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German Pages [315] Year 2014
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Thomas M. Schmidt / Siegfried Wiedenhofer (Hg.) Religiöse Erfahrung
VERLAG KARL ALBER
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Der Titel der Festschrift zum 80. Geburtstag von Richard Schaeffler deutet an, was immer mehr zum Zentrum der religionsphilosophischen Arbeit von Richard Schaeffler geworden ist: das Problem der religiösen Erfahrung. Unter diesem Titel soll in einem Gespräch mit Richard Schaeffler die große Bedeutung seiner philosophischen Konzeption für Religionsphilosophie und Theologie gewürdigt werden. Das geschieht zum einen durch einzelne Beiträge, die die religionsphilosophische Gesamtkonzeption oder einzelne Aspekte diskutieren. Das geschieht zum anderen auch dadurch, dass der Jubilar selbst einen wichtigen zusammenfassenden Beitrag zu seinem philosophischen Ansatz sowie auch weiterführende Antworten auf einzelne Beiträge beigesteuert hat. Unter Einschluss einer umfassenden Bibliographie Richard Schaefflers soll der Band nicht nur dem Jubilar zu seinem 80. Geburtstag gratulieren, sondern auch zur weiteren Auseinandersetzung mit diesem sowohl für die Philosophie als auch für die Theologie zukunftsweisenden theoretischen Ansatz ermuntern.
Die Herausgeber: Prof. em. Dr. Siegfried Wiedenhofer, geb. 1941, von 1981 bis 2007 Professor für Systematische Theologie an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt a. M. Prof. Dr. Thomas M. Schmidt, geb. 1960, seit 2003 Professor für Religionsphilosophie am Fachbereich Katholische Theologie und kooptierter Professor am Institut für Philosophie der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt, seit 2003 Direktor des Instituts für Religionsphilosophische Forschung (IRF).
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Thomas M. Schmidt / Siegfried Wiedenhofer (Hg.)
Religiöse Erfahrung Richard Schaefflers Beitrag zu Religionsphilosophie und Theologie
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Printed in Germany ISBN 978-3-495-48401-2
(Print)
ISBN 978-3-495-86003-8 (E-Book) https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Inhaltsverzeichnis
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Richard Schaeffler: »Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie« (Kant, opus postumum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gunther Ludwig: Richard Schaefflers Theorie der religiösen Erfahrung und der interreligiöse Dialog – Zwei Anmerkungen im Kontext des Dialogs mit dem Hinduismus . . . . . . . . . . . .
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Hansjürgen Verweyen: Um einen neuen Humanismus . . . . . .
45
William J. Hoye: Hermeneutische Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Oliver J. Wiertz: Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
Günter Kruck: Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
Friedo Ricken: Lesen im Buch der Welt? Zum Verhältnis von religiösem Glauben und Philosophie . . . . .
117
Vorwort
Bernd Irlenborn: Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube. Zum Konzept und zur Tragfähigkeit von Schaefflers Erfahrungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Klaus Müller: Transzendentalität und Geschichtlichkeit. Überlegungen im Anschluss an Richard Schaefflers theologiesensiblen Vernunftbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Trappe: Kleines Fragment über das Vertrauen
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Inhaltsverzeichnis
Bernhard Nitsche: Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178
Thomas M. Schmidt: Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
Siegfried Wiedenhofer: Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft. Zur transzendentalen Rekonstruktion des christlichen Kirchenverständnisses bei Richard Schaeffler . . . .
218
Jürg Wüst-Lückl: Impulse und Anregungen für eine Theologie des Gebetes. Über die Bedeutung sprachphilosophischer Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
Richard Schaeffler: Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
259
Richard Schaeffler, Schriftenverzeichnis
. . . . . . . . . . . . . 285
Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort
Richard Schaeffler gehört längst zu den wichtigsten Religionsphilosophen im deutschsprachigen Raum. Das 1999 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gegründete Institut für Religionsphilosophische Forschung (IRF) war deshalb froh und stolz, Richard Schaeffler für seinen wissenschaftlichen Beirat gewinnen zu können. Diese Verbindung ist in vielerlei Weise fruchtbar geworden: durch Gastvorlesungen, Tagungsvorträge und nicht zuletzt durch ein Symposium, das anlässlich des 80. Geburtstages von Richard Schaeffler (20. 12. 2006) am 11.–12. Mai 2007 stattgefunden hat und das sich unter dem Titel »Philosophische Einübung in die Theologie« dem Gespräch mit seinem philosophischen Ansatz und dessen Bedeutung für die Theologie widmete. Die Vorträge dieses Symposiums werden nun, erweitert durch eine Reihe weiterer Beiträge zu seinem Werk, als Festschrift zum 80. Geburtstag von Richard Schaeffler vorgelegt. Als Festschrift kommt der Band etwas verspätet. Aber dafür handelt es sich auch nicht um eine übliche Festschrift, sondern um einen neuen Schritt im Gespräch mit der Religionsphilosophie Richard Schaefflers und der darin immer wieder neu unternommenen philosophischen Einübung in die Theologie. Zu diesem Gespräch hat Schaeffler dankenswerterweise nicht nur selbst einen wichtigen zusammenfassenden Beitrag zu seinem philosophischen Ansatz, sondern auch weiterführende Antworten auf einzelne Beiträge beigesteuert. Unter Einschluss einer umfassenden Bibliographie Richard Schaefflers soll der Band nicht nur dem Jubilar zu seinem 80. Geburtstag gratulieren, sondern auch zur weiteren Auseinandersetzung mit diesem sowohl für die Philosophie als auch für die Theologie zukunftsweisenden theoretischen Ansatz ermuntern. Ermöglicht wurde die Veröffentlichung dieser philosophisch-theologischen Debatte mit Richard Schaeffler durch die großzügige Förderung der NoMaNi-Stiftung zu Köln und durch die Unterstützung der Erzdiözese München, der Diözese Limburg und der Diözese Mainz. Die Herausgeber sind allen Förderern sehr verbunden und danken ihnen herzlich. 9 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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»Die Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie« (Kant, opus postumum) Vortrag Frankfurt a. M. 12. Mai 2007 Richard Schaeffler
Zum Thema: Das einleitende Zitat aus Kants »Opus Postumum« 1 steht nicht hier, um eine Kant-Exegese einzuleiten, sondern um ein über Kant hinausgehendes Programm anzuzeigen. Dieser Programmstellung liegt die These zugrunde: Der Terminus »Transzendentalphilosophie« bezeichnet primär nicht eine bestimmte philosophische Position, sondern eine Fragestellung. In der Geschichte der Transzendentalphilosophie aber wurde nicht nur ein gleichbleibendes Problem auf je verschiedene Weise gelöst; vielmehr hat auch die Problemstellung selbst sich historisch verändert. Zur Begründung dieser These sei zunächst ein historischer Hinweis gegeben. Wir verbinden gewöhnlich den Ausdruck »Transzendentalphilosophie« mit dem Namen Immanuel Kant. Und in der Tat läßt dieser Titel sich als kurze Charakterisierung der gesamten kantischen Philosophie verstehen. Aber Kant selbst hat ausdrücklich auf die »Transzendentalphilosophie der Alten« Bezug genommen, freilich so, daß er deren wichtigste Sätze, »Omne ens est verum, bonum unum« auf neue Weise »dolmetschen« wollte. 2 Diese Neu-Interpretation der »Transzendentalphilosophie der Alten« schloß freilich eine radikale Veränderung der Fragestellung ein. Die »Transzendentalphilosophie der Alten« ist Ontologie gewesen und hat nach Prädikaten gesucht, die von jedem Seienden ausgesagt werden können. Diese »Passiones generales entis« hießen »Transzendentalien«, weil sie alle Differenzen der Kategorien, durch die die Arten des Seienden bestimmt werden, »transzendieren«, d. h. überschreiten und hinter sich lassen. Für die 1 2
Kant, Opus Postumum, 7. Konvolut, Blatt 5. Kant, KdrV B § 12.
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Richard Schaeffler
neue Transzendentalphilosophie Kants dagegen »muß […] der stolze Name der Ontologie dem bescheidenen einer Analytik des reinen Verstandes Platz machen« 3 . Wenn man also Kant keine bloße Äquivokation im Gebrauch des Begriffs »Transzendentalphilosophie« unterstellen will, muß man annehmen, daß es auch bei radikaler Veränderung der Fragestellung etwas gibt, das erhalten bleibt und es rechtfertigt, für recht unterschiedliche Weisen des Philosophierens den gleichen Namen »Transzendentalphilosophie« zu gebrauchen. Nur dann hat die Transzendentalphilosophie eine Geschichte. Dann freilich kann man weiterhin fragen, ob diese Geschichte mit der einen Wendung von der »alten« zur kantischen Transzendentalphilosophie abgeschlossen ist. In den folgenden Ausführungen wird die gegenteilige These vertreten werden: Die transzendentale Frage hat auch weiterhin noch eine offene Geschichte vor sich. Dann aber ist auch für die jeweils neuen Phasen in dieser Geschichte immer neu zu bestimmen, worin der »höchste Punkt« einer weiterentwickelten Transzendentalphilosophie besteht. Und wenn trotz aller historischen Veränderung Kants Satz auch heute noch gelten sollte, dann müßte auch die »Transzendentale Theologie«, die nach wie vor diesen »höchsten Ort« einnehmen soll, bei jeweils veränderter transzendentaler Fragestellung neu konzipiert werden. Daraus folgt eine doppelte Problem-Perspektive: Wie muß eine Transzendentalphilosophie aussehen, wenn verständlich werden soll, daß die transzendentale Theologie ihr »höchster Punkt« ist? Und wie muß eine transzendentale Theologie aussehen, wenn sie, auch bei veränderten Weisen, die transzendentale Frage zu stellen, immer wieder den »höchsten Punkt« der Transzendentalphilosphie darstellen soll?
Eine Leitfrage der Transzendentalphilosophie Man kann versuchen, das Bleibende, das die Geschichte der Transzendentalphilosophie zu einem kontinuierlichen Vorgang zusammenhält, in einer identischen Leitfrage zu suchen, die freilich im Laufe der Geschichte eine je spezifische Gestalt gewinnt. Ein solcher Versuch wird freilich zunächst sehr formal ausfallen. Eine solche Formulierung könnte lauten: Gibt es schlechthin allgemein geltende und doch nicht 3
Kant, KdrV A 247.
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
bloß formale Aussagen? In einer historisch bestimmten Gestalt lautet sie dann: Gibt es »synthetische Sätze apriori«? Der Grund dafür, so zu fragen, liegt in der Erfahrung: Die undurchschaute Vielfalt dessen, was sich zeigt, verwirrt. Sie verhindert nicht nur das Wissen, sondern schon das gezielte Fragen. Schon die vorsokratische Philosophie hat diese Erfahrung auf die Formel gebracht: »Polymathia noun echein ou didaskei.« 4 Wer diese Erfahrung gemacht hat, wird feststellen: Orientierung in der Fülle des Gewußten oder auch bloß Vermeinten gibt es nur in Zusammenhängen. Dabei verweisen partikuläre Zusammenhänge auf je allgemeinere. Daraus entsteht die Frage: Gibt es einen schlechthin allgemeinen Zusammenhang, in den wir alles Partikuläre einordnen müssen, um uns zu orientieren? Schlechthin allgemeine und doch mit Inhalt gefüllte Sätze werden gesucht, um diesen allumfassenden Zusammenhang zu beschreiben.
Die Transzendentalphilosophie der Alten Die Transzendentalphilosophie der Antike und des Mittelalters beantwortete diese Frage auf folgende Weise: Sie suchte die schlechthin allgemeingültigen und doch nicht rein formalen Sätze in Aussagen über »das Seiende« und seine »Passiones generales«. Was will man wissen, wenn man so fragt? Man orientiert sich am Aussagesatz »So ist es« und hofft, Kriterien zu finden, die es gestatten, zwischen »So ist es« und »So scheint es nur« zu unterscheiden: Nur das Wahre (nicht das Trügerische), das Gute (nicht das Verführende), das Eine (nicht das Widersprüchliche) ist »seiend«. Aber auch das Umgekehrte gilt: Nur das Seiende, nicht das bloß Scheinende ist wahr, gut und eins. Wie kommt das Thema »Gott« in die so verstandene Transzendentalphilosophie? Der Übergang von der allgemeinen Ontologie zu einer philosophischen Rede von Gott scheint durch eine weitere Erfahrung veranlaßt zu sein: Nicht nur die Vielfalt dessen, was sich zeigt, steht der Orientierung im Wege, sondern auch und vor allem die Zweideutigkeit dessen, was »herumwogt zwischen Nichtsein und reinem
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Heraklit B 40.
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Sein.« 5 »Sich-Orientieren« heißt dann: alles Erscheinende aus der Beziehung zum absolut (»rein«) Seienden begreifen. Nicht nur die Differenz will gesehen, auch die Beziehung will verstanden sein. Dann ist ein »Gott« diejenige Wirklichkeit, auf die die transzendentalen Begriffe uneingeschränkt zutreffen. Nur er ist im vollen Sinne seiend und deswegen auch uneingeschränkt wahr, gut und eins. Alles Welthafte ist »seiend« nur »per participationem« sive »attributionem«. Die transzendentale Theologie ist nur dann der »höchste Punkt« der Transzendentalphilosophie, wenn sie zeigen kann: Auf welche Weise kann das »reine Sein« allem welthaft Seienden sein abgeleitetes Sein und damit sein abgeleitetes Wahrsein, Gutsein und Einssein »attribuieren«? Und auf welche Weise kann das welthafte Seiende durch diese »Zuteilung« (Attribution) seinen »Halt gewinnen«, an ihm »met-échein«?
Die Krise der »Transzendentalphilosophie der Alten« und die Entstehung einer neuen Transzendentalphilosophie Die »Transzendentalphilosophie der Alten« geriet in eine Krise durch diejenigen Erfahrungen, aus denen die neuzeitliche Naturwissenschaft hervorgegangen ist. Diese Erfahrungen machten deutlich: Die Welt, die sich uns optisch erschließt, ist perspektivisch auf unseren Standort bezogen und durch die Eigenart unserer Sinnesorgane bedingt. Diese Erfahrung machte zwei methodische Folgerungen unausweichlich: (1) Diese Perspektivität ist nicht zu vermeiden. Aber sie hört auf, uns zu täuschen, wenn es uns gelingt, unseren Standort so zu bestimmen, daß wir den Eindruck, den wir empfangen, aus ihm herleiten können. (2) Die Orte und Bahnen der Sterne so zu erkennen, »wie sie wirklich sind«, bedeutet: mathematische Modelle konstruieren, in die wir unsere Sinneseindrücke als »Meßdaten« eintragen, und in dem so gewonnenen Modell auch unseren eigenen Standort bestimmen. Aus diesen methodischen Einsichten war eine Folgerung zu ziehen: Was als »objektiv gültig« anerkannt werden kann, wird von uns im Wechselspiel von Modell und Meßdatum erst hervorgebracht. Wir kritisieren den subjektiven Eindruck durch den Versuch, ihn in Modelle eintragen, die wir selbst konstruieren. Und wir kritisieren diese Model-
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Platon, Politeia 479d.
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
le und »bauen sie um«, wenn diese Eintragung zunächst mißlingt. Ein Beispiel dafür: Auf solche Weise kam die Astronomie vom Modell konzentrischer Kreisbahnen zum Modell der Ellipsen. Für die Transzendentalphilosophie aber folgt daraus: Die gesuchten schlechthin allgemeingültigen Sätze sind Anweisungen, durch dieses Wechselspiel von konstruiertem Modell und eingetragenen Meßdaten die Welt der Objekte erst aufzubauen. Damit aber wird nicht nur auf eine alte Frage eine neue Antwort gegeben, sondern die Frage selbst hat sich verändert: Aus der Frage nach den allgemeinsten Prädikaten, die von jedem Seienden ausgesagt werden können, ist die Frage nach den obersten Regeln der Gegenstands-Konstitution geworden. Die »neue Transzendentalphilosophie« erweist sich so als philosophischer Nachvollzug der »kopernikanischen Wendung«, die zunächst auf dem Felde der Astronomie vollzogen worden war. Darum ist die Wendung von der Transzendentalphilosophie der Alten zur neuen Transzendentalphilosophie ebenso irreversibel wie die Wendung von der ptolemäischen zur kopernikanischen Astronomie. Denn beiden Arten der »kopernikanischen Wende«, der astronomischen und der philosophischen, liegt die gleiche Entdeckung zugrunde: die Entdeckung, daß für die Weise, wie die Wirklichkeit sich uns zeigt – und zwar unserem Verstand ebenso wie unseren Sinnen – unsere subjektive Eigentätigkeit konstitutiv ist. Fragen wir auch in diesem Falle: Was wollen wir wissen, wenn wir in solcher Weise Transzendentalphilosophie treiben?, dann wird die Antwort lauten müssen: Wir wollen verstehen, auf welche Weise das, was wir selbst hervorgebracht haben, uns zugleich als Maß unserer Selbstbeurteilung gegenübertritt. Wie wird »Gott« zum Thema einer so verstandenen Transzendentalphilosophie? Auch hier liegt der Wendung zur theologischen Frage eine Erfahrung zugrunde: Jede Leistung des Erkennens setzt ein klares Erfassen seiner Aufgabe voraus. Die Zielvorstellungen von der Erfüllung dieser Aufgaben heißen »Ideen«. Diese Zielvorstellungen aber haben eine dreifache Gestalt: Es gilt, die Vielfalt unserer Erkenntnisinhalte zur Einheit des Aktes »Ich denke« zu verknüpfen. Und es gilt, die Vielfalt der Inhalte, die wir auf solche Weise erkennen, zur geordneten Ganzheit einer »Welt« zu verbinden. Dazu aber ist es drittens nötig, die Fragen, die wir an die Erscheinungen stellen, auf die Gesamtheit aller Prädikate zu beziehen, die wir dem einzelnen Gegenstand sodann bejahend oder verneinend zuschreiben. Damit tritt zu den bei15 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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den Ideen des »Ich denke« und der »Welt« die dritte leitende Zielvorstellung hinzu: Die Aufgabe, einen Begriff von der Gesamtheit aller positiven Prädikate zu entwickeln. Dieser aber ist der Begriff des »Ens perfectissimum« oder der Gottesbegriff.
Der nächste Schritt zur Weiterentwicklung der transzendentalen Frage: Die Dialektik der Vernunft und der Übergang von der Gottesidee zum Gottespostulat Auch dieser Wendung liegen Erfahrungen zugrunde. Wir bemerken zunächst: Sowohl die einzelnen Inhalte der wissenschaftlichen Empirie als auch die einzelnen konkreten Pflichten wollen aus Zusammenhängen heraus verstanden sein. Aber der Gesamtzusammenhang aller verpflichtenden Handlungsziele, die »Welt der Zwecke«, ist von anderer Art als der Gesamtzusammenhang aller Gegenstände wissenschaftlicher Empirie, die »Natur«. Zum Aufbau jeder dieser Welten sind spezifische Kategorien erforderlich (»Kategorien der Notwendigkeit« bzw. »Kategorien der Freiheit«). Sodann aber bemerken wir, daß diese Welten untereinander interferieren: Was das sittliche Gebot uns aufträgt, muß in eben jener Welt realisiert werden, die wir theoretisch erkennen. Die sittlich gebotenen »Zwecke« müssen so zugleich zu Teilen der »Natur« werden können. Aber diese ist nach Regeln aufgebaut, die weder für Freiheit noch für unbedingte Verpflichtung Raum lassen. Daraus entsteht ein Widerspruch im Begriff der »Welt«; und in diesem Widerspruch scheinen alle Ansprüche auf objektive Geltung sich aufzulösen. Daraus entsteht eine neue Gestalt der transzendentalen Frage: Zur Frage nach den obersten Regeln der Gegenstandskonstitution tritt die Frage, wie die objektive Geltung der so konstituierten Gegenstände, angesichts dieser Dialektik der Ideen, vor Selbstauflösung bewahrt werden kann. (Bei Kant betrifft diese Frage insbesondere die objektive Geltung der Pflichten, die den Inhalt unserer sittlichen Erfahrung bilden; sie treten einerseits uns erst gegenüber, wenn wir unsere subjektiven Handlungs-Antriebe unter die Bedingung des Kategorischen Imperativs gestellt haben, und sind uns doch so gegeben, daß wir an ihnen auch unser sittliches Urteil kritisch messen.) An früherer Stelle wurde gesagt: Die »kopernikanische Wendung«, die astronomische, aber auch die philosophische, kann nicht 16 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
mehr rückgängig gemacht werden. Nun ist hinzuzufügen: Auch die Entdeckung einer Mehrzahl strukturverschiedener »Welten« ist irreversibel. Darum führt auch kein Weg zurück hinter die Entdeckung der Dialektik, die sich aus der Interferenz dieser Welten ergibt. Und die Frage, wie diese Dialektik aufzulösen sei, bleibt auch jeder kommenden Transzendentalphilosophie gestellt. Was wollen wir wissen, wenn wir unter diesen Bedingungen Transzendentalphilosophie treiben? Wir wollen das Zutrauen sowohl in die Vernunft als auch in die Erfahrung vor jenem Skeptizismus bewahren, der aus der Entdeckung entstehen könnte, daß wir an den unabweislichen Aufgaben der Vernunft, deren abschließende Ziele sie sich selbst in ihren Ideen vor das Auge stellt, ebenso unvermeidlich scheitern. Wie wird »Gott« zum Thema der so verstandenen Transzendentalphilosophie? Weil in der Dialektik der Vernunft die Ideen der Welt und des Ich widersprüchlich zu werden drohen, hört nun der Gottesbegriff auf, nur als dritte Idee neben diese beiden zu treten. Vielmehr können die Ideen des Ich und der Welt nur dann vor Selbstauflösung bewahrt werden, wenn sie im Lichte des Gottesbegriffs neu interpretiert werden. Dies geschieht durch eine Lehre von Vernunftpostulaten, für deren Formulierung das hermeneutische »als« eine ausschlaggebende Rolle spielt: Die »Welt der Zwecke« (Pflichten) muß als Ensemble »göttlicher Gebote« interpretiert werden, und diese müssen als Gebote des gleichen Gottes verstanden werden, der auch den »Lauf der Natur« bestimmt. Daraus ergibt sich eine Folgerung, die Kant nicht ausdrücklich gezogen hat: Die Einheit des Ich, dessen Vernunft sowohl das Naturgesetz als auch das Sittengesetz bestimmt, muß darin gesucht werden, daß beide Weisen der menschlichen Vernunftautonomie als Erscheinungsgestalten der einen göttlichen Gesetzgebung verstanden werden. So erweist sich die menschliche Autonomie als erscheinende Theonomie. Wird aber der »Gott der Transzendentalphilosophie« so verstanden, dann ist der Gottesbegriff nicht eine bloße Idee, die eine unabweisliche Aufgabe der Vernunft beschreibt, sondern ein existierendes Wesen, das die Erfüllung dieser Aufgaben möglich macht. Die Existenz Gottes ist die Bedingung, die die regulative Kraft der Ideen davor bewahrt, in der Vernunftdialektik sich selber aufzulösen. Erst so verstanden wird die transzendentale Theologie wirklich »der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«. Und man wird hinzufügen dürfen: Wenn die einmal entdeckte 17 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Mehrzahl der Welten und die daraus resultierende Vernunftdialektik nicht mehr vergessen werden kann, wird auch jede kommende transzendentale Theologie sich in Postulaten der Hoffnung aussprechen. Deren Rechtfertigung besteht darin, daß sie allein diese Dialektik aufheben und die Fähigkeit des Menschen zu objektiv gültiger Erfahrung vor Auflösung bewahren.
Eine notwendige Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie und ein neues Verständnis des Gottespostulats Anlässe einer solchen Weiterentwicklung Anlässe, die Transzendentalphilosophie über ihren bei Kant erreichten Stand hinaus weiterzuentwickeln, ergeben sich zunächst aus gewissen Unzulänglichkeiten der Weise, wie Kant die Frage nach den Bedingungen der Gegenstandskonstitution beantwortet hat. Aber es wird sich zeigen, daß bei der Suche nach neuen Antworten auch die Frage selbst eine Veränderung erfährt. (1) Das Verhältnis der Formen des Anschauens und Denkens zu seinen Inhalten ist bei Kant unzulänglich bestimmt. Kant bestimmt dieses Verhältnis als die Beziehung von formalen Regeln zu immer neuen Beispielen ihrer Anwendung. Dabei bleibt unbeachtet, daß Inhalte unserer Erfahrung uns nötigen können, unsere Kategorien und Ideen und sogar unsere Anschauungsformen zu verändern. Daraus folgt: Die Lehre von der »Gegenstandskonstitution« (die Beschreibung des Verfahrens, subjektive Eindrücke in Inhalte objektiv gültiger Erfahrung zu transformieren) muß aus einer Beschreibung unverändert bleibender Formen unseres Anschauens und Denkens in eine Theorie des Dialogs mit der Wirklichkeit weiterentwickelt werden, die zugleich die Geschichte der Anschauungsformen, Begriffe und Ideen verständlich macht. Im Rahmen einer solchen Theorie des Dialogs mit der Wirklichkeit werden auch die »Grundsätze des reinen Verstandes« eine neue Gestalt gewinnen müssen. (2) Kants Dialektik orientiert sich an einem Speziallfall: der Strukturverschiedenheit und Interferenz von »Natur« und »Welt der Zwecke«. Sie muß in dieser Hinsicht erweitert werden. Auch der Gesamtzusammenhang alles ästhetisch Begeisternden oder religiös Verehrungswürdigen stellt eine je eigene Welt dar, die durch spezifische 18 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
Formen der Anschauung, der Begriffe und Ideen aufgebaut wird. Auch diese Welten interferieren und drohen, den Begriff des »objektiv Gültigen« zu einer Sache bloßer Perspektiven zu machen. Zur Auflösung dieser Dialektik muß auch die Postulatenlehre neu formuliert werden. (3) Kant hat das Verhältnis zwischen dem »empirischen Subjekt« und der allgemeinen Menschenvernunft als unvermittelten Gegensatz gesehen. Das empirische Subjekt ist die Quelle subjektiver Meinungen und Handlungsantriebe. Nur die allgemeine Menschenvernunft ist die Quelle objektiv gültiger Erkenntnisse und Handlungsanweisungen. Diese Auffasung hat ihn daran gehindert, eine Aufgabe zu erfüllen, die er selber gesehen, aber nicht gelöst hat: die Aufgabe, die »Geschichte der reinen Vernunft« zu beschreiben. Daraus folgt: Die Transzendentalphilosophie muß so weiterentwickelt werden, daß das Verhältnis zwischen empirischem Subjekt und allgemeiner Menschenvernunft durch eine dritte Größe vermittelt wird: die konkrete Kommunikations- und Interaktionsgemeinschaft. Der Dialog mit der Wirklichkeit ist in den Dialog unter Menschen verwoben, die einander den Anspruch des Wirklichen weitergeben und sich gegenseitig dazu herausfordern, auf diesen Anspruch ihre je eigene Antwort zu geben. In diesem sozial vermittelten Dialog mit der Wirklichkeit »bilden« sich jene Anschauungsformen, Begriffe und Ideen in immer neuer Gestalt, durch die die Individuen zur Antwort auf den Anspruch des Seienden und damit zur Erfahrung fähig werden. Darauf beruht die transzendentale Bedeutung der Sprache, auf die schon Hamann und Herder hingewiesen haben.
Möglichkeiten einer Weiterentwicklung Den drei soeben erwähnten Anlässen dafür, die Transzendentalphilosophie über jene Gestalt hinaus weiterzuentwickeln, in der Kant sie betrieben hat, entsprechen drei Möglichkeiten, eine solche Weiterentwicklung zustandezubringen. (1) Wenn aus der transzendentalen Logik eine transzendentale Theorie des Dialogs mit der Wirklichkeit werden soll, werden die »Grundsätze des reinen Verstandes« zu Regeln werden müssen, die diesem Dialog seine Kontinuität sichern. Diese notwendige Reformulierung betrifft vor allem den vierten Grundsatz, der bei Kant nur eine Definition der Modalbegriffe (Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwen19 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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digkeit) enthält. 6 Im Rahmen einer Theorie des Dialogs mit der Wirklichkeit wird dieser Grundsatz lauten müssen: Keine Erfahrung ist von solcher Art, daß sie kommende Erfahrungen überflüssig macht. Keine Erfahrung ist von solcher Art, daß sie durch kommende ihre Bedeutung verliert. Oder positiv formuliert: Wir dürfen mit Bezug auf jede einzelne Erfahrung dessen gewiß sein, daß sie uns spezifische Möglichkeiten aufschließt, neue Erfahrungen zu machen und alte neu zu verstehen. (2) Wenn nicht nur die »Natur« und die »Welt der Zwecke«, trotz ihrer unterschiedlichen Struktur, untereinander interferieren, sondern auch die »Welten« der ästhetischen und der religiösen Erfahrung, und wenn dadurch die regulativen Ideen aller Erfahrungswelten ihre Orientierungskraft zu verlieren drohen, dann werden die Postulate, die Kant formuliert hat, in folgender Weise umgestaltet werden müssen: Daß unsere Vernunft-Autonomie auf verschiedene Weisen ausgeübt wird, die sich nicht in ein umfassendes System einordnen lassen, und daß sie sich doch gegenseitig durchdringen, läßt die objektive Geltung dessen, was die Vernunft zustandebringt, zweifelhaft erscheinen. Das zeigt an, daß es sich bei dieser Selbstgesetzgebung der Vernunft um eine bloße Erscheinung handelt. Daß wir dennoch in den Ergebnissen unserer Vernunfttätigkeit jedesmal objektiv Gültigem begegnen, zeigt an, daß es sich um wirkliche Erscheinungsgestalten einer göttlichen Gesetzgebung handelt. Dann darf die Vielfalt der Weisen, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt und zum Aufbau je unterschiedlicher Erfahrungswelten herausfordert, als die Vielfalt von Erscheinungsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie wir »in omnitudine realitatis«, d. h. in allem, was ist, von einer göttlichen Wirklichkeit in Anspruch genommen und zur Antwort herausgefordert werden. Und die Vielfalt der Subjektivitätsweisen, mit denen wir uns als Forschersubjekte, als Subjekte der ästhetischen, sittlichen oder religiösen Erfahrung verstehen und verhalten, darf als eine Vielfalt von Erscheinungsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie Gott den Menschen weiß und unter seine Anrede stellt. (3) Wenn die Geschichte der Vernunft und die damit verbundene Veränderung unserer Anschauungsformen, Begriffe und Ideen nur daraus verständlich gemacht werden kann, daß jener Dialog mit der Wirklichkeit, der »Erfahrung« heißt, in den Dialog verwoben ist, den 6
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
konkrete Menschen in konkreten Dialoggemeinschaften führen, dann findet die Geschichte der Vernunft auf drei Ebenen statt: Die erste Ebene ist die Biographie der Individuen, in der die Formen und Inhalte der Erfahrung sich aneinander entwickeln. Die zweite Ebene ist die Geschichte konkreter Sprach- und Überlieferungsgemeinschaften, deren Mitglieder die Zeugnisse ihrer Erfahrungen untereinander austauschen und sich gegenseitig zur Antwort auf den bezeugten Anspruch des Wirklichen herausfordern. Dadurch entwickeln sie eine gemeinsame »Forma mentis«, deren deutlichster Ausdruck die Sprache und ihre Geschichte ist. Durch das so »in-formierte« Denken und Anschauen werden die Mitglieder der Sprachgemeinschaft zu Erfahrungen fähig, die von Angehörigen anderer Sprachgemeinschaften nicht unmittelbar nachvollzogen werden können. Die dritte Ebene ist die Begegnung von Individuen, die unterschiedlichen Sprachgemeinschaften angehören. Gerade hier aber treten spezifische Verstehens-Schwierigkeiten auf. Denn wenn der Bezug zur Erfahrung das Kriterium ist, an der sich die objektive Geltung aller Aussagen bewähren muß, und wenn die innerhalb einer Überlieferungsgemeinschaft erreichte gemeinsame »Formatio Mentis« die Bedingung ist, von der die Fähigkeit zur Erfahrung abhängt, dann entsteht der Anschein: Es hängt von der Zugehörigkeit zu solchen je besonderen Sprachgemeinschaften ab, was für ihre Mitglieder als »objektiv gültige Erfahrung« gelten kann. Damit aber scheint der Begriff des objektiv Gültigen historisch relativ zu werden. Und es ist ein neues Postulat nötig, um diese Gefahr des Relativismus zu überwinden: Jede der geschichtlich entstandenen Bewußtseinsformen und jede der ihnen entsprechenden Weisen, wie das Wirkliche dem Bewußtsein mit dem Anspruch auf Maßgeblichkeit begegnet, darf als Anizipationsgestalt eines kommenden Orientierungssystems begriffen werden, das eine allumfassende Kommunikationsgemeinschaft möglich macht. In jeder Begegnung zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Überlieferungsgemeinschaften wird diese kommende universale Kommunikationsgemeinschaft auf antizipatorische Weise präsent. Daraus folgt für das Verständnis der Geschichte: Wenn sich im Verlauf unserer eigenen Biographie und in der Begegnung mit anderen Menschen, die uns ihre Erfahrungen bezeugen, die Formen unseres Anschauens und Denkens verändern, dann können wir zwar nicht vorhersehen, wie wir unsere bisherigen Erfahrungen im Lichte neuer Erfahrungen und Begegnungen künftig verstehen und beurteilen wer21 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Richard Schaeffler
den. Aber wir dürfen die vorantreibende Kraft, die diese Erfahrungen und Begegnungen auf unser Anschauen und Denken ausüben, als die Erscheinungsgestalt einer Zuwendung Gottes verstehen, dessen »je größere« Wahrheit in jeder neuen Weise, wie wir den Anspruch des Wirklichen vernehmen und beantworten, auf antizipatorische Weise präsent ist. Die Einheit dieses Gottes verleiht unserer ganz unvorhersehbaren Geschichte ihre Kontinuität und jeder Begegnung mit dem Wirklichen ihre bleibende Maßgeblichkeit.
Eine neue Gestalt der transzendentalen Frage Aus der Kritik an den Antworten, die Kant auf die Frage nach den Bedingungen der Gegenstandskonstitution gegeben hat, haben sich zunächst Vorschläge zur Weiterentwicklung dieser kantischen Antworten ergeben: Vorschläge zur Neuformulierung der »Grundsätze des reinen Verstandes« und der »Postulate der Vernunft«. Doch zeigt sich, daß diese veränderten Antworten schon ein verändertes Verständnis der transzendentalen Frage implizieren. Im Sinne Kants konnte gefragt werden: Wie gewinnen jene Gegenstände, die wir selbst durch Verarbeitung unserer subjektiven Eindrücke hervorbringen, jenen Eigenstand, kraft dessen sie uns als Maßstäbe für eine kritische Selbstbeurteilung unserer theoretischen und praktischen Urteile gegenübertreten? Wird aber die Lehre von der Gegenstandskonstitution zu einer Theorie des Dialogs mit der Wirklichkeit weiterentwickelt, dann gewinnt diese Frage folgende Gestalt: Auf welche Weise gewinnt das Wirkliche, das uns nur vor Augen treten kann, wenn wir schon anschauen und denken, jene Eigen-Initiative zurück, die es zum Partner eines solchen Dialogs werden läßt? Und konkreter gefragt: Auf welche Weise kann das Wirkliche in jenem Dialog, der »Erfahrung« heißt, seinen Anspruch auf das »erste und letzte Wort« geltend machen: auf das »erste Wort«, durch das es uns »zu denken gibt«, und auf das jeweils »letzte Wort«, durch das es unsere Antworten als kritikbedürftig und zugleich als entfaltungsfähig erweist? An dieser veränderten transzendentalen Frage sind auch alle Versuche zu messen, sie durch eine Neuformulierung der Grundsätze des Verstandes und der Postulate der Vernunft zu beantworten. Was wollen wir wissen, wenn wir uns auf dem hier angedeuteten Wege – oder auch auf anderen, aussichtsreicher erscheinenden Wegen 22 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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»Transzendentale Theologie ist der höchste Punkt der Transzendentalphilosophie«
– um eine Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie bemühen? Wir wollen die Frage beantworten: Unter welcher Voraussetzung können wir der objektiven Geltung unserer Erkenntnisse auch dann gewiß bleiben, wenn wir uns dessen bewußt geworden sind, daß wir den Anspruch des Wirklichen stets in einer Weise vernehmen und beantworten, die historisch bedingt ist und in veränderten Lebenssituationen anders verstanden und beurteilt werden wird? Wie wird »Gott« zum Thema einer solchen weiterentwickelten Transzendentalphilosophie? Auch für eine so weiterentwickelte Transzendentalphilosophie, und für sie sogar in besonderem Maße, ist die transzendentale Theologie der »höchste Punkt«. Denn die so verstandene transzendentale Theologie benennt die Bedingung dafür, daß wir uns den vielfältigen Ansprüchen, die das Wirkliche an uns richtet, auch dann anvertrauen können, wenn wir bemerkt haben, daß die Weise, wie wir diese Ansprüche vernehmen und beantworten, historisch bedingt ist. Der »Gott der Transzendentalphilosophen« ist der Grund, der die hoffnungsvolle Zuversicht rechtfertigt, daß in jeder Phase der Geschichte, in der die Formen und Inhalte unserer Erfahrung eine je neue Gestalt gewinnen, die eine Wahrheit, die »stets größer« ist als die Weise, wie wir sie erfassen, eine neue Gestalt ihrer antizipatorischen Präsenz findet. Denn die »je größere Wahrheit Gottes« schließt jene Präsenz nicht aus, in der er uns je gegenwärtig zur Antwort ruft und zugleich zu ihr ermächtigt. Darum behält auch unsere einmal gegebene Antwort trotz aller Vorläufigkeit ihre bleibende Gültigkeit. Und die vorantreibende Kraft, mit der der Anspruch des Wirklichen uns zu denken gibt und zugleich immer wieder »zur Neuheit des Denkens umgestaltet«, darf als die Erscheinungsgestalt dieser antizipatorischen Präsenz Gottes verstanden werden. Ein Ausblick: Für eine so weiterentwickelte Transzendentalphilosophie stellt sich auch die alte Frage neu, wie sich ein solches philosophisches Sprechen von Gott zu der Weise verhält, wie die Zeugen religiöser Erfahrung (z. B. die »Offenbarungszeugen«) und die theologischen Interpreten solcher Erfahrungszeugnisse von Gott sprechen, ob also der »Gott der Philosophen« der selbe Gott ist, von dem in Glaube und Theologie die Rede ist. 7 Nur wenn sich dies zeigen läßt, kann
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Vgl. Schaeffler 2007.
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eine solche Philosophie zugleich dazu beitragen, die Theologen in ein Denken »einzuüben«, das ihrer spezifischen Aufgabe entspricht. 8 Literatur Heraklit, Fragmente. In: Heraklit. 2. Überprüft. http://de.wikiquote.org/wiki/ Heraklit Kant, Immanuel (1995): Opus postumum. 2. Hälfte, Convolut VII–XIII.: Abt. III / BD 22 (III/9). In: Gesammelte Schriften. Akademieausgabe. Bd. 22 (Abt. 3, Handschriftlicher Nachlass, Bd. 9). 2. Nachdr. d. Ausg. 1938. Berlin, New York: Gruyter. Kant, Immanuel (1970): Kritik der reinen Vernunft. In: Gesammelte Schriften, Akademieausgabe. Bd. 3. Nachdr. d. 2. Aufl. 1787. Berlin, New York: Gruyter. Platon, Politeia (2004) Politeia. In: Platon. Sämtliche Werke Bd. 2: Lysis, Symposion, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros. Übers. v. Friedrich Schleiermacher. Reinbeck: Rowohlt. Schaeffler, Richard (2004): Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Freiburg, München: Verlag Karl Alber (Scientia & Religio I/1). Schaeffler, Richard (2007): Philosophisch von Gott reden. Überlegungen zum Verhältnis einer Philosophischen Theologie zur christlichen Glaubensverkündigung. Freiburg, München: Alber (Scientia & Religio 5).
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Vgl. Schaeffler 2004.
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Richard Schaefflers Theorie der religiösen Erfahrung und der interreligiöse Dialog Zwei Anmerkungen im Kontext des Dialogs mit dem Hinduismus Gunther Ludwig
Im vergangen Jahrhundert war Indien das Land, das die stärkste Faszination auf die Menschen des Westens ausübte, die sich außerhalb ihrer eigenen Großtradition auf die Suche nach religiösen Erfahrungen gemacht haben. Christliche Mönche wie Bede Griffiths, die Beatles, Scharen von Anhänger Oshos in den 1980er Jahren – das Land erschien und erscheint so mit Religion »imprägniert«, dass es immer wieder zur Begegnung mit seiner Religiosität herausfordert. Auch heute noch gilt der indische Kontext im allgemeinen Verständnis als privilegierter Ort der Religionsbegegnung, und dieses Vorurteil ist auch für einen unter christlicher Perspektive betrachteten interreligiösen Dialog nicht ganz unrichtig. Allerdings muss man sich auch die extreme Minderheitenrolle der indischen Christen vor Augen führen, um nicht dem Irrglauben zu verfallen, das Land sei von Stätten des Dialogs und der Begegnung übersät. Die theoretische Religionsneugier des Neohinduismus trug einerseits zu einem Klima bei, das auch auf christlicher Seite interreligiöses Theologietreiben begünstigt hat. Andererseits wird nach wie vor der Vorwurf erhoben, dass der Dialog nur eine subtile Form der Mission sei, der neohinduistische Inklusivismus zeigt sich auf der theoretischen Ebene den Werbungsversuchen der westlichen Seite gegenüber im Allgemeinen relativ uninteressiert, und von hindunationalistischer Seite verschärfen sich die Vorwürfe gegen das Auftreten der christlichen Kirchen. Immer wieder kommt es zu Ausschreitungen gegen Christen. Im folgenden sollen zwei Aspekte des interreligiösen Dialogs in Indien im Lichte der Überlegungen Richard Schaefflers zur religiösen Erfahrung und ihrer Maßgeblichkeit und zu den Dialogmöglichkeiten zwischen religiösen Überlieferungsgemeinschaften und ihren Anhängern bedacht werden; die bewegende Geschichte eines religiösen »Vir25 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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tuosen« bildet dabei einen gewissen Kontrast zum mühsamen Geschäft der alltäglichen und konfliktgeladenen Praxis auf dem religionspluralen Subkontinent. Henri Le Saux, neben Bede Griffiths sicher der bekannteste unter den christlichen Mönchen, die in den 1950er Jahren in der Begegnung mit der hinduistischen Theologie, aber vor allem auch der hinduistischen Praxis und Frömmigkeit zu Initiatoren der christlichen AshramBewegung wurden, soll dabei Gegenstand einer ersten Anmerkung zum »spirituellen« Dialog sein. 1 Wie die Rolle der Christinnen und Christen mitten im Alltagsleben des heutigen Indien analysiert werden muss und welche Konsequenzen für einen Dialog der Religionen auf dem Subkontinent die christliche Seite daraus ziehen kann, soll in einer zweiten Anmerkung skizziert werden. Dabei werden die Veröffentlichungen Felix Wilfreds, eines katholischen Theologen aus Madras, als Anregung dienen.
Henri Le Saux – Swami Abishiktananda. Christliche und advaitische religiöse Erfahrung Der Benediktiner Henri Le Saux (1910–1973) gilt als einer der Pioniere des hinduistisch-christlichen Dialogs, als der eigentliche Begründer eines indisch-christlichen Mönchtums, das aus der Spiritualität Indiens lebt. Der Saccida¯nanda Ashram in Shantivanam ist nur das sichtbare Zeichen für sein einflussreiches Leben und Werk. Jacques Dupuis beschreibt in seiner Einleitung zu den theologischen Aufsätzen Le Saux’ dessen grundlegende Erfahrung als »gelebten advaita« und zitiert einen Tagebucheintrag: »Die Erfahrung, die er davon gemacht hatte, kann er nicht verleugnen. Ohne Zweifel hinterfragt er sie immer wieder. […] Wenn er […] in den ersten Jahren manchmal deren Wahrheit in Frage stellt, wie es wiederum das Tagebuch beweist, wächst die Sicherheit darüber im Lauf der Jahre nur noch, um sich schließlich in aller Klarheit auszudrücken, wenn er, nicht ohne Es ist das Verdienst von Christian Hackbarth-Johnson, Bettina Bäumer und Ulrich Winkler, entscheidende Passagen des Lebenswerks Le Saux 2005 in den »Salzburger Theologischen Studien« vereinigt und in hervorragender Weise herausgeberisch betreut zu haben. Die Texte stammen aus den Jahren 1952 bis 1973, dem Todesjahr Le Saux, und ermöglichen einen faszinierenden Einblick in die Freuden, aber insbesondere auch in die Mühsal, die mit einer radikalen interreligiösen Suchbewegung verbunden sind.
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Enthusiasmus, notiert: ›Die Erfahrung der Upanishaden ist wahr, ich weiß es!‹« 2 Unter den hinduistischen Schulen nimmt Advaita Vedanta von jeher einen prominenten Platz ein, nicht erst seit der neohinduistischen Erneuerung.3 »It is labeled Advaita because it does not ultimately regard either us or the universe as different from the ultimate reality – they are not-two. It prefers to call them not-two rather than one because not-two implies a lack of fundamental division to begin with, whereas one may imply the coming together of two items that are in fact apart. Hence it prefers to speak in terms of an »undivided« (a-dvaita) Reality, in preference to one Reality, because according to it the posting of such a fundamental division is itself a product of error.« 4 Die Erfahrung des Einen-ohne-ein-Zweites hat in der Tradition des advaita vor allem in zwei Formeln ihren Niederschlag gefunden, dem Aham brahma¯ asmi, »Ich bin Brahma«, nämlich das All-Ganze, neben dem es kein Zweites gibt, und dem durch Schopenhauers Rezeption bekannt gewordenen tat tvam asi, »Das bist du«, in dem sich die Identität des Meditierenden mit diesem All-Ganzen ausdrückt. Auch Abishiktananda kann seine Erfahrung unter diese Formeln subsumieren. 5 Für eine »advaitic world-view in general« gilt: »Brahman is the sole reality, and it appears both as the objective universe and as the Le Saux, Tagebucheintrag vom 11. 5. 1972, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 15; Hervorh. nach dem Orig. 3 Der Umgang des Neohinduismus mit der Advaita-Tradition wird übrigens von Le Saux durchaus kritisch gesehen: »Ohne Zweifel braucht der Hinduismus an vielen Punkten seiner Lehrsätze und Praktiken eine drastische Läuterung; und er muss seine wahre Essenz immer klarer aufzeigen, dadurch, dass er sich von den Schlingen einer überholten Mythologie und eines überholten Ritualismus befreit, und ebenso vom NeoVedanta, der zu oft nur eine pseudo-religiöse Bewegung ist, die auf der Ebene der Idee bleibt«. Le Saux 2005, 230 (1970). 4 Sharma 2004, 13. 5 Es handelt sich um zwei der in der Tradition mahavakysas genannten Basissätze der ¯ ¯ Upanishaden, von denen aus schon Sankara seine Version von Advaita Vedanta entwickelte. »These maha¯va¯kysas, in the light of which the Upanisads should be understood, according to the hermeneutical tradition of Advaita Vedanta, are the following: All this is verily Brahman. I am Brahman. This Atman is Brahman. That thou art.« Sharma 2004, 18 f. 2
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individual subject. The former is an illusory manifestation of Brahman, while the later is Brahman itself appearing under the limitations which form part of that illusory universe.« 6 Die Erfahrung dieser Nicht-Zweiheit ist der Kern der hinduistischen neuen Erfahrung, die Le Saux, der sich später Abishiktananda (»Der, dessen Seligkeit der Gesalbte ist«) nannte, gemacht, bezeugt und erforscht hat, und die ihn zu einem Pionier des interreligiösen Prozesses gemacht hat. Der Versuch ihrer Vermittlung mit seinen christlichen Glaubenserfahrungen bildet den Gegenstand seiner theoretischen Schriften. Zunächst schien es Le Saux zu gelingen, die Beziehung zwischen advaitischer Erfahrung und christlicher Erfahrung in einem ausgeglichenen Verhältnis zu beschreiben – und zu leben. In Sagesse hindoue, Mystique chretienne 7 stehen Advaita und Trinität in einem Verhältnis gegenseitiger Erhellung und Vertiefung. Die Erfahrung des advaita bewirkt, dass wir erkennen, dass die Beziehungen innerhalb der Trinität unsere Vorstellungen und Konzepte davon weit übersteigen. »Man könnte denken, dass wir hier ein abgeschlossenes Werk vor uns haben; und zweifellos würden manche bei Sagesse hindoue, Mystique chretienne stehen bleiben wollen, ohne sich weiter vorwagen zu wollen.« 8 Diese Synthese erwies sich aber so nicht als tragfähig; aus den Schriften und Tagebüchern Le Saux’ entsteht das Bild eines Gläubigen, der 25 Jahre lang zwei religiöse Grunderfahrungen gemacht hat, die er über weite Strecken selbst als unvereinbar empfand, deren Wahrheit und Maßgeblichkeit für ihn aber unhintergehbar waren. Der Le Saux in vielerlei Hinsicht verbundene Jesuit Jaques Dupuis kommentiert: »Abhishiktananda hatte sicherlich die Gewissheit über die Gültigkeit seiner advaita-Erfahrung erlangt – die Erfahrung war ihre eigene Verifikation.« 9 Aber Dupuis ist weit davon entfernt, die Erfahrungen seines Freundes theologisch zu entschärfen oder zu harmonisieren, und der Tenor seines Vorworts zu Le Saux’ Schriften, das er 1980 verfasst hat, lautet: »Wir haben gesehen, dass die Erfahrung Abhishiktanandas mehr Probleme aufwirft, als dass sie sie löst.« 10 So, Grimes 1994, 158. Le Saux 1965. 8 Dupuis 2005 (1980), 19. 9 Dupuis 2005 (1980), 25. 10 Dupuis 2005 (1980), 38. 6 7
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wie Abhishiktananda in seinem eigenen Leben den hinduistischen advaita und seinen christlichem Glauben gelebt hat, stellt sich seine Erfahrung für uns als durch entscheidende Antinomien gekennzeichnet dar. »Abhishiktananda war nicht in der Lage, diese Antinomien theologisch zu überwinden; sie in eine Synthese zu bringen war nicht seine Berufung, und er überließ die Verantwortung dafür anderen […]« 11 . Sofern Synthese hier meint, einen widerspruchsfreien und kommunikabelen Ausdruck dieser speziellen Erfahrungen zu finden, scheint mir die Suche danach ein von vorneherein fruchtloses Bemühen. Die erwähnten Antinomien sind nicht zu überwinden. Bemerkenswert ist aber, dass sie auf einer existentiellen Ebene ausgehalten werden können – keineswegs einfach und selbstverständlich, sondern oft in einer schmerzhaften, Angst verursachenden Spannung, die sich doch mitunter in einer Erfahrung löst, die all das hinter sich lässt. Eine solche Erfahrung »beweist« für uns, die wir sie nicht gemacht haben und die wir sie auf Grund ihrer geradezu notwendigen Nicht-Kommunizierbarkeit auch nicht begrifflich nachvollziehen können, im strengen Sinne nichts. Die Tatsache, dass sie gemacht worden ist, und dass offenbar vielen, Christen und Hindus, ihre Authentizität außer Frage steht, kann uns aber ein Hinweis darauf sein, dass wir Grund zu der Hoffnung haben, dass Christentum und Hinduismus keine sich auf immer ausschließenden Erfahrungen der Wirklichkeit sind. Eine solche Erfahrung hat den Charakter eines Zeichens und Zeugnisses, und sie sollte nicht vorschnell zu einer Art Beweis für eine Pluralistische Religionstheologie instrumentalisiert werden. 12 In den 25 Jahren, in denen Abhishiktananda mit dieser Erfahrung umging, hat er sie nicht so verstanden – obwohl ihm dass gewiss einen Berg innerer Kämpfe erspart hätte. Zunächst muss man im Auge behalten, dass eine derartige Erfahrung, »zwischen den Religionen« zu stehen, wohl einen der heftigsten inneren Konflikte darstellt, die einem gläubigen Individuum widerfahren können. Le Saux spricht von einem »Ozean der Angst, wo ich mich auch hinwende« 13 (Tagebucheintrag vom 27. 11. 1956) und der »Angst, Dupuis 2005 (1980), 38. Zum Verhältnis einer Pluralistischen Religionstheologie zu Schaefflers Dialogischer Theorie der Erfahrung vgl. Ludwig 2007, bes. 160–165 13 Le Saux, Tagebucheintrag vom 27. 11. 1956, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 16. 11 12
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die mich seit Aruncha¯la verfolgt, 16 Jahre und mehr« 14 (Tagebucheintrag vom 11. 1. 1969). Er muss feststellen: »Ich kann nicht zugleich Hindu und Christ sein, und ich kann noch weniger bloß Hindu oder bloß Christ sein.« 15 (Tagebucheintrag vom 4. 12. 1957). Es ist eindeutig, dass nicht eine Gewissheit, sondern eine Hoffnung auf die Vereinbarkeit seiner zwei »Glauben« seine Lebensmaxime geworden war. So schreibt er am 5. 12. 1970 an einen befreundeten Ordensbruder: »Das beste ist noch, denke ich, wenn auch unter äußerster Spannung, an diesen beiden Formen eines einzigen ›Glaubens‹ festzuhalten, bis einmal die Morgenröte aufscheint« 16 . Es scheint, als habe sich diese Hoffnung, wiederum im Modus einer religiösen Erfahrung, in einem Grenzerlebnis am Ende seines Lebens noch einmal verdichtet. »Während eines Herzinfarktes im Juli 1973 erlebte Le Saux ein überwältigendes spirituelles Erwachen. Nur mehr wenige Monate konnte er einigen Freunden davon Zeugnis geben, bevor er am 7. Dezember 1973 in ›die große Stille‹ einging.« 17 In den letzten Monaten seines Lebens, im Gefolge des Herzinfarkts, den er »in Begriffen einer spirituellen Erfahrung verstand, die von solcher Intensität war, dass der Körper ihr nicht mehr standhalten konnte« 18 , scheint er für sich eine Lösung seines Konfliktes gefunden zu haben. Das bekundet einer der letzten Tagebucheinträge: »Am Ende einiger Tage kam es mir schließlich, als wäre es die überraschende Lösung einer Gleichung: Ich habe den Gral gefunden.« 19 (Eintrag vom 11. 9. 1973) Der Freund und Zeitzeuge Dupuis meint beobachtet zu haben, dass Le Saux die »Morgenröte«, auf die zu warten er sich so lange Zeit verpflichtet sah, am Ende seines Lebens anbrechen sah: »[…] sein inneres Leuchten, wenn auch sein Geschriebenes nicht völlig davon Rechenschaft gibt, gab davon Zeugnis« 20 . Den existentiellen Bezug eines Dialogs der unterschiedlichen religiösen Traditionen und Erfahrungen und das zunächst verstörende Moment, das mit der Akzeptanz der neuLe Saux, La montée au fond du coeur. Le journal intime du moine chrétien – sannyasi hindou 1948–1973. Paris 1986, 372, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 31. 15 Le Saux, Tagebucheintrag vom 4. 12. 1957, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 16. 16 Le Saux, Brief an O. B., 5. 12. 1970, in: James Stuart: Swami Abhishiktananda – His life told through his letters, Delhi 1995 (zuerst 1989), 239, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 17. 17 Vorwort der Herausgeber in Le Saux 2005, 29. 18 Dupuis 2005 (1980), 18. 19 Le Saux, Tagebucheintrag vom 11. 9. 1973, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 18. 20 Dupius 2005 (1980), 31. 14
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en Erfahrung verbunden ist, hatte Le Saux 1969 mit den Worten formuliert: »Echter Dialog wirkt wie eine Durchleuchtung, nicht weniger bestürzend für unsere falsche Sicherheit als eine psychoanalytische Therapie.« 21 Diese und viele andere Stellen aus den Aufzeichnungen Le Saux’ lassen sich als anschauliche Beispiele zu dem von Schaeffler schon in Fähigkeit zur Erfahrung (1982) analysierten Zerbrechen des Erfahrungshorizonts durch neue religiöse Erfahrungen lesen. Dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass sich ein Horizont bildet, unter den alte und neue Erfahrung zu fassen sind, ist in allen autobiographischen Äußerungen Le Saux’ präsent. Überdeutlich wird auch, dass ein solcher neuer Horizont keine Eigenleistung des erfahrenden Individuums sein kann – so wenig, wie es die »Morgenröte« herbeizwingen kann, kann es eine neue Gestalt seiner Vernunft erzwingen. Es lässt sich an dem langen Weg von Henri Le Saux zum Swa¯mı¯ Abishiktanda und auch an seinen späteren Beschreibungen und Bewertungen dieses Weges in ausgezeichneter Weise zeigen, dass religiöse Erfahrungen, die im System einer anderen Traditionsgemeinschaft gemacht werden, in der Tat eine ausführliche Schulung, ja man ist fast versucht zu sagen eine »Konversion« der Lebensweise zur Voraussetzung haben. Dabei zeigt sich, dass theoretische wie lebenspraktische Elemente der Überlieferungsgemeinschaft gleichermaßen notwendig sind, um den erfahrungsermöglichenden Charakter eines solchen Systems zu konstituieren. Ohne den »theologischen« Teil, der durch das Studium der heiligen Schriften und durch die Belehrung verkörpert wird, kann auch die advaitische Erfahrung nicht zustande kommen. So unvollkommen nach der Überzeugung der Hindu-Theologen der sprachliche Ausdruck auch ist, in dem der Weg zu dieser Erfahrung tradiert ist, – und in noch viel stärkeren Maß trifft das natürlich auf die Versuche der Versprachlichung der Erfahrung selbst zu – so notwendig bleibt doch das Überlieferungsgut als Bedingung der Möglichkeit, eine solche Erfahrung zu machen. Es handelt sich nicht darum, eine Erfahrung zu machen und sie nachträglich zu deuten; die advaitische Tradition hat in Bezug auf die advaitische Erfahrung transzendentalen Charakter. 22 Le Saux 2005, 371. Zur erfahrungsermöglichenden Rolle der Traditionsgemeinschaften vgl. vor allem Schaeffler 2005 21 22
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Aus seinem störrischen Beharren auf der Differenz der Erfahrungen leitet Le Saux selbst einen Appell zu interreligiöser Behutsamkeit ab, der sich als eindringliche Warnung davor verstehen lässt, es sich im interreligiösen Dialog zu einfach zu machen: »Immer weniger denke ich, dass die Zeit gekommen ist, um die Konzepte zu entdecken, die einen Austausch zwischen Orient und Okzident erlauben […] Ich glaube, dass es jetzt darum geht, sich einfach von der Erfahrung erfassen zu lassen, – von den zwei Erfahrungen, wenn Sie so wollen –, und auch, um mit denen, die an dieser zerreißenden Erfahrung teilhaben werden, die Grundlagen für den späteren intellektuellen Dialog zu legen.« 23 Le Saux kann von sich sagen, dass er »eine bis in die Eingeweide gehende Anhaftung an den christlichen mythos« (Tagebucheintrag 7.–8. 9. 1970) verspürt und gleichzeitig glaubwürdig von seiner maßgeblichen advaita- Erfahrung berichten. In der religiösen Erfahrung kann der Anspruch des Wirklichen offenbar so geartet sein, dass eine widerspruchsfreie Antwort nicht immer möglich ist. Le Saux jedenfalls hat offenbar über eine lange Zeit zwei verschiedene Antworten geben können – geben müssen.
Dialog in der gesellschaftlichen Wirklichkeit Indiens Die Begegnung mit der spirituellen Tradition des advaita vedanta steht exemplarisch für einen Aspekt des interreligiösen Dialogs, den Christen in Indien führen. Für einen anderen soll hier der indische Theologe Felix Wilfred herangezogen werden, der als Kenner der indischen Kultur und der christlichen Theologie eine Brücke zwischen beiden schlägt. Einen ersten Hinweis auf seine Position gibt seine Feststellung, in der Kirche Indiens gebe es einen bezeichnenden Richtungsstreit: »Eine Richtung, die mit dem ashram assoziiert wird, betont die Bedeutung des ›Spirituellen‹. Ashram ist ein Raum, in dem man versucht, sich von allen Arten der Knechtschaft zu befreien und den Zustand wahrer Befreiung zu erreichen. Dieses mit Ashram assoziierte Ideal wurde von denjenigen stark kritisiert, die an der Basis in die Kämpfe der Menschen eingebunden sind. Für sie ist das Ideal des Ashram ein elitärer, auf das individuelle Selbst zentrierter Befreiungsansatz. Die, die tatkräftig in den Kämpfen engagiert sind, betonen die Bedeutung 23
Le Saux, Brief an einen Freund vom 2. 9. 1972, zit. nach Dupuis 2005 (1980), 17.
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des kollektiven Aspekts der Befreiung und der strukturellen Aspekte der Knechtschaft.« 24 Wilfred plädiert für einen Dialog, bei dem insbesondere die Erfahrungen der Armen Indiens eine zentrale Rolle spielen. Den Ausgangspunkt seiner Theologie bildet die existenzielle Erfahrung der Menschen in Indien, die ihn schon früh zur Kritik am Konzept der Inkulturation führte. Seine Kritikpunkte korrespondieren mit Einsichten Schaefflers im Felde des gruppenübergreifenden Dialogs von Überlieferungsgemeinschaften, und auch die Schlussfolgerungen, die er für einen künftigen Dialog der Religionen zieht, zeigen die Relevanz einer transzendentalen Theorie der religiösen Erfahrung, wenn es darum geht, dialogische Prozesse zu begründen und in ihnen Kriterien zu entwickeln, die auf Akzeptanz hoffen können. Zunächst ist in der Diskussion um Inkulturation und Evangelisation aus indischer Sicht besonders der Kulturbegriff problematisch. Kultur ist nicht von den Religionen zu trennen. Der indische Theologe D. S. Amalorpavadass kritisiert, dass die brahmanische Kultur und Weltsicht der oberen Kaste zum Bezugspunkt von christlicher Inkulturation gemacht wurde. Zudem sind die Kulturen nicht politisch neutral, sondern sie haben eine identitätsstiftende Rolle für bestimmte Gruppen und sind Konfliktstoff in sozialen und politischen Auseinandersetzungen. In Indien muss deshalb kritisch gefragt werden, von welcher Kultur und von wessen Kultur gesprochen wird, wenn der Inkulturationsbegriff gebraucht wird. Zweitens stellt das Projekt der Inkulturation sich nicht ernsthaft die Frage nach dem Aufeinandertreffen verschiedener Welten mit ihren unterschiedlichen Zugängen zur Wirklichkeit. Unter Kultur werden unterschiedlichste Bräuche, Traditionen und Künste verstanden. »Es werden verschiedene Elemente, Symbole und Ausdrucksweisen aus einer Kultur herausgepickt und zum Vehikel für die Übermittlung eines vordefinierten christlichen Glaubens und seiner Ideale gemacht.« 25 Notwendig ist ein weit gefasster Kulturbegriff. »Die interkulturelle Begegnung, wie wir sie uns als Rahmen für die Begegnung von Indien und dem Christentum vorstellen, basiert auf einem viel weiter gefassten Kulturbegriff. Kultur wird hier als eine bestimmte Struktur des Erkennens und Erfahrens verstanden, derart, dass der 24 25
Wilfred 2001, 126 f. Wilfred 2001 57.
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Zugang zur Wirklichkeit und der Wissenserwerb von den kulturell vorgegebenen Strukturen geformt und bedingt ist.« 26 Es ist deutlich, das sich diese Forderung mit der Formulierung Schaefflers zur Deckung bringen lässt, die Erfahrungshorizonte als prägende formae mentis begreift. Das Konzept der Inkulturation hat immer schon, transzendental gesprochen, »zu spät« angesetzt. Nur wer fragt, wie Erfahrungen zustande kommen, kann interkulturell mit der Hoffnung auf Verständigung argumentieren. Der erste Schritt jeder interkulturellen oder interreligiösen Kommunikation muss daher die Rekonstruktion der Erfahrung sein, »aus der die als befremdlich empfundene Bewußtseinsgestalt der jeweils »Anderen« hervorgegangen ist« 27 . Ein dritter Kritikpunkt betrifft die Selbstbezogenheit, die zentripetale Bewegung, mit der der Inkulturationsbegriff gebraucht wird. Hinter dem Inkulturationsanliegen steht die Frage, wie das Christentum für die verschiedenen Völker der Welt relevant gemacht werden kann durch den Bezug auf ihre Kulturen. 28 Wesentlich ist hingegen eine zentrifugale Bewegung, die zu einer veränderten Fragestellung führt: Welchen Beitrag kann das Christentum in dem gegenwärtigen Lebenskontext der Menschen leisten? Geht es bei der einen Frage um das Christentum, für das die Kultur ein Vehikel ist, so geht es bei der anderen Frage um die Bedeutung der Kulturbegegnung für die Christinnen und Christen selbst, und für die anderen Menschen. In der Diktion Richard Schaefflers gesprochen bedeutet dies: Nur wenn der in eine interreligiöse Begegnung Eintretende bereit ist, »die diese fremde Bewußtseinsgestalt prägende Erfahrung gemäß dem Axiom »Verum Wilfred 2001 58. Schaeffler 1995, 547. 28 Diese Tendenz geht oft Hand in Hand mit der seltsamen Vorstellung, das Christentum selbst habe diese Begegnung praktisch schon hinter sich und könne immer auf seine einmal gefundenen Antworten zurückgreifen. Wilfred zitiert zustimmend G. Evers: »Es gibt eine Tendenz, auf die alten etablierten theologischen Formeln zurückzugreifen und der Neuartigkeit der Situation mit dem Hinweis auf die Antworten zu begegnen, die die Kirchenväter in ihrer Antwort auf die griechisch-römischen Gottheiten und, noch wichtiger, auf die griechische Philosophie der Gnosis und der Mysterienkulte gegeben haben. […] Das ist eine ziemlich rückwärtsgewandte Haltung, die nicht wahrnimmt, dass die aktuelle Situation des religiösen Pluralismus, wie sie sich in den asiatischen Ortskirchen in ihrer Begegnung mit den großen asiatischen Religionen darstellt, eine neue Lage ist, die neue theologische Antworten erfordert.« Georg Evers, Trends and Conferences in the Field of Interreligious Dialogue, Studies in Interreligious Dialogue 8 (1998) Nr. 2, 243, zit. nach Wilfred 2001, 50 f. 26 27
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vero consonat« als kritische Instanz auch gegen die eigene Anschauungs- und Denkform ins Spiel zu bringen«, 29 kann es zu reziproken Verständigungsprozessen kommen, die auch den eventuell nötigen Widerspruch legitimieren. Wilfred schlägt vor, das Modell der Inkulturation endgültig durch ein dialogisches Modell der interkulturellen und interreligiösen Begegnung zu ersetzen. Seine Beschreibung der Voraussetzungen eines solchen Vorgehens lässt deutlich werden, dass ihm dabei eine Sichtweise des Weltbildes der Menschen in Indien vorschwebt, die auch in die Schaefflerschen Begriffe Erfahrungshorizont, Denk- und Anschauungsweise, forma mentis gefasst werden könnte. Nur so kann der schon erwähnte weite Kulturbegriff gewonnen werden. Dabei wird eine Kommunikation zwischen Kulturen, Philosophien und Religionen auf allen gesellschaftlichen Ebenen angestrebt. Dieses Modell entspringt dem Bewusstsein, dass die einzelne Weltsicht oder die religiöse oder philosophische Weltsicht begrenzt ist. Ziel ist nicht, einen universalen Standpunkt über den bestehenden religiösen Traditionen zu entwickeln oder zu einer universellen Ethik zu gelangen. Vielmehr geht es um eine Begegnung und den Dialog auf der Ebene der »Wurzelparadigmen« (Victor Turner), der grundlegenden Werte und der zentralen Symbole. Eine erste Schwierigkeit auf diesem Weg beschreibt Wilfred als das Problem, die Vertreter der religiösen Traditionsgemeinschaften erst einmal von der Notwendigkeit einer Begegnung zu überzeugen. Weil Philosophie und Religion holistische Weltsichten generieren, kann es zu einer gewissen »Selbstzufriedenheit« kommen. »Diese Selbstzufriedenheit kann jedes Suchen über das eigene Universum, die eigene Weltsicht hinaus unnötig oder überflüssig erscheinen lassen.« 30 Diese Kommunikationsunfähigkeit aus Selbstverschließung ist die spezielle Spielart, die die Erfahrungsunfähigkeit im Felde der religiösen Überlieferungsgemeinschaften annehmen kann. Schaeffler spricht von »systembedingter Erfahrungs-Unfähigkeit« die zu »Tatsachen-Blindheit« und »Argumentations-Taubheit« führen kann. 31 Schaeffler 1995, 547. Wilfred 2001, 61. 31 Schaeffler 1995, 71. Schaeffler bezieht sich auf Politiker und Wissenschaftler, aber auch und gerade ein religiöser Erfahrungshorizont kann gegen neue Ansprüche immunisieren. 29 30
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Im Hinblick auf die Praxis der Begegnungen und Konversionen im indischen Kontext gelangt Wilfred zu drei hermeneutischen Konsequenzen: (1) Die Begegnung ist keine totale, sondern eine partielle. Die Menschen integrieren christliche Praktiken in ihre kulturell geprägte Weltsicht. Dies ist Ausdruck von subjektiven Aneignungsprozessen und einer subjektiven Glaubensgestaltung. So sind die Gründe für die Konversionen zum Christentum und die Entwicklung eines christlichen Glaubens oftmals recht verschieden von dem, was sich ein christlicher Missionar vorstellt. Wilfred nennt zwei Beispiele: Die Konversion einer Gruppe von Fischern in Südindien galt nicht dem Versuch, das Kastenwesen zu überwinden, vielmehr erlaubte sie ihnen, einen christlichen »Kasten-Lebensstil« auszubilden. Und das Gebet zu Maria zeigte oftmals große Ähnlichkeiten zur traditionellen Verehrung der hinduistischen Göttinnen. Die Heiligenverehrung ist eine Übernahme der Verehrung der Schutzgottheiten aus der indischen Tradition. Die alten Verehrungsweisen und Rituale wurden nicht ausgelöscht, sondern haben einen neuen christlichen Kontext gefunden. 32 Man wird in solchen Prozessen legitime interkulturelle und interreligiöse Lern- und Übernahmeprozesse sehen dürfen, wie sie ähnlich auch bei der Ausbreitung des Christentums im europäischen Raum stattgefunden haben. »Wir werden den Anspruch aufgeben müssen, die gesamte Verkörperung des christlichen Glaubens von einer Kultur in eine andere zu transportieren. Wenn die Menschen dem Christentum begegnen, tun sie dies auf ihre je eigene Weise und gemäß den ihrer eigenen kulturellen Tradition innewohnenden Mustern. Dabei werden sie bestimmte Aspekte des Christentums aufnehmen und andere auslassen. […] Welche Begegnung von Kultur und Christentum war je eine totale?« 33 (2) Auch wenn die Aneignungsprozesse partiell und subjektiv sind, muss die Herausforderung jener Anteile der Religion wahrgenommen werden, in denen sie neu, anders und provokativ erscheint. Der kritische Impuls der prophetischen Dimension, die jede Selbstzufriedenheit stört, gilt – so lässt sich ergänzen – freilich nicht nur für die Begegnung mit der fremden Religion, sondern nicht zuletzt auch für die immer neue Aneignung und Aktualisierung der eigenen Religion. Deren zukunftsoffene Begegnung mit der Wirklichkeit, so ließe 32 33
Vgl. Wilfred 2001, 63 f. Wilfred 2001, 66.
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sich dieses Anliegen Wilfreds in der Diktion Schaefflers formulieren, kann nur durch ein Sich-Offenhalten für den neuen Anspruch des Wirklichen gelingen, und zu diesem neuen Anspruch gehören in der religionspluralistischen Situation unvermeidbar und mit Anspruch auf Maßgeblichkeit die Antworten der »Anderen« auf diesen Anspruch. Dabei kann es nicht darum gehen, dieser anderen Antwort »lehrsatzhaft formulierbare Weisheiten zu entnehmen« 34 , und es mag sich die Notwendigkeit ergeben, energisch zu widersprechen; Schaeffler spricht vom »Lernen im heftigsten, best begründeten Widerspruch«35 . Dieser in interreligiösen Begegnungen unvermeidliche Widerspruch ist auch für Wilfred ein wichtiges Anliegen. Die Rolle der Christen an der Seite der Dalit bedeutet ein gewaltiges Konflikt- und Streitpotenzial sowohl mit der brahmanischen Orthodoxie als auch mit dem Alltagsbewusstsein jener Inder, die zu einer der vier Kasten gehören, also keine »outcasts« sind. Die Auseinandersetzung ist hier unvermeidlich und ein wesentlicher Teil des Dialogs. Schaeffler warnt in diesem Zusammenhang vor einem falschen Toleranzbegriff. »›Toleranz‹ würde, so verstanden, nicht besagen, daß Menschen unterschiedlicher Geschichte sich in ihren jeweils erreichten Weisen des Anschauens und Denkens und in den dadurch eröffneten Möglichkeiten, den Anspruch der Wirklichkeit zu vernehmen und zu beantworten, gegenseitig unbehelligt lassen. ›Toleranz‹ würde vielmehr bedeuten, daß jeder von ihnen es ›erträgt‹ (›tolerat‹), durch den Anderen auf Möglichkeiten des Vernehmens aufmerksam gemacht zu werden, die ihm bisher, aufgrund seiner eigenen Geschichte, verschlossen sind, die ihm aber, und dies wiederum auf eine seiner Geschichte angemessenen Weise, künftig erschlossen werden könnten und erschlossen werden müßen, wenn es ihm gelingen soll, in der Besonderheit seiner historischen Überlieferung der einen Wahrheit auf der Spur zu bleiben.« 36 (3) Die Begegnung der indischen Kulturen und Religionen mit dem Christentum kann auch eine indirekte Begegnung sein. Sie muss sich nicht auf das beziehen, was das Christentum explizit als Glaubensinhalte und Werte vorschlägt. Vielmehr geschieht eine Begegnung auch mit der inspirierenden Kraft von säkularen Entwicklungen. Werte und Ideale wie Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Solidarität ha34 35 36
Schaeffler 1995, 552. Schaeffler 1995, 552. Schaeffler 1995, 642 f.
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ben ihre Wurzeln im christlichen Glauben. Doch hat eine Begegnung Indiens mit diesen Idealen nicht in einem religiösen Dialog stattgefunden, sondern in der Auseinandersetzung mit ihren säkularen Ausprägungen z. B. im Rechtssystem. Auch das Ethos der Menschenrechte, auch die Begegnung mit säkularen »formae mentis«, können einen Anspruch der Wirklichkeit bereithalten.
Geschichte und Identität Eine der zentralen Fragen in der Beziehung zwischen den Religionen betrifft die Verständigung über das Verständnis von Geschichte und Tradition. Die indische Geschichte wird von verschiedenen Gruppen in Indien unterschiedlich rekonstruiert. Die Zerstörung der Moschee von Ayodhya ist ein Beispiel dafür. Die Geschichtsschreibung wurde zu einem brennenden politischen Problem zwischen unterschiedlichen religiösen Gruppen. 37 Das Selbstbild vieler Hindus als eines immer neuen, hauptsächlich islamischen und christlich gesteuerten Aggressionen ausgesetzten, friedlichen Ursprungsvolkes wird gerade heute in der politischen Auseinandersetzung instrumentalisiert und stellt ein Hindernis auf dem Weg zur Verständigung in dialogischen Prozessen dar. Wilfred kommentiert das wie folgt: »Wenn die indische Identität durch eine Religion bei Ausschließung der anderen definiert wird, geraten wir in große politische Probleme«. 38 »Eine Gesellschaft kann nicht angemessen funktionieren, wenn die Vergangenheit durch die verschiedenen Gruppen in ihr in diametral entgegen gesetzter Weise rekonstruiert wird. Es mag als eine unmögliche Aufgabe erscheinen, einen Dialog über eine so aufgeladene Frage wie die Geschichtsschreibung zu führen, wenn man die damit verbundenen Emotionen bedenkt. Dennoch brauchen die verschiedenen religiösen Gruppen den Dialog über solche Themen.« 39 Wilfred betrachtet den Dialog über die Deutung der indischen Geschichte als eine der zentralen Aufgaben des Religionendialogs in Indien, konstatiert aber auch die ungeheueren Schwierigkeiten eines sol37 38 39
Vgl. Wilfred 2001, 93 f. Wilfred 2001, 94. Wilfred 2001, 96.
38 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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chen Unterfangens. So ist das Selbstbild vieler Moslems und Hindus offenbar so von der Überzeugung der eigenen Benachteiligung und der Notwendigkeit auch militanter Selbstbehauptung imprägniert – sei es aus historischen Gründen wie bei zahlreichen Hindus, die den Islam immer noch als illegitimen Eindringling betrachten, sei es aus aktuellen wie bei zahlreichen Moslems, die sich im hindudominierten Staat Indien diskriminiert fühlen –, dass der Konflikt um die Deutung der Geschichte immer wieder blutig eskalieren kann. In der Terminologie einer Dialogischen Theorie der Erfahrung gesprochen: Die Formen des Anschauens und Denkens haben hier eine Sicht des jeweils Anderen hervorgebracht, die die Rede von gelungener Begegnung als antizipatorische Erfahrung einer idealen Kommunikationsgemeinschaft illusorisch erscheinen lässt. Und doch kann eine friedliche Zukunft nur gewonnen werden, wenn die Überlieferungsgemeinschaften ihre gemeinsame Geschichte auf eine neue Stufe heben können. Die eigene Form des Anschauens und Denkens für solche neuen Erfahrungen offen zu halten, stellt in einem Kontext wie dem Konflikt um Ayodhya zunächst eine gewaltige Zumutung dar; schließlich setzt jeder Versöhnungswillige »zugleich seine historisch gewordene Identität, die sich in diesen seinen Anschauungs- und Denkformen ihren Ausdruck verschafft, aufs Spiel« 40 . Zu diesen dialogischen Prozessen gibt es aber keine Alternative. Die Rolle des Christentums bei diesen Dialogprozessen ist geschichtlich belastet. Es sieht sich der Erfahrung und Fremdwahrnehmung durch die nichtchristlichen Inder konfrontiert. Das Christentum ist in der Erfahrung vieler Inder mit der Geschichte und der ideologischen Rechtfertigung der britischen Besatzung Indiens verbunden. Während die Religionen und Kulturen Indiens als falsch, abergläubisch und unwissend deklariert wurden, wurden das Christentum und die Kolonialisierung als das Heil und die Rettung dargestellt. Das Christentum muss sich der Auffassung stellen, dass die Leiden der Hindus eine Folge der Invasion und Kolonialisation durch Christentum und Islam sind. Zudem wird das Christentum mit dem Westen in Verbindung gebracht, »der ein Weltsystem der Ausbeutung der Armen aufrecht erhält und um die Anhäufung von Reichtum in den westlichen Ländern bemüht ist – ein Muster, das mit dem Kolonialismus begann und unvermindert bis heute weiter besteht, wenn auch in der ver40
Schaeffler 1995, 742.
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feinerten Version des Neokolonialismus.« 41 . Es ist sicher nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, dass für den überwiegenden Teil der Inder diese Verbindung der christlichen Gemeinschaften des Landes mit der Geschichte der Kolonialisierung Indiens durch die Europäer einen Bestandteil der Anschauungs- und Denkformen darstellt, der auch im interreligiösen Gespräch die Ausgangssituation bestimmt.
Über den Dialog zur Selbsterkenntnis Im religiösen Dialog reflektiert eine indische Theologie den eigenen Glauben, die Ideale und Lebensweisen in veränderter Dimension und eignet sie als das Resultat des Dialogs wieder neu an. Die Religionstheologie im multireligiösen Kontext Indiens führt zu einer neuen Selbstwahrnehmung der eigenen Identität als Christen. Gerade die massive und zum Teil als ungerecht empfundene Kritik, der sich Christen in Indien zu manchen Zeiten ausgesetzt sehen, kann sie davor bewahren, eine eigene unfehlbare »Innensicht« einer grundsätzlich nicht korrekten »Außensicht« gegenüber zu stellen. Wilfred fordert für die christliche Gemeinschaft in Indien das Offenhalten für eine Veränderung der Anschauungs- und Denkformen, das sie nach Schaeffler erfahrungs- und zukunftsfähig macht, wenn er formuliert: »Wir müssen unseren Glauben, unsere Ideale und Lebensweise in veränderter Form und Dimension als Resultat des Dialogs wieder entdecken. Hier zeigt sich die Bedeutung einer angemessenen Religionstheologie. Wir in Indien sind aufgerufen, aus unserem multireligiösen Kontext heraus eine Religionstheologie zu entwickeln, die uns gleichzeitig zu einer Rekonstruktion unserer Eigenidentität als Christen führen wird.« 42 Nur in der Begegnung und im Dialog kann realisiert werden, dass es zum »angemessenen Selbstverstehen gehört, daß gerade das Bewußtsein, daß jener Blick auf die je eigene Lebensgeschichte, den der Andere gewinnt und den der je Einzelne so gerade nicht mitvollziehen kann, die ›Wahrheit‹ des eigenen Ich, d. h. seine Maßgeblichkeit für das Verstehen, auf eine dem unmittelbaren Selbstverstehen entzogene Weise enthüllen kann.« 43 41 42 43
Wilfred 2001 133. Wilfred 2001, 99. Schaeffler 1995, 746.
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Wilfred erhofft sich derartige Lernprozesse, die er bei Teilen der indischen Christen zumindest angestoßen sieht, auch für die anderen Überlieferungsgemeinschaften und ist überzeugt: »Ein fruchtbarer Dialog dieser Art würde zu einer gründlichen Selbstkritik jeder religiösen Gruppe auffordern. Der Dialogprozess wird so kritische Fragen wie die indische Geschichtsschreibung, den richtigen Gebrauch des religiösen Erbes und die subalternen Gruppen mit ihren religiösen Erfahrungen umfassen.« 44 Der wegweisende Charakter, den die grundlegenden Bestimmungen zum Begriff der Erfahrung, wie sie Richard Schaeffler vornimmt, im interreligiösen Dialog in Indien haben können, zeigt sich in den beiden angesprochenen Bereichen. Die Theorie kontingenter Erfahrungshorizonte als Möglichkeitsbedingung auch religiöser Erfahrung ermöglicht ein tieferes Verständnis von Konversionserlebnissen und neuartigen spirituellen Erfahrungen, und sie vermag insbesondere die Ängste und Gefährdungen einer interreligiösen Existenz zu verdeutlichen. Das Entstehen eines vollkommen neuen religiösen Erfahrungshorizontes, so könnte man den Lernertrag hier formulieren, ist eher ein außergewöhnliches Ereignis – man ist fast versucht zu sagen ein Wunder – als eine Selbstverständlichkeit. Für die allermeisten Teilnehmer am interreligiösen Dialog wird es eher darum gehen, in der Begegnung mit Menschen anderen Glaubens im konventionellen Sinne zu lernen – das allerdings ist unvermeidbar, wenn sie den Anspruch, unter dem sie stehen, ernst nehmen. Was das weite Feld der vielfältigen Dialogprozesse und Konflikte angeht, in die christliche Stimmen im indischen Kontext involviert sind, so wird, wenn man sie durch die Brille einer transzendentalen Erfahrungstheorie betrachtet, wie sie Richard Schaeffler als Grundlagentheorie und Handwerkszeug des gruppenübergreifenden Dialogs vorschlägt, der spezifische Beitrag deutlicher, den diese besondere Traditionsgemeinschaft mit ihren Anschauungs- und Denkformen in der gegenwärtigen Situation zu erbringen vermag – für sich selbst und für die religionsplurale Gesellschaft, von der sie ein Teil ist. Sie sah und sieht sich im Verlaufe ihrer Traditionsgeschichte immer wieder typischen Fehlformen religiöser Erfahrungen konfrontiert, und wenn sie sich als zukunftsoffene, Erfahrung ermöglichende Überlieferungsgemeinschaft erhalten will, so ist ihre vordringlichste 44
Wilfred 2001, 100.
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Aufgabe zunächst, diese misslungenen Erfahrungen in der eigenen Gemeinschaft und Geschichte zu erkennen und zu korrigieren. Die von Schaeffler als der Struktur des religiösen Aktes nicht korrespondierend beschriebenen »pseudoreligiösen« Verhaltensmuster sind immer zuerst solche, nach denen man im eigenen Kontext Ausschau halten muss: Das bloße Verstummen vor dem vermeintlich Heiligen, enthusiastische Selbstdivinisierung in der Identifikation des Erfahrenden mit dem Göttlichen, krisenerzeugende Exaltiertheit; aber auch ihr Gegenteil, eine künstliche Gelassenheit und Ablehnung jeder Verantwortung für Welt und Geschichte, die doch nur aus Bequemlichkeit resultiert, Idolatrie und Ikonoklasmus, also die Verwechslung zwischen dem Bild und der Wirklichkeit des Heiligen oder dem Bestehen auf einer unmittelbaren Privatoffenbarung – auch im übertragenen Sinne, wenn es nicht um Bilder im Wortsinn, sondern um Sätze geht –, eine Vernachlässigung der Geschichte, die »Torheit der Weisen«, subjektivistisch-selbstgenügsame oder objektivistisch-unbelehrbare Weltbildverengungen – das kann alles zunächst an der christlichen Tradition gründlich studiert werden. Indische Theologinnen und Theologen haben eine solche Analyse mit viel Verve in Gang gesetzt, und insbesondere in der Parteinahme für Indiens Unterprivilegierte einen Ansatzpunkt gefunden, dem Anspruch, den die Wirklichkeit Indiens, den die heutige indische Realität ihnen stellt, gerecht zu werden und der Wahrheit auf der Spur zu bleiben. Wiewohl selbst oftmals in der Rolle einer bedrängten Minderheit, 45 verschweigen sie nicht länger den eigenen Anteil an Unterdrückung und Ausgrenzung. Die schweren Konflikte um die Konversionen von Niedrigkastigen und Dalit erschweren zur Zeit den Dialog erheblich. Ein interreligiöser Dialog wird aber nicht mehr hinter die Erkenntnis zurückfallen können, dass er ein bloßes Glasperlenspiel bleibt, wenn nicht die Leidenserfahrungen vieler Menschen auf dem Subkontinent einbezogen werden, in die auch Indiens Religionen massiv verwickelt sind. Der Dienst, den die indischen Kirchen der Mehrheit ihrer LandsSo ist es Ende August 2008 nach einem Attentat auf Guru Laxmananda zu Auschreitungen gegen Christen in Orissa gekommen. »50.000 Menschen sind auf der Flucht und mehr als 2000 Häuser zerstört«, rechnete Raphael Cheenath vor, Erzbischof von Bhubaneshwar. […] Die Angaben über die Todesopfer schwanken mittlerweile zwischen zwanzig und mehr als dreißig.« FAZ, 3 September 2008
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leute in Prozessen des interreligiösen Dialogs leisten können, wird so über weite Strecken auch im entschiedenen Widerspruch bestehen. Die schwierige Aufgabe wird darin bestehen, deutlich zu machen, dass das kein Widerspruch gegen religiöse Erfahrungen ist, sondern einer gegen deren Missbrauch. Das Potential des Interpretationsangebots, das die hermeneutische Tradition des Westens bei den Auseinandersetzungen um die Deutung der indischen Geschichte und in den ethnischen, religiösen und konfessionellen Auseinandersetzungen, die Indien heute erschüttern, aus der Erfahrung einer leidvollen europäischen Geschichte anzubieten hat, ist enorm – es immer wieder in Diskussionsprozesse einzubringen, ohne besserwisserisch oder kontextfern zu wirken, eine bleibende Aufgabe. Jenseits einer bruchstückhaften Inkulturation und auch jenseits der die religionstheologische Diskussion in Europa und Nordamerika beherrschenden Absolutheitsfrage zeichnet sich für eine indische christliche Theologie ein Weg ab, der den Erfahrungshorizont einer kleinen Minderheit in einem tiefreligiösen nichtchristlichen Umfeld radikal ernst nimmt und den Kern der christlichen Botschaft zu einer Stimme der Hoffnung in einer sich in dramatischem Tempo verändernden Gesellschaft macht. Literatur Dupuis, Jacques (1980): Die theologischen Aufsätze des Henri Le Saux/Swami Abishiktananda. In: Le Saux 2005, 7–38. Grimes, John (1994): Problems and Perspectives in Religious Discourse: Advaita Vedanta Implications. New York: SUNY. Hackbarth-Johnson, Christian (2003): Interreligiöse Existenz. Spirituelle Erfahrung und Identität bei Henri Le Saux (O.S.B.)/Swami Abishiktananda. Frankfurt am Main: Peter Lang. Le Saux, Henri (2005): Henri Le Saux (Swami Abishiktananda). Innere Erfahrung und Offenbarung. Theologische Aufsätze zur Begegnung von Hinduismus und Christentum. Hackbarth-Johnson, Christian; Bäumer, Bettina; Winkler, Ulrich (Hg.). Salzburg: Tyrolia. Ludwig, Gunther (2007): Der Wahrheit auf der Spur bleiben. Die transzendentale Erfahrungstheorie Richard Schaefflers als Wegweiser im Dialog der Religionen. Berlin: LIT-Verlag. Schaeffler, Richard (1982): Fähigkeit zur Erfahrung. Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Schaeffler, Richard (1995): Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung. Freiburg, München: Alber.
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Gunther Ludwig Schaeffler, Richard (2004) I: Philosophische Einübung in die Theologie. Erster Band: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Freiburg, München: Alber. Schaeffler, Richard (2004) II: Philosophische Einübung in die Theologie. Zweiter Band: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Freiburg, München: Alber. Schaeffler, Richard (2004) III: Philosophische Einübung in die Theologie. Dritter Band: Philosophische Einübung in die Ekklesiologie und Christologie. Freiburg, München: Alber. Schaeffler, Richard (2005): Universalien religiöser Erfahrung in der Vielfalt religiöser Überlieferung. Ein notwendiger, aber problematischer Begriff. In: Larbig, Torsten; Wiedenhofer, Siegfried (Hg.), Kulturelle und religiöse Traditionen. Beiträge zu einer interdisziplinären Traditionstheorie und Traditionsanalyse. Münster: LIT-Verlag, 212–252. Sharma, Arvind (2004): Advaita Vedanta. An Introduction. Delhi: Motilal Banarsidass. Wilfred, Felix (2001): An den Ufern des Ganges. Theologie im indischen Kontext. Frankfurt a. M., London: IKO-Verlag.
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Um einen neuen Humanismus Hansjürgen Verweyen
Richard Schaeffler bin ich zum ersten Mal im Wintersemester 1966/67 in Tübingen begegnet. Die beiden »Studentengemeinden« (so nannte man sie damals noch) hatten einen gemeinsam veranstalteten Vortragszyklus unter den Titel »Um einen neuen Humanismus« gestellt. Joseph Ratzinger war gebeten worden, mit Schaeffler zusammen einen Abend über die Humanismus-Konzepte von Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre zu gestalten. Bei der Fülle von Einladungen, die damals an Ratzinger ergingen, bot er häufiger seinen Mitarbeitern an, für ihn einzuspringen. So kam es, daß ich als Student, der gerade dabei war, seine Dissertation zum Abschluß zu bringen, die Ehre hatte, als Korreferent zu dem 1961 habilitierten Privatdozenten Schaeffler aufs Rednerpult zu steigen. Während dieser sich vor allem auf Heideggers Humanismusbrief konzentrierte, sollte ich mich besonders mit Sartres Antwort auf die Frage, ob sein Existentialismus als Humanismus zu betrachten sei, auseinandersetzen. Der große wissenschaftliche Ernst, mit dem die gut besuchten Vorträge dieses Zyklus diskutiert wurden, ließen nichts von den Ereignissen ahnen, die ein Jahr später über die Universitäten in nahezu der gesamten westlichen Welt hereinbrachen und Tübingen – nicht zuletzt unter dem Einfluß von Ernst Bloch und Jürgen Moltmann – zu einem der Hauptzentren des Protestes in Deutschland werden ließen. Weder Schaeffler noch ich haben diese Geschehnisse, über die Joseph Ratzinger in seinen »Erinnerungen« mit schonungsloser Härte berichtet 1 aus »Ich hatte […] in meiner Christologie[-Vorlesung im Winter 66/67] gegen die existentialistische Reduktion anzukämpfen versucht […]. Aber die Zerstörung der Theologie, die nun durch ihre Politisierung im Sinn des marxistischen Messianismus vor sich ging, war ungleich radikaler, gerade weil sie auf der biblischen Hoffnung basierte und sie nun dadurch verkehrte, daß die religiöse Inbrunst beibehalten, aber Gott ausgeschaltet und durch das politische Handeln des Menschen ersetzt wurde. […] Ich habe das grausame Antlitz dieser atheistischen Frömmigkeit unverhüllt gesehen, den Pschycho-Ter-
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Hansjürgen Verweyen
nächster Nähe erlebt. Schaeffler übernahm 1968 den Lehrstuhl für philosophisch-theologische Grenzfragen an der Ruhr-Universität Bochum. Ich begann im Herbst 1967 meine erste Lehrtätigkeit als »Assistant Professor for historical-systematic Theology« an der University of Notre Dame, Indiana, und habe von dort die Tumulte in Deutschland nur ganz aus der Ferne wahrgenommen, aus der US-amerikanischen Perspektive, wie sie vor allem der »National Catholic Reporter« (1964 als Organ eines durch das Konzil veränderten Katholizismus gegründet) verbreitete. Auch hier standen die Proteste gegen den Vietnamkrieg im Mittelpunkt, die man wohl als den größten gemeinsamen Nenner der überall aufbrechenden »68er-Revolten« bezeichnen kann, aber vor allem unter der leitenden Frage, wie man die jungen Männer der USA vor dem Zwang zur Teilnahme an dem furchtbaren Gemetzel bewahren konnte. Erst nachdem ich, auf einen Lehrstuhl für »Katholische Theologie und ihre Didaktik« an die 1972 gegründete Universität-Gesamthochschule Essen berufen, die Vereinigten Staaten verlassen hatte, bin ich Richard Schaeffler wieder begegnet. Dies war vor allem auf wissenschaftlichen Tagungen der im Herzen des westlichen Ruhrgebiets gelegenen Katholischen Akademie »Die Wolfsburg« der Fall, die unter der Leitung von Georg Scherer ein weit über diese Region hinausragendes Ansehen genoß. Ein wenig sehne ich mich noch immer an jene Zeit an diesem Ort zurück, wo ernste wissenschaftliche Diskussionen ungezwungen in lange Nächte am Kaminfeuer übergingen … Der folgende Text ist das leicht überarbeitete und durch Anmerkungen ergänzte Manuskript meines am 24. Januar 1967 gehaltenen Korreferats.
Sartres und Heideggers Gedanken zum Humanismus – theologisch betrachtet In Jean-Paul Sartres Essay »L’existentialisme est un humanisme« (1946) 2 und in Martin Heideggers »Brief über den ›Humanismus‹« ror, die Hemmungslosigkeit, mit der man jede moralische Überlegung als bürgerlichen Rest preisgeben konnte, wo es um das ideologische Ziel ging« (Ratzinger 1997, 139, 150). 2 Zitiert nach: Sartre 1966.
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Um einen neuen Humanismus
(1947) begegnen wir einem Verständnis des eigentlichen »humanum«, sagen wir etwas vereinfachend: einem »Humanismus«, der, zwar je verschieden, doch darin eine Gemeinsamkeit hat, daß er ohne Rekurs auf den christlichen Glauben entworfen ist. Demgegenüber weiß sich der Christ auf einen Entwurf von Wesen und Bestimmung des Menschen verpflichtet, der nur aus dem Glauben an den rettenden Gott verstehbar ist. Will der Christ sich mit Sartre oder Heidegger auseinandersetzen, um vielleicht nach einer möglichen Offenheit jener Entwürfe für den des Glaubens oder umgekehrt zu fragen, so wird er zunächst bemüht sein, das wirklich Unterscheidende in den Blick zu bekommen. Hierzu muß er zuerst einmal wissen, worum es ihm selbst geht. Versuchen wir eine Definition des »christlichen Humanismus«, die als Ausgangpunkt eines Vergleichs mit der Bestimmung des »humanum« bei Sartre und Heidegger dienen könnte: Der Christ glaubt, daß Gott dem Menschen in Jesus Christus ein-für-allemal sein Heil zugesprochen hat. Er setzt damit voraus, daß den Menschen in seiner Geschichte, in dem ihm weltlich Begegnenden, ein ihn letztgültig und absolut bestimmendes Wort Gottes treffen kann. Wie läßt sich demgegenüber das Unterscheidende der Entwürfe Sartres und Heideggers abheben?
1 Sartre bezeichnet sein philosophisches Konzept ausdrücklich als »atheistischen Existentialismus«. Als sein grundlegendes Argument für das Atheistische seines Existentialismus darf man wohl das folgende ansehen: Wenn es einen Schöpfergott gäbe, so würde er den Menschen nach einem bestimmten Begriff schaffen. »[…] der Begriff Mensch im Geiste Gottes [wäre] dem Begriff Papiermesser im Geiste des Handwerkers anzugleichen.« 3 Das Beispiel »Papiermesser« soll hier veranschaulichen, daß das Geschaffene zu einer klar bestimmten Funktion gemacht ist. Es könnte dann aber keinen wirklich freien Menschen geben, der sich in eigener Verantwortung bestimmt. Für den Menschen, der seine Freiheit als die Mitte des »humanum« erkannt hat, erscheint der Glaube an die Existenz Gottes nicht sinnvoll. Wir hätten es hier also – ähnlich wie bei N. Hartmann – mit einem 3
Vgl. Sartre 1966, 10.
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Hansjürgen Verweyen
postulatorischen, nicht einem metaphysischen Atheismus zu tun, mit einer Einsicht, die nicht auf theoretischer Schlußfolgerung, sondern auf einem Akt der zu sich selbst entschlossenen Freiheit beruht. »Selbst wenn es einen Gott gäbe, würde das nichts ändern; das ist unser Standpunkt. Nicht, als ob wir glaubten, daß Gott existiert, aber wir denken, daß die Frage nicht die seiner Existenz ist; der Mensch muß sich selber wieder finden und sich überzeugen, daß ihn nichts vor ihm selber retten kann, wäre es auch ein gültiger Beweis der Existenz Gottes.« 4 Den Christen, der entgegnet: Ja, so denke er sich den Schöpfergott nun gerade nicht, kann Sartre zunächst ganz schlicht auf die Bibel verweisen: »Dann bildete Jahwe Gott den Menschen aus Staub von dem Erdboden«, lesen wir in der Genesis (2, 7); daß wir »Ton in der Hand des Töpfers« sind, sagen nicht nur Deutero- (Is 45, 9) und Trito-Jesaja (64, 7), sondern auch Paulus im Römerbrief (9, 20 f.). Jetzt macht sich der Theologe zwar sogleich ans Entmythologisieren: Ja, das sei alles ganz anders gemeint … Aber was kann man dann noch wirklich unter dem Begriff des »Geschaffenseins« verstehen, wenn wir ein mythologisches Verständnis nach dem Modell des Handwerkers zurückweisen? Ist nicht ein Satz wie: »Gott hat die ganze Welt und den Menschen geschaffen«, wobei wir »Welt« und »Mensch« im gleichen Atemzuge nennen, nicht nur für Sartre, sondern für ein neuzeitliches Denken überhaupt untragbar? Selbst wenn wir – wie in der »Welt«, in der »Natur« – so auch in uns selbst, dem »animal rationale«, Kausalität und Determination am Werke sehen und uns dies schließlich notwendig auf eine göttliche »erste Ursache« führte, so ist damit noch nichts für die Möglichkeit gewonnen, daß Gott den Menschen schafft. Besagt nicht »Geschaffensein« – auch unter Abstraktion von allem mythischen Begreifen – doch notwendig eine Fremdbestimmung, die Bestimmung durch ein anderes oder einen anderen, während Freiheit nur bestimmt werden kann, indem sie sich selbst bestimmt? Mag also alles »am« Menschen – »Leib und Seele« – von Gott geschaffen sein; das, was den Menschen zum Menschen macht, seine unhintergehbare Selbstverantwortlichkeit, kann auch sie »geschaffen« sein? Im Hinblick auf diese Frage darf man die im Anschluß an Fichtes Theorie der Intersubjektivität erarbeitete Dissertation von Eberhard
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Sartre 1966, 36.
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Simons 5 als einen bemerkenswerten Schritt nach vorn, über den bisherigen »transzendentalen Thomismus« hinaus, betrachten. Simons geht in diesem soeben erschienenen Werk entschieden vom Wesen des Menschen als Freiheit aus. Er zeigt, daß Freiheit nur sein kann im Gegenüber zu der Freiheit eines anderen, daß diese gegenseitige Freiheit aber in einem Medium konstituiert ist, welches in letzter Analyse nur als Wort Gottes begriffen werden kann. Bedeutsam erscheint mir vor allem, daß in einem solchen Entwurf die Kategorie »Schöpfung« nur innerhalb einer Theologie (oder, Simon zufolge, einer Philosophie) der Offenbarung entwickelt werden kann. Ich glaube also, daß das bisher betrachtete Argument Sartres zur Begründung eines atheistischen Existentialismus nicht ausreicht, daß es aber – im Zusammenhang mit der transzendentalen Philosophie überhaupt – den Theologen (besonders den scholastischer Provenienz) anregen kann, die Kategorien seines Glaubens neu und tiefer zu überdenken. Wir sollten hier nicht näher auf diese komplexe Frage eingehen – das kann vielleicht in der Diskussion geschehen –, weil Sartre selbst, wie mir scheint, sein »Papiermesser-Argument« im Hinblick auf das Atheistische am Existentialismus in gewisser Weise relativiert hat, erkennt er doch Gabriel Marcel als christlichen, nichtsdestoweniger aber als existentialistischen Denker an, der wie er der Überzeugung sei, daß die »Existenz der Essenz vorangehe« 6 und gleich ihm die Vorstellung vom göttlichen Handwerker ablehne. Die eigentliche Entscheidung für den Atheismus Sartres dürfte, theologisch gesprochen, nicht in seiner »schöpfungstheoretischen Konzeption«, sondern in seiner »Soteriologie« gründen, konkreter gesagt: in der Erfahrung des Menschen, daß er – ob von Gott in die Welt gesetzt oder nicht – auf jeden Fall »alleingelassen« ist und sich mit seiner absoluten Bestimmung in einer Welt sieht, in der nur Relatives möglich ist; die Erfahrung, die Albert Camus’ Sisyphos den Göttern trotzen läßt. In Sartres Essay über den Humanismus kommt diese Erfahrung in dem im Anschluß an das Cartesische »cogito, ergo sum« formulierten Gedanken der absoluten Wahrheit zur Sprache: absolute Wahrheit ist dem Menschen nur in diesem »cogito« faßbar. Dieser sich selbst ergrei5 6
Simons 1966. Vgl. Sartre 1966, 9.
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fenden Subjektivität steht die Welt der Objekte gegenüber, die nur eine Welt der Wahrscheinlichkeiten ist. Zur unbedingten Selbstbestimmung hat das freie Ich nur sich selbst; der stets relative Stoff der »Welt«, auf den das freie Ich zur Produktion seiner absoluten Entwürfe zurückgreifen muß, trägt nur zur Relativität des jeweiligen Entwurfs bei. Innerhalb eines solchen Ansatzes hat die Annahme, daß Gott geschichtlich begegnen und dadurch die Unbedingtheit des Entwurfs aus dem weltlichen Gegenüber des Subjekts bestimmt werden könnte, keinen Platz. Sieht man von den Folgerungen ab, die Descartes in den auf den »Gottesbeweis« in der dritten seiner »Meditationen« folgenden Ausführungen über die Geltung mathematisch-naturwissenschaftlicher Erkenntnisse macht, so erscheint der Atheismus Sartres als eine genuine Entwicklung dieses Ansatzes – und man könnte weiter fragen, ob hier nicht letztlich auch von einer genuinen Weiterentwicklung der Position Martin Luthers im Hinblick auf die Unfähigkeit »weltlicher Dinge«, göttliches Wirken zu vermitteln, gesprochen werden darf – um eine Frage aus der Antrittsvorlesung Ebelings 7 aufzunehmen.
2 Hier scheint nun das Denken des späten Heidegger weiterzuführen. Der Ausgang von dem Schema »Subjekt – Objekt« wurde schon in »Sein und Zeit« (1927) überwunden. Nach der sogenannten »Kehre« kommen Wahrheit und Freiheit als Ereignis des sich geschichtlich zuschickenden Seins in den Blick. Bevor das ins Sein ek-sistente Dasein sich überhaupt verstehen und als Subjekt begreifen kann, ist es vom Sein ins Licht gebracht. Der Mensch ist nur der »Hirte« und »Wächter« dieses Seins, nicht das Subjekt, das zuerst feststellt, was als Sein zu gelten hat. Mit Recht verwahrt sich Heidegger also gegen Sartre, wenn dieser Heideggers Stimmenthaltung bezüglich des Theismus als »Atheismus« in seinem Sinne interpretiert: Einem atheistischen Existentialismus als notwendiger Folge des cartesischen Subjektivismus darf man Heidegger nicht zugesellen. Insofern werden die folgenden Worte mit Recht immer wieder als eine Öffnung des Heideggerschen Denkens auf die Theologie hin zitiert: »Erst aus der Wahrheit des Seins 7
Ebeling 1967.
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läßt sich das Wesen des Heiligen denken. Erst aus dem Wesen des Heiligen ist das Wesen von Gottheit zu denken. Erst im Lichte des Wesens von Gottheit kann gedacht und gesagt werden, was das Wort ›Gott‹ nennen soll. Oder müssen wir nicht erst diese Worte alle sorgsam verstehen und hören können, wenn wir als Menschen, das heißt als eksistente Wesen, einen Bezug des Gottes zum Menschen sollen erfahren dürfen?« 8 Besteht in der Philosophie Heideggers aber eine wirkliche Offenheit auf den begegnenden Gott bzw. im Sinne unserer Fragestellung: auf den »ein-für-allemal« im Menschen begegnenden Gott? Von der Analyse des »In-der-Welt-Seins« in »Sein und Zeit« an über das »es gibt – das Sein« im Humanismusbrief bis zu dem späten Vortrag »Zeit und Sein« hat Heidegger Sachverhalte aufgedeckt, die für ein angemessenes theologisches Durchdenken der Möglichkeit von Offenbarung von großer Bedeutung sind. Gibt es aber im Denkentwurf Heideggers Raum für ein solches Ereignis des sich dem Dasein zuschikkenden Seins, das die menschliche Existenz letztgültig bestimmt und sich als Geschick des »ein-für-allemal« ergehenden Heils enthüllt? Gehören nicht zum Wesen des Seins, wie es Heidegger versteht, notwendig solch janushafte Züge, daß das ins Sein ek-sistente Dasein nie Endgültiges darüber ausmachen kann, ob es je in der Eigentlichkeit lebt oder doch nur in der Uneigentlichkeit des »Man«? Kann sich das Dasein je gewiß sein, ob es in der Helle steht oder nicht doch einer »Irre« verfallen ist, da sich ihm die Wahrheit des Seins vielleicht gerade entzieht? Die Wahrheitsfrage bei Heidegger – so sehr sie auch die SubjektObjekt-Relation auf eine ursprünglichere Wahrheit zurückführt – scheint mir zugleich eine Dimension aufgegeben zu haben, welche die Größe des cartesischen Ansatzes ausmacht, nämlich die Dimension des Fragens nach gültiger Wahrheit. Diese ist nicht notwendig an das Schema Wahrheit = Richtigkeit, an die Übereinstimmung von »Subjekt« und »Prädikat« mit ihrer Implikation der Subjekt-Objekt-Relation gebunden. Ursprünglicher ist die Geltungsfrage bei Descartes über seine Hypothese eines allmächtigen Lügengeistes gestellt. Nicht weniger hellsichtig als Heidegger nimmt hier Descartes die Möglichkeit einer fundamentalen und universalen Beirrung des Menschen in den Blick: das mögliche Sich-Entziehen von Wahrheit und damit die Beirrung 8
Heidegger 1981, 41.
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durch den Schein, noch bevor das Subjekt an die Überprüfung seiner Urteile auf »Richtigkeit« oder »Falschheit« gehen kann. Dieser Möglichkeit aber begegnet Descartes gerade mit seinem »cogito, ergo sum«: Der allmächtige Lügengeist »täusche mich, soviel er kann, niemals wird er es doch fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei« 9 .
3 Versuchen wir, ein kurzes Fazit zu ziehen. Sartre kennt wohl mit Descartes die Notwendigkeit der Frage nach der absoluten Wahrheit und der absoluten Bestimmung der Freiheit. Wahrheit und unbedingte Bestimmung der Freiheit können aber nur aus der Subjektivität des Subjekts, nicht aus dem geschichtlich Begegnenden kommen. Der Mensch ist nicht offen für ein an ihn geschichtlich ergehendes Wort Gottes als seiner letztgültigen Bestimmung. Heidegger hingegen betont, daß das »Subjekt« alle Produktivität und Spontaneität dem Sein verdankt, das Dasein »von Gnaden« des geschichtlich sich ihm zuschickenden Seins ist. Die Frage aber, wie sich aus der Geschichte des Seins absolute Wahrheit und eine endgültige Bestimmung der Freiheit ereignen kann, bleibt aus. Es wird nicht sichtbar, wie ein Wort »des Gottes«, das zwar aus der Lichtung des Seins an den Menschen ergehen mag, »ein-für-allemal« gesprochen sein könnte.
4 Wir haben bisher versucht, das Unterscheidende in den Blick zu bekommen – ein wichtiger Schritt, wie mir scheint, notwendig, um nicht vorschnell einerseits den »anonymen Christen« im anderen zu suchen, andererseits die eigenen Heilsgüter zwecks besseren Absatzes im Preise herunterzusetzen (Dr. Schaeffler). Ungleich schwieriger wird es nun, wenn wir nach einer möglichen Offenheit der Entwürfe füreinander fragen. Statt eine mögliche »Brücke« zwischen »Philosophie« und
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Descartes II, 3 (AT VII 25).
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»Theologie« zu suchen, könnte vielleicht ein Blick auf das Unterscheidende selbst weiterführen. Gegenüber der zentralen Aussage des Christen, daß Gott dem Menschen in der Geschichte ein-für-allemal und endgültig sein Heil zugesprochen hat, hatten wir als das grundlegend andere bei Sartre und Heidegger die philosophisch je verschieden entfaltete Erfahrung des Menschen hervorgehoben, im Hinblick auf ein ihm geschichtlich zukommendes definitives Heil alleingelassen zu sein. Wie steht es aber um dieses Unterscheidende, wenn dem Glauben zufolge ein solcher Heilszuspruch gerade dort endgültig geworden ist, wo das Wort Gottes selber fragt: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Gibt es von hierher nicht so etwas wie eine »methodische Anweisung« für das Gespräch der Theologie mit der Philosophie, die größte Offenheit füreinander im entscheidenden Unterschied selbst zu erwarten, dort, wo der Theologe auf die Mitte seines Glaubens und der Philosoph auf die zentralste Erfahrung des »Menschen ohne Himmel« zurückgeht, und nicht an den Stellen, wo die Grenzen unscharf werden und ineinander verschwimmen? Anstatt zum Abschluß noch eine Reihe von Einzelthemen anzuschneiden, an denen sich das Gespräch der Theologie mit der Philosophie Sartres oder Heidegger entzünden könnte, möchte ich also lieber die grundsätzliche Richtung andeuten, in die ein solches Gespräch, das gerade beim Unterscheidenden ansetzt, gehen könnte. Reflektiert der Glaubende auf die Mitte seines Glaubens, so muß er nach dem geschichtlichen Ort fragen, an dem ihm Christus zum Heilsereignis wurde. Mir schein nun, es reicht nicht aus, daß der Christ – zur »Verantwortung seiner Hoffnung« aufgerufen (vgl. 1 Petr 3, 15) – einfach auf »das Kerygma«, die Verkündigung der Kirche, verweist. Er muß schon entschiedener den Ort der Begegnung mit Christus zu bestimmen suchen, damit die Rede vom »Kerygma« nicht doch wieder mythologisch wird und wie eine Flucht vor der Anfechtung durch den Unglauben anmutet. Ich glaube, daß Heilsgewißheit nur dort entspringen kann, wo sich »Kerygma«, »(Heils-)Botschaft«, zu dem Ereignis menschlicher Liebe als Zeugnis der Auferstehung verdichtet hat. In einem solchen geschichtlichen Ereignis erfährt die menschliche Freiheit ein endgültig auf Gott hin verpflichtendes Wort. Diese Bestimmung der Freiheit ist zugleich ihre wirkliche Ermöglichung: Liebe bestimmt die Freiheit des anderen nicht, indem sie ihn an bestimmte Sachverhalte bindet, sondern indem sie den anderen zu sich selbst be53 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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freit. Der sich aus dem Ereignis von Liebe verstehende Glaube läßt sich durchaus in existentialistischen Kategorien auslegen. Hat sich aber der Heilszuspruch so an Geschichte gebunden, daß er nur in der menschlichen Liebe erfahren werden kann, dann wird von hierher deutlich, wie nahe Heilserfahrung und Alleingelassensein beieinanderliegen. Gerade dort, wo Gott begegnet, wird der Anschein seiner völligen Abwesenheit um so bedrückender. Wenn es »den Himmel« nur in der Zwischenmenschlichkeit gibt – und Gott ihn nirgendwo anders dem Menschen zuspricht – scheint der Atheismus unausweichlich, wenn »die anderen die Hölle« sind. 10 Von hierher könnte sich ein zentraler Ansatzpunkt zu einer immanenten Kritik des Existentialismus Sartres und der Daseinsanalyse zunächst des frühen Heidegger zeigen. Bei beiden scheint mir nämlich die auf sich allein gestellte Existenz nicht zu radikal, sondern nicht radikal genug reflektiert. Worte wie »Angst« und »Verzweiflung« verblassen hier so sehr, daß sie die Sinnlosigkeit und Ausweglosigkeit des Daseins nur noch entschärft zur Sprache bringen. Erst da, wo das Dasein anfänglich Liebe als Ermöglichung seiner Freiheit erfahren hat, kann sich im Entzug dieser Liebe wirklich enthüllen, was »Verlassenheit«, »Angst« und »Verzweiflung« sind. Bei Sartre wie bei Heidegger nimmt Intersubjektivität seltsamerweise nie die eindeutige Gestalt von Liebe an und wird – folgerichtig, wie mir scheint – die Grundbefindlichkeit der alleingelassenen Existenz so weit domestiziert, daß sie zur Basis eines sich selbst genügenden Humanismus dienen kann. Wo Heidegger dann die menschliche Freiheit von der Sorge des auf sich selbst gestellten Daseins durch den Blick auf die sich vom Sein her zuschikkende Wahrheit befreit, treten die Kierkegaard entlehnten Begriffe erst recht in den Hintergrund. Aus der »Geworfenheit« des Daseins wird eine »Geborgenheit« im Sein, die Heidegger in zunehmendem Maße in Kategorien der Heiterkeit zu umschreiben vermag, obwohl – wie seine eigene Geschichte zeigt – das Seinsgeschick in bestimmten Fällen Anlaß zu allem anderen denn Heiterkeit gibt. Doch dies ist ein wenig überspitzt formuliert und wird vielleicht Ihren Widerspruch hervorrufen, der als Basis für ein fruchtbares Gespräch dienen könnte.
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Vgl. Sartre 1944, 42.
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Literatur Descartes, Meditationes de prima philosophia II, 3 (AT VII 25). Auf Latein auch im Internet befindlich unter: http://www.gutenberg.org/ebooks/23306. Ebeling, Gerhard (1967): Gewißheit und Zweifel. Die Situation des Glaubens im Zeitalter nach Luther und Descartes. In: ZThK 64. Heidegger, Martin (1981): Über den Humanismus, 8. Aufl., Frankfurt a. M.: Klostermann. Ratzinger, Joseph, Kardinal (1997): Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927– 1977). München: DVA. Simons, E. (1966): Philosophie der Offenbarung – in Auseinandersetzung mit »Hörer des Wortes« von Karl Rahner. Stuttgart: Kohlhammer. Sartre, J.-P. (1966): Ist der Existentialismus ein Humanismus? In: J.-P. Sartre, Drei Essays Frankfurt a. M., Berlin: Ullstein (Ullstein-Buch 304), 7–51. Sartre, J.-P. (1965/1944): Huis clos [Bei geschlossenen Türen]. In: J.-P. Sartre, Drei Dramen, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt (rororo), 7–43.
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Hermeneutische Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher William J. Hoye
Das Buch der Welt bei Richard Schaeffler Die Überzeugung, daß man die Welt wie ein Buch lesen kann, ist seit über anderthalb Millenien und bis auf den heutigen Tag eine reizvolle und gewinnbringende Vorstellung. Am Ende seines 2006 erschienenen Buches Philosophisch von Gott reden: Überlegungen zum Verhältnis einer Philosophischen Theologie zur christlichen Glaubensverkündigung greift Richard Schaeffler das Thema »Buch der Welt« auf, wobei es ihm vor allem darum geht, die Metapher des Buches der Welt durch Vergleiche mit dem Lesen normaler Bücher zu bedenken. Insbesondere will er lernen, die Handschrift des Autoren in seinem Werk zu erkennen. Um das zu tun, verlangt Schaeffler als Bedingung, daß »das Buch selbst Anzeichen dafür enthält, daß wir es nur verstehen können, wenn wir nach seinem Autor fragen.« 1 Ferner: »Die besondere und unverwechselbare ›Handschrift des Verfassers‹« wird in der Weise erkennbar, daß »er nicht neben allen Worten, die in seinem Buche stehen, dem Leser sein Wort zuspricht, sondern in jedem Wort, das in seinem Buche steht, seine Anrede an den Leser richtet.« 2 Im Phänomen der Anrede findet Schaeffler einen Ansatz. »Von welcher Art ist die Analogie, die es gestattet, von Gott als einem ›Autor‹ zu sprechen?« 3 , fragt er und antwortet: »Wenn in solcher Weise nach dem Verfasser gefragt wird, dann nicht in der Weise eines Rückschlusses von der Eigenart des Textes auf die Psychologie und Charakterologie des Verfassers, sondern so, daß das, was der Text ›uns zu bedenken gibt‹, als die Anrede des Autors an seine Leser verstanden werden soll.« 4 »Der Text ist zwar ›bloße 1 2 3 4
Schaeffler 2006, 168. Ebd., 141. Ebd., 166. Ebd., 175.
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Hermeneutische Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher
Erscheinungsgestalt‹, das heißt, die Anrede des Autors ist nicht identisch mit dem, was als Wortlaut des Textes vor den Augen liegt. Aber er ist zugleich ›wirkliche Erscheinungsgestalt‹ dieser Anrede. Der Autor wird nicht außerhalb des Textes, als dessen Ursache, gesucht, sondern spricht in diesem Text den Leser an.« 5 Im Unterschied zum herkömmlichen Verständnis der Gottesbeweise handelt es sich also nicht um eine Schlußfolgerung, so daß Schaeffler schreibt: »Zugleich aber wäre es möglich, diese Anrede nicht durch einen Rückschluß von der Wirkung auf die Ursache zu erkennen, sondern in der Auslegung des Textes selbst, der ihre unentbehrliche Erscheinungsgestalt bleibt.« 6 Schaeffler erarbeitet eine Antwort auf diese Frage, indem er sich an Immanuel Kant anlehnt und ein Postulat entdeckt, das der Erfahrung des Angeredetseins entspricht. Während sein Interesse die Idee des Buches der Welt nicht eigens ins Auge faßt, sondern voraussetzt, um nach Gott zu fragen, möchte ich hier zur Ergänzung dieser Idee beitragen, indem ich dieser alten Metapher in ihrer Geschichte nachgehe. Es dürfte zumindest für die Theologie anregend sein, die vielleicht überraschende Relevanz und Problematik zu untersuchen. Als Ergebnis wird sich herausstellen, daß die beiden Bücher Gottes sich gegenseitig beleuchten und daß insbesondere die Position des Thomas von Aquin einen bedenkenswerten Diskussionsbeitrag liefert.
Der Anfang moderner Naturwissenschaft und Galileo Galileis Hermeneutik der zwei Bücher Gottes Galileo Galilei repräsentiert einen Höhepunkt in der Geschichte der Zwei-Bücher-Metaphorik. Seine exponierte Position wirft Licht auf die ertragreiche Metapher des Buches der Welt. Für ihn stand es außer Frage, daß die Bibel und die Naturwissenschaft sich nicht widersprechen, sich sogar von vornherein nicht widersprechen können. Die Lehre von der doppelten Wahrheit lag ihm fern. Er war außerdem überzeugt, daß die Hl. Schrift sich nicht irren kann, ohne aber selbst dabei fundamentalistisch zu sein. Er ging davon aus, daß sowohl Naturwissenschaft als auch die Theologie von derselben Quelle herstammen, nämlich von Gott, gleichsam dem Autor beider Bücher. Mit seine Üb5 6
Ebd., 175. Ebd., 176.
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erzeugung, daß eine durchgehende Harmonie zwischen beiden Büchern herrscht, ging er so weit, daß er das eine zum Verständnis des anderen einsetzt. Obwohl die mittelalterliche Hermeneutik in Folge der Reformation etwas verändert wurde, hat Galilei im wesentlichen eine jahrhundertealte Hermeneutik zugrunde gelegt. Die scholastischen Theologen waren sich voll bewußt, daß sich das Verständnis eines Textes aus zwei Quellen ergibt, nämlich aus dem Text selbst und aus dem Denken des Lesers. Man vertiefte dies durch die Metapher der zwei von Gott geschriebenen Bücher. Demnach liegen zwei Quellen (loci) der göttlichen Offenbarung vor: das Buch der Hl. Schrift, vor allem im Lichte des Glaubens zu lesen, und das Buch der Natur, im Lichte des Verstandes zu lesen (wobei die Tätigkeit des Verstandes bei der Offenbarung keineswegs ausgeschlossen wird). Auf diese Auffassung besann sich Galilei zurück, wenn er sich gegenüber der Inquisition auf das Buch der Natur berief, das naturwissenschaftlich gelesen und dazu verwendet werden könne, herauszufinden, was der »Autor« der Bibel, der ebenfalls das Buch der Natur geschrieben habe, eigentlich sagen wolle. Die wirkliche Schwäche seiner Position lag bei seiner naturwissenschaftlichen Lektüre des Buches der Natur. Bezüglich seiner Bibelhermeneutik war er, wie Papst Johannes Paul II. hervorgehoben hat, den professionellen Theologen der Inquisition überlegen. In einem berühmten Brief an die Großherzogin-Mutter Christina von Lothringen erläuterte Galilei ausführlich, wie der Heliozentrismus mit der Bibel (vor allem Josua 10, 12–14) zu vereinbaren sei. Auch in einem Brief an seinen Schüler und Nachfolger in Pisa, Benedetto Castelli, vom 21. Dezember 1613 schrieb er: »Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.« 7 Johannes Paul II. kommentierte diese Aussage in einer Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften am 31. Oktober 1992 folgendermaßen: »Merkwürdigerweise zeigte sich Galilei als aufrichtig Glaubender in diesem Punkte weitsichtiger als seine theologischen Gegner.« 8 Mit diesen beiden Briefen betrat er das Feld der Theologie. Eigentlich war es eher wegen seiner Gallilei, Brief vom 21. Dezember 1613, Bd. V, 282. »So zwang die neue Wissenschaft mit ihren Methoden und der Freiheit der Forschung, die sie voraussetzte, die Theologen, sich nach ihren Kriterien für die Deutung der Bibel zu fragen. Dem Großteil gelang dies nicht.« Johannes Paul II. 1992.
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theologischen Hermeneutik als wegen seines Kopernikanismus, daß er mit der Inquisition Schwierigkeiten bekam. Der damalige Streit ging nicht um die Diskrepanz zwischen Religion und Wissenschaft, das heißt zwischen dem biblischen und dem wissenschaftlichen Weltbild. 9 Eine Trennung beider Welten kam für ihn nicht in Frage. Als Gewährsmann berief sich Galilei ausführlich auf den maßgeblichen Kirchenvater Augustinus. Diesem traditionellen Standpunkt entgegengesetzt nahm ironischerweise die Inquisition ihrerseits einen modernen Standpunkt ein. Sie argumentierte nämlich gesellschaftlich, zugunsten einer geordnet durchstrukturierten Gemeinschaft, die den Fremden als Verfremdung ansah. Tatsächlich beginnt mit Augustinus eine lange Tradition. Bei ihm begegnet ein früher Beleg des Ausdrucks »Buch der Natur«. 10 In der augustinischen Tradition der folgenden Jahrhunderte trat die Zwei-Bücher-Idee immer wieder auf, sowohl in dichterischen wie in wissenschaftlichen Schriften. Die früheste dichterische Verwendung kommt wohl bei Alanus ab Insulis (Alain de Lille) (ca. 1114/20–1202) in seiner Sequenz der Rose vor. Der oft zitierte Anfang lautet: Die Geschöpfe dieser Erde sind ein Buch und ein Gemälde. 11 Goethe kennt diese Metapher ebenfalls. In seinem Gedicht Sendschreiben von 1774 steht: »Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig, unverstanden, doch nicht unverständlich.« Hugo von St. Viktor (um 1097–1141) beschrieb die empirische Welt als ein Buch, das mit Gottes Finger geschrieben wurde. Das heißt für ihn, »Der Fall Galilei wurde zur Gründungslegende der Aufklärung und zum schlagenden Beleg dafür, daß die Kirche den wissenschaftlichen Fortschritt brutal unterdrückt hat. Nur gegen die Kirche konnte er sich durchsetzen. – Die Galilei-Forschung hat in 150 Jahren an der kämpferischen Galilei-Legende der Aufklärung längst eine ganze Reihe beachtlicher Korrekturen angebracht, die freilich vom aufgeklärten Publikum kaum wahrgenommen werden, denn auch dieses liebt seine Legenden. Es sei damals um den Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft und namentlich um den zwischen dem biblischen und dem wissenschaftlichen Weltbild gegangen. In Wahrheit aber ging der Streit um den wissenschaftstheoretischen Status der Astronomie und um die Frage der angemessenen Auslegung der Bibel, zu der auch Galilei sich umfänglich geäußert hat.« Schröder 2003, 18. 10 Augustinus, De Genesi ad litteram, 219 ff. 11 Omnis mundi creatura / quasi liber et pictura / nobis est, et speculum. Alanus ab Insulis. Vgl. Eco 1982, 34, 138, 356. 9
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daß »die Welt aus der Kraft Gottes erschaffen worden ist und daß somit die einzelnen Geschöpfe wie Figuren sind, die nicht aufgrund menschlichen Gefallens erfunden worden sind, sondern durch den göttlichen freien Willen.« 12 Der katalanische Humanist Raymund von Sabunde (gest. 1437) hat die Metapher dahingehend erweitert – meines Erachtens ohne rationale Fundierung –, daß im Buch des Alls der Geschöpfe jedes Geschöpf gleichsam ein Buchstabe sei. 13 So wie ein des Lesens Unkundiger lediglich Figuren sieht, wenn er ein offenes Buch betrachtet, aber die Buchstaben nicht versteht«, fährt er fort, »so ist ein Mensch, der das nicht wahrnimmt, was Gottes ist, dumm und tierisch.« 14 (Ähnlich hatte Nikolaus von Kues das Buch der Welt mit einem Text Platons in griechischer Sprache verglichen, der einem Deutschen, der das Griechische nicht versteht, vorgelegt wird. 15 ) Ein solcher Mensch sieht die Gestalt der sichtbaren Geschöpfe äußerlich, aber er versteht den innerlichen Sinn nicht. Der Zeitgenosse des Thomas von Aquin Bonaventura (1221– 1274) lehrte ebenfalls, daß es zwei Bücher gibt, von denen eines innen und das andere außen in der sinnlichen Welt vorkommt. 16 Es findet sich bei ihm auch folgende Ansicht: »Das aber ist das Buch der Schrift, da die Ähnlichkeiten, die Besonderheiten und den Sinn der Dinge, die im Buch der Welt geschrieben sind, darstellt.« 17 Nikolaus von Kues (1401–1464) führte die reichhaltige Tradition weiter: »Die Dinge sind die Bücher der Sinne. In ihnen steht die Ansicht der göttlichen Vernunft in sinnenfälligen Bildern beschrieben, und die Absicht ist die Offenbarung Gottes selbst, des Schöpfers«18 , lehrte er. Der Laie, das heißt der Ungebildete, bedarf der gedruckten Bücher nicht, denn er ist in der Lage, das Buch der Welt zu lesen. »Der Laie, der nicht lesen kann«, referiert Hans Blumenberg, »ist der unbefangene Leser des Buches der Natur.« 19 Blumenberg fährt fort: »Er Hugo von St. Viktor, Eruditio didascalica, 814. Quaelibet creatura non est nisi quaedam littera digito Die scripta. Zit. Bei Blumenberg 1996, 59. 14 Ebd. 15 Nicolaus Cusanus, De Beryllo, n.66. 16 Vgl. Bonaventura, Breviloquium II, 11. 17 Bonaventura, Collationes in Hexaemeron, 13, 12. Bonaventura ist im übrigen der Überzeugung, daß die Trinität in diesem Buch in Erscheinung tritt. Bonaventura, Breviloquium, II, 12. 18 Nicolaus Cusanus, De Beryllo, n.66. 19 Blumenberg 1996, 59. 12 13
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antwortet dem gelehrten Redner auf die Frage, woher er denn seine Wissenschaft der Unwissenheit (scientia ignorantiae) habe: ›Nicht aus deinen Büchern, sondern aus Gottes Büchern, die er mit eigener Hand geschrieben hat.‹ 20 « 21 Die Weisheit des Laien übertrifft die sterile Wissenschaft des Gelehrten, denn im Buch der Welt ist Weisheit. 22 René Descartes (1596–1650), Zeitgenosse Galileis, folgerte, daß man die gelehrten Buch-Autoritäten über Bord werfen und keine andere Wissenschaft suchen dürfte als die, die sich in einem selbst und »im großen Buch der Welt« [dans le grand livre du monde] finden läßt. 23 Die Zwei-Bücher-Tradition bringt Galileo Galilei (1564–1642) in seiner Selbstrechtfertigung vor der Inquisition voll zur Geltung. Entgegen einer heute geläufigen Vorstellung ist für ihn eine Trennung zwischen Wissen und Glauben ausgeschlossen. »Denn die Hl. Schrift und die Natur gehen gleicherweise aus dem göttlichen Wort hervor«, führt er an, »die eine als Diktat des Heiligen Geistes, die andere als gehorsamste Vollstreckerin des göttlichen Wortes.« 24 Darüber hinaus führt Galilei die Idee des Buches der Natur auf die Spitze, wenn er, als erster, lehrt, daß die Sprache des Buches der Welt die Mathematik sei, und konstatiert: »Das Buch der Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und ihre Buchstaben sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es ganz unmöglich ist, auch nur einen Satz zu verstehen, ohne die man sich in einem dunklen Labyrinth verliert.« 25 Das ist wissenschaftsgeschichtlich eine revolutionäre, wenn auch nur folgerichtige Idee und bedeutet nichts weniger als den Anfang moderner Naturwissenschaft, das heißt Wissenschaft, die die Idee der Naturgesetze und das Ideal der Mathematisierung kennt. Wie religiös diese Überzeugung damals war, sieht man daran, daß Galileis Zeitgenosse Johannes Kepler (1571–1630) sich sogar Priester Gottes am Buch der Natur nannte, welches Gott uns, wie er vertraut, immer mehr erschließe. 26 »Für Kepler war die Astronomie eine Anbe20 21 22 23 24 25 26
Nicolaus Cusanus, idiota de sapientia, I, n.4. Blumenberg 1996, 59. Nicolaus Cusanus, Sermo CXLI, n.5: Mundus es ut liber artis aeternae seu Sapientiae. Descartes, Discours de la méthode, 9. Galilei, V, 316. Gallilei, II Saggiatore, Bd. 6, 232. Kepler, 574.
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tung des Schöpfers durch das Medium der Mathematik,« kommentiert Carl Friedrich von Weizsäcker. »Im mathematischen Gesetz denkt der Mensch, der nach Gottes Bild geschaffen ist, Gottes Schöpfungsgedanken nach.« 27 Auf der Basis dieser Glaubenszuversicht ist moderne Naturwissenschaft entstanden. In der gegenwärtigen Theologie hat Joseph Ratzinger sich mit der Idee der Welt als Buch Gottes tiefsinnig und fruchtbar befaßt. Wie auch Galilei setzt er nicht bei einer philosophischen Ergründung der Welt an, sondern beim Glauben. Da die Welt Schöpfung und Gott ein denkender Schöpfer ist, scheint es nur folgerichtig zu sein, von der »gedanklichen Struktur des Seins, das aus Sinn und aus Verstehen kommt« 28 , zu sprechen. Ratzingers Position stellt eine bedenkenswerte Auseinandersetzung dar.
Welterkenntnis als Nachdenken der Gedanken Gottes Daß die Welt ein Buch ist, hat Galilei nicht aus einer Analyse der Welt erschlossen, wie Schaeffler es anvisiert, sondern aus dem Schöpfungsglauben. Daß die Bibel Gott als Autoren hat, ist freilich nicht Schöpfungsglaube, aber doch Erlösungsglaube, das heißt, die Bibel stammt aus der Offenbarung, und das Wissen, daß die Welt von Gott erschaffen wurde und der Mensch erlöst ist, lehrt die Offenbarung. So wird es plausibel, daß es zwei, und nur zwei, von Gott verfaßte Bücher gibt, zumal Schöpfung und Erlösung alles umfassen, was das Christentum lehrt. Weder die Welt noch die Bibel ist im übrigen mit einer Bibliothek zu vergleichen, die ja von verschiedenen Autoren stammt, die sich ohne weiteres widersprechen können und schließlich bloß »ein Flickwerk, ein großes Figurengedicht, ein immenses Akrostichon« 29 produziert haben. Und der Mensch ist, wie Jorge Luis Borges erzählt, nicht »der unvollkommene Bibliothekar« 30 des Universums, »das andere die Bibliothek nennen« 31 . Im Falle beider Bücher rührt die Metapher vom Glauben her, und zwar von einem Glauben, der die Vernunft fördert. Weizsäcker 1973, 106. Ratzinger 1968, 116. 29 Eco 1982, 634. 30 Borges 1974, 47 31 »Der Mensch, der unvollkommene Bibliothekar, mag ein Werk des zufalls oder böswilliger Demiurgen sein; das Universum, so elegant ausgestattet mit Regalen, mit rät27 28
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Hermeneutische Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher
»Diese Haltung hat einen theologischen Hintergrund«, schreibt Carl Friedrich von Weizsäcker. »Die Welt der Sinne ist die Welt der Natur im christlichen Sinne des Wortes. Sowohl der Platonismus wie das Christentum trauen auf das, was jenseits der Natur ist. Aber zwischen ihnen besteht der Unterschied, daß der Gott Platons die Materie nicht gemacht hat; nur das spirituelle Element in der Welt ist göttlich; deshalb kann sich die Wissenschaft, die eine Gabe Gottes ist, nicht im strengen Sinn auf die materielle Welt beziehen. Für die Christen hat Gott alles [einschließlich der Materie] gemacht. Deshalb kann der Mensch, der nach seinem Bilde geschaffen ist, die geschaffenen Dinge, gewiß aber die ganze materielle Welt verstehen.« 32 Ratzinger betont, daß dies eine ausdrückliche Entscheidung für den Logos, das heißt für die Vernunft, im Hinblick auf den Schöpfungsglauben bedeutet. Seiner Meinung nach impliziert der Schöpfungsglaube, daß objektiver Geist in allen Dingen vorkommt und wir die Welt deshalb mit unserer Vernunft in zunehmendem Maß verstehen können. Er erklärt, daß die Verstehbarkeit der Natur – was er »objektiven Geist« nennt – »Abdruck und Ausdruck ist von subjektivem Geist und daß die gedankliche Struktur, die das Sein hat und die wir nachdenken können, Ausdruck eines schöpferischen Vordenkens ist, durch das sie sind.« 33 Der Gedanke existiert also in drei Modalitäten: im Denken Gottes, in den erkennbaren Dingen der Welt und im Bewußtsein des menschlichen Betrachters, analog zur Weise, wie die Gedanken eines menschlichen Autors in seinem Buch und dadurch in Denken des Lesers existieren. Ratzinger geht, wie Galilei, noch einen Schritt weiter und behauptet, daß der »objektive Geist« in der Welt sogar eine mathematische Struktur innehat. Dementsprechend ist auch die Materie nicht einfach Un-Sinn, der sich jenseits des Verstehens befindet. »Diese Einsicht hat in unserer Zeit«, stellt er fest, »durch die Erforschung des mathematischen Aufbaus der Materie, ihrer mathematischen Denkbarkeit und Verwertbarkeit, eine unerhörte Dichte gewonnen.« Somit kommt er zu dem Schluß: »All unser Denken ist in der Tat nur ein Nachdenken des in der Wirklichkeit schon Vorgedachten.« 34 Menschen können selhaften Bänden, mit unerschöpflichen Treppen für den wandernden und mit Latrinen für den seßhaften Bibliothekar, kann nur werk eines Gottes sein.« Borges 1974, 49. 32 Weizsäcker 1973, 110 f. 33 Ratzinger 1968, 116. 34 Ebd.
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nichts anderes als dieses göttliche Gedachtsein nachvollziehen und die darin liegende Wahrheit finden. Aus diesem Grund konnte Galilei die Fallgesetze mathematisch deduzieren. Das Neue an seiner empirischen Mechanik war, daß er nicht aufgrund empirischer Beobachtung vorgegangen war – wie oft angenommen wird –, sondern durch eine rein theoretische Ableitung. Galilei hat als erster im Bereich der Physik zwischen apriorischer (theoretischer) und aposteriorischer (empirischer) Physik unterschieden, was für moderne Naturwissenschaft charakteristisch ist. »Galilei tat seinen großen Schritt, indem er wagte, die Welt so zu beschreiben, wie wir sie nicht erfahren. Er stellte Gesetze auf, die in der Form, in der er sie aussprach, niemals in de wirklichen Erfahrung gelten und die darum niemals durch irgendeine einzelne Beobachtung bestätigt werden können, die aber dafür mathematisch einfach sind. So öffnete er den Weg für eine mathematische Analyse, die die Komplexität der wirklichen Erscheinungen in einzelne Elemente zerlegt. Das wissenschaftliche Experiment unterscheidet sich von der Alltagserfahrung dadurch, daß es von einer mathematischen Theorie geleitet ist, die eine Frage stellt und fähig ist, die Antwort zu deuten. […] Galilei zerlegt die Natur, lehrt uns, neue Erscheinungen willentlich hervorzubringen, und den gesunden Menschenverstand durch Mathematik zu widerlegen.« 35 Seine Bewegungstheorie wurde also nicht experimentell gegründet, sondern axiomatisch abgeleitet. Galileis Betrachtungen über die Ortsbewegung, wie Jürgen Mittelstraß konstatiert, »stellen nichts anderes dar als eine axiomatische Bewegungstheorie, ein Stück Protophysik also, das über Definitionen, Axiome und Theoreme schließlich, nämlich unter der Hinzunahme der Behauptung, daß die zunächst allein logisch aus den Axiomen abgeleiteten Theoreme auch auf empirische Ereignisse zuträfen, empirische Physik begründet.« 36 »Ein axiomatischer Aufbau und die logische Herleitung erster Sätze aus terminologischen Bestimmungen« 37 charakterisiert die wissenschaftliche Methode Galileis. Die Grundlage seines naturwissenschaftlichen Vertrauens ist sein christlicher Glaube an das Buch der Welt. Weizsäcker 1973, 197 f. »Mit dieser […] axiomatischen Ordnung, nicht mit einzelnen inhaltlichen Sätzen beginnt die neuzeitliche Physik, und sie beginnt als rationale Mechanik, weil in ihren Begründungsketten erfahrungsabhängige Sätze nicht vorkommen, dem empirischen Teil ein protophysikalischer Teil vorausgeht.« Mittelstraß 1970, 235. 36 Mittelstraß 1970, 212. 37 Ebd., 238. 35
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Das konkrete Experiment dient lediglich zur Bestätigung der Theorie. So konnte Galilei selbst es wie folgt erläutern: »Sollte sich herausstellen, daß sich die später zu beweisenden Eigenschaften (einer gleichförmig beschleunigten Bewegung) in frei fallenden und beschleunigten Körpern wiederfinden, so werden wir annehmen dürfen, daß die gegebene Definition die Bewegung fallender Körper einschließt und daß deren Beschleunigung proportional zur Zeit und zur Dauer der Bewegung wächst.« 38 Da er tatsächlich noch kein Vakuum herstellen konnte, war es ihm noch nicht möglich, diese Erwartung in der Wirklichkeit zu überprüfen. Im übrigen konnte das Experiment für ihn – ähnlich für Descartes – nur bedeuten, daß die bereits in sich bestehende Theorie auch in der Wirklichkeit zutrifft. »Das Experiment«, schreibt Mittelstraß, »dient mit anderen Worten in erster Linie gar nicht zur Begründung theoretischer Sätze (diese kann vielmehr auch protophysikalisch erfolgen), sondern als Nachweis dafür, daß gewisse Phänomene, in diesem Falle ›natürliche‹ Bewegungen, unter diese Sätze fallen.« 39 Das Experiment liefert nur eine Vergewisserung, aber keinen Beweis. In den Worten Galileis: »Wenn die Erfahrung gezeigt hat, daß solche Eigenschaften bei der Bewegung der natürlich fallenden schweren Körper bestätigen, können wir ohne Gefahr, uns zu irren, behaupten, daß die Fallbewegung dieselbe ist wie die (zuvor) definierte und angenommene.« Und dann notiert er mit aller wünschenswerter Deutlichkeit: »Ist dies nicht der Fall, verlieren unsere Beweise dennoch nichts von ihrer Kraft und Schlüssigkeit, da sie ja allein für unsere Annahmen gelten sollten.« 40 Naturgesetze müssen nicht in der empirischen Erfahrung verifizierbar sein. Ratzinger erweitert diese Sicht, indem er hervorhebt, daß im Buch der Welt noch mehr als die Mathematik vorhanden ist. Er verweist auf das Schöne. So kann man den Mathematiker fragen, »ob er nicht selbst auch schon einmal auf andere als auf mathematische Weise die Welt angesehen hat? Ob er zum Beispiel nie einen blühenden Apfelbaum Galilei, Discorsi, VIII, 202 f. Mittelstraß 1970, 213. »Entgegen den Erwartungen, die Galilei und die Physik der folgenden Jahrhunderte gegenüber der ›experimentellen Methode‹ hegten, lassen sich mit Hilfe des Experiments Behauptungen im Grunde niemals (es sein denn für den singularen Fall) verifizieren.« Ebd., 239. 40 Galilei, Brief vom 5. Juni 1637 an Pietro Carcavy, Bd. XVII, 90 f. »Mit Behauptungen über empirische Bewegungen beginnen zu wollen, erweist sich an dieser Stelle (von Galilei deutlich ausgesprochen) als sinnlos.« Mittelstraß 1970, 215. 38 39
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gesehen und sich nie gewundert hat, daß der Vorgang der Befruchtung im Zusammenspiel von Biene und Baum nicht anders als über den Umweg der Blüte geht und so das höchst überflüssige Wunder des Schönen einschließt, das freilich nur wiederum im Mitvollzug, im Sicheinlassen auf das, was schon ohne uns schön ist, begriffen werden kann?« 41 Der Mensch, der seinen Blickwinkel nicht von vornherein auf Mathematik einengt, sondern die Anschauung des Ganzen sucht, wird sagen müssen: »In der Welt finden wir objektivierte Mathematik vor, ohne Zweifel; in der Welt finden wir aber nicht weniger das unerhörte und unerklärte Wunder des Schönen vor, oder richtiger: In ihr gibt es Vorgänge, die dem vernehmenden Geist des Menschen in der Gestalt des Schönen erscheinen, so daß er sagen muß, der Mathematiker, der diese Vorgänge konstruiert hat, habe ein unerhörtes Maß an schöpferischer Phantasie entfaltet.« 42 So bedeutsam ist die »Wahrheit der Dinge« für Ratzinger, daß er darin die Existenz des geistigen Schöpfers sieht. Ähnlichkeit wie beim Ansatz Schaefflers kommt er zu der Schlußfolgerung – wie er es ausdrückt –, daß »das Gedachtsein (wie wir es als Struktur der Welt vorfinden) nicht ohne Denken möglich« 43 ist.
Das Buch der Bibel So stark war Galileis Glaube, die Welt sei ein von Gott verfaßtes Buch, daß er zur Überzeugung gelangte, man könne das Buch der Welt benutzen, um das andere Buch, die Bibel, auszulegen. Da Wahrheiten sich ja nicht widersprechen können, impliziert die naturwissenschaftliche Entdeckung einer Wahrheit in der Welt, daß die Bibel unmöglich das Gegenteil lehren kann, zumal beide vom demselben Verfasser stammen. Diese auf der Autorenschaft basierende Logik ist schlicht und konsistent. Darüber hinaus teilte Galilei die herrschende Ansicht seiner Zeit, daß Naturwissenschaft auch Gegenstand der Bibel sei. 44 Keineswegs also haben wir es bei ihm mit zwei disparaten Welten zu tun. Die Welt des Glaubens und die Welt der Naturwissenschaft schlie41 42 43 44
Ratzinger 1968, 118. Ebd. Ebd. Vgl. Carroll 1999, 173.
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ßen sich für Galilei keineswegs gegenseitig aus. Da es sich sowohl beim Glauben als auch bei der Vernunft um ein Licht handelt, kollidieren sie miteinander nicht; Licht beleuchtet bereits vorhandene, vom Licht unabhängige Wirklichkeit. Der individuelle Glaube verbindet beides, und zwar so eng, daß das Ergebnis einer Vernunftuntersuchung der Natur herangezogen werden kann, um die Bibel zu interpretieren. So argumentiert er in Bezug auf den Kopernikanismus: »Der für mich ungesäumteste und sicherste Weg, um zu beweisen, daß die Haltung des Copernicus nicht im Widerspruch zur Schrift steht, wäre, durch zahlreiche Versuche zu zeigen, daß sie richtig ist und daß die gegenteilige Ansicht keinesfalls bestehen kann; weil aber zwei Wahrheiten sich nicht widersprechen können, müssen diese und die Hl. Schrift völlig übereinstimmen.« 45 So folgt logisch – wenn auch mit einer Glaubensstärke, die heute rar geworden ist –, daß »Gott sich uns in den Naturvorgängen nicht weniger vollkommen als in den heiligen Worten der Schrift« offenbart. 46 Man muß somit gegebenenfalls von einer naturwissenschaftlichen Feststellung ausgehen und sich bemühen, die Hl. Schrift dementsprechend zu verstehen. Das Glaubenslicht intensiviert, sozusagen, das Licht der Vernunft. »Wenn das feststeht und wenn darüber hinaus eindeutig ist, daß zwei Wahrheiten einander nie widersprechen können, ist es Aufgabe der gelehrten Ausleger, sich anzustrengen und den wahren Sinn der Bibelstellen, der mit jenen die Natur betreffenden Schlußfolgerungen übereinstimmt, über die zwingende Beweise zuverlässig unterrichtet haben.« 47 Wie gleich gezeigt werden soll, steht diese (heute befremdende) Hermeneutik durchaus im Einklang mit der mittelalterlichen Scholastik. Ihrerseits interessierte sich die Inquisition nicht in erster Linie für Naturwissenschaft; schließlich hatte die Kirche 70 Jahre lang zum Kopernikanismus geschwiegen. Es ging ihr vor allem um die Bibel und die Auslegungsmethode. Ironischerweise war es für das kirchliche Lehramt von damals unabdingbar, die Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift aufrechtzuerhalten, was Galilei selbst aber mitnichten verneint hat. 48 Im Galilei, Brief von Galilei an Piero Dini vom Mai 1615, Bd. 12, 184. Galilei, Brief an Christina, Nr. 34. 47 Galilei, Brief an Castelli. 48 »Es war also keineswegs, wie oft behauptet, Angst vor dem Umsturz des bisherigen Weltbildes, die die maßgebenden Männer der Kirche bewegte. Ihnen ging es vielmehr um die Irrtumslosigkeit der Hl. Schrift, die man durch die Behauptung des kopernikanischen Systemes – wenn auch zu Unrecht – in Frage gestellt sah. Daß man sich damit 45 46
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Jahr 1615 veröffentlichte der renommierte Karmelitertheologe Paolo Antonio Foscarini (c. 1565–1616) ein Buch, das beweisen solle, daß die Kopernikanische Astronomie nicht im Widerspruch zur Hl. Schrift steht. Das Buch zirkulierte auch in Rom mit stillschweigender Zustimmung der kirchlichen Obrigkeit. Aber die These des Buches, daß die Hl. Schrift ausschließlich auf den engeren Bereich des Glaubens einzuschränken sei, hatte doch Anstoß erregt. Die Gegner Galileis wollten Naturwissenschaft auf der Basis der Bibel treiben, während Galilei umgekehrt die Bibel mit Hilfe der Naturwissenschaft auslegen wollte. In einem Brief an Foscarini behauptete der angesehene Kardinal Robert Bellarmin, führender Theologe im Heiligen Offizium, alle Inhalte der Hl. Schrift, also auch die naturwissenschaftlichen, seien Glaubensobjekte. Er stellte fest, daß er im Heliozentrismus zunächst einen Widerspruch zur Schrift zu sehen meint, räumte aber ein, daß diese Lehre doch hypothetisch gelehrt werden darf. Er sagte außerdem, daß er Kopernikus in diesem Sinne (das heißt als hypothetische Lehre) versteht. Des weiteren schrieb er – was für uns heute sehr aufschlußreich ist –, daß, wenn es sich herausstellen sollte, daß der Heliozentrismus bewiesen wird, man sehr vorsichtig die Stellen der Hl. Schrift interpretieren müsse, die im Widerspruch zum Heliozentrismus zu stehen scheinen. In diesem Fall wäre es, ihm zufolge, besser, zu gestehen, daß die Interpreten die Stellen nicht verstanden haben. Er würde allerdings nicht an solche Beweise glauben, bis man sie ihm zeige. Er meinte, die Erfahrung scheint die Ansicht doch zu bestätigen, daß die Erde still steht. Desungeachtet ließ er diese Frage noch offen. Dahingegen vertraten die Theologen (Qualifikatoren) der Inquisition die Ansicht, der Heliozentrismus sei häretisch. (Im amtlichen Zensurschreiben wurde das Wort Häresie vorsichtigerweise allerdings nicht explizit aufgenommen, was einen gewissen Spielraum aufhielt.) Galilei selbst beging den Irrtum zu behaupten, was er nicht beweisen konnte, nämlich daß der Heliozentrismus wahr sei und nicht nur eine denkbare Hypothese. Das heutige Lehramt der katholischen Kirche unterstützt hingegen eher die Vorgehensweise Galileis. In seiner Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften hat Papst Johannes Paul II. über die positiven Äußerungen Clemens VII., Paul III. und Gregors XIV. zu Kopernikus hinwegsetzte, war den Beteiligten in diesem Augenblick wohl nicht bewußt.« Brandmüller 1994, 91.
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sich folgendermaßen geäußert: »Robert Bellarmin, der die wirkliche Tragweite der Auseinandersetzung erkannt hatte, [war] seinerseits der Auffassung, daß man angesichts eventueller wissenschaftlicher Beweise für das Kreisen der Erde um die Sonne ›bei der Erklärung der Schriftstellen, die gegen (eine Bewegung der Erde) zu sprechen scheinen‹, sehr vorsichtig sein und ›vielmehr sagen müsse, wir möchten das, was bewiesen wird, nicht als falsch hinstellen‹ 49 . Vor ihm hatte die gleiche Weisheit schon den hl. Augustinus schreiben lassen: ›Wenn jemand die Autorität der Hl. Schriften gegen einen klaren und sicheren Beweis ausspielen würde, fehlt ihm das Verständnis, und er stellt der Wahrheit nicht den echten Sinn der Schriften entgegen, er hat diesen vielmehr nicht gründlich genug erfaßt und durch sein eigenes Denken ersetzt, also nicht das, was er in den Schriften, sondern das, was er bei sich selber gefunden hat, dargelegt, als ob dies in den Schriften stände.‹ 50 Vor einem Jahrhundert hat Papst Leo XII. diesen Gedanken in seiner Enzyklika Providentissimus Deus aufgegriffen: ›Da eine Wahrheit unmöglich einer anderen Wahrheit widersprechen kann, darf man sicher sein, daß ein Irrtum in der Deutung der heiligen Worte oder bei einem anderen Diskussionsgegenstand nur behauptet wurde.‹ 51 « Damit war Galilei bestimmt einverstanden. Wenn die Lesbarkeit der Welt damit gegeben ist, daß sie der menschlichen Vernunft zugänglich ist, dann fragt es sich, worauf die Lesbarkeit der Bibel beruht. Galileis Methode setzt voraus, daß die Bibel nicht mehrere Autoren, sondern einen einzigen hat. Sie ist insofern ein Buch, also nicht eine Bibliothek. Da der eine Autor Gott selbst ist, erfreut sich die Bibel der Irrtumslosigkeit, wie Galilei in seinem Glauben überzeugt war. Diese Voraussetzungen sind heute nicht ganz unbekannt. So hat Papst Benedikt XVI. neulich gelehrt, daß man, um die biblischen Schriften auszulegen, berücksichtigen muß, daß man »in den biblischen Schriften die eine Hl. Schrift sieht und sie als von Gott inspiriert glaubt.« 52 »Die erste Voraussetzung aller Exegese ist, daß sie die Bibel als ein Buch nimmt.« 53 Die Bibel ist von daher nicht Menschenwort und wird nicht angemessen interpretiert, wenn man sie nur
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Bellarmin, Brief an R. A. Foscarini, 12. April 1615. Augustinus, Brief 143; n.7; PL 33, col 588. Leo. XIII. 1894, 361. Benedikt XVI. 2007, 15. Ratzinger 1989, 43.
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als die Schriften menschlicher Autoren sieht, wie die historisch-kritische Methode es normalerweise zu tun pflegt. Außerdem ist die Vernünftigkeit konsistenter, wenn man die Bibel als ein Buch anstatt eine Sammlung von verschiedenen Büchern von verschiedenen Autoren liest. Diese Vorgehensweise der modernen historisch-kritischen Exegese war für Galilei undenkbar. Ein solcher Ansatz ist nicht weniger forschungsmotivierend als der Glaube an die Lesbarkeit der Welt, das heißt ihre Zugänglichkeit zur Vernunft. Es geht darum, »einer nicht bloß historischen, sondern eigentlich theologischen Schriftauslegung« zu genügen. 54 Gott ist nicht ein Autor in derselben Weise wie ein Mensch Autor eines Buches ist. Die Analogie ist, wie Schaeffler unterstreicht, nicht eine Analogia proportionalitatis. 55 Die Inspiration der Hl. Schrift liegt nicht in einzelnen Wahrheiten, sondern in der Tatsache, daß der Verfasser die Wahrheit selbst ist. Dies kennzeichnet die Einmaligkeit der Hl. Schrift, der auch Unfehlbarkeit zukommt. Die Theologen zur Zeit Galileis waren, wie er selbst behauptet, nicht in der Lage, deutlich zwischen der Hl. Schrift und deren Deutung zu unterscheiden. »Die Mehrheit der Theologen vermochte nicht formell zwischen der Hl. Schrift und ihrer Deutung zu unterscheiden«, wie Johannes Paul II. attestiert, »und das ließ sie eine Frage der wissenschaftlichen Forschung unberechtigterweise auf die Ebene der Glaubenslehre übertragen.« 56 Ganz traditionell hält Galilei an der absoluten Wahrheit der Hl. Schrift fest, wobei er diese Garantie den Interpreten keineswegs beimißt. »Die Hl. Schrift kann nie lügen oder irren, vielmehr sind ihre Aussprüche [decreti] von absoluter und unverletzlicher Wahrheit. Wenn aber auch die Bibel nicht irren kann, so könnte doch ein Ausleger derselben in verschiedener Weise irren.« 57 Galilei erläutert diese Feststellung, indem er die wortwörtliche Bedeutung der Schrift nicht verabsolutiert: »Ein solcher Irrtum, und zwar ein sehr schwerer und gewöhnlicher Irrtum, wäre es, wenn wir immer bei der rein wörtlichen Bedeutung der Worte [puro significato delle parole] stehen bleiben wollten; denn so würden nicht nur mancherlei Widersprüche, sondern 54 55 56 57
Ratzinger/Benedikt XVI. 2005, 150. Vgl. Schaeffler 2006, 166. Johannes Paul II. 1992. Galilei, Brief an Castelli.
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auch schlimme Ketzereien und Gotteslästerungen herauskommen. Denn wir müssten dann Gott Hände, Füsse, Ohren beilegen und nicht minder körperliche und menschliche Affekte, wie die des Zornes, der Reue, des Hasses und mitunter sogar des Vergessens der vergangenen und des Nichtwissens der zukünftigen Dinge. Wenn sich so in der Hl. Schrift viele Sätze finden, welche nach der bloßen Wortbedeutung ein vom wahren [Sinn] abweichendes Aussehen haben, aber in dieser Art dastehen, um sich dem mangelnden Auffassungsvermögen des Volkes anzupassen [accomodarsi], so ist es um der wenigen willen, welche es verdienen, vom Volk unterschieden zu werden, nötig, daß die gelehrten Ausleger den wahren Sinn offenlegen und darüber hinaus die besonderen Gründe angeben, warum sie in solchen Worten ausgesprochen wurden.« 58 Die »vordergründige Wortbedeutung [apparente significato delle parole]« darf nicht immer für die wahre gehalten werden, erst recht nicht, wenn es sich um Naturwissenschaft handelt. 59 Nur unter dieser Bedingung läßt sich nach ihm der wahre Sinn der Schrift eruieren. Wie er mahnt: »Es ist ein sehr weiser Grundsatz, daß die Hl. Schrift nie lügen kann, vorausgesetzt freilich, man ist zu ihrem wahren Sinn vorgedrungen; dabei halte ich es für unbestreitbar, daß dieser oft verborgen und sehr verschieden von dem ist, wonach die bloße Wortbedeutung klingt [che suona il puro significato delle parole].« 60 Während die Theologen der post-mittelalterlichen Inquisition in Übereinstimmung mit dem Trienter Konzil der Meinung waren, daß die Glaubenslehre aus der Hl. Schrift und der kirchlichen Tradition stammt, kannte die mittelalterliche Scholastik einen differenzierteren Ansatz. Thomas von Aquin beruft sich ebenfalls auf Augustinus, wenn er prinzipiell feststellt: »Wie Augustinus lehrt, sind in solchen Fragen zwei Dinge zu beachten: Erstens muß die Wahrheit der Schrift [veritas Scripturae; nicht: ›der wahre Sinn der Hl. Schrift‹, wie es im Dekret des Konzils von Trient heißt (de vero sensu)] unerschüttert gewahrt werden [inconcusse teneatur]. Zweitens: Da die Hl. Schrift vielfältig ausgelegt werden kann, soll niemand einer Auslegung so fest anhängen, daß er, wenn mit einem sicheren Beweisgrunde [certa ratione] festgestellt wird, daß diese Auslegung falsch sei, es trotzdem wagt, sie zu
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Ebd. Vgl. ebd. Galilei, Brief an Christina, Nr. 28.
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vertreten, damit die Hl. Schrift nicht deswegen von den Ungläubigen verlacht und ihnen der Weg zum Glauben dadurch versperrt werde.« 61 Auch Galilei war sich dieser Falle bewußt. In sein eigenes Handexemplar des kopernikanischen Dialogs über zwei Weltsysteme hat er eine denkwürdige Bemerkung eingetragen: »Achtung, ihr Theologen: Wenn ihr Sätze über den fixen Stand von Sonne und Erde zu Glaubenssätzen machen wollt, lauft Ihr Gefahr, schließlich diejenigen als Ketzer verdammen zu müssen, die erklären, daß die Erde feststehe und die Sonne ihren Stand wechsle. Ich sage ›schließlich‹ und meine damit den Zeitpunkt, zu dem womöglich physikalisch oder logisch bewiesen werden kann, daß sich die Erde bewegt und die Sonne stillsteht.« 62 In Übereinstimmung mit seiner Hermeneutik stellt Thomas bei der Auslegung des Offenbarungssatzes »Das Firmament ist am zweiten Tage geschaffen worden« – um ein Beispiel aus der Kosmologie zu nehmen – alternative Deutungen zur Wahl: »Man muß also wissen, daß der Satz ›Das Firmament ist am zweiten Tage geschaffen worden‹, auf zweifache Weise verstanden werden kann. Einmal von dem Firmament, an dem die Sterne sich bewegen, und in dieser Hinsicht müssen wir verschieden erklären, je nach den verschiedenen Auffassungen der Menschen über das Firmament. […] Man kann jedoch auch so erklären, daß unter dem Firmament, das nach der Schrift am zweiten Tage geschaffen wurde, nicht der Sternenhimmel verstanden wird, sondern jener Teil der Luft, in welchem die Wolken sich verdichten. Das heißt dann ›Firmament‹ wegen der Dichtigkeit der Luft in diesem Raum. […] Und dieser Erklärung zufolge ergibt sich zu keiner Auffassung ein Widerspruch.«63 Mit einer solchen Methode ist ein Widerspruch zur Naturwissenschaft von vornherein ausgeschlossen.
Der buchstäbliche Sinn der Hl. Schrift Galilei ordnete die buchstäbliche Bedeutung der Hl. Schrift der wahren Bedeutung unter. Somit zeigt er eine Verwandtschaft etwa mit Gregor von Nyssa, der ähnlich zwischen der »historischen« und der »theoreti-
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Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.68, a.1c. Zitiert nach Schröder 2003, 21 f. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.68, a.1c.
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schen« (d. h. wahren) Bedeutung der Hl. Schrift unterschied.64 William E. Carroll meint, daß Galilei damit eine traditionelle Auffassung, vertreten insbesondere von Augustinus und Thomas von Aquin, übernimmt. Carroll selbst unterscheidet zwischen einer literarischen und literalen Lektüre, was eventuell tatsächlich der Ansicht des Aquinaten entspricht. Galilei hält »il vero sentimento« und den bloßen Wortlaut (»che suona il puro significato«) auseinander. 65 Aber für Thomas ist die buchstäbliche bzw. literale Bedeutung, die der Autor meint, nicht einfach der äußerliche Wortlaut des Textes. Bei Thomas wird die Definition der literalen, bzw. – wie es damals hieß – historischen, Bedeutung [sensus historicus vel litteralis] anders angesetzt. Sie besteht nämlich nicht im bloßen Wortlaut, sondern in der Absicht des Autoren: »Nun bezeichnet man aber das, was der Autor bei seinen Worten ›im Sinne hat‹ als den Literalsinn.« 66 Damit wird der Auslegung ein großer Toleranzraum eröffnet, denn im Unterschied zur modernen historisch-kritischen Exegese gilt für das Mittelalter Gott selbst als der eigentliche Autor der Hl. Schrift, was – doch anders als bei Galilei – dazu führt, daß ein Text mehrere Bedeutungen haben kann: »Urheber der Hl. Schrift aber ist Gott, der in seiner Erkenntnis alles zumal begreift. Also ist es (nach Augustinus) ganz angemessen, wenn auch nach dem Literalsinn derselbe Schrifttext mehrere Bedeutungen hat.« 67 Bei Meister Eckhart finden wir eine bündige Zusammenfassung der Begründung der mittelalterlichen Hermeneutik: »Da also die Literalbedeutung die ist, die der Autor der Schrift meint, der Autor der Hl. Schrift aber Gott ist – wie [bei Thomas] gesagt worden ist 68 –, so ist jedwede Bedeutung, die wahr ist, eine Literalbedeutung. Denn es steht fest, daß jede einzelne Wahrheit [omne verum] aus der Wahrheit selbst [ab ipsa veritate] stammt, in ihr einbeschlossen ist, sich von ihr ableitet und von ihr gemeint ist.« 69 Die Wahrheit ist der 64 Seine Schrift Das Leben des Moses ist in zwei Teile gegliedert: Teil I behandelt die sogenannte Geschichte [Historia] und Teil II die Betrachtung [Theoria]. In der Theoria geht es um den Sinn des Geschehens [Historia], das heißt um das, was das Geschehen wirklich ist. Diese »mystische« Lesung ist wesentlicher als die historische. Origenes, der eine Quelle Gregors ist, spricht vom »mystischen Sinn« der Schrift (Joh. I, 15; PG 14, 49; 14, 469). Vgl. Hermann Josef Sieben 1995. 65 Vgl. Carroll 1999, 161. 66 Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.1, a.10. 67 Ebd. 68 Vgl. Ebd., corpus. 69 Meister Eckhart, 449.
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Schlüssel. Nicht so sehr Wahrheiten als die Wahrheit macht das Denken frei. Im Mittelalter wurde die Wahrheit mit Gott selbst gleichgesetzt, mit der Folge, daß jede einzelne Wahrheit auf ihn zurückgeführt wird. Obwohl die scholastische Idee der vier Schriftsinne (literal, allegorisch, tropologisch und anagogisch) heute durchaus bekannt ist 70 , muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Lehre vom mehrfachen Literalsinn meist übersehen wird. Zur Zeit Galileis war etwa Bellarmin mit beiden Auffassungen vertraut. 71 Von daher war dieser imstande, die Bedeutung der Schrift offen zu halten. In seinem Brief an Foscarini führte er folgende Erklärung an: »Ich halte dafür: wenn es wahrhaft bewiesen würde, daß die Sonne im Mittelpunkt der Welt und die Erde im dritten Himmel steht und daß nicht die Sonne die Erde umkreist, sondern die Erde die Sonne umkreist, dann müßte man sich mit großem Bedacht um die Auslegung der Schriften bemühen, die dem zu widersprechen scheinen, und eher sagen, daß wir es nicht verstehen, als zu sagen, das Bewiesene sei falsch. Aber ich werde nicht glauben, daß es einen solchen Beweis gibt, solange es mir nicht bewiesen worden ist; es ist nicht dasselbe, ob man den Beweis für die Annahme [supposto] erbringen will, daß die Sonne im Mittelpunkt steht und die Erde am Himmel, und damit der Augenschein gewahrt wird [si salvino le apparenze], oder ob man zu beweisen sucht, daß die Sonne in Wirklichkeit im Mittelpunkt steht und die Erde am Himmel; denn von dem ersten Beweis glaube ich, daß er möglich sein könnte, aber bezüglich des zweiten hege ich größten Zweifel, und im Zweifelsfalle darf man nicht von der Heiligen Schrift und der Auslegung der Kirchenväter abrücken.« 72 Eine andere, weniger stringente Erklärung als Augustinus oder auch als die mittelalterlicher Scholastiker hat Galilei für die Eigenheit angeboten, daß die Hl. Schrift etwas anderes lehrt, als sie zu lehren scheint. Er meinte nämlich, Gott würde sich an die Vernunft mancher Menschen, das heißt an ihre geringere Aufnahmefähigkeit, anpassen. Vgl. Papst Benedikt XVI. 2005, 153: »Die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn, die von den Vätern entwickelt und im Mittelalter systematisiert wurde, wird heute vom Wesen dieses eigentümlichen Textgebildes her wieder als wissenschaftlich angemessen erkannt.« 71 Im übrigen benutzt Bellarmin dieselben Namen der vier Sinne wie Thomas. Vgl. Carrol 1999, 161, sowie die Fußnoten 49 und 50 (Carrol 1999, 178). 72 Bellarmin, 46 f. 70
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Hermeneutische Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher
Für Thomas hingegen spielt die Vernunft des Interpreten eine entscheidende Rolle in der Lektüre der Bibel. Er ging so weit zu lehren, daß jedwede Bedeutung, die in sich eine Wahrheit darstellt und die dem Wortlaut des Textes nicht widerspricht, eine von Gott, der Wahrheit selbst, intendierte Literalbedeutung des Offenbarungstextes sei. Mit aller wünschenswerten Klarheit erklärte er diese für uns heute befremdende Hermeneutik wie folgt: »Es gehört zu der Erhabenheit der Hl. Schrift, daß sie viele Bedeutungen unter einem Buchstaben enthält, so daß sie mit verschiedenen Meinungen harmonisiert, was dazu führt, daß jeder erstaunt ist, diejenige Wahrheit in der Schrift zu finden, die er in seiner eigenen Vernunft denkt. Und deshalb ist es leicht, die Schrift gegen Ungläubige zu verteidigen: Erscheint eine Bedeutung, die man in der Schrift erkennen will, als falsch, so kann man auf eine andere Bedeutung des Textes zurückgreifen. […] Wenn die Ausleger der Hl. Schrift eine Wahrheit dem Wortlaut anpassen, die der (menschliche) Autor nicht gedacht hat, kann kein Zweifel bestehen, daß der Heilige Geist sie gedacht hat, und er ist der primäre Autor der Hl. Schrift. Jede Wahrheit also, die – unter Aufrechterhaltung der Beschaffenheit des Wortlauts – der Hl. Schrift angepaßt [aptari] werden kann, ist ihre Bedeutung.« 73 (Hier ist natürlich die Anpassung« bzw. Akkomodation eine ganz andere als bei Galilei, der sie, wie gesagt, auf die Unzulänglichkeit der Vernunft mancher Leser zurückführt.) Galileis theologisches Argument fand bezeichnenderweise im Verurteilungsschreiben von 1633 keine Berücksichtigung, stattdessen verwies die Inquisition auf die Arroganz eines Individuums, das sich anmaßte, es könne gegen die Gemeinschaft recht haben. Der Fremde, der Andersdenkende stellt ipso facto eine Bedrohung für die Gemeinschaft dar. Das Verurteilungsschreiben lautet: »Auf die gegen dich mehrfach erhobenen Einwände von der Hl. Schrift her hast du geantwortet, indem du die besagte Schrift gemäß deiner eigenen Meinung auslegtest.« 74 Diese Auffassung, die die durch das Konzil von Trient festgelegte Lehre 75 vertritt, wie auch die Hermeneutik der modernen historisch-kritischen Exegese, liegen weit entfernt von der Lehre des Thomas von Aquin, De potentia, q.4, a.1c. Galilei, XIX, 403. 75 Das Trienter Konzil der Gegenreformation hat auf der 4. Sitzung 1564 ausdrücklich die eigenmächtige Schriftauslegung verboten, unter dem Eindruck der reformatorischen Kirchenspaltung, die aus eigenmächtiger Schriftauslegung hervorgegangen sei. Vgl. Denzinger, 1507. 73 74
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Thomas. Bei ihm wird der individuellen Vernunft eine entscheidende Rolle eingeräumt. Als sie Galilei verurteilte, hat die Inquisition sich zwar an die Konzilslehre, aber dezidiert nicht nach Thomas von Aquin und Augustinus gehalten. Im deutlichen Gegensatz zur mittelalterlichen Hermeneutik war es genau dies, nämlich die Eigenständigkeit des einzelnen Interpreten, was vom Trienter Konzil ausgeschlossen wurde. 76 Einem solchen Standpunkt begegnet man im Mittelalter nicht; heute allerdings ist er nicht unbekannt (etwa: »er hat sich isoliert«). Diese Argumentationsfigur ist politisch: Das Suchen nach Wahrheit wird gesellschaftlich betrachtet. Der Fremde erscheint ipso facto verdächtig. Somit dispensiert man sich vom eigenen Ringen um die Wahrheit. Galilei – zwischen Mittelalter und Neuzeit – vertrat, wie gesagt, eine klare Gegenposition: »Die Autorität von Tausenden gilt in der Wissenschaft nichts gegen den Funken Verstand des einzigen.« 77 Walter Brandmüller kommt zu folgendem Urteil: »So ergibt sich das Paradox, daß Galilei in der Naturwissenschaft und die Kurie in der Theologie irrte, während die Kurie und der Naturwissenschaft und Galilei in der Bibelerklärung Recht behalten hat.« 78 Man könnte sagen: In der Astronomie war Galilei intolerant (da er seine Erklärung nicht als bloß eine mögliche, hypothetische akzeptieren wollte), während er im Vergleich zur Inquisition in der Bibelhermeneutik tolerant war. Die alte biblische Hermeneutik stellt also den Gebrauch der eigenen Vernunft in eine entscheidende Stellung. Die Vernunft des Interpreten wird gegenüber der Vernunft Gottes – aber zugleich durch die Vernunft Gottes – gewissermaßen verselbständigt. Nicht der Wille Gottes, sondern seine Vernunft liegt der Offenbarung zugrunde. Die menschliche Vernunft kann sich darauf verlassen. Galileis Intensivierung der Metapher des Buches der Welt führt auch zu einer VerselbDas Dekret des Konzils von Trient lautet: »Außerdem beschließt es [das Konzil], um leichtfertige Geister zu zügeln, daß niemand wagen soll auf eigene Klugheit gestützt in Fragen des Glaubens und der Sitten, soweit sie zum Gebäude der christlichen Lehre gehören, die heilige Schrift nach den eigenen Ansichten zu verdrehen und sie gegen jenen Sinn auszulegen, den die heilige Mutter Kirche festgehalten hat und festhält, deren Aufgabe es ist, über den wahren Sinn [de vero sensu] und die Auslegung der heiligen Schrift zu urteilen, oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter.« 77 Galilei, Bd. V, 200. 78 Brandmüller 1994, 304. 76
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ständigung der Vernunft. Aufgrund seines Glaubens, daß die Sprache dieses Buches Mathematik ist, vermag er Naturwissenschaft ohne empirische Erfahrung zu treiben, denn seine Fallgesetze gelten unabhängig von ihrer Geltung in der physikalischen Natur. Naturgesetze existieren nicht in der Welt; Dreiecke und Kreise existieren nicht in der physikalischen Natur.
Skepsis über die auf die Welt angewandte Buchmetapher Angesichts seiner Betonung der Vernunft in der Bibelhermeneutik ist es überraschend, daß Thomas von Aquin die traditionelle und verbreitete Metapher des Buches der Natur bzw. – gleichbedeutend – Buches der Welt nicht übernimmt. Kein einziges Mal in seinem riesigen Opus ist der Ausdruck anzutreffen. Man muß ebenfalls zur Kenntnis nehmen, daß die Naturwissenschaft sehr bald die Metapher des Buches der Welt aufgibt. Einerseits hängt die Entstehung moderner Naturwissenschaft mit dieser Metapher zusammen, während sie andererseits bald vergessen wird und die wissenschaftliche Vernunft volle Autonomie gewinnt. Daran läßt sich erahnen, daß die Metapher nicht unproblematisch ist. Die Freiheit der menschlichen Vernunft gegenüber der Autorität der Hl. Schrift fällt zusammen mit der Freiheit der menschlichen Vernunft gegenüber der befreienden göttlichen Vernunft. Mit seiner eigenen Vernunft kann der Mensch die Welt für sich erforschen, ohne auf die Gedanken des Schöpfers rekurrieren zu müssen. Nunmehr gibt es eine klare Trennung zwischen Schrift und Autoren. Mit anderen Worten: Die Anrede müßte nicht unbedingt als solche unmittelbar wahrgenommen werden. Die Metapher des Buches der Welt gründet in einer langen fundierten Tradition. In den meisten Fällen beruht sie auf dem Schöpfungsglauben. Richard Schaeffler hat noch einen anderen Zugang in Form eines Postulats dargestellt. Eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit der Metapher läßt sich bei Thomas von Aquin finden. Thomas lehrte durchaus, daß die Welt durch Wahrheit bestimmt ist, da der denkende Schöpfer alles gemacht hat. Die »Wahrheit der Dinge« liegt für ihn auch tiefer in den Dingen als Mathematik; sie umfaßt nicht nur das Theoretische, sondern auch das materiell Konkrete, da Gott nicht nur Schöpfer der Ideen, sondern auch des ganzen Seins, einschließlich der Materie, ist. Aber der neue Schritt bei Thomas be77 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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steht darin, daß er die »Wahrheit der Dinge« nicht als Grund für unsere Wahrheiten über die Dinge ansah. »Das Sein einer Realität, nicht deren Wahrheit«, stellt er grundlegend und kategorisch fest, »verursacht die Wahrheit des Verstandes.« 79 »Etwas ist erkennbar, sofern es Sein hat« 80 , nicht also, sofern es Gedanken des Schöpfers beinhaltet – auch wenn das objektiv der Fall ist. Dennoch lehrte Thomas ebenfalls, daß alle Erkenntnis implizit Gotteserkenntnis ist. 81 Er weiß, daß die »Wahrheit der Dinge« von Gott herrührt, aber es ist nicht diese Wahrheit, die wir wahrnehmen, wenn wir eine Wirklichkeit erkennen. Mit anderen Worten: Gotteserkenntnis ist nicht in der Welterkenntnis in der Weise enthalten, wie die Gedanken eines Autoren in seiner Schrift. Die Lesbarkeit der Welt liegt somit nach ihm nicht in der »Wahrheit der Dinge«, nicht in den göttlichen Gedanken, sondern, wie gesagt, im Sein der Welt. Erkenntnis ist demnach nicht ein Nachdenken der Gedanken des Schöpfers, und Wissenschaft nicht ipso facto Gottesdienst. Tatsächlich findet diese Bemerkung in der Fortentwicklung der Naturwissenschaft eine Bestätigung. Sie läßt sich ebenfalls mit einer transzendentalen Methode nachvollziehen. In seiner transzendentalen Theologie hat Karl Rahner die Beziehung von Wirklichkeit und Erkenntnis tiefgreifend untersucht und dabei das Sein als »Erkennbarkeit« bestimmt. Weil sich nichts der Frage nach »Sein« entzieht, ist alles durch eine zumindest grundsätzliche Erkennbarkeit charakterisiert. »Die Erkennbarkeit ist eine transzendentale Bestimmung eines jeden Seienden«, stellt er fest. 82 Mit dieser Seinsbestimmung beansprucht Rahner nichts anderes als die Wiedergabe des geläufigen thomistischen Prinzips »quidquid enim esse potest. Intelligi potest [Alles, was existieren kann, kann erkannt werden].« 83 Den Grundsatz, daß jede Wirklichkeit wahr ist (omne ens est verum), interpretiert er in dem Sinne, daß Sein und Erkennbarkeit Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.16, a.1, ad 3: Esse rei, non veritas eius, causat veritatem intellectus. Vgl. Auch ders, In I Sententiarum, d.19, q.5, a.1, sol.: Cum autem in re sit quidditas ejus et suum esse, veritas fundatur in esse rei magis quam in quidditate, sicut et nomen entis ab esse imponitur; et in ipsa operatione intellectus accipientis esse rei sicut est per quamdam similationem ad ipsum, completur relatio adaequationis, in qua consistit ratio veritatis. 80 Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.16, a.3c. 81 Omnia cognoscentia cognoscunt implicite Deum in quolibet cognito. Thomas von Aquin, De veritate, q.22, a.2, ad 1. 82 Rahner 1963, 57. 83 Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, II, c.98, u. ö. 79
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schlichtweg austauschbar seien. Erkennbarkeit wird somit geradezu zur Definition von Sein gemacht – worin ein subtiler Denkfehler liegt. 84 »Seiendes und möglicher Gegenstand einer Erkenntnis sind dasselbe, denn das Sein des Seienden ist – ›Erkennbarkeit‹.« 85 Letzteres ist demnach nicht lediglich eine universale Seinsbestimmung, sozusagen eine dem Sein zukommende Eigenschaft. »Das Wesen des Seins«, folgert Rahner, »ist Erkennen und Erkanntsein in einer ursprünglichen Einheit, die wir das Bei-sich-sein oder die Gelichtetheit (›Subjektivität‹, ›Seinsverständnis‹) des Seins der Seienden nennen wollen.« 86 Das Licht der Vernunft und das Licht des Glaubens stammen beide von Gott und können einander schon deshalb nicht widersprechen. Da es sich jedoch in beiden Fällen um Licht handelt, Licht selbst unsichtbar ist und der beleuchtete Gegenstand dabei – auch im Falle einer zweifachen Beleuchtung – unverändert bleibt, ist der unmittelbare Schnittpunkt nicht der Autor der zwei Bücher, sondern die eine beleuchtende und beleuchtete Vernunft des Betrachters. Schaefflers Ansatz geht davon aus, daß wir die Autorenschaft Gottes, gleichsam seine Handschrift, in der befreienden Freiheit der Welterfahrung erspüren können, so daß sie »auf eine diesem Buch gegenüber transzendente Ursache verweist«. 87 Das soll aber nicht bedeuten, daß wir eine Art Gottesbeweis im herkömmlichen Sinne oder Gotteserfahrung daraus machen. Gott ist zwar der Schöpfer, aber er hat seine Schöpfung zur Eigenständigkeit befreit. Und gerade diese Eigenständigkeit stellt die Grundlage unserer Erkenntnis dar. Die Freiheit hat eine säkularisierte Form angenommen. Naturwissenschaftliche Forschung gelingt insofern auch ohne Gott. Noch mehr: Thomas unterscheidet mit Deutlichkeit zwischen zweierlei »Wahrheit der Dinge«. Ihm zufolge gibt es zum einen die ontologische Wahrheit, die durch eine Beziehung zur göttlichen Vernunft in den Dingen entsteht, und zum anderen eine Wahrheit, die einer von Menschen erkannten Wirklichkeit zukommt. Letzteres hält 84 Näheres über das dadurch verursachte Problem für die Gotteslehre in: Hoye 1993, 125–170. 85 Rahner 1963, 56. 86 Rahner 1963, 55. Vgl. ders. 1957, 81–84. »Sein und Erkennen ist dasselbe.« Ebd., 82. Als Beleg zitiert Rahner bezeichnenderweise die Aussage des Thomas: »idem intellectus et intellectum et intelligere.« Ebd., 143, heißt es sogar »Identität von Erkennen und Sein«. 87 Schaeffler 2004, 338 f.
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er für akzidentell, da sich die Wahrheit in diesem Falle eigentlich im Erkennenden befindet. Demgemäß gibt es zwei verschiedene Beziehungen einer Wirklichkeit zur Vernunft: eine per se und eine per accidens. 88 Es gibt also eine von Gott stammende Wahrheit in den Dingen, aber diese ist nicht die Grundlage unserer Erkenntnis der Dinge. Thomas gibt folgende Erklärung an: »Obwohl die Wahrheit unserer Vernunft von der Realität verursacht wird, ist es dennoch nicht notwendig, daß in der Realität zuerst Wahrheit [ratio veritatis] gefunden wird, so wie in der Medizin es nicht notwendig ist, daß das Wesen der Gesundheit [ratio sanitatis] im Tier vorher gefunden wird, denn die Kraft der Medizin, nicht ihre Gesundheit, verursacht Gesundheit, da es sich nicht um eine univoke Ursache handelt. Und ähnlich wird die Wahrheit der Vernunft durch das Sein der Realität, nicht durch deren Wahrheit verursacht.«89 Um Erkenntnis von der Welt zu erlangen, ist der Mensch von der (göttlichen) Wahrheit in den Dingen unabhängig (so wie der Exeget eines Bibeltextes seine eigene Vernunft voraussetzen muß). Dafür genügen Wirklichkeit und die menschliche Vernunft sowie der Kontakt beider in der Vernunft. Man darf die Welt mit Recht als Buch ansehen, aber das Problematische daran soll nicht übersehen werden. Man ist nämlich nicht unbedingt auf einen Autoren angewiesen. Was Schaeffler als den »Maßgeblichkeitsanspruch jeder Wirklichkeit« 90 bezeichnet, ist insofern nicht mit der »Wahrheit der Dinge« identisch. Wahrheit ist so wesentlich von Wirklichkeit abhängig, daß es nach Thomas unmöglich ist, den Begriff »Wahrheit« zu denken, ohne dabei den Begriff »Wirklichkeit« mitzudenken, so wie man »Vater« mitdenkt, wenn man »Sohn« denkt. 91 Wahrheit impliziert Wirklichkeit, aber nicht Autorenschaft. Bei uns kommt Wahrheit nicht vor Wirklichkeit. »Eine erkannte Wirklichkeit ist zwar wahr, aber dennoch ist es nicht so, daß man Wahrheit erkennt, wenn man Wirklichkeit erkennt.« 92 So verstanden ist die »Anrede« nichts anderes als die Kraft der auf uns wirkenden Wirklichkeit, die das Bewußtsein verändert und bewegt und die Schaeffler den »Anspruch des Wirklichen« 93 nennt. 88 89 90 91 92 93
Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.16, a.1c. Ebd., ad 3. Schaeffler 2006, 47. Vgl. Thomas von aquin, Summa theologiae, I, q.16, a.3, ad 3. Ebd. Schaeffler 2004, 341.
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Jürgen Habermas spricht von der Resistenz der objektiven Welt, das heißt von einer dogmatischen Funktion der Wirklichkeit. »Die dogmatische Verfassung der Lebenswelt« hält er für »eine notwendige Bedingung für das fallibilistische Bewußtsein von Argumentationsteilnehmern, die damit rechnen, daß sie sich auch noch im Falle gut begründeter Meinungen irren können.« 94 Gegenüber seiner eigenen Auffassung des Diskurses stellt er dann fest: »Kein Diskurs vermag die ontologischen Konnotationen, die wir mit dem assertorischen Sinn von Behauptungen verbinden« 95 , aufzuheben. Man kann es auf folgende Weise ausdrücken: Menschliche Wahrheit ist primär ontologisch, das heißt, sie ist eine Form des Werdens: Das Subjekt wird der Gegenstand. Ein Mensch ist nicht nur sich selbst, sondern kann, im Sein seines Bewußtseins, auch andere Wirklichkeiten werden. 96 »Erkenntnis bedeutet, daß das Erkannte im Erkennenden ist« 97 , heißt es charakteristischerweise bei Thomas. »Das Erkannte wird eins mit dem Erkennenden.« 98 Das Erkannte und der Erkennende sind eins geworden. Erst nach solchem Werden folgt die Erkenntnis. Also: Wahrheit ist nicht eine Eigenschaft von Erkenntnis, sondern umgekehrt: Wahrheit, im eigentlicheren Sinne, ist die Ursache von Erkenntnis. Den Zusammenhang schildert Thomas klar: »Die Wirklichkeit des Gegenstandes geht also der ›Wahrheit‹ voraus, und Erkenntnis ist eine Wirkung der Wahrheit.« 99 Daraus läßt sich meines Erachtens folgern: Wir können wissen, daß die Welt den schöpferischen Einfluß Gottes
Habermas 1998, 193. Ebd. »Diese spezifisch menschliche Intelligenz scheint die Möglichkeiten etwa eines Computers zu übersteigen. Ein Computer ist nicht vernünftig in diesem vollen Sinne, sondern nur logisch konsequent. Die binäre Codierung von Wahrheitsfragen ist durch die ontologische Unterstellung einer objektiven Welt motiviert, mit der wir als Handelnde ›zurechtkommen‹ müssen.« Ebd., 206. 96 So definiert Thomas »Geist«. »Dieser Stein«, sagt er, »ist nichts anderes als dieser Stein«; der Geist hingegen »ist nicht nur das, was er ist, sondern auch in einer gewissen Weise alles.« Thomas von Aquin, In II De anima, lect.5, nr.283. 97 Cognitio est secundum quod cognitum est in cognoscente. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q.16, a.1c. 98 Realiter vero consequitur unionem obiecti cum agente; ex hoc enim quod intellectum fit unum cum intelligente, consequitur intelligere quasi quidam effectus differens ab utroque. Ebd., q.54, a.1, ad 3. 99 Sic ergo entitas rei praecedit rationem veritatis, sed cognitio est quidam veritatis effectus. Thomas von Aquin, De veritate, q.1, a.1c. 94 95
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aufweist, aber dieser muß nicht unbedingt in Analogie zum Autoren eines Buches gesehen werden. Eine Theologie, wie die soeben skizzierte, befreit die Vernunft zur Selbständigkeit in Bezug auf Welterkenntnis, räumt derselben Vernunft aber auch eine gewisse Autonomie hinsichtlich des Verständnisses der Bibel ein. Wenn es um eine Artikulation der Präsenz Gottes in der Welt geht, kann die Metapher des Buches der Welt einen hilfreichen Zugang bieten, ohne auf den Glauben rekurrieren zu müssen. Wenn es aber um Welterkenntnis geht, ist die Metapher nicht vorbehaltlos zu verwenden, impliziert sie doch eine Abschwächung der Selbständigkeit der menschlichen Vernunft. Auch das Schöne in der Welt bietet einen anziehenden Zugang zu Gott, aber zugleich kann es eine Verführung sein, wie wir im Buch der Weisheit (13, 1–9) hören. Stellt man sich Welterkenntnis als Lesen eines Buches statt als Wahrnehmung von Wirklichkeit vor, geht man das Risiko ein, daß diese Vorstellung sich durch die weitere wissenschaftliche Entwicklung, nicht nur in der Naturwissenschaft, erübrigt. Literatur Alanus ab Insulis (Alain de Lille): Sequenz der Rose. PL 210, 579AB Augustinus: De Genesi ad litteram. PL 32, 219 ff. Bellarmin, Robert: Brief an R. A. Foscarini, 12. April 1615. In: Galilei, XII, 172. Benedikt XVI. (2007): Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg: Herder. Bonaventura: Breviloquium, hg. u. übers. Von m. Schlosser. Einsiedeln u. a.: Johannes 2002. Bonaventura: Collationes in Hexaemeron, übers. Von W. Nyssen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1964. Borges, Jorge Luis (1974): Die Bibliothek von Babel. In: ders., Die Bibliothek von Babel. Erzählungen. Stuttgart: Reclam (Reclams Universal-Bibliothek 9497). Brandmüller, Walter (1994): Galilei und die Kirche. Ein »Fall« und seine Lösung. Aachen: MM-Verlag. Carroll, William E. (1999). Galileo and the Interpretation of the Bible. In: Science & Education 8, 151–181. Denzinger, H./Schönmetzer, A. (36 1976): Enchiridion Symbolorum. Definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Freiburg u. a.: Herder. Descartes, René (1999): Discours de la méthode, hg. von É. Gilson. Paris: Vrin (Bibliothèque des textes philosophiques).
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Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende Oliver J. Wiertz
Richard Schaefflers Verdienste um die deutschsprachige Religionsphilosophie zu rühmen, heißt Eulen nach Athen und Weißwürste nach München zu tragen. Aber im Folgenden soll doch wenigstens ein wertvoller Aspekt der Schaefflerschen Religionsphilosophie besonders herausgestellt werden: seine unvoreingenommene, aber alles andere als unkritische, Beschäftigung mit der analytischen Religionsphilosophie, die ihm seit dem Ende der siebziger Jahre als Gesprächspartner dient. Sie bildet in Verknüpfung mit einer transzendental gewendeten philosophischen Theologie und der besonders in den Religionswissenschaften breit rezipierten phänomenologischen Methode 1 das Schaefflersche Dreigestirn einer grundlegenden religionsphilosophischen Methode. In diesem Sinn lässt sich das »nach« im Titel, in Entsprechung zum lateinischen »secundum«, als »gemäß« verstehen. Richard Schaeffler hat in seiner Religionsphilosophie Einsichten und Methoden der analytischen Philosophie aufgenommen. Aber wer ist dieser philosophische Gesprächspartner Schaefflers, namens »analytische Religionsphilosophie«? Im Folgenden muss zuerst geklärt werden, was unter analytischer (Religions-)Philosophie zu verstehen ist. Danach soll kurz angedeutet werden, wie sich Schaefflers Bezug auf analytische Religionsphilosophie zu dem hier vorgestellten Bild analytischer Religionsphilosophie verhält und drittens, welche möglichen Konsequenzen sich aus der Reflexion auf dieses Verhältnis für Schaefflers Religionsphilosophie ergeben.
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Schaeffler 2002, 281.
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Oliver J. Wiertz
1 Wenn erklärt werden soll, was unter »analytischer Religionsphilosophie« zu verstehen ist, muss zuerst die Bedeutung der allgemeinen Bezeichnung »analytische Philosophie« geklärt werden. Der Ausdruck »analytische Philosophie« lässt sich nicht im Sinn der Angabe von einzelnen notwendigen und gemeinsam hinreichenden Bedingungen der korrekten Verwendung definieren. 2 Das dürfte wohl am wenigsten analytische Philosophen selbst überraschen, denn wenn man sicher etwas aus der langwierigen philosophischen Diskussion z. B. um den Bedeutungs- oder den Wissensbegriff innerhalb der analytischen Philosophie lernen kann, dann, dass eine erfolgreiche Begriffsanalyse nicht notwendig entweder zu einer Definition im strikten Sinn oder zur Brandmarkung eines Begriffs als sinnlos bzw. hoffnungslos unbestimmt führen muss. Aber auf der anderen Seite stimmt es weder, dass niemand weiß, was analytische Philosophie ist 3 , noch dass die Unterscheidung zwischen analytischer und nichtanalytischer (manchmal zu Unrecht als »kontinentale Philosophie« bezeichneter) Philosophie eine abgedroschene und irreführende Dichotomie ist. 4 Dies lässt sich leicht an folgendem Gedankenexperiment verdeutlichen. Hans liest einen Monat lang jeden Tag vormittags die aktuellen Ausgaben des »Journal of Philosophy« oder von »Mind« und nachmittags Werke von Plotin, Fichte, Nietzsche, Heidegger und Derrida. Nach einem Monat wird Hans feststellen, dass er sicherlich sowohl vormittags als auch nachmittags philosophische Werke gelesen hat, die zumindest zum Teil ähnliche Probleme behandeln, aber er wird wohl genauso sicher feststellen, dass die vor- bzw. nachmittägliche Lektüre den Ergebnissen unterschiedlicher Arten »intellektueller Aktivität« galt. 5 Dieser Eindruck würde sich noch verstärken, wenn er sich auf den Bereich der Religionsphilosophie konzentrierte und vormittags nur Ausgaben von »Faith and PhilosoÄhnlich auch die Einschätzungen z. B. von P. Hylton und A. P. Martinich und D. Sosa; siehe Hylton 1998, 54; Martinich/Sosa 2001, 4. 3 So B. Leiter z. B. in seinem Beitrag: ›What is »Analytic« Philosophy? Thoughts from Fodor‹ unter folgender Internetadresse: http://leiterreports.typepad.com/blog/2004/10/ what_is_analyti.html 4 So z. B. Anat Matar; siehe Matar 1998, 71. 5 Glock 2008, 9. Das Gedankenexperiment stammt ursprünglich von Peter Bieri (Bieri 2007, 3). 2
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Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende
phy« und nachmittags nur Ausgaben des »Jahrbuchs für Religionsphilosophie« lesen würde. Die Rede von analytischer Philosophie als einem distinkten Phänomen hat ein fundamentum in re. 6 Aber lässt sich dieses Fundament genauer bestimmen? Der Versuch einer Charakterisierung mit Bezug auf angebliche typische Thesen, Themen und Methoden führt nicht weiter, da diese zu unterschiedlich sind. Dagegen lässt sich analytische Philosophie zumindest teilweise mit Hilfe ihrer methodologischen Ideale charakterisieren. Präzision des Ausdrucks, die Begründung vorgebrachter Behauptungen und Klarheit der Argumentation (im Sinn der leichten Erkennbarkeit der argumentativen Struktur und der Voraussetzungen der Argumentation) stellen im Allgemeinen (aber nicht notwendig im Einzelfall) wichtige methodologische Ideale in der analytischen Philosophie dar, aber sicherlich nicht allein in ihr, wenn man nicht z. B. Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin oder Descartes als analytische Philosophen klassifizieren will. Analytische Philosophie lässt sich wohl am ehesten als eine Tradition charakterisieren. Dabei sollen zwei konstitutive Merkmale zumindest philosophischer Traditionen unterschieden werden: einen kognitiven Kern und dessen Weitergabe. Kognitiver Kern einer philosophischen Tradition ist die Menge der Überzeugungen, Themen und Methoden bzw. Praktiken, die in einer Gruppe über einen bestimmten Zeitraum hinweg sozial vermittelt werden und einen, zumindest schwachen, normativen Charakter besitzen und insofern Grundlage für die weitere Entwicklung der Gruppe ist. Dabei ist weder erforderlich, dass innerhalb einer Tradition von deren Mitgliedern immer der gesamte Kern rezipiert bzw. weitergeben wird oder im Prozess der Weitergabe dieser Kern unverändert bleibt. Eine Tradition ist keine statische Größe, sondern »Traditionen verkörpern, wenn sie lebendig sind, kontinuierliche Konflikte.« 7 Es genügt, wenn es zwischen Gegen Preston 2004, 462. MacIntyre 1995, 296. Weniger hilfreich ist wohl die Bestimmung der Kategorie des Ausdrucks »analytische Philosophie« als eines aktuellen Forschungsprogramms im Sinn von Lakatos, wie z. B. in der Vorstellung des »Electronic Journal of analytic philosophy« auf der Website der Intute-database (www.intute.ac.uk/artsandhumanities/cgi-bin/ search.pl?term1=analytic+philosophy&submit.x=0&submit.y=0&submit=Go&limit= 0&subject=artsandhumanities). Unter einem Forschungsprogramm ist die Summe der verschiedenen Stufen zu verstehen, durch die eine die Forschung leitende Idee hin-
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den jeweiligen Mitgliedern Überlappungen in Bezug auf einzelne Bestandteile des Kerns und Beeinflussungen zwischen einzelnen Mitgliedern gibt; ein sich durchziehender roter Faden ist für die Konstitution einer Tradition nicht notwendig. 8 Wenn diese Charakterisierung der analytischen Philosophie als einer Tradition korrekt ist, muss man ihre Geschichte betrachten, um zu verstehen, was analytische Philosophie ist. Dies soll im Folgenden in einem Zeitraffer geschehen, wobei ich mich v. a. auf die analytische Religionsphilosophie konzentriere, deren Geschichte ich in vier Phasen einteile. 9
1.
Der Vorwurf der kognitiven Sinnlosigkeit der religiösen Sprache
Inhalt der ersten Phase ist das Verdikt der kognitiven Sinnlosigkeit, das der logische Positivismus/Empirismus über alle Sätze aussprach, die weder analytisch sind, noch dem positivistischen Falsifikations- bzw. Verifikationskriterium der Bedeutung genügen. Da religiöse Sätze weder analytisch sind, noch dem engen empiristischen Sinnkriterium genügen, gelten sie als kognitiv sinnlos, d. h. besitzen angeblich keinen Wahrheitswert. In dieser ersten Phase kann nur in abgeschwächter Form von analytischer Religionsphilosophie die Rede sein, da die »[…] analytische Religionsphilosophie […] mit einem Text [beginnt], der sie eigentlich überflüssig machen sollte, nämlich mit Ayers Language, Truth and Logic.« 10 Nach Ayers Abrechnung mit dem kogdurchgeht. Diese leitende Idee bildet den harten Kern des Forschungsprogramms, der von einem Ring von sich ändernden Annahmen umgeben ist, die den Kern u. a. vor Problemen schützen sollen (siehe Larvor 1998, 50–52). Der Begriff des ›Forschungsprogramms‹ (Lakatos 1980) hat zwar den Vorteil, dass ihm bereits der Abschied von Akkumulationsvorstellungen eingeschrieben ist, aber es ist gerade fraglich, ob es eine die analytische Philosophie »leitende Idee« und damit einen Kern gibt. 8 In wittgensteinscher Terminologie: es genügen Familienähnlichkeiten; siehe dazu Hylton 1998. Eine ähnliche Kennzeichnung der analytischen Philosophie findet sich in Glock 2008, Kap. 8. 9 Kriterien der Einteilung sind die Veränderungen bzw. veränderten Schwerpunkte in dem Kanon von Fragen, Problemen, Methoden und Autoren/Texten, auf die sich die Diskussion innerhalb der analytischen Religionsphilosophie vorwiegend bezieht. Die Entwicklungen innerhalb der analytischen Religionsphilosophie lassen sich im Großen und Ganzen parallel zu den Entwicklungen des Mainstreams der analytischen Philosophie verstehen. 10 Halbig 2003, 27.
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nitiven Anspruch religiöser Sätze kommt die religionsphilosophische Diskussion innerhalb der analytischen Philosophie vorerst zum Erliegen.
2.
Der logische Status religiöser Sätze
Die zweite Phase der analytischen Religionsphilosophie begann nach dem zweiten Weltkrieg. Es bot sich jetzt eine Alternative zum logischen Empirismus/Positivismus an: die sogenannte »ordinary language philosophy«, zu der hier der Einfachheit halber auch der späte Wittgenstein gezählt werden soll. 11 Diese Richtung der analytischen Philosophie, die auch als ›sprachanalytische Philosophie‹ im engeren Sinn bezeichnet wird, 12 lehnte die positivistische Privilegierung der (Natur-)Wissenschaften als alleinige Quelle von Wissen über die Welt, eine formale Idealsprache als Maßstab philosophischer Sprache und eine einheitliche empiristische Bedeutungstheorie ab und suchte eine Alternative, indem sie auf die vielen unterschiedlichen Weisen hinwies, in der Wörter und Sätze in der Alltagssprache gebraucht werden. Die unterschiedlichen Weisen des Sprachgebrauchs dürfen nicht an einem einzigen, universalen Kriterium gemessen werden, sondern die einzelnen »Sprachspiele«, ein Ausdruck Wittgensteins, der zu einem Schlagwort in dieser zweiten Phase wurde, sind autonom. Diese Einsichten wirkten sich auch auf dem Gebiet der Religionsphilosophie aus. John Wisdom eröffnete in seinem Aufsatz »Gods« von 1945 wieder die religionsphilosophische Diskussion innerhalb der analytischen Philosophie, indem er auf die wirklichkeitsdeutende (nicht wirklichkeitsabbildende) Funktion religiöser Sätze hinwies. 13 Religiöse Men11 Genaugenommen kann Wittgenstein nicht als Vertreter der »ordinary language philosophy« im engen Sinn eingeordnet werden, die eher mit Oxford-Philosophen wie Ryle, Austin oder Strawson verbunden wird. Aber neben wichtigen Unterschieden zwischen Wittgenstein und den genannten Philosophen bestehen wichtige grundsätzliche Übereinstimmungen (zu einer knappen Darstellung der Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen der Philosophie Wittgensteins und derjenigen der Oxford-Schule siehe Urmson 1988, 301). 12 Siehe z. B. Runggaldier, E., Analytische Sprachphilosophie, Stuttgart, Berlin, Köln 1990 (Grundkurs Philosophie 11), 17–27. 13 Dalferth 1988, 20. Zu Wisdoms Aufsatz siehe u. a. Dalferth 1974, 35 f.
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schen sehen nicht mehr oder andere Tatsachen als Atheisten und in diesem Sinn haben religiöse Sätze nichts mit den Tatsachen zu tun. Aber es ist auch nicht so, dass es bei der Auseinandersetzung zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen kein Richtig oder Falsch und keine Rationalität gibt. Es geht vielmehr »[…] um die Konkurrenz zweier Modelle, die beide die gleichen Züge der Wirklichkeit in Betracht ziehen, aber sie verschieden interpretieren und anders erklären und so unterschiedliche Reaktionen und Einstellungsweisen zur Welt provozieren« 14 . Dass allerdings auch nach dem Niedergang des logischen Positivismus dessen Geist innerhalb der analytischen Religionsphilosophie lebendig blieb, zeigt die berühmte Falsifikationsdebatte, die durch Flews These ausgelöst wurde, dass religiöse Sätze kognitiv sinnlos sind, da sie sich nicht empirisch falsifizieren lassen. 15 Die Antworten auf Flews Herausforderung lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Die »liberale« Richtung gesteht Flew zu, dass religiöse Sätze keine Wahrheitsansprüche stellen, also keine Aussagen sind, aber wichtige andere Funktionen erfüllen, z. B. eine grundsätzliche Einstellung zur Wirklichkeit ausdrücken (Hare) 16 oder die Bindung an eine bestimmte Lebensweise und die Absicht, sich entsprechend dieser Lebensweise zu verhalten, kundtun (Braithwaite) 17 . Diese Gruppe von Antworten nimmt eine Reinterpretation traditioneller religiöser Ausdrücke vor, um Flews Angriff zu begegnen. 18 Dagegen steht die »konservative« Gruppe von Antworten auf Flew: In ihr wird die traditionelle kognitivistische Deutung zumindest einiger religiöser Sätze vertreten. Entweder bestreiten Vertreter dieser Gruppe den Status des empiristischen Falsifikationskriterium als angemessenes Instrument zur Unterscheidung kognitiv sinnvoller von kognitiv sinnlosen Sätzen oder sie erkennen Flews Falsifikationskriterium an, versuchen aber zu zeigen, dass theistische Sätze mit bestimmten empirischen Tatsachen unvereinbar sind. D. Z. Phillips vertritt in prominenter Weise eine religionsphilosoDalferth 1974, 35. Flew 1974. 16 Hare 1974. 17 Braithwaite 1974. 18 So bedeutet z. B. »Gott liebt alle Menschen« nach Braithwaite nicht, dass Gott tatsächlich alle Menschen liebt, sondern das Bekenntnis zu einer »agapeistischen Lebensweise.« Braithwaite 1974, 178. 14 15
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phische Wittgensteinrezeption, die unter dem Namen »Wittgensteinianischer Fideismus« für heftige Kontroversen sorgte, da er eine fideistische und nonkognitivistische Position zu vertreten schien. Nach ihm ist das religiöse Sprachspiel autonom und darf weder an den Funktionen von Sätzen in anderen Sprachspielen noch mit Kriterien anderer Sprachspielen, wie z. B. dem Falsifikationskriterium, gemessen werden. Da religiöse Sätze keine gewöhnlichen Aussagen sind, die eine von ihnen unabhängige Wirklichkeit beschreiben, sind sie auch nicht mit den gewöhnlichen semantischen oder epistemologischen Kriterien gewöhnlicher Aussagen zu messen. Das religiöse Sprachspiel unterliegt keiner rationalen Bewertung von außerhalb und benötigt keine Argumente für seine Rationalität. 19 Hier deutet sich bereits ein neues Thema der analytischen Religionsphilosophie an. Zentrales Thema der neu erstandenen analytischen Religionsphilosophie in dieser zweiten Phase ist die Frage nach dem kognitiven Status und dem Sinn religiöser Sätze. Nonkognitivistische Positionen stehen neben kognitivistischen Theorien der religiösen Sprache. Da ab Ende der sechziger Jahre das empiristische Sinnkriterium nicht mehr als ernsthafte Bedrohung für den kognitiven Status religiöser Sätze gilt, 20 und deutlich wurde, dass nonkognitivistische Theorien 19 Siehe auch z. B. Malcolm 1992. Da D. Z. Phillips bestreitet, dass religiöser Glaube zu seiner Rationalität eine epistemische Rechtfertigung durch vom Glauben unabhängige Argumente benötigt, kann er als moderater Fideist gelten; siehe z. B. Phillips 1976; Phillips 1995, 3–13. Auch Plantingas reformierte Epistemologie kann in diesem Sinn als moderat fideistische Position gelten. Allerdings unterscheidet er sich von Phillips zum einen durch sein kognitivistisch-realistisches Verständnis religiöser Sprache und das Zugeständnis, dass rationale Argumente für religiösen Glauben, wenn auch nicht notwendig, so doch möglich sind und eine negative Apologetik zur Entkräftung von Einwänden gegen den religiösen Glauben für dessen Rationalität notwendig ist; siehe z. B. Plantinga 2000. 20 Neben der hartnäckigen Schwierigkeit, eine zufriedenstellende Formulierung des positivistischen Bedeutungskriteriums zu finden, waren noch weitere Gründe für dessen Verschwinden verantwortlich: Das Kriterium ist selbstwiderlegend, da es den eigenen Bedingungen für kognitiven Sinn nicht gerecht wird (es ist weder analytisch wahr, noch lässt es sich verifizieren) und es erscheint als beliebig, weil es auf einer willkürlichen Bedeutungstheorie fußt. Allerdings vertreten Kai Nielsen und unter Berufung auf ihn Michael Martin weiterhin die Auffassung, dass sich erstens ein positivistisches Bedeutungskriterium plausibel formulieren lässt und man zweitens mit dieser Formulierung zeigen kann, dass religiöse Sätze kognitiv sinnlos sind; siehe z. B. Martin 1990, 40–78. Allerdings ist dies auch unter atheistischen oder agnostischen Religionsphilosophen eher eine Minderheiten-
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dem gewöhnlichen Gebrauch der religiösen Sprache nicht gerecht werden, setzte sich die kognitivistische Deutung religiöser Sprache durch: Religiöse Sätze sind zumindest in manchen Fällen als Aussagen zu verstehen. Die Diskussion um den logischen Status religiöser Sätze verebbte und machte Platz für andere Themen.
3.
Die Wahrheit und Rationalität religiöser Überzeugungen
Wenn es religiöse Aussagen gibt, stellt sich die Frage nach ihrem Wahrheitswert. Diese Frage steht im Mittelpunkt der dritten Phase der analytischen Religionsphilosophie. Durch die Konzentration auf die Wahrheitsfrage gewinnen zwei neue Aspekte religiöser Sprache an Gewicht: die Konsistenz und die Rationalität religiöser Aussagen bzw. Überzeugungen. (1) Notwendige Bedingung für die Wahrheit einer Aussage ist ihre Konsistenz. Eine widersprüchliche Aussage ist notwendig falsch. Wenn man zeigen kann, dass die theistischen Gottesattribute inkonsistent sind, ist damit die Falschheit des Theismus erwiesen. Entsprechend treten die traditionellen Attribute Gottes stärker in den Blickpunkt und es wird zum einen untersucht, inwieweit die einzelnen Attribute widerspruchsfrei und plausibel formuliert werden können, und zum anderen, ob sie untereinander kompatibel sind. 21 (2) Da die Wahrheit von Aussagen bzw. Propositionen für uns nicht offensichtlich ist, benötigen wir Gründe für die Wahrheit einer Aussage. Nur wenn wir gute Gründe für die Annahme haben, dass eine Aussage wahr ist, sind wir rational gerechtfertigt, sie für wahr zu halten. Die Suche nach angemessenen Methoden zur rationalen Rechtfertigung religiöser Überzeugungen und nach Argumenten für und gegen die Existenz Gottes spielt eine wichtige Rolle. Basil Mitchell z. B. entwirft eine kumulative Methode der rationalen Rechtfertigung religiöser Überzeugungen. Religiöser Glaube lässt sich letztlich anhand seiner Fähigkeit rational rechtfertigen, die Wirklichkeit im Ganzen zu erklären, ihr Zusammenhang und Sinn zu geposition. Typischer ist wohl J. L. Mackies Auffassung, dass man an einem schwachen Verifikationsprinzip festhalten kann, aber dieses kein Argument gegen den kognitiven Status religiöser Sätze liefert; siehe Mackie 1985, 10 f. 21 Vgl. z. B. Keene 1960; Kretzmann 1966 und Kenny 1979.
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ben. 22 Da sich kumulative Argumente im Sinn Mitchells nicht auf die Anwendung formaler Kriterien reduzieren lassen, wird diese Position auch als »soft rationalism« 23 bezeichnet – im Gegensatz zum »hard rationalism« z. B. Richard Swinburnes, bei dessen Rationalitätskonzeption formale quantifizierbare Kriterien im Mittelpunkt stehen. 24 Unter methodologischen Gesichtpunkten fällt auf, dass sich in der dritten Phase die analytische Religionsphilosophie zunehmend der neuen Methoden und Techniken aus den anderen Gebieten der analytischen Philosophie bedient. So halten aufs Ganze gesehen mehr technisch-formale Methoden und größere Genauigkeit und Strenge Einzug in die analytische Religionsphilosophie.
4.
Christliche Philosophie, die Epistemologie religiöser Überzeugungen und die Vielfalt der Religionen
Nach der dritten Phase, die vor allem durch Fragen nach Wahrheit, Konsistenz und Rationalität des Theismus geprägt war, kommt es Anfang/Mitte der 80er Jahre langsam zu einer weiteren (wenn auch weitaus weniger deutlichen) Akzentverschiebung. Für diese Phase sind drei neue Schwerpunkte kennzeichnend: (1) Zum einen treten metaepistemologische Fragen stärker in den Vordergrund. Stand in der dritten Phase die Frage nach der Rationalität bzw. epistemischen Rechtfertigung des Theismus im Mittelpunkt, wird nun auch danach gefragt, was »epistemische Rechtfertigung« überhaupt bedeutet, welche Struktur Begründungen haben und warum es wichtig ist, positive Gründe für eine Überzeugung zu haben. Grund dieser Themenverlagerung ist das Aufkommen der »reformierten Epistemologie«. 25 Diese Richtung lehnt den Grundsatz ab, nach dem erstens nur Aussagen, die bestimmte Kriterien erfüllen, auch unabhängig von propositionalen Gründen epistemisch gerechtfertigt sein können und zweitens religiöse Überzeugungen diese Kriterien nicht erfüllen. Im Jargon der zeitgenössischen Epistemologie formuliert: Auch Mitchell 1973. Sykes 1977. 24 Siehe vor allem Swinburne 20042 . 25 Zu den bekanntesten Vertreter der »reformierten Epistemologie« zählen A. Plantinga, N. Wolterstorff und W. P. Alston. 22 23
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religiöse Überzeugungen können berechtigt basal sein und bedürfen deswegen keiner propositionalen Begründung zu ihrer epistemischen Rechtfertigung. Allerdings steht diese Position u. a. dem als »great pumpkin objection« bekannten Problem gegenüber, wie man ohne intersubjektive universale Kriterien berechtigter Basalität verhindern kann, dass auch abstruse Überzeugungen und Weltanschauungen berechtigte Basalität und damit Freiheit von der Begründungsforderung beanspruchen. (2) Zweitens kommt es zur Entwicklung einer neuen christlichen Philosophie. Wichtigster Bezugspunkt dieser christlichen Philosophie ist nicht die vorwiegend atheistisch/agnostische philosophische Akademie, sondern die christliche Gemeinschaft. 26 Für eine christliche Gemeinschaft sind aber andere philosophische Themen wichtig als für die säkulare akademische philosophische Gemeinschaft und innerhalb der christlichen Gemeinschaft kann und muss man mit einer anderen philosophischen Methodologie und anderen Prämissen arbeiten als in der säkularen Philosophie. Immer mehr richten analytische Religionsphilosophen ihr Augenmerk auf spezifisch christliche Lehren. 27 Dies geht einher mit der stärkeren Berücksichtigung der Tatsache, dass der »generische Theismus« (P. Quinn), der bis dahin ausschließliche Gegenstand analytischer Religionsphilosophie, keine lebendige Religion ist, und die drei großen monotheistischen Weltreligionen Lehren besitzen, die zwar nicht zum gemeinsamen theistischen Kern gehören, aber trotzdem religionsphilosophische Beachtung verdienen. 28 Christliche Philosophie bedeutet aber auch den Versuch, aus einer spezifisch theistisch-christlichen Perspektive philosophische Fragen und Probleme anzugehen, diese im Licht des christlichen Glaubens zu sehen. 29 (3) Eine dritte markante Entwicklung innerhalb der analytischen Religionsphilosophie, die in der vierten Phase immer deutlicher wird, ist die Thematisierung der Vielfalt der Religionen. Im Zusammenhang Plantinga 1998, 298 f., 315. Siehe z. B. Swinburnes eher theologische Tetralogie, die zwischen 1989 und 1998 erschienen ist. 28 Bei der Suche nach konsistenten Formulierungen christlicher Glaubenswahrheiten gewinnt die sich bereits in der dritten Phase zeigende Beschäftigung mit mittealterlichen Autoren immer mehr an Gewicht. 29 Siehe z. B. Beaty, M. D., Introduction. In: Beaty, M. D. (Hg.), Christian Theism and the Problems of Philosophy, Notre Dame/Ind., London 1990, 1–13, 1 f. 26 27
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v. a. mit John Hicks pluralistischen Thesen 30 kommt es noch einmal zu einer intensiven Auseinandersetzung über die Transzendenz Gottes und die Möglichkeit wahrer Aussagen über ihn – jetzt allerdings nicht unter dem semantischen Aspekt ihrer Verifizier-/Falsifizierbarkeit, sondern vor allem unter epistemologischer Rücksicht. Angesichts dieser historischen Entwicklung lässt sich folgendes kurzes Fazit ziehen. Es fällt auf, dass es gerade auf Grund der Reflexion auf den kognitiven Status religiöser Sprache zu einer zunehmenden Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen und metaphysischen Fragen im Zusammenhang mit religiösem Glauben kommt. Auch wenn weiterhin besonders in der Diskussion der Eigenschaften Gottes das methodologische Rezept des semantischen Aufstiegs befolgt wird, nach dem man sich philosophischen Fragen über eine Reflexion auf semantische Fragen anzunähern hat, ist die ursprüngliche Metaphysikfeindlichkeit der analytischen Philosophie im Allgemeinen und der analytischen Religionsphilosophie im Besonderen umgeschlagen in eine neue Konjunktur alter (und neuer) metaphysischer Fragestellungen. Die analytische Religionsphilosophie ist nicht einfach analytische Sprachphilosophie, angewendet auf religiöse Sprache. Der logische Status religiöser Sprache ist nur eines unter mehreren Themen in der analytischen Religionsphilosophie.
2 Wie verhalten sich Schaefflers Rede von analytischer (Religions-)Philosophie und seine Bezugnahme auf sprachanalytische (Religions-)Philosophie zu der eben geschilderten geschichtlichen Entwicklungen der analytischen (Religions-)Philosophie? Schaeffler fasst den »linguistic turn« in der analytischen Philosophie zusammen als »Wendung von den Sachfragen zur Frage nach der Sprache.« 31 Diese Wendung zeige sich auch in der analytischen Religionsphilosophie. Die wandte sich laut Schaeffler von »[…] einer Erörterung der Frage ›Was ist Religion?‹ zur Untersuchung sprachphilosophischer Probleme: Welche Art von Sprache wird in religiösen Äußerungen verwendet? Und wovon hängt es ab, ob diese sprachlichen 30 31
Hick 1996. Schaeffler 2002, 144.
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Ausdrücke sich auf etwas beziehen und etwas besagen, statt ebenso gegenstandslos wie bedeutungslos zu sein?« 32 Schaeffler versucht mit Hilfe der so verstandenen sprachanalytischen Philosophie in einer Analyse der religiösen Sprache »[…] Kriterien zu gewinnen, an denen der religiöse Akt und seine Sinnlogik sich unterscheidend hervorheben lassen.« 33 Analytische Philosophie spielt bei ihm eine wesentliche Rolle dabei, die charakteristischen Merkmale von Religion herauszuarbeiten und ist insofern ein unverzichtbarer methodologischer Bestandteil seiner Religionsphilosophie. Allerdings birgt der analytische Ansatz in Schaefflers Augen auch spezielle Gefahren, deren größte seiner Meinung nach darin liegt, dass sie »[…] zu einer bloßen Beschreibung sprachlicher Seltsamkeiten werden [kann], ohne zu einem Verständnis der Sachgründe zu führen, die den religiösen Menschen zu gerade dieser Weise des Sprechens nötigen.« 34 Mit Hilfe der analytischen Philosophie lässt sich also hinreichend die religiöse Sprache von anderen Sprachformen abgrenzen, aber durch ihre methodische Reduktion auf die Sprache und sprachliche Eigenheiten ist sie dann gerade nicht mehr imstande ihre ureigenste Aufgabe zu erfüllen, »[…] Maßstäbe für eine angemessene Beurteilung und eine für die Religion selbst weiterführende Kritik des religiösen Sprechens […]« 35 zu geben. Diese Gefahr zeigt sich für Schaeffler in der doppelten Gestalt, dass das religiöse Sprechen umstandslos an den Kriterien wissenschaftlichen Sprechens gemessen wird oder eine anarchische Vielfalt von Sprachspielen behauptet wird, in der das religiöse Sprachspiel eines unter vielen ist, das keine Beziehungen zu den anderen Sprachspielen besitzt. Schaeffler selbst versucht dieser drohenden doppelten Gefahr mit Hilfe des Begriffpaars »Autonomie« und »Autarkie« zu entgehen. Unter der »Autonomie religiöser Aussagesätze« versteht er die Tatsache, dass sie »[…] anderen Gesetzen folgen als Aussagesätze, die außerhalb religiöser Kontexte formuliert werden.« 36 Dies bedeute aber nicht, dass sie selbstgenügsam, autark seien (was zur Anarchie der Sprachspiele führen würde), sondern sie seien, obzwar von ihnen unterschieden,
32 33 34 35 36
Schaeffler 2002, 144. Schaeffler 2002, 216. Schaeffler 2002, 282. Schaeffler 2002, 282. Schaeffler 1989, 2.
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doch auf andere Sprachformen verwiesen. Und diese Verwiesenheit ermögliche den Dialog zwischen den Sprechern der religiösen Sprache und den Sprechern anderer Sprachen. Die Autonomie der religiösen Sprache zeigt er beispielhaft in einer Analyse der Gebetssprache auf. 37 Gegen die Autarkiethese argumentiert er, dass aus der religiösen Sprache selbst folge, dass über Gott »[…] zugleich in anderen Sprachen gesprochen werden kann und muß.« 38 Schaeffler will so unter Aufnahme sprachanalytischer und transzendentalphilosophischer Überlegungen eine Theorie religiöser Sprache entwerfen, die deren Autonomie respektiert, ohne sie autark zu machen. 39 Die knappe Darstellung der Geschichte der analytischen Religionsphilosophie und die kurze Kennzeichnung der Rolle der analytischen Philosophie in Schaefflers Religionsphilosophie sprechen dafür, dass Schaeffler sich vorwiegend auf die erste und zweite Phase der analytischen Religionsphilosophie bezieht. Diese Vermutung wird durch einen Blick auf die von ihm herangezogenen Gewährsleute einer analytischen (Religions-)Philosophie bestätigt. Es sind vor allem Wittgenstein, D. Z. Phillips, Flew, Hare, Braithwaite, Ramsey, Crombie etc. – allesamt Exponenten der zweiten Phase der analytischen Religionsphilosophie, der Zeit der sprachanalytischen Philosophie im engeren Sinn. Auch Schaefflers thematische Schwerpunkte in der Beschäftigung mit der analytischen Religionsphilosophie bestätigen diese Vermutung. »Autonomie« bzw. »Autarkie der religiösen Sprache« und »Anarchie der Sprachspiele« 40 sind Stichwörter aus dem Umkreis der Auseinandersetzung mit Carnaps, Ayers und Flews logischem Positivismus/Empirismus und mit D. Z. Phillips’ Wittgensteinianischem Fideismus. 41 Damit komme ich zu der Frage: Was kann Richard Schaefflers Religionsphilosophie von einer analytischen Religionsphilosophie erwarten, die mittlerweile in einem gewissen Sinn den »linguistic turn« hinter sich gelassen hat? Das »nach« im Titel soll jetzt als temporales Siehe den zweiten Teil von Schaeffler 1989. Schaeffler 1989, 311. 39 Siehe z. B. Schaeffler 2002, 307. 40 Vgl. z. B. die Angaben unter beiden Begriffen in dem Stichwortregister von Schaeffler 1989. 41 Zu diesem Ausdruck vgl. Nielsen 1967. Der Frage nach der Berechtigung der Qualifikation dieses Fideismus als »wittgensteinianisch« geht Koritensky 2002 nach. 37 38
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»nach« verstanden werden. Welche Relevanz hat die analytische Religionsphilosophie der dritten und vierten Phase, d. h. nach dem linguistic turn, für Schaefflers Religionsphilosophie? Ich beschränke mich im Folgenden auf die Frage nach der Rationalität religiöser Überzeugungen und der Möglichkeit ihrer Rechtfertigung bzw. Kritik, die weder ihre Autonomie verletzt noch in einen anarchischen Pluralismus autarker Sprachspiele führt.
3 Die Frage nach der intersubjektiven Rationalität religiöser Überzeugungen stellt in Schaefflers Religionsphilosophie ein Problem dar, das Anfragen provoziert und mit dem er philosophisch gerungen hat. Der folgende Abschnitt beschränkt sich auf Schaefflers Antwort auf das Rationalitätsproblem, wie er sie in Auseinandersetzung mit der sprachanalytischen Philosophie in Publikationen aus den 80er und frühen 90er Jahren formuliert hat. 42 Schaeffler musste sich unter anderem mit der kritischen Anfrage F. Rickens auseinander setzen, ob er nicht – ungewollt – einen religiösen Dezisionismus 43 und Fideismus Phillipsscher Prägung begünstige, da er in die »Richtung eines religiösen Sprachspiels mit immanenten Konsistenzkriterien« tendiere und die »Vernetzung mit anderen Bereichen der Sprache« bei ihm nur eine sekundäre Rolle spiele. 44 Schaeffler antwortet, dass externe Anfragen zwar nur in religionshistorischen Krisen relevant werden, aber dann auch religionsexternen Kriterien kognitiv bedeutsam und hilfreich sind. 45 B. Irlenborn fasst in seiner beeindruckenden Studie zu Schaefflers philosophischem Gottesbegriff dessen Verteidigung gegen den Fideismusvorwurf folgendermaßen zusammen: »Es gibt zwar eine nur intern gültige Kriteriologie der Beurteilung des Tuns und Denkens in den jeweiligen Sprachspielen, trotzdem sind diese Sprachspiele nicht voneinander unabhängig, sondern stehen in einem wechselbezüglichen Im Folgenden werden nicht Schaefflers spätere Werke, wie »Erfahrung im Dialog mit der Wirklichkeit« oder der zweite Band seiner philosophischen Einführung in die Theologie berücksichtigt. 43 Ricken 1994. 44 Ricken 1994a, 130. 45 Schaeffler 1994, 105. 42
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Verhältnis.« 46 Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit das wechselbezügliche Verhältnis zwischen Sprachspielen mit rein internen Kriteriologien vereinbar sein kann. Wer stellt fest, dass ein religiöses Sprachspiel mit nichtreligiösen Sprachspielen in Konflikt steht oder von ihnen gestützt wird: der Gläubige anhand seiner (ausschließlich?) religionsinternen Kriterien oder der Nichtgläubige anhand nichtreligionsinterner Kriterien? Und was bedeutet es für die Rationalität des Gläubigen, wenn sein religiöses Sprachspiel nach nichtreligiösen Kriterien mit nichtreligiösen Überzeugungen (die der Gläubige u. U. teilt) in einen Konflikt gerät, den der Gläubige weder mit Hilfe von religiösen noch nichtreligiösen Argumenten auflösen kann? Im Hinblick auf Schaefflers Antwort auf Rickens Anfrage lässt sich dieses Problem folgendermaßen formulieren: Wieso werden religionsexterne Kriterien nur in Zeiten der Krise einer Religion für diese relevant? Entweder sind sie immer für die Beurteilung der Rationalität bestimmter religiöser Überzeugungen bzw. Praktiken relevant oder nie. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob deren Relevanz auch von den Gläubigen wahrgenommen wird. Im Hinblick auf letzteres mag es von Bedeutung sein, ob die Religion sich in einer Krise befindet oder nicht. Dies ist aber eine andere Frage als die, ob Gläubige sich immer auch mit religionsexternen Kriterien auseinander setzen sollten. Deutlich werden die Schwierigkeiten von Schaefflers Behandlung der Rationalitätsproblematik in folgendem Zitat: »Es ist stets die spezifisch religiöse Anamnese und hoffende Zukunfts-Antizipation, die den Kontext bereitstellt, innerhalb dessen […] einzelne Erlebnisse so buchstabiert werden, dass sie als Inhalt religiöser Erfahrung gelesen werden können. Solche Inhalte der Anamnese und Zukunfts-Antizipation aber werden dem einzelnen durch die religiöse Überlieferung und ihre Sprache vermittelt. Geht dieser Kontext verloren, dann wird es unmöglich zwischen der bloßen Subjektivität religiösen Erlebens und der objektiven Geltung religiöser Erfahrung zu unterscheiden.«47 Aus dem letzten Satz dieses Zitats scheint zu folgen, dass die Unterscheidung zwischen (bloß) subjektivem Erleben und objektiver Geltung nur innerhalb des religiösen Sprachspiels möglich ist. Dies wäre aber gleichbedeutend mit der These, dass Sprachspiele (auch in Zeiten der Krise)
46 47
Irlenborn 2003, 63. Schaeffler 2002, 300.
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nicht von außen kritisierbar sind – eine These, die notwendig die Autarkiethese voraussetzt, die Schaeffler ablehnt. Die Autonomie religiöser Sprache darf allein schon deswegen nicht unbeschränkt verstanden werden, weil sie sonst, gegen Irlenborns und Schaefflers Willen, in die Autarkie, die Beziehungslosigkeit, führt. Denn die Möglichkeit der Beziehung zwischen religiösen und nichtreligiösen Sprachspielen setzt die allgemeine Geltung und Anerkennung grundlegender sprachspielübergreifende Kriterien, wie z. B. des Nichtwiderspruchsatzes voraus, dessen universale Geltung auch Schaeffler im Prinzip anerkennt. 48 Ohne solche grundlegenden Prinzipien ist keine Beziehung zwischen unterschiedlichen Sprachspielen möglich, da sie notwendige Bedingungen der Verständlichkeit sind. 49 Dies wird am Beispiel des Nichtwiderspruchsatzes besonders deutlich: Aus einem Widerspruch bzw. einer Aussagen, die einen Widerspruch enthält, kann alles abgeleitet werden, d. h. eine solche Aussage schließt nichts aus und behauptet deswegen auch nichts und ist damit ohne jeden Informationswert. 50 R. Schaeffler hat zwar gezeigt, dass das religiöse Sprachspiel nicht absolut autark sein kann, aber nicht zuletzt die Diskussion um die »reformierte Epistemologie«, und hier besonders um die »great pumpkin objection«, zeigt, dass man die Rolle nicht rein traditionsimmanenter Kriterien noch stärker betonen kann und sollte, ohne die von Schaeffler zu Recht betonte Autonomie der religiösen Sprache aufs Spiel zu setzen. Einen guten Ansatzpunkt dafür stellen in der gegenwärtigen analytischen Epistemologie (und vereinzelt auch in der Religionsphilosophie) 51 Kohärenztheorien der epistemischen Rechtfertigung dar, die zwar an einem realistischen Wahrheitsbegriff festhalten, aber Kohärenz als wichtiges Wahrheitsindiz auszeichnen. 52 In einer Kohärenztheorie der epistemischen Rechtfertigung müssen erstens alle Überzeugungen ohne Ausnahme inferentiell, d. h. Siehe z. B. Schaeffler 1987, 330. So auch sinngemäß Schaeffler 1987, 325. 50 Zu einem Überblick über unterschiedliche Formen der Begründung der universalen Geltung des Prinzips vom ausgeschlossenen Widerspruch gegen den Dialethismus (auch Widersprüche können wahr sein) siehe Sainsbury, 2001, 200–212. 51 Siehe z. B. verschiende Arbeiten von Paul Helm. 52 Unter einem realistischen Wahrheitsbegriff verstehe ich die Annahme, dass die Proposition, dass p genau dann wahr ist, wenn p tatsächlich der Fall ist; siehe z. B. Alston 1996, 5. Zum Folgenden siehe u. a. Bartelborth 1996; BonJour 1985. 48 49
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durch andere Überzeugungen, gerechtfertigt werden. Es gibt keine berechtigt basalen Überzeugungen. Zweitens sind die inferentiellen Beziehungen zwischen Überzeugungen ausnahmslos symmetrisch. Die Rechtfertigungsbeziehung zwischen zwei Überzeugungen wirkt immer in beide Richtungen: wenn p q rechtfertigt, rechtfertigt auch q p. Daraus folgt drittens, dass letzte Quelle der epistemischen Rechtfertigung die Kohärenz des Überzeugungssystems (globale Kohärenz) und die kohärente Beziehung einzelner Überzeugungen zu diesem System (lokale Kohärenz) sind. Ein Überzeugungssystem besitzt nur dann eine hohe globale Kohärenz, wenn es nicht in voneinander isolierte Überzeugungen und Teilsysteme zerfällt. Die globale Kohärenz eines Überzeugungssystems hängt von Anzahl und Stärke der inferentiellen Beziehungen zwischen den Elementen des Systems ab und die lokale Kohärenz von dem Grad der globalen Kohärenz des jeweiligen Überzeugungssystems und Anzahl und Stärke der inferentiellen Beziehungen zwischen der Einzelüberzeugung und dem Überzeugungssystem. Wahrnehmungsüberzeugungen und Metaüberzeugungen über die prinzipielle Zuverlässigkeit von Wahrnehmungsüberzeugungen spielen eine wichtige Rolle in einem kohärenten Überzeugungssystem, da sie für den Kontakt kohärenter Systeme zur Wirklichkeit verantwortlich sind. Widerständige Wahrnehmungsüberzeugungen lassen sich nicht ohne weiteres neutralisieren. Somit sind im Sinn einer epistemischen Kohärenztheorie gerechtfertigte religiöse Überzeugungen vor dem Autarkievorwurf gefeit, denn ein Überzeugungssystem, in dem religiöse Überzeugungen ein abgeschlossenes Subsystem bilden, besitzt (ceteris paribus) eine geringe globale Kohärenz, und deshalb weisen auch die religiösen Elemente des Überzeugungssystems nur einen geringen Grad an lokaler Kohärenz auf und sind damit nicht oder nur schlecht gerechtfertigt. Zudem sichert die besondere Rolle von Wahrnehmungsüberzeugungen eine intersubjektive Basis für die Beurteilung religiöser Überzeugungen bzw. die vergleichende Bewertung miteinander konkurrierender religiöser und nichtreligiöser Überzeugungen. Allerdings ist noch offen, welcher Art die inferentiellen Beziehungen zwischen Überzeugungen sind, die für die Kohärenz einer Überzeugung bzw. eines Überzeugungssystems verantwortlich sind. Neben den inferentiellen Beziehungen der Deduktion, der Induktion und der 101 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Analogie, die allesamt kohärenzrelevant sind, ist die Erklärungsrelation von besonderer Bedeutung für die Kohärenz. Zur Klärung des Begriffs der Erklärung soll allerdings nicht das klassische D-N oder I-S Erklärungsmodell von Hempel/Oppenheim 53 zu Grunde gelegt werden, sondern die Vereinheitlichungstheorie von Erklärungen. 54 Nach dieser Theorie ermöglichen Erklärungen Verstehen, indem sie die Anzahl der unhintergehbaren, miteinander unverbundenen oder einander scheinbar widersprechenden Phänomene reduzieren. Solche Erklärungen lassen sich auch als integrative Erklärungen bezeichnen. Kriterien einer Erklärung sind nach der Vereinheitlichungstheorie außer Konsistenz und dem Fehlen von (nicht gerechtfertigten) Widersprüchen zum allgemeinen Hintergrundwissen vor allem die Stringenz 55 , die Systematisierungsleistung 56 , die organische Einheitlichkeit und die Einfachheit der Erklärung 57 . Da diese Kriterien intersubjektiv überprüfbar sind, ermöglichen sie zumindest prinzipiell eine sprachspielübergreifende Beurteilung integrativer Erklärungen, wenn es auch im Einzelfall über die Tatsächlichkeit bzw. den Grad der Erfüllung der einzelnen Kriterien Meinungsverschiedenheiten geben mag, die allerdings rational diskutierbar sind. Das Modell der integrativen Erklärung ist für die argumentative Rechtfertigung bzw. Kritik von Religion in der Theologie und Religionsphilosophie besonders interessant. Denn zumindest das jüdischchristliche Glaubensbekenntnis, genauer gesagt: seine philosophischtheologische Rekonstruktion, hat ein erhebliches explanatorisches Potenzial. Religiös-theologische Erklärungen ermöglichen die Integration unterschiedlicher Ereignisse, Erfahrungen etc. in einen umfassenden Rahmen und werden so durch diese Ereignisse, Erfahrungen etc. in einem Schluss auf die beste Erklärung gerechtfertigt. 58 Hempel, Oppenheim 1948. Siehe z. B. Bartelborth 2007, 180–199. 55 Die Stringenz einer integrativen Erklärung hängt ab von der Anzahl und Stärke der positiven inferentiellen Beziehungen, die sie zwischen vorher nur schlecht oder gar nicht verbundenen Überzeugungen herstellen kann. 56 Die Systematisierungsleistung einer integrativen Erklärung ist umso höher, je zahlreicher und verschiedenartiger die Phänomene sind, die durch die Erklärung miteinander verbunden werden. 57 Zu Kriterien theologischer Erklärungen siehe Wiertz 2003, 366–371. 58 In einem Schluss auf die beste Erklärung wird, sehr simplifizierend gesagt, daraus, 53 54
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Theologische Erklärungen beschränken sich nicht auf Einzelerklärungen, sondern können sowohl dem Leben des einzelnen Gläubigen als auch der Wirklichkeit im Ganzen Zusammenhang und Sinn geben, indem sie diese (z. B.) unter dem Schlüsselbegriff der schöpferischen Liebe Gottes betrachten. Damit ermöglichen sie eine zusammenhängende Darstellung der Wirklichkeit und tragen durch diese Vereinheitlichungsleistung zur Steigerung der globalen Kohärenz des Überzeugungssystems gläubiger Menschen bei. Dies rechtfertigt die explanatorisch relevanten christlichen Glaubensaussagen (via ihrer lokalen Kohärenz) und die mit ihnen verbundenen christlich-theologischen Metaüberzeugungen. Ein solcher kohärentieller Ansatz dürfte für Schaefflers Religionsphilosophie interessant sein, weil er in gewisser Weise auf dem von Schaeffler als religiösem Charakteristikum genannten Phänomen aufbaut, dass dem Gläubigen im Aufleuchten der Herrlichkeit die ganze Wirklichkeit in einem neuen Licht erscheint.59 Es »[…] wird im Aufleuchten des göttlichen Lichts zugleich der Gesamtzusammenhang des Lebens und der Welt neu verstanden, so dass der religiöse Mensch den Eindruck hat, erst jetzt sei ihm alles, was ist, in seinem wahren Wesen aufgegangen (Universalität).« 60 Auf Grund der besonderen Rolle von Wahrnehmungsüberzeugungen müssen in kohärentiellen Rechtfertigungstheorien des vorgestellten Typs auch unvorhergesehene religiöse Erfahrungen ernst genommen werden. Diese besondere Rolle verhindert, dass durch den Besitz eines relativ kohärenten Überzeugungssystems (in der Sprache Schaefflers formuliert), »[…] das Subjekt dabei völlig überraschungsresistent wird.« 61 Auf der anderen Seite müssen sich neue Überzeugungen aber auch daran bewähren, dass sie sich kohärent in das vorhandene Überzeugungssystem einpassen lassen bzw. neue Kohärenz stiften, oder mit Schaeffler gesagt: dass sie die Herstellung eines Erzählzusam-
dass die Erklärung E die beste verfügbare Erklärung bestimmter Phänomene ist, darauf geschlossen, dass E wahrscheinlicher wahr ist als die konkurrierenden Erklärungen. 59 Schaeffler 2002, 239. 60 Schaeffler 2002, 242. In seiner Antwort auf F. Rickens erste Anfrage sagt Schaeffler, dass Gottesprädikationen, wie die der Unveränderlichkeit und Treue Gottes, sich bewähren oder eben nicht bewähren »[…] in Hinsicht auf ihre Erhellungskraft für das Leben und Verstehen der Welt des Beters oder der Betergemeinde.« Schaeffler 1994a, 114. 61 Schaeffler 1987, 327.
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menhangs erlauben. 62 Für die religiöse Sprache ist nach Schaeffler gerade das Gegensatzpaar von »Bekenntnis zum unvorhersehbar Neuen und Fähigkeit zur Herstellung eines Erzählzusammenhangs« 63 kennzeichnend. Obwohl etwas formaler und mehr in der Terminologie der aktuellen epistemologischen Diskussion ausgedrückt, sagt die vorgeschlagene explanatorisch-kohärentielle Methode der rationalen Rechtfertigung religiöser Überzeugungen nichts prinzipiell anderes. Das christliche Überzeugungssystem lässt sich also durch ein Merkmal rechtfertigen bzw. kritisieren, das ihm qua christlicher Überzeugung zukommt bzw. zukommen müsste, nämlich seine Erklärungskraft. Zur Beurteilung seiner Rationalität wird dem christlichen Glauben kein ihm fremdes oder gar mit ihm inkompatibles Kriterium übergestülpt. Deswegen bleibt die Autonomie des christlichen »Sprachspiels« gewahrt. Da es aber intersubjektive Erklärungskriterien gibt, die die rationale Beurteilung religiös-theologischer Erklärungen und die rationale Wahl zwischen konkurrierenden religiös-weltanschaulichen Erklärungen erlauben und durch die besondere Bedeutung der Wahrnehmungsüberzeugungen und der Metaüberzeugung von der grundsätzlichen Zuverlässigkeit von Wahrnehmungsüberzeugungen, wird die relativistische Autarkiethese vermieden. Kohärenz besagt mehr als eine rein sprachspielimmanente Konsistenz. Die vorgestellte Kohärenztheorie und ihre Anwendung auf religiös-theologische Zusammenhänge bietet also eine Kriteriologie, die sowohl religiös adäquat als auch hinreichend intersubjektiv ist und so einer recht verstandenen Autonomie des religiösen Glaubens gerecht wird und gegen die Gefahr der Autarkie gefeit ist. Die Integration eines solchen kohärentiellen Ansatzes in die Schaefflersche Religionsphilosophie würde durch den Rekurs auf allgemeine erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Überlegungen und intersubjektiver Rationalitätskriterien die Beziehung des religiösen Sprachspiels zu nichtreligiösen Sprachspielen deutlich machen und damit auch die Anfrage, inwieweit bei Schaeffler die »[…] Vernetzung mit anderen Bereichen der Sprache […]« 64 nur sekundär ist, hinreichend beantworten. 62 63 64
Siehe ebd. Schaeffler 2002, 236. Ricken 1994a, 130.
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Wenn das bisher Gesagte zutrifft, stellen jüngere Entwicklungen in der analytischen (Religions-)Philosophie einen Ansatzpunkt zur Klärung und Weiterführung zentraler Fragen in Richard Schaefflers Religionsphilosophie dar. Dies spricht nicht nur für die Fruchtbarkeit der analytischen (Religions)Philosophie, sondern vor allem für die beeindruckende Anschlussfähigkeit und Inspirationskraft von Richard Schaefflers religionsphilosophischem Werk. Literatur Alston, William P. (1996): A Realist Conception of Truth, Ithaca, London: Cornell University Press. Bartelborth, Thomas (1996): Begründungsstrategien. Ein Weg durch die analytische Erkenntnistheorie, Berlin: Akademie Verlag. Bartelborth, Thomas (2007): Erklären. Berlin, New York: Walter de Gruyter. Beaty, Michael D. (1990), Introduction. In: Beaty, Michael D. (Hg.), Christian Theism and the Problems of Philosophy, Notre Dame/Ind., London: Notre Dame University Press, 1–13. Bieri, Peter (2007): Was bleibt von der analytischen Philosophie? In: DZPhil 55/3, 333–344. BonJour, Laurence (1985): The Structure of Empirical Knowledge. Cambridge/ Mass., London: Harvard University Press. Braithwaite, Richard B. (1974): Die Ansicht eines Empiristen über die Natur des religiösen Glaubens. In: Ingolf U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache. München: Chr. Kaiser Verlag (BevTh 66), 167–189. Dalferth, Ingolf U. (1974): Einführung in die analytische Religionsphilosophie und Theologie. In: Ingolf U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache. München: Chr. Kaiser Verlag (BevTh 66), 10–60. Dalferth, Ingolf U. (1988): Analytische Religionsphilosophie. In: Alois Halder; Klaus Kienzler; Joseph Möller (Hg.), Religionsphilosophie heute. Chancen und Bedeutung in Philosophie und Theologie, Düsseldorf: Patmos-Verlag, 16–37. Flew, Antony (1974): Theologie und Falsifikation. In: Ingolf U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache. München: Chr. Kaiser Verlag (BevTh 66), 84–87. Glock, Hans-Johann (2008): What is Analytic Philosophy? Cambridge: Cambridge University Press. Halbig, Christoph (2003): Analytische Religionsphilosophie. In: Information Philosophie, 27–35. Hare, Richard M. (1974): Theologie und Falsifikation. In: Ingolf U. Dalferth (Hg.), Sprachlogik des Glaubens. Texte analytischer Religionsphilosophie und Theologie zur religiösen Sprache. München: Chr. Kaiser Verlag (BevTh 66), 87–90.
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Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron? Günter Kruck
Bekanntlich trägt Richard Schaefflers neuestes und bisher letztes Werk den Titel, den ich zugleich als Titel für diesen Vortrag gewählt habe: »Philosophische Einübung in die Theologie«. Nimmt man Schaefflers eigene Auskunft in diesem Zusammenhang ernst, dann handelt es sich bei diesem dreibändigen Werk sozusagen um die Summe seiner Überlegungen insgesamt, da alle seine Bemühungen (so schreibt er selbst) »auf dem Gebiet der ›Philosophisch-Theologischen Grenzfragen‹ wie Vorstudien zu dem nun vorgelegten Buch [erscheinen – Anmerkung G. K.].« 1 Wenn es um eine Veranstaltung zu Ehren eines Mannes wie Richard Schaeffler geht, dann ist es nicht mehr wie recht und billig, es ist also – meine ich – satzungsgemäß, dem Anlass angemessen, und kann daher gutgeheißen werden, wenn diese Intention grundsätzlich – wie dies eben in meiner Titelwahl zum Ausdruck kommt – aufgenommen und sich mit ihr auch kritisch auseinandergesetzt wird. Denn das Ringen um die Sache einer philosophischen Einübung in die Theologie ist gerade der Grund der Kritik und damit der einende Punkt, vom dem her auch eine kritische Auseinadersetzung überhaupt stattfindet. Ein Oxymoron ist bekanntlich – und hier trage ich in diesem Kreis Eulen nach Athen – eine rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander (scheinbar) widersprechenden oder sich ausschließenden Begriffen gebildet wird. Im Deutschen kann die widersprechende Beifügung auch das Bestimmungswort eines zusammengesetzten Substantivs sein, das dem Grundwort widerspricht. In dieser Form kann das Oxymoron dann als »contradictio in adjecto« bezeichnet werden. Banale Beispiele für ein Adjektiv, das ein Substantiv näher erläutern soll, das aber im Widerspruch zu ihm steht, sind:
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Schaeffler 2004, Bd. 1, A-7.
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Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron?
Vorläufiges Endergebnis, Exakte Schätzung oder nachträgliche Vorauszahlung. Um ein Oxymoron im strikten Sinne handelt es sich bei Wortbildungen wie »Hassliebe« oder z. B. bei einem Gedichttitel, der sich im West-östlichen Diwan von Wolfgang Goethe findet und der da lautet »Offenbar Geheimnis«. Wenn unter dem vorgelegten Titel von mir im Rückgriff auf den Titel von Schaefflers letztem Werk die Frage nach einer scheinbar widersprechenden Begriffsbildung gestellt wird, dann ist für den folgenden Vortrag natürlich eine Auseinandersetzung mit Schaefflers Grundintuition einer philosophischen Grundlegung der Theologie angezielt. Auch das ist angesichts des Anlasses – so denke ich – nur Recht und billig.
Das Verhältnis von Philosophie und Theologie oder: Gibt es eine Epistemologie religiöser Erfahrung? Die Grundschwierigkeit, die die Frage nach einem möglichen Widerspruch in Schaefflers Intention überhaupt motiviert, lässt sich dabei inhaltlich anhand des grundsätzlichen Verhältnisses von Philosophie und Theologie signifikant deutlich machen: Schaut man zunächst auf die Theologie, die Rede oder die Lehre von Gott, dann ist allein für dieses Wort zu sagen, dass es aus der Sicht der Philosophie ein Lehnwort ist, das (Zitat Richard Schaeffler) »auf der Auslegung von Zeugnissen religiöser Erfahrung beruht.« 2 Dass die Philosophie in ihren Untersuchungen nämlich nach dem letzten Grund aller Dinge (der Causa prima), nach dem Maßstab aller Werturteile (dem Summum bonum) oder nach dem Möglichkeitsgrund für die Erkenntnis der Dinge (der Veritas ipsa) tatsächlich von demselben redet, was die religiöse Erfahrung mit Gott meint, ist keineswegs ausgemacht. Dass es sich allerdings bei einem dieser philosophischen Begriffe um einen der religiösen Erfahrung mit Gott widersprechenden Begriff handelt, ist Gegenstand der vorzulegenden Prüfung. Dass umgedreht – von der anderen Seite her formuliert – die religiöse Erfahrung sich über ihren eigenen Erfahrungsschatz durch eine Philosophie aufklären lässt, um sich ihres eigenen Gegenstands zu ver2
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sichern, ist genauso wenig selbstverständlich, wo doch die Evidenz der religiösen Erfahrung für sich spricht und keiner weiteren Erläuterung bedarf. Eine Begründung der epistemischen Sicherheit hinsichtlich ihres Gegenstands steht also gerade im Widerspruch zu ihrer eigenen Evidenz. Genau diesen Sachverhalt resümiert Richard Schaeffler entsprechend mit den Worten: »Entweder gibt es [also – Anmerkung G. K.] gar keinen Anlass, philosophisch von Gott zu reden, oder die Frage nach seiner Existenz und seinem Wesen ist durch die religiöse Erfahrung schon beantwortet.« 3 Aus dieser inhaltlichen Spannung zwischen Philosophie und Theologie ist sowohl Schaefflers Ansatz insgesamt wie die hier beabsichtigte kritische Prüfung dieser Intention zu verstehen. Richard Schaefflers Lösung besteht in der Zuordnung einer allgemeinen zu einer speziellen Transzendentalphilosophie. So schreibt Schaeffler: »Ein Teil dieser speziellen Transzendentalphilosophie ist die transzendentale Religionsphilosophie. Sie macht die besondere Eigenart der religiösen Erfahrung deutlich und bestimmt die strukturellen Bedingungen dafür, dass diese Erfahrung sich auf ihren spezifischen Gegenstand, also insbesondere auf Gott, bezieht.« 4 Der allgemeinen Transzendentalphilosophie kommt dabei die Aufgabe zu, zunächst den Boden für eine religiöse Erfahrung inhaltlich im Anschluss an die Philosophie Kants zu bereiten. Sachlich geht es um das Erheben der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, insofern sich im Dialog mit der Wirklichkeit in einem zukunftsoffenen Verhältnis, die Formen und Inhalte der Erfahrung aneinander entwickeln. Ein solcher Dialog hängt natürlich von einem konkreten Subjekt ab, dem »die Wirklichkeit« in kontingenter Weise aus seiner Sicht begegnet. In Originalton Schaeffler: »In einem solchen Wechselspiel der Hinblicke (weisen sinnenhaften Anschauens) und der Anblicke (Weisen sinnenhafter Gegebenheiten) erweist sich jenes Gestalten, das wir in jedem Akt des Anschauens leisten, als ein responsorisches Gestalten. Wir geben den Weisen, wie der Gegenstand in der Anschauung erscheint, durch die Weisen unseres Hinblicks die Gestalt; aber wir tun dies, indem wir einem Anspruch des Wirklichen auf der Spur sind, den 3 4
Schaeffler 2004, Bd. 2, A-21. Schaeffler 2004, Bd. 2, A-26.
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Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron?
wir in immer neuen Formen des Hinblickens vernehmbar machen, weil er in jeder Weise dieses Hinblickens als vorantreibende Kraft wirksam ist.« 5 Schaefflers Anschluss auch zur Grundlegung und Legitimation einer speziell religiösen Erfahrung besteht demnach darin, die Bedingungen der Möglichkeit zu beschreiben, durch die etwas von einem Subjekt erkannt wird. Nur im Wissen um die Bedingungen von Erfahrung, die als Elemente »das Subjekt«, »die wahrgenommene Wirklichkeit« und die bereits vorhandenen »reziproken Verschränkungen im Wechselspiel dieser beiden Größen« enthält, ist überhaupt Erkenntnis oder besser Erfahrung möglich. Für die Wirklichkeit gilt in diesem Zusammenhang, dass sie gerade im Blick auf ihre subjektive Rezeption als das semper maior, das je größere gegenüber der selektiven Wahrnehmung des Subjektes, bestimmt wird. Die prinzipielle »Gegenstandsfähigkeit«, »die Wahrheitsfähigkeit« als Vergegenwärtigung oder Repräsentation des Wirklichen und »die Objektivität« als subjektiver Bestand kondensierter Korrespondenzen mit der Wirklichkeit sind dabei die entsprechenden Grundkategorien, durch die das Setting einer Erfahrungstheorie beschrieben wird. Das fine Tuning dieser allgemeinen Transzendentalphilosophie im Blick auf eine spezielle Transzendentalphilosophie der religiösen Erfahrung setzt dabei genau an jenem Dialog des Subjekts mit der Wirklichkeit, die als »semper maior« bestimmt wird, an: Die Eigenart der religiösen Erfahrung besteht darin, so an die Grenze der eigenen Erfahrungsfähigkeit geführt zu werden, dass »die Fähigkeit zu einer veränderten Weise des Erfahrens nicht sich selber und seiner Erkenntniskraft zugeschrieben werden kann […] Das religiöse Verbum Mentis wird deshalb als Gabe des Heiligen an den menschlichen Sprecher verstanden. Es ist ein Wort, das dem, der die religiöse Erfahrung macht, vom Heiligen selbst ›ins Herz und auf die Lippen gelegt‹ worden ist.« 6 Mit dieser Gabe des Heiligen als der Wirklichkeit semper maior ist für Schaeffler verbunden, dass diese Wirklichkeit selbst in ihrer Gegenstandsfähigkeit – gemäß transzendentalphilosophischer Grundeinsicht – erstens die Fähigkeit des Subjekts herausfordert (Deus non cognoscitur nisi per seipsum), zweitens Aussagen über diese Wirklich-
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Schaeffler 2004, Bd. 1, A-116 f. Schaeffler 2004, Bd. 1, A-177 f.
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keit wahr sind, insofern sie der Bestimmung des semper maior genügen, so dass damit aber zugleich keine letztgültigen Aussagen über das Wesen Gottes möglich sind, und drittens die Objektivität oder die objektive Geltung solcher Aussagen darin liegt, eine Bedeutung für zukünftige Erfahrungen bereitzustellen. In der Hinsicht »der Gegenstandsfähigkeit«, »der Wahrheitsfähigkeit« und »der Objektivität« erweist sich also die religiöse Erfahrung in ihrer Bestimmung dem grundsätzlichen transzendentalphilosophischen Ansatz Schaefflers und seiner Beschreibung intentionaler Akte eines Subjekts verpflichtet. Die Klammer um diese Dreifältigkeit in der Beschreibung der Bedingungen von Erfahrung bildet der Gedanke der »Veritas semper maior«, insofern die je größere Wirklichkeit das Subjekt in der Gegenstandsfähigkeit herausfordert, die Wirklichkeit das Urbild für die Wahrheit von Aussagen abgibt und die Wirklichkeit die Voraussetzung für die Objektivität gemachter Erfahrungen ist, die als Folie für weitere Erfahrungen maßgeblich ist. In der Entsprechung von transzendentalphilosophischer Grundlegung und ihrer speziellen Anwendung oder der Deklination auf die religiöse Erfahrung hin zeigt sich in Verbindung mit der soeben betonten Klammer der Schaefflerschen Erfahrungstheorie, dass der religiösen Erfahrung ein ganz besonderer Stellenwert zukommt: Denn die regulativen Ideen der reinen Vernunft bei Kant »Ich«, »Welt« und »Gott« als Basisannahmen einer transzendentalen Erfahrungstheorie werden im Rahmen der religiösen Erfahrung insofern mit Inhalt gefüllt, als einem Subjekt, einem Ich, die Einheit der Welt so gewahr wird, dass es sich selbst und die Welt in der religiösen Erfahrung eben aus der Wirklichkeit der »Veritas semper maior«, letztlich dem Heiligen, versteht. Was aus transzendentalphilosophischer Sicht also als Grundvoraussetzung oder formale Bedingung jeder Erfahrung gilt, wird unter der Rücksicht der speziell religiösen Erfahrung mit einem entsprechenden Inhalt versehen. Jede andere Erfahrung eines Subjektes im Dialog mit der Wirklichkeit, ob nun die ästhetische, die ethische oder auch die wissenschaftliche Erfahrung, ist in diesem Sinne ein defizienter Modus von Erfahrung, weil die Vollform der Bedingungen der Erfahrung im Sinne der Realisierung dieser Bedingungen letztlich nur im Kontext der religiösen Erfahrung durch die »Veritas semper maior« mit Inhalt gefüllt werden kann. Die religiöse Erfahrung ihrerseits wäre allerdings selbst ohne sozusagen diese transzendentalphilosophische Guideline führungslos, weil sie den eigenen Inhalt auf112 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron?
grund der unaufgeklärten Bedingungen ihrer originären Erfahrung überhaupt nicht verarbeiten bzw. verstehen könnte. Aus diesem Grund schreibt Richard Schaeffler: Das »Verhältnis zwischen der religiösen Erfahrung und den Postulaten der reinen Vernunft [lässt] sich auf folgende Weise beschreiben: Vernunftpostulate ohne religiöse Erfahrung sind leer, d. h. ohne die sie erfüllende Beziehung zur Wirklichkeit des Heiligen, das sie ›fordern‹ ; religiöse Erfahrung ohne Vernunftpostulate ist blind, d. h. ohne Bewusstsein von der universalen Bedeutung ihres speziellen Erfahrungsgehalts. Die objektive Geltung der religiösen Erfahrung erweist sich […] in ihrer hermeneutischen Kraft, jede andere Erfahrung auszulegen und durch sie ausgelegt zu werden.« 7
Quomodo heac res aes timanda est – Eine kurze Reflexion Mit diesem wechselseitig bestimmten Geflecht von transzendentalphilosophischer Grundlegung einer Erfahrungstheorie und der speziell religiösen Erfahrung ist nicht nur der Rahmen einer philosophischen Einübung in die Theologie umschrieben, sondern zugleich der zentrale Inhalt der Theologie, nämlich der Gottesgedanke, gesichert. Aus dieser Perspektive ist einer solchen philosophischen Einübung in die Theologie gerade kein widersprüchlicher Charakter zu eigen, insofern der Gottesgedanke, der Begriff der »Veritas semper maior« oder der je größeren Wirklichkeit das tertium comparationis ist, an dem Philosophie und Theologie koinzidieren. Es gibt in dieser Hinsicht nicht nur keinen Widerspruch, sondern geradezu eine Kompatibilität beider Wissenschaften, die als allgemeine und spezielle Transzendentalphilosophie aufeinander bezogen sind. Die gestellte Frage nach einem Oxymoron scheint in dieser Konstellation also völlig verfehlt. Eine erste zarte Andeutung, die zumindest die Frage auf den genannten widersprüchlichen Charakter in der Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie in der beschriebene Weise nahe legt, liefert Richard Schaeffler selbst. Sein Unterfangen resümierend schreibt Schaeffler nämlich: »Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Aufgabe der Philosophie im hier vorgetragenen Zu7
Schaeffler 2004, Bd. 1, A-192 f.
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sammenhang nicht darin gesehen wird, ein ›Fundament‹ zu legen, das die Theologen fertig vorfinden, um auf ihm die ›Gebäude‹ ihrer Gotteslehre, Christologie und Ekklesiologie zu errichten, sondern darin, eine bestimmte Weise des Denkens einzuüben, deren die Theologie bei all ihren Argumentations-Schritten bedarf.« 8 Wenn es um eine Argumentationshilfe und nicht um ein Fundament im Sinne einer eindeutigen Grundlegung der Theologie durch die Philosophie geht, dann bleiben beide Wissenschaften, trotz des gefundenen tertium comparationis als Wissenschaften und vor allem mit ihren Inhalten selbständig. Diese Selbstständigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass die philosophische Benennung der »Veritas semper maior« als Gott oder das Heilige im Kontext der religiösen Erfahrung eine mögliche aber keine zwangsläufig notwendige sein muss. Die Offenheit der zumindest nur bedingten Übersetzbarkeit der semantischen Sinnpotentiale, die in der Philosophie und der Theologie mit dem Begriff der »Veritas semper maior« bzw. mit dem Begriff des Heiligen verbunden sind, ist natürlich kein Hinweis auf einen Widerspruch zwischen beiden Begriffsinhalten, aber zumindest ein erstes Indiz für die Frage, inwieweit allgemeine und spezielle Transzendentalphilosophie tatsächlich in der von Schaeffler intendierten Weise einander zugeordnet werden können? Dieser Befund verschärft sich allerdings in der Problemanzeige im Blick auf einen möglichen Widerspruch, wenn man das philosophische Resultat der transzendentalen Erfahrungstheorie ernst nimmt: Ist die Wirklichkeit die Voraussetzung der Gegenstandsfähigkeit, der Wahrheitsfähigkeit bzw. der Objektivität von Aussagen, dann ist mit der Formalität der genannten Bedingung philosophisch selbst als regulativer Idee im Sinne Kants gerade kein transzendetes Wesen bezeichnet. Es wäre also geradezu der Irrtum der Religion oder auch der Philosophie zu meinen, die dem Sinngehalt nach schon dissoziierten Begriffe seien ihrem Sein nach zu identifizieren. Müssen aber der Sinngehalt und die Bedeutung der »Wirklichkeit« und des »Heiligen« unterschieden werden, dann scheint eine gewisse Widersprüchlichkeit – freilich nicht im strengen Sinne eines Oxymorons – kaum vermeidbar zu sein. Die Widersprüchlichkeit besteht darin, dass der Sinngehalt des Begriffs der Wirklichkeit nicht mit dem Sinngehalt des Begriffs des Heiligen zur Deckung gebracht werden kann, da es sich im einen Fall um eine 8
Schaeffler 2004, Bd. 1, A-401 f.
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Philosophische Einübung in die Theologie – ein Oxymoron?
bloße formale Bestimmung als regulativer Idee im Rahmen einer Kantisch geprägten Erfahrungstheorie handelt und im anderen Fall um einen mit weiteren Sinngehalten gefüllten Begriff, der eine ganz bestimmte Bedeutung im Kontext der religiösen Erfahrung hat. Damit haftet aber Schaefflers philosophischer Einübung in die Theologie tatsächlich eine – vielleicht gar nicht vermeidbare – Widersprüchlichkeit an, insofern sich philosophische Begrifflichkeiten tatsächlich nicht in religiöse Erfahrungen übersetzen lassen. Diese Unübersetzbarkeit wird von der religiösen Erfahrung gerade als Widerspruch wahrgenommen, insofern die Eigenart der religiösen Erfahrung als Grund einer religiösen Rede von Gott in der Theologie ihren originären Selbststand gegenüber der philosophischen Reflexion behauptet. Dieser Selbststand der religiösen Erfahrung steht im Gegensatz zu einer externen philosophischen Begründung, wenn man nicht die Hegelsche Variante der Aufhebung der religiösen Vorstellung in den Begriff bevorzugt. Von Seiten der Philosophie zeigt sich das Verhältnis vom philosophischem Gottesgedanken und theologischer Adaptation in Schaefflerscher Manier – wenn ich das so sagen darf – tatsächlich eher als Prolongation denn als Widerspruch. Ob diese Entfaltung eines philosophischen Gottesbegriffs in der Theologie unter der Maßgabe einer Transzendentalphilosophie allerdings tatsächlich im Sinne der Einheit des einen Gottesgedankens die Philosophie und die Theologie übergreifend zu lesen ist, kann durch die Philosophie selbst nicht geklärt werden. In diesem Sinn leidet der philosophische Gottesbegriff nicht nur bei Schaeffler an einem Mangel, der jedenfalls nicht aufzulösen ist, wenn man von Seiten der Theologie auf die religiöse Erfahrung setzt. Aber auch in dieser Konstruktion bleibt das Argumentationsangebot einer Philosophie für die Theologie bestehen, das darin besteht, sich ihres eigenen Gottesgedankens zu versichern. In diesem Zusammenhang bietet Richard Schaefflers Ansatz eine demonstratio religiosa die mittels transzendentalphilosophisches Ansatzes in der Aussage terminiert et hoc dicemus Deum. Genau so weit ist aber bereits Thomas von Aquin gekommen, was die Leistung von Richard Schaeffler sicher nicht schmälert.
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Literatur Schaeffler, Richard (2004): Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 1: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Freiburg, München: Verlag Karl Alber (Scientia & Religio I/1). Schaeffler, Richard (2004): Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Freiburg, München: Verlag Karl Alber (Scientia & Religio I/2).
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Lesen im Buch der Welt? Zum Verhältnis von religiösem Glauben und Philosophie Friedo Ricken
1 »Sprechen Glaube, Philosophie und Theologie«, so fragt Richard Schaeffler, »vom selben Gott?« 1 Die Frage, die ich an den Aufsatz, der diesen Titel trägt, richten möchte, lautet: Von welchem Gott spricht die Philosophie? Und welche Philosophie ist es, die hier von einem Gott spricht? Aber wenden wir uns zunächst der einfacheren Frage zu: Von welchem Gott spricht der Glaube? Das Wort »Gott«, so stellt Schaeffler mit Recht fest, »ist in der Philosophie ein Lehnwort, das ursprünglich in der Sprache der Religion heimisch ist« 2 . Dort ist dieses Wort ein Eigenname, dessen Bedeutung »nur in Erzählungen expliziert werden« kann 3 , d. h. dessen Referent durch ein Bündel von Kennzeichnungen festgelegt ist. In der Sprache des Glaubens erhält der Name seine Bedeutung also mittels der vielfachen Beziehungen, in denen Gott zur Welt, zum Menschen und zur Geschichte steht: Er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und der Vater Jesu Christi. Innerhalb der Rede des Glaubens von Gott unterscheidet Schaeffler zwischen einem »Specificum Biblicum« und einem »Proprium Christianum«; ich beschränke mich auf das Specificum Biblicum. »Der Gott, von dem in der Bibel die Rede ist, stiftet durch die Mitteilung seines Namens einen Wechselbezug von der besonderen Art eines ›Bundes‹. Dieser ist ein Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit« 4 . Aufgabe des Glaubens und der religiösen Sprache ist eine Auslegung der Welt. Schaeffler versteht sie als umfassende Auslegung. 1 2 3 4
Schaeffler 2006, 23. Ebd. 53. Ebd. 28. Ebd. 32.
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Die »Erscheinung des Heiligen (Hierophanie), die den zentralen Inhalt der religiösen Erfahrung ausmacht […] legt auch die Inhalte unserer profanen Welterfahrung aus« 5 . Was ist diese religiöse Auslegung der Welt? Was ist religiöse Erfahrung? Negativ formuliert bewahrt die religiöse Erfahrung »vor der Verengung des Blicks auf eine einzige Erfahrungsart«, die wissenschaftliche Empirie; sie bewahrt uns davor, die Rationalität der Wissenschaft für die einzige Form der Vernunft zu halten. 6 Die religiöse Auslegung der Welt ist eine Perspektive neben anderen, die Welt zu sehen. 7 Aber wie sind die religiöse Auslegung der Welt und die religiöse Erfahrung positiv zu bestimmen? Ich nenne zwei von den Antworten, die ich bei Richard Schaeffler gefunden habe. »Die religiös verstandene Welt«, so die erste, »ist voll von Spuren dessen, was ›im Anfang‹ geschah. Und der Inhalt der religiösen Erfahrung ist die Transfiguration dieser Spuren in Gestalten ihrer sich ereignenden Vergegenwärtigung. In den vielfältigen Formen dieser Vergegenwärtigung geschieht jene Erscheinung des Heiligen (Hierophanie), die den zentralen Inhalt der religiösen Erfahrung ausmacht.« 8 Diese Auslegung der Welt und diese Form der religiösen Erfahrung haben ihren Sitz im Kult. Die zweite Antwort ist das »Specificum Biblicum«: Der Gott der Bibel stiftet einen Bund, der ein Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Freiheit ist. Diese »Korrelation von Gott und Mensch als Bund« findet ihre Entfaltung in den Geboten. 9 Was sagen diese beiden Antworten über das Verhältnis von religiöser Weltsicht und Philosophie? Welche Aufgabe gegenüber der religiösen Weltsicht kommt der Philosophie zu? Theologische Argumente und die in ihnen verwendeten philosophischen Begriffe haben die Aufgabe, die Religion vor Selbstmissverständnissen zu bewahren. 10 Nehmen wir die erste Antwort, so geht es darum, das Heilige heilig zu halten oder den Unterschied zwischen Gott und den Götzen nicht zu verwischen oder, in der Sprache der Philosophie, das Transzendente vom Immanenten zu unterscheiden. Meine These ist, dass es die Religion selbst ist, welche diese Kritik leistet. Religionskritik ist ein weEbd. 31. Ebd.32. 7 Vgl. ebd.163. 8 Ebd. 31. 9 Ebd. 33. 10 Vgl. ebd. 30. 5 6
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Lesen im Buch der Welt?
sentliches Moment der Religion. Es sind die Propheten, die gegenüber dem Götzendienst und einem falschen Verständnis des Kultes für die Transzendenz Jahwes eintreten. Die Religion stellt die für die Kritik ihrer Fehlformen erforderlichen Kategorien selbst zur Verfügung. Die »philosophische« Arbeit, die hier geleistet wird, besteht in der Frage nach der Konsistenz und in der fortschreitenden Differenzierung der für die immanente Religionskritik erforderlichen Begrifflichkeit. Eine Philosophie, die außerhalb dieser sich selbst kritisierenden religiösen Tradition steht, kann herangezogen werden, um die innerhalb der eigenen Tradition entwickelte Religionskritik und deren Begrifflichkeit zu bestätigen und zu verdeutlichen; ein Beispiel ist die Bedeutung des in der platonisch-aristotelischen Tradition entwickelten Transzendenzbegriffs für die jüdisch-christliche Tradition. Die Zurückweisung falscher Götter, so schreibt Richard Schaeffler, wurde »nicht erst durch die Entstehung der Philosophie möglich […] Diese Entstehung der Philosophie ist selber ein Ereignis innerhalb der Religionsgeschichte, freilich nicht nur der biblisch bezeugten« 11 . Der Bund ist ein Verhältnis von göttlicher und menschlicher Freiheit. Israel verpflichtet sich, die Gebote Jahwes zu halten, und Jahwe verpflichtet sich, seine Verheißungen zu erfüllen. Im Gedanken des Bundes sind zwei Elemente miteinander verbunden: die sittliche Verpflichtung und die Hoffnung. Wie ist hier das Verhältnis von religiöser Weltsicht und Philosophie? Die Religion erfüllt eine mäeutische Funktion; sie führt den Menschen zum Bewusstsein seiner selbst als eines sittlich verantwortlichen Wesens. Die »Philosophie« kann nicht mehr als dieses Selbstbewusstsein, zu welchem die Religion den Menschen geführt hat, zu konstatieren und auf den Begriff zu bringen, und sie kann über das Verhältnis der beiden Elemente des Bundes reflektieren; sie kann zeigen, dass eine sittliche Verpflichtung ohne Verheißung und Hoffnung sinnlos ist. Beides leistet die religiöse Vernunft aus sich, innerhalb ihrer eigenen Tradition, ohne dass sie dazu auf die Hilfe einer von ihr unterschiedenen Philosophie angewiesen wäre. Aber auch hier gilt, dass dieser Prozess des Bewusstwerdens sich auch in anderen Traditionen vollziehen kann, die dann zur Bestätigung und Verdeutlichung der eigenen Tradition herangezogen werden können. Ein Beispiel dafür ist der Sokrates der frühen platonischen Dialoge. Von welchem Gott spricht die Philosophie? Und welche Philoso11
Ebd. 35.
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phie ist es, die hier von einem Gott spricht? Ich antworte mit einem Satz von Richard Schaeffler: »Diese Entstehung der Philosophie ist selber ein Ereignis innerhalb der Religionsgeschichte, freilich nicht nur der biblisch bezeugten.« 12 Die Philosophie, um die es hier geht, ist nichts anderes als die der religiösen Weltsicht immanente Vernunft, die nach Konsistenz dieser Weltsicht fragt, deren Begrifflichkeit differenziert und als Hilfe dazu die entsprechenden Begriffe aus anderen Traditionen heranzieht. Der Gott, von dem sie spricht, ist folglich kein anderer als der Gott dieser religiösen Tradition.
2 Unter dem Titel »Lesen im Buch der Welt« entwirft Richard Schaeffler einen Weg, philosophisch von Gott zu reden. »Es soll darum gehen, im ›Buche der Welt‹ die ›Handschrift seines Autors‹ zu entdecken. Von den traditionellen Wegen philosophischer Gotteserkenntnis unterscheidet sich der hier versuchte Weg dadurch, dass er nicht am Leitfaden der Begriffspaare ›Wirkung und Ursache‹ oder ›Mittel und Zweck‹ voranschreitet, sondern am Leitfaden der Begriffe ›Erscheinungsgestalt und Bedeutungsgehalt‹. Denn wer einen Text liest, fragt nicht primär, wie er zustande kam, sondern was er bedeutet.« 13 »Den Ausgangspunkt«, so unterscheidet Schaeffler diesen Weg von den traditionellen Gottesbeweisen, »bildet die Erfahrung, dass die Dinge uns ›etwas zu sagen haben‹ und dass wir den Inhalt dessen, was sie zu sagen haben, dadurch erfassen, dass die Dinge selbst uns ›zu denken geben‹.« 14 Wir dürfen und müssen »jede Erfahrung, die wir machen, als die Erscheinungsgestalt der verpflichtenden und zugleich befreienden Zuwendung Gottes begreifen« 15 . Ein solches Verstehen ist jedoch nur dann möglich, »wenn der Leser im Licht des Gelesenen auch seine eigenen Erfahrungen neu verstehen lernt und umgekehrt im Lichte der so neu gedeuteten Erfahrung auch den Inhalt des Textes erst begreift« 16 . – Ich gliedere das Gespräch mit Richard Schaeffler in fünf Punkte.
12 13 14 15 16
Ebd. 35. Ebd. 145. Ebd. 145. Ebd. 148. Ebd. 151.
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Lesen im Buch der Welt?
(1) Die Methode der Religionsphilosophie, das ist unsere gemeinsame Grundlage, ist die Hermeneutik. Es geht um einen wechselseitigen Prozess von Erfahrung und Interpretation. Der Leser lernt im Licht des Gelesenen seine eigenen Erfahrungen neu verstehen, und er begreift im Licht der so neu gedeuteten Erfahrungen den Text. 17 Eine so verstandene Hermeneutik des Buches der Welt impliziert eine Metaphysik. Wer das Buch der Welt verstehen will, setzt voraus, dass es hier etwas zu verstehen gibt, d. h. er setzt voraus, dass die Welt einen Sinn hat: dass sie einem Zweck dient und dass dieser Zweck mit den letzten Zwecken, die ich als vernünftiges und bedürftiges Wesen verfolge, übereinstimmt. Mit welchen Texten, so ist zu fragen, hat es die als Hermeneutik verstandene Religionsphilosophie zu tun? Nur mit dem Buch der Welt, oder muss sie, um das Buch der Welt zu verstehen, noch ein anderes Buch auslegen? (2) Was ist das Buch der Welt? Mein Vorschlag ist, es in einem weiten Sinn zu verstehen. Es geht nicht nur um den Kosmos der fünf Wege des Thomas von Aquin, sondern es geht um die gesamte Condicio humana, die auch das Leid, Krankheit, Tod, das Böse, das Unrecht und die Schuld umfaßt. (3) Können wir »jede Erfahrung, die wir machen, als die Erscheinungsgestalt der verpflichtenden und zugleich befreienden Zuwendung Gottes begreifen« 18 ? Gilt das auch von der Welt, die unter der Rücksicht der transzendentalen Analytik der Kritik der reinen Vernunft betrachtet wird, der kausal betrachteten Welt der Naturwissenschaften, der Welt des Szientismus und des Naturalismus? Wird auch diese Welt unleserlich, wenn wir sie nicht als Buch des göttlichen Autors verstehen? Schaeffler verweist auf die Dialektik der Kritik der reinen Vernunft 19 . Wir können mit der Dialektik der ersten Kritik über die Grenzen des Szientismus reflektieren, aber damit überschreiten wir den Bereich der Erfahrung. Die Welt des Szientismus ist eine in sich geschlossene und als solche lesbare und verständliche Welt der Erfahrung, die wir nicht als die Erscheinungsgestalt der Zuwendung Gottes begreifen können. Aufgebrochen wird sie erst durch eine Reflexion, die sich in demselben Ausmaß von der Erfahrung entfernt wie die Reflexion der fünf Wege. 17 18 19
Vgl. ebd. 151. Ebd. 148. Ebd. 167.
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(4) Wieweit können wir mit den Mitteln unserer Vernunft das Buch der Welt verstehen? Die theoretische Vernunft, so die Antwort Kants, führt in Antinomien und hält damit Fragen offen, auf welche die praktische Philosophie antwortet. Damit haben wir jedoch die Welt noch nicht verstanden, denn es bleibt das Theodizeeproblem. Der Gottesbegriff der praktischen Philosophie zeigt uns den Sinn des sittlichen Handelns, aber er lässt uns damit noch nicht den Gang der Welt verstehen. Zur »Einsicht des Verhältnisses, in welchem eine Welt, so wie wir sie durch Erfahrung immer kennen mögen, zu der höchsten Weisheit stehe,« ist unsere Vernunft »schlechterdings unvermögend« 20 . Die Theodizeefrage ist eine Frage nach der Kohärenz des Weltbildes. Die Philosophie reicht also nicht aus, um das Buch der Welt zu verstehen. (5) Religionsphilosophie als Hermeneutik, so möchte ich das Anliegen von Richard Schaeffler aufgreifen, hat es mit zwei Büchern zu tun, dem Buch der Welt und dem Buch der jeweiligen Religion, das im Judentum und Christentum die Schrift oder das Buch, die Bibel, genannt wird. Die Philosophie reicht nicht aus, um das Buch der Welt zu verstehen; sie liefert monumentale Bruchstücke, aber kein Ganzes. Der wechselseitige Prozess von Erfahrung und Interpretation vollzieht sich zwischen drei Ebenen: dem Buch der Welt, dem Buch der Schrift und den Erfahrungen des Individuums und der Gemeinschaft, die das Buch der Welt und das Buch der Schrift verstehen wollen. Literatur Kant, Immanuel: Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, Akademieausgabe Bd. 8. Schaeffler, Richard (2006): Philosophisch von Gott reden. Freiburg: Alber.
20
Kant, Über das Misslingen, 263.
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Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube Zum Konzept und zur Tragfähigkeit von Schaefflers Erfahrungstheorie Bernd Irlenborn
Das von Richard Schaeffler in seinem philosophischen Hauptwerk Erfahrung als Theorie mit der Wirklichkeit 1 entworfene Konzept eines philosophischen Gottesbegriffs bildet sich heraus aus einer neu gefassten Theorie von Erfahrung. Programmatisch geht es bei dieser Theorie – wie man angesichts eines behaupteten Gottesbegriffs annehmen könnte – nicht zuerst um eine neue Verständnismöglichkeit von religiöser Erfahrung, sondern im Anschluss an Kants transzendentalphilosophisches Denken um die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt. 2 Allerdings ist die klassische Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung für Schaeffler keineswegs durch Kants kritisches Denken beantwortet. Schaefflers anspruchsvolles Vorhaben versucht eine »Neufassung des transzendentalen Problems« oder, wie es in einer anderen Formulierung heißt, eine »Weiterentwicklung der Transzendentalphilosophie«. 3 Bei dieser »Neufassung« soll transzendentales und geschichtliches Denken so vermittelt werden, dass die Vernunft in ihrem Anliegen, Einheit zu denken, angesichts der Gegenwartslage einer irrevozierbaren Vielfältigkeit gleichzeitig autonomer und wechselbezüglicher Sprachspiele und Erfahrungswelten nicht selbstwidersprüchlich und damit erfahrungsunfähig wird. Begrifflich setzt Schaeffler dabei voraus, dass die Vernunft als Fähigkeit verstanden wird, sich am objektiv Gültigen zu orientieren, und dass Erfahrung, wie schon Kant deutlich machte, im Gegensatz zur bloßen Schaeffler 1995. Eine Kurzversion dieser Erfahrungstheorie findet sich in: Schaeffler 2004a, 113–212. 2 »Wir werden es also hier bloß mit der Erfahrung und den allgemeinen und a priori gegebenen Bedingungen ihrer Möglichkeit zu tun haben« (Kant § 17, AA IV, 297). 3 Schaeffler 1995, 23–32; Schaeffler 2004a, 76–112. 1
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Wahrnehmung auf eine solche objektive Geltung abzielt. Daneben muss die Vernunft und ihre Fähigkeit zur Erfahrung auch geschichtlich gedacht werden, wenn ihre Konfrontation mit einem sie immer wieder neu in Frage stellenden Anspruch der Wirklichkeit, der ihre Anschauungs- und Denkweisen überschreitet, gelingen und objektive Erkenntnis weiterhin möglich sein soll. Schaeffler zufolge kann die Vernunft an der Aufgabe, einen geordneten Erfahrungskontext aufzubauen, auch scheitern, wenn ihre bisher bewährten Formen des Anschauens und Denkens durch den größeren Anspruch der Wirklichkeit, beispielsweise durch die Vielfalt heteromorpher Erfahrungswelten, »überformt« werden und sich als unzulänglich erweisen. In dieser Krise erweisen sich die Ideen der Vernunft, also die regulativen Zielvorstellungen zur Erfüllung ihrer transzendentalen Aufgabe der Einheitsstiftung und damit der Ermöglichung von Erfahrung, als widersprüchlich und dialektisch; etwa deswegen, weil sich die Vielfalt der Welten nicht mehr als Teile der einen Welt verstehen lassen. Dieser Widerspruch ist nur aufzuheben durch Postulate der theoretischen Vernunft, nach denen alle Anspruchsformen der Wirklichkeit im Hinblick auf einen Hoffnungsgrund interpretiert werden können, der in bestimmten Erfahrungsweisen, insbesondere bei der religiösen Erfahrung, schon antizipatorisch präsent ist. Dieser vor allem, aber nicht nur auf religiöse Erfahrung verweisende Hoffnungsgrund kann im Sinne Schaefflers als transzendentalphilosophischer Gottesbegriff verstanden werden. In dem skizzierten Modell eines theoretischen Vernunftglaubens ist der Kulminationspunkt von Schaefflers Erfahrungstheorie zu sehen. Im ersten Abschnitt möchte ich dieses Erfahrungskonzept skizzieren und herausstellen, wie Schaeffler in Weiterführung Kants daraus einen theoretischen Vernunftglauben entwickelt. Im zweiten Abschnitt soll die Bedeutung und Anschlussfähigkeit dieser philosophischen Gotteslehre für bestimmte theologische Fragestellungen deutlich gemacht werden.
Zum Programm des theoretischen Vernunftglaubens Das Programm eines theoretischen Vernunftglaubens ist nicht etwa nur ein schmückender Abschluss für Schaefflers Erfahrungstheorie. Ein solcher Vernunftglaube steht in direkter Verbindung zu dem Ausgangsproblem von Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit, wie eine 124 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube
strukturverändernde, transzendentale Erfahrung unter den Bedingungen pluraler eigengesetzlicher Weltdeutungen möglich ist. 4 Wenn Erfahrung ein Dialog mit der Wirklichkeit ist, wenn weiterhin dieser Dialog zu strukturverschiedenen Erfahrungsweisen führt, und wenn zuletzt die Interferenzen der gegensätzlichen Deutungen des einen Wirklichkeitsanspruchs eine Dialektik der Vernunftideen herbeiführen, durch die die Vernunft erfahrungsunfähig zu werden droht, dann ist die postulierte Einheit der Wahrheit eine in transzendentaler Hinsicht notwendige Bedingung für die Aufhebung der Vernunftdialektik und damit für die Möglichkeit der gesuchten Erfahrung. Die Berechtigung einer solchen letzten Einheit kann selbstredend nicht bewiesen, sondern nur geglaubt werden. Der postulatorische Vernunftglaube, der sich bei Schaefflers Auseinandersetzung mit Kant als »Denkmöglichkeit« ergibt, wird seiner Ansicht nach durch die transzendentale Fundierung der Strukturverschiedenheit und Eigengesetzlichkeit der Erfahrungswelten zu einer »Denknotwendigkeit« für die Frage nach der Möglichkeitsbedingung von Erfahrung. 5 Wie sieht nun für Schaeffler ein derartiger Vernunftglauben aus? Die Tatsache der Interferenz dieser Deutungsweisen, also dass ein und derselbe Sachverhalt Gegenstand konfligierender Perspektiven sein kann, erweist die Ausrichtung der Vernunft auf Zielvorstellungen oder regulative Ideen als notwendig. Schaeffler orientiert sich hier formal an Kant, für den die drei transzendentalen Ideen Einheitsbegriffe der Vernunft sind, die zu einem gegebenen Bedingten die Totalität der Bedingungen, das Unbedingte, aufzeigen. Dies bekanntlich nicht in konstitutivem, sondern allein in regulativem Sinne. Die Ideen postulieren eine vollständige Einheit der Erkenntnis, durch die – so eine in dem Zusammenhang wichtige Formulierung Kants -»diese nicht bloß ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach notwendigen Gesetzen zusammenhängendes System wird.« 6 Das heißt gemäß Schaefflers Konzept, dass die Ideen Einheitsvorstellungen sind, die angesichts des Fragmentcharakters des Wissens und der Kontingenz der menschlichen Wahrheitsfähigkeit heuristische Zielpunkte markieren, die die Vernunft sich setzen muss, wenn ihre cognitio in via nicht ins Leere laufen und die Einheit des Erkennens erreicht werden soll. Schaeffler nennt drei sol4 5 6
Schaeffler 1995, 27 f. Vgl. dazu Irlenborn 2004, 491–510. Schaeffler 1995, 652. Kant KrV, B 673.
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cher Ideen, die zum Teil in Auseinandersetzung mit Kant gewonnen sind, aber aufgrund der unterschiedlichen Prämissen seiner dialogischen Erfahrungstheorie nur ansatzweise mit denen Kants übereinstimmen. Er definiert sie folgendermaßen: (a) »die Idee der umfassenden Einheit der Welt, die alle partiellen Erfahrungswelten umgreift«, (b) »die Idee der Einheit des Aktes ›Ich denke‹ in der Strukturverschiedenheit seiner Vollzugsweisen«, (c) »die Idee der allumfassenden Geschichte der Vernunft, als deren Momente alle Partialgeschichten von Individuen, Gruppen und Kulturen verstanden werden dürfen«. 7 Die Vernunft wird Schaeffler zufolge in eine Dialektik verwickelt, weil sie vergeblich versucht, die strukturverschiedenen Perspektiven gemäß diesen Einheitsvorstellungen zu deuten. Die dadurch zwangsläufig entstehende Widersprüchlichkeit beim theoretischen Gebrauch der Vernunft ist eine Gefahr für die Erfahrungsfähigkeit derselben. Diese Gefahr ist für Schaeffler nur durch einen sich in Postulaten ausdrückenden Vernunftglauben aufhebbar. Postulate sind für Schaeffler Aussagen, die »die Wirklichkeit dessen behaupten, was notwendig ist, wenn die Erfüllung der transzendentalen Vernunft-Aufgaben möglich sein soll.« 8 Sie benennen demnach hypothetische Bedingungen, von denen es abhängt, ob die Vernunftideen ihren regulativen Status behalten oder verlieren. Entsprechend den genannten Ideen – und analog Kants praktischem Vernunftglauben – sind es drei Postulate, die zur Erfüllung der transzendentalen Aufgabe der Vernunft notwendig sind. Die beiden ersten ergeben sich als Denkmöglichkeit bei der Auseinandersetzung mit Kants Vernunftdialektik, das dritte im Anschluss an die Idee der Einheit der Geschichte. Ich möchte kurz Schaefflers Formulierung dieser Postulate anführen: (a) Zur Idee der Einheit der Welt: »Die Vielfalt der Weisen, wie das Wirkliche uns in Anspruch nimmt und zum Aufbau je unterschiedlicher Erfahrungswelten herausfordert, darf als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie wir in ›omnitudo realitatis‹, d. h. in allem, was ist, von einer göttlichen Wirklichkeit in Anspruch genommen und zur Antwort herausgefordert werden.« (b) Zur Idee der Einheit des Subjekts: »Die Vielfalt der Subjektivitätsweisen, mit denen wir uns als Forschersubjekte, als Subjekte der 7 8
Schaeffler 1995, 653. Schaeffler 1995, 656; Schaeffer 2004b, 221–225.
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Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube
ästhetischen, sittlichen und religiösen Erfahrung verhalten und verstehen, darf als eine Vielfalt von Abbild- und Gegenwartsgestalten der einen Weise verstanden werden, wie Gott den Menschen weiß und ihn in allem, was ist, unter seine Anrede stellt. (c) Zur Idee der universalen Geschichte: »Jede der geschichtlich entstandenen Bewußtseinsformen und jede der ihnen entsprechenden Weisen, wie das Wirkliche dem Bewußtsein mit Anspruch auf Maßgeblichkeit begegnet, darf als Antizipationsgestalt eines kommenden Orientierungssystems begriffen werden, das eine allumfassende Kommunikationsgemeinschaft möglich macht. Diese stellt das gemeinsame Ziel aller ›Sondergeschichten‹ von Kulturen und Gruppen dar.« 9 Auf eine Interpretation dieser Postulatenlehre kann ich an dieser Stelle nicht eingehen. Wichtig ist hier der Hinweis, dass diese Lehre im Zusammenhang mit Schaefflers Wahrheitsverständnis gesehen werden muss. Grob gesagt, ist für Schaeffler die Wahrheit immer größer als ihre Rezeption im menschlichen Anschauen und Erkennen. Sein Konzept einer veritas semper maior impliziert die Bestimmung einer immer kleineren Wahrheit in endlichen Verhältnissen gegenüber der immer größeren Wahrheit, die das menschliche Erkennen und Wissen zu partikularen Rezeptionsformen herausfordert. 10 In diesem Sinne geht es Schaeffler um den Hinweis auf die Kontingenz der menschlichen Wahrheitsfähigkeit. Die Vernunft als die Fähigkeit, sich am objektiv Gültigen zu orientieren, gerät angesichts der vielgestaltigen und vordergründig nicht in Einklang zu bringenden Deutungswelten und vor dem Hintergrund einer Wahrheit der Wirklichkeit, die stets größer ist als alle menschlichen Konzeptualisierungen, in die Gefahr einer drohenden Erfahrungsunfähigkeit, vor der sie nur durch die postulatorische Ausrichtung auf einen Hoffnungsgrund bewahrt wird. Die veritas semper maior ist mit ihrem einheitlichen Anspruch der Hoffnungsgrund dafür, dass die vielen Wahrheitsweisen durch den Status ihrer Perspektivität vereinbar sind und miteinander konvergieren. In Kürze heißt das für Schaeffler: »Die Einheit der Wahrheit […] garantiert die Konsonanz der Wahrheiten«, 11 d. h. die Einheit des WirklichkeitsSchaeffler 1995, 685. Im Folgenden werde ich mich auf diese Formulierung der Postulate beziehen und abgekürzt jeweils vom Postulat der Einheit der Welt, der Einheit des Subjekts und der Einheit der Geschichte sprechen. 10 Vgl. dazu genauer Irlenborn 2004, 53–64. 11 Schaeffler 1995, 745; zur Konsonanz aller Wahrheitsweisen siehe auch ebd., 676, 747 f., 750, 753. 9
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anspruchs gewährleistet postulatorisch die Übereinstimmung der strukturverschiedenen Weisen, wie dieser Anspruch in objektiv gültigen Rezeptionsformen beantwortet wird. Bei dem in den Postulaten eingeschlossenen Vernunftglauben wird dann die immer größere Wahrheit mit Gott identifiziert: die Formel veritas semper maior ist insofern synonym mit der Formel deus semper maior. Damit ist der konzeptionelle Höhepunkt von Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit erreicht. 12 Schaeffler weist darauf hin, dass jedes der Postulate einen Gottesbegriff einschließe, der mit der Behauptung verknüpft sei, der so begriffene Gott existiere. 13 Entscheidend ist hier, dass sich die Behauptung der Existenz Gottes legitimiert durch die antizipatorische Präsenz dieses Hoffnungsgrundes in der religiösen Erfahrung. Natürlich ist damit kein Beweis der Existenz Gottes verbunden, sondern allein eine aus Vernunftgründen notwendige und durch die religiöse Antizipation des Erhofften legitimierte Annahme und Unterstellung dieser Existenz. Schaeffler beschreibt die in den Postulaten eingeschlossene Gottesvorstellung wie folgt: »Gott ist, im Sinne dieser Postulate verstanden, der Ursprung desjenigen Anspruchs, den uns, auf vielfältige Weise, die Weltwirklichkeit vermittelt; er ist das Subjekt jenes einen, allumfassenden Blicks, jenes ›unus contuitus‹, der die Vielfalt der Weisen, wie wir uns als Subjekte des Anschauens und Denkens verhalten und begreifen, aber auch die Vielfalt der je besonderen Geschichten, in denen sich die Anschauungsund Denkformen unterschiedlicher Individuen und Gruppen herausgebildet haben, in einem einzigen Akte umfaßt.« 14 In diesem Gottespostulat wird also die Einheit der drei Ideen, die durch die je spezifische Vernunftdialektik aus dem Blick geraten kann, anvisiert. Zugleich wird klar, warum Schaeffler nicht wie Kant die Idee Gottes separat als eine seiner drei Ideen angesetzt hat. Gott als Ursprung des Wirklichkeitsanspruchs ist für ihn sowohl in den Ideen der Einheit der Welt und des denkenden Subjekts als auch in der Idee der allumfassenden Geschichte als focus imaginarius immer schon enthalten. Formal unterscheidet er sich damit von Kant, 15 obgleich auch Vgl. dazu insgesamt Irlenborn 2003. Schaeffler 1995, 753; siehe auch ebd., 682, wo die Existenzannahmen als Ausdrücke eines Vertrauens beschrieben werden. 14 Schaeffler 1995, 754. 15 Vgl. Kant KrV, B 700. 12 13
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dieser davon spricht, dass wir gemäß der theologischen Idee alles, was in den Zusammenhang möglicher Erfahrung gehöre, so betrachten müssten, als ob die Sinnenwelt einen einzigen und obersten Grund außer sich habe und die Dinge ihr Dasein von diesem Grund, einer »höchsten Intelligenz« ihr Dasein hätten. 16 Unter diesem obersten Grund versteht Kant eine »gleichsam selbständige, ursprüngliche und schöpferische Vernunft, in Beziehung auf welche wir allen empirischen Gebrauch unserer Vernunft in seiner größten Erweiterung so richten, als ob die Gegenstände selbst aus jenem Urbild aller Vernunft entsprungen wären«. 17 Diese Idee Gottes steht also auch bei Kant in einem theoretischen Zusammenhang, der zu klären hilft, dass und wie das höchste Ziel der theoretischen Vernunft, die systematische und vollständige Erkenntnis, als denkmöglich aufzeigt werden kann. In einer wesentlichen Hinsicht geht Schaeffler mit seinem Gottesverständnis jedoch über Kants Modell hinaus: Durch die von ihm entwickelte Postulatenlehre der theoretischen Vernunft und durch die damit verbundene These, dass jeder Erfahrung ein religiöses Moment innewohnt, gewinnt sein Entwurf des theoretischen Vernunftglaubens und damit des philosophischen Gottesbegriffs eine nachdrücklichere Gestalt als es bei Kants Überlegungen der Fall ist. Nicht zuletzt hängt dies mit den Voraussetzungen der dialogischen Erfahrungstheorie zusammen, denn die Instabilität der Vernunftstrukturen im Kontext einerseits der transzendentalen Erfahrung und andererseits der Pluralität von autonomen Erfahrungswelten begründet eine verschärfte Vernunftdialektik, deren Desiderat wiederum die den philosophischen Gottesbegriff involvierenden Postulate sind. Die Vernunftpostulate münden zwar in den Gottesbegriff, sie haben ihren Ausgang aber bei der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung: Beide Enden verbinden sich hier, insofern erkennbar wird, dass das Gelingen von Erfahrung an das Vertrauen auf die göttliche Wahrheit geknüpft ist. Angesichts der die Erfahrungsfähigkeit gefährdenden Vernunftdialektik kann Schaeffler vor dem Hintergrund seines Gottesbegriffs betonen, dass Erfahrung dann gelingt, wenn sich die Vernunft »in aller Divergenz der Ansprüche, die sie beantwortet, und in aller Divergenz der Anschauungs- und Denkformen, durch die diese Antwort voll-
16 17
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zogen wird, auf jenen ›unus contuitus‹ bezogen weiß, der alle Weisen der Objektivität und alle Formen der Subjektivität in sich umgreift.« 18 Die Betonung der responsorischen und vor allem der antizipatorischen Implikate der so verstandenen dialogischen Erfahrung verstärken den nonfiktionalen Charakter einer solchen Gotteslehre. Die antizipatorische Präsenz Gottes in der religiösen Erfahrung plausibilisiert das Grundpostulat der Konsonanz aller Wahrheitsweisen. Diese Bewährungsleistung setzt die Realidentität des »Gottes der Philosophen« und des »Gottes der Religion« voraus; ein Thema, das Schaeffler im Anschluss an Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit besonders untersucht und genauer bedacht hat. 19 Zusammengefasst heißt das: Angesichts der Unvereinbarkeiten und Widersprüche der pluriformen Erfahrungswelten machen die Postulate deutlich, wovon es abhängt, ob Erfahrung gelingt. Die Legitimation der Postulate durch antizipatorische Momente bedeutet aber auf der anderen Seite nicht, dass Schaefflers Gottesbegriff durch eine Erkenntniserweiterung entstanden wäre und somit einen konstitutiven Status beanspruchte. In der Ablehnung dieser epistemischen Behauptung bleibt Schaeffler Kants Ansatz grundlegend verpflichtet. Es ist kein Rückfall hinter Kants Kritizismus, wenn Schaeffler die nicht harmonisierbare Vielfalt menschlicher Rezeptionen des Wirklichkeitsanspruchs als unterschiedliche Abbildgestalten einer göttlichen Einheit versteht; denn dabei geht es allein um eine durch die Vernunftdialektik erforderte und durch die Antizipationen bewährte Annahme eines solchen Urbilds. Diese Annahme setzt ein Vertrauen voraus, das es wiederum rechtfertigt, von einem »Vernunftglauben« zu sprechen. Im Sinne Kants handelt es sich bei einer solchen Unterstellung nicht um eine »suppositio absoluta«, sondern um eine »suppositio relativa«, d. h. um eine relativ begründete, aber nicht schlechthin bewiesene Annahme. 20 Es hieße, die Einheit von Erfahrung mit der Erfahrung von Einheit zu verwechseln, wenn man dies, wie die vorkantische spekulative Theologie, übersähe. In dieser Linie vermehrt der von Schaeffler dargelegte theoretische Vernunftglaube die Gegenstände der theoretischen Erkenntnis nicht, sondern legt sie aus. 21 Im 18 19 20 21
Schaeffler 1995, 757 f. Schaeffler 2004b, 226–252; Schaeffler 2006, vor allem 23–60. Kant KrV, B 704. Vgl. Schaeffler 1995, 755.
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Sinne dieser hermeneutischen Funktion wird gezeigt, dass solche Gegenstände nicht notwendig als sich widerstreitende, inkohärente und geschichtslos koexistierende Entitäten verstanden werden müssen, sondern dass sie als geschichtliche Abbildgestalten des einen Wirklichkeitsanspruchs anzusehen sind. Auch darauf hat Kant bereits in seiner Lehre vom »transzendentalen Ideal« der reinen Vernunft hingewiesen: 22 Der durchgängigen Bestimmung alles Seienden liegt notwendig ein transzendentales Substratum zugrunde, die Idee einer omnitudo realitatis, einer vollständigen Bestimmung des Gegenstands im Hinblick auf die unter endlichen Bedingungen stets partikulare Wahrheitsprätention seiner Prädikate. Dieses Ideal nennt Kant das »Urbild (Prototypon) aller Dinge«, die als solche Abbilder nur »mangelhafte Kopien (ectypa)« sind und dem Urbild mehr oder weniger nahe kommen, ohne es je zu erreichen. 23 Was implizit im Modell Kants eingeschlossen ist, hebt Schaeffler bei seiner dialogischen Erfahrungstheorie pointierter hervor: Die veritas semper maior und die immer nur bruchstückhaften Wahrheitsweisen stehen nicht bezugslos nebeneinander, sondern sind im Sinne einer UrbildAbbildkonzeption zu verstehen. In jeder Begegnung, mit dem sich in unserer Erfahrungswelt konkretisierenden Anspruch der Wirklichkeit wird zumindest antizipatorisch präsent, was in komprehensivem Sinne Gegenstand der postulatorischen Hoffnung ist, nämlich »jenes umfassende Verständnis der Weltwirklichkeit, der jeweils Anderen und unserer selbst, dem wir uns, in dialogischer Perspektivität, stets nur asymptotisch annähern können.« 24 Diese Weiterführung der Motive Kants bezieht sich bei Schaeffler nicht nur auf den beschriebenen erkenntnistheoretischen Aspekt, sondern schließt in eminenter Weise auch ein religionsphilosophisches Moment mit ein. Denn dadurch, dass der Gottesbegriff einerseits allen drei Ideen zugrunde liegt, ohne selbst eine Idee unter anderen zu sein, und andererseits als Bedingung für das Gelingen von Erfahrung ausgezeichnet wird, kommt ihm eine zentrale Stelle im Hinblick auf die gesamtheitliche und nicht nur religiöse Orientierung innerhalb einer vielfältigen Wirklichkeit zu. Entscheidend ist in dieser Hinsicht, dass die Rede von Gott sowohl einer nur noch randständigen und verschäm22 23 24
Zum »Ideal der reinen Vernunft« vgl. Kant KrV, B 595–612. Siehe nochmals Kant KrV, B 606. Schaeffler 1995, 761.
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ten philosophischen Annäherung als auch der esoterischen Besitznahme in einem spezifischen Glaubensverständnis entrinnt, insofern sie eine allgemeine und erfahrungskonstitutive Bedeutung beansprucht. Schaefflers transzendentalphilosophischer Gottesbegriff ist also als Implikat seines veritas semper maior-Konzepts zu begreifen. Die Forderung der Konsonanz aller Wahrheitsweisen angesichts einer Pluralität von eigengesetzlichen Erfahrungskontexten hat ihre Möglichkeitsbedingung in dem Postulat der Einheit der Wahrheit, das im Rahmen eines theoretischen Vernunftglaubens als Einheit eines göttlichen Anspruchs verstanden werden kann. Das Verhältnis von Wahrheitsweisen und Wahrheit entspricht dabei dem Verhältnis von Abbild und Urbild: Bei der postulatorischen Bezugnahme des Vielen auf das Eine wird jenes als antizipatorische Abbildgestalt des Urbilds begriffen. In diesem geschichtlichen Aspekt der Antizipation wird ein Vorgriff anschaulich, der in philosophischer Hinsicht grundlegend ist zur Beantwortung der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen horizontverändernder Erfahrung. Das dadurch angesprochene philosophische Problem findet eine Konkretion aber allein durch bestimmte Erfahrungsweisen, die das Verhältnis von antizipatorischem Abbild und anteilhaft-präsentem Urbild in besonderem Maße vor Augen bringen. Entscheidend ist dabei die religiöse Rede von Gott und Welt, bei der vom Menschen ein urbildlicher und schöpferischer Anspruch innerhalb der geschaffenen und endlichen Wirklichkeit zum Ausdruck kommt. Hier ist die Gelenkstelle, an der sich in Schaefflers Denken philosophischer Begriff und religiöse Erfahrung, Vernunft und Glaube verzahnen. Das Modell, nach dem dies geschieht, sieht keine hierarchische oder präjudizierende Überlegenheit einer der beiden Bezugsobjekte vor, sondern beschreibt ein gemeinsames »Unterwegssein«, 25 bei dem philosophische Vernunft und religiöser Glaube gleichzeitig ihre Eigenständigkeit wahren und doch wechselseitig in kritischer Weise aufeinander verwiesen sind.
Zur Anschlussfähigkeit von Schaefflers Theorie Die von Schaeffler aufgezeigte Korrelation zwischen Glaube und Vernunft ist fraglos eine der derzeit anspruchsvollsten und differenziertes25
Schaeffler 2000, 475.
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ten Theorien im Grenzgebiet zwischen Philosophie und Theologie. Ihr großes Verdienst liegt unter anderem darin, durch das Konzept des philosophischen Gottesbegriffs ein fruchtbares und kritisches Gespräch zwischen beiden Disziplinen anzuregen. Zunächst kann Schaefflers Konzept im Blick auf die Glaubensreflexion dazu beitragen, bestimmte Engführungen der natürlichen Theologie zu überwinden und damit die Notwendigkeit philosophischer Argumentation für die den Glauben bedenkende und verantwortende Theologie neu aufzuzeigen. Zudem vermag es in Bezug auf die glaubensunbetroffene Vernunft deutlich zu machen, dass auch in philosophischer Perspektive die Frage nach Gott heute noch denkmöglich und nicht irrational ist. Schaefflers philosophische Gotteslehre bewegt sich auf dem spannungsreichen Feld der natürlichen Theologie. Sein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff behauptet aber weder eine offenbarungsneutrale Gotteserkenntnis allein durch die Vernunft, noch die Substitution des geglaubten durch den begrifflich gefassten Gott. Nicht aus eigenmächtigem Anspruch, etwa aufgrund einer selbständigen und glaubensunabhängigen cognitio Dei, sondern einzig aufgrund des Rekurses auf die antizipatorische Präsenz der göttlichen Wirklichkeit in der religiösen Erfahrung, betont die philosophische Gottesrede die Realidentität ihres Referenzobjekts mit dem der religiösen Gottesrede. Schaefflers metasprachliche Gotteslehre offeriert dabei eine Kriteriologie für die den Glauben reflektierende Theologie, um innerhalb der Dialektik der religiösen Erfahrung korrektiv wahre Gottesbilder von bloß vorläufigen oder gar scheinhaften unterscheiden zu können. Zudem führt sie zu einem tieferen Verständnis des religiösen Hoffnungsgrundes, insofern über jeglichen Fideismus hinaus erkennbar wird, wie der Gott des Glaubens das als Gott Geglaubte stets überschreitet und wie insofern über jeden Dogmatismus hinaus die Rede von Gott auch in einer Pluralität von ausdifferenzierten Erfahrungswelten möglich und notwendig ist. Der Vernunftglaube ist als eine solche Hermeneutik der religiösen Rede von Gott ein bedeutender Ansporn für die Theologie, um angesichts der kontingenten Wahrheitsfähigkeit des Menschen die universale, die Grenzen des eigenen Kontexts überschreitende, Bedeutung der Erfahrung eines sich in Jesus Christus den Menschen zuwendenden Gottes als ihr zu verantwortendes Proprium auch in anderen Erfahrungswelten argumentativ ausweisen zu können. Wechselbezug zwischen Glaube und Vernunft heißt aber auch, dass die philosophische 133 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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Rede von Gott gleichzeitig auf die theologische Kritik angewiesen ist. Diese Kritik kann zeigen, erstens dass die Vernunft in Hinsicht auf die gemeinsame Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit noch vorläufig ist ohne die Orientierung an dem in tiefster Weise sinnstiftenden christlichen Gottesglauben, zweitens wie die Philosophie es nicht mit Konstrukten zu tun hat und dadurch in sich selbst verfangen bleibt, so dass sie zwar autonom, aber nicht autark ist, drittens dass die Philosophie ihre perspektivengebundene Deutungskompetenz nicht überschreiten darf, indem sie etwa in szientistischer Weise Absolutheitsansprüche vertritt und dabei gleichzeitig den religiösen Glauben als irrationales Gebaren diskreditiert. Ich möchte hier exemplarisch drei Aspekte anführen, die Schaefflers philosophische Gotteslehre für die den Glauben reflektierende und verantwortende Theologie interessant werden lassen: 26 (1) Schaefflers philosophischer Gottesbegriff bietet der Theologie einen strukturanalogen Anknüpfungspunkt, um die Hoffnung auf den Gott des christlichen Glaubens vor der philosophischen Vernunft zu rechtfertigen. (2) Das Modell eines transzendentalphilosophischen Gottesbegriffs behauptet keine erkennende, sondern nur eine postulatorische Beziehung zu Gott, so dass es im Rahmen seiner natürlichen Theologie nicht um ein Gottesverständnis, sondern allein um ein Gottesverhältnis geht. (3) In methodologischer Hinsicht: Schaefflers philosophische Gotteslehre stellt einen tragfähigen Entwurf dar für die oben gesuchte partnerschaftliche Beziehung im Sinne eines gemeinsamen »Unterwegsseins«, einer Korrelation zwischen natürlicher und glaubensbezogener Theologie. Die drei angegebenen Stichpunkte sollen hier nur thesenhaft und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit erörtert werden. Es wäre die Aufgabe einer eigenen theologischen Arbeit, diese Leitlinien unter Rekurs auf Schaefflers Denken weiter auszuziehen.
Auf einen weiteren wichtigen Punkt, das interreligiöse Anschlusspotenzial von Schaefflers Philosophie für die christliche Theologie, kann ich hier nicht eingehen.
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Der philosophische Gottesbegriff Schaefflers Erfahrungstheorie ist eine »dialogische«, weil sie von einem Anspruch der Wirklichkeit ausgeht, der durch die Akte des menschlichen Anschauens und Denkens beantwortet wird. Da dieser Anspruch solchen Rezeptionen gegenüber überschüssig und die Wahrheit der Wirklichkeit unter endlichen Bedingungen nie angemessen fassbar ist, haben transzendentale Erfahrungen eine Umgestaltung der menschlichen Anschauungs- und Denkweisen zur Folge. Der theoretische Vernunftglaube als Implikat der drei Postulate lässt eine postulatorische Deutung des beschriebenen Anspruchs als Anspruch einer göttlichen Wirklichkeit zu, deren responsive Abbildgestalten die endlichen und nicht miteinander harmonisierbaren Erfahrungswelten darstellen. Schaefflers Behauptung der Realidentität von geglaubtem und begrifflichem Gott lässt sich aus christlich-theologischer Sicht leicht verifizieren, weil das tertium comparationis der Dialogizität wesentlich ist für die Erfahrungsgestalt des jüdisch-christlichen Gottes. Dabei ist zu beachten, dass bei dieser Anknüpfung nur eine referenzielle Identität, nicht etwa eine vollständige semantische Kongruenz von philosophischer und christlicher Gottesrede behauptet wird, die die Dichotomie zwischen geglaubtem und begriffenem Gott nicht genügend deutlich machen würde. Unter dieser Einschränkung eröffnet Schaefflers Erfahrungstheorie der Theologie die Möglichkeit, ihr Verständnis eines im Dialog mit den Menschen stehenden Gottes auch als philosophisch fruchtbar zu erweisen. Der Gott des Volkes Israel ist ein Gott, der sich zu erkennen gibt, der sich in einem Anspruch an die Menschen dieses Volkes mit Namen kundgibt, der sie durch ihre leidvolle Geschichte als der Ich-bin-für-euch-da begleitet, der in Propheten zu ihnen spricht, und der schließlich seinem Heilswillen in Jesus Christus ein menschliches Gesicht verleiht, das für alle Völker als liebende Anrede Gottes erkennbar ist und in der christlichen Gemeinschaft der »Herausgerufenen«, der Ekklesia, eine bleibend sakramentale Gestalt gewonnen hat. Dieser Anspruch Gottes kann nicht unbeantwortet bleiben, er verlangt ein auseinandersetzendes Einlassen, eine freie Antwort des Menschen, die sich, im Falle der Betroffenheit durch das göttliche Wort, aus seiner Verwandlung durch das Herausgerufensein aus seiner gottesfernen Existenz ergibt. Dieser göttliche Anspruch ist nie endgültig beantwortbar, seine Responsion geschieht immer wieder neu und 135 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Ver
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verlangt von dem ihm nachfolgenden Menschen, sich im Sinne von Röm 12, 2 stets auf neue Weise verwandeln zu lassen. Dabei bleibt die göttliche Wirklichkeit trotz ihrer geschichtlichen Offenbarung und des darin irrevozierbar deutlich gewordenen Anspruchs einem endgültigen und komprehensiven Verständnis entzogen. Vor diesem Hintergrund kann die in der christlichen Tradition lebendige Einsicht des deus semper maior als Konkretionsgestalt der in Schaefflers Erfahrungstheorie gewonnenen Erkenntnis der veritas semper maior verstanden werden. Semantisch handelt es sich dabei allerdings um eine unvollständige Synonymie beider Formeln, denn sie haben nur das gleiche Referenzobjekt, sind aber nicht bedeutungsgleich in allen Aspekten. Hier reicht die Extension der christlichen Gottesrede weiter, was ja auch Schaefflers Bezugnahme auf die religiöse Erfahrung der antizipatorischen Präsenz des Hoffnungsgrundes zu erkennen gibt. Trotzdem bleibt eine Strukturanalogie beider Redeweisen von Gott. Nicht zuletzt Schaefflers häufige Exemplifikation seiner philosophischen Überlegungen durch Einsichten aus der jüdischchristlichen Bibel zeigt die Offenheit des dialogischen Konzepts eines abundanten Anspruchs und seiner perspektivischen Antwort für die christliche Vorstellung eines im Menschenwort sich ausdrückenden Gotteswortes. 27 Warum ist dies aus theologischer Sicht von Bedeutung? Schaefflers dialogisches Modell der christlichen Gottesrede eröffnet dadurch einen Verantwortungshorizont, der ausgeht von den epistemischen Bedingungen der menschlichen Erfahrungsfähigkeit und dessen Reichweite sogar die Vorstellung von einem personalen Gottesbezug mit einschließt. So ermöglicht ein Rekurs auf Schaefflers Erfahrungsmodell beispielsweise für den fundamentaltheologischen Ausweis des im Menschenwort sprechenden und dadurch eine Verwandlung der Bedingungen menschlichen Anschauens und Denkens herbeiführenden Gottes eine mit philosophischen Argumenten operierende Rechtfertigung und Plausibilisierung der Eigenart und existenziell verwandelnden Tragweite der christlichen Gottesrede.
So etwa die paulinische Metanoia-Vorstellung in Röm 12, 2 als Beispiel für eine transzendentale Erfahrung (vgl. Schaeffler 1982, 6) oder die endzeitliche Einung des Namens in Sach 14, 9 als Bild für die erhoffte Einheit der Wirklichkeit (vgl. Schaeffler 1989, 197).
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Natürliche Theologie und Offenbarungstheologie Eine besonders aus der Sicht evangelischer Theologie bestehende Schwierigkeit der traditionellen philosophischen Gotteslehre bzw. natürlichen Theologie ist die implizite oder explizite Behauptung einer Erkennbarkeit Gottes ohne Offenbarung und Glaube. Die altprotestantische Dogmatik unterschied zwischen einer dem Menschen als Geschöpf eigenen Gotteserkenntnis, der cognitio insita, und einer durch die philosophische Gotteslehre erworbenen Gotteserkenntnis, der cognitio acquisita. 28 Für die Diskussion um Schaefflers Theorie ist besonders das Thema der cognitio acquisita relevant. Hinsichtlich dieser epistemischen Bezugnahme auf Gott spielt es zunächst keine Rolle, wie weit der Anspruch einer derart vertretenen Erkennbarkeit reicht; entscheidend ist, dass überhaupt eine Erkennbarkeit angenommen wird. Dabei ist es das grundlegende Problem, was hier »Erkennen« bedeutet. 29 In Bezug auf diese Schwierigkeit ist es wichtig festzuhalten, dass Schaefflers philosophischer Gottesbegriff nicht in ein Konkurrenzverhältnis zu einer Theologie der Offenbarung tritt. Und zwar deshalb, weil in seiner Erfahrungstheorie kein religiöses Gottesverständnis, sondern nur ein Gottesverhältnis, weil also kein kognitiver, sondern allein ein postulatorischer Bezug zum Referenten der religiösen Rede von »Gott« behauptet wird: Gott ist für die philosophische Gotteslehre »kein erkennbarer Gegenstand.« 30 Die Vernunft erkennt nicht den Gott des Glaubens, sondern sie erkennt, dass Gott im Glauben erkannt wird und dass diese Erkenntnis auch für ihre eigene Orientierung nicht bedeutungslos ist. Kurz formuliert: Nicht Gott wird (durch die Vernunft) erkannt, sondern es wird erkannt, dass Gott (durch den Glauben) erkennbar ist. Schaefflers Erfahrungstheorie vertritt demgemäß nicht den Anspruch, den christlichen Gott offenbarungsfrei zu erkennen und damit über eine wie auch immer geartete cognitio acquisita zu verfügen, die von sich aus behauptet, entweder mit dem geglaubten Gott zu konvergieren oder ihn gegen eine aus ihrer Sicht unangemesVgl. Pannenberg 1988, 87. »Daß Gott als Schöpfer der Welt aus seiner Schöpfung erkannt werden müsse: dafür hat die Theologie nicht wenige biblische Argumente: Doch was heißt hier ›erkennen‹ ?« (Link 1976, 20). 30 Schaeffler1992, 97. 28 29
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sene religiöse Verehrung oder theologische Explikation erst als solchen zum Vorschein zu bringen. 31 Trotzdem gibt es nach Schaefflers Theorie interne als auch externe Gründe, die die philosophische Rede von Gott und damit ein Gottesverhältnis ermöglichen und legitimieren, indem sie ihn als zu postulierenden Hoffnungsgrund im Rahmen eines Vernunftglaubens ausweisen. In dieser Hinsicht gewinnt auch seine Betonung der Realidentität des Sachbezugs der philosophischen und religiösen Gottesrede eine genauere Kontur, insofern deutlich wird, dass der durch die dialogische Erfahrungstheorie als berechtigt ausgewiesene theoretische Vernunftglaube keinen gegenüber dem Offenbarungsglauben eigenen oder anderen Hoffnungsgrund behauptet.
Natürliche und offenbarungsbezogene Theologie Schaeffler zufolge kann die Verwiesenheit von philosophischer Reflexion und glaubensverantwortender Theologie als »hermeneutisches Wechselverhältnis« verstanden werden. 32 In Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit stellt er – im Programm seiner Neufassung der Transzendentalphilosophie – eine Korrelationsregel zwischen den antizipatorischen Erfahrungen und den Postulaten auf: »Religiöse Erfahrung ohne Vernunftpostulate ist blind, Vernunftpostulate ohne religiöse Erfahrung sind leer.« 33 Dieses Modell erfüllt in ausgezeichneter Weise die Anforderungen für einen Wechselbezug zwischen natürlicher und offenbarungsbezogener Theologie, weil die Autonomie der beiden Seiten gewahrt bleibt und sie – in Rekurs auf die Kontingenz und Vorläufigkeit ihrer jeweiligen Beschreibungen – auf ein gemeinsames Ziel verpflichtet werden. Die These vom hermeneutischen Wechselverhältnis besagt: Ohne die antizipatorische Präsenz Gottes in der religiösen Erfahrung stünden Vernunftpostulate im Verdacht, erdachte Fiktionen ohne Realitätsgehalt zu sein. Mithin ist die philosophische Gotteslehre nicht nur in beiläufigem oder randständigem Sinne, sondern in ihrem »Nicht ein zuvor definierter theologischer oder philosophischer Gottesbegriff gibt das Kriterium an die Hand, um zu entscheiden, ob ein vorfindliches Phänomen ›religiös‹ genannt werden kann« (Schaeffler 1997, 200 f.). 32 Schaeffler 1995, 688. 33 Schaeffler 1995, 689, 735, 738, 750, 763, 775. Der Satz von Kant lautet bekanntlich: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind« (Kant KrV, B 75). 31
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Kern auf die religiöse Rede von Gott verwiesen. Schaefflers dialogische Erfahrungstheorie verweist die Philosophie auf Zeugnisse der religiösen Erfahrung, wenn sie unter den gegenwärtigen Umständen einer drohenden Erfahrungsunfähigkeit die transzendentale Frage beantworten will, wie horizontverändernde Erfahrung möglich ist. Verkürzt gesagt, muss also nicht einmal vonseiten der Theologie eine Aktualität und Unerlässlichkeit ihrer glaubensverantwortenden Reflexion für Sachbereiche der Philosophie aufgezeigt werden – aus rein philosophischen Gründen gibt es nach Schaefflers Theorie bereits einen Anlass für ein fruchtbares Wechselverhältnis. Umgekehrt gilt dies freilich genauso: Philosophische Gottesbegriffe haben für die religiöse Gottesbeziehung eine unerlässliche hermeneutische Funktion, indem sie der in Bezug auf den Glauben rechenschaftspflichtigen Theologie Kriterien vermitteln, die die Verlässlichkeit der religiösen Erfahrung zu sichern verhelfen. Auch wenn Schaeffler ausdrücklich betont, dass der religiös Erfahrende keiner philosophischen Belehrung bedarf, um sicher zu sein, dass er derjenigen Wirklichkeit begegnet, auf die er seine Hoffnung gründet, so kann doch die philosophische Gotteslehre auf den postulatorischen Charakter dieser Hoffnung aufmerksam machen, um erstens die Bedeutung der religiösen Erfahrung tiefer und lebensbezogener aufzuschließen, 34 zweitens – vor allem in Krisenzeiten bei Alternativen der Deutung – die notwendige Unterscheidung zwischen gelingender religiöser Erfahrung und bloß idolatrischem Erlebnis zu legitimieren, 35 und drittens den religiösen Glauben als anschlussfähig zu erweisen im Hinblick auf die philosophische Denkbarkeit eines Unbedingten als einheitlicher Bezugspunkt aller perzeptiven und deutenden Akte.
Schluss Zur Signatur der gegenwärtigen Zeit gehört es, die Entfremdungen zu spüren, die der Mensch in seinem Bemühen, sich angesichts der unüberschaubaren Vielfalt strukturverschiedener und konkurrierender Welten zu orientieren, durchzustehen hat. Schaefflers Erfahrungstheorie zeigt in einer sensiblen Kenntnis dieser Verortungsprobleme einen 34 35
Vgl. Schaeffler 1988, 20–32, 72–121. Vgl. dazu Schaeffler 2006, 31 f., 40–45; Schaeffler 2009.
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Weg auf, wie ein zwar eigenständiges, wohl aber auf den gleichen Text bezogenes »Lesen im Buche der Welt« 36 durch die Vernunft und den religiösen Glauben möglich ist. Damit sind beide Wege der Rezeption auf einen immer größeren Anspruch der Wirklichkeit in Schaefflers philosophischer Theologie angesprochen, der Weg von der Vernunft zum Glauben und der Weg vom Glauben zur Vernunft. Der Glaube, der sich nicht nur auf sich selbst zurückbesinnt, sondern von der vielgestaltigen Welt lernen will, droht nicht zu einer Fehlform zu entarten. Und die Vernunft, die im Kontext ihrer dialektischen Verstrickung nicht zur Absolutsetzung einer einzigen Deutungswelt neigt, wird erfahrungsfähig für einen deus semper maior. Literatur Irlenborn, Bernd (2003): »Veritas semper maior«. Der philosophische Gottesbegriff Richard Schaefflers im Spannungsfeld von Philosophie und Theologie. Regensburg: Pustet. Irlenborn, Bernd (2004): Der nicht-epistemische Wahrheitsbegriff Richard Schaefflers. Methodische Chancen und Gefahren. In: Tobias Trappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung. Chancen der Transzendentalphilosophie. Würzburg: Echter, 53– 64. Irlenborn, Bernd (2004): Was ist eine »transzendentale Erfahrung«? Zu den Entwürfen von Krings, Rahner, Lotz und Schaeffler. In: Theologie und Philosophie 79, 491–510. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (B). Immanuel Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Akademie-Ausgabe Bd. IV. Link, Christian (1976): Die Welt als Gleichnis. Studien zum Problem der natürlichen Theologie. München: Kaiser. Pannenberg, Wolfhart (1988): Systematische Theologie. Bd. 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Schaeffler, Richard (1982): Fähigkeit zur Erfahrung. Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott. Freiburg i. Br.: Herder. Schaeffler, Richard (1988): Kleine Sprachlehre des Gebets. Einsiedeln/Trier: Johannes-Verlag. Schaeffler, Richard (1989): Das Gebet und das Argument: Zwei Weisen des Sprechens von Gott. Eine Einführung in die Theorie der religiösen Sprache. Düsseldorf: Patmos.
Über diese von Hans Blumenberg stammende Formulierung hat Schaeffler in seinen letzten Schriften besonders eingehend nachgedacht. Vgl. dazu Schaeffler 2004b, 333– 407; Schaeffler 2006, 143–183.
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Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube Schaeffler, Richard (1992): Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff und seine Bedeutung für die Theologie. In: Michael Kessler u. a. (Hg.), Fides quaerens intellectum. Beiträge zur Fundamentaltheologie. Tübingen: Francke, 97– 110. Schaeffler, Richard (1995): Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung. Freiburg i. Br.: Herder. Schaeffler, Richard (1997): Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe. In: Georg Wieland (Hg.), Religion als Gegenstand der Philosophie. Paderborn u. a.: Schöningh, 197–217. Schaeffler, Richard (2000): »Die beiden Flügel des Geistes« – Versuch eines Überblicks über Themen und Leitgedanken der neuen Enzyklika »Fides et Ratio«. In: Theologie und Glaube 90, 467–488. Schaeffler, Richard (2004a): Philosophische Einübung in die Theologie. Erster Band: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre. Freiburg i. Br.: Herder. Schaeffler, Richard (2004b): Philosophische Einübung in die Theologie. Zweiter Band: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Freiburg i. Br.: Herder. Schaeffler, Richard (2006): Philosophisch von Gott reden. Überlegungen zum Verhältnis einer Philosophischen Theologie zur christlichen Glaubensverkündigung. Freiburg i. Br.: Herder. Schaeffler, Richard (2009): Auf welche Weise denkt der Glaube? Von der eigenen Rationalität des Glaubens und vom hermeneutisch-kritischen Dienst der Philosophie und der Theologie. Erscheint in: Theologie und Glaube 99.
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Transzendentalität und Geschichtlichkeit Überlegungen im Anschluss an Richard Schaefflers theologiesensiblen Vernunftbegriff Klaus Müller
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Transzendentalität und Theologie: Karl Rahner
Außer Frage steht, dass, wer in theologischem Zusammenhang von Transzendentalität reden hört, zuerst an Karl Rahner und sein Projekt einer Transzendentaltheologie denkt. Dabei erhebt er selbst diesbezüglich keinerlei Anspruch auf Originalität, sofern er selbst überzeugt ist, dass er in Gestalt einer für ihn in ihrer Unbekümmertheit typischen Aufnahme einer philosophischen Terminologie nur einem Sachverhalt Ausdruck verleiht, der »[…] schon immer in der Theologie gegeben war [und jetzt nur; K. M.] reflex erfaßt wird und seinen eigenen Namen erhielt.« 1
Gleichwohl ist eine historische Reminiszenz in diesem Fall aufschlussreich: Kein Geringerer als Kant spricht von »Transc. Theologie« 2 als der Kulmination von Transzendentalphilosophie. Das zentrale Anliegen, das Kant mit der Auszeichnung »transzendentale Theologie« verbindet, besteht darin, die immer schon auf die Frage der Möglichkeit theologischer Aussagen über Gott justierte Vernunftkritik als ganze »[…] aus einem einzigen Gesichtspuncte faslich zu machen« 3 und im Gang dieser Denkbewegung der Theologie transzendentale Prädikate als begrifflich »gereinigte« 4 zur Verfügung zu stellen. »Gereinigt« bedeutet dabei: Das transzendentale Verfahren macht die Begriffe zu »sinnenfreye[n]« 5 und bestimmt so 1 2 3 4 5
Rahner 2002, 1332. Vgl. Kant 1936, 63. Kant 1928, 628. Kant 1911, 426. Kant 1928, 672.
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Transzendentalität und Geschichtlichkeit
»[…] die Reichweite ihrer Gültigkeit unter Berücksichtigung der Schranken unseres bloß diskursiven Verstandes […], so daß die theologischen Aussagen über Gott und seine Eigenschaften wissenschaftlichen Ansprüchen genügen können.« 6
So sehr sich dadurch sicher stellen lässt, dass Gott nicht »sensificirt und anthropomorphisirt« 7 wird, bedarf es aber, um nicht in einen völlig leeren Deismus zu geraten, eines »symbolischen Anthropomorphism« 8 , der – obwohl »[…] nur die Sprache und nicht das Objekt selbst […]« 9 betreffend – kraft »[…] Analogie […] doch ein[en] für uns hinlänglich bestimmte[n] Begriff von dem höchsten Wesen übrig [lässt; K. M.], ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und an sich selbst bestimmen könnte; denn wir bestimmen ihn doch respectiv auf die Welt und mithin auf uns, und mehr ist uns auch nicht nöthig.« 10
Transzendentale Theologie im Sinne Kants folgt damit einer Logik der Grenze: Sie beschreibt die Grenze menschlicher Vernunft so, dass dabei das Jenseits dieser Grenze mitthematisiert wird in einer Form, die die Grenzziehung kategorial nicht verletzt. Für transzendentale Theologie qua Kulmination von Transzendentalphilosophie gilt a fortiori, was Kant von Letzterer sagt: »Sie hat ihren Nahmen davon, daß sie an das Transzendente Grenzt […].« 11 Durch die Wahrnehmung und Anerkennung der Grenze der Vernunft in der Beschränkung ihrer Gegenstände auf solche möglicher Erfahrung entsteht keinerlei Hindernis, »daß sie uns nicht bis zur objektiven Grenze der Erfahrung, nämlich der Beziehung auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muß, führe, ohne uns doch von demselben etwas an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollständigen und auf die höchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Felde möglicher Erfahrung zu lehren. Dieses ist aber auch aller Nutzen, den man vernünftigerweise hiebei auch nur wünschen kann, und mit welchem man Ursache hat zufrieden zu sein.« 12
Winter 2000, 406. Kant 1928, 623. 8 Kant 19112 , 357. 9 Kant 19112 , 357. 10 Kant 19112 , 358. 11 Kant 1936, 74. 12 Kant 19112 , 361–362. 6 7
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In dieser Passage klingt so etwas wie der Appell an ein Ethos transzendentalen Denkens mit; das ist nicht zufällig. Ich hatte vorhin Kants Diktum über die Namensherkunft der Transzendentalphilosophie nur unvollständig zitiert. »Sie hat ihren Nahmen davon, daß sie an das transcendente Grenzt«, schreibt er, dann fährt er fort: »[…] und in Gefahr ist nicht bloß ins Übersinnliche sondern gar in das Sinnleere zu fallen.« 13 Genau auf diesem Grat bewegt sich transzendentale Theologie und muss sie sich bewähren. So etwas wie ihr Balanceinstrument auf diesem Grenzgang ist die Analogie als Anthropomorphismus-Korrektiv (nicht als Methode der Erkenntniserweiterung). 14
2.
Fällige Erweiterung: Richard Schaeffler
Vorausgehend scheint mir ein Umriss von Transzendentaltheologie gewonnen, der zwar weitaus bescheidener 15 als derjenige Rahners auftritt, jedoch über ungleich größere Präzision verfügt, was natürlich daher rührt, dass es sich der Sache nach um eine philosophische Grammatik theologischen Sprechens handelt. Damit sind Impulse freigesetzt, die mit Kant über Kant hinaus an ein Konzept transzendentaler Theologie denken lassen, das in den Gang seiner Entfaltung im Ausgang von einer Analyse der Subjektstruktur die Bedingungen des linguistic turn, der ja bei Kant im Gedanken der Analogie bereits präsent ist, ausdrücklich und im vollen Umfang mit einbezieht. Es gibt aber noch eine zweite Hinsicht, in der das Projekt einer Transzendentaltheologie im Vergleich mit der von Rahner konzipierten Gestalt gerade um seiner theologischen Aufgabe willen – dem Vernehmenkönnen von ihm selbst Unverfüglichem – wiederum in einer Art Selbstbescheidung weitergedacht werden muss. Und auch hierfür liegt der entscheidende Ansatzpunkt bereits bei Kant selbst bereit: in jenem Gedanken einer »[…] Geschichte der reinen Vernunft« 16 , die Kant auf einer der letzten Seiten der Kritik der reinen Vernunft als Aufgabe benennt, die künftiger Erfüllung harre. Richard Schaeffler hat sich 13 14 15 16
Kant 1936, 74. Zu deren näherer Bestimmung bei Kant vgl. Prolegomena (Anm. 8). 357–360. Vgl. dazu Winter 2000, 423. Kant 1911, 550.
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über Jahrzehnte mit dieser Aufgabe befasst, ihre Durchführung in das großräumige Projekt einer systematischen Theorie der Erfahrung eingebettet 17 und einen methodischen Leitfaden für ihre Einlösung benannt: Die Kantische Gegenstandskonstitution müsse verschränkt werden mit einer Hegelschen Subjektkonstitution, in der erfahrene Inhalte die Formen der Erfahrung verwandeln – aber so, dass das Subjekt diesen Verwandlungsprozess nicht nochmals in seiner Regie habe (wie bei Hegel) und eine Art Selbstgespräch führe, sondern sich – streng Kantisch – wegen der Endlichkeit der Vernunft dem Unverfüglichen ausgesetzt begreife und, gleichsam auf dieses hinhörend, in einen Dialog mit dem Anspruch des Wirklichen eintrete. 18 Jürgen Habermas denkt in seiner vehementen Auseinandersetzung mit dem neurologisch formatierten Naturalismus in der Anthropologie in eine ähnliche Richtung, wenn er eine detranszendentalisierte Naturgeschichte postuliert und damit eine große Erzählung vom Menschen als in das Universum einbegriffenen Naturwesen meint, die sich aus Elementen verschiedener humanwissenschaftlicher Disziplinen inspiriert, in die aber auch »Begriffe ›von oben‹« 19 eingehen würden, d. h. nicht-naturalistische Grundbebegriffe aus der Selbsterfahrung der Subjekt-Person, woraus eine Theorie entstehen könnte, mit der »[…] der Geist seine eigene Genealogie ›einholt‹.« 20 Habermas wie Schaeffler scheinen mir dabei aber einen wichtigen Punkt noch weitgehend unbestimmt zu lassen: die Frage nach der genauen Weise der Mitwirkung des Subjekts in diesem Prozess der Vergeschichtlichung seiner Vernunft. Bei Habermas springt das durch die beinahe emphatische Chiffre der »Begriffe ›von oben‹«, die aus der Selbsterfahrung der Subjekt-Person stammen, regelrecht in die Augen. Schaeffler spricht davon, dass das Subjekt im Wandel seiner Weisen des Anschauens und Denkens seine Geschichte erkenne und darum als die seine [beide Herv. K. M.] erzählen könne. Beide Male wird so ein Bezug zwischen Selbstbezüglichkeit von Subjektivität und Geschichtlichkeit eingespielt, der nach vertiefter Analyse verlangt. Ein Segment aus Vgl. dazu als Opus magnum Schaeffler 1995. Vgl. zuletzt Schaeffler 2004, 76–212. Dort auch Hinweise auf vertiefende Arbeiten Schaefflers. 19 Habermas 2007, 303. 20 Habermas 2007, 303. 17 18
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der in etwa den letzten vier Jahrzehnten vorangetriebenen Subjekttheorie Dieter Henrichs 21 scheint mir dafür in besonderer Weise geeignet, weil es die Frage nach Transzendentalität und Geschichte in sich bereits als eine im Letzten philosophisch-theologische Problemkonstellation begreift.
3.
Subjektivität und Geschichtlichkeit
In den teils stürmischen Auseinandersetzungen um Subjektivität und Selbstbewusstsein, die seit Kant geführt werden, ist mehr und mehr klar geworden, dass sich das Problem der wissenden Selbstbeziehung einerseits nicht auflösen lässt (weder naturalistisch noch informationstheoretisch noch kommunikationslogisch), dass es aber anscheinend ebenso wenig einer vollständigen und befriedigenden Aufklärung zugeführt werden kann. 22 Zu dem Wenigen, was sich dem Phänomen an gesicherter Einsicht abringen lässt, gehört, dass mit dem Wissen um sich selbst schon seit der Stoa der Gedanke der Selbsterhaltung verbunden ist und dieser Zusammenhang im Kontext der modernen Zentralstellung der Subjektivität allererst in voller Schärfe hervortritt. 23 Man kann diesen theoriegeschichtlichen Befund mit Dieter Henrich auf den Nenner bringen: »Selbstbewußtsein kommt überhaupt nur in einem Kontext zustande, der sich aus seiner Macht und Aktivität gar nicht verstehen läßt. Und es kommt in ihm so zustande, daß es von dieser Dependenz ursprünglich weiß. Deshalb hat es sich aus der Notwendigkeit zur Selbsterhaltung zu verstehen.« 24
Seine Schärfe gewinnt dieses Problem dadurch, dass diese Entzogenheit eines Verfügens über das eigene Auftreten und Bleiben in keiner Weise das unhintergehbare Wissen des Subjekts um sich und sein Wirklichsein dementiert, und damit die Aufgabe stellt, diese Autonomie mit der Notwendigkeit der Selbsterhaltung zusammen zu denken. Im Lichtkegel des Zusammenhangs gewinnen auch jene beiden Äußerungsweisen modernen Selbstverständnisses einen verblüffend prosai21 22 23 24
Vgl. als Einführung: Müller 2005, 149–165. Vgl. dazu Müller 2005. – Vgl. zuletzt auch Henrich 2007, 7–19. Vgl. dazu Müller 2007, 80–89. Henrich 1996, 113.
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schen Sinn, die gerade aus dem Blickwinkel vormoderner Weltdeutung, aber etwa auch von Heidegger und Levinas als die Symptome einer ans Maßlose rührenden Selbst-Apotheose des Subjekts interpretiert werden: (a) seine praktische Dynamik und (b), dass es sich geschichtlich, also in möglicher Distanz zu Vorgegebenem begreift. Zu (a): Das Fortschrittsdenken der modernen Welt, wie es sich paradigmatisch in den Programmen der Forschung, noch mehr im Erfolg(-szwang) der Technik und am meisten in den Anforderungen der Wirtschaft äußert, entspringt keineswegs einer Präpotenz, also einer überbordenden Selbstgewissheit des aktiven Subjekts, sondern im Gegenteil der Ungewissheit in Beziehung auf seine eigene Daseinsgarantie. Gerade weil es sich seiner aus eigener Kraft nicht gewiss sein kann, darf es in Funktion seiner Selbsterhaltung nichts unerprobt lassen, was sich überhaupt an Möglichkeiten bietet, sich seines Bestandes zu vergewissern. 25 Dieser fundamentalen Ungesichertheit – und nicht arroganter Selbstgewissheit – entstammt der Hang zu einer potentiell auch rücksichtslos werden könnenden Selbstdurchsetzung.26 Nichts hemmt den solchermaßen motivierten Progress, in eine Angst des seiner selbst unversicherten Subjekts um sich selbst umzuschlagen und dabei autodestruktiv dessen eigenes Fortbestehen zu gefährden, wie es mittlerweile zur alltäglichen Erfahrung menschlichen Daseins zu gehören scheint. 27 Zu (b): Damit das selbstbewusste Subjekt sich auf solche Erkundungsgänge zur Selbsterhaltung begibt, muss zu seinem Bewusstsein gehören, selbst nicht mehr in das Ganze einer ihm einsichtigen Ordnung integriert zu sein, wie es etwa in der christlichen Tradition der Gedanke der Schöpfung symbolisiert. Erst unter Voraussetzung eines solchen Zerfalls und der damit entstehenden Distanz zu seiner Welt eröffnet sich die Möglichkeit und Notwendigkeit, dass Bewusstsein sich selbst ergreift und Selbstbewusstsein zum Prinzip seiner Verständigung über sich und die Welt aufrückt: Jetzt kann und muss vom Selbst her eine Lebenswelt entworfen werden. Weil solch ausdrückliches Ergreifen seiner selbst für das Bewusstsein nur im Gegenüber zu den Bindungen 25 26 27
Vgl. dazu Theunissen 1982, 5–10. Vgl. Henrich 1996, 115–116. – Vgl. auch Pröpper 1998, 103–110. Vgl. Henrich 1996, 115.
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geschehen kann, die es oder anderes Bewusstsein um seines Bestandes willen identifikatorisch mit anderen Wirklichkeiten eingegangen war, stellt sich die Erfahrung ein, dass solche Stabilität gewährenden Ganzheiten – also Welten – wechseln können. Was als Welt vom Standpunkt einer eigenen in Geltung befindlichen Weltbindung aus als fremd und unzugänglich erscheinen mag, entpuppt sich von der Warte eines als Prinzip fungierenden Selbstseins nur noch als anderes und kann als solches auch als mögliche eigene Vergangenheit begriffen werden. So wird die Erfahrung von Geschichte aus dem Vollzug des um Selbsterhaltung bemühten Selbstbewusstseins freigesetzt. 28 Sich selbst als geschichtlich erfasst das selbstbewusste Subjekt allerdings erst dadurch, dass es das Bewusstsein von sich und den Vollzug seiner Selbsterhaltung weder als identisch noch als einander äußerlich begreift, sondern in die Einheit eines Prozesses zusammen denkt, dem es als Prinzip untersteht, der aber seinerseits als Abfolge möglicher Welten nicht mehr gegenständlich (also qua Weltordnung) erfasst werden kann. 29 Die sich wandelnden und einander folgenden Welten des Subjekts qua Vollzugskontexte seiner Selbsterhaltung werden so hinsichtlich ihrer Sequenz und ihres Relevantwerdens aus einer Sinnstiftung herkünftig gedacht, die ihrerseits nicht noch einmal ein Identifikationsobjekt selbsterhaltender Akte sein kann (das wäre Regression zurück hinter die Prinzipialität des Selbstseins). Aus der bereits vorgenommenen Herleitung der Geschichtlichkeit aus der wissenden Selbstbeziehung erklärt sich, dass Geschichte in diesem transzendentalen Sinn die Konnotation des Unverfüglichen an sich zieht und damit selbst zu einem Theologoumenon avanciert: Gott und Geschichte gleiten in gewissem Sinn ineinander. Genau das meint Henrich in den Schlussbemerkungen seines Essays Selbsterhaltung und Geschichtlichkeit, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die neuzeitliche Erfahrung von Geschichte hinsichtlich der Selbsterfahrung des Subjekts als seinerseits geschichtlichen einen Gottesbegriff adaptiere, wie ihn Spinoza, Fichte und Hegel in Gebrauch genommen hätten – einen Gottesbegriff also, der sich unabhängig halte von Schöpfung und in polemischer Opposition stehe zu Erlösungsgedanken, vielmehr im Rahmen theoretischer Fassungen der für das Subjekt unab28 29
Vgl. Henrich 1996, 309, 311. Vgl. Henrich 1996, 309–311.
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dingbaren Selbsterhaltung als (in sich unbegreiflicher) interner Grund von deren Dynamik zu veranschlagen bleibe. 30 Systematisch gewendet heißt das: Geschichtlichkeit und die Frage nach einem gründenden Grund von Subjektivität, die sich ja in jener Unverfüglichkeit seiner selbst meldet, treten simultan hervor. Gerade wegen der Geschichtlichkeit aber ist nicht mehr einfach ein Rekurs auf die herkömmliche Beantwortung der Frage nach dem Grund, also ein Verweis auf einen Schöpfer- und Erlösergott möglich – diesen Weg verschließt die Logik der gegen alle Fremderhaltung immunen Selbsterhaltung als Quellgrund der Geschichtlichkeit. Genau diese Grunderfahrung ist heute mittlerweile bis auf die Alltagsebene durchgesickert: »Wenn ich in Afrika geboren wäre, könnte ich genauso gut Muslim sein oder in China Buddhist«, bekommen etwa Religionslehrer zu hören. Das hat zur Folge, dass sich die Bestimmungsform des Verhältnisses von Vernunft und Gottesgedanke eben wegen der unhintergehbaren Geschichtlichkeit der wissenden Selbstbeziehung grundlegend verändert. Dieter Henrich hat sich diesbezüglich lange Jahrzehnte so karg geäußert wie einst Kant über Selbstbewusstsein. Im Gang der letzten Jahre allerdings hat er vor allem im Anschluss an die Philosophie Hölderlins eine Lehre vom Grund entfaltet, die mir eine hoch brisante Herausforderung der christlichen Theologie zu sein scheint, weil sie gerade den Stachel der Geschichtlichkeit bis in die Mitte des Verhältnisses von Vernunft und Glaube oder genauer: von Vernunft und Gottesgedanke treibt.
4.
Vom Subjektgedanken an die Grenzen des Wissens gehen
Den Einsatzpunkt für die folgende Überlegung bildet wiederum die wissende Selbstbeziehung des selbstbewussten Subjekts. Jeder Versuch seiner Herleitung aus oder Rückführung auf anderes endet nachweislich zirkulär oder in einem infiniten Regress. 31 Wo das trotzdem versucht und der Gedanke unhintergehbarer Subjektivität als »monologisch« 32 desavouiert wird, bleibt unbedacht, dass sich das Subjekt 30 31 32
Vgl. Henrich 1996, 312–313. Vgl. Müller 1994, Kap. 5.1.3.1. – Henrich 2004, 27–50. So Knapp 2006, 205.
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notwendig in präreflexiver Vertrautheit unhintergehbar in dieser Selbstbeziehung findet, diesem Wissen um sich als sich, zu dem unabtrennbar auch ein cartesianisches Moment von Wirklichkeitsgewissheit in Bezug auf sich selbst gehört. Zugleich aber gewahrt sich dieses selbstbewusste Subjekt doppelt von sich weg verwiesen: zum einen auf eine Welt, der es sich zugehörig und in die es sich sozusagen einschreiben muss als eines von deren unabsehbar vielen Momenten oder Entitäten. Und zum anderen erfährt es sich dadurch, dass es sich weder selbst ins Dasein gebracht hat noch in diesem von selbst einfach fortbesteht, auf einen es freisetzenden und tragenden Grund verwiesen. Dieser Grund ist dem Subjekt insofern radikal entzogen, als es mit Gewissheit sagen kann, dass es sich bei diesem Grund weder um eine gegenstandsförmige Instanz handeln kann, sofern das Subjekt dann hinter das es selbst Grundlegende zurückgreifen könnte, noch um eine Instanz der gleichen Art wie das selbstbewusste Subjekt, weil sich sonst dessen Ausgangsfrage nach dem eigenen unverfüglichen Herkommen nur iteriert stellen würde. Klar ist insofern aber auch, dass es sich bei so etwas im buchstäblichen Sinn Unbe-Ding-ten, ja Unbedingbaren (um mit Schelling zu sprechen 33 ), weil frei von aller Dinglichkeit zu denkendem Grund, nicht um einen Grund jenseits des zu Begründenden, sondern um ein Nicht-Objektives, also seinerseits dem Subjekt Zugehöriges, d. h. einen »Grund im Bewusstsein« 34 handeln muss und der darum auch »[…] das, was Bewusstheit ausmacht, allererst und jederzeit ermöglicht, weshalb er in jedem Vollzug von Bewusstheit als operativ vorausgesetzt werden muß.« 35
In unmittelbarem Zusammenhang damit macht Henrich noch auf ein weiteres Moment aufmerksam, das die Ausfaltung des in Frage stehenden Gedankens vom Grund in einem einzigen weiteren Schritt sogleich an die Schwelle einer theologischen Anschlussreflexion führen wird. Die eben zitierte Passage geht folgendermaßen weiter: »Aus diesem Verhältnis ergibt sich schließlich die Schwierigkeit, wie es zu verstehen ist, dass ein Grund dahin wirkt, dass wir doch aus uns selbst heraus tätig sind, und die Aufgabe, das Bewusstsein unserer Abhängigkeit mit dem 33 34 35
Vgl. Schelling 1980, 164. Henrich 1992. Henrich 2006, 96.
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Bewusstsein unserer Selbsttätigkeit in einem stabilen Gesamtbewusstsein miteinander zusammenzuführen.« 36
Anders gewendet: Wie können unhintergehbarer Selbstand und Unverfüglichkeit des Aufkommens von Bewusstsein vermittelt werden? Anhalt für eine Beantwortung dieser Frage findet Henrich bei Hölderlin, mit Blick auf den er zu […] eine[r] minimale[n], aber bedeutsame[n] Charakterisierung des Grundes als solchem« 37 vorstößt. Henrich wörtlich: »Es lässt sich nicht denken, dass in ihm [sc. dem Grund; K. M.] Verhältnisse von der Art herrschen, wie sie für unser Selbstbewusstsein charakteristisch sind. Dann würde sich nämlich nicht nur zwingend eine unabschließbare Sequenz weiterer Grundvoraussetzungen ergeben. Es würde vielmehr gar nicht verständlich sein, wie aus einer Situation, die ebenso wie die unsrige durch die der Einheit selbst noch innewohnende Trennung [sc. von Selbstand und Abhängigkeit; K. M.] definiert ist, eben diese Einheit und Einheitsweise hervorgehen könnte, um deren Verstehbarkeit willen ihr der Grund vorausgesetzt worden ist. So müssen wir also diesem Grund sowohl eine von solcher Trennung unberührte Geschlossenheit wie eine Kapazität zum Übergang aus dieser Geschlossenheit zu einer Einheit zusprechen, die ihrerseits Trennung in der Einheit aufweist. 38
Hölderlin spricht, wenn er diesen Grund jenseits aller Trennung denkt, von »Seyn«, die Potenz zu ursprünglicher Teilung (Hölderlins »Urtheil«) eignet ihm, sofern er als für die Trennung im Selbstbewusstsein aufkommender Grund gedacht wird. Und jetzt der bereits avisierte Schritt an die theologische Schwelle: »Wenn Trennungslosigkeit aber Sein schlechthin definieren sollte, dann ließe sich wohl diesem Grund auch das Prädikat der Unendlichkeit beilegen, das seit langem das nur als Singular zu denkende Absolute hat auszeichnen sollen.« 39
Daraus aber folgt, dass wir kraft unserer wissentlichen Selbstbeziehung und aus ihr auf das Unendliche als den uns freisetzenden Grund verwiesen sind und darauf, dass Selbstbewusstsein seine charakteristische Verfassung eben von diesem Grund her gewinnt. Und in Hölderlins Rede von der »Urtheilung« sieht Henrich zumindest angedeutet, dass das Sein jenes Unendlichen im Gang dieses Begründens ins End36 37 38 39
Henrich 2006, 96. Henrich 2005, 305. Henrich 2005, 305. Henrich, 2005, 305.
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liche, Begründete, also ins Bewusstsein eingeht und darum im Gegenzug diesem alle für es konstitutiven Momente »[…] unter einem Index von Unbedingtheit erscheinen können, der sich von der Unendlichkeit des Ursprungs herleitet.« 40
Ich breche an dieser Stelle mein Maßnehmen an Henrichs durch Hölderlin angeleitete verheutigter idealistischen Denkform ab. Henrich selbst faltet sie im Weiteren in eine bewegende, beinahe existenzphilosophisch zu nennende Anthropologie aus, die – markiert durch Termini wie »Geschenk oder Gnade« 41 , »Erinnerung und Dankbarkeit« 42 – poetologisch unterfangen an eben jenen Raum des Theologischen rührt, den ich nachfolgend im unmittelbaren Ausgang vom vorausgehend entwickelten Grund-Gedanken betreten möchte.
5.
Nagelprobe: Das »und« zwischen Gott und Welt denken
Sehr direkt scheint mir auf der Hand zu liegen, dass über diesen subjekttheoretischen Angang eine ausgesprochen lösungsträchtige, weil klassische Aporien entwirrende Form von Gottdenken inklusive der Einlösung seiner ontological commitments gewinnbar ist: In der Instanz ihres eigenen Wirklichkeitsbewusstseins muss sich selbstbewusste Subjektivität den notwendigen Gedanken des sie tragenden Grundes als von Wirklichkeit gedeckten voraussetzen. Und sie muss das so tun, dass ihr dieser wirkliche Grund als Grund in ihr selbst epistemisch zugänglich wird, wenngleich ontologisch gesehen dieses In-Sein gar kein anderes als ein In-Sein des Endlichen im Unendlichen sein kann. Das ist im Übrigen ein Gedanke, den strukturell auch Thomas von Aquin schon kennt, wenn er in der Summa theologiae schreibt, »[…] quod, licet corporalia dicantur esse in aliquo sicut in continente, tamen spiritualia continent ea in quibus sunt, sicut anima continet corpus. Unde et Deus est in rebus sicut continens res. Tamen per quandam similitudinem corporalium, dicuntur omnia esse in Deo, inquantum continentur ab ipso.« 43
40 41 42 43
Henrich 2005, 306. Henrich 2005, 308. Henrich 2005, 321. Thomas von Aquin 1986, 36.
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Während Thomas freilich dieses In-Sein der Dinge als »per quandam similitudinem corporalium«, also als eine aus dem Sinnlichen geschöpfte Metapher 44, qualifiziert, bahnt sich im Horizont der subjektphilosophischen Denkform in ihm der Überstieg in eine idealistisch untrennbar epistemisch und ontologisch neue Dimension an: Die beschriebene enge Verschränkung von Gründendem und Begründetem führt aus sich zu einem im strengen Sinn spekulativen Begriff von Selbstbewusstsein als einem »Sich im Anderen seiner selbst als sich selbst wissen.« 45
Eben dieser Begriff aber kann nur auf dem Boden des Gedankens der All-Einheit ausgebildet werden. Henrich selbst geht auf diesen Gedanken aus ganz verschiedenen Richtungen zu: Einmal begegnet er bereits als eine der beiden elementaren Selbstdeutungen von Selbstbewusstsein angesichts seiner spannungsgeladenen Doppelerfahrung von unhintergehbarer Zentralität einerseits und Verwiesenheit auf eine Welt als eines ihrer vielen Momente. Andererseits vermag der Gedanke der All-Einheit die irreduzible Dualität zwischen den Einzeldingen der Welt und der Ordnung, in der sie begegnen, zu übergreifen. Und das wiederum entspricht der Weise, wie das sich selbst unverfügliche Subjekt sich mit seinem es ermöglichenden Grund zusammen denkt. Jedes Mal geht es darum, »die Form dieser Welt und […] die Grunddifferenz, die sie impliziert« 46 zu übergreifen. Ich nehme den Gedanken nachfolgend nur von der letztgenannten dritten Auftrittsweise her in Anspruch. Der Gehalt des Gedankens der Alleinheit an sich ist uralt und bestimmt alle Religionen zutiefst – das rührt daher, dass er, wie erwähnt, eine der elementaren Weisen der Selbstdeutung von Subjektivität repräsentiert. All-Einheit durchwaltet nicht nur die fernöstlichen Religionen, wo das unmittelbar manifest wird, sondern genauso – wenn auch meist subkutan – die Monotheismen, allen voran das Christentum. Sein monistischer Tiefenstrom seit Anbeginn bis in Gegenwartstheologien hinein ist weit reichend verdeckt oder vergessen, bisweilen auch (mit
44 45 46
Vgl. Gregersen 2004, 23–24. Vgl. Henrich 1982, 175. Henrich 2006, 101.
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dem Totschläger »Pantheismusverdacht«) bestritten. 47 Gleichwohl können elementare Züge des Christlichen, seiner Theologie und Spiritualität ohne ihn nicht einmal im Ansatz begriffen werden (aber das ist ein eigenes Thema). Hier geht es mir nur darum, hervorzuheben, dass der Idealismus von Wesen monistisch strukturiert, also eine Form von All-Einheitsdenken ist, eine Form jedoch, die gerade nicht alles Bestimmte, Differenzierte verschwinden lässt, wie Kritiker gern behaupten. Im Gegenteil: »Es ist ein Verdienst erst der klassischen deutschen Philosophie, diesen Gedanken so weit entwickelt zu haben, dass er mit der Wirklichkeit der Einzelnen vereinbar wird.« 48
Leitend ist dabei die Intention, Differenz und Beziehung nicht als ein Letztes in Geltung zu setzen, weil beides logisch (!) nur auf der Folie einer Einheitsintuition überhaupt in seiner begrifflichen Struktur und Leistung fassbar wird, dabei aber schon kraft des »All-« in der »AllEinheit« eben Vieles eingeschlossen zu denken und in seiner Vielheit nicht auszulöschen ist (sonst bräuchte man gar nicht von »All-« zu reden!). Und wenn so das Viele von Wesen simultan mit dem auftritt, was über alle Differenzen hinaus greift als All-Eines, aus dem die Vielheit des Einzelnen überhaupt erst hervorgeht, ist dieses All-Eine in jedem Moment des Auftretens der Einzelnen der Vielheit in diesen gegenwärtig und verleiht ihnen zugleich in ihrer Einzelheit eine Bedeutung, »die auf nichts anderes relativ ist.« 49 Kommen entschiedene Denker einer fundamentalisierten Differenz zu einer solchen Nobilitierung des Einzelnen? Mir will scheinen: Nein! Auch dem schärfsten Argument dieser Alternative kann die idealistische All-Einheit standhalten – dem Schwert der Theodizee: »Auch die Hinfälligkeit des Einzelnen und sein Gang in ein Ende, das ihm für definitiv gilt, werden vom Gedanken der All-Einheit nicht aufgehoben. Selbst das Leid und die Angst in diesem Vergehen werden von ihm nicht abgestoßen, sondern umgriffen. Denn dass das Einzelne seinen Ort im All-Einen hat, bedeutet nicht das Dementi, sondern die definitive Bestätigung seiner Endlichkeit, die wiederum sein Vergehen und somit alles einschließt, was das Endliche in seinem Vergehen befällt. Insofern bleibt dieser Erfahrungsart immer etwas gemeinsam mit dem Bewusstsein vom Ausstand der Bergung 47 48 49
Vgl. dazu die einschlägigen Beiträge in Müller / Striet 2005. – Müller 2006. Henrich 2006, 101. Henrich 2006, 103.
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des bewussten Lebens – wenn denn solche Bergung nur das sein könnte, was in den Religionen Erlösung und Beseligung heißt.« 50
Wer im christlich-theologischen Raum nach affirmativen Korrespondenzen dieses philosophischen Gedankens suchte, könnte etwa beim Cusaner, bei Teresa de Jesus, Wladimir Solovev, Karl Rahner, Alfred Delp und Jochen Klepper fündig werden, um willkürlich nur einige zu nennen. 51 Wenn ich nun abschließend versuche, den vorgestellten Ansatz von Gottdenken und seine idealistische Kontur inhaltlich in ein Programm zu übersetzen, so scheint sich mir folgende Agenda nahe zu legen: Wird der Vernunftbegriff so in Anspruch genommen, wie vorgeschlagen, dann steht der schultheologische Monotheismus zur Disposition, weil er keine hinreichende Antwort auf das Verhältnis von Absolutem und Endlichem gewährt, sondern im theologischen Krisenprodukt des Schöpfungsgedankens 52 seine Verlegenheit verbirgt. Nicht von ungefähr hat Fichte ausgerechnet in der predigtnahen Anweisung zum seligen Leben den Schöpfungsgedanken als den »absoluten Grundirrthum aller falschen Metaphysik und Religionslehre« 53 gebrandmarkt, »denn eine Schöpfung läßt sich gar nicht ordentlich denken – das was man wirklich denken heißt – und es hat noch nie irgend ein Mensch sie also gedacht« 54 ,
weshalb auch der Johannesprolog den Anfang der Genesis durch den Logosgedanken korrigiere: »[…] im direkten Widerspruche, und anhebend mit demselben Worte, und statt des zweiten, falschen, an derselben Stelle das Rechte setzend, um den Widerspruch herauszuheben, – nein, sagt Johannes: im Anfange […] d. h. ursprünglich und vor aller Zeit, schuf Gott nicht, und es bedurfte keiner Schöpfung, – sondern es – War schon; es war das Wort – und durch dieses erst sind alle Dinge gemacht.« 55
Henrich 2006, 104. Belege vgl. in Müller 2006. 52 Zu diesem Charakter des biblischen Schöpfungsgedankens vgl. Sloterdijk / Jüngel 2001, 28. 53 Fichte 1971, 117 f. 54 Fichte 1971, 118. 55 Fichte 1971, 118. 50 51
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Systematisch gesagt: Ohne Idealismus gibt es nolens volens keine dichte Logos-Rede – und wenn man sich auf diese einlässt, bedarf der Schöpfungsgedanke der kritischen Revision. Wer das ablehnte, hat eine Alternative. Sie hieße: Der traditionelle Monotheismus ist konsistent – aber dann verstehen wir ihn nicht und zündeln damit gut kierkegaard’sch-protestantisch und zugleich postmodern mit einem arationalen Überhang in der Religion. 56 Im Hintergrund dieser zugegeben auf den ersten Blick sperrigen These steht die aus dem enzyklopädischen geschichtlichen (!) Durchgang durch die denkerische Architektonik der Hochreligionen gewonnene Überzeugung Erik Voegelins, »dass […] eine Metaphysik, welche das Transzendenzsystem der Welt als den immanenten Prozeß einer göttlichen Substanz interpretiert, die einzig sinnvolle systematische Philosophie ist, weil in ihr zumindest der Versuch gemacht wird, die bewusstseinstranszendente Weltordnung in einer ›verstehbaren‹ Sprache zu interpretieren, während jede ontologisch anders fundierte Metaphysik zur Unmöglichkeit, die Transzendenz immanent zu verstehen, noch den Widersinn hinzufügt, sie in ›unverständlicher‹, d. h. nicht an der einzig ›von innen‹ zugänglichen Erfahrung des Bewußtseinsprozesses orientierter Sprache zu interpretieren.« 57
Voegelin hat, will mir scheinen, genau den Punkt getroffen. Die daraus resultierende systematisch-theologische Wahrnehmung der Aufgabe, Monotheismus und All-Einheit zusammen zu halten, wäre gerade der christlich-katholischen Denkform auf den Leib geschrieben, wenn sie in ausreichendem Maß den philosophischen Verpflichtungen nachzukommen bereit ist, die mit einem solchen Unternehmen verbunden sind. Solche Theologie stellte sich der spätestens nach Spinoza, Kant und der idealistischen Zusammenführung beider Denkperspektiven 58 nicht mehr hintergehbaren Herausforderung, Gott so zu denken, dass er »zugleich persönlich und alles ist« 59 , um eine Formel Peter Strassers aufzugreifen, die wie von Schelling aufgenommen klingt: Gott ist »[…] das Einzelwesen, das alles ist« 60 ,
56 57 58 59 60
Vgl. Hoff 2006, abrufbar unter http://www.zeit.de/online/2006/38/papst-vernunft. Voegelin 1966, 50–51. – Vgl. dazu Henrich 2003, 73–81. 58 Vgl. dazu Henrich 2003, 73–81. Strasser 2002, 191. – Vgl. das Motiv auch bei Henrich 1997, 19. Schelling 1974, 174.
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Transzendentalität und Geschichtlichkeit
heißt es an einer Stelle der Philosophie der Offenbarung. Die Einlösung der mit diesem Begriff gestellten Aufgabe ist Schelling auch in dem über Jahrzehnte sich erstreckenden Weltalter-Projekt nicht gelungen, den Nachfolgenden – gerade den Ambitioniertesten, die sich unter dem Titel des »Spekulativen Theismus« dem gemeinsamen Anliegen verbanden – auch nicht. Hermann Lotze erblickte den Grund dieser Abbrüche darin, dass in diesen Projekten das »[…] System der Freiheit […] offner in einen Dualismus übergegangen [ist] als es die Anhänger desselben zugestehn.« 61
Auch die Rosmini-Gioberti-Debatte gehört in diesen Zusammenhang, desgleichen der so genannte »Great War« zwischen dem jungen C. S. Lewis und seinem Freund Owen Barfield. 62 Und zeitgleich hat der deutsche Dichter Alfred Döblin mit dem Problem gerungen. 63 Sie alle waren Querdenker und Grenzgänger und sind darum meist aus ideenpolitischen Gründen philosophisch und theologisch ins Abseits gedrängt worden. Das Projekt selbst hat, wenn ich recht sehe, heute unter dem Vorzeichen eines bereits im Gang befindlichen »Panentheistic Turn«64 neue Aussichten. Dieser turn ist im Wesentlichen von prozessphilosophischen Motiven getragen. Eine Metaphysik und Theologie, die die Herausforderung durch das alle moderne Naturwissenschaft leitende Paradigma der Evolution ernst nehmen, können diese Motive nicht ignorieren. Umgekehrt scheint mir ihre Verknüpfung mit der idealistischen Denkform ausgesprochen geeignet, den vorausgehend skizzierten Gottesgedanken auch trinitätstheologisch und christologisch fortzuschreiben. Das aber würde diese zentralen Themenfelder von selbst anschlussfähig machen für die dringlich anstehenden religionstheologischen Diskurse. Wenn je etwas, dann sind dies – Naturwissenschaft und Religionen – die gegenwärtigen Herausforderung im Koordinatenkreuz von Vernunft und Glaube. Und welche Theologie wäre dafür besser aufgestellt als eine, die sich der Form nach streng an den Logos bindet, von dem sie zugleich glaubt, dass sie sich seinem freigebigen, geschichtlichen Wirklichsein verdankt.
61 62 63 64
Lotze 1841, 322. Vgl. dazu Adey 2000. – Vgl. auch Feinendegen 2008. Vgl. dazu Müller 2008 [im Erscheinen]. Brierley 2004, 1–15.
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Kleines Fragment über das Vertrauen Tobias Trappe
Zusammenfassung: Inmitten einer vor allem durch wirtschafts- und politikwissenschaftliche Beiträge bestimmten Diskussion versucht der Beitrag auf die paradoxe »Funktion« des Vertrauens aufmerksam zu machen. (1) Nahe liegender Ausgangpunkt ist der vergleichsweise einfache Akt der sprachlichen (sei es schriftlichen sei es mündlichen) Äußerung. Schon hier wird deutlich: Wir »müssen« vertrauen, um überhaupt leben zu können. (2) »Vertrauen« hat von daher – das zeigt der Blick auf Schaefflers dialogische Theorie der Erfahrung – eine (quasi-) transzendentale Bedeutung. (3) Allerdings: Welche tragende Funktion das Vertrauen nicht nur für unser individuelles Leben, sondern auch für Staat und Gesellschaft insgesamt übernimmt, das realisieren wir oft erst nachträglich, also wenn dieser Boden, wenn dieses »Grundvertrauen« bereits weg gebrochen ist. (4) Die historischen Voraussetzungen für die gegenwärtig besonders häufig anzutreffende Inanspruchnahme des »Vertrauens(-schwundes)« als »zeitdiagnostischer« Kategorie liegen dabei in der durch den Existentialismus freigelegten Fundierung unseres Lebens in basalen, nur bedingt »subjektiv« zu nennenden »Stimmungen«. (5) Diagnose, Ätiologie und Therapie eines solchen Vertrauensverlustes fallen vor diesem Hintergrund in die besondere Kompetenz des Arztes. An seinem Tun wird exemplarisch deutlich, dass es Vertrauen nur als Vertrauensverhältnis, genauer: als wechselseitigen Akt gibt. (6) Hineinverwiesen in eine offene Geschichte ist Vertrauen daher nicht nur selbst etwas Unverfügbares, sondern öffnet sich in bewusster Weise der Haltlosigkeit unserer Existenz.
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Tobias Trappe
1.
Wir »müssen« vertrauen Das Leben ist nicht lebbar, wenn man des Vertrauens beraubt ist. Hat man Geld verloren oder wurde man vom Herrscherthron verjagt und floh man aus der Heimat, so kann man, dessen man verlustig ging, wohl wieder gewinnen. Wer aber das Vertrauen verliert, erwirbt es wohl nimmermehr (Gorgias)
Wer etwas über das »Vertrauen« sagen oder gar schreiben will, der muss sich nicht erst mühsam und umständlich einen Weg zu seinem Thema bahnen. Er wird vielmehr in diesem Tun selbst: also schon im einfachen Akt des Sagens oder Schreibens ganz unmittelbar mit seinem Gegenstand, also mit dem »Vertrauen« konfrontiert. Denn das gesprochene, erst recht aber das geschriebene Wort ist von Anfang an darauf angewiesen, dass es von einem anderen in der rechten Weise aufgenommen, innerlich nachvollzogen und verstanden, dass es gleichsam von ihm zum Leben erweckt wird. »Du willst mich nicht verstehen« hingegen ist der resignierte, der zornige, manches Mal wohl auch der verbitterte Ausdruck für die schmerzhafte Erfahrung, dass dieses unwillkürlich vollzogene Vertrauen enttäuscht worden ist: Fehlt es dem anderen Menschen an der offenen Bereitschaft, das Gesagte anzuhören, darauf einzugehen und zwar auch und gerade dann, wenn es von der eigenen Auffassung abweicht oder ihr gar widerspricht, fehlt es ihm also an dem Willen, sich überzeugen zu lassen und gegebenenfalls umzulernen, dann bleibt jedes gesprochene oder geschriebene Wort wie tot, geht »ins Leere« und hinterlässt eine Ferne und Distanz, die sich nur noch unter großen Mühen und oftmals gar nicht mehr schließen lässt. Einzig im Verstummen scheint dem Menschen eine letztlich hoffnungslose »Eigenständigkeit« möglich, eine auf sich selbst beharrende und sich selbst einkapselnde, eben darum aber verzweifelte »Autonomie«, die ohne jenes Vertrauen glaubt auskommen zu können, das zu jedem Sprechen, letztlich aber zu jeder Lebensäußerung des Menschen gehört. Das ist denn auch das Erste, was zum Vertrauen gesagt werden muss: Dass es unweigerlich und vor aller freien Entscheidung zu uns Menschen gehört, dass wir gar nicht anders können als diesen Akt des Vertrauens zu vollziehen, dass wir Wesen sind, die sich vorwagen und auf den Weg machen müssen, die sich »äußern«, öffnen und ent-schließen, die sich selbst »verlassen«, sich selbst in eine
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Kleines Fragment über das Vertrauen
offene und unvorhersehbare Zukunft hinein los- und freilassen, kurz: die vertrauen müssen, um überhaupt leben zu können.
2.
Vertrauen – Ein Begriff von transzendentaler Bedeutung
Nennt man den grundlegenden Vollzug menschlicher Existenz »Erfahrung«, dann ist die Frage vielleicht nicht ganz unberechtigt, ob und inwieweit »Vertrauen« nicht auch im Rahmen einer Reflexion auf deren Möglichkeitsbedingungen thematisiert werden muss. Diese Frage ist sicher ebenso befremdlich wie nahe liegend: Befremdlich, weil keiner der »klassischen« Vertreter transzendentaler Philosophie hier ein eigenständiges Aufgabenfeld für eine »Logik der Erfahrung« identifizieren konnte; die Fragestellung ist zugleich aber auch nahe liegend, weil Kant mit seiner »Theologie der postulatorischen Hoffnung« 1 offenbar in eine Richtung gewiesen hatte, in deren Umkreis so etwas wie »Vertrauen« berechtigter Weise in den Blick kommen kann. Dass dies tatsächlich geschah, hat seinen Grund allerdings in einem gegenüber der kantischen Philosophie veränderten Problemhorizont. Denn während »Erfahrung« von Kant nur im Singular gebraucht und mit wissenschaftlicher Empirie gleich gesetzt worden war, muss eine zeitgemäße Form transzendentaler Reflexion mit einer Vielzahl heterogener, geschichtlich variabler, intersubjektiv konkurrierender Erfahrungsweisen und -welten rechnen. Damit aber entsteht ein Risiko, das Kant so noch nicht vor Augen stand: Denn ist Erfahrung ein »Dialog mit der Wirklichkeit«, ein Dialog, zu dem konstitutiv die Fähigkeit gehört, sich für ein neue, überraschende, möglicher Weise sogar »exorbitante« Inhalte zu öffnen, dann steht die für alle Erfahrung notwendige Selbsthingabe an die Wirklichkeit vor der Gefahr des Selbstverlustes und damit einer bestimmten Form von Erfahrungsunfähigkeit. Auf der Theorieebene formuliert: In dem Maße, in dem sich die transzendentale Reflexion mit der historischen verbindet, in dem Maße zeigt sich, dass zu jeder Erfahrung zweierlei gehört: Zu einem die Bereitschaft, ja der »Mut« zur Geschichte bzw. der »Mut« zur Zukunft, zum anderen aber auch die Gewissheit, dass dieser vom Menschen selbst nicht und nie ausrechenbare Weg der Erfahrung eine Kontinuität gewinnt, in der sich schließlich die Einheit der Wirklichkeit bekundet. 1
R. Schaeffler 1979, 29.
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Es ist diese Verbindung von Offenheit und Verlässlichkeit, von »Zukunft« und »Herkunft«, durch die bei Schaeffler »Vertrauen« zu einem Begriff von transzendentaler Bedeutung avanciert. Und dies auffälliger Weise in doppelter Hinsicht: Einerseits durch eine Reinterpretation der kantischen »Ideen« als »Postulate«, ohne die »Ich« und »Welt« nicht vor ihrem drohenden Zerfall bewahrt werden können. Dass Schaeffler diese Postulate weder als Inhalt einer Forderung noch einer Erkenntnis, sondern als Ausdruck eines Vertrauens fasst, scheint dabei auf den jüdischen Religionsphilosophen Franz Rosenzweig zurückzugehen: Denn nach Schaeffler soll derjenige, auf den sich diese Postulate richten, gerade »nicht im theoretischen Zugriff des Begriffs erfasst, sondern als das Du einer Begegnung« verstanden werden. Aber – und das ist die andere Seite –: Das Vertrauen auf jene göttliche Freiheit, von der her die kontingente und gefährdete »Fähigkeit zur Erfahrung« bewahrt bzw. wieder zugeteilt wird, eben dieses Vertrauen also ermöglicht dem Menschen nun seinerseits erst so etwas wie ein »Zutrauen in die Erfahrung«2 . Ein solches Zutrauen aber ist nötig, »wenn der Erfahrende sich der stets offenen Geschichte eines Dialogs mit der Wirklichkeit und der darin geschehenden unvorhersehbaren Veränderung seiner eigenen Subjektivität anvertrauen soll, statt sich in vermeintlich erschütterungsresistenten Orientierungssystemen zu verweigern« 3 .
3.
Vertrauen wird schwieriger oder »Vertrauensverlust« als zeitdiagnostische Kategorie
Gehört Vertrauen also zu Bedingungen menschlicher Existenz, dann ist dieser Akt zunächst einmal kein Spezialthema, zu dem nur einige wenige Experten einen ausgewiesenen Zugang haben. Vertrauen ist immer auch ein Phänomen, für das wir alle irgendwie kompetent sind, R. Schaeffler 1994, 682 f.; vgl. auch ders. 1981. – Zum Gegensatz »Vertrauen«-»Begriff« vgl. auch Schaeffler 1994, 664. 674. 3 Schaeffler 1994, 737. – Von daher thematisiert Schaeffler nicht nur im Rahmen seiner allgemeinen Transzendentalphilosophie (im Zusammenhang mit dem von ihm »anagogisch« genannten Bedeutungsmoment jeder Erfahrung) (Schaeffler 2004, I, 173 f., II, 49 ff.), sondern auch bei seiner Analyse der spezifisch religiösen Erfahrung (II, 90 ff.) und gewinnt so einen neuen Zugang zum klassischen Gottesprädikat der »Einheit« (II, 286 ff.) sowie zum »teleologischen Gottesbeweis« (II, 377 ff.). 2
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weil jeder von uns an unterschiedlichen Stellen seiner Lebensgeschichte unweigerlich Vertrauens-Erfahrungen gesammelt hat – in welche Richtung und mit welchem Ausgang auch immer.
3.1 Auffällig ist, was aus-fällt: Über das Gesetz der nachträglichen Aufmerksamkeit Der Zustand der Gesundheit ist ein Zustand der Nicht-Empfindung, ja sogar der Nicht-Wirklichkeit (E. M. Cioran)
Gleichwohl gilt hier wie auch in anderen Zusammenhängen: Was die Regel ist, scheint nicht der Rede Wert. Gesundheit zum Beispiel: Sie weiß vielleicht erst wirklich zu schätzen, wer sie – womöglich für immer – verloren hat, wenn es also zu spät ist. Dieses Gesetz »verzögerter«, »nachträglicher Aufmerksamkeit« lässt sich an unserer individuellen Lebensgeschichte beobachten. Und es lässt sich an unserer Gesellschaft insgesamt studieren. Hier wie dort scheint zum Thema, zum Objekt, zum »Gegenstand« nur werden zu können, was uns »Widerstand« leistet, was uns stört und bedrängt, was sich uns in einem durchaus wörtlich zu nehmenden Sinne »aufnötigt«. Und das ist eben immer nur – um das Beispiel wieder aufzugreifen – die Krankheit, nicht die Gesundheit: Nicht diese, nur jene macht sich bemerkbar, drängt sich auf, wird zum (Krankheits-) »Fall«. Der Gebrauch dieses Wortes ist dabei selbst noch einmal außerordentlich lehrreich. Es kommt vom Würfelspiel. »Fall« heißt vor diesem Hintergrund das, was uns im unkalkulierbaren Würfelspiel des Lebens »zu-fällt«, gerade darum aber zum »Symptom« wird, d. h. »auffällt«. Und das ist eben nie die Gesundheit, die vielmehr merkwürdig unauffällig, hintergründig und verborgen bleibt 4 . Was hier zutrifft, das scheint nun allerdings für alles Alltägliche zu gelten: Aufmerksamkeit erregt das Außergewöhnliche, nicht das Gewöhnliche, die Ausnahme, nicht die Regel, das Enorme, nicht das Normale, das Neue und Fremde, nicht aber das Herkömmliche und – Vertraute.
4
Vgl. H.-G. Gadamer 1991.
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3.2 Die Misstrauensgesellschaft Wir bewohnen ein Klima des Vertrauens, so wie wir in der Atmosphäre leben; wir nehmen es wahr wie die Luft, nämlich dann, wenn es knapp wird oder verschmutzt ist (A. Baier)
Steht diese Gesetzmäßigkeit vor Augen, dann wird zunächst einmal verständlich, warum die Thematisierung des »Vertrauens« regelmäßig mit einer Verlustanzeige einsetzt, also vielfach nur ex negativo greifbar wird: Vertrauen kommt in den Blick als ein Phänomen, das dem Menschen, ja unserer Gesellschaft insgesamt abhanden kommt. Die Welt, in der wir leben, sie scheint an massivem »Vertrauensschwund« zu leiden, entwickelt sich gar zur »Misstrauensgesellschaft« 5 . Das scheint im Raum zwischenmenschlicher Beziehungen nicht weniger zu gelten als etwa im Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme, auf Unternehmen 6 oder die demokratischen Institutionen, insbesondere auf die Parteien, die derzeit einen wahren »Misstrauensvorschuss« »genießen« 7 . Dabei mag umstritten sein (und wohl auch bleiben), wann dieser sich spiralförmig vollziehende Prozess eines nagenden Misstrauens, des keineswegs nur unter der Hand, sondern offen und offensiv geäußerten, bisweilen zum blanken »Zynismus« gesteigerten Verdachts gegenüber bspw. politischen Akteuren eingesetzt haben mag; fraglich mag auch sein, wer für diese Erosion der »kulturellen« Grundlagen von Staat und Gesellschaft verantwortlich zeichnet 8 und vor allem: wie sich diesen Entwicklungen gegensteuern lässt 9 ; fraglich mag endlich sein, ob Vertrauen wirklich und jeder Hinsicht Grundlage, Basis, Fundament einer auf Innovation angewiesenen Wirtschaft und
K.-R. Korte/W. Weidenfeld 2001, 11. Der Begriff scheint auf den österreichischen Biologen und Humanethologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt 1995 zurückzugehen. 6 Vgl. etwa R. Galford/A. Seibold-Drapeau 2003; R. K. Sprenger 2002; T. Rippberger 2 2003. 7 M. Glaab/A. Kießling 2001, 574. – Der »Grad des Vertrauens« in die verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen wird regelmäßig im Rahmen der empirischen Wirtschafts- und Sozialforschung ermittelt; vgl. etwa O. W. Gabriel 1995. 8 Vgl. J. N. Capella/K. H. Jamieson 1997. 9 Vgl. etwa aus dem Bereich der Betriebswirtschaft H. H. Bauer/M. M. Neumann/ A. Schüle (Hg.) 2006. – Für den hier (vgl. unten Kap.4) paradigmatisch herangezogenen Fall der Medizin vgl. etwa E. D. Pellegrino u. a. (Hg.) 1993. 5
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Gesellschaft darstellt 10 . Das Faktum selbst, also der allgemeine Verlust von Vertrauen, scheint ernsthaft nicht anfechtbar 11.
4.
Die Krise der Gegenwart als »Vertrauenskrise« – Zur Entdeckung des Vertrauens als zeitdiagnostischer Kategorie Zerstört ist das ewige Vertrauen des Menschen, das ihn immer glauben ließ, man könne bei einem anderen Menschen menschliche Reaktionen hervorrufen, wenn man mit ihm in der Sprache der Menschlichkeit rede (A. Camus)
Diese Diagnose ist keineswegs so jung, wie es vielleicht den Anschein haben mag 12 , allerdings auch nicht so alt, dass sie sich in ein unbestimmtes Dunkel hinein verliert. Es scheint zwar zu den Selbsterfahrungen der Menschheit zu gehören, dass jede Gegenwart unter dem allgemeinen Verdacht steht, hinter der Vergangenheit zurückzubleiben; und es ist sicher ebenfalls richtig, dass sich der Prozess einer sukzessiven Herauslösung, einer »Entbettung« sozialer Beziehungen aus raum-zeitlich begrenzten, weitgehend traditional bestimmten und personal vermittelten Sphären der »Vertrautheit« zugunsten abstrakter Bezüge immer weiter beschleunigt hat. Aber dass diese mehr oder weniger permanente, spätestens in der Aufklärung einsetzende und für die Moderne dann so überaus typische Krisis der Gegenwart im Kern als ein Vertrauens-Problem, als eine Vertrauens-Krise, als ein »änderungsbedingter Vertrautheitsschwund« (H. Lübbe) identifiziert werden konnte, dieses Phänomen lässt sich vergleichsweise gut datieren und zwar als unmittelbare Antwort auf die im »Existentialismus« gleichsam verdichtet formulierte Erfahrung einer fremd und unheimlich gewordenen Welt. Dabei nimmt der Existentialismus für die KonZweifel äußert etwa H. Kern 1996. Ein Beispiel unter vielen: G. Höhler 2005. 12 Insbesondere die Demokratisierungswelle in den postkommunistischen Staaten nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes, ferner der Prozess der europäischen Integration, aber auch die spezifisch deutschen Erfahrungen seit der Wiedervereinigung haben – ausgehend von Begriff der »civic culture« (H. Almond/S. Verba) – die Augen für die kulturelle Verwurzelung stabiler Demokratien geöffnet; vgl. vor allem P. Sztompka 1995. Seit dieser Zeit gehört – darauf hat etwa F. Petermann 1996, 9 hingewiesen – »Vertrauen« zu den tendenziell »überstrapazierten« Begriffen. 10 11
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junktur des »Vertrauens(-verlustes)« als zeitdiagnostischer Kategorie wenigstens in zweierlei Hinsicht eine Schlüsselstellung ein.
4.1 Die »Stimmung« der »Angst« Erstens durch seine entschiedene Hinwendung zu den untersten »Schichten« des menschlichen Lebens, den sog. Stimmungen. In ihnen findet der Existentialismus jene das menschliche Dasein durchziehende Grundverfassung, durch die ihm die Welt als ganzes und zwar noch vor und unabhängig von aller theoretisch-objektivierenden Kenntnis und Erkenntnis »gegeben« ist. In solchen Stimmungen ist die Welt je schon »erschlossen« und »ausgelegt«, erscheint sie uns in einem besonderen Licht. Im Unterschied zum »Gefühl«, das stets gerichtet (»intentional«) und also stets »gegenständlich« ist – jede Freude ist Freude über etwas, jede Furcht ist Furcht vor etwas –, zeichnen sich Stimmungen durch ihre merkwürdige Ungegenständlichkeit und Richtungslosigkeit aus. Entsprechend verbietet es sich, solchen Stimmungen in dem Sinne einen »seelischen« oder »subjektiven« Charakter zuzuschreiben, dass man sie einfach hin »im« Menschen lokalisiert: Nicht eigentlich ist die Stimmung »in« uns, viel eher sind wir »in« ihr. Stimmungen »überkommen« uns, tauchen unser Bild von uns selbst und der Welt, in der wir leben, in eine besondere Färbung. Auf dem Boden einer solchen Vor-Orientierung unseres Verhältnisses zur Welt sind die Dinge, mit denen wir umgehen, kein bloß neutrales Etwas, sondern überhaupt erst in einer je be-»stimmten« Weise relevant und »bedeutsam« 13 . Der Existentialismus hat nun – und das ist der zweite Punkt – vor allem die Angst als eine ausgezeichnete »Befindlichkeit« identifiziert und in einer bis dahin nie da gewesenen Intensität zum Gegenstand differenzierter Untersuchungen gemacht. Indem sie ihn aus allen seinen vertrauten Bezügen herauslöst, reißt die Angst den Menschen aus seiner alltäglichen Verloren- und »Verfallenheit« an die Welt heraus, vereinzelt ihn und bringt ihn eben dadurch in einer besonders prägnanten Weise vor sich selbst. Wie jede Stimmung und im ausgesprochenen Unterschied insbesondere zur Furcht zeichnet sich die Angst aus dieser Perspektive vor allem durch ihre den Menschen bedrängende In diesem Sinne scheint auch B. Lahno 2002, bes. 180 ff. den »emotionalen« Charakter des Vertrauens zu verstehen.
13
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Kleines Fragment über das Vertrauen
Ungegenständlichkeit und Ungreifbarkeit aus: In der Angst bricht der lebensweltlich vertraute Bedeutungszusammenhang so in sich zusammen, dass alle Dinge, ja sogar wir selbst in eine unheimliche »Gleichgültigkeit« fallen. Sie versinken gleichsam ins – »Nichts«.
4.2 Das »Seinsvertrauen« Dieses für den Existentialismus in seinen unterschiedlichen Varianten hoffentlich halbwegs konsensfähige Verständnis der Angst hat in weiterer Folge eine ganze Reihe tiefer gehender (etwa »transzendental-ontologischer«, »daseinsanalytischer«, »anthropologischer« oder »(leib-)phänomenologischer«) Deutungen erfahren, die zwar ebenso tief greifend wie höchst anspruchsvoll sind, die jedoch an dieser Stelle wegen der begrenzten Perspektive der hier vorgestellten Überlegungen einfach ausgeblendet werden müssen. Entscheidend für die hier relevante Fragestellung ist vielmehr, dass der Existentialismus und zwar gerade durch seine pointierende Herausarbeitung einer umfassend gewordenen Angst die komplementäre Frage nach einer »Neuen Geborgenheit« provoziert hat, nach einer »tragenden Realität«, in der die existentielle Erfahrung der Bedrohtheit nicht einfach hin ausgeblendet, sondern integriert, wenngleich auf einer höheren Ebene überwunden wird. Eben dieses in der Auseinandersetzung mit der Verzweiflung errungene und ihr gegenüber ständig neu zu bewährende Verhältnis zur Wirklichkeit überhaupt hat Otto-Friedrich Bollnow 1955 mit dem Begriff des »Vertrauens« gekennzeichnet. Und so wenig die existenzphilosophisch analysierte Stimmung der Angst auf einen einzelnen, kategorial fassbaren Gegenstand gerichtet ist, so wenig das von Bollnow untersuchte universale, auf das Ganze der Wirklichkeit bezogene Seinsvertrauen. In ihm geht es also »nicht um das Vertrauen zu diesem oder jenem bestimmten Sein, zu diesem oder jenem bestimmten Menschen, sondern um ein dahinter liegendes, jedes bestimmte einzelne Vertrauen erst ermöglichendes Vertrauen zur Welt und zum Leben überhaupt, also um ein Vertrauen schlechthin, noch ohne einen bestimmten Gegenstand«, um ein Vertrauen »ohne näheren Zusatz« 14 . O.-Fr. Bollnow 2 1960, 19; vgl. 14–21; der Text geht zurück auf einen Aufsatz mit dem Titel: Das Problem einer Überwindung des Existentialismus (= Bollnow 1953); vgl. ferner Bollnow 1959.
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Es ist keineswegs zufällig, sondern aus seiner pädagogisch orientierten Perspektive 15 nur konsequent, wenn Bollnow dieses grundlegende, sozusagen transzendentale, jedes einzelne Vertrauen allererst fundierende Seinsvertrauen im lebensgeschichtlich primären, also kindlichen Vertrauen gleichsam vorgezeichnet fand, also in dem, was Erikson in etwa zeitgleich als »basic trust« bezeichnet: »Es scheint so, als ob alles Vertrauen zur Welt im allgemeinen und zum Leben überhaupt ursprünglich im Vertrauen zu einem bestimmten bergenden und schützenden Menschen erfahren werden muss« 16 .
5.
Über die besondere Sensibilität des Arztes in Sachen »Vertrauen«
5.1 De Fiducia aegri in medicum oder Von der Heilkraft des Vertrauens Spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts also gehört zu einer »Theorie« des Vertrauens die »Ätiologie«, vielfach auch die »Therapie« des »Vertrauensschwundes«, nicht als partikuläre bzw. temporäre Erscheinung, sondern als ein universales Phänomen, kurz: als »Zeitkrankheit« 17 . Das hier verwendete medizinische Vokabular ist alles andere als zufällig. Und dies nicht nur in dem unspezifischen Sinne, dass das Sozialgefüge von alters her nach Analogie des Leibes verstanden und dann auch – im Rahmen der »Sozialpathologie« – entsprechend »behandelt« werden konnte 18. Vielmehr hat der Arzt – Vgl. im Anschluss an H. Pestallozzi Bollnow 1961, 14–16. Vgl. auch Bollnow 1964, daraus: Bollnow 1985. Im Anschluss an Bollnow H. Hauke 1956. 16 Bollnow 2 1960, 21 mit Bezug auf die Arbeit des Tübinger Kinderarztes A. Nitschke 1952: »Mit diesem vertrauenden Sich-Aufschließen in der liebenden Bindung an die Mutter, mit dieser besonderen Erfahrung der Zugehörigkeit zu einem Du öffnet sich das Kind zur Welt … Die Mutter schafft in ihrer sorgenden Liebe für das Kind einen Raum des Vertrauenswürdigen, Verlässlichen, Klaren. Was in ihm einbezogen ist, wird zugehörig, sinnvoll, lebendig, vertraut, nah und zugänglich – ungeheuer ist die aufschließende Kraft des Vertrauens – auch die Dinge, nicht nur die Menschen offenbaren ihr Wesen, ihre Ordnung, ihren verborgenen Sinn. Daher eben stammen die Kräfte der Einsicht, die dem Kind den Zugang zur Welt, zu den Menschen und zu den Dingen ermöglichen« (179). 17 Vgl. R. Schottlaender 1957, bes. 38 ff.; auch 8. 18 Vgl. W.-W. Bockenförde/G. Dohrn-van Rossum 1978; besonders deutlich bei P. v. Lilienfeld 1896. 15
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ähnlich wie etwa der Pädagoge – in besonderer Weise, gleichsam von Berufswegen, ein Bewusstsein davon, wie sehr seine Arbeit nicht ohne eine vertrauensvolle Haltung des bei ihm Rat und Hilfe suchenden Patienten ihm gegenüber gelingen kann. Daher rührt bereits das Corpus Hippocraticum an dieses dunkle Geheimnis angstvoller Abhängigkeit, aus dem einerseits eine »wissenschaftliche«, weil zu »Prognosen« fähige Medizin erst entstanden ist, in das jedoch andererseits jede Begegnung von Arzt und Patient unweigerlich eingehüllt bleibt: »Ich halte es für sehr wertvoll, dass sich der Arzt in der Kunst der Voraussicht übe. Denn wenn er am Krankenbett von sich aus das Gegenwärtige, das Vergangene und das Zukünftige erkennt und vorhersagt, wenn er ferner lückenlos darlegt, was die Kranken ihm verheimlichen, so brächte man ihm größeres Zutrauen entgegen, dass er das Schicksal der Kranken durchschaue. Daher würden es die Kranken wagen, sich dem Arzt anzuvertrauen« 19 . Das Bewusstsein für dieses Wagnis geht auch in der Neuzeit nicht verloren 20 , gewinnt aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts systematische Bedeutung und zwar als quasi komplementäre, um nicht zu sagen: kompensatorische Erscheinung zu einer zusehends »evidenzbasierten«, arbeitsteilig organisierten und von Prozessen der Technisierung sowie Verrechtlichung durchzogenen Medizin. Denn auch das beste Vertragsverhältnis mit präzise definierten und klar abrechenbaren Leistungspaketen hängt ohne eine entsprechende compliance von Seiten des Patienten gleichsam in der Luft. Damit also kommt das Vertrauen primär in seiner Leistung, seiner Funktion in den Blick, eine Funktion, die letztendlich etwas damit zu tun hat, dass es gerade in der (zumindest: schweren) Krankheit zu einer Störung jener grundlegenden Sicherheit kommt, durch die sich die Gesundheit gerade in ihrer ganzen »Unauffälligkeit« und Selbstverständlichkeit auszeichnet. Das hat keiner so deutlich formuliert, wie der große Philosoph der Krankheit, wie Nietzsche: »Das Vertrauen zum Leben ist dahin: das Leben selbst wurde zum Problem« 21 . Nur deswegen: weil in der Erfahrung der Krankheit das Verhältnis des Menschen zu sich selbst in Frage gestellt, weil er für sich selbst quasi ein »anderer« wird, weil »Desintegration«, der Verlust von Beziehungen bis hin 19 Hippokrates: Progn. 1; vgl. im Anschluss an D. Rössler 1977 den Beitrag von K. Tanner 2002. 20 Vgl. G. Friderici 1720; vgl. dazu G. Huppmann 2006. 21 Fr. Nietzsche 1887, 350.
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zum Nullpunkt der totalen Verlassenheit den dunklen Kern aller Krankheit bildet, deswegen also kann das Vertrauen zu einem anderen Menschen besitzen, was ihm schon in biblischen Tagen zugeschrieben wurde: eine eigene Heilkraft. Das trifft bekannter Maßen auch unabhängig von der organischen bzw. pharmakologischen (Un-) Wirksamkeit der angewandten Therapie oder der jeweils verabreichten Medikamente zu 22 , ein Phänomen, das schnell in Vergessenheit gerät oder nur mit einer spürbar gereizten Ärgerlichkeit registriert wird. Schließlich passt eine solche Abhängigkeit der ärztlichen Behandlung vom – etwas allgemeiner formuliert – therapeutischen »Klima« 23 nur noch sehr eingeschränkt in das moderne Gesundheitswesen.
5.2 Über das Vertrauen des Arztes zu seinem Patienten Hör’ auf mich, glaube mir. Augen zu, vertraue mir! Schlafe sanft, süß und fein. Will dein Schutzengel sein! Sink’ nur in tiefen Schlummer, schwebe dahin im Traum, langsam umgibt dich Vergessen, doch das spürst du kaum! Hör auf mich, und glaube mir. Augen zu, vertraue mir! Hör auf mich, glaube mir! Augen zu, vertraue mir! (Schlange Kaa)
Vertrauen also gehört – in natürlich unterschiedlicher Art und Weise und in wechselnder Intensität – mit zu jeder Therapie, ja ist bei Licht besehen ein wichtiges Ingredienz jeder Behandlung, geradezu ein wahres Elixier. Aber: Vertrauen selbst lässt sich nicht »verordnen«. Im Gegenteil: Der Satz »Vertraue mir!«, ob listig suggeriert oder »von oben herab« eingefordert, ist in aller Regel kontraproduktiv, wirkt höchst verdächtig und fördert eher das Gegenteil: die argwöhnische Skepsis, kurzum das Misstrauen. Es mag Übungen geben, um Blockaden im Prozess des Vertrauensaufbaues auszuräumen – das Vertrauen selbst lässt sich sowenig diktieren wie es sich »schaffen« lassen. Zu den »Techniken« und »Maßnahmen« der »Vertrauensbildung«, die die
Henry K. Beecher 1955; L. H. Gleidman/W. H. Grantt/H. A. Teitelbaum 1957; H. Weiss 1990. – De facto ist diese Heilkraft des Vertrauens natürlich immer schon in Anspruch genommen worden; vgl. A. K. Shapiro 1997. 23 Eine vergleichsweise frühe empirische (Vor-) Arbeit zu dieser Thematik haben G. Henrich/R. de Jong/M. Mai/D. Revenstorf 1979 vorgelegt. 22
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(»kommunikativen«) Kompetenzen des »guten Arztes« 24 mit ausmachen, gehört daher auch eine gewisse Zurückhaltung, genauer: zu ihnen gehört eine Art »Vertrauen« dem Patienten gegenüber. Diese Einsicht ist dem Allgemeinen nach keineswegs neu. Im Gegenteil. Denn im sensiblen Feld menschlicher Verletzlichkeit ist das Wirken des Arztes, seine Heil»kunst« (ars medica, tecnh iatrikh), immer schon als etwas verstanden worden, das vom bloßen Eingriff, vom bloßen »Herstellen« strikt zu unterscheiden war. Schließlich tritt das, was da »produziert« wird – die Gesundheit –, nicht erst durch Akte des Planens und Erfindens neu ins Sein. Das Tun des Arztes ist nicht eigentlich das Herstellen eines Werkes, sondern das Wiederherstellen eines Zustandes, der selbst gerade nichts »Künstliches«, sondern etwas durch und durch »Natürliches« ist. Entsprechend musste sich der Arzt (bis vor kurzem) wenn nicht sogar auf das bloße Verstehen, so doch im besten Fall auf die behutsame »Kooperation« mit den Kräften der Natur beschränken (naturae minister et interpres), wohl wissend, dass sein Handeln zwar ein Behandeln sein kann, nicht aber Heilung, die, wenn sie denn zustande kommt, vielmehr eine Leistung der Natur bleibt (medicus curat, natura sanat). Hinter ihr zurückzutreten ist denn auch eine Tugend, die den Arzt im Unterschied zu dem allein am sensationellen, publikumswirksamen Effekt interessierten Quacksalber auszeichnet. Der Arzt: Weil er weiß, dass tecnh und tuch, Geschicklichkeit und »Geschick« gerade in diesem besonders »anfälligen« Bereich menschlicher Existenz in nie ganz aufzulösender Art und Weise ineinander verschränkt sind, deswegen zeichnet ihn auch aus der Sicht dieser Tradition eine ganz bestimmte Zurückhaltung aus, mit der sich das durch die Krankheit gestörte Gleichgewicht nach und nach wieder »einspielen« kann 25 . Die hier anknüpfende Einsicht, dass dem Vertrauen des Patienten ein umgekehrtes Vertrauen des Arztes entspricht, ein Vertrauen, das sich nicht nur auf das kurative (Mit-)Wirken der Natur richtet, sondern auf das des Patienten, dass Vertrauen also wirklich ein Verhältnis, eine wechselseitige Beziehung darstellt, ein Balanceakt, in dem sich die Partner einer solchen Beziehung beiderseits aufeinander ein- und abstimmen, diese Einsicht hat daher folgerichtig das Verständnis der compliance nicht unbeeinflusst gelassen: Aus einem Begriff, der an24 25
Ein Beispiel unter vielen: Schweickhardt, A./Fritzsche, K. 2007. Vgl. die schöne Apologie der Heilkunst von H.-G. Gadamer (1965).
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fangs einseitig und primär »direktiv«: als reiner Therapie»gehorsam« oder als bloße »Folgsamkeit« interpretiert wurde, ist inzwischen ein Konzept geworden, das die gesamte Interaktion zwischen Arzt und Patient umfasst 26 .
6.
Vertrauen: Abgründiger Grund unserer Existenz
Nicht nur im naheliegenden Fall symmetrischer (wie etwa der von Kant analysierten Freundschaft 27 ), sondern auch im Fall asymmetrischer Beziehungen impliziert also Vertrauen Wechselseitigkeit: Vertrauen gibt es nur »gegen« Vertrauen, verweist also in die offene Unabsehbarkeit einer Geschichte, in der es in einem hochkomplizierten Prozess geschenkt, empfangen, bewährt, aber eben auch enttäuscht werden kann. Natürlich gibt es das Phänomen, ja vielleicht sogar eine Tendenz des Menschen, sich einem anderen – etwa dem Arzt – rückhaltlos, wie in einem Sprung anzuvertrauen, sich ihm zu überlassen, bangend und hoffend, er möge in die Hände nehmen, was zu tragen man selbst sich nicht imstande fühlt; natürlich gibt es die beseligende Erfahrung eines Vertrauens, das uns spontan und ohne vieles Fragen entgegengebracht wird, eines Vertrauens, das – wie im Falle des Kindes – durch die ihm eigene Radikalität eine besondere Form ohnmächtiger Macht ausübt, das eine ganz einmalige Form der Verbindlichkeit und Verantwortlichkeit stiftet, der sich, was Menschenantlitz trägt, nur schwer entziehen kann; natürlich gibt es das eingangs bereits berührte Vertrauen, das wir einfach »haben« oder vielleicht sogar besser: das wir einfach »sind«, ohne es eigens zu reflektieren, das beinahe bewusstlos geschieht, das in Gestalt von Regeln und Routinen unseren Alltag durchzieht und stabilisiert und überhaupt erst zu dem werden lässt, was er ist: nämlich der Raum nicht weiter hinterfragter Selbstverständlichkeiten, jenes Vgl. F. Petermann/P. Warschburger 1997; F. Petermann (Hg.) 1998. – Um dieses »partnerschaftliche« Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung zu akzentuieren, hat sich daher auch der Begriff der »Adhärenz«, vereinzelt auch der »Konkordanz« eingebürgert; K. E. Lutfey/W. J. Wishner 2000; E. Vermeire u. a. 2001. 27 »Moralische Freundschaft (zum Unterschiede von der ästhetischen) ist das völlige Vertrauen zweier Personen in wechselseitiger Eröffnung ihrer geheimen Urtheile und Empfindungen, so weit sie mit beiderseitiger Achtung gegen einander bestehen kann.« (Metaphysik der Sitten (1798), Akad.-A. VI 471) 26
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unwillkürliche Vertrauen, das vielleicht mehr die Abwesenheit ausdrücklichen Misstrauens ist als eine explizit eingenommene, explizit »praktizierte« Haltung. Aber es bleibt doch dabei: Ob solches Vertrauen gelingt, ob es sich bewährt, bestätigt, festigt, das stellt sich in einem geschichtlichen Prozess heraus, in einem Prozess, der sich nicht steuern lässt und dessen Verlauf nicht und nie von uns allein abhängt. So wichtig, ja existenziell notwendig Vertrauen ist: Gerade hier wird fühlbar, dass die Funktion, die das Vertrauen in unserem Leben übernimmt, nicht die Leistung eines Werkzeuges ist, über das wir beliebig verfügen, eines Instrumentes, auf das wir problemlos zurückgreifen, das wir einfach hin verwenden können. Wo dies versucht, wo Vertrauen – etwa als »transaktionskostensenkendes« »Schmiermittel« – »instrumentalisiert« wird, eben da droht die Gefahr, dass Vertrauen verspielt wird. Vertrauen »funktioniert« gerade dann nicht, wenn es bloß als »Mittel« gebraucht wird, um etwa die wissenschaftlich-technisch nie ganz zu beseitigenden Unwägbarkeiten unserer »Leonardo-Welt« zu bewältigen, in flexiblen Organisationen die Mitarbeitermotivation sicher zu stellen oder ganz allgemein »Komplexität« zu »reduzieren«. Vertrauen ist vielmehr selbst etwas Unverfügbares, eine »transzendentale« Bedingung unserer Existenz, die selber »kontingent« ist. Anders formuliert: Um überhaupt leben zu können, »müssen« wir vertrauen; aber: Diesem Müssen entspricht kein reines »Können«, denn Vertrauen ist auf ein entgegenkommendes Vertrauen angewiesen! Worauf wir als Grund unseres individuellen Lebens und kollektiven Zusammenlebens angewiesen sind, das ist selbst etwas Abgründiges, etwas, dessen wir weder gewiss noch mächtig sind. Im Gegenteil: Gerade im Vertrauen öffnen wir uns – bewusst oder unbewusst, reflex oder unreflex, thematisch oder unthematisch – der Bodenlosigkeit unserer Existenz, die ihrer selbst nie wirklich sicher und ihrer Komplexität nie wirklich gewachsen ist. Im Unterschied zur Kontrolle übergeht das Vertrauen diese Haltlosigkeit nicht, sondern nimmt sie an, akzeptiert sie. Literaturverzeichnis Bauer, H. H./Neumann, M. M./Schüle, A. (Hg.): Konsumentenvertrauen. Konzepte und Anwendungen für ein nachhaltiges Kundenbindungsmanagement (München 2006) Beecher, H. K.: The Powerful Placebo, in: Journal of the American Medical Association 159 (1955) 1602–1606
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Tobias Trappe Bockenförde, W.-W./Dohrn-van Rossum, G.: Art. Organ, Organismus, Politischer Körper, in: O. Brunner u. a. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe IV (Stuttgart 1978) 516–622 Bollnow, O.-Fr.: Das Problem einer Überwindung des Existentialismus, in: Universitas 8 (1953), Heft 5, 461–471 Bollnow, O.-Fr.: Das Vertrauen zum Kind, in: E. Groß/R. Metz/K.-H. Dirkmann: Erziehungswirklichkeiten: Situationen-Prozesse (Düsseldorf 1985) 57–58 Bollnow, O.-Fr.: Die anthropologische Bedeutung des Vertrauens, in: Mitteilungen des Deutsch-Japanischen Kulturinstituts in Kyoto 7 (1959) 5–12. Bollnow, O.-Fr.: Die pädagogische Atmosphäre, in: Das Studienseminar 6 (1961), h. 1, 2–20 Bollnow, O.-Fr.: Die pädagogische Atmosphäre. Untersuchungen über die gefühlsmäßigen zwischenmenschlichen Voraussetzungen der Erziehung (Heidelberg 1964) Bollnow, O.-Fr.: Neue Geborgenheit. Das Problem einer Überwindung des Existentialismus (1955, Stuttgart 2 1960) Capella, J. N./Jamieson, K. H.: Spiral of Cynism. The Press and the Public Good (Oxford 1997). Eibl-Eibesfeldt, I.: Wider die Mißtrauensgesellschaft. Streitschrift für eine bessere Zukunft (München 1995). Friderici, G.: [Diss.] De fiducia aegri in medicum (Leipzig 1720) Gabriel, O. W.: Political Efficacy and Trust, in: J. W. van Deth/E. Scarbrough (Hg.): The Impact of Values (Oxford 1995) 357–389. Gadamer, H.-G.: Apologie der Heilkunst (1965), in ders.: Ges. Werke 4 (Tübingen 1987) 267–275 Gadamer, H.-G.: Über die Verborgenheit der Gesundheit, in: Erfahrungsheilkunde, Acta medica empirica: Zeitschrift für ärztliche Praxis 40 (1991), Nr. 11, 804– 808. Galford r./Seibold-Drapeau, A.: The Trusted Leader (New York 2003) Glaab, M./Kießling, A.: Legitimation und Partizipation, in: Korte/Weidenfeld, a. O. 571–611 Gleidman, L. H./Grantt, W. H./Teitelbaum, H. A.: Some implications of conditional reflex studies for placebo research, in: Am. J. Psychiatry 113 (1957) 1103– 1107; Hauke, H.: Die anthropologische Funktion des Vertrauens und seine Bedeutung für die Erziehung ([Diss.] Tübingen 1956). Henrich, G./de Jong, R./Mai, M./Revenstorf, D.: Aspekte des therapeutischen Klimas, in: Zschr. für Klin. Psychol. 8 (1979) 41–55. Höhler, G.: Warum Vertrauen siegt (2003, Berlin 2005). Huppmann, G.: Gottlieb Fridericis »De fiducia aegri in medicum« (1720) – Anfänge einer Medizinischen Psychologie des Vertrauens im deutschen Sprachraum, in: W. J. Bock/B. Holdorff (Hg.): [Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde 12] (Würzburg 2006) Kern, H.: Über Vertrauensverlust und blindes Vertrauen. Wie der Druck der globalen Ökonomie die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verändert [SOFI-Mitteilungen 24] (Göttingen 1996)
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Kleines Fragment über das Vertrauen Korte, K.-R./Weidenfeld, W.: Die Deutschland-Trends – Einführung, in: dies. (Hg.): Deutschland-TrendBuch. Fakten und Orientierungen (Bonn 2001) 7–13 Lahno, B.: Der Begriff des Vertrauens (Paderborn 2002) Lilienfeld, P. v.: La pathologie sociale (Paris 1896) Lutfey, K. E./Wishner, W. J.: Beyond Compliance Is Adherence. Improving the prospect of diabetes care, in: Diabetes Care 23,7 (2000) 1034–1035 Nietzsche, Fr.: Die fröhliche Wissenschaft (1887)–. Krit. Studienausgabe, hg. G. Colli/M. Montinari Bd. 3 (Berlin 1988) Nitschke, A.: Angst und Vertrauen, in: Die Sammlung 7 (1952) 175–180 Pellegrino, E. D. u. a. (Hg.): The Virtues in Medical Practice (New York/Oxford 1993) Petermann, F. (Hg.): Compliance und Selbstmanagement (Göttingen 1998). Petermann, F./Warschburger, P.: Asthma und Allergie: Belastungen, Krankheitsbewältigung und Compliance, in: R. Schwarzer (Hg.): Gesundheitspsychologie: ein Lehrbuch (Göttingen 1997) 431–454 Petermann, F.: Psychologie des Vertrauens (Göttingen/Bern/Toronto 3 1996) Rippberger, T.: Ökonomik des Vertrauens (Tübingen 2 2003) Rössle, D.: Der Arzt zwischen Technik und Humanität. Religiöse und ethische Aspekte der Krise im Gesundheitswesen (München 1977) Schaeffler, R.: Die Vernunft und das Wort. Zum Religionsverständnis bei Hermann Cohen und Franz Rosenzweig, in: Zschr. für Theol. und Kirche 78 (1981) 57–89 Schaeffler, R.: Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit (München 1994) Schaeffler, R.: Philosophische Einübung in die Theologie (München 2004) Schaeffler, R.: Was dürfen wir hoffen? Die katholische Theologie der Hoffnung zwischen Blochs utopischem Denken und der reformatorischen Rechtfertigungslehre (Darmstadt 1979). Schottlaender, R.: Theorie des Vertrauens (Berlin 1957) Schweickhardt, A./Fritzsche, K.: Kursbuch ärztliche Kommunikation. Grundlagen und Fallbeispiele für Klinik und Praxis (Köln 2007) Shapiro, A. K.: The Powerful Placebo: From Ancient Priest to Modern Physician (Baltimore 1997) Sprenger, K.: Vertrauen führt (Frankfurt/M. 2002) Sztompka, P.: Vertrauen. Die fehlende Ressource in der postkommunistischen Gesellschaft, in: B. Nedelmann (Hg.): Politische Institutionen im Wandel (Opladen 1995) 254–276 Tanner, K.: »Akzeptierte Abhängigkeit«. Zur Rolle des Vertrauens in der Arzt-Patientenbeziehung. Beitrag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der EnqueteKommission »Recht und Ethik der modernen Medizin« in Jena am 2. Juli 2001. http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html (18. 4. 2002) Vermeire, E. u. a.: Patient adherence to treatment: three decades of research. A comprehensive review, in: J. Clin. Pharm. Ther. 26,5 (2001) 331–342. Weiss, H.: Placebophänomen, Arzt-Patient-Beziehung und psychotherapeutischer Prozess. Bemerkungen zu den psychischen Wirkungen ärztlichen Handelns, in: Daseinsanalyse 7 (1990) (2), 102–113
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Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers Bernhard Nitsche
Ein Desiderat der bisherigen Forschungen zum Werk von Richard Schaeffler stellt das jüdische Erbe dar. Obwohl an verschiedenen Stellen auf die auch jüdische Abkunft Richard Schaefflers hingewiesen wurde, sind die jüdischen Signaturen seines Denkens und die mit ihnen gegebenen hermeneutisch-methodischen Vermittlungschancen für ein christliches Denken in der Verantwortung vor den jüdischen Wurzeln des Christentums sowie gegenüber der bleibenden Berufung Israels wenig beachtet worden. 1 Entsprechend den biografischen Angaben in seiner Dissertation musste Richard Schaeffler – aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Mutter – 1942 die Schule verlassen und wurde 1944, zusammen mit seinem Vater, in einem Sonder-Arbeitslager inhaftiert und zum Arbeitsdienst gezwungen. Durch die Unterstützung der Jesuiten in Pullach konnte er nach dem Krieg die Hochschulreife erlangen und das Studium beginnen. Dass die jüdischen Dimensionen seines Denkens bisher kaum gewürdigt wurden, ist umso erstaunlicher, als Richard Schaefflers sich von 1972 bis 1983 nicht nur im »Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen«, sondern auch im »Gesprächskreis Juden und Christen« des Zentralkomitees der deutschen Katholiken engagiert hat. So trägt der bedeutende Kommissions-Text »Theologische Schwerpunkte des christlichjüdischen Gesprächs« vom 8. Mai 1979 erkennbar auch die Handschrift Richard Schaefflers. In seinem religionsphilosophischen Denken folgt Richard Schaeffler der Option Gottlieb Söhngens, Religionsphilosophie als eine Kompetenz anzusehen, welche das ganze Theologiestudium begleitet. 2 Daher kann sein Denkweg rückblickend insgesamt als eine »Philosophische Einübung in die Theologie« angesehen werden. Seine 1 2
Vgl. positiv: Ollig 1997. Schaeffler 2004, I, 7, 20–27.
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Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers
»ontisch-existenzielle« Verwurzelung (Heidegger) blitzt – je später umso öfter – auf und verleiht seinen Reflexionen fortschreitend »Farbe«. Dadurch kommt die wechselseitige Integration von jüdischer Abkunft und katholischer Herkunft, von evangelischer Prägung und philosophischer Bewährung zum Vorschein. Unter diesen Vorzeichen werden die jüdischen Spuren seines transzendental-hermeneutischen Denkens gewürdigt und ihr anregendes Potenzial für ein künftiges theologisches Denken angezeigt. Das jüdische »Wasserzeichen« schimmert aufgrund der Ausrichtung seines Denkens an der göttlichen Erwählung (Gnade), an der konkreten Geschichte, an den praktischen Lebensvollzügen (z. B. des Gebets) durch; es wird sodann am ethischen »Primat der Praxis« sowie anhand des Denkens in »Postulaten der Hoffnung« kenntlich. In diesem Sinne sondiere ich erstens Schaefflers Problematisierung des Subjektdenkens, zweitens seinen konstitutiven Bezug auf Geschichte, drittens seine Analyse des Gebetes, viertens seine Reformulierung der kantischen Ethik und weise schließlich auf seine postulatorische Fassung des theoretischen Vernunftdenkens hin.
Orientierung an fragiler, gewährter Subjektivität Richard Schaefflers theologische Option für einen Primat Gottes und einen Primat der Gnade korrespondiert mit seiner philosophischen Option, das philosophische Denken als ein postmetaphysisches und postidealistisches Denken zu begreifen, das sich in seiner Fragilität nicht mehr – wie noch bei Descartes – auf die alten Gewissheiten und unumstößlichen Fundamente gewisser Subjektivität und objektiv erfahrener Welt berufen kann. Mit der Einsicht Immanuel Kants, wonach die Größen »Ich«, »Welt« und »Gott« nicht mehr als reale Größen aufgefasst werden dürfen, sondern als notwendige »Zielvorstellungen« oder »Leitsterne« 3 der Vernunfttätigkeit des Menschen zu verstehen sind, wurde ein Prozess philosophischen Denkens eingeleitet, der religionsphilosophisch in Heideggers Rede von der »ontologischen Differenz« seinen Fokus findet. Daher ist das Denken Erster Philosophie für Schaeffler maßgeblich und vor allem ein Denken im Horizont der »ontologischen Differenz«. 4 Von daher problematisiert Schaeffler nicht 3 4
Vgl. Schaeffler 1995, 115. Vgl. Schaeffler 1964, 34–37, vgl. Nitsche 2001, 107–114.
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Bernhard Nitsche
nur ein Denken in der Tradition der Metaphysik des Seienden, sondern auch die idealistische Tradition eines Denkens Grund setzender Subjektivität. Das rückt Schaefflers Denken in die Nähe zu Einsichten der frankophonen Spätmoderne, welche die Bestimmtheit vom Anderen her privilegiert, ohne dass Schaeffler sich deren radikale Kritik am Subjektdenken zueigen machen würde. Mit der frankophonen Spätmoderne teilt er allerdings die Einsichten, wonach erstens alles menschliche Denken durch seine sprachliche Verfasstheit bestimmt ist und daher – in der Tradition Herders und Cassirers – als kulturell heteromorph und historisch variabel angesehen werden muss. Deshalb sind die Formen der Anschauung und die Kategorien des Verstandes modifikabel. 5 Zweitens nötig die Endlichkeit des menschlichen Daseins zu einer Ontologie der Zeitlichkeit, in welcher das »Sein der Grenze« (Foucault), die der Tod ist, zur Auslegung kommt. Angesichts dieses Ab-Grundes wird offenkundig: Die freie Subjektivität des Menschen verbürgt sich nicht selbst. Sie kann weder ihr Sein noch ihre Ich-Konstanz und »IchIdentität« herstellen. Richard Schaeffler begründet seine kritische Analyse der kantischen Ich-Philosophie in Dissertation und Habilitationsschrift. 6 Nach Schaeffler versteht Kant die Einheit der transzendentalen Apperzeption im Kontext der Analytik der reinen Vernunft als eine Bedingung der Vernunfttätigkeit, die jeder erkennenden Tätigkeit vorausgeht. Hingegen begreift dieser sie im Rahmen der transzendentalen Dialektik als eine Zielvorstellung und damit als Leitstern einer Aufgabe. Sofern die kausale bzw. synthetische Verknüpfung aller Wahrnehmungsgehalte »der Grund der Identität der Apperzeption« ist, besteht die Gefahr, dass solche synthetische Einheit auch misslingen kann. 7 Aufgrund der synthetischen Bestimmung der Idee als einer Zielvorstellung – im Rahmen einer Vernunftaufgabe – zeigt sich die transzendentale Ich-Identität strukturell gefährdet. Sie bedarf daher einer transzendentalen Bedingung, welche im Wandel der AnschauVgl. Schaeffler 1983a, 163 f.; Schaeffler 1978a. Vgl. Schaeffler 1952; Schaeffler 1963. 7 Schaeffler1995, 136: »Wo die Gefahr entsteht, dass die Erfüllung der Aufgabe mißlingt, ›synthetische Einheit des Mannigfaltigen‹ zustandezubringen, da entfällt auch ›der Grund der Identität der Apperzeption selbst‹ – mit der Unmöglichkeit, das Gedachte gesetzmäßig zu verknüpfen, geht auch die Einheit des Aktes ›ich denke‹ verloren. Damit aber ist auch die Voraussetzung für jede weitere Erkenntnisbemühung bedroht, und die Verstandestätigkeit bleibt nicht nur hinter dem Ziele zurück, das ihr von der Vernunft gesteckt wird, sondern kommt als ganze zum Erliegen.« 5 6
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ungen und Wahrnehmungsgehalte Ich-Identität eröffnet, mithin die formelle Ich-Konstanz ermöglicht und die materiale Ich-Re-Identifikation verbürgt. 8 Doch bleibt aus prinzipiellen Gründen zu fragen, ob der von Schaeffler herausgearbeitete teleologische Charakter der Idee nicht eher ein Problem markiert, als dass er eine Lösung bereitstellt. Die synthetische Aufgabe bleibt funktional auf den phänomenalen Weltbezug bzw. transzendental-phänomenologisch auf die Vorstellung des Ich von sich bezogen. Der Bezug auf eine Aufgabe der Vernunft ist der Reflexionstheorie vom Ich zuzuordnen. Die moderne Reflexionstheorie versucht das transzendentale Ich und das vorgestellte Ich durch einen Akt der Identifikation zu vereinen. In der Diastase von transzendentalem Ich-Agenten und transzendental-materialer Ich-Vorstellung kommt das Ich im Akt einer sprachlich und zeitlich bestimmten ReIdentifikation sich selbst gegenüber immer zu spät. Das von Schaeffler markierte Problem der »Ich-Konstanz« ist daher ein entscheidendes Problem im Rahmen der so genannten »Reflexionstheorie vom Subjekt« (Dieter Henrich) und ihrem Versuch, die Einheit des Subjekts in Akten der Re-Identifikation synthetisch zu denken. Folgt man demgegenüber der analytischen Intuition Kants, welche mit Johann Gottlieb Fichte und Hermann Krings nach den vorausgesetzten Bedingungen der Vernunfttätigkeit fragt und daher das Ich als Agenten der Vernunfttätigkeit in einer transzendentallogischen Möglichkeitsanalyse bedenkt, so kommt es darauf an, das freie, transzendentale Ich als Voraussetzung allen menschlichen Tuns verständlich zu machen. Denn ohne diese Voraussetzung ist nicht zu sehen, wie theoretische oder praktische Vernunft als freies Vermögen der Selbstgesetzgebung gedacht werden können. Eine Rede von menschlicher Vernunft, die sich einer solchen transzendental-logischen Möglichkeitsanalyse entzieht, partizipiert an den Widersprüchen jener Aufforderungslehren, welche Vernunft und Verantwortung einklagen, jedoch den Agenten, der diese Forderungen einlösen soll, durch keine Bedingungsanalyse ausweisen. Nun ist, wie Schaefflers Kant-Analyse zeigt, jenes transzendentale Ich als freies spontanes Vermögen analytisch immer schon vorauszusetzen, wenn es als »Ich denke« alle Bewusstseinsakte begleiten können soll. Diese analytische Intuition kann mit Hermann Krings 8
Schaeffler 1982a, 88–110, bes. 108.
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eingelöst werden, wenn das transzendentale Ich in seinem ursprünglichen Charakter als ein freies Ich angesehen wird, das allen seinen identifizierenden Re-flexionsakten vorausliegt. Um die formale Einheit des Ich denken zu können, hat Hermann Krings auf die – allem vorstellendem Denken vorausgehende – formale Figur der transzendentalen Auskehr und Einkehr (»Retroszendenz«) aufmerksam gemacht. Mit dieser Figur ist es möglich, eine vorgängige Selbst-Einheit des Ich zu denken, die als »Bedingung der Möglichkeit« allen zeitlichen, gedanklichen und sprachlichen Bestimmungen vorausliegt. Werden die Formen der Anschauung, die Kategorien des Verstandes und die kulturell variablen sprachlichen Ausdrucksformen im SichEntschließen des freien Ich allererst gesetzt, so ist es diese präreflexive und prätemporale »Retroszendenz«, welche das transzendentale Ich und seine phänomenale Bestimmtheit mit sich einheitsstiftend vertraut sein lässt. Mit dieser transzendentallogischen Möglichkeitsanalyse können daher jene Probleme der Reflexionstheorie überwunden werden, die, wenn ich Recht sehe, auch Schaefflers Problematisierungen der Ich-Identität bestimmen.
Orientierung an praktischen Lebensvollzügen – Gebet Die menschlichen Erfahrungen und die aus ihnen heraus narrativ organisierte und erzählte Geschichte, haben in der konkreten Lebenswelt des Menschen und in den Vollzügen des menschlichen Alltags ihr Fundament. Zu dieser lebensweltlichen Verortung der Religion und ihrer kritischen Analyse gehört es, dass die Kriterien angemessenen religiösen Sprechens am ehesten anhand der zentralen Akte des religiösen Vollzugs bearbeitet werden können. Für Richard Schaeffler ist der maßgebliche Akt im Kontext der religiösen Phänomene und der religiösen Sprache der religiöse Akt des Gebetes. 9 Im Akt des Gebetes hat die strenge Korrelation zwischen Noesis und Noema, die Beziehung zwischen dem noetischen Gegenstandsbezug und seinem materialen Gehalt, welche Richard Schaeffler im Anschluss an Edmund Husserl herausstellt, ihren originären Bedeutungszusammenhang und ihr spezifisches Gewicht. 10 Daran wird zweierlei deutlich: Zum einen kann die 9 10
Vgl. Schaeffler 1983b; Schaeffler 1989; Schaeffler 1988. Vgl. Schaeffler 2004, II, 21 f.
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Forderung von Objektivität nur in einer realen Beziehung erhoben werden. Nur im Durchgang und in der Veränderung des menschlichen Bewusstseins aufgrund der Begegnung mit einer widerständigen Wirklichkeit kann »Objektivität« mehr sein, als die projektive Selbstbestätigung konstruierter Fiktionen. 11 Weil Objektivität nur anhand der Erfahrungen gemessen werden kann, die als experimentum crucis zu einer Neubestimmung des Denkens nötigen, folgert Richard Schaeffler für das Erfahrungsproblem mit Hegel zunächst allgemein, dass dem Menschen »Hören und Sehen« vergehen muss, wenn er das Erfahren lernen will. Im religiösen Zusammenhang wird die Objektivität des Gegenstandsbezugs in der Umwendung des Denkens erfassbar, die religiös als ein Prozess der »Umkehr« und der »Neugestaltung« beschrieben wird. 12 Zum anderen macht die Orientierung an den konkreten menschlichen und religiösen Lebensvollzügen das hermeneutische Anliegen der transzendentalen Reflexion auf die »Bedingungen der Möglichkeit« deutlich. Schaeffler versteht die operational gebundene Geltungsreflexion darum funktional als ancilla hermeneuticae. 13 Für den Bereich der religiösen Erfahrung ist es daher typisch, dass die Differenz zwischen dem begegnenden göttlichen Anspruch und den Möglichkeiten der menschlichen Antwort »ins Unendliche gesteigert« wird. 14 In dieser Differenz-Erfahrung zeigt sich das Geheimnis als ein Geheimnis, das heilig ist, weil es der menschlichen Verfügbarkeit und Bemächtigung prinzipiell entzogen ist. Das faszinierende und erschreckende Mysterium des Heiligen legt offen, dass der Mensch diesen erfahrenen Anspruch von sich her nicht adäquat beantworten kann und er deshalb der Hilfe durch das Mysterium selbst bedarf. Die Unfähigkeit des Menschen, die adäquate Antwort selbstmächtig zu geben, sowie das ihr entspringende Strukturprinzip gewährter und geschenkter Antwortfähigkeit wird z. B. an biblischen Motiven deutlich. So wird von der »Reinigung der Lippen« (Jes 6, 5) gesprochen oder vom »Mantel der Gottheit«, welcher den Geist des Offenbarungsempfänger umhüllt bzw. umkleidet, etwa bei der Berufung erwählter Boten (vgl. Jdt 6, 34 Par). In der religiösen Erfahrung wird also die Gegenwart des Heiligen als eine gewährte und geschenkte Gegenwart erfahren, deren 11 12 13 14
Vgl. Schaeffler 1995, bes. 104–107. Vgl. Schaeffler 1982a, 37 f., 88–110; Schaeffler 1990, 178–186. Vgl. Schaeffler 2004, II 420; III 537 f. Schaeffler 1995, 427; vgl. Schaeffler 1983a, 110–142.
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Initiative nicht vom Menschen selbst ausgeht. Die Macht, welche solches vermag, wird in vielen Religionen als Macht des göttlichen Geistes beschrieben. Die Erfahrung der Gabe des Geistes geht meist mit einer Umwandlung oder Reinigung des Herzens bzw. der Lippen des Antwortenden einher. In biblischer Terminologie kann das Wort der Antwort als Wort des Geistes verstanden werden, welcher allein »die Tiefen der Gottheit kennt« (1 Kor 2, 10). Die Erfahrung des Geistes eröffnet ein neues Sehen und verändertes Verstehen. Daher gehört zum religiösen Erleben hinzu, »dass dem Erlebenden die Notwendigkeit und zugleich die Kontingenz (Nicht-Notwendigkeit und Ungesichertheit) jenes Dialogs mit der Weltwirklichkeit bewusst wird, in dem sich die neu empfangende ›Kraft des Geistes‹ bewähren muss.« Diese Ermöglichungserfahrung angesichts eigener Ohnmacht begründet auch, warum es sich im religiösen Erleben um eine wirkliche Begegnungserfahrung handelt, welche nicht bloße Interpretation ist. Begegnet die faszinierende oder erschreckende Wirklichkeit des Heiligen dem Menschen, dann ist offensichtlich jeder Antwortversuch unzureichend. Es ist daher eine spezifische Eigenschaft der religiösen Antwort, dass sie diese »unüberwindbare Unzulänglichkeit« selbst thematisiert. 15 Von dieser Grundcharakteristik der religiösen Erfahrung ausgehend ergibt sich auch Schaefflers Interpretation des Gebetes, die namentlich in der Tradition Hermann Cohens und Franz Rosenzweigs steht. Nach Hermann Cohen ist Gottes Wesen nur dann angemessen verstanden, wenn es von der göttlichen Vergebungszusage her interpretiert wird. Religionsphilosophie hat daher die Aufgabe, dieses Wechsel- und Beziehungsverhältnis zwischen Gott und Mensch zu beschreiben. Dies erklärt die »Funktionen« der »Worte des Gebotes« und der »Worte des Gebetes«. Gebot und Gebet sind korrelative Sprachhandlungen. Sie stellen eine wechselseitige Beziehung zwischen dem auf Vergebung angewiesenen Menschen und dem sich zusprechenden Gott her. Sie sagen nicht »prädikativ«, »was ist«, sondern stiften eine Beziehungswirklichkeit, welche ohne diese Akte nicht existierte. Das Ziel der Sprachhandlung des Gebetes ist die »Heiligung des Namens« und die »Einigung der Seele«. Aus der Begegnung mit dem einen und heiligen Gott kann die Seele selbst geeint und geheiligt hervorgehen. Indem Gott im »Höre Israel« (Dtn 6, 4 ff.) als »einiger« und »einziger« 15
Schaeffler 1995, 431 ff.
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Herr angerufen wird, gehen »Einigung« und »Ganzheit« des Herzens sowie »Einigung« und »Ganzheit« des Gottes aus dieser Begegnung hervor. Dann wird »der Herr ein einziger sein und sein Name ein einziger« (Sach 14, 9). Alle Handlungen des Menschen nach Geboten und in Gebeten geschehen daher zur Ehre des Namens Gottes und werden darin zu einem Bekenntnis seiner Einzigkeit und Einheit. 16 Auch Franz Rosenzweig, Cohens jüngerer Freund, versteht die »Ehrung des Namens« als Grundfigur jüdischer Religion. Rosenzweig unterscheidet die sittlichen und religiösen Sprachhandlungen von anderen Aussagesätzen. In Gebet und Gebot sind Ich und Du unvertretbar. In der Kommunikationssituation des Gebetes kann Gott, welcher das Vergebungswort zuspricht, nicht durch ein vorfindliches oder fiktives Subjekt vertreten werden. Gott ist als Sprecher unvertretbar. An seine Stelle kann von Seiten des Menschen und im Herzen des Menschen nur die »Anrufung des Namens« treten. Die anrufende Sprachhandlung des Gebets konstituiert nicht nur ein neues Verständnis der Welt, sondern vor allem eine neue Identität des Ich und eine neue sittlich-religiöse Qualität des Selbst- und Weltverhältnisses. 17 Im Unterschied zu Kants abstrakter und allgemeiner Subjektvorstellung wird hier die konkrete Individualität und die geschichtliche Unvertretbarkeit des Einzelnen in der ethischen und religiösen Situation herausgestellt. Der Akt des Gebetes konstituiert sowohl eine neue, versöhnte Identität des Individuums als auch eine neue Form der Sozialität. Durch die Namensanrufung Gottes wird das Individuum zu einem Mitglied einer Anrufungs- und Bezeugungsgemeinschaft.
Orientierung an der konkreten Geschichte Immer wieder betont Richard Schaeffler die Anbindung und Rückbindung des Denkens an das konkrete Leben und die konkreten Erfahrungen der Geschichte. Es gehört zu seinen religionsphilosophischen Grundsätzen, dass die Phänomenologie der Religion erst jene Basis zur Verfügung stellt, von der her angemessen eine Kriteriologie der religionsphilosophischen Analytik erarbeitet werden kann. Die Phänomenologie der Religion sondiert daher das Feld der religiösen Lebensformen 16 17
Schaeffler 1983a, 174–178; Schaeffler 1989, 40–44, 48–66; Schaeffler 1987. Schaeffler 1989, 105–153; Schaeffler 1988, 20–49.
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und sichert so die materiale Basis, innerhalb derer die transzendentale Reflexion zur Anwendung kommt. Diese ist hermeneutisch dimensioniert und trägt der nachkantischen Einsicht in die historischen, sprachlichen und kulturellen Formungen des Bewusstseins Rechnung (Herder, Humboldt, Cassirer). Daher geht es Richard Schaeffler um eine Transposition jener Aufgabe, die Immanuel Kant am Ende seiner Kritik der reinen Vernunft als Problem der Geschichte des Vernunftdenkens festgehalten, aber nur als Wandel der Einstellungen exponiert hat. Aufgrund dieser Problemanzeige kommt Richard Schaeffler am Ende seiner Einführung in die Geschichtsphilosophie sowie in Auseinandersetzung mit verschiedenen Theoriepositionen zur Geschichtskonstruktion zu dem Ergebnis, dass die transzendentale Reflexion auf die »Bedingungen der Möglichkeit« eher ein Problemfeld markiert, denn eine Position formuliert. So hat die transzendentale Reflexion im Blick auf die Konstruktion von Geschichte die Frage zu beantworten, wie einerseits eine Offenheit des Bewusstseins für Wirklichkeit und andererseits eine Zugänglichkeit der Wirklichkeitsgehalte für das erkennende Denken möglich ist. Weil Subjektivität je schon »in Welt« ekstatisch ist, kann die reziprok strukturierte Begegnung mit Wirklichkeit nicht sekundär angesetzt werden. Die relatio ist vielmehr konstitutiv für die relata. Daher ist ein unabgeschlossenes und dennoch dialektisches Verhältnis zwischen den Phänomenen der Wirklichkeit und den Strukturen des Bewusstseins anzusetzen. 18 In der Sache bedeutet dies: Erstens kommt die Erfahrung nur durch Verarbeitung von Informationen zustande. Sie ist eine Leistung des Bewusstseins. Als bewusste Leistung ist Erfahrung, um Erfahrung sein zu können, zweitens mitteilbar, kommunikabel und insofern potentiell »gemeinsame« ErSchaeffler geht davon aus, dass »jeder Systemansatz auf eine historisch spezifische transzendentale Struktur« zurückgeführt werden kann. Deshalb verknüpft sich die Geschichtsreflexion mit der Wahrheitsreflexion. Die Geschichtlichkeit der Wahrheit ist dann durch die Geschichtlichkeit der Formen bestimmt, welche einen »historisch spezifischen Wahrheitshorizont« begründen. Weder historische Rückprojektionen noch utopische Vorausprojektionen können variable Erfahrung und echte Geschichte verständlich machen, sondern nur eine transzendentale Hermeneutik, welche durch konkrete historisch veränderliche Formen des Bewusstseins und durch kommunikative Intersubjektivität gleichermaßen bestimmt ist. Diese methodische Grundoption, transzendentale und historische Reflexion im Kontext der Phänomene und ihrer Sprachformen zu situieren und sie miteinander zu verknüpfen, kennzeichnet Schaefflers Theorie der Geschichte als Theorie der Geschichte der Erfahrungsgestalten und ihres je spezifischen Wahrheitshorizontes. Vgl. Schaeffler 1990, 217 f.
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fahrung. Drittens steht die gemeinsame Erfahrung in einem Wechselverhältnis zu den historischen Bewusstseinsformen und Verstehenshorizonten. Daher hat auch die durch sie bestimmbare Wahrheit – als Realitätskriterium, als Geltungsgrund sowie als Bedingung von Intersubjektivität – »ihre« Geschichte. Deshalb kann gefolgert werden: Die Erfahrung von Menschen ist im Wandel der Erfahrungsgestalten zugleich Subjekt und Objekt dieser Veränderung. Die entscheidende Aufgabe einer Theorie der Geschichte als einer Theorie der Erfahrung besteht deshalb darin, die Bedingungen der Möglichkeit der Veränderung der Bewusstseinsformen und damit den Wandel der Erfahrungshorizonte und Wahrheitsgestalten zu klären. 19 In einer brillanten Re-Vision seiner transzendentalen Methodenlehre durch eine Re-Interpretation der Lehre vom vierfachen Schriftsinn kann zwischen »Mitteilungs-Sinn« (geschichtlicher bzw. wissenschaftlicher Wortsinn), »Anspruchs-Sinn« (tropologisch-moralischer Handlungssinn bzw. Liebe), »Zusage-Sinn« (Erhebungs- oder Hoffnungssinn), »Auslegungs-Sinn« (Allegorese bzw. Glaubenssinn) unterschieden werden. Diese Stufung im Erfahrungsaufbau unterstreicht den Ansatz bei den konkreten Ereignissen der Geschichte und beinhaltet – im Ausgang von der Geschichte – zugleich eine relecture der theologischen Tugendlehre. 20 Die allgemeine Theorie der Erfahrung kann die gesuchte »Objektivität« nun innerhalb einer Theorie bewusstseinsverändernder (horizontverändernder) Erfahrungsgestalten gewinnen. Spezifisch religiös wird dieser Wandel des Bewusstseins in Erzählungen davon, wie Menschen aus einer alten in eine neue Gestalt des Selbst- und Weltverstehens hineingewachsen sind. Religiös besehen verdankt sich das Wort, welches den Wandel des Bewusstseins ermöglicht, der Initiative des Heiligen. Es wird als Wink (Nutum) der numinosen Willensmacht (Numen) erfahren. Diese Orientierung an konkreter Geschichte und an den durch die Geschichte provozierten Wandlungen der Erfahrungs- und Bewusstseinsgestalten, wie sie im religiösen Akt des Gebetes als Reinigungsgeschehen und Läuterungsgeschichte transparent wird, bringt Richard Schaeffler als Grundfigur der Geschichte Israels und seines Gottesglaubens zur Geltung. Im Licht der jüdischen Theologie des Versöhnungstages schlägt Schaeffler eine Brücke »Vom ›Signum Veritatis‹ zum 19 20
Schaeffler 1990, 22, 217–222. Schaeffler 2004, I, 160–176, 360–382.
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eschatologischen ›Sacramentum Salutis‹« und arbeitet den jüdischen Bestimmungszusammenhang auch der christlichen Glaubensreflexion heraus. 21 Innerhalb des geschichtlichen Konzepts der »eschatologischen Zeitansage« ist das geschichtliche Zur-Fülle-Kommen der Parusie Gottes in der Geschichte Israels eine kontrafaktische Verdeutlichung des wahren Gottesverhältnisses »in einer Gott-entfremdeten Welt.« 22 Die Schlüsselereignisse der Geschichte Israels sind im Wandel der Lebens- und Denkformen daher als eine »Schule der religiösen Erfahrung« rekonstruierbar. In der Spannung von partikulärer Erwählung und universalem Weltauftrag wird der selbstlose Dienst für die größere Wahrheit des freien Gottes zur Kritik an den Fehlformen des Gottesverständnisses. Das Charakteristikum des jüdischen Gottesverhältnisses ist die Treue zur göttlichen Erwählung (»Bund«). Israel ist die Hoffnungs- und Zeugengemeinschaft einer in ihrer Fülle noch ausstehenden, kommenden Welt. In seiner geprägten Glaubensgeschichte tritt es dem Mythos aller Mythen, der Wiederkehr des Gleichen entgegen (Eliade). Die Sendung Israels ist in »den Kategorien ›Auftrag‹ (Mizwah), ›Weisung auf einen Weg‹ (Thorah) und die Hoffnung auf die stehts neue Ermächtigung zur ›Umkehr‹ (T’schubah)« strukturiert. 23 Im Durchgang durch spezifische Krisen wird Israel zu jeweils neuen Selbst-, Welt- und Gottesverständnissen angeleitet. Anagogisch geht es um ein »Feststehen« (Hebr. 11, 1) in der erhofften Verheißung von Gottes Treue, aus der das Vertrauen in die Zukunft erwächst. Historisch und tropologisch ist die stets neue Gnade der Gegenwart zu erinnern, so dass der Lohn für jeden erfüllten Auftrag (Mizwah) ein neuer Auftrag ist. An die Stelle der bei Richard Schaeffler früher auszumachenden theozentrischen Antithetik von göttlicher Erwählung und Verwerfung tritt nun, anthropologisch gewendet, die menschliche Dialektik von Treue und Abfall. Israel wird darin als die Gemeinde verständlich, die bereits »›durch den Feuerofen des Gerichts‹ schon hindurchgegangen« ist, was »›den Völkern‹ noch bevorsteht.« 24 Die Kategorie des Leidens und die Vorstellung vom leidenden Gottesknecht werden zu Anknüpfungspunkten, um die politischen Niederlagen, die Zerstörung des zweiten Tempels und die Vertreibung zu deuten. In 21 22 23 24
Schaeffler 2004, III, 521. Schaeffler 2004, III, 115. Schaeffler 2004, III, 129. Schaeffler 2004, III, 209, 220.
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beeindruckender Weise gelingt es Schaeffler mit Hilfe der Theologumena vom »leidenden Gottesknecht« und vom »Pessah- oder Osterlamm«, das Christusereignis als Ratifizierung der Glaubenserfahrung Israels und als Wende der eschatologischen Krise Israels zu erschließen. Der »neue Bund« sowie die Hoffnung auf Verschonung (»Vorübergang«) und rettende Neuschöpfung (»Auferweckung«) finden im »neuen Osterlamm« ihren »präzisesten Ausdruck«. Dieses zeugt für den Sieg der göttlichen Güte über die Widermächte der Welt. 25 An diese Reflexionen schließen sich allerdings auch beklemmende Fragen an: Wie sollen die bedrückenden Erfahrungen der nachbiblischen Geschichte Israels, wie soll insbesondere die Situation kollektiver, systematischer Vernichtung des jüdischen Volkes in der Schoah gedeutet werden? Kann der »Holocaust« als »Feuerofen des Gerichts« verstanden werden? Oder sind hier prinzipielle Grenzen einer theologischen Deutung der Geschichte offenkundig?
Relecture der kantischen Ethik Schaeffler interpretiert die Freiheits- und Sündenlehre Kants aus einer Liebe zu Paulus heraus und auf der Linie jener Kantinterpretation, welche die Religionsschrift als philosophische Reformulierung der harmatiologischen Voraussetzungen und gnadentheologischen Anliegen der reformatorischen Rechtfertigungslehre ansieht. Vor allem aber war und ist es die soterische Reinterpretation Kants durch Hermann Cohen, welche Schaeffler dazu veranlasst, die Begegnung mit dem göttlichen Wort als Gnadenzuspruch »von außen« (extra nos) und als Wort der Hoffnung zu interpretieren. Anlass für diese Interpretation der kantischen Morallehre ist jene »Dialektik des praktischen Vernunftsgebrauchs«, die Richard Schaeffler in zweifacher Weise gegeben sieht. Bekanntermaßen nötigt erstens die strukturelle Differenz zwischen der Kausalität aus Freiheit und der naturkausalen Ordnung, aufgrund derer das moralische Sollen sein Gelingen nicht verbürgen kann, bereits Kant dazu, um der Sinnhaftigkeit der Moralität willen, eine Konsonanz der Vernunftordnungen zu fordern, die nur eine höchste, göttliche Freiheit zu gewähren und zu verbürgen vermag. Allerdings ist Richard Schaeffler der Auffassung, 25
Schaeffler 2004, III, 107–120, 193–209, 213– 246.
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dass Kant das Problem der Idee der moralischen Weltordnung aufgrund der Strukturdifferenz zwischen der Kausalität aus Freiheit und der Naturkausalität nicht in voller Schärfe erfasst, weil die Freiheit unter den Bedingungen der empirischen Kausalität dazu genötigt ist, sich der Mittel zu bedienen, die innerhalb der Natur kausalen Ordnung zum Erfolg führen. Die Strukturdifferenz der Ordnungen reproduziert sich damit als strukturelle Entfremdung der auf Moralität zielenden Freiheit. Die widersprechenden Handlungsmaximen führen unvermeidlich zur Wahl zwischen zwei »sittlichen Unmöglichkeiten« nötigen, wie sie Kant selbst historisch anhand der Greueltaten der Französischen Revolution diagnostizieren musste: »Entweder muss ich die sittlich gebotene Tat unterlassen, weil die Bedingungen ihrer Wirksamkeit nicht gewollt oder ihre möglichen ungewollten Nebenfolgen nicht verantwortet werden können; oder ich muss, um im konkreten Fall meine Pflicht nicht zu versäumen, das Böse mitbejahen, das in dieser Welt, wie sie ist, den Erfolg der gebotenen Handlung bedingt oder ihren mittelbaren Folgen unvermeidlich anhaftet.« 26 Der äußeren, strukturellen Entfremdung freiheitsbestimmter Geschichtszeichen, die stellvertretende Akte (signa rememorativa, demonstrativa et prognostica) im Namen der allen aufgetragenen Moralität sind, entspricht eine innere strukturelle Entfremdung des moralischen Subjekts selbst. Das moralische Subjekt findet sich im Kampf mit sich selbst wieder, weil es nicht durch eine Reinheit der Gesinnung ausgezeichnet ist, die als heilig bezeichnet werden könnte. Damit tritt eine Dialektik der praktischen Vernunft zu Tage, welche am kategorischen Imperativ selbst festzumachen ist und in der Frage der Religionsschrift, wie es möglich sein kann, dass ein natürlicherweise böser Mensch sich selbst zu einem guten Menschen mache, ihren Widerhall findet: »Wäre unsere Gesinnung rein, wäre ein Imperativ nicht nötig; ist sie aber nicht rein, so ist der Gehorsam, den er verlangt, nicht möglich«. 27 Damit gerät die freie Vernunft in den Widerstreit mit sich selbst, zugleich Gesetzgeber der Moralität und ihr Untertan zu sein. Als Gesetzgeber hat sie sich zu verurteilen, als Untertan bedarf sie eines Urteilsspruches aus Gnade. Dieser Urteilsspruch aus Gnade, welcher den inneren Ankläger und den inneren Angeklagten miteinander versöhnt, kann nur durch »einen guten uns regierenden Geist« erfol26 27
Schaeffler 1995, 145. Schaeffler 1995, 153.
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gen. Dieser kann nach Kants Religionsschrift auch »Tröster« genannt werden. 28 Im Rahmen einer geisttheologischen Interpretation der Christologie ist es das externe Wort der Vergebung, welches den Menschen dazu befähigt, in der neuen »Qualität des Gottessohnes« zu leben. 29 Weißt die Dialektik von guter und böser Gesinnung sowie von Ankläger und Angeklagtem die moralische Gesinnung des Menschen als variabel und der Reinigung bedürftig aus, so macht der Zusammenhang ethischer Erfahrung für eine ethisch gewendete christliche Lehre vom Versöhner-Geist und vom Sohn Gottes ansprechbar. Die Versöhnung der im Widerstreit mit sich selbst befindlichen moralischen Gesinnung macht es vernunftpraktisch notwendig, auf eine Real-Beziehung hoffen zu dürfen, in welcher der menschliche Geist mit sich versöhnt wird und die praktisch handelnden Freiheit zur »Abbild- und Gegenwartsgestalt« wie auch zur »Verheißungs- und Antizipationsgestalt« reiner moralischer Gesinnung, mithin vollendeter Freiheit wird. 30 Wie bereits deutlich wurde, nimmt Richard Schaeffler Kants Folgerung, die Sittengesetze als göttliche Gebote anzusehen, zum Anlass, die jüdische Thorafrömmigkeit und ihren soterischen Indikativ mit dem moralischen Imperativ Kants und dem Vergebungszuspruch aus Gnade in Beziehung zu setzen. Die jüdische Resonanz des kantischen Denkens – von dessen Lieblingsschüler Markus Herz bis hinauf zu Hermann Cohen – zeigt diesen Zusammenklang an. In der Konsequenz bedeutet dies, dass »Hegels Judentumskritik in ihrem Zentrum Kantkritik« ist. Dass Kant die »Postulatenlehre« der praktischen Vernunft selbst nicht transzendental genannt hat, unterstreicht zudem den Hoffnungscharakter der Postulate. 31 Von daher wird eine Zeugenschaft für das frei machende und befreiende Wort möglich, so dass die Zeugenschaft für die menschliche Freiheit zugleich zu einer Zeugenschaft für die verdankte und gnädig freigesetzte Freiheit des Menschen wird und damit eine Theorie der Offenbarung ermöglicht, in der Gottes Wort im Wort von Menschen verständlich werden kann. Hatte Schaeffler das extra nos des Heiles früher vor allem an das äußere Wort der Geschichte gebunden, so wird es im Spätwerk nun stärker durch die Gegenseitigkeit von innerlich 28 29 30 31
Vgl. Kant, Religionsschrift B 91 f. (WW VII 724). Schaeffler 1995, 157. Schaeffler 1995, 202. Schaeffler 2004, I, 82 f.
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erhebendem Gnadenwort und geschichtlich begegnendem Verheißungs- und Vergebungswort akzentuiert. Hieraus ergibt sich die Aufgabe, das Vermittlungsverhältnis von verbum mentis und verbum oris zu präzisieren. 32
Postulatorischer Vernunftglaube Gemäß dem geschichtlichen Primat der Zukunft vor der Herkunft und dem religiösen Primat der Hoffnung auf ein geeintes und versöhntes Gemüt in der Anrufung des einen und einzigen Gottes verblüfft es nicht, dass diese Strukturmomente sich auch in Schaefflers theoretischem Vernunftdenken niederschlagen und es prägen. Indem Schaeffler die Vernunft kantisch von ihren Aufgaben her bestimmt, deren Einlösung ungesichert ist, kehren die »Erstbegründungsprobleme« des subjektiven Standpunkts bei ihm konsequenterweise als »Letztbegründungsfragen« einer von Ideen angeleiteten und unter Postulaten operierenden »Philosophie der Hoffnung« wieder. Dies gilt auch im Zusammenhang des theoretischen Vernunftsgebrauchs. Die alte Formel veritas semper maior vermittelt ein Wissen von der Begrenzung der menschlichen Vernunfttätigkeit und dem Überschuss, der jeder geschichtlichen Erfassung von Wahrheit innewohnt: Im »Wechselspiel der Hinblicke« (Weisen sinnenhaften Anschauens) und der »Anblicke« (Weisen sinnenhafter Gegebenheit) erweist sich der Akt des Anschauens als ein »responsorisches Gestalten«. Daraus resultiert ein Wechselspiel von »Gegenstandsfähigkeit«, »Wahrheitsfähigkeit« und »objektiver Geltung«. Für die diachrone Konsonanz und die synchrone Kohärenz der Objektivitätsansprüche bedeutet dies: »Kein Inhalt einer Erfahrung, weder der eigenen noch der bezeugten fremden, kann als ›wahr‹ gelten, wenn er nicht das, was früher oder von anderen erfahren wurde, auszulegen und in ihrem Lichte neu ausgelegt zu werden vermag. Oder kurz: Objektivität als Geltung, ›für immer und für alle‹ ist der hermeneutische Anspruch, der einmal gemachten Erfahrung, alle anderen auszulegen und in ihrem Licht neu ausgelegt zu werden. Darum wird der hermeneutische Wechselbezug zur Bewährungsprobe beanspruchter Objektivität.« 33 32 33
Schaeffler 2004, I, 220–232; Nitsche 2005; Nitsche 2003, 395–436. Schaeffler 2004, I, 116.122.128.
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Es ist diese hermeneutische Form der diachronen Konsonanz (positive Reidentifikation) sowie der synchronen Kohärenz (positive Reintegration), welche in strukturverändernden, den Bedingungsrahmen des Verstehens modifizierenden Erfahrungsweisen aufscheint und in den Dialog mit anderen Objektivitätskriterien und Wahrheitsansprüchen einweist. War es der praktische Anspruch, sittliche Pflichten als göttliche Gebote anzusehen, und ist es der theoretische Anspruch, auf die Maßgeblichkeit der Welterfahrung zu antworten, so können sittliche Pflichten und die erfahrene Maßgeblichkeit der Welterfahrung unter religiösen Vorzeichen als Weisen verstanden werden, wie Gott den Menschen in Anspruch nimmt. Es ist daher die »postulatorische Hoffnung«, welche die Annahme begründet, in der Verschiedenheit der Ansprüche mit einer letzten Einheit zu tun zu haben und dem jeweils gleichen Gott zu begegnen. Er ist die Hoffnungsgröße, von der her die Wiedergewinnung des Selbstverstehens und Weltverstehens erhofft werden kann. 34
Bilanz – methodische Vermittlungsfähigkeit Indem Schaeffler weder der starken Version des transzendentalen Denkens in der Idealismusrezeption, noch dessen radikale Dekonstruktion in der frankophonen Heidegger- und Husserlrezeption folgt, steht sein transzendental-hermeneutisch vermittelndes Denken noch immer quer zum Mainstream der innerkatholischen Diskurse. Schaeffler geht davon aus, dass »jeder Systemansatz auf eine historisch spezifische transzendentale Struktur« zurückgeführt werden kann. Deshalb verknüpft sich die Geschichtsreflexion mit der Wahrheitsreflexion. Die Geschichtlichkeit der Wahrheit ist dann durch die Geschichtlichkeit der Formen bestimmt, welche einen »historisch spezifischen Wahrheitshorizont« begründen. So darf auch die bei Richard Schaeffler auszumachende innere Verschränkung von transzendentaler Formalität und Materialität als eine Resonanz der Rezeption des kantischen Denkens bei Hermann Cohen angesehen werden. Indem die Formalität oder Abstraktheit der transzendentalen Reflexion in die konkrete historische Situation und individuelle Formung eingebunden wird, entsteht jene 34 Für eine detaillierte Rekonstruktion und Auseinandersetzung vgl. Nitsche 2001, 127–188, bes. 171 ff. Irlenborn 2003.
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»Brechung«, die Richard Schaeffler als Dialektik des praktischen und theoretischen Vernunftsgebrauchs ausarbeitet. Die konkrete individuelle und historische Situierung fragiler, menschlicher Individualität sowie die Ausarbeitung der Dialektik ihres Vernunftsgebrauchs führt Richard Schaeffler zu einer konsequent postulatorischen Fassung des transzendentalen Denkens. Damit wird die Philosophie zu einer Gestalt des Denkens der Hoffnung. Sie verweist sowohl auf das Erfordernis einer mit sich versöhnten moralischen Subjektivität als auch auf die Notwendigkeit, angesichts der Differenz aller Wirklichkeitsaspekte, Wahrheitsantizipationen und Geltungsansprüche das Denken auf eine letzte Einheit aller Wirklichkeit hin ausrichten zu können und auf einen letzten Zusammenhang aller Wirklichkeitsaspekte hoffen zu dürfen. Diese Forderungen der praktischen und theoretischen Vernunft machen für einen postulatorischen Vernunftglauben ansprechbar. Sie weisen auf eine unbedingte Bedingung hin, die der Mensch selbst nicht verbürgen, sondern nur erhoffen kann. Richard sieht darin die jüdische Dimension auch des kantischen Denkens angezeigt, insofern es auf ein Hoffen verweist, das selbst nicht transzendentaler Art ist. Bereits an anderer Stelle habe ich den Vorschlag unterbreitet, Schaefflers Denken im »Geviert« der postmetaphysischen Begründungsansätze zu situierten. Der erstphilosophische Methodenkonflikt zwischen streng »transzendentallogischen« (Fichte, Krings) und konsequent »phänomenologischen« (Derrida, Levinas) Reduktionsverfahren könnte erstphilosophisch zu einer komplementären Betrachtung in einem »reflektierten Gleichgewicht« (Rawls) der Begründungsstrategien anleiten. Gegenüber dieser Trias erstphilosophischer Diskurse bietet Schaefflers hermeneutisch begleitende Konzeption eines transzendental-geschichtlichen Denkens im Lichte der »ontologischen Differenz« eine kantianisch in Ideen orientierte und unter Postulaten der Hoffnung vergewisserte, so aber dialogisch offene und verweisende Form von Begründung an. Diese könnte nun komplementär zu den genannten drei Verfahren (transzendentallogische Reduktion, phänomenologischen Reduktion und dem reflektierten Gleichgewicht) mit dem Begriff der »postulatorischen« (eschatologischen) Reduktion charakterisiert werden.
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Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff 1 Thomas M. Schmidt
Wenn wir heute über Möglichkeiten einer Gotteslehre in einer pluralistischen Welt nachdenken, so drängt sich zunächst der Eindruck auf, dass der philosophische Diskurs über Religion in der Regel unter bewusster Ausklammerung philosophischer Gottesbegriffe geführt wird. Seit Kant lautet die vorherrschende philosophische Auffassung, dass die Gotteslehre der metaphysischen Tradition durch eine Theorie des religiösen Bewusstseins abgelöst worden sei. Mit der Aufklärung tritt Religionsphilosophie an die Stelle der philosophischen Theologie. Wenn philosophische Gotteslehre in der Gegenwart noch betrieben wird, so scheint es sich dabei eher um Theologie zu handeln, um die Selbstvergewisserung bestimmter religiöser Bekenntnisse mit philosophischen Mitteln. Eine allgemeine Theorie der Religion scheint dagegen unter pluralistischen und säkularen Bedingungen auf einen Gottesbegriff ausdrücklich verzichten zu müssen. Gottesbegriffe sind etwas spezielles, gebraucht werde aber ein allgemeiner Religionsbegriff. Diese Diagnose verschärft sich durch die kulturwissenschaftliche Wende der Religionswissenschaften, die ebenfalls durch Erfahrungen des religiösen Pluralismus verursacht und beschleunigt wird. Unter den pluralistischen und säkularen Bedingungen der Gegenwart herrscht in den Religionswissenschaften eine Skepsis gegenüber einem allgemeinen Begriff der Religion. Diese Skepsis wird verstärkt durch eine grundsätzliche Kritik an der Kategorie des Bewusstseins und durch die Privilegierung funktionaler oder kulturalistischer Religionsbegriffe. Die kulturwissenschaftlichen Religionswissenschaften nehDieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: Ermenegildo Bidese, Alexander Fidora, Paul Renner (Hrsg.), Philosophische Gotteslehre heute. Der Dialog der Religionen, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008, 9–26. Der Autor dankt den Herausgebern und dem Verlag der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck an dieser Stelle.
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men nicht nur Abschied von Religionskonzepten, die in Bezug zu einem Gottesbegriff formuliert werden, sondern auch von mentalistischen oder phänomenologischen Ansätzen, die Religion als ein Bewusstseinsphänomen thematisieren. In einflussreichen Strömungen der Religionswissenschaft wird daher die Möglichkeit und Notwendigkeit eines allgemeinen Religionsbegriffs überhaupt geleugnet.
Philosophischer Begriff der Religion Ein allgemeiner und zwar philosophischer Begriff der Religion scheint allerdings unverzichtbar. Das zeigen gerade die Versuche, eine empirisch gehaltvolle Analyse religiöser Phänomene unter Bedingungen der Säkularisierung zu entwickeln. Angesichts der komplexen Wechselwirkungen zwischen Religion und Gesellschaft und angesichts der Ambivalenz des Säkularisierungsprozesses scheint es unmöglich, den Begriff der Säkularisierung auf eine definite Weise zu verwenden, ohne zugleich den Begriff der Religion genau zu bestimmen. Die Interpretation einer bestimmten historischen und gesellschaftlichen Entwicklung als Verlust, Veränderung oder Wiederbelebung einer religiösen Tradition ist in erheblichem Maße abhängig vom vorausgesetzten Begriff der Religion. Allerdings erschwert der kulturelle und religiöse Pluralismus ohne Zweifel die Formulierung eines solchen allgemeinen Religionsbegriffs, da religiöse Phänomene faktisch und legitim immer schon in der Mehrzahl auftreten. Vor diesem Hintergrund leuchtet die Skepsis vieler Religionswissenschaftler gegenüber einer allgemeinen philosophischen Religionsdefinition ein. Aber auch empirisch arbeitende Religionssoziologen beharren darauf, »dass der gänzliche Verzicht auf eine Begriffsklärung zur Übernahme unreflektierter Voraussetzungen in die religionswissenschaftliche Arbeit« 2 führe. Ein allgemeiner Religionsbegriff besitzt die Aufgabe, den Gegenstandsbereich der empirischen Religionswissenschaften abzugrenzen, die Vergleichbarkeit religiöser Phänomene zu sichern und die Identität und Unauflösbarkeit des Gegenstandes religionswissenschaftlicher Forschung und damit die Identität und Kontinuität der Religionswissenschaften zu garantieren. Aus philosophischer Sicht ist auf diese Unverzichtbarkeit eines 2
Pollack 2003, 29.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
allgemeinen Begriffs der Religion immer wieder von Richard Schaeffler hingewiesen worden. Notwendig erscheint Schaeffler ein allgemeiner Begriff der Religion, weil es ohne ihn erstens »nicht möglich (ist), denjenigen Bereich auszugrenzen, der in den empirischen Religionswissenschaften erforscht werden soll« 3 . Zweitens erscheint es ohne einen allgemeinen Religionsbegriff nicht möglich »Erscheinungen aus verschiedenen Religionen miteinander zu vergleichen«. 4 Ohne einen Begriff von Religion erscheint es »schließlich nicht möglich, Phänomene, die als religiös angesehen werden, kritisch zu beurteilen, ohne sie einem sachfremden Maßstab zu unterwerfen« 5 . Diese drei Funktionen des Religionsbegriffs gewinnen Schaeffler zufolge heute, »im Zeitalter des intensiver werdenden Dialogs zwischen den Religionen, erhöhte Bedeutung.« 6 Der Notwendigkeit eines allgemeinen Religionsbegriffs stehen wohlbekannte Schwierigkeiten gegenüber. Zu nennen ist hier vor allem die Spannung zwischen funktionalistischen und substantialistischen Religionskonzeptionen, zwischen Religionsbegriffen, die einerseits zu weit und zu unspezifisch, andererseits zu eng am Selbstverständnis einer bestimmten Religion angelehnt sind. Diese Spannung manifestiert sich häufig als begriffliche Unterscheidung zwischen »Religion« und »Religiosität«. »Religion« bezeichnet einerseits bestimmte gesellschaftliche Institutionen, andererseits eine individuelle Form von »Religiosität«, die allgemein und schwer zu bestimmen scheint. 7 Die Aufgabe eines allgemeinen Religionsbegriffs hat so die Gestalt der Suche nach einer spezifischen Form von Religiosität angenommen. Gesucht wird eine Dimension, in der Religion sich gerade als unabhängig von allen anderen praktischen und theoretischen Vollzügen, also unabhängig von Politik und Recht, von Wissenschaft, Metaphysik und Moral erweist. Zugleich soll sie unabhängig sein von einer bestimmten, konfessionell geprägten Form von Religiosität. Diese gesuchte Dimension wird gerade in jener Individualität situiert, die durch die Prozesse der Säkularisierung und Ausdifferenzierung überhaupt erst freigesetzt und als eigenständige, sich selbst definieren müssende Personalität
3 4 5 6 7
Schaeffler 2000, 33. Ibid., 33. Ibid., 33. Ibid., 34. Wagner 1999.
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konstituiert wurde. Mit Schleiermacher entspringt so ein breiter Strom der Religionsphilosophie, der diese eigene Dimension der Religion gerade in jenem radikalen individualisierten modernen Bewusstseins sucht. In zahlreichen Ansätzen zur Theorie der Religion unter Bedingungen der Moderne wird daher der Ansatz beim individuellen religiösen Bewusstsein gewählt. Genauer hin wird dieses Bewusstsein verstanden als das Verhältnis einer radikal endlichen, aber unbestimmten Individualität zur unendlichen Vielfalt in sich rein sachlogisch, d. h. religionsfrei bestimmter Teilsysteme und Handlungsmöglichkeiten. Individualisierung wird dann nicht als Prozess verstanden, der das religiöse Bewusstsein äußerlich tangiert oder gar als ein Zersetzungsprozess gefährdet, sondern gerade wesentlich konstituiert.
Begriff der Religion als Begriff des religiösen Bewusstseins Der Ansatz bei der Unhintergehbarkeit des religiösen Bewusstseins erscheint religionsphilosophisch vorwiegend in Gestalt vermögenstheoretischer Versuche, das Spezifische religiöser Erfahrung im Rahmen einer allgemeinen Strukturtheorie von Erfahrung überhaupt zu bestimmen. Religion wird als Religiosität über die Bedingung der Möglichkeit der Konstitution von Sinn eingeführt. Damit erscheinen philosophische Religionsbegriffe dieser Art zugleich im besonderen Maße anschlussfähig an die moderne Soziologie. Die Religion der Moderne spezialisiert sich in dieser Perspektive auf Individualität. Dies ist kein Plädoyer für Individualisierung der Religion im Sinne von Privatisierung und Innerlichkeit. Es geht um die individuelle Reflexion der Differenz zwischen Personalität, d. h. konkreter, bestimmter Individualität, und Sozialität. So findet Religion Falk Wagner zufolge ihren Ort in der Reflexion der »Differenz zwischen Personalität und Sozialität in der Perspektive der Individuen«. Die Religion der Moderne bietet sich »als ein sozialer Ort an, an dem die […] Differenz zwischen Personalität und Sozialität in der Perspektive der Individuen reflektiert wird.« 8 Damit ist der Anschluss an soziale Kommunikation gewahrt, ja die besagte Reflexion der Differenz zwischen Personalität und Sozialität kann nur als kommunikative Handlung, als sprachliches, d. h. reflexives und öffentliches Geschehen, nicht als rein mentales Ereignis ver8
Ibid., 26–27.
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standen wird. Daher ist mit »religiösem Bewusstsein« auch nicht reine Innerlichkeit im Sinne von gefühlsmäßigem Erleben gemeint. Es geht gerade um die begriffliche Leistung der Reflexion der Differenz von konkreter endlicher Wirklichkeit in einem logisch unendlichen Raum von Möglichkeiten. 9 Mit der spezifisch modernen Eröffnung der Freiheitsräume für die Individuen entsteht zugleich der Zwang des Wählens- und Entscheidenmüssens. Da Alternativen als gleichberechtigte erscheinen, mehrere Optionen als rational erscheinen, entsteht zugleich erhöhter Rechtfertigungsdruck für jede Wahl. Genau in dieser Situation eines spezifisch modernen Bewusstseins konstituiert sich Religiosität. Es besteht somit eine strukturelle Analogie zwischen dem religiösen und dem säkularem Bewusstsein. Das moderne säkulare Bewusstsein ist das Bewusstsein einer unvermeidlichen Wahl von legitimen Alternativen der Festlegung von Überzeugungen und Handlungsmöglichkeiten bei gleichzeitiger Pflicht zur Rechtfertigung dieser Wahl. Das religiöse Bewusstsein konkretisiert diese allgemeine Struktur notwendiger und rechenschaftspflichtiger Wahl, indem es die je konkreten Wahlmöglichkeiten auf einen letzten umfassenden Möglichkeitshorizont bezieht und seine endliche Existenz damit in ein bewusstes und ausdrückliches Verhältnis zu jener logischen und lebenspraktischen Unbedingtheit setzt. Durch die existentielle Situation radikaler Wahl und Verantwortlichkeit ist das religiöse Bewusstsein also noch nicht hinreichend spezifiziert. Es gehört dazu der Ausgriff auf die Gesamtheit aller Möglichkeiten und die logische Totalität ihrer Bedingungen, das Unbedingte. Diese Spezifizierung des religiösen Bewusstseins durch den Begriff des Unbedingten erscheint notwendig, um sie als eine bestimmte Dimension des Bewusstseins von anderen Strategien der Kontingenzbewältigung abgrenzen zu können. »Die Unbedingtheitsdimension von Sinn ist das eigentliche Lebenselement der Religion.« 10 Es handelt sich aber dabei um einen formalen Begriff des Unbedingten, der nicht durch eine bestimmte inhaltliche Erfahrung oder Lehre festgelegt wird. Der Ausgriff auf Unbedingtheit ergibt sich aus einer Strukturanalyse des religiösen Bewusstseins, nicht aus einer ReDalferth 2003. Siehe auch die von Hermann Schrödter analysierte religionsphilosophische Grundfigur der »modalen Transformation« in: Schrödter 1987. 10 Barth 2003, 14. 9
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flexion auf die vorgängige Gegebenheit eines substantiell verstandenen Unbedingten. Dieser Begriff von Unbedingtheit kann als ein formaler philosophischer Gottesbegriff verstanden werden. Nachkritisch kann »Gott« als ein sinnvolles Thema der Philosophie nur im Ausgang von der Rekonstruktion der allgemeinen subjektiven Sinnbedingungen menschlichen Sprechens und Handelns eingeführt werden. So wird etwa bei Thomas Rentsch die Einsicht in die Unvermeidbarkeit einer philosophischen Thematisierung des Gottesbegriffs aus zwei Gründen notwendig: Das radikale Bewusst- und Reflexivwerden der Grenzen der menschlichen Vernunft führt zur Erkenntnis Gottes als absoluter Sinngrenze. Die praktischen Konsequenzen dieser Einsicht in die Sinngrenze bestehen in der Erkenntnis und Anerkennung unverfügbarer transpragmatischer Sinnbedingungen. 11
Religiöses Bewusstsein als Bewusstsein Gottes Ein herausragendes Beispiel, wie ein philosophischer Gottesbegriff über eine solche Strukturanalyse des religiösen Bewusstseins eingeführt werden kann, bietet die transzendentale Analyse religiöser Erfahrung bei Richard Schaeffler. Schaeffler hat eine weiter entwickelte Transzendentalphilosophie vorgelegt, welche Dasein und Wesen Gottes aus einer Strukturanalyse der religiösen Erfahrung gewinnt und legitimiert. Religiöse Erfahrung erhält so die Funktion, den Grund der Herkunft und Legitimation philosophischer Gottesbegriff zu benennen. »Philosophische Begriffe können nur dann als Gottesbegriffe gelten, wenn sie sich als geeignet erweisen, die religiöse Erfahrung auszulegen«. 12 Schaeffler gewinnt aus der »Strukturanalyse der religiösen Erfahrung« die Kriterien, »an denen entschieden werden kann, ob eine vermeintliche religiöse Erfahrung sich auf eine Wirklichkeit oder auf Fiktionen bezieht«. 13 Die Aufgabe besteht nach Schaeffler darin, das Verhältnis der konstitutiven Leistungen und der erlebten Erfahrungsmomente im Subjekt so zu vereinen, dass Projektionsverdacht ausgeschlossen ist. Zu diesem Zweck entwickelt Schaeffler Kants Transzendentalphilosophie hermeneutisch-dialogisch weiter. 11 12 13
Vgl. Rentsch 2005. Schaeffler 2004, 328. Ibid., 405–406.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
Schaeffler hält zunächst an den Grundintuitionen der transzendentalen Reflexion Kants fest, dass es notwendige Strukturen und Bedingungen von Erfahrungen gibt, welche die Regeln der Objektivität und Nachprüfbarkeit jeder möglichen Erfahrung ausmachen. Die Anschauungsformen von Raum und Zeit, die Kategorien des Verstandes und die Ideen der Vernunft sind notwendig, »wenn subjektive Erlebnisse in Inhalte objektiv gültiger Erfahrung transformiert« 14 werden sollen. Diese Formen bieten somit Kriterien, um Überzeugungen, die sich auf religiöse Erfahrung stützen, zu beurteilen und illegitime, überschwängliche Geltungsansprüche zurückweisen können. Diese Kriterien der Gültigkeit von Erkenntnis sind nach Kant – in der Perspektive endlicher Vernunft – identisch mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung. Daher stehen die Regeln des korrekten Verstandesgebrauchs in einer internen Beziehung zwischen den Gegebenheitsweisen der Gegenstände der Erfahrung. Dieser in Kants allgemeiner Theorie der Erfahrung eher implizit enthaltene Aspekt, muss nach Schaeffler durch eine hermeneutische Reflexion expliziert werden, die deutlich macht, dass Begriffe nicht nur Regeln der korrekten Urteilsbildung darstellen, sondern den phänomenologischen Gehalt bestimmter Erfahrung auslegen. Ein weiterer Grund für eine solche erläuternden Explikation Kants tritt hinzu. Kant hatte eingeräumt, dass sich der begreifende Verstand auf unterschiedliche Erfahrungsdimensionen unterschiedlich bezieht. Gerade wenn Transzendentalphilosophie als eine Kriterienlehre für eine legitime Berufung auf Erfahrung verstanden wird, dann ist zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Erfahrungsarten unterschiedliche Arten von Kriterien für die Zuverlässigkeit der auf sie gründenden Urteile erfordern. Kant hat dies klassischerweise mit seiner Unterscheidung zwischen dem theoretischen und praktischen Verstandesgebrauch entwickelt. Diese Unterscheidung besitzt ja erhebliche religionsphilosophische Konsequenzen, denn während die Erkenntnis, dass Gott ist und was er ist, im theoretischen Verstandesgebrauch unmöglich ist, so wird die Erkenntnis der Existenz und des Wesens Gottes im praktischen Verstandesgebrauch nicht nur zu einer Möglichkeit, sondern gerade zu einer Notwendigkeit eines Denkens, das sich über seine Grenzen kritisch reflexiv vergewissert. Damit zieht Schaeffler zufolge eine dialektische Spannung in das begreifende Denken im gan14
Ibid., 158.
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zen ein. Diese Spannung muss gelöst werden, wenn die unterschiedlichen Arten menschlicher Erfahrung – z. B. Wissenschaft und Religion – sich nicht vollständig gegeneinander abschotten sollen. Wenn das Kontinuum menschlicher Erfahrung nicht zerfallen und zersplittern soll, dann ist stärker auf den Zusammenhang von theoretischem und praktischem Verstandesgebrauch zu achten. Für Schaeffler bietet Kants Postulatenlehre einen Weg, jene Dialektik der Vernunft im praktischen Verstandesgebrauch zu überwinden, welche im theoretischen Verstandesgebrauch gerade die Grenze gesicherten Wissens festlegt. Kant habe »nicht ausdrücklich« die Tatsache reflektiert, »dass von der Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs rückwirkend auch der theoretische mitbetroffen wird. Denn es ist ein und dieselbe Vernunft, die in beiden Weisen ihres ›Gebrauchs‹ tätig wird. Wenn daher ›Natur‹ und die ›Welt der Zwecke‹ nicht mehr widerspruchsfrei als Teile der einen Welt gedacht werden können, dann zerfällt auch die Einheit des Aktes ›Ich denke‹ in mehrere verschiedene Subjektivitätsweisen.« 15 Um die speziell religiöse Dimension menschlicher Erfahrung begreifen zu können, muss daher zwischen einer allgemeinen und einer speziellen Transzendentalphilosophie unterschieden werden. »Religiöse Erfahrung« meint unter den Voraussetzungen einer speziellen Transzendentalphilosophie die Möglichkeit der Erfahrung Gottes oder einer höchsten oder transzendenten Wirklichkeit. »Religiöse Erfahrung« ist danach zu verstehen als Ausdruck eines autonomen Moments allgemeiner menschlicher Erfahrung und ist nicht auf Bekehrungs-, Bekenntnis- oder Meditationspraktiken einer bestimmten Religion zu reduzieren. Religiöse Erfahrung besitzt spezifische Formen, die den Gehalt subjektiver religiöser Erlebnisse in den Inhalt objektiv gültiger Erfahrung transformieren. Daher sind die Formen der objektiven Gültigkeit religiöser Erfahrung nicht identisch mit denen der Wissenschaft. Religiöse Erfahrung ist aber andererseits nicht stumm, blind und ohne Kriterien. Zugleich wird deutlich, warum die Begriffe, welche diese Formen religiöser Erfahrung explizieren, ihre eigene Legitimation nur auf dem Weg des Nachweises ihrer Auslegungskompetenz konkreter religiöser Erfahrung erwerben können. Gerade unter einer transzendentalphilosophischen Perspektive wird deutlich, dass Erfahrungsinhalte kein Nebeneinander isolierter neutraler Daten darstellen, sondern 15
Ibid., 233.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
immer schon ein begrifflich geordnetes Feld der Interpretation und Artikulation voraussetzen. Der Rekurs auf die erste Person Singular und ihre Deutungsleistungen bleibt unverzichtbar. Die Tatsache, dass ein bestimmtes Erlebnis etwas für meine Lebensorientierung bedeutet, lässt sich nicht vollständig in Analogie zum Informationsinput durch Sinnesdaten verstehen. Erfahrung ist zwar notwendige, aber nicht schon hinreichende Bedingung der Wahrheit oder Wirklichkeit des in ihr Erfahrenen. Allerdings wird hier eingeräumt, dass der Erfahrungsbezug ein notwendiges, wenn auch nicht hinreichendes, Moment der Bestätigung und Rechtfertigung religiöser Überzeugungen darstellt. Religionsphilosophie als spezielle Transzendentalphilosophie betont so die unverzichtbare Leistung des Subjekts, aber nicht nur im Sinne des empirischen Subjekts, der ersten Person Singular. Es geht um mehr als um die Jemeinigkeit des Erlebten und die Interpretationsabhängigkeit von Erfahrung, sondern um die erkenntniskonstitutive Funktion von Subjektivität. Es geht dabei um den Weg vom erfahrenen Gegenstand zum Grund der Erfahrung, von der spezifischen Gegebenheitsweise des Gehaltes einer Erfahrung zum konstitutiven und legitimierenden Grund dieser Erfahrung. Es geht, religionsphilosophisch gesprochen darum, wie die »Wirklichkeit Gottes«, nicht nur als ein besonderer Gegenstand religiöser Erfahrung verstanden werden kann, sondern als ihr Grund. Dies ist genau das Anliegen von Transzendentalphilosophie, die Konstitutionsbedingungen und Erfahrungsqualitäten im Subjekt der religiösen Erfahrung so zu verbinden, dass sie als Einheit von Ermöglichungsgrund und Gegenständlichkeit der Erfahrung erscheinen. »Religiöse Erfahrung« meint unter den Voraussetzungen einer speziellen Transzendentalphilosophie die Möglichkeit der Erfahrung Gottes oder einer höchsten oder transzendenten Wirklichkeit. So wird das religiöse Bewusstsein als der Ort thematisiert, an dem Gottes Gegenwart gewusst wird und an dem zugleich die Differenz zwischen Gott und endlichem Subjekt, das Gegebensein des religiösen Inhalts für ein religiöses Bewusstsein gewusst wird. Die interne Selbstunterscheidung von individuellen Bewusstsein und Wissen von Gott wird vom religiösen Bewusstsein selbst vollzogen. 16 16 »Der Glaube ist nicht etwas anderes als Religion, sondern er ist Religion in Gestalt eines religiösen Bewusstseins, das zwischen dem menschlichen Vollzug des Sich-aufGott-Beziehens und der Ermöglichung dieses Bezuges durch die sich ihm erschließende Gottheit unterscheidet. Es ist das religiöse Bewusstsein selbst, das nicht durch sich und
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Einwände Ein erster, religionsphilosophischer Einwand gegen den hier behaupteten Konnex zwischen einer Theorie der religiösen Bewusstseins und formalem philosophischen Gottesbegriff lautet, dass eine philosophische Theorie des religiösen Bewusstseins sehr wohl ohne Gottesbegriff möglich sei (a). Ein zweiter, gewissermaßen säkular philosophischer Einwand besagt, dass Gott als möglicher Grund und Inhalt des religiösen Bewusstseins kein Thema der zeitgenössischen, »methodisch agnostischen« Philosophie darstellt. Eine allgemeine philosophische Theorie der Religion müsse daher in logischer Unabhängigkeit zu Gottesbegriffen entwickelt werden (b). Ein dritter Einwand stützt sich schließlich auf eine grundsätzliche Kritik an jeder Form von Subjektphilosophie und bezweifelt die Tragfähigkeit religionsphilosophischer Ansätze, die unter solchen begriffstheoretischen Voraussetzungen operieren (c). Der erste, religionsphilosophische Einwand, kann in zwei Varianten auftreten, je nachdem ob Religion eher am Leitfaden des Begriffs der Überzeugung oder der Erfahrung konzeptualisiert wird. Im ersten Fall lautet der Einwand, dass religiöse Überzeugungen als Ausdruck von Einstellungen, nicht als Behauptungen verstanden werden müssten. Der zweiten Variante zufolge bezeichnet Religiosität eine bestimmte menschliche Erfahrungsweise, nicht das Gegebensein eines bestimmten Gehaltes. Beiden Auffassungen zufolge, kann religiöses Bewusstsein oder Religiosität daher ohne den konstitutiven Bezug zu einem bestimmten und ausgezeichneten Gehalt dieses Bewusstseins, wie etwa einem formalen Gottesbegriff, bestimmt werden. (a) Es ist offensichtlich, dass kein Begriff in der gegenwärtigen Religionsphilosophie so zentral erscheint wie der Begriff der religiösen Überzeugung. Religiöse Überzeugungen, so wird in diesen Debatten immer wieder eingeschärft, besitzen einen holistischen Charakter, sie können nicht wie einzelne Aussagen oder Hypothesen begründet oder falsifiziert werden. »Religiöse Überzeugungen haben einen existentiell bedeutsameren Status als wissenschaftliche Theorien oder Hypothesen. Wer glaubt und seine Glaubensaussagen etwa in Form von Überzeugungen in eine kognitiv und epistemisch fassbare Form bringt, der seine unendlichen Wünsche, sondern durch eine außerhalb seiner selbst liegende absolute Realität, durch die Begegnung mit Gott, wahr sein möchte.« Gräb 1999, 126.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
legt das Bild offen, in dem er sich bewegt, um sich in seiner Welt zu orientieren.« 17 So Thomas Schärtl in seiner preisgekrönten Antwort auf die genannte Frage. Dennoch bleibt der Bezug zum Wahrheitsproblem, die Frage nach der Gültigkeit, Allgemeinheit und Objektivität solcher Überzeugungen unausweichlich, gerade im Zeitalter von religiösem Pluralismus und Fundamentalismus. Wir benötigen Kriterien, »die uns helfen könnten, zwischen adäquaten und inadäquaten religiösen Überzeugungen zu unterscheiden«.18 Dazu ist strenge Allgemeinheit und Notwendigkeit erforderlich. Die subjektive Gewissheit der religiösen Überzeugung muss mit der objektiven Wahrheit vermittelt werden, der kognitiv-propositionale und der existentiell-pragmatische Aspekt religiöser Überzeugungen gehören untrennbar zusammen, religiöse Überzeugungen dürfen weder auf ihre kognitiv-propositionalen noch auf ihre expressiv-regulativen Elemente reduziert werden. Auch die Konzeption religiöser Erfahrung kann den Inhalt religiöser Erfahrung und damit die Frage nach der Objektivität des Gottesbegriffs nicht unthematisiert lassen. Wenn man unter »religiöse Erfahrung« eine bestimmte Dimension allgemein menschlicher Erfahrung versteht, stellt sich nämlich die Frage nach dem Spezifikum dieser Erfahrungsart. Die Frage, was diese Erfahrung von anderen Erfahrungen, z. B. der ästhetischen Erfahrung unterscheidet, lässt sich nicht ohne den Bezug auf bestimmte Inhalte klären. Religiöse Erfahrung mag zwar als unmittelbar erlebt werden, allerdings muss in der theoretischen Rekonstruktion dieser Erfahrung der phänomenologische Sinn von »Unmittelbarkeit« vom epistemologischen genau unterschieden werden. Phänomenologisch erscheint William James’ Bestimmung zutreffend, dass »das Gefühl die tiefere Quelle der Religion ist und dass philosophische und theologische Formeln sekundäre Produkte sind« 19 . Insofern religiöse Erfahrung aber als Grund bestimmter Überzeugungen einer Person dient, besitzt sie notwendig einen kognitiven Aspekt und die epistemische Funktion der Rechtfertigung der betreffenden Überzeugungen. Dieser irreduzible Eigenwert der epistemischen Funktion religiöser Erfahrung wird auch nicht dadurch aufgehoben, wenn man mit James davon ausgeht, dass es sich bei religiösen Überzeugungen um »interpretative und induktive Operationen« handelt, um »Opera17 18 19
Schärtl 2003, 18–53. A. a. O. 51.? James 1997, 426.
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tionen nach der Wirklichkeit, die dem religiösen Empfinden nachfolgen« 20 . Da der spezifisch religiösen Erfahrungsweise auch eine veridische Funktion zugeschrieben wird, die Rolle einer Evidenzbasis für religiöse Überzeugungen, muss die Frage nach der begrifflichen Bestimmtheit und Objektivität des Gehaltes dieser speziellen Erfahrung gestellt werden können. Nur wenn im Rahmen einer Theorie religiöser Erfahrung der phänomenologische Sinn und der epistemologische Sinn von Unmittelbarkeit sorgfältig genug unterschieden werden, sind auf Dauer die zwei Extreme einer Konzeptualisierung religiöser Erfahrung vermeidbar: die Immunisierung religiöser Erfahrung gegenüber rationaler Kritik oder die vollständige Reduktion auf die explanatorische Basis nicht-religiöser Überzeugungen, wie es gegenwärtig vorzugsweise in Form naturalistischer Erklärungen 21 geschieht. Grund und Gehalt religiöser Erfahrung müssen also in einer allgemeinen philosophischen Begrifflichkeit expliziert werden, die nicht selbst schon vollkommen identisch ist mit der Selbstbeschreibung des religiösen Bewusstseins. (b) Der zweite, säkular-philosophische Einwand gegen die interne Verknüpfung von Religionsbegriff und Gottesbegriff lautet, dass Gott als möglicher Grund und Inhalt des religiösen Bewusstseins kein Thema der zeitgenössischen, »methodisch agnostischen« Philosophie sein kann. Zu denken ist hier etwa an Habermas’ Rede vom opaken Kern der religiösen Erfahrung. Die säkulare Vernunft kann sich Habermas zufolge »das, wovon im religiösen Diskurs die Rede ist«, »nicht als religiöse Erfahrungen zu eigen machen« kann. Der »opake Kern religiöser Erfahrung« könne von einer »agnostisch bleibenden Philosophie« nur eingekreist, nicht aber mit den begrifflichen Mitteln der Philosophie durchdrungen werden. Wenn Religion aber als mögliche Quelle der Motivation und Interpretation verstanden werden soll, als semantisches Potential, auf das die säkulare Vernunft stellvertretend zurückgreift, um neue Problemlagen und ethische Dilemmata überhaupt erst beschreiben zu können, dann kann die philosophische Vernunft den Kern der religiösen Erfahrung nicht nur umkreisen. Dabei geht es hier nicht darum, den Formunterschied zwischen philosophischer Argumentation und religiösem Erleben aufzuheben. Aber die den religiösen Traditionsbestand aneignende säkulare Vernunft muss 20 21
James 1997, 428. Dennett 2006.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
über einen autonomen Begriff religiöser Erfahrung, mindestens einen formalen Strukturbegriff religiöser Erfahrung verfügen. Sie muss wissen können, welche Überzeugungen überhaupt als mögliche Kandidaten für den Inhalt authentischer religiöser Erfahrung gelten können, wenn sie sich die semantischen Ausdrucksgestaltungen solcher Erfahrung übersetzend aneignen will. Religiöse Überzeugungen erheben kognitive Ansprüche, die mit Geltungsgründen verknüpft sind. Religion enthält, anders als die Kunst, eo ipso kognitive Anteile. Anders als ästhetische Anschauung fungiert religiöse Erfahrung auch als Geltungsbasis von Überzeugungen. Mindestens dieses Verhältnis von Überzeugungen und ihrer Begründungsbasis scheint doch einer philosophischen Analyse zugänglich sein zu müssen. Gerade die Aufgabe, das Phänomen Religion unter säkularen und pluralistischen, d. h. multikulturellen und multireligiösen Bedingungen intellektuell angemessen zu erfassen, erfordert einen allgemeinen Begriff der Religion. Dieser Begriff muss philosophisch sein, da er die allgemeine begriffliche Struktur der Phänomens Religion erfassen muss. Zudem muss gerade angesichts legitimer religiöser Vielfalt die Frage nach der Rationalität und Wahrheit religiöser Überzeugungen sinnvoll gestellt und beantwortet werden können. Dies geht nicht ohne eine Theorie der Struktur des religiösen Bewusstseins, die zu ihrer Bestimmtheit auf einen Gottesbegriff angewiesen ist. Der Gottesbegriff ist dabei nicht nur Thema einer philosophisch argumentierenden theologischen Selbstvergewisserung, sondern liegt in der Reichweite einer originären philosophischen Argumentation. Gerade unter pluralistischen und säkularen Bedingungen ist Religionsphilosophie auf eine philosophische Gotteslehre angewiesen, die nicht notwendig identisch sein muss mit religiöser Philosophie. (c) Es ist das Anliegen von Religionsphilosophie als spezieller Transzendentalphilosophie, die Konstitutionsbedingungen und Erfahrungsqualitäten im Subjekt der religiösen Erfahrung so zu verbinden, dass sie als Einheit von Ermöglichungsgrund und Gegenständlichkeit der Erfahrung erscheinen, also einen erfahrungstheoretischen Begriff des religiösen Bewusstseins mit einem formalen Gottesbegriff als Grund und Inhalt dieses Bewusstseins zu verbinden. Wie aber lässt sich in der Gegenwart die Idee von Transzendentalphilosophie und damit die Idee von Religionsphilosophie als spezieller Transzendentalphilosophie im Horizont gegenwärtiger philosophischer Strömungen verteidigen? Wie lassen sich die subjektivitätstheoretischen Einsichten Kants 209 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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und Hegels, der Gedanke, dass Bedeutung und Rationalität von Überzeugungen, die Objektivität von Erfahrungsgehalten im Prinzip der Subjektivität fundiert sind, im analytisch geprägten Diskurs der gegenwärtigen Philosophie aufrecht erhalten? Um am Projekt einer transzendentalhermeneutischen Verknüpfung einer Theorie des religiösen Erfahrungsbewusstseins und philosophischem Gottesbegriff festhalten zu können, muss gezeigt werden können, dass das Prinzip der Subjektivität nicht nur eine psychologische, sondern eine erkenntniskonstitutive Funktion besitzt. Für eine philosophische Verteidigung des Subjektivitätsgedankens können jene Strömungen in der analytischen Philosophie als Anknüpfungspunkt dienen, in denen Themen und Argumente der Transzendentalphilosophie Kants und der idealistischen Philosophie Hegels wieder rehabilitiert und aufgenommen werden. Dies lässt am vieldiskutierten Beispiel des »post-analytischen« Ansatzes von Robert Brandom 22 zeigen, der auch in religionsphilosophischer Hinsicht nicht ohne Relevanz ist. Brandom geht von jenen epistemologischen Fragen aus, die auch im Zentrum der gegenwärtigen analytischen Religionsphilosophie stehen: Was ist der spezifische Gehalt einer Überzeugung? Worin bestehen ihre Rechtfertigungsgründe? Von dort eröffnet sich der Weg zu einer Rehabilitierung subjektivitätstheoretischer Überlegungen im Kontext analytischer Epistemologie. Überzeugungen gehören zur Klasse der propositionalen Einstellungen. Der propositionale Gehalt einer Überzeugung ist laut Brandom als begrifflicher Gehalt zu verstehen. Worin besteht dieser begriffliche Gehalt, worin besteht Begrifflichkeit? Zunächst legt Brandom Wert auf die Betonung der fundamentalen Differenz zwischen Wesen, die sich mit Hilfe von Begriffen auf etwas beziehen können und solchen, die dazu nicht in der Lage sind – also Wesen, die sich nur fühlend auf ihre Umwelt beziehen können, aber nicht erkennend. Für eine begriffliche Bezugnahme auf etwas reicht die Fähigkeit, Stimuli klassifizieren und adäquat auf sie reagieren zu können, nicht aus. Denn dann würde bereits ein Thermostat über Begriffe verfügen und wir müssten ihm Überzeugungen zuschreiben. Auch die antrainierte Fähigkeit eines Papageis, beim Anblick eines roten Gegenstandes, das Wort »rot« zu rufen, ist nicht gleichbedeutend mit dem Verfügen über den Begriff »rot«. Denn über einen Begriff 22
Brandom 1994. Dt: Brandom 2000, Brandom 2001.
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff
verfügen wir nach Brandom erst, wenn wir wissen, welche inferentielle Rolle er in einem semantischen Netz von Propositionen spielt. Begriffliche Gehalte sind bestimmt durch die Position, die sie als mögliche Prämissen oder Konklusionen in einem logisch-semantischen Netz innehaben. Der semantischen Erklärung der Inferenz räumt Brandom daher den Vorrang vor der Erklärung der Referenz sprachlicher Ausdrücke ein. Die inferentielle Semantik vertritt damit zugleich einen Bedeutungsholismus. Wir verfügen nie über bloß einen Begriff, sondern immer über ein Bündel von Begriffen. Worin besteht nun aber der Gehalt von Begriffen? Was verleiht einem Begriff Bedeutung? Semantische Theorien begrifflicher Bedeutung versuchen diese Frage zu beantworten, indem sie den Begriff der Wahrheit als fundamental ansehen. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu verstehen bedeutet die Bedingungen zu kennen, unter denen er wahr ist. Eine formale Semantik, die eine Theorie der Wahrheitsbedingungen von Sätzen entwickelt, bildet nach diesem Verständnis den Ausgangspunkt und die Grundlage einer umfassenderen Theorie der Bedeutung. Pragmatistische Theorien sehen dagegen den Gebrauch sprachlicher Ausdrücke als fundamental an. Brandom teilt diese pragmatistische Grundthese. Um zu verstehen, wie sprachliche Ausdrücke Bedeutung erlangen, müssen die Handlungen untersucht werden, in denen sie gebraucht werden. Brandoms Ansatz kombiniert auf geschickte Weise infererentielle Semantik mit einem normativen Pragmatismus. Das Verfügen über einen Begriff bedeutet, sich auf eine bestimmte inferentielle Gliederung eines semantischen Gehalts festzulegen und festlegen zu lassen. Begriffe sind Normen, welche die Korrektheit von Zügen in einem diskursiven Spiel des Gebens und Forderns von Gründen bestimmen. Begrifflicher Gehalt ist also primär von der Rolle her zu verstehen, die er im Prozess des Gebens und Nehmens von Gründen spielt und nicht primär als »Repräsentation« außerbegrifflicher Gehalte. Brandom widerspricht damit einer weit verbreiteten Auffassung, die er als das »repräsentationale Paradigma« 23 bezeichnet. Das repräsentationale Paradigma besitzt Brandom zufolge noch heute die Vorherrschaft in der Epistemologie, der Semantik und der Philosophie des Geistes. So zielen die meisten naturalistischen und funktionalistischen Theorien des Geistes darauf, eine allgemeine Theorie des Bewusstseins 23
Brandom 2001, 17.
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auf der Basis eines Konzepts der begrifflichen Repräsentation zu entwickeln. Brandom fasst dagegen begriffliche Tätigkeit, den Gebrauch von Begriffen, als Expression, nicht als Repräsentation. Expression ist hier nicht als Beziehung eines inneren Gehalts zum äußerlichen Ausdruck zu verstehen, etwa in Gestalt einer Geste, sondern das Explizitmachen eines Impliziten. Expression meint nicht einen Prozess, in dem etwas Inneres zu etwas Äußerem transformiert wird, wie im Falle des Ausdruckshandelns, sondern eher Explikation, die ausdrückliche Artikulation eines impliziten Regelwissens. Begriffliche Gehalte explizieren Normen der impliziten Korrektheit, das Wissen, wie etwas funktioniert. Begriffe machen einen impliziten Gehalt korrekt ausgeführter Züge in einem diskursiven Spiel des Gebens und Forderns von Gründen explizit. Einen Begriff so zu gebrauchen, dass ihm Bedeutung zukommt, heißt also einer Norm zu folgen. Brandom entlehnt dieses pragmatistische Motiv nicht nur Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung, sondern beruft sich ausdrücklich auch auf Kant. Auch Kant thematisiert den Gehalt von Begriffen nicht vorrangig als Repräsentationen, sondern als Resultat der korrekten Anwendung von Normen des Verstandes. Begriffe sind Kant zufolge Regeln des Verstandes, Der Gebrauch des Verstandes, also die Tätigkeit des Urteilens, wird wie Handeln geleitet von impliziten Normen. Brandom interpretiert Kants Theorie des Begriffs daher als einen »normativen Pragmatismus«. Das Problem der Begriffstheorie Kants besteht Brandom zufolge jedoch darin, dass sie mit einem Zwei-Stufen-Modell der begrifflichen Bedeutung arbeitet. Auf einer ersten Ebene werden Begriffe, unabhängig von konkreter Erfahrung, in ihrem Bezug zu einem möglichen Gehalt definiert, der dann in einem zweiten Schritt empirisch gegeben wird. Mit der Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen trennt Kant die kategoriale Ebene der Festsetzung der Normen des korrekten Begriffsgebrauchs von der empirischen Ebene der Erzeugung des konkreten und bestimmten Gehalts von Begriffen. Es ist diese Trennung, die Hegels Kritik an Kant motiviert. 24 Kant übersieht nach Hegel, dass eine Untersuchung der Bedingungen korrekter Erkenntnis selbst bereits den Vollzug konkreter Erkenntnis darstellt und daher bereits immer schon bestimmte Normen des korrekten Begriffs-
24
Brandom 1999.
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gebrauchs akzeptiert sein muss, damit sie zu einem kontrollierbaren Ergebnis führen kann. Ein strukturell ähnliches Konzept begrifflicher Bedeutung, das die logische Ebene der Festlegung der Normen der korrekten Begriffsverwendung und die empirische Ebene der konkreten Bestimmung von Begriffen separiert, sieht Brandom in jenen Positionen am Werk, die formale Semantik und empirische Verifikation trennen. Quine hat eine solche Trennung zwischen der analytischen Ebene der logischen Festlegung der möglichen Begriffsbedeutung und der synthetischen Ebene der Bestimmung dieses Gehalts durch die empirische Überprüfung von Theorien kritisiert. Hegels Kantkritik erinnert Brandom zufolge an Quines Kritik am dritten Dogma des Empirismus, der Trennung zwischen analytischen und synthetischen Sätzen. Die idealistische Position, die Hegel als Alternative zur Transzendentalphilosophie Kants entwickelt, ist daher in einem pragmatistischen Sinn zu verstehen. Auch sie vertritt eine vergleichbare Auffassung über begriffliche Bedeutung, in der die logische Bestimmung des Gehalts von Begriffen und ihre empirische Anwendung nicht getrennten Ebenen zugewiesen werden. Hegel Position weist für Brandom jedoch nicht nur strukturelle Parallelen zu einer postanalytischen Philosophie der Bedeutung und der begrifflichen Erfahrung auf. Brandoms weitergehende These lautet, dass Pragmatismus und Hegelscher Idealismus sich einander erläutern. Die pragmatistische These, wonach der regelkonforme Gebrauch den Inhalt von Begriffen bestimmt, wird durch Hegels idealistische These ergänzt und unterstützt. Diese idealistische These besagt, dass der Raum der Begriffe die Struktur von Subjektivität besitzt. Struktur und Gehalt von Begriffen sind nach dem Muster der Selbstbeziehung eines Subjekts geformt. Brandom begründet die These von der wechselseitigen Verschränkung von Pragmatismus und Idealismus in folgenden Schritten: Begriffe machen einen impliziten normativen Gehalt korrekt ausgeführter Züge explizit. Dieser implizite normative Gehalt wird durch eine bestimmte soziale Praxis etabliert. Indem wir unser Handeln und das Handeln der anderen als sinnvoll, als begrifflich gehaltvoll interpretieren, nehmen wir eine normative Haltung der Bewertung und der Übernahme von Begründungspflichten ein. Dadurch entsteht aus einer gemeinsamen Praxis ein Netzwerk wechselseitiger normativer Verpflichtungen. Aufgrund des Gebrauchs von Begriffen wird der betreffenden Person somit der normative Status diskursiver 213 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Rechte und Pflichte zugeschrieben. Durch die intersubjektive Anerkennung seiner diskursiven Verpflichtungen konstituiert sich zugleich die Identität eines vernünftigen Subjekts. Diese Konstitution von Identität durch die Zuschreibung eines normativen Status ist laut Brandom jenes Verhältnis, das Hegel »Anerkennung« nennt. In diesen reziproken Prozessen der Zuschreibung von Verantwortung bilden sich Wesen, die nicht nur eine Natur, sondern eine Geschichte haben, weil sie propositionale Einstellungen besitzen, für die sie Gründe angeben können. Die idealistische These erklärt, worin die Einheit von sozialen Prozessen der Ich-Bildung und logischen Prozessen der Begriffsbildung besteht. Vollständige begriffliche Bestimmtheit besitzt Hegel zufolge nämlich die Struktur einer logischen Beziehung, die im strengen Sinn kein »Außen« besitzt. In einem solchen Verhältnis erscheint ein Inhalt, durch den ein Begriff Bestimmtheit erhält, nicht mehr als etwas diesem Begriff äußerliches, sondern als die interne Differenzierung eines begrifflichen Gehalts. Jede Differenzierung zwischen Begriffsform und begrifflich erfasstem Inhalt erweist sich als eine Binnendifferenzierung im logischen Raum der Begriffe und Gründe. Diesem holistischen Netz von Begriffen, die ihre Bestimmtheit nicht mehr durch externe Gehalte gewinnen, sondern durch interne diskursive Differenzierung, schreibt Hegel die Struktur von Subjektivität zu. Subjektivität bezeichnet nämlich eine Struktur von Verhältnissen, in der jeder zunächst fremd und äußerlich erscheinende Erfahrungsgehalt, der für jede inhaltlich Bestimmtheit konstitutiv ist, letztlich ein internes Moment dieses Selbstbezugs darstellt. In diesem Sinn entspricht die Einheit des Begriffs dem Strukturmodell von Subjektivität. Es sind diese Motive einer strukturellen Parallele von Begrifflichkeit und Subjektivität, mit der Brandom seine Auffassung begründet, dass die idealistische These eine pragmatistische Gebrauchstheorie der Bedeutung erst funktionsfähig macht. Denn so wie Subjekte ihr Selbstbewusstsein erst in einem sozialen Prozess der wechselseitigen Anerkennung erwerben, so erhalten Begriffe ihre Bestimmtheit nur in einem diskursiven Verfahren des wechselseitigen Gebens und Forderns von Gründen. Der pragmatischen These, dass Bedeutung durch jene Verwendungsweisen von Begriffen etabliert wird, deren Korrektheit wechselseitig anerkannt wird, entspricht die idealistische Auffassung, dass die Identität von vernünftigen Subjekten durch die wechselseitige Anerkennung ihrer Ansprüche und Verpflichtungen konstituiert wird. 214 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Die Bedeutung von Begriffen kann sowenig unabhängig von ihrer Applikation bestimmt werden, wie die Identität von Personen unabhängig von ihren Äußerungen und Handlungen. Wechselseitige Anerkennung markiert also jene Struktur menschlicher Erfahrung, durch die Begriffe ihre Bestimmtheit erhalten und Subjekte ihre Identität. Die Prozesse der Konstitution des logischen Raums der Gründe, des semantischen Raums der Begriffe und des sozialen Raumes von Normen besitzen eine strukturelle Verwandtschaft; sie werden verknüpft durch die Konstitution rationaler Subjektivität. Eine Konstitutionstheorie der Subjektivität fungiert somit als Verbindung von Rationalitätstheorie und Bedeutungstheorie. Brandoms Rekonstruktion von Kant und Hegel erlaubt es, die Analyse des begrifflichen Gehalts und der rationalen Begründung religiöser Überzeugungen mit einer Konstitutionstheorie moderner Subjektivität zu verknüpfen. So kann der transzendentalphilosophische Grundgedanke rehabilitiert werden, dass die logische Struktur der Abhängigkeit der Erfahrung von Begriffen, die Struktur von Subjektivität besitzt. Über diesen Aufweis der Anschlussfähigkeit Hegels an die analytische Religionsphilosophie bietet die Vermittlung von Pragmatismus und Idealismus die Möglichkeit, die Epistemologie religiöser Überzeugungen mit einer intersubjektiven Konstitutionstheorie von Subjektivität zu verbinden. Die Theorie der Anerkennung bietet zudem den Bezugspunkt einer Theologie der Moderne. Diese theologische Reflexion von Anerkennungsverhältnissen betont, dass sich die in intersubjektiven Verhältnissen erlebte wechselseitige Anerkennung einem unbedingten Grund verdankt, der zwischenmenschliche Verhältnisse transzendiert. 25 Zugleich lässt sich aufgrund des Vorangegangenen sagen, dass Anerkennung nicht nur einen sozialpsychologischen oder moralisch-praktischen Sinn besitzt. Auf diese Weise konstituieren sich auch die theoretischen Verhältnisse begrifflicher Bestimmtheit und vernünftiger Begründung. Der theologisch interpretierte Grund von Anerkennungsverhältnissen erscheint somit zugleich als Grund logischer Bestimmtheit und vernünftiger Geltung. Hegels Theorie der Anerkennung, die gegenwärtig in der praktischen Philosophie eine gewisse Renaissance erlebt, besitzt eben nicht nur einen sozialphilosophischen und subjektivitätstheoretischen Sinn, sondern auch eine logischsemantische und rationalitätstheoretische Bedeutung. 25
Knapp 2006.
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Eine pragmatistische Rehabilitierung der idealistischen und transzendentalen Subjektphilosophie könnte so die methodische Voraussetzung liefern für ein Rezeptionsangebot von Religionsphilosophie als spezieller Transzendentalphilosophie. So könnte, ohne in den Positivismus analytischer Neuscholastik zu verfallen, gezeigt werden, wie die göttliche Wirklichkeit nicht nur einen intendierten Gehalt religiöser Erfahrung bezeichnet, sondern den sie ermöglichenden und legitimierenden Grund. Diese Einheit zwischen dem subjektiven Gehalt religiöser Erlebnisse und dem objektiven Inhalt religiöser Erfahrungsurteile wird in dieser Perspektive durch Intersubjektivität expliziert, durch die gemeinsame Praxis des Gebens und Nehmens von Gründen. Es ist nicht die gegenständliche gedachte Beziehung eines religiösen Subjekts zu einem entgegen gesetzten religiösen Gehalt, die Gott als Grund der religiösen Erfahrung transparent macht, sondern die zwischenmenschliche Praxis einer gemeinsam gestifteten und gedeuteten Erfahrung. Die interne Verknüpfung eines formalen philosophischen Gottesbegriffs und eine philosophischer Theorie des religiösen Bewusstseins kann somit auf der Basis einer pragmatistischen Rekonstruktion subjektivitätstheoretischer Überlegungen angemessen begründet und gerechtfertigt werden. Literatur Barth, Ulrich (2003): Religion in der Moderne. Tübingen: Mohr Siebeck. Brandom, Robert (1994): Making It Explicit: Reasoning, Representing, and Discursive Commitment. Cambridge, Mass: Harvard University Press. Dt: Brandom, Robert (2000): Expressive Vernunft: Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung (übers. von Eva Gilmer und Hermann Vetter). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Brandom, Robert (1999): Some Pragmatist Themes in Hegel’s Idealism: Negotiation and Administration in Hegel’s Account of the Structure and Content of Conceptual Norms. In: European Journal of Philosophy, Vol. 7, No 2, August 1999, 164–189. Brandom, Robert (2001):Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus (übers. von Eva Gilmer). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Dalferth, Ingolf U. (2003): Die Wirklichkeit des Möglichen. Hermeneutische Religionsphilosophie. Tübingen: Mohr Siebeck. Dennett, Daniel C (2006): Breaking the Spell. Religion as a Natural Phenomenon, New York: Viking. Gräb, Wilhelm (1999): Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik. In: Ders. (Hg.), Religion als Thema der Theologie. Geschichte, Standpunkte und
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Religiöses Bewusstsein und philosophischer Gottesbegriff Perspektiven theologischer Religionskritik und Religionsbegründung, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. James, William (1997): Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Frankfurt am Main, Leipzig: Insel. Knapp, Markus: (2006): Verantwortetes Christsein heute. Theologie zwischen Metaphysik und Postmoderne. Freiburg: Herder. Pollack, Detlef (2003): Säkularisierung- ein moderner Mythos? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland. Tübingen: Mohr Siebeck. Rentsch, Thomas (2005): Gott. Berlin, New York: Walter de Gruyter (Grundthemen Philosophie). Schaeffler, Richard (2000): Auf den Weg zu einem philosophischen Begriff der Religion. In: W. Kern, H. J. Pottmeyer, M. Seckler (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie. Bd. 1: Traktat Religion. Tübingen, Basel: Francke. Schaeffler, Richard (2004): Philosophische Einübung in die Theologie. Bd. 2: Philosophische Einübung in die Gotteslehre. Freiburg, München: Verlag Karl Alber (Scientia & Religio). Schärtl, Thomas (2003): Was sind religiöse Überzeugungen? In: Hans Joas (Hg.), Was sind religiöse Überzeugungen? Göttingen: Wallstein Verlag, 11–46. Schrödter, Hermann (1987): Erfahrung und Transzendenz. Ein Versuch zu Anfang und Methode von Religionsphilosophie. Altenberge: Akademische Bibliothek/ CIS-Verlag. Wagner, Falk (1999): Religion der Moderne – Moderne der Religion. In: W. Gräb (Hg.), Religion als Thema der Theologie. Geschichte, Standpunkte und Perspektiven theologischer Religionskritik und Religionsbegründung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.
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Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft Zur transzendentalen Rekonstruktion des christlichen Kirchenverständnisses bei Richard Schaeffler Siegfried Wiedenhofer
Einleitung Eine philosophische Betrachtung der Kirche wäre heute einmal als sozialphilosophische Reflexion der Religionsgemeinschaft denkbar, 1 wie es in analoger Weise eine sozialphilosophische Reflexion der Sprachgemeinschaft, der Rechtsgemeinschaft oder der politischen Gemeinschaft gibt. 2 Eine philosophische Betrachtung der Kirche wäre zum anderen aber auch als religionsphilosophische Reflexion des spezifisch religiösen Charakters von Religionsgemeinschaften denkbar. Das jeweilige Ergebnis einer solchen philosophischen Betrachtung der Kirche hängt dann zwangsläufig von der Art der Sozialphilosophie bzw. der Religionsphilosophie ab. 3 So resultiert auch die Besonderheit der philosophischen Betrachtungsweise der christlichen Kirche, die Richard Schaeffler im 3. Band seiner »Philosophischen Einübung in die Theologie« 4 vorlegt, vor allem aus der gewählten theoretischen Perspektive, 5 nämlich einer sysVgl. beispielsweise Simmel 1858; Schmitt 1923. Vgl. etwa die Antrittsvorlesung Horkheimers 1931, der Sozialphilosophie versteht als »die philosophische Deutung des Schicksals der Menschen, insofern sie nicht bloß Individuen, sondern Glieder einer Gemeinschaft sind. Sie hat sich daher vor allem um solche Phänomene zu bekümmern, die nur im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Leben der Menschen verstanden werden können: um Staat, Recht, Wirtschaft, Religion, kurz um die gesamte materielle und geistige Kultur der Menschen überhaupt« (Horkheimer 1988, 20). 3 Zur Sozialphilosophie vgl. etwa Hartmann 1981; Detel 2007. Zur Religionsphilosophie Schaeffler 2002. 4 Schaeffler 2004b. Außerdem Schaeffler 1982b, 1986, 1994. 5 Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle; so etwa auch die Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche, in der das Kirchenthema eine große Wichtigkeit besitzt. Das zeigt 1 2
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Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft
tematischen Verknüpfung von historischer und transzendentaler Reflexion, wodurch eine transzendentale Reflexion auch vorliegender geschichtlicher religiöser Phänomene möglich geworden ist. 6 Damit werden vor allem Fragestellungen und Antworten philosophischer Ekklesiologien aufgenommen und kritisch weitergeführt, wie sie in der Tradition des Deutschen Idealismus entwickelt worden sind, 7 in Kants transzendentalem kritischen Idealismus z. B. als »Hausgenossenschaft« der Freien, d. h. als Gegeneinander und Zueinander von reinem oder moralischem Religionsglauben und historischem oder statuarischem Kirchenglauben, von unsichtbarer Kirche (Volk Gottes) und sichtbarer Kirche. Muss hier der Kirchenglauben, damit er nicht verkommt, durch den reinen Religionsglauben ausgelegt werden und in diesen transformiert werden, so bedarf die Idee des Volkes Gottes zu ihrer Realisierung doch auch irgendwie der menschlichen Veranstaltung der Kirche, d. h. der wirklichen Vereinigung der Menschen zu einem Ganzen. Die wahre sichtbare Kirche ist daher die sichtbare menschliche Darstellung des moralischen Reiches Gottes auf Erden. Wie weit sie das ist, wird an den vier Kennzeichen der wahren Kirche (Allgemeinheit, Lauterkeit, Freiheit, Unveränderlichkeit) ablesbar. In den Systementwürfen des Deutschen Idealismus kann dann die Grundlage des ganzen Systems, nämlich der Vereinigungspunkt der Verknüpfung von Vernunft und Freiheit, geradezu mit der unsichtbaren Kirche identifiziert werden, wiewohl er zugleich als geschichtlich realisierbar gedacht wird, so dass die philosophische Ekklesiologie die historischen christlichen Kirchen nicht nur kritisiert (als Hort der Unfreiheit und Unvernunft), sondern auch beerbt. Wenn auch die idealistischen Systementwürfe aufgrund der unaufhebbaren Spannung zwischen System und Freiheit bzw. System und Geschichte gescheitert sind, so kann doch eine philosophische Ekklesiologie heute nicht ohne Einbeziehung von deren Grundfragen, nämlich der Vermittlung von Vernunft und Freiheit entwickelt werden. Andererseits kann eine solsich spiegelbildlich darin, dass in der strukturell ähnlich konzipierten philosophischen Theologie von Kurt Hübner, der konfessionell in der Evangelischen Kirche beheimatet ist, das Thema der Kirche nur ganz am Rand (Hübner 2001, 93.) und nur im Zusammenhang der Sakramente Taufe und Abendmahl (Hübner 2001, 93–102.) zur Sprache kommt. 6 Vgl. dazu vor allem Schaeffler 1976, 1982a, 1995, 2004a. 7 Vgl. dazu etwa Scheit 1973; Kehl 1978; Oeing-Hanhoff 1978; Kern 1984; Baumgartner 1992; Selbach 1994; Folkers 1997; Röd 1998; Zaborowski 2007.
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che Vermittlung mit Bezug auf die dezidiert geschichtliche Religiosität christlicher Glaubensgemeinschaften nur gelingen, wenn die Kontingenz der Geschichte ernst genommen bzw. – im transzendentalen Argumentationsrahmen gesprochen – historische und transzendentale Reflexion miteinander verbunden werden können.
Transzendentalphilosophische Ekklesiologie Insofern es in einer transzendentalen Fragestellung um die Möglichkeitsbedingung der Erfahrung und ihrer Bezeugung geht, kommen religiöse Gemeinschaften vor allem als »Kommunikationsgemeinschaften« und »Überlieferungsgemeinschaften« in den Blick, die ihre Mitglieder zu einer spezifischen religiösen Erfahrung und zu einem eigenverantwortlichen Zeugnis für die Wahrheit der überlieferten Inhalte befähigen. Grundlegende philosophische Probleme im neuzeitlichen Kontext sind dabei zum einen das Verhältnis der Maßgeblichkeit von geschichtlichen Traditionen und Institutionen (Geschichtlichkeit) zur Selbstgesetzgebung der Vernunft (Vernünftigkeit, Freiheitlichkeit), zum anderen das Verhältnis zwischen der partikulären geschichtlichen Gestalt religiöser Überlieferungsgemeinschaften (Subjektivität, Partikularität) und der Universalität bzw. Objektivität des Wahrheitsanspruches und Heilsanspruches ihrer spezifischen religiösen Erfahrung und ihres spezifischen religiösen Zeugnisses (Objektivität, Universalität). Als entscheidender Kontext einer philosophischen Einübung in die Ekklesiologie wird daher von Richard Schaeffler die Lehre von den Traditionen und Institutionen bestimmt. Sie wird im ersten Abschnitt erläutert, und zwar zuerst in allgemeiner Hinsicht und dann konkretisiert mit Blick auf spezifisch religiöse Traditionen und Institutionen. 8 Abgelesen von der Überlieferungsgemeinschaft als einer Sprachgemeinschaft, in der aktive Sprachkompetenz vermittelt wird, erscheint die institutionell gesicherte Überlieferung als »Schule der Erfahrung«, d. h. nicht primär als Transporteur kultureller Inhalte (Kenntnisse, Fertigkeiten, Ausdrücke, Normen, Werte, Handlungsmuster usw.), sondern in erster Linie als Vermittlungsinstanz der ErSchaeffler 2004b, 20–39, 40–70. Ausführlicher dazu bereits im Rahmen der Theologischen Erkenntnislehre Schaeffler 2004a, 213–396.
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Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft
fahrungsfähigkeit. Der synchrone und diachrone Dialog unter Menschen (die Kommunikationsgemeinschaft und die Überlieferungsgemeinschaft) dient dem Dialog jedes Gesprächspartners mit der Wirklichkeit. Denn indem der Anspruch des Wirklichen, wie er im Sprecher beantwortet wird, an den Hörer weitergegeben wird, fordert er diesen zu einer Antwort heraus, die er in seinem eigenen Anschauen und Denken selbst geben muss. Dadurch kann er sogar zur Umgestaltung seines Anschauens und Denkens genötigt werden. 9 Institutionen (Sprachregeln, normative Texte, Bildungs- und Vermittlungsinstanzen, Verhaltensformen, Recht) sichern die Überlieferung, ohne die die individuellen Mitglieder nicht oder nur fragmentarisch zur Transformation von Erlebnissen in Inhalte der Erfahrung fähig würden. Insofern kann auch gesagt werden: Traditionen und Institutionen dienen dem Aufbau einer Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft und dadurch der Vermittlung von Erfahrungsfähigkeit. Aus der transzendentalen Analyse des Erfahrungsaktes ergeben sich dann auch allgemeine Legitimationskriterien für Traditionen und deren Institutionen sowie erste formale Kriterien zur Identifikation von defizienten Traditionen und Überlieferungsgemeinschaften. Überlieferungsgemeinschaften sind unentbehrlich, weil angesichts der drohenden Erfahrungsunfähigkeit (wenn anstelle eines Dialogs mit der Wirklichkeit nur Selbstgespräche oder Vorurteile das Feld beherrschen) nur so der größere Anspruch der Wirklichkeit zur Geltung kommen kann. Die eine Wahrheit zeigt sich also nur in einem hermeneutischen Wechselverhältnis. Wenn aber die Einfügung des Individuums in eine partikuläre Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft notwendig ist, um Erfahrungen machen zu können, wie verhält sich dieser Sachverhalt zur Autonomie der Vernunft? Selbstständigkeit und Selbstbestimmung werden nicht gewonnen durch Distanzierung von einer Überlieferungsgemeinschaft, sondern durch Aneignung von deren Geschichte als eigener, wodurch erst Erfahrungsfähigkeit möglich wird, und durch eigene Erfahrungen, die den Anspruch der Wirklichkeit auf eigene Weise (als eigenverantwortlicher Zeuge der Wahrheit) beantworten, Eine annähernd ähnliche Argumentationsfigur, die dort allerdings in einem metaphysischen Denkrahmen steht, findet sich übrigens bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI, und zwar im Zusammenhang der Verbindung von Partikularität und Universalität religiöser Traditionen bzw. der Begründung von Mission; vgl. Ratzinger 2004, 44 f., 45–65.
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Siegfried Wiedenhofer
so dass dadurch umgekehrt die Überlieferungsgemeinschaft und ihre Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit weiterentwickelt werden. Ein weiteres Legitimationskriterium für Überlieferungsgemeinschaften besteht in der Einlösung des Objektivitäts- und Universalitätsanspruches der in ihnen vermittelten Erfahrungen. Können Traditionen und Institutionen zu Recht einen Anspruch darauf erheben, dass die Individuen sich die Regeln aneignen, nach denen in solchen Überlieferungsgemeinschaften gedacht und gesprochen wird? Denn nicht nur solche Traditionen und Institutionen, sondern auch die in ihnen vermittelten Anschauungs- und Denkformen sind geschichtlich und partikulär. Weil Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit einen dialogischen und hermeneutischen Charakter hat, kann auch die objektive Geltung der Erfahrung nur hermeneutisch gefasst werden. Wenn man »Objektivität« als bleibende und für alle maßgebliche Geltung der einmal gemachten Erfahrung begreift, dann ist solche Objektivität identisch mit ihrer Auslegungsfähigkeit, d. h. mit der Fähigkeit der eigenen Erfahrungen die anderen auszulegen und von den anderen ausgelegt zu werden. Überlieferungsgemeinschaften wären also daran zu messen, inwiefern sie solche Erfahrungsfähigkeit und Auslegungsfähigkeit vermitteln. Von diesen Voraussetzungen her impliziert der Geltungsanspruch der Objektivität auch den Geltungsanspruch der Universalität. Wenn Erfahrung als Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit für immer und für alle gilt, dann erweitert sich die konkrete und partikuläre geschichtliche Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft zur universalen. Als universale weist sie sich nicht dadurch aus, dass nun alle das Gleiche sagen, sondern dass alle den Anspruch der einen Wirklichkeit auf ihre spezifische Weise beantworten und darin zugleich befähigt werden, sich wechselseitig auszulegen und einander zur wechselseitigen Aneignung und Weiterentwicklung anzuregen. Wenn Überlieferungsgemeinschaften »Schulen der Erfahrung« sind und darin ihre Legitimation finden, so ist darin zugleich ein Maßstab der Kritik gegeben. Fehlformen von Traditionen und Institutionen können Fehlformen von Erfahrung erzeugen und stabilisieren. Was von Überlieferungsgemeinschaften im Allgemeinen gilt, wird dann an religiösen Überlieferungsgemeinschaften exemplifiziert. Sie sind in dieser Perspektive in erster Linie Schulen religiöser Erfahrung, die ihre Tradition institutionell absichern müssen. Eine philosophische Einübung in die Ekklesiologie bzw. eine philosophische Be222 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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trachtung der Kirche hat daher die Aufgabe, diese Hauptfunktion religiöser Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaften zu beschreiben, die Aufgabe religiöser Institutionen abzuleiten und dadurch Kriterien zu gewinnen, in denen ihre Legitimität kritisch gesichert, aber auch ihre Deformationen aufgewiesen werden können. Infolgedessen werden nun in diesem Abschnitt zentrale religiöse Traditionen und Institutionen (normative Texte, darunter besonders Gebete und Erzählungen mit den entsprechenden institutionalisierten Traditionsvermittlern auf allen Ebenen, Gottesdienst und Priestertum, religiöses Recht, Charismatiker, Sondergemeinschaften) auf ihre transzendentale Funktion hin untersucht und auch wechselseitig sich bedingende Fehlformen religiöser Erfahrung und religiöser Traditionen und Institutionen identifiziert (Idololatrie, Fetischismus, Polytheismus, Magie, Gnosis). Auf diesen ersten einleitenden Abschnitt folgt dann eine umfangreiche philosophische Einübung in die Ekklesiologie und in die Christologie, und zwar in der Form einer transzendentalen Rekonstruktion des christlichen Kirchenverständnisses und des christlichen Christusbekenntnisses. Da beides nur auf dem Hintergrund der im Alten Testament bezeugten Geschichte des Volkes Israel verstanden werden kann, rekonstruieren die ersten Abschnitte unter dem Titel »Ekklesia Israel« zunächst das Volk Israel als spezifische Gestalt einer religiösen Überlieferungsgemeinschaft. 10 Da eine religionsphilosophische Verknüpfung von historischer und transzendentaler Reflexion sich die Eigenart einer religiösen Erfahrung zunächst aus dem Selbstverständnis der betreffenden religiösen Gemeinschaft historisch vorgeben lassen muss, bevor sie diese verständlich macht, indem sie sie auf ihre strukturellen Bedingungen, d. h. die zugrunde liegenden Strukturen des Anschauens und Denkens 10 B Das Selbstverständnis der »Ekklesia Israel« und seine Voraussetzungen (75–129); C Die »Ekklesia Israel« Partikuläre Erwählung und universaler Weltauftrag (130–175); D Das Judentum, oder: Die neue Gestalt Israels nach der Babylonischen Gefangenschaft (176–212); E »Der Christus« – Anzeichen und Wende einer eschatologischen Krise in der Geschichte der Ekklesia Israel (213–255); F Das Christus-Kerygma und die Problematik einer metaphysischen Christologie (256–328); G »Freiheit« und »Geschichte« – Theologische Impulse für die Weiterentwicklung philosophischer Begriffe (329–388); H Die christliche Überlieferung – Aufgaben, Legitimationsgründe, Bewährungsproben (389–518); Ausblick: Der theologische Begriff des »Universale Sacramentum Salutis« – Ausdruck des Übergangs von der Christologie zur Ekklesiologie (519–538).
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zurückführt, und da eine solche Verknüpfung sowohl mit einer Vielfalt strukturverschiedener religiöser Erfahrungen als auch mit der Möglichkeit struktureller Änderungen des religiösen Anschauens und Denkens in Krisensituationen rechnet, ist beim spezifischen Selbstverständnis Israels einzusetzen. Dieses ist wesentlich durch eine geschichtliche religiöse Grunderfahrung bestimmt, die Herausführung aus Ägypten und überhaupt die freie ungeschuldete Erwählung des Volkes durch Gott, die im Rahmen des Bundes durch eine ebenso freie Gotteswahl dieses Volkes beantwortet sein will. Philosophisch klärungsbedürftig sind daher die Bedeutung von Freiheit und Geschichte für das Gottesverhältnis, die Eigenart dieser Überlieferungsgemeinschaft und der Begriff der Erwählung. 11 Die konstitutive Bedeutung der Freiheit in der religiösen Erfahrung (als befreite Freiheit in der Partizipation an der Freiheit des Heiligen) stellt dabei nur die radikalisierte Form dar, die für jede Erfahrung gilt (Erfahrung als Akt der Freiheit im Dialog mit der Wirklichkeit): »Der spezifisch religiöse Akt der Freiheit ist, in diesem Zusammenhang gesehen, die Entscheidung für die ›Selbst-Entleerung‹ des Menschen, der sich dem Heiligen als dessen ›durch-scheinende‹ Gegenwartsgestalt zur Verfügung stellt.« Das bedeutet für die religiöse Gemeinschaft: »Die religiöse Gemeinschaft ist die Gemeinde derer, die auf solche Weise ›gestorben‹ sind, um – oft im Ritus der Übergabe von Kleid oder Maske – zur Per-sona, zur Erscheinungsgestalt der Gottheit selber zu werden. Und sie ist zugleich diejenige Überlieferungsgemeinschaft, die in der Weitergabe ritueller Worte und Handlungen dieses Sterben und diese Neugeburt an immer neuen Generationen geschehen läßt und diesen auf solche Weise die Gewißheit vermittelt, in den Dienst des Heiligen treten zu können, ohne sich an ihm frevelhaft zu vergreifen.« 12 Diese religiöse Freiheit nimmt allerdings nur unter besonderen Bedingungen den Charakter der Wahlfreiheit an. Dies ist in Israel geschehen, und zwar im Zusammenhang einer kontingenten historischen Erfahrung, der Herausführung aus Ägypten, die zugleich die Struktur der religiösen Erfahrungsfähigkeit geändert hat. Zu den Bedingungen dieser neuen Freiheitlichkeit und Geschichtlichkeit religiöser Erfahrung gehören 1. die Überzeugung von einer universalen Entfremdung der Völker vom wahren Gott (Sündenfallgeschichten), 2. das Selbstver11 12
Schaeffler 2004b, 76–78. Schaeffler 2004b, 83.
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ständnis der Überlieferungsgemeinschaft, dass das eigene Gottesverhältnis nicht auf einer Notwendigkeit der Natur (kosmische Religiosität), sondern auf der göttlichen und sekundär auf der menschlichen Treue zu der einmal getroffenen Entscheidung beruht (Bundesgeschichte), 3. dass Gott in der Welt, die sich von ihm abgewandt hat, durch die Berufung eines bestimmten Volkes einen neuen Anfang setzen will, der in der universalen Wiederherstellung des Gottesverhältnisses aller Völker seine Vollendung finden soll (Erwählung Israels). Damit ist ein Erfahrungskontext gegeben, in dem sich Israel inmitten der Wechselfälle der Geschichte und selbst in den größten Katastrophen immer neu als »erwähltes Volk« verstehen konnte. Diese neue geschichtliche Struktur des religiösen Erfahrungskontextes Israels wird nun auch transzendental-historisch begreiflich gemacht. Sie wird nämlich in die Geschichte religiöser Erfahrungsweisen und daraus hervorgehender Erfahrungswelten der Zeit zwischen der Mitte des zweiten und der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends im ostmittelmeerischen Raum hineingestellt. In dieser religiösen Krisenzeit zerbricht die Selbstverständlichkeit kosmisch-mythisch strukturierter Religiosität (die in Mythen und Kulten von Theogonien und Götterkämpfen sowie in Fruchtbarkeitsriten ihren Ausdruck gefunden hatten) an neuen Erfahrungen. Der omnipräsente Unheilszustand der Welt kann nicht mehr im Rahmen einer Religiosität des heiligen Kosmos gedeutet werden (eines Verständnisses der Welt als Erscheinungsgestalt ihrer göttlichen Ordnungsstruktur). Insofern muss das religiöse Bewusstsein zugleich weltkritisch (Kritik an der Mythisierung des Bösen) und religionskritisch (Kampf gegen den Götzendienst) werden (was eine wichtige Voraussetzung für die Kultur des entstehenden Europa darstellt), d. h., das Heil in einer kommenden Welt, in einer Zukunft, in der Unsterblichkeit der Seele oder einer geschichtlichen, personalen und ethischen Gottesbeziehung) suchen und finden (Zarathustra, Ägypten, Mysterienreligionen, Israel). In diesen unterschiedlichen Neustrukturierungen des religiösen Bewusstseins erweisen sich die horizont-erschütternden Erfahrungen zugleich als horizont-eröffnende Erfahrungen, als »Entdeckung von Möglichkeiten, inmitten dieser überwindungsbedürftigen Welt die Vorzeichen der kommenden zu entdecken,« 13 als Erfahrungen, die die entsprechenden Anschauungsformen und Begriffe entstehen lassen, mit deren 13
Schaeffler 2004b, 106.
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Hilfe der hoffnungslose Zustand der Welt, die eigene Erwählung und die universale Hoffnung in den Wechselfällen der Geschichte je neu verstanden werden konnten. Die Besonderheit der Neustrukturierung des religiösen Bewusstseins Israels besteht darin, dass hier eine bestimmte historische Situation (Unterdrückung) und ein bestimmtes historisches Ereignis (Befreiung, Rettung) zum Hauptinhalt religiöser Erfahrung werden, und zwar in dem Sinn, dass die Rettung zugleich die freie ungeschuldete Verschonung vom Gottesgericht an der gottlos gewordenen Unterdrückungs-, Gewalt- und Lügenwelt (Pesach als Vorübergang des Herrn) und zugleich der Auftrag ist, umzukehren, der Weisung des Herrn entsprechend zu leben, um so auch die Völker zur Abkehr von ihren falschen Götzen und zu einem wahren Leben einzuladen. Im Zusammenhang des Bekenntnisses zu Gottes universaler Herrschaft über alle Völker (der nahe Volks- und Rettergott ist der Schöpfer der Welt) schließt die partikuläre Erwählung Israels die Solidarität mit der ganzen Menschheit ein, sowohl im gemeinsamen Stehen unter dem Gericht wie in der gemeinsamen Hoffnung auf das von Gott geschenkte Heil. Die Erwählung ist daher nicht Bevorzugung vor anderen, sondern Berufung als Anfang des Segens für alle. In der Überlieferungsgemeinschaft Israel, sofern sie durch das Erwählungsbewusstsein und den Bundesgedanken geprägt ist (Bund als Wechselverhältnis zweifacher Treue, der Erwählungstreue Gottes, die immer einen heiligen Rest am Leben halten wird, um die Möglichkeit der Umkehr und des Zeugnisses offen zu halten, und der freien Treue Israels, in der die Verheißung zur Erscheinung kommt), erscheint so transzendentalphilosophisch »die Geschichte als eine Kette von Ereignissen«, »die durch Gottes freien Schöpfungs- bzw. Erwählungswillen, durch die Sünde der Menschen, durch Gottes Gericht und durch seine Bereitschaft zur Vergebung bestimmt ist,« 14 während der Gottesglaube als Ausdruck postulatorischer Hoffnung erscheint, der ein Zutrauen in die Erfahrung möglich macht, selbst wo die Selbstgewissheit fehlt. 15 Eine solche Überlieferungsgemeinschaft wird zu einer ganz bestimmten Schule der Erfahrung (die deshalb auch die entsprechenden Traditionen und Institutionen ausbildet), in der die Geschichte sowohl durch die Freiheit des Volkes (Glaube, Treue, ethische Verantwortung, 14 15
Schaeffler 2004b, 139. Schaeffler 2004b, 141 f.
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Sünde, Verfehlung, Umkehr, Zeugnis, Hoffnung) als auch durch die Freiheit Gottes (Treue, Verheißung, Gericht, Vergebung) bestimmt ist und so als kontingente Geschichte menschlichen Glaubens und Unglaubens und als immer neue Gestalt der richtenden und rettenden Zuwendung Gottes erscheint. 16 Aus dieser religiösen Überlieferungsgemeinschaft Israel gehen im Zusammenhang tiefgreifender Krisenerfahrungen, die zu weiteren Neustrukturierungen des religiösen Bewusstseins führten, einerseits die Überlieferungsgemeinschaft des Judentums zum anderen die Überlieferungsgemeinschaft der christlichen Kirche mit je ihren eigenen Traditionen und Institutionen hervor. Dies ist das weitere Thema des Bandes. Die Entstehung des Judentums geht zuletzt zurück auf die fundamentale Krise des Babylonischen Exils im 6. vorchristlichen Jahrhundert, die im Rahmen des bisherigen religiösen Bewusstseinshorizontes nicht mehr verstehbar war und deshalb zu einer irreparablen Erschütterung dieses Horizontes führte (Untergang von Tempel, Königtum und verheißenem Land als Erscheinungsgestalt göttlicher Zusage und Nähe). Im Rahmen des Vertrauens auf die Treue Gottes und der Erfahrung der faktischen Weiterexistenz Israels in neuer Form kam es jedoch bei den Exilspropheten zu einer Neustrukturierung des religiösen Bewusstseins, das die neuen Erfahrungen und die religiöse Tradition in neuer Weise sich auslegen ließen: Das Gericht, das Israel in dieser Katastrophe erfahren hat, erscheint nun einerseits als Ausdruck der universalen Herrschaft des Gottes Israels (der die anderen Völker in seinen Dienst stellt) und andererseits wegen seines läuternden und reinigenden Charakters als (wenn auch befremdliche) Erscheinungsgestalt der Bundestreue Gottes. Das bedeutet für das Selbstverständnis der Ekklesia Israel: »Sie hat das läuternde Gericht Gottes schon durchlitten, das die Werkzeuge dieses Gerichts noch vor sich haben. Sie wird in beiderlei Hinsicht zum ›Zeichen unter den Völkern‹ : Ihr durchlittenes Elend sagt den Völkern das ihnen bevorstehende Gericht an; und ihr Fortbestehen wird auch für die Völker zum Zeichen des Heils, das auch ihnen, im Durchgang durch das Gericht, zugedacht ist. Darum kann das neue Jerusalem, das der ›Rest des großen Entrinnens‹ aufbau-
16 Schaeffler 2004b, 143–147. Zu den entsprechenden Traditionen und Institutionen ebd., 153–170.
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en wird, auch ihnen als Ziel der ›Völkerwallfahrt‹ vor das Auge gestellt werden.« 17 Transzendentalphilosophisch gesprochen werden in diesem Erfahrungskontext, in dem die Anschauungsformen (Zeit, Raum) und die Begriffe (Substanz, Kausalität) eine neue Gestalt annehmen, »Verheißung« und »Erfüllung« zu den zentralen hermeneutischen Kategorien (die Gegenwart als Verheißung, als antizipatorische Präsenz des Kommenden, des Neuen Bundes, der Vollendung, der Erfüllung), während unter der Voraussetzung des sich nun ausdrücklich formierenden Bekenntnisses zur Einzigkeit Gottes sich die Geschichte Israels und auch die Geschichte der ganzen Welt als eine Einheit denken lässt. Dem entspricht die Ausbildung neuer (apokalyptischer und rabbinischer) Traditionen und Institutionen. Diese Veränderung der religiösen Erfahrungsweise und der religiösen Erfahrungswelt erfuhr in den Krisenzeiten des Zweiten Tempels (besonders unter den Seleukiden und unter den Römern) eine weitere Radikalisierung. 18 Denn die eschatologisch aufgeladene Bedeutung des Zweiten Tempels (Zeichen des Neuen Bundes zu sein) scheiterte an der Realität. Die Unterscheidung zwischen dem irdischen Jerusalem und dem wahren himmlischen Jerusalem, auf das sich immer mehr die Hoffnung richten musste, wurde dringlicher und führte zu einer Pluralisierung des Judentums in Sondergruppen, die je für sich beanspruchten das wahre Israel zu repräsentieren und zur Pluralisierung charismatischer oder messianischer Wiederhersteller Israels, nicht zuletzt auch zu einer wachsenden Differenz zwischen den Juden im Lande und den Juden in der Zerstreuung. Nach dem Ende des Zweiten Tempels wird das Diaspora-Judentum zur neuen jüdischen Schule der Erfahrung. Hier verband sich die Hoffnung auf das neue Jerusalem mit der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde; hier konnte nun jeder Ort, an dem der Name Gottes angerufen wird, zur Antizipationsgestalt des kommenden Jerusalem werden. Hier konnten (wie z. B. schon in den Liedern vom leidenden Gottesknecht bei Deuterojesaja) die Leiden dieses andersartigen Volkes nun so mit seiner Erwählung zusammengedacht werden, dass Gott Israel bewahrt hat, um zum »Löseopfer« für die Menschheit zu werden, um in den Leiden des Volkes den Zorn Gottes über die Völker offenbar zu machen und um in 17 18
Schaeffler 2004b, 179 f. und überhaupt 176–180. Schaeffler 2004b, 193–209.
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seiner Hingabe an Gott und in seinen Rettungen die Rettung der Völker stellvertretend zu antizipieren. Bevor nun die zweite aus der religiösen Überlieferungsgemeinschaft Israel hervorgehende religiöse Überlieferungsgemeinschaft, die christliche Kirche, einer transzendentalen Reflexion unterzogen wird, wird die Christologie in den Entwicklungsgang der Ekklesiologie eingefügt. 19 Das ist ungewöhnlich, aber in diesem Zusammenhang sehr überzeugend. Denn dadurch wird nicht nur der Wechselwirkung von Christologie und Ekklesiologie Rechnung getragen, sondern auch der Zusammenhang der Traditionen und Institutionen der christlichen Überlieferungsgemeinschaft der Kirche mit der Überlieferungsgemeinschaft Israel ernst genommen, wie sonst selten. Auch die horizont-erschütternde und horizont-eröffnende religiöse Erfahrung, die zum christlichen Bekenntnis »Jesus ist der Christus«, d. h., der messianische »Wiederhersteller« Israels und der Erlöser der Welt, geführt hat, ist in einer Krisenzeit lokalisiert, in der Krise des Zweiten Tempels, die sich zum einen durch dessen drohenden Untergang, zum anderen durch die Botschaft Jesu von der bedingungslosen Zuwendung Gottes zu den Armen und Sündern in der endzeitlichen Entscheidungsstunde verschärfte (Vorwurf der Gotteslästerung, Konflikt mit den Führern des Volkes). Auf dem Hintergrund der Traditionen Israels (Exodus, Neuer Bund, Gottesknechtslieder, Totenauferweckung) kommt in der Oster- und Pfingsterfahrung die Geschichte Israels zur Vollendung und Fülle, weil die besondere Gottesgegenwart das stellvertretende Leiden des Gottesknechts Jesu zu einem befreienden und todüberwindenden Leiden gemacht hat, in dem die Wiederherstellung Israels und die Neuschaffung der Welt zusammenfallen: »Nur durch den Tod des Einen konnte die Gott-Entfremdung der Welt nicht nur stellvertretend durchlitten, sondern wirksam ›hinweggenommen‹ werden. Und nur durch die Gemeinschaft mit diesem Einen gewinnen die Vielen die Gewißheit, daß auch ihre Leiden heilswirksamen Charakter haben und zum ›Segen für die Sippen des Erdbodens‹ werden.« 20 19 E »Der Christus« – Anzeichen und Wende einer eschatologischen Krise in der Geschichte der Ekklesia Israel (213–255); F Das Christus-Kerygma und die Problematik einer metaphysischen Christologie (256–328); G »Freiheit« und »Geschichte« – Theologische Impulse für die Weiterentwicklung philosophischer Begriffe (329–388); H Die christliche Überlieferung – Aufgaben, Legitimationsgründe, Bewährungsproben (389– 518). 20 Schaeffler 2004b, 228.
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Transzendentalphilosophisch gesehen ändert der Erfahrungskontext hier noch einmal radikal seine Struktur: Die bevorstehende Vollendung wird zur geschehenen Vollendung, die Zeit zur Präsenz des Endes, freilich zu einer im Leiden und in der Anfechtung verhüllten und verborgenen Präsenz der Vollendung, an der die Glaubenden jetzt schon im Glauben und in der Gestaltgemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen Anteil gewinnen können (im Leiden, in der Geduld, im Herrenmahl, in der Diakonie). Auch der Begriff des Wirkens (Kausalität) erhält eine neue Bedeutung: Alles weltwirksame Handeln des Glaubenden gründet in der Berufung, das »Bild« des Gekreuzigten und Auferstandenen in dieser Welt zu sein. Alle Bedrängnisse werden dadurch zu Konkretionen einer Gestaltgemeinschaft mit Jesu Kreuzes-Niedrigkeit, alle Befreiungen zur antizipatorischen Präsenz seiner Auferstehung. 21 Wenn die christliche Überlieferungsgemeinschaft der Kirche zur Schule der Erfahrung werden will, muss sie ihre Mitglieder zu eigenverantwortlichen Zeugen für die Wahrheit der Überlieferung qualifizieren, d. h. die Fähigkeit vermitteln, ihre Erfahrungen im Licht der Überlieferung zu verstehen und die Überlieferung im Licht der eigenen Erfahrungen zu deuten. Neben der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten gehört dazu auch die wirksame Zusage der Heilsbedeutung des Geschehenen, die Verkündigung Jesu als der Fülle Israels. Diese Verkündigung muss, wenn sie in den Hörern heilschaffend wirksam werden will, in wirksamen Worten und Handlungen der Menschen Gegenwart gewinnen (in der Umgestaltung zur Neuheit des Denkens, in Gottes Wort im Menschenwort, im Handeln Gottes durch die Hand des Menschen). Dadurch gewinnt der Hörer jene Gestaltgemeinschaft mit dem erniedrigten und erhöhten Herrn, die ihn fähig macht, auch seine eigenen Erfahrungen als die konkreten Weisen zu begreifen, wie diese Gestaltgemeinschaft an ihm wirksam wird. Nur so wird er zum eigenverantwortlichen Zeugen für die Wahrheit dessen, was ihm verkündet worden ist. Diese christliche Überlieferungsgemeinschaft muss wie jede andere entsprechende Traditionen und Institutionen ausbilden (z. B. das Amt des Apostels und die entsprechenden institutionellen Nachfolgegestalten), aber sie steht vor der spezifischen Schwierigkeit, dass sie eine »eschatologische Zeitansage« (Jesus Christus als Fülle der Zeit) 21
Schaeffler 2004b, 213–255.
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zu überliefern hat. Deshalb muss die kirchliche Überlieferungsgemeinschaft (mit ihren Traditionen und Institutionen) eine streng christologische Struktur erhalten: Menschen sind berufen, »in persona Christi« zu sprechen und zu handeln. So bleibt alles authentische kirchliche Handeln Christi eigenes Sprechen und Handeln (Christi Wort im Menschen-Wort), macht aber, dessen Wirken repräsentierend, an der Gemeinde wirksam. Dazu ist die Vollmacht der Berufung nötig. Als Ansage des eschatologischen Jetzt, d. h., der in der Person des Gekreuzigten und Auferweckten angebrochenen Vollendung, bleibt alles kirchliche Handeln Vermittlung des siegreichen Erlösungshandeln Gottes in der Niedrigkeit der göttlichen Selbst-Entleerung im Kreuz. Die Nächstenliebe ist deshalb der Ernstfall des Glaubens. Die unvollkommenen, aber wirksamen Zeichengestalten menschlicher Taten werden in der Hoffnung zum Zeugnis der göttlichen Liebe und Zuwendung: »Nur auf Hoffnung hin kann der Sünder in einer sündigen Welt sich zum Tun des Guten und damit zum Zeugen für jene Neuschaffung der Welt berufen wissen, die er von Gott erwartet.« 22 Wegen der Strukturverwandtschaft der sittlichen und der religiösen Erfahrung, verweisen sie wechselseitig aufeinander: »In beiden wird die Forderung ungeteilter Selbsthingabe entdeckt und darin zugleich die Gewißheit ebenso ungeteilter Selbstfindung gewonnen.« 23 Deshalb muss alle christliche Praxis letztlich im Gottesdienst gründen, durch welchen die Glaubenden immer neu mit dem dort gegenwärtigen Christus zur Einheit einer einzigen Gestalt zusammenwachsen. 24
Diskussion In dieser transzendentalen Ekklesiologie sind auf der einen Seite alle wesentlichen traditionellen sozialphilosophischen Fragestellungen aufgenommen oder wenigstens aufnehmbar: das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Subjektivität (Handeln) und Objektivität (Institution, Tradition) der sozialen Wirklichkeit, zwischen System und Geschichte (Veränderung), Partikularität und Universalität, Deskriptivität und Normativität/Legitimität (Fehlformen 22 23 24
Schaeffler 2004b, 409. Schaeffler 2004b, 422. Schaeffler 2004b, 389–518.
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von Sozialität). Auf der anderen Seite kann diese transzendentale Ekklesiologie auch alle zur Bestimmung der Besonderheit der religiösen Gemeinschaft, der religiösen Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft notwendigen Fragestellungen integrieren: die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft, die Frage der Besonderheit religiöser Erfahrung, ihrer Subjektivität und Objektivität, Partikularität und Universalität, die Frage ihrer Normativität und Geschichtlichkeit. Schließlich ist diese transzendentale Ekklesiologie durch ihre Verknüpfung von transzendentaler und historischer Reflexion auch in der Lage, bestimmte religiöse Glaubensgemeinschaften, wie die Ekklesia Israel, das Judentum und die christliche Kirche durch Rekonstruktion ihrer historischen und transzendentalen Bedingungen auch in deren Selbstverständnis so begreiflich zu machen, dass die philosophische Ekklesiologie in eine theologische Ekklesiologie überzugehen scheint. Insofern erweist sich dieser theoretische Ansatz sowohl philosophisch als auch theologisch äußerst erfolgreich, was die Auslegung der biblischen und kirchlichen Glaubensüberlieferung betrifft. Einige ausgewählte Fragen, die aber eher Anwendungsprobleme als Theorieprobleme darstellen, seien im Folgenden kurz angesprochen und diskutiert.
Philosophische Fragen Weil in diesem transzendentalphilosophischen Konzept die Erfahrungsfähigkeit als geschichtlich kontingent gedacht wird, d. h. nicht nur eine komplexere Struktur erhalten kann, sondern auch verlorengehen und wiedergewonnen werden kann, gehört die Frage nach dem Verhältnis von empirischen/historischen und transzendentalen Bedingungen zu den entscheidenden Grundfragen. Wann werden sozusagen aus empirischen Bedingungen transzendentale Bedingungen? Gewiss dürfen beide Fragen nicht vermischt oder gar identifiziert werden. Im ersten Fall geht es um die empirisch bzw. historisch feststellbaren Gründe, warum sich eine bestimmte Erfahrungsweise und Erfahrungswelt, eine bestimmte Bewusstseinsstruktur mit bestimmten Anschauungsformen und Begriffen entwickelt und entfaltet hat. Im zweiten Fall geht es um deren Geltung, d. h. um die Frage, wann oder warum bestimmten Vollzugsweisen subjektiver Akte eine maßgebliche Gegebenheit der Objekte entspricht. Aber bei aller Unterscheidung scheint es doch auch eine gemeinsame 232 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Schnittmenge zwischen beiden Fragen zu geben. Sie hängt offensichtlich mit der Verknüpfung von historischer und transzendentaler Reflexion zusammen. Wenn nun die Veränderung von Erfahrungshorizonten in transzendentaler Reflexion auf kontingente Erfahrungen (transzendentale Erfahrungen) zurückgeführt werden, insofern neue Gegenstände die Struktur des traditionellen Erfahrungshorizontes zerbrechen und einen neuen stiften können, können empirisch-historische Bedingungen höchstens als »Anlaß« für eine Änderung der Bewusstseinsstruktur verstanden werden. Die tatsächliche Änderung ist ein Ereignis bzw. ein Akt freier Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit. Deshalb kann z. B. in Bezug auf den Übergang von einer kosmisch-mythischen Religiosität (in der die »Archäologien« dominieren) zu einer zukunftszugewandten Religiosität (in der die Verheißungen dominieren) zwischen der Mitte des 2. und der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. im Raum des östlichen Mittelmeers gesagt werden: »In all diesen und in ähnlichen Fällen scheint die Einsicht in den unhaltbaren Zustand dieser Welt der Anlaß dafür gewesen zu sein, daß eine neue Weise der Erfahrung möglich wurde: die Entdeckung von Möglichkeiten, inmitten dieser überwindungsbedürftigen Welt die Vorzeichen der kommenden zu entdecken.« 25 Aber wenn hier auch in diesem Bereich wenigstens andeutungsweise das geschichtliche Bedeutungsmoment der Erfahrung hervorgetreten ist und sich dementsprechende Anschauungsformen und Begriffe ausgebildet haben, so ist dieses doch erst in Israel zum Durchbruch gekommen, weil hier für eine ganze religiöse Gemeinschaft eine bestimmte historische Situation (die Unterdrückung in Ägypten) und eine bestimmte historische Erfahrung (die Herausführung aus Ägypten) zum zentralen Inhalt der religiösen Verkündigung geworden ist, weil diese religiöse Gemeinschaft den Anspruch der Wirklichkeit bzw. die Anrede Gottes eben auf diese bestimmte Weise beantwortet und zur Sprache gebracht hat. 26 Nun kann der responsorische Charakter religiöser Erfahrung un25 Schaeffler 2004b, 106, ähnlich 109. »Die Totengerichts-Vorstellungen in Ägypten, der Auftrag, inmitten ›dieser Welt‹ als Bürger der ›kommenden Welt‹ zu leben bei den Persern, die Hoffnung auf eine seligmachende Schau jenseits der Todesgrenze bei den Griechen haben so auch den Blick auf die Inhalte einer zukunftsgewandten Hoffnung geleitet, die neben die Erinnerung an die vor aller Zeit geschehenen Ursprungs-Ereignisse trat, in gewissen Fällen solche archaiologischen Erinnerungen sogar an den Rand der Aufmerksamkeit treten ließ«; Schaeffler 2004b, 106. 26 Schaeffler 2004b, 108–110.
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terschiedliche Gestalten annehmen, in der religiösen Biographie von Individuen ebenso wie in religiösen Überlieferungsgemeinschaften. Wie soll man sich also das Ineinander von empirischen und transzendentalen Bedingungen für die Änderung von Erfahrungsweisen bzw. Bewusstseinshorizonten vorstellen? Gibt es neben revolutionären Änderungsformen auch evolutionäre bzw. kumulative? Auf der einen Seite gibt es offenbar (in Analogie zu individuellen Konversionserfahrungen) revolutionäre Veränderungen der Bewusstseinsstruktur, d. h., Erfahrungen, an deren überraschendem Inhalt zunächst die traditionelle Struktur der Erfahrungsfähigkeit zerbricht, um dann aber durch den gleichen Inhalt zugleich den Aufbau einer neuen Bewusstseinsstruktur in die Wege geleitet zu bekommen. Die vorliegende transzendentale Ekklesiologie bringt in der Tat die entscheidenden Änderungen des religiösen Erfahrungskontextes mit den entscheidenden Krisenerfahrungen in Israel, im Judentum und im Christentum in Verbindung. Auf der anderen Seite hat man aber den Eindruck, dass sowohl in Israel, im Judentum und im Christentum neben längeren Phasen der Kontinuität (weil sich bestimmte Erfahrungsweisen offenbar bewähren) sich auch Änderungen der religiösen Erfahrungsweise und der religiösen Erfahrungswelt über Jahrhunderte hinziehen. Müsste man dann aber nicht historisch sagen, dass sich eben ein kollektiver kultureller und religiöser Problemdruck so lange (kumulativ) aufbaut, bis einzelne (philosophische oder religiöse Virtuosen) sich tastend neue Perspektiven eröffnen, die dann in einem jahrhundertelangen Erfahrungs- und Lernprozess ihre Bestimmtheit erlangen? Scheinen dann aber nicht auch transzendentale und empirische Bedingungen eine engere Verbindung einzugehen? Wie die Wissenschaftsgeschichte 27 so hätte auch die Glaubensgeschichte einen revolutionären und einen evolutionären Charakter. Theologisch gesehen wären dann sowohl die kontinuierlichen Phasen der Glaubensgeschichte wie auch ihre Umbrüche als Antworten auf die Offenbarung Gottes zu verstehen. 28
Vgl. hier die Diskussionslage, wie sie besonders durch die antagonistischen Konzeptionen von Kuhn 1978 und Toulmin 1978 gekennzeichnet ist. 28 Vgl. Wiedenhofer 2005, 296. 27
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Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft
Religions- und kulturhistorische Fragen Für die transzendentale Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der religiösen Überlieferungsgemeinschaft Israel, aus der Judentum und Christentum hervorgegangen sind, ist die Vorstellung von einer früheuropäischen Krisen- und Umbruchssituation zwischen der Mitte des zweiten bis zur Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends im Ostmittelmeerraum von strategischer Bedeutung. Denn hier wird der Übergang von einer kosmisch-archäologischen zu einer anthropologisch-geschichtlichen Bewusstseinsstruktur (um es etwas vereinfacht auszudrücken) lokalisiert, in dem dann die transzendentalphilosophische Besonderheit der religiösen Überlieferungsgemeinschaft Israel zur Sprache gebracht wird. Die Frage, die hier diskutiert werden sollte, ist die Frage, wie sich diese These zu der von Karl Jaspers eingeführten und heute besonders von Shmuel Eisenstadt weitergeführten religions- und kulturhistorischen These von der Achsenzeit der Menschheitsgeschichte verhält. Karl Jaspers hatte unter »Achsenzeit« den tiefsten Einschnitt in der Weltgeschichte verstanden, den radikalen Bewusstseinswandel, der zwischen 800 und 200 v. Chr. zugleich in China, Indien und dem erweiterten Abendland (Israel, Griechenland) stattfand und der sowohl ein neues Selbstverständnis (gekennzeichnet durch die Tiefe des Selbstseins und durch eine gewisse Vergeistigung), ein neues Weltverständnis (gekennzeichnet besonders durch geschichtliche Gestaltung) und ein neues Gottesverständnis (gekennzeichnet durch Transzendenz und Ethisierung) als auch die Entwicklung der Grundkategorien, in denen wir bis heute denken (mit einer Überwindung des mythischen durch kritisch-rationales Denken und einer starken Universalisierung), umfasst. 29 Diese Achsenzeit-Vorstellung hat inzwischen, insbesondere bei Shmuel Eisenstadt, bedeutsame Modifizierungen erfahren: 30 Die Achsenkulturen, die nun bei Eisenstadt mit Max Webers großen »Kultureligionen« identisch sind und die jetzt in der Zeit zwischen 500 vor Christus und dem Aufstieg des Islam angesiedelt werden, haben ihr Neues und Gemeinsames vor allem darin, dass sich in ihren ontologischen Visionen eine tiefgreifende Differenz und Spannung zwischen der transzendenten und der weltlichen Ordnung aufgebaut hat (zu29 30
Vgl. Jaspers 1960, 20–25. Vgl. etwa Eisenstadt 1987, 1992, 2005.
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sammen mit der Ausbildung entsprechender Anschauungsformen und Begriffe), mit der daraus resultierenden Aufgabe, die profane Welt (die menschliche Persönlichkeit, die soziopolitische und die wirtschaftliche Ordnung) nach Maßgabe der transzendenten Ordnungsstruktur zu gestalten. Dies geschieht allerdings in einem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren in den einzelnen Achsenkulturen in einer sehr verschiedenartigen Weise, so dass man von einem tiefgreifenden Pluralismus der Achsenkulturen sprechen muss. Ich möchte mich nun bei meiner Nachfrage weder einfach auf die Jaspersche noch einfach auf die Eisenstadtsche Version berufen, aber davon ausgehen, dass es sich bei den Achsenkulturen bzw. Achsenreligionen um einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel handelt, zu dem wesentlich die Ausdifferenzierung eines profanen Diesseits und eines sakralen Jenseits und damit die Entstehung einer neuen fundamentalen Vermittlungsproblematik gehören. Ich möchte auch den Pluralismus aufnehmen, aber nun gewissermaßen transzendental begründen. Geht man nämlich davon aus, dass Naturzugehörigkeit, Freiheit/Geschichte und Innerlichkeit zu den Grundaspekten menschlicher Existenz gehören und dass diese Aspekte in unterschiedlicher Gewichtetheit das religiöse Bewusstsein und das religiöse Zeichensystem strukturieren können, d. h. dass der Kosmos, das menschliches Handeln und Leiden und der Geist als jeweils bevorzugte Erscheinungsorte des Göttlichen verstanden werden können, dann ließe sich die Achsenzeit religionstheoretisch als Übergang einer noch relativ undifferenzierten archaischen Religiosität in distinktere kosmozentrische, historiozentrische oder psychozentrische religiöse Bewusstseinshorizonte verstehen. 31 Wenn dies aber so ist, dann wäre z. B. in einer transzendentalen Rekonstruktion der Überlieferungsgemeinschaft Israel nicht nur danach zu fragen, wie der Wandel von einer kosmozentrischen zu einer historiozentrischen religiösen Bewusstseinsstruktur vonstatten gegangen ist und welchen neuen Blick er auf Welt, Mensch und Gott eröffnet, sondern auch zu fragen, in welcher Weise der neue religiöse Bewusstseinshorizont die anderen (kosmischen und psychischen) Erfahrungen zu integrieren vermochte. 32 Dann wäre aber vermutlich der überschrittene Vgl. Wiedenhofer 2000, 2005, 2008. Gute Beispiele in Bezug auf die Erfahrung des Bösen bei Ricoeur 1971, 349–393. obwohl auch Ricoeur hier von einer Superiorität des geschichtlich-anthropologischen Mythos ausgeht. Im Zusammenhang mit dem heutigen interreligiösen Dialog wird
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(kosmozentrische) religiöse Erfahrungshorizont auch nicht mehr so eindeutig mit einer negativen philosophischen bzw. theologischen Beurteilung zu verbinden, nämlich als Götzendienst zu qualifizieren.
Theologische Fragen Eine ähnliche Frage taucht auch in theologischer Hinsicht auf. Die transzendentale Rekonstruktion der israelitischen, jüdischen und christlichen Überlieferungsgemeinschaften konzentriert sich auf die religiöse Erfahrung von Sünde und Erlösung. In einer gewissen Hinsicht völlig zu recht. Denn hier liegt ohne Zweifel eine charakteristische Besonderheit für Judentum und Christentum. Auf der anderen Seite muss man sich sicher vor einer Engführung der religiösen Bewusstseinsstruktur des christlichen Glaubens auf die Erfahrung von Sünde und Vergebung hüten. Auch innerhalb des jüdischen und des christlichen Glaubens sind die Unheilserfahrungen so vielfältig wie die Heilserwartungen (Heil, Heilung, Liebe, Annahme, Hingabe, Friede, Befreiung, Trost, Reinheit, Gemeinschaft, Wahrheit, Hoffnung, Gesundheit, Freiheit usw.). Alle Metapherngruppen, die in der biblischen Tradition zur theologischen Ausarbeitung soteriologischer Modelle verwendet worden sind, haben ihre eigene Logik und dementsprechend auch ihre eigenen Vorzüge, Grenzen und Gefahren. 33 Die Frage ist, ob diese Form transzendentaler Rekonstruktion die Vielgestaltigkeit christlicher Unheils- und Heilserfahrungen zu integrieren vermag. Ja, müsste die Kirche als religiöse Kommunikationsund Überlieferungsgemeinschaft von heutiger katholischer Ekklesiologie aus nicht von der trinitarisch strukturierten religiösen Grunderfahrung des Christentums her rekonstruiert werden? Die Kirchenväter haben eben darin, nämlich in der Differenzeinheit des Schöpfungs-, Erlösungs- und Vollendungsbekenntnisses die Glaubensregel gesehen, der jede christliche Auslegung religiöser Zeichen zu genügen hat. Der besonderen Struktur des christlichen Glaubensbewusstseins zufolge, wie sie im Glaubensbekenntnis sichtbar ist, wird der eine Gott man hier auf jeden Fall vorsichtiger sein müssen; vgl. etwa zu einer Vermittlung von kosmischer und geschichtlicher Religiosität bzw. Hinduismus und Christentum D’Sa 1987, 2006. 33 Vgl. etwa Werbick 1990, 131–275; Wiedenhofer 2004.
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von Christen in differenzierter Einheit als Gott über uns, d. h. als Grund und Ziel von Welt und Geschichte (Vater), als Gott mit uns, d. h. als Anführer des Lebens auf dem Weg der Geschichte (Sohn) und als Gott in uns, d. h. als göttliche Kraft, die uns innerlich erfüllt und vollendet (Heiliger Geist), bzw. als Schöpfer, Erlöser und Vollender der Welt erfahren. Offenbarung Gottes ist theologisch daher nur dann recht verstanden, wenn sie als differenzierte Einheit von unverfügbarem weltjenseitigen Geheimnis, geschichtlich greifbarer Gestalt und die Vollendung antizipierender innerlich-seelischer Einheit, von Schöpfungsoffenbarung, Erlösungsoffenbarung und Vollendungsoffenbarung bzw. von kosmischer, geschichtlicher und psychischer Offenbarung verstanden ist. Erst in der komplexen Einheit dieser unterschiedlichen Aspekte ist christliche Offenbarung gegeben. In der christlichen Glaubensüberlieferung hat diese Sicht ihren Niederschlag gefunden vor allem im (oft noch unreflektierten) Zusammenhang unterschiedlicher Ausprägungen des Glaubens bzw. unterschiedlicher Metaphern- und Vorstellungsgruppen in Bezug auf das Wirken und Handeln Gottes, nämlich seiner kosmischen Präsenz (Schöpfung als durch die Weisheit Gottes bestimmter Ordnungszusammenhang, aus dem Gottes Stimme spricht), seiner (heils-) geschichtlichen Präsenz (Heilsgeschichte als Ausdruck des richtenden, rettenden, befreienden, vergebenden und heilenden Handelns Gottes in der Geschichte mit dem Höhepunkt in Jesus Christus), seiner innerlich-seelischen Präsenz (Einigung mit Gott in Gebet, Kult und Mystik). Die Frage ist, in welcher Weise dieses zentrale Selbstverständnis der kirchlichen Überlieferungsgemeinschaft (ecclesia ex trinitate) in einer transzendentalen Rekonstruktion wirksam werden könnte. Oder anders gesagt: Bedarf es dazu überhaupt eines zusätzlichen Anlaufs oder ist dem in dem vorliegenden Entwurf schon hinreichend Rechnung getragen? Solche und ähnliche Nachfragen können jedoch die herausragende Bedeutung der hier präsentierten transzendentalen Ekklesiologie nicht schmälern, höchstens nur noch einmal unterstreichen. Literatur Baumgartner, Hans Michael (1992): Das »ethische gemeine Wesen« und die Kirche in Kants »Religionsschrift«. In: Friedo Ricken, François Marty (Hg.), Kant
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Impulse und Anregungen für eine Theologie des Gebetes Über die Bedeutung sprachphilosophischer Betrachtungen 1 Jürg Wüst-Lückl
Dass das Gebet in der heutigen globalisierten Welt des Internets und der boomenden IT-Branchen nicht verstummt ist, kann als Tatsache gelten. 2 Dennoch müssen wir bezüglich Akzeptanz und Beurteilung des Gebetes ein sehr ambivalentes Bild zeichnen. Die derzeitige Fülle spiritueller Literatur zeugt einerseits von einer Art Renaissance des Gebetes. 3 Andererseits dürfen die positiven Anzeichen nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen in unserer zunehmend geheimnisleeren, technokratischen Welt keinen Zugang zum Glauben und damit zum Gebet finden. 4
Ruf nach theologischer Auseinandersetzung über den Sinn des Betens In der durch das technisch-naturwissenschaftliche Denken entzauberten postmodernen und pluralistischen Welt ist für manch einen Zeitgenossen kaum Raum für den Glauben an ein personales Wirken und Die nachfolgenden Überlegungen wurden ausführlicher dargelegt in: Wüst-Lückl 2007, 265–296. 2 Noch immer gilt, was vor etwas mehr als zehn Jahren der Freiburger Pastoraltheologe Leo Karrer schrieb: »Tatsache ist, dass quantitativ das Beten zurückgegangen ist, nicht jedoch die Suche nach neuen Formen, nach neuen Inhalten, nach neuer Qualität des Betens selber und damit nach Orten der Sinnsuche und –antworten im persönlichen Erlebnisbereich« (Karrer 1996, 12). 3 Dass der Dokumentarfilm (Produktion 2003) mit dem Titel »Jesus, Du weißt« des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl, der sechs fragmentarische Portraits von Gläubigen zeigt, die fast neunzig Minuten nichts als beten, das Gebetsleben als Thematik aufnimmt, bestätigt die zurückgewonnene gesellschaftliche Salonfähigkeit des Gebetes. 4 Laut der Shellstudie haben im Jahr 2000 56 % aller Jugendlichen angegeben, nie zu beten (Fuchs-Heinritz 2000, 164). 1
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Handeln Gottes in der Welt, was allerdings jedes christliche Beten voraussetzt. Der neuzeitliche Atheismus zieht weiter seine Kreise. So herrscht inmitten einer auf wissenschaftlich-instrumentelle Rationalität ausgerichteten Umwelt ein weit verbreitetes Gefühl der Belanglosigkeit, letztlich der Widersinnigkeit des Betens. Ein solches Empfinden kann die Theologie nicht kalt lassen. Gefragt sind systematisch-theologische Antwortversuche, mit denen sich die Theologie nicht auf spirituelle Anleitungen und Ermutigungen zum Gebet beschränkt.5 Es wäre ein schwerwiegendes Versäumnis, das Beten der Frömmigkeit des Einzelnen zu überlassen und einzig in praktisch-theologischer Methodik nach dem Wie des Betens zu fragen. Der ausschliessliche Ruf nach spirituellen Meistern, Frauen und Männern, »die auf dem existentiell realisierten und personal verantworteten Weg zu Gott schon etwas weiter« 6 sind, greift unweigerlich zu kurz. Es kann nicht genügen, auf religiösen Gehorsam zu pochen und die nach wie vor spürbare Krise des Gebetes, wie es Reinhard Slenczka fordert, mit Beten zu überwinden: »Die Krise des Gebets kann nur durch Beten überwunden werden; die Ermutigung zum Gebet kann immer nur aus dem Hören auf das Wort und aus dem Gehorsam gegen das Wort Gottes erwachsen, weil nur hier der Heilige Geist wirkt. Deshalb besteht die Ermutigung zum Gebet allein in der dringenden Mahnung zu beten.« 7 Mit Jürgen Werbick sind wir entschieden der Meinung, dass die Theologie nicht, »wenn ihr in der kalten Welt der argumentativen Diskurse die Luft ausgeht, das Beten gegen das Argumentieren« 8 ausspielen darf. Gerade seit der Neuzeit sieht sich der betende Mensch mit entscheidenden Fragen konfrontiert, die es verdienen, dass er »Rede und Antwort steht« (1 Petr 3, 15). Wer im Glauben keinen Spagat zwischen dem geistlichen Leben und einem vernünftigen Nachdenken maEin Blick in die Summa Theologica von Thomas von Aquin verrät, dass der Aquinate unser Urteil teilen würde. Ganz selbstverständlich befasst er sich in seinem Werk im Bereich ethischer Fragestellungen mit dem Gebet. STh II II, 83. Anders sieht es in der neuscholastischen Theologie aus. Das Gebet wird dort aus dem Bereich der systematisch-theologischen Auseinandersetzung gedrängt und reduziert auf die Frage nach dem Wie behandelt. 6 Willers 2000, 8. 7 Slenczka 1999, 148. Als Konsequenz daraus hält Slenczka eine Theologie des Gebets für »etwas völlig Widersinniges« (ebd. 135). Wir sind da entschieden anderer Meinung. 8 Werbick 2001a, 9. 5
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chen will, muss das Gebet auch in der Systematischen Theologie zum Thema machen und bereit sein, die in ihm implizierten theologischphilosophischen Voraussetzungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Sprache als wichtiger Ansatzpunkt Diese vom Gebet implizierten Voraussetzungen sind, weil es im christlich verstandenen Sinn Kommunikation und Interaktion zwischen göttlicher, überirdischer Weite einerseits und geschaffener Welt andererseits ermöglicht, vielschichtig. Im Gebet kommen nämlich die drei, wie Franz Rosenzweig sie nennt, »Urphänomene« 9 Gott, Welt und Mensch in ein »Spiel«. Diese drei Urphänomene sind für Rosenzweig transzendentale Ideen und bleiben für das Denken, das sie nicht in eine Einheit einholen oder jeweils zwei Urphänomene auf das Dritte reduzieren kann, je andere. Daraus ergeben sich für das christliche Gebet drei verschiedene Ebenen, des göttlichen, weltlichen und menschlichen Ineinanders. Eine erste Ebene besteht im Dialog zwischen Gott und Mensch. Das Gebet ist aber zweitens auch Ausdruck des Glaubens an Gottes Wirken und Handeln in der Welt. Dies betrifft die Ebene zwischen Gott und geschaffener Welt. Und schliesslich will christliches Beten in seinem Innersten den Menschen nicht aus der Welt hinausführen, sondern zu Solidarität und Engagement ermutigen. Hier ist die Ebene des menschlichen Handelns in der Welt betroffen. Diese drei Ebenen des göttlichen, menschlichen und weltlichen Zusammenspiels werden, da jedes christliche Beten sprachlicher Natur ist 10 , von der Sprache zusammengehalten. 11 Ein Gebet, das den Menschen als zw/øn lo,gon e;con in seiner Ganzheit ernst nehmen will, muss selbst dann als sprachliches Geschehen aufgefasst werden, wenn Vgl. Casper 1986, 36. Vgl. den Bahn brechenden Entwurf: Pesch 1970. Zwei Jahre später erscheint: Pesch 1972, Neuauflage: Pesch 1980. Dieses Büchlein versteht der Autor als eine Art Fortsetzung und praktische »Anwendung« seines gebetstheologischen Entwurfes. 11 Ganz ähnlich sieht Doris Hiller in der Sprache, dem Menschen und Gott die zentralen Elemente des Gebetes. Vgl. Hiller 1999. Sie deutet die Sprache ebenso als das verbindende Element, lässt aber den Kontext, die Deutung der Weltwirklichkeit – unseres Erachtens eine prägende Dimension für das Gebetsverständnis – ausser Acht. 9
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es verstummt und ins Schweigen übergeht. 12 Am deutlichsten ist dieser Zusammenhang auf der Ebene des Dialoges sichtbar. Gilt das Gebet aber als Wortgeschehen, kommt die Theologie nicht umhin, sich im Rahmen einer Gebetstheologie mit der Sprache des Gebetes zu beschäftigen, um dadurch das Gebetsverständnis zu vertiefen. Damit aber ist sie einmal mehr gewiesen, über die eigenen Grenzen hinauszuschauen. Insbesondere der Blick in die Sprachphilosophie legt sich da nahe. Sprachphilosophische Erkenntnisse sind für die Theologie insgesamt, aber insbesondere auch für eine Theologie des Gebetes, von grosser Tragweite und Bedeutung. Eine Basis und wichtige Grundlagen zur theologischen Vertiefung der Gebetssprache stellt der mit diesem Band gefeierte Religionsphilosoph Richard Schaeffler in seiner ausführlichen und präzis strukturierten Arbeit »Das Gebet und das Argument« und in der Kurzfassung, die er mit »Kleine Sprachlehre des Glaubens« betitelt 13 , der Theologie zur Verfügung. Es ist sein Verdienst, dass er viele offene sprachphilosophische Fragen aufgegriffen, auf der Grundlage von wichtigen Vordenkern weitergeführt und auf religionsphilosophische Fragestellungen bezogen hat. Damit stellt er der Theologie – gerade auch im Blick auf die Gebetssprache – sozusagen ausserhalb ihrer selbst, ein nach wie vor bedenkenswertes Instrumentarium zur Verfügung.
Sprachphilosophischer Neuansatz mit transzendentaler Fragestellung Am Ende seiner Religionsphilosophie 14 denkt Schaeffler in einem systematischen Ausblick eine religionsphilosophische Methode an 15 , die sich aus verschiedenen Ansätzen kombiniert. In der Überzeugung, dass 12 Wir grenzen uns hier von Johannes Hoff ab, der das Gebet weniger als Wort-Geschehen, sondern vielmehr auf der Ebene des Non-verbalen verstehen will und eine Verkörperlichung des Gebetes verlangt. Mit Eckhard Nordhofen und seiner besonderen Deutung von Ex 3, 14 fordert er eine Ausweitung des Bilderverbotes auf das Wort. Vgl. Hoff 1999, 138 f. Für Hoff liegt heute die Chance der Spiritualität im nonverbalen Kult. 13 Vgl. Schaeffler 1989 und Schaeffler 1988. 14 Schaeffler 1997. 15 Vgl. ebd., 218–250. Schaeffler beschränkt sich darauf, nach einem Vergleich der Fragestellungen, Lösungsansätze und Methoden der untersuchten Ansätze (transzendentaler, phänomenologischer und analytischer Ansatz), die Ergebnisse ansatzweise, systematisch auszuwerten.
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die Religionsphilosophie dadurch ihre Möglichkeiten erweitern kann, verknüpft er transzendentalphilosophische, phänomenologische und sprachanalytische Methoden miteinander. Dabei wagt er in seinen eigenen Worten »eine recht schematische Formulierung« 16 , die auf einen Nenner gebracht aussagt, dass transzendentale Methoden angewandt auf Beispiele, deren speziell religiöse Eigenart durch die Analyse der religiösen Sprache herausgearbeitet werden können, die Voraussetzungen bereitstellen, diejenigen Themen angemessen zu bearbeiten, die eine Phänomenologie der Religion sich stellt. 17 Aufgrund dieser Verhältnisbestimmung kommt nicht jeder Methode dasselbe Gewicht zu. Die transzendentalen Methoden, angewandt auf sprachphilosophische Fragestellungen, bilden für Schaeffler die eigentliche Grundlage oder das Grundinstrumentarium für eine Phänomenologie der Religionen. So spielt die Verbindung transzendentalphilosophischer und sprachanalytischer Methoden für sein religionsphilosophisches Nachdenken und insbesondere für seine Untersuchungen zu Kult und Gebet 18 eine herausragende Rolle. Aus dieser speziellen Methodenkombination ergibt sich ein sprachphilosophischer Neuansatz mit transzendentaler Fragestellung. Schaeffler knüpft mit seinen Überlegungen bei der Theorie der Sprachhandlungen John Langshaw Austins und der Sprachspieltheorie Ludwig Wittgensteins an. Im Sinn seiner Methodenkombination versucht er, die jeweils aufgegriffenen Fragen zu verknüpfen und mit transzendentalen Fragestellungen weiterzuführen. Wie das konkreter aussieht und welche Impulse sich daraus für die Gebetssprache ergeben, soll im Folgenden referiert werden.
Klärung der Verbindung von Aussage und Sprachhandlung Seit John Langshaw Austin – und schon in Ansätzen bei ihm selbst – ist, wie Schaeffler die Theorie der Sprachhandlungen referiert, immer mehr erkannt worden, dass nicht einfach nur streng zwischen Aussagen und Sprachhandlungen unterschieden werden darf. Vielmehr bestehe ein wechselseitiger Zusammenhang. So würden manche Hand16 17 18
Ebd., 217. Vgl. ebd., 217. Vgl. Schaeffler 1977, Schaeffler 1974, Schaeffler 1987.
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lungen dadurch vollzogen, dass Wahrheit beanspruchende Aussagen ausgesprochen würden und umgekehrt könnten Sprachhandlungen Aussagen beinhalten. Schaeffler unterstreicht diese Gegebenheit mit Beispielen: Die Aussage etwa, bei der zu kaufen beabsichtigten Ware handle es sich um gestohlenes Gut, versetzt den Käufer oder die Käuferin in eine neue Situation. Es wird ein Sachverhalt bekannt gemacht, der unabhängig vom Vollzug schon besteht. Umgekehrt enthält die Sprachhandlung eines Versprechens die Aussage, dass die sprechende Person sich selbst als freies und daher zur Selbstverpflichtung fähiges Wesen begreift und zugleich den Adressaten als freies, zur Entgegennahme von Verpflichtungen fähiges Wesen beurteilt. Diese Wechselwirkung zwischen der Wahrheit von Aussagen und der Wirkung von Sprachhandlungen wird in sprachphilosophischen Kreisen kaum bestritten. Allerdings betont Schaeffler: »Aber die Art dieses Zusammenhanges ist noch keineswegs befriedigend geklärt. Es besteht also Anlass, nach einem möglichen methodischen Ansatz Umschau zu halten, von dem aus dieser Zusammenhang angemessen beschrieben werden kann.« 19 Auf der Suche nach einer befriedigenden Erklärung stösst Schaeffler auf Hermann Cohen, den von der jüngeren Diskussion der Sprachphilosophie kaum beachteten Begründer der neukantianischen Schule von Marburg. Dieser hat im Zuge seiner Auseinandersetzung mit Kant Gedanken entwickelt, die wichtige Impulse liefern, um die transzendentale Methode fruchtbar mit sprachphilosophischen Gedankengängen zu verbinden. Seine sowohl transzendental- als auch sprachphilosophischen Überlegungen bilden für Schaeffler wichtige Ansatzpunkte, wenn es darum geht, den Zusammenhang zwischen Wahrheit beanspruchenden Aussagen und der Wirkung von Sprachhandlungen in einem Modell zu verbinden. Cohen ergänzt, wie Schaeffler aufzeigt, Kants Idee von den durch das anschauende Subjekt konstituierten Objekten durch diejenige der Subjektkonstitution. Seiner Ansicht nach würden nicht nur die Objekte durch das Subjekt, sondern auch umgekehrt das Subjekt durch die 19 Ebd., 51. Die Frage, wie der Wahrheitsanspruch von Aussagen und die Wirksamkeit von Sprachhandlungen zusammenhängen, ist nicht nur eine Frage der allgemeinen Sprachphilosophie. Für die Analyse der religiösen Sprache ist dieses Problem von besonderer Bedeutung. Wird nämlich angenommen, dass auch Sprachhandlungen Aussagen enthalten, dann gilt weiterhin der Sinnlosigkeitsverdacht, der gegenüber religiösen Aussagen geäussert wurde.
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Objekte bestimmt. Diese These begründet Cohen anhand des Beispiels der Sündenvergebung. Für die Korrelation zwischen Gott und dem Menschen spielt das Wort eine besondere Rolle. Bezogen auf den Vorgang der Sündenvergebung ist es von Gott her das Wort des Gebotes und vom Menschen her das Wort des Gebetes. Gebot und Gebet dienen nicht dazu, zwischen Gott und dem Menschen mitzuteilen, was ist. Vielmehr sollen sie etwas stiften, was sonst nicht wäre. Mehr als vierzig Jahre vor Austin prägt Cohen laut Schaeffler für diesen Zusammenhang den Begriff der Sprachhandlung. Das Gebet um Sündenvergebung wolle folglich Gott nicht über die Schuld des Menschen informieren, sondern vielmehr etwas bewirken. Cohen spricht vom Willen, der lebendig wird. Diesen Willen sieht er auf zwei untereinander zusammenhängende Ziele gerichtet. Einerseits ist es die »Heiligung des Namens« und andererseits die »Einung der Seele« 20 . In der Sammlung auf die Einzigkeit Gottes findet der Mensch seine verlorene Ganzheit wieder. Die Sprachhandlung des Schuldbekenntnisses oder der Sündenvergebung konstituiert damit nicht nur die Welt der Gegenstände, sondern vor allem – und das ist, wie Schaeffler betont hat, im Gegensatz zu Kant die Weiterführung – das sprechende Ich in einer neuen sittlich-religiösen Qualität. 21 Die in der Sprachhandlung des Gebetes zurückgewonnene Einheit des Subjektes ist die Bedingung dafür, dass die erfahrenen Ereignisse in einen geordneten Zusammenhang einbezogen werden können. 22 Die Sprachhandlung des Gebetes erhält in diesem subjektkonstituierenden Sinn transzendentale Bedeutung. Mit dieser transzendentalphilosophischen Theorie der Wirkung der Sprachhandlungen liefert Cohen laut Schaeffler den Anknüpfungspunkt für die Möglichkeit, diese zugleich als Aussagesätze mit einem bestimmten Wahrheitsanspruch zu verstehen. Wie dieses Wechselverhältnis zwischen Wirksamkeit und Wahrheit zu denken ist, spielt Schaeffler wieder am Beispiel der Sündenvergebung durch. Er geht dabei davon aus, dass auch die in der SprachVgl.Schaeffler 1997, 175. Diese Deutung des Gebetes als Sprachhandlung, durch die das sittliche Individuum geformt wird, erhält seine, über das spezielle Feld einer Analyse der religiösen Sprache hinausreichende Bedeutung dadurch, dass mit ihr die Konstitution des Subjektes zum Thema der Transzendentalphilosophie gemacht wird. Vgl. Schaeffler 1989, 54. 22 Wir werden später sehen, dass dieser Gedanke der zurückgewonnenen Einheit in den Überlegungen zum Gebet als Sprachhandlung bei Schaeffler wieder auftauchen wird. Vgl. ebd., besonders den Abschnitt »religiöse Erzählsequenzen«. 20 21
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handlung des Gebetes um Sündenvergebung ausgesagte Wahrheit nicht kategorial, sondern transzendental zu deuten ist. Er nennt dafür zwei Gründe. 23 Einerseits sei die darin ausgesprochene Wahrheit nicht eine Wahrheit über irgendwelche Gegenstände, sondern über die sprechende Person und über ihre Wahrheitsfähigkeit selbst. 24 Andererseits sei sie, da es »sich um ›eine Wahrheit über die Struktur des gesamten Erfahrungszusammenhangs‹« 25 handle, die Bedingung dafür, dass die Person ihre Lebenssituationen zu einem Ganzen zusammenbringen könne. Werde also angenommen, dass die religiösen Sprachhandlungen des Schuldbekenntnisses und der Vergebungsbitte nicht einen kategorialen, sondern einen transzendentalen Wahrheitsanspruch erheben würden, dann folge daraus, dass die in diesen Sprachhandlungen enthaltenen Aussagen, damit über deren Wirksamkeit entschieden werden könne, nicht zuerst theoretisch gesichert und geprüft werden müssten. Es sei also im Rahmen des aufgeführten Beispiels nicht nötig zu erweisen, dass es einen Gott gebe und dass er ein einziger sei. Diese Aussagen liessen sich, würden sie transzendental verstanden, nicht theoretisch beweisen. Sie könnten sich aber in ihrer transzendentalen Funktion bewähren, indem sich herausstellte, dass nur der, der ihre Wahrheit anerkannte, zur Erfahrung fähig würde. Eine Aussage sei im transzendentalen Sinn wahr, wenn sie die Bedingung benannte, durch die Erfahrung möglich würde. 26 Über die transzendentale Methode lassen sich – so hat Schaeffler beispielhaft gezeigt – Aussage und Handlung in sprachlichen Äusserungen miteinander verbinden. Dies gilt insbesondere für eine Klasse von Sprachhandlungen, die im Unterschied zu denjenigen SprachhandZum Folgenden vgl. ebd., 57. Mit andern Worten handelt es sich um die Bedingung der Möglichkeit, nicht nur einzelne wahre Aussagen zu machen, sondern darum, dass der Mensch überhaupt zur Wahrheit fähig ist. 25 Ebd. 26 Vgl. ebd., 58. Im Anschluss an Cohen lässt sich damit die kantsche Postulatenlehre teils präzisieren, teils erweitern (vgl. ebd., 60). Im Gegensatz zu Kant ist Cohen der Meinung, dass der Mensch seine verlorene Einheit nicht durch das Postulat der Existenz und Einzigkeit Gottes wieder gewinnt, sondern dadurch, dass er durch die Sprachhandlung des Gebetes auf wirksame Weise in eine Beziehung zu ihm eintritt. »Nicht, dass die ›Einung‹ des Subjekts aus moralischen Gründen gelingen soll, auch nicht dass sie aus transzendentalen Gründen gelingen muss, sondern dass sie in einer wirksamen Sprachhandlung tatsächlich gelingt, legitimiert den Wahrheitsanspruch desjenigen propositionalen Gehaltes, der in dieser Sprachhandlung impliziert ist« (ebd., 62). 23 24
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lungen, die innerhalb eines bestehenden und wohlgeordneten Ereigniszusammenhanges, innerhalb eines erst noch zu begründenden Ereigniszusammenhanges eine neue Situation stiften. 27 Sprachhandlungen, die den Kontext erst begründen, innerhalb dessen sie etwas bewirken, haben verbunden mit der in ihnen enthaltenen Aussage transzendentalen Charakter. Diesem Muster folgen die meisten religiösen Sprachhandlungen. Ihr Wahrheitsanspruch kann nicht überprüft werden. Er kann sich nur dadurch bewähren, dass die Sprachhandlung gelingt. Für eine Gebetstheologie heisst das, dass sie letztlich nicht bei der theoretischen Auseinandersetzung verharren darf. Sie muss sich im konkreten Beten bewähren oder umgekehrt selbst aus der Praxis des Gebets hervorgehen. Keineswegs soll dadurch einer unreflektierten Praxis des Gebetes das Wort geredet werden. Dass sich das Gebet in diesem Sinn als religiöse Sondersprache nicht einer kritischen Auseinandersetzung entziehen kann und darf, zeigen Schaefflers Überlegungen zur Sprachspieltheorie Wittgensteins und seine Rede vom autonomen, aber nicht autarken Sprachspiel. Wie das genauer gemeint ist und die darin enthaltenen Impulse für eine Gebetstheologie, zeigen die weiteren Ausführungen.
Theorie der autonomen aber nicht autarken Sprachspiele Im Blick auf die religiöse Sprache ist der Religionsphilosophie mit der Wittgensteinschen Theorie der »autonomen Sprachspiele« ein Instrument an die Hand gegeben, das den positivistischen Sinnlosigkeitsverdacht der religiösen Sprache auf rationaler Ebene überwinden kann: »Wenn es nämlich mehrere voneinander strukturverschiedene, aber untereinander gleichberechtigte und voneinander unabhängige Als ein Beispiel für eine Sprachhandlung, die innerhalb eines bestehenden Ereigniszusammenhanges eine neue Situation stiftet, erwähnt Schaeffler den Vertragsabschluss oder die Verzichtserklärung. Innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung begründen sie eine neue Rechtslage. Die mit der Sprachhandlung verknüpfte Aussage beschränkt sich darauf, das Bestehen einer Situation zu behaupten. Im Gegensatz dazu gibt es Sprachhandlungen, die den geordneten Zusammenhang erst begründen und stiften (Ein wichtiger Teil religiöser Sprachhandlungen ist von diesem Muster). Die behauptete Wahrheit in diesen Sprachhandlungen besteht darin, denjenigen Ermöglichungsgrund zu benennen, auf den sich das Subjekt bezieht. Vgl. ebd., 65 f.
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(autonome) ›Sprachspiele‹ gibt, dann scheint es möglich, auch die Sprache der Religion als ein solches ›autonomes Sprachspiel‹ zu beurteilen, das seinen eigenen Strukturgesetzen folgt und dadurch seine eigene Funktion erfüllt, hinsichtlich derer es durch kein anderes Sprachspiel ersetzt werden kann.« 28 Wenn also jedes Sprachspiel den eigenen Gesetzen folgt, dann kann der Vorwurf der Sinnlosigkeit nicht greifen, wie ihn die positivistische Sprachanalyse gegenüber der religiösen Sprache vorgebracht hat. Wovon eine religiöse Aussage nämlich spricht und was sie besagt, ist, so Schaeffler, »nur innerhalb des religiösen Sprachspiels und innerhalb der dieses Sprachspiel tragenden ›Lebensform‹ anzugeben.« 29 Gleichzeitig stellt sich damit jeder Religionsgemeinschaft aber das Problem, dass sie ihrerseits unfähig ist, sich denen verständlich zu machen, die der religiösen Sprach- und Handlungsgemeinschaft nicht oder noch nicht angehören; denn man muss das Sprachspiel schon »mitspielen«, um die Bedeutung der einzelnen Äusserungen zu erfassen. Da das Modell der normativen Sprache, wie Schaeffler überzeugt ist, – also eines Sprachspiels, an dem sich alle anderen Sprachspiele messen müssten – die Frage, wie sich autonome Sprachspiele zueinander verhalten, nicht auf befriedigende Art und Weise lösen kann, muss nach einem anderen Ansatz gesucht werden. Sonst erscheint die religiöse Sprache als eine abgesonderte Sondersprache, die sich durch Verweigerung rationalen Diskurses unangreifbar macht. 30 Genau das kann und darf sie sich in einer aufgeklärten Welt nicht leisten. Wieder greift Schaeffler für einen Lösungsansatz auf einen Vordenker zurück. Ernst Cassirer bahnt im Anschluss an Kant, wie Schaeffler schreibt, »den Weg zu einer Transzendentalphilosophie, die mit einer Vielfalt und historischen Veränderlichkeit von Formen des Anschauens und Denkens rechnet und diesen Formen dennoch transzendentalen Charakter zuspricht« 31 . Noch für Kant galt, dass die AnSchaeffler 1989, 29. Schaeffler 1997, 155. 30 Die wissenschaftliche Sprache gerät in dieser Beziehung nicht in Beweisnot, da sie es gestattet, nicht nur innerhalb des schon sprachlich geregelten Systems einzelne Aussagen zu begründen und zu widerlegen. Das Regelsystem der wissenschaftlichen Sprache ist kein geschlossenes System wie die religiöse Sprache. Viele von denjenigen Alternativen, die in der religiösen Sprache geklärt werden müssen, entstehen nur innerhalb der Religion. Sie sind damit nur denjenigen verständlich, die die religiöse Sprache schon sprechen. Vgl. ebd., 75 f. 31 Ebd., 82. 28 29
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schauungsformen von Raum und Zeit sowie die Begriffe des Verstandes ein für alle Mal definiert sind. Diese Formen des Anschauens und Denkens, die »ein Netz von Beziehungen vorzeichnen, in die hinein die Inhalte subjektiver Vorstellungen transponiert werden müssen, wenn aus ihnen Gegenstände aufgebaut werden sollen, die dem Urteil des Subjektes Massstäbe des Wahren und Falschen entgegenhalten« 32 , sind für ihn universal und damit unveränderlich. Alle Pluralität von Formen ist ausschliesslich empirischer Art und lässt die transzendentalen Bedingungen unberührt, die es erlauben, objektiv gültige Erkenntnisse zu gewinnen. Cassirer grenzt sich von dieser Meinung Kants ab. Er zeigt, dass von einer Vielheit der »symbolischen Formen« 33 ausgegangen werden kann. So ist er überzeugt, dass dasjenige Gefüge von Anschauungsformen, Verstandesbegriffen und Vernunftideen, durch welches die Welt der Forschungsgegenstände der Wissenschaft aufgebaut wird, nicht als einziges solches System anzusehen ist. Nach ihm ist die spezifisch religiöse Sprachform, die er Mythos nennt, ein anderes solches Gefüge. »Diese symbolischen Formen des Mythos konstituieren eine Gegenstandswelt von besonderer Struktur, die von der Welt der wissenschaftlich erforschbaren Objekte verschieden ist.« 34 Damit betont er die Autonomie der Kulturbereiche mit ihren jeweils besonderen symbolischen Formen. In jedem solchen Gefüge gebe es je eigene transzendentale Anschauungsformen. Mit dieser Ansicht nähert sich Cassirer der später von den Analytikern entwickelten Theorie der autonomen Sprachspiele. Er versteht aber andererseits diese Autonomie nicht als Anarchie. Trotz der Verschiedenheit will er an einer gewissen Einheit festhalten. 35 Diese Einheit fasst Cassirer mit dem Begriff »Geist«. Er ist der Überzeugung, dass alle symbolischen Formen untereinander ein geordnetes Gefüge bilden und dass es möglich sein muss, diese »auf einen einheitlichen Mittelpunkt, auf ein ideelles Zentrum zu beziehen« 36 . Die verschiedenen Gefüge symbolischer Formen würden trotz Verschiedenheit im strukturellen Bereich zuEbd. Schaeffler 1997, 165, zitiert Cassirer 1929, 7–17. 34 Ebd. 35 Damit ist bei ihm schon ein Ansatz zu einer Kritik an der Theorie der autonomen Sprachspiele gegeben, die gerade diese Dimension einer gewissen Einheit aus dem Auge verliert. 36 Vgl. Schaeffler 1989, 83. Schaeffler zitiert hier Cassirer 1929, 12. 32 33
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gleich Entsprechungen aufweisen, die es ermöglichten, die unterschiedlichen Welten aufeinander zu beziehen, die im je anderen »Kulturbereich« aufgebaut werden. Damit wird ein Vergleich unter den Formen und ein kritisches Messen aneinander möglich. 37 Mit diesen Impulsen Cassirers lässt sich nach Schaeffler die Lehre Kants von den regulativen Ideen präzisieren und erweitern. 38 »Kant verstand darunter die Lehre von jenen Zielvorstellungen, in denen die Vernunft die Erfüllung ihrer selbstgesetzten Aufgaben vorwegnehmend anschaut, weil sie nur so den Verstand zu jenen Akten der Synthesis anleiten kann, aus denen die Erscheinungen als die Objekte unserer Erfahrung hervorgehen. Inhalte dieser Zielvorstellungen sind: die Einheit des Ich und die geordnete Ganzheit der Welt.« 39 Hinter diese Einsicht Kants darf, wie auch Schaeffler meint, die Transzendentalphilosophie nicht mehr zurückfallen. 40 Im Blick auf die Ausführungen Cassirers hält er aber fest, dass die Begriffe der »Einheit des Ich« und die »geordnete Ganzheit der Welt« nicht so eindeutig seien, wie dies noch Kant voraussetzen konnte. Schaeffler schreibt: »Die Identität des Forscher-Ich und die ihr zugeordnete Ganzheit einer Welt der Forschungsgegenstände sind von anderer Art als das religiöse Ich in seiner spezifischen Identität und die ihm zugeordnete Ganzheit der religiösen Welt.« 41 Laut Schaeffler ist demnach davon auszugehen, dass es mehrere Formen der Einheit des Ich und der Ganzheit der Welt gibt. Trotzdem bleibt Kants Einsicht bestehen, dass diese Einheit und Ganzheit nicht gegeben, sondern aufgegeben 42 ist. Es handelt sich nicht um Kategorien, sondern um Ideen, die aber im Gegensatz zu Kants Meinung in mehrfacher Gestalt begegnen können. 43 Vgl. Schaeffler 1997, 166 f. Wie schon bei Cohen gezeigt wurde, dass durch seine Ideen Kants Lehre von den Postulaten ergänzt und präzisiert werden können, kann hier auf entsprechende Weise vorgegangen werden. 39 Schaeffler 1989, 87. 40 Vgl. ebd., 88. und auch zum Folgenden. 41 Ebd., 88. 42 Zur Erinnerung: Wenn davon die Rede ist, dass die Ideen nicht gegeben, sondern aufgegeben sind, dann ist damit gemeint, dass zum Beispiel die Einheit des Ich nicht naturhaft gegeben ist. Vielmehr handelt es sich um eine lebenslange Aufgabe der Einübung. 43 An diesem Punkt merkt Schaeffler an, dass hier nicht alle Fragen restlos geklärt werden können. Es stelle sich zum Beispiel die Frage, von welcher Art die jeweils spezi37 38
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Daraus lassen sich »Ansätze zu einer Theorie der ›Autonomie ohne Anarchie‹« 44 entwickeln. Eine solche Theorie besagt, dass Sprachspiele zwar als autonom (eigengesetzlich) zu betrachten sind, aber nicht als autark (selbstgenügsam) gelten dürfen. Anhand von Untersuchungen zur religiösen Sprache versucht Schaeffler diese Theorie zu begründen. So zeigt er in seiner Abhandlung »Gebet und Argument« auf, dass die religiöse Sprache als solches autonomes, aber nicht autarkes Sprachspiel aufgefasst werden kann. Sie verleihe durch ihre spezielle Grammatik den regulativen Ideen des Ich und der Welt eine spezifische Bedeutung. Ganz im Sinn von Cassirer, der in seinem Konzept auf die umgreifende Ganzheit aller symbolischen Formen hinweist, will aber auch Schaeffler die religiöse Sprache nicht als Sondersprache verstehen, die nur von Sondergruppen der Gesellschaft gesprochen und verstanden werden kann. Deshalb unterstreicht er, dass die religiöse Sprache aus »sachnotwendigen Gründen« 45 auf Interferenzen 46 zwischen ihr und anderen Sprachspielen angewiesen ist. Diese Interferenzen sind nach ihm im Zusammenhang der Gebetssprache zwischen den Sprachspielen der Theologie und Philosophie zu suchen. fische Einheit des Ich und die Ganzheit der Welt sei. Mit der Methode Cassirers liesse sich antworten, dass sich an der je spezifischen Grammatik die normative Kraft der spezifischen Gestalten, die die Ideen des Ich und der Welt angenommen haben, ablesen liesse. Ganz sicher bleibe die Frage offen, ob die jeweiligen Einheiten des Ich und Ganzheiten der Welt als Teilmomente einer umfassenden Einheit des Ich und Ganzheit der Welt zu begreifen seien. Wie Schaeffler meint, sei dies nicht auf dem von Cassirer eingeschlagenen Weg zulänglich zu beantworten (vgl. ebd., 89 f.). 44 Damit überschreibt Schaeffler den letzten Abschnitt des 1. Teils seiner Untersuchung »Gebet und Argument«, Schaeffler 1989, 92. 45 Als Beispiel dafür, dass es für ein bestimmtes Sprachspiel notwendig werden kann, über die gleiche Sache auch in einem andern zu sprechen, führt Schaeffler eine Situation bei der Arztvisite vor. Der Arzt muss einerseits fähig sein, in der objektivierenden Sprache der Wissenschaft die Krankheit zu beschreiben. Gleichzeitig muss er auch in der Alltagssprache des Patienten über die Krankheit sprechen können. Nur sie ermöglicht es ihm, zum Ausdruck zu bringen, wie der Patient sein Befinden erlebt und wie er auf diese Erlebnisweise reagieren kann. Vgl. ebd., 94. 46 Mit Interferenz bezeichnet Schaeffler das folgende Phänomen. Wenn in zwei strukturverschiedenen Sprachen über die gleiche Sache gesprochen werden muss (vgl. vorangehende Anm.), dann ist es nötig, sich der Identität dieser Sache durch die Verschiedenheit der Art hindurch, wie sie zur Sprache gebracht wird, zu vergewissern. Diese Vergewisserung kann nicht über eine dritte Sprache geschehen, weil die Sprachspiele dann nicht mehr autonom wären. Sie ist nur dann möglich, wenn in je einer Sprache eine Sache als diejenige bezeichnet werden kann, über die auch in einer anderen Sprache gesprochen werden kann und muss.
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Die drei Sprachen seien insofern nicht autark, als in jeder davon ausgegangen werden müsse, dass die gleiche Sache auch in anderen Sprachen Thema sei.
Wertvolle Impulse für eine Gebetstheologie Auf das weit verbreitete Gefühl der Belanglosigkeit, letztlich der Widersinnigkeit des Betens inmitten einer auf wissenschaftlich-instrumentelle Rationalität ausgerichteten Umwelt, kann die Theologie nur mit einer seriösen systematisch-theologischen Auseinandersetzung antworten. Im Blick auf den sprachphilosophischen Ansatz von Richard Schaeffler wird deutlich, dass ausserhalb der Theologie ein Instrumentarium zur Verfügung steht, das zwar nicht primär die konkreten theologischen Fragen zu beantworten hilft, aber doch für eine Gebetstheologie bedenkenswerte Hinweise enthält. Sozusagen von aussen werden der Theologie auf der Ebene der Sprache Argumente zugespielt. Die ausgeführten Überlegungen, die Schaeffler im Rückblick auf die Ansätze von Hermann Cohen und Ernst Cassirer anstellt, unterstreichen, dass in Verbindung mit der transzendentalphilosophischen Methode neue Möglichkeiten für die Sprachphilosophie stecken. Seine an die Sprachspieltheorie Ludwig Wittgensteins und die Theorie der Sprachhandlungen John Langshaw Austins anknüpfenden Überlegungen ermöglichen einer Gebetstheologie, die Gebetssprache als zwar nicht autarkes aber eigenständiges Sprachspiel zu verstehen. Dem Sinnlosigkeitsverdacht der religiösen Sprache, wie er von der positivistischen Sprachanalyse vorgebracht wurde und der eigentlich die neuzeitliche Religionskritik auf sprachlicher Ebene wiederholt, wird entgegengehalten, dass das Gebet als autonomes Sprachspiel von anderen Sprachspielen differierende Gesetzmässigkeiten kennt. Die Form der Sprachhandlung lässt das Gebet als Beziehungsgeschehen nicht nur deuten, sondern vielmehr verstehen und begreifen. Als solchem misst Schaeffler dem Gebet transzendentale Bedeutung zu, so dass die Sprachhandlung des Gebetes nicht nur die Welt der angesprochenen Gegenstände, sondern vor allem auch das sprechende Ich konstituiert. 47 47 Ähnlich fasst auch Thomas Benner zusammen: »Richard Schaefflers Untersuchungen zur Sprache der Gebete und des in ihr zum Ausdruck kommenden Selbstverständnisses des Beters haben das Verdienst, das unübersehbar deutlich wurde: Beten ist ein
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Der Wahrheitsanspruch der im Gebet gemachten Aussagen muss daher nicht bis ins Letzte geklärt sein, sondern kann auch insofern überprüft werden, als er sich dadurch bewährt, dass die Sprachhandlung gelingt. Für eine Gebetstheologie ergeben sich daraus nochmals zusammengefasst zwei wesentliche Impulse: Einerseits bewahrt die von Schaeffler vertretene Autonomie das Gebet nicht vor kritischer Auseinandersetzung. Das Sprachspiel des Gebetes ist zwar autonom, aber nicht autark. Da zwischen den Sprachspielen Interferenzen bestehen, kann und darf sich die Sprache des Gebetes nicht als abgesonderte Sondersprache verstehen, die sich durch die Verweigerung eines rationalen Diskurses unangreifbar macht. Die Sprache des Gebetes im Besonderen und das Gebet mit all den theologisch-philosophisch implizierten Voraussetzungen allgemein, bleiben dem rationalen Diskurs verpflichtet. Andererseits kann das Gebet doch als eigenständiges Sprachspiel gelten. Als solches konstituiert es den Menschen mit seinem Gottesund Weltverständnis. In ihm findet der Mensch die Kontinuität seiner Lebensgeschichte und die Identität seiner Subjektivität, die ihm die Einheit des angerufenen Namens auf neue Weise gewiss werden lässt. In den vielen unübersichtlichen Wendungen des eigenen Lebens ist es dem Menschen möglich, im Gebet den Namen zu finden, dem er alles erzählen und die Vergangenheit zueignen kann, weil dieser in allem das immer gleiche Du bleibt. Der Theologie ist damit das Gebet, die lebendige Beziehung zu Gott, als Wurzel ihrer selbst, in Erinnerung gerufen. »Theologie ist gerade als Wissenschaft nur möglich auf Grund eines schon vorausgesetzten lebendigen Verhältnisses zu Gott« 48 , hielt Heinrich Ott in den Fünfzigerjahren fest. An beidem hat die Theologie festzuhalten: Das Gebet setzt theologische Reflexion voraus, bleibt aber als religiöse Erfahrung auch für die theologische Erkenntnisbemühung von Bedeutung. Wenn Jürgen Werbick in einem neueren Aufsatz die Frage aufwirft: »Oder ist das Beten doch wesentlich reflexionshaltiger […] und die Theologie entscheidend mehr in die Hoffnungen und Aporien des Betens verstrickt,
Tun, eine Sprachhandlung, die insbesondere in der Namensanrufung das Gottes-, Selbst- und Weltverhältnis des Beters konstituiert« (Benner 2000, 295). 48 Ott 1958, 122. Ott widmet sich der Thematik des Gebets noch ausführlicher in: Ott 1969, 297–329.
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Impulse und Anregungen für eine Theologie des Gebetes
als man sich herkömmlich eingestand« 49 , dann trifft er im Kern das hier angetönte spannungsvolle Wechsel- und Bedingungsverhältnis. Literatur Benner, Thomas (2000): Gottes Namen anrufen im Gebet. Studien zur Acclamatio Nominis Dei und zur Konstituierung religiöser Subjektivität. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh. Casper, Bernhard (1986): Über das Gebet. Betrachtungen zu Franz Rosenzweig im Hinblick auf Emmanuel Lévinas. In: Julie Kirchberg/Johannes Müther (Hg.), Philosophisch-Theologische Grenzfragen. FS für Richard Schaeffler zur Vollendung des 60. Lebensjahres. Essen: Ludgerus, 35–43. Cassirer, Ernst (1929), Philosophie der symbolischen Formen. Bd. I. Berlin: Fuchs-Heinritz, Werner (2000): Religion. In: Deutsche Shell (Hrsg.), Jugend 2000. 13. Shell Jugendstudie, Bd. 1, Opladen: Leske + Budrich, 157–180. Hiller, Doris (1999): Konkretes Erkennen. Glaube und Erfahrung als Kriterien einer im Gebet begründeten theologischen Erkenntnislehre. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag. Hoff, Johannes (1999): Spiritualität und Sprachverlust. Theologie nach Foucault und Derrida. Paderborn: Schöningh. Karrer, Leo (1996): Der grosse Atem des Lebens. Wie wir heute beten können. Freiburg i. Br: Herder. Ott, Heinrich (1958): Theologie als Gebet und als Wissenschaft., In: ThZ 14, 120– 132. Ott, Heinrich (1969): Das Gebet als Sprache des Glaubens. In: Ders., Wirklichkeit und Glaube. Bd. 2: Der persönliche Gott. Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht, 297–329. Pesch, Otto Hermann (1970): Sprechender Glaube. Entwurf einer Theologie des Gebetes. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag (Erlöstes Dasein 8). Pesch, Otto Hermann (1972): Das Gebet, Augsburg: Verlag Winfried-Werk (Christliches Leben heute 14). Pesch, Otto Hermann (1980): Das Gebet. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag (Topos-Taschenbücher 95). Schaeffler, Richard (1974): Der Kultus als Weltauslegung, in: Balthasar Fischer, Richard Schaeffler (Hg.), Kult in der säkularisierten Welt. Regensburg: Pustet 1974, 9–62. Schaeffler, Richard (1977): Kultisches Handeln. Frage nach Proben seiner Bewährung und nach Kriterien seiner Legitimation. In: Ders., Peter Hünermann, Ankunft Gottes und Handeln des Menschen, Freiburg i. Br.: Herder Verlag (QD 77), 9–50. Schaeffler, Richard (1987): Der Zuspruch des Vergebungswortes und die Dialektik des praktischen Vernunftsgebrauchs. Überlegungen zur Ethik und Religionsphi49
Werbick 2001b, 41.
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Jürg Wüst-Lückl losophie im Anschluss an Immanuel Kant und Hermann Cohen. In: Ders., Peter Hünermann, Theorie der Sprachhandlungen und heutige Ekklesiologie: ein philosophisch-theologisches Gespräch. Freiburg i. Br.: Herder Verlag (QD 109), 104–129. Schaeffler, Richard, (1988): Kleine Sprachlehre des Gebets. Einsiedeln: JohannesVerlag. Schaeffler, Richard, (1989): Das Gebet und das Argument. Zwei Weisen des Sprechens von Gott. Düsseldorf: Patmos Verlag. Schaeffler, Richard, (1997): Religionsphilosophie. 2. durchgesehene und erw. Auflage. Freiburg i. Br., München: Alber (Handbuch Philosophie). Slenczka, Reinhard (1999): Ermutigung zum Gebet. In: R. Slenczka, Neues und Altes. Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Gutachten, hrsg. von Albrecht Immanuel Herzog, Bd. 2, Neuendettelsau:Freimund-Verlag, 135–148. Thomas von Aquin, Summa Theologica. Werbick, Jürgen (2001a): Gebetsglaube und Gotteszweifel. Münster: LIT (Religion – Geschichte – Gesellschaft. Fundamentaltheologische Studien 20). Werbick, Jürgen (2001b): Der Glaube an den allmächtigen Gott und die Krise des Bittgebetes. In: BthZ 18, 40–59. Willers, Ulrich (2000): Beten: Sprache des Glaubens – Seele des Gottesdienstes. Fundamentaltheologische und liturgiewissenschaftliche Aspekte. Tübingen, Basel: Francke (Pietas Liturgica 15). Wüst-Lückl, Jürg (2007): Theologie des Gebetes. Forschungsbericht und systematisch-theologischer Ausblick. Freiburg i. Ue: Academic Press (Praktische Theologie im Dialog 30).
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Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzen Richard Schaeffler
Zunächst darf ich allen, die an diesem Colloquium teilgenommen oder schriftliche Gesprächsbeiträge eingesandt haben, meinen herzlichen Dank sagen. Es ist schon eine ungewöhnliche Erfahrung, sich in einem Kreise von Kollegen zu finden, die sich nicht damit begnügen, einem Senior ihres Faches einige lobende Worte zu widmen, sondern bereit sind, ihm das zu geben, was ein alter Gelehrter sich wünscht: Sie haben mir eine kritische und verständnisvolle Aufmerksamkeit entgegengebracht, die meinen Veröffentlichungen Möglichkeiten abgewinnen will, weiterzudenken, was ich dort nur angestoßen habe. »Ars longa, vita brevis«, die Wissenschaft geht ihren Weg über die begrenzte Lebenszeit des einzelnen Gelehrten hinaus. Die Frage ist nur, ob sie über ihn hinweggeht, sodaß eine kommende Generation ihn getrost vergessen kann, oder ob sie auf Wegen, die er zu bahnen versucht hat, über die von ihm erreichte Position hinausgeht. Um diese Frage zu entscheiden, ist eine kritische Sichtung dessen nötig, was der Gelehrte gewollt und was er geleistet hat. In dem, was als abgeschlossenes Forschungsergebnis vorliegt, ist der Impuls freizulegen, der dieses Forschen auf den Weg gebracht hat und auch dann noch weiterwirken kann, wenn das Werk nicht einlöst, was der in ihm wirksame Wille sich vorgenommen hat. Eine solche kritische Sichtung haben Sie, verehrte Kollegen, hier unternommen. Und ich weiß, welches Maß an selbstloser VerstehensBereitschaft und an Vermögen zur sachbezogenen Kritik dazu erforderlich war. Daß in der Bereitschaft, diese Mühe auf sich zu nehmen, auch ihr persönliches Wohlwollen seinen Ausdruck gefunden hat, weiß ich als besonderes Geburtstagsgeschenk zu schätzen. Einige der Beiträge enthalten wertvolle Ergänzungen zu meinen philosophischen Versuchen oder zeigen Möglichkeiten auf, das dort Niedergeschriebene auf weitere Problemfelder anzuwenden. So erprobt Gunther Ludwig in seinem Beitrag »Richard Schaefflers Theo259 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Richard Schaeffler
rie der religiösen Erfahrung und der interreligiöse Dialog« meine Theorie der Erfahrung, indem er sie auf Probleme anwendet, die insbesondere in Indien bei der Begegnung der Religionen aufgetreten sind. Tobias Trappe erinnert in seinem »Kleinen Fragment über das Vertrauen« daran, daß meine Auffassung von der transzendentalen, d. h. Erfahrung ermöglichenden Bedeutung der Hoffnung eine empirische Voraussetzung hat, und daß sie sich an deren angemessener Deutung bewähren kann: die Lebens-Notwendigkeit eines Vertrauens, dessen Möglichkeit wir nicht selbst garantieren können. Hansju¨rgen Verweyen verweist in seinem Beitrag »Um einen neuen Humanismus« auf eine frühe Phase meiner Auseinandersetzung mit Heidegger und erinnert in diesem Zusammenhang in freundlicher Weise an unser Jahrzehnte zurückliegendes gemeinsames Auftreten als Referent und Korreferent bei einer Veranstaltung der Katholischen Hochschulgemeinde Tübingen. Klaus Mu¨ller hebt in seinem Beitrag »Transzendentalität und Geschichtlichkeit« mit Recht meine Absicht hervor, Kants Transzendentalphilosophie so weiterzuentwickeln, daß sie die von Kant selbst gestellte, aber offengelassene Frage nach einer »Geschichte der reinen Vernunft« zu beantworten vermag. Aber er vermißt dabei eine »vertiefte Analyse« des »Bezugs zwischen Selbstbezüglichkeit von Subjektivität und Geschichtlichkeit« und verweist in diesem Zusammenhang auf die jahrzehntelangen Forschungen von Dieter Henrich. Nun orientiert Henrich sich weitgehend an Hegel. Darum sind die Gründe, die mich hindern, Hegel zu folgen, zugleich Gründe, die es mir schwer machen, von Henrichs Verständnis der Geschichtlichkeit zu lernen. Klaus Müller beschreibt gleich einleitend den Differenzpunkt völlig zutreffend: Meine Bemühung ist von der Überzeugung geleitet, »die Kantische Gegenstandskonstitution müsse verschränkt werden mit einer Hegelschen Subjektkonstitution, in der erfahrene Inhalte die Formen der Erfahrung verwandeln – aber so, daß das Subjekt diesen Verwandlungsprozeß nicht nochmals in seiner Regie habe wie bei Hegel«. Die Kontingenz der Geschichte, auch der Geschichte des Subjekts, darf meiner Überzeugung nach nicht, wie bei Hegel, als bloßer »Anschein« verstanden werden, der verschwindet, wenn das Prinzip des Geschichtsprozesses erkannt und damit das Faktische als notwendig eingesehen ist. Nun bestreitet auch Henrich diese Kontingenz der Geschichte nicht. Aber ich bedürfte noch einiger Verstehenshilfen, um zu
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sehen, wie man von ihm lernen kann, an Hegels Subjekivitätsverständnis und zugleich an der Kontingenz der Geschichte festzuhalten. William J. Hoye gibt mir in seinen »Hermeneutischen Überlegungen über die zwei von Gott verfaßten Bücher« in der bescheidenen Form einer »Ergänzung« zugleich Anlaß zu einer selbstkritischen Frage. Er ergänzt meine Ausführungen zum »Lesen im Buche der Welt« durch dankenswerte Hinweise auf die Geschichte dieser Metapher und speziell auf ihre Bedeutung für das Selbstverständnis von Galilei. Die kritische Frage, die ich mir selbst nach Lektüre seines Beitrags stelle, lautet: Habe ich hinlänglich deutlich machen können, worauf mein philosophisches Interesse an dieser Metapher beruht? Im Kontext meines Buches »Philosophisch von Gott reden« geht es, wie Hoye mit Recht hervorhebt, darum, daß diese Metapher eine Möglichkeit bietet, anzugeben, was es für unser philosophisches Weltverständnis bedeutet, wenn wir versuchen, die Welt als ein Buch zu verstehen, das auf einen göttlichen Autor verweist. Demgegenüber scheint in meiner Darstellung das erkenntnistheoretische Problem, das mich beschäftigt, weniger deutlich hervorgetreten zu sein. So entstand der Eindruck, daß »Schaeffler die Idee des Buches der Welt nicht eigens ins Auge faßt, sondern voraussetzt, um nach Gott zu fragen«. Das erkenntnistheoretische Problem, das der »Autorfrage« noch vorausliegt, hätte ich deutlicher so formulieren können: Was macht es nötig, aber auch möglich, die Inhalte unserer Welterfahrung als einen »Text« zu verstehen, den wir nicht nur beschreiben, wie man eine kalligraphische Konfiguration beschreiben kann, sondern nach einer Bedeutung befragen? Welches ist das Verhältnis zwischen der vorfindlichen Gestalt unserer Erfahrungswelt und der Weise, wie sie uns, einem Text vergleichbar, »zu denken gibt«? Es ist diese Frage, auf die ich durch meine Auffassung von der Erfahrung als einem »Dialog mit der Wirklichkeit« zu antworten versuche. Die Bedeutung »steckt« in der erfahrenen Weltwirklichkeit ebenso wie in einem Text: nicht als »unausdrücklich Mit-Gesagtes«, das der Interpret ausdrücklich hervorheben könnte, sondern als Anspruch an den »Leser«, der erst in seiner Antwort vernehmbar wird. Darum gehört der Leser wesentlich dazu, wenn ein System von »Graphemen« zum Text werden soll. Aber er wird dadurch gerade nicht zum Herrn des Textes, sondern zu seinem selbstlosen Zeugen. Die Metapher vom »Lesen im Buche der Welt« wird für mich zum philosophischen Thema, weil sie mich anleitet, zu erfassen, was »Erfahrung« bedeutet: Erfahrung kommt nicht ohne das 261 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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erfahrende Subjekt zustande – ebensowenig wie der Text ohne den Leser. Aber das Subjekt wird dadurch nicht zum »Herrn« der Erfahrung, sondern zum Zeugen ihres Anspruchs – ebenso wie der Leser nicht zum Herrn über den Text wird, sondern dessen Anspruch bezeugt. Während William J. Hoye die Ergänzung, die er vorschlägt, selber vornimmt, indem er die Geschichte der von mir verwendeten Metapher vom »Lesen im Buche der Welt« beschreibt, schlägt Oliver J. Wiertz eine Ergänzung vor, die ich noch selber zu leisten hätte: Er vermißt mit Recht in meinen Veröffentlichungen die Auseinandersetzung mit zwei jüngeren Phasen in der Geschichte der Analytischen Philosophie, die er als deren dritte und vierte Phase zählt. In der dritten Phase habe sich der Schwerpunkt der Diskussion von der Frage nach dem logischen Status religiöser Sätze zu der Frage nach ihrem Wahrheitswert verlagert (Basil Mitchel, Rod Sykes, vor allem aber Richard Swinburne). In der vierten aber sei es zur Entwicklung einer neuen christlichen Philosophie gekommen (A. Plantinga), gleichzeitig aber zu einer neuen Thematisierung der Vielheit der Religionen (J. Hick). Ich bin mir dessen bewußt, daß hier für mich noch ein erheblicher Nachholbedarf an Lektüre besteht, und daß es für mich, bei altersbedingt nachlassender Lese-Geschwindigkeit, immer schwieriger wird, diesen Bedarf zu befriedigen. Dabei kommt Wiertz mir dadurch zu Hilfe, daß er gewisse Fragen herausarbeitet, die mich bei der Lektüre leiten können. Im Blick auf die jüngeren Phasen der Analytischen Philosophie stellt Wiertz in seinem Beitrag »Richard Schaefflers Religionsphilosophie nach der sprachanalytischen Wende« die Frage: »Was kann Schaefflers Religionsphilosophie von einer Analytischen Religionsphilosophie erwarten, die mittlerweile in einem gewissen Sinne den »linguistic turn« hinter sich gelassen hat?« Und er vermutet, es seien vor allem die in der »dritten Phase« entwickelten »Kohärenztheorien der epistemischen Rechtfertigung«, die mir zu einer Weiterentwicklung meines Ansatzes dienen könnten. Denn sie könnten ein neues Licht auf die von mir mehrfach aufgeworfene Frage werfen, wie es möglich sei, unterschiedliche Erfahrungen in einen Erzählzusammenhang zu bringen. Dieser Hinweis schließt die kritische Anfrage ein, warum ich die Auseinandersetzung mit der dritten und vierten Phase in der Geschichte der Analytischen Philosophie (bisher) nicht gesucht habe. Nun bin ich selbstkritisch genug, um mich im Verdacht zu haben, 262 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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daß mit fortschreitendem Alter meine Lese-Intensität nachläßt, sodaß ich jüngere Veröffentlichungen nicht mehr so erwartungsvoll aufnehme wie ältere. Desto dankbarer war ich für die Information von Oliver Wiertz über die beiden jüngeren Phasen. Aber was ich bei Wiertz lernen konnte, hat mich etwas ernüchtert. Wenn es zutrifft, daß die Analytische Philosophie »den linguistic turn in einem gewissen Sinne hinter sich gelassen hat«, dann fragt sich zunächst: Was bedeutet es, einen turn hinter sich zu lassen? Bedeutet es, wie bei der Kehre einer Bergstraße, die erfolgversprechende Richtung gefunden haben und nun in ihr entschlossen fortschreiten? Dann bliebe gerade diejenige Phase, in der die Wendung geleistet wurde, in methodischer Hinsicht die interessante. Oder bedeutet es, die Richtungsänderung nicht mehr für wichtig zu halten? Dann wäre die »neue christliche Philosophie«, von der Wiertz spricht, die Folge eines methodischen Rückfalls. Und selbst die »kohärenzielle Epistemologie«, die Wiertz der dritten Phase zuordnet, ist nicht frei von dem Verdacht, daß sie einen Begriff von »Kohärenz« voraussetzt, der sich in der zweiten Phase als fragwürdig erwiesen hat. Jedenfalls treten die »interferenziellen Beziehungen zwischen Überzeugungen« jeweils innerhalb eines bestimmten sprachlichen Systems auf und sind zu unterscheiden von den jeweils noch zu suchenden interferenziellen Beziehungen zwischen verschiedenen Sprachen, z. B. zwischen der Sprache der Religion und der Sprache der Wissenschaft. Und ob im Verhältnis unterschiedlicher Sprachen »Kohärenz« notwendig »Symmetrie« einschließt, müßte erst gezeigt werden. Man kann z. B. über alles, worüber die Wissenschaft spricht, auch religiös sprechen. Aber manches, worüber die Religion spricht, wird bis zur Unkenntlichkeit verformt, wenn man darüber in der Sprache der empirischen Wissenschaft spricht. Meine Überzeugung ist: Die linguistische Wendung ist für die Religionsphilosophie nicht deshalb von Interesse, weil sie irgendwann in der Geschichte der Analytischen Philosophie aufgetreten ist; sondern die Analytische Philosophie ist für die Religionsphilosophie deshalb von Interesse, weil sie der linguistischen Wendung, deren erste Phase durch Hamann und Herder herbeigeführt worden ist, eine neue methodische Sicherheit gegeben und ihr zu differenzierteren Ergebnissen verholfen hat. Und dieser höhere Differenzierungsgrad scheint mir bei Austin und Searle, die Wiertz der zweiten Phase zurechnet, deutlicher hervorzutreten als bei dem zu groben Vereinfachungen neigenden
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John Hick, den Wiertz für einen typischen Vertreter der vierten Phase hält 1 . Nicht die Form eines Ergänzungsvorschlages, sondern die einer kritischen Anfrage hat der Beitrag von Gu¨nter Kruck »Philosophische Einübung in die Theologie – Ein Oxymoron?«. Kruck wirft zunächst die spezielle Frage auf, ob meine »Philosophische Einübung in die Theologie« nicht schon in der Formulierung des Titels Unvereinbares verknüpfe und in diesem Sinne ein »Oxymoron« darstelle. Sodann aber stellt er diese Frage, die scheinbar nur die Formulierung eines Buchtitels betrifft, in den Zusammenhang mit der allgemeineren Frage, ob nicht unvermeidliche Widersprüche auftreten, wenn man versucht, philosophische Begriffe auf religiöse Erfahrungen anzuwenden. Dabei stimme ich Kruck zu, wenn er betont, daß philosophische Begriffe sich nicht in religiöse Erfahrungen »übersetzen« lassen. Begriffe lassen sich überhaupt nicht in Erfahrungen übersetzen. Sie lassen sich nur auf Erfahrungen anwenden und bleiben dann, was sie sind, eben Begriffe und nicht Erfahrungen. Aber sie können die Reflexion auf Erfahrungen leiten und dann ihrem rechten Verständnis dienen. Und sie können zuvor schon die Verwandlung subjektiver Erlebnisse in Inhalte objektiv gültiger Erfahrung möglich machen. Auch dann tritt die Erfahrung nicht an die Stelle des Begriffs, so wie eine gute Übersetzung an die Stelle des Originals treten kann, sondern der Begriff sichert der Erfahrung ihre objektive Geltung. Die Frage ist, ob dies auch für speziell philosophische Begriffe in ihrem Verhältnis zur speziell religiösen Erfahrung gilt. Und das hängt von der Beantwortung dreier weiterer Fragen ab: 1. Kann man auch auf dem Gebiet der Religion zwischen bloß subjektivem Erleben und objektiv gültiger Erfahrung unterscheiden? Oder muß man sich damit zufriedengeben, daß auf diesem Gebiete »alles subjektiv ist«? 2. Muß auch hier, wie auf allen anderen Gebieten des menschlichen Erkennens, die objektiv gültige Erfahrung dem zunächst rein subjektiven Erleben durch besondere Akte der Transformation erst abgewonnen werden? Oder ist die religiöse Erfahrung, wenn sie gemacht wird, so evident, daß ihre Verwechselung mit bloß subjektiven Erlebnissen von vorne herein ausgeschlossen ist? Vgl. meinen Beitrag zu dem Hick-Anhänger Schmidt-Leukel in Theologie und Philosophie 83 [2008] 243 ff.
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3. Falls auch die religiöse Erfahrung, ebenso wie jede andere, aus einer kritischen Verarbeitung subjektiver Erlebnisse hervorgeht: Müssen dazu ähnliche Bedingungen erfüllt sein wie auf allen anderen Feldern des Erfahrens? Nur im zuletzt genannten Falle wäre es möglich, die Ergebnisse der allgemeinen Transzendentalphilosophie, die die Bedingungen jeglicher Art von Erfahrung zum Thema hat, in spezifischer Abwandlung auch auf die speziell religiöse Erfahrung anzuwenden; und nur dann wäre es möglich, eine »spezielle Transzendentalphilosophie« dieser besonderen Erfahrungsart zu konzipieren. Günter Kruck stellt mit Recht fest, daß meine »Philosophische Einübung in die Theologie« auf dieser zuletzt genannten Annahme beruht, aber auch daß es diese Annahme ist, gegen die sich der Einwand wendet, das Programm einer solchen »Philosophischen Einübung« vereine Unvereinbares, und deshalb stelle der Buchtitel, der dieses Programm zum Ausdruck bringt, ein »Oxymoron« dar. Aus dieser kritischen Anfrage versuche ich zu lernen: Ich hätte mich vor Übereilungen hüten und mehr Ruhe und Sorgfalt auf den Nachweis verwenden müssen, daß (1) die religiöse Erfahrung ihre eigene Objektivität beanspruchen kann, aber daß religiöse Menschen nicht von vorne herein gegen die Gefahr immun sind, ihre bloß subjektiven religiösen Erlebnisse für objektiv gültige Erfahrungen zu halten 2 , daß (2) auch religiöse Erfahrungen dem Menschen nicht ohne eigenes Zutun geschenkt werden, sondern darauf angewiesen bleiben, daß der Mensch seine subjektiven Erlebnisse kritisch verarbeitet, und daß (3) die Theologie, die den religiösen Menschen vor der Verwechselung des bloß Subjektiven mit dem objektiv Gültigen bewahren und zu einer kritischen Verarbeitung seiner religiösen Erlebnisse anleiten soll, dazu einer Einübung in transzendentale Fragestellungen bedarf 3 . Nur so kann der Theologe Klarheit darüber gewinnen, worauf ganz allgemein die Möglichkeit beruht, subjektive Erlebnisse kritisch zu verarbeiten und so zu objektiv gültigen Erfahrungen zu gelangen, und auf welchen Bedingungen es beruht, diese Aufgabe speziell im Hinblick auf religiöse Erlebnisse und Erfahrungen zu erfüllen. Und erst wenn der Theologe selber darüber Klarheit gewonnen hat, kann er Vgl. meinen Artikel: Die religiöse Erfahrung – Ausdruck bloßer Subjektivität oder Fundstelle objektiv gültiger Wahrheit? Philosophisches Jahrbuch 107 [2000], 71 ff. 3 Vgl. philosophische Einübung in die Theologie Freiburg und München 2004, Bd. I, 176 ff. 2
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auch dem Glaubenden der kein Theologe ist, zu dieser Klarheit von seiner Aufgabe verhelfen. Friedo Ricken schließt sich mit seinem Beitrag »Lesen im Buch der Welt? – Zum Verhältnis von religiösem Glauben und Philosophie« der Überzeugung an, daß Religion der Selbstkritik bedarf, um nicht irreführenden Subjektivismen zu verfallen. Dabei zitiert er einleitend meine These: »Theologische Argumente und die in ihnen verwendeten philosophischen Begriffe haben die Aufgabe, die Religion vor Selbstmißverständnissen zu bewahren«. Demgegenüber ist seine These: »daß es die Religion selbst ist, welche diese Kritik leistet«. Und er beruft sich zur Begründung seiner These auf eine Einsicht, die ich selbst mit Nachdruck vertrete: »Religionskritik ist ein wesentliches Moment der Religion« 4 . Darum gibt es, und auch darin bin ich mit Friedo Ricken völlig einig, eine »der Religion selbst immanente Vernunft«, die ihr nicht erst durch Philosophen oder philosophisch geschulte Theologen beigebracht werden muß 5 . Aber deutlicher, als mir das bewußt gewesen ist, stellt sich für Rikken dann die Frage, ob einer Philosophie, die als Äußerung der profanen Vernunft auftritt, in Sachen der Religion noch etwas zu tun bleibt, da die Religion doch die Aufgabe der Selbstkritik selber erfüllt. Oder ist »die Philosophie, um die es hier geht, nichts anderes als die der Religion selbst immanente Vernunft«? Ich werde noch darüber nachdenken müssen, ob meine bisher gegebene Antwort wirklich ausreicht. Diese Antwort ist dreistufig, entsprechend den drei Anlässen, die ich zu sehen meine, eine Mitsprache der Philosophie bei der Selbstkritik der Religion für notwendig zu halten. Erstens können Menschen, die religiöse Erfahrungen gemacht haben, vergessen, daß gerade diese Erfahrungen ein kritisches Selbstverständnis verlangen. Dann kann der Philosoph sie daran erinnern, daß zwischen dem Inhalt dieser Erfahrungen, dem Heiligen oder Göttlichen, und der Weise, wie Menschen diesen Inhalt anschauend und denkend erfassen, eine unendliche Differenz besteht, und daß deswegen zum religiösen Akt selber Selbstkritik gehört, wenn er sich nicht mißverstehen soll. Nur eine kritische Auslegung legt in der menschlichen Erfahrung den Bedeutungsort frei, der allem menschlichen BeVgl. mein Buch »Religion und kritisches Bewußtsein«, Freiburg und München 1973. Vgl. meinen Vortrag »Wie denkt der Glaube?«, im Druck demnächst in Theologie und Glaube, Paderborn.
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greifen unendlich überlegen ist. Das könnte der religiöse Mensch prinzipiell auch ohne philosophische Hilfe wissen; aber oft genug weiß er es eben nicht. Und der Philosoph kann ihm helfen, zu verstehen, warum auch die spezifische Gewißheit, die der religiösen Erfahrung innewohnt, ihn von dieser Aufgabe kritischer Auslegung nicht entbindet. Zweitens gibt es Formen der Religionskritik, die demjenigen, der religiöse Erfahrungen gemacht hat, so unsachgemäß erscheinen, daß er sich auf eine Weise mißverstanden fühlt, die ihn mit Recht empört. Daraus entsteht nicht selten eine Verletzlichkeit, die den religiösen Menschen überall dort, wo ihm Selbstkritik zugemutet wird, einen Angriff sehen läßt, gegen den er sich zur Wehr setzen muß. Dann kann der Philosoph, der darin eingeübt ist, mit unterschiedlichen Erfahrungsarten zu rechnen und jede von ihnen auf ihre spezifischen Bedingungen zurückzuführen, dem religiösen Menschen helfen, Kriterien einer Unterscheidung zu finden: Welche Art von Kritik beruht auf der Blindheit für spezifisch religiöse Phänomene? Welche Art von Kritik wird im Gegenteil durch die Weise erfordert, wie das Heilige sich dem Menschen zeigt? Wie der Philosoph gerade dem, der religiöse Erfahrungen gemacht hat, bei dieser Kriterienfindung helfen kann, habe ich mit dem Begriff der »speziellen Transzendentalphilosophie« zu umschreiben versucht: Diese beschreibt die besonderen Bedingungen einer besonderen Erfahrungsart, der religiösen Erfahrung, und gewinnt dadurch Kriterien, wie diese besondere Art von Erfahrungen verstanden werden muß, wenn dieses Verständnis nicht die Bedingungen religiöser Erfahrung verkennen soll. Eine dritte Weise, wie die philosophische Kritik dem kritischen Selbstverständnis der Religion dienen kann, habe ich in jüngeren Publikationen so beschrieben: Die Philosophie als Äußerung der profanen Vernunft stellt der Religion profane Kontexte zur Verfügung, an denen sie sich bewähren kann. Denn, so habe ich zu formulieren versucht, »eine Religion, die nichts als Religion wäre, also nichts zum profanen Weltverständnis beitrüge und von diesem nicht in ihrem eigenen Selbstverständnis betroffen würde, wäre auch als Religion defizient«. Aus Rickens kritischer Anfrage kann ich daher lernen: Es bedarf noch deutlicherer Ausarbeitung meines Argumentationsversuchs, wenn zwei seiner wesentlichen Voraussetzungen offengelegt und einer Prüfung zugänglich gemacht werden sollen. Diese Voraussetzungen lauten: 267 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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1. Die Geschichte der Religionen und speziell die Geschichte des Judentums und des Christentums beweist, daß die selbstkritische Kraft der Religion bzw. des Glaubens nicht immer ausgereicht hat, um die Verwechselung von subjektivem Erleben bzw. subjektiver Auslegung des Erlebens mit objektiv gültiger Erfahrung zu verhindern. Religion und Glaube sind nicht apriori vor Selbstmißverständnissen solcher Art bewahrt, daß sie zu deren Überwindung der Hilfe philosophisch geschulter Theologen bedürfen. 2. Wenn die Theologie die Religion bzw. den Glauben zu einem kritischen Selbstverständnis anleiten soll, muß sie darauf bedacht sein, dieses Selbstverständnis nicht sachfremden Kriterien zu unterwerfen, z. B. den Kriterien einer positivistischen Wissenschaft, die nur eine bestimmte Art von Erfahrung als objektiv gültig anerkennt, oder einer »gnadenlosen Moral«, für die eine dem Sünder geschenkte Gerechtigkeit wie »hölzernes Eisen« erscheint. Es kommt statt dessen darauf an, den religiösen Menschen zu jener spezifischen Weise der Selbstkritik anzuleiten, die es ihm möglich macht, spezifisch religiöse Erfahrungen als solche zu erkennen und von bloß subjektiven religiösen Erlebnissen zu unterscheiden. Sollten diese beiden Voraussetzungen zutreffen, dann läßt sich daraus folgern: Eine Theologie, die ihre Aufgabe gegenüber der Religion bzw. dem Glauben erfüllen soll, bedarf der Einübung in ein transzendentalphilosophisches Denken, das, in einer »allgemeinen Transzendentalphilosophie«, die Bedingungen von Erfahrung überhaupt beschreibt, und dann, in einer »speziellen Transzendentalphilosophie«, das unterscheidend Religiöse der religiösen Erfahrung erkennbar macht. Die deutlichere Ausarbeitung der beiden genannten Voraussetzungen und der zuletzt beschriebenen Folgerung bildet meinen »Guten Vorsatz« für etwa noch kommende Publikationen. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Philosophie und dem kritischen Selbstverständnis der Religion bestimmt auch den Beitrag von Bernd Irlenborn »Religiöse Erfahrung und postulatorischer Vernunftglaube«. Irlenborn beschreibt zunächst in einer eingehenden und verständnisvollen Analyse meiner Veröffentlichungen die Eigenart meines Versuchs, philosophisch von Gott zu reden. Es handelt sich um eine Weiterentwicklung der kantischen Postulatenlehre, deren zentralen Gesichtspunkt Irlenborn exakt beschreibt: »Angesichts der Unvereinbarkeit und Widersprüche der pluriformen Erfahrungswelt machen die Postulate deutlich, wovon es abhängt, ob Erfahrung gelingt«. 268 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Damit wird zunächst deutlich, warum eine transzendentale Theologie, deren zentraler Inhalt das Gottespostulat ist, der »höchste Standpunkt der Transzendentalphilosophie« ist: Wenn die Transzendentalphilosophie die Möglichkeitsgründe der Erfahrung beschreibt, die Postulatenlehre aber angibt, »wovon es abhängt, ob Erfahrung gelingt«, dann löst nur ein postulatorisches Reden von Gott ein, was die Transzendentalphilosophie als ganze verheißen hat. Weiterhin wird, wie Irlenborn mit Recht hervorhebt, aus diesem Verständnis der Postulatenlehre verständlich, warum in meinen Veröffentlichungen der Gottesbegriff nicht als eine von drei Ideen vorkommt (neben den Ideen der Welt und der Seele), sondern die gemeinsame Bedingung benennt, die alle Vernunftideen vor Selbstauflösung bewahrt. Und schließlich wird aus diesem Verständnis des postulatorischen Gottesglaubens verständlich, warum nach meiner Auffassung das Gottespostulat die religiöse Erfahrung nicht ersetzt, wohl aber auslegt. Das Postulat kann diese besondere Erfahrung aus ihren Möglichkeitsgründen begreiflich machen und in ein Verhältnis zu allen anderen Erfahrungen setzen. Um noch einmal Irlenborns Formulierung aufzugreifen: Das Postulat gibt an, wovon es abhängt, ob nicht nur diese spezifische Art von Erfahrungen, sondern Erfahrung überhaupt gelingt. Damit sichert es, wie ich selber es ausdrücke, der besonderen religiösen Erfahrung ihre universale Bedeutung. In diesen und anderen Hinsichten sehe ich mich durch Bernd Irlenborn völlig zutreffend interpretiert. Ja nach der Lektüre seiner Darstellung ist mir selber Manches, was ich zu sagen versucht habe, klarer geworden als zuvor. Gerade deswegen aber bin ich über eine seiner Formulierungen zunächst erschrocken: »Nicht Gott wird (durch die Vernunft) erkannt, sondern es wird erkannt, daß Gott (durch den Glauben) erkennbar ist.« Oder allgemeiner: »Es geht im Rahmen seiner [Schaefflers] natürlichen Theologie nicht um ein Gottesverständnis, sondern um ein Gottesverhältnis«. Diese Formulierungen nötigten mich, darüber nachzudenken, ob und gegebenenfalls in welchem Sinne ich das wirklich gesagt oder wenigstens unausgesprochen gemeint habe – oder ob ich es bei konsequentem Festhalten an meinem Argumentationsansatz so hätte sagen oder meinen müssen. Was zunächst das Verhältnis von natürlicher Theologie und religiöser Erfahrung betrifft, so bin ich in der Tat davon überzeugt, daß die Philosophie gar keinen Anlaß hätte, von Gott zu reden, wenn sie nicht die Zeugnisse religiöser Erfahrung vorfände. Dann freilich kann sie 269 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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sich die Aufgabe stellen, zu prüfen, ob in diesen Zeugnissen von etwas Wirklichem oder von Fiktionen die Rede sei und gegebenenfalls auf welche Art von Wirklichkeit sich diese Zeugnisse beziehen. Und falls diese Prüfung der religiösen Zeugnisse zu einem positiven Ergebnis führt, kann der Philosoph bezeugen, daß in der religiösen Erfahrung, von der die religiösen Zeugnisse sprechen, wirklich von etwas und nicht von nichts die Rede ist (wie die Vertreter des »Sinnlosigkeitsverdachts« es unterstellen), und daß das, wovon die religiösen Zeugnisse sprechen, wirklich Gott ist und nicht etwas anderes (wie etwa der universalisierte Projektionsverdacht dies unterstellt und behauptet, überall dort, wo die Religion von Gott zu reden meint, spreche sie zwar nicht von nichts, aber nicht von Gott, sondern vom Menschen). In diesem Sinne kann ich Irlenborn zustimmen: In dieser Art von philosophischer Argumentation wird nicht ein philosophisches Wissen von Gott »neben« dem Glauben erreicht, sondern kritisch gesichert, »daß Gott durch den Glauben erkennbar ist«. Dennoch meine ich nicht, daß durch die Philosophie nichts erkannt wird, sondern nur, daß das Recht, das Erkannte »Gott« zu nennen, nur durch Berufung auf Selbstzeugnisse der Religion begründet werden kann. In diesem Sinne fügt der Schlußsatz der klassischen Gottesbeweise »Und das ist es, was alle ›Gott‹ nennen« der Argumentation kein neues Ergebnis hinzu, sondern behauptet nur, das philosophisch Erkannte (sei es der »erste unbewegte Beweger« der klassischen Metaphysik oder »die einzig mögliche Bedingung für die Auflösung der Vernunft-Dialektik« im Sinne der Transzendentalphilosophie) sei mit dem identisch, was im religiösen Kontext »Gott« genannt wird. Und diese Identitätsbehauptung kann nur gerechtfertigt behauptet werden, wenn der Philosoph auf das hinhört, was religiöse Zeugnisse sagen, und wenn er darüber hinaus denen, die aufgrund eigener oder bezeugter religiöser Erfahrung von Gott sprechen, das philosophisch Erkannte als Interpretament für ihre religiöse Rede von Gott anbietet. Erweist aber dieses Angebot sich fruchtbar für das Verständnis der religiösen Erfahrung, die in religiösen Texten bezeugt wird, dann hat der Philosoph einen hinlänglichen Grund, das, was er in ganz anderen Kontexten erkannt hat, »Gott« zu nennen. Und in diesem abgeleiteten Sinne kann er nicht nur ein Gottesverhältnis, sondern eine Gotteserkenntnis für sich in Anspruch nehmen und sogar behaupten, das, »was alle Gott nennen«, auf eine Weise verstanden zu haben, die auch dem religiösen Menschen eine Verstehenshilfe bedeuten kann. 270 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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In dieser Hinsicht muß ich fürchten, mich an den Stellen, an denen ich von der Vokabel »Gott« als einem »Lehnwort in der Sprache der Philosophie« gesprochen habe, nicht eindeutig genug ausgedrückt zu haben, und danke Bernd Irlenborn für seine Hinweise, die mir zeigen, in welcher Hinsicht künftig Präzisierungen notwendig sind. Das gilt auch für das Verhältnis von Gottesverhältnis und Gottesverständnis in einer weiterentwickelten Postulatenlehre. Postulate bringen nach meinem, aber auch schon nach Kants Verständnis, eine Hoffnung zum Ausdruck, die notwendig ist, wenn wir das Zutrauen in die Erfahrung nicht verlieren sollen. Kant hat mit Bezug auf die Erfahrung der sittlichen Pflicht gesagt, angesichts des Widerspruchs zwischen den Strukturgesetzen der »Natur« und der »Welt der Zwecke« scheint der Begriff der Pflicht »auf leere, eingebildete Zwecke gestellt«; denn er verlangt von uns, den sittlich gebotenen Zweck in derjenigen Welt zu verwirklichen, die wir theoretisch erkennen, also in der Natur. Eine weiterentwickelte Lehre von der Vernunftdialektik zeigt, daß nicht nur die sittliche Erfahrung von einer derartigen Auflösung ihrer objektiven Geltung bedroht ist, sondern jede Erfahrungsart. Darum ist die postulatorische Hoffnung nicht nur dazu nötig, der sittlichen Erfahrung ihre objektive Geltung zu wahren, sondern keine Art von Erfahrung kommt angesichts der Vernunft-Dialektik ohne diese Hoffnung aus. Und insofern Hoffnung in erster Linie eine Beziehung zu jenem Grunde ist, auf den wir hoffend unsere Existenz stellen, bezeichnet das Vernunftpostulat in der Tat in erster Linie eine Gottesbeziehung, nicht ein Gottesverständnis. Aber wie schon bei der Frage, ob in der Philosophie Gott erkannt werde oder nur gesichert werde, daß er im Glauben erkannt werden kann, so ist auch bei der hier erörterten Frage zu sagen: Das Eine schließt das Andere nicht aus. Ein Gottesverhältnis kann von solcher Art sein, daß aus der Reflexion auf seine Eigenart ein neues Gottesverständnis entspringt. Und das gilt in ausgezeichneter Weise von jenem Gottesverhältnis, das als ein »Standgewinnen in dem, worauf man hofft« beschrieben werden kann – eine Beschreibung, die sich im Neuen Testament findet, die aber auch Kants Verständnis des postulatorischen Vernunftglaubens entspricht. Eine Reflexion auf dieses Gottesverhältnis gestattet es, Gottesprädikate zu gewinnen, die beschreiben, von welcher Art Gott sein und gedacht werden muß, wenn es möglich sein soll, zu ihm in das Verhältnis des »Feststehens im Erhofften« einzutreten. Dazu gehören unter anderen die Prädikate der Einheit, die 271 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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alle Verschiedenheit der Erfahrungswelten umgreift, der souveränen Freiheit und der Hoffnung begründenden Güte. Auf diese Art kann der Philosoph Grundzüge eines Gottesverständnisses gewinnen, das sogar gegen manche Vorstellungen der Religionen kritisch ins Spiel gebracht werden kann, z. B. gegen Naturreligionen, für deren Verständnis der Götter der Begriff der personalen Freiheit unwesentlich ist, aber auch gegen eine Verengung des christlichen Glaubensverständnisses, die die Botschaft auf eine »bloß religiöse Binnensphäre« beschränkt und ihr die Bewährung an unserer alltäglich-profanen Welterfahrung ersparen möchte. Auch in dieser Hinsicht hat Irlenborns Darstellung mir dazu verholfen, klarer zu sehen, in welchen Hinsichten meine bisherigen Äußerungen präzisierungsbedürftig sind, um meine Aussage-Absichten eindeutig zum Ausdruck zu bringen. Bernhard Nitsche hebt in seinem Beitrag »Jüdische Dimensionen im Denken Richard Schaefflers« drei Momente hervor, die für mein Philosophieren wichtig geworden sind: (1) die Ausrichtung des Denkens an konkreter Geschichte und an praktischen Lebensvollzügen, (2) eine weiterführende Aneignung der kantischen Position, ihres Verständnisses von Dialektik und ihrer Lehre von den Vernunftpostulaten, schließlich (3), sozusagen im Hintergrund dieser beiden Momente, die Überzeugung von der Fragilität der menschlichen Subjektivität, die der Geschichte und ihren Krisen ausgesetzt ist und deswegen der postulatorischen Hoffnung bedarf, um nicht in Skeptizismus zu verfallen. Nitsche sieht darin die Wirkung der jüdischen Überlieferung, die mir in der Tat aus biographischen Gründen mit fortschreitenden Lebensjahren immer wichtiger geworden ist. Ich danke ihm besonders dafür, daß er diese »Dimension« meines Denkens gesehen und ihre mögliche Bedeutung für die Theologie betont hat. Die Frage, die ich mir selbstkritisch stellen muß, lautet dann: Handelt es sich hier um eine durch meine Biographie bedingte Befangenheit, etwa gar um ein Vorurteil, das überwunden werden muß, wenn ich zu einer objektiv gültigen Beurteilung der menschlichen Subjektivität und ihrer Beziehung zur »konkreten Geschichte« gelangen will? Oder hat diese Überlieferung mir die Augen für philosophisch und theologisch bedeutsame Sachverhalte geöffnet? Es bedeutet für mich eine Ermutigung, daß Nitsche der letzteren Meinung zuneigt. Einen Punkt gibt es freilich, an dem diese Frage besondere Bedeutung gewinnt. Was die »Fragilität der menschlichen Subjektivität« 272 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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betrifft, so ist Nitsche der Meinung, durch ein Verständnis des transzendentalen Ich, wie Hermann Krings es im Anschluß an Fichte entwickelt, »können jene Probleme der Reflexionstheorie überwunden werden, die […] auch Schaefflers Problematisierungen der Ich-Identität bestimmen«. Nun habe ich in der Tat Schwierigkeiten mit dem Begriff eines »transzendentalen Ich«, das allem Zeitlichen, Geschichtlichen und in dieser Geschichte Kontingenten des menschlichen Daseins ermöglichend vorausliegt und damit der »Fragilität« enthoben ist. Gerade weil ich Freiheit als zentrales Wesensmerkmal der menschlichen Subjektivität verstehe, ist mir die Selbstbedrohung dieser Freiheit ein Anzeichen dafür, daß menschliche Subjektivität ihre Wiederherstellung aus dieser Selbstbedrohung nicht selber garantieren kann, sondern erhoffen muß. Ist es nur der übergroße Einfluß der »Jüdischen Dimension« meines Denkens, der mich daran hindert, zu sehen, daß meine »Problematisierungen der Ich-Identität« durch eine »transzendentallogische Möglichkeitsanalyse« im Sinne von Fichte und Krings »überwunden werden könnte«? Oder gewinnt diese Tradition für mich deswegen immer größere Überzeugungskraft, weil mir mit fortschreitenden Jahren die Dialektik der Freiheit immer deutlicher wird? Mir scheint: Kraft dieser Dialektik bedroht die menschliche Freiheit sich selbst umso radikaler, je entschiedener sie ihre sittliche Aufgabe begreift, je illusionsloser sie diejenige Welt sieht, in der diese Aufgabe erfüllt werden muß, und je redlicher sie anerkennt, daß sie selbst die Spuren »dieser Welt« an sich trägt, weil sie sich nur als Teil dieser Welt realisieren kann. Es ist diese Art der Selbst- und Welterfahrung, die mir Kants postulatorische Hoffnung weit plausibler erscheinen läßt als jeden Versuch, die menschliche Freiheit in irgendwelchen Akten der »prätemporalen Konstitution« zu suchen. Und von da her gewinnt für mich eine für die jüdisch-christliche Überlieferung charakteristische Überzeugung ihre Bedeutung auch für die Philosophie: die Überzeugung, daß es für den Menschen keinen anderen »festen Stand« gibt als das »Feststehen im Erhofften« (¢pstasi@ ¥lpizomffnwn, Hebr. 11, 1). Zwei weitere Beiträge erfordern eine etwas ausführlichere Würdigung, weil sie die besondere Verantwortung spiegeln, die die Verfasser für das hier dokumentierte Colloquium übernommen hatten: der Beitrag von Thomas M. Schmidt, der als Direktor des Instituts für Religionsphilosophische Forschung der Universität Frankfurt das Colloquium geleitet hat, und der Beitrag von Siegfried Wiedenhofer, von 273 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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dem die Initiative zu diesem Colloquium ausgegangen war und der bei der Gewinnung der Referenten und der Einwerbung weiterer Beiträge seine Vorstellung vom Ziel dieser Veranstaltung und ihrer Dokumentation zur Geltung bringen konnte. Thomas M. Schmidt behandelt in seinem Beitrag »Religiöses Bewußtsein und philosophischer Gottesbegriff« die Schwierigkeiten, die heute der Bildung eines allgemeinen Religionsbegriffes und eines philosophischen Gottesbegriffes entgegenstehen, hält aber beide Begriffe für bleibend unentbehrlich und erörtert Möglichkeiten, wie sie heute zu denken seien. In diesen Zusammenhang ordnet er auch meine religionsphilosophischen Bemühungen ein. Nun gehört es zweifellos zu den Aufgaben jedes Autors, sich über seinen eigenen Ort in den gegenwärtigen Diskussionen seiner Disziplin Rechenschaft zu geben. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe leistet Thomas Schmidt mir daher einen wichtigen Dienst. Eine solche Hilfe ist mir umso nötiger, als es mir gelegentlich Schwierigkeiten bereitet, in einem Problemfeld, das zeitgenössische Autoren mit anderen Kategorien beschreiben als den meinen, meine eigene Position zu verorten. Welche Bemühung das von mir künftig noch verlangen wird, kann hier nur in erster Annäherung angedeutet werden. Diese Andeutungen mögen jedoch genügen, um deutlich zu machen, auf welche Weise der Beitrag von Thomas Schmidt mich zu einer neuen Weise nötigt, mir selbst und meinen Hörern und Lesern von der Eigenart meines Philosophierens Rechenschaft zu geben. Was die Notwendigkeit eines philosophischen Religionsbegriffes betrifft, so ist Schmidt mit mir darin einig, daß ein solcher Begriff wenigstens im Blick auf die Ermöglichung einer empirischen Religionswissenschaft unentbehrlich ist. Ohne ihn ist weder das besondere Gegenstandsfeld der Religionswissenschaft zu bestimmen noch ein Kriterium für den kritischen Religionen-Vergleich zu gewinnen. Dabei kann vorläufig offen bleiben, ob es noch andere Funktionen gibt, zu deren Erfüllung ein philosophischer Gottesbegriff sich als unentbehrlich erweist. Einigkeit besteht weiterhin darin, daß unter den Bedingungen der neuzeitlichen Philosophie beide Begriffe nur durch eine Analyse des religiösen Bewußtseins zu gewinnen sind, sofern dieses nicht als »reine Innerlichkeit« verstanden wird, sondern als Fähigkeit zu einer Erfahrung, die den Anspruch auf objektive Geltung erhebt. Denn wie jede Erfahrung, so unterscheidet auch die religiöse sich vom bloßen Erleben 274 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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dadurch, daß sie »spezifische Formen besitzt, die den Gehalt subjektiver religiöser Erlebnisse in den Inhalt objektiv gültiger Erfahrung transformieren« (S 15). Von diesen Formen und ihrer Funktion beim Aufbau einer Gegenstandswelt handelt die Transzendentalphilosophie. Wenn es also eine spezifisch religiöse Erfahrung gibt, wird diese sich von anderen Erfahrungen durch diese Formen des Anschauens und Denkens unterscheiden, die den Aufbau einer spezifisch religiösen Erfahrungswelt möglich machen. Diese speziellen Formen und ihre Funktion zu beschreiben, ist dann die Aufgabe einer »speziellen Transzendentalphilosophie« (S 15). Die Frage ist dann, worin das Unterscheidungsmerkmal der spezifisch religiösen Erfahrung besteht und wie diese sich zum Gottesbegriff verhalte. An dieser Frage scheinen sich unsere Wege zu trennen. Für Schmidt gehört es per definitionem zur religiösen Erfahrung, Gotteserfahrung zu sein. »Religiöse Erfahrung meint […] die Möglichkeit der Erfahrung Gottes« (S 15), wenigstens in dem Sinne, daß hier ein »Unbedingtes« erfahren wird: »Der Begriff von Unbedingtheit kann als ein formaler philosophischer Gottesbegriff verstanden werden« (S 13). Ich bin hier zur Vorsicht geneigt: Nicht jede religiöse Erfahrung ist Gotteserfahrung. Es bedarf spezieller Voraussetzungen, wenn »Gott« überhaupt zum Thema der Religion wird 6 . Und auch dann, wenn Gott zum Thema der Religion geworden ist, ist es eine stets offene Frage, ob philosophische Begriffe denjenigen Gott treffen, von dem Religionen in ihren Selbstaussagen sprechen 7 . Schmidt zitiert das Kriterium, das ich dafür anführe: »Philosophische Begriffe können nur dann als Gottesbegriffe gelten, wenn sie sich als geeignet erweisen, die religiöse Erfahrung auszulegen« (S 13). Aber es bleibt von Fall zu Fall zu prüfen, ob ein Begriff, der als »Gottesbegriff« angeboten wird, sich an der religiösen Erfahrung hermeneutisch bewährt. Damit hängt es vermutlich zusammen, daß ich mir mit einiger Mühe einen Weg bahnen muß, ehe ich zu derjenigen Fragestellung gelange, mit der manche Religionsphilosophen heute ganz selbstverständlich beginnen: der Frage nach »religiösen Überzeugungen« und Vgl. meinen Aufsatz »Das Heilige und der Gott, oder: Wie kommt Gott in die Religion?« in: M. Enders (Hg.): Phänomenologie der Religion, Freiburg und München 2004, 157–173. 7 Vgl. meinen Vortrag: »Sprechen Glaube, Philosophie und Theologie vom selben Gott?« in: R. Schaeffler, Philosophisch von Gott reden, Freiburg und München 2006, 23–60. 6
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deren Ausdruck in Aussagesätzen sowie nach möglichen Gründen für den Wahrheitsanspruch, den solche Aussagen erheben. Thomas Schmidt betont mit Recht, »daß kein Begriff in der gegenwärtigen Religionsphilosophie so zentral erscheint wie der Begriff der religiösen Überzeugung« (S 17). Und er fährt mit Recht fort: »Religiöse Überzeugungen erheben kognitive Ansprüche, die mit Geltungsgründen verknüpft sind« (S 19).Aber so berechtigt diese Feststellungen auch sind, so geht ihnen doch aus meiner Sicht die Frage voraus: Unter welchen Voraussetzungen gewinnen »Überzeugungen«, die sich in Aussagesätzen ausdrücken lassen, spezifisch religiöse Bedeutung? Und welches ist ihre Funktion im Zusammenhang anderer religiöser Akte, vor allem im Zusammenhang der gottesdienstlichen Praxis? Wann und wie erfordert der »Vokativ« der doxologischen Anrede an das Heilige oder den Gott den »Indikativ« der Aussage über den Adressaten, an den diese Anrede sich wendet? Und unter welchen Voraussetzungen verliert für den religiösen Menschen die Wahrheit dieser Aussage ihre Selbst-Evidenz, sodaß es als möglich und notwendig erscheint, nach Gründen ihrer Rechtfertigung zu fragen? Ich bin von der Notwendigkeit religiöser Aussagen und ihrer begründenden Rechtfertigung überzeugt. Aber ich halte diese Überzeugung nicht für selbstverständlich und mit der Definition von »Religion« mitgegeben, sondern für begründungspflichtig. Und ich sehe keinen anderen Weg zu ihrer Begründung als die Analyse der religiösen Erfahrung, ihrer Struktur und ihres Gegenstandsfeldes. Im letzten Teil seines Beitrages schlägt Thomas Schmidt einen »pragmatischen« Ansatz vor, um den Bedeutungsgehalt religiöser Begriffe und die Eigenart des Wahrheitsanspruchs religiöser Aussagen zu bestimmen. Dabei bezieht er sich vor allem auf die Veröffentlichungen von Robert Brandom. Eine zentrale These lautet: »Um zu verstehen, wie sprachliche Ausdrücke Bedeutung erlangen, müssen die Handlungen untersucht werden, in denen sie gebraucht werden« (S 21). Nun muß ich in diesem Zusammenhang zunächst meine mangelnde Textkenntnis eingestehen. Ich weiß nicht genau genug, was »pragmatisch« bei Brandom bedeutet; ich weiß vor allem nicht, wie sich bei ihm die Tradition des »Pragmatismus« im Sinne von Peirce zur »Pragmatik« im Sinne der »allgemeinen Zeichentheorie« von Morris verhält. Ich werde mich hier erst sachkundig machen müssen, ehe ich beurteilen kann, ob ich Brandom auf einem Wege folgen kann, dessen Ziel Thomas Schmidt in folgender Weise beschreibt: »Eine pragmatische Reha276 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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bilitierung der idealistischen und transzendentalen Subjektsphilosophie liefert die methodische Voraussetzung für eine Rehabilitierung von Religionsphilosophie als spezieller Transzendentalphilosophie« (S 25). Und der Kontext zeigt, daß unter »idealistisch« hier vor allem eine »Subjektsphilosophie« nach dem Vorbild Hegels gemeint ist. Dieser Beschreibung des Argumentationszieles entnehme ich zunächst den Hinweis, daß die Transzendentalphilosophie, sei sie im Übrigen allgemeine oder spezielle Transzendentalphilosophie, so sehr unter Kritik geraten ist, daß sie einer »Rehabilitierung« bedarf. Diese Kritik aber beruht darauf, daß die Transzendentalphilosophie als ein Teil jener »Subjektsphilosophie« gilt, die heute, nach Auffassung vieler zeitgenössischer Philosophen, als obsolet gilt. In ihrer kantischen Fassung ist die Transzendentalphilosophie eine Theorie der Gesetzgebung des Verstandes, der die Gegenstände seiner Herrschaft unterwirft. Im ihrer hegelschen Fassung ist sie eine Theorie der »Erfahrung des Bewußtseins«, das alles Gewußte zu einem inneren Moment des zu sich selber kommenden Subjekts werden läßt. Dieses Zutrauen in die Souveränität des Subjekts, das seiner selbst und seiner Objektwelt mächtig ist, ist heute zerbrochen. Daher kommt die weit verbreitete Skepsis gegenüber jeder Art von Transzendentalphilosophie. Die Frage ist jedoch, ob die notwendige Rehabilitierung der Transzendentalphilosophie auf dem hier vorgeschlagenen Wege einer »Rehabilitierung der idealistischen Subjektsphilosophie« gewonnen werden kann. Wiederum bin ich hier zur Vorsicht geneigt. Ganz abgesehen von der Frage, ob eine »Idealistische Subjektsphilosophie« sich von einem pragmatischen Ansatz aus »rehabilitieren« läßt, ist meine eigene »spezielle Transzendentalphilosophie« von Hegels Verständnis der Subjektivität zu weit entfernt, als daß sie von einer Rehabilitierung Hegels ihre eigene »Rehabilitierung« erwarten könnte. »Erfahrung«, wie ich sie verstehe und nach ihren Möglichkeitsgründen befrage, ist immer der Akt eines endlichen, von Selbstaufhebung bedrohten Subjekts. Und auch der philosophische Betrachter, der in gewisser Hinsicht erfaßt, was sich »im Rücken« dieses Subjekts abspielt und seine Akte möglich macht, sieht dabei nicht einen absoluten Geist am Werke, der im endlichen Bewußtsein des Menschen zu sich selber gelangt. Der philosophische Betrachter hat hier kein Privileg vor dem ganz alltäglichen menschlichen Subjekt, das er betrachtet. Er sieht nur vielleicht etwas deutlicher die Dialektik der endlichen Subjektivität. Diese Dialektik besteht immer wieder darin, daß kein Gegenstand, 277 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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weder der kleinste noch der größte, sich zur Geltung bringen kann, wenn wir ihn nicht in eigener Aktivität anschauen und denken, daß aber immer dann, wenn wir in diesem Anschauen und Denken den Anspruch des Gegenstands zur Sprache bringen, dieser Anspruch uns dessen überführt, daß er »größer« ist als die Weise, wie wir ihn anschauend und denkend erfassen. Das gilt nicht nur für die religiöse Erfahrung. Aber es gilt für sie auf spezifische Weise. Hier nämlich ist nicht nur die Differenz zwischen Anspruch und Antwort ins Unendliche gesteigert, sondern zugleich jene Schwelle erreicht, an welcher die Grenze, an die wir stoßen und an der wir zuletzt notwendig scheitern, zugleich als der »Ort« einer möglichen Wiederherstellung erfahren wird. Diese Wiederherstellung kann nicht als notwendig deduziert werden, aber sie darf vertrauensvoll erhofft werden. Religiöse Begriffe, so läßt sich in der hier notwendigen Vereinfachung sagen, legen die religiöse Erfahrung aus, indem sie uns lehren, in den unterschiedlichsten Inhalten dieser Erfahrung jene Macht am Werke zu sehen, der wir uns gerade dann hoffend anvertrauen können, wenn wir alles uns Mögliche ausgeschöpft haben und gerade dadurch den freien Blick gewonnen haben auf die Grenze all dessen, was wir wissen und wirken können. Dabei zeigt sich: Es ist diese besondere Erfahrung, die alle anderen Arten der Erfahrung »rehabilitiert«, wenn ihr Wahrheitsanspruch sich angesichts unvermeidlicher Widersprüche als uneinlösbar erweist. Denn jede Erfahrung, vor allem die sittliche und die ästhetische, verheißt mehr als sie einlösen kann. Sie zeigen uns eine Präsenz des Guten und Schönen, das uns gegeben und zugleich zur eigenen Gestaltung aufgegeben ist. – Aber schon ein nächster Blick in die Welt wie sie ist, droht diese erfahrene Präsenz des Guten und Schönen als Illusion erscheinen zu lassen. Eine »allgemeine Transzendentalphilosophie« kann zeigen, daß und warum der Inhalt, den wir erfahren, von jeder der Gestalten, in denen wir ihn erfahren, verschieden bleibt und doch in jeder dieser kritikbedürftigen Gestalten reale und wirksame Präsenz gewinnt. Eine »spezielle Transzendentalphilosophie« aber, die die Eigenart der religiösen Erfahrung beschreibt und auf ihre Bedingungen hin auslegt, kann zeigen: Die speziell religiöse Erfahrung setzt jene Hoffnung ins Recht, ohne die auch alle anderen Formen der Erfahrung früher oder später ihren Anspruch auf objektive Geltung verlieren würden. Es ist die Hoffnung, daß die »je größere Wahrheit«, an der gemessen jede 278 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Weise, wie wir sie erfassen, sich als unzulänglich erweist, sich immer neu in der Vorläufigkeit ihrer Gegenwartsgestalt als wirksam erweisen wird. Die Philosophie spricht diese Hoffnung, ohne die keine Erfahrung möglich ist, in Postulaten aus. Die religiöse Erfahrung bewahrt diese Postulate vor dem Verdacht, Ausdruck eines bloßen Wunsches zu sein: eines Wunsches der Vernunft, die auch angesichts ihrer Dialektik nicht untergehen will. Die Postulate aber zeigen Wege auf, wie diese Hoffnung sich auf den unterschiedlichsten Feldern profaner Erfahrung bewährt. Nur so bleibt die religiöse Hoffnung, die sich auf spezifisch religiöse Erfahrungen gründet, vor dem Verdacht bewahrt, nur das Leben der »Frommen« in einer »religiösen Sonderwelt« zu beschreiben 8 . Auch eine so verstandene Transzendentalphilosophie enthält eine philosophische Theorie des Subjekts. Aber ihre »Rehabilitierung« geschieht nicht dadurch, daß zuvor der Idealismus und seine Auffassung vom Subjekt zu neuen Ehren gebracht würde, sondern im Gegenteil durch den Nachweis der Differenz. Das hier vorgeschlagene Verständnis der Subjektivität ist frei von jenem Herrschaftsanspruch, der die idealistischen Theorien in Mißkredit gebracht hat. Dennoch impliziert es das Bewußtsein davon, daß ohne unsere gestaltende Tätigkeit kein Objekt sich vor unserem geistigen Auge präsentieren kann. Zwischen dem Subjekt und seinen Objekten besteht kein einseitiges Herrschaftsbzw. Abhängigkeitsverhältnis, sondern ein Verhältnis dialogischer Partnerschaft. Dieses Verhältnis habe ich an anderer Stelle so zu beschreiben versucht: »Es gibt kein Zurück zu einer Transzendentalphilosophie, nach welcher Verstand und Vernunft als souveräne Gesetzgeber der Objektwelt gelten könnten. Es gibt aber auch kein Zurück zu einer vor-transzendentalen Auffassung von Wahrheit und Wirklichkeit, nach welcher unser Anschauen und Denken sich auf das reine Hinnehmen der Objekte beschränken könnte. Denn jedes Hinnehmen ist schon ein Gestalten«. Die Natur zu befragen, um von ihr Antworten zu erhalten, besagt daher nicht, wie bei Kant, sie so zu verhören, wie ein Richter die In diesem Sinne habe ich, in Abwandlung eines bekannten kantischen Satzes, das Verhältnis zwischen philosophischen Postulaten und religiöser Erfahrung so zu beschreiben versucht: »Religiöse Erfahrung ohne Vernunftpostulate ist blind. Vernunftpostulate ohne religiöse Erfahrung sind leer« (Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit, Freiburg und München 1995, 689).
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Zeugen verhört. Die Vernunft ist »nicht der Richter, das Objekt nicht der unmaßgebliche Zeuge«. Vielmehr wird die Vernunft hier als »antwortende Vernunft« verstanden und wird so selber zum »Zeugen der je größeren Wahrheit« und muß sich an deren Anspruch messen lassen 9 . Siegfried Wiedenhofer behandelt in seinem Beitrag »Kirche als Kommunikations- und Überlieferungsgemeinschaft« meine Versuche, die Kirche als eine Sprachgemeinschaft zu verstehen, die ihre Mitglieder zu spezifischen Formen der Erfahrung fähig macht und damit zu eigenverantwortlichen Zeugen für die Wahrheit ihrer Botschaft werden läßt. Er hebt mit Recht hervor, daß ich auf diesem Wege auch versuchen konnte, Kriterien zu finden, an denen Traditionen und die sie tragenden Institutionen kritisch überprüft werden können: Sie erfüllen ihre Aufgabe nur in dem Maße, in dem sie für ihre Mitglieder zu »Schulen der Erfahrung« werden. Seiner speziellen Themenstellung nach beschränkt Wiedenhofers Beitrag sich auf die ekklesiologische Fragestellung, die nur einen TeilAspekt meiner philosophisch-theologischen »Grenzgänge« ausmacht 10 . Aber Wiedenhofer behandelt dieses spezielle Thema so, daß damit zugleich das Ganze meiner Auffassung von der Aufgabe der Transzendentalphilosophie und ihrer Anwendung auf das Sprechen von Gott zur Diskussion gestellt wird. Das zeigt sich vor allem in den kritisch-weiterführenden Fragen, die er an seine eingehende und verständnisvolle Darstellung meiner Position anschließt. Diese Fragen teilt er in drei Gruppen ein: »Philosophische Fragen« »Religions- und kulturgeschichtliche Fragen«, »Theologische Fragen«. Ich muß mich an dieser Stelle auf seine philosophischen Fragen konzentrieren. In philosophischer Hinsicht erinnert Wiedenhofer in heilsamer Weise daran, daß die Transzendentalphilosophie im Unterschied zur Psychologie nicht fragt, wie gewisse Überzeugungen entstehen, sondern wovon ihre objektive Geltung abhängt. Dabei »dürfen beide Fragen«, die psychologische und die transzendentale, »nicht vermischt oder gar identifiziert werden«. Daraus ergibt sich die kritische Anfrage, ob dieser Unterschied nicht verwischt wird, wenn in meinen Veröffentlichungen davon gesprochen wird, daß gewisse Inhalte der Erfahrung die Formen unseres Anschauens Denkens verändern und damit auch die Kontexte neu definieren, innerhalb derer darüber entschieden wer9 10
Ontologie im nachmetaphysischen Zeitalter, Freiburg, München 2008, 118. Vgl. den 3. Band meiner Philosophischen Einübung in die Theologie.
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den kann, ob eine Überzeugung objektiv gilt oder nicht. Wiedenhofer empfiehlt daher eine Präzisierung: Nach diesem Vorschlag »können empirisch-historische Bedingungen höchstens als Anlaß für eine Änderung der Bewußtseinsstruktur verstanden werden. Die tatsächliche Änderung ist […] ein Akt freier Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit«. Dem letzten Satz stimme ich ohne Vorbehalt zu. Was mir Schwierigkeiten bereitet, ist, darin ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber »empirisch-historischen Bedingungen« zu sehen. Denn auch alle Empirie und Historie beruht auf »Akten freier Antwort auf den Anspruch der Wirklichkeit«. Erfahrungen zu machen, ist nie ein bloßes Erleiden, freie Entscheidungen des Menschen sind nicht einsame Erfindungen des Entscheidenden. In beiden Fällen handelt es sich um Akte der Antwort auf einen Anspruch. Das gilt ebenso für die alltäglichste Erfahrung wie auch für jene Akte, aus denen eine »Änderung der Bewußtseinsstruktur« entsteht – wobei der Transzendentalphilosoph sich vom Psychologen dadurch unterscheidet, daß ihn die »Bewußtseinsstruktur« nur insoweit interessiert, als von ihr die objektive Geltung von Erfahrungen abhängt. »Änderungen der Bewußtseinsstruktur« werden deswegen transzendentalphilosphisch dann belangvoll, wenn sie die Bedingungen für das, was als objektiv gültig erfahren wird, neu definieren. Gerade dann aber gewinnt Wiedenhofers Frage ihr volles Gewicht: »Wie werden sozusagen aus empirischen Bedingungen transzendentale Bedingungen?«. Die erste Antwort lautet: Das hängt davon ab, wie derartige Bedingungen »empirisch« werden, d. h. als Inhalte in Erfahrungskontexten auftreten. Und das schließt ein: Das hängt davon ab, welche freie Antwort menschliche Subjekte auf gewisse Ereignisse geben. Daran schließt sich die zweite Antwort an: Ereignisse können transzendentale Bedeutung gewinnen, wenn sie, in einen Kontext spezifischer Art aufgenommen, diesen Kontext zunächst zerbrechen. Umgangssprachlich gesprochen: Ereignisse können transzendentale Bedeutung gewinnen, wenn wirklich geschieht, was nach den bisher gültigen Kriterien als »böser Traum« beurteilt werden mußte. Und wenn sich herausstellt: Es mußte so beurteilt werden, weil es den strukturellen Bedingungen, die alle bisherige Erfahrung möglich gemacht haben, nicht entspricht. Es ist insofern immer ein freier, wenn auch keineswegs willkürlicher Akt, ein solches Ereignis eben nicht für einen »bösen Traum« zu halten, aus dem man möglichst bald aufzuwa281 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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chen hofft, sondern als Inhalt einer Erfahrung anzuerkennen, die eine neue Antwort verlangt. An diese zweite Antwort aber schließt sich die zunächst offene Frage an: Wovon hängt es ab, ob aus dem Zerbrechen eines bisher bewährten Erfahrungskontextes ein neuer hervorgeht, oder ob es dem Erfahrenden nicht mehr gelingt, einen solchen neuen Erfahrungskontext aufzubauen und damit neue Kriterien für die Unterscheidung des objektiv gültigen vom bloß subjektiv Erlebten zu gewinnen? Gelingt dies nämlich nicht, dann bleibt die horizont-zerbrechende Erfahrung zugleich die letzte; denn dem Subjekt geht dann jedes Kriterium zur Unterscheidung des objektiv Gültigen vom bloß subjektiv Vermeinten verloren. Umgangssprachlich gesagt: Wenn dies kein böser Traum, sondern Wirklichkeit gewesen ist, dann scheint nichts mehr unmöglich und deswegen auch nichts mehr gewiß; dann aber wird das ganze Leben zu einem Traum, manchmal einem schönen, noch häufiger einem bösen Traum. Aus ihm erwachen wir erst dann, wenn sich ein neuer Erfahrungshorizont öffnet, in den gemeinsam eingetragen werden kann, was sich vor und nach dem erschütternden Ereignis zugetragen hat. Sind dies meine vorläufigen Antworten auf Wiedenhofers philosophische Frage, dann kann ich auch versuchen, auf eine Zusatzfrage einzugehen, die er im Anschluß an diese philosophische Frage stellt: »Gibt es neben revolutionären Änderungsformen auch evolutionäre bzw. kumulative?« Er selbst neigt offensichtlich dazu, diese Frage positiv zu beantworten und denkt dabei an Vorgänge, in denen sich »ein kollektiver kultureller und religiöser Problemdruck so lange (kumulativ) aufbaut, bis einzelne philosophische oder religiöse Virtuosen sich tastend neue Perspektiven eröffnen, die dann in einem jahrhundertelangen Erfahrungs- und Lernprozeß ihre Bestimmtheit erlangen«. Nun will ich nicht bestreiten, daß es derartige Prozesse eines langsam wachsenden »Problemdrucks« gibt, der schließlich zu einer Veränderung von Bewußtseinsstrukturen führt. Aber gerade mein Interesse an solchen Vorgängen, deren transzendentale Bedeutsamkeit eindeutig ist, hat mich zur Bevorzugung anderer Beispiele geführt, bei denen deutlich wird: Hier steht nicht nur diese oder jene inhaltliche Überzeugung auf dem Prüfstand, sondern die Möglichkeit objektiver Geltung im Ganzen. Und das tritt besonders eindeutig bei solchen Erfahrungen hervor, in denen eine ganze »Erfahrungswelt« zusammenbricht. Das ist im Alten Ägypten geschehen, als die Einheit des Reichs, 282 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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die der Schöpfergott Ptah sich als seinen eigenen Leib »getöpfert« hatte, in den Kriegen zwischen Provinz-Königen zerfiel. Es geschah in Persien, als die Götter des »lebenspendenden Todes«, deren Wirksamkeit bei jeder Ackerbestellung sichtbar wurde, sich als »Lügengötter« erwiesen, die Tod bringen, wo sie Leben verheißen. Es geschah in Israel mit dem Untergang von Stadt, Tempel und Königtum, deren »ewiger Bestand« als Beweis für Gottes Treue zu seinem Bund gegolten hatte. Es sind solche Ereignisse, die in der soeben beschriebenen Weise erfahren werden: Wenn dies kein böser Traum, sondern Wirklichkeit gewesen ist, dann scheint nichts mehr unmöglich und deswegen auch nichts mehr gewiß. Dann steht mit anderen Worten die Möglichkeit objektiver Geltung im Ganzen auf dem Spiele. Deshalb gehören diese Ereignisse unzweifelhaft zu denen, die transzendentalen Charakter haben. Was nun andererseits die Wirksamkeit von Philosophen und vor allem von Propheten betrifft, die ihre Schüler befähigt haben, neue Erfahrungskontexte aufzubauen, so habe ich eine gewisse Scheu, dafür den Ausdruck »Virtuosität« zu gebrauchen. Dieser Ausdruck betont die Meisterschaft einer Leistung, die diese Autoren erbracht haben. Demgegenüber kam es mir darauf an, zu betonen, daß auch ihr Denken responsorischen Charakter hatte. Sie legten auch in den wahrhaft »erschütternden« Erfahrungen, die sie machten und die eine ganze Erfahrungswelt zum Einsturz brachten, einen Anspruch frei. Diesen konnten sie freilich erst erfassen und dolmetschen, wenn sie sich durch das, was geschehen war, hatten »umgestalten lassen zur Neuheit des Denkens«. Was mich veranlaßt, mein Interesse auf solche Ereignisse zu konzentrieren, ist die hier offenbar werdende Möglichkeit, daß jedesmal das gleiche Ereignis sich als Grund für den Zusammenbruch einer ganzen Erfahrungswelt, als Appell zu einer Umgestaltung des Denkens und damit als Möglichkeitsgrund für den Aufbau einer neuen »Welt« erwiesen hat. Und mein Interesse an Philosophen und Propheten gilt nicht ihrer Meisterschaft, Gedanken auf den Weg zu bringen, die erst viele Generationen von Schülern auf inhaltlich bestimmte Weise zu begreifen lernen, sondern ihrer Fähigkeit, konkreten Erfahrungen den Anspruch »anzusehen«, der in einem umgestalteten Denken beantwortet werden will. Das Hören auf diesen Anspruch findet seine Bewährungsprobe darin, daß solches Hören den Aufbau eines Erzählkontextes möglich macht, der die »alte« und die »neue Welt« gemeinsam umfaßt und in ein Verhältnis gegenseitiger Auslegung bringt. 283 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Was ich aus Wiedenhofers philosophischen Anfragen lerne, ist also vor allem dies: Ich hätte meine Frage nach der Möglichkeit »horizont-verändernden Erfahrungen« nicht nur einleitend deutlicher hervorheben sollen; es wäre vor allem nötig gewesen, von der Eigenart dieser Fragestellung her meine Methode bis in die Beispielswahl hinein zu begründen und gegen andere mögliche Betrachtungsweisen selbstkritisch abzuwägen. Erst dann wäre auch deutlicher geworden, worin der mögliche Ertrag dieser Fragestellung und Methode für die Theologie besteht. Überblicke ich rückschauend die Vielzahl der Ergänzungsvorschläge, der Präzisierungswünsche und der stets sehr verständnisvoll vorgetragenen kritischen Anfragen, dann gewinne ich den Eindruck: Jetzt müßte ich noch einmal damit beginnen, meinen transzendentalphilosophischen Ansatz und seine Anwendung auf die Theologie auszuarbeiten. Nach dem bisher erreichten Stande meiner selbstkritischen Reflexion vermute ich: Dabei müßte ich kaum etwas von dem, was ich bisher geschrieben habe, vollständig widerrufen, aber Vieles deutlicher formulieren und vor allem Manches methodisch genauer durchdenken. Doch kann das nicht mehr das Programm eines Achzigjährigen sein. So bleibt mir die Hoffnung, daß es mir möglich sein wird, das begonnene Gespräch mit Ihnen, verehrte Kollegen, noch fortzuführen. Vielleicht erscheint Ihnen dann der eine oder andere Inhalt dieses Gesprächs geeignet, in Ihre eigenen kommenden Überlegungen aufgenommen zu werden.
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Selbständige Veröffentlichungen (Monographien) 1
Die Frage nach dem Glauben im Werke von Karl Jaspers. Dissertation. Schreibmaschinenmanuskript 780 S., nicht in Druck erschienen. Als Manuskript hinterlegt bei den Universitätsbibliotheken Tübingen und Erlangen 2 Die Struktur der Geschichtszeit Habilitationsschrift, 571 S., Frankfurt a. M.: Klostermann 1963 3 Wege zu einer Ersten Philosophie, 229 S., Frankfurt a. M.: Klostermann 1964 4 Religion und kritisches Bewußtsein, 451 S., Freiburg: Alber 1973 5 Einführung in die Geschichtsphilosophie, 245 S., Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1973, 2. erweiterte Auflage 262 S. 1980, 3. Aufl. 1990, 4. Aufl. 1994 5a Übersetzung ins Koreanische (Kim Jin) mit einer Einleitung von R. Schaeffler 1997 6 Die Religionskritik sucht ihren Partner, 109 S., Freiburg: Herder 1974 7 Fähigkeit zum Glück, 52 S., Zürich: Benziger 1977 8 Frömmigkeit des Denkens? – Martin Heidegger und die katholische Theologie, VII u. 152 S., Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1978 9 Was dürfen wir hoffen? -Die katholische Theologie der Hoffnung zwischen Blochs utopischem Denken und der reformatorischen Rechtfertigungslehre, XVI und 326 S., Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1979 10 Die Wechselbeziehungen zwischen Philosophie und katholischer Theologie, XVI u. 390 S., Darmstadt: Wissenschaftl. Buchgesellschaft 1980
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13a 13b 13c 13d 13e 13f 13g 14 14a 14b 15
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Glaubensreflexion und Wissenschaftslehre – Thesen zur Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie der Theologie, 200 S., Freiburg: Herder, Quaestiones disputatae Bd. 82, 1980 Fähigkeit zur Erfahrung – Zur transzendentalen Hermeneutik des Sprechens von Gott, 126 S. Freiburg: Herder, Quaestiones disputatae Bd. 94, 1982, ISBN 3-451-02094-7 Religionsphilosophie – Handbuch der Philosophie Band 4., 278 S., Freiburg: Alber 1983. ISBN 3-495-47490-0, 2. erw. Aufl. 1997, 352 S., 3. unv. Aufl. (Studienausgabe) 2002, ISBN 3-495-48072-2 Übersetzung ins Polnische, Tschenstochau: Diözesanverlag 1989 Übersetzung ins Portugiesische, Ediciones 70, Lisboa & Rio de Janeiro 1992, ISBN 972-44-0873-6 Übersetzung ins Koreanische (Kim Young Hi) 1995, ISBN 7598-041-7 Übersetzung ins Spanische, Salamanca: Ediciones Sigueme 2003, ISBN 84-301-1480-7 Übersetzung ins Ungarische, Budapest: Osirisverlag 2003, ISBN 963-389-417-4 Übersetzung ins Tschechische, Prag: Academia-Verlag 2003, ISBN 80-200-1195-1 Übersetzung ins Englische: The Reason and the Question of God, New York: Herder 1999 Kleine Sprachlehre des Gebets, 121 S., Einsiedeln, Trier: Johannesverlag 1988, ISBN 3-265-10338-2 Übersetzung ins Französische: Le Langage de la religion, Paris: Editions du Cerf 2003, ISBN 2-204-07116-1 Übersetzung ins Polnische: O janzyko modlitvy, 179 S., Krakau: Znak 2007 Das Gebet und das Argument – Zwei Weisen des Sprechens von Gott. Eine Einführung in die Theorie der religiösen Sprache, 346 S., Düsseldorf: Patmos 1989, ISBN 3-491-71086-3 Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung, 790 S., Freiburg, München: Alber 1995, ISBN 3-495-47803-5 Philosophische Einübung in die Theologie. Freiburg, München: Alber, 3 Bände 2004, ISBN 3-495-48113 (48114, 48115), Studienausgabe 2008 Philosophisch von Gott reden, 189 S., Freiburg, München: Alber 2006
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Richard Schaeffler, Schriftenverzeichnis
19 Ontologie im nachmetaphysischen Zeitalter, 190 S., Freiburg, München: Alber 2008
Artikel in Zeitschriften und Sammelwerken 1
Martin Heidegger und die Frage nach der Technik. In: Zeitschr. f. philos. Forschung IX (1955), 116–127 2 Die Struktur der Geschichtszeit. Kongreßreferat Stuttgart 1954. Kurzfassung In: Zeitschr. f. philos. Forschung IX (1955), 116– 127, ungekürzt In: Wissenschaft und Weisheit XVIII (1955), 24– 32 3 Philosophische Überlieferung und politische Gegenwart in der Sicht von Karl Jaspers. In: Philosophische Rundschau VII, 81–109 und 260–293 4 Das Gute als Gegenstand philosophischen Fragens. In: Zeitschr. f. philos.Forschung XV (1961), 519–540 5 Wahrheit und Geschichte. In: Einsichten, Festschr. f. Gerhard Krüger, Frankfurt a. M.: Klostermann 1962, 297–314 5a Übersetzung ins Koreanische 1995 6 Das Verhältnis von Erfahrung und Denken bei Platon und Kant. Mainzer Universitätsgespräche 1962: Das Verhältnis von Denken und Erfahrung im wissenschaftlichen Erkennen. Veröffentlichungen des Studium Generale Mainz 1962, 25–32 7 Der Mensch, das denkende Wesen – Bedeutungswandel einer alten Definition (Tagungsreferat). In: Pädagogische Provinz 1966, 525–539 und 1967, 240–260 8 Einige Stationen aus der Geschichte der philosophischen Zeitproblematik. In: Studium Generale XX (1967), 53–68 9 La liberté – principe hermeneutique pour l’interprétation des textes religieux (Kongreßreferat). In: L’ermeneutica della libertà religiosa, (ed. Enrico Castelli) Rom 1968, 253–285 9a. deutsch: Freiheit als hermeneutisches Prinzip für die Auslegung religiöser Texte. In: Kerygma und Mythos VI, Band 5: Religion und Freiheit, Hamburg 1974, 99–117 10 Zur sachlichen Herkunft des hermeneutischen Problems (Tagungsreferat). In: Pädagogische Provinz 1968, 219–235 11 Die Vernunft und die Tatsachen (Antrittsvorlesung Bochum). In: Catholica XXII (1969), 271–287 287 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Die Wahrheit des Zeugnisses – Philosophische Erwägungen zur Funktion der Theologie. In: Das Christuszeugnis der Kirche. Theologische Studien der Abt. f. Kath. Theologie der Ruhr-Universität Bochum (Festschrift für Bischof Hengsbach zum 60. Geburtstag) Essen 1970, 145–169 13 Kosmos und Geschichte – hermeneutische Überlegungen zur Rede vom »Ende der Welt«. In: Lebendiges Zeugnis 1971, 62–88 14 Wandlungen des Gottesbegriffs. In: K. Hemmerle (Hg.) Die Botschaft von Gott, Freiburg: Herder 1974, 63–93 15 Der Kultus als Weltauslegung. In: F. Henrich, J. Viebig (Hg.), Kult in der säkularisierten Welt, Regensburg: Pustet 1975, 9–62 16 Evolution – Zwang zum Fortschritt? – Zur philosophischen und theologischen Problematik eines Geschichtsmodells. In: Theologie und Philosophie 50 (1975), 504–526 17 Ideologiekritik als philosophische und theologische Aufgabe. In: Theologische Quartalschrift 155 (1975), 97–116 18 Gott – ein Fremdwort in der Sprache unserer Zeit? In: 24. Universitätstage der Stadt Hamm »Krise des Glaubens, Krise des Atheismus« Tatsachen und Berichte, Schriftenreihe der Stadt Hamm, Nr. 17, 95–120 19 Zum Verhältnis von transzendentaler und historischer Reflexion. In: H. Kohlenberger, W. Lütterfelds (Hg.), Von der Notwendigkeit der Philosophie in der Gegenwart, Festsschrift für Karl Ulmer. Wien, München: Oldenbourg 1976, 42–76 20 Kult im Zeitalter technischer Rationalität. In: Herderkorrespondenz 30 (1976), 608–616 21 Offenbarung und Geschichte. In: Kleronomia 8 (1976), 217–246 21a (Neufassung unter neuem Titel) Prophetie, Apokalyptik, Eschatologie als Modelle der Deutung der Geschichte. In: G. Ott (Hg.) Ohne Herkunft keine Zukunft – Kirchengeschichte im Religionsunterricht, Freiburg: Herder 1987, 3–27 22 Der Utopische Gedanke und die christliche Heilserwartung. In: L. Hödl u. a., Das Heil und die Utopien. Paderborn: Schöningh 1977, 9–66 23 Kultisches Handeln – die Frage nach Proben seiner Bewährung und nach Kriterien seiner Legitimation. In: W. Strolz (Hg.) Anthropologie des Kults. Freiburg: Herder 1977, 9–50 und In: R. Schaeffler, P. Hünermann, Ankunft Gottes und Handeln des
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Menschen, Thesen über Kult und Sakrament. Quaestiones disputatae 77, Freiburg: Herder 1977, 9–50 Vom Sinn der Wallfahrt in der Religionsgeschichte und im christlichen Gottesdienst. In: J. Sauer (Hg.) Religiöse Themen der Gegenwart. Karlsruhe: Badenia 1977, 25–44 Zur Wissenschaftstheorie der Theologie. In: Theologische Quartalschrift 157 (1977), 177–188 Fähigkeit zum Kultus – Ihre Bedrohung und ihre Wiedergewinnung heute. In: Theologisch-praktische Quartalschrift 126 (1978), 107–121 Sprache als Bedingung und Folge der Erfahrung. In: W. Beinert u. a., Sprache und Erfahrung als Problem der Theologie, Paderborn: Schöningh 1978, 11–38 Christlicher Glaube, Hoffnung aus Erinnerung. In: 85. Deutscher Katholikentag (Berichtsband). Paderborn: Bonifatius 1978, 401– 417 und In: Theologische Beiträge 10 (1979), 112–127, gekürzt In: Anzeiger für die katholische Geistlichkeit 87 (1978), 392–398 Atheistische Hoffnung und Hoffnung des Glaubens. In: Caritasjahrbuch 1979, Freiburg 1979, 51–59 Der Offenbarungsbegriff – Die Frage nach Kriterien seines sinnvollen Gebrauchs. In: G. Scherer (Hg.), Offenbarung im Denkens Franz Rosenzweigs, Essen: Ludgerus 1979, 9–75 wieder In: Joh. Bernard (Hg.), Offenbarung: Phänomen, Begriff, Dimensionen. Leipzig: St. Benno 1984, 43–82 Das Gespräch zwischen Christen und Juden als Herausforderung an die Ökumene. In: H. H. Henrix, M. Stöhr (Hg.), Exodus und Kreuz im ökumenischen Dialog zwischen Juden und Christen, Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen Bd. 8, Aachen 1978, 166–187 Die unwiderrufliche Erwählung – Das Judentum heute und seine Bedeutung für das Selbstverständnis der Christen. In: Emuna – Israelforum 1978, Heft 5/6, 1–11 Wo begegnen sich die Wissenschaften?- Zur Alternative von formaler und materialer Interdisziplinarität. In: E. Denninger u. a. (Hg.) Person und Amt, Festschr. f. Peter Schneider, Universitätsschr. Mainz 1980, 173–181 Kritik und Anerkennung. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft Bd. 21. Freiburg: Herder 1980, 107–138 Der »Modernismus-Streit« – eine Herausforderung an das phi289 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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losophisch-theologische Gespräch. In: Theologie und Philosophie 55 (1980), 514–534 35a wieder in: Theologisches Jahrbuch 1984. Leipzig: St. Benno, 84– 100 36 Der Mythos, die Religion und das Heilige. In: Civiltá delle Macchine 27 (1979/80) Heft 4–6, 53–64 37 Die Vernunft und das Wort – Zum Religionsverständnis bei Hermann Cohen und Franz Rosenzweig. In: Zeitschr. f. Theologie und Kirche 78 (1981), 57–89 38 Anthropologie und Theologie – Ihre Vermittlung durch die Zusage der Sündenvergebung. In: Im Gespräch der Mensch, Festschrift für Joseph Möller Düsseldorf 1981, 222–234 39 Philosophie der Hoffnung als Sokratik der praktischen Vernunft. In: Philosophisches Jahrbuch 88 (1981), 242–256 40 Kant als Philosoph der Hoffnung. In: Theologie und Philosophie 56 (1981), 244–258 41 Wissenschaftstheorie und Theologie. In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft Bd. 20. Freiburg: Herder 1982, 6–82 41a Übersetzung ins Spanische 1989 42 Wahrheit und Institution. In: W. Kern (Hg.) Die Theologie und das Lehramt. Quaestiones disputatae 91. Freiburg: Herder 1982, 152–200 43 Rechtfertigung und Glaube als Thema des jüdischchristlichen Dialogs. In: M. Stöhr (Hg.) Jüdische Existenz und die Erneuerung der christlichen Theologie. München: Kaiser 1982, 220–241 44 Zur Anthropologie und Ethik der Hoffnung. In: Münchener Theologische Zeitschrift 30 (1982), 1–24 44a polnisch In: Analecta Cracoviensia XVII (1985); 143–157 45 Befähigung zur Glaubensentscheidung: In: Katholische Bildung 83 (1982), 525–550 46 Wie muß der Christ heute den Juden sehen? In: Erwachsenenbildung 1982, 233–243 47 Das Gebet – Schule des Glaubens und Schule des Lebens im Judentum. In: G. Kaufmann (Hg.), Lebenserfahrung und Glaube. Düsseldorf: Patmos 1983, 73–90 48 Der Wahrheitsanspruch der Religion. In: Funkkolleg Religion, Studienbegleitbrief 2. Tübingen: Deutsches Institut für Fern-
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studien 1983, 85–116. Neubearbeitung Buchausgabe In: Peter Fiedler (Hg.), Weinheim und Basel: Beltz, 68–77 Geschichtlichkeit und Geschichte. In: E. Unterberger (Hg.) Philosophische Aspekte im Unterricht der Allgemeinbildenden Höheren Schulen. Beiträge zur Lehrerfortbildung Bd. 24. Wien: Österreichischer Bundesverlag 1984, 71–98 Neue Aspekte des Sprechens von Gott. In J. Möller (Hg.) Der Streit um den Gott der Philosophen. Düsseldorf: Patmos 1985, 157–182 »Expérience religieuse et expérience profane du monde« dans écrits inédits de Gerhard Krüger. In: Archives de philosophie 47 (1984), 375–383 Auf dem Weg zu einem philosophischen Begriff der Religion. In: W. Kern, H. J. Pottmeyer, M. Seckler (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie Bd. 1, Traktat Religion. Freiburg: Herder 1985, 57–72, 2. Auflage Tübingen, Basel: Francke 2000, 33–46, ISBN 3-8252-8170-1 Italienische Ausgabe Brescia (Queriniana) 1990, 61–79 Die Kritik der Religion. a. a. O. 117–135, 2. Aufl. Tübingen, Basel: Francke 2000, 85–99, ISBN 3-8252-8170-1 Italienische Ausgabe Brescia (Queriniana) 1990, 134–156 Wege zum Heil für eine schuldverstrickte Welt – Ein biblischer Beitrag zu einer Ethik der Menschheit. In: H. Breuning (Hg.) Damit die Erde menschlich bleibt -Die gemeinsame Verantwortung von Juden und Christen für die Zukunft. Freiburg. Herder 1985, 128–150 »Darum sind wir eingedenk« – Die Verknüpfung von Erinnerung und Erwartung in der Gegenwart der gottesdienstlichen Feier. In: Hohenheimer Protokolle, Schriftenreihe der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Stuttgart 1986, 65–90, wieder In: A. Häußling (Hg.), Vom Sinn der Liturgie. Düsseldorf: Patmos 1991, 16–44 Freiheit, Geist und eschatologische Gemeinde – Die religionsphilosophischen Implikationen der neuzeitlichen Geschichtsphilosophie. In: A. Halder u. a. (Hg.), Spuren der Erlösung, Experiment Religionsphilosophie Bd. II. Düsseldorf: Patmos 1986, 124–151 Zur phänomenologischen Methode in der Religionsphilosophie. Brief an einen Benediktiner. In: Erbe und Auftrag 62 (1986), 102–111 291 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Religionsimmanente Gründe für religionshistorische Krisen. In: H. Zinser (Hg.) Der Untergang von Religionen. Berlin: Reimer 1986, 243–261 59 Vollendung der Welt oder Weltgericht? – Zwei Vorstellungen vom Ziel der Geschichte in Religion und Philosophie. In: H. Althaus (Hg.), Apokalyptik und Eschatologie. Freiburg: Herder 1987, 73–104 60 Spiritus sapientiae et intellectus, spiritus scientiae et pietatis – Religionsphilosophische Überlegungen zum Verhältnis von Weisheit, Wissenschaft und Frömmigkeit in ihrer Zuordnung zum Geiste. In: W. Baier u. a. (Hg.), Weisheit Gottes und Weisheit der Welt, Festschrift für Joseph Kardinal Ratzinger. St. Ottilien: Eos 1987, 15–35 61 Der Zuspruch des Vergebungswortes und die Dialektik der praktischen Vernunft – Überlegungen zur Ethik und Religionsphilosophie im Anschluß an I. Kant und H. Cohen. In P. Hünermann, R. Schaeffler (Hg.), Theorie der Sprachhandlungen und heutige Ekklesiologie. Freiburg: Herder 1987, 104–129 62 Wahrheit, Dialog und Entscheidung. In: A. Bsteh (Hg.), Dialog aus der Mitte christlicher Theologie. Mödling: Verlag St. Gabriel 1987, 13–42 62a Diskussion zu 62, dokumentiert In: Bürkle, Bsteh [Hg.], Glaube, der Begegnung sucht. Mödling 1992, 96–100, 125–129 63 Logisches Widerspruchsverbot und theologisches Paradox. In: Theologie und Philosophie 62 (1987), 321–351 64 Innovation und Selbstkritik der Religion als innere Momente ihrer Überlieferung. In: W. Kluxen (Hg.), Tradition und Innovation – XIII. Deutscher Kongreß für Philosophie (Bonn 1984). Hamburg: Meiner 1987, 471–487 65 Die Konstituierung des religiösen Subjekts in der Sprachhandlung des Gebets. In: G. Larcher (Hg.), Symbol – Mythos – Sprache. Annweiler: Plöger 1988, 59–83 66 Heidegger und die Theologie. In: A. Gethmann-Siefert, O. Pöggeler (Hg.), Heidegger und die praktische Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp 1988, 286–309 66a ungarisch In: Tibor Schwendtner (Hg.), Metszéspontok – a fenomenológia és a hermeneutika határvidéken (Grenzpunkte der phänomenologischen und der hermeneutischen Methode), Budapest 2001, 179–200, ISBN 96300-5074-9; ISSN 1586-8761 292 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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67 Was tun wir, wenn wir »Gott« sagen? – Jüngere sprachphilosophische Ansätze zur Kritik der Religion. In: G. Kaufmann (Hg.) Gott – das Thema der Theologie als Manuskript gedruckt durch das Bistum Essen 1988, 34–44. 68 Adiutorium nostrum in nomine Domini – Sprachphilosophische Überlegungen zur Anrufung Gottes im Gebet. In: Lebendiges Zeugnis 43 (1988), 26–40, ISSN 0023-9941 69 Sprache und Kultur. In: Festschrift für Bernhard Hanssler. Schriften der Akademie Hohenheim 1987, 12–27 70 Die Chance der Religion in der technisierten Welt. Zur christlichen Berufsethik – Kirche im Gespräch Heft 8. Schriften der katholischen Akademie »Die Wolfsburg«, Mülheim 1987 71 Wahrheitssuche und Reinigung des Herzens – Zur Frage nach dem Zusammenhang von Erkenntnisfortschritt und Moralität. In: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 17 (1988), 412–422, ISSN 0341-8693 72 Synthese von Glaube und Kultur – Zur spannungsreichen Leitidee christlicher Erziehung. In: Engagement – Zeitschr. f. Erziehg. und Schule 1989. Münster: Aschendorf, 4–20 73 Die Neubegründung der Metaphysik angesichts ihrer Kritik – eine philosophische Aufgabe im Dienst katholischer Theologie. In: O. Muck (Hg.), Sinngestalten, Festschrift für E. Coreth. Innsbruck: Tyrolia 1989, 13–20, ISBN 3-7022-1697-9 74 Das Christentum im Verhältnis zu den Weltreligionen. In: N. Klimek (Hg.), Universalität und Toleranz, Festschrift für G. Langemeyer. Essen: Ludgerus 1989, 183–200, ISBN 3-87497-182-1 75 Unausgeschöpfte Möglichkeiten theologischer Heidegger-Rezeption. In: Buchmagazin des Gemeinschaftswerks Evangelischer Publizistik Herbst/Winter 1989/90, 17–19, ISSN 0176-9219 76 Philosophie und katholische Theologie im 20. Jahrhundert. In: Coreth, Neidl, Pfligersdorfer (Hg.), Christliche Philosophie im katholischen Denken des 20. Jahrhundert. Graz: Styria 1990, 49–78, ISBN 3-222-11801-9 76a Filosofia e Teologia Cattolica nel Secolo XX. In: La Filosofia Cristiana nei Secoli XIX e XX, vol III, Roma 1995, 77 ff. 77 Die Theologie im Spannungsfeld von Kirche, Wissenschaft und Gesellschaft, als Manuskript gedruckt In: Dokumentation einer Vortragsreihe der Hochschulen in Linz »Die Verantwortung der Wissenschaft« und In: B. Fraling u. a. (Hg.), Kirche und Theologie 293 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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im kulturellen Dialog, Festschrift für P. Hünermann. Freiburg: Herder 1994, 15–32. Menschlich leben im Angesicht von Tod und Schuld. In: Paulus Gordan (Hg), Leid, Schuld, Versöhnung. Referate der Salzburger Hochschulwochen 1989. Graz: Styria 1990, 23–42, ISBN 3-22211931-7 Die christliche Hoffnungsbotschaft im Kontext menschlicher Todesdeutungen. In: A. Gerhards (Hg.), Die größere Hoffnung der Christen. Freiburg: Herder 1990, Quaestiones disputatae 127, 13– 27, ISBN 3-451-02127-7 Verantwortete Vorläufigkeit – Der Mut zur Partikularität und die Kritik an der Frage nach dem »Sinn des Ganzen«. In: E. Kroker (Hg.), Wertewandel und Lebenssinn. Frankfurt a. M.: Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1990, 118–140, ISBN 3-924875-58-8 polnisch: Odpowiedzalna tynczasowosc Zawierzyc Czlowiekowy. Krakau: Znak 1991, 99–119 Feuerbach und die transzendentale Methode der Religionskritik. polnisch In: Analecta Cracoviensia XXIII (1991), 35–48 Kritik und Vertrauen. Zwei Momente des religiösen Verhältnisses zur Wirklichkeit. In: E. Denninger u. a. (Hg.), Kritik und Vertrauen. Festschrift für Peter Schneider. Meisenheim: Anton Hain 1990, 466–486, ISBN 3-445-10000-4 Die religiöse Erfahrung und das Zeugnis von ihr. In: B. J. Hilberath (Hg.), Erfahrung des Absoluten – Absolute Erfahrung? Festschrift für Josef Schmitz. Düsseldf: Patmos 1990, 13–34, ISBN 3-491-71090-1 Der Beitrag der Kirche zur Kultur der Sprache. In: K. Hellmich (Hg.), 1000 Jahre Goldene Madonna (Sondernummer der »Hinweise« des Bistums Essen), Essen 1990, 48–56d Religiöse Kreativität und Säkularisierung in Europa seit der Aufklärung. Schlußkapitel zu Eliades »Geschichte der Religiösen Ideen«. Freiburg: Herder 1990, 410–447, ISBN 3-451-19131-8 Übersetzung ins Spanische, 1996 Übersetzung ins Dänische, 1998, 366–400 Übersetzung ins Japanische, 1998, 471–525 Damit das Wort lebendig wird. Sprachtheoretische. Überlegungen zu einem Thema der theologischen Theorie und der pastoralen Praxis. In: B. Hermanns (Hg.), Zeugnis des Glaubens – Dienst an
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der Welt. Festschrift für Kardinal Hengsbach. Mülheim: Edition Werry 1990, 145–174, SBN 3–88867–035–7 Die Orientierungsaufgaben der Religionsphilosophie. In: P. Koslowski (Hg.), Orientierung durch Philosophie, Dokumentation der gleichnamigen Vortagsreihe. Tübingen: Siebeck 1991, 196– 224, ISBN 3-16-145715-3 Kultur und Kult. In: Liturgisches Jahrbuch 41 (1991), 73–87 Aussagen über das, was »im Anfang« geschah. Von der Möglichkeit, sie zu verstehen und auszulegen. In: Intern. Kath. Zeitschrift Communio 20 (1991), 340–351, ISSN 0341-8693, auszugsw. auch in der niederländ. Ausgabe 1991, 302–309 Freiräume liturgischer Textgestaltung und Möglichkeiten ihres verantwortlichen Gebrauchs. In: »Gottesdienst« 25 (1991), 105– 109, 153–155, 160–163, ISSN 0343-8732 Schulderfahrung und Bewältigung der Vergangenheit. In: Militärseelsorge 33 (1991), 40–63, ISSN 0047-7362 Was ist Wahrheit? Zum Wahrheitsverständnis in Naturwissenschaft, Technik und Religion. In: Zur christlichen Berufsethik Nr 24, Essen 1991, 10–37 Schulderfahrung und sittliche Identität. In: G. Eifler, O. Saame (Hg.), Die Frage nach der Schuld. Mainz 1992. Aufklärung und Offenbarung. In: Müller, Schulz (Hg.), Theologie und Aufklärung. Festschrift für Gottfried Hornig. Würzburg: Königshausen & Neumann 1992, 300–327, ISBN 3-88479-583-X Die Wissenschaft des Judentums im Kontext der deutschen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. In Julius Carlebach (Hg.), Wissenschaft des Judentums – Die Anfänge der Judaistik in Europa. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992, 113– 131, ISBN 3-534-11683-6 Der Gott der Philosophen. In: M. Lutz-Bachmann (Hg.), Gottesnamen -Gott im Bekenntnis der Christen. Berlin: Morus Verlag, Hildesheim: Bernward Verlag 1992, 129–150, ISBN 3-87554254-1 (Morus) und 3-87065-731-6 (Bernward) Die Hierarchie der Wahrheiten. In 90. Deutscher Katholikentag. Berichtsband, Band 2. Paderborn: Bonifatius 1990, 1835–1846 Die religiöse Erfahrung – Ihre Eigenart und Kriterien ihrer Bewertung. In: Religionsunterricht an Höheren Schulen 34 (1991), 320– 330 Ein transzendentalphilosophischer Gottesbegriff und seine mög295 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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liche Bedeutung für die Theologie. In: Kessler, Pannenberg, Pottmeyer (Hg.), Fides quaerens intellectum. Festschrift für Max Seckler. Tübingen: Franke 1992, 97–110, ISBN 3-7720-1944-7 Die Stellung des Kults im Leben des Menschen und der Gesellschaft. In: F. Henrich, C.-J. Roepke (Hg.), Unfähig zum Gottesdienst? Regensburg: Pustet 1991, 9–34, ISBN 3-7917-1277-2 »Epékeina tes ousías«. Wandlungen, Recht und Grenzen eines Programms. In: L. Honnefelder, W. Schüßler (Hg.), Transzendenz. Zu einem Grundwort der klassischen Metaphysik. Festschr. für Klaus Kremer. Paderborn: Schöningh 1992, 13–37, ISBN 3-506-73959-X Die Dialektik des praktischen Vernunftgebrauchs und die Ansätze zu einer philosophischen Pneumatologie bei I. Kant. In: F. Ricken, F. Marty (Hg.) Kant über Religion. Stuttgart: Kohlhammer 1992, 124–142, ISBN 3-17-012029-8 »Lieber fünf Worte mit Verstand als 10.000 im Zungenreden.« Der Beitrag der Theologie zur Diskussion um den Wissenschaftsbegriff. In: H. Meinusch, R. Toellner (Hg.), Einheit der Wissenschaft. Westdeutscher Verlag 1993, 160–186 (Diskussion 187– 194), ISBN 3-531-12472-3 Dialogische Existenz. Heliandbrief 3/1993, 5–13 Die Dialektik der menschlichen Freiheit als Bewährungsprobe des philosophischen Sprechens von Gott. In: R. Schaeffler u. a.: Freiheit Gottes und Geschichte des Menschen. Annweiler: Plöger Verlag 1993, 219–245, ISBN 3-924574-5 Der Priester als Vorbeter und Fürbitter der Gemeinde. In: Analecta Cracoviensia XXV (1993). Festschrift für Adam Kubis. Krakau 1993, 445–460 Die Vielfalt der Weisen religiöser Wahrheit und ihres sprachlichen Ausdrucks. In: W. Kerber (Hg.), Die Wahrheit der Religion. München: Kindt-Verlag 1994, 73–109 (Diskussion 110–147), ISBN 3-924574-71-5 In memoriam Otto Saame. In: G. Eifler (Hg.) Otto Saame in memoriam. Mainz 1994, 14–26 »Der Herr ist meine Kraft und mein Lied.« Der Hymnengesang als Paradigma für die Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur. In: L. Hauser, E. Nordhoff (Hg.), Im Netz der Begriffe – Religionsphilosophische Analysen, Altenberge: Oros Verlag 1994, 22–32, ISBN 3-89375-095-9
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110 Die Kirche als Erzähl- und Überlieferungsgemeinschaft. In: W. Geerlings, M. Seckler (Hg.), Kirche sein. Festschrift für Hermann Josef Pottmeyer. Freiburg: Herder 1994, 201–219, ISBN 3-451-23392-0 111 Der »Gruß des Heiligen« und die »Frömmigkeit des Denkens«. Heideggers Beitrag zu einer Phänomenologie der Religion. In: G. Pöltner (Hg.), Auf der Spur des Heiligen. Heideggers Beitrag zur Gottefrage. Wien: Verlag Böhlau 1991, 62–90, ISBN 3-205-05375-3 112 Philosophische Begriffe vom Unendlichen. In: Eifler, Saame, Schneider (Hg.), Endlichkeit und Unendlichkeit. Mainzer Universitätsgespräche SS 1993. Mainz 1995, 169–185 113 Licht und Sonne – Bemerkungen zu Sachproblem und Wirkungsgeschichte eines platonischen Gleichnisses. In: Symbolon, Jahrbuch für Symbolforschung NF 12 (1995), 137–148, ISSN 0082-0660; P. Gerlitz (Hg.), Licht und Paradies. Frankfurt a. M: Peter Lang 1995, ISBN 3-631-48279-5 114 Zum Ethos fachspezifischen und fächerübergreifenden Lehrens. In: J. A. Nikolás, J. Arana (editores), Saber y Concienza. Homaje a Otto Saame. (Wissen und Gewissen. Gedenkschrift für Otto Saame) Granada: Editorial Comares 1995, 395–413, ISBN 84-8151-152-5 115 Der mündige Christ. Leben ist, was sich selber bewegt. In Renovatio 51 (1995), 65–75 116 Theologie unter den Bedingungen der Moderne. In: Liebmann, Maximilian (Hg.), Metamorphosen des Eingedenkens. Graz: Styria 1995, 93–104, ISBN 3-222-12359-4 117 Das Gebet der Kirche als Geschenk der Synagoge. In: Deutsche Tagespost, Sonderbeilage 3000 Jahre Jerusalem. Neujahr 1996, 11–12 118 Recht und Grenzen eines postulatorischen Gottesglaubens. In: E. Coreth, u. a. (Hg.), Von Gott reden in säkularer Gesellschaft. Festschrift für Konrad Feiereis. Leipzig: Bennoverlag 1996, 145– 161, ISBN 3-7462-1163-8 Festeinband, ISBN 3-7462-1134-4 Broschur 119 Durch das Wort geschaffen. Für das Wort geschaffen. Von der Transzendenz und Immanenz des göttlichen Wortes. In: A. Bsteh (Hg.), Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Islam. Mödling 1996, 389–400, Aussprache 401–455, ISBN 3-85264-496-8. 297 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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119a arabisch, Adel Khoury (Hg.), 2002, 403–416, Aussprache 417– 468, ISBN 09-911521, 921-9-918842 120 Jüdisch-Christlicher Dialog auf der »Hegge«. In: Die Hegge, zum 50-järigen Bestehen, Willebadessen 1995, 26–27 121 Ent-Europäisierung des Christentums? In: Theologie und Glaube 86 (1996), 121–131 122 Benediktinische Erziehung. Erinnerungen, Reflexionen und Anfragen eines Altettalers. In: Jahresbericht des Benediktinergymnasiums Ettal, Schuljahr 1995/6, 55–63 123 Religionsphänomenologie, Sprachanalyse und »die Wahrheitsfrage«. In: Jahrbuch für Philosophie des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. Wien: Passagenverlag 1996, 184–202, ISBN 3-85165-5, ISSN 1022-3274 124 Verum Vero consonat. Zum Bedeutungswandel einer Vernunftregel. In: W. Löffler, E. Runggaldier (Hg.), Dialog und System. Otto Muck zum 65. Geburtstag. Academieverlag St. Augustin 1997, 47–68, ISBN 3-89665-031-9 125 Religiöse Gottesnamen und philosophische Gottesbegriffe. In: G. Wieland (Hg.), Religion als Gegenstand der Philosophie. Paderborn: Schöningh 1997, 197–217, ISBN 3-506797536 126 Die christliche Hoffnung als Kriterium endzeitlicher Erwartungen. In: Religionen unterwegs 3 (1997), 10–15, ISSN 1027-4103 127 Eschatologischer Monotheismus. In: Henologische Perspektiven II. Festschrift für E. Wyller. Elementa Bd. 69 (1997), 103–117, Amsterdam: Editions Rodopi, ISBN 90-420-0357-X 128 Die Selbstgefährdung der Vernunft und der Gottesglaube. In: I. Beutler, E. Kunz (Hg.), Heute von Gott reden. Würzburg: Echter 1998, 31–56, ISBN 3-429-02042-5 129 Lernen, auch noch im Widerspruch. Religionsphilosophische und erkenntnistheoretische Überlegungen zu einem Aspekt des Dialogs der Religionen. In: A. Khoury, G. Vanoni (Hg.), Geglaubt habe ich, deshalb habe ich geredet. Festschrift für A. Bsteh. Würzburg: Echter, Altenberge: Oros 1998, 420–459, ISBN 3-42902071-9 und 3-89375-6 130 Geschichtsphilosophie. In: A. Pieper (Hg.), Philosophische Disziplinen. Ein Handbuch. Leipzig: Reclam 1998, 139–164, ISBN 3-379-01645-8 130aKoreanische Ausgabe 2005 131 Die religiöse Sprache zwischen Partikularität und Universalität. 298 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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Ein transzendentalpragmatisches Modell. In: B. Schoppelreich, S. Wiedenhofer (Hg.), Zur Logik religiöser Traditionen. Frankfurt a. M.: Verlag für interkulturelle Kommunikation 1998, 119–186, ISBN 3-88939-441-8 Immanuel Kant: Kritik und Neubegründung der Religion. In: Thomas Brose (Hg.), Religionsphilosophie europäischer Denker zwischen philosophischer Theologie und Religionskritik. Würzburg: Echterverlag 1998, 2. Auflg 2001, 159–176, ISBN 3-42902060-3 Zur Ethik der Hoffnung. Als Bürger der kommenden Welt in dieser Welt leben. In: Venio-Briefe Herbst 1998, 3–10 Die Botschaft hören und auch verstehen. Zur neuen Enzyklika »Glaube und Vernunft«. In: Ruhrwort, Wochenzeitung im Bistum Essen 40. Jhg (1998), Nr. 4, 3 und Nr 5, 3. Bedingungen einer Kultur des Dialogs. In: Theologisch-Praktische Quartalschrift Linz. 146 Jhg. (1998), 339–348, ISSN 0040-5663 und In: Petrus Bsteh (Hg.), Dialog als Hoffnung der Zeit. Wien: Zeitpunkt 1998, 71–83, ISBN 3-901908-08-0 Christlicher Glaube und neuzeitliche Subjektivität: K. Rahner. In: G. Lange (Hg.), Glauben denken. Hagen: ISL-Verlag 1998, 9–27, ISBN 3-933842-05-0 Die Bedeutung der Religion für die Kultur. Die Bedeutung der Kultur für die Religion. In: Culture and Religion (Kwangju/Korea), 1999, Heft 1, 1–35, ISSN 1229-2648 Consortium Divinitatis. Religionsphilosophische Prolegomena zu einer Theologie der Unsterblichkeit. In: F. Niewöhner, R. Schaeffler, Unsterblichkeit. Festschrift für R. Toellner. Wiesbaden: Harassowitz 1999, 45–59, ISBN 3-447-04168-4 Die christliche Botschaft im Wettbewerb der Heilserwartungen. In: Stimmen der Zeit Bd. 21 (1999), 353–376, ISSN 0039-1492 Die sittliche Erfahrung: Ihr Verhältnis zum Verstande, zur Vernunft und zur Geschichte. In: K. Feiereis (Hg.), Wahrheit und Sittlichkeit. Leipzig: Benno-Verlag 1999, 133–148, ISBN 3-74621336-3 Doxologia kai Oikodomh. Der Lobpreis Gottes und der Aufbau der Glaubensgemeinschaft. In: Cunningham, del Colle, Lamadrid, Ecumenical Theology in Worship. Doctrine and Life. (Festschrift für Geoffrey Wainwright.) Oxford University Press 1999, 55–68, ISBN 0-19-513136-3 299 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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142 Religiöse Erfahrung: Ausdruck reiner Subjektivität oder Fundstelle objektiv gültiger Wahrheit? In: Philosophisches Jahrbuch 197 (2000) 1. Halbband, 61–73, ISBN 3-495-45063-7 142a Wiederabdruck In: Religion and Culture (Korea) 2001, 1–17, ISSN 1229-2648 143 Kritik und Neubegründung der Religion bei Kant. In: A. Franz, W. Jacobs, Religion und Gott im Denken der Neuzeit. Paderborn: Schöningh 2000, 39–62, ISBN 3-506-71602-1 144 Kommunikative Handlungen als soziale Lebensbezüge. In: Journal for the Study of Culture and Religion, Chonnam/Korea 2000, 14–39, IKSSN 1229–2648 145 Studienbeginn in Pullach. Ein Rückblick nach 50 Jahren. In: J. Oswald (Hg.), Schule des Denkens – 75 Jahre. Philosophische Hochschule der Jesuiten in Pullach und München. Stuttgart: Kohlhammer 2000, 177–191, ISBN 3-17-016701-4 146 Die beiden Flügel des Geistes. Versuch eines Überblicks über die Enzyklika »Fides et Ratio«. In: Theologie und Glaube 90 (2000), 467–488, ISSN 0049-366X 147 Der philosophische Transzendenzbegriff – Hilfe oder Hindernis des Glaubens? In: A. Raffelt (Hg.), Wege und Weite. Festschrift für Bischof Lehmann. Freiburg 2001, 421–431, ISBN 3-45127572-4 148 Grenzerfahrungen der Vernunft als Interpretamente religiöser Erfahrung. In: F. Uhl, A. Boelderl (Hg.), Zwischen Verzückung und Verzweiflung. Dimensionen religiöser Erfahrung. Düsseldorf 2001, 27–41, ISBN 3-930450-64-X 149 Ist Gott »das Absolute«? Ist »das Absolute« Gott? In: A. Bsteh (Hg.), Christlicher Glaube in der Begegnung mit dem Buddhismus. Studien zur Religionstheologie Bd. 6, Mödling 2001, 241– 257; Diskussion 258–300, ISBN 3-85264-569-4 150 »An sich« und »Für uns« – Überlegungen zu den Begriffen »Realität« und »Wirklichkeit«. In: J. Quitterer, A. Schwibach (Hg.), Der Aufgang der Wahrheit. Die Konstruktion der Wirklichkeit. Festschrift für Carlo Huber. Zagreb: Verlag Izdavac 2001, 53–86, ISBN 953-6257-82-3 150a Il Corpo – Luogo e Organo del Rapporto Interpersonale. In: Nicola Reali (Hg.), Il Mondo del Sacramento. Milano 2001, 206–220 151 Fähigkeit zur Erfahrung. Philosophische Probleme und theologische Perspektiven. In: J. Audretsch, K. Nagorny (Hg.), Was ist Er300 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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fahrung? Theologie und Naturwissenschaft im Gespräch. Herrenalber Forum Bd. 12, Karlsruhe 2002, 35–74, ISBN 3-87210-132-3 (Evg.Presseverband für Baden), ISBN 3-89674-532-8 (Evgl.Akademie Baden) »Theologia Crucis« – ein widersprüchlicher Begriff? In: G. Berghaus, B. Hermanns (Hg.), Kreuzungen. Festschrift für Bischof Dr. Hubert Luthe. Mülheim, Ruhr: Edition Werny 2002, 233–248, ISBN 3-88867-044-6 Religionen verstehen, Religionen beurteilen. In: Jahrbuch für Religionsphilosophie Bd. 1, Freiburg 2002, 148–170 Die philosophische Gottesfrage: Sinn, Grenzen und Neuformulierung eines Problems. In: H. Sonnemans, Th. Fößel (Hg.), Faszination Gott. Festschrift für Hans Waldenfels. Paderborn 2002, 29– 62, ISBN 3-89710-233-1 Vom Ende der Zeit und von der Kostbarkeit der Gegenwart. In: Religionen unterwegs 9 (2003), 16–22 Interview mit der Zeitschrift Vigilia. Budapest 2003, 698–706, JSSN 004260 242–4 Die transzendentale Reflexion und die »Geschichte Gottes mit dem Menschen«, oder: Eröffnet die transzendentale Reflexion einen Zugang zum Verständnis derjenigen Geschichte, von der der Glaube spricht? In: G. Kruck (Hg.), Gottesglaube, Gotteserfahrung, Gotteserkenntnis. Würzburg: Grünewald 2003, 85– 107, ISBN 3-7867-2471-7 Säkularisierung – nicht nur 1803. In: Ettaler Mandl 82. Jahrg (2003), 45–62 Lasset euch nicht mitprägen ins Schema dieser Weltzeit. In: Wechselburger Rundbrief 2003. Zum 200. Geburtstag von Immanuel Kant. In: Stimmen der Zeit 2004, Heft 2, 86–100, ISSN 0039-1492 Der strittige Begriff einer »Christlichen Philosophie«. In: T. Trappe (Hg.), Wahrheit und Erfahrung. Würzburg: Echterverl 2004, 7–22, ISBN 3-429-02598-2 »Das Heilige« und »der Gott« – oder: Wie kommt Gott in die Religion? In: M. Enders (Hg.), Phänomenologie der Religion. Freiburg, München: Alber 2004, 157–173, ISBN 3-495-48108-7 Zeugnisse fremder Erfahrung und die Unvertretbarkeit der eigenen Lebensgeschichte. In: F. J. Bormann, Chr. Schröer (Hg.), Ab-
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wägende Vernunft. Festschrift f. Friedo Ricken. Berlin: de Gruyter 2004, 763–778, ISBN 3-11-017517-7 Bin ich ein christlicher Philosoph? In: Jozef Morowa (Hg.), Testis Christi Passionum. Festschrift für Adam Kubis. Krakau: Verlag der Päpstlichen Theologischen Akademie 2004, 257–271, ISBN 83-89017-75-X »Scientia in Via« – Von der Kunst des Dialogs mit der Wirklichkeit. Interview mit der »Studentischen Zeitung der Hochschule für Philosophie in München«, 5. Ausgabe Sommersemester 2004, 9–12 Plädoyer für den methodischen Vorrang der »Pragmatik« In: Erwägen – Wissen – Ethik, Jahrg.15 (2004), 273 f. Die Philosophie – Vorhof des Glaubens oder bleibend notwendige Hilfe zu seinem Verstehen? In: Fechtrup, Schulze, Sternberg (Hg.), Wissen und Wahrheit. Zwei Symposien zu Ehren von Josef Pieper. Münster: LIT-Verlag 2005, 103–121, ISBN 3-8258-8527-5 Ist dem Verstand jeder Weg zu Gott verschlossen? Religionsphilosophie nach Kant. In: Jan Kaplow (Hg.) Nach Kant – Erbe und Kritik. Münster: LIT-Verlag 2005, 212–252, ISBN 3-8258-8905-X Universalien religiöser Erfahrung in der Vielfalt religiöser Überlieferungen. In: T. Larbig, S. Wiedenhofer (Hg.), Kulturelle und religiöse Traditionen. Münster: LIT-Verlag 2005, 212–252, ISBN 3-8258-5182-6 Die religiöse Überlieferungsgemeinschaft als Schule der Erfahrung. In: L. Boeve (Hg.) Religious Experience and contemporary Theological Epistemology. Leuven: University Press 2005, 41–51 Christliche Philosophie und neuzeitliche Subjektivität – oder: Die späte Trauer um einen »überwundenen Feind«? In: M. Zichy, H. Schmidinger, Tod des Subjekts? Post-Strukturalismus und christliches Denken. Innsbruck: Tyrolia 2005, 21–36, ISBN 3-7022-2655-9 Profanität, Säkularität, Verlust des Sakralen. Ein Plädoyer für die Unterscheidung dreier Begriffe. In: K. Kienzler, J. Reiter, L. Wenzler (Hg.), Das Heilige im Denken – Zu Ehren von Bernhard Casper. Münster: LIT-Verlag 2005, 33–61, ISBN 3-8258-5533-3 Lesen im Buche der Welt. Ein Weg philosophischen Sprechens von Gott? In: Stimmen der Zeit 2005, Heft 6, 363–378, ISSN 0039-1492 Die Gegenwart des Zukünftigen. In: M. Drewsen, M. Fisher (Hg.),
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Die Gegenwart des Gegenwärtigen Festschrift für Gerd Haeffner. Freiburg: Alber 2006, 73–87, ISBN 3-4954-8203-2 175 Die Ewigkeit der Wahrheit und die Veränderlichkeit der Vernunft. In: Stromata historica in honorem Roman Zawadski. Krakau: Päpstl.Theolog.Akademie 2006, 571–598, ISBN 978-83-7438110-9 176 Ars interrogandi. In: Journal des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, Nr. 9, Februar 2007, 1–5 177 La tarda filisofia di Heidegger – un »congedo dal Dio cristiano«? In: Humanintas 2007, Heft 2: Postmodernità senza Dio? 234–250 178 Pluralistische Theologie – Das Gebot der Stunde? Zu SchmidtLeukels »Gott ohne Grenzen«. In: Theologie und Philosophie 83 (2008) Heft 3, 243–249, ISSN 0040-5659 179 Auf welche Weise denkt der Glaube? In: Philotheos, International Journal for Philosophy and Theology, Beograd Bd. 8 (2008), 3–32 179a Neufassung: Theologie und Glaube 99 [2009], 2–26 180 La religion et l’histoire de la raison pure ou: la lacune dans le système de Kant peut-elle etre comblée? In: Ph. Soual et M. Vetö (ed.) L’Idealisme allemand et la religion, Edition Harmattan, Paris 2008, 11–24 181 Der Beter, sein Gott und seine Welt, Ein Zugang zur Phänomenologie der Religion, In: Intern. Kath. Zschr. Communio, 37. Jahrg. 2008, 572–586 ISSN 1439-6165 181a erweiterte Fassung In: Revista portugesa de Filosofia 64 [2008] 591–603 182 Lernfähige Religion -Verantwortete Säkularität. Der Dienst der Christen an unserer Gesellschaft, In: Jahrbuch für Religionsphilosophie, ed. Markus Enders, Band 8 [2009]S 7–25 ISSN 1619-9588 – ISBN 978-3-465-03626-5 183 Pluralistische Theologie und interreligiöser Dialog eine Antwort auf Schmidt-Leukels Replik, In: Münchener Theologische Zeitschrift 60 [2009], 346–350 ISSN 05 80-1400 184 Philosophische Grundlagen des Dialogs der Religionen, In: Tobias Müller [Hg.] Religion im Dialog Göttingen 2009, 19–48 ISBN 978-3-525-56444-8 185 Bezeugte religiöse Erfahrung, philosophische Theologie und ihre Vermittlung durch die Postulate der Vernunft, In: G. Floistad [Hg.] Contemporary Philosophy, vol 19, Paris 2010, 89–106 ISBN 978-90-488-3526-4 303 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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186 Die transzendentale Theologie – der höchste Standpunkt der Transzendentalphilosophie. In: Thomas M. Schmidt/Siegfried Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung. Richard Schaefflers Beitrag zu Religionsphilosophie und Theologie, Freiburg, München: Alber Verlag 2010. 187 Danksagung und Versuche, das Gespräch fortzusetzen, In: Thomas M. Schmidt/Siegfried Wiedenhofer (Hg.), Religiöse Erfahrung. Richard Schaefflers Beitrag zu Religionsphilosophie und Theologie, Freiburg, München: Alber Verlag 2010.
Lexikonartikel 1 2 3
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Zeit, philosophisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg 1965, Band X, 1326–1329 Karl Jaspers. In: Enciclopedia Iberoamericana Philosophie. In: Sacramentum Mundi III, Freiburg: Herder, 1164– 1194 und in: Herders Theologisches Taschenlexikon VI, Freiburg: Herder, 12–26 Philosophiegeschichte. In: Sacramentum Mundi III, Freiburg: Herder, 1194–1204 Sinn. In: Handbuch philosophischer Grundbegriffe Bd. III, München: Kösel 1974, 1325–1341 und In: Studienausgabe Bd. 5, 1325– 1341 Verstehen. In: Handbuch Pädagogischer Grundbegriffe II, 301– 306 und in: Handb. Philos. Grundbegr. Bd. 5, 1628–1641 Modernismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie VI, 62–66 Erinnerung/Anamnese. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Religionen. Freiburg: Herder 1987, 149a–152b Religionsphänomenologie. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Religionen. Freiburg: Herder 1987, 546a–547b Religionsphilosophie. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Religionen. Freiburg: Herder 1987, 547b–550a Tradition, allgemein. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Religionen, Freiburg: Herder 1987, 665a–666b. Das Heilige. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Sekten, Sondergemeinschaften und Weltanschauungen. Freiburg: Herder 1990, 421–425, ISBN 3-451-21408-3
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13 Heiligtum. In: H. Waldenfels (Hg.), Lexikon der Sekten, Sondergemeinschaften und Weltanschauungen. Freiburg: Herder 1990, 428–429, ISBN 3-451-21408-3 14 Geist, II Begriffsgeschichtlich, III Philosophisch/Theologisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. IV. Freiburg 1996, 373–377 15 Geschichte, Geschichtlichkeit, I Begriffsgeschichtlich, II Philosophisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. IV. Freiburg 1996, 553–557 16 Geschichtsphilosophie, Geschichtstheorien. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. IV. Freiburg 1996, 563 f. 17 Goldenes Zeitalter. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. IV. Freiburg 1996, 824 f. 18 Hoffnung. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Band V, Freiburg 1997, 198 ff. 19 Kritik. In: LThK, Band VI, Freiburg 1997, 487 f.
Herausgeberschaften 1 2
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K. Oehler, R. Schaeffler (Hg.), Einsichten. Festschrift für Gerhard Krüger. Frankfurt a. M.: Klostermann 1962 Krüger, Gerhard. Religiöse und profane Welterfahrung. Hg. u. mit einem Nachwort versehen von R. Schaeffler. Frankfurt a. M.: Klostermann 1973 Krüger, Gerhard. Eros und Mythos bei Platon. Hg. u. m. einem Nachwort versehen von R. Schaeffler. Frankfurt a. M.: Klostermann 1978 P. Hünermann, R. Schaeffler (Hg.), Theorie der Sprachhandlungen und heutige Ekklesiologie – Ein philosophisch-theologisches Gespräch. Freiburg: Herder 1987
Rezensionen 1 2
Hans Wagner, Existenz, Analogie und Dialektik. In: Philos. Rundschau II (1954), 70–82 Thomas Raeber, Das Dasein in der »Philosophie« von Karl Jaspers. In: Philos. Rundschau IV (1956) 126 f.
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Arthur Schilpp (Hg.), Karl Jaspers. In: Philos. Rundschau VII (1959) 302 Johannes G. Denninger, »Wahres Sein« in der Philosophie des Aristoteles. In: Philos. Rundschau IX (1961), 235 f. Balduin Noll, Philosophia rationalis sine fide. In: Philos. Rundschau XI (1963), 152 ff. Rudolph Berlinger, Augustins Dialogische Metaphysik. In: Philos. Rundschau XII (1965), 174–178; spanisch In: Documentacion ciritica iberoamericana de filosofia y ciencias afines II (1965), 2473– 2480 Leo Gabriel, Integrale Logik. In: Philos. Rundschau XV (1968), 227 f. Viktor Kraft, Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral. In: German Studies, Section I (Philosophy) 1970, 161–170. Egil Wyller, Der späte Platon. In: Philos. Rundschau XX (1974), 205–210 Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt. In: Philos. Rundschau XX (1974), 178–195 Reinhard Leuze, Die außerchristlichen Religionen bei Hegel. In: Theol. Revue 72 (1976), 327–334 K. H. Weger (Hg), Beiträge zur atheistischen Religionskritk der Gegenwart. In: Theol. Revue 73 (1977), 330 f. W. Strolz (Hg.), Religiöse Grunderfahrungen. In: TheologischPraktische Quartalschrift 1978, 398 f. Günter Bader, Mitteilung göttlichen Geistes als Aporie der Religionslehre J. G. Fichtes. In: German Studies ser. I (Philosophy and history), XII (1979), 6–10 Werner Stegmaier, Substanz – Grundbegriff der Metaphysik. In: German Studies ser. I (Phil & hist), XII (1979), 40–43 Bernhard Welte, Religionsphilosophie. In: Philosophisches Jahrbuch 86 (1979), 201–209 W. Strolz (Hg.), Kosmische Dimensionen religiöser Erfahrung. In: Theologisch-Praktische Quartalschrift 1979, 287 f. Joseph Möller, Die Chance des Menchen, Gott genannt. In: Philos. Jahrbuch 1980, 210–213 Sergio Sorrentino, Schleiermacher e la Filosofia della Religione. In: Theologische Revue 76 (1980), 68 f. Vittorio Agosti, Filosofia e Religione nell’Attualismo Gentiliano. In: Theologische Revue 76 (1980), 157 ff.
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21 Analytische Religionsphilosophie (Vergleichende Rezension der Werke von Grabner-Haider und Schrödter). In: Theologische Revue 76 (1980), 441–445 22 Karl-Heinz Weger (Hg.), Religionskritik von der Aufklärung bis zur Gegenwart. In: Theologische Revue 77 (1981), 72 23 Franco Volpi, Heidegger e Brentano. In: Philosophisches Jahrbuch 1981, 217 ff. 24 Günter Lanczkowski, Einführung in die Religionsphänomenologie. In: Theologisch-Praktische Quartalschrift 1981, 78 ff. 25 Friedrich Seven, Die Ewigkeit Gottes und die Zeitlichkeit des Menschen. In: Theologische Revue 77 (1981), 138 f. 26 Neuere Ansätze in der Religionsphilosophie, ein Literaturbericht. In: Information Philosophie 1982, Heft 2, 2–5 u.8–10 27 T. Rendtorff (Hg.) Religion als Problem der Aufklärung. In: Theologische Revue 78 (1982), 240 f. 28 Hubertus G. Hubbeling, Einführung in die Religionsphilosophie. In: Theologische Revue 79 (1983), 502 f. 29 Oskar Schatz (Hg.), Brauchen wir eine andere Wissenschaft? X. Salzburger Hochschulgespräch. In: Theologische Revue 80 (1984), 46–48 30 Hans Zirker, Religionskritik. In: Theologische Revue 80 (1984), 242 f. 31 Battista Mondin, Umanesimo Cristiano. In: Theologische Revue 81 (1985), 142 32 Paolo Miccoli, Introduzione alla filosofia della storia. In: Theologische Revue 81 (1985), 141 f. 33 Carlo Cantone, Le scienze della religione oggi. und: Miano (editore) Religione, Ateismo e Filosofia. In: Theologische Revue 81 (1985), 62–65 34 Emmanuel Lévinas, Die Zeit und der Andere. In: Theologische Revue 81 (1985), 318 f. 35 Josef de Vries, Grundbegriffe der Scholastik. In: Freiburger Rundbrief 1985, 137 f. 36 Michael Eckert, Transzendieren und immanente Transzendenz. In: Theologisch-Praktische Quartalschrift 1985, 263 37 Keji Nishitani, Was ist Religion? In: Information Philosophie Dezember 1985, 30–38 38 Neuerscheinungen zur Religionsphilosophie (Sammelbesprechung der Werke: W. Jäschke, die Vernunft und die Religon; 307 https://doi.org/10.5771/9783495860038 © Verl
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H. Beck, Natürliche Theologie; G. Scherer, Sinnerfahrung und Unsterblichkeit; W. Dupré, Einführung in die Religionsphilosophie; P. Koslowski (Hg.), Die religiöse Dimension der Gesellschaft; H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung) In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 1988, 79–91 Albert Görres, Walter Kasper (Hg.), Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens – Anfragen an Eugen Drewermann. In: Pastoralblatt der Diözesen Aachen Osnabrück 4/1988, 378–382 Muschalek, Georg, Kirche – noch heilsnotwendig? In: Stimmen der Zeit 1990, 575 f., ISSN 0039-1492 Weier, Winfried, Religion als Selbstfindung. In: Theologische Revue 89 (1993), 421 ff. Kirchberg, Julie, Theologie in der Anrede. In: Theologische Revue 89 (1993), 423 f. Slenczka, Notger, Realpräsenz und Ontologie. In: Theologische Rundschau 59 (1994), 449–457 Grabner-Haider, Anton, Kritische Religionsphilosophie. In: Theologische Revue 92 (1996), 71–74, ISSN 004-568-X Dalferth, Ingolf-U., Philosophisch-Theologische Denkversuche. In: Theologische Revue 92 (1996) 123–126 Heidegger, Martin: Gesamtausgabe II. Abt.: Vorlesungen, Bd. 60: Phänomenologie des religiösen Lebens. In: Theologische Literaturzeitung 121 (1996), 709–713, ISSN 0040-5671 Heidegger, Martin, Gesamtausgabe III. Abt.: Unveröffentl. Abhandlungen, Bd. 77: Feldweg-Gespräche 1944/1945. In: Theologische Literaturzeitung 122 (1997) 59–64, ISSN 0040-5671 Schenk, Richard (Hg.), Zur Theorie des Opfers. In: Theologische Revue 93 (1997), 159 f., ISSN 0040-568-X Volkmann-Schluck, Karl-Heinz, Die Philosophie Martin Heideggers. In: Theologische Literaturzeitung 122 (1997) 945 f., ISSN 0040-5671 Heidegger, Martin, Gesamtausgabe II. Abt.: Vorlesungen, Band 27: Einleitung in die Philosophie. In: Theologische Literaturzeitung 122 (1997), 1056–1059, ISSN 0040-5671 Herzog, Markwart, Descensus ad inferos. In: Theologische Revue 95 (1999), 50 ff., ISSN 0040-568-X Tilliette, Xavier, Philosophische Christologie (Le Christ de la Philosophie). In: Theologische Literaturzeitung 124 (1999), 1270– 1273, ISSN 0040-5671
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53 Dierksmeier, Claus, Das Noumenon Religion. In: Theologische Literaturzeitung 125 (2000), 657 ff., ISSB 0040—5671 54 Heidegger, Martin, Gesamtausgabe, Abt I, Bd. 16: Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges Abt II, Bd. 67: Metaphysik und Nihilismus Abt. IV, Bd. 85: Vom Wesen der Sprache. In: Theol. Literaturzeitung 126 (2001), 353–364, ISSN 0040-5671 55 Hübner, Kurt, Glaube und Denken. In: Philosophische Rundschau 49 (2002), 34–43, ISSN 0031-8159 56 Hünermann, Peter, Dogmatische Prinzipienlehre. In: Theologische Literaturzeitung 129 (2004) 1095 ff. 57 Vetö, Miklos, De Kant à Schelling. In: Theologische Revue 2005, 160–163 58 Greisch, Jean, Le Buisson Ardent et les Lumières de la Raison. In: Theologische Literaturzeitung 130 (2005), 826 ff. 59 Haeffner, Gerhard, Wege der Freiheit. In: Stimmen der Zeit 132 Jahrg. (2007), 712 ff, ISSN 0039-1492
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William J. Hoye William J. Hoye, lehrt Systematische Theologie, insbesondere Theologische Anthropologie, an der Universität Münster. Bernd Irlenborn Professor für Geschichte der Philosophie an der Theologischen Fakultät Paderborn. Günter Kruck Dr. theol., Studienleiter für Philosophie und Theologie und stellvertretender Direktor des Haus am Dom in Frankfurt. Gunther Ludwig Dr. phil., langjähriger Mitarbeiter am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt am Main, ist stellvertretender Schulleiter der Internationalen Schule Frankfurt-Rhein-Main. Klaus Müller Univ.-Prof. und Direktor des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Bernhard Nitsche Dr. theol., Privatdozent am Lehrstuhl Dogmatische Theologie und Dogmengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen Friedo Ricken Professor em. für Geschichte der Philosophie und Ethik an der Hochschule für Philosophie München.
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Richard Schaeffler Professor em. für philosophisch-theologische Grenzfragen an der Ruhr-Universität Bochum. Thomas M. Schmidt Professor für Religionsphilosophie am Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt am Main. Tobias Trappe Professor für Ethik an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen. Hansjürgen Verweyen Professor em. für Fundamentaltheologie Universität Freiburg i.Br. Siegfried Wiedenhofer Professor em. für Systematische Theologie (Fundamentaltheologie und Dogmatik) an der Universität Frankfurt am Main. Oliver J. Wiertz Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt am Main. Jürg Wüst-Lückl Dr. theol., Pastoralassistent und Jugendseelsorger im Bistum St. Gallen in Schmerikon, zur Zeit Pfarreibeauftragter in Gommiswald.
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