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Festschrift für Carl Schmitt
Duncker & Humblot · Berlin
FESTSCHRIFT FÜR CARL SCHMITT
Festschrift für earl Schmitt zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern herausgegeben von
Hans Barion, Ernst Forsthoff, Werner Weber
Dritte, unveränderte Auflage
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Festschrift für Carl Schmitt : zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und' Schülern / hrsg. von Hans Barion ... 3., unveränd. Auflage. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 ISBN 3-428-07977-9 NE: Barion, Hans [Hrsg.]; Schmitt, Carl: Festschrift
Erste Auflage 1959 Zweite Auflage 1989 Dritte Auflage 1994 Alle Rechte vorbehalten
© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin . Printed in Gennany ISBN 3-428-07977-9
INHALT Hans Barion, Professor, Bonn
Ordnung und Ortung im kanonischen Recht
Dr. Ernst Forsthoff, Professor, Heidelberg
Die Umbildung des Verfassungs gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
Dr. Hans Freyer, Professor, Münster
Die Idee der Freiheit im technischen Zeitalter
Dr. joseph H. Kaiser, Professor, Freiburg i. Br.
Die Dialektik der Repräsentation ................................
Seite 1
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71
Dr. Ernst Kern, Regierungsdirektor und Chef de Division Secft!tariat
l'OECE, Paris Aspekte des Verwaltungsrechts im Industriezeitalter .................
Dr. Günther Krauss, Rechtsanwalt, Köln
Die Gewaltengliederung bei Montesquieu
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103
Dr. Luis Legaz y Lacambra, Professor, Rektor der Universität Santiago de
Compostela Völkerrechtsgemeinschaft, Ideologie, Utopie und Wirklichkeit. . . . . . . . .. 123 Dr. Alvaro d'Ors, Professor, Santiago de Compostela
Relectio de Causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
Dr. Hans Schneider, Professor, Heidelberg
Über Einzelfallgesetze ........................................
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Dr. Roman Schnur, Assessor, wissenschaftlicher Assistent an der Hochschule für
Verwaltungswissenschaften Speyer Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts ...................................................
179
Dr. Themistokles Tsatsos, Rechtsanwalt,
ehemaliger königlicher Minister für Justiz und Verteidigung, Athen Die verfassungsmäßige Gewährleistung der Religionsfreiheit in Griechenland ............................................... 221
Dr. Werner Weber, Professor, Göttingen
Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 253 Piet Tommissen, Laken (Brüssel)
Carl-Schmitt-Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 273
HANS BARION ORDNUNG UND ORTUNG IM KANONISCHEN RECHT
A. "Silet,e Theo.Jo~i in munero alieno!" - ;diesen von Carl Schmitt .ins (geistes)wissenschaftliche Bewußtsein unserer Zeit .gehobenen Ausruf des A'lbericus Gentili,s haben die T.heolo~en ansch,einend ,zum Anlaß genommen, um sich von eiiner ,Bereicherung und in manch:er Hinsicht ,auch Berichtigoog ihres eigenen Denkens und Fragens durch das Werk Carl Schmitts zu dispensieren, obwohl es ,dafür von der Untersuchung über Gesetz und Urteil an 1 bis zu seinem großen Buch über den Nomos der Erde, indem dieses Wort gleichsam katalysatorisch verwendet wird 2, vielfältige Anregung bietet. Jedenfalls weist die auch für solche Feststellungen ebenso unentbehrliche wie belehrende Bibliographie Tommissens 3 kaum eine nennenswerte theologische Befassung mit dem Werke Carl Schmitts auf 4. Wenn der :folgende Beitrag über Ord~ung und Ortung im kanonischen Recht eine Erkenntnis Carl Schmitts aufnimmt, um sie für eine grundsätzliche Betrachtung des Rechtes der Katholischen Kirche nutzbar zu machen, so tritt er also formal in eine Lücke ein, ,die bisher schon recht auffällig war, deren unfruchtbare Selbstgenügsamkeit aber nicht über diese Festschrift hinaus weiterdauern soll. Auch inhaltlich jedoch ,darf diese Gabe beanspruchen, ein Erstling zu sein, weil das Ineinander von Ordnung und Ortung in den bishe!1igen Darstellungen der kanoni,stischen Prinzipien nicht ,als eigenes Strukturelement erfaßt wor,den ist·. Von Carl Schmitts thetischer Beschr,eihung Vgl. z. B. Gesetz und Urteil, 1912, S. 127 (Note III, Abs. 2), wo schon ein Hauptthema der vielen Bemerkungen und Erörterungen Ca r I Sc h mit t s zur vergleichenden Einbeziehung der Theologie in die juristische Wissenschaftslehre distinkt umschrieben wird: der methodische Zusammenhang zwischen der traditionellen juristischen Hermeneutik und der theologischen Interpretationslehre. 2 Vgl. Der Nomos der Erde, 1950, S. 96 (H, 3), wo das Wort des Albericus Gentilis als ein Hauptmotiv der Gedankenführung erscheint, das vorher (S. 89-96 = 11, 2, 4) auf das sorgfältigste exponiert worden ist, so wie das ganze Werk sich gemäß dem Vorwort (S. 6) zwischen den Mahlflächen von» Theologie und Technik" behaupten will. :l V gl. den Schlußbeitrag dieser Festschrift. 4 Eine Ausnahme bildet die bei Tom m iss e n Nr. 573 zitierte Arbeit von J. Klein. S Vgl. P. Fe deI e, Discorso generale sull'Ordinamento canonico, 1941; A. Hagen, Prinzipien des katholischen Kirchenrechts, 1949. 1
1 FestSChrift Carl Schmitt
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Hans Barion
des Rechtes als einer Einheit von Ordnung und Ortung läßt sich sagen, daß sie für die Kanonistik nicht ein Verbum appeliativum, sondern ein Verbum crcativum ist, und die Wahllieses Themas schafft für den Bearbeiter die angenehme Lage, daß er .dem Meister eine Gabe darbringen kann, .die ·dieser selbst erst ermögl,icht hat und deren Bereitung sidl nicht mit dem ohnehin meist wenig ergiebigen Kleinkram lehrgeschichtEcher Unterbauung aufzuhalten braucht:di.eschöpferische und prägende Kraft Carl Schmitts trägt auch .diese Darlegungen und hält sie oberhalb ·des kirchenrechtlichen Alltags. B. I.
1. ·Für .die Besinnun'g 'auf die Ortun.g ah eine Grundlage ,der kanonischen Ordnung bietet ,sim zuvörderst c. 8 § 2 eIe an. Er lautet: "Lex non pra,esumitur per,sonali,s, ,sed tierritorialis, ni~i aliud comtet." Hier smeint in ,der Tat die territoriale Geltung ,der Gesetze, die Ausstrahlung ihrer bindenden Kraft auf .die Gläubigen nicht bloß oder zuerst durch deren persönEme Unt'erordnung unter die Hierarchie, sondern vermittelst ,der gebietsmäßigen Gliederung der Kirche als maßgebendes Element des kanonischen Rechtes festgelegt zu sein, weil dieser Kanon ganz generell gefaßt ist. Indes setzt er dem Versuch einer Auslegung im eindeutigen Sinn (auch) eines Struktursatzes gewisse Schwierigkeiten exegetischer und axiomatischer Natur entgegen. 2. Das exeg,etische Problem des Kanons ist smon lange erkannt worden 6 und läßt sich dahin zusammenfassen, daß er ohne Sruwierigkeit nur auf Partikulargesetze angewandt werden kann. Soweit ein Gesetz von einem Ortsordinarius unterhalb des Papstes oder von einem nichtökumenisruen Konzil erlassen worden ist, entsprimt die Ausstattung mit territorialer Geltung der Jurisdikt·ion .dieser Gesetzgeber, die ebenfalls territorial, nicht personal bedingt ist. Es ist dann eine Nebenfrage, ob man die territori.ale Geltung absolut gestaltet, derart, .daß sie alle und nur die Gläubigen erfaßt, die sich in dem Terl1itorium aufhalten, oder ob man, wie es der eIe tut, ·das Domizil oder Quasidomizil in dem betreffenden Territorium als zusätzliche Bedingung für die Bindung vorschreibt (c. 13 § 2) und in Ausnahmefällen (c. 14 § 1 n. 1: wenn ihre Nichtbeachtung - ·der eIe verwendet den in .diesem Zusammenhang schiefen Ausdruck Transgressio "in proprio terl1itorio noceat") die territoriale Bindung zur personalen, den Territorialeinwohnern über das Territorium hinaus folgenden Bindung er6
V gl. die sehr gute Zusammenfassung bei A. V a n H 0 v e, De Legibus ecclesiasticis = Commentarium Lovaniense in CI C, Vol. I, Tom. H, 1930, S. 120 bis 134. Ferner G. 0 n c I in, De territoriali vel personali legis indole. Historia doctrinae et disciplina CIC, 1938 (Diss. Löwen, i. w. redmgeschichtlich); E. P ace 11 i, La personnalite et La territoriaLite des Lois, particulierement dans Le droit canon, Etude historique-juridique, Rom 1945.
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weitert. Jedenfalls läßt sich c. 8 § 2 auf partikuläre Gesetze ohne Sdlwierigkeit anwenden. Bei ,den für ,dio ganze Kirche geltenden Gesetzen jedoch steht es anders. Gewüß ist c. 8 § 2 so formuliert, ,daß er per se .auch für die Leges generales gilt, und die Vertreter ,dieser Auslegung können 'Sowohl ,den eindeutig allgemein gefaßten Wortlaut ·des Kanons wie seine Stellung an der Spitze des Titels De legibus ecclesias~icis dafür anführen. Aber ,diese Auslegung ist sachlich und rechtssystematisch unhaltbar. Denn die Kirche wir,d als Gemeinschaft der Gläubigen ,durch ·das personale Band der Taufe zusammengehalten. S.ie ist nicht nur dort, wo sie territorial konstituiert wird, sondern auch jenseits aller kirchlichen Gebietsgliederung überall dort, wo Gläubige sind. Daher gelten die allgemeinen Gesetze ,der Kirche unabhängig von einer territorialen Beziehung überall, und es ist nur die rechtssystematisch unnö~ige positivrechdiche Unterstreichung ,dieser Sachlage, wenn c. 13 § 1 ausdrücklich feststellt (nicht festlegt): "Legibus .generalibus tenentur ubique terrarum omnes, pro quibus latae sunt." JedenfalllS aber wo.r·d damit anerkannt, daß ,das Fel,d ,der Leges ecclesias~icae generales ,die ganze Erde ist; c. 13 § 1 läßt dadurch ebenso wie ,durch die ausdrückliche Einbeziehung ihrer personalen Komponente ("omnes, pro quibulS latae sunt") bei den Leges generales keinen sinnvollen Spielraum für die territoriale Präsumption des c. 8 § 2. Sie sind ihr durch ,die positivrechtliche Regelung ·des c. 13 § 1 sogar entzogen. Daher kann c. 8 § 2 im System des eIe tro.tz seines Wortlautes nicht auf die Leges generales bezogen wellden. Daß c. 8 § 2 insoweit also eine Fehlkodifikation ,darstellt und der eIe besser bei der ursprünglich vorgesehenen formellen Beschränkung der Präsumption auf ,die Leges particulares 7 geblieben wäre, läßt sich wohl nicht bestreiten. Trotzdem freilich könnte die Ortung des kanonischen Rechts als Strukturelementseiner Or,dnung mittels dieses Kanons gleichsam leitmotivisch ausgesprochen s·ein, wenn er axiomatische B,edeutung hätte. Diese aber fehlt ihm auch.
,
3. Wenn man ,die hier so genannte axiomatische Bedeutung eines Kanons darin sieht, ,daß er entweder einen Satz des göttlichen Rechts kodifiziert - so z. B. c. 100 § 1 - oder ein grundlegendes Element des nur positiven kanonischen Rechtes festlegt - so in sehr prägnanter Weise etwa c. 111 § 1 -, ,dann kann c. 8 § 2 nicht zu den axiomatischen Sätzen des eIe gerechnet werden. Daß ·er kein Satz des göttlichen Rechtes ist, sieht man nicht nur an seiner rein positivrechtlichen Formulierung, sondern auch und vor allem dar an, ,daß seine Ausdehnung auf ,die Leges generales fragwürdig ist und 'bleibt und daß göttliches Recht überhaupt nicht in der Form einer Präsumption erscheinen kann: das Ius divinum ist seiner Substanz, wenn 7
1*
Va n Ho v e a.a.O., S. 129 Anm. 1.
Hans Barioll
auch nicht immer seiner Einsichtigkeit im konkreten Fall nach, "schärfer denn kein zweischneidig Schwert" (Hebr. 4, 12) und von Präsumptionen verschieden wie ein apodiktisches Urteil von einem problematischen. Aber c. 8 § 1. bezeichnet auch kein ,durch alles geltende kanonische Recht hindurchgehendes, mit ihm eng verwachsenes Prinzip seiner positiven Ausgestaltung. Wenn man z. B. c. 111 § 1 aufheben wollte, so würde das eine Umgestaltung des gesamten Klerusrechtes zur Folge haben. Die Präsumption des c. 8 § 2 aber kann man umkehren zugunsten einer personalen Geltung aller Gesetze, "wenn nichts anderes feststeht", ohne ,daß sich im übrigen an der konkreten Ordnung ,der Kirche irgen,d etwas Wesentliches ändern würde. Dieser Rechtssatz ist nichts als ·eine Anwendungsregel für die konkrete Handhabung und Auslegung ,der kirchlichen Jurisdiktionsgewalt und des kirchlichen Rechts, welche ,die Ordnung vereinfacht und übersichtlicher gestaltet, ohne die Ortung mehr als nur tatsächlich in sie einzubeziehen. Der c. 8 § 2 mag eine Folge der Ordnung ,des kanonischen Rechtes durch Ortung sein, 'er ist nicht ihre Grundlage. Wenn ,die Ortung ein Strukturelement des kanonischen Rechts ist und als solches nachgewiesen werden soll, muß eine andere Grundlage dafür gesucht werden. Sie findet sich in c. 329 § 1.
11. 1. Daß c. 329 § 1 in der Tat die Ordnung .des kanonischen Rechtes mit seiner Ortung auf ,das engste verknüpft, ergibt sich schon auf den ersten Blick aus seiner Bezugnahme auf die Ecclesiae peculiares: "Episcopi sunt Apostolorum successores atque exdivina institutione peculiaribus ecclesiis praeficiuntur quas cum potestate ordinaria regunt sub auctoritate Romani Pontificis." Indes die genaue Art dieser Verknüpfung und vor allem eine Antwort auf ·die Frage, ob der Kanon wirklich auch in diesem Punkt axiomatische Bedeutung im vorhin bezeichneten Sinne besitzt, lassen sich nur aus seiner Einzdexegese erheben. 2. Die Bindung ,der kanonischen Ordnung an eine als Nonn festgelegte und in der konkreten Struktur ,der Rechtskirche zu verwirklichende Ortung ist in c. 329 § 1 folgendermaßen ausgesprochen: ,,(Episcopi) ... peculiaribusecclesiis praeficiuntur quas cum potesta ordinaria regunt . . .". Aus dieser Formulierung ergibt sich dreierlei: a) Innerhalb ·der Ecclesia universalis bestehen Ecclesiae peculiares. Unter diesen bischöflichen Sonderkirchen können nicht auch personale Zusammenfassungen verstanden werden, so als ob hier in gleicher Weise territorial und personal bestimmte Verbände gemeint seien. Die Ecclesia peculiaris, die von einem Bischof regiert wird, ist sowohl nach dem Sprachgebrauch des CIC B 8
Die Gleichsetzung der Ecclesia peculiaris des c. 329 § 1 mit dem Begriff der Territorialdiözese ist per se dadurch gerechtfertigt, daß c. 329 § 1 in übereinstimmung mit der positivrechtlichen Bischofsverfassung des CIC interpretiert werden muß, die eben nur Territorialdiözesen kennt, wie sich schon aus c. 216
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wie nach dem Zeugnis der kirchlichen Rechtsgesch;chte 0 eine Ortskirche, eine Diözese im üblichen territorialen Sinne. Der Bischof wird als Träger kirchlicher Ordnung in die Gesamtkirche so eingegliedert, daß sich seine Or.dnungs-, ·d. h. jurisdiktionelle Funktion auf ein abgegrenztes Territorium bezieht, dem er vorgesetzt ist, ·das also sein eigenes Territorium ist und in dem er als kirchlicher Rechtsträger zuständig ist. b) Diese seine partikuläre, Diöz-esanfunktio~ übt er aus Potestate ordinaria. Er ist in seiner Funkoion als Diözesanbischof nicht etwa (nur) ein Teilhaber an der gesamtkirchlichen Gewalt des Papstes, sondern .steht hier (auch) im eigenen Recht. Dieses eigene Recht ist aber seinerseits auch nicht gesamtkirchlicher Natur, sondern an die Diözese gebunden: der Bischof ist nicht Ordinarius schlechthin, .dem dann eine Diözese zugewiesen würde, sondern seine Potestas ordinaria wiI'd durch die Zuweisung dieser Diözese begründet und ist auf sie beschränkt. Das alles ist zwar in ·der ganzen und weit ausgebauten Einzelregelung des Bischofsamtes ohnehin festgelegt; für die grundsätzliche Untersuchung des Verhältnisses von Ordnung und Ortung muß es aber aus diesem Wurzelkanon abgeleitet und muß hervorgehoben werden, daß .die Beschränkung der Potestas ordinaria des Bischofs auf seine Ecclesia peculiarisschon in der Formulierung dies-es Kanons ent;halten ,ist: Potestate ordinaria regiert er nur seine Diözese und sonst nichts; ,das ist im Zu§ 1 ("territorium cuiuslibet dioecesis") in Verbindung mit c. 215 § 1 (" ... dioe-
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ceses ... erigere, aliter circumscribere, dividere, unire ... ") ergibt. Parallellaufende Verwendungen des Terminus Ecclesia für Territorialdiözesen finden sim z. B. in den cc. 236 § 4 ("ecclesiae suburbicariae") und 284 ("ecclesia metropolitana", "ecclesia suffraganea"). An der Spitze diözesenähnlimer Personalverbände hingegen, wie sie in der exemten Militärseelsorge vorkommen, steht kein in Territorio proprio regierender Bismof, sondern ein gewöhnlim zum Titularbischof geweihter oder zugleim in einer Territorialdiözese als Bismof regierender Vicarius (S. Congregatio Consistorialis, Instructio de Vicariis castrensibus vom 23. 4. 1951 = AAS 43, 1951, S. 562). De lege lata sind das alles Selbstverständlichkeiten; sie ausdrücklim namzuweisen, ist bloß durm die Notwendigkeit erfordert, einwandfrei darzutun, daß die göttlim-remtlime Verankerung der Ecclesia peculiaris in c. 329 § 1 sim nur auf Territorialdiözesen bezieht. Der mit dem geltenden Spramgebraum übereinstimmende der Remtsgesmimte läßt sim aus dem CIC selbst belegen für den Kardinal P. Gasparri (Praefatio Abs. 7: n." apud Romanam aliasque peculiares Ecclesias ... ") und für die Päpste Benedikt XIV. (Documentum II § 8: n'.' Anconitanam primam Ecclesiunentbehrlich geworden ist, auf die sittlichen T atbestände, die ,die Persönlichkeit ,des Menschen eigentlich ausmachen, auf seine Eigenverantwortung, auf seine Fähigkeit, sein Leben selbständhg zu führen und seine wesentlichen Entscheidungen in Freiheit zu treffen? Was zunächst unsere Arbeitswelt betrifft, so wäre es zwar gewiß falsch, sie insgesamt nach ,dem Bil,de eines industriellen Werks vorzustellen, .das in Serienfertigung arbeitet. Aber die Tatsach'e, ,daß ,der einzelne als mehr oder minder spezialisierte Arbeitskraft in einen Betrieb eingespannt ist, daher in seiner Arbeit nicht auf freie Selbsttätigkeit, sondern auf exakten Vollzug beansprucht wil"d, gilt doch in steigendem Maße, längst nicht mehr bloß in den Fabriken, sondern auch inden Büros, Ämtern und Anstalten, ja bis .in die freien Berufe hinein. Heteronomisierung .der menschlichen Beiträge, Ersatz personaler Verantwortungen durch systemgesteuerte Funktionen, die wie Zahnräder ineinandergreifen: auf diesen Typus der Arbeit ist der Mensch von heute eingest,ellt, und es wäre eine ganz falsche Sentimentalität zu glauben, daß er sonderlich darunter litte. Man will genau wissen, was verlangt wil'd, im übrigen freilich ungeschoren sein. Die These des jungen Wilhelm v.Humboldt,eine Tätigkeit sei überhaupt nur menschenwürdig, wenn sie es gestatte und sogar verlange, möglichst viel vom eigenen Wesen in sie zu
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Hans Freyer
legen, wird ·dann geradezu als veraltet empfunden. Die Person zieht sich gleichsam aus der Arbeit zurück, bis auf das Ethos .der hloß,en lSauberen Erledigung des technisch Notwendigen, und verlagert sich im übrigen in einen Freiraum jenseits der Arbeit. Derselbe Struktur- und Organisationstypus, der in ·der modernen Arbeitswelt vorherrscht, tritt auch inder übrigen gesellschaftlichen Ordnung immer deutlicher in die Erscheinung. Unser Sozialapparat baut sich durchgängig so auf, daß er ,die Men:schen immer in einer bestimmoen Hinsicht betrifft, sie aber als ganze Person nicht in sich eingliedert und nicht einmal in Anspruch nimmt. Er locht ,die Menschen ,gleichsam durch wie Hollerithkarten und ermöglicht 'so ihre Verwaltung nach generellen Gesichtspunkten. Er trägt lauter fertige Situationsschemata und die entsprechenden Verhaltensmuster an sie heran, auf die sie nuranz'Uspringen brauchen; dann verhalten sie sich sachgemäß, sozusagen verkehrsrichtig. Eben in ,diese iIlJnere Haltung gerät der Mensch, einem solch·en Sozialsystem gegenüher, ,hinein: er läßt sich betreffen, er reagiert aIs so Betroffener oder als so nicht Betrotf.ener. Er spielt auch hier nach verordneten Spielregeln mit, ,erledigt das Notwendige und zieht seine Person nach Möglichkeit zurück, genau wie aus ,dem Arbeitsvollzug. Er wird, so könnte man mit Bezug auf Robert Musil sagen, zum Mann ohne Eigenschaften; er lebt an einem objektivierten System von Eigenschaften, von Motivlagen und Handlungskomplex,en nur entlang. Mit den Verhaltensweisen objektiviert aber der Apparat auch die dazugehörigen Meinungen, Gefühle und Gesinnungen, oder 'er droht das wenigstens zu tun. Die moderne Welt wimmelt von anonymen Au~sagen, ,die über den Köpfen der Menschen ein objektives Dasein ,gewinnen, von Informationen, die von Spezialisten für den allgemeinen Gebrauch zubereitet weI1den, von Erfahrungen zweiter Hand, die man nur zu übernehmen hraucht und die man willig übernimmt, von Etikettierungen, die sich im Gedächtnis festsetzen, so ,daß es sie unbewußt I1eproduziert. All das bedeutet natürlich eine starke Entlastung des immer ein wenig überbelasteten modernen Mensch,en, weil es in einer schwer übersehbaren Welt auf bequeme Weise Orientierung ermöglicht - aber selbstverständlich um den P,reis, ,daß nun auch .die Urteile, Emotionen und Gesinnungen nicht mehr in ,den Grund der Per~önlichkeit hinabreichen, geschWle~ge denn aus ihm hervorgehen. Man wir,d sich ganz klar sein müssen, daß das .den ziemlich reinen Gegenfall zu dem darstellt, was Freiheit der Persönlichkeit in concreto heißt. Denn .dazu gehört doch wohl wesentlich, daß der Mensch aufgrund 'selbsterworbener Erfahrungen UIlJd Einsichten und in eigener Verantwortung sein Leben als derjenige führt, der er ist. Hier aber arbeitet, wenn auch in aller Stille, ein Rä,derwerk, das die Autonomie des Menschen von allen Seiten her zerma.hl!.
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An d,ieser Stelle liegt nun ein Kurzschluß verführeri5ch nahe. Er wür,de darin bestehen, zu glauben, daß eine Analyse .der gegenwärtigen Lebensbedingungen, wie .sie hier :skizziert wurde, bereits die For,derung glünstigendem oder lästigem Sinn) angeordnet. Da Dispens und Privileg eine Durchbrechung des generellen Gesetzes darstellen, kann ihre Erteilung nur dem Gesetzgeber zustehen, wie ja auch der Gesetzgeber selbst darüber entscheidet, ob ,einer zu erlassenden Norm zwingende oder nachgiebige Geltung zukommen soll. Dabei kann freilich die Dispensationsbefugnis vom Gesetzgeber delegiert wer,den. Nach geltendem deutschen Recht ist sie sogar in mannigfacher Weise durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes auf Verwaltungsbehörden, Gerichte, autonome Rechtssetzungskörper usw. übertragen worden, eine bedeutsame Erscheinung, die dem deutschen Juristen freilich bislang weit weniger ins Bewußtsein gedrungen ist als das Problem ,der gesetzgeberischen Ermächtigung zur Normsetzung. Das Individualgesetz ist dagegen der reine Typ der Dispens- oder der Privilegien-Erteilung, indem hier der Gesetzgeber selbst das allgemeine Recht beiseiteschiebt und für einen einzelnen Tatbestand oder für eine Person andere Rechtsfolgen eintreten läßt, als sie sonst vorgesehen sind. Ergibt sich demnach, daß das Einzelfallgesetz zwar keine Norm aufstellt, wohl aber die Durchbrechung (Negation oder punktförmige Ersetzung) einer Regel darstellt, so bedeutet es begrifflich keine Schwierigkeiten mehr, den Erlaß eines Einzelfallgesetzes als einen Akt ,der Gesetzgebung zu verstehen. Das Individualgesetz ist seines Inhalts wegen ein Akt der Gesetzgebung. IV. Eine andere Frage ist es freilich, ob und ,inwieweit ,der Gesetzgeber befugt ist, solche Durchbrechungen in Form von Individualgesetzen vorzunehmen. Dazu wird man allgemein sagen können, daß in einer Rechtsordnung, für welche die Rechtssicherheit einen wesentlichen Teil des Gerechtigkeitsideals bildet, der Dispens einen Fremdkörper bildet und daß in einer Demokratie wegen der Tendenz nach größtmöglicher Egalität jede Privilegierung ein systemwidriges Argernis sein muß, während andererseits eine Rechtsordnung, die dem Billigkeitsgedanken (equity) einen Spielraum einräumt und die überdies zum Case-Law-Denken neigt, Individualgesetze für unleisten solle, von der er doch ein Stück zu sein beanspruche (VerwR. I, 2. Auf!. 1914, S. 75 Anm. 1). Das ist nicht historisch gemeint, sondern rechtsstaatlich (i. S. der kontinental-europäischen Auffassung) gedacht und in dieser Begrenzung richtig.
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bedenklicher halten wird, ja sie vielleicht als notwendigen Bestandteil gerechter Or,dnung begreift. Das Nähere ist eine Frage des geltenden Verfassungsrechts, der im Folgenden ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachgegangen werden soll. 1. Das Grundgesetz verbietet Individualgesetze ausdrücklich, insoweit es sich um die Einschränkung von Grundrechten handelt, Soweit Grundrechte überhaupt durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden können, "muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten" (Art. 19 Abs, 1 S, 1 GG). In dieser Bestimmung manifestiert sich "ein später, aber klarer Sieg Carl Schmitts" 28, denn in seiner Verfassungslehre hatte er schon 1928 mit großer Eindringlichkeit die These verfochten, ,daß dem Vorbehalt des Gesetzes in ·den Grundrechten der Weimarer Verfassung nicht durch einen in Gesetzesform geklei,deten Indivi,dualakt ,genügt werde. Es versteht sich, ·daß das ausdrückliche Verbot von Grundrecht-beschränkenden Einzelfallgesetzen neue Probleme aufgibt, z. B. die Frage aufwirft, was hiernach von Grundrecht-erweiternden Individualgesetzen zu halten ist und vor allem, ob aus Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG ein Gegenschluß gezogen werden darf in bezug auf solche Einzelfallgesetze, die die Grundrechte nicht berühren. Bei Enteignungsgesetzen ergibt sich eine besondere Schwierigkeit. Da sie genereller Natur sein müssen, kann man jetzt bei .der Abgrenzung zwischen "Enteignung" und "Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums" nicht mehr darauf abstellen, ob ein Gesetz jemandem ein individuelles Sonderopfer auferlegt. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG macht die Einzeleingriffs-Theorie bei Legalenteignungen überflüssig 2v • Auch bei Sozialisierungsgesetzen würde sich die Kehrseite des Verbots von Individualgesetzen zeigen, denn der Gesetzgeber müßte, wenn er ein Unternehmen in Gemeineigentum überführen wollte, sogleich generell vorgehen, also vielleicht mehr tun, als ihm lieb wäre. 2~
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D ü r i g, JZ 1954 5. 7 Anm. 17. Zu den weiteren Punkten, in denen sich Lehren von C a r I 5 c h mit t im Grundgesetz widerspiegeln, gehört die jetzt in den Grundrechtsartikeln gebräuchliche Unterscheidung in Grundrechtsbeschränkungen "durch Gesetz" und solche "auf Grund eines Gesetzes". Auch der Gedanke, daß der" Wesensgehalt" eines Grundrechtes nicht angetastet werden darf (Art. 19 Abs. 2 GG), findet sich bereits in der" Verfassungslehre" (5.177). Ca r I 5 eh mit t s Theorie von den Grenzen der Verfassungsänderungen (Verf. L. 5. 103) hat in Art. 79 Abs. 3 GG Anerkennung gefunden; seine These, Mißtrauensabstimmungen gegen die Regierung seien dann für den Fortbestand der Regierung ohne Konsequenz, wenn es am notwendigen Korrelat eines Mißtrauensbeschlusses (nämlich der Möglichkeit eines positiven Vertrauensvotums für eine neue Regierung) fehle (Verf. L. 5. 345), ist in Art. 67 GG aufgenommen worden. 50 mit Recht Her b e r t K r ü ger, DVBI. 1950 S. 626, und D ü r i g , JZ 1954 5. 7. Wer ne r Web erweist aber zutreffend daraufhin (Grundrechte, Bd. 2 - 1954 - 5. 370 und 380), daß Art. 19 Abs. 1 5. 1 die Möglichkeit von "Enteignungen durch Gesetz" noch offen hält.
Uber EinzelJaligesetze
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2. Außerhalbdes engeren Bereichs der Grundrechte scheint auf den ersten Blick der Gleichheitsgrundsatz, dem die deutsche Rechtspraxis ein allgemeines, den Gesetzgeber bin,dendes Willkür-Verbot entnimmt, den Erlaß von Einzd~allgesetzen zu verbieten. Sicherlich vlet1bietetder Gleichheitsgrundsatz, daß in Fällen, in denen gleichartige Tatbestände vorliegen, nur ein bestimmter Fall herausgegriffen und einer gesetzlichen Lösung zugeführt wird. Davon abgesehen bietet jedoch das Gleichheitsprinzip keine wirksame Schranke vor Einzelfallgesetzen 30, denn es gestattet ja gerade, daß etwas Einmaliges und Einzigartiges seiner Besonderheit entsprechend behandelt wird. Die Frage ist nur, ob im gegebenen Falle wirklich eine solche Besonderheit vorliegt, daß eine generelle Einordnung willkürlich und eine Einzelf.allanordnung angemessen ·erscheint. In ·dem Maß, in dem das Einzelfallgesetz Ausdruck 'von ratio - nicht bloß von voluntas - ist, fügt es sich dem rechtsstaatlichen Or.dnungsgefüge ein. 3. Am stärksten ist der Bereich der Rechtsprechung gegen den Erlaß von Einzelfallgesetzen abgeschirmt. Der (unverzichtbare?) Anspruch auf den gesetzlichen Richter und die Unabhängigkeit ,der Rechtspflege schließen Individualanordnungen des Gesetzgebers aus, also auch in Bereichen, die nicht schon geschützt sind durch den Grundsatz "nulla poena sine lege" (wobei lex sinnvollerweise nur ein genereller und geschriebener Rechtssatz sein kann). 4. Dagegen ist der Zuständigkeitskreis der Verwaltung und Regierung gegen Individualgesetze nur insoweit abgesichert, als .die Verfassung diesen Organen eine Aufgabe oder Befugnis zur selbständigen Wahrnehmung vorbehält. Soweit etwa dem Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht und die Beamten-Ernennung zukommt (Art. 60 Abs. 2 GG), dem Bundeskanzler die Bestimmung der politischen Richtlinien zusteht (Art. 65 GG),die Bundesregierung die Bundesaufsicht ausüben darf (Art. 84 GG), ·den Gemeinden das Recht garantiert ist, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze (was nur bedeuten kann: im Rahmen genereller Gesetze) in eigener Verantwortung zu ordnen, kann diese Regelung auch nicht durch individuelle Anordnung des Gesetzgebers durchbrochen wer,den. Außerhalb dieser grundgesetzlich geschützten Sphäre verbleibt also ·dem Gesetzgeber auch heute noch eine freilich bescheidene Möglichkeit, Einzelfallgesetze zu erlassen. Die Zulässigkeit von Individualgesetzen ist im (west)-deutschen Recht ungleich begrenzter als in anderen rechtsstaatlichen Systemen der Gegenwart.
30
Ebenso Her b e r t K r ü ger, DVBI. 1950 S. 626, der zutreffend sagt, was Art. 3 GG in Bezug auf Grundrechtsbeschränkungen an sich gestatte, werde erst durch Art. 19 Abs. 1 GG verboten.
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Hans Schneider
V. Ein recht'svergleichender Blid{ auf .die Einzdfall-Gesetzgebung in Frankreich, Großbritannien und Nordamerika wird ·dies deutlich machen. 1. Der französischen Rechtslehre ist selbstverständlich die Unterscheidung zwischen Gesetzen im formellen und materiellen Sinn geläufig. Die Lehrbücher bezeichnen durchweg Generalität und Permanenz als Wesensmerkmale des materiellen Gesetzes. Aber daraus werden gegenwärtig von der französischen Theorie keine Konsequenzen gezogen, weil es die demokratische Konzeption zwar für bedenklich, aber für folgerichtig und notwendig hält, dem Träger der Volkssouveränität keine qualitative Beschränkung aufzuerlegen. In dieser Hinsicht kann die Ansicht von Vedel SI als repräsentativ gelten: Die begriffliche Unterscheidung von Gesetzen im materiellen und formellen Sinn könne man vernachlässigen, denn ·das geltende Verfassungsrecht Frankreichs kenne sie nicht, nach Art. 3 der Verfassung von 1946 übe das Vo'lrk die nationale Souveränität aus, und zwar "en matiere constitutionnelle" durch das Votum seiner Repräsentanten und durch .das Referendum; in allen anderen Angelegenheiten werde .die Souveränität wahrgenommen durch die Abgeor.dneten der Nationalversammlung; da außer.dem ,die Nationalversammlung, allein über das Gesetz beschließe (Art. 13), sei damit die frühere These Carre de Malbergs 32 'anerkannt: "la loi est l'expression .de la volonte generale. Elle ne peut se ·definir par son contenu, mais par l'intervention de l'organe qui exprime la volonte generale et qui est presentement l' Assemblee Nationale". - Diese unkritische Kapitulation vor dem Wortlaut zweier Verfassungsartikel - um deren sinnvolles Verständnis es doch gerade geht - ist umso bemerkenswerter, als früher besonders französische Rechtslehrer die wesentliche Bedeutung .des Zwanges zur Allgemeinheit des Gesetzes für das individuelle Sicherheitsbedürfnis hervorgehoben haben und zwar bewußt ohne Rüduicht darauf, ob nach positivem Recht eine wirksame Kontrolle über .die Einhaltung des materiell verstandenen Legalitätsprinzips möglich sei oder nicht 33. Der Verzicht der neueren französischen Rechtslehre, den materiellen Gesetzesbegriff für eine theoretische Begrenzung der legislativen Funktion der Assemblee Nationale fruchtbar zu machen, gehört leider auch zu dem von Georges Ripert so eindrucksvoll geschilderten "declin du droit". SI
32
S3
Ge 0 r g e s V e dei, ManIlei elementaire de droit constitlltionnel, Paris 1949 S.480. Ca r red e Mal b erg, La loi, l'expression de la volonte generale, Paris (1931), wo ausgeführt wird (S. 54): Le domaine de la loi est sans bornes, comme celui de la volonte generale. Dagegen kritisch M. Wal i n e , Rev. d. pub\. 1934 S. 557 f. Neben Du g u i t , Traite de droit const. Bd. 2 (3. Auf!. 1928) S. 160 f., sind hier besonders Bar t hel e m y - D u e z zu nennen (Traite S.726), auch Gas ton J ez e, Les principes generaux du droit adm., 3. Auf!. 1925, S. 28 f.
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Diese Entwicklung ist umso auffälliger, als im Zusammenhang mit der französischen Sozialisierung Einzelfallgesetze erlassen worden sind, ,die frühere Fälle von legislativen Individualakten inden Schatten stellen. überhaupt scheint den inder französischen Praxis vorgekommenen Einzelfallgesetzen etwas Skandalöses anzuhaften: von dem berüchtigten "loi de dessaisissement" vom März 1899, welches die strafgerichtliche Zuständigkeit im Dreyfuß-Prozeß änderte, über das Gesetz von 1900 zur Niederschlagung aller mit der Dreyfuß-Affaire zusammenhängenden Strafprozesse - Zola nannte dieses ruchlose Gesetz (loi sce!erate) eine Abwürgung der Wahrheit -, über die Gesetze vom 13. Juli 1906, deren eines ,den Oberstleutnant Picqart wieder in die Armee eingliederte und ihn zum Brigadegeneral beförderte, deren anderes den Hauptmann Dreyfuß zum Eskadron-Chef ernannte, bis zur Ordonnance über ,die Einziehung der Renault-Werke 3C, den gezielten Sozialisierungs gesetzen (in denen die von der Verstaatlichung ergriffenen oder von ihr ausgenommenen Betriebe namentlich bezeichnet wurden 3~ und ·den juristisch dubiosen (weil generell formulierten, aber offenbar individuell gemünzten) Gesetzen zur Ergänzung einzelner Strafvorschriften zuungunsten ·der Angehörigen gewisser militärischer Einheiten, denen eine Anzahl eng begrenzter Kriegsverbrechen (Oradour) vorgeworfen wird 36, über ·die Begünstigung von gewissen Absolventen zweier militärärztlicher Schulen 37 und über die nachträgliche befristete Knderung von einzelnen Staatsangehörigkeitsvorschriften 38. Der politische Charakter dieser Maßnahmegesetze liegt auf der Hand und macht es verständlich, daß ·diese Ausbrüche von" volonte generale" keinem systematischen Interesse inder "streng juristischen" Rechtslehre Frankreichs begegnen. 2. In England sind Einzelfallgesetze eine übliche und wenig umstrittene Erscheinung. Sie treten meistens in der Form von private Laws auf und werden dann in einem vereinfachten Gesetzgebungsverfahren verabschiedet. Es ist aber auch durchaus denkbar und vorgekommen, daß eine public bill nur eine oder mehrere namentlich bezeichnete Fälle betrifft (z. B.die Verstaatlichung bestimmter Gesellschaften anordnet). Die bekannte englische Auffassung von der Souveränität des parlamentarischen Gesetzgebers und die überzeugung, das englische Parlament werde 84 35
36 37
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Ordonnance Nr. 45-68 (der Provo Regierung) V. 16. 1. 1945 (JO S. 222). Loi Nr. 45-015 (beu. Nationalisierung der Bank von Frankreich) v. 2.12. 1945 (JO S. 8001), Loi Nr. 46-835 (betr. Nationalisierung von namentlich genannten Versicherungsgesellschaften) v. 25. 4. 1946 (JO S. 3919), Loi Nr. 46-1070 (betr. Nationalisierung der Bank von Algier) v. 17. 5. 1946 (JO S. 4271). Loi Nr. 48-1416 v. 15. 9.1948 (JO S. 9138). Loi Nr. 50-373 v. 29. 3. 1950 (JO S. 3448). Loi Nr. 54-395 v. 9. 4. 1954 (JO S. 3451).
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nichts gänzlich Unvernünftiges beschließen, läßt den Gedanken, ein Gesetz müsse gewissen inhaltlichen Qualitäten entsprechen, nicht aufkommen n. Aber wegen der verschiedenen Prozedur, ·die je nach dem einzuhalten ist, ob eine publie Bill oder eine private Bill zur parlamentarischen Verhandlung kommt, besteht die Notwendigkeit, eine grobe begriffliche Unterscheidung zu treffen: den Gegenstand einer publie Bill bil,det ,der Erlaß eines allgemeinen Rechtssatzes. Eine private Bill dagegen ist "a Bill relating to some matter of individual, eorporate or loeal interest" 40, wobei wiederum unterschieden wil'd zwischen solchen Parlamentsbeschlüssen (in Gesetzesform), die eine "partieular loeality" berühren (z. B. Gemeindegrenzen, Straßenanlegung) und solchen, die "a particular body or individual" betreffen (Konzessionen für Gas-, Wasser- und Strom-Werke, Anerkennung gemeinnütziger Veranstaltungen, konkrete Enteignungen, früher auch Ehescheidungen und Einbürgerungen). Nur die letztere Art von private Bills besitzt .den Charakter von EinzelfaHgesetzen,die erste Gruppe nicht; denn sie enthält zwar örtlich begrenzt geltende, aber innerhalb dieses Bezirks doch generelle Anor.dnungen. Interessant ist dabei, .daß die juristische Besonderheit einer private Bill, welche eine hestimmte Personen oder Personengemeinschaft betrifft, also ein Individualg.esetz im strengen Sinne .darstellt, bewußt hervorgehoben wird, indem nämlich die königliche Zustimmungsformel in diesen Fällen von dem herkömmlichen "Le roy le veult" abweicht 41. Es heißt nämlich: "Soit fait eomme il est .desire" . 3. Die Zahl der private bills, die vom amerikanischen Kongreß jährlich beschlossen werden, geht in ·die Hunderte. Im Jahre 1952 beispielsweise sind vom Kongreß 951 Gesetze verabschiedet worden, davon waren 612 private 311
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Lehrreich sind die Betrachtungen von C. K. A 11 e n (Law in the making, 5. Ed. 1951, S. 439 f.) über die Grenzen der Allmacht des englischen Gesetzgebers. Es gebe gewisse wohl anerkannte Grundsätze, welche "do in elfeet limit the seope of legislation, though they eannot be said to derogate from the striet eonstitutional theory of the absolute authority ofParliament": nämlich einmal der Satz "lex non eogit ad impossibila", sodann die Maxime, daß Gesetze niemandem unzumutbare Nachteile ex post facco auferlegen sollten, was aber keine Frage der Gültigkeit solcher Gesetze sei, sondern nur eine Frage Hof poliey and statesmanship" (eine Schranke, die "wise government und publie opinion" ziehen), schließlich das Verbot, ein Gesetz für unabänderlich zu erklären ("no statute ean make itself absolutely seeure against repeal"). - über die Problematik von Individualgesetzen findet sich - soweit ich sehe - in der neueren englischen Literatur kein Wort. Im Gegenteil schwelgen die Autoren förmlich in theoretischen Vorstellungen darüber, was alles an individuellen Entscheidungen durch Gesetz beschlossen werden könnte - freilich immer in der sicheren überzeugung, daß die erdachten Beispiele niemals praktisch werden. Wad e - Phi 11 i p ps, Constitutional Law, 4. Ed. 1950, S. 102. Bei Finanzgesetzen: "Le roi remercie ses bons sujets, aeeepte leur benevolenee et ainsi le veult", vgl. Wade-Phillipps a. a. O. S. 97.
Uber Einzel/allgesetze
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bills 42. Für das Jahr 1953 verz,eichnen ·die "Statutes at large" 227 private bills des Bundes. Noch während ,des zweiten Weltkrieges wurden tausende von Fällen, die nach deutschem Recht zu Staatshaftungsanspruchen vor den Gerichten geführt hätten, in Amerika aber wegen der Vorstellung von der sovereign immunity des Staates nicht geltend gemacht werden konnten, durch private bills entschieden. In jeder ist einer namentlich genannten Person eine ziffermäßig festgelegte Geldsumme als Scha.densersatz zugebilligt worden. Der enorme Aufwand an Zeit, .den ·der Kongreß auf solche Einzelfälle verschwenden mußte, hat dann endlich (1946) dazu geführt, die Erledigung der Entschä,digungssachen zum erheblichen Teil (aber nicht vollständig) an die Gerichte abzugeben. Gleichwohl ist die Zahl der private bills zur Schadensregulierung noch hoch 43. Zahlreiche private bills ergehen laufend zur Genehmigung der Einwanderung einer bestimmten Person, die sonst bei Anwendung .der gesetzlich festgelegten Einwanderungsquote nicht aufgenommen werden könnte. Wenn dabei mehrere, stets namentlich genannte Personen (z. B. eine ganze Familie) in einem Beschluß zusammgefaßt werden, so spricht man von einer " Omnibus-Bill". Häufig sind private bills erlassen wor>den, um einem von amerikanischen Eltern adopierten ausländischen Kind die amerikanische Staatsangehörigkeit zu verleihen und zwar unter Befreiung von den nach allgemeinem Gesetz notwendigen Voraussetzungen (Wartezeit usw.). Auch in den amerikanischen Gliedstaaten spielt ,der Erlaß von private bills eine große Rolle. Ein angesehener amerikanischer Rechtslehrer 4' gibt dafür zwei Gründe an: erstens sei ein solches Gesetz schneller (und gegen geringere Widerstände) zu erlassen als ein generelles Statut; zweitens seien die Bedürfnisse und Wünsche von Ort zu Ort so verschieden, daß es zweckmäßig sei, spezifische Anordnungen zu treffen. Aus dieser Bemerkung wird bereits deutlich, daß private laws nicht immer nur für einen Einzelfall ergehen, sondern auch generelle Anordnungen von örtlich begrenzter Geltung enthalten können oder als generelle Ausnahmen von allgemeinen Staatsgesetzen für einen örtlich begrenzten Bereich erlassen werden (loeal, im Gegensatz zu state-wide laws). Die Bedenken amerikanischer Gerichte richten sich nicht gegen .die private bzw. loeal bills als solche, sondern dagegen, ·daß in diesen Gesetzen vielfach ein individueller Fall zum Gegenstand einer Sonderanordnung gemacht wird. Weil diese Sonderge~etzgebung (special legislation) oft im Dienste rein 42
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Diese Angaben verdanke ich meinem Schüler K lau s B 0 dem in Heidelberg. Vgl. Gell h 0 r n und Lau er, Congressional Settlement 0/ tort claims against the US, 55 Co!. L. Rev. 1 (1955). Fra n k E. H 0 r a c k, Cases and materials on legislation, 2. Ed. 1954, S. 471.
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privater Interessen bestimmter Personen oder Institutionen steht 45, hat sie seit langem verfassungsrechtliche Bedenken erweckt. Die Kontrolle über die Sondergesetzgebung wird als eines der schwierigsten Probleme bezeichnet, dem sich der Verfassungsgeber gegenübergestellt sieht 46. Das einfachste Mittel, dem übel der Sondergesetze zu begegnen, ist es, speciallegislation ganz oder wenigstens für eine Reihe von Materien zu verbieten. Diesen Weg haben zahlreiche amerikanische Gliedstaaten nach 1880 (der Staat New York erst 1939) beschritten, indem sie durch Amendments in ihren Verfassungen Bestimmungen zur Einschränkung von special laws aufgenommen haben 47. Dabei werden zumeist in einer bunten Liste diejenigen Gegenstände minutiös aufgezählt, über welche private oder local bills nicht ergehen dürfen (z. B. über Namensänderungen, Ehescheidungen, Bestrafung von Verbrechen und Vergehen, Befreiung des Eigentums von Steuern, Steuerstundungen usw.), zum Schluß wird dieser Katalog noch durch eine "sweeping clause" erweitert: private oder local bills werden in allen Fällen verboten, "where a generallaw can be made applicable" 48. Eine solche Generalklausel löst indessen das Problem nicht vollständig, denn es fragt sich nunmehr immer wieder, ob in einem gegebenen Fall der Erlaß eines allgemeinen Gesetzes möglich gewesen wäre. Das ist natürlich besonders mißlich, wenn die gesetzgebende Versammlung selbst ,darüber entscheiden darf, ob ein allgemeines Gesetz ergehen sollte 49, versetzt aber auch die Gerichte in nicht geringe Schwierigkeit, wenn sie ihrerseits prüfen dürfen, ob der Gesetzgeber ·einen "abuse of power" begangen hat, indem er ein Spezialgesetz erließ. Die Gerichte haben dabei herausgefunden, daß die mehr oder minder abstrakte Fassung eines Gesetzes noch keinen sicheren Schluß für oder gegen die 45
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47 48 4g
"Often they (the special laws) do not even represent the wishes of the localities affected, but have no other purpose than tO enable party machines or bosses tO accomplish purely partisan and personal ends." So W. Will 0 u g h b y, Principles of legislative organization and administration, Washington 1934,5.618. F. A. g g und P. 0. Ra y, lntroduction to American Government, 9. Ed. 1948, 5.899. Nur acht Gliedstaaten haben bisher keine solchen Verfassungsergänzungen gegen die Sondergesetzgebung vorgenommen. So z. B. Art. IV sec. 25 Ca!. Verf.; Art 1V sec. 23 Verf. v. Indiana u. a. So sieht Art. III § 17 der Verf. v. New York vor: "The legislature shall pass generailaws ... for all other cases, which in its judgement may be provided for by generailaws." Dieses Amendment (in Kraft seit 1. 1. 1940) mit seiner wirren Liste von gen au detaillierten Materien, die der Spezialgesetzgebung nicht offen stehen, der zitierten sweeping clause und wiederum einzeln aufgezählten Ausnahmen davon, ist nicht nur ein abschreckendes Muster legislativer Technik, sondern auch ein Zeugnis von Hilflosigkeit gegenüber dem Ansturm der Interessentengruppen. Ergebnis: großer Aufwand und bescheidene Wirkung!
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Annahme eines allgemeinen Gesetzes zuläßt: Di·e Prüfung hat oft zu dem Ergebnis geführt: "general in form, but special in effect", wobei sich selbst eine public bill als Spezialgesetz erweisen kann. Aber auch umgekehrt kann ein speziell erscheinendes Gesetz (wie ein Gesetz über die Ausgabe von Anleihescheinen für den steckengebliebenen Weiterbau des Gerichtsgebäudes und des Rathauses von Minneapoli·s) als allgemein qualifiziert wer,den: "the act, although special ,in form, is general in fact" 50. Ich kann es mir hier versagen, auf ·die z. T. recht einleuchtenden Abgrenzungsversuche einzugehen, di,e Gerichte amerikanischer Gliedstaaten bei der Unterscheidung zwischen generallaws und special laws unternommen haben und verweise der Kürze halber auf die Zusammenstellung der wichtigsten Urteile in den Casebooks 51. Am bedeutendsten ist die Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes zu unserem Thema. Der Supreme Court hat durch den Mund des Justice Cardozo die Grundsätze für die Behandlung der "special laws" in der Entscheidung Williams v. Mayor and City Council of Baltimore aus dem Jahre 1933 verkündet 52. Es handehe sich dahei um folgenden Fall: Der Staat Maryland hatte die private "Washington, Baltimore and Annapolis Electric Railroad Company" durch ein Gesetz aus dem Jahre 1931 für eine bestimmte Zeit von .einigen Realsteuern befreit, um sie wegen ihrer großen Bedeutung für ,den öffentlichen Verkehr vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. In ·der Vorinstanz wurde dieses Verfahren als verfassungswidrig angesehen; es verstoße unter anderem gegen das XIV. Amendmentder Bundesverfassung 53. Der Supreme Court schloß sich dem nicht an. Denn es sei durchaus möglich, ,daß besondere widrige Umstände nur einen Einzelnen träfen. Wenn dem die allgemeinen Gesetze nicht genügen.d vorgebeugt hätten, so müsse .der Staat eben durch ein nur in diesem einen Fall geltendes Gesetz abhelfen. "The Constitution does not prohibit speciallaws inflexihly and always. It permits them, when there are special evils with which general laws are incompetent to cope." Letzten Endes sei es eine in ,das Ermessen des Gesetzgebers gestellte Frage, ob ein "speciallaw" erforderlich sei. "Within the field where men of reason reasonablydiffer, the Legislature must have So der Supreme Court of Minnesota 1893 in State ex rel. Board of Courthouse and City Hall Com'Rs v. Cooley. 56 Minn. 540. 51 H. E. Re a d und J. W. Mac don a I d, Cases and other materials on legislation, Brooklyn 1948, S. 415 f.; F. E. Ho r a c k, Cases and materials on legistation, Chicago, 2. Ed. 1954, S. 451 f. mit zahlreichen Nachweisen auf S. 453 Anm. 54; F. C. Ne w man und St. S. S u r r e y , Legislation, cases and materials (1955) S. 124 f. Ausführliche Angaben über die reiche Judikatur in 50 Am. Jur., Statutes, §§ 5-13, §§ 49 f. ,2 53 S. C. 431. ~3 Die entscheidende Stelle dieses Verfassungsartikels lautet: "No state shall ... deny any person within the jurisdiction the equal proteetion of the law." ~o
12 Festschrift Carl Schmitt
its way". Ein Mißbrauch di.eser Form der Gesetzgebung bleibe jedoch immer v,erfalssungswidrlig. Vor allem ·seien Einzelfallgesetze ungültig, ,die nicht im öffentlichen Interesse einem ·erheblich,en Notstand abhelfen, sondern lediglich im .Dienste pl1ivater Interessen eine entbehrliche Wohlfa.hrtspflege treiben oder gar nur aus einem Entgegenkommen des Gesetzgebers an ,den Adressaten ,des Gesetzes entstanden sind.
Justice Frankfurter hat 1948 die Rechtslage nach der Unionsverfassung, die keine aU9drückl1che Bestimmung über eine Einschränkung der Spezialgesetzgebung entlhält, auf ,die kurze Formel gebracht: 54 "The Constitution in enjoying the equal protection of the laws upon States precludes irrational discriminaoionas between persons and groupsin the .incidence of:a law. But the Constlitutiondoes not requil1e situations which are .different in fact or opinion to be treated in law as though they were the same." Im Vergleich zu dem reichen Befund, den das anglo-amerikanische Recht bietet, spielt ,die Einzdfallgesetzgebung bei uns zahlenmäß~g nur eine geringe Rolle; aber .dafür nimmt .sie 1m System unseres Verfassungsrechts einen bemerkenswerten theoremschen Platz ein. Das Einzelfallgesetz bes,tätigt mittelbar eine Erkenntnis, an die uns Carl Schmitt in anderem Zusammenhang erinnert hat 55, nämlich die Einsicht, daß jede Rechtsregel wegen >ihres notwendigerweise .abstrakt-generellen Charakters nur auf die normal-typische Lage z.ugeschnitten sein kann. In,dividualgesetze mögen oft mißbräuchlich erla9Sen worden sein und erlassen werden; ,dieser Mißbrauch ändert aber nichts daran, daß sie - richtig verwandt - auch im Rechtsstaat der Gegenwart eine smnvolle F,unktion erfüllen können: der Gerechtigkeit zu dienen.
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Goesaert v. Cleary, 335 USo 464,466. Ca r I Sc h mit t, Legalität und Legitimität (1932) S. 71/72.
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DIE FRANZOSISCHEN JURISTEN IM KONFESSIONELLEN BüRGERKRIEG DES 16. JAHRHUNDERTS Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates " .•. and therefore that your discipline being (for such is your error) the absolute commandment of Almighty God, it must be received although the world by receiving it should be clean turned upside down; herein lieth the greatest danger of all." R ie h a r d Ho 0 k e r (1556-1600), 0/ the Laws 0/ Ecclesiastical Polity, Preface, Ch. VIII sect. 5, Ausgabe Everyman's Library, Bd. I, London 1954, S. 132.
I. Esso11 im folgenden "die Bedeutung der großen staatsbezogenen Juristen Frankreichs, .die oft in den Schatten Bodins gestellt werden, ·an verschiedenen Beispielen aufgezeigt werden 1. Sie waren, was ihr·e persönliche Tätigkeit im politischen Ra.um angeht, für die Entwicklung des modemen S'taates erweislich wichtiger als ,der Autor der »Six livres ,de la Republique«, der wä,hrend ,der entscheidenden Jahre des Bürgerkriegs auf hedeutungslosem Posten in Laon stand. Der erste Punkt unseres Anliegens geht also dahin, insowei,t für den deutschen Leser das Bild ·etwas auszufüllen. Der zwei,te Punkt, der mit den folgenden Untersuchungen anvisiert werden soll, steht mit ·dem ersten in engem Zusammenhang. Denn es ist ratsam, sich zu vergegenwärtigen, ,daß der moderne Staat, so wie er zuerst in Frankreich entstMliden ist, aus .dem Bürgerkrieg geboren worden ist. Das ist für die rechtliche Betrachtung von großer Wichtigkeit: Die Schöpfer des modernen Staaudenkens mußten sich mit den Problemen des Bürgerkriegs auseinandersetzen . .. Der Verfasser dankt der Kulturabteilung der französischen Botschaft in Bonn sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft für wertvolle Förderung dieser Studie. 1 Aus der deutschen Literatur über das Wirken der Legisten sei vor allem genannt: Ca r I Sc h mit t, Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten, Deutschland-Frankreich, 1. Jahr, 1942. Ich habe einen Sonderdruck benutzt. Das Buch von Es c h man n, Die geistigen Führungsschichten Frankreichs, Band I, Berlin 1943, ist nicht immer zuverlässig und daher mit Vorsidlt zu benutzen.
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Nun bewei~t ein Blick in das moderne staatstheoretische Schrifttum, daß die rechtlich·e Problematik des Bürgerkriegs offenbar nicht zum Bereich des Juristen ,gehören soll. Zwar ist .da von Norm und Ausnahmezustand die Rede, aber nicht vom Bürgerkrieg als einem selbständigen Phänomen. Gewiß kann man sich auf den Standpunkt stellen, ,der Jurist habe es nur mit der Ordnun.g z,u tun, so daß er für die theoretische Betrachtung des Bürgerkriegs nicht kompetent sei. Eine solche Meinung scheint j.edoch zu übersehen, daß der Bürgerkrieg ,der Kampf zweier oder mehrerer Ordnungen ist. Diese Tatsache regt neben anderen wichtigen Fragen auch ,die zwei folgenden Fragen an: Wie verhält !sich der ·einzelne im Bürgerkrieg zur alten Ordnung, und wie verhält sich nach ,dem Kampf die neue Ordnung zum Bürgerkrieg? Die Erf.ahrungen, die die .gegenwärtige Generation in .den letzten Jahrzehnten gemacht hat und vielleicht noch machen wird, sollte uns gegenüber den beiden .auf.geworfenen Fragen aufgeschlossen zeigen. Sie werden nicht zum ersten Male gesteHt. Es ·soll zweiter Gegenstand dieser Studie sein zu zeigen, daß und wie sich die Vorkämpfer ,der modernen Staatsidee im 16. Jahrhundert mit .ihnen auseinandersetzen mußten. Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um ,den Versuch, einen Abschnitt ,der politischen Geschichte oder der Geschichte der politischen Ideen insgesamt zu beschreiben 2. Die Arbeit soll der Aufhellung einiger Aspekte dienen, wobei 'unter Aufhellung nicht nachträgliche Lösung der herausgearbeiteten Probleme verstanden werden soll. Billige Lösungen von Bürgerkriegsproblemen sind von vorneherein mangelnder Strapazierfähigkeit verdächtig. Es ist demnach verständlich, ,daß viele Details, selbst wichtige, beiseite gelassen werden. Schließlich ist auch nicht beabsichtigt, einer von Historikern neuzuschreibenden Geschichte ,der Bürgerkriege in Verkennung der Kompetenzen eines Juristen in irgendeiner Weis,e vorzugreifen. 2
Insoweit darf auf die bekannten Standardwerke verwiesen werden. Die Geschichte der politischen Ideen haben u. a. beschrieben: All e n, A history 0/ po/itical thotlght in the 16th centllry, Repr., London 1957; Me s n a r d, L'Essor de la philosophie politiqlle au V Xle siecle, 2. Aufl., Paris 1952; G ö hr i n g, Weg und Sieg der modemen Staatsidee in Frankreich, 2. Aufl., Tübingen 1947; C h ure h, Constiwtiollill thollght in 16th centllry Franee, Cambridge Mass. 1946. Ferner möchten wir besonders hinweisen auf die grundlegenden Studien von W e i 11 , Les theorics sur le pOllvoir royal en France pendant les guerres de religion, Paris 1892, sowie F i g gis, Studies 0/ political thought /rom Gerson to Grotius 1414-1625, Sec. Ed., Repr. 1956, Cambridge; auch sei hier bereits auf die Gesamtdarstellungen der französischen Rechts- und Verfassungsgeschichte verwiesen, insbesondere wegen der termini technici der Magistrature auf C h enon, Histoire generale du droit /ran~ais publie et prive, Bd. 1/, Paris 1929, S. 566, sowie auf R 0 u s sei e t, Histoire de la Magistrawre /ranraise des origines nos jours, 2 Bde., Paris 1957.
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II. 1. Als in Frankreich die Glaubensspaltung um sich griff, schien es, als ob Versuche des Königtums, einen Einheitsstaat zu schaffen, den fortschrittlichsten in Europa, umsonst gewesen seien. Die Ergebnisse jahrhundertelangen Wirkens, bei ,dem die Legisten in ihrer ersten großen Zeit eine wichtige Rolle gespielt ,hatten, wUl'den durch die Wucht der religiösen Auseinandersetzungen in Frage gestellt 3. Das Königtum geriet in eine bis ,dahin noch nicht .dagewesene Situation: Es hatte sich als der Hüter der politischen Ordnung mit dem Problem der Gl2ubensspaltung zu befassen. Infolge der damals bestehenden Bindung ,der Poiitik an ,die Religion wurde die Lage für die Monarchie geradezu verzweifelt. Auf der einen Seite standen die Katholiken, Glaubensbrüder des Königs, die eine gewaltsame Unter·drückung der »heretiques« vom Beschützer des katholischen Glaubens verlangten. Auf der anderen Seite kämpften die Anhänger ,des neuen Glaubens nicht bloß um die Anerkennung ihrer Religion, sondern auch um ihr Leben. Eine solche Lage hätte rasches Handeln erfol'dert: Entweder rasche Beseitigung des neuen Glaubens oder unverzügliche Anerkennung mit den notwendigen politischen und rechtlichen Folgen. Die französische Monarchie lavierte zwischen beiden Möglichkeiten und untergrub damit auf die Dauer ihre eigene Position. Täglich vergrößerte sich die Gefahr, daß der Staat der Führung des Königtums entglitt und sich in eine Reihe von partikularen Herrschaften auflöste, ·die nach der im Heiligen Römischen Reich praktizierten Maxime »cuius regio, eius religio« verfahren wären. Vergebens bemühte sich der große Kanzler Michel de L'Hospital., die Toleranzidee in die politische Wirklichkeit umzusetzen und damit das Land zu befrieden. Vergebens hatte er sich bemüht, ·dem Königtum klarzumachen, daß die Intoleranz ,der streitenden Parteien nur durch die Gewalt der Toleranz, durch die Stärke des Monarchen, zu überwinden war. Er scheiterte am Widerstand ·der Parteien und mußte 1568 seinen Abschied nehmen, um seine Idee nicht zu verraten. Jede der beiden Parteien hoffte auf den totalen Sieg ihrer Sache. Die Zeit für einen Frieden war noch lange nicht gekommen. Erst mußte das Land Furchtbares erleben, bevor die streitenden Parteien die einzig mögliche Lösung erkannten. 3
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Zur Entwicklung bis zum 16. Jahrhundert: 5 t rom e y er, Frankreich im Vbugang vom Ständestaat zum Absolutismlls, phi!. Diss. Jena 1941; Du p 0 n tFe r r i er, La Formation de l'Etat franljais et l'Unite franljaise, 3. Aufl., Paris 1946; Zell er, Les Institutions de la France alt XVle siede, Paris 1948; D 0 u c e t, Les Institutions de la France au XVle siede, 2 Bde., Paris 1948. über ihn vg!. etwa B u iss 0 n, Michel de L'Hospital (1503-1573), Paris 1950, sowie N ü r n b erg er, Die Politisierung des französischen Protestantismus, Tübingen 1948, 5. 97 ff. Die Geschichte der Toleranzidee im 16. Jahrhundert hat neuestens gründlich bearbeitet P. Lee I e r 5J, Histoire de la Tolerancl! au Siede de la Reforme, 2 Bde., Paris 1955; für uns ist Bd. 11 besonders wicllti~.
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2. Die Bartholomäusnacht bildete einen wichtigen P,unkt in der Entwicklung der politischen Meen G. Hatten die Protestanten bis dahin ihre Angriffe auf die »schlechten" Berater ,des Königs gerichtet, 'so rückte nunmehr der König selbst in den Mittelpunkt der Angriffe. Die Ereignisse des 24. August 1572 entfachten einen Sturm von Pamphleten. Nach 1572 erschienen die wichtigsten Strei.tschriften der Monarchomachen: Du droit des magistrats sur les sujets, Reveille-Matin .des Fran~ais, Franco~Gallia, Vindiciae contra tryannos 8. Ihr Grundgeda.nke war: Ein Königtum, das solche Verbrechen wie die der Bartholomäusnacht begeht, ist untragbar; es muß beseitigt weJ.'lden können. Wie war diese Beseitigung in der öffentlichkeit zu rechtfertigen? Dazu bot sich die Vertragstheorie an, die schon einmal gute Dienste gegen Monarchen geleistet hatte (alleJ.'ldings nicht ,den Protestanten). Da ein Vertrag zwisch,en König und Volk konstruiert wir.d, durch den dem König ,die Herrschaft übertrag,en ist, muß dieser Vertrag bei Vertragsverletzungen des Königs gekündigt werden können. Auf die Einzelheiten und zahlreichen Varianten dieser Konstruktioneinz.ugehen, müssen wir uns versagen, es soll uns nur ihr Zweck beschäftigen, und ,das ist die Kündigungsklausel, die man eben nur bei der Konstruktion eines Vertrages erhalten konnte 7. Wir werden später sehen, wie sich dazu .die staatsbezogenen Juristen stellten. Jedenfalls steht fest, daß sich die hugenottischen Schriften mit ,der Frage, welches politische System sich nach der Beseitigung der tyrannischen Monarchie überhaupt verwirklichen lasse, nicht intensiv befaßten, es sei denn, sie strebten nach einem protestantischen Frankreich runter ,der Führung Heinrichs von Navarra 8. Ihnen kam es zunächst darauf an, den Bürgerkrieg zu rechtfertigen. So begannen sie bald, die politischen Kräfte für .die große Auseinandersetzung z.u sammeln. Es war eine notwendige Folge dieses Zustands, daß in vielen Teilen Frankreichs der Begriff ,der OJ.'ldnung zur Farce wur,de. Vor allem konnte von einer durch Gerichte gesicherten Ordnung vielenortens nidlt mehr die Rede sein. G
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Vgl. We i 11, a.a.O. S. 81 ff., G öhr i n g, a.a.O S. 87 ff. Vgl. die einschlägigen Kapitel bei We i 11, All e n und Me s n a r d. Als neue re Monographien seien genannt: Va u t i er, Les theories relatives la souverainete et la resistance chez l' auteur des Vindiciae contra tyrannos (1579), These Droit Lausanne 1947, ferner Me r c i er, Les theories politiques des calvinistes en France au cOllrs des gllerres de religion, Bull. Soc. Hist. Prot., Bd. 83, 1934, S. 225-260 und S. 379-415. Vgl. die allerdings schwächere Formulierung bei N ä f , Herrscha/tsverträge und Lehre vom Herrscha/tsvertrag, Schweiz. Beitr. z. Allg. Gesch., 7, 1949, S. 28. Als im Jahre 1586 die Königinmutter Katherina von Medici dem Vicomte de Turenne, einem Gesandten Heinrichs von Navarra, sagte: »Le roi ne veut qu'une religion en France«, erwiderte der Protestant: »Nous le voulons bien aussi, Madame, mais que ce soit la notre«, vgl. Bat i f f 0 I, Le Siecle de La Renaissance, S.242.
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Französische Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg
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Die Katholiken stan,den in ~hrem Eifer, den entbIlennen,den BÜl"gerkr~eg mit dem totalen Sieg ,der ,eignen Sache zu beenden, ,den Protestantcnkaum nach. Im Jahre 1576 badete sich die erste Liga, ,die sich bereit erklärte, dem König bei der Unterdrückung der Häretiker mit eigenen Kräften zu unterstützen. Das war die ·erste d,eutlich·e Warnung der vereinigten Katholiken an die Monarchie. Die katholischen Streitschr.iften sind Z'U ,dieser Zeit wenig ergiebilg. Vorerst stand die Sache der Ka~holik'en noch ,gut, &ie Wlaren im Angriff, und entsprechend der Situation versuchte ·der Angegriffene, sich mit mehr oder weniger popularisierenden politischen Ideen zu helfen. Die Katlholiken hielten an ,der Fonderung nach bedingungsloser Unterwerfung ihrer Gegner fest 8. Für sie war der Krieg gegen die Häretiker ein heiliger Krieg, ,une ·guerre celeste, wie Dorleam es später formulierte 10. Den NotwendiSlkeiten eines solchen Krieges mü'ssen alle privaten Rücksichten geopfert weIlden. »... Ou il s'agist de la Religion contre les hel1etiques, a ny apere, mere, freIle, soeur, parens ny amis, qui ,doivent nous retenir« 11. Zwischen Wölfen und Schafen gibt es keinen Fr,jeden, und was ,die letzten Pa:z.ifikationsedikte angeht, so waren sie ·für einen echten Katholiken unannehmbar: »Nous devons preferer toute sorte ,de ,guerre a telle rpaix« u. 3. Es war beinahe unvermeidlich, daß angesichts der politischen Lage in Frankreich Menschen der verschiedensten Denkweisen unzufrieden wurden. Es bildeten sich politische Gruppen, die eine Politik auf eigene Faust treiben wollten, unabhängig von den Katholiken und 'Unabhängig von ,den Protestanten 13. Einer ,dieser Unzufriedenen war der Bruder ·des Köni,gs, der Herzog von Anjou. Eine konstruktive Politik aber war aus der bloßen Unzufriedenheit heraus, hinter welcher sich häufig persönliche Interessen verbargen, nicht zu erwarten. Man hat deshalb diese Gruppen ,die »Mecontents« genannt. Anders 'stand es mit jenen Gruppen, in denen L'Hospitals Gedanken lebendig waren. In ihnen badeten ,die Juristen das gewichtigste Element. Ihre Gemeinsamkeit bestand darin, ,daß sie mit wenigen Ausnahmen Katholiken waren und die Fortsetzung der bewaffneten Auseinandersetzungen für untragbar hielten. Sie verlangten Freiheit für die neue 9
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»Es guerres civiles la pacification ne guerit iamais le mal«, so läßt G u y Coq u i 11 eden Catholique zelt; sagen in dem Dialogue sur les causes des miseres de la France, entre un Catholique ancien (mit dem sich Coquille, wie man annehmen darf, identifiziert), un catholique zele, et un Palatin, Oeuvres postumes, Paris 1650, S. 39/40. Remonstrance aux c:ltholiq/les de tous les Estats de France, pour entrer en l'association de la Ligue, s. l. n. d., feuillet XXI. Le Martel en teste des Catholiques Francois, Paris 1590, S. 70. lustification de La guerre entreprise etc., Paris 1589, S. 6. Vgl. D e c ru e, Le Parti des Politiques au lendemain de La Saint-Barthelem" Paris 1892.
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Roman Schnur
Religion, v. eil sie erkannt hatten, daß .die Ausrottung der »hereeiques« zugleich den Ruin Frankreichs bedeuten würde. Ihnen kommt es zuvörderst auf die Erhaltung der staatlichen Einheit an. Den Verfechtern der religiösen Intoleranz (auf beiden Seiten) mußten die Männer, die scheinbar weltliche Dinge vor den Absolutheitsanspruch der Religionen stellten, höchst suspekt sein. Bereits vor der Bartholomäusnacht belegten sie sie mit dem als diskriminierend gedachten Ausdruck ~Politi ques« 14. Der Odem der moralischen Verworfenheit haftete den Politiques bis zum Siege ihrer Sache an. Es soll für die weitere Darstellung ·außer Betracht bleiben, daß, soweit überhaupt feststellbar, etliche Traktate im Stile der Politiques von hugenottischen Autoren stammen, die in den Ideen der Politiques eine Möglichkeit sahen, ihre Position zu retten bzw. zu stärken. Soweit diese Hugenotten nicht überzeugte Politiques waren, wie Fran~ois de la Noue und Philippe du Plessis-Mornay 15, kann man darin nicht bloß ein taktisches Manöver sehen, das die eigentlichen Politiques hätte überrumpeln sollen. Deren politische und geistige Selbständigkeit beweist der Verlauf des Bürgerkrieges. Die geistige Auseinandersetzung der Politiques mit dem Bürgerkrieg bereitete den Boden für das moderne Staatsdenken vor. Zunächst machten die Politiques eine Bestandsaufnahme von dem, was ·die inneren Str.eitigkeiten dem Land an Positiven und Negativen gebracht hatten. Die Bilanz war eindeutig negativ. Bereits die Tatsache, daß man überhaupt festhalten will, welche Frücht,e ,der Biirgerkrieg für den einzelnen und den Staat zeitigten, läßt die Distanz der Politiques zu denen erkennen, denen es nur auf den totalen Sieg ihrer Sache ankam und für die die Frage nach dem Preis dieses Sieges unzulässig war. Die erste Frage der Politiques lautet: Was hat der Bürgerkrieg dem Lande gebracht? Er hat Unfrieden unter die Menschen getragen, .die engsten Gemeinschaften aufgelöst: »Le voisin n'est asseure ,de son voisin« U Nicht einmal die Familien, die Keimzellen des Volkes, bleiben vom Bürgerkrieg verschont. »Ce sont les fruits de guerres civiles, que de tu er souvent son pere, son fils, son frere, son onele, son cousin, son parent, Im Jahre 1564 äußerte der Kardinal G r a n v e ll e über Coligny, er halte ihn »pour plus politique ... que pour devot«, Papiers d'Etat de Granvelle, Doc. ined., Bd. VIII, S. 118. Vgl. auch D e c ru e, a,a.O. S. 5. Im zeitgenössischen Schrifttum und in der gegenwärtigen Literatur wird nicht so deutlich zwischen Mecontents und Politiques unterschieden wie hier. Eine scharfe Trennung läßt sich tatsächlich nicht durchführen; doch meinen wir, aus Gründen der Klarheit die Unterschiede besonders betonen zu sollen. U Ober de la Noue vor allem Hau s er, Fran