Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum: Untersuchungen zu einer Theologie des monastischen Lebens bei den ägyptischen Mönchsvätern Johannes Cassian und Benedikt von Nursia 9783666551567, 3525551568, 9783525551561


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German Pages [308] Year 1991

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Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum: Untersuchungen zu einer Theologie des monastischen Lebens bei den ägyptischen Mönchsvätern Johannes Cassian und Benedikt von Nursia
 9783666551567, 3525551568, 9783525551561

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V&R

H E I N R I C H HOLZE

Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum Untersuchungen zu einer Theologie des monastischen Lebens bei den ägyptischen Mönchsvätern, Johannes Cassian und Benedikt von Nursia

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 48

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Holze, Heinrich: Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum : Untersuchungen zu einer Theologie des monastischen Lebens bei den ägyptischen Mönchsvätern, Johannes Cassian und Benedikt von Nursia / Heinrich Holze. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1992 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte ; Bd. 48) Zugl.: Bethel, Kirchliche Hochsch., Habil.-Schr., 1989 ISBN 3-525-55156-8 NE: GT

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Kirchlichen Hochschule Bethel gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © 1992 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die Beschäftigung mit der „Erfahrung" hat Konjunktur. Stand dieses Thema nach dem Ersten Weltkrieg für lange Zeit unter dem Vorbehalt der dialektischen Theologie, so wird ihm seit einer Reihe von Jahren erneut Aufmerksamkeit zuteil. Die Erfahrung mit der Erfahrungsarmut der Theologie wirkt sich darin aus. Wo Erfahrungen mit dem christlichen Glauben fehlen, beginnt man nach Orten gelingender Erfahrung zu suchen und nach Kriterien erfahrener Theologie zu fragen. Unsere Untersuchung versteht sich als ein kirchengeschichtlicher Beitrag zu dieser Fragestellung. In den herangezogenen Quellen des altkirchlichen Mönchtums können wir beobachten, daß sich unter den besonderen Bedingungen des monastischen Lebens ein eigenständiges theologisches Denken entwickelt hat. Mehr noch: die Grundlinien einer Theologie des monastischen Lebens werden sichtbar, in der dem Erfahrungsbezug eine elementare Bedeutung zukommt. Dies verdient nicht nur aus aktuellem Anlaß Aufmerksamkeit. Es ist zugleich geeignet, das Bild der altkirchlichen Theologiegeschichte um die Stimme des Mönchtums zu erweitern. Die vorliegende Arbeit geht auf meine Habilitationsschrift zurück, die der Kirchlichen Hochschule Bethel vorgelegen hat und von ihr im Sommersemester 1989 angenommen worden ist. Die Anregung zu ihr verdanke ich Herrn Prof. Dr. Gerhard Ruhbach, der ihre Entstehung mit gutem Rat begleitete. Herrn Prof. Dr. Adolf Martin Ritter danke ich dafür, daß er meine Arbeit in die „Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte" aufgenommen hat. Schließlich danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen namhaften Druckkostenzuschuß sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der die Drucklegung sorgfältig betreute. Osnabrück, im September 1991

Heinrich Holze

Inhalt Vorwort

5

I. Einleitung

9

A. Die Fragestellung

9

B. Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

11

1. Die ägyptischen Mönchsväter a) Die Apophthegmata Patrum 15 b) Die Vita Antonii 17 c) Die Historia monachorum und die Historia Lausiaca 19.

13

2. Das Mönchtum in Gallien bis zu Johannes Cassian a) Martin von Tours 21 b) Die Klöster von Lerin 22 c) Johannes Cassian 24.

21

3. Das Mönchtum in Italien bis Benedikt von Nursia a) Das monastische Leben im 4. und 5. Jahrhundert 32 dikt von Nursia 33.

32 b) Bene-

II. Die Theologie des monastischen Lebens

39

A. Die Voraussetzungen monastischer Theologie

39

1. Im Kellion oder Könobium leben a) Die ägyptischen Anachoreten 39 b) Johannes Cassian 49 c) Benedikt von Nursia 58.

39

2. Das Wort der Heiligen Schrift hören a) Die ägyptischen Anachoreten 64 b) Johannes Cassian 74 c) Benedikt von Nursia 80.

64

3. D e n Gottesdienst feiern a) Die ägyptischen Anachoreten 88 c) Benedikt von Nursia 99.

88

4. Beten und Arbeiten a) Die ägyptischen Anachoreten 107 c) Benedikt von Nursia 127.

b) Johannes Cassian 94 107 b) Johannes Cassian 119

B. Die Entfaltung monastischer Theologie 1. Monastische Erfahrung a) Die ägyptischen Anachoreten 134 b) Johannes Cassian 141 c) Benedikt von Nursia 147 d) Zusammenfassung 148.

132 132

Inhalt

8

2. G o t t

150

a) Die Zuwendung Gottes erfahren aa) Die ägyptischen Anachoreten 150 cc) Benedikt von Nursia 156.

bb) Johannes Cassian 153

150

b) Gott fürchten und lieben aa) Die ägyptischen Anachoreten 158 cc) Benedikt von Nursia 169.

bb) Johannes Cassian 164

158

c) Gottes Gegenwart bekennen aa) Die ägyptischen Anachoreten 173 bb) Johannes Cassian 176 cc) Benedikt von Nursia 178 dd) Zusammenfassung 179.

3. Christus

173

180

a) Christi Gebot hören aa) Die ägyptischen Anachoreten 180 cc) Benedikt von Nursia 187.

bb) Johannes Cassian 184

180

b) Christus nachfolgen aa) Die ägyptischen Anachoreten 190 cc) Benedikt von Nursia 198.

bb) Johannes Cassian 194

190

c) Christus bekennen aa) Die ägyptischen Anachoreten 202 bb) Johannes Cassian 207 cc) Benedikt von Nursia 209 dd) Zusammenfassung 211.

4. Mensch

202

212

a) Die Sünde erfahren aa) Die ägyptischen Anachoreten 212 cc) Benedikt von Nursia 226.

bb) Johannes Cassian 220

212

b) Umkehren und Buße tun aa) Die ägyptischen Anachoreten 229 cc) Benedikt von Nursia 247.

bb) Johannes Cassian 238

229

c) Nach Vollkommenheit streben aa) Die ägyptischen Anachoreten 253 bb) Johannes Cassian 260 cc) Benedikt von Nursia 265 dd) Zusammenfassung 268.

253

III. Schlußbemerkungen

271

IV. Literaturverzeichnis

279

A. Quellentexte

279

B. Sekundärliteratur

280

Register

299

Sachregister

299

Bibelstellenregister

303

Register antiker Autoren und Quellen

305

Namenregister der Mönchsväter

306

Register neuer Autoren

308

I. Einleitung Α. Die Fragestellung Überblicken wir die Historiographie des Mönchtums, so lassen sich verschiedene Phasen beobachten. Die kritische Erforschung des Mönchtums beginnt 1877 mit dem berühmtem Aufsatz von H. Weingarten über den „Ursprung des Mönchtums im nachconstantinischen Zeitalter" 1 . Seine These, die eine Spätdatierung des Mönchtums vertrat und gleichzeitig den ägyptischen Serapiskult als dessen eigentlichen Vorläufer bezeichnete, zog in der Folgezeit eine intensive Debatte über das Für und Wider einer religionsgeschichtlichen Ableitung des Mönchtums nach sich. Diese endete schließlich mit dem Ergebnis, daß sich allein aus innerchristlichen Faktoren wie der frühgemeindlichen Askese die Entstehung des Mönchtums erklären läßt 2 . Um die Jahrhundertwende richtete sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Frage, aus welchem Grund die Asketen am Ende des 3. Jahrhunderts aus der Kirche ausgezogen und in die Einsamkeit der Wüste gegangen sind. Vermutete A.v.Harnack (1891) eine verfestigte Gemeindeorganisation, die das Asketentum seiner Grundlage beraubt habe, so stellte K.Holl {1898) das Streben nach einem der inneren Heiligung gewidmeten Leben als Ursache heraus 3 . Die bei beiden im Vordergrund stehende Frage nach dem „Ursprung des Mönchtums" veranlaßte auch K. Heussi (1936) zu seiner gleichnamigen Untersuchung, in der er die Entwicklung von der frühchristlichen Askese bis hin zum könobitischen Leben nachzeichnete. Bei H.Lietzmann wurde eine neue Fragerichtung sichtbar. In seinem Fragment gebliebenen vierten Band der „Geschichte der Alten Kirche" (1944) lenkte er den Blick nicht mehr nur auf die äußere Entwicklung des Mönchtums, sondern auch auf dessen innere Gestalt, wie sie in Denken und Frömmigkeit zum Ausdruck kommt 4 . Damit nahm er eine Akzentverschiebung vor, die sich in der Folgezeit als fruchtbar erweisen sollte. In

1

H.Weingarten, Ursprung, S . l f f . 545 ff. Vgl. E. Preuschen, Mönchtum; G. Grützmacher, Mönchtum, in: RE 3. Aufl. Bd. 13, S. 217 f. 3 A.v.Harnack, Briefe, S.37ff.; K.Holl, Mönchtum, S.270ff. * H.Lietzmann, Geschichte, S. 141 ff. 2

10

D i e Fragestellung

den sechziger Jahren wurde sie durch mehrere Untersuchungen über die leitenden Motive des mönchischen Lebens vertieft5. Gleichwohl bestand - bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen - zwischen den bisher vorgelegten Arbeiten zur Erforschung des altkirchlichen Mönchtums eine grundlegende Übereinstimmung darin, daß das Mönchtum allein wegen des in ihm entwickelten „christlichen Lebensideals" 6 Aufmerksamkeit auf sich zog. Den monastischen Quellen wurde gleichzeitig für das theologische Denken der Kirche keine Bedeutung zugemessen. Das offensichtliche Desinteresse der Mönche an den Lehrauseinandersetzungen der Zeit galt als Ausdruck ihrer schlichten geistigen Haltung, weswegen allenfalls die Frömmigkeit der Mönche Erwähnung fand 7 . Diese Orientierung am Ethischen hatte jedoch zur Folge, daß dem Mönchtum bis in die gegenwärtigen Darstellungen hinein - ein Platz in der Kirchengeschichte, nicht aber einer in der Theologiegeschichte eingeräumt wurde8. In der Theologiegeschichte des Mittelalters ließ sich, was die Einordnung Bernhards betrifft, bis vor kurzem Ahnliches beobachten: der Abt aus Clairvaux wurde als Kirchenvater zwar gewürdigt, als Theologe jedoch gegenüber der Frühscholastik als wenig origineller Traditionalist eingeordnet. Durch die Untersuchungen von U.Köpf sind wir an dieser Stelle einen bedeutsamen Schritt weitergekommen und haben in Bernhard einen monastischen Theologen von hohem Rang kennenlernen können. In diesem Zusammenhang ist jedoch die Frage unberücksichtigt geblieben, ob die monastische Theologie, wie sie bei Bernhard, den Viktorinern, Rupert von Deutz und anderen zum Ausdruck kommt, eine originäre Schöpfung des Mittelalters ist oder an Vorformen des altkirchlichen Mönchtums anknüpfen kann 10 . Eine verläßliche Antwort ist darauf, insbesondere von der Patristik, noch nicht gegeben worden. Bisher haben nur vereinzelte Studien, unter denen besonders die von H. Dörries Beachtung verdienen11, auf den theologischen Charakter der Schriften des altkirchlichen Mönchtums aufmerksam gemacht. Das ist erstaunlich, wenn wir bedenken, daß die kirchengeschichtliche Erforschung des 4. und 5. Jahrhunderts 5 Vgl. G.Kretschmar, Beitrag, S. 129ff.; U . R a n k e - H e i n e m a n n , Mönchtum; K.S.Frank, Α Γ Γ Ε Λ Ι Κ Ο Ι ΒΙΟΣ; P . N a g e l , Motivierung; Th.Baumeister, Mentalität, S. 145ff. 6 A . v . H a r n a c k , Mönchtum, S. 102. 7 Charakteristisch d a f ü r ist die beiläufige Feststellung K. Heussis: „ D i e religiösen Vorstellungen unserer Anachoreten sind naiv und realistisch." (Ursprung, S.271). 8 Vgl. etwa C.Andresen, Geschichte, S . 6 5 f . H . C h a d w i c k , Church, S. 174ff.; K . B a u s , Reichskirche, S. 347 ff. 9 U . K ö p f , Erfahrung; ders., Wesen, S. 150ff. Vgl. auch J.Leclercq, Bernhard von Clairvaux, in: T R E Bd. 5, S. 644 ff. 10 J . Leclercq betrachtet „die monastische Theologie als Fortsetzung der patristischen Theologie", f ü g t allerdings hinzu: „Erst im 12. Jahrhundert tritt die monastische T h e o l o g i e mit allen unterschiedlichen Merkmalen deutlich hervor." (Wissenschaft, S.213. 216). 11 Z . B . H . D ö r r i e s , T h e o l o g i e u . a . m .

D i e Fragestellung

11

in den letzten Jahren vornehmlich unter theologiegeschichtlichem Vorzeichen stand. Das Mönchtum ist davon aber, aus den beschriebenen Gründen, weitgehend ausgenommen worden. Unsere Untersuchung zu einer Theologie des monastischen Lebens möchte einen Beitrag liefern, um diese Lücke zu schließen. Anknüpfend an die Fragestellung der neueren Bernhardforschung geht sie von der Voraussetzung aus, daß auch im altkirchlichen Mönchtum zwischen dem monastischen Leben und dem monastischen Denken ein grundlegender Zusammenhang besteht. Die von uns herangezogenen Quellen des frühen Mönchtums sollen deswegen daraufhin untersucht werden, wie das Leben in Kellion und Kloster zu einem Anstoß wird, über Gott, Christus und den Menschen coram Deo neu nachzudenken und die daraus erwachsenden Einsichten theologisch - wenn auch nicht unbedingt in Bindung an die kirchliche Lehre - zu fassen. Es ist unsere Hypothese, daß schon in der Alten Kirche die Grundlinien einer monastischen Theologie sichtbar werden. Ob sie sich bewährt, wird sich bei dem wiederholten thematischen Durchgang durch unsere Quellen zu zeigen haben.

B. D i e Q u e l l e n und ihr geschichtlicher H i n t e r g r u n d Bevor wir unserer Fragestellung, dem Zusammenhang von Erfahrung und Theologie im frühen Mönchtum, nachgehen, soll zunächst die Auswahl der zugrundeliegenden Quellen begründet und sodann ihr geschichtlicher Hintergrund erläutert werden. Die Auswahl ergibt sich aus der Absicht, das Mönchtum der ägyptischen Anachoreten nicht nur in seinem Selbstzeugnis zur Sprache zu bringen, sondern auch von seiner abendländischen Wirkungsgeschichte her zu beleuchten. Mit Blick auf das Fortwirken läßt sich das Profil des Ursprungs deutlicher erkennen. Desgleichen kann verfolgt werden, wie es sich durch den Ubergang in das lateinische Denken verändert. Drei Quellen werden darum von uns herangezogen: die Apophthegmata Patrum, in denen das Denken der ältesten Anachoreten Ägyptens einen authentischen Niederschlag gefunden hat 12 ; die monastischen Schriften Johannes Cassians, der als Schüler der ägyptischen Mönchsväter dem südgallischen Mönchtum seine zwischen Ost- und Westkirche vermittelnde Stellung gegeben hat; sowie die unter dem Namen Benedikts von Nursia bekanntgewordene Regel, die sich als Erbe der monastischen Tradition versteht und als solche auf das abendländische Mönchtum ausstrahlen 12 Vergleichend wird dabei immer wieder auf die Vita Antonii des Athanasius, die H i s t o r i a m o n a c h o r u m und die H i s t o r i a L a u s i a c a verwiesen werden.

12

Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

sollte. Zwischen diesen drei Quellengruppen läßt sich ein traditionsgeschichtlicher Zusammenhang aufweisen, der von uns aus verschiedenen thematischen Perspektiven betrachtet werden soll. Diese wirkungsgeschichtlich ausgerichtete Fragestellung gibt jedoch den Ausschlag dafür, daß gewichtige andere Quellen des altkirchlichen Mönchtums von uns nicht herangezogen werden: Basilius, Evagrius und Augustin. Basilius, der geistige Vater des kappadozischen Mönchtums, hat mit seinen Regeln weder auf Cassian noch auf Benedikt einen bestimmenden Einfluß ausgeübt, auch wenn seine Werke beiden nicht unbekannt gewesen sein dürften13. So bedeutend er für das orientalische Mönchtum geworden ist, - für unsere auf die westliche Entwicklung gerichtete Blickrichtung ist Basilius deswegen nur von untergeordnetem Interesse. Gleiches gilt, wenn auch aus anderen Gründen, für Evagrius Pontikus. Zwar ist dieser bedeutende Mönchstheologe der ägyptischen Wüste, der die Theologie und Spiritualität der Wüstenväter in die Kategorien des Orígenes gefaßt hat, für das Denken Cassians überaus bedeutsam geworden14. Benedikt hat diesen origenistischen Grundzug offensichtlich aber nicht aufgegriffen, sodaß Evagrius für das abendländische Mönchtum der Folgezeit keine nennenswerte Wirkung entfaltet hat 15 . Seine Wirkungsgeschichte im Westen reicht also nur bis nach Südgallien, wo er uns im Spiegel der Theologie Cassians begegnet. Was schließlich Augustin, den Begründer und Inspirator des nordafrikanischen Mönchtums betrifft, so wird auch er aus unserer Untersuchung ausgeklammert werden. Zu eigenständig ist das von ihm begründete Mönchtum, zu komplex ist sein Schrifttum, als daß beides neben den drei von uns herangezogenen Quellen des altkirchlichen Mönchtums angemessen gewürdigt werden könnte. Im übrigen hat Augustin auf Cassian nicht und auf Benedikt nur gering eingewirkt16. Indem also Basilius, Evagrius und Augustin aus unserer Untersuchung ausgeklammert werden, stellt sich als ihr eigentlicher Gegenstand die Geschichte monastischer Erfahrungen und ihrer theologischen Ausdrucksformen dar, die von den Anachoreten der ägyptischen Wüste über Cassian in das abendländische Mönchtum ausstrahlt. Diese Beschränkung auf die Wirkungsgeschichte Ägyptens in Südgallien und Mittelitalien dient der 13 Vgl. O.Chadwick, Cassian 2.Aufl., S . 6 0 f f . P.Deseille, Sources, S. 116ff. und M.Viller/ K. Rahner, Aszese, S. 210 ff. 14 Vgl. H . O . W e b e r , Stellung, S . 2 4 f . 29. 4 2 f . 50ff. 55ff. 61 ff. 6 8 f . 72ff. u.ö. sowie O. Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.92ff. 15 Vgl. P. Deseille, Sources, S. 86 ff.; J. Gribomont, Influence, S. 119 ff. und A. u. C. Guillaumont, Evagrius Ponticus, in: RAC VI, Sp. 1105 f. " Vgl. F.Renner, Benediktusregel, in: T R E Bd.5, S.573ff.; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 110 ff. 148 ff.; C.Lambot, L'influence de Saint Augustin, S. 320 ff.

Die ägyptischen Mönchsväter

13

Geschlossenheit des Gedankenganges und wird sich, so steht zu hoffen, in der Darstellung bewähren. 1. Die ägyptischen

Mönchsväter

Der Ursprung des christlichen Mönchtums liegt in Ägypten. Mit seinen großen Wüsten in der Nitris, Sketis und Thebais wurde es das klassische Land der Mönche und das unbestrittene Vorbild aller späteren monastischen Bestrebungen. Wie es zur „Wiege des mönchischen Lebens" 1 werden konnte, ist in seinen Einzelheiten bis heute nicht abschließend geklärt, doch haben sich die religionsgeschichtlichen Erklärungsversuche als unhaltbar erwiesen: weder der Hinweis auf den ägyptischen Serapiskult 2 noch die Anknüpfung an die jüdische Sekte der Qumran-Essener 3 haben zu überzeugen vermocht 4 . Mehr Wahrscheinlichkeit kann die Vermutung für sich beanspruchen, daß sich im ägyptischen Mönchtum des 4. Jahrhunderts das asketisch und gnostisch geprägte Christentum des 2. und 3. Jahrhunderts erneut zu Wort meldete 5 . Auch spricht einiges dafür, daß die offensichtliche Selbständigkeit der frühen gnostischen Gruppen eine Fortsetzung im Streben der Mönche gefunden hat, sich vom Einfluß der bischöflich geleiteten Kirche Alexandriens fern zu halten. Unter Berücksichtigung dieser Beobachtungen können wir heute von der begründeten Annahme ausgehen, daß das Mönchtum ein „innerchristliches Phänomen" 6 ist, das sich ursprünglich nicht als ein Protest gegen die Verweltlichung der Kirche, sondern als ein Ausdruck des Strebens verstanden hat, sich ohne Einschränkung Gott zuzuwenden, dem gekreuzigten Herrn nachzufolgen und der Erfahrung seines Geistes gewiß zu werden 7 . Die seit den Anfängen des Christentums zunächst von allen Gemeindegliedern geteilte asketische Lebenshaltung führte in der Krise des 2. Jahrhunderts zunächst zu einem besonderen Stand der Asketen innerhalb der Gemeinden 8 , verselbständigte sich aber im Ausgang des 3. Jahrhunderts in Ägypten zu einer eigenen Lebensform, die abseits menschlicher Siedlungen vorzugsweise in der Wüste verwirklicht wurde. Diese Absonderung •

1

J. Vergüte, Égypte, S. 329-345; Vgl. auch R.Draguet, Pères, S. VI/VII. H. Weingarten, Ursprung, S. 30 ff. 545 ff. 3 S.Morenz, Urkunden, S. 423-429; H. Gross, Chirbet Quraran, S. 141-157; J.M. van der Ploeg, Essener, S. 107-128. 4 K. Heussi, Ursprung, S. 280 ff.; W. Schneemelcher, Erwägungen, S. 131 ff. 5 Der enkratitische Charakter des Ägypterevangeliums läßt manche Ähnlichkeit zu den literarischen Zeugnissen des späteren Mönchtums erkennen. Auffallend ist auch, daß die gnostische Bibliothek von Nag Hammadi nahe der Pachomiusklöster lag. Vgl. dazu C. D . G . Müller, Ägypten IV, in: T R E Bd. 1, S.515f. 521 f. 6 W. Schneemelcher, Erwägungen, S. 138. 7 Vgl. D.J.Chitty, Desert, S. 6 f. 8 Κ. Heussi, Ursprung, S. 11 ff. 53 ff.; P. Nagel, Motivierung, S. 5 ff. 2

14

Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

von der Gemeinde ist die Geburtsstunde des Mönchtums im eigentlichen Sinne. Sein besonderes Merkmal hat es dadurch erhalten, daß es „inmitten der ägyptischen Landbevölkerung und nicht unter den großstädtischen, griechisch geprägten Einwohnern Alexandriens entstanden ist" 9 . Das bedeutete jedoch keine geistige Isolierung. Neuere Untersuchungen zum sozio-kulturellen Umfeld des ägyptischen Mönchtums haben vielmehr ergeben, daß insbesondere bei den Klostergründungen des Südens Asketen und Mönche die N ä h e zur Stadt keineswegs gemieden und an ökonomischen wie theologischen Beziehungen zu ihnen festgehalten haben 10 . Ökonomische Gründe förderten die Entwicklung des Mönchtums. Wir wissen, daß „die wirtschaftliche N o t " groß und die soziale Lage weithin trostlos war: „die breiten Volksschichten Ägyptens haben sich unter den Ptolemäern, Römern und Byzantinern, die Land und Volk ausbeuteten, in einem Zustand von Armut und Rechtsunsicherheit befunden, der tief unter dem Durchschnitt der Ökumene lag. Im Kloster fand dann der dem Staat und seinen o f t so fragwürdigen Organen schutzlos Preisgegebene Regelmäßigkeit und Sicherheit des Lebens." 11 Auch die eingesessene Oberschicht blieb von den Folgen der Fremdherrschaft nicht verschont. Vor allem die römischen Kaiser sahen in ihr „in erster Linie (ein) fiskalisches Ausbeutungsobjekt", weswegen „zahlreiche Angehörige der kurialen Klasse" den Versuch machten, „sich dem Netz wirtschaftlicher und rechtlicher Bindungen durch die Flucht in die Asozialität oder in den Schutz der Klöster und Anachoretensiedlungen zu entziehen." 12 Ebenso wird von Bedeutung gewesen sein, daß sich das koptische Christentum, aus dessen Mitte das Mönchtum hervorging, in einem deutlichen Gegensatz zur römischen Religion verstand und damit denen anbot, die geistige Unabhängigkeit suchten 13 . Es war also eine Reihe von Gründen, die das Mönchtum an der Wende zum 4. Jahrhundert in Ägypten aufblühen ließ und breiteren Bevölkerungskreisen öffnete. Etwa gleichzeitig entstanden hier die beiden G r u n d formen des monastischen Lebens, die Anachorese und das Könobium. Beide Lebensformen, von denen die erste in der Sketis und die zweite in Oberägypten Fuß faßte, haben sich f ü r die Nachwelt unauflöslich mit den Namen ihrer Begründer, mit Antonius und Pachomius, verbunden 1 4 . Wel-

' T h . Baumeister, Mentalität, S. 148. 10 So H . Bacht in A n k n ü p f u n g an eine Untersuchung von E. Brammertz (Vermächtnis Bd. 2, S. 14 f.). 11 S.Morenz, Urkunden, S.428. Vgl. schon vor ihm D.Völter, Ursprung, S. 4 7 f f . und K. Heussi, Ursprung, S. 301 ff. 12 H . Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S. 16. 13 So M. Cramer, Ägypten, S. 1 ff. 14 Vgl. H . Bacht, Antonius, S. 183 ff. sowie A.Veilleux, Origins, S. 44 ff.

Die ägyptischen Mönchsväter

15

che literarische Hinterlassenschaft u n d welche Quellen wir über ihr Leben besitzen, soll im folgenden beschrieben werden. a) Die Apophthegmata

Patrum

Die „wichtigste Quelle des altägyptischen M ö n c h t u m s " 1 5 liegt uns in den Logien, Gleichnissen, Gesprächen und Novellen der A p o p h t h e g m a t a P a t r u m vor. Sie lassen sich in ihrer M e h r z a h l auf die ägyptischen W ü s t e n väter z u r ü c k f ü h r e n , w u r d e n ursprünglich in koptischer Sprache verfaßt, sind als einzelne Perikopen umgelaufen, bevor sie d a n n von einem R e d a k tor ins Griechische übersetzt u n d gesammelt w u r d e n . Diese über einen längeren Zeitraum sich erstreckende Entstehung der A p o p h t h e g m a t a erklärt es, w a r u m die Textüberlieferung „erstaunlich verwickelt" ist 16 und bis heute nicht durch eine kritische Ausgabe abschließend geklärt werden konnte 1 7 . Unbeschadet dieser nach wie vor o f f e n e n Fragen kann f ü r unseren Z u s a m m e n h a n g jedoch festgestellt werden, d a ß durch Boussets U n t e r suchungen, die er 1923 im G e f o l g e seiner formgeschichtlichen Analysen des N e u e n Testaments vorlegte, die grundsätzliche Priorität des griechischen, von Cotelier herausgegebenen Textes 1 8 mit Sicherheit a n g e n o m m e n werden darf 1 9 . Die Endgestalt dieses Textes, der wegen seiner an den Verfassernamen orientierten alphabetischen Gliederung auch das „Alphabetikon" (bzw. das Gerontikon) genannt wird, ist erst in den letzten J a h r z e h n t e n des 5. J a h r h u n d e r t s entstanden 2 0 . Schon der griechische, uns namentlich nicht mehr faßbare Redaktor, der seiner Ausgabe eine V o r r e d e vorangestellt hat, macht jedoch darauf aufmerksam, d a ß er schriftliche Vorlagen verw a n d t habe, denen es allerdings an Genauigkeit und Übersichtlichkeit ermangelt habe 2 1 . Diese Vorlagen, die vermutlich erste A p o p h t h e g m e n sammlungen enthalten haben, lassen sich in die zweite H ä l f t e des 4. J a h r hunderts datieren 2 2 , was zugleich besagt, d a ß die einzelnen A p o p h t h e g mata noch f r ü h e r entstanden sind. D e r G r u n d s t o c k der T e x t e ist also alt. 15 W. Bousset, Textüberlieferung, S. 102. Zur formgeschichtlichen Einordnung der Apophthegmata vgl. ders., Apophthegmata, S. 76 ff. und K. Heussi, Ursprung, S. 146 ff. 16 W. Bousset, Apophthegmata, S. 1. 17 J.C.Guy bezeichnet die Apophthegmata als „une ,terra incognita'" (Recherches, S.233). Vgl. auch J. Gribomont, Apophthegmes, S. 534-541. 18 J.B.Cotelier, Ecclesiae graecae monumenta, 3 Bände, Paris 1677-1688; Abdruck bei Migne PG 65, Sp.71-440. 19 So W. Bousset, Apophthegmata, S.6. 57 ff. 89 f. 20 W. Bousset legt die Abfassungszeit „in die letzten Dezennien des 5. Jahrhunderts, etwa zwischen 460(70) und 500" (Apophthegmata, S.68). 21 PG 65, Sp. 73 A. Auffällig ist die Analogie seines Vorwortes zum Proömium des Lukasevangeliums (Lk 1,3). 22 K. Heussi spricht von 350/70 bis 430/50 (Ursprung, S. 141); ähnlich auch W. Bousset, Apophthegmata, S. 60.

16

Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

Mit ihnen haben wir „eine gute Überlieferung vor uns, die sich... als geschichtliche Quelle für die Erforschung der Lebensweise und der Gedankenwelt der alten Mönche verwenden läßt" 23 und die „in ihrer ursprünglichen Form die Überlieferung des sketischen Mönchtums und einiger ihm verwandter Kreise enthält" 24 . Neben dem griechischen Gerontikon liegt uns eine zweite Apophthegmensammlung vor, die in lateinischer Sprache verfaßt und von Rosweyde unter der Bezeichnung „Verba seniorum" überliefert worden ist25. Äußerlich fällt an dieser Sammlung auf, daß die Apophthegmata nach einem thematischen Gliederungsschema geordnet worden sind, was zum Teil mit ihrer anonymen Verfasserschaft zusammenhängt. Daraus auf ein höheres Alter zurückzuschließen, liefe jedoch fehl. Boussets Textuntersuchungen haben vielmehr ergeben, daß diese von den Diakonen Pelagius und Johannes zusammengetragenen Apophthegmata 26 vom griechischen Gerontikon „direkt abhängig" sind und „einen Auszug aus diesem darstellen" 27 . Demgegenüber liegen uns in den von Rufinus und Paschasius gesammelten Apophthegmata Texte vor, die „auf eine sehr alte Ueberlieferungsschicht der Apophthegmata zurückgehn" 28 . Vielleicht darf man sogar vermuten, daß sie „eine frühere Stufe der Apophthegmenüberlieferung repräsentieren, als sie in der uns erreichbaren Form von G ( = Gerontikon) vorliegt."29 Auf jeden Fall ist die Vermutung berechtigt, daß sich in der lateinischen Überlieferung Teile der anonym tradierten Apophthegmata finden, die der griechische Redaktor nach eigenem Bekunden dem Gerontikon nachgestellt hatte, welche später aber verloren gegangen sind30. Bei aller Unsicherheit im einzelnen, welcher Zeit ein Apophthegma zugeordnet werden darf, ist für unsere Fragestellung die Tatsache entscheidend, daß sich im Gerontikon ebenso wie in den lateinischen Verba seniorum trotz der über Jahrhunderte gehenden Überlieferungsarbeit und trotz der griechischen und lateinischen Redaktion das „unliterarische Milieu" weitgehend erhalten hat; „hier haben wir aus den Kreisen jener Mönche selbst hervorgegangene, lange Zeit von Mund zu Mund überlieferte Tradition von einer oft entzückenden plastischen Lebendigkeit und hohem kultur- und religionsgeschichtlichem Wert." 31 Gewiß haben in dem langen 23

K. Heussi, Ursprung, S. 137. Vgl. auch Th. Baumeister, Mentalität, S. 149. W. Bousset, Apophthegmata, S.60. Vgl. auch H.Dörries, Vita Antonii, S.215. 25 H.Rosweyde, Vitae Patrum, 7 Bände, 1628. Wiederabdruck bei Migne PL 73. 26 PL73, Sp.851ff. 991 ff. 27 W. Bousset, Textüberlieferung, S. 104. 28 ders., Textüberlieferung, S. 113. 29 W. Bousset, Apophthegmata, S.48. Zurückhaltender urteilt H.Dörries, Vita Antonii, S.215. 30 W. Bousset, Apophthegmata, S. 18 ff. 26 ff. 31 W. Bousset, Textüberlieferung, S. 102; ders., Apophthegmata, S.77. 24

Die ägyptischen Mönchsväter

17

Überlieferungsprozeß Apophthegmata jüngeren Datums in die alte Vorlage Eingang gefunden 32 - ein Vorgang, der sich daraus erklärt, daß die Apophthegmata Patrum „das beliebteste Lesebuch in den Mönchsklöstern bis weit ins Mittelalter hinein" waren 33 . Doch hat dies den Charakter des Gerontikon und der Verba seniorum nicht verändert: „Die Vätersprüche wollen durchaus nicht ,Literatur' sein oder ein wohlgeordnetes Kunstwerk. Die vielen Sammler, die daran gearbeitet haben, prägen ihnen kaum eine Spur ihrer Eigenart auf, sie fügten der Wirklichkeit nichts hinzu und begnügten sich, fortlaufend diese Momentbilder des Mönchslebens wiederzugeben." 34 Auch die Nähe zur ägyptischen Weisheitstradition unterstreicht die Ursprünglichkeit der Apophthegmata. Es ist darauf hingewiesen worden, daß sich in ihnen „die in knappe Form gebrachten Lebenserfahrungen der Anachoreten" finden lassen, „die in der Art der alten Weisheitslehre überliefert wurden" 35 . Dies erklärt, warum der geistliche Anspruch der Väterlogien auch für die Nachwelt ungeschmälert bewahrt werden konnte. Die Bedeutung dieser Quelle für die mönchische Frömmigkeit ist früh erkannt worden: keine der alten Sprachen, in die nicht jedenfalls Teile der Apophthegmata Patrum übersetzt wurden 36 . Im südgallischen Raum haben kleinere Sammlungen der griechischen Fassung schon im 5. Jahrhundert Verbreitung gefunden und werden von denen, die über entsprechende Sprachkenntnisse verfügten, gelesen worden sein37. Lateinische Ubersetzungen sind Anfang des 6. Jahrhunderts in Rom und Spanien bekannt geworden 38 . Damit beginnt die Wirkungsgeschichte der Apophthegmata Patrum im abendländischen Mönchtum, das sich unter Rückgriff auf diese Quelle seines Ursprungs versicherte. Auch bei der Frage nach den Anfängen monastischer Theologie bietet es sich an, mit den Apophthegmata einzusetzen. Sie geben uns einen unverstellten Einblick in das Selbstverständnis der ägyptischen Mönchsväter und sind doch zugleich ein Zeugnis für das Fortwirken ihrer Gedanken im Westen. b) Die Vita

Antonii

Von größter Bedeutung für die Popularisierung der ägyptischen Anachorese ist die Vita Antonii geworden. Ihr Verfasser, der alexandrinische Patriarch Athanasius, begründete mit diesem biographischen Werk den 32

Vgl. etwa die Cassian-Logien, die aus den Institute und Collationes entnommen worden

sind. 33 34 35 36 37 38

W. Bousset, Textüberlieferung, S. 102. Vgl. auch C . M . Battle, Verba seniorum. M.Viller/K.Rahner, Aszese, S. 116f. Ähnlich C.Butler, Lausiac History Bd. 1, S.214. Th. Baumeister, Mentalität, S. 160. Vgl. dazu L. Regnault, Apophthegmes, S. 320-330. W. Bousset verweist auf Joh. Cassian (Apophthegmata, S.74f.). So E.Schulz-Flügel, Entstehung, S.291.

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

Ruhm der ägyptischen Einsiedler 39 . Durch zwei lateinische Übersetzungen wurde die Vita im abendländischen Raum bald nach ihrer Entstehung bekannt 40 , und darum ist es kein Zufall, wenn Augustin in seinen Confessiones schon für das Jahr 386 die Lektüre dieses Werkes durch Trierer Asketen bezeugt 41 . In der Vita Antonii, die Athanasius nur ein Jahr nach dem Tod des großen Mönchsvaters geschrieben hat (im Jahr 357)42, wird dem Leser das fast einhundertfünfjährige Leben des Antonius vor Augen gestellt. Schon früh habe er dem weltlichen Leben entsagt und sich als Asket in die Einsamkeit zurückgezogen: zunächst in der Nähe seines Heimatdorfes, dann in eine Grabhöhle und schließlich in ein abgelegenes Kastell, wo er stufenweise zu innerer Vollkommenheit aufgestiegen sei. Erst nach einer langjährigen Läuterung kehrt Antonius an die Öffentlichkeit zurück. Zunächst spricht er in einer großen Rede zu Asketen, die ihn im Verlangen nach gleicher Vollkommenheit aufgesucht haben, und belehrt sie über den Kampf gegen die Dämonen. In der Zeit der Christenverfolgung geht Antonius sogar nach Alexandrien, um das Martyrium zu suchen. Schließlich zieht er sich aber wieder in die Wüste zurück, wo er Wunder tut, Visionen hat, mit den Häretikern streitet und den heidnischen Philosophen den christlichen Gott verkündigt. Schon dieser kurze Uberblick über die Vita macht deutlich, daß sie ein keineswegs typisches Anachoretenleben wiedergibt. Noch viel mehr gilt das für die Gedankenwelt des Antonius, wie sie Athanasius beschreibt. Sie ist trotz der frühen Abfassung der Vita schon weit von dem ursprünglichen Denken der Wüstenväter entfernt 43 . Offensichtlich ist es die Absicht des alexandrinischen Bischofs, „das Idealbild eines mit der Kirche eng verbundenen Mönchtums (zu) zeigen." 44 Gleichzeitig ist ihm daran gelegen, " Zur Bedeutung des Athanasius vgl. M.Tetz, Biographie, S. 304-338. Struktur und Motive der Vita Antonii beschreibt G.J.M. Bartelink, Gattung, S. 38-62. 40 F.Prinz bezeichnet sie „als monastische Propagandaschrift für den Westen" (Askese, S. 16). 41 Augustin, Confessiones Kp. VIII,6,15; vgl. auch Kp. VIII,6,14; XII,29. Schon in seiner Vita spricht Athanasius davon, daß sich der Ruhm des Antonius bis nach Spanien, Gallien, Rom und Afrika ausgebreitet habe (Vita Antonii, Kp.93). Vgl. dazu J. Leclercq, Antoine, S. 229-247; J.Gribomont, Influence, S. 123. 42 So L.W.Barnard, Date, S. 169ff. Zurückhaltender B.R.Brennan, Vita Antonii, S . 5 2 f f . Abdruck bei Migne PG 26, Sp. 837-978. 41 So D.J.Chitty, Desert, S. 5. Allerdings ist fraglich, ob wir die Verfasserschaft der Vita Antonii allein Athanasius zuschreiben dürfen (so mit Einschränkung K. Heussi, Ursprung, S.87f.), oder ob ein „Neben- bzw. Ineinander von relativ unredigierten Traditionen und athanasianischen Partien" angenommen werden muß. (M.Tetz, Athanasius, S.26. 28; ähnlich auch J. Roldanus, Vita Antonii, S.216). Eine behutsame Würdigung des Antoniusbildes der Vita, die als Vergleichspunkt die Apophthegmata heranzieht, gibt H. Dörries, Vita Antonii, S. 163 ff. 193 ff. Vgl. auch E.T. Bettencourt, Idéal religieux, S. 45-65. 44 W. Schneemelcher, Erwägungen, S. 137; so auch K. Heussi, Ursprung, S.88.

Die ägyptischen Mönchsväter

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seiner Zeit „den heroischen, bewunderten, vollkommenen Christen" vor Augen zu stellen, „der auf einer hohen Stufe der Vollkommenheit steht und so zum Vorbild christlicher Lebensführung geworden ist."45 In seinen Reden schließlich erweist sich der Antonius der Vita als der überzeugte Vertreter der nizänischen Orthodoxie, der gegen die Arianer streitet und durch seine ganze Erscheinung „der wirkungsvolle Beweis für die Wahrheit der athanasianischen Christus- und Erlösungslehre" ist46. Zurückhaltung im Umgang mit dieser Quelle ist also angebracht, wenn es darum geht, Leben und Denken der ägyptischen Mönchsväter zu rekonstruieren 47 . Nur dort wird sie in der vorliegenden Untersuchung herangezogen, wo sie wegen ihres eigenständigen monastischen Profils geeignet ist, die Aussagen der anderen Quellen deutlicher herauszuarbeiten. c) Die Historia

monachorum

und die Historia

Lausiaca

Eine andere Quelle des ägyptischen Mönchtums ist die im Ausgang des 4. Jahrhunderts von einem anonymen Autor auf Griechisch verfaßte und kurze Zeit später von Rufin ins Lateinische übersetzte Historia monachorum 48 . Diese Ubersetzung „war gewiß für die Asketen des Westens bestimmt, wenn wir auch darüber keine Auskunft bei Rufin selbst bekommen"; wir werden jedoch davon ausgehen dürfen, daß der lateinische Text der Historia monachorum „zumindest im Umkreis des Rufin", d.h. in Rom und Umgebung am Anfang des 5. Jahrhunderts bekanntgewesen sein wird 49 . Die Historia monachorum berichtet von der im Jahre 394/5 unternommenen Reise einer kleinen Gruppe palästinischer Mönche zu den ägyptischen Mönchsvätern. Sie ist damit ein frühes Zeugnis für die große Ausstrahlung der Anachoreten und für die zahlreichen Pilgerreisen. Diese Reise führt die Teilnehmer unter vielen Gefahren von der Thebais im Süden (Lycopolis) bis zur nitrischen Wüste im Norden und anschließend zurück in die Heimat. Insbesondere diese Einbeziehung des Südens unterstreicht, daß sich das monastische Leben in Ägypten nicht auf die Nitris und Sketis (wie in den Apophthegmata Patrum beschrieben) beschränkte, sondern das ganze Niltal einbezog. Die Historizität des Berichts ist umstritten. „Aber die Umrisse der erzählten Ereignisse sind so bestimmt angegeben und stimmen so gut mit dem überein, was wir aus anderen Quellen wissen, daß man schwer anneh45

Th. Baumeister, Mentalität, S. 148. B. Steidle, Regel, S. 13; ausführlich H.Dörries, Vita Antonii, S. 177 ff. 47 So W.Schneemelcher, Erwägungen, S.137. Ähnlich M.A.Williams, Life, S.23ff. 48 Vgl. C.Butler, Lausiac History Bd. 1, S.257ff. und D.J.Chitty, Desert, S.51. Der griechische Text ist herausgegeben von A.J. Festugière, Historia monachorum. 4 ' So E.Schulz-Flügel, Entstehung, S.291. 46

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

men kann, daß der Kern des Berichts erfunden sei."50 Trotz des vermutlich realen Hintergrundes ist die Historia monachorum von ihrem Verfasser jedoch als „ein Erbauungsbuch" gedacht, das „durch Schilderung hervorragender Mönche ihre asketischen Leser anspornen und stärken" soll51. Die zahllosen Wunder, die dem Buch einen legendären Zug verleihen, sollen das unterstreichen 52 . Obwohl wir also einen durchaus lebendigen Einblick in das ägyptische Mönchsleben erhalten, muß doch zugleich hinzugefügt werden, daß dieser - im Unterschied zu den Apophthegmata Patrum - nicht mehr im Selbstzeugnis zur Sprache kommt, sondern mit den Augen seiner Verehrer und Nachahmer beschrieben wird. Die Historia Lausiaca, die ihren Namen der einem kaiserlichen Hofbeamten zugeeigneten Widmung verdankt, ist etwa zwanzig Jahre nach der Historia monachorum von Palladius geschrieben worden 53 . Dieser war vor seiner Wahl zum Bischof von Hellenopolis im Jahre 400 viele Jahre Mönch in Ägypten, wo er u. a. zum Schüler des Evagrius Ponticus wurde. Auch unternahm er zahlreiche Reisen nach Jerusalem, Rom, Syrien und anderswohin. Was er dabei selbst gesehen oder von anderen gehört hat, überliefert er in seinem Bericht der Nachwelt: er schildert das vorbildliche Leben der Mönchsväter, hebt ihre Vollkommenheit und Askese hervor, beschränkt sich aber nicht allein auf Ägypten, sondern bezieht die anderen monastischen Regionen des 4. Jahrhunderts mit ein. Wie hoch die historische Verläßlichkeit der Historia Lausiaca einzuschätzen ist, wird kontrovers diskutiert 54 . Auffällig ist jedenfalls die Tendenz zum Sagenhaften und Legendären, die den Zugang zum Ursprung eher verstellt denn eröffnet 55 . Das literarische Vorbild des Palladius ist die Vita Antonii. Wie deren Verfasser vertritt auch er in der Historia Lausiaca „eine etwas fortgebildete Entwicklungsstufe des Mönchtums", die einen deutlichen Abstand zu den ursprünglichen Zeugnissen, wie sie die Apophthegmata Patrum enthalten, erkennen läßt 56 . Der griechische Originaltext der Historia Lausiaca 57 wurde „vermutlich im 6. Jahrhundert in Rom oder Süditalien" übersetzt und hat darum auf die Anfänge des latei-

50

M.Viller/K.Rahner, Aszese, S. 111. Ähnlich auch C.Butler, Lausiac History Bd.l, S.203. K.Heussi, Ursprung, S. 154. Vgl. auch O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 7 f . 52 Vgl. D.J.Chitty, Desert, S . 5 I f . sowie B.Ward, Signs and Wonders, S.539ff. 55 Zur Verfasserfrage vgl. C.Butler, Lausiac History, S.51 ff. 178ff. 54 Positiv C.Butler, Lausiac History, S. 190f., und O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.6. Kritisch P.Peeters, Vie copte, S. 359-381. 55 Man denke etwa an die berühmte, historisch aber unzutreffende Engelsregel des Pachomius, Hist. Laus. Kp.32 (dazu D.J.Chitty, Desert, S.21). C.Butler sieht jedoch in dem Hang zum Wunderhaften einen normalen Ausdruck damaligen Zeitempfindens (Lausiac History, S. 192 ff.). " H. Dörries, Vita Antonii, S.201. 57 Hg. von C.Butler, Lausiac History Bd.2. 51

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Die ägyptischen Mönchsväter

nischen Mönchtums keinen Einfluß ausgeübt 58 . In der vorliegenden Untersuchung wird diese Schrift infolgedessen nur in Ausnahmefällen herangezogen, um die Aussagen anderer Quellen zu stützen oder deren Wirkungsgeschichte aufzuzeigen. 2. Das Mönchtum a) Martin

in Gallien bis zu Johannes

Cassian

von Tours

Die Geschichte des Mönchtums in Gallien setzt nach einer nur wenig bekannten Phase vormönchischer Askese in der Mitte des 4. Jahrhunderts mit Martin von Tours (316-397), seinem „eigentlichen Propagator" 1 und „Bahnbrecher" 2 , ein. Durch die noch vor 400 verfaßte Lebensbeschreibung („Vita Martini") seines Schülers Sulpicius Severus (f 420)3 wissen wir, daß Martin nach seinem langjährigen Militärdienst zunächst als Wanderasket in Italien lebte (um 356/7), sich dann als Anachoret in der Nähe von Poitiers in Gallien niederließ (um 360/1) und schließlich - inzwischen war er zum Bischof gewählt worden - in Marmoutier bei Tours ein klosterähnliches Leben begründete (seit 371)4. Dieses weist noch viel Ähnlichkeit mit den ägyptischen Anachoretenkolonien auf: nur die Mahlzeiten und die Gebetsversammlungen werden gemeinsam abgehalten, während in der übrigen Zeit jeder der etwa achtzig Mönche in seiner Felsenzelle allein lebt. Die Handarbeit ist untersagt, so daß der Unterhalt der Kommunität aus Spenden gesichert werden muß. Auch eine für alle verbindliche gemeinsame Regel ist noch nicht vorhanden. Darum gehört „das martinische Mönchtum seinem Typus nach eher noch in die spontane monastische Frühphase" 5 , zu deren Merkmalen „nicht nur die lose, regelfreie Organisation zu rechnen (ist), sondern vor allem auch die zugrundeliegende asketische Konzeption, die das Mönchsdasein als Nachfolge Christi versteht, die sich in apostolischer Armut nach dem Vorbild der Urgemeinde... und in ständigem Kampf mit den Dämonen verwirklicht." 6

58 E.Schulz-Flügel, Entstehung, S.297. Zur Textgeschichte vgl. C.Butler, Lausiac History Bd. 1, S. 58 ff. 1 R.Lorenz, Anfänge, S. 13. 2 H.Lietzmann, Geschichte, S. 168. Vgl. auch C.Butler, Lausiac History, S.245 und Ph. Rousseau, Ascetics, S. 152. 3 Text und Kommentar durch J. Fontaine, Sulpice Sévère. Vie de Saint Martin. 4 Vgl. W.Schatz, Studien, S.51 ff. 261 ff. 290ff.; J.M.Besse, Vie des premiers moines, S.262-279 und L.Goosen, Martin von Tours, S. 87-99. 5 F. Prinz, Askese, S. 22. 6 K. Baus, Reichskirche, S. 396. Vgl. auch N. K. Chadwick, Poetry, S. 89.

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D i e Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

Diese „Mischung von Einsiedler- und Z ö n o b i t e n t u m " 7 hat z u r Folge, d a ß die Ausbreitung des martinischen M ö n c h t u m s im 5. J a h r h u n d e r t begrenzt ist: Martin ist in dieser Zeit nicht mehr als ein „aquitanischer Lokalheiliger", der n u r in Westgallien südlich der Loire b e k a n n t wird 8 . Erst in der Folgezeit nimmt der Einfluß des mit seinem N a m e n verbundenen M ö n c h t u m s deutlich zu, insbesondere in Spanien und im östlichen Teil des Reichs, so d a ß er geradezu zu einem „merowingischen Reichsheiligen" wird 9 . Neben seiner n u n m e h r überragenden W i r k u n g treten die anderen Vertreter des gallischen M ö n c h t u m s , über die wir n u r weniges e r f a h r e n (die T r i e r e r Eremiten) o d e r die sich als abhängig von Martin erweisen (Victricius von R o u e n , Paulin von Nola, Sulpicius Severus), zurück 1 0 . b) Die Klöster von Lerin Betrachten wir das Verbreitungsgebiet des martinischen M ö n c h t u m s , so fällt auf, d a ß Südgallien von ihm nicht e r f a ß t wird 1 1 . H i e r entwickelt sich vielmehr unbeeinflußt vom Mönchsbischof aus T o u r s ein eigenes monastisches Zentrum, das H o n o r a t u s (1*428) A n f a n g des 5. J a h r h u n d e r t s begründet 12 , nachdem er auf einer der damals üblichen Pilgerreisen das orientalische M ö n c h t u m kennengelernt hat 1 3 . Mittelpunkt dieses provencalischen M ö n c h t u m s wird die „glückliche und gesegnete Insel Lerin" 1 4 , die mit ihren Klöstern „nicht n u r die berühmteste Mönchsinsel im Mittelmeer, sondern auch das blühendste monastische Z e n t r u m des Abendlandes" darstellt 15 . Zwei charakteristische Merkmale, die den Unterschied zum martinischen M ö n c h t u m aufzeigen, sind besonders auffallend. Z u m einen weisen die Leriner M ö n c h e einen h o h e n Bildungsstand auf, der darin begründet ist, d a ß sich durch die Germaneneinfälle im N o r d e n g r o ß e Teile der d o r t ansässigen Oberschicht in den sicheren Süden zurückziehen, in den Klöstern Z u f l u c h t suchen und hier eine in dieser Art einmalige V e r b i n d u n g

7 B.Steidle, Regel, S.20. Zu den Charakteristika des martinischen M ö n c h t u m s vgl. W . S c h a t z , Studien, S . 3 2 7 f f . 8 F.Prinz, M ö n c h t u m , S.27. ' F.Prinz, M ö n c h t u m , S.45. 10 Vgl. dazu R . L o r e n z , Anfänge, S. 16ff.; E . G r i f f e , Martinus, S . 2 6 2 f . 11 Vgl. dazu F. Prinz, M ö n c h t u m , Karte I a/b. 12 D a z u Chr. Courtois, Entwicklung, S . 2 3 A n m . 3 7 . 13 Darüber gibt A u s k u n f t der von Hilarius verfaßte „Sermo de Vita S . H o n o r a t i " (PL 50, Sp. 1249ff.); vgl. dazu F.Prinz, M ö n c h t u m , S . 4 9 Anm. 12. 14 Cäsarius, ehemaliger M ö n c h zu Lerin, hat der Insel und ihrem Kloster als Bischof von Arles ein Loblied gesungen: „O felix et beata habitatio insulae huius, ubi tarn sanctis cotidie et tam spiritalibus lucris gloria domini salvatoris a u g e t u r . . . " (Sancti Caesarii Arelatensis Sermones Pars 2, S . 9 4 0 f . ; C C L 104). 15 B.Steidle, Regel, S . 2 5 . Vgl. auch N . K . C h a d w i c k , Poetry, S . 1 4 2 f f .

Das Mönchtum in Gallien bis zu Johannes Cassian

23

von Wissenschaft, Askese und Kultur schaffen 16 . Zum anderen wird das klösterliche Leben Lerins durch die Einführung einer (heute nicht mehr erhaltenen) Regel vereinheitlicht und nach verbindlichen Grundsätzen festgelegt 17 . Sind bis zu diesem Zeitpunkt im Abendland „die Klosterregeln nur exempla gewesen, deren erbaulicher Wert sicher nicht zu leugnen ist, die aber niemand auf irgendeine Gemeinschaft systematisch zu übertragen versucht haben würde", so ändert sich das jetzt: „mit dem heiligen Honoratus... bildete sich ein richtiges Ordensmönchtum heraus." 18 Beide Momente tragen dazu bei, daß das Leriner Mönchtum insbesondere im Rhoneraum eine große Ausstrahlungskraft entwickelt 19 . Einen eher problematischen Ruf erlangt Lerin dadurch, daß es im Unterschied zum nordafrikanischen Mönchsvater Augustin, der das Verhältnis von menschlichem Willen und göttlicher Gnade zugunsten des prädestinatianischen Wirkens Gottes klärt, beharrlich „an der überlieferten altmonastischen Gnadenlehre" festhält 20 . Vincenz ("f" vor 450), der Verfasser des Commonitorium, verweist auf die Autorität der kirchlichen Tradition 21 , während Faustus 500) den Synergismus theologisch entwickelt 22 . Beiden Mönchslehrern geht es letztlich nur darum, „die unbedingte Notwendigkeit des eigenen sittlichen Strebens, die Notwendigkeit der monastischen Aszese stark zu betonen, die persönliche Verantwortung für das ewige Heil hervorzuheben." 23 Durch die Entscheidung der Synode von Orange im Jahr 529 zugunsten Augustins geraten die Leriner jedoch in eine „geistige Isolierung" 24 , die sie gar in die Nähe des der Häresie beschuldigten Pelagianismus rückt 25 . Gleichwohl sind aus den Inselklöstern vor der südgallischen Küste im 5. und 6. Jahrhundert bedeutende Mönche hervorgegangen und auf Bischofsstühle geholt worden. Lerin ist in dieser Zeit die „große Pflanzstätte

16 F.Prinz bezeichnet „Lerinum als .Flüchtlingskloster' der nordgallischen Aristokratie", Mönchtum, S. 47. 17 Caesarius von Arles, der 490/5 Mönch in Lerin war, bezeugt sie ausdrücklich in seiner Nonnenregel Kp.66 (Florilegium Patristicum Bd. 34, S.22, Z.25f.). 18 Chr. Courtois, Entwicklung, S. 23 f.; ähnlich auch F. Prinz, Askese, S. 21 f. und B. Steidle, Lerin, S. 377. " Für E.Griffe sind darum die Jahre Ende des 4./Anfang des 5. Jahrhunderts „die entscheidenden Jahre für den Aufbau des Mönchtums in Gallien". (Martinus, S.267; vgl. dazu auch F.Prinz, Mönchtum, Karte III). 20 B. Steidle, Regel, S. 25. 21 Vincenz von Lerinum, Commonitorium pro catholicae fidei antiquitate, hg. A.Jülicher. 22 B. Steidle, Lerin, S.377f. 21 B. Steidle, Regel, S. 26. 24 F.Prinz, Mönchtum, S.55. 25 Vgl. N.K.Chadwick, Poetry, S. 170-211.

24

Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

für den Klerus Südostgalliens" 26 und trägt auf diese Weise zur Verbreitung des monastischen Gedankens im Abendland wesentlich bei. c) Johannes

Cassian

Neben dem klösterlichen Leben in der Einsamkeit, wie es auf der Insel Lerin praktiziert wird, gewinnt am Anfang des 5. Jahrhunderts auch das in der Stadt oder in seiner unmittelbaren Nähe angesiedelte Kloster in Südgallien an Bedeutung. Schon um 406/410 hören wir durch einen Brief des Hieronymus an den Mönch Rusticus davon, daß unter Bischof Proculus klösterliches Leben in Marseille seinen Anfang genommen hat 27 . Ein noch wichtigeres Zeugnis ist dafür das Wirken Johannes Cassians. Mit seinem Namen verbindet sich „die Verpflanzung des Mönchtums aus dem Osten in das Abendland"; Cassian nimmt aus diesem Grund, auch wenn er in Südgallien nicht der erste war, „unter den Vätern des abendländischen Mönchtums... eine hervorragende Stellung ein"28. Das hängt mit seinem besonderen Lebensgang zusammen 29 . Geboren im Jahre 360 in der Dobrudscha (im heutigen Rumänien) am Schwarzen Meer, aufgewachsen in einem christlichen Elternhaus, mit umfassender Geistesbildung 30 und (neben der lateinischen Muttersprache) griechischen Sprachkenntnissen versehen 31 , unternimmt er nach dem Brauch der Zeit als junger Mann eine Pilgerreise zu den heiligen Stätten Palästinas, wo er sich einem der Klöster in Bethlehem anschließt 32 . Schon nach kurzem Aufenthalt in diesem Könobium wird in ihm jedoch das Verlangen geweckt, die ägyptischen Anachoreten kennenzulernen. Zusammen mit seinem Freund Germanus macht er sich darum auf eine mehrjährige Wanderung durch Ober- und Unterägypten, die nur durch einen kurzen Zwischenaufenthalt in Bethlehem, der dem endgültigen Abschied vom Kloster und der 26 F. Prinz, Mönchtum, S.47. Neben Hilarius von Arles (f 449), Eucherius von Lyon ( t 450/5) und Faustus von Riez (+ 490/500) sind besonders zu nennen Caesarius von Arles ( f 5 4 2 ) und Ferreolus von Uzès ("f"581 ; Verf. der Regula Ferioli). Vgl. dazu K.Baus, Reichskirche, S. 398 f.; G. Holzherr, Regula Ferioli, S. 27 ff. 27 Hieronymus, ep. 125,20 (CSEL 56, S. 140f.). Vgl. dazu E.Griffe, Martinus, S.272f. 28 H.O.Weber, Stellung, SA. 29 Vgl. zur Biographie Cassians E.Schwartz, Lebensdaten, S. 1-11; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.8ff.; Ph.Rousseau, Ascetics, S.169ff.; O.Abel, Studien, S.3-17; J.C.Guy, Jean Cassien, S. 13 ff.; M.Olphe-Galliard, Cassien, Jean, in: DSp Bd. 2, Sp. 214 ff. Belegstellen zur Biographie bei Cassian: Inst. III,4,1 ; IV,31 f.; Coll.XI, 1 und 5; XIV, 12; XVI,5; XIX, 1,3; X X , 1,5. 30 So O.Abel, Studien, S. 18. 31 Beispiele für griechischen Wortgebrauch bei Cassian: Inst. 1,5; VI,4; VIII,4,3; X, 1; XI, 1 und 4; Coll.1,5,3; IV,6,3; V , l l , 7 ; VI, 10,1 und 9; VII,4,2; 5,2; IX, 12,1; XIII,5,3f.; XIV,2; 4,1; 8,1 und 3; 16,4; XVIII,5,4; 7,5; XIX,6,4; 9,1; XXI,34,4; XXIV, 15,3. 32 Beispiele für frühe Wallfahrten geben J. G. Plöger/J. Schreiner, Heilige. Vgl. dazu z. B. Hist. Laus. Kp.6; 46 und Hier, ep.3,3; 108,6.30.

Das Mönchtum in Gallien bis zu Johannes Cassian

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Hinwendung zur anachoretischen Lebensweise dient, unterbrochen wird 33 . Die Mönchsväter, bei denen er einkehrt, von denen er lernt und deren asketisches Leben er mehr als ein Jahrzehnt teilt, werden zu seinen Lehrern im monastischen Leben. Erst als er in den Strudel der Unruhen gerät, die sich gegen Ende des 4. Jahrhunderts unter den ägyptischen Mönchen um die origenistische Theologie entwickelt haben, wird seinem Lerneifer ein vorzeitiges Ende gesetzt 34 . Cassian verläßt Ägypten, wird im Jahr 403 in Konstantinopel von Johannes Chrysostomus zum Diakon geweiht 35 und gelangt von dort auf nicht mehr genau zu rekonstruierenden Wegen nach Südgallien, wo er in Marseille eine neue Heimat findet 36 . Das Mönchtum, welches ihm hier begegnet, ist seinen eigenen Angaben zufolge über ein Anfangsstadium noch nicht hinausgekommen. Auf der einen Seite verweist er lobend auf die „blühenden" Inselklöster von Lerin, die von großen Gemeinschaften bewohnt und durch strenge Lebensordnungen geleitet werden 37 . Sie sind ihm ein unbestrittenes Vorbild, weswegen er einen Teil seiner Schriften Honoratus, dem Abt von Lerin, widmet 38 . Auf der anderen Seite verschweigt er jedoch nicht die Existenz von Gemeinschaften, die wegen einer zu geringen Anzahl von Brüdern nur ungenügend gesichert sind, Handarbeit ablehnen und kein ortsbeständiges Leben führen 39 . Wahrscheinlich hat Cassian damit das martinische Mönchtum vor Augen, dessen „unorganisierten Charakter" er tadelt 40 . Mit seiner Kritik an der ihm willkürlich erscheinenden Lebensweise steht er nicht allein. Auch für Castor, den Bischof in der kleinen provencalischen Landstadt Apt, sind sie ein Anlaß zur Sorge 41 . Darum nimmt er sich als kirchliches Oberhaupt seiner Diözese des klösterlichen Lebens an, um es neu zu ordnen. Maßstab und Norm ist ihm dafür das ägyptische Mönchtum, weswegen er sich an Cassian mit der Bitte wendet, die Lehre

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Inst.II,3,1; V,36f.; ¥111,19,2; X,25; XI,16; Coli. 1,1; 111,1,1; IV, 1,1; VI,1,3; X,2,2; XI, Iff.; XVIII, 1. 34 In dieser Kontroverse ging es um die rechte Gottesvorstellung: die ägyptischen Mönche standen als Anthropomorphiten gegen Evagrius mit seinem origenistischen Gottesbegriff. Vgl. dazu G.Florovsky, Anthropomorphites, S. 154-159; H. Bacht, Euagrios Pontikos, S. 38 f. 48f.; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.27ff.; D.J.Chitty, Desert, S.58ff. 35 So vermutet I. Auf der Maur, Mönchtum, S. 123. 36 Vgl. H.I.Marrou, Jean Cassien, S. 5 ff.; M.Cappuyns, Cas'sien, in: D H G E Bd. 11, S. 1323-1325; E.Griffe, Martinus, S.265. 37 So in Coll.XVIII P r a e f . l f . (CSEL 13, S.503, 8f. 16). 38 Vgl. Coll.XI, Praef. 1 (a.a.O. S.311,8). Umgekehrt hat Eucherius, Bischof von Lyon und ehemaliger Mönch zu Lerin, einen (heute verlorenen) Auszug aus den Schriften Cassians angefertigt (nach Gennadius, De scriptoribus ecclestiasticis liber, PL 58, Sp. 1097 A). 39 Vgl. Inst.X,23 (CSEL 17, S. 192, 12ff.). In anderen Regionen existieren nach Cassians Angaben gar keine Klöster (Inst. Praef.3; a.a.O. S.4,8 f.). 40 So F.Prinz, Mönchtum, S.90. 41 Vgl. R. van Doren, Castor, in: D H G E , Bd. 11, Sp. 1455 f.

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

der Mönchsväter dem Abendland zu übermitteln 42 . Cassian entzieht sich diesem bischöflichen Anliegen nicht. Die kirchliche Einbindung des Mönchtums, die Basilius vorangetrieben hatte und die auf dem Konzil von Chalkedon (can. 4) im Jahre 451 endgültig fixiert werden sollte, wird von ihm schon selbstverständlich vorausgesetzt 4 3 . Der Aufforderung Castors kommt Cassian auf zweierlei Weise entgegen. Zum einen gründet er um das Jahr 415 in Marseille je ein Frauen- und ein Männerkloster 4 4 . Mit diesen Gründungen, die im damaligen Stadtzentrum angesiedelt wurden und bis heute baulich erhalten geblieben sind, hat Cassian „in die Geschichte des gallischen Mönchtums einen revolutionären Begriff von der Einsamkeit eingeführt": im Unterschied zu den benachbarten Klöstern von Lerin, deren Abgeschiedenheit sich am ägyptischen Vorbild orientierte, „begegnen wir hier zum ersten Mal städtischen Klostergemeinschaften" und damit dem Anliegen, daß es fortan „weniger um die Abgeschiedenheit des Leibes als um die der Seele" geht 45 . Zum anderen verfaßt Cassian f ü r das Leben seiner Mönche und N o n nen monastische Leitlinien. Mit ihnen stellt er sich selbstbewußt denen zur Seite, die vor ihm klösterliche Wegweisung erteilt haben. In der Praefatio zu seinem monastischen Schrifttum bezeichnet er Basilius und Hieronymus als berühmte Männer, die schon viele kleinere (!) Werke („multa opuscula") veröffentlicht hätten, verweist sie jedoch gleichzeitig in die Reihe derjenigen, die mehr vom Hörensagen als aus eigener Erfahrung geschrieben haben 46 . Sich selbst bezeichnet er demgegenüber als einen Schüler der ägyptischen Mönchsväter, der in ihrer Gemeinschaft gelebt habe, eine vollständige Erinnerung an das, was ihm mitgeteilt worden sei („traditionum memoria plena"), habe und dieses nun unberührt („sancte") und unversehrt („integre") seinen Lesern weitergeben wolle 47 . Die durch eigene Anschauung beglaubigte Uberlieferung hat f ü r Cassian also entscheidendes Gewicht. Es ist seine Uberzeugung, daß f ü r die Klöster des Abendlandes kaum etwas Vernünftigeres und Besseres („rationabilius uel perfectius") gefunden werden könne als jene Bestimmungen, nach denen - wie er formuliert - seit Anfang der apostolischen Predigt

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Vgl. Inst. Praef. 2 f. Diese Orientierung am ägyptischen Mönchtum entspricht dem Geist von Lerin, wo man Regeln unter ägyptischen Namen verfaßte. 43 Vgl. H.Bacht, Chalkedon, S. 193ff.; B.Steidle, Chalzedon, S . 4 7 I f f . 44 Ein Hinweis findet sich bei Gennadius, De scriptoribus ecclesiasticis liber Kp.61, PL 58, Sp. 1095. Vgl. dazu H. I. Marrou, Jean Cassien, S. 5 ff. 45 Chr. Courtois, Entwicklung, S. 22 f. 46 Inst. Praef. 5.7 (CSEL 17, S. 5,15 ff.; 6 , 6 f . Vielleicht läßt sich diese kritische Distanzierung Cassians von Basilius dadurch erklären, daß dieser in seinen Schriften (das Ascetion hat Cassian vermutlich in einer lateinischen Version gekannt) vom monastischen Ideal der ägyptischen Anachoreten spürbar abweicht (so vermutet O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.60). 47 Coli. Praef.6 (CSEL 13, S.4, 24-27). Vgl. dazu Ph.Rousseau, Ascetics, S.221.

D a s M ö n c h t u m in Gallien bis zu Johannes Cassian

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Klöster errichtet wurden 4 8 . Dieser Anspruch, der Vermittler des Ursprungs zu sein, prägt seine monastischen Werke und gibt ihnen auch für die Rekonstruktion des ägyptischen Mönchtums Gewicht 49 . In „De institutis coenobiorum", entstanden zwischen 419 und 426, beschäftigt Cassian sich zunächst mit den in den Klöstern Palästinas und Ägyptens üblichen Gebräuchen und Regeln des gemeinschaftlichen Lebens. Er erläutert die Kleidung des Mönchs, die Vorschriften f ü r das Stundengebet sowie die Aufnahmebedingungen f ü r die Novizen (Buch I-IV). Sodann wendet er sich der theologischen Begründung des monastischen Ideals zu: in Anlehnung an die Überlieferung der Achtlasterlehre spricht er von dem Kampf, den der Mönch, der zur Vollkommenheit gelangen will, gegen die Anfechtungen kämpfen muß, und er nennt die Mittel, mit denen dieser Kampf siegreich bestanden werden kann (Buch V-XII) 5 0 . Die „Collationes", sein zwischen 420 und 429 geschriebenes monastisches Hauptwerk, führen das zuletzt genannte T h e m a fort 5 1 . Dabei bedient sich Cassian, um die Ursprünglichkeit seiner Darstellung zu unterstreichen, der literarischen Form des Dialogs 52 . In drei Teilen, die seine Gespräche mit f ü n f z e h n ägyptischen Mönchsvätern wiedergeben, entfaltet er ausführlich deren geistige Welt. Er spricht von den Versuchungen des Lebens in der Einsamkeit und von den Tugenden, mit denen sie überwunden werden. Er entwickelt eine Lehre von der Macht der Dämonen und beschreibt den Aufstieg der Seele zu Gott. Das Ziel und die unterschiedlichen Arten des monastischen Lebens werden erläutert. Im Zentrum seiner Darstellung steht eine ausführliche Einführung in das Gebetsverständnis der Anachoreten mit einer Auslegung des Vaterunsers. Schließlich nimmt Cassian zu der Kontroverse um Augustins Gnadenlehre Stellung, indem er die Unmöglichkeit, von der Sünde frei zu sein, unterstreicht, gleichwohl aber die Freiheit des menschlichen Willens und sein Zusammenwirken mit Gottes Gnade hervorhebt 5 3 . Die Frage, ob Cassian über diese Darstellung 48

Inst. Praef.8 (CSEL 17, S.6, 2 8 - 7 , 1 f.). ' Gleichwohl gilt: „En fait, Cassien n'a rien d'un historien: il est un théoricien de la vie spirituelle, et un théoricien d'une originalité et d'une profondeur remarquable." (J.C.Guy, M o n a c h i s m e égyptien, S. 372). 50 Kritische Textausgaben liegen vor v o n M . P e t s c h e n i g (in: C S E L 13) und von J . C . G u y (in: SChr Bd. 109). Vgl. d a z u J. C. Guy, Jean Cassien, S. 28 f.; L. Cristiani, Jean Cassien, Bd. 1, S.241 ff.; N . K . C h a d w i c k , Poetry, S . 2 1 6 f f . sowie O . C h a d w i c k , John Cassian 2. Aufl., S . 3 7 f f . 51 Kritische Textausgaben liegen vor von M . P e t s c h e n i g (in: C S E L 17) und von E . P i c h e r y (in: SChr Bd. 42. 54. 64). Vgl. dazu J. C. Guy, Jean Cassien S. 29 ff.; L. Cristiani, Jean Cassien, Bd. 1, S.91 ff. 1 0 3 f f . 1 2 3 f f . 151 ff. 1 6 7 f f . 2 5 0 f f . ; O . C h a d w i c k , Cassian, 2. Aufl., S . 4 9 f . 52 N . K. Chadwick spricht von „interviews" und urteilt: „These dialogues doubtless reflect in s o m e measure the kind of conversations which actually t o o k place during the writer's ten year's sojourn in Egypt in early life." (Poetry, S . 2 2 4 f . ) . Vgl. auch A. H e r m a n n / G . Bardy, D i a log, in: R A C Bd. 3, Sp. 9 2 8 - 9 5 5 . bes. 945 ff. 4

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Cassians Haltung in der „Gnadenfrage" führt dazu, daß er später als Semipelagianer be-

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

des orientalischen Mönchtums hinaus für seine Mönche eine Regel verfaßt hat, kann nach unserem bisherigen Kenntnisstand nicht bejaht werden. Zwar ist es für Courtois, der auf das Vorbild Lerins verweist, „fast undenkbar, daß es diese Klosterregel nicht gegeben haben sollte, denn wenn sich auch eine unorganische Mönchsgemeinschaft in der Einsamkeit gerade wegen ihrer Isolierung verwirklichen konnte, so war es doch mitten in einer Stadt praktisch unmöglich, einen Zusammenhalt anders zu gewährleisten als durch ein Statut, so wenig ausgebildet es auch sein mochte." 54 Auffällig ist demgegenüber, daß wir keine Regel, die sich auf Cassian zurückführen ließe, und ebensowenig einen Hinweis auf eine solche besitzen. Auch der Charakter der cassianschen Werke widerstrebt einer regelgebundenen Fixierung. Denn wichtiger als die verbindliche Festschreibung des klösterlichen Lebens ist Cassian ohne Zweifel dessen geistliche Grundlegung. Nicht der Konkretion des könobitischen Instituts, sondern der Haltung des Menschen gilt sein Interesse. Deshalb verweist er immer wieder auf die Lehre der Mönchsväter und ist darum bemüht, ihre Spiritualität dem Leser nahezubringen. Selbst dort, wo er die praktischen Lebensformen der Orientalen behandelt, verzichtet er darauf, sie vorbehaltlos für verbindlich zu erklären, räumt die Möglichkeit einer Mäßigung ein und beschränkt sich auf eine eher erzählende Beschreibung des großen Vorbildes. Cassians Anspruch, ein glaubwürdiger Tradent insbesondere der ägyptischen Uberlieferung zu sein, ist berechtigt. In seinen monastischen Werken bedient er sich, ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, mehrerer Quellen des alten Mönchtums 55 . Unter ihnen stehen die Apophthegmata Patrum an erster Stelle. Immer wieder streut Cassian in seine Darlegungen kleine Erzählungen ein, die „ägyptisches Milieu" widerspiegeln und „eine unserer Apophthegmataliteratur eng verwandte Ueberlieferung" darstellen 56 . Zwar sind Apophthegmensammlungen erst im 6. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt worden 57 , doch ist die Vermutung begründet, daß Cassian bei der Abfassung seiner Werke „eine umfangreichere (griechische) Apophthegmatasammlung vor Augen gehabt hat" 58 und diese dank seiner Sprachkenntnisse auch berücksichtigen konnte. Nur so erklärt sich Cassians „überraschend lebendiges

zeichnet wird (dazu J.C.Guy, Jean Cassien, S.57ff.; L.Cristiani, Jean Cassien Bd.2, S.237ff. 251 ff.). 54 Chr. Courtois, Entwicklung, S.24f. 55 Vgl. M.Olphe-Galliard, Cassien, in: DSp Bd.2, Sp.223ff.; H.O.Weber, Stellung, S. 11 ff. 56 W. Bousset, Apophthegmata, S.72. 57 E.Schulz-Flügel, Entstehung, S.290f. 296f. 58 W. Bousset, Apophthegmata, S. 74.

Das Mönchtum in Gallien bis zu Johannes Cassian

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Verhältnis zum Logion der Wüste" 59 , das er bisweilen sogar in einer ursprünglicheren Fassung bezeugt, als es uns im Gerontikon überliefert ist60. Die detaillierte Beschreibung des ägyptischen Mönchtums ist auf jeden Fall nicht zufällig, sondern basiert neben der eigenen Erinnerung auf bereits im Umlauf befindlichen schriftlichen Sammlungen von Vätersprüchen 61 . Was die anderen Quellen des ägyptischen Mönchtums betrifft, ist ihr Einfluß auf Cassians Werke weniger eindeutig zu bestimmen. Die Vita Antonii hat der südgallische Mönchslehrer sicher gekannt, - davon ist angesichts der frühen Verbreitung und großen Popularität der athanasianischen Schrift im Abendland auszugehen 62 . Um so auffälliger ist es, daß Cassian sie nur selten thematisch aufgreift und an keiner Stelle direkt zitiert. Beispielsweise wird die Dämonenlehre, welche die deutlichste Ähnlichkeit zur Vita Antonii aufweist, ohne erkennbare literarische Anleihe von ihm entfaltet. Ähnlich ist der Sachverhalt hinsichtlich der pachomianischen Regeln. Auf der einen Seite ist „das hohe Lob, das er ( = Cassian) im 4. Buch seines Werkes De institutis coenobiorum gerade den Pachomianern zollt, ... bei der überaus großen Verbreitung dieses Werkes sicher einer der mächtigsten Faktoren dafür, daß man sich auch im Westen so nachhaltig um Institut und Regeln des Pachomius bemühte." 63 Auf der anderen Seite haben wir keinen Hinweis, daß Cassian die tabennisischen Klöster jemals betreten hätte, und finden auch keine literarische Abhängigkeit von ihren Regeln in seinen monastischen Schriften 64 . Vereinzelten Übereinstimmungen in der Gebets- und Novizenordnung (Inst. II/IV) stehen um so deutlichere Unterschiede gegenüber, die es unwahrscheinlich erscheinen lassen, daß Cassian die von Hieronymus dem Abendland überlieferte lateinische Fassung der Regeln beim Schreiben seiner Werke benutzt hat. Schon diese relativ freie Rezeption der Quellen des monastischen Ägypten macht deutlich, daß Cassian mehr als eine schlichte Übertragung des dortigen Lebensideals vor Augen hat. Aus diesem Grund will er die Mönchsväter nicht als individuelle Persönlichkeiten beschreiben, sondern sie, wie er treffend formuliert, „in ihren Anweisungen verkörpert und la-

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H.O.Weber, Stellung, S. 121. So O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.20-22. Ph.Rousseau betont demgegenüber: „Cassian was careful to present his work as no more than a secondary support for the authority of the monastic leaders to whom his books were dedicated... He was also careful not to assert opinions as his own, but to claim dependence on oral tradition." (Ascetics, S.221). 61 So C.Butler, Lausiac History Bd. 1, S.205. 61 "It would be surprising if he did not." (O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.98). 63 H. Bacht, Vom gemeinsamen Leben, S. 94. " Vgl. O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.56. 60

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

teinisch disputierend" vorstellen 65 . In seiner Absicht wird der Wille erkennbar, die verzweigte Überlieferung der Väter systematisch zu bündeln, mit dem Gewand abendländischer Bildung zu umkleiden und dadurch „in neuer Umwelt zum Reden zu bringen" 66 . Dies geschieht auf der einen Seite, indem Cassian, wie Weber in seiner gründlichen Quellenuntersuchung feststellt, „aus dem so übermittelten Stoff Regeln für das eigene Verhalten bzw. für die Lebenseinrichtung einer neuen Generation von Mönchen zu gewinnen" sucht 67 . Zwar können wir bei seinen Schriften „noch nicht von einem Gesetzbuch einer nach fester Ordnung eingerichteten klösterlichen Institution" sprechen: „noch ist alles, was gefordert wird, erklärt, dem Verständnis nahegebracht und vom Inhalt her autorisiert"; jedoch befinden wir uns bei Cassian gleichwohl schon „mitten in dem Prozeß der Regelbildung", indem „überall der Appell an die sittliche Energie und das moralische Streben des Lesers erfolgt." 68 Auf der anderen Seite aktualisiert Cassian die Wegweisung der Mönchsväter, indem er auf die durch Evagrius Ponticus (346-399) vermittelte Spiritualität des Orígenes zurückgreift 69 . Schon im Gerontikon begegnen einige Logien dieses aus Kleinasien stammenden und seit 383 in der nitrischen Wüste lebenden Mönchslehrers 70 . Die durch Rufin und Gennadius angefertigten lateinischen Ubersetzungen seiner Werke sind nur noch teilweise erhalten, doch finden sich Auszüge aus seinen Schriften in asketischen Florilegien, die die Hochschätzung des Evagrius erkennen lassen71. Vermutlich wegen seines Origenismus, der Anfang des 5. Jahrhunderts unter Häresieverdacht geraten war, meidet Cassian die Nennung seines Namens, obwohl Evagrius zweifellos sein wichtigster Lehrer im monastischen Denken und Leben geworden ist72. In den Schriften Cassians zeigt sich an vielen Stellen der evagrianische Einfluß: das betrifft die Ausgestaltung der Engels- und Dämonenlehre, die Übernahme der sog. Acht-

" Coll. Praef.6 (CSEL 13, S.4, 28 f.). 66 H.O.Weber, Stellung, S. 121. 67 H.O.Weber, a.a.O. 68 H.O.Weber, a.a.O. Demgegenüber nimmt Chr. Courtois für die Klöster Cassians das Vorhandensein einer Regel an (Entwicklung, S.24f.). 69 Vgl. schon R. Reitzenstein, Historia monachorum, S. 125 Anm. 1. Zu Evagrius vgl. H . U . v o n Balthasar, Metaphysik, S.31-47; K.Rahner, Lehre, S.21-38; A.Guillaumont, Evagrius Ponticus, in: TRE Bd. 10, S. 565-570; A. Grillmeier, Evagrius Ponticus, S. 561-568; A. Dempf, Evagrios Pontikos, S.297-319. 70 PG 65, Sp. 173-176. Zu den Evagrius-Logien gehören auch die unter dem Namen von Abbas Nilus überlieferten Apophthegmata (a.a.O. Sp.305). Dazu I.Hausherr, Traité de l'oraison, S. 34-93. bes. S. 39. 71 H.Bacht, Typologie, S. 145. 72 So G.Florovsky, Anthropomorphites, S. 154 sowie O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 26. 30.

Das Mönchtum in Gallien bis zu Johannes Cassian

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lasterlehre sowie die Unterscheidung eines tätigen (aktiven) und geistlichen (kontemplativen) Lebens73. Das Ziel ist der stufenweise Aufstieg des Geistes und der Seele zur vollkommenen Gottesschau, die als Voraussetzung das Streben nach Reinheit und Tugenden hat 74 . Das monastische Denken der ägyptischen Mönchsväter bekommt damit nicht nur äußerlich ein neues Gewand, sondern wird mit der ihm ursprünglich eher fremden Spiritualität des Orígenes durchdrungen. Aus diesem Grund grenzt Cassian sich von anderen Darstellungen ab, die, wie er sagt, mehr von mirakulösen Wundern der Väter berichten 75 . Das Unglaubliche („incredibilia"), das er in Ägypten tatsächlich habe sehen und erleben können, rufe beim abendländischen Leser allenfalls ein unfruchtbares Staunen und Bewundern hervor. Wichtiger ist ihm, von der „Besserung der Sitten" und der Vollendung des Mönchslebens zu erzählen und durch konkrete, einer Regel vergleichbare Weisungen zu demselben zu ermuntern 76 . Was aber von der Lebenspraxis der Ägypter zu beschwerlich sei, müsse ermäßigt („temperare") werden 77 , weil die „Vollkommenheit" bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen auch auf einem (scheinbar) leichteren Weg erreicht werden könne 78 . Keine abstrakte Norm, sondern das Maß des Möglichen wird von Cassian damit zur Aufgabe des Mönchs erklärt. Dadurch erweist er sich als ein besonnener, dem Rigorismus ablehnend gegenüberstehender Lehrer des monastischen Lebens, der nicht nur von seiner Biographie, sondern auch von seiner geistigen Haltung her eine Mittlerstellung zwischen Ost und West einnimmt und infolgedessen für das abendländische Mönchtum von großer Bedeutung wird 79 .

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H . U . v o n Balthasar, Aktion und Kontemplation, S. 352-360. Vgl. dazu A. und C. Guillaumont, Évagre le Pontique, in: DSp IV, 2, Sp. 1737 ff.; M. Viller/K. Rahner, Aszese, S.97ff.; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 8 8 f f . 75 Möglicherweise denkt Cassian dabei an die Historia monachorum und die Historia Lausiaca (so N.K.Chadwick, Poetry, S.218). 76 Inst. Praef. 7 f. (CSEL 17, S.6, 10 ff.). 77 Inst. Praef.9 (a.a.O. S.7,2ff.); ähnlich auch Inst. 111,1; IV, 10f. Vgl. dazu F.Prinz, Mönchtum, S.95f. 7e Inst. Praef.9 (a.a.O. S.7,7ff.). Ähnliche Tendenzen zeigen sich bei Sulpicius Severus, dem Biographen Martins von Tours (R. Lorenz, Jahrhundert, S.53). 7 ' So F.Prinz, Askese, S.22; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 148ff.; M.Olphe-Galliard, Cassien in: DSp Bd.2, S.267ff.; O.Abel, Studien, S.36ff.; P.Adnès, Humilité, in: DSp Bd.7, Sp. 1162. 74

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Die Quellen und ihr geschichtlicher Hintergrund

3. Das Mönchtum in Italien bis zu Benedikt von Nursia a) Das monastische Leben im 4. und 5. Jahrhundert Neben dem südgallischen Raum ist Italien die zweite bedeutende Region des abendländischen Mönchtums. Die Anfänge der mit einer Absonderung von der Gemeinde verbundenen Askese reichen hier bis in das 3. Jahrhundert zurück, doch beginnt die Blüte des monastischen Lebens erst wesentlich später. Wichtige Anstöße vermitteln Athanasius, der von 339 bis 341 während seiner zweiten Verbannung u.a. in Rom ein vorübergehendes Exil findet, sowie Hieronymus, der zwischen 382 und 385 am selben Ort asketische Kreise um sich versammelt 1 . Auch hören wir, daß Martin von Tours sich um 360 als wandernder Anachoret in Italien aufgehalten hat 2 . In diesen Jahrzehnten läßt sich „die Umschmelzung überlieferter altkirchlich-abendländischer Formen der Askese zur Lebensform des Mönchtums" beobachten 3 . Gefördert durch die Aristokratie und die Initiative großer Bischöfe werden neben Rom auch die Provinzstädte Vercelli, Mailand, Verona, Aquileja, Neapel und die Inseln entlang der italienischen Küste Zentren des monastischen Lebens. Während das Eremitentum seinen Einfluß behält, entstehen in den beiden letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts erstmals auch Klöster, doch scheinen diese noch einen mehr spontanen Charakter getragen zu haben, der ihnen nur geringe Beständigkeit verlieh4. Erst im Ausgang des 5. Jahrhunderts ändert sich dies. Wie das Schrifttum Gregors des Großen erkennen läßt, nimmt die Zahl der Konvente und Klöster erheblich zu, wobei „das Ereignis der Völkerwanderung mit seinen Auswirkungen die bisherige Hochschätzung des Mönchsideals weit mehr gefördert als gehemmt hat." 5 Italien entwickelt sich im Gefolge der allerorten zu beobachtenden „starken Expansion des Mönchtums" 6 allmählich zu einer „überaus regen und lebendigen Mönchslandschaft" 7 . Ihre Vielgestaltigkeit spiegelt sich darin wider, daß nunmehr zahlreiche, in ihrer Gültigkeit jedoch auf ein oder mehrere Klöster beschränkte Regeln entstehen, in denen das Lebensideal des Ostens den veränderten Umständen des Abendlandes angepaßt wird. Weil sie zumeist nicht mehr als die (kommentierte) Wiedergabe bekannter monastischer Texte (Cassian, Basi1

Dazu vgl. R.Lorenz, Anfänge, S.3ff.; H.Lietzmann, Geschichte, S. 167ff. Sulpicius Severus, Vita Martini 6,4; 7,1 (CSEL 1, S. 116,23f.; 117,10f.). 3 R.Lorenz, Anfänge, S.6. Vgl. auch G.Jenal, Asketen- und Mönchtum, S. 137ff. 4 So F.Prinz, Askese, S. 15. Zu den Klostergründungen in Rom seit dem 5. Jahrhundert vgl. G.Ferrari, Roman Monasteries, S.3-352. 411 ff. (chronologische Tabelle). 5 K.Baus, Mönchtum, S.266. 6 R. Lorenz, Jahrhundert, S. 104. 7 K.S.Frank, Benedikt von Nursia, S.41; vgl. auch G.Holzherr, Benediktsregel, S. 19ff. 2

Das Mönchtum in Italien bis Benedikt von Nursia

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lius, Vitae Patrum u. a.) umfassen, werden sie als „Mischregeln" bezeichnet, die oft nur schwer zu lokalisieren und zu datieren sind 8 . Die meisten von ihnen sind Episode geblieben, auch wenn sie insgesamt einen hohen Verbreitungsgrad erreichten. In dieser Zeit entstand auch die Regel, die früh mit dem Namen Benedikts von Nursia verbunden worden ist. Fiel auch sie zunächst dem Vergessen anheim, so wurde sie im 9. Jahrhundert wiederentdeckt und erlangte nun eine Ausstrahlungskraft, die sie „zu wahrhaft abendländischer Bedeutung" aufsteigen ließ 9 . Was wissen wir über ihren vermutlichen Autor? b) Benedikt von

Nursia

Das Leben Benedikts liegt f ü r uns weitgehend „im Dunkel der Geschichte" 10 . Da Selbstzeugnisse fehlen und auch die schon erwähnte Regel keine Auskunft gibt, sind wir auf einen späteren Zeugen angewiesen, der Benedikt erst berühmt und das Bild von dessen Leben wesentlich geprägt hat: Papst Gregor den Großen 1 1 . Dieser widmet in seinen 593/4, also einige Jahre nach Benedikts T o d verfaßten „Dialogen über das Leben und die Wunder der italischen Väter" 12 , mit denen er die Gleichwertigkeit der westlichen Asketen neben denen des Ostens erweisen will, das zweite Buch ausschließlich dem großen Mönchsvater 13 . Nur in den ersten Kapiteln erfahren wir etwas über seinen Lebensgang. Danach ist Benedikt in der antiken Provinz Nursia als Sohn vornehmer Eltern geboren, hat mit jungen Jahren in Rom ein Studium der freien Wissenschaften begonnen, dieses aber schon bald aus Abscheu vor der Freizügigkeit des studentischen Lebens abgebrochen und im Verlangen, allein Gott zu gefallen („soli deo piacere"), das Ordenskleid („conuersationis habitum") begehrt. Damit beginnt sein monastischer Lebensweg, der ihn zunächst in die Sabiner Berge zur Petruskirche von Enfide, bald darauf aber 8

Eine Zusammenstellung der in Gallien und Italien im 6. Jahrhundert verwendeten Regeln gibt A . M . M u n d o , Reglas, S.229-231; eine typische Mischregel ist die Regula Ferioli, die im Umkreis von Arles in der 2. Hälfte des 6. Jahrhunderts entstanden ist (vgl. G. Holzherr, Regula Ferioli). ' K.S.Frank, Grundzüge, S.49. Vgl. auch A.de Vogiié, Sub regula vel abbate, S.209ff. 10 Β. Steidle, Benediktusregel, S. 8. 11 Zu Leben und Werk Gregors vgl. G.Jenal, Gregor I., S. 317 ff. sowie J. Richards, Gregor der Große, S. 257 ff. 12 Textausgabe mit franz. Ubersetzung von A. de Voglie (in: SChr 152. 260. 265). Nach den neuesten Untersuchungen von F. Clark ist jedoch die gregorianische Verfasserschaft der Dialoge in Frage gestellt. Diese sind demnach ein pseudepigraphisches Werk vom Ende des 7. Jahrhunderts (Dialogues, bes. Bd. 1, S. 186 ff.; Bd. 2, S. 466ff.). 13 E.Schulz-Flügel betont: „Ganz besonders hinter den Dialogen Gregors steht der Wunsch, den Viten der ägyptischen Mönche nun diejenigen Italiens entgegenzustellen." (Entstehung, S.294).

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Die Quellen und ihr geschichtlicher H i n t e r g r u n d

in die völlige Einsamkeit des Tals von Subiaco (80 km östlich von Rom) führt. Dort lebt er mehrere Jahre als Eremit, wird durch seine vorbildliche Askese aber so berühmt, daß eine Mönchsgemeinschaft ihn als Abt begehrt. Seine strengen Lebensforderungen stoßen jedoch nach kurzer Zeit auf heftigen Widerspruch, der in einem Mordversuch gipfelt und Benedikts Fortgang zur Folge hat. Jetzt zieht sich der Mönchsvater auf den 140 km südlich von Rom gelegenen Monte Cassino zurück, gründet auf den Mauern eines heidnischen Heiligtums ein Kloster und sammelt erneut Mönche um sich, ohne daß wir allerdings Näheres über das sich dort entwickelnde könobitische Leben erfahren. Gregor beläßt es bei diesen spärlichen Angaben, die den heutigen Leser selbst bei den wichtigsten Lebensdaten (Geburt um 480/90; Tod um 550/ 60) nicht über „Mutmaßungen" 14 hinauskommen lassen. Offensichtlich hat er „mit der genauen Nachzeichnung des Lebensganges wenig im Sinn"15. Ausführlich wird er nur dann, wenn er von Benedikts zahlreichen Wundertaten, mit denen dieser seine Umgebung immer wieder in Erstaunen versetzt, berichten kann 16 . Alles ist in seiner Darstellung dem Nachweis gewidmet, daß der von ihm verehrte Mönchsvater von übernatürlicher Gotteskraft erfüllt ist und „den Weg des Menschen zur Vollendung" geht 17 . Gleichzeitig will Gregor durch dieses Vorbild „im Leser die Sehnsucht nach der himmlischen Welt" erwecken und ihn ermuntern, einen ähnlichen Weg zu gehen 18 . Damit wird jedoch deutlich, daß die Vita Benedicti nicht diesem selbst, sondern einem höheren Zweck dient, der jenseits der Historie liegt. Letztlich bietet Gregor nichts anderes als „seine eigene Vollkommenheitslehre in biographischer Form" 19 . So sehr sich das Leben Benedikts im Legendären verliert, betreten wir doch in seiner Mönchsregel festen Boden. Schon Gregor macht auf sie nachdrücklich aufmerksam und rühmt ihr Maß und ihre Wortgewandtheit 20 . Sein päpstliches Lob hat, auch wenn es, wie inzwischen nachgewiesen werden konnte, nicht auf einer Kenntnis des Regeltextes beruht 21 , viel zu ihrer späteren Ausbreitung beigetragen. Dabei sind die näheren Umstände der Abfassung der Regel keineswegs 14

B. Steidle, Benediktusregel, S.8. K.S.Frank, Benedikt von Nursia, S.38. 16 K . S . F r a n k bezeichnet „die Wundertaten als eigentliches Strukturprinzip der Vita" (Benedikt von Nursia, S.39). 17 K.S.Frank, a . a . O . S.40. 18 K.S.Frank, a . a . O . S.37. 19 K.S.Frank, a . a . O . S.40. Die Ähnlichkeit zu der athanasianischen Vita Antonii liegt auf der H a n d ; vgl. dazu W.Schatz, Studien, S . 9 0 f f . 20 „Scripsit monachorum regulam discretione praecipuam, sermone luculentam" (Gregor, Dialoge 11,36; SChr Bd. 260, S. 242,6 f.). 21 So K. Hallinger, der an Beispielen zeigt, daß Gregor sich „in zahlreichen Fällen gegen die Benediktusregula entschieden" hat (Gregor d.Gr., S.318). 15

Das Mönchtum in Italien bis Benedikt von Nursia

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eindeutig geklärt: „Erst zwei Jahrzehnte nach Gregor und lange Zeit nach Benedikts T o d taucht die Benediktusregel als Lebensordnung f ü r ein Kloster auf." 22 Zu dieser Zeit wird sie allem Anschein nach in südgallischen Klöstern als eine angeblich aus Rom stammende Regel in Verbindung mit anderen Regeln (Columban, Caesarius u. a.) befolgt 23 . Ihr Geltungsbereich erweitert sich in den beiden folgenden Jahrhunderten auf England und das westliche Frankenreich und wird in der karolingischen Klosterreform durch Benedikt von Aniane auf das gesamte Reich ausgedehnt 2 4 . Für Rom läßt sich allerdings eine alleinige Geltung der Regula Benedicti erst im 10. Jahrhundert bezeugen. Die Regula Benedicti tritt, wie die anderen im 5. und 6. Jahrhundert entstandenen Klosterregeln des Abendlandes, nicht mit dem Anspruch von Originalität auf. Vielmehr lassen die zahlreichen, wenn auch nicht immer ausdrücklich benannten Quellen erkennen, daß es ihr darauf ankommt, das Erbe der vorausgegangenen monastischen Entwicklung aufzugreifen und f ü r die eigene Gegenwart fruchtbar werden zu lassen 25 . Das gilt zunächst hinsichtlich des ägyptischen Mönchtums. Die Uberlieferung der Väterworte wird an zwei Stellen mit der Einleitungsformel „legamus" direkt angesprochen und mit ihr das rigorose Vorbild in Erinnerung gerufen 2 6 . Die „Vitae patrum", womit die Lebensbeschreibungen des Athanasius und des Hieronymus wie die „Historia monachorum" gemeint sind, bezeichnet Benedikt sogar als Wegweiser zur Vollkommenheit und empfiehlt, sie täglich nach der Komplet der Mönchsgemeinschaft vorzulesen 27 . Auch der Einfluß der pachomianischen Regeln ist spürbar: ihre Bestimmungen, die in der Zwischenzeit „Gemeingut des cönobitischen Mönchtums" geworden sind, spiegeln sich ebenso wie deren Kommentierung durch Horsiesius in der Regula Benedicti wider 28 . Neben der Abhängigkeit vom ägyptischen Mönchtum zeigt die Regel deutliche Berührungspunkte mit dem südgallischen Raum. Eine spürbare Verehrung für die Werke Cassians ist nicht zu übersehen. Zwar wird der Mönchsvater von Marseille namentlich nicht erwähnt, doch führt Bene22

K.S.Frank, Benedikt von Nursia, S.45. K.S.Frank ordnet ihr erstes Auftreten also der Mischregelepoche zu (Grundzüge, S. 52 ff.). Vgl. auch O. Hagemeyer, Entstehung, S. 277 ff. 24 Dazu E.von Severus, Benedikt, S.83-90; F.Prinz, Mönchtum, S.263ff. 25 Vgl. dazu Ph.Schmitz, Benoît, in: DSp Bd.l, Sp. 1384ff.; A.de Vogüé, Règle de Saint Benoît B d . l , S.29ff. 75ff. 143ff.; C.Butler, Mönchtum, S. 158ff.; F.Renner, Benediktusregel, in: T R E Bd. 5, S. 575 f. Die methodologischen Probleme der Quellenbestimmung in der Regula Benedicti erörtert J.T. Lienhard, Study, S. 20 ff. 26 RB 18,25; 40,6. 27 RB 42,3; 73,5. Dazu M.van Parys, Benedikt, S. 332-345; P.Deseille, Sources, S. 76 ff. und L.Leloir, Pères, S. 197 ff. 28 Vgl. H.Bacht, Vom gemeinsamen Leben, S.95; M.van Parys, L'accès à l'Orient, S.48-58 und P.Deseille, Sources, S.86ff. 23

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D i e Q u e l l e n und ihr geschichtlicher H i n t e r g r u n d

dikt seine „Collationes" und „Instituía" gleichwertig neben den Mönchsviten als Gemeinschaftslektüre an 29 und nimmt auch inhaltlich mehrfach auf sie Bezug 3 0 . Noch greifbarer wird Benedikts Bezug zum Mönchtum Südgalliens in der Benutzung der Regula Magistri 31 . Diese Anfang des 6. Jahrhunderts vermutlich im Umfeld Lerins entstandene Regel ist, wie die Untersuchungen der letzten Jahrzehnte übereinstimmend ergeben haben, in einer noch nicht endgültigen Fassung von Benedikt aufgegriffen und der eigenen Regel zu wesentlichen Teilen zugrundegelegt worden 32 . Das reicht von literarischer Beeinflussung bis hin zu direkter wörtlicher Übernahme des Magistertextes. Nur etwa ein Viertel der Regula Benedicti ist völlig unabhängig von der etwa dreimal so langen Regula Magistri geschrieben worden. Steidle bezeichnet letztere als „die umfangreichste, inhaltsreichste, originellste und persönlichste Mönchsregel" 3 3 . Ihr Kennzeichen ist nicht nur das Bemühen, das klösterliche Leben in allen Einzelheiten zu regeln sicher eine wesentliche Ursache dafür, daß sich die Magisterregel neben der auslegungsfähigeren Regula Benedicti auf die Dauer nicht behaupten konnte; in ihr zeigt sich auch „die eigentümliche konkrete monastisch-aszetische Haltung des Inselklosters" von Lerin mit ihrer ethischen Akzentuierung, die Benedikt weitgehend übernommen hat 34 . Benedikt ergänzt dieses monastische Profil in seiner Regel durch den augustinischen Gedanken der von der Liebe geleiteten Gemeinschaft, was sich nicht nur in einer Modifizierung des Abtsverständnisses 35 , sondern auch darin zeigt, daß das Miteinander der Brüder eigens in den Blick genommen wird 36 . Der Einfluß der Regeln, die Basilius d. Gr. für das kappadozische Mönchtum geschrieben hat, ist dagegen keineswegs so eindeutig zu bestimmen; er bewegt sich mehr im Bereich allgemeiner Gedankenanalogien, die nach einer Feststellung von Placide Deseille weder charakteristisch sind noch die Benediktsregel wesentlich geprägt haben 37 . In der Vielzahl dieser Bezugnahmen, die die Regula Benedicti als „ein Sammelbecken mönchischer Traditionen" östlicher wie westlicher ProveR B 42,3. 5; 73,5. V o r allen Dingen bei der Beschreibung der M ö n c h s a r t e n ( R B 1,1 f f . ) und der Entwicklung der Demutslehre ( R B 7,1 Off.). A u f weitere Parallelen verweisen P . A l b e r s , C a s s i a n s Einfluß, S. 1 2 f f . 3 2 f f . 1 4 6 f f . sowie B . C a p e l l e , Oeuvres, S . 3 0 7 - 3 1 9 . 31 Z u r Forschungsgeschichte vgl. B . J a s p e r t , Kontroverse; ders., Bibliographie, S. 129 ff.; A . G é n e s t o u t , Magisterregel, S . 3 2 7 - 3 4 8 sowie O . H a g e m e y e r , Entstehung, S. 271 ff. 32 Vgl. d a z u E . M a n n i n g , R a p p o r t s , S . 9 9 - 1 1 0 ; A . d e V o g ü é , Règle de Saint Benoît, Bd. 1, S. 173-207. 33 B. Steidle, Benediktusregel, S. 27. 34 B. Steidle, Lerin, S. 379. 35 Benedikt f ü g t zu R B 2 ( = R M 2) noch R B 64 hinzu. 3 6 R B 71 f. 37 P. Deseille, Sources, S. 120. 29 30

Das Mönchtum in Italien bis Benedikt von Nursia

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nienz erweisen 38 , wird die Breite des monastischen Erbes deutlich, auf dem die Bestimmungen der Regel ruhen. Indem Benedikt sie mit den eigenen Erfahrungen des könobitischen Lebens verbindet und darum bemüht ist, Grundsätze zu formulieren, die auch in unterschiedlichen Situationen Anwendung finden können, hat er „in einer geglückten Synthese die bis dahin geschlossenste Klosterregel geschaffen, der vor allen anderen Regeln aus der Frühzeit des Mönchtums die größere Ausstrahlungskraft für die nächsten Jahrhunderte zukommen sollte." 39 Mit ihr will Benedikt nach seinem eigenen Verständnis den Mönchen eine Anleitung geben, wie unter Führung des Evangeliums 40 das gemeinsame Leben im Kloster gestaltet und nach außen gesichert wird, so daß der einzelne gleichermaßen beim Stundengebet, bei der Lesung und bei der Arbeit Gott suchen 41 kann. Freilich soll, wie Benedikt am Schluß versichert, seine Regel nicht mehr als eine Hilfestellung für den Anfänger im klösterlichen Leben sein 42 . Wer darin rasch zur Vollkommenheit gelangen will, wird von ihm wiederum auf die Lehren der Väter verwiesen. Benedikt ordnet sich damit ohne Einschränkung in die monastische Tradition ein und versteht sich als ihr Interpret für die Gegenwart. Seine Regel ist ein Zeugnis für das Fortwirken der von den ägyptischen Mönchsvätern begründeten und von Cassian dem Abendland überlieferten Lehre im Frühmittelalter. Sie steht darum am Ende des zeitlichen Rahmens, innerhalb dessen in der folgenden Untersuchung dem Verhältnis von Erfahrung und Theologie im Mönchtum der Alten Kirche nachgegangen werden soll.

R.Lorenz, Jahrhundert, S. 106. " K.Baus, Mönchtum, S . 2 7 1 . Ähnlich auch G.Holzherr, Benediktsregel, S.9. 40 RB Prol. 21. 41 RB 58,7. 42 RB 73,8. 38

II. Die Theologie des monastischen Lebens A. Die Voraussetzungen monastischer Theologie Die Gliederung unserer Untersuchung, die zwischen den „Voraussetzungen" und der „Entfaltung" der monastischen Theologie unterscheidet, bedarf einer Erläuterung. Ihr liegt die Uberzeugung zugrunde, daß das theologische Denken der Mönchsväter nur dann verstanden werden kann, wenn gleichzeitig das monastische Leben in die Überlegungen einbezogen wird. Es geht also darum, den „Sitz im Leben" der Glaubensaussagen der Mönche aufzusuchen und danach zu fragen, auf welchen Lebensbezug hin sie relationiert werden können. Der Entscheidung, eine dem christlichen Leben in der Welt alternativ gegenübertretende Lebensform zu wählen, kommt - dieses soll im ersten Teil der Untersuchung gezeigt werden - für die Entfaltung des monastischen Glaubenszeugnisses konstitutive Bedeutung zu. Von den Erfahrungen des Lebens im Kellion oder Könobium werden die Mönchsväter zur Formulierung einer auf das Leben bezogenen Theologie geführt. Um diesem Zusammenhang nachzugehen, soll in einem ersten Schritt der Blick auf die beiden grundlegenden Lebensmodelle des frühen Mönchtums gerichtet werden. 1. Im Kellion a) Die ägyptischen

oder Könobium

leben

Anachoreten

Das monastische Leben der ägyptischen Anachoreten ist der Ausdruck einer umfassenden Neuorientierung an der Einsamkeit der Wüste. Die von den frühchristlichen Asketen in der Nähe von Siedlungen geübte Armut und Enthaltsamkeit erscheint ihnen nicht mehr ausreichend zu sein und wird zu einer konsequenten Abwendung von der Welt erweitert 1 . Mönchsein ist für sie identisch mit der Bereitschaft, sich von dem „Jammer der Welt" zu trennen 2 . Darum wird die „Flucht" zu einem Grundimpuls ihres Lebens. Die Anachoreten fliehen vor den Verlockungen weltlichen

1

Mit dieser Tendenz schildert Athanasius den Lebenslauf des Antonius (Vita Ant. Kp. 3 ff; vgl. auch Hist. Laus. Kp.39). Zum Ganzen vgl. M. Rothenhäusler, Art. Apotaxis, in: RAC Bd. 1, S. 562f. 2 Theodoras Phermae 15 (PG 65, Sp.192). Vgl. dazu Chr.Baur, Gedanke, S. 113-126.

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Ruhmes ebenso wie vor den kirchlichen Ämtern 3 . Sie fliehen das unnütze Gerede und meiden überhaupt alles, was sie an ihre eigene Körperlichkeit erinnert 4 . Der immer wiederkehrende Rat des Mönchsvaters an seinen Schüler lautet daher: „Fliehe" 5 . Isidorus nimmt ihn so ernst, daß er sogar vor seinen Mitbrüdern flieht und dies mit dem instinktiven Verhalten aller Tiere rechtfertigt 6 . Was diese Flucht vor der Welt und den Menschen praktisch bedeuten kann, wird Abbas Macarius drastisch vor Augen geführt, als er zwei Asketen begegnet, die seit mehreren Jahren nackt und ohne Behausung in der Wüste leben7. Antonius fordert von seinen Schülern den Haß der Welt 8 und stellt damit eine Maxime auf, die Sisoes sogar die Tötung des eigenen Kindes erwägen läßt, nur um die Vollkommenheit seines Gehorsams unter Beweis zu stellen9. Beide Beispiele zeigen: die Welt scheidet für den Anachoreten als Lebens- und Bezugsraum aus. Er ist ihr gestorben und wird von ihren Verpflichtungen und Erwartungen nicht mehr berührt 10 . Worin ist diese strikte Abgrenzung von der Welt, die einen Anachoreten bei vollkommener Befolgung zum Abbas werden läßt, begründet? Euprepius bestimmt den Grund zur negativen Seite hin. Für ihn, der alles Leibliche (τα σωματικά) mit der von den Gnostikern verachteten (υλη) vergleicht, gilt als Grundsatz: „Wer die Welt liebt, der liebt, was zum Anstoß (πρόσκομμα) wird." 11 Ähnlich äußert sich Theodorus Phermae, der es als ein Wunder bezeichnet, wenn ein Mensch dem Rachen des Feindes (στόμα του έχθροϋ), und darunter versteht er die Welt, entkommen sei12. Die geradezu dualistisch anmutende Kritik beider Mönchsväter unterstreicht die grundsätzliche Bedeutung, welche die Trennung von dem weltlichen Leben für den Anachoreten hat. Wer sich ihm dennoch aussetzt, der wird, so Antonius, aus der Konzentration auf die nur in der Wü3

Theodorus Phermae 25 (PG 65, Sp. 193); Isaak presbyterus 1 (a.a.O. Sp.236); Cronius 5 (a.a.O. Sp.249); Macarius Aegyptius 1 (a.a.O. Sp.257/260); Nisterous 1 (a.a.O. Sp.305). 4 Joannes Colobus 1/2 (a.a.O. Sp.204/5); Joannes eunuchus 3 (a.a.O. Sp.233); Macarius Aegyptius 16 (a.a.O. Sp.269); Poemen 59 (a.a.O. Sp.336). 5 Macarius Aegyptius 16 (a.a.O. Sp.269); Poemen 140 (a.a.O. Sp.357); Sisoes 27 (a.a.O. Sp.401); Verba seniorum V, 11,25 (PL 73, Sp.936C). 6 Isidorus presbyterus 7 (PG 65, Sp.236); ähnlich auch Moyses 7 (a.a.O. Sp.284/5). 7 Macarius Aegyptius 2 (a.a.O. Sp.260). Ähnlich auch Verba seniorum VI,3,10 (PL 73, Sp. 1008 C). 8 Antonius 3 (PG 65, Sp.85). 9 Sisoes 10 (a.a.O. Sp.393/396). 10 Marcus discipulus abbatis Silvani 3 (a.a.O. Sp.296), Poemen 5 (a.a.O. Sp.320) und Cassianus 8 (a.a.O. Sp.245). 11 Euprepius 3 (a. a. O. Sp. 172); ähnlich Poemen 59 (a. a. O. Sp. 336). „Der Auszug aus der Welt ist die stillschweigende Voraussetzung für das Mönchsleben." (K.S.Frank, ΑΓΓΕΛΙΚ Ο Ι ΒΙΟΣ, S. 18). 12 Theodorus Phermae 8 (PG 65, Sp. 189). Möglicherweise läßt das Motiv der Weltverachtung Beziehungen zur Gnosis erkennen (vgl. dazu Y.Haas, Renoncement, S.302).

Im Kellion oder Könobium leben

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ste zu findende Ruhe (ησυχία) herausgelöst 13 . Damit deutet er an, daß das Bestreben, die Einsamkeit aufzusuchen, immer auch aus einer positiven Orientierung erwächst und Ausdruck des Heilsverlangens ist14. In der Vita Antonii verläßt er allein um der vollkommenen Erfüllung der Gebote des Evangeliums willen die menschlichen Ortschaften 15 . Ahnlich verhält sich ein unbekannter Einsiedler: von ihm hören wir, daß er einem Bruder mit dem Zuruf zu entkommen sucht: „Ich fliehe vor dir Gottes wegen"; und erst nachdem dieser sein Kleid abgeworfen hat, ist er bereit, ihm das erbetene Logion zu sagen: „Fliehe die Menschen und schweige und du wirst gerettet werden." 16 Die Anachorese der ägyptischen Mönchsväter geht, dies entnehmen wir seinem Ausspruch, von der Grundentscheidung aus, daß „der Mensch nicht zugleich bei Gott und bei den Menschen sein kann" 17 . Nur in der Wüste gelten nach Uberzeugung der Anachoreten Lebensbedingungen, die dem Wirken des Heiligen Geistes Raum geben 18 . Darum wird das Verhalten des Sisoes, der nach dem Gottesdienst sofort in sein Kellion zurückflieht, um den unter Menschen drohenden Zerstreuungen zu entgehen, als ein Werk Gottes gerühmt 19 . Arsenius bezeichnet „fliehen", „schweigen" und „ruhen" sogar als die Wurzeln der Sündenlosigkeit20. In den zuletzt genannten Beispielen deutet sich an, welches Ziel die Flucht vor allem, was der Welt zugerechnet wird, hat. Für Macarius läßt es sich mit einem einzigen Wort benennen, wenn er sagt: „Die Menschen fliehen, das heißt, sich ins Kellion zu setzen." 21 Sein Logion, das das bloße Sitzen im Kellion zur Lebensaufgabe erklärt, erhellt das Selbstverständnis der Anachoreten treffend. Ein anderes Wort sei dem zur Seite gestellt. Abbas Antonius unterstreicht die Bedeutung des Kellions mit einem Vergleich: „Es ist nötig, daß wir uns, wie der Fisch sich ins Wasser, ins Kellion zurückziehen, damit wir nicht außerhalb die Bewahrung des Inneren vergessen."22 Das Kellion, das mit anderen Mönchszellen in einem lockeren 13

Antonius 10 (PG 65, Sp.77). Arsenius 1 (a.a.O. Sp.88); Isidoros presbyterus 7 (a.a.O. Sp.236). 15 Vita Antonii Kp.2f. (PG 26, Sp. 841/4). " Verba seniorum VI, 3,10 (PL 73, Sp. 1008C). 17 Arsenius 13 (PG 65, Sp.92). 18 Joannes Colobus 10 (a.a.O. Sp.208); Arsenius 18 (a.a.O. Sp.92); Ammoes 1 (a.a.O. Sp. 125) und Hieracus 2 (a.a.O. Sp.232). l ' Sisoes 37 (a.a.O. Sp.404); vgl. auch IsaacThebaeus 2 (a.a.O. Sp.241) und Verba seniorum V,2,16 (PL 73, Sp. 860 B). 20 Arsenius 2 (PG 65, Sp.88); vgl. auch Theodorus Phermae 5 (a.a.O. Sp. 188). 21 Macarius Aegyptius 27 (a.a.O. Sp.273). 22 Antonius 10 (a.a.O. Sp.77). In der Vita Antonii Kp.85 wird dieses Logion aufgegriffen (PG 26, Sp. 961/3). „Perhaps the most famous advice in early ascetic literature is the simple command, ,Sit in your cell'." (Ph. Rousseau, Ascetics, S.44). Vgl. auch L.Regnault, Idéal du désert, S. 47 ff. sowie R.Draguet, Pères, S. X X X V I ff. 14

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Verband zusammengeschlossen sein kann 23 , wird damit von ihm in einem ganz elementaren Sinn als unaufgebbarer Lebensraum des Anachoreten gekennzeichnet: es ist der Bewährungsort für die Entschiedenheit der Nachfolge, für den Rückzug aus der Welt und für die gespannte Aufmerksamkeit gegenüber Gott. Dem Kellion gelten infolgedessen die höchsten Lobpreisungen. Theodoras Phermae spricht von der „Süßigkeit" des Kellions, um deretwillen der Mönch den Nächsten fliehe 24 . Isidorus vergleicht es sogar mit dem Paradies 25 . Wilhelm Bousset ist darum zuzustimmen, wenn er das in der Wüste gelegene Kellion als „das beherrschende Charakteristikum dieses anachoretischen Mönchsideals", als „das Palladium dieser sketischen Autoritäten" bezeichnet 26 . Seine Auffassung wird durch die Beobachtung bestätigt, daß aus der hohen Wertschätzung der Mönchszelle ein in anderen Lebensbereichen strikt zurückgewiesener Besitzanspruch erwachsen kann: so will Gelasius im Rechtsstreit um ein Kellion, das er geerbt hat, jedoch wieder abgeben soll, nicht nachgeben, um es nicht einem Vertreter der Welt auszuliefern 27 . Für ihn hätte dies die Preisgabe eines Ortes von besonderer Dignität bedeutet, die auch nach dem Ableben des bisherigen Besitzers fortbesteht. Die Abgeschlossenheit der Mönchszelle hat zur Folge, daß der Anachoret auch bei der Arbeit und beim Essen mit anderen Menschen nicht zusammenkommt 28 . Nur der gemeinsame Sonntagsgottesdienst ist von dieser selbstgewählten Isolierung ausgenommen, die ansonsten streng eingehalten wird, weil sie den Blick auf das für die Seele Wesentliche lenkt und den Sinn für das schärft, was allein dem Leben not tut 29 . Das Leben in der Einsamkeit des Kellions bedeutet jedoch nicht, einem privatistischen Individualismus Raum zu geben. Vielmehr zeigt die Aufforderung des Antonius, der Schüler solle den Abbas befragen und nicht auf sein eigenes Werk vertrauen 30 , daß der Anachoret an die Belehrung und Wegweisung des Geron gebunden und seinerseits um diese bemüht ist. Immer wieder treten Brüder an den Mönchsvater mit der Bitte heran: „Sage mir ein Wort." 31 Ihr begründender Nachsatz „... damit ich gerettet 23

Vgl. z.B. Hist. Laus. Kp.7 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.24f.). Theodoras Phermae 14 (PG 65, Sp. 189/192). 25 Isidorus presbyterus 1 (a.a.O. Sp.236). Ähnlich Antonius 34 (PG 65, Sp.85/8); Rufus 1 (a.a.O. Sp.389); Chaereraon (a.a.O. Sp.436); Verba seniorum 111,106; V,7,24. 26 W. Bousset, Mönchtum, S . l . 11. 27 Gelasius 2 (PG 65, Sp. 148). 28 Poemen 168 (a.a.O. Sp.361); Sisoes 3 (a.a.O. Sp.392). 29 Vgl. P.Nagel, Motivierung, S.97. 30 Antonius 37 (PG 65, Sp.88). 31 Elias 8 (a.a.O. Sp. 185); Matoes 11 f. (a.a.O. Sp.293); Macarius Aegyptius 28 (a.a.O. Sp.273); Poemen 69 (a.a.O. Sp.337); Siseos 35 (a.a.O. Sp.404); Or 7 (a.a.O. Sp.440) u.ö. Vgl. dazu K.S.Frank, Gehorsam, S.233. 24

Im Kellion oder Könobium leben

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werde" macht den Horizont der Frage, aber auch des darauf zuteil werdenden Logions deutlich, das nichts Geringeres als Heilserfahrung zu eröffnen vermag 32 . Das erbetene Wort des Abbas ist demnach mehr als eine ethische Orientierung. Es erhellt und verändert die Situation des Fragestellers, führt ihn über sich selbst hinaus und eröffnet dadurch neue Erkenntnis. Das Logion erwächst aus geistlicher Vollmacht. Nicht jeder Abbas vermag es zu erteilen, mancher schafft es nur unter großen Mühen 33 . Darum „steckt die Ueberzeugung dahinter, daß es eine Gabe des Geistes ist, wenn ein Bruder einen wirksamen Logos zu sprechen versteht." 34 Letztlich ist es unverfügbar, eine Gnade (χάρις τοϋ λόγου), die, wie Abbas Felix feststellt, jederzeit von Gott wieder fortgenommen werden kann 35 . Nicht immer kann deswegen die Bitte um ein Wort erfüllt werden 36 . Zuweilen wird die Frage auch zurückgewiesen 37 . Beides erhellt als Merkmal des anachoretischen Logions seine nicht ohne weiteres übertragbare Situationsgebundenheit, die mit dem ursprünglich mündlichen Charakter zusammenhängt 38 . Dazu gehört, daß das Väterwort keine Neutralität beim Hörer, keine bloße Neugier zuläßt, sondern ein echtes Heilsverlangen voraussetzt 39 . Sein unmittelbarer Lebensbezug erwächst aus der Erfahrung des Abbas und zielt beim Hörer auf die Gewinnung von Erfahrung. Wurde bisher festgestellt, daß der Lebenssituation des Kellions die dem einzelnen zuteilwerdende Weisung des Logions entspricht, so muß nun darauf hingewiesen werden, daß das Väterwort seinerseits auf das Kellion zurückverweist. Macarius beantwortet die Bitte um ein Wort mit der Aufforderung: „Fliehe die Menschen, bleib in deinem Kellion und beweine deine Sünden." 40 Ähnlich lautet die Weisung des Arsenius, der einem Bruder zwar manche Erleichterung in der Lebensführung zugesteht, gleichwohl aber daran festhält, daß nur „das Ausharren im Kellion den Mönch in seine rechte Ordnung (εις την τάξιν) bringt." 41 Am deutlichsten erhellt Abbas Moyses den Zusammenhang von Wüstenkellion und Väterwort, 32 Are (PG 65, Sp. 132); Biare (a.a.O. Sp. 145); Euprepius 7 (a.a.O. Sp. 172); Hieracus 1 (a.a.O. Sp.232); Macarius Aegyptius 25 (a.a.O. Sp.272). 35 Pambo 14 (a.a.O. Sp.372). 34 W. Bousset, Apophthegmata, S.79 (unter Hinweis auf Zacharias 3/PG 65, Sp. 180). Vgl. auch R. Reitzenstein, Historia monachorum, S. 190. 35 Felix (PG 65, Sp.433); ähnlich auch Macarius Aegyptius 25 (a.a.O. Sp.272). 36 Ammoes 4 (a.a.O. Sp. 128); Theodorus Phermae 3 (a.a.O. Sp. 188); Theophilus archiepiscopus 2 (a.a.O. Sp. 197); Macarius Aegyptius 2 (a.a.O. Sp.260); Pistus (a.a.O. Sp. 372 f.). 37 Sisoes 45 (a.a.O. Sp.405); Serapio 2 (a.a.O. Sp.416). 38 Darauf weist W. Bousset hin (Apophthegmata, S.76f.). " Theodorus Phermae 3 (a.a.O. Sp. 188); Poemen 1 (a.a.O. Sp.317). 40 Macarius Aegyptius 27. 41 (PG 65, Sp.273. 281). 41 Arsenius 11 (a.a.O. Sp.89); ähnlich auch Heraclius (a.a.O. Sp. 185f.).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

wenn er die entsprechende Bitte eines Bruders mit dem Hinweis beantwortet: „Setz dich in dein Kellion und dein Kellion wird dich alles lehren." 42 In seinem Wort drückt sich die Überzeugung aus, daß das Kellion ein sich selbst erschließender Raum ist. Allein das Sitzen reicht aus, daß der Anachoret in der Zelle zur Erkenntnis findet. Nicht mehr ist gefordert, als daß er sich selbst los- und der Stille des Raums überläßt. Gerade weil sich die Auseinandersetzung mit den Versuchungen in der Einsamkeit der Wüste auf den eigentlichen Kern zuspitzt 43 , verbindet sich mit dem Kellion zugleich die Hoffnung, der erstrebten Rettung, dem Heil (σωτηρία) näher zu kommen 44 . In einigen anachoretischen Kreisen findet sich die Tendenz, das Leben im Kellion noch radikaler zu fassen. In ihnen verzichten die Eremiten auf jegliche Bewegungsfreiheit, lehnen den Umgang mit Menschen vollständig ab und schließen sich in ihrer Zelle ein. Während Abbas Paulus diese „inclusio" nur zur Fastenzeit praktiziert 45 , hören wir von anderen, die ihre Zelle niemals verlassen und sich gänzlich nach außen hin abschließen 46 . Isidorus beispielsweise zeigt grundsätzliche Bedenken, aus seinem Kellion herauszugehen 47 . Auch Athanasius schildert seinen großen Mönchsvater in der Vita in der ersten Phase seines Lebens als einen über viele Jahre hinweg Eingeschlossenen 48 . In einem koptischen Apophthegma heißt es, daß der Mönch unter Menschen nur Mensch, in seinem Kellion aber Geist sei. Für Bousset spiegelt sich darin „die alte Uberzeugung" der Anachoreten wider, nach der die Zelle wie ein „Heiligtum" betrachtet wird, „in welchem (d)er (Asket), der Welt abgekehrt, sich mit der Gottheit erfüllt, ihres Wesens teilhaftig, selbst πνεύμα wird." 49 Andere Anachoreten sehen hingegen im Kellion die Gefahr des ZurRuhe-Setzens. Sie erstreben darum die ruhelose Wanderschaft, die „peregrinado" 50 . Als Beispiel dafür findet sich in den Apophthegmata das Leben des Abbas Besario, der ohne Bindung an eine Wohnung oder einen Ort, ohne Verlangen nach Sättigung oder Umgang mit Büchern umherirrt und

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Moyses 6 (PG 65, Sp.284). Antonius 11 (a.a.O. Sp.77). 44 Joannes Colobus 27 (a.a.O. Sp.213); Hieracus 1 (a.a.O. Sp.232); Isidorus presbyterus 7 (a.a.O. Sp.236). 45 Paulus raagnus 3 (a.a.O. Sp.381); vgl. Hist. Laus. Kp. 18 (C.Butler, Lausiac History Bd. 2, S. 47 ff.). 46 Joannes Colobus 38 (a.a.O. Sp.216); Poemen 6. 90 (a.a.O. Sp.320. 344). 47 Isidorus presbyterus 1 (a.a.O. Sp.236). 48 Vita Antonii Kp.12-14 (PG 26, Sp.861 ff.); Hist. Laus. Kp.5. 16. 35. 48f. u.ö. (C.Butler, Lausiac History, S.21. 40f. lOOff. 142f.). " W. Bousset, Mönchtum, S.25. so Vgl. dazu H . v o n Campenhausen, Heimatlosigkeit, S. 290 ff. 43

Im Kellion oder Könobium leben

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im Freien weilt, um auf diesem Wege die Vollendung zu erreichen 51 . Auch Abbas Jacobus stellt das ξενιτεϋσαι über die Bereitschaft, Fremde im Kellion als Gäste aufzunehmen 52 . Sogar das Bischofsamt wird dem Leben als Fremdling in der Wüste untergeordnet 53 . Für manchen Anachoreten ist die ξενιτεία in Verbindung mit Armut und Schweigen die allein angemessene Gestalt des monastischen Lebens54, weswegen sogar Athanasius seinen Helden in der zweiten Phase des asketischen Lebens als einen „heiligen Wüstenwanderer" darstellt 55 . Beide zuletzt genannten Lebensformen bilden jedoch die Ausnahme. Das zeigen die Bedenken, die im anachoretischen Mönchtum gegenüber der „peregrinado" wie gegenüber der „inclusio" laut werden. Am deutlichsten formuliert sie Ammonas. Als er von einem Bruder gefragt wird, ob er in der Wüste umherwandern, in die Fremde gehen oder sich in sein Kellion einschließen solle, antwortet er: „Es nützt dir nicht, wenn du eines von den drei Dingen tust; setz dich lieber in dein Kellion und iß ein wenig jeden Tag und habe jederzeit das Wort des Zöllners in deinem Herzen; dann kannst du gerettet werden." 56 Einer übersteigerten Askese wird damit das schlichte Bekenntnis des Zöllners gegenübergestellt. Der Blick nach innen relativiert kritisch die Tendenz zur Veräußerlichung. In diesem Sinn interpretiert Longinus das Verständnis der ξενιτεία neu, wenn er einem Bruder entgegnet: „wenn du deine Zunge nicht beherrscht, bist du kein Fremdling, wohin immer du fortgehst" 57 , und er macht damit deutlich, daß nicht durch ruhelose Wanderschaft, sondern nur durch geistige Disziplin die innere Distanz von der Welt erreicht werden kann. Die Flucht vor der Welt wird also in Frage gestellt und als Ausdruck von Schwäche bezeichnet, wo sie aus der Schwierigkeit, mit Menschen umzugehen, erwächst 58 . Sie ist nicht ein asketisches Mittel um ihrer selbst willen, sondern soll wie alles, was die Anachoreten tun, um Gottes willen (δια το ονομά σου) geschehen 59 . Dennoch bleibt die an das Leben im Kellion gebundene Anachorese trotz aller sich in zahlreichen Besuchern äußernden Verehrung den Au51

Besario 12 (PG 65, Sp. 141/4); vgl. auch Hist. Laus. Kp.50 (C.Butler, Lausiac History Bd. 2, S. 144). 52 Jacobus 1 (PG 65, Sp.232). 55 Evagrius 7 (a.a.O. Sp. 176). " Andreas (a.a.O. Sp.136). " W. Bousset, Mönchtum, S.28 (unter Hinweis auf Vita Antonii Kp.48ff. 89 f.). Als Wüstenwanderer wird Antonius auch in der Hist. Laus. Kp.21 dargestellt (C.Butler, a.a.O. S. 64,2 ff.). 56 Ammonas 4 (PG 65, Sp. 120). Vgl. dazu H.von Campenhausen, Heimatlosigkeit, S.294Í. 57 Longinus 1 (PG 65, Sp.256); ähnlich Joannes Colobus 2 (a.a.O. Sp.204f.). 58 Matoes 13 (a.a.O. Sp.293); Pistus (a.a.O. Sp.372/3). " Arsenius 38 (a.a.O. Sp.105).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

ßenstehenden unverständlich. „Der Greis ist närrisch (σάλος)", sagt eine Frau über Abbas Ammonas, der sich ihrer Bitte, Recht zu sprechen, durch törichtes Verhalten (μωροποιειν) entzogen hat; er aber erwidert ihr: „wie große Mühen habe ich in der Wüste auf mich genommen, um diese Narrheit (σαλότης) zu erwerben, und deinetwegen sollte ich sie heute einbüßen?" 60 Seine Antwort ist bemerkenswert. Denn mit ihr widerspricht er der Fremdeinschätzung nicht, sondern betrachtet sie im Gegenteil als höchst erwünscht. Die Freiheit des Narren verschafft ihm nicht nur die Möglichkeit, die Torheit der Welt aufzudecken und der Welt damit einen Spiegel vorzuhalten 61 . Wichtiger noch ist das Bemühen, als Narr der Torheit des Kreuzes (l.Kor 1,18ff.) im eigenen Leben Ausdruck zu verleihen. In dieser Absicht entzieht sich Abbas Moyses einigen Besuchern, die ihn nur wegen seines Ruhmes zu sehen begehren, und hält ihnen entgegen, sie suchten in Wirklichkeit einen Narren (άνθρωπος σάλος) 62 . Und Abbas Or empfiehlt seinem Schüler, er solle sich selbst zu einem Tor (μωρός) machen, die Menschen fliehen und der Welt spotten 63 . An mehreren Beispielen läßt sich zeigen, daß die Anachoreten ihr Narrsein keineswegs als ein Spiel begreifen, sondern als eine schwere, lebenslang immer neu zu verwirklichende Aufgabe verstehen. Als Narren nehmen sie die Mühe und Entbehrungen des asketischen Lebens auf sich, lassen sich gleichsam zertreten und weichen der Mißachtung durch Menschen nicht aus64. Demgegenüber greift Athanasius in seiner Vita den Topos des Narren auf, um die geistige Überlegenheit seines Mönchsvaters über die in der Welt Gebildeten zu unterstreichen. Als Antonius einst von zwei Philosophen in der Wüste aufgesucht wird, fragt er sie zwar: „Warum habt ihr euch zu einem törichten Menschen (άνθρωπος μωρός) herbeibemüht?" Mit dieser Frage macht er sich jedoch den Titel des Narren nicht zu eigen, sondern wendet ihn gegen seine Besucher: „Wenn ihr προς μωρόν gekommen seid, ist eure Mühe vergeblich; wenn ihr mich aber für φρόνιμος haltet, so werdet wie ich!"65 Der in den Augen der Philosophen als Narr erscheinende Mönch ist also für Athanasius in Wirklichkeit der wahre Weise, der selbst die großen Denker der Zeit an Weisheit zu überflügeln und in Erstaunen zu setzen vermag. Jeder kann, wenn er will, erkennen, 60 Ammonas 9 (PG 65, Sp. 121 ). Vgl. dazu St. Hilpisch, Torheit, S. 121 ff.; W. Bousset, Heilige, S. 1-17; E.Benz, Heilige Narrheit, S. 1-55. " In diesem Sinn ist das Antonius-Logion 25 zu deuten (PG 65, Sp. 84). Vgl. auch Verba seniorum V, 18,19 (PL 73, Sp. 984 sowie die Parallelüberlieferung in Hist. Laus. Kp.34). 62 Moyses 8 (PG 65, Sp.285; auch in PL 73, Sp.907). 63 Or 14 (PG 65, Sp.440). 64 Joannes Colobus 37 (a.a.O. Sp.216); Zacharias 1. 3 (a.a.O. Sp. 180); Esaias 1 (a.a.O. Sp. 181); Matoes 10 (a.a.O. Sp.293); Verba seniorum VII, 10,8 (PL 73, Sp.1035). Vgl. dazu K.S.Frank, Gehorsam, S.234ff. 65 Vita Antonii Kp.72 (PG 26, Sp.944).

Im Kellion oder Könobiura leben

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daß Antonius in Wirklichkeit kein Narr und darum das große Vorbild ist, das alle Menschen zur Nachahmung einlädt. Allen diesen Stimmen, die das „törichte" Leben im Kellion als unabdingbare Voraussetzung monastischer Erfahrungen bezeichnen, treten schon früh andere zur Seite, die vor der Gefahr eines daraus erwachsenden Hochmutes warnen. Antonius wird durch Offenbarung die Einsicht zuteil, daß es in der gemiedenen Welt einen Menschen gibt, der ihm ähnlich ist66. Abbas Sisoes gelangt durch die Begegnung mit einem sog. Weltmenschen (κοσμικός) sogar zu der Einsicht, noch längst nicht dessen Vollkommenheit erreicht zu haben 67 . Selbst die Unterweisung, die Formulierung eines Logions, die nur den erfahrensten Vätern der Wüste vorbehalten ist, kann in einem Ausnahmefall einem frommen Städter in den Mund gelegt werden 68 . Die darin zum Ausdruck kommende Relativierung des Kellions hat ihren theologischen Grund in einer zwar schlichten, in ihrer Konsequenz aber durchaus ernstzunehmenden Eschatologie, nach der, wie Silvanus in einer Vision erfährt, viele Mönche in das Strafgericht, viele Weltleute aber in das Himmelreich eingehen werden 69 . Auch im Verhältnis zur könobitischen Lebensform werden Tendenzen sichtbar, welche die Bedeutung der Anachorese relativieren. Ursprünglich überwiegt das Mißtrauen. Besonders Poemen weist auf die Einschränkungen hin, die das gemeinsame Leben mit sich bringt: dort habe der Mönch nicht einmal das Recht auf einen eigenen Becher, fülle sich aber gleichzeitig den Bauch mit Käse und Fleisch und verliere dadurch die Gottesfurcht 70 . Abbas Sisoes, der erst in höherem Alter das Kellion verlassen hat und in ein Kloster gegangen ist, beklagt die verlorengegangene „Freiheit des Denkens in der Wüste" 71 . Und in einem gleichen Sinn kritisiert Theodorus Phermae die könobitische Gesetzgebung, wenn er einem Schüler, der ihn des öfteren um konkrete Aufträge bittet, schließlich erwidert: „Bin ich etwa ein Klostervorsteher (κοινοβιάρχης), so daß ich Anordnungen gäbe?"72. Hinter den genannten Äußerungen steht die Überzeugung, „daß der Klostermönch in einer Atmosphäre des Zwanges, der Selbstbeschränkung und Unterordnung lebt, und daß der Anachoret ihm gegenüber der freie Mann ist."73 Aus dem gleichen Grund wird einem Bruder, dem der Gedanke Anfechtung bereitet, die Anachorese sei gegenüber dem Klosterle66

Antonius 24 (PG 65, Sp.84). Vgl. auch Eucharistus (a.a.O. Sp. 169). Sisoes 7 (a.a.O. Sp.393). 68 Poemen 109 (a.a.O. Sp.349). " Silvanus 2 (a.a.O. Sp.408); vgl. Verba seniorum 111,123 (PL 73, Sp.783f.). 70 Poemen 152. 181 (PG 65, Sp.360. 365). 71 Sisoes 26 (a.a.O. Sp.401). 72 Isaac presbyterus 2 (a.a.O. Sp.224). 75 W. Bousset, Mönchtum, S. 13. 67

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

ben viel unfruchtbarer, mit allem Nachdruck gesagt: „Setz dich in dein Kellion, verrichte morgens, abends und nachts jeweils ein Gebet, iß und trinke, wenn du Hunger oder Durst hast..., nur bleibe in der Wüste und in deinem Kellion." 7i Wiederum wird damit das Sitzen in der Mönchszelle als die allein entscheidende Aufgabe des Anachoreten herausgestellt. Das Leben in der Gemeinschaft gilt demgegenüber als Aufweichung der Anspannung, die sich aus der Einsamkeit, dem Schweigen und der Stille ergibt. Dieser abgrenzenden Haltung, die auch darin ihren Ausdruck gefunden hat, daß in den Apophthegmata Patrum Pachom nur beiläufig erwähnt wird, während Antonius an der Spitze zu stehen kommt, tritt jedoch, und nicht allein in späterer Zeit, eine veränderte Sichtweise zur Seite. Schon bei Antonius zeigt sich, daß Anachoreten und Könobiten in wechselseitigem Respekt nebeneinander zu leben vermochten 75 . Andere Apophthegmata spiegeln eindeutig könobitisches Milieu wieder 76 . Mit Silvanus und Nisterous haben sogar klösterliche Autoritäten Eingang in die Apophthegmenüberlieferung gefunden 77 . Bei Abbas Anub zeigt sich eine Ubergangsform, die darin besteht, daß er einige Brüder unter seiner Leitung zusammenschließt, gemeinsame Mahlzeiten abhält und sogar einen Verwalter (οικονόμος) bestimmt 78 . Poemen wiederum, dessen Kritik am Könobium schon erwähnt wurde, hält mit seinem Tadel an Anachoreten nicht zurück, sofern diese einen im Kloster zu Fall gekommenen Bruder verurteilen statt ihm zu helfen 79 . Bei dem außerhalb der Sketis wohnenden Abbas Joseph in Panepho, einem Zeitgenossen Poemens, kommt es schon zu einer Abwägung der alternativen Lebensformen unter dem Gesichtspunkt des Nutzens. Einem Bruder, der ihn um Rat fragt, ob er sich im Kloster oder in der Einsamkeit niederlassen solle, gibt er zu bedenken: „Lege deine beiden Gedanken wie auf eine Waage, und wo du siehst, daß mehr Nutzen bewirkt wird und dein Gedanke hinneigt, dieses tue." 80 Vergleichen wir dieses Logion mit früheren Äußerungen, so wird die Veränderung gegenüber den Anfängen deutlich. Für Bousset ist es sogar ein Hinweis darauf, daß offensichtlich das Könobium schon „die eigentliche Grundlage des mönchischen Lebens" und „das selbstverständlich Gegebene" geworden ist81. 74

Paphnutius 5 (PG 65, Sp.380). Antonius 21 (a.a.O. Sp.81/84). 76 Gelasius 5 (a.a.O. Sp. 152); Phocas 1 (a.a.O. Sp.432); Cassianus 4 (a.a.O. Sp.244; entspricht Inst. V,27; CSEL 17, S. 103). 77 Nisterous 2 (PG 65, Sp.308); Silvanus 5. 8 (a.a.O. Sp.409.412). 78 Anub 1 (a.a.O. Sp.129). 79 Poemen 6. 70 (a.a.O. Sp.320.340); Isaac Thebaeus 1 (a.a.O. Sp.240). 80 Joseph in Panepho 8 (a.a.O. Sp.229/232). 81 W. Bousset, Mönchtum, S.6. Vgl. auch Ph. Rousseau, Ascetics, S. 33 ff. 75

Im Kellion oder Könobium leben

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Die zuletzt genannten Logien sowie beiläufige Erwähnungen von Klöstern 82 zeigen, daß - jedenfalls in nichtsketischen Kreisen - das Könobium neben der Anachorese schon in der Frühzeit des ägyptischen Mönchtums zu einer gleichberechtigten Lebensform wird 83 - eine Beobachtung, die der immer wieder zu lesenden Stufentheorie, nach der sich das Könobium aus der Anachorese heraus entwickelt hat, den Boden entzieht. Die Gründungen Pachoms werden jedenfalls von Gelasius, dem überzeugten Anachoreten, auf Eingebungen des Gottesgeistes zurückgeführt 84 und auch andernorts ehrend erwähnt 85 . Zugleich erhebt Abbas Esaias, eine sketische Autorität der ersten Generation, die Forderung, ein Novize dürfe nicht von Kloster zu Kloster eilen, sondern solle Beständigkeit zeigen 86 . Für die Amma Syncletica begründen Gehorsam und Ausdauer sogar einen qualitativen Unterschied zur Anachorese, der dem könobitischen Weg den höheren Rang zuweist, weil er den Mönch auf jeden Fall vor Hochmut bewahre und zur Demut hinführe 87 . Ihre Auffassung ist innerhalb der Apophthegmata Patrum die Ausnahme und ungewöhnlich. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, daß sie das auf anachoretischem Boden entstandene Lebensideal gegen deren ursprüngliche Vertreter richtet und behauptet, daß es besser innerhalb des Könobiums verwirklicht werden könne. Gleichzeitig hält sie jedoch an der Bindung dieses Ideals an die Wüste grundsätzlich fest. Nur die Form der Verwirklichung, nicht aber deren Ort ist für sie strittig.

b) Johannes Cassian Die Kritik der könobitischen Lebensweise, die - sieht man einmal von den zuletzt genannten Zeugnissen ab - bei den Anachoreten vorherrscht, wird von Johannes Cassian aufgenommen, gleichzeitig jedoch einer Gesamtsicht des monastischen Lebens eingefügt und dadurch charakteristisch abgeändert. Dies hat vermutlich in erster Linie biographische Gründe. Nachdem Cassian in Bethlehem zunächst einige Zeit in einer Klostergemeinschaft verbracht hat, wird in ihm doch schon bald durch die Gespräche mit einem zu Besuch weilenden ägyptischen Mönchsvater die Sehnsucht nach der Einsamkeit geweckt 88 . Darum bittet er seine Oberen, das 82

Z.B. Elias 8 (PG 65, Sp. 185); Silvanus 1 (a.a.O. Sp.408); Phocas 1 (a.a.O. Sp.432). Vgl. z.B. Hist. Laus. K p . l l . 13. 21. 30. 32ff. 58Í. (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S. 32f. 36f. 63 ff. etc.). 84 Gelasius 5 (PG 65, Sp. 152). 85 Psenthaisius (a.a.O. Sp.436); Macarius urbicus 2 (a.a.O. Sp.304f.). 86 Esaias 3 (a.a.O. Sp. 181); ähnlich auch Poemen 103 (a.a.O. Sp.348) und Cassianus 7 (a.a.O. Sp.245). 87 Syncletica 6. 16. 17 (a.a.O. Sp.421/4. 425/8). 88 Coll.XI, 1 (CSEL 13, S.314,7ff.). 83

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Kloster verlassen zu dürfen, und wandert nach Unterägypten, wo er auf die ersten Einsiedler stößt. Schon bei dieser Begegnung bildet sich das Urteil heraus, daß die Lebensweise der Anachoreten bedeutsamer („excellentior") als die der Könobiten ist89 und als Gipfel („arx") des monastischen Strebens bezeichnet werden kann 90 . Cassian bewundert die Mühen, die die Anachoreten aus Liebe zur Einsamkeit ertragen 91 , und spricht voll Respekt von den kärglichen Mahlzeiten, die selbst am Sonntag kaum Erweiterung erfahren 92 . Wie der junge Hieronymus in seinem Brief an Heliodor 93 verherrlicht auch Cassian - insbesondere in den ersten beiden Hauptabschnitten der Collationes - das anachoretische Lebensideal des Wüstenkellions: nur dort könne der Mönch seine Geduld bewahren 94 , seinen Geist vom Irdischen befreien und, soweit es die „humana imbecillitas" gestatte, mit Christus vereinen 95 . Väterworte, die diesen Anspruch unterstreichen, werden aufgegriffen und dem Leser als unverändert gültige Maßstäbe vor Augen gestellt96. Gleichzeitig schließt Cassian sich der unter den Anachoreten üblichen Klosterkritik an und sieht in ihr seine eigenen Erfahrungen bestätigt. Zwar räumt er ein, daß er seinem Bethlehemer Kloster eine erste Grundlegung des Glaubens und den Durst nach höherer Vollkommenheit verdanke 97 , doch beklagt er andererseits die mangelnde Regelstrenge und widerspricht Abbas Abraham nicht, der den Klöstern Palästinas sogar Glaubensmangel vorwirft 98 . Der dort praktizierte mittelmäßige Lebenswandel („mediocritas") verhindere geistliches Wachstum („profectus") und stehe der Absicht im Wege, die erhabene Lebensweise der ägyptischen Mönchsväter nachzuleben 99 . Die ursprünglich vorgesehene Rückkehr nach Bethlehem bezeichnet Cassian darum als größten Schaden für das geistliche Leben und leitet daraus das Recht ab, das den Klostervätern einst gegebene Versprechen brechen zu dürfen 100 . Neben diesem kritischen Rückblick, mit dem sich Cassian jedoch nicht 89

Inst.V,36,1 (CSEL17, S. 108, 17f.). Inst. V,4,1 (CSEL 17, S.83,16). 91 Inst.V,36,2. 92 Coli. VIII, 1. 93 Hier. ep. 14,6. 10 (CSEL 54, S.52f. 59f.). 94 Coll. XVIII, 14,4. 95 Coll.XIX, 8,4 (CSEL 13, S. 542,26-543,1); vgl. auch Coli. 1,8,1; VI,15; IX,6,5; XXIV,5. Dazu J.Leroy, Préfaces, S. 167ff. 96 Inst.XI, 18; Coll. VII,23,3. 97 Coll.XI, 1. 5; XVII,7. 98 Coll. XIX,2,2; XXI, 11; XXIV, 8,5. 99 Coll.XVII,2,1 (CSEL 13, S.466,2); 5,1 (467,25ff.); 10 (S.471,5f.); 23 (S.487,8ff.)• 100 Coll.XVII,5,2 (CSEL 13, S.468,6f.); auch Coll.XVII,30,2. Vgl. J.Leroy, Cénobitisme, S. 148ff. Zur Wirkungsgeschichte dieses Einsamkeitsideals vgl. H.Bayer, Kassians Askese, S. 1-27. 90

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grundsätzlich gegen die Lebensform des Klosters wehrt, sondern nur deren konkrete Gestalt in Palästina beklagt, wird bei ihm, insbesondere in den Büchern I-IV der Instituía sowie im letzten Teil der Collationes, noch eine andere Tendenz sichtbar. Sie äußert sich in einer nüchternen Bestandsaufnahme der Anachorese. Cassian macht deutlich, daß dort, wo die Kontrolle durch Brüder fehlt, Ruhmsucht, unmäßiges Essen und die Anhäufung von Besitz nicht selten sind101. Ebenso verschweigt er nicht, daß die Motive, die zu einem Rückzug in das Wüstenkellion führen, bisweilen darin begründet sind, den Konflikten im gemeinschaftlichen Leben zu entfliehen 102 . Die Flucht in die Einsamkeit ist für Cassian aber nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich, wenn die Ursachen der Ärgernisse im Menschen selbst („intra nos") liegen103. Wer beispielsweise das Schweigen innerhalb einer Gemeinschaft nicht aushält, wird es auch in der Einsamkeit der Wüste nicht ertragen 104 . Und wer sich von seinen Brüdern, mit denen er im Streit liegt, trennt, statt ihnen in Geduld zu vergeben, wird auch in der Anachorese scheitern 105 , in der das Risiko der Selbsttäuschung weitaus größer ist als in einem Kloster 106 . Es sind jedoch nicht nur eigene, in Ägypten gewonnene Beobachtungen, die Cassian dazu bringen, seine Leser vor den Gefahren des Einsiedlerlebens zu warnen. Vielmehr gilt es auch den eigentlichen Anlaß seiner Schriften im Auge zu behalten: den Auftrag des provencalischen Bischofs Castor aus Apt, der für die Gestaltung des südgallischen Mönchtums praktische Empfehlungen wünschte 107 , um dem vom martinischen Mönchtum ausgehenden Individualismus zu wehren 108 . Cassian löst diese ihm gestellte Aufgabe, indem er einen im Mönchtum bis dahin nicht gebräuchlichen Begriff zur Interpretation des Klosters einführt, den der Schule („scola"). Während er an der grundsätzlichen Priorität der Anachorese festhält, fügt er gleichzeitig hinzu, daß es nur den Vollkommensten gebühre, sich in der Einsamkeit niederzulassen. Jeder andere bedürfe noch der Medizin des klösterlichen Lebens („medicina coenobiorum"), die ihn

101

Coll. XIX, 6. Vgl. dazu R.Draguet, Pères, S. X X X I ff. Inst. XII, 30. 103 ColI.XIX.12,2 (CSEL 13, S.545,25); ähnlich auch Inst.IX,7 (CSEL 17, S.169, 12f.). 104 Coll. XIX, 10,1. 105 Inst. VIII, 16-18; IX,7. 106 N.K.Chadwick nennt als Grund für Cassians prokönobitische Stellungnahme: „It is probably the recent development in organized monasticism in Egypt, and its democratic adaptation to the capacities of a large number of people, which caused Cassian to prefer it to the discipline of the Syrian monasteries, where individualism and extreme asceticism had always been more developed." (Poetry, S.220Í.). 107 Inst. Praef. 2 f. 7 f.; Coll. Praef.l. 108 So F. Prinz, Mönchtum, S. 90; Chr. Courtois, Entwicklung, S. 13 ff. und Ph. Rousseau, Ascetics, S. 183. 102

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

auf jene weiterreichende Aufgabe vorbereite 109 . Auch wenn sich im Brief des Hieronymus an Eustochium ein Vorläufer dieses Klosterverständnisses findet 110 , kann es doch von der Begründung und Durchführung her als Cassians eigenständiger Beitrag zur Interpretation des Könobiums bezeichnet werden 111 . Von dem Gedanken der Schule aus interpretiert Cassian nicht nur seinen eigenen Lebensweg neu: dieser habe in der „scola coenobii" begonnen, ihn schließlich aber im Verlangen nach größerem Wachstum („sublimior profectus") in die Einsamkeit der Wüste geführt 112 . Er erkennt darin - in einer überraschenden Umkehr des bisher Geltenden - auch ein Grundgesetz des monastischen Lebens, das für jeden nach Vollkommenheit strebenden Mönch gilt: „Nur der, der die scholae, die Übungen der Cönobien erfolgreich absolviert hat, kann zum einsiedlerischen Leben übergehen." 113 . Wenn Cassian also von dem Kloster als einer (Vor-)Schule spricht 114 , macht er seinem Leser deutlich, daß er sich, wenn er den ägyptischen Mönchsvätern nacheifern will, zuerst dem von einem Abt geleiteten gemeinschaftlichen Leben unterwerfen muß 115 . Dieses auf das Kloster bezogene „prius" hat für Cassian zum einen praktische Gründe. Nur im Könobium könne der Mönch lernen, von seinen Lastern frei und in den Tugenden, besonders der Demut und des Gehorsams, vollkommen zu werden 116 . Weil ihm die Sorge um den kommenden Tag durch die gemeinsame Haushaltsführung abgenommen werde, finde er im Kloster zu innerer Ruhe, könne die Gebote des Evangeliums erfüllen und sich in die Beständigkeit des Wohnens einüben 117 . Cassian begründet seine These vom Kloster als Vorstufe zur Anachorese zum anderen mit einem geschichtlichen Argument. Danach nahm das könobitische Leben schon in der Urgemeinde seinen Anfang, als alle Gläubigen ein Herz und eine Seele waren, Privatbesitz verabscheuten und füreinander sorgten (Apg 4,32 ff.). Nach dem Tod der Apostel habe jedoch, insbesondere in den Gebieten der Heidenmission, die ursprüngliche Strenge nachgelassen. Aus diesem Grund hätten sich diejenigen, denen der apostolische Eifer noch innewohnte, in verborgene Gegenden zurückgezogen, um das, was von den Aposteln ursprünglich für die ganze Kirche

109 110 111 112 113 114 115 116 117

Coll.XIX, 13,2 (CSEL 13, S.547, 19f.); vgl. auch Inst.VIII, 18,1; Coll.XIX,10. Hier, ep.22,36 (CSEL 54, S.200f.). So J.Leroy, Cénobitisme, S. 157. Coll.III, 1,2 (CSEL 13, S.68,3. 9f.); Inst.V,36,l. B.Steidle, Dominici schola servitii, S. 210. Coll.XVIII, 11,1; 16,15; XIX,2,4; 11,1. Coll.XVIII,4,2; XIX,13,2. Vgl. J.C.Guy, Jean Cassien, S.53. Coll. III, 1,2; XIX, 10,1. Coll. VI, 15; XIX,6,5; XXIV,3.

Im Kellion oder Könobium leben

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eingesetzt worden sei, nunmehr privat und abgesondert zu üben 118 . Wegen ihres gemeinschaftlichen Lebens habe man sie „coenobiotae", wegen ihrer asketischen Grundhaltung „monachi" genannt 119 . Der Kern dieser Geschichtstheorie besteht in der Feststellung, daß die Könobiten die älteste Art der Mönche („antiquissimum genus monachorum") sind120. Erst aus ihrer Mitte sind nach Cassians Uberzeugung die Anachoreten hervorgegangen, weil sie aus Sehnsucht nach tieferem Wachstum („sublimior profectus") nicht mehr unter Menschen, sondern, in der Nachfolge Johannes des Täufers, im offenen Kampf die Dämonen niederzuringen wünschten 121 . Aus dem historisch sehr viel wahrscheinlicheren Nebeneinander beider Lebensformen 122 wird bei Cassian also eine Aufeinanderfolge, die vom Entwicklungsgedanken geprägt ist123. Gleichzeitig unterscheidet er Sonderformen (z. B. die Sarabaiten), die darin übereinstimmen, daß sie nur scheinbar die Strenge der Weltentsagung auf sich nehmen, in Wirklichkeit aber nach ihrem eigenen Gutdünken zu leben suchen 124 . Cassian stellt seinem geschichtlichen Argument eine theologische Uberlegung zur Seite. Danach entspricht erst der klösterliche Gehorsam der Demut des sich erniedrigenden Christus (Phil 2,6 ff.) 125 . Wer sich dem Abt unterwirft, begibt sich in die Nachfolge des Gekreuzigten. Das Leben im Kloster verwirklicht darum ein monastisches Ziel, das die nur in der Anachorese erreichbare Schau Gottes zu ersetzen vermag 126 . Die praktische Konsequenz, die aus dieser Einschätzung des Könobiums resultiert, ist für Cassian eindeutig. Als ein nachahmenswertes Beispiel nennt er den ägyptischen Abbas Johannes, der sich nach vielen Jahren des Klosterlebens ganz der Anachorese gewidmet hatte und in ihrer Einsamkeit zu einer engelgleichen Lebensweise gelangt war. Als er aber wahrnahm, daß durch die zunehmende Zahl von Schülern oder Besuchern die ursprüngliche Freiheit eingeschränkt und die Zurückgezogenheit seltener wurde, kehrte er demütig in sein Kloster zurück mit der Begründung, lieber den niedrigeren Vorsatz („propositum planior") sicher zu erreichen,

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Coll.XVIII, 5,3. Coll.XVIII,5,4 (CSEL 13, S.511,4ff.). 120 ebd. (S. 511,10 f.); vgl. auch Inst. II,5; VII, 17 f. 121 Coll.XVIII,6,1 (CSEL 13, S.511,20f.). 122 Dieses Nebeneinander wird in Inst. V, 27 ( = Cassianus 4; PG 65, Sp. 244/5) noch vorausgesetzt. 123 „It appears to be the first known history of monasticism." (O.Chadwick, Cassian, 2. Aufl., S. 51). 124 Coll.XVIII,7 f. 11. Hieronymus nennt mit gleicher Kritik die sog. Remnuoth (ep. 22,34; CSEL 54, S. 196,16-197,13). 125 Inst.XII,8,1; 28; Coll.XIX,6,6. Dazu J.Leroy, Cénobitisme, S. 131. 126 Coll.XIX, 5,2.

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D i e V o r a u s s e t z u n g e n monastischer T h e o l o g i e

als den höheren Beruf („professio sublimior") zu verfehlen 127 . Die Funktion dieses Beispiels ist eindeutig: wenn schon ein in jeder Hinsicht bewährter Anachoret das Kellion zugunsten des Klosters verläßt, wie sollte dann ein südgallischer Mönch Höheres für sich erstreben dürfen 1 2 8 . Mit diesem geschichtlich und theologisch begründeten Programm gelingt es Cassian, seine persönliche Wertschätzung der Anachorese mit der Notwendigkeit, Klöstern eine Ordnung zu geben, zu verbinden. Auch wenn er in seiner Argumentation nicht immer stringent vorgeht, ist doch die von den Anachoreten gelebte Weltdistanz, die von ihnen praktizierte Absage an die Welt („mortificado") für ihn ohne Einschränkung an das Könobium gebunden 129 . Darum stellt er fest: „es ist notwendig, sich der klösterlichen Disziplin zu unterstellen und ihr niemals zu entfliehen." 130 Damit nimmt er das anachoretische Lebensideal auf und gliedert es, nicht ohne es dadurch zu verändern, dem könobitischen Kontext ein. Der gleiche Vorgang läßt sich bei dem Begriff „ N a r r " verfolgen. Im Kloster gehorsam und beständig auszuharren, das ist für Cassian der greifbare Ausdruck einer Haltung, in der sich der Mönch zum Toren dieser Welt gemacht hat 131 . Er greift damit den von den Anachoreten gebrauchten Topos der „Torheit um Christi willen" auf und bringt ihn als Interpretament in seinem Könobium zur Anwendung 132 . Jedoch bezeichnet „Torheit" jetzt nicht mehr die absichtliche Verstellung, die Schmähungen bewirken soll, sondern das geduldige Tragen von brüderlichen Schwächen sowie den konsequenten Gehorsam gegenüber dem Abt 133 . Weil im Gehorsam sichtbar zum Ausdruck kommt, daß das Leben nunmehr dem Herrn gehört, fordert Cassian seine Mönche auf, die Torheit auf sich zu nehmen und jeden Auftrag ohne Widerworte auszuführen 1 3 4 . Ein Modell zur praktischen Gestaltung des könobitischen Lebens findet 127 Coll. X I X , 3 - 5 . Inst. IV, 2 7 f . W . B o u s s e t kommentiert diese Stelle mit den Worten: „ A u f f a s s u n g und Stimmung, die uns hier entgegentreten, sind durchaus unsketisch. Es ist bemerkenswert, daß C a s s i a n , der lange J a h r e in der Sketis z u g e b r a c h t haben will, von dem eigentlichen Geist der sketischen M ö n c h e so wenig in sich a u f g e n o m m e n hat." ( M ö n c h t u m , S. 17). 128 S o O . C h a d w i c k , C a s s i a n 2. Aufl., S . 5 4 f . und J . L e r o y , Cénobitisme, S. 125. I n s t . I I , 3 , 2 ( C S E L 1 7 , S. 1 9 , 8 f f . ) ; C o l l . X I X , 8 , 3 ( S . 5 4 2 , 1 4 f f . ) . Wenn A . d e V o g ü é feststellt, daß Cassian „ d a s Einsiedlerleben f ü r einen völlig legitimen W e g (ansieht), der s o g a r von höherem Wert ist als der des gemeinsamen L e b e n s " ( R e g u l a Benedicti, S. 63), übersieht er die anderslautenden Stimmen. Ph. R o u s s e a u zeigt am Beispiel der c o n t e m p l a d o , wie C a s sian anachoretische Vorstellungen auf den könobitischen K o n t e x t hin neu interpretiert ( C a s sian, S. 113 ff.). 130 Inst. V I I , 7 , 4 ; 9 , 2 ; 18; 30. S o auch H i e r o n y m u s in seinem Brief an den M ö n c h Rusticus (ep. 125,9; C S E L 56, S . 1 2 7 f . ) . 1 3 1 I n s t . I V , 4 1 , 3 ; Coli. 1,2,3. 132 D a z u St. Hilpisch, Torheit, S. 128 f. 133 Inst. X I I , 2 7 . 134 Inst. X I I , 32.

Im Kellion oder Könobium leben

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Cassian in den ägyptischen Klöstern. Mehrfach verweist er in seinen Schriften auf Gemeinschaften, deren Miteinander durch könobitische Disziplin und Ordnung geregelt sei135. Unter ihnen nehmen die Klöster von der oberägyptischen Nilinsel Tabennisi eine besondere Stellung ein136, auch wenn Pachom als ihr Gründer auffälligerweise an keiner Stelle namentlich erwähnt und sein Werk nur in legendären Einzelheiten beschrieben wird 137 . Der Sache nach steht Cassian seinem großen Vorbild jedoch wesentlich näher, als es die spärlichen Bezugnahmen erkennen lassen. Das zeigt vor allem die Übernahme der Eintritts- und Novizenordnung 138 . Danach muß derjenige, der in ein Kloster aufgenommen zu werden wünscht, an der Pforte zehn oder mehr Tage allen Schmähungen gegenüber Beharrlichkeit und Geduld erweisen, bevor er vorläufig Eintritt findet 139 . Der Kleiderwechsel, der dem Novizen als eine symbolische Handlung vor Augen führt, daß er künftig über kein Eigentum mehr verfügt und zur Armut Christi herabgestiegen ist, schließt sich an u o . Zuletzt wird der junge Mönch vor seiner endgültigen Aufnahme in die klösterliche Gemeinschaft noch ein Jahr der Aufsicht eines älteren Bruders unterstellt, um bei ihm Gehorsam und Demut zu erlernen 141 . Die Nähe zum pachomianischen Mönchtum zeigt sich auch in dem das Könobium treffend kennzeichnenden Begriff „Regel", der bei Pachom die aus Gewohnheit („ex more") geltenden Bestimmungen für das klösterliche Leben zusammenfaßt 142 . Mehrfach verweist der Klostergründer von Tabennisi auf die für jeden Mönch in gleicher Weise geltenden „regulae monasterii" und hebt ihren göttlichen Ursprung hervor 143 . Vermutlich denkt Cassian an diese, wenn er von „regulae atque instituta" spricht, welche man in den Klöstern Ägyptens vorfinde und die es unverändert zu bewahren gelte144. Bei aller Unterschiedlichkeit im einzelnen stimmen sie für Cassian darin überein, daß sie nicht durch das Verhalten einzelner, sondern durch einen breiten Konsens begründet sind und darum als „regula catho135

Inst.IV,30,2; 40; V.36,1; Coll.XIV,4,2; XVIII, 1,2; 4,2; XIX,1; X X , 1 , 2 . Inst. IV, 1 ; 2; 17; 30. 137 Inst.IV,lf.; Coll.XX, 1,2. So auch O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.56. 138 Inst.IV. Vgl. dazu J.Leroy, Préfaces, S. 163. 139 Inst. IV, 3 = Pachom Praecepta 1. 49. 140 Inst. IV, 4 - 6 = Pachom Praecepta 49. 141 Inst. IV, 7-12 = Pachom Praecepta 139; Coll. X X , 1. Der Gehorsam wird damit gegenüber den Anachoreten deutlich aufgewertet (vgl. dazu K.S.Frank, Gehorsam, S.237ff.). Zur könobitischen Umkehr vgl. M. Rothenhäusler, Art. Apotaxis, in: RAC Bd. 1, S. 563 f. 142 Pachom, Praecepta atque Instituta 17 (A. Boon, Pachomiana latina, S. 58,6). Dazu H. Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S.247 Anm.99; A.de Vogüé, Sub regula vel abbate, S. 219 f.; Ph. Rousseau, Ascetics, S. 49 ff. 143 Pachom, Praecepta atque Iudicia 8. 12. 15 und Liber Orsiesii Kp.26 (A.Boon, Pachomiana latina, S.67 ff. 126 f.). Vgl. H. Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S.268 Anm.42. 144 Inst. Praef.Sf.; 1,2,4; 111,1; IV, 1; Coll.XVIII,2,2. 136

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lica" bezeichnet werden können 145 . Zugleich warnt er vor dem abschrekkenden Beispiel palästinischer Klöster, in denen nicht die „Regel der Strenge", sondern die Willkür des eigenen Willens vorherrsche 146 . Wie bei Pachom, der seine Klostergebote nur als „praecepta", „instituta", „iudicia" oder „leges", nicht jedoch als „regula(e)" in den Überschriften bezeichnet 147 , zeigt sich auch bei Cassian eine für das frühe Mönchtum typische Offenheit des „regula"-Begriffs. So spricht er von der „regula discretionis ac patientiae" 148 , der „regula honestatis" 149 , der „regula oboedientiae" oder der „regulae disciplina" 150 , fügt also Näherbestimmungen hinzu, die den eigentlichen Inhalt der Regel angeben. Unter ihnen ist die zuletzt genannte Formulierung von besonderem Gewicht, weil sie durch die Einbeziehung des Begriffs „disciplina" den Ordnungsgedanken als ein wesentliches Merkmal des könobitischen Regelverständnisses hervorhebt. Cassian nimmt damit Intentionen Pachoms auf. Dieser bezeichnet in seinen Regeln den „ordo disciplinae" als die Grundlage des gemeinsamen Lebens 151 , fordert von allen Novizen eine gründliche Kenntnis der Klostervorschriften („monasterii disciplinae") 152 und begründet mit dem gleichen Argument die Verbindlichkeit der Disziplinarbestimmungen 153 . In anderen Zusammenhängen spricht Pachom ebenfalls von der einzuhaltenden „disciplina" 154 und unterstreicht damit die allgemeine Gültigkeit der Klosterordnung, die im Unterschied zum Väterlogion gelernt werden kann und im Falle der Vernachlässigung Strafe nach sich zieht 155 . Die Übereinstimmung mit Cassian liegt auf der Hand: auch für ihn ist eine klösterliche Gemeinschaft ohne „disciplina coenobii" 156 bzw. „disciplina regulae" 157 ausgeschlossen. Doch wird seine „vermittelnde Auffassung" 158 daran deutlich, daß er für seine südgallischen Mönche noch keinen feststehenden Regelkodex formuliert und pachomianische BestimInst. 1,2,3. C o l l . X I X , 2 , 2 ( C S E L 13, S. 535,28 f.). Vgl. Inst. VII, 30; XII, 30. 147 Nur mit Einschränkung können wir darum bei Pachom von einer Regel sprechen. (E.v.Severus, Monasterium, S. 119). 148 Inst. V, 36,1. 149 Inst. VII, 24; vgl. VII, 10. 150 Inst. II, 15,2; X I I , 2 7 , 2 . 151 Pachom, Praecepta 73 (A. Boon, Pachomiana latina, S. 35,1). 152 Pachom, Praecepta 49 (A.Boon, a . a . O . S . 2 6 , 1 ) . 153 Pachom, Inst. 10 (A.Boon, a . a . O . S . 5 6 , 9 ) ; vgl. auch Liber Orsiesii K p . 2 6 (A.Boon, a . a . O . S. 126f.). 154 Pachom, Praecepta 31. 52. 54. 68. 79. 118. 143; Instituta 1; vgl. Liber Orsiesii Kp. 15. 21 f. 24. ,5S Dazu H.Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S. 148 Anm. 144. 156 Inst.IV,3,1 f.; 4; 41,3; V , 3 6 , l ; V I I , 7 , 4 ; 9,2; 18; 30; X I I , 3 0 . 157 Inst. II, 15,2. 158 W . Bousset, Mönchtum, S.15. 145

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mungen nicht ohne weiteres übernimmt. Indem er darauf verweist, daß man auch in den ägyptischen Klöstern „diversi typi ac regulae" gehabt habe 159 , beschränkt er sich in seinen Schriften auf wenige inhaltliche Hinweise. Nur beiläufig nennt er das Gebet, das Fasten, die Nachtwachen sowie die Verpflichtung zur Fürbitte als Bestandteil eines geregelten Lebens160. Schriftlesung und Handarbeit werden ebenfalls angesprochen 161 . Ausführlicher äußert er sich nur hinsichtlich der Bestimmungen über die Kleidung der Mönche, über die Stundengebete der klösterlichen Gemeinschaft sowie über die schon erwähnte Novizenordnung, in denen er sich ausdrücklich auf überlieferte Regelungen („regulae") bezieht 162 . Ansonsten bleibt er allgemein und beläßt es bei der Forderung, sich der „regula communis" in Demut unterzuordnen 163 . Diese Offenheit des Regelbegriffs ist auffallend, zumal Cassian, wie im vorausgehenden Kapitel geschildert, nach dem Willen seines Auftraggebers die Gründungsschrift des südgallischen Mönchtums verfassen soll. Wenn er es dennoch vermeidet, eine „Regula Cassiani" zu schreiben164, so hat dies praktische und theologische Gründe. Im Zusammenhang des Fastens betont Cassian, daß eine gleichförmige Regel („uniformis regula") nicht leicht zur Anwendung gebracht werden könne, weil jeder Mönch unterschiedliche Voraussetzungen mitbringe 165 . Nur hinsichtlich des Geistes gebe es eine „regula castigationis", die besage, daß jeder auf seine Weise fasten soll mit dem Ziel, sich nicht über das Maß hinaus zu beschweren 166 . Das Maß („mensura") läßt sich also darum nur schwer einheitlich fassen, weil es bei der Verschiedenartigkeit der Menschen mal strenger, mal weiter gefaßt werden muß, um zu dem gleichen Ziel zu gelangen. Hinter diesem Standpunkt des Praktikers, der das Schädliche aller Rigorismen erkennt, wird aber auch das Urteilsvermögen des Theologen sichtbar. Am Beispiel der Enthaltsamkeit stellt Cassian fest: sie läßt sich weder allein am Zeitmaß noch an der Menge des Essens, sondern vor allem am Urteil des Gewissens („iudicium conscientiae") ermessen 167 . Damit Inst. II,2,1; 3,5; IV, 15,2. Inst. VII, 10. 161 Inst.VI, 1; X , 2 (CSEL 17, S. 115, 22 ff.; 174,12). 162 Inst. 1,2,3f.; 11,2,1; 5,4; 15,2; 18; 111,1; IV, 1; 6; 10; 15,2; 33; 41,1. H . O . W e b e r macht daran deutlich, daß Cassian „der unmittelbare Vorläufer zur Regel" ist (Stellung, S. 85). 163 Inst. IV, 39,2; 41,1; VII, 31. 164 Diese ist später als Kompilation aus seinen Werken entstanden. Dazu H. Plenkers, Untersuchungen, S.70-84 und O.Chadwick, Cassian 1. Aufl., S.75f. '« Inst. V, 5,1 (CSEL 17, S. 84,24f.); vgl. auch Inst. II, 18; 111,10. 164 Inst.V,5,1 f. (a.a.O. S.85,5f. 15ff.). 167 Inst.V,9 (a.a.O. S.87,20ff.); vgl. auch Inst.V,17,2; VI,4,2; 9; VIII,4,4; 7; XII,6,2 u.ö. Dieses theologische Kriterium dient Cassian als Maßstab bei der Übernahme ägyptischer Traditionen; vgl. dazu Ph. Rousseau, Ascetics, S. 183. 160

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

setzt Cassian das Urteilsvermögen des Gewissens einer gesetzlichen Handhabung monastischer Regelbestimmungen als Korrektiv entgegen und hebt die Verbindlichkeit des Gehorsams von einer formalen auf eine inhaltlich begründete Ebene. c) Benedikt von

Nursia

Während Cassian mit historischen und theologischen Argumenten zwischen Anachorese und Könobium abwägt, sich dann aber für ein Plädoyer zugunsten der klösterlichen Lebensweise entscheidet, widmet Benedikt dieser Streitfrage des frühen Mönchtums gerade noch dreizehn Zeilen. Sie ist für ihn offensichtlich entschieden, auch wenn sich die Antwort beim Lesen seiner Regel erst auf den zweiten Blick erschließt. In dem ersten Kapitel seiner Regel würdigt er nach einer eher beiläufigen Erwähnung der Könobiten überraschend ausführlich die Eremiten und lobt ihren Wandel mit folgendem Argument: ein Anachoret nehme zunächst eine lange Bewährungszeit im Kloster auf sich, lerne hier, gegen den Teufel zu kämpfen, und gehe erst danach in die Wüste, um mit der Hilfe Gottes aus eigener Kraft gegen die „vitia" anzugehen 168 . Der Anachorese, die soviel Anstrengung erfordert, gilt demnach Benedikts ganze Sympathie. Kritische Untertöne werden nicht hörbar, vielmehr wird Respekt vor denen vernehmbar, die das Alleinsein nicht scheuen, gleichwohl aber ein Leben von höchster Disziplin führen. Die Sarabaiten, die in kleinen Gruppen nach eigenem Gutdünken leben, und die Gyrovagen, welche sich unstet herumtreiben, werden von ihm demgegenüber als erbärmlich („miserrima") bezeichnet 169 . Die Konsequenz, die Benedikt aus dieser kurzen Übersicht der vier Mönchsarten zieht, ist überraschend: er wolle nunmehr der besten Lebensform, nämlich der der Könobiten („coenobitarum fortissimum genus"), eine Ordnung geben 170 . Wie erklärt sich diese unvermutete Schlußfolgerung? Ein Vergleich mit der Magisterregel zeigt, daß Benedikt deren erstes Kapitel seiner Darstellung zwar zugrundegelegt, dieses jedoch gleichzeitig wesentlich gekürzt hat 171 . Seine Streichungen werden nicht nur im Abschnitt über die Sarabaiten und Gyrovagen, die der Magister mit einer langen satirischen Beschreibung versieht172, sondern auch am Ende des Kapitels sichtbar, wo der Magister seine Hochachtung vor den Könobiten dadurch zum Ausdruck bringt, daß er vom Abt als dem Oberhaupt des Klo-

168 169 170 171 171

RB 1,3-5. RB 1,6-12. RB 1,13. Dazu im einzelnen A. de Voglie, „De generibus monachorum", S. 1-25. RM 1,6-12. 13-74.

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sters spricht 173 . Ohne Zweifel ist insbesondere der zuletzt genannte Abschnitt von großer Bedeutung, weil in ihm der kurze Eingangssatz des ersten Regelkapitels, der „Regel" und „Abt" als entscheidende Merkmale des Klosters herausgestellt, aufgegriffen und erstmals des näheren erläutert wird. Und indem der Magister vor der eigentlichen Darstellung des Könobiums ausführlich die verderbliche Lebensweise der Sarabaiten und Gyrovagen schildert, führt er den Leser zu der (von Anbeginn feststehenden) Erkenntnis, daß jeder Mönch „sub unius potestate maioris" sein Leben gestalten müsse174. Die Darstellung der vier „genera monachorum", die mit zunehmender Ausführlichkeit geschieht und dadurch eine auf den Schlußteil zulaufende Steigerung erreicht, hat also keine eigenständige Bedeutung, sondern die Funktion eines Präludiums für das eigentliche Thema. Die Streichungen Benedikts verändern diese Gewichtung spürbar. Zum einen bilden die verschiedenen Mönchsformen nun auch inhaltlich die Mitte des Kapitels, kommen aber in einem eher zusammenhanglosen Nebeneinander zu stehen. Zum anderen erweist sich die vermeintliche Hochschätzung der Anachorese als „eine optische Täuschung" 175 , die allein darauf beruht, daß Benedikt an dieser Stelle auf Kürzungen verzichtet hat. Wie seine redaktionelle Schlußbemerkung, in der er von der besten Art der Könobiten spricht, anzeigt, teilt er nämlich die Uberzeugung des Magisters von der Überlegenheit der klösterlichen Lebensweise176. Weil er aber dessen Ausführungen zum Abt-Lehrer übergeht, läßt sich inhaltlich im ersten Kapitel der Benediktsregel nur wenig über das Könobium feststellen. Der Leser sieht sich an die wenigen Stichworte gewiesen, die Benedikt im Eingangssatz unverändert aus der Regula Magistri übernimmt und die wegen ihrer Kürze einer die ganze Regel einbeziehenden Erläuterung bedürfen. In diesem Satz ist davon die Rede, daß der im Kloster lebende Mönch unter Regel und Abt („sub Regula uel Abbate") seinen Dienst verrichtet 177 . Damit werden die wesentlichen Merkmale des Könobiums, die in der monastischen Tradition seit Pachom Geltung erlangt haben, der Regel als „eine Art Titelblatt" vorangestellt 178 . Was besagen sie im einzelnen? Das erste Stichwort „regula" nennt das Grundgesetz des Könobiums, dem sich die Mönche ebenso wie die Amtsträger zu unterwerfen haben 179 . 173

RM 1,75-92. RM 1,87. 175 A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 61. 176 RB 1,13; vgl. auch RB 4,78, w o die „claustra monasterii" als der Ort bezeichnet wird, wo der Mönch die „ars spiritalis" üben solle. 177 RB 1,2. 178 A.de Vogüé, Regula Benedicti, S.58. 17 ' Vgl. dazu B. Steidle, Regel, S. 42 ff. sowie A. de Vogüé, Sub regula vel abbate, bes. S. 23 I f f . 174

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Als „regula communis" 180 verlangt sie von allen Gehorsam 1 8 1 und wird, damit jeder sie kennt, nicht nur den Novizen, sondern immer wieder auch der ganzen Klostergemeinde vorgelesen 182 . Die Regel ist die unumstrittene Richtschnur des könobitischen Lebens: sie regelt dessen äußere und innere Organisation und läßt es „vom harmonischen Dreiklang von Gebet, Lesung und Arbeit" geprägt sein 183 . Uber die geistliche Bedeutung hinaus mißt Benedikt der Regel aber auch eine rechtliche Qualität zu: sie ist das Gesetz („lex") 184 , das alle, die seine Einhaltung gelobt haben, an sich bindet und, wie die disziplinarischen Bestimmungen zeigen, mit dem Anspruch von Befolgung auftritt 185 . Der Abt, der an zweiter Stelle genannt wird, ist ebenfalls an die Klosterregel gebunden 186 , hat allerdings über sich keinen Vorgesetzten und verfügt darum im Kloster über eine Vollmacht, die nur durch das Wissen um das künftige Gericht begrenzt wird 187 . Er wird von Benedikt als Herr und Vater, als Lehrer und als Richter bezeichnet, dem es aufgetragen ist, die Seelen zu leiten und der Eigenart vieler zu dienen 188 . Der wichtigste Titel, der ihm in der Regula Benedicti zugemessen wird, ist der des Stellvertreters Christi („vicarius Christi") 189 , was mit den Worten Steidles bedeutet: „Der Abt muß wie der Abba Christus Quelle des Lebens für sein Zönobium, dessen sichtbares Haupt er ist, sein." 190 Christus wird damit nicht nur als Interpretament für ein klösterliches Amt in Anspruch genommen, sondern auch, was noch wichtiger ist, zur Erfahrung gebracht: das Bekenntnis, daß Christus der Herr des Lebens ist, gewinnt für den, der sich dem Abt unterordnet, Gestalt und wird in das Leben überführt. Der Abt des Klosters Benedikts ist darüber hinaus gleichzeitig der Vorgesetzte aller Mönche wie auch der rechtliche Vertreter des Könobiums nach außen 191 . Die einzig angemessene Verhaltensweise ihm gegenüber besteht darum im Gehorsam und im Hören auf sein Wort 192 .

R B 7,55. R B 60,5; 6 2 , 3 f . 7.11; 6 4 , 2 0 ; 65,17. 182 R B 5 8 , 9 . 1 2 f . ; 66,8. 1 8 5 K . S . F r a n k , Kloster, S . 8 2 . 184 R B 58,10. 15. 185 R B 3,10; 23,1; 32,5; 42,9; 4 8 , 2 0 ; 54,5; 60,2. 9; 6 5 , 1 8 ; 67,6; 70,6. „ D e r Inhalt der Regel ist f ü r die Klostermitglieder bindendes Gesetz, so d a ß seine E r f ü l l u n g notfalls auch auf dem W e g e klösterlichen S t r a f r e c h t s . . . erzwungen werden k a n n . " (U. K . J a c o b s , R e g u l a Benedicti, S . 2 3 f . ) . 186 R B 3,11. 187 R B 2 , 6 f . u . ö . Vgl. U . K . J a c o b s , a . a . O . S . 1 4 f f . 188 R B 2,31. 1 8 ' R B 2,2; 63,13; vgl. d a z u R M 2 , 2 ; 11,10; 14,13. 1 . 0 B.Steidle, Regel, S . 8 8 . 1 . 1 Vgl. d a z u R B 2; 27 f.; 56; 64. 1 . 2 R B 4,61 u . ö . 180

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Wenn Benedikt drittens feststellt, daß der Klostermönch zu dienen („militare") habe, so weist er damit zurück auf den Prolog und dessen Kernaussage, daß das Kloster eine „dominici scola servitii" ist193. Falls die vorliegende Textgestalt des Prologs die ursprüngliche ist194, wird man sogar davon ausgehen dürfen, daß Benedikt allein um der Bestimmung des Klosters als „scola" willen die Schlußparänese des um ein Vielfaches längeren Magisterprologs aufgenommen hat, während er die in der Regula Magistri vorausgehenden Abschnitte auf wenige Sätze zusammenstreicht 195 . Freilich kann nicht übersehen werden, daß „scola" in der Magisterregel eine ungleich wichtigere Bedeutung hat 196 , während Benedikt diesen Begriff nur einmal verwendet und an dieser Stelle gegenüber seiner ursprünglichen Bedeutung auffallend deutlich abmildert: für den Magister schließt die „scola" die Bereitschaft ein, am Leiden Christi teilzunehmen; Benedikt fügt jedoch hinzu, er wolle nichts Schweres anordnen, und er bezeichnet den klösterlichen Weg als „via salutis", der nur am Anfang eng erscheine, später aber zu unsagbarer Freude der Liebe führe 197 . Dem entspricht die Beobachtung, daß Begriffe wie „discipulus" und „magister" nur noch in den vom Magistertext abhängigen Regelabschnitten auftauchen 198 . Auch ist der theologische Zusammenhang, in den der Magister die „scola" hineingestellt hat, nicht mehr zu erkennen, wonach der Eintritt in die Schule des Klosters die notwendige Konsequenz aus dem Taufgeschehen darstellt und wie dieses im Ruf Jesu (Mt 11,28-30) begründet ist199. Andere Beobachtungen treten hinzu, die das für die Magisterregel charakteristische Gegenüber von Abt und Mönch bzw. Lehrer und Schüler und damit die vertikale Sichtweise des Klosters relativieren. So sind für Benedikt alle Mönche unabhängig vom Eintrittsalter Mitglieder („membra") der einen Körperschaft des Klosters („corpus monasterii") 200 , in der auch dem jüngsten Bruder das Recht, dem Abt in wichtigen Belangen seinen Rat („consilium") zu geben, zuerkannt ist201. 1.3

RB Prol.45. Üblicherweise wird der Codex 914 Sangallensis den Textausgaben zugrundegelegt. Danach umfaßt der Prolog der Benediktsregei 50 Zeilen (vgl. dazu B. Steidle, Benediktusregel, S. 37 f.). 1.5 RB Prol. 1-4 entspricht RM Prol./Thema/Vaterunserauslegung (vgl. im einzelnen dazu A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 10 ff.). 1.6 RM ths 42; 1,83; 87,9; 90,12. 29. 46. 55; 92,26. 29. 62. 1.7 In die Schlußparänese der Magisterregel neu eingefügt wurden von Benedikt Prol. 4649. Auffällig ist die Nähe dieser Formulierungen Benedikts zu solchen bei Caesarius von Arles, der als ehemaliger Leriner Mönch auf sein altes Kloster eine Lobrede hielt (Sermo 236; CCL Bd. 104, S.943f.). 1.8 Vgl. R B 2 f . und 5 f. RM th 8 ff. Vgl. A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 16 ff. 200 RB 34,5; 61,6; vgl. E.von Severus, Monasterium, S. 127 f. 201 RB 3,3 f. 1.4

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Noch deutlicher verschieben sich die Akzente gegenüber der Regula Magistri, wenn wir mit Steidle annehmen, daß der benediktinische Regelprolog in seiner ursprünglichen Fassung den Begriff „scola" gar nicht enthalten hat 202 . Dann nämlich wird man nur noch mit Einschränkung bei der Benediktsregel einen „umfassenden Erziehungs- und Bildungsanspruch der Schule für den Herrendienst" 2 0 3 postulieren dürfen und stattdessen das Augenmerk auf die erstmals von Augustin in das Zentrum einer Mönchsregel gerückte Bedeutung der Gemeinschaft für das Kloster richten müssen 204 . Diese Vermutung findet eine Bestätigung in der Beobachtung, daß Benedikt den Aspekt der „communio" vor allem in den von der Magisterregel unabhängigen Abschnitten berücksichtigt. Mehrfach verweist er auf den Vorbildcharakter der Jerusalemer Urgemeinde: deren Gütergemeinschaft (Apg. 4,32 ff.) soll auch für das Könobium gelten, damit jedem zuteil werden kann, was er nötig hat 205 . Und er beschreibt mit eindrucksvollen Worten, wie die Brüder miteinander umzugehen haben: wechselseitig („invicem") sollen sie einander gehorchen und dienen, ermahnen und achten 206 . Der Unterordnung des Mönchs unter den Abt tritt damit die Orientierung am Mitbruder gleichberechtigt zur Seite 207 , wobei Benedikt beide Verhaltensweisen durch den Primat der Liebe präzisiert: aus Liebe sollen alle Aufgaben verrichtet, soll für die Ausgeschlossenen gesorgt und auch der Gehorsam praktiziert werden 208 . Dem Abt wird ebenfalls als Mahnung mit auf den Weg gegeben, mehr danach zu trachten, geliebt zu werden als gefürchtet zu werden 209 . Am deutlichsten tritt das die Benediktsregel kennzeichnende Anliegen in dem vorletzten Regelkapitel über den guten Eifer („zelus bonus") hervor: dort fordert Benedikt seine Mönche auf, in glühender Liebe („amor feruentissimus") die Schwächen des Bruders zu tragen, immer seinen Vorteil zu suchen und ihm stets Liebe zu erweisen 210 . Vergleichbare Äußerungen sucht man in der Regula Magistri vergebens. Und so ist es sicher nicht zufällig, daß Benedikt schon in den Prolog des Magisters eine Bemerkung eingefügt hat, die den hohen Rang der „caritas" unterstreicht 211 . Steidle ist darum zuzustimmen, der „das eigentliche Anliegen der Regel" nicht in Ge202 Der Codex Oxoniensis umfaßt nur die Prologverse 1-39; der V. 45 mit „scola" fehlt demnach. B. Steidle nimmt die Priorität dieses Textzeugen an (Benediktusregel, S.44f.). 203 K.S.Frank, Kloster, S.83. 204 Augustinus, Regel Kp. 1 f. 6 (nach A.Zumkeller, Mönchtum, S. 323ff.). 205 R B 33,6; 34,1; 55,20. Nur R M 87,14 f. zeigt einen Anklang an Apg. 4. 206 RB 22,8; 35,1. 6. 13; 63,17; 71,1. 4; 72,3f. 207 R B 71,1. 208 R B 27,4; 35,2. 6; 66,4; 68,5; 71,4. 209 R B 64,14 f.; 65,11. 210 R B 72,3-8. 211 R B Prol.47.

Im Kellion oder Könobium leben

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horsam, Demut oder Schweigsamkeit erblickt, sondern in der „Verwirklichung der monastischen Gemeinschaft", die ihr „tiefste(s) Merkmal" in der „Verwirklichung des ersten und größten Gebotes des Abba Christus, nämlich der Liebe", hat 212 . Mit dieser Akzentuierung der „communio" und der „caritas" hat Benedikt über den Magister und die ihm vorausgehende Tradition hinaus neue Impulse in das frühe abendländische Mönchtum eingebracht und die durch Cassian vermittelte Tradition der ägyptischen Mönchsväter mit augustinischen Gedanken verbunden. Überblicken wir die im vorangehenden gezeigte Entwicklung, so wird die Spannweite der monastischen Lebensformen deutlich. Stand am Anfang des Mönchtums das in der Einsamkeit gelegene Kellion des einzelnen, so trat an seine Stelle später das Könobium als Schule für den Herrendienst und schließlich die in Liebe begründete Gemeinschaft des Klosters. Bei allen Unterschieden im einzelnen zeigt sich als grundlegende Gemeinsamkeit dieser Lebensformen das Anliegen, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem Menschen .wahrhaft Gott suchen' (RB 58,7) können. Antonius, Cassian und Benedikt sind davon überzeugt, daß die Suche nach Gott konkreter Lebensbedingungen bedarf, die der geistlichen Sammlung Raum geben sollen. Die Abgrenzung von der Welt, geschehe sie nun durch den Rückzug in die Mönchszelle oder durch den Eintritt in die Klostergemeinschaft, ist dafür notwendig. Weil sie von anderen Bindungen befreit, bedeutet sie die grundsätzliche Entscheidung, das Leben auf Gott auszurichten und für die Erfahrung seiner Zuwendung zu öffnen. Mit der Beschreibung der Lebensformen ist das monastische Leben jedoch noch nicht ausreichend gekennzeichnet. „Väterspruch und Mönchsregel" 213 stimmen darin überein, daß der Mönch nur dann Erfahrungen Gottes machen kann, wenn sein Leben von drei geistlichen Koordinaten bestimmt wird: vom Hören des Gotteswortes, von der Feier des gemeinsamen Gottesdienstes mit Herrenmahl und von der Heiligung des Alltags durch Gebet und Arbeit. In diesen drei Grundhaltungen gewinnt die Zuwendung Gottes zum Menschen ebenso wie dessen Hinwendung zu Gott eine konkrete Gestalt. Sie sind die spirituelle Signatur des monastischen Lebens und zugleich die Voraussetzung für die aus ihm erwachsende Theologie. Von der Bedeutung der Heiligen Schrift, des Gottesdienstes und der Arbeit soll darum in den folgenden drei Kapiteln gesprochen werden.

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B. Steidle, Regel, S. 102. 329. So der Titel eines Aufsatzes von I.Herwegen (zuerst erschienen 1936), der die „zwei Stadien in der geschichtlichen Entwicklung des Mönchtums" beschreibt (S.5.). 213

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

2. Das Wort der Heiligen Schrift hören a) Die ägyptischen Anachoreten Schon bei einer flüchtigen Durchsicht der Apophthegmenüberlieferung läßt sich feststellen, daß die Heilige Schrift im anachoretischen Leben einen zentralen Rang einnimmt. Antonius antwortet auf die Frage, was man denn tun müsse, um Gott zu gefallen: „was du auch tust, habe aus den heiligen Schriften ein Zeugnis" 1 , und er formuliert damit eine der „Grundweisungen des frühen Mönchtums" 2 . Auch im Ringen um Vollkommenheit wird die Bibel als Hilfe und Orientierung erfahren. Deswegen erteilt Abbas Macarius einem angefochtenen Bruder den Rat: „Betrachte das Evangelium und die anderen Schriften; sofort wird dir der Herr helfen." 3 In seinem Logion wird die Uberzeugung laut, daß derjenige, der die Fragen seines Lebens an die Bibel heranträgt, auch Antwort von ihr bekommen wird. Das Schriftwort spricht direkt in die eigene Gegenwart hinein, erhellt und deutet sie4. Zuweilen verzichten die Mönchsväter deswegen, wenn sie um Rat gefragt werden, auf die Formulierung eines Logions und verweisen stattdessen auf ein Schriftwort 5 , das nunmehr „als der in langer Lebenserfahrung erprobte Inbegriff mönchischer Weisung" erscheint 6 . Uberhaupt sind die Worte der Bibel und ihre Auslegung Inhalt zahlreicher Gespräche der Mönche untereinander 7 . Diese Kenntnis der Heiligen Schrift, die Altes und Neues Testament gleichermaßen umfaßt 8 , gründet vor allem im Hören der gottesdienstlichen Lesungen 9 . Auch die Privatlektüre und der Brauch, einem kranken Abbas im Kellion vorzulesen, werden erwähnt 10 , doch wird man nicht davon ausgehen können, daß jeder Anachoret Aufzeichnungen biblischer Bücher sein eigen nennen konnte. Dies war vielmehr die Ausnahme und bedeutete für den, der über sie verfügte, die Verpflichtung, den „kostbarsten Besitz"11 mit anderen Anachoreten zu teilen. Deswegen legt Abbas Gelasius sein Pergamentbuch, das eine Reihe von biblischen Schriften um1

Antonius 3 (PG 65, Sp. 76). H.Dörries, Bibel, S. 251. 3 Macarius Aegyptius 3 (PG 65, Sp.264). 4 Gerontius (a.a.O. Sp. 153); Poemen 153 (a.a.O. Sp.360); Poemen 172 (a.a.O. Sp.364); Sisoes 23 (a.a.O. Sp.400). 5 Benjamin 4 (a.a.O. Sp.145). 6 H.Dörries, Bibel, S.262Í. ' Ein Sachverhalt, der wegen der Gefahr der Vergleichgültigung biblischer Worte auch Anlaß zur Kritik ist: Antonius 18 (PG 65, Sp.81); Arsenius 42 (a.a.O. Sp. 105); Poemen 8 (a.a.O. Sp.321/4). 8 Gelasius 1 (a.a.O. Sp.145); Sisoes 35 (a.a.O. Sp.404). ' So W. Bousset, Apophthegmata, S. 82 und K. Heussi, Ursprung, S.276. 10 Agathon 22 (PG 65, Sp. 116); Sisoes 17 (a.a.O. Sp.397). 11 H.Dörries, Bibel, S.252. 2

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faßt, in der Kirche öffentlich aus, damit die Brüder aus benachbarten Kellien von der Lektüre nicht ausgeschlossen werden. Er selbst zeigt so wenig Interesse am persönlichen Besitz der Bibel, daß er sie, als sie ihm gestohlen wird, nicht einmal zurückverlangt und dem Dieb zu überlassen bereit ist 12 . Andere Erzählungen unterstreichen die Bereitschaft der Anachoreten, auf eine eigene Bibel zu verzichten, wenn dies dem Nächsten oder dem eigenen Seelenheil von Nutzen sein kann. T h e o d o r u s Phermae verkauft sie, um den Erlös Armen zukommen zu lassen 13 . Abbas Ammoes beobachtet, wie Brüder unter Zurücklassung der Bibel aus ihrem Kellion fliehen, weil sie befürchten, am alten O r t keine Ruhe finden zu können 1 4 . Besario, der dem Lebensideal der asketischen Heimatlosigkeit nacheifert, hat überhaupt keinen Umgang mit Büchern, sondern stärkt sich allein durch die H o f f n u n g auf das Kommende 1 5 . Andere Mönchsväter stimmen mit ihm darin grundsätzlich überein, wenn sie hervorheben, es sei wichtiger, dem W o r t der Schrift im Leben nachzufolgen, als es auf Pergament festzuhalten 16 . N u r Epiphanius, Bischof von Zypern und damit keine sketische Autorität, schärft den Besitz der Bibel ein, weil er der Uberzeugung ist, daß allein das bloße Ansehen der Bibel zögernder gegenüber der Sünde macht 17 . Das seltene Vorhandensein einer Bibel bedeutet keine Unkenntnis ihres Inhalts. Vielmehr können wir bei den Anachoreten eine tiefe Vertrautheit mit den biblischen Schriften beobachten, die sich dadurch erklärt, daß sie die Schrift zu weiten Teilen auswendig gelernt haben 18 . Weil sie im Gedächtnis präsent ist, deswegen berufen sie sich immer wieder auf deren Autorität. Die häufige Formulierung „es steht geschrieben" ist d a f ü r ein nachdrücklicher Beleg 19 . Auch fällt es auf, daß der literarischen Form der Gleichniserzählung in den Apophthegmata Patrum eine ähnlich zentrale

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Gelasius 1 (PG 65, Sp.145). Theodorus Phermae 1 ( a . a . O . Sp. 188); vgl. auch Verba seniorum 111,70 (PL 73, Sp. 7721.). 14 Ammoes 5 (PG 65, Sp. 128). 15 Besario 12 ( a . a . O . Sp. 144); ähnlich auch Theodorus Phermae 29 ( a . a . O . Sp. 196) und Serapio 2 ( a . a . O . Sp.416). 16 „II ne faut pas se donner plus de mal pour recopier la Bible que pour la mettre en pratique." (J.C.Guy, Écriture Sainte et Vie spirituelle, in: D S p Bd.4,1, Sp. 162); vgl. dazu Abraham 3 (PG 65, Sp. 132) und Vêrba seniorum V, 10,114 (PL 73, Sp.933). 17 Epiphanius episcopus 8 (PG 65, Sp. 165). 18 Vgl. Vita Antonii K p . 3 (PG 26, S p . 8 4 5 A ) und Hist. Laus. Kp. 11.32.37 u.ö. (C.Butler, Lausiac History Bd. 2, S. 34,5 f.; 96,5; 109,5 f.). Ausführlich dazu R. Reitzenstein, Historia monachorum, S. 162 ff. 19 Moyses 18 (PG 65, Sp.288); Macarius urbicus 2 ( a . a . O . Sp.305); Poemen 30. 45. 60. 114. 117 ( a . a . O . Sp.329. 333. 336. 352); Petrus Pionitus 2 ( a . a . O . Sp.376); Syncletica 18 (a. a.O. S.428); Or 13 ( a . a . O . Sp.440) u . ö . 13

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Bedeutung zukommt wie im Alten und Neuen Testament 2 0 . Vergleiche und Gleichnisreden sind in noch größerer Zahl vorhanden und können als ein typisches Stilmittel der ägyptischen Mönchsväter betrachtet werden 2 1 . D a r u m ist es keine übertreibende Behauptung, wenn Sisoes von sich sagt: „Ich lese und anerkenne das Neue Testament und kehre zugleich zum Alten zurück." 2 2 Sein Ausspruch macht vielmehr deutlich, „wie das Leben eines Mönchsvaters ganz von der Schrift gesättigt sein konnte." 2 3 Weil sie ihm den Weg weist, wie der Glaube im Leben Gestalt finden kann, bewegt er sie beständig in seinem Herzen und denkt über ihre Auslegung nach 24 . Dieser unmittelbare Lebensbezug bedingt und erklärt die große Bedeutung der Bibel f ü r die Anachoreten. Ihre Schriften sind, wie es der Antonius der Vita formuliert, „hinreichend zur Unterweisung" und darum gewissenhaft zu studieren 25 . O f t verweisen die Mönchsväter auf das Alte Testament, um die monastischen Tugenden durch deren heilsgeschichtliche Gestalten zu begründen. Diese sind „weniger mit ihren Worten als mit ihrem V e r h a l t e n . . . die Vorbilder, denen ein M ö n c h nacheifern" soll 26 . Abraham, Moses, Aaron und Hiob stehen f ü r Gastfreundschaft, Sanftmut, Heiligkeit und Demut 2 7 . Ebenso werden Noah, Joseph, David und Daniel genannt 2 8 und wie die zuerst Genannten „ganz unmittelbar auf das mönchische Leben bezogen" 2 9 . Das gilt noch deutlicher vom Neuen Testament. Die Väter interpretieren Jesu Worte auf das eigene entsagungsvolle Leben und verstehen die gegenwärtigen Bedrängnisse als solche, die schon von ihm angekündigt worden sind 30 . Als Abbas Ammonas nach der Bedeutung des Wortes von der engen Pforte (Mt 7,13 f.) gefragt wird, antwortet er nicht nur mit dem Jüngerwort von der Nachfolge (Mt 19,27), sondern f ü g t als eigene Interpretation hinzu: „es ist notwendig, die eigenen Gedanken zu bezwingen 20

Antonius 13. 18 (PG 65, Sp.80f.); Joannes Colobus 1. 18 (a.a.O. Sp.204. 212); Joseph in Panepho 1 (a.a.O. Sp.228); Pambo 4 (a.a.O. Sp.369); Pior 3 (a.a.O. Sp.373); Ammonas 6 (a.a.O. Sp. 121). Vgl. W.Bousset, Apophthegmata, S.81 f. 21 Antonius 19. 21. 29 (PG 65, Sp.81. 85); Joannes Colobus 10. 12. 15. 16 (a.a.O. Sp.208/ 9); Macarius Aegyptius (a.a.O. Sp.272); Mios 3 (a.a.O. Sp.301/4); Orsisius 1/2 (a.a.O. Sp. 316); Poemen 6. 51. 109. 111. 146. 148. 183 (a.a.O. Sp.320. 333. 348f. 357/60); Serapio 3 (a.a.O. Sp.416). 22 Sisoes 35 (a.a.O. Sp.404). 23 N. Schedi, Jesus Christus, S.24. 24 Verba Seniorum V, 14,13 (PL 73, Sp.950). 25 Vita Antonii Kp. 16 (PG 26, Sp.868A). 26 H. Dörries, Bibel, S.258. 27 Joannes Persae 4 (PG 65, Sp. 237/40). 28 Poemen 50. 53. 60. 102. 115. 178 (a.a.O. Sp.333. 335. 348. 352. 365); Nisterous 2 (a. a.O. Sp.308); Orsisius 1 (a.a.O. Sp.316). 29 K.Heussi, Ursprung, S.278. 30 Theodora 2 (PG 65, Sp.201); Joannes Colobus 38 (a.a.O. Sp.216/7); Poemen 112 (a.a.O. Sp.352); Sisoes 44 (a.a.O. Sp.405).

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und die Willensneigungen um Gottes willen abzuschlagen." 3 1 Sein Zusatz ist f ü r das Schriftverständnis der Anachoreten charakteristisch: „die Worte vom schmalen Weg und der Nachfolge ziehen gleichsam das Mönchskleid an: sie bestätigen den Mönch in seiner Aufgabe, mit den versuchenden Gedanken zu ringen und seinem Geron zu gehorchen." 3 2 Andere Beispiele bestätigen diese Beobachtung, daß die Eremiten von den Erfahrungen ihres Lebens aus die Heilige Schrift auslegen. Silvanus erinnert, um den Zusammenhang von Reden und T u n zu unterstreichen, an die Perikope von Maria und Martha 3 3 . Abbas Psenthaisius fordert dazu auf, den Worten Pachoms zu folgen, wie auch dieser den Heiligen gefolgt sei und gemäß dem W o r t Jesu gelebt habe „kommt zu mir alle, die ihr M ü h e tragt und beladen seid" (Mt 11,28) 34 . Von Abbas Moyses wird sogar das Martyrium, das in der Sketis durch den Einfall der ,Barbaren' Anfang des 5. Jahrhunderts Wirklichkeit werden sollte 35 , herbeigesehnt, weil er es als die Erfüllung einer Weissagung aus der Passionsgeschichte versteht 36 . Schon diese wenigen Hinweise zeigen, daß es im Neuen Testament „vornehmlich die rigoristischen ethischen Gebote (sind), die die Mönche angezogen haben" 3 7 . Das wird durch die H ä u f u n g der Zitate aus der Bergpredigt nachdrücklich unterstrichen: hier lesen die Mönche die Forderung nach Gerechtigkeit, nach Nächsten- und Feindesliebe, das Verbot des Zürnens und des Richtens, das W o r t vom Balken im eigenen Auge und die Ermahnung, nicht f ü r den morgigen T a g Sorge zu tragen 38 . Mit einem gewissen Recht ist darum von Schedi bemerkt worden, „daß nur die Bergpredigt im lebenden Fluß der Überlieferung stand und daß das übrige neutestamentliche Zitationsgut literarischen Ursprungs ist." 39 Diese Suche nach dem belehrenden und wegweisenden Wort in der Schrift hat ein Ziel. Die Anachoreten betrachten das H ö r e n auf das Bibelwort als „das unentbehrliche Mittel zur Vervollkommung" 4 0 . Aufschlußreich ist d a f ü r ein Dialog des Antonius mit einigen Brüdern, die ihn um 31

Ammonas 11 (a.a.O. Sp. 124). H. Dörries, Bibel, S.255f. 33 Silvanus 5 (PG 65, Sp. 409). 34 Psenthaisius (a.a.O. Sp.436f.). 35 Vgl. dazu D.J.Chitty, Desert, S. 60 f. 36 Moyses 10 unter Bezug auf Mt 26,52 (PG 65, Sp.285). 37 K. Heussi, Ursprung, S. 279. 38 Antonius 19 (PG 65, Sp.81); Poemen 97. 117. 118 (a.a.O. Sp.345. 351); Moyses 18 (a.a.O. Sp.288/9); Joannes Cellensis 2 (a.a.O. Sp.233); Zeno 7 (a.a.O. Sp. 177); Epiphanius 15 (a.a.O. Sp. 165/8); Matoes 5. 7. 10 (a.a.O. Sp.292/3); Theodoras Phermae 18 (a. a.O. Sp. 192); Nisterous 4 (a.a.O. Sp.308); IsaacThebaeus 1 (a.a.O. Sp.240); Joannes eunuchus 1 (a.a.O. Sp.233); Joannes Colobus 38 (a.a.O. Sp.216/7) u.ö. " N. Schedi, Jesus Christus, S.61. Vgl. K. Heussi, Ursprung, S.279. 40 H.Karpp, Die Funktion der Bibel, in: T R E Bd.6, S.57. 32

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ein W o r t gebeten und gefragt haben, wie sie gerettet werden könnten: als Antwort verweist er sie zunächst auf die Schrift, zitiert sodann ein W o r t Jesu (Mt 5,39) und fordert sie schließlich zum Gebet auf 4 1 . Ähnlich verhält sich Abbas Benjamin in seiner Sterbestunde, als er seinen Schülern nur das Pauluswort „Freuet euch allezeit..." (1. Thess 5,16f.) sagt und hinzufügt: „dieses tut, und ihr könnt gerettet werden" 4 2 . Das eigene W o r t tritt f ü r ihn in diesem Augenblick ganz hinter dem Bibelwort zurück und ist nicht mehr als ein Hinweis auf die Schrift und damit auf die Autorität, an der sich anachoretisches Leben orientieren soll. Vermutlich haben aus diesem Grund Logien des Epiphanius in die Apophthegmata Patrum Eingang gefunden, weil sie deren Schriftauffassung bestätigen: nicht nur das Lesen, sondern schon das bloße Anschauen der Bibel bedeutet nach seiner Uberzeugung einen Anstoß, weniger zu sündigen und mehr Gerechtigkeit zu üben 43 . Das Vertrauen in die Wirksamkeit des Schriftwortes ist auch bei anderen Anachoreten groß: wer es häufig hört, der wird gereinigt, so lesen wir bei einem unbekannten Abbas 44 . U n d in einer kurzen Predigt, in der die U m k e h r eines Sünders gepriesen wird, wird denen, die das Evangelium hören und seine Gebote beachten, Vergebung zugesagt: „erkennt aus den heiligen Schriften, eine wie große Güte Gott mit denen hat, die zu ihm in Wahrheit fliehen" 45 . Für alle diese Stellen aus den Apophthegmata Patrum „ist es bezeichnend, daß die mönchische Kernfrage und der Hinweis auf die Schrift zusammenfallen" 4 6 . Aus dem H ö r e n auf das W o r t der Bibel erwarten die Mönchsväter Rettung, Heil und neues Leben. Sie wissen, daß in der Schrift eine Kraft verborgen ist, der sich der zum H ö r e n Bereite kaum entziehen kann. Das Bild vom Wassertropfen, der einen Stein auszuhöhlen vermag, ist Poemen d a f ü r ein Beispiel: „das W o r t Gottes ist weich, unser H e r z aber hart; wenn der Mensch aber häufig das W o r t Gottes hört, wird sein H e r z d a f ü r geöffnet, Gott zu fürchten." 4 7 Hinter diesem Logion steht die Erfahrung, daß und in welcher Weise der Mensch verändert wird, der sich dem Schriftwort aussetzt. Es ist zugleich Ausdruck der Gewißheit, daß Gott sich in seinem W o r t selbst den Raum verschafft, der seiner Ehre entspricht. Diese Zuversicht verdeckt f ü r die Anachoreten nicht die Konsequenz, die aus dem H ö r e n des Schriftwortes folgt. In Anlehnung an den Hebräerbrief sagt die Amma Syncletica, daß Gott ein „verzehrendes Feuer" ist 41 42 43 44 45 46 47

Antonius 19 (PG 65, Sp.81). Benjamin 4 (a.a.O. Sp. 145). Epiphanius episcopus 8.9 (a.a.O. Sp. 165). Verba seniorum III, 178 (PL 73, Sp.798). Paulus simplex (PG 65, Sp.385). Vgl. auch Poemen 86 (a.a.O. Sp.341). N. Schedi, Jesus Christus, S.38. Poemen 183 (PG 65, Sp.368).

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(Hebr 12,29) und durch sein Wort in die Nachfolge eines von Tränen gekennzeichneten Weges ruft 48 . Poemen bestätigt ihr Logion, wenn er einem Bruder sagt: „wer die Sünden abwaschen will, wäscht sie durch Weinen ab; und wer die Tugenden erwerben will, erwirbt sie durch Weinen. Das Weinen nämlich ist der Weg, den uns die Schrift und auch die Väter überliefert haben... einen anderen Weg gibt es nicht, nur diesen." 49 Das Weinen, von dem im Zusammenhang der Sündenerfahrung noch ausführlicher die Rede sein wird, entspricht demnach einer aus der Schrift erwachsenden Lebenshaltung, ist vom Herrn geboten und führt zu der Erfahrung des Heils 50 . Die Selbstanklage, die aus anderen Schriftstellen abgeleitet wird, gleicht diesem Weg des Weinens 51 und hält im Anachoreten das Bewußtsein des künftigen Gerichts wach 52 . Bei den bisher genannten Schriftzitaten zeigt sich, daß die Anachoreten in ihren Logien solche Bibelworte bevorzugen, die sie auf die eigene Lebenssituation deuten können. Diese Vorgehensweise ist Ausdruck der Uberzeugung, daß der monastische Lebensweg mit seinen Aufgaben und Zielen, seinen Anfechtungen und Verheißungen nicht zufällig, sondern in der Bibel vorgezeichnet ist. Indem „man die Leitbilder der Preiswürdigen aus der Bibel nimmt" 53 , macht man deutlich, daß sich der Mönch im asketischen Streben auf einem schriftgemäßen Weg befindet 54 . Heussi ist deswegen grundsätzlich zuzustimmen, wenn er feststellt, daß Auswahl und Exegese der Schriftzitate „nach den praktisch-religiösen Bedürfnissen der Mönche" bestimmt werden 55 . Eine gelehrte Schriftauslegung finden wir daher in den Logien der Anachoreten nicht 56 . Gleichwohl begnügen sich die Mönchsväter nicht mit einem wörtlichen Verständnis des Textes. Auch wenn dieses nicht ausgeschlossen wird, geht es ihnen „nicht um den ursprünglichen Sinn eines Schriftwortes, gar in seinem geschichtlichen Zusammenhang", vielmehr passen sie „es dem eigenen Verständnis an, darin freilich bestrebt, es im Leben zur vollen Geltung zu bringen 57 . Nur vereinzelt finden sich der Allegorie vergleichbare Interpretationen. Beispielsweise liest Poemen aus der geschichtlichen Randnotiz, daß nach dem Kommen Nabuzardans, des babylonischen Oberkochs, der Tempel verbrannt worden sei (2. Kön 25,8 f.), die Warnung vor 48

Syncletica 1 (PG 65, Sp.421). Poemen 119 (a.a.O. Sp.353). 50 Moyses 18 (a.a.O. Sp.288f.). 51 Poemen 71. 97. 98 (a.a.O. Sp.340. 345). 52 Poemen 42 (a.a.O. Sp.332). " H.Dörries, Bibel, S. 265. 54 Das zeigt die Übertragung biblischer Prädikate auf die Mönchsväter: Poemen 100 (PG 65, Sp. 345; 2. Tim. 2,20); Matoes 7 (PG 65, S.292; Joh.1,47). 55 K. Heussi, Ursprung, S. 278. " So W. Bousset, Apophthegmata, S.83. 57 H.Dörries, Bibel, S.255. 49

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der Schlemmerei heraus 58 . U n d die Amma T h e o d o r a versteht unter der apostolischen Aufforderung, die Zeit auszukaufen (Kol 4,5), einen Anstoß zu Demut und Geduld 5 9 . Bei beiden Beispielen handelt es sich jedoch nicht um wirkliche Allegorien, sondern um das Bemühen, die Schrift ohne Einschränkung auf das eigene Leben zu beziehen. In diesem Anliegen stimmen die Anachoreten überein: immer geht es ihnen darum, den Lebensbezug einer Bibelstelle zu erkennen. Dadurch kommt es bei ihnen zu einem eigentümlichen Zirkelverhältnis zwischen Schriftwort, Erfahrung und eigenem Wort, wobei der Lebensbezug der hermeneutische Schlüssel f ü r alle Exegese wird. In der Einsamkeit der Wüste erfährt der M ö n c h Erleuchtung in schweigendem, eher rezeptivem als aktivem H ö r e n auf Gott. In diesem Sinn ermahnt Joannes Colobus seine Hörer, im „Gefängnis des Kellions" zu sitzen und an Gott zu denken, denn dann komme der M ö n c h auf der Seite derjenigen zu stehen, die zu Christus ins „Gefängnis" gegangen seien (Mt25,36) 6 0 . Abbas Joseph leitet aus dem W o r t Jesu „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers i s t . . . " (Mt 22,21) die Forderung nach gastlicher Aufnahme von fremden Brüdern ab 61 . Einen spiritualisierenden Akzent in der Schriftauslegung setzt Agathon: er interpretiert das W o r t vom Baum, der, wenn er keine Frucht mehr bringt, ausgehauen werden soll, gegen den Wortsinn nicht auf das Erbringen äußerer Taten, sondern auf die Bewahrung des Geistes (Mt 3,10) 62 . In ähnlicher Weise sieht auch Gerontius nicht schon in der Keuschheit des Leibes, sondern erst in derjenigen der Seele die Erfüllung eines alttestamentlichen Wortes (Spr. 4,23) 63 . Hinter diesen Interpretationsansätzen eine exegetische Methode zu vermuten, würde jedoch zu weit führen. Eine ausdrückliche, gar methodische Auslegung der Bibel wird von den Wüstenvätern abgelehnt, weil sonst die Theorie gegenüber der Erfahrung doch wieder den Vorrang hätte. Ihnen geht es nicht darum, tiefgründige Sinngehalte der Bibel aufzuspüren, sondern nach ihren Weisungen zu leben 64 . Der Lebensbezug, verbunden mit einer ursprünglichen Ehrfurcht vor dem heiligen Buch, ist es denn auch, der sie von einer intellektuell orientierten Auslegung Abstand nehmen läßt. Das daraus folgende eigentümlich offene und schwebende Bibelverständnis wird d a f ü r in Kauf genommen. Schon bei Abbas Antonius zeigt 58

Poemen 16 (PG 65, Sp.325). Theodora 1 (a.a.O. Sp.201). 60 Joannes Colobus 27 (a.a.O. Sp.213). 61 Joseph in Panepho 1 (a.a.O. Sp.228). 62 Agathon 8 (a.a.O. Sp. 112). N.Schedi weist darauf hin, „wie hier eigenes Sinnen und Schrift ineinander überfließen. Die Schrift ist sozusagen nur die Schale, in die der Mönchsgedanke eingegossen wird." (Jesus Christus, S.34). 63 Gerontius (PG 65, Sp. 153). M Abraham 3 (PG 65, Sp. 132). 59

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sich das. Als er mehrere Brüder nach der Bedeutung einer Schriftstelle fragt, versucht fast jeder eine Erklärung, nur Abbas Joseph bekennt: „Ich weiß es nicht." Daraufhin sagt Antonius zu allen Anwesenden: „In jeder Hinsicht hat Joseph den Weg gefunden" 65 . Pambo gibt ebenfalls auf entsprechende Fragen zur Antwort, er verstehe die Schriftstelle nicht 66 . Beiden gilt es als ein vorbildliches, die Autorität der Schrift respektierendes Verhalten, die Auslegung zu verweigern und kein unnötiges Wort bei der Auslegung zu verlieren. Diese Vorsicht hat aber nun zur Folge, daß bei einigen Anachoreten im Umgang mit biblischen Texten das Schweigen Einzug hält. Von Arsenius hören wir, daß er niemals über eine Frage aus der Bibel reden will, obwohl er es, wie der Erzähler des Apophthegma hinzufügt, durchaus vermochte 67 . Abbas Poemen weigert sich ebenso, von der Schrift zu reden, weil er der Uberzeugung ist, man dürfe aus Demut nur von den Leidenschaften der Seele sprechen 68 . Für ihn gehört die Bibel schon „so nahe mit dem Geist zusammen, daß es als Kennzeichen des Pneumatikers erscheint, wenn er über sie redet. Solcher Anspruch aber setzt der letzten und schwersten Versuchung des Mönchs aus, der Selbstüberhebung." 69 Um dieser Gefahr zu entgehen, ist nach Überzeugung der Mönchsväter im Umgang mit dem Wort Gottes der passive und nicht der aktive Mensch gefordert. Paradoxerweise erschließt sich gerade durch einen Verzicht auf eine methodisch geleitete Auslegung das Verständnis der Bibel. Pistus faßt diese Einsicht in dem Logion zusammen: „Wer das Unerklärliche in der Erkenntnis festhält, der wird die ganze Schrift erfüllen." 70 Ein Mönch, der durch übersteigerte Askese die Erklärung eines Schriftwortes erzwingen zu können glaubt, wird darum zu Recht enttäuscht; erst als er bereit ist, demütig einem Mitbruder seine Hilfsbedürftigkeit zu offenbaren, findet er zu einem tieferen Verständnis des Wortes 71 . Diese Beispiele machen deutlich, wo allein der wahre Weg zum Verstehen der Heiligen Schrift zu finden ist. Als Antonius von seinen Brüdern nach der Bedeutung eines Levitikuswortes gefragt wird, geht er in die Einsamkeit der Wüste und erfährt im Gebet Erleuchtung durch Gott; der nicht fern stehende Ammonas, der selbst anderen oft ein Wort zu geben vermochte 72 , muß daraufhin bekennen: „ich hörte die Stimme, die mit ihm 65

Antonius 17 ( a . a . O . Sp.80) und Verba seniorum V, 15,4 (PL 73, Sp.953). P a m b o 9 (PG 65, Sp.372). " Arsenius 42 ( a . a . O . Sp. 105). 68 Poemen 8 ( a . a . O . Sp.321/4); vgl. Poemen 109 ( a . a . O . Sp.349); Hist. Laus. Kp. 10 (C. Butler, Lausiac History Bd. 2, S. 32,2ff.). 69 H . D ö r r i e s , Bibel, S.272. 70 Pistus (PG 65, Sp. 373). 71 Verba seniorum V, 15,72 (PL 73, Sp.966). 71 Ammonas 1-11 (PG 65, Sp. 120ff.). 66

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

sprach; die Macht des Wortes (δύναμις τοΰ λόγου) aber erfaßte ich nicht." 73 Für Abbas Antonius erschließt sich also erst im Gebet der Sinn und die Kraft eines biblischen Textes, während es außerhalb dieser Haltung kein Verstehen gibt. Die von den Anachoreten erstrebte Herzensreinheit ist darum ebenso wie die Unterscheidungsgabe eine entscheidende Voraussetzung, um aus der Bibel Heilendes zu entnehmen 74 . Diese nur Wenigen erreichbaren Voraussetzungen erklären, warum viele Anachoreten von der Schriftauslegung Abstand nehmen: „gerade die Majestät der Schrift macht jede Verletzung zur Gefahr." 75 Aus einer Distanz über sie zu reden hätte bedeutet, sie zu entweihen. Aus dieser demütigen Haltung folgert schon Antonius die Weisung, bewährte Mönchsväter zu fragen statt auf eigene Erkenntnis zu bauen 76 . Abbas Ammun Nitriota setzt dem Schriftwort das Väterwort entgegen, weil ihm dieses verbürgt, jenes aber voller Gefahren zu sein scheint 77 . Am weitesten auf diesem Weg geht Poemen, der ein Wort aus der alttestamentlichen Spruchsammlung (γέγραπται) durch seine Weisung (εγώ δέ λέγω) korrigiert, weil ihn die eigene Erfahrung des monastischen Lebens zu anderen, entgegengesetzten Einsichten geführt hat 78 . Indem er nicht ohne Absicht auf die Stilform der Antithese zurückgreift, dokumentiert er einen Anspruch, der sich in diesem konkreten Fall sogar über die Schrift stellt. Das Beispiel Poemens macht deutlich, daß das Väterwort, welches ursprünglich aus der biblischen Weisung abgeleitet wird und diese auf das monastische Leben auslegen soll, in der Gefahr steht, seiner Grundlage entfremdet zu werden. Die Weisung des Abbas kann nun auch in eigener Autorität auftreten. So erteilt Abbas Are, als er von einem Bruder um ein Logion gebeten wird, ein asketisches Gebot, ohne es durch die Schrift zu belegen; von einem Besucher darauf angesprochen erklärt er: „Dieser (Bruder) kommt um Gottes willen, ein Wort zu h ö r e n . . . deswegen sage auch ich ihm das Wort Gottes." 79 Aus der Zurückhaltung im Gebrauch der Schrift ist hier der Verzicht geworden. Für Are stellt sich die Frage, ob die anachoretische Weisung noch einer Begründung bedarf, nicht mehr. Sie erhebt nun selbst den Anspruch, Wort Gottes zu sein. Was ergibt sich aus diesen Beobachtungen insgesamt für das Verständ73

Antonius 26 (a.a.O. Sp.84). Vgl. Hist. Laus. Kp.47 (C.Butler, a.a.O. S. 137,4f.); vgl. Sisoes 17 (PG 65, Sp.397); Sopater (a.a.O. Sp.413) und Verba seniorum V, 10,85 (PL 73, Sp.928). Dazu J.C.Guy: „Ce n'est pas l'intelligence qui fait comprendre, mais la disposition intérieure du coeur." (Écriture Sainte, in: DSp Bd. 4,1, Sp.162). 75 H.Dörries, Bibel, S.272. 76 Antonius 37 (PG 65, Sp. 88). 77 Ammun Nitriota 2 (a.a.O. Sp. 128). 78 Poemen 114 (a.a.O. Sp.352). In der Vita Antonii zeigt sich eine vergleichbare Tendenz (Kp. 16; PG 26, Sp.868A). 79 Are (PG 65, Sp.l32f.). 74

Das Wort der Heiligen Schrift hören

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nis der Heiligen Schrift in den Apophthegmata Patrum? Zunächst können wir feststellen, „daß das alte Mönchtum auf dem Grunde der Heiligen Schrift stehen wollte." 80 Die zahlreichen Zitate und Bezugnahmen zeigen, daß die Bibel im Leben der Mönchsväter eine lebendige Tradition repräsentiert. Gewiß geht es ihnen nicht darum, „das einzelne Schriftwort oder den biblischen Gedanken im ursprünglichen Zusammenhang zu verstehen ... Dafür besaßen sie einen wesentlichen Teil alles Verständnisses: sie machten sich das Gehörte in ihrem Leben zu eigen." 81 Dem widerspricht nicht die Beobachtung, daß die Anachoreten darauf verzichten, für sich und ihre Schüler ein Programm zur Bibellektüre aufzustellen und den Besitz dieses Buches zu empfehlen. Wer seine Bibel verkauft, verschenkt oder in der Kirche auslegt, hat in der Sketis einen höheren Rang als derjenige, der sie sein persönliches Eigentum nennt. Die Bibel ist eben ein Mittel und kein Selbstzweck. Nur im Gottesdienst hören und lernen die Mönche die Texte, welche sie in der darauffolgenden Woche bedenken und meditieren. Bestimmte Methoden, wie dies zu geschehen habe, gibt es nicht. Allein darauf kommt es an, aus dem Alten und Neuen Testament Weisungen für das anachoretische Leben zu empfangen und dieses im Spiegel der Schrift zu deuten 82 . Auffälligerweise verbindet sich aber mit diesem Anliegen eine deutliche Absage an jeden Versuch, Bibeltexte methodisch auszulegen oder zu einem Gegenstand gemeinschaftlicher Untersuchung zu machen. Schon die ältesten Mönchsväter rückten die Schrift aus Hochachtung vor ihrer Autorität in einen nur wenigen Geisterfüllten zugänglichen Bereich. Auch für ihre Nachfolger zeigt sich der wahre Mönchsvater nicht in der erhellenden Schriftinterpretation, sondern in dem Bekenntnis, dazu nicht imstande zu sein. Das Schweigen gewinnt gegenüber der sprachlichen Vergegenwärtigung der Bibelwörte die Oberhand. Gewiß wollen die Anachoreten damit unterstreichen, daß es nicht darauf ankomme, über die Schrift zu spekulieren, sondern darauf, ihre Weisungen im Leben zu verwirklichen. Tatsächlich aber besteht die Gefahr, daß die Bibel „zu einer gleichsam ruhenden Autorität" wird, die ihren ursprünglich vorhandenen „lebendigen Bezug zu den Grundfragen des Mönchslebens" verliert 83 und durch ein anachoretisches Logion ersetzt wird, das sich als Väterautorität etabliert und auch ohne biblische Begründung Bestand zu haben beansprucht.

80

K. Heussi, Ursprung, S. 276. So auch J. C. Guy, Écriture Sainte, in: DSp Bd. 4,1, Sp. 161. H.Dörries, Bibel, S.269. 82 „L'Écriture constitue un moyen, non une fin. La seule fin du moine est d'accéder à la perfection, telle que l'enseigne l'Écriture." (J.C.Guy, Écriture Sainte, in: DSp Bd.4,1. Sp. 162). 83 H.Dörries, Bibel, S.273. 81

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D i e Voraussetzungen monastischer T h e o l o g i e

b) Johannes

Cassian

Die W e r t s c h ä t z u n g der Bibel, die wir bei J o h a n n e s Cassian feststellen können, überrascht bei seiner den Vätern z u g e w a n d t e n H a l t u n g nicht. Ausdrücklich b e r u f t er sich auf die ersten M ö n c h e Ägyptens, die sich über das Vorbild der apostolischen Urgemeinde hinausgehend aus der Welt zurückgezogen haben, um T a g u n d N a c h t dem Gebet, der H a n d a r b e i t und den Schriftlesungen nachzugehen 8 4 . U n d wie sie e r m a h n t er seine Leser, sie sollten bei A n f e c h t u n g e n immer wieder zur Betrachtung der Heiligen Schrift z u r ü c k k e h r e n und bei ihr vor den Versuchungen Schutz suchen 8 5 . U m sein Anliegen zu unterstreichen, zieht Cassian in großem U m f a n g die Schrift z u r B e g r ü n d u n g o d e r z u r Erläuterung seiner Lehre heran. Die Collationes und die Institutiones sind durchsetzt von Zitaten. Keine Seite, auf der nicht die Bibel mehrmals genannt, keine ihrer Schriften, die dabei übergangen w o r d e n wäre 8 6 . Am häufigsten werden die Psalmen, das M a t thäusevangelium und die Paulusbriefe erwähnt 8 7 . In diesen Zitaten drückt sich die unbestrittene Autorität der Heiligen Schrift f ü r das D e n k e n Cassians aus: weil ihre Aussagen als w a h r erfahren werden, beschreibt er sie als vom Heiligen Geist inspiriert 8 8 und fordert, sie seien „ f r o m m zu glauben, unveränderlich festzuhalten u n d nach der Regel der W a h r h e i t zu verkündigen" 8 9 . D e u t e t sich in der letzten Formulierung eine den ägyptischen Anachoreten f r e m d e Verfestigung des Schriftverständnisses an, so zieht Cassian gleichzeitig ebenso wie diese die Bibel immer wieder z u r Begründ u n g der T u g e n d e n , Weisungen, Entsagungen und der anderen Bestimmungen heran 9 0 . Ein Lernprogramm f ü r die Unterweisung von Novizen, wie es P a c h o m in seiner Regel vorgeschlagen hatte, kennt Cassian nicht 9 1 . Aber auch er mißt dem Auswendiglernen von Teilen der Schrift besonderes Gewicht

84

Vgl. Inst. II, 5,2; 111,2. Vgl. Inst. VI,1; Coli.1,18; V I I , 5 , 7 ; X X I I , 1 0 , 3 . Mit diesem Anliegen sieht Cassian sich in Ubereinstimmung mit Basilius: dessen Werk sei nicht nur „facundus", sondern auch „diuinarum scripturarum testimoniis copiosus" (Inst. Praef. 5; C S E L 17, S.5, 19 f.). 86 „La doctrine de Cassien est d'essence biblique." (M.Olphe-Galliard, Cassien, in: D S p Bd.2, Sp.223). Vgl. auch O . C h a d w i c k , Cassianus, in: T R E Bd.7, S . 6 5 2 . 87 Vgl. O.Abel, Studien, S . 1 9 f . ; M . C a p p u y n s , Cassien, in: D H G E Bd. 11, Sp. 1334. D i e Schwerpunkte der biblischen Zitate lassen die Grundorientierung der T h e o l o g i e Cassians erkennen: am Gebet (Psalmen) sowie an dem die V o l l k o m m e n h e i t lehrenden Christus (Bergpredigt). 88 Inst.III,3,6 (CSEL 17, S . 3 6 , 1 9 f . ) . 89 C o l l . X V I I , 16,1 (CSEL 13, S . 4 7 5 , I f f . ) . 90 C o l l . I I , 4 (discredo); C o l l . X X I , 18 (Fasten); Coll.III,6 (Entsagungen); Inst. 1,1,2 (Kleidung) u . a . m . " Darauf macht J . C . G u y aufmerksam (Jean Cassien, S.44). Im Gegensatz zu Cassian entwirft H i e r o n y m u s für eine junge Asketin einen Plan z u m Studium der Bibel (ep. 107,12; C S E L 55, S . 3 0 2 f . ) . Vgl. dazu H . K a r p p , D i e Funktion der Bibel, in: T R E Bd. 6, S . 5 6 f . 85

D a s Wort der Heiligen Schrift hören

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bei 92 und warnt davor, die privaten Lesungen aus Bequemlichkeit zu vernachlässigen 93 . Es ist sein Anliegen, daß die Mönche in seinen Klöstern wie die Anachoreten die Heilige Schrift beständig meditieren - ob innerhalb oder außerhalb der Zelle 94 . Voraussetzung dieser privaten Beschäftigung mit der Bibel sind Kodizes, die die Mönche zwar nicht ihr eigen nennen dürfen, in denen sie aber ausführlich studieren können 9 5 . Diese Kodizes werden von den Mönchen abgeschrieben, w o f ü r sie vom Kloster Stifte und Schreibfedern erhalten 96 . In Anknüpfung an die Praxis der ägyptischen Klöster beschreibt Cassian weitere Anlässe zum Schriftstudium. Er nennt die gottesdienstlichen Lesungen, denen Psalmengesänge vorausgehen und denen am Sonntag die Kommunion folgt 97 . Ebenso werden der Katechese vergleichbare Unterweisungen zur Erklärung der Schrift abgehalten 98 . Bisweilen schließt sich nach ihrer Beendigung ein Meinungsaustausch der Zuhörer an 99 . Sodann erwähnt Cassian noch die Tischlesung, die er als Brauch aus den palästinischen Klöstern übernommen hat und deren Zweck es ist, Gespräche beim Essen zu unterbinden 1 0 0 . Was die praktische Bedeutung des Schriftstudiums betrifft, stimmt Cassian also weitgehend mit Pachom und den in den Apophthegmata Patrum zu W o r t kommenden anachoretischen Mönchsvätern überein. Erst bei der Beantwortung der Frage, auf welche Weise der Mönch die Schrift lesen und meditieren muß, damit sie zu einer Quelle wahrer Erkenntnis wird, geht er über sie hinaus und setzt neue Akzente 101 . Diese leiten sich ab vom

92

Inst. 11,6; Coll. V I I I , 2 3 , 4 ; X I V , 1 , 1 ; 10,3 f.; 16,4. C o l l . I V , 2 ; 20,4; V I , 1 0 , 3 ; X , 1 0 , 8 ; X I V , 9 , 2 f . ; 10,2; 16,4; 17,1; X I X , 1 6 , 3 . 94 Inst.II, 15; 111,2; XI, 16; C o l l . X I V , 13,1. Vgl. dazu F.Bauer, Heilige Schrift, S . 5 1 2 - 5 3 2 . Zum Bibelgebrauch in den Pachomiusklöstern vgl. P a c h o m Praecepta 49. 139 (A. B o o n , Pachomiana latina, S . 2 5 , 1 3 f . ; 4 9 , 1 3 f f . ) . Ausführlich dazu J . C . G u y , Écriture Sainte, in: D S p 4,1, Sp. 160; H . B a c h t , Bibel, S.562; Th.Klauser, Auswendiglernen, in: R A C Bd. 1, Sp. 1037, sowie F.Ruppert, Meditatio, S. 83 ff. 93

95

Vgl. Inst.IV,13; Coli. 1,6,2; X V I I I , 1 5 , 3 ; X I X , 1 2 , 3 . H . B a c h t spricht bei den pachomianischen Klöstern von einem regelrechten „Bibliotheks-Service" (Vermächtnis Bd. 2, S . 1 4 3 Anm. 113). Vgl. dazu Pachom, Praecepta 25. 82. 100. 101 ( A . B o o n , Pachomiana latina, S. 19,9 ff.; 3 7 , 1 3 ff.; 41, I f f . ; 54,7). 96

Inst. IV, 12; 13; VIII, 19,2; Coli. 1,6,1. Inst. II,4; 6; 111,2; 3 f.; 8,4; 11; C o l l . X I X , 12,3. Zu den Schriftlesungen in den P a c h o miusklöstern vgl. H . B a c h t , Vermächtnis Bd.2, S. 126 A n m . 3 5 und S. 148 A n m . 4 5 . 98 Inst.XII,27; Coli. 1,23; X I V , 4 , 3 . Ausführlicher dazu H . H a m m e r , Johannes Cassian, S . 2 5 1 f . Zu den katechetischen U n t e r w e i s u n g e n in den Pachomiusklöstern siehe Pachom, Praecepta 19-22. 115. 122; Instituta 15; Leges 12 ( A . B o o n , Pachomiana latina S. 17f. 4 3 f . 46. 57. 73). Vgl. dazu H . B a c h t , Vermächtnis Bd.2, S. 139 A n m . 9 3 . 99 Vgl. Coll. X V I , 10. 100 Inst. IV, 17. 101 „Cassien dit avoir l'intention de reproduire, en les adaptant aux exigences de la vie dans le sud de la Gaule, les leçons qu'il a reçues de ses maîtres égyptiens. En réalité, il a repensé et 97

76

Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Schriftverständnis des Orígenes, des „bedeutendste(n) Exeget(en) der alten Kirche" 102 , das von Evagrius Ponticus aufgegriffen und auf diesem Wege Cassian zugänglich gemacht wurde. Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis des Orígenes, daß ebenso, wie die Schöpfung der sichtbaren Welt auf ihren Ursprung, die Betrachtung des ewigen Gottes hin transparent gemacht werden muß, so auch hinter den vordergründigen geschichtlichen Ereignissen, von denen die Schrift berichtet, eine geistliche, zeitlose Wahrheit zu stehen kommt. Was immer der Leser der Bibel entnehmen mag, es „sind nur vielseitige Illustrationen für einen einzigen Prozeß: das Fallen und Aufstreben des zu Gott gehörenden, endlichen Geistes" 103 . Deswegen ist die Schrift niemals nur das Objekt neutraler Studien, sondern immer auch das an die Gegenwart des Lesers und Hörers adressierte Wort Gottes, in dem der erlösende Logos Gestalt annimmt, um den Weg zu weisen, der aus der Fremde der Welt zu Gott zurückführt 104 . In Anlehnung an diese Vorstellung des Orígenes ist auch für Cassian die Auslegung der Schrift eine Frage, die nur im Gesamtrahmen seiner „Lehre eines sittlichen Fortschreitens zu Gott hin" 105 behandelt werden kann 106 . Sie setzt, wie er in einer Collatio des Abbas Nesteros darlegt, ein doppeltes, aufeinander aufbauendes Wissen voraus: eines, das auf das praktische, asketische Leben gerichtet ist und mit dem griechischen Begriff πρακτική bezeichnet wird, und eines, das auf das kontemplative, von der Schau Gottes erfüllte Leben gerichtet ist und als θεωρητική beschrieben wird 107 . Das an erster Stelle genannte Wissen bezieht sich auf das Wachstum im tätigen Leben. Es umfaßt die Einsicht in das Wirken der „vitia", die Mittel zu ihrer Heilung sowie die Aneignung der Tugenden 108 . Die Möglichkeiten zur Verwirklichung der praktischen Vervollkommnung sind für Cassian zahlreich: ob der einzelne den Weg in die Einsamkeit der Wüste oder den in die Gemeinschaft des Klosters wählt; ob er sich für den Dienst am

systématisé cet enseignement, non sans l'enrichir d'abondantes lectures." (J. C. Guy, Écriture Sainte, in: DSp Bd. 4,1, S. 163). 102 M.Elze, Christliche Schriftauslegung, in: RGG 3. Aufl., Bd.5, Sp. 1521. 103 H. Windisch, Alexandrinische Theologie, in: RGG 1. Aufl., Bd. 1, Sp. 347. Vgl. H. Chadwick, Church, S. 108. 104 So J. Daniélou, Origene comme exégète, S. 286. 105 O.Chadwick, Cassianus, in: TRE Bd.7, S.653. loe Vgl. p. Münz, John Cassian, S. 1; J. Kirchmeyer, Écriture Sainte, in: DSp Bd. 4,1, S. 164-166; M. Viller/K. Rahner, Aszese, S. lOOff.; A. Guillaumont, Evagrius Ponticus, in: TRE Bd. 10, S. 565-570. 107 Coll.XIV, 1. Vgl. dazu M.Olphe-Galliard, Cassien, in: DSp Bd. 2, Sp.235ff.; L. Cristiani, Jean Cassien Bd. 1, S. 123 ff. 108 Coll. XIV, 3.

Das Wort der Heiligen Schrift hören

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Bruder oder f ü r die Krankenpflege entscheidet 109 - wichtig ist allein, daß die „octo vitia principalia" überwunden werden und die Absage an die Welt damit einen sichtbaren Ausdruck erhält. H a t der Mönch auf diesem Weg die Herzensreinheit erlangt, muß er nun bemüht sein, zu innerer Vollkommenheit, nämlich zur „contemplado dei" zu gelangen 110 . Dieses geschieht durch die beständige Meditation der Schrift 111 . Darum u m f a ß t die monastische Lehre als zweiten Aspekt die als „scientia spiritalis" verstandene eingehende Erläuterung des Bibelwortes. Cassian beschreibt sie unter Rückgriff auf die von Orígenes entfaltete Methode vom mehrfachen Schriftsinn. Diese Methode, mit der Orígenes an die jüdische Religionsphilosophie anknüpft, beruht auf der verläßlichen Erhebung des Literalsinnes. Doch betrachtet Orígenes das buchstäbliche Verständnis der Schrift nur als eine Stufe auf dem Weg zu einem tieferen Eindringen in den Textgehalt 1 1 2 . Für ihn ist das Äußere nur ein Bild des wahren Inneren, dem seine eigentliche Aufmerksamkeit in den zahllosen Bibelauslegungen gilt. Aus diesem Grund bedient sich Orígenes der allegorischen Schriftauslegung, die über den biblischen Wortlaut hinaus einen moralischen, pneumatischen und typologischen Sinn des Textes erhebt 113 . Cassian schließt sich dieser Vorgehensweise an, wenn er zwischen dem unterscheidet, was in der Bibel klar und deutlich ausgesprochen, und dem, was nur verhüllt und durch Geheimnisse angedeutet ist 114 . Daraus ergibt sich f ü r ihn die Notwendigkeit, nicht nur die „significado litterae" eines Textes, sondern ebenso die „explanado allegorica" herauszuarbeiten 1 1 5 . Den geistlichen Schriftsinn differenziert er darüber hinaus, indem er auf das Gleichnis von den unterschiedlichen Gewächsen eines Feldes verweist 116 , hinsichtlich des tropologischen (präfigurativen), allegorischen (moralischen) und anagogischen (eschatologischen) Gehalts 117 . Cassian

10

' Coll.XIV,4. Coli. 1,18. 111 Vgl. M. Rothenhäusler, Leben, S.286. 112 „II ne faut pas oublier que c'est seulement pour mieux comprendre la Bible qu'il a parcouru le cycle des études littéraires. C'est pourquoi dans ses études du vocabulaire biblique, il est surtout soucieux de rapprocher les divers sens d'un mot dans l'Écriture." (J. Daniélou, Origène comme exégète, S. 283). 115 Dazu A.v.Harnack, Dogmengeschichte Bd. 1, S. 573 f. und vor allem R.Gögler, Theologie, S. 60 ff. 299 ff. 114 Coll. VIII,3. 115 Coll.VIII,3,4 (CSEL 13, S.219,20ff.); vgl. auch Coll. XIV, 8,1. Was das für die biblische Rede von Gott bedeutet, zeigt Cassian in Inst. VIII, 3 f. 116 Coll.VIII, 3. 117 Coll. XIV, 8. Praktische Beispiele dieser Auslegungsmethode gibt Cassian in Coll. IX, 9; XIV, 8; XIV, 11. Dem entspricht eine Näherbestimmung der Meditation als „meditatio spiritalis" (Inst. II, 14 f.), womit Cassian eine gewisse Verinnerlichung des Meditationsvorganges 110

78

D i e Voraussetzungen monastischer T h e o l o g i e

will mit diesen Hinweisen keine eigenständige Lehre von der Schriftauslegung entfalten. Ihm kommt es darauf an, mit den gedanklichen Mitteln des Orígenes die Bedeutung der Schrift f ü r die geistliche Vertiefung des monastischen Lebens herauszustellen. Das bestätigt sich durch folgende Beobachtung. Die beiden Aspekte der monastischen Spiritualität, der auf das „tätige" und der auf das „kontemplative" Leben zielende, sind nicht gleichwertig. Wer das Ziel des Schriftstudiums, welches mit dem des Mönchslebens identisch ist und in der Herzensreinheit und der Beschauung besteht 118 , erreichen will, muß sich nach Cassians Uberzeugung zuerst von seinen Verfehlungen reinigen 119 . Dabei soll der Mönch an der Lesung beständig festhalten, doch vermag er sie erst dann innerlich aufzunehmen, wenn er sich in der praktischen Askese („ethica disciplina") bewährt hat 120 . Zorn, T r a u rigkeit und andere Anfechtungen verhindern ein fruchtbringendes Schriftstudium 121 ; Demut und Reinheit aber schaffen die Voraussetzung, daß die ständige Betrachtung der Schrift den Geist des Menschen durchdringt und ihn nach sich umbildet 122 . Diese Erneuerung des Geistes läßt dann auch das Verständnis der biblischen Schriften in einem neuen Licht erscheinen 123 . Die Bibel kann dann, aber nicht früher, zur „Nahrung des monastischen Lebens" 124 werden, die Erinnerung an f r ü h e r gelesene Fabeln oder Kriegsgeschichten aus dem Gedächtnis vertreiben 125 und zur „scientia spiritalis", durch die sich die „contemplado dei" eröffnet, hinführen 1 2 6 . Zum wahren Schriftverständnis verhelfen f ü r Cassian also keine „unfruchtbaren und irdischen Wissenschaften" 1 2 7 , obwohl er nicht verschweigt, daß viele der ägyptischen Mönchsväter aus ihrer vormonastischen Zeit entsprechende Kenntnisse aufweisen 128 , und obwohl er selbst bisweilen Dichter der klassischen Antike wohlwollend zitiert 129 . Zustimmend läßt Cassian Abbas T h e o d o r zu W o r t kommen, der sogar vor dem

wie der Meditationswirkung anzeigt. Vgl. O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S. 102; H . K a r p p , D i e Funktion der Bibel, in: T R E Bd. 6, S. 53 f. 118 Inst. IV, 43; Coli. 1,4,3; 6; 7,2; 8,3; X I V , 1 f. 119 Coll.XIV,2. 120 C o l l . X I V , 9 , 2 (CSEL 13, S. 4 0 7 , 2 0 f.). 121 Inst. VIII, 1,1; IX, 1; Coll. IV,2; VI, 10,3; X , 1 3 ; X I V , 11,1; 11,5; 12; X V I , 15. 122 Coll. XIV, 10; 16. 123 C o l l . X I V , l l , l (CSEL 13, S . 4 1 1 , 2 4 f . ) . 124 J . C . G u y , Jean Cassien, S.44. 125 Coll. XIV, 12 f. 126 S o J . C . G u y , Écriture Sainte, in: D S p B d . 4 , 1 , Sp. 164. 127 C o l l . X I V , 13,1; 16,1; vgl. Inst.V,33; C o l l . X I V , 9 , 7 . 128 Inst.IV,29; Coli. 1,1; X I V , 1 2 f . ; X V I , 1 . 129 Z . B . Cicero, Persius, Sokrates, D i o g e n e s ( C o l l . X I I I , 5 , 3 f . ; D e Incarnatione V I , 9 , 2 ; 10,5). O . A b e l nennt eine Reihe weiterer Anklänge an „heidnische Autoren" (Studien, S. 23 ff.); vgl. auch M . C a p p u y n s , Cassien, in: D H G E Bd. 11, Sp. 1334).

D a s W o r t der Heiligen Schrift hören

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Studium theologischer Kommentare warnt und feststellt, daß sich nur durch Herzensreinheit („sola puritas cordis") das wahre Verständnis der Heiligen Schrift erschließe 130 . Indem Cassian sich diese Auffassung zu eigen macht, setzt er mit Blick auf die Bibelauslegung die weltliche Bildung deutlich von der geistlichen Bildung ab und stellt von letzterer fest: diese kann auch in den der Sprache Unkundigen blühen; anderen aber bleibt sie verborgen, obwohl sie in eifriger Lesung nach Schrifterkenntnis streben, weil sie im monastischen Leben unerfahren („inexpertus") sind 131 . N u r durch die Erfahrung des monastischen Lebens, die auf dem oben geschilderten Weg gewonnen wird, gelangt der Bibelausleger zum tieferen, geistlichen Gehalt des Schriftwortes. Die unterschiedlichen Interpretationen der Kommentare sind f ü r Cassian daher ein Ausdruck f ü r die jeweilige Reinheit ihrer Verfasser: denn die Gestalt und das Verständnis der Heiligen Schrift paßt sich der Fähigkeit des menschlichen Verstandes an („coaptatur") und zeigt sich irdisch dem „fleischlichen", göttlich aber dem „geistlichen" Menschen 1 3 2 . Cassian übersieht nicht die Gefahren, die aus einem Mißbrauch der Lehre vom mehrfachen Schriftsinn erwachsen können. Mancher sei bereit, um seiner Laster willen die Bibel zu verderben, indem er nicht sein Leben nach der Schrift richte, sondern diese seinen Wünschen anpasse 133 . Andere versuchten, mit Argumenten aus der Bibel ihre Trägheit zu rechtfertigen, auch wenn ihnen das nur durch eine offensichtlich falsche Interpretation gelinge 134 . Die Grenzen einer „interpretado spiritalis" stehen ihm also durchaus vor Augen, wenn er darauf hinweist, daß sie in Bereiche führe, die sich einem zweifelsfreien Verstehen entziehen. Deswegen stellt er einschränkend fest: nur was sich einer „explanado aperta" erschließt und somit dem historischen Schriftsinn entspricht, kann beharrlich gelehrt werden; was aber der göttliche Geist in der Heiligen Schrift verhüllt, bedarf vorsichtiger Interpretation, läßt verschiedene Meinungen zu und ist

130 Inst. V, 33 (CSEL 17, S. 106,22 f.). „The process is a continued meditation which forms the soul. It is not possible for those w h o are not engaged in the fight against evil in their heart. T h e w o r d of G o d , stored within the mind, begins to present to the soul new meanings and to deepen its understanding." ( O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S. 101 f.). 131 C o l l . X I V , 14,1 ( C S E L 13, S . 4 1 6 , 2 4 ) . „Pour parvenir à une connaissance vraie des Saintes Ecritures, le moine doit d'abord bien se persuader que ce n'est pas la spéculation intellectuelle ou l'explication rationelle qui lui en fera pénétrer les m y s t è r e s . . . Bien au c o n traire, cette science ne s'acquiert qu'à proportion de l'effort entrepris pour se purifier de ses vices et parvenir, dans l'humilité, à la pureté de coeur." (J. C. Guy, Jean Cassien, S. 46 f.). Vgl. auch H . Hammer, Johannes Cassian, S. 249 f. 132 133 134

C o l l . X I V , 1 1 (CSEL 13, S . 4 1 1 , 2 7 - 2 9 ) . Inst. VII, 16; VIII,21. Inst.VI, 13,2; VIII,2; X , 2 1 , 2 ; Coll.1,20.

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D i e Voraussetzungen monastischer T h e o l o g i e

in Z u s t i m m u n g o d e r Ablehnung dem freien Willen des R e d e n d e n u n d H ö renden anheimgestellt 1 3 5 . Mit dieser Einschränkung korrigiert Cassian vorsichtig die Lehre vom m e h r f a c h e n Schriftsinn, o h n e sie jedoch zu kritisieren. Indem er an ihrer G r u n d a u s s a g e festhält, macht er zugleich auf G r e n z e n und Probleme a u f merksam. Insgesamt unterscheidet sich Cassian mit seinem Schriftverständnis merklich von dem Pachoms und der anachoretischen Wüstenväter. Er beläßt es nicht bei praktischen Hinweisen z u m Bibelstudium, sondern er ordnet dieses in seine Lehre vom Aufstieg z u r „contemplado dei" ein. Auf diesem W e g ist die Schrift das entscheidende Mittel z u r Erreichung des Ziels („instrumentum perfectionis") 1 3 6 . D a m i t ihr geistlicher Gehalt jedoch e r f a ß t werden kann, ist als V o r a u s s e t z u n g die Reinigung von den Verfehlungen und die H i n w e n d u n g zu T u g e n d e n wie D e m u t und G e h o r s a m notwendig. Erst aus der E r f a h r u n g dieses monastischen Lebensweges erwächst das w a h r e Verstehen des Bibelwortes, wie es der m e h r f a c h e Schriftsinn z u m Ausdruck bringt. Auch bei Cassian ist es damit letztlich die geistliche E r f a h r u n g , die zum rechten U m g a n g mit der Schrift anleitet. Die E r n e u e r u n g des Menschen durch die U m k e h r in die könobitische Gemeinschaft macht ihn bereit, sich von d e r Heiligen Schrift erfüllen zu lassen, u n d sie f ü h r t ihn in einen Zustand, d e r dem Gebet vergleichbar ist u n d „contemplado dei" eröffnet 1 3 7 . c) Benedikt von Nursia Es entspricht d e r literarischen Form einer Klosterregel, d a ß sie in erster Linie praktische Anweisungen z u r Gestaltung des Lebens erteilt. Wie bei P a c h o m k o m m t d a r u m auch in der Regula Benedicti die Heilige Schrift vornehmlich in der Hinsicht in den Blick, in welcher Weise sie den Tagesablauf eines M ö n c h s bestimmt. D a s geschieht vor allem durch die täglichen Gottesdienste. In den Stundengebeten stehen die Psalmengesänge im V o r d e r g r u n d . Sie werden in den Vigilien 138 , im Morgengottesdienst 1 3 9 und in den Tagzeitengebeten Prim, T e r z , Sext und Non 1 4 0 nach einer genau festgelegten Reihenfolge gesungen 1 4 1 . D a d u r c h will Benedikt sicherstellen, >3S C o l l . V I I I , 4 (CSEL 13, S . 2 2 1 , 3 f f . ) . 136 Coli. 1,7,3 (CSEL 13, S. 14,7); vgl. Coll. II, 11,6; VII, 3; X I V , 9. „Si la fin de la vie m o n a stique est le R o y a u m e de D i e u qui s'obtient par la pureté du coeur, la fréquentation de l'Écriture et son incessante méditation constituent pour le moine, au long de son itinéraire spirituel, le m o y e n privilégié et nécessaire pour atteindre cette fin." ( J . C . G u y , Écriture Sainte, in: D S p B d . 4 , 1 , S. 163). 157 Coll.X,ll. 138 RB 9 , 2 f f . ; 10,3; 11,2. 4; 14,2; 15, l f . 139 RB 12,1; 13,2 f. 140 RB 17,2 ff. 7 f f . 141 RB 18,2 ff. 8 ff. 16 ff.

Das Wort der Heiligen Schrift hören

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daß die Mönche seiner Klöster in jeder Woche den Psalter ungekürzt singen, wie dies, so fügt er hinzu, die Väter sogar an einem einzigen T a g vollbracht hätten 142 . In den Gottesdiensten werden darüber hinaus liturgische Lesungen, bisweilen auswendig 143 , vorgetragen. In den Vigilien nehmen sie, insbesondere am Sonntag, den größten Raum ein 144 , denn „das Schweigen der Nacht ist eine geeignete Zeit, sich das Wort Gottes vertraut zu machen." 145 In geringerem Umfang werden aber auch am Morgen 1 4 6 , während des Tages sowie am Abend 147 biblische oder Kirchenvätertexte vorgelesen, um sie den Mönchen einzuprägen 148 . Mehrfach unterstreicht Benedikt die Wichtigkeit der Lesungen und Psalmengesänge. Er fordert seine Brüder auf, die biblischen Texte in der nach den Vigilien verbleibenden Zeit zu lernen und einzuüben 149 . Denn wer beim Vortrag eines biblischen Abschnittes im Gottesdienst einen Fehler macht, muß sich demütigen, Genugtuung leisten oder wird bestraft 150 . Nur wenigen wird das Amt des Vorsängers oder Vorlesers übertragen 151 . Wer aber wegen gewisser Verfehlungen ausgeschlossen wurde, darf im Oratorium keinen Psalm und keine Lesung mehr vortragen 152 - Entscheidungen und Maßnahmen, mit denen Benedikt allein das Ziel verfolgt, seinen Mönchen die Erfahrung zu vermitteln, welche Autorität mit dem Schriftwort auf dem Spiel steht. Die Schriftlesungen finden nicht nur im liturgischen Rahmen statt. Die grundsätzliche Regel, daß ein Mönch die Lesungen gerne hören solle 153 , gilt auch zu den nichtgottesdienstlichen Zeiten. Darum soll in einem benediktinischen Kloster während der Mahlzeiten aus der Heiligen Schrift vorgelesen werden 154 . Dieser Brauch wird schon von Cassian und Basilius empfohlen 155 , erhält aber erst bei Benedikt eine feste Gestalt durch das Amt des Lesers, das für die Dauer einer Woche übertragen wird 156 . Eine RB 18,23-25. Vgl. dazu C.Gindele, Ordo officii, S. 4. RB 10,2; 13,11. 144 RB 9 , 5 f . 8ff.; 10,2; l l , 2 f f . 145 G. Holzherr, Benediktsregel, S. 148. 146 R B 12,4; 13,11. 147 R B 17,4 ff. 148 Vgl. M. Rothenhäusler, Leben, S.291. 149 R B 8,3. 150 R B 45,1. 151 RB 47,2 ff. 152 R B 24,4; 44,6. RB 4,55. 154 RB 38,1 ff. 155 Von Pachom wird die Tischlesung jedoch noch nicht erwähnt (H. Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S. 148 Anm. 145), darum ist sicher Cassian als das Vorbild für die Benediktsregel anzusehen (dazu im einzelnen P.Albers, Cassians Einfluß, S.43; G. Holzherr, Benediktsregel, S.212). 156 R B 38,4. 142 143

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

weitere Lesung findet im Anschluß an die Vesper in den Abendstunden statt. Während die Magisterregel diese Einrichtung noch nicht vorsieht, benutzt sie Benedikt als eine Gelegenheit, den Mönchen aus den Väterschriften wie den Collationes, den Vitae patrum u.a. vorzulesen 157 . Auch ist in diesem Zusammenhang der Brauch zu erwähnen, daß einem neu angekommenen Gast zur Erbauung aus der Bibel, der „lex divina", vorgelesen wird 158 . Die Häufigkeit der Lesungen und Psalmengesänge macht auf einen Sachverhalt aufmerksam, der für die monastische Spiritualität Benedikts von Bedeutung ist: das Hören. Schon der erste Satz der Regel, den Benedikt unabhängig von der Regula Magistri formuliert hat, zeigt den Mönch als einen Hörenden: „Höre, mein Sohn, auf die Lehre des Meisters und neige das Ohr deines Herzens." 159 In immer neuen Wendungen umschreibt der Prolog die Aufgabe des Mönchs, auf die Stimme und das Wort Gottes zu hören 160 . Nicht reden oder lehren soll er, sondern schweigen und hören 161 . Dieses Hören ist inhaltlich gefüllt: biblische oder andere geistliche Schriften sollen zum Hören gebracht werden 162 . Deswegen sind die Lesungen des Offiziums, in denen die Schrift rezitiert wird, prägend für den Tagesablauf der Klostergemeinschaft. Das Hören bezieht sich aber auch auf den Befehl des Abtes, in dem der Glaubende die Stimme Gottes vernimmt. Das von Benedikt auf sein Amt bezogene Christuswort „Wer euch hört, der hört mich" (Lk 10,16) begründet darum gleichzeitig den klösterlichen Gehorsam 163 . Wie die pachomianischen Klöster verfügen auch die Klöster Benedikts über eine Bibliothek. Mehrfach wird von biblischen Kodizes gesprochen, die bei den gottesdienstlichen Lesungen Verwendung finden 164 . Auch zur Tischlesung bekommt der damit Beauftragte ein Buch ausgehändigt 165 . Wichtiger noch ist die Tatsache, daß insbesondere in der Fastenzeit alle Mönche aus der Bibliothek einzelne Kodizes erhalten, die sie ganz durchzulesen haben 166 . Diese Bücher sind selbstverständlich kein Eigentum der Mönche 167 , geben aber Gelegenheit zum privaten Studium der Schrift 168 . 157 158

159 160

RB 42 (entspricht RM 30). Vgl. I.Herwegen, Sinn und Geist, S.264ff. RB 53,9.

RBProl.l.

RB Prol.9-12. 16. 24. 33. 39. RB 6,6. 162 RB 4,55. 77; 38,5. 12; 42,3f.; 47,3. 163 RB 5,6. 15. 164 RB 9,5. 8; 10,2; 11,1. RB 38,1. 166 Vgl. dazu J. Gaillard, Écriture Sainte, in: DSp Bd. 4,1, Sp. 168 und G. Holzherr, Benediktsregel, S. 242. 167 RB 33,3. 168 RB 48,18.

Das Wort der Heiligen Schrift hören

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Auch über die Fastenzeit hinaus legt Benedikt Wert darauf, daß neben der Handarbeit die private „lectio divina" ausgiebig gepflegt wird. Die d a f ü r vorgesehenen Zeiten sind genau festgelegt, so daß das Schriftstudium einen sicheren Platz im Tagesablauf einnimmt 169 . „Auf diese Weise wird eine Ü b u n g eingeführt, die es bei Pachomius und Basilius und auch bei den von Hieronymus und Cassian beschriebenen Mönchen Ägyptens noch nicht gegeben hat: Zu einer festgesetzten Stunde des Tages widmet man sich eine bestimmte Zeit lang ausschließlich der Lesung und läßt alles sonst ruhen." 170 Auffälligerweise spricht Benedikt in diesem Zusammenhang kaum von der „meditatio" und verbindet mit ihr, wo er sie erwähnt, einen anderen Bedeutungsgehalt als den von Pachom her bekannten. Ging es diesem um eine mündliche Rezitation von Schrifttexten, welche die Handarbeit begleitete und von Gebeten unterbrochen wurde, so u m f a ß t „meditatio" bei Benedikt nurmehr das Auswendiglernen von Texten f ü r das Offizium 1 7 1 und stellt „eine Art Studium" dar 172 . Dem entspricht die Beobachtung, daß Benedikt im Unterschied zu seinen Vorgängern auch inhaltliche Hinweise gibt und nicht nur die Heilige Schrift, sondern auch die Werke Cassians, die Regel des Basilius sowie patristische Kommentare zur Lektüre vorschlägt 173 . Damit hat er „gewisse Voraussetzungen f ü r die spätere wissenschaftliche Arbeit" 174 geschaffen und „indirekt zu einer Kultur des Buches in den Klöstern geführt, während sich die Kultur der Antike in voller Auflösung befand." 1 7 5 Die praktische Bedeutung der Schrift f ü r das könobitische Leben gründet in ihrem inneren Gewicht f ü r die Formulierung der Regelweisung. Keine Seite der Regula Benedicti, auf der nicht auf die Bibel verwiesen, keine Aufforderung, die nicht mit der Schriftautorität begründet würde. Eine Fülle von Zitaten und Anklängen reiht sich aneinander und zeigt nach Pawlowsky, der „die biblischen Grundlagen der Regula Benedicti" einer Analyse unterzogen hat, „die Leichtigkeit, ja man möchte sagen die Eleganz, mit der dem Verfasser der RB die Worte aus der Bibel in seinen Text einfließen, verraten die große Vertrautheit mit dem Gotteswort, die ihm eigen ist." 176 Insbesondere in den ersten Kapiteln der Regel, dem Prolog, der Lehre vom Abt sowie von den Tugenden, ist die Dichte der Zitate 1M

RB 48,1. A.de Vogüé, Regula Benedicti, S.283. 171 RB 10,2; 13,11. Vgl. dagegen das Verständnis von „meditatio" bei Pachom: F. Ruppert, Meditatio, S.83ff. 172 A. de Vogüé, Regula Benedicti, S.286. Vgl. RB 8,3; 48,23; 58,5. 173 RB 9,8; 42,3-5; 73,3-6. 174 B.Lohse, Askese, S. 229. 175 G. Holzherr, Benediktsregel, S. 244. 176 S. Pawlowsky, Grundlagen, S. 64. 170

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

besonders auffällig 177 . Die Feststellung vieler Benediktforscher, daß die Schrift „das Herz der Regel" sei, ist darum durchaus berechtigt 178 . Denn „alle aszetischen und viele der institutionellen Anordnungen werden biblisch begründet, und zwar... durch eine Verflechtung der Schriftworte und -anklänge in den Text der RB."179 Weil die Bibel auf diese Weise gleichsam „in die Substanz des Regeltextes aufgenommen" wird180, hat sie für Benedikt nicht nur eine erläuternde oder illustrierende Funktion. Vielmehr tritt sie immer wieder selbst auf den Plan, ruft und gebietet über jeden historischen Abstand hinweg in die Gegenwart des Lesers hinein 181 . Der Regelabschnitt über die Demut legt von dieser Personifizierung der Schrift Zeugnis ab: hier ist sie es, die redet, ermahnt oder aufrüttelt 182 . Dadurch erreicht Benedikt eine „Unmittelbarkeit des Anrufs, die es erlaubt, das Mönchsleben als Leben unter dem Anspruch Gottes zu charakterisieren" 183 . Wenn er gleichwohl von seinen Mönchen immer wieder gehorsame Befolgung der Regelgebote erwartet 184 , bildet das dazu keinen Widerspruch. Denn die Regel soll nicht mehr als ein „Wegbereiter" sein: ein „Wegbereiter vor allem zu den Quellen geistlichen Lebens"185. Sie ist für Benedikt nur ein Instrument, das von sich fort auf das Wort weist, dessen sich Gott bedient hat, um seinen Willen kundzutun. Der Mönch stößt darum beim Lesen der Regel immer wieder auf die Schrift. Er hört sie als den Ruf Gottes, der zur Umkehr treibt: „laß uns endlich aufstehen, denn die Schrift ruft uns heraus und sagt, daß es Zeit ist, vom Schlaf aufzustehen" (Rom 13,11)186. Mit diesem Wort will Benedikt, wie ein Vergleich mit dem ursprünglichen Zusammenhang bei der Regula Magistri erkennen läßt, den Hörer zu der Erkenntnis bringen, daß erst der Eintritt in das Kloster die notwendige Konsequenz aus dem Taufversprechen bedeutet 187 . Das Schriftwort begleitet den Mönch sodann als die, wie Benedikt sagt, „beste Richtschnur menschlichen Lebens"188, weil sie an die Einhaltung der Gebote Gottes erinnert und zur Nachfolge Christi auffordert. Wer den Anforderungen dieses Weges nicht standhält, erfährt die Schrift als ein Heilmittel („medicamen"), mit dem der Abt den 1,7 178 >n 180 181 182 183 184 185 186 187 188

Vgl. S.Pawlowsky, Grundlagen, S.61 und I.Herwegen, Sinn und Geist, S. 116f. E.von Severus, Elemente, S. 106. S.Pawlowsky, Grundlagen, S.87f. S.Pawlowsky, Grundlagen, S. 101. Vgl. I.Herwegen, Sinn und Geist, S . 2 7 f f . RB 7,1 f. 19. 21. 25. 33. 36. 38. 40f. 45. 57. E.von Severus, Elemente, S. 105; vgl. ders., Grundlagen, S . 6 8 f . RB 1,2; 3,7; 7,55 u.ö. S.Pawlowsky, Grundlagen, S. 101 f. RB Prol.8. So A.de Vogüé, Regula Benedicti, S. 10 ff. RB 73,3.

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Angefochtenen zur Hilfe eilt189. Allerdings macht Benedikt dadurch, daß er die Schrift mit den disziplinarischen Mitteln der Ermahnung und der Ausschließung in eine Reihe stellt, den Charakter dieser Arznei deutlich: als ein Instrument der Klosterzucht ist sie schmerzlich und mit Demütigungen verbunden. Die genannten Beispiele lassen erkennen, welchen Anspruch Benedikt mit der Bibel verbindet. So wie er seine Regel als ein Gesetz bezeichnet („lex regulae") 190 , so nennt er auch das Wort der Bibel „das Lebensgesetz des Klosters" 191 , wobei es sich freilich um ein Gesetz von höherem Rang handelt, wie die präzisierende Umschreibung „lex divina" ausweist192. Keine beliebige Weisung wird darin laut, sondern „die Offenbarung Gottes an die Menschen und daher die für alle geltende Lebensnorm." 193 Die Formulierungen, mit denen in der Regula Benedicti die Zitate eingeleitet werden, unterstreichen diesen Anspruch: Gott selbst läßt sich durch das Wort der Bibel vernehmen 194 ; er ist es, der als Herr ruft, verheißt und antwortet 195 . Wer darum die Schrift so liest, wie Benedikt sie seinen Mönchen durch die Regel nahezubringen sucht, hört die Weisungen und Gebote Gottes („mandata" oder „praecepta dei"), welche Gehorsam fordern und den Maßstab des Handelns aufzeigen 196 . Benedikt gewinnt dieses Verständnis der Schrift zumeist ohne Verwendung der allegorischen Auslegungsmethode und entscheidet sich für „die nüchterne Beibehaltung des Wortsinnes" 197 . Jedoch geht es ihm dabei nicht um ein historisches Verständnis der zitierten Texte, sondern immer darum, „mit den Mitteln seiner Zeit die Schrift für seine Gemeinde selbst zu aktualisieren." Sein Ziel ist die „Aufhellung der Wirklichkeit an Hand von Schrifttexten" und damit „die Transformation der Schrift und insbesondere der Psalmen in die jeweilige konkrete Situation des Mönchs." 198 Diese Aktualisierung der Schrift hat, wie oben gezeigt wurde, oftmals einen ethischen Impuls. Ihr geht es mehr um den Anspruch der Schrift als um ihren Zuspruch. Deswegen ist es problematisch, „Benedikt als Prediger des Evangeliums" zu bezeichnen, wie es Jaspert in Anknüpfung an Luthers 189

RB 28,3. Dieses Thema ist ausführlicher in der RM entfaltet. Vgl. J. Gaillard, Écriture Sainte, in: DSp Bd.4,1, S. 168. 1,0 RB 58,10. 15. 191 S.Pawlowsky, Grundlagen, S. 101. Die Formulierung von Pawlowsky ist aber ungenau, insofern Benedikt zwar die Bedeutung biblischer „mandata" oder „praecepta" für das Kloster unterstreicht (RB 2,4; 21,2; 31,16), von der Schrift aber nicht als „lex" spricht. 192 RB 53,9; 64,9. 193 I.Herwegen, Sinn und Geist, S.410. Von „auctoritas diuina" sprechen R B 9 , 8 ; 73,3. 194 Vgl. RB Prol. 16. 18; 2,14; 5,15; 7,30; 27,7. 195 Vgl. Prol. 14. 19f. 24. 33. 35. 38 f.; 4,61. 76; 5,5 f. 11. 13; 7,32. 42; 23,2; 39,9; 64,21. 196 RB Prol.49; 2,4. 12; 4,63; 7,42; 21,2; 23,2; 28,3; 31,16. 197 S.Pawlowsky, Grundlagen, S.85. 198 E.von Severus, Elemente, S. 107.

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Theologie vorschlägt 199 . Schon die Tatsache, daß der Begriff „euangelium" fast ausschließlich als literarische Gattungsbezeichnung verwendet wird, ist auffällig 200 . N u r an einer Stelle läßt sich ein inhaltlich qualifizierter Gebrauch erkennen, doch wird dort vom „euangelium" nicht als Heilsbotschaft, sondern als Wegweiser des klösterlichen Lebens gesprochen 201 . Ebenso ist an Benedikts Gnadenlehre zu erinnern, die von Lerin beeinflußt ist und synergistische Akzente aufweist 202 . Schließlich ist es gewiß kein Zufall, daß Benedikt das Alte Testament dem Neuen nicht nur gleichstellt, sondern sogar häufiger zitiert und seinen Mönchen als verbindliche Weisung vor Augen stellt 203 . Das „ganzheitliche Lebensverständnis" Benedikts, an das Jaspert zu Recht erinnert 204 , atmet darum eher einen alttestamentlichen Geist, als daß es mit einer reformatorischen Kategorie zutreffend erfaßt würde. Benedikt steht in einer Tradition, die sich den ägyptischen Wüstenvätern verdankt und dem Abendland durch Cassian überliefert wurde. An diesem Maßstab ist er zu messen. Ein Vergleich der Benediktsregel mit der vorausgehenden monastischen Tradition zeigt zunächst eine breite Ubereinstimmung auf: die hohe Wertschätzung der Bibel, ihre Autorität f ü r das geistliche Leben, ihr Gewicht als W o r t Gottes. Liturgische Lesungen und Psalmengesänge, katechetische Unterweisungen und eigenes Studium unterstreichen den Rang der Bibel als „Nahrung" f ü r das monastische Leben 205 . Bei näherem Zusehen werden aber auch Unterschiede deutlich. Das betrifft zunächst das Privatstudium, das zwar schon Cassian nicht unbekannt gewesen ist, bei Benedikt aber erstmals in einem Sommer und Winter wechselnden Zeitplan genau festgelegt wird 206 . Die Handarbeit muß während dieser Zeit, die dem Lesen biblischer Texte vorbehalten ist, ruhen, hat in den anderen Stunden aber den Vorrang und darf dann nicht durch Schriftmeditation unterbrochen werden. Beides kommt also nebeneinander zu stehen, was die Arbeit zu einer nur körperlichen, die Lesung aber zu einer ausschließlich geistigen Tätigkeit werden läßt. 1,9

B.Jaspert, Benedikt, S. 79 ff. RB Prol.33; 7,65; 11,9; 12,4; 13,11; 17,8. 201 RB Prol.21. Vgl. dazu A . d e V o g ü é , Per ducatum Euangelii, S. 1 8 6 f f . und I . H e r w e g e n , Sinn und Geist, S. 32 f. 202 D a z u B. Steidle, Lerin, S. 3 7 6 - 3 8 7 . 203 „Einen grundlegenden Unterschied zwischen T e x t e n des Alten und des N e u e n Testaments kennt die Regula nicht." ( I . H e r w e g e n , Sinn und Geist, S.27). Vgl. auch B.Fischer, Psalmenfrömmigkeit, S. 22 ff. 64 ff. 204 B.Jaspert, Benedikt, S.90. 205 J. Gaillard, Écriture Sainte, in: D S p Bd. 4,1, Sp. 167. So auch M . Rothenhäusler, Leben, S.291. 206 H . Karpp unterstreicht, daß erst Benedikt „dem klösterlichen Bibelgebrauch eine feste Ordnung" gegeben hat: „ D i e Benediktiner lebten nicht nur durch Liturgie, gemeinsame und private Lektüre ständig mit der Bibel, sondern pflegten bald auch deren gelehrtes Studium." ( D i e Funktion der Bibel, in: T R E Bd. 6, S.57). 200

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Eine ähnliche T e n d e n z zeigt sich bei dem Verständnis der „meditatio": diese umfaßt f ü r Benedikt nicht mehr die unablässige Rezitation von Schrifttexten, sondern bezeichnet jetzt die Aufgabe, einzelne Bibelabschnitte f ü r den liturgischen Vortrag zu lernen und vorzubereiten 2 0 7 . Sollte die „meditatio" der Schrift ursprünglich das Denken des Mönchs vollkommen ausfüllen, so weist die Regel ihr nun einen zeitlich begrenzten Raum im Tagesablauf zu. Daran wird deutlich: nicht die Meditation macht das Besondere des benediktinischen Klosterwesens aus, sondern das Leben im Gottesdienst und in den Stundengebeten, nach denen sich der Tagesablauf eines Mönchs gliedert. Einen neuen Akzent setzt Benedikt dadurch, daß er den Begriff „regula" nicht mehr auf die Bibel (wie Pachom mit seiner Formulierung „regula scripturarum"), sondern nur noch auf seine eigene Regel und die des Basilius anwendet 208 . Diese Mönchsregeln haben f ü r ihn die Verbindlichkeit eines Gesetzes („lex") 209 . D a r u m wird den um Eintritt ins Kloster Nachsuchenden ausschließlich die Regel vorgelesen, während Pachom demgegenüber fordert, daß der Novize ein bestimmtes Pensum an Bibeltexten auswendig lernen müsse. Faktisch schiebt sich damit die Autorität der Regel vor diejenige der Schrift, die der Regelinterpretation bedarf, um im könobitischen Kontext Anwendung finden zu können. Die gleiche T e n d e n z spiegelt sich in der von Benedikt eingeführten Verpflichtung wider, zur Erklärung der Schrift Auslegungen rechtgläubiger Kirchenväter heranzuziehen 2 1 0 . Der Unterschied zu Cassian und den ägyptischen Mönchsvätern wird an dieser Stelle besonders augenfällig: gerade die von ihnen kritisierten Kommentare 2 1 1 werden nun als Hilfsmittel herangezogen, damit der einzelne mit seiner Exegese nicht fehl geht. Vertreten die Anachoreten die Auffassung, daß der Mönch nur durch eine Erneuerung des Geistes und durch das Gebet zu Gott zu einem vertieften Schriftverständnis gelangen kann, vertraut Benedikt mehr der Auslegung durch bewährte Väterkommentare. Ebenso warnt er vor der unbedachten Lektüre bestimmter biblischer Bücher 212 . Der Umgang mit der Heiligen Schrift hat sich demnach spürbar verändert: an die Stelle geistlicher Schrifterkenntnis ist die in geregelten Bahnen 207

Vgl. dazu A.de Vogüé, Regula Benedicti, S.285f. RB 7,55; 73,5. 8. - Pachom, Praecepta et Instituta Praef.; 10 (A.Boon, Pachomiana latina, S. 53,13; 56,8 f.). Vgl. dazu G. Holzherr, Benediktsregel, S.276f. 209 RB 58,9f. 15; 62,4. 11; 64,20; 65,17. 210 RB 9,8; 42,3. 5; 73,2ff. Das entspricht zwar grundsätzlich der Aufforderung des Abbas Antonius, den Mönchsvater zu fragen und seine Weisungen zu hören (Antonius 37; PG 65, Sp. 88). Aus der personalen Beziehung wird jedoch bei Cassian und noch deutlicher bei Benedikt eine Orientierung an der „traditio patrum" (vgl. I.Herwegen, Sinn und Geist, S. 156). 211 Vgl. Cassian, Inst. V,34. 212 RB 42,3 f.; 48,15 f. 208

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

sich vollziehende Auslegung getreten. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, d a ß es das Anliegen Benedikts ist, das Zeugnis der Schrift im k ö nobitischen Lebenszusammenhang z u r Geltung zu bringen. Die Regel soll dem einzelnen M ö n c h dabei helfen, zu vertiefter G l a u b e n s e r f a h r u n g durch die Heilige Schrift zu gelangen u n d mit ihrer H i l f e den Glauben in den A n f e c h t u n g e n des Alltags zu bewähren. Sie versteht sich als eine H i n f ü h r u n g zu einem Leben aus der Schrift. D a r u m verweist Benedikt z u m Abschluß seiner Regel auf das Alte u n d N e u e T e s t a m e n t als „die gewisseste Richtschnur des menschlichen Lebens" 2 1 3 und erinnert damit noch einmal an den G r u n d , auf dem allein das monastische Leben erwachsen soll.

3. Den Gottesdienst a) Die ägyptischen

feiern

Anachoreten

Auf den ersten Blick hat die Feier eines gemeinsamen Gottesdienstes f ü r die Anachoreten der ägyptischen Wüste keine Bedeutung. Ihr Leben spielt sich fast ausschließlich in der Einsamkeit des Kellions ab. Abbas N a t h a nael verbringt beispielsweise 37 Jahre in seiner Zelle, o h n e nur ein einziges Mal über die Schwelle zu treten 1 . V o n anderen M ö n c h e n wird ähnliches berichtet: sie w e n d e n sich von der Außenwelt vollständig ab, harren in ihrem Kellion aus u n d lassen sich, was sie zum täglichen Leben brauchen, von H e l f e r n hereinreichen 2 . Gottesdienste außerhalb der Zelle k o m m e n f ü r sie d a r u m nicht in Frage. Selbst z u r Eucharistiefeier gehen sie auf keines Menschen Z u r e d e n hin, weil es ihnen als eine dämonische Einflüsterung gilt 3 . D a sie die außerhalb des Kellions vermuteten A n f e c h t u n g e n fürchten, lassen sie sich die eucharistischen G a b e n vom Priester in ihre Zelle o d e r dorthin bringen, w o sie sich gerade aufhalten 4 . Diese rigorose H a l t u n g ist jedoch eine Ausnahme, die nicht verallgemeinert werden darf. Z w a r gilt f ü r das anachoretische M ö n c h t u m durchaus, d a ß auch das geistliche Leben im wesentlichen im Kellion stattfindet: hier k ö n n e n die M ö n c h e in R u h e beten, ihre H a n d a r b e i t verrichten und die Schrift meditieren; hier k ö n n e n sie ungestört ihre täglichen Andachten feiern u n d dem nachgehen, was sie „geistliche Ü b u n g e n " nennen 5 . D o c h

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RB 73,3. Hist. Laus. Kp. 16 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.41,8f.). 2 Marcus Aegyptius (PG 65, Sp.304); Hist. Laus. Kp. 19. 35. 38. 49. 59 (C.Butler, a.a.O. S.61,7; 100,13f.; 120,8; 142,23f.; 153,19. 21 f.). 3 Verba seniorum V,7,24 (PL 73, Sp. 897-900). 4 Marcus Aegyptius (PG 65, Sp. 304); Phocas 2 (a. a. O. Sp. 433); Hist. mon. 2,7 f.; 13,3 f. 8 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 37. 99 f.). 5 Poemen 111. 168 (PG 65, Sp.349. 361); Paphnutius 5 (a.a.O. Sp.380); Serapio 1 (a.a.O. 1

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spiegelt die Feststellung des Abbas Macarius, man kenne dort, wo er sich niedergelassen habe, keine Opferdarbringung, nicht den Regelfall wider 6 . Nur wenige Anachoreten gehen so weit, daß sie den gemeinschaftlichen Gottesdienst mit Herrenmahl grundsätzlich für überflüssig halten. Verbreiteter ist die andere Auffassung, das Kellion nur selten zu verlassen, darüber aber die gottesdienstliche Zusammenkunft nicht zu versäumen 7 . Antonius, wie er von Athanasius in der Vita geschildert wird, steht für viele, wenn er der gemeinsamen Liturgie nur ein geringes Gewicht beimißt, gleichwohl aber regelmäßig an ihr teilnimmt. Poemen nimmt eine ähnliche Gewichtung vor, als er auf Anfrage feststellt: „im Kellion zu-sitzen ..., das bedeutet Handarbeit, nur einmal zu essen, zu schweigen und die Betrachtung . . . wenn aber der Zeitpunkt da ist, von deiner Handarbeit auszuruhen, dann gehe in die gottesdienstliche Versammlung (σύναξις) und feiere ungestört" 8 . Dagegen gilt der Mönch Valens, der nicht mehr kommunizieren will, weil er angeblich Jesus in einer Vision gesehen hat, als verwirrt und fehlgeleitet 9 . Seine Haltung „ist an sich ganz folgerichtiger Radikalismus des Mönchtums, aber widerspricht der Praxis der mönchischen Kirchentreue" 10 . Wer die gemeinsame Eucharistie ablehnt oder meidet, steht außerhalb sketischer Uberzeugungen 1 1 . Die gottesdienstliche Versammlung mit der Feier der Eucharistie ist demnach für die Mehrzahl der Anachoreten neben dem geistlichen Leben im Kellion der zweite, wenn auch sicher nicht gleichrangige Ort der Gestaltwerdung ihres Glaubens 1 2 . Der Besuch des gemeinsamen Gottesdienstes gilt als feststehende Gewohnheit (κατά το εθος) 13 und ist in den Wochenrhythmus des monastischen Lebens integriert 14 . Auch Krankheit bedeutet kein Hindernis, sich auf den Weg zu machen 15 . Vielmehr ermahnt Abbas Arsenius einen Bruder, bei seinen asketischen Übungen die Teilnahme am Gottesdienst ebensowenig wie das Trinken des Wassers zu verSp.416); Verba seniorum V,7,24 (PL 73, Sp.897-900). Vgl. dazu W.Bousset, Mönchtum, S.lOf. 6 Macarius Aegyptius 26 (PG 65, Sp.273). 7 Arsenius 21 ( a . a . O . Sp.93); T h e o d o r a s Phermae 19 ( a . a . O . Sp. 192); Macarius Aegyptius 16 ( a . a . O . Sp.269). 8 Poemen 168 (PG 65, Sp.361). ' Hist. Laus. Kp.25 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.79f.). Ähnliches berichtet Palladius von den Mönchsvätern Heron und Ptolemäus (Kp.26/27; C.Butler, a . a . O . Sp.81-83). 10 H. Lietzmann, Geschichte, S. 150 f. 11 Modus 1 (PG 65, Sp.300). 12 So W. Bousset, Mönchtum, S.26. 13 Cario 2 (PG 65, S p . 2 5 2 C ) . 14 Ammoes 1 ( a . a . O . Sp. 125); Joseph in Panepho 7 ( a . a . O . Sp.229); Macarius Aegyptius 39 ( a . a . O . Sp.280f.); Poemen 32. 76 ( a . a . O . Sp.329. 340f.); Paulus simplex ( a . a . O . Sp. 381/4). 15 Theodora 3 ( a . a . O . Sp.201).

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gessen 16 . Er wählt damit einen Vergleich, der die elementare Notwendigkeit des Gottesdienstes f ü r das anachoretische Leben eindrucksvoll unterstreicht. Ein sprechendes Zeugnis f ü r die Bedeutung des gemeinsamen Gottesdienstes sind die Kirchgebäude, in deren Umkreis sich, wie wir in den frühmonastischen Quellen lesen, anachoretische Siedlungen bildeten 17 . Abbas Phocas berichtet sogar davon, daß in der Wüste der Sketis, als er sie besucht habe, sich zwei konkurrierende Gemeinden mit jeweils eigenen Kirchen gegenübergestanden hätten 1 8 . Auch von klösterlichen Kapellen wird berichtet, doch weisen sie schon in das könobitische Mönchtum hinüber, von dem später ausführlich die Rede sein soll 19 . Der Vorplatz der Kirchen ist allem Anschein nach ein T r e f f p u n k t der Anachoreten und eine Gelegenheit f ü r Familienangehörige, die Ihrigen wiederzusehen 2 0 . Der Innenraum aber darf nicht von jedem betreten werden: weil er eine Erinnerung an die Gott zu erweisende Ehrfurcht darstellt, wird jeder, der sich offensichtlich verfehlt hat und keine bußwillige Gesinnung mitbringt, zurückgewiesen und zur U m k e h r aufgefordert 2 1 . Ebenso gehört festliche Kleidung, die die Anachoreten im Alltag strikt ablehnen, zu einem Gottesdienstbesuch dazu; auch im äußeren Habitus wollen sie der Dignität des Kirchenraumes entsprechen 22 . Deswegen widersteht T h e o d o r u s Phermae ganz gegen seine Gewohnheit einigen Räubern, die seine Albe entwenden wollen: die Bereitschaft zu einem Leben in Armut schließt das liturgische Gewand nicht ein 23 . Die Gottesdienste werden am Sonnabend und am Sonntag einer jeden Woche gefeiert: Sabbat und Herrentag sind die beiden Ruhetage, die Gelegenheit zur συνάξις geben 24 . Mancher Anachoret verläßt nur ihretwegen das Kellion 25 . Im Mittelpunkt der Gottesdienste steht die Eucharistiefeier,

16 Arsenius 24 (a.a.O. Sp.96); Hist. Laus. Kp.43/44 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.130f.). 17 Isaac presbyterus Celliorum 5 (PG 65, Sp.225); Hist. mon. Kp.2,12; 10,5-7. 32; 20,7. 11 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 39. 77 f. 88. 120 f.); Hist. Laus. Kp.7; 53/4 (C. Butler, a.a.O. S.25,15; 145,11; 146,8). 18 Phocas 1 (PG 65, Sp. 432/3). " Paulus simplex (a.a.O. Sp.381); Hist. mon. Kp.5,3 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.42). 20 Joannes Colobus 8. 25 (PG 65, Sp.205. 213); Poemen 76 (a.a.O. Sp.340f.). 21 Eladius 1 (a.a.O. Sp. 173); Joannes Cellensis 1 (a.a.O. Sp.233). 22 Cronius 5 (a.a.O. Sp.249). 23 Theodorus Phermae 29 (a.a.O. Sp. 196). 24 Daniel 7 (a. a. O. Sp. 157); Nicon (a. a. O. Sp. 309); Poemen 30 (a. a. O. Sp. 329); Sisoes 2 (a.a.O. Sp.392); Hist. mon. Kp. 12,6; 20,7f. (A.-J.Festugière, Historia monachorum, S.94. 120f.); Hist. Laus. Kp.7; 20; 32; 59 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.26,8f.; 63,9; 89,11 f.; 153,20). Vgl. auch Cassian Inst. III,2. Zum Ganzen: K. Heussi, Ursprung, S. 162 f.; H.Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S.56 Anm. 107. " Heraclius (PG 65, Sp. 185); Moyses 5 (a.a.O. Sp.284).

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deren Verrichtung einem geweihten Priester vorbehalten ist 26 . Während anfangs der Priester sicher von außen herbeigerufen werden mußte, ergab es sich im Lauf der Zeit, daß Priester zu den Anachoreten stießen und nun unter ihnen lebten 27 . Bisweilen erhalten einzelne Anachoreten auch die priesterliche Weihe und damit die kirchliche Legitimation zur Darbringung des Opfers 2 8 . Andere verweigern sich diesen Bestrebungen oder werden gegen ihren Willen in dieses Amt gehoben 2 9 . Es widerspricht ihrer Demut, als Priester am Gottesdienst in besonderer Stellung mitzuwirken und aus dem Kreis der übrigen Brüder herauszutreten 3 0 . Am deutlichsten artikuliert sich die Kritik, als ein Anachoret aufgrund seiner asketischen Leistungen sich selbst zur Priesterwürde aufschwingen will, weil er sich damit nicht nur dem H o c h m u t ausliefert, sondern auch von der bischöflich geleiteten Kirche löst 31 . In der Respektierung des priesterlichen Amtes kommt demgegenüber zum Ausdruck, daß die Anachoreten trotz ihrer Distanzierung von der Welt an der Gemeinschaft mit der Kirche festhalten. Ihre Spiritualität artikuliert sich, wie auch am Umgang mit der Häresie zu zeigen sein wird, auf dem Boden des kirchlichen Bekenntnisses und nicht im Widerspruch zu ihm. Neben der Eucharistiefeier hat in der anachoretischen Frömmigkeit auch das Agapemahl seine Bedeutung behalten. Mehrfach hören wir in den Apophthegmata Patrum von einer Feier desselben 32 . Mißbräuche werden kritisch vermerkt und gerügt, etwa wenn unnötig geredet, gelacht oder zuviel getrunken wird 33 . Einen grundsätzlichen Einwand bringt Abbas Agathon gegen das Agapemahl vor. Er sagt: „Niemals habe ich ein Liebesmahl gegeben, sondern das Geben und Nehmen war mir ein Liebesmahl, indem ich urteilte, daß der Gewinn meines Bruders ein fruchtbrin-

26 Daniel 7 (a.a.O. Sp. 157); Isaac Thebaeus 2 (a.a.O. Sp.241); Macarius Aegyptius 33 (a.a.O. Sp.276); Isaac presbyterus Celliorum 6 (a.a.O. Sp.225); Cario 2 (a.a.O. Sp.252); Poemen 30 (a. a. O. Sp. 329); Sisoes 8 (a. a. O. Sp. 393); Hist. Laus. Kp. 7; 18 (C. Butler, a. a. O. S. 26,9 ff.; 47,23; 54,11 ff.; 56,3 ff.). Vgl. dazu H.Lietzmann, Geschichte, S. 151. 27 Hist. mon. 10,1 f.; 12,6ff.; 13,1; 18,1; 20,1; 25,2 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.75; 94; 98; 114; 118; 134). 28 H. Lietzmann sieht darin den Anfang einer weiterreichenden Entwicklung (Geschichte, S. 151). Vgl. dazu Hist. Laus. Kp.47-49. 58 (C.Butler, a.a.O. S. 136,19; 142,14f.; 144,1; 151,18 f-)" Theodorus Phermae 25 (PG 65, Sp.193); Matoes 9 (a.a.O. Sp.292f.); Hist. Laus. Kp. 11 (C.Butler, a.a.O. S.32-34). 50 P i o r l (PG 65, Sp.373); Petrus Dii (a.a.O. Sp.385); Hist. Laus. Kp.47 (C.Butler, a. a.O. Sp. 136ff.). 31 Hist. Laus. Kp. 53 (C.Butler, a.a.O. S.145,12f.). 32 Motius 1 (PG 65, Sp.300); Petrus Pionitus 3 (a.a.O. Sp.377); Sisoes 2 (a.a.O. Sp.392); Silvanus 1 (a.a.O. Sp.408). 33 Esajas 4 (a.a.O. Sp. 181); Joannes Colobus 9 (a.a.O. Sp.205/8); Sisoes 2 (a.a.O. Sp. 392). Mißbräuche kommen aber auch beim Herrenmahl vor: Sisoes 8 (a.a.O. Sp.393).

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gendes Werk ist."34 Mit seiner Relativierung des Agapemahls, die den Blick auf den Bruder und die Gestaltwerdung der Liebe im Leben lenkt, distanziert sich Agathon von dieser Form der Zusammenkunft, macht aber gleichzeitig deutlich, daß sie zu seiner Zeit noch verbreitet ist35. Die weiteren Elemente des Gottesdienstes im anachoretischen Mönchtum sind schnell zu nennen. Die Apophthegmata Patrum erwähnen die Buße, Lesungen aus den Propheten, den Psalmen und den Apostelbriefen, Einzel- und Fürbittgebete sowie die Kollekte für die Bedürftigen 36 . Daß bei der Zusammenkunft ein Anachoret aus Übermüdung einschläft, läßt sich, wie wir in einer Erzählung hören, nicht immer vermeiden; die asketischen Übungen der Woche fordern ihren Tribut und übersteigen bisweilen die Kräfte des Menschen. Darum braucht, wer vom Schlaf übermannt wird, nicht mit einer Rüge zu rechnen, sondern darf sich durch brüderliche Zuwendung getragen wissen37. Die Verpflichtung zur angemessenen Vorbereitung auf den Gottesdienst wird damit nicht entkräftet: wie das Kellion ist auch die Kirche für die Anachoreten ein Ort innerer Sammlung und darf nur in einer entsprechenden Haltung betreten werden 38 . Die verschiedenen Angaben erlauben nur einen lückenhaften Einblick in den gemeinsamen Gottesdienst der anachoretischen Mönchsväter. Eine feste Liturgie wird nicht erkennbar, nur von der Eucharistie ist übereinstimmend die Rede. Das läßt danach fragen, welchen Stellenwert der am Sonnabend und Sonntag gefeierte Gottesdienst für die Spiritualität der Anachoreten hat. E. Dekkers resümiert in seiner Untersuchung über diese Frage, „daß sich die Frömmigkeit unserer Mönche, ja selbst der besten, nicht oder doch sehr wenig von dem nährte, was die Liturgie ihnen darbot". Er spricht von „relative(r) Gleichgültigkeit, ja sogar Unterschätzung der Liturgie", die darin begründet sei, daß der Anachoret durch sein asketisches Streben, nicht aber durch die Teilnahme an der Sakramentsfeier die Vereinigung mit Gott zu erreichen hoffte 39 . Sein kritisches Urteil, das auch das regelgebundene Mönchtum, von dem noch zu sprechen sein wird, einbezieht, ist jedoch problematisch und fordert zu einer Korrektur heraus. Offensichtlich wurde es, wie Dekkers einleitend zu erkennen gibt, am Maßstab des späteren liturgischen Offiziums gewonnen und kann darum die in

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Agathon 17 (PG 65, Sp. 113). Vgl. B.Jordahn, Agape, S. 26-39. 36 Nicon (PG 65, Sp.309); Paulus Simplex (a.a.O. Sp.384f.); Serapio 1 (a.a.O. Sp.416); Besario 5 (a.a.O. Sp. 141); Poemen 168 (a.a.O. Sp.361); Romanus (a.a.O. Sp.385/8). 37 Poemen 92 (PG 65, Sp.344). 38 Poemen 32 (a.a.O. Sp.329); Joannes Colobus 23 (a.a.O. Sp.212f.); Hist. mon. Kp. 16,1 f. (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 112 f.). 39 E. Dekkers, Liturgie, S. 42. 57. 35

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der Lebenssituation der Anachorese begründeten elementaren Anfänge gottesdienstlicher Feiern nicht angemessen würdigen. Wenn wir die eingangs geschilderte Grundhaltung der ägyptischen Wüstenasketen bedenken, wird deutlich, was es bedeutet, daß sich innerhalb des anachoretischen Mönchtums der eucharistische Gottesdienst durchgesetzt hat. In der Abgrenzung von denen, die auf eine Teilnahme daran verzichten zu können glauben, wird die Wertschätzung der gemeinsamen Liturgie deutlich. Darüber hinaus werden mehrere Stimmen laut, welche die Bedeutung des Gottesdienstes ausdrücklich unterstreichen. Am weitesten geht Poemen, der feststellt: „Die Mönche, die in der Wüste sitzen, brennen von dem Feuer der bösen Dämonen und begehren nach Sabbat und Herrentag, um ... zum Leib und Blut des Herrn zu kommen, damit sie gereinigt werden von der Bitternis des Bösen."40 Die dem Poemen zugeschriebene Äußerung ist, auch wenn sie möglicherweise „aus einer viel späteren Zeit" stammt 41 , nicht untypisch für die Haltung der Anachoreten in dieser Frage: in der wöchentlichen κοινωνία erblicken sie eine Quelle der Kraft, die vor den Versuchungen des Alltags Schutz gewährt 42 . Die Forderung einer täglichen Kommunion, die Abbas Apollo erhebt, ist zwar die Ausnahme 43 . Von der am Sonnabend und am Sonntag stattfindenden Eucharistiefeier aber gilt: wer sich ihr entzieht, steht in Gefahr, den Anfechtungen des Alltags zu erliegen44, und es ist eine schmerzliche Strafe, von ihr wegen Verfehlungen ausgeschlossen zu werden 45 . Auch wenn das anachoretische Mönchtum dem spirituellen Leben im Kellion grundsätzlich einen höheren Rang einräumt, läßt es doch gleichzeitig eine spürbare Wertschätzung der gemeinsamen gottesdienstlichen Feier erkennen. Sie ist der Grund dafür, daß Abbas Isaac nach Ende der Zusammenkunft schnell in sein Kellion zurückeilt: so hofft er, „die Ruhe des Gottesdienstes" festhalten zu können und „die Erleuchtung der heiligen Opferfeier" nicht zu verlieren 46 .

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Poemen 30 (PG 65, Sp.329). E. Dekkers, Liturgie, S.46. 42 Phocas 2 (PG 65, Sp.433). 41 Hist. mon. Kp.8,56 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.69,353-355). Vgl. auch Cassian Inst. VI, 8. Umgekehrt stehen die, welche sich auf eine jährliche Kommunion beschränken, ebenfalls ziemlich allein und werden kritisiert (Coll.XXIII,21). 44 Hist. mon. Kp.25,2 (A.-J.Festugière, a.a.O. S. 134); Hist. Laus. Kp. 17 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.44ff. bes. 46,6f.). 45 Hist. Laus. Kp.33 (C.Butler, a.a.O. Sp.96f.). 46 Isaac Thebaeus 2 (PG 65, Sp. 241 ); ähnlich auch Macarius Aegyptius 16 (a. a. O. Sp. 269) und Sisoes 37 (a.a.O. 404). 41

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b) Johannes Cassian Die Orientierung an der monastischen Tradition Ägyptens wird bei Cassian auch in der Frage der Gebetspraxis deutlich. Die von den Vätern begründete Uberlieferung hat f ü r ihn Gewicht, weil seiner Uberzeugung nach allein die älteste Bestimmung Verläßlichkeit zu geben vermag 47 . Das zeigt sich zunächst in der Aufforderung zu einer regelmäßigen, gemeinsamen Feier des Herrenmahls. N u r zur Abschreckung berichtet Cassian von einem Eremiten, der jahrzehntelang weder an einem Gottesdienst noch an der Feier des Osterfestes teilnahm, um die in solchem Verhalten schlummernde Gefahr der Selbstüberhebung aufzuzeigen 4 8 . Dagegen verweist er zustimmend auf die Anachoreten, die am Sabbat und am Herrentag selbstverständlich einen Gottesdienst mit „sacra communio" besuchen 49 . Mancher Abbas habe nur deswegen seine Zelle verlassen, um am sonntäglichen Gottesdienst teilnehmen zu können 5 0 . In Ubereinstimmung mit ihnen empfiehlt Cassian die Feier der Eucharistie am Sonnabend und am Sonntag. Die Forderung einer täglichen Kommunion ist ihm zwar bekannt 5 1 und wird bisweilen auch f ü r die südgallischen Klöster geltend gemacht 52 , sie spielt jedoch insgesamt keine Rolle in seinen Überlegungen und wäre auch schwer im klösterlichen Tagesplan unterzubringen 5 3 . Auch bei der theologischen Begründung dieser Praxis läßt sich Cassian von den ägyptischen Vätern leiten. Während man in Palästina „die von unreinen Geistern geplagten Mönche" vom Herrenmahl ausschließe 54 , werde in Ägypten die Eucharistie gerade deswegen gefeiert, weil sie als „himmlische Medizin" zur Reinigung von Körper und Seele führe 5 5 . Cassian verschweigt nicht, daß bei gewissen Könobiten die Überzeugung verbreitet ist, nur „Heiligen" dürfe die Teilnahme am Sakrament gestattet werden; er kritisiert diese Auffassung als einen Irrtum, der um so schwerer wiegt, weil sie doch glaubten, jedenfalls einmal im Jahr diesem Anspruch genügen zu können 5 6 . Aus der Einsicht, daß die menschliche N a t u r niemals sündlos sein könne, folgt f ü r Cassian nicht als Konsequenz, den Sünder vom Tisch des Herrn zu verbannen, vielmehr wird von ihm jeder Mönch zur regel-

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Inst. II, 2,1; 3,1. Coll. II, 5. 49 Inst. III,2; 9,3. 50 Z.B. Inst.V,26; Coli.III, 1,1; X I X , 4 , 2 . Weitere Belege für „consortio" und „congregatio": Inst.II, 15f.; 111,5,2; 7,1; Coll.IV,34,13; VIII,1,1. 51 Coll. VII, 30,2. 52 Inst. VI,8 (CSEL 17, S. 120,7 f.); vgl. auch Coll. IX,21; XIV,8,5. 53 So O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.69. Vgl. H.Leclercq, Communion quotidienne, in: DACL Bd.III/2, Sp. 2457-2462. 54 Coll. VII, 29. 55 Coll.VII,30,3 (CSEL 13, S.208,23). 56 Coll. XXIII, 21,1 f. 48

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mäßigen Kommunion aufgefordert, weil er der aus ihr erwachsenden Kraft bedürftig ist57. Nur soll sie in einer Haltung der Demut vollzogen werden, was die Ägypter durch das Ablegen der Schuhe zum Ausdruck gebracht haben 58 . Hinsichtlich der Abend- und Nacht (bzw. Frühmorgen)gottesdienste greift Cassian im zweiten Buch seiner Instituía gleichfalls auf die in ägyptischen Klöstern übliche Ordnung zurück, beschreibt sie jedoch in Anlehnung an die Engelsregel der Historia Lausiaca (Kp.32): danach singen zwei bis vier Mönche nacheinander insgesamt zwölf Psalmen, aufgeteilt in mehrere Abschnitte und unterbrochen durch Gebete, fügen zwei Lesungen des Alten und des Neuen Testaments an und beenden das Zusammensein mit einem abschließenden Gebet 59 . Die übrigen Mönche, welche keinen liturgischen Dienst wahrzunehmen haben, verharren dabei sitzend in tiefem Schweigen und stehen nur zur Oration auf 60 . Nach Ende des Gottesdienstes eilen alle unverzüglich in ihre Zellen zurück, um entweder nach der Vesper dem von der Tagesarbeit ermüdeten Körper Ruhe zu gewähren oder um nach der bis in den beginnenden Morgen reichenden Nocturn das Gebet ohne Unterbrechung fortzusetzen 61 . Auch für die südgallischen Klöster gilt demnach der Grundsatz, daß der geistlichen Betrachtung keine Grenzen gesetzt sind 62 . An dieser Stelle setzt Cassian mit seinen Überlegungen neu ein. Zwar genießt das unablässige Gebet, welchem die ägyptischen Mönchsväter tagsüber nachgehen, seine uneingeschränkte Wertschätzung: es habe einen höheren Wert als das, welches in zeitlichen Abständen dargebracht werde 63 . Auf der anderen Seite sei es letztlich unnachahmlich („inimitabilis") und bedürfe daher auf abendländischem Boden der Mäßigung („moderado") 64 . Cassian nennt keine Gründe, doch wird in seiner Einschätzung der zeitliche und geographische Abstand zu den ägyptischen Asketen deutlich, wenn er das einstmals für unabdingbar Gehaltene nun unter dem Blickwinkel der praktischen Realisierbarkeit betrachtet. Cassian hält damit zwar grundsätzlich an dem frühkirchlichen Gedanken einer oratio continua fest. Aber gleichzeitig erweist er sich als ein guter Beobachter menschlicher Schwächen, der feststellt: „wenn wir nicht gleichsam wie durch ein " Coll.XXIII,20; 21,1; vgl. ähnlich Inst.1,9,2; 111,3,9; Coll.XXII, 3,6; 5,1; 6,3. ss Inst.1,9,2. Uber den Ablauf des Gottesdienstes erfahren wir nur wenige Einzelheiten: Büßer dürfen an ihm nicht teilnehmen (Coll.XVIII, 15,6; Inst. II, 16); am Sonntag wird vor der Mahlzeit nur ein Gottesdienst abgehalten (Inst. III, 11); der Gottesdienst wird durch ein dreimaliges Gebet abgeschlossen (Coll. IX, 34,13). " Inst. 11,4-9.11; Coll.XVII,3. 60 Inst. II,7; 10,1; 12. 61 Inst. II, 12,3. « Inst.II, 14 (CSEL 17, S.29,15f.). 63 Inst.III,2 (a.a.O. S.34,13f.). 64 Inst. 111,1 (a.a.O. S.33,23f.).

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Gesetz verpflichtet werden die Dienste der Frömmigkeit wenigstens zu bestimmten Zeiten auszuüben, verbringen wir den ganzen Tag, ohne jemals zum Beten zu kommen" 6 5 . Deswegen sind nach seiner Überzeugung auch für das bei Tageslicht zu verrichtende Gebet Regeln unentbehrlich. Um sie zu gewinnen, verläßt er den Boden des ägyptischen Mönchtums, das außer den Abend- und Nacht (bzw. Frühmorgen)gottesdiensten keine liturgischen Zusammenkünfte der Klostergemeinde kennt 66 , und wendet sich Uberlieferungen zu, die in den Klöstern Palästinas beheimatet sind. Von ihnen ausgehend legt er im dritten Buch seiner Instituía („De canonico diurnarum orationum et psalmorum modo") die Gebetszeiten fest, die für die Klostergemeinden in Südgallien Geltung erlangen sollen. Dreimal des Tages sollen die Mönche in der Kirche zusammenkommen, dort drei Psalmen singen, diese jeweils mit einem Gebet abschließen und darauf zur Arbeit zurückkehren. Cassian knüpft damit an einen alten kirchlichen Brauch an: schon in der Urgemeinde wurde den Gläubigen zur dritten, sechsten und neunten Tagesstunde ein Gebet empfohlen. Tertullian, Cyprian und andere abendländische Theologen schließen sich in ihren Überlegungen zum Gebet dieser Übung an, doch überlassen auch sie die Einhaltung derselben der privaten Frömmigkeit des einzelnen, der wohl nur im Ausnahmefall die Kirche dazu aufsuchte 67 . Erst die Einbeziehung der Gebetszeiten in den klösterlichen Tagesablauf sollte dies ändern: „Die mönchische Lebensform macht es möglich, diese Tagzeiten miteinander gemeinsam zu beten und systematisch auszubauen; da die Mönche in ständiger Lebensgemeinschaft lebten, waren sie imstande, die Gebetsstunden täglich in vollem Umfang zu halten. Damit werden die Vigilien, die bisher nur die Osternacht und die Vorabende von bestimmten Feiertagen auszeichneten, zu einer regelmäßigen Ordnung. Ebenso werden Terz, Sext und Non nicht bloß der persönlichen Frömmigkeit empfohlen, sondern tägliches Pensum." 6 8 Bei Cassian läßt sich dieser Prozeß der Verfestigung des Stundengebets und seines Ausbaus verfolgen. Er begründet die zeitlichen Bestimmungen in Anlehnung an die kirchliche Tradition mit der Ausgießung des Heiligen Geistes zur dritten, der Kreuzigung Jesu zur sechsten und seiner Höllenfahrt zur neunten Stunde 69 . Und er erklärt den Besuch der Tagzeitengebete zu einer verbindlichen Pflicht für jeden Mönch, deren Vernachlässi"

Inst.III,3,8 ( a . a . O . S . 3 7 , 1 3 f . ) . Inst.III,2 ( a . a . O . S . 3 4 , 9 - 1 1 ) . Zum Stundengebet in den pachomianischen Klöstern vgl. H.Bacht, Antonius, S. 196ff.; A.van der Mensbrugghe, Prayer-time, S.438 ff.; A.Veilleux, Liturgie, S . 2 3 3 f f . 292ff. sowie K.S.Frank, ΑΓΤΕΛΙΚ.ΟΣ ΒΙΟΣ, S. 80f. 6 7 Vgl. dazu O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 7 0 f . 6 8 H. Goltzen, Gottesdienst, S. 134 f. „The innovation of monastic worchip lay in the development of the daily hours of prayer." (O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.70). " Inst. III, 3. 66

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gung Strafe nach sich zieht 70 . Aus seinen Angaben ergibt sich, daß die Mönche in den Klöstern zu Marseille pro T a g insgesamt fünf Stundengebete feiern: zwei Gottesdienste am späten Abend sowie in der Nacht (bzw. am frühen Morgen); drei H ö r e n bei Tageslicht. Cassian leitet die Fünfzahl aus dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ab, in welchem der Hausherr mehrfach auf dem Marktplatz nach Gehilfen sucht: zuerst am frühen Morgen („quod tempus désignât matutinam nostram sollemnitatem"), darauf drei weitere Male im Tagesverlauf („tertia", „sexta", „nona") und schließlich zur Abendzeit („in qua lucernaris hora signatur") 71 . Cassian erwähnt und beschreibt über die bisherigen Angaben hinaus noch einen weiteren Gottesdienst: die „sollemnitas matutina" 7 2 . Ausdrücklich weist er darauf hin, daß sie nicht durch alte Tradition begründet, sondern erst zu seiner Zeit („nostro tempore") eingeführt worden sei; zwar habe sie in abendländischen Regionen schon Verbreitung gefunden, stoße jedoch in den ältesten Klöstern des Orients auf Ablehnung 7 3 . Die Entstehung der „matutina" wird von ihm wie folgt skizziert. Bis vor kurzem habe man sie noch gleichzeitig mit den nächtlichen Vigilien gefeiert. Weil die zwischen ihnen und der morgendlichen T e r z verbleibende Zeit von manchem M ö n c h jedoch nur zur Ruhe, nicht aber zur „meditad o " genutzt worden sei, habe der Abt im Bethlehemer Kloster entschieden, einige Lobpsalmen zwar am Schluß der Vigilien zu singen, andere aber an den Sonnenaufgang zu verlegen. Mit dieser Veränderung habe er erreichen wollen, daß alle Mönche gemeinsam aufstehen und nach der Matutin gemeinsam mit der Arbeit beginnen 74 . Die Liturgie dieser „sollemnitas nouella" wird nach der bei der Feier der Terz, Sext und N o n üblichen Weise bestimmt, wobei die zu singenden Psalmen eigens festgelegt werden 7 5 . Der von Cassian erwähnte Morgengottesdienst wirft liturgiegeschichtliche Fragen auf. Schon der Anlaß seiner Entstehung ist auffällig, wenn, wie die Instituía behaupten, tatsächlich keine religiösen, sondern ausschließlich disziplinarische Gründe den Ausschlag f ü r seine Festlegung gaben. Die Diskussion der Cassianforscher beschäftigt sich darüber hinaus eingehend mit der Frage, ob mit der „matutina" des Bethlehemer Klosters die Prim 76 oder die Laudes 77 gemeint sind. Beide Vermutungen können,

70

Inst. III, 7; vgl. Inst. II, 2,2; 111,1. Inst.III,3,11 (CSEL 17, S . 3 8 , 1 1 - 1 4 ) ; vgl. auch Inst. 111,7. 72 Inst. 111,4-6. 75 Inst.III,4,1 (CSEL 17, S . 3 8 , 1 6 f . ) . 74 Inst. 111,4,2 ( a . a . O . S . 3 9 , 1 0 - 1 5 ) . 75 Inst. III,4,2; 6. 76 So O . C h a d w i c k , Cassian 1. Aufl., S . 6 7 Í . ; H.Leclercq, Prime, in: D A C L B d . X I V / 2 , Sp. 1776; L.Cristiani, Jean Cassien Bd. 1, S . 6 4 . 88. 204; H . G o l t z e n , Gottesdienst, S. 142f. 71

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wie Chadwick in seiner umsichtigen Darstellung entfaltet, Argumente f ü r sich in Anspruch nehmen, werfen andererseits aber auch neue Unklarheiten auf. So muß an die Prim-Version die Frage gerichtet werden, warum Cassian zwei verschiedene Gottesdienste als Matutin bezeichnet, ohne dies eigens zu begründen; warum die der Prim zugeordneten Psalmen andernorts in den Laudes gesungen werden; warum der neue Gottesdienst in einen Gegensatz zu den Tageshoren gestellt wird; und wie es zu erklären ist, daß die Prim im Westen erst sehr viel später auftaucht. Umgekehrt wird an die Laudes-Version die Frage zu richten sein, warum Cassian ausdrücklich von sieben Stundengebeten spricht, ohne diese Anzahl jedoch zu erreichen; und warum er eine Liturgie vorschlägt, die wohl der Prim, nicht aber den späteren Laudes entspricht 78 . Chadwick folgert aus diesem Dilemma: „The text of the Institutes, therefore, needs to be manipulated in order to produce either of the only two possible solutions; and each solution must convict Cassian of confusion in his writing; such confusion that there has even been talk of mental incoherence." 79 Als mögliche Lösung deutet er an, daß es sich bei Inst. III, 4 - 6 vielleicht um eine Interpolation aus späterer Zeit handeln könne, durch die der Redaktor eine neue Praxis mit der Autorität des Ursprungs versehen wollte. Die geschilderten Fragen würden damit tatsächlich hinfällig und zurück bliebe ein in sich schlüssiger Text. Die weitere Diskussion wird jedoch erweisen müssen, ob Chadwicks textkritischer Vorschlag Bestand hat. Unabhängig davon, ob man sich ihm anzuschließen vermag, bleibt jedoch festzustellen, daß Cassian an einem entscheidenden Punkt der liturgiegeschichtlichen Entwicklung des Stundengebetes steht. Erstmals finden die H ö r e n zur dritten, sechsten und neunten Stunde Eingang in den T a gesablauf eines abendländischen Klosters und werden dort mit Vesper und Nocturn zu einer monastischen Liturgie verbunden 8 0 . Offensichtlich befindet sich dabei die Nocturn zu Cassians Zeit in einem Umbruch und beginnt sich in Vigilien (Matutin), Laudes und Prim zu teilen, ohne daß dieses schon terminologisch greifbar würde. O b darüber hinaus auch die abendliche Komplet schon vorgesehen ist, kann nach den vorliegenden Angaben Cassians nur vermutet werden. Denn eher beiläufig und in ganz

77 So J.Froger, Prime; ders., Note, S.96-102; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 7 4 f . (mit Vorbehalt). 78 Vgl. O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S . 7 4 f . " O.Chadwick, a . a . O . S.75. 80 „C'est Cassien qui est en grande partie l'intermédiaire d o n t s'est servie la Providence pour déterminer l'office divin en Occident." (L. Cristiani, Jean Cassien Bd. 1, S. 87). Vgl. auch K.S.Frank, ΑΓΓΕΛΙΚΟΙ ΒΙΟΣ, S . 8 0 f .

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anderem Z u s a m m e n h a n g vermerkt dieser, d a ß die M ö n c h e vor ihrer N a c h t r u h e Psalmen zu singen pflegen 8 1 . Ein Vergleich mit den Regeln des Basilius zeigt, d a ß sich das Stundengebet auch in der östlichen Kirche noch nicht in der Vollgestalt zeigt: w ä h r e n d beim nächtlichen Gottesdienst D i f f e r e n z i e r u n g e n erkennbar werden, wird die Komplet n u r angedeutet und die Prim fehlt völlig 82 . Wie Cassian von Marseille steht auch Basilius von Caesarea noch im Fluß einer Entwicklung, die wesentliche Impulse vom monastischen Ägypten empfing, jedoch erst im 6. J a h r h u n d e r t zum Abschluß k o m m e n sollte. D a s Verständnis der liturgischen Bestimmungen Cassians wäre unvollständig, wenn wir übersähen, d a ß es sich nach seinem eigenen Verständnis um vorläufige Regelungen handelt. Sie haben, wie er ausdrücklich hervorhebt, gleichsam n u r den „ h o m o exterior" im Blick u n d b e d ü r f e n d a r u m z u r Seite des „ h o m o interior" einer Vertiefung 8 3 . Deswegen verweist er bei seiner Darstellung d e r Stundengebete auf die Collationes, in denen er von der Beschaffenheit („qualitas") des Gebets und seiner Vollendung („fastigium") sprechen wolle 8 4 . Im f o l g e n d e n Kapitel wird davon ausführlicher die Rede sein. H i e r genügt der vorläufige Hinweis, d a ß Cassian wie die anachoretischen Mönchsväter am Ideal des unablässigen Gebets festhält. Was immer der M ö n c h tut, d e n k t o d e r spricht, es soll die Z u w e n d u n g zu G o t t nicht behindern und das ganze Leben zu einem einzigen Gebet werden lassen. Die Stundengebete dienen nach seiner U b e r z e u g u n g der Verwirklichung dieses Ideals im könobitischen Kontext, weil sie der Beharrlichkeit des Gebets („adsiduitas orationum") zu festgelegten Zeiten („statutis temporibus") Ausdruck verleihen, o h n e gleichzeitig die notwendige Arbeit zu behindern 8 5 . Wie P a c h o m , aber im Unterschied zu Basilius 86 , steht Cassian damit zwischen beiden Lebensformen und zeigt sich d a r u m bemüht, eine die Väterüberlieferung bewahrende Synthese herzustellen. c) Benedikt von Nursia In der Frage der gottesdienstlichen Eucharistiefeier läßt sich zwischen dem Magister und Benedikt auf d e r einen und d e r monastischen T r a d i t i o n Ägyptens auf der anderen Seite eine grundsätzliche Ubereinstimmung feststellen. 81 Inst.IV, 19,2 (CSEL 17, S.60,7). W ä h r e n d O . C h a d w i c k in der 1. Auflage seiner Untersuchung diese Frage noch negativ entscheidet (Cassian 1. Aufl., S.68), korrigiert er sein U r teil später (2. Aufl., S.72). Positiv entscheiden auch H . G o l t z e n , Gottesdienst, S. 144 sowie K.S.Frank, M ö n c h t u m B d . l , S.410 Anm.30. 82 Vgl. H . G o l t z e n , Gottesdienst, S. 136ff. 8 > Inst.II,9,2 (CSEL 17, S.24,16ff.; 25,6). 84 Inst. 11,1; 9,1 ( a . a . O . S. 18,2; 24,18f.). 85 Inst. 111,3,1 ( a . a . O . S.34,21 f.). 86 Vgl. E.Dekkers, Liturgie, S.51.

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Den Angaben der Magisterregel zufolge wird an jedem Sonntag in der Pfarr- und Ortskirche durch den zuständigen Priester eine Messe zelebriert 87 . Darüber hinaus scheint eine Eucharistiefeier am Sonnabend nicht unbekannt gewesen zu sein, sie wird jedenfalls als ein üblicher Brauch erwähnt 8 8 . Neben der Kommunion innerhalb der beiden Meßfeiern kennt der Magister aber auch die im Oratorium des Klosters stattfindende tägliche Kommunion der Mönche, der zwei eigene Regelabschnitte gewidmet sind 89 . Damit unterstreicht er die Notwendigkeit, daß jeder Mönch einmal am Tage durch das Sakrament des Leibes Christi gestärkt und f ü r seine Aufgaben zugerüstet wird 90 . Die im Kloster Benedikts übliche Praxis der Eucharistiefeier läßt sich schwerer rekonstruieren 9 1 . Auffallend ist vor allem die Beobachtung, daß Benedikt im liturgischen Teil seiner Regel von der Messe und der Kommunion überhaupt nicht spricht. N u r aus einer geringen Anzahl sonstiger Angaben können wir erschließen, welche Regelungen in seinem Kloster Geltung hatten. Dabei kann die Erwähnung der „oblatio" in Verbindung mit der Ubereignung junger Kinder an ein Kloster durch ihre Eltern übergangen werden 9 2 . Aufschlußreicher f ü r die Beantwortung unserer Frage ist der von Benedikt mehrfach verwendete Begriff „missa". Wie Steidle nachgewiesen hat, wird mit „missa" vor allem der am Ende der H ö r e n zu sprechende Schluß- und Entlassungssegen bezeichnet, was auch der ursprünglichen Bedeutung entspricht 93 . Benedikt versteht unter diesem Begriff aber auch die Meßfeier als Ganzes und schließt sich damit dem Sprachgebrauch Cassians an 94 . So bestimmt er f ü r die Tischleser, daß diese „post missas et Communionem" die Brüder um das fürbittende Gebet bitten, daß ihr Dienst ohne H o c h m u t ausgerichtet werden kann 9 5 . Wie die Formulierung zu erkennen gibt, ist die C o m m u n i o offensichtlich von der Meßfeier getrennt. Das läßt verständlich werden, warum die Küchenund Tischdiener, welche die im Anschluß an den sonntäglichen Gottesdienst vorgesehene Mahlzeit vorzubereiten haben, nur „usque ad missas" zu warten brauchen, also vor der Kommunion zu ihrem Dienst herausge-

87

RM 45,14f. 17; 46,6; 75,5. RM 53,48. 50; vgl. auch RM 93,8. 11, wo von der Messe bei der Einführung eines neuen Abtes die Rede ist. 89 RM 21 f. 90 RM 14,74; 16,38; 19,23; 53,11. 53. 58; 61,14; 80,2.7; 89,29. " Die eher legendären Angaben Gregors können in diesem Zusammenhang übergangen werden (Greg. Dial.II, 1 ff.; SC 260, S. 128ff.). Gegen B.Rebstock, Benedikt, S.61 ff. 92 RB 59,2. 8. 93 B.Steidle, „Missae", S.456-461. bes. S.459. Vgl. auch W.Fink, Opus Dei, S.36f. 94 Vgl. F.J. Dölger, Zeremonien, S. 95 ff.; J.A.Jungmann, Bedeutungsgeschichte, S. 34-52 und Chr. Mohrmann, Missa, S. 67-92. 95 RB 38,2. 88

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hen dürfen 96 . Die anderen Brüder hingegen nehmen entsprechend ihrer Rangordnung an der Kommunion teil97. Im Unterschied zur Praxis, die hinter der Magisterregel steht, ist nicht damit zu rechnen, daß eine Eucharistiefeier häufiger als einmal pro Woche, nämlich am Sonntag und zusätzlich nur an den Festtagen, abgehalten wurde 98 . Auch ist Benedikt eine tägliche Kommunion unbekannt. Schließlich spricht er nicht davon, daß die Mönche zur Eucharistiefeier ihr Kloster verlassen müssen. Der sonntägliche Gottesdienst wird allem Anschein nach in der Klosterkirche gehalten 99 , was von daher plausibel ist, weil Benedikt mit dem Vorhandensein von Priestermönchen in der Klostergemeinde rechnet 100 : ihnen ist das „officium altaris" übertragen und steht darum das Recht zu, „benedicere aut missas tenere" 101 . Die Benediktsregel läßt also eine größere Zurückhaltung im Umgang mit dem Herrenmahl erkennen als die Regula Magistri. Das ist sicher kein Ausdruck geringer Wertschätzung, kann doch die Beschränkung auf eine wöchentliche Kommunion auch geeignet sein, deren Bedeutung zu unterstreichen. Allerdings wird an der beiläufigen Behandlung dieser Thematik in der Regula Benedict! deutlich, daß im Grunde nur das Stundengebet das liturgische Interesse der Mönche herausfordert, während sie die Eucharistiefeier als eine Handlung betrachten, die ihrem Wesen nach „ein Gut der ganzen Kirche (ist), das von der Hierarchie geleitet und verwaltet wird" 102 . Diese Beobachtung wird auch dadurch bestätigt, daß in den Schriften des frühen Mönchtums hinsichtlich des Stundengebetes eine Entwicklung verfolgt werden kann, während in der Frage der Eucharistiefeier eine breite, von den Anachoreten bis zu Benedikt reichende Übereinstimmung festzustellen ist. Nur an einem Punkt wird eine Veränderung sichtbar: Benedikt ist offensichtlich darum bemüht, die Messe in der Klosterkirche durchzuführen, damit seine Mönche am Sonntag die Klausur nicht zu verlassen brauchen. Während die Eucharistiefeier ursprünglich ein wichtiges Bindeglied zwischen Kloster und Ortsgemeinde darstellte, verliert sie unter Benedikt diese Funktion. Damit erreicht er zwar die liturgische Autarkie der Mönchsgemeinde, vergrößert aber auch ihren Abstand zur Welt. Den Stundengebeten gilt, wie schon die umfangreiche Behandlung derselben in dreizehn Kapiteln andeutet, das eigentliche Interesse Benedikts. Sie sollen den Tagesablauf der klösterlichen Gemeinschaft vom Morgen 96

RB 35,14. RB 63,4. 98 Vgl. RB 38,10. 99 „Eine andere Kirche kam für sie nicht in Frage." (W.Fink, Opus Dei, S.35). 100 So schon in RM 83,1. 101 RB 60,4; 62,6. 102 A. de Vogüé, Regula Benedirti, S. 199. 97

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bis zum Abend prägen und damit sichtbar zum Ausdruck bringen, daß das Leben eines Mönchs nicht mehr der Welt zugewandt, sondern ganz auf Gott ausgerichtet ist: „Der Schüler Sankt Benedikts kennt keine Askese und keine Disziplin, die nicht entweder Vorbereitung f ü r dieses Opus Dei wäre oder sich als dessen Auswirkung darstellte." 103 Schon der Aufbau der Regula Benedicti bestätigt diese Feststellung. Nach einleitenden Bemerkungen zur Bedeutung des Abtes und zu den asketischen Grundlagen des könobitischen Lebens geht Benedikt sogleich zur Beschreibung des Stundengebetes über und weist ihm damit in seiner Regel einen hervorragenden Platz zu. Bei der Beschreibung der liturgischen Gestaltung der H ö r e n lehnt Benedikt sich an die ihm vorliegende Regula Magistri an, kürzt aber ihre bisweilen ausufernde Darstellungsweise auf ein überschaubares Maß. Wie sie listet er die Gebetszeiten, die zu singenden Psalmen sowie die Lesungen, Responsorien, Antiphonen, Hymnen und Gebete auf 104 . Auch übernimmt er vom Magister den erstmals bei diesem anzutreffenden vollen U m f a n g des monastischen Offiziums und unterscheidet zwischen den nächtlichen Stundengebeten (Vigilien) 105 , der Matutin 1 0 6 , den vier Tageshoren Prim, Terz, Sext und N o n sowie der Vesper und der Komplet 1 0 7 . „Mit diesen insgesamt acht H ö r e n waren theoretisch alle Stationen des Tages und der Nacht nach römischer Zeitrechnung zu je drei Stunden mit einer eigenen hora besetzt." 108 Zur Begründung verweist Benedikt mit der monastischen Tradition auf die beiden Psalmworte, in denen das mitternächtliche und das siebenfache Gebet des Tages gefordert werden (Ps. 119,62. 164)109. U n d er fügt als eigene theologische Deutung hinzu: „Zu diesen Zeiten wollen wir unserem Schöpfer f ü r seine Urteile der Gerechtigkeit Lob darbringen." 1 1 0 Benedikt bezeichnet, wie das zu seiner Zeit „schon ganz und gar geläufig ist" 111 , das Stundengebet der Mönchsgemeinschaft als ein „Opus Dei". Damit überträgt er den in der älteren monastischen Tradition und auch noch bei Basilius das ganze asketische Leben kennzeichnenden Begriff auf die täglichen Gottesdienste und versieht sie mit einer gewichtigen theologischen Interpretation: als „Opus Dei" stellen sie f ü r ihn gewissermaßen 103

E.von Severus, Sendung, S. 15. Dazu Chr. Sieben, Einrichtungen, S. 161 ff.; H.Goltzen, Gottesdienst, S. 154ff.; W. Fink, Opus Dei, S. 38 ff. 105 RB 8-11. 14; vgl. RM 33. 44. 106 RB 12 f.; vgl. RM 34f. 39. 107 RB 16-18; vgl. RM 34-37. 40-42. 108 H.Goltzen, Gottesdienst, S. 154. 109 RB 16,3 f. Die Deutung dieser Psalmworte auf das kanonische Stundengebet bei Euseb und Cassian beschreibt A. de Vogüé, „Septies in die laudem dixi tibi", S. 1-5. 110 RB 16,5. 111 B.Steidle, Regel, S. 183. 104

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das Werk Gottes im Menschen wie das Werk des Menschen für Gott dar und bringen darum das Heilsgeschehen zur Erfahrung, lassen es in der Liturgie Gestalt gewinnen. Den Stundengebeten kommt deswegen im Kloster Benedikts eine zentrale Bedeutung zu: „keiner anderen gottesdienstlichen Übung (wird) eine so überragende Bedeutung zugemessen wie gerade dem gemeinsamen Gebet" 112 . Die exklusive Forderung Benedikts, nichts dürfe dem Gottesdienst vorgezogen werden, legt davon Zeugnis ab113. Denn Benedikt macht damit eine Aussage, die in auffallender Weise an seine Mahnung erinnert, daß der Liebe Christi nichts überzuordnen sei114. Die Parallelität beider Formulierungen ist sicher kein Zufall, sondern ein Hinweis auf einen tieferliegenden Zusammenhang: der im persönlichen Bekenntnis artikulierten Priorität Christi entspricht der Vorrang des Gottesdienstes im könobitischen Leben. Die regelmäßigen Zusammenkünfte zum gemeinsamen Gebet sind für Benedikt ein notwendiger Ausdruck der sich auf das ganze Leben erstrekkenden Christusnachfolge. Darum bezeichnet er sie als einen Dienst, der den Mönchen als Diener Christi zukommt 115 . Die Stundengebete geben der inneren Hinwendung zu Gott eine liturgische Gestalt; sie sind durch ihre regelmäßige Wiederkehr eine unablässige Mahnung an die Mönche, ihren Auftrag nicht zu vergessen 116 . Weil Gott in der Feier des Opus Dei als gegenwärtig erfahren wird, erinnert Benedikt seine Brüder an das Psalmwort, dem Herrn in Furcht zu dienen (Ps.2,1); stets müsse ein jeder bedenken, wie er vor dem Angesicht Gottes zu stehen komme, und danach streben, die innere Haltung mit der äußeren in Ubereinstimmung zu bringen117. Die Tugenden der Demut, der Herzensreinheit sowie der Ehrfurcht sind darum auch für das gottesdienstliche Gebet von zentraler Bedeutung 118 . Die theologische Wertschätzung des Stundengebets hat praktische Konsequenzen. Schon bei der Aufnahme eines neuen Mönchs gilt es als entscheidendes Kriterium, ob der Novize wirklich Gott sucht und Eifer für den Gottesdienst mitbringt 119 . Für die Mitglieder des Klosters hat sich diese Priorität des Gottesdienstes täglich zu erweisen: immer soll der 112

Chr. Sieben, Einrichtungen, S, 154. RB 43,3. 114 RB 4,21; RB 72,11. ,1S RB 16,2; R B 5 0 , 4 . Zum Wortfeld seruire, seruitiura, seruitus finden sich in der RB zahlreiche Belege: 2,20; 5,3; 18,24; 35,1.6. 13; 36,1. 4; 49,5; 53,18; 61,10. 116 Vgl. A. de Vogüé, Regula Benedirti, S. 157. 117 RB 19,Iff. 1,8 Daß die Demut für Benedikt die wichtigste gottesdienstliche Haltung ist, spiegelt sich in der Analogie von RB 19,1 f. und R B 7 , 1 0 f f . wider. Vgl. auch RB7,63; 9,7; 11,3; 20,3. 119 RB 58,7. 113

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Mönch bereit sein, um beim Glockensignal („signum") zum „Opus Dei" eilen zu können 120 . Was immer er gerade tut, es muß zugunsten der Gebetszusammenkunft zurückstehen 121 . Auch Gäste sollen nach dem Empfang an der Pforte zunächst in die gottesdienstliche Gemeinschaft der Brüder geladen werden 122 . Wer aber von den Klostermönchen verhindert ist, an den Hören teilzunehmen, weil er auf dem Feld arbeitet oder sich auf Reisen befindet, darf die Gebetszeiten dennoch nicht übergehen, sondern soll sie an dem Ort, an dem er sich befindet, einhalten 123 . Trotz aller Wertschätzung des „Opus Dei" läßt sich jedoch feststellen, daß Benedikt die Vätertradition nicht unverändert übernimmt. Wie sich zeigte, steht am Anfang der Entwicklung die von den ägyptischen Anachoreten zum Maßstab ihrer Spiritualität erhobene Forderung „Betet ohne Unterlaß" (1. Thess 5,17). Auch Pachom vertritt für seine Mönchsgemeinschaft dieses Postulat, wenn er mit Ausnahme der abendlichen und nächtlichen Gebetsversammlung den Tag „liturgiefrei" hält, um Raum für das mit der Arbeit verbundene unablässige Gebet zu schaffen. Schon Cassian sieht darin jedoch eine Uberforderung, die ermäßigt und an abendländische Gewohnheiten angepaßt werden müsse. Deswegen ergänzt er die ägyptischen Gebetszeiten um Zusammenkünfte zur dritten, sechsten und neunten Stunde. Bei Benedikt verstärkt sich diese Tendenz der Reglementierung. Aus der Regula Magistri übernimmt er drei weitere Hören, so daß in seinem Kloster nunmehr acht Gebetszeiten den Tagesablauf strukturieren. Auch die disziplinarischen Anordnungen, welche über die Einhaltung der Stundengebete wachen, werden umfänglicher 124 . Für das Verständnis der Hören bedeutet das keine geringe Veränderung: sollten sie ursprünglich an die Notwendigkeit des unablässigen Gebets erinnern „und ein Versuch zu seiner Verwirklichung sein"125, so treten sie in der Benediktsregel zunehmend an dessen Stelle. Zwei Anzeichen seien dafür genannt. Zum einen kommt es bei Benedikt zu einer „immer klareren Trennung zwischen opus Dei und dem Rest des Tages" 126 . Wie schon in der Regula Magistri wird bei ihm geradezu minutiös festgelegt, wann der Mönch zwischen den Gebetszeiten arbeiten und wann er die Schrift meditieren solle127. Dabei wird das Interesse spürbar, einer Vermischung der verschie120

RB 22,6. RB 43,1 f. 122 RB 53,3 ff. 123 RB 50,4. RB 43-45 und RM 13f. 73. Dazu E.M.Heufelder, Strenge und Milde, S . 9 f . 16. 125 A. de Vogüé, Regula Benedirti, S. 148. 126 A.de Vogüé, a.a.O. S. 159. Vgl. ders., Règle de Saint Benoît Bd.5, S.589-616 sowie ders., Le sens de l'office divin, S. 21-33. 127 RB 48; vgl. RM 50. 121

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denen Aspekte des monastischen Lebens zu wehren: der Gottesdienst soll von der als störend empfundenen Arbeit freigehalten werden; ebenso haben aber auch die Gebete in der Arbeitszeit keinen Platz mehr. Selbst die „meditatio" der Schrift, welche im pachomianischen Kloster die Handarbeit ständig begleitete, findet keine Erwähnung. Das „Opus Dei", welches im frühen Mönchtum „die Werke des geistlichen Lebens und der Askese"128 bezeichnete, bekommt bei Benedikt, der darunter „gerade die öffentliche Feier des Chorgebets versteht und nichts anderes" 129 , infolgedessen eine wesentlich eingegrenztere Bedeutung 130 . Als liturgisches Offizium ist es für ihn „die Krone des ganzen monastischen Baues" und „der Haupt- und Lebensinhalt des Mönches, die Tätigkeit, vor der jede andere zurücktreten sollte"131. Es stellt gewissermaßen eine heilige Handlung dar, die der Profanität der übrigen Beschäftigungen entgegengesetzt und darum auch einem besonderen Gebetsraum, dem Oratorium, zugewiesen wird 132 . Für den benediktinischen Mönch ist es nicht eine von mehreren gleichwertigen Gebetsarten, sondern das eigentliche Gebet, von dem in späterer Zeit sogar behauptet werden konnte, allein um seinetwillen sei überhaupt das Kloster gegründet worden 133 . Obwohl die Stundengebete in der Regula Benedicti also das ganze Leben unter Gottes Wort zu stellen beabsichtigen, führen sie in Konsequenz doch zu einer Zweiteilung des monastischen Lebens. Schon die isolierte Stellung der liturgischen Bestimmungen in der Regel, die in der Regula Magistri durch die Verbindung mit der Klosterordnung noch nicht gegeben ist, kann als Hinweis auf diesen Sachverhalt gesehen werden 134 . Ebenso können wir an der veränderten Bedeutung des Glockenzeichens erkennen, daß „das opus Dei im Begriff ist, sich vom übrigen Leben zu lösen"135. Ruft die Glocke bei Cassian die Mönche noch zu von allen gemeinsam zu verrichtenden Aufgaben, also zur Arbeit wie zum Gebet, zusammen 136 , so macht sie beim Magister und bei Benedikt nur noch auf die Stunde des Offiziums aufmerksam 137 . Es geht also nicht mehr darum, „jede private Beschäftigung um irgendeiner gemeinsamen Tätigkeit willen

128

C.Butler, Mönchtum, S.408 Anm.23. C.Butler, a.a.O. S.29. 130 Vgl. G.Holzherr, Benediktsregel, S.226; W.Fink, Opus Dei, S.29 und I.Hausherr, Opus Dei, S. 197-218. 111 C. Butler, Mönchtum, S. 30. 132 RB 7,63; 11,13; 24,4; 25,1; 35,15; 38,3; 43,8; 44, Iff.; 45,1; 50,1 ff.; 52,1 ff.; 58,17. 26; 63,18; 67,3. 133 Hinweise bei C.Butler, Mönchtum, S.29 f. 134 So A.de Vogiié, Regula Benedicti, S. 162. 135 A.de Vogüé, a.a.O. S.163. 136 Cass. Inst. IV, 12. 137 RM 54,1; RB 43,1-3. Dazu Chr.Sieben, Einrichtungen, S. 156f. 129

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aufzugeben, sondern der Mönch soll seine Arbeit einstellen, um nicht zu spät ins Oratorium zu kommen" 138 . Zum anderen verändert sich das Verhältnis des stillen Gebetes zu der gesungenen Psalmodie innerhalb des Stundengottesdienstes. Dem laut vorgetragenen liturgischen Gebet mißt Benedikt hohes Gewicht bei: das wird an der mehrfachen Erwähnung des Vaterunsers 139 sowie der Segensund Schlußgebete 140 deutlich. Das Stillgebet des einzelnen, welches früher „das eigentliche und alleinige Gebet des Offiziums" sowie dessen „Höhepunkt" darstellte 141 , nimmt aber spürbar an Bedeutung ab. Bei Pachom und bei Cassian ist das Gegenüber von Psalmenlesung und Stillgebet konstitutiv: die von einem einzelnen vorgetragene Lesung soll die Anwesenden erbauen und zum nachfolgenden Stillgebet anregen; dem Hören des Wortes Gottes folgt also die Antwort des Menschen 142 . Auch der Magister geht von diesem dialogischen Grundansatz aus und läßt auf den Psalmenvortrag, der in kleineren Abschnitten erfolgt, jeweils ein Gebet des einzelnen folgen 143 . Allerdings deutet sich bei ihm schon eine Korrektur an, wenn er bei möglichen Kürzungen des Offiziums zuerst an das stille Gebet denkt 144 . Bei Benedikt verstärkt sich diese Tendenz, in deren Verlauf der Psalmengesang in den Vordergrund rückt und, umrahmt von Responsorien und Antiphonen, zum eigentlichen Gebet der Mönchsgemeinde wird 145 . Nicht das Verstehen der vorgetragenen Texte, sondern die durch sie zum Ausdruck gebrachte Ehrung Gottes ist nun entscheidend 146 . Das Stillgebet des einzelnen verliert infolgedessen spürbar an Gewicht. Zwar wird es nicht übergangen, gilt jedoch eher als eine gewisse Behinderung des liturgischen Ablaufs und darf darum nur wenig Zeit in Anspruch nehmen 147 . Im Grunde genommen hat es im Kloster Benedikts nur noch außerhalb der Horenzeiten seinen Platz als das Privatgebet, zu dem sich der Mönch ins Oratorium zurückziehen kann 148 . 138

A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 162 f. RB 7,20; 13,12ff.; 17,8. 140 RB 9,5; 11,7 ff.; 17,4ff. 10; 38,2; 60,4. 141 A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 168. 142 Cass. Inst. II, 7; 10; Coll. IX, 27 ff. 36. 143 RM 14,1. 20; 20,3; 33, 44f.; 47,6; 48,10-12; 52,4; 69,10. 144 RM 33,46f.; 55,5-8. 145 RB 19,Iff. 146 „Die Hörer des Wortes Gottes haben sich in Sänger seiner Majestät verwandelt." (A. de Vogüé, Regula Benedicti, S. 176). Vgl. auch C.Butler, Mönchtum, S.69. 147 RB 20,5, ähnlich RM 48,10 ff. Fraglich ist, ob dem Hinweis Gregors, die Mönche hätten das Gebet nach Beendigung des Gottesdienstes in der Stille fortgesetzt (Dial. 11,4), in diesem Zusammenhang Bedeutung zukommt (zustimmend C.Butler, a.a.O. S.61 f.; ablehnend A.de Vogüé, a.a.O. S. 166). 148 RB 20,1-3; 50,Iff.; 5 2 , I f f .

Den Gottesdienst feiern

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Aus dem Vorangehenden ergibt sich, welche Veränderungen das Stundengebet bei Benedikt, dessen Ordnung für das abendländische Mönchtum normative Bedeutung bekommen sollte, erfahren hat. Sie treffen sich in der Beobachtung, daß die für das ägyptische Mönchtum entscheidende Forderung des Apostels Paulus „Betet ohne Unterlaß" keine Erwähnung mehr findet. Damit unterscheidet sich Benedikt von dem Ansatz Cassians, nach dem die Hören „gleichsam die Infrastruktur eines Gebetes ohne Unterlaß zu bilden" haben 149 . Denn auf der einen Seite hat das liturgische Offizium als „opus Dei" das Gebet des einzelnen weitgehend verdrängt und ist an seine Stelle getreten; auf der anderen Seite ergibt sich dadurch gewissermaßen ein profaner Teil im monastischen Leben, der vom Gebet und der Schriftmeditation nicht mehr erfaßt wird. Wenn wir dem Bericht Gregors folgen, dann erwuchs das Bestreben Benedikts, das könobitische Leben und das gemeinsame Gebet eingehend zu regeln, aus der Erfahrung undisziplinierten Zusammenlebens von Mönchen 150 . Mit seinen Bestimmungen wollte er der subjektiven Willkür wehren und zum Ausdruck bringen, daß der Tageslauf eines Mönchs vom frühen Morgen bis in die Nachtstunden vom Gebet durchzogen und auf Gott hin ausgerichtet sein soll. Gleichwohl kann nicht übersehen werden, daß dies mit anderen Mitteln geschieht, als es noch im ägyptischen Mönchtum gefordert wurde.

4. Beten und a) Die ägyptischen

Arbeiten

Anachoreten

Für die anachoretischen Mönchsväter hat das persönliche Gebet einen zentralen Stellenwert. Es ist ihr Bestreben, das Leben zu einem einzigen Gebet werden zu lassen 1 . Schon als junger Asket lernt der Antonius der Vita von einem Eremiten, daß er danach streben müsse, unaufhörlich für sich allein zu beten; aus diesem Grund verläßt er sein bisheriges Leben und sucht die Einsamkeit der Wüste auf, wo er sich fern aller weltlichen Zerstreuungen für die Begegnung mit Gott zu öffnen vermag 2 . Viele Mönchsväter sind ihm darin gefolgt. Ihr Leben im Kellion ist der sichtbare 14 ' A.de Vogiié, a.a.O. S. 151. Ähnlich Chr.Sieben, Einrichtungen, S. 167. Belegstellen bei Cassian: Inst. 11,1. 9; 111,2; Coli. Praef.5. 150 Gregor Dial. 11,3 (SC 260, S. 140 ff.). 1 Vgl. dazu allgemein: J.Gülden, Beten, S.327-336; M.Ruß, Gebet, S.414-421; A.Schoenen, Gebet, S.72-86; R.Kerkhoff, Gebet; I.Hausherr, Hésychasme, S.255-306. Zu den ägyptischen Anachoreten im einzelnen vgl. K.Heussi, Ursprung, S. 172ff. 214f.; M.Marx, Prayer, S.71-93; L.Regnault, Prière, S.472ff. sowie L.Leloir, Prière, S.31 I f f . 2 Vita Ant. Kp.3 (PG 26, Sp.845A). Vgl. M.Marx, Vita Antonii, S. 108-135.

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Ausdruck für das Bemühen, dem immerwährenden Gebet eine äußere Gestalt zu verleihen 3 . In den Apophthegmata Patrum finden wir dafür eine Reihe von Zeugnissen. Ammonas betet vierzehn Jahre Tag und Nacht zu Gott, er möge sich erbarmen und ihm beistehen, die Leidenschaft des Zorns zu überwinden 4 . Abbas Pambo verbringt drei Jahre damit, Gott zu bitten, daß er ihn auf Erden nicht verherrliche 5 . Besario wird von seinem Schüler einmal beobachtet, wie er vierzehn Tage ohne Unterbrechung mit ausgestreckten Händen im Gebet verharrt 6 . Von Abbas Isidorus hören wir, daß er nur in seiner Jugend imstande gewesen sei, die Nacht und den Tag zur Gebetszeit werden zu lassen, während Apollo noch im fortgeschrittenen Alter dazu aufgerüttelt wird, Gott immerzu (πάντοτε) um Vergebung zu bitten 7 . Die Beispiele ließen sich vermehren. Sie zeigen, daß das Bestreben, unablässig (αδιαλείπτως) im Gebet zu verharren, die Anachoreten miteinander verbindet 8 . Keinem anderen Ziel dient ihr Leben, als sich vor dem Angesicht Gottes niederzuwerfen und zu ihm das Gebet wie Feuer (ώς πυρ) aufsteigen zu lassen9. Als Macarius der Städter einen Bruder vier Monate vergeblich zu sprechen sucht, weil dieser sich zu keinem Zeitpunkt vom Gebet frei macht, sagt er staunend: „Ein Engel auf Erden", und er bringt damit zum Ausdruck, was für ein Leben zur Wirklichkeit gelangt, wo allein das Gebet vorherrscht 10 . „Gerade in dieser dauernden Aufmerksamkeit gegenüber Gott liegt nach Ansicht der Väter die Vollendung des Mönchtums." 11 Selbst für die im weltlichen Leben stehenden Menschen ruhen Würde und Segen der Anachoreten allein in ihrem Gebet: „unablässig nämlich sprechen sie mit Gott und ihre Münder sind heilig."12 Diese Haltung des immerwährenden Gebetes muß, auch wenn sie für den Außenstehenden den Eindruck meditativer Ruhe erwecken mag, dem 3

„The reason why the cell occupies such a prominent place in the Apophthegmata Patrum is not far to seek. Therein the ascetic found an atmosphere favorable to the undistracted turning to God." (M.Marx, Prayer, S.85). 4 Ammonas 3 (PG 65, Sp. 120). 5 Pambo 1 (a.a.O. Sp.368). 6 Besario 4 (a.a.O. Sp.140). 7 Isidorus 4 (a.a.O. Sp.220); Apollo 2 (a.a.O. Sp. 133/6). * Epiphanius episcopus 3 (a. a. O. Sp. 164 C); vgl. Arsenius 30 (a. a. O. Sp. 97); Joannes Colobus 2. 31. 34 (a.a.O. Sp.204/5. 213. 216); Poemen 160 (a.a.O. Sp.361); Joseph in Panepho 7 (a.a.O. Sp.229); Hyperechius 7 (a.a.O. Sp.429); Hist. mon. Kp.1,45; VIII,5; X.6; XIII,4; XX, 17 (A.-J.Festugière, Historia monachorum, S.26f. 48. 78. 99. 123). Vgl. dazu (A. van der Mensbrugghe, Prayer-time, S. 435 ff. ' Poemen 36 (PG 65, Sp.332); Esaias 4 (a.a.O. Sp. 181). 10 Macarius urbicus 3 (PG 65, Sp.305). 11 R.-N. Visseaux, Beten, S.47. 12 Pambo 7 (PG 65, Sp.369C). Daraus folgert K.S.Frank: „Die Begriffe Mönch und Gebet sind von Anfang an unzertrennlich verbunden: Das ganze Mönchsmühen muß zum ständigen Gebet hinstreben, so lautet die Mönchstradition." (ΑΓΓΕΛΙΚΟΙ ΒΙΟΣ, S. 75).

Beten und Arbeiten

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Leben abgerungen werden. Das gilt einmal hinsichtlich der Voraussetzungen, ohne die das Gebet keine Gestalt gewinnen kann. Ein unbekannter Mönchsvater beschreibt die Aufgabe durch folgenden Vergleich: „So wie es unmöglich ist, daß jemand in unruhigem Wasser sein Gesicht sieht, so kann auch die Seele, wenn sie nicht von fremden Gedanken gereinigt wurde, nicht gesammelt („contemplative") zu Gott beten." 13 Mit seinem Logion macht er darauf aufmerksam, daß das Gebet von den Bedingungen, unter denen es formuliert wird, nicht zu trennen ist, und daß also der Beter all das, was ihn beschäftigt, in das Gebet mit hineinnimmt und dieses dadurch behindert. Seien es Zerstreuungen, körperliche Anfechtungen, die Sorge um privaten Besitz oder störende Gedanken 1 4 - jede dieser Ablenkungen ist geeignet, das Gebet von seinem eigentlichen Gegenstand fortzuführen und muß darum abgeschüttelt werden 1 5 . Die Anachoreten fordern deswegen nur so zum Gebet auf, indem sie zugleich auf die „körperliche M ü h e " und die „Wachsamkeit über das Innere" hinweisen und einen „nüchternen Sinn" einschärfen 1 6 . Darüber hinaus ist jedoch auch das Gebet selbst eine mühevolle Arbeit. Es kann insofern mit dem Beweinen der eigenen Sünden verglichen werden, das Joannes Colobus auf eine Stufe mit schwerer Handarbeit stellt 17 . N u r wenn das Gebet intensiv (εκτενώς) geschieht, wird es von Gott erhört 1 8 . Auch bringt es, wie im Unterschied zur Vita Antonii betont wird, keine Befreiung von der Anfechtung, sondern f ü h r t mitten in sie hinein 19 . So groß ist f ü r die Anachoreten die Anspannung des Gebets, daß Joannes Colobus es als ein „Gefängnis" bezeichnet, im Kellion zu sitzen und immer an Gott zu denken 2 0 . Das Gebet setzt einer Erfahrung aus, die alle Kräfte des Lebens in Anspruch nimmt; keine größere M ü h e gibt es f ü r die Anachoreten, als betend im Kellion zu verharren. Zur Begründung verweist Abbas Agathon auf die Feinde, die den Mönch ständig von seinem Gebet abzuhalten suchen, und stellt fest: „bis zum letzten Atemzug bedarf das Beten eines Kampfes." 2 1

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Verba seniorum V, 12,13 (PL 73, Sp.942f.). Poemen 43 (PG 65, Sp.332); Theonas (a.a.O. Sp. 197); Nilus 4. 6 (a.a.O. Sp.305); Theodorus e Sceti (a.a.O. Sp. 197); Syncletica 3 (a.a.O. Sp.421). 15 Theodorus e Sceti (a.a.O. Sp. 197). 16 Agathon 8 (a.a.O. Sp. 112); Poemen 35. 135. (a.a.O. Sp.332. 356). 17 Joannes Colobus 19 (PG 65, Sp.212). Vgl. B.Steidle, Tränen, S.23-29. 18 Xoius 2 (PG 65, Sp. 313 A). 19 Sara 1 (a.a.O. Sp.420); Verba seniorum V,12,4 (PL 73, Sp.941C). In der Vit. Ant. ist das Gebet dagegen eine Waffe zur Unterwerfung der Dämonen (Kp. 5.51; PG 26, Sp. 848 A; 917 A/B). 20 Joannes Colobus 27 (PG 65, Sp.213). 21 Agathon 9 (a.a.O. Sp. 112C). M.Marx betont darum zu Recht „the mutual and intimate relation between ascesis and prayer, between apotaxis (world, relatives, self), freedom 14

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Diese Erfahrung spiegelt sich in der Gebetssprache der Anachoreten wider: es ist die Anfechtung, die in den Gebeten immer wieder angesprochen wird. Joannes Colobus bittet Gott um Geduld, in den Anfechtungen standzuhalten 2 2 . Aus einer vergleichbaren Bedrängnis heraus ruft die Amma Sara: „Gott, gib mir Kraft." 2 3 Beide nehmen damit in ihr Gebet zu Gott hinein, was sie durch ihr Gebet an Anfechtung erfahren. Abbas Macarius formuliert f ü r seine Schüler gewissermaßen eine Gebetsanweisung: er erinnert an das Gebot der Bergpredigt, ohne viele Worte zu beten (Mt 6,7), und fügt hinzu: „es reicht, die H ä n d e auszubreiten und zu sprechen: Herr, wie du willst und wie du weißt, erbarme dich." 24 Sein W o r t läßt erkennen, daß sich die Mönchsväter in ihrer Anfechtung nicht allein wissen. Indem sie in ihren Gebeten auf die Psalmsprache zurückgreifen und ihre Erfahrungen mit den Worten der Bibel ausdrücken, stellen sie ihr Leben vor Gott und erhoffen von ihm Rettung. „Erbarme dich meiner, Gott, in deinem großen Erbarmen, und nach der Menge deiner Erbarmungen wasche ab meine Ungerechtigkeit" (Ps.51,3), - diese Worte des Psalters trägt Abbas Lucius ständig auf seinen Lippen, wo immer er sich aufhält und was immer er gerade tut 25 . Noch kürzer ist der Gebetsruf bei Abbas Paulus, der sagt: „In den Schmutz bin ich versunken bis zum Hals, und ich weine vor Gott und sage: erbarme dich meiner." 26 Diese f ü r das anachoretische Mönchtum charakteristische Verankerung des Gebets in der Schrift 27 stellt den Angefochtenen in die Gemeinschaft aller derer, die vor ihm zu Gott gerufen haben. Die Erfahrung der Bedrängnis f ü h r t damit nicht in Hoffnungslosigkeit, sondern birgt, vor Gott getragen, die Möglichkeit zu einem neuen Anfang in sich. Wie die Sünde, die erst im Vertrauen auf Vergebung bekannt werden kann 28 , wird auch die Anfechtung im Gebet zugleich benannt und überwunden. Auf die überraschende Frage, ob es gut sei zu beten, antwortet Poemen darum unter Hinweis auf den Trostzuspruch des Buches Jesaja (Jes 40, l) 29 . Das Gebet ist f ü r ihn nicht zu trennen von der Erfahrung der Zuwendung Gottes. Auch die Beobachtung, daß Gebete oftmals nachläsf r o m sin and carnal affections, purity of heart and practice of the virtues on the one hand, and incessant prayer on the other." (Prayer, S.91 f.). 22 Joannes Colobus 13 (PG 65, Sp.208). 23 Sara 1 ( a . a . O . Sp.420). 24 Macarius Aegyptius 19 ( a . a . O . Sp.269C); ähnlich Elias 7 ( a . a . O . Sp. 185). 25 Lucius (PG 65, Sp.253). Die besondere Bedeutung der Psalmen f ü r die Gebetssprache der Mönche unterstreicht R.-N. Visseaux, Beten, S. 28 ff. 26 Paulus magnus 2 (PG 65, Sp. 381 C). J. Lafrance entwickelt aus diesem W o r t eine T h e o logie des Gebetes (Schrei, S. 21 ff.). 27 Vgl. dazu K.S.Frank, ΑΓΓΕΛΙΚΟΙ ΒΙΟΣ, S.75f. und R.Draguet, Pères, S.XL; XLI. 28 Apollo 2 (PG 65, Sp. 136A). Vgl. auch Benjamin 4 ( a . a . O . Sp. 145); Joannes Colobus 12 ( a . a . O . Sp.208). 29 Poemen 87 ( a . a . O . Sp.344). D a z u K.Heussi, Ursprung, S.214.

Beten und Arbeiten

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sig oder zerstreut gesprochen werden, kann dieses Vertrauen nicht beeinträchtigen. Denn es gilt: „Rufe Gott an, und er wird dich befreien." 3 0 Diese im Gebet laut werdende Heilsgewißheit ist f ü r die Anachoreten kein selbstverständlicher Besitz, sondern muß im Leben immer neu zur Erfahrung geführt werden. Das Gebet des Abbas Sisoes ist d a f ü r ein Beispiel. Als er seinen Schüler von D ä m o n e n besiegt sieht, r u f t er im Gebet zu Gott: „Ob du willst oder nicht, ich lasse dich nicht, bis du ihn heilst." 31 Seine an die Jabbok-Erzählung (Gen. 32,27) ebenso wie an das Gleichnis vom bittenden Freund (Lk 11,5 ff.) erinnernde Zudringlichkeit ist in der Uberzeugung begründet, daß Gott angerufen und gebeten werden will, sich dem Bittenden aber nicht unbezeugt läßt. Aus dem Gebet erwächst Heilserfahrung. Sogar die Dämonen müssen weichen und ihre O h n m a c h t bekennen, wo der Anachoret im Gebet zu Gott ruft 3 2 . Für einige Anachoreten ist darum das Gebet der Ort, an dem sich die Wirklichkeit des Heiligen Geistes erschließt: das reicht von der Beobachtung ekstatischer Entrückungen, die allerdings kritisch beurteilt werden, da sie die Gemeinschaft des brüderlichen Gebetes beeinträchtigen 33 , bis hin zu der Erfahrung, daß der Geist Gottes vom Betenden Besitz ergreifen und auf ihm ruhen kann 3 4 . Die K r a f t des Gebetes liegt also darin, daß Gott sich dem Beter vergegenwärtigt und von ihm in seiner unbegrenzten Nähe erkannt wird 35 . In diesem Sinne ist das Gebet nicht nur nützlich (χρήσιμος) oder eine Quelle der Demut 3 6 , sondern es vermag sogar W u n der zu vollbringen 37 . Das immerwährende Gebet, dem die Anachoreten in ihrem Leben Ausdruck geben, gründet sich auf die apostolische Mahnung, ohne Unterlaß zu beten 38 . Die Verankerung des anachoretischen Lebens im W o r t der Schrift und das Bemühen, der biblischen Weisung Gestalt zu verleihen, finden an dieser Stelle einen besonders sprechenden Ausdruck. Noch auf seinem Sterbebett k n ü p f t Benjamin an das Pauluswort an, wenn er seinen Schülern als letztes Logion sagt: „Dieses tut und ihr könnt gerettet werden; allzeit freuet euch, unablässig betet, in allem sagt Dank." 3 9 Wie aber kann dieses Logion, mit dem Abbas Benjamin das wörtliche Verständnis 30 Theodoras de N o n o 3 (PG 65, Sp. 197); Verba seniorum VII, 41,1 (PL 73, Sp. 1056 D); Hist. mon. 1,23 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 17). 31 Sisoes 12 (PG 65, Sp.396). Vgl. des weiteren Hist. mon.Vili,42; IX, 11; Χ,2; XIII,6; XXI, 17 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.63. 74f. 99. 128). 32 Theodoras Phermae 27 (PG 65, Sp. 193); Sara 2 (a.a.O. Sp.420). 33 Tithoes 1 (PG 65, Sp.428). 34 Zacharias 2 (a.a.O. Sp. 180); Esaias 4 (a.a.O. Sp. 181). 35 Nisterous 5 (a.a.O. Sp.308). 36 Poemen 160 (a.a.O. Sp.361); Nilus 2 (a.a.O. Sp.305); Tithoes 7 (a.a.O. Sp.429). 37 Besario 1. 4 (a.a.O. Sp.137. 140); Xoius 2 (a.a.O. Sp.312f.). 38 Vgl. dazu R. Kerkhoff, Gebet, S.30. 44. 59. 39 Benjamin 4 (PG 65, Sp. 145).

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D i e Voraussetzungen monastischer T h e o l o g i e

der Bibelstelle vom immerwährenden Beten unterstreicht, angesichts des Problems, f ü r den Unterhalt des Lebens auch arbeiten zu müssen, verwirklicht werden? Für die Euchiten, eine mit dem Messalianismus in Verbindung stehende Mönchsgruppierung 4 0 , folgt aus der am Buchstaben orientierten Auslegung des genannten Pauluswortes eine dezidierte Ablehnung jeglicher Handarbeit 4 1 . Das beständige Gebet schließt f ü r sie Arbeit in welcher Form auch immer aus, weil das Gebet f ü r sich genommen harte Arbeit ist. Mit dieser Haltung stehen sie nicht allein. Auch T h e o d o r u s Phermae kritisiert an der Arbeit, daß sie den Mönch in Sorge versetze und an seinen eigentlichen Pflichten hindere 42 . Abbas Apollo und Abbas Sarmatas gehen ebenfalls selbstverständlich von dem Grundsatz aus, daß der M ö n c h darauf verzichten müsse, den Lebensunterhalt mit eigenen H ä n d e n zu sichern 43 . Weil sie wie die Vögel in der Luft ohne U n r u h e und ohne Sorge (άταράχως και άμερίμνως) leben wollen 44 , beschränken sie sich auf den Verzehr von Gras 45 und nehmen nur solche Gaben entgegen, die ihnen wunderbar von Gott gewährt werden 4 6 . Das Leben ist f ü r sie bis in die leiblichen Konsequenzen hinein geschenktes und verdanktes Leben, das den Kompromiß mit der auf eigenen Kräften beruhenden Arbeit nicht duldet. Aus dieser Haltung heraus sagt Abbas Phortas: „Wenn Gott will, daß ich lebe, so weiß er, wie er es einrichten wird; wenn er aber nicht will, wozu ist mir dann das Leben (nütze) 47 ?" Unter Verzicht auf eigene Arbeit den Lebensunterhalt allein aus Gottes H a n d zu empfangen, das ist f ü r ihn wie f ü r eine Reihe anderer Anachoreten der einzig angemessene Weg, um dem Gottvertrauen und der demütigen Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen 48 . Ihre Überzeugung, der M ö n c h könne sich nur frei von jeglicher Arbeit der „contemplado dei" ungehindert hingeben, und ihr Versuch, aus dem Ideal der „vita angelica" die Entgegensetzung von Gebet und Arbeit abzu40 Vgl. dazu R.Staats, Messalianerforschung, S . 4 7 f f . ; A . G u i l l a u m o n t , Messaliens, in: D S p Bd. 10 (Paris 1980) Sp. 1 0 7 4 - 1 0 8 3 . 41 Lucius ( P G 65, Sp.253). Dörries ist zuzustimmen: „Die Arbeit ist dem ältesten M ö n c h tum keineswegs eine Selbstverständlichkeit. D e n A n f ä n g e n des Eremitentums ist sie fremd." (Arbeit, S.279). 42 T h e o d o r u s Phermae 21 (PG 65, Sp. 192); ähnlich Hist. m o n . K p . I , 4 6 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 27). 43 Apollo 2 (PG 65, Sp.136); Sarmatas 3 ( a . a . O . Sp.413). 44 Besario 12 ( a . a . O . Sp. 141/4). 45 Gelasius 6 ( a . a . O . Sp. 152). 46 Z e n o 5 ( a . a . O . Sp.177); Verba seniorum 111,49 ( P L 7 3 , S p . 7 6 7 C ) ; V I I , 1 , 4 ( a . a . O . Sp. 1027A); Hist. m o n . I , 4 7 f f . ; 11,9; V I I I , 5 f . 3 8 f f . ; X , 6 . 8. 23; X I , 5 ; X I I , 4 . 14f. (A.-J.Festugière, a . a . O . S . 2 7 f . 3 7 f . 4 8 f . 6 2 f . etc.). 47 Phortas (PG 65, Sp.436). 48 Arsenius 16. 20 ( a . a . O . S p . 9 2 f . ) .

Beten und Arbeiten

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leiten, stößt bei vielen Anachoreten jedoch auf Widerspruch. Deren Kritik beruht auf einer Reihe von Erfahrungen, aus denen mit unterschiedlichen Gründen die Notwendigkeit der Arbeit vor Augen tritt 49 . Die elementarste Erfahrung ist die des leiblichen Hungers. Als Joannes Colobus in jungen Jahren einmal den Wunsch äußert, wie die Engel sorglos (αμέριμνος) leben, nicht mehr arbeiten und Gott unaufhörlich (αδιαλείπτως) dienen zu wollen, nach einem einwöchigen Aufenthalt in der Wüste jedoch zu seinem älteren Bruder zurückkehrt, muß er sich von diesem sagen lassen: „Wenn du ein Mensch bist, dann ist es nötig, daß du arbeitest, damit du dich ernährst." 50 Der mahnende Hinweis, daß auch der Asket der Vorläufigkeit des irdischen Lebens verhaftet bleibt und für seinen Unterhalt selbst einzustehen hat, macht die Vermessenheit des entgegengesetzten Anliegens deutlich. Darum beugt sich der Angesprochene ohne Widerspruch und mit der Bitte um Vergebung der Aufforderung zur Arbeit. Dörries bemerkt dazu: „Von freudiger Anerkennung der Arbeit kann dabei natürlich nicht die Rede sein. Als das Höhere, nur eben Unerreichbare betrachtet man die durch keine Arbeit unterbrochene Gottesverehrung, und es ist ein Zug von Resignation, der das ganze Leben des Johannes Kolobos durchzieht." 51 Gleichwohl liegt in der Notwendigkeit täglicher Nahrungsaufnahme „das Hauptmotiv" 52 und die plausibelste Begründung der Arbeit für die Anachoreten. Denn sie wissen sich, wie Abbas Esaias oder der Antonius der Vita unterstreichen, dem apostolischen Gebot gegenüber zum Gehorsam verpflichtet, daß nicht essen soll, wer nicht arbeitet (2. Thess 3,10) 53 . Eine zweite Erfahrung, aus der im anachoretischen Leben die Einsicht in die Unvermeidlichkeit der Handarbeit erwächst, ist die „der Unlust, welche die Spannung und ständige Konzentration des Gebets nicht mehr ertrug" 54 . Antonius sieht sich in seiner Zelle der als Akedia bezeichneten Anfechtung ausgesetzt, weil er von Gedanken bedrängt und in seinem Gebet behindert wird; als er daraufhin Gott um Hilfe bittet, sieht er in einer Vision, wie ein Mönch sitzend ein Seil flicht, sich danach zum Gebet

49 Vgl. dazu A. Guillaumont, Travail manuel, S. 117-126; Κ. Heussi, Ursprung, S. 122 ff.; H. Bacht, Armutsverständnis, S. 225 ff.; H. Dörries, Arbeit, S. 277ff.; St. Schiwietz, Mönchtum, S. 206 ff.; F.Hauck, Arbeit, in: RAC Bd. 1, Sp. 585-590. bes. 589; J.Frei, Arbeit, S.332-336. 50 Joannes Colobus 2 (PG 65, Sp.204f.). Vgl. P.Nagel, Handlungen, S.333f. 51 H. Dörries, Arbeit, S. 283. 52 K.Heussi, Ursprung, S.217. So auch P.Nagel, Motivierung, S.98f. " Esaias 5 (PG 65, Sp. 181); Vit. Ant. Kp.3 (PG 26, Sp.844C). Die Wirkungsgeschichte dieses Bibelwortes im Mönchtum lassen erkennen die Regula Ferioli Kp. 28 (PL 66, Sp. 969) sowie die Regula Magistri Kp.50,6; 53,40; 78,22; 83,16. 20 (SC 106, S.224. 250. 320. 344). 54 H. Dörries, Arbeit, S.282. Zur Mönchskrankheit der acedia vgl. A.Vögtle, Acedia, in: RAC 1, S.62f.; G.Bunge, Akedia; H.Bacht, Vermächtnis Bd.2, S. 193 Anm.403 (Lit.).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

erhebt und anschließend wieder mit der Arbeit fortfährt 5 5 . Dieses das Alphabetikon eröffnende Apophthegma ist von großer Bedeutung, stellt es doch die Arbeit „als ein himmlisches Geschenk" dar, als ein „gnädiges Zugeständnis an die menschliche Schwachheit", die einer Hilfe f ü r die geistliche Konzentration bedarf 5 6 . Die Erlaubnis zur Arbeit bedeutet demnach f ü r den Anachoreten eine wesentliche Erleichterung. Sie wird nicht als zusätzliche Beschwerung des Lebens empfunden, sondern als Hilfsmittel, um die Anspannung der Ruhe (της ησυχίας τόνον) im Kellion überhaupt aushalten zu können 5 7 . Darum bedeutet sie auch keine Unterbrechung des Gebets, sondern sie dient ihm und f ü h r t zu ihm hin, insofern sie das unruhige Denken wieder zur Ruhe kommen läßt 58 . Eine dritte, die Arbeit begründende Erfahrung beobachten wir bei Abbas Olympius. Er wird in seinem Kellion durch den Gedanken angefochten, eine Frau nehmen zu wollen, kommt über ihm nicht zur Ruhe und vernachlässigt sein Gebet. Als ihm dies bewußt wird, unterwirft er sich aus eigener Einsicht einer schweren körperlichen Arbeit. Sie soll ihm die Konsequenzen vor Augen führen, die aus der Verantwortung f ü r eine Familie erwachsen. Nach einer gewissen Zeit nimmt Gott schließlich die Anfechtung von ihm 59 . Ähnlich wie in dem Antoniuslogion wird damit auch in diesem Apophthegma zum Ausdruck gebracht, daß der Mönch in seiner Leiblichkeit einer Hilfestellung bedarf; erst die Arbeit macht ihn, darin stimmen die zuletzt genannten Stimmen überein, wirklich frei f ü r das Gebet zu Gott. Ein viertes Argument f ü r die Arbeit erwächst aus der Einsicht, daß der M ö n c h nur durch eigenen Erwerb dem Gebot der Barmherzigkeit genügen kann. Für den Antonius der Vita gehört die Sorge f ü r die Armen von Anfang an zum anachoretischen Leben 60 . In gleicher Absicht rät Abbas Poemen einem Bruder: „Soviel du vermagst, arbeite ein Handwerk, damit du aus seinem Verdienst Erbarmen üben kannst." 6 1 Zwar hören wir in einem anderen Apophthegma davon, daß Anub Vorbehalte äußert und Poemen kritisiert,der einen Bruder ermuntert hatte, durch seine Arbeit Liebesgaben zu erbringen 62 . Doch stehen dem eine Reihe weiterer Beispiele gegenüber, die auf die Verpflichtung zu Almosen und die Möglichkeit, sie 55

Antonius 1 (PG 65, Sp.76). H.Dörries, Arbeit S.282. Vgl. auch P.Nagel, Motivierung, S. 101; A.Grün, Bete und arbeite, S.20. 57 Antonius 10 (PG 65, Sp.77). Ähnlich Paulus magnus 3 (a.a.O. Sp.381). 58 Aramonas 6 (a.a.O. Sp. 120f.). 59 Olympius 2 (PG 65, Sp.313/6). Vgl. dazu P.Nagel, Handlungen, S.336 sowie K.Heussi, Ursprung, S.258. 60 Vit. Ant. Kp.3 (PG 26, Sp.844). Vgl. dazu P.Nagel, Motivierung, S.99 und K.Heussi, Ursprung, S.217Í. 61 Poemen 69 (PG 65, Sp.337). " Poemen 22 (a.a.O. Sp.328). 56

Beten und Arbeiten

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durch eigenen Lohn zu erfüllen, aufmerksam machen 63 . Abbas Zeno, der üblicherweise sogar Geschenke ablehnt, ist um der Almosen willen bereit, sein Verhalten zu ändern 64 . Andere handeln ebenso. Der Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen, mit allen Menschen Erbarmen haben zu sollen, läßt viele Anachoreten danach trachten, zu erwerben, um abgeben zu können 65 . Diese verschiedenen Erfahrungen, die möglicherweise auch auf eine Entwickung zurückschließen lassen66, machen die Arbeit für die meisten Anachoreten zu einem selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebens67. Manchen gilt sie sogar als eine von Gott angeordnete und im Evangelium geforderte Aufgabe. „Gott könnte unwillig sein und mir vorwerfen: warum hast du, obwohl du es vermochtest, nicht gearbeitet?" - so antwortet Abbas Achilas denen, die sich darüber verwundern, daß er auch nachts ein Seil flicht und in seiner Handarbeit nicht nachläßt 68 . Andere Anachoreten verbinden mit der Arbeit den Lohngedanken und steigern dadurch deren Bedeutung 69 . Durch die eigene Arbeit unabhängig (αυτάρκης) von den Gaben anderer geworden zu sein, das ist ein Wert, auf den Pambo noch in seiner Sterbestunde nicht ohne Stolz hinweist 70 . Als Folge dieses Bemühens kommt es allerdings zu der dem biblisch motivierten Besitzverzicht entgegengesetzten Erfahrung, „daß der Einsiedler die Armut nicht buchstäblich verwirklichen konnte, sondern Eigentum benötigte, um seinen Unterhalt bestreiten, Gäste bewirten und Arme unterstützen zu können." 71 Gleichwohl bleibt bei den Anachoreten das Bewußtsein lebendig, daß es trotz aller Arbeit nicht der Mensch, sondern Gott ist, der das Leben schenkt und erhält 72 . Und sie halten darum an dem Grundsatz fest, daß das Gebet durch die Arbeit keine Behinderung erfahren darf. Welche Arten von Arbeit werden infolgedessen von den anachoreti" Lucius (a.a.O. Sp.253); Nisterous 4 (a.a.O. Sp.308); Poemen 33. 104 (a.a.O. Sp.332. 348); Sara 7 (a.a.O. Sp.421); Timotheus (a.a.O. Sp.429); Hist. mon. Kp.I,62; XIV,7. 13. 19; XXIII,4 (A.-J.Festugière, Historia monachorum, S.33f. 104. 106. 108. 131). 64 Zeno 2 (PG 65, Sp.176). 65 Poemen 109 (a.a.O. Sp.349); Pambo 2. 14 (a.a.O. Sp.368. 372). 66 So H. Dörries, Arbeit, S. 287. 67 Evagrius 1 (PG 65, Sp. 173); Joannes coenobitus (a. a. O. Sp. 220); Isaac presbyterus Celliorum 2 (a.a.O. Sp.224); Macarius Aegyptius 4 (a.a.O. Sp.264); Poemen 168 (a.a.O. Sp. 361); Pistamon (a. a. O. Sp. 376); Philagrius (a. a. O. Sp. 436); Vita Antonii Kp. 53 (PG 26, Sp. 920); Hist. mon. Kp.I,32 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.20). 68 Achilas 5 (PG 65, Sp. 125); ähnlich auch Cronius 4 (a.a.O. Sp.249). Vgl. dazu P.Nagel, Motivierung, S. 100. " Apollo 1 (PG 65, S p . l 3 3 C ) . Vgl. auch Aio (a.a.O. Sp.136); Esaias 5 (a.a.O. Sp. 181); Poemen 10 (a.a.O. Sp.324); Pior 1 (a.a.O. Sp.373); Silvanus 9 (a.a.O. Sp.412). 70 Pambo 8 (a.a.O. Sp.369); vgl. Agathon 10 (a.a.O. Sp. 112); Achilas 2 (a.a.O. Sp. 124); Vit. Ant. Kp. 50 (PG 26, Sp.916). 71 B. Steidle, Armut, S. 130. 72 Serenus 2 (PG 65, Sp.417).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

sehen Vätern bevorzugt? Ein noch im vormonastischen Leben erlerntes Handwerk wird als eine Quelle der Unruhe kritisiert 73 . Die Bestellung des Ackers gilt ebenfalls als ein für die Mönchsväter unwürdiges Werk, das sie von ihrer eigentlichen Aufgabe nur unnötig ablenke 74 . Die gleiche Skepsis wird gegenüber Bestrebungen laut, kleine Gärten vor dem Kellion anzulegen75. Wer dennoch zur Erntearbeit die Zelle verlassen hat, bedarf, wie von Joannes Colobus berichtet wird, nach der Rückkehr einer besonderen Zeit des Gebetes, der Meditation und des Psalmengesanges, um sein Denken wieder in die alte Ordnung zu bringen 76 . Hinsichtlich der Arbeit bestätigt sich damit, was über die Lebensform der Anachoreten bereits ausgeführt wurde: das Kellion ist nicht nur das äußere Merkmal des eremitischen Lebens, sondern auch dessen inhaltlicher Maßstab und Orientierungspunkt. Konkret bedeutet dies: die einzigen Arbeiten, die bei den Anachoreten Billigung finden, sind solche, die den Wirkungskreis der Zelle nicht überschreiten, keine besondere Vorbereitung oder Konzentration erfordern und damit der Meditation der Heiligen Schrift nicht im Wege stehen 77 . Dörries stellt zusammenfassend fest: „So ist denn die Arbeit, die der conversus zuerst lernt, das Flechten; und der über sein Flechtwerk gebeugte Greis, dessen Sinn sich in Betrachtung verliert und dessen Lippen Gebetsworte formen, ist ein Bild, das sich in zahllosen Varianten wiederholt." 78 Aber auch die Herstellung von Kerzen, Sieben und Leinentüchern wird, weil sie innerhalb des Kellions verrichtet werden kann, als eine Möglichkeit der Unterhaltssicherung betrachtet 79 .

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Paulus cosmeta 2 (a.a.O. Sp.381). Poemen 22 (a.a.O. Sp.328). Die entgegengesetzte Einstellung der Könobiten zeigt Gelasius 5 (a.a.O. Sp. 152). Beispiele für Erntearbeit: Macarius Aegyptius 7 (a.a.O. Sp.265); Vita Ant. Kp.3. 50 (PG 26, Sp.844f. 916f.); Hist. Laus. Kp.7 (C.Butler, Lausiac History Bd. 2, S. 25 f.). 75 Arsenius 22 (PG 65, Sp.93); Silvanus 4. 8 (a.a.O. Sp.409. 412). Vgl. dazu M.Marx, Prayer, S. 82 ff. 76 Joannes Colobus 35 (a.a.O. Sp.216). 77 Matoes 1 (PG 65, Sp.289); Sisoes 39 (a.a.O. Sp.405); Serapio 4 (a.a.O. Sp.417); Pistamon (a.a.O. Sp.376); Joannes Colobus 34 (a.a.O. Sp.216); Vita Ant. Kp.53 (PG 26, Sp. 920). 78 H. Dörries, Arbeit, S.295. Beispiele für das Flechten: Achilas 5 (PG 65, Sp. 125); Arsenius 18 (a.a.O. Sp.92); Joannes Colobus 30. 32 (a.a.O. Sp.213. 216); Isidorus 5 (a.a.O. Sp. 220f.); Macarius Aegyptius 4. 33 (a.a.O. Sp.264. 276); Megethius 1 (a.a.O. Sp.300); Hist, mon. Kp.XXI,2; X X I V , 9 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 124. 133). 79 Joannes Persae 2 (PG 65, Sp.236f.); Poemen 10 (a.a.O. Sp.324); Silvanus 7 (a.a.O. Sp.412). Aus dem gleichen Grund wird der Vertrieb der Waren oft vorbeiziehenden Händlern überlassen (Joannes Colobus 31; a.a.O. Sp.213; Poemen 10; a.a.O. Sp.324; Silvanus 7; a.a.O. Sp.412). Wer dennoch auf den Markt geht, beteiligt sich an den Preisverhandlungen nicht (Agathon 16. 30; a.a.O. Sp. 113. 117; Daniel 3; a.a.O. Sp. 153/6; Poemen 163; a.a.O. 74

Beten und Arbeiten

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Mit ihrem Plädoyer für die einfache Handarbeit bringen die Anachoreten zum Ausdruck, daß die Arbeit, wie es Theodorus Phermae einmal formuliert, nur ein Nebenwerk (πάρεργον) sein darf und von der eigentlichen Aufgabe des Anachoreten, dem Gebet und der Meditation, unterschieden werden muß 80 . Darum soll sie auf ein Mindestmaß beschränkt werden 81 und darf nicht dazu führen, die Haltung des immerwährenden Gebetes durch bestimmte Gebetszeiten einzuschränken. Den vereinzelten Stimmen, welche Stundengebete zu befürworten scheinen82, stellt Epiphanius, obwohl selbst keine Autorität der Sketis, sich mit harscher Kritik entgegen: „Offenbar versäumt ihr die anderen Stunden des Tages, wenn ihr vom Gebet ausruht; notwendig aber ist es, daß der wahre Mönch unablässig (αδιαλείπτως) das Gebet und den Psalmengesang in seinem Herzen hat." 83 Das Logion des Epiphanius ist eine Erinnerung an das zu seiner Zeit nicht mehr unumstrittene Ideal des immerwährenden Gebets. Als zentrales Problem hatte sich die Frage herausgestellt, wie die Arbeit mit dem Gebet zu verbinden sei, so daß letzteres keine Einschränkung erleide. Auf diesem Hintergrund findet der wenig überzeugende, jedoch durchaus nachvollziehbare Vorschlag des Abbas Lucius eine Erklärung: gegenüber den bereits erwähnten Euchiten vertritt er die Auffassung, daß das unablässige Gebet nur dann gewahrt werden könne, wenn der Anachoret die Meditation mit der Handarbeit verbinde; denn von dem Geld, das er durch die Arbeit verdiene, könne er einen Bruder bezahlen, damit dieser während des Essens oder Schlafens stellvertretend für ihn bete. Sein abschließendes Resümee „So wird durch die Gnade Gottes das unablässige Gebet von mir erfüllt" läßt deutlich werden, daß sich hinter seinem schlichten, theologisch aber problematischen Versuch, die apostolische Weisung buchstäblich im Leben zu verwirklichen, ein tieferes Verständnis des Gebets verbirgt: Gott wirkt das Gebet im Mönch; er allein läßt das Leben zu einem immerwährenden Gebet werden 84 . Die Anachoreten formulieren keine Lehre des „ora et labora". Diese Formel, welche üblicherweise und nicht ohne Berechtigung Benedikt zugeSp.361; Pistamon; a.a.O. Sp.376). Vgl. dazu K.S.Frank, „Immer ein wenig billiger verkaufen", S. 25 I f f . 80 Theodorus Phermae lOf. (PG 65, Sp. 189); ähnlich Arsenius 11 (a.a.O. Sp.89). H . D ö r ries nimmt hingegen schon im anachoretischen Mönchtum eine Entwicklung an, in deren Verlauf die Einstufung der Arbeit „als bloßes πάρεργον vergessen wird." (Arbeit, S.292). 81 Biare (PG 65, Sp.145). 82 Poemen 168 (a.a.O. Sp.361) und Romanus (a.a.O. Sp.388f.). 83 Epiphanius episcopus 3 (PG 65, Sp. 164 B/C) sowie ders. Nr.7 (a.a.O. Sp. 165). Für die Mönchsväter gilt der Grundsatz: „Wer nur dann betet, wenn er betet, kann noch nicht beten." (R.-N. Visseaux, Beten, S.44). 84 Lucius (PG 65, Sp.253). „This combination of prayer and work as demonstrated by Abba Lucius was the universal practice of the ascetics of the desert." (M. Marx, Prayer, S. 83).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

schrieben wird, begegnet bekanntlich erst im 8. Jahrhundert in der karolingischen Klosterreform. Das Interesse der Mönchsväter ist vielmehr praktisch und auf die Gestaltwerdung des Glaubens gerichtet, was angesichts eines Lebens im ständigen Gebet nicht weiter verwundert. Indem sie in ihrer Mehrheit unterstreichen, daß Beten und Arbeiten zusammengehören und aufeinander bezogen sind, stellen sie ihr irdisches Leben als Ganzes ohne Einschränkung vor Gott 85 . Die Arbeit soll im Horizont der Vollendung verrichtet, die Vollendung aber unter den Bedingungen irdischer Mühsal erbeten werden. An der Erzählung von Maria und Martha kann diese anachoretische Verhältnisbestimmung exemplarisch verdeutlicht werden. Als ein Bruder die Notwendigkeit der Arbeit unter Hinweis auf das Vorbild der kontemplativen Maria bestreitet, wird er von Silvanus zurückgewiesen. Für letzteren ist nämlich Martha die Schlüsselgestalt in der von Lukas aufgezeichneten Begegnung und diejenige, um deretwillen Maria gerühmt wird. Ganz und gar bedarf die Maria der Martha, so lautet das Fazit für Silvanus, der damit gegen den Wortsinn die Bedeutung der „vita activa" als Bedingung der „vita contemplativa" unterstreicht 86 . Beten und Arbeiten gehören zusammen. Sie bilden im Leben des Anachoreten ein nicht spannungsfreies Miteinander, das Abbas Moyses den Zusammenklang der Handlung mit dem Gebet (συμφώνησις πράξεως μετά εύχής) nennt. Dieser Zusammenklang besteht, so fügt er erläuternd hinzu, darin, daß der Mensch das, wofür er bittet, nicht mehr selber tut; erst wenn er nämlich seinen Willen aufgibt, versöhnt sich Gott mit ihm und nimmt sein Gebet an87. Mit seiner Feststellung befindet sich Abbas Moyses nahe bei dem Apostel Paulus, der das menschliche Tun nur als Folge, nicht aber als Voraussetzung des göttlichen Handelns beschreibt 88 . In Gebet und Arbeit gewinnt für die Anachoreten der Glaube Gestalt, wird die Zuwendung Gottes ebenso wie die Inanspruchnahme des Lebens durch ihn zur eigenen Erfahrung. Darum spiegelt sich im Zusammensein von Beten und Arbeiten die Grundstruktur ihres theologischen Denkens wider.

85

„La grosse part de la journée étant remplie par le travail manuel, c'est encore la récitation de l'Écriture, jointe à la fixation de l'esprit sur son texte, qui permettait à nos moines d'accomplir le précepte de la prière continuelle." (R. Draguet, Pères, S.XLI). Ähnlich auch A.Grün, Bete und arbeite, S. 19. 86 Silvanus 5 (PG 65, Sp.409). Für D.Mieth ist Silvanus eine wichtige Stimme gegen „die fortschreitende Vereinseitigung der Auslegung des Orígenes" und seines „kontemplativen Einheitsideals" (Einheit, S.73). 87 Moyses 17 (PG 65, Sp.288). 88 Anders F. von Lilienfeld, die die am Leben orientierte Auslegung der Anachoreten als eine „natürlich verengende Auslegung im mönchischen Verständnis" interpretiert (Paulus-Zitate, S. 55).

Beten und Arbeiten

b) Johannes

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Cassian

Cassian von Marseille schließt sich den ägyptischen Mönchsvätern an, wenn er wie sie das unablässige Gebet als Ziel des monastischen Lebens beschreibt und biblische Belege d a f ü r anführt 8 9 . Im Unterschied zu ihnen entwickelt er jedoch erstmals eine Lehre des Gebets, die er in zwei großen Gesprächsgängen entfaltet und dem Abbas Isaac in den M u n d legt 90 . Cassian setzt ein mit der Notwendigkeit der Gebetsvorbereitung. Hatte er an früherer Stelle der Collationes allgemein von der Unbeständigkeit des menschlichen Geistes gesprochen 9 1 , so weist er nun darauf hin, daß der M ö n c h auch in der Abgeschiedenheit des Klosters durch weltliche Sorgen, störende Gedanken oder Besitzstreben abgelenkt zu werden droht. Das Gebet muß darum vorbereitet werden: „wie wir als Betende erf u n d e n werden wollen, so müssen wir uns vor der Zeit des Gebets präparieren; denn aus dem vorhergehenden Zustand wird der Geist des Gebets geformt." 9 2 Cassian nennt einige Beispiele: es gilt, den Zorn abzulegen und sich mit dem Bruder zu versöhnen 93 , bei den Mahlzeiten M a ß zu halten, das Fasten aber auch nicht zu übertreiben 94 , sich von den Fehlern zu reinigen und innerlich zu erneuern 9 5 . Seine Aufzählung ist nicht vollständig, doch macht sie deutlich, daß die Vorbereitung des Gebets einen asketischen Grundzug trägt, der aus der Bibel abgeleitet wird. Cassian begründet sein Anliegen in einem Bild: wie eine Flaumfeder gleichsam von selbst („uelut naturaliter") durch den Windhauch nach oben getragen werde, so sei auch der menschliche Geist von einer natürlichen Einfachheit („subtilitas naturalis") gekennzeichnet, die zwar o f t verdeckt sei, durch körperliche und geistige M ü h e aber zurückgewonnen werden könne 96 . In diesem Bild klingt der anthropologische Ansatz Cassians an: der Mensch wird auf seine „natürlichen" Fähigkeiten hin angesprochen und dadurch an seine Verpflichtung erinnert, den Hindernissen des Gebets aus eigener Kraft zu widerstehen. Gleichzeitig übersieht Cassian nicht, daß der M ö n c h auch während des Gebets Verfehlungen kaum vermeiden könne und sei es nur durch einen abschweifenden Gedanken 9 7 . Das schließt f ü r ihn jedoch nicht aus, alle 89

Zitate von l . T h e s s 5,17 in: Inst.II, 1; VIII, 13; Coll. praef.; I X , 3 ; 6; 7; X , 14; X X I I I , 5 . Vgl. J.Main, Prayer, S . 7 5 f f . 1 8 4 f f . 2 7 2 f f . ; B.Sirch, Gebet; O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S. 1 0 4 f f . ; C.Butler, M ö n c h t u m , S . 6 4 f f . ; Chr.Sieben, Einrichtungen, S. 150ff.; L.Cristiani, Jean Cassien Bd.2, S. 171 ff. 91 Coli. VII. 92 Coll. IX, 3,3 (CSEL 13, S. 252, 2 4 - 2 6 ) . 93 Inst. VIII, 13 f. 94 Inst. V , 9 ; Coll. II,26,3. 95 C o l l . I X , 2 , 3 (CSEL 13, S . 2 5 1 , 2 0 ) ; I X , 3 , 2 ( a . a . O . S . 2 5 2 , 1 5 ) . 96 Inst. V, 34; Coll. IX, 2,1; 4,1; 4,3. 97 Coll. XXIII, 19,1. 90

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Anstrengungen darauf zu verwenden, das Gebet durch die Erlangung der Demut vorzubereiten, um so zur „perfectio orationis" zu gelangen 98 . Für Cassian gilt: nur wer auf das Gute, und das sind in erster Linie die monastischen Tugenden, ausgerichtet ist, wird auch das biblische Gebot des immerwährenden Gebets erfüllen und reine Gebete zu Gott aufsenden können". Hinsichtlich der Gebetssprache hält Cassian sich mit Empfehlungen spürbar zurück. Er verweist zunächst nur auf das Gebot Jesu, daß jeder in seiner Kammer in großer Stille beten solle, und begründet dies mit den allzeit gegenwärtigen Widersachern des Mönchs 100 . Mit demütigem Herz solle der Mönch oft, aber kurz („frequenter, sed breviter") beten, so lautet der allgemeine Rat, den er von den ägyptischen Mönchsvätern übernommen hat 101 . Auch bei den Tränen, welche angestoßen durch die Sündenerkenntnis als ein Ausdruck innigen Betens gelten, begnügt er sich mit wenigen Hinweisen: sie sollen nicht absichtlich hervorgerufen werden, wenn sie nicht von selbst kommen 102 . Gegen das Verlangen, allgemeingültige Gebetsformulare („uniformes orationes") aufzustellen, grenzt er sich schließlich mit dem Hinweis auf die Erfahrung („experientia") ab, daß ein Heiterer anders als ein Trauriger bete, ein Erfolgreicher anders als ein Versuchter, ein in Not Befindlicher anders als ein Sicherer 103 . Im Anschluß an l.Tim 2,1 werden von Cassian jedoch vier Grundformen des Gebets unterschieden, die sich schon bei Orígenes finden: das Sühnegebet („obsecrado"), das Lobgebet („oratio"), das Fürbittgebet („postulado") und das Dankgebet („actio gratiarum") 104 . Cassian stellt diese Gebetsformen nicht gleichwertig nebeneinander. Vielmehr betrachtet er sie wie der Alexandriner als Stufen eines geistlichen Aufstiegs („profectus spiritalis")105. Das bedeutet: die Bitte um Sündenvergebung ist vor allem vom Anfänger im monastischen Leben aufzugreifen; der Fortgeschrittene vermag jedoch, Gott ein Gelübde darzubringen oder für andere Menschen Fürbitte zu leisten; der ohne Gewissensängste ausgesprochene Dank kann aber nur von einem Vollkommenen vorgebracht werden. In den vier Ge98 Coll.IX,3,2 (CSEL 13, S.251,3f.; 252,19). " Coli. 11,22,2 (CSEL 13, S.62,2); vgl. ähnlich Coll.IV,2; IX,6. Die Ähnlichkeit zu den Gebetslehren des Klemens und des Orígenes liegt auf der Hand (Vgl. H. Bacht, Vermächtnis Bd. 1, S.262 und W.Völker, Vollkommenheitsideal, S.200f.). 100 Coll. IX, 35,3 (CSEL 13, S. 283,8 f.). 101 Coll.IX,36,1 (CSEL 13, S.283,12). Vgl. dazu Inst.II, 10,3, wo Cassian den gleichen Grundsatz für die nächtlichen Gebetszusammenkünfte geltend macht (CSEL 17, S.26, 12 f.). Dazu A. de Vogüé, Orationi frequenter incumbere, S. 468 ff. 102 Coll. IX, 29 f. 105 Coll.IX,8,2f. (CSEL 13, S.259,7ff.). 104 Coll.IX,9-14. Vgl. W.Völker, Vollkommenheitsideal, S.202ff.; E.von Severus, Gebet, in: RAC Bd. 8, Sp. 1238. 105 Coll. IX, 15,1 (CSEL 13, S.263,7).

Beten und Arbeiten

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betsarten spiegelt sich damit das Streben des Mönchs nach einer Vollendung des Lebens („profectus vitae") wider, und es ist folgerichtig, wenn Cassian seine Mönche dazu auffordert, sich immer mehr den höheren Gebetsarten („sublimiora genera") zuzuwenden 106 . Zu ihnen gehört in erster Linie das Vaterunser, dessen Hochschätzung als täglicher Gebetstext schon durch Tertullian bezeugt wird 107 . Für Cassian, der es von seinem monastischen Erfahrungshintergrund aus interpretiert, trägt es jedoch einen eher exklusiven Charakter, insofern es allein in der Anschauung Gottes („contemplado dei") und der Fülle der Liebe („ardor caritatis") besteht. Wer es spricht, der unterredet sich mit Gott wie mit seinem eigenen Vater 108 . Dieses Verständnis des Vaterunsers setzt die Vorstellung voraus, daß der Mensch auf der Erde in der Heimatlosigkeit getrennt vom Vater lebt109. Aus dieser Fremde („peregrinatio") zu Gott zurückzukehren, ist darum die Hoffnung des Beters, wenn er darum bittet, das Irdische möge dem Himmlischen gleich und die Menschen den Engeln ähnlich werden, damit der Wille Gottes erfüllt werde 110 . Wie sehr Cassian das Vaterunser auf das Selbstverständnis des nach Vollkommenheit strebenden Mönchs bezieht, wird schließlich daran deutlich, daß das Reich Gottes, dessen Kommen erfleht wird, nicht allein als eine zukünftige Größe betrachtet wird. Christus regiert es vielmehr schon heute täglich in seinen Heiligen 111 , durch deren Wandel sein Name geheiligt wird 112 . Stärkung erfahren sie dabei aus dem übernatürlichen Brot der Eucharistie („panis supersubstantialis"); die Brotbitte wird damit auf den Leib Christi bezogen und dieser wiederum als Zurüstung für das monastische Leben verstanden 113 . Diese Interpretation des Vaterunsers führt vor Augen, daß Cassian keine allgemeine, sondern eine monastische Gebetslehre entwirft, die eine große Nähe zur Spiritualität des Orígenes aufweist. Darum ist der Weg des Gebets aufsteigend. Er führt, angestoßen durch Gefühle der Zerknirschung („conpunctiones") 114 , vom Sündenbekenntnis über die Danksagung noch über die ewigen Bitten des Vaterunsers („sempiternae petitiones") hinaus 115 . Cassian ist davon überzeugt, daß Gott einen Menschen in einen noch höheren Zustand erheben kann, in dem das Gebet unaus106 107 108 109 110 111 112 113 114 115

Coll.IX, 16 (CSEL 13, S.264, 13f.). Vgl. dazu E. von Severus, Gebet, in: RAC Bd. 8, Sp. 1222 f. Coll.IX, 18,1 (CSEL 13, S.265, 28f.). Coll. IX, 18,2 (CSEL 13, S.265 f.). Coll. IX, 20,1 (CSEL 13, S.268, 19ff.). Coll.IX,19 (a.a.O. S.268,1). Coll.IX, 18,5 (a.a.O. S.267, 21 ff.). Coll.IX,21,1 (a.a.O. S.269,10f.). Coll.IX,26,1 (a.a.O. S.273,7). Coll.IX,24 (a.a.O. S.272, 12f.).

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

sprechlich („ineffabilis") wird und menschliches Wahrnehmungsvermögen übersteigt („omnem transcendens humanum sensum") 116 . Indem er an ein Väterwort erinnert, nach dem das Gebet dann nicht vollkommen ist, wenn der Mönch um das, was er betet, noch weiß117, schreibt Cassian über das sog. Glutgebet: „Zuweilen pflegt der Geist, der zu jenem wahren Affekt der Reinheit fortgeschritten ist, ... unaussprechliche Gebete voll reinster Kraft vor Gott auszugießen, die jener fürbittende Geist mit unaussprechlichen Seufzern, die wir nicht kennen, zu Gott schickt, so viel in einem Augenblick erschauend und in unaussprechlichen Gebeten verströmend, wie er mit dem Munde nicht durcheilen noch zu anderer Zeit in seinem Geiste sich erinnern kann." 118 Cassian entwickelt sein Gebetsverständnis im Anschluß an eine Kontroverse unter den ägyptischen Mönchen über die rechte Interpretation von Gen. 1,26 („imago dei"). Während die Mehrzahl der Anachoreten (die sog. Anthropomorphiten) aus diesem Wort die Berechtigung ableitete, sich Gott in menschlicher Gestalt vorzustellen, kam eine an Orígenes orientierte Minderheit zu der Auffassung, daß Gott vielmehr dem geistlichen Sinn nach („spiritaliter") interpretiert werden müsse119. Cassian schließt sich der zweiten Gruppe an, für die Gott von einer unkörperlichen, unteilbaren Natur ist, die vom menschlichen Wahrnehmungsvermögen weder erfaßt noch beurteilt werden kann 120 . Seine Majestät gebietet es, ihm keine Attribute beizulegen, die als Begrenzung seiner Hoheit interpretiert werden könnten. Mit dieser anderen Akzentuierung des Gottesbildes verändert sich auch das Gebet: während ein alter ägyptischer Anachoret mit der anthropomorphen Gottesvorstellung Gott selbst verloren glaubt 121 , sieht Cassian in dem Verzicht darauf den einzigen Weg zum wahren Gebet, das schon von Orígenes als „ein inneres, wortloses Gebet" beschrieben worden ist122. Der Verzicht auf eine bildliche Konkretion bedeutet demnach den Gewinn geistiger Gotteserkenntnis, - ein Grundsatz, der sich auch in der Christologie widerspiegelt. Wie es nämlich nicht darauf ankommt, Christus nach dem 116 Coll.IX,25 (a.a.O. S.272,21f.). „The fire prayer is described only in general terms. It is not achieved. The monk's part in it is only receptivity, or attention to the light of God . . . It is like speaking with tongues, the Spirit speaking through a man words which that man cannot understand." (O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 105). Vgl. auch J.C.Guy, Jean Cassien, S. 55. 117 Coll. IX, 31 (CSEL 13, S. 277,9f.). 118 Coll.IX, 15,2 (a.a.O. S.263, 16ff.). 119 Coll.X,2 f. (CSEL 13, S.288, 19 f.). Die Kritik ägyptischer Anachoreten an Orígenes artikuliert Abbas L o t i (PG 65, Sp. 253/6). Zu dieser Auseinandersetzung vgl. G.Florovsky, Anthropomorphités, S. 159. 120 Coll.X,3,3 (a.a.O. 13, S.288, 22f.). 121 Coll.X,3,5 (a.a.O. S.289,13). 122 W.Völker, Vollkommenheitsideal, S.207. Coll.X,5,3 (a.a.O. S.291,11-14).

Beten und Arbeiten

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Fleisch, sondern mit dem inneren Blick der Seele als Majestät zu erkennen 123 , so will auch Gott als Begründer der Ewigkeit („conditor aeternitatum") nichts Vergängliches von sich erbeten wissen 124 . Darum soll, so folgert Cassian, der M ö n c h bemüht sein, sich täglich zum Geistigen („ad spiritalia") hin zu erheben, bis all sein Denken und Wollen ein einziges und beständiges Gebet („una et iugis oratio") geworden ist 125 . Der Aufstieg zu diesem Ziel kann, auch wenn seine Vollendung im immerwährenden Gebet „nicht Menschenwerk, sondern Geschenk der Gnade" ist126, gelernt und zu einem Gegenstand der Unterweisung („institutio") werden 127 . In seiner Gebetslehre fordert Cassian seine Leser auf, unter Ausschaltung aller Zerstreuungen sich auf einen einzigen Gedanken zu konzentrieren, und er gibt ihnen dazu ein von den Vätern überliefertes Bibelwort an die H a n d , das dem Psalter entstammt: „Gott, komm mir zur Hilfe! Herr, eile mir zu helfen." 128 Dieses Wort, das f ü r die Gebetspraxis des östlichen, aber auch des westlichen Mönchtums von großer Bedeutung geworden ist, stellt schon f ü r Cassian mehr als eine bloße Meditationshilfe dar. Als eine Formel geistlicher Beschauung („spiritalis theoriae formula") ist es vielmehr die G r u n d lage, Voraussetzung und der Inhalt des immerwährenden Gebetes, weil es bei der Arbeit, beim Essen, beim Einschlafen und in allen weiteren Lebenssituationen bedacht, im Herzen bewahrt und auf den Lippen geführt werden kann 129 . Cassian schreibt: „Unablässig soll der menschliche Geist jene Formel festhalten, bis er gefestigt durch ihren dauernden Gebrauch in der Meditation den Reichtum und Besitz der vielen Gedanken verwirft und so durch die strenge Armut dieses Verses mit Leichtigkeit zu der Seligkeit des Evangeliums gelangt, die unter allen Seligkeiten die erste ist." 130 In der Betrachtung dieses Psalmwortes nimmt damit f ü r Cassian das immerwährende Gebet eine konkrete Gestalt an. Indem das W o r t unablässig vor Augen steht, richtet es den Betenden in seinem ganzen Leben auf Gott hin aus, durchdringt sein Denken und T u n und f ü h r t ihn von irdischen zu himmlischen Betrachtungen 1 3 1 . Vergleichen wir Cassians Lehre vom immerwährenden Gebet mit den 125

Coll. X , 6 unter B e z u g auf 2. Kor 5,16. C o l l . I X . 2 4 (CSEL 13, S . 2 7 2 , 1 0 f . ) ; vgl. auch C o l l . I X , 3 4 , 1 0 ; X I I I , 7 , 4 . 125 C o l l . X , 7 , 3 ( a . a . O . S.293, 2 8 - 2 9 4 , 2 ) . Ähnlichlautende Stellen lassen sich bei Orígenes und Evagrius zeigen ( O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S. 108). 126 D . von Nagel, Puritas cordis, S. 147. Vgl. Coll. IV,4,1 (CSEL.13, S.99, 17ff.). 127 C o l l . X , 8 , 3 ( a . a . O . S . 2 9 5 , 5 ) . Vgl. d a z u K.Rahner, Problem, S . 6 5 - 7 8 . 128 Ps. 7 0 , 2 in Coll. X , 10,2 (CSEL 13, S. 297, 23 ff.). Zur Vorgeschichte vgl. B. Sirch, Gebet, S.lOff. 129 Inst.II, 15,1; C o l l . X , 10,1; 1 0 , 6 - 1 5 . 130 C o l l . X , l l , l (CSEL 13, S . 3 0 3 , 1 - 6 ) . 131 C o l l . X , 10,14 ( C S E L 13, S . 3 0 2 , 1 2 f . ) . J . M a i n entwickelt daraus eine Gebetslehre für heutiges monastisches Leben (Meditieren, bes. S. 14ff. 2 7 f f . ) . 124

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

entsprechenden Hinweisen der ägyptischen Mönchsväter, so werden zwei Veränderungen sichtbar. Zum einen macht sich das durch Evagrius vermittelte spekulative Denken der alexandrinischen Theologie bei Cassian bemerkbar. Was von den Anachoreten als schlichter Gehorsam gegenüber der biblischen Weisung verstanden und als Paränese vorgetragen wurde, erfährt nun eine systematische Behandlung und wird zu einer Lehre, die zwischen Anfängern, Fortgeschrittenen und Vollkommenen unterscheidet und ihnen unterschiedliche Gebetsweisen zuweist. Wie bei Orígenes vollzieht sich auch bei Cassian „der Aufstieg des Pneumatikers im Gebet selbst ..., in einem immer stärkeren Einsinken in seine Tiefen, bis auf dem Grunde des wortlosen Gebetes sich die unio mystica" ereignet 132 . Das immerwährende Gebet stellt damit mehr als nur eine Gebetsart unter mehreren dar. Es f ü h r t den Beter zu der mystischen Erfahrung, daß die Liebe Gottes das H e r z erfüllt, das H o f f e n bestimmt und gleichsam im Inneren des Menschen W o h n u n g nimmt 133 . Zum anderen schließt f ü r Cassian die apostolische Weisung des unablässigen Gebets die Tagzeitengebete nicht mehr aus. Während die Anachoreten und auch Pachom das Pauluswort möglichst konkret zu verwirklichen suchen, können wir bei Cassian eine Spiritualisierung des Gebetsverständnisses beobachten, nach dem das „unablässig" zu einem inneren Vorgang wird. In dem Ziel weiß Cassian sich mit den Vätern nach wie vor einig, in dem Weg weicht er jedoch von ihnen ab. Dabei ist er sich dessen durchaus bewußt, was dieses Zugeständnis bedeutet, die Tagzeitengebete als notwendige Erinnerungszeichen des immerwährenden Gebetes im könobitischen Tagesablauf zu etablieren 134 . Mit Sehnsucht erinnert er sich des anachoretischen Gebetseifers, macht zugleich jedoch auf Erfahrungen des südgallischen Klosterlebens aufmerksam, aus denen sich gemeinsame Stundengebete auch tagsüber mit Notwendigkeit ergeben 135 . Die Spannung zwischen biblischem Gebetsauftrag und menschlicher Schwäche läßt ihn von einer ungeschmälerten Rezeption der ägyptischen Gebetsauffassung Abstand nehmen. Von diesen Veränderungen ist die Einschätzung der Arbeit nicht betroffen. Cassian setzt sich in Abgrenzung gegenüber denen, die eine Behinderung der „contemplatio dei" befürchten, uneingeschränkt f ü r die Verpflichtung zur Arbeit ein 136 . Dabei geht es ihm wie Pachom zunächst 132

W.Völker, Vollkommenheitsideal, S.211. Coll.X,7,2 (CSEL 13, S.293, 9ff.); XII.11,3 (a.a.O. S.352, 15f.). P.Th.Camelot bezeichnet Cassian darum als „le maître d'une mystique authentiquement chrétienne" (Guide de lecture, S. 99). 154 Inst. 111,2 (CSEL 17, S. 34,13 f.). 135 Inst. III, 3,8 (CSEL 17, S. 37,13 ff.). 136 Inst. 1,2,3 (CSEL 17, S.10,16f.). Das Pauluswort 2.Thess 3,10 („Wer nicht arbeitet, soll 133

Beten und Arbeiten

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darum, daß jeder Mönch durch seine Arbeit dazu beiträgt, daß alle Mitglieder des Klosters versorgt und die Gäste bewirtet werden sowie Notleidende Hilfe empfangen können 137 . Cassian hebt sodann die spirituelle Bedeutung der Arbeit hervor. Diese zeigt sich nicht nur darin, daß die Könobiten ohne Sorge um die tägliche Nahrung dem Gebet nachgehen können 138 . Die Arbeit stellt nach seiner Überzeugung auch eine direkte Hilfe im asketischen Leben dar, wenn er bemerkt, daß die Mönche „in der Reinheit ihres Geistes zu um so höherer geistiger Schau kommen, je eifriger sie sich der Arbeit und körperlichen Anstrengung hingeben." 139 Daraus ergibt sich, daß kein Augenblick im Leben eines Mönchs ohne Arbeit vorübergehen soll. Diese schützt den Mönch gegen die feindlichen Angriffe, bewahrt ihn vor dem Schlafbedürfnis und wappnet ihn gegen die „acedia", die Anfechtung der Verdrossenheit 140 . Das Logion eines Anachoreten, daß der arbeitende Mönch nur von einem, der müßige aber von unzähligen Teufeln geplagt wird, ist nach Cassians Auffassung unverändert gültig 141 . Der Eifer in der Arbeitserfüllung ist für ihn ein Gradmesser, ob jemand in Geduld und Demut Fortschritte macht 142 . Deswegen setzt er sich dafür ein, den Klostermönch zur Arbeit und der mit ihr verbundenen Anstrengung notfalls auch zu zwingen, wenn dies nötig ist143. Zur Begründung zitiert er Bibelstellen und verweist auf das Vorbild der ägyptischen Mönchsväter; die Autorität der Tradition ist für ihn auch in dieser Frage maßgebend 144 . Wie Pachom ist Cassian daran gelegen, daß der Mönch im Könobium ein neues Verhältnis zum Besitz gewinnt. Der Kleiderwechsel soll dem Novizen sichtbar vor Augen führen, nunmehr zur Niedrigkeit Christi her-

auch nicht essen") wird in Inst.1,5; X, 11 f. 19; Coll.XXIV, 12 zitiert. Schon dem Novizen wird die Notwendigkeit der Arbeit eingeschärft (Inst. II, 3,3; CSEL 17, S. 19,18 ff.); die Kleidung soll entsprechend beschaffen sein, daß sie bei der Arbeit nicht hinderlich ist (Inst.1,5). Vgl. dazu Chr.Sieben, Einrichtungen, S. 13ff.; R.Heinrichs, Arbeit, S.395-404; F.Prinz, Askese, S . 7 0 f . 137 Inst.IV, 14; V,38; X, 19; X,22; Coll.XXIV,4; 7. Cassian versteht darunter die Arbeit in der Zelle, schließt aber Arbeiten außerhalb des Klosters nicht aus (Inst. II, 15,1). Beim Ökonomen werden die Produkte täglich abgeliefert (Inst. X, 20). Zur Bedeutung der Arbeit in den pachomianischen Klöstern vgl. K. Heussi, Ursprung, S. 122 ff.; F. Ruppert, Arbeit, S. 3 ff.; H. Dörries, Arbeit, S. 297 ff.; H.Bacht, Antonius, S.204f. und B.Steidle, Armut, S. 132 ff. 138 Coll.VIII,7,3 (CSEL 13, S.514, 13f.). 139 Inst. II,12,2 (CSEL 17, S.27, 29-28,2). 110 Inst. II,13; 111,8,2; X,8. 141 Inst. X, 23. 142 Inst. X, 22. 143 Inst. 11,3,3 (die Feldarbeit ist davon ausgenommen: Coll. XXIV, 3-5). 144 Coll.XXIV, 12,1 (CSEL 13, S.686, 23f.); Coll.XXIV, 11,4 (a.a.O. S.686,1); vgl. auch Inst.II,5,2; X , 8 f f . ; X , 1 7 f . ; X,22.

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

abgestiegen und den Armen gleichgeworden zu sein 145 . Weil sich am Streben nach Eigenbesitz zeigt, der Welt und ihren Gütern noch verhaftet zu sein, ist f ü r Cassian selbst der, der nur einen einzigen Heller besitzt, im Grunde genommen kein Mönch 1 4 6 . Darum ist die „avaritia" eine der großen verführerischen Leidenschaften, die das monastische Leben bedrohen und alle Aufmerksamkeit erfordern, um ihnen nicht zu erliegen 147 . Ein wahrer Mönch lebt wie ein Heimatloser und Fremdling in dieser Welt mit diesem Gedanken nimmt Cassian anachoretisches Gedankengut auf 148 . In der Gemeinschaft des Klosters jedoch bekommt er Anteil an dessen Habe und darf diese wie ein H e r r („ut dominus omnium") sein eigen nennen - mit diesem Zusatz fügt Cassian die „peregrinado" in den könobitischen Kontext ein und schafft damit die Voraussetzungen f ü r einen leidenschaftsfreien, aber verantwortungsvollen Umgang mit Besitz im Kloster 149 . D a ß Cassians Verständnis der Arbeit keineswegs nur von ökonomischen Gesichtspunkten geprägt ist, wird daran deutlich, daß er einen N u t zen auch dann gegeben sieht, wenn etwas Uberflüssiges hergestellt oder überhaupt kein Ertrag erwirtschaftet wird. Zwei Beispiele seien d a f ü r angeführt. Zum einen berichtet Cassian von einem aus Italien stammenden, nun aber in einem ägyptischen Kloster lebenden Mönch, der über keine handwerklichen Fähigkeiten verfügt, sondern nur Schreibarbeiten verrichten kann 150 . Nachdem er längere Zeit in seiner Klosterzelle müßig gesessen hat, fordert ihn der Abt auf, seinen Lebensunterhalt mit eigenen H ä n d e n zu erwerben. Da andere Möglichkeiten ausscheiden, erteilt er ihm den Auftrag, jedenfalls einen lateinischen Kodex abzuschreiben. Cassian verschweigt nicht, daß diese Abschrift im koptisch sprechenden Ägypten von keinem Mönch gelesen werden konnte. Aber er rechtfertigt diese offensichtlich nutzlose Arbeit mit dem Hinweis, daß die „Anfechtungen der Einsamkeit" nur so ertragen werden können 1 5 1 . Zum anderen erzählt Cassian von der Begegnung mit einem ägyptischen Anachoreten: dieser legte sich, obwohl er durch einen kleinen Garten über ausreichend Nahrungsmittel verfügte und handwerkliche Arbeiten wegen der großen Entfernung zur nächsten Stadt nicht vekaufen konnte, ein täg-

145 Inst. IV,5 (CSEL 17, S. 51, 5 f. 11 f.). Pachom Praecepta 49 (A. Boon, Pachomiana latina, S.25f.). Vgl. dazu B.Steidle, Armut, S. 136ff. und H.Bacht, Vermächtnis Bd. 1, S.231 ff. 146 Inst. IV, 3,2; IV, 13; VII, 8 f.; VII, 17. 147 Inst.VII. 148 Inst.IV, 14 (CSEL 17, S. 56,11 ff.). 149 Inst.IV, 14 (CSEL 17, S.56,8). Vgl. auch Coll.XXIV, 11,4 (CSEL 13, S.685,23ff.). 150 Inst. V, 39. 151 Inst.V, 39,1 (CSEL 17, S. 111,5 f.).

Beten und Arbeiten

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liches Maß („cotidianum pensum") an Arbeit auf 152 . Ökonomische Gründe spielten dabei keine Rolle; vielmehr war, was er dabei aus Palmenblättern herstellte, so überflüssig, daß er es am Ende eines Jahres verbrannte. Auf Nachfragen erwiderte er, er wolle zeigen, daß ein Mönch ohne Handarbeit weder in seiner Zelle ausharren noch den Gipfel der Vollkommenheit jemals erreichen könne 153 . Mit beiden Beispielen willCassian deutlich machen, daß das monastische Leben der ordnenden Kraft der Arbeit bedarf. Die Tradition der ägyptischen Väter wird von ihm herangezogen, um diese Aussage zu belegen. Der wirtschaftliche Gesichtspunkt ist für ihn zweitrangig. Wichtiger ist Cassian, daß der Mönch durch die Arbeit die Verdrossenheit („acedia") besiegen, die Gedanken sammeln und das Herz reinigen kann 154 . Auch ist sie ein Ausdruck des Gehorsams gegenüber dem Abt, der Regel und den apostolischen Geboten 155 . Nicht nur zwischen den Stundengebeten, sondern auch während derselben soll sie das immerwährende Gebet stützen und ihm dienen: „Die Bindung an die Arbeit ist für Cassian kein Gegensatz zur Bindung an Gott, sondern eine Hilfe, seinen Geist in Gott zu sammeln."156 Die Zusammengehörigkeit von Beten und Arbeiten hat damit bei dem südgallischen Mönchslehrer eine Begründung gefunden, an die der Magister und Benedikt in ihren Regeln anknüpfen konnten. c) Benedikt von

Nursia

Schon bei Johannes Cassian hat sich gezeigt, daß das immerwährende Gebet einer Stütze durch die Stundengebete bedarf. Benedikt, der auch in dieser Frage die Bestimmungen der Regula Magistri aufgreift, verstärkt diese Tendenzen zugunsten der gemeinschaftlichen Gebetszeiten. Ein erster Blick auf die Benediktsregel zeigt, daß diese „nur verhalten vom Gebet und dessen Eigenschaften (spricht), während sie der äußeren Ordnung des gemeinsamen Gebets eine ganze Kapitelgruppe widmet." 157 Gleichzeitig wird das apostolische Gebot, das Leben zu einem einzigen Gebet werden zu lassen (l.Thess 5,17), nicht mehr erwähnt, sondern stattdessen Ps. 119,164 „Siebenmal am Tag singe ich dir Lob" zitiert 158 . Dieser Austausch der Schriftbelege ist nicht zufällig. Mit ihm unterstreicht Inst.X,24 (a.a.O. S. 192,28). Inst.X,24 (a.a.O. S. 193, 3-5). 154 Inst.X,24. Vgl. auch Inst.11,3; 14; Coll.X,14,2. Chr.Sieben spricht darum von der Arbeit als ein „Mittel zur asketischen Selbstheiligung". (Einrichtungen, S. 14). 155 „In dem alten Wettstreit zwischen Beten und Arbeiten hat die Klostertugend des Gehorsams den Ausschlag gegeben." (H. Dörries, Arbeit, S. 290). 156 A.Grün, Bete und arbeite, S. 16. 157 B.Steidle, Regel, S. 181; so auch Chr.Sieben, Einrichtungen, S. 153f.; A.de Vogüé, Regula Benedict!, S. 289ff. 158 RB 16,1. 3. 5; vgl. RM 34,3; 42,3; Cass. Inst.111,4,3. 153

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Die Voraussetzungen monastischer Theologie

Benedikt das Gewicht der gottesdienstlichen Zusammenkünfte für das klösterliche Leben. Sie haben gewissermaßen den Platz des unablässigen Gebets eingenommen, was sich auch darin zeigt, daß die Gebetsformel Cassians „Gott, komm mir zur Hilfe ..." nunmehr in der Liturgie des Stundengebets ihren Platz gefunden hat 159 . Damit stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Regula Benedicti dem Gebet des einzelnen noch beimißt und was sie darüber auszusagen vermag. Bei der Beantwortung dieser Frage sind wir vornehmlich auf das im Zusammenhang mit Ausführungen über die Arbeit stehende Regelkapitel „De oratorio monasterii" angewiesen. Dort schreibt Benedikt: „wer auf andere Weise (d.h. außerhalb des Stundengebetes) für sich allein beten will, der trete (in das Oratorium) ein und bete" 160 . Auffälligerweise wird damit das Gebet des einzelnen („oratio peculiaris") an das für die gemeinschaftlichen Gebetszeiten vorgesehene Oratorium gebunden. Das erklärt sich aus der benediktinischen Klosteranlage, in der der Mönch über keine eigene Zelle mehr verfügt und darum den liturgischen Raum aufsuchen muß, um für sich beten zu können 161 . Diese neue Ortszuweisung, die sich vom pachomianischen Modell wesentlich unterscheidet 162 , verändert jedoch auch das Verständnis des Gebets: wie das Stundengebet wird es von Benedikt „einem vorzüglich sakralen Ort" 163 zugewiesen, der fern von jeglicher Arbeit „ganz allein dem Gebete geweiht sein soll"164 und darum besonderer Verhaltensweisen bedarf: „nichts soll dort geschehen als die Feier des Opus Dei und das stille Gebet des Einzelnen. Aber auch nichts, was nicht zum Gebet erforderlich ist, soll dort abgestellt und aufbewahrt werden." 165 Im Unterschied zur Magisterregel, die es dabei beläßt, die Mönche zu ermahnen, nach dem Gottesdienst das Oratorium unter tiefstem Schweigen zu verlassen, um die im Gebet Zurückbleibenden nicht zu stören 166 , fügt Benedikt einige grundsätzliche Anmerkungen zum Gebet des einzelnen hinzu. Zum einen macht er in Anknüpfung an Mt 6,5 ff. den Grundsatz der Stille auch für das Gebet selbst geltend: es soll von den Mönchen nicht mit vielen Worten und mit lauter Stimme vorgetragen werden, sondern kurz sein und im Verborgenen geschehen 167 . Zum anderen läßt er der 159

RB 17,3; 18,1. Vgl. dazu O.Heiming, Offizium, S.89-156. bes. 131 ff. RB 52,4. 161 Das Leben im Kloster Benedikts beschreibt L. Moulin, Alltag, S. 382 ff. 162 Zum Gebetsverständnis Pachoms vgl. P.Resch, Doctrine ascétique, S. 147f.; H.Bacht, Vermächtnis Bd. 1, S. 244 ff.; F.Ruppert, Arbeit, S. 7 ff. sowie A.Veilleux, Prayer, S. 61 ff. 163 G. Holzherr, Benediktsregel, S. 253. 164 I.Herwegen, Sinn und Geist, S.304. 165 I.Herwegen, a.a.O. 166 RM 68; vgl. dazu A.de Vogûè, Règle de Saint Benoît Bd.5, S.617ff. > Ephiphanius 15 (PG 65, Sp. 165/8). 180 Poemen 86 (a.a.O. Sp.341D). 181 Paulus Simplex mit Zitat Ez. 18,32; 33,11 (a.a.O. Sp.385B). 182 Mios 3 (a.a.O. Sp.301/4). 185 Moyses 16 (a.a.O. Sp.288); vgl. auch ders. Nr. 18 (a.a.O. Sp.288/9) und Poemen 11 (a.a.O. Sp.324/5).

Mensch

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Besario zusammen mit dem Verurteilten, geht mit ihm hinaus und sagt: „Auch ich bin ein Sünder!" 184 Indem er sich demonstrativ neben ihn stellt, macht er deutlich, daß man nicht die fremden Sünden richten, die eigenen aber übersehen dürfe 185 . Seine Geste versichert den Exkommunizierten der Solidarität, warnt aber die anwesenden Brüder, sich über den Nächsten zu erheben. Die grundsätzliche Mahnung, den Bruder nicht zu richten, wird in dieser Zeichenhandlung konkretisiert. Wie ein roter Faden zieht sich das Verbot des Richtens, das an die Bergpredigt anknüpft, durch die Apophthegmata Patrum und erweist sich damit als eine der zentralen Forderungen der Anachoreten 186 . Macarius gilt seinen Brüdern als ein „irdischer Gott", weil er die Schwächen, die er bei anderen wahrnimmt, ebenso zudeckt, wie Gott die Welt schützend bedeckt 187 . Der ihm zugedachte Titel ist überraschend, er verdeutlicht jedoch, was durch das Verhalten des Macarius geschieht: es bringt Gottes Vergebung zur Erfahrung und führt im monastischen Leben zur Anschauung, was in der Schrift zugesagt ist. Abbas Ammonas schließlich wird gerühmt, weil er selbst nach seiner Wahl zum Bischof niemanden zu verurteilen wagt 188 . In der Uberzeugung, daß es nicht das Unrecht aufzurechnen, sondern Mut zur Umkehr zu machen gilt, stehen die Mönchsväter denen, die einer Verfehlung beschuldigt werden, zur Seite189. Anders als die kirchliche Bußpraxis legen sie das Augenmerk darauf, sich nicht von dem Sünder, sondern von seiner Sünde, sich nicht von dem Kranken, sondern von dessen Krankheit zu trennen 190 . In diesem Bild der Amma Syncletica klingt die für den Umgang mit der Sünde so wichtige Unterscheidung von Per184 Besario 7 (a.a.O. Sp. 141); ein ähnliches Verhalten zeigt Lot 2 (a.a.O. Sp.256). „Die Sündenerkenntnis gibt der Gnade Raum, die den Menschen zu sich selbst kommen läßt, indem sie ihn über sich erhebt." (H.Dörries, Beichte, S.235). 185 Vgl. auch Moyses 2 (a.a.O. Sp.281), Pior 3 (a.a.O. Sp.373/6) und Macarius Aegyptius 3 (a.a.O. Sp.261/4). P.Nagel bezeichnet dieses Verhalten als einen die anachoretische Uberlieferung kennzeichnenden „Motivkreis parabolischer Handlungen." (Handlungen, S. 331 f.). 186 Vgl. etwa Agathon 18 (PG 65, Sp. 113); Ammonas 8. 10 (a.a.O. Sp. 121/4); Joseph in Panepho 2 (a.a.O. Sp.228); Hieracus 1 (a.a.O. Sp.232); Joannes Persae 1 (a.a.O. Sp.236); Isaac Thebaeus 1 (a.a.O. Sp.240); Macarius Aegyptius 28 (a.a.O. Sp.273); Moyses 14f. (a.a.O. Sp.288); Marcus Aegyptius (a.a.O. Sp.304); Macarius urbicus 2 (a.a.O. Sp.304/5); Poemen 23. 64. 113. 131 (a.a.O. Sp.328. 337. 352. 356); Paphnutius 1 (a.a.O. Sp.377). 187 Macarius Aegyptius 32 (a.a.O. Sp.273D). H.Dörries bemerkt dazu: „Das ist mehr als das Schweigen des Büßers...; es ist wie ein Teilhaben an der Güte des Schöpfers, der seiner Kreatur zu leben schenkt und zudeckt, was das Leben zerstört." (Beichte, S.234). 188 Ammonas 8 (PG 65, Sp. 121). 189 Theodorus Phermae 4 (a.a.O. Sp. 188); Lot 2 (a.a.O. Sp.256); Macarius Aegyptius 3 (a.a.O. Sp.261/4); Poemen 93 (a.a.O. Sp.344/5); Verba seniorum V, 17,14; V,5,27 (PL 73, Sp. 8 8 0 C / D ; 975 C/D). 1,0 Syncletica 13 (PG 65, Sp.425).

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son und Werk an. Weil die Anachoreten in der Begegnung mit dem fehlenden Bruder in erster Linie der eigenen Fehlbarkeit innewerden, besteht ihr Kampf gegen das Böse darin, die eigenen Sünden zu hassen, dem Nächsten aber Gerechtigkeit zukommen zu lassen 191 . Insgesamt spiegeln die Apophthegmata Patrum ein Leben wider, das wesentlich von der Bereitschaft zur U m k e h r und Buße geprägt ist. Im Unterschied zu der Vita Antonii, die ihren großen Eremiten wegen seines schon zu Lebzeiten vollkommenen Wandels niemals als Büßer auftreten läßt 192 , betonen die Mönchsväter in ihrem Selbstzeugnis, der Anachoret müsse täglich oder sogar stündlich einen neuen Anfang machen 193 . N o c h in der Sterbestunde sieht Sisoes sich zur U m k e h r berufen, weil er in Demut erkennen muß, trotz aller Bemühungen noch nicht einmal den Anfang gemacht zu haben 194 . Es ist das erklärte Ziel des Anachoreten, das Leben in Umkehr und Buße zuzubringen 1 9 5 . Wollen ihm aber seine Gedanken einreden, damit zu warten und erst später umzukehren, soll er ihnen, wie ein unbekannter Abbas gebietet, widerstehen und sprechen: „Nein, heute will ich Buße tun, morgen aber geschehe Gottes Wille." 196 bb) Johannes Cassian Auch f ü r Johannes Cassian ist die Erfahrung der Sünde untrennbar mit der Forderung verbunden, das Leben nunmehr neu zu orientieren und zu Gott umzukehren. Wie die Anachoreten spricht er deswegen von der Notwendigkeit eines Kampfes gegen die feindlichen Bedrohungen; und er ermahnt seine Leser, insbesondere anhand der Achtlasterlehre, den Versuchungen zu widerstehen. T r o t z dieser grundsätzlichen Ubereinstimmung wird jedoch die Akzentuierung der U m k e h r f o r d e r u n g nicht unwesentlich verändert, indem Cassian sie auf die könobitische Lebenssituation ausrichtet und zugleich theologisch systematisiert 197 . Was den ersten Aspekt, die Anbindung der U m k e h r an das Könobium, 1,1 Poemen 142 ( a . a . O . Sp.357); vgl. ders. Nr. 148 ( a . a . O . Sp.357/60); Achilas 1 ( a . a . O . Sp. 124); O r 12 ( a . a . O . Sp.440). Das schließt die T r e n n u n g von dem Bruder nicht aus, wenn dieser zum Anlaß eigener Verfehlungen wird (Agathon 23; a . a . O . Sp. 116). Sisoes jedoch ist bereit, f ü r den gefallenen Bruder fürbittend vor G o t t einzutreten (Nr. 12; a . a . O . Sp.396). 192 So H . Dörries, Vita Antonii, S. 181. 1,5 Das Motiv des Anfangens findet sich o f t in der Apophthegmenüberlieferung: Arsenius 3 (PG 65, Sp. 88); Esaias 2 ( a . a . O . Sp. 181); Poemen 85 ( a . a . O . Sp.341); P a m b o 8 ( a . a . O . Sp.369); Silvanus 11 ( a . a . O . Sp.412); Hist. Laus. Kp.10 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.31, 16f.). Vgl. dazu B.Steidle, „ H o m o Dei Antonius", S. 119f. 1.4 Sisoes 14 (PG 65, Sp.396). 1.5 Debet monachus quotidie mane, et sero cogitare in semetipso, quid fecit eorum quae vult Deus, et quae non fecit. Et ita tractantem omnem vitam suam poenitentiam agendo monachum esse oportet. (Verba seniorum V, 11,39; PL 73, S p . 9 3 8 D ) . 1.6 Verba seniorum V, 11,44 (PL 73, Sp.939B). 1.7 Vgl. O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 9 3 f f .

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betrifft, unterscheidet Cassian eine dreifache Gestalt der Umkehr: die der Entsagung, der Abtötung sowie der Buße. Die Entsagung („abrenuntiatio") wird mit dem Eintritt in die Klostergemeinschaft gefordert und in dem Gelübde vom Novizen, analog zum Taufversprechen, unauflöslich bekannt 1 9 8 . Sie beschränkt sich jedoch nicht auf die in der Besitz-, Geschlechts- und Nahrungsaskese zum Ausdruck kommende leibliche Entsagung, sondern f ü h r t über sie hinaus: nachdem der M ö n c h jeglichen Besitz hinter sich gelassen hat, soll er sodann auch die bisherigen Gewohnheiten ablegen und schließlich seinen Geist auf das Zukünftige ausrichten 199 . Die „abrenuntiatio" setzt den M ö n c h damit auf einen Weg, der - gebunden an die klösterliche Lebensform - von der Orientierung an das Sichtbare zur Betrachtung des Unsichtbaren, von der körperlichen Entsagung zu der des Herzens hinüberführen soll 200 . Diese Spiritualisierung der Entsagung sowie ihre Aufgliederung in einen mehrstufigen, aufwärtsführenden Weg entspricht der von Evagrius Ponticus in das Mönchtum eingebrachten Glaubenshaltung des Orígenes, in der zwischen einem aktiven und einem kontemplativen Leben unterschieden wird 201 . In dem aktiven Leben, das von Cassian als „perfectio actualis" beschrieben wird, geht es vor allem um die Zurückweisung der acht „vitia principalia" und um die Aneignung der ihnen entgegengesetzten Tugenden 2 0 2 . O b sich der Mönch in die Einsamkeit des Kellions oder in ein Kloster begibt oder ob er den Dienst an Kranken vorzieht 203 , das bedeutet prinzipiell keinen Unterschied, wenn es nur „um der Erfahrung der Wirklichkeit Gottes willen" geschieht 204 . Damit hebt Cassian den Dienstcharakter der „vita activa" hervor und unterstreicht, daß sie die Voraussetzung f ü r die Entfaltung monastischer Spiritualität darstellt. Das kontemplative Leben, das auf dem Vorgenannten aufbaut, wird von

1,8 „If the ascetical life was a living martyrdom, then the act by which the m o n k bound himself irretrievably to that life was also a second baptism which forgave all sin." (E. Malone, M o n k , S. 120 f.). Coll. 111,6,1. H . O . W e b e r weist an dieser Stelle eine „buchstäbliche Abhängigkeit von Evagrius nach (Stellung, S . 5 0 f . ) . 200 Coli. 111,7,2 (CSEL 13, S . 7 5 , 1 f.). 201 Vgl. d a z u K. Rahner, Lehre, S. 21 ff.; A. u . C . G u i l l a u m o n t , Evagrius Ponticus, in: R A C Bd.6, Sp. 1 0 8 8 f f . bes. 1101 f.; H . B a c h t , Euagrios Pontikos, S . 4 2 f f . ; K.Rahner, Problem, S . 6 5 f f . ; M . O l p h e - G a l l i a r d , Vie contemplative, S . 2 5 2 f f . ; O . C h a d w i c k , Cassian 2. Aufl., S . 8 4 f . 8 8 f f . , sowie H . O . W e b e r , Stellung, S . 5 6 f . 202 C o l l . X I V , 3. D . v o n N a g e l beschreibt diesen P r o z e ß „als ein W e g g e h e n von Sünde und L e i d e n s c h a f t . . . zu einem immer größeren Eins- und Einfachwerden" (Puritas cordis, S. 142). 203 C o l l . X I V , 4 . H . O . W e b e r verweist auf eine Vorstufe dieses Gedankens im Alphabetikon, beobachtet jedoch bei Cassian „eine W e n d u n g z u m Klostermilieu". (Stellung, S. 111). 204 U . R a n k e - H e i n e m a n n , M ö n c h t u m , S.40.

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Die Entfaltung monastischer Theologie

Cassian als „spiritalis scientia" näher gekennzeichnet 205 . Das geistliche Wissen äußert sich zunächst in einem vertieften Schriftverständnis, das aus der inneren Erneuerung des Menschen („innovatio mentis") erwächst 206 . Wie dies im einzelnen zu verstehen ist und was es für die Erfahrung Gottes bedeutet, ist bereits ausgeführt worden. Die Bindung der „contemplado" an das unablässige, innere Gebet ist für Cassian auf jeden Fall konstitutiv und Zentrum seiner Spiritualität. Das bedingt ihren spezifischen Erfahrungsbezug, der auch für den Zusammenhang von aktivem und kontemplativem Leben gilt207. Als zweite Gestalt der Umkehr beschreibt Cassian die Abtötung („mortificado"), der er seine letzte Collatio widmet. Mit der „mortificado" nimmt der Mönch das am Anfang des klösterlichen Lebens abgelegte Gelübde auf und macht aus diesem einmaligen Bekenntnis eine täglich neu zu realisierende Aufgabe 208 . Die „abrenuntiatio" soll damit vor der Gefahr eines Lippenbekenntnisses bewahrt und als eine immer wieder zu bewährende Verpflichtung eingeschärft werden. Der Lebensort der „mortificado" ist für Cassian die Klosterzelle: hier, wo keine Zerstreuungen drohen, kann der Mönch zur inneren Reinheit wie auch zur Erfahrung der Liebe Gottes gelangen 209 . Vorbild sind dabei die Anachoreten mit ihrem Rückzug von der Welt; in Analogie dazu bezeichnet er auch den Eintritt in das Könobium als Sterben und deren Klosterzelle als Grab 210 . Im Fortgang der Collatio bestimmt Cassian den Begriff der „mortificado" des näheren. Danach muß das Bestreben, das Kloster verlassen zu wollen, verworfen werden, weil es zu schädlicher Unstetigkeit und innerer Unruhe führe 211 . Gleichzeitig verwirft Cassian jedoch eine unvernünftige und maßlose Askese, indem er an den auch als Antoniuslogion überlieferten Vergleich erinnert, daß ein Jagdbogen nicht überspannt werden dürfe 212 . Mit dieser Einschränkung weist Cassian darauf hin, daß die 205

Coll. XIV, 8. Den Zusammenhang betont P.Th. Camelot: „La vie active (pratique), qui consiste à réformer ses moeurs et à se purifier des vices, est ordonnée comme à sa fin à la vie contemplative (théorétique), qui consiste... dans la contemplation des choses divines et la connaissance des significations les plus sacrées." (Guide de lecture, S. 94). 206 Coll.XIV.11,1 (CSEL 13, S.411,24f.). 207 Für Cassian erwächst die „theoretica puritas" auf dem Fundament der „ethica disciplina", was jedoch nur durch den eigenen Vollzug begreifbar und dem „inexpertus" unverständlich ist (Coll.XIV,9,2/CSEL 13, S.407,20f.; Coll.XIV, 14,1 / a . a . O . S.416,23f.). 208 Coll.XXIV,2,5 (CSEL 13, S.677,9ff.); Coll.XII,4,3 (a.a.O. S.339,13). 20 ' Coll.XXIV, 3; 5 f.; 12. 210 Coll.XXIV,2; 9,3; 12f. H . O . W e b e r folgert daraus: „Das Wüstenmilieu des Apophthegmas wird von Cassian als Ideal in sein Klostermilieu übertragen." (Stellung, S. 110). 211 Coll. XXIV, 5,2 (CSEL 13, S. 679,17 ff.). 212 Coll.XXIV,21 in Anknüpfung an Antonius 13 (PG 65, Sp.80). Vgl. auch Coll. XXI, 25,1 (CSEL 13, S.600,9) und XXIV, 19,1 (a.a.O. S.695,4f.).

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„mortificado" kein Untätigsein bedeutet, sondern Handarbeit, Gebet, Schriftmeditation, vor allem aber Askese und Nachtwachen einschließt 213 . Die „mortificado" bedeutet darum keine dualistisch begründete Verachtung oder Zerstörung des Leibes, „sondern sein lebendiges Gottzurverfügungstehen, seine immer neue Bewahrung in der Freiheit von jener Verfallenheit, die in der Verkehrung seiner geschöpflichen Bindung an Gott in Selbstgebundenheit und Selbstherrlichkeit besteht." 214 . Wer aus dieser Bereitschaft heraus lebt, dem ist nach Cassians Uberzeugung Lohn zugesagt: zeitlicher Lohn insofern, als der Entsagende in den Versuchungen nicht wieder schwach wird und in einer Gemeinschaft von Brüdern Halt findet 215 ; ewiger Lohn aber deswegen, weil die in diesem Leben erworbenen Verdienste auch nach dem T o d e nicht verloren gehen werden 216 . Hier zeichnet sich im Unterschied zur Uberlieferung des anachoretischen Mönchtums deutlich die Tendenz ab, die als „mortificado" verstandene tägliche Umkehr als eine Voraussetzung der Heilserfahrung zu verstehen, nicht aber als eine Gestaltwerdung derselben. Die dritte Ebene der monastischen Umkehr ist die Buße („paenitentia"). Cassian beschreibt sie, was bei der Zielsetzung seiner Schriften nicht verwundert, als ein öffentliches, klösterliches Strafinstitut, mit dem Regelverstöße und andere Vergehen geahndet werden. Damit knüpft er an das Vorbild der pachomianischen Regeln an, in denen die öffentliche Buße als Strafe bei Übertretungen der Klosterordnung vorgesehen ist 217 . Cassian nennt für seine Klöster in Marseille als Beispiele strafwürdiger Vergehen folgendes: Verspätungen bei Gottesdiensten oder bei der Arbeit; fehlerhafter Vortrag beim Psalmengesang; Privateigentum; das Zerbrechen eines Küchengefäßes; mangelnder Gehorsam und anderes mehr 218 . Die Aufzählung macht keinen vollständigen Eindruck. Wichtiges steht neben Unwichtigem. Entscheidend ist aber, daß Regelverstöße welcher Art auch immer die als Strafe verstandene Buße nach sich ziehen, was den zeitweiligen Ausschluß aus der Klostergemeinschaft, d. h. von ihrem Gebet und ihrer Eucharistiefeier, bedeutet 219 . Nur wenn der Mönch bestimmte 213 Coli.III,7,3 ( a . a . O . S . 7 5 , 2 3 f f . ) ; C o l l . X X I V , 4 ; 7; 11 f. Cassian nimmt damit Intentionen des Orígenes auf (so O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S . 8 3 f . ) . 214 U. Ranke-Heinemann, Mönchtum, S. 39. Daß Cassian nicht dualistisch denkt, zeigt beispielsweise seine Haltung zu den Speisen, die er trotz Fastenforderung als von Gott „zum dankbaren Genuß für die Gläubigen" geschaffene Güter ansieht. ( C o l l . X X I , 13). 215 C o l l . X X I V , 2 4 , 7 ( C S E L 13, S.702,20ff.); X X I V , 2 6 , 3 ( a . a . O . S.705,22f.). 2 " Coli.III,8,1 ( a . a . O . S.79,17f.); C o l l . X X I V , 2 , 4 ( a . a . O . S.677,8f.); X X I V , 1 1 , 2 ( a . a . O . S.685,13). 2 . 7 Vgl. Pachom Praecepta 8. 17. 31 f. 121. 125. 131. 136. 144; Praecepta atque Instituía 6. 8. 11 f.; Praecepta atque Iudicia 12 (A.Boon, Pachomiana latina, a . a . O . ) . Vgl. dazu A . d e Vogüé, Terminologie, S. 7 ff.; H . Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S. 149 Anm. 147 und S. 272 Anm. 59. 2 . 8 Inst. II, 15,2; 111,7; IV, 13; 16; 20; VII,4. 2 " Inst. II, 16; Coll. X X I I , 5,4.

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Die Entfaltung monastischer Theologie

Bußleistungen erbracht hat, kann er Wiederaufnahme erlangen: er legt sich auf den Boden und bittet während des Gottesdienstes in dieser demütigen, aber auch demütigenden Haltung die Gemeinschaft der Brüder um Vergebung. Dem Abt obliegt es daraufhin, die „satisfactio" des Büßers zu akzeptieren und „reconciliado" zu gewähren 220 . Cassian verschärft dieses disziplinarische Verständnis der Buße, das sich naturgemäß nur auf die bekanntgewordenen Vergehen beziehen kann, durch die Verpflichtung zur „paenitudo cotidiana" 221 . Er verweist dazu auf die Erfahrung, daß der Mönch jeden Tag - „wie nach einem Naturgesetz" - aus Unwissenheit oder Nachlässigkeit Fehltritte begeht, und er fügt hinzu, daß diese auch dann, wenn sie unbemerkt bleiben, den Betreffenden schuldig sprechen 222 . Mit Blick auf diese kleineren Tat- oder weitaus gewichtigeren, aber eben unzugänglichen Gedankensünden betont er: „Die heilsame Zerknirschung der Buße darf niemals fehlen." 223 Für Cassian heißt dies konkret, daß der Mönch durch Werke der Liebe, durch Almosen, durch Tränen oder ein Sündenbekenntnis, durch die Änderung des Lebenswandels oder durch Gebete Sühnung und Vergebung vor Gott erstreben soll224. Auffallend ist, daß in diesem Zusammenhang die Taufe als Mittel der Sündenvergebung zwar genannt, gleichzeitig jedoch in ihrer Bedeutung für das monastische Leben spürbar relativiert wird. Nicht zufällig erinnert Cassian an die sündentilgende Wirkung des Martyriums, die der Taufe nicht nachsteht, und gibt damit als Assoziation das Mönchtum als geistliches Martyrium 225 . Desgleichen fügt er hinzu, daß die Taufe als „gratia generalis" nur die kleineren Vergehen einschließe, die sog. Hauptsünden aber nicht vergeben könne: von ihnen reinige nicht mehr die „cotidiana gratia Christi", sondern nur „eine langdauernde Bedrängnis der Buße" 226 . Allein denen, die in „paenitentia" über ihre Taten verharren, werde das Heilswort erneut zuteil werden 227 . Die Buße hat im Verständnis Cassians demnach den Charakter einer Genugtuungsleistung. Stellt sie in der einen Hinsicht die eucharistische Gemeinschaft wieder her, so bewirkt sie in anderer Hinsicht die Versöhnung Gottes. Beides ist also durch die Taufe nicht endgültig besiegelt, 220

Inst.II, 16; 111,7,1; IV, 13; 16,1. Das Verfahren bei Pachom wird in Praecepta 8 sowie in Praecepta atque Instituía 8 beschrieben (dazu H.Bacht, Vermächtnis Bd. 2, S. 130, Anm. 47; S. 131, Anm.50 und S.241, Anm.47). 221 Coll.XXII, 13,2 (CSEL 13, S. 632,15). 222 Coll.XX, 12,2f. (a.a.O. S.569,11). 223 Coll.XX, 12,1 (a.a.O. S.568,24f.). Vgl. auch Inst.IX,9f.; 12; Coll.IV, 13,1; 14; XX,6,1. 224 Coll. IX, 29 f. 225 Vgl. dazu E.Malone, Monk, S. 118. 226 Coll.XX,8,1 (CSEL 13, S.561,9f.); XXIII, 15,2 (a.a.O. S.661,13f.). 227 Coll.XIV, 17,3 (a.a.O. S.422,20ff.).

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sondern bedarf nach erneuter Verfehlung der Buße des Menschen - nicht als „paenitentia secunda", die in der Alten Kirche als einmaliges Zugeständnis verstanden wurde, sondern als wiederholbare, von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängige Möglichkeit: „Die Güte des Herrn begleitet unsere Bemühungen mit Freigebigkeit und gewährt die ,gratia satisfactionis', wenn das Streben nach ,mortificado' vorausgegangen ist." 228 Der Einfluß abendländischen Rechtsdenkens wird an dieser Stelle besonders deutlich. Indem Cassian die Buße als „satisfactio" versteht, lehnt er sich an die disziplinarische Praxis der Gemeinden an und bringt sie in der Lebenssituation des Könobiums zur Anwendung. Cassians Verständnis der Buße beruht auf theologischen Vorentscheidungen, die sich aus der Frage ergeben, wie sich das Wirken der göttlichen Gnade zum freien Willen des Menschen verhält. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das der Dämonenlehre zugrundeliegende Weltbild: danach ist die Sünde schon vor der Schöpfung der sichtbaren Welt durch den Sturz himmlischer Wesen entstanden, erst aber durch den Fall Adams auf die nachfolgenden Menschen übertragen worden: auch wenn sie die ihnen ursprünglich zugedachte „potestas liberi arbitrii" nicht vollständig verloren haben, werden nun alle von der „infirmitas omnium vitiorum" erfaßt 229 . Mit dieser Theorie eines doppelten Falls, deren Ursprung sicher auf Orígenes zurückgeführt werden kann, verfolgt Cassian in den Instituta, in denen er sich zum ersten Mal zum Problem des freien Willens äußert, theologisch nur ein Ziel: er will belegen, daß das Heil und die Vollkommenheit des Menschen allein Gottes Sache ist 230 . Weil der Mensch in seiner „infirmitas" aus sich heraus nichts vermag, soll er das Handeln Gottes in D e m u t empfangen und sich immer vor Augen halten, daß Gott das Wollen und das Vollbringen bewirkt (Phil 2,13) 231 . Zur Bekräftigung seiner Argumentation f ü h r t Cassian Schrift- und Väterzitate an und resümiert: „Wir müssen nicht nur glauben, daß wir die Vollkommenheit an sich nicht durch unser Bemühen erlangen können, sondern daß wir auch nicht einmal das, was wir ihretwegen üben, nämlich unsere Anstrengungen und Versuche und unseren Eifer ohne die Hilfe des göttlichen Schutzes... vollbringen können." 2 3 2 Mit diesen Worten, die gewissermaßen den Abschluß seines ersten mo229

C o l l . X X , 8 , 9 (a.a.O. S . 5 6 5 , i f f . ) . Inst.XII,4f.; 18; Coll.VIII,7ff.; 25. Vgl. A.Hoch, Lehre, S.34ff. 230 Inst.XII, 11,3 (CSEL 17, S.213,23). „Here is absolute dependence upon grace. Ascetic practices, conversion, progress, perfection, all are impossible without grace. And there is no minimizing of the meaning of grace." (O.Chadwick, Cassian 2. Auf., S. 113). Vgl. auch D.J. Macqueen, John Cassian, S. 5 ff. 231 Inst.XII,8,3; 9; 23 (CSEL 17, S.211,25ff.; 212,6ff.; 222,25ff.). 232 Inst.XII, 16 (a.a.O. S.216,20ff.). 229

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Die Entfaltung monastischer Theologie

nastischen Werkes bilden, stellt Cassian den Aufruf zur Umkehr grundsätzlich unter das Vorzeichen der Gnade. Die klösterliche Entsagung und das tägliche Bemühen, sich von den Verfehlungen abzuwenden, verdanken sich nach dieser frühen Äußerung Cassians dem Wirken Gottes: weil er sich des Menschen erbarmt, kann dieser trotz seiner „infirmitas" zur Umkehr finden. Diese Theologie der Gnade bleibt jedoch nicht das letzte Wort zur Frage des freien Willens. Nachdem der Streit um die augustinische Prädestinationslehre 233 Südgallien erreicht hat, greift Cassian das Thema erneut auf. Nun kommt es zu einem Gegenüber zweier Positionen. Auf der einen Seite gilt unverändert die Überzeugung, daß ohne die Hilfe Gottes kein Mensch etwas Gutes zu tun vermag: Gott beginnt nicht nur das Gute, sondern er führt es auch aus und vollendet es234. Sein universaler Heilswille ruft alle Menschen ohne Ausnahme zu sich; verläßt er aber den einen oder anderen, so vermag dessen Bemühen nichts und er muß erkennen, daß es der menschlichen Natur unangemessen ist, zur Vollkommenheit zu gelangen 235 Auf der anderen Seite setzt Cassian sich mit seinen Kritikern unter den Mönchen auseinander, die ihm eine „destructio liberi arbitrii" vorwerfen. Ihnen gegenüber betont er ausdrücklich die Bedeutung des freien Willens als eine Voraussetzung des göttlichen Gnadenwirkens und sagt: wenn Gott nur „ein Fünklein des guten Willens" im Menschen sieht, pflegt und stärkt er diesen Ansatz durch seine „inspirado" 236 . Hatte Cassian früher deutlicher das Unvermögen der menschlichen Natur unterstrichen, so hebt er nun deren unverändert positive Möglichkeiten hervor: Gott hat den Menschen von Natur aus mit der Fähigkeit ausgestattet, gute Willensregungen zu entwickeln; daraus folgt die Verpflichtung des Menschen, auf die Austeilung der Gnade zu antworten und die Gelegenheit des Heils aufzugreifen 237 . Die „libertas" des menschlichen Willens ist durch den Fall eben nur geschwächt, nicht aber zerstört worden; deswegen wird von Gott ein jeder nach dem Maß seines Geistes zu verschiedenen Graden der Vollkommenheit gerufen 238 . Was ergibt sich daraus für das Verhältnis von göttlicher Gnade und 233

Vgl. dazu N.K.Chadwick, Poetry, S.22Iff.; A.Hoch, Lehre, S. 19ff. 69ff.; O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S.117f.; R.Schwager, Gnade, S.257ff. 234 Coll.XIII,3,5 (CSEL 13, S.364,21); V,15,2 (a.a.O. S. 139,22ff.). A . H o c h sieht in diesen und ähnlichen Stellen den „Gedanken der absoluten Ursächlichkeit Gottes" ausgesprochen (Lehre, S. 85). 235 Coll. XIII, 7,3; vgl. auch Coll. II, 1 ; III, 4 f.; 10; 15; IV, 6,1 ; XII, 15,3. O. Chadwick stellt darum von Coll. XIII fest: „Often it sounds more like a hymn in praise of God's grace." (Cassian 2. Aufl., S. 120). 236 Coll.XIII,7,1; 8,4 (CSEL 13, S. 369,1 f.; 371,23 f.). 237 Coll. 1,17,1; 111,12,1; 19,1; XIII, 9; XXIII, 12,4. 238 Coll.III, 12; 16; VH,3f.; 8,2; XIII, 10; 12,5.

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menschlichem Willen? Cassian bekennt in seiner Coll.XIII, die den entschiedenen Widerspruch des augustinisch beeinflußten Theologen Prosper von Aquitanien hervorrief 239 , daß es für ihn nicht leicht gewesen sei, das Problem „humana ratione" zu begreifen 240 . In diesem rational orientierten Erklärungsansatz, der von der anthropologischen Gegebenheit des freien Willens ausgeht, liegt denn auch seine Schwierigkeit begründet. Indem er nämlich beide Positionen einander gleichberechtigt gegenüberstellt, kommt er in seiner Antwort über ein vermittelndes „sowohl-als auch" nicht hinaus: Gott lasse sich von dem Suchenden finden, ziehe aber auch den Widerstrebenden zum Heil; der Mensch könne sich aus eigenem Antrieb zu den Tugenden erheben, müsse dabei immer wieder aber auch von Gott unterstützt werden 241 . Beide Tendenzen werden von ihm in der Feststellung zusammengefaßt, daß die göttliche Gnade und der menschliche Wille übereinstimmen („concordare"), zusammenwirken („cooperare") sowie miteinander vermischt („permixta atque confusa") auftreten 242 . Zur Absicherung seiner Darlegungen beruft Cassian sich auf die Autorität „aller katholischen Väter" und behauptet, schon sie hätten definiert, es sei Sache der göttlichen Gnade, den Menschen so zum Guten zu führen, daß der freie Wille dabei vollständig bewahrt bleibe. Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, knüpft er damit an das Denken der Leriner Schule an und macht sich ihr von Vinzenz formuliertes Traditionsargument zu eigen243. Damit aber weist er faktisch die augustinische Gnaden- und Prädestinationslehre, obwohl er sie mit keiner Silbe anspricht, als unzulässige Neuerung zurück 244 . Eine kritische Würdigung der Argumentation Cassians wird im Auge zu behalten haben, daß er als Mönchslehrer in praktischer Absicht geschrieben hat: ihm geht es darum, das asketische Streben seiner Mönche theolo239 Liber Contra Collatorem (PL 51, S.213-278). N.K.Chadwick nennt Prosper „a partisan of Augustine's views on Predestination". (Poetry, S. 172). Vgl. auch D.Franses, Prosper, S. 145ff.; Ph. Rousseau, Ascetics, S.231 ff. und O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 123f. 129ff. 240 Coll.XIII,9,1 (CSEL 13, S.372,7); XIII, 18,5 (a.a.O. S.396,6ff.). 241 Coll. XIII, 9,1; 9,4. 242 C o l l . X I I I , l l , 4 (CSEL 13, S.377,17); XIII,13,1 (a.a.O. S.382,25); ebenso auch in Coli.III, 12,2 (a.a.O. S.84,15). Im Heilswerk sind Gnade und freier Wille darum „indiscrete permixta atque confusa" (Coll.XIII, 11,1; a.a.O. S.375,23f.). Ph.Rosseau interpretiert Cassians Anliegen folgendermaßen: „He wished to create an image of divine authority that did not clash with the image of human authority demanded by his interpretation of the ascetic life" (Ascetics, S.233). 243 Coll.XIII, 18. Cassian widmet im übrigen den 2. Teil der Collationes Bischof Honoratus von Lerin. 244 Coll.XIII, 12,5 (CSEL 13, S.379,20f.); vgl. auch Coli.III, 19; VII,4; VIII,23,1; XIII, 12,7. O.Chadwick begründet den theologischen Gegensatz zwischen Augustin und Cassian mit der „diversity of experience", nach der Augustins Lebenslauf von einem tiefen Bruch, Cassians aber von einer sich allmählich vertiefenden Christlichkeit gekennzeichnet ist. (Cassian 2. Aufl., S. 126f.).

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D i e Entfaltung monastischer T h e o l o g i e

gisch zu begründen. Von seinem monastischen Erfahrungshintergrund aus hält er an der Uberzeugung fest, daß der Mensch auch nach dem Sündenfall über die Fähigkeit zum Guten („possibilitas boni") verfüge und deswegen auf seine Verantwortlichkeit hin angesprochen werden könne 2 4 5 . Zwar versichert Cassian einmal, daß selbst ein Heiliger nur durch die Gnade Gottes („sola gratia domini") gerechtfertigt werden könne 246 , doch wird diese exklusive Formulierung immer wieder durch die Besorgnis in Frage gestellt, der Mönch werde in Mißachtung der ihm von N a t u r aus eigenen Möglichkeiten zur U m k e h r in seinem asketischen Streben nachlassen und Untätigkeit mit Gottvertrauen verwechseln 247 . Vergleichen wir diese späten Äußerungen Cassians mit denen aus den Instituía, so werden Akzentverschiebungen sichtbar. Aus einer eher christologischen Interpretation der Umkehr, die den Vorrang der Gnade unterstreicht, ist eine stärker schöpfungstheologische geworden, die die naturgegebenen Möglichkeiten des menschlichen Willens hervorhebt. Dem entspricht es, daß die theologische Argumentation auf das praktische Interesse, eine Anleitung zum monastischen Leben zu geben, nicht nur ausgerichtet, sondern von ihm auch inhaltlich abhängig ist und darum eher einen legitimatorischen als wirklich begründenden Charakter hat. Schließlich macht sich auch das lateinische Denken bemerkbar, wenn göttliches und menschliches Wirken gewissermaßen miteinander verrechnet werden, wie es in den Begriffen „satisfactio" oder „meritum" zum Ausdruck kommt. Zweifellos ist es die Absicht Cassians, ausgehend von der E r f a h r u n g der Sünde den Mönch zu einem Leben in U m k e h r und Buße zu führen. Die unausgesprochene Abgrenzung von der augustinischen Gnadenlehre hat jedoch bei ihm zur Folge, daß das Wirken der Gnade Gottes an menschlicherseits zu erbringende Voraussetzungen gebunden wird. Zwar ließen sich auch bei den Anachoreten entsprechende Tendenzen beobachten, doch kommen sie bei Cassian sehr viel deutlicher zur Geltung, weil sie nun in dem Gewand einer theologischen Lehre auftreten. Grundsätzlich hält Cassian daran fest, daß es sich bei den beschriebenen Fragen um ein Problem der Erfahrung handelt, das logisch nur schwer zu entwirren ist. Indem er aber gleichzeitig den Versuch unternimmt, „humana ratione" vorzugehen, gelangt er wider Willen zu einer Theologie der „cooperado ho245 „The w h o l e purpose of the work is to stimulate the Christian, and especially the progressive Christian monk, to patient, life-long effort und endeavour. Perfection must be w o n with ceaseless toil and pain; but it can be won, and by all, and man's concern is his o w n part in the struggle." ( N . K . C h a d w i c k , Poetry, S.223). Ähnlich A . H o c h , Lehre, S. 109. 246 C o l l . X X I I , 13,7 (CSEL 13, S . 6 3 4 , 2 ) . Ebenso Inst.XII, 11,1 (CSEL 17, S . 2 1 3 , 3 f . ) . 247 C o l l . X X , 5 , 1 f.; 7,2; 11,1. „His ( = Cassians) great fear was that experience w o u l d not play a sufficient part in the formulation of theological positions." (Ph. Rousseau, Ascetics, S.231 unter Hinweis auf Coll.XIII, 18,1).

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minis cum deo", die als Semipelagianismus in die Theologiegeschichte eingegangen ist248. cc) Benedikt von Nursia Deutlicher als in der vorausgehenden monastischen Tradition ist in der Regula Benedicti die Erfahrung der Sünde mit der Erwartung des Gerichts verbunden. Oft erinnert Benedikt seine Mönche daran, daß sie dereinst Rechenschaft werden ablegen müssen 249 . Häufiger noch sagt er dies den klösterlichen Amtsträgern, denen Verantwortung übertragen wurde 250 . Die Furcht vor der Begegnung mit dem zornigen Gott wird laut und läßt das aus der Sündenerfahrung erwachsende Lebensgefühl erkennen, das sich in Tränen und Seufzern nach außen kundtut 251 . Benedikt bleibt jedoch, wenn er von den Verfehlungen des Menschen spricht, nicht bei der Gerichtsperspektive stehen. Seine eigentliche Intention spiegelt sich vielmehr in einem Prophetenwort wider, das schon in den Apophthegmata Patrum und bei Cassian von Bedeutung gewesen ist: „Nicht will ich den Tod des Sünders, sondern daß er umkehrt und lebt."252 Diese Forderung der Umkehr durchzieht die Regula Benedicti. Sie wird programmatisch erhoben in dem - unabhängig von der Magisterregel formulierten - Eingang zum Prolog, wo Benedikt seinem Leser zuruft: „Kehre durch die Arbeit des Gehorsams zu ihm zurück, von dem du dich durch die Trägheit des Ungehorsams entfernt hast." 253 Mit dieser Formulierung gibt er eine bildliche Umschreibung des Sündenfalls und der aus ihm zu ziehenden Konsequenz: der Umkehr. Im weiteren Verlauf der Regel entfaltet Benedikt das Motiv der Umkehr wie die monastische Tradition als eine an jeden einzelnen gerichtete Aufforderung, von seinem Eigenwillen abzukehren („deserere"), ihm zu entsagen („abrenuntiare") und Christus durch „die Waffen des Gehor248 Daß diese Einordnung jedoch zu pauschal ist und vom Zeithintergrund her relativiert werden muß, macht Camelot deutlich. Er fragt: „Mais faut-il donc taxer Cassien de ,semi-pélagianisme' ? Il ne semble pas, si on replace les Conférences dans le milieu lérinien du V e siècle, en réaction contre certains excès de l'augustinisme, et si on se rappelle que les docteurs de la perfection, pour stimuler le zèle de leur disciple, font appel à toutes les ressources de sa volonté." (P.Th.Camelot, Guide de lecture, S.97). So auch O.Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 127. 249 RB 2,6; 4,44.76; 7,39. 64. 250 RB 2,9. 34. 37 f.; 3,11; 31,9; 55,22; 63,3; 64,7; 65,22. 251 RB Prol.7; 4,57; 5,3; 20,3; 27,7; 49,4; 52,4. 252 RB Prol.38. Das Zitat von Ez.33,11 findet sich auch bei Paulus simplex (PG 65, Sp. 385B) und Cassian Coll.XIII,7,2 (CSEL 13, S.369,12f.). 253 Der stilistische Parallelismus dieses Verses unterstreicht, wie I.Herwegen gezeigt hat (Sinn und Geist, S.23), den Gedanken der Umkehr: Ut ad eum/per oboedientiae/laborem/redeas/ a quo/per inoboedientiae/desidiam/recesseras. (RB Prol.2).

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sams" zu dienen („militare") 254 . Auch weist er auf die Notwendigkeit des Verzichts („abstinentia") und der Zerknirschung („conpunctio") hin255. Zwar wird der bei Cassian zentrale Begriff der Abtötung („mortificado") nicht mehr genannt, doch läßt Benedikt keinen Zweifel daran, wie sehr gerade auch der Mönch von den Sünden noch nicht frei ist und darum der Umkehr bedarf. Wenn er es bei dieser allgemeinen Beschreibung der Umkehr beläßt, so ist das ein Ausdruck dafür, daß Benedikt auf einen zu seiner Zeit bestehenden inhaltlichen Konsens zurückgreifen kann. Das heißt hinsichtlich der Lebensform: das Könobium ist zwar nicht der einzige, wohl aber „der gewisseste Weg", um die vom Mönch geforderte und im Gelübde bekräftigte Haltung der „conversado" zu verwirklichen 256 . Im Kloster ist es seiner Uberzeugung nach am ehesten möglich, sich zum Besseren zu wenden („converti ad melius") und sich zu reinigen („purgare") 257 . Schließlich nimmt er auch den bei den anachoretischen Mönchsvätern zentralen Begriff der „militia Christi" auf und interpretiert ihn als Dienst, der in der Unterordnung unter die Regel seine konkrete Gestalt erhält 258 . Das Leben in der „scola dominici servitii", in der der Mönch lernt, sich einer Gemeinschaft einzuordnen, führt greifbar vor Augen, was es bedeutet, über den eigenen Willen wie über den eigenen Leib kein Verfügungsrecht mehr zu besitzen 259 . Hier gewinnt die Glaubenserfahrung, daß der Getaufte nicht mehr sich selbst gehört, sondern Gott als Herrn über sich hat, eine konkrete Gestalt und wird in das Leben hinein übersetzt. An die Stelle der Selbstbestimmung tritt nämlich eine doppelte Relation, die den Klostermönch auf der einen Seite vor Gott stehend („coram deo") und auf der anderen Seite im Gegenüber zu allen Gliedern der Klostergemeinschaft („coram omnibus") erfaßt 260 . Beide Verhältnisbestimmungen hängen für Benedikt miteinander zusammen: daß vor Gott alles offenbar ist und er die Regungen des Herzens durchschaut, diese biblisch begründete Uberzeugung wird dort zu einer erfahrenen Gewißheit, wo der Mönch seine Sünden vor dem Abt bekennt und sich einer heilsamen Demütigung RB Prol.3; 5,7. RB 20,3; 36,9; 39,11; 40,4; 49,4 f. Vgl. dazu Chr. Sieben, Einrichtungen, S.56. RB Prol.49; 1,3. 12f.; 21,1; 22,2; 58,1. 17; 63,1. 7; 73,1 f. Vgl. dazu F.Friedrich, Conversalo morum, S. 200-236; Ph. Schmitz, Conversado morum, in: DSp Bd. 2, Sp. 2206-2212; B.Steidle, De conversatione, S. 216-227; M. Rothenhäusler, Conversio morum, in: RAC 3, S. 422-424. » 7 RB 7,30; vgl. RB Prol.36. 47; 2,40; 13,13; 29,1; 43,16. 19; 46,4. Benedikt unterstreicht, daß sich alles Lebensnotwendige innerhalb des Klosters befinden solle, weil es für den Mönch schädlich sei, außerhalb der Mauern herumzulaufen (RB 66,6 f.; 67,7). 258 RB Prol.3.40; 1,2; 2,20; 58,10; 61,10. So E.von Severus, Anthropologie, S.85. 259 RB Prol.45; vgl. RB 33,4; 58,25. Zur Begriffsgeschichte vgl. B.Steidle, Dominici schola servitii, S. 206-215. 260 RB 7,18; 23,3; 45,1; 58,17f.; 70,3. 255

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unterwirft 261 . Auf dem Weg zu dieser Erfahrung sind ihm Menschen zur Seite gestellt: die Klosteroberen ebenso wie die Mitbrüder, die ihre Verantwortung füreinander im gegenseitigen Dienst bewähren 262 . Das Anliegen Benedikts, den Mensch als in verschiedenen Relationen stehend zu erfassen, zeigt sich noch an anderer Stelle. Mehrfach macht er nämlich deutlich, daß beim Mönch das Hören („audire") den Vorrang vor dem Reden („loqui") genießt. Das wird schon in dem programmatischen Satz, mit dem Benedikt seinen Prolog eröffnet, deutlich: „Höre, o Sohn, die Gebote des Meisters, neige das Ohr deines Herzens und nimm die Ermahnung des frommen Vaters gerne an.. ,"263 Auch im weiteren Verlauf der Regel beschreibt Benedikt den Mönch als einen Hörenden, Empfangenden und Entgegennehmenden: er hört die Stimme Gottes, seines Herrn, ebenso wie die Weisungen des Abtes, in denen sie Gestalt gewinnt 264 ; er hört das täglich mehrmals wiederkehrende Zeichen zum Stundengebet und vernimmt in den liturgischen Zusammenkünften die Lesungen und das Vaterunser 265 . Seine Aufgabe ist es vornehmlich, zu schweigen und zu hören; das Reden und Lehren aber kommt dem Abt als „vices Christi" zu 266 . Die Zusammenhänge, in denen vom Hören die Rede ist, zeigen das damit verbundene theologische Interesse: der Mensch, wie Benedikt ihn vor Augen hat, ist nicht der autonome, in sich selbst ruhende Mensch, sondern der, welcher in einer lebendigen Beziehung zu seinem Schöpfer steht. Er ist, wie es E.von Severus formuliert, „vor allem einer, der vom Worte Gottes angerufen und angesprochen wird." 267 Das könobitische Leben, das als eine Einübung in das Hören beschrieben werden könnte, gibt dieser Uberzeugung des Glaubens eine sichtbare Gestalt; es bringt zur Erfahrung, was es heißt, als Geschöpf Gottes zu leben. Mit dieser Akzentuierung des Hörens stellt Benedikt die Entscheidungsfreiheit des Menschen nicht in Frage. Obwohl dieses Problem, dem Cassian einen breiten Raum gewidmet und damit den Anstoß für eine strittige Diskussion gegeben hatte, nicht eigens aufgegriffen wird 268 , läßt sich unschwer erkennen, wie nachhaltig die Regel von der Uberzeugung durchdrungen ist, daß der Mönch mit dem Eintritt in das Kloster die ihm RB 5,17f.; 7,3. 8. 14. 37. 44. 51. 62. 65; 46,5. RB Prol.40; 2,29. 31. 33f. 37f.; 27,6; 41,5; 58,6; 72,5. 263 RB Prol. 1. B. Doppelfeld beschreibt ausgehend von diesem ersten Satz des Prologs die zum Hören hinführende Spiritualität der Regel (Benedikts Grundakkord). 264 RB Prol. 9. 16. 24. 39; 4,77; 5,5 f. 15; 64,21. 265 RB 4,55; 13,12; 42,4; 43,1. 266 RB 1,12; 4,52; 6,6; 38,5; 42,1. 9; 67,5. Der Abt als „vices Christi" wird in R B 2 , 2 ; 63,13 genannt (vgl. auch 5,6. 15). 267 E.von Severus, Anthropologie, S. 81. 268 Das wird daran deutlich, daß Benedikt von der „libertas" überhaupt nicht spricht und „arbitrium" entweder mit negativer Akzentuierung (RB 5,12) oder nur dann erwähnt, wenn dem Abt die Entscheidungsvollmacht zugemessen wird (RB 3,5; 39,6; 40,5; 65,11). 262

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gegebene Chance zur U m k e h r wahrnehmen, auf den Zuruf Gottes antworten sowie sein Leben f ü r den Dienst bereiten soll 269 . Die Notwendigkeit der göttlichen Gnade, die für Benedikt unumstritten feststeht, wird damit wie bei Cassian, allerdings wesentlich zurückhaltender, zum menschlichen Handeln in einem kooperativen Sinn in Beziehung gesetzt: was dem Menschen aus seiner Natur heraus nicht möglich ist, das soll er von der Gnade des Herrn erbitten 270 . Umgekehrt ist auch Gottes Handeln dem Bemühen des Menschen zugeordnet: er wartet ab („expectare"), daß dieser den Mahnungen entspricht und zur Besserung findet, und er zeigt sich bereit, das in guter Absicht Begonnene zu vollenden („perficere") 271 . Diese Vorstellung vom Zusammenwirken Gottes und des Menschen erinnert an die Leriner Schule und Cassians theologischen Ansatz 272 . Allerdings hält Benedikt sich von den damit verbundenen Kontroversen fern und begnügt sich mit wenigen behutsamen Formulierungen. N u r darum geht es ihm, daß der M ö n c h die im könobitischen Leben zum Ausdruck kommende A u f f o r d e r u n g zur U m k e h r erkennt und ihr in dem Bewußtsein, jederzeit der Gnade Gottes bedürftig zu sein, entspricht. Die U m k e h r des Mönchs soll bis in die äußeren Lebensvollzüge hinein Gestalt gewinnen. Benedikt knüpft an das biblische Motiv an, Verfolgung („persecutio") und Unrecht („iniuria") zu ertragen, und verbindet es mit der Aufforderung zu der dem Gebot Christi entsprechenden Demut 2 7 3 . Ebenso nennt er die T r ä n e n („lacrimae"), die besonders bei den ägyptischen Anachoreten von zentraler Bedeutung sind, und beschreibt sie als Ausdruck f ü r ein aufrichtiges Sündenbekenntnis, ein inniges Gebet und f ü r die Sehnsucht nach Erhörung durch Gott 274 . U m k e h r im könobitischen Kontext bedeutet des weiteren die Verpflichtung zur Feld- oder Handarbeit sowie zum Gehorsam gegenüber den Oberen 2 7 5 . Sie wird schließlich darin sichtbar, daß der M ö n c h auf diesem mühevollen, vor al-

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Vgl. dazu RB Prol. 16. 35. 40. RB Prol.41; vgl. auch RB 5,19; 20,4. Vgl. Chr.Lauer, Gnadenbegriff, S. 17-34. 271 RB Prol. 4. 35; 7,30. D a ß wir damit auf dem Boden des katholischen Gnadenverständnisses stehen, zeigen die Kommentierungen I. Herwegens: „Die Gnade soll ergänzen, was der N a t u r m a n g e l t . . . Damit ist die Voraussetzung der N a t u r als Grundlage des Gnadenwirkens anerkannt. D e r Mönch muß also unter dem Beistande der Gnade stets an der Vervollkommung seiner N a t u r arbeiten." (Sinn und Geist, S.38). 272 So B.Steidle, Lerin, S. 376-387 und Chr. Sieben, Einrichtungen, S.57. 273 RB 4,30. 33; 7,35. 42f.; 58,3. D a ß die D e m u t auch im äußeren Verhalten erkennbar sein soll, unterstreicht RB 7,62; 53,7. 274 RB 4,57; 20,3; 49,4; 52,4. Nach der „Vita" hat sich diese Wertschätzung der T r ä n e n im Leben Benedikts widergespiegelt: o f t habe sich Benedikt „unter Tränen ins Gebet" begeben. (Gregor, Dial. 11,1; vgl. 11,17 und 11,33). 275 In RB Prol. 2 spricht Benedikt von „labor oboedientiae". Die Notwendigkeit der Arbeit heben hervor RB 35,13; 39,6; 41,2; 46,1; 48,1. 8. 24; 50,1; 64,18 (dazu B.Viralode, Anthropologie, S.277ff.; K.S.Frank, Arbeitsethos, S.360-377). 270

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lem anfänglich „engen Weg" Standhaftigkeit („perseverantia") erkennen läßt 276 . Wer sich dieser klösterlichen U m k e h r verweigert, wird zur Buße („paenitentia") gerufen. Mit dem Institut der Buße wird Benedikts Interesse an einer rechtlich begründeten Absicherung der könobitischen Gemeinschaft besonders deutlich. Gewiß erinnert er an das Pauluswort: „Weißt du nicht, daß Gottes Geduld dich zur Buße veranlaßt" 277 , doch vertieft er diesen Gedanken eines zuvorkommenden, die „paenitentia" erst begründenden Handelns Gottes nicht, wie dies vor ihm die ägyptischen Anachoreten und - mit Einschränkung - auch Cassian getan haben. Die „paenitentia" kommt f ü r Benedikt vielmehr nur als eine Handlung innerhalb der klösterlichen Disziplinarordnung in den Blick, die vor allen Brüdern öffentlich zu vollziehen ist, wenn der Mönch schwere Schuld („gravis culpa") auf sich geladen hat 278 . Unübersehbar verbindet sich mit diesem rechtlichen Verständnis der Buße der Aspekt der Strafe („poena"). Immer wieder verweist Benedikt auf die zeitlichen und die ewigen Strafen, die dem unbußfertigen Sünder, der murrt, böse Reden im M u n d e f ü h r t und auf seinem Eigenwillen beharrt, drohen 2 7 9 . Ihnen entspricht ein breites Spektrum disziplinarer Maßnahmen wie Ermahnungen, Zurechtweisungen und Rutenschläge; der Exkommunikation als schwerster Strafe werden sogar mehrere Abschnitte der Regel gewidmet 280 . Obwohl Benedikt mit diesen Bestimmungen in erster Linie die Einhaltung der äußeren O r d n u n g des Könobiums zu festigen sucht, ist ihm auch an einer theologischen Interpretation der Buße gelegen. Durch den Begriff der satisfactio, den er von Cassian übernommen hat, weist er das klösterliche Strafinstitut als ein Mittel aus, die göttliche Vergeltung zur Erfahrung zu bringen. Die Anlässe zur „satisfactio" sind zahlreich: ob ein Mönch zu spät zum Gottesdienst kommt oder seine liturgischen Aufgaben fehlerhaft versieht; ob er den Abt durch mißmutigen Gehorsam erzürnt oder nachlässig mit dem Klostereigentum umgeht, - in jedem Fall gilt dies auch als ein Vergehen gegen Gott, dem im Oratorium im Beisein der ande-

276 RB Prol.50; 7,36; 58,3. 9. Benedikt geht es damit um „die praktische Durchformung des ganzen Menschen", weswegen er neben der inneren immer auch die äußere Seite der Umkehr betont. (I. Betschart, Menschenbild, S.257). 277 RB Prol.37 (Zitat Rom 2,4). 278 RB 25,1. 279 RB Prol.7. 42; 2,10; 5,19; 6,2; 7,33; 23,4. Darauf deutet auch der Zusammenhang von Straf- und Bußordnung (RM 12-14), den Benedikt äußerlich aufgelöst hat (RB 23-30. 4346). Vgl. A. de Vogüé, Règle de Saint Benoît Bd.5, S.723ff.; U.K.Jacobs, Regula Benedicti, S. 103 ff. 280 RB 23-25; 28,1 ff.; 30,2; 44,1. 9; 51,3; 70,2. Gegenüber diesem auf den disziplinarischen Aspekt eingeschränkten Bußverständnis tritt die Aufforderung, zu jeder Zeit („omni tempore") die österliche Bußzeit zu beachten (RB 49,1), zurück.

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Die Entfaltung monastischer Theologie

ren Brüder Genugtuung erwiesen werden muß 281 . Die Störung der Gemeinschaft ist für Benedikt ein Ausdruck für die Störung des Gottesverhältnisses, das durch die „satisfactio" des Beschuldigten wieder in Ordnung gebracht werden muß. Erst wenn sie vollzogen ist, kann der Sünder in die Gemeinschaft des Klosters und damit in das Haus Gottes („domus dei") erneut aufgenommen werden 282 . Die vom Abt verhängte Bußleistung ist damit nicht nur eine Strafe. Sie wird von Benedikt auch als ein Mittel interpretiert, durch das die Vergeltung wie die Versöhnung Gottes leibhaft erfahren werden kann. Ein Überblick über die Aussagen Benedikts zum Motiv der Umkehr läßt zwei Linien hervortreten. Zum einen nimmt er das Anliegen des ägyptischen Mönchtums auf, wenn er die Umkehr als eine Bewegung beschreibt, die im alltäglichen Leben Gestalt gewinnen soll. Weil auch der Mönch immer wieder die Erfahrung macht, sich an Gott und dem Bruder zu verfehlen, ist die mit dem Klostereintritt vollzogene Entsagung nicht zu Ende, sondern setzt sich fort im Gehorsam gegenüber dem Abt und im demütigen Dienst aneinander. Sie läßt daher nach Ansicht A. de Vogüé's „einen geschärften Sinn für die Sünde erkennen" und erinnert daran, „daß das Mönchtum ein Weg der Buße im vollen Sinne des Wortes ist."283 Zum anderen ist Benedikt von Cassian beeinflußt. Das zeigt die Verbindung juristischer und theologischer Aspekte, der Gedanke der „cooperado" zwischen Gott und Mensch sowie das Verständnis der Buße als ein disziplinarischer Akt. Benedikt nimmt damit das Vorbild des priesterlichen Handelns auf und überträgt die in den Gemeinden übliche Praxis der großen Kirchenbuße auf das Könobium. Ein Vergleich mit den Regeln Pachoms und der Regula Magistri zeigt, daß diese Ausrichtung der Buße der könobitischen Lebensform schon früh zu eigen gewesen ist und mit ihrem ekklesiologischen Selbstverständnis zusammenhängt. Zu fragen bleibt gleichwohl, ob mit der Orientierung der monastischen Buße an der aus der Notwendigkeit der Gemeindezucht heraus entstandenen kirchlichen Buße nicht das ursprüngliche, von den Anachoreten vertretene Verständnis der Buße als eine Seelsorge des Sünders am Sünder, der nicht der strafenden Abwendung, sondern der helfenden Zuwendung bedarf, verloren gegangen ist284.

281 RB 5,19; 11,13; 27,3; 43,3. 6. 11 f. 16; 45,1; 71,8. Das geschieht dann konkret so, daß sich der Bruder zu Boden wirft und vor allen Anwesenden seine Demut bezeugt (vgl. RB 27,3; 44,3. 8; 71,8). 282 RB 24,4. 7; 43,6. 11 f. 16; 28,3. Das Kloster als „domus dei" wird in RB 31,19; 53,22 und 64,5 erwähnt. Vgl. dazu E.von Severus, Monasterium, S. 116-138, und B.Steidle, Regel, S. 101-106. 283 A. de Vogüé, Regula Benedicti, S.226. 284 So auch H.Dörries, Beichte, S.235f.

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c) Nach Vollkommenheit streben aa) Die ägyptischen Anachoreten

Die aus der Erkenntnis der Sünde erwachsende Umkehr hat, was in dem vorangegangenen Kapitel vereinzelt schon anklang, ein Ziel und ist auf die Erfahrung der Wirklichkeit Gottes ausgerichtet. Abbas Antonius zeigt diesen grundlegenden Zusammenhang in einem Logion auf, in dem er seinen Schülern sagt: „Entsagt diesem Leben, damit ihr für Gott lebt."285 Der Rückzug in das Kellion ist demnach kein Selbstzweck, sondern wird als eine Hilfe verstanden, daß sich der Anachoret für die Zuwendung Gottes öffnen kann. Auf dem Weg zu diesem Ziel gibt es kein Ausruhen: täglich gilt es umzukehren, immer wieder anzufangen und „Fortschritte" zu machen 286 . Die Anachoreten vergleichen sich daher mit sportlichen „Wettkämpfern" und sind „um eine Hinordnung aller Kräfte auf das Leben des neuen Menschen" bemüht 287 . Sie tun dies in der Überzeugung, daß das Ziel zu erreichen nicht unmöglich ist, wo sich die Bereitschaft findet. Abbas Alonius geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt: „Wenn der Mensch will, vom Morgen bis zum Abend, gelangt er zu göttlichem Maß." 288 In der Uberlieferung der Apophthegmata Patrum finden sich mehrere Umschreibungen des Ziels, nach dem die Anachoreten streben und das ihnen als Perspektive vor Augen steht. Besonders charakteristisch ist dafür der Begriff „Ruhe" (ήσυχία). Die Wertschätzung dieser zunächst in einem äußeren Sinn verstandenen ήσυχία ist bei den Anachoreten groß: wir hören davon, daß sie um ihretwillen den Umgang mit Menschen meiden und sich in ihr Kellion zurückziehen 289 . Nicht nur den in der Nähe von Siedlungen unvermeidlichen Kinderstimmen, sondern sogar dem Rauschen des Schilfs gehen sie aus dem Weg, damit die „Ruhe" keinen Schaden nimmt 290 . Auch die im Laufe der Zeit immer größer werdende Anzahl von Asketen in der Sketis wird als Ruhestörung empfunden: mancher Eremit zieht sich noch weiter in die Wüste zurück, um dort die ήσυχία erneut zu finden 291 . Aus dem gleichen Grund achten die Anachoreten darauf, daß ihre Zellen voneinander sowie von den anderen Berührungspunkten ge285

Antonius 33 (PG 65, Sp. 85 C). Joannes Colobus 13 (a.a.O. Sp.208); Poemen 18. 168 (a.a.O. Sp.325. 361) und Syncletica 14 (a.a.O. Sp.425). Vgl. ebenfalls Vita Antonii Kp.7 (PG 26, Sp.852f.). 287 U.Ranke-Heinemann, Mönchtum, S.37. Vgl. dazu Arsenius 15 (PG 65, Sp.92) und Agathon 13 (a.a.O. Sp. 113). 288 Alonius 3 (a.a.O. S p . l 3 3 A ) . 2 " Dulas 2 (a.a.O. Sp. 161); Evagrius l f . (a.a.O. Sp.173); Hist, monachorum 1,62 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 33 f.). 2.0 Arsenius 25 (PG 65, Sp.96); Poemen 155 (a.a.O. Sp.360). 2.1 Antonius 34 (a.a.O. Sp.85/88); Macarius Aegyptius 22 (a.a.O. Sp.272); Paulus cosmeta 2 (a.a.O. Sp.381); Sisoes 28 (a.a.O. Sp.401). 286

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meinschaftlichen Lebens genügend Abstand aufweisen 292 . W o immer sie sich aufhalten und was immer sie tun - die „Ruhe" gilt es zu erlangen und zu bewahren. Offensichtlich besteht die ήσυχία aber in mehr als nur in der Abkehr von äußerer Unruhe und dem Aufsuchen von stillen Orten. Vielmehr stellt sie etwas geradezu Rätselhaftes dar, das sich dem Neugierigen und Zudringlichen verschließt. Als Arsenius von einigen Schülern über das Leben der ήσυχαζόντες, die mit niemandem zusammentreffen wollen, befragt wird, antwortet er mit einem verschlüsselten Bildwort, das die Frage als unangemessen zurückweist und demgegenüber feststellt, man könne über die ήσυχία nicht einfach reden, da sie nur von dem wirklich verstanden werde, der sie selbst erfahren habe 293 . Auch Poemen äußert sich verhalten, wenn er die ήσυχία mit dem in reiner Gesinnung ausgeübten Dienst und dem auch in Krankheit ausgesprochenen D a n k vergleicht 294 . Beide beschreiben die „Ruhe" damit als ein Phänomen, das sich allenfalls in der Bildsprache erfassen läßt, einer theoretischen Bestimmung jedoch entzieht und nur dem Erfahrenen zugänglich ist. Die Wirkung der ήσυχία, ihre Ausstrahlung auf das anachoretische Leben steht den Mönchsvätern vor Augen und wird von ihnen wortreich umschrieben. „Nichts ist ihr gleich", sagt Abbas Dulas, und fügt hinzu, sie gebe den inneren Augen „Scharfsichtigkeit" 295 . Abbas Rufus bezeichnet sie sogar als „Ursprung aller Tugenden", die allerdings gleichwohl durch die Anfechtung der Verdrossenheit, des Kleinmuts und der Gedanken in Frage gestellt werden könne 2 9 6 . Agathon gelangt immer dann zur „Ruhe", wenn er sich ein Urteil über eine andere Person oder Sache versagt 297 . Anub schließlich verdeutlicht die Kraft der ήσυχία durch einen Vergleich: wer zu ihr gelangt sei, gerate bei Verehrung oder Verhöhnung „wie ein Standbild" innerlich nicht mehr in Bewegung und könne in seinem Kellion unbeeinflußt von schädlichen Erinnerungen sitzen 298 . Aus diesen Stimmen können wir entnehmen, daß sich die ήσυχία nur von denen benennen läßt, welche sie erfahren haben, während sie f ü r die Unerfahrenen rätselhaft bleibt. Ihre konkreten Auswirkungen zeigen sich im anachoretischen Leben, das zugleich die Voraussetzung zur Erlangung der ήσυχία ist. In ihrem Offenbarsein wie in ihrer Verschlossenheit reprä-

2.2

Antonius 35 (a.a.O. Sp.85/88); Chaeremon (a.a.O. Sp.436C). Arsenius 44 (a.a.O. Sp. 108). 2.4 Poemen 29 (a.a.O. Sp.329). Vgl. dazu K.Ware, Schweigen, S.427ff. 2.5 Dulas 1 (PG 65, Sp.l61B). 2.6 Rufus 1 (a.a.O. Sp.389); vgl. auch Theodora 3 (a.a.O. Sp.201); Hist. mon. 1,45; IV, 1 (A.-J. Festugière, Historia monachorum, S. 26f. 40). 2.7 Agathon 18 (PG 65, Sp. 113). 2.8 Anub 1 (a.a.O. Sp.129). 2.3

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sentiert die ησυχία darum die für das Kellion charakteristische Form des Vollkommenheitsideals. Das Profil der ησυχία bekommt noch deutlichere Konturen, wenn es mit einem anderen Begriff, der in dieselbe Richtung weist und doch eine eigene Signatur trägt, verglichen wird. Auffälligerweise läßt sich nämlich bei der als άνάπαυσις bezeichneten „Ruhe" auf den ersten Blick ein ganz ähnliches Bedeutungsspektrum feststellen: wer sich in Demut seine eigene Unvollkommenheit vor Augen führt, sich für nichts hält, niemanden richtet und immer den Nutzen des Bruders sucht, der findet zur άνάπαυσις 299 . Auch gilt, daß alles um der damit bezeichneten Ruhe willen zu geschehen hat: um sie zu erlangen, suchen die Anachoreten in der Nahrungsaskese das rechte Maß, gehen der Mühe nicht aus dem Weg, überlassen sich dem Schweigen und werfen ihr Unvermögen vor Gott 300 . Die Wertschätzung, welche der Haltung der άνάπαυσις von den Anachoreten entgegengebracht wird, können wir einem Logion des Abbas Alonius entnehmen: „Wenn ein Mensch nicht in seinem Herzen sagt: Ich allein und Gott sind in der Welt, - nicht wird er zur Ruhe finden." 301 Die άνάπαυσις, die im übrigen auch in der Gnosis oft und in einem ganz spezifischen Sinn verwendet wird, der den Anachoreten möglicherweise nicht unbekannt gewesen ist, weist damit eine Reihe von Merkmalen auf, die denen der ησυχία ähnlich sind und auch von ihr ausgesagt werden können. Es ist darum auffällig und bemerkenswert, daß denen gegenüber, die die άνάπαυσις schon zu Lebzeiten für sich beanspruchen, Kritik laut wird. Theodorus, ein strenger Asket der zweiten Generation, stellt fest, daß sie dem Mönch in seiner irdischen Existenz keineswegs angemessen sei; er selbst habe in 70 Lebensjahren nicht einen einzigen Tag „Ruhe" gefunden302. Deswegen tadelt er diejenigen, welche sich die άνάπαυσις nehmen, „bevor Gott sie ihnen darreicht." 303 Die άνάπαυσις benennt für ihn also einen eschatologischen Zustand, der gnadenhaft zugeeignet wird, nicht aber aus menschlichem Vermögen heraus erreicht werden kann. Es ist ein Ausdruck der Vermessenheit, ihn vor der von Gott bestimmten Zeit verwirklichen zu wollen. Vermutlich aus einer gleichen Intention heraus wie Abbas Theodorus warnt Poemen nachdrücklich vor den Gefahren der leiblichen Ruhe (σαρκική άνάπαυσις) und fordert dazu auf, sie ebenso wie den lee-

2

" Isidorus 6 (a.a.O. Sp.221); Sisoes 43 (a.a.O. Sp.405); Joseph in Panepho 2 (a.a.O. Sp. 228); Paphnutius 3 (a. a. O. Sp. 380); Arsenius 12 (a. a. O. Sp. 89); Zeno 2 (a. a. O. Sp. 176); Poemen 81 (a.a.O. Sp.341). 300 Poemen 44. 84 (a.a.O. Sp.332. 341); Megethius 2 (a.a.O. Sp.301); Joseph in Panepho 8 (a.a.O. Sp.229/232). 301 Alonius 1 (a.a.O. S p . l 3 3 A ) . 302 Theodorus Phermae 2 (a.a.O. Sp. 188B). 303 Theodorus Phermae 16 (a.a.O. S p . l 9 2 A ) .

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ren Ruhm zu überwinden 304 . In Auslegung eines Jesuswortes aus der Passionsgeschichte ermuntert er darum seine Schüler mit dem Aufruf: „Wer Ruhe hat, verlasse sie und halte den engen Weg fest." 305 Seine Kritik richtet sich gegen eine mißverstandene und „fleischlich" interpretierte άνάπαυσις, die anscheinend von manchen Anachoreten als Argument angeführt wurde, um eine beschauliche Muße zu rechtfertigen. Aus den kritischen Stimmen beider Mönchsväter läßt sich entnehmen, daß die άνάπαυσις vor Fehldeutungen nicht geschützt ist: verbindet sich mit ihr ursprünglich die Erwartung einer endzeitlichen, von Gott gewährten „Ruhe", so wird daraus bei einigen Anachoreten eine schon im irdischen Leben verwirklichte, vom menschlichen Bedürfnis nach Muße geprägte „Ruhe". Wie wenig letztere der mit dem Rückzug ins Kellion gestellten Aufgabe gerecht zu werden vermag, muß Abbas Joannes schmerzlich erfahren, der zwar die άνάπαυσις gewonnen zu haben glaubt, in Wirklichkeit aber die Demut verloren hat 306 . Auch wenn das Streben nach der άνάπαυσις als dem endgültigen Ziel des anachoretischen Lebens seine Berechtigung hat, bedarf der Anachoret der Erinnerung, daß sie nur von Gott gegeben werden kann und darum von dem unterschieden werden muß, was dem Menschen aus eigener Kraft zu erreichen aufgetragen ist. Die ήσυχία ist ein Ausdruck dieses Unterscheidungsvermögens. Wer nach ihr strebt, trachtet nicht nach einer erholsamen Muße, sondern nach der Anspannung der Ruhe (της ησυχίας τόνον), die schon Abbas Antonius als Maßstab der Anachorese beschrieben hat 307 . Die ήσυχία bildet keinen Gegensatz zu der harten Lebensweise des Kellions, sondern wird durch die Arbeit des Gebets, des Schweigens und des Sitzens erworben 308 . Die Erfahrung der ήσυχία ist darum ohne Einschränkung an das anachoretische Leben gebunden. Vornehmlich im Kellion wird sie erfahren, sie teilt sich aber auch bei der Eucharistiefeier im Gottesdienst mit309. Ihr gilt die Zusage des göttlichen Beistandes und die Verheißung einer den Menschen übersteigenden Kraft. Für Arsenius gehört die ήσυχία zusammen mit der Weltflucht und dem Schweigen zu den Wurzeln eines sündlosen Lebens310. Und Abbas Antonius stellt fest, daß derjenige, der erfüllt von Ruhe (ήσυχάζων) in der Wüste sitzt, vielen Kämpfen entrissen werde 304

Poemen 66 (a.a.O. Sp.337). Poemen 112 mit Zitat von Lk 22,36 (a.a.O. Sp.349C/352A). 306 Joannes Colobus 13 (a.a.O. Sp.208). Diese im Vorangehenden genannten kritischen Anmerkungen, die der άνάπαυσις, nicht aber der ήσυχία gelten, machen es notwendig, zwischen beiden Begriffen zu unterscheiden, was weder K. Heussi (Ursprung, S.267) noch C.Schneider (Art. Anapausis, in: RAC Bd. 1, Sp.416f.) getan haben. 307 Antonius 10 (PG 65, Sp.77). 3 °» Joannes Eunuchus 4 (a.a.O. Sp.233B). Auch Cassian (Coll.XIX,6,5) nennt die Ruhe des Herzens eine Frucht des Eremitenlebens (dazu H.O.Weber, Stellung, S.54. 65f.). 309 Joannes Colobus 25 (PG 65, Sp.213); Isaac Thebaeus 2 (a.a.O. Sp.241). 310 Arsenius 2 (a.a.O. Sp.88); ähnlich Nilus 9 (a.a.O. Sp.305). 305

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und nur noch den gegen die Unreinheit zu führen habe 311 . Beide geben damit zu erkennen, daß ein Leben in der ησυχία Ausdruck des Höchsten ist, was sie für ein an irdische Voraussetzungen gebundenes Leben erwarten: durch die ησυχία erschließt sich die Erfahrung, von den Anfechtungen weitgehend frei und der Zuwendung Gottes gewiß zu werden. Sie ist die Haltung geistlicher Anspannung, die den Anachoreten auf das Wesentliche ausrichtet und seinen inneren Blick schärft. In einigen Apophthegmata wird diese Erfahrung vollkommenen Lebens als „Reinheit" (καθαρότης) beschrieben. Für Abbas Paulus knüpft der Anachoret mit ihr gewissermaßen an den paradiesischen Zustand wieder an, erlangt zurück, was einst verloren wurde 312 . Die „Reinheit" ist ein Ausdruck für die Fähigkeit, unbesorgt um den nächsten Tag zu sein; sie gibt die Kraft, wie Abbas Besario ein Leben ohne Beschwerden, frei von körperlichen Anfechtungen, ohne Verlangen nach irdischem Besitz und genährt allein von der Hoffnung auf die kommenden, von Gott gewährten Güter zu führen 313 . Die Haltung der „Ruhe" oder der „Reinheit" ist die Voraussetzung dafür, daß sich der Anachoret für die Begegnung, die Erfahrung und die Schau Gottes (θεωρία θεοϋ) zu öffnen vermag 314 . Von dieser „Schau Gottes" wird bei den anachoretischen Mönchsvätern oft gesprochen, entspricht sie doch der Zielsetzung ihrer Umkehr. Athanasius beschreibt sie in seiner Vita Antonii als einen gleichsam natürlichen Vorgang, wenn er seinen Mönchsvater sagen läßt: „Ich glaube fest, daß eine Seele, die rein ist und ihrer ursprünglichen Natur entspricht, mehr und größeres als die Dämonen erblicken kann, weil sie dann voraussehend geworden ist und Gott zur Seite hat, der ihr alles enthüllt." 315 In den Apophthegmata Patrum finden wir spekulative Überlegungen dieser Art nicht. Das Ziel, das den Mönchsvätern vor Augen steht, ist aber durchaus ähnlich: oftmals verbringen sie viele Tage in Gebet und Kontemplation, um in Visionen Gott selbst zu begegnen, und es ist ihre Absicht, den zu ihnen Kommenden zu der gleichen Erfahrung zu verhelfen 316 . 311

Antonius 11 (PG 65, Sp.77). Paulus (a.a.O. Sp.380f.); Hist. mon. 1,43 (A.-J.Festugière, Historia monachorura, S. 25 f.). 313 Sisoes 17 (PG 65, Sp.397); Besario 12 (a.a.O. Sp. 141/4); Hist. mon.1,46 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.27). Dahinter deutet sich die Uberordnung der Seele über den Leib an (vgl. Antonius 22; PG 65, Sp.84 und Daniel 4; a.a.O. Sp. 156). 314 Abraham 3 (a.a.O. Sp. 132B); vgl. auch Theonas (a.a.O. Sp. 197C); Joannes Colobus 11. 3 I f . (a.a.O. Sp.208. 213/6). Der Begriff der Gottesschau bedeutet jedoch „nicht mehr, wie bei den Alexandrinern, die mystische Gottesschau, sondern bloß noch die ständige Konzentration der Gedanken auf Gott." (K. Heussi, Ursprung, S.267). 3,5 Vita Antonii Kp.34 (PG 26, Sp.893). 316 Verba seniorum V,12,13 (PL 73, Sp. 942 D/943 A). Vgl. auch Hist, mon.1,45; 1,62 f.; VIII,8; X X , 6 (A.-J.Festugière, a.a.O. S.26f. 33f. 49. 120). 312

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D i e E n t f a l t u n g monastischer T h e o l o g i e

Sprechen die Anachoreten von der „Schau Gottes", so versuchen sie diese nicht zu erklären, sondern als ein unbeschreibliches Wunder in der Bildsprache auszudrücken. Für sie ist die θεωρία einer Erfahrung vergleichbar, die Abbas Silvanus einmal in den Himmel entrückt sein und ihn die Herrlichkeit Gottes sehen läßt 317 . Der Anachoret wird in dieser Situation, wie es Besario formuliert, „ganz Auge", das heißt derjenige, der ungeteilt der Wirklichkeit Gottes gewahr wird 318 . Von anderen Mönchsvätern hören wir ebenfalls, daß sie für kürzere oder längere Zeit in einen Zustand versetzt werden, der als ein Heraustreten aus sich selbst oder als ein Kommen des Geistes Gottes in die Seele verstanden werden kann 319 . Ein anderes Bild, in dem die Erfahrung der „Schau Gottes" ausgedrückt wird, ist das „Feuer". Der Entrückte scheint denen, die ihn beobachten, „wie Feuer" (ώς πυρ) zu sein und erweist sich dadurch „in doppelter Weise als Engelgleicher: durch seine Schau und durch seine Erscheinung; denn auch die Engel sind feuriger Natur" 3 2 0 . „Wie Feuer" zu sein, - das ist für Abbas Joseph eine Erfahrung, die sich allein im anachoretischen Leben erschließt, das vom Gebet und von der Schriftbetrachtung, vom Fasten und von der Ruhe geprägt ist und daneben keine Ablenkungen kennt; es ist für ihn der Inbegriff der Erfüllung und Vollendung dieses Lebens, weswegen er nicht ohne Absicht an alttestamentliche Bilder anknüpft, in denen von Gott als einem verzehrenden Feuer gesprochen wird 321 . In dem letzten Beispiel deutete sich an, daß das anachoretische Leben dem Leben der Engel verglichen werden kann. In der Vita Antonii steht hinter diesem Vergleich die mit dem Motiv des Dämonenkampfes verbundene Vorstellung, daß es die Berufung des Menschen ist, die Stelle der gefallenen Engel einzunehmen 322 . Sie wird in einer Vision bildlich dargestellt, nach der sich die Erlösung mit dem Aufstieg der Seele zu Gott vollenden wird; zugleich macht Athanasius deutlich, daß der Mönch Antonius schon zu Lebzeiten die Vollkommenheit erlangt hat 323 . In den Apophthegmata Patrum sind die Stimmen differenzierter. Auf der einen Seite finden sich vergleichbare Äußerungen. Von manchen Anachoreten hören wir, daß sie noch während ihres irdischen Lebens von Gott Silvanus 3 ( P G 65, S p . 4 0 9 A ) . Besario 11 ( a . a . O . Sp. 141). 3 1 9 P o e m e n 144 ( a . a . O . S p . 3 5 7 B ) ; Tithoes 1 ( a . a . O . S p . 4 2 8 B ) ; Cronius 1 ( a . a . O . Sp. 248). 3 2 0 K. S. Frank, Α Γ Γ Ε Λ Ι Κ Ο Σ ΒΙΟΣ, S. 94; vgl. auch W. Bousset, A p o p h t h e g m a t a , S. 86. D a ß ein Abbas seinen Schülern ώς πυρ zu sein scheint, lesen wir bei Arsenius 27 ( P G 65, S p . 9 6 ) ; E s a j a s 4 ( a . a . O . Sp. 181) und Sisoes 9 ( a . a . O . S p . 3 9 3 ) . 321 J o s e p h in P a n e p h o 6/7 ( a . a . O . S p . 2 2 9 ) ; Syncletica 1 mit Zit. H e b r 12,29 ( a . a . O . Sp.421). 3 2 2 Vgl. K . S . F r a n k , Α Γ Γ Ε Λ Ι Κ Ο Ι ΒΙΟΣ, S . 6 2 f f . 9 7 f f . U . R a n k e - H e i n e m a n n , Mönchtum, S . 6 5 f f . sowie W . V ö l k e r , Vollkommenheitsideal, S. 1 9 0 f f . 5 2 3 Vita Antonii K p . 1 4 . 20. 22. 66 ( P G 26, S p . 8 6 4 f . 872 ff. 9 3 6 f . ) 317

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verherrlicht werden und ihren Brüdern in engelgleicher Gestalt erscheinen 324 . Abbas Macarius berichtet von einem Bruder, den er vier Monate vergeblich zu sprechen sucht, weil er unentwegt im Gebet verharrt, und er bekennt von ihm: „Ein Engel auf Erden." 3 2 5 Bisweilen kann auch eine geradezu übermenschliche asketische Leistung den Anachoreten gleichsam zu einem Engel (ώς άγγελος) werden lassen 326 . Auf der anderen Seite wird jedoch unüberhörbar Kritik an der Vorstellung des engelgleichen Lebens laut. Joannes Colobus, der in jungen Jahren versucht, „wie ein Engel" sorglos zu leben und Gott unaufhörlich zu dienen, muß sich belehren lassen und zu der für ihn schmerzlichen Einsicht geführt werden, daß er in Wirklichkeit noch immer ein Mensch ist und darum für seine Nahrung arbeiten muß 327 . Der Anachoret Valens, der in dem Wahn lebt, Engel verkehrten mit ihm und hätten ihn von der Teilnahme am gemeinsamen Herrenmahl befreit, kann gar nur durch Fesselung, Demütigung und Gebete von seinem Irrtum geheilt werden 328 . Auch Abbas Ibiston zieht Kritik auf sich: er wird zwar den Engeln schon zugerechnet, vermag aber infolgedessen seinen Bruder nicht mehr real wahrzunehmen und überfordert ihn mit seinen Weisungen 329 . Schließlich bleibt den Anachoreten nicht verborgen, wie leicht der Eindruck eines engelgleichen Lebens auf einer Täuschung beruhen kann 330 . Die geäußerte Kritik führt nicht zur grundsätzlichen Ablehnung der Vorstellung vom engelgleichen Leben, wohl aber zu seiner Modifikation. Es fällt auf, daß die Eigenschaften, aufgrund derer ein Anachoret mit den Engeln verglichen wird, keinen exklusiven Charakter haben, sondern allen ernsthaft lebenden Eremiten zu eigen sind: das aufmerksame Hören auf das Wort des Abbas sowie der ihm zu leistende gehorsame Dienst 331 . Auch die selbstlose Demut wird in diesem Zusammenhang genannt 332 . Zweifellos erstreben die Anachoreten mit ihrer Abgrenzung von der Welt das vollkommene Leben „als einen schon auf der Erde zu erlangenden Zustand" 3 3 3 - betrachten sie sich selbst doch als Menschen, die im Unterschied zu den κοσμικοί unausgesetzt mit Gott reden und deren Mund hei324 Pambo 1 (PG 65, Sp.368); Silvanus 12 ( a . a . O . Sp.412). Vgl. auch Hist. mon. Prol.5; 11,1; IV,1; VI,1; VIII,19 (A.-J.Festugière, Historia monachorum, a . a . O . ) ; Hist. Laus. Kp.II (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S. 18,1) u.ö. 125 Macarius urbicus 3 (PG 65, Sp.305); vgl. auch Cronius 5 ( a . a . O . Sp.249). 326 Cario 2 ( a . a . O . S p . 2 5 2 C ) . Vgl. dazu L.Thunberg, Änglalivet, S . 5 9 f f . 327 Joannes Colobus 2 (PG 65, Sp.204f.). 328 Hist. Laus. Kp.25 (C.Butler, Lausiac History Bd.2, S.79f.). 329 Poemen 62 (PG 65, Sp.337). 330 Ammoes 2 ( a . a . O . Sp. 125). 331 Joannes Thebaeus ( a . a . O . Sp.240); Poemen 1 ( a . a . O . Sp.317). 332 Arsenius 42 ( a . a . O . Sp. 105/8); Joannes Colobus 38 ( a . a . O . Sp.216/7). Vgl. dazu F. von Lilienfeld, Anthropos Pneumatikos, S. 4. 333 K. Heussi, Ursprung, S.269.

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lig ist334. Doch äußert sich das engelgleiche Leben, das aus der Haltung der ησυχία erwächst, nicht in individuellen Krafttaten oder Geistesbegabungen, mit denen sich der einzelne vor seinen Mitbrüdern auszeichnen könnte. Diese Haltung triumphierenden Auftretens, wie sie dem Antonius der Vita durchaus zu eigen ist, findet sich im Selbstzeugnis des anachoretischen Mönchtums nicht. Ihrem Geist gibt vielmehr Abbas Matoes überzeugend Ausdruck, wenn er das die Vollendung (τελειότης) des monastischen Lebens nennt, daß jemand seinen Nächsten mehr rühmt als sich selbst335. bb) Johannes Cassian Auch für Johannes Cassian erschöpft sich die Umkehr des Sünders nicht in der Abgrenzung von den Verfehlungen, sondern sie weckt das Verlangen nach der Erfahrung vollkommenen Lebens336. Das Bekenntnis des ägyptischen Abbas Theonas, der mit der Begründung in ein Kloster eintritt, er wolle der Welt entsagen und absterben, um für Gott leben zu können, steht beispielhaft für die Ausrichtung dieses Strebens, das Cassian seinen Mönchen ebenfalls vor Augen stellt337. Er greift damit die Intention der Mönchsväter auf, spitzt sie jedoch in Anlehnung an die Theologie des Evagrius auf wenige zentrale Begriffe zu und verbindet sie mit dem Gedanken eines allmählichen Aufstiegs zu Gott 338 . Schon in seiner ersten Collado handelt Cassian von dem Ziel des Mönchsstandes. Dabei unterscheidet er zwischen dem nur eschatologisch zu verwirklichenden Ziel („finis"), nämlich dem Reich Gottes, dessen Erfüllung noch aussteht und allein in Gottes Hand liegt, und dem Ziel („destinado"), das dem Menschen aus eigener Kraft zu verwirklichen möglich und aufgetragen ist und als Herzensreinheit („puritas cordis") bezeichnet wird 339 . Indem Cassian über das Endziel, das Reich Gottes, keine weiteren Worte verliert, sondern sich darauf beschränkt, die Herzensreinheit zu be334 Pambo 7 (PG 65, Sp. 369): „Pambo voulait dire que les moines étaient les hommes de l'Écriture, ces livres divins où Dieu s'entretient avec l'homme, et où l'homme s'entretient avec Dieu, du salut; pour eux, parler à Dieu, c'était rester en tête à tête avec lui par le truchement des paroles inspirées." (R.Draguet, Pères, S.XL). 335 Mathoes 7 (PG 65, Sp.292B); ähnlich auch Sara 5 (a.a.O. Sp.420). 536 Z.B. C o l l . X X , 1 0 (CSEL13, S.567,20ff.). Vgl. dazu B.Griffiths, Johannes Kassian, S.61 f.; J.Hoch, Lehre, S. 101 ff. 337 Coll.XXI,9,2 (CSEL 13, S. 582,14 f.). 338 „In the scheme of Evagrius the soul upon its journey attains at last a .state', apatheia, which is the gate to charity, which is the gate of contemplation. In the scheme of Cassian the soul likewise may attain at last a state called by various names: purity of heart, purity of mind, tranquillity, stability... of mind, freedom from disturbance, or perfection'." (O. Chadwick, Cassian 2. Aufl., S. 102). 3 " Coll. 1,4,3 (CSEL 13, S.10,5ff.). Vgl. dazu H.O.Weber, Stellung, S.52f. 70f. sowie P.Th. Camelot, Guide de lecture, S. 93 ff.

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schreiben und in das monastische Leben einzuordnen, legt er das Gewicht seiner Argumentation auf die anthropologische Ebene und auf die vom Mönch geforderten Bemühungen, was auch die im gleichen Zusammenhang beschriebene „sanctificatio" erkennen läßt 340 . In der Novizenrede des Abbas Pinuphius erhellt Cassian die Voraussetzungen der „puritas cordis" 341 . Einem Aufstieg vergleichbar läßt er ihr die Furcht des Herrn, die Zerknirschung, die Entsagung, die Demut und das Streben nach den Tugenden vorausgehen 342 . Andernorts betont er die Notwendigkeit des Gehorsams, der Arbeit und der entschiedenen Abkehr vom Elternhaus, um damit zu unterstreichen, daß nicht allein die Schwäche („infirmitas") der menschlichen Natur, sondern mehr noch der Eigenwille („voluptas") der Herzensreinheit im Wege stehe343. Die entschiedene Anstrengung des Mönchs ist also gefordert, damit die „puritas cordis" erlangt wird. Am Beispiel des Bogenschützen, der für seine Übungen einer Zielscheibe bedarf, um Abweichungen erkennen zu können, erläutert Cassian die Notwendigkeit der „puritas cordis" als einer beständigen Richtschnur des monastischen Lebens. Steht sie dem Mönch nicht vor Augen, drohen alle seine Werke leer zu werden 344 . „Von dieser normgebenden Wichtigkeit ist im geistlichen Zielen die Reinheit des Herzens. Sie zu erlangen, ist daher den ganzen Einsatz wert." 345 Die „puritas cordis" wird jedoch nicht allein durch eine äußere Entsagung erlangt. Die Erfahrung, wie schnell das Herz durch gedankliche Einflüsse erneut in Ungeduld und Erregung geraten kann 346 , zeigt, daß die Herzensreinheit erst dort zur Wirklichkeit geworden ist, wo die vom Apostel Paulus beschriebene Liebe hinzutritt, denn in der Liebe braucht der Mönch nicht mehr zu eifern, erbittert zu werden, Böses zu denken oder sich über Ungerechtigkeit zu freuen 347 . Gewissermaßen ist „Liebe" für Cassian ein austauschbarer Begriff für „Reinheit". Beides ist der sprachliche Ausdruck dafür, daß der Mönch zu einer tieferen Sündenerkenntnis gelangt, das Schriftwort als ihn unmittelbar betreffendes Zeugnis neu versteht und Gott als Quelle der Vollkommenheit erfährt 348 . Darum hat der

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Coli. 1,5,2 (CSEL13, S. 11,6). Wie bei Orígenes ist Herz bei Cassian ein „synonyme d'esprit" und bezeichnet „le principe de la connaissance religieuse." (M. Olphe-Galliard, Art. Cassien, in: DSp Bd. 2, Sp. 247). 342 Inst. IV,43; V,2,3. 343 Inst. 1,11,1; 11,14; V,7; 22; 32,1; 35; VI,9f.; 12; Coll.XXIV, 3. 344 Coll. 1,4,1; 4,3; 5,3f.; IV, 12,4. 345 D . v o n Nagel, Puritas cordis, S. 131. Mit der Formulierung „im geistlichen Zielen" umschreibt D . v o n Nagel bildlich das monastische Streben nach Vollkommenheit. 346 Vgl. dazu A. Grün, Reinheit, S. 258-270. 347 Coli. 1,6,3 (CSEL 13, S. 12,26ff.). 348 Inst. V, 33; VIII,2; XII, 15,1 f.; 24; Coll.XIV,9. 341

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Mönch, so resümiert Cassian, eigentlich keine andere Aufgabe („professio"), als sich der „Betrachtung jener göttlichen Reinheit" hinzugeben 349 . Die Herzensreinheit, die mit der anachoretischen ησυχία verglichen werden könnte 350 , noch deutlicher aber Bezüge zur evagrianischen απάθεια aufweist 351 , wird von Cassian durch den Begriff der Vollkommenheit („perfectio") erläutert. In der Collatio XI, die von der „Vollkommenheit" handelt, werden drei Stufen auf dem Weg zu diesem Ziel des monastischen Lebens genannt: die Furcht („timor") vor göttlicher Strafe bildet den Anstoß zur Abwendung von den Verfehlungen; an ihre Stelle tritt die Hoffnung („spes") auf das Gottesreich, obwohl auch noch in ihr das Verdienstdenken nicht völlig überwunden ist; erst die Liebe („caritas") zu den Tugenden befreit den Mönch davon und läßt ihn zur Vollkommenheit aufsteigen, in der Gott nur wegen seiner Liebe geliebt wird 352 . Daß dieser Weg zur Vollkommenheit gegangen werden kann, beruht nach Cassians Überzeugung auf der Freiheit des Willens („libertas arbitrii"), die es dem Mönch ermöglicht, von Hohem zu Höherem zu streben353. Gleichzeitig hält er jedoch an der Priorität der Gnade fest, wenn er feststellt: „Der Anfang unseres Heils geschieht durch die Berufung des H e r r n . . . Auch die Vollendung der Vollkommenheit und Reinheit wird von ihm auf gleiche Weise verliehen." 354 Das Problem, wie sich Willensfreiheit und Gnadenzuweisung zueinander verhalten, klingt damit auch an dieser Stelle an und führt zu theologischer Unklarheit in der Bestimmung der „perfectio" als menschlicher Tugend oder göttlicher Gabe. Cassian definiert die Vollkommenheit, das Ziel des monastischen Lebens, von seinem origenistischen Gottesverständnis her. Gott allein tut das Gute um seiner selbst willen; darum hat er den Menschen wegen seines Heils zuerst geliebt. Wer dieser Liebe nacheifert - eine Haltung, die Cassian mit dem Begriff der „imitatio dei" umschreibt - , überwindet die Anfechtungen, kann die Gebote der Bergpredigt verwirklichen und gewinnt die durch den Fall verloren gegangene „imago" wieder zurück 355 . Eher beiläufig überbietet Cassian in einem kurzen Ausblick diese vollkommene Liebe durch eine noch höhere Stufe, die „timor perfectionis", zu der Gott

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Inst.X,3 (CSEL 17, S. 176,11 f.). Cassian verbindet damit die Überzeugung, daß der Mönch „in sola cordis puritate" Werke der Liebe zu tun vermag. (Coli. 1,6,3; CSEL 13, S. 12,29; vgl. Inst. IV,43). 350 So O.Chadwick, Cassian 1. Aufl., S.91. 351 So K.S.Frank, ΑΓΓΕΛΙΚΟΙ ΒΙΟΣ, S.60f.; U.Ranke-Heinemann, Mönchtum, S.67f.; O.Chadwick, John Cassian 2. Aufl., S. 102, sowie G.Bardy, Art. Apatheia, in: DSp Bd. 1, S. 727-746. 352 Coll.XI,6f.; Inst.V,2,3; IV,43. 353 Coll.XI, 12,1; 12,5; 15 (CSEL 13, S.326,1 ff.; 327,17; 332,6ff.). 354 Coli.III,10,6 (CSEL 13, S.83,15ff.). 355 Coll.X.7,1; XI,6,3; 7,6; 10 (CSEL 13, S.293,6; 318,13f.; 320,16; 324,22).

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nur die Heiligen berufe 356 . Dieser Ausblick auf die „Furcht der Vollkommenheit" zeigt, wie sehr Cassian in den Kategorien eines immer höher führenden Weges denkt, wie bestimmend für ihn der Aufstiegsgedanke, der alexandrinischem Denken entstammt, ist. Dieser Zustand der Vollkommenheit ist, in den Kategorien des monastischen Lebens beschrieben, identisch mit dem immerwährenden Gebet. Von ihm war an früherer Stelle schon die Rede, doch darf es als die konkrete Gestalt der „perfectio" an diesem Ort nicht übergangen werden. Das unablässige Gebet, darin folgt Cassian seinen geistigen Vätern Orígenes und Evagrius, eint den Beter mit Gott in unzertrennlicher Liebe; es übersteigt alles menschliche Tun und Denken und hebt den Mönch gleichsam auf die Stufe von Engeln 357 . Jede bloße Vorstellung Gottes wird im Gebet überschritten zugunsten einer bildlosen Anschauung mit dem inneren reinen Auge der Seele. Das Gebet ist deswegen für Cassian mehr als nur einer von mehreren spirituellen Lebensvollzügen: „Die Mönche stellten sich damit in besonderem Maße hinein in die Wirklichkeit, in der die Engel sind; denn es ist eben diese schon an die endgültige Form angenäherte, umfassende, im Gebet sich vollziehende Hingabe an Gott, die im eigentlichsten das die Mönche mit den Engeln einigende Moment bedeutet." 358 Weil in ihm die „vita angelica" zur Entfaltung kommt, ist das immerwährende Gebet das Ziel der Vollkommenheit, wie sie Cassian seinen Mönchen vor Augen stellt359. Gewissermaßen wird der Beter in das innergöttliche Leben einbezogen und von ihm erfüllt, so daß Gott ihn in Vorwegnahme endzeitlicher Herrlichkeit täglich zum Geistigen aufsteigen läßt und zu einer beständigen Reinheit führt 360 . Diese Vorstellung ist von der Uberzeugung Cassians geprägt, daß es möglich ist, „schon in diesem Leben etwas von der jenseitigen Erfüllung vorauszunehmen" 361 . Die Erfahrung des Gebets läßt die Grenze zwischen Gott und Mensch durchlässig werden bis hin zu einer mystischen Einheit. Vollkommenheit bedeutet für Cassian also die uneingeschränkte Erfahrung der Zuwendung Gottes. Weil diese an das Gebet gebunden ist, kann sie jedoch zu keinem Besitz werden, sondern muß immer neu vom Menschen erstrebt und von Gott gewährt werden. Die körperlichen Einschränkungen, die das könobitische Leben den 556

Coll.XI, 13,1 f.; 13,8 (CSEL 13, S. 329,1 ff.; 331,16f.). Coll. IX, 6; 20; 25; X,7. 358 U . R a n k e - H e i n e m a n n , M ö n c h t u m , S.72. Coll. IX, 25; X , 7 , 3 (CSEL 13, S. 272,18; 292,27). „Dieses feurige Gebet entspricht der evagrianischen καθαρά προσευχή, in der alle menschliche Tätigkeit ausgeschaltet ist; es ist das wortlose Ruhen in der Schau Gottes, das alles Begreifen und Darstellen übersteigt." (K. S.Frank, ΑΓΓΕΛΙΚΟΣ ΒΙΟΣ, S.95). Vgl. auch H . O . W e b e r , Stellung, S.58f. 72f. 360 C o l l . X , 7 , 3 (CSEL 13, S. 293,23 ff.). 361 D. von Nagel, Puritas cordis, S. 133. 357

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Die Entfaltung monastischer Theologie

Mönchen auferlegt, werden damit nicht überflüssig. Nach Cassians Überzeugung gibt die Ausrichtung des Lebens auf die „puritas cordis" und die „perfectio caritatis" dem Fasten, den Nachtwachen, der Arbeit und der in mehrfacher Hinsicht zu bewährenden Askese vielmehr einen anderen Stellenwert: nichts soll unterlassen, alles aber in der Absicht getan werden, sich stufenweise der Vollkommenheit anzunähern 362 . Allein dieses Ziel ist entscheidend: ihm haben die asketischen Übungen zu dienen und sind darum Hilfsmittel zur Vollkommenheit („instrumenta perfectionis") 363 . Künftig werde, so schreibt Cassian, zwar alles menschliche Tun ein Ende finden; jetzt („in praesenti") aber sei es noch notwendig, um zum Gipfel aufzusteigen 364 . Auch die Klosterzelle ist in diesem Sinne nur ein - wenngleich unentbehrliches - Mittel, das die äußeren Voraussetzungen schafft, damit Gott im Gebet zur Erfahrung kommen kann 365 . Johannes Cassian qualifiziert seine Vollkommenheitsvorstellung theologisch durch die Erzählung von Maria und Martha (Lk 10,38 ff.). In ihr findet er, wie schon andere vor ihm, die „biblische Begründung der Weltüberlegenheit des beschaulichen Lebens über die aktiven Lebensformen" 366 . Jesus habe mit seinem Lob der Maria deutlich gemacht, daß die unveränderliche Absicht des Mönchs allein in der Gottesschau („in theoria sola") liegen solle, während die praktischen Tugenden von zweitem Rang seien und nur Dienstcharakter hätten 367 . Das Notwendige, das allem anderen vorgezogen werden muß, ist für Cassian einzig und allein die „theoria, id est contemplatio dei"368. Diese hohe Wertschätzung der „contemplatio" verstellt nicht den Blick dafür, daß es für den an leibliche Lebensbedingungen gebundenen Menschen unmöglich („inpossibile") ist, Gott ohne Unterbrechung zugewandt zu sein („deo iugiter inhaerere") 369 . Der Eremit Paphnutius, der sich in der Einsamkeit der Wüste mit Gott vereinen wollte („domino unire") und deswegen schon zu Lebzeiten in ständiger Gemeinschaft mit den Engeln gesehen wurde, ist auch für Cassian eine Ausnahmeerscheinung 370 . Gleichwohl 362

Coli. 1,2,3; 7,1; IV.12,4; X , 1 4 , l . H . O . W e b e r nennt Entsprechungen bei Evagrius, konstatiert bei Cassian aber einen „Zug zur Regel". (Stellung, S.84). 363 Coli. 1,7,3 (CSEL 13, S.14,7f.); vgl. 1,17,2. 364 Coli. 1,10,1; 10,3 (CSEL 13, S. 16,21 f.; 17,14). 365 Inst. VI,3; X,7,3; 13; XI, 18; Coli. 1,11,2. 366 D. Mieth, Einheit, S. 76. Vgl. auch A. Kemmer, Maria und Martha, S. 355 ff. Belegstellen bei Cassian: Coli. 1,8; XXIII, 3,1. 367 Coli. 1,8,2f. (CSEL 13, S. 15,10). So auch Evagrius (vgl. H.O.Weber, Stellung, S. 100 f.). Vgl. dagegen die Interpretation bei den ägyptischen Anachoreten, in der Martha eine gleichwertige, vielleicht sogar übergeordnete Rolle zugewiesen wird. (Silvanus 5/PG 65, Sp.409D). M » Coll.XXIII,3,1 (CSEL 13, S.642,11). 3