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German Pages 415 [416] Year 1952
Arbeitsmethoden der modernen Naturwissenschaften
Einführung in die höhere Mathematik und ihre Anwendungen Ein H i l f s b u c h für
Chemiker
Physiker und andere Naturwissenschaftler Von
E. A S M U S D r . phil. habil., D i p l . - I n g . Professor an der Universität M a r b u r g a. L .
2. v e r b e s s e r t e
Auflage
Mit 178 Abbildungen im Text
W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg R e i m e r / Karl J . T r ü b n e r / Veit & Comp. B e r l i n
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Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten Copyright 1952 by Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer / Karl J . Trübner / Veit & Comp. Berlin W 35, Genthiner Str. 13 Archiv-Nr. 528 052
Printed in Germany
Druck: Hermann Wendt, Berlin W 35
GELEITWORT DES HERAUSGEBERS F ü r die Sammlung „Arbeitsmethoden der modernen Naturwissenschaften" war von Anfang an auch ein Büchlein vorgesehen, das eine Anleitung zur mathematischen Behandlung naturwissenschaftlicher und insbesondere chemischer Probleme bringen sollte. E s fehlt zwar nicht an derartigen Spezialwerken. Von dem ältesten, dem allbekannten „ N e r n s t - S c h o e n f l i e s " , an, den ich selbst schon als Student benutzt habe, bis zu den in den letzten J a h r e n erschienenen Büchern bemühen sie sich, dem Naturwissenschaftler den Gebrauch mathematischer Hilfsmittel schmackhaft zu machen, indem sie in möglichst leichtfaßlicher Form die Elemente der Differential- und Integralrechnung auseinandersetzen und Beispiele f ü r ihre Anwendung bringen. Diese Bemühungen finden, soweit es sich um Chemiker handelt, Unterstützung durch die im Lehrplane des Chemiestudiums enthaltene Forderung des Nachweises eines Mindestmaßes an mathematischen Kenntnissen, der als Vorbedingung der Zulassung zum physikochemischen P r a k t i k u m gelten soll. U m den Studierenden der Chemie die F ü h r u n g dieses Nachweises zu erleichtern, werden denn wohl auch allenthalben mathematische Sondervorlesungen (nebst Übungen) abgehalten, in denen die einschlägigen Kapitel aus der höheren Mathematik behandelt werden. E s ist aber eine unter den Chemikern wohlbekannte Tatsache, daß ein großer Teil der Chemiestudierenden — von den sich speziell der physikalischen Chemie widmenden Studierenden, die von H a u s aus ein engeres persönliches Verhältnis zu Physik und Mathematik haben u n d daher einen Sonderfall darstellen, wird hier natürlich abgesehen — die Beschäftigung mit Mathematik immer noch als einen lästigen Zwang empfindet und demgemäß auch nicht leicht f ü r eine interessierte Mitarbeit in Vorlesungen u n d Übungen mathematischen Charakters zu gewinnen ist. Diese Aufgabe ist um so schwieriger zu lösen, je weniger die Studierenden den un-
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Geleitwort des Herausgebers
mittelbaren praktischen Nutzen dieser Disziplin f ü r ihren engeren chemischen Aufgabenkreis erkennen und würdigen. Wenn also in einer solchen einführenden mathematischen Vorlesung oder Übung die Mathematik als S e l b s t z w e c k auftritt, so ist der innere Kont a k t zwischen Lehrer und Schüler meist nur sehr schwer herzustellen. Ganz anders aber wird die Sachlage, wenn m a n die mathematischen Gegenstände als H i l f s m i t t e l zur Lösung interessanter chemischer Probleme darbietet, also den praktischen Nutzen des Vorgetragenen für das Gebiet der Chemie in den Vordergrund stellt. Dann kann m a n mit relativ geringer Mühe Lust und Liebe zur Anwendung der mathematischen Behandlungsweise auch bei ursprünglich widerstrebenden Hörern erwecken und erhalten. Das Ganze ist also wesentlich ein d i d a k t i s c h e s Problem. Es war darum von vornherein beabsichtigt, das vorliegende Bändchen der „Arbeitsmethoden" einem Autor anzuvertrauen, der über eine ausgiebige Lehrerfahrung auf diesem Gebiete verfügt und unverkennbare Lehrerfolge aufzuweisen hat. Einen solchen Autor haben wir erfreulicherweise in Herrn Dozenten Dr. E. A s m u s in Marburg gefunden. Herr Dr. A s m u s h a t seit mehreren Semestern im Marburger Physikalisch-chemischen Institut die mathematischen Einführungsvorlesungen in Gestalt einer „theoretischen Einführung in die physikalische Chemie" abgehalten und Übungen dazu durchgeführt. Seine Lehrmethode entsprach dabei so vollkommen dem Ideal, das oben mit wenigen Strichen gezeichnet wurde, daß es ihm nicht nur gelang, das lebhafte Interesse der G e s a m t h e i t der Chemiestudierenden f ü r den Gegenstand zu gewinnen und bis zum Ende jeder Vorlesungsreihe zu fesseln, sondern bei seinen Hörern geradezu Freude an der Erwerbung und am gesicherten Besitze mathematischer Hilfsmittel zu erwecken, mit dem Ergebnis, daß die Hörerschaft spontan eine Fortsetzung und Vertiefung des Gebotenen in Vorlesungen und Übungen für Fortgeschrittenere verlangte. Nichts beweist besser als diese Tatsache, daß der eingeschlagene Weg der richtige war. Denn schließlich werden Vorlesungen und Übungen ja nicht gehalten, um nur belegt und „mitgenommen" zu werden, sondern zu dem Zwecke, den Hörern für Leben und Beruf Nutzen zu bringen.
Geleitwort des Herausgebers
IX
Das vorliegende Buch lehnt sich eng an die genannte Lehrmethode an. Der Leser wird ohne Mühe die grundlegenden Unterschiede gegenüber anderen Büchern mit ähnlichem Ziel erkennen. Unvermeidlich ist die Verwendung mancher Beispiele, die auch von anderen Autoren b e n u t z t werden; das ist in der Begrenztheit des Materials a n g u t e n Beispielen begründet. Aber entscheidend — auch f ü r den Erfolg — ist eben die A r t u n d W e i s e , wie der Stoff dem Leser (oder Hörer) dargeboten wird. Hierin bringt das B u c h von A s m u s meines E r a c h t e n s völlig Neuartiges. E s lehrt nicht M a t h e m a t i k a n sich oder u m ihrer selbst willen, sondern zeigt, wie m a n mit einem relativ bescheidenen Grundstock a n mathematischem Wissen einen möglichst großen N u t z e f f e k t auf den vor allem den Chemiker interessierenden Gebieten erzielen kann. M a r b u r g , im F e b r u a r 1942. A. Thiel f
N a c h d e m der Satz dieses Buches zweimal, ehe es zum D r u c k k a m , zerstört wurde, k a n n es n u n endlich erscheinen u n d d a m i t der W u n s c h des hochgeschätzten leider viel zu f r ü h verstorbenen Herausgebers A. T h i e l , der an diesem Werke besonders hing, erfüllt werden. B e r l i n , im April 1947. Walter de Gruyter & Co.
VORWORT DES VERFASSERS Das Bändchen „Einführung in die höhere Mathematik und ihre Anwendungen" der Buchreihe „Arbeitsmethoden der modernen Naturwissenschaften" ist als Niederschlag einer Vorlesung entstanden, die ich seit einer Reihe von Jahren in Marburg für Naturwissenschaftler — vorwiegend Chemiker — gehalten habe und läßt im Aufbau wohl deutlich seinen Ursprung erkennen. Das Buch verfolgt, genau wie die Vorlesung, aus der es sich entwickelt hat, mehrere Ziele. Die Studierenden der Chemie haben in ihrer überwiegenden Mehrzahl mehr Interesse für Fragen der organischen und anorganischen als der physikalischen Chemie und verhalten sich fast ausnahmslos ablehnend abstrakt mathematischen Problemstellungen gegenüber. Sie sind daher auch fast nie dazu zu bewegen, ausdauernd eine rein mathematische Vorlesung zu besuchen, obgleich sie eines gewissenMindestmaßes mathematischer Kenntnisse zum Studium des durch die Diplom-Prüfungsordnung für Chemiker vorgeschriebenen Faches der physikalischen Chemie unbedingt bedürfen. Als Folge der geringen Beschäftigung mit mathematischen Fragen ergibt sich oft ein mangelndes Verständnis der auf mathematischer Grundlage aufgebauten physikochemischen Vorlesungen und damit wiederum eine ungenügende Vertiefung in denjenigen Zweig der Chemie, auf dessen Erkenntnisse sich sowohl der Anorganiker als auch der Organiker heute bei ihrer Arbeit stützen müssen und es auch weitgehend tun. Eine Einführung in die mathematische Behandlung naturwissenschaftlicher Fragen muß daher für den Chemiker rechtzeitig in den ersten Studiensemestern geschehen und muß sehr behutsam vorgenommen werden. Eine gewisse fast episch anmutende Breite der Darstellung und mehrfach wiederholte Anwendung desselben mathematischen Gesetzes auf verschiedene physikalisch-chemische Probleme ist nach meiner Erfahrung empfehlens-
Vorwort des Verfassers
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werter als eine knappe Abfassung des Inhaltes. Auch m u ß eine solche Einführung bewußt einen gewissen eng gezogenen Rahmen nicht überschreiten und stets von einer naturwissenschaftlichen, möglichst chemischen, Fragestellung ausgehen. Das Buch will daher den Chemiker, noch ehe er physikochemische Vorlesungen gehört hat, auf die Beschäftigung mit mathematischen Fragen dadurch hinweisen, daß es chemische Probleme — die natürlich nur gestreift werden können — mathematisch so behandelt, daß sich die Möglichkeit bietet, zunächst die auf der Schule erworbenen mathematischen Kenntnisse anzuwenden und sie dann bis zu einem gewissen für den Chemiker unbedingt notwendigen Mindestmaße auszuweiten. Ich bin mir dabei dessen vollauf bewußt, daß es sich nicht um eine in mathematischer Hinsicht erschöpfende Darstellung handeln kann, immerhin wird das Buch vielleicht ein gewisses Maß rechnerischer Fertigkeit dem Leser vermitteln und den interessierteren zum Besuch mathematischer Vorlesungen und zum Durcharbeiten rein mathematischer Bücher anregen können. Durch die Behandlung vorwiegend physikochemischer Probleme versucht das Buch gleichzeitig den Chemiestudierenden schon in seinen ersten Studiensemestern in Berührung mit dem ihm zunächst fernerliegenden Zweige seiner Wissenschaft zu bringen und ihn für eine Beschäftigung mit seinen Fragenkomplexen zu gewinnen. Daß auch der Physiker, der natürlich eine weit tiefer gehende mathematische Ausbildung, als es beim Chemiker der Fall ist, erhalten muß, unter denjenigen, für die das Buch bestimmt ist, im Buchtitel gesondert erwähnt ist, hat seinen besonderen Grund. Als Physiker, der sowohl auf der technischen Hochschule als auch auf der Universität studiert und als Assistent gearbeitet hat, weiß ich aus eigener Erfahrung, daß der Durchschnittsstudierende der Physik kein besonderes Interesse f ü r chemische Fragen besitzt. J a , er neigt sogar dazu, die Chemie als eine nicht exakte Probierwissenschaft, deren ausschließliches Ziel es ist, Präparate nach bestimmten empirischen Vorschriften herzustellen, anzusehen. Zwischen dem Physiker und Chemiker besteht so ein gewisser Gegensatz, der unbedingt im Interesse der Wissenschaft und Praxis überbrückt werden muß. Gerade der Physiker sollte sich viel mehr der
XII
Vorwort des Verfassers
Schwesterwissenschaft zur Verfügung stellen, denn er kann durch seine tiefergehenden mathematischen und physikalischen Kenntnisse befruchtend auf die Arbeit des Chemikers wirken und ihm vor allem in der Technik durch Hineintragen physikalischer Methoden in die chemischen Arbeiten helfen. Und so will das Buch den jungen Physiker für die Beschäftigung mit chemischen Problemen gewinnen, indem es ihm gewissermaßen im Vorbeigehen zeigt, daß die Chemie viele Probleme kennt, die auch für den Physiker interessant sein können. Ungünstige Zeitumstände, der Tod des Herausgebers der Buchreihe und die zweimalige vollständige Vernichtung des fertigen Buchsatzes als Folge der Kriegsereignisse haben das Erscheinen des schon vor Jahren fertiggestellten Buches lange Zeit verhindert. Ich habe dem Verlage W. de Gruyter & Co. dafür zu danken, daß er sich nicht entmutigen ließ, immer wieder von neuem das Herausbringen des Buches zu versuchen. Mit Dankbarkeit gedenke ich des verstorbenen Herausgebers der Buchreihe „Arbeitsmethoden der modernen Naturwissenschaften", Herrn Prof. Dr. A. T h i e l , auf dessen Anregung ich dieses Buch schrieb und der mich in meinen Bestrebungen, die Studierenden der Chemie für die Beschäftigung mit Mathematik zu gewinnen, in jeder Weise unterstützt hat. Herrn Dr. J . R e i c h danke ich für das Lesen einer Korrektur. Den größten Dank schulde ich meiner lieben Frau, die mit nie ermüdendem Eifer mir bei der Niederschrift des Manuskriptes behilflich gewesen ist, unter den ungünstigsten Umständen mit mir zusammen sämtliche Korrekturen gelesen und mich in stilistischen Fragen bestens beraten hat. M a r b u r g , im März 1946. E. Asmus
INHALT Seite
I.Teil. Funktionen einer Veränderlichen
1
1. Abschnitt. Differentialrechnung 1. K a p i t e l . stellung
1
Allgemeines über Punktionen und ihre Dar-
1. Der Funktionsbegriff 2. Darstellung von Funktionen
.
2. K a p i t e l . D i e w i c h t i g s t e n F u n k t i o n s t y p e n
21
A. Potenzfunktionen 3. Die Konstante 4. Die Proportionalität 5. Die lineare Funktion 6. Die Parabeln y = xn 7. Der Begriff des Differentialqotienten 8. Einige Differentiationsregeln 9. Das Differential 10. Umkehrfunktionen und Umkehrregel
21 21 24 28 33 34 42 47 50
11. Die Funktionen vom Typus y = 12. Die Kettenregel 13. Extremwert- und Wendepunktsbestimmung 14. Graphische Differentiation
3 3 5
55 . . . .
64 71 90
B. Die 15. 16. 17.
Logarithmusfunktion 92 Darstellung u. Differentiation der Logarithmusfunktion 92 Logarithmische Papiere 98 Der logarithmische Rechenschieber 108
C. Die 18. 19. 20.
Exponentialfunktion Darstellung u. Differentiation der Exponentialfunktion Produkt- und Quotientenregel Die negative Exponentialfunktion
118 118 123 128
XIV
Inhalt Seite
21. Die Punktion y = e * 22. Die Funktionen y = e~x* und y = a;2«-** 23. Die Hyperbelfunktionen
139 147 156
D. Die Kreisfunktionen 160 24. Darstellung und Differentiation der Kreisfunktionen 160 25. Zyklometrische Funktionen als Umkehrung der Kreisfunktionen 165 3. K a p i t e l . N ä h e r u n g s v e r f a h r e n z u r A u f l ö s u n g Gleichungen 26. Das N e w t o n s o h e Näherungsverfahren 27. Das Iterationsverfahren
von 167 171 175
4. K a p i t e l . R e i h e n d a r s t e l l u n g v o n F u n k t i o n e n . . . 179 28. Der Begriff der Potenzreihe 180 29. Die M a c L a u r i n - R e i h e 184 30. Die T a y l o r - R e i h e 186 31. Konvergenz und Divergenz von Reihen 188 32. Das Rechnen mit Reihen 189 33. Die binomische Reihe und das Rechnen mit kleinen Größen 193 5. K a p i t e l . U n b e s t i m m t e A u s d r ü c k e 34. Begriff des unbestimmten Ausdrucks 35. Auswertung unbestimmter Ausdrücke
199 199 202
2. Abschnitt. Integralrechnung
209
1. K a p i t e l . A l l g e m e i n e s ü b e r D i f f e r e n t i a l g l e i c h u n g e n und den Integralbegriff 36. Etwas über Differentialgleichungen 37. Das unbestimmte Integral 38. Das bestimmte Integral und sein Zusammenhang mit dem unbestimmten 2. K a p i t e l . I n t e g r a t i o n s m e t h o d e n 39. Grundintegrale 40. Die Substitutionsmethode 41. Partielle Integration 42. Integration durch Partialbruchzerlegung 43. Näherungsweise Auswertung von Integralen
. . .
211 211 217 223
239 239 248 256 265 .271
Inhalt 3. K a p i t e l . G r a p h i s c h e , n u m e r i s c h e Integralauswertung
XV und
mechanische
44. Mechanische Methoden zur Auswertung bestimmter Integrale 45. Numerische Näherungsmethoden zur Auswertung bestimmter Integrale 46. Ermittelung der Stammfunktion durch mechanische und numerische Methoden 47. Ermittelung der Stammfunktion durch graphische Integration II. T e i l . F u n k t i o n e n z w e i e r V e r ä n d e r l i c h e n 1. K a p i t e l . D a r s t e l l u n g v o n F u n k t i o n e n z w e i e r V e r änderlichen 48. Analytische und tabellarische Darstellung 49. Geometrische Darstellung im räumlichen rechtwinkligen Koordinatensystem 50. Darstellung durch eine Netztafel 51. Darstellung durch eine Fluchtlinientafel 2. K a p i t e l . 52. 53. 54. 55.
Differentiation
Partielle Differentiation und das totale Differential Höhere partielle Differentialquotienten Ermittelung von Extremwerten Ausgleichsrechnung nach der Methode der kleinsten Quadrate
3. K a p i t e l . I n t e g r a t i o n
Seite
277 279 283 290 294 299 301 301 305 311 316 331 331 343 346 349 355
56. Das vollständige und das unvollständige Differential 355 57. Integration eines vollständigen Differentials . . . . 360 58. Integration eines unvollständigen Differentials . . 366 A n h a n g : Aufgaben Lösungen
375 381
Namen- und Sachregister
391
I.
EINER
T E I L
FUNKTIONEN VERÄNDERLICHEN
1.
ABSCHNITT
D I F F E R E N T I A L R E C H N U N G
A s m a s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k . 2. Aufl.
1. K A P I T E L
Allgemeines über Funktionen und ihre Darstellung
1. Der F u n k t i o n s b e g r i f f Bei seiner Arbeit findet der Naturwissenschaftler immer wieder, daß gewisse von ihm beobachtete Größen mit anderen zwangsläufig zusammenhängen. Untersucht er z. B. die Dichte des Wassers, so wird er feststellen, daß sie von der Temperatur abhängt. Ändert der Experimentierende die Temperatur des Wassers willkürlich ab, so wird sich auch dessen Dichte als Folge davon ändern. Nicht immer ist es so. Vergeblich wird man z. B. nach einem Zusammenhang zwischen der Dichte des Wassers u n d der Luftfeuchtigkeit des Raumes, in dem die Versuche angestellt werden, suchen. Raumfeuchtigkeit und Dichte des Wassers sind miteinander nicht durch irgendeine Beziehung verknüpft. Hängen nun zwei Größen nach irgendeinem Gesetz voneinander ab, so sagt man, es bestehe zwischen beiden ein funktioneller Zusammenhang oder auch, daß die eine Größe eine F u n k t i o n der anderen sei. I n symbolischer Weise deutet man die Abhängigkeit der einen Größe von der anderen durch das Zeichen y = f(x) (gelesen: y ist eine Funktion von x) an, wobei y die eine Größe, etwa die Dichte des Wassers, x die andere, also z. B. seine Temperatur, und /( ) die Beziehung zwischen beiden andeuten sollen. Durch dieses Symbol ist selbstverständlich noch nichts Quantitatives über diese Beziehung ausgesagt, es ist nur qualitativ angedeutet, daß überhaupt eine Beziehung besteht. Die Aufgabe des Naturwissenschaftlers ist es, dieses abstrakte und nichtssagende Symbol durch eine konkrete mathematische, in Zahlen auswertbare Gleichung zu ersetzen. Während der Mathematiker mit Vorliebe seine beiden Verä n d e r l i c h e n oder V a r i a b l e n , so nennt man die beiden Größen y 1*
4
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
u n d x, gern m i t d e n l e t z t e n B u c h s t a b e n des A l p h a b e t s bezeichnet, t u t es der N a t u r w i s s e n s c h a f t l e r in der R e g e l n i c h t ; er p f l e g t g e w ö h n l i c h als a b k ü r z e n d e B e z e i c h n u n g seiner G r ö ß e n die ersten B u c h s t a b e n ihres deutschen, lateinischen oder griechischen N a m e n s z u v e r w e n d e n oder einen B u c h s t a b e n , der sich d u r c h historische Ü b e r l i e f e r u n g eingebürgert h a t . D i e B e z i e h u n g zwischen D i c h t e u n d T e m p e r a t u r w ü r d e er vielleicht als d = f(t) oder, wie es n a c h der E m p f e h l u n g des A E F . ( A u s s c h u ß f ü r E i n h e i t e n u n d F o i m e ' g r ö ß e n ) h e u t e meistens geschieht, f l s g = f{t) schreiben. E i n z e l n e B u c h s t a b e n w e r d e n n u n in den verschiedenen G e b i e t e n der C h e m i e u n d P h y s i k i m m e r wieder f ü r dieselben G r ö ß e n verwend e t , u n d es ist erforderlich, sich diese B e z e i c h n u n g e n z u m e r k e n . D i e G r ö ß e n y u n d x n e n n t m a n , w i e bereits e r w ä h n t , die Veränderlichen oder V a r i a b l e n u n d spricht v o n x als der u n a b h ä n g i g e n und y als der a b h ä n g i g e n V a r i a b l e n . Diese B e z e i c h n u n g k a n n leicht z u I r r t ü m e r n A n l a ß g e b e n insofern, als m a n v e r m u t e n k ö n n t e , beide G r ö ß e n s t ä n d e n zueinander i m V e r h ä l t n i s v o n U r s a c h e (x) u n d W i r k u n g (y). W o h l ist bei unserem Beispiel die D i c h t e ä n d e r u n g des W a s s e r s die F o l g e der T e m p e r a t u r ä n d e r u n g ; v e r f o l g e n w i r j e d o c h die D i c h t e q einerseits u n d die Z ä h i g k e i t rj des W a s s e r s andererseits, so f i n d e n wir, d a ß a u c h zwischen diesen ein f u n k t i o n e l l e r Z u s a m m e n h a n g besteht, rj = F(Q). W i r schreiben F, weil der Z u s a m m e n h a n g zwischen rj u n d p ein anderer ist als zwischen Q u n d t. Dieses S y m b o l bedeutet, d a ß m i t einer D i c h t e ä n d e r u n g eine Z ä h i g k e i t s ä n d e r u n g v e r b u n d e n ist. D a s k o m m t aber nur daher, d a ß sowohl die D i c h t e als a u c h die Zähigk e i t v o n der T e m p e r a t u r a b h ä n g e n . W i r d also die T e m p e r a t u r des W a s s e r s g e ä n d e r t , so ä n d e r n sich rj u n d o einzeln f ü r sich n a c h b e s t i m m t e n Gesetzen, u n d es b e s t e h t daher, g e k o p p e l t ü b e r die g e m e i n s a m e U r s a c h e , eine m a t h e m a t i s c h e B e z i e h u n g zwischen der rj- u n d « - Ä n d e r u n g . S o ist es a u c h m ü ß i g , z u f r a g e n , o b in diesem F a l l e rj eder q die u n a b h ä n g i g e V a r i a b l e sei. H ä n g t rj v o n g a b , so w i r d a u c h u m g e k e h r t Q v o n rj a b h ä n g e n . O b die eine oder die andere V e r ä n d e r l i c h e als a b h ä n g i g bezeichnet wird, h ä n g t lediglich v o n der Schreib- oder Darstellungsweise des f u n k t i o n e l l e n Z u s a m m e n h a n g e s ab. H ä n g t eine G r ö ß e v o n einer einzigen anderen ab, so spricht m a n v o n der F u n k t i o n e i n e r u n a b h ä n g i g e n V e r ä n d e r l i c h e n .
2. Darstellung von Funktionen
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Es ist aber auch durchaus möglich, ja, sogar die Rsgel, daß eine Größe von mehreren anderen gleichzeitig abhängt. So ist z. B. das Volumen eines Gases von drei Größen abhängig: der Temperatur — das Volumen nimmt mit wachsender Temperatur zu —, dem Druck — es nimmt ab bei wachsendem Druck —, und der Molzahl —, mit der zusammen es wächst. Man sagt in einem solchen Fall, das Volumen sei eine Punktion dreier unabhängigen Veränderlichen. Mit dieser Art von Funktionen werden wir uns erst im zweiten Teil des Buches befassen. 2. D a r s t e l l u n g v o n F u n k t i o n e n Es wurde bereits hervorgehoben, daß es u. a. das Ziel einer chemischen oder physikalischen Arbeit ist, den quantitativen zahlenmäßigen Zusammenhang zweier Größen zu ermitteln. Die Mathematik gibt uns nun die Hilfsmittel, diesen Zusammenhang in entsprechender Weise darzustellen und aus ihm Schlußfolgerungen verschiedener Art zu ziehen. Welche Darstellungsarten stehen uns für eine Funktion zur Verfügung ? Tabellarische Darstellung Eine der«einfachsten Darstellungsarten ist die t a b e l l a r i s c h e . I n Tab. 1 werden so z. B. Dichte und Temperatur des Wassers in ihrer Abhängigkeit dargestellt. Außer Tabelle 1 der Angabe der Zahlenwerte m u ß in der t Tabelle bei der Darstellung von Größen, e g/ml »c die eine Dimension besitzen (benannte Zahlen), diese enthalten sein. I n unse0,99987 0,00 0,99993 1,00 rem Beispiel sind die Temperatur0,99997 2,00 angaben in Celsiusgraden gemacht, die 3,00 0,99999 Dichteeinheit ist das Gramm im Milli1,00000 4,00 liter. 0,99999 5,00 0,99997 6,00 Die Darstellung einer Funktion durch 0,99993 7,00 eine Tabelle ist äußerst unübersicht0,99988 8,00 lich. Es ist nicht möglich, durch einen 0,99981 9,00 Blick auf diese die speziellen Eigen10,00 0,99973
6
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Schäften der Funktion zu erkennen. Wenn es sich aber um eine empirische Funktion handelt, also eine solche, deren Eigenschaften durch naturwissenschaftliche Versuche erst erforscht werden sollen, so wird in fast allen Fällen die Tabelle der Beobachtungswerte Ausgangspunkt aller weiteren mathematischen Überlegungen sein. Die Tabelle enthält nur eine begrenzte Zahl von Wertepaaren. Das bedeutet jedoch z.B. nicht, daß das Wasser nur bei 0°, 1°, 2° usw. eine Dichte besitzt, sondern, daß bei dem durch die Tabelle dargestellten Versuch nur für diese Temperaturen die Dichte bestimmt oder ausgerechnet wurde. Auch für alle Zwischentemperaturen besitzt das Wasser eine meßbare Dichte. Ein solches Verhalten zeigen jedoch nicht alle Funktionen. Graphische Darstellung Das rechtwinklige Koordinatensystem. Wesentlich übersichtlicher als eine Tabelle ist die g r a p h i s c h e Darstellung einer Funktion. Am gebräuchlichsten ist dabei die y Darstellung durch eine P K u r v e in einem K o o r d i J I i n a t e n s y s t e m , und von Z diesen ist wiederum ein ) rechtwinkliges oder kartesisches Koordi& ) ~ i • j k ' X -i natensystem das weitaus übliche. M 7 - Zwei senkrecht zueinander gezeichnete Ge-J raden, die sogenannten Koordinatenachsen, Fig. 1. Rechtwinkliges Koordinatensystem teilen die Zeichenebene in die vier Q u a d r a n t e n I, II, I I I und IV. Von ihrem Schnittpunkt, dem Koordinatenursprung O aus, werden auf den Achsen, der waagerechten A b s z i s s e n a c h s e und der senkrechten O r d i n a t e n achse, Teilungen angebracht, wie es die Fig. 1 zeigt. Ein P u n k t P wird in seiner Lage in einem rechtwinkligen Koordinatensystem durch Angabe seiner Abszisse (»-Koordinate)
2. Darstellung von Funktionen
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u n d seiner Ordinate («/-Koordinate) bestimmt. So h a t der gezeichnete P u n k t die Koordinaten x = 4 u n d y = 3. Der P u n k t P repräsentiert d a m i t ein Wertepaar. Liegt n u n eine F u n k t i o n als Tabelle vor, so läßt sich diese F u n k t i o n durch eine K u r v e derart darstellen, d a ß m a n die in der Tabelle zusammengehörenden W e r t e p a a r e durch P u n k t e in einem Koordinatensystem darstellt u n d d a n n diese Einzelp u n k t e durch eine glatte Tabelle 2 t "c
0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0
V
Torr 4,6 6,5 9,2 12,8 17,5 23,8 31,8 42,2 55,3
K u r v e verbindet. So geschah es in Fig. 2 f ü r die in Tab. 2 dargestellteFunktion ,, S ä t t i g u n g s d a m p f d r u c k F i g- 2- Sättigungsdampfdruck des Wassers j ttt • ai i •• • als Funktion der Temperatur des Wassers in Abhängigkeit von der T e m p e r a t u r " . W e n n m a n die einzelnen P u n k t e , wie gezeichnet, miteinander verbindet, so d r ü c k t m a n d a m i t stillschweigend aus, m a n n ä h m e a n , d a ß zwischen den gezeichneten (bei einem Versuch beobachteten) P u n k t e n der Kurvenverlauf wirklich der dargestellte sei. Zu dieser A n n a h m e m u ß m a n natürlich berechtigt sein. So zeigt Fig. 3 den Verlauf der Strahlungsintensität als F u n k t i o n der Wellenlänge bei einer m i t 35 kV betriebenen Röntgenröhre m i t Molybdän-Antikathode. H ä t t e m a n n u r die durch kleine Kreise gekennzeichneten Intensitätswerte gemessen, so würde m a n wahrscheinlich unbedenklich den gestrichelt gezeichneten K u r v e n -
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I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
verlauf als richtig annehmen und damit ein vollkommen falsches Bild von der Intensitätsverteilung im Spektrum erhalten. Eine gezeichnete Kurve läßt mit einem Blick alle wesentlichen Eigenschaften der dargestellten Funktion im gezeichneten Gebiete erkennen. Man sieht sofort, daß der Dampfdruck des Wassers mit steigender Temperatur ebenfalls wächst, und zwar beschleunigt. Zur Darstellung einer Punktion durch eine Kurve im rechtwinkligen Koordinatensystem verwendet man aus Bequemlichkeitsgründen das sogenann te Millimeterpapier, ein B l a t t Papier, das mit einem Netz von quadratischen, 1 m m 2 großen Maschen bedruckt ist, wobei jede f ü n f t e Linie durch etwas stärkeren, jede zehnte durch fetten Druck hervorgehoben ist. Man erkennt das Netz in der Fig. 2. Die Wahl des Maßstabes auf den Koordinatenachsen ist beliebig. Man wählt ihn so, daß der ganze darzustellende Funktionsbereich auf einem B l a t t Fig. 3 bestimmten Formates gerade Platz hat. Aus Zweckmäßigkeitsgründen wird man dabei die Einheitslänge, also die Strecke, die die Einheit (1 Grad, 1 Torr usw.) darstellt, nicht gerade 7,3 m m (oder sonst irgendeine unbequeme Zahl), sondern 10, 20, 50 oder 100 m m lang wählen. Die in Fig. 2 dargestellte Funktion p = f(t) ist so gezeichnet, daß der Abszissen- und Ordinatenmaßstab gleich sind. 2 m m bedeuten 1° C bzw. 1 Torr. Es ist natürlich nicht notwendig, auf beiden Achsen gleiche Maßstäbe zu wählen, auch ist es für die Übersichtlichkeit der graphischen Darstellung oft von Vorteil, nicht das ganze Koordinatensystem oder nur wenigstens einen ganzen Quadranten, sondern lediglich einen Ausschnitt aus einem soclhen darzustellen,
2. Darstellung von Funktionen
9
d. h. die Zählung auf den Koordinatenachsen nicht mit Null zu beginnen. Als Beispiel f ü r einen solchen Fall möge die in T a b . 1 dargestellte P u n k t i o n n = f(t) dienen. W ü r d e n wir hier gleiche Maßstäbe verwenden u n d würden wir auf der Abszisse 1 Grad durch eine Strecke von 1 cm darstellen, so m ü ß t e n wir entsprechend auf der Ordinatenachse f ü r lg/ml die Strecke 1 cm wählen. I n diesem Falle würde m a n aber die K u r v e gar nicht in ihren Einzelheiten zeichnen können, da die Dichtewerte sich im dargestellten Bereich n u r höchstens u m drei Stellen der vierten Dezimalen
Fig. 4. Dichte des Wassers als Funktion der Temperatur ändern, was einer Längenänderung der Ordinaten von 0,003 m m entspricht. Daher wird m a n den Maßstab von vornherein so festlegen, daß er auf der Ordinatenachse u m ein Vielfaches größer ist als auf der Abszissenachse. Wir machen ihn 20000mal größer; die Dichte 1 g/ml soll also durch die Strecke von 200000 m m = 200 m dargestellt werden. D a n u n aber die ganze Dichteänderung sich doch n u r in einem kleinen Bereich abspielt, wäre es unsinnig, eine 200 m lange Ordinatenachse zu zeichnen; wir lassen d a h e r bei der Zeichnung alle W e r t e unterhalb o = 0,99970 g/ml f o r t u n d stellen unsere F u n k t i o n so dar, wie es Fig. 4 zeigt. Die Darstellung einer F u n k t i o n durch eine K u r v e h a t gegenüber der tabellarischen den Vorteil, d a ß m a n an der Zeichnung, soweit es natürlich die Zeichengenauigkeit zuläßt, jedes beliebige W e r t e -
10
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Fig. 5 Registrierstreifen mit gekrümmten Ordinaten
2. Darstellung von Funktionen
11
p a a r ablesen k a n n , was bei der Tabelle, die f ü r diskrete W e r t e aufgestellt ist, n u r durch ein Sonderverfahren (die Interpolation) möglich ist. Diesen in der K o n t i n u i t ä t der Aufzeichnung liegenden Vorteil m a c h t m a n sich zunutze bei der Aufzeichnung von F u n k tionen durch automatisch arbeitende Geräte. Vor allem in der Großindustrie gibt es solche Apparate, die b e s t i m m t e W e r t e p a a r e selbsttätig messen u n d auf einem Registrierstreifen mechanisch oder photographisch in K u r v e n f o r m festhalten. Fig. 5 zeigt einen Ausschnitt aus einem solchen Registrierstreifen, bei dem die Temp e r a t u r von Ammoniakwasser in Abhängigkeit von der Zeit dargestellt ist, wobei als eine Besonderheit hervorgehoben werden m u ß , d a ß das Koordinatensystem nicht rechtwinklig ist. Die Ordinatenachse ist, bedingt durch die K o n s t r u k t i o n des Meßgerätes, keine Gerade, sondern ein Teil eines Kreisbogens. Bei automatisch registrierenden A p p a r a t e n b r a u c h t die F u n k t i o n n i c h t unbedingt durch eine gezeichnete K u r v e dargestellt zu werden. Bei dem Gasdichteschreiber, einem Gerät f ü r die technische Gasanalyse, wird der zu registrierende W e r t als senkrechter Strich auf dem auf einer Trommel befestigten Registrierstreifen aufgezeichnet. N a c h kurzer Zeit d r e h t sich die Trommel ein wenig u n d n u n wird neben dem ersten Strich ein zweiter gezogen, dessen L ä n g e ein Maß f ü r die Dichte des untersuchten Gases zu diesem Z e i t p u n k t ist. So reiht sich Strich an Strich u n d schließlich überdecken diese fortlaufend einen Teil der Papierfläche. N i m m t m a n n a c h 24 S t u n d e n den Registrierstreifen ab, so h a t er das in Fig. 6 teilweise dargestellte Aussehen. Hier wird also die untersuchte F u n k t i o n durch die Trennlinie des schwarzen u n d weißen Teilfeldes wiedergegeben. I n einem Koordinatensystem können auch gleichzeitig mehrere K u r v e n dargestellt werden, z. B. dann, wenn zwei Größen von einer dritten abhängen. So k a n n m a n Dichte u n d Zähigkeit des Wassers als F u n k t i o n der T e m p e r a t u r darstellen, wie es Fig. 7 zeigt. Die Ordinatenachse m u ß in einem solchen Falle natürlich eine doppelte Teilung aufweisen. Diese Darstellungsart wird d a n n gewählt, wenn es sich d a r u m handelt, festzustellen, ob die beiden zu untersuchenden Größen gewisse Parallelerscheinungen in ihrem Gang aufweisen. Lediglich aus Raumersparnis sollte m a n nie
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
12
mehrere Kurven in dasselbe Achsenkreuz einzeichnen, da sonst die Übersichtlichkeit stark leidet. Einen anderen Fall, bei dem ebenfalls mehrere Kurven in einem Koordinatensystem eingezeichnet sind, zeigt Fig. 8. Die K u r v e n stellen die Löslichkeit von Na 2 [Sn(OH) 6 ] (nach R e i f f ) in Wasser und Natronlauge verschiedener Konzentration als Funktion der Temperatur dar. Durch eine solche Kurvenschar wird einerseits
0
5
tO
75
20
25 °C
Fig. 7. Dichte und Zähigkeit des Wassers als Funktion der Temperatur
gezeigt, wie sich die Löslichkeit mit der Temperatur ändert, andererseits aber auch, wie sie mit wachsender Konzentration der Natronlauge abnimmt. Jede Kurve gilt f ü r einen bestimmten Prozentgehalt p der Natronlauge. Man nennt eine solche Größe, die f ü r alle P u n k t e e i n e r Kurve konstant ist, jedoch von K u r v e zu Kurve sich ändert, den P a r a m e t e r der Kurvenschar. Unstetige und mehrdeutige Funktionen. Die im vorstehenden besprochenen Funktionen waren s t e t i g e Funktionen. Sie konnten durch eine Kurve dargestellt werden, die in einem Zuge, ohne Absetzen des Bleistiftes zeichenbar war. Es bedarf aber wohl kaum
2. Darstellung von Funktionen
13
eines besonderen Hinweises darauf, daß diese Eigenschaft nicht das strenge mathematische Kriterium der Stetigkeit ist. Der Naturwissenschaftler hat es in der Regel mit stetigen Punktionen zu tun. Tritt bei ihm in einer Kurve eine Unstetigkeit auf, so bedeutet das stets, daß bei dem untersuchten Körper etwas löslichkeifvonHa2[Sn(0Hi6] SU 500
•5% Na
OH
m t t a O H 20%f/aOH 25%/VaOtf -30% Na OH 0
Fig. 8.
I/O
SO
J 2 Ö ° C
t
Graphische Darstellung einer Kurvenschar
Besonderes geschehen ist. Als Beispiel sei die unstetig verlaufende Kurve für die spezifische Wärme der Verbindung Ag 2 [HgJ 4 ] angeführt (Fig. 9). Bei 50,7° C tritt eine Umwandlung der gelben Modifikation des Salzes in die rote ein, und dieser Prozeß macht sich durch einen Sprung in der Kurve bemerkbar. Wir hatten bis jetzt stillschweigend angenommen, daß jedem Wert der unabhängigen Variablen nur ein einziger Wert der abhängigen Veränderlichen entspricht, daß wir es also mit sogenannten e i n d e u t i g e n Funktionen zu tun haben. Die reine Mathematik kennt eine große Zahl von m e h r d e u t i g e n Funktionen,
14
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
also solchen, bei denen zu einem «-Wert gleichzeitig mehrere y-Werte gehören. I n der Praxis der Chemie und Physik treten
der spezifischen Wärme von Ag 2 [HgJ 4 ]
Fig. 10. Bild einer mehrdeutigen Funktion. Mischbarkeit von Anilin und Wasser als Funktion der Temperatur
mehrdeutige Funktionen im allgemeinen nicht auf. Bei Funktionen, die mehrdeutig aussehen, wird sich die Mehrdeutigkeit vielfach durch eine andere Auffassung der Funktion beheben lassen. Fig. 10 zeigt einen solchen Fall.
2. Darstellung von Funktionen
15
Mischt man Wasser und Anilin, so läßt sich bei 80° C eine homogene Mischung so lange herstellen, bis der Anteil des Anilins 5,5% nicht überschreitet. Nimmt man mehr Anilin, so ist eine einzige homogene Phase nicht zu erzielen, es sei denn, daß der Anteil des Anilins 93,5% überschreitet. Mischungen, die noch mehr Anilin ¿ös/ichkeif von Cc/SO.^ -5^0
o
1
3 VO
0
70 20 30
I 60
6b 80
foo °c i lösiichkeit von CuS0^S/f20 ?00 120MO160180200 ff/fOOgt/gO
VO 50 60 70 60 90 tOO °C
Fig. 11. Entstehung einer Funktionsleiter
enthalten, sind wieder homogen. Es gibt also beim System H 2 0-C 6 H 5 NH 2 eine untere und eine obere Grenze der homogenen Mischbarkeit. Diese Grenzen verschieben sich nun mit der Temperatur. Bei 167° C, der sogenannten kritischen Lösungstemperatur, hat die gezeichnete Kurve ihren weitest nach rechts gelegenen Punkt. Die Mehrdeutigkeit dieser Funktion verschwindet, wenn wir sie aus zwei Ästen zusammengesetzt denken. Der
16
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
obere Ast kann aufgefaßt werden als Löslichkeitskurve für Wasser in Anilin, der untere als Löslichkeitskurve von Anilin in Wasser. Beide Teilkurven treffen sich im kritischen P u n k t und gehen mit stetiger K r ü m m u n g ineinander über. Die Funktionsleiter. Eine besondere Art der graphischen Darstellung einer Funktion, die sich aus der Darstellung in rechtwinkligen Koordinaten herleiten läßt, ist die sogenannte F u n k t i o n s l e i t e r . Begriff und Handhabung der Funktionsleiter lassen sich am einfachsten an einem Beispiel erklären. Die Löslichkeit von kristallisiertem Kupfersulfat, CuS0 4 • 5 H 2 0 , in Wasser nimmt stark mit wachsender Temperatur zu, so wie es Fig. 11 zeigt. Unterhalb der Abszissenachse ist auf einer parallelen Geraden die Teilung der Abszissenachse noch einmal aufgetragen. Übert r ä g t m a n nun die Teilung der Ordinatenachse in der dargestellten Weise über die Kurve auf diese Gerade, so erhält man zwei nebeneinander liegende Skalen die gemeinsam eine Darstellung der Funktion sind. Auf dieser Doppelskala, der Funktionsleiter, stehen sich jeweils zwei zu einem Wertepaar gehörende Zahlen gegenüber. So liest man z. B. ab, daß bei 55° C die Löslichkeit des Kupfersulfats 73 g Salz in 100 g Wasser beträgt. Während die eine Skala (t-Skala) gleichmäßig geteilt ist, ist die andere nach größeren Werten hin mehr zusammengedrängt als am Anfang. Solchen ungleichmäßigen Teilungen werden wir später noch bei der Besprechung von Spezialpapieren begegnen. Das Polarkoordinatensystem. Das rechtwinklige Koordinatensystem ist das wichtigste u n d gebräuchlichste, aber nicht das einzig verwendete. Chemiker und Experimentalphysiker werden in der Regel auf die Anwendung anderer Systeme verzichten können, daher wollen wir sie auch nicht besprechen. N u r auf ein etwas häufiger gebrauchtes wollen wir kurz hinweisen, das P o l a r k o o r d i n a t e n s y s t e m . Es wird fast ausschließlich zur Darstellung von Größen verwendet, die Funktionen eines Winkels sind. Das Polarkoordinatennetz besteht aus konzentrischen Kreisen, deren Radien von Kreis zu Kreis um den gleichen Betrag zunehmen, und aus Strahlen, die vom Zentrum ausgehen und so die Kreise senkrecht schneiden. Fig. 12 zeigt ein Blatt Polarkoordinaten-
2. Darstellung von Funktionen
17
papier. Die Winkelteilung ist bei dem abgebildeten Blatt von zwei zu zwei Grad eingerichtet, die Zehnergrade sind durch fettgedruckte Strahlen hervorgehoben. Bei den Kreisen, deren größter
Fig. 12. Darstellung der Streuintensität von Elektronenstrahlen als Funktion des Streuwinkels in Polarkoordinaten
einen Radius von 150 mm besitzt, ist jeder fünfte etwas, jeder zehnte stark durch fetten Druck markiert. Die Winkelskala liegt fest, die Radialsklala muß der jeweils darzustellenden Größe angepaßt werden. Die Winkelzählung beginnt wie üblich von der Waagerechten (der P o l a r a c h s e ) aus und schreitet im matheA s m u s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k . 2. A u f l .
2
18
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
matisch positiven Sinne, also entgegen der Uhrzeigerdrehung, fort. Die Teilung der Radialsklala beginnt im Mittelpunkt. Die Skalenwerte nehmen von innen nach außen zu. Die Verwendung von Polarkoordinatenpapier sei an einem Beispiel erläutert.
Fig. 13. Darstellung der Streuintensität von Elektronenstrahlen als Funktion des Streuwinkels in rechtwinkligen Koordinaten
D a v i s s o n und G e r m e r stellten 1927 Versuche zum Beweise der Wellennatur des Elektrons an und ließen zu diesem Zweck Elektronen auf Nickeleinkristalle fallen, wobei sie dann die Streuintensität der Elektronen als Funktion des Streuwinkels maßen. Stellt man diese Funktion in rechtwinkligen Koordinaten dar, so erhält man Fig. 13. Viel anschaulicher ist jedoch die Darstellung derselben Funktion in Polarkoordinaten (Fig. 12). Die Darstellung ist ohne weitere Erklärungen zu verstehen. Jeder Punkt ist in seiner Lage durch den Schnitt eines Kreises mit einem Radius gegeben. Analytische Darstellung Die a n a l y t i s c h e Darstellung einer Funktion durch eine Gleichung ist die präziseste und knappste, wenn auch nicht die übersichtlichste. Man unterscheidet e x p l i z i t e und i m p l i z i t e Funktionen, die man symbolisch als y = f(x) bzw. f(x, y) = 0 darstellt. Mit dem Zeichen y = f(x) drückt man aus, daß eine Beziehung zwischen x
19
2. Darstellung von Funktionen
und y besteht und daß speziell diese Beziehung durch eine Gleichung so gegeben ist, daß auf der linken Seite vom Gleichheitszeichen nur die abhängige Variable selbst, rechts vom Gleichheitszeichen dagegen ein ganzer mathematischer Ausdruck steht, eine Rechenvorschrift, die sich auf die unabhängige Veränderliche bezieht. Mit f(x, y) = 0 ist irgendein mathematischer Ausdruck, der die beiden Veränderlichen und etwaige unveränderliche Größen (Konstanten) enthält, gemeint, der für jedes x und y den Wert Null haben soll. Der Siedepunkt des Schwefels ts hängt vom Druck ab, bei dem das Sieden erfolgt, nach der Gleichung i, = 444,60 + 0,0909 (p - 7 6 0 ) - 0,000048 (p -
760) 2 ,
wenn ts in Celsiusgraden und p in Torr gezählt werden. Setzt man bei dieser e x p l i z i t e n Funktion für p Werte ein, so läßt sich zu jedem p ein ts ausrechnen, auf diese Weise eine Tabelle aufstellen und nach der Tabelle eine Kurve, die die Funktion darstellt, zeichnen. Als typisches Beispiel einer i m p l i z i t e n Funktion sei die v a n der Waalssche Zustandsgieichung für C0 2 bei einer absoluten Temperatur von 273° angeführt. Sie lautet (p +
(V - 0,04275) = 22,4,
wenn p den Druck in Atmosphären und V das Molvolumen in Litern bedeuten. Um die Übereinstimmung mit dem Symbol f (x, y) = 0 zu erhalten, kann man die Gleichung auch [p +
3
' J ? ) ( V ~ 0,04275) - 22,4 = 0
schreiben, was aber selbstverständlich belanglos ist. Bei einer solchen impliziten Funktion kann die tabellarische und graphische Darstellung erst erfolgen, wenn man die Gleichung nach der einen Veränderlichen aufgelöst hat, also in die Form P
_ "
r
22,4 0,01275
3,609 V2
gebracht hat. Wollte man die Gleichung nach V auflösen, so würde das große Schwierigkeiten machen, weil es sich dann um die Bestimmung
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
20
der Wurzeln folgender Gleichung dritten Grades handeln würde: F3
_ / o 042 75 + l
'
22 4
' ) F* +
P
I
3 609
'
V
V -
°'04275-3-609 = 0 P
I n vielen Fällen ist eine implizite Funktion gar nicht explizit darstellbar, so daß eine tabellarische Darstellung nicht möglich ist. Die expliziten Funktionen sind demnach f ü r den Naturwissenschaftler die weitaus wichtigeren und auch angenehmeren. Leider sind die impliziten nicht ganz zu umgehen, da m a n auf diese Funktionsart gelegentlich durch theoretische Überlegungen geführt wird. Die analytische Darstellung einer Funktion ist nicht anschaulich, und es wird meistens das Bestreben des Praktikers sein, von der analytischen zur graphischen Darstellung überzugehen. Das k a n n auf dem Umweg über die tabellarische Darstellung geschehen. Dieser Umweg läßt sich, vor allem, wenn es sich um eine qualitative Darstellung des Funktionsverlaufes handelt, vermeiden. Voraussetzung dafür ist, daß m a n die Eigenschaften einer gewissen Gruppe elementarer Funktionen kennt u n d diese Kenntnisse in geeigneter Weise auszunutzen versteht. Die Übersetzung der Gleichung in das Kurvenbild unter Umgehung der Tabelle muß natürlich geübt werden, was nicht im R a h m e n dieses Buches geschehen kann. An passender Stelle soll jedoch kurz auf die diesbezüglichen Methoden hingewiesen werden.
2. K A P I T E L Die wichtigsten Funktionstypen
A. Potenzfunktionen 3. Die K o n s t a n t e Die einfachste Funktion, die es gibt, ist die Konstante. Sie wird analytisch durch die Gleichung y = a gegeben. Da x in der Gleichung nicht vorkommt, h a t y f ü r jeden beliebigen Wert von x denselben Wert a. Die Funktion wird durch eine Parallele zur x-Achse im Abstände a dargestellt (Fig. 14). Diese Gerade besitzt weder Anfang noch Ende, sie ist unbegrenzt. Schon an dieser Eigenschaft erkennt man, daß y = a nur eine mathematische Abstraktion ohne einen physikalischen Sinn ist. Wohl kennt der Naturwissenschaftler Funktionen, die er als Konstanten bezeichnet, er sagt z. B., die Fig. 14. elektromotorische K r a f t E eines AkBild einer Konstanten kumulators sei konstant und betrage 2 Volt, oder die Temperatur § in einem Thermostaten sei konstant gleich 25° C. Im mathematischen Sinne handelt es sich aber nicht um Konstanten, denn der Akku war ja nicht seit aller Ewigkeit geladen, und er behält auch seine Spannung nicht unbegrenzt lange Zeit. Auch der Thermostat mußte einmal angeheizt werden und wird zu gegebener Zeit wieder außer Betrieb gesetzt. Der tatsächliche Verlauf der letzteren Zeitkurve sieht vielleicht so aus (Fig. 15).
22
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Der Thermostat, der mit kaltem Wasser gefüllt ist, hat vielleicht zunächst eine Temperatur von 10° C, wird dann auf 25° aufgeheizt, hält diese Temperatur konstant, um nach dem Abschalten wieder abzukühlen. Und wenn wir sagen, d sei konstant, so meinen wir damit, daß die wahre, ausgezogen gezeichnete Punktion während der uns interessierenden Zeitdauer, die in Fig. 15 durch zwei Pfeile angegeben ist, durch ein Stück der mathematischen Konstanten ersetzt werden kann. Während dieser Zeit haben wir irgendeinen Versuch angestellt; welche Temperatur der Thermostat vorher und nachher besessen hat, ist für uns ohne Interesse. So ist es bei den Naturwissenschaftertfastimmer. °C Man interessiert sich meist nur für einen speziellen 20 Ast T oder einen Teil der mathematischen Kurve, weil nur dieser Teil eine 10. physikalische oder chemische Bedeutung hat. Wir
0
1-
2
3
4
5 St(f.
Fig. 15. Temperatur in ejnem Thermostaten als Funktion der Zeit
^ e n solchen Beispielen später noch begegnen.
wer
0
j
=
Ax
j(x + A x ) - f ( x )
Ax_>0
Ax
Da a ein konstanter F a k t o r ist, bezieht sich der Grenzübergangsprozeß nicht auf ihn, wir können ihn vor das Limeszeichen ziehen und erhalten dy
/
dx
..
fix + Ax) — fix)
= «lim - — — Ax-y o d[a-f(x)]
,,,
.
— - = a • /' (x) ,
=
a
df(x)
dx
dx
Steht also vor einer Funktion ein konstanter Zahlenfaktor, so wird dieser beim Differenzieren einfach vor die differenzierte Funktion gesetzt. I n unserem Beispiel der Molwärme ergibt sich daher U =
aTl
Cv =
~
. = a • 4 • T*-1
=
4a-TK
E s ergibt sich nach dieser Regel auch z. B. die Geschwindigkeit des frei fallenden Körpers aus s = i g t 2
8. Einige Differentiationsregeln
45
ganz so, wie wir es durch die spezielle Untersuchung des Grenzüberganges gefunden hatten. Kehren wir nochmals zu einer rein geometrischen Betrachtung zurück! Die Ableitung oder der Differentialquotient stellte den Verlauf der Tangentenneigung als P u n k t i o n der unabhängigen Veränderlichen dar. F ü r die Funktionen y = a
und
y = b x
sind die Differentialquotienten nach unserer Differentiationsregel leicht zu ermitteln, denn es ist y = a = a- \ =
a-x°>
da jede Zahl hoch Null den W e r t Eins h a t . E s m u ß in diesen Fällen also sein ^ = a • 0 • x0"1 und ^ = b • 1 • z1"1 = 6 • 1 • dx dx dy dx
=
0
'
dy = dx
b
'
y = a bedeutet eine Parallele zur «-Achse; wir finden nach unserer Differentiationsregel jetzt, d a ß sie ein Neigung Null besitzt, wie sofort a n der graphischen Darstellung (Fig. 14) abzulesen ist. y = b x war die Gleichung einer geraden Linie durch den Koordinatenursprung; es ergibt sich, daß sie eine konstante Steigung vom Betrage b besitzt, ein Ergebnis, das uns schon b e k a n n t ist. Differentiation einer Summe von Funktionen Die Länge l eines bei 0° C gerade 1 m langen Stabes aus Quarzglas ist zwischen 0° u n d 500° nach Messungen von S c h e e l von der Temperatur abhängig nach der Gleichung l = 1 + 3,95 • 10"' t + 1,282 • 10" 9 i 2 -
1,698 • 10" 1 2 1 3 .
U n t e r dem linearen Ausdehnungskoeffizienten oc versteht m a n den Differentialquotienten ^ . Wir wollen ihn berechnen. Die Länge l ist als eine Summe von vier Funktionen dargestellt, u n d so müssen wir uns zunächst die Frage vorlegen, wie differenziert m a n eine Summe von Funktionen. Die Antwort auf diese
I. Teil. F u n k t i o n e n einer Veränderlichen
46
Frage ist: eine Summe von Funktionen wird differenziert, indem man jede einzelne Funktion differenziert und die Teil-Differentialquotienten addiert. Das ist leicht gezeigt. Es sei V = M « ) +h(x)
wobei f^x) und f2(x) Es ist dann y +Ay Ay
beliebige Funktionen von x sein mögen. = f ^ x +Ax)
Ax
f^x + Ax) + f2(x + Ax)—ji{x) Ax
p- -
lim
=
= lim
= Um U(x +
Ax~*0
dy dx
dx
,
h(x + Ax) — Ax
Ax)Ä Ax
+ lim
+f —
2
( x +Ax)
,
f2(x)
/,(*)
Ul:
f2(x + Ax)— Ax • Ax) Ax
f2(x)
• tJ,x)
df2(x)_ dx d[h(x) + k(x)] dx
dx
df2(x) dx
r
Der Sinn dieser Gleichung ist folgender. Setzt sich die y-Kurve additiv aus zwei Teilkurven zusammen, so ist die Steigung der Summenkurve gleich der Summe der Steigungen der beiden Teilkurven. Sehr anschaulich erkennt man das an dem in Fig. 32 dargestellten Spezialbeispiel der Uberlagerung zweier Geraden, die durch den Koordinaten ursprung gehen. Die Ordinaten der ausgezogen gezeichneten Summengeraden , . ergeben sich durch graphi-
Fig. 32.
Steigung der Geraden, die
sich additiv aus und y2 = x (
Vl
= \ x ( ) ) zusammensetzt
,
sche
.
.
Addition der naten.
„
' ,.
Teilordi-
9. Das Differential
47
I m angenommenen Beispiel ist V = Vi + 2/2 = i * + » = (1' + 1) ® . ¿J = I , , _ 1 dx 2 2 Natürlich gilt die Regel für die Differentiation einer Funktionssumme f ü r eine Summe aus beliebig vielen Summanden. Ist einer der Summanden eine Konstante, so fällt sein Differentialquotient fort, weil die Ableitung einer Konstanten Null ist. Das ist anschaulich aus Fig. 33 zu ersehen. Ein konstanter Sum- Y • m a n d verschiebt eine Kurve parallel zu sich selbst und daher ist die Steigung der Kurve y = a -f- f(x) genau so groß wie die Steigung von y = f{x). Nach diesen allgemeinen Erörterungen können wir zur Aufgabe über den Ausdehnungskoeffizienten des Quarzglases Fig. 33. Gleiche Steigungen bei zurückkehren. Er errechnet sich parallel verschobenen Kurven als « = ~ = 0 + 3,95 • 10~7 + 2 • 1,282 . 10" 9 1 - 3 • 1,698 • 10" 1 2 i 2 ; « = 3,95 • 10" 7 + 2,564 • 10~ 9 t - 5,094 • 10" 1 2 i 2 . 9. D a s D i f f e r e n t i a l Begriffe Bei der Ableitung des Begriffes des Differentialquotienten als /I v Neigung der Tangente an eine Kurve erhielten wir = tg/? als Neigung der Sehne und schrieben f ü r die Neigung der Tangente tg « symbolisch , t g « = f = lim ^ f'(x) . ^ betrachteten wir als ein unteilbares Symbol, eine andere Schreibweise f ü r f'(x),
mit der angedeutet werden sollte, daß der Diffe-
48
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
rentialquotient durch einen Grenzübergang aus dem Differenzenzl v quotienten ^ entsteht. So scheint es zunächst, daß eine Aufteilung des Differentialquotienten in Einzelgrößen dy und dx, die m a n D i f f e r e n t i a l e nennt, nach der Gleichung
2-/- dy (in unserem Beispiel).
9. Das Differential
49
Es ist aber immer möglich, den P u n k t I\ so nahe an P zu wählen, daß sich Ay und dy nur noch sehr wenig, ja sogar beliebig wenig, voneinander unterscheiden. Diese Feststellung können wir zu einer Anwendung der Differentialrechnung auf die Frage der Fortpflanzung von experimentellen Fehlern bei der Berechnung von Größen, die aus Versuchen abgeleitet sind, benutzen. Etwas über Fehlerfortpflanzung Wir h a t t e n bereits gesehen, daß C 6 H 5 COOH sich beim Schütteln mit C 6 H 6 und H 2 0 auf beide Phasen so verteilt, daß die Konzentration der Säure im Benzol cB mit der Konzentration im Wasser bei 10° C nach der Gleichung cB = 70,6 cV zusammenhängt. Stellen wir cw durch Titration fest, so können wir cB ausrechnen. Die Titration möge 0,1 Mol/Liter (M/1) f ü r cw ergeben haben, jedoch mit einer Unsicherheit von 1%. Der absolute Fehler von cw ist also Acw = 0,001 M/1. Wie wirkt sich dieser experimentelle Fehler bei der Berechnung von cB aus ? ACB = 70,6 [{cw + Acw)2
- Cw] = 70,6 [2 cw - Acw + (Acw)*]
= 70,6 [2 .0,1- 0,001 + 0,001 2 ] = 70,6 [0,0002 + 0,000001] AcB = 0,01419 M/1. Dies ist der streng berechnete Fehler AcB. dessen dcB aus, so ist
Rechnen wir s t a t t
dcB = 70,6-2 • cw- dcw = 70,6 • 2• cw-Acw
= 70,6-2• 0,1 • 0,001,
dcB = 0,01412 M/1. Wie vorauszusehen war, ergibt sich dcB kleiner als AcB, aber da die Fehler relativ kleine Größen sind, ist der Unterschied von AcB und dcB nur sehr gering, ja er ist vollständig bedeutungslos, denn in unserem Falle war die Messung überhaupt nur bis in die dritte Dezimale sicher, und bis in die dritte Dezimale stimmen die nach beiden Methoden berechneten Fehler mit 0,014M/1 überein. A s i n u s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k .
2. A u f l .
4
50
I- Teil. Punktionen einer Veränderlichen
Man kann sich also bei der Untersuchung der Fortpflanzung eines Fehlers in guter Näherung der Differentialrechnung bedienen. Ist allgemein y = a xn zl X und wird x mit einem gewissen relativen Fehler — gemessen, so pflanzt sich dieser Fehler bei der Berechnung von y so fort, daß er w-mal größer wird. Denn es ist = anxn~x
,
dy = anxn~1
dx .
dy anxn~1 , anxn~x , dx Ax —= dx = dx = n — = n — y y ax x x und damit mit hinreichender Genauigkeit Ay Ax —" » n — y x 10. U m k e h r f u n k t i o n e n und U m k e h r r e g e l Umkehrfunktion Die Äquivalentleitfähigkeit A der wässerigen Lösung eines Elektrolyten ist eine Funktion der molaren Konzentration c. Im Gebiete sehr hoher Verdünnung ist bei starken Elektrolyten nach Untersuchungen von K o h l r a u s c h A = Aoo — b )/ c . A oo, die sogenannte Äquivalentleitfähigkeit bei unendlicher Verdünnung, und b sind konstante Größen. Wir wollen diese Funktion graphisch darstellen und außerdem ermitteln, wie stark die Änderung der Äquivalentleitfähigkeit mit der Konzentration ist, also mit anderen Worten, den Differentialquotienten -j^ finden. Der allgemeine Typus der angeschriebenen Gleichung ist y = a — b • j/ x . Die graphische Darstellung dieser Funktion soll nun besprochen werden.
10. Umkehrfunktionen und Umkehrregel
51
2
y = x wurde graphisch durch die in Fig. 35 gezeichnete Parabel dargestellt. Nach x aufgelöst, lautet diese Gleichung s = ± y y• Diese Schreibweise bedeutet eine Vertauschung der Begriffe: „abhängige" und „unabhängige" Variable. Da es üblich ist, die abhängige Veränderliche mit y, die y unabhängige hingegen mit x zu bezeichnen, ersetzen wir in der obigen Gleichung den Buchstaben x durch y und umgekehrt, worauf wir y = ±]/ x erhalten. Die Vertauschung der Buchsta ben x und y entspricht einer Umbenennung der Koordinatenachsen in Fig. 35 (in Klammern hinzugefügt) und man erhält die graphische Darstellung der Funktion y = ^ yx, wenn man das neue Koordinatensystem in Fig. 35 so umklappt, daß in üblicher Weise die «/-Achse nach oben, die x-Achse nach rechts zeigt. So ergibt sich die in Fig. 35 dargestellte, nach rechts geöffnete Parabel. Man erhält sie in einfacher Weise aus der Parabel y = x2 durch Spiegelung derselben an der Geraden Fig. 35. Spiegelungsregel bei A B, die unter 45° durch den KoUmkehrfunktionen ordinatenursprung gezogen ist. Eine Funktion, die aus einer anderen durch Vertauschung der Veränderlichen entsteht, nennt man die U m k e h r f u n k t i o n ( i n v e r s e Funktion) der ursprünglichen. 3
So ist auch z. B. y — j/ x die Umkehrfunktion von y = x-i und kann bei Kenntnis des Kurvenverlaufs der letzteren Funk4*
52
I. Teil.
Funktionen einer Veränderlichen
tion sofort durch Anwendung der Spiegelungsregel gezeichnet werden. Die Kurve y = i b • j/a; unterscheidet sich von y = ± j/a; nur dadurch, daß jede Ordinate mit dem Faktor b zu multiplizieren ist. Die nach rechts geöffnete Parabel wird breiter oder schmäler, je nachdem b größer oder kleiner als 1 ist. y = a ~ b y x bedeutet, daß zu jeder Ordinate der Parabel die konstante Strecke a hinzugezählt werden soll, wodurch die Parabel um das Stück a nach oben verschoben wird. Das negative Zeichen vor dem Wurzelglied sagt schließlich aus, daß nur der untere, in Fig. 36 ausgezogen gezeichnete, Ast der Parabel betrachtet werden soll. Durch eine solche Kurve wird auch die Gleichung A = A*, — b • j/c dargestellt. Die Kurve mündet bei Aoo in die Ordinatenachse. Allerdings gilt nicht der ganze untere Fig. 36. Graphische Darstellung Parabelast — es müßte sonst bei des Gesetzes von K o h l r a u s c h höheren Konzentrationen die Leitfähigkeit negativ werden, was natürlich unmöglich ist —, sondern nur ein Stück der Kurve in der Nähe der Ordinatenachse hat physikalische Bedeutung. Umkehrregel Um den Differentialquotienten der Funktion y = a — b • J/' x zu ermitteln, erinnern wir uns der Darstellung einer Wurzel als gebrochene Potenz. Danach erhalten wir y = a — b • xi .
Wir hatten auf S. 44 erwähnt, daß die Differentiationsregel einer Potenzfunktion auch für gebrochene Exponenten gilt. Unter Anwendung dieser Regel erhalten wir -2-
—
dx ~ (8)
0 — — b XaT = 2°
U
--2&< b
dx
2Vx
1 Z
h
1
2
X
10. Umkehrfunktionen und Umkehrrege]
53
Wir hatten aber noch nicht bewiesen, daß die benutzte Differentiationsregel auch für gebrochene Exponenten gilt. Daher wollen wir das erhaltene Resultat durch ein anderes Rechenverfahren bestätigen und dabei eine neue Differentiationsregel, die sogenannte U m k e h r r e g e l , kennenlernen. Es sei in Fig. 37 wiederum die Parabel y = x2 gezeichnet. In einem Punkte P mit den Koordinaten x und y sei an die Parabel die Tangente gezogen, die mit der positiven Richtung der x-Achse den Winkel «, mit der positiven Richtung der y-Achse den Winkel ß bildet. Unter der Ableitung von y nach x versteht man den tg tx und bezeichnet ihn als
dx
Betrachtet man nun x als die abhängige, y als die unabhängige Veränderliche, so bedeutet das eine Drehung des Koordinatensystems in die ebenfalls in Fig. 37 dargestellte Lage. Die Tangente PA bildet mit der positiven Richtung der y-Achse den Winkel ß und man muß jetzt tg/? als dx , . , -7- bezeichnen dy
Fig. 37. Erläuterung zur
Umkehrregel (beim Differentialquotienten steht ja über dem Bruchstrich das Differential der abhängigen Veränderlichen!). Nun liest man an der Figur im Dreieck A OB ab, daß oc und ß sich gegenseitig zu 90° ergänzen. Also ist
tg * = tg (90» - ß) = ctg ß
1
tg I
oder Diese Regel, die in der Bruchschreibweise der Differentialquotienten fast trivial aussieht, nennt man die U m k e h r r e g e l . Wir wollen sie benutzen, um y = j/a; zu differenzieren.
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
54 Aus erhält man
y
=
2
y = x
|/
x
x = y2
oder
Durch diese Schreibweise haben wir die Bedeutung der Variablen vertauscht. Jetzt differenzieren wir nach y. y%
x = dx dy
_ =
,
2
y-
Durch Anwendung der Umkehrregel folgt hieraus d
JL = i_ = _ L 2 y'
dx
dy
Nun ist die gesuchte Ableitung aber noch als Funktion von y geschrieben. Wir ersetzen y ,durch j/x und erhalten das gewünschte Resultat dy
1
=
dx
2 j/aj
Unter Anwendung der für gebrochene Exponenten noch nicht bewiesenen Differentiationsregel für Potenzfunktionen erhalten wir ebenfalls _ x y = * y dx
=
y i
2
x
= x
-i
x2 =
, i
2 j/x '
Damit ist auch erwiesen, daß unser Differe'ntiationsergebnis in Gl. (8) zu Recht besteht. Wenden wir es auf unser ursprüngliches Problem, die Änderung der Äquivalentleitfähigkeit bei Änderung der Konzentration an, so erhalten wir ^ dc
~ 2 (/c ' Die Neigung unserer Leitfähigkeitskurve ist stets negativ, die Kurve fällt dauernd. Sie wird immer steiler, je mehr wir uns der Ordinatenachse nähern, und läuft in diese (c -> 0) senkrecht ein, weil dann
über jeden angebbaren Betrag hinauswächst. Man
^ geht nach Unendlich
-> oo
55
11. Die Funktionen vom Typus y = —-
11. D i e F u n k t i o n e n v o m T y p u s v =
— xn
Umgekehrte Proportionalität Neben der linearen Funktion und ihrem Spezialfall der Proportionalität spielt in Chemie und Physik eine besondere Rolle auch die sogenannte u m g e k e h r t e P r o p o r t i o n a l i t ä t . Diese Funktion ist dadurch gekennzeichnet, daß die eine Veränderliche sich im selben Maße verkleinert, wie die andere vergrößert wird; das P r o d u k t beider behält dabei stets denselben Wert. Ein Beispiel hierfür ist das bekannte B o y l e - M a r i o t t e - Gesetz f ü r ideale Gase: P v = Po v0 = k , welches aussagt, daß das Produkt aus dem Druck p und dem Volumen v eines idealen Gases bei gleichbleibender Temperatur konstant gleich k ist. Aus der impliziten Form ergibt sich die explizite als p = v = p°vv° p(t und v0 ist ein irgendwie herausgegriffenes, zueinander gehörendes Wertepaar. Die umgekehrte Proportionalität trifft man sehr häufig an. Einige weitere Gesetze, die durch den gleichen Funktionstyp beschrieben werden, sind z. B. das in der Photochemie wichtige Gesetz von B u n s e n und R o s c o e , welches besagt, daß zur Erzielung des gleichen photochemischen Effektes das Produkt aus der Intensität J der wirksamen Strahlung und der Belichtungsdauer t konstant sein m u ß J . t = const. Auch das in der Magnetochemie wichtige Gesetz von C u r i e gehört hierher. Bringt man einen paramagnetischen Stoff, z. B. Sauerstoff, in ein Magnetfeld, so erhält er ein magnetisches Moment. Dasjenige Moment, welches ein Mol des Stoffes, wenn dieser in ein Feld von der Stärke eines Örsted gebracht wird, annimmt, nennt man die Molsuszeptibilität Moi. Diese Größe ist nach C u r i e der absoluten Temperatur T umgekehrt proportional, also y Mol
—
O X Mol0 ' Tn q, — 7p •
I. Teil. Punktionen einer Veränderlichen
56
C bedeutet dabei eine Konstante, das unveränderliche Produkt a u s £MoI u n d
T.
Wendet man das MassenWirkungsgesetz von G u l d b e r g und W a a g e auf wässerige Lösungen von Laugen oder Säuren an, so findet man für die Konzentrationen der Wasserstoffionen [ H ' ] und Hydroxylionen [OH'] wieder die gleiche mathematische Form. I n jeder wässerigen Lösung ist [H-] • [OH'] = lcw . k w bedeutet dabei wiederum eine für gleichbleibende Temperatur / konstante Größe. Sie beträgt 10~14 Mol 2 /Liter 2 für / 25° C. V I / Wie sieht nun die Kur3 ve aus, die diesen Funk2 tionstypus graphisch darstellt ? 1 - X ^ — In allgemeiner Form ge. . . 0 • • > • m schrieben, handelt es sich 2 3 V 5 X 7 — / im Prinzip um die Funktion
il
/
/% -!?
-
(9)
wenn wir die Konstante der Einfachheit halber Fig. 38. Gleichseitige Hyperbel, die die gleich Eins wählen. Sie Koordinatenachsen zu Asymptoten hat wird dargestellt durch die in Fig. 38 wiedergegebene gleichseitige Hyperbel. Aus der Tatsache, daß in Gl. (9) x und y vertauscht werden können, ohne daß sich der Typus der Gleichung ändert, erkennt man, daß eine Spiegelung der Kurve an der Geraden unter 45° durch den Koordinatenursprung wieder sie selbst ergibt. Die Kurve muß also zu dieser Geraden symmetrisch liegen. Für sehr große x- Werte wird y sehr klein, und die Kurve nähert sich asymptotisch der «-Achse. An der Stelle x=0 ist die Kurve unstetig. Sie geht hier, wie man sagt, nach Unendlich (y -*oo für x -->• 0). Eine solche Stelle nennt man U n e n d l i c h k e i t s s t e l l e oder Pol. Bei Annäherung an eine solche Stelle wachsen die y-Werte über jeden angebbaren Betrag hinaus.
11. Die Funktionen vom Typus y =
57
Wie verläuft die Steigung dieser Kurve ? Zu ihrer Ermittelung wollen wir die Funktion y = -i- differenzieren. Wir tun das nach der Regel über die Differentiation einer Potenzfunktion unter der Voraussetzung, daß sie auch für negative Exponenten gilt, denn y = -i- kann auch als y = x^1 geschrieben werden. Es ist dann y = x-1 d
JL dx
,
= _ 1 . £-1-1 = _ z-2 = _ 12 . x '
Da wir die Regel für negative Exponenten noch nicht bewiesen haben, wollen wir zur Kontrolle des Ergebnisses den Differentialquotienten auch durch Grenzübergang ermitteln. Hierbei finden wir 1
y+Ay = Iax> . _ y
x
i
x + Äx
L y
x~+Ax
x
Wir bringen die beiden Brüche auf den gemeinsamen Nenner .
x — x — Ax (x Ax) x
Ax {x +
Ax)x'
Der Differenzenquotient ist dann Ay= Ax
1
.
(x + Ax) x '
und durch Übergang zur Grenze erhalten wir 1 % = lim A ;i = lim (x + Ax) x das bereits gefundene Resultat. Wir haben also die Differentiationsregel für y = xn auch bei negativen Exponenten anwenden dürfen.
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
58
N a c h diesem Ergebnis m u ß die K u r v e y = —- stets fallen. I h r e Neigung ist d a u e r n d negativ, d a x 2 eine positive Zahl ist. E i n Blick auf die K u r v e bestätigt diesen B e f u n d . I n der N ä h e von x = 0 ist die Steigung sehr groß u n d wird immer geringer, je weiter m a n sich von der y-Achse e n t f e r n t . WJ \sauren
2/0
MO
-7
Reaktion
Neutra/punkf / 'S.
6ebietc/er ^^g/kd/iscfien
Reaktion
-7 ZJO'Wot/i HO Fig. 39. Gegenseitige Abhängigkeit der H - und OH'-Ionenkonzentration bei wässerigen Lösungen Einen physikalischen Sinn besitzt n u r der im ersten Q u a d r a n t e n gelegene Zweig der Hyperbel, d a es weder negative Volumina noch negative absolute T e m p e r a t u r e n , noch negative Konzent r a t i o n e n gibt. I m speziellen Fall des auf wässerige Lösungen angewandten Massenwirkungsgesetzes h a b e n die einzelnen Teile der Hyperbel eine besondere Bedeutung. Die Hyperbel (Fig. 39) w [Hl = , [OH'] 1 sieht qualitativ genau so aus wie y = — , n u r h a t der S c h n i t t p u n k t der Hyperbel mit der unter 45° verlaufenden Geraden durch den Koordinatenursprung
nicht die Koordinaten x = j / l = 1 u n d
11. Die Funktionen vom Typus y = ~
59
y = \/T= 1, sondern [H'] = [OH'] = J / k ^ . Dieser P u n k t auf der Hyperbel, bei dem also die Konzentration der H'-Ionen und der OH'-Ionen gleich ist, repräsentiert die Neutralreaktion. P u n k t e auf dem oberen Halbzweig, für die [H'] > [OH'] ist, repräsentieren die sauer reagierenden Lösungen, die P u n k t e auf dem unteren Halbzweig ([H'] < [OH']) die alkalisch reagierenden. Feststellung des Funktionstypus experimentell ermittelter Funktionen Von allen möglichen Kurven ist eine besonders ausgezeichnet; es ist die gerade Linie. Sie hat in jedem ihrer P u n k t e dieselbe Steigung und teilt diese Eigenschaft mit keiner anderen Kurve. Daher ist man auch ohne weiteres in der Lage, auf den ersten Blick, eventuell unter Zuhilfenahme eines Lineals, die Gerade von allen anderen Kurven zu unterscheiden. H a t m a n bei einem Versuch eine Reihe von Wertepaaren gemessen, so läßt sich durch Einzeichnung der Meßpunkte in ein rechtwinkliges Koordinatensystem sofort entscheiden, ob die gemessene Funktion linear ist oder nicht. L ä ß t sich durch die gemessenen P u n k t e aber nur eine gekrümmte Kurve hindurchlegen, so gibt es wohl k a u m jemand, der auf den ersten Blick entscheiden könnte, ob das gezeichnete gekrümmte Kurvenstück zu einer Parabel, Hyperbel, Exponentialfunktion oder irgendeiner anderen Punktion gehört. Da es aber von großem Wert ist, zu wissen, mit welcher Art von Punktion man es bei den durchgeführten Versuchen zu t u n hatte, ist es notwendig, nach einem Verfahren zu suchen, das eindeutig und bequem den fraglichen Funktionstypus festlegt. Zu diesem Zwecke m u ß m a n versuchen, aus den Meßwerten neue Wertepaare so zu errechnen, daß diese als Koordinaten von Punkten einer Geraden erscheinen. Zwei Beispiele mögen das erläutern. Druck und Volumen eines idealen Gases sind einander umgekehrt proportional. Nimmt m a n 100 Liter Stickstoff und untersucht das Volumen bei variiertem Druck, so findet man die in Spalte 1 und 2 der Tabelle 4 wiedergegebenen, von A m a g a t gemessenen Werte.
60
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Tabelle 4 V
p
Atm
Liter
1,0 27,3 46,5 62,0 73,0 80,6 91,0 109,2 123,4 168,8 208,6 251,1 290,9
100,0 3,622 2,225 1,590 1,352 1,226 1,088 0,909 0,810 0,608 0,505 0,432 0,386
!
v
1
v
v
| Liter • Atm 1
Liter" 1
100,0 98,9 98,8 98,6 98,7 98,8 98,9 99,4 100,0 102,6 105,2 108,2 112,2
0,010 0,276 0,449 0,628 0,739 0,816 0,920 1,101 1,235 1,645 1,980 2,316 2,590
Trägt man diese Werte in einem p, «-Koordinatensystem auf, so erhält man die in Fig. 40 dargestellte Kurve. Sie h a t das Aussehen einer Hyperbel, ist zumindest von einer Hyperbel nicht auf den ersten Blick zu unterscheiden. E s gilt aber f ü r Stickstoff gar nicht das ideale Gasgesetz und Liter so ist die dargestellte KurV ve auch keine Hyperbel. 3,5 Dies läßt sich sofort dadurch zeigen, daß man 3,0 nicht die Werte v, sondern & -i- gegen p aufträgt. Wäre
2,0 p
die dargestellte K u r v e eine Hyperbel, so m ü ß t e
J.0
=
Po «o = V
L' V
0.5 0
Fig. 40.
! 700
1 200
1 300
V
\V /
Atm.
Abhängigkeit des Volumens vom Druck beim Stickstoff
> a l s o P direkt Proportional d e m reziproken Vo-
sein
11. Die Funktionen vom Typus V = ^
61
lumen. ~ gegen p aufgetragen, müßte eine gerade Linie durch den Koordinatenursprung ergeben. An der Fig. 41 erkennt man, daß dies nicht der Fall ist; die eingezeichnete Kurve weicht deutlich von der durch die beiden äußersten Punkte gelegten Geraden ab.
Fig. 41.
Beweis für die Tatsache, daß N 2 kein ideales Gas ist
Noch augenscheinlicher wird die Ungültigkeit des Gesetzes p v = const für Stickstoff, wenn man, was ebenfalls in Fig. 41 geschehen ist, das Produkt aus p und v gegen p aufträgt. Wäre der Zusammenhang zwischen p und v hyperbolisch, so müßte p v stets denselben Wert ergeben, also p v = f(p) durch eine Parallele zur p-Achse darzustellen sein. Man erkennt deutlich, daß die eingezeichnete Kurve keine Parallele zur p-Achse ist. Die paramagnetische Suszeptibilität von 0 2 gehorcht in einem weiten Temperaturbereich dem Gesetz von Curie. Es ist also X'T=
* 249 • 249 ,
62
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
wenn '/UCJ die bei T = 249° K gemessene Suszeptibilität bedeutet. gegen T in einem Koordinatensystem auf, so muß
Trägt man
sich bei Gültigkeit des Curie-Gesetzes eine Gerade X
249
• "/.•WS T
ergeben. Fig. 42 zeigt, daß die Werte ^ ^ , die experimentell ermittelten Daten entnommen sind, tatsächlich auf einer Geraden liegen, wodurch die Gültigkeit des 70 Xjig Curie-Gesetzes erwiesen ist. *
0,8
Die Funktionen y — — für n > 1 x"
OS
0.1
120
HO
2W
Die umgekehrte Proportionalität ist. zwar die einfachste Potenzfunktion mit negativem Exponenten, jedoch darf sich die Kenntnis solcher Funktionen beim Naturwissenschaftler nicht allein auf diesen Spezialfall (Exponent = — 1) beschränken. Auch höhere als die erste Potenz tre~3ogT ten häufig genug bei physikochemischen Problemen auf. So ist z. B. die
Fig. 42. Beweis der Gültigkeit des Gesetzes von Curie bei O.,
abstoßende K r a f t K
£
r2
zweier
gleichsinnig geladenen, einwertigen Ionen, die die Ladung e tragen und sich in einem Medium mit der Dielektrizitätskonstante e im großen Abstände r voneinander befinden, umgekehrt proportional dem Quadrate dieses Abstandes. Auch das zwischen zwei Kernen einer Molekel geltende Anziehungs- bzw. Abstoßungspotentialgesetz fällt in diese Funktionengruppe. Diese Potentiale sind umgekehrt proportional rP, wobei r den Abstand der Kerne und p eine gewisse Zahl, die gleich oder größer als 1 ist, bedeuten. So hat z. B. bei den Hydriden im Abstoßungspotentialgesetz p den Wert 3 bis 4, bei den Oxyden hingegen 6 bis 9. Bei der letzteren Gruppe von chemischen Ver-
11. Die Funktionen vom Typus y = —
63
bindungen ist der Exponent, der beim Anziehungsgesetz auftritt, 3 bis 4. Auch Druck und Volumen eines idealen Gases brauchen nicht immer nach dem Gesetz von B o y l e und M a r i o t t e zusammenzuhängen. Wird eine Gaskompression oder Dilatation nicht isotherm (also bei konstanter Temperatur), sondern adiabatisch (bei vollkommenem Wärmeabschluß) durchgeführt, so gilt für die funktionelle Abhängigkeit des Druckes vom Volumen die Adiabatengleichung p vx = const, oder auch P
const =
„ «
46-1,# V -1,9-0,8-0,6-0,?%2 - 0,6 0,81,0 ¿2 Ifi 1,61,8 X 0?. Oß '
wobei x das Verhältnis der Molwärmen
Q
^V
bedeutet.
- O f i -
-0,6-0,8-
Die graphische Darstel lung dieser Punktionenklasse findetsichinFig.43. Bei den Hyperbeln mit geraden Exponenten liegen die beiden Äste im ersten bzw. zweiten Quadranten, bei denjenigen mit unFig. 43. Graphische Darstellung der geraden Exponenten dagegen im ersten bzw. dritfür n > 1 Funktionen vom Typus y = ten Quadranten. Ganz ähnlich, wie es bei den Parabeln (S. 34) war, schmiegen sich auch hier die Kurven mit wachsendem Exponenten einer gewissen Grenzfigur immer besser an.
64
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Naturwissenschaftliche Bedeutung besitzen in der Regel nur die Äste im ersten Quadranten. 12. D i e K e t t e n r e g e l Ableitung und Anwendung der Kettenregel Die organische Chemie kennt eine Reihe von festen Stoffen, wie z. B. Tribiphenylmethyl ^
oc cr
^
Di-p-ani-
sylstickstoffoxyd j ' C H j O ^
^ j 2 N O , die Radikalcharakter besitzen. Man kann diesen u. A. durch magnetische Messungen feststellen. Die Temperaturabhängigkeit der Suszeptibilität der oben genannten Stoffe folgt einer Gleichung der allgemeinen F o r m 0 _ X—T—&' wo bei 0 und C Konstanten sind (Gesetz von C u r i e und W e i ß ) . F ü r das Tribiphenylmet h y l lautet die Gleichung z. B. C _ X ~ T + 18 ' Fig. 44. Graphische Darstellung des Gesetzes von C u r i e - W e i ß Wie sieht diese Funktion graphisch dargestellt aus ? Es ist ganz offensichtlich eine gleichseitige Hyperbel, die Q
gegenüber der Hyperbel i = ^ um die Strecke T = 18 nach links verschoben ist (Fig. 44). Wir wollen nun den Temperaturkoeffizienten der Suszeptibilität berechnen, d. h. bei dieser Kurve die Steigung ermitteln. Das ist unter Zuhilfenahme der bisher kennengelernten Differentiations-
12. Die Kettenregel
65
regeln nicht möglich. Wir müssen daher eine neue Regel besprechen, die wohl als wichtigste Differentiationsregel bezeichnet werden kann. Man nennt sie die K e t t e n r e g e l . Q
Die Gleichung % =
^ hätten wir ohne weiteres differen-
zieren können, wenn der Nenner lediglich die Größe T enthalten hätte; dann'wäre ^
= —
.
Da uns das zweite Glied stört, setzen wir +18
T
= z
und führen damit unsere Gleichung in die Form X —
z
über. Jetzt können wir einen Differentialquotienten bilden, nämlich ™ Das ist aber nicht der gesuchte Differentialquotient, denn was wir brauchen, ist d*X
I f •
Aus unserer Definitionsgleichung z =
T
+ 18
dz
können wir aber ^ bilden. Es ist, hier besonders einfach, dl)
s , = i .
Nun ergibt sich aus Gl. (10) das Differential dz zu z2 —-q
¿X
und aus Gl. (11)
dz = dT . Durch Gleichsetzen der beiden Differentiale erhalten wir G
x
'
dT
z2
(T
+ 18)2'
Wegen der Wichtigkeit der Kettenregel wollen wir sie uns in allgemeiner Form jetzt ableiten. A s m u s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k .
2. A u f l .
5
66
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Die Kettenregel wird stets dann angewandt, wenn die abhängige Veränderliche als Funktion einer Funktion von x erscheint, z. B. y = (x -(- 5) 2
oder
y = j/x 2 -+- 10 ,
oder wenn in allgemeiner Form V = f[ Tkr. Beide Kurvengruppen werden getrennt durch eine Kurve, die weder JT Maximum noch Minimum, wohl aber Fig. 58. Isothermen eines einen Wendepunkt mit waagerechter van der Waalsschen Gases Tangente besitzt und die für die kritische Temperatur T k r gilt. Das ist diejenige Temperatur, oberhalb der das Gas nicht durch Druckerhöhung allein verflüssigt werden kann. Die Koordinaten des Wendepunktes dieser Kurve sind der kritische Druck pkT und das kritische Molvolumen Vkr. Will man die drei kritischen Daten pkr, Vk[ und Tkv des betreffenden realen Gases berechnen, so braucht man zur Ermittelung der drei Unbekannten drei Bestimmungsgleichungen. Diese drei Gleichungen erhält man, wenn man berücksichtigt; daß es sich bei der Bestim-
13. Extremwert- und Wendepunktsbestimmung
89
mung von p kr und V^ um die Ermittelung der Koordinaten des Wendepunktes mit waagerechter Tangente handelt. Die drei Bestimmungsgleichungen sind folgende: weil der kritische Punkt auf einer Kurve der Schar liegt, ist
und
o
dp dV
„
_ _RTkl ^ " F k r - Ö
a V\T'
RT (V — b y d*p _ 2 RT
2a V3
,
6a _ „
Die beiden letzten Gleichungen für pkI, F k r und T k t geschrieben, sind die Bedingung dafür, daß der kritische Punkt Wendepunkt mit horizontaler Tangente ist. Die drei Gleichungen lauten umgeformt: j
„ Pkr = RTkT (l'kr >>)•< RTkt (l'kr bf
2.
3.
RT kr Fkr — b 2a
F2 1 kr
3a W" • y kr
Nach Division von 2 durch 3 folgt b = -J- F k r ,
Vb -
F kr = 3 b . Setzen wir diesen Wert in 2 ein, so erhalten wir RTkr _ 2a ~4b*~ 2Tb3 ' rp kr
__ 8« " 27 Rb •
Endlich setzen wir die für F k r und T k[ ermittelten Werte in 1 ein, und es ergibt sich = _ PkT =
R•8a a a 27 R.b~2b "" 9F2 ^ 27 6 1 '
90
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
14. Graphische D i f f e r e n t i a t i o n Die Ermittelung eines Extremwertes oder eines Wendepunktes kann unter Umständen auf Schwierigkeiten stoßen. Nicht immer wird eine Funktion analytisch gegeben vorliegen, z. B. bei der Ermittelung des Wendepunktes bei einer potentiometrischen Titration. In einem solchen Falle muß die Differentiation n u m e r i s c h oder g r a p h i s c h durchgeführt werden, da aber ein solcher Fall im allgemeinen selten vorkommt, wollen wir die numerische Differentiation nicht besprechen. Es sei auf das einschlägige mathematische Schrifttum verwiesen. Ein graphisches Verfahren soll aber kurz besprochen werden.
y
/
\ Tangente /
/
/ Normal.
/
\
• 00
= — lim «log (1 -f n—^ x \ ' n-*
Die Zahl e Wir müssen nun untersuchen, welchem Grenzwert der Ausdruck -j- J-j" bei unbegrenzt wachsendem n zustrebt. +—-j* können wir nach dem binomischen Lehrsatz umformen zu
96
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Die Größen
, Q j , ^jj usw. schreiben wir voll aus (vgl. S. 194)
und erhalten M " =- 1 4- - — 4- n ~~ -L2 ' wj " 1 ' ra ' 1 • 2 • ra ' ^ m/
n
1
,
, 1 \»
= i
, , 1 +
,
1
n' \
1 - 2~ 3
~~ }n .
~ «)
+ - 2 T - +
n
1
'
1-2
' n*
r3 V »
1 i - - j
^ IT 21 4_ 1 • 2 • 3 • ra3
3i
n
|
'
~ 1) . +
•••
Geht man jetzt zur Grenze über, so verschwinden die durch n dividierten Glieder in den Klammern auf der rechten Seite und es ergibt sich, was durch strenge mathematische Rechnung gezeigt werden kann,
Dieser Ausdruck hat trotz seiner unendlich vielen Glieder einen endlichen Wert, was sich am einfachsten dadurch zeigen läßt, daß man die Reihe 1!
'2!
'3!
'4!
mit der aus der Elementarmathematik geläufigen unendlichen geometrischen Reihe , . ,, ^ 2 ^ 22 1 23 ^ 24 T vergleicht. Die Reihe, die uns den gesuchten Grenzwert liefert, formen wir etwas um und schreiben die oben angegebene geometrische Reihe zum Vergleich darunter
=
geom. Reihe
] 4. 1 4_ JL •
' 2
1+ y +
i . 4. _ 1
2 3 2
}
2
1
2-3-4
+ 2.
2
_
' 2-34-5
+
2
.2 \
1
.2 + " " "
15. Darstellung und Differentiation der Logarithmusfunktion
97
Man erkennt, daß jedes Glied der geometrischen Reihe größer ist als das entsprechende (darüber stehende) Glied des zu untersuchenden Ausdruckes. Wenn nun die unendliche geometrische Reihe einen endlichen Wert besitzt, und der ist ja bekanntlich gleich 2 nach der in der Elementarmathematik bewiesenen Formel
8= j
, so muß die obere Reihe, bei der jedes einzelne Glied
(vom vierten ab gerechnet) kleiner ist, erst recht einen endlichen Summenwert besitzen, der kleiner als 3 und größer als 2 sein muß. Diesen Wert, der in der höheren Mathematik eine besonders wichtige Rolle spielt, bezeichnet man mit dem Buchstaben e. Es ist eine irrationale Zahl (deren Berechnung wir noch auf S. 185 kennenlernen werden) und besitzt auf 15 Dezimalen ausgerechnet den Wert l i m (x n—• oo x
e
=
i + 1 . + 1. + 1 .
+ i
L
+
+
. . .
'
= 2,718281828459045 . . . Somit erhalten wir also für unseren gesuchten Differentialquotienten (21) (22)
dy _ d "log x dx dx
1 x
. ®
Man erkennt sofort, daß die erste Ableitung des Logarithmus nie den Wert Null haben kann; aber auch die zweite Ableitung
verschwindet für keinen endlichen Wert von x. Also besitzt die Kurve y = lg x weder Extremwerte noch Wendepunkte. Der natürliche Logarithmus Aus Gl. (22) ersieht man, daß die Differentiation des Logarithmus ein besonders einfaches Resultat ergeben würde, wenn als Basis des Logarithmensystems die Zahl e genommen werden würde. A s m u s , E i n f ü h r u n g in d i e h ö h e r e M a t h e m a t i k .
2. A u f l .
7
I. Teil. Punktionen einer .Veränderlichen
98
I n diesem Falle wäre und damit de logx s
e
log e = 1
1 . OC
= — • "log e
CLOC
1 . 1 1= — . OC JC
Diese neue Basis wird n u n in der höheren Mathematik auch f a s t ausschließlich verwendet. Man nennt die Logarithmen zur Basis e die „natürlichen" (logarithmus naturalis) oder N e p e r s c h e n und bezeichnet sie mit dem besonderen Symbol In. y-Lgx "log x In x . 100—2 So wird d In x }_ dx
650 - - 1,8 59,8 - - 1,6 25,1 - ~ ~
1,4
15,8 - - 1,2 10-
x
Es gibt Tabellen der natürlichen Logarithmen, die m a n aber nicht unbedingt braucht, da m a n die natürlichen Logarithmen leicht aus den dekadischen ausrechnen kann, denn es ist nach Gl. (20) lgx In x = Ige ' lg e hat den W e r t 0,43429 . . . und
- 1 —
6,30 - - 0,8 0,6 2,51 ~ - 0,4
1,58 - - 0,2
~ ist 2,3026 . . . , so daß lg e In a; = 2,3026 lg x und
lg x == 0,43429 In x
ist.
Der Verlauf der Funktion y = In x ist in Fig. 63 dargestellt. 16. L o g a r i t h m i s c h e P a p i e r e Die logarithmische Leiter
Eine besondere Bedeutung besitzt die Darstellung der Logarith0 1musfunktion durch eine FunktionsFig. 64. Logarithmische Leiter leiter. Sie tritt beim sogenannten
16. Logarithmische Papiere
99
logarithmischen Rechenschieber und bei den logarithmischen Papieren auf. Fig. 64 zeigt eine logarithmische Leiter für »-Werte von 1 bis 100 und erläutert ihre zeichnerische Konstruktion. Auf einer Geraden ist für y eine gleichmäßige Teilung für den Bereich von 0 bis 2 gezeichnet. Wird y als der Logarithmus einer Zahl x, also als y = lg x, aufgefaßt, so läßt sich jeder Zahl y eine andere Zahl x = 10 s gegenüberstellen und der Abstand des diese Zahl festlegenden Teilstriches vom Anfang der Skala ist L = l-y =
l-\gx.
Mit Hilfe dieser Gleichung wir die in Fig. 64 links stehende logarithmische Leiter gezeichnet. Da lg 1 — 0, lg 10 = 1 und lg 100 = 2 ist, wird jede Zehnerpotenz durch eine gleich lange Strecke dargestellt. Die Ablesung irgendeines Wertes auf einer logarithmischen Teilung ist mit gleicher relativer Genauigkeit für jeden Wert möglich. Ist nämlich , , r L = l-lg
x ,
so folgt daraus AL __ l M34 dx x ' dx 2,30 ,, — --= • aL x l
.
Daher ist in guter Näherung 2,30
AL .
AL ist der absolute Ablesefehler an der Skala und ist eine konstante Größe. Beträgt er z. B. 0,1 mm bei einer Einheitslänge l = 100 mm, so ist die Ablesung der logarithmischen Teilung bis auf einen relativen Fehler von Ar
möglich.
9 10
— • 100 = • 0,1 • 100 = 0,23% x 100
Streckung der Logarithmuskurve zu einer Geraden. logarithmisches Papier
Einfach
Wir haben bereits auf S. 59 kennengelernt, daß gekrümmte Kurven in einem passend gewählten Koordinatensystem durch
100
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
gerade Linien dargestellt werden können. So ließ sich z. B. eine Hyperbel mit der Gleichung y =- — durch eine Gerade darstellen,
wenn die Abszissenachse des Koordinatensystems eine Teilung aufwies, die gleichmäßig für die Werte—und nicht f ü r die x- Werte war. M
/mo* /
8/0 610-2
/
/ tio-2
/ -2j
-3.0
I
—1
10
-20/ y 5-IO-yiO2 /
/ / '
-1,5
1
5102
-1,0
|
10'
¡7
-05
l
510-' -2102
Fig. 66. Graphische DarStellung des Verlaufes der . EMK. einer K o n z e n t r a tionskette als F u n k t i o n von l g c t -6-10'2
0,5 1
/gc, 5
c, A
101
16. Logarithmische Papiere
Auch die g e k r ü m m t e K u r v e , welche die L o g a r i t h m u s f u n k t i o n y =-\g x darstellt, läßt sich zu einer Geraden strecken, u n d zwar dann, wenn die Abszissenachse eine f ü r die W e r t e lg x gleichmäßige Teilung besitzt. Eine solche Kurvenstreckung, deren praktischer Zweck darin besteht, eine Prüfungsmöglichkeit d a f ü r zu liefern, ob eine empirisch ermittelte F u n k t i o n durch eine b e s t i m m t e E\ i TIZTTTi? ? ? i t f Vqit
i—i 7 t ii_a_iliJiiL n
5 tsäma J pfl(0* }
_i_L TTTT?"
TT
_! L_i_
"TY7iVTTIB?A
Fig. 67. Graphische Darstellung des Verlaufes der EMK. einer Konzentrationskette als Funktion von c1 auf einfach logarithmischem Papier
Funktionsgleichung erfaßt wird, wird durch die beiden Fig. 65 u n d 66 erläutert. Die schon auf S. 93 angeführte Gleichung f ü r die elektromotorische K r a f t E einer K o n z e n t r a t i o n s k e t t e • lg — " c2 1,98 • 10" • T , - • lg n " Cl
E = — (23)
n
4
1,98 • 10" 4 • T
n
. • lg
C
2
ist f ü r den speziellen Fall T -- 300° K , n = 1 u n d c 2 == IG" 2 Mol/1 graphisch einerseits als E — f (Cj), andererseits als E - -- F (\g c j
102
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
dargestellt. Die erste Darstellung ergibt die typische gekrümmte Logarithmuskurve, im zweiten Falle erscheint die Funktion als Gerade. N u n k a n n man, wie es auch in Fig. 66 teilweise geschehen ist, die Abszissenachse als Funktionsleiter ausführen u n d jedem Wert lg c t den dazugehörenden Wert gegenüberstellen. Eine solche Darstellung h a t den Vorteil, daß, obgleich die K u r v e zu einer Geraden gestreckt erscheint, m a n dort sofort zu jedem W e r t / ? den entsprechenden Wert c1 ablesen kann, wenn auch die Abszissenteilung f ü r cx nicht mehr eine gleichmäßige ist. Nachdem die Abszissenachse mit der ungleichmäßigen logarithmischen Teilung versehen worden ist," kann man die gleichmäßige Teilung f ü r lg cx auch fortlassen, da sie nur eine Hilfsskala darstellt. E s gibt käufliche Koordinatenpapiere, bei. denen die eine Koordinate gleichmäßig, die andere dagegen logarithmisch geteilt ist. Man nennt dieses Papier e i n f a c h l o g a r i t h m i s c h e s , halblogarithmiscbes oder auch E x p o n e n t i a l p a p i e r u n d benutzt es zur bequemen Darstellung logarithmischer und anderer Funktionen, von denen noch später die Rede sein wird. Fig. 67 zeigt ein Blatt einfach logarithmischen Papieres mit der graphischen Darstellung der Gl. (23). Potenzpapiere Es gibt ferner Koordinatenpapiere, bei denen sowohl Abszissenachse als auch Ordinatenachse eine logarithmische Teilung aufweisen. Man n e n n t diese Papiere d o p p e l t l o g a r i t h m i s c h e (im Gegensatz zu den einfach logarithmischen), ganz logarithmische (im Gegensatz zu den halblogarithmischen) oder P o t e n z p a p i e r e . Der Grund f ü r den letzteren Namen ist, daß jede Funktion vom Typus y = a xb im Potenzpapier als gerade Linie erscheint. Logarithmiert man nämlich y = a xb, so erhält man (24)
lg y = l g a + 6 lg x;
trägt m a n in einem Koordinatensystem auf der Abszissenachse lg x u n d auf der Ordinatenachse lg y gleichmäßig auf, oder verwendet man ein Potenzpapier, so wird in einem solchen Koordi-
16. Logarithmische Papiere
103
natensystem Gl. (24) durch eine Gerade dargestellt, deren Neigung (bei gleichen Maßstäben der Achsenteilungen) durch den Faktor 6 gegeben ist. Die Gerade hat ferner die Eigenschaft, daß sie durch einen Punkt mit den Koordinaten x=l, y — a (lg x = 0, lg y = lg ä) geht. Man verwendet das Potenzpapier stets dann, wenn man zwischen den Meßwerten einer Versuchsreihe einen Zusammenhang, der durch die Gleichung y = a xb gegeben ist, vermutet und feststellen will, welcher Potenz von x die y-Werte proportional sind. Drei praktische Beispiele sind in der Tab. 5 dargestellt. Schüttelt man Jod mit Benzol und Blutkohle, oder mit Wasser und Tetrachlorkohlenstoff, oder mit Wasser und Stärke, so verteilt sich das Jod auf beide Medien in einem bestimmten Konzentrationsverhältnis. Die Verteilungskonzentrationen sind in der Tab. 5 angegeben. Tabelle 5 Verteilung von Jod zwischen Benzol u. Blutkohle
Wasser und Tetrachlorkohlenstoff
Wasser und Stärke
[J]CeH6
[ J ] Kohle
[J]ca
[J]j,o
[ J ] Stärke
[J]n,o
Gramm J 100 cm3
Gramm J Gramm Kohle
Gramm J 100 cm 3
Gramm J 100 Liter
Gramm J Gramm Stärke
Gramm J Liter
0,441 0,697 1,088 1,654 2,561
5,16 8,18 12,76 19,34 29,13
0,245 0,248 0,250 0,255 0,276 0,308 0,326 0,361
1,267 1,763 2,509 3,482 5,235 15,42 29,28 62,33
0,27 0,39 0,42 0,65 0,93 1,27 3,63 4,32
1,04 1,15 1,18 1,31 1,45 1,54 2,03 2,11
Trägt man diese Werte, wie es in Fig. 68 geschehen ist, im Potenzpapier auf, so erhält man drei gerade Linien mit den Steigungen 4 : 1 , 1 : 1 und 1 : 10. Die Verteilungsfunktion werden also gegeben durch die Gleichungen und
10
104
I . Teil. Punktionen einer Veränderlichen
wenn die Symbole in eckigen Klammern in üblicher Weise die Konzentration des eingeklammerten Stoffes bedeuten.
Starte
Fig. 68.
Graphische Darstellung von Potenzfunktionen auf doppelt logarithmischem Papier
Die Konstanten A, B und C liest man als Oi'dinatenvverte für den Abszissenwert 1 ab. Z. B. findet man den Wert A zu 0,22. womit die erste Gleichung die Form , annimmt.
L [ J jC LcH6
= 0,22- [ -'kohle
16. Logarithmische Papiere
105
Man erkennt an der Figur leicht, daß die direkte Proportionalität im Potenzpapier durch eine unter 45° ansteigende Gerade dargestellt wird; die umgekehrte Proportionalität ergibt entsprechend eine unter 45° fallende Gerade. Eine besondere Art der Potenzpapiere sind die sogenannten t h e r m o d y n a m i s c h e n Potenzpapiere, die zur Darstellung von Temperaturfunktionen vom Typus y = A • TB dienen. Da es in der Praxis oft vorkommt, daß die absoluten Temperaturen nur in einem kleinen Bereich variieren, etwa von T = 273° bis T —- 500°, würde bei Verwendung eines Potenzpapieres mit gleicher Einheitslänge auf beiden Achsen nur ein sehr schmaler Streifen zur Zeichnung der Geraden benötigt. Um der Beobachtungsgenauigkeit besser Rechnung zu tragen und das Papier vollständiger ausnützen zu können, verwendet man bei den thermodynamischen Potenzpapieren auf den Achsen logarithmische Teilungen mit verschiedenen Einheitslängen, wobei die Teilung auf der T-Achse nur zwischen 193° und 353° oder zwischen 353° und 653°, oder schließlich bei einer dritten Sorte von 193° bis 653° K läuft. Die Konstante B ist jetzt nicht einfach zahlenmäßig gleich dem Tangens des Neigungswinkels der Geraden, sondern sie ist als IT
B — tg oc • y- gegeben, wenn lT und ly die Längen der logarithiy
mischen Einheit auf der T- bzw. ¿/-Achse bedeuten. . Fig. 69 zeigt zur Erläuterung des eben Gesagten die graphische Darstellung des Strahlungsgesetzes von S t e f a n und B o l t z m a n n . Nach diesem Gesetz ist bekanntlich die von der Flächeneinheit eines schwarzen Körpers bei der absoluten Temperatur T in der Zeiteinheit nach einer Seite ausgestrahlte Gesamtenergie (25)
S =-- er T*
5,7 • 1 0 1 2 • T* Watt/cm 2 .
Im gewöhnlichen Potenzpapier würde Gl. (25) durch eine Gerade mit der Steigung 4 : 1 dargestellt, hier jedoch durch eine solche mit der Steigung 1 : 1, da die Längen der logarithmischen Einheiten auf der T- und S- Achse sich wie 4 : 1 verhalten (im. Originalblatt 1000 mm zu 250 mm). Das für die Zeichnung verwendete thermodynamische Potenzpapier hat übrigens noch die Besonderheit, daß außer den absoluten Temperaturen, nach deren Logarithmen die Teilung der Temperaturachse berechnet ist (rechte
106
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Fig. 69. Darstellung des Gesetzes von S t e f a n und B o l t z m a n n auf thermodynamischem Papier
Blattseite), eine Teilung in Celsiusgraden (linke Blattseite) angegeben ist. Da man bei Versuchen in der Regel Celsiusgrade abliest, ist die letztgenannte Teilung aus Zweckmäßigkeitsgründen dadurch besonders hervorgehoben, daß sie sich über das ganze Blatt erstreckt.
16. Logarithmische Papiere
107
Besondere Anwendungen der logarithmischen Papiere Wegen der Eigenschaft der logarithmischen Teilungen, mit konstanter Genauigkeit ablesbar zu sein (S. 99), wird man log-
Fig. 70. Kupfergehalt elektrolytisch abgeschiedenen Messings als Funktion der Stromdichte
arithmische oder Potenzpapiere auch dann anwenden, wenn man die Ergebnisse von Meßreihen graphisch darstellen will, bei denen die Zahlenwerte über mehrere Zehnerpotenzen gehen, aber stets überall gleiche Genauigkeit aufweisen. Fig. 70 und Fig. 71 erläutern zwei solche Fälle. Aus cyankalischer Lösung lassen sich Kupfer und Zink gleich-
108
I . Teil. Funktionen einer Veränderlichen
zeitig als Messing elektrolytisch abscheiden. Die Zusammensetzung des Messings hängt jedoch von der Stromdichte ab. Fig. 7 0 gibt den Kupfer-Prozentgehalt des abgeschiedenen Messings als Funktion der Stromdichte in logarithmischer Darstellung wieder. Würde man hier die Abszissenachse gleichmäßig und nicht logarithmisch teilen, so würden die Werte auf der einen Seite der Skala sehr stark zusammengedrängt und die Ablesegenauigkeit an der K u r v e würde der Versuchsgenauigkeit, die bei sämtlichen Stromdichten die gleiche ist, nicht Rechnung tragen. Fig. 71 zeigt graphisch das Ergebnis eines Versuches, bei dem ein K r i stall bei höheren Temperaturen in einen R a u m , der mit Bromdampf gefüllt ist, gebracht wurde. Das B r o m löst sich im 70 »Ul Z ZU löü WÜ> W> festen K B r - K r i s t a l l um so ä j -Moleküle im cm 3 des Dampfes besser, je höher die TemFig. 71. Löslichkeit von Brom in Bromperatur ist, und zwar prokalium bei verschiedenen Temperaturen portional dem Druck des nach Versuchen von Moll wo Br 2 -Dampfes oder, was dasselbe ist, proportional der Zahl derBiyMolekeln im Dampfraum. Diese Proportionalität wird im Potenzpapier durch eine Schar von Geraden, die unter 45° gegen die Abszissenachse geneigt sind, dargestellt. Auch im gewöhnlichen Millimeterpapier würden die Meßwerte auf geraden Linien liegen, jedoch wäre es nicht möglich, eine Darstellung für drei Zehnerpotenzen zu geben, ohne daß entweder das Diagramm unhandlich groß oder in einigen Teilen äußerst gedrängt ausfiele. 17. D e r l o g a r i t h m i s c h e
Rechenschieber
Eine besondere Anwendung finden logarithmische Teilungen beim Rechenschieber, einem mathematischen Instrument, mit
17. Der logarithmische Rechenschieber
109
dessen Hilfe man bequem und schnell eine große Anzahl von Rechenoperationen durchführen kann. Es gibt Rechenschieber der verschiedensten Ausführungen, auch solche, die nur einem bestimmten eng umrissenen Zwecke dienen. Wir wollen uns bei der Besprechung nur auf das Grundsätzliche beschränken. Weitgehende Ausführungen findet der Leser in den Büchern: „Theorie und Praxis des logarithmischen Rechenstabes" von R o h r b e r g , Verlag Teubner, und „Mathematische I n s t r u m e n t e " von M e y e r z u r C a p e l l e n , Akademische Verlagsgesellschaft Becker und Erler, Kom.-Ges. Theorie des Rechenschiebers U m die Wirkungsweise des Rechenschiebers zu verstehen, wollen wir die primitive Rechenoperation des Addierens an H a n d eines besonderen Verfahrens erörtern. .' » * 0
0,1 0}
Oß 0,f 0,5 0,6 0,7 Oß Oß 1,0
I I I I I L I I I M I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
|llll|llll|llll|!lll|llll|llll|llll|llll|llll|llll|
E
0
0,1 02
0? 0,4 Oß Oß 0,7 Oß Oß
Iß
Fig. 72. Mechanische Addition zweier Zahlen
Es sei die Aufgabe gestellt, die Zahlen 0,3 und 0,4 zu addieren. Die Summe läßt sich dann durch folgendes mechanisches Verfahren ermitteln. Wir fertigen uns zwei Skalen an, wie sie Fig. 72 zeigt. Legen wir die beiden Skalen so aneinander, wie es in der Figur dargestellt ist, so haben wir damit mechanisch die Aufgabe 0,3 -f 0,4 == 0,7 gelöst. Von der Zahl 0.3 ausgehend, sollte man um 0,4 Einheiten auf der Skala I nach rechts weiterschreiten (das ist ja der Sinn der Addition!); dies wird ohne Abzählen der Schritte dadurch ermöglicht, daß eine zweite Skala an der ersten entlanggeschoben werden kann. Die Durchführung der Subtraktion 0,7 — 0,4 = 0,3 ist als Umkehroperation der soeben ausgeführten Rechnung unmittelbar ver-
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
110
ständlich. Man stellt der Zahl 0,7 auf Skala I die Zahl 0,4 auf Skala I I gegenüber und liest als Resultat diejenige Zahl auf I ab, die der Nullmarke auf I I gegenübersteht. Denken wir uns nun in ganz entsprechender Weise zwei Papierstreifen I I I und IV, von denen jeder eine logarithmische (a bzw. b) a
, r
2
3
«
i 5 6 7 8 9 70
M ''M 111 11 h ' i ' W ' H O 0.1 02 03 Oß 0.5 0,6 0.7 0£ OS W W
lob0 01 02 W O-5 °-6 V °-S °',9 w 1 1 1 , 1 11 ^ 1 ' 1 'i''' 1 ' V ' i ' l ' H ° 1 2 3 U 5 6 7 ä 9 tO
Fig. 73. Mechanische Multiplikation zweier Zahlen durch mechanische Addition ihrer Logarithmen
7
1 I
1 m
I 2 3 V 5 6 7 8 910 I i 1 i 1 i 1 1 lihlilil 1 | 1 | 1 | l |l l'l'l'l'l 1 1 2 3 « 5 6 7 8 9 10
Fig. 74. Mechanische Multiplikation zweier Zahlen
und eine gewöhnliche Proportionalskala (lg a bzw. lg b) in Form einer Doppelleiter besitzt, so aneinander gelegt, wie es Fig. 73 zeigt, so bedeutet diese Anordnung, daß wieder 0,3 -j- 0,4 = 0,7 berechnet wurde. Es soll aber nach der Konstruktion der Skalen die Zahl 0,3 als Logarithmus einer Zahl a = 2,0 bzw. 0,4 als der Logarithmus einer Zahl b = 2,5 aufgefaßt werden. Die Addition der Logarithmen bedeutet aber eine Multiplikation der Numeri und daher muß die bei lg a == 0,7 stehende Zahl a = 5,0 das Produkt 2,0- 2,5 sein. Die Proportionalteilungen lg a und lg b brauchen auf dem Papierstreifen gar nicht vorhanden zu sein. Stellt man die vereinfachten Skalen V und VI so einander gegenüber, wie es Fig. 74 zeigt, so bedeutet diese Stellung die Ausführung der Addition lg 2 -}- lg 2,5 oder, was dasselbe ist, der Multiplikation 2- 2,5 = 5.
111
17. Der logarithmische Rechenschieber
Auch die Division 5 : 2,5 = 2 ist durch dieselbe gegenseitige Lage der Skalen erledigt, denn sie läßt sich zurückführen auf die Subtraktion der Logarithmen: lg 5 — lg 2,5 = lg
= lg 2 .
Werden zwei logarithmische Teilungen so übereinander gezeichnet, daß die eine eine doppelt so große logarithmische Einheitslänge wie die andere aufweist, dann stehen sich auf der oberen und unteren Skala Zahlen gegenüber, von denen die eine das Quadrat der anderen ist. Ist die logarithmische Einheitslänge Zx cm lang / J
2
I
3
V-
5 6
78910
I I I I lllllllllllll
20
ö
\
30
2
3
L
l
80100
llllllllllllll
1' 5
# 2 L
r
5060
1 11
' l ' l ' l ^'
1 /
W
' 6
' 7
l' l ' 8
9
10
-
Fig. 75. Mechanisches Quadrieren einer Zahl
auf der Skala I und l 2 cm auf der Skala I I , so gilt im vorliegenden Falle (Fig. 75) =
2 Z2 ,
l
=
2
\
.
Ein Teilstrich, der x cm vom Beginn der beiden Teilungen entfernt ist, stellt auf der Skala I eine Zahl a und auf der Skala I I eine Zahl b dar, die durch die Gleichungen i
fc° =
*C
ir
Ou
=
ii
i
:
i
g
7
SC
7
festgelegt werden. Eliminiert man x aus diesen beiden Gleichungen, so erhält man • 2 lg a = l lg b 2 lg a = lg b lg a = lg b 2
2
a
2
=
b
.
112
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Würde man noch eine dritte Skala III hinzunehmen, bei der die Länge der logarithmischen Einheit 3 -
3
~
h
3 ^
ist, dann ständen auf den Skalen I und III Zahlen a und c einander gegenüber, für die die Beziehung a? = c
gelten würde. Für die Zahlen b und c auf den Skalen I I und I I I würde entsprechend b 3 = c°- , b = c"» , c = V' gelten. Eine solche Kombination von drei Skalen läßt sich also dazu benutzen, um Zahlen in die zweite und dritte (eventuell auch 2 / s — 109 8 7 6 5
V
3
2
t-x J
lllllll 1 1 1 1 1 1 1 1 \ , 1 I | 1 | 1 |M | 1 | 1 |l l l 2
3
4f\ 5 6 7 3 9 10
4/
1Fig. 76. Mechanische Ermittelung des reziproken Wertes einer Zahl
und 1,5.) Potenz zu erheben bzw. um Quadrat- und Kubikwurzeln zu ziehen. Schließlich sei eine weitere Kombination zweier logarithmischen Skalen betrachtet, die dazu dient, zu jeder Zahl den reziproken Wert zu ermitteln. Hierbei werden zwei logarithmische Skalen verwendet, die einander gegenüberstehen und mit gleichen Einheitslängen l, jedoch gegenläufig, gezeichnet sind, wie es Fig. 76 zeigt. Für irgendeinen Teilstrich, der auf den Skalen I und I I die Zahlen a und b darstellt, gilt lg«==y,
ig6
=
L-.i=i_iL.
17. Der logarithmisohe Rechenschieber
113
Durch Eliminierung von x folgt daraus l-\ga=-l{\ - Ig 6) l g o +]gb = 1 = lg 10 lg a b = lg 10 « 6 = 10
6 = 10 • — . a Man kann bei einer solchen Skalenanordnung zu jeder Zahl a sofort das Zehnfache des reziproken Wertes — und damit natürlich diesen selbst ablesen. Konstruktion des Rechenschiebers und das Arbeiten mit ihm Der logarithmische Rechenschieber oder Rechenstab ist ein Instrument, mit dem m a n unter Benutzung der im vorstehenden Läufer
Fig. 77. Der Rechenschieber
besprochenen und einiger weiteren Skalenanordnungen gewisse Rechenoperationen schnell und bequem durchführen kann. E r besteht aus einem geteilten Stabkörper S0 und Sv, einer beweglichen Zunge und einem durchsichtigen Läufer (siehe Fig. 77). Es gibt verschiedene Rechenschiebersysteme, die gebräuchlichsten sind das System ,,Darmstadt/' und das System ..Rietz"; sie unterscheiden sich voneinander durch Art und Anordnung der Skalen. Dieser Unterschied bezieht sich jedoch nur auf die seltener benutzten Teilungen, die Anordnung der Hauptskalen ist bei allen Rechenschiebern die gleiche. A s m u s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k . 2. A u f l .
g
114
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Im übrigen werden zu den käuflichen Rechenschiebern von den Herstellerfirmen genaue Beschreibungen und Anleitungen geliefert, nach denen die Handhabung des Rechenstabes leicht eingeübt werden kann. Die Rechenschieber normaler Ausführung sind etwa 30 cm lang und besitzen eine Reihe von Skalen, deren Anordnung sich aus der Fig. 78, die einen Rechenstab des Systems „Darmstadt" darstellt, ergibt. Auf dem unteren Stabkörper Su befindet sich neben der sogenannten pythagoreischen Teilung P und der Sinus- und Tangens-
Fig. 78. Rechenschieber System „Darmstadt"
teilung (auf der geraden Unterkante) — auf die hier nicht eingegangen werden soll — eine logarithmische Teilung D mit der Einheitslänge 25 cm. Ihr gegenüber befindet sich auf der Zunge eine genau gleiche Teilung C. Außerdem ist hier eine reziproke (rückläufige logarithmische) Teilung R sowie eine logarithmische Teilung B mit der Einheitslänge 12,5 cm angebracht. Die Rückseite der Zunge ist in der Regel ebenfalls mit Skalen versehen. So befinden sich beim System ,,I)armstadt" hier die sogenannten Exponentialteilungen, die aber im Rahmen dieses Buches nicht besprochen werden sollen. Der Skala B steht auf dem oberen Stabkörper »S'0 die in gleicher Art geteilte Skala A gegenüber und es trägt S0 ferner eine kubische Teilung K (logarithmische Teilung mit der Einheitslänge 25
1 \ — =8-^-cm , sowie auf der schrägen Oberkante, neben einer
115
17. Der logarithmische Rechenschieber
zum Rechnen nicht benutzten cm-Teilung, die 25 cm lange gleichförmige Teilung L, die in Verbindung mit der Skala D unter Benutzung des Läufers zum Ablesen der dekadischen Logarithmen beliebiger Zahlen dient. Die Durchführung von Multiplikationen und Divisionen sowie das Erheben von Zahlen in die zweite und dritte Potenz, das Ziehen der Quadrat- und Kubikwurzeln und die Auffindung des reziproken Wertes und des Logarithmus einer Zahl mit Hilfe des Rechenstabes dürften ohne weiteres auf Grund der oben durchgeführten theoretischen Erörterungen verständlich sein. Will man z. B. die Zahlen 2 und 3 miteinander multiplizieren, so wird der Zahl 2 auf der Skala D die Zahl 1 auf Skala C gegenübergestellt und das Resultat 6 findet man auf D, der Zahl 3 (auf G) gegenüberstehend. Will man hingegen 2- 3- 1,5 rechnen, so g"feht man analog vor, nur liest man auf I) nicht erst das Zwischenergebnis 6 ab, sondern fixiert es dadurch, daß man den Läuferstrich mit 3 auf Skala G zur Deckung bringt, dann die Zunge so weit durchschiebt, bis unter dem Läuferstrich wieder die Zahl 1 auf C steht und findet dann das Endergebnis 9 auf D unter 1,5 auf Skala C. Es kann leicht vorkommen, daß bei einer Multiplikation die Skala nicht ausreicht, um das Endergebnis nach obiger Vorschrift abzulesen, weil sie mir die Zahlen 1 bis 10 enthält. Hat man z. B. 3 • 5 auszurechnen, so müßte man 1 (0) auf 3 (D) stellen und auf D die Zahl ablesen, die unter 5 (C) steht. Die Skala D reicht aber gar nicht so weit. Um zum Ergebnis zu gelangen, benutzt man die Tatsache, daß eine logarithmische Teilung im Bereich von 10 bis 100 genau so aussieht wie zwischen 1 und 10. Man denkt sich also Skala D durch eine gleiche nach rechts hin fortgesetzt. Es würde dann 10 (C) gegenüber 30 (D) stehen und die Lage der Zunge der erweiterten Skala D gegenüber würde dieselbe sein wie diejenige, bei der die Zunge so eingestellt ist, daß 10 (C) der Zahl 3 auf SkalaD gegenübersteht. Zu 5 (C) findet man bei dieser Zungenstellung auf D den Wert 1,5, der aber wegen des Durchschiebens der Zunge das Zehnfache, nämlich 15 bedeutet. Man erkennt an diesem Beispiel, daß der Rechenschieber zwar die einzelnen Ziffern der Ergebniszahl, nicht aber die Stellung des Dezimalkommas liefert. Daher muß die Größenordnung des 8*
116
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
erwarteten Resultates stets durch eine Überschlagsrechnung abgeschätzt werden. Eine Division wird in sinngemäßer Abwandlung des Multiplikationsverfahrens so durchgeführt, daß man dem Dividendus auf D den Divisor auf C gegenüberstellt und den Quotienten auf D gegenüber 1 (C) oder 10 (C) abliest. Besitzt der Rechenschieber eine reziproke Skala R, so läßt sich eine Division als Multiplikation mit dem reziproken Wert durchführen. Dem Dividendus auf D wird unter Benutzung des Läufers die Zahl 1 auf R gegenübergestellt und man findet den Quotienten auf D an derselben Stelle, bei der auf R der Divisor steht. Die großen Vorteile des Rechnens mit dem Rechenschieber treten besonders deutlich zutage, wenn mehrere Multiplikationen und Divisionen gleichzeitig durchzuführen sind. Die Benutzung des Rechenstabes bietet in diesem Falle deswegen große Vorteile, weil alle Zwischenergebnisse übersprungen werden können. Besonders rasch kommt man zum Ergebnis — weil man dabei einen Teil der Durchschiebungen der Zunge spart —, wenn man Multiplikationen und Divisionen abwechselnd durchführt, d. h. eine Aufso w e nac s e gabe von der Art ' 7 % \ * ^ t h e n d e s Schema es andeutet ' ' 3,6: 7,2-5,5: 4,5- 1,8.. Bei der Durchführung von Multiplikationen und Divisionen kann man statt des Skalenpaares C und D auch die beiden Teilungen A und B benutzen; daß man die beiden ersteren vorzieht, liegt daran, daß bei ihnen die logarithmische Einheitslänge doppelt so groß wie bei A und B ist. Daher ist der Ablesefehler gegenüber demjenigen, der bei Verwendung der Skalen A und B entsteht, nur halb so groß. Zum Quadrieren und Ziehen der Quadratwurzel werden die Skalen A und D unter Verwendung des Läuferstriches benutzt. Die Berechnung der dritten Potenz und der dritten Wurzel geschieht entsprechend mit Hilfe der Skalen D und K. Beim Radizieren muß beachtet werden, daß die Zahl, aus der die Wurzel gezogen werden soll, so dargestellt wird, daß sie als Produkt einer neuen Zahl und einer passenden Zehnerpotenz erscheint.
17. Der logarithmische Rechenschieber
117
H a t man z. B. die Quadratwurzel aus 625 zu ziehen, so schreibt man diese Zahl als 6,25- 102 und die Wurzel daraus ist |/ß,25-10. Man bringt den Läuferstrich mit 6,25 auf A zur Deckung, und liest auf D unter dem Strich 2,5 ab. Das Ergebnis lautet daher 2,5-10 = 25. Wenn man dagegen |/6250 zu berechnen hat, so ist |/6250 = [/62,5 • 102 = |/62^5-10. J e t z t wird der Läuferstrich auf 62,5 (Skala A) eingestellt und 7,91 auf D abgelesen. Das Result a t ergibt sich also zu 79,1. Beim Ziehen der dritten Wurzel wird die Zahl entsprechend in zwei Faktoren, von denen der eine 10 3 " (n ganze Zahl) ist, aufgespalten und dann analog wie oben verfahren. Es ist selbstversändlich nicht möglich, im Rahmen dieses Buches auf sämtliche Rechenmöglichkeiten, die ein Rechenschieber bietet, einzugehen. Mit den oben angegebenen ist das Anwendungsgebiet dieses mathematischen Instrumentes nur gestreift. Ein Spezialrechenschieber für Chemiker Neben den Rechenschiebersystemen, die f ü r die Zwecke einer möglichst vielseitigen Anwendung des Rechenstabes ausgearbeitet sind, gibt es auch solche, die einem speziellen, eng begrenzten Zwecke dienen. Als Beispiel für einen solchen Spezialrechenschieber mag derjenige dienen, mit dessen Hilfe die Auswertung chemischer Analysen vorgenommen werden kann. Fig. 79 zeigt in teilweiser Darstellung diesen Rechenstab. Die Skalen C und D entsprechen denjenigen des allgemeinen Schiebers, auf den Skalen A und B dagegen sind statt der Zahlen nur einzelne Teilstriche angebracht, die durch ihre Loge die Molekulargewichte einer Reihe von chemischen Verbindungen oder für die Analyse wichtiger Gruppen anzeigen. Auf der Skala A erkennt man in Fig. 79 z. B. die Bezeichnungen Sr, Si0 4 , K 2 0 und H 2 S0 4 , die zu Teilstrichen gehören, die die abgerundeten Atom- bzw. Molekulargewichte 87,6, 92,1, 94,2 und 98,1 fixieren. Die Skala A trägt die Einprägung „gesucht", die Skala B — „gefunden" (in der Figur nicht sichtbar). Wird bei einer chemischen Analyse z. B. Brom durch Fällung von AgBr bestimmt, wobei der Niederschlag 1,500 g wiegt, so
118
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
berechnet m a n die darin enthaltene Brommenge dadurch, daß man dem Teilstrich Br auf der ,,gesucht"-Skala den Teilstrich AgBr auf der „gefunden"-Skala gegenüberstellt (vgl, Fig. 79) und auf
Fig. 79. Spezialreohensehieber für Chemiker
Skala D diejenige Zahl abliest, der gegenüber auf C der Wert der Auswaage steht. Man findet so, daß in 1,500 g AgBr 637 mg Br enthalten sind. Die Genauigkeit dieser Rechnung ist selbstverständlich nicht so groß wie bei Benutzung der fünfstelligen Logarithmentafel, reicht aber in vielen Fällen vollkommen aus. C. Die Exponentialfunktion 18. D a r s t e l l u n g und D i f f e r e n t i a t i o n der Exponentialfunktion Vor längerer Zeit untersuchte A r r h e n i u s die relative Zähigkeit rjIei wässeriger Lösungen starker Elektrolyte bei konstanter Temperatur und fand, daß sie sich in einem gewissen Bereich als Funktion der Konzentration c darstellen läßt in der Form V rel = K c ,
wobei K eine den Elektrolyt charakterisierende Konstante bedeutet . Die Eigenschaften dieser Funktion > die in allgemeiner mathematischer Schreibweise (26) y = a* lautet, wollen wir im folgenden untersuchen.
18. Darstellung und Differentiation der Exponentialfunktion
H9
Ist y durch die Gl. (26) gegeben, wenn a irgendeine positive Zahl größer als 1 bedeutet, so nennt man eine solche Funktion allgemeine Exponentialfunktion. Zeichnen wir uns diese Funktion für die Werte a = 2, a = 3, a — 4 usw., so erhalten wir eine in Fig. 80 dargestellte Kurvenschar. Sämtliche Kurven schneiden die Ordinatenachse im Abstände 1 von der x-Achse, denn f ü r jedes a ist a° — 1. Die Steigung dieser Kurven nimmt y ,y-4" mit wachsendem x-Wert zu, und es ist bemerkenswert, daß 3,0 es unter dieser Kurvenschar /A'3" eine Kurve gibt, deren Stei2,5 gung in jedem P u n k t e zahlen/ / /y-2 l mäßig gleich dem jeweiligen / / 10 Ordinatenwert ist, bei der also die Gleichung gilt: / / /V'i-5'' 7,5
dx " 1,0 Diese Kurve ist diejenige, bei der a gerade den Wert as 1 e = lim 1 -f — = 2,718 . . . n >' -7.5 •1.0 -0,5 0,5 1.0 1,5 besitzt. Wir wollen das folgenden beweisen und damit FiS" 80 - Graphische Darstellung der ... , .„„ . Funktion y = ax . . . gleichzeitig das Dilierenzieren der E x p o n e n t i a l f u n k t i o n y =- ex lernen, die man gelegentlich auch y = exp(x) schreibt. Logarithmiert man die Gleichung zur Basis e, so folgt
y In y :
Denken wir uns jetzt x als abhängige und y als unabhängige dx Variable, schreiben also x —• In y, und bilden so erhalten wir dy' dx _ l_ dy y
120
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
oder u n t e r Verwendung der Umkehrregel 1
•
dx
dj
„
y >
u n d d a y — ex ist, ist d a m i tdy_ dx dex dx womit gezeigt ist, d a ß das Ableiten der E x p o n e n t i a l f u n k t i o n wiederum die F u n k t i o n selbst ergibt. Man k a n n d e m n a c h die F u n k t i o n y — ex beliebig o f t differenzieren, u n d immer wieder erhält m a n die ursprüngliche F u n k t i o n . N a c h d e m wir das wissen, ist auch das Differenzieren von y = ax nicht schwierig, denn es ist 27)
y = ax =
exXna,
was m a n sofort als richtig erkennt, wenn m a n auf beiden Seiten der Gleichung den natürlichen Logarithmus bildet. E s ist d a n n nämlich y = ex-\na In y = x • In a
In,
y = ax . U n t e r Anwendung der Kettenregel erhält m a n aus Gl. (27) dy _ dax de"in« _ . g-c In a . l n a — J n a . ax dx dx dx dx
= In a • ax
E s ist also auch die allgemeine E x p o n e n t i a l f u n k t i o n beliebig o f t differenzierbar, n u r ist hier die Steigung nicht g l e i c h dem Ordin a t e n w e r t , sondern ihm p r o p o r t i o n a l . Der Proportionalitätsf a k t o r ist der natürliche Logarithmus der Grundzahl. Die E x p o n e n t i a l f u n k t i o n ist neben der geraden Linie die wichtigste F u n k t i o n f ü r die Naturwissenschaften, u n d daher wollen wir sie u n d einige ihrer Abkömmlinge eingehender b e t r a c h t e n .
18. Darstellung und Differentiation der Exponentialfunktion
121
Tabelle 6 x
X
ex
-X
ex
e'x
X
e*
0,00 0,01 0,02 0,03 0,04
1,000 1,010 1,020 1,030 1,041
1,0000 0,9900 0,9802 0,9704 0,9608
0,40 0,41 0,42 0,43 0,44
1,492 1,507 1,522 1,537 1,553
0,6703 0,6637 0,6570 0,6505 0,6440
0,80 0,81 0,82 0,83 0,84
2,226 2,248 2,271 2,293 2,316
0,4493 0,4449 0,4404 0,4360 0,4317
0,05 0,06 0,07 0,08 0,09
1,051 1,062 1,073 1,083 1,094
0,9512 0,9418 0,9324 0,9231 0,9139
0,45 0,46 0,47 0,48 0,49
1,568 1,584 1,600 1,616 1,632
0,6376 0,6313 0,6250 0,6188 0,6126
0,85 0,86 0,87 0,88 0,89
2,340 2,363 2,387 2,411 2,435
0,4274 0,4232 0,4190 0,4148 0,4107
0,10 0,11 0,12 0,13 0,14
1,105 1,116 1,127 1,139 1,150
0,9048 0,8958 0,8869 0,8781 0,8694
0,50 0,51 0,52 0,53 0,54
1,649 1,665 1,682 1,699 1,716
0,6065 0,6005 0,5945 0,5886 0,5827
0,90 0,91 0,92 0,93 0,94
2,460 2,484 2,509 2,535 2,560
0,4066 0,4025 0,3985 0,3946 0,3906
0,15 0,16 0,17 0,18 0,19
1,162 1,174 1,185 1,197 1,209
0,8607 0,8521 0,8437 0,8353 0,8270
0,55 0,56 0,57 0,58 0,59
1,733 1,751 1,768 1,786 1,804
0,5769 0,5712 0,5655 0,5599 0,5543
0,95 0,96 0,97 0,98 0,99
2,586 2,612 2,638 2,664 2,691
0,3867 0,3829 0,3791 0,3753 0,3716
0,20 0,21 0,22 0,23 0,24
1,221 1,234 1,246 1,259 1,271
0,8187 0,8106 0.8025 0,7945 0,7866
0,60 0,61 0,62 0,63 0,64
1,822 1,840 1,859 1,878 1,896
0,5488 0,5434 0,5379 0,5326 0,5273
1,00 1,10 1,20 1,30 1,40
2,718 3,004 3,320 3,669 4,055
0,3679 0,3329 0,3012 0,2725 0,2466
0,25 0,26 0,27 0,28 0,29
1,284 1,297 1,310 1,323 1,336
0,7788 0,7711 0,7634 0,7558 0,7483
0,65 0,66 0,67 0,68 0,69
1,916 1,935 1,954 1,974 1,994
0,5220 0,5169 0,5117 0,5066 0,5016
1,50 1,60 1,70 1,80 1,90
4,482 4,953 5,474 6,050 6,686
0,2231 0,2019 0,1827 0,1653 0,1496
0,30 0,31 0,32 0,33 0,34
1,350 1,363 1,377 1,391 1,405
0,7408 0,7334 0,7261 0,7189 0,7118
0,70 0,71 0,72 0,73 0,74
2,014 2,034 2,054 2,075 2,096
0,4966 0,4916 0,4868 0,4819 0,4771
2,00 2,10 2,20 2,30 2,40
7,389 8,166 9,025 9,974 11,023
0,1353 0,1225 0,1108 0,1003 0,0907
0,35 0,36 0,37 0,38 0,39
1,419 1,433 1,448 1,462 1,477
0,7047 0,6977 0,6907 0,6839 0,6771
0,75 0,76 0,77 0,78 0,79
2,117 2,138 2,160 2,181 2,203
0,4724 0,4677 0,4630 0,4584 0,4538
2,50 2,60 2,70 2,80 2,90
12,182 13,464 14,880 16,445 18,174
0,0821 0,0743 0,0672 0,0608 0,0550
e~
e
X
122
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Tabelle 6 (Fortsetzung) x
X
e*
e-
3,00 3,10 3,20 3,30 3,40
20,086 22,20 24,53 27,11 29,96
0,0498 0,0450 0,0408 0,0369 0,0334
4,00 4,10 4,20 4,30 4,40
54,60 60,34 . 66,69 73,70 81,45
0,0183 0,0166 0,0150 0,0136 0,0123
5,00 5,10 5,20 5,30 5,40
148,41 164,0 181,3 200,3 221,4
0,0067 0,0061 0,0055 0,0050 0,0045
3,50 3,60 3,70 3,80 3,90
33,12 36,60 40,45 44,70 49,40
0,0302 0,0273 0,0247 0,0224 0,0202
4,50 4.60 4,70 4,80 4,90
90,02 99,48 109,95 121,5} 134,29
0,0111 0,0101 0,0091 0,0082 0,0074
5,50 5,60 5,70 5,80 5,90
244,7 270,4 298,9 330,3 365,0
0,0041 0,0037 0,0034 0,0030 0,0027
e~x
X
ex
e-x
Da e = 2,718 . . . irrational ist, läßt sich y = ex nicht durch einfaches Potenzieren berechnen. Die Ermittelung der Werte ex durch Reihenentwicklung werden wir später (S. 185) kennenlernen. Die Tabelle 6 enthält die Werte ex für positive und negative «-Werte. So ist z . B . e+o>20 = 1,336 und e~ 0 ' 29 = 0,7483. Zwischenwerte können durch Interpolation gewonnen werden. Sind die Tabellenabstände für eine lineare Interpolation zu groß, so kann man die Zwischenwerte erhalten, wenn man berücksichtigt, daß ea+b= ea • eb ist. Ès sei beispielsweise zu berechnen e 1,45 . Es ist dann e M5 = gl,40 + 0,05 = gl,40. eo,o5 = 4 ^ 5 5 . 1,051 = 4,263 . Die Funktion y -- ex steigt monoton; sie besitzt keine Extremwerte und Wendepunkte, da i ] aus, kürzen und erhalten .. _ A (B + Cfe(B + C)t . {B — Ce(B + C)t} X — [B + Ce(B + C)t] 3 " a; wird zu Null, wenn die geschweifte Klammer verschwindet, da die anderen Faktoren im Zähler nicht gleich Null sein können. E s ist also, wenn tm die Zeit ist, nach der die maximale Reaktionsgeschwindigkeit erreicht ist, B - Ce'm B = C e(-B+ •B o In
=(B+
tm =
c)i«,
¿B+C)tm>
=
_
=0,
C)tm ,
l B C B + C ln
oder,nach Einsetzen der ursprünglichen Größen, In tm
ajt
= ak+\u
'
128
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Wollen wir noch feststellen, welche Menge xm in der Zeit tm bereits umgesetzt worden ist, so setzen wir tm in Gl. (28) ein u n d erhalten , ak ln (ak+ku) a ku —
(ak+ ak + kue
Y~ u
, ak
In —
iiF+ku_i
(1 ku e
ak In-jr "•11 ku) ak
+
*«_
, ak In ln-r7 T "11 an kIA 1 kInu r, t
, , , ak' ak + ku ' — >1
k
«
_ ak — ku _ « f 1 — j ß • >" ~ "2k' ~ " 2 "" " V
I s t die Beschleunigung durch den K a t a l y s a t o r groß, also k viel k a k
größer als ku, d a n n ist der Bruch —^ viel kleiner als 1 u n d k a n n vernachlässigt werden. E s ist in diesem Falle hinreichend genau =
• Die Höchstgeschwindigkeit ist also erreicht, wenn die
H ä l f t e der Ausgangssubstanz zersetzt ist. 20. D i e n e g a t i v e
Exponentialfunktion
Darstellung und Eigenschaften Noch wichtiger als die positive Exponentialfunktion y = ex ist die negative y = e~x oder in der allgemeinen F o r m y
=
a e~bx .
y = e~x entsteht aus y = ex durch Vertauschung der positiven und negativen x-Werte miteinander, d. h. die K u r v e f ü r y = e~x f i n d e t m a n durch Spiegelung der e^-Kurve a n der Ordinatenachse. Fig. 81 zeigt die beiden Grundkurven. Die K o n s t a n t e n a u n d b bedingen dasselbe wie bei ex. Die Steigung ist j e t z t d a u e r n d negativ, denn aus y = a e~bx
folgt unter der Anwendung der Kettenregel ^ = — ab dx
Die K u r v e f ä l l t also ständig.
• e~bl = — b y . *
20. Die negative Exponentialfunktion
129
Die Werte y = e~x können der Tab. 6 entnommen werden; für positive Werte in der Spalte e~x, für negative »-Werte in der Spalte ex. So hat z. B. e~x für x = 0,20 den Wert 0,8187, für a; = - 0,20 ist e- = e+ °'20 = 1,221. Für den Chemiker ist y = a e~bx insofern von größerer Bedeutung, als diese Funktion den zeitlichen Ablauf einer sogenannten Reaktion erster Ordnung beschreibt. Zu Reaktionen dieser Art
Fig. 81. Graphische Darstellung der Funktionen y = ex und y = e~x
gehört z. B. die Rohrzuckerinversion. Löst man Rohrzucker in sehr viel Wasser, so wandelt er sich in Dextrose und Lävulose um nach der Gleichung W „ + H 2 O -* C6H12O6 -+- C6H12O6, wenn H'-Ionen anwesend sind, die katalytisch wirken. Bedeutet c 0 die Anfangskonzentration, c die Konzentration des Rohrzuckers nach einer Zeit t seit Beginn der Umsetzung, und k eine Konstante, so wird der Ablauf der Reaktion beschrieben durch die Gleichung c = c 0 e~ kt . Den Reaktionsverlauf verfolgt man durch Messung der sich zeitlich ändernden optischen Drehung der Zuckerlösung. Die Konzentration des Rohrzuckers nimmt vom Werte c 0 zu Beginn der A s m i i s , E i n f ü h r u n g in die höhere M a t h e m a t i k .
2. A u f l .
9
130
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Reaktion (t = 0) ab, und zwar zunächst rasch, dann immer langsamer, entsprechend dem Verlauf der Kurve y — e~x. Streckung einer Exponentialkurve zu einer Geraden auf Exponentialpapier Wie kann man auf Grund von Beobachtungswerten schnell feststellen, ob die obige Reaktion wirklich nach der angegebenen Gleichung abläuft ? Zeichnen wir c als Punktion von t in einem Koordinatensystem auf, so läßt sich nicht entscheiden, ob die gezeichnete Kurve wirklich eine Exponentialfunktion und nicht vielleicht eine Hyperbel oder eine andere ähnliche Kurve ist. Wenn wir durch passende Verzerrung der Maßstäbe auf den Koordinatenachsen es erreichen könnten, daß die Exponentialfunktion zu einer Geraden gestreckt wird, so ließe sich die gesuchte Entscheidung leicht fällen, denn die Gerade ist von allen anderen Kurven zu unterscheiden. Die Eigenschaft, eine Exponentialfunktion zu einer Geraden zu strecken, besitzt das einfach logarithmische Papier. Logarithmieren wir (30) so erhalten wir
y = a e-bx , In y = In a — b x
oder 2,3 lg y = 2,3 lg a - b x , lg V = lg a — p • x . Trägt man also in einem Koordinatensystem auf der Abszissehachse die «-Werte, auf der gleichmäßig geteilten Ordinatenachse lg y auf, so erhält man, falls zwischen y und x die ßaziehung (30) besteht, eine Gerade mit der Neigung —
und dem Ordinaten-
achsenabschnitt lg a, wenn die Einheitslängen auf den beiden Achsen gleich groß gewählt worden sind. Dasselbe leistet aber auch ein Koordinatenpapier mit gleichmäßig geteilter «-Achse und logarithmisch geteilter y-Achse, also unser einfach logarithmisches oder Exponentialpapier. Nur sind
20. Die negative Exponentialfunktion
131
jetzt, im Gegensatz zur Darstellung einer logarithmischen Funktion (S. 101), die Achsen vertaucht. Wir wollen die Verwendung des Exponentialpapiers an einem praktischen Zahlenbeispiel erläutern. Ester werden durch Wasser hydrolysiert, wie z. B. Methylacetat: CH3COOCH3 + H 2 0 - CH3OH + CH3COOH . Nimmt man stark verdünnte Lösungen, so verläuft die Esterhydrolyse ähnlich wie die Zuckerinversion als Reaktion erster Ordnung. Sie wird durch Säuren katalytisch beschleunigt, und da sich bei der Hydrolyse neben Alkohol auch Säure bildet, beschleunigt die Reaktion sich selbst durch eine Autokatalyse (siehe S. 123). Setzt man aber von vornherein der wässerigen Esterlösung eine größere Menge einer starken Säure hinzu, so spielt die während der Reaktion e n t s t e h e n d e Säure für die Katalyse keine Rolle, und der Reaktionsverlauf ist von erster Ordnung. Man verfolgt den Reaktionsablauf durch Beobachtung des Konzentrationsanstieges der gebildeten Essigsäure. Von Zeit zu Zait werden dem Reaktionsgefäß gleiche Mengen, in unserem Beispiele je 2 cm3, des Reaktionsgemisches entnommen und mit 0,1 n NaOH (Phenolphthalein als Indikator) titriert. Dabei werden die in Tab. 7 wiedergegebenen Werte beobachtet. Tabelle 7 t Minuten 0 20 40 60 80 108 140 243 360 480 1062 2 Tage (00)
Verbrauchte Lauge L cm3
Für CH3COOH verbrauchte Lauge A L cm3
9,30 9,90 10,50 11,10 11,60 12,30 13,10 14,90 16,15 17,00 18,20 18,30
0 0,60 1,20 1,80 2,30 3,00 3,80 5,60 6,85 7,70 8,90 9,00
E = 9,00 — AL cm3 9,00 8,40 7,80 7,20 6,70 6,00 5,20 3,40 2,15 1,30 0,10 0 9*
132
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Da der wässerigen Esterlösung zu Beginn des Versuches eine größere Menge etwa 0,5 n Salzsäure zugesetzt wurde, ergibt die Titration zur Zeit t = 0 einen Laugenverbrauch L von 9,30 cm 3 . Da der Salzsäuregehalt während des Versuches sich nicht ändert, müssen wir, um die f ü r die entstandene Essigsäure verbrauchte Laugenmenge AL zu erhalten, diesen Wert von sämtlichen beobachteten Zahlen L abziehen. So erhalten wir die dritte Spalte unserer Tabelle. Bezeichnen wir mit c 0 die Anfangskonzentration des Esters und mit ce seine Konzentration zur Zeit t, dann soll Ce = c0 e~kt sein, eine Funktion, deren Verlauf K u r v e I in Fig. 82 zeigt.
Da für jede verbrauchte Molekel Ester eine Säuremolekel neu entsteht, ist während des ganzen Versuches die Summe von Esterkonzentration ce und Essigsäurekonzentration es konstant und gleich c 0 . D a m i t ist cs = c0 — cE=c0 — c 0 e~kt = c 0 (1 — e~kt). Den Verlauf dieser Funktion zeigt Kurve I I in Fig. 82. Sie entsteht dadurch, daß m a n von der Parallelen zur t-Achse c = c0 die K u r v e I abzieht. Die Säurekonzentration steigt also ständig an und nähert sich asymptotisch dem Werte c 0 . Da wir je 2 cm 3 mit 0,1 n Lauge titriert haben, ist die Konzentration der entstandenen Säure es = ^ • 0,1 Mol/1.
20. Die negative Exponentialfunktion
133
Wir interessieren uns aber nicht f ü r den Verlauf von es , sondern f ü r den von es = c0 — cs . c0 ist die Anfangskonzentration des Esters und gleichzeitig die Endkonzentration der Säure, die sich nach unendlich langer Zeit 9 00 (t -»• oo, praktisch nach 2 Tagen) einstellt; sie ist • 0,1 Mol/1. Damit wird cE = • 0,1 - ~
• 0,1 = 0,05 (9,00 - AL) = 0,05 • E .
Die Werte E = 9,00 — AL sind in der vierten Spalte der Tab. 7 eingetragen. Wenn nun cE wirklich eine Exponentialfunktion ist, so müssen im einfach logarithmischen Papier die Werte CE — 0,05 • ( 9 , 0 0 - A L) oder auch einfach die Kubikzentimeterzahl E = 9,00 — AL, gegen die Zeit aufgetragen, eine fallende gerade Linie ergeben. An der folgenden Fig. 83 erkennt man, daß innerhalb der Meßgenauigkeit die P u n k t e auf einer Geraden liegen. I n der gleichen Figur ist auch der Verlauf der Werte AL, die der Größe cs proportional sind, eingetragen (ausgefüllte Kreise). Man sieht, daß diese W e r t e n i c h t auf einer Geraden liegen, weil Cg durch c 0 (1 — e~ kt ), also nicht durch eine einfache Exponentialfunktion, gegeben ist. Zum Schluß wollen wir aus dem Verlauf der Geraden die Konstante k bestimmen. cE = c 0
e-kt,
0,05 E = 0,05 • 9,00 • e~kt, E = 9,00 • e~kt,
Wäre das Koordinatensystem mit gleichen Einheitslängen Abszissen- und Ordinatenachse gezeichnet, so wäre
auf
wenn ß der Winkel der Geraden mit der n e g a t i v e n t-Achse
ist.
134
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
=
und
= ^
(!_«-*
12 — — eo—k>r In 2 = — M = ln2 X =
kr,
T '
Die Halbwertszeit hängt also mit der Konstanten k zusammen, aber nicht, und das ist das Bemere kenswerte, mit der AnFig. 84. Unabhängigkeit der Halb wert sdauer fangskonzentration c 0 . einer Reaktion erster Ordnung von der An- D a s bedeutet, daß Expofangskonzentration ,. . „ . .. ... nentialiunktionen vom 1 ypus c = c 0 eru mit gleichem k, aber verschiedenem c 0 , nach der gleichen Zeit r ein c besitzen, welches gleich der Hälfte desAnfangs-Ordinatenwertes ist (Fig. 84). Dasselbe gilt natürlich in entsprechender Weise für das Absinken auf jeden beliebigen Bruchteil der Anfangskonzentration. Auch an dieser Eigenschaft der Exponentialfunktion erkennt man eine Reaktion erster Ordnung. In unserem Beispiel der Esterhydrolyse verringert sich die Ordinate auf den 1,07. Teil in jeweils 20 Minuten. Natürlich ist diese Eigenschaft nichts weiter als die zuerst erwähnte, nur in anderer Ausdrucksweise. Drei weitere Beispiele für das Auftreten der negativen Exponentialfunktion Die negative Exponentialfunktion tritt in der Chemie nicht nur bei Reaktionen erster Ordnung auf, wozu auch der radioaktive
20. Die negative Exponentialfunktion
137
Zerfall gehört, sondern auch z. B. in der Kolorimetrie, der Analyse durch U n t e r s u c h u n g der Lichtschwächung in farbigen Lösungen. LambertBeersches Absorptionsgesetz. L ä ß t m a n Licht einer bestimmten Wellenlänge u n d der I n t e n s i t ä t / „ in eine Lösung eindringen, so besitzt es n a c h dem Durchlaufen einer Schicht l n u r noch die I n t e n s i t ä t I , die nach dem L a m b e r t - B e e r s c h e n Gesetz I = I0e~k
c 1
°der ist. c ist
7 = V 1 0 — dabei die molare K o n z e n t r a t i o n der Lösung u n d k e = k • lg e = 2 g der molare Extinktionskoeffizient, eine Stoffkonstante. ' U m die Schwächung der Lichtintensität auf den gleichen Bruchteil zu erzielen oder u m die gleiche E x i n k t i o n lg — = e c l zu erhalten, m u ß das P r o d u k t c l k o n s t a n t gehalten werden. D a s bed e u t e t also, d a ß die Lösung desselben Stoffes bei Gültigkeit des B e e r sehen Gesetzes bei einer bestimmten Schichtdicke das L i c h t genau so schwächt wie eine halbkonzentrierte in doppelter Schicht. Nernstsches Auflösungsgesetz. Ebenfalls nach einem E x p o n e n tialgesetz verläuft die zeitliche Auflösung eines Kristalls in einer g u t g e r ü h r t e n Flüssigkeit, etwa eines Salzes im Wasser. Auch O x y d e u n d m a n c h e Metalle lösen sich in Säuren nach demselben Gesetz. E s lautet , ,
i
c = cs \1 — e Dabei bedeuten die einzelnen B u c h s t a b e n : c = die K o n z e n t r a t i o n der Lösung, in der sich der Stoff auf löst, zur Zeit t, Cs — die Sättigungskonzentration, F = die Kristalloberfläche, v = das Lösungsvolumen, D = den Diffusionskoeffizienten, d = die Dicke einer dem Kristall a n h a f t e n d e n Schicht, die selbst bei starker R ü h r u n g bestehen bleibt u n d in der die gelösten Molekeln n u r durch Diffusion sich fortbewegen.
138
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Der Verlauf der Kurve ist qualitativ derselbe wie bei Kurve I I in Fig. 82. Die Konzentration der Lösung nimmt ständig zu und nähert sich asymptotisch dem Sättigungswert. Newtonsches Abkühlungs- und Erwärmungsgesetz. Als letztes wollen wir noch das zeitliche Abkühlungs- oder Erwärmungsgesetz für einen Körper kennenlernen. Hat ein Körper eine Anfangstemperatur § 0 , die größer oder kleiner als die Raumtemperatur dR ist, so kühlt er sich ab oder erwärmt sich nach der Gleichung —
& = &R - &oV-kt> wobei i) die Körpertemperazur Zeit t bedeutet. Man erkennt leicht, daß der Kurvenverlauf der in Fig. 85 dargestellte ist. Ist nämlich der Körper zunächst heißer als die Fig. 85. Abkühlungs- bzw. Erwär- Umgebung, so ist &0 größer als mungskurve eines sich nicht auf ° , , . ,. , tl Raumtemperatur befindenden Körpers " n und damit die Klammer negativ. Bezeichnen wir mit A •& den Absolutbetrag von & R — ¿>0, so ist in diesem Falle ö = &s +A&-
e~kt,
also eine Überlagerung der Parallelen zur t-Achse § = der fallenden Exponentialfunktion Aj} • e~kt (Kurve I). Ist hingegen erhalten
und
< § R , dann ist die Klammer positiv und wir § =
— A& • e-kt,
also eine sich dem Werte & R von unten asymptotisch nähernde Kurve (II). Sie entsteht durch die Spiegelung der Kurve I an der gestrichelt gezeichneten Geraden.
21. Die Funktion y = e
21. Die Funktion y = e
*
139 x
Darstellung und Eigenschaften Wie die Reaktionskinetik lehrt, ist die Reaktionsgeschwindigkeit EG einer bimolekularen Gasreaktion, etwa die Bildung von J o d wasserstoff aus den Elementen, also H 2 -f J 2 - 2 H J proportional den Konzentrationen der Ausgangsstoffe, wenn m a n als Reaktionsgeschwindigkeit die zeitliche Konzentrationsänderung eines der R e a k t i o n s p a r t n e r definiert. Mathematisch ausgedrückt ergibt sich so f ü r die Bildungsgeschwindigkeit von Jodwasserstoff RQ = k [ H 2 ] • [ J 2 ] , wenn die Symbole in eckigen K l a m m e r n in üblicher Weise die K o n z e n t r a t i o n der eingeklammerten Stoffe u n d k eine K o n s t a n t e bedeuten. Diese Gleichung ist nichts weiter als der Ausdruck daf ü r , d a ß die R e a k t i o n n a c h Wahrscheinlichkeitsgesetzen verläuft. D a m i t eine H a - u n d eine J 2 -Molekel reagieren können, müssen sie erst aufeinanderprallen, u n d ein solcher Zusammenstoß, cler allerdings n u r eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung f ü r das E i n t r e t e n der R e a k t i o n ist, ist eben u m so wahrscheinlicher, je höher die Konzentrationen der beiden Molekelsorten im R e a k t i o n s r a u m e sind. N u n f ü h r t aber nicht jeder Zus a m m e n s t o ß zur Reaktion, denn erstens müssen die Molekeln u n t e r günstigen räumlichen Bedingungen aufeinanderstoßen (sterischer F a k t o r ) und, was viel wesentlicher ist, sie müssen einen gewissen E n e r g i e v o r r a t besitzen, der sie zur R e a k t i o n befähigt. Diese Energie, die m a n einer Molekel auf irgendeine A r t zuführen m u ß , u m sie reaktionsfähig zu machen, n e n n t m a n die Aktivierungsenergie q. F ü r ein ganzes Mol ist die Aktivierungsenergie Q = Nq, wenn N die Zahl der im Mol enthaltenen Molekeln ist. Nicht alle Molekeln eines Mols besitzen eine Energie vom Mindestbetrage q, daher ist auch n u r eine kleine Anzahl n reaktionsfähig. N a c h M a x w e l l u n d B o l t z m a n n h ä n g t n u n (unter gewissen vereinfachten Voraussetzungen) die Zahl der aktivierten,
140
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
reaktionsfähigen Molekeln n mit der Gesamtzahl N durch die Gleichung zusammen: Q n = N e bt , wenn R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur ist. Dieser Punktionstypus, der von ganz außerordentlicher Be-
Fig. 86. Graphische Darstellung der Funktion y — e
x
In der allgemeinen Schreibweise würde die Funktion lauten _ b y= ae x und der einfachste Fall ist, daß a = b = 1 ist, so daß die Funktion i
heißt. y = e"' Wie sieht die graphische Darstellung dieser Funktion aus und welche Eigenschaften besitzt sie ? Entwerfen wir uns eine Wertetabelle und zeichnen dann die Kurve, so finden wir folgendes Bild (Fig. 86).
21. Die Funktion y = e
x
141
Die ganze K u r v e besitzt nur positive y-Werte, weil e potenziert mit irgendeiner Zahl, gleichgültig, ob positiv oder negativ, stets größer als Null ist. Die K u r v e n ä h e r t sich f ü r x oo dem Werte 1, f ü r x — oo ebenfalls dem Werte 1, nur erfolgt die Annäherung im ersten Falle von u n t e n her, im anderen Falle von oben her. Eine besondere Eigentümlichkeit besitzt die K u r v e a n der Stelle x = 0. N ä h e r n wir uns dieser Stelle von positiven Werten, so ist y = e i
x
=
L
. Da x immer kleiner wird, wird — u n d damit x
ex
ex immer größer und wächst über jeden angebbaren Betrag hinaus; y also wird immer kleiner u n d n ä h e r t sich dem W e r t e Null. Bewegt m a n sich jedoch aus dem Gebiete negativer x-Werte auf
_
die kritische Stelle x = 0 zu, so ist bei y = e
x
der E x p o n e n t
eine positive Zahl, die bei kleiner werdendem x immer größer wird, so d a ß y nach oo geht. E s t r i t t hier der mathematisch interi essante Fall ein, d a ß der Grenzwert lim e * je nach der Annähere->0 rungsrichtung verschieden ausfällt. Diese Eigenschaft der Funktion h a t aber f ü r die Naturwissenschaft keine Bedeutung, denn die K u r v e h a t ü b e r h a u p t nur einen Sinn im ersten Quadranten, entsprechend der Tatsache, d a ß es nur positive absolute Temperaturen gibt. Heißt n u n unsere F u n k t i o n
_ Q_ n = N e
RT
,
so bleibt der Kurvenverlauf qualitativ derselbe, n u r erfolgt die Annäherung f ü r T -* oo an den Wert N s t a t t a n 1. Der Verlauf der K u r v e lehrt uns, d a ß die Zahl der aktivierten Molekeln zunächst rasch mit wachsender Temperatur steigt, d a ß es aber d a n n immer schwerer u n d schwerer wird, auch noch den letzten Rest der reaktionsträgen Molekeln zu aktivieren, was bei der K u r v e durch einen W e n d e p u n k t angedeutet wird. Die Lage dieses Wende-
142
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
punktes findet man in üblicher Weise aus der gleich Null gesetzten zweiten Ableitung. n = Ne dT
=
N
•
RT
,
RT2 n
•
dT
T2 '
R
--Q-
V
2
=
NQ RT £
Z .
E
ET . YA — 2TE
RT
T«
®
_ NQe 4RT(Q Rf
Soll die zweite Ableitung verschwinden, so muß %— 2T = 0 K sein. Also ist die Wendepunktstemperatur m I
W
Q = 2 R -
Bei dieser Temperatur ist die Zahl der aktivierten Molekeln Q 2R
n = Ne
=Ne-2
oder der aktivierte Prozentsatz = 13,5 o/ 0 . £* • 1100 0 0 == ^™ N e Streckung der Kurve y = e logarithmische Netz
x
zu einer Geraden. Das hyperbolisch
Nach denselben mathematischen Gssstzen hängt auch die Löslichkeit eines Stoffes in einem anderen von der Tempsratur ab. Die Größe Q im Exponenten hat dann die Bsdsutung dar Losungswärme und kann positiv oder negativ sein. Bringt man KBr-Kristalle in Br 2 -Dampf oder J 2 -Dampf, so löst sich bei höherer Temperatur Dämpfen in den Kristallen. Ist n die Zahl der pro cm3 eingedrungenen Dampfmolekeln und N
KJ-Kristalle in etwas von den in den Kristall ihre Anzahl im
21. Die Funktion y = e " ®
143
Kubikzentimeter des D a m p f r a u m e s , so besteht zwischen diesen Größen die Beziehung _ Q_ (31) n = N e RT . Die W e r t e n, N u n d T k a n n m a n durch den Versuch ermitteln u n d aus ihnen d a n n die Lösungswärme Q berechnen. Die Gültigkeit der Gl. (31) p r ü f t m a n folgendermaßen. D u r c h Logarithmieren erhält man \nn = \ n N ~ f
T
,
lgr* = lg ^ - - l ^ . - I ,
s
N
2,3
KT'
T r ä g t m a n in einem K o o r d i n a t e n s y s t e m auf der Ordinatenachse lg
u n d auf der Abszissenachse die W e r t e
eine gerade Linie, die die Neigung — ¿YR
auf, so erhält m a n w e n n
die E i n -
heitslängen auf den Koordinatenachsen gleich groß gewählt sind. I s t dabei die Neigung der Geraden negativ, so m u ß Q positiv sein. Beim Lösungsvorgang wird also eine W ä r m e m e n g e vom B e t r a g e Q cal/Mol verbraucht. I s t dagegen die Steigung positiv, d a n n bed e u t e t das, d a ß Q negativ ist, also beim Lösungsvorgang W ä r m e f r e i wird. S t a t t auf der Ordinatenachse lg aufzutragen, können wir ^ selbst auf einer logarithmisch geteilten Skala abtragen. Man k a n n also zur Darstellung obiger Gleichung einfach logarithmisches Papier verwenden, bei dem m a n auf der gleichmäßig g e t e i l t e n Abszissenachse nicht die absolute T e m p e r a t u r selbst, sondern i h r e reziproken Werte a u f t r ä g t , wie es z . B . in Fig. 87 f ü r die oben geschilderten Messungen geschehen ist.
144
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
_ l Wegen der Wichtigkeit des Funktionstypus y = e i gibt es Spezialpapiere mit s. g. hyperbolisch-logarithmischem Netz, bei denen die eine Koordinatenachse logarithmisch (wie beim normalen Exponentialpapier), die andere hyperbolisch, also reziprok, geteilt ist. Auf einem sochen Spezialpapier erscheinen alle K u r v e n b
vom Typus y =•• a e V als gerade Linien, und es läßt sich daher leicht prüfen, ob zwischen zwei gemessenen Größen ein Zusammenhang obiger Art besteht. Wir wollen die Verwendung des hyperbolisch-logarithmischen Papiers an einem praktischen Beispiel erläutern. PbCl 2 besitzt eine sehr geringe elektrische Leitfähigkeit, die aber mit wachsender Temperatur schnell zunimmt. Tab. 9 zeigt die Leitfähigkeit als toio'3 i.rio-' i2/a> i3w3 järad-' Funktion der absoluten Fig. 87. Streckung der Funktion Temperatur nach MesQ_ sungen von S e i t h . Das zur graphischen n = Ne RT zu einer Geraden durch logarithmische Auftragung von ^ gegen 4r
Darstellung verwendete Papier (siehe Fig. 88) besaß eine logarithmische Teilung, die über drei Zehnerpotenzen ging und deren Einheitslänge 100 mm groß war. Die hyberbolische Teilung reichte von 1,0 bis 2,5, und die hyperbolische Einheitslänge, also die Strecke zwischen den Werten-^- = 0 (x = oo) und-i- = 1 (x = 1) betrug N
1
500 mm. Die Einheitslängen sind auf dem Papier von der Herstellerfirma angegeben. Die logarithmische Skala können wir direkt verwenden. Sie beginnt bei uns mit 1 • 10~6 und geht bis 103 • 10" 6 , also bis 10 - 3 . Die hyperbolische Teilung dagegen müssen wir mit neuen Zahlen
21. Die Funktion y = e
x
145
Tabelle 9 Temp. °K 367 375 386 391 396 405 410 413 420 424 428 436 442 449
X
fi-1 cm" 1 2,50 • 10~6 3,11 4,45 5,35 6,35 8,40 1,016 • 10' 5 1,14 1,39 1,57 1,82 2,41 2,54 2,93
Temp. °K 456 466 490 496 505 522 524 536 546 558 562 576 596 606
X
fi"1 cm" 1 3,60 • 10"5 4,57 8,83 1,045 • 10"4 1,25 1,72 1,77 2,34 2,86 3,61 4,23 4,89 6,57 7,60
Temp. °K 620 636 663 664 676 682 697 704 711 717 726 730 739
X
fi-1
cm" 1
9,32 • 10"4
1,11 • 10-3
1,61 1,64 1,93 2,13 2,52 2,72 2,91 3,19 3,62 3,90 4,34
versehen, denn unsere Temperaturen gehen von 367° K bis 739°K. Zu diesem Zweck multiplizieren wir alle an der hyperbolischen Teilung stehenden Zahlen mit 350, so wie es die aufrechtstehende Zahlrenreihe in der Figur angibt. Die Multiplikation der Zahlen mit 350 bedeutet aber gleichzeitig eine Vergrößerung der Länge der hyperbolischen Einheit von 500 mm auf 500 • 350 = 175000 mm = 1,75 • 105 mm, da jetzt die Länge von 500 mm der Abstand der Punkte — = 0 und — = ¡rr^ ist. x x 350 Die gemessenen Werte werden eingezeichnet. Reicht, wie es bei diesem Beispiel der Fall ist, das Papier zur Darstellung aller Punkte nicht aus — der höchste Punkt stellt das Wertepaar T = 620, x = 9,32 • 10~4 dar —, so kann man entweder ein zweites Blatt ankleben und auf ihm die Kurve fortsetzen oder man bricht die Kurve ab und versetzt den abgebrochenen Teil an den unteren Rand des Papieres, wie es in Fig. 88 geschehen ist. Man sieht, daß durch die Meßpunkte eine Gerade hindurchgelegt werden kann. Diese Gerade besitzt eine negative Neigung te tx — —
(die Werte — nehmen von links nach rechts zu x / was man durch Ausmessen mit einem Millimetermaß findet. Hier°
mm
220 mm V
A r , m u s , E i n f ü h r u n g in d i e höhere M a t h e m a t i k .
2. A u f l .
10
146
I- Teil. Funktionen einer Veränderlichen
durch ist bewiesen, daß zwischen der Leitfähigkeit und der absoluten Temperatur die Beziehung
-JL Fig. 88. Darstellung der Funktion x = a e RT auf hyber bolisch logarithmischem Papier
22. Die Funktionen y = e~x' und y = x2e~x2
147
besteht. Entsprechend unseren früheren Überlegungen ist
Q
,
^hvp
wenn l h y p und Zlog die Einheitslängen der hyperbolischen, bzw. der logarithmischen Teilung sind. Damit erhalten wir - f l - ^ - M - ^ - i — S - W - ^ - l , » . Q = + 10,9 • 103 cal/Mol . Die Größe Q = 10,9 • 103 cal/Mol stellt diejenige Wärmemsngö dar, die man aufwenden muß, um ein Mol Chlorionen, die den Stromtransport im PbCl 2 besorgen, von ihren Gitterplätzen abzulösen, und so für den Leitungsmechanismus zur Verfügung zu stellen. Man nennt daher Q die Gitterablösungsarbeit (im kalorischen Maß). 22. Die F u n k t i o n e n j ; = e~xi
und jy =
x2e~xZ
Das Gaußsche Fehlerverteilungsgesetz I n der Fig. 89 ist ein eigenartiger, kleiner Apparat abgebildet, das sogenannte G a l t o n s c h e Brett. Es besitzt oben einen Trichter, in seinem mittleren Teil quadratisch über Eck eingesetzte Nägel und unten eine Reihe schmaler, oben offener Kästen. Neigt m a n das Brett ein wenig und schüttet in den Trichter Schrotkörner, so laufen diese aus, stoßen auf ihrem Wege nach unten in unregelmäßigerWeise an die Nägel, werden so mehr oder minder aus ihrer ursprünglichen Laufrichtung abgelenkt und fallen schließlich in die Auffangkästen. H a t man eine große Anzahl von Körnern hindurchlaufen lassen, so ergibt sich immer wieder eine ganz eigenartige, sich stets wiederholende, in Fig. 89 ebenfalls dargestellte, Verteilung der Schrotkörner auf die einzelnen Kästen, also eine strenge Gesetzmäßigkeit als Folge des Zufalls. Untersucht man mehrere Tausend kleiner Stahlkugeln, wie m a n sie f ü r Kugellager verwendet, die alle einen Darchmasser von 5,000 mm haben sollten, so findet man (wenn nicht eine Vorsortierung stattgefunden hat) auch Kugeln, deren Durchmesser zwischen 4,99!) und 5,000 mm liegt, aber auch solche mit einem Durchmesser 10*
148
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
zwischen 5,000 und 5,001 mm, also mit Abweichungen von ± Vi ooo m m v o m gewünschten Wert. Es werden auch Kugeln vorhanden sein mit Abweichungen von i 2/iooo u n f l ± 8 / i o o o m m usw., jedoch wird die Zahl dieser stark fehlerhaften Kugeln mit wachsendem Fehler immer geringer werden. Zählt man die Kugeln jeder Gruppe aus und trägt diese Zahlen als Ordinaten zu den Abszissenwerten 5,0005, 4,9995, 5,0015, 4,9985 usw. (Mittelwerte der einzelnen Intervalle) auf und verbindet die Punkte durch eine glatte Kurve, so erhält man qualitativ wiederum dasselbe Bild wie bei der Verteilung der Schrotkörner auf die einzelnen Kästen des Galtonschen Brettes. Gauß war es, der gezeigt hat, daß eine solche Verteilung, wir nennen sie die Gauß sehe Verteilung, stets dann auftritt, wenn sie durch den Zufall bestimmt wird. Das Gauß1 "fflliiiSiliillilp sehe Fehlerverteilungsgesetz sagt i l i i i i l l i i i i i i l II aus' Jede Beobachtung einer Größe mit zufälligen Fehlern behaftet ist. Werden insgesamt n MessunFig. 89. Galtonsclies .Brett gen der zu ermittelnden Größe durchgeführt, so wird bei dn Messungen ein Fehler auftreten, dessen Größe zwischen i x und ± (x + dx) liegt, wobei die Anzahl dn der fehlerhaften Messungen durch die Gleichung dn = n • y • dx = n • -y- • e~ h"x' dx y 7i
gegeben ist. Dies gilt um so besser, je größer die Zahl der Beobachtungen ist. Die relative Häufigkeit eines Fehlers, definiert als die auf die Einheit der Fehlerintervalle entfallende Zahl von Beobachtungen, ins Verhältnis gesetzt zur Gesamtzahl der Messungen, ist dann dn
O-h- X2 1In
22. Die Funktionen y = e~x2 und y — x2 e~
149
h ist eine Konstante, ein Genauigkeitsmaß, und kennzeichnet die Häufigkeit des Auftretens fehlerfreier Beobachtungen. F ü r x — 0 ist y =
h V n
; h ist also um so größer, je mehr fehlerfreie Beob-
achtungen vorliegen. Die Kurve, die die Funktion h hs x' y = — e-
darstellt, wollen wir nun in ihrem Verlauf untersuchen. Sie besitzt qualitativ denselben Verlauf wie y = e * ,
so daß wir uns zunächst mit dieser Kurve beschäftigen wollen. Rechnen wir uns zunächst eine Tabelle f ü r e~x* aus und zeichnen
-
2
-
1
0
1
2
Fig. 90. Darstellung der Funktion y = e~ :
danach den Funktionsverlauf, so erhalten wir die in Fig. 90 dargestellten G l o c k e n k u r v e . Sie liegt nur im ersten und zweiten Quadranten, ist wegen des x2 im Exponenten symmetrisch zur «/-Achse und h a t die a;-Achse zur Asymptote. Die Kurve besitzt nach der Zeichnung ein Maxi-
150
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
mum und zwei Wendepunkte. Wo liegen sie ? y =
e-*!,
dx
Die Lage des Maximums ergibt sich aus dy dx
Also ist
2 xe~x = 0 . xm = 0 ,
wie aus der graphischen Darstellung direkt ersichtlich.
r, d
/IM
\/>'(S
\j)=f,0
1 v i -V
i
N.
y -2
^-J
*1
-1
+2
1
1 +4
Fig. 91. Graphische Darstellung der Funktionen vom Typus
y=
\/n
er h? x*
Die Wendepunkte liegen symmetrisch zur ?/-Achse, was aus ~2 = - 2 e ( 1 - 2 dz folgt.
%w= ± J/y
z2) = 0 , '
22. Die Funktionen y = e~x* und y = x% er h
Bei der allgemeinen F o r m y —
h V
151
2x
n
e~* ' bewirkt der F a k t o r h
77=, d a ß der Maximalwert von y bei x = 0 nicht 1, sondern ~r= ist, u n d der F a k t o r h'2 im E x p o n e n t e n d r ü c k t die K u r v e n f o r m mehr oder minder zusammen, wie es Fig. 91 zeigt. h Über die Anwendung der F u n k t i o n y = -j= e~h'x' in der eigent-
y %
liehen Fehlerrechnung soll hier nicht gesprochen werden, es sei aber Häufigkeit
mß '
Durchmesser
0 5 10 15 20 25 30 35 «0 45 50mji Fig. 92. Verteilungsfunktion für den Durchmesser kolloidaler Goldteilchen auf die diesbezüglichen K a p i t e l des Buches M i c h a e l i s , „ E i n f ü h r u n g in die M a t h e m a t i k f ü r Biologen u n d Chemiker", verwiesen. E i n interessantes Beispiel aus der neueren Kolloidforschung sei aber a n dieser Stelle noch erwähnt, v. B o r r i e s u n d K a u s c h e h a b e n 1940 m i t einem Elektronenübermikroskop die Durchmesser kugelförmiger kolloidaler Goldteilchen ausgemessen u n d fanden, daß in einer b e s t i m m t e n Lösung der Durchmesser der Teilchen sehr g u t n a c h einer G a u ß s c h e n Verteilungskurve u m den W e r t 28,7m/i streute. Die H ä u f i g k e i t des Vorkommens bestimmter Durchmesserg r u p p e n wurde einerseits durch Auszählung experimentell bes t i m m t , andererseits durch Berechnung aus der K u r v e y = -— e~h*x'
y %
m i t h = 1,028 ermittelt. Fig. 92 zeigt die berechnete K u r v e u n d die experimentell b e s t i m m t e n Werte. N a c h diesem B e f u n d war in der untersuchten Lösung die Größe der e n t s t a n d e n e n Teilchen vom Zufall abhängig.
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
152
Das M a x w e l l s c h e Geschwindigkeits-Verteilungsgesetz N a c h der kinetischen Theorie der Gase befinden sich die Molekeln irgendeines Gases in einer ständigen, ungeordneten Bewegung. Die Geschwindigkeiten sind ganz verschieden, es gibt sehr langsame und sehr schnelle Molekeln u n d a u c h solche von mittlerer Geschwindigkeit. W ü r d e es möglich sein, in einem bestimmten Augenblick festzustellen, wie z . B . sich Sauerstoffmolekeln bei 0° C bewegen, so w ü r d e m a n erkennen, d a ß eine Tabelle 10 eigenartige Geschwindigkeitsverteilung vorliegt. Man würde GesehwindigkeitsTeilchenzahl das in Tab. 10 dargestellte E r intervall gebnis finden. «/ m/sec 10 Dasselbe R e s u l t a t würde m a n erhalten, wenn m a n den Zählunter 100 1,4 100—200 8,1 versuch zu irgendeiner späteren 200—300 16,7 Zeit wiederholte. W ü r d e m a n die 300—400 21,5 Geschwindigkeitsintervalle s t a t t 400—500 20,3 zu lOOm/sec zu l m / s e c oder 500—600 15,1 9,2 noch kleiner wählen, so w ü r d e 600—700 über 700 7,7 m a n in der Grenze f ü r den auf die Einheit der Intervallbreite entfallenden Prozentsatz aller u n t e r s u c h t e n Molekeln eine glatte K u r v e finden, die nach M a x w e l l durch die Gleichung ,
dn dv n ¡/-n[2RT) wiedergegeben wird. Anders geschrieben l a u t e t dieses n a c h M a x w e l l b e n a n n t e Verteilungsgesetz der Geschwindigkeiten: Mv* dn M y/a — = e *RTv2dv.
,,
dn Diese Gleichung sagt aus, daß der Bruchteil ^ aller in einem R a u m vorhandenen n Molekeln, der eine Geschwindigkeit zwischen v u n d v -\-dv besitzt, proportional der Intervallbreitc dv Mv' u n d der F u n k t i o n e • v- ist. M bedeutet dabei das Molgewicht, R die Gaskonstante u n d T die absolute T e m p e r a t u r .
153
22. Die Punktionen y = e~x' und y = x2 e~x'
Wie sieht nun graphisch dargestellt die Punktion Mi' , _ _4 / MVU - 2 RT „2 ~ \2Brj 6 aus und welche Eigenschaften besitzt sie ? Da alle Größen außer v konstant sind, sieht das Punktionsbild qualitativ der Kurve
y = e~x* • x2 ähnlich, die Konstanten bewirken nur eine Vergrößerung der Ordinatenwerte und eine Verengerung oder Verbreiterung der Kurve.
/
\
\/0ß Y oß
/ V /\ %m3 " "1" 1 > ~ 1• d 2y
F ü r x = 0 ist Für x = i
1 ist
= + 2, also liegt bei x = 0 ein Minimum. d"y
negativ, also liegen hier die Maxima. d 2y
Zur Ermittelung der Wendepunkte setzen wir 2 e~ ' (1 - 5 x + 2 x*) = 0 . x
2
= 0•
22. Die Funktionen y = e u n d y = x 2 e~ x'
155
Der Ausdruck verschwindet, wenn die Klammer den Wert Null hat, also 1 - 5 « 2 + 2 X 4 = 0. 2M, \
| 2.0
t
&
j
I
/'
\\ V\ \ \
o
/
\ \
i
ei T' 3>
/
/
-i 0.8
s,
/
// / /'
c. «J ö
k
/
1
^ f c e , T-273
\
/
I t j /
\
\
v
\\ \
OM / /' //' //
's
200
Fig. 95.
j3o
ioo
eoo
.
10 1000 1200 woo m ^Se^ • Geschwindigkeit
Geschwindigkeits-Verteilungskurve nach M a x w e l l für Sauerstoff
Wir lösen diese biquadratische Gleichung auf und erhalten 2 xl - 5 x2 + 1 = 0 ,
xWl
= + 1,51,
xWl = — 1,51,
xW) =
-f 0,47,
xWt =
— 0,47 .
Wir haben also vier Wendepunkte, wie schon in Fig. 94 gezeichnet. Die für die kinetische Gastheorie wichtige Maxwellsche Geschwindigkeits-Verteilungskurve hat natürlich nur einen Sinn für
158
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
positive Werte von v, so daß man die Betrachtungen auf den ersten Quadranten beschränken kann. I n Fig. 95 sind für zwei verschiedene Temperaturen die Verteilungskurven für 0 2 dargestellt. Das Vorhandensein des Maximums bedeutet, daß es bei jeder Temperatur eine Geschwindigkeit gibt, die am häufigsten vertreten ist. Wir wollen sie nun ausrechnen. Hierzu muß
av
= 0
2 ' vi, l RT. Mv Mv Jl A , 3 1 , / M„v ' '\ d l _ L i " _ . e" 2 RT „ 2 . 2 « e~ RT)j _- vO , dv-yn \iRT) \ RT V +zve
Da bei v = 0 das Minimum liegt, muß die Klammer verschwinden. Damit wird „ , Vm R T - ]/ M " • v m ergibt sich hiernach für Sauerstoff bei 0° C = 273° K mit R = 8,31 • 107 erg/Grad 1 /2 • 8,31 • 107 • 273 „ __ , . , Vm = = cm sec V —32 ' ' / > vm = 377 m/sec.
23. Die H y p e r b e l f u n k t i o n c n Definition und Darstellung I n der Magnetochemie, der Lehre von den magnetischen Eigenschaften chemischer Elemente und Verbindungen, sowie der Anwendung magnetischer Meßmethoden zur Lösung chemischer Probleme, spielen die sogenannten hyperbolischen Funktionen eine gewisse Rolle. Paramagnetische Stoffe, deren Molekeln ein permanentes magnetisches Dipolmoment ¡u besitzen, erhalten in einem magnetischen Felde von der Stärke § bei der Temperatur T pro Mol (Zahl der Molekeln im Mol N) ein magnetisches Moment a, welches theoretisch nach L a n g e v i n (S. 280) und experimentell nach K a m e r l i n g h - O n n e s (Untersuchungen am Gadolinium-
23. Die Hyperbelfunktionen
157
sulfathydrat) gegeben ist durch den Ausdruck ,r oder, wenn wir für ^J^ J?
[_, zur
(Nu&\
Abkürzung a setzen,
o- = NH ®t0 a L (a) ist die (£tg a —
mathematische
RT
=
~
N/iL(a).
Bezeichnung
für
den Ausdruck
, den man L a n g e v i n - P u n k t i o n nennt.
Das Symbol ßtg (lies: hyperbolischer Cotangens oder cotangens hyperbolicus) ist ebenso wie ©in, Eof oder i£g eine Abkürzung für gewisse oft vorkommenden Kombinationen der Exponentialfunktion. E s bedeuten: Sin x = — ^
x
_ ©iit x = ©öfaT
—
2
,
ex — e~x cJ •; e * '
ßof x = ~
X =
_
f
2
g—»P
—,
Kof x ex + erx -0 -
= 1 ist, ist auch ..
sin (Ax) _ ;—- = 1 . Ax Ax^-0
lim
Das bedeutet, daß der Sinus eines Winkels dem Winkel selbst (im Bogenmaß gemessen) zahlenmäßig um so näher kommt, je kleiner dieser ist. Dasselbe gilt auch für den Tangens. Man überzeugt sich leicht davon an Hand einer Tabelle. Tabelle 11 X
0,10 0,09 0,08 0,07 0,06 0,05
sin
x
0,09983 0,08988 0,07991 0,06994 0,05996 0,04998
tgx
0,10033 0,09024 0,08017 0,07011 0,06007 0,05004
sin
X
x
0,03999 0,03000 0,02000 0,01000 0
0,04 0,03 0,02 0,01 0
tg
X
0,04002 0,03000 0,02000 0,01000 0
So wird also für die Funktion y = sin x der Differentialquotient dy d sin x = dx dx dy = cos x . dx
1 • cos x — sin x
d sin x = cos X . dx
Der Sinus ergibt demnach differenziert den Kosinus. Nach diesem Ergebnis ist die Differentiation der anderen Winkelfunktionen sehr leicht. E s ist cos x = sin |
x
25. Zyklometrische Funktionen als Umkehrung der Kreisfunktionen
165
und daher unter Anwendung der Kettenregel d cos x = dx
— cos (-=
xj =
— sin x ,
d cos x — . — = — sin x . dx
Die Funktionen tg x und ctg x lassen sich unter Verwendung der Quotientenregel und der Kettenregel differenzieren. E s ist sin x t g x = —— , °
COS X
d tg x dx
cos x • cos x + sin x • sin x cos2 x
dtgx dx
1 cos 2 x '
cos 2 x + sin 2 x cos 2 x
1 cos 2 x '
Für ctg x ergibt die Kettenregel °tg x =
= (tg a;) - 1 ,
d ctg x dx
1 tg x
d ctg x dx
1 sin 2 x '
2
1 cos 2 x
cos 2 x . 1 sin 2 x cos 2 x
1 sin 2 x '
25. D i e z y k l o m c t r i s c h e n F u n k t i o n e n a l s U m k e h r u n g der K r e i s f u n k t i o n e n Eine gewisse Rolle, vor allem in der Integralrechnung, spielen die zyklometrischen Funktionen, die Umkehrungen der Kreisfunktionen. Die Gleichung y = sin x bedeutet, daß ein Bogen von der Länge x am Einheitskreis gegeben ist und dazu die Länge der Halbsehne sin x gesucht wird. E s kann umgekehrt auch die Länge der Halbsehne gegeben sein und dazu der zugehörige Bogen gesucht werden. Dann schreibt man y — arc sin x
166
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
(arcus sinus x) und meint damit, daß man denjenigen Bogen (arcus), jetzt y genannt, sucht, dessen Sinus den Wert x hat. Entsprechend gibt es Funktionen y = arc cos x, y = arc tg x usw. Ihre graphische Darstellung ergibt sich sofort aus der Tatsache, daß es die Umkehrfunktionen der Kreisfunktionen sind. Spiegelt man z. B. y = sin x an der Geraden y = x, so erhält man eine der Sinuskurve entsprechende Wellenlinie, die um die «/-Achse oszilliert, und diese Kurve stellt y = arc sin x dar. Die Differentiation der zyklometrischen Funktionen kann leicht durchgeführt werden, wenn man die Kreisfunktionen zu differenzieren versteht. Man geht hier ganz ähnlich wie im Falle der Funktionen y = ex und y = In x (S. 119) vor. Aus y = arc sin x x = sin y . Durch Differentiation nach y und Benutzung der Umkehrregel ergibt sich dx -=- - cos V a ,
dy dy dx
Um
1
=
cos y ' als Funktion von x darzustellen, drückt man cos y durch
sin y aus und schließlich sin y durch x. dy
dx
=
d (arc sin x) dx
1
. ]/\ — ain2 i/
=
1
|/l — x* '
1 j/l —
2
x
'
In ähnlicher Weise erhält man, was der Leser selbst nachprüfen d (arc cos x) dx d (arc tg x) dx d (arc ctg x) dx
1 \/l — x*
1
1 1 + x2 ' 1 1 + z2 '
3. KAPITEL
Näherungsverfahren zur Auflösung von Gleichungen Problemstellung Bei der Untersuchung der Lage von Extremwerten und Wendepunkten einer analytisch gegebenen Funktion werden die erste bzw. zweite Ableitung der Punktion gleich Null gesetzt und dann aus den so erhaltenen Bestimmungsgleichungen die gesuchten Abszissen werte berechnet. In den vorhergehenden Paragraphen hatten wir eine Reihe solcher Beispiele durchgerechnet. Diese Beispiele waren so ausgewählt, daß die fraglichen Bestimmungsgleichungen sich leicht auflösen ließen. Das ist nun, wie schon S. 82 erwähnt, nicht immer der Fall. Algebraische Gleichungen von höherem Grade (z.B. 4 a;8 + a;4 + 3 x3 + 2 x2 + a; — 7 = 0) sind nicht mehr in allgemeiner Form lösbar, ebenso nicht die transzendeten Gleichungen, als solche, bei denen die Unbekannte x im Exponenten oder unter dem Zeichen In, sin, tg usw. auftritt (z. B. ex + sin x2 = 0). Die Wurzeln solcher Gleichungen müssen daher durch numerische oder graphische Verfahren ermittelt werden. Die einfachste graphische Methode ist die, daß man z. B. zur Auflösung der Gleichung ex -f- sin x2 = 0 sich für die Funktion y — ex -j- sin x2 eine Tabelle aufstellt, nach der Tabelle eine Kurve zeichnet und zusieht, wo die Nullstellen der dargestellten Funktion liegen, also wo die gezeichnete Kurve die a;-Achse schneidet. Diese Methode der Auflösung einer Gleichung liefert die gesuchten Wurzeln nur angenähert. Die Güte der Annäherung hängt in erster Linie von der Größe des gewählten Zeichenmaßstabes ab. Die graphisch ermittelten angenäherten Werte müssen durch besondere Rechenverfahren verbessert werden bis zur Genauigkeit, die bei dem betreffenden Problem erforderlich ist. Zwei dieser
168
I. Teil. Funktionen einer Veränderlichen
Verfahren, von denen eines eine Anwendung der Differentialrechnung darstellt, wollen wir nun kennenlernen. Wir knüpfen auch hier an ein naturwissenschaftliches Problem an. Wenn zwei Atome oder Ionen im gebundenen Zustand als Molekel eine stabilere Konfiguration bilden als im isolierten Zustand, so kann das nur der Fall sein, wenn zwischen den beiden Partikeln Kräfte wirksam sind, £ die einer Trennung entgegenwirken. Bringt man zwei entgegengesetzt geladene Ionen zusammen, so ziehen sie sich gegenseitig an und streben aufeinander zu. Wenn nur die Anziehungskräfte vorhanden wären, müßte schließlich ein Zur- sammenstoß der beiden Ionen erfolgen. Das ist jedoch nicht der Fall, weil außerdem auch noch abstoßende Kräfte wirksam sind, die sich besonders stark bei kleinen Abständen beFig. 101. Graphische Darstellung der Potentialfunktion einer Molekel
merkbar machen. So gibt es eine gewisse Entfernung, bei welcher Anziehung und Abstoßung sich ausgleichen, und gerade in diesem Abstände befinden sich die beiden Ionen in der Molekel. Um diesen Abstand können sie dann kleine Schwingungen ausführen. Man pflegt nun gewöhnlich nicht mit den Kräften zu rechnen, sondern betrachtet die potentielle Energie, die das System besitzt, wobei man als Nullniveau die Energie der nichtgebundenen Bestandteile willkürlich wählt. Zeichnet man sich in einem Koordinatensystem den Verlauf der potentiellen Energie E als Funktion des Atom- oder Ionenabstandes r auf, so erhält man stets das in Fig. 101 qualitativ dargestellte Kurvenbild. Die Potentialkurve besitzt ein Minimum, dessen Abszisse r0 den stabilen Abstand der Atome oder Ionen in der Molekel wiedergibt. Die Ordinate E0 bedeutet diejenige Arbeit, die man aufwenden muß, um die Molekel in ihre Bestandteile zu zerlegen.
Näherungsverfahren zur Auflösung von Gleichungen
169
E s ist natürlich von Interesse, den A b s t a n d r 0 berechnen zu können. Wenn der Verlauf der F u n k t i o n E = f(r) analytisch gegeben ist, so handelt es sich lediglich d a r u m , die Abszisse des Minimums rechnerisch zu ermitteln. N a c h B o r n u n d M a y e r gilt auf Grund quantenmechanischer Überlegungen f ü r zwei einwertige Ionen folgende Potentialfunktion r_ 2 R E = +be . r
q bedeutet dabei die E l e m e n t a r l a d u n g , b u n d R sind zwei f ü r die betreffenden I o n e n charakteristische K o n s t a n t e n . Wir wollen n u n in diesem Zus a m m e n h a n g e die F u n k t i o n E
r
= -
— + 6e
2
r
untersuchen u n d die Lage ihres Minimums feststellen. Die F u n k t i o n s e t z t sich aus zwei Anteilen z u s a m m e n (Fig. 102): der im vierten Q u a d r a n t e n gelegenen H y p e r b e l l
Fig. 102