde15 • Er hat die Gewinnabschöpfung auf strafrechtlichem Gebiet einem besonderen Institut, dem sog. Verfall, und zwar auch gegenüber Verbänden, zugewiesen. Gegen diese Vorschrift lassen sich dogmatische Bedenken nicht geltend machen. Der Referentenentwurf zu einem OWiG hat es jedoch auf dem Gebiete der Ordnungswidrigkeiten in § 11 Abs. 3 bei der bisherigen Regelung (Gewinnabschöpfung über die Geldbuße) 10 Auch in der Schweiz hat sich die Expertenkommission des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments eingehend mit dem Problem der Gewinnabschöpfung beschäftigt. Vgl. die Beratungen, die zu dem Vorentwurf des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht von 1962 geführt haben. 71 Kottka, Niederschriften, Bd. 4, S. 565; vgl. auch Schmitt, a.a.O., S. 219 ff. mit weiteren Nachweisen. 71 Schmitt, a.a.O., S. 142. 73 Sonderausschuß, S. 397 ff.; insbesondere Referat von Dr. Göhler, S. 402 ff. 74 Siehe oben Anmerkung 44 (am Ende). 75 Allerdings war für die Schaffung des besonderen Instituts des Verfalls auch maßgebend, daß einmal die Gewinnerfassung durch die Geldstrafe mit dem neu vorgeschlagenen Tagessatzsystem nicht vereinbar ist und daß ferner im Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe der Gewinn über die Geldstrafe überhaupt nicht abgeschöpft werden kann.
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belassen, die jedoch, wenn man der hier vertretenen Auffassung der Unzulässigkeit einer Geldbuße gegenüber Verbänden beitritt, keine Lösung darstellen würde. 13. Es fragt sich nun, ob ein Institut der Gewinnabschöpfung nach dem Vorbild der in Aussicht genommenen Verfallvorschrift den hier ins Auge gefaßten rechtspolitischen Bedürfnissen genügen würde. Mit dem Institut des Verfalls soll grundsätzlich nur die Erfassung des unmittelbaren Gewinns erfolgen, auf den sich im geltenden Recht § 27 c StGB und § 6 OWiG ebenfalls beschränken. Der mittelbare Gewinn soll nach jener Vorschrift nur insoweit abgeschöpft werden, als es sich um Nutzungen, Zinsgewinne usw. handelt. Dagegen sollen die Vorteile der Kapitalnutzung, die jemand durch die Verwendung des ungerechtfertigterweise erlangten Geldes in seinem Betrieb erzielt hat, durch § 109 E 1962 nicht entzogen werden78 • Wie sich jedoch in der Praxis gezeigt hat, erreichen nicht selten gerade die mittelbaren Gewinne eine außerordentliche Höhe. Ihre Abschöpfung erscheint für die hier ins Auge gefaßten, unten noch zu erörternden Fälle ebenfalls geboten. Dies wurde auch sonst wiederholt nachdrücklich betont77 • Bei den Erörterungen dieser Frage ist auf markante Beispiele aus dem Wirtschaftsleben hingewiesen worden 78 • Der Entwurf hatte Bedenken, die Verfallvorschrift auch auf den mittelbaren Gewinn auszudehnen, und zwar vor allem wegen der Schwierigkeiten, die sich bei seiner Feststellung und Berechnung ergeben würden 79 • Man hat auch hervorgehoben, daß der Strafrichter und das Strafverfahren hierfür ungeeignet seien. Von diesem letzteren Punkt soll später noch die Rede sein. Die Schwierigkeiten sind gewiß nicht zu verkennen, zumal der mittelbare Gewinn nicht nur von der Verwertung des unberechtigt erlangten Geldes, sondern auch von den Fähigkeiten der im Betrieb tätigen Personen und zahlreichen anderen Faktoren abhängt. Eine Ermittlung seiner Höhe kann daher wohl nur im Wege der Vgl. hierzu Begründung des E 1962 zu § 109, S. 242 f. Kottka, Niederschriften, Bd. 4, S. 567 ff., so auch andere Kommissionsmitglieder. Im Schrifttum wird die Notwendigkeit ebenfalls häufig hervorgehoben. Unter zahlreichen anderen siehe Schmitt, a.a.O., S. 219 ff.; Rotberg, Für Strafe gegen Verbände!, S. 213; sehr nachdrücklich auch die Mitglieder des "Sonderausschusses Strafrecht", a.a.O., S. 392 ff. 78 So hatte eine bedeutende Aktiengesellschaft in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum Steuern im Gesamtbetrag von 30 Millionen DM hinterzogen und diesen zur Modernisierung ihres Betriebes verwandt, wodurch sie eine erhebliche überlegenheit gegenüber ihren Konkurrentinnen erlangte (HaTtung, 40. Juristentag, Bd. II, E, S. 53 ff.). Die Nachzahlung der Steuern nebst Säumniszuschlägen usw. konnte sie mühelos aus ihrem Gewinn vornehmen. In einem weiteren Fall hat ein Vorstandsmitglied einer großen Feuerlöschgerätegesellschaft durch jahrelange Bestechungen von Beamten und Angestellten den Absatz ihrer Apparate so gesteigert, daß allmählich die Künkurrenz zum Erliegen kam (Kottka, Niederschriften, Bd. 4, S. 568). 71 Begründung zum E 1962, § 109, S. 242 f. 7S
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Schätzung stattfinden, was übrigens bis zu einem gewissen Grade auch bereits für den unmittelbaren Gewinn zutrifft. M. E. dürfen aber diese Umstände nicht dazu führen, auf seine Abschöpfung zu verzichten80 • Weiterhin darf der Verfall nach § 109 E 1962 nur dann angeordnet werden, wenn seitens eines Organs, Vertreters usw. eine Straftat begangen worden ist. Schon die Begrenzung auf das Erfordernis der Straftat trägt dem hier in Betracht kommenden Anliegen nicht Rechnung, da die Gewinnabschöpfung auch im Bereich der bisherigen Ordnungswidrigkeiten erforderlich ist, für die nach der hier vertretenen Auffassung eine Geldbuße gegenüber Verbänden auszuscheiden hat und daher als Mittel der Gewinnabschöpfung entfällt. Ferner bedeutet das Erfordernis einer "Straftat", wie auch die Begründung im Entwurf ausdrücklich bestätigt81 , eine schuldhafte Tatbegehung seitens des Organs, Vertreters usw. In den Fällen, in denen die Tat rechtswidrig, aber nicht schuldhaft begangen ist, hält der Entwurf den Verfall für unangemessen und will es der Anwendung des Zivilrechts überlassen, ob Entgelt oder Gewinn im Vermögen des Täters verbleiben soll. Abgesehen davon, daß es zuweilen zivilrechtliche Ansprüche nicht geben wird, z. B. wenn der Gewinnerzielung beiderseitig verbotene Geschäfte zugrunde liegen, gebietet es in vielen Fällen das öffentliche Interesse, unberechtigten Gewinn auch dann zu entziehen, wenn kein Verschulden seitens eines Organs usw. vorliegt. Das Schulderfordernis ist in dieser Allgemeinheit rechtspolitisch nicht gerechtfertigt, aber auch dogmatisch nicht geboten. Ist aufgrund eines Rechtsverstoßes unter bestimmten Voraussetzungen, von denen noch die Rede sein wird, ein Gewinn rechtswidrig erlangt, dann muß bereits dies genügen, dem Verband den rechtswidrigen Gewinn zu entziehen. Die rechtliche Konstruktion eines solchen Anspruchs ist bereits in der Großen Strafrechtskommission und im Schrifttum kurz behandelt worden. Man hat von einem öffentlich-rechtlichen Gewinnabschöpfungsanspruch82, einem öffentlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch83 gesprochen, wobei die Bereicherung oft - aber nicht ausschließlich - auf Kosten der Gesamtwirtschaft erlangt sein wird. Erkennt man diese rechtlichen Gesichtspunkte an, wie es zutreffend erscheint, so ist für ein Schulderfordernis weder hinsichtlich eines Organs noch auch des Verbandes Raum. Die Gewinnerfassung ist schon allein aufgrund des objektiven Verstoßes gegen bestimmte Gesetzesvorschriften für zulässig zu erachten8c • Die Loslösung von einem Verschulden des Verbandes und der Organe würde einmal dem Bedürfnis einer möglichst umfassenden Gewinn80
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Vgl. auch Koffka, a.a.O., Bd. 4, S. 569 (rechts oben). Begründung zum E 1962 zu § 109, S. 241. Koffka, a.a.O., Bd. I, S. 301 ff. Schmitt, a.a.O., S. 219. So auch Schmitt, a.a.O., S. 221.
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abschöpfung Rechnung tragen und ferner die dogmatischen Bedenken, die anderen hierfür vorgeschlagenen Sanktionen (Geldbuße, Präventivgeld usw.) anhaften, beseitigen. Es könnte auch nicht geltend gemacht werden, daß durch sie unschuldige Verbandsmitglieder betroffen werden, da hier nur das, was unberechtigterweise in das Vermögen des Verbandes gelangt ist, herausgegeben werden muß85. Allerdings wird die Gewinnabschöpfung ohne Verschulden einer Person und erstreckt auf den mittelbaren Gewinn nicht stets in Betracht kommen. Sie wird auf bestimmte Fälle zu begrenzen sein. 14. Es fragt sich daher, bei welchen Verstößen sie vorgeschlagen werden sollte. Dies ist ein schwieriges Problem, das nicht generell gelöst werden kann. Abgesehen davon, daß es sich um einen Verstoß im Rahmen der Tätigkeit des Verbandes und eine Gewinnerzielung zu seinen Gunsten handeln muß86, werden vorwiegend - aber nicht ausschließlich - solche Tatbestände in Betracht kommen, bei denen eine Gewinnerzielung typisch ist. Ferner wird bei der gesetzgeberischen Auswahl der Tatbestände die Frage, ob im allgemeinen die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Ausgleichung besteht, eine gewisse Rolle spielen, ebenso der Gesichtspunkt, ob die Bereicherung typischerweise vorwiegend auf Kosten der Allgemeinheit, insbl'sondere der Gesamtwirtschaft erfolgt. Eine allgemeine Umschreibung, an welche Verstöße sich diese Rechtsfolge knüpft, wird kaum möglich sein. Die Entscheidung würde vom Gesetzgeber für jeden Tatbestand aufgrund rechtspolitischer Erwägungen getroffen werden müssen. Im einzelnen ist an Verstöße auf dem Gebiete des Wirtschaftsrechts zu denken. Vor allem kommen diejenigen Bußgeldtatbestände in Frage, in denen Geldbußen, die gerade weitgehend der Gewinnabschöpfung dienen sollen, angedroht sind, wie dies z. B. beim Kartellgesetz, Außenwirtschaftsgesetz und zahlreichen anderen Gesetzen der Fall ist. Aber auch eine Reihe von Straftatbeständen kommt in Betracht, z. B. wenn ein Unternehmen aus dem Vertrieb unzüchtiger Schriften Gewinne erzielt hat; auch an Bestechungsfälle der oben genannten Art ist zu denken. Im einzelnen kann dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen werden87 • Es muß bei diesen wenigen Andeutungen verbleiben. Ein lediglich erstrebter, aber nicht erlangter Gewinn kann nach dem Grundgedanken dieses Instituts natürlich nicht berücksichtigt werden. Eine Bereicherungsabsicht eines Organs, Vertreters usw., die zugunsten des Verbandes bestand, wäre aber bei der Individualahndung gegenüber den Organen usw. zu berücksichtigen. Der Eingriff würde häufig, insbesondere wenn es sich um den mittelbaren Gewinn handelt, von einschneidender Bedeutung für das Unter85 88
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Schmitt, a.a.O., S. 221 f. Jescheck, Niederschriften, Bd. 1, S. 299. Vgl. zu dieser Frage Schmitt, a.a.O., S.
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nehmen sein und zuweilen seinen Bestand erschüttern können, wodurch zahlreiche Angehörige des Betriebes in Mitleidenschaft gezogen würden. Daher wären die Möglichkeit der Bewilligung von Zahlungsmodalitäten und außerdem eine Härteklausel vorzusehen. 15. Dasjenige Unrecht, das in den kurz angedeuteten Fällen darin besteht, daß der Verband durch Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen Gewinne erzielt hat, würde gegenüber dem kriminellen Unrecht und den Ordnungswidrigkeiten eine eigene spezifische Kategorie des Unrechts darstellen. Es soll - um überhaupt einen Terminus zu haben - rechtstechnisch vorläufig als "Verbandsunrecht" bezeichnet werden, der unter dem Gesichtspunkt der Gewinnabschöpfung zu zahlende Betrag mangels eines besseren Ausdrucks als "Verbandsgeld"88. Für die Regelung dieser Materie wäre wohl weder im Strafgesetzbuch noch im Ordnungswidrigkeitengesetz Raum. Sie hätte vielmehr in einem besonderen Rahmengesetz zu erfolgen, während bei den einzelnen Tatbeständen bestimmt werden müßte, wann diese Rechtsfolge eintritt. Möglicherweise wären zwei Institute der Gewinnabschöpfung vorzusehen, ein engeres, allgemein geltendes, nach Art des § 109 E 1962 und ein weiteres, in dem hier vorgeschlagenen Sinne für speziell bestimmte Fällei". 16. Weitere Maßnahmen gegen Verbände werden, soweit es sich um die in der Vergangenheit liegenden Wirkungen handelt, abgesehen von den nicht zu überwindenden dogmatischen Schwierigkeiten, rechtspolitisch nicht erforderlich sein. Es darf auf die vorangegangenen Ausfüh88 Jeder Anklang an Begriffe, die eine "Ahndung" von Unrecht zum Ausdruck bringen, müßte vermieden werden. 8V Einer Erörterung bedarf noch die Frage der Konkurrenz des öffentlichrechtlichen Bereicherungsanspruchs mit etwa in Betracht kommenden zivilrechtlichen Ansprüchen. Sie taucht bereits bei den Vorschriften über den Verfall in § 109 E 1962 auf. Der Entwurf hat die Frage dort in der Weise gelöst, daß der Verfall des Gewinns nicht angeordnet wird, soweit dem Verletzten aus der Straftat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung den Gewinn beseitigen oder mindern würde, also ohne Rücksicht darauf, ob er geltend gemacht wird oder nicht. Die Folge dieser Regelung wäre, daß der Gewinn in dem Vermögen bliebe, wenn der Verletzte seine Ansprüche aus lrgendwe1chen Gründen nicht geltend macht. Der Entwurf will diese Lücke in Kauf nehmen, um eine Regelung über das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Verletzten zu vermeiden, die bei einer Gewinnabschöpfung, die ohne Rücksicht auf Ersatzansprüche vorgeschrieben würde, getroffen werden müßte (Begründung zum E 1962 zu § 109, S. 241). Diese Lücke dürfte jedoch jedenfalls für die hier ins Auge gefaßten Fälle nicht tragbar sein, da ein öffentliches Interesse an der Gewinnabschöpfung besteht und es daher nicht der Privatinitiative überlassen bleiben darf, ob sie erfolgt oder nicht. Diese Lücke würde um so größer, wenn man auch die Abschöpfung des mittelbaren Gewinns für erforderlich erachtet, der durch zivilrechtliche Ansprüche im allgemeinen nicht wird erfaßt werden können. Da jedoch der Gewinn nur einmal erfaßt werden darf, wird jene Regelung zwischen staat und Verletztem nicht zu umgehen sein. Der Verletzte wird sich also, sofern er zivilrechtliche Ansprüche hat, aufgrund besonderer Bestimmungen an den Fiskus, der den Gewinn abgeschöpft hat, halten müssen (Schmitt, a.a.O., S. 225).
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rungen zur Bedürfnisfrage Bezug genommen werden (siehe oben unter Nr. 11). Dabei ist zu berücksichtigen, daß von einer Verpflichtung, Gewinne herauszugeben, im allgemeinen auch starke präventive Wirkungen ausgehen, wie dies für zivilrechtliche Schadensersatzpflichten ebenfalls zutrifft. In der Wirkung ist es nicht das gleiche, wie wenn etwa einem Täter lediglich angedroht würde, eine durch Rechtsverstoß erlangte Sache herauszugeben. Größere Mittel aus einem Betriebe herauszuziehen, ist ohne Zweifel eine stark belastende und mit weittragenden Folgen verknüpfte Verpflichtung. 17. Bei diesen Erwägungen wird vorausgesetzt, daß die in Aussicht genommenen Erweiterungen der Organ- und Vertreterhaftung (Verletzung der Aufsichtspflicht) vorgenommen werden, wie es in § 22 des Referentenentwurfs eines Ordnungswidrigkeitengesetzes vorgesehen ist. Sie haben, wie erwähnt, bereits ein Vorbild in einigen Spezialgesetzen. Dem gleichen Ziel dient auch § 14 E 1962. Nach ihm ist ein Gesetz, das für die Strafbarkeit besondere persönliche Eigenschaften usw. erfordert, auch auf Organe, Vertreter usw. anzuwenden, wenn diese Merkmale nicht bei ihnen, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Diese Vorschrift soll nach § 10 des Entwurfs zum Ordnungswidrigkeitengesetz auch im Bereich der Ordnungswidrigkeiten entsprechend anwendbar sein. Schließlich sollte im Anschluß an den jetzt nicht mehr geltenden § 33 des Wirtschaftsstrafgesetzes von 1949 die Möglichkeit eines Berufsverbots gegenüber Organen, Vertretern usw. bei schwereren Verletzungen der Aufsichtspflicht und Wiederholungsgefahr vorgesehen werden, wie dies Frau Dr. Koffka in der Strafrechtskomrnission vorgeschlagen hat'o. Bisher ist diese Anregung in den Entwurf eines Ordnungswidrigkeitengesetzes nicht aufgenommen worden. 18. Die Frage, ob über die Gewinnabschöpfung hinaus bei Wiederholungsgefahr aus Gründen der Prävention Maßregeln der Sicherung, die der Besonderheit der Verbände angepaßt sind, in Betracht zu ziehen sind, wird zu bejahen sein. Sie soll hier nicht näher untersucht werden, da dieses Thema bereits ausgiebig behandelt worden ist und im grundsätzlichen, wenn auch nicht im einzelnen, weitgehend Einigkeit besteht'l. 19. Naturgemäß drängt sich die Frage auf, ob die entwickelten Grundsätze der Gewinnabschöpfung auf Verbände beschränkt sein sollen. Man hat wiederholt eine Sonderbehandlung der Verbände auf diesem to Kottka, Niederschriften, Bd. 4, S. 565, wo auch die näheren Begrenzungen behandelt sind. 81 Aus dem umfangreichen Schrifttum seien lediglich das Referat von Hartung, 40. JT, Bd. H, E, S. 43 ff., ferner Schmitt, a.a.O., S. 199 ff., der auch sonstige Vorschläge kritisch erörtert, ferner das Gutachten von Dr. Meller in: Sonderausschuß. S. 411 ft .• erwähnt.
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Gebiet damit zu begründen versucht, daß der Verbandsgeist einen starken Anreiz zu Gesetzesverstößen biete, daß das Ausmaß des von Verbänden verwirklichten Unrechts und der damit zusammenhängende Schaden besonders groß seien92• M. E. können jedoch diese Gesichtspunkte nicht dazu führen, die Gewinnabschöpfung auf Verbände zu beschränken. Es wäre ungerecht. Überdies gibt es bekanntlich im Wirtschaftsleben auch Unternehmen sehr großen Umfangs, die in den Händen einzelner liegen, wie es umgekehrt auch kleinere Unternehmen von Verbänden gibt, besonders wenn man in diesen Bereich die Personalgesellschaften einbezieht. Ob und inwieweit die Regelung bei Verbänden und Einzelpersonen im einzelnen unterschiedlich ausgestaltet werden soll, kann hier nicht erörtert werden. Es mag befremdlich wirken, daß das Ergebnis einer allgemeinen Gewinnabschöpfung auf dem Umweg einer Betrachtung über Sanktionen gegen Verbände erzielt worden ist. Aber das Hauptanliegen dieser Untersuchung war eine kritische Stellungnahme zu dem eingangs erwähnten Beschluß des "Sonderausschusses Strafrecht" über die Behandlung der Verbände. 20. Die Erkenntnis der Eigenständigkeit und Besonderheit der Gewinnabschöpfung muß auch Konsequenzen für die Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen Stellen und das Verfahren haben a) Was die Zuständigkeit anlangt, so ist bekanntlich für Ordnungswidrigkeiten zunächst die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden gegeben und so dann auf Antrag die der Gerichte, und zwar des Strafrichters. Diese Kompetenzregelung erscheint für das Gebiet der Gewinnabschöpfung nicht zutreffend93 • Es handelt sich hier nicht um einen Verwaltungs akt, sondern um einen Rechtsprechungsakt. Aber auch im Hinblick darauf, daß es sich u. U. um die Erfassung sehr hoher Gewinne handeln kann, muß diese Aufgabe bereits für die Erstentscheidung einem Gericht anvertraut werden. Hierfür erscheint der Strafrichter nicht geeignet. Bereits in der Strafrechtskommission ist wiederholt darauf hingewiesen worden, daß er, selbst wenn es sich nur um die Erfassung des unmittelbaren Gewinns handelt, im allgemeinen überfordert wird. Seine Fähigkeiten und Erfahrungen beziehen sich vor allem auf die Beurteilung des Verschuldens und die Strafzumessung. Gerade diese Fragen spielen aber hier keine Rolle. Die Besonderheit liegt auf dem Gebiet der Feststellung, Berechnung und Schätzung der Gewinne. Diese Tätigkeit liegt dem Zivilrichter wesentlich näher. Es erscheint jedoch Vgl. hierzu Koffka, Niederschriften, Bd. 4, S. 164 ff. Im Kartellgesetz ist von vornherein eine gerichtliche Zuständigkeit, und zwar die der Kartellsenate des Oberlandesgerichts, bereits für die Erstentscheidung vorgesehen. 12 13
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erforderlich - zumindest für Fälle von größerer Bedeutung - innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit einen besonderen Gerichtskörper durch Hinzuziehung von Nicht-Berufsrichtern, Persönlichkeiten aus dem Wirtschaftsleben, zu schaffen, da der Berufsrichter allein die schwer durchschaubaren wirtschaftlichen Verhältnisse wie auch die Auswirkungen seiner Anordnungen oft nicht genügend beurteilen könnte. Damit würde überdies häufig die Zuziehung von Sachverständigen entbehrt werden können. Man hätte an einen Gerichtskörper analog der Kammer für Handelssachen zu denken, wobei die Frage, wieviele Berufs- und Fachrichter in den einzelnen Instanzen vorzusehen sind, offen bleiben soll. Dieses Gremium sollte auch für die Entscheidung über die Zahlungsmodalitäten, die Härteklausel und die sichernden Maßregeln zuständig sein. b) Verfolgende und aburteilende Funktion wären angesichts der psychischen Inkompatibilität, beide Aufgaben mit der erforderlichen Objektivität zu erfüllen, aus rechtsstaatlichen Gründen zu trennen. Auch für die verfolgende Tätigkeit sollten nicht die verschiedenen in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden zuständig sein, sondern die Staatsanwaltschaft, die nach ihrer historischen Entwicklung zur Geltendmachung öffentlicher Interessen - z. B. auch in bestimmten Zivilsachen - berufen und in besonderem Maße zur Objektivität verpflichtet ist. Sie hätte dann nach Abschluß der Vorermittlungen den erforderlichen Antrag bei Gericht zu stellen. c) Auch weitere Besonderheiten gegenüber dem Recht der Ordnungswidrigkeiten kommen in Betracht. Für ihre Verfolgung gilt bekanntlich nach § 7 OWiG als Grundsatz das Opportunitätsprinzip, das in Absatz 2 eine Einschränkung erfährt. Auch der Entwurf zum Ordnungswidrigkeitengesetz will diese Regelung beibehalten. Für seine Anerkennung war der ursprüngliche Gedanke des Verwaltungsunrechts maßgebend. Das Verfahren der Gewinnabschöpfung erfordert aber angesichts des dringenden öffentlichen Interesses das Legalitätsprinzip, das in Fällen von geringerer Bedeutung durch das Opportunitätsprinzip zu durchbrechen wäre. d) Was die Prinzipien des Verfahrens anlangt, so werden im allgemeinen die Grundsätze der Strafprozeßordnung, insbesondere die Maxime der Ermittlung von Amts wegen Anwendung zu finden haben. Das Strafverfahrensrecht kann aber nicht uneingeschränkt gelten. Es ist seiner Struktur nach für die Feststellung und Berechnung von Gewinnen nicht geeignet. Dies ist wohl auch einer der Gründe, daß das sog. Adhäsionsverfahren praktisch keine nennenswerte Bedeutung erlangt hat. Bereits gegenüber der Verfallvorschrift des § 109 E 1962 sind Bedenken laut geworden, ob das Strafverfahren die hier gestellte Aufgabe wird leisten können. Daß man diese Vorschrift nicht auf mittelbare Gewinne aus-
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gedehnt hat, beruht neben den anderen bereits erwähnten Gesichtspunkten auch auf ähnlichen Erwägungen. Daher wird das Verfahren teilweise dem Zivilprozeß angenähert werden müssen. Es wird zwar an einer mündlichen Verhandlung festzuhalten sein, praktisch aber eine Verlagerung in die Bearbeitung durch Schriftsätze erfolgen müssen. Hierfür ist das strafprozessuale Konzentrationsprinzip (§ 229 StPO), das eine Unterbrechung nur für zehn Tage gestattet, nicht geeignet. Die Bedeutung einer zusammengedrängten mündlichen Verhandlung tritt hier, wo es auf Verschulden, Persönlichkeit des Täters usw. nicht ankommt, wie im Zivilprozeß zurück". Mithin wäre die Gewinnabschöpfung in einem besonderen, eigenständigen Verfahren vorzunehmen. Die Vielschichtigkeit der Materie, die Fülle der Probleme und die Begrenzung des zur Verfügung stehenden Raumes nötigten dazu, es weitgehend nur bei kurzen Andeutungen zu belassen9s •
84 Die hier vorgeschlagene Besonderheit des Verfahrens der Gewinnabschöpfung hat allerdings den Mangel, daß eine Verbindung mit einem eventuellen Prozeß gegen Organe usw. nicht stattfinden kann. Dies ist aus prozeßökonomischen Gründen und wegen der Möglichkeit unterschiedlicher Entscheidungen nachteilig. Dem könnte bis zu einem gewissen Grade durch eine Regelung in der Weise abgeholfen werden, daß der Verband bereits zu dem Prozeß gegen die Organe usw. mit allen Rechten eines Verfahrensbeteiligten, besonders bei der Beweisaufnahme, beigeladen wird, mit der Wirkung, daß die getroffenen Feststellungen auch ihm gegenüber wirken, während die EntScheidung über die Verpflichtung zur Abführung des Gewinnes und seiner Höhe mit den ergänzenden tatsächlichen Feststellungen dem besonderen Gerichtsorgan obzuliegen hätte. 05 Daß ein wesentlicher Teil des Aufsatzes in die Anmerkungen verwiesen wurde, beruhte auf der Begrenzung des dem Verfasser zur Verfügung stehenden Raumes.
Die ontologische Struktur der Handlung Skizze einer personalen Handlungslehre Von Arthur Kaufmann, Saarbrücken I.
Seit dem Erscheinen der bahnbrechenden Untersuchung Gustav Radbruchs: "Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem" im Jahre 1904 ist die Diskussion über den Handlungsbegriff in der Strafrechtsdogmatik nicht mehr zur Ruhe gekommen1 • Nicht viele Fragen sind in der Strafrechtswissenschaft der vergangenen fünf oder sechs Jahrzehnte so intensiv, aber auch so leidenschaftlich und oft polemisch erörtert worden wie die Frage nach dem Wesen der menschlichen Handlung. Das scheint recht verwunderlich. Handlung, so möchte man meinen, ist etwas so Gewohntes, Vertrautes, Selbstverständliches und daher Bekanntes, daß man sich darüber eigentlich nicht den Kopf zu zerbrechen brauchte. Indessen, das Naheliegende ist für unser Begreifen oft das Fernste und Schwierigste. Gewiß, jeder von uns hat eine Vorstellung von dem, was man eine Handlung nennt; aber wenn wir reflektiert darüber nachdenken, erweist sich, daß dieses scheinbar sich so von selbst Verstehende etwas sehr schwer zu Verstehendes ist, über das wir gar nicht allzu viel wissen. Wüßten wir, was die Handlung ihrem Wesen nach ist und wie eine Handlung zustande kommt, dann wüßten wir auch sehr viel besser, was der Mensch ist. Dieser Satz gilt vor allem auch in seiner Umkehrung. Aber wissen wir denn, was der Mensch ist? Er ist für uns mehr denn je ein Rätsel. Wie kann es da wundernehmen, daß uns auch das, wodurch der Mensch sich selbst ins Dasein entwirft, wodurch er sich als Person verwirklicht oder eben diese Selbstverwirklichung verfehlt: sein Handeln, ein Problem ist. Verwundern muß vielmehr, daß es Autoren gibt, die vorgeben, sie wüßten darüber ganz genau und hundertprozentig Bescheid. Hellmuth Mayer hat völlig recht: Das Buch über die Handlung 1 Der Verlauf dieser Diskussion darf als im wesentlichen bekannt vorausgesetzt werden. Es erscheint daher nicht notwendig, freilich auch gar nicht möglich, das gesamte Schrifttum zur Handlungsproblematik - auch nur der beiden letzten Jahrzehnte - zu berücksichtigen und kritisch zu würdigen. Über die wichtigsten Veröffentlichungen informieren Maurach, Deutsches Strafrecht, Allg. T., 3. Aufl. 1965, S. 135, und Baumann, Strafrecht, Allg. T., 3. Auf!. 1964, S. 190 f.
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muß erst noch geschrieben werden2 • Es versteht sich darum, daß der vorliegende Beitrag nicht den Anspruch erheben kann und erheben will, hier werde das Problem der Handlung nun endgültig gelöst. Es soll auch nicht etwa, wie mancher Leser die überschrüt zunächst vielleicht verstehen möchte, eine "neue" Handlungslehre den vielen anderen hinzugesellt werden. Vielmehr wollen wir mit den Adjektiven "ontologisch" und "personal" den Blick nur wieder auf die Grundlagen der Problematik richten. Unser Anliegen ist primär ein rechtstheoretisches und rechtsphilosophisches und erst in zweiter Linie ein strafrechtsdogmatisches8 • Aber was kommt denn bei einer solchen Besinnung auf die Grundlagen überhaupt heraus? Gerade in jüngster Zeit hat man gegen den "allgemeinen Handlungsbegriff" , der noch nicht durch besondere rechtliche oder gar strafrechtliche Merkmale - wie Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld - charakterisiert ist, wieder eingewendet, daß er "dogmatisch letztlich unergiebig" sei4 • Vor allem Roxin hat nachdrücklichst dem "ontologischen Handlungsbegrüf" die "Leistungsfähigkeit" abgesprochen, indem er darzulegen versuchte, daß sich aus ihm keine praktischen Ergebnisse ableiten ließen; für die spezifischen Fragen des Strafrechts - Irrtum, Fahrlässigkeit, Teilnahme, Unterlassung u. a. m. - gebe er nichts her. Um es gleich zu sagen: Roxin hat im Grunde recht. Ein philosophisch konzipierter Handlungsbegriff kann in der Tat das, was viele von ihm zu erwarten scheinen, nicht leisten. Philosophie ist nun einmal kein "Leistungswissen", und wo sie es sein will, übt sie Verrat an ihrem eigenen Wesen'. Heidegger spricht es ganz unumwunden aus: "Bei der Philosophie ,kommt nichts heraus'; ,man kann damit nichts anfangen'. Diese beiden Redensarten, die besonders in den Kreisen der Lehrer und Forscher der Wissenschaften umlaufen, sind der Ausdruck von Feststellungen, die ihre unbestreitbare Richtigkeit haben. Wer ihnen gegenüber den Versuch macht, zu beweisen, daß schließlich doch ,etwas herauskomme', der steigert und festigt nur die herrschende Mißdeutung, die in der Vormeinung besteht, man könne die Philosophie nach den Alltagsmaßstäben abschätzen, nach denen man sonst die Brauchbarkeit von Fahrrädern oder die Wirksamkeit von Heilbädern beurteilt7 ." I H. Mayer, Vorbemerkungen zur Lehre vom Handlungsbegri!f, in: Festschr. f. H. v. Weber, 1963, 5.137. 3 über die Notwendigkeit, den Handlungsbegrüf in der Allgemeinen Rechtslehre und in der Rechtsphilosophie zu fundieren, siehe H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 151 !f. e So Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 12. Auf!. 1965, Vorbem. 36 vor § 1; KraufJ, Z5trW 76 (1964), 19. VgI. auch GaUas, ZStrW 67 (1955), 14 f. I Roxin, ZStrW 74 (1962), 515 ff., bes. 527 !f. I Siehe dazu Arthur Kaufmann, JZ 1963, 137 ff. 7 Heidegger, Einführung in die Metaphysik, 1953, S. 9.
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So haben wir denn auch nicht im Sinn, der Wesensnatur menschlichen Handeins Antworten etwa auf die Fragen zu entlocken, ob das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit zum Vorsatz gehört, ob es Teilnahme auch an nichtvorsätzlichen Delikten geben kann, wie dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit voneinander abzugrenzen sind usw. Solche Unternehmungen erscheinen uns sogar im höchsten Maße suspekt. Aber hat dann der Handlungsbegriff, nach dem wir fragen, nicht "im Grunde nur architektonisch-ästhetischen Wert"8? Keineswegs! Natürlich kann man eine Strafrechtslehre systematisch entfalten, ohne explicite auf dem Handlungsbegriff aufzubauen, also etwa, so wie das Radbruch später getan hat, die "Tatbestandsverwirklichung" zum Grundbegrüf des Systems machen'. Doch damit hat das Problem der Handlung kein Jota von seiner Bedeutung für das Strafrecht eingebüßt. Schließlich muß ja auch die "Tatbestandsverwirklichung" eine Handlung sein, und daher kann ich, wenn ich nicht weiß, was eine "Handlung an sich" ist, auch nicht wissen, was eine "tatbestandsmäßige Handlung" istlU. Das hat schon Radbruch mit eindrucksvollen Worten festgestellt: "Um einen Begriff vollständig zu bestimmen, bedarf es außer der differentia specifica auch des genus proximum; das Wesen einer bestimmten Handlung, und so auch der juristischen Handlung, kann ich nicht begreifen, ohne zuvor die Handlung überhaupt, die Handlung im allgemeinen Sinne zu kennenl l." Es kann also nicht darum gehen, ob der allgemeine Handlungsbegriff für die Strafrechtslehre entbehrlich ist - er ist es zweifellos nicht. Die Frage lautet allenfalls, ob man ihn einfach stillschweigend als mehr oder weniger bekannt voraussetzen darf oder ob es notwendig ist, ihn explicite zu klären und zu bestimmen, kurz: ob man insofern unreflektiert oder reflektiert verfahren soll. Ohne eine - wenn vielleicht auch gänzlich unreflektierte - Vorstellung vom Wesen der Handlung kann man weder strafen noch Strafrecht lehren, und man hat das auch nie getan. Denn Strafe ist ja immer auf menschliches Handeln bezogen, sie ist eine Reaktion auf menschliches Handeln. Wie also sollte man strafen oder die Strafe erklären können, ohne wenigstens intuitiverfaßt zu haben, was menschliches Handeln ist? Verzichtet man darauf, dieses Phänomen "Handlung" ausdrücklich nach seinem Wesen zu befragen, so bleibt mithin etwas für das Strafrecht ganz Grundlegendes ungefragt. Roxin, ZStrW 74 (1962),517. gRadbruch, Zur Systematik der Verbrechenslehre, in: Festgabe f. R. Frank, Bd. I, 1930, S. 158 ff., bes. S. 161 ff. Ähnlich H. 'V. Weber, Grundriß des deutschen Strafrechts, 2. Auf!. 1948, S. 152 ff.; Lange, ZStrW 63 (1951), 505; GaIlas, ZStrW 67 (1955), 14. 10 Zutreffend hierzu E. A. Wal!!, Der Handlungsbegriff in der Lehre vom Verbrechen, 1964, S. 20 ff. U Radbruch, Der Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, 1904, S. 90. 8
a Festschrift für Hellmuth Mayer
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Um den "Leistungswert" einer allgemeinen Lehre von der menschlichen Handlung brauchen wir uns also nicht zu sorgen. Dieses "Problem" existiert für uns nicht. Wo immer es gelingt, auch nur in einem winzigen Punkt das Dunkel unseres Unwissens aufzuhellen, da trägt eine solche Erkenntnis ihren Wert in sich, und ihre Früchte fallen uns von selbst in den Schoß. Gewinnen wir ein etwas schärferes Bild vom Wesen menschlichen Handelns, dann werden auch die Konturen unseres Begriffs vom Menschen selbst deutlicher; und wenn wir besser begreifen, was der Mensch ist, dann wächst auch unser Verständnis für das, was es mit Unrecht, Schuld und Strafe auf sich hat - auch wenn sich das nicht in fertigen, "praktikablen", "anwendbaren" Regeln niederschlägt.
11. Wenn wir uns anschicken, die "ontologische Struktur" der Handlung zu ergründen, so haben wir aber noch einen anderen, tiefergehenden Einwand zu gewärtigen, den ebenfalls Roxin in aller Schärfe vorgetragen und auf den dann Welzel nicht weniger scharf repliziert hat. Roxin behauptet nämlich, daß es den Begrüf einer ontologischen, unabhängig von aller Beziehung zum Recht gebildeten und doch das Strafrechtssystem tragenden, inhaltserfüllten Handlung nicht gebe und nicht geben könne. Eine Handlungsdefinition, die als Systemoberbegrüf dienen soll, müsse notwendig spezifisch strafrechtlicher, gesetzesgebundener Natur sein und könne darum nur aus dem positiven Recht abgeleitet werden. Der Gesetzgeber sei also nicht an eine vorrechtliche Handlungsstruktur gebunden, vielmehr bestimme im Gegenteil der aus rechtlichen Wertabwägungen geborene, an den sozialen Bedeutungsgehalten orientierte Tatbestand, was Handlung im Rechtssinne sei. Würde der Gesetzgeber etwa die fahrlässigen Taten aus dem Kriminalstrafrecht herausnehmen, so müßte sich der Handlungsbegriff sogleich ändern 'z. Will man diesen Angrüf auf eine ontologisch fundierte Handlungslehre richtig würdigen, so muß man freilich berücksichtigen, wogegen er sich konkret richtet. Roxin versteht nämlich unter "ontologischer Handlungslehre" immer nur die sog. finale Handlungslehre, wie sie von Welzel und seiner Schule vertreten wird. Diese auch sonst vielfach anzutreffende Identifizierung von ontologischem und finalem Handlungsbegrüf hat ihre Ursache in Welzels bekannter These, daß es im Bereich 11 Roxin, ZStrW 74 (1962), 516, 547, 548 und überhaupt 518 ff. Dagegen Welzel, Vom Bleibenden und Vergänglichen in der Strafrechtswissenschaft, 1964 (jetzt auch in: Erinnerungsgabe f. Max Grünhut, 1965, S. 173 ff.); Maurach, Allg. T., S. 136 f. - Zur Problematik eines "ontologischen Handlungsbegriffs" vgl. auch Katsantonis, ZStrW 72 (1960), 351 ff., und Dannert, Die finale Handlungslehre Welzels im Spiegel der italienischen Strafrechtsdogmatik, 1963, S. 14 ff., 27 ff.
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des Ontologischen und Sachlogischen "ewige Wahrheiten" gebe, die kein Gesetzgeber der Welt abändern könne und die er daher beachten müsse, widrigenfalls seine Regelung notwendig falsch werde; eine solche "ewige Wahrheit" sei insbesondere die Finalität menschlichen Handeins, verstanden als bewußte, vorsätzliche Zwecktätigkeit111• Und aus dieser so aufgefaßten "ontologischen Struktur der Handlung" werden dann wiederum eine ganze Reihe von Konsequenzen für die Strafrechtsdogmatik "zwingend" abgeleitet: Wesen, Unterschied und systematische Stellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit, Bedeutung des Verbotsirrtums, Umfang der Akzessorietät der Teilnahme, sodann auch Folgerungen für die Lehre vom Unrecht, von den Rechtfertigungsgründen, von der Unterlassung, vom Versuch u. a. m. 14 • Auf diese Weise soll, wie neuestens Stratenwerth wieder gezeigt hat15 , praktisch die ganze Verbrechenslehre durch den Handlungsbegriff festgelegt werden. Von hier aus betrachtet, kommt es wahrlich nicht von ungefähr, daß Roxin in dem Welzelschen Ansatz eben jenen "naturrechtlichen Zirkelschluß" wiederentdeckt 16, den Welzel selbst der ganzen seitherigen Naturrechtslehre zum Vorwurf gemacht hat: "Die Proteusgestalt der menschlichen Natur nimmt unter der Hand eines jeden naturrechtlichen Denkers die Gestalt an, die er sich wiin'Icht. All das, was er für richtig und wünschenswert hält, hat er zuvor (stillschweigend) in seinen ,Naturbegriff' vom Menschen hineingelegt, ehe er es zur Begründung seiner Überzeugung vom ,naturgemäß' Richtigen wieder herausholt17 ." Dient doch ganz offenbar auch bei Welzel die "Natur" der menschlichen Handlung als ein solcher Zauberhut, den man zunächst mit den Dingen versorgt, die man ihm hinterher wieder entlockt. Wenn ich die "Natur" der Handlung so bestimme, daß ihr nur vorsätzliches aktives Tun entspricht, dann folgt daraus freilich zwingend, daß der Vorsatz als "Verwirklichungswille" ein Element der Handlung darstellt und daß Unterlassungen keine Handlungen sind. Demgegenüber muß allerdings auch gesagt werden, daß der Vorwurf des "naturrechtlichen Zirkelschlusses" keineswegs so schwerwiegend ist, 13 Wetzet, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1951, S. 197 f. (ebenso in der 2. und 3. Auf!.; dagegen sind in der 4. Auf!. 1962 diese Stellen weggelassen). U Siehe dazu (mit Belegstellen) Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, S. 20 ff.; Roxin, ZStrW 74 (1962), 518 ff.; E. A. Wotff, Handlungsbegriff, S. 12 ff. 15 Stratenwerth, Schw. Z. f. StrR 81 (1965), 179 ff.; siehe auch schon früher: Entwicklungstendenzen der neueren deutschen Strafrechtsdogmatik, in: Juristen-Jahrb., Bd. II, 1961/62, S. 195 ff., und: Das rechtstheoretische Problem der "Natur der Sache", 1957, bes. S. 7 ff. Vgl. auch Heinitz, Philosophie und Strafrecht, in: Heinitz-Wii.rtenberger-Peters, Gedanken zur Strafrechtsreform, 1965, S. 9. 1I Roxin, ZStrW 74 (1962), 530 f. 17 Wetzet, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Auf!. 1962, S.16; vgl. auch S. 61, 225 u. ö.
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wie er von Welzel selbst hingestellt wird. Denn völlig "voraussetzungsloses" Erkennen ist uns unmöglich, da wir nie und nirgends "ganz von vorn" anfangen können. Wo immer wir zu erkennen beginnen, stets denken wir "ex datis". So gehört es gewissermaßen zur "Natur" unseres Erkennens, daß wir uns im Zirkel bewegen. Niemand kann dem gänzlich entrinnen. Ist dem aber so, dann kommt aller unserer Erkenntnis auch nur eine bedingte oder, wenn man so will: eine relative Gültigkeit ZU 18, und es ist uns deshalb nicht erlaubt, sie als eine "ewige Wahrheit" auszugeben, die von jedermann hinzunehmen ist. Dies ist der Punkt, an dem der entscheidende Einwand gegen die Argumentation Welzels anzusetzen ist. Indem er aus der "ontologischen Struktur der Handlung" eine ganze Reihe unumstößlicher Wahrheiten von zeitloser Gültigkeit glaubt ableiten zu können, umgibt er seine Strafrechtsdogmatik mit einem Nimbus von Unantastbarkeit, die keiner menschlichen Lehre zukommt. Im Grunde hat Hall in zwei Sätzen bereits alles gesagt, was hierzu zu sagen ist: "Auch wir sind überzeugt, daß es ,ewige Rechtswahrheiten' gibt. Aber diese erscheinen in den Geboten Gottes und nicht in den Theorien der Juristen 10." Man kann von der Existenz ewiger Wahrheiten zutiefst durchdrungen sein, aber nichts berechtigt uns, unsere menschlichen Erkenntnisse als solche hinzustellen. Wenn wir also auch über die Möglichkeit wahrer Erkenntnisse bescheiden denken, so folgen wir damit doch keineswegs der Auffassung von Klug, wonach die von den verschiedenen Lehren aufgestellten Handlungsbegriffe überhaupt keine Realdefinitionen (Sacherklärungen) sind, sondern nur die Bedeutung von analytischen semantischen Definitionen, von Zeichenerklärungen, haben, daß es sich dabei also um nichts weiter als um die Fixierung eines Sprachgebrauchs handle, worin man in logischer Hinsicht frei sei20 • Eine "Handlungslehre" , die nicht lehren wollte, was Handlung ist, hätte eine Bezeichnung usurpiert, die ihr nicht zusteht. Die Feststellung aber, was Handlung ist, läuft keineswegs auf dasselbe hinaus wie die "Vereinbarung eines Elternpaares, daß ihre Tochter Angelika heißen solle"!1, sondern sie enthält eine echte Sacherklärung (eine Seinsfeststellung), womit freilich nicht gesagt ist, daß sie die gemeinte Sache auch voll und adäquat trifft. Jedes Urteil, jede Behauptung, jede Setzung prätendiert Wahrheit. Wenn der Mensch Zum Relativismusproblem vgl. Arthur Kaufmann, ARSP 46 (1960), 553 !f. Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, 1959, S. 63. Zum Problem der Geschichtlichkeit des Rechts und seines übergeschichtlichen Hintergrundes siehe auch Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 86 ff. 10 Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus als methodologisches Problem, in: Philosophie und Recht; Festschr. f. C. A. Emge, 1960, S. 33 ff. Dagegen zutreffend H. Mayer, Vorbemerkungen, 8.a.0., S. 140. Siehe auch Arthur Kaufmann, AcP 160 (1961), 73 f. 11 So aber Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus, 8.a.0.. S. 40. 18
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"ist" sagt von dem, was ist, und "ist nicht" von dem, was nicht ist, so dringt er bis zum Sein des Seienden vor, indem er die Dinge in dem erfaßt, was sie sind. Selbstverständlich unterliegen solche Sacherklärungen - darin hat Klug recht - in der Wissenschaft dem Verifikationszwang. Aber die wissenschaftlich zulässigen Verifikationsmethoden auf diejenigen der "exakten" Wissenschaften zu beschränken und außerhalb ihrer nur von "gedankenlyrischen Emotionen" zu sprechen 22 , ist eine allzu grobe Vereinfachung. Dieses "alles oder gar nichts": entweder sichere, exakte Erkenntnis oder überhaupt keine, entspricht nicht der Wirklichkeit. Sichere Erkenntnis besitzen wir, wenn überhaupt, nur auf einem ganz schmalen Sektor. Deshalb ist es aber doch nicht so, daß wir uns im übrigen im völligen Dunkel befänden, vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit der große Bereich, in dem sich unser Wissen, das eben nur selten Gewißheit ist, praktisch bewegt. Das gilt insbesondere für den weiten Bezirk des Nicht-Quantitativen, in Sonderheit der geistigen Phänomene, in dem es eine Verifikation im Sinne einer logischen Nötigung gleichsam aus Gründen der Sachlogik nicht geben kann. über die Natur, über das Wesen, über das Sein der Dinge, des Menschen, der Handlung ... lassen sich in der Tat nur problematische, niemals apodiktische, endgültige Aussagen machen. Dennoch gibt es auch hier sachliche Gründe (systematische Folgerichtigkeit, Evidenz, Konvergenz, Fruchtbarkeit u. a.), die solche Aussagen stützen oder zu Fall bringen können2'. Es ist also doch wohl zweierlei, ob man - was wider alle Vernunft und Erfahrung wäre - dem Menschen vorgegebene Seinsgehalte leugnet, oder ob man ihm die Fähigkeit, solche Seinsgehalte zu erkennen oder jedenfalls insofern zur Wahrheitsgewißheit zu gelangen, nur in beschränktem Maße zuspricht!'. Welzel ist im Recht, wenn er betont, daß auch die Struktur der menschlichen Handlung im Sein angelegt ist und daß daher niemand willkürlich darüber bestimmen kann, was als Handlung gelten soll. Wenn der Gesetzgeber die fahrlässigen Taten aus dem Strafrecht herausnähme, so würde sich doch nicht das mindeste am Handlungsbegriff ändern - nur die Frage, welche Handlungen strafbar sind, wäre anders zu beantworten. Andererseits muß aber Roxin zugestimmt werden, wenn er sich gegen den Absolutheitsanspruch der finalen Handlungslehre wendet. Auch seine sachlichen EinwendunZI Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus, a.a.O., S. 47 f. Dagegen wieder H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 137. !3 Siehe hierzu Tammelo, Untersuchungen zum Wesen der Rechtsnorm, 1947, S. 24 ft. - Zur Ergänzung des Textes vgI. auch Arthur Kaufmann, ARSP 46 (1960), 553 ff., bes. 559 ff., sowie: Analogie und "Natur der Sache"; Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 1965, S. 15 ff., 25 ff., 43 ff. u Auc.~ H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 156, warnt mit Recht vor allzu unbekümmerten Berufungen auf ontologische Gegebenheiten.
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gen gegen diese Lehre dürften fast durchweg das Richtige treffen25. Aber das besagt nichts gegen eine ontologisch fundierte Handlungslehre. Vielmehr zeigen diese Einwände nur, daß die finale Handlungslehre die ontologische Struktur der Handlung eben nicht zutreffend oder jedenfalls nicht vollständig erfaßt26 • Daß Roxin die Möglichkeit eines ontologischen Handlungsbegriffs bestreitet, beruht einzig auf seinem viel zu engen Seinsbegriff. Er meint, Finalität und Sinnhaftigkeit seien nicht ontologisch gegeben, weil es sich hierbei nicht um Kausalität handle!7. Das Ontologische wird also auf die materiell-physischen Gegebenheiten beschränkt. Aber das Sein unserer Welt ist nicht so arm, daß es nur aus empirischen Faktizitäten und Kausalitäten bestünde, es ist sogar sehr viel umfassender und komplexer (darum aber auch nicht vollkommen und adäquat erfaßbar). Das Finale, das Sinnhafte, das Werthafte ist ja doch auch ein Etwas, wenn es auch nicht die Seinsweise der Faktizität, sondern diejenige der Finalität, der Bedeutung, des Geltens besitzt. Wenn es kein Sein hätte, also nichts wäre, könnten wir es weder denken noch erkennen noch aussprechen und erst recht nicht verwirklichen: wir könnten nicht final überdeterminieren, nicht deuten und nicht werten, weil wir nicht ein Etwas aus dem Nichts hervorzubringen vermögen. Gewiß existieren Intentionalität und Sinn und Wert nicht irgendwo als transzendente ansichseiende substantielle Gebilde, sondern haben ihren ontologischen Grund im Menschsein, aber sie sind darum doch nicht ein willkürliches Gemächte der Menschen. Auch Roxin kommt schließlich zu dem Ergebnis: "Die wahren Vorgegebenheiten des Rechts, an die eine sachgerechte Begriffsbildung gebunden ist, liegen in den sozialen Sinnbezügen28." Wo aber sollen die Sinnbezüge sonst vorgegeben sein als im Sein des Seienden, da es hier auf dieser unserer Welt doch nichts anderes gibt? Wir stimmen mit Roxin völlig darin überein, daß der Handlungsbegriff die Sinndimension mit einschließen muß2D - würde er sie nicht einschließen, so würde er ein Essentiale der menschlichen Handlung mißachten. Das kann dann aber nur bedeuten, daß die Sinnhaftigkeit mit zur ontologischen Struktur der Handlung gehört. Wenn wir fragen, was Handlung ist, so geht diese Frage weit über den Bereich der Kausalität - aber auch der Finalität - hinaus. Die Gegenüberstellung eines "ontologischen" und eines "normativen" Handlungsbegriffs30 ist daher 25 !8
Roxin, ZStrW 74 (1962), 531 ff. So richtig Maihojer, Der soziale Handlungsbegriff, in: Festschr. f. Eb.
Schmidt, 1961, S. 170 f., 175. 27 Roxin, ZStrW 74 (1962), 524 f. !8 Roxin, ZStrW 74 (1962), 561; in Widerspruch hierzu aber 527 unter VI. ZD Roxin, ZStrW 74 (1962), 525. 30 So J escheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff in dogmengeschichtlicher Entwicklung, in: Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 139 ff. Vgl. auch MezgerBlei, Strafrecht, Allg. T., 11. Aufl. 1965, S. 50 f.
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verfehlt. Allenfalls ein rein faktisch-kausaler "Handlungsbegrüf", der aber gerade das Wesentlichste bei der menschlichen Handlung außer acht ließe, könnte einem rein normativen "Handlungsbegriff", der jedoch völlig im freien Raum schweben würde, alternativ entgegengesetzt werden. Solche "Handlungsbegriffe" sind blutleere Abstraktionen, die an der Wirklichkeit, am Sein der Handlung vorbeigehen. Die menschliche Handlung ist komplexer Natur. Das wird heute freilich von vielen betontS1 • Indessen ist nichts damit gewonnen, wenn man nur rein äußerlich die verschiedenen Handlungslehren und die von ihnen erfaßten Handlungselemente zusammenfaßt - etwa zu einem kausalfinalen oder zu einem final-sozialen Handlungsbegriffs2 • Vielmehr muß die Komplexität der menschlichen Handlung aus der Komplexität des menschlichen Seins selbst begriffen und darin fundiert werden. Daraus ergibt sich dann aber das Problem, wie diese Mehrdimensionalität der Handlung in einem "Begrüf" zusammengefaßt werden kann. Sucht man den Begriff der Handlung auf dem Weg der isolierenden Abstraktion zu gewinnen, also unter Absehen von allen Kriterien, die schon auf eine inhaltlich bestimmte Handlung hinweisen, dann setzt man sich dem Einwand aus, daß ein solcher reduzierter, formal-abstrakter Handlungsbegriff von leerer Allgemeinheit sei, an den sich keine sachlichen Attribute anknüpfen ließenss ; daher versage er auch hinsichtlich der drei Hauptfunktionen, die der Handlungsbegriff im Verbrechensaufbau zu erfüllen habe: als logisches "Grundelernent" aller weiteren Verbrechensmerkmale, als systematisches "Verbindungselement", das die Verbrechensmerkmale wie eine Klammer umfaßt, und als praktisches "Grenzelernent", das die unterste Stufe strafrechtlicher Relevanz darstellt!'. Dieser Einwand ist im Kern berechtigt. Bei den höchsten Gattungsbegriffen ist eine logische Begriffsdefinition überhaupt unmöglich. So kann bekanntlich der Begriff des Seins nicht definiert werden. Dasselbe gilt, mutatis mutandis, auch für den Begriff der Handlung; jedenfalls wäre eine logische Begriffsdefinition der Handlung in der Tat völlig nichtssagend. Man ist darum von vornherein auf dem 31 Vgl. etwa MezgeT, Die Handlung im Strafrecht, in: Festschr. f. Rittler, 1957, S. 119; MezgeT-Blei, AHg. T., S.54; Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus, a.a.O., S. 37; Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S. 151; LaTenz, Rechtswidrigkeit und Handlungsbegriff im Zivilrecht, in: Vom deutschen zum europäischen Recht; Festschr. f. DöHe, Bd. I, 1963, S. 182 ff. n Gegen eine solche "Verwischung der Standpunkte" mit Recht MaihofeT, Der soziale Handlungsbegrüf, a.a.O., S. 156, und H. MayeT, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 137. aa Vgl. Gallas, ZStrW 67 (1955), 13; Roxin, ZStrW 74 (1962), 516 ff.; StTatenweTth, Schw. Z. f. StrR 81 (1965), 27. Eingehend zur Problematik eines "reduzierten Handlungsbegriffs" E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 9 ff.; siehe auch H. MayeT, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 138 ff. 34 Zu den Funktionen des Handlungsbegriffs siehe MaihofeT, Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem, 1953, S. 6 ff.
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Holzweg, wenn man darauf aus ist, einen im strengen Sinne "definierten" (: mittels isolierender "Merkmale" "begrenzten") Gattungs- oder Klassenbegrüf d.=.r Handlung aufzustellen. In Betracht kommt also nur eine beschreibende (deskriptive) Sacherklärung, eine Phänomenologie des Wesens der Handlung, d. h. ein Aufzeigen der für sie eigentümlichen Eigenschaften unter Verzicht auf eine "abschließende" Definition. Was wir suchen, ist nicht ein Gattungsoder Klassenbegriff, sondern ein Ordnungs- oder Funktionsbegrüf der Handlung. Es geht uns um einen materiellen Handlungsbegrüf. Hier lauert nun aber eine andere Gefahr: daß nämlich durch Vorgrüf auf bestimmte juristische oder gar strafrechtliche Eigenschaften der Handlungsbegrüf seiner "Neutralität" verlustig geht und dann aus diesem Grunde seinen Funktionen nicht mehr gerecht werden kann. Das gilt vor allem für die finale Handlungslehre, die infolge ihres Vorgrufs auf den Deliktsvorsatz nicht imstande ist, auch nur alle strafrechtlich. bedeutsamen Handlungen zu erfassen; der finale Handlungsbegrüf kann darum weder als Grundelement noch. als Verbindungselement des Verbrechenssystems dienen, und als Grenzelement leistet er sozusagen zu viel, indem er auch strafrechtllch. Relevantes ausscheidet. Zu welchen Ausweglosigkeiten diese Lehre wegen ihres Vorgrüfs auf den Vorsatz führt, sei kurz an ihrer neuesten Darstellung durch Stratenwerth demonstriert. Wie alle orthodoxen Finalisten erklärt Stratenwerth, "daß alles spezifisch menschliche Handeln ... durch Finalität ausgezeichnet sei", wobei "sich. der Sinngehalt menschlichen Handelns nur bestimmen lasse, wenn auf den ihm zugrunde liegenden Willen in seiner vollen Konkretion abgestellt wird", d. h. auf das, "was der Täter gewollt habe"; daraus wird dann die Folgerung gezogen, "daß die subjektive Seite nicht nur in sachwidrig herausgelösten Fragmenten, sondern als ganze, mit Einschluß des Vorsatzes, stets zum subjektiven Tatbestand gehört"S5. Man sollte meinen, daß von dieser Konzeption aus der fahrlässigen, zumindest der unbewußt fahrlässigen Tat zwingend der Handlungscharakter abgesprochen werden muß, da über ihren Sinngehalt ja doch ganz sicher nicht der "Wille in seiner vollen Konkretion", nicht das, "was der Täter gewollt hat", entscheidet. Aber dieser Konsequenz beugt sich Stratenwerth nicht, vielmehr glaubt er, der Fahrlässigkeit mit dem Eingeständnis gerecht werden zu können, "daß die Beziehung von Finalität und strafrechtlich relevantem Erfolg ... beim Fahrlässigkeitsdelikt eine andere ist als beim Vorsatzdelikt: Der Erfolg stellt sich als nicht final herbeigeführte Folge finalen Handelns dar"38. Straten85
Stratenwerth, Schw. Z. f. StrR 81 (1965), 6, 7, 8 (Hervorhebungen nach dem
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Stratenwerth, Schw. Z. f. StrR 81 (1965), 27 (Hervorhebungen nach dem
Originaltext). Original text).
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weTth nennt also auch dies eine "Handlung", aber da bei ihr der maßgebende Erfolg gerade nicht final verwirklicht ist, kann - vom Standpunkt des Finalismus aus - insofern jedenfalls nicht von "spezifisch menschlichem Handeln" gesprochen werden. Mit welchem Recht man aber dennoch die Fahrlässigkeitstat für strafbar erklärt, bleibt unbeantwortet. Das Beispiel zeigt deutlich, wie der Vorgriff auf ein spezifisch rechtliches oder sogar strafrechtliches Kriterium zu einer Verdoppelung oder Vervielfachung der Handlungsbegriffe führt, zwangsläufig führen muß. Auch in Welzels System haben immer wenigstens zwei Handlungsbegrüfe nebeneinander existiert37 • Aber das ist keineswegs nur bei der finalen Handlungslehre so. Auch gewisse Versionen der sog. sozialen Handlungslehre gelangen mit ihrem Vorgriff auf das UnrechtS8 in eine ähnliche Sackgasse, muß dann ja doch für das rechtmäßige Tun, dem man schwerlich die Handlungseigenschaft absprechen kann, ein anderer, abweichender Handlungsbegriff gebildet werden. Ernst A. Wolff hat nun freilich geglaubt, aus dieser Not dadurch eine Tugend machen zu können, daß er ganz ausdrücklich zwei Handlungsbegriffe aufstellt: einen "individuellen Handlungsbegrüf" für die Ebene der Schuld und einen "sozialen Handlungsbegriff" für die Ebene der RechtswidrigkeitSo • Indessen, kann man es wirklich hierbei bewenden lassen? Ganz sicher nicht! Schließlich kann die Straftat nicht in zwei Teile auseinanderfallen: in eine "rechtswidrige Handlung" und in eine "schuldhafte Handlung". Das weiß nun freilich auch Wolft, und er stellt darum die "Frage nach der Einheit der Handlungsbegriffe". Seine Antwort darauf lautet: Die "Handlung" kann die Einheit der "beiden Seiten" nicht kennzeichnen, vielmehr wird diese "durch den Begrüf des a7 Siehe dazu näher (mit Belegstellen) Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 165 ff., bes. S. 173. Das Gesagte trifft in vollem Umfang auch für die neueste Auflage des Welzelschen Lehrbuchs (Das deutsche Strafrecht, 9. Aufl. 1965) zu. Während in dem Kapitel über den Handlungsbegriff gesagt wird, daß "der zielbewußte, das kausale Geschehen lenkende Wille das Rückgrat der finalen Handlung" bilde (S.30), heißt es in dem Abschnitt über die Fahrlässigkeit, daß es bei ihr nicht auf das gewollte Ziel ankomme, sondern nur auf die sorgfaItspfiichtverletzende Ausführung (S. 117). Was dort als das Essentiale der menschlichen Handlung bezeichnet wird, soll hier fehlen dürfen! - Auch Maurach, der zwar die Gleichheit des Handlungsbegriffs bei vorsätzlichen und fahrlässigen Straftaten behauptet, muß in Wahrheit unterscheiden, worauf sich der steuernde Wille richtet: auf den tatbestandsmäßigen Erfolg (Vorsatztat) oder auf einen rechtlich gleichgültigen Erfolg (Fahrlässigkeitstat; deren Sinngehalt kann so aber gerade nicht erfaßt werden); siehe: Allg. T., S.135, 452. 38 So bei Maihafer, Handlungsbegriff, S.72: ",Handlung' ist menschliches Verhalten, das auf Bewirken der Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter gerichtet ist." Anders jetzt aber in: Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., bes. S. 178, 181 f. 3. E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 15 ff., 29 ff. Zu ähnlichen Folgerungen gelangt Kraup, ZStrW 76 (1964), 19 ff.; vgI. bes. S. 59.
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Verbrechens hergestellt"40. Man ist sofort gedrängt, zu fragen, wodurch dann die Einheit der nicht verbrecherischen Handlung gestiftet werden soll. Doch das mag auf sich beruhen. Wichtiger ist die Frage, ob denn der Begriff des Verbrechens der allgemeinere gegenüber dem der Handlung ist, denn nur unter dieser Voraussetzung kann er die beiden Handlungsbegriffe miteinander verbinden. Das ist nun aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Denn "Verbrechen" ist eben nicht das genus proximum von "rechtswidriger Handlung" und "schuldhafter Handlung", sonst müßte ja eine jede je für sich ein "Verbrechen" sein. Auf diese Weise kann also das Getrennte nicht wieder vereint werden. Es ist hier im Grunde genauso wie bei dem oft angestellten, heute vor allem von Welzel unternommenen Versuch, Tun und Unterlassen, wiewohl man sie ontologisch als alia, als a und non-a erklärt, dennoch unter der Bezeichnung des "Verhaltens" zusammenzufassen41 • Daß das logisch nicht möglich ist, haben bereits Radbruch und Hellmuth Mayer so klar aufgezeigt42, daß dem nichts weiter hinzuzufügen ist. Es ist seit langem unstreitig, daß Strafnormen nur an menschliches Handeln anknüpfen können, nicht an sonstige Ereignisse und Vorgänge, mögen sie auch von einem Menschen ausgehen, von ihm verursacht oder sonstwie auf ihn zurückzuführen sein. Die Handlung ist die erste Stufe der strafrechtlichen Zurechnung. Es geht dabei noch nicht um Recht oder Unrecht, Verdienst oder Schuld, sondern nur darum, ob ein bestimmtes menschliches Verhalten als das "Werk", als "eigene Tat" dieses Menschen - und nicht bloß als Zufall - angesehen werden kann, als Objektivation seiner Person4'. Erst wenn feststeht, daß einer "gehandelt" hat, kann die weitere Frage gestellt werden, ob er recht oder unrecht, verdienstvoll oder schuldhaft gehandelt hat - oder ob, was auch möglich ist, die Handlung dem "rechtsfreien Raum", d. h. dem Bereich des rechtlich nicht Bewertbaren, zuzuordnen ist (wie z. B. bestimmte Notstandshandlungen44 ). Fehlt es an einer Handlung, dann ist das Strafrecht überhaupt nicht tangiert. Ist das richtig, dann kann nur die Handlung in ihrer vollen Inhaltlichkeit - und nicht ein bloßes Wort wie "Verhalten" oder "VerE. A. WoZft, Handlungsbegriff, S. 39. WeZzel, Strafrecht, S. 28, 180. 42 Radbruch, Handlungsbegriff, S. 140; H. Mayer, Strafrecht, Allg. T., 1953, S.44, 112 f. Siehe auch Gallas, ZStrW 67 (1955), 11. - Grundlegend Krings, Transzendentale Logik, 1964, S. 209 ff., 227 ff. n Siehe dazu vor allem Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927, bes. S. 60 ff. Vgl. auch Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 173. - Der "Vorwurf" WeZzeZs, Maihofers Handlungslehre sei in Wahrheit eine Zurechnungslehre (Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufl. 1961, S. 12), ist ein Kompliment! 44 Bedauerlicherweise ist Lenckner in seiner sonst sehr gründlichen Untersuchung: Der rechtfertigende Notstand, 1965, der Problematik des "rechtsfreien Raumes" nicht gerecht geworden (Vgl. S. 15 ff.). 40
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brechen" - Grundstein des Strafrechtssystems und einheitsstif1.endes Medium der Verbrechensarten und Verbrechensmerkmale sein. Es müssen sich also Vorsatztat und Fahrlässigkeitstat, Tun und Unterlassen, Vollendung und Versuch ... als "Handlungen" nachweisen lassen, und zwar in einem und demselben Sinne; wo das nicht gelingt, muß eine strafrechtliche Sanktion ausscheiden (es sei denn, man bräche mit dem Grundsatz, daß es das Strafrecht nur mit menschlichem Handeln zu tun hat). Und soweit andere Rechtsnormen - etwa des Zivilrechts, des Prozeßrechts, des Verwaltungsrechts - menschliches Handeln regeln, kann es ebenfalls nur um den einen und selben Handlungsbegrüf gehen, der auch für das Strafrecht gilt. Es gibt keinen spezifisch zivilrechtlichen, öffentlichrechtlichen, strafrechtlichen Handlungsbegriff45 , erst recht keinen eigenen Handlungsbegriff für die Vorsatztat, einen anderen für das Fahrlässigkeitsdelikt und wieder einen anderen für das Unterlassen. Darum ist es unzulässig, bei der Bestimmung des Begrüfs der Handlung auf Vorsatz, Fahrlässigkeit, Unrecht, Rechtsgut usw. vorzugreüen - die Folge davon ist zwangsläufig die Zerstörung der Einheit des Handlungsbegriffs. Wo man sich - ausdrücklich oder stillschweigendgenötigt sieht, mit mehreren Begriffen der Handlung zu operieren, ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, daß die ontologische Struktur der Handlung nicht richtig erfaßt worden ist (die Bewährung im systematischen Zusammenhang als Wahrheitskriterium!). Also: Der Handlungsbegriff muß einerseits insofern "neutral" sein, als er nicht schon spezifisch rechtliche, strafrechtliche Kriterien in sich aufnehmen darf, und er darf andererseits aber auch nicht so neutral (so abstrakt) sein, daß sich mit ihm die verschiedenen rechtlich relevanten Handlungen nicht mehr begreifen lassen. Wie ist das möglich? Hellmuth Mayer hat den einzig gangbaren Weg gewiesen, den es hier gibt: "Das logische Verhältnis aller späteren Merkmale (tatbestandsmäßig, rechtswidrig, schuldhaft) zum zugrundeliegenden materiellen Handlungsbegriff ist das der näheren Bestimmung eines im Handlungsbegriff selbst schon liegenden begrifflichen Moments, das aus einem unbenannten zu einem benannten Merkmal wird. Man könnte auch von der Modifizierung eines im Grundbegriff enthaltenen Merkmals sprechen4G." Oder mit eigenen Worten: Im Handlungsbegriff müssen die Kriterien der Zurechnung einer Tat zur Person ihres Urhebers in jener allgemeinen Form angegeben werden, die es ermöglicht, daran die besonderen Zurechnungskriterien der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit, des Verdienstes oder der Schuld anzuknüpfen. So zutreffend H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 151 ff. H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 146. Vgl. auch Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., 5.141: gesucht ist eine Begriffsbestimmung, "die allgemein, neutral, unterscheidunl!skräftil! und sachhaltig ist ... " Ähnlich Maurach, Allg. T., S. 138. 45
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III. Wir fragen: Was ist Handlung? und haben gesagt, daß die ontologische Struktur der Handlung aus dem Sein des Menschen erschlossen werden muß. Demgemäß müßten wir jetzt eigentlich so vorgehen, daß wir zunächst eine Ontologie des Menschseins entwerfen, um daraus dann die nötigen Folgerungen für das menschliche Handeln zu ziehen. Indessen dürfte es für die Ziele dieser kleinen Skizze zweckmäßiger und im Effekt vielleicht sogar beweiskräftiger sein, wenn wir gewissermaßen empirisch-experimetell verfahren und allererst einmal ergründen, welche Antworten man denn bisher auf diese unsere Frage, was Handlung sei, gegeben hat47 • Dabei müssen wir freilich den Blick auf das Wesentliche konzentrieren und dürfen uns nicht verwirren lassen von der Vielfalt der einzelnen Handlungstheorien. Sieht man genau zu, so lassen sich alle diese Handlungslehren auch auf vier Grundtypen reduzieren: 1. die sog. kausale ("natürliche", "naturalistische") Handlungslehre, die primär auf die Ursächlichkeit der Willensbetätigung abstellt; als ihre Hauptvertreter sind zu nennen: v. Liszt, Beling, Radbruch, Schönke, Mezger - hellte (mit Einschränkungen allerdings) Schröder, Baumann, Blei;
2. die sog. finale ("subjektiv-finale") Handlungslehre, die primär auf die Zielgerichtetheit der Willensbetätigung abstellt; ihre repräsentativen Vertreter in der neueren deutschen Strafrechtslehre sind Welzel, Hellmuth v. Weber (auf den die ersten Ansätze zurückgehen), Maurach, Niese, Richard Busch, Schaftstein, Stratenwerth, Armin Kaufmann, und auch Gallas muß man, trotz mancher Abweichungen seiner Lehre, wohl hier eingruppieren; 3. die sog. symptomatische Handlungslehre, die primär auf die psychische Beschaffenheit der Willensbetätigung abstellt und ihre Hauptvertreter in Kollmann und Tesar hatte; 4. die sog. soziale Handlungslehre (manchmal auch "objektiv-finale" Handlungslehre genannt), die primär auf die rechtlich-soziale Sinnhaftigkeit der Willensbetätigung abstellt; sie hat heute wohl die zahlreichste Anhängerschaft, freilich sind hier auch die Differenzen untereinander am größten; es seien genannt: Eberhard Schmidt, Hellmuth Mayer, Engisch, Sauer, Richard Lange, Maihafer, Bockelmann, Jescheck, Würtenberger, Oehler, Roxin, im Ergebnis auch Ernst A. Wolft. 41 Hier kommen wir methodisch in eine gewisse Nähe zu den Bemühungen Krugs; siehe: Der Handlungsbegriff des Finalismus, a.a.O., bes. S. 49 f.
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Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen: Bei dem obigen Schema handelt es sich um eine idealtypische Vereinfachung, damit auf diese Weise die Charakteristika der einzelnen Handlungstheorien umso besser herausgestellt werden können. Einer solchen Typologie eignet immer eine gewisse Gewaltsamkeit, und vielleicht wird mancher Autor gegen seine Eingruppierung protestieren. Es soll durchaus nicht verkannt werden, daß es zahlreiche Abwandlungen und Mischformen, ja im Grunde nur Mischformen gibt. Natürlich hat Blei völlig recht, wenn er sagt, daß niemand mehr eine rein kausale Handlungslehre vertrete48 - sie ist eigentlich nie vertreten worden; denn das Merkmal der "Willkürlichkeit" enthält ja fraglos ein finales Element. Aber auch eine rein finale Handlungslehre gibt es nicht, schon deswegen, weil Finalität Kausalität voraussetzt; außerdem will die finale Handlungslehre, wie Welzel oft betont hat49 , auch etwas über die Sinnhaftigkeit der Handlung aussagen. Das gleiche gilt, mutatis mutandis, für die soziale Handlungslehre, die niemals einzig und allein auf die rechtlich-soziale Bedeutsamkeit eines Verhaltens abstellen kann, sondern auch substantielle Kriterien angeben muß, an denen diese Bedeutsamkeit "haftet". Entsprechendes ließe sich schließlich auch für die symptomatische Handlungslehre nachweisen. Das alles heißt nun aber beileibe nicht, daß unsere Typologie eine willkürliche Systemspielerei wäre. Vielmehr hebt sie durchaus diejenigen Charakteristika heraus, die den verschiedenen Handlungstheorien das Gepräge geben. Wenn auch keine Handlungslehre sich auf einen einzigen Aspekt der menschlichen Handlung beschränkt, so wird doch jeweils ein ganz bestimmter Aspekt - Kausalität, Finalität, psychische Beschaffenheit oder soziale Sinnhaftigkeit - in den Vordergrund gestellt und allen anderen Kriterien übergeordnet, zum Teil so sehr, daß diese jede selbständige Bedeutung verlieren (wie z. B. nach der finalen Handlungslehre über den Sinngehalt einer Handlung ausschließlich ihre Finalität entscheiden soll). Auf diese Weise kommt es notwendig zu Einseitigkeiten und zu all den Aporien, die man den verschiedenen Handlungstheorien immer und immer wieder vorgehalten hat. Das kann hier nicht in extenso wiederholt werden. Wir müssen uns auf einige wenige Feststellungen beschränken. Ein ausschließlich kausaler Handlungsbegriff weist infolge seiner Abstraktheit ins Uferlose und kann daher die ihm obliegende Grenzfunktion nicht ausüben. Vor allem aber ist er völlig sinnentleert, weshalb er auch als Grundelement für die besonderen VerbrechensmerkU Mezger-Blei, Allg. T., S.55. Siehe auch Schönke-Schröder, StGB, Vorbem. 27 vor § I, und Baumann, Allg. T., S. 162 ff., 182 ff., sowie JZ 1962, 45. 41 Welzel, JZ 1956,317 und an anderen Stellen. Vgl. auch Maurach, Allg. T., S. 135, 140.
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male Unrecht und Schuld untauglich ist. Er wird weder der Vorsatztat noch dem Fahrlässigkeitsdelikt noch dem Versuch gerecht, von den Schwierigkeiten bei der Erfassung der Unterlassung ganz zu schweigen. Ein solcher Handlungsbegriff beschreibt eben keine spezifisch menschliche Verhaltensweise. Diesen letzteren Vorwurf kann man der finalen Handlungslehre nicht machen. Die Fähigkeit, sich bewußt Ziele zu setzen und sein Tätigwerden auf diese Zielerreichung hin planvoll zu lenken, besitzt nur der Mensch, kein anderes Wesen sonst. Aber der Mensch handelt keineswegs immer oder auch nur in der Regel so, daß er die Ziele seines Handelns bewußt antizipiert, daß er alsdann die zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Mittel bewußt auswählt und daß er schließlich die seligierten Mittel bewußt auf das antizipierte Ziel steuert. Könnten wir nur so handeln, so wären wir restlos überfordert. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Die finale Handlungslehre erfaßt nur eine ausgezeichnete Form der menschlichen Handlung und wird darum der Vielfalt menschlichen Handeins nicht gerecht. Indem sie die Finalität subjektiv als bewußte Zwecksetzung und bewußte Zweckverwirklichung begreift und mit dem Vorsatz, verstanden als Verwirklichungswille, identifiziert, kann sie - das ist die unausweichliche Folge - nur das vorsätzliche aktive Tun erfassen. So wird bei ihr das Unterlassen zum kontradiktorischen Gegenteil der Handlung. Das hat Armin Kaufmann scharfsinnig dargelegt50 ; man vermißt nur die Konsequenz, daß das Unterlassen demgemäß straflos bleiben müßte. Infolge des Vorgriffs auf den Unrechtsvorsatz51 kommt es sodann auch zu der - mit Recht - vielgerügten Entleerung des Schuldbegriffs: Schuld kann nicht mehr verstanden werden als etwas Real-Seinshaftes, sondern nur mehr als eine reine Relation, als "Vorwerfbarkeit", womit das Schuldprinzip fast zur Bedeutungslosigkeit entwertet ist52. Der Haupteinwand gegen die finale Handlungslehre aber betrifft das Fahrlässigkeitsdelikt. Er ist keineswegs "rein terminologischer Natur"53, sondern legt den Nerv dieser Lehre bloß. Die Geschichte der finalen Handlungslehre ist eine Geschichte ihrer mannigfaltigen und immer wieder abgewandelten Versuche, das fahrlässige Delikt zu erfassen. Sie sind samt und sonders untaugliche Versuche. Wenn man den Begriff der Handlung vom VorArmin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959. Dazu JZ 1962, 189 ff. 51 Wie H. Mayer, Vorbemerkungen, S. 145, zutreffend bemerkt, dürfte die flnale Handlungslehre eigentlich nur den "natürlichen Vorsatz" zur Handlung ziehen, nicht den Deliktsvorsatz. Aber alle Finalisten verstehen unter Finalität den auf die Erfüllung des Tatbestands gerichteten Vorsatz, also den Deliktsoder Unrechisvorsatz. S2 Dazu näher (mit Belegen) Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 174 ff. ss Wie Welzel meint: Das neue Bild, S. 13. 50
Engisch,
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satz her bestimmt, dann kann kein noch so ausgeklügeltes Argument es zuwege bringen, daß auch unvorsätzliches Verhalten diesem Begriff unterfällt5' • Selbstverständlich haben die Finalisten recht, wenn sie darauf hinweisen, daß auch die fahrlässige Handlung insofern eine finale Handlung sei, als bei ihr ein anderer als der tatbestandsmäßige Erfolg bewußt-final angesteuert wird55 • Aber damit ist nicht das geringste gewonnen, denn diese Finalität ist - unbestritten - rechtlich irrelevant, von ihr empfängt die betreffende Handlung gerade nicht ihren Sinngehalt, und daher können sich an sie auch nicht die strafrechtlichen Wertungen des Unrechts und der Schuld anschließen. Das zeigt mit aller Deutlichkeit das vielzitierte Beispiel der Krankenschwester, die einem Patienten ahnungslos ein Beruhigungsmittel in tödlicher Dosis injiziert. Dazu erklärt Welzel, daß diese Krankenschwester "zwar eine finale Injektion, aber keine finale Tötungshandlung" vornehme56 • Wieso kann dann aber das, was als Handlung nur eine Injektion ist, unter den Gesichtspunkten des Unrechts und der Schuld zur Tötung werden? Hier offenbart sich ein unheilbarer Bruch der finalen Handlungslehre. Und wenn wir einmal annehmen, daß der Krankenschwester keine Sorgfaltspflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden kann, hat sie dann etwa überhaupt nicht getötet, sondern nur injiziert? Die Finalisten müßten das konsequenterweise bejahen, sie könnten allenfalls davon reden, daß die Schwester den Tod des Patienten blind-kausal verursacht habe, nicht anders als ein Blitz, der einen auf dem Felde arbeitenden Mann erschlägt57• Aber daß auch in diesem Fall das Verhalten der Krankenschwester für einen objektiven Betrachter die Bedeutung einer Tötungshandlung hat, ist bestimmt nicht zweifelhaft, und auch sie selbst wird es ganz gewiß nicht anders verstehen 58• Hier muß die finale Handlungslehre vor dem wirklichen Leben kapitulieren. Daß die symptomatische Handlungslehre infolge ihrer Einseitigkeit nicht haltbar ist, ist seit langem so sehr allgemeine überzeugung, daß diese Theorie meistens überhaupt nicht mehr erwähnt wird. Angesichts So schon ganz klar H. Mayer, Allg. T., S. 44. VgI. Maurach, Allg. T., S. 135, 156,452; Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit, 1951, S. 53, 58 f.; Welzel, JZ 1956, 316 f. Zur Fahrlässigkeitslehre Welzels siehe vor allem auch: Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, 1961. 58 WetzeI, Das neue Bild, S.3; Strafrecht, S.32. Siehe auch Niese, JZ 1956, 458. 57 VgI. Welzel, Strafrecht, S. 29. &8 So zutreffend Larenz, Rechtswidrigkeit und Handlungsbegriff, a.a.O., S. 178 f., 181, 184, 186. Siehe weiter: Maiho!er, ZStrW 70 (1958), 166 ff.; Katsantonis, ZStrW 72 (1960), 552 f.; Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus, a.a.O., S. 33; Baumann, Allg. T., S. 170; E. A. Wal!!, Handlungsbegriff, S. 12 ff.; Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S. 148 f.; SchönkeSchröder, StGB, Vorbem. 32 vor § 1. - Zum Ganzen Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 165 ff. 5' 55
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dessen erscheint es fast notwendig, sie wieder der Vergessenheit zu entreißen und eine Lanze für sie zu brechen. Natürlich kann man die Handlung nicht nur von Bewußtseinsvorstellungen und Gefühlsabläufen her begreüen und alle äußeren Akte einzig als Symptome dieser inneren Vorgänge erklären. Deswegen ist es aber doch auch nicht so, daß das Bewußtsein und vor allem auch die unterhalb des hellen Bewußtseins liegenden seelischen Schichten mit dem Handlungsproblem nichts zu tun hätten. Gerade auf dem Felde der Psychologie gibt es für die Handlungslehre noch sehr viel zu bestellen. Diese Seite des Handlungsproblems ist wohl noch am wenigsten erforscht5u • Vielleicht ist dies mit darauf zurückzuführen, daß man die symptomatische Handlungslehre allzu schnell abgetan hat. Was schließlich die soziale Handlungslehre angeht, so liegt ihre ent!Icheidende Bedeutung darin, daß sie die Sinnhaftigkeit als ein konstitutives, selbständiges Handlungselement herausstellt, das nicht schon durch die Kausalität, durch die Finalität oder durch den Willensinhalt des Handelnden festgelegt ist, sondern mehr oder weniger unabhängig davon nach dem Maßstab des sozialen Lebens zu bestimmen ist. Dadurch kommt zutreffend zum Ausdruck, daß das Spezifikum menschlichen Handelns nicht in der "natürlichen", sondern in der geistigen Ebene liegt'o, wie eben auch der Mensch sich gegenüber allen anderen irdischen Kreaturen durch seine geistige Potenz heraushebt. Aber da der Mensch ja nicht reiner Geist, sondern zugleich "natürliches", körperhaftes Wesen ist, so muß doch auch bei der menschlichen Handlung die "soziale Sinnhaftigkeit" einem - sit venia verbo - körperhaften Träger gleichsam "aufgeladen" sein, denn Geist oder Sinn im status purus kommen in unserer Welt nicht vor. In diesem Punkt sind indessen die einzelnen sozialen Handlungslehren sehr kontrovers. Eberhard Schmidt knüpft unmittelbar an die kausale Handlungslehre an: "Handlung ist willkürliches Hineinwirken in die sozialen Lebenszusammenhänge mit einem bestimmten sozialen Sinn'!." Einen Schritt weiter geht Engisch, indem er das Merkmal der Bezweckbarkeit oder Berechenbarkeit ("objektive Finalität") einfügt: "Handeln ist das willkürliche Bewirken objektiv bezweckbarer Folgen seitens eines Menschen" - oder: "Handeln heißt ... das willkürliche &t Die Spezialliteratur hierzu ist, wenn ich recht sehe, ziemlich spärlich. Umso nachdrücklicher sei darum auf die Untersuchung von Rudol! Hauser, Psychologie als Lehre vom menschlichen Handeln, 1948, hingewiesen; sie erscheint mir auch für die rechtswissenschaftliche Diskussion fruchtbar. 10 Gut Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 157. 11 Eb. Schmidt, JZ 1956, 190. Siehe auch schon v. Liszt-Schmidt, Lehrb. d. deutschen Strafrechts, 26. Auf!. 1932, S. 154 ("Handlung ist Veränderung der sozialen Außenwelt durch willkürliches Verhalten, sei es ein die Veränderung verursachendes Tun oder ein sie verursachendes Unterlassen"); ferner Eb. Schmidt, Der Arzt im Strafrecht, 1939, S. 75 f., und SJZ 1950, 290 f.
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Bewirken
berechenbarer sozialerheblicher
Folgen ... "62.
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Mayer gelangt mit seiner "Willenstheorie" noch weiter über den Natu-
ralismus hinaus: "Handlung ist Willensverwirklichung, objektivierter Wille" und damit "verantwortliche Teilnahme am sozialen Leben"". Maihofer schließlich erstrebt die "Befreiung des Handlungsbegriffes" sowohl vom "Kausaldogma" wie von allen sonstigen "Resten naturalistischer Betrachtung", seien sie physiologischer oder psychologischer Art: von den Merkmalen der "Körperlichkeit", der "Willkürlichkeit" und der "Willentlichkeit", damit so der Weg frei werde "zur Erfassung der Handlung nicht einfach nur als das äußere oder innere Bewirken einer Wirkung, sondern als Akt und Produkt geistiger Leistung"'4. Hier ~t nun, so will es scheinen, die soziale Handlungslehre bis in ihre äußerste Konsequenz durchgeführt, dadurch jedoch zugleich auch in ihrer Einseitigkeit sichtbar gemacht. Gewiß ist menschliches Handeln eine geistige Leistung, aber ist es nicht auch ein Geschehen in der Welt des Körperlichen und des Seelischen? Kann die Befreiung vom Kausaldogma bedeuten, daß wir die Kausalität als eine quantite negligeable einfach beiseite schieben dürfen? Und geht es an, das Wesen der Handlung gar unter Verzicht auf das Willenselement zu bestimmen'5? Ist es doch gerade der Wille, der den Menschen befähigt, handelnd sein Dasein zu gestalten und sich so als Person zu verwirklichen". Ein anderes Problem des sozialen Handlungsbegriffs wurde bereits angedeutet: Ist er nicht von vornherein auf die Ebene des Unrechts bezogen, so daß er - ähnlich wie die finale Handlungslehre - nicht imstande ist, die Vielfalt menschlichen Handeins zu erfassen? Definiert man Handlung als auf die "Bewirkung der Verletzung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter gerichtet"67, dann trifft dieser Einwand ganz sicher zu. Aber kann man auch nur sagen, Handeln sei "Geschehen zwischen Menschen zur sozialrelevanten Leistung oder Fehlleistung"8S? I! Engisch, Der finale Handlungsbegriff, in: Probleme der Strafrechts erneuerung; Festschr. f. Kohlrausch, 1944, S. 164; Vom Weltbild des Juristen, 2. Aufl. 1965, S. 38. n H. Mayer, Allg. T., S. 42; vgl. auch Vorbemerkungen, a.a.O., S. 144, 160 f. 8' Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 159 u. ff. 15 Freilich macht Maihofer damit gar nicht Ernst, denn seine Handlungsdefinition enthält mit dem Merkmal der "Beherrschbarkeit" des Verhaltens unverkennbar ein willensbezogenes Element; siehe: Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 178: "Handlung ist jedes objektiv beherrschbare Verhalten mit Richtung auf einen objektiv voraussehbaren sozialen Erfolg." Der Vorwurf Welzels (Strafrecht, S.28), der Handlungsbegriff Maihofers sei infolge Streichung des entscheidend menschlichen Moments "von vornherein voroder untermenschlich", ist daher nicht berechtigt. ee Siehe H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O .• S. 147 f. u. bes. S. 160 f. Eingehend Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 39 ff., 50 ff. 81 Siehe oben Fußnote 38. tI8 Maihofer. Der soziale Handlun~sbegriff, a.a.O., S. 171. Vgl. auch Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S.151, und E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 29 ff.
7 Festschrift für HeIlrnuth Mayer
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Es gibt doch ohne Frage auch Handlungen, die sich nicht "zwischen Menschen" abspielen, und zwar auch Rechtshandlungen: z. B. die Aneignung einer herrenlosen Sache, die Dereliktion, die Vernichtung eines eigenhändigen Testaments. Das besagt freilich nicht, daß solche Handlungen nicht dennoch "sozialrelevant" wären. Doch worin gründet diese ihre soziale Sinnintentionalität? Wir sehen, auch die sozialen Handlungslehren bleiben uns auf die Frage, was die Handlung ihrer ontologischen Struktur nach ist, manche Antwort schuldig. IV.
Heißt das nun, daß alle diese Handlungstheorien falsch wären? Durchaus nicht! Daß sich im Laufe der Diskussion über den Handlungsbegriff gerade diese vier Grundtypen von Handlungslehren herausgebildet haben, eine kausale, eine finale, eine symptomatische und eine soziale, ist gar nicht erstaunlich. Denn jede dieser Handlungslehren erfaßt einen richtigen Aspekt der menschlichen Handlung, aber eben auch nur einen Aspekt und nicht das Ganze. So wie das menschliche Sein mehrschichtig ist, zusammengefügt aus den vier Bausteinen: Materie, Leben, Seele und Geist, so weist auch die menschliche Handlung ganz entsprechend vier Elemente auf: Kausalität, Finalität, psychische Prägung und geistige Sinnhaftigkeit.· Eine Handlungslehre, die der ontologischen Struktur der menschlichen Handlung umfassend gerecht werden will, muß daher diese vier Elemente angemessen berücksichtigen. Es ist unumgänglich, an dieser Stelle wenigstens in knappen Zügen etwas über den ontologischen Aufbau der realen Welt zu sagenGg• Wie bereits bemerkt, können wir im Gefüge der realen Welt vier Schichten ausmachen: 1. die Materie (die Welt des Anorganischen); 2. das Leben (die Welt des Organischen, Vegetativen); 3. die Seele (die Welt des Sensitiven, des animalischen, sinnlichen Bewußtseins); 4. den Geist (die Welt des Sinnhaften, des geistigen, reflexen Bewußtseins). Dieser Schichtenfolge entspricht die Stufenleiter und Rangordnung des innerweltlich Seienden: Ding, Pflanze, Tier, Mensch. 80 Ich folge hierbei im wesentlichen den ontologischen Untersuchungen von Nicolai Hartmann: Der Aufbau der realen Welt, 2. Aufl. 1949, bes. S. 188 ff.; Neue Wege der Ontologie, 3. Aufl. 1949, bes. S. 35 ff., 59 ff.; Einführung in die Philosophie, 3. Aufl. 1954, S. 120 ff. - Siehe ferner: A. Brunner, Der Stufenbau der Welt, 1950; Hessen, Lehrb. d. Philosophie, Bd. 111, 1950, S. 159 ff., 189 ff.; Jacoby, Allgemeine Ontologie der Wirklichkeit, Bd. 11, 1955, S. 712 ff.; Jaspers, Philosophie, Bd. I, 3. Aufl. 1956, S. 165 ff.; Litt, Denken und Sein, 1948, bes. S. 1~0 ff., 134 ff., 214 ff.; Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, 5. Aufl. 1952.
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Jeder Seinsschicht eignen ganz besondere Kategorien, die hier natürlich nicht abschließend aufgezählt werden können. Bei der Körperwelt sind es Kausalität, Substantialität, Zustand, Raum, Zeit. Beim Lebendigen sind es Organismus, Zweckmäßigkeit (Natur-Finalität), Ontogenese, Regeneration, Formbildung, Arterhaltung, Stoffwechsel, Selbstregulation. Im Bereich des Seelischen sind es Empfinden, Lust, Unlust, Triebhaftigkeit, Reaktion auf Sinneseindrücke, Apperzeption, Assoziation. Und in der Sphäre des Geistes schließlich sind es Denken, Erkennen, Wollen, Sprechen, Werten, Handeln, Freiheit. Dabei sind nun ganz bestimmte Schichtungsgesetze der Kategorien zu beachten, von denen wir nur die beiden wichtigsten nennen: das Gesetz der Wiederkehr und das Gesetz des Novums. Das erste Gesetz besagt, daß die Kategorien der niederen Schicht in der höheren wiederkehren, dabei jedoch mitunter vom Charakter der höheren Schicht überformt werden. So kann, um es an einem Beispiel zu demonstrieren, Freiheit niemals Kausalitätslosigkeit bedeuten, sondern nur durch den Geist überformte Kausalität .. Das zweite Gesetz besagt, daß die seinsmäßige Eigenart der höheren Schicht stets auf dem Auftauchen neuartiger Kategorien beruht und niemals auf der Wiederkehr der Kategorien aus der niederen Schicht. Nur dadurch, daß in jeder Schicht neue Kategorien einsetzen, unterscheiden sich Anorganisches, Organisches, Seelisches und Geistiges als Seinsarten voneinander. Andererseits aber bewirkt das Gesetz der Wiederkehr, daß die einzelnen Schichten auch nicht völlig voneinander getrennt sind. Nur auf Grund dieser beiden Gesetze ist es zu verstehen, daß Ding, Pflanze, Tier und Mensch teilweise dieselbe und teilweise eine völlig verschiedene Struktur haben. Es besteht eine Stufenordnung des Seins. Auf die große Bedeutung dieses ontologischen Befunds sowohl für die Erkenntnistheorie als auch für die Wissenschaftstheorie sei nur am Rande hingewiesen. Von hier aus erklären sich auch all die mannigfaltigen "Ismen", die es im Laufe der Wissenschaftsgeschichte gegeben hat: Materialismus, Naturalismus, Kausalismus, Vitalismus, Finalismus, Biologismus, Psychologismus, Voluntarismus, Normativismus ... Es handelt sich dabei im Grunde immer nur um falsche Anwenderei, um die unbesehene Übertragung von Kategorien der einen Schicht auf andere Schichten, um die unzulässige Verallgemeinerung eines für ein bestimmtes Gegenstandsgebiet zutreffend erfaßten Prinzips. Die Unzulänglichkeiten der einzelnen Handlungstheorien beruhen zu einem guten Teil auf diesem Fehler, also auf einem Verkennen der ontologischen Schichtungsgesetze. Aus dem bisher Gesagten erhellt bereits, daß sich die Schichten des Realen überlagern, und zwar so, daß stets die niederen Schichten in den höheren mit enthalten sind. Ein Gebilde steht in der Stufenordnung des Seins umso höher, je vielschichtiger es ist. Das leblose Ding ist
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ontologisch einschichtig, die Pflanze ist zweischichtig, das (höhere) Tier ist dreischichtig, und der Mensch schließlich umfaßt alle vier Seinsschichten. Es ist deshalb einseitig und insofern falsch, wenn man den Menschen als "geistiges Wesen" bezeichnet. Zwar ist seine Geistigkeit jenes Novum im Stufenbau des Seins, das ihn gerade als Menschen auszeichnet, aber er ist nicht nur Geist. Die niederen Kategorien sind Voraussetzungen der höheren. Diese können sich erst auf jenen aufbauen. Und dabei sind die Kategorien der niederen Schicht immer die stärkeren; die Kategorien der höheren Schicht können sie nur überformen, aber nicht aufheben. Der Mensch vermag dank seiner geistigen Potenz die Naturkausalität in seinen Dienst zu nehmen, aber kann kein Jota an der Kausalgesetzlichkeit ändern, der er selbst unterworfen ist. Was folgt aus alledem für das menschliche Handeln? Gehlen hat einmal den Menschen als das "handelnde Wesen" bezeichnet7°, als ein Wesen, das sich gerade durch sein Handeln von allem untermenschlichen Sein unterscheidet, bei dem es zwar auch gewisse Verhaltensabläufe gibt, aber eben keine "Handlungen". So ist die Bezeichnung "menschliche Handlung" eigentlich ein Pleonasmus. Indessen ist keineswegs alles das, was der Mensch "tut", auch schon eine "Handlung". Da nämlich der Mensch, wie gezdgt, nicht nur Geistwesen ist, sondern zugleich dem stofflichen, dem vitalen und dem animalischen Seinsbereich zugehört, gibt es bei ihm auch Verhaltensabläufe, die nicht spezifisch menschlicher Natur sind, sondern eher denjenigen der leblosen Dinge, der Pflanzen oder der Tiere entsprechen: Wenn ein Mensch durch unwiderstehliche Gewalt ("vis absoluta") gegen eine Fensterscheibe gestoßen wird, so daß er sie zertrümmert, dann ist dieses sein Verhalten von ihm überhaupt nicht gesteuert, sondern rein kausal von außen bewirkt - nicht anders, als wenn ein Stein gegen das Fenster geworfen würde. Wenn ein Schlafender in einer "Reflexbewegung" auf einen Reiz reagiert, etwa nach einer Fliege schlägt, so liegt eine weder vom sinnlichen noch vorn geistigen Bewußtsein gelenkte, aber doch immerhin in ihm selbst ausgelöste zweckvolle Steuerung seines Tuns vor; er verhält sich "automatisch" fmal - gerade wie eine Pflanze, die auf einen Lichtreiz hin zu einer bestimmten ihr förderlichen Stellung der Blätter veranlaßt wird (sog. Irritabilität). Wenn ein Schlafwandelnder oder ein Hypnotisierter zweckmäßig funktionierende Sinnestätigkeiten ausübt, dann sind diese zwar vorn sensitiven, animalischen Bewußtsein (von sinnlichen Wahrnehmungen oder Gefühlen) her gesteuert, aber nicht geistig kontrollierbar und beherrschbar - ein Verhalten, das etwa dem eines Hundes gleicht, der beim Anblick und Geruch des Freß~ napfes seine Schritte zu ihm lenkt. 70
Gehlen, Anthropologische Forschung, 1961, S. 4B ff. Im Anschluß an ihn
Waider, ZStrW 75 (1963), 238.
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Hier überall sprechen wir ohne Zweüel nicht von einer "Handlung", denn alle diese Verhaltensweisen können nicht als zurechenbares "Werk", als "eigene Tat" des Menschen charakterisiert werden. Es fehlt das Moment der Verantwortlichkeit, der Freiheit, es fehlt das personaZe Element. Das Verhalten ist in den angeführten Beispielsfällen nicht Objektivation der Person des Sich-Verhaltenden. Dem entspricht es, wenn Ernst A. WoZft die Handlung als "die durch die Entscheidung einer Person gestaltete Wirklichkeit" kennzeichnet7 1• So ist es auch gemeint, wenn hier von einer "personalen Handlungslehre" die Rede ist. Das entscheidende Merkmal, wodurch sich der Mensch vom gesamten untermenschlichen Bereich und namentlich auch vom Tier unterscheidet, ist seine Personhaftigkeit7!. Personhaftigkeit heißt Fähigkeit zum geistigen Selbstbewußtsein und der daraus resultierenden Selbstverfügung - wohlgemerkt: Fähigkeit, Potenz, latente Anlage zur geistigen Selbstverfügung, nicht notwendig das tatsächliche Vorhandensein; auch das unmündige Kind und der Geisteskranke sind Person. In dieser Fähigkeit zum geistigen Selbstbesitz liegt der ontologische Vorrang des Menschen gegenüber dem Tier, eben darin, daß er nicht einfach schicksalhaft dem pathischen Drang unterworfen einen von ihm nicht selbst gewählten Weg gehen muß, sondern daß er - freilich immer nur in den Grenzen seiner "Natur" - selbst seinen Weg bestimmen und seine Lebensgestaltung in die Hände nehmen kann. Diese "existentielle Freiheit" ist es, die die sittliche Verantwortlichkeit des Menschen begründet. Daß der Mensch Person ist, heißt demnach: er ist ein verantwortliches Wesen. Und nur weil er Person ist, kann er handeln. Handelnd vollzieht der Mensch seine Daseinsgestaltung - im Guten wie im Bösen -, verwirklicht er sich als das, was er ist7'. Verstehen wir so Handeln als Objektivation der Person, dann müssen wir aber die menschliche Personalität auch in ihrer komplexen Seinshaftigkeit erfassen. Als "Schnittpunkt-Phänomen" aller Seinsstufen sind im Menschen Kosmos, Bios, Psyche und Logos zu einer substantiellen Einheit verbunden. Und eben erst dieser substantiellen Einheit aller vier Seinsstufen kommt die Würde des Personalen zu. Darum ist auch 71 E. A. Woltt, Handlungsbegriff, S. 16. Siehe auch H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 160: Handlung im Sinne der "Willenstheorie" müsse "aus dem Grundgedanken der Person und eines personal verstandenen Willens" abgeleitet werden. 72 Die ganze Problematik des Personbegriffes kann hier nicht aufgerollt werden. Eingehender habe ich mich dazu geäußert in: Recht und Sittlichkeit, 1964, S. 11 ff., und auch schon in: Schuldprinzip, S. 116 ff. - Siehe auch W. Arnold, Person, Charakter, Persönlichkeit, 1957; G. Nass, Person, Persönlichkeit und juristische Person, 1964, bes. S. 25 ff.; A. Brunner, Der Stufenbau der Welt, bes. S. 9 ff. ("Ontologie und Person"). 73 Siehe hierzu auch, wenngleich nicht durchweg im Sinne des Textes, 0. Janssen, Das Beziehungsgefüge der menschlichen Handlung und das Problem der Freiheit, 1958, und Katsantonis, ZStrW 72 (1960), 351 ff., bes. 355.
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personales Handeln nur als substantielle Einheit von Körperhaftern, Vitalem, Psychischem und Geistig-Sinnhaftem zu begreifen. Man darf mit dem Kampf gegen den Kausalismus nicht die Kausalität, mit dem Kampf gegen den Finalismus nicht die Finalität, mit dem Kampf gegen den Voluntarismus nicht den Willen und die Bewußtseinsvorgänge und mit dem Kampf gegen den Normativismus nicht das Sinnelement aus dem Handlungsbegriff streichen. Eine umfassende Handlungslehre, bei der Naturwissenschaft, Biologie, Psychologie, Geisteswissenschaft und Philosophie gleichermaßen "mitzureden" haben - wie ja auch die Erklärung des Menschen keine Wissenschaft allein sich anmaßen kann -, wird also vor allem zu ergründen haben, wie diese vier Seinselemente die Handlung konstituieren und wie sie in ihr zusammenwirken. Was im folgenden hierzu ausgeführt wird, können nur einige skizzenhafte, vorläufige Bemerkungen sein, die in keiner Weise als eine auch nur annähernd erschöpfende Behandlung der Problematik anzusehen sind.
V. Wenn der Mensch handelt, geschieht dadurch immer irgendeine Gestaltung der Wirklichkeit, ein Hineinwirken in die realen Lebenszusammenhänge. Die Wirklichkeit gestalten kann der Mensch aber nur, indem er sich die Kausalgesetze dienstbar macht. Handeln ist daher immer (jedoch keineswegs ausschließlich!) ein Geschehen in der kausalen Körperwelt. Beim aktiven Tun, jedenfalls bei den sog. "Erfolgsdelikten", wird das sicher niemand bestreiten. Erschlägt der A den B mit einer Axt, dann hat hier zweifellos ein kausaler Vorgang in der Welt des Körperhaften stattgefunden. Aber auch bei den sog. "schlichten Tätigkeitsdelikten" fehlt es durchaus nicht an Wirkungen im Bereich des Physisch-Realen. Nun pflegt man freilich gerne die kausale Handlungslehre an jener naturalistischen "Definition" der Beleidigung ad absurdum zu führen, wonach diese als "Veränderung in der Außenwelt" eine Folge von Kehlkopfbewegungen, Schallwellenerregungen, Gehörreizungen und Gehirnvorgängen sein soIF'. Es ist kein Wort darüber zu verlieren, daß damit das Wesen der Beleidigung selbstverständlich nicht gekennzeichnet ist. Indessen, kann denn eine Verbal-Beleidigung anders begangen werden, als daß man sich derartiger physiologischer Vorgänge bedient? Solange das ehrkränkende Wort nicht gesprochen und somit nicht dinghaft, körperhaft gemacht ist, existiert auch noch keine Beleidigungshandlung. Bloße Gedanken, Absichten, Gefühle, Motive sind 74 Vgl. F. v. Liszt, Strafrechtliche Vorträge und Aufsätze, Bd. I, 1905, S. 217. Dazu auch Radbruch, ARWP 17 (1923/24), 348.
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eben noch keine Handlungen. Darum gehört ja auch zum Versuch, daß es wenigstens zu einem "Anfang der Ausführung" gekommen ist, weil sonst überhaupt keine Handlung vorläge. Beim Versuch mangelt es nur insofern an der Kausalität, als der vom Täter beabsichtigte Erfolg nicht verursacht worden ist75 • Aber ein Kausalvorgang ist zweifellos auch schon das Bereiten eines Giftgetränks oder das Einschlagen einer Fensterscheibe, selbst wenn dann der geplante Mord bzw. der geplante Diebstahl aus irgendeinem Grund nicht zur Vollendung gelangt. Problematisch ist es freilich bei der Unterlassung, der man bekanntlich immer wieder die Merkmale der Kausalität und der Körperlichkeit abgesprochen hat78• Ja, manche nennen die Unterlassung ontologisch sogar ein Nichts, eine reine Negation, etwas, das in der Wirklichkeit nicht vorhanden sei oder jedenfalls nur in den Köpfen der anderen Realität besitze, nämlich in der Form des Urteils, daß der Unterlassende eine ihm mögliche bzw. von ihm erwartete Handlung nicht vorgenommen habe77 • Wie dann aber ein solches ontologisches Nichts soll Strafe nach sich ziehen können, bleibt dabei allerdings ein Rätsel, für das es wohl kaum eine Lösung geben dürfte. Daß dieser Auffassung ein völlig unzutreffender Realitätsbegriff zugrunde liegt, hat bereits Hellmuth Mayer ganz klar aufgedeckt: Man stellt sich danach die Welt "gewissermaßen als einen Physiksaal vor, in dem alle Gegenstände hübsch an ihrem Platz bleiben. Nur der Verbrecher macht sich im Fall der Begehungstat als unerwünschter Experimentator zu schaffen, indem er z. B. einen bisher vorhandenen lebenden Menschen ,umlegt'. Oder im Fall der Unterlassung erscheint der Experimentator nicht, die Schüler sehen also nichts. Bei dieser Betrachtungsweise haben Handlung und Unterlassung keine positiven Merkmale gemeinsam ... Eine kritische Betrachtung lehrt aber, daß die Welt nicht ruhendes Sein, sondern Werden, Prozeß, geschichtlicher Verlauf ist. Wir sind genötigt, an diesem Prozeß handelnd durch Begehung oder Unterlassung teilzunehmen und können uns niemals durch Untätigkeit dieser Verantwortung entziehen. Auch wenn wir eine erwartete Handlung unterlassen, zeichnen wir als verantwortliche Urheber für den wirklichen geschichtlichen Verlauf. Das ist nicht eine nachträgliche Bewertung, welche wir an den äußeren Verlauf herantragen 78 ." Dies zu Baumann, JZ 1962, 46. Siehe schon Radbruch, Handlungsbegrüf, S. 131 H., und dann vor allem Maihofer, Handlungsbegriff, S. 16 ff. 77 So etwa Schönke-Schröder, StGB, Vorbem. 81 vor § 1. Vgl. sodann auch Welzel, Strafrecht, S. 180: Unterlassung "kein reiner Negations-, sondern ein Limitationsbegriff"; Maurach, Allg. T., S. 498: Unterlassung eine "juristische Kategorie"; GaUas, ZStrW 67 (1955), 8 f., 12; Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S. 144. 78 H. Mayer, Allg. T., S. 112 f. 71 71
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Damit ist Entscheidendes gesagt. Ohne Zweüel, auch der Unterlassende ist "Urheber" eines realen Geschehens. Wenn in dem bekannten Schulbeispielsfall die Mutter ihr Kind nicht nährt, dann ist der Tod des Kindes ihr "Werk", ihre "eigene Tat", sie hat diesen Tod "bewirkt". Daß es ein solches "Bewirken durch Unterlassen" gibt, hat neuestens wieder Ernst A. Wolf! in einer sehr gründlichen und geistreichen Analyse gezeigt79 • Aber Wolff läßt auch keinen Zweüel darüber, daß dieses "Bewirken" im Sinne der Unterlassung etwas anderes ist als die Kausalität des aktiven Tuns, und wenn man es (wie Wolff und andere) ebenfalls "Kausalität" nennt, dann ist dabei der Begrüf der Kausalität jedenfalls nicht sensu proprio, sondern analog zu verstehen. Im eigentlichen Sinne ist die Kausalität eine Kategorie des physischen Seins. Und in diesem eigentlichen Sinne ist die Unterlassung als solche nicht kausal, an dieser Tatsache läßt sich nicht rütteln80 • Auch ist es nicht erforderlich, daß der Unterlassende selbst irgendwie körperlich tätig ist - und wenn er es ist, kommt es darauf nicht an. Aber deswegen ist die Unterlassung dennoch ein Geschehen in der kausalen Körperwelt, nur darf man den Kausalvorgang, um den es dabei geht, nicht beim Unterlassenden selbst suchen. Physisch-kausale Vorgänge gibt es in unserer Welt, auch ohne daß wir selbst aktiv handelnd tätig werden, denn die Welt ist eben - wir wiederholen das Zitat von Hellmuth Mayer "nicht ruhendes Sein, sondern Werden, Prozeß". Menschen sterben gewiß nicht nur dadurch, daß sie von anderen durch aktives Tun getötet werden - aber wie immer sie auch sterben, stets ist ihr Tod physischkausal verursacht. Wenn - um dieses Beispiel wieder aufzugreüen das von der Mutter nicht genährte Kind stirbt, dann ist sein Tod die Folge eines physisch-kausalen Vorgangs: das Kind ist verhungert. Selbstverständlich macht dieser Kausalvorgang allein noch nicht die Realität der Unterlassung aus - dazu ist des weiteren eine bestimmte räumliche und personale Nähe des Unterlassenden zu dem fraglichen Kausalgeschehen erforderlich: eine räumliche Nähe, die ihm das erfolgsverhindernde Eingreifen in den Kausalprozeß möglich macht, und eine personale Nähe, die von ihm ein solches Eingreüen erwarten läßt81 • Aber auf jeden Fall gehört ein physisch-körperhafter Kausalvor10 E. A. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, 1965, S. 33 ff.; siehe außer dem dort genannten Schrifttum auch noch Petraschek, System der Rechtsphilosophie, 1932, S. 331 ff. 80 Zutreffend Welzel, Strafrecht, S. 180 ff.; Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 57 ff. - Zum Streitstand siehe Maurach, Allg. T., S. 499 ff. 81 Vgl. Boldt, ZStrW 68 (1956), 348 f., und auch E. A. Wolff, Kausalität, S. 37 ff. - In meiner Abhandlung: Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen im Strafrecht, in: Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 200 !f., habe ich ausgeführt, daß das Merkmal des "erwarteten Tuns" nicht schon für den Begriff, sondern erst für das Unrecht der Unterlassung konstitutiv sei (S. 214 f.). Das ist nur insofern richtig, als speziell die Erwartung der Rechtsordnung (die Rechtspflicht zur Erfolgsabwendung) in Frage steht. Indessen gehört die Er-
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gang zur ontologischen Struktur, zur Wirklichkeit der Unterlassung, denn ohne einen solchen kann nichts "unterlassen" werden. Auch der Unterlassende vermag nur dadurch zu "wirken", die Wirklichkeit zu gestalten, daß er sich die Kausalgesetze dienstbar macht. Beim aktiven Tun macht sich der Handelnde das Kausalwerden des eigenen Körpers dienstbar (Indienstnehmen von Eigenkausalität), beim Unterlassen macht sich der Handelnde einen außerhalb seiner selbst liegenden fremden Kausalvorgang dienstbar (Indienstnehmen von Fremdkausalität)82. Tun und Unterlassen sind also beide in eben und demselben Sinne "Handlungen", als dabei der Mensch einen Kausalprozeß in seinen Dienst nimmt. VI.
Das In-den-Dienst-Nehmen der Kausalität auf ein Ziel hin ist das, was wir Finalität nennen. Aber welches ist denn die Triebkraft. die die Kausalität in ihren Dienst nimmt und auf ein Ziel lenkt? Nach der sog. finalen Handlungslehre ist es allein der bewußte Wille, der den Menschen befähigt, einen vorgesetzten Zweck durch Einsetzen der erforderlichen kausalen Mittel zu erreichen. Finalität ist - so verstanden - nur der zweck- und zielbewußte Verwirklichungswille83 . Der philosophische Gewährsmann der finalen Handlungslehre ist Nicolai Hartmann 84 • Vor allem in seinem posthum veröffentlichten Werk: "Teleologisches Denken" hat Nicolai Hartmann nachdrücklichst die "Finalität als Bewußtseinskategorie" beschrieben, sich gegen die "vermeintlich unbewußte Zwecktätigkeit" gerichtet und - im Gegensatz zu der zweigliedrigen Analyse des Aristoteles im VII. Buch der "Metaphysik" (Ziel- Bewußtsein) - die "drei Akte des Finalnexus" herausgestellt: ,,1. Akt: Setzung des Zweckes im Bewußtsein mit überwartung der Erfolgsabwendung überhaupt (unter welchem Gesichtspunkt auch immer: der Moral, des Brauchtums, der Gewohnheit, des Rechts ...) zum Begriff der Unterlassung; andernfalls fehlte es an dem personalen Handlungselement der "Verantwortlichkeit" für das Kausalgeschehen. 81 So schon Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 86 f. Ähnlich Bienenfeld, Die Haftungen ohne Verschulden, 1933, S. 419. Vgl. auch Bockelmann. Betrug verübt durch Schweigen, in: Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 437 ff., bes. S. 450 f.; Roxin, ZStrW 74 (1962), 530. Zum Ganzen: Arthur Kaufmann, Die Bedeutung hypothetischer Erfolgsursachen, a.a.O., S. 207 ff. - Eine Auseinandersetzung mit den teils übereinstimmenden, teils abweichenden Ansichten von Androulakis in dessen umfassender Untersuchung: Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1963, ist im Rahmen der vorliel!enden Abhandlung nicht möglich; vgl. dazu Grünwald, JZ 1965, 654 f., dessen Kritik ich mir freilich in einigen wesentlichen Punkten nicht zu eigen machen kann. 8S SO besonders klar Welzel, Strafrecht, S. 29 ff. " Wieweit WeIzel selbst durch Hartmann inspiriert worden ist, kann dahingestellt bleiben; vgl. dazu WeIzel, Das neue Bild, S. IX ff.
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springung des Zeitflusses, als Antizipation des Künftigen; 2. Akt: Selektion der Mittel vom gesetzten Zweck aus im Bewußtsein (rückläuflge Determination); 3. Akt: Realisation durch die Reihe der seligierten Mittel; rechtläufiger Realprozeß außerhalb des Bewußtseins85 ." Wenn HaTtmann an anderer Stelle diesen 3. Akt des Finalnexus einmal als "die eigentliche Handlung" bezeichnet, der seiner Determinationsform nach "ein rein kausaler Ablauf" sei8e, so darf man das doch keineswegs so verstehen, als ob bei ihm die Handlung als ein bloßer Kausalprozeß aufgefaßt würde81 . Denn er betont ausdrücklich, daß man die drei Akte des Finalnexus "nicht voneinander losreißen und isolieren" dürfe, da sie "im vollziehenden Bewußtsein" miteinander "fest verbunden" seien; wenn auch der Realprozeß außerhalb des Bewußtseins kausal "ablaufe", so sei er nichtsdestoweniger durch die zwei vorausgehenden Bewußtseinsakte final "überformt"88. Finalität ist danach also eine Determinationsform, die allein das "Reich des bewußten Tuns, einschließlich des sittlichen Wollens und Handelns umfaßt", sie ist "ein Vorrecht des Menschen"89. Aber gibt es denn Zweckläufigkeit, gesteuertes Kausalgeschehen auf ein Ziel hin, nicht auch im Bereich der ungeistigen, ja der rein organischen Natur? Ganz gewiß! Bei allen organischen Funktionen - Formbildung, Wachstum, Selbstregulation des Ganzen, Regeneration, Fortpflanzung u. a. m. - geht es doch stets darum, daß ein bestimmter Endzustand, ein Ziel erreicht wird, und sie lassen sich darum auch nur als gesteuerte Vorgänge begreüen. Freilich ist uns das Wesen dieser Steuerung noch weitgehend ein Geheimnis. Aber warum sollen wir diese "entelechiale" Kraft, die hier am Wirken ist, nicht Finalität nennen: eine eingegebene, heteronome Natur-FinalitätUO ? Schließlich spricht ja auch Nicolai HaTtmann davon, daß es sich in der Welt des Organischen um eine Determinationsform handelt, die sich in der "Zweckmäßigkeit der Teilfunktionen füreinander" äußert und "deren Verlauf von einem Anlagesystem her gesteuert wird"Dl. Wenn er diese "überkausale Bestimmung im Organismus"u2 nicht als Finalität bezeichnet, so ist das im Grunde nur eine terminologische Frage. In der Naturwissenschaft und der Naturphilosophie ist die Bezeichnung "Finalität" für die N. HaTtmann, Teleologisches Denken, 1951, S. 2 ff., 17 !f., 68!f. N. HaTtmann, Der Aufbau der realen Welt, S. 567. 81 So aber wohl KZug, Der Handlungsbegri!f des Finalismus, a.a.O., S. 34 ff. M N. HaTtmann, Teleologisches Denken, S. 69, 71 ff. " N. HaTtmann, Neue Wege der Ontologie, S. 58, 104. Vgl. auch Ethik, 3. Auf!. 1949, S. 191 ff.; Das Problem des geistigen Seins, 2. Auf!. 1949, S. 152 f. 8G Vgl. FTank, Finalität, in: Philosophisches Wörterbuch, herausgeg. von BTuggeT, 8. Auf!. 1961, S. 90 f. Zutreffend auch Hellmuth MayeT, ZStrW 59 (1940), 315: "Die finale Zielstrebigkeit fängt ... nicht erst im Bereich des bewußten Geistes an, sondern herrscht auch in der organischen Natur." 11 N. HaTtmann, Neue Wege der Ontologie, S. 57; vgl. auch S. 52, 65. " N. HaTtmann, Teleologisches Denken, S. 27. 85
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gesteuerten Vorgänge im Bereich des Organischen und des Animalischen durchaus geläufig. Als eine gute Orientierung kann das Kapitel "Objektivität der Finalität in der lebendigen Natur" in Aloys Wenzls Buch: "Die philosophischen Grenzfragen der modernen Naturwissenschaft" empfohlen werden, dem das folgende hübsche Beispiel entnommen ist: "Eine Mücke sticht uns, wir fühlen einen Juckreiz und schlagen mit der Hand nach ihr, an unseren Hals, unser Kinn, unser Bein, und treffen sie, wenn sie nicht ,zielstrebig' schneller als unsere zielstrebigen Bewegungen war und entflog93 ." Freilich ist mit dem Gesagten noch gar nichts gegen die Richtigkeit der finalen Handlungslehre bewiesen. Die Vertreter dieser Lehre können ja erwidern, daß diese eingegebene, heteronome Natur-Finalität nichts spezifisch Menschliches sei und daher auch nicht das menschliche Handeln charakterisiere, daß es dafür vielmehr auf eine intentionale, im Geistigen des Menschen begründete autonome Finalität ankomme. Und in der Tat, die rein aus dem Organischen, Vegetativen, Animalischen kommenden Steuerungsvorgänge sind noch keine menschlichen Handlungen. Darauf wurde ja schon oben ausdrücklich hingewiesen. Von einer Handlung kann nur da die Rede sein, wo die finale überdetermination des Kausalgeschehens im Geistigen des Menschen fundiert und damit in seine Freiheit gestellt ist. Indes, darf man von einem geistig fundierten Finalnexus wirklich nur dort sprechen, wo sich die Handlung in den drei geschilderten Etappen vollzieht: das bewußte Vor-setzen des Zweckes, die bewußte Auswahl der Mittel und die vom steuernden Bewußtsein überformte Verwirklichung des Zweckes durch die Mittel? Sind denn dem Menschen nur die durch sein Kausalwissen beherrschten Folgen seines Verhaltens als sein "Werk" und somit als seine "Handlung" zurechenbar? Wenn dem so wäre, müßte in jedem Falle, in dem der tatsächliche Kausalverlauf mit den im Bewußtsein antizipierten Kausalvorstellungen in irgendeinem Punkte nicht übereinstimmt (und das ist die Regel), insoweit, als die "Abirrung" reicht, die Finalität, damit der Vorsatz und unter dieser Rücksicht dann auch eine Handlung verneint werden. Bekanntlich zieht aber gerade Welzel diese Folgerung nicht, vielmehr stellt er bei sog. abweichendem Kausalverlauf, ja sogar bei der aberratio ictus, auf eine objektive Beurteilung (Adäquanz) abu. DS A. Wenzt, Die philosophischen Grenzfragen der modernen Naturwissenschaft, 1954, S. 80 ff., 85. - Zur Finalität in der lebendigen Natur siehe außerdem etwa noch: R. Ha.useT, Psychologie als Lehre vom menschlichen Handeln, S. 3 ff.j W. Ba.umann, Das Problem der Finalität im Organischen bei Nicolai Hartmann, 1955; deTselbe, Ziel und Zweck in der Natur, 1961; A. BTunneT, Der Stufenbau der Welt, S. 299 ff. U Wetzet, Strafrecht, S. 66 f.j auch S.41. Zu dieser Inkonsequenz Welzels vgI. auch schon MaihofeT, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 171 f., und KTauß, ZStrW 76 (1964),46.
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Schon dies deutet darauf hin, daß die finale Handlungslehre nur eine ausgezeichnete Form, gewissermaßen den "Modellfall ", den "Idealtypus" der menschlichen Handlung beschreibt, damit aber der mannigfaltigen Wirklichkeit menschlichen HandeIns nicht gerecht wird. In der Wirklichkeit des Lebens handelt der Mensch - darin hat Hellmuth Mayer ganz sicher recht - "nur selten mit vollem individuellem Zweckbewußtsein"95. Es kann gar keine Rede davon sein, daß wir immer oder auch nur in der Mehrzahl der Fälle in der Weise handelten, daß wir uns das zu erreichende Ziel "vor-setzen" und dann hell bewußt auf dieses vorgesetzte Ziel zusteuern. Schon Leferenz hat solchen Vorstellungen gegenüber den Vorwurf des Rationalismus und des Intellektualismus erhoben und dazu bemerkt: "Hier liegt ... eine Psychologie der Handlung zugrunde, die lebensfern ist und sich mit den heutigen psychologischen Erkenntnissen nicht vereinigen läßt. Es wird vorausgesetzt, daß der Täter Handlung, Erfolg und den Weg zwischen beiden überblickt und durchgedacht und dann den Entschluß zur Handlung gefaßt habe. So stellt man sich den sog. vernünftigen Menschen vor ... , aber so wird vielfach nicht gehandeJt88." Machen wir es uns doch an einigen simplen Beispielen des täglichen Lebens klar: Wenn ich den Schlüssel aus der Tasche ziehe und meine Haustüre öffne, wenn ich lesenderweise Kaffee trinke, wenn ich plaudernd mit meiner Frau spazierengehe, wenn ich an die sogleich zu haltende Vorlesung denkend mein Auto zur Universität lenke - dann dringt das, was ich hier "nebenbei" tue, in aller Regel nicht bis in mein Bewußtsein, aber zweifellos "handle" ich, und zwar final, nicht bloß "potentiell final"! Finalität ist eben keineswegs identisch mit bewußtem Vor-setzen und bewußtem Verwirklichen eines Zieles, finales Handeln also durchaus nicht gleichbedeutend mit vorsätzlichem Handeln91• So wahr der Mensch das "handelnde Wesen" ist, so wenig kann man ihn doch als ein stets vorsätzlich handelndes Wesen bezeichnen. Hall hat der These der Finalisten einmal ganz pointiert die Antithese entgegengestellt: "Nicht die Klarheit des Vorsatzes, sondern das Halbdunkel der Fahrlässigkeit ist die der fragwürdigen Existenz des Menschen gemäße Form des Verhaltens. Der Mensch ist ein fahrlässiges Wesen98 ." VS H. Mayer, Allg. T., S.44; siehe auch: Vorbemerkungen, a.a.O., S. 159. Ebenso Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 171: Menschliches Handeln erreicht die "Vollform" eines "aktuell finalen Leistungsverhaltens" nur ausnahmsweise. i8 Leferenz, ZStrW 70 (1958), 38. Demgegenüber ist Stratenwerth, Schw. Z. f. StrR 81 (1965), 183 f., der Meinung, daß die finale Handlungslehre auch "auf dem Boden der neueren Psychologie" dem Einwand der "rationalistischen oder intellektualistischen Verkürzung der Phänomene" standzuhalten vermöge. n Zutreffend bemerkt Klug, Der Handlungsbegriff des Finalismus, a.a.O., S. 34, daß es, wie Umgangssprache und Psychologie lehren, auch unbewußte Handlungen gibt. va Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 20.
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Das mag auch eine Überspitzung sein. Niemand zweifelt daran: Die für das menschliche Handeln erforderliche Finalsteuerung des Kausalgeschehens kann vom Bewußtsein her erfolgen, und in den ausgezeichneten Fällen unseres HandeIns geschieht das auch so. Aber ebensowenig ist zweüelhaft, daß die finale überdetermination des Kausalgeschehens durchaus nicht immer eine Leistung des aktiven, hellen Bewußtseins ist. Woher kommt dann aber in diesen (Normal-)Fällen die das menschliche Handeln zielstrebig steuernde Kraft? Mit dieser Frage betreten wir eine ähnlich geheimnisvolle Welt wie die Welt des Organischen und der organisch gesteuerten Vorgänge: die Welt des Unbewußten. VII.
Der Begrüf des Unbewußten als psychologischer Grundbegrüf ist kaum älter als unser Jahrhundert99 • Natürlich war auch schon früher bekannt, daß es beim Menschen unbewußte Verhaltens abläufe gibt. Aber man rechnete sie - befangen im intellektualistischen Vorurteil, daß das Bewußtsein den Menschen regiere - nicht zu den eigentlich menschlichen Akten, sondern verwies sie ir.. den Bereich des Vitalen und insbesondere des Triebhaft-Animalischen. Daran änderte auch Nietzsehe nichts, der freilich schon darauf hingewiesen hat, daß sich die wesentlichen und entscheidenden Dinge beim Menschen nicht im Bewußtsein abspielen. Erst Siegmund Freud hat den entscheidenden Wandel gebracht. Ihm vor allem verdankt die moderne Psychologie die Erkenntnis, daß es in der Tiefe der menschlichen Seele eine Antriebswelt oder Antriebsschicht, das ES, gibt, die nicht aus dem Bewußtsein, dem ICH, herrührt und die - gerade umgekehrt, als es der Intellektualismus angenommen hat - unser Handeln in weitaus größerem Maße befehligt als das Bewußtsein; sie ist die wichtigste Grundschicht des Seelenlebens, eine Schicht, der das bewußte Erleben und Tun nur wie eine dünne Oberschicht auflagert. In der Folgezeit sind es dann besonders Ludwig Klages und Carl Gustav Jung gewesen, die dieses "Unbewußte" des ihm vom Intellektualismus zugeschriebenen animalisch-triebhaften Charakters entkleideten und in ihm ein Spezifikum des Menschen entdeckten100• Allerdings ist das Unbewußte selbst wiederum komplexer Natur. Unbewußt ist erstens und im engeren Sinne das, was überhaupt bewußtseinsunfähig ist. Zweitens nennt man unbewußt aber auch das, was zwar nicht aktuell, aber latent im Bewußtsein des Menschen ist, was 88 Zur Problemgeschichte des Unbewußten siehe Brinkmann, Das Problem des Unbewußten, 1943, bes. S. 13 ff. 100 Vgl. dazu Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, bes. S. 72 !f., 86 ff.
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bewußt werden kann, d. h. bewußtseinsfähig ist101 . Was uns im folgenden interessiert, ist das Unbewußte in diesem zweiten Sinne, das Bewußtseinsfähige. Freud bezeichnet es als das "Vorbewußte"102, Jaspers als das "Unbemerkte" (im Gegensatz zum "Außerbewußten", das sich nicht bewußt machen läßt)1°3. Ein fester Sprachgebrauch hat sich noch nicht eingebürgert. Wir wollen es das Unterbewußte nennen, weil dieser Begriff wohl am besten zum Ausdruck bringt, daß es sich hier um diejenige seelische Schicht, oder besser vielleicht: seelische Funktion handelt, die so unmittelbar unter de"r Schwelle des Wachbewußtseins liegt, daß sie in dieses heraufgehoben werden kann104. Mit der Bezeichnung "Vorbewußtes" könnte sich die Auffassung verbinden, daß die Akte, um die es hier geht, früher schon einmal bewußt gewesen sein müßten, daß es sich dabei um in das Unterbewußte abgesunkene frühere bewußte Vorentscheidungen handeln müßte105. Damit würde das Unterbewußte aber gerade in seiner eigentlichen geistigen Leistungsfähigkeit verkannt werden, nämlich als "fruchtbarer Lebensgrund seelischer Potentialität"106, als "Quellpunkt der Einbildungskraft und damit aller Poesie und Schönheit"107, als "Keimstätte des Schöpferischen" 108. Jeder schöpferisch tätige Mensch wird die Erfahrung gemacht haben, daß uns die fruchtbarsten, zuvor noch nie bewußt gewesenen Gedanken oft gerade dann "überfallen", wenn wir nicht bewußt-reflektiert an den betreffenden Gegenstand denken, daß also offenbar dann, wenn wir "abschalten", "etwas in uns am Werk" ist, "das klüger ist als unser bewußt zwecktätiges Handeln"loe. Wahrschein101
Vgl. WitlwoU, Unbewußtes, in: Philosophisches Wörterbuch (hrsg. von
Brugger), 8. Auf]. 1961, S. 342 f.; Metzke, Handlexikon der Philosophie, 2. Aufl.
1949, S. 305 f., 309. 102 Freud, Das UnbewuBte; Schriften zur Psychoanalyse (hrsg. von A. Mitschertich), 1960, S. 13. So auch R. Hauser, Psychologie als Lehre vom menschlichen Handeln, S. 23. 103 Jaspers, Allgemeine Psychopathologie, 5. Aufl. 1948, S. 9 f., 254 u. Ö. 10' So Metzke, Handlexikon der Philosophie, S.309. Vgl. auch Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, S. 39 f., 86 f. - Der Begriff des .. Unterbewußten" wird jedoch auch anders gebraucht; siehe etwa C. G. Jung, Bewußtes und Unbewußtes (Ausg. Fischer-Bücherei), 1960, S.27, 127; R. Hauser, Psychologie als Lehre vom menschlichen Handeln, S. 23 f., 161 ff. 105 So aber wohl E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S. 26 ff. 108 F. Seifert, Seele und Bewußtsein, 1962, S. 169. 107 Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, S. 75; vgl. auch S.89. Interessant ist seine Feststellung, .. daß Kinder, Frauen, Pykniker, integrierte Typen und Künstler überhaupt mehr aus dem Es, dem ,UnbewuBten', dem ,archaischen Menschen', der ,Seele' (Klages), dem ,Herzen' heraus leben, als einmal schizoide Typen und dann als der ausgesprochen modern-rational-technische Menschentyp" (a.a.O., S. 81). 108 O. Kankeleit, Das Unbewußte als Keimstätte des Schöpferischen; Selbstzeugnisse von Gelehrten, Dichtern und Künstlern, 1959. Siehe außer den dort Genannten etwa auch noch Ernest Hemingway, Paris - Ein Fest fürs Leben (Ausg. Rowohlt), 1965, bes. S. 34. IOD N. Hartmann, Teleologisches Denken, S. 17.
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lich verdanken wir die meisten großen Leistungen der Menschheit solchen aus dem Unterbewußten - der "vita contemplativa" - hervorquellenden genialen Einfällen. Es ist deshalb gänzlich verfehlt, nur solche Vorgänge, die dem bewußten Willen entspringen, als Äußerungen der Personhaftigkeit, der Geistigkeit des Menschen anzuerkennen und alles, was nicht aus dem bewußten Willen hervorgeht, als apersonal, als ungeistig, als untermenschlich abzustempeln llO • Auch in bezug auf das eigentliche Handlungsproblem ist die schöpferische Kraft des Unterbewußten von großer Bedeutung. Denn wir werden ja - zumal in unserer technisierten Welt - immer wieder vor neue, zuvor nie erlebte und daher auch nie vorentschiedene Situationen versetzt, in denen wir "auf Anhieb" richtig reagieren, "unwillkürlich" zielstrebig handeln (keineswegs bloße Reflexbewegungen vornehmen!), ohne daß uns dabei aber das Ziel und die zu seiner Erreichung erforderlichen Mittel bewußt werden 1t1 • Könnten wir das nicht, müßten wir in neuen Situationen vielmehr immer "die intellektuell vorgeschriebenen ,Eins zwei drei' zusammenbringen"11!, so wären wir unseren Aufgaben niemals gewachsen. Hier zeigt sich, daß das Unterbewußte, die Tiefenperson, das ES, "genetisch älter" ist als das Bewußtsein und deshalb ihm gegenüber auch "weitgehend autonom" 113. Auf dieser weitgehenden Autonomie des Unterbewußten beruht auch unsere Fähigkeit, gleichzeitig mehrere Handlungen, die nicht alle ins Bewußtsein treten (jedenfalls nicht ständig), vorzunehmen: etwa beim Spazierengehen im Garten ein Buch zu lesen und dabei eine Zigarette zu rauchenla. Mit dem Gesagten soll keineswegs geleugnet werden, daß das Unterbewußte weitgehend auch (aber eben nicht nur!) ein Reservoir von früher vollzogenen bewußten Entscheidungen ist - also das, was man das anerzogene Haltungsgefüge, den erworbenen Charakter nennt - , aus dem heraus der Mensch dann in späteren gleichartigen Situationen gewissermaßen "mechanisch" wieder genauso wie schon viele Male zuvor reagiert. Auf diese Bewandtnisse hat ja sehr verdienstvollerweise vor allem Welzel- unter betonter Anlehnung an die anthropologischen Forschungen von Gehlen und Rothacker - die Aufmerksamkeit der Strafrechtswissenschaft gelenkt 115 • Nur behandelt Welzel die Problematik des Unbewußten fälschlich unter Schuld-, statt unter HandGut hierzu Hall, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 13 ff., bes. S. 15. m Vgl. A. Wenzl, Die philosophischen Grenzfragen der modernen Naturwissenschaft, S. 84 ff.; ausführlicher zum .. Problem des Unbewußten" in: Wissenschaft und Weltanschauung, 2. Auf!. 1949, S. 243 ff. m Treffend H. Mayer, Vorbemerkungen, a.a.O., S. 159. m Siehe Rothacker, Die Schichten der Persönlichkeit, S. VI, 73. 114 Vgl. R. Hauser, Psychologie als Lehre vom menschlichen Handeln, S. 23. 115 Welzel, ZStrW 60 (1941), 428 ff., bes. 457 ff.; Strafrecht, S. 135 ff. 110
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lungsgesichtspunkten. Bei Welzel gibt es deshalb wohl unbewußte Schuld, indessen nur bewußte Handlungen118 • In Wahrheit ist es aber doch gerade umgekehrt: Es gibt unbewußte (unterbewußte) Handlungen, nicht jedoch unbewußte Schuld 117 • Jedenfalls kann ein unbewußtes Tun allenfalls dann zur Schuld zugerechnet werden, wenn auch schon die Zurechnung zur Handlung möglich ist. Die Unzulänglichkeit der finalen Handlungslehre liegt also wesentlich darin, daß sie die zielsteuernde Kraft, die finale Funktion des Unterbewußten verkennt, sie verwechselt potentielles Bewußtsein mit potentieller Finalität 118 • Bei den vom Unterbewußten gelenkten Kausalvorgängen handelt es sich nicht nur um mögliche, sondern um wirkliche, der geistig-seelischen Personschicht des Menschen entstammende und nicht bloß aus dem Organischen und Animalischen herrührende Finalität, und somit liegen in bezug auf das angesteuerte, wenn auch nicht bewußt gewordene Ziel echte Handlungen vorm. Die ahnungslose Krankenschwester hat final getötet und nicht nur final injiziert und daher eine Tötungshandlung begangen! Denn was aus dem Unterbewußten heraus geschieht, ist bewußtseinsfähig, kann bewußt gemacht und daher vom Willen beherrscht werden. Nicht allein diejenigen Kausalverläufe sind dem Menschen als Handlungen zurechenbar, die von ihm gewußt und von seinem Willen tatsächlich beherrscht waren, sondern auch solche, die als mögliche Gegenstände seines Bewußtseins durch seinen Willen beherrschbar waren 120 • So verstanden, kennzeichnet die Beherrschbarkeit des Kausalverlaujs auch nicht lediglich die Hand111 Im Kapitel über den Handlungsbegriff bemerkt Welzel freilich beiläufig, "durch die Tatsache, daß viele unserer Körperbewegungen infolge ständiger übung automatisiert sind", werde "die finale Steuerung einer Handlung nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil unterstützt" (Strafrecht, S. 32 f.). Das ist zweifellos richtig, widerspricht aber den von WeIzeI zuvor aufgestellten Begriffen der Finalität und der Handlung. 117 Dazu eingehend Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, insbes. S. 165 ff., 187 ff., 223 ff. IIS Vgl. insbes. Niese, Finalität, Vorsatz, Fahrlässigkeit, S. 40 ff.; Armin Kaufmann, Unterlassungsdelikte, S. 36 ff. ne In der Sache übereinstimmend Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S. 147 f.; Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., bes. S. 167 u. ff. ("potentielle Willkürlichkeit"); HaU, Fahrlässigkeit im Vorsatz, S. 13 ff. 120 Ebenso H. Mayer, Allg. T., S. 42; Vorbemerkungen, a.a.O., S. 151, 157, 160; Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 67 ff.; Engisch, Der finale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 158 ff.; Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 170 ff. (m. E. ist es nicht nötig, neben dem Merkmal der "Beherrschbarkeit" noch das der "Voraussehbar!teit" besonders zu erwähnen, da dieses in jenem enthalten ist); Krauß, ZStrW 76 (1964), 45 f. - Auch Welzel stellt bei seinem Oberbegriff des "Verhaltens" auf die "Beherrschbarkeit" ab: Strafrecht, S. 28, 180. Ebenso Armin Kaufmann, Unter!assungsdelikte, S. 81 ff.; Stratenwerth, Arbeitsteilung und ärztliche Sorgfaltspflicht, in: Festschr. f. Eb. Schmidt, 1961, S. 391. Das bedeutet praktisch die Preisgabe des "subjektiv"- (= bewußt-) finalen Handlungsbegriffs.
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lungsfähigkeit des Menschen, sie gründet vielmehr in der final-steuernden Funktion der Tiefenperson und ist daher ein Wesenselement menschlichen Handelns l21 • Wie aber kann man feststellen, daß ein Kausalverlauf für einen Menschen, der ihn sich nicht bewußt gemacht hat, beherrschbar war? Oder so ausgedrückt: Wie kann man erkenntnismäßig das Unterbewußte als das Bewußtseinsfähige vom schlechthin Unbewußten, dem Außerbewußten, trennen122 ? Wir haben hier kein anderes Mittel als unsere Erfahrung, die uns allerdings nie Sicherheit, sondern höchstens Wahrscheinlichkeit verbürgt. Zurechnungsurteile sind stets Erfahrungsurteile. Dabei wird, wie vor allem Maihofer gezeigt hat, der Maßstab dieser Erfahrungsurteile immer spezialisierter, individualisierter, persönlichkeitsbezogener, je nachdem, ob es sich um die Zurechnung zur Handlung, um die Zurechnung zum Unrecht oder um die Zurechnung zur Schuld handelt: im ersten Falle kommt es auf das "Menschenmögliche", im zweiten Falle auf das "Jemandmögliche", im dritten Falle auf das "Selbstmögliche" an123 • Bei der Handlung fragen wir: Wozu sind Menschen überhaupt fähig? (Frage nach der generellen Freiheit). Beim Unrecht fragen wir: Wozu sind solche Menschen in derartigen Lagen und Rollen fähig? (Frage nach der speziellen [: sozialen] Freiheit). Bei der Schuld fragen wir: Wozu ist gerade dieser Mensch fähig? (Frage nach der individuellen Freiheit). Mit anderen Worten: Handlung, Unrecht und Schuld unterscheiden sich als Zurechnungsstufen nach dem Modus, unter dem wir die Freiheit jeweils betrachten. Im Sinne einer Handlung kann also auch das Tun eines unmündigen Kindes oder eines Geisteskranken als "frei" bezeichnet werden, insofern es Ausdruck der generellen menschlichen Freiheit ist - nicht aber im Sinne der Schuld, da es nicht Ausdruck individueller Freiheit ist. Bei allen drei Zurechnungsformen haben wir es, wie gesagt, mit objektiven Erfahrungsurteilen zu tun: Man vergleicht den betreffenden Menschen immer mit anderen Menschen - sei es mit den Menschen überhaupt, sei es mit Menschen in einer derartigen sozialen Lage und Rolle, sei es mit Menschen, die ebensolche (ganz ähnliche) Fähigkeiten, Kenntnisse, Gebrechen usw. haben124 - und fragt, wozu diese anderen 121 Damit erledigen sich die Bedenken E. A. Woljjs, Handlungsbegriff, S. 14f., 38. 112 Zum Verifikationsproblem in der Psychologie siehe P. Hojstätter, EinfÜhrung in die Tiefenpsychologie, 2. Aufl. 1948, S. 9 ff. Vgl. auch E. A. Woljj, Handlungsbegriff, S. 28. m Maihojer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 173 H. Siehe auch D. Lorenz, Der Maßstab des einsichtige!l Menschen, Diss. München 1964, bes.
S. 67 ff.
1!4 Dazu, daß auch das Schuldurteil auf einer vergleichenden, objektiven Basis beruht (analogischer Charakter!), siehe näher Arthur Kaujmann,
8 Festschrift für Hellmuth Mayer
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in entsprechenden Situationen erfahrungsgemäß imstande sind. Es handelt sich, mit anderen Worten, um drei Stufen personaler Adäquanz: die Handlung messen wir am Maßstab der "Menschheitsadäquanz"125, Recht bzw. Unrecht am Maßstab der "Sozialadäquanz", Verdienst bzw. Schuld am Maßstab der "Individualadäquanz".
VIII. Handlung als Objektivation der Person ist ein Geschehen in der Welt des Sinnhaften, des Bedeutungshaltigen. Das Tier, das weder sich noch etwas außerhalb seiner selbst begreifen kann, kann sich daher auch nicht " sinnvoll " verhalten. Der Mensch jedoch als ein zum geistigen Selbstbewußtsein fähiges Wesen kann sich selbst als ein Seiendes und als ein Handelndes verstehen, er kann seinem Tun Bedeutung beimessen128. Dabei vermag er aber nicht nur auf sich selbst und auf die Bedeutung seines Verhaltens für sich selbst zu reflektieren, er ist auch imstande, sich den Standpunkt des anderen zu vergegenwärtigen und so den Sinn seines Verhaltens in den Augen der Mitmenschen zu verstehen127. Deshalb ist er auch nicht nur gegenüber sich selbst, sondern zugleich gegenüber den anderen verantwortlich. Denn die Selbstverwirklichung des Menschen als Person geschieht nicht in der Isolation eines Robinson Crusoe, vielmehr im tätigen Ausgreifen auf die Welt und im Mitsein mit anderen. Der Mensch ist stets "ad alterum", menschliche Personhaftigkeit also nicht reines Selbstsein, pure ichhafte Individualität, sondern immer auch soziale Individualität128 • Darum ist auch die Auseinanderreißung des Handlungsbegriffs in einen individuellen und einen sozialen Handlungsbegriff12u schon im Ansatz verfehlt. Wenn der Mensch handelt, so ist das zwar nicht unbedingt ein Geschehen "zwischen Menschen" mit "Folgen für andere"130, aber doch ein Geschehen, das niemals nur für den Handelnden selbst, sondern immer auch für die Mitwelt Bedeutung besitzt, ein Geschehen mithin, das zugleich individual- und sozialrelevant ist. Daraus erhellt auch, daß der Schuldprinzip, S. 197 ff., 212 ff., 223 ff.; vgl. auch: Analogie und "Natur der Sache", S. 33. - Die individuelle Schuld, die individuelle Freiheit eines Menschen als solche können wir nicht feststellen. 126 Die Adäquanz ist zwar kein Handlungsmerkmal (so richtig Jescheck, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, a.a.O., S. 153), aber Maßstab der Zurechnung, Mittel zur Feststellung des Handlungsmerkmals der "Beherrschbarkeit". Dies auch zu WeIzel, Das neue Bild, S. 12 f.; Strafrecht, 6. Auf!. 1958, S. V ff.; Dannert, Die finale Handlungslehre, S. 23 ff. IZ8 Vgl. Katsantonis, ZStrW 72 (1960),354 ff. 127 Siehe Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 170; auch Krauß, ZStrW 76 (1964), 45, und E. A. Wolft, Handlungsbegriff, S. 32 f. 128 Näher Arthur Kaufmann, Recht und Sittlichkeit, S. 14 ff. 128 Siehe bei und in Fußnote 39. 180 So aber Maihofer, Der soziale Handlungsbegriff, a.a.O., S. 171, 180.
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Handlungssinn kein absolut feststehender ist, er ist vielmehr relation al zum jeweiligen Betrachter (Wilhelm Busch: "Ohrfeige heißt man diese Handlung, der Forscher nennt es Kraftverwandlung") - was freilich nicht heißt, daß jeder über den Sinn nach seinem subjektiven Belieben entscheiden könnte. Für das Strafrecht - doch keineswegs nur für das Strafrecht kommt es auf die Beurteilung einer Handlung nach ihrem objektiven Sinn für das soziale Leben an 131 • Dafür ist das, was der Handelnde gewollt hat, zwar ein wichtiges Indiz, aber es ist - entgegen der finalen Handlungslehre - niemals allein ausschlaggebend182 • Entscheidend ist, wie man gerne sagt, die "objektive Tendenz" der Handlung 188 (ihre "objektive Finalität"), und diese bestimmt sich vornehmlich danach, wieweit für den Handelnden der Kausalverlauf, einschließlich Erfolg, beherrschbar war. Will A nach dem B einen Stein werfen, trifft dabei aber den C, so hat seine Handlung gegenüber C, wiewohl er dessen Verletzung nicht wollte, doch sehr wohl die Bedeutung einer Körperverletzung. Und wenn D, der mit seinem Auto nur spazieren fahren und keinem Menschen etwas zuleide tun möchte, den E überfährt, dann bedeutet sein Tun ganz gewiß nicht mehr ein bloßes Spazierenfahren, sondern Tötung. Schließlich gilt auch für den Versuch nichts anderes, wiewohl aus ihm die Finalisten ihr beliebtestes Argument herleiten: Da beim Versuch über Sinngehalt und Unrecht allein das vom Täter Gewollte, sein Vorsatz, entscheide, könne das auch beim vollendeten Delikt nicht anders sein. Aber abgesehen von der zweifelhaften Tragfähigkeit dieses Schlusses184 - kommt es denn beim Versuch wirklich nur auf das vom Täter Gewollte an? Sicher nicht, denn unentbehrliche Voraussetzung einer Versuchshandlung ist der "Anfang der Ausführung", und dieser bestimmt sich danach, ob nach "natürlicher Auffassung" (objektive Betrachtungsweise!) der Täter bereits zur Erfolgsverwirklichung "angesetzt" hat185 • Rechtliche Bedeutung gewinnt die Versuchshandlung also erst dadurch, "daß sich in ihr objektiv der verbrecherische Wille kundtut, daß die Handlung schon ihrer objektiven Tendenz nach auf den verbrecherischen Erfolg hinzielt"138. Indessen, haben die Finalisten nicht 131 Zutreffend H. Mayer, Allg. T., S. 43 f.j vgl. auch Vorbemerkungen, a.a.O., S. 157 ff. 132 Siehe R. Lange, JZ 1953, 11 f. 133 Vgl. die frühe Arbeit WelzeLs, ZStrW 51 (1931), 703 ff., wo auf die (objektive) "Sinnintentionalität" der Handlung abgestellt ist. 134 Zu diesem vielerörterten "Versuchsargument" siehe Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 183 f., mit Hinweis auf H. Mayer, ZStrW 59 (1940), 299. 135 Siehe Welzet, Strafrecht, S. 171. 188 H. Mayer, Allg. T., S. 43. Ebenso Zimmert, Zur Lehre vom Tatbestand, 1928, S. 63. Vgl. auch Salm, Das versuchte Verbrechen, 1957, S. 2 ff .
.
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wenigstens beim schlechthin untauglichen Versuch recht, in dem Falle also, wo der Täter aus "grobem Unverstand" verkannt hat, daß er so, wie er vorging, überhaupt nicht zu dem erstrebten Erfolg gelangen konnte? Gewiß, hier könnte allein das Wunschbild des "Täters" zur Annahme eines "Versuchs" führen. Aber es fehlt ja doch objektiv an einer Versuchshandlung, weil nach "natürlicher Auffassung" gar kein "Anfang der Ausführung" vorliegt, der "Täter" nämlich überhaupt nicht zur Erfolgsverwirklichung "angesetzt" hat137 • Wo einer grob unverständig mit untauglichen Mitteln oder am untauglichen Objekt handelt, liegt der gewünschte Erfolg nicht mehr im Bereich des Beherrschbaren. Man sollte daher für diesen Fall nicht nur, wie im StrafgesetzEntwurf 1962 (§ 27 Abs. 3), fakultative, sondern obligatorische Straflosigkeit vorsehen. Denn wenn man hier straft, straft man nicht mehr eine Handlung, sondern ausschließlich eine Gesinnung.
IX. Wir brechen an dieser Stelle ab, im Bewußtsein, weder alles erörtert noch auch nur berührt zu haben, was zum Thema gehört. Fassen wir das Gesagte zusammen, so läßt sich das Wesen der Handlung etwa folgendermaßen beschreiben: Menschliches Handeln ist verantwortliche, sinnhafte Gestaltung der Wirklichkeit mit vom Willen beherrschbaren (dem Handelnden daher zurechenbaren) kausalen Folgen (im weitesten Sinne). Dieser "personale Handlungsbegriff" , der keine "abschließende Definition" der Handlung sein will, umfaßt sowohl vorsätzliches wie fahrlässiges Handeln, sowohl aktives Tun wie Unterlassen. Denn einerseits schließt das Merkmal der Beherrschbarkeit der kausalen Folgen die Fahrlässigkeit ein, aber den Vorsatz nicht aus. Und andererseits handelt es sich nicht nur beim aktiven Tun, sondern auch beim Unterlassen um die Beherrschbarkeit eines realen Kausalverlaufs: beim aktiven Tun muß für den Handelnden das eigene Kausalwerden, beim Unterlassen ein fremder Kausalvorgang (das Kausalwerden eines anderen Menschen oder der Natur) beherrschbar sein. Schließlich wird auch die Versuchshandlung einbegriffen, jedoch nur insoweit, als der Täter nach objektiver Beurteilung zur Verwirklichung des von ihm angestrebten Erfolges bereits angesetzt hat. Es zeigt sich somit, daß unser Handlungsbegriff sowohl als Grundelement wie als Verbindungselement des Strafrechtssystems brauchbar ist. Zugleich dient er aber auch als praktisches Grenzelement, indem er durch das Merkmal der Beherrschbarkeit des Kausalverlaufs insbe137
Vgl. Treplin, zstrW 76 (1964), 443 f., 449 ff., 452 f., 460 ff.
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sondere die zwar erhofften, aber ganz und gar zufällig eingetretenen Folgen, die "abenteuerlichen Kausalverläufe"138, desgleichen den schlechthin untauglichen und den abergläubischen Versuch aus dem Bereich des strafrechtlich Relevanten ausscheidet. Haben wir den dem Strafrechtssystem als Eckpfeiler dienenden Handlungsbegriff aus der menschlichen Personhaftigkeit begründet, so müssen auch die spezielleren Merkmale der Straftat personal bestimmt werden. Der personale Handlungsbegriff ist deshalb das Fundament einer personalen Rechtsgutslehre, einer personalen Unrechtslehre und einer personalen Schuldlehre. Schließlich fügt er sich auch harmonisch in eine personale Straftheorie ein. Danach verstehen wir Strafe ihrem Wesen nach als Antwort auf Schuld und erfassen sie so in ihrer doppelseitigen individualsozialen Einheit: Entsühnung und Befreiung von der Schuld - Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gemeinschaft 139 • Auch das Aufsichnehmen der Strafe (im Gegensatz zum bloßen Übersichergehenlassen einer Maßregel) ist Handlung: personaler Akt eines verantwortlichen Menschen.
138 13'
Siehe H. Mayer, Allg. T., S. 135. Näher Arthur Kaufmann, Schuldprinzip, S. 201 ff.
Garantenpflichtbegründung beim unechten Unterlassen Von Hermann Blei, Berlin Die neuere Entwicklung der Unterlassungsdogmatik hat bei der Garantenpflichtlehre noch nicht allenthalben1 über den Schwebezustand hinausgeführt, in dem sich lange verfestigte Systematisierungen mit ihrem Begriffsapparat einerseits und andererseits die Erkenntnisse die Waage halten, welche nicht mehr nur an peripheren Einzelfällen die herkömmlichen Anschauungen in Frage stellen. Auch bei den Autoren!, die "mit erstaunlicher Hartnäckigkeit"a an einer Einteilung der Garantenpflichten festhalten, welche Schönke-Schröder4 als "z. T. irreführend, z. T. falsch" bezeichnet, mehren sich jedoch die Hinweise, daß in vielen Fällen der wahre Grund der Garantenpflicht ein anderer als der im überkommenen Einteilungsschema oft zwangsläufig angegebene zu sein scheint und überdies das Garantenpflichtproblem Dimensionen hat, die sich von den bisherigen Ansätzen aus nicht erschließen lassen. Daß die Konsequenzen meist mehr vorsichtig angedeutet als gezogen werden, liegt sicher nicht zuletzt dar an, daß entscheidende Fortschritte nur mit einer weit - insbesondere auch in den Besonderen Teil hinein - ausholenden Untersuchung zu erreichen sein dürften 5• Gleichwohl kann es nützlich sein, selbst auf begrenztem Raum die Fragen wenigstens zu umreißen, die beim heutigen Stand der Diskussion in der Luft liegen und auf Aspekte hinweisen, unter denen mit veränderter Blickrichtung die Probleme immerhin auch gesehen werden könnten. 1 Neue Konzeptionen entwickeln insbesondere Henket Mon Krim. 1961, 178 und Schönke-Schröder Rdn. 103 ff. Vorb. AT. Zu nennen sind ferner Androulakis, Studien zur Problematik der unechten Unterlassungsdelikte, 1957, sowie die verdienstvolle Dissertation von Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, 1957. I Baumann AT 3. Aufl., 219 ff., Maurach AT 3. Aufl., 513 ff., Schwarz-Dreher 27. Aufl., Vorb. D I vor § 1, Wetzel Lehrb. 9. Aufl., 192 ff. (197). • Baumann, Kleine Streitschriften zur Strafrechtsreform, 1965, 117. , 12. Aufl., Rdn. 102, Vorb. AT. 5 VgI. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 590. Insbesondere wird das Garantenpflichtproblem angesichts beklagenswerter Expansionskraft allgemeiner Lehren viel tatbestandsnäher behandelt werden müssen, als es lange der Fall war (z. B. bei der Rechtsprechung zur Meineidsbeihilfe durch Unterlassen) und noch ist.
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Hermann Blei
I.
Die herkömmliche Einteilung der Garantenpflichten ist mehr ein grober Einteilungsbehelf mit manchen Zügen historischer Zufälligkeit als das Ergebnis begrifflie."" exakter Systembildung. Das kann aue."" nicht gut anders sein, da weithin selbst heute noch nicht abschließend geklärt ist, welche Umstände im einzelnen aus welchen Gründen eine Garantenpflicht auslösen (und da umgekehrt diese Kriterien um so schwerer herauszuarbeiten sind, je größer die Zahl der Fixpunkte ist, die vom überkommenen Einteilungsschema und seinen begrifflichen Grundlagen her vorausgesetzt werden). Trotzdem gewinnen auch da, wo die herkömmliche Einteilung äußerlich beibehalten wird, die Gründe Beachtung und Gewicht, die von innen her die alten Ansätze in Frage stellen. So wird bei der Garantenpflichtbegründung durch freiwillige übernahme immer wiederG auf die nahe Verwandtschaft mit der garantenpflichtbegründenden Vorhandlung hingewiesen, allerdings aber auch durchweg nicht entschlossen gefragt, ob es sich nicht überhaupt oder in bestimmten Fallgruppen nur um einen besonders gearteten Fall garantenpfiichtbegründenden Vorverhaltens handelt. Auch bei den Verhältnissen besonderer persönhcher Verbundenheit7 begegnen zunehmend Hinweise, daß die damit begründete Garantenpflicht auch auf Gesetz oder Vorhandlung zurückgeführt werden könnte 8 ; aber selbst eine so entschieden kritische Stellungnahme wie die von Baumann8 beschränkt sich insofern auf die vorsichtige Formulierung, die meisten der hierzu genannten Fälle seien bei den drei klassischen Gruppen einzureihen und die verbleibenden, dort nicht einzureihenden Fälle seien "doch sehr bedenklich". Es sind aber nicht nur die bei freiwilliger übernahme und besonderer Verbundenheit selbst hervortretenden Gründe, welche der Frage Nahrung geben, ob und wieweit sich nicht in diesen Gruppen und hinter deren zusammenfassenden Bezeichnungen Fälle verbergen, in denen die Garantenpfiicht in Wahrheit auf anderen Gründen beruht. Hinter allen ungelösten Problemen, welche die Ingerenz heute wie je be• z. B. Baumann 220 für die Fälle, in denen rein tatsächliche Handlungen konstitutiv sind; Welzel194. T Die Terminologie ist schwankend. Schönke-Schröder Rdn. 108, 114, Vorb. AT unterscheidet Pflichten aus natürlicher Verbundenheit und Gemeinschaftsbeziehungen· Maurach AT 515: Lebens- und Gefahrgemeinschaft; Mezger Studienb. AT 9. Aufl., 80: sonstige konkrete Lebensbeziehungen; SchwarzDreher Vorb. D I 3 vor § 1: besonderes Vertrauensverhältnis; Nagler LK 6. Aufl., 66: sozialethisch begründete Rechtspflichten; Welzel 196: spezielles Treueverhältnis. 8 z. B. Schwarz-Dreher Vorb. D I 3 vor § 1 und Welzel 196 ("mit der Ingerenz zusammenhängende Wurzeln"). • AT 223.
Garantenpflichtbegründung beim unechten Unterlassen
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lasten1o, deutet sich nämlich zunehmend an, daß die garantenpfiichtbegründende Vorhandlung überkommenen Gepräges nur Sektor eines größeren Kreises ist, in den nicht nur bisher bei freiwilliger übernahme und besonderer Lebensgemeinschaft geführte Fälle, sondern auch solche gehören, denen sich die Aufmerksamkeit überhaupt erst jetzt oder erst jetzt wieder nachhaltiger und unter veränderten Vorzeichen zuwendet. Auch bei der Garantenpflichtbegründung durch Gesetz stößt der zugunsten der Lebensgemeinschaft verlaufene Abwertungsprozeß neuerdings auf gegenläufige Entwicklungen. Diesen schon innerhalb des bisherigen Gefüges von Garantenpflkhten aus verschiedenen Richtungen auf eine Akzentverlagerung wirkenden Kräften ist zunächst nachzugehen. 1. Bei der freiwilligen Vbernahme u besteht heute weitgehend übereinstimmung, daß erst Vereinbarung und tatsächlicher Antritt der Pflichtenstellung zusammen eine Garantenpflicht erzeugen. Dabei ist jedoch der Vertrag oder die sonstige Willensübereinkunft Ausgangsund Orientierungspunkt, während dem Erfordernis des faktischen Antritts hauptsächlich Korrekturfunktionen beigemessen werden12 , indem es einerseits die beim ursprünglichen Garantenpflichtgrund "Vertrag"13 geschehenen Abstriche kompensieren und andererseits gewährleisten soll, daß nicht eine Verletzung von Vertragspflichten als solche zu Strafe führt. Es spricht jedoch vieles dafür, daß es damit eine andere Bewandtnis hat: a) Das Erfordernis des faktischen Antritts der PflichtensteIlung wird durchweg an Beispielen erörtert, bei denen es damit im Ergebnis seine Richtigkeit hat. Es sind das die Fälle, in denen sich der im Stich gelassene Vertragspartner auf die dadurch entstandene Situation einstellen kann wie die Eltern auf das Ausbleiben des am Ersten vereinbarungswidrig nicht erscheinenden Kindermädchens oder der Bergenthusiast, der sich zum gefährlichen Alleingang entschließt, nachdem der Bergführer zur vereinbarten Stunde nicht erschienen ist. Eine geringfügige Abänderung des ersten Beispiels zeigt jedoch, daß für das Entstehen einer Garantenpflicht der tatsächliche Antritt der Stellung ebensowenig konstitutiv ist wie die Wirksamkeit des Vertrages, und daß in den üblichen Beispielen der Anschein des Gegenteils nur ent10 Unten II 3. 11 Maurach AT 514. Welzel193 (ähnlich Schwarz-Dreher Vorb. D I 2 vor § 1) spricht von tatsächlicher Gewährübernahme, Schönke-Schröder Rdn. 117 Vorb. AT von Pflichten kraft übernahme. 11 Maurach AT 514 ("Möglichkeit ... , die für das Strafrecht unwesentlichen zivilrechtlichen Fragen außer acht zu lassen"), Welzel194. 13 So heute noch Baumann 220: das Rechtsgeschäft begründe die Garantenpflicht; die Fälle der übernahme ohne Vertrag werden dem vorangegangenen Tun zugeschlagen.
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steht, weil sich der wahre Grund der Garantenpflicht im Erfordernis des faktischen Antritts verbirgt: Wäre ein Kleinkind von seinen Elter!', allein in der Wohnung zurückgelassen worden und zu Schaden gekommen, weil es die Nachbarin ihrer Zusage zuwider unterlassen hat, zu der Stunde nach dem Kind zu sehen, zu welcher es aufzuwachen pflegt und bis zu der es daher ohne Gefahr allein bleiben konnte, würde kaum jemand an einer garantenpflichtwidrigen Unterlassung der Nachbarin zweifeln. Die häufigen Hinweise auf die Verbindungen zwischen vertraglicher Garantenpflichtbegründung und Ingerenz 14 sowie erst recht Art und Richtung der allein möglichen Argumente lassen keinen Zweifel, daß die Lösung über das Versprechen als Vorhandlung gefunden würde. Das wäre auch richtig, zeigt aber zugleich, daß Grundlage der Garantenpflicht eben weder eine rechtsverbindliche Vereinbarung noch auch der Antritt einer bestimmten Pflichtenstellung, sondern immer ein Verhalten (Versprechen oder Antritt einer Stellung mit Schutzfunktionen) ist, welches dazu führt, daß anderweitige Sicherungsvorkehrungen im Vertrauen auf eine Zusage oder auf die Präsenz des Verpflichteten unterbleiben und deshalb Gefahr für das zu schützende Rechtsgut entstehen würde, wenn derjenige nicht gefahrabwendend wirken würde, der das übernommen hat. So bleibt auch das vertragswidrig überhaupt nicht zum Dienst erscheinende Kindermädchen für ein dem Kind widerfahrendes Unglück nicht deshalb außer strafrechtlicher Verantwortung, weil es den Dienst nicht angetreten hat, sondern deshalb, weil die Eltern wie bisher selbst für die Sicherheit des Kindes sorgen konnten und mußten15 • Ob man aber, wie es den Tendenzen im neueren Schrifttum entspräche, mit diesen Erwägungen einfach auf die Ingerenz herkömmlichen Verständnisses zurückgreifen kann, ist zweifelhaft. Gegen einen solchen Lösungsversuch spricht, daß ein ad-hoc-Ausweichen auf den richtigen Weg nichts fördert, wenn der falsche mit dem animus revertendi verlassen wird, was geschähe, wenn man bei der freiwilligen übernahme grundsätzlich an der gängigen Konzeption festhielte und sich auf den Aspekt der Vorhandlung nur bei deren Versagen ausnahms- und aushilfsweise zurückzöge. Außerdem ist die Ingerenz herkömmlicher Prägung durch so viele Unschärfen, fehlende Differenzierungen und Fragwürdigkeiten anderer Art belastet, daß sie zwar für vieles in Anspruch genommen werden kann, gerade deshalb aber auch einer Klärung von den Ausgangspunkten her bedarf, die sich dafür anbieten. U
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Oben Fußn. 6.
Mezger Lehrb. 144: "überall ist der entscheidende Gesichtspunkt der: die
strafrechtliche Haftung tritt ein, weil sich der Vertragsgegner auf die zugesagte Hilfe verläßt und im Vertrauen darauf andere Sicherung unterläßt". Ebenso Schönke-Schröder Rdn. 118, Vorb. AT.
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b) Mit der angedeuteten Akzentverlagerung hängt eine andere Frage zusammen, die in Teilen des neueren Schrifttums ebenfalls in den Hintergrund getreten ist. Die bisherige Auffassung der freiwilligen übernahme müßte an sich jeder freiwillig übernommenen Schutzpjlicht ohne Rücksicht auf ihren Inhalt und Zweck im einzelnen garantenpflichtbegründende Kraft beimessen, da sie voraussetzungsgemäß weder von der Vereinbarung noch von dem lediglich als Korrektiv verstandenen faktischen Antritt der Pflichtenstellung her Kriterien aufbauen kann, mit deren Hilfe garantenpflichtbegründende Vereinbarungen von solchen zu scheiden wären, die diese Kraft nicht haben. Ausdrückliche Stellungnahme zu dieser Frage sind im neueren Schrifttum selten1G ; auch ist ihre Tragweite mangels Verdeutlichung durch Kasuistik nicht immer genau zu bestimmen. Dennoch kann es wohl als h. M. bezeichnet werden, daß nicht jede Vereinbarung beliebigen Inhalts (wenn auch erst durch faktischen Antritt der Stellung) eine Garantenpflicht erzeugt. So hat Mezger17 die Garantenpflichtbegründung durch besondere übernahme nicht nur mit dem Erfordernis des faktischen Einrückens in die PflichtensteIlung, sondern weiter dahin eingeschränkt, eine strafrechtliche Haftung für die Folgen der Pflichtverletzung bestehe nur ("sonst nicht"), wenn "durch die Pflichtübernahme eine besonders gefährliche Lage oder eine Steigerung der vorhandenen Gefahr geschaffen wird und die übernahme zwecks Abwendung dieser Gefahr geschieht". Ähnliche Erwägungen kommen zum Ausdruck, wenn Maurach18 fordert, die übernahme der Pflicht müsse zu einer tatsächlichen Gefahrenbegründung oder -steigerung geführt haben, oder wenn Schönke-Schröder 10 der Darstellung der Pflichten kraft Übernahme den Satz voranstellt: "Das Vorhandensein vielfältiger Gefahren, denen jeder Einzelne im täglichen Leben ausgesetzt ist, zwingt dazu, zur Beherrschung gewisser Gefahrenquellen besondere Schutzpersonen einzusetzen; diese übernehmen dem Einzelnen oder der Allgemeinheit gegenüber die Verpflichtung, in dem von ihnen zu überwachenden Bereich dafür zu sorgen, daß keine Schäden entstehen". Und selbst Baumann1o, der es für "eigentlich selbstverständlich" hält, "daß als zweite Quelle einer Garantenpflicht neben der Rechtsnorm der Vertrag (gleichgestellt das einseitige Rechtsgeschäft oder der Gesamtakt) steht", macht nicht die Probe dieser Theorie auf die alten Exempel für ihre Fragwürdigkeit21 , sondern belegt sie mit den herkömmlichen Beispielen, bei denen so wenig Zweifel am Vorhandensein (wohl aber an den Grundlagen!) der 18 Unerörtert ist die Frage bei Maurach AT 414 f., Schönke-Schröder Rdn. 117,118, Vorb. AT, Schwarz-Dreher Vorb. D I 2 vor § 1. 17 Lehrb.144. 18 AT 515. 11 Rdn. 117, Vorb. AT. u Lehrb. 220. 11 Vgl. H. Mayer Lehrb. 117 und unten c.
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Garantenpflicht bestehen, daß nicht einmal mit Gewißheit zu sagen ist, ob er die ebenso zwangsläufigen wie extremen Folgerungen hinnehmen würde, die er immerhin nicht expressis verbis anspricht und mit deren Befürwortung er wohl allein stünde. Zieht man ein vorläufiges Fazit aus diesen Äußerungen, so scheint sich auch bei den Vertretern der herkömmlichen Konzeption der Garantenpflichten eine Verschiebung der Gewichte zu dem Punkt hin anzudeuten, der sich schon nach dem bisher Gesagten als der oder wenigstens ein Schwerpunkt des Problems darstellen dürfte. Wenn nämlich, wie es in den zit. Äußerungen geschieht, dieser Garantenpflichtgrund mit dem Kriterium der Gefahr und ihrer Abwendung verknüpft und offenbar eingeschränkt werden soll, kann dies weder bei der Vereinbarung als solcher noch beim Eintreten in die PflichtensteIlung als solchem geschehen, da an beiden Stellen eine qualitative Differenzierung nach dem Pflichteninhalt nicht möglich wäre 22 • Andererseits ergibt sich die Einführung des Kriteriums der Gefahr in die Elemente dieses Garantenpflichtgrundes zwanglos, wenn das Problem mit der Voraussetzung angegriffen wird, daß es letzten Endes eine bestimmte Beschaffenheit des Vorverhaltens ist, die hier die Garantenpflicht begründet. Damit finden nicht nur die Fälle eine befriedigende und in sich widerspruchsfreie Behandlung, in denen es an einer wirksamen rechtsgeschäftlichen Pflichtenbegründung fehlt, weil es unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt keinen Unterschied begründet, ob ein Vertrag unwirksam23, bereits abgelaufen24 oder überhaupt nicht (wirksam) abgeschlossen worden ist25 • Es ergeben sich darüber hinaus auch Ansatzpunkte für die Beurteilung der Fälle, in denen trotz faktischen Antritts einer Pflichtenstellung und dahinterstehender wirksamer Vereinbarung eine Garantenpflicht verneint wird oder doch zweüelhaft ist: c) Das zeigt sich insbesondere bei den schon oben b) berührten Sachverhalten. Die Erörterung des Garantenpflichtproblems bei freiwilliger Übernahme beschränkt sich im neueren Schrüttum überwiegend 26 auf n Der Antritt einer mit Schutzpflichten verbundenen Stellung kann einen anderen nicht nur dann "in Sicherheit wiegen" (Schönke-Schröder Rdn. 118, Vorb. AT), wenn es sich um übliche und notwendige Schutzvorkehrungen handelt, die das Schrifttum hier durchweg im Auge hat (vgl. unten c). 13 Daß auch in solchem Falle eine Garantenpfiicht entsteht, ist seit langem (z. B. RGSt. 16, 269) unbestritten und war ein entscheidender Grund für den Einbau des Elements der faktischen übernahme der entsprechenden Stellung in diesen Garantenpflichtgrund. u RGSt. 17, 260, dessen Begründung (S. 261) auf der Linie liegt, daß die infolge der übernahme fehlende Versorgungsmöglichkeit von Seiten Dritter die Garantenpflicht begründete (" ... und solange fortzusetzen, bis ein anderer ihnen die B abgenommen hatte"). 15 Faktische Gefälligkeitshandlungen u. ä.; Maurach AT 414 f. 11 So bei Baumann 220, Maurach AT 515, Schwarz-Dreher Vorb. D I 2 vor § 1, Wetzet 194.
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zwei Fallgruppen, nämlich einmal auf Schutzpflichten in bezug auf Leben und Körperintegrität anderer, und sodann auf Fürsorge- und insbesondere Offenbarungspflichten im Rahmen bestehender Vertragsverhältnisse oder bei deren Anbahnung 27 • Das eigentliche Problem tritt dabei nicht scharf hervor, weil einerseits Vorkehrungen zum Schutz von Leben und Körperintegrität in den gegebenen Beispielen üblich und sachgerecht sind28 und andererseits vermögensgefährdendes oder -schädigendes Unterlassen im Rahmen vertraglicher Beziehungen überwiegend29 auf Betrug oder Untreue hinausläuft 30 , deren Tatbestände je Sonderregelungen des Unterlassens enthalten31 • Dazwischen liegen aber die eigentlich kritischen Fälle, bei denen nach der herkömmlichen Auffassung der freiwilligen übernahme eine Garantenpflicht anzunehmen wäre, jedoch überwiegend ausdrücklich oder andeutungsweise32 abgelehnt wird und in der Tat zu einer kaum tragbaren Ausweitung strafrechtlicher Reaktion auf bloße Vertragsverletzungen führen würde: Während nämlich gesetzlich begründete Garantenpflichten bei aller Streitigkeit ihrer Tragweite im Einzelfall mindestens nichts Unsinniges auferlegen und zudem an Gegebenheiten anknüpfen, bei denen ein Einstehen-Müssen für die Erhaltung bestimmter Rechtsgüter oder für das Verhalten anderer 33 den Anforderungen - meist nur den Mindestanforderungen - gedeihlichen Zusammenlebens entspricht, ist der Einzelne weder dem Gegenstande noch dem Maß der Schutzvorkehrungen nach an solche Beschränkungen gebunden und auch nicht gehindert, seine dahingehenden Vorstellungen zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen mit anderen zu machens4 : das Gesetz verlangt Kasuistik bei Schönke-Schröder Rdn. ll7, ll8, Vorb. AT. So bei übernahme der Sorge für Kranke, Gebrechliche und Kinder, einer Streupflicht oder von Maßnahmen zur Sicherung einer gefahrlosen Bauausführung; Maurach AT 515, Schönke-Schröder Rdn. 118, Vorb. AT. 28 Soweit es sich um die Verwirklichung anderer Tatbestände (z. B. SachbeSchädigung) und um die Pflicht zur Verhinderung von Straftaten anderer gegen ein zu betreuendes Vermögen handelt, ergibt sich die Beurteilung aus den nachfolgenden Erwägungen. 30 Maurach AT 515. 31 Es ist deshalb nicht ganz ungefährlich, wenn Welzel 197 innerhalb der speziellen Treueverhältnisse eine besondere Gruppe von Garantenpflichten im Rahmen enger Geschäftsbeziehungen bildet: dies könnte der auch sonst akuten Gefahr Vorschub leisten, daß die allgemeinen Lehren des unechten Unterlassens hier abermals Eigenleben gewinnen und die Grenzen der Tatbestände sprengen (zu solchen Entwicklungen bei § 263 Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964). 31 Meist durch übergehen der an sich naheliegenden Konsequenzen. VgI. dagegen H. Mayer Lehrb. 117. aa Die insbesondere von Henkel und Schönke-Schröder (Fundstellen Fußn. 1) in dieser Richtung herausgearbeiteten Differenzierungen brauchen nicht weiter verfolgt zu werden, da sie jeweils erst innerhalb der hier ins Auge gefaßten Gruppierungen der Garantenpflichten zum Zuge zu kommen hätten. 34 Diesen wohl entscheidenden Unterschied vernachlässigt Baumann 220 bei seiner Folgerung: "Wenn die Sorge für eine Person oder ein Rechtsgut all27
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nicht, hindert aber auch nicht, daß ein Ehemann vor Antritt einer Geschäftsreise die Tugend seiner Frau durch Anstellung eines Privatdetektives sichert; der Gartenfreund ist nicht gehindert, zum Schutze der ersten Früchte seines Kirschbaums Wächter zu bestellen, die einander in Achtstundenschichten ablösen; der überängstliche kann sich einen Leibwächter halten, der ihn auf Schritt und Tritt begleitet. Trotzdem wird niemand eine Bestrafung wegen Kuppelei, Sachbeschädigung und Beihilfe zur Körperverletzung befürworten, wenn im ersten Falle der Detektiv seinen Posten verläßt, im zweiten der Aufpasser die Vögel nicht verscheucht und im dritten der Wächter nicht einschreitet, während sein Arbeitgeber von einem anderen Straßenpassanten mißhandelt wird. Wenn das aber so ist, erzeugt offenbar weder die Willensübereinkunft noch der Antritt der entsprechenden Stellung eine Garantenpflicht, sofern diese sich nicht auf eine Schutzfunktion bestimmten, qualifizierten Inhalts bezieht. Von hier aus ergibt sich sodann auch eine von bloßen Kausalerwägungen freie Behandlung der Fälle, in denen exzentrische Schutzpflichten der genannten Art übernommen und nicht erfüllt werden: die Folgerung liegt nahe, daß es hier nicht darauf ankommen kann, ob ohne die übernahme durch den später untätig Gebliebenen eine andere Person mit dieser Aufgabe betraut worden wäre und sich als zuverlässig erwiesen hätte, weil es sich bei derart gewillkürten Schutzmaßnahmen nicht um solche handelt, deren Unterbleiben eine für das Strafrecht erhebliche Gefahr begründetSs • Auch in anderen Fällen würde bei solcher Betrachtungsweise die strafrechtliche Beurteilung nicht durch Vergleiche mit sonst möglichen oder wahrscheinlichen Geschehensabläufen eingeschränkt: wer unter Umständen, in denen sein Versagen gegenüber der übernommenen Aufgabe Gefahr begründen würde, auf einen Posten mit Gefahrabwendungspflicht getreten ist oder sich dazu verpflichtet hat, wäre jedenfalls strafrechtlicher Haftung nicht notwendig schon deshalb enthoben, weil feststeht oder nicht ausgeräumt werden kann, daß andernfalls Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr überhaupt nicht getroffen worden wären38 ; dies weist jedoch schon wieder in Zusammenhänge, denen erst später37 im einzelnen nachzugehen sein wird. 2. Bei der Garantenpflichtbegründung durch besondere persönliche Verbundenheit liegen die Dinge im Grunde nicht wesentlich anders. Auch hier besteht einerseits in vielen Fällen an den Ergebnissen kaum ein Zweifel, während allerdings die Kasuistik zeigt, daß hinter dem gemein durch eine Rechtsnorm bestimmten Personen übertragen werden kann, so muß eine rechtsgeschäftliche übertragung auf Einzelpersonen möglich und mit der gleichen Wirkung ausgestattet sein". 16 Weiter dazu unten III 3 C. 18 Dazu mit Kasuistik unten III 3 b. 17 Unten III 3.
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angegebenen Grunde die in Wahrheit tragfähigen Gründe sich abermals verbergen oder dogmatisch verkümmert sind, weil die enge Lebensgemeinschaft und ihre Synonyma38 die Ergebnisse scheinbar ohne besondere Schwierigkeiten liefern39 • Andererseits gibt es aber auch hier nicht wenige, im Schrifttum vernachlässigte40 Fälle, in denen bei fragwürdigem oder fehlendem sittlichen Wert des Lebensverhältnisses nach den herkömmlichen Kriterien der garantenpflichtbegründenden Lebensgemeinschaft eine Grundlage für eine Garantenpflicht dieser Art fehlt oder zweifelhaft ist, gleichwohl aber eine solche auf den Grundlagen mindestens zu erörtern ist, die bei den " klassischen " Lebensgemeinschaften ebenfalls vorhanden sind, dort aber nicht recht sichtbar werden, weil die handliche Lebensgemeinschaft den Blick wenn nicht davor versperrt, so doch sicher nicht darauf hin richtet. a) In einer Vielzahl von Fällen - insbesondere aus der Rechtsprechung des RG41, aber auch aus der neueren Judikatur'! - handelt es sich um solche, bei denen bisweilen mit Händen zu greifen ist, noch öfter aber naheliegt, daß die Garantenpflicht allein durch das VOTveThalten zu begründen gewesen wäre. Manche dieser Entscheidungen erwecken den Eindruck, daß Zeitstimmungen43 oder auch ein gewisser Nachw. Fußn. 7. Dazu unten II l. 40 Keine Stellungnahme oder nur knappe Andeutungen bei Baumann, MauTach (516: "In bestimmten Fällen kann der ehelichen Gemeinschaft auch eine faktische Gemeinschaft ... gleichgestellt werden"), Schönke-Schröder und Schwarz-Dreher (Vorb. D I 3 vor § 1: "bei besonderen Umständen auch ein Liebesverhältnis "). 41 z. B. RGSt. 66, 71 (der Angekl. hatte die Schwangere bei kurz bevorstehender Entbindung dazu veranlaßt, mit ihm an einen menschenleeren Ort zu gehen - zu welchem Zwecke wohl? -, wo das Kind nach der alsbald erfolgten Geburt liegen gelassen wurde, bis es erfroren war), RGSt. 73, 389 (das geistig zurückgebliebene und mittellose Opfer "stand vollkommen unter dem Einflusse seiner Angehörigen, die ihn völlig eingeschüchtert hatten"), RGSt. 74, 309 (als der zur Pflege des späteren Opfers vertraglich verpflichtete Ehemann der Angekl. eingezogen wurde, hat diese das Hauswesen selbständig fortgeführt und nichts unternommen, um für den hilfsbedürftigen Hausgenossen eine anderweitige Versorgung zu erreichen). 41 Zu BGHSt. 13, 162 vgl. den folgenden Text. BGH JR 56, 347 (der Angekl. hatte in offenbar sehr unschöner Weise und noch dazu vor einem unverschlossenen Arzneischrank, in dem sich Gift befand, die Verzweiflungslage des Selbstmordopfers ausgelöst). Auch im vielerörterten Falle BGH JR 55, 104 war die "Gemeinschaft" der beiden Liebenden wohl recht fragwürdig, während aus der Vorgeschichte des Falles viel dafür spricht, eine Erfolgsabwendungspflicht aus den Beiträgen herzuleiten, die der Angekl. zur Herbeiführung der schließlich durch Selbstmord des Mädchens ge endeten Lage geleistet hatte. Eingehend zu diesen Fragen Geilen FamRZ 61,147. 43 Wieweit Äußerungen wie in RGSt. 69, 323 und bei Nagler GS 111, 42 nur als phraseologisches Beiwerk zu verstehen sind, ist kaum zu klären (vgl. die Angaben bel Baumann 223). Daß aber in BGHSt. 19, 168 zu lesen ist "Unter Berufung auf RGSt. 66, 71 hat schon ... RGSt. 69, 321 ausgeführt", schmerzt trotzdem, zumal das Zitat RGSt. 69 auf S.323 (nicht, wie angegeben, 321) unmittelbar auf den tiefsten Griff in den Phrasen schatz seiner Zeit folgt. 38 3D
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Neuigkeitsmanierismus federführend waren. Gleichwohl kann es auch hier nicht dabei bewenden, unter Beibehaltung des alten Schemas darauf hinzuweisen, daß sich das Ergebnis auch mit - einer vielleicht modifizierten - Ingerenz begründen ließe44 • Mindestens in der Rückschau auf die Rechtsprechung zur garantenpflichtbegründenden Lebensgemeinschaft ist nämlich der Eindruck schwer von der Hand zu weisen, daß es gerade die Fälle mit verdeckter anderweitiger Garantenpflicht waren, die den Erfolg einer alles andere als unfragwürdigen juristischen Entdeckung gewährleistet45 und bis heute nachhaltig gesichert haben: die beinahe evidente Richtigkeit der hier unter einer falsa demonstratio vertreLenen Ergebnisse lenkt von den Zweifeln ab, die sich überall da erheben48 , wo hinter dem angegebenen Grunde der Garantenpflicht ein anderer mit Gewißheit nicht zu finden ist und daher die Garantenpflicht wirklich nur mit der besonderen persönlichen Verbundenheit herkömmlicher Auffassung sich begründen ließe. Abgesehen davon bietet die Rechtsprechung eine Reihe von Beispielsfällen47 , bei denen freiwillige übernahme und Ingerenz jedenfalls nicht ohne Schwierigkeiten zur Annahme einer Garantenpflicht geführt hätten und deshalb das Fehlen der in Gestalt der verpflichtenden Lebensgemeinschaft bereiten Ausweichmöglichkeit versäumten Anlaß gegeben hätte, zum Nutzen des ganzen Garantenpflichtproblems von den alsdann gegebenen Ausgangspunkten her die Frage aufzuwerfen, ob die Lösung nicht in noch vernachlässigten Bereichen der anderen Garantenpflichtgründe zu suchen ist. Ein Beispiel dieser Art bietet BGHSt. 13, 162, das eine Garantenpflicht für das Leben der Schwiegermutter unter den a.a.O. näher geschilderten Umständen annimmt, ohne sich auch nur mit einem Wort darüber auszusprechen, unter welchen rechtlichen Aspekten diese Garantenpflicht gegeben sein soll. Mit enger Lebensgemeinschaft u. ä. jedenfalls läßt sie sich dann nicht begründen48, wenn man nicht Schwägerschaft als solche oder ein näheres räumliches Beisammensein als solches dafür ausreichen lassen will, was dann allerdings ausgesprochen und nicht hinter einer besonderen persönlichen Verbundenheit o. ä. versteckt werden sollte und überdies selbst mit der durch BGHSt. 19, 167 So die in Fußn. 8 gen. Autoren. Die Masse der hier geführten Fälle läßt sich jedenfalls mit naheliegenden und vergleichsweise sehr viel präziseren Erwägungen auf Vorverhalten oder Gesetz stützen, so daß also vom Ergebnis her der fragwürdige Ansatz Bestätigung zu finden scheint. Wo das aber nicht der Fall sein sollte, handelt es sich nicht um Unschärfen und Zweifelsfragen am Rande, sondern um das eigentliche Problem der verpflichtenden Gemeinschaftsverhältnisse. 48 Baumann AT 223. 47 Vgl. oben Fußn. 41, 42. 48 So aber anscheinend Schwarz-Dreher Vorb. D I 3 vor § 1 und wohl auch MaurQch AT 516. 44 45
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(hoffentlich) eingedämmten Großzügigkeit mancher früheren Entscheidungen kaum noch zu begründen wäre: der Angeklagte und seine Ehefrau hatten ausdrücklich erklärt, daß sie das spätere Selbstmordopfer nicht dauernd bei sich aufnehmen wollten, so daß eine Garantenpflicht auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung auch nicht mit Erwägungen über eine sich anbahnende Hausgemeinschaft begründet werden könnte49 • Es bleibt also allein die Möglichkeit, die Garantenpflicht auf das Vorverhalten des Angeklagten zurückzuführen, das sich allerdings bei der Ingerenz in ihrer herkömmlichen Auffassung höchstens schwer unterbringen ließe, aber gerade deshalb wieder die Frage nahelegt, ob nicht bestimmt geartetes Vorverhalten in weiterem Umfange und nach weiteren als den bisher angenommenen Gesichtspunkten garantenpflichtbegründend wirken kann50 • b) Einen weiteren Sektor angeblicher Garantenpflichten kraft enger Lebensgemeinschaft bilden die Fälle, in denen früher eine Begründung durch Gesetz angenommen wurde oder neuerdings mit veränderten Vorzeichen und vertieften Argumenten wieder zur Diskussion gestellt wird. Auch hier kann es sich nicht darum handeln, einen Streit um den Wert von Gründen oder darum zu führen, ob nicht verschiedene Gründe eine GarantE'npflicht tragen können, deren Bezeichnung dann unter diesem oder jenem Aspekt erfolgen könnte und jedenfalls die Erwägungen zur Sache selbst nicht verkürzen würde. Es geht vielmehr auch hier wieder um die entscheidende Frage nach Tragweite und Berechtigung des Garantenpflichtgrundes der besonderen persönlichen Verbundenheit, die letzten Endes erst zu beurteilen sind, wenn alle die Fälle ausgeschieden sind, in denen in Wahrheit andere Gründe für sich allein tragfähig sind. Dies wird beispielsweise an der Entscheidung BGHSt. 19, 167 deutlich, bei der es sich um die Garantenpflicht des 18jährigen Sohnes für das durch einen Mordanschlag seitens anderer Angehöriger bedrohte Leben des Vaters handelte. Das Verhältnis zwischen Sohn und Vater ist sicher eine der engsten und natürlichsten Gemeinschaften, ebenso wie es auch kaum zweifelhaft ist, daß das allgemeine Rechtsempfinden sich daran stoßen würde, wenn ein Sohn den Vater zugrunde gehen lassen könnte, ohne über § 330 c hinaus für seinen Tod verantwortlich gemacht zu werden (S. 169). Gerade weil dies so ist, sollte es auch verhältnismäßig einfach gewesen sein, wenigstens hier einmal die oft 48 Bei "Familie und Hausgemeinschaft" ordnet Schwarz-Dreher a.a.O. den Fall ein. 50 Der Angekl. hatte zusammen mit seiner Ehefrau die durch ihren Zustand gefährdete Schwiegermutter aus dem Altersheim abgeholt und zu dem längeren Fußweg veranlaßt, sie also aus einem Bereich der Geborgenheit in eine Lage gebracht, in der Hilfe jederzeit nötig werden konnte und andere zur Leistung solcher Hilfe nicht vorhanden waren.
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phrasenverhangene Lebensgemeinschaft zu erhellen und die Garantenpflicht positiv zu begründen - wozu übrigens aller Anlaß bestanden hätte angesichts des Umstandes, daß die Entscheidung von Ausuferungen dieses Garantenpflichtgrundes mit Recht fühlbar abrückt. Gleichwohl beschränkt sich das Urteil darauf, die Garantenpflicht kraft enger Lebensgemeinschaft als einen lange anerkannten51 Grund vorauszusetzen und die im übrigen nicht unterschätzten Zweüel im konkreten Falle damit beiseitezusetzen, daß im Sohn-Vater-Verhältnis eine der engsten Gemeinschaften gegeben ist und deshalb der Bereich gefährlicher Überbeanspruchung dieses Garantenpflichtgrundes nicht erreicht wird. Das ist im - ohnedies nicht bezweüelten - Ergebnis richtig und dennoch bedenklich. Es bleibt nämlich nicht nur die Grundlage dieser Garantenpflicht abermals ungeklärt und das Gefühl zurück, daß es um eine Bestrafungsgrundlage nicht wohl zum besten bestellt sein könne, wenn schon im Kernbereich bekräftigende Worte das sachliche Argument ersetzen müssen; es bleibt darüber hinaus das Abgrenzungsproblem ausdrücklich offen5! und damit auch die Gefahr ungebannt, daß der durch die "jedenfalls"-Argumentation abgeschirmte Bereich mit dem geläufigen Wortschatz auf Fallgestaltungen ausgedehnt wird, bei denen nicht mehr genügt, was zur Garantenpflichtbegründung im entschiedenen Falle zur Not ausreichen mochte. Dabei hätten sich verschiedene Ansatzpunkte zu einer fundierteren Begründung angeboten: Das RG hat in Fällen, in denen zwischen den Beteiligten ein unterhaltspflichtbegründendes Verhältnis bestand, die Garantenpflicht zur Erhaltung des Lebens naher Angehöriger vor der Wendung zur garantenpflichtbegründenden Lebensgemeinschaft auf die jeweiligen Unterhaltspflichtregelungen des BGB gestützt". Entsprechend der verbreiteten Neigung zur Emanzipation vom garantenpflichtbegründenden Gesetz hat diese Konstruktion auch im Schrifttum zugunsten einer Garantenpflicht kraft enger Lebensgemeinschaft inzwischen überwiegend Ablehnung erfahren54 , und das Urteil bringt bloß die herrschende Einstellung zum Ausdruck, wenn es der Unterhaltspflicht des § 1601 BGB "nur begrenzten Inhalt" beimißt und sie deshalb - wenn auch mit vorsichtig zurückhaltenden Formulierungen55 - zur Begründung der geDazu a.a.O., 168 f. Auf welchen weiteren Kreis von Angehörigen wäre die hier angenommene Garantenpfl.icht zu erstrecken? Worauf erstreckt sich die Garantenpfl.icht des Sohnes im einzelnen? ("Auf jeden Fall ... bei Lebensgefahr des Vaters"). Von welcher Altersgrenze an erwächst diese Garantenpfl.icht? (S. 169 a. E.). 53 RGSt. 39, 398; 64, 316, RG LZ 1916,404 (Großmutter Enkelkind); Wendung zur Garantenpfl.icht des Haushaltungsvorstandes RGSt. 72, 373. U Dagegen, wenn auch in der Tragweite nicht völlig klar, neuestens Maurach AT 514. 55 S. 168: "Auch wird man kaum die ... Unterhaltspfl.icht (§ 1601 BGB) zur Begründung heranziehen können". 61
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suchten Garantenpflicht nicht heranzieht. Daran ist sicher richtig, daß die Unterhaltspflichten nur genau umschriebene Leistungen zum Gegenstand haben und nicht über die Unterhaltsgewährung hinaus andersartige Hilfspflichten auferlegen. Andererseits ist aber ebensowenig zu bezweüeln, daß in ihnen das allgemeine Rechtsempfindens8, man dürfe seine nächsten Angehörigen nicht einfach "zugrunde gehen lassen", einen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, an den die Erwägungen zur Garantenpflicht anschließen können. Daß es sich dabei nicht nur darum handelt, ein mögliches Argument am Rande stehen zu lassen oder mehr in das Zentrum zu rücken, zeigt die Entscheidung z. T. selbst, indem sie ungeklärt läßt, wo die Grenzen der von ihr angenommenen Garantenpflicht dem Personenkreis (Geschwister? Verschwägerte gerader Linie?) und dem Gegenstande der Schutzpflicht (Eigentum?) nach verlaufen. Eine solche Grenzziehung ist zwar in abstracto nicht möglich - und das Gesagte ist daher nicht als eine Bemängelung zu verstehen -, weil die Entscheidung jedenfalls in der Regel eine Berücksichtigung vieler Umstände des Einzelfalles erfordertS7, jedoch setzt gerade diese Berücksichtigung die Möglichkeit eines differenzierenden Ansatzes und eine Offenlegung dessen voraus, was aus welchen Gründen im konkreten Falle zur Entstehung der Garantenpflicht beiträgt. Dabei kann auf eine Einbeziehung der gesetzlichen Unterhaltspflichtregelungen aus verschiedenen Gründen nicht verzichtet werden. So ist einmal an die Fälle zu denken, in denen keine Gründe vorhanden sind, welche - wie z. B. das Leben in häuslicher Gemeinschaft oder auch die übernahme der Sorge etwa für einen erkrankten, alleinstehenden Angehörigen - neben dem Angehörigenverhältnis als solchem eine Garantenpflicht begründen könnten: wenn beispielsweise der erwachsene, im eigenen Hausstand lebende Sohn den einige Häuser entfernt wohnenden Vater tatenlos umkommen läßt, weil ihm dessen Schicksal gleichgültig oder sogar willkommen ist, dürften Erwägungen von § 1601 BGB her jedenfalls nicht von vornherein zu vernachlässigen und vielleicht auch überzeugender sein als eine Heranziehung dessen, worauf der BGH im erörterten Falle die Garantenpflicht gestützt hat. Nicht anders liegen die Dinge, wo im Verhältnis zwischen dem untätig Gebliebenen und dem von einer Gefahr Bedrohten ein unterhaltspflichtbegründendes Verhältnis nicht besteht oder wo es sich um die Bewahrung von Rechtsgütern handelt, hinsichtlich deren eine Schutzpflicht auch nicht in Anlehnung an die Regelungen von Unterhaltspflichten begründet werden kann: soweit hier an andere Grundlagen der Garantenpflicht auch nur zu denken ist, steht die (scheinbare) Begründung mit der besonderen persönlichen Verbundenheit nur der Offenlegung der entscheidenden se 57
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Dazu a.a.O., S. 169: Vgl. insbesondere Schönke-Schröder Rdn. IG9-113, Vorb. AT.
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Gesichtspunkte entgegen und hat sie überdies die Gefahr expansiver Entwicklungen im Gefolge; wenn umgekehrt eine solche anderweitige Begründung versagt, verschleiert die Begründung mit der engen Lebensgemeinschaft nur eine unausgetragene Problematik mit weit in das bürgerliche Recht zurückreichenden Konsequenzen58, weil ungefragt und erst recht ungeklärt bleibt, worin solche Pflichten jenseits der im BGB gezogenen Grenzen wurzeln sollen. Darüber hinaus steht zunehmend 59 ein weiterer Gesichtspunkt zur Diskussion, der die gesetzliche Garantenpflichtbegründung in neue Dimensionen führt und auch im entschiedenen Falle von Bedeutung ist. So wird insbesondere darauf hingewiesen80, daß eine Pflicht zur Verhinderung strafbarer Handlungen61 und von Rechtsgutsschädigungen'2 allein daraus erwachsen kann, daß der Hausfrieden besonders geschützt ist und Eingriffe von außen her rechtlich wie faktisch erschwert sind. Die Frage ist aber, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen solche Pflichten nur den Hausrechtsinhaber4'a oder nicht vielmehr alle treffen, die an der Hausgemeinschaft teilhaben; eine Frage, die um so bedeutsamer ist, als sie einen Ansatz für die Beurteilung solcher Fälle bietet, in denen man die enge Lebensgemeinschaft ins unverbindlich Formelhafte verschmmmen lassen müßte, um ihr wenigstens mit äußerlicher Folgerichtigkeit eine Garantenpflicht abgewinnen zu können". überdies ist es, wenn eine Garantenpflichtbegründung unter derart erneuerten Vorzeichen überhaupt in Erwägung gezogen wird, auch nicht von vornherein abwegig, eine weitere Gedankenlinie von Art. 6 Abs. 1 GG her zu ziehen, in dem von Ehe und Familie nicht bloß im Sinne einer zusammenfassenden Bezeichnung familienrechtHcher Rechte und Pflichten die Rede ist65 • &8 Denn es handelt sich nicht nur darum, daß damit eine dem BGB unbekannte Pflicht zu Strafe führt; über § 823 Abs. 2 BGB wirken die Garantenpflichten vielmehr wieder auf das bürgerliche Recht zurück. 5t Insbesondere bei den in Fußn. 1 gen. Autoren. GO Vgl. insbesondere Schönke-Schröder Rein. 135, Vorb. AT. 11 RGSt. 58, 300 (Pflicht des Gastwirts, Umsatz von Diebesgut in seinem Lokal zu unterbinden). OLG Schleswig NJW 54, 285 (Pflicht der Hausfrau, eine Abtreibung der Hausangestellten zu verhindern). 12 Hilfeleistung gegenüber einem durch Sturz verletzten Besucher u. ä. Hier ist auch an den Fall zu denken, daß der durch Notwehr Verletzte in den Räumlichkeiten den Angegriffenen von anderweitiger Hilfe faktisch abgeschlossen ist (zutr. Henkel MonKrim. 1961, 184, Fußn. 13). IS SO Schönke-Schröder Rdn. 135, Vorb. AT. 14 Zu denken ist hier einmal an die Fälle von Hausgemeinschaften, hinter denen ein anderer Verpflichtungs grund nicht steht; zum anderen ist von hier aus möglicherweise ein Zugang zur Beurteilung der Frage eröffnet, wie die Garantenpflichten jeweils gegenständlich begrenzt sind (Leben allein oder beispielsweise auch Körperintegrität und Eigentum?). IS Das Problem dieser Art der Zurückführung von Garantenpflichten auf ein Gesetz wird über den bisher erreichten Stand entscheidend nur mit weit ausgreifenden Untersuchungen - insbesondere auch vom Verfassungsrecht her
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Ir. Das alles ist so wenig neu, daß es mehr als bloß eines Hinderungsgrundes bedurfte, um die vorgezeichnete Entwicklung zumeist nicht über Ansätze und Andeutungen hinaus gedeihen zu lassen. Bei aller Vorsicht gegenüber einer Motivforschung durch Lesen zwischen den Zeilen scheint es, daß außer einer allgemeinen Beharrungstendenz vorwiegend drei Gründe hemmend gewirkt haben, die deshalb näherer Erörterung bedürfen: 1. Bei der Garantenpflicht kraft enger Lebensgemeinschaft ist es die - oft ausdrücklich als Vorzug angesprochene - Flexibilität im Vergleich zur Garantenpflichtbegründung durch Gesetz, welche anscheinend zögern läßt, die Entwicklungen aufzugreüen und fortzuführen, die nicht mehr nur vereinzelt" über das Stadium hinausgeführt haben, in dem von einer "vielfach verquälten Pflichtbegründung durch Gesetz"87 gesprochen werden konnte. Das Argument ist schon an sich fragwürdig und wird noch dubioser angesichts seiner Richtung gegen die allgemeine Entwicklung der Garantenpflichtlehre in neuerer Zeit, mit deren Tendenz zu kritisch-einschränkender Fassung der Garantenpflichten überhaupt und derjenigen kraft enger persönlicher Verbundenheit im besonderen'8 es am wenigsten übereinstimmt, den Damm vor expansiven Entwicklungen gerade da einzureißen, wo er ohnehin am schwächsten ist. Letzten Endes sind nämlich wiederum nicht so sehr die Fälle problematisch, in denen hinter der fragwürdigen Bezeichnung eine andere, tragfähige Grundlage der Garantenpflicht aufzufinden ist, sondern die, bei denen auch eine Ausschöpfung der Möglichkeiten zu anderweitiger Begründung nichts ergibt: hier stellt sich dann mit allem Ernst die von Baumann89 wohl nicht überspitzte Frage, ob man nicht "schon gleich dazu übergehen (will), jede moralische Verpflichtung oder gar jede bloße Sitte als eine Garantenpflicht begründend anzusehen". Ein solcher Preis für einen leicht zu handhabenden Garantenpflichtgrund ist aber selbst dann zu hoch, wenn neuere Lehre und Rechtsprechung nicht befürchten lassen, daß er alsbald entrichtet werden müßte. 2. Eine Reduzierung der überkommenen vier Garantenpflichtgründe auf Gesetz und ein im weiteren Sinne neu verstandenes Vorverhalten
- zu fördern sein. Daß diese Wege weiter verfolgt werden müssen, ergibt sich nicht nur aus der Fragwürdigkeit der Alternativen, sondern von der Sache selbst her: wo Gefahren entstehen und anderen eine Abwehr durch grundrechtliche Abschirmung des Gefahrenbereichs praktisch unmöglich oder wesentlich erschwert ist, kann die Rechtsposition korrespondierender Pflichten nicht entbehren. 88 Böhm, HenkeZ, Schönke-Schröder (Fußn. 1). 87 88 ID
Maurach AT 515. Maurach AT 515 f.
AT 223.
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würde dazu führen, daß in einem mehr oder weniger breiten Außenbezirk Sachverhalte nicht mehr garanten pflicht begründend wirken, bei denen dies nach den bisherigen Konzeptionen der Fall oft weniger tatsächlich war als sein konnte. Obwohl Aussagen über die Tragweite dieser Auswirkung nicht vor genauer Klärung dessen möglich sind, was Gesetz und Vorverhalten an Garantenpflichten aus den beiden anderen Bereichen tragen können, spricht doch vieles dafür, daß weniger Lücken der Strafbarkeit aufgerissen - beim unechten Unterlassen ohnehin ein zweifelhaftes Argument - als Grenzen da gezogen würden, wo die bisherigen Konzeptionen die mehr theoretische als praktisch in Anspruch genommene Möglichkeit einer Ausdehnung von Garantenpflichten ins sachlich nicht mehr Vertretbare oder zumindest Fragwürdige eröffnen. a) Bei den Fällen, die im überkommenen System als Garantenpflichten kraft besonderer persönlicher Verbundenheit geführt werden, dürfte sich der bisher angenommene Bereich im wesentlichen mit dem decken, in dem sich die Garantenpflicht mit Gesetz oder Vorverhalten begründen läßt; eine Durchsicht der seit mehr als drei Jahrzehnten angefallenen Kasuistik zeigt, daß die neu gezogene Grenze im wesentlichen genau da verlaufen wÜl'de, wo auch die Grenze der bisherigen Garantenpflichtbegründung durch enge Lebensgemeinschaft ausdrücklich gesetzt oder durch stillschweigendes übergehen an sich denkbarer Anwendungsmöglichkeiten erkennbar gemacht wird. b) Bei der freiwilligen Übernahme liegen die Dinge nicht viel anders, obwohl die Abstellung der Garantenpflicht auf das darin beschlossene Vorverhalten im Vergleich mit der begrifflichen Umreißung der freiwilligen übernahme herkömmlicher Prägung zu einer Einengung des Unterlassungsbereichs zu führen scheint oder auch wirklich führt. Werden nämlich auf der Linie der insgesamt für das Vorverhalten maßgeblichen Erwägungen besondere Anforderungen an den Inhalt der Schutzpflicht gestelltl1 , so würden sekundäre und Reflexpflichten als solche ausscheiden; angesichts der berechtigten Reaktionen im Schrifttum auf gelegentliche Überschreitungen dieser sonst ohnehin eingehaltenen Grenze durch die Rechtsprechung7! wird darin ein Nachteil kaum erblickt werden. Für die Beurteilung willkürlich-exzentrischer Schutzvorkehrungen73 bliebe demgegenüber auch bei dem erwogenen Ansatz die Entscheidung nach beiden Seiten hin offen, weil der später Unterlassende hier immerhin bewirkt hat, daß der Partner nicht zuverlässigeren Schutz engagiert oder sich sonst auf das eingestellt hat, was er für 10
Vgl. Fußn. 41, 42, 65.
Oben 11 b. z. B. BGHSt. 5, 187 (190): Pflicht des Arbeitnehmers, einen Diebstahl zum Nachteil des Arbeitgebers zu verhindern. 73 Oben 11 c. 11
71
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eine auf dem gewählten Wege abzuwendende Gefahr gehalten hat; wenn allerdings, was die veränderte Blickrichtung immerhin nahelegt, diese Fälle aus dem Bereich garantenpflichtbegründenden Vorverhaltens ausgeschieden würden, wäre der Abstand zur h. M. nach der bisherigen Auffassung nicht groß74 und auch eine Lösung gefunden, die sachlich überzeugender ist als das, was aus der überkommenen Formulierung der freiwilligen übernahme hergeleitet werden könnte. Insgesamt würde überdies schon beim Ansatz aller auf die Garantenpflicht zielenden Erwägungen der anderwärts leicht irreführenden Annahme der Boden entzogen, daß auch nur in Teilbereichen "die Garantenpflicht ... mit einer etwa bestehenden Vertragspflicht identisch ist"75. 3. Die Wirkung dieser retardierenden Kräfte wird schließlich dadurch verstärkt, daß der Sog ausgeblieben ist, der von einer weiter ausgebauten und dementsprechend aufnahmebereiteren Garantenpflicht aufgrund bestimmt gearteten Vorverhaltens ausgehen würde. Der Befund, daß es sich bei der Ingerenz immer noch um ein "ungelöstes Problem"78 handelt, ist mit einem Blick auf die Streitfragen zu erheben, deren bloße Existenz zeigt, daß über den tragenden Grund keine Klarheit, mindestens aber keine Einigkeit besteht. Wenn nämlich beispielsweise noch unausgetragen ist, ob No"!:wehr eine Pflicht zur Abwehr der nach Abschluß des Angriffs aus der Notwehrhandlung sich entwickelnden Folgewirkungen77 begründet oder die Hingabe eines Gegenstandes zur Verhinderung der später damit begangenen StraftaF8 verpflichtet, oder wenn die Setzung weit entfernter und im Gesamtgeschehen zufälliger Ursachen zur Begründung einer Garantenpflicht nicht herangezogen wird", so macht das deutlich, daß nur im Negativen darüber Einigkeit besteht, daß jedenfalls nicht die Setzung eines jeden beliebigen Kausalfaktors die Pflicht auslöst, dem zum Schaden hin verlaufenden Geschehen erfolgsabwendend entgegenzutreten. Worauf im Kernbereich der allgemein als garantenpflichtbegründend anerkannten Fälle die Pflicht beruht und im Bereich der Grenzfälle gestützt werden könnte, bleibt mehr oder weniger unklarSO. 74 Vgl. in und bei Fußn. 84. Die möglichen Folgerungen der geschilderten Art werden entweder ausdrücklich abgelehnt oder stillschweigend beiseite gelassen.
Welzel194. Welzel195 m. w. Nachw. 71 Dagegen u. a. Mezger Lehrb. 147, Schwarz-Dreher Vorb. D I 4 vor § 1, Welzel194 f. m. w. Nachw. 18 Vgl. BGHSt. 11, 355 und dagegen Schönke-Schröder Rdn. 121, Vorb. AT sowie Naucke ZStW 76, 409 ff. 76
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70 Vgl. die Einschränkungen mit Hilfe des Erfordernisses, der Handelnde müsse eine "nahe (adäquate) Ge~ahr" (Schönke-Schröder Rdn. 120, Vorb. AT) herbeigeführt haben; weitere Nachw. Fußn. 8I. 80 Vgl. die übersichten bei Vogt und Lampe (Fußn. 81). Kausalität? Bestimmt geartetes Ursächlichwerden? Sozialer Kontakt? usw.
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Bei diesem Stand der Dinge ist das verbreitete Zögern verständlich, mit dem das Schrifttum vor der andeutungsweise allenthalben aufgewiesenen Konsequenz innehält, die Fälle dem garantenpflichtbegrundenden Vorhandein zuzuschlagen, bei denen trotz beibehaltener Einordnung unter freiwilliger Übernahme und Lebensgemeinschaft ersichtlich das Schwergewicht auf dem jeweiligen Vorverhalten ruht oder dieses doch ein wesentliches Element der angenommenen Garantenpflicht darstellt: es liegt nahe, daß ohne weitergehende Differenzierung des Vorverhaltens damit gerade die Bemühungen durchkreuzt oder erschwert würden, die Garantenpflichtbegründung durch Ingerenz von der kausalen Wirksamkeit eine Beitrages zu lösen und auf begrenzende Kriterien zu stellen, mit denen man den anderen Fällen nicht gerecht werden könnte. II!. Den Definitionen der Ingerenz liegt bei allen Abweichungen im einzelnen der Gedanke zugrunde, daß schädlichen Erfolgen abwehrend entgegenwirken muß, wer die Gefahr ihres Eintritts herbeigeführt hat81 • Zu Seiten des breiten Mittelfeldes, in dem begriffliche Umreißung und Anwendung dieses Rechtsgedankens sich decken, erstrecken sich jedoch zwei Bereiche, in denen Unklarheiten herrschen und offenbar auch einander entgegengerichtete Kräfte wirksam sind: 1. Obwohl sich im Schrifttum Äußerungen finden, die sich für diese Garantenpflichtgrundung mit einem kausalen Beitrag zur Gefahrsituation zu begnügen scheinen82 , kann im Grunde kaum ein Zweüel bestehen, daß einerseits nicht jedes beliebige Ursächlichwerden in Betracht kommt und andererseits auch bei einem enger gefaßten Begriff der Gefahrschaffung eine weitere Einschränkung mit Erwägungen anderen Ursprungs mindestens naheliegt, wenn ein Verhalten nur durch ein daran anknüpfendes deliktisches Verhalten eines Dritten oder durch eine freie Selbstschädigung schadensursächlich zu werden droht8S ; auch die Autoren, welche die Garantenpflicht auf das drohende Ursächlichwerden eines Vorverhaltens gründen, bejahen damit die Garantenpflicht in den umstrittenen Grenzfällen84 , nicht aber auch da, wo sie von diesem Ansatz aus auch in den Extremfällen entferntester und zufällig81 Eine umfassende übersicht bieten Lampe ZStW 72, 92 ff., Vogt ZStW 63, 381 ff. 8! So etwa die Definitionen bei Baumann 221, Maurach AT 516, SchwarzDreher Vorb. D I 4 vor § 1. 8S Schönke-Schröder Rdn. 121, 122, Vorb. AT, Geilen JZ 65, 469 ff.; aus der neueren Rechtsprechung BGHSt. 17, 321; 19, 152. 84 Etwa bei der Frage, ob Notwehr Garantenpfiicht begründet.
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nebensächlicher Kausalbeiträge an sich bejaht werden müßte 85 • Wenn Erwägungen dieser Art auch sicher nicht auf eine Formel zurückzuführen sein werden, vielmehr jeweils an Einzelfall und Fallgruppen angesetzt werden müssen86 , ist es doch unverkennbar, daß es sich jeweils um die Frage nach den Kriterien handelt, die im Verhältnis zum kausalen Ansatz einschränkend wirken. Die Aufmerksamkeit, welche diese Aspekte zunehmend genießen, macht die verbreitete Zurückhaltung gegenüber einem Abstellen auf das Vorverhalten in den Fällen verständlich, in denen diese Vorhandlung eine Gefahr nicht, jedenfalls aber nicht in dem Sinne herbeigeführt hat, wie er der Begriffsbestimmung sonst zugrunde liegt: 2. Wo die herkömmliche Eingruppierung bei freiwilliger übernahme und besonderer Lebensgemeinschaft mit Hinweisen auf das auch vorhandene Element des Vorverhaltens beibehalten wird, handelt es sich durchweg um Sachverhalte, bei denen sich vielleicht z. T der Gefährdungscharakter des Vorverhaltens gewagt konstruieren ließe, die Erwägungen aber letzten Endes immer wieder darauf zurückführen, daß der später Unterlassende Vertrauen darauf erweckt hat, er werde in der nach seinem Verhalten zu erwartenden Weise schadensabwendend tätig werden87 • a) Hierher gehören einmal die Fälle, in denen Schutzaufgaben in bezug auf bestimmte Objekte oder Gefahrenquellen übernommen werden 88 • Ihre Behandlung nach den herkömmlichen Kriterien der freiwilligen Übernahme führt zu keinen oder nicht zu haltbar begründeten Ergebnissen, da mit diesen weder die Fälle der Garantenpflichtbegründung durch bloße Zusage ohne faktisches Einrücken in die SchutzsteIlung erfaßt noch umgekehrt die Fälle fehlender rechtsgeschäftlicher Bindung erklärt werden können, weil das tatsächliche Eintreten in die mit Schutzpflichten verbundene Stellung als schlichtes Faktum die Frage nicht beantwortet, sondern aufwirft, warum aus ihm Pflichten bestimmter Art erwachsen. Auch die an der Gefahrherbeiführung orientierte Auffassung der Ingerenz wird diesen Fällen nicht gerecht, weil es dieses Kriterium ins unverbindlich Floskelhafte verschwimmen lassen 85 Garantenpflicht des Mechanikermeisters, dessen früherer Lehrling seine Kenntnisse zur Produktion von Diebeswerkzeug oder Geldfälschergerät benutzt? - Die Kette möglicher Beispiele würde wieder bei der ominösen Frage enden, ob die Eltern des Mörders kraft der Ursächlichkeit ihres früheren Verhaltens Garanten gegenüber den von dem Sohn ausgehenden Gefahren geworden.sind. 8e So etwa bei Schönke-Schröder Rdn. 119, Vorb. AT. 87 Treffend Baumann 222. 88 Die Differenzierung braucht im folgenden nicht weiter durchgeführt zu werden, da die folgenden überlegungen beide Fallgestaltungen gleichermaßen betreffen.
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hieße, wenn man im Antritt einer Stellung als Badewärter, Nachtwächter, Kindermädchen oder in der übernahme ärztlichen Bereitschaftsdienstes eine Herbeiführung von Gefahr für die mit der übernahme solcher Schutzstellungen gerade besonders zu sichernden Rechtsgüter erkennen wollteSu • Anzuknüpfen ist vielmehr allein daran, daß in allen Fällen dieser Art das Antreten einer solchen Stellung, die Zusage als solcheuo oder ein sonstiges VerhaltenU1 das Vertrauen erzeugt, die Wahrnehmung der jeweils gegebenen Aufgaben sei gewährleistet und anderes sei deshalb nicht vorzukehren. Ein anderer gemeinsamer Nenner für das, worüber man sich in den Ergebnissen weithin einig ist, läßt sich jedenfalls nicht finden, und umgekehrt liegt es nur zu nahe, eine Garantenpfiicht daraus herzuleiten, daß jemand mit der Übernahme bestimmter Aufgaben das Vertrauen erzeugt hat, ohne daß anderweitige Vorkehrungen getroffen worden wären oder hätten getroffen werden können. - Daß dieses Kriterium seinerseits weiterer Klärung und Einengung bedarf, überdies auch manches im Streit lassen mag, ist eine andere Frageuz • b) Zu denken ist in diesem Zusammenhang weiter an die Fälle, in denen die Konstanz eines Verhaltens Vertrauen auf weitere Geradlinigkeit des Verhaltens erzeugt hat, wie z. B. innerhalb langdauernder geschäftlicher Beziehungenus • Wenn es etwa innerhalb eines solchen Verhältnisses üblich ist, von bestimmten Sachverhalten jeweils Mitteilung zu machen, wird man weder auf den Vertrag noch auf gesetzliche Vorschriften notwendig angewiesen sein noch auch eine besondere Kategorie von Garantenpflichten im Rahmen von Geschäftsbeziehungen herausbilden müssen94 , sondern sich auf das durch Vorverhalten begründete Vertrauen stützen können, wenn es sich beispielsweise um die Beurteilung des der Üblichkeit zuwiderlaufenden Schweigens im Rahmen 88 So läßt sich eine garantenpflichtbegründende Vorhandlung ohne gewaltsame, der Sache nicht gerecht werdende Konstruktionen schon dann nicht annehmen, wenn der Übernehmende zu Unzuverlässigkeit neigt; bei einmaligem Versagen des sonst Sorgfältigen im übernommenen Pflichtenkreis gilt dies erst recht. 80 Oben I 1 a. 81 Vgl. etwa den Fall, daß jemand bei einem Unfall mit Rettungshandlungen begonnen und dadurch andere veranlaßt hat, ihrerseits von Hilfshandlungen Abstand zu nehmen, nach denen wegen der bereits eingeleiteten Maßnahmen kein Bedürfnis bestand (oder zu bestehen schien). Weiteres u. 3. 83 Zu denken ist an die in den bisherigen Gruppen von Garantenpftichten nicht oder schwer unterzubringenden Fälle, wo unabhängig von einzelnen Verträgen oder neben solchen bisherige übungen die Erwartung bestimmten Verhaltens begründet. 14 Vgl. Fußn. 31.
I.
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des Betruges handelt; daß damit zugleich ein Auseinanderfließen der Stralbarkeitsgrenzen verhindert wird, ist ebenso naheliegend wie erwünschtQs . c) Desgleichen findet unter diesem Blickwinkel der Komplex der
Gefahrengemeinschaften eine Behandlung, die mit den Ergebnissen der
h. M. übereinstimmt, jedoch der fragwürdigen Erwägungen und Konstruktionen entraten kann, deren man sich fast zwangsläufig bedienen muß, wenn diese Erscheinung in die Nähe der Lebensgemeinschaften gerückt oder gar als deren Unterfall behandelt wird. Einerseits bleiben die Zufallsgemeinschaften von vornherein außerhalb des Bereichs der hier garantenpflichtbegründenden Sachverhalte, bedürfen also nicht des Ausschlusses mit Hilfe z. T. fragwürdiger ArgumenteQ O, sondern müßten allenfalls mit anderen Erwägungen begründet werden'7. Auf der anderen Seite bedarf es nicht fragwürdig-gefühlshaltigen Argumentierens, um eine Garantenpfiicht darzutun, wo sie sich aus dem Vertrauensprinzip ergibt: Wenn mehrere sich zu einem Unternehmen zusammentun, das gefährlich wird oder dessen schon an sich vorhandene Gefahren gesteigert werden, wenn nicht jeder die ihm zur Gewährleistung höchstmöglicher Sicherheit obliegenden Aufgaben erfüllt, genügt zur Begründung einer gegenseitigen Garantenpfiicht die Tatsache, daß jeder Beteiligte zur Schaffung der Vertrauensgrundlage beiträgt, von der das Unternehmen abhängt88• d) Ebenso finden auf dieser Grundlage unter Hervorkehrung des entscheidenden Gesichtspunktes die Fälle eine sachgerechte Beurteilung, .5 VgI. Fußn. 106. ge z. B. Maurach AT 516: daß im Notstand "sogar die aktive Vernichtung
des der eigenen Rettung entgegenstehenden Partners (§ 54: Karnee.des-Fall) nicht mißbilligt wird", besagt nichts für die Beurteilung der Fälle, in denen Hilfsmaßnahmen innerhalb einer Zufallsgemeinschaft ohne Selbstgefährdung möglich wären. g7 Daß die Grenze der Garantenpflicht bei Gefahrengemeinschaften allgemein - z. T. mit ausdrücklichem Hinweis auf den maßgeblichen Gesichtspunkt (Schönke-Schröder Rdn. 115, Vorb. AT, Welzel196 f.) - genau da gezogen wird, wo sie nach dem hier erörterten Kriterium verlaufen muß, spricht beredt dafür, daß es hier wirklich nur auf das durch Eingehen in die Gemeinschaftsbeziehung begründete Vertrauen ankommt. Ob der "Monopolgedanke" (Welzel 197) über diesen Bereich hinausweist, ist a.a.O. nicht klar zu erkennen, weil das "Angewiesensein auf gegenseitige Hilfe" durchaus auch in Zufallsgemeinschaften eintreten kann. g8 Dasselbe gilt auch für solche Gefahrgemeinschaften, die auf zulässige Weise unabhängig vom Willen der Beteiligten zustandegekommen sind: Einteilung zu Arbeiten, die ohne das Ineinandergreifen der jeweiligen pflichtgemäßen Verrichtungen und gegenseitige Hilfsgewährung im Gefahrenfalle nicht in Angriff genommen werden könnten oder auch Katastropheneinsätze der Bundeswehr begründen Garantenpflichten nicht wegen der Pflicht zur Kameradschaft, sondern weil und soweit die Situation des aufeinander Angewiesenseins durch andere verbindlich (Direktionsbefugnis des Arbeitgebers, Befehlsbefugnis der militärischen Vorgesetzten) begründet werden konnte.
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in denen die Begründung bestimmter tatsächlicher Lebensverhältnisse bei den Beteiligten und auch in der Umwelt die Erwartung begründet, daß für gegenseitige Hilfe im Gefahrenfall gesorgt seiD9 : so wird beispielsweise bei den Partnern einer außerehelichen Lebensgemeinschaft100, bei Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben101 und in ähnlichen Fällen die Beurteilung gegenseitiger Garantenpflichten nicht nur mit Folgerungen aus dem gesetzlichen Schutz und der faktischen Respektierung des Hausbereichs102, sondern auch und vor allem auf der Grundlage zu erfolgen haben, daß mit dem Eingehen einer derartigen Lebens- oder Hausgemeinschaft eine Situation geschaffen wird, in der von den Beteiligten anderweitige Verkehrungen zur eigenen Sicherung unterlassen werden und überdies die Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit einer Hilfe von dritter Seite erheblich gemindert sindlos. 3. Wenn demnach als garantenpflichtbegründende Vorhandlungen nicht nur solche in Betracht kommen, die Gefahr schaffen, sondern auch solche, mit denen Vertrauen darauf erweckt wird, daß der Handelnde in Zukunft bestimmte Schutzfunktionen wahrnehmen wird, so ist das keine "anwendbare" Formel, sondern nur ein Rahmen, innerhalb dessen Differenzierung und Feinarbeit genau so zu leisten sind wie bei der gefahrschaffenden Vorhandlung. Auf einzelne dieser Gesichtspunkte kann hier nur hingewiesen werden: a) Das garantenpflichtschaffende Vertrauen ist nicht notwendig als ein des Beweises bedürftiger psychischer Vorgang bei anderen zu verstehen. Es genügt vielmehr, daß sich an ein bestimmtes Verhalten die objektiv begründete Erwartung bestimmten Folgeverhaltens knüpft: die Aufnahme eines Angehörigen oder von Personal in den Haushalt verpflichtet im Falle der Erkrankung zu den notwendigen Vorkehrungen unabhängig davon, welche Erwartungen in bezug auf die Erfüllung der Beistandspflicht andere gehegt haben und welche Maßnahmen zur Vorsorge für einen solchen Fall sonst getroffen worden oder möglich gewesen wären1M• b) Auf derselben Linie liegt es auch, daß die garantenpflichtbegründende Wirkung eines derartigen, in seiner sozialen Bedeutung gesehenen Vorverhaltens nicht durch einen Vergleich mit dem beeinträchtigt Schönke-Schröder Rdn. 116, Vorb. AT. Dazu insbesondere Geilen FamRZ 61,147. 101 Fußn. 64.
gg
100
Dazu oben I 2 b. Darüber, daß diese Folgen im Einzelfall nicht faktisch eingetreten sein und nachgewiesen werden müssen, vgl. u. 3 a, b. 10' Daß andere Meinungen sich hartnäckig gehalten haben (vgl. Fußn. 110), liegt vorwiegend an dem auch sonst nachteilig wirkenden Umstand, daß diese Probleme immer als Teil des Kausalproblems der unechten Unterlassung behandelt wurden. 102
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wird, was sonst geschehen wäre: wenn die zum Alleingang bereits fest entschlossenen Bergsportler im letzten Augenblick einen Bergführer gefunden und engagiert haben, sind dessen Pflichten dieselben wie im anderen Falle, wenn die schwierige Partie ohne einen Bergführer nicht unternommen worden wäret05 . c) Der Vertrauensgrundsatz nötigt andererseits auch nicht dazu, jedweder Hervorrufung von Vertrauen in die Zuverlässigkeit übernommener Dienste garantenpftichtbegründende Wirkung beizumessen. Gerade weil es hier nicht darum geht, daß Fortentwicklungen eines mit dem Vorverhalten angestoßenen Kausalgeschehens zu unterbinden wären, besteht kein Hindernis, vom Inhalt der übernommenen Pflichten her engere Grenzen in dem Sinne zu ziehen, wie dies bereits angedeutet wurdetOS. Selbst rechtswirksam übernommene Pflichten von Bagatellbedeutung l07 und mit dem Inhalt unüblicher, auch bei Anlegung strenger Vorsichtsmaßstäbe übertriebener Vorkehrungen l08 brauchen sogar dann, wenn ohne das Verhalten des später Unterlassenden mit Gewißheit andere zuverlässige oder erfolgversprechende Maßnahmen getroffen worden wären, vom gegebenen Ausgangspunkt aus nicht als Gegenstand einer Garantenpflicht behandelt zu werden. Genau so nämlich, wie nicht jeder ursächliche Beitrag zur Entstehung einer Gefahrlage eine Garantenpflicht auslöst lOe, braucht eine solche nicht an jede Schaffung von Vertrauen geknüpft zu werden, daß der Verpflichtete drohender Gefahr wehren werde. Es liegt vielmehr im Gegenteil nahe, die Grenzen danach zu bestimmen, ob es sich beim Gegenstand der Verpflichtung um Vorkehrungen gehandelt hat, die unter den gegebenen Umständen in dieser Art objektiv erforderlich waren: das Unterbleiben von Unnötigem sollte zu anderen als zivilrechtlichen Konsequenzen auch dann nicht führen, wenn Vertrauen auf seine Vornahme zum Unterbleiben anderweitiger, objektiv gleichwenig erforderlicher Vorkehrungen geführt hat llo .
VgI. Fußn. 104, 110. Oben 11 c. Zu denken ist hier insbesondere an die Begrenzung "vertraglicher" Garantenpfiichten: mit der Einstellung als Verkäufer im Ladengeschäft verbindet sich die objektiv begründete Erwartung, daß der Angestellte Ladendiebstählen entgegentreten werde; die Erwartung oder auch arbeitsvertragliche Pflicht, für das Eigentum des Arbeitgebers zu sorgen, muß demgegenüber nicht in eine Garantenpfiicht umgemünzt werden, da die Gestaltung des Betriebs nicht von der Erwartung bestimmt wird, jeder Arbeitnehmer werde einem Diebstahl durch einen Kollegen entgegentreten. 107 Garantenpflicht desjenigen, der seinem verreisenden Nachbarn versprochen hat, dessen Blumen zu gießen? 108 VgI. O. I 1 C. 108 Oben 1. 110 In dem vielerörterten (Binding Normen II 572, Mezger Lehrb. 145) Fall der ängstlichen Mutter, die sich von einem Dritten gegen Bezahlung verspre105
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IV.
Auch wenn dem Gesetz und dem Vorverhalten im angedeuteten Sinne eine weit größere Bedeutung bei der Garantenpflichtbegründung beizumessen ist, als dies überwiegend noch angenommen wird, und wenn auch die Klärung ihrer Tragfähigkeit im einzelnen noch eine Zukunftsaufgabe ist, kann doch mit einiger Sicherheit gesagt werden, daß andere Gesichtspunkte daneben weiterhin Bedeutung haben werden. Soweit es sich nach dem gegenwärtigen Stande der Diskussion übersehen läßt, dürfte dabei durchweg ebenfalls das Vertrauensprinzip die Grundlage bilden. a) Dies gilt einmal für die Fälle der Sicherungspflichten im eigenen sozialen Herrschaftsbereich111 , die mit einer "Zustandshaftung"U! rucht abschließend erklärt sind, weil die Frage unbeantwortet bleibt, warum man die Pflicht hat, für gefahrlose Zustände im eigenen Herrschaftsbereich zu sorgen. Soweit hier nicht die Garantenpflicht auf Gesetz gestützt werden kann118, liegt es nahe, ihren Grund in dem Vertrauen zu suchen, das das Verhalten anderer bestimmt und auch gewährleistet sein mußl1'. b) Fälle, die sich weder bei Gesetz noch beim Vorhand ein erfassen lassen, können ferner innerhalb organisierter Schutzvorkehrungen auftreten. Wenn beispielsweise ein Arzt nicht den Bereitschaftsdienst übernimmt, sondern dazu von dem zuständigen Organ der Ärzteschaft eingeteilt wird, oder wenn der Arbeitgeber im Rahmen seiner Direktionsbefugnis Arbeitnehmer turnusmäßig zur Brandwache bestimmt, wird weder im Ergreüen des Arztberufes noch im Arbeitsvertrag als solchem, wohl aber darin die Garantenpflicht zu finden sein, daß in beiden Fällen zu dem nur durch solche organisatorischen Vorkehrungen gechen läßt, er werde beim Schwimmen ihrem Sohn notfalls beistehen, ist eine Garantenpfticht auch dann zu verneinen, wenn "die Mutter bei Voraussicht des Vertragsbruchs anderweitige Sorge getroffen hätte" (Mezger a.a.O., der allerdings anders entscheidet), solange kein besonderer Anlaß bestand, für solchen besonderen Schutz zu sorgen (Jugend, mangelnde 'übung, Anfälligkeit des Sohnes, besondere Gefährlichkeit des Gewässers o. ä.); im letzteren Falle ist die Garantenpfticht wiederum unabhängig davon zu bejahen, was die Mutter sonst getan oder geschehen lassen hätte. 111 Welzel195. Schönke-Schröder Rdn. 124, Vorb. AT spricht von den in den eigenen Zuständigkeitsbereich fallenden Gefahrenquellen. 11!
Welzel195.
Etwa Garantenpflicht des Eigentümers, Hausrechtsinhabers, u. ä.; vgl. oben I 2 b. 114 Gleiches gilt auch in den Fällen, wo die Vornahme einer Handlung in anderen das Vertrauen auf bestimmte sichernde oder sonst gefahrabwendende Begleit- oder Folgehandlungen erweckt. 118
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währleisteten Rechtsgüterschutz auf zulässige Weise eine Vertrauenssituation geschaffen worden ist, in der andere sich auf pflichtgemäßes Verhalten verlassen und auch verlassen dürfen. c) Schließlich können auch die Ausübung bestimmter Berufe und Verhalten, welches abgesehen von den schon erörterten Fällen Vertrauen auf bestimmtes Folgeverhalten weckt115, unter diesem Blickwinkel als garantenpflichtbegründend in Betracht kommen.
115 Zu denken ist hier an solche Fälle, in denen die Ausübung bestimmter, mit gesteigerten Vertrauenserwartungen verbundener Berufe (Arzt, Anwalt, Bankier) die Erwartung bestimmten Verhaltens in gegebener Situation begründet: wenn der Arzt einen dringenden Hilferuf entgegennimmt, ohne sich weiter zu äußern, ist gleichwohl eine Garantenpflicht schon aufgrund des Umstandes anzunehmen, daß der Anrufer auf baldiges Kommen oder aber auf eine Verweisung an einen anderen Arzt vertrauen durfte; vom Bankier kann u. U. erwartet werden, daß er einen Kunden über die weggefallene Kreditwürdigkeit eines seiner Geschäftspartner unterrichtet.
Garantenstellung kraft Ubernahme Von Walter Stree, Münster/Westf. Zu den strafrechtlichen Kernproblemen, die trotz jahrzehntelangen intensiven Bestrebens seitens der Rechtsprechung und der Wissenschaft immer noch einer restlosen Klärung harren, gehören die unechten Unterlassungstaten. Wer sich mit ihnen und dem unzähligen, kaum überschaub aren Material hierzu näher befaßt, wird mühelos eine Menge offener Punkte entdecken können. Und er wird alsbald geneigt sein, eine Bemerkung Franks 1 aufzugreifen, sie auf die heutige Zeit zu übertragen und mit Frank zu sagen, in der Frage nach der Haftbarkeit für Unterlassungen sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Eine derartige Äußerung hat ihre Berechtigung bis in die Gegenwart hinein vor allem beim Merkmal der "Garantenstellung" behalten, namentlich bei deren Reichweite. An dem Erfordernis der Garantenstellung! als Voraussetzung der Haftbarkeit für ein Untätigbleiben ist, soweit unechte Unterlassungsdelikte in Frage stehen, zwar nicht zu rütteln. Nach wie vor ist es aber ein teilweise ungelöstes Problem, wo die genaue Grenze bei den verschiedenen Gruppen von Garantenstellungen verläuft. Es herrscht noch weithin Unsicherheit über das, was im einzelnen vorliegen muß, damit ein Garantenverhältnis angenommen werden kann - eine Unsicherheit, die allzuleicht dazu verführt, das Rechtsgefühl zum ausschlaggebenden Beurteilungsmaßstab zu erheben. Insoweit Abhilfe zu schaffen, ist ein dringendes Gebot der Stunde, will man die unechten Unterlassungsdelikte vom Odium der Unbestimmtheit befreien und die hieraus' entspringenden rechtsstaatlichen Bedenken beseitigen oder doch Komm. zum StGB, 18. Aufl., 1931, !I I, Anm. IV 2 (S. 19). Ob die Bezeichnung "GarantensteIlung" für alle Fälle glücklich gewählt ist, mag zweifelhaft sein. Vgl. etwa die Bedenken bei Henkel, MschrKrim 1961, S. 178 FN 1. Gleichwohl hält Henkel es für tunlich, an der einprägsamen Kennzeichnung festzuhalten. a Neben den rechtsstaatlichen Bedenken aus dem Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Anerkennung der unechten Unterlassungsdelikte. Zu diesen rechtsstaatlichen Bedenken vgl. insb. H. Mayer, Strafrecht, AT, 1953, S. 119 ff. sowie in seiner Abhandlung "Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände", Mat. zur Strafrechtsreform I, S. 275, wo er eine ernste Gefährdung der allgemeinen bürgerlichen Freiheit darin sieht, "daß die Rechtsprechung mittels der . . . Rechtsfigur der Begehung durch Unterlassen alle Tatbestände in ihren Grenzen völlig ungewiß gemacht hat und im Prinzip jeden Mitwisser zum Mitschuldigen erklärt". 1 I
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zumindest merklich verringern. Alsbaldige Abhilfe ist obendrein unerläßlich, um der wiederholt beklagten, bis über das Maß des Erträglichen hinausgehenden Ausweitung der Unterlassungsdelikte ein Ende zu bereiten. Lange Zeit hat man geglaubt, die Garantenstellung auf drei Entstehungsgründe - Gesetz, Vertrag und vorausgegangenes gefahrbegründendes Tun - zurückführen und von hier aus das Garantenproblem lösen zu können'. Die genannten Entstehungsgründe vermitteln indes ein höchst unvollkommenes und zum Teil irreführendes Bild darüber, wann jemand als Garant strafrechtlich für ein Untätigbleiben zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie wenig mit ihnen letzten Endes gewonnen ist, zeichnet sich rasch ab, sobald man an Hand dieser klassischen Dreiteilung daran geht, den Bereich möglicher Unterlassungstaten zu erschließen. Schwierigkeiten tauchen insbesondere deswegen auf, weil es dieser Gruppierung an hinreichenden materiellen Kriterien fehlt, nach denen sich das Bestehen eines Garantenverhältnisses und der Umfang einer Pflicht zur Erfolgsabwendung zur Genüge bestimmen lassen. Die Orientierung an den genannten Entstehungsgründen ist bestenfalls geeignet, der GarantensteIlung eine formale Stütze zu verleihen, sie mithin rechtsquellenmäßig zu legitimieren6• In neuerer Zeit hat man deshalb versucht, sich von der rechtsquellengerichteten Einteilung zu trennen und die Garantenverhältnisse nach Gesichtspunkten zu gruppieren, die materiell an der Stellung des Unterlassenden zum gefährdeten Rechtsgut oder zu Gefahrenquellen ausgerichtet sind. "Schutzpositionengegenüber bestimmten Rechtsgütern "'und" überwachungspositionen gegenüber bestimmten Gefahrenquellen" sollen danach die neuen übergeordneten Einteilungsgruppen sein, die ihrerseits in Untergruppen aufgeteilt werden'. Ob und inwieweit es gelingen wird, mit Hilfe dieses noch in den Anfängen stehenden Blickwandels das Garantenproblem endgültig zu bewältigen, läßt sich zur Zeit schwer beurteilen. Optimistischen Stimmen stehen skeptische Äußerungen gegenüber7• Eins dürfte allerdings sicher sein. Soll der neuen Blickrichtung ein voller Erfolg beschieden sein, so darf man auf keinen Fall die Entstehungsgründe gänzlich außer acht lassen und einseitig die Schutzpositionen gegenüber bestimmten Rechtsgütern bzw. die Überwachungspositionen gegenüber bestimmten Gefah, So im wesentlichen auch die Rspr. des RG - vgl. etwa RGSt 58, 131; 63, 394; 64, 275/76 -, bis es dann in den letzten Jahren seines Wirkens diesen Ausgangspunkt preisgab. 6 VgI. hierzu Henkel, a.a.O., S. 184, 185. e So insb. Henkel, a.a.O., S. 190, SchönkelSchröder, 12. Aufl., 1965, RN 102 ff. Vorbem. vor § 1; siehe auch Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 283. 7 VgI. einerseits Henkel, a.a.O., S. 191, andererseits Baumann, Strafrecht, AT, 3. Aufl., 1964, S. 218 f.
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renherden ins Auge fassen. Man ist vielmehr genötigt, die rechtliche Grundlage dieser Positionen in die Betrachtung einzubeziehen. D. h., es tut weiterhin not, das Augenmerk ebenfalls auf die Herkunft der Garantenpflicht zu richten. Sonst läuft man Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren und statt rechtlich verfestigter Pflichten sittliche Pflichten genügen zu lassen, mag man auch nach außen hin daran festhalten, daß allein aus der Rechtsordnung erwachsene Pflichten zum Handeln das strafrechtliche Einstehenmüssen für ein Untätigbleiben begründen können. Die Gefahr einer solchen unerträglichen Ausweitung, bei der dann vielfach das Rechtsgefühl Pate stehen mag, ist keineswegs zu unterschätzen. Man betrachte nur die beiden bei Schönke-Schröder8 herausgestellten Gruppen "natürliche Verbundenheit" und "Gemeinschaftsbeziehungen". Ohne Rückgriff auf die Rechtsordnung als Quelle der Garantenstellung wird es bei diesen Gruppen schwer halten, eine einigermaßen scharfe Trennungslinie zwischen rechtlichen und bloßen sittlichen Pflichten zu ziehen. So fragt man sich, weshalb Verlobte sich gegenseitig Beistand leisten müssen 9 • Woraus soll sich bei ihnen die rechtliche Pflicht zur Gefahrenabwehr ergeben? Bei der Gruppe der Garanten auf Grund einer Gemeinschaftsbeziehung treten entsprechende Fragen etwa bei der Betriebsgemeinschaft auf10• Wer ist Garant für andere Betriebsangehörige, und worauf läßt sich sein Einstehenmüssen rechtlich stützen? Mit der Verweisung auf die Betriebszugehörigkeit ist die Frage nicht hinreichend beantwortet. Des weiteren läßt sich der Umfang der Rechtspflicht zum Handeln nur bestimmen, wenn man geklärt hat, woraus sie herzuleiten ist. Bei einer "Gefahrengemeinschaft" wird man beispielsweise (nur) auf diese Weise zum Ergebnis kommen, daß sich die Rechtspflicht ausschließlich auf Rechtsgüter erstrecken kann, die den jeweiligen mit dem gefährlichen Unternehmen verknüpften Gefahren ausgesetzt sind oder - das mag allenfalls noch eingeschlossen sein - die dazu dienen, möglicherweise auftretende Gefahren zu überwinden. Sonstige Gefahren, die einem Teilnehmer lediglich bei Gelegenheit des Unternehmens drohen, bleiben von der Garantenpflicht unberührt. Es kann nun keineswegs daran gedacht werden, mit den folgenden Bemerkungen das Garantenproblem in seiner ganzen Breite aufzurollen. Ein solches Unterfangen wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Aufgabe ließe sich auf den zur Verfügung stehenden Seiten auch RN 108 ff., 114 ff. Vorbem. vor § 1. Eine solche Beistandspfiicht wird u. a. von SchönkelSchröder, a.a.O., RN 109, bejaht. Verneinend hingegen Geilen, FamRZ 1961, S. 155. 10 Vgl. etwa die manche Fragen offen lassenden Ausführungen bei Schönkel Schröder, RN 116 Vorbem. vor § 1: "Ebenso können sich aus der Betriebsgemeinschaft gewisse Gefahrenabwendungspflichten ergeben, und zwar auch da, wo der Gesichtspunkt der übernahme nicht in Frage kommt (so zwischen Arbeitnehmern untereinander)." 8
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nicht annähernd meistern. Die Darlegungen seien daher auf einen einzigen Garantenkreis beschränkt, und zwar auf einen Garantenkreis, der unter beide großen materiell ausgerichteten Sammelgruppen - Schutzposition gegenüber bestimmtenRechtsgütern (1. Gruppe), überwachungsposition gegenüber bestimmten Gefahrenquellen (2. Gruppe) - fällt, nämlich die GarantensteIlung kraft Übernahme. Die Zugehörigkeit zu beiden Sammelgruppen wird freilich nicht immer genügend herausgestelltll oder anscheinend sogar geleugnetl2 • Sie läßt sich aber an Hand eines einfachen Beispiels sofort ersichtlich machen. Wer es tatsächlich übernommen hat, anstatt des Aufsichtspflichtigen auf ein Kind achtzugeben, hat nicht nur das Kind vor den ihm drohenden Gefahren zu schützen, sondern hat zugleich den von dem Kinde ausgehenden Gefahren für andere entgegenzuwirken. Läßt er etwa schuldhaft ein verkehrswidriges Verhalten des Kindes zu und ereignet sich infolgedessen ein Unfall, so hat er außer für etwaige Verletzungen des Kindes auch für Verletzungen sonstiger Unfallbetroffener einzustehen. Die GarantensteIlung kraft übernahme ist ursprünglich im Zusammenhang mit einer GarantensteIlung aus Vertrag gesehen worden. Entscheidendes Merkmal für das Entstehen eines Garantenverhältnisses war hiernach die vertragliche Vert:inbarung, der freilich vielfach die Geschäftsführung ohne Auftrag gleichgestellt wurde18• Aber schon vor Jahrzehnten wurden, wenn auch zunächst verhältnismäßig selten, Bedenken laut, die strafrechtliche Haftung mit der Verletzung eines zivilrechtlichen Vertrages zu verquickenU. Bereits frühzeitig ist ebenfalls das RG vom streng vertraglichen Rahmen abgerückt. In seiner Entscheidung vom 21. März 188815, auf die immer wieder verwiesen wird, hat es das Weiterbestehen eines Garantenverhältnisses nach Ablauf eines Vertra11 VgI. etwa die Einteilung bei SchönkelSchröder, RN 104 Vorbem. vor § l. Schröder ordnet hier die Garantenstellung kraft übernahme der ersten
Sammelgruppe zu. Bei der näheren Begründung und bei den angeführten Beispielen stellt er jedoch entweder auf die erste oder auf die zweite Gruppe ab (a.a.O., RN 117, 118). So deuten z. B. die Worte, erst mit der Übernahme dürfe sich der Geschützte in Sicherheit wiegen, auf die erste Gruppe hin (RN 118). Die anschließenden Beispiele fallen aber z. T. in die zweite Gruppe (übernommene Warnung des nachfolgenden Verkehrs, übernahme des Streudienstes). 11 So Böhm, Die Rechtspflicht zum Handeln bei den unechten Unterlassungsdelikten, Diss. Frankfurt 1957, S. 75. Nach ihm soll die Übernahme einer Gefahrenabwehr nur Rechtspflichten gegenüber Personen begründen, die zu schützen versprochen ist. Die übernahme von Pflichten gegenüber der Allgemeinheit soll nur als Unterfall der Rechtspflicht aus Gesetz anzuerkennen sein. And. mit Recht OLG Celle, NJW 1961, 1940. 11 VgI. u. a. v. Hippel, Deutsches Strafrecht II, 1930, S. 162, Mezger, Lehrbuch des Strafrechts, 2. Aufl., 1933, S. 143, Traeger in Festgaben für Ludwig Enneccerus, 1913, S. 96. 14 Derartige Bedenken finden sich z. B. bei v. Buri, ZstW 1, 412. 15 RGSt 17, 260. In dem abzuurteilenden Fall ließ sich die strafrechtliche Haftung allerdings schwerlich auf eine Übernahme der Schutzposition stützen. Hierauf wird noch näher einzugehen sein.
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ges bejaht. Begründet hat es seinen Standpunkt u. a. mit der tatsächlich übernommenen Verantwortlichkeit und dem tatsächlich geschaffenen "Rechtszustand". In der Folgezeit ist man zwar noch häufig genug zum Vertrag zurückgekehrt16 • Nach und nach zeichnete sich aber ein Meinungswandel ab. Es drang allmählich die Einsicht vor, daß der Vertrag als solcher keine strafrechtlich relevante Pflicht zum Handeln in sich bergen könne. Man begann damit, sich von der vertraglichen Grundlage abzuwenden und an ihre Stelle die tatsächliche übernahme einer Schutz- oder überwachungstätigkeit treten zu lassen. Inzwischen haben sich die Stimmen, die der tatsächlichen Einnahme der Schutz- oder überwachungsposition die ausschlaggebende Bedeutung beimessen wollen, derart vermehrt, daß gegenwärtig nur noch vereinzelt vom Vertrag ausgegangen wird17 • Die derzeit überwiegende Meinung tritt für die Unabhängigkeit der Garantenfrage von vertraglichen Abmachungen ein. Nach ihr soll es allein darauf ankommen, ob jemand tatsächlich den Schutz eines Rechtsgutes oder die überwachung einer Gefahrenquelle übernommen hat. Dem Vertrag wird die Eigenschaft als konstitutives Merkmal der GarantensteIlung aus materieller Sicht abgesprochen. Vertragliche Bindung und strafrechtliche Haftung sollen danach materiell voneinander zu scheiden sein. Der Vertragsschluß führe, so wird geltend gemacht, nur zu schuldrechtlichen Verpflichtungen. Ein Verstoß hiergegen könne noch keinen Strafgrund abgeben; für die strafrechtliche Haftung sei der Vertragsbruch als solcher irrelevant18 • Für diejenigen, die den Vertrag durch die tatsächliche Übernahme eines Pflichtenkreises ersetzen, stellt sich sodann die Frage nach dem Rechtsgrund für die Erfolgsabwendungspflicht. Sie mit dem Hinweis auf die übernahme der Gefahrenabwehr abzutun, wäre gar zu einfach und würde weder dazu beitragen, der angestrebten Lösung einen Schritt näher zu kommen, noch etwaige Vertreter von Gegenmeinungen überzeugen. Der Hinweis sagt nicht das geringste darüber aus, warum mit der übernahme eine rechtliche Pflicht zum Tätigwerden entsteht. Die übernahme ist eine bloße Tatsache, die als solche die strafrechtlich erhebliche Gebundenheit nicht zu erklären vermag. Es bleibt mithin noch zu ergründen, weshalb nach der Rechtsordnung aus der tatsächlichen Gewährübernahme eine Rechtspflicht zum Handeln erwächst. Die Klärung ist nicht nur notwendig, um die Rechtsgrundlage der GarantensteIlung kraft übernahme aufzuzeigen, sondern auch, um - wie anfangs bereits angedeutet - das Garantenverhältnis hinlänglich eingrenzen zu können. 18
In der Rspr. etwa RGSt 39, 398; 58, 131; 64, 276; BGHSt 5, 187; BGH, 1961, 2068. Am Vertrag hält namentlich Baumann, a.a.O., S. 220, fest. Vgl. dazu OLG Celle, NJW 1961, 1940, Henkel, a.a.O., S. 185.
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Ehe jedoch diesem Problemkreis nachgegangen werden kann, gilt es zuvor, die Einwände gegen den Vertrag als Entstehungsgrund für ein Garantenverhältnis auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen. Auf den ersten Blick scheint nämlich ein Zurückgreifen auf den Vertrag näher zu liegen, weil sich der eine Vertragspartner mit dem Vertragsabschluß zur Abwehr von Gefahren verpflichtet, nicht aber die Person, die lediglich einen solchen Aufgabenkreis tatsächlich übernimmt. Die verbindliche Kraft des Vertrages ist denn auch das entscheidende Argument für denjenigen, der am Vertrag als konstitutivem Merkmal der Garantenstellung festhält. Die Rechtsverbindlichkeit, die nach der allgemeinen Rechtsordnung den Verträgen neben den Rechtsnormen innewohnt, soll sich auch auf den strafrechtlichen Sektor erstrecken. Wenn die Sorge für eine Person oder ein Rechtsgut allgemein durch eine Rechtsnorm bestimmten Personen übertragen werden könne, so wird gefolgertlU, dann müsse ebenfalls eine rechtsgeschäftliche übertragung auf Einzelpersonen möglich und mit der gleichen Wirkung ausgestattet sein. Indessen sieht man sich, um untragbare Ergebnisse zu vermeiden, zu einer wesentlichen Einschränkung gezwungen. Vor Eintritt der Gefahrenlage soll der vertraglich Gebundene sich jederzeit seiner Verpflichtung wirksam entledigen und seine Garantenstellung aufheben können, selbst wenn das Verhalten dem Vertrag zuwidcdäuft2o • Gedacht ist hierbei u. a. an die Fälle, in denen das Kindermädchen seinen Dienst vertragswidrig nicht antritt oder der Bergführer der Bergbesteigung fernbleibt. Man hat erkannt, daß etwa der Bergführer trotz der Vertragsverletzung unmöglich als Garant die Verantwortung für den ohne ihn aufgestiegenen Touristen tragen kann. Mit der Einschränkung gibt man jedoch den Gesichtspunkt der vertraglichen Verbindlichkeit als Entstehungsgrund für das Garantenverhältnis preis. Einem Vertrag, der ohne weiteres gebrochen werden kann, läßt sich schwerlich eine Bindungswirkung zuerkennen, aus der ein strafrechtliches Einstehenmüssen für nichtabgewendete Erfolge hervorgeht. Man sucht vergebens nach einem rechtfertigenden Grund dafür, warum der Eintritt der Gefahrenlage die entscheidende Wende für die strafrechtlich verbindliche Kraft des Vertrages bringen soll. Man könnte ihn allenfalls darin erblicken, daß eine Pfiichtenaufgabe zur Unzeit keine rechtliche Anerkennung verdiene und demgemäß das Garantenverhältnis unangetastet lasse. Aber läßt sich das aus der Verbindlichkeit des Vertrages erklären? Greift insoweit nicht ein anderer Gesichtspunkt Platz? Das wird insbesondere deutlich bei Fällen, in denen sich jemand erst nach Entstehen einer Gefahrenlage verpflichtet, nachteilige Folgen zu verhindern. Man denke an die gegen Entgelt übernommene Aufgabe, 11
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So Bauman, a.a.O. Baumann, a.a.O.
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den nachfolgenden Kraftfahrzeugverkehr vor einem Hindernis auf der Fahrbahn (stehengebliebenes Fahrzeug, abgerutschte Ladung) bis zu dessen Beseitigung zu warnen. Sagt sich der rechtsgeschäftlich Verpflichtete vom Vertrag zu einem Zeitpunkt los, in dem der Vertragspartner selbst noch die erforderlichen Abwehrmaßnahmen treffen kann, so versagt der Gesichtspunkt der Pflichtenaufgabe zur Unzeit. Ein anderer einleuchtender Grund, der den Gesichtspunkt der unzeitigen Pflichtenaufgabe ersetzt oder ergänzt und nach dem der Verpflichtete dennoch für nachträglich durch den Gefahrenherd verursachte Erfolge zu haften hat, ist nicht ersichtlich. Weshalb soll der Verpflichtete sich schlechter stehen als jemand, der vor Eintritt der Gefahrenlage vertragsbrüchig wird? Stellt man auf die Pflichtenaufgabe zur Unzeit ab, so kommt als maßgebliche Gefahrensituation der Umstand in Betracht, daß sich der Vertragspartner auf Grund der Zusage einer Tätigkeit zugewandt hat, die ihn an der Warnung des nachfolgenden Verkehrs hindert. Die Garantenstellung kann unter diesem Aspekt aber nicht in der Verbindlichkeit des Vertrages wurzeln. Vielmehr gründet sie sich auf das Gefahrenmoment, das jemand mit seiner Zusage hervorruft!1. Welch geringe Bedeutung die vertragliche Bindung überhaupt für das Garantenproblem besitzen kann, zeigt sich, wenn man die vertragliche Vereinbarung durch eine unverbindlic.lte Zusage ersetzt. Wer sich aus bloßer Gefälligkeit vor einem Verkehrshindernis aufstellt, um andere Verkehrsteilnehmer zu warnen, kann in gleicher Weise wie bei vertraglichen Abmachungen den eigentlich Verantwortlichen von eigenen Sicherungsvorkehrungen abhalten und damit eine Gefahrensituation auslösen2:. Er muß folglich für etwaige Fehlleistungen ebenso einstehen wie ein rechtsgeschäftlich Gebundener. Die für unumgänglich erachtete Einschränkung offenbart also mit aller Deutlichkeit die Unabhängigkeit der strafrechtlichen Haftung von vertraglichen Bindungen. Mit ihr enthüllt sich die Unhaltbarkeit des Ausgangspunktes für die Anerkennung des Vertrages als Rechtsgrundlage für ein Garantenverhältnis (Gleichstellung des Vertrages mit Rechtsnormen). Eine rechtsgeschäftliche Schutzübertragung, die sich im Widerspruch zur allgemeinen Rechtsordnung ohne nachteilige strafrechtliche Folgen mißachten läßt, kann keinesfalls mit der gleichen 11 Dieser Auffassung steht die These Mezgers nahe, nach der die strafrechtliche Haftung deswegen eintritt, "weil sich der Vertragsgegner auf die zugesagte Hilfe verläßt und im Vertrauen darauf andere Sicherung unterläßt" (a.a.O., S. 144). Allerdings hat Mezger, anstatt sich vollends vom Vertrag freizumachen, mit seiner These lediglich die vertragliche Pflicht als Grundlage für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit einschränken wollen. In Wirklichkeit aber hat er mit seinem Gedankengang den Vertrag als Grundlage einer Rechtspfticht fallen lassen (so zutreffend Grebe, Die Rechtspfticht zum Handeln bei den sog. unechten Unterlassungsdelikten, Diss. Münster 1936, S.46). !2 Man vergleiche etwa den vom BGH entschiedenen Fall in VRS 17, 424.
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strafrechtlichen Wirkung wie die Schutzübertragung durch Rechtsnormen ausgestattet sein. Gleiche Wirkung käme dem Vertrag höchstens zu, wenn Verstöße gegen seine Gebote ohne Einschränkung den Verstößen gegen Normgebote gleichstünden. Daß diese völlige Gleichstellung aber schlechterdings indiskutabel ist, bedarf angesichts der bereits erwähnten Fälle (Kindermädchen, Bergführer) keiner näheren Ausführung. Gegen den Vertrag als Grundlage einer Gebotspflicht, dessen Verletzung den Zuwiderhandlungen gegen Verbotsnormen gleichkommt, spricht überdies, daß mit der Strafe ein kriminelles Fehlverhalten beantwortet werden soll. Dem kriminellen Bereich läßt sich eine Vertragsverletzung - für sich gesehen - nicht zuordnen, auch dann nicht, wenn sich die vertraglichen Obliegenheiten auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter erstrecken. Es ist demzufolge der überwiegenden Meinung zuzustimmen, nach der die vertragliche Bindung für die strafrechtliche Haftungsfrage irrelevant ist. Der Vertragsschluß schafft unmittelbar zwar schuldrechtliche Verpflichtungen, jedoch keine strafrechtlich erheblichen Rechtspftichten zum Handeln. Hat man sich vom Vertrag freigemacht, so spitzt sich das Haftungsproblem auf die Frage zu, warum an die Stelle des Vertrages die tatsächliche Übernahme einer Schutz- oder überwachungsposition zu treten hat. Ohne die Beantwortung dieser Frage bleibt das Garantenverhältnis, das auf der tatsächlichen übernahme fußt, ein unsicherer strafbegründender Faktor, der keinerlei Gewähr für richtige Lösungen bietet. Wie wenig es berechtigt ist, sich mit der tatsächlichen Übernahme der Sorge für ein Rechtsgut zufriedenzugeben, vermittelt ein Blick auf Hilfeleistungen bei Unglücksfällen. Der Wanderer, der an einsamer Stelle auf einen Verunglückten stößt und ihn mit dem Willen und dem Versprechen verläßt, sofort die erforderliche Hilfe herbeizuholen, hat tatsächlich durchaus die Sorge für den Verunglückten übernommen23 • Gleichwohl wäre es verfehlt, ihn zum Garanten zu stempeln und ihn 23 Der Wandererfall ist dem Beitrag Traegers in den Festgaben für Ludwig Enneccerus entnommen. Traeger hat ihn unter dem Gesichtspunkt vertraglicher Verantwortlichkeit erörtert (a.a.O., S. 87). Das Rechtsempfinden, dem es widerstrebt, den Wanderer gleich einem Verursacher der Tötung zu behandeln und ihn wegen eines Tötungsdelikts zu bestrafen, hat er damit zu beruhigen versucht, daß er in dem Versprechen, Hilfe zu holen, regelmäßig nur eine unverbindliche Zusage, nicht aber die übernahme einer Rechtspflicht hat erblicken wollen. Indessen läßt sich die Sachlage durchaus so denken, daß eine vertragliche und damit verbindliche Zusage unzweifelhaft ist. Wer den Vertrag weiterhin als Rechtsgrundlage für ein Garantenverhältnis anerkennen will, müßte die -Garanteneigenschaft beim Wanderer annehmen, zumal die Möglichkeit, durch Pflichtenaufgabe die GarantensteIlung aufzuheben, angesichts der bestehenden Gefahrenlage ausscheidet. Hier zeigt sich wiederum die Fragwürdigkeit, den Vertrag als Garantenquelle anzusehen. Soll wirklich die rechtsgeschäftliche Zusage eine so gewaltige Verschärfung in der strafrechtlichen Haftbarkeit gegenüber dem unverbindlichen Versprechen zur Folge haben?
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wegen Tötung durch Unterlassen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn er das übernommene nicht oder säumig durchführt und der Verunglückte infolgedessen stirbt24 • Sonst käme der Wanderer bei weitem besser weg, der von vornherein sich einer Hilfeleistung enthält; ihn würde nur die Haftung nach § 330 c StGB treffen. Wer anfangs guten Willens war, hat aber deswegen keine schärfere Behandlung verdient25 • Entsprechendes trifft für den Spaziergänger zu, der ein kleines Kind unbeaufsichtigt beim Spielen an einem Teich vorfindet. Bleibt er in der Nähe, um notfalls sofort eingreifen zu können, so kann er allein auf Grund der übernommenen Wache noch nicht zum Garanten für das Wohl des Kindes werden28 • Abgesehen vom Fehlen einer in der Rechtsordnung verankerten Aufsichtspflicht gegenüber dem Kind machen auch hier die etwaigen Konsequenzen das Widersinnige eines gegenteiligen Standpunktes offenbar. Ist der Spaziergänger eine Minute lang unaufmerksam und fällt in diesem Augenblick das Kind ins Wasser und ertrinkt es dann, so hätte er sich bei der Annahme einer Garantenstellung wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Ein unaufmerksamer Spaziergänger hingegen, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst vorbeikommt, würde straflos ausgehen. Das hieße, jemanden lediglich wegen eines anerkennenswerten Verhaltens ein Mehr an VerantwortHchkeit aufbürden, ein "Lohn", der gegen sich selbst spricht. Beim überwachen eines Gefahrenherdes ist übrigens gleichermaßen zu entscheiden. Wer ein Verkehrshindernis entdeckt und Verkehrsteilnehmer hiervor warnt, hat deswegen noch keine GarantensteIlung erlangt, die ihm auferlegt, in seinem Wirken fortzufahren. Die angeführten Beispiele lassen bereits zur Genüge erkennen, daß zur tatsächlichen übernahme einer Schutz- oder überwachungsposition noch ein zusätzliches Moment hinzutreten muß, damit ein Garantenverhältnis entsteht. Für sich allein reicht die Übernahme eines Pflichtenkreises, wie OLG Celle2 7 völlig zu Recht bemerkt hat, zur Begründung einer Garantenstellung nicht aus. OLG Celle hat sich demgemäß beZum gleichen Ergebnis ist Mezger, a.a.O., S. 144/5 - im Anschluß an in dem Fall gelangt, in dem jemand mit künstlichen Atembewegungen an einem Halbertrunkenen begonnen hat. Nach ihm soll der Rettungsversuch nicht zur Fortsetzung der Bemühungen verpflichten, es sei denn, die Gefahr für den Verunglückten werde durch das Eingreifen gesteigert. Vgl. auch v. Buri, ZStW 1. 412; Kohler, Studien aus dem Strafrecht I, 1890, S. 59; Sauer, Grundlagen des Strafrechts, 1921, S. 461, die schon vorher entsprechende Ansichten vertreten haben. 25 Ob die Rechtslage ebenso zu würdigen ist, wenn der Verunglückte im Vertrauen auf die Zusage anderweitige Hilfe als unnötig zurückweist, mag an dieser Stelle auf sich beruhen. Hierauf wird noch zurückzukommen sein. ZB Die Rechtslage ändert sich, wenn andere Spaziergänger jegliches Eingreifen unterlassen, weil sie das gefährdete Kind beaufsichtigt wähnen. 27 NJW 1961, 1940. Vgl. auch BayObLG, NJW 1953, 556, das mit Recht abgelehnt hat, aus der bloßen Hilfeleistung eine Obhuts- und Fürsorgepflicht i. S. des § 221 StGB abzuleiten. !4
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müht, ergänzende Kriterien herauszustellen. Nach ihm muß die übernahme eines Pflichtenkreises "zu einer sozialethischen Gebundenheit führen, die auf verschiedenen Gründen, vornehmlich der Schaffung einer Vertrauenslage, beruhen kann und zur Folge hat, daß die Rechtsordnung der Stellung eine Schutzfunktion zuzuweisen vermag." Wesentlich soll sein, ob es sich um eine mehr oder minder mit Eigenverantwortlichkeit ausgestattete Schutzaufgabe gegenüber anderen handelt. Mit dieser Ergänzung ist freilich nur wenig erreicht. Sie liefert keinerlei feste Maßstäbe, nach denen sich der Garantenkreis kraft Übernahme annähernd genau abstecken läßt28 • Es bleibt weithin ungewiß, welche Umstände die sozialethische Gebundenheit nach sich ziehen und die Übernahme einer Schutz- oder überwachungsposition zu einem rechtlich verfestigten Pflichtenbereich erstarken lassen. Sogar der beispielhaft erwähnte Grund - die Schaffung einer Vertrauenslage gibt nicht ohne weiteres einen derartigen Umstand ab. Vertrauen kann auch der Verunglückte zu dem Wanderer hegen, der versprochen hat, unverzüglich Hilfe herbeizuholen. Trotz der hier geschaffenen Vertrauenslage besteht keinerlei Anlaß, mit der im vorherigen Absatz bekundeten Ansicht zu brechen und den Wanderer in eine GarantensteIlung einzuweisen. Der Rechtsordnung läßt sich nirgends entnehmen, daß schon das Herstellen einer Vertrauenslage als solches besondere Rechtspflichten erzeugt. Mit dem Kriterium "Schaffung einer Vertrauenslage" ist das Ziel jedoch einen Schritt näher gerückt. Man ist lediglich, sofern man sich auf die Vertrauenslage beschränkt, nicht weit genug vorgestoßen. Vielmehr ist es notwendig, das Verhalten des Vertrauenden in die Betrachtung einzuschließen2'. Wer sich darauf verläßt, daß ein anderer (eventuell) auftretenden Gefahren entgegenwirkt und etwaige schädliche Folgen verhindert, wird oftmals sein eigenes Verhalten danach einrichten. Er wird möglicherweise besondere Gefahren auf sich nehmen, von persönlichen Maßnahmen zum Schutze seiner Habe absehen oder es !8 An dieser Schwäche leidet gleichfalls die Ansicht Vogts, ZStW 63, 401, bei der übernahme der Sorge für ein Rechtsgut erzeuge ganz allein die "tatsächliche Begründung der sozialen Verbundenheit" die Pflicht zum Handeln. Der Möglichkeit, den Garantenkreis auf bloße sittliche Pflichten auszudehnen oder reine Gefühlsentscheidungen zu fällen, sind damit praktisch Tür und Tor geöffnet. Was heißt nämlich "soziale Verbundenheit"? Wann entsteht sie? Wann endet sie? U Andeutungen in diese Richtung enthält das in GA 1963, 16 veröffentlichte BGH-Urteil vom 20. 11. 1961. Der BGH stellt in ihm heraus, daß die Insassin eines Kraftfahrzeuges sich nur im Vertrauen auf das Versprechen eines Mitfahrenden, für eine unmittelbare Heimfahrt zu sorgen, zur Teilnahme an der Fahrt bereitgefunden hat. Allerdings begnügt er sich anschließend damit, aus der Vertrauensstellung des Mitfahrenden eine Rechtspflicht herzuleiten, den Fahrzeuglenker zum Anhalten aufzufordern, als dieser überraschend von der Straße abgebogen war (Freiheitsberaubung durch Unterlassen).
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unterlassen, sonstige Mitmenschen zum Schutze seiner Person oder seines Eigentums heranzuziehen. Hat er selbst auf Rechtsgüter anderer Personen zu achten oder eine Gefahrenstelle abzuschirmen, so wird er sich während der Zeit, in der ein Dritter ihm die Sorge abnimmt, anderen Dingen zuwenden, wie etwa die Eltern, die ihr Kind der Nachbarin anvertrauen und wäHrenddessen berufliche Aufgaben wahrnehmen, einkaufen oder ins Theater gehen. Denkbar ist ferner, daß jemand, der trotz fehlender Rechtspflicht hilfswillig ist, nur deswegen von einem Eingreifen zugunsten eines Gefährdeten Abstand nimmt, weil er aus dem Verhalten eines anderen schließt, dieser werde die erforderliche Hilfe leisten. Die übernahme einer Schutz- oder Überwachungsposition zeitigt also in der Regel bestimmte Wirkungen für ein Rechtsgut. Sie kann den Rechtsgutträger zu einem rechtsgutgefährdenden Handeln veranlassen, sie kann Schutzpflichtige oder Schutzbereite davon abhalten, den erforderlichen Rechtsgüterschutz in eigener Person zu gewähren bzw. einen Dritten mit der Rechtsgutsicherung zu beauftragen, oder Personen, die eine Gefahrenquelle überwachen, zum Verlassen ihres Postens verleiten. In solchen Fällen hat die Übernahme des Rechtsgutschutzes bzw. der überwachung eines Gefahrenherdes ein Gefahrenmoment bewirkt, das geeignet ist, sich zu einem schädlichen Erfolg auszuweiten. Die Übernahme ähnelt insofern dem vorausgegangenen gefahrbegründenden Tun30• Es liegt infolgedessen nahe, beide Garantenverhältnisse auf eine gemeinsame Rechtsquelle zurückzuführen. Beim vorausgegangenen Tun wird, sofern man überhaupt eine Begründung beibringt und sich zudem nicht auf - fragwürdiges 31 - Gewohnheitsrecht beruft, die rechtliche Verpflichtung, drohende Schäden zu vereiteln, aus der Strafrechtsordnung selbst hergeleitet, nämlich aus dem gesetzlichen Verbot, andere zu verletzen. Dieses Verbot soll zugleich das Gebot enthalten, selbstgeschaffene Gefahren zu beseitigen, wenn aus ihnen die Verletzung fremder Rechtsgüter droht32 • D. h., wer in einer gefahrgeneigten 80 Zutreffend hat daher OLG Celle, a.a.O., die tatsächliche übernahme eines Pflichtenkreises als von den sog. Ingerenzfällen "vorausgegangenes Tun" kaum wesensverschieden bezeichnet. Der Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Tun wird gleichfalls von Welzel hervorgehoben (Das deutsch.e Strafrecht, 9. Aufl., 1965, S. 194). VgI. ferner Baumann, a.a.O., S. 221, der immerhin eine vertragslose Pflichtenübernahme dem vorausgegangenen Tun gleichstellen will. 81 Fragwürdig sowohl als rechtlicher Ansatzpunkt wie auch als inhaltsbestimmender Maßstab. 31 So SchönkelSchröder, RN 119 Vorbem. vor § 1. VgI. außerdem E. A. Woltt. Kausalität von Tun und Unterlassen, 1965, S. 42 f., der jedoch einschränkend auf ein rechtswidriges vorausgegangenes Handeln abstellt und überdies meint, die Ableitung aus den Verbotsvorschriften genüge allein nicht, sie müsse noch durch ein weiteres Moment ergänzt werden, das sich aus der tatsächlichen übung und der "Rechtsüberzeugung" ergebe.
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Weise eine Ursache zu einem widerrechtlichen Erfolg setzt, darf nicht dem sich daraus entwickelnden Kausalgeschehen seinen Lauf lassen und tatenlos zusehen, wie aus dem vorherigen gefährdenden Verhalten verbotswidrig ein Erfolg hervorgeht. Er hat vielmehr in den Kausalverlauf, der auf den widerrechtlichen Erfolg zusteuert, einzugreifen und den drohenden Schaden abzuwenden. Das' Verletzungsverbot wandelt sich demgemäß für den Urheber einer gefährlichen Situation in ein Verhinderungsgebot, wenn auch Haftungsgrundlage weiterhin das Verletzungsverbot bleibt. Ist das richtig - und hiergegen lassen sich im Prinzip 33 keine durchgreüenden Bedenken anmelden -, so muß Entsprechendes für die übernahme der Verantwortung für ein Rechtsgut oder eine Gefahrenquelle gelten. Wer mit der übernahme derartiger Aufgaben ein Gefahrenmoment herbeüührt, setzt sich in gleicher Weise in Widerspruch zu einem Verletzungsverbot, wenn er seinen Beitrag zur Gefährdung eines Rechtsguts sich frei entfalten läßt und tatenlos zusieht, wie sich infolge des von ihm bewirkten Gefahrenmomentes ein verbotswidriger Erfolg einstellt. Das Verletzungsverbot muß sich daher auch für ihn in ein Verhinderungsgebot umformen. Freilich - und insoweit bedarf es eines Vorbehalts - kann das Verhinderungsgebot ebensowenig wie beim vorausgegangenen Tun sämtliche Erfolge umfassen, die irgendwie mit dem Gefahrenmoment ursächlich zusammenhängen. Es kann sich, will man die Verbotsvorschriften nicht über Gebühr ausdehnen34 , nur auf nahe liegende Erfolge erstrecken. Beim vorausgegangenen Tun hat man dementsprechend die Herbeiführung einer nahen Gefahr für den Eintritt eines Schadens gefordert 35 • Dem vergleichbar ist bei der übernahme nur das Gefahrenmoment für Rechtsgüter, deren Schutz gewährleistet werden sollss. Denn allein diese Rechtsgüter werden im Vertrauen auf die Übernahme gewissen Gefahren anheimgegeben. Wer also den Schutz eines Rechtsgutes oder die überwachung einer Gefahrenquelle übernimmt, hat mithin dafür zu sorgen, daß auf Grund des mit der übernahme verbundenen Gefahrenmomentes keine Schäden für solche fremden Rechtsgüter entstehen, deren Schutz ihm in die Hand gelegt worden ist. 33 Manche Einzelpunkte sind freilich ebenso wie bei den sonstigen Garantengruppen klärungsbedürftig. Wie im einzelnen das vorausgegangene Tun beschaffen sein muß, damit aus ihm eine Rechtspflicht zum Handeln entspringt, muß hier indes offen bleiben. 34 Hingewiesen sei auf die Mahnung Welzels in JZ 1960,180, die Formel von der Garantenpflicht aus vorausgegangenem Tun nicht zur Haftungsgrundlage für alles werden zu lassen, was sich irgendwie im kausalen Gefolge an das vorausgegangene Tun anschließt. 35 Vgl. dazu SchönkelSchröder, a.a.O., RN 120, mit weiteren Nachweisen. 38 Maurach, Deutsches Strafrecht, AT, 3. Aufl., 1965, S. 515, schränkt die Garantenpflicht bei der übernahme auf adäquate Gefahren ein, dürfte hiermit aber, wie das angeführte Beispiel des Bankiers nahelegt, die Gefahren für Rechtsgüter meinen, deren Schutz übernommen worden ist.
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Die Parallele zum vorausgegangenen Tun wird besonders augenscheinlich beim Verleiten zu einem rechtsgutgefährdenden Handeln. Wer eine verkehrsunsichere Person mit der Zusage, sie sicher über eine stark befahrene Straße zu geleiten, zum Betreten der Fahrbahn ermutigt, hat sie in Lebens- oder Leibesgefahr gebracht. Er darf sie daher nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, sondern muß verhüten, daß die Gefahr zu einem schädlichen Erfolg auswächst37• Ob die übernahme des Schutzes oder ein sonstiges Verhalten - jemand verabreicht z. B. einem Unerfahrenen oder Zurechnungsunfähigen erhebliche Mengen Alkohol - einen Gefahrenzustand auslöst, kann rechtlich keinen Unterschied begründen. Im übrigen läßt auch der Vergleich mit einem Schadensereignis, das auf Täuschung beruht, erkennen, daß einem Verletzungsverbot ein Erfolgsabwendungsgebot immanent sein muß. Wer einen Nichtschwimmer mit der bewußt unwahren Behauptung, er finde überall Grund, zum Baden überredet, ist für den infolge Ertrinkens eintretenden Tod verantwortlich. Ebenso beurteilt sich die Rechtslage, wenn der Nichtschwimmer dadurch zum Baden ermuntert wird, daß sich ein anderer mit einem Boot in unmittelbarer Nähe aufhält, die Schutzbereitschaft aber nur vortäuscht. Es kann dann nicht anders sein, wenn die Schutzbereitschaft anfangs tatsächlich vorhanden war, der Schutzbereite sich nachher jedoch in Widerspruch dazu verhält und untätig bleibt. Aber auch in den weiteren Fällen der Gewährubernahme ist, soweit ein Gefahrenmoment hervorgerufen wird, die Wesensgleichheit mit dem vorausgegangenen Tun unverkennbar. Der übernahme folgt hier zwar kein Handeln, das unmittelbar ein Rechtsgut gefährdet. Wirkungsmäßig entspricht ihm jedoch das Gefahrenmoment, das im (zeitweiligen) Preisgeben einer Schutz- oder Überwachungsposition oder im Verzicht auf ihre anderweitige Besetzung steckt. Denn letzten Endes bleibt es sich gleich, ob ein etwaiger Schaden auf Grund einer gefährlichen Tätigkeit einzutreten droht oder ob auf Grund des Ausfalls eines "gefahrneutralisierenden Gegenmittels". Das bedeutet mithin: wer mit der übernahme einer Schutz- oder überwachungsaufgabe einen anderen ver anlaßt, diese aus der Hand zu geben oder von Hilfsmaßnahmen abzusehen, ist rechtlich verpflichtet, die von ihm verursachte Lücke auch wirklich auszufüllen und im Falle eines drohenden Schadens einzuschreiten. Die Richtigkeit der Ansicht bestätigt auch hier der Vergleich mit einer Täuschungshandlung, die einen Schaden verursacht. Wer einen Handlungswilligen von einer Rettungsaktion mittels Täuschung über ihre Erforderlichkeit abhält, haftet für den sich daraufhin einstellenden Erfolg. Als Beispiel mag folgender abgekürzter Examensfall38 dienen: Im Ergebnis daher richtig OLG Hamm, VRS 12, 45. Mitgeteilt und besprochen von Arthur Kaufmann und Hassemer in JuS 1964, S. 151 ff. 37
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"x hat B in Notwehr niedergestochen. Spaziergänger, die nachträglich an den Tatort kommen, bestimmt X mit der wissentlich unwahren Behauptung, B sei tot und er, X, werde umgehend die Polizei unterrichten, keine Schritte zur Rettung des schwerverletzten B zu unternehmen. B stirbt nach geraumer Zeit am Ort des Überfalls. Durch Benachrichtigung einer Rotkreuzstelle im nahen Städtchen hätte er gerettet werden können." Für den Tod des B hat X als Täter einzustehen39 • Gleichermaßen wäre er als Täter zu behandeln, wenn er die Spaziergänger zum Nichteinschreiten bestimmt, indem er mit dem Zuruf, er hole unverzüglich Hilfe herbei, davon eilt, ohne seine Ankündigung wahrmachen zu wollen. Entsprechendes muß dann gelten, wenn sich X erst später eines anderen besinnt und seine Hilfsaktion abbricht. Maßgebliches Kriterium für eine GarantensteIlung kraft Übernahme ist demnach das Hervorrufen eines Gefahrenmomentes4o, das darin besteht, daß andere Personen im Vertrauen auf die Übernahme des Rechtsgüterschutzes bzw. der Überwachung eines Gefahrenherdes entweder rechtsgutgefährdend handeln oder eigene Schutz- bzw. Überwachungsmaßnahmen unterlassenu. Gänzlich belanglos ist insoweit, wie die Übernahme zustande gekommen ist, ob auf Grund eines wirksamen Vertrages, eines nichtigen Rechtsgeschäftes oder aus reiner Gefälligkeit. Der bezahlte "Babysitter" vermag in der Regel nicht mehr Vertrauen zu erwecken als die gefällige Bekannte, die während der Abwesenheit der Eltern das Kind betreut. Entscheidend sind also allein die Auswirkungen einer P1lichtenübernahme4Z • Ist sie ohne Einfluß auf das Verhalten anderer Personen, so kann ihr mangels eines Gefahrenmomentes, das auf sie zurückgeht, keine GarantensteIlung entspringen. Diese Einschränkung mag bei vereinbarter Pflichtenübernahme bisweilen Bedenken erwecken, zumal der Nachweis des Einflusses auf die 38 So im Ergebnis zutreffend KaufmannlHassemer, a.a.O., S. 156 f. Ob mit ihnen unmittelbare Täterschaft durch Unterlassen oder, wie ich es für richtig halte, unmittelbare Täterschaft durch positives Tun anzunehmen ist, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden. Vgl. dazu SchönkelSchröder, RN 37 Vorbem. vor § 47. 40 Ohne nähere Begründung ebenso Maurach, a.a.O., S. 515: übernahme der Pflicht muß zu einer tatsächlichen Gefahrenbegründung oder -steigerung geführt haben. U Zutreffend daher GaHas, Die strafrechUiche Verantwortlichkeit der am Bau Beteiligten, 1963, S. 40 ff., soweit er bei der Frage, ob und wieweit ein Architekt mit der Aufsicht über eine Bauausführung eine Garantenfunktion zugunsten der durch die Baugefahren bedrohten Personen erlangt hat, an die Auswirkungen der Pflichtenübernahme auf das Verhalten des Bauherrn anknüpft. 42 Und zwar das sei zur Klarstellung wiederholt - die Auswirkungen auf solche Rechtsgüter, deren Schutz übernommen worden ist. Für andere Gefahrenmomente im Zusammenhang mit der übernahme hat der Verpflichtete nicht aufzukommen. Verlassen etwa die Kindeseltern im Vertrauen auf den "Babysitter" ihre Wohnung, so hat dieser deswegen noch keineswegs einem Einbrecher entgegenzutreten. Anders ist es, wenn dem "Babysitter" gleichzeitig der Schutz der Wohnung anvertraut worden ist.
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Handlungsweise eines Dritten Schwierigkeiten bereiten kann. Es sei nicht einzusehen, so hat in der Tat Traeger 43 das Rechtsgefühl angerufen, warum der in einer Fabrik angestellte Aufsichtsposten von der strafrechtlichen Verantwortung für einen fahrlässig nicht verhinderten Erfolg ausgeschlossen sein soll, wenn eine andere geeignete Person gar nicht aufzutreiben gewesen wäre und der Betrieb dennoch seinen Fortgang genommen hätte. Gegen eine Einschränkung wendet sich desgleichen H. Mayer4 4 unter Hinweis auf einen Strandwärter, den eine Badeverwaltung ausschließlich aus sozialen Gründen einige Tage länger beschäftigt. Der Strandwärter soll als Garant gehalten sein, ein ertrinkendes Kind zu retten, auch wenn die Eltern des Kindes von dem Dasein des Strandwärters gar nichts wußten (und - so dürfte H. Mayer zu verstehen sein - die Badeverwaltung ohne die Vertragsverlängerung den Strand unbewacht gelassen hätte). Indes läßt sich dem entgegenhalten, daß die vereinbarte Ptlichtenübernahme, die das Verhalten anderer unberührt läßt, in strafrechtlicher Hinsicht der Schutzübernahme gleichkommt, von der niemand etwas bemerkt45 • Bei der unbemerkten Schutzübernahme widerstrebt es aber dem Rechtsempfinden, dem Schutzwilligen eine Garantenstellung aufzubürden. Es sei nur an das bereits erwähnte Beispiel des Spaziergängers erinnert, der ein Kind unbeaufsichtigt beim Spielen an einem Teich vorfindet und schutzbereit in der Nähe verbleibt. Im übrigen ließe sich, wäre Traeger und H. Mayer zuzustimmen, in der Frage der Haftbarkeit ein Unterschied zwischen vertraglicher Bindung und tatsächlicher Ptlichtenübernahme nicht mehr rechtfertigen. Weshalb sollte der vertragswidrig zu Hause gebliebene Aufsichtsposten bzw. Strandwärter der Haftung entgehen, hingegen nicht der Aufsichtsposten bzw. Strandwärter, der auf seinem Beobachtungsstand einschläft? Nach den Auswirkungen einer Ptlichtenübernahme richten sich ebenfalls Beginn und Ende des Garantenverhältnisses. Seinen Anfang nimmt es demzufolge in dem Augenblick, in dem die genannten Wirkungen eintreten. Das ist im allgemeinen erst der Fall, wenn der Übernehmende seinen Posten tatsächlich bezogen hat. Es muß jedoch nicht so sein. Auch unabhängig davon kann das Gefahrenmoment einsetzen, wie etwa, wenn die Nachbarin den Kindeseltern fest zusichert, ihrem kranken Kind zu einer bestimmten Stunde die ärztlich verschriebene U 44
a.a.O., S. 86 f. AT, S. 117. Ebenso bereits im "Strafrecht des Deutschen Volkes", 1936,
S.174.
46 Beispiel: Eltern gehen für mehrere Stunden fort und lassen ihr kleines Kind allein in der Wohnung zurück. Unterwegs treffen sie zufällig ihre Nachbarin. Sie bitten sie vorsorglich, nach dem Kind zu sehen. Die Nachbarin erklärt sich dazu bereit. Da sie mit ihrer Zusage das Gefahrenmoment, das der Abwesenheit der Eltern anhaftet, weder erregt noch vergrößert hat, gleicht die Lage der Schutzübernahme ohne Wissen der Eltern. Die Nachbarin kann mithin für das Wohl des Kindes nicht verantwortlich geworden sein.
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Arznei einzuflößen, und die Eltern im Vertrauen darauf schon vor Erscheinen der Nachbarin das Haus verlassen. Ähnlich verhält es sich beim Bereitschaftsarzt. Auf Grund der Zusage, den Bereitschaftsdienst zu versehen, rückt er mit dem festgelegten Zeitpunkt in eine GarantensteIlung ein, gleichgültig, ob seine Bereitschaft zu dieser Zeit überhaupt noch vorhanden ist48 • Denn die mit der Zusage verknüpften Wirkungen - Nichtbestellung eines anderen Bereitschaftsarztes, Einschränkung der Pflichten anderer Ärzte gegenüber ihren Patienten für die Dauer des Bereitschaftsdienstes47 - lassen sich nicht ohne weiteres rückgängig machen. Es ist daher ungenau, wenn die h. M. das Entstehen der GarantensteIlung an die" tatsächliche Aufnahme vertraglicher Pflichten", an die "tatsächliche übernahme der PflichtensteIlung" oder an die "tatsächliche übernahme der Gefahrenabwehr" anlehnt. Das tatsächliche Bereitstehen muß nicht einmal spätester Zeitpunkt für den Beginn eines Garantenverhältnisses sein. Ist in diesem Augenblick das zu steuernde Gefahrenmoment noch zu erwarten, so verschiebt sich der Beginn bis zu seinem Eintreten48 • Wer sich in einem Boot bereit hält, um auf einen Badenden Obacht zu geben, trägt keine besondere Verantwortung für dessen Wohl, solange dieser sich an Land befindet. Ihm obliegt, sollte dort der zu schützenden Person etwas zustoßen, nur eine allgemeine Hilfeleistungspflicht gemäß § 330 c 8tGB. Das Kindermädchen gelangt nicht unbedingt sofort mit Dienstantritt in eine GarantensteIlung, sondern erst, wenn ihm die Obhut über das Kind übertragen worden ist. Das Garantenverhältnis endet, sobald das hervorgerufene Gefahrenmoment entfällt, im soeben genannten Beispiel der Badeaufsicht also, 48 Es sei denn, er habe seine Willensänderung zuvor rechtzeitig in der erforderlichen Weise mitgeteilt, so daß ein anderer Bereitschaftsarzt bestellt werden kann. 41 Siehe dazu BGHSt 7,211. 48 Ebenso Welzel, Lehrb., 8. Aufi., 1963, S. 189. In der 9. Aufi., 1965, hat Welzel bedauerlicherweise den entscheidenden Satzteil gestrichen und statt dessen auf S. 194 lediglich die Möglichkeit eingeräumt, vertragswidrig, strafrechtlich aber gleichwohl wirksam, die Pflichtenstellung vor Eintritt der Gefahr aufzugeben. Unklar ist hier, ob mit der "Pflichtenstellung" nur die zivilrechtliche oder auch die strafrechtliche gemeint ist. Der Unterschied tritt in dem von Welzel herangezogenen Beispiel des Bergführers hervor. Hat der Bergführer bereits vor Erreichen der Gefahrenzone eine strafrechtliche Garantenstellung, so ist er auf dem Wege dorthin für das Wohl des Touristen verantwortlich. Mit der Weigerung, weiterzugehen und die Gefahrenzone zu betreten, endet das Garantenverhältnis. Beginnt es hingegen, wie mir richtig erscheint, erst mit Betreten der Gefahrenzone, so ist er zuvor nur zur allgemeinen Hilfeleistung verpflichtet, wenn der Tourist verunglückt. Der vorzeitige Abbruch der übernommenen Führung läßt das Garantenverhältnis gar nicht erst entstehen. Vgl. dazu noch RoedeT, DStR 1941, 153: Von ein~in besonderen Pflichtenverhältnis kann erst dann gesprochen werden, wenn der Tourist in die gefährliche Lage kommt, in der er auf die Hilfe seines Führers angewiesen ist, nicht also etwa schon dann, wenn er sich noch auf dem bequemen, ganz ungefährlichen Anmarschweg zu dem auf den Gipfel führenden steilen Klettersteig beflndet.
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wenn der Badende wieder festen Boden unter den Füßen hat. Wer eine verkehrsunsichere Person über eine belebte Straße geleitet, hat mit Erreichen der gegenüberliegenden Straßenseite seine Aufgabe erfüllt. Der "Babysitter" ist aus seiner Garantenstellung entlassen, wenn die Eltern nach Hause gekommen sind. Das alles klingt an sich selbstverständlich, und es könnte daher als unnütz erscheinen, weitere Worte hierüber zu verlieren. Zu beachten ist indes, daß die Gefahr für ein Rechtsgut nicht schlechhin behoben sein muß, damit ein Garantenverhältnis als beendet zu betrachten ist. Entscheidend ist der Fortfall des sich auf die Übernahme gründenden Gefahrenmomentes. Sich daran anschließende Gefahrenmomente sind unerheblich, auch im Falle eines ursächlichen Zusammenhanges. Allein die ursächliche Verknüpfung rechtfertigt ein Fortbestehen des Garantenverhältnisses ebensowenig, wie die bloße Ursächlichkeit eines Verhaltens für den Eintritt einer Gefahr eine GarantensteIlung aus vorausgegangenem Tun zu erzeugen vermag'9. Der Bergführer, der Touristen bis zu einer bestimmten Höhe eines Berges zu begleiten hat und sich dort dem nunmehr geäußerten Wunsch verschließt, bis zum Gipfel vorzudringen, ist seiner GarantensteIlung enthoben, wenn die Touristen ohne ihn weiterklettern 5o • Die Nachbarin, die ein fremdes Kind betreut, ist nur bis zum Ablauf der vereinbarten Zeit Garant für das Kindeswohl, mögen auch die Eltern noch abwesend sein. Sie hat die Verspätung nicht veranlaßt. Die Eltern können vielleicht hoffen, die Nachbarin werde bis zu ihrer Rückkehr ausharren; sie können aber nicht darauf vertrauen. Aus dem letzten Beispiel darf indes nicht voreilig geschlossen werden, mit dem Verstreichen einer vereinbarten Zeit sei stets das Ende eines Garantenverhältnisses verbunden. Die Verhältnisse bei einer Gewährübernahme können durchaus eine andere Beurteilung bedingen. Haben etwa in einem Betrieb mehrere Arbeitnehmer nacheinander bestimmte Schutzoder Kontrolleinrichtungen zu bedienen, so darf dieser Posten im allgemeinen erst verlassen werden, wenn die Ablösung erschienen oder in sonstiger Weise dafür gesorgt ist, daß der Betrieb ungefährdet bleibt. Denn hier erschöpft sich die übernommene Aufgabe nicht darin, den Posten während der festgelegten Dienststunden ordnungsgemäß zu versehen. Sie schließt vielmehr zugleich die weitere Vorsorge für die Sicherung des Betriebes ein. Und hierauf baut der Unternehmer, der den Posten zuteilt. Ausschließlich nach dem bewirkten Gefahrenmoment richtet sich ferner, ob das vorzeitige Einstellen einer übernommenen Schutz- oder überwachungstätigkeit die GarantensteIlung beseitigt. Eine solche WirVgl. dazu oben S. 156. so Vgl. das ähnliche Beispiel bei Maurach, a.a.O., S. 515: Keine Haftung des Bergführers für den Unfall des Touristen, wenn dieser einen gefährlichen Weg gegen den Rat des Führers allein einschlägt. 4D
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kung läßt sich mit der Pflichtenaufgabe nur erzielen, wenn mit ihr das Gefahrenmoment ausgeschaltet wird. Bleibt es bestehen, setzt sich auch das Garantenverhältnis fort. Maßgebend ist hierfür, ob, wann und inwieweit die Personen, die auf die Übernahme vertraut und ihr eigenes Verhalten danach ausgerichtet haben, sich der durch die Pflichtenaufgabe veränderten Lage anpassen können. Solange sie sich nicht gänzlich umstellen können, ist das Gefahrenmoment noch vorhanden. Es entfällt hingegen, wenn sie imstande sind, ihr Verhalten gegenüber den Rechtsgütern, um deren Schutz es geht, völlig von der bisherigen Schutzübernahme zu lösen. Der Bergführer, der den Touristen nach Erreichen des Gipfels im Stich läßt, haftet beispielsweise weiter als Garant, wenn der Tourist beim Abstieg auf ihn angewiesen ist. Seine Garantenstellung endet jedoch, wenn der Tourist gefahrlos mit einer Schwebebahn ins Tal hinabfahren kann. Mißt man am Kriterium des Gefahrenmomentes die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Garantenstellung kraft Übernahme bzw. aus Vertrag, so läßt sich zahlreichen Entscheidungen im Ergebnis bedenkenlos zustimmen. Andere Entscheidungen hingegen sind Einwänden ausgesetzt. Auf zwei von ihnen sei hier zum Abschluß der Betrachtungen kurz eingegangen. Zu den anfechtbaren Entscheidungen gehört das in RGSt 17, 260 veröffentlichte Urteil, in dem das RG schon früh den streng vertraglichen Rahmen gesprengt und sich den tatsächlichen Verhältnissen zugewandt hat. Folgender Sachverhalt war zu beurteilen: Ein Ehepaar hatte auf Grund eines Vertrages, den der Ehemann mit der fürsorgepflichtigen Gemeinde geschlossen hatte, eine geistesschwache, hilflose Person aufgenommen und gepflegt. Bei Ablauf des Vertrages weigerte sich die Gemeinde trotz wiederholter Aufforderung, die Hilflose den Eheleuten wieder abzunehmen. Nachlässige Pflege führte alsdann in kurzer Zeit zum Tode der Pflegebedürftigen. - Das RG hat beide Eheleute der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Die Pflicht zur notwendigen Pflege, so hat es u. a. seinen Standpunkt begründet, bestehe unabhängig von der verabredeten Vertragsdauer auf Grund des "Rechtszustandes", der durch die einmal übernommene Obhut über eine hilflose Person geschaffen sei, und ruhe rechtlich auf der strafrechtlichen Norm, welche die Gefährdung fremden Menschenlebens verbiete, für dessen Erhaltung jemand die Verantwortlichkeit übernommen habe. Ungeachtet des Umstandes, daß nur der Ehemann den Pflegevertrag abgeschlossen habe, sei daher auch die Ehefrau für den Tod verantwortlich; entscheidend sei das tatsächliche Pflegeverhältnis. Dahingestellt mag bleiben, ob das Urteil aus den zusätzlich angeführten oder sonstigen Gründen zu Recht ergangen ist. Die tatsächlich übernommene Obhut bzw. die übernommene Verantwortlichkeit für die Erhaltung fremden Menschenlebens ist jedenfalls kein Gesichtspunkt, der
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die reichsgerichtliche Entscheidung zu rechtfertigen vermag. Angesichts des geltend gemachten Vertragsablaufs und vor allem in Anbetracht der wiederholten Aufforderung, die Pflegebedürftige wieder abzunehmen, konnte die fürsorgepflichtige Gemeinde nicht mehr auf das tatsächliche Obhutsverhältnis vertrauen und von eigenen Schutzmaßnahmen absehen. Wenn sie sich dennoch nicht um die Pflegebedürftige kümmerte und die Sorge weiterhin dem Ehepaar überließ, so waren hierfür andere Erwägungen ausschlaggebend als gerade das Vertrauen auf ihre Entlastung durch das Ehepaar. Das Gefahrenmoment, das im säumigen Verhalten der Gemeinde liegt, läßt sich unter solchen Umständen nicht den Eheleuten zuschreiben. Aus der "einmal übernommenen Obhut" läßt sich mithin nicht schließen, das Ehepaar hätte die notwendige Pflege so lange fortsetzen müssen, bis man es hiervon entbunden hätte. Vielmehr wäre es aus dem Garantenverhältnis ausgeschieden, käme als Garantenmerkmal ausschließlich die übernahme der Pflege in Betracht. Die Eheleute wären damit - nach heutigem Recht zwar nicht aller Pflichten ledig geworden; die Garantenpfiicht hätte sich aber für sie in eine allgemeine Hilfeleistungspflicht im Sinne des § 330 c StGB umgewandelt. Wie bedenklich der Standpunkt des RG ist, erweist sich bei seiner Verallgemeinerung. Wäre er richtig, so wären alle, die den Schutz bestimmter Rechtsgüter oder die überwachung einer Gefahrenquelle übernehmen, den Personen ausgeliefert, denen gegenüber sie sich bereit erklärt haben. Solange diese Personen sich nicht bequemen, das rechtsgutgefährdende Handeln einzustellen oder den Rechtsgüterschutz bzw. die Gefahrenüberwachung wieder in die eigene Hand zu nehmen, würde das Garantenverhältnis fortbestehen. Allenfalls ließe sich mit dem Zumutbarkeitsmoment eine gewisse Korrektur erreichen. Erheblichen Bedenken unterliegt desgleichen die Entscheidung des BGH vom 17. 12. 195351 • Strafrechtlich zu würdigen war das Verhalten eines Betriebsangehörigen, der als Gruppenvorsteher für das gesamte Walzprogramm eines Werkes verantwortlich war und der einen Diebstahl von Eisen durch einen ihm untergeordneten Arbeitnehmer nicht verhindert hatte. Der BGH hat eine Rechtspflicht zum Einschreiten bejaht und das Untätigbleiben als Beihilfe zum Diebstahl gewertet. Ob diese Auffassung im Ergebnis gutzuheißen ist, läßt sich ohne Kenntnis der genauen Sachlage nicht dartun. Starke Bedenken richten sich zumindest gegen die Gründe, die das Urteil tragen sollen. Auf Grund des Dienstvertrages soll jeder Arbeitnehmer gehalten sein, die Interessen seines Arbeitgebers zu wahren und eine bevorstehende Schädigung des Vermögens des Dienstherrn zu melden 52 • Insbesondere soll derartiges BGHSt 5, 187 (190). Ähnlich hat der BGH schon in BGHSt 2, 326 argumentiert. Er hat dort mit der allgemeinen Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber operiert und 51
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auf den Angeklagten als Gruppenvorsteher und Dienstvorgesetzten des Täters zutreffen. Diese Beurteilung mag die arbeitsrechtlichen Verhältnisse durchaus richtig kennzeichnen, für die strafrechtliche Haftungsfrage ist sie jedoch unergiebig. Es wird hierbei unzulässigerweise von einer Vertragspflicht auf eine Garantenpflicht geschlossen. Mit Recht hat WelzeJ53 unter Bezug auf dieses BGH-Urteil davor gewarnt, die Garantenpflicht mit einer Vertragspflicht zu identifizieren, weil die Gefahr drohe, daß sich die Pönalisierung auf jede Verletzung einer Treuepflicht des Schuldners (§ 242 BGB) erweitere. Geht man von der Ansicht des BGH aus, so ist der Schritt nicht weit, den Arbeitnehmer für alle von einem Straftatbestand erfaßten Schäden im Betrieb, denen er während seiner Arbeitszeit bewußt nicht entgegengetreten ist, strafrechtlich verantwortlich zu machen. Einer solchen Ausweitung ist von vornherein ein Riegel vorzuschieben. Mit ihr würde man sich von den Verhaltensweisen entfernen, die allein eine Strafe verdienen, nämlich von den kriminellen Verfehlungen. Um nicht nochmals die Einwände gegen die Begründung einer Garantenstellung aus Vertrag darzulegen, sei lediglich daran erinnert, daß die unterlassene Schadensabwendung der Schadensherbeiführung durch positives Tun gleichstehen muß. Der Verletzung eines Rechtsguts läßt sich die unterbliebene Schadensverhinderung seitens eines Arbeitnehmers im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses aber nur gleichstellen, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem betroffenen Rechtsgut eine Schutzfunktion eingenommen hat, mit der das Schutzobjekt in Abhängigkeit von ihm geraten ist. Eine derartige Abhängigkeit liegt nur vor, wenn mit der Übernahme eines Tätigkeitskreises ein Rechtsgut der Gefährdung ausgesetzt ist oder der auf die Übernahme Vertrauende weitere Vorkehrungen zum Schutze eines Rechtsguts für entbehrlich erachtet und sich sonstige Vorsorge erspart. Erst dann ist ein Rechtsgut tatsächlich dem Arbeitnehmer ausgeliefert. Es ist auf ihn angewiesen, weil er mit der Übernahme des Tätigkeitsbereiches gewisse Gefahrenmomente ins Leben gerufen hat. Diese Gefahrenmomente hat er auszugleichen, indem er den hieraus sich entwickelnden schädlichen Folgen entgegenwirkt. Anstatt auf den Dienstvertrag hätte der BGH hierauf abstellen müssen. Es hätte festgestellt werden müssen, daß dem Gruppenvorsteher die Überwachung der ihm untergeordneten Personen überantwortet oder ihm das Eisen anvertraut worden war. Mit einer solchen Übertragung hätte ihm der Arbeitgeber das Eisen in die Hand gegeben, und zwar unter einem mehr oder minder weitgehenden Verzicht auf sonstige Schutz- oder Überwachungsmaßnahmen. den Arbeitnehmer für verpflichtet erachtet, alles zu unterlassen, was das Betriebsvermögen des Arbeitgebers benachteiligt, und alles zu tun, um drohende Schäden von diesem abzuwenden. 53 Lehrb., 9. Auft., S. 194.
Die Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung Von Theodor Lenckner, Münster i. W. 1. Daß der Täter, der in Unkenntnis einer rechtfertigenden Situation und damit ohne den Willen zur Realisierung dieses Rechtfertigungsgrundes einen Deliktstatbestand verwirklicht, wenigstens wegen Versuchs bestraft werden kann, ist heute im wesentlichen unbestritten. Der Streit um die Existenz von subjektiven Rechtfertigungselementen hat insoweit daher von seiner ursprünglichen Bedeutung verloren: Die Frage ist nicht mehr, ob die Rechtswidrigkeit schon dann entfällt, wenn der Täter, ohne dies zu wollen, zufällig einen sozial wertvollen Erfolg herbeigeführt hat - träfe dies zu, so wäre auch eine Bestrafung wegen eines (rechtswidrigen) Versuchs nicht denkbar -, sondern zweifelhaft kann allenfalls noch sein, ob die Tat beim Fehlen dieses subjektiven Moments den Unrechtsgehalt des vollendeten oder nur des versuchten Delikts aufweist1 • Besteht hier also wenigstens über die grundsätzliche Bewertung der Tat weitgehend Einigkeit, so gilt dies nicht ohne weiteres für das weitere Problem, vor dem die Lehre von den subjektiven Erfordernissen der Rechtfertigung steht: ob nämlich die Tat in gewissen Fällen nur dann rechtmäßig ist, wenn der Täter das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen pflichtgemäß geprüft hat. Wäre dies zu bejahen, so hätte man es in Wahrheit mit zwei subjektiven Rechtfertigungselementen zu tun: der besonderen Intention des Täters und der pflichtgemäßen Prüfung. Beide sind, was freilich nicht immer hinreichend beachtet wird, völlig unabhängig voneinander. So kann der Täter - zu Recht oder zu Unrecht - der Auffassung sein, der Sachverhalt eines Rechtfertigungsgrundes sei gegeben und deshalb den Willen zum Recht-Handeln haben, ohne jedoch die Situation zuvor pflichtgemäß geprüft zu haben (Beispiel: Vornahme einer Schwangerschaftsunterbrechung nach oberflächlich durchgeführter Untersuchung, um die Frau aus einer wirklichen oder vermeintlichen Lebensgefahr zu retten). Umgekehrt kann der Täter 1 So mit Recht neuerdings Baumann, Allgem. Teil (3. Aufl.), S. 253. Zum Stand der Meinungen vgl. SChönke/Schröder (12. Auf!.), Vorbem. 75 f. vor § 51 und speziell bei der Notwehr die zahlreichen Nachweise bei R. Schmitt, JuS 1963, S. 64 f.; wegen der Begründung sei im einzelnen auf meine Schrift "Der rechtfertigende Notstand" (1965) S. 187 ff. verwiesen.
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aber auch trotz gründlicher Prüfung ohne diesen Willen tätig geworden sein, dann nämlich, wenn seine überlegungen zu einem negativen Resultat geführt haben (so in dem von Welzel2 gebildeten Fall: Nachdem der Arzt trotz sorgfältiger Untersuchung das verborgene Leiden nicht findet, das ihn zur Schwangerschaftsunterbrechung berechtigt hätte, nimmt er den Eingriff aus Gefälligkeit vor). Es ist deshalb unrichtig oder zumindest mißverständlich, wenn beide Gesichtspunkte in Zusammenhang gebracht oder gar gleichgesetzt werden3 , oder wenn BGHSt 2 114 eine Parallele zieht zwischen dem Erfordernis gewissenhafter Prüfung beim übergesetzlichen Notstand und dem Verteidigungswillen bei der Notwehr'. Beide Elemente, Wissen und Wollen einerseits und pflichtgemäße Prüfung andererseits, sind vielmehr, wie die genannten Fälle zeigen, unabhängig voneinander denkbar, und aus der Notwendigkeit des ersten ergibt sich daher nichts für die Bedeutung des zweiten. Das Merkmal der pflichtgemäßen Prüfung ist deshalb auch einer gesonderten Betrachtung zugänglich.
11. Verfolgt man zunächst den Gang der bisherigen Entwicklung, so ergibt sich im wesentlichen folgendes: Während die Frage, ob zur Tatrechtfertigung auch der auf die Erreichung des anerkannten Erfolgs gerichtete Wille gehörte, vom neueren Schrifttum meist in dieser allgemeinen Form gestellt wird 5 , ist die Diskussion um die Bedeutung der JZ 1955, S. 143 Anm. 6 a. a So ist es wenigstens ungenau, wenn Baumann, Allg. Teil, S. 309 unter Hin-
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weis auf die von der Rechtsprechung beim übergesetzlichen Notstand geforderte pflichtgemäße Prüfung die Frage behandelt, ob der Täter die Notstandslage gekannt haben muß. , Dabei bestand für den BGH keinerlei Anlaß, das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung auch nur zu erwähnen. Es handelte sich hier vielmehr um den seltenen Fall, daß ein Arzt eine Abtreibung beging, ohne zu wissen, daß eine Schwangerschaftsunterbrechung tatsächlich medizinisch 'indiziert war. Es fehlte daher der Rettungswille, und nur dieser konnte mit dem Verteidigungswillen bei der Notwehr verglichen werden. Ebenso mißverständlich ist es, wenn der BGH zunächst ausführt, für die Rechtfertigung wegen übergesetzlichen Notstands komme es auch auf die Vorstellungen an, durch die sich der Handelnde bei seinem Verhalten bestimmen lasse - dies deutet auf den Rettungswillen hin -, und dann fortfährt, daß dieser Gedanke schon vom Reichsgericht entwickelt worden sei, das mit aller Entschiedenheit ausgesprochen habe, daß sich eine Tat aus dem übergesetzlichen Notstand nur rechtfertigen lasse, wenn der Täter die Notstandsvoraussetzungen gewissenhaft geprüft habe. I Vgl. z. B. Baumann, S. 252,260 (freilich mit verschiedenen Ergebnissen bei den einzelnen Rechtfertigungsgründen), KohlrauschlLange (43. Aufl.), System. Vorbem. III 2 b y, Vorbem. IV vor § 43, Mauraeh, Allg. Teil (3. Aufl.), S. 258, Niese, Finalität, Vorsatz und Fahrlässigkeit (1951), S. 17, Schaffstein, MDR 1951, S. 199, SehönkelSchröder, Vorbem. 75 vor § 51, Wetzet, Strafrecht (9. Aufl.), S. 77. Zum Teil wird die Diskussion auch unter dem Gesichtspunkt geführt, welche Bedeutung die Unkenntnis vom Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes hat (vgl. z. B. Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1959, S. 161 f., v. Weber, Festschrift für Mezger, S. 192, JZ 1951, S. 263), aber der Sache nach geht es dabei um dasselbe Problem (vgl. Sehnff-
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pflichtgemäßen Prüfung auf einzelne Rechtfertigungsgründe beschränkt. Es ist z. B. noch nie behauptet worden, daß bei der Notwehr die Rechtmäßigkeit von einer gewissenhaften Prüfung der Notwehrlage und der Erforderlichkeit der Verteidigung abhänge. Das gleiche gilt etwa für den Notstand nach den §§ 228, 904 BGB, für das Selbsthilferecht, das Züchtigungsrecht und die Einwilligung. Schon seit langem bekannt ist dagegen das Merkmal der pflichtgemäßen Prüfung bei dem Rechtfertigungsgrund des Handeins kraft einer amtlichen oder dienstlichen Stellung. Hier hat die Rechtsprechung von Anfang an unter weitgehender Billigung des Schrifttums angenommen, daß der Beamte auch bei einer tatsächlichen Fehlentscheidung gerechtfertigt sein kann, wenn er die sachlichen Voraussetzungen für sein Einschreiten nach seinem "pflichtgemäßen Ermessen" für gegeben erachtet hat8 • In ihren ersten Ansätzen ebenfalls schon früh nachweisbar ist die Prüfungspflicht bezüglich der Wahrheit der ehrenrührigen Tatsache bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen1 • Zwar wird erst in neueren Entscheidungen mit aller Deutlichkeit ausgesprochen, daß der Täter verpflichtet sei, die Richtigkeit der behaupteten Tatsache sorgfältig zu prüfen8 , doch findet sich schon in RGSt 5 121 (124) der Gedanke, daß § 193 nur dem bona fide Handelnden zugute kommen solle'. Auch diese Rechtsprechung hat die ungeteilte Zustimmung des Schrifttums gefunden10 • Ebenso bekannt wie umstritten ist endlich die Rolle, welche die pflichtgemäße Prüfung nach Auffassung der Praxis beim übergesetzlichen Notstand spielt. In der grundlegenden Entscheidung RGSt 61 242 (255) hatte sich das Reichs-
s. 189 ff.). Der Stand der Diskussion wird daher nicht richtig wiedergegeben, wenn gelegentlich behauptet wird, die Frage werde nur im Hinblick auf einzelne Rechtfertigungsgründe gestellt (so Maurach, a.a.O.). e In der Judikatur wird die Frage meist im Rahmen des § 113 behandelt; vgl. z. B. Rspr. des RG in Strafs. 3582 (584), 6 807, RGSt 38373 (375), 61 297 (299), 72 305 (311), BGHSt 4 161 (164). Aus dem Schrifttum vgl. z. B. Maurach, Allg. Teil, S. 292/293, Mezger/Btei, Stud. Buch I (11. Aufl.), S. 125, Schönkel Schröder, Vorbem. 18 vor § 51, und neuerdings Rehbinder, GA 1963, S. 39, der mit Recht darauf hinweist, daß der Begriff "Ermessen" hier mißverständlich ist. 7 Daß es sich bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen in § 193 um einen Rechtfertigungsgrund handelt, ist heute durchaus h. M.: vgl. die Nachw. bei SchönkelSchröder, § 193 Anm. 1; vgl. aber auch Kern, Frank-Festgabe II, S. 353, Peters, SchwZStr. 77, S. 168, Westermann, JZ 1960, S. 692. 8 Die Formulierung lautete zunächst, daß die Interessenwahrnehmung nicht "leichtfertig" sein dürfe: so schon in RGSt 59330 (332), ferner RGSt 66 1 (2), 74257 (261). Von einer Prüfungspflicht spricht dann erstmals RGSt 63202 (204/205); aus der neueren Rspr. vgl. z. B. BGHSt 373 (75), 1448 (51), BGH NJW 1952, S. 194, 1953, S. 1722, OLG Braunschweig, GA 1953, S. 50, OLG Hamm, HESt 2274, NJW 1954, S. 441. 8 Freilich ist dieser Gedanke in der Folgezeit dann zunächst wieder verlorengegangen (z. B. RGSt 6409); vgl. dazu Klee, Frank-Festgabe II, S. 381. 10 Vgl. statt vieler z. B. Ktee, a.a.O., S. 371, Maurach, Bes. Teil (4. Aufl.), S. 153, Schaffstein, MDR 1951, S. 693, SchönkelSchröder, § 193 Anm. 11, Seibert, MDR 1951, S. 710, Welzel, S. 286.
stein, a.a.O., Lenckner, Der rechtfertigende Notstand,
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gericht zunächst noch mit dem kurzen Hinweis begnügt, daß die Frage, ob eine gegenwärtige, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für die Schwangere vorhanden sei, einer besonders strengen Prüfung an Hand der Regeln der ärztlichen Wissenschaft bedürfe. Wenig später wurde dieser Gedanke dann jedoch in RGSt 62 137 (138) weiter ausgebaut: Rechtmäßigkeitsvoraussetzung sei, so heißt es hier, neben dem Bestehen des Notstandes die pflichtgemäße Abwägung der in Widerstreit stehenden Güter, was seinerseits wiederum eine gewissenhafte Prüfung voraussetze, ob überhaupt ein Widerstreit rechtlich geschützter Interessen vorliegt, der nur durch eine Verletzung des einen Guts gelöst werden kann. In der Lehre hat diese Rechtsprechung freilich nur die Billigung einer Minderheit gefunden - zu nennen sind etwa H. Mayer l l, HenkeP2, Schaffstein13 und neuerdings BleP4 -, während sie im übrigen auf z. T. sehr entschiedene Ablehnung gestoßen ist15. Dennoch haben die Gerichte, unangefochten von aller Kritik, an den in RGSt 62 137 entwickelten Grundsätzen festgehalten 18 • Die Gründe hierfür sind bekannt: Sie liegen, wie dies Wachinger 17, der an dem Zustandekommen der fraglichen RG-Entscheidungen maßgeblich beteiligt war, später offen ausgesprochen hat, in der Befürchtung, daß andernfalls leichtsinnige Eingriffe in fremde RechtsgütE'r unter Berufung auf eine angebliche Notstandslage gefördert würden. Ebenso wie im geltenden Recht wird auch in den Entwürfen die Prüfungspflicht nur bei einzelnen Rechtfertigungsgründen genannt. Dies gilt zunächst für die Wahrnehmung berechtigter Interessen bei der Beleidigung, wenn hier auch die Entwicklung nicht immer ganz geradlinig verlaufen ist: z. T. wird verlangt, daß sich der Täter in "gutem Glauben"18 oder in "entschuldbarem guten Glauben an die Wahrheit der Äußerung befunden hat"18 oder daß er "die widerstreitenden Interessen pflichtgemäß abgewogen hat"20, z. T. kehren die Entwürfe aber auch zu einer Fassung zurück, in der ein ausdrücklicher Hinweis auf diese subStrafrecht, S. 180. Mezger-Festschrift, S. 274. MDR 1951, S. 693. 14 MezgerlBlei, Stud. Buch I, S. 142. 15 So z. B. Baumann, S. 310, Heinitz, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 282, Lange, JZ 1953, S. 9, KohlrauschlLange, System. Vorbem. Irr 2 b r, Mezger, Stud. Buch I (9. Aufl.), S. 129, Niese, DRiZ 1953, S. 20, Eb. Schmidt, ZStW 49, S. 390, Schröder, MDR 1953, S. 70, Schönke!Schröder, Vorbem. 59 vor § 51, Schwarz-Dreher, § 54 Anm. 7, Welzel, JZ 1955, S. 142, zstW 67, S. 219. 18 Vgl. z. B. RGSt 63227, 64104, 77116, RG JW 1935, S. 2637, HRR 1940, Nr. 255, OGHSt 1 133, 350, 3 11, BGHSt 2 114, 3 10, 14 2, BGH NJW 1951, S. 770, BayObLG NJW 1953, S. 1603, OLG Hamm NJW 1952, S. 838, VRS 20233. 17 Frank-Festgabe I, S. 516. 18 § 284 GE 1911. 10 § 345 E 1913 und 1919, § 318 E 1930. 10 § 286 AE 1925. 11
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jektiven Voraussetzungen fehlt 21 • Eindeutig ist nunmehr die Regelung des § 178 E 1962, nach der eine strafbare Beleidigung nicht vorliegt, wenn die Äußerung "unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen und der dem Täter nach den Umständen obliegenden Prüfungspflicht ein angemessenes Mittel ist, den angestrebten Zweck zu erreichen". Zwar erklärt die amtliche Begründung22 , die Vorschrift lasse offen, ob es sich hier überhaupt um einen Rechtfertigungsgrund und nicht um einen bloßen Entschuldigungsgrund handelt, doch kann nach der Fassung des § 178 dessen systematische Einordnung kaum zweifelhaft sein: wäre die Tat rechtswidrig, so könnte sie niemals das zur Erreichung eines bestimmten Zwecks "angemessene Mittel" sein. Dem § 178 E 1962 nachgebildet ist die Sonderregelung des § 186 a für den Bruch von Privatgeheimnissen durch Inhaber einer Vertrauensstellung (§ 185) bzw. durch Amtsträger und besonders Verpflichtete (§ 186), wo gleichfalls darauf abgestellt wird - auch hier in Anlehnung an ältere Entwürfe23 - , daß der Täter eine nach den Umständen gebotene Prüfungspflicht erfüllt hat. Endlich findet sich in früheren Entwürfen auch beim Notstand das Erfordernis "pflichtmäßiger Berücksichtigung der sich gegenüberstehenden Interessen", dessen Bedeutung allerdings nicht immer ganz klar ist 24 • Dagegen hat der E 1962 (§ 39) in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung auf dieses Merkmal verzichtet. Als Begründung wird angegeben, daß es lediglich im Fall der irrigen Annahme der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen des § 39 Abs. 1 darauf ankomme, ob der Täter die Umstände sorgfältig geprüft und die kollidierenden Interessen gewissenhaft gegeneinander abgewogen habe, und zwar hier bei der Frage, ob der in § 39 Abs. 2 geregelte Irrtum entschuldbar sei25 • Diese hier nur in ihren Umrissen skizzierte Entwicklung und ihre Ergebnisse müssen den Eindruck des Zufälligen erwecken. Man fragt sich, warum es nur bei einem Teil der Rechtfertigungsgründe zur Einschal21 § 318 E 1927 (wo lediglich verlangt wird, daß das wahrgenommene Interesse "das verletzte Interesse des Beleidigten überwiegt"; vgl. dazu Klee, Frank-Festgabe II, S. 387 f.), § 426 E 1936. %2 S.324. 23 Vgl. § 354 Abs. 2 E 1913, § 355 Abs. 3 E 1919 und, besonders deutlich, § 293 Abs. 2 AE 1925: "Wer ein Geheimnis zur Wahrnehmung eines berechtigten öffentlichen oder privaten Interesses offenbart und die einander gegenüberstehenden Interessen pflichtgemäß abgewogen hat, ist nicht strafbar." !4 § 28 E 1913, § 22 E 1919, § 25 E 1927. Das RG hatte sich in RGSt 62 138 für seine These, daß die Rechtfertigung beim übergesetzlichen Notstand eine pflichtgemäße Prüfung voraussetze, auch auf den E 1927 berufen. Ob § 25 E 1927 in dem vom RG angenommenen Sinne verstanden werden durfte, kann freilich zweifelhaft sein. Die Begründung erläutert das Merkmal der "pflichtgemäßen Berücksichtigung" nicht, jedoch flndet sich in der Denkschrift zum E 1919 (S. 36) zu der gleichlautenden Wendung in § 22 E 1919 die etwas überraschende Erklärung, die Verwendung des Begriffs "Pflicht" mache es möglich, alle Umstände des Einzelfalles, wie den Wert der Rechtsgüter, die Größe der Verletzung usw., in Betracht zu ziehen. !5 Begründung, S. 160.
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tung eines subjektiven Rechtfertigungselements in Gestalt der pflichtgemäßen Prüfung gekommen ist, während in den übrigen Fällen des Unrechtsausschlusses ein derartiges Erfordernis nie aufgestellt worden ist. Ist es z. B. richtig, wenn die Rechtsprechung den Gedanken einer Prüfungspflicht zwar in die Regelung des § 193 und in den rechtfertigenden übergesetzlichen Notstand hineingetragen hat, nicht aber in die Notstandsbestimmungen des BGB? Wenn ja, dann führt dies z. B. dazu, daß die Rechtfertigung beim Zusammentreffen eines Notstands nach § 904 BGB und eines übergesetzlichen Notstands von verschiedenen Voraussetzungen abhängt: Entfernt sich etwa der an einem Verkehrsunfall Beteiligte von der Unfallstelle (§ 142), um einen Verletzten ins Krankenhaus zu bringen, und benutzt er dazu, weil sein eigenes Fahrzeug beschädigt ist, einen fremden PKW (§ 248 b)28, so muß er zwar prüfen und abwägen, ob die Verletzungen des Unfallopfers nach Art und Schwere die Entfernung vom Unfallort rechtfertigen - insoweit liegt übergesetzlicher Notstand vor -, nicht dagegen, ob sie - § 904 BGB - die Benutzung des fremden Fahrzeugs gestatten. Dies ist gewiß ein recht eigenartiges Ergebnis, zumal wenn man bedenkt, daß die für Sacheingrüfe geltende Regelung des § 904 BGB nichts anderes ist als eine Konkretisierung der Prinzipien, die auch dem übergesetzlichen Notstand zugrunde liegen. Umgekehrt ist die Frage naheliegend, ob es nicht ein Widerspruch ist, wenn der E 1962 zwar in der allgemeinen Notstandsvorschrift des § 39 auf die pflichtgemäße Prüfung als Rechtfertigungsvoraussetzung verzichtet, andererseits jedoch bei der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 178), die vielfach nur als ein besonderer Fall des Notstandes oder jedenfalls als eine verwandte Erscheinung angesehen wird27 , an diesem Merkmal festhält. Erst recht gilt dies im Verhältnis zu § 186 a des Entwurfs, da es ganz unverkennbar ist, daß die dort erlaßten Fälle - z. B. ein Arzt kann sich gegen den Vorwurf der Abtreibung nur dadurch wirksam verteidigen, daß er das Berufsgeheimnis verletzt28 dem Notstand des § 39 zumindest sehr nahe kommen. Auch die Begründungen, die hierzu gegeben werden, bringen meist keine Erklärung, und z. T. fehlt es überhaupt an einer juristischen Rechtfertigung. So beruft sich die amtliche Begründung zu § 178 E 1962 (Wahrnehmung berechtigter Interessen bei der Beleidigung) auf die "in der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze"2u. Doch sind die Beispiel von Schröder, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 296. Vgl. z. B. RGSt 64 10 (13), Frank, § 193 Anm. III 2, Schaefer, Leipz. Komm. § 193 Anm. I 1 b. 18 Dieses Beispiel nennt die amtliche Begründung zu § 186 a (S. 340). 10 S. 322. Wenn die amtl. Begründung dann fortfährt, der Gedanke der Informationspfiicht finde "wahrscheinlich" schon darin seinen Ausdruck, daß die Äußerung zur Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 178 ein "angemessenes Mittel" sein müsse, "den angestrebten Zweck zu erreichen", so bleibt offen, warum nicht auch die Angemessenheit des Mittels in § 39 Abs. 1 S. 2 im t8
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Gerichte, wie schon Klee 30 mit Recht bemerkt hat, mehr instinktiv als im Wege bewußter Ableitung aus einem Prinzip dazu gelangt, für § 193 die Loyalität des Täters im Hinblick auf die Berechtigung der von ihm erhobenen ehrenrührigen Vorwürfe zu fordern. Beim übergesetzlichen Notstand glaubte die Rechtsprechung, das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung aus dem Wesen dieses Rechtfertigungsgrundes gewinnen zu können: da die Anerkennung des übergesetzlichen Notstands auf dem Gedanken beruhe, daß es bei einer auf andere Weise nicht zu lösenden Güterkollision nicht rechtswidrig sei, das höherwertige Gut auf Kosten des geringerwertigen zu wahren, setze die Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes im Einzelfall neben dem Bestehen eines Notstands eine pflichtgemäße Abwägung der Güter und eine gewissenhafte Prüfung der Notstandslage voraus31 • Ähnlich argumentiert Schaffstein32 : Wenn die Rechtsordnung zulasse, daß jemand in Kollisionsfällen fremde rechtlich geschützte Interessen zugunsten eigener aufopfert, so dürfe sie als Ausgleich von ihm fordern, daß er die kollidierenden Interessen, sein Recht, sie wahrzunehmen, sowie die Erforderlichkeit des von ihm angewandten Mittels besonders sorgfältig prüft, Selbst wenn diese überlegungen schlüssig wären, so erklärten sie jedoch nicht, warum die Prüfungspflicht immer nur beim übergesetzlichen Notstand und einem geringen Teil der anderen Rechtfertigungsgründe eine Rolle gespielt hat. Sie müßten folgerichtig dahin führen, daß die gewissenhafte Prüfung ein wesentliches Element aller oder jedenfalls all der Rechtfertigungsgründe ist, die aus der Notwendigkeit der Lösung eines irgendwie gearteten Interessenkonflikts zu erklären sind. Sieht man von der Einwilligung und ihren Surrogaten ab, so gehören dazu jedoch alle übrigen Rechtfertigungsgründe. Auch beim Notstand der §§ 228, 904 BGB, bei der Notwehr, der Selbsthilfe, dem Züchtigungsrecht, der vorläufigen Festnahme nach § 127 StPO usw. handelt es sich darum, daß der Eingriff in eine fremde Interessensphäre nur deshalb gestattet ist, weil dies zum Schutz irgendwelcher anderer Interessen erforderlich ist. Wenn es deshalb richtig wäre, daß die Rechtsordnung als Ausgleich für dieses Eingriffsrecht eine Prüfungspflicht verlangt, so müßte diese Konsequenz auch für die Notwehr, für § 904 BGB usw. gezogen werden. Gerade dies geschieht jedoch nicht. Aus den gleichen Gründen muß auch der Versuch scheitern, die Prüfungspfiicht beim übergesetzlichen Notstand aus der Funktion des Gefahrbegriffs zu erklären. So meint Blei, da es im Wesen der Gefahr liege, daß sie ein sachkundiges ex-anteUrteil über die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts voraussetze, Sinne einer Prüfungspflicht zu interpretieren ist. Dort soll es jedoch auf die pflichtgemäße Prüfung gerade nicht ankommen. so Frank-Festgabe II, S. 366. 11 So kurz zusammengefaßt die Begründung in RGSt 62 137 (138), die von allen späteren Entscheidungen übernommen wird. S! NJW 1951, S. 693.
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sei es nur sachgemäß, die Eingriffsbefugnis dem vorzubehalten, der zur Abgabe dieses Urteils fähig sei und alles getan habe, um es in begründeter Weise zu gewinnen33 • Aber das Merkmal der Gefahr ist als Rechtfertigungsvoraussetzung keineswegs auf den übergesetzlichen Notstand beschränkt. Es spielt die gleiche Rolle bei den Notstandsfällen des BGB und beim Selbsthilferecht, wo es vom Gesetz expressis verbis genannt wird, und auch bei der Notwehr ist dieses Element leicht nachzuweisen, denn wenn hier von einem "gegenwärtigen Angriff" die Rede ist, so bedeutet dies nichts anderes als eine Handlung, die eine unmittelbare Gefahr für fremde Rechtsgüter schafft. Das gleiche gilt schließlich für alle anderen Rechtfertigungsgründe, die von einem Interessenkonflikt ausgehen, denn auch hier darf nur gehandelt werden, wenn für das zu schützende Interesse eine Gefahr besteht34 • Dies liegt schon in der Natur der Kollision begründet: So ist z. B. ein Züchtigungsrecht nur gegeben, wenn aus erzieherischen Gründen eine körperlich spürbare Zurechtweisung des Kindes erforderlich ist, weil andernfalls die Gefahr droht, daß dieses in seiner geistig-sittlichen Entwicklung Schaden nimmt. Daß das Problem der Prüfungspfiicht nur bei einem Teil der Rechtfertigungsgründe auftritt - so jedenfalls nach dem Stand der bisherigen Diskussion -, kann also auch auf diese Weise nicht erklärt werden. Die Frage bleibt deshalb, wann die Struktur eines Rechtfertigungsgrundes so beschaffen ist, daß auf eine pflichtgemäße Prüfung der Sachlage nicht verzichtet werden kann. Hier hat für den Notstand mit Recht schon Welzel darauf hingewiesen, daß sich die wahre Natur der Prüfungspfiicht erst zeigen kann, wenn danach unterschieden wird, ob die objektiven Voraussetzungen für eine Rechtfertigung gegeben sind oder nicht 85 • Von da aus ergeben sich dann die beiden denkbaren Funktionen, die das Merkmal pflichtgemäßer Prüfung im Bereich der Rechtfertigungsgründe überhaupt haben könnte. Sie kommen in folgender Fragestellung zum Ausdruck: 1. Kann bei Vorliegen aller objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen die Tat deshalb rechtswidrig sein, weil der Täter sich über deren Vorhandensein nicht durch eine pflichtgemäße Prüfung vergewissert hat; 2. gibt es Rechtfertigungsgründe, bei denen ein rechtfertigender äußerer Sachverhalt ersetzt werden kann durch das Merkmal pflichtgemäßer Prüfung mit der Folge, daß die Tat allein deshalb rechtmäßig ist, weil der Täter mit der Sorgfalt verfahren ist, zu der er verpflichtet war? Dabei ist davon auszugehen, 3S MezgerlBlei, Stud. Buch I, S. 142 (and. früher Mezger); immerhin räumt Blei jedoch ein, daß eine andere Konzeption denkbar sei. U übrigens setzt nicht nur der Gefahrbegriff ein ex-ante-Urteil :vor~~, sondern auch die Erforderlichkeit, und da diese, abgesehen von der EmWllhgung und ihren Surrogaten, ein Merkmal aller Rechtfertigungsgründe ist, müßte sich auch aus diesem Grund immer eine Prüfungspflicht ergeben.
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JZ 1955, S. 142.
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daß der Täter - wenn auch auf Grund eines Irrtums in dem zuletzt genannten Fall - subjektiv jeweils mit dem Willen zum Recht-Handeln tätig geworden ist36 • IU. Welche Folgen hat es also, um mit der ersten Fallgruppe zu beginnen, wenn der objektive Sachverhalt eines Rechtfertigungsgrundes gegeben war und dem Täter lediglich der Vorwurf gemacht werden kann, diesen nicht sorgfältig geprüft zu haben? Hier steht zunächst fest, daß der Täter objektiv ein Recht hatte, so zu handeln, wie er gehandelt hat, und daß der von ihm bewirkte Erfolg, so wie er eingetreten ist, eintreten durfte. Voraussetzung dafür ist lediglich, daß tatsächlich eine Situation bestand, in der das verletzte Gut entweder freiwillig auf seinen Schutz verzichtet hat oder in der es einem anderen, in concreto wichtigeren Interesse weichen mußte. Dabei ist letzteres schon dann der Fall, wenn sich das zu schützende Interesse in Gefahr befand, d. h. wenn nach dem ex-ante-Urteil eines sachverständigen Beobachters, der über das Höchstwissen seiner Zeit verfügt, bei natürlicher Weiterentwicklung der Eintritt eines Schadens in hohem Maße wahrscheinlich war. War dies zu bejahen, so durfte der Täter handeln, auch wenn sich dann hinterher herausstellt, daß dieses Urteil falsch war, ex post gesehen also eine wirkliche Kollision zwischen dem verletzten und dem geschützten Interesse niemals bestand. Da der Gefahrbegriff auf eine künftige Entwicklung bezogen und damit notwendig immer "ein Kind unserer UnwissenheitS7 " ist, muß dieses Risiko hingenommen werden. Wäre es anders und dürfte der Mensch erst dann zum Handeln schreiten, wenn ihm die in der Zukunft liegenden Auswirkungen bestimmter Gegebenheiten in allen Einzelheiten bekannt sind, so bliebe er zu ewiger Untätigkeit verdammt. Dies besonders zu betonen, bestünde kaum Anlaß, wenn nicht gerade der Gefahrbegriff zu dem Mißverständnis geführt hätte, weil es sich hier um ein ex-ante-Urteil handle, habe nur derjenige die Befugnis zum Eingreifen, der alles getan habe, um dieses Urteil in begründeter Weise zu gewinnens8 • Nach dem Gesagten trifft dies jedoch nicht zu: Das Eingriffsrecht besteht nicht, wenn und weil der Täter das Vorliegen einer Gefahr pflichtgemäß geprüft hat, sondern es folgt unabhängig davon aus dem Vorhandensein der Gefahr selbstSu • Durfte das fremde Rechtsgut auf Grund der genannten objektiven Gegebenheiten verletzt werden, so war die Tat in ihrem Ergebnis 38 Zur Unabhängigkeit dieses Merkmals von der pflichtgemäßen Prüfung vgl. oben I. ar Finger, Frank-Festgabe I, S. 237. ae Mezger/Blei, Stud. Buch I, S. 142. 88 Die gleichen Probleme ergeben sich bei der Frage, ob die Gefahr in der konkreten Lage nicht auf andere Weise abwendbar ist und ob die Verletzung des fremden Rechtsguts das zur Abwehr der Gefahr geeignete Mittel ist. Auch hierüber entscheidet ein sachverständiges ex-ante-Urteil. Ist die Erforderlichkeit danach zu bejahen, so darf der Täter handeln, auch wenn sich bei einer ex-post-Betrachtung das Gegenteil herausstellt.
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richtig, was in der Sprache der modernen Strafrechtsdogmatik heißt, daß es jedenfalls an einem Erfolgsunwert fehlt. Daß der Täter die Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht pflichtgemäß geprüft hat, könnte sich deshalb nur noch im Handlungsunwert der Tat ausdrücken. Aber auch dies ist nicht der Fall. Hat der Täter den ihm zur Seite stehenden Rechtfertigungsgrund nicht nur objektiv verwirklicht, sondern ihn auch subjektiv verwirklichen wollen - und davon sind wir ausgegangen -, so ist damit zugleich der Aktunwert der tatbestandsmäßigen Handlung ausgeräumt. Allenfalls könnte von dem Unwert eines fahrlässigen Versuchs gesprochen werden, denn der Täter hat zwar gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, doch hat dies zu keinem rechtlich mißbilligten Erfolg geführt. Für den Tatbestand gilt, daß ein unvorsichtiges Verhalten so lange strafrechtlich irrelevant ist, wie nicht ein Erfolgssachverhalt - Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts - hinzukommt. Dieser Situation muß die vorliegende gleichgestellt werden: Hier liegt zwar ein Erfolg vor, doch fehlt es am Erfolgsunwert, weil das betroffene Gut von Rechts wegen verletzt werden durfte4°. Darin besteht auch der Unterschied zu den neuerdings viel diskutierten Fällen, in denen ein pflichtwidriges Verhalten zu einem Erfolg geführt hat, dieser aber auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (Beispiel: Ein Lastwagen überholt einen Radfahrer, ohne den erforderlichen Seitenabstand einzuhalten; während des überholvorgangs gerät der stark angetrunkene Radfahrer unter den Anhänger, doch würde sich der Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei Einhaltung eines genügenden Zwischenraums ereignet haben)41. In dem hier interessierenden Fall ist die Handlung zumindest in ihrem Ergebnis richtig, dort nicht - von einer Preisgabe des Lebens des Radfahrers durch die Rechtsordnung kann keine Rede sein -; dort wäre der Erfolg zwar auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten eingetreten, hier durfte er jedoch eintreten, gleichgültig, ob der Täter die Sachlage pflichtgemäß geprüft hat oder nicht. Selbst wenn deshalb das Radfahrerbeispiel dahin zu entscheiden wäre, daß der Täter zu bestrafen ist, so ergäbe sich dar40 Vielfach wird es sogar so sein, daß die Unachtsamkeit des Täters hier in einem milderen Licht erscheint: Das Verhalten der Mutter, die ihr Kind unbeaufsichtigt auf der Straße spielen läßt, um ungestört ihren Vergnügungen nachgehen zu können, verdient auch dann, wenn glÜcklicherweise nichts passiert, mehr Mißbilligung als der Arzt, der, ohne die Schwangere zuvor sorgfältig genug untersucht zu haben, bei objektiv gegebener medizinischer Indikation und mit Rettungswillen eine Schwangerschaftsunterbrechung vornimmt. Die auf die Erhaltung höherer Werte gerichtete Intention des Handelns kann in diesen Fällen eine andere Beurteilung rechtfertigen als bei sonstigen leichtsinnigen Verhaltensweisen (auf diesen Gesichtspunkt weist in anderem Zusammenhang mit Recht Roxin, ZStW 76, S. 595 hin). 41 So der Fall in BGHSt 11 1; vgI. zu diesem Problemkreis etwa Baumann, MDR 1957, S. 647, JZ 1962, S. 41, Arthur Kaufmann, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 200, Oehler, ebenda S. 237, Spendel, ebenda, S. 183, JuS 1964, S. 14, Roxin, ZStW 74, S. 411, Schönke!Schröder, § 59 Anm. 159.
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aus nichts für unser Problem4!. Ebensowenig können irgendwelche Schlüsse aus der Strafbarkeit der in Unkenntnis einer rechtfertigenden Sachlage begangenen Tat gezogen werden. Denn obwohl dort gleichfalls der Erfolgsunwert fehlt, besteht ein wesentlicher Unterschied: Weiß der Täter nicht, daß er angegriffen wird usw., so will er einen rechtswidrigen Erfolg, und es liegt daher immer noch das Unrecht des versuchten Delikts vor"; in den Fällen, um die es hier geht, ist die Tat dagegen auch nach der Intention des Täters auf einen sozial wertvollen Erfolg hin angelegt, wobei er es lediglich unterlassen hat, sein Recht zum Handeln gewissenhaft zu prüfen44 • Es bleibt deshalb dabei, daß dieses Manko unschädlich ist, wenn nur objektiv die Eingriffsvoraussetzungen erfüllt sind und der Täter den Rechtfertigungsgrund verwirklichen will. Dies gilt für alle Rechtfertigungsgründe, die darauf beruhen, daß die Handlung z. Z. der Tat im Ergebnis objektiv richtig war (sei es, daß sie zum Schutz eines in concreto höheren Rechtswerts tatsächlich erforderlich war, sei es, daß das verletzte Gut nach dem Prinzip des mangelnden Interesses eines Schutzes tatsächlich nicht mehr bedurfte). Hierher gehören deshalb die Einwilligung und mutmaßliche Einwilligung, diese freilich nur dann, wenn sich der mutmaßliche Wille mit dem wirklichen subjektiven45 Interesse des Betroffenen deckte". Dazu zählen ferner etwa das Züchtigungsrecht und das Handeln auf Grund von Amtsrechten und Dienstpflichten, wenn die Voraussetzungen für ein Eingreifen objektiv gegeben waren. Ist die Entscheidung des Beamten im Ergebnis zutreffend, so ist er daher auch dann gerechtfertigt, wenn er den Sachverhalt, der ihm ein Recht zum Einschreiten gab, nicht pflichtgemäß geprüft hat. 42 Begründet man dort freilich die Straflosigkeit damit, es fehle an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Erfolg (vgl. Schönke/Schröder, § 59 Anm. 159 m. w. Nachw.), so könnte man sich darauf auch hier berufen: auch eine pflichtgemäße Prüfung hätte nämlich zu keinem anderen Ergebnis geführt. 43 z. T. wird auch Vollendung angenommen; vgl. z. B. Maurach, Allgern. Teil, S. 261 m. w. Nachw. 44 Abzulehnen ist deshalb BGHSt 2 114, wo der Eindruck erweckt wird, weil zur Rechtfertigung der Notwehrhandlung der Verteidigungswille gehöre, sei beim übergesetzlichen Notstand eine pflichtgemäße Prüfung erforderlich. 45 Nur auf dieses subjektive Interesse kommt es bei der mutmaßlichen Einwilligung an, nicht auf das, was dem objektiven "wohlverstandenen" Interesse des Verletzten entspricht. Dies ergibt sich daraus, daß die mutmaßliche Einwilligung nur ein Ersatz für die wirklich erteilte Einwilligung ist, bei der es, von § 226 a abgesehen, gleichfalls nicht darauf ankommt, ob der Eingriff den objektiven Interessen des Verletzten entspricht. Bei der mutmaßlichen Einwilligung kann daher das objektive Interesse allenfalls ein Indiz für das subjektive Interesse des Betroffenen sein. Handelt der Täter gegen den Willen des Betroffenen, aber in dessen objektivem Interesse, so handelt es sich um einen Fall der Güterkollision, mit der Besonderheit, daß der Verletzte der Träger beider kollidierender Güter ist (so mit Recht Maurach, Allgern. Teil, S. 290). 4S über die Fälle, in denen dies nicht zutrifft, vgl. unten S. 181.
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Hierher gehören endlich auch alle Notrechte, beim Notstand die gesetzlich geregelten Fälle der §§ 228, 904 BGB ebenso wie der übergesetzliche Notstand. Hier ist eine Rechtfertigung nicht deshalb ausgeschlossen, weil es der Täter an einer sorgfältigen Prüfung hat fehlen lassen, ob wirklich eine Gefahr vorliegt und ob diese nicht auf andere Weise abwendbar ist, und die Tat ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil er die Wertentscheidung, aus der sich der Vorrang der geschützten Interessen ergibt, nicht gewissenhaft nachvollzogen hat. Der das Gegenteil besagende, erstmals in RGSt 62 138 aufgestellte Grundsatz ("Fehlt es an einer solchen Prüfung, dann besteht der Rechtfertigungsgrund selbst dann nicht, wenn nachträglich festgestellt wird, daß die sonstigen Voraussetzungen gegeben waren") ist nie schlüssig begründet worden47 ; er würde z. B. dazu führen, daß der Arzt, der das Vorliegen der objektiven Notstandsvoraussetzungen zutreffend angenommen und die Schwangerschaft zum Zweck der Rettung der Mutter unterbrochen hat, wegen Abtreibung zu bestrafen ist, nur weil seine Untersuchung, durch die er die medizinische Indikation ermittelt hat, nicht sorgfältig genug gewesen ist, ein Ergebnis, von dem Welzel mit Recht sagt, daß es sich selbst kennzeichne48 • Es ist deshalb ein Fortschritt, wt;!nn nunmehr § 39 E 1962 beim Notstand auf die pflichtgemäße Prüfung als Rechtfertigungsvoraussetzung verzichtet hat. Um so unverständlicher ist es dann freilich, daß dieses Merkmal in § 186 a Nr. 2 des Entwurfs bei der Rechtfertigung von Verletzungen des Berufsgeheimnisses wiederkehrt. Es handelt sich hier um ganz normale Kollisionsfälle, die sich jedenfalls im Prinzip von denen des Notstands nicht unterscheiden: Ein Arzt kann sich etwa, um an ein bereits genanntes Beispiel anzuknüpfen, nur dadurch gegen den Vorwurf einer Straftat verteidigen, daß er ein ihm anvertrautes Geheimnis seines Patienten preisgibt, oder er verletzt seine Schweigepflicht, um einen anderen vor einer Ansteckung zu bewahren. Es gelten daher auch die gewöhnlichen Kollisionsregeln, d. h. die Geheimnisoffenbarung ist befugt, wenn sie zum Schutz anderer 47 Aus dem in RGSt 62 138 vorangestellten Grundsatz, "daß es dann, wenn zwei rechtlich geschützte Güter in Widerstreit geraten und das eine nur auf Kosten des anderen erhalten werden kann, nicht gegen die Rechtsordnung verstößt, also nicht rechtswidrig ist, das höherwertige auf Kosten des geringerwertigen zu wahren", folgt dies jedenfalls nicht. Daraus ergibt sich nur, daß die Tat nicht rechtswidrig ist, wenn die Kollision tatsächlich besteht. 48 JZ 1955, S. 143. Zwar ist, worauf auch Welzel hinweist, keine Entscheidung bekanntgeworden, in der ein Notstandstäter nur deshalb, weil er nicht pflichtgemäß geprüft hat, trotz eindeutigen Vorliegens aller sonstigen Voraussetzungen bestraft worden wäre; immerhin flnden sich jedoch Urteile, in denen es heißt, es könne dahingestellt bleiben, ob ein übergesetzlicher Notstand überhaupt vorgelegen habe, denn der Täter dürfe sich auf diesen Rechtfertigungsgrund schon deshalb nicht berufen, weil er es an einer pflichtgemäßen Prüfung habe fehlen lassen (so z. B. RGSt 61101 (104), wo das schwierige Problem des Staatsnotstandes auf diese Weise umgangen wird).
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Güter erforderlich ist und wenn eine unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfolgende Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt, daß das durch die Tat geschützte Interesse den Vorrang beanspruchen darf. Mit Recht ist daher noch der E 1960 davon ausgegangen, daß diese Fälle in erster Linie nach den Grundsätzen, wie sie in § 39 ihren allgemeinen Ausdruck gefunden haben, zu beurteilen sind 49 • Es wäre auch nicht zu befürchten gewesen, daß sich die dort zur Verfügung gestellte Rechtfertigungsnorm als zu eng erwiesen hätte und die Praxis mit ihr deshalb nicht ausgekommen wäre. Wenn demgegenüber die amtliche Begründung zum E 196250 unter Berufung auf die bisherige Judikatur gerade diesen Gesichtspunkt ins Feld führt, um die Notwendigkeit des § 186 a darzutun, so findet dies in den als Beleg genannten Entscheidungen BGHSt 1 366, 9 61 und BGH JR 1956 S. 430 keinerlei Bestätigung. Hier ging es um die Frage, ob ein Anwalt befugt ist, ein ihm anvertrautes Geheimnis preiszugeben, um der Gefahr einer Bestrafung zu entgehen bzw. um sich Straffreiheit oder Strafmilderung nach § 158 zu verdienen. Der BGH hat dies in beiden Fällen mit der Begründung bejaht, das Interesse des Anvertrauenden an der Geheimhaltung müsse hier zurücktreten hinter dem Interesse des Anwalts, aus dem Strafverfahren unbestraft hervorzugehen51 • Es sind dies also die gleichen Erwägungen, die auch sonst beim übergesetzlichen Notstand angestellt werden. Selbst wenn jedoch die in der Begründung zu § 186 a beschworene Gefahr tatsächlich gegeben wäre - sie könnte allenfalls darin liegen, daß die Rechtfertigung hier nicht auf die Fälle einer .. gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut" (§ 39) beschränkt werden kann 52 - , so bliebe der Widerspruch zu § 39 bestehen. Die richtige Konsequenz wäre es dann gewesen, § 39 entsprechend zu erweitern, nicht aber, die Rechtmäßigkeit der Geheimnisoffenbarung von dem zusätzlichen Erfordernis der pflichtgemäßen Prüfung abhängig zu machen. Ebenso wie beim Notstand besteht auch hier das Recht zur Verletzung des geschützten Rechtsguts nicht, wenn und weil der Täter das Für und Wider pflichtgemäß abgewogen hat, sondern allein deshalb, weil die Tat zum Schutz eines anderen Interesses objektiv erforderlich ist und weil dieses Interesse objektiv überwiegt 5s• Der Hinweis auf die Erfüllung .. der dem Täter nach E 1960, Begründung S. 306. S.340. 51 So ausdrücklich BGHSt 1368; ähnlich unter Berufung auf diese Entscheidun~ BGH JR 1956, S. 430. Dage~en geht es in BGHSt 961 um die prozessuale Fra!1e der VerweM;barkeit einer nach § 300 StGB rechtswidrigen Aussage, wo lediglich am Rande auf BGHSt 1366 verwiesen wird. 52 Versteht man unter dem Begriff .. Rechtsgut" jedes rechtlich anerkannte (nicht nur strafrechtlich geschützte!) Interesse, so dürfte freilich auch diese Gefahr kaum bestehen. 53 Wenn etwa Eb. Schmidt. Der Arzt im Strafrecht (1939), S. 48 ff. außel"dem noch die "einwandfreie Tendenz" des Handelnden fordert, so ist dies insofern 48 50
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den Umständen obliegenden Prüfungspflicht" in § 186 a Nr. 2 ist deshalb zu streichen. Wenn die Vorschrift überhaupt beibehalten werden soll5', so ist sie an der Regelung des § 39 zu orientieren und nicht an der Bestimmung des § 178 über die Wahrnehmung berechtigter Interessen bei der Beleidigung, bei der, wie sich sogleich zeigen wird, die Dinge völlig anders liegen. Denn nicht alle Rechtfertigungsgründe lassen sich restlos auf den Gedanken zurückführen, daß das betroffene Gut tatsächlich nicht geschützt sein wollte oder daß seine Verletzung im Zeitpunkt der Tat zum Schutz anderer Interessen wirklich notwendig war. So kann bei der mutmaßlichen Einwilligung nicht auf das Prinzip des mangelnden Interesses zurückgegriffen werden, wenn wirklicher und mutmaßlicher Wille auseinandergehen, die Handlung dem Willen des Betroffenen im Einzelfall also gerade nicht entspricht. Ebenso kann bei Amtshandlungen die Tat nach herrschender Meinung auch dann gerechtfertigt sein, wenn die sachlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten nicht vorlagen, der Eingriff in das geschützte Rechtsgut im Ergebnis also zu Unrecht erfolgte. Das gleiche gilt für die Wahrnehmung berechtigter Interessen in § 193. Das Hauptanwendungsgebiet dieser Vorschrift ist bekanntlich § Hi6, und gerade in diesen Fällen fehlt es immer an einer wirklichen Kollision zwischen dem wahrgenommenen Interesse und der Ehre des Verletzten55• Dies ergibt sich aus dem eigenartigen Verhältnis beider Bestimmungen. Die ehrenrührige Behauptung wäre nämlich nur dann zum Schutz eines berechtigten Interesses erforderlich, wenn der erhobene Vorwurf wahr wäre: Das Interesse etwa, daß in einer Behörde gewisse Mißstände beseitigt werden, bestünde nur, wenn solche tatsächlich vorhanden wären, die Angehörigen dieser Dienststelle also die Unregelmäßigkeiten, deren sie bezichtigt werden, wirklich begangen hätten. Ist dagegen die behauptete Tatsache nicht erweislich wahr - und nur an diese Situation knüpft § 193 an -, so muß wegen der genannten Abhängigkeit des einen Merkmals vom anderen davon ausgegangen werden, daß auch das vom Täter wahrgenommene Interesse nicht bestand oder daß die beleidigende Äußerung zu seinem Schutze jedenfalls nicht erforderlich war. Ebenso wie in den erwähnten Fällen des amtlichen Handelns fehlt der Tat hier deshalb ein berechtigt, als auch hier, entsprechend dem Verteidigungs- oder Rettungswillen, der Wille zum Schutz des gefährdeten Interesses hinzukommen muß. Unrichtig ist es jedoch, wenn - ohne die beiden Momente klar zu trennen auch die "innere Gewissenhaftigkeit" des Täters in dem Sinn verlangt wird, daß der Täter nicht leichtfertig gehandelt haben dürfe. Damit wird eine Prüfungspfiicht ins Spiel gebracht, was in Widerspruch steht zu den Ausführungen von Eb. Schmidt beim übergesetzlichen Notstand (ZStW 49, S. 390 ff.). 54 Dafür besteht nach dem Gesagten kein Bedürfnis. Auch § 186 a Nr. 1 Straflosigkeit, wenn der Täter das Geheimnis "zur Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht offenbart" - ist, weil etwas völlig Selbtsverständliches besagpnd, überflüssig. $6 So mit Recht auch Welzel, Strafrecht, S. 285.
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von der Sache her berechtigter Anlaß. Nun kann sich ex post zwar auch beim Notstand usw. ergeben, daß das verletzte Gut umsonst geopfert wurde (das schädigende Ereignis wäre, wie sich nachträglich herausstellt, nicht eingetreten). Dennoch handelt es sich dort um einen echten Kollisionsfall, weil bei objektiv begründetem Gefahrurteil, das immer ein ex-ante-Urteil über eine künftige Entwicklung ist, auch die Handlung z. Z. der Tat objektiv erforderlich war. Anders in den vorliegenden Fällen: daß die Voraussetzungen für ein amtliches Einschreiten nicht gegeben sind oder daß die behauptete ehrenrührige Tatsache nicht erweislich wahr ist und ein tatsächlich berechtigtes Interesse an der Äußerung deshalb nicht besteht, sind Umstände, die schon im Zeitpunkt der Tat feststehen51 • Hier läßt sich deshalb auch nicht sagen, die Tat sei z. Z. ihrer Begehung objektiv erforderlich gewesen. Es zeigt sich also, daß es in diesen Fällen gerade an dem Sachverhalt fehlt, der sonst Grundlage der Rechtfertigung ist. Nur hier kann daher auch die Frage entstehen, ob die pflichtgemäße Prüfung für den Unrechtsausschluß von Bedeutung ist, und zwar in dem Sinn, ob eine an sich falsche Handlung ausnahmsweise durch die persönliche Gewissenhaftigkeit des Täters rechtmäßig werden kann. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Im übrigen ist jedoch als Ergebnis festzuhalten, daß eine objektiv richtige Handlung nicht wegen des Unterlassens pflichtgemäßer Prüfung rechtswidrig ist. IV. Fehlen die objektiven Gründe, auf denen die Rechtfertigung beruht, hat der Täter jedoch nach pflichtgemäßer Prüfung der Sachlage angenommen, sein Tun sei erlaubt, so scheint dies zunächst ausschließlich ein Irrtumsproblem zu sein, das erst bei der Schuld von Bedeutung wird. Aber schon die zuletzt behandelten Fälle der Wahrnehmung berechtigter Interessen usw. lassen vermuten, daß dies zumindest eine voreilige Verallgemeinerung ist. Die überkommene Auffassung, daß es sich auch bei diesen Fällen um Rechtfertigungsgründe handelt, läßt sich überhaupt nur halten, wenn es möglich ist, den hier bestehenden Mangel im objektiven Sachverhalt durch das Merkmal der pflichtgemäßen Prüfung zu kompensieren. Dabei erweist sich ein Gedanke als fruchtbar, auf den bei § 193 zuerst Gallas 57 und Welzel 58 aufmerksam gemacht haben. Danach ist die Wahr58 Allein an die Nichterweislichkeit z. Z. der Tat knüpft § 186 an. Prozessual wirkt sich dies zwar so aus, daß der Wahrheitsbeweis erst später erhoben und nach der im Prozeß sich ergebenden Beweislage entschieden wird. Doch ist dies keine Besonderheit: Wird der Wahrheitsbeweis erbracht, so war die Behauptung schon z. Z. der Tat objektiv wahr; gelingt er dagegen nicht, so hat der Richter umgekehrt davon auszugehen, daß die Äußerung auch schon im Zeitpunkt der Tat nicht erweislich wahr gewesen ist. 57 Niederschriften über die Sitzungen der Gr. Strafrechtskommission, Bd. 9,
S. 71.
&8 Strafrecht, S. 284 f. m. w. Nachw.; im Anschluß an Gallas und Welzel auch Hirsch, ZStW 74, S. 100, Anm. 87 a.
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nehmung berechtigter Interessen lediglich ein besonderer Anwendungsfall des Prinzips des erlaubten Risikos, und in der Tat kann nur auf diese Weise erklärt werden, warum die Ehrverletzung gerechtfertigt ist, obwohl der Täter im Ergebnis unrichtig gehandelt hat. Dürften ehrenrührige Behauptungen immer nur dann aufgestellt werden, wenn sie der Täter schon im Augenblick endgültig verifizieren kann, so könnten auch wirklich berechtigte Interessen in vielen Fällen nicht wahrgenommen werden. Damit überhaupt berechtigte Kritik geübt werden kann, nimmt das Recht deshalb auch die Gefahr einer im Einzelfall von der Sache her nicht erforderlichen Ehrverletzung in Kauf, wenn die beleidigende Äußerung nicht erweislich wahr ist. Freilich nimmt es diese Gefahr nur im Rahmen des Unvermeidlichen hin, d. h. wenn in der konkreten Situation alles geschehen ist, was billigerweise getan werden mußte, um sie auf das danach mögliche Minimum zu beschränken. Darin liegt dann das "erlaubte" oder "maßvolle" Risikos" und auf diese Weise ergibt sich auch ganz zwanglos die Bedeutung der Prufungspflicht: Nur wenn der Täter durch pflichtgemäße Prüfung der Sachlage - dazu gehört die Wahrheit der fraglichen Tatsache ebenso wie die Berechtigung des Täters zur Interessenwahrnehmung und die Erforderlichkeit der Behauptung (z. B. Presseveröffentlichung statt Anzeige)80 - die Gefahr einer im Ergebnis ungerechtfertigten Ehrverletzung soweit als möglich ausgeschlossen hat, ist das Risiko ein erlaubtes und die Tat von diesem gedeckt. Dabei ist unter "pflichtgemäßer Prüfung" zu verstehen, daß der Täter den Umständen nachgegangen ist, deren Berücksichtigung nach Lage des konkreten Falles für einen besonnenen und redlich denkenden Menschen möglich und zumutbar ist. Die Berufung auf § 193 ist deshalb nicht erst dann ausgeschlossen, wenn die Pflichtwidrigkeit, wie vielfach angenommen wird, in der qualifizierten Form der Leichtfertigkeit besteht81 . Andererseits ist auch nicht erforderlich, daß die Pflichtverletzung dem Täter zum persönlichen Vorwurf gereicht, denn für die Frage der Rechtswidrigkeit, die ein Urteil über die Tat und nicht über den Täter ist, kann es darauf hier so wenig wie sonst ankommene2 • "Zur Wahrnehmung berechtigter Interessen" (§ 193) hat der Täter demnach gehandelt, wenn er nach objektiv-sorgfältiger Prüfung die ehrenrührige Behauptung für wahr und zum Schutz berechtigter Interessen für erforderlich halten durfte. GI Wobei Welzel (a.a.O., S. 285) mit Recht darauf hinweist, daß hier im Unterschied zu den üblichen Fällen des erlaubten Risikos die Ungewißheit nicht die künftige Entwicklung, sondern die gegenwärtige Sachlage betreffe. 80 Vgl. Schaffstein, NJW 1951, S. 693. 61 Vgl. Schönke!Schröder, § 193 Anm. 11 m. w. Nachw. 62 And. die h. M., die dem Täter bei Verletzung seiner Prüfungspflicht nicht nur die Berufung auf § 193 versagt, sondern ihn auch nach § 186 wegen vorsätzlicher Tat bestraft. Dies ist ohne Verstoß gegen den Schuldgrundsatz nur möglich, wenn dem Täter die Pflichtverletzung auch vorgeworfen werden kann.
Rechtfertigungsgründe und das Erfordernis pflichtgemäßer Prüfung 181 Auf diese Weise gewinnt die pflichtgemäße Prüfung die Bedeutung eines echten Rechtfertigungselements. Sie ersetzt den fehlenden objektiven Sachverhalt und übernimmt die Rolle eines die Rechtmäßigkeit konstituierenden Merkmals. Dies gilt nicht nur für die Wahrnehmung berechtigter Interessen, sondern für alle Rechtfertigungsgründe, die zugleich Elemente des erlaubten Risikos enthalten. Dazu gehören die früher genannten Fälle einer ohne die erforderlichen sachlichen Voraussetzungen vorgenommenen Amtshandlung und das Handeln mit mutmaßlicher Einwilligung, bei der die Tat dem wahren Willen des Betroffenen zuwiderläuft. Auch hier läßt sich die Rechtmäßigkeit nur auf dem gleichen Weg begründen wie bei § 193: Sowohl bei Amtshandlungen wie bei der mutmaßlichen Einwilligung nimmt das Recht die Gefahr von Fehlentscheidungen in den Grenzen des erlaubten Risikos hin, womit dann wiederum die pflichtgemäße Prüfung zum entscheidenden Kriterium wird. Bei der den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllenden Amtshandlung erklärt dies den seit langem anerkannten Grundsatz, daß sie allein deshalb gerechtfertigt sein kann, weil der Beamte sein "pflichtgemäßes Ermessen" hat walten lassen. Bei der mutmaßlichen Einwilligung wird zwar üblicherweise darauf abgestellt, ob die Einwilligung nach objektivem Urteil zu erwarten gewesen wäre, doch bedeutet dies in Wahrheit, daß der Täter nach pflichtgemäßer Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sein muß, die Tat entspreche dem Willen des Betroffenen. Es bleiben die übrigen Rechtfertigungsgründe, also insbesondere N otwehr, Notstand, Einwilligung usw. Fehlen deren objektive Voraussetzungen, hat sie der Täter jedoch nach pflichtgemäßer Prüfung für gegeben angenommen, so liegt nach dem bisher Gesagten die Frage nahe, ob hier nicht ebenfalls von einem erlaubten Risiko gesprochen werden kann, in dessen Grenzen das Handeln in Putativnotwehr usw. rechtmäßig wäre. Wie bei § 193, so könnte vielleicht z. B. auch bei § 53 argumentiert werden, die Rechtsordnung nehme die Gefahr von im Ergebnis unberechtigten Verletzungen in Kauf, wenn nach sorgfältiger Prüfung angenommen werden durfte, die Notwehrvoraussetzungen seien erfüllt. Doch ist dies keineswegs zwingend. Es lassen sich durchaus Gründe dafür finden, warum das Recht nur bei einem Teil der Rechtfertigungsgründe ein erlaubtes Risiko anerkennt. Es sind dies nur die Fälle, in denen es aus besonderen Gründen wirklich zwingend ist, den Täter von dem Risiko einer pflichtgemäß getroffenen, aber im Ergebnis falschen Entscheidung zu befreien. Dazu gehört die Wahrnehmung berechtigter Interessen, bei der mit BGHSt 12 293 darauf hingewiesen werden kann, daß sie "eine besondere Ausprägung des im Art. 5 GG normierten Grundrechts der freien Meinungsäußerung ist, das für eine freiheitliche demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend ist". Wenn das Gesetz im § 186 dem Täter im Interesse eines möglichst wirksamen
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Ehrenschutzes das Risiko des non liquet aufbürdet, obwohl die Behauptung möglicherweise wahr ist und damit kein Unrecht wäre, so ist dies nur tragbar bei der Einschränkung, daß die Nichterweislichkeit dem Täter dann nicht zur Last fallen soll, wenn er bei pflichtgemäßer Prüfung zu der Auffassung kommen durfte, die Äußerung sei zum Schutze berechtigter Interessen erforderlich. Vollends auf der Hand liegt die Notwendigkeit eines erlaubten Risikos bei Amtshandlungen: Dürfte ein Beamter nur tätig werden, wenn er die absolute Gewißheit über das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen hat, so würde dies in weiten Bereichen die Erfüllung staatlicher Aufgaben unmöglich machen. Aus diesem Grund hat der Staat "das große Vorrecht zu irren"83. Bei der mutmaßlichen Einwilligung ist schließlich der Gedanke entscheidend, daß die Tat hier zwar nicht notwendigerweise, aber in praxi meistens durchaus altruistische Züge trägt, indern sie wichtige andere Interessen des Verletzten schützen soll. Wenn der Täter z. B. in Abwesenheit des Nachbarn in dessen Wohnung eindringt, um die zersprungene Wasserleitung zu reparieren, so verdient dies Anerkennung. Hier wäre es deshalb unbillig, den Täter, der sich für fremde Interessen einsetzt, das Risiko tragen zu lassen, daß seine pflichtgemäß gewonnene Entscheidung dem tatsächlichen Willen des Betroffenen nicht entspricht. Freilich verliert diese Beschränkung des erlaubten Risikos auf bestimmte Fälle an Bedeutung, wenn man von der neueren Lehre ausgeht, wonach ganz generell eine Rechtsgutsverletzung bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht rechtswidrig ist8c . Entfällt nämlich, wie die h. M. annimmt, beim Irrtum über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes eine vorsätzliche Tat und kommt nur eine fahrlässige Begehung in Betracht, so bedeutet dies, daß es schon am Tatbestand, zumindest aber an der Rechtswidrigkeit des Fahrlässigkeitsdelikts fehlt, wenn der Täter die objektive Sorgfalt eingehalten hat, d. h. wenn sein Irrtum auch bei pflichtgemäßer Prüfung nicht zu vermeiden war. Auf diese Weise würde die pflichtgemäße Prüfung bei allen Rechtfertigungsgründen im Endergebnis zur Rechtmäßigkeit führen 86 . Nur nach der strengen Schuldtheorie bliebe die Tat auch in diesem Fall rechtswidrig, da sich die pflichtgemäße Prüfung erst bei der Schuld in der mangelnden Vorwerfbarkeit des Irrtums auswirken würde. Dabei Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., S. 373. Das erlaubte Risiko ginge dann in diesem weitergehenden Grundsatz auf. Nur für eine Anerkennung des erlaubten Risikos in bestimmten Fällen jedoch auch heute noch z. B. SchönkelSchröder, § 59 Anm. 165 ff., Oehler, Festschrift f. Eb. Schmidt, S. 243 ff., H. Mayer, Strafrecht, S. 186!f. 8S Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß der Betroffene die Verletzung seiner Rechtsgüter dulden müßte. Zwar macht die Annahme einer Notwehrmöglichkeit Schwierigkeiten, wenn man die Rechtswidrigkeit des Angriffs i. S. eines von der Rechtsordnung negativ bewerteten Verhaltens versteht daran fehlt es hier gerade -, doch bleibt die Möglichkeit, in diesen Fällen mit der Anerkennung eines rechtfertigenden Notstandes zu helfen. U
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müssen allerdings, worauf hier lediglich am Rande hingewiesen werden kann, diejenigen Anhänger der strengen Schuldtheorie in eine mißliche Situation geraten, die bei den fahrlässigen Delikten die Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt schon an früherer Stelle berücksichtigen. Wenn es richtig ist, daß die Rechtsordnung niemandem mehr als die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gebieten kann66 , so ist es ein Widerspruch, dem trotz pflichtgemäßer Prüfung zustandegekommenen Irrtum über die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erst bei der Schuld Rechnung zu tragen. V. Unter Rechtswidrigkeitsgesichtspunkten völlig unproblematisch sind dagegen die Fälle, in denen es sowohl an den objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen als auch an einer pflichtgemäßen Prüfung des Täters fehlt. Es ist selbstverständlich, daß die Tat unter diesen Umständen rechtswidrig ist. Die Verletzung der Prüfungspflicht hat dann lediglich noch für die Irrtumsfragen Bedeutung, die hier freilich nur kurz angedeutet werden können. Während die strenge Schuldtheorie in keine Schwierigkeiten gerät, muß die h. M. in einigen Fällen um angeblicher oder wirklicher kriminalpolitischer Bedürfnisse willen Inkonsequenzen gegenüber dem eigenen System in Kauf nehmen. Das bekannteste Beispiel liefert die Rechtsprechung zum übergesetzlichen Notstand. Daß die Praxis hier seit RGSt 62 137 an einem offenkundigen Widerspruch leidet, wenn sie den Täter bei schuldhaft irriger Annahme der Notstandsmerkmale im Gegensatz zur Putativnotwehr usw. wegen vorsätzlicher Tat bestraft, ist schon immer Gegenstand der Kritik gewesen87 • Hinzuzufügen ist lediglich, daß die - beim Notstand an sich schon verfehlte - Erhebung des Erfordernisses pflichtgemäßer Prüfung in den Rang einer Rechtfertigungsvoraussetzung nicht einmal das geeignete Mittel gewesen sein dürfte, um den Folgen des § 59 zu entgehen. Denn ein Irrtum ist nicht nur über das Bestehen und die rechtlichen Grenzen der Prüfungspflicht denkbar - dies wäre ein Verbotsirrtumes -, sondern der Täter kann auch irrtümlich angenommen haben, er habe alle die Umstände in Erwägung gezogen, deren Prüfung ihm möglich und zumutbar war. Warum Fehlvorstellungen dieser Art nicht ebenfalls zum Vorsatzausschluß führen sollen, wenn die pflichtgemäße Prüfung wirklich eine echte Rechtfertigungsvoraussetzung wäre, ist jedoch nur schwer einzusehen89 • Welzel, Strafrecht, S. 221. Vgl. die Schrifttumsangaben in Anm. 15. 68 Nur dieser Irrtum wird in BGHSt 3 7 anerkannt. se Für Vorsatzausschluß wohl auch Mezger/Blei, Stud. Buch I, S. 142: Unvorsätzlich handle, wer irrig alle Voraussetzungen annehme, die die (vermeintliche) Notstandslage rechtfertigen würden, wozu Blei auch die pflichtgemäße Prüfung rechnet. 68
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Schwierigkeiten müssen sich für die h. M. auch bei § 193 ergeben. Die Rechtsprechung neigte hier ursprünglich zu der Auffassung, daß die irrtümliche Annahme, zur Wahrung berechtigter Interessen zu handeln, als Irrtum über den Tatbestand eines Rechtfertigungsgrundes unter § 59 falle 70 • Dies änderte sich erst, als in der neueren Judikatur die Erkundigungspflicht an Bedeutung gewann: jedenfalls leichtfertig aufgestellte Behauptungen sollten jetzt als (vorsätzliche) Beleidigung strafbar sein. Daß diese Einschränkung mangels eines Fahrlässigkeitstatbestandes im Interesse eines wirksamen Ehrenschutzes liegt, läßt sich gar nicht bestreiten, ebensowenig jedoch, daß sie nach der herrschenden Irrtumslehre kaum zu begründen ist. Glaubte der Täter, seine Äußerung sei zum Schutz eines berechtigten Interesses erforderlich, so müßte dieser Irrtum, selbst wenn er auf Leichtfertigkeit beruhte, nach allgemeinen Regeln zum Vorsatzausschluß führen 71 • Diese Schwierigkeiten lassen sich auch nicht durch den Einbau des besonderen Rechtfertigungselements der pflichtgemäßen Prüfung beheben7l• Wenn dem Täter die Berufung auf § 193 nur unter dieser Voraussetzung gestattet wird, so ist dies lediglich für die Frage der Rechtfertigung von Bedeutung. Daraus folgt nur, daß die Tat bei Verletzung der Prüfungspflicht rechtswidrig ist, nicht aber, daß sie auch vorsätzlich ist7s. Es verhält sich hier nicht anders als in den Fällen, in denen ein Beamter nach oberflächlicher Untersuchung der Sachlage irrig annimmt, der Anlaß für ein amtliches Tätigwerden sei gegeben: er handelt dann zwar mangels pflichtgemäßer Prüfung rechtswidrig, nach der überkommenen Lehre jedoch nicht vorsätzlich. Will die h. M. den Täter dennoch nach § 186 bestrafen, so muß sie - durchaus systemwidrig - eine Anleihe bei der strengen Schuldtheorie machen. Die Grundsätze, die nach der eigenen Lehre zur Verfügung stehen, reichen hierfür nicht aus.
Vgl. RGSt 6405 (409), 24223 (224), 59414 (416). Durchaus konsequent daher MezgeTIBlei, Stud. Buch H, S. 108. 71 So jedoch Schaffstein, NJW 1951, S. 693. 73 Sieht man in der Erfüllung der Prüfungspflicht selbst ein taugliches Vorsatzobjekt, so könnte der Täter wegen vorsätzlicher Tat nach § 186 zwar bestraft werden, wenn er z. B. weiß, daß er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Informationsmittel ausgenützt hat. Diese Fälle dürften jedoch kaum praktische Bedeutung haben. 70
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Objektive Schuldelemente Von Werner Maihofer, Saarbrücken Die Entdeckung der Bedeutung subjektiver Unrechtselemente für die Konstitution des Unrechts hat eine rein äußerliche: objektive Auffassung der "Tatbestandsmäßigkeit"l unmöglich gemacht. Die Frage lag nahe, ob nicht entsprechend auch die Schuld durch objektive Schuldelemente mitkonstituiert werde, darum auch die bisherige rein innerliche: subjektive Auffassung der "Schuld" aufgegeben werden müsse. Im Gegensatz zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, die zu einem folgenreichen Umdenken des strafrechtlichen Unrechtsbegriffs geführt hat, wird schon die Möglichkeit objektiver Schuldelemente bis heute überwiegend geleugnet. Selbst aber, wo vereinzelt objektiven Momenten der Straftat grundsätzliche Bedeutung für die Konstitution der Schuld zuerkannt wird, sind die gebotenen Konsequenzen für den strafrechtlichen Schuldbegriff zwar da und dort erwogen, aber nirgendwo wirklich gezogen worden.
Einleitung: Objektive Schuldelemente und normativer Schuldbegriff Welche weitreichenden Folgerungen aus dem Vorhandensein objektiver Schuldeleme'rl,te, von den Voraussetzungen der heute herrschenden normativen Schuldlehre aus, zu ziehen wären, hat als erster Hellmuth Mayer ausgesprochen2 • Sieht man mit der normativen Schuldlehres die Schuld in einem "mißbilligten psychischen Sachverhalt", der "nicht nur wegen seiner inhaltlichen Beziehung auf die verbotene Tat dem Täter vorgeworfen wird", sondern vor allem deshalb, weil dieser die rechtswidrige Handlung "verursachende seelische Vorgang" fehlerhaft und darum als "antisoziale Gesinnung" einer "antisozialen Persönlichkeit" 1 Wie wir sie noch bei Beting (Grundzüge, 11. Auf!. 1930, S. 17 und 24) finden, wo das Unrecht einer Tat ausschließlich auf Merkmale bezogen wird, die auf der "äußeren (objektiven) ... Seite der Handlung" liegen, auf die sich dann die "innere (subjektive) Seite der Handlung" beziehen muß, die dem Täter als Schuld "vorwerfbar" ist, wenn es "im Inneren des Handelnden nicht so ausgesehen" hat, "wie es nach Anforderung der Rechtsordnung hätte sein sollen". l! Hellmuth Mayer, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1953, S. 214. 3 Vgl. deren Darstellung bei Hellmuth Mayer, a.a.O., S. 212 f.
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tadelnswert war, dann ist in der Tat mit Hellmuth Mayer 4 zu fragen, ob nicht "alle strafbegründenden, strafmindernden oder strafausschließenden objektiven Merkmale des Tatbestandes, welche symptomatisch für die Gesinnung des Täters sind", als "sogenannte objektiv gefaßte Schuldmerkmale" zur "Schuld gerechnet" werden müßten; so "z. B. die meisten strafschärfenden Merkmale des schweren Diebstahls nach § 243, die Unehelichkeit der Geburt nach § 217, die Abhängigkeit der unter 18 Jahren alten Kinder nach § 173". Findet man so mit der normativen Schuldlehre die Schuld in der Fehlerhaftigkeit und damit Tadelnswertheit des die Tat verursachenden
"falschen Motivationsverhaltens" , dann müßten folgerichtig "alle Tatbestände darauf untersucht werden, inwieweit objektive Tatmerkmale die Sozialschädlichkeit oder die antisoziale Gesinnung charakterisieren. Denn für die Rechtswidrigkeit der objektiven Tat bliebe ja nur die Sozialschädlichkeit als begriffliches Merkmal übrig, nachdem alle personalsubjektiven Momente für die Schuldlehre beschlagnahmt sind". Darum gelangt Hellmuth Mayer am Ende seiner Erörterung der normativen Schuldlehre zu der Feststellung: "Die offenkundige Undurchführbarkeit eines solchen Unternehmens ändert nichts daran, daß es die logische Konsequenz der normativen Schuldlehre ist"5. Er hält sie darum in ihren Voraussetzungen für unhaltbar, weil in ihren Folgerungen für undurchführbar. So wie die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen die Voraussetzungen des objektiven Unrechtsbegriffs in Frage gestellt und zu dessen Aufgabe zugunsten eines personalen Unrechtsbegriffs gezwungen hate, so entscheidet sich an der Sache der objektiven Schuldelemente nichts weniger als die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit des bisherigen normativen Schuldbegriffs. Die Frage ist nur, ob dieser offenkundige Widerspruch zwischen den Voraussetzungen und den Folgerungen der herrschenden Schuldlehre, den Hellmuth Mayer feststellt, sich nicht bei näherem Zusehen dahin auflöst, daß wir diese Lehre von den objektiven Schuldelementen als einen Irrtum und Irrweg erkennen, oder ob wir im Gegenteil durch den unwiderleglichen Nachweis solcher objektiver Elemente in der Schuld genötigt werden, unseren bisherigen rein subjektiven und negativen Schuldbegriff auch hier, zugunsten eines neugefaßten subjektiv-objektiven und positiven Schuldbegriffs aufzugeben, wie Hellmuth Mayer dies in der Sache mit seiner "Tatherrschaftslehre" vorschlägt. Danach soll die Schuld nicht in einem negativen Unwerturteil über die psychische Verfassung des 4
a.a.O., S. 214.
a.a.O. Dazu Maihofer, Der Unrechtsvorwurf, in: Festschrift für Theodor Rittler, 1957, S. 142 ff. S
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Täters als "Grund" der Tat, sondern in dem "höchst positiven Werturteil" über das psychische Verhalten des Täters liegen: daß die Tat das "Willenswerk des Täters", d. h. der Täter "Herr seiner Tat" gewesen seF. Auch für eine solche Deutung des positiv-normativen Kerns der Schuld (im Schuldsachverhalt) als Tatherrschaft stellt sich jedoch nicht nur die Frage, ob es nicht daneben auch hier des weiteren negativnormativen Schuldelements der Vorwerfbarkeit (des Schuldvorwurfs) bedarf, sondern ebenso auch die Frage, inwieweit nicht eben diese Tatherrschaft als "Grund" der positiven Zurechnung einer Tat zur Schuld, neben der psychologischen Verfassung des Täters, durch die soziologischen Umstände der Tat mitbestimmt wird. Nötigte aber damit nicht gerade eine solche gewandelte positive Auffassung der Schuld als Tatherrschaft zur Berücksichtigung der objektiven: äußeren Umstände der Tat für die Beurteilung der Frage, ob die Tat "Willenswerk des Täters" war oder nicht? Dies aber erforderte, daß neben den objektiv-psychologischen Momenten, auf die Hellmuth Mayer sein Schuldurteil: "Du warst Herr Deiner TaU" abstellen will, auch objektiv-soziologische Momente zur Begründung solcher "Tatherrschaft" mit heranzuziehen wären. Was aber bedeutete dies in der Sache anders als die dogmatische Anerkennung und systematische Einordnung der bisherigen sogenannten "objektiven Schuldelemente" als "täterschaftsbegründende Schuldelemente"8? Damit aber müßten wir folgerichtig, unter Aufgabe der bisherigen Unterscheidungen von "objektivem" Unrecht und "subjektiver" Schuld, nach beiden Seiten hin (nicht nur der des Unrechts), von jeweils tatbestandsbegründenden und von täterschaftsbegründenden objektiven und subjektiven Unrechts- und Schuldelementen sprechen und entsprechend der Tatbestandsmäßigkeit (im Unrechtssachverhalt) eine Täterschaftlichkeit (im Schuldsachverhalt) entgegenstellenD. Wir vermuten so schon nach dieser Vorerörterung, daß sich diese sogenannten objektiven Schuldelemente geradezu als der Schlüssel erweisen könnten, der uns ein solches neues, in Hellmuth Mayers Gedanke der "Tatherrschaft" angelegtes Verständnis der Schuld als Täterschaftlichkeit aufschließt. Gibt es aber solche objektiven Schuldelemente überhaupt?
Mayer, a.a.O., unter Bezugnahme auf Hegler, zstW 36, S. 184 ff. Zu diesem Begriffe jetzt: Roxin, Tätel.'lSchaft und Tatherrschaft, 1963, S. 332 fr. 8 Entsprechend würde sich ein Teil der bisherigen sogenannten Entschuldigungsgründe als "Täterschaftsaufhebungsgründe" darstellen; vgl. dazu schon Maihofer, Der Handlungsbegriff im Verbrechenssystem, 1953, S. 74. 7
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I. Der heutige Stand der Lehre von den objektiven Schuld elementen Selbst Mezger, der die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen nicht nur entscheidend gefördert, sondern auch deren Konsequenzen für den Aufbau des Unrechtstatbestandes in vollem Umfange gezogen hat, kommt für die Lehre von den objektiven Schuldelementen zu der Feststellung: "Objektive Umstände können höchstens ,Indizien' der Schuld, niemals aber selbst Schuld sein. Dies wäre ein Widerspruch in sich 10. " Er hält deshalb schon die bloße "Möglichkeit" objektiver Schuldmerkmale für ausgeschlossen. Nach seiner Auffassung kann es für die Schuld "zwar objektive (äußere) Anzeichen oder objektive Vermutungen, Präsumtionen usw. persönlicher Schuld, aber keine echten objektiven (äußeren) Merkmale" gebenIl. Mit Nagler 12 lehnt er darum die "erklügelte Lehre von den objektiven Schuldelementen" rundweg ab. 1. Die objektiven Schuldelemente im klassischen Straftatsystem Selbst da, wo grundsätzlich, wie bei Schönke, die Möglichkeit objektiver Schuldelemente nicht bestritten und anerkannt wird, daß "die Aufspürung der subjektiven Unrechtselemente, der objektiven Schuldmerkmale und die Aufstellung anderer Zwischenbegriffe" deutlich gemacht habe, "daß die Verbrechensmel'kmale ineinander übergehen", wird einschränkend nicht nur festgestellt, daß damit "aber nicht die für den Regelfall mögliche und notwendige Unterscheidung, in der eine wohlbegründete verschiedene Bewertung zum Ausdruck kommt", beeinträchtigt werde, sondern in Hinsicht der "objektiven Schuldmerkmale" auch der ausdrückliche Vorbehalt angefügt, daß "die auf diesem Gebiet im Schrifttum vorgenommenen Differenzierungen manchmal doch etwas zu weit gehen, jedenfalls aber zum Teil außerhalb des Bereiches der praktischen Verwertbarkeit liegen" 18. Es ist bei dieser zögernden Anerkennung schon der Möglichkeit objektiver Schuldelemente nicht verwunderlich, daß die systematischen Konsequenzen einer solchen Lehre für den strafrechtlichen Begriff der Schuld nur vereinzelt erwogen werden. So räumen heute nur Rittler und Nowakowski den objektiven Schuldelementen ausdrücklich eine dogmatische Bedeutung innerhalb des 10 So bis zuletzt Mezger - Blei, Strafrecht I, Allgemeiner Teil, Ein Studienbuch, 11. Aufl. 1965, S. 150. 11 a.a.O. Ebenso erklärt schon Radbruch (Frank-Festgabe I, S. 166): "Die scheinbar objektiven Schuldelemente sind in Wahrheit nicht objektiv, sondern durch und durch subjektiv." 1! In: Leipziger Kommentar, 6. Aufl. 1944, S. 37. 11 Schönke, Strafgesetzbuch, Kommentar, 6. AufI. 1952, S. 12; dagegen fehlt bei Schönke - Schröder, 12. Aufl. 1965, S. 14 nunmehr jegliche Bezugnahme auf objektive Elemente in der Schuld.
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klassischen Straftatsystems ein. Rittler sieht in ihnen "Schuldelemente objektiver Prägung", mit denen in Fällen, in denen "ein bestimmter Seelenzustand des Täters wesentlich erscheint", der Gesetzgeber "nicht unmittelbar an diesen Seelenzustand anknüpft, sondern an eine äußerlich gegebene Sachlage"14, wie etwa an den Akt der Geburt bei der Kindstötung des § 217 StGB (§ 139 Osterr. StGB), Rittler hält diese "Modalität der Tat" für die "Würdigung der Tat nach ihrer objektiven Beschaffenheit, insbesondere ihrer Rechtswidrigkeit", für "ganz belanglos". Sie ist für ihn "nur eine Röhenmarke der Schuld. Statt zu sagen: ,in der durch den Geburtsvorgang hervorgerufenen verminderten Zurechnungsfähigkeit' setzt der Gesetzgeber ,bei der Geburt' ", Er "substituiert" damit "dem schwer genau umreißbaren Seelenzustand der Gebärenden die Zeitspanne, in der sich die psychische Lage auswirkt"l5. Trotz dieser Auffassung der objektiven Schuldelemente als "schuldvertretende oder schuldspiegelnde objektive Merkmale" stimmt jedoch Rittler ihrer Kennzeichnung durch Mezger als bloße "Indizien der Schuld" ZUlU, Nicht anders hält sie auch Nowakowski, entgegen ihrer ausdrücklichen Bezeichnung und Berücksichtigung als "objektivierte Schuldmerkmale" im Aufbau seines Straftatsystems17, in der Sache mit Mezger für objektive Merkmale, die "nur als unwiderlegliche Indizien für täterpsychische Tatsachen in den Deliktstypus aufgenommen" werden l8, Im Gegensatz vor allem zu Regler, der in diesen objektiven Schuldelementen echte "objektive Momente" gesehen hatte, "die in den Schuldbereich fallen"l9, werden sie im heutigen klassischen Straftatsystem, wenn überhaupt anerkannt, als bloße "Indizien" oder Präsumtionen der Schuld aufgefaßt, weshalb selbst Nowakowski für sie die Bezeichnung "präsumtive Schuldmerkmale" vorschlägt!o. 2. 0 b j e k t i v e S c h u I d m e r k mal e im finalen Straftatsystem Bleibt für die Vertreter des klassischen Straftatsystems, mit ihrer Auffassung der (subjektiven) Tatbestandsmäßigkeit als psychologischem 14 Ritaer, Lehrbuch des Osterreichischen Strafrechts, 1. Band, Allgemeiner Teil, 2. Auflage 1954, S. 229 f. 15 Rittler, a.a.O., S. 230. 18 a.a.O., Anm. 1. 17 Nowakowski, Das Österreichische 'Strafrecht in seinen Grundzügen, 1955, S.65. 18 So Nowakowski, ZStW 63, S. 320. 18 So schon Hegler, Reichsgericht-Festgabe, Band V, S. 314 f. Anm. 35 ("Es gibt also objektive, dem Kreis der Schuld und subjektive, dem Kreis der Rechtswidrigkeit angehörige Momente!"); Frank-Festgabe, Band I, S. 253. %0 Nowakowski, Strafrecht, S. 65.
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"Schuldsachverhalt"21, im Unterschied zum (normativen) Schuldvorwurf, trotz aller Einschränkungen und Vorbehalte die Möglichkeit einer Annahme objektiver Schuldelemente nach ihrem Systemaufbau zumindest "offen", so ist schon diese Möglichkeit im finalen Straftatsystem verschlossen, fehlt es diesem doch überhaupt an so etwas wie einem "psychologischen Schuldsachverhalt"22. Es ist darum nur folgerichtig, wenn Maurach feststellt, daß: im Unterschied zum klassischen Straftatsystem etwa bei Mezger, in dem "die starre Differenzierung zwischen ,nur objektivem' Unrecht und ,nur subjektiver' Schuld" aufgelockert sei, weshalb "das primär ,psychologische' Schuldurteil durch bestimmte objektive Gegebenheiten (,objektiv gefaßte Schuldmerkmale') beeinflußt" werde2l , die finale Lehre in ihrem Lehrsystem "die Unterscheidung zwischen dem ,objektiven' Charakter des Unrechts und der ,subjektiven' Natur der Schuld überhaupt" verwerfe, ist doch "für sie allein maßgebend die Unterscheidung zwischen Wertungsobjekt (das ist der Unrechtstatbestand) und Wertungsurteil (das ist die Schuld)"24. So wie nach dieser Auffassung die Schuld, "von jeder aktuell-psychologischen Vorbelastung befreit, als reines Werturteil erscheint"25, so kann sie noch weniger durch irgendwelche aktuell-soziologischen Umstände "belastet" sein, die dieses Werturteil (Schuldurteil) beeinflussen könnten. Wir suchen so nicht zufällig im finalen Straftatsystem vergeblich auch nur nach einer eingehenden Würdigung der Lehre von den objektiven Schuldelementen; fehlt doch hier überhaupt der systematische Ort für eine solche Betrachtung im Aufbau des Straftatsystems: der Schuldtatbestand. Es erscheint so heute geradezu abseitig, auf diese "erklügelte Lehre" von den objektiven Schuldelementen, die, wenn nicht als theoretisch falsch, so doch schon nach der klassischen Strafrechtslehre als praktisch bedeutungslos gilt, und für deren systematische Erörterung in der finalen Strafrechtslehre überhaupt der Begriff und Ort im System des Verbrechens fehlt, auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden. Sollte Hegler, dem wir so scharfsinnige Untersuchungen zur strafrechtlichen Lehre von den subjektiven Unrechtselementen verdanken, mit So statt vieler Mezger - Btei, Strafrecht I, S. 144 f. Vgl. dazu Wetzet, Das Deutsche Strafrecht, 9. Auf!. 1965, S. 58 ff. und S. 126, der die "subjektiv-seelischen Elemente" aus dem Schuldbegriff ausscheidet und in den subjektiven Unrechts tatbestand verlagert, womit in der Schuld allein das "Kriterium der Vorwertbarkeit" zurückbleibt. !3 So Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Ein Lehrbuch, 3. Aufl. 1965, S. 127 f. zum "Lehrsystem Mezgers"j eine im Hinblick auf die dargelegte kategorische Ablehnung objektiver Schuld elemente durch Mezger höchst problematische Feststellung. !4 Maurach, a.a.O., S. 128. 25 a.a.O. 21
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seiner damit parallel gehenden Behauptung entsprechender "objektiver Schuldelemente" einer Selbsttäuschung erlegen sein? Gibt es denn, entsprechend dem Phänomen subjektiver Unrechtselemente in der Tat und darauf bezogener subjektiver Unrechtsmerkmale im Unrechtstatbestand, das Phänomen objektiver Schuldelemente in der Tat und darauf bezogener objektiver Schuldmerkmale im Schuldtatbestand überhaupt? Sollte in diesen objektiven Schuldelementen gar der Ansatz zu einem neuen subjektiv-objektiven Begriffe von Schuld liegen, ebenso wie seinerzeit in den subjektiven Unrechtselementen zu jenem heute weitgehend anerkannten objektiv-subjektiven Begriffe von Unrecht?
11. Die konstitutive Bedeutung objektiver SchuldeJemente für die Feststellung des Ob und Wie der Schuld Auf die überraschende Tatsache, daß wir schon nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens, aber auch nach dem Sprachgebrauch der Gerichte für die Schuld des Täters an seiner Tat auch Faktoren mit in Rechnung stellen, die außerhalb des Vorsatzes (und der Fahrlässigkeit) liegen, hat als erster Frank in seiner bahnbrechenden Monographie zum Aufbau des Schuldbegriffs aufmerksam gemacht. Nach heutigem Verständnis 28 zielen seine Erörterungen darauf, der seinerzeit herrschenden psychologischen Auffassung der Schuld, für die der "Schuldbegriff nichts anderes enthält als die Unterbegriffe des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit", die somit Schuld als "psychische Beziehung" des Täters zur Tat versteht27 , einen normativen Begrüf der Schuld entgegenzustellen, - umschrieben als "Vorwerjbarkeit" der Tat dieses Täters 28 , wie sie heute als Schuldvorwurj im Straftatsystem ebenso der klassischen wie der finalen Lehre von der bloßen "inneren Tatbestandsmäßigkeit": dem Schuldtatbestand nach klassischer Lehre, dem subjektiven Unrechtstatbestand nach finaler Lehre, unterschieden wird. Daß Schuld mehr ist als bloß Vorsatz und Fahrlässigkeit, ist danach heute allgemeine Lehre und geltendes Recht. Was darüber jedoch völlig in Vergessenheit geriet, ist jene sehr viel weiter reichende These Franks, daß sowohl der Schuldsachverhalt wie der Schuldvorwurj (wie wir in der heutigen Terminologie sagen) durch andere als bloß subjektive Faktoren, nämlich durch objektive, sogenannte "begleitende Umstände"28 mitkonstituiert werde. 28 Vgl. dazu statt aller Arthur Kaufmann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949, S. 90 ff. !7 Frank, über den Aufbau des Schuldbegriffs, 1907, S. 4. 28 Frank, a.a.O., S. 11. !D Dazu Frank, a.a.O., S. 4; vgl. auch Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Auf!. 1931, S. 136.
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1. Die Bedeutung objektiver Schuldelemente für die Feststellung des Wie der Schuld bei der Strafzumessung
Frank legt diese Abhängigkeit der strafrechtlichen Schuld von objektiven Faktoren an Beispielen für Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten im allgemeinen dar. Dazu nimmt er für die Vorsatztat den folgenden Fall zum Ausgangspunkt seiner Erörterungen: "Der Kassierer eines Geschäftshauses und ein Geldbriefträger begehen unabhängig voneinander Unterschlagungen. Jener ist gut situiert und hat keine Familie, wohl aber kostspielige Liebhabereien. Dieser wird mäßig bezahlt, hat eine kranke Frau und zahlreiche kleine Kinder. Obwohl jeder von beiden weiß, daß er sich fremdes Geld rechtswidrig zueignet, hinsichtlich des Vorsatzes also kein Unterschied obwaltet, wird doch jedermann dazu sagen: den Kassierer trifft schwerere Schuld als den Briefträger. Denn die Schuld des letzteren wird vermindert durch die ungünstigen Umstände, in denen er sich befand, während die Schuld des ersteren umgekehrt erhöht wird durch seine guten Vermögensverhältnisse und seine luxuriösen Neigungen. Beziehen sich die Neigungen auf Weiber und Wein, so steigert dieser Umstand die Schuld mehr, als wenn sie etwa auf die Sammlung von Raritäten gerichtet sind"30. Aus diesen in der Sache unbestreitbaren Feststellungen zieht Frank den Schluß, daß "der Sprachgebrauch des Lebens" offenbar "bei der Bemessung der Schuld" (: der Feststellung größerer oder geringerer Schuld also) "Faktoren mit in Rechnung" zieht, "die außerhalb des Vorsatzes liegen"31. Wird doch bei Bemessung der "Größe" oder "Höhe" der Schuld nicht nur auf subjektive Faktoren abgestellt, also etwa auf mehr oder weniger "luxuriöse" Neigungen des Täters, sondern ebenso auf objektive Faktoren: wie auf mehr oder weniger "gute" Vermögensverhältnisse oder auf mehr oder weniger "günstige" Familienverhältnisse, d. h. auf die soziale Situation des Täters, oder gar auf die soziale Position des Einen als "Kassierer eines Geschäftshauses", des Anderen als "Geldbriefträger". Frank ist der Auffassung, daß alle diese "begleitenden Umstände": die objektiven persönlichen Verhältnisse wie die subjektiven persönlichen Neigungen, für die Schuld des jeweiligen Täters mitkonstitutiv sind, obwohl sie "außerhalb des Vorsatzes liegen", und obwohl es sich dabei nicht nur um subjektiv-psychologische Faktoren (wie die "Neigungen"), sondern ebenso um objektiv-soziologische Faktoren (wie die "Verhältnisse") handelt. Ebenso "wie der Sprachgebrauch des täglichen Lebens" bemißt nach Franks überzeugung auch "der der Gerichte die Schuld nach den beglei10 31
Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 4 f. a.a.O., S. 5.
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tenden Umständen". Ist es doch jedem Praktiker geläufig zu sagen, "daß die Schuld des Angeklagten durch seine günstigen Vermögensverhältnisse vermehrt oder durch seine ungünstigen Vermögensverhältnisse vermindert wird"s2. Mit alledem wird nichts weniger behauptet, als daß die Schuld nicht einfach nur vom individualen Wissen und Wollen des Täters abhängig ist: dem individualen Bewußtsein also, sondern mitbestimmt wird ebenso auch vom sozialen Sein des Täters: seiner objektiven Berufsstellung, seinen objektiven Familienverhältnissen, seinen objektiven Vermögensverhältnissen, als den begleitenden objektiv-persönlichen Umständen, aus denen heraus der Täter die Tat begeht. Diese hier beobachtete Abhängigkeit der strafrechtlichen Schuld von objektiven Faktoren gilt ebenso auch für den Fall der Fahrlässigkeitstat: "Wer als Bahnwärter nach längerer Ruhezeit zu Beginn des Dienstes eine Weiche falsch stellt", erscheint danach "mehr schuldig als sein Kamerad, dem das gleiche Versehen nach elfstündiger Dienstzeit unterläuft". Es zeigt sich somit auch hier, "daß man die mangelnde Aufmerksamkeit, die Unvorsichtigkeit, je nach den begleitenden Umständen bald strenger, bald milder bewertet"s,. Auch hier handelt es sich um objektive persönliche Umstände, welche die soziale Position und Situation "bestimmen", in der sich der Täter befindet und aus der heraus seine Tat sich ereignet. Dabei ist es im übrigen völlig unerheblich, ob der Täter sich dieser begleitenden Umstände seiner Tat überhaupt bewußt geworden ist. Es ist danach offenkundig, daß für die "Größe" oder "Höhe" der Schuld auch äußere "begleitende Umstände", objektive persönliche Verhältnisse mitkonstitutiv werden. Ebenso unbestreitbar aber ist es auch, daß diese Frage der "Bemessung der Schuld" (die Frage also: wie groß ist die Schuld) nicht eigentlich eine Frage der Schuldfeststellung ist, geht diese doch auf der Ebene der Schuld im Straftatsystem zunächst nur darauf, ob der Täter schuldig geworden ist oder nicht, sondern (ebenso wie die Frage danach: wie groß ist das Unrecht) eine Frage erst der Strafzumessung ist. Sie gehört darum systematisch nicht eigentlich auf die Ebene des Unrechts oder der Schuld, sondern der Strafe, bestimmt sich doch die größere oder geringere Strafbarkeit der Tat nach dem Maße des Unrechts und zugleich der Sozialschädlichkeit der Tat; entsprechend die größere oder geringere Strafwürdigkeit des Täters nach dem Grade der Sch1J,ld und zugleich der Sozialgefährlichkeit des Täters". a.a.O. a.a.O.; Hervorhebung von mir. S4 Vgl. zu den beiden dualistisch auf Tat und Täter bezogenen Elementen der Strafbarkeit und Strafwürdigkeit im System der Strafzumessung schon: Maihofer, Handlungsbegriff, S. 74. SI
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13 Festschrift für Hellmuth Mayer
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Nur insoweit können darum schon im System der Schuld solche außerhalb von Vorsatz und Fahrlässigkeit liegenden "begleitenden Umstände" konstitutive Bedeutung erlangen, als schon das Ob der Verwirklichung eines bestimmten Schuldsachverhalts oder das Ob der Erhebung eines Schuldvorwurfs von solchen objektiven Umständen abhängt. Erst dann haben wir somit wirkliche objektive Schuldelemente vor uns, wenn diese "begleitenden Umstände" Relevanz nicht erst bei der Bemessung des Wie der Schuld, sondern bereits bei der Feststellung des Ob der Schuld beanspruchen können; wenn diese objektiven Schuldelemente mit anderen Worten in objektiven Schuldmerkmalen ausformuliert sind, die für die Anwendung oder Nichtanwendung von Straftatbeständen konstitutiv werden. Begleitende "objektive Umstände" kennt unser geltendes Strafrecht in einer ganzen Reihe von Fällen, von denen schon Frank einige der eindeutigsten erörtert. 2. Di e B e d e u tun g 0 b j e k t i ver S c h u I d m e r k mal e für das Ob der Schuld bei der Schuldfeststellung
Objektive Schuldmerkmale sind in Tatbeständen zu finden, die eine Schuldprivilegierung enthalten, die nicht auf die innere: psychologische Situation abgestellt ist, sondern auf die äußere: soziologische Situation, in der der Täter seine Tat begangen hat. Damit scheiden alle Tatbestände aus dem Umkreis unserer Betrachtung aus, die eine Unrechtsprivilegierung enthalten, wie etwa die schon nach ihrem Tatunrecht gegenüber dem einfachen Diebstahl (§ 242 StGB) privilegierte Verbrauchsmittelentwendung (§ 370 Nr. 5 StGB). Vermindert das Gesetz "die Strafbarkeit mit Rücksicht auf die begleitenden Umstände", so ist damit, wie schon Frank feststellt, "noch nicht ohne weiteres gesagt, daß es ihnen gerade Einfluß auf die Schuld beimäße"lG. Ein Tatbestand jedoch, bei dem sich die Strafmilderung "gar nicht anders erklären" läßt "als dadurch, daß der Gesetzgeber in den begleitenden Umständen einen Maßstab für die Schuld sieht" ist schon für Frank die Kindstötung (§ 217 StGB)38. Im Unterschied zur Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), wo es fraglich bleibt, ob nicht das ernstliche Verlangen zugleich schon das Unrecht der Tat, wenn auch nicht aufhebt, so doch mindert, kommt Frank für die Kindstötung zu der Feststellung: "Das Interesse des Staates an der Erhaltung des Lebens eines Kindes variiert sicherlich nicht mit den persönlichen Verhältnissen dessen, der es tötet"37. Wenn es jedoch nicht die mildere Beurteilung des Unrechts 35
88 37
Aufbau des Schuldbegriffs, S. 5. a.a.O., S. 6; Hervorhebung von mir. a.a.O.
Frank,
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einer Kindstötung ist, so kann der Grund für die geringere Bestrafung nur in der minderen Schuld der Täterin: der unehelichen Mutter, liegen. Frank zieht daraus den Schluß: "Wenn (man) also in § 217 die uneheliche Mutter, die dem Kinde in oder gleich nach der Geburt das Leben nimmt, erheblich milder behandelt als den gemeinen Mörder, so kann das seinen Grund nur darin haben, daß sie weniger schuldig erscheint, - obwohl der Dolus der Tötung bei ihr genau in derselben Weise vorliegt, wie bei jedem andern denkbaren Täter38 ." Die spätere Diskussion um den normativen Schuldbegrüf blieb ganz auf die hieran anknüpfenden Ausführungen Franks über die "Schuldausschließungsgründe" und die "Schuldfähigkeit"3e beschränkt, die als Gründe des Ausschlusses und als "Bestandteil" der "Vorwerfbarkeit" (: des Schuldvorwurfs) erkannt werden. Demgegenüber blieben die vorausgehenden Ausführungen Franks über die konstitutive Bedeutung objektiver Schuldmerkmale im Schuldtatbestand (: im positiven Schuldsachverhalt also) fast unbeachtet40 • Dabei ist die von Frank gewonnene Erkenntnis nicht nur vom traditionellen psychologischen, sondern ebenso auch vom späteren normativen Schuldbegrüf aus befremdlich und beunruhigend genug. Wird doch hiermit erstmals die These aufgestellt, daß schon das Ob der Tatschuld (etwa nach § 217 StGB) vom Vorliegen bestimmter objektiver Schuldmerkmale abhänge. Die inzwischen gefestigte Auslegung des Tatbestandes der Kindstötung hat die praktische Konsequenz aus dieser Erkenntnis im vollen Umfange gezogen, ohne daß es darüber zu einer theoretischen Anerkennung der Lehre von den objektiven Schuldelementen gekommen wäre, von deren Voraussetzungen allein die abweichende Behandlung der Fälle des Tatbestandsirrtums in Tatbeständen wie der Kindstötung begründet und gerechtfertigt werden kann. Daß es sich bei diesem Tatbestand um eine reine Schuldprivilegierung handelt, kommt darin zum Ausdruck, daß § 217 StGB nach heute fast unbestrittener Auffassung auch dann Anwendung findet, wenn die Täterin irrig das Kind für unehelich hält, es in Wahrheit jedoch ehelich ist; befindet sie sich doch auch dann "psychisch in der gleichen privile38 Frank, a.a.O.; vgl. zu § 217 StGB insbesondere auch Martens, Der Irrtum über StrafmilderungsgTÜnde, 1928 (Strafrechtl. Abh. H. 246), S. 12 ff. at Vgl. a.a.O., S. 6 f. und S. 8 f. 40 Sie wurden zwar, außer bei Hegler, vor allem in der von diesem angeregten Untersuchung von Thierfelder (Objektiv gefaßte Schuldmerkmale, 1932, Strafrechtliche Abhandlungen, Heft 308) zum Ausgangspunkt einer eindringenden Analyse der verschiedenen Kategorien solcher objektiven Elemente in der Schuld gemacht, jedoch sind deren Erkenntnisse bis heute nicht in den Bestand des normativen Schuldbegriffs miteingegangen. Vgl. zur Bedeutung der objektiven Schuldelemente für die Tatbestands- und Irrtumslehre zuletzt: Keilbach, Die Schuldmilderungsgründe im Strafrecht, Dissertation München 1964, insbes. S. 7 ff.
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gierenden Situation"41. Die unveränderte Privilegierung der Tttterin im Falle ebenso der Geburt eines tatsächlich wie eines vermeintlich unehelichen Kindes hat ihren Grund offenkundig darin, daß die uneheliche Mutter im einen wie im anderen Falle sich in einer notstandsähnlichen Konjliktslage befindet oder doch wähnt, die ihre Schuld an der in solcher "Not" begangenen Kindstötung geringer erscheinen läßt als die eines Totschlages oder gar Mordes. Das Entscheidende jedoch ist, daß es hierbei in keinem Falle darauf ankommt, ob die uneheliche Mutter tatsächlich persönlich aus einer solchen inneren Konjliktslage heraus gehandelt hat, mit der sie anders nicht "fertig werden" konnte oder ob sie das Kind nach langem Vorbedacht, mit voller überlegung, unbewegt und kaltblütig getötet hat. Auch wo positiv feststeht, daß die uneheliche Mutter aus den niedrigsten Beweggründen von langer Hand die Tötung des Kindes vorbereitet und nach einem im vorhinein festgelegten Plan durchgeführt hat, wird sie nach § 217 StGB privilegiert'!. Es kommt danach für ihre Privilegierung nicht an auf die persönliche und tatsächliche, die individuelle und aktuelle Schuld dieser bestimmten Mutter: auf die Individ'l.Lalschuld und Aktualschuld der Täterin, sondern lediglich darauf, ob die Täterin objektiv die Voraussetzungen des § 217 erfüllt. Subjektiv wird nur gefordert, daß sie von ihrer Rolle als uneheliche Mutter weiß, ob sie dadurch innerlich wirklich in die hier als sozialtypisch vorausgesetzte Konfliktssituation geraten ist, bleibt außer Betracht. Demnach wird im Hinblick auf die beiden Merkmale, welche diese Schuldprivilegierung konstituieren, nur bei dem auf ihre objektive Rolle: "uneheliche Mutter" bezogenen ersten Merkmal eine subjektive Spiegelung auch im Bewußtsein der Täterin gefordert; wogegen das auf ihre objektive Lage: "in oder gleich nach der Geburt" bezogene zweite Merkmal rein objektiv festgestellt wird. Wir schließen somit, sofern die Mutter nur weiß, daß sie ihr Kind unehelich gebären wird, von der äußeren Seinssituation auf die entsprechende innere Bewußtseinssituation, ohne daß es darauf ankäme, ob die für einen solchen Lebenssachverhalt typische privilegierende subjektive Konjliktssituation bei der Täterin persönlich tatsächlich bestan41 So Schönke - Schröder, a.a.O., S. 940; Maurach, Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, 4. Aufl. 1964, S. 42; Mezger - Blei, Strafrecht H, Besonderer Teil, Ein Studienbuch, 8. Aufl. 1964, S. 26; Welzel, Strafrecht, S. 260; ebenso schon Frank, Strafgesetzbuch, S. 469. Dagegen halten Liszt - Schmidt (Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, Besonderer Teil, 25. Aufl. 1927, S. 470) § 217 in einem solchen Falle positiven Irrtums für unanwendbar. Ü Die "privilegierende Depression" wird danach, wie Maurach (a.a.O., S. 42 f.) feststellt: "vom Gesetz vermutet"; ist "die Tat innerhalb der pathologischen Geburtserregung durchgeführt, so bedarf es nicht des Nachweises, daß die Täterin das Verbrechen aus Verzweiflung über die Unehelichkeit der Geburt begangen hatte".
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den hat oder nicht. Wir lassen es mit anderen Worten beim Schluß von dem typischen sozialen Sein auf das typische soziale Bewußtsein bewenden. Ziehen wir aus alledem die gebotene Konsequenz, so müssen wir anerkennen, daß es hier für die Schuldprivilegierung der Mutter auf ihre tatsächliche persönliche Schuld nicht ankommt, sondern auf die sozialtypische Schuld einer Mutter in solcher Rolle: als "uneheliche Mutter" und solcher Lage: "in oder gleich nach der Geburt". Es ist für die Anwendung des § 217 StGB dementsprechend gleichgültig, ob die Täterin selbst sich wirklich innerlich in dieser typischen sozialen Konfliktssituation einer unehelichen Mutter befunden hat oder nicht'3. Sie wird privilegiert, nicht nur, wenn sie das Kind mit "gemeingefährlichen Mitteln" getötet oder gar "grausam" zu Tode gequält hat44 , sondern selbst dann, wenn sie keinesfalls aus einer Kurzschlußreaktion in ihrer notstandsähnlichen Konfliktslage, sondern "überlegt und planmäßig gehandelt hat"45. Kommt es somit beim positiven Irrtum zwar darauf an, ob die Täterin irrig ihr Kind für unehelich hält, keinesfalls jedoch auf ihre wirkliche innere Konfliktssituation, so wird umgekehrt im Falle des negativen Irrtums, d. h. wenn die Täterin ihr Kind irrig für ehelich hält, die Schuldprivilegierung nach § 217 versagt und wegen vollendeter Tat nach § 212 oder gar § 211 StGB bestraft". Diese von den allgemeinen Regeln abweichende Lösung der Fälle des negativen Irrtums ist auf der Grundlage der klassischen Verbrechenslehre nur von der Annahme objektiver Schuldelemente aus überhaupt zu erklären und zu rechtfertigen. Müßte diese doch, bei der sonst allein möglichen Deutung des Merkmals der Unehelichkeit in § 217 als objektives Unrechtsmerkmal, folgerichtig zur Bestrafung der irrig die Ehelichkeit des Kindes annehmenden Täterin wegen "untauglichen Versuchs nach §§ 211, 212"'7 in Idealkonkurrenz mit "vollendetem Verbrechen nach § 217"48 führen. Die andererseits im Falle irriger Annahme der Unehelichkeit des Kindes heute gewährte Privilegierung der Mutter aus § 217 unter Ausschluß der Tatbestände des Mordes und des 43 Entsprechend ist, wie Schönke - Schröder (S. 939) unter Bezugnahme auf RGSt 77, S. 247 feststellt, keinerlei Nachweis erforderlich, "daß die Unehelichkeit die Motivation der Täterin bestimmt hat". " Dazu ausdrücklich Maurach, Strafrecht II, S. 42: "insbesondere bleibt trotz objektiv ,grausamer' Begehungsweise das Privileg bestehen". 45 Dazu Schönke - Schröder, a.a.O.: ,,§ 217 macht zwischen überlegtem und unüberlegtem Handeln keinen Unterschied." So vor allem Mezger - Blei, Strafrecht II, 8. Aufl. 1964, S. 26; Schönke Schröder, a.a.O.; Maurach, a.a.O., Welzel, a.a.O. und JZ 1960, S. 27. fT So folgerichtig noch Mezger - Blei, Strafrecht II, 7. Aufl. 1960, S. 27. '8 So ebenso folgerichtig wie "lebensfremd" (vgl. dazu schon Maurach, a.a.O.) bis zuletzt: Schwarz - Dreher, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 1966, S. 662.
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Totschlags ist von den Grundlagen des klassischen Systems aus, wie schon Maurach feststellt: "streng genommen fehlerhaft"4g. Sie ist als Schuldprivilegierung anders als von den Voraussetzungen der Lehre von den objektiven Schuldelementen aus weder zu begründen noch zu rechtfertigen. Andererseits aber sind diese objektiven Schuldelemente systematisch weder in dem rein objektiv gefaßten "psychologischen Schuldelement" : der inneren Tatbestandsmäßigkeit des klassischen Straftatsystems unterzubringen, noch ohne systemwidrigen Vorgriff50 dem "subjektiven Unrechtstatbestand" des finalen Straftatsystems einzuordnen51 • Sie nötigen offenkundig zu einem grundsätzlichen Umbau des bisherigen Systems der Schuld.
BI. Die objektiven Schuldelemente in Schuldsachverhalt und Schuldvorwurf Es könnte den Anschein haben, als wenn es sich bei § 217 StGB um eine Einzelerscheinung innerhalb unseres Strafrechts handele. Schon eine erste Durchsicht der besonderen Tatbestände wie der allgemeinen Regeln unseres Strafrechts zeigt dagegen, daß das hier entdeckte Prinzip der sozialtypischen Schuld schon dem geschriebenen Recht in sehr viel weiterem Umfang zugrundeliegt, als wir es nach dem bis heute als petitio principü festgehaltenen Begriff der persönlich-sittlichen Schuld, verstanden als Individualschuld und Aktualschuld, erwarten dürften52 • Wir begegnen objektiven Schuldelementen auf der positiven und negativen Seite des Schuldsachverhalts: unter den Schuldtatbestandsmerkmalen wie den Schuldaufhebungsgründen 53 ; ebenso aber auch auf VgI. dazu im einzelnen Maurach, Strafrecht H, a.a.O. VgI. dazu schon Maihofer, Handlungsbegriff, S. 7 ff. n Eine solche, innerhalb des finalen Straftatsystems erzwungene Umdeutung des Merkmals der Unehelichkeit zum "nur subjektiven Tatbestandsmerkmal", zu der auch Maurach (a.a.O., S. 41 f.) veranlaßt ist, führte nicht nur zu einer "Vergewaltigung des Gesetzes", in dem dieses Merkmal eindeutig als objektives Tatmerkmal umschrieben ist, sondern verwandelte diese Schuldprivilegierung in eine Unrechtsprivilegierung. Nicht aber das Unrecht der Tat ist hier ein "anderes" (vom Unrecht her gesehen wäre im Gegenteil die Tötung des Kindes durch die eigene Mutter allenfalls schwerer als die Tötung irgend eines "Anderen" zu bewerten), sondern, wie auch die herrschende Lehre und ständige Rechtsprechung mit ihrer Einstufung des § 217 als Schuldprivilegierung voraussetzt, allein die sozialtypische Schuld einer solchen Täterin. &I VgI. dazu Maihofer, Menschenbild und Strafrechtsreform, in: Universitätstage 1964, Veröffentlichung der Freien Universität Berlin, 1964, S. 5 ff., insbes. S. 12 ff. 51 Statt von Schuldaufhebungsgründen im Unterschied zu den entsprechenden Unrechtsaufhebungsgründen im Unrechtssachverhalt könnte man auch von Täterschaftsaufhebungsgründen, im Unterschied zu den Tatbestandsaufhebungsgründen sprechen; so schon Maihofer, Handlungsbegriff, S. 74. 4t
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der positiven und negativen Seite des Schuldvorwurfs: unter den Schuldvoraussetzungen und den Schuldausschließungsgründen54 • Wir wollen daraus für Schuldsachverhalt und Schuldvorwurf nur einige wenige Fälle objektiv gefaßter Schuldelemente herausgreifen, die in unserem Zusammenhange besonders aufschlußreich sind. 1. Objektive Schuld elemente im
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Neben dem behandelten Tatbestand der Kindstötung (§ 217 StGB) hält schon Frank auch die als Affekttotschlag benannte Schuldprivilegierung in § 213 StGB für einen auf objektive Schuldmerkmale begründeten Tatbestand55 • In der Tat kann auch hier der "Dolus der Tötung" in genau derselben Weise vorliegen -.vie "bei jedem anderen denkbaren Täter". Dennoch schließen wir auch hier auf eine verminderte Schuld des Täters, wenn die vorausgehenden Umstände: die "Mißhandlung" oder "schwere Beleidigung" durch den Getöteten, den Täter "zum Zorne gereizt" haben und er durch diese sozialtypische Provokation "auf der Stelle zur Tat hingerissen" worden ist". über Frank hinausgehend hat Regler auch bei der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) das Vorliegen objektiv gefaßter Schuldmerkmale
angenommen. Er hat das Bestimmtsein des Täters durch ein "ausdrückliches und ernstliches Verlangen" des Opfers als objektives Schuldelement angesehen, da auch hier "das Scheinverlangen dem wirklichen in der Exkulpationswirkung" gleichstehe57• Dennoch handelt es sich in diesem Falle, wie schon Frank gespürt hat, um objektive Elemente, die ebenso eine Unrechtsprivilegierung wie eine Schuldprivilegierung enthalten. Ist doch hier nicht nur die Schuld durch die sozialtypische Konfliktssituation des vom Opfer selbst zu seiner Tötung "bestimmten" &4 Dabei liegt der Unterschied zwischen Schuldaufhebungs- und Schuldausschließungsgr'Ünden darin, daß im ersten Falle bereits der Schuldtatbestand (z. B. bei Putativnotwehr), also der Vorsatz im Rechtssinne aufgehoben, im zweiten Falle dagegen (wie z. B. bei Notwehrexzeß) erst der Schuldvorwurf ausgeschlossen ist. Dieser Unterschied entspricht dem zwischen Unrechts auf-
hebungs- und Unrechtsausschließungsgründen, der ebenso im Schwerpunkt auf den Erfolgsunwert der Tat auf der einen, den Verhaltensunwert für den Täter auf der anderen Seite bezogen ist. 55 Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 6. IS Daß es sich hier um eine Schuldprivilegierung handelt, ist zumindest für denjenigen zwingend, der auch bei irriger Annahme der Provokation den benannten Milderungsgrund des § 213 für anwendbar hält; so etwa SchänkeSchröder, a.a.O., S. 935 ff. mit RGSt 69, 314 gegen BGH 1, 205; vgl. dazu im einzelnen: Wendt, JZ 51, S. 723. a7 Hegler, Frank-Festgabe I, S. 253, Anm. 3. Dies wird heute in der Sache fast allgemein bejaht; vgl. schon Frank, Strafgesetzbuch, S. 468; ebenso jetzt Maurach, Lehrbuch S. 39; Mezger - Btei, Strafrecht H, S. 25; Schönke - Schröder, Strafgesetzbuch, S. 937.
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Täters vermindert, sondern ebenso schon das Unrecht einer solchen Tötung durch das über die bloße Einwilligung hinausgehende "Verlangen" des Rechtsgutsträgers, zwar nicht wie sonst bei disponiblen Rechtsgütern des Einzelnen (wie etwa dem Eigentum) aufgehoben, aber doch vermindert. Denn: "Hat der Getötete seinen Tod selbst begehrt, so ist ein Interesse des Staates daran, daß dem Begehren nicht entsprochen werde, zwar vorhanden, es ist aber geringer als das Interesse daran, daß jemand nicht wider seinen Willen getötet werde"68. Auch wenn wir diese objektiv-subjektiv gefaßten Unrechts- und Schuldprivilegierungen darum noch den objektiven Schuldelementen zurechnen können, weil der Schwerpunkt dieser Privilegierung ganz offenkundig auf der Seite der (sozialtypisch verminderten) Tatschuld liegt, weshalb eine dem überwiegenden Schuldcharakter dieser Elemente entsprechende Lösung auch der Irrtumsfragen gerechtfertigt erscheint, so müssen wir uns doch dessen bewußt bleiben, daß es sich hierbei bereits um Merkmale handelt, die hart an der Grenze zu den üblichen objektiv-subjektiven Unrechts- und Schuldmerkmalen liegen, in denen wir vermittels objektiv gefaßter Tatbestandsmerkmale nicht nur ein bestimmtes typisches Unrecht, sondern ebenso eine über das Wissen und Wollen des Täters vermittelte "entsprechende" typische Schuld zu umschreiben und erfassen suchen. Es führte demzufolge zu einer überdehnung des BegrUfs der objektiven Schuldelemente und zur Verwischung der in der Sache liegenden Grenze zu den objektiven Unrechtselementen, wenn wir darunter auch Tatbestandsmerkmale wie "Einbrechen" oder "Einsteigen" im Unrechtstatbestand des schweren Diebstahls (§ 243 StGB) einbeziehen würden58• Ebenso liegen jenseits der Grenze zu den echten objektiven Schuldelementen die objektiv-subjektiv gefaßten Unrechts- und Schuldqualifizierungen, wie wir sie etwa in Tatbeständen wie der Aussetzung von Kindern durch ihre "leiblichen Eltern" (§ 221 Abs. II StGB), oder umgekehrt in der Körperverletzung an Verwandten "aufsteigender Linie" (§ 223 Abs. II StGB) finden 80 • Auch bei diesen Qualifizierungen liegt gleiFrank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 5. So ausdrücklich Hegler, a.a.O., S. 253, aus der Vorstellung, daß diese als "objektive Momente" aufgestellten Tatbestandsmerkmale ,,(jedenfalls auch) als unwiderlegliches Symptom einer für die Schuldfrage bedeutsamen, bei der Tat entwickelten Willensenergie des Täters qualifizierend" wirkten. Dies aber ließe sich von fast allen deskriptiven, und mehr noch von den meisten normativen Tatbestandsmerkmalen (wie etwa "mißhandelt" in § 223 oder gar "quält" in § 223b) sagen; solche Merkmale sind aber nicht weniger symptomatisch für ein bestimmtes sozialtypisches Unrecht als für die dementsprechende sozialtypische Schuld. so Zweifelnd über ihren Charakter als echte objektive Schuldelemente schon Hegler, a.a.O., S. 254, Anm. 3, wogegen Thierfelder (Objektiv gefaßte Schuldmerkmale, 1932, S. 64) "allen diesen Fällen rein schuldsteigernden Charakter" zuschreibt. Ge Ie
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cherweise eine Erhöhung des sozialtypischen Tatunrechts wie der Tatschuld vor, wobei das Schwergewicht bereits eindeutig auf der Seite des Tatunrechts liegt. Folgerichtig wird darum hier in Fällen des negativen wie des positiven Irrtums nach den allgemeinen Regeln verfahren 81 . Es lassen sich nach alledem im Schuldtatbestand zumindest zwei Kategorien von echten objektiven Schuldelementen unterscheiden: täterbezogene und tatbezogene Schuldtatbestandsmerkmale. Bei der ersten Kategorie der täterbezogenen: "wirklich objektiven" Schuldelemente 82 handelt es sich um Merkmale, die "symptomatisch" bezogen sind auf "äußere Vorgänge" oder Zustände (etwa die Geburt in § 217 StGB), "die auf die Täterpsyche einwirken, ohne daß dieses Einwirken von der Tätervorstellung abhängt, vielmehr auch dem Täter unbewußt sich vollzogen haben kann"GS; sie können daher "wie z. B. Umwelteintlüsse, auch ohne Tätervorstellung (dem Täter unbewußt) auf ihn wirken"". Folgerichtig nimmt darum schon Rittler8s an, daß es in solchen Fällen für die Schuldprivilegierung allein auf den typischen " Gemütszustand " unter diesen Umständen "in oder glekh nach der Geburt" ankommt, der hier rein objektiv umschrieben wird, den wir also aus den äußeren Umständen als typischerweise gegeben erschließen; weshalb er mit Recht bei einer Tötung des Kindes in irriger Annahme der Mutter, die etwa in Ohnmacht gefallen, beim Erwachen wähnt, sie habe "eben erst entbunden ..., indes schon ein ganzer Tag verstrichen ist", den § 217 für unanwendbar hält, wird sie doch dann "nach Annahme des Gesetzgebers schon als vollkommen normal zu betrachten sein"86. Bei solch "rein objektiven": "wirklich objektiven" Merkmalen kommt es somit allein auf das äußere Vorliegen des Schuldmerkmals an, ohne daß es einer Spiegelung im Wissen des Täters bedürfte, oder ein irriges Wissen des Täters dieses zu ersetzen vermöchte. Wir erkennen, daß der Gesetzgeber in 61 Es ist somit bei negativem Irrtum nach den Regeln des Tatbestandsirrtums (gleichzeitiger Irrtum über Tatobjekt und Tatsubjekt), bei positivem Irrtum nach den Regeln des Versuchs zu verfahren; wobei es sich gleichzeitig um Versuche am untauglichen Objekt und Versuche des untauglich.en Subjekts handelt, die nach richtiger Auffassung straflos bleiben müssen (Vgl. dazu statt aller Baumann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 1964, S. 464 f.). 82 So Hegler, Frank-Festgabe I, S. 252, Anm. 4. 83 Hegler, a.a.O., S. 254, Anm. 1. 84 Hegler, a.a.O., S. 252, Anm. 4. 85 Vgl. Rittler, in: österr. ZfStR VIII, 362, wo er diese Merkmale noch als "objektive Voraussetzung der Strafbarkeit" ansieht, während er in der FrankFestgabe 11, S. 9 f. von "persönlicher Bedingung verminderter Strafbarkeit" spricht, die als "objektiver Umstand" die "Höhenmarke der Schuld" angibt; vgl. dazu auch schon Binding, Lehrbucll, 2. Aufl. S. 32 und Zimmerl, Zur Lehre vom Tatbestand, 1928, S. 28 f. 08 Rittler, Frank-Festgabe 11, S. 10.
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solchen Fällen, bei typischen äußeren Umständen, eine typische innere Verfassung als gegeben ansieht und darum lediglich auf die äußere Seinslage abstellt, ohne auf die wirkliche innere Bewußtseinslage: den "Gemütszustand" abzuheben, der im Einzelfall ganz und gar atypisch sein kann und so eine Schuldprivilegierung vom Prinzip der Individualschuld und Aktualschuld her nicht zu rechtfertigen vermöchte. Neben solchen "wirklich objektiven" Schuldmerkmalen unterscheidet schon Regler eine zweite Kategorie von tatbezogenen: "objektiv-subjektiven Schuldmerkmalen" wie in § 217 etwa die Merkmale "uneheliches Kind", mit deren Wissen sich die Mutter zugleich als "uneheliche Mutter" erkennt. Regler hat diese zweite Gruppe von Schuldelementen folgerichtig, wenn auch nicht sehr glücklich als "scheinobjektive" Momente bezeichnet87, da auch die bloße "Vorstellung derselben" wie "ihr wirkliches Vorliegen wirkt, weil sie durch die Tätervorstellung auf den Täter wirken"68. Im Unterschied zu den "rein objektiven" Umständen des Geburtsvorganges, die sich als solche unmittelbar auf die innere Verfassung des Täters auswirken, wirken "objektiv-subjektive" Umstände wie die "Unehelichkeit" dieser Geburt nur mittelbar, über das "Wissen" vermittelt, auf die innere Verfassung des Täters. Solche objektiv-subjektiven Schuldelemente finden sich jedoch nicht nur auf der positiven Seite des Schuldsachverhalts: im Schuldtatbestand in der Form von Schuldmilderungsgründen, sondern ebenso auf der negativen Seite des Schuldsachverhalts: unter den Schuldaufhebungsgründen. Sind doch sämtliche Unrechtsaufhebungsgründe (die sog. "Rechtfertigungsgründe"), für den Fall irriger Annahme als durch objektive Schuldelemente umschriebene Schuldaufhebungsgründe aufzufassen. Dies gilt für die Putativnotwehr ebenso wie für den Putativnotstand (in der Form des sog. übergesetzlichen Notstandes), für die Putativ-Züchtigung ebenso wie für die Putativ-Einwilligung. Auch der in Putativnotwehr handelnde Täter, der einen anderen "Menschen tötet", tut dies vorsätzlich, d. h. mit "Wissen und Wollen der Tatbestandsmerkmale" . Und dennoch erfüllt er offenbar schon den in § 212 StGB vorausgesetzten Schuldsachverhalt des Totschlages nicht, weil dazu nicht irgendein Wissen und Wollen der Tötung eines anderen Menschen genügt, sondern nur ein solches, das sozialtypisch ohne bestimmte vorausgehende oder begleitende Umstände geschehen ist". An dieser sozialtypischen Schuld fehlt es dann, wenn der Täter zwar mit Wissen und Wollen eine bestimmte Interessenverletzung (hier des recht87
Hegler, a.a.O., S. 253, Anm. 3.
es Hegler, a.a.O., S. 252, Anm. 4. ee Mit Recht wird darum heute
in FäHen der Putativnotwehr überwiegend Vorsatzausschluß in entsprechender Anwendung der Regeln des § 59 StGB angenommen. Vgl. dazu im einzelnen: Baumann, Strafrecht, S. 273 f. und 393 f.
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lich geschützten Interesses des Anderen am Leben) begangen hat, jedoch irrig geglaubt hat, daß diese zur Rettung des eigenen bedrohten Interesses (zur Interessenwahrnehmung aus Notwehr) gerechtfertigt sei. So erkennen wir, daß bei den Schuldaufhebungsgründen eine Aufhebung der Schuld gerade dann stattfindet, wenn die äußere Konfliktssituation in Wirklichkeit nicht vorlag, der Täter diese jedoch irrig annahm und dadurch innerlich in die entsprechende sozialtypische Konfliktssituation geraten ist. Dabei lassen wir es auch hier praktisch bei der Feststellung bewenden, ob der Täter irrig die tatsächlichen Voraussetzungen eines Unrechtsaufhebungsgrundes angenommen hat, ohne daß es dabei auf die Frage der Vermeidbarkeit dieses Tatbestandsirrtums, d. h. des Irrtums über negative Tatbestandsmerkmale des Unrechtstatbestandes ankommt7o• Ebensowenig wie bei den Schuldelementen der beiden ersten Gruppen wird auch hier die Frage gestellt, ob der Täter sich tatsächlich persönlich in der in einem solchen Falle der Putativnotwehr vorausgesetzten inneren Konfliktslage befunden hat. Genau wie bei den objektiv-subjektiven Schuldmerkmalen (etwa dem Putativdelikt einer Kindstötung nach § 217) genügt auch hier die bloße Annahme der Notwehrsituation, um damit für den, der sich in der Lage der Notwehr wähnt, den Schuldaufhebungsgrund der Putativnotwehr zu begründen. Alle auf den Erfolgsunwert der Tat als Interessenverletzung bezogenen Schuldaufhebungsgründe von der Putativnotwehr über den bürgerlichrechtlichen und den übergesetzlichen Putativnotstand bis zur Putativeinwilligung sind in unserem geltenden Recht sämtlich objektiv formuliert und nur so, im Hinblick auf eine (wenn auch nur vorgestellte) objektive Lage überhaupt formulierbar. Wir begegnen so nicht nur auf der positiven Seite des Schuldsachverhalts objektiv gefaßten Schuldtatbestandsmerkmalen, sondern ebenso auch auf der negativen Seite des Schuldsachverhalts objektiv gefaßten Schuldaufhebungsgründen71 .. Es 70
Vgl. zum Irrtum über sog. negative Tatbestandsmerkmale Arthur Kauf-
mann, Das Unrechtsbewußtsein in der Schuldlehre des Strafrechts, 1949,
S. 178 ff. und JZ 56, S. 353 ff., 393 ff. 71 So wie darum der Unrechtssachverhalt nur mittels einer "Gesamtsaldierung" von positiv gefaßten Unrechtsmerkmalen und negativ gefaßten Unrechtsaufhebungsgründen (den sog. "Rechtfertigungsgründen" der herrschenden Lehre) feststellbar ist, so bedarf es auch im Schuldsachverhalt einer Gegenüberstellung von positiv gefaßten Schuldmerkmalen und negativ gefaßten Schuldaufhebungsgründen. Dabei begegnen uns auf der Ebene des Unrechtssachverhalts ebenso subjektiv gefaßte Unrechtsmerkmale (wie die als überschießende Innentendenzen im subjektiven Merkmal etwa der "Zueignungsabsicht" gefaßten "Tendenzen" eines Verhaltens, bei den sog. kupierten Erfolgsdelikten) wie auch subjektiv gefaßte Unrechtsaufhebungsgründe (wie das als bestimmendes Willensmoment im subjektiven Merkmal etwa des "Verteidigungswillens" gefaßte "Motiv" eines Verhaltens bei der Notwehr); entsprechend auf der Ebene des Schuldsachverhalts ebenso objektiv gefaßte Schuldmerkmale (etwa beim Affekttotschlag) wie objektiv gefaßte Schuldaufhebungsgründe (etwa bei der Putativnotwehr).
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gibt danach nicht nur objektiv gefaßte Schuldmerkmale, welche die für eine bestimmte soziale Roue oder Lage typische Schuld des Täters begründen, sondern ebenso auch objektiv gefaßte Schuldaufhebungsgründe, welche die Schuld des Täters in bestimmten soziaZtypischen Konjliktssituationen aufheben. 2. 0 b j e k t i v e S c h u I deI e m e n t e i m
Schuldvorwurf
Nicht nur das sogenannte psychologische Schuldelement: der Schuldsachverhalt, sondern auch das normative Schuldelement: der Schuldvorwurf, wird vielfältig von objektiven Schuldelementen bestimmt. Wir finden sie unter den objektiv gefaßten Umschreibungen des konstitutionsbedingten Ausschlusses der Schuldfähigkeit wie denen des situationsbedingten Ausschlusses des Schuldvorwurfs. Nach der heutigen gemischten: biologisch-psychologischen Methode verwenden wir für die Umschreibung der Gründe, welche die Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit) ausschließen oder doch vermindern, in § 51 Abs. I und 11 StGB objektiv gefaßte Schuldelemente wie "Bewußtseinsstörung", "krankhafte Störung der Geistestätigkeit" und "Geistesschwäche". Dies führt zumindest bei den echten Psychosen praktisch dazu, daß es für die Verneinung oder Bejahung der Schuldfähigkeit ausschließlich auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen des ob;ektiven Krankheitsbefundes ankommt. Es wird aus dem Gegebensein der "klinischen (psychopathologischen) Tatbestände" stillschweigend gefolgert, "daß die Fähigkeit der Einsicht oder die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht vorlagen"72. Stellen doch "krankhafte Störungen der Geistestätigkeit in der Form der zyklothymen Phase und Schizophrenie ... auch in leichten Fällen einen so unberechenbaren und unübersehbaren Eingriff in das Wesen und Handeln des Menschen dar, daß dann stets § 51 Abs. I gerechtfertigt ist"7s. Diese Beurteilung der Schuldfähigkeit nach objektiven Schuldelementen ist schon darum in solchen Fällen unabweisbar, weil die positive
n So Kurt Schneider, Die Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit, 3. Aufl.,
1956, S. 17 ff. Vgl. dagegen Mezger, Probleme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit, 1949, S. 41 ff. und jetzt Leferenz, ZStW 70 (1958), S. 32: "Einem
schlechten Menschen werden seine Handlungen zugerechnet, einem kranken Menschen dagegen nicht." 73 Kurt Schneider, a.a.O., S. 27. Die Feststellungen des Psychiaters sind schon darum auch für den Juristen das letzte Wort, weil es nicht nur eine Vermessenheit wäre, einen eindeutig als geisteskrank im medizinischen Sinne diagnostizierten Angeklagten dennoch aus einem höheren juristischen Wissen "schuldig" zu sprechen, sondern weil dies im Ergebnis dazu führen würde, daß wir einen solchen Geisteskranken in unsere Strafanstalten verbringen müßten, statt in eine Heilanstalt, wohin er als Kranker allein gehört.
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Feststellung der "konkreten Schuldfähigkeit" nach heute allgemeiner Einsicht nicht nur der Psychiater, sondern auch der Kriminalisten, ohnehin kein Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis sein kann74 und wir uns darum bei begründeten Zweüeln mit einer negativen Feststellung an Hand objektiver Krankheitskriterien begnügen müssen. Folgerichtig ist darum auch ein negativer, ebenso wie ein positiver Irrtum des Täters über seine Schuldfähigkeit unbeachtlich75. Weder ändert die irrige Annahme der Schuldfähigkeit noch die irrige Annahme der Schuldunfähigkeit etwas an der "Schuld" oder "Unschuld" des Täters, die so vom Wissen des Täters um sie gänzlich unabhängig ist. Aber nicht nur unter den Gründen des konstitutionsbedingten Ausschlusses der Schuldfähigkeit, sondern ebenso unter den Gründen eines situationsbedingten Ausschlusses des Schuldvorwurfs: den sogenannten Schuldausschließungsgründen treffen wir auf objektiv gefaßte Schuldelernente. Schon Frank führt als ein Beispiel objektiv gefaßter "begleitender Umstände" den "Schuldausschließungsgrund" des strafrechtlichen Notstands (§ 54 StGB) an70. War dieser doch geradezu der Modellfall für den von Frank erbrachten Nachweis, daß es trotz Vorliegens einer schuldhaft vorsätzlichen Tat "begleitende Umstände" geben kann, welche zwar nicht den Vorsatz oder die Fahrlässigkeit als Schuldform (: das psychologische Schuldelernent) berühren, wohl aber die Vorwerfbarkeit einer unter "solchen Umständen" begangenen Tat und damit das von Frank sogenannte normative Schuldelement ausschließen. Folgert doch Frank aus der Anerkennung des Notstandes als "Schuldausschließungsgrund" unwiderleglich: "Umfaßt der Schuldbegriff nichts weiter als die Summe von Vorsatz und Fahrlässigkeit, und bestehen diese in der bewußten oder unvorsichtigen Herbeiführung des Erfolges, so bleibt es ganz unverständlich, wie die Schuld durch Notstand ausgeschlossen werden könnte. Denn auch der im Notstand handelnde Täter weiß, was er tut. Ihm den Vorsatz in dem mitgeteilten Sinne abzusprechen, heißt einfach unlogisch sein"77. über dieser exemplarischen Bedeutung der Fälle strafrechtlichen Notstandes für die Begründung des normativen Schuldbegrüfs wird jedoch auch hier die sehr viel weiter reichende Konsequenz der Entdeckung solcher objektiv gefaßter "begleitender Umstände" übersehen, 74
Vgl. Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems, 4. Aufi. 1961, S. 52 und
Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit in der strafrechtsphilosophischen
Doktrin der Gegenwart, 1963, S. 65: "Wir erklären unser Nichtwissen in bezug auf die Frage, ob ein konkreter Mensch in einer konkreten Situation anders hätte handeln können als er tatsächlich gehandelt hat"; dazu Maihojer, Menschenbild und Strafrechtsreform, S.14. 75 Vgl. dazu Baumann, Strafrecht, S. 378; Mezger - Blei, Strafrecht I, S. 183. 78 Frank, Aufbau des Schuldbegriffs, S. 6 f. 77 a.a.O., S. 6.
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welche zwar nicht die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit der Tat (die Form ihrer Schuldhaftigkeit also) berühren, wohl aber deren Vorwerfbarkeit ausschließen. Stellt sich doch auch hier die Frage, inwieweit es sich bei diesen objektiv gefaBten Schuldausschließungsgründen um Merkmale handelt, welche die tatsächliche persönliche Schuld oder Unschuld des Täters betreffen, oder ob wir uns auch hier mit seiner sozialtypischen Schuld oder Unschuld in einer solchen sozialen Rolle oder Lage begnügen. Daß es sich auch beim strafrechtlichen Notstand um sozialtypische Schuldausschließung am Maßstabe objektiv gefaßter Schuldelemente handelt, wird besonders auffällig in den durch § 54 StGB mitumfaßten Fällen der Notstandshilfe für Angehörige. Kommt es doch für das Vorliegen dieses Schuldausschließungsgrundes der Notstandshilfe nur darauf an, daß der Bedrohte sich in der objektiven sozialen Rolle einer "Sympathieperson" befindet, woraus auch hier auf die entsprechende sozialtypische Konftiktssituation beim Täter geschlossen wird78 • Wir begnügen uns somit auch hier "stillschweigend" mit dem Schluß aus den objektiv gefaßten begleitenden äußeren Umständen: der sozialen Beziehung des Täters zu dem Bedrohten "als Angehöriger", auf die entsprechende typische innere Verfassung des Täters, ohne daß wir im einzelnen prüfen, ob der Täter tatsächlich persönlich in der von Rechts wegen vorausgesetzten "inneren Beziehung" zu dem Bedrohten stand, die ihn in einen solchen "Konflikt" wirklich zu bringen vermochte. Es wird ganz einfach "vorausgesetzt", daß der Täter durch die Notstandslage des Angehörigen in eine soziaZtypische PflichtenkoZZision79 : zwischen der Gehorsamspfticht gegenüber dem Gesetz und der Hilfspfticht gegenüber dem Angehörigen gerät, die zwar nicht die Vorsätzlichkeit seiner 79 Vgl. zur Notstandshilfe für Angehörige statt aller: Baumann, Strafrecht, S. 414 f., 418 und Maurach, Strafrecht, Allg. Teil, S. 333 f.. 78 Vgl. zur Ptlichtenkollision als Schuldausschließungsgrund jetzt: Gattas, Mezger-Festschrift, 1954, S. 311 ff.., insbes. S. 332 f. Dieser Ansatz stellt uns vor die entscheidende Frage, worin in der Sache der Unterschied zwischen den PtlichtenkolIisionen besteht, welche (wie beim sog. rechtfertigenden übergesetzlichen Notstand in Fällen der Pflichtenkollision) bereits die Rechtswirkung eines Unrechtsausschließungsgrundes haben und denjenigen, welche (wie regelmäßig beim sog. entschuldigenden strafrechtlichen Notstand) lediglich die Rechtswirkung eines Schuldausschließungsgrundes haben. Offenkundig liegt der Unterschied zwischen solchen generellen PtlichtenkolIisionen, welche bereits den Unrechtsvorwurf, und den individuellen Pflichtenkollisionen, welche lediglich den Schuldvorwurf ausschließen, darin, daß auf. der Ebene des Unrechts die aus den strafrechtlichen Bestimmungsnormen folgende Rechtspflicht auf die öffentlichen, rechtlichen Pflichten der Person als Soziatperson bezogen werden, auf. der Ebene der Schuld dagegen auf die an die Person als Individualperson sich richtenden persönlichen sittlichen Pflichten ,gegen sich selbst' und ,gegen seine Nächsten' einbezogen werden. Vgl. zur Unterscheidung von Unrechtsvorwurf und Schuldvorwurf: Maihofer, RittlerFestschrift, 1957, S. 139, insbes. S. 156 ff.
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Tat (: den Schuldsachverhalt) aufzuheben, wohl aber die Vorwerfbarkeit seiner Tat (: den Schuldvorwurf) auszuschließen vermag. In diesen Konflikt zwischen den durch das Strafgesetz auferlegten Rechtspflichten und den sittlichen Pflichten "gegen sich Selbst" (Notstand) oder "gegen Angehörige" (Notstandshilfe) gerät der Täter typischerweise jedoch ebenso bei irriger Annahme einer Notstandssituation nach § 54 StGB für sich selbst oder Angehörige, weshalb er auch in solchen Fällen des (strafrechtlichen) Putativnotstandes und der Putativnotstandshilfe bei Unvermeidbarkeit des Irrtums mit Recht in entsprechender Anwendung der Regeln des Verbotsirrtums entschuldigt wird80 • Auch hier begnügen wir uns mit der Feststellung, daß der Täter sich irrig in der in solchen Fällen "vorausgesetzten" sozialtypischen Konfliktssituation wähnte, ohne daß wir dem Prinzip der persönlich-sittlichen Schuld entsprechend auch danach fragten, ob der Täter tatsächlich persönlich in diesen inneren Konflikt geraten ist, in dem ihm ein Andershandeln individuell nicht mehr zugemutet werden konnte. Müßten wir dazu doch in Erörterungen über die Stärke oder Schwäche seiner Selbstliebe oder seines Selbsthasses, seiner persönlichen Liebe oder seines persönlichen Hasses gegenüber der betreffenden "Sympathieperson" eintreten, von der in Wirklichkeit abhängt, ob der Täter innerlich in einem "Konflikt" sich befunden hat, den er persönlich anders als durch den Bruch des Rechtsgehorsams nicht zu lösen vermochte. Die Unerforschlichkeit dieser meist im Unterbewußten bleibenden persönlichen Verhältnisse und inneren Beziehungen, von denen die persönlich-sittliche Schuld des konkreten Täters in Wahrheit abhängt, veranlaßt uns, auch hier mit dem Erforschlichen uns zu begnügen: der sozialtypischen Schuld (oder Unschuld), die ein solcher Täter in solcher Lage zwar nicht notwendig, aber auch nicht zufällig, wohl aber regelmäßig auf sich lädt (oder nicht auf sich lädt). Geradezu um Modellbeispiele sozialtypischer Schuldausschließung handelt es sich bei den Fällen sogenannter "gesteigerter Zumutbarkeit", in denen schon Eberhard Schmidt einen "Ausschluß der Berücksichtigung des normativen Schuldelements"81 und damit "Ausnahmen von 80 So Welzel, Strafrecht, S. 164; Maurach, Strafrecht, Allg. T., S. 408; für "analoge Anwendung des § 59" auch bei strafrechtlichem Putativnotstand dagegen: Baumann, Strafrecht, S. 419 f. Eine analoge Anwendung der Regeln des Tatbestandsirrtums kommt folgerichtig in Betracht nur bei den nicht vom Gedanken der Pflichtenkollision, sondern der Güterkollision bestimmten Fällen des bürgerlichrechtlichen und des übergesetzlichen Putativnotstandes, soweit es sich um Fälle vermeintlicher rechtfertigender Güterkollision handelt. Dagegen sind auf Fälle vermeintlicher rechtfertigender Pflichtenkollision die Regeln des Verbotsirrtums entsprechend anzuwenden. 81 Liszt - Schmidt, Strafrecht, Allg. T., 26. Aufl. 1932, S. 293. Vgl. zur Zumutbarkeit und Unzumutbarkeit als regulatives Rechtsprinzip jetzt: Heinrich Henkel, Mezger-Festschrift, S. 249 ff.
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dem normativen Schuldgedanken"B2 gesehen hat. Wird doch ohne Rücksicht auf die persönliche Fähigkeit des Täters, "das Unerlaubte der Tat einzusehen" und "nach dieser Einsicht zu handeln", ein situationsbedingter Ausschluß des Schuldvorwurfs dann versagt, wenn die Konfliktsituation, in die der Täter geraten ist, ihren Grund in "berufstypischen Gefahren" hat, die sich aus der übernahme objektiver sozialer Rollen wie der des Polizisten, des Seemanns, des Feuerwehrmanns, des Bergführers usw. ergeben B3 , oder "wenn sich jemand einer Gemeinschaft anschließt, die mit Gefahr verbundene Handlungen begeht (z. B. einer Widerstandsgruppe) "B4. In allen diesen Fällen hängt somit die Schuld ausschließung davon ab, ob die durch den Notstand hervorgerufene Konfliktslage das dem Träger einer solchen Rolle in dieser Lage typischerweise Zumutbare überschreitet, weshalb umgekehrt in solchen Fällen "gesteigerter Zumutbarkeit" die Vorwerfbarkeit der Tat auch dann bestehen bleibt, wenn der Täter nach seinen persönlichen Eigenschaften und Fertigkeiten in dieser typischen Gefahrensituation eines solchen Berufs versagen mußteB5 . Das aber heißt, daß es beim Versagen des Trägers einer bestimmten sozialen Rolle in einer bestimmten kritischen Lage regelmäßig nicht auf seine Individualschuld und Aktualschuld ankommt, sondern darauf, ob Jemandem in solcher Rolle als Feuerwehrmann, Polizist, Seemann, Bergführer usw. in dieser Lage ein Andershandeln zugemutet werden konnte B8. Daß damit das Eingreifen des Schuldausschließungsgrundes des strafrechtlichen Notstandes auch in solchen Fällen sozialtypischer Gefahrensituationen für Leib und Leben des Täters von objektiv-subjektiven Schuldelementen abhängt, bestätigt sich auch darin, daß es zwar für die Schuld des Täters (im Unterschied zu dem auf die objektive Pflichtwidrigkeit bezogenen Unrecht) auf sein Wissen um die Zugehörigkeit zu einer dieser Personengruppen gesteigerter Zumutbarkeit ankommtB7, umgekehrt jedoch die 82 Dazu schon Siegert, Notstand und Putativnotstand, 1931, S. 55 fr.
Baumann, Strafrecht, S. 415; Welzel, Strafrecht, S. 162; Mezger - Blei, Strafrecht I, S. 206; Schwarz - Dreher, Strafgesetzbuch, S. 228. 84 Schönke - Schröder, Strafgesetzbuch, S. 385. 85 Auch in Fällen "gesteigerter Zumutbarkeit", bei denen es sich in der Sache um einen Ausschluß der gesetzlichen und über gesetzlichen Schuldausschließungsgründe nach dem Prinzip des übernahmeverschuldens handelt (dazu jetzt: Peter Troberg, Das übernahmeverschulden, Diss. Saarbrücken, 1961), kommt jedoch eine Schuldausschließung nach den allgemeinen Regeln nur dann in Betracht, wenn die Gefahrensituation für Leib und Leben das "typische Berufsrisiko" überschreitet oder der Konflikt durch andere als die typischen Berufsgefahren bedingt ist. 8' Es handelt sich damit auch hier um ein Schuldigsprechen des Täters nach seiner Sozialschuld und Dispositionsschuld; vgl. dazu: Maihojer, Menschenbild und Strafrechtsreform, S. 15 und Anm. 23 ff. 87 So schon Siegert, Notstand und Putativnotstand, S. 97; dagegen ist ein Irrtum über die damit bestehende "besondere Pflicht" und die "gesteigerte Zumutbarkeit" als konkreter Gebotsirrtum nach den Regeln des Verbotsirrtums zu behandeln (vgl. dazu jedoch Siegert, a.8.0. Anm. 1). 81
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irrige Annahme dieser "Eigenschaft" eine gesteigerte Zumutbarkeit zur Tragung und Erduldung der sozialtypischen Gefahren einer solchen Rolle nicht begründen kann88 • Fragen wir uns abschließend nach dem gemeinsamen Grund aller dieser festgestellten Abweichungen vom Prinzip der persönlich-sittlichen Schuld, zugunsten des Prinzips der persönlich-gesellschaftlichen: der sozialtypischen Schuld in Fällen objektiv gefaßter SchuldtatbestandsmeTkmale (wie bei der Kindstötung des § 217 StGB), objektiv gefaßter SchuldaufhebungsgTünde (wie bei der Putativnotwehr), objektiv gefaßter SchuldvoTaussetzungen (wie bei den biologischen Umschreibungen der Zurechnungsunfähigkeit in § 51 StGB) und objektiv gefaßter SchuldausschließungsgTünde (wie beim strafrechtlichen Notstand des § 54 StGB), dann müssen wir feststellen, daß es sich in allen diesen Fällen um den objektiven Bezug auf typische soziologische Situationen oder biologische Konstitutionen handelt, welche weder notwendig noch zufällig, jedoch regelmäßig eine entsprechende Verfassung des Täters zur Folge haben, die seine Schuld betrifft. Worin hat diese die Schuld typisch mindernde oder gar aufhebende, die Schuld fähigkeit oder doch den Schuldvorwurf ausschließende Verfassung des Täters ihren Grund? IV. Die Funktion der objektiven Schuldelemente im System der Schuld Alle behandelten objektiv gefaßten Schuldelemente haben das eine gemeinsam: sie beziehen sich auf eine AnoTmalität, sei es der Situation der Tat, sei es der Konstitution des Täters, durch welche dessen nOTmale BestimmbaTkeit dUTch Motive beeinträchtigt ist. Es drängt sich darum die Frage auf, ob wir in diesen objektiven Schuldelementen nicht objektiv gefaßte Umschreibungen typischer situationsbedingteT odeT konstitutionsbedingteT BeeintTächtigungen deT nOTmalen MotivieTbaTkeit des TäteTs und damit, nach Franz von Liszt, seiner Schuld vor uns haben89 • 88 Es handelt sich in solchen Fällen in der Sache um einen straflosen Versuch des untauglichen Subjekts (vgl. dazu Baumann, Strafrecht, S. 464 f.). 89 Franz von Liszt hat diesen Gedanken in seinem Vortrag über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit in einer zweifachen: auf die Schuldfähigkeit und Strafempfänglichkeit bezogenen Fassung zum Ausdruck gebracht: Zurechnungsfähigkeit ist .. normale Bestimmbarkeit durch Motive" . .. Wer auf Motive in nOTmaler Weise reagiert, ist zurechnungsfähig. Die Zurechnungsfähigkeit entfällt mit jeder Störung des Seelenlebens, sei es im Gebiete des VorsteIlens oder des Empfindens oder des Wollens, durch welche die Reaktion anormal, atypisch gestaltet wird." Zurechnungsfähigkeit bedeutet damit für Franz von Liszt auch: .. die Empfänglichkeit für die durch die Strafe bezweckte Motivsetzung" (Vgl. Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, Bd. H, 1905, S. 219 f.).
U Festschrift für Hellmuth Mayer
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Werner Maihofer 1. Di e 0 b j e k t i v e n S c h u I deI e m e n t e als pos i t i v gefaßte Umschreibungen anormaler Motivierbarkeit des Täters
Da eine positive Feststellung der konkreten Schuldfähigkeit zur Zeit der Tat und die explizite Erhebung eines individuellen Schuldvorwurfs gegen den Täter: "Du hättest nach Deinen persönlichen Einsichten und Fertigkeiten anders handeln sollen und können!" nach heutiger Einsicht theoretisch wie praktisch unmöglich ist, begnügt sich unser Recht für den Regelfall mit der negativen Feststellung, daß keine Gründe erkennbar sind, welche gegenüber dem Täter einer vorsätzlich oder fahrlässig begangenen Straftat dessen "normale Bestimmbarkeit durch Motive", damit die implizite Erhebung eines Schuldvorwurfs gegen ihn ausschließenuo • Nun kann die anormale Motivierbarkeit des Täters aus den verschiedensten exogenen Ursachen in der Situation der Tat wie den endogenen Ursachen in der Konstitution des Täters sich ergeben, von denen jedoch unser Recht nur bestimmte eng umschriebene Ausnahmefälle anerkennt, in denen die im Regelfall "vorausgesetzte" normale Bestimmbarkeit durch Motive als zwar nicht notwendig, aber auch nicht zufällig, jedoch regelmäßig, d. h. typisch beeinträchtigt angesehen wird. Eben diese Fälle typischer anormaler Bestimmbarkeit des Täters durch Motive versuchen wir in den mit objektiv gefaßten Schuldelementen umschriebenen Schuldmerkmalen, Schuldaufhebungsgründen, Schuldvoraussetzungen und Schuldausschließungsgründen zu "vertypen". Dies kann einmal geschehen durch Bezugnahme auf die "vorausgehenden" oder "begleitenden Umstände", welche die "Abnormität" der Situation und eine durch sie regelmäßig herbeigeführte anormale Motivierbarkeit des Täters berücksichtigen. Auf diese Weise verfahren wir bei allen Fällen situationsbedingter Anormalität. Dabei stellen wir ab entweder auf die unmittelbare psychophysische Auswirkung dieser begleitenden Umstände, wie etwa des Geburtsaktes in § 217, auf die innere Verfassung der Täterin, deren "normale Bestimmbarkeit durch Motive" dadurch, wenn auch nicht aufgehoben, so doch vermindert ist; oder aber auf die soziopsychische Auswirkung dieser begleitenden Umstände, wie etwa der Unehelichkeit in § 217, welche die Täterin regelmäßig in eine ganz andere innere Verfassung bringen als jene, in der sie sich unter den Umständen einer ehelichen Geburt befunden hätte. Bringt doch die Furcht vor der Schande bei einer unehelichen Geburt (mit den Augen DO So in der Sache schon Franz von Liszt, wenn er zu seiner Umschreibung der Schuldfähigkeit als "normale Bestimmbarkeit durch Motive" feststellt: .. Diese Fassung gestattet es dem Richter, im Einzelfalle von der Annahme der Zurechnungsfähigkeit auszugehen und so lange an ihr festzuhalten, bis durch besondere Umstände die Richtigkeit der im allgemeinen zutreffenden Annahme erschüttert wird" (a.a.O., S. 220, Hervorhebung von mir).
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unserer Gesellschaft betrachtet) die Täterin in eine Motivationslage, in der dieser Faktor zu einem fast unwiderstehlichen, zur Tat hindrängenden Motiv werden kann. Soll die Täterin sich hier dennoch gegen das Unrecht und für das Recht entscheiden, so bedarf es hierzu der überwindung so mächtiger Bestimmungsgründe wie der Furcht vor der Schande, anders ausgedrückt: des Mutes, alle die negativen persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen einer "solchen Geburt" auf sich zu nehmen. Ihre Freiheit, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, ist zwar nicht aufgehoben, aber sie ist doch vermindert. Mit anderen Worten: die Täterin hat zwar noch "Tatherrschaft" über das Geschehen, aber sie ist unter den "Umständen" einer solchen typischen Konfliktslage doch sehr viel weniger Herr ihrer Selbst und ihrer Tat als unter normalen Umständen. Sind es doch eben diese sozialen Umstände, die sie in eine bestimmte typische Motivationssituation versetzen, welche einen solchen Einfluß auf ihren Willen gewinnen können, daß die daraus entspringende Tat nur mehr bedingt und eingeschränkt als Werk dieses ihres "Willens" gelten kann. Wir halten darum die Schuld einer solchen Täterin für gemindert, weil die besonderen begleitenden Umstände ihre "normale Bestimmbarkeit durch Motive" regelmäßig beeinträchtigen, mit anderen Worten: ihre Tatherrschaft, wenn auch nicht aufheben, so doch einschränken. Auch eine solche Tat ist das Werk des Täters, aber doch in großem Umfange ebenso das Ergebnis der Umstände der Tat, die eine besondere Motivationsschwäche ("Akt" der Geburt) beim Täter herbeiführt, oder einen besonderen Motivationsdruck ("Unehelichkeit" der Geburt) auf den Täter ausgeübt haben. Es ist nichts anderes als diese mehr oder weniger große Selbstbestimmtheit oder Fremdbestimmtheit der Tat (ihre Autonomie oder Heteronomie), die wir meinen, wenn wir sagen, jemand sei "Herr seiner Tat", diese sei das "Werk des Täters" gewesen. Wir nehmen darum in solchen Fällen objektiv gefaßter Schuldminderungsgründe (wie in §§ 213, 216, 217 StGB) eine durch die "begleitenden Umstände" sozialtypisch herbeigeführte, erhebliche Beeinträchtigung des normalen Spielraums der Motivierbarkeit, und dadurch regelmäßig verminderte Schuld des Täters an. Ganz und gar aufgehoben dagegen wird die normale Motivierbarkeit in jenen Fällen objektiv gefaßter Schuldaujhebungsgründe (wie der Putativnotwehr oder der PutativeinwiIligung), wo die vermeintlichen "begleitenden Umstände" den Täter in einen Motivationsirrtum über die Situation, in der er sich befindet, versetzen. Werden doch durch die irrige Annahme einer rechtfertigenden Notwehrlage oder einer rechtfertigenden Einwilligung regelmäßig die Gegenmotivationen ausgeschaltet, die ihn von einer Tat abhalten könnten. Auch ein solcher Täter, der irrig einen begleitenden Umstand annimmt, der ein "berechtigtes" 14·
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Motiv für sein Verhalten enthielte, der in Wirklichkeit jedoch "unmotiviert" handelt, ist in seinem Irrtum nicht mehr normal bestimmbar durch Motive. Er weiß, was er tut (daß er nämlich ein Rechtsgut verletzt) und weiß es doch nicht (daß ihm die Situation keinerlei Motiv: Anlaß dazu gibt). Auch ein solcher Täter ist geistig nicht mehr "Herr seiner Tat", die Tat nicht mehr das geistige "Werk seines Willens", da er zwar rein tatsächlich weiß und will, was er tut, nicht aber geistig weiß und will, "was er tut". Sein Tun und Lassen ist "unmotiviert" in der Situation, es ist "motiviert" nur nach seiner irrigen Vorstellung von dieser Situation. Damit ist in solchem typischen Motivationsirrtum zwar nicht die natürliche, wohl aber die geistige Freiheit des Täters aufgehoben, sich angesichts dieser konkreten Situation motiviert zu verhalten. Ebenso wird in den Fällen der objektiv gefaßten Schuldausschließungsgründe zwar nicht der Schuldsachverhalt, wohl aber der Schuldvorwurf ausgeschlossen, sei es wie beim strafrechtlichen Notstand oder Nötigungsnotstand der §§ 54 und 52 StGB durch den übermächtigen Motivationsdruck, in den der Täter in einer solchen Notsituation für sich oder Angehörige gerät, sei es durch den gleichzeitigen Motivationsirrtum, in den er in den Fällen des strafrechtlichen Putativnotstandes oder etwa der Putativnotstandshilfe versetzt ist. Daß hier lediglich der Schuldvorwurf ausgeschlossen und nicht bereits der Schuldsachverhalt (damit die Vorsätzlichkeit oder Fahrlässigkeit der Tat) aufgehoben wird, hat seinen Grund darin, daß es sich hier in der Sache nicht um (vermeintliche) Interessenkonflikte, sondern im Schwerpunkt um Pflichtenkonflikte handelt, durch die nicht schon der subjektive Erfolgsunwert der Tat als Interessenverletzung, sondern erst der Verhaltensunwert der Tat als Pflichtverletzung ausgeschlossen wird. Ganz und gar ausgeschlossen oder vermindert ist demgegenüber nicht erst der Schuldvorwurf, sondern bereits die Schuldfähigkeit bei Vorliegen jener objektiv gefaßten Schuldvoraussetzungen, wie sie in den sogenannten biologischen Kriterien des § 51 StGB umschrieben sind. Sie stellen zumindest bei den Psychosen und den geistigen und seelischen Anomalien auf medizinische Befunde ab, aus denen typisch auf eine "anormale Bestimmbarkeit des Täters durch Motive" zu schließen ist, die bedingt ist entweder durch Motivationszwang (wie bei "krankhafter Störung der Geistestätigkeit") oder durch Motivationsschwäche (wie bei "Geistesschwäche") und die wir bei solchen abnormen oder in einer anormalen Verfassung sich befindenden Persönlichkeiten regelmäßig voraussetzen müssen. Aus alledem ergibt sich, daß das Rechtsprinzip, das den Fällen objektiver Schuldelemente zugrunde liegt, dahin formuliert werden kann, daß es sich bei diesen objektiv gefaßten Schuldminderungsgründen, Schuldaufhebungsgründen, Schuldvoraussetzungen und Schuldaus-
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schließungsgründen sämtlich um positiv umschriebene Ausnahmefälle situationsbedingter oder konstitutionsbedingter anormaler Motivierbarkeit des Täters handelt, sei es durch einen anormalen Motivationsdruck oder gar Motivationszwang, unter dem der Täter steht, sei es durch einen Motivationsirrtum oder eine Motivationsschwäche, aus der heraus er seine Tat begeht. Die objektiv gefaßten Umschreibungen dieser, in den besonderen "Umständen" der Tat oder der besonderen "Anlage" des Täters begründeten, "anormalen Bestimmbarkeit durch Motive" haben im System der Schuld die Funktion von positiven Gegenindikationen gegen die mit vorsätzlicher oder fahrlässiger Verwirklichung des Schuldtatbestandes indizierte Individualschuld und Aktualschuld des Täters, deren Feststellung im Regelfall nur negativ und implizit erfolgt; wogegen in allen Ausnahmefällen, in denen begründete Zweife] an dieser Tatschuld des Täters bestehen, wir uns auf die positive und explizite Feststellung der Sozialschuld und Dispositionsschuld des Täters an Hand objektiv gefaßter Schuldelemente beschränken. Liegen sie vor, so sehen wir die Schuld des Täters als typisch gemindert oder aufgehoben, den Schuldvorwurf oder gar die Schuldfähigkeit als unter solchen typischen "Umständen" oder durch solche typischen "Anlagen" ausgeschlossen an. 2. Die 0 b j e k t i v e n S c h u I deI e m e n t e als Umschreibungen konkreter: situationsbedingter oder konstitutionsbedingter Unfreiheit des Täters Eine Straftat gilt uns solange als ein Ausdruck der Freiheit und damit der Schuld des Täters, als wir nicht Anlaß haben, an der Normalität der äußeren Umstände oder der inneren Verfassung zu zweifeln, in denen sich der Täter zur Zeit der Tat "befunden" hat. Darum stellt schon Frank für die von ihm entdeckten "begleitenden Umstände" zu Recht fest, sie seien als "motivierende Momente ... für den Schuldbegriff unentbehrlich. Indem der Gesetzgeber nur bei ganz vereinzelten motivierenden Umständen, also bei abnormer Motivierung, die Schuld für ausgeschlossen erklärt, sagt er indirekt, daß normale Motivierung zur Schuld gehört"91. Bringt doch die "Abnormität" der "begleitenden Umstände": der "Umweltlage", wie Frank sagt92 , den Täter in eine anormale Motivationssituation, in der seine normale "Bestimmbarkeit durch Motive" aufgehoben oder doch gemindert ist, weshalb uns die Tat gänzlich oder teilweise als das "Ergebnis" der Umstände und nicht als das "Werk" des Täters erscheint. Schon Frank sieht darum zuletzt, 81 So Frank, Strafgesetzbuch, 8.-10. Auf!. 1912, S. 110 (Hervorhebung von mir). 82 So zuletzt Frank, Strafgesetzbuch, 18. Auf!. 1931, S. 136.
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mit Hegler93, das Wesen der objektiven Schuldelemente darin, daß die mit ihnen erfaßte Abnormität der Umweltlage "dann der Schuld entgegensteht, wenn sie zur Unfreiheit, zum Mangel der Tatherrschaft führt". Dies folgt für ihn "zunächst aus dem Wesen der Sache, außerdem aber auch aus dem StGB, sofern man mit der jetzt vorherrschenden Meinung in dem Notstand der §§ 52, 54 einen Entschuldigungsgrund sieht. Denn entschuldigende Kraft kann er nur haben, wenn er etwas ausschließt, was zur Schuld gehört. Das aber ist die Freiheit"8'. Es ist so die durch die vorausgehenden (wie bei § 213 StGB) oder begleitenden Umstände (wie bei § 217 StGB) bedingte (sozial)typische Schwächung oder Aufhebung des "Unterscheidungs- oder Hemmungsvermögens"85 angesichts solcher wirklicher oder vermeintlicher sozialer Situationen, welche den Täter vermindert schuldig oder gar schuldlos erscheinen läßt. Es ist mit anderen Worten die durch die anormale Situation bedingte konkrete Unfreiheit: welche nicht einfach nur tatsächlich, sondern geistig den Spielraum der Freiheit einschränkt oder aufhebt, den wir unter normalen Umständen beim Täter "voraussetzen" dürfen, und der hier "die Schwere der Schuld" bestimmt, die somit "nicht nur von dem Werte und der Bedeutung des angegriffenen Rechtsgutes (Interesses), nicht nur von der Frage des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit, sondern auch von dem Maße der Freiheit abhängt"96. Nicht anders liegt es in der Sache bei jenen objektiven Schuldelementen, mit denen wir die der Tat zugrunde liegende Verfassung des Täters (wie in § 51 StGB) in typischen Ausnahmefällen berücksichtigen, wo wir begründeten Anlaß haben, aus der anormalen Konstitution oder doch Reaktion des Täters auf seine konkrete Unfreiheit und damit typische Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit zu schließen. So erweisen sich uns am Ende in der Sache die objektiven Schuldelemente als nichts anderes denn als objektiv gefaßte Umschreibungen der konkreten Unfreiheit, die wir aus bestimmten typischen Umständen der Tat oder einer bestimmten typischen Verfassung des Täters als zwar nicht in jedem Falle notwendig, aber auch nicht zufällig, jedoch regelmäßig "gegeben" erschließen. Stellt die hieraus folgende anormale Motivierbarkeit des Täters bereits das Ob der Schuld bei der Schuldfeststellung und nicht lediglich das Wie der Schuld bei der Strafzumessung in Frage, weil sie bereits die Tatherrschaft des Täters einschränkt oder aufhebt, oder entsprechend die Vorwerfbarkeit seiner Tat mindert oder ausschließt, dann gestehen wir ihr Rechtswirkung zu nicht erst es Hegler, ZstW 1936, S. 184 ff., insbes. S. 214 ff. Frank, a.a.O.
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für die Strafbarkeit der Tat oder die Strafwürdigkeit des Täters, sondern bereits für die Erfüllung des Schuldsachverhalts und die Erhebung des Schuldvorwurfs. Während wir bei Normalität der Situation der Tat und der Konstitution des Täters aus der Verwirklichung des Schuldtatbestands (in der Schuldform des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit) stillschweigend ebenso auf das Vorhandensein der Tatherrschaft des Täters, wie das Berechtigtsein der Vorwerfbarkeit der Tat schließen, verkehrt sich diese implizite Indikation in eine explizite Gegenindikation, sobald wir feststellen, daß die Tat oder der Täter unter die mit objektiven Schuldelementen gefaßten Schuldminderungsgründe oder Schuldaufhebungsgründe fallen oder gar unter jene objektiven Schuldelemente subsumiert werden müssen, aus denen wir auf die Minderung oder den Ausschluß der Schuldfähigkeit oder doch des Schuldvorwurfs schließen müssen. Wir gehen damit im Regelfalle der Normalität von "Umwelt" und "Anlage" stillschweigend von der Individualschuld und Aktualschuld des Täters aus. Liegt dagegen ein mit objektiven Schuldelementen umschriebener Ausnahmefall situations- oder konstitutionsbedingter Anormalität vor, dann erfolgt die Schuldminderung, Schuldaufhebung oder der Ausschluß der Schuldfähigk.eit oder des Schuldvorwurfs, nach dem Prinzip der für solche Umstände der Tat oder Verfassungen des Täters typischen Sozialschuld und Dispositionsschuld. Daraus aber ergibt sich, daß die objektiven Schuldelemente die Funktion von Gegenindikationen für bestimmte Fälle der Anormalität von "Umwelt" und "Anlage" nach dem Prinzip der Sozialschuld und Dispositionsschuld haben. Sind es doch immer typische Schuldminderungen oder Schuldaufhebungen, Schuldvoraussetzungen oder Schuldausschließungen, deren Vorliegen oder Nichtvorliegen wir anhand objektiver Schuldelemente positiv und explizit feststellen und hinter deren Typizität wir danach nicht weiter zurückfragen 97 • Stellen wir das Vorliegen solcher Gründe fest, die auf eine anormale Motivierbarkeit des Täters 87 In diesem Sinne bezeichnet auch Maurach (Schuld und Verantwortung im Strafrecht, 1948, S. 42) "die sog. Schuldausschließungsgründe der §§ 52, 53 II!. und 54" als festumrissene Ausnahmelagen", deren "psychologische Wirkung auf den Täter ... unbesehens unterstellt" wird, "ja noch mehr: es wird dem Richter verboten, Nachforschungen anzustellen, ob die rechtlich mißbilligte Handlung tatsächlich durch die vom Gesetz unterstellten Gründe bedingt war". Aus der Feststellung: "Ist die objektiv-verallgemeinernd umrissene Situation gegeben, so kommt die Rechtswohltat jedem Täter zugute, gleichgültig auch, ob sie überhaupt fähig war, auf den betreffenden Täter willensbestimmend einzuwirken" (a.a.O., S. 43), leitet Maurach die systematische Stellung dieser Ausnahmelagen als Gründe des "Ausschlusses der Tatverantwortung" ab (so Strafrecht, Allg. Teil, S. 328 ff.), womit sie in der Sache in objektiv gefaßte "Unrechtsausschließungsgründe" umgedeutet werden (vgl. dazu Maihojer, Der Unrechtsvorwurf, S. 161 f.). Die Rechtswirkung dieser Ausnahmesituationen im Systemzusammenhang von Unrecht und Schuld ist jedoch danach zu differenzieren, ob sie bereits die Wirkung eines Ausschlusses der objektiven Pflicht-
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und darum auf seine konkrete Unfreiheit schließen lassen, dann ist damit die aus der Verwirklichung der Schuldtatbestandsmerkmale folgende Indikation der Individualschuld und Aktualschuld des Täters positiv ausgeschlossen. Allein auf diese Weise läßt sich nach unserer heutigen Einsicht die Frage der Schuld des Täters für seine Tat: mittelbar und indirekt beantworten. Muß doch jeder Versuch einer unmittelbaren und direkten Antwort auf die Frage nach der "konkreten Schuldfähigkeit" wie nach dem "individuellen Andershandelnkönnen" des Täters zur Zeit der Tat, damit nach seiner Individualschuld und Aktualschuld, schon an der Erkenntnisfrage hoffnungslos scheitern, zu der schon Kant, bis heute unwiderlegt und unwiderleglich bemerkt: "Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns ... , selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Charakter bezogen werden. Wieviel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur oder dem unverschuldeten Fehler des Temperaments oder dessen glücklicher Beschaffenheit... zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen, und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten"98. widrigkeit in den Grenzen der generellen Zumutbarkeit des Andershandelns für Jedermann in der sozialen Rolle und Lage des Täters haben (a.a.O., S. 157 f.), oder ob sie lediglich einen Ausschluß der subjektiven Pflichtwidrigkeit in den Grenzen der individuellen Zumutbarkeit des Andershandelnkönnens für den Täter selbst bewirken (a.a.O., S. 154). Dafür aber, ob die jeweilige Ausnahmesituation bis zum Ausschluß des Unrechtsvorwurfes oder nur des Schuldvorwurfes führt, ist die Stärke des Motivationsdrucks dieser Situation entscheidend. Müssen wir generell feststellen, daß Jemand in solcher Rolle und Lage ein Andersverhalten von Rechts wegen nicht mehr angesonnen und zugemutet werden konnte, dann ist schon der Unrechtsvorwurf gegen den Täter ausgeschlossen: "Man hätte hier anders handeln sollen und können!". In allen anderen Fällen muß es dagegen bei dem Schlusse bewenden, daß bei Vorliegen einer objektiv umschriebenen typischen Ausnahmelage jedenfalls diesem Täter selbst in solcher Rolle und Lage ein Andershandeln im Zweifel nicht mehr angesonnen und zugemutet werden konnte, wonach mit .. an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" der Schuldvorwurf gegen ihn auszuschließen war: "Du hättest hier anders handeln sollen und können!" Nur bei einer solchen Differenzierung zwischen der positiven Feststellung des Unrechts. die gegenindiziert ist durch die Unrechtsaufhebungs- und Unrechtsausschließungsgründe, und der negativen Feststellung der Schuld, die gegenindiziert ist durch die objektiv gefaßten Gründe, welche eine Aufhebung des Schuldtatbestandes, oder einen Ausschluß der Schuldfähigkeit oder des Schuldvorwurfs fordern, läßt sich nach unserer heutigen Einsicht die Frage nach der Schuld des Täters, wenn auch nur mittelbar und indirekt beantworten. Dies bedeutet nichts weniger als die Umkehr des heute geübten Verfahrens, das es beim Unrecht regelmäßig mit der negativen Feststellung: Abwesenheit von sog. Rechtfertigungsgründen bewenden läßt, bei der Schuld dagegen glaubt, eine positive Feststellung: Gegebensein der Vorwerfbarkeit treffen zu können (vgl. dazu grundlegend: Roxin, Offene Tatbestände und Rechtspflichtmerkmale, 1959). 98 Kant, Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe Schmidt (Meiner), 1930, S. 536, Anm.
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Eben auf diesen empirischen Charakter des Menschen als ein phaenomenal durch Umwelt und Anlage bedingtes "vergesellschaftetes Individuum" stellen wir mit unseren typischen, aus der Erfahrung gewonnenen Gegenindikationen der Schuld ab, die wir für bestimmte Ausnahmefälle situations- und konstitutionsbedingter anormaler Motivierbarkeit und konkreter Unfreiheit mit Hilfe objektiver Schuldelemente zu umschreiben und zu erfassen suchen. Wenn bis heute im einzelnen auch vieles an der Funktion dieser objektiv gefaßten Schuldelemente ungeklärt bleibt und der eingehenden Erörterung bedarf, so steht dennoch schon nach dem vorläufig gewonnenen Ergebnis fest, daß diese objektiven Schuldelemente in jedem System der Schuld, unabhängig von der Auffassung der Schuld als "Tatherrschaft" oder als "Vorwerfbarkeit", den Rechtscharakter positiver Gegenindikationen der Schuld nach dem Prinzip der Sozialschuld und Dispositionsschuld haben, gleichgültig, ob man sie danach als objektiv gefaßte Gründe der Einschränkung oder Aufhebung der Tatherrschaft (im Schuldsachverhalt) oder der Minderung oder Ausschließung der Vorwerfbarkeit (im Schuldvorwurf), oder als beides zugleich, deutet. Bezeichnet sie doch schon der Begründer der Lehre von den objektiven Schuldelementen und zugleich des normativen Schuldbegriffs, Reinhard I'rank, nicht zufällig bald als Fälle des "Mangels der Tatherrschaft", bald der "abnormen Motivierung", das aber heißt als die beiden positiv und negativ umschriebenen Seiten der einen und selben Sache: der strafrechtlichen Schuld. Die Lehre von den subjektiven Unrechtselementen hat zu einem folgenreichen Umbau des früheren objektiven Unrechtsbegriffs zugunsten eines personalen Unrechtsbegriffs geführt. Es hat nach dem Ergebnis dieser Untersuchung den Anschein, als ob in der heute vergessenen Lehre von den objektiven Schuldelementen der Schlüssel zu einem nicht weniger grundlegenden Umbau des bisherigen subjektiven Schuldbegriffs, zugunsten eines Tatherrschaft und Vorwerfbarkeit verbindenden normativen Schuldbegriffs liege. Zu ihm stellt Hellmuth Mayers Neuansatz der Schuldlehre beim Gedanken der Tatherrschaft einen ersten Schritt dar. Dieser schließt die Annahme objektiver Schuldelemente nicht aus, sondern fordert im Gegenteil dazu heraus, diese alte Lehre im neuen Zusammenhange für eine weitere Vertiefung der Schuldlehre fruchtbar zu machen, mit der wir trotz der verschiedensten Anläufe heute noch ganz in den Anfängen stecken. Daß es dabei nicht um eine bloße Frage der Strafrechtsdogmatik, sondern um eine der Grundfragen einer neuen, Strafrechtstheorie und Kriminalpolitik gleicherweise umgreifenden Gesamten Strafrechtswissenschaft geht, faßt schon Franz von Liszt in die programmatischen Worte: "An der Vertiefung der Schuldlehre bemißt sich der Fortschritt des Strafrechts."
Schuld und Prävention unter dem Gesichtspunkt der Rationalisierung des Strafrechts Von Peter Noll, Mainz Mehr als andere Teile der Rechtsordnung ist das Strafrecht von irrationalen Vorstellungen beeinflußt. Ethnologie und Rechtsgeschichte vermitteln die Erkenntnis, daß infolge der erstaunlichen menschlichen Anpassungsfähigkeit der Spielraum möglicher Inhalte von Normen, nach denen eine Gesellschaft leben kann, ungeheuer groß ist. Dies ermöglicht die Entstehung von Normen ohne Beteiligung rationaler Kontrolle. Primitive Gesellschaftsordnungen weisen eine Fülle von zwecklosen Tabus, lästigen Vorschriften, ja schädlichen, rechtsgüterfeindlichen Normen auf. Vor allem die Ethnologie kennt Beispiele ausgesprochen schlechter und unzulänglicher Gesellschaftsordnungen, welche die Existenz der nach ihnen lebenden Gesellschaften nicht sichern, sondern dauernd bedrohen und selbstverständlich auch dem Individuum keinerlei Möglichkeit der Selbstverwirklichung einräumeni. Die Rationalisierung der Rechtsordnung, ihre Befreiung von Normen, die mehr schaden als nützen, mehr Freiheit zerstören als Freiheit schaffen, und ihre Ersetzung durch Normen, die die optimale Entfaltung des einzelnen und der Gesellschaft ermöglichen, ist der Rechtswissenschaft vornehmste und dauernd gestellte Aufgabe. Ohne allzu grobe Vereinfachung lassen sich als historische Wurzeln der Strafe das Opfer, die Rache und die Hauszucht feststellen 2 • Im Prozeß der Rationalisierung wurden einem irrational entstandenen und begründeten Geschehen rationale Zwecke untergeschoben. So ist von den normativen Vorstellungen über das Menschenopfer nur der rationale Zweck der Eliminierung übriggeblieben, während der Gedanke an die Besänftigung der Gottheit und die Reinigung des Volkskörpers durch Ausstoßung des Rechtsbrechers3 zumindest bewußt nicht mehr vorhanden ist. In der Rache, die offenbar einem angeborenen Reaktionsbedürfnis 1 Vgl. z. B. die Darstellung der Gesellschaftsordnung der Dobuer bei Ruth Benedict, Urformen der Kultur, Rowohlts Deutsche Enzyklopädie, Bd. 7, Hamburg 1960, S. 104 ff.; E. Adamson Hoebel, The Law of Primitive Man, Harvard University Press, 1954. I Hans von Hentig, Die Strafe, Göttingen 1954, I, S. 110 ff. a Preiser, Vergeltung und Sühne im altisraelitischen Strafrecht, Festschrift für Eberhard Schmidt, Göttingen 1961, S. 7 ff., 37 f.
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entspricht, ist schon früh der rationale Gedanke des Ausgleichs, der Proportionalität zwischen Verletzung und Strafe, zuerst auf den Erfolg, später auf die Schuld bezogen, enthalten. Das uns hart und grausam anmutende Gebot des Alten Testaments "Auge um Auge, Zahn um Zahn" bezweckte eine Kontrolle und Begrenzung der strafrechtlichen Reaktion mit dem groben Maß des Talionsprinzips. Schließlich ist in der Hauszucht des pater familias unschwer der moderne Strafzweck der Resozialisierung zu erkennen. Die weitere Rationalisierung des Strafrechts, durch die dogmatische und kriminologische Strafrechtswissenschaft vorangetrieben, scheint sich mir heute vor allem in drei Richtungen zu bewegen: zu einer konsequenteren Durchführung des Schuldprinzips und des Grundsatzes der Proportionalität sowie zu einer wirksameren Ausgestaltung der Prävention. Das Schuldprinzip bedeutet gegenüber dem Erfolgsprinzip, wie im einzelnen noch darzulegen sein wird, eine selektive und gezieltere Anwendung der strafrechtlichen Sanktionen im Hinblick auf den Zweck der Generalprävention. Nach ihm sollen nur solche Handlungen bestraft werden, die der Täter hätte vermeiden können, da im gegenteiligen Fall die Verbotsnorm eine prtlventive Wirkung gar nicht entfalten konnte; die Höhe der Strafe soll sich einerseits nach dem Grade der Vermeidbarkeit, andererseits nach dem Wert des verletzten Rechtsguts und der Schwere seiner Verletzung richten. Nicht rational, mit empirisch überprüfbaren Wirkungen, begründbar ist dagegen die Schuldvergeltungstheorie, sofern und soweit diese glaubt und sich dazu "bekennt", daß Grund, Inhalt, Sinn der Strafe darin bestehe, Schuld auszugleichen, und daß nur in diesem Rahmen die Strafe auch rational erkennbare Zwecke verfolgen dürfe. Das geltende Strafrecht ist dieser Theorie nicht gefolgt. Es ist, wie ebenfalls noch darzulegen sein wird, kein Schuldstrafrecht in dem Sinne, daß es seine Sanktionen nach dem Gesichtspunkt der Schuldvergeltung bestimmen würde, sondern ein Rechtsgüterschutzrecht, das sich vornehmlich des Mittels der Generalprävention bedient und aus diesem Grunde des Schuldgedankens bedarf. Der Irrtum, daß das Strafrecht auf dem Grund der Schuldvergeltung beruhe und beruhen müsse, erklärt sich daraus, daß die sogenannte Tatschuld und die Prävention eng aufeinander bezogen sind. Das Schuldprinzip leitet sich aus der normativen Prävention her, und diese bezieht aus ihm seine Wirksamkeit. Nach dem Grundsatz der Proportionalität, der nicht nur für das Strafrecht, sondern für die gesamte rechtsstaatliche Ordnung gilt, müssen die strafrechtlichen Sanktionen begrenzt sein und in einem gesetzlich bestimmten Verhältnis zur begangenen Rechtsgüterverletzung stehen. Auch der Straftäter ist in seinem Eigenwert zu respektieren, darf
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nicht einfach kriminalpolitischen Zwecken geopfert und so entgegen der Kantschen Maxime ausschließlich als Mittel zum Zweck gehandhabt werden. Danach darf die Strafe nur als ultima ratio und nur zum Schutze von elementaren Rechtsgütern eingesetzt werden. Auch die Tendenzen zur Verbesserung des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt des Proportionalitätsprinzips sind unverkennbar. Sie äußern sich etwa in der Ausscheidung des Ordnungsunrechts aus dem Gebiete des Strafrechts überhaupt, in dem Ruf nach Abbau jener Vorschriften, vor allem des Sexualstrafrechts, die keinen Rechtsgüterschutz bezwecken, sondern reine Verhaltensnormen enthalten, im Kampf gegen die "Vielstraferei" und allgemein gegen die nicht unbedingt erforderliche Freiheitsstrafe. Mit besonderer Eindringlichkeit hat Hellmuth Mayer die Respektierung des Eigenwertes des Straffälligen und die quantitative Einschränkung des Strafrechts gefordert und vor allem damit seine eindrückliche Kritik an den Ergebnissen der gegenwärtigen Strafrechtsreform begründet'. Besonders deutlich ist der Zug zur Rationalisierung des Strafrechts schließlich im allgemein sichtbaren kriminalpolitischen Bestreben, die präventive, vor allem die speziaZpräventive Wirkung der strafrechtlichen Sanktionen zu verbessern. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist der Kampf gegen den übermäßiger, Gebrauch der Freiheitsstrafe gerechtfertigt. überhaupt scheint es hier vor allem darum zu gehen, die spezialpräventiv schädlichen, diskriminierenden und korrumpierenden Wirkungen der Strafe und somit allgemein solche Strafen, die diese Wirkungen notwendigerweise zeitigen, zu eliminieren. Die Erkenntnis, daß Schuld und Prävention eng aufeinander bezogen sind, ist nicht neu; ja überhaupt entspricht ihr die Konzeption des klassischen sogenannten Schuldstrafrechts, nach welcher schuldangemessene Strafe grundsätzlich auch fähig sein soll, die präventiven Zwecke zu erfüllen. Dies ist jedenfalls für die Generalprävention unbestritten geblieben. Dagegen hat die unvollkommene Erfüllung spezialpräventiver Zwecke durch die schuldangemessene Strafe zum heutigen Dualismus von Strafen und Maßregeln geführt, den seinerzeit Carl Stooß in seinen Vorentwürfen zu einem schweizerischen Strafgesetzbuch begründet hatte. Dieser Dualismus ist immer wieder, vor allem auch von Hellmuth Mayer, in Frage gestellt worden. Seit langem hat Hellmuth Mayer eindringlich darauf hingewiesen, daß der Gegensatz zwischen Schuldstrafrecht und Präventionsrecht ein unechter sei; denn nicht nur die Präventivmaßnahmen, sondern auch die Strafen dienten demselben Zweck der Verbrechensverhütung; das Sicherungsbedürfnis der Gesellschaft allein aber sei kein ausreichender Rechtsgrund, jemand seiner Freiheit zu berauben5• 4 Hellmuth Ma1Jer. Strafrechtsreform für heute und morgen, Berlin 1962, insbesondere S. 37 ffo, 57 ffo S Hellmuth Mayer, Strafrecht, Stuttgart 1953, So 36 ffo
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Im Folgenden soll das Verhältnis zwischen den Funktionen des Schuldbegrijfs und der Generalprävention genauer untersucht werden. Jede repressive Norm hat präventive Funktion, ob vom Gesetzgeber beabsichtigt oder nicht. Es gibt keine Repression - den Ausdruck im weitesten Sinne genommen, so daß darunter nachteilige wie vorteilhafte Rechtsfolgen fallen - ohne Prävention und keine Prävention ohne Repression, falls die Norm generell-abstrakt in dem Sinne ist, daß sie auf in der Zukunft sich wiederholende Sachverhalte und nicht nur einmalig auf einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Fall angewendet wird. Auch als rein repressiv gedachte Normen, die nur der Verwirklichung der ausgleichenden Gerechtigkeit dienen sollen, wirken präventiv, indem sie künftiges Verhalten von Menschen motivieren. Die Schadensersatzpflicht desjenigen, der widerrechtlich einen andern schädigt, bezweckt zunächst nur die Wiederherstellung des gerechten Ausgleichs, wirkt zugleich aber - und dies ist wohl ihre wichtigere Funktion - präventiv, indem sie Menschen davon abhält, andere widerrechtlich zu schädigen. Von einer bestimmten Höhe des Kindergeldes an wird die Geburtenziffer in einem Lande steigen, selbst wenn der Gesetzgeber dies nicht beabsichtigt, sondern lediglich kinderreichen Familien ihre Lasten erleichtern will. Eine gut ausgestattete öffentliche Krankenversicherung kann die unerwünschte Folge haben, daß Arbeitnehmer sich öfter krankmelden. Steuern, die zur Bestreitung des Staatshaushaltes und zur Milderung sozialer Ungleichheiten erhoben werden, rufen präventiv Dispositionen der Steuerpflichtigen hervor, die weitreichende Folgen haben können. Die präventive Wirkung einer repressiven Norm kann erwünscht oder unerwünscht sein. Eine gute Gesetzgebung wird darauf bedacht sein, möglichst alle Wirkungen einer geplanten Norm vorauszusehen und die Norm so zu gestalten, daß die unerwünschten Nebenwirkungen auf ein Minimum reduziert werden.
Dem Vertreter des klassischen Vergeltungsstrafrechts scheinen sowohl präventive als repressive Funktion der Strafnormen erwünscht: gestraft wird repressiv zum Ausgleich der Schuld, präventiv zur Verhütung von Rechtsgüterverletzungen. Für die Gegner des Vergeltungsprinzips ist die repressive Wirkung der Strafe, das Strafübel als solches, durchaus unerwünscht und wird nur als unentbehrliche Voraussetzung der präventiven Wirkung des Strafrechts in Kauf genommen. Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich für jede Kriminalpolitik weiter aus der Antinomie zwischen GeneraZprävention und Spezialprävention. Die Diskriminierung und soziale Degradierung, die vor allem mit der Freiheitsstrafe wegen der gesellschaftlichen Reaktion auf sie immer verbunden sein wird, ist zwar generalpräventiv äußerst wirksam, erschwert aber zugleich die Resozialisierung des Verurteilten und wirkt somit wieder kriminogen. Die heute allgemein verbreitete
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Skepsis gegenüber der Freiheitsentziehung als dem normalen Strafmittel beruht auf der Erkenntnis dieser Antinomie. Das kriminalpolitische Optimum wäre mit Strafmitteln zu erreichen, die generalpräventiv wirksam wären, ohne die spezialpräventiven Zwecke zu beeinträchtigen. Besonders deutlich erweisen sich die Begriffe von Schuld und normativer Prävention als aufeinander bezogen. Strafrechtliche Schuld bedeutet nichts anderes als Entscheidung gegen die strafrechtliche Norm trotz normativer Ansprechbarkeit. Der Begriff der normativen Prävention deckt sich nicht vollständig mit demjenigen der Generalprävention. Er ist enger als dieser, indem er nur diejenigen präventiven Wirkungen umfaßt, die von den Rechtsnormen als solchen ausgehen, nicht auch die Vorbeugungswirkung, welche die Vollstreckung von Urteilen und die sonstige Tätigkeit der Strafjustiz zeitigen. Abschreckung ist durchaus nicht die wichtigste Seite der Generalprävention. Die normative Motivierung kommt bei den allermeisten Menschen nicht erst durch den Gedanken an die Strafdrohung zustande. Generalpräventiv wirkt das Gesetz schon allein dadurch, daß es die Bürger über den Inhalt der geltenden Normen orientiert, sind doch die meisten daran interessiert, nicht nur straflos, sondern überhaupt konfliktlos zu leben. Um dieser Orientierungsfunktion des Gesetzes willen ist es auch ganz unmöglich, den besonderen Teil des Strafgesetzbuches, wie dies in kurzlebigen revolutionären Rechtsordnungen zuweilen versucht worden ist, in eine einzige Generalklausel zusammenzuziehen. Aus von Fall zu Fall und nach Belieben der Machthaber gesetzten, täglich sich ändernden Normen kann keine Ordnung entstehen. Generalpräventiv wirkt das Gesetz weiter durch seinen als vernünftig und gerecht einleuchtenden Inhalt, also dadurch, daß es mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein möglichst im Einklang steht. Daher können unverhältnismäßig schwere Strafdrohungen, die als ungerecht empfunden werden, die generalpräventive Wirkung eines Gesetzes abschwächen. Freilich ist auch die Strafdrohung selber und die Aussicht auf ihre Verwirklichung für die Generalprävention unentbehrlich. Die von den Machthabern gedeckten Verbrechen in der nationalsozialistischen Zeit haben deutlich vor Augen geführt, daß eine gewisse Anzahl sonst rechtmäßig sich verhaltender Menschen in schwerster Weise kriminell wird, wenn die Verbrechen nicht mehr mit Strafe verfolgt werden. Es wäre jedoch ein Irrtum, anzunehmen, daß die Abschreckungswirkung parallel mit der Höhe der Strafdrohung ansteige. Aus der heute nicht mehr bestreitbaren Tatsache, daß die Todesstrafe die Tötungskriminalität nicht zu vermindern vermag, geht das Gegenteil hervor. Der gegen Feuerbach immer wieder erhobene Vorwurf, ein nach der Generalprävention ausgerichtetes Strafrecht müsse ungerecht harte
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Strafen androhen, trifft nicht zu und ist schon von Feuerbach selber widerlegt worden. "Wenn man dem System des Verfassers vorwirft, dasselbe begründe einen Terrorismus auf Kosten der Menschlichkeit und anderer Staatszwecke, so vergißt man, daß, wie dem Verfasser wohl bekannt, grausame Strafen gerade das Entgegengesetzte der Abschreckung bewirken, und daß es lediglich Sache der gesetzgebenden Staatsweisheit (der Kriminal-Politik) ist, die Frage zu erörtern: Welche Strafen zu bestimmen und wie dieselben in der Ausfüh!"ung einzurichten seien ... 8 u Auf unzulänglichen psychologischen Kenntnissen beruht auch die Vorstellung - und damit kommen wir zu denjenigen Aspekten der Generalprävention, die in der normativen Prävention nicht enthalten sind -, daß das statuierte Exempel, daß die möglichst harte und möglichst vor den Augen der Öffentlichkeit durchgeführte Vollstreckung der Strafe notwendig abschreckend wirke. Bekannt ist, daß im alten England die meisten Taschendiebstähle während der öffentlichen Hinrichtung von Taschendieben vorkamen. Die von der Androhung und Vollziehung der Strafen ausgehenden Abschreckungseffekte und ihre Relation zur Höhe und Härte der Strafen sind kriminalpsychologisch noch viel zu wenig erforscht, als daß der allgemein verbreitete, naive Glaube gerechtfertigt wäre, mit massiven Strafdrohungen könnten Verbrechen verhütet werden. Die Kontroverse darüber, ob aus Gründen der Generalprävention die Strafe das Maß der Schuld übersteigen dürfe, beruht auf der unbewiesenen Prämisse, daß schuldunangemessene Strafen generalpräventiv wirksam seien. Vermutlich können zwar mit unverhältnismäßig hohen Strafen momentane Abschreckungseffekte erzielt werden, doch wird sich auf die Dauer die Verletzung des Rechtsbewußtseins auch präventiv als negativ auswirken. Die Frage aber, ob das als gerecht empfundene Strafmaß im geltenden Schuldstrafrecht überhaupt vom Schuldgedanken und nicht vielmehr vom Schutzzweck bestimmt wird, ist weiter unten zu erörtern. Schließlich ist noch auf diejenigen generalpräventiven Möglichkeiten hinzuweisen, die auf außerstrafrechtlichem Gebiet liegen und mit der normativen Prävention auch in keinem entfernten Zusammenhang mehr stehen. Vor allem Aschaffenburg hatte schon früh darauf hingegewiesen, daß die gesamte Sozialpolitik auch den Zweck der Verbrechensverhütung verfolgt, insofern sie Umweltbedingungen der Kriminalität beseitigt7. Dieselbe Aufgabe nimmt noch unmittelbarer das Polizeirecht wahr, das die Rechtsgüter vor möglichen Angriffen zu schützen sucht, z. B. durch die Vorschrift, daß Motorfahrzeuge durch Lenkradschlösser und dergleichen gegen Diebstahl gesichert sein müssen. Feuerbach, Lehrbuch. 13. Aufl. (1840), S. 40. Aschaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung, 3. Aufl., 1923. S. 353 ff. G
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Nach den vorhandenen Definitionen in der deutschen Strafrechtslehre ist Schuld oder Gegenstand des Schuldvorwurfs - die terminologischen Kontroversen können außer Betracht bleiben - die fehlerhafte, gegen die Gebote des Rechts gerichtete Willensentscheidung8 • Schuld setzt somit allgemein voraus, daß der Täter normativ ansprechbar, motivierbar ist9• Fehlt diese Schuldvoraussetzung, ist es nicht nur ungerecht, sondern auch vom präventiven Zweck her gesehen sinnlos, den Täter zu bestrafen 10 • Schuldunfähig sind Personen, die generell oder in der gegebenen Situation aus in ihnen selbst liegenden Gründen normativ nicht motivierbar sind. Dem entspricht auch die gesetzliche Definition der Zurechnungsunfähigkeit. Beim entschuldigenden Notstand stehen den Motiven zum normgemäßen Verhalten stärkere Gegenmotive gegenüber, die von der Rechtsordnung anerkannt sind, weil auch die Rechtsgüter des Täters oder der ihm nahestehenden Personen, die er mit der Notstandshandlung rettet, als schützenswert erscheinen l l • Aber nicht nur bei anerkennenswerten Motiven, sondern immer dann, wenn die normative Motivierung erschwert, die normative Ansprechbarkeit verringert war, gilt die Schuld als vermindert. Dem entspricht auch die Legaldefinition der verminderten Zurechnungsfähigkeit. 8 Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, S. 129, 153; Schönke!Schröder, Kommentar, 12. Aufi., 1965, Vorbem. 79 zu § 51; Wetzel, Das deutsche Strafrecht, 9. Aufi., 1965, S. 125. D So schon Hold von Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, 1903, 2. Bd., 1. Abt., S. 3: "Zurechnungsfähigkeit ist die normale Bestimmbarkeit durch Motive." Die Imperativen-Theoretiker wollten freilich aus der motivierenden Funktion der Norm ableiten, daß nur schuldhafte Handlungen rechtswidrig sein könnten. "Die Norm wendet sich nur an prinzipiell taugliche Befehlsempfänger, und zwar nur dann, wenn sie sich in einem subjektiven Zustand befinden, der es ermöglicht, ihnen die Handlung zuzurechnen. Darnach ist rechtswidrig nur eine zurechenbare Betätigung" (Hold von Ferneck, a a.O., S. 29). Diese dogmatische Konsequenz ist jedoch keine notwendige Folge aus dp.m vorausgesetzten Zusammenhang zwischen normativer Motivierbarkeit und Schuld. 10 Darüber hat sich schon Schopenhauer klar ausgesprochen (Die beiden Grundprobleme der Ethik, I. über die Freiheit des menschlichen Willens, Anhang.): Die Gesetze wollen ,.allen etwaigen Motiven zu Verbrechen stärkere Gel!enmotive in den angedrohten Strafen entgegenstellen, und ein Kriminalkodex ist nichts anderes als ein Verzeichnis von Gegenmotiven zu verbrecherischen Handlungen. Ergibt sich aber, daß der Intellekt, durch den diese Geltenmotive zu wirken hatten, unfähig war. sie aufzunehmen und dem Willen vorzuhalten, so war ihre Wirkung unmöglich: sie waren für ihn nicht vorhanden. Es ist, wie wenn man findet, daß einer der Fäden, die eine Maschine zu bewegen hatten, gerissen sei. Die Schuld geht daher in solchem Fall vom Willen auf den Intellekt über: Dieser aber ist keiner Strafe unterworfen: sondern mit dem Willen allein haben es die Gesetze wie die Moral zu tun. Er allein ist der eigentliche Mensch: der Intellekt ist bloß sein Organ, seine Fühlhörner nach außen, d. i. das Medium der Wirkung auf ihn durch Motive". 11 Vgl. §§ 54, 248 a, 264 a StGB.
15 Festschri!t für Hellmuth Mayer
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Der im Irrtum handelnde Täter schließlich fühlt sich normativ überhaupt nicht angesprochen, entweder weil er die tatbestandsmäßige Situation (Tatbestandsirrtum) oder die Norm selber (Verbotsirrtum) verkennt. Aus der Strafbarkeit der Fahrlässigkeit ist zu schließen, daß die Rechtsordnung ein allgemeines, ebenfalls präventiv wirkendes Gebot enthält, mit Rechtsgütern anderer sorgfältig und nach vielen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens zu verfahren: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem! Die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sind ein deutlicher Beweis für das Bestehen eines allgemeinen Sorgfaltsgebots, das sie für die einzelnen Situationen des Straßenverkehrs näher umschreiben. Der präventive Rechtsgüterschutz wäre unvollständig, wenn nur derjenige bestraft würde, der in bewußter Willensentscheidung sich nicht durch die Norm und die angedrohte Sanktion motivieren läßt. Zum Schutze besonders wertvoller Rechtsgüter wie insbesondere von Leib und Leben werden außerdem normativ Motive dafür gesetzt, daß sich die Normadressaten über die tatsächlichen Situationen vergewissern, in denen das Verbot aktuell wird. Folgt man der herrschenden sogenannten Schuldtheorie und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach welcher das Unrechtsbewußtsein nicht zum Vorsatz gehört, sondern selbständiges Schuldelement bildet, so besteht außerdem ein allgemeines Gebot, sich über die Grundwertungen der Rechtsordnung zu vergewissernt!. Diese Norm wird mit der Vorsatzstrafe sanktioniert, die je nach dem Grade der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums gemildert oder ausgeschlossen werden kann. Die grundsätzliche Anwendung der Vorsatzstrafe mag einem kriminalpolitischen Bedürfnis, im Prozeß vorgebrachte Entschuldigungen abzuschneiden, entsprechen, ist aber im Blick auf die präventive Funktion der Strafdrohung und den aus ihr abgeleiteten Schuldbegriff theoretisch nicht konsequent. Der Homosexuelle, dem es überhaupt nicht einfällt, daß die Unzucht zwischen erwachsenen Männern rechtswidrig sein könnte, ist primär nicht durch die Strafdrohung für dieses Delikt, sondern nur durch das Gebot, sich über die Wertentscheidungen der Rechtsordnung zu vergewissern, motivierbar. Nur wenn er die Norm kennt, kann er sie schuldhaft verletzen. Der Verstoß gegen das allgemeine Gebot, sich rechtlich zu orientieren, ist aber etwas anderes und anders zu bewerten als der Verstoß gegen das konkrete Verbot der homosexuellen Unzucht. Darauf ist schon oft hingewiesen worden, und 12 Vgl. da u auch Armin Kaufmann. Bindings Normentheorie, Göttingen 1954, S. 162 ff .. der die Fähi~keit zur Pflichterkenntnis als Teil der Fähigkeit zur Pflichtbefolgung herausschält. Eine entsprechende Unterscheidung läßt sich auch auf der Normseite durchführen: Es gibt das Gebot zur Normerkenntnis und das Gebot zur Normbefolgung. 7
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in den Entwurf von 1936 wurde aus diesen überlegungen ein besonderer Tatbestand der Rechtsfahrlässigkeit aufgenommen. Auch diese Lösung vermöchte aber wegen ihrer Generalisierung nicht zu befriedigen, weil es doch sehr darauf ankommt, welches Delikt der Täter, ohne das Verbot zu kennen, begangen hat, in welcher Situation die Tat geschah und wieviel Anlaß er demgemäß hatte, sich über ihre Erlaubtheit oder Unerlaubtheit Gedanken zu machen. Es besteht ohne Zweifel ein krasser Unterschied zwischen der Rechtsfahrlässigkeit eines Homosexuellen und der Rechtsfahrlässigkeit desjenigen, der auf Grund von nichtigen Befehlen Massentötungen vornimmt. Die Schuldtheorie ist trotz ihrer unrichtigen Begründung doch wohl der optimale praktische Behelf, weil sie eine sinnvolle Differenzierung ermöglicht. Das Strafrecht bezweckt nicht Schuldausgleich, sondern Rechtsgüterschutz durch normative Prävention. Damit kehren wir im Grundsätzlichen zu den Thesen Feuerbachs zurück. Seine Theorie des psychologischen Zwanges gilt seit langem als widerlegt. Schuld daran sind zum Teil ihre unverkennbaren Schwächen, zum Teil aber auch Irrtümer ihrer Gegner. Der Hauptmangel der Feuerbachschen Theorie liegt in ihren unzulänglichen anthropologisc.ben Voraussetzungen, worauf letztens besonders Maurach hingewiesen hat. Sie betrachtet "den Menschen als eigensüchtiges, dem Nächsten feindliches und zugleich furchtsames Wesen1S ", um mit Hegel zu sprechen, als einen Hund, gegen den der Stock erhoben werden muß. Diese Vorstellung ist jedoch keine notwendige Voraussetzung für ein auf Generalprävention gegründetes Strafrecht. Die normative Prävention wirkt nicht in erster Linie durch Abschreckung mittels Strafdrohung, sondern wie dargelegt, durch Orientierung und Appell an die Einsicht und die Fähigkeit zur autonomen Selbstbestimmung. Der geläufigste Einwand gegen eine generalpräventive Begründung des Strafrechts besagt, daß eine solche Ordnung unverhältnismäßig harte, das Maß der Schuld weit übersteigende Strafen androhen und die Strafhöhe nicht nach dem Wert des geschützten Rechtsgutes, sondern nach der Stärke der Antriebsmomente staffeln müsse, woraus sich eine völlige Umschichtung der Strafwerte, nämlich schwere Strafen für kleinste Kriminalität, ergeben würde14 • Maß des generalpräventiven Interesses wäre nach dieser überlegung die Höhe der Wahrscheinlichkeit des Eintrittes, die Häufigkeit von Rechtsgüterverletzungen. Das Interesse an der Verhütung einer Rechtsgüterverletzung nimmt aber 13 Maurach. Das Unrechtsbewußtsein zwischen Kriminalpolitik und Strafrechtsdogmatik, Festschrift für Eberhard Schmidt, S. 307. Der Theorie FeueTbachs liegt insofern eine streng imperative Rechtsauffassung zugrunde. Grundlegend zum Gej:'ensatz zwischen imperativer und autonomer Rechtsauffassung: Germann. Methodische Grundfragen, Basel 1946, S. 23 ff. 14 Maurach, a.a.O., S. 308.
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nicht mit ihrer Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit und somit auch nicht mit der Starke der Antnebe zu ihrer Begehung zu, sondern allein mit dem Wert des Hechtsgutes. MöglicherweIse könnten Rechtsgüterverletzungen durch höhere ~trafdrohungen in ihrer Zahl vermindert werden, dIe Theorie der generalpräventiven Begründung des Strafrechts verlangt dIes aber nicht. Die m der StrafjustlZ hin und wieder praktizierte Autlassung, bei einer Hau!ung von Delikten bestimmter Art müßten strengere Strafen verhängt werden, beruht auf einem doppelten Irrtum: das Interesse an der Verhütung einer Rechtsgüterverletzung nehme mit deren Häufigkeit zu, und die Wahrscheinlichkeit der Verhütung steige parallel zur Höhe der verhängten Strafen, ungeachtet eines möglichen Mißverhältnisses zwischen der Höhe der Strafdrohung und dem Wert des geschützten Rechtsgutes. Noch wichtiger scheint mir die schon bei Feuerbach anklingende Uberlegung, daß die generalpräventive Begründung des Strafrechts nicht bedeutet, daß der Zweck der Verbrechensverhütung allen anderen Zwecken, die der Staat verfolgen muß, vorgehe. Vielmehr ist er zu ihnen in ein angemessenes, optimales Verhältnis zu setzen. Zumindest im Rechtsstaat ist jede staatliche Zweckverfolgung durch diesen Grundsatz der Proportionalität begrenzt, und es wäre nicht einzusehen, warum die Verbrechensverhütung davon ausgenommen sein sollte. Wäre Verbrechensverhütung oberster Staatszweck, so müßten dafür ganz andere Mittel als nur Strafen eingesetzt werden. Z. B. ließen sich die Straßenverkehrsdelikte, die einen immer größeren Teil der Gesamtkriminalität ausmachen, mit Sicherheit nur durch ein Verbot des Straßenverkehrs überhaupt beseitigen. Es ist offensichtlich, daß dieses gesetzgeberische Mittel trotz seiner unbestreitbaren Wirksamkeit nicht eingesetzt werden kann. Der weitere Einwand gegen die generalpräventive Begründung des Strafrechts, daß nämlich nach ihr konsequenterweise nur derjenige Täter bestraft werden könnte, der im Zeitpunkt der Tat das Bewußtsein ihrer Strafbarkeit hatte und zudem die Höhe der gesetzlichen Strafdrohung kannte, darf seit längerem als widerlegt gelten. Wenn die strafrechtlichen Verbote, was im Rechtsstaat jedenfalls hinsichtlich der mit krimineller Strafe bedrohten Delikte der Fall ist, vom allgemeinen Rechtsbewußtsein getragen sind, vermittelt dem Täter die Teilnahme an diesem Bewußtsein auch die Kenntnis der Verbote. Außerdem besieht, wie dargelegt, ein allgemeines Gebot, sich über die Grundwertungen der Rechtsordnung zu orientieren. Im allgemeinen ist bei den mit krimineller Strafe bedrohten Delikten auch das Bewußtsein der Strafbarkeit, ja sogar der ungefähren Höhe der Strafdrohung, gegeben. Jedermann weiß, daß ein Raubmord mit der Höchststrafe, daß Raub und Notzucht mit hohen Freiheitsstrafen und daß Diebstahl und Betrug mit nicht unbeträchtlichen Freiheitsstrafen geahndet werden. In der Vorstellung der Bevölkerung sind die Strafdrohungen sogar eher höher
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als im Gesetz, und der Fall, daß etwas für strafbar gehalten wird, was in Wirklichkeit straflos ist, ist eher häufiger als der umgekehrte Fall. Wenn allerdings die gesetzlichen Verbote mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein nicht in Einklang stehen, indem sie Handlungen oder Unterlassungen mit Strafe bedrohen, die allgemein nicht oder noch nicht als unerlaubt gelten, ist als Voraussetzung einer Bestrafung auch das Bewußtsein der Strafbarkeit zu verlangen. Der von Lange vertretene Standpunkt, daß mindestens bei den vom allgemeinen Rechtsbewußtsein noch nicht als unwertbetont empfundenen Delikten des Wirtschafts- und Ordnungsstrafrechts das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit Bestandteil des Vorsatzes sei, erweist sich auch von dieser überlegung her als richtig15• Den letzten und deutlichsten Beweis dafür, daß der Schuldbegriff sich aus der normativen Prävention herleitet, liefert das geltende sogenannte Schuldstrafrecht selber, welches in Wirklichkeit nichts anderes ist als ein präventives Rechtsgüterschutzrecht. Zunächst ist unbestritten, daß auch das als Schuldstrafrecht bezeichnete geltende Strafrecht nicht alle Schuld mit Strafe bedroht, sondern fast durchweg nur sozialgefährliche Schuld. Normen ohne Schutzfunktion, die ein Verhalten um seiner selbst willen mit Strafe bedrohen, z. B. weil es unrein und daher schuldhaft ist, sind im Zuge der Rationalisierung des Strafrechts in den letzten zweihundert Jahren fast ohne Ausnahmen abgeschafft worden, und soweit das geltende Recht solche Normen wie z. B. das Verbot der Sodomie noch enthält, sind sie stärkster Kritik ausgesetzt. Die Schuldausgleichstheorie vermag nicht zu erklären, warum nur in einem ganz schmalen Ausschnitt der sozialen Beziehungen das Recht auf Ausgleich von Schuld drängt, nämlich bei den strafrechtlich relevanten Rechtsgüterverletzungen, und auch in diesem Bereich nicht selten bei gleicher Schuld im einen Fall Bestrafung fordert, im anderen nicht. Zweifellos begründen Lieblosigkeit, Treulosigkeit und die vielen Gemeinheiten, die Menschen einander ganz außerhalb des Strafrechts anzutun imstande sind, einen nicht geringeren Schuldvorwurf als ein Einbruchs diebstahl oder eine einfache Körperverletzung. Solche Schuld wird aber strafrechtlich nicht erfaßt, weil sie mangels sicherer FeststeIlbarkeit nicht judiziabel ist und eine Strafjustiz, die sich in diesen Bereich wagen sollte, Willkür und damit unerträgliche Beschränkung der Freiheit nicht vermeiden könnte. Verletzungen aber, die nicht objektiv umschrieben und mit Sicherheit festgestellt werden können, können auch nicht mit Strafdrohungen verhütet werden. Nur da, wo eine präventive 15
KohtrauschjLange, StGB, Systematische Vorbemerkungen IV, 4.
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Wirkung möglich ist, stellt daher auch das Schuldstrafrecht seine Strafdrohung auf. Die Höhe der gesetzlichen Strajdrohungen wird in erster Linie durch die Stärke des Interesses an der Verhütung der betreffenden Rechtsgüterverletzung und damit durch den Wert des betreffenden Rechtsgutes bestimmt. Der aus patriotischen Motiven handelnde ausländische Spion ist zwar gefährlicher, aber zweifellos weniger schuldig als der anonyme Verleumder, der aus eigensüchtigen Beweggründen einen Gegner unmöglich machen will, und trotzdem wird jener schwerer bestraft als dieser. Dem wird entgegengehalten, daß mit dem Wert des geschützten Rechtsguts auch die Schuld des Täters ansteige, der es vorsätzlich verletzt. Der Einwand enthält das Zugeständnis, daß die Schwere der Schuld vom präventiven Interesse abhängig ist. Wenn von einer schuldangemessenen Strafe gesprochen wird, die aus Gründen der Prävention nicht überschritten werden dürfe, ist denn auch nichts anderes gemeint, als daß die Strafe, volle Zurechnungsfähigkeit des Täters vorausgesetzt, dem Wert des verletzten Rechtsguts und der Schwere seiner vorsätzlichen Verletzung entsprechen müsse. Man dürfte also beispielsweise nicht kleine Diebstähle mit der Höchststrafe nach § 242 ahnden, nur weil solche Taten sich in der letzten Zeit vor dem Urteil gehäuft hätten. Dies widerspräche auch dem Zwecke der Prävention: Das Interesse an der Verhütung einer Handlung ist, wie schon erwähnt, nur vom Wert des verletzten Rechtsguts abhängig und kann nicht dadurch zunehmen, daß die Verletzungen häufiger werden. Nun ist freilich nach der geltenden gesetzlichen Ordnung die Höhe der angedrohten Strafe nicht nur vom Wert des geschützten Rechtsguts abhängig, sondern weiter von der Art und Weise seiner Verletzung, von den Beweggründen und Absichten des Täters und sonstigen subjektiven Merkmalen. Es läßt sich aber leicht nachweisen, daß auch diese gesetzlichen Strafbemessungsgründe auf ein wirkliches oder vom Gesetzgeber vermutetes präventives Interesse zurückgehen. Zunächst sind es besonders schutzbedürftige Angriffsobjekte, die des verstärkten Strafschutzes teilhaftig werden, z. B. wehrlose und abhängige Personen in § 223 b, Gegenstände öffentlichen Interesses in § 304. Sodann werden bestimmte Lebensbereiche, in denen Sicherheit und Vertrauen herrschen müssen, mit verstärkten Strafdrohungen geschützt, so die Bereiche, in denen Eigentum verwahrt zu werden pflegt in § 243 Ziffer 2 und 3, die Vertrauensbeziehung zwischen Versicherer und Versicherten in § 265; dasselbe gilt etwa für den Kameradendiebstahl, der in einzelnen Militärstrafrechten mit verschärfter Strafe bedroht wird. In allen diesen Fällen freilich gilt zugleich auch die Schuld als erhöht, die Tat als besonders verwerflich, der verbrecherische Wille als besonders hartnäckig. Darin zeigt sich besonders deutlich, daß die strafrechtliche Schuld sich von präventiven Interessen herleitet.
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Dagegen stehen die Strafschärfungen für die erfolgsqualifizierten Delikte, die von allen Tätern, die die gleiche Handlung vorsätzlich begangen haben, den gleichen Erfolg voraussehen konnten und somit die gleiche Schuld verwirklicht haben, nur diejenigen treffen, die auch Urheber eines schwereren Erfolges wurden, sowohl mit dem Schuldprinzip als dem Gedanken der Prävention im Widerspruch. Eine Motivierung der potentiellen Täter ist durch diese Differenzierung nicht möglich, und eine gegenüber der Strafdrohung für das einfache Vorsatzdelikt verstärkte präventive Wirkung können diese Bestimmungen nicht erzielen. Sie verwirklichen lediglich das atavistische Vergeltungsprinzip, dem es auf das Objekt des Ausgleichs, das bald der Erfolg, bald die Schuld ist, nicht ankommt, und das erst unter dem Einfluß der rationalen Kritik, die ein präventiv wirksames Strafrecht forderte, sich mehr und mehr die Schuld als Objekt der Ausgleichung wählte. Strafzumessung nach dem Maß der Schuld bedeutet zunächst, wie dargelegt, Strafzumessung nach der Schwere der Rech.tsgüterverletzung, soweit der Täter dafür verantwortlich gemacht werden kann. Aber auch die subjektiven Schuldmerkmale sind auf die Prävention bezogen. Leicht einzusehen ist dies bei den entlastenden Motiven, die die normgemäße Motivation für den Täter erschwert haben. Wie verhält es sich indessen mit den belastenden Schuldmerkmalen, den niedrigen Beweggründen, der unwertbetonten Gesinnung? Zum größten Teil charakterisieren auch sie die Rechtsgüterverletzung und sind somit durch den Schutzzweck bedingt. Die Rechtsprechung verlangt denn auch richtigerweise, daß diese Merkmale, wie etwa die Grausamkeit im Mordtatbestand, nicht nur subjektiv in der Psyche des Täters gegeben sind, sondern auch obiektiv sich in dem vom Täter vorsätzlich verwirklichten Handlungsablauf ausdrücken18• Nach den Grundsätzen, die sich aus dem Zusammenhang von Schuld und Prävention ergeben, sollten nur solche subjektiven Merkmale, die letztlich auf den Rechts~üterschutz bezogen sind, die Schuld des Täters vermehren und die Strafe erhöhen können. Die aus der Triebsnhäre stammenden Motive, möl1en sie wertwidrig sein oder nicht, sollten dagelten. da sie die norml!emäße Motivation erschweren, höchstens als strafmildernd in Betracht gezogen werden17 • Beim Sexual mord beisnielsweise müßte der abnorme Sexualtrieb als entlastend, die seelischen und körperlichen Schmerzen, die der Täter dem Opfer zufügt, als belastend angesehen werden. Dagegen ist es nicht 10 Nach der Rechtsprechung (BGHSt 3, lOll f .. 180, 264) ist eine Tötunll: dann grausam (~ 211), wen'1. dem Onfer aus pefühlloser. unbarmherziger Ge'linnun!!: besonoere Qualen oder Schmerzen bereHet. werden. Roh ist eine Mißhanrllung (223 b). wenn sie nicht nur eh"e" !!efiihllosen Ge'l;nnung entspringt, sondern auch objektiv dem Opfer erhebliche Schmerzen zufügt. 17 So mit einläßlicher Begründung Lampe, Das personale Unrecht (noch unveröffentlicht).
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richtig, eine Tötung nur deswegen als Mord zu bestrafen, weil der Täter subjektiv bei seiner Handlung Geschlechtslust empfindet. Die moralisierende Betrachtungsweise, die solchen Entscheidungen des Gesetzgebers zugrunde liegt, steht zum Schuld- und Präventionsgedanken im Widerspruch. Widersprüchlich aber sind solche Regelungen auch in sich selber, da sie psychische Merkmale, die nach § 51 Abs.2 die Zurechnungsfähigkeit vermindern, im Tatbestand des besonderen Teils als Strafschärfungsgründe einsetzen. Daß dies gerade beim Mord geschieht, zeigt deutlich, wie sehr gerade bei diesem Delikt Emotionen die rationale Betrachtungsweise erschweren. Niemandem würde es einfallen, für den vom Fetischisten verübten Diebstahl, der ebenfalls zur Befriedigung des Geschlechtstriebes erfolgt, verschärfte Strafe zu fordern. Daß es dem Strafrecht ganz und gar unmöglich ist, sämtliche Schuld zu bestrafen, daß vielmehr immer nur bestimmte Rechtsgüterverletzungen mit Strafe verfolgt werden, sofern sie schuldhaft begangen worden sind, zeigt sich am deutlichsten bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten, die nur strafbar sind, wenn der Erfolg tatsächlich eintritt. Da die Strafjustiz weit überfordert wäre, wenn siE' jede vorkommende Sorgfaltsverletzung mit Strafe verfolgen müßte, hat der Gesetzgeber mit dem groben, aber wohl einzig praktikablen Kriterium des Erfolgseintritts die strafbaren Fälle von den straflosen geschieden. Der Erfolgseintritt mag zwar des öfteren ein Indiz für die Schwere der Sorgfaltsverletzung darstellen, in der Mehrzahl der Fälle ist es aber doch der Zufall, der darüber entscheidet, ob aus gleicher Schuld ein schädlicher Erfolg entsteht oder nicht. Derselben unterschiedlichen Beurteilung gleich schuldhaften Verhaltens begegnen wir überall da, wo das Gesetz die Strafbarkeit von objektiven Voraussetzungen abhängen läßt, auf die sich weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit des Täters beziehen. Die objektiven Bedingungen der Strafbarkeit sind hierfür nur das bekannteste Beispiel. Weitere Beispiele sind die Regelungen des Versuchs, der bei Vergehen in der Regel straflos bleibt, der versuchten Anstiftung, die nur bei Verbrechen strafbar ist, der versuchten Beihilfe, die überhaupt straflos bleibt, des abergläubischen Versuchs, der nach der Rechtsprechung wegen seiner Ungefährlichkeit nicht bestraft wird. In allen diesen Fällen bleibt strafrechtlich relevante Schuld unbestraft, weil sie nach dem vom Gesetz verwendeten Erfolgskriterium nicht gefährlich genug ist. Da das Gesetz hier immer nur zugunsten des Täters vom Schuldprinzip abweicht, sind diese Regelungen insofern unbedenklich. Nach alledem dürfte mit hinreichender Deutlichkeit dargetan sein, daß das Strafrecht nicht Schuldausgleich bezwecken soll, sondern Rechtsgüterschutz. Um diesen Zweck zu erreichen, bedrohen die Strafgesetze Handlungen, die bestimmte Rechtsgüter verletzen oder ihre Verletzung bezwecken, mit Strafe, sofern der Täter schuldhaft gehandelt hat. Die
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zusätzliche Strafbarkeitsvoraussetzung der Schuld ist selber um der Prävention willen aufgestellt, weil nur der schuldfähige Mensch präventiv ansprechbar ist und sich durch Strafdrohungen motivieren läßt. Ist der präventive Effekt der Strafdrohung wegen starker Gegenmotive verringert, gilt auch die Schuld als verringert. Mit der Anzahl und dem Wert der Rechtsgüter, die der Täter verletzt oder deren Verletzung er intendiert hat, erhöht sich auch seine Strafbarkeit. Ein Gegensatz zwischen Schuld und normativer Prävention besteht nicM.
Unrecht als die Betätigung antisozialer Gesinnung Von Anne-Eva Brauneck, Gießen Ich stelle mir vor, Soziologen unternähmen es, die "soziale Einstellung" (social attitude) eines repräsentativen Querschnitts der Bevölkerung zu untersuchen. Zunächst würden sie ermitteln, was in einem Stichzeitpunkt die einzelnen tun, und dabei etwa finden, daß der eine gerade Auto fährt, der Zweite im Einschlafen ist, der Dritte sitzt und liest, der Vierte Gift auf ein Brotstück tut und der Fünfte eine Zahl schreibt und so weiter. Für die "soziale Einstellung" würde ihnen dies alles so vieldeutig erscheinen, daß sie die Versuchspersonen zusätzlich fragen würden, was sie gerade täten und was sie sich dabei dächten, wie sie sich den weiteren Verlauf vorstellten, und warum sie so handelten. Ferner würden sie sie danach fragen, was sie sonst in diesem Augenblick noch tun könnten und mit welchen Folgen, und warum sie es unterließen. - Damit nicht genug, würden sie prüfen, welche sozialen Folgen das Tun der Befragten über ihre eigenen Vorstellungen hinaus haben könnte, und was sie sonst über ihre eigenen Vorstellungen hinaus hätten tun können, und warum sie das selbst nicht bemerkt hatten. Auf diese Weise käme vielleicht heraus. daß das Gift für die Ratten bestimmt war und sonst niemanden gefährdete. Der Lesende ließ bewußt den letzten Augenblick verstreichen, in dem er den geschuldeten Unterhalt noch pünktlich zahlen konnte. Der Autofahrer fuhr gefährlich schnell, aber um eine dringend gebrauchte Blutkonserve ins Krankenhaus zu bringen. Der Zahlenschreiber, ein Geisteskranker, hielt das Schreiben dieser Zahl für den sofort wirksamen Befehl zur Weltexplosion. Der Einschlafende ließ die brennende Zigarette auf den Teppich f.allen, der vermutlich bald glimmen würde. Die Aufgabe, aus diesen vielfältigen Verhaltensweisen und Angaben der Befragten eine wissenschaftliche Aussage über ihre soziale Einstellung zu präparieren, würden den Sozialwissenschaftlern viel Kopfzerbrechen machen. Zunächst würden sie vielleicht eine Skala der sozialen Güter herstellen und dabei "die Welt" vor dem Teppich und dem mit ihm gefährdeten Mietshaus einrangieren und den, nicht besonders hohen, Unterhaltsbetrag an die dritte Stelle setzen. Die Gefährdung von Verkehrsteilnehmern durch den Autofahrer würden sie gegen seine
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lebensrettende Handlung aufrechnen, für ihn würden sie sogar eine positive Einstellung notieren. Sogleich würden sie aber eine Korrektur durch eine zweite Skala für notwendig halten, in der die bewußte Schädigung vor der unbewußt, aber nachlässig begangenen eingeordnet würde. In der Diskussion darüber, ob dieser Faktor ganz ausgleichen könne, daß der mögliche Brandschaden, in Geld ausgedrückt, so viel höher war als der Unterhaltsbetrag, würden sie auch noch erwägen, daß bei einer Unterhaltsschuld persönliche Pflichten eine ganz besondere Rolle spielen. Einer würde meinen, es komme auf die finanzielle Lage beider Beteiligten an, ein anderer, auch auf ihre konkreten persönlichen Beziehungen. Ein Dritter würde auch darauf abstellen wollen, ob der Befragte früher schon seinen Unterhalt schuldig geblieben sei, wogegen andere einwenden würden, damit würde die Stichzeit der Untersuchung verlassen. - So würde ein großes Team von Wissenschaftlern lange Zeit mühselig arbeiten müssen, bis jede der vielen Versuchspersonen auf der Skala der sozialen Einstellungen einen bestimmten Platz erhalten hätte. Durch Zufall würde die Untersuchung einem Juristen in die Hände fallen, der die Parallelität der darin vorgenommenen Wertungen mit der richterlichen Strafzumessung entdecken würde. Offenbar, so würde er sich sagen, strafen wir nach der betätigten, als Motor des Sozialverhaltens freigelassenen antisozialen Einstellung des Täters. Sie muß der gemeinsame Nenner sein, auf den wir alle benannten und unbenannten Strafzumessungsgründe zurückführen, um sie auf der einen Schuldskala und dann auf der parallelen Strafskala aufzutragen. In der Freude über seine Entdeckung würde der Jurist ins Soziologische Institut gehen und dem Forscherteam an Hand des StGB und der strafrechtlichen Nebengesetze sowie des EntwStGB von 1962 darlegen, daß sie sich viel Arbeit hätten sparen können, wenn sie die vom Strafgesetzgeber präparierten Wertungen übernommen hätten. Interessiert würden die Soziologen die Paragraphen durchsehen. Wir nehmen an, würden sie sagen, daß Sie nicht die antisoziale Einstellung als solche bestrafen wollen, sondern nur ihre Betätigung, aber das läuft für die Wertskala auf dasselbe hinaus, weil auch wir uns an die betätigte antisoziale Einstellung gehalten haben, um sie von unverbindlichen Ideologien oder bloßen Begleiterscheinungen sicher zu unterscheiden. Sonst hätten wir uns praktischer mit einem Fragebogen begnügt1• Und z. B. hatte uns der Mann, der die Blutkonserve transpor1 Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale (1958), S. 93 f.: "Wes Geistes Kind einer ist, das zeigt sich nur an seinem wirklichen Verhalten in der konkreten Situation." - Vgl. ferner Kollmann, ZStW 28 (1908), nach dem "die Schuld ... antisozialer Willenszustand", S. 463, Erkenntnismittel dafür der Entschluß, dafür wieder die Tat, S.460, zusammengefaßt: das Verbrechen "Schulderkenntnismittel" ist, S. 457.
Unrecht als die Betätigung antisozialer Gesinnung
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tierte, erzählt, daß er sein gefährlich schnelles Fahren insgeheim sehr genossen habe. .b:r hätte fast gewünscht, etwas anzurichten, um dann sagen zu können, auf welch wichtiger Fahrt er war. Aber weil er darum mcht schneller gefahren war, als er mußte, um rechtzeitig zur Stelle zu sein, haben wir diese Tatsache nicht als Indiz für eine antisoziale Einstellung zugelassen. Aber, so würden die Soziologen fortfahren, ganz scheine ihnen die Sache doch nicht zu stimmen. Je näher sie hinsähen, um so mehr Befremdliches fänden sie doch in den Gesetzen. Der Tatenkatalog scheine ihnen merkwürdig lücken- und sprunghaft. Und werde darin nicht übertriebener Wert auf die äußeren Geschehnisse gelegt? Über seelische Quälereien finde sich offenbar kaum etwas. Dieser § 243 z. B. mit seinen Kirchen und Posthöfen, seinen Waffen und falschen Schlüsseln, seinem Einbrechen und Erbrechen und Abschneiden und Ablösen, seinen Gebäuden und Schiffen sei doch mehr ein Münchner Bilderbogen als Material zur Ermittlung sozialer Einstellungen. Der Jurist würde ihnen erklären, daß der § 243 fast hundert Jahre alt ist. Gerade in dieser Hinsicht, würde er sagen, bringe der Entwurf wesentliche Verbesserungen, er modernisiere diese Bestimmung, enthalte auch eine Reihe neuer Strafbestimmungen, um bestehende Lücken zu schließen. Er selbst habe sich aber schon über gewisse Wertungsdifferenzen gewundert. Der geisteskranke Zahlenschreiber, der in der negativen Skala der Soziologen obenanstehe, würde nach § 51 StGB völlig straflos bleiben, weil ihm die Betätigung seiner antisozialen Einstellung, wenn man einem Geisteskranken eine solche Einstellung überhaupt zuschreiben wolle, jedenfalls nicht vorzuwerfen sei. Mit der Strafe werde diese Betätigung ja nicht nur festgestellt, sondern auch vorgeworfen, und darum müsse sie "schuldhaft" begangen sein. - Dann sei also, darauf würden sich die Gesprächsteilnehmer einigen, der Betätigung antisozialer Einstellung im Sinne der Soziologen das "Unrecht" der Strafrechtler parallelzusetzen, das Verschuldenserfordernis aber ohne Parallele bei den Soziologen, weil sie nur feststellen wollten, ohne vorzuwerfen. - Der Jurist würde sagen, er verstehe nun auch, warum die Soziologen sich zwar mit dem Phänomen des Sachverhalts-, aber gar nicht mit dem des Verbotsirrtums beschäftigt hätten, denn nach der modernen Lehre schließe der Sachverhaltsirrtum das vorsätzliche Unrecht aus, der Verbotsirrtum aber nur die Schuld. Das staatliche Verbot, würden die Soziologen sagen, wiederholt doch nur die Warnung, die sich dem Täter aufdrängen müßte, wenn er mit seinem Verhalten - mindestens so, wie er die Tatsachen sieht - andere schädigt oder gefährdet. Und falls er nicht von selbst auf den Gedanken kommt, dies Verhalten könnte verboten sein, so ist das schon für sich ein Indiz für seine antisoziale Einstellung. Auf Verbotskenntnis kann es also für uns nicht ankommen.
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Nun aber würde der Jurist sie die strafrechtlichen Nebengesetze lesen lassen, und darauf würden sie zugeben, einen ganzen Bereich von Indizien für eine antisoziale Einstellung übersehen zu haben. Das Rattengift z. B. war zu falscher Zeit gelegt worden, und vielleicht hatte der Giftleger das gewußt. - Unsere Versuchspersonen, würden die Soziologen sagen, haben uns ganz einfach solche bewußten Übertretungen verschweigen können, weil wir die Verbote selbst nicht kannten. Trotzdem haben sie sich zweifellos antisozial betätigt, wenn sie sich durch ein solches Verbot nicht vor der - sonst schwer erkennbaren - Gefährdung anderer warnen ließen. Aber, gesetzt, wir hätten nun selbst vor diesem Gespräch mit Ihnen etwas Derartiges getan, würden Sie uns dann eine antisoziale Einstellung attestieren? Das können Sie nicht, und wenn Sie trotzdem darauf bestehen, daß wir, wenn auch nicht schuldhaft, Unrecht getan haben, so stimmt unsere ganze Parallele von Betätigung antisozialer Einstellung und Unrecht nicht mehr. - Diese sozialen Normen, so würden sie sagen, müsse man tatsächlich kennen, um überhaupt die möglichen realen Folgen des eigenen Verhaltens abschätzen zu können, sie seien Bestandteil der ganzen realen, wenn auch künstlichen Ordnung des sozialen Geschehens, und eben als solche reale Ordnung müsse man sie kennen. Ob Unkenntnis solcher Verbote nicht doch auch ein Tatsachenirrtum, jedenfalls nicht nur ein Verbotsirrtum sei? Ihnen scheine es im Grunde aber überhaupt mehr auf die Unterscheidung zwischen intellektuellen Irrtümern einerseits, Wertungsirrtümern andererseits anzukommen. Wenn jemand eine eindeutig antisoziale Handlung glaube tun zu dürfen, irre er ja nicht intellektuell, sondern in der Wertung, und diese Fehlwertung beweise schon seine antisoziale Einstellung, also, ins Strafrechtliche und in Betätigung übersetzt: sein Unrecht, wenn auch vielleicht ein Geisteskranker für diese Art Irrtum entschuldigt werden möchte. Auch hinter intellektuellen Irrtümern könne allerdings Gleichgültigkeit gegenüber möglichen sozialen Gefahren stecken, wenn man sich nämlich ohne genügende Orientierung in der Sozialordnung betätige. Im übrigen könne es aber weder darauf ankommen, ob die Sachlage objektiv oder nur für einen besonders Dummen oder gar nur für einen krankhaft Verwirrten undurchsichtig sei!, noch darauf, ob sich die reale soziale Situation schon ohne Kenntnis bestimmter Ordnungsgebote zu erkennen gäbe oder nur mit solcher Kenntnis. Auch das Verbot wolle ja nicht vor sich selbst warnen, sondern vor sozialen Gefährdungen, oder ob sie das zu soziologisch sähen!? 2 H. Mayer, Strafrecht (1953), S. 236, 260; Dreher, GA 1957, S. 97-100 (98); Brauneck, GA 1959, S. 268; Annin Kaufmann, Festschr. f. Eb. Schmidt, S. 318--332.
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Nein, würde der Jurist antworten, es sei schon richtig, daß das Recht nicht um seiner selbst willen da sei, sondern zur Hilfe für das menschliche Zusammenleben. Er habe aber doch den Eindruck, daß die Soziologen nicht genügend Verständnis für die ganz besondere normative Natur gerade der Strafgesetze hätten. Wenn sich zwischen dem soziologischen Denken und der richterlichen Strafzumessung gewisse Parallelen hätten finden lassen, und die habe ja gerade er entdeckt, so sei doch die nachträgliche Strafzumessung nur eine Nebenfunktion der Strafgesetze. Primär sollten sie das gefährliche Handeln überhaupt verhüten. Das geschehe dadurch, daß bestimmte Schädigungen zur Abschreckung - und zwar auch im Sinne einer tiefergehenden sozialen" Verpönung" bei Strafe verboten würden. Leitend sei für den Gesetzgeber also zunächst das Bild des schädlichen Erfolges, nicht die Frage, durch welche Handlungen die Bürger besondere antisozialeEinstellungen ausdrückten. Die erste überlegung des Gesetzgebers, würde der Jurist sagen, müsse sein, welche Rechtsgüter sich überhaupt zweckmäßig durch Strafdrohungen schützen ließen. Seelische Quälereien z. B. seien so schwer objektiv zu ermitteln, daß sie im wesentlichen nur Kindern gegenüber bei Strafe verboten seien und auch bei ihnen ohne zusätzliche körperliche Mißhandlung kaum zur Aburteilung kämen. In innerfamiliäre Dinge habe sich der Strafgesetzgeber überhaupt nur zögernd eingemischt, um nicht u. U. mehr Schaden als Nutzen zu stiften. Oder es sei z. B. nur Flucht nach Verkehrsunfall, nicht nach sonstigen Unfällen, unter Strafe gestellt, weil nur jene Fälle durch ihre Häufigkeit zu einer größeren Gefahr würden. Insofern habe die Lückenhaftigkeit des Strafgesetzbuches ihren guten Sinn. - Die Soziologen würden das verstehen und hinzufügen, daß ein Tabu gerade durch seinen Ausnahmecharakter wirke, und daß ihnen unter diesem Gesichtspunkt das Strafgesetzbuch nun gerade überfrachtet erscheine. Die nächste überlegung des Gesetzgebers, so würde der Jurist fortfahren, sei die Fassung der Verbotsnormen. "Werttafeln" wie das Strafgesetz müßten mit einem gröberen Stift geschrieben werden als eine soziologische Einstellungsskala, nämlich generalisierend und typisierend, dabei aber doch klar und eindeutig'. Das gehe nun einmal mit äußeren Vorgängen besser als mit inneren, die gewiß viel feiner nuanciert seien, 3 Arthur Kaufmann, Schuldprinzip (1961). S. 136: "Das Ordnungsstrafrecht ist kein Geßlerhut, dazu geschaffen, den Gesetzesgehorsam der Untertanen zu prüfen." - Sogar Binding, Normen I, S. 198, hat "in der Schale des Ungehorsams immer eine Gutsverletzung als Kern" gesehen. 4 VgI. Henkel, Rechtsphilosophie (1964), insbes. S. 355, darüber, daß der Geset7.geber notwendig nicht nur generalisieren, sondern auch schablonisieren muß, weil ihm als Mittel der Rechtssetzunl~ nur der "Begriff" zur Verfügung steht. - Speziell für d. strafr. "Werttafeln" VgI. z. B. Gallas, Niederschr. I, S. 134, Peters, Gutachten :1.. S. 41. DJT, Bd. I, 2. Halbbd. S. 27.
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dafür aber auch vieldeutiger und verschwommener 5 • Außerdem werde aber der Täter doch gerade als ein Handelnder, ein Handlungsplaner, angesprochen, und auch für ihn - nicht nur für den Gesetzgeber, der die Sozialgüter schützen wolle - sei die Außenwelt das primär Interessante. Eine Handlung gehe von innen nach außen, sie richte sich auf den Erfolg und bestimmte äußere Betätigungen, und darum sei es auch angemessen, das Tabu gerade auf diese äußeren Bilder zu legen. Für den strafzumessenden Richter allerdings verschiebe sich der Schwerpunkt mehr auf die innere Tatseite, weil er hier dem Bild des gesetzlichen Tatbestandes besonders viel hinzuzufügen habe, um dem Täter Gerechtigkeit werden zu lassen. Bei ihm solle der Täter nun auch gerade auf die Motivation reflektieren, die ihn zu dem Ganzen geführt habe. Ob sie das dahin verstehen sollten, würden nun die Soziologen fragen, daß die Trennungslinie zwischen "Unrecht" und "Schuld", über die sie ja noch nicht zur Klarheit gekommen seien, zwischen Außen und Innen verlaufe und folglich der Gesetzgeber besonders am Unrecht, der Richter besonders an der Schuld interessiert sei? Dann werde wohl die Strafe auf Grund besonderer Bestimmungen zugemessen, die sich nur an den Richter, und nicht an den Bürger, wendeten? - Das nun nicht, würde der Jurist erwidern. So sei es zwar bei den sichernden und bessernden Maßregeln, die anläßlich einer Straftat angeordnet werden könnten. Aber die Strafe bekomme der Täter ja gerade darum, weil er dem Verbot, das sie ihm androhte, nicht gefolgt sei, also auf Grund der gleichen Norm und der gleichen Bewertung. Unrecht sei nach heutiger allgemeiner Meinung das äußere Tatbild für sich allein auch noch nicht, zu einer menschlichen Tat werde es erst durch dazugehörige innere Vorgänge'. Umgekehrt müßte sich aber das Gebot, das die Schädigung verbietet, eigentlich auch ohne Änderung seines Sinnes in eines umdenken lassen können, das vom Subjektiven ausgeht: du sollst deine den Mitbürgern feindliche Einstellung nicht zum Motor deines Verhaltens werden lassen 7 • 5 Beccaria lehnte darum die Berücksichtigung der "Intention" des Täters ab. "Questa dip ende dalla impressione attuale degli oggetti, e dalla precedente disposizione della mente: esse variano in tutti gli uomini, ein ciascun uomo ... Sarebbe dunque necessario formare non solo un codice particolare per ciascun cittadino, ma una nuova legge ad ogni delitto." - Vgl. ferner Dreher, Niederschr. VII, S. 31, in der Diskussion über den Mordtatbestand: im idealen Tatbestand wäre die Entscheidung nur von äußeren Merkmalen abhängig, im zweitbesten von psychischen, im schlechtesten vom ethischen Werturteil des Richters. • So auch H. Mayer, Strafrecht (1953), S. 103, obwohl nach ihm der Inhalt der Norm zunächst objektiv und allgemein ohne Rücksicht auf den subjektiven Willen des Täters bestimmt werden muß, damit die Allgemeinheit auch erfährt, was sie tun soll. Es fragt sich aber, ob das den Inhalt des Gebotes betrifft und nicht vielleicht nur seine Formulierung. 7 Auch Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale (1958), S. 146, sagt, die Norm gebe, wenn auch versteckt, immer schon ein auf den Willen bezogenes Geschehen und nicht einen rein äußerlichen Vorgang wieder. Da aber für ihn das
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Die so herum formulierten Verbote müßten aber der Rechtssicherheit wegen doch wieder wie die jetzigen detailliert werden, und zwar möglichst nach äußeren Merkmalen, und dann würden sie sehr umständlich und darum unpraktisch sein. Sätze nach dem Muster: Schädige deinen Mitmenschen nicht! seien als Verbote doch zweifellos besser geeignet. Die Soziologen würden sagen, sie seien gar nicht sicher, ob die rechtzeitige Reflexion auf die eigenen unfreundlichen Motive nicht mehr Unheil verhüten könne als das Tabu äußerer Taten. Der Umgang mit den eigenen Aggressionen sei eine schwierige, aber bis zu einem gewissen Grade lernbare Kunst. Straftäter seien darin vermutlich oft ungelernt. Im übrigen freue es sie aber natürlich zu hören, daß der Gesetzgeber, wenn er sich überhaupt zu einer Strafnorm entschließe, darin die gleichen Wertungen anwende wie sie selbst, wenn das auch aus verschiedenen technischen Gründen nicht so klar zum Ausdruck komme. Sie sähen es nun doch so, würden sie sagen, daß "Unrecht" die betätigte antisoziale Einstellung sei, also auch durch Verbotsirrtum ausgeschlossen werde, falls ohne Verbotskenntnis die reale soziale Situation nicht genügend durchschaubar sei und falls nicht der Verbotsirrtum selbst auf antisozialer Einstellung beruhe. Entweder nenne man nun dieses Unrecht auch "Schuld", außer wenn der Täter für die Betätigung seiner antisozialen Einstellung wegen einer geistigen Störung, einer Apparatestörung gleichsam, entschuldigt werde. Oder aber "Schuld" sei das intakte Funktionieren des Apparates selbst, aber dafür eigne das Wort sich schlecht, und man solle hierfür lieber ein neutraleres einführens. - Der Jurist würde erwidern, gewöhnlich verwende die Dogmatik "Schuld" eher in dem zweiten Sinne - dafür werde auch "Vorwerfbarkeit" oder "persönliche Zurechnung" gesagt -, aber zunehmend werde der Ausdruck auch im ersten Sinne verwandt, um den Strafgrund als Ganzes, das verschuldete Unrecht zu bezeichnen, obwohl die Dogmatik dafür an sich den Begriff des " Verbrechens " bereitgehalten habe. Die Soziologen würden ihr Verständnis ausdrücken und sagen, es sei immer gefährlich, als technischen Terminus ein Wort mit langer gefühls"Unrecht" nur das Verbotensein als solches kennzeichnet und darum nicht quantifiz1erbar ist, rechnet er sogar (199) die äußeren Qualifikationsmerkmale wie die des § 243 als die "unrechtliche Gesinnun~" (= "Schuld") kennzeichnend eben dazu und nicht zum Unrecht. Da Diebstahl sowieso verboten sei, bedürfe es nicht eines bes. Verbots des Diebstahls mit Waffen usw. - Warum aber nicht: du sollst nicht stehlen, und ganz besonders nicht mit Waffen!, und das theoretisch noch ins Subjektive übersetzt wie im Text? - Wenn Stratenwerth, in Festschr. f. v. Weber (1963), mit Recht beklagt, daß alle diese Merkmale allein von der Schuld annektiert werden sollen, so läßt er sich doch den Erkenntniswert, daß - mit teilweiser Ausnahme der Zurechnungsfähigkeit alle materiellen Verbrechensmerkmale rationes cognoscendi der unrechtlichen Gesinnung sein können (S. 180). wieder entgehen, indem er (S. 186) dem Unrecht "sein eigenes sachliches Gewicht" zuweist. 8 Vgl. - auch zum übrigen - Schaffstein, ZStW 57 (1938), S. 295-336. 16 Festschrift für Hellmuth Mayer
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geladener Geschichte zu wählen, denn es mache sich leicht selbständig und führe die Gedanken, ohne daß man es recht bemerke9 • In der deutschen Soziologie habe die Rezeption der angelsächsischen Fremdworte eine wohltätige Ernüchterung bewirkt. Wenn sie nun das ganze überblickten, so würden die Soziologen fortfahren, solle also auch der Münchner Bilderbogen des § 243 im Grunde nur eine Reihe von Indizien für die Betätigung besonders antisozialer Einstellung fixieren 10 • Als Anhaltspunkte für ihre weiteren Arbeiten auf diesem Gebiet schienen ihnen aber diese fixierten äußeren Merkmale nicht optimal geeignet, weil darin zu viele historische Zufälligkeiten enthalten seien. Nach allem, was sie über die Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter erfahren hätten, scheine ihnen, daß für sie die Ergebnisse der Rechtsprechung interessanter sein würden als das Strafgesetz selbst. In seinen fast 100 Jahren müsse der § 243 doch zunehmend nach moderneren Sozialanschauungen angewandt worden sein, sicher hätten doch die Richter z. B. inzwischen den Vertrauensbruch dem Erbrechen eines Behältnisses gleichgestellt, wenn sich auch der Vertrauensbruch, als weniger anschaulich, im Gesetz selbst nicht so hübsch ausnehmen würde l l • Und ob der Jurist ihnen nicht Material über die Rechtsprechung zugänglich machen könnte. Nun würde der Jurist sie mit der Mitteilung enttäuschen, daß in Schrifttum und Rechtsprechung zwar eine äußerst detaillierte Auslegung des § 243 vorliege. Sie dürften aber nicht erwarten, darin etwas zu finden, das in der sozialen Wertung über das im Gesetz Fixierte hinausginge. Tatbestandsmerkmale wie die des § 243 würden nicht im Hinblick darauf ausgelegt, was sie sozial bedeuteten, z. B. für die Schwere des Schadens, die Gefährlichkeit des Tuns, mittelbar also auch für den Grad der antisozialen Einstellung des Täters. Es komme nur darauf an, ob der Sachverhalt begrifflich unter den Wortlaut des Gesetzes falle, ob ein "Behältnis" erbrochen sei oder nicht, und so weiter für jedes einzelne dieser Merkmale. Also doch, würden die Soziologen sagen, die juristische Buchstabenanbetung! - Sie würden sich aber überzeugen lassen, daß in diesem Falle eine Garantie für den Bürger damit verbunden ist, nämlich die, nur nach den ihm zur Tatzeit erkennbaren Wertungen des Gesetzgebers bestraft zu werden. Ferner würden sie sich erklären lassen, wie diese Garantiefunktion des Tatbestandes die Strafrechtswissenschaft, vor alH. Mayer, strafrecht (1953), S. 210 ff. Dreher, Die gerechte Strafe (1947), S. 82: Die Außenelemente des Tatbestandes stellen "für Schuld und Schuldstrafe nach außen gewendete Innenelemente dar." 11 Nach Kielwein, Mat. II, B. T. S. 322. ist aber in verschiedenen romanischen Rechten Diebstahl durch Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitskameraden u. ä. ges. Qualiftkationsmerkmal. I
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lern die des "Besonderen Teils", in eine notgedrungen kleinliche und sehr intrikate logische Subsumtionsarbeit gezwungen habe, und daß sich darum im Strafrecht eine freie soziale Wertung wie im Zivilrecht nicht habe entwickeln können!2. Aber innerhalb des Strafrahmens, würden sie sagen, ist der Richter ja frei, und wir müßten uns an die Rechtsprechung darüber halten, welche Strafe der Täter innerhalb des Rahmens bekommen hat. - Wieder würde der Jurist sie enttäuschen mit der Mitteilung, daß Urteilsbegründungen sich dazu meistens nur in kurzen, nichtssagenden Formeln äußerten, die höchsten Gerichte daher auch nur in Grenzfragen dazu Stellung nehmen könnten und Lehrbücher und Kommentare meistens nur eine karge Reihe allgemeiner Gesichtspunkte zusammenstellten. Aber welches Material, würden die Soziologen fragen, wird auf den Universitäten verwandt, um diese unbenannte Strafzumessung mit, den Studenten zu üben? Der Jurist würde antworten, sie würden darin gar nicht geübt1 3• Dann haben wir das Ganze falsch verstanden, würden die Soziologen sagen, dann ist die unbenannte Strafzumessung gar nicht die Fortsetzung der benannten, sondern etwas ganz anderes, eine bloß praktische Handhabung durch Funktionäre, gar keine Rechtsfrage. - Dann sei es natürlich verständlicher - obwohl für einen Laien doch auch nicht ganz verständlich -, daß der rechtsstaatliche Schutz nur bis zu den Grenzen des Tatbestandes gehe und es innerhalb dieser Grenzen nicht mehr darauf ankomme. Nein, würde der Jurist sagen, die erste Auslegung sei schon richtig gewesen, sachlich gebe es zwischen benannter und unbenannter Strafzumessung keinen Bruch, und beides sei eine Rechtsfrage14 • Es bleibe auf 12 Trotz "teleologischer" Begriffsbildung, trotz Sax: Das strafrecht!. Analogieverbot (1953) und obwohl nach Schröder, Gutachten f. 41. DJT, Bd. I, 2. Halbbd. S. 64, die feste Tatbestandsbindung schon von jeher z. T. Illusion war. Vgl. Maunz/DüTing, RdNr. S. 111 f. zu Art. 103 GG; Baumann, MDR 58, S.394. 18 Darüber, daß bes. die Verständigung über den GTad der Bewertung der einz. Umstände u. über das konkrete Strafmaß unzulänglich ist, vgl. v. WebeT: Die richter!. Strafzumessung (1956), S. 11, 18, und Dubs in Festg. f. Schweiz. JT (1963), S. 12. - Während Savigny den Richter für die Strafzumessung historisch bilden wollte, erwartet man jetzt mehr von seiner Kenntnis der kriminol. Differenzierungen der Tatbestände. vgl. v. Weber, a.a.O., S. 21 ff., Sauer, GA 1957, S. 129-139. K. PeteTs erklärt es für entscheidend, ob es gelinge, .. einen wirklich gebildeten Menschen in der Universitätszeit und der Referendarzeit heranzuformen", Gutachten f. d. 41. DJT, Bd. 1, 2. Halbbd. S.40. 14 Nagler, GS 94 (1927), S. 84: die gesamte system. Darstellung des Verbrechens ein großer Katalog von Strafzumessungsgrunden; Dohna. MschrKrim 34 (1934), S. 138: bereits der Tatbestand bildet einen Strafzumessungsgrund; Schröder, Mezger-Festschrift (1954) S. 426: die gesetzlichen Qualifizierungen und Privilegierungen sind nur antezipierte Strafzumessung; ders., Gutachten
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den Universitäten aber neben der minutiösen Arbeit an den Tatbeständen für das andere keine Zeit. Der Entwurf, würde er sagen, bringe aber gerade in dieser Hinsicht wesentliche Verbesserungen. Erstens seien im allgemeinen Teil in § 60 eine Reihe von Gesichtspunkten für die Strafzumessung aufgezählt. Ferner würden die Untertatbestände des § 243 und ähnlicher anderer Bestimmungen nicht nur inhaltlich modernisiert, sondern in sog. Regelbeispiele umgewandelt, an die der Richter nicht buchstäblich gebunden sei. Die Soziologen würden sich gemeinsam über den § 60 EntwStGB beugen und sich dann wieder hinsetzen und sagen, es sei vielleicht unrecht von ihnen gewesen, mehr von dieser Bestimmung zu erwarten. Sie wüßten ja selbst, wie schwer es sei, einen solchen Katalog aufzustellen. Wenn sie einmal die beiden letzten Punkte über das Vorleben und das Nachverhalten des Täters fortließen, die mehr mit seiner Gefährlichkeit und Erziehungsbedürftigkeit zun tun hätten als mit seiner "Schuld" es verwirre sie etwas, daß man diese Gesichtspunkte nicht getrennt habe -, dann bleibe als Hilfe für den Richter wirklich nicht viel. Ihnen scheine auf den ersten Blick in dieser allgemeinsten Aufzählung der "Grad der Tatbeteiligung" oder ähnlich zu fehlen und so etwas wie die Fähigkeit des Täters, Sachzusammenhänge zu erkennen, und auch sich affektiv zu steuern, denn nicht jeder Mangel dar an verrate eine antisoziale Einstellung. Aber wesentlich zu verbessern sei die Bestimmung wohl nicht, es sei kaum möglich, so kurz etwas Besseres zu sagen. Es ist wohl kaum ein Zufall, würden die Soziologen nach einigem Überlegen fortfahren, daß der Abs. 2 Satz 2 dieser Bestimmung angeordnet ist wie ein lyrisches Gedicht. Damit drückt der Gesetzgeber selbst aus, daß er die einzelnen Merkmale nicht als klar gegeneinander abgrenzbare Glieder einer Reihe ansieht wie in anderen, numerierten Bestimmungen, und gerade das ist interessant. Äußere und innere Vorgänge werden hier ganz oUen als äquivalent behandelt. Die verschuldeten äußeren Auswirkungen stehen neben den Zielen, die Art der Ausführung neben dem aufgewendeten Willen, aber auch die vorgestellten äußeren Ziele neben den inneren Beweggründen, obwohl jeweils das äußere Merkmal auch Indiz für das innere ist und nur darum für die Strafzumessung beachtlich. Und alle diese Merkmale sind schließlich wieder selbst Anzeichen für den Kardinalpunkt der "Gesinnung, die aus der Tat spricht", und die wir als identisch ansehen mit unserem Begriff f. 41. DJT, Bd. I, 2. Halbbd., S. 66: der Gesetzgeber gibt dem Richter nur eine Art Rohfabrikat; Sauer, Allg. Strafrechtslehre (1955), S. 255: die Strafzumessungsgründe sind konkretisierte Unrechts- und Schuldtypen; Stree, Deliktsfolgen u. Grundgesetz (1960), S. 6 f.: mit Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter verbindet sich kein sachlicher Bewertungsunterschied. Durchgeführt sind diese Gedanken im einzelnen von E. Kottka, JR 1955, S.322 bis 325, und NoU, zStw 68 (1956), S. 181-197.
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der betätigten antisozialen Einstellung. - Darum seien sie nun sehr gespannt, zu hören, was die Strafrechtswissenschaft zu diesen Merkmalen sage, ob sie sie z. B. zum "Unrecht" rechne oder zur "Schuld" oder wohin sonst. Das, würde der Jurist sagen, werde teils so, teils so, teils so beantwortet. Bisher sei es auf diese Einordnung rechtlich nicht unbedingt angekommen. Nach dem Entwurf dürfe ein "besonders schwerer Fall", der das Springen in einen höheren Strafrahmen gestatte, aber nur bei wesentlicher Erhöhung von Schuld und Unrecht angenommen werden. Für einen minder schweren Fall solle dagegen die Schuldminderung genügen 15 • Darauf würde er die Funktion der "besonders schweren Fälle" darlegen, ihre Vorteile für die individuelle Gerechtigkeit, ihre Gefahren für die Gleichheit der Rechtsanwendung und für die Rechtssicherheit; ferner von den Stützen berichten, die der Entwurf diesen Ausnahmerahmen mitgeben wolle, nämlich eben dem Erfordernis der wesentlichen Erhöhung von Schuld und Unrecht, und den Regelbeispielen. Man habe gefürchtet, in ein reines "Gesinnungsstrafrecht" zu geraten, wenn man eine Schulderhöhung genügen lasse, etwa "beharrliche Wiederholung" oder "eine besonders verwerfliche Gesinnung" - so die Entwurfsbegründung 18• Hier kommen wir an einen Punkt, würden die Soziologen sagen, der uns selbst großes Kopfzerbrechen gemacht hat, nämlich wieweit das Vorleben und das spätere Verhalten einer Versuchsperson zur Bewertung ihrer gegenwärtigen sozialen Einstellung heranzuziehen sind. Wir hatten überlegt, ob nicht jemand, der sehr bald, etwa durch Wiedergutmachung, sein antisoziales Verhalten völlig zurücknimmt, damit auch beweist, daß er schon vorher nicht ganz dahintergestanden hat, durc..l} irgendwelche besonderen Gründe dazu gebracht sein muß, die vielleicht schwer feststellbar sind, aber jedenfalls nicht einer antisozialen Einstellung entsprachen. Das ist aber doch ein sehr vages, nur sehr vorsichtig hilfsweise zu verwendendes Indiz. Besser wäre es schon, die besonderen Gründe selbst zu finden 17 • Wir ertappten uns nämlich immer wieder bei einer Tendenz, statt der augenblicklich betätigten sozialen Einstellung unserer Versuchspersonen ihre ganze Person zu bewerten, und sobald man anfängt, Vor- und Nachverhalten mitzuberücksichtigen, ist die Versuchung dazu besonders groß. Etwas anderes ist es mit dem 15 §§ 62, 63 Entw. 1962. Dazu Tröndle, Niederschriften V, S. 10, Lackner, ebenda S. 13. Prinzipiell gegen solche Unterscheidung Schröder, Mezger-Festschrift (1954), S. 425 ff. u. Gutachten f. 41. DJT, a.a.O., S. 90 ff. lS EntwStGB 1962, S. 184. Dazu Lanpe, Niederschr. I. S. 121 f. 17 Dazu die Formel von Engisch, ZStW 66 (1954), S. 360. Daß dieses Merkmal sehr schwer zu fassen ist, verraten die tastenden AusdrÜcke des BGH (BGHSt I, S. 105): Prozeßverhalten Indiz dafür. "wie der Täter innerlich zu seiner Tat steht", und das u. U. wieder Indiz für Schuld usw. Zur Vorsicht warnt, mit Recht, Baumann, NJW 1962, S. 1793-98.
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Vorleben allerdings insofern, als Vergangenes in der Gegenwart noch mitenthalten sein kann. So haben wir Versuchspersonen, die uns erzählten, sie seien wegen eines ähnlichen antisozialen Verhaltens schon früher von ihrer Umwelt schwer getadelt worden, doch einen etwas höheren Antisozialitätsrang gegeben, weil sie besonders genau wußten, wie wenig glücklich sie andere damit machten. Aber auch das nur mit Vorsicht, denn dies waren doch oft behinderte Menschen, die selbst über sich nicht glücklich waren. Besonders wenn sich eine schlechte Gewohnheit eingeschlichen hatte, haben wir für die augenblickliche Betätigung auf eine weniger antisoziale Einstellung geschlossen als sonst18• Um aber auf die "besonders schweren Fälle" zurückzukommen, würden die Soziologen fortfahren, so scheine es ihnen auch richtig, nicht schon wegen "beharrlicher Wiederholung" in einen höheren Strafrahmen zu springen, aber eben weil das die Bewertung der abzuurteilenden Tat nur wenig verändern könne, nicht weil es ein "Schuld"- und kein "Unrechts"faktor sei. Und die "besonders verwerfliche Gesinnung" müsse natürlich betätigt worden sein18 • Deshalb hätten sie ihrem Blutkonservenfahrer sein Vergnügen an dem gefährlichen Fahren nicht als antisoziale Einstellung angerechnet, Gesinnungen als solche dürfe man natürlich nicht bestrafen. Aber unbetätigter guter Gesinnungen wegen dürfe man doch auch eine Strafe nicht mildern, und so verstünden sie das Ganze nicht. Diese §§ 62, 63 des Entwurfs seien allerdings sofort sinnvoll, wenn man ihre, der Soziologen, Auffassung von "Unrecht" und "Schuld" zugrundelegte, also alle Betätigung antisozialer Einstellung zum "Unrecht" zählte und daneben nur eine Minderung und einen Ausschluß der persönlichen Zurechnung dieses Unrechts zuließe. Die Zurechnung als solche könne niemals "erhöht" sein, der normale Strafrahmen sei doch wohl für den voll zurechnungsfähigen Täter bestimmt. Für Straferhöhung müsse daher das Unrecht vermehrt sein, strafmildernd könne sich auch veränderte Zurechnung auswirken. - Aber nun möchten sie mehr über die "Regelbeispiele" hören. Der Jurist würde sie darauf die Entwurfsregelung des schweren Diebstahls (§ 236) und des schweren Betruges (§ 253) lesen lassen und ihnen erläutern, diese Bestimmungen seien "Halbfabrikate", enthielten ,.plastische Substanz", die dem Richter mehr Freiheit lasse als die bisherige Diebstahls-, aber weniger als die bisherige Betrugsregelung20• - Plastisch insofern, würden die Soziologen fragen, als jetzt die soziale WerVgl. Bindokat. Zstw 71 (1959), S. 281-291. H. Mayer, strafrecht (1953). S. 104. fO Lange, Gutachten f. Gr. Strafrechtskomm., Mat. I. S. 83; der!. in Diskussion 41. DJT. Bd. II D S. 84: ,.Maßkonfektion". - Nach Kietwein. Mat. II S. 322 hat Dänemark 1930, Schweden 1943, Norwegen 1951 solche Regelbei18 11
spiele für den schweren Diebstahl eingeführt. - Zum Prinzipiellen s. ferner F. v. Hippet: Richtlinie und Kasuistik im Aufbau der Rechtsordnung (1942); Henkel, Recht und Individualität (1958).
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tung mitzusprechen habe und nicht nur logische Subsumtion? - Gewiß, würde der Jurist sagen, denn auf die einzelnen Merkmale als solche solle es gar nicht mehr ankommen. Der abzuurteilende Fall müsse in seiner Gesamtschwere, also in seiner sozialen Bedeutung, etwa auf der gleichen Ebene liegen wie die Beispielsfälle es täten, wenn man sich nicht zu ihnen besondere mildernde Umstände hinzudächte!1. Ob die Gerichte dann z. B. den Kameradendiebstahl ebenso schwer finden würden wie den einer Sache, die durch eine "Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist" (§ 236 Nr. 2)? - Das müsse man abwarten. - Ob diese Regelbeispiele nicht die ganze Strafzumessungslehre in Bewegung bringen würden? Ob ihre Verwendung nun nicht doch auf der Universität gelehrt und geübt werden würde? Ob sie selbst an Seminaren und übungen darüber teilnehmen dürften? Ob sie ihre Untersuchung als übungsmaterial zur Verfügung stellen dürften, bis genügend Gerichtsentscheidungen zu diesen Beispielen veröffentlicht wären? Er habe dazu noch eine andere Frage, würde einer der Soziologen sagen. Er habe vor sich die Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 9, Rechtspflege, 1961, des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. Daraus ersehe er, daß von den 5656 Erwachsenen, die 1961 wegen schweren Diebstahls verurteilt worden seien, 98 Ofo nur Gefängnis bekommen hätten, 71,3 Ofo nur Gefängnis bis zu neun Monaten, und die Gefängnisstrafen seien auch noch zu 40 Ofo zur Bewährung ausgesetzt worden. Falls die verschiedenen Ziffern des § 243 jetzt schon "Regelbeispiele" wären - sie seien aber doch sogar mehr! -, dann müßten nach der Meinung der Richter 98 Ofo aller Fälle, die vor sie kamen, ungewöhnlich, abnorm, regelwidrig gewesen sein. Wie man in Zukunft die Einhaltung des "in der Regel" kontrollieren wolle? Werde etwa jedem Richter aufgegeben werden, nur einen bestimmten Prozentsatz seiner schweren Diebstähle als außerhalb der Regel fallend anzusehen? Wenn nun aber die soziale Wirklichkeit ganz anders wäre, als der Gesetzgeber sie sich vorstelle2 2 ? Der Jurist würde antworten, über diese Zahlen sei er selbst überrascht; er bitte, sich diese soziologische Fachserie notieren zu dürfen. Allerdings sei ihm bekannt23 , daß die Richter zunehmend zur Milde neigten, und daß sie ungern Zuchthaus verhängten, weil der Vollzug, um Vgl. Begr. EntwStGB 1962, S. 184. , Vgl. die Äußerung von Lackner, Niederschr. VI, S. 21, die Norm würde nicht richtig sein, wenn 50 Ofo aller vorkommenden Fälle eines Regelbeispiels nicht als bes. schwere Fälle anzusehen wären. 23 Aus Exner, Studien über die Strafzumessun~spraxis der deutschen Gerichte (1931); dazu Dreher, Die ~erechte Strafe (1947), S. 62 ff. Nach L. Schmidt, Die Strafzumessung in rechtsvergl. Darstellung (1961), S. 169, besteht die Neigung der Richter zur Milde auch im Ausland und bei unterschiedlicher rechtlicher Regelung der Strafzumessung. 21
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sich überhaupt vom Gefängnis zu unterscheiden, pädagogisch eher schädlich sei. - Der Entwurf, so würde er sagen, bringe aber gerade auch in dieser Hinsicht wesentliche Verbesserungen. Er habe nämlich die Strafrahmen nach den Erfahrungen der Rechtsprechung stark herabgesetzt. Das Zuchthaus sei zwar nicht abgeschafft worden, weil man auf das erhöhte Tabu nicht verzichten wolle, das für das Volk auf den mit Zuchthaus bedrohten Taten liege, aber man wolle es in Zukunft auf die ganz schweren Taten beschränken, die sog. "Hochkriminalität"24. Das sei ein neues Wort, das eine Exklusivität andeute wie das Wort Hochadel, würden die Soziologen sagen, und was sie sich darunter vorzustellen hätten. - Nun, Mord, Totschlag und Völkermord, schwere Abtreibung, schwere Körperverletzung, verbrecherische Freiheitsberaubung, Verschleppung, erpresserischen Kindesraub, Notzucht, Schändung und Raub, räuberischen Diebstahl, schwere oder räuberische Erpressung, schwere gemeingefährliche Straftaten. Man habe aber in der Strafrechtskommission gemeint, daß auch noch andere Täter ins Zuchthaus gehörten, solche, deren einzelne Taten, wie Diebstahl und Betrug, an sich nicht zuchthauswürdig wären, die aber diese Taten berufsmäßig übten. Denn sonst würden am Ende im Zuchthaus die weniger kriminellen Elemente sitzen als im Gefängnis, weil die ganz schweren Taten z. T. gerade eher von sonst nicht Kriminellen begangen würden25 • . Sie wollen also, würden die Soziologen sagen, nicht nur Taten tabuieren, sondern auch dem Volk seine Zuchthäusler geben, z. B. die Berufseinbrecher vom Berliner Ringverein, falls es den noch gibt. - Die Taten seien aber wirklich sehr eindrucksvoll. In ihrer Untersuchung seien sie außer Raub kaum vorgekommen, es seien wohl überhaupt seltene Taten. Oder sollte es auch daran liegen, daß die Namen - verbrecherische Freiheitsberaubung, Schändung, schwere Abtreibung, räuberische Erpressung - ihnen, den Soziologen, nicht zur Verfügung gestanden hätten? Dann sei vielleicht das auch der Grund für die unterschiedliche Bewertung der Taten durch das Gesetz und durch den Richter. Der Gesetzgeber bewerte vielleicht die Tat so, als wenn sie von einem typischen "Mörder", einem typischen "Notzüchter", "Räuber", "räuberischen Erpresser", einer typischen "Abtreiberin" begangen wäre, also von jemandem, der mit ganzem Herzen, in einer ganz übermäßigen Zurechnungsfähigkeit, und immerzu und ausschließlich raube und morde und schände26 • Solche Menschen gebe es natürlich nicht, aber das Bild U Begr. EntwStGB 1962, S. 164. Dazu Gallas, Niederschriften V, S. 39: "Stigmatisierung gewisser schwerster Taten", "Plakatierung der Tat". n Welzel, Niederschriften V, 61. Vgl. die ganze Diskussion darüber i. d. 59. Sitzung d. Strafrechtskomm., a.a.O., S. 40 ff., und die problematische Begründung des Entw StGB 1962, S. 164, zu § 43 und S. 407 zu § 238. !B In dieser Richtung Peters, Gutachten 41. DJT, a.a.O., S. 15. Es würde sich damit um einen "Idealtypus" im Sinne von Max Weber handeln; dazu
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von ihnen sei als eine Art Archetypus überall vorhanden, ein Schreckbild und wohl auch geheimes Wunschbild. Dem Gesetzgeber selbst, z. B. den Mitgliedern der Strafrechtskommission, könne dieses Bild eigentlich nicht vorgeschwebt haben, sonst hätten sie nicht zusätzlich für die Berufsdiebe usw. das Zuchthaus als Strafort vorgesehen, um dort die richtigen Verbrechertypen zu haben. Nein, würde der Jurist sagen, die meisten Fachleute dächten heute wohl nicht mehr so. Eine Tendenz sei zwar fühlbar, es melde sich immer einmal wieder der Gedanke, man müsse einen solchen "normativen Tätertyp" bilden können, aber dann werde doch bald erkannt, daß das nicht möglich sei 27• Anders, wenn man zwar dem Gesetzgeber unterschiebe, von einem solchen normativen Tätertypus ausgegangen zu sein, wenn man aber gerade darum das Gesetz auf untypische Täter nicht anwenden wolle, wie es in der NS-Zeit versucht worden sei, gegenwärtig zuweilen mit dem Mordparagraphen versucht werde, um als zu hart empfundene Bestimmungen eng auslegen zu können 28• Nun würde der Jurist berichten, wie außerordentlich schwierig es sei, den Tatbestand des Mordes, der schwersten vorsätzlichen Tötung, in befriedigender Weise von dem des Totschlags abzuheben. Nicht vielleicht an sich schwieriger als die Ausformung anderer besonders schwerer Fälle, z. B. des Diebstahls. Aber hier müsse der Gesetzgeber die Sache selbst ausfechten, weil für Mord eine einzige, feste Strafe, lebenslanges Zuchthaus, angedroht sei; hier sei er also selbst Richter. Und am liebsten würde er wohl einfach gesagt haben, der besonders schwere Fall sei der, in dem der Täter die höhere Strafe verdiene, also: Mord sei die Tötung, für die nur lebenslanges Zuchthaus in Frage komme. Je bestimmter die Strafe, um so größer das Bedürfnis, den Tatbestand unbestimmt zu halten, um den Einzelfall gerecht einordnen zu können28 • Daran, würden die Soziologen einwerfen, sieht man doch, daß es auch für die Juristen im Grunde nur eine einzige Reihe der Schwere der Taten gibt, aller Taten insgesamt wie auch unter den vorsätzlichen Tötungen. Sonst würde es auch nicht möglich sein, sie alle auf einer einzigen Schuld- und Strafskala aufzutragen. Aber diese Reihe ist unendlich differenziert, weil es bei der Vielfalt und Kompliziertheit des Lebens unendlich viele verschiedene Konstellationen gibt30• Es scheint uns ganz -
und zu den Schwierigkeiten, unter einen Idealtypus zu "subsumieren" -
Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft un-
serer Zeit (1953), S. 252 ff., S. 263, Anm. 103. 17 Hardwig, MschrKrim 42 (1959), S. 23, es sei "nicht Aufgabe des Rechts, Menschen als bestimmte soziale Typen zu bekämpfen, sondern bestimmte Verhaltensweisen zu verbieten oder zu gebieten". !8 Dazu die Beiträge von Mezger, GaZlas, Bockelmann in ZStW 60 (1940). U Aber v. Stackelberg, Niederschr. VII, S. 38: "man kann nicht die fehlende gleitende Strafdrohun~ durch einen gleitenden Tatbestand ersetzen". 30 Henkel, Recht und Individualität (1958), S. 55.
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unmöglich, einen bestimmten Punkt auf dieser Reihe durch einige wenige Merkmale zu definieren, wie man sie im Gesetz anführen könnte. Warum besteht man darauf, es zu tun? Allerdings würde der Richter auch wohl kaum auf den Millimeter genau angeben können, wo nun auf dieser Skala der Totschlag endet und der Mord beginnt. Aber er würde wenigstens die spezielle Konstellation des Einzelfalles vor sich haben und in gewissen Extremfällen wohl doch sagen können, mindestens dies müsse nach aller Meinung Mord sein. Nein, würde der Jurist sagen, gerade bei dieser außerordentlich schwerwiegenden Entscheidung kann der Gesetzgeber den Richter nicht allein lassen3!, gerade hier muß auch Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit herrschen. - Außerdem habe man wohl auch nicht ganz auf die gesetzliche "Plakatierung" des Mordes verzichten wollen. - Und dann würde er den Soziologen von der Diskussion der Strafrechtskommission über die Formulierung des Mordtatbestandes berichten und wie sie sich mehrfach im Kreise gedreht habeS!. Man sei zur Entlastung der Richter von einer komplizierten kasuistischen Lösung mit z. T. äußeren Merkmalen ausgegangen, habe dann festgestellt, daß Fälle denkbar seien, die nach dieser Einteilung zu Unrecht als "Mord" oder zu Unrecht als "Totschlag" behandelt würden; habe sich darum auf "das Prinzip" zu besinnen gesucht, das hinter dieser Kasuistik stünde - die "besonders verwerfliche Gesinnung" oder mindestens die "niedrigen Beweggrunde" -, habe aber dann doch in der Mehrheit eine Generalklausel dieser Art zu unbestimmt gefunden; sich an das Merkmal der Tötun~ ,.mit Überle~ung" erinnert, das in der ursprünglichen Fassung des StGB den Mord vom Totschlag unterschied und die niedri!ten Beweggründe doch ~anz gut herausl!efiltert habe. aber auch wieder die Fälle angeführt, bei denen dieser Filter versa~t habe; sei auf die ursprün~liche Kasuistik zurück~ekommen und so ein paarmal im Kreise herum~egangen. Das Resultat sei eine Kombination der verschiedenen Prinzipien: immer Mord bei bestimmten Beweggründen, nämlich "aus Mordlust", zur sexuellen Errel!un~ oder Befriedi~n~. aus Habgier, zur Ermöglichung anderer Straftat. Im übrigen bei .. Ühprle~un~". aber hier müsse der Richter .. Totschla~" annehmen. wenn Mitleid. Vpr7weiflnn"! oder andere Beweggründe die "Schuld" des Täters wesentlich minderten. Es sei wohl nicht zufällig, würden die Soziologen sagen, daß gerade bei dieser Tat mit absoluter Strafdrohung schließlich doch ganz auf die Beweggründe und gar nicht mehr auf äußere Merkmale abgestellt worden sei. Damit sei man aber auch ganz nah an die antisoziale Einstellung ihrer Untersuchung herangekommen, denn auch in einem Begriff wie 31
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Eh. Schmidt, Niederschr. V, S. 34; Schwalm, Niederschr. VII, S. 27. Niederschriften VII, S. 25-72, XIII, S. 146-174.
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"aus Habgier" werde vermutlich schon mitberücksichtigt, daß die Tat selbst eine Tötungshandlung sei. Ob nicht vielleicht dies "antisozial" eine gute Generalklausel abgegeben haben würde? Es sei weniger moralisierend als "verwerflich" und "niedrig" und dazu korrekter graduierbar. - Eben darum auch zu nichtssagend, würde der Jurist erwidern, es fehle gerade die Stufe, auf der man mit dem Wort "besonders verwerflich" oder "niedrig" abrupt tieferspringe, wenn auch, je nach seiner persönlichen Wertung, der eine hier, der andere da. Der Gesetzgeber arbeite in der Abgrenzung der Tatbestände notwendig nach einem gewissen Quantenprinzip; er gleite nicht, sondern springe in den anderen Tatbestand. Übrigens sei von Kommissionsmitgliedern sowohl vor der übertriebenen Kasuistik wie vor einer Gesinnungs-Generalklausel und vor gleitendem Strafrahmen mit der Begründung gewarnt worden, es werde damit die "Plakatierung" des Mordes abgeschwächt, die "Leitbilder" des Mordes und seine "holzschnittartige Profilierung" würden verlorengehen33 • Nun auch ein "Quantenprinzip", würden die Soziologen sagen, neben der "Unbestimmtheitsrelation", die darin liegt, daß die Tatbestandsmerkmale anscheinend entweder khr und bestimmt sein können, wie vor allem äußere Merkmale es sind -- dann sagen sie aber über den eigentlichen Strafgrund, die Betätigung antisozialer Einstellung, nur Ungenaues - oder aber sie kommen diesem Strafgrund näher, wie subjektive Motivations- und Gesinnungsmerkmale, aber dann sind sie weniger sicher abgrenzbar. - Gerade darin, würden sie sagen, zeige sich aber wieder, daß es sich nur um zwei Seiten derselben Sache handle. Mit dem Wunsch nach "Plakatierung" des Mordes, nach "Mordleitbildern", sei man aber wieder bei dem Bestreben des Gesetzgebers angekommen, ein stilisiertes Bild der Taten an die Wand zu malen. "Leitbilder" ja übrigens nicht gerade, um zu ihnen hinzuleiten, man müsse sich aber fragen, ob das nicht gelegentlich auch dabei herauskommen könne, ob nicht das Bild des "Mörders" und "Räubers" und "Schänders:', der immerzu und von ganzem Herzen morde, raube und schände, nicht auch eine gefährliche Faszination auf die Täter ausüben und sie vielleicht sogar, wenn sie einmal eine solche Tat begangen hätten, von außen und von innen in dieser Rolle fixieren könne. Das sei wohl möglich, würde der Jurist sagen. Ihm scheine es auch so, als wenn in früheren Zeiten nicht nur die Gesetzgebung, sondern auch die Rechtsprechung von diesem archetypischen Verbrecherbild bestimmt worden sei. Die äußerst grausamen und zahlreichen Leibes- und Lebensstrafen seien vielleicht nur gegen Täter möglich gewesen, die man als eine solche volle Verkörperung des bösen Prinzips gesehen habe. 33
v. Stackelberg, Niedersehr. VII, S. 38; GaUas, ebenda, S. 34.
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Wenn man noch weiter zurückdenke, so habe die Empörung sich offenbar ursprünglich um Schaden, am eingetretenen Unglück entzündet. Primitivem Denken sei es schwer, etwas als Zufall anzusehen, für alles verlange es einen Schuldigen. Aus dem bösen Anblick des Unglücks müßte die Geschädigten unmittelbar die böse Gesinnung irgendeines Schuldigen angesehen haben, vielleicht zu ihrer Erleichterung, da Zorn den Schmerz mildere, denn dann könne man wenigstens etwas tun. Erst allmählich habe man das "Ungefährwerk" von der Absichtstat unterscheiden gelernt, bezeichnenderweise aber zunächst nur nach festen äußeren Merkmalen, einem "Münchner Bilderbogen", wenn sie so wollten, und wieder erst später das noch immer strafbare Ungefährwerk vom straflosen Zufall34 • Aber das Bild der bösen Absicht habe sich immer noch für das Volk und die Richter über den ganzen Täter ausgebreitet, d. h. über den Menschen, der diese Tat in einem Augenblick seines Lebens begangen habe - noch das Wort "Täter" suggeriere in dieser Hinsicht vielleicht zu viel. Man habe auch Strafen bevorzugt, die, wenn sie diese Menschen nicht gleich ganz austilgten, ihnen die einmalige Tat gleichsam aufstempelten, aufbrannten; an den Verstummelungen, Brandmalen usw. habe jeder gleich ablesen können, daß dies ein Meineidiger, ein Dieb, ein Münzfälscher sei. Durch diese sog. "spiegelnden" Strafen35 sei der Täter ein lebendes Strafregister geworden, gewiß ganz praktisch zu einer Zeit, wo es noch keine Einwohnermeldeämter und Führungszeugnisse gegeben habe. Aber ob nicht auch der überschießende Affekt der gekränkten Gesellschaft darin zu sehen sei, die dem Täter auf diese Weise mitgeben wollte, als welches Scheusal sie ihn sah? Sie seien erfreut, würden die Soziologen sagen, diese sozialpsychologische Theorie von einem Juristen vorgetragen zu hören. Nun seien die Richter heutzutage, nach ihrer milden Rechtsprechung zu urteilen, von dieser Erlebnis- und Betrachtungsweise anscheinend weitgehend frei, aber im Volke spiele sie, nach allem was man wisse, immer noch eine große Rolle. Und es interessiere sie besonders zu hören, daß der Gesetzgeber, obwohl er diese Betrachtungsweise im ganzen auch nicht teile, ihr doch durch "Leitbilder" in gewisser Weise entgegenkommen wolle. Zur Abschreckung, würde der Richter sagen, aber eben nicht für die konkrete Strafzumessung im Einzelfall. Zur Abschreckung könne es sich immer noch empfehlen, vom Bilde des schädlichen Erfolges, des äußerlich gefährlichen Tuns auszugehen, was ja auch den Vorzug größerer 34 Dieser Vorgang ist noch immer nicht ganz abgeschlossen. Gefährdendes Verhalten machen wir anderen und uns selbst weit geringer zum Vorwurf, wenn nichts, als wenn etwas Schlimmes "passiert" ist, so als wenn wir doch noch in dem realen Eintritt des Unglücks und in seinem Ausbleiben eine Art Gottesurteil sähen. 35 Brunner/Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, 2. Aufl.. (1928), S. 767.
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Rechtssicherheit habe. Die Diskussionen über den Mordtatbestand hätten aber gezeigt, wie gering die Möglichkeiten in dieser Hinsicht heute seien. Statt dessen empfählen manche, den angedrohten Strafrahmen relativ hoch zu legen, dem Richter aber Milderungsmöglichkeiten dazuzugeben. So gesehen, habe es vielleicht seinen guten Sinn, daß 98 Ofo der schweren Diebstähle nicht nach dem Normalstrafrahmen gestraft worden seien, und so gesehen sei die drastische Herabsetzung der Strafdrohungen im Entwurf, die aber nun "in der Regel" angewandt werden solle, vielleicht verfehlt36 • Aber wer wolle wissen, ob die Assoziation "Einbruch Zuchthaus", falls sie überhaupt noch bestehe, nicht auch weiterbestehen werde, denn dann müsse sie sich ja durch nur 2 Ofo der Einbruchsverurteilungen erhalten haben. Das alles, würden die Soziologen sagen, läßt sich durch empirische Untersuchungen klären. Sollten wir uns nicht für solche Untersuchungen zusammentun? Aber uns interessiert auch immer noch besonders, ob nicht diese ganze "Verpönung", die Taten und Täter zum Schreckbild macht, manche Menschen auch gerade anzieht, und vor allem, ob sie nicht die Täter auch heute noch gefährlich "brandmarkt", ihnen diesen Charakter einbrennt, sie in dieser Rolle fixiert, nicht nur in den Augen der anderen, sondern auch vor sich selbst. Das ist das gerade Gegenteil von dem, was sie am nötigsten brauchen würden, nämlich, den Umgang mit den eigenen Aggressionen zu lernen. Ihnen das beizubringen, ist überhaupt eine Strafanstalt wohl am wenigsten geeignet. Er habe schon gesagt, würde der Jurist antworten, daß diese Gefahr bestehe. Sie sei aber wohl mit der Wirksamkeit des Strafrechts zu eng verbunden, als daß man sie ganz vermeiden könne. Das sei das große Dilemma der Strafrechtspflege: Böses werde angedroht, um einen Schutzwall um die Rechtsgüter zu bauen, und wenn doch ein Einzelner den Schutzwall durchbrochen habe, müsse der Richter das Gesetz anwenden wie irgendein anderes, das von vornherein eine auch für den Einzelfall vernünftige Maßnahme vorsehe. - Zwar hoffe man immer wieder, mit der Strafe zu bessern, speziell mit der Freiheitsstrafe tiefergehende kriminelle Tendenzen heilen zu können. Vielleicht sei das auch nicht prinzipiell unmöglich, aber die Schwierigkeiten seien doch - eben wegen der "Verpönung" dieser Situation, der Gefahr der negativen se So Peters, Gutachten 41. DJT, a.a.O., S. 16; auch Gallas, Niederschr. V, S. 39: gar kein so großer Schaden, wenn von angedrohter Zuchthausstrafe relativ häufig kein Gebrauch gemacht werde. Anders sieht Sarstedt, Referat 41. DJT, II D 2, S. 51, angedrohtes Höchst- und Mindestmaß als zwei Leuchtfeuer, zwischen denen der Richter durchzusteuern habe, und die nicht so weit auseinanderliegen dürften, daß er auch nur eines aus den Augen verlieren könne. Daher seine Folgerung, der Regelstrafrahmen des § 243 sei schon 1886 veraltet gewesen, der Gesetzgeber habe sich damit vergriffen.
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Prägung der Täter, auch des unnatürlichen Lebens im Strafvollzug - so groß, daß es ganz außerordentlicher Anstrengungen bedürfen würde, um Positives zu erreichen. Als junger Jurist habe er gemeint, da alle das wüßten, würden die notwendigen Strafvollzugsreformen in kürzester Zeit eingeführt sein. Die Forderungen danach seien jetzt aber noch ebenso laut und fasi ebenso unerfüllt. Darum glaube er, daß es z. zt. für den einzelnen Täter am besten sei, ihm die Freiheitsstrafe soweit wie möglich zu ersparen und ihn statt dessen auf andere Weise sozial anzuregen und zu fördern und zur Wiedergutmachung zu bringen. Für die leichteren, aber an sich noch freiheitsstrafwürdigen Fälle sehe das auch § 23 StGB mit der Strafaussetzung zur Bewährung vor. Wie man höre, sollten aber im Ausland auch sozialpsychiatrische Behandlungsmethoden entwickelt worden sein, mit denen sich für sozial erheblich Unangepaßte mehr tun lasse als mit unserer unbestimmten Jugendstrafe und unserer Sicherungsverwahrung. In der Großen Strafrechtskommission, die unser zukünftiges Strafgesetzbuch vorbereitet habe, sei dazu sogar ein dänischer Arzt gehört worden, der es für ratsam erklärt habe. alle immer wieder Rückfälligen dieser Behandlung zu unterziehen37, denn die dänischen Richter wiesen wegen der besseren Erfolge dieser Anstalten jetzt auch alle Täter dort ein, die früher in Sicherungsverwahrung gekommen wären38• Der deutsche Arzt, der nach dem dänischen gesprochen habe, habe aber gemeint, daß doch nur wenige Insassen der Strafanstalten und der Sicherungsverwahrung den normalen Vollzug so störten, daß sie in besonderen Anstalten untergebracht werden müßten30 • Wohl darum, und vielleicht auch, weil es ja besser sei, erst einmal die Erfahrungen der führenden anderen Länder abzuwarten - auch Holland entwickele solche Methoden -, sehe der Entwurf besondere sozialpsychiatrische Behandlung höchstens40 für die neuzuschaffenden Bewahrungsanstalten vor, in die unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige Täter kommen könnten. Daneben seien aber nicht nur Zuchthaus und Gefängnis, sondern auch die unbestimmte Jugendstrafe und die Sicherungsverwahrung in ihrer jetzigen Form beibehalten, ja sogar als neues Institut die vorbeugende Verwahrung für Jungtäter vorgesehen und das Arbeitshaus weiteren Tätergruppen eröffnet. Ein großer Reichtum an Maßnahmen, der aber auch eine gewisse Armut verrate. Das Dilemma der Unvereinbarkeit von Abschreckung und Besserung, würden die Soziologen sagen, sei also wohl noch größer als das der Niederschriften IV, S. 181 ff.; S. 200. a.a.O., S. 198. 30 a.a.O., S. 191 ff.; dazu Bockelmann, a.a.O., S. 195. co BegT. zu § 82 EntwStGB, Abs. 5-7. 37 38
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Schwervereinbarkeit von gesetzlicher Abschreckungsstrafe und Schuldstrafzumessung im Einzelfall. Aber wenn sie es richtig sähen, gäbe es doch etwas, was sowohl der Abschreckung wie der Besserung dienen würde, nämlich die Beschränkung der Strafdrohungen, der Strafbarkeit, auf einen relativ kleinen Kreis wirklich erheblicher Taten. Damit würde das Straftabu bei diesen Taten verstärkt, andererseits vielen Tätern die spezialpräventiv fragwürdige Bestrafung erspart werden. Diese Forderung, würde der Jurist sagen, habe schon seit längerem und sehr eindringlich der Strafrechtslehrer HeHmuthMayer erhoben.Das, würden die Soziologen sagen, muß ein sehr vernünftiger Mann sein.
tJberzeugungstäter und Gewissenstäter Von Kar! Peters, Tübingen I. Die Hoffnung, daß Art. 4 GG zu einer klaren und allgemein anerkannten Lösung des Gewissensproblems im gesellschaftlichen und rechtlichen Bereich führen würde, hat sich nicht erfüllt. Das ist um so enttäuschender, als die Erwartung berechtigt erschien, daß nach einer Zeit, in der die Gewissensfreiheit der einen vom Staat bedroht war und die anderen von dem Anruf ihres Gewissens dem Staat gegenüber trotz des übermaßes an von ihm zu vertretenden Unrecht nur allzu wenig Gebrauch machten, in besonderer Weise die Gewissensentscheidung der Mitbürger geachtet werden würde. Es scheint, daß das Gewissensproblem im juristischen Bereich keineswegs den ihm gebührenden Raum gefunden hat, daß die Gewissenskonflikte der Menschen nicht ernst genug genommen, vielfach nicht einmal in ihrer Tragweite empfunden und verstanden werden, daß im Verhältnis von Gesetz und Gewissen zu vorschnell die Entscheidung des Juristen zugunsten des Gesetzes fällt. Auffassungen, die aus Zeiten stammen, in denen das Gesetz gemeinsam sozialethischen Anschauungen entwuchs, werden in den Bereich der pluralistischen Gesellschaft übertragen. Selbstsicherheit und einseitiges Ordnungsbewußtsein verschließen den Blick für die gesellschaftliche, ethische und menschliche Problematik der Gewissensfreiheit und Gewissensgebundenheit. Die Neigung, eigene Vorstellungen als die maßgeblichen anzusehen, führt zu einem Zuleichtnehmen des Gewissenskonfliktes. Unklarheiten über den Gewissensbegriff erschweren eine sachgemäße Lösung. Die zu weite begriffliche Erfassung dessen, was als Gewissensentscheidung anzusehen ist, erweckt die Furcht, daß die Anerkennung der gegen das Gesetz getroffenen Gewissensentscheidung das Staatswohl gefährde. Es ist vor allem die mangelnde Differenzierung zwischen Gewissen und Überzeugung, die zu einer ungenügenden Berücksichtigung der Gewissensentscheidung im Rechtsbereich führt. All das wird deutlich an drei Gewissensproblemen, von denen das erste dem Strafverfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht, die beiden anderen dem materiellen Strafrecht entnommen worden sind. In allen drei Fällen stehen die vertretenen Meinungen sich diametral entgegen. 17 Festschrift für Hellmuth Mayer
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Das erste Beispiel betrifft den Richter, der nach dem Gesetz gehalten wäre, eine Entscheidung zu treffen, die er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann. Rotberg1 und ich2 vertreten die Ansicht, daß es dem Richter gestattet sei, wenn er die vom Gesetz geforderte Entscheidung mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, die Mitwirkung bei der Verhandlung und Entscheidung zu verweigern. Diese Auffassung geht davon aus, daß der Urteilsspruch Sache des Gesetzes und des Richters ist, daß er seine überzeugende Kraft dadurch erhält, daß der Richter als Persönlichkeit hinter dem Urteilsspruch steht, den er verkündet, und daß der Richter ihn auch als Persönlichkeit zu verantworten hat und sich nicht hinter das Gesetz verbergen kann. Ein so schwerwiegender Zwiespalt, wie er in dem Gegensatz Gesetz und Gewissen des Richters zum Ausdruck kommt, korrumpiert Gesetz und Richterpersönlichkeit. Die vorgeschlagene Lösung (Versagen der Mitwirkung des Richters, ggf. über die Selbstablehnung) ergibt sich daraus, daß der Richter nicht gegen ein ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz entscheiden darf, andererseits aber auch nicht gegen sein Gewissen verstoßen kann, ohne daß er seine Persönlichkeit aufgeben und damit ein Stück seines Richterturns verlieren würde. Diese Auffassung ist auf entschiedenen Widerstand gestoßen. Eberh. Schmidt3 meint: "Das hieße, die Gesamtheit aller politischen, sozialen, religiösen Meinungsgegensätze sich unmittelbar im Gerichtssaal auswirken lassen und in das Richterturn unerträgliche Spannungen, in die Rechtsanwendung eine katastrophale Unsicherheit hineintragen. Auch verkennt diese Meinung, daß mit dem richterlichen Prüfungsrecht nicht dem Richter, sondern dem Recht geholfen werden soll." Auch Schäfer' wendet sich gegen die von mir vertretene Auffassung. Er sieht im Fall des Gewissenskonfliktes des Richters die Lösung darin, daß der Richter die Sache gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegt oder aus seinem Richteramt ausscheidet. Auch sonst ist die von Rotberg und mir vertretene Meinung auf Widerstand gestoßen5 • e. Rotberg, Zu einem Richtergesetz, Beihefte zu DRZ, Heft 12, 1950. Peters, Das Gewissen des Richters, Gegenwartsprobleme des Rechts, Heft I, 1950, ferner Strafprozeß, 2. Aufl., S. 98 ff. a Eberh. Schmidt, Lehrk. I, 2. Aufl., Rn.511 (ebenso schon 1. Aufl., Rn. 415). 4 Schäfer in LöwelRosenberg, Kom. Ir (21. Aufl.), zu § 1 GVG, Anm. 3 b. 5 Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen (Recht und Staat 163/164), 1951, S. 53, Anm. 107. Weitere Schrifttumsangaben bei Eberh. Schmidt, a.a.O. 1
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8 Daß das Gewissensproblem beim Richter eine Berücksichtigung finden kann, zeigt das öst. Strafverfahren. Entgegen § 195 GVG steht es den öst. "Richtern, die den Angeklagten wegen einer ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung nicht schuldig befinden, frei, um ihrem Gewissen keine Gewalt anzutun, auf Grund des über die Schuldfrage gefaßten Beschlusses ihre Stimme über die Strafe abzugeben oder sich der Abstimmung zu enthalten". (Roeder, Ost. Strafverfahrensrecht [1963], S. 110.) Im letzteren Fall wird die nicht abgegebene Stimme der mildesten Stimme zugerechnet.
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Es genügt zunächst, den offenbar unüberbrückbaren Meinungsstand festzustellen. Soweit eine Stellungnahme im Zusammenhang mit dem Thema dieser Abhandlung erforderlich ist, wird sie später erfolgen. Als Beispiel eines Gewissenskonfliktes im materiellen Strafrecht sei auf die Nichtvornahme einer Schwangerschaftsunterbrechung bei medizinischer Indikation und auf die Verweigerung des Wehrersatzdienstes aus Gewissensgründen7 hingewiesen. Die medizinisch-indizierte Schwangerschaftsunterbrechung lehnt die katholische Sittenlehre als unerlaubt ab, sofern es sich um einen direkt auf die Beseitigung des Kindes im Mutterleib gerichteten Eingriff handelt. Direkt ist der Eingriff dann, wenn er unmittelbar gegen das Kind gerichtet ist oder seine Beseitigung intendiert8 • Der katholische Arzt, der über die Vornahme eines solchen Eingriffs sich zu entscheiden hat, steht in einem echten Gewissenskonflikt namentlich dann, wenn er der einzige zur Verfügung stehende Arzt ist. RG 61, 247; 62, 147 hat die Beseitigung der Leibesfrucht zwar als rechtmäßig anerkannt, jedoch ausdrücklich betont, daß damit die sittliche Beurteilung der Handlung offen bliebe. Bockelmann8 ist der Ansicht, daß den Arzt kraft Berufes und unter Umständen kraft Anstellung (etwa als Schiffsarzt) die Garantenpflicht für das Leben der Mutter treffe. Er ist der Ansicht, daß der Arzt eine Bestrafung wegen Tötung der Schwangeren durch Unterlassung auf sich nehmen müsse. Nach Bockelmann handele es sich nicht um das Problem des Tötungsdeliktes und der Rechtfertigung, sondern um das des überzeugungstäters 10 • Damit kommt es auf die Bedeutung des Handeins aus einer Gewissensentscheidung an. Im zweiten Fall geht es um das Problem der Bestrafung gemäß § 37 I des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst. Über die strafrechtliche Behandlung der Wehrersatzdienstverweigerung aus Gewissensgründen 7 Es handelt sich ganz überwiegend um Angehörige der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Es werden Hunderte von Personen von der Stra!bestimmung betroffen. Die Strafen liegen zwischen 300 DM an Stelle einer Gefängnisstrafe von einem Monat und einem Jahr Gefängnis. Ob und inwieweit auch Angehörige anderer christlicher Gruppen, insbesondere der großen Kirchen, den Wehrersatzdienst aus Gewissensgründen versagen, ist mir, abgesehen von einem Fall eines evangelischen Theologiestudenten, unbekannt. 8 Die Auffassung der katholischen Moraltheologie ergibt sich aus Härina. Das Gesetz Christi IH, 7. Aufl. (1963), S. 220 ff., MausfachlErmecke. Moraltheologie IH, 10. Aufl. (1961), S.271, ferner Baumeister/Smets, Das Lebensrecht der Ungeborenen, 1955. g Bockelmann, Das Problem der Zulässigkeit von Schwangerschaftsunterbrechungen in: Berliner Universitätstage, 1964, S. 232. 10 Bockelmann übersieht, daß das Recht zum Handeln nicht ohne weiteres eine Pflicht zum Handeln bedeutet. Vgl. dazu meine Abhandlung, Die Abtreibung in der Schau des Juristen bei BaumeisterlSmets, S. 59, ferner Münch. Med.Wschr., 1952, 514. Zur gesamten Problematik neuerdings Lenckner, Der rechtfertigende Notstand (1965), S. 155. Dort auch zum Problem der Gewissensfreiheit S. 180.
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besteht wiederum keine einheitliche Auffassung. Arndtl1 hält eine Verurteilung der aus Gewissensgründen handelnden Wehrersatzdienstverweigerer für "eine eminente Verletzung der in Art. 4 Abs.1 GG verbürgten Gewissensfreiheit". Die Auffassung von Arndt ist in der Praxis der Gerichte nur vereinzelt vertreten worden. Das Landgericht BadenBaden hat den Angeklagten mit Urteil vom 26. 9. 1963 aufgrund Art. 4 Abs.3 GG freigesprochen. Das Urteil ist in der Revisionsinstanz jedoch aufgehoben worden12 • Im Rahmen der Gewissensprobleme ist neuerdings die Frage aufgetaucht, ob die Aufrechterhaltung einer Gewissensentscheidung eine erneute Verurteilung ermöglicht oder ob eine Gewissensentscheidung jedenfalls regelmäßig eine einmalig getroffene Lebensentscheidung darstelle, so daß eine erneute Verurteilung ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelverurteilung darstelle. Es scheint, daß in dieser Hinsicht jedenfalls die Praxis der unteren Gerichte in höherem Maß differiert 18 • Die Auffassung der Oberlandesgerichte geht einhellig dahin, daß der Gewissenskonflikt strafrechtlich nicht zu beachten sep· und daß die Gewissensentscheidung nicht bewirke, daß das erneute Fernbleiben nach bereits verbüßter Freiheitsstrafe wegen Wehrersatzdienstverweigerung auf einer neuen selbständigen Entscheidung beruhe und daher eine erneute Bestrafung zulässig seps. Die Wissenschaft hat sich mit der speziellen Frage der Wehrersatzdienstverweige11 Arndt, Die Zeugen Jehovas als Prüfung unserer Gewissensfreiheit (Art. 4, 12 GG; § 37 ErsatzdienstG), NJW 1965, 432 f.; zu demselben Thema Hannover, GA 1964. 33 ff. 11 OLG Karlsruhe, JZ 1964, 761; dort auch die Gründe des landgericht-
lichen Urteils. 11 Den Weg der Doppelverurteilung ging zuerst das AG Ravensburg (Beschluß v. 24. 11. 1964 - Ms 117/64 -). Der die Eröffnung der Hauptverhandlung ablehnende Beschluß wurde jedoch durch Beschluß des LG Ravensburg vom 28. 4. 1965 (Qs 345/64) aufgehoben. Jedoch haben mehrere erstinstanzliche Gerichte - zuerst wohl AG Bremerhaven - im Fall des Zweitverfahrens die Sache dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG, §§ 13, Z. 11, 80 BVGG zur Entscheidung über die die Verfassungsmäßigkeit des § 37 WehrersatzdG vorgelegt, dessen Verfassungsmäßigkeit insoweit in Frage gestellt wird, als er ständig neu auszuwerfende Strafen in unbegrenzter Höhe, Strafen von 20-25 Jahren Gefängnis, ja Verurteilung als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher, ermögliche. Weder über die Vorlage der Gerichte noch über zur Frage der Doppelverurteilung schwebende Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht bisher entschieden. 14 OLG Stuttgart (Urt. v. 8. 2. 1963), NJW 1963, 776; OLG Bremen (urt. v. 10. 5. 1963), NJW 1963, 1932, OLG Karlsruhe (Urt. v. 25. 5. 1964), JZ 1964, 761; OLG Hamm (Urt. v. 14. 9. 1964), NJW 1965, 777), OLG Hamm, NJW 1966, 165. Diese Reihe läßt sich ergänzen durch nicht veröffentlichte Urteile von Oberlandesgerichten. 15 Eine wiederholte Bestrafung wenn auch unter Anerkennung gewisser Grenzen aus Art. 1 GG gegenüber uferloser Bestrafung - hält OLG Stuttgart, Urt. v. 27. 1. 1965 (1 SS 810/64) - nicht abgedruckt - für möglich. Gegen dieses Urteil läuft Verfassungsbeschwerde. Einstellungen und Freisprüche durch el'Stinstanzliche Gerichte in Zweitverfahren gegen Wehrersatzdienstverweigerer aus Glaubens- und Gewissensgründen mehren sich in den letzten Monaten. Offenbar bahnt sich ein Wandel der Auffassungen bei Tatgerichten an.
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rung aus Gewissensgründen noch kaum befaßt15a • Die Schrift von Willi Geiger, Gewissen-Ideologie-Widerstand-Nonkonformismus (Grundfragen des Rechts) 1963, die sich vom rechtlichen Standpunkt aus allgemein mit den Problemen des Gewissens und des Gewissenskonflikts auseinandersetzt, ist in Wissenschaft und Praxis so gut wie unbeachtet geblieben. Darüber hinaus läßt unsere höchstrichterliche Praxis aber auch eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen rechtsphilosophischen, der ethischen und theologischen Literatur vermissen15b • So verschieden die Ausgangsfälle: Gewissensentscheidung des Richters bei der Rechtsfindung und Gewissensentscheidung des Täters bei der Deliktsbegehung auch sein mögen, so ist die Grundproblematik doch dieselbe. Es wäre sogar eine Verknüpfung von Täterhandlung und Richterurteil durch eine gegenseitige Abhängigkeit der beiden Gewissensbereiche im Einzelfall denkbar. Weil der Täter aus Gewissensgründen einem gesetzlichen Befehl nicht nachgekommen ist, hält der Richter die Verurteilung zu einer auf Sozialethikwidrigkeit und Schuld beruhenden Strafe mit seinem Gewissen für nicht vereinbar. Daß im deutschen Strafrechtsbereich dieses Verkoppelungsproblem keine praktische Rolle spielt, beruht darauf, daß der Richter infolge seiner Stellung zum Gesetz sich im allgemeinen nicht vor das Problem gestellt sieht. Im übrigen dürfte es dem Richter, wenn er den Konflikt empfindet, freistehen, unter Berufung auf Art. 4 GG die seinem Gewissen entsprechende Lösung aus dem positiven Recht herzuleiten. Die Ablehnung der Anerkennung der Gewissensentscheidung als einer von der Rechtsordnung gedeckten Handlung beruht in allen drei Fällen auf der gleichen Vorstellung. Zunächst wird die Staats- und Rechtsordnung als bedroht angesehen, wenn die Gewissensentscheidung Berücksichtigung finden würde. In dem oben angeführten Zitat spricht Eberhard Schmidt von der Gefahr "einer katastrophalen Rechtsunsicherheit" . OLG Stuttgart NJW 1963,776 meint: "Das Grundrecht des Art. 4 Abs.1 kann aber jedenfalls nicht bedeuten, daß die Staatsbürger die Befolgung jeder Norm von einer nicht nachprüfbaren Gewissensentscheidung abhängig machen dürfen. Es würde sich dann jede Ordnung auflösen. CI OLG Hamm NJW 1965, 778 spricht sogar davon, daß die Berücksichtigung einer religiösen oder politischen überzeugung nicht dazu führen dürfe, daß der Staat praktisch vor der überzeugung des Rechtsbrechers kapituliere. Es ist die gleiche Grundhaltung, wenn eine maßgebliche Verwaltungsbehörde schreibt: "Wenn allerdings das Gewissen einem Menschen gebietet, sich jeglichen staatlichen Anordnungen und Geset15a Baumann, Strafrecht, 4. Au:fl., 5.452; Karl Brinkmann, Grundrecht und Gewissen im Grundgesetz 1965, insb. S. 332 ff. (347). 15b Bedauerlicherweise gilt das auch von der neuesten Entscheidung des BVerfG vom 4. 10. 1965 (JZ 1965, 716 = NJW 1965, 2195 mit zutreffender Kritik
von Arndt).
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zen zu widersetzen, mit Ausnahme der Verpflichtung, Steuern zu zahlen, dann ist der Staat gezwungen, um die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten, diese Menschen bei Verstößen gegen die gesetzlichen Normen zu bestrafen, und zwar bei jedem neuen Verstoß gegen die Gesetze erneut zu bestrafen." Solche Pauschalurteile führen nicht zu einer Lösung der Problematik. Sie lassen erkennen, wie wenig die Schwere einer Gewissensentscheidung erkannt und die Tragik eines Gewissenskonfliktes innerhalb der Gesellschaft gesehen wird. Erst wenn der Richter sich bewußt wird, welches Gewicht ein Gewissenskonflikt hat, wird er, ganz gleich wie die Entscheidung letzten Endes ausfällt, dem Angeklagten gerecht. Deutlich erkennt Radbruch die Tragweite des Konflikts, wenn er schreibt: "Pflicht forderte vom Täter das Verbrechen, Pflicht fordert vom Richter die Bestrafung und vielleicht fordert sogar Pflicht, die für das aus der Pflicht begangene Verbrechen verwirkte Strafe auf sich zu nehmen 10 ." Ob das Grundgesetz wirklich nur die von Gustav Radbruch angedeutete Lösung zuläßt, ist zweifelhaft, aber wohl zu verneinen. Aber für seine Zeit hat Radbruch die Problematik in ihrer menschlichen Bedeutung deutlich gesehen. Ein Grund dafür, daß sich der Strafrechtspflege der Konflikt nicht in seiner ganzen menschlichen Tiefe stellt, scheint mir darin zu liegen, daß das Wesen einer Gewissensentscheidung verkannt wird. Sicherlich bleiben allgemeine dogmatische Fragen strafrechtlicher Art offen, wie die Bewertung des Nichtbefolgens des Einberufungsbefehls als bloßes Unterlassen (echte oder unechte Unterlassung?) und die sich daraus ergebenden Probleme des Andershandelnkönnens und der Zumutbarkeit, der notstandsgleiche Zwang der Gewissensentscheidung die Möglichkeit der rechtlichen Bewertung einer Gewissensentscheidung als richtig oder unrichtig, die Überwindbarkeit eines Verbotsirrtums und für den Fall des Verharrens bei der getroffenen Gewissensentscheidung die Unterscheidung zwischen Dauer- und Zustandsdelikts. Trotz der übereinstimmenden Ansicht der Oberlandesgerichte, die bereits Revisionen durch Beschluß als offensichtlich unbegründet verwerfen17, ist noch vieles ungeklärt. Diese Fragen sollen jedoch an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Hier geht es nur darum, den Gewissenstäter als strafrechtlichen Sondertyp herauszustellen. Daß die Eigenart des Gewissenstäters der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht deutlich geworden ist, kommt in den Urteilen des Oberlandesgerichts Bremen und des Oberlandesgerichts Hamm eindeutig zum Radbruch, Rechtsphilosophie, 5. Auft. (hrsg. von Erik Wolf), 1956, S. 183. Vgl. OLG Hamm, NJW 1965,777. In diesem Urteil handelt es sich nur noch um die Strafzumessungsrevision der Staatsanwaltschaft, nachdem die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet verworfen worden war. Einen anderen Fall stellt der Beschluß des OLG Stuttgart vom 19. 11. 1963 (1 Ss 751/63) dar. 18 17
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Ausdruckt8 . Auch die Diskussion im Sonderausschuß "Strafrecht" des Bundestages konnte zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt werden, weil auch dort nicht das Spezifische des Gewissenstäters herausgearbeitet worden ist. In unzulässiger Weise werden die Begriffe "Gewissenstäter und "überzeugungstäter" vermengt. Sicherlich ist der Gewissenstäter auch überzeugungstätertu. Er ist aber mehr und etwas wesentlich anderes. OLG Bremen macht dem überzeugungstäter zum Vorwurf, "daß er seine Gewissensentscheidung bewußt über diejenige der weitaus überwiegenden Mehrheit der Staatsbürger stellt und diese damit mißachtet". Dieser Satz offenbart, daß das Oberlandesgericht nicht die Besonderheit der Gewissensentscheidung gegenüber bloßer Überzeugungsgewinnung erkannt hat. Die Gewissensentscheidung wird sowohl in ihrer objektiven Grundlage als auch in ihrer subjektiven Bindung völlig mißkannt. Daß die achtenswerte Gewissensentscheidung von derjenigen der weitaus überwiegenden Mehrheit der Staatsbürger abhängig gemacht wird, bedeutet Auflösung der sittlichen Ordnung und zugleich Aufgabe der Persönlichkeit. Der Versuch des OLG, seine Auffassung durch den Hinweis auf BGH 2, 194 (208) zu stützen, geht fehl, weil auf der angezogenen Seite 208 nur vom überzeugungstäter die Rede ist. Die Stelle, die sich das OLG zu eigen macht, paßt auf den an sich sozial geordnet lebenden und sich den Mitmenschen verpflichtet fühlenden Gewissenstäter überhaupt nicht, wie schon der Folgesatz in der BGH-Entscheidung erkennen läßt, in dem die Rede vom "abgestumpften Gewohnheitsverbrecher" ist, der "durch strafbare Lebensführung die Ansprechbarkeit durch sittliche Werte und damit die Fähigkeit eingebüßt hat, durch Gewissensanspannung zur Unrechtskenntnis zu gelangen". Schon dieser Satz hätte das OLG zur Vorsicht mahnen sollen, ihn zur Stütze seiner Ansicht heranzuziehen. OLG Hamm spricht überhaupt nur noch vom Überzeugungstäter. Daß es durchaus verschiedene Gruppen gibt, kommt nur noch in der Mitteilung der Grunde des landgerichtlichen Urteils dadurch zum Ausdruck, daß von einem "echten" überzeugungstäter gesprochen wird. Das Problem des Gewissenstäters ist damit auch der äußeren Kennzeichnung nach aus dem Blickwinkel geruckt. Die Unterscheidung zwischen überzeugungstäter und Gewissenstäter ist auch nicht in den Sitzungen des Sonderausschusses "Strafrecht" (Deutscher Bundestag 4. Wahlperiode) vom 9. Oktober, 5. November und 12. November 1964 (26., 28. und 29. Sitzung S. 469 ff., 523 ff., 551) zum OLG Bremen, NJW 1963, 1932; OLG Hamm, NJW 1965, 777. Zum überzeugungstäter vgl. das reichhaltige Spezialschrifttum aus der Weimarer Zeit: Budzinski, Der überzeugungsverbrecher, 1931; Na.gler, Der überzeugungsverbrecher, GS 94 (1927), 48 ff.; Gustav Ra.dbruch, Der überzeugungsverbrecher, Z. 44 (1924), 34 ff.; ferner in seinem Referat auf dem 34. DJT (1926), Bd.2, 354 ff.; Erik Wolf, Verbrechen aus überzeugung, 1921. 18
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Ausdruck gekommen. So führte Schafheutle (S. 529) aus: "Die Funktion bei überzeugungstätern muß unter besonderen Aspekten betrachtet werden. Bei einer großen Zahl der überzeugungstäter entfällt für die Freiheitsstrafe die Funktion der Besserung und der Resozialisierung. Was soll bei einem überzeugungsäter, etwa einem Zeugen Jehovas, der den zivilen Ersatzdienst verweigert, die Aufgabe der Resozialisierung? Er ist davon überzeugt, daß er sich nach seinem Gewissen über das staatliche Gesetz hinwegsetzen muß und daß die Gesetze seiner Religion den Vorrang vor dem staatlichen Gesetz haben. Was bei solchen überzeugungstätern als Hauptfunktion der Freiheitsstrafe bleibt, ist die Aufgabe der Sicherung der Allgemeinheit und die Wahrung des für alle verbindlichen und gültigen Gesetzes. Die Allgemeinheit kann verlangen, daß sich nicht die individuelle Auffassung des einzelnen über das staatliche Gesetz hinwegsetzt ... " Von diesem Ausgangspunkt sind die notwendigen Unterscheidungen unterblieben. Das findet freilich seinen Grund auch darin, daß die Wissenschaft selbst weithin ebenfalls keine hinreichend klaren Trennungsstriche zieht20• Wie wenig das Problem des Gewissenstäters im Bewußtsein steht, ergibt sich daraus, daß Lehrbücher und Kommentare vielfach weder den Begriff des Gewissens und des Gewissenstäters im Sachregister bringen noch im Text näher erläuternli. Sofern der Begriff gebracht wird, bleibt es zweifelhaft, ob der Gewissensbegriff richtig erfaßt ist!l. Eine Behandlung des Begriffs des Gewissens und des Gewissenstäters im strafrechtlichen Schrifttum wäre nicht nur wegen des engen Zusammenhangs zwischen Strafrecht und Ethik, sondern auch schon deswegen zu erwarten, weil der Gewissensbegriff Begriff des positiven Rechts13 10 Ich kann mich selbst nicht von dem Versäumnis hinreichender Differenzierung freisprechen. In meiner "Kriminalpädagogik" (1960) bei der Erörterung des Vollzugs gegen überzeugungstäter (S. 304 ff.) wird zwar der Gewissenskonflikt ausdrücklich erwähnt (S. 306), aber dennoch nicht hinreichend zwischen dem Überzeugungstäter schlechthin und dem Gewissenstäter als zwei wesentlich verschiedenen Gruppen unterschieden. Wenn man aber in unmittelbare Berührung mit Gewissenstätern kommt, wird die Notwendigkeit einer Scheidung offenbar. Auch hier zeigt sich wiederum, wie erst von der Erfahrung des menschlichen Lebens sich Rechts- und Sachprobleme stellen und verdeutlichen. 11 Aus den Lehrbüchern der Weimarer Zeit vgl. LisztlSchmidt, 26. Aufl., S. 271 (eingehend), ferner nur streifend: Gerland, S. 281; von Hippel, Hanb. II, S. 3, Anm. 3; Mezger, S. 496; R. Schmidt, S. 56. Aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes: Baumann, 3. Aufl., S. 324; Maurach, 3. Aufl., S. 347; Sauer, Allg. Strafrechtslehre, S. 62, 260; ferner SchönkelSchröder, Kom., 12. Aufl., vor § 13, Rn. 70, § 88, 116. U Das Gewissensproblem behandeln insbesondere in ihren Lehrbüchern Hellmuth Mayer, S. 260, 267 und Welzel, 9. Aufl., S. 166; früher auch schon Max Ernst Mayer, S. 236, neuerdings vor allem Baumann, 4. Aufl., S. 31 f., 408 f., 416, 452. IS Art. 4, 12 II GG; Art. 121 Verf. Reinl.-Pfalz; Art. 9 I MenschR-Konv., § 51 11 GVG; § 79 II stPO, § 170 d StGB (geWissenlos), § 13 WEG (gewissenhaft).
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und der Rechtsanwendung 24 ist. Soweit der Begriff des Gewissens im rechtsphilosophischen Bereich25 und im philosophischen und religionswissenschaftlichen Bereich28 behandelt wird, finden derartige Erörterungen in der juristischen Praxis gar nicht oder nur unvollkommen Widerhall. Recht, Philosophie und Ethik sind völlig geschieden21 • Aber selbst Spezialmonographien aus juristischer Feder bleiben unbekannt!8. Vergessen scheint auch die großartige Debatte über die Gewissensfreiheit zu sein, die am 6. und 7. Juli 1956 im Deutschen Bundestag stattfand2t • Nur so ist es begreiflich, daß selbst der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Gewissensproblem nicht einmal mehr behandlungswürdig erscheint, wie Verwerfungen der Revision als offensichtlich unbegründet (§ 349 11 StPO) dartunso. II. Die Lösung des Gewissensproblems im Strafrecht kann nicht einfach nach den Vorstellungen früherer Zeiten (Bismarckreich, Weimarer Zeit) gefunden werden. Dazwischen liegen die Erfahrungen der NS-Zeit mit dem Gewissensterror, mit der ungenügenden Anspannung des Gewissens in weiten Bereichen und mit der Opferbereitschaft von Menschen U BGH (GS) 2, 194 (202) fordert vom Täter eine gehörige Gewissensanspannung. Später ist bedauerlicherweise der richtige Ansatzpunkt dadurch verflüchtigt, daß in den Begriff Erwägungen und Betrachtungen einbezogen worden sind, die mit dem Gewissensproblem nichts zu tun haben. Insofern richtig die Kritik bei SchönkelSchröder, 12. Aufl., zu § 59, Rn. 88. 25 Grundlegend Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961, insbesondere S. 123 f., 127 ff., 137 ff., 187, 197 ff. re Umfangreich ist das theologische Schrifttum: von evangelischer Seite: Thielicke, Theologische Ethik, 3 Bände, 1958-1964, insbes. I, Nr. 1441 ff., 11,2, Nr. 3647 ff.; Hans Schmidt, Was ist eigentlich das Gewissen?, Radius 1964, H.2, S. 4 ff.; StähIing in Fischer-Lexikon, Christliche Religion, Art. Gewissen, 1961; von katholischer Seite seien etwa genannt: MausbachlErmecke, Moraltheologie, 3 Bde., 8. bzw. 10. Aufl., 1953-1961; Häring, Das Gesetz Christi, 7. Aufl., 3 Bde., 1963; Tillmann, Handb. der kath. Sittenlehre, Bd. 111, 4. Aufl., 1953, ferner SimmeI in dem angeführten Fischer-Lexikon; Stelzenberger, Syneidesis Conscientia, Gewissen, 1963. !7 Die entgegengesetzten Meinungen sind übersichtlich bei Baumann, S. 324, angeführt. 28 Vgl. vor allem Willi Geiger, Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus, Grundfragen des Rechts, 1963; Heinrich J. Scholler, Die Freiheit des Gewissens 1958, Das Gewissen als Gestalt der Freiheit 1962; Kar! Brinkmann, Grundrecht und Gewissen im Grundgesetz 1965; schon früher Hans WelzeI, Vom irrenden Gewissen, 1949; zum GewiJssensproblem vgl. vor allem weiterhin Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 1961 und Eberhard Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, 1958. 28 159. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages, Drucksachen, S. 8759 ff., vor allem sind die Ausführungen der Abgeordneten Arndt (SPD) und Nellen (damals CDU) hervorzuheben. so OLG Stuttgart, Beschl. v. 19. 11. 1963 (1 Ss 751/63); OLG Hamm NJW
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Willi Geiger, a.a.O., S. 67 f.
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aus allen religiösen, politischen und sozialen Schichten. Die Vergangenheit hat gelehrt, daß die objektive Ordnung nicht von der individuellen Verantwortlichkeit befreit. In dieser menschlichen Konfliktsituation hat das Grundgesetz in Art. 4 sich zur Gewissensfreiheit bekannt. Nur aus der Not der damaligen Zeit kann diese Gewissensfreiheit richtig verstanden und für unser geltendes Recht deutlich gemacht werden. Daß der Staat sich damit eine Beschränkung auferlegt und ethischen Grundsätzen unterworfen hat, läßt die Präambel erkennen, wenn sie betont, daß das Deutsche Volk "im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" sich eine neue Ordnung gegeben hat. Das bedeutet im Hinblick auf das Gewissensproblem, daß der Staat gehalten ist, die sich aus der Anerkennung Gottes ergebenden sozialethischen und individualethischen Verpflichtungen hinzunehmen. Als alle Bürger schützende Grundordnung geht das Grundgesetz selbstverständlich über die religiöse Grundeinsicht hinaus und schützt die Freiheitssphäre auch der außerhalb des religiösen Bereichs stehenden Bürger. Dennoch ist es bedeutsam, den Grundsatz richtig zu bestimmen. Dies sollte in allem Ernst erkannt und praktiziert werden. Willi Geiger hat recht, wenn er aus dem Grundgesetz den Anspruch des Bürgers gegen den Staat herleitet, jeglichen hoheitlichen Eingriff in die Freiheitssphäre des einzelnen zu unterlassen, soweit sie nötig ist, damit der Mensch sich seinem Gewissen entsprechend betätigen kann. "Der Gesetzgebung, der Regierung, der Verwaltung wird also durch diesen gegen den Staat gerichteten negatorischen Anspruch generell eine Schranke gesetzt: Keine staatliche Gewalt kann das Gewissen reglementieren; kein Verwaltungs akt, keine staatliche Anordnung, kein Gesetz, das die Gewissensentscheidung eines Menschen als solche - mag sie den staatlichen Organen noch so unbequem, abwegig oder politisch gefährlich erscheinen -, verbietet, pönalisiert oder unterdrückt, ist von Rechts wegen zulässig, rechtmäßig oder verbindlich31 ." Das heutige Recht löst den Konfliktsfall zugunsten der Gewissensfreiheit3! . Das Grundgesetz mit seinem Hinweis auf die Verantwortung vor Gott kann sich nicht in Widerspruch zu den religiösen und ethischen Anforderungen an den Einzelnen setzen. Es ist einhellige Auffassung sowohl bei den evangelischen als auch katholischen Theologen, daß der Mensch verpflichtet ist, seinem Gewissen zu folgen. Das gilt selbst für den Fall, daß sein Gewissen irrig ist 33 • Sogar gegen das irrige Gewissen darf der Mensch nicht handeln. So schreibt Linsemann: "Ein jeder hat nach seinem guten Glauben, auch wenn er evtl. ein irriger ist, zu handeln und Willi Geiger, a.a.Ofl. S. 72. Ein irrendes Gewissen kann es für den geben, der das Gewissen auf eine objektive Wertordnung bezieht. Darüber später. Aus dem juristischen Bereich: Welzel, Vom irrenden Gewissen, Recht und Staat, Heft 145, 1949. Th. Würtenberger, Vom rechtschaffenen Gewissen, Erik Wolf-Festschrift, S. 337 ff. 3J 33
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würde sündigen, wenn er gegen seinen guten Glauben (gegen sein Gewissen) handelte; denn niemals darf man gegen sein Gewissen handeln34 ." Bei Häring wird ausgeführt, daß selbst das irrende Gewissen verpflichte35 . Simmel schreibt: "Jeder Mensch hat das Recht, nicht gegen sein Gewissen zum Handeln gezwungen zu werden. Das versteht man unter Gewissensfreiheit. Um diese innere Freiheit des Menschen wahren zu können, müssen auch gewisse äußere Freiheiten gegeben sein, die jedoch nach Zeit und Umständen verschieden groß sein können. Mit der Gewissensfreiheit ist notwendig der Gewissenskonflikt gegeben, dann nämlich, wenn das irrende Gewissen eines Menschen im Widerspruch zu den Rechten anderer Menschen steht. Hier ist die öffentliche Gewalt berechtigt, den von seinem irrigen Gewissensurteil geleiteten Menschen an der Ausübung seiner Tat zu hindern. Sie darf ihn jedoch nicht zwingen, gegen sein Gewissensurteil zu handeln38 ." Das Gewissen hat eben einen unbedingten Wert und voll verpflichtende Kraft37 . Nach Mausbach-Ermecke gilt das jedenfalls für das unüberwindlich irrige Gewissen3S . Die sittliche Verpflichtung des Gewissens ist keinswegs erst neue Erkenntnis katholischer Morallehre, wenn im Kampf zur Wahrung der Glaubens- und Sittenlehre geschichtlich auch Verdunkelungen vorgekommen sein mögen39 . Thielicke sieht in dem Gewissen "so etwas wie Reichsunmittelbarkeit zu Gott: Weml mein Gewissen an Gott gebunden ist, darf niemand und nichts dieses Gewissen und damit mich selbst in Beschlag nehmen"40. Thielicke erkennt folgerichtig an, daß "das Gewissen auch dazu zwingen kann, sofort und unmittelbar, also in actu zu widerstehen, wenn ich durch staatliche Anordnungen in Vorgänge verwickelt werde, an denen teilzunehmen mir das Gewissen verbietet" 41 . Bei Stählin heißt es: "Es muß sich keiner in seiner Freiheit richten lassen durch ein fremdes Gewissen (1 Kor. 10, 29), jeder steht oder fällt seinem Herrn 42 ." So bleibt der sittlich zwingende Anspruch auf die Befolgung des Gewissens. Selbst wenn das Gewissen irrt, dauert diese Forderung an, freilich befreit sie nicht von der Verpflichtung zur überprüfung und Bereitschaft, sich neu zu entscheidenu. Jedoch bleibt der Akt notwendige 3C
3S
Linsemann, Lehrbuch der Moraltheologie, 1878, S. 90 f. Häring, Das Gesetz Christi I (1963), S. 199 ff., ebenso Stelzenberger, Mo-
raltheologie 2, 1965, S. 105. 38 Simmel, Christliche Religion (Fischer-Lexikon) 1961, S. 92 ff. 37 Tillmann, Handbuch der katholischen Sittenlehre IU (1953), S. 163. ~8 Mausbach-Ermecke, Katholische Moraltheologie I, 8. Aufl. (1954), S. 168 ff. 3t Vgl. dazu Stählin, Christliche Religion, S. 91. 40 Thielicke, Theologische Ethik UI (1964), S. 50. 41 Thielicke, a.a.O., Bd. U, 2 (1958), S. 654. CI Stählin, a.a.O., S. 90. 43 Häring, a.a.O., I, S. 201, schreibt: "Obwohl ein schuldbar irriger Gewissensspruch berichtigt werden kann und muß, so bleibt er doch zunächst, solange er vorhanden ist, verpflichtend."
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Gewissenshandlung, sofern er nur ernsthafter den Fähigkeiten und Umständen möglicher Prüfung entspringt. Gegen das Gewissen handeln, bedeutet im christlichen Bereich Sünde, Trennung von Gott und damit Personalverlust. So sehr das Gewissen im christlichen Bereich den Gott-Mensch-Bezug berührt, ist es doch ein allgemein menschliches Phänomen, das über den religiösen Bereich hinausragt und den Menschen schlechthin in seiner Substanz trifft. Daraus ergibt sich die Tragweite gewissenswidrigen Verhaltens für den Menschen als solchen und für den Menschen im sozialen Bereich. Für den gesellschaftlichen Raum heißt es im Godesberger Grundsatzprogramm der SPD vom 13./15. November 1959: "Das Leben des Menschen, seine Würde und sein Gewissen sind dem Staat vorgegeben". " Stellt man die Gewissensfreiheit in Verbindung einerseits mit dem Bekenntnis der Präambel, andererseits mit der in Art. 1 GG anerkannten Unantastbarkeit der Menschenwürde, so kann eine Lösung des Konfliktfalles nicht im Sinn einer selbstverständlichen Bejahung der Strafbarkeit von Gewissenhandlungen hingenommen werden. § 48 MilStGB vom 20. Juni 1872 konnte noch bestimmen: "Die Strafbarkeit einer Handlung oder Unterlassung ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Täter nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion sein Verhalten für geboten erachtet hat." Diese Vorschrift brachte einen Gedanken zum Ausdruck, der der früheren Lehre allgemein als selbstverständlich galt4s. Er ist der Ausdruck einer selbstbewußten gesicherten Staatsethik, die jedoch übersieht, daß auch der intakte Staat Maßnahmen ergreifen kann, die von gesellschaftstreuen und rechtsoffenen Bürgern nicht unbedingt und generell als sittlich einwandfrei gewertet werden können. Gegenüber der früheren Auffassung bedeutet das Grundgesetz einen grundsätzlichen Wandel. Der Ursprung des Grundgesetzes aus der christlich-abendländischen Grundhaltung und der politischen Auffassung, dem Nationalsozialismus eine sittliche Haltung eindeutig entgegenzusetzen, erklären das Bekenntnis zu Gott und Menschenwürde, zu Persönlichkeit und Freiheit, zu einer Rechts- und Staatsform, die sich auf dem Verantwortungsbewußtsein ihrer Staatsbürger aufbaut, die die damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Gefährdungen in Kauf nimmt, weil sie sich der viel größeren Unzuträglichkeiten und Gefahren bewußt ist, die mit der Mißachtung und der Zerstörung der menschlichen Grundwerle verbunden sind. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes offenbart, daß es seinen Schöpfern darauf ankam, ein sittlich gegründetes Recht zu Grundsatzprogramm, S. 10. Vgl. Ernst Mayer, Strafrecht, 2. Aufl., S. 236 unter Hinweis auf § 48 MStGB. U
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schaffen und eine Verknüpfung sittlicher und rechtlicher Werte herbeizuführen. Es kann daher nicht angenommen werden, daß es den Gewissenskonflikt ins Strafrecht als Gegenstand der Bestrafung einbezieht, daß es das Srafrecht als Waffe zum Zwang der Begehung der Sünde und der Herbeiführung des Personalverlustes und der Personalzersetzung gehandhabt wissen will". Sicherlich sind die Einwände gegen die grundsätzliche Achtung der Gewissensentscheidung und das Straffreilassen der aus ihr hervorgegangenen Verletzungen strafrechtlicher Tatbestände ernst zu nehmen und sorgfältig abzuwägen. Es ist vor allem der Einwand der Gefährdung von Staatssicherheit und Rechtsordnung zu prüfen. Dieser Einwand verliert an Gewicht, wenn man sich Klarheit darüber verschafft, was eine Gewissensentscheidung ist, wo sie ihre Grenzen hat, wie die Feststellung ihrer Echtheit sich vollzieht und was infolge der sittlich verpflichtenden Kraft von dem Gewissenstäter an Opfern erwartet werden kann. Gerade weil über diese Gesichtspunkte Unklarheit herrscht, kommt es zu den unbefriedigenden strafrechtlichen Lösungen47 • 1. Die Gewissensentscheidung 48 erfolgt aus einer objektiven Wertordnung, deren Verständnis die Entscheidung über Gut und Böse der Handlung herbeiführt 48 • Es ist ein grundlegender Irrtum zu glauben, 48 Dieser Zwang wird um so deutlicher, je öfter die Strafandrohung gegen eine Gewissensentscheidung wiederholt wird. Darin liegt eine Sonderproblematik bei den Zweit- und gar Drittverfahren wegen Wehrersatzdienstverweigerung, die damit beginnen, daß der noch wegen der ersten Bestrafung einsitzende Verurteilte die erneute Aufforderung zum Dienstantritt unter Androhung eines neuen Strafverfahrens erhält. 47 Es ist selbstverständlich nicht möglich, auf die Geschichte des Gewissensbegriffes (hierzu Stelzenberger, Syneidesis Conscienta Gewissen 1963) und die vielfach vertretenen Ansichten allgemein oder gar in den Einzelheiten einzugehen. Es kann nur darauf ankommen, eine tragfähige Grundlage für die strafrechtliche Beurteilung darzutun. Es geht vor allem darum, die Bedeutung der Gewissensentscheidung innerhalb des Konflikts der Gewissensauffassung mit dem Gesetz darzustellen. Es handelt sich also um das forum externum. Weit verwickelter kann das Problem im Verhältnis Mensch-Gott liegen. So sehr die Entscheidung nach außen hin tragfähig erscheint, kann sie doch angesichts des Ganz-anders-sein Gottes, der menschlichen Ratlosigkeit ihm gegenüber und der Ungewißheit und Vorläufigkeit des menschlichen Denkens vor Gott, immer noch im Ungewissen und Zweifel stehen. Das berührt aber nicht die Tragkraft der Entscheidung, die der Mensch in seiner Verantwortlichkeit dem Recht gegenüber gewonnen hat. fS Für den Rechtsbereich ist maßgeblich die Deflnition des BVerfG (Beschl. v. 20. 12. 1960) NJW 1961, 355 (357): "Als Gewissensentscheidung ist somit jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von "gut" und "böse" orientierte Entscheidung anzusehen, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte." U VgI. dazu Würtenberger, Vom rechtschaffenen Gewissen, Erik WolfFestschrift, S. 339 H., Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 138 f. hebt unter den überzeugungstätern richtig den Fall des wirklichen oder vermeintlichen Widerspruchs zwischen der gesetzlichen und übergesetzlichen Ordnung
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daß der Gewissenstäter willkürlich nach rein persönlichen Maßstäben seine Entscheidung trifft60 • Der Gewissenstäter hat sich im Gegenteil einer über ihm stehenden Ordnung unterstellt. Er handelt aus der Bindung an diese Ordnung. Seine persönliche Leistung liegt darin, daß er diese ihm vorgegebene Ordnung zu verstehen und unter den jeweiligen vielfach undurchsichtigen Sachgegebenheiten die ihr entsprechende Lösung zu finden sucht. Der Weg zur Gewissensentscheidung ist um so verwickelter, weil der Einzelne gerade zur Vermeidung des Subjektivismus und der personalen überbetonung die Äußerung von Autoritäten und anderer innerhalb der Lebensgemeinschaft wirkender Menschen zur Bildung seines Urteils berücksichtigen wird. Jedoch wird niemand dadurch von der Verantwortlichkeit als Einzelner befreit. Das gilt für den Gesamtbereich der Gewissensentscheidungen und für den Bereich aller christlichen Kirchen und Gemeinschaften, insbesondere auch bei der Anerkennung aller Autorität des Lehr- und Hirtenamts für den katholischen Christen51 • Insofern steckt in jeder Gewissensentscheidung ein wesentliches Stück Einzelentschließung. Diese Einzelentschließung ist aber jeweils auf die allgemeine Ordnung und deren Schöpfer und Träger, Gott, zurückbezogen. Im religiösen, insbesondere im christlichen Bereich - gleichgültig welchen Bekenntnisses und welcher Gemeinschaft - ist die Gewissensentscheidung eine Entscheidung vor Gott. Das Unterlassen einer Gewissensentseidung, wo es ihrer bedurft hätte, bedeutet im religiösen Bereich ein Sichentziehen vor Gott. Das Handeln gegen eine Gewissensentscheidung bedeutet eine Ablösung vor Gott, ein Sich-wider-Gott-Stellen und, da das religiöse Sein aus Gott fließt, einen Substanzverlust der Persönlichkeit sowie Gefährdung des ewigen Lebens. Im nicht religiösen Bereich schließt sich die Gewissensentscheidung einer humanen Ordnung über Gut und Böse an, die für den Entscheidenden drängend und maßgeblich ist. Die Nichtberücksichtigung dieser Ordnung läßt diesen Menschen vor sich und den anderen, vor der für ihn gedachten höchsten sittlichen Instanz als in seiner Menschenwürde versagende Persönlichkeit empfinden. Damit tritt auch hier ein Substanzverlust der Persönlichkeit ein. hervor und gründet damit die Haltung des Gewissenstäters ebenfalls auf eine Ordnung. Ganz deutlich kommt das Verhältnis von Gewissen und objektiver Ordnung auch bei Messner, Das Naturrecht (1950), S. 69, zum Ausdruck. Vgl. auch Wetzet, Vom irrenden Gewissen, Recht und Staat, Heft 145, 1949. 60 Einseitig subjektiv sieht Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 132, das Gewissen. Daraus folgt die rechtliche Unerheblichkeit der überzeugung (§ 140 unter e). 51 So erklärt Thomas (vgl. S. 12, 1 H, qu. 19 a 5): "Wenn jemand den Glauben an Christus oder die Kirche bekennt, obwohl er sich die Ansicht gebildet hat, dies sei schlecht, so sündigt er gegen sein Gewissen." Das bedeutet zunächst freilich nur die Notwendigkeit ernsthafter Gewissensüberprüfung. Zu den hier berührten Problemen Häring, a.a.O., I, S. 200.
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Da die Gewissensentscheidung objektiv gegründet ist, hat sie notwendigerweise trotz ihrer Subjektivität die Tendenz zur Objektivierung. Wer eine Gewissensentscheidung trifft, wer sein Handeln um der objektiven Ordnung willen für sittlich geboten hält, sieht es trotz entgegen stehendem Gesetzeswortlaut als objektiv richtig an und muß daher wünschen, daß seine Entscheidung auch die der anderen wird. Diese der Gewissensentscheidung innewohnende Tendenz berechtigt selbstverständlich sie nun ihrerseits nicht zur Zwangsanwendung, da sie nur dann bestehen kann, wenn auch sie die Gewissensentscheidung des anderen, selbst wenn sie entgegengesetzt ausfallen mag, achtet. Die der Gewissensentscheidung innewohende Tendenz zum Wirken kommt in dem Begriff des Zeugnisses zum Ausdruck. Das Zeugnis verlangt Offenbarmachen, Ehrlichkeit und Opferbereitschaft. Vom Gewissenstäter her gesehen ist die Bereitschaft zur übernahme der Gefängnisstrafe ein solches Zeugnis. Das bedeutet aber nicht, daß die strafende Gesellschaft sich damit beruhigen könne, daß die Gewissensentscheidung mit der Bestrafung eine ihr entsprechende Antwort erhalten habe. Vielmehr steht die Gesellschaft wiederum um ihrer Würde vor der Frage, ob ihr eine solche Behandlung zusteht. Objektive Ordnung als Grundlage der Entscheidung über Gut und Böse, Tendenz zur Verallgemeinerung der Gewissensentscheidung und offenes Zeugnis für die Gewissensentscheidung sind im Sozialbereich drei bestimmende Merkmale. Die Gefahr des personalen Substanzverlustes, sei es in der Lösung des Gott-Mensch-Bezuges, sei es in dem Verlust der Selbst- und Gesellschaftsachtung, geben der Gewissensentscheidung einen sittlich zwingenden Charakter52• Die Ablehnung der Tötung des Kindes im Mutterleib beruht auf der Offenbarung und dem in der Tradition fortgebildeten naturrechtlichen Denken. Die Wehrersatzdienstverweigerung gründet sich auf das in der christlichen Sittenordnung niedergelegte, aus der Heiligen Schrift erkennbare Verbot der Tötung von Menschen und damit des Krieges sowie auf das Gebot des Friedens, den Anspruch Gottes auf den unverkürzten Dienst des Menschen für ihn und das Gebot und der Missionierung der Welt. Die Problematik der Entscheidung liegt darin, daß der Wehrersatzdienst nicht unmittelbar mit dem Krieg und der Menschenvernichtung im Zusammenhang steht. Umgekehrt wurzelt er in der Wehrpflicht und stellt vor besondere Pflicht im Fall der Verteidigung (§ 37 I WEG), die den Krieg umfaßt. So ergibt sich das Problem der Cooperatio. Die Entscheidung kann von den allgemein anerkannten Grundlagen aus nur durch weitere Ableitungen unter Abwägung mög52 "Sie (die Gewissensentscheidung) schließt bei einem innerlich sauberen, glaubhaften jungen Menschen den inneren sittlich verpflichtenden Zwang zu entsprechendem Handeln ein." (BVerwG NJW 1962, 756.)
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licherweise entgegengesetzter Normen gefunden werden. Das Ergebnis wird damit ungewisser. Jedoch hindert das nicht, daß in dieser Ungewißheit eine Entscheidung getroffen wird, die der Entscheidende unmittelbar vor Gott zu vertreten hat oder vertreten zu haben glaubt. Ebenso steht die Frage der Begrenzung des Dienstes für Gott und der Missionstätigkeit durch eine staatlich eingerichtete, die Bewegungs- und Betätigungsfreiheit einschränkende Organisation zur Diskussion. Ob die getroffene Entscheidung offensichtlich nachvollziehbar oder kaum verstehbar, überwiegend anerkannt oder abgelehnt wird, hat mit der Natur der Gewissensentscheidung nichts zu tun. Derjenige, der sich positiv oder negativ entscheidet, hat auch die Auffassung, daß seine Entscheidung verobjektivierbar sei und allgemeine Anerkennung verdiene. Bei der Frage des Wehrersatzdienstes ergibt sich die eine Position aus der gesetzlichen Regelung und aus dem unerbittlichen Bestehen auf der Anwendung des Strafgesetzes. Ebenso sehr halten aber auch die Wehrdienstverweigerer ihren Standpunkt nicht nur für sich als Einzelperson für verpflichtend, sondern jedenfalls als Forderung nach Unterlassen eines Zwanges für allgemein verbindlich. Die Bereitschaft zum Opfer ergibt sich daraus, daß die Wehrdienstverweigerer bereit sind, sich zu Freiheitsstrafen verurteilen zu lassen und soziale Nachteile auf sich zu nehmen, wenn sie das auch nicht als gerecht empfinden. Handelt es sich bei der Ablehnung der Schwangerschaftsunterbrechung oder bei der Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen um eine Gewissensentscheidung, so werden doch manche Vorgänge zu früh und voreilig diesem Begriff unterstellt. Nur um eine gewonnene überzeugung handelt es sich dort, wo es nicht um "Gut" oder "Böse", sondern richtig oder unrichtig, zweckmäßig oder unzweckmäßig geht. Soll eine Entscheidung über Richtigkeit und Zweckmäßigkeit getroffen werden, so handelt es sich um eine Entscheidung rein sachlicher Art. Auch sie kann von großer Bedeutung sein. Aber sie trifft nicht den ethischen Bereich53 • Hierunter fallen in aller Regel auch kriminalpolitische Entscheidungen. Erst dort, wo kriminalpolitische Entscheidungen die Wirkung haben, daß sie menschliche Werte zerstören oder mit der Menschenwürde nicht vereinbar sind oder gegen göttliches Recht verstoßen, kann die Stellungnahme zu einer Gewissensentscheidung werden. Da meist vielerlei Argumente, insbesondere auch das Gewicht des Guten und Bösen abzuwägen ist, kann die Entscheidung nicht allgemein einheitlich sein, wohl aber kann sie zu einer Gewissensentscheidung 11 Bedauerlicherweise hat die Rechtsprechung selbst dazu beigetragen, die Lehre vom Verbotsirrtum und der damit verbundenen Gewissensanspannung dadurch aufzulösen, daß sie auch solche Fälle einbezog, in denen ein ethisches Urteil über "Gut" und "Böse" überhaupt nicht in Frage steht und somit von einer Gewissensbetätigung keine Rede sein kann. Eine solche Entwicklung beweist mangelndes Verständnis für grundlegende ethische Begriffe in der Rechtspraxis.
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werden. Es stellt daher ein arges Mißverständnis dar, wenn Eberh. Schmidt in der oben zitierten Stelle meint, daß allen politischen, sozialen und religiösen Meinungen das Tor geöffnet würde. Politische und soziale Meinungen berühren weithin nicht das Gewissen, sondern sind Angelegenheit bloßer überzeugung. Aber auch soweit sie an sich geeignet wären, den Gewissensbereich zu berühren, kann doch die Stellungnahme, selbst die religiöse, derart sein, daß sie zwar in meine überzeugung eingeht, daß es mir aber mein Gewissen freistellt, inwieweit ich im gesellschaftlichen und staatlichen Bereich gewissensmäßige Folgerungen herleiten muß. Wie ich von meiner überzeugung Falsches und Unzweckmäßiges hinzunehmen vermag, ohne mir etwas zu vergeben, so kann ich selbst im ethischen Bereich mich unter Umständen zum Stillhalten entscheiden, um ein höheres Maß an Bösem zu vermeiden oder um die Gesamtordnung zu erhalten. Das bedeutet, wenn es auf Grund sorgsamer Abwägung geschieht, weder Sünde noch personaler Substanzverlust. Ob sich freilich der Einzelne zum Hinnehmen oder zur Wahrung seiner Entscheidung entscheidet, kann er nur aus seiner Gott-Mensch-Beziehung und seiner Verpflichtung vor Gott und sich selbst entscheiden. Es engt sich damit die Gewissensentscheidung gegenüber der überzeugung oder dem bloßen Für-richtig-Halten wesentlich ein. Hauptbeispiel bloßer überzeugung ist die politische Meinung. Nur ausnahmsweise wird sie zu einer Entscheidung über Gut und Böse54 • Ein Beispiel für ein bloßes "Für-richtig-Halten" bringt Hellmuth Mayer 55 • Es wird von ihm zu Unrecht in den Gewissensbereich gezogen. Es handelt sich um die ernst überlegte Entscheidung, zugunsten der geliebten Frau einen Meineid zu leisten. Hier liegt eine Gewissensentscheidung nicht vor, weil die Entscheidung nicht aus der objektiven Ordnung, sondern aus der konkreten persönlichen Situation gewonnen ist, weil sie auch nicht die Tendenz der Allgemeingültigkeit ("Meineid im Fall des Geliebten" als ethische Grundregel) und weil sie nicht auf Offenkundigkeit drängt, im Gegenteil auf Verheimlichung in der Rechtsgemeinschaft gerichtet ist. Wie sehr die Grenzen erreicht werden, ergibt eine Abwandlung des Beispiels: Meineid zur Errettung unschuldig Verfolgter in einem Unrechtsstaate. Die Verfolgung und Tötung Unschuldiger ist ethisch böse. Mit diesem Bösen verknüpft sich der Aussagende, wenn er die Wahrheit sagt. Dem den Eid abfordernden Staat steht, falls er eindeutig das Unrecht verfolgt und er gegenüber den ethischen Anforderungen gleichgültig ist, kein Recht auf Entgegennahme der eidlichen 54 Thielicke weist in seiner Theologischen Ethik II, 2 Nr. 3812 auf die Regelung des Rechtes der Kriegsdienstverweigerung in den einzelnen Staaten hin. Bemerkenswert ist, daß kein einziger Staat Weigerungsgründe zuläßt, die politischer Art sind (Nr. 3813). 55 Hellmuth Mayer, Strafrecht (1953), S. 260.
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Aussage ZU 56 • Es ist eine echte Gewissensentscheidung, wenn ich in der ethischen Auseinandersetzung vor der höchsten Instanz, für den Christen vor Gott, mich zu dieser oder jener Lösung entscheide. 2. Die Gewissensentscheidung beruht auf der Freiheit des Menschen als verantwortliches, als gottgebundenes oder als sich und dem Mitmenschen verpflichtetes Wesen. Sie findet ihre Begrenzung daher dort, wo ihr der andere entgegentritt, der den gleichen Anspruch auf Freiheit hat. Das bedeutet, daß die Gewissensfreiheit nicht auf Kosten des freien Mitmenschen gehen kann. Der aus dem Gewissensbereich Handelnde kann nicht in den Gewissensbereich des anderen eindringen, indem er sich etwa über dessen Entscheidung hinwegsetzt oder ihn gar aus dem Leben bringt. So kann derjenige, der den Wehrersatzdienst verweigert oder wer aus religiösen Gründen eine Bluttransfusion ablehnt, nicht denjengen angreifen, der den Wehrdienst erzwingen will oder die wegen Wehrersatzdienstverweigerung ausgeworfene Strafe vollstreckt oder die Bluttranfusion zwangsweise vornimmt. Auch derjenige, der diese Handlungen vornimmt, steht unter seiner Freiheit und möglicherweise unter seiner Gewissensentscheidung. Freiheit und Gewissenhaftigkeit sind zu vermutende Eigenschaften des einzelnen Menschen, solange er sich grundsiitzlich dazu bekennt. Daraus folgt, daß das Schwergewicht der Gewissenshandlungen beim Unterlassen liegt. Der Kernfall ist der, daß der Gewissenstäter einem Befehl oder einer Anordnung nicht nachkommt, weil das geforderte Handeln für ihn aus Gewissensgründen unerträglich ist57 • Jedoch kann die Gewissenshandlung nicht nur auf passives Verhalten beschränkt werden. Zulässige Fälle von positiven Handlungen aus Gewissensgründen würden vorliegen, wenn die positive Handlung entweder die Existenz des anderen und seine Freiheit nicht beruhrtS8 oder, wenn zwar Existenz und Freiheit berührt werden, aber der andere seine Existenz durch das Sichverschreiben an das Böse und durch Aufgeben jeglicher ~8 Ist der Eid ein Akt der Gottesverehrung vgl. Häring, a.a.O., II, S. 263 - , so stellt sich die Frage, ob trotz des Wortlautes ein Eid im religiösen Sinn vorliegt, wo die Aussageperson von einem Organ eines gottablehnenden Staates zu einer auf Gott bekräftigenden Aussage gezwungen wird, um ein Unrecht zu ermöglichen. Zum Eid vgl. meinen Art. im Staatslexikon, 6. Auft.
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n Richtig wird das von Geiger, a.a.O., S. 73, gesehen; vgl. auch Simmel, a.a.O., S. 94. Die grundlegende Besonderheit der Unterlassungshandlung wird vielfach übersehen, was häufig schon darin zum Ausdruck kommt, daß unterscheidungslos Unterlassungen und positive Handlungen als Beispiele von Gewissensentscheidungen angeführt werden. &8 Die Einengung positiven Handeins ergibt sich aus der im vorhergehenden Absatz dargestellten Sozialverbundenheit freier, dem Gewissen unterworfener und zugetaner Menschen. ReligiÖS bedeutet das, daß auch die Gewissenshandlung an die Liebe gebunden ist. So Horst Schmidt, Was ist eigentlich Gewissen, Radius 1964, H. 2, S. 8. Grundsätzlich zur Beziehung von Gerechtigkeit, Recht und Liebe meine Kriminalpädagogik, S. 141 ff.
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Gewissenshaltung selbst preisgegeben hat. Eine solche Extremhaltung kann nur bei einem völlig dem Unrecht hingegebenen und völlig vom Sittlichen losgelösten Staat ausnahmsweise angenommen werden. Damit ist nicht gesagt, daß das Gewissen zum positiven Handeln treiben muß5V. Das ist die Lage der Widerstandskämpfer des 20. Juli. Die mit dem 20. Juli verbundenen Handlungen berühren nicht nur das Problem des Widerstandsrechts60 , sondern auch das der Gewissensentscheidung. Jedoch erschwert sich das Problem der Gewissensentscheidung, wenn es in die Ausnahmesituation des positiven Tuns verschoben wird. Die heute in der Gerichtspraxis akuten Fälle und die Problematik des richterlichen Gewissens betreffen vornehmlich die Achtung vor dem die Mitwirkung versagenden Handelnden. 3. Eine Bedrohung der staatlichen Interessen wird in der Schwierigkeit der Feststellung der Gewissensentscheidung gesehen. Es ist ganz eindeutig, daß der Staat, dessen gesetzgebende oder rechtsprechende Organe im Bemühen um das Recht und im Bewußtsein persönlicher Verantwortlichkeit Rechtssätze formuliert haben 61, sich gegen vorgeschobene Gewissensentscheidungen zur Wehr setzen darf und muß. Es ist sein Recht und seine Pflicht, den eindeutigen Erweis einer Gewissensentscheidung zu verlangen. Eine Vermutung der Ehrlichkeit des sich auf sein Gewissen Berufenden kann es nicht geben, weil sonst der Unwahrhaftigkeit Tür und Tor geöffnet sind82 • Mit Recht wird die Gewissens entscheidung bei Verweigerung des Wehrdienstes in einem formellen Verfahren nachgeprüft. Mit Recht bedienen sich die Gerichte bestimmter Maßstäbe bei der Bejahung der Gewissensentscheidung zum Wehrersatzdienst. Eindeutig liegt die Gewissensentscheidung bei den Angehörigen von Sekten, deren Auffassungen bekannt sind und deren hohe religiöse Anforderungen die ständige Kontrolle über ihre Mitglieder sowie ihr Verhältnis zur Gesellschaft die Gewähr dafür bieten, daß nicht jemand sich die Zugehörigkeit erschlichen hat, um die Gewissensentscheidung vorzutäuschen. Schwieriger, aber nicht unmöglich, ist die überprüfungsmöglichkeit bei Angehörigen der großen Kirchen, sofern diese in ihrer Sittenlehre keinen unmittelbaren Grund für die getroffene Entscheidung geben 63 • Selbst wenn Einzelne sich zu einer 19 Die Entscheidung, aus Gewissensgründen keinerlei Tötungen von Menschen vorzunehmen, unter allen Umständen, auch in Fällen ungerechter Herrschaft das Leben als Geschenk Gottes und der Herrschaft Gottes unterstellt anzusehen, liegt durchaus nahe. 80 Geiger, a.a.O., S. 73, will die Vorgänge des 20. Juli vorwiegend vom Widerstandsrecht her gelöst sehen. 81 Wie etwa in § 37 WEG oder zur Schwangerschaftsunterbrechung. 8! Die sich aus der Gefahr des Mißbrauchs ergebende Situation des Staates wird eingehend von Thielicke, Theologische Ethik II,:Z Nr. 3739 ff., behandelt. 83 Einen solchen Grund gibt die katholische Sittenlehre etwa im Hinblick auf die Ehescheidung und die Schwangerschaftsunterbrechung.
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Entscheidung entschließen, die mit der allgemeinen Auffassung innerhalb der Kirche nicht übereinstimmt, kann eine echte Gewissensentscheidung vorliegen. Je umstrittener die sittliche Erlaubtheit eines Vorgangs ist, um so näher liegt die Annahme echter Gewissensentscheidung". Ob der Beweis der Gewissensentscheidung erbracht ist, unterliegt der pflichtgemäßen Überzeugung der anhörungsbereiten Behörde oder des Gerichtsss . 4. Wer eine Gewissensentscheidung fällt, ist - anders ist die Entwicklung der Nachkriegszeit nicht zu verstehen - gemäß Art. 4 GG frei vom staatlichen Zwang zum Handelnmüssen und frei von Sanktionen. Der Gewissenstäter handelt im Sinn seiner persönlichen Verpflichtung, des von der Verfassung eingeräumten Persönlichkeitsrechts und damit innerhalb der für die Bundesrepublik maßgeblichen Sozialordnung. Wer die aufgezeigten Grenzen bei seiner Gewissenshandlung einhält, handelt dem Recht gemäßes. Wie sehr man auch über die dogmatische Einordnung der Gewissenshandlung streiten mag, auf jeden Fall sollte Einigkeit darüber bestehen, daß den Gewissenstäter keine Strafe trifft. Handelt der Gewissenstäter auch entsprechend der ihm gewährten Rechtsposition, so bedeutet das jedoch nicht, daß er im sozialen Bereich schlechthin von Opfern freigestellt ist. Die Gewissensentscheidung kann
s' Beispiele hierfür die Frage nach dem gerechten Krieg oder der atomaren Aufrüstung und Kriegsführung. Vgl. dazu das 1960 im Kösel-Verlag erschienene Buch: Atomare Kampfmittel und christliche Ethik. Diskussionsbeiträge deutscher Katholiken Strathmann, K. Peters, Cl. Münster, Robert Spaemann. N. MonzeZ, Peter NeZZen, H. SchuZtelHerbrüggen, E. W. Boeckenjörde. 8S Beispiele aus der Rechtsprechung: BVerwG NJW 1961, 1941; NJW 1962, 756; NJW 1963, 1994. se Aus der hier vertretenen Grundauffassung würde zu schließen sein, daß die bloße Unterlassung aus Gewissensgründen sozialadäquat ist. Das bedeutet, daß im Sinne der ursprünglichen Lehre von WeZzet, Allg. Teil (1940), S. 33 und der in meinem Strafprozeßlehrbuch, S. 15 vertretenen Ansicht materiellrechtlich der strafbare Tatbestand nicht berührt und strafprozeßrechtlich keine strafprozessuale Untersuchung ausgelöst wird. Im Sinn der jetzt von WetzeZ vertretenen Ansicht (Deutsches Strafrecht, 9. Aufl., S. 50 ff.) würde ein Rechtfertigungsgrund anzunehmen sein. Dasselbe gilt für die in ihren Grenzen bleibende aktive Gewissenstat. Wie hier GTÜnwaZd, Die Aufklärungspflicht des Arztes Z. 73, 5 ff. (37). Gegen eine Rechtfertigung wegen einer Gewissensentscheidung Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 180, ferner Maunz/ Dürig, Grundgesetz zu Art. 2 II Rn. 23, wo nur von der Möglichkeit eines Entschuldigungsgrundes die Rede ist. Der von Lenckner, a.a.O., gemachte Einwand, daß die von Grünwald vertretene Ansicht zur Unlösbarkeit von Kollosionsfällen (sich gegenüber stehende entgegengesetzte Gewissenshandlungen) führen würde, scheint mir nicht durchschlagend. Daß es wirklich undenkbar ist, daß zwei unterschiedlich ethische Auffassungen von der Rechtsordung als gleichwertig angesehen werden. halte ich nicht für richtig. Das Gegenteil ist eine Folge der vom Staat zu übenden Toleranz. Die Einschränkung positiven Eingriffs bei Gewissen,staten in fremden Rechtsbereich verhindert überdies rechtlich unlösbare Sachverhalte von vorneherein, so daß die Einwände Lenckners die hier vertretene Auffassung nicht berühren.
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nicht dazu führen, daß nur derjenige soziale Belastungen zu tragen hat, dessen Gewissensentscheidung sich positiv zur gesetzlichen Regelung stellt. Das Wehrersatzdienstgesetz hat sich darum bemüht, einen Ausgleich zu finden, ohne daß freilich bemerkt wurde, daß es die Gewissenskonflikte nicht löst. Der nicht selten zu hörende Vorschlag, die Kriminalstrafe bis zur Höhe der Dauer des Wehr- oder Wehrersatzdienstes zu verhängen, ist nicht nur keine Lösung, weil Gewissensentscheidungen nicht mit Kriminalstrafe beantwortet werden können, sondern entwertet den Wehr- und Wehrersatzdienst durch die Gleichstellung von ehrenvollem Staatsdienst und Verbüßung von Kriminalstrafe. Eine Lösung scheint mir nur in der Art denkbar, daß der Sozialdienst, um dessen Leistung es geht, völlig vom Wehrdienst gelöst und auf freie zivilrechtliche Grundlage gestellt wird. Sollten auch insoweit wegen des immer noch vorhandenen Zusammenhangs von Sozial- und Wehrdienst Gewissenseinwände vorhanden sein, so scheint mir der Weg einer Sozialsteuer gangbar zu sein, die an die Kommunalverwaltungen zur Durchführung bestimmter Sozialaufgaben fließt. Da die Einziehung der Steuer keine aktive Mitwirkung verlangt, ist insoweit ein Gewissenseinwand nicht denkbar. Wie aber auch immer die Lösung sein mag, jedenfalls ist der Hinweis auf eine ~Lngeblich soziale Bevorzugung der Wehrdienstverweigerer nicht durchschlagend. Auch würde der Gewissenstäter kaum Bedenken geltend machen können, wenn er gegenüber anderen, die die Entscheidung im Sinne der gesetzlichen Regelung treffen, bei staatlichen Anstellungen87 und nach freier Entscheidung zu gewährenden Vorteilen zurückgesetzt würde. Es geht bei einer Gewissensentscheidung nicht darum, Vorteile zu erwerben oder Nachteile zu vermeiden, sondern darum, das Leben nach ihrem Gewissensentscheid gestalten zu können und nicht um ihrer Gewissensentscheidung wegen diffamiert zu werden. Zusammenfassend ist zu sagen: Wird der Gewissensbegriff eng gefaßt und seinem Wesen gemäß verstanden, werden die Grenzen des Gewissensentscheids richtig gesetzt, wird die Gewissensentscheidung auf ihre Echtheit hin sorgfältig geprüft und trägt auch der Entscheidende in einer sein Gewissen nicht berührenden Weise sein persönliches Opfer ohne Diskriminierung bei, so ist dem Einwand der Gefährdung der Sicherheit der Allgemeinheit und der Rechtsordnung im Fall der fehlenden Kriminalbestrafung der Boden entzogen. Dem Gewissenstäter 87 Unzulässig wäre jedoch die Nichteinstellung eines jungen Menschen, der gemäß Art. 4 III GG den Kriegsdienst mit der Waffe ablehnt, im übrigen aber den Wehrersatzdienst ableistet. Er hält sich ganz innerhalb der gesetzlichen Wertungen. Ebenso unzulässig wäre die Entlassung jemandes, der im Staatsdienst ist und den Wehrersatzdienst ablehnt, da er, wenn er sich auch nicht innerhalb der gesetzlichen Wertungen hält, so doch in übereinstimmung mit den ihm als Persönlichkeit gewährten Rechten steht. Die äußerst verwickelte Problematik soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden.
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kann demnach der ihm durch die Menschenrechte und der ausdrücklich vom Grundgesetz gewährte Anspruch auf Achtung vor seiner Gewissensfreiheit auch kriminalpolitisch unbedenklich zuerkannt werden.
II!. 1. Ist für die strafrechtliche Anerkennung der Gewissensentscheidung maßgeblich, daß der Täter innerhalb der gesetzten Grenzen überhaupt eine Gewissensentscheidung getroffen hat, so hat das Gericht nicht mehr als die Vornahme und die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung sowie die Einhaltung der aufgezeigten Grenzen zu überprüfen. Dagegen liegt es dem Gericht nicht ob, die sachliche Richtigkeit der Entscheidung zu beurteilen. Das ist auch in der Rechtsprechung zutreffend anerkannt worden8s • Ein Staat, der die verschiedenen religiösen Bekenntnisse toleriert, kann sich nicht als Richter über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Entscheidungen im religiösen Raum betätigen81 • Freilich entfällt dann die Möglichkeit, den Täter schuldig zu sprechen.
Ist nicht nachprüfbar, ob die Gewissensentscheidung sachlich richtig ist oder nicht, so muß das Gencht von der Möglichkeit der Richtigkeit der Gewissensentscheidung ausgehen. Das bedeutet, daß, wenn das Gericht dennoch eine Bestrafung für zulässig hält, es auch jemanden bestraft, der aus einem richtigen Gewissensentscheid heraus gehandelt hat. Es ist schon zweifelhaft, ob unter solchen Umständen überhaupt eine Bestrafung möglich ist. Bei Unterlassungstaten entfällt die Bestrafungsmöglichkeit mangels Zumutbarkeit eines dem Tatbestand entsprechenden Verhaltens. Wie sollte es jemandem zumutbar sein, trotz richtigerGewissensentscheidung sich dieser Entscheidung zuwider zu verhalten? Zudem ergibt sich das Problem des psychischen Zwanges. Eine Gewissensentscheidung, erst recht eine richtige, bewirkt einen Zwang, ihr zu folgen, um so mehr, wenn das ewige Leben auf dem Spiele 8S So heißt es in dem urteil des OLG Stuttgart vom 27. l. 1965 (1 Ss 810/64): "Es (das Landgericht) verkennt aber die Grenzen, die der richterlichen Prüfung gezogen sind. Das Gericht hat nur sorgfältig zu prüfen, ob überhaupt eine Gewissensentscheidung vorliegt, nicht aber ob diese ,richtig' ist." OLG Bremen (NJW 1963, 1932 [1934]) hebt zutreffend hervor, daß nicht das weltanschauliche Bekenntnis als solches, das u. a. die Leistung des Ersatzdienstes ablehnt, zum Vorwurf gemacht werden darf. ee Ist die Richtigkeit der Gewissensentscheidung nicht nachprüfbar, so entfällt die Möglichkeit einer Nachprüfung, ob der Täter sich in einem überwindbaren Gewissensirrtum befunden habe. Nur im Fall einer auf Grund des Naturrechts richtigen Gewissensentscheidung und im Fall einer unüberwindbar irrigen Gewissensentscheidung (bei fehlerhafter Anwendung des Naturrechts) gelangt Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 139 zur Straffreiheit. In diese Richtung läuft auch die bereits erwähnte Auffassung von Maunz! Diirig, Grundgesetz zu Art 2 II Rn. 23, wo von der Möglichkeit eines Entschuldigungsgrundes die Rede ist.
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steht7°. Schließlich aber kann bei richtiger Entscheidung dem Täter kein Schuldvorwurf gemacht werden. Handelt der Täter in irriger überzeugung, so wird ihm nach der in der Praxis maßgeblichen Schuldtheorie vorgeworfen, daß er sein Gewissen nicht hinreichend angespannt habe und dadurch zu einer falschen Entscheidung gekommen sei. Wie ist aber vom Täter eine andere Entscheidung zu erwarten, wenn von der Möglichkeit einer richtigen Gewissensentscheidung auszugehen ist 71 ? Sicherlich hat der Täter in Kenntnis der Gesetzesnorm diese überschritten, aber das genügt nicht zum Schuldvorwurf, solange der Täter glaubt (und möglicherweise richtig glaubt), eine höhere vom Naturrecht und vom Grundgesetz in Art. 4 anerkannte - Norm, nämlich die durch die Gewissensentscheidung eingefangene sittliche Ordnung, verdränge das Strafgesetz. Es ist nicht recht verständlich, daß alle diese Fragen in der Strafrechtspflege der oberen Gerichte unerörtert geblieben sind. 2. Die Unterscheidung von Gewissensentscheidung und überzeugung ist auch für die Frage des Zweitverfahrens von Bedeutung. Eine überzeugung kann zu jedem Zeitpunkt zurückgestellt werden. Sie kann jederzeit neu durchdacht und umgebildet werden. Anders ist es grundsätzlich bei einer Gewissensentscheidung. Je tiefer und gründlicher sie durchdacht ist, um so mehr hat sie den Charakter des Lebensentschlusses und der Einmaligkeit. Selbst wenn auch der Gewissenstäter im Einzelfall zu einer neuen und anderen Gewissensentscheidung kommen kann, so bedeutet doch das Verharren auf einer früher getroffenen Gewissensentscheidung keine neue Entscheidung. Durch die frühere Entscheidung ist der dem Gesetz widersprechende Zustand begründet worden. Infolgedessen haben die Regeln des Zustandsdelikts und nicht des Dauerdelikts oder gar der durch das frühere Urteil unterbrochenen fortgesetzten Handlung Anwendung zu finden. Es geht aber weniger um die rechtliche Konstruktion als vielmehr darum, aus dem Wesen der Gewissensentscheidung als einer grundsätzlichen einmaligen die rechtlichen Folgen zu ziehen. Sie führen dazu, daß, wenn überhaupt 70 Nach positivem Recht würde ein Schuldvorwurf gemäß § 54 StGB entfallen, der bereits bei der minderen Gefahr für Leib oder diesseitiges Leben, also einem geringeren psychologischen Zwang, die Schuld ausschließt. Der Verlust des ewigen Lebens droht nach der vom Richter nicht nachprüfbaren religiösen Auffassung auch gegenwärtig. So jetzt auch Baumann, Strafrecht, 4. Aufl., S. 452. 71 Der Ansicht von Gallas, Pflichtenkollision als Schuldausschließungsgrund, Mezger-Festschrift S. 319 Anm. 3, der überzeugungstäter irre weder über das Bestehen der Rechtsnorm noch über ihre rechtliche Verbindlichkeit und infolgedessen komme ein Verbotsirrtum nicht in Betracht, kann in der Verallgemeinerung nicht gefolgt werden. Der Gewissenstäter jedenfalls kennt zwar die Gesetzesnorm, hält sie aber auf Grund einer übergeordneten (naturrechtlichen oder sittlichen) Norm unter Berücksichtigung der durch das Grundgesetz gewährten Rechtsposition nicht für verbindlich. Es liegt ein echter Verbotsirrtum vor.
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eine Bestrafung wegen der Gewissensentscheidung stattgefunden hat und die Handlung im weiteren Verharren auf dieser Entscheidung beruht, das Verbot der Doppelverurteilung (Art. 103 III GG) eingreift. 3. Die Unterscheidung Gewissensentscheidung und überzeugung führt auch zu einer Klärung der Frage nach der Behandlung des überzeugungstäters. Die Frage, ob der überzeugungstäter eine besondere Strafart (Festung, Einschließung) verdient, ist seit langem umstritten. Scheidet der Gewissenstäter überhaupt aus dem Strafbereich aus, so scheint mir eine besondere Strafart für den Überzeugungstäter nicht geboten. Für den, der das System der Einheitsstrafe vertritt, würde es mißlich sein, gegenüber dem Überzeugungstäter eine besondere Strafart einzusetzen. Soweit es gerecht ist, einen überzeugungstäter überhaupt zu einem Freiheitsentzug zu verurteilen - die Gerechtigkeit steht beim "bloßen" überzeugungstäter außer Frage -, sollte die unterschiedliche Behandlung im Strafvollzug erfolgen. Die Einführung einer besonderen Strafart für den Überzeugungstäter würde überdies die Gefahr begründen, darin auch die Lösung für den Gewissenstäter zu sehen. Das würde allzu leicht geneigt machen, den Gewissenstäter im Kriminalbereich zu belassen. 4. Die Ausscheidung der Gewissenstäter aus dem Kriminalbereich würde schließlich zu der notwendigen Entlastung des Strafvollzugs führen. Rechnet man insgesamt mit einer Zahl von 800 Wehrersatzdienstverweigerern, so würde das bei Ermöglichung ihrer Bestrafung und vor allem bei Zulassung erneuter und mehrfacher Bestrafung oedeuten, daß eine größere Vollzugsanstalt für mindestens zwei Jahre besetzt wäre. Nach der derzeitigen Rechtsprechung wird eine Strafe vollzogen, bei der der Vollzug auch von der Achtung vor dem Einstehen des Täters für sein Gewissen auszugehen hat, bei der der Vollzug Menschen betrifft, die davon durchdrungen sind, pflichtgemäß gehandelt zu haben. Es wird eine Strafe vollzogen, die weder diesen Verurteilten zu warnen noch andere Gewissenstäter von ihrer Entscheidung abzuhalten geeignet ist. Es werden in nicht vertretbarer Weise die Kräfte, Mittel und Räume des Strafvollzugs in Anspruch genommen. Arbeitsame Menschen werden aus dem Produktionsvorgang gerissen. Menschen, deren Väter schon in der nationalsozialistischen Zeit gefangen gehalten worden waren, wenn nicht gar getötet worden sind, müssen auch im neuen Staat, in dem wir Achtung vor der Menschenwürde und vor der Freiheit der Persönlichkeit mit Recht zur Grundlage unseres Gemeinschaftslebens erhoben haben, in Gefängnissen einsitzen. Wäre es nicht möglich gewesen, eine menschlich großzügige Regelung zu finden, ohne daß es der Notwendigkeit bedurft hätte, auf die gerechten Ansprüche des Gewissenstäters mit Nachdruck hinzuweisen?
Der Vorsatz des Unterlassungsdelikts Von Gerald Grünwald, Bonn Für die strafrechtliche Beurteilung der Unterlassungen sind zwei Erkenntnisse gleichermaßen bedeutsam: einerseits die Einsicht - die den Ausgangspunkt der Lehren Hellmuth Mayers bildet -, daß im sozialen Leben in der Welt, die "nicht ruhendes Sein, sondern Werden, Prozeß, geschichtlicher Verlauf" ist, ein Geschehenlassen die gleiche Verantwortung begründen kann wie ein Bewirken1 ; andererseits die Erkenntnis, daß die Unterlassung in ihrer Seinsstruktur Unterschiede zur Handlung aufweist, die zu der Prüfung nötigen, wieweit die für die Handlungsdelikte entwickelten Verbrechenslehren auf Unterlassungen anwendbar sind. Die Notwendigkeit. dieser überprüfung ist heute vor allem dank den Untersuchungen von Armin Kaufmann2 - überwiegend anerkannt; über ihre Ergebnisse aber bestehen zahlreiche Meinungsverschiedenheiten. Zu den praktisch wie dogmatisch wichtigsten Streitpunkten gehört die Frage, ob die Vorsatzlehren auch für die Unterlassungsdelikte gültig sind. I.
Die bisher herrschende Meinung nimmt das an. Auch innerhalb der Unterlassungsdelikte soll demnach zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen zu unterscheiden sein. Der Vorsatz soll bei den Unterlassungsdelikten ebenso wie bei den Handlungsdelikten beschaffen sein; sein Gegenstand soll hier wie dort die Gesamtheit der Umstände sein, welche die Merkmale des objektiven Tatbestandes erfüllen. Da der objektive Tatbestand des Unterlassungsdelikts in der Nichtvornahme einer Handlung von bestimmten Eigenschaften durch einen zu ihrer Vornahme Fähigen besteht, soll zum Vorsatz das Bewußtsein der Möglichkeit, die Handlung vorzunehmen, gehören·. Neben dem Bewußtsein Strafrecht Allgemeiner Teil, 1953, S. 113. Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959 (im Folgenden zitiert: "Dogmatik"). a Das Bewußtsein, daß die Handlung rechtlich geboten ist, ist nur nach der Vorsatztheorie, nicht nach der Schuldtheorie Bestandteil des Vorsatzes. Siehe dazu vor allem Schaffstein, Göttinger Festschrift für das Oberlandesgericht Celle, 1961, S. 198 ff., und BGH 16, 155. 1
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der Verwirklichung der objektiven Seite der Unterlassung soll der Vorsatz auch ein voluntatives Element enthalten4 • Diesen Lehren haben Armin KaufmannG und - im Anschluß an ihn - Welzel8 die These entgegengestellt, daß es vorsätzliche Unterlassungen nicht gebe und daß die Beurteilung der verschiedenen Fallgruppen der Unterlassungen durch die herrschende Meinung dogmatisch und in der Bewertung verfehlt sei. Ausgangspunkt ihrer Kritik ist die Auffassung, daß das Vorsatzelement des Wollens bei allen Unterlassungen fehle. Da die Unterlassungen nichts verursachen, könnten sie auch nicht die dem Vorsatz wesentliche Finalität aufweisen; denn" wo der Kausalnexus fehlt, kann auch keine Finalsteuerung vorhanden sein. Die Finalstruktur ruht auf der Kausalität auf ... Die Wirkweise des finalen Verwirklichungswillens besteht gerade im überformen, im Beherrschen, im Anstoßen und Lenken der Kausalfaktoren"7. Das, was die herrschende Lehre vorsätzliche Unterlassung nenne, sei in Wahrheit nur bewußtes Unterlassen. Armin Kaufmann hat neuerdings8 auch untersucht, ob die Aussage, daß es einen dem Vorsatzbegriff der Handlungsdelikte entsprechenden Vorsatz bei Unterlassungen gebe, dann richtig sein könnte, wenn man jenen Vorsatzbegriff veränderte. Er gesteht zu, daß es begrifflich möglich wäre, die "Willensseite" des Handlungsdelikts der objektiven Tatseite zuzurechnen und den Vorsatz so dann zu definieren als "Wissen ,,·on der durch Willensbetätigung verursachten Verwirklichung des objektiven Tatbestandes". Dem scheine dann beim Unterlassungsdelikt ein Vorsatz, bestehend im "Wissen vom Sich-Verwirklichen des objektiven Tatbestandes", zu entsprechen. Aber auch ein solcher "Wissensvorsatz" habe beim Handlungsdelikt eine andere Bedeutung als beim Unterlassungsdelikt. Bei jenem sei er konstitutiv für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes; "ohne Wissen kein Wollen, keine 4 In Lehrbüchern und Kommentaren wird von all dem meist stillschweigend ausgegangen, und es werden nur einzelne Fragen, wie die des Gebotsirrtums, behandelt. Vgl. etwa SChönkejSchröder, Strafgesetzbuch, 12. Aufl., 1965, § 59 Rdn. 41 ff., Baumann, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1964, S. 209 f., 223 f. Am klarsten ist die herrschende Meinung seinerzeit von Welzet formuliert worden (Das deutsche Strafrecht, 5. Aufl., 1956, S. 173, mit Abweichungen jedoch bei den echten Unterlassungsdelikten, S. 166). Im übrigen siehe unten Anm. 11 und 12. 5 Dogmatik, S. 66 ff., 110 ff., 309 ff. Seine überlegungen zur Vorsatzfrage hat Armin Kaufmann jetzt zusammengefaßt und gegen Einwände verteidigt in Festschrift für Hellmuth von Weber, 1963, S. 207 ff. (im Folgenden zitiert: "Festschrift"). 8 Strafrecht, 9. Aufl., 1965, S. 180 ff. (Die Zitate in den folgenden Anmerkungen beziehen sich auf diese Auflage.) 7 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 67. Siehe ferner Festschrift, S. 218 ff., und Welzet, Strafrecht, S.181. 8 Festschrift, S. 219, Anm. 28, wo Armin Kaufmann sich mit einer Bemerkung von Roxin in ZStW 74, S.515 (530) auseinandersetzt.
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Willensbetätigung, keine Verursachung des Erfolges". Beim Handlungsdelikt sei das Wissen lIeben nicht ein bloßes Spiegelbild, dessen Vorhandensein oder Fehlen auf die Existenz des Abgespiegelten keinen Einfluß hat". So aber sei es beim Unterlassungsdelikt: "Ich kann das Wissen, den ganzen angeblichen Vorsatz hinwegdenken, ohne daß sich am Erfülltsein des objektiven Tatbestandes etwas ändert." Sei somit bei den Unterlassungsdelikten ein "psychischer Befund", der dem Vorsatzbegriff entspräche, nicht auffindbar, so müsse nach anderen Kriterien gesucht werden, die die dogmatische Funktion des Vorsatzbegriffs übernehmen könnten, nämlich die Abgrenzung der schwereren von der leichteren Unrechtsart (Schuldart)8. Das Wissen von der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes sei nicht das Merkmal, das diese Funktion erfüllen könne. Denn es zeige sich, daß eine Gruppe von unbewußten Unterlassungen denselben Unrechtsgehalt (Schuldgehalt) aufweise wie die bewußten: die Gruppe der Unterlassungen, bei denen der Untätige die "tatbestandsmäßige Situation" erkennt, ohne daß ihm die Möglichkeit zu handeln bewußt wird. Die unbewußte Unterlassung bei Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" wiege quantitativ sogar schwerer als die ihr entsprechende bewußte. - Zur "tatbestandsmäßigen Situation" recbnen Armin Kaufmann und Welzel hierbei die Umstände des Geschehens in der Außenwelt, auf die sich der objektive Tatbestand des Unterlassungsdelikts bezieht (das Bevorstehen des Todes, die Existenz eines Verbrechensplans), nicht aber die Möglichkeit der Handlung (der Lebensrettung, der Verbrechensanzeige). Auf Grund dieser wertenden Betrachtung und auf Grund von dogmatischen überlegungen (auf die noch einzugehen sein wird1o) gelangen Armin Kaufmann und Welzel zu dem Ergebnis, daß der schwereren Unrechtsart (Schuldart) neben den bewußten Unterlassungen auch die unbewußten bei Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" angehören. Beide Gruppen werden als derselben Unrechtsart zugehörig betrachtet wie die vorsätzlichen Handlungsdelikte; Armin Kaufmann bezeichnet sie als "quasivorsätzliche", Welzel als "sog. vorsätzliche" Unterlassungsdelikte. Soweit bisher in der Literatur eine Auseinande-rsetzung mit Armin Kaufmann stattgefunden hat, ist die herrschende Meinung ohne Konzessionen verteidigt worden. Engischll hat erklärt, wenn der Handlungsfähige einem sich vor seinen Augen abrollenden Geschehen seinen Lauf läßt, obwohl er hindernd oder ablenkend eingreifen könnte, so könne 8 Armin Kaufmann, Dogmatik, S. 111 f., 116 ff.; Festschrift, S. 211 f., 224 ff.; Welzel, Strafrecht, S. 183 f., 190 f. 10
11
Siehe unten Abschnitt IV. JZ 1962, S. 189 (190).
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sehr wohl von einer finalen, einer gewollten, einer vorsätzlichen Unterlassung gesprochen werden; sinngemäß dasselbe besagen auch die sonstigen Stellungnahmen12•
H. Bei solcher Gegensätzlichkeit der Aussagen, die offenbar auf einer unterschiedlichen Deutung der verwendeten Begriffe beruht, mag der Versuch, einen Beitrag zur Klärung der Zusammenhänge zu leisten, der nicht von vornherein auf einen der Standpunkte zugeschnitten ist, aussichtslos erscheinen. Aber es lassen sich Anknüpfungspunkte finden, die außerhalb des Umstrittenen liegen: Es steht fest, welche Sachverhalte von der herrschenden Lehre als vorsätzliche Unterlassungen angesehen werden, und es läßt sich feststellen, wodurch sie sich von denjenigen unterscheiden, die als nicht vorsätzliche Unterlassungen betrachtet werden. Auf der anderen Seite besteht kein Streit über die Beschaffenheit der Sachverhalte, die als vorsätzliche Handlungen bezeichnet werden, und es können ihre Unterschiede gegenüber denjenigen Sachverhalten festgestellt werd,~n, die als nicht vorsätzliche HandlungenlS zu bezeichnen sind l4 . Das gilt jedenfalls soweit, als es sich um die beiden Vorsatzarten "Absicht" (bezogen auf das Ziel der Willensbetätigung, sei es das End- oder das Zwischenziel, das als Mittel zur Erreichung eines weiteren angestrebt wird) und "dolus directus" (bezogen auf die als sicher eintretend erwarteten Nebenfolgen) handelt. Abgesehen von einem Grenzbereich gilt es auch für die Vorsatzart "dolus eventualis". Weiter dürfte Einigkeit darüber bestehen, daß unter Vorsatz (bezüglich eines bestimmten Umstandes) derjenige "psychische Befund" zu verstehen ist, durch den sich die (insoweit) vorsätzlichen Handlungen von den (insoweit) unvorsätzlichen unterscheiden. Die Untersuchung, ob der gleiche Befund, also der Vorsatz auch bei Unterlassungen vorzufinden ist, und zwar (nur) bei den von der herrschenden Lehre als vorsätzlich angesehenen, braucht somit an der Unterschiedlichkeit der Begriffsbildungen nicht zu scheitern. 11 Hardwig, ZStW 74, S. 27 ff.; Roxin, wie Anm.8; Lampe, ZStw 72, S.93 (98 f.); Stree, GA 1963, S.1 (6 f.). Siehe auch Maurach, Deutsches Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1965, S. 506, 518, und Ernst Amadeus Woltt, Kausalität von Tun und Unterlassen, 1965, S. 47 f. 13 Wenn im Text von vorsätzlichen bzw. nicht vorsätzlichen Handlungen (Unterlassungen) gesprochen wird, so ist damit jeweils gemeint: vorsätzlich bzw. nicht vorsätzlich bezüglich eines bestimmten Erfolges oder Umstandes. 14 Ausgeklammert werden muß dabei der Streit zwischen Schuldtheorie und Vorsatztheorie. Den folgenden Ausführungen liegt die Schuldtheorie zugrunde. Die Ergebnisse der Untersuchung, wieweit die Elemente des Vorsatzes auch bei Unterlassungen vorzufinden sind, bleiben jedoch dieselben, wenn man von der Vorsatztheorie ausgeht.
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Betrachtet man zunächst die Sachverhalte, die von der herrschenden Lehre als vorsätzliche Unterlassungen angesehen werden, so zeigt sich als erstes: Das Unterlassen einer bestimmten Handlung durch einen zu ihrer Vornahme Fähigen ist immer dann im Sinne der herrschenden Lehre vorsätzlich, wenn der Unterlassende sich der Möglichkeit ihrer Vornahme bewußt ist. Hat ein Vater sein ertrinkendes Kind nicht gerettet, obwohl er es hätte tun können, so liegt eine nach herrschender Lehre vorsätzliche Unterlassung der Abwendung des Todes dann vor, wenn er das Bevorstehen des Todes und die Möglichkeit der Rettung erkannt hat; so jedenfalls, wenn er sicher war, daß der Tod bevorstehe und daß er ihn abwenden könne15 • Eine Verurteilung nach § 212, in deren Begründung zur subjektiven Seite nicht mehr als das Vorhandensein dieses Wissens festgestellt ist, ist fehlerfrei. Daß es der Feststellung irgendeines weiteren Umstandes nicht bedarf, wird übrigens bestätigt durch die angeführte Äußerung von Engisch18 • Damit ist aber noch nicht geklärt, ob die als vorsätzlich bezeichneten Unterlassungen sich von den nicht vorsätzlichen allein durch das Wissen unterscheiden. Denn es könnte sein, daß immer (und nur) dann, wenn das Unterlassen bewußt geschieht, auch ein weiterer psychischer Vorgang vorhanden ist. Sollte es so sein, und sollte dieser psychische Vorgang das Wollen sein, dann träfe es zu, daß den als vorsätzlich bezeichneten Unterlassungen Wissen und Wollen eigen ist. Tatsächlich aber ist mit dem Bewußtsein der Unterlassung ein solcher weiterer Vorgang nicht notwendig verbunden. Es kann sein, daß das Erkennen des äußeren Geschehens und der Eingriffsmöglichkeit einen Impuls zu handeln auslöst, der so dann durch einen anderen neutralisiert wird; aber es ist nicht immer so. Armin Kaufmann beschreibt zutreffend als einen der Sachverhalte der bewußten Unterlassung den Fall, daß in der Psyche des Unterlassenden nicht mehr als der Erkenntnisvorgang eintritt: "In ihm regt sich nichts, kein Motivationsprozeß läuft ab, kein ,natürlicher Rettungsimpuls' muß unterdrückt werden ... Gleichwohl aber wäre ... im Sinne der h. M. der Unterlassungsvorsatz zu bejahen17 ." Der psychische Befund, durch den sich die als vorsätzlich bezeichneten Unterlassungen von den nicht vorsätzlichen unterscheiden, ist in der Tat allein das Bewußtsein. Freilich darf dabei eines nicht übersehen werden: Wenn immer man ein Verhalten in seine Elemente aufgliedert, wird damit ein Sinnzusammenhang zerrissen; so auch, wenn man die bewußte Unterlassung aufspaltet in das Unterlassen einerseits, das Bewußtsein andererseits. Es wäre verfehlt, deshalb, weil nur das zweite 15 18
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Zur Frage des dolus eventualis siehe unten bei Anm.23-31. Oben bei Anm.ll. Festschrift, S. 221.
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Element die bewußte von der unbewußten Unterlassung unterscheidet, zu meinen, daß der Unwertgehalt jener im Hinzutreten des Wissens bestehe. Für eine Betrachtung, die auf die Erfassung des Unwertgehalts ausgerichtet ist, unterscheidet sich die bewußte von der unbewußten Unterlassung insofern, als (nur) sie sich als eine Entscheidung (als Wahl zwischen zwei erkannten Möglichkeiten des Verhaltens) begreifen läßt. Aber das darf nicht zu der Vorstellung verführen, daß sie neben dem Element des Wissens noch ein weiteres (etwa: Entscheidung = Wollen) enthalte18 • Den Aussagen Armin Kaufmanns18 über die Beschaffenheit der als vorsätzlich bezeichneten Unterlassungen ist schließlich noch in dem weiteren Punkte zuzustimmen: Das Bewußtsein der Unterlassung steht nicht in einem Kausalzusammenhang mit ihrer objektiven Seite und dem Ablauf des Geschehens in der Außenwelt. Hätte der Vater, der sein Kind ertrinken ließ, das Bevorstehen des Todes oder die Möglichkeit seiner Abwendung nicht erkannt, so wäre das Kind ebenso ertrunken. Vergleicht man nun den ermittelten psychischen Befund mit den geläufigen Aussagen über den Vorsatz des Handlungsdelikts, so erscheint er gewiß als etwas sehr kärgliches neben dem Vorsatz, der - so heißt es - außer dem Element des Wissens auch das des Wollens enthält, wobei dieses Wollen jedenfalls von den Vertretern der finalen Handlungslehre mit dem "finalen Verwirklichungswillen" gleichgesetzt wird, der das Geschehen in der Außenwelt gestaltet20 • Aber diese Aussagen müssen ebenfalls überprüft werden, indem untersucht wird, wodurch sich die (bezüglich eines bestimmten Geschehens) vorsätzlichen Handlungen von den (insoweit) unvorsätzlichen unterscheiden. Hierbei ist es notwendig, zwischen den verschiedenen Vorsatz arten zu unterscheiden. Zunächst sollen die Sachverhalte betrachtet werden, in denen der Täter mit dolus directus (bezüglich einer Nebenfolge) handelt. Als Beispiel sei der Fall des Terroristen herausgegriffen, der eine Brücke sprengt - das ist sein Ziel - und dadurch Menschen tötet. Wenn er etwa, als er den Sprengkörper anbringt - erkennt, daß Menschen umkommen werden, so ist die Tötung eine vorsätzliche, andernfalls eine unvorsätzliche. Vom Wissen allein hängt es somit ab, ob die Handlung bezüglich eines Nebenerfolges vorsätzlich oder unvorsätzlich ist. Die Aussage, daß der dolus directus neben dem intellektuellen auch ein voluntatives Element enthalte, könnte trotzdem richtig sein. Sie wäre richtig, wenn mit dem Wissen (von der Verursachung der Neben18 Siehe dazu auch Armin Kaufmann, Festschrift, S. 222, Anm. 36, der allerdings einem Teil der unbewußten Unterlassungen denselben Unrechtsgehalt zuspricht wie den bewußten. 18 Siehe oben Anm. 8. 20 Vgl. Wetzet, Strafrecht, S. 58 ff.; Armin Kaufmann, wie Anm. 5.
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folge durch die Willensbetätigung) notwendig ein weiterer psychischer Vorgang verknüpft wäre, der bei der unvorsätzlichen Handlung nicht auftritt, und wenn dieser zusätzliche Vorgang das Wollen wäre. Aber schon die erste Voraussetzung trifft nicht zu. Es kann sein, daß das Wissen einen Motivationsvorgang auslöst - die Vorstellung von der Tötung ruft einen dem Entschluß zur Sprengung entgegenwirkenden Impuls hervor, den der Terrorist überwinden muß; aber es braucht nicht so zu sein. Auch wenn sich "in ihm nichts regt", ist seine Tötung eine vorsätzliche. Nun ist allerdings jede Handlung eine Willensbetätigung, und es wird gesagt, daß der Täter die Nebenfolgen, deren er sich bewußt wird, in den Verwirklichungswillen aufnehme2 1 • Aber soweit mit dieser Aussage ein realer psychischer Sachverhalt gemeint ist, so besteht er nur darin, daß der Täter bei der Willensbetätigung auf sein Ziel hin (die auch bei der unvorsätzlichen Herbeiführung der Nebenfolge vorhanden ist) weiß, daß er die Nebenfolge verursacht. Freilich gilt hier ebenso wie bei der Unterlassung: Wenn auch die vorsätzliche Handlung gegenüber der unvorsätzlichen nur das zusätzliche Element des Wissens von der Verursachung enthält, so bedeutet das nicht, daß sich der Unwertgehalt der vorsätzlichen Handlung im Hinzutreten des Wissens erschöpfe. Die bewußte Verursachung eines tatbestandsmäßigen Erfolges hat deshalb einen anderen Unwertgehalt als die unbewußte, weil (nur) sie sich als Entscheidung für das Unrecht begreifen läßt. Aber die Annahme, daß der dolus directus "also" ein weiteres Element enthalte, "der Schluß vom Wissen auf das Wollen"22 als Vorsatzelement ist hier ebenso wie bei der Unterlassung unrichtig. Auch über den dolus eventualis wird überwiegend23 gesagt, daß er neben dem Element des (unsicheren) Wissens das des Wollens enthalte. Aber die Formel vom "Wissen und Wollen" hat bei den verschiedenen Lehren über den dolus eventualis eine unterschiedliche Bedeutung. Nach der Vorstellungstheorie2' liegt immer dann, wenn der Täter den Erfolgseintritt für möglich - oder in einem bestimmten Grade wahrscheinlich - gehalten hat, Vorsatz vor. "Wissen und Wollen" bedeutet dann - ebenso wie beim dolus directus - "Wissen und also auch Wollen". Nach der Einwilligungstheorie2' hingegen ist das Fürmöglichhalten des Erfolgseintritts nicht allein ausschlaggebend, vielmehr kommt es darauf an, ob der Täter auch in ihn eingewilligt hat. "Wissen und Wollen" bedeutet hier also "Wissen und darüberhinaus auch Wollen". Vgl. Welzel, Strafrecht, S. 30 f., 61. Armin Kaufmann, Festschrift, S. 223. !S Siehe jedoch unten Anm. 25 und 31. 24 Zu den Lehren über die Abgrenzung von dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit siehe die Darstellung und Analyse von Roxin, JuS 1964, S. 53 ff. 21
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Die Klärung der Frage, ob dem dolus eventualis ein Wollen eigen ist, erscheint durch die Verschiedenheit der Auffassungen - die sich zudem nicht sämtlich der Vorstellungs- und der Einwilligungstheorie zuordnen lassen - erschwert. Doch zeigt sich, daß alle in der heutigen Rechtslehre vertretenen Auffassungen in dem hier Wesentlichen übereinstimmen: Hat der Handelnde erkannt, daß seine Willensbetätigung die Nebenfolge auslösen kann (oder mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auslösen wird), und hat diese Vorstellung nicht zu einem weiteren psychischen Vorgang geführt, so liegt dolus eventualis vor. Soweit es um die Lehren geht, die ausdrücklich nur auf die Vorstellung von der konkreten Möglichkeit (oder einer Wahrscheinlichkeit) des Erfolgseintritts abstellen25, bedarf das keiner weiteren Darlegung. Soweit dolus eventualis und bewußte Fahrlässigkeit danach abgegrenzt werden, ob der Täter mit der Möglichkeit des Erfolgseintritts gerechnetze, sie ernst genommen27, sich mit ihr abgefunden28 hat oder aber auf das Ausbleiben vertraut hat, kommt es entscheidend darauf an, ob er die Vorstellung von der Möglichkeit hingenommen oder in dem psychischen Vorgang überwunden hat, der als "Vertrauen auf das Ausbleiben", "Verlassen auf den Nichteintritt" bezeichnet wird; fehlt dieser Vorgang, so ist nach diesen Lehren Vorsatz gegeben. Soweit danach unterschieden wird, ob der Täter die Nebenfolge gutgeheißen oder gleichgültig hingenommen hat oder aber auf ihr Ausbleiben gehofft hat2~, ist beim Fehlen jedes psychischen Ablaufs eben jene Gleichgültigkeit gegeben. Und wenn darauf abgestellt wird, ob der Täter Gegenfaktoren zur Vermeidung der Nebenfolge eingesetzt hatSO, so liegt beim Fehlen dieses Einsatzes Vorsatz vor. Von welcher der Lehren man ausgeht, ist für die hier untersuchte Frage ohne Bedeutung. Zu der Annahme, daß der dolus eventualis ein voluntatives Element enthalte, kann man nur durch einen - unrichtigen - Schluß vom Wissen auf das Wollen gelangens1 • - Vorsorglich soll allerdings angemerkt werden: Auch wenn man für den dolus eventualis ein zum Wissen hinzutretendes psychisches Geschehen - etwa ein positives Billigen - verlangen würde, oder wenn man das "Ernstnehmen" der Möglichkeit 25 Hellmuth Mayer, Strafrecht, S. 250 ff.; Schmidhäuser, GA 1958, S. 161 ff., GA 1957, S. 305 ff.; Schönke/Schröder, § 59 Rdn. 54-59. - Schmidhäuser betont, daß der dolus eventualis, wie der Vorsatz überhaupt, kein voluntatives Element enthalte (siehe insb. GA 1958, S. 180). 21 Welzel, Strafrecht, S. 62 ff. n Stratenwerth, ZStW 71, S. 51 ff. u § 16 Entwurf 1962. zu Engisch, NJW 1955, S. 1688 f. In der Sache wohl ebenso Baumann, Strafrecht, S. 356 ff. 30 Armin Kaufmann, ZStW 70, S. 64 ff. 81 Ich stimme damit den Ergebnissen der Untersuchungen Schmidhäusers (wie Anm. 25) zu, soweit sie den dolus directus und den dolus eventualis betreffen.
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doch so verstehen wollte, daß es eine gedankliche Auseinandersetzung mit der Vorstellung bezeichnete, so wäre das doch nicht das Wollen, um das es Armin Kaufmann geht. Ein solcher psychischer Vorgang kann ja auch bei Unterlassungen auftreten. Nicht nur das Fehlen des voluntativen Elements hat der (auf die Nebenfolgen bezogene) dolus directus wie der dolus eventualis mit dem Vorsatz des Unterlassungsdelikts gemein, sondern auch das Fehlen der Kausalbeziehung zum Erfolg: Auch wenn der Terrorist bei seiner Sprengung nicht erkannt hätte, daß Menschen umkommen werden oder umkommen können, wären sie getötet worden. Das Fehlen des Kausalzusammenhangs ist nicht etwa - das sei hervorgehoben - eine Konsequenz der "Reduktion" von dolus directus und dolus eventualis auf das Wissen. Wie immer man den auf die Nebenfolgen bezogenen dolus bestimmen mag, in jedem Falle gilt für ihn das, was Armin Kaufmann über den Unterlassungsvorsatz sagt32 : Ich kann ihn hinwegdenken, ohne daß sich am Erfülltsein des objektiven Tatbestandes etwas ändert. Ein Faktor, der das Geschehen in der Außenwelt anstößt und gestaltet, ist weder im dolus directus noch im dolus eventualis enthalten. Die bisherigen Überlegungen haben ergeben, daß der psychische Befund, der die vorsätzliche Verursachung einer Nebenfolge von der nicht vorsätzlichen unterscheidet, mit dem übereinstimmt, der die vorsätzliche Unterlassung von der nicht vorsätzlichen unterscheidet. Damit ist auch schon ein weiteres Ergebnis nahegelegt: Den Aussagen Armin Kaufmanns über die Beschaffenheit des Vorsatzes konnte zwar insoweit nicht zugestimmt werden, als sie sich auf den dolus directus und den dolus eventualis bezogen. Sie treffen jedoch zu auf die Vorsatzart Absicht. Die Absicht enthält das Element des Wollens im Sinne des "finalen Verwirklichungswillens", der das Geschehen in der Außenwelt bewirkt. Diese Vorsatzart kann es deshalb im Bereich der Unterlassungen nicht geben. Zu untersuchen bleibt allerdings noch, ob der Absichtsbegriff etwa so verändert werden kann, daß er auch auf Unterlassungen zutreffen kann. Es liegt der Gedanke nahe, die Ursächlichkeit des Willens für den Erfolg als allein der objektiven Seite des Handlungsdelikts angehörend anzusehen und damit aus dem Begriff der Absicht - als einem subjektiven Merkmal - auszuscheiden. Die Absicht, so ließe sich sagen, unterscheidet sich dann von den übrigen Vorsatzarten nur dadurch, daß der Täter durch die Vorstellung vom Erfolg motiviert, zum Handeln bestimmt worden ist. Eine entsprechende psychische Beziehung, so scheint es, kann auch beim Unterlassungsdelikt bestehen: dann, wenn der Untätige durch die Vorstellung vom Erfolg zum Unterlassen be3!
Festschrift, S. 219, Anm. 28.
19 Festschrift für Hellmuth Mayer
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stimmt worden ist. Aber da in keinem Falle die Unterlassung entfiele, wenn die Vorstellung vom Erfolg fehlte, kann niemals gesagt werden, daß diese Vorstellung den Untätigen zum Unterlassen bestimmt habe. Möglich erscheint eine Abwandlung: Absicht, so könnte gesagt werden, liegt dann vor, wenn der Untätige, nachdem die Vorstellung vom Erfolg (und der Möglichkeit seiner Abwendung) in sein Bewußtsein getreten ist, gehandelt haben würde, wenn ihm der Erfolgseintritt nicht erwünscht gewesen wäre. Dann, so ließe sich sagen, habe der Wunsch, den Erfolg eintreten zu sehen, ihn zum Unterlassen bestimmt. Aber einmal wäre das eine deutliche Abweichung vom Absichtsbegriff der Handlungsdelikte. Zum anderen wäre die so gewonnene Unterscheidung zwischen der Absicht und den übrigen Vorsatzarten nicht sinnvoll: Die Aussage, daß jemand gehandelt haben würde, wenn er nicht den Erfolg gewünscht hätte, ist nur unter der Voraussetzung richtig, daß ein Impuls, rettend einzugreifen, vorhanden war. Die Unterlassung dessen, dem der Erfolg erwünscht war, wäre somit absichtlich dann, wenn die Vorstellung vom Erfolgseintritt zunächst einen solchen Impuls ausgelöst hatte, nicht absichtlich hingegen dann, wenn die einzige "Reaktion" in der Psyche des Unterlassenden die Billigung des Erfolges war. Den ersten Fall als den schwererwiegenden anzusehen, wäre offensichtlich verfehlt. So scheint sich schließlich die Unterscheidung allein danach, ob dem Unterlassenden der Erfolg erwünscht war, anzubieten. Aber eine solche "Einstellung" hat mit dem Absichtsbegriff des Handlungsdelikts nichts mehr gemein. Auch wenn die Vorstellung, daß bei der Brückensprengung auch Menschen umkommen werden, bei dem Terroristen Befriedigung ausgelöst hat, ist die Tötung doch keine absichtliche. Daß es einen final auf den Erfolg gerichteten Willenss bei den Unterlassungen nicht geben kann, hat unmittelbare Konsequenzen im Bereich der unechten Unterlassungsdelikte: (1) Tatbestände, die das Merkmal der absichtlichen Herbeiführung des Erfolges enthalten, können durch Unterlassungen nicht erfüllt werden. (2) Tatbestände, die die Absicht oder den dolus directus verlangen, können nur auf solche Unterlassungen angewendet werden, bei denen der Untätige sicher war, daß der Erfolg bevorstehe und daß er ihn abwenden könnte; dann liegt dolus directus vor, während es sich beim bloßen Fürmöglichhalten stets um dolus eventualis, nicht um Absicht handelt. (3) Tatbestände, die neben dem auf die Umstände des objektiven Tatbestandes bezogenen Vorsatz eine darüberhinausgehende "Absicht" verlangen, sind dann nicht auf Unterlassungen anwendbar, wenn darunter eine Absicht i. e. S. zu verstehen ist. 33
Vgl. die Definition der Absicht bei Schönke!Schröder, § 59 Rdn. 48.
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Zu den Tatbeständen, die demnach nicht durch Unterlassen "begangen" werden können, gehört unter anderem der der Tötung zur Verdeckung einer Straftat, denn er enthält das Merkmal der Absicht (i. e. S.) der StrafvereitelungS4 • Vor allem aber gehört zu ihnen - wenn man das Merkmal der Vorteilsabsicht in § 263 als "auf die Erlangung des Vorteils zielgerichteten Willen35 " auslegt - der Betrug38• Damit hat die Untersuchung auch die Auffassung bestätigt, die Hellmuth Mayer gegen die herrschende Meinung und die Rechtsprechung vertritt'7.
ur. Die objektive Seite des Handlungsdelikts ist anders beschaffen als die objektive Seite des Unterlassungsdelikts. Dementsprechend ist auch der Inhalt des Vorsatzes bei diesem ein anderer als bei jenem. Die "dogmatische Funktion", die schwerere Unrechtsart (Schuldart) von der leichteren abzuheben, erfüllt der Vorsatz jedoch im Bereich der Unterlassungsdelikte ebenso wie in dem der Handlungsdelikte. Wenn das Geschehenlassen als die objektive Seite der Unterlassung dem Bewirken als der objektiven Seite der Handlung entspricht, so muß auch dem Wissen vom Geschehenlassen die gleiche Bedeutung zukommen wie dem Wissen vom Bewirken. Mit dieser überlegung allein lassen sich freilich die Werterwägungen nicht ausräumen, die Armin Kaufmann und Welzel zu der Annahme führen, daß die Unterlassung, bei der der Untätige die "tatbestandsmäßige Situation", nicht aber die Handlungsmöglichkeit erkennt, derselben Unrechtsart (Schuldart) angehöre wie die bewußte, ja daß sie sogar schwerer wiege. " Dieses Ergebnis ist unabhängig davon, ob man den Tatbestand dahin auslegt, daß der Tod als Mittel zur Strafvereitelung erstrebt sein müsse, oder dahin, daß auch eine auf Strafvereitelung gerichtete Handlung, die den Tod nur als Nebenfolge verursacht, ihn erfülle. - In JuS 1965, S.313 mit Er!. 26. habe ich mich zur Begründung desselben Ergebnisses - Unanwendbarkeit des Tatbestandes auf Unterlassungen - auf ein anderes Argument beschränkt, da ich die jetzt vorgetragenen dort, im Rahmen einer Fallbesprechung, nicht darlegen konnte. 15 Schönke/Schröder, § 263 Anm.129. Näher hierzu Welzel in NJW 1962, S. 20 ff. Widersprüchlich insoweit BGH 16, 1. 38 Allgemein wird betont, daß es für die Bestrafung nach § 263 nicht ausreicht, wenn der Täuschende weiß und es billigt, daß ihm ein Vorteil zufließen wird (vgl. etwa das Beispiel bei Welzel, a.a.O., S.22). In jedem Falle aber, in dem jemand wegen "Betrugs durch Unterlassen" bestraft wird (und in dem die vermeintliche Unterlassung nicht in Wahrheit eine Handlung ist), begnügt man sich mit dem Wissen und Billigen. 87 Strafrecht, S. 152. Ebenso jetzt Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 106 ff., 182 ff. In den Ergebnissen weitgehend übereinstimmend Bockelmann, Festschrift für Eberhard Schmidt, 1961, S. 437 ff. 19·
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Um diese These einsichtig zu machen, gibt Armin Kaufmann die folgende Darstellung der möglichen psychischen SachverhalteiS: (1) Dem Handlungspflichtigen kommt der Erfolg sehr gelegen. Er "versagt sich hier von vornherein dem Gedanken der Hilfeleistung. Ein Eingreifen oder gar dessen sinnvolle Gestaltung bedenkt er keinen Augenblick". (2) Der Unterlassende ist gleichgültig gegenüber dem Erfolgseintritt. Er ist - z. B. - in Eile. über die unterlassene Handlung "denkt er sicherlich nicht nach". (3) Der Handlungspflichtige befindet sich im inneren Zwiespalt. Er schwankt zwischen dem Wunsch einzugreifen und dem Wunsch, den Erfolg eintreten zu sehen oder schnell weiterzukommen. Zu dem Entschluß einzugreifen kommt es schließlich nicht. (4) Der Handlungspfiichtige ist zunächst gewillt zu helfen, deshalb überlegt er die Rettungsmaßnahme. Dann aber kommen ihm Bedenken, und er gibt den Entschluß auf. Am schwersten, so meint Armin Kaufmann, wiegen die Fallgruppen (1) und (2), in denen der Einverstandene oder Gleichgültige "von vornherein nicht gewillt" sei, das Geforderte zu tun, in denen er sich "von vornherein der Forderung des Rechts versagt" und sich "von Anfang an sperrt". Deutlich geringeren Schuldgehalt wiesen die Fallgruppen (3) und (4) auf, in denen der Unterlassende "wenigstens dahin schwankt", ob er das Gebotene tun soll. Die herrschende Meinung, die die ersten beiden Gruppen als fahrlässige, die letzten beiden als vorsätzliche Unterlassungen ansehe3', sei darum unhaltbar. Es fragt sich zunächst, ob diese Schilderung die bewußten und die unbewußten Unterlassungen zutreffend charakterisiert, insbesondere ob die genannten positiven Züge bei jenen, die genannten negativen Züge bei diesen notwendig auftreten. Daß der Unterlassende geschwankt habe, ist nicht Merkmal der bewußten Unterlassung; nur darauf kommt es an, daß er die Möglichkeit einzugreifen erkannt hat, mag er auch keinen Augenblick erwogen haben, von ihr Gebrauch zu machen. Der Gleichgültige oder mit dem Geschehen Einverstandene tritt also auch in den Fällen der bewußten Unterlassung in Erscheinung. Man könnte allerdings einwenden, daß derjenige, der von dem Geschehen nicht berührt wird oder es sogar gutheißt, nicht zur Vorstellung von der Möglichkeit des Eingreifens gelange, daß also die "Anteilnahme" zwar nicht Merkmal der bewußten 38 Festschrift, S. 224 ff. Siehe auch S. 209 und Dogmatik, S. 112, 116 f., 309 ff., ferner Wetzet, Strafrecht, S.184, 191. •• Für einen Unterfall der Gruppe (3) nimmt Armin Kaufmann an, daß bei ihm die h. M. den Vorsatz verneinen könnte: für den Fall, daß "der innere Zwiespalt sich so sehr im allgemeinen (bewegt), daß über die konkrete Rettungsmaßnahme nicht reflektiert wird". - Zum Verhältnis von Reflexion und Bewußtsein siehe unten bei Anm.44--47.
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Unterlassung wäre, wohl aber - auf Grund einer psychischen Gesetzmäßigkeit - tatsächliche Voraussetzung für die Entstehung des Bewußtseins von der Eingriffsmöglichkeit. Wenn es bei A::rmin Kaufmann heißt, der Gleichgültige denke über die unterlassene Handlung "sicherlich" nicht nach'o, so scheint das auf die Annahme einer solchen Gesetzmäßigkeit hinzudeuten. Aber sie besteht nicht. Armin Kaufmann selbst zeichnet ja an anderer Stelle das Bild des Gleichgültigen und doch bewußt Unterlassenden ("in ihm regt sich nichts, kein Motivationsprozeß läuft ab, kein ,natürlicher Rettungsimpuls' muß unterdrückt werden ... ")41. Während somit auf der einen Seite ein Schwanken oder auch nur die Anteilnahme des Unterlassenden nicht notwendig für das Vorliegen einer bewußten Unterlassung ist, ist auf der anderen Seite die Gleichgültigkeit oder die Billigung des Geschehens nicht kennzeichnend für die unbewußten Unterlassungen (bei Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation"). Das Versagen, das darin liegt, daß jemand die Möglichkeit des Eingreifens nicht erkennt, muß nicht in einer solchen Einstellung begründet sein. Auch bei dem, in dessen Bewußtsein die Vorstellung vom Erfolgseintritt Mitleid, Trauer oder Mißbilligung auslöst, kann die Erkenntnis der Möglichkeit seiner Abwendung ausbleiben; und zwar kann sich die falsche Vorstellung, daß der Erfolg eintreten müsse, sogleich festsetzen, so daß es nicht einmal zu einem Suchen nach Rettungsmöglichkeiten kommt'!. Dazu ein Beispiel: Eine Pflegemutter hat das ihr anvertraute Baby vorübergehend im 1. Stock ihres Hauses alleingelassen. Als sie nach Hause zurückkehrt, sieht sie, daß ein Brand ausgebrochen ist, daß Erdgeschoß und Treppenhaus in Flammen stehen und daß der Brand trotz der Löscharbeiten auf das Obergeschoß übergreift. Der Gedanke, daß das Kind verloren sei, erfüllt sie mit Trauer und Entsetzen. Der rettende Gedanke, daß es möglich wäre, über eine (vorhandene) Leiter zum Balkon auf der Rückseite des Hauses und von dort zum Zimmer des Kindes vorzudringen, kommt ihr nicht. Ist ihr das vorzuwerfen, so handelt es sich nach Armin Kaufmann um eine "quasivorsätzliche", nach § 212 zu bestrafende Tötung durch Unterlassen. (Und zwar müßte der Frau deshalb, weil sie die Möglichkeit der Rettung nicht erkannte, eine schwerere Strafe auferlegt werden, als sie sie erlitten hätte, wenn sie bewußt den erkannten Rettungsweg nicht eingeschlagen hätte.) 40 Zur Frage, ob es auf ein "Nachdenken" ankommt, siehe unten bei Anm.44-47. 41 Siehe oben Anm. 17. 42 Das ist deshalb hervorzuheben, weil nach Armin Kaufmann der Vorwurf der "Quasivorsätzlichkeit" dann entfallen soll, wenn der Unterlassende immerhin nach einer Rettungsmöglichkeit gesucht hat. Siehe unten bei Anm. 55 und 59.
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Es kann so sein, daß das Geschehen immerhin einem unterbewußten "Wunsch" dieser Frau entgegenkam und daß ihr Versagen hieraus zu erklären ist. Aber das ist etwas anderes als die Gleichgültigkeit, Gefühllosigkeit und Ruchlosigkeit, die den unbewußten Unterlassungen eigen sein soll und deren "Prämiierung" der herrschenden Lehre zum Vorwurf gemacht wird'8. Die Darstellung der Fallgruppen der Unterlassungen ist weiter insofern ungenau, als Armin Kaufmann als Fälle der unbewußten Unterlassungen solche bezeichnet, in denen der Untätige die Möglichkeit des Eingreifens nicht "erwägt", nicht "überlegt", nicht "bedenkt", in denen er nicht über sie "nachdenkt""; denn das Fehlen einer Reflexion über die Handlungsmöglichkeit ist nicht gleichbedeutend mit dem Fehlen des Bewußtseins von ihr. So ist bei einem Teil der Fälle, die Annin Kaufmann nennt, um zu zeigen, daß die unbewußten Unterlassungen einen besonders hohen Unrechtsgehalt aufwiesen, zu bezweifeln, daß es sich um unbewußte Unterlassungen handelt. Das gilt etwa für den Fall des Strafverfolgungsbeamten, der "nicht einen Augenblick die Möglichkeit seines Einschreitens (erwägt), weil der Tatverdächtige zu seinem Klüngel gehört"45; nur unter ganz besonderen Umständen etwa wenn er nur außerdienstlich von dem Vorfall erfährt - ist es denkbar, daß ihm die Möglichkeit des Einschreitens auch nicht bewußt ist. Die Ausführungen Armin Kaufmanns lenken freilich das Augenmerk auf einen wunden Punkt in den bisherigen Vorsatzlehren: Die Frage, wann von einem Bewußtsein bezüglich eines Umstandes gesprochen werden kann, ist in einem Grenzbereich bislang noch nicht vollständig geklärt. Zwar ist es auf der einen Seite gewiß, daß dem Menschen alle diejenigen Umstände bewußt sind, denen er seine Aufmerksamkeit zuwendet; auf der anderen Seite ist es gewiß, daß ihm Umstände, von denen er ein nur latentes, reproduzierbares "Wissen" hat, damit noch nicht bewußt sind. Problematisch jedoch ist die Frage, wie das psychische Phänomen des "am Rande Bewußten" und des "Mitbewußten " exakt zu erfassen ist. Eine erste eingehende, auf Erkenntnisse der Psychologie gestützte Untersuchung hat in neuester Zeit Platzgummer48 vorgelegt, der sich jedoch auf einzelne Fragenbereiche konzentriert hat. Eine Auswertung für das Problem des Bewußtseins von den Umständen, die die Unterlassung konstituieren, steht noch aus. Feststehen dürfte immerhin soviel: Auch ein sinnlich nicht wahrnehmbarer Umstand (wie die Möglichkeit der Vornahme einer bestimm43 Welzel, Strafrecht, S.184; Armin Kaufmann, Dogmatik, S.112, 311, Festschrift, S. 209 f., 217, 227. 44 Festschrift, S. 209, 224 f. 45 Festschrift, S. 209. ce Die Bewußtseinsform des Vorsatzes, 1964, insb. S. 63 ff., 81 ff.
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ten Handlung) kann dem Menschen als Bestandteil eines Komplexes von Umständen bewußt werden, auch wenn sich die Aufmerksamkeit nicht auf ihn richtet. Hierzu ein Beispiel: Eine Mutter badet ihr Kind, das Kind entgleitet ihr und gerät mit dem Kopf unter Wasser. Da die Frau das Kind seit jeher als eine schwer erträgliche Last angesehen hat, ist sie froh über das Geschehen und tut nichts. Hier ist, ohne daß es der Feststellung irgendwelcher zusätzlicher psychischer Vorgänge bedürfte, die Aussage berechtigt, daß der Frau die Möglichkeit der Rettung bewußt war. Auch wenn sie dieser Möglichkeit keinen Gedanken zugewendet hat, ist aus der jederzeit latenten Kenntnis der Erfahrungssätze hier durch den Eintritt der Situation, auf die sie sich beziehen, ein aktuelles Wissen geworden; die Möglichkeit der Rettung ist der Frau zusammen mit der Wahrnehmung und Erfassung des äußeren Geschehens bewußt geworden. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Fälle, deren Privilegierung Armin Kaufmann und Welzel als anstößig ansehen, dürfte der Streit durch eine Klärung des Begriffs des Bewußten beigelegt werden können(7. Trotz aller dieser Korrekturen an der Beschreibung der Fälle durch Armin Kaufmann bleibt allerdings die Tatsache bestehen, daß es auch den von ihm genannten Fall gibt - die Unterlassung dessen, der dem Geschehen gegenüber gleichgültig ist oder es sogar billigt und dem die Eingriffsmöglichkeit nicht bewußt wird, obwohl sie ihm erkennbar ist. Darum bleibt schließlich zu fragen, ob dieser Fall geeignet ist, die Unrichtigkeit der herrschenden Lehre darzutun. Sieht man sich die "Gleichgültigkeit" und das "Billigen" näher an, so ist festzustellen, daß es sich hierbei um Einstellungen zu einem Ge!>chehen handelt, das der Betreffende ablaufen sieht, ohne es auf sich als "Tatmächtigen" zu beziehen. Die Einstellung des (unbewußt) "quasivorsätzlich" Unterlassenden unterscheidet sich nicht von der des Sohnes, der beim Ruf an das Sterbebett seines Vaters keine Trauer empfindet oder gar dem Erbfall erwartungsvoll entgegenblickt. Man mag diesen Sohn wegen seiner Gefühllosigkeit schelten, und man mag diese Einstellung "ruchlos" nennen. Grundlage für eine Zurechnung des Todes oder für einen Schuldvorwurf kann sie nicht sein. Nun sollen Zurechnung und Schuldvorwurf nicht allein an den Gefühlsmangel anknüpfen, sondern daran, daß der Unterlassende "sich" dem Gedanken an das Eingreifen "versagt", "sich sperrt". Aber damit ist - da der Gedanke ja eben ausbleibt - nicht eine sich im Bewußtsein vollziehende Stellungnahme bezeichnet. Gemeint sein kann nur ein 47
Vgl. schon Schaffstein, wie Anm. 3, S.201 Anm.67.
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psychischer Zusammenhang außerhalb des Bewußtseins: Der Untätige gelangt wegen eines Defektes in seiner Charakterstruktur nicht zu der von ihm verlangten Erkenntnis. Dieses Versagen (das nicht ein "Sichversagen " ist) ist jedoch das für das Fahrlässigkeitsdelikt typische. Auch von dem Täter eines fahrlässigen Handlungsdelikts ließe sich - in demselben Sinne, in dem diese Worte verwendet sind - sagen, er habe sich "der Forderung des Rechts versagt", sich gegen den Gedanken an die Steuerung seiner Handlung "gesperrt". Wäre das Versagen dessen, der die Handlungsmöglichkeit nicht erkennt, dem Unterlassen im Bewußtsein der Tatmacht gleichzuachten, dann wäre es wohl auch richtig, denjenigen, der gegenüber den Anforderungen des sozialen Zusammenlebens so weit abgestumpft ist, daß er an die naheliegenden Folgen seines Handeins nicht denkt, dem gleichzustellen, der diese Folgen vorhersieht und trotzdem handelt. So betrachtet wäre die Unterscheidung danach, ob der Täter den Erfolg vorhergesehen hat, eine Privilegierung des Abgestumpften. Diese Auffassung ist in der Tat auch vertreten worden - von Hall48, der aus ihr die Forderung abgeleitet hat, in bestimmten Fällen der Leichtfertigkeit die Vorsatzstrafe eintreten zu lassen. Aber diese Forderung ist zu Recht allgemein abgelehnt worden. Das Ausbleiben des Erkenntnisprozesses mag auf einen schweren Charaktermangel hinweisen. Die Bestrafung nach den Tatbeständen der Vorsatzdelikte kann es nicht begründen, im Bereich der Handlungen ebensowenig wie in dem der Unterlassungen".
IV. Die Gleichstellung der unbewußten Unterlassungen bei Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" mit den bewußten ist für Armin KaufFestschrift für Edmund Mezger, 1954, S. 229 ff., insb. S.245, 248. Wäre es richtig, daß die unbewußten Unterlassungen (bei Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation") und die bewußten derselben Unrechtsart angehörten, dann müßte weiter ihr Verhältnis zu den Unrechtsarten der Handlungsdelikte geklärt werden. Armin Kaufmann und Welzel setzen die Unrechtsart beider Fallgruppen mit der der vorsätzlichen Handlungen gleich; die "quasivorsätzliche" Unterlassung des Garanten soll ja nach den Tatbeständen des vorsätzlichen Handlungsdelikts bestraft werden. Nach den Darlegungen Armin Kaufmanns, die auf den Nachweis gerichtet waren, daß den bewußten Unterlassungen ein wesentliches Element des Vorsatzes fehle und daß das "bloße" Wissen auch für die Bewertung nicht dem Vorsatz gleichgestellt werden könne, läge der entgegengesetzte Schluß näher: daß beide Gruppen gemeinsam eine gegenüber den vorsätzlichen Handlungen niedere Unrechtsart darstellten. Für das geltende Recht ist eine Bestrafung auch unbewußter Unterlassungen nach den Tatbeständen der vorsätzlichen Handlungsdelikte auch durch das Verbot "nullum crirnen sine lege" ausgeschlossen. Die geläufigen Begründungen für die Zulässigkeit der Bestrafung der unechten Unterlassungsdelikte decken eine solche Gleichstellung nicht. Ein Gericht, das eine Frau, die ihr Kind sterben sah, ohne die Möglichkeit der Rettung zu erkennen, wegen vorsätzlicher Tötung bestrafen wollte, könnte sich nicht darauf berufen, daß der Gesetzgeber es so bestimmt habe. 48
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mann und Welzel nicht nur das Ergebnis der Betrachtungen zur Vorsatzfrage und der überzeugung von der Gleichwertigkeit der beiden Fallgruppen. Sie ist zugleich eine der Folgerungen, die aus der Hauptthese Armin Kaufmanns über die Unterlassungsdelikte abgeleitet werden: aus dem "Umkehrprinzip". Darum ist es notwendig, auf dieses Prinzip und die daran anknüpfenden dogmatischen Überlegungen einzugehen. Dabei wäre es nicht sinnvoll, die Kritik von vornherein von der Position der herrschenden Lehre (soweit sie als richtig anerkannt wurde) aus zu führen; bei einem solchen Vorgehen könnte sich kaum etwa~ Neues ergeben. Vielmehr soll untersucht werden, wieweit die Ableitung der Thesen Armin Kaufmanns und Welzels aus dem "Umkehrprinzip" schlüssig ist; dabei sollen neben den Aussagen über das "quasivorsätzliche" Unterlassungsdelikt auch die über das fahrlässige in die Betrachtung einbezogen werden, da nur so das System in seinen Zusammenhängen erfaßt werden kann. Als "Umkehrprinzip" bezeichnet Armin Kaufmann zwei Sätze (die er nur als unterschiedliche Formulierungen desselben Prinzips ansieht): (1) "Die gleiche rechtliche Wirkung wie beim Begehungsdelikt tritt beim Unterlassungsdelikt ein, wenn mit Bezug auf die unterlassene Handlung die umgekehrte Struktur vorliegt wie bei der begangenen Handlung." (2) "Tritt bei der unterlassenen Handlung die gleiche Erscheinungsform auf wie bei der begangenen Handlung, so zeitigt sie beim Unterlassungsdelikt die umgekehrte Wirkung 50• " Er wendet nun den Satz (1) auf das vorsätzliche Handlungsdelikt an und kommt zu dem Ergebnis: Der Vornahme einer verbotenen Handlung auf Grund eines Entschlusses entspricht das Fehlen des Entschlusses zur Vornahme der gebotenen Handlung trotz Fähigkeit zur Entschlußfassung. Das "quasivorsätzliche" Unterlassungsdelikt soll nun nach Armin Kaufmann auch das Merkmal der (aktuellen) Kenntnis der" tatbestandsmäßigen Situation" enthalten. Aus der vorgenommenen "Umkehrung" ergibt sich dieses Merkmal nicht unmittelbar. Für seine Aufnahme in den Begriff gibt Armin Kaufmann die Begründung51, daß die Entschlußfähigkeit jene Kenntnis voraussetze; von dem, der die Wissensbasis, die in der Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" besteht, nicht habe, könne nicht gesagt werden, daß ihm die Entschlußfassung möglich sei. Diese These (die noch näher zu betrachten sein wird) bezieht sich nicht nur auf das "quasivorsätzliche" Unterlassungsdelikt. Ohne Entschlußfähigkeit kann es überhaupt keine zurechenbare Unterlassung geben. Hängt die Entschlußfähigkeit von der Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" ab, so kann beim Fehlen dieser Kenntnis auch kein fahrlässiges Unterlassungsdelikt vorliegen. 50
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Dogmatik, S. 88 f.i siehe auch Festschrift, S.230. Dogmatik, S. 41 ff., 104 ff.
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Auch den Begriff des fahrlässigen Unterlassungsdelikts gewinnt Armin Kaufmann auf dem Wege der " Umkehrung " gemäß dem Satz (1): Während beim fahrlässigen Handlungsdelikt der Täter den vom Recht mißbilligten Erfolg herbeiführt, ohne daß sein Wille den Erfolg umfaßt, liegt ein fahrlässiges Unterlassungsdelikt dann vor, wenn der Handlungspflichtige den von der Rechtsordnung erwarteten Erfolg nicht erreicht hat, obwohl der Wille vorhanden war, ihn herbeizuführen 52• Als fahrlässiges Unterlassungsdelikt betrachtet Armin Kaufmann deshalb den "fehlgeschlagenen Gebotserfüllungsversuch": Der Täter nimmt eine Handlung vor, mit der er das Gebot erfüllen will; infolge einer Sorgfaltspflichtverletzung mißlingt ihm das. Ein erstes Bedenken gegen das "Umkehrprinzip" ergibt sich aus der Begriffsbestimmung des fahrlässigen Unterlassungsdelikts. Sie läßt sich wohl als eine Anwendung des Satzes (1) des "Umkehrprinzips" verstehen (gleiche rechtliche Wirkung bei umgekehrter Struktur). Wie aber verhält es sich mit der "Umkehrung" gemäß dem Satz (2) (umgekehrte rechtliche Wirkung bei gleicher Struktur)? Die Erscheinung im Bereich der Handlungsdelikte, die in ihrer Struktur dem fahrlässigen Unterlassungsdelikt (nach dieser Begrüfsbestimmung) entspricht, ist der Versuch. Armin Kaufmann hat das aufgezeigt und dazu erklärt, daß die Begriffsbestimmung des fahrlässigen Unterlassungsdelikts auch eine Folgerung aus dem Satz (2) des Umkehrprinzips sei: Während beim Handlungsdelikt der Wille, der das Ziel verfehlt, einen Versuch darstelle, führe dieselbe Erscheinung beim Unterlassungsdelikt zur Frage der Fahrlässigkeit53 (nur zur Frage der Fahrlässigkeit, denn es muß ja noch eine Sorgfaltspflichtverletzung hinzukommen). Aber es leuchtet nicht ein, daß die (mögliche) Strafbarkeit wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts gegenüber der Strafbarkeit wegen Versuchs die "umgekehrte rechtliche Wirkung" darstellen soll; wohl eher könnte man die Straflosigkeit als umgekehrte Wirkung gegenüber der Bestrafung wegen Versuchs verstehen - wie Armin Kaufmann es an anderer Stelle auch tut5'. Die übereinstimmung zwischen dem Satz (2) des "Umkehrprinzips" und der Begriffsbestimmung des fahrlässigen Unterlassungsdelikts ist damit zumindest zweifelhaft. Aber auch zwischen dem Satz (1) des "Umkehrprinzips" und den Thesen Armin Kaufmanns zum fahrlässigen Unterlassungsdelikt besteht keine volle übereinstimmung. Die Begriffsbestimmung läßt sich zwar Dogmatik, S. 170 unten, 171. Siehe ferner S. 109 f., 114 f., 121 ff., 317. Dogmatik, S. 170 Mitte. 54 Dogmatik, S. 89: Satz (2) des "Umkehrprinzips" ergebe: "Der fehlgeschlagene Versuch, die verbotene Handlung vorzunehmen, führt (ggf.) zur Strafbarkeit; der fehlgeschlagene Versuch, die gebotene Handlung durchzuführen, befreit von Strafbarkeit." 51
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auf diesen Satz zurückführen; aber von dieser Begriffsbestimmung (Wille zur Gebotserfüllung, und zwar betätigter Wille, der infolge eines Sorgfaltsmangels nicht zum Ziele führt) muß Armin Kaufmann bei zwei Fallgruppen abweichen: (1) Der Unterlassende hat die "tatbestandsmäßige Situation" erkannt, er überlegt, ob ein Eingreifen möglich ist, erkennt jedoch die vorhandene Möglichkeit nicht, obwohl sie ihm erkennbar war 55 • (Ein Nichtschwimmer sieht ein Kind ertrinken; da er nicht sorgfältig genug überlegt, denkt er nicht an den Kahn, den er zuvor am Ufer gesehen hat.) - (2) Der Unterlassende hält zunächst das Vorliegen einer "tatbestandsmäßigen Situation" für möglich, kommt jedoch infolge eines Sorgfaltsmangels zu dem Schluß, daß sie doch nicht gegeben seise. (Ein Kraftfahrer kommt an einem umgestürzten Fahrzeug vorbei; er hält es zunächst für möglich, daß es soeben verunglückt sei - eventuell verlangsamt er seine Fahrt um nachzusehen -, er meint dann aber irrig, daß es sich um einen "alten Unfall" handeles7 . Ein Bademeister sieht einen Burschen auf ein Schiff zuschwimmen; er denkt an die Möglichkeit, daß der Schwimmer unter das Schiff geraten könnte, beruhigt sich dann aber bei dem Gedanken, daß er sich nicht zu nahe heranwagen werde; der Schwimmer verunglückt.) Bei beiden Fallgruppen sind die Merkmale des "quasivorsätzZichen" Unterlassungs delikts erfüllt58• Armin Kaufmann rechnet sie gleichwohl zu den nur fahrlässigen und erklärt dazus9 : Immerhin sei der Unterlassende hier "gewillt" gewesen, das vom Recht Gebotene zu tun. Aber nach der aus dem "Umkehrprinzip" gewonnenen Definition des fahrlässigen Unterlassungsdelikts würde das nicht ausreichen, um ihn von dem Vorwurf der "Quasivorsätzlichkeit" zu befreien. Denn zur Bildung des Willens zur Vornahme der gebotenen Handlung oder gar zu seiner Betätigung ist es nicht gekommen. Das Überlegen, ob eine Rettungsmöglichkeit besteht, ist kein Rettungswille, und die Prüfung, ob eine Gefahr droht oder ein Unfall geschehen ist, steht dem Rettungswillen bzw. dem Willen zur Hilfeleistung noch ferner. Daß der Unterlassende "gewillt" gewesen sei einzugreifen, kann wohl nur bedeuten, daß er eine Einstellung zum Geschehen gezeigt habe, die darauf schließen lasse, daß er die gebotene Handlung gewollt und vorgenommen haben würde, wenn er nicht einem Irrtum erlegen wäre. Aber auch das ist zweifelhaft; ob der, der überlegt oder auch nachgesehen hat, auch geholfen hätte, steht Festschrift, S. 225 (Fall 5), 226. Dogmatik, S. 173, 175. 57 So das Beispiel Armin Kaufmanns in Dogmatik, S. 173. 58 Daß die Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" auch in den Fällen der 2. Gruppe zunächst vorhanden war, hebt Armin Kaufmann hervor (Dogmatik, S. 173, siehe auch S. 42). Andernfalls läge nach seinen Prämissen ja überhaupt keine zurechenbare Unterlassung vor. 58 Dogmatik, S. 173 f. 55 58
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durchaus nicht fest. Und von dem, der sich gar ohne jedes Nachdenken beruhigt hat, daß die "tatbestandsmäßige Situation" doch nicht vorliegeSO, wird man schwerlich sagen können, daß er "gewillt" gewesen sei, das Gebot zu erfüllen. Doch wie dem auch sei: Läßt man ein solches "Gewilltsein" genügen, so hat man die Begriffsbestimmung, die sich aus dem "Umkehrprinzip" ergeben hat, verlassen. - Damit soll nicht bezweifelt werden, daß die Beurteilung der Fälle richtig ist, wohl aber, daß sie mit dem "Umkehrprinzip" übereinstimme. Ein wichtiger Baustein im System Armin Kaufmanns ist die These, daß es ohne die Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" keine Entschlußfähigkeit und damit keine zurechenbare Unterlassung gebe. Erst aus der Verknüpfung dieser These mit dem "Umkehrprinzip" ergeben sich, wie erwähnt, die Merkmale des "quasivorsätzlichen" Unterlassungsdelikts. Sie führt außerdem zu einer Einengung des Bereichs des Strafbaren, indem sie - das ist ja ihr Inhalt - alle Fälle der Unkenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" a !imine aussondert, so daß sie auch nicht von den Tatbeständen der fahrlässigen Delikte erfaßt werden können. Begründet wird diese Auffass1mg mit der Überlegung S1 : Eine Finalsteuerung könne nur vom erfaßten Ziel her geplant und in Gang gesetzt werden; deshalb könne nur von dem, der das Ziel der möglichen Handlung erfaßt hat, gesagt werden, daß es ihm möglich sei, den Entschluß zur Handlung zu fassen und zu verwirklichen. Wer die "tatbestandsmäßige Situation" nicht kennt, habe das Ziel der von ihm geforderten Handlung jedoch nicht erfaßt. Für die Ergebnisse, zu denen diese Auffassung führt, zwei Beispiele: Von der Tür eines Hauses am Rhein sieht ein Kindermädchen amüsiert zu, wie der von ihr beaufsichtigte Dreijährige einen im Wasser vorbeitreibenden Stock entdeckt, ans Ufer läuft und ihn herauszufischen versucht. Das Kind fällt ins Wasser und ist nicht mehr zu retten. Da das Kindermädchen die Todesgefahr nicht erkannt hat, kann sie nach jener Auffassung kein Vorwurf treffen. - Ein Kind, das mit seinem Onkel auf dem Gehsteig einer stark befahrenen Straße spazierengeht, entdeckt auf der anderen Straßenseite einen Spielkameraden. Es ruft ihm zu "ich komme" und läuft kurz darauf unbesonnen auf die Fahrbahn, da es der Onkel nicht zurückhält. Es wird überfahren. Ist dem Onkel die Gefahr des Todes nicht in den Sinn gekommen, so ist ihm nach jener Auffassung der Tod nicht zuzurechnen. 80 So in dem Beispiel Armin Kaufmanns in Dogmatik, S. 175. Daß in jedem Falle, in dem der Unterlassende die "tatbestandsmäßige Situation" (nach anfänglichem Fürmöglichhalten) verkennt, nur Fahrlässigkeit anzunehmen sein soll, ist in Festschrift, S. 230 Anm. 49 betont. 81 Dogmatik, S. 41 f., 44, 45, 81, 105.
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An diesen Beispielen zeigt sich, daß auch in Fällen, in denen der Untätige die "tatbestandsmäßige Situation" nicht erkannt hat, die Feststellung, daß es ihm möglich war, den Entschluß zum Eingreifen zu fassen und zu verwirklichen, getroffen werden kann. Das Nichteingreifen ist dem Onkel wie dem Kindermädchen deshalb vorzuwerfen, weil er von seiner Wissensbasis aus zum Bewußtsein der Gefahr und damit zu dem von der gebotenen Handlung und zum Entschluß einzugreifen kommen konnte und sollte. Diesen Zusammenhang will, wenn ich recht sehe, auch Armin Kaufmann nicht bezweifeln; doch meint ern, daß die Fähigkeit, zur Kenntnis der" tatbestandsmäßigen Situation" zu gelangen, noch nicht die Fähigkeit zum Handeln sei. Das ist richtig, aber aus der einen Fähigkeit folgt in diesen Fällen die anderee3 • Auch bei Erkennbarkeit der "tatbestandsmäßigen Situation" kann somit ein (fahrlässiges) Unterlassungsdelikt vorliegen. Anderer Auffassung als Armin Kaufmann ist in diesem Punkte auch Welze!. Er nennt als einen der Fälle des fahrlässigen Unterlassungsdelikts den, daß der Unterlassende die "tatbestandsmäßige Situation" nicht erkennt, obwohl sie ihm erkennbar ist84 • Das bedeutet, daß Welzel mit der herrschenden Lehre die Auffassung teilt, daß die Entschlußfähigkeit nicht notwendig die Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" voraussetzt. Stimmt man dem zu, so hat das Konsequenzen für das gesamte auf dem "Umkehrprinzip" aufbauende System. Denn: Aus dem "Umkehrprinzip" ergibt sich, daß ein "quasivorsätzliches" Unterlassungsdelikt immer dann vorliege, wenn es nicht zum Entschluß zur gebotenen Handlung gekommen ist, obwohl der Unterlassende den Entschluß hätte fassen können. Erkennt man an, daß die letztere Voraussetzung auch bei bloßer Erkennbarkeit der "tatbestandsmäßigen Situation" erfüllt sein kann, so ergibt sich als Folgerung aus dem "Umkehrprinzip": Auch in den genannten Fällen der Erkennbarkeit der "tatbestandsmäßigen Situation" liegt ein "quasivorsätzliches" Unterlassungsdelikt vor. (AnDogmatik, S.41. Dieser Zusammenhang besteht selbstverständlich nicht in jedem Falle. Es kann sein, daß jemandem zwar die Gefahr erkennbar ist, daß er aber auch dann, wenn er sie erkannt hätte, die Möglichkeit ihrer Abwendung nicht hätte sehen können. " Strafrecht, S.187, 201 f. - Bei den unechten Unterlassungsdelikten vertritt Welzel allerdings eine Auffassung, die zu denselben Ergebnissen führen könnte wie die Armin Kaufmanns: Auch ein fahrlässiges unechtes Unterlassungsdelikt könne nur dann vorliegen, wenn die (aktuelle) Kenntnis zwar nicht der Gefahr, wohl aber der Garantenstellung vorhanden ist (S. 202). Wieweit aber von einer Kenntnis der Garantenstellung gesprochen werden kann, wenn es an der Kenntnis der Gefahr fehlt, ist zweifelhaft (ebenso wie es zweifelhaft ist, wieweit von einer GarantensteIlung gesprochen werden kann, wenn keine Gefahr besteht). Ist das Bewußtsein des X, daß er der Vater seines Sohnes ist, schon die Kenntnis einer GarantensteIlung - oder wird es dazu nicht erst dann, wenn er erkennt, daß seinem Sohn eine Gefahr droht? I!
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gewendet auf die Beispiele bedeutet das: Kindermädchen und Onkel wären nach § 212 zu bestrafen.) Ein solches Ergebnis ist offensichtlich unrichtig. Wenn man die These "ohne Kenntnis der ,tatbestandsmäßigen Situation' keine Entschlußfähigkeit" nicht anerkennt, kann man somit auch die Annahme nicht aufrechterhalten, daß das "Umkehrprinzip" Grundlage für die Bestimmung der Merkmale des "quasivorsätzlichen" und des fahrlässigen Unterlassungsdelikts sein könneo5 •
V. In den Lehren Armin Kaufmanns und Welzels haben der Begriff der "tatbestandsmäßigen Situation" und der von ihm abhängige Begrüf der "Kenntnis der ,tatbestandsmäßigen Situation'" zentrale Bedeutung. Einerseits sieht Armin Kaufmann diese Kenntnis als notwendiges Element jeder zurechenbaren Unterlassung an; andererseits sehen er und Welzel diese Kenntnis als ausreichend an, um ein Unterlassungsdelikt der höchsten Unrechtsart zuzurechnen. Im Hinblick auf die letztere Funktion sollen die Begriffe noch einmal betrachtet werden. Für Armin Kaufmann ergibt sich die Bedeutung der Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" -- wie erwähnt - daraus, daß er die Erfassung des Zieles, das Erkennen des "konkreten Handlungsziels"ol als den Ausgangspunkt der Finalsteuerung ansieht. Die Zweifel an dieser überlegung, soweit aus ihr die Folgerung abgeleitet wird, daß es ohne die Erfassung des Ziels auch keine potentielle Finalität gebe, mögen nun auf sich beruhen; jetzt soll vielmehr gefragt werden, ob sich dann, wenn man auf das Erkennen des Ziels abstellt, nicht im Bereich der vorsätzlichen ("quasivorsätzlichen") Unterlassungsdelikte andere als die von Armin Kaufmann gezogenen Folgerungen ergeben. Die Begriffe der "tatbestandsmäßigen Situation" und der "Kenntnis der ,tatbestandsmäßigen Situation' ", so wie sie von Armin Kaufmann in übereinstimmung mit Welzel verwendet werden, entsprechen seinem Ausgangspunkt nicht. Derjenige, der (nur) die Kenntnis der "tatbestandsmäßigen Situation" besitzt, hat damit kein Ziel erfaßt. Das wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß zur "tatbestandsmäßigen Situation" ja eben nicht die Möglichkeit des Eingreifens gerechnet wird; das Bevorstehen des Todes etwa eines Angehörigen - nicht mehr - ist die "tatbestandsmäßige Situation" der Tötung durch Unterlassen07 ; nur das Vorliegen eines Unglücksfalles - nicht die Möglichkeit, weiteres Unheil abzuwenden - stellt die "tatbestandsmäßige Situation" der Une5 Zu der Frage, wieweit dieses Prinzip für die Lösung anderer Probleme des Unterlassungsdelikts wertvoll ist, ist damit nicht Stellung genommen. es Dogmatik, S. 42. Siehe ferner oben Anm. 61. 17 V21. Welzel. Strafrecht. S. 190 f.
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terlassung der Hilfeleistung dar'8 • Der Begriff der "tatbestandsmäßigen Situation" ist soweit reduziert, daß er in keiner Beziehung zu einer menschlichen Handlung steht. Wenn immer ein Mensch im Sterben liegt, befinden sich seine Angehörigen in der "tatbestandsmäßigen Situation" der Tötung durch Unterlassen; wenn immer ein bei einem Unfall Verletzter stirbt, befinden sich die Umstehenden in der "tatbestandsmäßigen Situation" der Unterlassung der Hilfeleistung. Ein Geschehen aber, das ohne Beziehung zu einem Menschen als Tatmächtigen abläuft, weist kein Handlungsziel auf. Darum ist auch das Wissen vom Ablauf des Geschehens ohne das Bewußtsein der Eingriffsmöglichkeit nicht die Erfassung eines Zieles. Zu ähnlichen Überlegungen geben auch die Ausführungen Welzels Anlaß. Welzel gibt für den Begriff der "tatbestandsmäßigen Situation" die Definition: "Sie umfaßt diejenigen tatbestandlich umschriebenen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen die Rechtsordnung ein Eingreifen fordert·D." Versteht man den Begriff so, dann liegt es in der Tat nahe, den damit bezeichneten Komplex von Umständen als den Gegenstand des Wissens anzusehen, das die Unterlassung zu einer vorsätzlichen ("quasivorsätzlichen") macht. Aber der Begriff der "tatbestandsmäßigen Situation", so wie er tatsächlich verwendet wird, stimmt mit dieser Definition nicht überein. Das Bevorstehen des Todes des Vaters ist nicht die Situation, in der das Recht dem Sohn ein Eingreifen befiehlt. Das Gebot greift nur ein, wenn der Tod abwendbar ist, und zwar durch eine Handlung des Sohnes. Die Möglichkeit der Vornahme der betreffenden Handlung - der Lebensrettung bei § 212, der Hilfeleistung bei § 330 c, der rechtzeitigen Anzeige bei § 138 - gehört somit zu den Voraussetzungen, unter denen das Recht das Handeln fordert.
Es erscheint geboten, dem Begriff der "tatbestandsmäßigen Situation" das Element einzufügen, das die zerrissene Beziehung zwischen dem Geschehen in der Außenwelt und dem Menschen wieder herstellt: das Element der Möglichkeit der Vornahme der Handlung. Dann entspricht der Begriff der angeführten Definition; dann trifft es auch zu, daß mit der Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation das Handlungsziel erfaßt ist. Dann ist auch dem Satze zuzustimmen, daß die Unterlassung bei Kenntnis der tatbestandsmäßigen Situation der höchsten Unrechtsart angehört; denn diese Kenntnis ist der Vorsatz.
e8 Vgl. Welzel, Strafrecht, S.184, 425. ev Strafrecht, S. 183.
Betrachtungen zur actio libera in causa, insbesondere in der Form vorsätzlicher Begehung Von Friedrich W. Krause, Kiel Als vor etwa 100 Jahren angesichts ihrer unterschiedlichen Behandlung in den partikularen Gesetzen die Diskussion um die actio libera in causa am lebhaftesten war1, fiel die Bemerkung, es handele sich hierbei mehr um eine Schulkontroverse als um eine Frage praktischer Bedeutung2 • Und in der Tat ist es um diese Rechtsfigur, nachdem sie durch Binding in den "Normen" ihre letzte geschlossene Darstellung erfahren hatte', lange Zeit still gewesen. Erst 1961 wieder hat Maurach in einem Aufsatz interessante sie berührende Fragen aufgeworfen'. Aber selbst heute trifft es keineswegs zu, daß die Problematik der actio libera in causa mehr von akademischem Interesse als von praktischer Bedeutung und überdies ausdiskutiert ist. So ist beispielsweise im Bereich der die Gerichte in zunehmendem Maße beschäftigenden Verkehrsdelikte die Frage höchst aktuell - und alles andere als geklärt - , welche subjektiven Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Tat des übermüdeten, betrunkenen oder unter Einwirkung von Medikamenten stehenden Kraftfahrers diesem unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen actio libera in causa zugerechnet werden kann. Es sind recht schwierige Fragen im Zusammenhang mit dieser Rechtsfigur, mit denen sich die moderne Strafrechtspraxis tatsächlich auseinanderzu1 Nachweise bei Karl Binding, Die Normen und ihre übertretung, 2. Aufl. 2. Bd. Erste Hälfte, Leipzig 1914 (Normen II), S. 614-617, die Anm. 11-13. 2 Teichmann, Allgemeine Deutsche Strafrechtszeitung, 1870, S. 215. a Normen II, S. 612 ff. 4 Fragen der actio libera in causa, JuS 1961, S. 373 ff. Die Auffassung von
der Strafbarkeit der actio libera in causa setzte sich gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts allgemein durch, in der Rechtspr. des RG mit RG St 22, 413 ff. Als einziger Autor von Rang hielt von Lilienthai noch 1908 an ihrer Straflosigkeit fest, Vergi. Darst. Allg. Teil, Bd. V, S. 34. In übereinstimmung mit einzelnen kantonalen Gesetzen behandelt Art. 12 des Schweiz. StGB von 1937 noch ausdrücklich die actio libera in causa, jedoch unvollständig und überflüssigerweise: Die dort getroffene Regelung betrifft nur eine Form der vorsätzlichen Begehung; ihre Strafbarkeit bestünde aber auch nach schweizerischer Auffassung ohne besondere Gesetzesbestimmung, s. Thormann - v. Overbeck, Schweiz. StGB, Zürich 1940, Art. 12, Anm. 2; Hans Schultz, Die Behandlung der Trunkenheit im Strafrecht, Frankfurt.' Berlin 1960, S. 28 und earl Stooss, Schweiz. Zeitschrift für Strafrecht 1929, S. 130, Anm. l. 20 Festschrift für Hellmuth Mayer
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setzen hat. Daß dabei die eigentliche Problematik häufig genug nicht erkannt wird, steht auf einem anderen Blatt. Unter einer actio libera in causa, so wird gemeinhin gelehrt, versteht man eine Handlung, deren entscheidende Ursache, die causa, vom Täter im zurechnungsfähigen, im "freien" Zustand gesetzt wird - dieser Zeitpunkt sei für das Folgende als t 1 (tempus 1) bezeichnet -, die sich als tatbestandsmäßiger Erfolg aber erst zu einem Zeitpunkt auswirkt, in dem der Täter zurechnungsunfähig ist5 - dieser Zeitpunkt sei mit tl! bezeichnet -. In diesen Fällen benutzt sich der Täter gleichsam selbst als Werkzeug, nachdem er den Geschehensablauf als Einsichts- und Bestimmungsfähiger in Gang gesetzt hats. Daß diese Beschreibung keine erschöpfende ist, somit keine Definition der actio libera in causa gibt, erhellt schon die Tatsache, daß nicht nur der Ausschluß der Zurechnungs-, sondern sogar der Handlungsfähigkeit, z. B. durch Schlaf7 , dieser Rechtsfigur unterfallen kann. Welchen Bereich die actio libera in causa über die vorgenannten Fälle hinaus nach geltendem Recht auszufüllen vermag, wird in der Literatur jedoch nur selten erörtert8 • Mit dieser Frage soll sich der erste Teil der folgenden Ausführungen beschhftigen. Wenn stets gelehrt wird, der actio libera in causa sei eigentümlich, daß der Täter sich in einen zurechnungsunfähigen Zustand versetzt, so erklärt sich das historisch. Die Lehre von der actio libera in causa hat sich an dem auch heute noch keineswegs befriedigend gelösten Problem der Behandlung trunkener Täter entwickelt. Bereits für die Kanonisten stellte sich die Frage, ob Gegenstand der Zurechnung, und zwar unter dem Gesichtspunkt einer culpa praecedens, die in der Trunkenheit begangene Tat oder ob es die ebrietas, die Trunkenheit selbst sei, die um des qualifizierten Erfolges willen Strafe verdiene. Im wesentlichen setzte sich diese zweite Ansicht durch: Die Schuld wurde im übermäßi5 Reinhart Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgern. Teil, 3. Aufl.., Karlsruhe 1965, (Maurach A. T.) S. 372. 8 Reinhard Frank, StGB, 18. Aufl., Tübingen 1931, § 51, Anm. V; Edmund Mezger, Strafrecht, Ein Lehrbuch, 3. Aufl.., Berlin und München 1949, S. 281; vgl. auch BGH LM zu § 51, Abs. 1, Nr. 7. 7 Man denke an das viel zitierte Beispiel der Mutter, die ihr Kleinkind zu sich ins Bett nimmt und es im unruhigen Schlaf erdrückt. Dieser Fall war bereits in der mittelalterlichen kirchenrechtlichen Lehre viel diskutiert worden, u. a. bei Abaelard in seiner Ethik, s. Stephan Kuttner, Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX., Vatikanstadt 1935 (Kuttner), S. 116 ff. Daß es sich hierbei um einen Fall der actio libera in causa handeln kann, war, wie sich aus dem fOlgenden Text ergibt, von den Kanonisten nicht erkannt. 8 So ausdrücklich bei Maurach, JuS 1961, S. 373 ff. und AT, S. 372 ff. und SchönkelSchröder, StGB, 12. Auf!. (Schröder) § 51, Rn. 36 ff.; s. auch Peter Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, Tübingen 1962 (Cramer) S. 129 ff.
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gen Trunke an sich gesehen, als dessen - unverschuldete - Folge das in der Trunkenheit begangene Delikt galtu. Wurde hiermit zwar eine Erkenntnis des Wesens der actio libera in causa vorbereitet, so wurde sie dogmatisch richtig doch erst von den Postglossatoren gesehen: Der Auffassung des Baldus folgend hielt man die Schuld deshalb für gegeben, weil der verbrecherische Wille schon vor der Zurechnungsunfähigkeit kausal geworden sepo. Die gemeinrechtliche Doktrin hat zur Lehre der offenbar von Kleinschrodl l erstmals so genannten actio libera in causa nichts Wesentliches beigetragen. Belastet blieb ihre wissenschaftliche Vertiefung und Klärung durch die allzu häufige Verquickung mit den Problemen, die wir heute bei § 330 a StGB erörternl2 • Es spielten historisch nur die Fälle des Versetzens in zurechnungsunfähigen Zustand - und zwar durch Trunkenheit - eine Rolle. So war es bekanntlich von Savignys Argument gegen die Strafbarkeit der actio libera in causa, daß bei der Volltrunkenheit der Kausalzusammenhang zwischen Absicht und Tat fehle13 • Die anderen Fälle der actio libera in causa wurden als solche noch nicht gesehen. Daß sich die zu dieser Rechtsfigur entwickelten Gedanken später zwanglos übertragen ließen auf die auf andere Weise als durch Trunkenheit herbeigeführte Zurechnungs- oder Handlungsunfähigkeit, liegt auf der Hand. Ob der Täter sich seiner Verpflichtung zum Handeln entzieht durch übermäßigen Alkoholgenuß oder durch Einnahme von starken Schlafmitteln, ist für die rechtliche Bewertung gleichgültig. Aber bereits die Einführung des § 51 Abs.2 StGB durch das Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933, der die fakultative Strafmilderung bei verminderter Zurechnungsfähigkeit brachte, hätte doch Anlaß geben müssen, die Frage aufzuwerfen, ob nicht das Versetzen in den Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit ebenfalls unter dem Gesichtspunkt • Im einzelnen s. Kuttner, S. 119-124. 10 S. Woldemar Engelmann, Die Schuldlehre der Postglossatoren und ihre Fortentwicklung, Leipzig 1895, S. 30 ff (31). 11 Gallus Aloys Kleinschrod's systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des peinlichen Rechts,!. Teil, Erlangen 1794, § 17, S. 26 und § 64, S. 106. 12 S. Friedrich Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des gemeinen Strafrechts, Berlin 1930, S. 103 H. 13 S. v. Savigny, bei Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten, Teil I, Berlin 1851, S. 353. Auf von Savignys überragenden Einfluß ist es zurückzuführen, daß in das preuß. StGB von 1851 die noch im ALR enthaltenen Bestimmungen über die Strafbarkeit der actio libera in causa (Teil II, Tit. 20, §§ 22 u. 78) nicht mit aufgenommen wurden, woraus die preuß. Praxis ihre Straflosigkeit folgerte, s. Richard Katzenstein, Die Straflosigkeit der actio libera in causa, Berlin 1901, S. 108 f.
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der actio libera in causa zur vollen Strafbarkeit, also zum Ausschluß der Milderung nach § 51 Abs. 2 StGB, führen kann. Läge es nicht näher, die Beispiele für vorsätzliche actio libera in causa in der Weise zu bilden, daß der Täter sich Mut antrinkt, um eine bestimmte Straftat, zum Beispiel eine Beleidigung zu begehen, als daß man die lebensfremden Fälle erörtert, in denen sich der Täter bis zur Zurechnungsunfähigkeit berauscht, um in diesem Zustand das geplante Delikt zu verwirklichen? Und kann es hierbei einen Unterschied machen, ob sich der Täter zur überwindung seiner Hemmungen in den Vollrausch (§ 51 Abs. 1 StGB) versetzt - wobei die Frage dahingestellt bleiben mag, ob das Tun gerade des Volltrunkenen angesichts seiner rauschbedingten Bewußtseinsstörung überhaupt noch Folge des im nüchternen Zustand gefaßten Vorsatzes istU - oder ob er sich zu diesem Zweck nur bis zum Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. 2 StGB) betrinkt? Es wäre jedenfalls ein ungereimtes Ergebnis, sollte den Täter, der in diesen Beispielen zum Zeitpunkt 1:: entweder (noch) zurechnungsfähig oder aber zurechnungsunfähig ist, volle Tatverantwortung treffen, demjenigen aber, der seinem vorgefaßten Plan gemäß nur vermindert zurechnungsfähig ist, die Strafmilderung nach § 51 Abs.2 StGB offenstehen 15 • Ist sonach die Anwendung der Grundsätze der actio libera in causa nicht beschränkt auf die Fälle des Ausschlusses der Handlungs- oder Zurechnungsfähigkeit, muß ihnen folgerichtig auch die bewußte Herbeiführung der lediglich verminderten Zurechnungsfähigkeit unterfallen, dann liegt die Frage nahe, ob nicht noch weitere Anwendungsmöglichkeiten gegeben sind. Maurach 18 hat in diesem Zusammenhang das folgende instruktive Beispiel gebildet: Der Tatbestand des § 148 StGB (Abschieben von Falschgeld, das der Täter als echt empfangen hat) setze bekanntlich direkten Vorsatz voraus. Infolgedessen würde der Tatbestand dann nicht zutreffen, wenn der Täter einen gutgläubig empfangenen Geldschein nach erkannter Unechtheit mit anderen Scheinen in seiner Brieftasche so gründlich drucheinandermischt, daß er bei nächster Gelegenheit den von ihm selbst nicht mehr individualisierten falschen Schein in Zahlung gibt; zum Zahlungszeitpunkt würde er dann allenfalls mit bedingtem Vorsatz handeln. Auch hier müßten die Regeln der actio libera in causa dem Täter dieses beliebte moralische Alibi versagen. Ebenfalls der bewußte Ausschluß des für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen dolus directus muß, wie dieses Beispiel überzeugend dartut, konsequenterweise einen Fall der actio libera in causa 14 Vgl. Hellmuth MayeT, Die folgenschwere Unmäßigkeit, ZStW, 59. Bd., S. 311; s. auch Cramer, S. 134, Anm. 132. 15 Vgl. Rechtspr. in Strafsachen, mitgeteilt durch die Schweiz. kriminalistische Gesellschaft, Bem 1956, Nr. 85. 18 JuS 1961. S. 374.
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bilden können. Kann man dann aber nicht einen Schritt weitergehen und den allgemeinen Satz aufstellen, daß jeder vom Täter herbeigeführte Ausschluß eines Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldmerkmals einen Fall der actio libera in causa zu bilden vermag? In der Tat will Maurach diese Konsequenz ziehen: Die actio libera in causa sei nicht nur ein Problem des Ausschlusses der Zurechnungsfähigkeit, wenn hier auch ihr praktisch bedeutsamstes Anwendungsgebiet liege, vielmehr sei taugliches Bezugsobjekt der actio libera in causa jedes verbrechenskonstitutive Merkmal l1 • Es handele sich, so führt er an anderer Stelle aus18 , bei der Provokation einer Notwehr- oder Notstandslage durch den Täter, um unter Berufung auf einen von ihm dolos heraufbeschworenen Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund eine Verletzungshandlung begehen zu können, um einen als solchen zwar meist nicht ausdrücklich bezeichneten, aber dennoch eindeutigen Fall der actio libera in causa. Da sich Beispiele kaum konstruieren lassen, bei denen trotz des Fehlens eines objektiven Tatbestandsmerkmals unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa ein vollendetes Delikt anzunehmen wäre, dürfte sich gerade an Hand der Problematik der provozierten Notwehr- oder Notstandslage dartun lassen, daß der Anwendungsbereich der actio libera in causa offenbar doch begrenzt sein muß. Daß sowohl die Strafbarkeit der - echten - actio libera in causa als auch vielfach in Fällen provozierter Notwehr- oder Notstandslage Ausfluß eines gemeinsamen übergeordneten Gedankens ist, den man als "Mißbrauch"111 von Rechten bezeichnen könnte, ist nicht zu verkennen. Es dürfte aber nicht angängig sein, den Begriff der actio libera in causa auf die Fälle der provozierten Notwehr- oder Notstandslage zu übertragen. Sowohl historische als auch dogmatische Argumente lassen sich hiergegen anführen. Für die jüngere gemeinrechtliche Doktrin war Verbrechensvoraussetzung ein factum legi contrarium und die actio libera20 , sponte admissa oder imputabilis. Das ,liberum' jedenfalls war eindeutig auf das Schuldmoment bezogen21 . Die actio libera in causa oder ad libertatem relata konnte sich damit begrifflich nur auf die subjektiven Voraussetzungen erstrecken, vermöge derer die Tat als Willens werk des Täters erscheint. Nun bleibt aber in den Fällen provozierter Notwehr- oder Notstandslage die Handlung, und zwar gerade im Zeitpunkt t 2, Willenswerk des Täters; ein 17 AT S. 372 unter Hinweis auf Schröder, § 51, Rn. 36 und eramer, S. 130 -, ferner JuS 1961, S. 374. 18 JuS 1961, S. 374. 1D Vgl. Schröder, § 53, Rn. 30 und die dort Zitierten. 10 G. J. F. Meister, Principia juris criminalis Germaniae communis, 6. Aufl., Göttingen 1819, § 20 am Ende, ferner § 23. 21 Friedrich Schaffstein, Die allgemeinen Lehren vom Verbrechen in ihrer Entwicklung durch die Wissenschaft des Gemeinen Strafrechts, Berlin 1930, S.37-39.
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Defekt liegt hier im Zeitpunkt ~ nicht vor, allenfalls könnte man von einem Defekt im Zeitpunkt 11. sprechen. Ist aber die Handlung in actu frei, dann handelt es sich schon nach allgemeinen Grundsätzen um etwas wesentlich anderes 22 : Für das Strafrecht ist entscheidend, ob in actu eine strafbare Handlung vorliegt. Was davor ist, ist nur in Ausnahmefällen für die rechtliche Wertung von Bedeutung. Der unter den Voraussetzungen der actio libera in causa schlechthin geltende Satz, daß der Defekt im Zeitpunkt ~ die Strafbarkeit nicht ausschließt, gestattet keine Umkehrung für die Fälle des Defekts im Zeitpunkt t 1 in der Weise, sie blieben - generell - strafbar, selbst wenn sich im Zeitpunkt ~ die Handlung als gerechtfertigt oder entschuldigt darstellen sollte. Kohlrausch hat für die Fälle provozierter Notwehrlage den Ausdruck "actio illicita in causa" geprägt!3: Ähnlich der actio libera in causa liege eine im Zeitpunkt des Tuns, zum Beispiel der Verletzung, gerechtfertigt scheinende, letzten Endes aber, in causa also, rechtswidrige Handlung vor. Es ist aber keineswegs so, daß jede Provokation die Notwehr- oder Notstandshandlung zu einer unerlaubten macht. Es bedarf hier feiner Differenzierungen, und die Meinungen über die strafrechtliche Behandlung der provozierten Notwehr- oder Notstandshandlung sind keineswegs einheitlich!4. Wie wenig sich die Fälle, die man begrifflich unter "actio illicita in causa" fassen müßte, über einen Kamm scheren lassen, mag der folgende von Binding geschilderte Fall26 zeigen: Der Sohn beabsichtigt, seinen Stiefvater wegen der ständigen Mißhandlungen der Mutter zu töten. Als eines Nachts wieder Streit aus dem elterlichen Schlafzimmer ertönt, ergreift er eine Axt, um seinen Vorsatz zu verwirklichen. Wie er das Zimmer betritt, hört er den Stiefvater der Mutter zurufen, daß er erst sie und dann sich erschießen wolle. Bevor der Stiefvater jedoch schießen kann, erschlägt ihn der Sohn mit dem Beil, das ihm unbewußt zur Notwehrwaffe geworden ist. Die Absicht, die Mutter zu retten und die Befugnis hierzu in dem Augenblick, als der Stiefvater auf die Mutter schießen wollte, nimmt der Tat - in actu, also zum Zeitpunkt t 2 - die Rechtswidrigkeit, ohne daß der Sohn sich dessen bewußt zu sein brauchte. Was im Zeitpunkt t 1 vorVgl. RG HRR 1939, Nr. 1316 (unter 2). Kohlrausch StGB, 38. Aufl., Berlin und Leipzig 1944, Vorbem. vor § 51, Anm. 2 am Ende. 24 S. Jürgen Baumann, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Bielefeld 1964, S. 259; Theodor Lenckner, Notwehr bei provoziertem und verschuldetem Angriff, GA 1961, S. 299 ff.; Claus Roxin, Die provozierte Notwehrlage, ZStW, 75. Bd. (1963), S. 541 ff. und Schröder, § 53, Rn. 30, sowie die dort weiter Zitierten. !5 Normen 11, S. 611 f. !I
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lag, ist in diesem Beispiel für die strafrechtliche Würdigung ohne Belang; hier gilt uneingeschränkt: cogitationis poenam nemo patitur28 • Während der Begriff der actio libera in causa also eine bestimmte Rechtsfigur mit bestimmten rechtlichen Konsequenzen bezeichnet, deutet der Begriff der actio illicita in causa lediglich eine bestimmt gelagerte Problematik an, wobei für die Lösung des Einzelfalles immer noch auf dessen Besonderheiten abzustellen ist. So läßt sich als erstes Ergebnis dieser Erörterung festhalten: Taugliches Bezugsobjekt der actio libera in causa ist neben der Handlungsfähigkeit jedes Schuldelement, also jede subjektive Voraussetzung -berühre sie die Schuldfähigkeit oder die Schuldformen -, vermöge deren die Tat als Willenswerk des Täters erscheint, aber auch nicht mehr. Können sonach den die Kongruenz von subjektiver Zurechnung und Tat scheinbar aufhebenden Defekt sowohl die Handlungsfähigkeit als auch alle Momente bilden, die die Tat zum Willenswerk des Täters machen, so soll sich die folgende Untersuchung der Frage zuwenden, wie weit dieser Defekt selbst von der Willensherrschaft des Täters einbeschlossen sein muß. Der bekannten Entscheidung BGH St 7,326 lag der folgende Fall zugrunde: Die Angeklagte wollte ihre Nebenbuhlerin durch Hammerschläge auf den Kopf töten. Sie geriet hierbei in einen Blutrausch, in dem sie, ohne die folgenden Handlungen in ihr Bewußtsein aufzunehmen, ein zufällig dastehendes Beil ergriff und auf Gesicht und Kopf der Nebenbuhlerin einschlug, die an den Verletzungen verstarb. Zugunsten der Angeklagten war davon auszugehen, daß die tödlichen Hiebe erst in ihrem Blutrausch erfolgt waren. Im Gegensatz zum Schwurgericht, das nur wegen versuchten Mordes verurteilt hatte, hat der BGH vollendete Tat angenommen27• Diese Auffassung findet allgemeine Billigung28 , nur dürfte Maurach nicht zuzustimmen sein, der auch hierin einen Fall der actio libera in causa sieht2t • Beschließt ein Täter im zurechnungsfähigen Zustand, eine bestimmte Straftat auszuführen, und begeht er die Tat, nachdem er geisteskrank 2B Ähnlich das Problem in RGSt 60, 261: Notwehr werde durch bereits bestehende Tötungsabsicht nicht ausgeschlossen. 27 4. Strafsenat, Urteil v. 21. 4. 55. Der 5. Strafsenat des BGH hatte zwei Tage zuvor in einer anderen Sache noch im Sinne des Schwurgerichts entschieden, GA 1956, S. 26 f. 28 Maurach, JuS 1961, S. 378; Hellmuth Mayer, Das Problem des sogenannten dolus generalis, JZ 1956, S. 109 ff.; Dietrich Oehler, Zum Eintritt eines hochgradigen Affekts während der Ausführungshandlung, GA 1956, S. 1 !f. und Schröder, § 59, Rn. 26. 28 JuS 1961, S. 378.
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geworden ist, so wird niemand zweifeln, daß die allgemeinen Regeln anzuwenden sind und der Täter nach § 51 Abs. 1 StGB freizusprechen ist: Der Täter ist im Zeitpunkt 1:t ein anderer als im Zeitpunkt t lJ und die nuda cogitatio des Zeitpunktes t 1 läßt sich mit dem Geschehen im Augenblick 1:t nicht verknüpfen. Gleiches muß auch für den Fall gelten, daß der Täter, nachdem er im zurechnungsfähigen Zustand die Ausführung einer bestimmten Straftat geplant hat, unvorhergesehen volltrunken wird und dann die Tat begeht. Auch hier fehlt es an der Möglichkeit der rechtlichen Verknüpfung der cogitatio des Zeitpunkts 1t mit dem Geschehen in der Trunkenheit". Der Täter ist gegebenenfalls nach § 330 a StGB zu bestrafen, aber nicht wegen einer actio libera in causa. Eine solche Verknüpfung - mit der Folge der Zurechnung des Geschehens im Zeitpunkt t 2 - ist nach geltendem Recht nur auf zweierlei Weise möglich, nämlich einmal unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa, zum anderen nach der Lehre von der unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf. Zwar hat sich in beiden Fällen der Täter gleichsam selbst zum Werkzeug gemacht, im ersten Fall bewußt, im zweiten unbewußt, aber beide Male handelt es sich um etwas GrundverschiedenesSl • Das verknüpfende Band liegt bei der actio libera in causa in dem Wissen des Täters um den Defekt32 und seine Einbeziehung in den Verbrechensplan. Anders, wenn der Täter dieses Wissen nicht hat und damit eine actio libera in causa begrifflich ausscheidet. Hat er in einem solchen Fall bereits mit der tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung begonnen, tritt dann der - nicht vorhergesehene - Defekt ein und verwirklicht der Täter in diesem Defekt den Tatbestand, kann er nur unter bestimmten Voraussetzungen des vollendeten Delikts schuldig sein. Erforderlich ist hierfür, daß das weitere Geschehen nach Eintritt des Defekts von dem vorher geplanten und bereits eingeleiteten Geschehen nicht wesentlich abweicht. Da sich vorgestellter und wirklicher Kausalverlauf nie vollkommen decken, der Täter ohnehin niemals den Geschehensablauf bis in alle Einzelheiten voraussehen und lenken kann, sind Abweichungen vom ursprünglichen Verbrechensplan so lange unbeachtlich, als sie sich "innerhalb der Grenze des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen"88. Dabei kann es keinen erheblichen Unterschied machen, ob sich diese Abweichung im äußeren Geschehen oder psychisch auf Seiten des Täters abspielt. So ist der zitierte Fall BGH St 7, 326 zu Recht nach der Lehre von der unwesentlichen Abweichung vom KausalVgl. Schröder, § 51, Rn. 38. s. hierzu die instruktiven Ausführungen von Oehler in GA 1956, S. 1 ff. 32 bzw. bei fahrlässiger actio libera in causa, die hier jedoch nicht weiter verfolgt werden soll, in dem Wissenmüssen um den Defekt. 33 BGH GA 1955, S. 125. 30 31
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verlauf entschiedenu. Bei der vorsätzlichen actio libera in causa hingegen muß der Täter zumindest um den Defekt wissen. Ob allerdings bereits das bloße Wissen für die Anwendbarkeit dieser Rechtsfigur ausreicht, ist damit noch nicht beantwortet. Überwiegend wird die actio libera in causa damit erklärt, daß der vorsätzliche Täter bewußt sein von ihm vorausgesehenes unfreies späteres Tun als Mittel zur Herbeiführung des verbotenen Erfolges benutzt8S • Die herrschende Lehre geht offenbar als selbstverständlich davon aus, der actio libera in causa sei die Mittel - Zweck - Beziehung, Versetzen in den zurechnungsunfähigen Zustand, um ... zu, wesentlich. Nach Schröder muß sich im Zeitpunkt t 1 das Verschulden des Täters auf zwei Dinge beziehen, auf die Herbeiführung des Zustandes mangelnder Verantwortlichkeit und auf die Begehung einer bestimmten Straftat in diesem Zustand. Bei vorsätzlicher actio libera müsse sich der Täter jedenfalls bewußt sein, daß dieser von ihm vorsätzlich herbeigeführte Zustand zur Begehung einer Straftat führen werde". Diese Lehre bleibt aber die Begründung dafür schuldig, weshalb der Vorsatz - auch - die Herbeiführung des Defektes umschließen muß. Wird dabei nicht die gegenüber dem Tatbestand des § 330 a StGB unterschiedliche Struktur der actio libera in causa übersehen 87? Während bei § 330 a StGB die im Zustand der Volltrunkenheit begangene "mit Strafe bedrohte Handlung" nur das die Strafbarkeit auslösende Moment darstellt, Vorsatz oder Fahrlässigkeit die Berauschung zum Gegenstand haben, führt die actio libera in causa zur Haftung wegen der im Zeitpunkt t 2 verwirklichten Tat, auf sie muß sich bei ihr die Schuld beziehen. Von praktischer Bedeutung wird die hier aufgeworfene Frage dann, wenn der Täter im Zeitpunkt t 1 zwar um den Defekt weiß, ihn selbst jedoch weder vorsätzlich noch fahrlässig herbeiführt. Hierzu ein Beispiel aus der Praxis: Ein Kaufmann vergeht sich mehrere Wochen lang an seinen minderjährigen weiblichen Lehrlingen, § 174 Ziff. i StGB. In der Hauptverhandlung wird ihm in den übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen Zurechnungsunfähigkeit, und zwar beschränkt auf den Komplex der Unzucht mit den Mädchen, bescheinigt; dies berühre aber im übrigen seine Zurechnungs- oder Geschäftsfähigkeit nicht. Fälle solcher Art sind nicht einmal so selten, wie es scheinen mag. Sie begegnen uns insbesondere auf dem Gebiet der Sexualverbrechen. Man s. Hellmuth Mayer in JZ 1956, S. 109 ff. Hellmuth Mayer, JZ 1956, S. 110, unter Hinweis auf Mezger, Lehrb., S. 281. 38 Schröder, § 51, Rn. 37 u. 38. Damit dürfte Schröder die herrschende Meinung umrissen haben. Soweit ersichtlich, haben weder das RG noch bislang der BGH zu der Frage ausdrücklich Stellung genommen, welche subjektiven Voraussetzungen im Hinblick auf den Defekt bei der vorsätzlichen actio libera in causa zu fordern sind. Andererseits ist auch keiner Entscheidung zu entnehmen, daß diese Frage als problematisch betrachtet wird. 37 s. Cramer, S. 132 und Maurach, JuS 1961, S. 376. 34
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denke, um ganz extreme Beispiele anzuführen, an die aufsehenerregenden Fälle Haarmann, Kürten oder Seefeld. Bei ihnen handelte es sich um Serienmörder, die aus abartigem Sexualtrieb mordeten. Sie sind bekanntlich alle hingerichtet worden. Nun liegt der Gedanke aber doch sehr nahe, daß in derartigen Fällen von Lustmorden der Täter im Zeitpunkt der Tat in einem solchen Zustand handelt, der seine Zurechnungsfähigkeit für diesen Augenblick zumindest zweifelhaft erscheinen lassen mag. Es sei auf die bekannte Tatsache verwiesen, daß die Erkenntnisse der modernen Medizin es heute erforderlich machen, will das Gericht seiner Aufklärungspflicht genügen, praktisch bei jedem SexualverbreC'hen einen Sachverständigen zu hören. Gestattet aber nicht das geltende Recht, um zu dem Beispiel des Kaufmanns zurückzukehren, trotz der Zurechnungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Tat, unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa in vollem Umfang den Schuldspruch? Er wußte doch, nachdem sich die ersten Fälle ereignet hatten, jeweils, wenn er ins Geschäft ging, was sich im Laufe des Tages wiederum abspielen würde; und dieses Wissen hatte er als "011 Zurechnungsfähiger. Die Entscheidung, ob auch derartige Fälle den actiones liberae in causa zuzurechnen sind, ist nicht einfach. Läuft sie nicht auf die Frage hinaus, ob es für die Strafbarkeit unter dieser Rechtsfigur ausreicht, daß der Täter um den Defekt weiß und nichts tut, den von ihm als verbrecherisch erkannten Erfolg zu verhindern? Wird hier nicht unversehens aus einem Erfolgsverbrechen ein Gefährdungsdelikt? Eine Bestrafung als actio libera in causa kann nur dann möglich sein, wenn der Täter einen bestimmten, das heißt hinreichend konkretisierten Tatvorsatz gehabt hat. Vorsatz bedeutet Tatbestandsverwirklichung mit bewußtem Willen 38 • Nun ist es sicherlich richtig, daß man nicht "im allgemeinen" töten oder ein sonstiges Verbrechen begehen kann, ohne daß irgendwie, sei es durch Bestimmung des Opfers, sei es durch Inaussichtnahme einer bestimmten Begehungsform der Vorsatz konkretisiert wird39 • Es muß aber ausreichen, und das entspricht allgemeiner Meinung, daß das mögliche Objekt der Tat nur durch Relationen bestimmt wird. Wie derjenige, der einen Gegenstand hinauswirft auf die Straße, auf der Passanten verkehren, nur weiß, daß einer der Vorübergehenden getroffen werden kann4o, so weiß auch der Serienmörder, der sein Messer oder seinen Hammer einsteckt und sich auf den Weg begibt, daß einer der ihm Begegnenden das Opfer werden wird. s. Hellmuth MayeT, Lehrbuch, S. 246 f. s. Binding, Normen H, S. 826 ff. 40 s. Karl Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit im Strafrecht, Berlin 1930, S. 71. 38
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Danach dürfte auch im angeführten Falle des Kaufmanns der Vorsatz hinreichend bestimmt sein. Die Frage, was er vernünftigerweise hätte tun sollen, als ihm sein unglücklicher Trieb bewußt wurde - die weiblichen Lehrlinge entlassen, sich in psychiatrische Behandlung begeben oder dergleichen -, liegt auf einer anderen Ebene. Es ist bei ihm im zurechnungsfähigen Zustand auch nicht beim bloßen Vorsatz geblieben, sondern er hat darüber hinaus bereits in diesem Zustand handelnd und wissend um den Erfolg den Geschehensablauf angestoßen, der zur tatbestandsmäßigen Vollendung im zurechnungsunfähigen Zustand geführt hat. Und liegt es, um ein anderes Beispiel zu verwenden, bei dem Kinderschänder nicht ebenso, der sich noch zurechnungsfähig auf den Weg zum Kinderspielplatz macht? Man hat schon lange vor der erwähnten Entscheidung BGH St 7, 326 die Frage aufgeworfen, ob der Täter, der infolge der Aufregung über die begangene Tat, zum Beispiel den Lustmord, eine Bewußtseinsstörung erleidet, für die Tat voll verantwortlich ist, oder nach den Grundsätzen des Versuchs milder bestraft werden kannu . Binding hat letzteres angenommen42 • Die Lösung dürfte aber davon abhängen, ob der Täter um seinen Defekt weiß. Ist das der Fall, dann müßte es dogmatisch richtig sein, ihn unter dem Gesichtspunkt der actio libera in causa für seine Tat voll verantwortlich zu machen. Ist das nicht der Fall, ist zu prüfen, ob die Abweichung vom KausaIverlauf unwesentlich ist. Bei wesentlicher Abweichung hingegen bleibt lediglich ein Deliktsversuch. Die hier vertretene Auffassung über den Anwendungsbereich der actio libera in causa sprengt nicht die durch den Satz ,nulla poena sine lege' gezogenen Grenzen staatlichen Strafens. Sie bildet lediglich das konstruktive Rüstzeug zur Erfassung solcher Täter, die, um ihren Defekt wissend und zumindest mit dolus eventualis im Hinblick auf den Erfolg, im zurechnungsfähigen Zustand einen Geschehensablauf in Gang setzen, der zur Tatbestandsverwirklichung im Defekt führt. Dies dürfte insbesondere auf dem Gebiet der Sittlichkeitsverbrechen von Bedeutung sein, bei denen in zunehmendem Maße Sachverständige einen Defekt für den Zeitpunkt t! nicht ausschließen zu können glauben. Das Ergebnis dieser überlegungen läßt sich wie folgt zusammenfassen: Unter einer actio libera in causa versteht man einen den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllenden Geschehensablauf, den der Täter verantwortlich handelnd in Gang setzt, dessen tatbestandliche Vollendung zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem entweder die Handlungsfähigkeit oder ein SchuldmerkmaI nicht mehr gegeben ist. 41
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s. Hellmuth Mayer, Lehrbuch, S. 243. Normen H, S. 610.
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Die Fälle hingegen, die in actu gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen, in causa jedoch mit einem Makel behaftet sind, unterfallen weder begrifflich den actiones liberae in causa noch gestatten sie überhaupt eine einheitliche Lösung. Bei der vorsätzlichen Tat ist das Wissen um den Defekt bei der Entschlußfassung für die Annahme einer actio libera in causa begrifflich notwendig. Hingegen ist nicht erforderlich, daß der Defekt selbst schuldhaft herbeigeführt wird. Fehlt bei vorsätzlicher Tat das Wissen um den Defekt, dann kommen die allgemeinen Regeln zur Anwendung. Diese gestatten jedoch unter Umständen nach der Lehre von der unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf die Bestrafung wegen vollendeter Tat.
Uber Aktualität und Potentialität des Unrechtsbewußtseins Von Eberhard Schmidhäuser, Hamburg I. Im Streitgespräch über das Unrechtsbewußtsein spielt die Frage eine Rolle, was Aktualität und Potentialität dieses Bewußtseins für die Strafbarkeit bedeuten: Reicht für alle Straftaten die Potentialität des Unrechtsbewußtseins aus, oder ist für gewisse Straftaten das aktuelle Unrechtsbewußtsein des Täters vorauszusetzen? 1. Alle Auffassungen gehen davon aus, daß die vorsätzliche Tat das aktuelle Tatbewußtsein des Täters voraussetze; als "Wissen und Wollen" der Tatbestandsverwirklichung, der Tatmerkmale, oder wie sonst auch immer man es formuliert, enthält der allgemein übliche Vorsatzbegriff das Moment aktuellen Wissens.
Die sog. Vorsatztheorie 1 ordnet nun im Begriffe des Vorsatzes diesem Tatbewußtsein das Unrechtsbewußtsein zu. Nach ihr kann wegen vorsätzlicher Tat nur bestraft werden, wer im Augenblick der Tat das aktuelle Unrechtsbewußtsein hatte. Als entscheidend für die vorsätzliche Tat wird angesehen, daß der Täter sich bewußt gegen die Rechtsordnung auflehnt. Tut der Täter dies nicht, so kommt allenfalls - wo dies gesetzlich vorgesehen ist - Bestrafung wegen fahrlässiger Tat in Betracht. Hellmuth Mayer teilt die vielfach geäußerten Bedenken, daß die Vorsatztheorie "ein dem Täter während der Tat gegenwärtiges Wissen vom Verbot" verlange: "Diese Forderung kann man aber in der Praxis gar nicht im Ernst aufstellen. Bei allen Leidenschaftstaten und unüberlegten Taten ist es geradezu unwahrscheinlich, daß der Täter im Augenblick 1 Nach Maurach, Strafrecht, Allg. Teil, 3. Aufl. (1965), 389, wird sie "heute nur noch von einer, in ihrer Argumentation allerdings sehr ernst zu nehmenden Minderheit im Schrifttum vertreten". - Zu nennen sind Baumann. Strafrecht, Allg. Teil, 3. Auf!. (1964),385 f.; Lang-Hinrichsen, JZ 1953, S. 362 ff. und JR 1952, S. 184 ff., 302 ff., 356 ff.; Oehler, Festschr. zum 41. Dtsch. Juristentag in Berlin, 1955, S. 266 ff.; Schröder in Schönke!SchrÖnen Gedanken "Strafe ist Strafe" befinden wir uns bald allein auf weiter Flur. Selbst in östlichen Ländern macht sich ein Umschwung bemerkbar. Das neue sowjetrussische Strafrecht z. B. fragt bei jeder Verwirklichung eines Tatbestandes, ob es sich auch um ein sozialgefährliches Verhalten handelt12 • Die Schadenswiedergutmachung kann als Haupt- oder Nebenstrafe auferlegt werden1a• Der Verletzte kann in weitem Maße als Zivilkläger am Strafverfahren teilnehmenu. Das Strafrecht ist nicht mehr für den Privaten tabu. Öffentliches und privates Interesse durchdringen sich gegenseitig. Auch das neue tschechoslowakische Strafrecht verzichtet weitgehend auf öffentliche Strafe16• Dagegen zieht bei uns der Staat jede Verletzung an sich, gleich ob das Schwergewicht im öffentlichen Bereich liegt oder im individuellen, ganz zu schweigen von den Fällen, wo er sich in eindeutig 10 Nach der Verurteilungsstatistik für 1961 (Stat. Jahrb. f. d. BRD 1963, S. 129) wurden Erwachsene verurteilt (BRD ohne Berlin) : zu Geldstrafe 304 197 Gef. bis 3 Monate 92848 Gef. 3-9 Monate 32204 Gef. über 9 Monate 12055 Zuchthaus 2 995 Von rund 450000 Verurteilungen waren also nur rund 150000 (etwa 3 Ofo) dem Ernst des Strafrechts wirklich angemessen. 11 So für den Betrug W. Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, Kriminologische Forschungen, hrsg. v. H. Mayer, Bd. 3, Berlin 1964, S. 146. 11 Art. 7 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik v. 27. 10. 1960 in d. F. v. 6. 5. 1963 (Sammlung Außerdeutscher StrafJlesetzbücher, Nr. 82). IS Art. 32, a.a.O. " Art. 29, 53 ff der StPO der RSFSR vom 27. 10. 1960. 15 Vgl. Solnar, Mitt.Bl. d. Fachgr. Strafr. 1963, S. 163 ff.
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private Angelegenheiten einmischt, wie bei manchen Sittlichkeits- und den meisten Familiendeliktenl8 • Unzeitgemäß ist auch die Überbewertung von Besitz und Vermögen. Zu einer unter dem Primat des Persönlichkeitsrechts stehenden Grundordnung paßt es nicht, z. B. vorsätzliche Körperverletzung nur mit Gefängnis bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe zu bedrohen (§ 223), Diebstahl oder Entziehung elektrischer Energie dagegen mit Gefängnis in unbeschränkter Höhe, wobei sogar der Versuch strafbar ist (§§ 242, 248 c StGB)17. Nach dem Entwurf (E 62) werden Diebstahl und Betrug bei berufsmäßiger Begehung sogar zu zuchthauswürdigen Verbrechen (§§ 238, 254), während z. B. Unzucht mit Kindern - entgegen der jetzigen Regelung (§ 176) - grundsätzlich nur mit Gefängnis bedroht ist (§ 210). Auch in dieser Hinsicht ist die neue Rechtsprechung zu § 847 BGB von Bedeutung, durch die das Zivilrecht - ohne Gesetz - Anschluß an die seit dem Grundgesetz veränderte Situation gefunden hat. Im Strafrecht ist bisher nichts dergleichen geschehen. Hier verstärkt die Rechtsprechung im Gegenteil noch die einseitig vermögensrechtlichen Tendenzen des Gesetzgebers von 1871 18. An Ansätzen zur Beschränkung des Strafrechts fehlt es nicht. Der Straftatenkatalog ist durch Schaffung dps Ordnungsstrafrechts entlastet worden. Im Bereich der Rechtsfolgen haben Geldstrafe und Strafaussetzung gewisse Erleichterungen gebracht. An der grundsätzlichen Konzeption vom lückenlosen Rechtsgüterschutz hat sich jedoch nichts geändert. Auch im Entwurf kommt die Erkenntnis der "fragmentarischen"18 bzw. "exemplikativen"20 Natur des Strafrechts nicht zur Geltung, der Perfektionismus wird im Gegenteil durch neue zusätzliche Strafdrohungen auf die Spitze getrieben, etwa nach dem Motto: "Wir stellen das einfach unter Strafe, dann wird es nicht mehr getan." Auch auf dem Weg der Entlastung der Freiheitsstrafe sind keine entscheidenden Fortschritte erzielt. Für gefährliche Täter sind im Gegenteil erNäher meine Abhandlung "Kriminalpolitik und Sittenstrafrecht", ZStW Neuerdings v. Schumann, NJW 64, 1158 ff. 17 Auch im Entwurf (E 62) ist Körperverletzung noch immer leichter eingestuft als einfacher Diebstahl oder Energieentziehung (§§ 146, 235, 243). 18 So ist nach der Strafverfolgungsstatistik für 1960 die vorsätzliche Körperverletzung in 7444 von insgesamt 9614 Fällen mit Geldstrafe abgegolten worden, der Betrug dagegen nur in 15341 von insgesamt 32 490 Fällen, also noch nicht einmal in der Hälfte der Fälle (Bevölkerung und Kultur 1960, Wiesbaden 1962, S. 58 ff.). Auf der gleichen Linie liegt die Einstellungspraxis: 1961 wurden von 73345 Verfahren wegen Delikten gegen die Person 7411 eingestellt, von 106751 Verfahren wegen Diebstahl bzw. Unterschlagung aber nur 3421. ID Vor allem H. Mayer, Die Untreue im Zusammenhang der Vermögensverbrechen, 1926, S. 121, 155; Strafrecht des deutschen Volkes, S. 72 ff.; Strafrecht, Allg. Teil, S. 56; Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 59 (i. Anschluß an Binding) ; Würtenberger, Die geistige Situation ... , 2. Auft., S. 68. 10 K. Peters in Peters/Lang-Hinrichsen, Grundfragen der Strafrechtsreform, 10
70, 360 ff. -
S.35.
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höhte Strafen21 und neue Maßnahmen 22 geplant, anstatt die ungefährlichen aus der Strafe zu entlassen und dadurch das Organ für Verlust der Freiheit allgemein zu schärfen. Daß die Geldstrafe etwas neu gestaltet ist (Verhängung in Tagessätzen, § 51 E 62) und die Mindeststrafen für Freiheitsentzug heraufgesetzt sind, wird durch die Einführung der "Strafhaft" wieder ausgeglichen23 • Diese Entwicklung, die nur in einem Superstrafrecht enden kann, fordert geradezu zum Widerspruch heraus. Baumann hat einen Gegenentwurf vorgelegt24 , in dem u. a. die Geldstrafe in Richtung auf eine den Lebensstandard beschränkende Laufzeitgeldstrafe ausgebaut ist25 • Hellmuth Mayer schlägt vor, die Freiheitsstrafe nur für die schwere Kriminalität beizubehalten, für die übrige Kriminalität dagegen einen "Strafdienst" einzuführen, der bei kleinen Delikten in bürgerlicher Schulung, bei mittleren in "Bewährungsdienst" besteht28• K. Peters will vor allem mit Mitteln des Strafprozesses (Lockerung des Verfolgungszwanges) und der Rechtsanwendung (einengende Auslegung der Vorschriften) helfenl7 , ein Weg, der wenigstens im politischen Strafrecht endlich diskutiert wird!8. HUde Kaufmann empfiehlt die Ausdehnung der Strafaussetzung auf Strafen bis zu zwei Jahren 2D, und Maihofer will die Freiheitsstrafe offenbar durch Arbeits- bzw. Besinnungsstrafen weitgehend ersetzen30• Das Unbehagen an der Konzeption des Gesetzgebers ist schon längst nicht mehr auf Außenseiter beschränkt. Aber allen Vorschlägen ist gemein, daß sie auf dem Boden des Strafrechts bleiben. Der anachronistische Apparat staatlich subventionierter, moralischer Entrüstung wird weiter in Bewegung gehalten, subjektive Interessen werden in das Gewand unabdingbarer öffentlicher Erfordernisse gekleidet31 • Ob eine z. B. die Zuchthausstrafen für berufsmäßigen Diebstahl (§ 238), berufsRaub (§ 246, Ziff. 4), berufsmäßigen Betrug (§ 254), berufsmäßige Hehlerei (§ 287 II E 62). 22 z. B. die Sicherungsaufsicht und die vorbeugende Verwahrung (§§ 86 ff. E 62). 11 K. Peters, Grundfragen der Strafrechtsreform, a.a.O., spricht daher zutreffend von "Etikettenwechsel" (S. 31). U Baumann, Entwurf eines Strafgesetzbuches, Allg. Teil, Tübingen 1963 (Recht u. Staat, Heft 274/275). Dazu auch Eb. Schmidt, MDR 63, 629; Lackner, JZ 63, 617 u. wieder Baumann, MDR 63, 802 u. JZ 63, 733. !5 §§ 35 ff. Die Geldstrafe kann auch an Stelle einer kurzfristigen Gefängnisstrafe verhängt werden. t8 H. Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 119 ff. u. 133 ff. !7 Peters, Festschr. f. Eb. Schmidt, S. 488 ff. Ebenso Naucke beim Betrug, a.a.O., S. 182. !B Vgl. z. B. Lüttger, JZ 64, 569 ff. U Hilde Kaufmann, Gedächtnisschrift für Max Grünhut, Marburg 1964, S. 1 ff. (30). 30 Maihofer auf der Hamburger Strafrechtslehrertagung, vgl. Günter, a.a.O. 11 H. MayeT spricht treffend von Strafanträgen, die "von der Polizei oder von Versicherungsgesellschaften eingesammelt werden", von letzteren vor 21
mäßi~en
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Zechprellerei von einer Mark vorliegt oder ein Bankraub, das Prinzip gebietet gleichermaßen Eingriff des Strafrechts. Der Gedanke der Sühne wird bemüht, Schuldprobleme werden erörtert, die Fragen von Irrtum, Unterlassung, Fahrlässigkeit zu Tode geritten. Mildernde Umstände werden geprüft, wo die Tat überhaupt nur durch eine Fiktion strafwürdig wurde, und schließlich wird noch das Strafregister eingeschaltet. Widerspricht das nicht schon dem Prinzip der Gleichheit (nur Gleiches wird gleich behandelt) und vor allem dem der Verhältnismäßigkeit32 ? Bei der Einstellung des Verfahrens bleibt der Täter dagegen völlig ungeschoren, was auch nicht Sinn des Rechts sein kann; ähnlich bei der Strafaussetzung, die aber an dem überflüssigen Beiwerk der Strafe nichts ändert. Gegen die Arbeitsstrafe bestehen schwerwiegende rechtsstaatliche und arbeitstechnische Bedenkens3, und die Besinnungsstrafe dürfte im Erwachsenenstrafrecht kaum durchführbar sein, nachdem sich schon im Jugendstrafrecht ihre engen Grenzen erwiesen haben3'. Die einzige wirkliche Entlastung kann nur durch das Zivilrecht kommen. Wenn auf rechtliche Sanktion nicht ganz verzichtet werden kann - ein solcher Verzicht würde sich general- wie spezialpräventiv nachteilig auswirken -, das Strafrecht aber nicht überall eingeschaltet werden soll, bleibt überhaupt nur der Weg des Zivilrechts. Dieser Weg ist keineswegs nur ein Notbehelf, sondern die logische Konsequenz aus der Forderung, die Rechtsgestalt der neuen Gesellschaftsform anzugleichen. Das Zivilrecht ist die Plattform, auf der sich persönliche Initiative und Ausgleich zwischen eigenverantwortlichen Wesen ohne staatliche Drohung am angemessensten vollziehen. Wir können sogar sagen: je mehr Regelungen aus dem öffentlichen Recht ins Zivilrecht zurückkehren, um so mehr Raum ist dem sittlichen Bewußtsein des Einzelnen gelassen, um so mehr nähern wir uns im Recht dem erwünschten sozialen Zustand. Ohne innere Freiheit und Verantwortung gibt es keine sittliche Entscheidung, ohne sittliche Entscheidung keinen Abstand von Kriminalität und krimineller Versuchung35 • allem, um die Kosten des Zivilprozesses zu sparen (Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 63). Wie oft wird auch von privater Seite das Mittel der Anzeige dazu mißbraucht, den persönlichen Gegner unter Druck zu setzen. Ebenso Peters. Grundfragen, S. 34. S2 BVerfG. Beschluß v. 10. 6. 63 = NJW 63, 1597 u. Beschluß v. 25. 7. 63 = NJW 63, 2368 (beide das Strafverfahren betreffend). 33 So schon auf der Hamburger Tagung Jescheck und Hartung, vgl. den Bericht von Günter, a.a.O. U über die Erfahrungen, die man insbes. mit dem Jugendarrest gemacht hat, vor allem über die negativen Folgen des Fehlens geeigneter Vollzugseinrichtungen, deren Aufbau im Erwachsenenstrafrecht Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde, vgl. vor allem Sieverts, Die Erziehungsaufgabe des Jugendarrestes i. Kriminologie u. Vollzug der Freiheitsstrafe, hrsg. von Würtenberger, Stuttgart 1961, S. 150 ff., insbes. S. 161 ff.; ferner Gramlich, Handhabunlt u. Bewährung des Jugendarrests (Diss. Freiburg 1961) u. Trips, MoSchr. Krim. 1963, S. 228 ff. as Der Streit um das Verhältnis zwischen Zivil- und Strafrecht soll hier
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Den Weg des Zivilrechts weisen auch H. Mayer u. K. PetersSG • H. Mayer geht von der Entwicklung aus, die zur Ausmerzung des "Privatstrafrechts" geführt hat, und beklagt zutreffend das heutige Nebeneinanderstehen zweier Rechtsordnungen, deren jede den Anspruch auf vollständigen Rechtsgüterschutz erhebt. Der gesunde Gedanke, die Strafe weitgehend durch Schadloshaltung zu ersetzen, sei durch die Schaffung des Adhäsionsverfahrens ersetzt wordens7 , das in der Tat nur als totgeborenes Kind bezeichnet werden kann. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob das Privatstrafrecht durch Tendenzen überwunden wurde, die heute noch einer kritischen Nachprüfung standhalten, nachdem wir die schädlichen Folgen einer Omnipotenz des öffentlichen Strafgedankens erfahren haben. Streiten auch hier römischrechtliche und deutschrechtliche Elemente miteinander? Das römische Recht hat zwischen Privatdelikten und crimina publica unterschieden38, und die nachklassischen römischen Juristen, die Byzantiner und mittelalterlichen Rechtstheoretiker, wiesen dem Schadensersatz allgemein Straffunktion zu. Das zivilrechtliche Interesse wurde sogar als "poena" bezeichnet39 • (Selbst der unwissende Verkäufer einer mangelhaften Sache konnte "bestraft" werden 40 .) Aber freilich hat sich auf strafrechtlichem Gebiet die deutsche Entwicklung durchgesetzt, die im Kampf gegen das private Fehderecht immer mehr zum Gedanken eines öffentlichen Strafrechts neigte, so stark, daß man die Landfriedensordnungen als Strafgesetze bezeichnet, weil sie das Fehderecht ablösten und verboten41 • Verletzungsrecht ist - wenn man zwischen Statusrecht und Verletzungsrecht unterscheidet42 - in der deutschrechtlichen Entwicklung von Anfang an Strafrecht. Das Strafrecht hat sich hier auch nicht aus dem Recht der unerlaubten Handlungen entwickelt, sondern umgekehrt das Recht der unerlaubten Handlungen aus dem Strafrecht, und zwar erst im Mittelalter". Trotzdem außer acht gelassen werden, weil er mit Argumenten geführt worden ist, die in unserem Zusammenhang keine Rolle spielen, z. B. dem des abstraktnormativistischen Rechtsdenkens im Zivilrecht und der Notwendigkeit davon abweichenden natürlichen Rechtsdenkens im Strafrecht; näher H. J. Bruns, Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken, Berlin 1938, S. 1 ff. Daß dieses Verhältnis auch einen politischen Hintergrund hat, kommt vor allem im Kampf gegen die "liberalistische" Tendenz des Zivilrechts nach 1933 zum Ausdruck:. 11 H. Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 59 ff.; Karl Peters, Eb. Schmidt-Festschrift, a.a.O. ar a.a.O., S. 64. S8 Sogar das furtum war bekanntlich nur ein Privatdelikt, für das Schadensersatz mit einer zusätzlichen Genugtuungsleistung zu bewirken war; vgI. Mommsen, Römisches Strafrecht, Ausgabe 1899, S. 745 ff. at Hermann Lange, Schadensersatz und Privatstrafe i. d. mittelalterlichen Rechtstheorie, Münster u. Köln 1955, S. 111. to In einer Glosse heißt es: "Punitur qui male eligit" (GI. Elegeris zu D. 3, 5, 21, 3), vgl. H. Lange, a.a.O., S. 113. 41 Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, Karlsruhe 1954, S. 577 ff .. 590 f. 41 Näher meine Abhandlung "Wiedergutmachung und Strafe", AcP 155, S. 527 ff. (529).
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ist auch im deutschen Strafrecht von einem lückenlosen Rechtsgüterschutz zunächst noch nicht die Rede44 • Diese Entwicklung kommt unglücklicherweise noch hinzu (einerseits durch obrigkeitlichen Einfluß, da sich die Staatsgewalt bedroht fühlt 45 , andererseits durch die wachsende Bedeutung von Geld und Gut, die auf möglichst weitgehenden Schutz von Besitz und Vermögen drängt'8). Wenn daher Peters von einer weitgehenden Poenalisierung zivilrechtlicher Verhältnisse spricht47 , so ist das in logischer Hinsicht zweifellos richtig. Historisch stellen sich die Dinge aber so dar, daß sich das Zivilrecht im Kampf um eine eigenständige und ausschließliche Sanktion für Delikte, die nicht die öffentliche Ordung gefährden, gegen die deutschrechtliche Entwicklung zu einem omnipotenten Strafrecht nicht genügend durchsetzen konnte. Auf keinen FalZ kann man sagen, die völlige Trennung von Zivil- und Strafrecht auf dem Gebiet des Deliktsrechts entspreche einer historischen Notwendigkeit und stelle den Endpunkt einer Entwicklung dar, dem gegenüber das Zivilstrafrecht ein Rückschritt wäre. Die neue Rechtsprechung zum Schmerzensgeld ist daher auch vom Strafrecht aus zu begrüßen. Historisch ist in ihr sogar ein neuer Anlauf zur überwindung der "Verstaatlichung" des Deliktsrechts zu sehen. Des Näheren sind es aber zwei Punkte, in denen eine Änderung eingetreten ist: die Bemessung des Schmerzensgeldes und die Gewährung von Schmerzensgeld auch in Fällen, die in § 847 BGB nicht genannt sind. Zunächst zum ersten Punkt. Die entscheidende Frage lautet hier: kann das Schmerzensgeld die Strafe wirklich ersetzen, d. h. hat sie genügend Strafelernente, um die Anwendung des Strafrechts in bestimmten Fällen zu erübrigen? Die Antwort hängt wesentlich davon ab, ob das Schmerzensgeld ein übel für den Verpflichteten darstellt und eine abschreckende Wirkung sowohl auf ihn wie auf die Allgemeinheit auszuüben imstande ist. Daran wird kaum gezweifelt werden können. Allerdings ist der Genugtuungsgedanke von der Rechtsprechung nicht in 48 Conrad, a.a.O., S. 564. Ähnlich löst sich der Zivilprozeß im Mittelalter aus dem Strafprozeß; vgI. auch Mitteis, Deutsche Rechtsgeschichte (Kurzlehrbuch), Kap. 36, n. U So enthält z. B. die Carolina bekanntlich für einige heute sehr bedeutsame Delikte wie Sachbeschädigung und Vermögensverletzung noch keine Strafdrohung; erst nach und nach werden sie zum Strafrecht gezogen; vgI. u. a. Horst Kaufmann, Rezeption und usus modernus der actio legis Aquiliae, Köln und Graz 1958, S. 119 ff. 61 Vgl. z. B. WiLrtenberger, Zum Strafrechtlichen Schutz von Fürst und Staat im Landrecht von Baden-Durlach, Festschr. f. Eberhard Schmidt, S. 54 ff. (58 ff.). 41 Typisch dafür ist die Entwicklung des Betrugsbegriffs, vgl. W. Naucke, a.a.O., S. 62 ff. U K. Peters, Grundfragen, S. 34. Vgl. auch Baumann, Der strafrechtliche Schutz bei den Sicherungsrechten des modernen Wirtschaftsverkehrs, Berlin 1956.
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strafrechtlicher Absicht berücksichtigt worden, sondern deshalb, weil sich der Ausgleich für immateriellen Schaden in einer ihm entsprechenden Geldsumme überhaupt nicht ausdrücken läßt. Schon der Beschluß des großen Senats des BGH v. 6.7.55 48 führt aus: "Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken ist unmöglich, weil immaterielle Schäden sich nie und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken lassen." Ähnlich sagt Strass er, bloßer Ersatz sei bei Schmerzensgeld nicht möglich, weil ein allgemein anerkanntes Tauschmittel für immaterielle Güter fehle'u. Rötelmann ist sogar der Auffassung, "Genugtuung" sei der einzige Ausdruck für jede Art von Ersatz immateriellen Schadens. "Eine Entschädigungsfunktion neben der Genugtuungsfunktion ... gibt es nicht. Die Genugtuung ist die (allein mögliche) Entschädigung beim Nichtvermögensschaden"60. Richtig ist daran so viel, daß sich Ausgleich und Genugtuung nicht summenmäßig trennen lassen und daß daher in Fällen, in denen beide in Frage kommen, nur eine Summe festgesetzt werden kann, in der beide enthalten sind. Der Versuch, zwischen einem Ausgleich für "entgangene Lebensfreude" und einer Genugtuung zu unterscheiden, ist letztlich untauglich, weil wir keine seelische Währung, sondern eine Geldwährung haben 51 • Unzutreffend wäre es aber, daraus weiter zu folgern, daß Entschädigung und Genugtuung beim immateriellen Schaden schlechthin identisch wären. Es lassen sich sehr wohl Fälle denken, in denen die Genugtuung eine selbständige Bedeutung hat. Dies ist entweder dann der Fall, wenn sie neben einem Ausgleich für materiellen Schaden gewährt wird 52 oder wenn ein Schaden materieller Art gar nicht entstanden ist und das Schmerzensgeld nur als Genugtuung geleistet wird, wie im Herrenreiter-Fall, wo der BGH u. a. ausgeführt hat: "In Wahrheit verlangt der Kläger nicht Ersatz eines gar nicht vorhandenen Vermögensschadens, sondern begehrt eine fühlbare Genugtuung für einen widerrechtlichen Eingriff in seine ... Persönlichkeitsphäre6s ." Selbstverständlich bleibt es dem Skeptiker unbenommen, auch hier von "Ersatz für immateriellen Schaden" zu sprechen; dann ist aber nicht nur jeder Ersatz für immateriellen Schaden Genugtuung, wie Rötelmann sagt, sondern - in Ermangelung eines anderen Bezugspunktes - auch umgekehrt jede Genugtuung Ersatz für immateriellen Schaden. Die Diskussion läuft dann auf die Frage hinaus, die hier nicht weiter erörtert werden kann: was ist Schaden und muß Schaden in Geld meßbar sein? BGHZ 18, 149 = JZ 55, 670 = NJW 55, 1675. Rudolf Strasser, Der immaterielle Schaden im österreichischen Recht, Wien 1964, passim. 50 Rötelmann, NJW 62, 1004. 11 Ähnlich LaTenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bes. Teil, 6. AuH. 1964, S. 441. JI So BGHZ 30, 7 = NJW 59, 1269 (Zahnprothesenfall). Ga BGHZ 26, 349 = NJW 58, 827. 48 4D
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In strafrechtlicher Sicht bleibt sich das gleich. Das Schmerzensgeld ist jedenfalls ein empfindliches übel für den Verpflichteten. Der Vergleich mit der Strafe liegt auf der Hand. Aber es ist nicht entscheidend, wie man die Sanktion nennt. Die Zivilrechtler bemühen sich, die Strafeigenschaft nicht zu stark zu betonen. Auf dem Karlsruher Juristentag hieß es, das Schmerzensgeld werde nicht dem Verletzer zuleide, sondern dem Verletzten zuliebe gewährt und bemessen54 • Das mag richtig sein, aber es kommt nicht allein auf den Zweck der Maßnahme an, sondern ebenso auf ihre Wirkungen, mögen es auch nur Nebenwirkungen sein. Zweifellos ist das Schmerzensgeld kein bestimmungsgemäßes übel, sonst wäre es eine echte Kriminalstrafe und gehörte nicht ins Zivilrecht; aber daß es ein übel ist, so weit es den Verletz er über den bloßen Ausgleich oder - wie das Gesetz sagt - über die Verpflichtung zur Zahlung einer "billigen Entschädigung" hinaus belastet, zeigen auch die vom Gericht festgesetzten Beträge (die in den zitierten Fällen durchweg aus fünfstelligen Ziffern bestehen), ferner die Grundsätze der Bemessung nach dem Beschluß des Großen Zivilsenats selber, wenn es dort u. a. heißt, Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit seien zuungunsten des Verletzers zu berücksichtigen und besonders verwerfliches Verhalten, wie rücksichtsloser Leichtsinn, könnten sogar den Gedanken zurückdrängen, den Schädiger bei der Bemessung des Scllmerzensgeldes vor wirtschaftlicher Not zu bewahren. Die Grundsätze, die der Beschluß zur Bemessungsfrage entwickelt, gleichen überhaupt denen, die bei der Geldstrafe gelten. Aber selbstverständlich sind zwischen Geldstrafe und Schmerzensgeld Unterschiede vorhanden, mindestens in ihrer gegenwärtigen Gestalt55 • Daß die Geldstrafe im Strafverfahren festgesetzt wird und an die Staatskasse zu zahlen ist, während das Schmerzensgeld im Zivilverfahren beantragt und an den Verletzten entrichtet wird, zeigt aber nur, daß das Schmerzensgeld unpassender obrigkeitlicher Struktur entkleidet ist. Die Frage nach der general- und spezialpräventiven Eigenschaft des Schmerzensgeldes läßt sich im Anschluß hieran schnell beantworten. Ein übel wirkt immer abschreckend. Der BGH spricht selber vom "Risiko eines fühlbaren materiellen Verlustes", mit dem der Verletz er zu belasten sei. Die Festsetzung von Schmerzensgeld sei das wirksamste und oft einzige Mittel, die Respektierung des Personenwerts des Einzelnen zu sichern5s • Dem ist voll und ganz zuzustimmen, wenn das Schmerzensgeld auch ursprünglich einen anderen Sinn hat. Auch Larenz spricht Vgl. Rötelmann, JZ 64, 689 (90). Zum Verhältnis zwischen Geldstrafe und Schmerzensgeld in historischer Sicht Vgl. u. a. Rehfeldt, Einführung in die Rechtswissenschaft. Berlin 1962, S. 292 f. (die Geldstrafe ist aus dem immer größer werdenden Teil der Buße entstanden, den die öffentliche Hand für sich in Anspruch nahm). AC Urt. v. 19. 9. 61 (VI ZR 259/60) = JZ 62, 120 = NJW 61, 2059 (Ginseng). U
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offen davon, daß die abschreckende Wirkung einer Genugtuung nicht zu entbehren sei57 • Schließlich zeigt auch hier die Höhe der Summen, daß der BGH den Abschreckungsgedanken verfolgt. Damit steht u. E. fest, daß das Schmerzensgeld in der neuen Rechtsprechung genügend Strafelemente birgt, um die Strafe zu ersetzen. Es geht ja nicht darum, aus dem Schmerzensgeld überhaupt eine Strafe zu machen sondern die Strafe zu vermeiden, wenn andere, weniger einschneidende Sanktionen zum gleichen Erfolg führen. Das Schmerzensgeld führt aber nicht nur zum gleichen, sondern sogar zu einem besseren Erfolg; denn es besitzt neben seiner übels- und Abschreckungsqualität auch noch die Eigenschaft, daß es den Verletzten schadlos stellt und ihm darüber hinaus eine Genugtuung gewährt, die in einer Wiedergutmachung an ihm selber besteht und nicht, wie bei der Strafe, nur an der Rechtsordnung, die weitgehend anonym ist. Das Schmerzensgeld kann die Strafe allerdings nicht ersetzen, wenn außerdem Sicherungserfordernisse vorliegen. Diese können allein durch Entziehung der Freiheit erfüllt werden. Aber das trifft nur für Fälle zu, bei denen das Problem einer Entlastung der Strafe ohnehin nicht auftritt. Denn die meisten Strafen .- nicht bloß Geld-, sondern auch kurzund mittelfristige Freiheitsstrafen -- bieten nicht mehr Sicherung als das Schmerzensgeld auch. Die Fälle echten Verbrechertums sollen aber mit Schmerzensgeld nicht behandelt werden. Im Gegenteil, die zivilrechtliche Verurteilung zu Schmerzensgeld soll es der Strafjustiz gerade ermöglichen, sich mehr als bisher auf das Berufs- und Schwerverbrechertum zu konzentrieren. Mit anderen Worten: der Mißbrauch des Strafrechts durch wirtschaftliche Individualinteressen, Kleinkrämerei und Intrigen soll ausgeschlossen werden. Dazu reicht aber auch eine Sanktion ohne Sicherungszweck. Wenn das Schmerzensgeld an sich geeignet ist, strafrechtliche Sanktion zu ersetzen, ist weiter die Frage, wann Schmerzensgeld überhaupt in Betracht kommt. Dies ist der zweite wichtige Punkt. Nach der kasuistischen Fassung des § 847 ist das nur bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, bei Freiheitsentziehung und bei bestimmten Verletzungen der weiblichen Geschlechtsehre der Fall. § 253 BGB, nach dem für immateriellen Schaden Geldersatz nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen (§§ 847, 1300 BGB) verlangt werden kann, verbietet an sich eine ausdehnende Anwendung. Nach der neuen Rechtsprechung des BGH kann Schmerzensgeld dennoch in jedem Fall der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangt werden, nicht nur bei Verletzung der besonderen, durch § 847 BGB geschützten Persönlichkeitsrechte. Der BGR begründet das damit, daß der durch das BGB gewährte Persön57
Larenz, Anmerkung zum Herrenreiter-Urteil, NJW 58, 827.
Bedeutung der neuen Schmerzensgeldrechtsprechung für das Strafrecht 677 lichkeits- und Ehrschutz unzureichend sei und die persönlichkeitsrechtlichen Züge gegenüber einer einseitig vermögensrechtlichen Betrachtung stärker durchgesetzt werden müßten58 • Man kann im Zweifel sein, ob die Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 847 BGB, zusammen mit der Rechtsprechung über die Mitberücksichtigung des Genugtuungsgedankens bei der Bemessung des Schmerzensgeldes, nicht über das gesteckte Ziel hinausschießt; denn nun kann bei immateriellem Schaden eine straf ähnliche Genugtuungsleistung gefordert werden, bei materiellem Schaden dagegen nur ein Ausgleich. Aber mit diesem Problem haben wir uns hier nicht zu befassen, und im übrigen entspräche eine Besserstellung des in seiner Persönlichkeit Verletzten nur der größeren Bedeutung dieses Rechtes gegenüber den Vermögensrechten. Gerade diese Tendenz vermissen wir ja im Strafrecht.
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Das erste Urteil, das § 847 BGB erweiternd auslegte SD , bemühte sich noch, die Klippe des § 253 BGB dadurch zu umschiffen, daß der Gedanke der körperlichen Freiheit des § 847 auf die "geistige Freiheit" ausgedehnt wurde. Die (in der Abbildung für Werbungszwecke liegende) Verletzung des Persönlichkeitsrechts stelle zwar keine Freiheitsberaubung im strengen Wortsinn des § 847 BGB dar, aber eine diesem Tatbestand entsprechende "Freiheitsberaubung im Geiste", weil "in den natürlichen Herrschafts- und Freiheitsraum des einzelnen" eingegriffen sei, indem seine freie Disposition über die eigene Person verletzt wurde. Diese etwas konstruiert wirkende Subsumtion ist in späteren Urteilen aufgegeben worden; der BGH hat es dann einfach auf die Art. 1 u. 2 GG (Schutz der Würde der Persönlichkeit) abgestellt, die die analoge Anwendung des § 847 auf jede Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erlauben, ja sogar gebieten. Freilich entsteht dadurch ein neues Problem, das der Abgrenzung des Persönlichkeitsrechts, das noch keineswegs gelöst ist80• Der BGH hat hierzu nur ausgeführt: "Die Art. 1 u. 2 GG schützen denjenigen inneren Persönlichkeitsbereich des Einzelnen, der grundsätzlich allein seiner freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung untersteht ... Die Grenzen des Persönlichkeitsrechts verlaufen da, wo jener unantastbare persönliche Bereich des einzelnen, der sich in die Gemeinschaft einfügen und auf die Rechte und Interessen anderer Rücksicht nehmen muß, endet61 ." Die Gewährung von Schmerzensgeld bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nicht unbestritten. Man hat vor allem eingewendet, § 847 BGB sei eine Ausnahmenorm, wie § 253 BGB klar erkenUrt. v. 5. 3. 63 (VI ZR 55/62) = BGHZ 39, 124, 130 = NJW 63, 902 ff. Urt. v. 14. 2. 58 (I ZR 151/56) = BGHZ 26, 349 = NJW 58, 827 (Herrenreiter). GO Rötelmann, NJW 64, 1458. 11 So Urt. v. 18. 3. 59 (IV ZR 182/58) = BGHZ 30, 7 = NJW 59, 1269. Vgl. auch Hubmann, JZ 62, 121 (Anm. zum Ginseng-Urteil). 58 5D
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nen lasse, und deshalb einer erweiternden Auslegung nicht fähige!. Rechtspolitisch sei die Entwicklung zwar zu billigen, es fehle aber an der dogmatischen Grundlage. Die Kompetenz der Rechtsprechung sei überschritten, der Gesetzgeber müsse eingreifen83 • - Dennoch halten Rechtsprechung84 und Literatur85 zum weitaus überwiegenden Teil den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch § 847 BGB bereits heute für geltendes Recht. Auf dem Karlsruher Juristentag wurde sogar noch eine Erweiterung der Anwendung des § 847 BGB auf den Fall schuldhafter Vertragsverletzung und auf Gefährdungshaftung vorgeschlagen88 • - Der BGH macht nur folgende Einschränkungen: es muß sich um eine objektiv schwerwiegende oder subjektiv grobschuldhafte Verletzung handeln und der Schaden darf nicht auf andere Weise angemessen wiedergutgemacht werden können87• Diese Einschränkungen haben aber, mindestens in unserem Zusammenhang, keine große Bedeutung e8 ; sie verfolgen - in Anlehnung an das schweizerische Recht nur den Zweck, ein Ausufern der Anwendung des § 847 zu verhindern und die Opposition zu beschwichtigen. Die erweiternde Auslegung des § 847 BGB folgt überdies Tendenzen, die im westlichen Ausland, vor allem in der Schweiz, in Frankreich, England und den USA, heimisch sind. Auf die schweizerische Regelung braucht nicht besonders eingegangen zu werden, weil sie der Rechtsprechung zu § 847 BGB Pate gestanden hat und daher unserer recht ähnlich isteu. Dagegen hat z. B. die "astreinte" des französischen Zivilrechts in erster Linie den Sinn, den Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit anzuhalten. Sie ist eine Geldleistung, die neben der Verurteilung zur Hauptleistung festgesetzt wird und nur verfällt, wenn die Hauptleistung nicht bewirkt wird, also eine Art Beugemittel (adstringere = astreindre = zwingen). Eine genaue Festlegung ihres Wesens ist äußerst schwierig, weil sie nicht auf gesetzlicher Basis beruht und Theorie und 8Z So vor allem Larenz, NJW 58,827 (Anmerkung zum Herrenreiter-Urteil). Ausführlicher Sach- und Streitstand bei Hartmann, NJW 62, 12 ff. und 64, 793 ff.
8S
SO Hartmann,
a.a.O.
Vgl. die weiteren Urteile des BGH v. 19. 9. 61 (VI ZR 259/60) = JZ 62, 120 = NJW 61, 2059 (Ginseng); v. 5. 3. 63 (VI ZR 55/62) = BGHZ 39, 124 = NJW 63,902 (Fernsehansagerin); v. 5. 3. 63 ( VI ZR 61/62) = NJW 63, 904. 85 Nähere Angaben bei Rötelmann, AcP 160, 378 ff. u. 163, 89 ff.; NJW 64, 1458. es Vgl. Rötelmann, JZ 64,689; ferner NJW 64,2089. 87 So z. B. Urt. v. 5. 1. 62 (VI ZR 72/61) = NJW 62, 1004 (Cubakämpfer) und vom 5. 3. 63 (VI ZR 55/62) = BGHZ 39, 124, 130 = NJW 63, 902 (Fernsehansagerin). 88 Der BGH hat selber in seinem Urteil vom 5. 3. 63 (VI ZR 61/62) = NJW 63, 904 die Einschränkung, Schmerzensgeld sei nur bei schwerem Verschulden gerechtfertigt, ausdrücklich zurückgenommen und das Berufungsgericht sogar getadelt, weil es dies an/tenommen hat. 8P Näher Rötelmann, AcP 160, 378 ff. u. 163, 89 ff.; ders. NJW 62, 736. 84
Bedeutung der neuen Schmerzensgeldrechtsprechung für das Strafrecht 679 Praxis recht schwankend sind 70 • Die astreinte bewirkt aber, daß der Verletzte nicht zum Mittel der Strafanzeige zu greifen braucht, um den Verletzer zur Leistung zu zwingen. Diesem droht auch innerhalb des Zivilverfahrens ein empfindliches Übel. Dadurch wird ein großer Teil privaten Zwecken dienender Strafverfahren vermieden. Die exemplary damages (exemplarischer Schadensersatz) sind dagegen in StraIabsicht verhängte zusätzliche Zahlungsverpflichtungen, die den tatsächlich entstandenen Schaden und seinen Ausgleich erheblich übersteigen. Eine Darstellung des Wesens der exemplary damages müßte von den Grundlagen des englischen Schadensersatzrechtes ausgehen und ist hier nicht möglich. Das englische Recht kennt einen Ersatzanspruch nur für wirklich erlittenen Schaden; ein solcher wird jedoch, wenn eine Rechtsverletzung vorliegt, u. U. vom Gesetz vermutet. Liegt ein wirklicher oder vermuteter Schaden durch eine unerlaubte Handlung vor, so umfaßt der Ersatzanspruch je nach der Schwere des Rechtsbruchs und der Gesinnung des Täters auch eine Entschädigung für das erlittene Unrecht. Diese über die "compensatory damages" (Ausgleichsfunktion) hinausgehenden "exemplary damages" sollen eine Mißbilligung der Tat darstellen und werden unter bewußter Berücksichtigung des Genugtuungsgedankens festgesetzt. Um die Praxis an einem Beispiel zu erläutern: in einem bekannten Fall war der Beklagte widerrechtlich in das Zimmer der Klägerin eingedrungen, hatte sie auf den Kopf geschlagen und die Treppe hinuntergezogen, wodurch die Klägerin einen nervösen Schock erlitt. Der Schadensersatz in Höhe von 5500 Pfund setzte sich zusammen aus 1500 für das Betreten des Grundstücks und Zimmers, 1000 für den Schlag auf den Kopf und 3000 als exemplary damages 71 • Die exemplary damages sind im englischen Recht ein Ausdruck der Achtung der Persönlichkeitsrechte. Sie werden daher vor allem bei Angriffen auf die Ehre, auf Familienbeziehungen, körperliche Unversehrtheit und Freiheit zugesprochen, können aber auch bei Verletzung des Eigentums oder Besitzes gewährt werden. Ähnliches gilt für das amerikanische Recht, nur daß hier der Strafcharakter der exemplary damages in einzelnen Staaten der USA noch deutlicher in Erscheinung tritt72 • Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus der neuen Rechtsprechung zu § 847 BGB für das Strafrecht? Man kann zunächst die Auffassung vertreten, Zivilrecht sei Zivilrecht und Strafrecht Strafrecht, d. h. zivilrechtliche Entwicklungen gingen das StraIrecht nichts an. Dieser Standpunkt wäre nach allem, was wir gesagt haben, nicht richtig. Er widerspräche sowohl kriminalpolitischen wie logischen Erwägungen und wäre auch historisch falsch, weil Zivil- und Strafrecht nur Teilgebiete eines 70 Grossfeld, Die Privatstrafe, Frankfurt u. Berlin 1961, S. 22 ff. (mit umfangreichen Hinweisen). 71 V~l. Grossfeld, a.a.O .. S. 45. Weitere Fälle bei Seibert, NJW 64, 1774. 71 Näher Grossfeld, a.a.O., S. 49 ff.
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einheitlichen Rechts sind. Man kann ferner die (gegenteilige) Auffassung vertreten: je mehr Zivilrecht, um so weniger Strafrecht, mit anderen Worten: was das Zivilrecht erledigt, braucht das Strafrecht nicht mehr zu erfassen. Auch dieser Standpunkt wäre abzulehnen, weil es eine genaue Kompetenzabgrenzung in einem überwiegend nach historischen Kriterien unterteilten Recht nicht gibt. Außerdem würde dann jede Änderung der Zivilrechtsprechung eine Änderung des Geltungsbereichs des Strafrechts zur Folge haben. Das würde aber zu neuen Unsicherheiten führen 73 . Richtig und zweckmäßig kann nur ein dritter, zwischen den beiden extremen Auffassungen liegender Standpunkt sein: wo es eine zivilrechtliche Sanktion gibt und wo sie genügt, die Folgen des Unrechts zu beseitigen, braucht das Strafrecht nicht mehr tätig zu werden 74 . (In allen anderen Fällen ist das Strafrecht dann um so mehr legitimiert einzugreifen). Diese Auffassung führt allerdings zu den schon angedeuteten Abgrenzungsproblemen. Wir müssen uns daher zunächst vergegenwärtigen, welche strafrechtlichen Tatbestände durch die neue Schmerzensgeldrechtsprechung berührt werden würden; es wären vor allem Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie (§§ 169 ff.), ein Teil der Vergehen wider die Sittlichkeit (§§ 173 ff.), Beleidigung (§§ 185 ff.), Körperverletzung (§§ 223 ff.), auch Vergehen wider die persönliche Freiheit (§§ 234 ff.) und nach dem Entwurf (E 62) auch die "Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs"75. Aus dem Nebenstrafrecht würden u. a. die Verletzungen von Wettbewerbs-, Urheber- und Erfinderrechten ergriffen werden7'. Ein genauer und abschließender Katalog kann nicht aufgestellt werden, weil die Entwicklung im Zivilrecht noch im Fluß ist77. Aber nicht alle Handlungen, die diese Tatbestände erfüllen, würden aus dem Strafrecht schlechthin ausscheiden, sondern nur die, die sich auf individueller Ebene abspielen und die öffentliche Ordnung nicht berühren78• Die meisten Sittlichkeitsdelikte, schwere Körperverletzung und andere qualifizierte Delikte berühren, selbst wenn sie nur gegen eine oder einzelne Personen gerichtet 73 Dieser Standpunkt wird daher auch in keinem der genannten Länder vertreten. Zum amerikanischen Recht vgl. Grossfeld, a.a.O., S. 61 ff. 74 Das hat nichts mit dem Streit um die Subsidiarität des Strafrechts zu tun, sondern folgt einfach aus der Eigenschaft der Strafe als ultima ratio der Verbrechensbekämpfung; ähnlich schon H. Mayer, Untreue, a.a.O., S. 120 und Bruns, a.a.O., S. 67 ff. 75 §§ 182 ff. E 62. Vgl. dazu Gallas, ZStw 75, 16 ff. 78 Vgl. Jauernig, JZ 62,259. 77 Vgl. u. a. Raiser, JZ 61, 465 ff. (470/71) u. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, Münster/Köln 1953, S. 249 ff., der sogar Tatbestände wie die Verbreitung jugendgefährdender Schriften miteinbeziehen will (a.a.O., S. 250). 7R Diese Unterscheidung hat die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Zivil- und Strafrecht immer begleitet, vgl. z. B. Gönner, Soll die Untersuchung bei Verbrechen wider veräußerliche Privatrechte, wenn sie nicht mit gemeiner Gefahr verbunden sind, von Amts wegen oder nur auf Anzeige des Beleidigten eintreten?, Neues Archiv des Criminalrechts, Bd. 7, S. 459 ff.
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sind, regelmäßig auch die allgemeine Ordnung. Bei der Frage, was insofern qualifiziert ist, wird es u. a. auf die Intensität des Angriffs, den Umfang des Schadens und auf erschwerende Tätermerkmale (Rückfall, gewohnheitsmäßige Begehung, Schädigungsabsicht usw.) ankommen. Diese Kriterien sind dem Strafrecht nicht unbekannt. Nach § 3 des Wirtschaftsstrafgesetzes78 ist eine Zuwiderhandlung nur dann eine Straftat, wenn sie entweder ihrem Umfang oder ihrer Auswirkung nach geeignet ist, die Wirtschaftsordnung erheblich zu beeinträchtigen oder wenn der Täter die Zuwiderhandlung hartnäckig wiederholt, gewerbsmäßig, aus verwerflichem Eigennutz oder sonst verantwortungslos handelt. In allen anderen Fällen ist die Zuwiderhandlung nur eine Ordnungswidrigkeit. In ähnlicher Weise könnte man die Abgrenzung des strafbaren vom Zivilunrecht bei Handlungen vornehmen, die an sich zivilrechtlicher Sanktion fähig sind, und zwar in der Weise, daß das Strafrecht - über die eventuelle zivilrechtliche Sanktion hinaus - nur eingreift, wenn auch strafwürdiges Unrecht vorliegt. Abzulehnen ist die Einbeziehung der Vermögensdelikte, jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schmerzensgeldes. Wie bereits dargelegt, machen die Vermögensdelikte (i. w. Sinne) noch immer den größten Teil der Gesamtkriminalität aus, und zwar gerade die kleinen Vermögensdelikte; ihre Einbeziehung in die zivilrechtliche Sanktion wäre daher durchaus wünschenswert. Indessen würde die Abgeltung von Vermögensdelikten nach § 847 BGB dem Sinn dieser Vorschrift so stark widersprechen, daß auch eine analoge Anwendung nicht in Betracht kommt. Die neue Rechtsprechung zum Schmerzensgeld und die Handhabung der Zivilstrafe im Ausland sind ausschließlich auf den Gedanken gegründet, den Persönlichkeitsrechten einen besonderen Schutz einzuräumen. Eine Berufung auf die Durchbrechung des § 253 BGB ist daher nur insoweit zulässig, als der Schutz weiterer, in § 847 BGB nicht genannter Persönlichkeitsrechte in Frage steht, nicht aber in Hinsicht auf den Schutz von Vermögensrechten. Auch in England wird durch die "exemplary damages" nicht das Vermögensinteresse geschützt, selbst dort nicht, wo sie bei Verletzung des Eigentums oder Besitzes verhängt werden80, sondern es steht der Einbruch in die fremde Rechtssphäre als solcher im Vordergrund (trespass to land or goods), der auch bei der deutschen Rechtsprechung das entscheidende Moment ist, wenn es u. a. heißt: "Die Art.! und 2 GG schützen denjenigen inneren Persönlichkeitsbereich des Einzelnen, der grundsätzlich allein seiner freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung untersteht81 ." Man könnte zwar einwenden, auch Diebstahl und vor allem Betrug seien Handlungen, die 70 80 81
I. d. Fassung des Gesetzes v. 21. 12. 1962 (BGBl. I, S. 761).
Grossfeld, a.a.O., S. 39. BGH, Urt. v. 18. 3. 59 (IV ZR 182/58) = BGHZ 30, 7 = NJW 59, 1269.
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die Selbstbestimmung des Einzelnen verletzen, und tatsächlich wird der Betrug ja auch zunächst als Verletzung des Rechts auf Wahrheit, als Kränkung und Persönlichkeitsminderung aufgefaßtS2 • Aber die Entwicklung hat eine so deutliche Trennung zwischen Persönlichkeitsrechten und Vermögensinteressen gebracht, daß sich eine Gleichstellung heute nicht mehr rechtfertigen läßt. Eine Einbeziehung der Vermögensdelikte ist auch nicht erforderlich. Einmal stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, daß die Vermögenskriminalität nur innerhalb der Jugendkriminalität so groß istS3, auf die das Jugendstrafrecht mit seinen ganz anderen und durch zivilrechtliche Sanktionen ohnehin nicht ablösbaren Reaktionsmitteln Anwendung findet, während innerhalb der Erwachsenenkriminalität die Verkehrsdelikte überwiegen, die oft nur bei Personenschäden öffentlich verfolgt werden, also bei Körperverletzung S4 • Ferner kann man kriminalpolitisch durchaus erwägen, die unqualifizierten Vermögensdelikte (vor allem einfachen Diebstahl, Unterschlagung, Betrug) zu Antragsdelikten zu machen s5 , evtl. auch zu reinen Bußdeliktensl • Die unterschiedslose Verfolgung der Vermögensdelikte von Amts wegen entspricht ohnehin weder einer historischen noch logischen Notwendigkeit87 • Auch in Strafrechtssystemen des Auslands ist Diebstahl keineswegs Diebstahl und Betrug nicht Betrug, vielmehr wird der Schwere nach unterschieden88• Leichte Delikte werden mitunter nur mit Buße belegt, die bei Nichtzahlung abgedient werden kann89 • 82 So besonders deutlich das ALR, Teil II, Titel 20, 15. Abschnitt, § 1256. Dazu Naucke, a.a.O., S. 66 ff. 83 Nach der Verurteilungsstatistik der letzten Jahre haben die Vermögensverbrechen an der Erwachsenenkriminalität einen durchschnittlichen Anteil von etwa 30-35 Ufo, an der Jugendkriminalität aber einen von 60-70 Ufo. 84 1961 wurden in der Bundesrepublik allein wegen fahrlässiger Körperverletzung i. Verb. mit Verkehrsunfall 102 952 Personen verurteilt (Stat. Jahrbuch der BRD 1963, S. 126). Damit ist die fahrlässige Körperverletzung das weitaus am häufigsten begangene Delikt (wegen Diebstahl u. Unterschlagung wurden im gleichen Zeitraum 80779 Personen verurteilt, wegen Betrug und Untreue 43901 und wegen Vergehen nach dem Straßenverkehrsgesetz 119 049 Personen). 85 So H. Mayer, Strafrechtsform, S. 70 ff. (76). 88 Nach H. Mayer, Strafrechtsreform, S. 64, würde sogar der Schwerpunkt eines "Privatbußenrechts" auf dem Gebiet der Vermögensverletzungen liegen. S7 Die Carolina, die den Betrug überhaupt nicht kennt, unterscheidet beim Diebstahl u. a., ob er unter fünf Gulden bleibt, mit Gewalt oder ohne Gewalt und zum ersten oder wiederholten Mal begangen wird (Art. 157-175). Der Codex Criminalis Bavaricus unterscheidet ähnlich zwischen Diebstählen über 30 Kreuzer und solchen darunter. - Auch beim Betrug wird nach Stufen unterschieden, z. B. im ALR; vgl. Naucke, a a.O., S.68. 88 In österreich sind einfacher Diebstahl (§§ 171 ff. 460 StGB) und einfacher Betrug (§§ 197 ff., 461 StGB) nur mit Arrest bedrohte Übertretungen. In der Schweiz haben Notdiebstahl und Notbetrug einen viel größeren Anwendungsbereich als bei uns (Art. 137 ff. Schw. StGB). 88 So z. B. Art. 49, 1 u. 3 Schweiz. StGB; ähnlich Art. 32, Abs. 5 Sowjetruss. StGB.
Bedeutung der neuen Schmerzensgeld rechtsprechung für das Strafrecht 683 Kommen wir zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten zurück. De lege lata ist wohl nur mit einer engeren Auslegung der Tatbestände80 und der Einstellung gern. §§ 153 ff. StPO zu helfen91 , mit letzterer vor allem in dem Sinne, daß von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen wird, wenn der Verletzte eine Genugtuung auch im Zivilverfahren erlangen kann und eine Wiedergutmachung am Recht (Sühne) nicht erforderlich erscheint. Allerdings ist keiner der §§ 153 ff. StPO direkt anwendbar. Der Gedanke, daß von der Verfolgung abgesehen bzw. das Verfahren eingestellt wird, wenn der Strafzweck anderweitig erreicht ist, ist dem deutschen Strafrecht unbekannte!. Im Jugendstrafrecht ist er andeutungsweise vorhanden, vor allem in § 45 Abs. 2 Ziff. 1 JGG, wonach der Staatsanwalt von der Verfolgung absehen kann, wenn eine erzieherische Maßnahme, die eine Ahndung durch den Richter entbehrlich macht, bereits angeordnet ist. Diese Maßnahme braucht nicht strafrechtlicher Art zu sein (und ist es in der Regel auch nicht)83. Demgegenüber betrifft § 154 StPO (unbedeutende Nebentaten) nur den Fall, daß eine Strafe oder Maßregel (also strafrechtliche Maßnahmen) wegen einer anderen Tat (oder eines anderen Tatteils) verhängt ist. - Die Anwendung von § 153, Abs. 2 setzt voraus, daß die Schuld gering ist und ein öffentliches Interesse an der Verfolgung nicht besteht. Im letzteren Punkt (1964 eingefügt) ist ein wichtiger Ansatz zu sehen: das öffentliche Interesse könnte verneint werden. Es bleibt aber die Frage, ob man eine nachträgliche Minderung der Schuld durch Anbieten von Genugtuung, Leistung von Wiedergutmachung o. ä. berücksichtigen kann". Das Gesetz meint das soziale95 bzw. moralische" Fehlverhalten, das in der Tat selber zum Ausdruck gekommen ist; es wird daher schwierig sein, die Schuld von einem späteren Zeitpunkt aus zu betrachten87 . Inwieweit § 154 d StPQ88 angewendet werden könnte, ist ebenfalls zweifelhaft. An sich hat diese Bestimmung andere Fälle im Auge; die 80 Vm' allem der Tatbestände, die wie der Betrug - unter falschen kriminalpolitisch p.T1. Gesichtspunkten ausgeufert sind, vgl. Naucke, a.a.O., insbes. S. 101 ff., 202 ff. 81 So vor allem K. PeteTs, Eb. Schmidt-Festschrift, a a.O. 81 Anders in L~ndern, in denen das Opportunitätsprinzip gilt, z. B. Frankreich, Holland. Belgien, Italien. Zu Frankreich Boüzat-Pinatel, Traite de droit penal et de Criminologie, 1963, !I, S. 749 u. Stefani-LevasseuT, Procedure penale. 1959, S. 506. 83 Nach den Richtlinien Nr. 4 zu § 45 JGG braucht sie nicht einmal gerichtlich erfoll!t zu sein; es I!enügt eine Maßnahme des Erziehungsberechtigten, des Jugendamts. der Schule oder des Lehrherrn. 14 In der Pra'lCis wird in leichteren Fällen nicht selten das Verfahren vorläufig eingestellt, wenn der Verletzte Genugtuung anbietet und der Verletzte sich bereit erklärt. sie a'1.7.unehmen. Vgl. auch Rehfeldt. a a.O., S. 294. 85 So Eb. Schmidt. Lehrkommentar zur StPO, !i 153, Note 3. IS So Löwe-Ro!!enbeTo-Kohlhaas, StpO, 21. Aufl .. !i 153, Anm. 3. 81 Anders bei der Strafzumessung, vgl. u. a. Baumann, NJW 62, 179:1: OLG Köln. NJW 58, 2079 und wohl auch bei der Strafaussetzung, vgl. Hellmer, NJW 56. 980 ff. 88 Früher §154 a, geändert durch das stPÄG v. 19.12.64 (BGBl. I, S. 1067 ff.).
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Leistung von Genugtuung im Wege des Zivilverfahrens ist auch eigentlich keine "notwendige Vorfrage"OU des Strafprozesses; denn bestraft kann ja werden, ob eine Genugtuung geleistet worden ist oder nicht 10o • Sieht man den Sinn der Strafe allerdings darin, den Täter nur zur Rechenschaft zu ziehen, wenn eine Wiedergutmachung am verletzten Recht (Sühne) erforderlich ist, dann wird die zivilrechtliche Genugtuung in allen Fällen zu einer Vorfrage, in denen auf die Wiedergutmachung am Recht verzichtet werden kann, wenn der Täter wenigstens Wiedergutmachung am verletzten Einzelinteresse geleistet hat. Es besteht jedenfalls Einigkeit darüber, daß § 154 d StPO den Mißbrauch des Strafverfahrens zur Klärung zivilrechtlicher Fragen verhindern S01l101. Die Gefahr des Mißbrauchs ist auch hier vorhanden. Diese Probleme müssen weiter durchdacht werden. Hier sollte nur auf die neue Situation für das Strafrecht aufmerksam gemacht werden. Dabei ist die entscheidende Frage wohl die, ob und inwieweit das Zivilrecht zu einer Liberalisierung der rechtlichen Verhältnisse beitragen kann, die durch das Strafrecht einen übertrieben obrigkeitlichen Anstrich erhalten haben. Ist die neue Schmerzensgeldrechtsprechung ein verheißungsvoller Auftakt hierzu oder nur ein untauglicher Versuch, dem Strafrecht Konkurrenz zu machen? Wir sollten, glaube ich, die erste Möglichkeit als die legitimere ansehen und unterstützen 102 •
Löwe-Rosenberg-Kohlhaas, § 154 a, Anm. 2; Eb. Schmidt, § 154 a, Note 4. Auch die Haftungsgrundlagen sind u. U. verschieden; vgl. KleinknechtMüller-Reitberger, Kommentar zur StPO, 4. Auft., § 154 a, Anm. 2 b. 101 DaUinger, stpo, § 152, Note 3; Eb. Schmidt, § 154 a, Note 3; KleinknechtMüller-Reitberger, Kommentar zur StpO, 4. Auft., § 154 a, Anm. 2 c. 99
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101 Im Gegensatz zu Bestrebungen, die dem Strafrecht noch mehr Macht verleihen wollen, als es durch seine Prägung in einem Staat schon besitzt, in dem der Einzelne nur die Rolle des Untertans zu spielen hatte.
Anhang
Die Schriften Hellmuth Mayers Zusammengestellt von Hans-Joachim Wegner, Kiel Zuchtgewalt und Strafrechtspftege, Diss. Leipzig 1922, in: Würzburger Abhandlungen zum deutschen und ausländischen Prozeßrecht, Heft 13. Besprechung von: Heinrich Dietz, Gesetz betreffend die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. August 1920, GS 88 (1922), 412 ff. Besprechung von: Wilhelm Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, GS 88,475 ff. Zum Münchener Hochverratsprozeß, GS 91 (1925), 93 ff. Die Untreue im Zusammenhang der Vermögensverbrechen, München/Berlin/ Leipzig 1926. Besprechung von: Nagler, Die Strafe, GS 92 (1926),268 ff. Besprechung von: Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 9. neubearbeitete Auflage. Band I: Allgemeiner Teil, bearbeitet von Riezler. Band III: Sachenrecht, bearbeitet von Kober, GS 92, 271. Besprechung von: Aschaffenburg, Das Verbrechen und seine Bekämpfung, GS 92, 473 ff. Meineid und falsche Aussage nach dem Entwurf, GS 93 (1926), 172 ff. Herbsttagung der Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft. Bericht, GS 94 (1927), 30 ff. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1927, 908 zu Nr. 28. Sommertagung der Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft, GS 95 (1927), 81 ff. Besprechung von: Edmund Mezger, Persönlichkeit und strafrechtliche Zurechnung, GS 95, 361 ff. Besprechung von: Gerhard Daniel, Gefährlichkeit und Strafmaß im Sinne der positiven Kriminalistenschule, GS 95, 365 ff. Besprechung von: Eduard Kern, Zur Strafrechtsreform, GS 95, 367. Besprechung von: Edgar Foltin, Die chronisch erhöht Gefährlichen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Behandlung im englischen Recht, GS 95, 367 ff. Besprechung von: Friedrich Kitzinger, Die Stellung der Gesellschaft zum Verbrechen und zur Strafe, GS 95, 370 f. Besprechung von: Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung. N. F. Band II. 21. Tagung der deutschen Landesgruppe zu Bonn, GS 95, 371. Besprechung von: J. Hartung, Das Strafregister, Stilkes Rechtsbibliothek, GS 95, 371 f. Besprechung von: E. HipplerlP. Schilder, Suggestion und Strafrechtswissenschaft, GS 95, 372 f. Besprechung von: J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Einführungsgesetz. Band IV: Familienrecht, GS 95, 398 f.
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Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1927, 2033 ff. zu Nr. 52. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1927, 2218 zu Nr. 35. Das Strafbefehlsverfahren, GS 96 (1928), 397 ff. Ordentliche Tagung der Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft am 30. und 31. März 1928, GS 97 (1928), 1 ff. Besprechung von: Erik Wolf, Verbrechen aus Überzeugung, GS 97, 134 f. Besprechung von: Thümmel, Das neue Strafgesetzbuch und die Religionsvergehen, GS 97, 135 f. Besprechung von: Franz Exner, Krieg und Kriminalität in Österreich, GS 97, 136.
Besprechung von: Kriminalstatistik für das Jahr 1928, GS 97, 136. Besprechung von: Leopold SchäferlFritz Hauptvogel, Deutsche Gesetzentwürfe und Vorschriften über den Strafvollzug, GS 97,136 f. Besprechung von: Otto Koellreutter, Der Deutsche Staat als Bundesstaat, GS 97, 174f. Besprechung von: Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 15.-18. Lieferung, GS 97, 175. Die Staatsverbrechen in der Reichstagsvorlage, GS 98 (1929), 32 ff. Besprechung von: FredelGrünhut, Reform des Strafvollzuges, GS 98, 189 ff. Besprechung von: Heinz Hammerschlag, Die Erziehungsrnaßregeln im Jugendgerichtsgesetz, GS 98, 192 f. Besprechung von: Wolfgang Siebert, Der strafrechtliche Besitzbegriff besonders in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, GS 98, 193. Besprechung von: Werner Engell, Die Entschädigungs- und Wiedergutmachungspfticht gegenüber unschuldig Bestraften und Verhafteten, GS 98, 194.
Besprechung von: Friedrich Schaffstein, Die Behandlung der Schuldarten im ausländischen Strafrecht seit 1908, GS 98, 194. Besprechung von: Oskar Kellner, Die Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung §§ 241, 242 KO, GS 98, 194 f. Besprechung von: Herbert Thode, Die sogenannte Unterschlagung vertretbarer Sachen, GS 98, 195. Besprechung von: Heinrich Seyfarth, Probleme des Strafwesens, GS 98, 195. Besprechung von: Harry Trommer, Urkundenfälschung und Betrug im Weltkrieg, und: Roland Graßberger, Die Brandlegungskriminalität, GS 98, 195 f.
Besprechung von: S. Nelken, Verbrechen und Versicherung, GS 98, 196. Besprechung von: Kurt WaIter Hannsen, Der Begriff Urkunde im amtlichen Entwurf eines Allgemeinen Strafgesetzbuches, GS 98, 196. Besprechung von: Robert Coester, Die Rechtskraft der Staatsakte, GS 98, 202 f.
Ordentliche Tagung der Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft vom 20. und 21. Mai 1929, GS 98, 278 ff. Der amts richterliche Strafbefehl, GS 98, 330 ff. und GS 99, 3~ ff. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1929, 2731 ff. zu Nr. 31. Die Strafrechtstheorie bei Luther und Melanchthon, in: Festgabe für Julius Binder, Berlin 1930, S. 77 ff.
Anhang: Die Schriften Hellmuth Mayers
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Der bindende Befehl im Strafrecht, in: Festgabe für Reinhard von Frank, Band I, Tübingen 1930, S. 598 ff. Besprechung von: v. Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. 19.-22. Lieferung, GS 99 (1930), 227. Besprechung von: Ernst Eichner, Die Rechtsgrundlagen der Präventivpolizei insbesondere der Präventivpolizeihaft nach der bayerischen Rechtsentwicklung, GS 99, 227 f. Die konstruktiven Grundlagen des Wiederaufnahmeverfahrens und seine Reform, GS 99, 299 ff. Besprechung von: Hermann Schmitt, Polizei strafgesetzbuch für Bayern nebst den einschlägigen Nebengesetzen, JW 1930, 2527. Urteilsanmerkung (§ 266 Ziff. 2 StGB), JW 1930, 2550 zu Nr. 19. Urteilsanmerkung (§ 157 StGB), JW 1931, 1567 zu Nr. 25. Urteilsanmerkung (§ 257 StGB), JW 1931, 1576 f. zu Nr. 34. Urteilsanmerkung (§ 246 StGB), JW 1931, 1702 f. zu Nr. 12. Jahresversammlung der Deutschen Strafrechtlichen Gesellschaft in Bamberg am 16. und 17. Oktober 1931, GS 101 (1932), 101 ff. (Referat über: Die Bekämpfung politischer Ausschreitungen, S. 102-127). Urteilsanmerkung (§ 159 StGB, § 57 StPO), JW 1932, 112 zu Nr. 6. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1932. 507 zu Nr. 31. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1932, 749 ff. zu Nr. 20. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1932, 1746 zu Nr. 28. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1932, 1766 f. zu Nr. 9. Urteilsanmerkung (§ 265 StPO, §§ 158, 163 II StGB), JW 1932, 2162 f. zu Nr. 20. Urteilsanmerkung (§§ 52, 54, 153 StGB), JW 1932, 2291 ff. zu Nr. 14. Urteilsanmerkung (§§ 52,153, 159 StGB), JW 1932, 3068 f. zu Nr. 17. Die Untreue nach der Strafgesetznovelle vom 26. Mai 1933 insbesondere in ihren Beziehungen zum Handelsrecht, in: Zentralblatt für Handelsrecht 1933, 145 ff. Urteilsanmerkung (§ 257 StGB, § 57 Ziff. 3 StPO), JW 1933, 432 f. zu Nr. 16. Urteilsanmerkung (§ 266 StGB), JW 1933, 434 f. zu Nr. 18 und 19. Urteilsanmerkung (§ 267 StGB), JW 1933, 853 ff. zu Nr. 1. Besprechung von: Georg Dahm/Friedrich Schaffst ein, Liberales und autoritäres Strafrecht, JW 1933, 944 f. Urteilsanmerkung (§§ 79, 80, 261 StpO, §§ 154, 163 StGB), JW 1933, 1070 f. zu Nr. 23. Urteilsanmerkung (§§ 51,52,54 StGB), JW 1933, 1330 zu Nr. 33. Urteilsanmerkung (§ 159 StGB), JW 1933, 2590 zu Nr. 13. Urteilsanmerkung (§§ 246, 263 StGB), JW 1933, 2591 f. zu Nr. 16. Urteilsanmerkung (§ 263 StGB), JW 1933, 2839 f. zu Nr. 14. Urteilsanmerkung (§§ 157, 158 StGB), JW 1933, 2911 zu Nr. 11. Eigentum an Geld und strafrechtliche Konsequenzen, GS 104 (1934), 100 ff. Zum Aufbau des Strafprozesses, GS 104, 302 ff. Urteilsanmerkung (§ 129 StGB), JW 1934, 232 zu Nr. 15. Urteilsanmerkung (§ 2 StGB, §§ 264, 267 StpO), JW 1934, 294 ff. zu Nr. 13. Urteilsanmerkung (§ 288 StGB), JW 1934, 369 zu Nr. 24.
690
Hans-Joachim Wegner
Urteilsanmerkung (§ 246 StGB), JW 1934, 486 f. zu Nr. 15. Das Strafrecht des Deutschen Volkes, Stuttgart 1936. Ernst Mayer, Rechtshistoriker, in: Lebensläufe aus Franken, hrsg. von der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Erlangen 1936, S. 181 ff. Darf ein Christ sein eigenes Recht suchen?, in: Zeitwende 1936, 354 ff. Besprechung von: Hellmuth 'Von Weber, Zum Aufbau des Strafrechtssystems, GS 108 (1936), 404 ff. Besprechung von: Johannes Martin Ritter, Staatsverbrechen und Staatsverfassung, GS 109 (1937), 134 f. Laiengedanken zum Kirchenbau, in: Zeitwende 1937, 174 ff. Friedrich Oetker zum Gedächtnis, GS 110 (1937), 177 ff. Besprechung von: Hermann Roeder, Willensfreiheit und Strafrecht. Versuch einer gesellschaftsphilosophischen Grundlegung, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 31 (1937/38), 236 ff. Militärjustiz im neuzeitlichen Krieg, ZWehrR 1937/38, H. Band, S. 329 ff. Kriminalpolitik als Geisteswissenschaft, ZStW 57 (1938), 1 ff. Der Verbrechensbegriff. Ein Forschungsbericht, DStrR 1938, 73 H. Besprechung von: Ulrich Stock, Die Strafe als Dienst am Volk, KrVJS N. F.29 (1938), 325 ff. Besprechung von: Friedrich Schmid, Der Betrug nach geltendem deutschen Strafrecht und nach den Entwürfen zu einem Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch, KrVJS N. F. 29, 331. Studium der Persönlichkeit des Verbrechers. Gutachten, in: Römischer Kongreß für Kriminologie, in: Beiträge zur Rechtserneuerung, Heft 8, Berlin 1939, S. 188 ff. Die folgenschwere Unmäßigkeit (§ 330 a StGB), ZStW 59 (1940), 283 ff. Besprechung von: Hans-Wolfgang Sommerlatte, Das Problem der Ein- und Zweispurigkeit im Lichte seiner geschichtlichen Entwicklung in Deutschland und der Gesetzgebung Englands und der Vereinigten Staaten von Amerika, KrVJS N. F. 31 (1941), 124 ff. Besprechung von: Paul Diedenhojen, Die Artikel 1041105 der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karl V. und ihre Bedeutung für die Geschichte der Analogie, KrV JS N. F. 31, 126 ff. Besprechung von: Herbert Seidenstilcker, Strafzweck und Norm bei Binding und im nationalsozialistischen Recht, KrVJS N. F. 31, 129 ff. Das Analogieverbot im gegenwärtigen deutschen Strafrecht, SJZ 1947, 12 H. Die bindende Kraft des Urteils nach deutschem Recht, in: Die Spruchgerichte 1949,60 ff. Zur Abgrenzung des Versuchs von der Vorbereitungshandlung, SJZ 1949, 172 ff. Der strafrechtliche Schutz des Staates, SJZ 1950, 247 ff. Der Bundesgerichtshof über das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit. Zu BGH GSSt 2/51 vom 8. 3. 1952, MDR 1952, 392 H. Völkerrecht und internationales Strafrecht, JZ 1952, 609 H. Strafrecht. Allgemeiner Teil, StuttgartlKöln 1953. Urteilsanmerkung (§ 259 StGB), JZ 1953, 86 f. Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände, JZ 1953, 105 f.
Anhang: Die Schriften Hellmuth Mayers
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Urteilsanmerkung (§ 259 StGB), JZ 1953, 471. Der Sachverständige im Strafprozeß, in: Festschrift für Edmund Mezger, München/Berlin 1954, S. 455 ff. Die gesetzliche Bestimmtheit der Tatbestände, in: Materialien zur Strafrechtsreform, Band I, Bonn 1954, S. 259 H. Die Untreue, in: Materialien zur Strafrechtsreform, Band I, Bonn 1954, S. 333 ff. Elternrecht, Schule und Kirche, DVBl. 1955, 581 ff. Klageerzwingungsverfahren und Opportunitätsprinzip, JZ 1955, 601 ff. Das Problem des sogenannten dolus generalis, JZ 1956, 109 ff. Teilnahme und Gefangenenmeuterei, JZ 1956, 434 ff. Das Züchtigungsrecht des Lehrers, DVBl. 1956, 469 ff. Täterschaft, Teilnahme, Urheberschaft, in: Festschrift für Theodor Rittler, Aalen 1957, S. 243 H. Zum Beweiswert des persönlichen Eindrucks, DRiZ 1958,140. Urteilsanmerkung (§ 247 StGB), JZ 1958, 283 f. Endet mit der Ehescheidung auch das Angehörigenverhältnis im Sinne des § 52 StGB?, JZ 1959, 119 f. Hilfsweise eingelegte Prozeßrügen?, in: Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, Göttingen 1961, S. 634 H. Strafrechtsreform für heute und morgen, in: Kriminologische Forschungen, Band 1, Berlin 1962. Typologie der Gewohnheitsverbrecher oder Rezidivisten, in: Kriminalbiologische Gegenwartsfragen, Heft 5, Stuttgart 1962, S. 135 ff. Zum Begriff der Wegnahme, JZ 1962, 617 ff. Grenzen des Asylrechts, in: Die Zeit vom 30. November 1962, Nr.48, S. 4. Vorbemerkungen zur Lehre vom Handlungsbegriff, in: Festschrift für Hellmuth von Weber zum 70. Geburtstag, Bonn 1963, S. 137 ff. Das rechtliche Verhältnis von Strafrecht und Fürsorge im Blick auf Gefährdete und Nichtseßhafte, in: Der Wanderer 1963, 17 ff. (das gleiche in P. Frank, Was folgt daraus? Bericht über die Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Nichtseßhaftenhilfe 1963, 13 ft.) Urteilsanmerkung (unbedingter und bedingter Vorsatz), in: Blutalkohol 1963, 43ft. Les effets internationaux de la sentence penale. (Beitrag zum Haager Kongreß für Rechtsvergleichung 1964), in: Revue Internationale de Droit penal. Bulletin de l'Association Internationale de Droit Penal, Paris 1964, S. 33 ff. Besprechung von: Armand Mergen, Die Wissenschaft vom Verbrechen. Eine Einführung in die Kriminologie, MschrKrim 1964, 95. Besprechung von: Armand M ergen, Kriminologie - Heute, MschrKrim 1964,96. Urteilsanmerkung (§§ 46, 409 StpO), JZ 1964, 386 f.