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German Pages [136] Year 2015
Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal
Heiko Hartmann
Einführung in das Werk Wolframs von Eschenbach
In Erinnerung an meinen Lehrer Eberhard Nellmann (1930–2009)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-19511-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73570-9 eBook (epub): 978-3-534-73571-6
Inhalt I.
Epoche und Literatur . . . . . . . . . . . . 1. Hofkultur und Literatur . . . . . . . . . 2. Europäische Kontexte und Vorbilder . 3. Ritterbegriff und Ritterideal . . . . . . 4. Die höfische Dichtersprache . . . . . 5. Aufführung und Verbreitung . . . . . .
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II. Forschungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Anfänge der Wolfram-Forschung . . . . . 2. Perioden der Wolfram-Forschung. . . . . . . . 3. Die ,großen Fragen‘ der Wolfram-Forschung .
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III. Der Autor und sein Werk . . . . . . . . . . . 1. Lebenszeugnisse . . . . . . . . . . . . . . 2. Mäzene und Auftraggeber . . . . . . . . 3. Bildung und literarische Beziehungen . 4. Das Werk: Überblick und Chronologie 5. Bildzeugnisse. . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival. . . . . . . 1. Handlungsübersicht. . . . . . . . . . . . 2. Überlieferung und Editionsgeschichte . 3. Quellen und Tradition . . . . . . . . . . 4. Sprache und Poetik . . . . . . . . . . . . 5. Aspekte der Interpretation . . . . . . . . 6. Rezeptionszeugnisse . . . . . . . . . . .
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V. Liebesroman: Titurel. . . . . . . . . . . . . . 1. Handlungsübersicht. . . . . . . . . . . . 2. Überlieferung und Editionsgeschichte . 3. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sprache und Poetik . . . . . . . . . . . . 5. Aspekte der Interpretation . . . . . . . . 6. Rezeptionszeugnisse . . . . . . . . . . .
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm . 1. Handlungsübersicht. . . . . . . . . . . . 2. Überlieferung und Editionsgeschichte . 3. Quellen und Tradition . . . . . . . . . . 4. Sprache und Poetik . . . . . . . . . . . . 5. Aspekte der Interpretation . . . . . . . . 6. Rezeptionszeugnisse . . . . . . . . . . .
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Inhalt
VII. Tage- und Minnelieder . . . . . . . . . . . . 1. Gattungstradition . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . 3. Überlieferung und Editionsgeschichte
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Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namen- und Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Epoche und Literatur 1. Hofkultur und Literatur Wolfram von Eschenbach ist neben Hartmann von Aue, Heinrich von Veldeke und Gottfried von Straßburg der bedeutendste deutschsprachige Epiker des Mittelalters. Sein „Parzival“ gehört zur Weltliteratur, seine Minne- und Tagelieder setzen hinsichtlich Gehalt und Gattungsmerkmalen neue Maßstäbe, und seine hochkomplexe Poetik ist seiner Zeit weit voraus. Sowohl Wolframs Gralsroman als auch das Kreuzzugsepos „Willehalm“ sind faszinierende Werke der mittelalterlichen Literaturepoche und wertvolle Fenster in die vormoderne Kulturgeschichte. Insbesondere der „Parzival“ gehört unverändert zum literarischen Bildungskanon, u. a. durch seine Bearbeitungen für Film (H.-J. Syberberg), Musiktheater (R. Wagner) und moderne Erzählliteratur (A. Muschg). Die als erster deutscher Entwicklungsroman geltende große Dichtung ist ein fester Bestandteil des Germanistikstudiums. Wolframs Werke zeichnen sich allerdings auch durch eine besondere Komplexität aus (vgl. Kap. IV.4). Sie sind gekennzeichnet durch eine eigenwillige Sprache, eine häufig jede Linearität bewusst vermeidende Erzählweise und ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche. Hinzu kommen eine außergewöhnliche Dichte an historischen und literarischen Anspielungen, komplizierte Verwandtschaftsbeziehungen der Figuren sowie die hermeneutischen Herausforderungen einer Erzähltechnik, die bewusst auf die ständige Relativierung und Perspektivierung des Erzählten abzielt. Wolframs Werke bedürfen daher der Erläuterung und Kommentierung, damit sowohl allgemein an mittelalterlicher Literatur interessierte Leser als auch akademische Rezipienten einen historisch angemessenen Zugang zu diesen gut 800 Jahre alten Texten finden. Komplex sind nicht zuletzt die diesen Texten zugrunde liegenden literaturgeschichtlichen Rahmenbedingungen, ohne deren Kenntnis das Verständnis der hochmittelalterlichen Erzählliteratur nicht möglich ist. Über sie muss zunächst gesprochen werden, denn die großen Epen der mittelhochdeutschen Literatur sind Teil und Ausdruck der höfisch-ritterlichen Kultur des Mittelalters. Ohne diesen besonderen kulturellen Kontext hätte es für Autoren wie Wolfram und Hartmann weder geeignete Produktionsbedingungen noch ein interessiertes Publikum gegeben, das um 1200 zu jener produktiven Epoche geführt hat, die die ältere Germanistik mit den Titeln „Mittelhochdeutsche Blütezeit“ und „Staufische Klassik“ ausgezeichnet hat. Hövesch bedeutete ursprünglich ,zum Hof gehörig‘ und bezog sich auf den Fürstenhof. Das deutsche Wort ist eine Lehnbildung von afrz. cortois (lat. curialis). Zum Hof gehörten neben dem Herrscher die Mitglieder der Hofkapelle (Geistliche, Beamte, Richter, der Kanzler), die Inhaber der verschiedenen Hofämter, d. h. die adeligen Vasallen (Ministerialen), die z. B. die Ehrenämter des Truchsessen (Fürsorge für die fürstliche Tafel), des Marschalls (Aufsicht über Hofhaltung und Zeremoniell), des Kämmerers (Auf-
Weltliteratur
Komplexe Erzähltechnik
hövesch
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I. Epoche und Literatur
Residenzbildung
Ritterliche Standesideale
sicht über die Finanzen) und des Schenken (Aufsicht über Weinkeller und Weinberge) ausübten, sowie weitere Amtsträger und Bedienstete und deren Angehörige. Hinzu kamen temporäre Gäste wie Ritter und Soldaten, durchreisende Fürsten mit ihrem Gefolge, Spielleute, Handwerker, Händler, Förster, Wächter, Pförtner usw. (vgl. Ehrismann 1995, 103 f.). Man schätzt, dass ein mittelalterlicher Hof, dessen Zusammensetzung sich ständig veränderte, mehrere Dutzend (Fürstenhof) bis mehrere Tausend (Kaiserhof) Personen umfassen konnte (vgl. Bumke 1997, 71–76 u. 700–704). Könige und Fürsten waren mit ihrem Hof ständig unterwegs und übten ihre Herrschaft nicht von einem festen Regierungssitz aus aus. Zahlreiche erhaltene Pfalzen, Burgen und Reichsgüter zeugen noch heute von diesem Reisekönigtum, das auch in England und Frankreich bis ins hohe Mittelalter die übliche Herrschaftsform war. Erst im späten 12. Jahrhundert setzte allmählich eine Residenzbildung ein, als z. B. Heinrich der Löwe Braunschweig zum Mittelpunkt des Herzogtums Sachsen machte oder Heinrich II. in Wien eine neue Pfalz errichten ließ, um von dort aus das Herzogtum Österreich zu regieren. Die Bindung eines Hofes an einen festen Ort, etwa eine Burg oder eine Stadt, war eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung eines kontinuierlichen literarischen Betriebs, „weil der ortsfeste Fürstenhof als gesellschaftlicher und kultureller Mittelpunkt eine große Ausstrahlungskraft entfaltete. Die Ortsgebundenheit des Hofes erlaubte neue Formen der fürstlichen Repräsentation […] und auch neue Wege des literarischen Mäzenatentums“ (Bumke 1997, 76). Die Adelsburg bot den Epikern nicht nur die Möglichkeit, im Auftrag des Fürsten über viele Jahre an einem Werk arbeiten zu können, sondern hier fanden sie auch das gebildete höfische Publikum, das sich mit Geschichten von tapferen Rittern, edlen Minnedamen und prunkvollem Hofleben ebenso gerne unterhalten wie in seinem Selbstverständnis und seinen Idealen bestätigen ließ. An den Höfen fanden große gesellschaftliche Ereignisse statt, bei denen meistens auch Musiker und Dichter zugegen waren: Festmähler, Fürstenversammlungen, Hochzeiten, Krönungen und Turniere. Für die Entwicklung der volkssprachigen Erzählliteratur war diese Hofkultur von großer Bedeutung, denn indem sie Anlässe für die Produktion und den Vortrag von Minneliedern und epischen Gedichten schuf, wurde sie – wie im frühen Mittelalter die Handschriftenkultur der Klöster für die geistliche Dichtung – zum entscheidenden Antrieb für die Entwicklung und Verbreitung weltlicher Dichtung. Die höfische Literatur war zugleich Stifter und Spiegel der Werte und Normen der höfischen Gesellschaft, die sich – vielfach inspiriert durch französische und italienische Vorbilder – durch eine aufwendige Sachkultur und spezifische Umgangsformen (hövescheit) von der nicht-adeligen Bevölkerung abzuheben suchte. Dazu gehörten die repräsentative Burgenarchitektur und aufwendige Kleidung ebenso wie das höfische Protokoll, Jagd und Turnier, glanzvolle Feste und feine Umgangsformen (zuht). Standesideale und Literatur gingen besonders dann eine enge Verbindung ein, wenn die Dichter im Auftrag fürstlicher Gönner schrieben, die ihnen die – zumeist französischen – Stoffe und Vorlagen verschafften. Die Beschäftigung mit Literatur wurde um 1200 an vielen deutschen Fürstenhöfen zu einem wichtigen Element der adeligen Lebenskultur und für die selbstbewusste laikale Oberschicht zum Instrument sozialer Distinktion. Artus- und Antikenromane, Heldenepen
2. Europäische Kontexte und Vorbilder
und Minnelieder hatten insofern immer auch „eine repräsentative, gesellschaftsstabilisierende Funktion, da die adlige Hofgesellschaft in dem poetisch überhöhten Gesellschaftsbild der Dichter eine Legitimierung ihrer eigenen gesellschaftlichen Leitvorstellungen sehen konnte“ (Bumke 1991, 1567; vgl. Goetz 1986, 169–172; Bein 1998, 44–48). Höfische Dichtung als „Symbolisierung der ritterlichen Standesideale“ (Ehrismann 1927, 24) erfüllte somit eine dreifache Funktion: Sie wollte unterhalten, gleichzeitig belehren (Didaxe) und schließlich einen Hof, einen Fürsten oder das ritterliche Ideal im Allgemeinen verherrlichen (Panegyrik). Diese Funktionen erfüllten in ihrer Zeit auch die Epen Wolframs von Eschenbach, besonders der „Parzival“ und der „Willehalm“, die im Auftrag literaturinteressierter Fürsten wie des Landgrafen Hermann von Thüringen entstanden, dem Publikum mit ihrer Fülle an Figuren, Handlungssträngen und zuweilen exotischen Motiven ein unterhaltsames „Fest der Erzählung“ (Wehrli 1969, 209) boten und mit ihrer dominanten ethischen und religiösen Thematik auf je verschiedene Weise eine poetische Ritter-, Gesellschaftsund Glaubenslehre entfalteten. Nur in einer an volkssprachiger Literatur interessierten Hofkultur war die Entstehung eines so umfangreichen und anspruchsvollen Œuvres wie das Wolframs überhaupt möglich.
2. Europäische Kontexte und Vorbilder Die meisten Stoffe und Formen der mittelhochdeutschen Dichtung haben Vorbilder in der lateinischen oder französischen Literatur oder sind direkte Bearbeitungen französischer Werke. Dies gilt z. B. auch für die Epen Wolframs von Eschenbach, dessen „Parzival“ und „Willehalm“ auf französische Vorlagen zurückgehen, die ihm von seinem adeligen Auftraggeber zur Verfügung gestellt wurden. Die deutschen Fürsten orientierten sich stark an der französischen Hofkultur, die um 1200 hoch entwickelt war. Aus Frankreich kamen u. a. die neuen Formen der adeligen Repräsentation und des höfischen Zeremoniells, moderne Waffen und Kampfspiele (Turniere), Kleidung und Haartracht, die Kunst der Wappen (Heraldik) und Siegel (Sphragistik) und Neuerungen in der Burgenarchitektur. Der Einfluss der französischen Kultur und Literatur war in Wolframs Zeit so dominant, dass die Dichter sich zur Erbauung des Publikums bemühten, möglichst viele französische Fremd- und Fachwörter in ihre Epen zu integrieren, insbesondere aus dem Bereich der Sachkultur und des höfischen Protokolls. Die Bezeichnungen für Waffen, Rüstungsteile und Kampftechniken stammten z. B. fast ausschließlich aus dem Französischen. Mittels vieler fremd klingender Lehnwörter stellten die Dichter die Verbindung zur bewunderten Hofkultur jenseits des Rheins her und importierten deren Wertvorstellungen und Lebensart an die deutschen Fürstenhöfe (vgl. Bumke 1990, 55–57). Verbindungen nach Frankreich gab es viele, nicht nur über Handelsbeziehungen, sondern auch durch die großen Hoffeste und den diplomatischen Austausch zwischen den europäischen Fürstenhäusern. Wie gut Wolfram Französisch konnte und woher er die vielen französischen Quellen kannte, deren Spuren man in seinen Werken nachweisen
Französische Hofkultur
Französischkenntnisse
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I. Epoche und Literatur
Französische Vorlagen
Tageliedtradition
kann, ist unklar. Sein bewusstes Spiel mit französischen Namensformen (Munsalvaesche, MalcrÞaˆtiure, Lachfilirost, Condwiramurs usw.) und die Verwendung einer Fülle französischer Wörter aus dem Bereich ritterlichen Lebens (zimierde, kurteis, poulûn, tambûr, vesperîe, punieren usw.) legen allerdings die Annahme nahe, dass er relativ gut Französisch konnte und die Bedeutung entlehnter Namen und Termini genau verstanden hat (vgl. Kap. III.3). Die Stoffe und Themen der mittelalterlichen Literatur sind fast immer international, d. h., sie gehören zu einer gesamteuropäischen Tradition, die in den einzelnen Ländern und Sprachen lediglich unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren haben, aber von den Bearbeitern in der Regel nicht neu erfunden wurden (vgl. Knapp 2012). Auch Wolfram ist daher ein europäischer Dichter. Mit dem „Parzival“ schuf er – in der Nachfolge Hartmanns von Aue („Erec“, „Iwein“, ca. 1180/90) – einen deutschen Artus- und Gralsroman und reihte sich damit in eine Tradition ein, die von Chrétien de Troyes („Perceval“, ca. 1190), Renaud de Beaujeu („Le Bel Inconnu“, ca. 1190) und Robert de Boron („Roman de l’Estoire dou Graal“, ca. 1200) über die mittelniederländischen Romane „Walewein“ (ca. 1250) und „Moriaen“ (ca. 1300) bis hin zu zu den englischen Artusdichtungen „Sir Gawain and the Green Knight“ (ca. 1370) und Thomas Malorys „Le Morte Darthur“ (15. Jh.) reicht (vgl. Mertens 1984). Zahlreiche weitere Bearbeitungen des Artusstoffes aus dem skandinavischen, spanischen, portugiesischen und italienischen Raum wären hier zu nennen (vgl. EM 1,828–849; Knapp 2014). Auch der „Willehalm“ geht auf eine französische Quelle zurück („Bataille d’Aliscans“, ca. 1200) und gehört in die europäische Tradition der Chansons de Geste (Heldenepen), insbesondere der Wilhelmsepen um den Markgrafen Guillaume d‘Orange, mit zahlreichen französischen und deutschen Fassungen und Fortsetzungen, u. a. Ulrichs von Türheim „Rennewart“ (nach 1243) und Ulrichs von dem Türlin „Arabel“ (ca. 1261/69; vgl. Ott-Meimberg 1984). Wolframs neun Lieder gehören in die europäische Gattungstradition der Werbe- bzw. Tagelieder und arbeiten auf originelle Weise mit deren formalen und thematischen Vorgaben. Insbesondere die Tagelieder, die zumeist dialogisch den Trennungsschmerz der Liebenden bei ihrem Abschied im Morgengrauen nach heimlich verbrachter Liebesnacht schildern, haben eine reiche Tradition in der provenzalischen und französischen Liebeslyrik (Alba/ Aube). In der mittelhochdeutschen Literatur hat Wolfram u. a. in der Nachfolge Dietmars von Aist, Heinrichs von Morungen und Friedrichs von Hausen die weit verbreitete Gattung auf einen „ersten Höhepunkt“ geführt (Holznagel 2011, 95). Vor diesem Hintergrund ist höfische Literatur ungeachtet ihrer regionalen und sprachlichen Ausdifferenzierungen stets ein gesamteuropäisches Phänomen. Das gilt sowohl für ihre Gattungen (Minnesang, Heldenepik, Orientund Antikenroman, Artus- und Gralsroman, Liebesroman) als auch für ihre Protagonisten (Parzival, Roland, Tristan, Gawan, Lanzelet u. a.). Als besonders kunstvolle Synthesen europäischer Motiv- und Gattungstraditionen und aufgrund ihrer herausragenden literarischen Qualität und Wirkung gehören Wolframs Werke unverbrüchlich zur Weltliteratur.
3. Ritterbegriff und Ritterideal
3. Ritterbegriff und Ritterideal Die höfische Literatur ist ideell und thematisch unlösbar verknüpft mit dem mittelalterlichen Ritter-Begriff, denn in ihrem Zentrum stehen ritterliche Helden, Abenteuer und Tugenden. Dies gilt besonders für die mittelhochdeutschen Artusromane und Heldenepen, für die die Inszenierung und Profilierung der idealen ritterlichen Lebensweise konstitutiv ist. „Die Ritterepik begründete die europäische Literatur in den Volkssprachen, überlebte ihre Zeit, wurde wiedergeboren in der Romantik und im erwachenden Nationalbewusstsein oft schlechthin mit der Volkstradition gleichgesetzt“ (Seibt 1987, 215). Dabei geht der seit dem 12. Jahrhundert zunehmend ethisch aufgeladene Ritterbegriff eigentlich auf den einfachen Soldaten zurück. Denn ursprünglich bezeichnete das seit dem späten 11. Jahrhundert belegte Wort rîter/ritter (lat. miles, frz. chevalier) nur den berittenen Krieger oder den unfreien Dienstmann (Ministerialen). Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts löste sich der Terminus allmählich von der rein militärischen Bedeutung und wurde, z. B. im Adjektiv rîterlich, gleichbedeutend mit Würde, Schönheit und Tapferkeit. Damit war rîter zu einer Standesbezeichnung des niederen Adels geworden, die synonym mit herre und fürste verwendet werden konnte. Dass es zu einer solchen im Wesentlichen ideologisch motivierten Bedeutungsverschiebung kommen konnte, hatte u. a. mit der moralischen Aufwertung des Soldaten im Dienste der Kirche (miles Christi) zu tun, insbesondere im Kontext der Kreuzzugsidee und der Entstehung der religiösen Ritterorden (u. a. Templer, Johanniter, Deutscher Orden), die den Krieger in den Rang eines edlen Streiters für die heilige Sache Gottes erhoben. Dadurch wurde der Rittertitel, der mit dem Zeremoniell der Schwertleite verliehen wurde, zum Ehrennamen. Zur notwendigen Ausstattung eines Ritters gehörten nicht nur Grundbesitz (Lehen), Kleidung, Bewaffnung (Rüstung) und Pferde, sondern ab dem 11. Jahrhundert immer häufiger auch eine Burg als befestigte Wohnung und Herrschaftssitz mit einem repräsentativen Hofleben, zu dem auf den größeren Adelssitzen auch aufwendige Hoffeste und Turniere gehörten. Der veränderte Lebensstil führte sukzessive zu einem neuen Selbstverständnis des Dienstadels, das sich nun nicht mehr nur aus den traditionellen Rittertugenden wie Ehre, Ruhm, Stattlichkeit und Tapferkeit speiste, sondern christliche Werte wie Schutz und Fürsorge für Wehrlose und Arme, Freigebigkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Beständigkeit und Anstand einschloss und dadurch eine verfeinerte höfische Bildung und Liebeslehre (frz. amour courtois, dt. minne) begründete. Zu den Statussymbolen des Ritterstandes gehörten u. a. kostbare Kleidung, feine Manieren und Ausdrucksweise, kultiviertes Benehmen bei Tisch, Schwert und Gürtel, Jagd und Spiel sowie eine wehrhafte Rüstung und (seit dem späten 12. Jahrhundert) prägnante Wappen, die in Turnier und Schlacht die Identität des Ritters auf Schild und Waffenrock anzeigten (vgl. Goetz 1986, 165–200; Borst 1989; Bumke 1997, 382–430; Fleckenstein 2002; Laudage 2006; Paravicini 2011). Die höfische Epik Wolframs und anderer mittelalterlicher Autoren ist ohne die ritterlich-feudale Gesellschaft als Träger der „erste[n] autonome[n] Laienkultur des Abendlandes“ (Paravicini 2011, 19) nicht denkbar, denn aus ihr stammten nicht nur Auftraggeber und Publikum, sondern auch die The-
Ritterepik
rîter
Ideal und Wirklichkeit
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I. Epoche und Literatur
men, Figuren und Motive, die u. a. dem „Parzival“-Roman Stoff und Spannung verliehen. Dabei darf jedoch nie vergessen werden, dass die literarischen Texte ein Ideal des Rittertums entwarfen, das sich nicht unbedingt mit dessen historischer Realität deckte. Denn das „höfische Ritterideal und die gesellschaftliche Realität des adligen Lebens standen zueinander im Verhältnis krasser Gegensätzlichkeit“ (Bumke 1997, 430). Dies betraf sowohl das ehrlose Verhalten vieler Ritter während der Kreuzzüge und ihren Hang zu Ausschweifungen, Intrigen und Gewalt als auch ihre oft erbärmliche wirtschaftliche Lage und die Brutalität des mittelalterlichen Krieges. Auch der literarisch verklärte Frauendienst stand im Widerspruch zur weit verbreiteten Frauenverachtung der Zeit, die mit Unterdrückung und roher männlicher Sexualität einherging (vgl. Bumke 1997, 454–466 u. 558–582). Wenn die deutschen Epiker, die wie Hartmann von Aue selber oft Ministerialen waren, das edle Rittertum zur „Weltanschauung“ (Borst 1989a, 237) erhoben, idealisierten sie damit die Lebensform ihres Publikums, das sich vielfach die Dichtung zum Vorbild nahm (vgl. Bumke 1997, 439–446) und sich an den fiktiven Musterrittern erbaute. „Alle ritterlichen Leitbilder – so verschieden und umstritten im einzelnen ihre Herkunft sein mag – entstammten dem Bestreben, der adligen Schicht zwischen Herrschaft und Dienst ein höheres Ethos einzupflanzen, das auf die faktische Situation des niederen Adels antwortete und sie steigern sollte: adliger Dienst für Gott, für den Herrn, für die Frau anstelle von Übermut oder Verzagtheit“ (Borst 1989a, 239 f.). Auch Wolframs Romane entwerfen somit Wunschgesellschaften und –helden, die gerade dadurch, dass sie wie der „Parzival“ in den vergangenen Zeiten von König Artus und in den spirituellen Sphären des Grals angesiedelt sind, die Differenz zur zeitgenössischen Feudalgesellschaft umso deutlicher offen legten und dadurch „Appellcharakter“ hatten: „Die poetischen Schilderungen waren offensichtlich nicht nur auf literarische Erbauung der adligen Zuhörerschaft angelegt, sondern sie wollten auch auf die gesellschaftliche Praxis Einfluss nehmen“ (Bumke 1997, 432) und den Ritter auf einen verbindlichen Ehrenkodex verpflichten. Insofern hatten sie einen zivilisatorischen Effekt und imaginierten eine Gesellschaftsutopie, deren Erfüllung noch ausstand.
4. Die höfische Dichtersprache Mittelhochdeutsch
Die Feststellung, dass die höfischen Epen auf Mittelhochdeutsch abgefasst wurden, ist erklärungsbedürftig, denn das Mittelhochdeutsche als überregionale Einheitssprache, wie sie uns in den einschlägigen Textausgaben Karl Lachmanns u. a. begegnet, hat es so nie gegeben. Mit mittelhochdeutsch wird die historische Sprachstufe des Deutschen zwischen ca. 1050 bis 1350 bezeichnet, die alle deutschen Dialekte umfasst, die an der Zweiten oder Hochdeutschen Lautverschiebung teilgenommen haben. Dies sind das Bairische und Alemannische sowie das Ost-, Rhein- und Mittelfränkische, d. h. alle südlich der Benrather Linie (maken/machen) gesprochenen Dialekte in Abgrenzung vom Niederdeutschen im norddeutschen Raum, zu dem das West- und Ostniederdeutsche sowie Westfälisch, Ostfälisch und Ostfriesisch gehören (vgl. Schmid 2009, 29–37 u. 51–56).
4. Die höfische Dichtersprache
Wolfram hat vorwiegend die oberdeutsche Reimsprache (Fränkisch) verwendet, zuweilen finden sich bei ihm aber auch bairische Formen (vgl. Bumke 2004, 21 f.). Wie andere höfische Autoren hat er damit einen Beitrag zur Ausprägung einer ,höfischen Dichtersprache‘ geleistet, die ungeachtet der regionalen Zersplitterung des oberdeutschen Sprachraumes auf vorwiegend alemannisch-rheinfränkischer Grundlage einen gewissen Standard für die Schriftliteratur der Oberschicht setzte und durch die Vermeidung extremer Dialektformen vereinheitlichend wirkte. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass das Mittelhochdeutsche, wie es uns in den höfischen Epen begegnet, eine von ästhetischen Motiven geprägte stilisierte Kunstsprache ist, die zusätzlich dadurch relativ homogen erscheint, dass die Herausgeber des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die in den oft erst Jahrzehnte nach der Abfassung der Texte geschriebenen Handschriften aufgefundenen Lautstände und Schreibweisen in ihren Editionen korrigiert haben, um so die ,Originale‘ wiederzugewinnen. Das Ergebnis war ein normalisiertes Mittelhochdeutsch, das es so im Mittelalter gar nicht gegeben hat, aber dann wiederum Grundlage für Wörterbücher und Grammatiken wurde. Die moderne Linguistik spricht daher von einer „Phantomsprache“ (Schmid 2009, 34), deren von der frühen Germanistik (Jacob Grimm) angenommene allgemeine Geltung und Verbreitung eine „romantische Fiktion“ gewesen sei (Fleischer et al. 2001, 558). Denn bereits ein Blick in wenige Wolfram-Handschriften zeigt, wie inhomogen die sprachliche Überlieferung hinsichtlich Graphie, Phonetik und Morphologie in Wahrheit ist. Am ehesten lässt sich noch im Bereich des Wortschatzes, des Satzbaues und der Stilistik von einer Einheitlichkeit der höfischen Dichtersprache reden. Sie blieb aber stets ein funktionsgebundener Soziolekt (vgl. Schmid 2009, 34), durch den sich die Hofgesellschaft von den nichtadeligen Gesellschaftsschichten abgrenzte und den die Dichter verwandten, um „überregionale Geltung“ zu erlangen und „überregionales Verstandenwerden“ zu gewährleisten (König 1983, 78). Die mittelhochdeutsche Literatursprache war insofern „das Kunstprodukt einer kleinen Gruppe von höfischen Literati“ (Robinson 2007,152) und kann daher nicht als Vorläuferin einer deutschen Standard- oder Hochsprache gelten, sondern blieb an die Ritterkultur gebunden, mit deren Ende auch sie wieder im Archiv der Sprachgeschichte versank (vgl. Bumke 1990, 27–30). Der Wortschatz der Dichtersprache ist neben dem Verzicht auf dialektale und alltagssprachliche Wörter sowie auf Bezeichnungen aus der älteren Tradition der (mündlich tradierten) Heldenepik vor allem gekennzeichnet durch eine Vielzahl französischer Lehnwörter und Lehnbildungen für zentrale Bereiche der ritterlichen Kultur, den Rückgriff auf den als vornehm geltenden mittelniederländischen Wortschatz, den Schmuck der Verse mit poetischen und rhetorischen Stilmitteln, die Vorbilder in der lateinischen Dichtung hatten, sowie die semantische Neubesetzung älteren Wortgutes im Sinne des höfischen Tugendkanons, z. B. Þre, mâze, sælde, triuwe usw. (vgl. Bumke 1990, 27 f.; Bentzinger 1990; Schmid 2009, 248–252). Wolfram greift in seinen Werken all diese Tendenzen auf, nutzt sie aber zur Ausprägung eines sehr individuellen Stils (vgl. Bumke 2004, 21–29; Hartmann 2011, 146–161). So verwendet er z. B. viel häufiger als andere zeitgenössische Dichter heldenepisches Vokabular wie helt, degen, recke
„Phantomsprache“
Funktionsgebundener Soziolekt
Wortschatz
Wolframs Stil
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I. Epoche und Literatur
Rhetorik
Wolframs Verstechnik
usw., möglicherweise um sich stilistisch von den gelehrten Kollegen abzugrenzen. Andererseits beherrscht er die französische Hofterminologie vollkommen. In der Verwendung von Fachwörtern des Turniers (vesperîe, poinder, rabbîn usw.), adeliger Textilien und Kleidung (zindâl, stivâl, kulter) etc. steht er Hartmann und Gottfried in nichts nach (auch wenn er – verständlich in einer Zeit ohne Wörterbücher – manchen französischen Terminus oder Namen falsch – oder gezielt originell? – einsetzt). Gerne streut Wolfram mittelniederländische Wörter ein (z. B. trecken, härsenier, gehiure) und erhebt alte Tugendbegriffe zu bedeutungsschweren Leittermini der Erzählung, besonders kiusche, riuwe und triuwe. Er gefällt sich in der Schöpfung neuer Wörter, die sonst nirgends belegt sind, z. B. gehundet (,mit einem Hund versehen‘, Titurel V. 136,2) oder selpschouwet (,offenkundig‘, Parzival V. 148,23) und erweist sich so immer wieder als Sprachkünstler, dessen Wortwitz oft nicht nur eine humoristische Intention erkennen lässt, sondern offenbar ganz gezielt Pointierungen, Visualisierungen und Mehrdeutigkeit stiften soll. Dazu passt auch Wolframs sprunghafte Syntax, die seinen ,krummen‘ Stil (vgl. Willehalm V. 237,11) ausmacht, weil er, anders als etwa Gottfried von Straßburg, weniger Wert auf Eleganz legt als auf die Stiftung neuer Zusammenhänge und Bedeutungen, z. B. mit Hilfe von Ellipsen (unvollständigen Sätzen), Parenthesen (ergänzenden Einschüben) und Anakoluthen (Satzbrüchen). Die Lehren der Rhetorik beherrschte Wolfram durchaus, auch wenn er „den rhetorisch geschliffenen Stil verschmäht“ (Nellmann 1994, 415). Er konnte ihre Stilmittel, z. B. topische Beglaubigungs- und Brevitas-Formeln, bei Hartmann von Aue und Heinrich von Veldeke studieren. Gerne verwendet er etwa Pars-pro-Toto-Formulierungen (Synekdochen) vom Typ sîn ouge ninder hûs dâ sach (,sein Auge [er] sah dort nirgends ein Haus‘; Parzival V. 60,5), pointierende Umschreibungen (Periphrasen) für Figuren unter Auslassung des eigentlichen Namens wie ein wurzel der güete / und ein stam der diemüete (Herzeloyde; ebd. V. 128,27 f.) oder den man noch mâlet für das lamp, / und ouchz kriuze in sîne klân, / den erbarme daz tâ wart getân (Christus; ebd. V. 105,22–24), die Reihung von Wörtern des gleichen Stammes (annominatio) wie der klingen alsus klungen (ebd. V. 69,16) oder die constructio apokoinu, bei der sich das mittlere Satzglied zugleich auf den vorausgehenden wie auf den nachfolgenden Satzteil bezieht (die wende gar behangen / mit spern al umbevangen, ,[Er sah dort kein Haus,] bei dem die Wände nicht gänzlich mit Lanzen behangen und von diesen völlig umringt waren‘; ebd. V. 60,7 f.). Besonders interessant sind die Beschreibungen (descriptiones) bei Wolfram, die er immer wieder durch Erzählerkommentare, Fragen an das Publikum, scheinbar unpassende Assoziationen usw. unterbricht und so jede Linearität und Einsinnigkeit kalkuliert unterläuft. Er beherrscht zweifellos alle Techniken, die die zeitgenössische Poetik und Rhetorik bereitstellt (und fordert), geht jedoch sehr frei mit ihnen um und variiert und modifiziert sie, um das Publikum konstruktiv zu irritieren und ihm abzuverlangen, aufmerksam einen verschlungenen erzählerischen Weg mitzugehen, der letztlich – im Einklang mit der sukzessiven Entfaltung und Reifung der Romanhelden – ein Erkenntnisweg ist (vgl. Nellmann 1973, 165–180). Wenn Wolfram in den Sprachgeschichten also zu den Repräsentanten der ,höfischen Dichtersprache‘ gezählt wird, dann müsste wenigstens ergänzt
5. Aufführung und Verbreitung
werden, dass er der eigenwilligste und originellste unter ihnen ist. Das lässt sich abschließend auch an seiner Verstechnik verdeutlichen (vgl. Kap. IV.4). Grundsätzlich verwendet Wolfram im „Parzival“ und im „Willehalm“ den vierhebigen höfischen Reimpaarvers, wie ihn vor ihm schon Veldeke und Hartmann gebraucht hatten. Aber er ordnet die Eleganz der Verse oft seiner Aussageabsicht unter, wenn er z. B. die Reinheit des Reims aufgibt, um interessante Wörter (und Bedeutungen) zusammenzuführen, wenn er exotische Namen, z. B. von Schlangen und Steinen, als Reimwörter wählt, um dadurch eine fremdartig-faszinierende Atmosphäre zu erzeugen, wenn er überfüllte, d. h. zu silbenreiche, Verse konstruiert oder mit harten Enjambements wirkungsvoll die Versgrenzen sprengt wie in getriwe und ellenthaft ein man / was Keie: des giht mîn munt (Parzival V. 296,22 f.). Wolframs Reimsprache ist nicht immer regelkonform im Sinne der Schulpoetik, aber höchst effektiv im Sinne seiner Intention, „die Form in den Dienst des Inhalts, der Aussage, zu stellen“ (Hartmann 2011, 162).
5. Aufführung und Verbreitung Höfische Epen wie Wolframs „Parzival“ wurden in der Regel vorgetragen, d. h., das Gros des Publikums hat die Erzählungen gehört, nicht in der Stille gelesen. Das ist ein wichtiger Unterschied zur üblichen Rezeptionssituation in späteren Jahrhunderten, als die Volkssprache als Literatursprache längst etabliert und in der Schriftliteratur weit verbreitet war – und es viel mehr Leser gab, die des Lesens und Schreibens überhaupt mächtig waren. In Wolframs Zeit besaßen zwar viele französische Fürsten (und insbesondere die Frauen am Hof) eine lateinische Bildung, aber in Deutschland waren viele Adelige, sogar Kaiser und Könige, oft Analphabeten. Die schriftgestützte Bildung lag noch weitgehend bei den Geistlichen. Viele im Mittelalter weit verbreitete Stoffe, z. B. Märchen, Legenden und Heldensagen, kamen aus einer jahrhundertealten mündlichen Tradition und wurden erst in der höfischen Zeit, also um 1200, zum ersten Mal aufgeschrieben. Es gab also auch zuvor eine reiche epische Überlieferung, nur war sie schriftlos (vgl. Bumke 1997, 596–617). „All das führt im Mittelalter zu einer kaum mehr vorstellbaren Bedeutung der mündlichen, akustischen Kommunikation, im täglichen Leben wie auch in der Überlieferung von Generation zu Generation“ (Wehrli 1984, 58). Analphabetismus bedeutete keineswegs Kulturlosigkeit: Der Laien-Adel war durchaus an Heldenepik und geschichtlichen Stoffen interessiert. Nur gehörten Lesen und Schreiben noch nicht zwingend zum Kanon standesgemäßer adeliger Bildung. Wolfram verfasste seine Romane in einer noch weitgehend oralen Kultur. Nicht zuletzt deshalb konnte er sich selber als Analphabeten bezeichnen, was nichts Ehrenrühriges war, da er sich damit als ein seinem adeligen Publikum ebenbürtiger Ritterdichter auswies. Der „Parzival“ und der „Willehalm“ werden von einzelnen Gebildeten, insbesondere Damen, sicher auch in stiller Privatlektüre rezipiert worden sein, aber die Grundsituation blieb noch lange der öffentliche Vortrag (auf der Grundlage einer schriftlichen Vorlage) als „Hörliteratur“ (Wehrli 1984, 63). Diese Tatsache gilt es zu beachten, wenn mittelalterliche Literatur heute auf der Grundlage gedruckter Editionen interpretiert wird. Die zeitgenössi-
Orale Literatur
Analphabetismus
Mittelalterliche Textrezeption
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I. Epoche und Literatur
Textproduktion
schen Zuhörer konnten in der Regel nicht vor- und zurückblättern. Sie konnten den Text nicht wieder und wieder lesen und waren bei der Rezeption auf ihr Gedächtnis angewiesen (das besser gewesen sein dürfte als unser heutiges in einer Epoche des information overload). Zudem werden sie ein Tausende von Versen umfassendes Großepos kaum je ganz gehört haben. Zum einen dauerte es Jahre, bis es fertig war. Für Wolframs „Parzival“ geht man von ca. 10 Jahren aus (vgl. Nellmann 1994, 414; Bumke 1997, 679–685), d. h., über längere Zeit konnten überhaupt nur einzelne Partien stückweise vorgetragen werden, die womöglich nicht einmal in chronologischem Zusammenhang standen (vgl. Bumke 1997, 720). Zum anderen dauerte es gut zwei Wochen, um einen Roman wie den „Parzival“ an mehreren Abenden komplett aus einer Handschrift vorzulesen, wenn er denn überhaupt jemals vollständig dargeboten wurde. Manche werden mit dem Text auch nur punktuell bei Hoffesten o. Ä. in Berührung gekommen sein (vgl. ebd., 721–725). Schließlich brachte es der mündliche Vortrag mit sich, dass Texte je nach Aufführungssituation und -anlass variiert werden konnten, d. h. unfest waren, und dass das Publikum unmittelbar auf den Vortrag reagieren konnte, z. B. durch Fragen oder Zwischenrufe. Möglicherweise war manchmal bereits der Entstehungsprozess „ein fortlaufender Dialog des Autors mit seinem Publikum“ (ebd., 706). Die mittelalterliche Seinsweise der Epen war somit eine völlig andere als die heutige Lektüre einer „Parzival“- oder „Willehalm“-Edition in Buchform. Die Texte waren als aufgeführte Texte dynamischer als fixierte Schrifttexte, und sie waren keine Privatangelegenheit. „Denn höfische Literatur war eine gesellige Veranstaltung; ihr Sinn lag in ihrer gemeinschaftsstiftenden und gemeinschaftsbestätigenden Funktion“ (ebd., 718). Diese Spezifik mittelalterlicher Literatur sollte Philologen u. a. davor warnen, mit subtilsten Theorien und abstraktesten hermeneutischen Konzepten an vormoderne Texte heranzutreten, die in einer flüchtigen mündlichen Kultur ihren Platz hatten und primär hörend und meistens lediglich fragmentarisch aufgenommen wurden. Die Forschung stellt sich die Genese der Werke Wolframs heute so vor, dass er den Grundtext zunächst auf Wachstafeln entwarf (oder diktierte; vgl. Gerhardt 2011, 596 f.) und dieser dann nach und nach von einem Schreiber auf das wertvolle Pergament übertragen wurde. Möglicherweise erklärt sich so auch die Wolframs Epen kennzeichnende Textgliederung in Gruppen von 30 Versen, weil das genau die Textmenge war, die auf eine Tafel passte (vgl. Nellmann 1994, 415 f.; Bumke 1997, 719 f.). Ob die Handschriften nur in Klöstern und an Bischofssitzen oder auch an den Adelshöfen geschrieben worden sind, d. h. in den fürstlichen Kanzleien, ist unbekannt (vgl. Bumke 1997, 734–751). Die bei beliebten Autoren wie Wolfram sehr reiche Überlieferung beweist aber, dass die Handschriften, womöglich auf dem Weg der Ausleihe, im Auftrag wohlhabender Besteller vielfach abgeschrieben und die Texte so verbreitet worden sind. „Gemessen an der kleinen Zahl weltlicher Höfe, an denen der Literaturbetrieb schon vor 1200 begann, ist die Zahl der erhaltenen Handschriften aus dieser Zeit überraschend groß. […] Einige Epen sind offenbar weit gewandert. […] Die Förderer dieses literarischen Verkehrs dürften in erster Linie die fürstlichen Gönner und Auftraggeber gewesen sein“ (ebd., 738 f.).
II. Forschungsbericht 1. Die Anfänge der Wolfram-Forschung Wolframs Romane wurden vom mittelalterlichen Publikum überaus geschätzt. Das beweist die ungewöhnlich große Zahl überlieferter Textzeugen, die nur ein spärlicher Rest der einst im Umlauf befindlichen Handschriften sein dürften: „Parzival“ fast 90, „Willehalm“ fast 80. Um 1500 versiegte die handschriftliche Produktion, und gut 250 Jahre lang interessierte sich niemand mehr für Wolfram und seine Werke. (Literatur-)Geschichte verläuft eben nie linear, sondern sie unterliegt den Interessen und Vorlieben des jeweiligen Publikums. Erfolgreiche Bestseller-Autoren können nach kurzem Höhenflug für immer in der Versenkung verschwinden, längst vergessene Werke wiederum können eine Renaissance erleben, wenn eine spätere Zeit sie erneut ,braucht‘. Dieses Schicksal teilt Wolfram mit zahlreichen heute berühmten mittelalterlichen Werken, z. B. mit dem „Nibelungenlied“. Er wurde erst im 18. Jahrhundert im Kontext des neu erwachten Interesses für das ,deutsche Altertum‘ und seine ,ursprüngliche‘ Poesie wiederentdeckt (vgl. Bumke 2004, 255–257; Mertens 2011): 1748 veröffentlichte Johann Jakob Bodmer seine „Proben der alten schwäbischen Poesie des Dreyzehnten Jahrhunderts“, in denen er auch Auszüge aus Wolframs Tageliedern abdruckte. 1753 brachte er die (neuhochdeutsche) Nachdichtung „Der Parcival, ein Gedicht in Wolframs von Eschilbach Denkart, eines Poeten aus den Zeiten Kaiser Heinrichs IV.“ heraus, die sich auf den Straßburger Druck des Romans von 1477 stützte (vgl. Flood 1989) und nach den Vorbildern Homers und Klopstocks in Hexametern verfasst war, zwei Jahre später den „Gamuret“, 1774 dann die „Willehalm“-Bearbeitung „Wilhelm von Oranse“ (vgl. Gibbs 1989). 1784 gab Bodmers Schüler Christoph Heinrich Myller seine „Sammlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert“ heraus, die neben anderen Epen auch den „Parzival“ in der Fassung der St. Galler Handschrift enthielt. Für Jahrzehnte blieb dies die einzige Ausgabe des Gralsromans, bis 1833 der Berliner Altphilologe und Germanist Karl Lachmann (1793–1851) seine bahnbrechende Wolfram-Ausgabe auf der Grundlage der von ihm entwickelten historisch-kritischen Methode veröffentlichte, die bis heute – ungeachtet anderer Editionen, u. a. von Karl Bartsch (1870/71) und Albert Leitzmann (1902–1906), und partiell modifiziert durch Eberhard Nellmann (1994) und Bernd Schirok (2003) – die maßgebliche Standardedition geblieben ist (vgl. Schirok 2003, LXIX–LXXXI). Von Lachmann stammt u. a. die Einteilung der Epen in ,Bücher‘, die Verszählung (Dreißiger-Abschnitte), die Aufgliederung der „Parzival“-Überlieferung in zwei Klassen (D, St. Galler Hs. Cod 857, u. G, Münchner Hs. Cgm 19) und die orthographische und metrische Normierung des mittelhochdeutschen Textes, oft gegen die Handschriften, was u. a. zu vielen, das Verständnis erschwerenden Kontraktionsformen geführt hat (z. B. i’m für ich im, sâbnts für des âbents usw.; vgl.
J. J. Bodmer
K. Lachmann
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II. Forschungsbericht
Berner „Parzival“Projekt
Bibliographien
Literatur für Einsteiger
Schirok 2003, LXXXII–LXXXVIII). Lachmanns Edition ist dennoch bis heute die Grundlage der gesamten Wolfram-Forschung. Nach seiner Verszählung wird zitiert, und alle neueren Übersetzungen und Ausgaben gehen von seinem Text aus, obwohl die Forschung um die Defizite weiß: „Insgesamt bleibt für eine Revision von Lachmanns Text noch viel zu tun. Solange indes ein großer Teil der Überlieferung gar nicht erschlossen ist, ist alles Bessern am Text nur Stückwerk“ (Nellmann 1994, 430). Erstmals seit Lachmanns Tagen wird derzeit an der Universität Bern unter der Leitung von Michael Stolz eine neue kritische Edition des „Parzival“ mit Hilfe philologischer und phylogenetischer Verfahren erarbeitet, die neben dem kritischen Lesetext auch digitale Faksimiles der Handschriften bietet (http://www.parzival.unibe.ch/home.html). Es wird aber voraussichtlich noch Jahre dauern, bis Lachmanns Text von dieser Neuedition abgelöst wird, und sie wird hoffentlich nicht nur eine komplexe, alle Varianten dokumentierende Spezialisten-Datenbank hervorbringen, sondern auch eine zuverlässige (zweisprachige) Leseausgabe in Buchform. Lachmann hatte die Wolfram-Philologie mit seiner Ausgabe der drei epischen Werke und der Lieder auf eine solide Grundlage gestellt. Nun konnte auch die hermeneutische Arbeit beginnen, und sie hat in den letzten Jahrzehnten zu einer so reichen Forschungsliteratur geführt, dass sie ganze Bibliotheken füllen würde und von niemandem mehr überblickt wird. Der Leser findet am Ende dieses Bandes eine Auswahlbibliographie, die zur ersten Orientierung alle wesentlichen Editionen und Kommentare sowie wegweisende Monographien und Aufsätze verzeichnet. Die derzeit aktuellste Gesamtbibliographie – mit weit über 2000 Titeln! – bietet das Wolfram-Handbuch von Joachim Heinzle (vgl. Heinzle/DeckeCornill 2011). Die Reihe „Wolfram-Studien“ der Wolfram-von-EschenbachGesellschaft (1970 ff., bisher 23 Bde.) enthält seit 1988 in jedem Band eine fortlaufende Bibliographie mit sämtlichen neu erschienenen Arbeiten. Ebenfalls hilfreich sind die Stellenbibliographie zum „Parzival“ von David Yeandle, die online zur Nutzung bereitsteht und den Zeitraum von 1753 bis 2004 erfasst (http://wolfram.lexcoll.net/index-CDversion.htm), sowie die stets aktuell gehaltene Literaturdatenbank der „Regesta Imperii“ (http://opac.regesta-imperii.de). Eine umfassende systematische Auswertung der älteren Forschung, besonders seit 1945, hat Joachim Bumke vorgelegt (Bumke 1970). Orientierende Auswahlbibliographien finden sich auch in der von Bernd Schirok herausgegebenen „Parzival“-Ausgabe (Schirok 2003, CXXXIX– CLVII), im Artikel ,Wolfram von Eschenbach‘ des neuen „Killy Literaturlexikons“ von Christian Kiening (Kiening 2011), im einschlägigen WolframBand der „Sammlung Metzler“ von Joachim Bumke (Bumke 2004) sowie in Bumkes Artikel ,Wolfram von Eschenbach‘ im 10. Band des „Verfasserlexikons“ (Bumke 1999). Für den Einstieg in Wolframs Dichtung empfiehlt sich vor der Lektüre des (sprachlich sehr anspruchsvollen) mittelhochdeutschen Originals zunächst die Annäherung über eine der aktuellen Übersetzungen. Die derzeit besten Übersetzungen des „Parzival“ stammen von Peter Knecht und Dieter Kühn, die sich in den zweisprachigen Ausgaben von Bernd Schirok (2003) bzw. Eberhard Nellmann (1994; jetzt wohlfeil als Taschenbuchausgabe im Deutschen Klassiker Verlag) finden. Der „Willehalm“ ist in einer hervorragenden
2. Perioden der Wolfram-Forschung
Übersetzung von Joachim Heinzle (Heinzle 1991; jetzt ebenfalls als Taschenbuch) oder von Dieter Kartschoke (in Schröder/Kartschoke 2003) greifbar. Der „Titurel“ erschließt sich am besten mit der zweisprachigen Studienausgabe von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie (2003). Sechs Lieder Wolframs hat Ingrid Kasten in ihrer Anthologie „Deutsche Lyrik des hohen und späten Mittelalters“ (Kasten 1995; ebenfalls inzwischen als Taschenbuch erhältlich) übersetzt und kommentiert. Um die Kontexte der Werke Wolframs zu verstehen, empfiehlt sich neben der Konsultation der bekannten literaturwissenschaftlichen Lexika („Verfasserlexikon“, „Killy Literaturlexikon“) das Studium wenigstens einer einschlägigen neueren Literaturgeschichte, z. B. „Die höfische Literatur der Blütezeit“ von Leslie Peter Johnson (Johnson 1999, bes. 324–365) oder Horst Brunners kompakter „Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick“ (Brunner 2013, 206–219) bei Reclam. Als Sprungbrett in die speziellere Forschung seien dann neben der hier vorgelegten Einführung das bereits erwähnte MetzlerBändchen von Joachim Bumke in der letzten noch von ihm selbst überarbeiteten Auflage (Bumke 2004) und das umfangreiche Handbuch zu Wolfram von Eschenbach von Joachim Heinzle in der günstigen einbändigen Taschenbuchausgabe (Heinzle 2014) empfohlen. Damit wäre ein erstes solides Fundament geschaffen, um tiefer in die komplexen Werke Wolframs, ihre Quellen und Entstehungsgeschichten sowie in Detailfragen der Interpretation einzusteigen.
2. Perioden der Wolfram-Forschung Es ist nicht leicht, einen konzisen Überblick über die Wolfram-Forschung zu gewinnen. Dies hat mit der Fülle der in den letzten Jahrzehnten diskutierten Themen zu tun, aber auch mit Besonderheiten, die Joachim Bumke bereits 1970 in seinem Forschungsbericht benannt hat: Seiner Einschätzung nach „scheint sich die Wolframforschung einer historischen Deutung nicht gerade zu bequemen, weil sie viel weniger von dem Kampf um die Entwicklung der wissenschaftlichen Methoden bestimmt worden ist als die Nibelungenforschung und weil in ihr die großen Einschnitte nicht so deutlich hervortreten wie etwa in der Waltherforschung. Es ist kein Zufall, dass es zu einer Geschichte der Wolframforschung – die eine lohnende Aufgabe bleibt – nur erst Ansätze gibt“ (Bumke 1970, 10). Diese Aussage gilt noch heute unverändert. Erschwerend kommt hinzu, dass die frühe Wolfram-Forschung primär „Parzival“-Forschung war; der „Titurel“, der „Willehalm“ und die Lieder wurden lange Zeit nur am Rande behandelt, d. h., die Forschungsdiskussion verlief für die vier Werkteile asynchron und mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Der „Willehalm“ wurde wegen seiner „spröderen Eigenart“ (ebd., 313) in seiner literaturhistorischen Bedeutung erst in den 1970er-Jahren wirklich entdeckt und durch neue Editionen und Studien erschlossen. Der folgende Überblick ist daher notgedrungen nicht mehr als ein Aufriss, der nur die wichtigsten Phasen der Wolfram-Forschung skizzieren und exemplarisch repräsentative Forschungsarbeiten nennen kann, die der weiteren Diskussion den Weg gewiesen haben (und auch heute noch philologisch relevant und zitierwürdig sind).
Ansätze zu einer Forschungsgeschichte
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II. Forschungsbericht Biographie und Quellen
„Parzival“Kommentare
Primat des Religiösen
Nachdem Karl Lachmann 1833 seine „Parzival“-Ausgabe veröffentlicht hatte, bemühte sich die Forschung zum einen zunächst vor allem um die Lösung editionsphilologischer und linguistischer Detailprobleme, zum anderen um die Erhellung der Biographie Wolframs. Im Zentrum standen u. a. die Klärung von Quelle und Bedeutung der vielen in die Epen eingegangenen Personen- und Ortsnamen (vgl. San-Marte 1857; Bartsch 1875; Fourquet 1949). Die frühe Germanistik interessierte sich besonders auch für die Herkunft des Dichters, seinen Stand und die Hintergründe seiner Bildung (bzw. seiner angeblichen Unbildung), und es waren anfangs vor allem passionierte Lokalforscher, die Licht ins Dunkel der Biographie Wolframs brachten (vgl. San Marte 1836; Schreiber 1922; Kurz 1930). In die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts fällt auch das Erscheinen des bis zu Eberhard Nellmanns Kommentar (vgl. Nellmann 1994) maßgeblichen Stellenkommentars zum „Parzival“ im zweiten Band der „Parzival“-Edition Ernst Martins (vgl. Martin 1903), der heute zwar veraltet, aber wegen seiner Quellenbelege und sprachlich-grammatikalischen Erläuterungen noch immer wertvoll ist. Dasselbe lässt sich von dem – allerdings erheblich knapperen – Kommentar von Martha Marti in der vierten Auflage der „Parzival“und „Titurel“-Edition des Rostocker Germanisten Karl Bartsch sagen (vgl. Bartsch/Marti 1927), der sich vor allem auf lexikalische Hinweise und die Nennung von Vergleichsstellen konzentriert. Es waren dann vor allem drei weitere große Themenkreise, die die ältere Forschung beschäftigten: Zum einen die Frage nach Wolframs (u. a. orientalischen) Quellen und dem Realitätsgehalt seiner Berufung auf einen (bis heute unbekannten) Kyot als Verfasser seiner Vorlage (vgl. Panzer 1940; Mergell 1943; Kolb 1963), zum anderen das Problem der außergewöhnlichen Konzeption des Grals im „Parzival“ und ihrer Lokalisierung in der europäischen Tradition (vgl. Golther 1925; Weber 1928; Singer 1939; Ranke 1946; Mergell 1951). Bis weit in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts hinein dominierte allerdings ein drittes Thema: die Analyse von Wolframs Ethik, seiner Frömmigkeit und der Konformität der im „Parzival“ vermittelten Glaubensinhalte mit dem kirchlichen Dogma (vgl. Sattler 1895; Mockenhaupt 1942; Schwietering 1944; Wapnewski 1955; Koppitz 1959). Joachim Bumke stellt in seinem Forschungsbericht fest: „Die Wolframforschung der ersten Jahre nach 1945 ist durch eine erstaunliche Geschlossenheit gekennzeichnet. In ebenso imponierender wie monomaner Einseitigkeit rang man ein Jahrzehnt lang um die Beantwortung einer einzigen Frage – der von Schwietering formulierten Frage nach Parzivals Schuld – und vernachlässigte darüber nicht nur die anderen Parzivalprobleme, die noch der Lösung harrten, sondern auch die anderen Werke Wolframs“, und dies auf der Basis der Annahme, „dass der Parzival eine zutiefst religiöse Dichtung ist, deren Geheimnisse sich mit Hilfe der mittelalterlichen Theologie entschlüsseln lassen“ (Bumke 1970, 11). Ritterliche Laiendichtung wurde dadurch für lange Zeit allzu einseitig „durch die Brille theologischer Gelehrsamkeit“ (ebd.) betrachtet, nicht zuletzt motiviert durch die heute nicht mehr aufrechtzuerhaltende Prämisse, das Mittelalter sei eine ideell homogene, in allen Lebensbereichen vom christlichen Glauben und seinen Geboten vollständig durchdrungene Epoche gewesen. Es dauerte bis in die frühen
2. Perioden der Wolfram-Forschung
1980er-Jahre, bis sich der theologische „Pulverdampf“ (Nellmann 1994, 421) auf dem Feld der Wolfram-Philologie verzogen hatte und wieder eine weniger fromme Würdigung des „Parzival“ als Artus- und Gralroman und der religiösen Bildungsvoraussetzungen seines Verfassers möglich wurde. Dadurch kamen auch die vorher zu Unrecht ausgeklammerten Gahmuretund Gawan-Partien wieder in den Blick (vgl. Mohr 1958), und der Aspekt der ethischen Mehrdeutigkeit und Relativität in Wolframs Epen geriet neu in den Fokus der Forschung und trug nachhaltig zum modernen WolframBild bei (vgl. Bumke 2004, 125 f.). Die eingleisige Lesart der theologischen Periode (vgl. Bumke 1970, 150–176) sei exemplarisch an dem Buch „Der Ritter zwischen Welt und Gott“ von Walter Johannes Schröder illustriert (vgl. Schröder 1952). Schröder versucht, „den Gehalt des Ganzen“ des „Parzival“ zu erfassen und „zum Kerne der Dichtung zu gelangen“ (S. 9). Diesen findet er im „Gralsmysterium“ (S. 10), das er mit der kirchlichen Liturgie und Sakramentenlehre vergleicht. Parzival spiele darin zugleich die Rolle des Gläubigen und Priesters (S. 56). Wolfram entwerfe eine unkirchliche „Gralsreligion“ (S. 77), die gleichwohl Anleihen beim „Mysterium der Eucharistie“ (S. 81), der Lebensweise mittelalterlicher Mönchsorden und der Mystik und Kreuzzugsideologie Bernhards von Clairvaux mache. Wie Bernhard sei auch Parzival „Priester und Mönch“, er durchlaufe auf seinem dem Stufengang „altchristlicher Passionsmystik“ (S. 127) nachempfundenen Entwicklungsweg eine „priesterliche Schule“ (S. 101), spende mit der Mitleidsfrage auf der Gralsburg das erlösende Sakrament und erweise sich im Frauendienst als „Priester am Sakrament der Minne“ (S. 170). Um in Parzival das Ideal der harmonischen Vereinigung von Frömmigkeit und Ritterideal inszenieren zu können, reduziere Wolfram einerseits das Christentum „auf die Verwirklichung der ethischen Liebesidee“ (S. 142) und postuliere andererseits ein „Weltleben […] stufenweise wachsender Heiligkeit“ (S. 145) mit dem eucharistischen Gral als Mittelpunkt. Dadurch vergeistige Wolfram das Rittertum (vgl. S. 146) und entwerfe ein freireligiöses „mittelalterlich-mönchisches Christentum augustinisch-anselmischer Prägung“ (S. 148). Der „Parzival“ gehöre daher in die Tradition der „Bekehrungsliteratur“ (S. 260). Es liegt auf der Hand, dass eine solche vom „Vorrang des Religiösen“ (Schwietering 1969, 371) ausgehende Deutung, die nicht davor zurückschreckt, den Roten Ritter zum Priester (!) zu stilisieren, dem vielschichtigen Roman nicht gerecht werden kann. Sie ebnet alle Widersprüche und Mehrdeutigkeiten unzulässig ein und macht die bewusst polyphone Erzählung zu etwas, was sie nicht ist: zu einem philosophisch-theologischen Traktat. Schröders in der Nachkriegszeit entstandenes Buch demonstriert eindrucksvoll, dass auch philologische Forschung nicht zeitenthoben ist und ihre Paradigmen und Methoden stets abhängig sind von den Werten und Interessen, die das gerade aktuelle (Fach-)Publikum prägen. Zum endgültigen Abschluss kam diese Art der „Parzival“-Deutung erst in den 1980er-Jahren mit dem (bereits in den 50er-Jahren konzipierten) Buch „Wolframs Parzival. Studien zur Religiosität und Form“ von Peter Wapnewski (vgl. Wapnewski 1982), das ein letztes Mal den Versuch unternahm zu beweisen, „dass das religiöse Ethos, von dem Wolfram getragen wird, das der religiösen Laienbewegung des 11. und 13. Jahrhunderts ist; dass andererseits aber der Verlauf des Epos
W. J. Schröder
Grenzen der religiösen Interpretation
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II. Forschungsbericht
Poetik und Erzähltechnik
Moderne Ausgaben und Kommentare
erst verständlich wird, wenn man in ihm die Rolle des Dogmas erkennt, wie Augustin es konstituierte und der Scholastik weitergab“ (ebd., 10). Wolfram als Mystiker augustinischer Prägung und Parzivals ritterlicher Bewährungsweg als bibelanaloge Heilsgeschichte, – von diesem allzu engen Interpretationsrahmen hat sich die neuere Forschung inzwischen verabschiedet. „Wolframs Schillern zwischen Ernst und Ironie, die Art, wie er den Gralskomplex geradezu bewusst in die alte literarische Zwischenwelt zwischen Heilsgeschichte und Zauberspruch, zwischen Gotteslehre und Astronomie ansiedelt – all das spricht eindeutig gegen jede direkt christliche Deutung der Gralswelt“ (Kuhn 1959, 174). In den letzten Jahren standen stattdessen Fragen der Poetik und Erzähltechnik (vgl. Wehrli 1969, 195–222; Curschmann 1971; Nellmann 1973; Schirok 1990 u. 2002; Kiening 1991; Haug 1992), der Intertextualität (vgl. Draesner 1993) und der Beziehungen zur europäischen Tradition (vgl. Ridder 2014) im Vordergrund. Zudem hat die Forschung intensiv versucht, die mannigfaltigen Bildungs- und Wissenswelten, die Wolfram auf so produktive Weise in seine Epen einarbeitet, zu rekonstruieren, u. a. im Bereich der Medizin (vgl. Haage 1992) und der arabischen Kultur und Geschichte (vgl. Kunitzsch 1974 u. 1985). Ein Dauerthema der Wolfram-Forschung ist zweifellos die Struktur und Funktion des ungewöhnlich ausdifferenzierten Verwandtschaftsnetzes, mit dem Wolfram besonders das Figureninventar des „Parzival“-Romans bedeutungsvoll organisiert (vgl. Schmid 1986). Daneben hat die philologische Grundlagenforschung nie nachgelassen, das textliche Fundament zu sichern und zu erschließen: Während die modernen Ausgaben des „Parzival“ (Nellmann 1994; Schirok 2003) im Wesentlichen nur modifizierte Lachmann-Fassungen darstellen, erschienen der „Willehalm“ (Schröder 1978; Heinzle 1991) und der „Titurel“ in echten Neueditionen (Brackert/Fuchs-Jolie 2002 u. 2003; Bumke/Heinzle 2006) mit Kommentar, Übersetzung und – im Falle von Bumke/Heinzle – mit der gesamten Parallelüberlieferung des „Jüngeren Titurel“. In den letzten Jahren wurden zu allen Werken Wolframs außerdem detaillierte Stellenkommentare erarbeitet, so dass jetzt neben den großen Gesamtkommentaren zu den Epen (vgl. Heinzle 1972; Heinzle 1991; Nellmann 1994; Brackert/Fuchs-Jolie 2002; Bumke/Heinzle 2006) und zu den Liedern (vgl. Wapnewski 1972) zu fast jedem Buch des „Parzival“ ein Spezialkommentar vorliegt, viele davon angeregt und betreut von dem Bochumer Mediävisten Eberhard Nellmann (vgl. die Übersicht bei Heinzle 2011, 1022–1025). Schließlich beweisen neben dem neuen zweibändigen Wolfram-Handbuch von Joachim Heinzle (Heinzle 2011) sowohl zahlreiche neuere Einführungen zum „Parzival“ (vgl. Reichert 2007; Dallapiazza 2009) und zum „Willehalm“ (vgl. Greenfield/Miklautsch 1998) als auch die vom Stuttgarter Reclam-Verlag vorbereitete vollständige Neuübersetzung des „Parzival“ (vgl. dazu Brüggen/ Lindemann 2002) die ungebrochene Intensität der Wolfram-Forschung.
3. Die ,großen Fragen‘ der Wolfram-Forschung Aus der Vielzahl der Forschungsthemen der letzten 100 Jahre können hier nur wenige exemplarisch besprochen werden. Fünf Problemkreise waren
3. Die ,großen Fragen‘ der Wolfram-Forschung
dabei besonders dominant und haben ganze Forschergenerationen beschäftigt, z. T. ausgetragen in heftigen Debatten:
Kyot und die Quelle des „Parzival“ Wolfram konstruiert im „Parzival“ eine der rätselhaftesten Quellenberufungen der Literaturgeschichte (vgl. Kap. IV.3). Die Beglaubigung des Erzählten durch Quellenberufungen ist in vielen Epen der Zeit durchaus üblich, z. B. nennt Gottfried von Straßburg im „Tristan“ die Version Thomas’ von Britannien als seine Vorlage und Ulrich von Zatzikhoven verweist auf ein welsches Buch, nach dem er den „Lanzelet“ bearbeitet habe. Doch während Wolfram im „Willehalm“ klar von einer französischen Vorlage spricht, die ihm Landgraf Hermann von Thüringen besorgt habe (vgl. Willehalm V. 3,8–11), erzählt er im „Parzival“ eine abenteuerliche Fabel: Der begabte provenzalische Dichter Kyot, der meister wol bekant (Parzival V. 453,11), habe die Geschichte von Parzival in Toledo in einer fragmentarischen arabischen Fassung gefunden und sie dann ins Französische übersetzt (vgl. V. 416,20–30). Für die Entzifferung musste er eine Geheimschrift (der karakter âbc; V. 453,15) lernen, denn der Verfasser des arabischen Textes, der aus Salomos Geschlecht stammende Heide Flegetanis, hatte Zauberzeichen verwendet, aus denen nur ein Christ die heilige Geschichte vom Gral herauszulesen imstande war. Flegetanis war astronomisch bewandert und hatte Namen und Schicksal des Grals in den Planetenkonstellationen geschrieben gesehen. Kyot hatte nach dem Fund des Textes weitere Forschungen in lateinischen Chroniken angestellt und entdeckte in der Chronik des westfranzösischen Geschlechtes der Anjou die Geschichte der Gralssippe bis zu Anfortas und Herzeloyde, Parzivals Mutter (vgl. V. 453,11–455,22). Mit diesem Wissen vervollständigte er – und zwar besser als Chrétien (vgl. V. 827,1–11) – sein Werk, das dann Wolfram angeblich aus dem Französischen ins Deutsche übertrug. Soweit die mehrstöckige Quellenfiktion des Romans, mit deren Hilfe Wolfram „die Wahrheit der Parzivalgeschichte“ im Vergleich zu anderen höfischen Epen „überreich dokumentiert“ (Nellmann 1973, 57), wohl nicht zuletzt um zahlreiche von ihm weitgehend unabhängig von Chrétien komponierte Partien, etwa jene über Wesen und Geschichte des Grals, zu legitimieren (vgl. ebd., 59). Gab es Kyot aber womöglich wirklich? Darüber war man sich in der älteren Forschung keineswegs einig. San-Marte (1861) hielt Kyot für einen realen Dichter (vgl. Bumke 2004, 245) und identifizierte ihn mit dem Provenzalen Guiot de Provins (um 1200). „Wolfram könnte versucht haben, diesem Guiot einen nicht existenten Gralsroman unterzuschieben“ (Nellmann 1994, 651). Henry und Renée Kahane meinten, Kyot in dem Spanier Wilhelm von Tudela gefunden zu haben, der eine französische Albigenserchronik verfasste (vgl. Bumke 1970, 211). Weniger spekulativ waren die Thesen Herbert Kolbs (vgl. Kolb 1963), der die Ergänzung des Gralsthemas um heilsgeschichtliche Dimensionen im „Parzival“ auf den Gralsroman eines Kyot zurückführte, da Wolfram sie bei Chrétien nicht habe finden können (vgl. Bumke 1970, 226–230). Die Forschung hat allerdings bislang keine Indizien für die Existenz eines solchen Romans finden können. Kyot bleibt „der große Unbekannte der romanischen Literatur“ (Nellmann 1994, 665).
Kyot
Guiot de Provins
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II. Forschungsbericht Quellenfiktion
Gralskonzeption
Chrétien
Quellenkombination
Heute besteht daher Konsens darüber, dass es sich um eine fiktive Quellenangabe handelt, die aus verschiedenen Gründen gut zu Wolframs sonstiger Erzähltechnik passt: Sie stellt sich möglicherweise bewusst gegen die klassischen Quellenberufungen anderer Epiker und parodiert deren Gelehrsamkeit, umgibt die Gralsgeschichte mit einer Aura des Geheimnisvollen und Rätselhaften und autorisiert signifikante Abweichungen von Chrétiens „Perceval“ (vgl. Bräuer 1990, 267–269). Der Kyot-Exkurs ist somit selbst Teil der Erzählung und wertet die Gralsgeschichte durch die Konstruktion einer besonders numinosen, geradezu mythischen Herkunft auf (vgl. Mertens 2011a, 281 f.). „Durch die Rückführung auf die französische Dichtung Kyots und auf deren Quellen, die arabische Sternkunde des Flegetanis und die lateinischen Anjou-Chroniken, gewinnt das eigene Werk eine historische Dimension, die in auffälliger Weise der Geschichte des Grals entspricht“ (Bumke 2004, 247). Damit verbunden ist zugleich die weit reichende Frage, wie ernst Wolfram diese „historische Dimension“ gemeint hat, d. h., ob er die Kyot-Erzählung nutzt, um den Realitätsgehalt des Gralsstoffes zu steigern, oder ob es ihm im Gegenteil gerade um die (augenzwinkernde) Ausstellung der Fiktion geht (vgl. Nellmann 1994, 423). Der Gral Ebenso rätselhaft und vieldiskutiert wie Wolframs Quellen-Konstrukt ist die Herkunft seiner Gralskonzeption. Gegenüber Chrétien hat er entscheidende Veränderungen vorgenommen: Bei Wolfram ist der Gral ein geheimnisvolles dinc (Parzival V. 235,23), ein unbestimmter Stein mit dem rätselhaften Namen lapsit exillis (V. 469,7; dazu ausführlich Nellmann 2000; Bumke 2004, 139 f.). Durch die Kraft einer jeweils am Karfreitag von einer Himmelstaube auf dem Stein abgelegten Hostie (vgl. V. 470,1–20) spendet er edle Speisen in Fülle und gibt damit einen Ausblick auf die Herrlichkeit des Himmelreiches (vgl. V. 238,3–239,7). Außerdem verleiht sein Anblick ewige Jugend (vgl. V. 469,14–27); deshalb kann auch der leidende Anfortas nicht sterben (vgl. V. 480,25–29). Der Gral wurde von den neutralen Engeln auf der Erde zurückgelassen (vgl. V. 454,24–26; 471,15–29). Man kann ihn nicht aktiv aufsuchen, sondern muss – bereits als Kind – zu seinem Dienst von Gott berufen werden (vgl. V. 468,10–14; 494,5–495,12). Offenbart wird die Berufung durch eine geheimnisvolle Inschrift (epitafum; V. 470,24) auf dem Stein, der auf der mächtigen Gralsburg Munsalvaesche von Gralsrittern (templeisen; V. 468,28) aus vielen Ländern, einer sündelosen und keusch lebenden rîterlîchen bruoderschaft (V. 470,19; vgl. V. 473,5–11), bewacht wird. Nur die Mitleidsfrage eines Berufenen, d. h. Parzivals, kann Anfortas, den schwerkranken Gralskönig, heilen (vgl. V. 483,20–484,12). Bei Chrétien, Wolframs Hauptquelle, findet sich von alledem nichts. Im „Perceval“ ist der Gral eine goldene Schale, in der dem Vater des Fischerkönigs eine lebensverlängernde Hostie gebracht wird. Wichtige Details der rituellen Gralsprozession (vgl. V. 231,15–240,30) gestaltet und motiviert Wolfram ganz neu (vgl. Nellmann 1994, 573–575). In beiden Romanen geht es jedoch – wenn auch mit anderer Nuancierung – um eine Erlösungsfrage (vgl. Bumke 2004, 137 f.). Die ältere Forschung hat intensiv nach den Quellen gesucht, die Wolfram dazu gebracht haben, aus einer Goldschale einen Stein zu machen (vgl. u. a.
3. Die ,großen Fragen‘ der Wolfram-Forschung
Burdach 1938; Ranke 1946; Mergell 1951). Sicher ist nur: „Die Herkunft von Wolframs Gralsvorstellung bleibt ein Rätsel“ (Nellmann 1994, 422). Alle Versuche, die Gralskonzeption im „Parzival“ aus keltischen, orientalischen, spanischen, flämischen, lateinischen oder altfranzösischen Nebenquellen herzuleiten, sind letztlich spekulativ geblieben (vgl. den Überblick bei Bumke 1970, 198–235). Am Ende der Sammlung relevanter Motivparallelen bleibt zudem stets die Frage, wie Wolfram zu den teilweise entlegenen astrologischen und esoterischen (größtenteils fremdsprachigen) Texten überhaupt Zugang erhalten haben könnte. Die neuere Forschung geht daher davon aus, dass hier – wie auch in anderen Partien des Romans (z. B. Herzeloydes Drachentraum, vgl. V. 103,25–104,30) – eine im Detail unauflösbare „kühne Quellenkombination“ (Wehrli 1997, 306) vorliegt, durch die Wolfram ein universales „interreligiöses Symbol“ (Mertens 2011a, 282) erschafft, „das die verschiedenste Seelen-, Lebens-, Himmels- und Kosmossymbolik angereichert hat“ und in dem sich „feste Überlieferung immer wieder mit spontaner ,archetypischer‘ Mythenbildung verbindet“ (Wehrli 1997, 313). Das religiöse Problem: Parzivals Schuld Am intensivsten hat die Forschung aber über Parzivals Schuld diskutiert, denn es ist nicht klar, worin sie eigentlich besteht (vgl. Kap. IV.5). Dieses Problem war von Anfang an eng verknüpft mit der Frage nach der theologischen Botschaft des Romans. Aufgeworfen hat sie Julius Schwietering (1944): In Anlehnung an Trevrizents Sündenregister (vgl. V. 465,7–18; 499,20–25; 501,1–5) unterscheidet er 1. Parzivals Schuld am Tod der Mutter, 2. den Mord an Ither (Verwandtenmord und Leichenraub), 3. die versäumte Frage auf der Gralsburg und 4. die Abkehr von Gott. All diese Sünden beruhen jedoch auf unbewusstem Versagen aus Nichtwissen, für die Parzival nur bedingt verantwortlich gemacht werden kann. Anders als bei Chrétien dreht er sich bei seinem Aufbruch nicht noch einmal um und erfährt daher erst von Trevrizent, dass Herzeloyde tot ist. Dass Ither sein Verwandter ist, weiß Parzival während des Kampfes gegen den rôten ritter noch nicht, und anders als bei Chrétien ist der Tod Ithers eher ein Unfall infolge der tumpheit des unerfahrenen Jungritters. Als Parzival auf Munsalvaesche nicht fragt, hält er sich nur an ein Gebot seines Erziehers Gurnemanz. Wie vor ihm schon Mockenhaupt (1942) sieht Schwietering in der Verletzung der triuwe zu Gott (im Sinne der Liebe zum gekreuzigten Erlöser und des daraus entspringenden Mitgefühls für alles menschliche Leid) Parzivals größte Schuld, deren verhängnisvoller Ausdruck die Unterlassung der erlösenden Frage im Angesicht des von Leid gezeichneten Gralskönigs sei (vgl. Schwietering 1969). Andere Philologen sind zu abweichenden Gewichtungen gekommen (vgl. Maurer 1950; Mohr 1951/52; Wapnewski 1982). Hier wird man kaum je zu einer eindeutigen Entscheidung kommen können, sondern sich besser an die Aussagen des Textes selber halten: Trevrizent deutet im großen Religionsgespräch des 9. Buches Parzivals Sünden als Folge der Erbsünde, die die Menschen, sei es wissentlich oder unwissentlich, zwangsläufig schuldig werden lasse: von Adâmes künne / huop sich riwe und wünne, / sît er uns sippe lougent niht, / den ieslîch engel ob im siht, / unt daz diu sippe ist sünden wagen, / sô daz wir sünde müezen tragen (V. 465,1–6). Der schwache Mensch bleibe daher stets auf Gottes Gnade
Parzivals dreifache Schuld
triuwe
Erbsünde
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II. Forschungsbericht
angewiesen, denn diu menscheit hât wilden art (V. 489,5), und er erlange sie durch Reue und Demut. So sieht es auch die neuere Forschung (vgl. Nellmann 1994, 421 f.; Bumke 2004, 126–134), die zudem betont, dass die ethische Bewertung Parzivals aufgrund der genuinen Multiperspektivität des Romans, die dem Rezipienten in der Vielfalt konkurrierender Stimmen (Sigune, Cundrie, Trevrizent, Erzähler) die Suche nach einem eigenen Standpunkt abverlangt, grundsätzlich ohnehin jeder eindimensionalen Festlegung entzogen ist (vgl. Schirok 2011c, 417–425; Hartmann 2011, 193–196).
Gottfried als Antipode
bickelworte
Gottfrieds Stilkritik
Die ,Fehde‘ zwischen Wolfram und Gottfried Die ältere Forschung hat gerne Fehden zwischen mittelalterlichen Dichtern konstruiert, so auch im Falle Wolframs: Der hoch gebildete Stilist Gottfried von Straßburg und der fränkische Autodidakt hätten über ihre Texte eine poetische Konkurrenz, ja, sogar Feindschaft ausgetragen und sich gegenseitig zu übertrumpfen versucht (vgl. Klein 1954; Schröder 1957; Schröder 1958; Wapnewski 1963; dazu kritisch Ganz 1967; einen Forschungsüberblick bieten Bumke 1970, 81–88; Nellmann 1988; Nellmann 1994a). Auf welchen Hinweisen fußt die Fehde-Theorie? Im „Tristan“ lobt Gottfried in seinem Literaturexkurs Hartmann von Aue wegen seiner hohen Dichtkunst und sprachlichen Klarheit und erkennt ihm metaphorisch den Lorbeerkranz zu (vgl. Tristan V. 4621–4637; ed. Ranke). Von Hartmann grenzt Gottfried dann scharf effekthascherische Autoren ab, die wie ein Hase uf der wortheide / hochsprünge und witweide / mit bickelworten (,Würfelworten‘; V. 4639–41) vollführen, sich als betrügerische vindære wilder mære (,Erfinder regelloser Erzählungen‘; V. 4665) erweisen und dem Publikum eigentlich tiutære (,Ausleger‘; V. 4684) mitgeben müssten, damit es deren kryptische Texte ohne Zuhilfenahme von Geheimglossaren (swarzen buochen; V. 4690) überhaupt verstehen kann. Namen nennt er nicht. Möglicherweise spielt Gottfried, dessen „Tristan“-Fragment die Forschung auf 1210 datiert, hier auf den sprunghaften Stil und die originellen Wortkreationen Wolframs an. Einzelne Wörter könnten sogar direkte Anspielungen auf den „Parzival“ sein, z. B. auf den Prolog, in dem Wolfram all jene verspottet, die seinem wie ein hakenschlagender Hase gedanklich umherspringenden Elsterngleichnis (vgl. Parzival V. 1,15–19) nicht zu folgen vermögen, oder auf den schon erwähnten Kyot-Exkurs, in dem es heißt, der Gelehrte habe die Gralsgeschichte in Toledo, der „Hochburg der Zauberei“ (Nellmann 1994, 665), in einer arabischen Urfassung gefunden und diese – allerdings ohne (!) Zuhilfenahme schwarzer Künste (ân den list von nigrômanzî; V. 453,17) – zu entziffern gelernt. Gottfried würde dann subtil auf den „Parzival“ reagieren und Wolframs „Erzählform des Verschweigens und späteren Enthüllens, die er zum Teil provozierend handhabt und an einer Stelle auf Kyot zurückführt“ (Nellmann 1988, 67), kritisieren. Die neuere Forschung schließt daher ein „wechselseitiges Reagieren der beiden Konkurrenten aufeinander“ aus und postuliert, dass Wolframs Roman „weitgehend (wenn nicht vollständig) fertig [war], als Gottfried darauf reagierte“ (Nellmann 1994a, 466). Es gab also keine Fehde, die polemische Distanzierung war einseitig (vgl. Hartmann 2011, 212). Das „Bild eines großen menschlichen Dramas“ (Bumke 1970, 82), das die ältere Forschung noch gezeichnet hatte (bes. Klein 1954), muss als überholt gelten.
3. Die ,großen Fragen‘ der Wolfram-Forschung
Das ,humane‘ Heidenbild im „Willehalm“ Wolfram gilt in sprachlicher und poetischer Hinsicht als besonders eigenständiger mittelalterlicher Dichter, und dies lässt sich auch für ein zentrales Thema des „Willehalm“ sagen: für die ungewöhnlich respektvolle Bewertung der Heiden und ihrer Religion, für die die Forschung sogar den modernen Begriff ,Toleranz‘ bemüht hat (vgl. Kap. VI.5). In der Tat ungewöhnlich ist die ritterliche und menschliche Ebenbürtigkeit zwischen Heiden und Christen, die Wolfram etwa im Vergleich zum „Rolandslied“ in seinem Kreuzzugsepos, aber auch schon im „Parzival“ (vgl. die Feirefiz-Figur), ausdrücklich hervorhebt. Die Heiden pflegen hier ähnliche Tugenden, schätzen dieselbe feudale Prachtentfaltung und sind ebenso tapfer und kampferprobt wie die Christen, auch wenn Wolfram am Ende keinen Zweifel daran lässt, dass ihre Religion, der (von ihm als Polytheismus beschriebene) Islam, verdammenswert ist (vgl. Hartmann 2013). Besonders beschäftigt hat die Forschung insbesondere die sog. ,Toleranzrede‘ Gyburgs, der zum Christentum konvertierten Frau Willehalms (vgl. Willehalm V. 306,2–310,29). Gyburg ermahnt darin die Christen, die Heiden in der Schlacht zu schonen, denn auch sie seien gotes hantgetat (,Geschöpfe aus der Hand Gottes‘; V. 306,28), und auch die großen Gestalten des Alten Testaments (Adam, Noah, Hiob usw.) seien schließlich allesamt Heiden gewesen: wir waren doch alle heidnisch e (V. 307,25). Die Forschung hat lebhaft darüber diskutiert, ob dieses heilsgeschichtlich begründete Schonungsgebot bereits als mittelalterlicher Humanismus gedeutet werden kann. Vor allem die ältere Germanistik meinte, in Wolfram einen frühen Kämpfer für eine die Religionen übergreifende christliche Humanität zu erblicken (vgl. Richter 1956, 23–33; Wentzlaff-Eggebert 1960, 247–277; Wehrli 1997, 321–323). Joachim Heinzle hat – wie zuvor schon Alois Haas (vgl. Haas 1964) und Karl Bertau (vgl. Bertau 1983) – dagegen deutlich ausgesprochen, dass Gyburgs Appell nicht als „Bekenntnis zu Pazifismus und Toleranz im modernen Sinn“ gelesen werden darf, sondern lediglich „verlangt, die Heiden als Menschen – als ritterliche Gegner – zu achten und im und nach dem Kampf entsprechend zu behandeln, d. h. sie nicht nach traditioneller Kreuzzugsideologie niederzumachen wie ,Vieh‘“ (Heinzle 1991, 1023). Noch dezidierter äußerte sich jüngst Jerold C. Frakes, der jedwede Rede über humanistische Toleranz im Mittelalter ablehnt und Wolfram gar Rassismus vorwirft (Frakes 2011, 61). Im Kern geht es bei der Debatte um die Frage, ob es Wolfram bereits möglich (und von ihm intendiert) war, den Begriff der Gotteskindschaft gegen die theologische Lehre seiner Zeit auch auf die Heiden auszudehnen (vgl. Schnell 1993; Knapp 1993; Heinzle 1994; Knapp 2000). Timothy McFarland hat zu Recht davor gewarnt, diese große geistesgeschichtliche Frage ohne Berücksichtigung der eigentlichen narrativen und poetischen Funktion des Schonungsgebotes und seines Ortes im Text zu erörtern, denn primär geht es Gyburg ja nicht um Theologie, sondern um den Schutz ihrer Verwandten, und insofern hat ihre Rede zutiefst persönliche und emotionale Motive (vgl. McFarland 2002).
Heiden und Christen
Humanismus im Mittelalter?
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III. Der Autor und sein Werk 1. Lebenszeugnisse Anonymität mittelalterlicher Dichter
Mittelalterlicher Autorbegriff
Indizien
Die Biographie eines mittelalterlichen Autors ist oft schwer zu greifen. In vielen Fällen sind keine Lebenszeugnisse vorhanden, und die Lebensumstände selbst berühmter Verfasser liegen weitgehend im Dunkeln oder lassen sich näherungsweise nur indirekt aus ihrem Werk oder mithilfe von Zeugnissen anderer Zeitgenossen rekonstruieren. Selbst von einem ,Autor‘ (lat. auctor, ,Urheber‘, ,Schöpfer‘) zu sprechen, verbietet sich für viele mittelalterliche Liederdichter und Epiker, denn dieser Begriff impliziert das (viel jüngere) Konzept des Originalgenies, das kreativ neue Stoffe, Motive und Figuren erfindet und aus seiner individuellen Phantasie schöpft. Dieses moderne Autor-Konzept aber war dem Mittelalter noch fremd. Vielmehr verstand sich der Künstler primär als Handwerker, der einen vorgegebenen literarischen Stoff als dessen Diener und Vermittler bearbeitete und möglichst wortgetreu dem Publikum übermittelte. Er trat daher als Person, insbesondere in der weltlichen lateinischen und frühen volkssprachigen Literatur, ganz hinter seinen Text zurück und blieb oft anonym. Seinem Selbstverständnis nach war er nur der Überbringer, nicht der Schöpfer (vgl. Wehrli 1984, 75–78). Oft kennt man daher nicht einmal seinen Namen, selbst bei so herausragenden Werken wie dem altsächsischen „Heliand“ (9. Jh.), dem „Annolied“ (11. Jh.) oder dem „Nibelungenlied“ (13. Jh.) nicht. Es liegt hier also ein völlig anderer Autorbegriff vor als heute, wo z. B. das Urheberrecht jede kreative schriftstellerische Leistung eigens schützt und – wie das moderne Publikum – künstlerische Individualität sogar als besonderen Wert erachtet. Das Mittelalter wird daher oft auch als vorsubjektivistische Epoche bezeichnet, d. h., nicht in der subjektiven Interpretation eines Stoffes bestanden Ziel und Leistung eines Verfassers, sondern in dessen ,wahrer‘ Wiedergabe gemäß der Überlieferung bzw. im Einklang mit den Quellen und Autoritäten. Daher auch die vielen Quellenberufungen, Demutsbekundungen und Beglaubigungsformeln, die das Erzählte – und damit den Verfasser und sein Projekt – legitimieren sollten. Ausnahmen bestätigen freilich die Regel, und es wird im Folgenden zu erörtern sein, dass das Gesagte u. a. für Wolfram nur noch eingeschränkt galt und zu seiner Zeit etwas aufbrach, was die Forschung als „neues Selbstbewusstsein der Autoren“ (Bumke 1997, 678) infolge der gewachsenen Wertschätzung höfischer Dichtung in der hochmittelalterlichen Adelsgesellschaft bewertet hat. Dennoch: Unser Wissen auch über sein Leben bleibt Stückwerk und besteht – wahrscheinlich für immer – aus nur sehr wenigen einigermaßen gesicherten biographischen Mosaiksteinen. Wie kann man überhaupt etwas über die Biographie mittelalterlicher Verfasser herausfinden? Wenn es nicht externe Zeugnisse gibt (Dokumente der zeitgenössischen Rezeption, Urkunden, Taufregister, Urbare, Nekrologe, Chroniken usw.) bleibt nur das Werk selber als Anhaltspunkt. Seine Sprach-
1. Lebenszeugnisse
eigentümlichkeiten, historische und geographische Bezüge im Text, die Erwähnung von Förderern und Gönnern sowie Selbstnennungen und Selbstbeschreibungen sind dann wichtige Indizien, die vorsichtige Aussagen über den Verfasser, seine Herkunft und seine Bildung erlauben. Die Hinweise, die es zu Wolframs biographischem Hintergrund gibt, ergeben zusammengefasst folgendes Bild: Der Name Wolfram von Eschenbach ist durch vier exponierte Selbstnennungen (dreimal im „Parzival“, einmal im „Willehalm“) bezeugt: ich bin Wolfram von Eschenbach (Parzival V. 114,12). Auch andere Autoren kannten diesen Namen, z. B. Wirnt von Grafenberg („Wigalois“, ca. 1210/20) und Ulrich von Türheim („Rennewart“, nach 1243). Die Herkunftsbezeichnung (von ist kein Adelstitel!) bezieht sich auf das mittelfränkische Städtchen Eschenbach südwestlich von Nürnberg, das sich seit 1917 „WolframsEschenbach“ nennen darf, und wo es heute neben einem Wolfram-Denkmal (von 1861; vgl. dazu Kugler 2011, S. 823 f.) ein eindrucksvolles „Museum Wolfram von Eschenbach“ gibt, das Wolframs Werke auf originelle Weise inszeniert (vgl. Brunner/Schrenk 2010, 55–58). Seit 1268 ist dort eine adelige Familie „von Eschenbach“ bezeugt, von der man aus späteren Quellen nur weiß, dass sie Wolfram als einen der Ihren betrachtete und ihm im Liebfrauenmünster der Stadt nachträglich ein Hochgrab mit Wappenschild und Epitaph errichten ließ, das leider nicht erhalten ist. Für das fränkische Eschenbach als Wolframs Heimatort sprechen u. a. zahlreiche geographische Anspielungen in den beiden Epen, die auf eine gute Kenntnis der Umgebung schließen lassen (z. B. Abenberg, Hohentrüdingen, Dollstein, Nördlingen, Kitzingen u. a.). „Daraus lässt sich ein Erfahrungsraum erschließen, der bis nach Thüringen und Bayern reicht und dessen Zentrum in Franken liegt“ (Bumke 1999, 1377; vgl. die Karten in Bräuer 1990, 262 u. Brunner/ Schrenk 2010, 63). Mit diesem Befund kollidiert allerdings Wolframs (scherzhafte?) Selbstbezeichnung als Beier (Parzival V. 121,7). Einzelne Merkmale der von ihm verwendeten oberdeutschen Reimsprache weisen in den ostfränkischen Dialektraum (vgl. Kleiber 1989). Wann Wolfram gelebt hat, ist nur näherungsweise zu bestimmen. Die Literaturgeschichten geben heute zumeist „um 1200“ an. Weder das Jahr der Geburt noch sein Todesdatum sind jedoch bekannt. Wieder sind es lediglich Anspielungen in den Werken, diesmal auf datierbare historische Ereignisse, die es immerhin erlauben, den Zeitraum, in dem Wolfram gelebt und gedichtet hat, einigermaßen einzugrenzen: Im 7. Buch des „Parzival“ werden in einem Vergleich von Pferden zertrampelte Weinberge in Erfurt erwähnt (vgl. V. 379,18–20). Daraus gewinnt man die Jahreszahl 1203, denn in jenem Jahr wurde der staufische König Philipp von Schwaben von den Verbündeten Landgraf Hermanns von Thüringen in Erfurt eingeschlossen und belagert. Dabei wurde die Umgebung der Stadt einschließlich der Weinberge schwer verwüstet. Das 7. Buch wäre somit erst nach diesem Ereignis abgefasst worden (vgl. Nellmann 1994, 637 f.). Ein anderes Datum lässt sich aus dem 9. Buch des „Willehalm“ erschließen (vgl. V. 417,22–26). Dort wird die Freigebigkeit von Wolframs Gönner und Auftraggeber, Hermann von Thüringen, in einer Weise gelobt, die vermuten lässt, dass jener zur Zeit der Abfassung des letzten „Willehalm“-Buches bereits verstorben war. Dessen Todestag ist indes genau bekannt: Es ist
Wolfram von Eschenbach
Lebensdaten
25. April 1217
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III. Der Autor und sein Werk
Ca. 1170–1220
Selbststilisierungen
Frühere Annahmen
Fiktion und Faktizität
der 25. April 1217. Wolfram muss also noch nach dem Tod Hermanns so lange am unvollendeten „Willehalm“ weitergearbeitet haben, bis ihm selber der Tod den Griffel aus der Hand nahm (vgl. Heinzle 1991, 793 u. 1073 f.). Zusammen mit den Lebensdaten von Mäzenen Wolframs und abgeleitet aus den Entstehungsdaten anderer Werke, die Wolfram nachweislich gekannt hat, ergeben sich somit folgende biographische Eckpunkte: Geburt ca. 1170, aktive Schaffenszeit (zunächst als Liederdichter) ab ca. 1190, Tod ca. 1220 (vgl. Johnson 1999, 324). Allerdings ist dies eine rein aus literarischen Schilderungen abgeleitete Vita und dementsprechend mit einiger Unsicherheit behaftet. Noch spekulativer sind Aussagen zu Wolframs sozialem und familiärem Hintergrund: In seinen Epen lässt er den Erzähler immer wieder über sich selbst sprechen, meistens im Kontext von Kommentaren zu den geschilderten Ereignissen oder Vergleichen mit den Romanfiguren. Wolframs Werke fallen gerade dadurch auf, dass in ihnen auf eine für ihre Entstehungszeit ganz ungewöhnliche Weise die Figur des Erzählers inhaltlich profiliert und erzählerisch genutzt wird (vgl. Hartmann 2011, 180–182). In den Kommentaren geht es vor allem um „sein Verhältnis zu den Frauen und zum Waffenhandwerk; seine wirtschaftliche Lage; Essen und Trinken; Familie, Charaktereigenschaften, Herkunft, Stand; Verhältnis zu Minne; literarische Fähigkeiten“ (Nellmann 1973, 13). Würde man die kalkulierte Selbststilisierung der Erzählerfigur ,Wolfram‘ autobiographisch deuten, so ergäbe sich das Bild eines armen Mannes (vgl. Parzival V. 242,29 f.) von ritterlichem Stand (vgl. V. 115,11), der zwar die Frauen begehrt, riskante Waffengänge zur Erringung ihrer Huld aber scheut (vgl. V. 334,8–10), ein liebender Ehemann ist (vgl. V. 216,26–217,6) und eine Tochter hat, die mit Puppen spielt (vgl. Willehalm V. 33,24 f.), zudem stolz ist auf sein dichterisches Autodidaktentum und weder lesen noch schreiben kann (vgl. Parzival V. 115,27) usw. Die ältere Forschung hat diese Erzähleraussagen für bare Münze genommen und aus Ihnen ein konkretes Porträt Wolframs zu gewinnen versucht. So schreibt etwa Gustav Ehrismann 1927 in seiner für mehrere Generationen von Altgermanisten maßgeblichen Literaturgeschichte: „Ein Ritter aus armem Dienstmannengeschlecht, vielleicht ein nachgeborener, nicht erbberechtigter Sohn […], war er auf Dienste an fremden Höfen angewiesen, die ihn nach Wertheim, Wildenberg, Thüringen führten. Mit Treue und Liebe hängt er an seinem auf dem ärmlichen Burgstall zu Eschenbach zurückgelassenen Weibe und seinen Kindern. […] Ihm war die Familie der feste Untergrund seines sittlichen Seins. Der Mann, dessen Geist in die verborgensten Tiefen menschlichen Wissens und Ewigkeitserkennens einzudringen strebte, bewahrte sich ein kindliches Gemüt und eine naive Freude am Kinderleben“ (Ehrismann 1927, 217). Es besteht heute Konsens darüber, dass solche aus fiktionaler Literatur abgeleiteten Biographien methodisch unzulässig sind, weil sie den realen Autor mit dem fiktiven Erzähler ineins setzen und unreflektiert als außerliterarisches Faktum ausgeben, was doch selber nur Element und Mittel der Erzählung ist. Aus den erzählenden Werken lassen sich somit nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die historische Identität des Autors ,Wolfram‘ und seine familiäre und soziale Situation ziehen. Inwieweit die Erzähleraussagen dennoch auf die biographische Situation des Autors anspielen bzw. wie viel Realitätsgehalt sie
1. Lebenszeugnisse
letztlich bergen, wird von der Forschung unterschiedlich bewertet. Unverändert gültig ist Eberhard Nellmanns behutsam abwägendes Fazit seiner Überlegungen zu diesem Problem: „Rückschlüsse auf den realen Autor sind möglich, aber notwendigerweise unsicher. […] Ein Schweben zwischen Fiktion und Faktizität, wie es etwa für Jean Pauls Erzähler zu konstatieren ist, wird auch für Wolframs Erzähler angenommen werden dürfen – nur mit dem wichtigen Unterschied, dass das Bild des Autors, das die Forschung aus dem Erzählerporträt zu destillieren versucht, auf keine Weise an der Realität zu kontrollieren ist“ (Nellmann 1973, 13; vgl. Brunner/Schrenk 2010, 8 f.). Unklar bleibt zuletzt auch, welchem Stand Wolfram angehörte. Der Er- Standeszuzähler ,Wolfram‘ stilisiert sich in der sog. „Selbstverteidigung“ (Parzival gehörigkeit V. 114,5–116,4) zum Ritter: schildes ambet ist mîn art (,Ritterdienst ist mein Beruf‘; V. 115,11). Die Forschung hält dieses Bekenntnis aber heute für ein gezieltes Rollenspiel im Kontext der Abgrenzung von gelehrten (geistlichen?) Minnesängern wie Reinmar und Heinrich von Morungen oder gebildeten Epikern wie Hartmann von Aue (vgl. Hartmann 2000, 380 f.). Es handelt sich somit in erster Linie „um ein Bekenntnis zur Ideologie des Ritterromans“ (Nellmann 1994, 516) und nicht um eine autobiographische Auskunft. Auch das ritterliche Ehrenwort (mîn ritterlîchiu sicherheit; V. 15,12), mit dem der Erzähler im ersten Buch des „Parzival“ seine Quellentreue bekräftigt, ist nicht für eine Zuweisung zum Ritterstand fruchtbar zu machen. Wenig hilfreich ist auch das Autorbild in der „Großen Heidelberger Liederhandschrift“ (Codex Manesse; s. Abb. 1), das Wolfram als Ritter mit Schwert, Helm, Lanze und Wappenschild (zwei braune Beile auf rotem Grund) zeigt. Denn der Illustrator hat das Wappen offenbar von einem fränkischen Adelsgeschlecht geborgt (vgl. Keppler 2002). Es handelt sich somit um Phantasieheraldik und nach modernem Verständnis insgesamt überhaupt nicht um ein Dichterporträt, sondern um eine künstlerische Typisierung. Zudem ist die berühmte Liedersammlung erst gut 100 Jahre nach Wolframs Tod entstanden, d. h., sie ist selber bereits ein Rezeptionszeugnis und dokumentiert mehr die Vorstellung, die die Züricher Herren von Manesse zu Beginn des 14. Jahrhunderts vom Dichter des „Parzival“ und herausragender Tagelieder hatten, als die historische Wirklichkeit um 1200. „Erst in der verklärenden Sicht der Nachwelt ist Wolfram zu adligen Rängen aufgestiegen“ (Bumke 2004, 5). Was man aber sicher sagen kann, ist, „dass er seine Werke Abb. 1: her Wolfran von Eschilbach, Codex Manesse, Cpg 848, fol. 149 als Berufsdichter im Auftrag mächtiger
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III. Der Autor und sein Werk
Gönner verfasste“ (Heinzle 1998, 310). Darauf lassen sowohl der Umfang als auch die poetische und intellektuelle Qualität seiner Werke schließen. Am Ende bleibt die Feststellung: Auch nach gut 200 Jahren scharfsinniger Wolfram-Forschung und philologischer Klein- und Detektivarbeit weiß die Germanistik über die Person eines der größten deutschen Dichter des Mittelalters so gut wie nichts Gesichertes.
2. Mäzene und Auftraggeber
Materielle Abhängigkeit
Gönnernennungen
Die Abfassung umfangreicher Epen war im Mittelalter nur möglich, wenn wohlhabende Gönner dafür die materiellen Voraussetzungen schufen. Aus den Dankesbekundungen vieler Prologe und Epiloge weiß man, dass adelige Mäzene häufig die Auftraggeber waren und nicht nur die (zumeist französische) Vorlage und die Schreibmaterialien beschafften, sondern den Dichter für seine oft Jahre dauernde Arbeit entlohnten, z. B. in Form von Kost und Logis bei Hofe, nötiger Kleidung oder eines bescheidenen Lehens (vgl. Bein 1998, 41). Für die Dichter brachte die Gunst eines Adeligen nicht nur Vorteile mit sich, denn durch „die Quellenbeschaffung haben die fürstlichen Gönner zugleich Einfluss auf die Stoffwahl genommen“ (Bumke 1997, 658), und bei Abbruch ihrer Unterstützung drohten den Dichtern der „Verlust ihrer Lebensgrundlage und die Zerstörung ihrer gesellschaftlichen Existenz“ (Bumke 1990, 41). Ein Berufsdichter zu sein bedeutete im Mittelalter somit, materiell abhängig zu sein vom Wohlwollen der adeligen Auftraggeber und vom Zuspruch des höfischen Publikums. In vielen Texten der Zeit, insbesondere in der Spruchdichtung, finden sich Reflexe auf diese Abhängigkeit, sei es in der Form des Dankes für großzügige Entlohnung, sei es in Form von Kritik an der Untreue und Unzuverlässigkeit eines Fürsten. Die Dichter waren existenziell darauf angewiesen, dass ihre Werke beim Auftraggeber und bei den Zuhörern ankamen, d. h., sie schrieben sie notgedrungen immer auch mit Rücksicht auf die Erwartungen des Hofes, bedienten die inhaltlichen und ästhetischen Vorlieben ihres jeweiligen ,Finanziers‘ oder integrierten mehr oder weniger direkt Fürstenlob (Panegyrik) in ihre Lieder, Sprüche und Erzählungen. Der Dichterberuf um 1200 hat mit dem Bild des autonomen, seine Stoffe frei wählenden und gestaltenden Autors von heute somit nichts gemein. Die meisten größeren Werke waren Auftragsarbeiten, initiiert und organisiert durch Adelige. Dennoch waren die Dichter „nicht nur seelen- und willenlose ,Erfüllungsgehilfen‘, sondern treten – einmal mehr, einmal weniger deutlich sichtbar – mit eigenen literarischen Konzepten auf und artikulieren ihre Bedürfnisse und Hoffnungen im Medium des (Auftrags-)Textes“ (Bein 1998, 44). Für die philologische Forschung sind explizite Nennungen von Gönnern, z. B. in Prologen, oder im Text versteckte Anspielungen auf Namen, Orte oder Burgen im Umfeld bestimmter Fürsten sehr wichtig, weil sie unter Umständen Rückschlüsse auf das Leben und die soziale Situation eines Dichters erlauben. Das unübertroffene Standardwerk zur Bedeutung fürstlicher Mäzene für die mittelalterliche Dichtung stammt von Joachim Bumke („Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150–1300“, München 1979).
2. Mäzene und Auftraggeber
Nicht nur der Kaiserhof war ein bedeutender Förderer der Literatur, sondern auch die weltlichen Fürsten interessierten sich seit der Mitte des 12. Jahrhunderts zunehmend für volkssprachige Dichtung. Bedeutende Mäzene waren z. B. der Welfenherzog Heinrich der Löwe ({ 1195; u. a. „Lucidarius“, „Rolandslied“), die Grafen von Loon und Kleve (Heinrich von Veldeke, { um 1200) und der böhmische König Ottokar II. ({ 1278; u. a. „Willehalm“ Ulrichs von dem Türlin). Landgraf Hermann I. ({ 1217) machte den Thüringer Hof „zum berühmtesten Mittelpunkt der höfischen Dichtung in Deutschland“ (Bumke 1997, 662). In seinem Auftrag entstanden u. a. Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“ (ca. 1170/85), Herborts von Fritzlar „Trojanerkrieg“ (ca. 1190) und Wolframs „Willehalm“ (ca. 1210/20). Walther von der Vogelweide hielt sich zwischen 1201 und 1215 mehrfach am Landgrafenhof auf, möglicherweise auch auf der Wartburg (vgl. Hahn 2012, 63–158). Die Babenberger in Wien, das schwäbische Geschlecht der Zähringer, die Markgrafen von Meißen und die Herzöge von Bayern haben ebenfalls Dichter an ihre Höfe gezogen und literarische Werke in Auftrag gegeben (vgl. Bumke 1997, 638–677). Neben der geistlichen Erbauung oder der ästhetischen Freude an Liebesgeschichten, Ritterromanen und wohlklingender Lyrik war es „die Möglichkeit, mit und über Literatur zu repräsentieren, Macht und Reichtum zu demonstrieren, sich als Potentaten in Vortragstexten feiern zu lassen“ (Bein 1998, 43 f.), die die Fürsten veranlasste, Dichter an ihre Höfe zu holen und sie jenes Standesideal poetisch inszenieren zu lassen, das sie selber zu verkörpern trachteten: den „Entwurf einer weltlichen Lebensform und Ethik, der den Versuch macht, das Ansinnen christlicher Nächstenliebe und Entsagung sowohl mit herrenmäßiger Existenz und Gewaltanwendung als auch mit der neuen kämpferischen Intellektualität des 12. und 13. Jahrhunderts zu verbinden“ (Paravicini 2011, 19). Dichtung bereicherte die prächtigen Hoffeste, steigerte Ansehen und Ehre des Gastgebers, diente der Selbstdarstellung und Distinktion mittels literarischer Vorbilder und war ein Ausweis höfischer Kultiviertheit und Bildung. Für Wolfram lassen sich, abgeleitet aus Indizien in seinen Werken, folgende adelige Gönner vermuten: Landgraf Hermann von Thüringen Der Ludowinger Hermann von Thüringen, seit 1181 Pfalzgraf von Sachsen und von 1190 bis 1217 Landgraf von Thüringen, hat auch Wolfram gefördert und ihn wahrscheinlich zum Vortrag aus seinen Werken an den Thüringer Hof geladen (vgl. Nellmann 1994, 610 f.). Wolfram nennt ihn in allen drei Epen. Im Prolog des „Willehalm“ teilt er mit, dass der Landgraf ihm die französische Vorlage des Heldenepos („Aliscans“) besorgt habe (lantgrave von Düringen Herman/ tet mir diz maere von im bekant; Willehalm V. 3,8 f.). Vermutlich war Hermann auch der Auftraggeber. Im 9. Buch preist der Erzähler Hermanns Freigebigkeit (milte), indem er mutmaßt, dass der Landgraf den dort genannten acht christlichen Fürsten ohne Pferd für die Schlacht sicher ein Streitross zur Verfügung gestellt hätte (lantgrave von Düringen Herman / het in ouch lihte ein ors gegeben: / daz kund er wol al sin leben/ halt an so grozem strite, / swa der gerende kom bezite; V. 417,22–26). In den Münchner Fragmenten des „Titurel“ (Hs. M) findet sich eine überschwängli-
Fürstenhöfe
Repräsentation durch Literatur
Hermann von Thüringen
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III. Der Autor und sein Werk
che Laudatio auf den alle anderen Fürsten überragenden Ludowinger (V. 87,2–4). Kritischer klingt hingegen eine Stelle im „Parzival“: Dort empfiehlt er Hermann einen Truchsess wie Keye am Artushof, der angesichts der vielen Schnorrer und Schmeichler am Landgrafenhof für Zucht und Ordnung sorgt: von Düringen fürste Herman, / etslîch dîn ingesinde ich maz, / daz ûzgesinde hieze baz. / dir wære och eines Keien nôt (V. 297,16–19). „Die vertrauliche Anrede ,von Düringen fürste Herman‘ setzt eine nähere Bekanntschaft beider voraus“ (Hahn 2012, 116). Am Thüringer Hof ist Wolfram vermutlich auch Walther von der Vogelweide begegnet (vgl. Bumke 2004, 14).
Rupert von Durne
Die Herren von Durne Im „Parzival“ finden sich Hinweise darauf, dass Wolfram durch Rupert I. von Durne (und seine Nachfolger) gefördert worden ist. Der Freiherr kommt im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts in den Zeugenlisten der Urkunden Kaiser Friedrichs I. und Kaiser Heinrichs VI. mehrfach zusammen mit anderen von Wolfram genannten Fürsten vor, u. a. mit Poppo von Wertheim. Die Forschung hat daraus einen fränkisch-bayerischen Gönnerkreis abgeleitet (vgl. Meves 1984). Das entscheidende Indiz ist aber die Nennung von Ruperts Burg Wildenberg bei Amorbach (Odenwald) im 5. Buch. Um die gewaltige Größe der Kamine auf der Gralsburg hervorzuheben, betont der Erzähler: sô grôziu fiwer sît noch Þ / sach niemen hie ze Wildenberc: / jenz wâren kostenlîchiu werc (V. 230,12–14). ,Hier auf Wildenberg‘ kann nur bedeuten, dass Wolfram auf der Burg der Freiherren von Durne (Walldürn) aus dem „Parzival“ vorgetragen oder dort sogar (am 5. Buch) gearbeitet hat (vgl. Nellmann 1994, 571 f.). In der Ruine der Burg im heutigen Landkreis Miltenberg
Abb. 2: Burgruine Wildenberg, Kamin im Palas
2. Mäzene und Auftraggeber
(Odenwald) befindet sich im Palas ein imposanter Kamin mit einer 9 m2 großen Feuerfläche, der möglicherweise als Vorbild für die Kamine auf Munsalvaesche gedient hat (s. Abb. 2). Auch der Name der Gralsburg, den Wolfram nicht bei Chrétien finden konnte, sondern offenbar aus frz. mont sauvage selber neu gebildet hat, kann als Anspielung auf Wildenberg gelesen werden: Munsalvaesche, ,wilder Berg‘. Wenn diese Hypothese zuträfe, dann hätte Wolfram mit der Namenwahl den Freiherren von Durne als Besitzern der Burg (und damit seinen Auftraggebern bzw. Gönnern?) eine ganz besondere Ehre erwiesen (vgl. Schirok 2011, 4 f.). Die Grafen von Wertheim Eine der wenigen Nennungen von Fürsten der Zeit im „Parzival“ bezieht sich auf die Grafen von Wertheim: mîn hÞrre der grâf von Wertheim / wær ungern soldier dâ gewesn: / er möht ir soldes niht genesn (V. 184,4–6; so in Hs. D). Es handelt sich um einen für Wolfram typischen Erzählerkommentar: Um das Bild der heruntergekommenen Ritter in der von Clamides Truppen belagerten Stadt Pelrapeire zu betonen, scherzt er, dass der anspruchsvolle Graf von Wertheim von dem armseligen Sold, der dort gezahlt wurde, wohl nicht satt geworden wäre. Um welchen Grafen es sich genau handelt, ist unklar. In den meisten Handschriften der G-Gruppe steht grâve Poppe von Wertheim (Nellmann 1994, 553). Das könnte sich auf Graf Poppo I. (bezeugt bis 1212) oder Poppo II. von Wertheim (bezeugt bis 1238) beziehen. Einer von ihnen könnte Wolfram als Mäzen unterstützt haben. Möglicherweise stand Wolfram eine Zeit lang im Dienst Poppos von Wertheim. Darauf weist auch die Formel mîn hÞrre hin. Außerdem gibt es weitere Bezüge: Wertheim liegt unweit von Walldürn und der Burg Wildenberg, die Grafen von Wertheim hatten Besitz in Eschenbach, und Poppo II. wird in mehreren kaiserlichen Urkunden zusammen mit Rupert I. von Durne als Zeuge genannt (vgl. Bumke 2004, 15). Dies alles sind Indizien dafür, dass auch die Grafen von Wertheim im Verbund mit anderen fränkischen Adeligen Wolfram bei der Abfassung des „Parzival“ gefördert haben. Graf Friedrich II. von Abenberg Der Graf von Abenberg ({ 1199) gehörte zusammen mit den Herren von Durne und Wertheim zur Gruppe jener Zeugen, die mehrmals zusammen in Urkunden Kaiser Heinrichs VI. genannt werden, so dass die Forschung, zumindest für den „Parzival“, „ein gemeinsames Mäzenat dieser Dynastien“ (Keppler 2002, 266) erwogen hat. Die noch heute imposante Burg Abenberg liegt nur wenige Kilometer von Eschenbach entfernt. Wolfram erwähnt sie bei der Schilderung der bedrückten Stimmung auf Munsalvaesche, wo es wegen der Krankheit des Gralskönigs schon lange keine Turniere mehr gegeben hat und daher auf dem Festplatz ungestört das Gras wachsen kann: dâ stuont al kurz grüene gras: / dâ was bûhurdiern vermiten, / mit baniern selten überriten, / alsô der anger z’Abenberc (V. 227,10–13). Warum aber geht es in Abenberg genauso traurig zu wie auf der Gralsburg? Möglicherweise handelt es sich um eine Anspielung auf die Trauerphase nach Friedrichs Tod 1199, durch den das Geschlecht im Mannesstamm ausstarb (vgl. Brunner/ Schrenk 2010, 68). Die Nennung der Burg könnte somit ein Hinweis auf den Grafen von Abenberg als Förderer Wolframs sein (vgl. Steger 1986). Es wäre
Poppo von Wertheim
Burg Abenberg
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III. Der Autor und sein Werk
Geographische Anspielungen
Fränkisch-bayerischer Gönnerkreis
dann – ungeachtet der eher negativen Vorzeichen – eine ebenso subtile Anspielung wie im Falle der Herren von Durne, wo die Stammburg als Ehrerbietung gegenüber dem adeligen Gönner ebenfalls in Verbindung mit der Gralsburg gebracht wird (vgl. Bumke 2004, 17). Es gibt im „Parzival“ weitere Stellen, die man für die Suche nach Wolframs Auftraggebern auszuwerten versucht hat. Aber weder die Anspielungen auf Hohentrüdingen (ein Trühendingær phanne / mit kraphen selten dâ erschrei; V. 184,24 f.) und Dollnstein (diu koufwîp ze Tolenstein / an der vasnaht nie baz gestriten; V. 409,8 f.), Orte mit bedeutenden Adelsfamilien in der Nähe von Eschenbach, noch auf die Markgräfin vom Haidstein (ir site und ir sin / was gelîch der marcgrâvin, / diu dicke vonme Heitstein / über al die marke schein; V. 403,29–404,6) geben sichere Aufschlüsse darüber, ob damit Gönner bezeichnet sind, für die oder an deren Höfen Wolfram seinen Roman geschrieben hat (vgl. Nellmann 1994, 554, 645 u. 648). Denn diese Namen sind Elemente verstärkender Erzählerkommentare oder Vergleiche und haben daher primär eine poetische Funktion. Ungeklärt ist auch, wer sich hinter dem wîp verbirgt, um deretwillen Wolfram den „Parzival“ angeblich verfasst hat (vgl. V. 827,29 f.) und die er einmal rhetorisch um die Erlaubnis bittet, mit der Erzählung fortzufahren (vgl. V. 337,23–30). Möglicherweise handelt es sich hierbei nur um Topoi, wie sie in der höfischen Dichtung häufig vorkommen (vgl. Nellmann 1994, 790). Wolfram nennt – außer im „Willehalm“ – nirgends konkret einen Gönner oder Auftraggeber. Insofern bleiben alle Aussagen im Hinblick auf Mäzene, die Wolfram die Arbeit am „Parzival“ ermöglicht haben, weitgehend spekulativ. „Insgesamt ist der fränkisch-bayerische Gönnerkreis eine unsichere Größe, auf der sich keine poetische Biographie errichten lässt“ (Bumke 2004, 19). Bemerkenswert jedoch ist, dass Rupert von Durne und Poppo von Wertheim 1190 zusammen mit dem Grafen Philipp von Flandern, dem Auftraggeber von Wolframs Hauptquelle, Chrétiens „Conte du Graal“, in einer Urkunde erscheinen, d. h., die drei Fürsten sind sich nachweislich begegnet und haben sich gekannt. „Die Grafen von Wertheim und die Herren von Durne hatten Gelegenheit, Kenntnisse der neuesten Literatur zu gewinnen und Interesse daran zu entwickeln“ (Johnson 1999, 329). Möglicherweise hat dieses Netzwerk adeliger Literaturliebhaber es ermöglicht, Wolfram die Vorlage für den „Parzival“ zu beschaffen (vgl. Schirok 2011, 7). Dass Wolfram für die Arbeit an seinen großen Epen, die jeweils viele Jahre gedauert haben muss, auf die materielle und organisatorische Unterstützung wohlhabender Gönner angewiesen war, steht trotz aller Unsicherheiten im Detail außer Zweifel.
3. Bildung und literarische Beziehungen Wolfram ein Analphabet?
Welche Bildung Wolfram besessen hat, ist eine der am meisten diskutierten (und vermutlich nie eindeutig zu klärenden) Fragen der Forschung. Anders als z. B. Hartmann von Aue, der sich ausdrücklich seiner (in einer Klosterschule erworbenen?) Belesenheit rühmt (vgl. Wolf 2007, 33), weist Wolfram nachdrücklich den Verdacht zurück, ein Buchgelehrter zu sein, und bezeichnet sich sogar als Analphabeten: Der „Parzival“ sei kein buoch, und er
3. Bildung und literarische Beziehungen
selbst könne decheinen buohstap lesen und schreiben (V. 115,26 f.). Nicht trockenes Bücherwissen und Gelehrsamkeit, aus der andere Dichterkollegen schöpfen, sondern die eigene unverbildete kunst (im Sinne von ,Weisheit‘) sei die Quelle seiner Inspiration und Erzählweise (vgl. Willehalm V. 2,19–22). Er stellt somit den „gesunden Menschenverstand“ (Golther 1922, 229), seine subjektive „Intuition“ (Ehrismann 1927, 218) und seine poetische Eigenständigkeit über die lateinisch-klerikale Bildungstradition und die von ihr etablierten Regeln der Rhetorik. Das passt gut zu seiner Selbststilisierung als welterfahrener Ritter, der nicht in der Stube sitzen bleibt, um in alten Kodizes zu forschen, sondern an seiner ritterlichen Tüchtigkeit gemessen werden will (schildes ambet ist min art; Parzival V. 115,11). In Verkennung dieses Spiels mit der Erzählerrolle hat die ältere Forschung ihm zum Teil bereitwillig geglaubt und vermutet, dass der „Parzival“ weitgehend mündlich konzipiert wurde, Wolfram bei der Benutzung von französischen und lateinischen Quellen auf einen Vorleser angewiesen war und sein Werk einem Schreiber diktiert hat (vgl. Bumke 1970, 72–76). In der heutigen Forschung ist es jedoch Konsens anzunehmen, dass Wolfram an all diesen Stellen keine Aussage über seine reale Bildung oder gar sein Analphabetentum macht, sondern dass diese Selbstaussagen vor allem dazu dienen, sich als Erzähler ironisch von gelehrten Dichterkollegen wie Hartmann von Aue oder Gottfried von Straßburg abzugrenzen (vgl. Kap. IV.4). Wolfram inszeniert sich als urwüchsiger Ritterpoet, der sogar ohne lateinische Schulbildung und Quellenstudium besser als drei talentierte Dichter zusammen (vgl. Parzival V. 4,2–8) die Geschichte vom Gral erzählen kann, und dies auf innovative Weise (ein mære wil i’u niuwen, / daz seit von grôzen triuwen; V. 4,9 f.). Es geht ihm somit um Distinktion, durch die er sich von anderen erfolgreichen Epikern seiner Zeit abheben und sich bei seinem Publikum ein wiedererkennbares Profil verschaffen kann. „Wolfram spricht hier […] nicht in eigener Person, sondern er schiebt den Erzähler vor, den er als analphabetisches Genie präsentiert“ (Nellmann 1973, 28). Mit seiner „selbstfreudigen Unwissenheitsbeteuerung“ (Ehrismann 1927, 218) vertritt er zugleich die Bildungsideologie der höfischen Zuhörer und macht sich so kokett zu einem der Ihren (vgl. Schmid 2009, 35). „Offenbar sucht er sich einen Platz im Dichterkollegium zu sichern und wählt daher die Rolle des ritterlichen illitteratus, also eine bisher unbesetzte Rolle, durch die er sich distinguieren und einem vorwiegend illitteraten Laienpublikum empfehlen kann. Jenseits aller biographischen Selbstoffenbarung des Autors Wolfram geht es also wohl auch hier vor allem um eine poetologische Standortbestimmung“ (Hartmann 2000, 389; vgl. Bumke 2004, 5–7). Hinzu kommt, dass Wolframs Werke eine andere Sprache sprechen als der Erzähler in seinen Selbstaussagen. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass er keine gelehrte Schulbildung genossen und sich seine literarischen Fähigkeiten weitgehend autodidaktisch angeeignet hat, muss ihm ein für einen Laiendichter ganz ungewöhnlicher Reichtum an Kenntnissen aus verschiedensten Wissensgebieten bescheinigt werden. Wolfram bezieht z. B. viel umfänglicher und detailreicher als Hartmann von Aue und andere Vorgänger subtiles medizinisches, astronomisches, geographisches, naturwissenschaftliches und theologisches Wissen in seine Epen ein und verarbeitet es erzählerisch auf höchst fruchtbare Weise.
Ironische Distanz zu gelehrten Dichtern
Enzyklopädisches Wissen
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III. Der Autor und sein Werk
Gebildete Gewährsleute?
Französisch
Literarische Kenntnisse
Wenige Beispiele müssen hier genügen: Anfortas’ Bett ist reich mit Edelsteinen geschmückt. Sich der Klangwirkung der fremdartigen Namen offenbar bewusst, listet Wolfram alle 58 Steinarten auf (vgl. Parzival V. 791,1–30). Man hat nachgewiesen, dass er die Namen dem lateinischen Steinbuch „De lapidibus“ Marbods von Rennes (um 1090) entnommen hat (vgl. Nellmann 1994, 774). Bei der Beschreibung der ungewöhnlichen Therapien, mit denen man auf Munsalvaesche Anfortas’ Wunden zu heilen versucht (u. a. Wasser aus den Paradiesflüssen, Pelikanblut, Herz eines Einhorns, Karfunkelstein, Nardensalbe, Rauch vom Aloeholz), greift Wolfram auf verschiedene, z. T. entlegene Traditionen zurück (vgl. Haage 1992). Im „Willehalm“ nennt Wolfram eine Reihe orientalischer Könige, die er aus Ländern kommen lässt, die es nicht nur tatsächlich gab, sondern die vollständig aus einem astronomischen Werk des arabischen Gelehrten al-Fargani übernommen sind, das im 12. Jahrhundert von Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt wurde (vgl. Kunitzsch 1974). Und sowohl im berühmten Religionsgespräch zwischen Parzival und seinem als Einsiedler lebenden Onkel Trevrizent über den Sturz der Engel, die Heilsgeschichte und das Wesen Gottes (vgl. V. 460,1–502,30) als auch im Gebet an die Trinität im Prolog des „Willehalm“ (vgl. V. 1,1–2,27) und in Gyburgs Streitgespräch mit ihrem Vater über den Vorrang des Christentums vor dem Islam (vgl. V. 215,8–221,27) kommt eine große Vertrautheit Wolframs mit zentralen Themen des christlichen Glaubens und anspruchsvollen theologischen Konzepten zum Ausdruck (vgl. Schirok 2011a, 388–394; Heinzle 2011a, 672 f.). Viele weitere Beispiele für seine Belesenheit ließen sich anführen. All diese Indizien lassen keinen Zweifel daran, dass Wolfram durchaus Zugang zu gelehrtem Spezialwissen hatte und es zumindest so weit verstanden hat, dass er es originell und sinnvoll in seine Erzählungen zu integrieren vermochte. Woher er all diese erstaunlichen Kenntnisse hatte, bleibt gleichwohl im Dunkeln. Möglicherweise hatte er einen Geistlichen oder andere gelehrte Gewährsleute an seiner Seite, die ihn beraten und ihm das für die Abfassung seiner Epen relevante Wissen zusammengestellt und vermittelt haben (vgl. Bertau 1973, 789 f.). Dazu würde passen, dass Wolframs Erzähler mehrfach bekundet, von einem Ereignis nicht durch Lektüre, sondern durch mündlichen Bericht, d. h. nur vom Hörensagen, erfahren zu haben (vgl. Nellmann 1973, 53 f.). Die Forschung nimmt an, dass Wolfram Französisch konnte, vielleicht auch etwas Latein. Manche Missverständnisse seiner französischen Quelle, Übersetzungs-,Fehler‘ und Namensverdrehungen wertet man inzwischen eher als originelle Stilmittel und nicht unbedingt als Indizien für fehlende Sprachkenntnisse (vgl. Hartmann 2011, 149). Selbst wenn Wolfram kein „veritabler Gelehrter“ (Nellmann 1994, 421) gewesen sein sollte, steht doch außer Frage, dass der Dichter hochkomplexer, in Tausenden von Reimpaarversen abgefasster Epen, die mit einer Fülle subtiler Bezüge zur zeitgenössischen Theologie, Geographie und Naturwissenschaft, zur Chronistik sowie zu Stoffen und Mythen der Bibel und der Antike angereichert sind, für seine Zeit ein hochgebildeter Mann gewesen sein muss und seine Werke von vornherein schriftlich geplant und aufgezeichnet hat (vgl. Nellmann 1994, 414 f.). Das belegen auch seine weit gespannten Kenntnisse der zeitgenössischen deutschen und französischen Literatur (vgl. Kap. IV.3 u. VI.3). Er bezieht sich
3. Bildung und literarische Beziehungen
in seinen Romanen explizit auf Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue, das „Nibelungenlied“, das „Rolandslied“, Walther von der Vogelweide und Neidhart (vgl. Bumke 2004, 10–12; Hartmann 2011, 197–202). Veldeke bezeichnet er als seinen meister, von dem er die Kunst der Beschreibung gelernt habe (vgl. Willehalm V. 76,24; Parzival V. 404,28–30). Aus dem „Eneasroman“ hat Wolfram viele Namen und Motive entnommen und nutzt den antiken Stoff für zahlreiche Vergleiche und Hyperbeln (vgl. Draesner 1993). Hartmanns „Erec“ und „Iwein“ sind als Vorbilder ebenso wichtig. Wolfram kannte die Romane offenbar gut und spielt immer wieder auf Szenen und Figuren der in der höfischen Gesellschaft gut bekannten Romane an (vgl. Wand 1989). Dem „Nibelungenlied“ hat er viele Ortsnamen entlehnt und bindet es im „Parzival“ z. B. in eine Redeszene ein, in der unter Rückgriff auf Rumolts Rat (vgl. Nibelungenlied Str. 1465–69) verhandelt wird, ob bei Konflikten heroisch-kämpferischem oder politisch-taktischem Verhalten der Vorzug zu geben sei (vgl. V. 420,25–30). Im Heldenepos „Willehalm“ hält Wolfram das „Rolandslied“ des Pfaffen Konrad als prägenden Intertext stets präsent. Beide Epen eint die Kreuzzugsthematik. Neben zahlreichen Herrschertiteln, Namen und Motiven hat Wolfram insbesondere das Heidenbild des „Rolandsliedes“ inspiriert: Im „Willehalm“ stellt er die Moslems ebenfalls als Polytheisten dar, die nach der Weltherrschaft streben (vgl. Ashcroft 2002; Bastert 2010; Hartmann 2013). Neben Anspielungen auf Walthers „Spießbratenspruch“ (vgl. Willehalm V. 286,19–22) und Neidharts wie Ritter gerüstete Bauerntölpel (vgl. ebd. V. 312,9–16) belegen verschiedene andere Stellen Wolframs Vertrautheit mit der volkssprachigen Literatur seiner Zeit. Die Forschung geht heute davon aus, dass er auch die „Kaiserchronik“ (ca. 1140/50), den „Straßburger Alexander“ (ca. 1170), Eilharts „Tristrant“ (ca. 1175/80), Ottes „Eraclius“ (frühes 13. Jh.) und die Prosaenzyklopädie „Lucidarius“ (ca. 1190/95) gekannt hat. Wahrscheinlich ist er – wie gründlich auch immer – über seine französischen Hauptquellen, Chrétiens „Perceval“ (vor 1190) und das Heldenepos „Aliscans“ (ca. 1200), hinaus auch mit Chrétiens „Erec et Enide“ (ca. 1170), „Lancelot“ (ca. 1180) und „Cligés“ (ca. 1176), womöglich auch mit dem „Roman de Thèbes“ (ca. 1160) und Waces „Roman de Brut“ (1155) in Berührung gekommen (vgl. Nellmann 1994, 414). Wolfram wäre demnach zweifellos ein – wenn auch nicht an kirchlichen Schulen unterrichteter – litteratus gewesen, der in seinen Werken auf kunstvolle Weise die epischen Stoffe seiner Zeit verarbeitet hat. An literarischer Bildung hat der vorgebliche Ritterdichter sein höfisches Publikum und die Fürsten und Könige seiner Zeit jedenfalls weit übertroffen. Denn zu seiner Zeit konnte der größte Teil des Adels weder lesen noch schreiben, und weltliche Literatur wurde noch immer vorwiegend mündlich überliefert und vorgetragen (vgl. Bumke 1997, 601–617). Er hätte wohl auch kaum den Auftrag für eine so anspruchsvolle Aufgabe wie die deutsche Bearbeitung des „Perceval“ erhalten, wenn er sich nicht entgegen seiner kalkulierten Selbststilisierung im „Parzival“ schon vorher „als außerordentlicher Dichter, als Meister der Rhetorik, der Bildsprache, des affektiven Dialogs und der stimmungsvollen und ergreifenden Szenengestaltung“ (Johnson 1999, 330) ausgewiesen hätte.
litteratus
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III. Der Autor und sein Werk
4. Das Werk: Überblick und Chronologie
Lyrik
Gralsroman
Heldenepos
Minneroman
Das überlieferte Werk Wolframs umfasst drei epische Dichtungen und neun Lieder, deren Chronologie die Forschung mithilfe von impliziten Hinweisen in den Texten näherungsweise rekonstruiert hat: * Minne- (4) und Tagelieder (5), überliefert in den drei großen Sammelhandschriften A („Kleine Heidelberger Liederhandschrift“), B („Weingartner Liederhandschrift“), C („Große Heidelberger Liederhandschrift“) und in der Münchner „Parzival“-Handschrift G; möglicherweise schon vor dem „Parzival“, d. h. vor 1200, entstanden (vgl. Kap. VII.3). Darauf könnte eine Aussage in der sog. „Selbstverteidigung“ hindeuten, in der Wolfram sich als Liederdichter empfiehlt (vgl. Parzival V. 114,12 f.), d. h., es müsste schon vor der Abfassung des zweiten „Parzival“-Buches lyrische Texte von ihm gegeben haben (vgl. Ehrismann 1927, 217). Freilich ist diese Schlussfolgerung höchst unsicher, denn es ist nicht ganz klar, ob der Erzähler sich hier auf reale Gedichte bezieht oder nur sein Rollenspiel fortsetzt (vgl. Hartmann 2000, 372). Für die Datierung wenig hilfreich sind auch die von der Forschung vorgeschlagene Lesart von „Parzival“ V. 114,19 (dar umb hân ich der andern haz) als Anspielung auf die dritte Strophe des Liedes „Ein wîp mac wol erlouben mir“ (ir haz ich ungerne ûf mich lade; MF 5,30) und die thematischen Parallelen zwischen der gegen das Ideal der hohen Minne gerichteten „Selbstverteidigung“ (bes. Parzival 115,5–7: Schachmetapher) und dem von der Forschung als Reinmar- und Walther-Parodie identifizierten Lied Nr. III (vgl. Bumke 2004, 36; Holznagel 2011, 122 f.). Die Lieder selber verraten nichts über ihre Entstehungszeit. Sie können im Grunde in jeder Schaffensphase, auch parallel zu den Epen, entstanden sein, und es ist durchaus möglich, dass es weitere Lieder Wolframs gab, die heute verloren sind. Besonders die wegen ihrer „außerordentlichen literarischen Qualität zu Recht als die Meisterstücke Wolframs“ (Holznagel 2011, 97) geltenden Tagelieder legen die Vermutung nahe, dass Wolfram bereits ein erfahrener Dichter war, als er die überlieferten Lieder schuf, d. h., dass sie sogar eher dem Spät- als dem Frühwerk zugerechnet werden müssten. Wolframs Lieder lassen sich somit chronologisch nicht sicher einordnen (vgl. Brunner/Schrenk 2010, 10). * „Parzival“ (ca. 25.000 Verse; 87 Handschriften und Fragmente), Artus- und Gralsroman, entstanden um 1200/1210 (im 7. Buch Erwähnung der 1203 verwüsteten Erfurter Weinberge); Vorlage: der altfranzösische „Conte du Graal (Perceval)“ Chrétiens de Troyes (vgl. Kap. IV.3). * „Willehalm“ (ca. 14.000 Verse; 79 Handschriften und Fragmente), unvollendetes Heldenepos um den Markgrafen Willehalm von Provence über den Krieg zwischen Christen und Heiden, entstanden um 1210/20; Vorlage: das altfranzösische Heldenepos „Aliscans“ (vgl. Kap. VI.3). Der „Willehalm“ ist eindeutig nach dem „Parzival“ entstanden (vgl. Willehalm V. 4,20: swaz ich von Parzival gesprach). Für die Datierung relevant ist außer der Anspielung auf den (wohl bereits verstorbenen) Landgrafen Hermann von Thüringen im 9. Buch die Erwähnung der Kaiserkrönung Ottos IV., die 1209 stattfand (vgl. V. 393,30–394,5). * „Titurel“ (fragmentarisch in 164 Strophen überliefert; drei Handschriften), höfischer Minneroman in Strophen über die Liebe zwischen Sigune und
5. Bildzeugnisse
Schionatulander, entstanden um 1217/20; ohne konkrete Vorlage und größtenteils von Wolfram frei erfunden, allerdings in enger Anbindung an den „Parzival“ und unter Fortsetzung zentraler Motive und Konstellationen bei Chrétien (vgl. Kap. V.3). Für die Datierung nach den beiden anderen Epen sprechen neben der inhaltlichen Abhängigkeit vom „Parzival“ und der Verwendung einzelner Namen und Bezeichnungen, mit denen Wolfram offenbar erst durch die Bearbeitung der „Willehalm“-Vorlage in Berührung gekommen ist (Ahkarin, Berbester, admirat; vgl. Bumke 2004, 20) eine Strophe mit einem Nachruf auf Hermann von Thüringen (vgl. Tit. 87), der 1217 gestorben war (vgl. dazu Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 206).
5. Bildzeugnisse Neben der berühmten Miniatur in der „Großen Heidelberger Liederhandschrift“ (s. Abb. 1), dem ,Porträt‘ des Dichters als Edelmann am Schreibpult in einer „Willehalm“-Handschrift des späten 14. Jahrhunderts (Abb. in Brunner 2013, 207) und dem imposanten Brunnen-Denkmal in WolframsEschenbach (Abb. in Brunner/Schrenk 2010, 62) existieren weitere bildliche Darstellungen Wolframs, allerdings datieren sie alle aus neuerer Zeit. Ein zeitgenössisches ,Porträt‘ Wolframs, wie es z. B. von spätmittelalterlichen Autoren wie Oswald von Wolkenstein überliefert ist, gibt es nicht. In Pleinfeld am Eingang des Altmühltals ziert seit den 1990er-Jahren ein kleiner Brunnen mit einer modernen Wolfram-Skulptur den Schlossplatz (Abb. in Brunner/Schrenk 2010, 66). Auf Burg Abenberg begegnet man dem Dichter in Gestalt einer Statue, die ihn als Lautenspieler zeigt. Monumentale Fresken wie auf der Wartburg (Moritz v. Schwind, Sängerkrieg, 1855; Abb. unter http://www.wartburg-eisenach.de) oder auf Schloss Neuschwanstein (Speisezimmer, ca. 1880; Abb. unter http://www.neuschwanstein.de) zeigen Wolfram als Minnesänger im Stil des 19. Jahrhunderts und sind Teil der idealisierenden deutschen Mittelalter-Rezeption, in deren Kontext auch Wagners Musikdramen (u. a. „Parsifal“, 1882; „Tannhäuser“, 1845) gehören. Im Unterschied zu Wolfram selber wurden seine Helden schon im Mittelalter in zahlreichen illustrierten Handschriften ins Bild gesetzt. 6 der 16 vollständig überlieferten „Parzival“-Handschriften enthalten Miniaturen, darunter der wichtige Münchner Codex G aus dem 13. Jahrhundert (vgl. Schirok 2011b). Auch zahlreiche „Willehalm“-Handschriften sind illustriert, besonders qualitätsvoll der Wolfenbütteler Codex Wo aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit 55 farbigen Bildern zu Kernszenen des Epos (vgl. Diemer 2011).
Bildliche Darstellungen
Illustrierte Handschriften
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival 1. Handlungsübersicht Drei Handlungsstränge
Der „Parzival“ hat nicht nur eine Handlung, sondern in ihm sind gleich drei Handlungsstränge auf kunstvolle Weise miteinander verknüpft: 1. Die rahmende Gahmuret/Feirefiz-Handlung, 2. die Haupthandlung um Parzival und den Gral, 3. die als eigenständige, teilweise als Kontrast zur Parzival-Geschichte angelegte Gawan-Handlung. Wenngleich Parzival der Hauptheld des Romans ist, gibt es somit drei weitere Helden, denen eigene âventiuren gewidmet sind und die den zentralen Handlungsstrang mit wichtigen Sinndimensionen bereichern. Darüber hinaus durchmessen diese drei Helden drei Welten mit jeweils eigenen Gesetzen und Problemen, die Wolfram im „Parzival“ ausgehend von seiner altfranzösischen Vorlage miteinander verbindet: die des Abenteuers, des Artushofes und des Grales (vgl. Kuhn 1959, 152). Der Roman ist also im Unterschied etwa zu Hartmanns Artusepen von Anfang an mehrschichtig angelegt und weist eine hohe strukturelle Komplexität auf. Bezogen auf den jeweiligen Helden ergibt sich für den „Parzival“ folgende inhaltliche Gliederung (vgl. Bumke 2004, 194): Gahmuret: Buch 1/2 Parzival (1): Buch 3–6 Gawan (1): Buch 7/8 Parzival (2): Buch 9 Gawan (2): Buch 10–14 Parzival (3): Buch 14–16 Feirefiz: Buch 16
Eltern-Vorgeschichte
Nach einem programmatischen Prolog (vgl. V. 1,1–4,26) liefern die ersten beiden Bücher die Vorgeschichte, die es bei Chrétien so nicht gibt und die zentrale Motive, z. B. Parzivals unbezwingliche Sehnsucht nach Ritterschaft oder die Existenz seines heidnischen Halbbruders, motivieren. Sie handeln von Parzivals Vater Gahmuret und dessen zwei Ehen. Als jüngerer Sohn König Gandins von Anschouwe ohne Erbe geblieben, zieht Gahmuret unter dem Wappenzeichen eines nach Land suchenden Ankers in den Orient und begibt sich dort auf der Suche nach ritterlicher Bewährung in den Dienst des Kalifen von Bagdad. Indem er die von Feinden belagerte Stadt Patelamunt befreit, wird er König von Zazamanc und Azagouc. Die schwarze Königin Belakane, in die er sich verliebt hat, wird seine Frau. Mit ihr zeugt er Feirefiz, Parzivals schwarz-weiß gefleckten Halbbruder. Doch das Eheglück im Orient dauert nicht lange: Voller Unrast treibt es Gahmuret zu neuen Rittertaten. Unter fadenscheinigen Vorwänden – Belakane sei Heidin und müsse sich erst taufen lassen – bricht er in einer Nacht- und Nebel-Aktion heimlich mit dem Schiff auf und gelangt so nach Sevilla.
1. Handlungsübersicht
In Spanien reist er seinem Vetter Kaylet hinterher, der sich nach Kanvoleiz in Valois begeben hat, um dort am Turnier der verwitweten Königin Herzeloyde teilzunehmen, die sich selbst als Turnierpreis ausgesetzt hat, um einen neuen Ehemann zu gewinnen. Mit großem Prunk reitet Gahmuret in die Stadt ein. Dort trifft er nicht nur Kaylet an, der in Kanvoleiz gegen den Verband seines Feindes Hardiz von Gascogne antritt, sondern Ritter aus ganz Europa sind angereist, um kämpfend Dienst für ihre Minnedamen zu leisten. Unter ihnen ist auch Utepandragun, Artus’ Vater, der Knabe Gawan und Gurnemanz, Parzivals späterer Lehrer. Zum eigentlichen Turnier, an dem Gahmuret sich als Verbündeter Kaylets beteiligen will, kommt es jedoch nicht: Die Trainingskämpfe am Vorabend (vesperîe) wachsen sich zu einem so erbitterten Gefecht aus, dass das Hauptturnier aufgrund der Erschöpfung aller Teilnehmer abgesagt wird. Gahmuret bricht den Kampf in dem Moment ab, als ein Bote ihm die Nachricht vom Tod seines Bruders Galoes überbringt. Herzeloyde erklärt ihn unverzüglich zum Sieger und erhebt Anspruch auf ihn. Doch Gahmuret sträubt sich, sie zu heiraten: Er sehnt sich nach Belakane und wird zusätzlich offensiv von der ebenfalls verwitweten französischen Königin Ampflise, seiner Minneherrin, umworben, die ihren Kaplan nach Kanvoleiz entsandt hat. Aus diesem Dilemma befreit ihn der Spruch des Turniergerichts, der ihn zum Sieger und damit zum Gemahl Herzeloydes erklärt. Gahmuret willigt widerstrebend ein, allerdings unter der Bedingung, dass er jeden Monat zu einem Turnier ausreiten darf. Mit Herzeloyde zeugt er Parzival, erlebt aber wie bei Feirefiz dessen Geburt nicht mehr, weil er längst wieder im Orient ist, um dem Kalifen gegen seine Feinde beizustehen. Dort fällt er in der Schlacht durch eine heidnische List: Bocksblut weicht seinen Diamanthelm auf und macht ihn verwundbar. Der Kalif stiftet ein kostbares Grab aus Edelsteinen; die tödliche Lanzenspitze wird nach Kanvoleiz überführt und im Dom ausgestellt. In tiefer Trauer gebiert Herzeloyde Parzival und stillt ihn selber. Die Ambivalenz jeder Ritterschaft, Ehre und Tod, ein unstillbarer Durst nach Auszeichnung im Kampf, drei Königreiche und Verbindungen in den Orient wie zum Gralsgeschlecht: Das ist das zugleich verheißungs- und verhängnisvolle Erbe, das Gahmuret dem künftigen Gralskönig hinterlässt. Die Bücher 3 bis 6 konzentrieren sich ganz auf die Parzival-Geschichte. Sie führen den Helden schließlich zum ersten Mal auf die Gralsburg. Herzeloyde will verhindern, dass Parzival dasselbe Schicksal ereilt wie sein Vater und zieht sich mit ihm in den Wald von Soltane zurück, damit er nicht mit Rittern in Berührung kommt. Er wächst dadurch in völlig unhöfischer Umgebung und isoliert auf, so dass ihm alles fehlt, was gute Erziehung und Bildung ausmachen. Seine zivilisationsferne Kindheit macht ihn zu dem Toren, der später so schwerwiegende Fehler begeht. Und Herzeloydes Strategie scheitert: Bei seinen Jagdausflügen begegnet der Knabe drei Rittern, die er in ihren prächtigen Rüstungen für Götter hält. Sie erzählen ihm von Artus, und dass er die Ritterwürde verleiht. Als Herzeloyde einsieht, dass sie seinen Aufbruch zum Artushof nicht mehr verhindern kann, legt sie ihm Narrenkleider an, damit der Spott der Welt ihn eines Tages wieder zu ihr zurücktreibt. Und sie gibt ihm verhängnisvolle Lehren mit auf den Weg, z. B. die, bei der Eroberung schöner Frauen nicht zögerlich zu sein, deren Befolgung den naiven Jüngling später schuldig werden lässt, als er die ahnungslos in ihrem Zelt
Turnier von Kanvoleiz
Gahmurets Tod
Kindheit in Soltane
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Tötung Ithers
Ausbildung bei Gurnemanz
Condwiramurs
Versagen auf der Gralsburg
schlafende Jeschute grob überwältigt und sie durch den Raub von Kuss und Brosche in den Augen ihres Mannes Orilus entehrt. Als Parzival in die Welt zieht, bricht Herzeloyde tot hinter ihm zusammen. Auf seinem Weg zum Artushof, der ihn zum ersten Mal zu seiner Cousine Sigune führt, die in Anlehnung an die Ikonographie der Pietà ihren toten Geliebten Schionatulander in den Armen hält, trifft er auf Ither von Gaheviez, den Roten Ritter, der Parzival beauftragt, zu Artus nach Nantes zu reiten und ihm seine Herausforderung zum Zweikampf zu überbringen, nachdem er vor der Tafelrunde im Streit versehentlich Königin Ginover mit Wein begossen hatte und nun seine Ehre wiederherstellen will. Am Artushof verlangt Parzival vom König, unverzüglich zum Ritter geschlagen zu werden. Artus erlaubt dem sich halbstark gebärdenden Jüngling, sich die Rüstung Ithers als Erstausstattung anzueignen. Im Kampf gegen den Roten Ritter tötet Parzival Ither, der sein Verwandter ist, mit dem Jagdspeer und beraubt die Leiche grobianisch und würdelos ihrer Rüstung. Nun wirkt seine Erscheinung noch befremdlicher, denn über den Narrenkleidern ist er jetzt standesgemäß gewappnet. Obwohl er das Pferd Ithers kaum zu führen weiß, erreicht der weltfremde Neuritter nach einem Tag die Burg Gurnemanz’ von Graharz, der ihn fürsorglich aufnimmt und erkennt, dass seinem Gast noch alles fehlt, was einen höfischen Ritter ausmacht. Gurnemanz wird zu Parzivals Lehrer und weist ihn in die Tugenden eines gebildeten Edelmannes ein. Das Gebot, im Gespräch keine überflüssigen Fragen zu stellen, wird später auf der Gralsburg – von Parzival ohne Gespür für die besondere Situation mechanisch befolgt – verhängnisvolle Konsequenzen haben. Bei Gurnemanz lernt Parzival außerdem reiten und mit der Turnierlanze zu kämpfen. Nach 14 Tagen verlässt er den Burgherrn, der ihm gerne seine Tochter Liaze und die Landesherrschaft übergeben hätte. Er gelangt nach Pelrapeire (Buch 4). Dort herrscht eine furchtbare Hungersnot, weil die Stadt von Clamide belagert wird, der die Königin des Landes, Condwiramurs, zur Ehe zwingen will. Parzival besiegt sowohl Kingrun, Clamides Seneschall, als auch den Aggressor selber und erlegt beiden als Gegenleistung für ihr Leben auf, zum Artushof zu reiten und sich dem Dienst Cunnewares zu unterstellen, die seinetwegen von Keie gedemütigt worden war. Parzival und Condwiramurs, beide in der Liebe unerfahren, heiraten, und das verwüstete Land wird wieder aufgebaut. Um seine Mutter zu suchen und neue Abenteuer zu bestehen, verlässt Parzival seine junge Frau alsbald. In den Büchern 5 und 6 steuert die Handlung auf einen ersten Höhepunkt zu – und ihre zugleichst tiefste Zäsur: die erste Einkehr auf der Gralsburg und die versäumte Mitleidsfrage. Ziellos umherstreifend, gelangt Parzival an einen See, wo ihm ein Fischer – es ist der leidende Anfortas, der Kühlung und frische Luft sucht – den Weg nach Munsalvaesche weist. Auf der gewaltigen Festung, deren Bewohner von Trauer gezeichnet sind, wird er willkommen geheißen und in einen prächtigen Festsaal geführt, in dem für 400 Gäste Ruhelager bereitet sind. Parzival darf an der Seite des Burgherrn Platz nehmen. Merkwürdige Dinge ereignen sich: Ein Knappe trägt eine blutende Lanze durch den Saal. Edle Jungfrauen tragen in einer Prozession den Gralsstein herein, der köstliche Speisen und Weine in Fülle spendet. Parzival, der Lehren Gurnemanz’ eingedenk und um nicht unhöfisch zu erscheinen, fragt
1. Handlungsübersicht
nicht, was das alles bedeutet, obwohl ihn das wunderbare Geschehen erstaunt. Dadurch verpasst er die – eigentlich nur einmal gegebene – Gelegenheit, an diesem Abend den todkranken Gralskönig zu erlösen und seine Nachfolge anzutreten, zu der er bestimmt ist. Auch als Anfortas ihm ein unzerstörbares Schwert schenkt und seine Verwundung erwähnt, schweigt er. Das Mahl ist beendet, alle begeben sich zur Ruhe. Das Leid der Gralsgesellschaft besteht fort. Parzival verbringt eine unruhige Nacht. Als er am Morgen erwacht, ist die Burg verlassen, das Tor steht offen. Verständnislos fortreitend, wird er vom Torwächter verflucht. Wie tief Parzival durch sein Versagen gefallen ist, wird ihm (und dem Publikum) in den folgenden Begegnungen klar: Zum zweiten Mal begegnet er Sigune mit dem einbalsamierten Schionatulander. Sie sagt ihm nicht nur seinen Namen, sondern klärt ihn über seine Herkunft au f. Als sie aber erfährt, dass er die Mitleidsfrage nicht gestellt hat, ist sie bestürzt und offenbart ihm, dass er dadurch seine ritterliche Ehre und sein Lebensglück verspielt hat. Kurz darauf besiegt er Orilus, Jeschutes Ehemann, in der Tjost und zwingt ihn, zum einen zum Artushof zu reiten und Cunneware seine Treue zu geloben, zum anderen, sich mit seiner Frau zu versöhnen. Reumütig gibt Parzival Jeschute die geraubte Brosche zurück. Artus zieht unterdessen umher, um Parzival zu suchen. Zwei Mitglieder seines Hofes, Segramors und Keie, greifen den in den Anblick dreier Blutstropfen im Schnee versunkenen Roten Ritter, die ihn an Condwiramurs erinnern, an, werden aber besiegt. Erst Gawan kann Parzival aus seiner Liebestrance erwecken und geleitet ihn zum nahen Artushof. Dort wird er vom König ehrenvoll empfangen und in die Tafelrunde aufgenommen. Doch das Glück währt nicht lange: Cundrie, die hässliche Gralsbotin, reitet in den Kreis der Eliteritter und verflucht Parzival unter furchtbaren Anklagen wegen seines folgenschweren Versagens auf Munsalvaesche. Er verdiene die Würde eines Artusritters nicht und habe das ehrenvolle Erbe seines Vaters Gahmuret verraten. Der Tafelrunde hinterlässt sie den Auftrag, die auf dem Zauberschloss Schastel marveile gefangenen Königinnen und Jungfrauen zu befreien. Eine weitere Aufgabe ergibt sich für Gawan durch das Eintreffen des Landgrafen Kingrimursel, der jenen zu Unrecht beschuldigt, seinen Herrn, den König von Ascalun, getötet zu haben, und Gawan deshalb auffordert, sich in Schampfanzun einem Gerichtskampf zu stellen. Damit sind die âventiuren vorgezeichnet, die in den beiden nachfolgenden Gawan-Büchern erzählt werden. Gawan bricht nach Ascalun auf, während Parzival, der sich verbittert von Gott lossagt, den erschütterten Artushof mit dem Schwur verlässt, den Gral wiederzufinden und Anfortas zu erlösen. Im Mittelpunkt der Bücher 7 und 8 stehen nun die Abenteuer Gawans. Er kommt zunächst nach Bearosche, der Stadt des Herzogs Lippaut, wo er im Dienst von dessen Tochter Obilot siegreich gegen Meljanz von Liz kämpft. Parzival streitet – inkognito in roter Rüstung – für die Gegenseite und schickt seine Gefangenen, König Mirabel von Avendroyn, König Schirniel von Lirivoyn und den Herzog Marangliez von Brevigariez, zu Condwiramurs, der sie mitteilen sollen, dass er nach nichts anderem mehr strebe als nach dem Gral und ihrer Liebe. Dann zieht er weiter. Gawan hingegen erreicht Schanpfanzun, wo er von Antikonie, der Schwester des aktuellen Königs Vergulaht, empfangen wird. Er nähert sich ihr un-
Kampf gegen Orilus
Cundries Anklage
1. Gawan-Partie
Antikonie
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Sigunes Vergebung
Gespräch mit Trevrizent
2. Gawan-Partie
Schastel marveile
ziemlich und greift ihr unter den Mantel, was von einem Ritter beobachtet wird, der sofort gegen Gawan zu den Waffen ruft. Erst Kingrimursel kann der wütenden Rotte, zu der unterdessen auch Vergulaht gestoßen ist, Einhalt gebieten. Während des Waffenstillstands tritt der Fürstenrat zusammen und berät, was mit Gawan geschehen soll. Am Ende wird Gawan aufgetragen, zum einen anstelle des von Parzival dazu verpflichteten Vergulaht nach dem Gral zu suchen und sich zum anderen in einem Jahr in Barbigoel einzufinden, wo der Gerichtskampf gegen Kingrimursel stattfinden soll. Gawan verspricht beides und bricht erneut au f. Hier verlässt der Erzähler zunächst die GawanHandlung und wendet sich wieder Parzival zu. Das neunte Buch ist eine der großen erzählerischen Schaltstellen des „Parzival“ und insofern zentral für das Verständnis des Romans: Nach jahrelangem Umherziehen begegnet Parzival zum dritten Mal Sigune, die inzwischen als Einsiedlerin in einer Klause lebt, welche über dem Grab Schionatulanders errichtet wurde. Sigune vergibt ihm und verrät ihm, dass Cundrie, die Gralsbotin, ihr einmal in der Woche Essen vom Gral bringt und soeben wieder da war, so dass er ihr nachreiten kann. Die Spur aufnehmend, muss er sich unterwegs gegen einen Gralsritter verteidigen. Es ist Karfreitag, und Parzival begegnet einem alten Ritter, der sich mit seiner Familie auf einer Wallfahrt befindet. Es liegt Schnee, und es ist bitterkalt. Der Pilger verweist den für diesen heiligen Tag unpassend Gerüsteten und Bewaffneten an einen frommen Einsiedler in der Nähe, der ihm die Beichte abnehmen könne. Es ist sein Onkel Trevrizent, der Bruder des Gralskönigs. Das folgende ,Beicht‘-Gespräch zwischen Trevrizent und seinem Neffen Parzival ist eine Schlüsselszene des Romans, durch die sowohl dem Helden wie dem Publikum viele Informationen übermittelt werden, die für das Verständnis des bisherigen wie des kommenden Geschehens unentbehrlich sind und jetzt zum ersten Mal im Zusammenhang offen gelegt werden: Trevrizent erklärt ihm die Heilslehre der Kirche und das Wesen Gottes, weiht ihn in die Geheimnisse des Grals und der Gralsgesellschaft ein und enthüllt Parzival die Geschichte seiner Eltern. Jetzt erfährt er auch den Grund der Trauer auf Munsalvaesche und die Ursache von Anfortas’ Verwundung. Das Gespräch dreht sich auch um Parzivals drei Sünden (Herzeloydes Tod, Ithers Ermordung, Frageversäumnis). Am Ende erteilt Trevrizent, obgleich er selber nur ein frommer Laie ist, seinem Neffen die Absolution. Parzival verlässt die Einsiedelei als Wissender, dem Gral entgegegen. Die Bücher 10 bis 12 sind erneut Gawan gewidmet: Er begibt sich in den Dienst der feindseligen Herzogin von Logroys, der schönen Orgeluse, die ihn mit Hohn und Spott bedenkt und nur mit ihm mitzieht, um ihn eine lebensgefährliche Bewährungsprobe nach der nächsten bestehen zu lassen. Ihr Knappe ist der hässliche Malcreatiure, der Bruder der Gralsbotin Cundrie. Obwohl Orgeluse ihn fortwährend demütigt, entbrennt Gawan in Liebe zu ihr. Am Fuß des Burgberges von Schastel marveile, dem prächtigen Zauberschloss Clinschors, auf dem 400 Damen gefangen gehalten werden, kommt es zum Kampf mit Orgeluses anderem Minneritter, Lischoys, den Gawan für sich entscheidet. Bei dem Fährmann Plippalinot, der tags zuvor auch Parzival übergesetzt hatte, verbringt er die Nacht. Dieser erzählt ihm vom Zauberbett Lit marveile. Wer das Abenteuer des auf Rädern umherrasenden Bettes
1. Handlungsübersicht
besteht, befreit das Land und seine Bewohner vom Bann des Zauberers. Gawan bezwingt das Bett, entgeht den Geschossen von Stockschleudern und Armbrüsten und erwehrt sich eines keulenbewehrten Hünen und eines blutrünstigen Löwen. Die gefangenen Edelfrauen, darunter Artus’ Mutter Arnive, pflegen den schwer verletzten Helden mit einer Heilsalbe von der Gralsburg gesund. Als er in Clinschors Wundersäule, mit der man weit in das Land hinausblicken kann, Orgeluse mit einem neuen Begleiter entdeckt, bricht er sofort auf und vertreibt den Konkurrenten. Orgeluse verhöhnt ihn trotzdem unverändert und verlangt von Gawan eine letzte Probe: In Clinschors Wald bei der gefährlichen Schlucht Li gweiz prelljus soll er für einen Kranz einen Zweig von einem Baum holen, der von König Gramoflanz, der einst vergeblich um Orgeluse geworben hatte, bewacht wird. Die beiden verabreden einen Zweikampf auf dem Feld von Joflanze. Angesichts des selbstlosen Einsatzes Gawans bereut Orgeluse endlich, dass sie ihn als Mittel ihrer Rache an Gramoflanz benutzt hat, der einst ihren Ehemann Cidegast erschlagen hatte. Auf Schastel marveile wird dem Paar ein herzlicher Empfang bereitet. Mit einem rauschenden Fest wird der Sieg über Clinschors Zaubermacht gefeiert. Orgeluse und Gawan verbringen ihre erste Liebesnacht. Heimlich schickt der Sieger von Schastel marveile einen Boten los, der Artus die Nachricht vom bevorstehenden Kampf in Joflanze überbringen soll. Als Artus, der Parzival und Gawan seit über fünf Jahren nicht mehr gesehen hat, den Brief erhält, bricht er mit einem großen Heer freudig nach Joflanze auf, um Gawan im Kampf gegen Gramoflanz beizustehen. Gawan zieht ihm mit seinem Gefolge hinterher. Auf dem Feld von Joflanze begegnen sie sich in Gawans prächtigem Zelt. Zusammen mit den Rittern Orgeluses, die aus Logroys anrücken, bilden Artus’ und Gawans Scharen eine gewaltige Streitmacht. In Buch 14 beginnt Wolfram mit der sukzessiven Zusammenführung der drei bisher getrennten Erzählstränge – und damit mit der stufenweisen Wiederherstellung von Parzivals ritterlicher und moralischer Integrität: Als Gawan ausreitet, um sich nach seiner Genesung wieder an das Tragen der Rüstung zu gewöhnen, trifft er auf einen fremden Ritter, den er für Gramoflanz hält. In Wirklichkeit ist es Parzival. Beide, einander nicht erkennend, liefern sich einen erbarmungslosen Kampf, in dem Gawan fast unterlegen wäre, wenn nicht die vorbeikommenden Boten Artus’ seinen Namen gerufen und Parzival dadurch zum sofortigen Abbruch des Kampfes veranlasst hätten. Gawan ist danach so erschöpft, dass der Zweikampf gegen Gramoflanz um einen Tag verschoben werden muss. Im Heerlager genießen alle ein großes Festmahl. Am Artushof erklären alle Edelleute, dass Parzival durch die Heldentaten der vergangenen Jahre seine damalige Entehrung durch Cundrie inzwischen wettgemacht habe und sich daher wieder zu den Artusrittern zählen könne. Auch Artus nimmt ihn offiziell wieder in die Tafelrunde au f. Gawan lehnt Parzivals Angebot ab, an seiner Stelle den Kampf gegen Gramoflanz zu bestehen. Dennoch kommt es zu diesem Kampf: Parzival und Gramoflanz begegnen sich zufällig auf dem vorbereiteten Kampfplatz und liefern sich eine erbitterte Tjost. Artus lässt das Gefecht abbrechen und setzt den Kampf mit Gawan neu für den nächsten Tag an. Die schöne Itonje, Gawans aus Schastel marveile befreite Schwester, liebt Gramoflanz und ver-
Minnedienst für Orgeluse
Unbewusster Kampf mit Parzival
Aussöhnung mit Gramoflanz
47
48
IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Zusammenführung aller Handlungsstränge
Feirefiz
Parzival wird Gralskönig
sucht daher, den Kampf zu verhindern, weil sie um das Leben ihres Geliebten fürchtet. Daraufhin kommt es mithilfe von Artus’ kluger Diplomatie zu Schlichtungsverhandlungen, an deren Ende Orgeluse einer Aussöhnung mit Gramoflanz unter der Bedingung zustimmt, dass er die Beschuldigung gegen Gawans Vater Lot von Norwegen zurücknimmt, seinen Vater Irot erschlagen zu haben. Es kommt zu einer großen Versöhnungsszene, durch die die Gawan-Handlung harmonisch abgeschlossen wird. In ihrem Verlauf versprechen sich Itonje und Gramoflanz sowie Orgeluse und Gawan die Ehe. Allein Parzival, der sich nach Condwiramurs sehnt, legt erneut die Rüstung an und reitet traurig davon. In den beiden letzten Büchern lässt Wolfram auch die Parzival-Handlung zu einem guten Ende gelangen und vereinigt sie zusätzlich mit der Gahmuret/Feirefiz-Handlung, so dass am Ende des Romans auch auf struktureller Ebene alle Konflikte gelöst, familiären Wunden geheilt und die Zeiten und Räume der Erzählung, insbesondere Abendland und Morgenland, miteinander versöhnt sind. Im 15. Buch lässt er Parzival auf seinen Halbbruder Feirefiz treffen, der im Dienst Sekundilles mit unermesslicher Pracht und einem gewaltigen Heer aus dem Orient nach Europa gekommen ist, um seinen Vater Gahmuret zu suchen, der ihn zur Waisen gemacht hat. Wieder kommt es zu einem erbitterten Gefecht, weil sich die Brüder nicht erkennen. Als Parzivals Schwert an Feirefiz’ Helm zerspringt, spricht der Heide den Roten Ritter auf Französisch an. Dem Kampf folgt ein Gespräch, in dessen Verlauf sie sich als Halbbrüder erkennen und sich den Bruderkuss geben. Glücklich preist Feirefiz seine Götter und tritt Parzival seine von Gahmuret geerbten Reiche Azagouc und Zazamanc ab. Er beschwört die Bedeutung der Blutsverwandtschaft und vergießt Freudentränen, die der Erzähler in den Rang von Taufwasser erhebt. Einträchtig brechen sie zum Artushof auf, wo man von dem Kampf bereits weiß, weil er in der Wundersäule auf Schastel marveile gesehen wurde. Artus nimmt den schwarz-weiß gescheckten Heiden feierlich in die Tafelrunde auf. Wie einige Jahre zuvor reitet Cundrie in den Ring der Musterritter, diesmal aber mit einer Glücksbotschaft: Parzival, seine Frau Condwiramurs und sein Sohn Loherangrin seien zum Gral berufen worden. Sie verheißt ihm eine geradezu kosmische Machtfülle. Unverzüglich brechen Cundrie, Parzival und Feirefiz nach Munsalvaesche auf. Das 16. Buch bringt die Erlösung der Gralsgesellschaft – und versieht den Roman zugleich mit einem offenen Schluss: Der Erzähler schildert bewusst noch einmal die unermesslichen Schmerzen des kranken Gralskönigs, bevor er Parzival auftreten und endlich die entscheidende Frage stellen lässt: œheim, waz wirret dier? (V. 795,29). Anfortas wird sofort gesund, und Parzival wird zum Gralskönig erhoben. Nach kurzer Einkehr bei Trevrizent reitet er eilends seiner Frau entgegen und trifft sie und seine beiden Söhne, Kardeiz und Loherangrin, die er noch nicht kennt, genau an jener Stelle im Zeltlager an, an der er einst vom Anblick der Blutstropfen im Schnee gebannt worden war. Parzival übereignet Kardeiz seine weltlichen Königreiche mitsamt allen Erbteilen Gahmurets. Zusammen mit Condwiramurs und Loherangrin begibt er sich auf die Gralsburg, um dort seine Herrschaft anzutreten. Auf dem Weg dorthin findet er Sigune tot in ihrer Klause vor und lässt sie an der Seite Schionatulanders in dessen Sarkophag bestatten.
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
Auf der Burg erlebt Parzival erneut den Aufzug des Speisen spendenden Grals, diesmal als Gralskönig. Feirefiz kann den Gral als Heide nicht sehen und wundert sich über die sich wie von selbst füllenden Teller und Becher. Zudem verzehrt er sich vor Liebe zu Repanse de Schoye, der anmutigen Gralsträgerin. Nur durch die Taufe kann er ihrer würdig werden. In einer skurrilen Taufzeremonie wird er deshalb zum Christen und heiratet Repanse. Sekundille ist inzwischen gestorben, so dass dies nicht als Treubruch gewertet werden kann. Feirefiz tritt die Heimreise an und wird zum Missionar Indiens. Repanse schenkt einem Sohn das Leben, der später der berühmte christliche Priesterkönig Johannes wird. Somit endet der „Parzival“ mit der Utopie einer vom Gral ausgehenden weltweiten Friedensherrschaft im Geist des Christentums. Loherangrin heiratet in Brabant eine edle Fürstin, die gelobt hat, nur einen Mann zum Gemahl zu nehmen, der von Gott selber für sie bestimmt wurde. Ein Schwan bringt ihn zu ihr nach Antwerpen. Die Gralsinschrift hat allerdings angeordnet, dass ein Gralsritter in fremden Ländern niemals die Frage nach seinem Namen und seiner Herkunft zulassen dar f. Seine Frau fragt eines Tages trotzdem, und das bedeutet das Ende des Eheglücks: Der Schwan erscheint erneut und bringt Loherangrin in einem kleinen Boot nach Munsalvaesche zurück. Der „Parzival“ endet mit einem kurzen Epilog, in dem Wolfram noch einmal Kyot vor Chrétien den Vorzug als Vermittler der Gralsgeschichte gibt und kundtut, dass er den Roman getreu seiner provençalischen Quelle für eine Frau geschrieben hat.
Feirefiz’ Taufe
Loherangrin
Epilog
2. Überlieferung und Editionsgeschichte Der „Parzival“ ist reich überliefert. Der digitale Handschriftencensus (siehe http://www.handschriftencensus.de/werke/437) listet 87 bis heute bekannte Textzeugen auf, darunter 16 vollständige Handschriften. 9 von ihnen enthalten ausschließlich den „Parzival“, die anderen 7 sind Sammelhandschriften, die den Roman im Verbund mit anderen Werken Wolframs oder (wie in der St. Galler Handschrift D) mit dem „Nibelungenlied“ und dem Karlsepos des Strickers bieten. Außerdem gibt es einen Straßburger Druck (Sigle W) von Johannes Mentelin (1477). In der Donaueschinger Handschrift V folgt auf den „Parzival“ der „Nüwe Parzefal“, eine Neubearbeitung von Claus Wisse und Philipp Colin aus dem 14. Jahrhundert. Das alles spricht für den großen Erfolg beim mittelalterlichen Publikum und ist sicherlich nur ein kleiner Rest eines einstmals viel größeren Bestandes des Werkes. Einen guten Überblick über die gesamte Überlieferung bieten sowohl das Wolfram-Handbuch (vgl. Klein 2011, 943–959) als auch Bernd Schiroks „Parzival“-Ausgabe mit dem aktualisierten Handschriftenverzeichnis von Eduard Hartl und einer Synopse der Siglen-Systematik (vgl. Lachmann/Schirok 2003, XXXI–LVII). Hier seien zumindest die 16 vollständigen Handschriften aufgeführt (die wichtigsten Handschriften, die von den Editoren – mit unterschiedlichem Gewicht – als Leithandschriften gewählt wurden, sind D und G):
87 Handschriften
16 vollständige Handschriften
49
50
IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Klasse
D
G
Klassen D und G
Frühe Rezeption
Sigle
Bibliothek / Signatur
Datierung
D
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 857
2. Drittel 13. Jh.
m
Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. 2914
1440/45
n
Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 339
1443/46
o
Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Cod. M 66
1445/50
G
München, Bayer. Staatsbibliothek, Cgm 19
Mitte 13. Jh.
I
München, Bayer. Staatsbibliothek, Cgm 61
2. Viertel 13. Jh.
L
Hamburg, Staats- u. Universitätsbibliothek, Cod. germ. 6
1451
M
Schwerin, Landesbibliothek, ohne Sign.
1435/40
O
München, Bayer. Staatsbibliothek, Cgm 18
4. Viertel 13. Jh.
Q
Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. 70 3. Viertel 15. Jh.
R
Bern, Burgerbibliothek, Cod. AA 91
1467
T
Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. 2708
4. Viertel 13. Jh.
U
Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. 2775
1. Viertel 14. Jh.
V
Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. 97 1331/36
V’
Rom, Biblioteca Casanatense, Cod. 1409
2. Viertel 14. Jh.
Z
Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 364
1. Viertel 14. Jh.
Schon Karl Lachmann hatte erkannt, dass die Überlieferung in zwei Klassen zerfällt: Eine Gruppe der Textzeugen (21 Handschriften und Fragmente) ist mit der St. Galler Handschrift D verwandt, eine andere (60 Handschriften und Fragmente) mit der Münchner Handschrift G. Im Apparat seiner „Parzival“-Ausgabe finden sich daher nur die Siglen D, G, d/dd und g/gg (die Kleinbuchstaben jeweils für eine Handschrift oder Handschriften der jeweiligen Gruppe), was freilich eine präzise Zuordnung von Varianten unmöglich macht. Es gibt auch Mischhandschriften, die zwischen den beiden Gruppen stehen (vgl. Lachmann/Schirok 2003, 318 f.). D und G unterscheiden sich bei den Büchern 1–7 und 12–16 deutlich im Versbestand und im Wortlaut. Warum das für die Bücher 8–11 nicht gilt, ist eine offene Forschungsfrage. Möglicherweise ist der Grund im Prozess des Abschreibens durch verschiedene Schreiber zu suchen, die unterschiedliche Vorlagen benutzten (vgl. ebd., 320 f.). An der „Parzival“-Überlieferung bemerkenswert ist, dass die Abschrift und Verbreitung des Romans offenbar sehr früh eingesetzt hat und fast bis in Wolframs Zeit reicht: Fünf der vollständigen Handschriften und 37 Fragmente werden in das 13. Jahrhundert datiert. Die handschriftliche Überlieferung erstreckt bis ins 15. Jahrhundert, aus dem immerhin noch sieben vollständige
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
Handschriften erhalten sind. Das Zentrum der mittelalterlichen „Parzival“Rezeption lag im oberdeutschen Raum (vgl. Bumke 2004, 250 f.). Es ist davon auszugehen, dass der Roman dem mittelalterlichen Publikum zunächst in Teilveröffentlichungen bekannt wurde. Rezeptionszeugnisse (Wirnt von Grafenberg) legen nahe, dass die Bücher 1–6 als Separatedition im Umlauf waren (vgl. Nellmann 2010). Sechs der vollständigen Handschriften, darunter der Münchner Codex G und die Berner Handschrift R, sind mit Bildern ausgestattet, und auch der Straßburger Druck sollte Bilder bekommen (vgl. Schirok 2011b). Drei Bilderhandschriften wurden im 15. Jahrhundert in der Hagenauer Werkstatt Diebold Laubers angefertigt (s. Abb. 3). Bernd Schirok hat sämtliche Bilder der illustrierten Handschriften in der „Litterae“-Reihe ediert (vgl. Schirok 1985).
Abb. 3: Parzival und Herzeloyde in Soltane, Cpg 339, Heidelberg, fol. 87
Illustrierte Handschriften
51
52
IV. Artus- und Gralsroman: Parzival Bucheinteilung
Die heute gebräuchliche Einteilung des „Parzival“ in 16 Bücher und die Abschnittsgliederung in Gruppen von jeweils 30 Versen geht auf Karl Lachmann zurück. Grafisch lässt sich die Struktur folgendermaßen darstellen: Buch Gahmuret / Feirefiz-Handlung 1
Patelamunt (Belakane)
2
Kanvoleiz – Baldac (Herzeloyde)
Parzival-Handlung
3
Soltane – Artushof – Graharz
4
Pelrapeire
5
Munsalvaesche
6
Artushof
7
Gawan-Handlung
Bearosche
8
Schanpfanzun
9
Parzival bei Trevrizent
10
Logroys
11
Schastel marveile
12
Schastel marveile
13
Joflanze
14
Artushof (Kampf Parzival – Gawan)
15
Artushof (Kampf Parzival – Feirefiz)
16
Munsalvaesche – Brabant – Indien
Lachmann hat sich in seiner Ausgabe von 1833 bei der Bucheinteilung am Wechsel der Handlungsstränge (Parzival – Gawan) und an den großen Initialen der St. Galler Handschrift orientiert. Das sind freilich rein äußerliche Merkmale, und die Forschung hat daher immer wieder versucht, aus dem Text selber alternative Gliederungskriterien zu gewinnen. Eberhard Nellmann hat z. B. die gliedernden Erzählerkommentare untersucht und ist zu einer neun Phasen umfassenden Großstruktur gelangt, die sich nur teilweise mit Lachmanns Bucheinteilung deckt (vgl. Nellmann 1973,104): V. 1,1–4,26 1. V. 4,27–112,8/116,4 2. V. 116,5–223,30 3. 224–333/336 4. 5. 6. 7. 8. 9.
337–398 399–432 433–502 503–678 679–733 734–827
Prolog Gahmuret Jugendgeschichte Parzivals bis zur Ehe mit Condwiramurs Von Munsalvaesche bis zu Parzivals Scheiden aus der Artusrunde Gawan und Obie/Obilot Gawan und Antikonie Parzival und Trevrizent Gawan und Orgeluse Parzival und Gawan als Haupthelden der Artusrunde Parzival und Feirefiz. Rückkehr Parzivals nach Munsalvaesche
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
Diese Gliederung hat den Vorteil, dass sie „authentisch“ (ebd., 105) zu sein scheint, d. h. auf Wolfram selbst zurückgeht. Sie lässt sich an den vielen gliedernden Bemerkungen des Erzählers vom Typ nû hœrt von âventiure sagen, / und helfet mir dar under klagen / Gâwâns grôzen kumber (V. 399,1–3) festmachen. Diese Phasen sind aber wahrscheinlich nicht als Vortragseinheiten zu werten, dafür sind sie teilweise viel zu lang (vgl. Nellmann 1973, 107–109). Die ,Bücher‘ sind eine Zutat des ersten Herausgebers, die sich in anderen Epen der Zeit so gar nicht finden lässt. Sie sind „ohne handschriftliche Gewähr“ (Bumke 2004, 197). Zudem hat Lachmann sein Gliederungsprinzip nicht konsequent eingehalten und nur 16 der 24 Großinitialen in D überhaupt als Buchgrenzen ausgewählt. In vielen anderen „Parzival“-Handschriften gibt es durchaus Abschnittsmarkierungen, z. B. Großinitialen oder Zwischenüberschriften, aber in Zahl und Position sind sie sehr unterschiedlich. In jedem Fall spiegeln sie zunächst nur die Gliederungsabsicht der jeweiligen Schreiber wider, und es ist nicht klar, ob sie bereits auf Wolfram zurückgehen. Ungeachtet all dieser Probleme wird man aus pragmatischen Gründen auch weiterhin an der etablierten Bucheinteilung Lachmanns festhalten, weil sie den Roman in sinnvolle Einheiten unterteilt und das Forschungsgespräch über den umfangreichen Text erleichtert (vgl. Lachmann/Schirok, 2003, S. LXXXIV f.). Dass die ,Bücher‘ dem Text ein künstliches Strukturschema unterlegen und nicht den Willen des Verfassers widerspiegeln, sollte gleichwohl jedem, der den „Parzival“ studiert und interpretiert, bewusst sein. Ähnlich umstritten ist auch die Unterteilung des Romans in Gruppen von 30 Versen, die Lachmann analog im „Willehalm“ umgesetzt hat (vgl. Schirok 2011d, 323–325). Beide Werke werden seitdem unter Angabe der Nummer des betreffenden ,Dreißigers‘ und des Verses zitiert (z. B. Pz. 58,7; Wh. 118,14 usw.). Der „Parzival“ umfasst 827 solcher Dreißigerabschnitte, der unvollendete „Willehalm“ 467. Lachmann hat sich dabei an den Lombarden, Kleininitialen und Paragraphenzeichen in den Handschriften orientiert, die zumindest ab Vers 224,1 relativ regelmäßig Dreißiger-Gruppen abgrenzen. Allerdings weisen insbesondere die älteren Handschriften große Unterschiede bei der Positionierung von Kleininitialen auf, so dass die Forschung heute davon ausgeht, dass die Markierung auf spätere Redaktoren zurückgeht, nicht aber auf Wolfram selber, und dass sie sie als Schmuckelemente in Abständen eingefügt haben, die öfters mit inhaltlichen Einschnitten zusammenfielen (vgl. Bumke 2004, 198 f.). Es ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, dass verschiedene inhaltlich homogene Abschnitte tatsächlich einen ,Dreißiger‘ ausmachen. Das gilt z. B. für die sog. ,Selbstverteidigung‘ (V. 114,5–116,4), die zweimal dreißig Verse umfasst, wie für den Epilog des Romans (vgl. V. 827,1–30) oder diverse Auflistungen und Beschreibungen, die dem Dreißiger-Schema folgen (vgl. z. B. V. 66,1–67,30: Kaylets Vorstellung der Turnierteilnehmer; V. 261,1–30: Orilus’ Rüstung; V. 770,1–30: Feirefiz’ Ritterliste; V. 791,1–30: Steine an Anfortas’ Bett usw.). Es bleibt dennoch ungeklärt, „ob Wolfram tatsächlich eine ,Dreißiger-Marotte‘ hatte oder ob sehr früh ein Redaktor so stark in den Text eingegriffen hat, dass auch die inhaltliche Klein-Gliederung dem DreißigerSchema angeglichen wurde“ (Bumke 2004, 199). In diesem Fall hätten
Phasengliederung nach Nellmann
,Dreißiger‘
53
54
IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Lachmanns Ausgabe
Schreiber und Rubrikatoren den Text nachträglich für das geplante Handschriftenlayout passend gemacht. Möglich wäre aber auch, dass, wie Christine Putzo gezeigt hat, Wolfram die Struktur von vornherein auf die Textdarbietung im Layout eines Kodex angelegt und deshalb tendenziell in Dreißiger-Päckchen gedichtet hat, um damit die spätere Präsentation auf der Pergamentseite zu erleichtern; er hätte dann bei der Abfassung des „Parzival“ bereits das spätere ,Buch‘ vor Augen gehabt (vgl. Putzo 2012). Die erste Edition des „Parzival“ stammt von Karl Lachmann (1833). Er wählte die St. Galler Handschrift D als Leithandschrift und verzeichnete im Apparat summarisch die Varianten der anderen Textzeugen. D und G hielt er für grundsätzlich gleichwertig und griff daher bei der Textherstellung vielfach auf Lesarten der Münchner Handschrift zurück. Insgesamt liegen seiner Ausgabe 8 vollständige Handschriften und 9 Fragmente zugrunde. Auch wenn heute ein Vielfaches an Textzeugen bekannt ist, ist seine Edition trotz aller Methodenkritik bis heute die Standardausgabe und unersetzliche Grundlage der „Parzival“-Philologie geblieben. Sie erscheint bis heute im Berliner Verlag De Gruyter mit dem Text der 6. Ausgabe von 1926. Nach Lachmanns Tod im Jahre 1851 führten andere Germanisten die Edition fort, korrigierten sie aber nur punktuell: * * * * * * *
Ablehnung der 7. Ausgabe
B. Schirok – E. Nellmann
2. Ausgabe 1854 (Moriz Haupt) 3. Ausgabe 1872 (Ders.) 4. Ausgabe 1879 (Karl Müllenhoff) 5. Ausgabe 1891 (Karl Weinhold) 6. Ausgabe 1926 (Eduard Hartl) 7. Ausgabe 1952 (Ders.) Studienausgabe nach der 6. Ausgabe (mit Korrekturen u. Beigaben) 1998, 22003 (Bernd Schirok)
Dass der Verlag sich entschied, die 7. Ausgabe nicht fortzuführen, sondern zur Textfassung von 1926 zurückzukehren und sie bis heute unverändert beizubehalten, hat mit der schroffen Ablehnung von Hartls Revision von 1952 zu tun (vgl. Bumke 1970, 22 f.). Hartl korrigierte nicht nur die Angaben im Apparat, sondern griff in den Text ein, indem er die von Lachmann aus metrischen Gründen eingesetzten irritierenden Kontraktionsformen (z. B. smorgens für des morgens usw.) grundsätzlich auflöste. Sein Ziel war es, durch Normalisierung die Lesbarkeit des Textes zu erhöhen. In der Konsequenz passten aber Text und Apparat nicht mehr zusammen, so dass eine Rückkehr zur Ausgabe von 1926 unumgänglich wurde. Auf ihr setzten auch alle nachfolgenden Bearbeiter auf: Bernd Schirok, der die Lachmann-Ausgabe bei De Gruyter weiterbetreute, nahm zahlreiche Korrekturen vor, durch die u. a. Druckfehler beseitigt wurden (vgl. Lachmann/Schirok 2003, LXXXIX–XCVII). Dabei orientierte er sich an den editorischen Besserungen Eberhard Nellmanns, der an ca. 350 Stellen in Lachmanns Text eingriff, insbesondere im Bereich der Interpunktion. Nellmann hat außerdem im Layout die Suggestionskraft der Einteilung in ,Bücher‘ abgedämpft (vgl. Nellmann 1994, 427–430 u. 791–803). Was Joachim Bumke 1970 schrieb, gilt gleichwohl noch heute: „Damit ist die Geschichte von Lachmanns großer Edition vorläufig zu Ende; und dies Ende ist kein Ruhmesblatt der Germanistik“ (Bumke 1970, 23). Die schwierige Aufgabe einer
3. Quellen und Tradition
neuen kritischen „Parzival“-Edition, die die gesamte bekannte Überlieferung berücksichtigt, besteht fort. Das Berner „Parzival“-Projekt hat sich darangemacht, sie zu lösen. Anders als Karl Lachmann wählte Albert Leitzmann (1867–1950) die Münchner Handschrift G als seine Leithandschrift. Seine Ausgabe erschien in drei Heften in der „Altdeutschen Textbibliothek“ (ATB, Nr. 12–14; Halle a. d. Saale 1902/03, letzte Aufl. Tübingen 1961, 1963 u. 1965, revidiert von Wilhelm Deinert bzw. Blanka Horacek). Die Vorzüge seiner Ausgabe sind insbesondere die klare Interpunktion und der weitgehende Verzicht auf Lachmanns Kontraktionen. Joachim Bumke hatte sich vorgenommen, die Handschriften D und G, ebenfalls in der „Altdeutschen Textbibliothek“, einzeln zu edieren, um den Eigenwert beider Fassungen stärker ins Licht der Forschung zu rücken. Die Textfassung nach D ist 2008 erschienen (ATB Nr. 119), die Edition von G konnte er nicht mehr vollenden.
A. Leitzmann
J. Bumke
3. Quellen und Tradition Die direkte Vorlage des „Parzival“ ist der um 1180 verfasste „Perceval“ (oder „Conte du Graal“) Chrétiens de Troyes. Dies gilt insbesondere für die Bücher 3–12; die Gahmuret/Feirefiz-Handlung hat keine Entsprechung bei Chrétien. Wolframs Behauptung, seine Quelle sei das Werk des Provençalen Kyot, muss als Fiktion gelten. „In der Handlungsführung ist Wolfram seiner Quelle ziemlich genau gefolgt. Es gibt eine Reihe von wörtlichen Berührungen, die eine direkte Abhängigkeit sicherstellen. Verglichen mit anderen höfischen Epen, die nach französischen Vorlagen gearbeitet sind, ist Wolfram bei der Übertragung sehr frei verfahren“ (Bumke 2004, 239). Daneben waren es offenbar vor allem deutsche Epen, in denen Wolfram viele ergänzende Motive und Namen gefunden hat: Heinrichs von Veldeke „Eneasroman“ (z. B. Gahmurets Edelstein-Grab, V. 107,1–15 und die Duftstoffe bei Anfortas, V. 789,25–30), Hartmanns von Aue „Iwein“ (z. B. die Anspielung auf die Ginover-Episode, V. 357,21–24) und die bekannten Heldenepen („Rolandslied“, z. B. Herzeloydes Traum, V. 103,25–104,30; „Nibelungenlied“, z. B. die Anspielung auf Hildebrants Neffen Wolfhart, V. 420,22). Die Forschung geht auch davon aus, dass Wolfram die „Kaiserchronik“, den „Straßburger Alexander“ und Eilharts von Oberg „Tristrant“ gekannt hat (vgl. Nellmann 1994, 414), außerdem die Prosaenzyklopädie „Lucidarius“, die das mittelalterliche Wissen über die physische Welt und die Heilsgeschichte zusammenfasst (vgl. Nellmann 2003). Außerdem scheint Wolfram verschiedene französische Werke gekannt zu haben, darunter den „Bliocadran-Prolog“, eine knappe Vorgeschichte zu Chrétiens Roman, sowie die sog. „Gauvain-Fortsetzung“ (vgl. Bumke 2004, 240–242). Nellmann rechnet überdies mit der Kenntnis weiterer Werke Chrétiens („Erec et Enide“, „Lancelot“, „Cligès“) und des „Roman de Thèbes“ (vgl. Nellmann 1994, 414). Inwieweit Wolfram auch arabische und keltische Quellen zugänglich waren, ist umstritten. Dasselbe gilt für spezielle lateinische Chroniken und Fachtexte. Die Forschung konnte für die Gahmuret/Feirefiz-Partien u. a. inte-
Hauptquelle
Deutsche Quellen
Französische Quellen
Arabische und lateinische Quellen
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Artus- und Gralsstoff
ressante Parallelen zur Kreuzzugschronik Wilhelms von Tyrus (vgl. Kunitzsch 1974a, 1984, 1985) und zur zeitgenössischen Wissensliteratur, z. B. zum Steinbuch Marbods von Rennes (vgl. Roethe 1901), aufzeigen. Ob Wolfram diese Texte selber studiert hat oder ob ihm dabei ein gebildeter Berater und Vermittler zur Seite stand, ist eine offene Frage. Hätte er all diese – z. T. entlegenen – Quellen selber rezipiert, wäre er „ein veritabler Gelehrter gewesen“ (Nellmann 1994, 421). Der Text, der zweifellos motivlich allgegenwärtig ist, ist die Bibel – und die kirchliche Liturgie mit ihren Ritualen und Sakramenten. Der Artus- und Gralsstoff des „Parzival“ ist gemeineuropäisch und kommt in fast allen Nationalliteraturen vor (vgl. LMA 4, 1616–1621; Welz 1984; Mertens 2011a). Hartmanns von Aue Artusromane („Erec“, „Iwein“) begründeten die deutsche Artusepik (vgl. Wolf 2007, 42–46). Der Ursprung des Grals und insbesondere der speziellen Konzeption Wolframs als Speisen spendender, verjüngender Stein mit Namen lapsit exillis liegt jedoch im Dunkeln. Es herrscht lediglich Konsens darüber, dass Chrétien keltische Stoffe in seine Bearbeitung einbezogen hat. Neben anderen Fortsetzern hat Robert de Boron um 1200 in seinem „Roman de l’estoire du graal“ der Gralserzählung eine besondere Ausprägung gegeben: Bei ihm ist der Gral das Abendmahlsgefäß, in dem Joseph von Arimathäa bei der Kreuzabnahme das Blut Christi aufgefangen hat. Heinrich von dem Türlin („Diu Crône“, um 1225), ein Verfasser namens Albrecht („Der Jüngere Titurel“, spätes 13. Jahrhundert) und Ulrich Füetrer („Buch der Abenteuer“, letztes Drittel 15. Jahrhundert) haben den Stoff in der deutschen Literatur weiterentwickelt, in der altfranzösischen Literatur um 1220/30 die mehrteilige Kompilation des „Prosa-Lancelot“ („Lancelot propre“, „Queste del Saint Graal“, „Mort Artu“). Mit der Verbindung von Artus- und Gralsthema ereignet sich um 1200 „eine entscheidende Wende in der höfischen Epik: Übergang von einer ethisch-sozialen zu einer universal-eschatologischen Sinngebung des Erzählens“ (Welz 1984, 341). Diese Sinngebung erfährt bei Wolfram eine Perspektivierung und Vertiefung, wie sie weder vor noch nach ihm in der mittelalterlichen Geschichte des Gralsmythos verwirklicht wurde (vgl. Achnitz 2012, 103–147).
4. Sprache und Poetik Wolframs dunkler Stil
Seit jeher wird Wolfram wegen seiner individuellen Erzählweise und Sprache sowohl geschätzt als auch getadelt. Die Forschung hat ihm früh einen dunklen Stil bescheinigt und bemerkt, dass er sich von geradlinig erzählenden, gelehrten Autoren wie Hartmann oder Veldeke signifikant unterscheidet: „Wolframs Phantasie entwarf immer gewaltige, urwüchsige, aber oft unverständliche Bilder, wob fernliegende Dinge in Gleichnisse und schuf für fremdartige Gedanken eine neue und schwierige Sprache“ (Golther 1922, 205). Während die ältere Forschung darin einen „unbeholfenen Ausdruck“ (ebd., 205) erblickte, wertet die neuere Forschung den an Mehrdeutigkeiten, Brüchen und ambivalentem Humor reichen Stil Wolframs gerade als besonderes Qualitätsmerkmal und erkennt an, dass „die scheinbare Tendenz zur Dekomposition der Erzählung, ja die scheinbare Sorglosigkeit und gar Hilf-
4. Sprache und Poetik
losigkeit des Erzählers zugleich die Voraussetzung sind, dass neue Beziehungen und Dimensionen hervortreten“ (Wehrli 1969, 204). Mit Blick auf Wolframs erzähltheoretische Aussagen besteht zudem kein Zweifel daran, dass viele seiner Stilmittel, die zu einer „überraschenden Zickzackbewegung“ (ebd., 198) sowohl der Sprache wie der Gedanken führen, sich nicht dichterischem Unvermögen, sondern einem bewussten poetischen Kalkül verdanken, das darauf abzielt, das Publikum intellektuell zu mobilisieren und immer wieder neu zu irritieren, damit es aufmerksam bleibt, aktiv mitdenkt und sich in der Vielfalt der angebotenen Perspektiven einen eigenen Standpunkt erarbeitet, d. h. selber zum Sinn-Produzenten wird. Im mäandernden Stil des „Parzival“ scheinen sowohl die Weg-Suche des Helden als auch die Suche des Erzählers nach dem stoffgemäßen sprachlichen Ausdruck gespiegelt zu sein. Diese Suche führt auch den Leser und Zuhörer durch eine Erzählwelt, die nicht vorgegeben, sondern erst noch zu finden ist. Sie ist ein sich selbst organisierender Prozess (vgl. V. 453,1–10). In dieser Hinsicht erscheint der „Parzival“ ungewöhnlich modern und weist auf Erzähltechniken voraus, die uns erst in der Romanliteratur späterer Jahrhunderte wiederbegegnen und die die Forschung mit dem Begriff „Subjektivität“ (Bertau 1983, 109) zu fassen versucht hat. Erzähltheorie Wolfram legitimiert und erläutert seine Erzählweise in verschiedenen Erzählerreden, die häufig in sich nicht eindeutig sind. Er schiebt sie an verschiedenen Stellen in den Text ein, oft in bedeutsamen Phasen der Handlung: * * * * * * * * * * * * * *
Dekomposition epischer Kontinuität
Poetologische Passagen
Prolog (V. 1,1–4,26) ,Selbstverteidigung‘ (V. 114,5–116,4) 2. Prolog (V. 116,5–27) Bogengleichnis (V. 241,8–30) 1. Minne-Exkurs (V. 291,1–293,16) Keie-Exkurs (V. 296,13–297,29) Epilog 1. Parzival-Teil (V. 337,1–30) Prolog Gawan-Handlung (V. 338,1–30) ffventiure-Exkurs (V. 433,1–435,1) Kyot-Exkurs (V. 453,1–455,22) Adam-Exkurs (V. 518,1–519,1) 2. Minne-Exkurs (V. 532,1–534,8) 3. Minne-Exkurs (V. 583,1–587,14) Epilog (V. 827,1–30)
Für das Verständnis von Wolframs Poetik am wichtigsten sind der Eingangsprolog, die sog. ,Selbstverteidigung‘ am Endes des zweiten Buches, das ,Bogengleichnis‘, der Prolog zum siebten Buch sowie der ffventiure-Exkurs beim Übergang zur Parzival-Handlung zu Beginn des neunten Buches. Bernd Schirok bietet in der Einleitung seiner Studienausgabe dazu profunde Interpretationen (vgl. Lachmann/Schirok 2003, CI–CXVIII; vgl. Haug 1992, 155–178; Bumke 2004, 203–207). Im nur sehr schwer kohärent zu machenden und mit komplizierten Bildern gespickten Prolog des „Parzival“ (V. 1,1–4,26) erläutert Wolfram sein hakenschlagendes, sprunghaftes Erzählen. Die schwarz-weiß gefleckte Els-
Prolog
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Selbstverteidigung
Bogengleichnis
ter nimmt er als Bild für das Wesen des Menschen, der Anteil an der Hölle wie am Himmel habe (vgl. V. 1,2–9). Nur stæte, nicht der zwîvel (,charakterliche Unfestigkeit‘, ,Unglaube‘, ,Verzweiflung‘?; vgl. Nellmann 1994, 445 f.) führe zur ,weißen Farbe‘, d. h. zum Glück im umfassenden Sinne. Dieses Gleichnis erscheine dummen Menschen (Lesern, Zuhörern) wie ein hakenschlagender Hase; sie kämen nicht hinterher (vgl. V. 1,15–19). Das aber sei das Erzählprinzip der Geschichten von Parzival, und sie seien deshalb etwas für kluge Leute: sie vliehent unde jagent, / si entwîchent unde kÞrent, / si lasternt unde Þrent (V. 2,10–12). Der Erzähler wünscht sich ein Publikum, das all diese verschlungenen Pfade der Erzählung (schanzen; V. 2,13) mitzugehen vermag, wenn er – wie das Rad der Fortuna – Helden aufsteigen und wieder fallen lässt. Von Anfang an setzt Wolfram ein Ambivalenz-Signal: Die Geschichte wird von liebe und von leide (V. 3,30) handeln und so ,scheckig‘ sein wie die Elster. Daher sei sie so schwer zu erzählen, dass nicht einmal drei Erzähler ohne weitere kühne Erfindungen (wilder funt; V. 4,5) zu schildern vermöchten, was er sich nun als Einzelner vornehme (vgl. V. 4,2–8). Die erste Botschaft des Erzählers an sein Publikum ist also: Hier geht es ums Ganze, und dieses Ganze ist so vielfarbig und vielfältig wie die Elster – und zwar sowohl in stofflicher wie in ethischer Hinsicht. In der sog. ,Selbstverteidigung‘ (V. 114,5–116,4), einer polemischen Erzählerrede, die offenbar nachträglich zwischen die Bücher 2 und 3 eingeschoben wurde (vgl. Hartmann 2000, 364–367), stilisiert Wolfram sich zum Ritterdichter und propagiert das Ideal des kämpferischen Minnedienstes: schildes ambet ist mîn art (V. 115,11). Dies ist nicht biographisch zu interpretieren, sondern als kalkulierte Abgrenzung von gelehrten Autoren wie Hartmann von Aue. Dazu passt auch die befremdliche Behauptung, Analphabet zu sein (ine kan decheinen buochstap; V. 115,27) und mit Büchern nichts zu schaffen zu haben (vgl. V. 115,29–116,4). Der Sinn dieser Passage scheint zu sein, sich der Gunst des Publikums zu versichern, indem Wolfram „sich die Ideologie seiner Helden zulegt“ (Nellmann 1973, 21). Neben dem Prolog die rätselhafteste poetologische Stelle des Romans ist das sog. ,Bogengleichnis‘ (V. 241,8–30). Es steht an bedeutender Stelle: Parzival hat die Mitleidsfrage nicht gestellt und wird aus dem Saal hinausgeführt. Auf dem Weg blickt er kurz in eine Kemenate, in der ein alter weißhaariger Mann auf einem Spannbett liegt. Schnell wird die Tür geschlossen – vor Parzivals neugierigen Blicken und vor denen des Publikums (vgl. V. 240,24–30). Es ist, wie man erst viel später erfährt, Titurel, der erste Gralskönig (vgl. V. 251,5–13). Der Erzähler wird sich dafür rechtfertigen, dass er die Identität des Greises nicht an Ort und Stelle offen legen konnte, weil Kyot ihm eingeschärft habe, nicht zu früh darüber zu sprechen (vgl. V. 453,1–10). Wolframs Technik der Andeutung und späteren Aufklärung wird hier aufs Schönste sichtbar. Im ,Bogengleichnis‘ nun, das dem um eine logische Gedankenfolge bemühten Leser einiges abverlangt, erläutert er sein Erzählprinzip, dass dieser Textstrukturierung zugrunde liegt: Er erzähle eben nicht gerade wie die gespannte, d. h. ruhende Sehne eines Bogens, sondern mit gekrümmter, d. h. kraftvoll angezogener Sehne: Erst dadurch fliege der Pfeil, d. h. die Geschichte, und zwar nicht zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, sondern so, dass das Erzählte beim Zuhörer hängen bleibe und Wirkung entfalte (vgl. V. 241,17–20). Die Botschaft weist in die-
4. Sprache und Poetik
selbe Richtung wie die des Prologes: Wolfram propagiert „eine Poetik der Umwege, Einschübe und Verzögerungen, d. h. der chronologischen und semantischen Heterogenität“ (Hartmann 2011, 210). Dem siebten Buch stellt Wolfram einen Prolog voran, weil er hier den Erzählstrang wechselt und die erste Gawan-Partie beginnt (V. 338,1–30). Der genau einen Dreißiger umfassende Text begründet den Doppelroman mit zwei Hauptfiguren: Gawan diene der Relativierung, indem er verhindere, dass Parzival ins Unrealistische hochstilisiert werde, d. h., er diene der „epischen Gerechtigkeit“ (Lachmann/Schirok 2003, CXII): swer sînen friunt alle mâl / mit worten an daz hœhste jagt, / der ist prîses anderhalp verzagt (V. 338,8–10). Mit der Gawan-Geschichte entwirft Wolfram somit eine Kontrastfolie für die Parzival-Handlung (vgl. Mohr 1958). Es geht ihm um lop mit wârheit (V. 338,12), d. h., erzählerische Wahrheit konstitutiert sich über eine Synthese von Gegensätzen und ist nicht eindimensional. Damit führt dieser Zwischenprolog mitten ins Herz von Wolframs Poetik. Als letzte Textpartie sei hier der ffventiure-Exkurs (V. 433,1–435,1) erwähnt, der das neunte Buch einleitet, das nach zwei Büchern Pause zur Parzival-Handlung zurückschwenkt. Wieder also setzt Wolfram an einer bedeutsamen Zäsur eine Erzählerrede ein. Denn was folgt, ist die Karfreitagsbegegnung mit Trevrizent. In diesem Exkurs spricht der Erzähler mit frou âventiure (V. 433,7), die anklopfend Einlass in sein Herz begehrt. Er will von ihr wissen, wie es unterdessen Parzival ergangen ist, als sei nicht er der Steuermann der Erzählung, sondern als führe sie ein Eigenleben, auch wenn er zwischendurch anderes erzählt, und laufe ohne sein Zutun autonom weiter. Der Erzähler verlangt, auf den Stand der Dinge gebracht zu werden (vgl. V. 433,7–434,10). Seine Fragen dienen nicht nur der geschickten Anknüpfung an die früheren Ereignisse im Sinne einer Rekapitulation für das Publikum, sondern lassen die Handlung wie etwas Historisches erscheinen, das es auch ohne ihn gibt. Frou ffventiure als eigentliche Herrin der Ereignisse hingegen weiß Bescheid: Parzival hat sich in den vergangenen Jahren im Kampf viel Ruhm erworben. Wie eine Schachfigur hat sie ihn bewegt: sus kan sîn wâge seigen / sîn selbes prîs ûf steigen / und d’andern lÞren sîgen (V. 434,17–19), und es sei Sünde, das nicht zu glauben (vgl. V. 435,1). Was die âventiure entfaltet, rückt so in den Status einer Glaubenswahrheit – obwohl es dem an dieser Stelle womöglich augenzwinkernden Erzähler gar nicht einfällt, das Zepter der Erzählung aus der Hand zu geben. In Wirklichkeit bleibt er natürlich „die maßgebliche Instanz für die Strukturierung und Vermittlung der Geschichte“ (Hartmann 2011, 212). Wolframs Erzähltheorie, die ganz auf der Idee der„Antithese“ (Ehrismann 1927, 231) beruht, entwirft somit das Konzept eines Erzählens, das nicht linear verläuft, sondern das sich durch ein „Gegeneinanderarbeiten von normaler Satz- und Vorstellungsfolge und Vers, ein abenteuerliches Hin und Her zwischen verschiedenen Abläufen, Lockerung einer erzählerischen Folgerichtigkeit zugunsten einer noch unklaren Spannung“ im „Stil des schelligen Hasen“ (Wehrli 1969, 199) auszeichnet. Diese Technik hält Wolfram bis in kleinste verstechnische und rhetorische Elemente durch und stiftet damit einen schillernden, auf der Spannung von Kontrasten gegründeten Sinnhorizont, der dem Leser bzw. Zuhörer einiges an Aufmerksamkeit und geistiger Präsenz abverlangt und ihn so zu einem aktiven Dialogpartner macht.
Prolog zur Gawan-Handlung
ffventiure-Exkurs
Stil des hakenschlagenden Hasen
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Reimtechnik
Wortschatz
Spiel mit französischem Sprachmaterial
Sprache und Versbau Die Fülle sprachlicher und verstechnischer Mittel, die Wolfram einsetzt, kann hier nur exemplarisch vorgestellt werden. Eine immer noch hilfreiche Übersicht gibt Ernst Martin in seiner „Parzival“-Ausgabe (vgl. Martin 1903, LXIV–LXXXV). Aktuellere Übersichten bieten zudem Bumke (2004, 21–29) und Hartmann (2011, 146–164). Die relevante Literatur listet Joachim Heinzle im zweiten Band des Wolfram-Handbuches auf (vgl. Heinzle 2011, 1048–1068). Es beginnt damit, dass Wolfram zwar den vierhebigen höfischen Reimpaarvers verwendet, sich hier aber viele Freiheiten herausnimmt und die Form der inhaltlichen Aussage unterordnet. So konstruiert er häufig überlange und metrisch überschwere Verse (vgl. Lomnitzer 1972) und legt auf reine Reime keinen besonderen Wert. So kommt es zu Reimen wie porten/vorhten (V. 182,5 f.) oder fuoz/guz (V. 572,1 f.). Er liebt es, klangvolle Wörter miteinander zu reimen (z. B. Dîanazdrûn/Bertûn; V. 216,7 f.), und spielt dies u. a. in den langen Listen exotischer Stein- und Schlangennamen durch (vgl. V. 791,1–30; 481,8–10). Es gibt viele Beispiele, in denen der Reim bestimmte Wörter besonders betont oder eine ausgesuchte Metaphorik ermöglicht, z. B. in Ginovers Klage über Ithers Tod (ein berendiu fruht al niuwe / ist trûrens ûf diu wîp gesæt. / ûz dîner wunden jâmer waet; V. 160,24) oder bei Parzivals Verwünschung durch den Knappen in Munsalvaesche (ir sît ein gans. / möht ir gerüeret hân den vlans; V. 247,27 f.). So nutzt Wolfram sogar noch den Vers, um im Sinne des Prologs Glätte und Eingängigkeit zu vermeiden (vgl. Ehrismann 1927, 269). Auch im Wortschatz unterscheidet sich Wolfram auffällig von anderen höfischen Dichtern. Während diese z. B. das alte heldenepische Vokabular eher meiden, verwendet Wolfram häufig Wörter wie helt, recke, wîgant, degen usw. und die dazu gehörenden Epitheta wie ellenthaft (,tapfer‘), snel (,stark‘), dürkel (,durchlöchert‘) oder balt (,kühn‘). Möglicherweise gehört diese Wortwahl zu seiner Strategie der Stilisierung zum Ritterdichter. Andererseits könnte sie ein Hinweis auf Wolframs wichtigste literarische Vorbilder sein, u. a. das „Nibelungenlied“ und das „Rolandslied“, die er beide nachweislich gut gekannt hat. Auch Vokabular aus dem Niederländischen findet sich in seinen Werken recht häufig, z. B. ors (,Streitross‘), trecken (,ziehen‘), gehiure (,edel‘), härsenier (,Kettenkapuze‘) usw. Die flämischen Wörter galten zu Wolframs Zeit als besonders vornehm. Daneben war er mit den französischen termini technici der höfischen Kultur und des Turnierwesens, z. B. poinder (,Lossprengen des Reiters‘), vesperîe (,Vorturnier‘), topeln (,würfeln‘) oder kurteis (,höfisch‘), ebenso vertraut wie Hartmann und Veldeke. Interessant sind besonders seine kreativen Verfremdungen französischen Sprachmaterials, die offensichtlich nicht auf fehlende Sprachkenntnisse, sondern bewusste Gestaltungsabsicht zurückgehen. Dazu gehören deutsch-französische Mischformen (mal unde bÞâ schent, ,böse und gute Geister‘; V. 658,27) ebenso wie vermeintlich ,falsch‘ gebildete Formen wie schahtelacunt (,Burggraf‘, frz. conte del chastel; V. 43,19) oder originelle Namen wie Munsalvaesche (frz. mont sauvage/salvaige; V. 251,2) oder MalcrÞatiure (frz. male creature; V. 517,16). Manchmal fügt Wolfram französischen Ausdrücken mit scherzhafter Absicht gleich eine Übersetzung hinzu, z. B. zu bÞâ curs (frz. biau cors):
4. Sprache und Poetik
Condwîr âmûrs: / diu truoc den rehten bÞâ curs. Der name ist tiuschen schœner lîp (V. 187,21–23). Ähnlich kreativ wie mit französischem Sprachmaterial geht Wolfram mit dem Deutschen um. Er bildet viele Wörter neu, die nur bei ihm belegt sind (Neologismen), z. B. Adjektive auf -lîch (duzenlîch, ,mit Du anredend‘; V. 749,22) und -bære (siufzebære, ,beweinenswert‘; V. 332,28; vlustbære, ,verlustreich‘; V. 248,7; herzebære, ,herzzerreißend‘; V. 472,25 usw.) oder Substantive wie sternblic (,Sternenblitz‘; V. 103,28) und valscheitswant (,einer ohne Unredlichkeit‘; V. 296,1). Es mögen solche Eigenkreationen und stilistischen Freiheiten gewesen sein, die formstrenge Verskünstler wie Gottfried von Straßburg dazu gebracht haben, Wolfram vorzuwerfen, er verwirre mit derartigen bickelworten (,Würfelwörtern‘) sein Publikum. Diese Tendenz, stilistisch eigene Wege zu gehen, lässt sich auch an Wolframs Syntax aufzeigen. Sie ist von Brüchen und Inkongruenzen gekennzeichnet und wird ohne Rücksicht auf die Geschliffenheit von Rhythmus und Satzbau eingesetzt, um ungewöhnliche Bezüge zu stiften, das Publikum zu überraschen oder wichtige Aussagen zu verstärken. Dies bedeutet nicht nur für Übersetzer eine große Herausforderung, sondern auch für die Aufnahmefähigkeit des Publikums. Auch hier begnet also der Primat des Sinns, hinter dem die konventionelle sprachliche Eleganz zurücktreten muss. Wolframs Sätze sind reich an Anakoluthen, Parenthesen und Ellipsen, d. h. Stilmitteln, die wie in der Großstruktur des „Parzival“ jede Linearität und Eingängigkeit immer wieder bewusst unterlaufen. „Satz und Vers fordern sich gegenseitig heraus, häufig unter Preisgabe der normalen syntaktischen Ordnung“ (Wehrli 1997, 307). Dies zeigt sich in parenthetischen Sätzen wie dô daz grüezen wart getân / (daz ors was müede und ouch der man), / maneger bete si gedâhten (V. 163,27–29) oder im Stilmittel der constructio apokoinu, bei der ein mittleres Satzglied sich gleichzeitig auf den vorausgehenden und nachfolgenden Satzteil bezieht und zu einer spannungsvollen Verdichtung der Aussage führt (dâ si mit kreften ruorte / manc fiurîn donerstrâle / die flugen al zemâle / gein ir; V. 103,30–104,3). Wolframs Sätze rumpeln im produktivsten Sinne, wodurch sie sich leichtem Konsum widersetzen und – darin mündlicher Rede ähnlich – Nuancierungen schaffen, die mit geschmeidigen Sätzen nicht zu verwirklichen gewesen wären. Sperrige Konstruktionen mit doppeltem Vordersatz wie swem ist ze sölhen werken gâch, / dâ missewende hœret nâch, / phliht werder lîp an den gewin, / daz muoz in lÞren kranker sin (V. 338,25–28) verlangen vom Rezipienten im Sinne des ,Bogengleichnisses‘ eine intellektuelle Anstrengung und legen das Gewicht auf den Kern der Aussage, hier auf die Zurückweisung von Dichtern tadelnswerter Werke, die nicht von der Wahrheit handeln. Wolframs Syntax lässt einen Erzähler erkennen, der sich „nicht einfach dem Fluss des maere hingibt, sondern in beständiger, unmittelbarer Wachheit, beständig assoziierend und dissoziierend, abstandnehmend und zugreifend, in neuen Dimensionen auseinanderfaltend und Beziehungen stiftend sich mit dem maere auseinandersetzt und seiner selbst gewiss zu werden sucht“ (Wehrli 1969, 205). In diese Fülle diskontinuierlicher Sprach- und Stilmittel hat Wolfram jedoch eine Linie der Kontinuität eingewoben, die wie ein „ethisch-theologische[s] Rückgrat“ (Hartmann 2011, 150) die Handlung stützt und program-
Neologismen
Satzbau
Wortfeld der triuwe
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
matisch trägt: das Wortfeld der triuwe (,Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit, Liebe‘), zu dem sich weitere Tugendbegriffe wie kiusche (,Reinheit, Tugendhaftigkeit‘), mâze (,sittliche Mäßigung, Bescheidenheit‘) und stæte (,Beständigkeit, Charakterfestigkeit‘) gesellen (vgl. Nellmann 1994, 453; Ehrismann 1995, 211–216). Triuwe ist ein Schlüsselbegriff des Romans, mit dem im Laufe der Erzählung alle wichtigen Protagonisten, u. a. Gahmuret, Herzeloyde und Sigune, attribuiert werden und der bereits im Prolog auffällig exponiert wird (vgl. V. 2,1; 2,20; 3,2). Das Wort kommt über 200-mal im „Parzival“ vor. Der Gralsroman ist insgesamt eine Geschichte über wahre triuwe (vgl. V. 4,10), und indem Gott selber die triuwe ist (vgl. V. 462,19), wird der Roman quasi zum Weltbuch, das von Gottes Heilshandeln in der Welt und der gottgemäßen Lebensweise des Menschen in ihr erzählt (vgl. Schwietering 1969, 375 f.). Triuwe ist bei Wolfram jedoch nichts fertig Gegebenes, sondern immer ein Prozess, der Freude und Leid einschließt und der durch den Rückfall in den zwîvel, d. h. den Abfall von Gott, auch scheitern kann.
Originelle Umschreibungen
Mehrdeutigkeit als Stilprinzip
Periphrasen Der „Parzival“ ist reich an rhetorischen Mitteln, die allesamt der Aussage Wolframs, ein Analphabet zu sein, Hohn sprechen. Hier soll nur noch einmal seine Kunst der Umschreibung (Periphrase) von Figuren und Sachen zur Sprache kommen. Im „Parzival“ (wie im „Willehalm“) benennt Wolfram das Gemeinte oft nicht direkt, sondern umschreibt es, und diese Umschreibung trägt Assoziationen und Motive in die Erzählung hinein, die das Geschilderte auf besondere Weise perspektivieren. Diese Erzählstrategie lässt sich z. B. gut an Anfortas’ Heilung illustrieren: Parzival ist nach Munsalvaesche zurückgekehrt und stellt die erlösende Frage (œheim, waz wirret dier?; V. 795,29). Daraufhin erstrahlt Anfortas vor Gesundheit und Schönheit, und zwar aufgrund der Gnade dessen, der durch sant Silvestern einen stier / Von tôde lebendec dan hiez gÞn, / unt der Lazarum bat ûf stÞn (V. 795,30–796,2). Wolfram wählt also nicht irgendeine Umschreibung für Christus, sondern ruft gezielt zwei bekannte Heilungswunder auf, die die transzendente Dimension des Geschehens auf Munsalvaesche prägnant verdeutlichen und ihm eine quasi heilsgeschichtliche Bedeutung verleihen (vgl. Schmitz 2012, 82 f.). Andere Umschreibungen heben die besonderen Charaktereigenschaften von Figuren hervor, z. B. wenn Parzival als des site man gein prîse maz (V. 145,3), Sigune als Diu magtuomlîche minne im gap (V. 805,1) oder Herzeloyde als eine wurzel der güete / und ein stam der diemüete (V. 128,27 f.) bezeichnet werden (vgl. Ehrismann 1927, 266 f.). Die Funktion all dieser Periphrasen erschöpft sich nicht im Dekor, sondern Wolfram gebraucht das Stilmittel auf originelle Weise, um dem Text weitere Bedeutungsdimensionen hinzuzufügen (vgl. Hartmann 2011, 154 f.). Erzähltechnik Wolframs Erzähltechnik gehört mit zum Außergewöhnlichsten, was die mittelalterliche Literatur hervorgebracht hat, und sie war deshalb immer wieder Gegenstand eingehender Untersuchungen (vgl. Wehrli 1969, 195–222; Curschmann 1971; Pörksen 1971; Nellmann 1973; Draesner 1993; Schu 2002). Was auf der Ebene der Sprache und Metaphorik beobachtet wurde, lässt sich auch für die Gesamtstrategie des Erzählers feststellen: die durchge-
4. Sprache und Poetik
hende Intention, mit poetischen Mitteln Mehrdeutigkeit, Ambivalenz und Multiperspektivität zu erzeugen. Wolfram „ersetzt den idealtypischen Handlungsverlauf, wie er ihm in Chre´tiens und Hartmanns Romanen begegnet ist, durch eine offene Welt, die nur über die in ihr wirksamen Relationen und Perspektiven beschreibbar ist“ (Hartmann 2011, 179). Dafür stehen ihm verschiedene Mittel zu Gebote: So verknüpft Wolfram z. B. nicht nur alle Figuren und Ereignisse über ein dichtes Netz aus Verwandtschaftsbeziehungen und räumlichen bzw. zeitlichen Korrespondenzen zu einem großen Weltzusammenhang, sondern verwebt alle Handlungsstränge miteinander, indem er z. B. dafür sorgt, dass sich Parzivals und Gawans Wege immer wieder kreuzen oder dass Munsalvaesche und Schastel marveile durch Cundries Botengänge als erlösungsbedürftige Orte miteinander verbunden werden. Bestimmte Nebenfiguren wie Ampflise oder Gegenstände bzw. Tiere wie Taurians Lanze, Anfortas’ Schwert, Isenharts Zelt oder Gawans Pferd Gringuljete kommen wiederholt im Roman vor und kreieren zusammen mit Rück- und Vorverweisen den Eindruck großer historischer Tiefe. In Wolframs offener Textwelt hängt alles mit allem zusammen, kein Requisit wird vom Erzähler fallen gelassen, alles hat eine eigene Geschichte und wirkt aufeinander ein. Am Ende kulminiert diese Erzähltechnik in der Figur des Feirefiz, in der Morgen- und Abendland, Heidentum und Christentum und östliches und westliches Rittertum zusammenfallen und zu einer neuen Synthese finden. Ein weiteres Mittel der Kohärenzstiftung und der Gestaltung von Handlungsprogression ist die Einbindung von Strukturen der Doppelung und Wiederholung. Darauf hat bereits Bumke aufmerksam gemacht (vgl. Bumke 2004, 202). Parzival bewegt sich durch Zeiten und Räume, die durch bestimmte feststehende Stationen definiert sind, zu denen er immer wieder gelangt. Dadurch wird die Topographie des Romans zum Bedeutungsträger, und „Raum und Zeit verbinden sich zum Erinnerungsraum“ (ebd.). Parzival kommt zweimal zur Gralsburg (vgl. V. 226,10–248,16; 792,10–797,12), einmal als Scheiternder, einmal als Erlöser. Er begegnet viermal Sigune, die ihn sukzessive immer weiter in die Geheimnisse des Grals und seine eigene Identität einweiht und für die am Ende er etwas tun muss, indem er sie an der Seite ihres Geliebten bestattet (vgl. V. 138,9–142,2; 249,11–255,30; 435,2–442,26; 804,21–805,17). Zweimal tritt Cundrie auf, einmal, indem sie Parzival verwünscht, einmal als Überbringerin der Botschaft von seiner Berufung zum Gralskönig (vgl. V. 312,2–318,30; 778,13–786,30). Am Artushof kehrt Parzival viermal ein (vgl. V. 147,11–153,20; 305,7–333,30; 694,23–733,30; 755,30–786,30). Auf Jeschute trifft er zweimal, das eine Mal als täppischer Grobian, das andere Mal als ihr Befreier von Orilus’ Demütigungen (vgl. V. 129,18–137,30; 256,11–271,23). Trevrizents Klause besucht Parzival dreimal, einmal eher zufällig, dann als Sünder, ,Beichtiger‘ und Schüler, schließlich als Gralskönig (vgl. V. 268,25–30; 452,13–502,30; 797,16–799,13). Auch in anderen Handlungssträngen lässt sich diese Technik der steigernden bzw. kontrastiven Repetition beobachten, z. B. in den Eingangsbüchern, in denen von Gahmurets zwei Ehen erzählt wird (vgl. Buch 1 u. 2). Auch wenn sich die Romanstruktur nicht glatt dem aus Hartmanns Artusromanen vertrauten Schema des ,doppelten Cursus‘ fügt (vgl. Hartmann
Vernetzte Erzählwelt
Repetitionen
Doppelwege mit Brüchen
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Verzögertes Erzählen
Text als Erkenntnisprozess
2011, 177–180) und Wolfram dessen Automatik und Linearität durch einen vielschichtigen Erfahrungsprozess des Protagonisten ersetzt hat (vgl. Haug 1992, 155–159), ist der „Parzival“ von einem Netz aus Korrespondenzen durchzogen, die der Handlung ein Raster bedeutungstragender zeitlicher und räumlicher Bezugspunkte unterlegen, die mit den Mitteln der Analogie und Variation die sukzessive Reifung des Helden nachvollziehbar machen (vgl. Schirok 2003, CXXVI–CXXIX). Das Durchlaufen des Erzählraumes bedeutet für den Protagonisten wie für den Rezipienten das allmähliche Begreifen von Zusammenhängen, die bisher nur unvollständig bekannt waren. Jede Repetition bringt immer auch ein Mehr an Information, so dass nicht nur für Parzival auf seinem Weg die Welt neu entsteht, sondern auch für den Leser, der mit dem Protagonisten mitgehen muss, um mit ihm zusammen die Rätsel dieser Welt zu verstehen – und zwar immer erst dann, wenn der über den Handlungsverlauf souverän regierende Erzähler, der als Einziger den Schlüssel zum slôz dirre âventiure (V. 734,7) besitzt, es will. Das alles ist insofern „rezeptionsstrategische Absicht“ (Haug 1992, 168). Aus ihr resultiert die für Wolframs Erzählstil besonders charakteristische Technik der Andeutung und späteren Enthüllung, also des verzögerten Erzählens mit Unterbrechungen und Umwegen (vgl. Curschmann 1971). Diese Technik ist die Verwirklichung des Programms, das Wolfram im Prolog und im ,Bogengleichnis‘ entwirft. Er erzählt nicht geradlinig, sondern unterbricht Handlungsstränge ganz bewusst, verrätselt angefangene Themen und spielt mit Ungewissheiten, um dann viele Bücher später Informationen nachzuliefern, die Zusammenhänge erkennen lassen, die bisher im Dunkeln lagen. Ein Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Blick Parzivals durch eine Tür auf einen Greis (Titurel), dessen Identität erst später offenbart wird (vgl. V. 240,24–30; 251,5–13). Im Gespräch mit Trevrizent werden viele früher erzählte Motive erhellt, z. B. das der blutenden Lanze (vgl. V. 231,17–30) oder der Trauer auf Munsalvaesche (vgl. V. 227,7–16). Auch Sigune ist eine Figur, die wiederholt offene Fragen wie Parzivals Herkunft und Namen aufklärt. Dass Herzeloydes Traum von einem Drachen (vgl. V. 103,25–104,24) den jähen Aufbruch Parzivals symbolisiert, erfährt der Leser z. B. erst Hunderte von Versen später (vgl. V. 476,27–30). Auch Cundrie ist eine Enthüllungsfigur: Durch sie erfährt Parzival, dass sein Vater Gahmuret ist (vgl. V. 317,11–15) und dass er einen Halbbruder Feirefiz hat (vgl. V. 317,3–10). Sie berichtet auch erstmals von der Situation auf Schastel marveile und den dort gefangenen Edelfrauen (vgl. V. 318,16–24). Dadurch wird klar, was es mit der Entführung von Artus’ Mutter Arnive auf sich hat, die bereits im zweiten Buch thematisiert wird (vgl. V. 66,1–8). Viele weitere Beispiele für diese besondere Erzähltechnik ließen sich nennen (vgl. Bumke 2004, 210–215). Auf diese Weise lässt Wolfram den Rezipienten den Erkenntnisweg des Protagonisten mitgehen: Er weiß immer nur so viel, wie Parzival selbst. „Durch die nachträgliche Enthüllung kann man begreifen, in welchen Zusammenhängen das früher Erzählte steht und welche Bedeutung ihm zukommt“ (ebd., 213). Der Erkenntnisprozess des Helden wird mit dem des Lesers bzw. Zuhörers zusammengeführt. Das Publikum wird „auf einen Reifeweg geschickt, der parallel zum Weg des Helden verläuft und den Zuhörern immer nur so viel an Neuem zumutet, wie es schon zu fassen imstan-
4. Sprache und Poetik
de ist“ (Hartmann 2011, 193). Insofern ist der „Parzival“ in der Tat ein früher Entwicklungsroman, wenngleich noch eher im narratologischen als im psychologischen Sinne. Getragen wird diese kunstvolle Kompositionstechnik von einem Erzähler, der in einer für die mittelalterliche Literatur einzigartigen Weise selber zur Figur wird, so dass die Forschung in ihm die eigentliche Hauptfigur des „Parzival“ gesehen hat. Dieser Erzähler hat selber eine Biographie und einen Charakter (mit Familie, häuslichem Umfeld usw.), kommentiert unablässig das Geschehen, macht Witze, äußert Wünsche und Hoffnungen, lobt und verurteilt, lenkt das Publikum, gliedert und fasst zusammen, setzt sich in Beziehung zu dem, was seinen Protagonisten widerfährt, und denkt über die beste Weise nach, seinen Stoff zu vermitteln. Er nennt sich Wolfram, wenngleich dieser nicht ohne weiteres mit dem Autor ,Wolfram von Eschenbach‘ identifiziert werden kann (vgl. Nellmann 1973, 11–13). Er ist Vermittler, Moderator und Deuter des Geschehens zugleich: Was er denkt und für richtig hält, wechselt allerdings je nach Zusammenhang, d. h., einmal weist er sich z. B. selbstbewusst als kampffreudiger Ritter aus (vgl. V. 115,11–20), dann wieder ist er froh, in die geschilderten gefährlichen Kämpfe nicht verwickelt zu sein (vgl. V. 542,20–22) und in Ruhe auf seinem Pferdchen sitzen bleiben zu können (vgl. V. 75,21 f.) usw., d. h., der Erzähler ist ein Chamäleon, das die Farbe annimmt, die die Erzählung gerade am besten prononçiert und perspektiviert. Ein konsistentes Bild von Wolframs Erzähler lässt sich nicht gewinnen, da er selber ein erzähltechnisches Instrument darstellt, dessen Funktion insbesondere darin besteht, die erzählte Wahrheit als eine vermittelte und damit relative kenntlich zu machen. Dafür stehen ihm vielfältige Mittel der Publikumsadressierung, Beglaubigung, Gliederung und Kommentierung zur Verfügung (vgl. Nellmann 1973, 34–164). „Bei Wolfram wird das erzählende Ich zur zentralen Instanz, die alle Fäden in der Hand hält und souverän damit spielt“, so dass „der Leser oder Zuhörer dauernd beschäftigt und beteiligt wird“ (Bumke 1990, 174). Diese Beteiligung wird dem Rezipienten allein schon durch den sprunghaften, an überraschenden Themen- und Perspektivenwechseln reichen Erzählstil Wolframs abverlangt, der ständig neue gedankliche Fäden spinnt und Assoziationen weckt, die neben der Sprengung epischer Ordnung durchaus „auch einen positiven, synthetischen Sinn besitzen, d. h. auf eine Ganzheit neuer und höherer Art zielen“ (Wehrli 1969, 203). Komik und Bildlichkeit Die Erzählstrategie der Mehrdeutigkeit reicht bis in die Metaphern und Bilder hinein, die im „Parzival“ (wie im „Willehalm“) häufig von einem ambivalenten Humor geprägt sind. Ein Beispiel dafür ist z. B. die Schilderung der Hungersnot in Pelrapeire (vgl. V. 184,1–26): In einer munteren, von klangstarken Reimen vorangetriebenen Kaskade von Bildern beschreibt Wolfram, der nebenbei noch bekennt, dass es bei ihm zu Hause genauso ärmlich aussehe (vgl. V. 184,27–185,8), das traurige Erscheinungsbild der Stadtbewohner: Sie hätten sich notgedrungen abgewöhnt, in den Zähnen zu stochern (da gibt es nämlich nichts mehr zu stochern), hinterließen schon seit Langem keine Fettspuren am Rand des Weinglases mehr, ihre eingefallene Haut gleiche ungarischem Leder, und das Geräusch in der Pfanne brutzelnder Trü-
Erzählerfigur
Publikumskontakt
Ambivalente Witze
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Frivole Scherze
Wortspiele
Historizität von Komik
Bevorzugte Bildbereiche
dinger Krapfen habe man dort schon lange nicht mehr vernommen. Wie Laub treibe es die dürren Leute umher (vgl. V. 200,20–22). Dieser spritzige Humor passt eigentlich gar nicht zur Situation, denn die Rede ist hier von bitterer Not infolge der fortgesetzten Belagerung Clamides. Wolfram überzieht die Szene gleichwohl mit einem Schleier aus Humor, um sie im Sinne eines comic relief einerseits abzudämpfen und sie andererseits dadurch gerade umso plastischer auszumalen. „Er kostet das Vergnügen offensichtlich selber aus, in der Spannung zwischen Thema und Reimassoziation sich treiben zu lassen oder weiterzuturnen, und der immer erneute Rückfall ins Thema des grotesken Hungers wird komisch ausgewertet“ (Wehrli 1969, 198 f.). Andere Scherze sind eher derb sexuell. Als Antikonie Gawan und Kingrimursel bewirtet und zahlreiche junge Mädchen vor den Ritter niederknien, um ihnen einzuschenken, präsentiert der Erzähler einen obszönen Herrenwitz: Er hätte gerne einen Blick auf deren junge Schambehaarung geworfen, die er anzüglich mit den neuen Federn des Falken nach der Mauser vergleicht (vgl. V. 424,3–6). Als Gawan und Orgeluse ihr Beilager halten, vergleicht er ihre Liebesvereinigung mit einem allen anderen Mitteln überlegenen Heilkraut (hirzwurz; V. 643,28), das ,bräunlich im Weißen‘ wachse (was bî dem blanken brûn; V. 644,1) und das Gawan die ganze Nacht hindurch munter gegen seine Minnekrankheit angewendet habe (vgl. V. 644,1–6). Es handelt sich dabei um eine Metapher für die weibliche Scham (vgl. Nellmann 1994, 739). Wieder andere Witze spielen mit der Doppeldeutigkeit von Wörtern, z. B. von lesen, das Wolfram zum einen darauf bezieht, dass Gahmuret das Unterwerfungsgelöbnis Lähelins, der am Boden liegt, entgegennimmt (sîne sicherheit er an sich las; V. 79,30), zum anderen darauf, dass er selber doch lieber süße Birnen aufläse, d. h. erntete (doch læse ich samfter süeze birn; V. 80,1). Ein anderes prägnantes Beispiel findet sich bei Parzivals Verfluchung durch den Knappen am Burgtor: Die Situation beim Aufzug des Grals am Vorabend wird vom Erzähler mit einem Würfelspiel verglichen, in dessen Verlauf Parzival einen wurf der sorgen (V. 248,10) gemacht habe. Dabei hatte er für das Wunder, das sich vor ihm abspielte, doch zwei Augen im Kopf, nämlich echte, nicht die ougen des Würfels (vgl. V. 248,12 f.). Dass im Mittelalter unter Komik möglicherweise etwas anderes verstanden wurde, zeigen Vergleiche, die man heute als eher unpassend einschätzen würde und mit denen sich die Philologen deshalb seit jeher schwer getan haben. Dazu gehört etwa der originelle Vergleich des schlanken Körpers der Antikonie mit einem Hasen am Bratspieß und ihrer Taille mit der einer Ameise (vgl. V. 409,26–28 u. 410,2–4). Ob diese Bildlichkeit „grotesk“ ist (Nellmann 1994, 649) oder vom mittelalterlichen Publikum einfach als launige Veranschaulichung begrüßt wurde, ist schwer zu beurteilen. Wolfram will offenbar unterhalten und originelle Bilder bieten, zugleich soll aber tatsächlich die Schönheit Antikonies hervorgehoben werden. Deshalb sind moderne Einschätzungen, die an solchen Stellen pauschal Momente der Dekonstruktion und relativierenden Verfremdung erkennen wollen, aus Sicht des Historikers nicht unproblematisch. Daneben gibt es viele Lieblingsbereiche, aus denen Wolfram seine ungewöhnliche Vielfalt an Bildern und Vergleichen bezieht. Dazu gehört der Bereich des Schach- und Würfelspiels (rîterschaft ist topelspil; V. 289,24) eben-
5. Aspekte der Interpretation
so wie der des Tanzes, der Tier- und Pflanzenwelt, der Landwirtschaft und Jagd, der Seefahrt, des Handels und der Malerei. Wolfram hat das ihm aus der Tradition zugekommene Bilderinventar massiv erweitert und durch viele neue Metaphern bereichert. Dazu gehört auch seine Vorliebe für geistreiche Personifikationen, wenn er z. B. die Sterne als Diener beschreibt, die das Lager für die Nacht aufschlagen (vgl. V. 638,1–8), oder die müde Sonne am Abend ihre Lichtstrahlen einsammelt (vgl. V. 32,24 f.). Auch Charaktereigenschaften und Gemütszustände macht er zu Akteuren, etwa die Liebe, die wie ein berittener Krieger auf das Herz zugaloppiert (vgl. V. 533,1–8), oder die Kühnheit (vrevel), die wie im Heerlager neben der Unschuld (kiusche) Quartier bezogen hat (vgl. V. 734,25). In jedem Einzelfall ist bei Wolfram immer damit zu rechen, dass die Funktion der Bilder weit über die Ausschmückung der Schilderung hinausgeht und das Geschehen implizit kommentiert und perspektiviert. Wolframs Stil ist nicht leicht auf eine Formel zu bringen. Er ist möglicherweise mit der Begriffstrias Perspektivität – Totalität – Universalität näherungsweise zu fassen (vgl. Hartmann 2011, 213 f.). Damit ist eine Erzählweise umrissen, die kontinuierlich mit einer Vielfalt von Perspektiven arbeitet und die Erzählung für divergierende Interpretationen offen hält, die durch subtile Vernetzung von Figuren, Szenen und Motiven eine zusammenhängende Erzählwelt mit einer Fülle bedeutsamer Sinnbezüge stiftet, und die die eigentliche Handlung ständig überschreitet und in größere zeitliche und räumliche Zusammenhänge integriert – im „Parzival“ nicht nur in weltweite, sondern sogar in kosmische Zusammenhänge. In diesem Sinne hat Wolfram ein „Lebensbuch“ (Wehrli 1997, 300) geschaffen. „Die Gattung des Romans enthüllt hier ihren Zug zur Totalität und entfaltet, in mehrsträhniger und mehrschichtiger Handlung, ein Modell des Menschenwesens im Rahmen der natürlichen wie der geschichtlichen Schöpfung und vollzieht – als Gralsroman – eine Bewegung des Transzendierens“ (ebd., 301).
Transzendieren als Grundtendenz
5. Aspekte der Interpretation Aufgrund seiner Vielschichtigkeit kann der „Parzival“ aus ganz verschiedenen Richtungen interpretiert werden. Konsens herrscht aber darüber, dass er vor allem über den Vergleich mit seiner Hauptquelle, Chrétiens „Perceval“, erschlossen werden muss, weil dadurch klar wird, an welchen Stellen und mit welcher Intention Wolfram seiner Vorlage bewusst nicht gefolgt ist (vgl. Schirok 2011c, 417–425). Wolfram ist der Handlungsstruktur des französischen Romans grundsätzlich relativ nah geblieben, hat aber den Umfang mehr als verdoppelt (Chrétiens Roman hat 9234 Verse, Wolframs 25.000) und manches ergänzt oder motiviert, was bei Chrétien eine Leerstelle geblieben ist. So hat er z. B. wichtigen Figuren erstmals Namen gegeben (Anfortas, Herzeloyde, Sigune u. a.) und sie dadurch aufgewertet und individualisiert. Anderen hat er ein neues Charakterprofil verliehen, z. B. Orgeluse, der Chrétien keine Liebesgeschichte mit Gauvain gönnt, sondern die als böse Dame das verwunschene Land Galvoie bewohnt und versucht, Gauvain mit ihrem Verführungszauber in ihre Gewalt zu bekommen. Stark ausgebaut hat Wolfram das Geflecht der Verwandtschaftsbeziehungen: Im „Parzival“ sind fast
Wolfram und Chrétien
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
Gralskonzeption
Heilsgeschichtliche Dimension
Funktion des Gahmuret/FeirefizRahmens
Grals- und Artusgesellschaft
alle Figuren näher oder weiter miteinander verwandt und bilden eine weit verzweigte Menschheitsfamilie. Die Ausdehnung der Handlung auf die ganze damals bekannte Welt einschließlich des Orients durch die Gahmuret/ Feirefiz-Handlung ist eine Innovation Wolframs, ebenso die Einführung eines profilierten Erzählers, der als Moderator der Ereignisse auftritt. Am massivsten hat Wolfram die Gralskonzeption Chrétiens verändert und die entscheidende Szene auf Munsalvaesche völlig umgestaltet (vgl. Johnson 1999, 341–343). Bei Chrétien soll Perceval z. B. bereits beim Anblick der blutenden Lanze fragen, unterlässt es aber in Erinnerung an Gornemanz’ Lehren. Der Gral (un graal) ist bei Chrétien eine goldene, mit Edelsteinen verzierte Schale, die an Perceval vorbeigetragen wird, um darin in einem Nebenraum dem kranken Gralskönig als Nahrung eine geweihte Hostie zu bringen, kein numinoser, irdische Speisen spendender Stein (ein dinc) wie bei Wolfram, auf dem nur am Karfreitag eine himmlische Taube eine Oblate ablegt. Anfortas übergibt Parzival nach dem Festmahl sein Schwert, gewissermaßen als erneuten Wink, nach dem Grund für all die Wunder auf Munsalvaesche zu fragen; bei Chrétien hingegen gehört das Schwert der Nichte des Königs und Perceval bekommt es schon vor der Gralsprozession. Insgesamt also hat Wolfram Änderungen vor allem im Hinblick auf eine bessere „Motivierung der von Parzival erwarteten Frage“ (Nellmann 1994, 584) vorgenommen und u. a. durch die massive Steigerung der Dimensionen des Festmahls (100 Kämmerer, 500 Knappen, 400 Ritter usw.) der Szene im riesigen Palas von Munsalvaesche eine viel größere Bedeutung gegeben. Wolfram macht aus dem Gral – frz. graal (lat. gradalis, ,kostbare Schüssel‘) ist anders als bei Wolfram kein Eigenname – einen göttlichen Wunderstein, der Inschriften tragen und so den Willen des Himmels kundtun kann. Dadurch wird er zum Mittler zwischen der göttlichen und der irdischen Sphäre, so dass die Parzival-Geschichte bei Wolfram insgesamt viel deutlicher eine heilsgeschichtliche Dimension erhält, als es in der französischen Vorlage der Fall ist (vgl. Johnson 1999, 337–340). Die Tendenz zur Universalisierung der Handlung wird auch durch den neuen Rahmen aus Eltern-Vorgeschichte (Bücher 1/2) und den Büchern 14–16 (Kampf Parzival/Gawan, Feirefiz, Loherangrin), die bei Chrétien keine Entsprechung haben, unterstützt. Wolfram weitet durch diese Partien den erzählten Raum auf die ganze Welt aus und verleiht ihm zusätzlich eine große historische Tiefe: Die Gahmuret-Handlung versieht den künftigen Gralskönig mit einer edlen Herkunft und den Charaktereigenschaften zweier herausragender Figuren – Gahmurets Heldenmut und Herzeloydes triuwe. Sie motiviert zudem die bei Chrétien nur ganz knapp begründete Soltane-Episode und integriert von Anfang an die tödliche Ambivalenz von Ritterschaft in die Parzival-Handlung. Vor allem aber führt sie zu einer weltumspannenden Bedeutung des Geschehens, indem sie Abend- und Morgenland, Parzival und Feirefiz, den Gralskönig und den Missionar des Ostens, zusammenführt und dadurch der Utopie einer universalen Einigung im Zeichen des Christentums den Weg weist (vgl. Hartmann 2000, 407–415). Neben das Ideal der an einen geistlichen Ritterorden erinnernden, aber bis zu Parzivals endlich gelingender Mitleidsfrage erlösungsbedürftigen Gralsgemeinschaft hat Wolfram als Vergleichswelt den Artushof gestellt, der zunächst ebenfalls nicht dem Bild einer idealen höfischen Gesellschaft
5. Aspekte der Interpretation
entspricht. Er ist auf vielfache Weise gestört, was u. a. in der Gefangenschaft von Artus’ Mutter auf Schastel marveile, am unwürdigen Streit zwischen Artus und Ither und an Keies ehrlosen Intrigen sichtbar wird. Wie Parzival in der Gralsgesellschaft wird in der Artusgesellschaft Gawan zum Retter, indem er Clinschors Macht über Schastel marveile bricht und Arnive befreit und am Ende mithilfe von Artus’ Vermittlung zu einer Einigung zwischen Gramoflanz und Orgeluse beiträgt, so dass ein großes Fest (inklusive Hochzeiten) die Idealität des Artushofes vollends wiederherstellt. Wolfram führt die Parzival- und die Gawan-Handlung parallel und markiert sie als Geschichten einer sukzessiven Bewältigung von Krisen, die mit Leid, Hass und Entfremdung einhergehen. Beide Geschichten handeln von Erlösung, die erste mit einer deutlich religiösen Komponente, die zweite ganz im diesseitigen Leben verhaftet. Indem Wolfram am Ende des Romans beide Stränge miteinander verflicht, lässt er den Roman in Form „eines gewaltigen epischen Crescendos“ (Bertau 1973, 1013) zumindest temporär in einer Situation des Friedens, der erfüllten Liebe und der höfischen vreude kulminieren. Dass der „Parzival“ durchaus utopische Züge trägt, demonstriert auch sein Schluss. Feirefiz’ Sohn, der sagenhafte Priesterkönig Johannes, ist Garant der Christianisierung der heidnischen Welt (vgl. V. 822,23–823,1). Insofern geht vom Gral ein die ganze Welt einbeziehender Segen aus (vgl. Schmitz 2012, 174–177). Indem Wolfram, als könne er nach über 24.000 Versen gar nicht aufhören zu erzählen, unvermittelt mit der Loherangrin-Geschichte weitermacht (vgl. V. 824,1–826,30), scheint er allerdings „die Hörer und Leser einzuladen, die Dichtung über das Ende der erzählten Handlung hinaus weiterzudenken. Ein solcher offener Schluss hält Deutungsangebote auf verschiedenen Ebenen bereit“ (Bumke 2004, 124). Mit Parzivals Gralskönigtum ist das Geschehen also nicht beendet, und mit der Frage, ob die neuen, nur angedeuteten Erzählstränge von Harmonie oder erneut von Leid und Konflikt bestimmt sein werden, lässt Wolfram sein Publikum alleine (vgl. Schmitz 2012, 207) Wolframs großer Roman bietet somit auch am Ende „kein harmonisch einheitliches Bild, sondern zeigt unterschiedliche Perspektiven“ auf (Schirok 2011c, 434). Im Epilog wird als Abschluss des Romans zwar Parzivals Berufung zum Gralskönig genannt (vgl. V. 827,5–8), doch an den in der Loherangrin-Episode angerissenen Problemen, die ausgerechnet auf dem Frageverbot des Grals beruhen (vgl. V. 818,24–819,8; 825,19–24), wird deutlich, dass die Ordnung der Welt noch immer eine stets gefährdete und instabile ist. Wolfram vermeidet somit in Wahrheit ein happy end und bleibt sich darin treu, niemals etwas Fertiges und Abgeschlossenes zu bieten, sondern stattdessen dem Leser bzw. Zuhörer zuzumuten, in einer offenen (Erzähl-) Welt seinen Erkenntnisweg selbständig fortzusetzen (vgl. Bumke 1991a). Denn die Welt selber ist unfertig und harrt der Heilung. Seit Adams Versagen wird, wie Trevrizent lehrt, die Welt vom Hass (nît) regiert (vgl. V. 464,21 f.). Sie ist defizitär, was sich im unbarmherzigen Wechsel von Leid und Glück, Sünde und Heil zeigt (vgl. V. 465,1–6). Allein Gott, der die Liebe (minne/triuwe; vgl. V. 462,19; 466,1–4) und die Wahrheit ist (vgl. V. 462,25 f.), kann durch seine Gnade diesen Kreislauf durchbrechen. Nur deshalb bekommt Parzival offenbar die Gelegenheit, ein zweites Mal die
Der offene Schluss
Roman ohne happy end
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival
erlösende Frage zu stellen. Aber während beim ersten Mal Anteilnahme und Mitleid der Antrieb zum Fragen gewesen wären, mutet die Frage beim zweiten Mal eher wie eine mechanisch aufzusagende Zauberformel an, die an Märchenmotivik erinnert (vgl. Schmitz 2012, 80 f.). Vollends relativiert wird die Verlässlichkeit des Erzählten durch das Eingeständnis Trevrizents – immerhin der wichtigsten moralischen und theologischen Autorität des Romans –, dass er gelogen habe: Um Parzival von dem Versuch abzuhalten, weiter durch Kampf den Gral zu gewinnen, habe er ihm das Wesen des Grals falsch dargestellt (vgl. V. 798,6–30; dazu Nellmann 1994, 776; Bumke 2004, 119 f.). Und dass Parzival am Ende zu einem gereiften „Überwinder der Ritter-Ideologie“ geworden sei, wie die ältere Forschung meinte (Kuhn 1959, 178), kann nur behaupten, wer übersieht, dass der dominierende Lebensantrieb des Roten Ritters bis zuletzt der Kampf (manlîch wer; V. 737,16) bleibt: Noch als er dem unbekannten Feirefiz begegnet, legt er wie eh und je reflexartig die Lanze an (vgl. V. 737,7–739,6). Der „Parzival“ endet somit voller Fragen und ohne Gewissheiten und spiegelt so den Zustand jener Schöpfung wider, in der sowohl die Figuren als auch die Leser bzw. Zuhörer stehen, den Zustand der Unerlöstheit, in dem nur Gott helfe bringen (V. 797,30) und demzufolge es nur eine einzige angemessene Lebenshaltung der Nachfahren Adams geben kann: diemuot (V. 798,30). „Mannes muot gewinnt erst ,außer sich‘, in demütiger Unterwerfung unter Gottes Willen, den ,bestimmten‘ Beruf“ (Kuhn 1959, 170). Wenn es überhaupt die eine Botschaft des Romans gibt, dann ist es diese.
6. Rezeptionszeugnisse Mittelalterliche Rezeption
Fortsetzungen und Druck
Der „Parzival“ ist im Mittelalter sehr erfolgreich gewesen und hat eine intensive Rezeption erfahren (vgl. Kap. IV.2), die auch in der Neuzeit nicht abgebrochen und bis in die Gegenwart hinein produktiv geblieben ist (vgl. Bumke 2004, 255–257; Dallapiazza 2009, 144–152). In der Literatur des 13. Jahrhunderts wird der Roman immer wieder zitiert und seine viel bewunderte Erzähltechnik nachgeahmt. Die früh einsetzende reiche Überlieferung spricht für sich, ebenso die Tatsache, dass Wolfram in allen Dichterkatalogen seit dem frühen 13. Jahrhundert vorkommt und es im Spätmittelalter bei Bürgern und Adeligen Mode war, den Kindern Namen von Wolframs Romanfiguren zu geben (Parcefal, Gamrit, Herzelaude, Siguna u. a.). Wirnt von Grafenberg lobte Wolfram um 1250 im „Wigalois“ (V. 6343–46) mit den viel zitierten Worten: her Wolfram, / ein wîse man von Eschenbach; / sîn herze ist ganzes sinnes dach; / leien munt nie baz gesprach. Spätere Dichter haben ihre Werke zuweilen dadurch aufgewertet, dass sie sie als Werke Wolframs ausgaben (z. B. „Lohengrin“, „Göttweiger Trojanerkrieg“, „Wolfdietrich D“). In fast allen Gattungen der deutschen Literatur des 13. bis 15. Jahrhunderts lässt sich die Wirkung seiner Epen und Lieder nachweisen, u. a. in der späten Heldenepik, in der Geschichtsdichtung und im Minnesang. Ulrich Füetrer bearbeitete den Gralsroman für sein groß angelegtes „Buch der Abenteuer“ (1473–1481). Der „Parzival“ wurde nicht nur gegen 1260/70 von einem Verfasser namens Albrecht zu einem über 6000 Strophen langen Romanwerk ausgebaut,
6. Rezeptionszeugnisse
das im Mittelalter als Werk Wolframs galt, sondern Claus Wisse und Philipp Colin haben 1336 im Auftrag Ulrichs von Rappoltstein in ihrem umfangreichen „Nüwen Parzefal“ die Gawan-Handlung weiter ausgebaut. Dass der „Parzival“ 1477 zusammen mit dem „Jüngeren Titurel“ bei Johann Mentelin in Straßburg gedruckt wurde und zur Produktpalette der elsässischen Handschriftenmanufaktur Diebold Laubers gehörte, belegt eindrucksvoll die große Wertschätzung des Romans (und Nachfrage nach ihm) bis ins späte 15. Jahrhundert hinein. Erhalten sind auch verschiedene außerliterarische Bildzeugnisse (vgl. Schirok 2011b, 352–361), die die Relevanz des Parzivalstoffes für das spätmittelalterliche Stadtbürgertum belegen. Im „Haus zur Kunkel“ am Münsterplatz in Konstanz finden sich noch heute Fresken mit Szenen aus dem „Parzival“ (u. a. Parzivals Geburt, Jeschute, Sigune auf der Linde). Sie wurden um 1320 im Auftrag des Kustos’ Walter von Neunkirch gemalt. 1929 wurden beim Abriss eines Hauses in Lübeck Romanszenen entdeckt, die in Rundmedaillons gefasst waren. Datiert werden sie auf die Mitte des 14. Jahrhunderts. Aus dem Braunschweiger Kloster Heilig Kreuz stammt ein erst 1877 gefundener Teppich. Er zeigt Szenen aus der Gawan-Handlung und ist heute in der Burg Dankwarderode im Zentrum Braunschweigs zu besichtigen. Gestickt wurde der Teppich Mitte des 14. Jahrhunderts in Braunschweig oder Wienhausen, womöglich im Auftrag des braunschweigisch-lüneburgischen Fürstenhofes. Die neuzeitliche Rezeption begann im 18. Jahrhundert mit der Wiederentdeckung durch Johann Jacob Bodmer und den Textabdruck Christian Heinrich Myllers, kurz vor der ersten kritischen Ausgabe von Karl Lachmann 1833. Sie begründete nicht nur das anhaltende wissenschaftliche Interesse an Wolframs Roman, sondern steht am Anfang einer intensiven Rezeption im 19. Jahrhundert, zu deren bemerkenswertesten Früchten auf literarischer Seite Friedrich de la Motte-Fouqués „Parcival“ von 1832 und auf musikalischer Seite Richard Wagners 1882 uraufgeführte Oper „Parsifal“ gehörten. „Parzival“-Rezeption war danach bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts vorwiegend „Parsifal“-Rezeption, so z. B. in der Lyrik Stefan Georges (vgl. Hartmann 2014). Wagner hat aus Wolframs Roman ein „Bühnenweihspiel“ gemacht (vgl. die Abb. in Brunner/Schrenk 2010, S. 43–45), das mit dem mittelalterlichen Roman nicht mehr viel gemein hat, sondern ein Werk der Moderne ist, das einer antimodernen Kunstreligion huldigt (vgl. Brunner 2014). Im 19. und 20. Jahrhundert hat der Stoff viele Künstler, Dramatiker und Erzähler zu Bearbeitungen inspiriert, darunter Paul Heyse („Wolfram von Eschenbach. Ein Festspiel“, 1894), Karl Vollmoeller („Parcival“, 1903), Ernst Stadler („Parzival vor der Gralsburg“, 1914), Gerhart Hauptmann („Parsival“, 1911), Eduard Stucken („Der Gral“, 1924), Tankred Dorst („Parzival. Ein Szenarium“, 1990), Christoph Hein („Die Ritter der Tafelrunde“, 1989) und Adolf Muschg („Der Rote Ritter“, 1993). Einen guten Überblick über die neuere Rezeption bieten Kühnel 1979, Grosse/Rautenberg 1989, WasielewskiKnecht 1993 und Schulze 2011 (deutsche Literatur) sowie Hattendorf 2011 (bildende Kunst). Kaum zu überblicken ist die Zahl der Kinderbücher und Kurzfassungen ,für die Jugend‘. In diesem Zusammenhang sind auch die neueren Übersetzungen (Dieter Kühn, 1986; Peter Knecht, 1993) sowie Hörbuchfassungen (Peter Wapnewski 1995) zu nennen.
Parzival-Fresken
Neuzeitliche Rezeption
19. und 20. Jahrhundert
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IV. Artus- und Gralsroman: Parzival Zeitlose Lebensthemen
Die Rezeptionsgeschichte des „Parzival“ ist damit nicht zu Ende, denn seine Themen sind zeitlos. Der Roman handelt von Schuld und Erlösung, Aufbruch und Ankunft, Fremde und Heimat, Hass und Liebe, Sünde und Vergebung, Krieg und Frieden, Immanenz und Transzendenz, Hoffnung und Gnade. Mit diesen ubiquitären Lebensthemen, die im Symbol des lebensspendenden Gralssteins zusammenfließen, wird er auch in Zukunft Teil der kulturellen Tradition bleiben. Insbesondere in Zeiten des Sinnvakuums hat er wegen dieser Sinnhorizonte Halt geben können. Das schreibt Wolfgang Mohr in der sehr persönlichen Einleitung seiner (unterschätzten) „Parzival“Übersetzung (vgl. Mohr 1979, 5–9), und das zeigt u. a. das Titelbild einer neuhochdeutschen Jugendausgabe aus der Nachkriegszeit (Reihe „Für Kindheit und Jugend“, Heft 37/38, bearb. von Rudolf Treichler, Kuppenheim 1948): Über den Ruinen zerbombter Städte, durch die die Furien von Krieg und Zerstörung brausen, erhebt sich unwandelbar und zukunftsverheißend Parzival mit dem Gral (s. Abb. 4).
Abb. 4: Der Gral besiegt den Krieg, Buchcover Jugendausgabe, 1948
V. Liebesroman: Titurel 1. Handlungsübersicht Das um ca. 1217/20 entstandene, poetisch hochkomplexe Romanfragment schreibt den „Sigunen-Roman im ,Parzival‘“ (Wehrli 1997, 315) aus und ist für mittelalterliche Verhältnisse u. a. deshalb ein erstaunliches Werk, weil es eine frei erfundene Geschichte erzählt, die zwar stark von Handlungselementen des „Parzival“, insbesondere von der Elternvorgeschichte um Herzeloyde und Gahmuret, abhängig ist, aber ansonsten keine Quellenvorlage hat. Die beiden erhaltenen Fragmente liefern die Vorgeschichte zur „Parzival“-Handlung, insbesondere zur Liebe zwischen Sigune und Schionatulander, die im „Parzival“ nur angedeutet wird. Dort begegnet Parzival auf seinem Bewährungsweg Sigune viermal. Diese Begegnungen zeigen „vier Stadien der Trauer, die zugleich Stationen der Selbstzerstörung sind“ (Brüggen/Bumke 2011, 924): Beim ersten Mal trifft er seine Cousine laut klagend an mit dem toten Schionatulander im Schoß (vgl. Parzival V. 138,9–142,2). Der naive Jüngling erfährt, dass Sigunes Geliebter im Zusammenhang mit der Erlangung einer kostbaren Hundeleine (brackenseil) in der Hoffnung auf Sigunes Gunst im Kampf gegen Orilus gefallen ist (vgl. V. 139,29 f.), wofür sie sich nun anklagt: ich hete kranke sinne, / daz ich im niht minne gap: / des hât der sorgen urhap / mir freude verschrôten: / nu minne i’n alsô tôten (V. 141,20–24). Bei der zweiten Begegnung (vgl. V. 249,11–255,30) sitzt Sigune, die sich aus Trauer inzwischen alle Haare ausgerissen hat, in einer Linde und hat noch immer den einbalsamierten Toten auf dem Schoß. Sie offenbart Parzival ihrer beider Verwandtschaft (vgl. V. 252,14–17) und verwünscht ihn, weil er die Mitleidsfrage nicht gestellt hat (vgl. V. 255,2–29). Der Erzähler preist sie als Inbegriff der triuwe (vgl. V. 253,15–18). Bei der dritten Begegnung (vgl. V. 435,2–442,26) findet er seine Cousine als Inkluse vor: Sie hat sich in eine Einsiedlerzelle einmauern lassen, in dem sich auch Schionatulanders Sarkophag befindet, und hat nur noch über ein kleines Fenster Kontakt zur Außenwelt. Unverändert trägt sie ihren Verlobungsring (vgl. V. 439,22–440,19) als ihrer triwe ein slôz (V. 440,15). Sie verzeiht Parzival und segnet ihn. Als Parzival – jetzt als Gralskönig – ein viertes Mal (vgl. V. 804,21–805,17) zu Sigunes Klause kommt, ist sie bereits tot. Parzival lässt sie an der Seite Schionatulanders bestatten. In eindrucksvoller Statuarik ist Sigune im „Parzival“ somit ein plakatives Sinnbild der Trauer und der Treue, das an die Ikonographie der Pietà erinnert, und repräsentiert in ihrem Leid die Ambivalenz von Ruhm und Tod, die das ritterliche Leben kennzeichnet (vgl. Bertau 1983, 259–285). Was zu Sigunes Leid und Weltentsagung geführt hat, erzählt Wolfram im „Titurel“. Fragment 1 (136 Strophen; ed. Brackert/Fuchs-Jolie) beginnt mit der Abdankungsrede des greisen Titurel (vgl. Titurel V. 1,1–12,4), des ersten Gralskönigs auf Munsalvaesche. Titurel übergibt darin die Krone an seinen Sohn Frimutel (vgl. V. 7,2–4) und setzt alle seine Hoffnungen auf dessen fünf Kin-
Zwei Fragmente
Sigune und Schionatulander im „Parzival“
Fragment 1
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V. Liebesroman: Titurel
der, darunter Herzeloyde, die spätere Mutter Parzivals, und Schoysiane, die Mutter Sigunes. Zu ihr schwenkt der Text nun hinüber und erzählt von ihrer Heirat mit Kiot von Katelangen, Sigunes Geburt, bei der Schoysiane stirbt, und von Kiots Rückzug vom Rittertum (vgl. V. 13,1–24,4). Die folgende Erzählpartie berichtet von Sigunes Kindheit und Jugend, die dominiert wird von den Motiven des Todes und der Trennung (vgl. V. 25,1–36,4). Sigune wächst zusammen mit Condwiramurs, Parzivals späterer Frau, au f. Nebenbei wird auch erzählt, wie Herzeloyde durch den Tod ihres Mannes Kastis Königin von Kanvoleiz und Kingrivals wird, dem Schauplatz des 2. Buches des „Parzival“ (vgl. V. 26,1–27,4). Als Condwiramurs Vater Tampunteire stirbt, gelangt Sigune in die Obhut Herzeloydes und wächst in Kanvoleiz auf, der triwn houbetstat (V. 45,4). Der Erzähler rühmt die beiden Frauen, die mit dem Gralsgeschlecht verwandt sind, wegen ihrer Schönheit und Würde: Diu magetlîche witewe, daz kint Frimutelles, / swâ man bî ir iungen zît der frouwen lop sprach, sone erhal niht sô helles (V. 35,1 f.). Zugleich bereitet er mit dem Hinweis auf den in der jungen Sigune allmählich erwachenden weiblichen Stolz und jr hertzen hochgemüete (V. 36,3) das kommende verhängnisvolle Geschehen vor (Fragment 2, BrackenseilEpisode). Im Zentrum der nächsten Partie stehen Herkunft und Jugend Schionatulanders (vgl. V. 37,1–55,4). Er wächst am Hof der französischen Königin Amphlise auf, die im „Parzival“ später Ansprüche auf Gahmuret erhebt, der von ihr die Schwertleite erhielt (vgl. Parzival V. 69,29–70,6; 76,1–77,19; 87,7–88,6; 97,13–98,14). Schionatulander muss Gahmuret mehrfach Liebesbotschaften der Königin überbringen (vgl. V. 54,1–4). Sie gibt Schionatulander in die Obhut Gahmurets, der ihn als Knappen mit in den Orient nimmt und danach nach Kanvoleiz bringt. Dort lernt der Jüngling Sigune kennen, und beide entbrennen in kindlicher Liebe zueinander, was der Erzähler beklagt, da sie noch zu jung und unerfahren für die Minne seien (vgl. V. 48,1), die er als universale Macht beschreibt (vgl. V. 50,1–51,4). In einem großen Minnegespräch (vgl. V. 56,1–72,4) gestehen sich die beiden, was die Minne in ihnen ausgelöst hat. Sigune fordert von Schionatulander, dass er sich erst in ritterlichen Kämpfen bewähren müsse, bevor er ihre Gunst erhalten könne (vgl. V. 71,4); er gelobt, dies in süezen sûren arbeiten (V. 72,2) zu tun. Gahmuret bricht in den Orient auf, um dem Kalifen gegen Feinde beizustehen (vgl. Parzival V. 101,21–102,22). Es ist die Reise, auf der er den Tod findet. Im „Titurel“ erzählt Wolfram, wie Gahmuret Schionatulander dorthin mitnimmt, Sigune voller Liebe zurückbleibt und sich Parzivals Eltern voneinander verabschieden (vgl. V. 73,1–87,4). In der Fremde bedrückt Schionatulander jedoch die Minnekrankheit so sehr, dass er immer mehr verfällt, bis der in Liebesdingen erfahrene Gahmuret ihn zur Rede stellt und den wahren Grund von Schionatulanders Unglück erfährt (vgl. V. 88,1–106,4). Parzivals Vater belehrt ihn, dass er sich die Minne einer edlen Frau durch Kampf erwerben müsse (werdiu minne ist teilhaft ordenlîche; V. 107,3) und dass er Herzeloyde bitten werde, sich bei Sigune für den Jüngling zu verwenden (vgl. V. 111,1–4). Zu Hause bleibt Herzeloyde Sigunes Zustand ebenfalls nicht verborgen, und so kommt es zu einem Gespräch zwischen Tante und Nichte, in dem Sigune in kraftvollen Bildern ihre Liebesnot schildert (mir gît sîn minne hitze
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
alse Egremuntîn dem wurme salamander; V. 126,4) und Herzeloyde sie beschwört, sich nicht derart zu verzehren, dass ihre Schönheit verblasst. Wie Gahmuret zuvor Schionatulander ermutigt auch sie Sigune und erteilt die Erlaubnis zu ihrer Liebesbeziehung (vgl. V. 114,1–136,4). Mit Sigunes Ausdruck der Erleichterung bricht der Text ab. Das zweite, deutlich kürzere Fragment (39 Strophen) steht in keiner unmittelbaren Beziehung zum ersten. Die Szene führt unvermittelt zu einer Jagdszene in einem Wald (vgl. V. 137,1–4). Ein Spürhund des Fürsten Ehkunaht (mit dem vielsagenden Namen Gardeviaz, ,Gib Acht auf die Fährte!‘) hat sich losgerissen, Schionatulander läuft ihm nach und fängt ihn. Das bringt ihm zugleich das edelsteingeschmückte, aus vierfarbiger Seide gefertigte und besonders lange Halsband des Hundes ein, das er Sigune bringt und von dem der Erzähler sagt, dass es für Schionatulander gefurrierten kumber mit arbeit und ein urhap fröuden flustbærer zîte bedeute (V. 143,2 bzw. 4). Die Leine trägt eine Inschrift, die die Liebesgeschichte von Clauditte und Ehkunaht erzählt. Sigune interessiert sich so sehr für deren Ende, dass sie Gardeviaz, der an einer Zeltstange angebunden ist, losbindet. Der Hund reißt sich los. Schionatulander, der gerade angelt, hört sein Gebell (vgl. V. 164,1–4) und versucht vergebens, ihn zu verfolgen. Zurück im Zelt teilt Sigune ihm mit, dass sie unbedingt die âventiure auf dem Seil weiterlesen will (vgl. V. 168,2–4). Sie verlangt von ihrem Geliebten, dass er es zurückholt; nur so verdiene er sich ihre Minne (vgl. V. 171,1–4). Der Erzähler deutet an, dass dies den anevanc vil kumbers (V. 175,2) bedeutet. Schionatulander ist dennoch entschlossen, Sigunes Auftrag zu erfüllen. Hier bricht das zweite Fragment unvermittelt ab. Dass er bei dem Versuch, die Hundeleine wiederzuerlangen, im Kampf den Tod findet, kann man nur indirekt aus den Sigune-Szenen im „Parzival“ erschließen. Ob Wolfram über der Ausarbeitung des „Titurel“ gestorben ist oder ob der Fragmentcharakter des Textes auf ein bewusstes literarisches Experiment zurückgeht, lässt sich nicht klären (vgl. Brunner 2013, 214; Bumke 2004, 414 f.). „Da es sich um einen echten Torso handelt und auch kaum auszudenken ist, wie daraus ein ganzes Werk hätte werden können, steht man wohl vor dem ebenso befremdlichen wie grandiosen Versuch einer von Wolfram frei erfundenen Dichtung“ (Wehrli 1997, 315). Möglicherweise deuten die beiden überlieferten Fragmente auf ein größeres zusammenhängendes Werk hin, das Wolfram nicht mehr ausgeführt hat. Eine auffällige „Handlungsarmut und der dunkle, bilderreiche, manchmal bis zur Unverständlichkeit verrätselnde Stil bestimmen den Charakter der Dichtung. […] Es gibt jedoch keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die Geschichte von Sigune und Schionatulander in irgendeiner Form runden sollte und dass nicht von vorneherein nur Fragmente geplant waren“ (Bumke 2004, 415; vgl. Heinzle 2011b, 477).
Fragment 2
Gründe für den Abbruch
2. Überlieferung und Editionsgeschichte Der „Titurel“ ist in drei Handschriften überliefert (vgl. Klein 2011, 959 f.): 1. in der großen Münchner Wolfram-Handschrift G (Cgm 19) aus der Mitte des 13. Jahrhunderts; neben dem „Parzival“ und zwei Tageliedern ist auf den
Textzeugen
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V. Liebesroman: Titurel
Unmöglichkeit eines Stemmas
Albrechts „Jüngerer Titurel“
Ausgaben
Seiten fol. 71ra–74rc der „Titurel“ mit 164 Strophen (Teil 1: 125 Str., Teil 2: 39 Str.), d. h. beiden Fragmenten, eingetragen; 2. mit der Sigle H im berühmten „Ambraser Heldenbuch“ (Ser. nova 2663, Österreichische Nationalbibliothek Wien), einer prächtigen Pergamentsammelhandschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert mit 25 epischen Texten des 12. und 13. Jahrhunderts, darunter Wolframs „Titurel“ (fol. 235va–325rb) mit nur 69 Strophen, d. h. der ersten Hälfte des ersten Fragments, und anderer Strophenfolge als in G; 3. auf drei um 1300 geschriebenen einzelnen, z. T. stark beschädigten Pergamentblättern (Sigle: M) aus dem Einband einer lateinischen Papiersammelhandschrift des 15. Jahrhunderts (8° Cod. ms. 154, Universitätsbibliothek München) mit 46 rudimentär und in anderer Reihung aufgezeichneten Strophen des ersten Fragments. Die Überlieferung ist somit äußerst bruchstückhaft, besonders die Pergamentblätter aus M sind schwer zu entziffern, und es gibt erhebliche Abweichungen zwischen den Handschriften, die nur die Strophen 29b bis 40 gemeinsam überliefern. H und M bieten 11 Strophen, die G nicht hat. Aus den wenigen Textzeugen lässt sich daher kein Handschriftenstemma ableiten. Konsens besteht aber darüber, „dass G und H zwei Zweige der Überlieferung repräsentieren, zwischen denen M eine Zwischenstellung einnimmt, jedoch deutlich näher bei H steht“ (Brackert/Fuchs Jolie 2003, 27; vgl. Heinzle 2011b). Dass Wolframs „Titurel“ so spärlich überliefert ist, lässt keine Rückschlüsse auf Beliebtheit und Verbreitung des Werkes im Mittelalter zu, sondern erklärt sich daraus, dass ein unbekannter Dichter namens Albrecht um 1260/70 eine fast 50.000 Reimpaarverse umfassende substituierende Fortsetzung des Romanfragments verfasste, die im Mittelalter als Werk Wolframs galt: den „Jüngeren Titurel“. Albrechts Roman ist das umfangreichste und zugleich eines der am meisten verbreiteten Erzählwerke des 13. Jahrhunderts. Primär gestützt auf Wolframs Epen, erzählt das „Weltalter und Welträume umspannende Riesenwerk“ (Huschenbett 1978, 163) die Geschichte des Gralsgeschlechtes und baut die von Wolfram nur skizzierte SiguneSchionatulander-Handlung, insbesondere das Brackenseil-Motiv, zu einem eigenen großen Handlungsstrang aus (vgl. Ebenbauer 1993). Albrecht hat vor allem die „Titurel“-Fragmente wörtlich in seinen Roman aufgenommen, d. h., der „Jüngere Titurel“ bietet eine vollständige Parallelüberlieferung von Wolframs Romantorso (vgl. Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 27 f.; Neukirchen 2011, 466–471). Das hat die Forschung seit Lachmann verleitet, in Albrechts Text nach weiteren ,echten‘ Wolfram-Strophen zu suchen, die die „Titurel“Handschriften zufälligerweise nicht überliefern, um einer Rekonstruktion des ganzen „Titurel“ näher zu kommen. Dies stößt jedoch methodisch auf erhebliche Probleme, nicht zuletzt deshalb, weil Albrecht ja gerade versucht hat, Wolframs Erzähltechnik genau nachzuahmen, so dass sprachliche oder motivliche Entsprechungen keine Anhaltspunkte liefern, um ursprünglich von Wolfram verfasste Strophen sicher zu identifizieren (vgl. Heinzle 2011b, 481 f.). Zum ersten Mal kritisch ediert wurde der „Titurel“ auf der Grundlage der Handschriften G und H von Karl Lachmann 1833 in seiner großen WolframAusgabe. Auch spätere Wolfram-Herausgeber, u. a. Albert Leitzmann (1906), boten in ihren Gesamtausgaben einen kritischen Text. Wolfgang
4. Sprache und Poetik
Mohr legte 1978 eine zweisprachige Ausgabe nach Hs. G vor. Heute maßgeblich sind die ebenfalls zweisprachigen, kommentierten Ausgaben von Helmut Brackert und Stefan Fuchs-Jolie (Brackert/Fuchs-Jolie 2002, Studienausgabe 2003) sowie von Joachim Bumke und Joachim Heinzle (Bumke/ Heinzle 2006), letztere mit der gesamten Parallelüberlieferung des „Jüngeren Titurel“. Von Joachim Heinzle stammt neben dem Standardkommentar, in dem zusätzlich die handschriftliche Überlieferung vollständig abgedruckt ist (Heinzle 1972), auch ein Faksimile der gesamten handschriftlichen Überlieferung (Heinzle 1973).
3. Quellen Hauptquelle des „Titurel“ ist der „Parzival“ mit seinem Motiv-, Namenund Figureninventar, insbesondere die Herzeloyde/Gahmuret-Handlung (2. Buch), die Genealogie der Gralsfamilie (Titurel, Frimutel, Anfortas) sowie die Sigune-Episoden, zu denen das Romanfragment eine „nachgetragene oder vielleicht parallel entstandene“ Vorgeschichte (Neukirchen 2011, 449) liefert. Die Abhängigkeit des „Titurel“ vom „Parzival“ ist ein wichtiger Anhaltspunkt für die relative Chronologie der Werke Wolframs. Das meiste hat Wolfram, offenbar unter Verwendung von Motiven der französischen Literatur, insbesondere Chrétiens „Perceval“, im Sinne einer Neukombination existierender Sujets der Märchentradition und des Artusromans frei erfunden (vgl. Mertens 1993, 201 f.; Neukirchen 2011, 446–448). Ein von der älteren Forschung postulierter französischer Schionatulander-Roman ist nicht bekannt.
„Parzival“
4. Sprache und Poetik Das auffälligste Merkmal des „Titurel“ ist seine Strophenform, wie sie zuvor nur in der Heldenepik vorkam, nicht aber in der höfischen Dichtung, die sich in der Regel des klassischen Reimpaarverses bediente (vgl. Kap. I.4). Wie beim „Nibelungenlied“ bestehen die Titurel-Strophen jeweils aus vier Langzeilen mit vier- bzw. sechshebigem An- und Abvers, die paarweise durch Endreim (aa bb) verbunden sind. Wolfram hat das Metrum relativ variabel gehandhabt. Erst Albrecht hat das Versschema im „Jüngeren Titurel“ vereinheitlicht (Titurelstrophe) und regelmäßige Zäsurreime in der ersten und zweiten Zeile eingeführt (vgl. Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 21 f.; Bumke/ Heinzle 2006, XIX f.; Hartmann 2011, 162–164). Strophische Dichtung wurde in der Regel vorgesungen, doch es ist unklar, ob dies auch für den „Titurel“ gilt. Zu einer Strophe in einer Handschrift des „Jüngeren Titurel“ ist zwar eine Melodie überliefert, aber ob sie auch Wolframs Text zugeordnet werden kann, ist unsicher (vgl. Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 22 f.). Die Strophenform, die das übliche epische Reimpaarschema umgeht, könnte als weiteres Indiz für den Experimentcharakter des Textes gelesen werden. Zugleich ruft sie die heldenepische Tradition auf, in der – wie im „Titurel“ – „der elegische, klagende, rückwärtsgerichtete Ton des Fatalismus“ vorherrschend ist, „der stets sein vorgewusstes düsteres Ende im Blick hat und die Heilszeit der sinnvol-
Strophenform
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V. Liebesroman: Titurel
Sprunghafte Erzählweise
Poetischer Reichtum
Einprägsame Bilder
len Geschehensabläufe des höfisch-arthurischen Romans konterkariert“ (Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 21). Wie Wolfram sich den Aufbau des ganzen Epos gedacht hat, kann angesichts der wenigen erhaltenen Bruchstücke nicht rekonstruiert werden. Auch wie die Handlungslücke zwischen Fragment 1 und 2 geschlossen werden sollte, muss offen bleiben. Was aber auffällt, ist die ungewöhnliche Sprunghaftigkeit und Zusammenhanglosigkeit der Erzählweise, durch die immer wieder unvermittelt die Themen und Perspektiven wechseln, jede Linearität und Chronologie gezielt durchbrochen und im Ergebnis eine „verwirrende Vieldimensionalität“ (ebd., 15) erzeugt wird, deren primärer Zweck gerade die „Verweigerung eindeutiger Sinnbezüge“ (ebd., 21) zu sein scheint. Im „Titurel“ führt Wolfram die bereits aus dem „Parzival“ bekannte Polyphonie divergierender Perspektiven noch einmal auf einen Höhepunkt, und dies lässt sich bis in den Feinbau der Sprache hinein zeigen: „Sätze bleiben offen, Satzteile finden keinen Anschluss, überlange Parenthesen, überkomplizierte grammatische Konstruktionen drohen, die Satzgefüge zu zerschlagen, gesuchte Neologismen und elliptische Metaphern zelebrieren eine Bildlichkeit, die sich funktionaler Anschaulichkeit sperrt“ (ebd., 16). Aus dieser Uneindeutigkeit resultiert die Schwierigkeit, aber auch die Faszination des außergewöhnlichen Romanfragments, und die Forschung hat daraus gefolgert, dass dem Text „nur eine ,dekonstruktivistische‘ Lektüre gerecht wird“ (Mertens 1993, 209), die die konkurrierenden Deutungsperspektiven nicht harmonisiert, sondern ihre Vielstimmigkeit gelten lässt und offen hält. Ungeachtet des z. T. dunklen Stils sind Wolfram im „Titurel“ viele Bilder und Szenen von besonderer literarischer Qualität gelungen. Hinsichtlich der Inkongruenz der vereinigten Metaphern typisch für Wolfram ist z. B. der Vergleich Sigunes, der Tochter der von Munsalvaesche entsandten Gralsjungfrau Schoysiane, mit Samen, der vom Gral in alle Welt gesät wird und dort wie ein Hagelschauer jedes Unheil zerschlägt (vgl. V. 44,2–45,2). Ebenfalls typisch ist die Personifizierung des einsamen Schildes, der mit Gahmuret in den Orient zieht, verbunden mit dem Witz, jeder Schild solle sich für den Fall, dass er im Kampf in Not gerät, besser einen Gefährten suchen, daz im ein ander schilt heiles wunschte, obe dirre schilt kunde niesen (V. 80,4). Daneben gibt es immer wieder starke, fast überzogene Vergleiche, z. B. wenn Wolfram über Sigunes Wirkung auf den im Orient minnekranken Schionatulander sagt, dass die ferne Geliebte zôch ûz sînem herzen die fröude als ûz den bluomen die süeze diu pîe (V. 88,4), Gahmuret Schionatulander mit Du minnen ursprinc, du berndez saf minnen blüete (V. 101,1) anredet oder Sigune ihrem Geliebten versichert, dass eher alle Gewässer in Flammen aufgehen, als dass ihre Liebe vergeht (vgl. V. 77,4). Manche sprachlich stark komprimierten Ausdrücke wie ein urhap fröuden flustbærer zîte (,der Ursprung einer Zeit verlorenen Glücks‘; V. 143,4) oder rhetorisch komplexe Sätze wie Sît er von der wilde hiez, gegen der wilde / si sante im disen wiltlîchen brief (,Da er [Ehcunat = ,von der wilden Blume‘] nach der Wildnis benannt war, schickte sie ihm in die Wildnis diesen ungezähmten Brief‘, nämlich den Hund; V. 158,1 f.) sind kaum adäquat zu übersetzen. Poetische Höhepunkte sind die Klage des Erzählers über die Gefahren der Kinderliebe (vgl. V. 48,1–52,4), der Minnedialog zwischen den Liebenden (vgl. V. 56,1–72,4), das Gespräch Schionatulanders mit Gahmuret (vgl.
5. Aspekte der Interpretation
V. 97,1–112,4) und Sigunes mit Herzeloyde (vgl. V. 116,1–136,4) sowie die Minneklage Sigunes, in der sie – z. T. unter Verwendung traditioneller Topoi des donauländischen Minnesangs – eine Fülle einprägsamer Bilder aufruft, um ihren Zustand zu beschreiben (Fessel und Kette, abendliche Ausschau von der Zinne, Bootsfahrt auf stürmischer See, Liebesglut wie im Vulkanberg; vgl. V. 119,1–126,4). Im zweiten Fragment sind die Beschreibung des Brackenseils (vgl. V. 144,2–151,4) und die Angelszene (Schionatulander mit nackten Beinen im Bach; vgl. V. 159,1 f. u. 164,1–3) poetisch besonders interessant. Auf kommendes Unheil vorausweisend (nu wil sich diz mære geunsüezen; V. 168,2) inszeniert Wolfram beide Protagonisten nach der vergeblichen Verfolgung des Spürhundes am Ende des zweiten Fragments mit eindrucksvoller Bildlichkeit als Verletzte: Schionatulander mit von Dornen zerrissenen Beinen, Sigune mit vom Hundeseil aufgerissenen Händen (vgl. V. 166,1–168,4). All diese Darstellungsmittel stellen eine Steigerung des uns aus dem „Parzival“ bereits Bekannten dar. Sie machen den „Titurel“ zu einem der kühnsten Texte des Mittelalters (vgl. Kiening 2011, 558).
5. Aspekte der Interpretation Im Zentrum des „Titurel“ stehen die Liebe, ihr Wesen und die richtige Art ihrer Verwirklichung im Rahmen der höfischen Wertewelt, ohne dass auf alle aufgeworfenen Fragen eine eindeutige Antwort gegeben würde. Das Fragment entwirft auf der einen Seite ein hohes Ideal: „Liebe bis zum Tod ist das eigentliche Sigune-Thema“ (Bumke 2004, 408). Gleichzeitig wird von Anfang an die Brüchigkeit und Ambivalenz dieses Ideals deutlich, indem es unentwegt mit Abschied, Tod und Trauer verknüpft wird. Damit entwickelt Wolfram im „Titurel“ ein Leitmotiv des „Parzival“ weiter und fügt ihm in neuen Handlungs- und Figurenkonstellationen weitere Perspektiven hinzu. Bereits in der Abdankungsrede des greisen Titurel wird der enge Zusammenhang zwischen ritterlicher Bewährung im Kampf und der Würdigkeit, der Liebe einer Frau teilhaftig zu werden, betont (vgl. V. 3,1–4,4). Später heißt es: minne twinget rîter under helme (V. 50,4). Titurels Erbe ist wâre minne mit triwen (vgl. V. 4,4; Parzival V. 532,10). Liebe stifte kiusche und stætekeit (V. 5,2) und könne nur vom Tod vernichtet werden. Der Tod wird dann auch zum dominanten Thema der Erzählung: Kiot von Katelangen heiratet Schoysiane, doch die geliebte Frau stirbt bei Sigunes Geburt. Sigunes Leben ist somit von Anfang an vom Tod überschattet. Der Erzähler beklagt entsprechend in einer Sentenz, dass Freude sich am Ende immer in Leid verkehre (vgl. V. 17,4). Und so geht es weiter: Kastis stirbt kurz nach der Hochzeit mit Herzeloyde (vgl. V. 26,1–27,4), Tampunteire stirbt, und Sigune muss sich von Condwiramurs trennen (vgl. V. 28,1–4), Gurzgri verliert das Leben im Dienst für Schoydelakurt (vgl. V. 41,4), Gahmuret fällt für den Kalifen (und die Minne) vor Bagdad (vgl. V. 74,1–4), und Ilinot wird in Flories Dienst getötet, die ihm daraufhin nachstirbt (vgl. V. 152,1–153,4). Im Widerspruch zu dieser leidvollen Bilanz preist der Erzähler die unverbildete Kinderliebe zwischen Sigune und Schionatulander als rein und dauerhaft (vgl. V. 46,1–48,4), obwohl er früh andeutet, dass mit leide grôziu liebe was dar zuo gemenget (V. 52,2 f.). Der große Minnedialog zwischen
Höfische Liebe als Leitmotiv
Dialektik von Freude und Leid
Kinderliebe
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V. Liebesroman: Titurel
Leid und Verlust
Das Brackenseil
Sigune und Schionatulander erinnert stark an die traditionellen Formeln des Minnesangs. Gleichzeitig werden diese unterlaufen, indem Sigune darauf verweist, dass die Minne eine zerstörerische Macht sein kann (vgl. V. 69,1–4) und von Schionatulander verlangt, erst durch Ritterdienst ihre Gunst zu erwerben (vgl. V. 71,3 f.). Das tut er an der Seite Gahmurets im Orient, aber es bedeutet auch die Trennung der Liebenden und bringt beiden Seelenqualen. Der Erzähler erklärt dies mit der unentrinnbaren Macht der Liebe, die die Menschen mit ihren Schicksalsfäden (slôzlîchen banden; V. 106,1) in Fesseln lege (vgl. V. 96,1–4), und bringt die Minne (als Vorbereitung der Jagdszene des zweiten Fragments?) auffällig oft mit Jagdmetaphorik in Verbindung (vgl. V. 100,1). Der Grundtenor dieser Liebesbeziehung ist stets nur kumber (V. 132,2), nie Freude. Das ändert sich auch im zweiten Fragment nicht, in dem der Erzähler düster andeutet, dass Schionatulander auf der Suche nach dem Brackenseil jede fröude verkoufen / unt ein stætez trûren dar an enphâhen wird (V. 139,2 f.). Im „Titurel“ ist Liebe Leid und „nicht nur Lebens-, sondern wesentlich auch Todesgemeinschaft“ (Haas 1989, 144): „Deutlicher noch als der ,Parzival‘ legt diese Dichtung Zeugnis ab von der Einsicht, dass das Dasein bei allem Glanz von Leid umgeben sei – erträglich wird die existentielle Trauer allenfalls durch einen geradezu bärbeißigen Humor“ (Brunner 2013, 215 f.). Die Forschung hat daraus die These abgeleitet, dass Wolfram im „Titurel“ das höfische Minneideal dekonstruiere und kritisiere (vgl. Wyss 1974) und darin der bereits aus der Heldenepik bekannte Untergangsautomatismus eine „Diagnose der adligen Wertewelt“ und eine „implizite Kritik des Diesseitsoptimismus der höfischen Literatur“ einschließe (Mertens 1993, 200; vgl. Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 13). Diese Interpretation übersieht jedoch, dass im „Titurel“ das Konzept höfischer Liebe zugleich auf besonders radikale Weise ethisch aufgeladen und ins Absolute gesteigert wird. Auch hier also wieder eine irritierende (und dadurch produktive) Dissonanz von Perspektiven und Stimmen, die auch der Erzähler nicht auflöst, sondern im Gegenteil durch Exkurse und Kommentare sogar noch mit weiteren „Bedeutungsschichten“ (Brackert/Fuchs-Jolie 2003, 14) anreichert, die zu ordnen und sinnvoll aufeinander zu beziehen dem Rezipienten aufgegeben ist. Neben der Minnethematik steht vor allem die Brackenseil-Allegorie seit jeher im Mittelpunkt der Forschung. Auf der kostbaren, von Clauditte für Ehcunat als Geschenk angefertigten Hundeleine steht – in Buchstaben aus Edelsteinen (vgl. V. 147,1 f.) – nicht nur Sentenziöses zum rechten Lebenswandel (vgl. V. 149,1–150,4), sondern vor allem eine schrift (V. 168,4), die eine nicht präzisierte âventiure erzählt (V. 170,1), welche Sigune um jeden Preis zu Ende lesen will. Die Suche nach Hund und Seil sollte offenbar der Ausgangspunkt einer größer angelegten Schionatulander-Geschichte werden. Das originelle Brackenseil-Motiv hat die Forschung nicht nur längere Zeit über Sigunes Schuld am Tod des Geliebten diskutieren lassen (vgl. die Selbstbezichtigung Sigunes im „Parzival“; dazu Neukirchen 2011a, 504–507), sondern es ist sowohl als eine Allegorie der „Suche nach der wahren triuwe“ (Haug 1980, 21) und als „Chiffre für die Suche nach der eigenen Identität“ (Bumke 2004, 414) als auch im Sinne einer poetischen Selbstreflexion gelesen worden, in der der ,Text im Text‘ dazu dient, den Status literarischer Fiktion auszuloten (vgl. Haug 1994). Denn ebenso offen und unein-
6. Rezeptionszeugnisse
deutig wie der Inhalt der nur angelesenen und am Ende sogar ganz verlorenen âventiure ist der „Titurel“ selber.
6. Rezeptionszeugnisse Die Rezeptionsgeschichte des „Titurel“ ist stark an die Wirkung und Verbreitung des im Mittelalter ungleich bekannteren „Jüngeren Titurel“ gebunden, der im 15. Jahrhundert als Hauptwerk der deutschen Literatur galt und 1477 zusammen mit dem „Parzival“ als einziges Epos des 13. Jahrhunderts in Straßburg gedruckt wurde (vgl. Bumke 2004, 421). Es dauerte noch über 300 Jahre, bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts Philologen wie Jacob Grimm und August Wilhelm Schlegel erkannten, dass Albrechts monumentaler Roman kein Werk Wolframs ist und ihm nur die damals bekannten überlieferten Fragmente G und H zugeschrieben werden können. Gleichwohl ist der „Titurel“ nie aus dem Schatten der beiden anderen großen Epen, des „Parzival“ und des „Willehalm“, herausgetreten. Wegen seines Fragmentcharakters und seiner sperrigen Poetik hat die ältere Forschung wenig mit dem Text anfangen können (vgl. Bumke 1970, 335–344). Noch Karl Bertau sprach 1973 von der „völlig verknäuelt[en]“ Sprache des Werkes, die er unangemessen als „Spätstil-Gestammel“ abqualifizierte (Bertau 1973, 1167 f.). Doch es gab immer auch Gegenstimmen. Wolfgang Golther bezeichnete den „Titurel“ schon 1922 in seiner Literaturgeschichte als „unfertige, aber meisterhafte Skizze“ und würdigte besonders die Minnegespräche darin, „die zum Schönsten gehören, was die mittelhochdeutsche Dichtung überhaupt bietet“ (Golther 1922, 223 f.). Ähnlich äußerte sich Gustav Ehrismann, der „die an Töne des Volksliedes erinnernde Liebesklage Sigunes“ als eine der „schönsten Blüten unserer mittelhochdeutschen Literatur“ pries (vgl. Ehrismann 1927, 294). Erst mit dem wegweisenden, überlieferungsnahen Stellenkommentar von Joachim Heinzle setzte 1972 die moderne „Titurel“Forschung ein, in deren Zentrum vor allem Sprache und Form (Erzähltechnik), die Deutung des Fragmenthaften des Werkes, sein Verhältnis zum „Parzival“ sowie die der Handlung zugrunde liegende Minnekonzeption standen (vgl. den Forschungsbericht bei Neukirchen 2011a). Gleichwohl ist das außergewöhnliche Textfragment bis heute Spezialisten-Lektüre geblieben und hat – wohl nicht zuletzt wegen seines „Werkstattcharakter[s]“ (Bräuer 1990, 322) und seiner offenen Struktur – über Fachkreise hinaus keine Wirkung entfaltet.
„SpätstilGestammel“?
„Werkstattcharakter“
81
VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm 1. Handlungsübersicht Vorgeschichte
1. AlischanzSchlacht
Am Königshof
Nach einem Eingangsgebet zu Gott und sanct Willehalm, das zu den kompliziertesten und zugleich großartigsten Texten der mittelhochdeutschen Literatur gehört (vgl. Willehalm V. 1,1–4,18) und einem Prolog (vgl. V. 4,19–5,14) stellt Wolfram dem Heldenepos um Markgraf Willehalm von Orange eine Vorgeschichte voran, in der er erzählt, wie Graf Heinrich von Narbonne seine sieben Söhne enterbt. Wie seine Brüder zieht daraufhin auch Willehalm in die Welt und erwirbt durch ruhmvolle Rittertaten überall wibe minne und herzen gunst (V. 7,4). Er heiratet die Heidin Arabel, die zum Christentum konvertiert und sich auf den Namen Gyburc taufen lässt. Damit finden sich ihr früherer Ehemann, König Tybalt, und ihr Vater Terramer, der oberste Heidenherrscher, nicht ab. Terramer stellt eine gewaltige Streitmacht zusammen und zieht mit Tausenden von Soldaten über das Meer, um Willehalm in der Provence, die er als Markgraf verwaltet, anzugreifen. In Alischanz, einer Ebene im Mündungsgebiet der Rhoˆne, kommt es zu einer furchtbaren Schlacht zwischen Christen und Heiden (vgl. Buch 1 u. 2). Obwohl Willehalm zur Verteidigung 20.000 Soldaten aufbietet, kommt er gegen die Übermacht Terramers nicht an und erleidet eine vernichtende Niederlage. Nur er allein überlebt. Besonders hart trifft den Markgrafen der Tod seines jungen Neffen Vivianz, der nach heldenhaftem Kampf seinen schweren Verletzungen erliegt und wie ein heiliger Märtyrer in Willehalms Armen stirbt (vgl. V. 69,10–16). Nach weiteren Kämpfen kehrt er – in der Rüstung des getöteten Heidenkönigs Arofel – unbemerkt nach Orange zu Gyburc zurück, die ihn in der fremden Rüstung zunächst nicht erkennt. Sie beschließen, dass Gyburc Orange gegen die anrückenden Truppen ihres Vaters verteidigen soll, während Willehalm plant, sich zum Königshof nach Laon durchzuschlagen, um König Ludwig um die Entsendung des Reichsheeres zu bitten. Gyburc hält trotz großer Verluste listenreich die Burg, und Willehalm gelangt über Orle´ans, wo er seinen Bruder Ernalt von Gerunde als Verbündeten gewinnt (vgl. V. 115,7–125,2), nach Laon, wo ihm wider Erwarten ein feindseliger Empfang bereitet wird (vgl. Buch 3 u. 4): Die Königin, seine Schwester, weist ihn ab (vgl. V. 129,19–130,2). Der Kaufmann Wimar nimmt ihn für die Nacht bei sich auf (vgl. 130,17–138,19). Am nächsten Tag begibt sich Willehalm demonstrativ in voller Rüstung an den Königshof, wo gerade ein Hoftag abgehalten wird. Vom Kampf gezeichnet, platzt er in die erlesene Gesellschaft der versammelten Fürsten, unter denen auch Willehalms Eltern sind. Der Hof will von der Not des Markgrafen nichts wissen. Als die Königin sein Hilfegesuch arrogant zurückweist, kommt es zum Eklat: Bebend vor Zorn reißt Willehalm seiner Schwester die Krone vom Kopf und ergreift sie an den Zöpfen; nur das Einschreiten ihrer beider Mutter verhindert, dass Willehalm sie erschlägt (vgl. V. 147,11–148,2). Willehalms Be-
1. Handlungsübersicht
richt über die Katastrophe von Alischanz bewegt schließlich nach vielen weiteren Verhandlungen sowie der Vermittlung der Eltern Willehalms, der anmutigen Tochter des Königs, Alyze, und der inzwischen reuigen Königin den bis zuletzt zögerlichen König und die Reichsfürsten dazu, ihre Hilfe zuzusagen und ein schlagkräftiges Heer aufzustellen, um im Namen der kristenheit (V. 182,26) die Heiden aus der Provence zu vertreiben und Orange zu befreien. Vor der Abreise lernt Willehalm Rennewart kennen, Terramers Sohn, der einst von Sklavenhändlern an den Königshof verkauft worden war und jetzt dort zur Strafe niedrige Dienste in der Küche leisten muss, weil er sich nicht taufen lassen wollte. Er hat übermenschliche Kräfte, seine Waffe ist eine schwere, mit Stahlbändern beschlagene Stange. Im Verlauf des Epos vergisst der Haudegen sie immer wieder und muss sie holen gehen, was Wolfram zum Einschub manch burlesker Nebenszene nutzt. Willehalm wählt den ungewöhnlichen Helden zum Knappen. Unter dem Oberbefehl Willehalms zieht das gewaltige christliche Heer dann über Orle´ans nach Orange, das unverändert von Terramers Truppen belagert wird. Rennewart zieht zu Fuß in die Schlacht, allerdings nicht um der Verteidigung des Christentums willen, sondern um mit seiner Familie abzurechnen, der er vorwirft, ihn im Stich gelassen zu haben (vgl. V. 292,10–293,20). Bevor das Heer bei Gyburc eintrifft (Buch 5 u. 6), schiebt Wolfram ein großes Religionsgespräch ein, das Gyburc unterdessen in einer Kampfpause mit ihrem Vater geführt hat (vgl. V. 215,8–221,27). Darin gibt sie dem dreieinigen Gott den Vorzug vor allen heidnischen Göttern. Ein letztes Mal führen Terramers Truppen einen erbitterten Sturmangriff gegen die nur von Gyburcs kleiner Besatzung tapfer gehaltene Burg, deren unheilverkündenden Feuerschein das Christenheer schon von weitem sieht (vgl. V. 223,7–224,4). Willehalm trifft in Orange ein und begrüßt Gyburc, die die Festung in Ritterrüstung manlich, ninder als ein wip (V. 226,30), verteidigt hat. Die Heiden sind abgezogen, die Franzosen schlagen ihr Lager auf. Immer mehr Truppen verbündeter Fürsten treffen ein, darunter auch die von Willehalms Vater Heimrich und seinen Brüdern. Gyburc berichtet ausführlich von den zurückliegenden Kämpfen (vgl. V. 252,29–259,12) und bezeichnet sich selbst als schur siner hantgetat (,Geißel der Schöpfung‘), weil sie der Auslöser des Konflikts und der Anlass für so viele Opfer sei. Bei dem folgenden Festmahl nimmt auch Rennewart an der Tafel Platz und gerät über die Spielereien einiger Knappen mit seiner Stange in Rage (vgl. V. 275,13–277,10). Als alle zur Ruhe gegangen sind, kommt es in der Küche zu einem weiteren Tumult, als der jähzornige Hüne den Küchenmeister kurzerhand ins Feuer wirft, nachdem dieser sich einen Spaß erlaubt und dem schlafenden Rennewart mit einem brennenden Holzscheit den Bart versengt hatte (vgl. V. 285,23–286,18). Sein Jähzorn hat, wie sich erst nach und nach herausstellt, mit lange zurückliegenden Verletzungen und Kränkungen zu tun. Wolfram nutzt die Szene für einen Witz unter Anspielung auf Walthers „Spießbratenspruch“ (vgl. V. 286,19–22; dazu Heinzle 1991, 1013 f.). Zwischen Rennewart und Gyburc, die erkennt, dass er uz ir geslehte (V. 291,28) ist (nämlich ihr Bruder), kommt es zu einem langen Gespräch (vgl. V. 290,1–295,30), in dem der Heide der Königin von seiner Herkunft erzählt. Von ihr erhält er die Rüstung König Synaguns. Als ein großer Teil der
Rennewart
Religionsgespräch
Oransche
Gyburcs Schonungsgebot
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
2. AlischanzSchlacht
Kunstvolle Schlachtdarstellung
französischen Soldaten feige flüchten und nach Hause zurückkehren will (wie später noch einmal, vgl. V. 321,1–328,5), hält Rennewart sie auf, so dass sie doch noch alle daz kriuze nehmen (V. 304,19), d. h. zum Kreuzzug gegen Terramer entschlossen sind. Bevor das Christenheer in die Schlacht zieht, hält Gyburc ihre berühmte Rede, in der sie die Ritter auffordert, die heidnischen Gegner auch im Krieg als Geschöpfe des einen Gottes menschenwürdig und mit Respekt zu behandeln (sog. Schonungsgebot; vgl. V. 306,2–310,30 u. Kap. II.3). Mit dem Wunsch, got waldes, sit ers alles phliget (V. 313,29), entlässt der Erzähler Willehalms Heer in die Schlacht. Wie eine Klammer umschließen und strukturieren die beiden AlischanzSchlachten die gesamte Handlung des „Willehalm“, und so sind die drei letzten Bücher (7–9) vollständig der zweiten Schlacht gewidmet, die mit dem Sieg der Christen endet. Nach einer Rede, in der Willehalm den bevorstehenden Kampf als Glaubenskrieg ausweist (vgl. V. 322,4–17), greifen die Verbündeten des Markgrafen unter dem Zeichen eines goldenen Sterns an (aufgrund der Feigheit der Königstruppen nicht mehr unter der Reichsflagge; vgl. V. 328,6–12 u. 332,21–30). Rennewart, den Willehalm zum Anführer des Reichsheeres ernennt, tut sich mit seiner todbringenden Stange im Kampf besonders hervor – und macht grundsätzliche keine Gefangenen (vgl. V. 388,20–24). Terramer, der selber die rœmische krone (V. 340,9), d. h. die Weltherrschaft, beansprucht, wirft zehn Reiterverbände unter Führung seiner zehn Söhne in die Schlacht. Seine Männer unterstellen sich dem Schutz ihres Gottes Tervagant, die Christen lassen sich von Christus führen (vgl. V. 351,28–352,17). Beide Seiten bezichtigen sich gegenseitig des Unglaubens und ziehen daraus Kraft für ihren Glaubenskrieg. In Bezug auf ihre Tapferkeit und Würde, das betont der Erzähler immer wieder, sind Christen und Heiden einander ebenbürtig. In kunstvollem Wechsel zwischen Detailaufnahme und Totale schildert Wolfram das brandungsähnliche Gewoge (suochen und vinden; V. 375,4) der gewaltigen Schlacht, die an Dramatik und heilsgeschichtlicher Bedeutung einem Weltkrieg gleichkommt. Darin blinkt an vorderster Front unentwegt als Heilszeichen (vgl. den indirekten Vergleich mit dem Stern von Bethlehem; V. 369,12–21) das Sternenbanner Willehalms auf (das im 14. Jahrhundert vom Maler des Wolfenbütteler Bilderzyklus’ in der „Willehalm“-Hs. Wo eindrucksvoll wiederaufgenommen wurde; vgl. Diemer 1991, 1093–1115; Brunner/Schrenk 2010, 50). Mal schwenkt die Kamera des Erzählers auf prächtige Pferdedecken, kostbare Kleidungsstücke, figürliche Wappen und bunte Helmzieren, mal auf Einzelkämpfe, dann wieder auf die Bewegung großer Reiterkontingente. So bleibt die lange Schlachtschilderung jederzeit fesselnd und abwechslungsreich. Auf beiden Seiten fallen unablässig Scharen edler Ritter und Könige, die vom Erzähler zuvor oft ausführlich beschrieben und vorgestellt werden, und für deren Tod er das starke Wort mort (,Gemetzel‘; V. 401,30) wählt. Von Christen und Heiden wird – vom Erzähler mit immer neuen Bildern und Vergleichen ausgemalt – gleichermaßen guote riterschaft (V. 379,20) geleistet. Das Heidenheer wird dabei immer wieder in seiner fremdartigen Exotik beschrieben, wenn es z. B. die durch eine grün schillernde Hornhaut gepanzerten Männer König Gorhants mit sich führt, die zu Fuß und mit ganz und gar unhöfischen Eisenkeulen kämpfen (vgl. V. 395,15–26), oder wenn König
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
Purrel von Nubiant einen Helm aus undurchdringlichem Drachenleder trägt (V. 426,11–30). Am Ende flüchten die Heiden in die Berge, ans Meer, in den Sumpf oder desertieren; die Übermacht der Christen und ihrer herausragenden Helden, besonders Rennewarts und Willehalms, ist zu groß geworden: hoch was der Provencale vane, / da der stern von golde ane / lac der richeit gelich (V. 433,13–15). Entscheidend für den Sieg der Christen ist Rennewarts Leistung in der Schlacht: Wo er mit seiner Stange kämpft, haben die Heidenfürsten keine Chance. In Wahrheit aber, so der Erzähler, sorge Gott für den Sieg Willehalms und seiner Verbündeten, deren eigentliche Rüstung ja die Taufe sei (vgl. V. 435,5–11). Willehalm besiegt Terramer, bezeichnenderweise indem er mit dessen Rüstung zugleich das Wappenbild, den Gott Kahun, spaltet; schwer verwundet wird der Oberbefehlshaber der Heiden auf sein Schiff gebracht (vgl. V. 443,13 f.). Nach dem Ende der Schlacht ist die Bilanz des Erzählers mit Blick auf die ungeheuren Opfer, die beide Seiten gebracht haben, zwiespältig und ohne jeden Triumphalismus: der marcgrave hete den sige / mit grozem schaden errungen / und jamers da betwungen / manec getoufet herze (V. 445,14–17). Nachdenklich fragt er, ob es eigentlich als Sünde anzusehen sei, dass man die Heiden auf Alischanz sluoc alsam ein vihe (V. 450,17). Auch Willehalms Grundstimmung ist tiefe Trauer, nicht Siegesfreude (vgl. V. 454,15–455,23). Als tragisches Signum des Verlustes wird immer wieder Vivianz aufgerufen. Willehalm nennt den Sieg eine Niederlage für sein Herz (vgl. V. 459,26–29). Die Toten werden bestattet, die Fürsten einbalsamiert und in ihre Länder überführt. Der künftige Heilige lässt auch die Leichen der heidnischen Könige ehrerbietig einsammeln, einbalsamieren und zu Terramer bringen, damit sie in ihre Heimat gebracht werden können. Er tut dies, um Gyburcs art zu ehren (vgl. V. 466,16–24). Am zweiten Tag nach der Schlacht verlässt Willehalm die Provence. Rennewart ist und bleibt verschwunden und wird von ihm schmerzlich vermisst. Darüber, wie es weitergegangen wäre, lässt sich nur spekulieren: Das Heldenepos bricht bei V. 467,23 unvermittelt ab, mitten in einem Dreißiger. Wolfram hat das Werk nicht mehr zu Ende geführt; möglicherweise hat sein Tod dies verhindert (vgl. Heinzle 1991, 793; Gerhardt 2011, 594 f.).
Sieg der Christen
Große Verluste auf beiden Seiten
Abbruch des Textes
2. Überlieferung und Editionsgeschichte Der „Willehalm“ ist mit 79 Textzeugen, darunter 12 vollständigen Handschriften, eines der am reichsten überlieferten Epen des Mittelalters. Die vollständige Überlieferung mit allen bisher bekannten Textzeugen bildet online das „Marburger Repertorium“ ab (http://www.handschriftencensus.de/ werke/440). Auch im Wolfram-Handbuch ist eine Liste aller Handschriften abgedruckt (vgl. Klein 2011, 973–988). Hier seien zumindest die 12 vollständigen Handschriften aufgeführt (Grundlage aller Editionen ist G als die älteste vollständige und beste Handschrift):
79 Handschriften
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Sigle
Bilderhandschriften
Bibliothek / Signatur
Datierung
B
Berlin, Staatsbibliothek, mgf 1063
20er-Jahre 14. Jh.
C
Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7010 (W) 355
ca. 1460/67
E
Cologny-Genf, Bibliotheca Bodmeriana, Cod. Bodm. 170
2. Drittel 15. Jh.
G
St. Gallen Stiftsbibliothek, Cod. 857
2. Drittel 13. Jh.
H
Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cpg 404
Anfang 14. Jh.
Ha
Hamburg, Staats- u. Universitätsbibliothek, Cod. germ. 19
ca. 1400/30
K
Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best 7010 (W) 357
1437
Ka
Kassel, Universitätsbibliothek, 2° Ms. poet. et roman. 1
1334
L
Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. II. 127
1. Hälfte 14. Jh.
V
Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. 2670
1320
W
Wien, Österr. Nationalbibliothek, Cod. Ser. nova 2643
1387
Wo
Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. 30.12 Aug. 2°
2. Hälfte 14. Jh.
Zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert muss das Werk sehr geschätzt und viel gelesen (bzw. vorgetragen) worden sein. Zusätzlich überliefern die „Weltchronik“ Heinrichs von München (vor 1350; Fragmente 65, 66, 67, 70) und eine „Arabel“-Handschrift (Fragment 69) Partien des Textes. Am wichtigsten ist erneut die St. Galler Sammelhandschrift G (cod. 857), die als einzige noch aus dem 13. Jahrhundert stammt und u. a. auch den „Parzival“, das „Nibelungenlied“ und das Karlsepos des Strickers enthält (vgl. dazu ausführlich Gerhardt 2011, 624–627). In acht der vollständigen Handschriften ist der „Willehalm“ zusammen mit der Vorgeschichte Ulrichs von dem Türlin („Arabel“) und der Fortsetzung Ulrichs von Türheim („Rennewart“) überliefert. Im Mittelalter hat man die drei Werke, die zusammen ein Textkorpus von mehr als 60.000 Versen ergeben, offenbar als Einheit gesehen und als zusammenhängende Heiligenlegende gelesen, obwohl die späteren Weiterdichtungen sich hinsichtlich ihrer literarischen Qualität und ihrer Haltung zur Kreuzzugsideologie von Wolframs „Willehalm“ erheblich unterscheiden (vgl. Heinzle 1991, 802 f.; Hennings 2011, 558). Bemerkenswert ist vor allem die große Zahl prächtig illustrierter Handschriften, die u. a. im Auftrag Heinrichs II. von Hessen und König Wenzels angefertigt wurden. „Im späten 13. und im 14. Jahrhundert wurde der ,Willehalm‘ häufiger und aufwendiger illustriert als alle übrigen zeitgenössischen
2. Überlieferung und Editionsgeschichte
Werke der höfischen Dichtung“ (Diemer 2011, 637). Man sah in dem Epos ein bedeutendes Geschichtswerk und zugleich eine ehrwürdige Heiligenvita; beides veranlasste offenbar die fürstlichen Auftraggeber, besonders hochwertige Ausstattungen zu bestellen. Überliefert sind neun Handschriften mit aufwendigem Initialenschmuck und farbigen Miniaturen (vgl. ebd., 640–647), in denen z. T., wie in der nur fragmentarisch erhaltenen „Großen Bilderhandschrift“ (München/Nürnberg; spätes 13. Jahrhundert), Hunderte von Bildszenen vorgesehen waren (s. Abb. 5). Besonders prächtig ist auch die großformatige Wolfenbütteler Sammelhandschrift Wo (Cod. 30.12. Aug. 28), die 55 qualitativ hochwertige Bilder auf Einzelblättern enthält, auf denen Willehalm im Kampfgetümmel stets durch einen Stern als Helmzier kennt-
Abb. 5: Willehalms Sorge um Gyburg (unten), Cgm 193,III, V. 161,20–162,22
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Ausgaben
lich gemacht ist (vgl. Diemer 1991, 1100–1111). Dass die tatkräftigen Fürsten (und nicht der schwache König) im „Willehalm“ als „die wichtigsten Repräsentanten politischer Macht“ (Bumke 1999, 1404) erscheinen und von einem Ritter-Heiligen angeführt werden, mag ein Grund dafür gewesen sein, dass im 14. Jahrhundert wohlhabende Fürsten das Heldenepos als Spiegel ihres Selbstbewusstseins besonders schätzten und in repräsentativen Handschriften besitzen wollten (vgl. Ott-Meimberg 1984, 97 f.). Über lange Zeit bot Lachmanns Ausgabe von 1833 den maßgeblichen Text. Im 20. Jahrhundert wurden zwei neue Editionen erarbeitet, die heute sowohl für Forschungszwecke als auch für die Lektüre herangezogen werden müssen: Zum einen die Ausgabe von Werner Schröder (Schröder 1978), die in einer Studienausgabe mit der Übersetzung von Dieter Kartschoke erhältlich ist (Schröder/Kartschoke 2003, zuerst 1989); zum anderen von Joachim Heinzle in der „Bibliothek deutscher Klassiker“ (Heinzle 1991; mit Übersetzung u. Stellenkommentar), die jetzt auch als günstige Taschenbuchausgabe angeboten wird (Heinzle 2009) und 1994 mit weiteren Beigaben (u. a. Auflistung sämtlicher Fragmente), aber nur mit dem mittelhochdeutschen Text, auch in der Reihe „Altdeutsche Textbibliothek“ erschienen ist (Heinzle 1994a). Verschiedene Textzeugen sind als Faksimile greifbar (vgl. Heinzle/ Decke-Cornill 2011, 1015); über das „Marburger Repertorium“ (http:// www.mr1314.de) lassen sich zahlreiche Fragmente und Einzelseiten der „Willehalm“-Kodizes auch online aufrufen.
3. Quellen und Tradition Wilhelm der Heilige
Geste de Guillaume
Wolframs Epos steht in der europäischen Tradition der Wilhelms-Epen, die ihren Ursprung in den „Chansons de geste“ haben (vgl. Kap. I.2). Diese französische Epentradition umfasst verschiedene, zyklisch miteinander verknüpfte Erzählungen rund um Guillaume d’Orange, dessen historisches Vorbild Wilhelm der Heilige ({ 812) ist, den Karl der Große 790 zum Grafen von Toulouse ernannt hatte. 793 unterlag er mit seinen Truppen einem Beutezug der Araber in Südfrankreich, drängte diese aber nach Spanien zurück. Im Jahr 801 war er an der fränkischen Rückeroberung Barcelonas durch Ludwig den Frommen beteiligt. Wilhelm gründete das Kloster Gellone (seit dem 12. Jahrhundert St.-Guilhem-du-Désert, Region Languedoc-Roussillon), trat 806 selber dort ein und lebte dort als Einsiedler bis zu seinem Tode. Vom Volk bald als Heiliger verehrt, wurde Wilhelm 1066 kanonisiert (vgl. LMA 9, 151 f.). Die kirchliche Verehrung erstreckte sich von Aquitanien und der Provence aus bis ins Rheinland und nach Westfalen (vgl. Bumke 2004, 376 f.). Um seine Figur entstand eine reiche Erzähltradition: die Geste de Guillaume mit 24 Heldenliedern, die zwischen dem beginnenden 12. und dem 14. Jahrhundert verfasst wurden und in deren Mittelpunkt ein aquitanisches Fürstengeschlecht um Herzog Wilhelm, Graf von Toulouse, steht, der das Reich für den Kaiser gegen die Sarazenen verteidigt (vgl. Hennings 2011, 544–547); das älteste dieser Epen ist die „Chanson de Guillaume“ (ca. 1170). Sie liegen in zwei größeren Sammlungen vor (Wilhelms- u. Aimerizy-Zyklus), zu denen u. a. Chansons über Vivien („Enfances Vivien“, „Che-
3. Quellen und Tradition
valerie Vivien“), Willehalms Eroberung der von den Sarazenen besetzten Stadt Orange („Prise d’Orange“) und die Heldentaten von Wilhelms Vater Aimerie und seiner Brüder gehören. Insgesamt handelt es sich um ein weit verästeltes Erzählkorpus, das im Laufe der Zeit immer mehr Handlungsstränge integrierte und nicht nur die verschiedenen Lebensalter Wilhelms, sondern auch die Taten seiner Vorfahren und Verwandten umfasste. Wie bei Wolfram steht bereits in den französischen Erzählungen einer aktiven und kampfbereiten Vasallenschaft Ludwig der Fromme als passiver und handlungsunfähiger König gegenüber (vgl. Ott-Meimberg 1984, 92–94), und da im Mittelalter adelige Würde immer eine edle Herkunft braucht, ist das Verwandtschaftsnetz um Willehalm breit entfaltet und reich an heldenhaften Vorfahren. Die französische Tradition kennt auch die Figur des guten Riesen Rainouart, des Bruders der Guibourc, der einen Baumstamm als Waffe benutzt. Insgesamt ist die Überlieferung durch eine große inhaltliche Variationsbreite gekennzeichnet, die auf die Herkunft des Stoffes aus mündlichen Traditionen hinweist. Von jedem Heldengedicht existieren mehrere, gleichberechtigt nebeneinander stehende Fassungen, so dass sich die Suche nach einem ,Original‘ als aussichtslos (und methodisch fragwürdig) erwiesen hat. Für die deutsche Tradition der Wilhelmsdichtung waren besonders die „Chanson de Guillaume“ und das Epos „Bataille d’Aliscans“ bedeutend (vgl. vgl. Ott-Meimberg 1984; Hennings 2011, 557–584; Hennings/Knapp 2014). Durch Wolfram wurde der französische Stoff für die deutschen Literatur gewonnen. Ulrich von Türheim hat nach 1243 unter Rückgriff auf verschiedene Chansons des Wilhelm-Zyklus’ das „Willehalm“-Fragment mit einem „Rennewart“-Roman fortgesetzt, in dem der riesenhafte Heide getauft wird, Alyze heiratet und schließlich, wie Gyburc und Willehalm, in ein Kloster eintritt. Immer wieder kommt es zu Kämpfen zwischen Christen und Heiden, in denen Rennewart unerschrocken seine neue Religion verteidigt. Sein Sohn Malefer wird zum Kreuzritter, der Terramer bekämpft und die Heidenmission zu seiner Aufgabe macht. Nicht das Ende, sondern die Vorgeschichte des „Willehalm“ hat Ulrich von dem Türlin interessiert, der in seinem um 1261/69 entstandenen „Arabel“-Roman erzählt, wie Willehalm die Heidin Arabel zur Frau gewinnt. Hintergrund sind wieder die Kämpfe zwischen Christen und Heiden, in deren Verlauf Willehalm gefangen genommen und auf Tybalts Burg gebracht wird. Arabel verliebt sich in den Gefangenen, beschließt, zum Christentum zu konvertieren und flieht zusammen mit Willehalm und einigen Gefährtinnen. In Avignon wird Arabel vom Papst auf den Namen Gyburc getauft. Nach einigen Jahren einer friedvollen Regentschaft Willehalms und Gyburcs will Tybalt Rache nehmen und rückt mit einer gewaltigen Armee heran. An dieser Stelle setzt Wolframs „Willehalm“ ein. Wolframs Hauptquelle, deren Handlungssequenzen er ungeachtet der neuen Nuancierung des Sinns der Ereignisse im Großen und Ganzen folgt, war das gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandene Epos „Bataille d’Aliscans“ (vgl. die Übersetzung in Knapp 2013), das in 13 vollständigen Handschriften überliefert ist, und das er zu einer von der Forschung als „Legenden-Roman“ (Heinzle 1991, 798) bezeichneten eigenständigen Dichtung umgearbeitet hat. Welche Fassung ihm genau vorgelegen hat, ist nicht ge-
Ulrich von Türheim
Ulrich von dem Türlin
„Bataille d’Aliscans“
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90
VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Weitere Quellen
„Rolandslied“
klärt (vgl. Bumke 2004, 384–388; Hennings 2011, 548–557). Besorgt wurde ihm der französische Text vom Landgrafen Hermann von Thüringen (vgl. Willehalm V. 3,8–11), in dessen Auftrag die deutsche Bearbeitung offenbar erfolgte. „Aliscans“ erzählt, wie sich Markgraf Guillaume nach der verlorenen Schlacht gegen die Heiden bei Aliscans nach Orange durchschlägt, wo Guibourc ihn überzeugt, beim König in Laon um Hilfe zu bitten. Ludwig lässt sich nach langem Zögern schließlich überzeugen, ein Heer mit 100.000 Rittern aufzustellen, um die vernichtende Niederlage zu rächen und Orange zu befreien. Am Königshof lernt Guillaume den Hünen Rainouart kennen, der im Kampf eine aus dem Stamm einer Tanne gefertigte Keule (tinel) gebraucht und damit in Guillaumes Dienst in der zweiten AliscansSchlacht große Heldentaten vollbringt. Am Ende gibt Rainouart seine Identität preis, so dass Guibourc in ihm ihren vermissten Bruder erkennt. Er lässt sich taufen und erhält die Ritterweihe. In einigen Fassungen heiratet Rainouart Aelis und zeugt mit ihr einen Sohn, Maillefer (vgl. die Inhaltsübersicht bei Knapp 2013, 6–9). Welche Chansons Wolfram darüber hinaus gekannt hat, kann nur vermutet werden. Viele tiefgreifende Abweichungen von den Vorgaben des „Aliscans“-Epos legen jedoch den Schluss nahe, dass er – möglicherweise nur vom Hörensagen – zumindest „eine grobe Kenntnis anderer Chansons de geste bzw. Chansons-de-geste-Motive gewonnen hat“ (Hennings 2011, 549). Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass Wolfram neben der französischen auch die deutsche Heldenepik rezipiert hat, insbesondere das „Nibelungenlied“ und das „Rolandslied“ des Pfaffen Konrad (vgl. Hartmann 2011, 200–202). Beide Texte werden mehrfach direkt oder indirekt aufgerufen, z. B. als sich Willehalm am Königshof provozierend in Richterpose hinsetzt, wie es sich zuvor Hagen vor Kriemhild herausgenommen hatte (vgl. Nibelungenlied V. 1784,2; dazu Heinzle 1991, 936 f.). Als Bezugstext zentral ist Konrads „Rolandslied“, das – wie der „Willehalm“ in der Tradition der Karlsepen stehend – mit seiner Kreuzzugsthematik, seinem Heidenbild und vielen Einzelzügen von Figuren und Handlungselementen als Vergleichs- (und Kontrast-)Folie stets präsent gehalten wird. Hennings hat im „Willehalm“ 70 explizite Anspielungen auf das „Rolandslied“ gezählt (vgl. Hennings 2011, 585). „Der Glaubenskrieg Willehalms ist gleichsam als eine Wiederholung von Karls und Rolands großen Taten aufgefasst“ (Ehrismann 1927, 277). Wolfram verknüpft z. B. die Schlacht bei Alischanz mit jener von Roncevaux (vgl. Willehalm V. 178,22–24), übernimmt heidnische Herrschertitel (admirât; vgl. V. 432,16), vergleicht Bernhards von Brubant Signalhorn mit Rolands Olifant (vgl. V. 447,1–5) und lässt Terramer genauso wie sein Pendant im „Rolandslied“, Baligan, die Hand nach der Weltherrschaft ausstrecken (vgl. V. 339,30–340,11). Die Bezüge reichen bis zu heraldischen Figuren (Terramers Wappen; vgl. V. 441,4–18) und Götternamen (Apollo, Jupiter, Muhammad, Tervagant), aber auch bis zu (angeblichen) Spezialitäten des Islam, z. B. die polytheistische Göttervielfalt (das „Rolandslied“ kennt 700) und die Sitte, Menschen als Götter zu verehren. Dass die Heiden grausam sind und mit unritterlichen Methoden kämpfen, ist ebenfalls ein Klischee, das Wolfram aus dem älteren Heldengedicht entnommen hat (vgl. Hartmann 2013, 435–437). Ihm war offensichtlich daran gelegen, durch die durchgängige Parallelisierung der beiden Kreuzzüge die welt-
4. Sprache und Poetik
historische Bedeutung des Geschehens im „Willehalm“ herauszustellen und das dem Publikum bereits bekannte Sinnpotenzial des Vorgängerwerkes und die Wertigkeit seiner Figuren zu nutzen – ohne jedoch dessen schroff dualistisches Welt- und Menschenbild unmodifiziert zu übernehmen (vgl. Ashcroft 2002; Gerok-Reiter 2002).
4. Sprache und Poetik Struktur Der „Willehalm“ folgt formal dem höfischen Reimpaarvers wie der „Parzival“ (mit allen verstechnischen und rhetorischen Wolfram-Spezifika; vgl. Kap. IV.4). Lachmann hat 1833, ausgehend von den Großinitialen in der St. Galler Handschrift G, das unvollendete Heldengedicht in neun Bücher eingeteilt. Der Großbau ist klar strukturiert: Nach dem Prolog mit dem berühmten Eingangsgebet (vgl. V. 1,1–5,14) folgt in den Büchern 1 und 2 die erste Alischanz-Schlacht, die mit der Niederlage der Christen endet. Der Mittelteil des Epos handelt von den Ereignissen am Königshof in Laon (Bücher 3/4) und der Befreiung von Orange (Bücher 5/6). In den drei letzten Büchern kehrt das Geschehen nach Alischanz zurück, wo die zweite Schlacht stattfindet, die mit dem Sieg der Christen endet (Bücher 7–9). Der „Willehalm“ hat anders als der geographisch viel komplexere „Parzival“ somit nur drei direkte Schauplätze. Indirekt wird die Bedeutung des Geschehens jedoch durch den Erzähler auf die ganze, Orient und Okzident umspannende Welt ausgedehnt und erhält dadurch „eine universale Dimension“ (Bumke 2004, 355). Die beiden großen Etappen des Glaubenskrieges, die Schlachten, rahmen die Handlung und sind die prägenden Eckpfeiler des epischen Spannungsbogens (vgl. ebd., 351 f.). Graphisch lässt sich die Struktur folgendermaßen darstellen: Buch Alischanz 1 2
3
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Religionsgespräch Gyburc/Terramer – Wiedersehen und Festmahl – Rennewarts Wutausbruch
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Oransche
Unehrenhafter Empfang – Misshandlung der Königin – Hilfszusage des Königs – Rennewart
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Munleun
1. Schlacht Niederlage der Christen – Vivianz’ Tod – Flucht Willehalms nach Oransche
2. Schlacht Sieg der Christen – Rennewarts Verschwinden
Schlachten als Rahmen
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Die Problematik der von Lachmann in Anlehnung an die Großinitialen in der St. Galler Handschrift G vorgenommenen Einteilung in Bücher ist beim „Willehalm“ dieselbe wie beim „Parzival“ (vgl. Kap. IV.2). Eberhard Nellmann hat daher auch für ihn vorgeschlagen, die Strukturierung eher an den Erzählabschnitten zu orientieren, die der Erzähler durch gliedernde Bemerkungen selber markiert. Durch die Analyse der Erzählerkommentare kommt Nellmann zu folgenden sieben Phasen, die nur teilweise mit den Büchern Lachmanns übereinstimmen (vgl. Nellmann 1973, 127):
2. 3. 4. 5. 6.
V. 1,1–5,15 V. 5,16–108,30 V. 5,16–11,30 V. 12,1–26,1 V. 26,2–48,5 V. 48,6–69,16 V. 69,17–108,30 V. 109,1–161,30 V. 162,1–214,30 V. 215,1–313,30 V. 314,1–360,28 V. 360,29–399,6
7.
V. 399,7–?
1. a. b. c. d. e.
Dreißiger
Zeitstruktur
Prolog Erste Schlacht. Einschließung Oranges Vorgeschichte bis zur Landung der Heiden Bis zu Vivianz’ erster Verwundung Bis zu Vivianz’ 2. Verwundung Bis zu Vivianz’ Tod Willehalm entkommt den Heiden Laon: Willehalms triuwe und Zorn Laon: Versöhnung und Hilfe Orange: vreude und klage Alischanz: Aufmarsch der Heere Alischanz: Zweite Schlacht bis zum Eingreifen Terramers Alischanz: Terramers Niederlage und Abzug
Besonders die erste Phase, in der die erste Alischanz-Schlacht geschildert wird, ist durch zahlreiche Erzählerkommentare in weitere Teilphasen untergliedert. Nellmann muss selber bekennen, dass auch diese Phasengliederung nicht ganz glatt aufgeht, erklärt dies aber mit der Unfertigkeit des Werkes, dessen Feingliederung Wolfram womöglich später noch nachjustiert hätte, wenn er dazu gekommen wäre. Er gibt dieser im Text selbst nachweisbaren Unterteilung gleichwohl den Vorzug vor Lachmanns ,Büchern‘: „Die Absicht der Gliederung ist erkennbar und wir haben sie zu respektieren – eher zu respektieren jedenfalls, als die Ausstattung der Handschriften mit Initialen, die immer auch vom Willen der Schreiber abhängt“ (Nellmann 1973, 128 f.). Wie der „Parzival“ folgt auch der „Willehalm“ – u. a. ausgehend von den Kleininitialen der Handschrift G – dem Dreißigerschema. Vielfach decken sich die Abschnitte von 30 Versen mit inhaltlichen Einheiten, z. B. der sukzessiven Beschreibung der Truppenverbände auf Alischanz (vgl. V. 362,1–365,30), Gyburcs fünf Dreißiger umfassendem Aufruf zur Schonung der Heiden (vgl. V. 306,1–310,30) oder Terramers zwei Dreißiger langen Rede über seinen Anspruch auf die Weltherrschaft (vgl. V. 337,1–339,2). Daher liegt trotz aller Unsicherheiten wie beim „Parzival“ die Vermutung nahe, dass Wolfram auch im „Willehalm“ selbst die Gruppierung vorgenommen und womöglich sogar (auf Wachstafeln?) in Dreißiger-Päckchen gedichtet hat (vgl. Bumke 2004, 353 f.; Hartmann 2011, 172 f.). Zeitlich erstreckt sich die Handlung über gerade einmal vier Wochen, die wichtigsten Ereignisse sind auf nur vier Tage konzentriert (1. Schlacht, Verhandlung in Laon, Fürstenrat in Orange, 2. Schlacht). Indem der Erzähler Zeiteinheiten, besonders den tac, implizit immer wieder an den heilsgeschichtlichen Zeitstrahl anbindet, z. B. durch die sprachliche Parallelisierung der Schlacht mit dem Tag des Jüngsten Gerichts (urteillicher tac; vgl.
4. Sprache und Poetik
z. B. V. 13,4; 134,23; 452,23), verleiht er der erzählten Zeit zugleich eine eschatologische Dimension und erhebt Willehalms Glaubenskrieg in den Rang einer welthistorischen Tat durh got (V. 320,1). Blicklenkung und Schlachtdarstellung Wie schildert man im Medium der Sprache ein dynamisches Schlachtgeschehen mit unzähligen Figuren, Einzelkämpfen und Truppenbewegungen? Wie erzählt man über Tausende von Versen eine Schlacht, ohne dass die Darstellung durch Wiederholung der ewig gleichen Gefechte monoton wird und der Rezipient ermüdet? Wolfram ist dies glänzend gelungen durch eine variantenreiche Kunst der Blicklenkung und des Perspektivenwechsels, die in der mittelalterlichen Literatur ihresgleichen sucht. „Er wechselt beständig zwischen Detail und Totale, zwischen subjektiver und objektiver Perspektive, vor allem auch zwischen den beiden Lagern hin und her“ (Kiening 1993, 216). Dadurch entsteht nicht nur der Eindruck von Weite, sondern die Monumentalität des Geschehens, die unweigerlich an Albrecht Altdorfers berühmtes Gemälde „Die Alexanderschlacht“ denken lässt, wird durch die Synchronisierung anscheinend unendlicher Detailereignisse auf eindrucksvolle Weise anschaulich (vgl. Johnson 1999, 356 f.). Der Erzähler setzt für diesen Effekt unterschiedliche Mittel ein: Zahlreiche Hyperbeln und Metaphern betonen die schier unermessliche Größe des Heidenheeres, mit dem Terramer bedacte berge und tal (V. 10,12) und dessen Soldaten an Zahl die Sterne übertreffen (vgl. V. 16,17–19). Akustische Signale (Trommeln, Schlachtrufe, Posaunen, Pfeifen; vgl. u. a. V. 12,28 f.; 34,6 f.; 40,1–7; 41,4–7; 360,1–12) verstärken den Eindruck des gigantischen Aufgebots und machen den Höllenlärm der Schlacht hörbar. Immer wieder schiebt der Erzähler düstere Ahnungen und Vorausdeutungen ein (vgl. V. 14,8–11) und kündigt den Tod vieler Helden auf beiden Seiten an. Die große Zahl der Zelte, Banner und Helmfiguren der Heiden (vgl. V. 16,3–21; 403,23–27) entwirft das Bild eines endlosen Heerlagers. In eingeschobenen Reden schwören Willehalm und Terramer ihre Männer auf den Krieg ein. Immer wieder nennt der Erzähler die Zahlen der bereits Gefallenen. Es entsteht dadurch der Eindruck eines großen Abschlachtens (mort). Dann schwenkt die Kamera des Erzählers plötzlich wieder auf Details der Ausstattung, auf Turbane, Pferdedecken und kostbare Edelsteine. Einzelkämpfe wechseln mit großen Bewegungen ganzer Verbände. Zwischendurch lässt Wolfram Kaskaden von Orts- und Personennamen am Zuhörer vorbeiziehen (vgl. z. B. V. 34,26–37,2), oft eingeleitet durch rhetorische Fragen wie wie sin schar si bewart? (V. 34,26), um die Vielfalt und Größe des Heidenheeres zu illustrieren, in dem offenbar die gesamte orientalische Ritterschaft zusammengezogen ist. Konkrete Namen dienen auch dem Schwenk auf Tjoste zwischen zwei Rittern abseits des großen Gedränges, meistens begleitet von kurzen Steckbriefen der Kämpfer, die ihre edle Abstammung und Würde belegen. Mit witzigen Bemerkungen bringt sich zwischendurch der Erzähler in Erinnerung, wenn er z. B. das Funkeln der vielen Ritterrüstungen mit der weniger schönen Puppe seiner Tochter vergleicht (vgl. V. 33,22–26). Meditationen Willehalms (vgl. z. B. V. 39,9–30) unterbrechen kurz die Kampfschilderung. Dann geht es sofort weiter und Heer auf Heer prallt aufeinander. Immer wieder bahnt sich Willehalm einen Weg aus dem Getümmel; in
Wechsel zwischen Detail und Totale
Darstellungsmittel
Erzählerkommentare
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Geflecht synchroner Ereignisse
Multiperspektivität
Bilder und Vergleiche
diesen Augenblicken liegt der Fokus der Raumregie ganz auf ihm, wie er gazzen sluoc, / des manc storje wart entrant (V. 40,18 f.). Mal fällt der Blick auf von links heranreitende Franzosen (vgl. V. 42,12–14), mal auf sechs Heidenkönige mit ihren Trupps (vgl. V. 370,24–26). Mal konzentriert sich das Geschehen auf das Delta des Flusses Larkant, mal auf die Ebene von Alischanz; dahinter kommt nur noch das Meer. Der Rezipient schaut hin und her wie in einem Monumentalfilm mit dramatischen Massenszenen. Dazwischen schiebt der Erzähler Belehrungen ein über Jesus Christus, die Taufe und das ewige Heil (vgl. z. B. V. 48,15–23). Manchmal erzeugt er den Effekt von Schlachtgetümmel gerade dadurch, dass er alles in einer Staubwolke verschwinden lässt (vgl. V. 50,20–25). Wiederholt lässt er Willehalm von einer Anhöhe das Feld von Alischanz überblicken und wählt die Totale: Das schreckliche Geschehen erscheint ihm – und dem Leser – nun wie auf einem Gemälde: nun was verdecket berc und tal / und Alischanz über al / mit heidenschefte ungezalt, / als ob uf einen grozen walt / niht wan banier blüeten (V. 58,3–7; vgl. 319,6–23). Dieses meisterhaft gewobene Ineinander synchron laufender Ereignisse und Erzählstränge hält Wolfram mit verschiedenen, bereits aus dem „Parzival“ bekannten erzähltechnischen Instrumenten zusammen (vgl. Kap. IV.4): Mit rhetorischen Fragen, der Beteiligung und Anrede des Publikums, häufig mit der Formel seht ob (vgl. z. B. V. 57,27), phaseneinleitenden und -gliedernden Erzählerbemerkungen vom Typ der rede si nu hie ein ort: / nu hœrt ouch wie si striten dort (V. 417,27 f.), der In-Bezug-Setzung von Handlung und Gegenwart des Erzählers und des Publikums, affektiven Eingriffen wie Ausrufen und Klagen sowie mit brevitas- und Unfähigkeitsformeln der Art Ine mac niht wol bediuten / wie da wart gevohten (V. 365,30 f.), die durch Andeuten und Verschweigen das nicht mehr vermittelbare Ungeheuerliche des Geschehens noch besonders betonen (vgl. Nellmann 1973, 181–186). Der Erzähler beschreibt selber, was durch diese Kunstgriffe zum Ausdruck kommt: sölh suochen und vinden / was da ze beder sit genuoc: / ein poynder stach, der ander sluoc (V. 375,4–6). Bezeichnend für Wolfram ist, dass die Multiperspektivität des Erzählens zugleich einen ethischen Sinnhorizont eröffnet. Denn der Erzähler entscheidet sich nicht für eine der beiden Parteien. Heiden und Christen erhalten gleich viel Raum und werden unterschiedslos mit ihrem Personal, ihrer Tapferkeit und ihrer Ausstattung beschrieben. Im Gewoge der Schlacht lässt der Erzähler beide Seiten zu ihrem Recht kommen. Seine gewissermaßen neutrale Erzählweise überlässt dem Rezipienten die Bewertung, und diese kann über eine bloße Parteinahme hinaus nur auf etwas Grundsätzliches zielen: „Die Frage, ob ein Krieg, der ze bÞder sît als Glaubenskrieg geführt wird, noch zu rechtfertigen ist, hat der Erzähler nicht explizit gestellt; er hat die Geschichte jedoch so erzählt, dass die Zuhörer oder Leser sich diese Frage stellen konnten und leicht zu einer negativen Antwort gekommen sind“ (Bumke 2004, 370). Bildbereiche Wie bereits beim „Parzival“ deutlich geworden ist (vgl. Kap. IV.4), ist Wolfram ein Meister der Bilder und Vergleiche. Er erfindet immer neue, z. T. ungewöhnliche oder irritierende Bilder, um einerseits seine Schilderungen,
4. Sprache und Poetik
u. a. die langen Schlachtdarstellungen, zu beleben und anschaulicher zu machen, andererseits um mit den Bildern Sinndimensionen in den Text einzubringen, die das Geschehen perspektivieren und bewerten (vgl. Hartmann 2011, 164–168). Die Spannbreite der Bildbereiche im „Willehalm“ ist ungewöhnlich groß und übertrifft das Repertoire Veldekes oder Hartmanns bei weitem: Wolfram sucht sich seine Motive in der Welt des Handels und des Geldes ebenso wie in der Seefahrt oder der Jagd; er greift auf Aspekte der Landwirtschaft und des Handwerks (Schmied, Schneider, Zimmermann) ebenso zurück wie er Würfelspiel- und Wetter-Metaphern einsetzt. Dazu kommt noch das große Inventar an Vergleichen aus der belebten (Pflanzen, Tiere) und unbelebten Natur (Edelsteine). Wolfram ist nie um originelle Visualisierungen und Gedankenspiele verlegen, und es ist dieser Bilderreichtum seiner Epen, der ihm den Ruf eines ,dunklen‘, poetisch ungezügelten Dichters eingebracht hat. Gleichwohl besteht gerade darin seine besondere Meisterschaft, denn seine Bilder sind „von unverwechselbarer Ursprünglichkeit“ und spielen „die sublimsten Möglichkeiten ritterlicher Laiendichtung“ durch (Wehrli 1997, 299). Dies gilt besonders auch für Wolframs schier unerschöpfliches Repertoire an Varianten zur Schilderung von Kampfszenen. Dafür einige Beispiele: In der zweiten Alischanz-Schlacht vergleicht der Erzähler die ausgetauschten Schwertschläge der Christen mit Handelsware, die ohne Marktkarre (tumbrel) in alle Richtungen verkauft wird (hurta, wie die getouften / borgeten und verkouften / mangen wehsel ane tumbrel; V. 373,21–3). Der als Gläubiger gedachte Tod nimmt das Leben der Krieger beider Seiten als Pfand, das erst am Jüngsten Tag, wenn alle Menschen aus ihren Gräbern erstehen und dadurch alle ,Forderungen‘ für immer getilgt sind, zurückerstattet wird (ze beder sit si sazten phant / diu nimmer mugen werden quit / vor der uteillichen zit, / da al der werlde wirt ir leben / wider anderstunt gegeben; V. 402,12–16). Die tödlichen Hiebe Tedaluns und Poydjus’ werden als Zoll beschrieben, den die beiden fliehenden Heiden mit letzter Kraft vielen christlichen Rittern entrichten (von ir verhe enphiengen zol / dennoch manec getoufter soldier; V. 444,6 f.). Das wie des meres ünde (V. 392,6) auf und ab strömende Gewoge der Schlacht veranschaulicht Wolfram besonders gerne mit Schiffs- und Wellenmetaphern: Vor Alischanz der strit begunde tokzen, / als uf dem wage tuot die gans; V. 398,14 f.). In Terramers Rede an seine zehn Söhne ist das Schlachtfeld als Gewässer gedacht, durch das eine Furt siegreichen Kampfes führt (ir sult noch hiute den strites vurt / aller zehene vor mir versuochen; V. 346,14 f.). Der Heide Cliboris trägt als Helmzier ein kostbares Schiff, das im Kampf gegen Bernart von Brubant von der Blutwoge ,versenkt‘ wird: in die barken gienc der bluotes wac: / swer marnære drinne wære gewesen, / der möhte unsanfte sin genesen; V. 411,8–10). Und als Willehalm am Ende des Epos den Verlust seiner ,rechten Hand‘ (V. 452,20) Rennewart beklagt, bezeichnet er den treuen Gefährten metaphorisch als zuverlässiges Ruder seines Schiffes und günstigen Wind, der die Rückkehr seiner Sippe in die provençalische Heimat möglich gemacht habe: du wære mins kieles ruoder / und der rehte segelwint, / da von al Heimriches kint / hant gankert rœmische erde (V. 453,18–21). Auch den Landbau nutzt Wolfram als Quelle für zahlreiche Metaphern: Die Sarazenen erscheinen nicht nur wie eine alles niederwälzende vluot
Handels- und Geldmetaphern
Schiffs- und Wellenmetaphern
Acker- und Saatmetaphern
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Jagdmetaphern
Handwerksmetaphern
Dominanz der Todesbilder
(V. 361,13), sondern der Tod sät auch seinen Samen auf das Schlachtfeld, der auf beiden Seiten ,aufgeht‘ (vgl. V. 361,16 f.). Aber auch Freude kann Saatgut sein (vgl. V. 8,20). Poydwiz bricht in das Kampfgeschehen ein wie der Hagel in ein Getreidefeld (vgl. V. 390,26 f.), und der Kampflärm über Alischanz gleicht einem dröhnenden Gewitter: da wart gegeben und genomen / donres hurte als diu wolken riz (V. 389,18 f.). Den Bereich der Jagd rufen die desertierten Soldaten Ludwigs auf, als sie versuchen, Rennewart zu überreden, mit ihm nach Laon zurückzukehren, um es sich dort beim Wein, der so schnell wie fliehendes Jagdwild den Fässern entströmt, gut gehen zu lassen: wir sulen ouch hœren klingen / den win vome zapfen springen, / als den hirz von ruore; V. 326,23–25). An anderer Stelle vergleicht Wolfram das christliche Heer mit einem Jagdhund (vorlouft), der die einmal aufgenommene Fährte nicht mehr verlässt, gleich welches Hindernis sich ihm auch in den Weg stellt: sus wurben die da waren / verdecket mit der toufe, / so der edele vorloufe, / der siner verte niht verzagt / und ungeschütet nach jagt, / swenn er geswimmet durh den wac; V. 435,10–15). Die Einkesselung der Christen durch Poydwiz wird mit einer Schlinge (druc) verglichen, wie man sie in Wolfs- und Fuchsfallen verwendet (vgl. V. 398,9). Exemplarisch sei hier noch der Bilderfundus des Handwerks genannt, wie die Jagd ein dem mittelalterlichen Publikum wohlvertrauter Bereich für verschiedenste Anspielungen und Vergleiche. Das gewaltige Heidenheer schlägt z. B. wie der Schmied auf den Amboss auf die Ritter des Christenheeres ein: do kerte diu schar groze / gein manegen aneboze / den der touf het überdecket; V. 404–11). Die auf ihre Schiffe flüchtenden Heiden tragen Kleider, die aus Schweiß und Blut genäht wurden (vgl. V. 443,21–23). König Gorhants keulenbewehrte Krieger schlagen derart martialisch auf die Helme von Willehalms Verbündeten ein, dass sie sich wie unter dem Hammer von Zimmerleuten zu Walmdächern verbiegen: die virste und die wolben / begundens uf die helme legen / mit starken ungevüegen slegen; V. 396,14–16). In typisch Wolfram’scher Art scherzt der Erzähler, dass er sich solche Zimmerleute heute nicht leisten könnte (vgl. V. 396,17–19). Gorhants hornhäutige Haudegen walken den Feind, wie der Tuchmacher es mit Wollstoffen macht, um die Fasern zu einem Gewebe zu verfilzen (vgl. V. 397,1–3). Und der Heidenkönig Marlanz schaut erst einmal, wie die Schlacht insgesamt verläuft, bevor er gezielt eingreift, wie es auch der Zimmermann macht, wenn er beim Bäumefällen prüft, wo er mit dem Beil den mit der Axt gefällten Stamm nachbessern muss: der zimmermann muoz warten / wie er mit der barten / nach der ackes müeze sniden; V. 394,13–15). So belebt Wolfram seine Schilderungen mit einem großen Reichtum an Bildern, die häufig aus dem Alltagsleben genommen sind und die Distanz zwischen dem Publikum und der erzählten Welt vermindern. Was bei Alischanz geschieht, wird so nachvollziehbar und anschaulich. Bilder sind aber bei Wolfram nicht nur poetischer Schmuck, sondern vielfach auch Bedeutungsträger. Die Forschung hat betont, dass im „Willehalm“ eine „Tendenz zur Verdüsterung der Bilder“ zu erkennen sei (Bumke 2004, 365) und anders als im „Parzival“ Todesbilder dominierten. Zugleich signalisierten befremdliche Bilder wie das des Seemanns, der im Schiff auf Cliboris’ Helm im Blut ertrinkt, „eine Auflösung der gewohnten Wirklichkeit ins Absurde“
4. Sprache und Poetik
(ebd., 366). Gerade dadurch, dass Wolfram Alltagsbereiche wie Handwerk und Würfelspiel mittels ihres metaphorischen Einsatzes in den Krieg ,hineinzieht‘ und für die Schilderung des eigentlich Unvorstellbaren nutzt, nämlich des grausamen Gemetzels (mort), in dem Christen wie Heiden zu Tausenden sterben, bringt er zum Ausdruck, dass die Rhythmen, Regeln und Werte des normalen Lebens in Alischanz infolge der „Eigendynamik des Leides“ und des „Automatismus von Rache und Vergeltung“ (Kiening 1993, 220) außer Kraft gesetzt sind. Wie im Falle der grünen Krieger Gorhants, die Helme zu Dachfirsten verbeulen, integriert Wolfram über Bilder oftmals Komik und Humor in die Erzählung, die aber nicht selten sogleich wieder zurückgenommen bzw. gebrochen wird (vgl. Hartmann 2011, 168 f.). Wie auch im „Parzival“ zu beobachten war, wird zu einem komischen Bild in solchen Fällen dessen Aufhebung (Dekonstruktion) gleich mitgeliefert. Auch wenn hier Vorsicht geboten ist, weil nicht genau bekannt ist, worüber das mittelalterliche Publikum gelacht hat und ob es dieselben Kategorien von Ernst und Humor hatte wie heutige Leser, lässt sich doch feststellen, dass Wolframs Witze oft ,schief‘ sind bzw. von jener Art, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt (vgl. Bertau 1983, 60–109). Das gilt z. B. für das hyperbolische Lob des toten Vivianz, von dem Willehalm im Stile der zeitgenössischen Legendenfrömmigkeit (vgl. Heinzle 1991, 883) sagt, dass er so von Süße (Heiligkeit) angefüllt war, dass ein einziger seiner Zehen genügt hätte, das ganze Weltmeer zu entsalzen (vgl. V. 62,11–14). Noch auffälliger ist der Witz von der Ente im Bodensee (vgl. V. 377,4–6). Er steht in einer Passage, in der der Erzähler den Reichtum des Heidenkönigs Poydjus und seines Gefolges preist, der so unermesslich ist, dass die Truppen unter der Last zusammengebrochen wären, wenn sie versucht hätten, mit all den Edelsteinen ihre Rüstungen zu schmücken. Ebenso müsste eine Ente platzen, die versuchen wollte, den Bodensee auszutrinken. Für Bumke ist dies Ausdruck einer „tödliche[n] Komik“, die „mit einer bedrohlichen Verschiebung der Realitätsebenen“ arbeitet und so „die Auflösung der gewohnten Wirklichkeit“ anzeigt (Bumke 2004, 366). Komik hat im „Willehalm“ zumeist mit Gewalt zu tun und entbehrt aller Leichtigkeit (vgl. Röcke 2001). Vielmehr tönt sie im Sinne eines comic relief ab, was im Kern von größter Brutalität ist. Dies zeigt sich z. B. in den Rennewart-Szenen: Als Rennewart in Laon einen vorwitzigen Knappen an einer Säule zerschmettert, fühlt sich der Erzähler an einen faulen Apfel erinnert, der von dem wurfe gar zespranc (V. 190,17), und als der Hüne den Koch ins Kaminfeuer wirft, macht er darüber unter Bezug auf Walthers „Spießbratenspruch“ makabre Scherze: her Vogelweide von braten sanc: / dirre brate was dicke und lanc; / ez hete sin vrouwe dran genuoc, / der er so holdez herze ie truoc (V. 286,19–22). Noch deutlicher wird die Gebrochenheit des Humors in den Schlachtszenen des „Willehalm“, wenn z. B. von den Kreuzrittern gesagt wird, dass sie viele Schädel spalteten, so dass die zungen in den munden / deheine krie enkunden (V. 408,13 f.), oder wenn es (in Absetzung vom übertreibenden Stil der Heldendichtung; vgl. Nellmann 1973, 70 f.) von Witege, dem Kampfgesellen Dietrichs von Bern, heißt, er habe einmal an einem einzigen Tag achtzehntausend Helme wie Schwammpilze zerteilt und könne das mit ebenso vielen Lämmern genauso rasch erledigen (vgl.
Gebrochener Humor
Komik und Gewalt
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Dialektik von Freude und Leid
Periphrasen
Maria – Christus – Gott
V. 384,23–30). Für moderne Rezipienten irritierend sind auch Szenen wie die der tödlichen Verwundung Vivianz’, in der Noupatris dem jungen Helden seine Lanze mitsamt dem Amor-Banner durch den Leib stößt, so dass dieser seine ausgetretenen Eingeweide hochbinden muss, um weiterkämpfen zu können (vgl. V. 25,14–26,1). Wie das mittelalterliche Publikum solche z. T. grotesk übertriebenen Bilder aufgefasst hat, liegt im Dunkeln. Dem Erzähler geht es aber erklärtermaßen um die wahrheitsgetreue Abbildung des Kampfgeschehens (vgl. V. 385,1 f.), und trotz der auch im „Willehalm“ nicht fehlenden traditionellen Heroisierung ruhmreicher Rittertaten hält Wolfram gerade durch diese Strategie multiperspektivischer Schilderungen und ,Witze‘ die tragische Ambiguität der Ereignisse stets präsent. Bei der Schilderung der Kriegshandlungen wahrt sein Erzähler zu jeder Zeit seine „Skepsis und Distanz“ (Bumke 1990, 184). Damit ist ein Grundthema des Epos angesprochen: Wolfram betont immer wieder die unauflösliche Verschränkung von Freude und Leid, Liebe und Hass, Leben und Tod (minne und ander klage; V. 4,26). Ein besonders prägnantes Bild für diese Ambivalenz ist der Anblick der von Blut rot gefärbten Blumenwiese, eigentlich ein Topos des Minnesangs (locus amoenus) für Anmut und Frieden, der hier durch den Krieg zerstört wird (vgl. V. 384,8 f.; 398,16 f.). Seinen Erzähler lässt Wolfram klagen, dass Kampf notgedrungen immer nur zu unsemftekeit (V. 385,6) führe, während die minne immerhin semfte und leit vereine (V. 385,5). Der Kampf zwischen sorge und vreude wird gleich zu Beginn als prägender Rahmen der ganzen nachfolgenden Erzählung bestimmt (vgl. V. 8,15 f.). Religion und Machtpolitik korrelieren in einer „fatalen Verstrickung“ (Johnson 1999, 362). Im „Willehalm“ sind dies nicht nur topische Sentenzen, sondern diese programmatischen Aussagen bezeichnen geradezu das Leitthema des ganzen Epos. Die Ambivalenz des Geschehens, an dessen Ende der Sieg nicht einmal Sieg genannt wird, spiegelt sich bin in Details der Bildlichkeit und Komik wider; beide sind deshalb immer mehrdeutig. Umschreibungen Wie bereits im „Parzival“ deutlich wurde, ist Wolfram ein Meister der Variation durch erweiternde Umschreibungen (Periphrasen). Ohne den Namen einer Figur oder bestimmte Ereignisse genau zu benennen, spricht er mit Hilfe ihrer Wirkungen oder Attribute indirekt über sie, vermeidet dadurch Wiederholungen, erreicht eine rhetorische Belebung der Erzählung und bringt Bedeutungsnuancen in den Text ein, die das Geschilderte subtil perspektivieren (vgl. Hartmann 2011, 154 f.). Nur in den seltensten Fällen haben sie eine bloß vers- oder reimtechnische Funktion. Im „Willehalm“ wendet Wolfram dieses Stilmittel besonders im Zusammenhang mit Gott, Christus und Maria an und webt dadurch unablässig theologische Themen, insbesondere Passions- und Gerichtsmotive, in die Erzählung hinein. Maria wird z. B. umschrieben mit diu den gebar, der unverzagt / sin verh durh uns gap in den tot (V. 31,10 f.), und zwar kombiniert mit dem Hinweis, dass analog derjenige, der wie Willehalm für Christus sein Leben riskiert, ewigen Lohn erhält (vgl. V. 31,12 f.). Christus wird unter Anspielung auf den Johannesprolog eingeführt als der von dem worte wart (V. 31,7), an anderen Stellen als jener, der der helle porten brach (V. 218,23), die rechte Hand Got-
4. Sprache und Poetik
tes ist (nu tuot gein siner zeswen ker, / der Adames worhte; V. 166,18 f.), der den dürninen kranz / ame kriuze uf hete (V. 357,28 f.) und der uns ime toufe wart (V. 48,15). Er ist auch der, der daz swert in sinem munt / vür treit ame urteillichen tage (V. 303,12 f.). Der dreieinige Gott ist u. a. die hœhste hant (V. 4,5), der al diu creatiure / geschuof (V. 215,11 f.), derz firmamentum an liez (V. 216,9), der den luft wol wider væhet (V. 216,17) und der sich einen selbe dritten hat / ebengelich unt ebenher (V. 218,26 f.). Besonders Gyburc reiht in ihrem großen Glaubensbekenntnis (vgl. V. 215,10–217,8) eine Umschreibung an die andere und breitet so ein ganzes Panorama göttlicher Attribute aus, wie sie von der zeitgenössischen Dogmatik und Ikonographie bereitgestellt wurden. Wolfram liefert gewissermaßen jedes Mal die Heilsbedeutung christlicher Themen gleich mit, wenn er z. B. im Gespräch zwischen Willehalm und dem wie ein heiliger Märtyrer sterbenden Vivianz die Kommunion umschreibt als das, da mit diu sele din sol komen / mit vreuden vür die Trinitat (V. 65,12 f.). Wolframs Periphrasen sind implizite Erzählerkommentare, die Angebote für die Deutung des Geschehens machen, die spezifische Auslegung aber jeweils dem Rezipienten überlassen. Und ihr Inhalt ist in der Regel genau an die jeweilige Textstelle angepasst. Wenn Gott in der zweiten Alischanz-Schlacht z. B. umschrieben wird als derjenige, dessen Hand des soldes hat gewalt, / der vür allen solt ist gezalt und der ein scherm vür des tievels list ist (V. 371,27–30), so werden damit die getöteten christlichen Ritter als Märtyrer gefeiert, denen das ewige Leben gewiss ist. Periphrasen nutzt Wolfram auch für andere Figuren, z. B. indem er statt Namen die familiäre oder geographische Herkunft aufruft (z. B. Chanabeus sun für Terramer, V. 442,10; der Schampaneys für Gandaluz, V. 444,21), Willehalm tituliert als den, der ie vor schanden was behuot (V. 51,1), und Vivianz von seinem Onkel als vürsten art, reiniu vruht (V. 60,21) preisen lässt, oder indem er Wappen statt Figuren agieren lässt (z. B. wenn es von Willehalms Stern heißt, dass er bereite / vil tjoste die Sarrazine, V. 369,20 f.). Die Ausschmückung dichterischer Rede, die Variation des Ausdrucks und die semantische Nuancierung gehen in all diesen Beispielen eine poetisch höchst fruchtbare Verbindung ein. Vorausdeutungen Wie im Heldenepos üblich, ist der „Willehalm“ von Vorausdeutungen durchzogen, die vorab ankündigen, welch tragischen Weg die kommenden Ereignisse nehmen werden bzw. welche furchtbaren Folgen ein gerade beschriebenes Ereignis später haben wird. Wie im „Nibelungenlied“ und im „Rolandslied“ „stellen die epischen Vorausdeutungen eine Zusammenschau von Gegenwart und Zukunft dar“ und verweisen auf die prinzipielle „Unentrinnbarkeit und Schicksalhaftigkeit“ aller Geschichte (Linke 1976, 118). Im „Willehalm“ erfolgt der Verweis auf zukünftiges Leid zumeist im Ton der Klage. Schon zu Beginn des Epos beim Auszug von Heimrichs Söhnen ruft der Erzähler aus: Wie vil si sorgen dolten, / und waz si ouch vreude erholten (V. 7,1 f.), und über Gyburcs Taufe klagt er, dass für sie viele Menschen mit dem Tode bezahlen müssen (vgl. V. 8,1) und dass die Provenze her und ouch da / gewan sit jamers künde (V. 8,10 f.). Immer wieder beschwört er das kommende Leid so vieler Edler, so dass von Anfang an ein dunkler Schatten über den Ereignissen liegt. Es sind Formulierungen wie Vivianzes
Romanfiguren
Erzählelement der Heldenepik
Klage
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Spannungserzeugung und Bewertung
Multiperspektivität
Kreuzzug
tot ouch sider schiet / manegen werden heiden von sinem leben: / sus rache wider rache wart gegeben (V. 305,28–30), die das Netz der sukzessiven Ankündigung des Verhängnisses im „Willehalm“ konstitutieren. Die Vorausdeutungen beziehen sich sowohl auf kürzere Handlungsabschnitte (z. B. in Orle´ans, als man wegen Willehalm zu den Waffen ruft; vgl. V. 114,9–11, vor Willehalms Eintreffen in Orange; vgl. V. 215,1–7, oder vor der ersten Schlacht in Bezug auf die Frauen; vgl. V. 15,12–18) als auch auf das Geschehen im Ganzen (vgl. V. 8,15 f.). In den Vorausdeutungen finden sich die „Eigendynamik des Leides und der Automatismus von Rache und Vergeltung“ gespiegelt (Kiening 1993, 220). Darin weist der „Willehalm“ deutliche Bezüge zur heldenepischen Tradition au f. Die Ankündigungen kommenden Verhängnisses erzeugen Spannung aufseiten der Rezipienten. Zugleich rufen sie beim Leser bzw. Zuhörer sukzessive ein Bewusstsein dafür hervor, dass in diesem Weltkrieg keine der Parteien siegen kann. „Der Krieg zwischen Christen und Heiden wird im ,Willehalm‘ als eine furchtbare Erfahrung dargestellt, die die ganze Ordnung des menschlichen Zusammenlebens zu erschüttern droht. Die Themen Gewalt und Fremdheit bestimmen nicht nur das Geschehen auf dem Schlachtfeld; die Gewalt entfaltet ihr destruktives Potential auch im gesellschaftlichen Umgang der Christen miteinander, bis hinein in die persönlichsten Beziehungen von Liebe, Ehe und Verwandtschaft“ (Bumke 2004, 320). Insofern sind Wolframs Vorausdeutungen erheblich subtiler als die entsprechenden Formeln etwa des „Nibelungenliedes“ und nehmen eindringlich vorweg, was den Protagonisten erst am Ende klar wird: dass es Sünde ist, wenn gotes hantgetat (V. 450,19) sich alsam ein vihe (V. 450,17) gegenseitig erschlägt, und dass der gemeinsame Ursprung aus der einen Schöpfung Gottes über den Unterschieden der Religionen steht.
Perspektivierung Die bereits in den Bildern, Vergleichen und Figurenreden angesprochene Ambiguität, der die Bewertung der Ereignisse im „Willehalm“ jederzeit unterliegt, wird noch dadurch verstärkt, dass unterschiedliche ,Stimmen‘ nebeneinanderher bzw. gegeneinander laufen und bewirken, dass es, wie im „Parzival“, viele Perspektiven gibt, aus denen man den Glaubenskrieg betrachten kann. Das Zusammenspiel der Aussagen Willehalms, Gyburcs und Terramers wird dabei durch die Kommentare des Erzählers noch komplexer. Willehalm wertet den Kampf gegen Terramer eindeutig als Kreuzzug, was u. a. die Kreuze auf den Waffenröcken seiner Soldaten anzeigen (vgl. V. 31,23–32,1). Er sieht sich als Diener Gottes (vgl. V. 332,18–20), der auszieht, den touf und unser e (V. 297,11) zu verteidigen, und verspricht seinen Truppen das ewige Leben und die himmlische Seligkeit (vgl. V. 322,4–17). Das Reichsheer lässt er unter dem Zeichen des Kreuzes in die Schlacht ziehen (vgl. V. 332,21–29). Der Kampf gegen die Sarazenen ist für ihn Dienst an Christus (vgl. V. 17,3–22) und die Abwehr der heidnischen Götzen eine Pflicht für jeden Getauften: nu wert ere und lant, / daz Apollo und Tervigant / und der trügehafte Mahmet / uns den touf iht under tret (V. 17,19–22). Dass das Christentum die einzig wahre Religion ist, steht für den Markgrafen außer Zweifel.
4. Sprache und Poetik
Sein Antipode, Terramer, vertritt unversöhnlich die Gegenposition. Auch für ihn, der nach der Weltherrschaft greift, geht es um den Sieg des Islam und seines Gottes (!) Mohammed. Der Kalif und die Priester haben ihn aufgefordert, gegen die Christen in die Schlacht zu ziehen und die abtrünnige Gyburc zu töten (vgl. V. 217,19–25). Er kämpft durh die gote und durh die minne (V. 338,15) und will mit seinen Truppen die Ehre der Götter wiederherstellen (vgl. V. 339,3–15). Sein Krieg ist ein einziger Rachefeldzug gegen die Christen, deren Glauben an den zoubrære Jesus (V. 357,23) er vollständig vernichten will (vgl. V. 340,2–11). Das christliche Kaiserreich will er von Aachen und Rom aus zu einem islamischen Reich machen. Wie Willehalms Truppen unter der Kreuzflagge zieht er mit fahrbaren Götterbildern in die Schlacht (vgl. V. 352,1–13). Gyburc steht zwischen den Fronten. Sie ist die Tochter Terramers und die Frau Willehalms. Sie war die Heidin Arabel und ist nun die Christin Gyburc. Sie wird von den Heiden gehasst, weil sie sich hat taufen lassen, und von den Christen, weil sie durh menneschlicher minne (V. 310,7) einen Krieg von globalen Ausmaßen ausgelöst hat. Und sie kämpft in Orange gegen die Truppen ihres Vaters, aber setzt sich gleichzeitig für deren menschenwürdige Behandlung im Krieg ein. An der Überlegenheit des dreieinigen Schöpfergottes lässt sie keinen Zweifel (vgl. V. 216,4–23) und bezichtigt ihren Vater, mit tumpheit (V. 217,8) geschlagen zu sein. Ihre unverbrüchliche Treue zu Willehalm (vgl. V. 220,1–29) und zur hœhsten hant (V. 220,30) macht sie zur Feindin ihrer Sippe wie ihres Volkes. Dennoch besteht sie darauf, dass Christen wie Heiden ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Bekenntnisse und religiösen Rituale Geschöpfe des einen Gottes sind und daher Barmherzigkeit verdienen, auch im Krieg (vgl. V. 306,12–310,30). Der Erzähler schließlich ist ein Opportunist. Seine Haltung lässt sich nicht genau fassen, weil er sich nicht festlegt. Er unterstützt sowohl Willehalms als auch Gyburcs Perspektive und entwirft dadurch eine disharmonische Welt, in der Gott vreude und not / enpfüeret und sendet (V. 37,24 f.) und deren Komplexität nicht mit Schwarz-Weiß-Denken zu begreifen ist. Im Prolog des Epos bekennt er sich wie Gyburc zum dreieinigen Gott und preist dessen Schöpfermacht (vgl. V. 1,12–2,15). Willehalm ruft er als Inbegriff der manheit (V. 3,1) und werdekeit (V. 4,3) an. Während der beiden Schlachten verherrlicht er unentwegt die Taten der Christen, indem er beschreibt, wie ihre Seelen von singenden Engeln freudig in den Himmel geleitet werden (vgl. V. 14,8–11; 38,20–24) und ihnen die ewige Seligkeit sicher ist (vgl. V. 37,18–25). Für ihn sind die Gefallenen Märtyrer und Heilige (vgl. V. 420,6–11), während er für die Sarazenen die Einfahrt in die Hölle vorsieht (vgl. V. 38,25–30). Zugleich beklagt er wiederholt, dass beide Seiten furchtbare Opfer bringen müssen: waz hers ze beder sit da lac, / die von dem strite töuten (V. 393,6 f.; vgl. V. 401,30 f.). Die Wendung ze beder sit hat im „Willehalm“ geradezu eine Schlüsselfunktion (vgl. Bumke 2004, 369 f.). Erzählerisch lässt Wolfram den Christen wie den Heiden Gerechtigkeit widerfahren, auch wenn er keinen Zweifel daran lässt, dass er die christliche Religion für die höherwertige hält (vgl. Hartmann 2013). Terramer bezeichnet er als verblendet und seinen Götterglauben als Kinderei und Betrug (vgl. V. 352,14–17; 360,26–8), die Heidengötter verlacht er als Schwächlinge und Blendwerk (vgl. V. 399,2–6). Den-
Weltherrschaft des Islam
Gyburcs Dilemma
Wandelbarer Erzähler
ze beder sit
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Polyphone Erzählwelt
Profilierter Erzähler
Publikumskontakt
Selbstaussagen
noch hält er es für eine schwere Sünde, dass die Heiden in Alischanz alsam ein vihe (V. 450,17) niedergemacht werden. Der Erzähler steht somit für divergierende Positionen: „die eine rechtfertigt den Krieg als religiös verdienstvoll; die andere appelliert an die gemeinsame Geschöpflichkeit und schließt den Gedanken ein, dass es dem Willen Gottes widerspricht, wenn die Menschen sich gegenseitig totschlagen“ (Bumke 2004, 373). Die Widersprüchlichkeit der Erzählerperspektive wird noch deutlicher, wenn er Gyburc einerseits wegen ihrer verhängnisvollen Liebe zu Willehalm verurteilt (vgl. V. 30,21–30), andererseits aber diese Verurteilung sofort wieder zurücknimmt und sie ihres Glaubens wegen für unschuldig erklärt (vgl. V. 31,1–7). Eine eindeutige Haltung des Erzählers zum Geschehen wird im „Willehalm“ bewusst vermieden. Wie im „Parzival“ erweist sich damit auch im „Willehalm“ das Moment der Perspektivität als überaus produktiv (vgl. Kap. IV.4). „Wahrheit wird als relationale Kategorie dargestellt und der Weg zu ihrer Erkenntnis als anspruchsvoller Prozess beschrieben, den sowohl die Protagonisten als auch die Rezipienten durchlaufen müssen“ (Hartmann 2011, 213). Die verschiedenen Sichtweisen stehen unvermittelt nebeneinander und werden bis zum Schluss nicht harmonisiert. Inszeniert wird stattdessen eine polyphone Erzählwelt, in der es dem Rezipienten nicht abgenommen wird, aus den vielfältigen Sinn- und Deutungsangeboten seine eigene Perspektive abzuleiten. Diese vielfach gebrochene Erzählwelt steht zugleich für etwas Größeres, dessen Ausdruck der furchtbare Krieg auf Alischanz ist: die gefallene Schöpfung, die – wie die gefallenen Krieger beider Seiten – der Erlösung am Ende der Zeiten harrt (vgl. Knapp 2011, 694–697). Erzähler – Erzähltheorie Die Poetik des „Willehalm“ wäre unvollständig beschrieben, wenn nicht auch die Figur des Erzählers und die von ihm entfaltete Erzähltheorie berücksichtigt würden. Wie im „Parzival“ tritt er nicht nur mit uneindeutigen Kommentaren und Werturteilen hervor, sondern bringt sich auch selber ins Spiel und lenkt durch Selbstaussagen, Publikumsadressen, Beglaubigungsformeln, Gliederungssignale, affektive Eingriffe, Witze usw. die Rezeption. Der Erzähler bittet den Zuhörer z. B., ihm Zeit für ausführliche Schilderungen zu geben (vgl. V. 4,25 f.) oder um die Erlaubnis, auf bestimmte Weise weiterzuerzählen (vgl. V. 15,4–6), und fordert ihn auf, die Geschichte in sinem huse ze viure (V. 5,6) darzubieten. Manchmal sucht er auch nach jemandem, der an seiner Stelle die Geschichte fortsetzt (vgl. V. 402,18–30). Das Publikum darf sogar entscheiden, ob Willehalm sein Fastengelübde aufheben kann, nachdem er Orange befreit hat (vgl. V. 269,1–19). Der Erzähler beteuert die Übereinstimmung der deutschen Version mit der französischen Quelle (vgl. V. 5,12–14) und betont, dass er es besser gemacht habe als Chrétien (!), der Willehalm in Laon statt in Arofels prächtiger Rüstung verständnislos in einem schäbigen Rock habe auftreten lassen (vgl. V. 125,20–30). Wie im „Parzival“ liebt er Parallelisierungen zwischen den Figuren und sich selbst: Anders als Terramer würde er z. B. den Freund seiner Tochter achten (vgl. V. 11,23 f.), und die Puppe seiner Tochter ist leider nicht so schön wie die Rüstungen der Heiden (vgl. V. 33,24–26). Würde er einen bösartigen Herrn auf dem Schlachtfeld beweinen, wäre das, anders als im Falle der auf
4. Sprache und Poetik
dem Schlachtfeld ihre toten Verwandten suchenden Christen, wenig aufrichtig (vgl. V. 445,24–30). Wolfram kokettiert gerne mit seinen geringen Französischkenntnissen und seinem angeblich ungelenken Schreibstil: min tiutsche ist etswa doch so krump (V. 237,11). An anderer Stelle erweist er sich als Moralist, der über die dialektische Beziehung von Freude und Leid in der Welt räsoniert, die erst zusammen die Ganzheit des Lebens ausmachen wie Diele, Decke und Wände ein Haus (vgl. V. 281,11–13). Als Poydwiz in der zweiten Alischanz-Schlacht mit Macht herandrängt und dadurch der walt so vor im verswant (V. 389,30), witzelt der Erzähler, dass er jenen als Förster nicht gerne hätte (vgl. V. 389,28–30). Auch sonst ist er selbst im dramatischsten Geschehen zu humoristischen Bemerkungen aufgelegt, z. B. wenn er den Teufel mit einem finsteren Gastwirt vergleicht, an dessen übler Schenke Christus ihn beflissen vorbeiführt, daz ich den helleclichen pfat / iht ze lange dürfe bern (V. 38,14 f.). Ebenfalls aus dem „Parzival“ vertraut ist die Technik der kontrastiven Verstärkung des Geschilderten: Die Helden sind reich und prächtig, so dass der Erzähler dagegen verblasst. Im „Willehalm“ sind die Rüstungen der Heiden überaus kostbar verziert. Bescheiden bekennt der Erzähler: stüende so min muot, / ich möht einen loubinen huot / wol gewinnen inme Spehtshart,/ so der meie wære rehte bewart / mit touwe und mit süezem lufte (V. 377,23–27). Hier ein Laubkranz aus dem Spessart, dort die richeit glänzender Edelsteine; wieder einmal macht sich der Erzähler klein, um das Erzählte umso mehr zu verstärken. All diese Instrumente sind bereits aus dem „Parzival“ bekannt. Der Erzähler präsentiert sich „als ein Mann, der arm ist, […] wenig risikofreudig […]. Jeder Zug ins Große fehlt ihm – er ist ein Mann von bürgerlicher Durchschnittlichkeit. Wolfram scheint in erster Linie darauf bedacht, von seinem Erzähler ein Bild zu entwerfen, das das Publikum erheitert“ (Nellmann 1973, 15). Der Erzähler ist wie im „Parzival“ publikumsbezogen und greift kommentierend ein, oft mit widersprüchlichen Aussagen und als comic relief getarnten, aber bei näherem Hinsehen subtil perspektivierenden Bemerkungen. In all dem Grauen, von dem im durchweg freudlosen „Willehalm“ die Rede ist, ist er ein Anker der bodenständigen Menschlichkeit und des (bitteren) Humors. Vor allem hält er den Kontakt zum Publikum und hilft ihm als Moderator, das ungeheuerliche, von Gewalt dominierte Geschehen auszuhalten. Eine entscheidende erzähltheoretische Funktion hat der Prolog des „Willehalm“ (vgl. V. 1,1–5,15): Es ist ein Gebet an den gnädigen dreieinigen Gott, der später als Movens der Handlung so wichtig wird. Der Erzähler bezeichnet sich als dessen hilfsbedürftiges Kind (V. 1,8), ich arm und du vil riche (V. 1,18), und preist den Schöpfer und seine unfassbare Schöpfung. Er gibt sich als ungebildet aus (vgl. V. 2,19–22) und bittet um Gottes güete, damit er das Lied von Willehalm angemessen singen kann (vgl. V. 2,23–27). Der heilige Willehalm ist aufgrund seiner eigenen Geschichte ein Patron der Ritter (vgl. V. 3,16–24) und helfære (V. 4,7). Wolfram betet zu ihm und bittet ihn um Befreiung von aller Schuld (vgl. V. 4,7–18). Nachdem er den „Parzival“ erzählt hat, will er nun wahrheitsgetreu von minne und ander klage (V. 4,26) berichten. Was er zu berichten hat, ist das Edelste, was es in der deutschen Literatur gibt (vgl. V. 5,1–11), und war, doch wunderlich (V. 5,15).
Humoristische Kommentare
Moderatorrolle
Prolog
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm Gattungssignal
Poetisches Programm
Der Prolog des „Willehalm“ gehört zu den literarischen Glanzstücken der mittelhochdeutschen Zeit. In ihm kommt in Abgrenzung vom Artus- und Minneroman „der neue, unmittelbare Ernst von Wolframs Unternehmen zum Ausdruck. Der mit seiner Laientheologie kühnste Dichter des deutschen Hochmittelalters wendet sich hier an die Trinität, beruft sich auf die Menschheit Gottes als Bürgschaft der eigenen Erlöstheit […], hebt den Blick zur Weite der kosmischen Schöpfung und senkt ihn zur Demut des eigenen Schaffens, das sich nur auf den Geist berufen kann. Der Held der zu erzählenden Geschichte aber wird selbst gebethaft als der Heilige angeredet, als der Fürst und Fürbitter. Die ,süeze rede‘ der Erzählung […] versteht sich als ein Stück Gottesdienst im Blick auf den vorbildlichen leidensstarken Ritter und (später) Heiligen“ (Wehrli 1997, 321; vgl. Kiening 1993, 214 f.; Bumke 2004, 276–279; Knapp 2011, 680–682). Der Prolog weist den „Willehalm“ nicht nur der Gattung der Heiligenlegende zu, sondern ordnet die nachfolgenden Alischanz-Schlachten in eine kosmische Ordnung ein, bereitet mit dem großen Schöpfungspreis die späteren theologischen Diskurse vor (Gotteskindschaft und Geschöpflichkeit aller Menschen) und markiert die Intention des Werkes als Lobpreis. Der Prolog hat insofern eine eminent programmatische Bedeutung (vgl. Haug 1992, 184–196; Johnson 1999, 357 f.) und schafft die ideelle Basis für das literarisch vermittelte Postulat einer Humanität, die um 1200 noch unerhört ist, nicht zuletzt wegen ihrer impliziten Abgrenzung vom „Rolandslied“, in dem der Krieg noch „problemlos als Triumph des Christentums über das teuflische Heer der Heiden“ (Brunner 2013, 219) gesehen worden war.
5. Aspekte der Interpretation Legenden-Roman
Wahrheit als Erzählprinzip
Wolframs Roman ist weit mehr als die Geschichte eines Ritterheiligen. Der „Willehalm“ verlässt das klassische Legendenschema, in dessen Mittelpunkt das vorbildliche Leben und wunderbare Wirken eines Heiligen in einer von Gott wohlgeordneten Schöpfung mit harmonischem Ende steht, und entwirft stattdessen das Bild einer zerrissenen und zerstörerischen Welt, in der „die heroische Stoffvorgabe“ kaum noch „mit der religiösen Überformung und dem narrativen Wahrheitsanspruch vereinbar“ ist (Kiening 2011, 559). Wegweisend für die Poetik des „Willehalm“ ist Wolframs Anspruch, den Kampf, der stets nur Unglück bringt, wahrheitsgemäß wiederzugeben: Man sol dem strite tuon sin reht: / da von diu mære werdent sleht, / wan urliuge und minne / bedurfen beidiu sinne. / einez hat semfte und leit, / daz ander gar unsemftekeit (V. 385,1–6). Das bedeutet, es geht ihm zuallererst um Authentizität, nicht um Idealisierung. Die Welt ist voller Widersprüche und ungelöster Fragen, und so will Wolfram sie auch abbilden: als ständigen Wechsel von vreude und klage (V. 215,1), durch den es keine endgültigen Siege und keine eindeutigen Wahrheiten gibt. Es ist diese geradezu modern anmutende Weltsicht, die den „Willehalm“ zu einer der beeindruckendsten und mutigsten Dichtungen des Mittelalters macht. Auch sie bietet am Ende keine Lösung an; alle Wunden der gefallenen Schöpfung sind weiterhin offen. Daraus lässt sich gleichwohl kein Urteil über die Qualität des Romanfragments ableiten, denn man kann „nicht vom Dichter verlangen, dass er ein
5. Aspekte der Interpretation
Problem löst, das noch der Lösung durch Gott harrt“ (Johnson 1999, 365). Dass aber um 1200 überhaupt ein Denken in Kategorien des Relativen und Kontingenten möglich war, sagt nicht nur etwas über die geistige Selbständigkeit Wolframs aus, sondern auch über die intellektuellen Möglichkeiten seiner Epoche, die offenbar viel weniger statisch und ,orthodox‘ war, als man sie sich lange vorgestellt hat. Seine Vorlage, die „Bataille d’Aliscans“, geht mit dem Stoff anders um: Das französische Epos bietet eine lineare Erzählung mit klar gegliederten Schlachtschilderungen, denen die Fragmentierung und Multiperspektivität der deutschen Bearbeitung fremd ist. Wolfram hat die Vorgaben seiner Quelle neu arrangiert, dadurch dynamisiert und viele Handlungselemente neu motiviert. Besonders innovativ aber ist die Einführung eines exponierten Erzählers, dessen Kommentare bewirken, „dass alles, was scheinbar fraglos geschieht, im Verlauf der Handlung immer fragwürdiger wird“ (Bumke 2004, 390). Während „Aliscans“ durch einen „positiven, auf die Verherrlichung von Heldengestalten und Heldentugenden angelegten Erzählstil“ (ebd.) gekennzeichnet ist, bestimmen Skepsis und Resignation den Ton im „Willehalm“, der – jede Heldenverehrung konterkarierend – mit einem Gang über das mit Leichen übersäte Schlachtfeld von Alischanz endet (vgl. V. 446,10–15), während die Sonne sinkt und – in gegenläufiger Bewegung – die Seelen der Toten zum Himmel aufsteigen (vgl. V. 447,8–10). Das ist kein Bild des Sieges, sondern der Apokalypse. Wolfram geht es um Wahrheit, und diese Intention schließt die Vermeidung jeder Eindeutigkeit und einfachen Bewertung aus. Dies gilt ohne Unterschied für die drei zentralen Themen des Epos. Religion Der Erzähler lässt keinen Zweifel daran, dass die christliche Religion der heidnischen überlegen und der Kreuzzug gegen die Heiden berechtigt ist. Auch Gyburc stellt die Berechtigung des Kampfes gegen ihre Verwandten nicht in Frage, obwohl sie um deren Schonung bittet. Und noch ganz am Ende, als die Welt in Trümmern liegt, bietet Willehalm, erschüttert über Rennewarts Verlust, Gott seine Kampfleistung als ,Preis‘ für seine Gnade an (vgl. V. 454,15–456,24). Dennoch ist der „Willehalm“ ein bemerkenswertes Dokument einer neuen Sicht auf die Heiden, die anerkennt, dass auch sie wertvolle Geschöpfe Gottes sind (vgl. Kap. II.3). Beide Sichtweisen, die Ablehnung und die Respektierung des fremden Glaubens, stehen im „Willehalm“ nebeneinander und werden vom Erzähler nicht vermittelt. Wie sie miteinander in Einklang zu bringen wären, muss sich der Rezipient selber überlegen. Wolfram beantwortet die Sinnfrage nicht (vgl. Knapp 2011, 694–697), leistet aber einen wichtigen Beitrag zum Prozess der Humanisierung, indem er „die einschränkende Taufverwandtschaft der Christen“ öffnet hin „zu einer sanguinitären Geschöpflichkeitsverwandtschaft aller Menschen mit Gott“ (Bertau 1983, 255). Gyburc lässt er betonen, dass die Menschen bei ihrer Geburt alle Heiden sind (vgl. V. 307,16–25) und es schon im Alten Testament, d. h. ante gratiam, viele Beispiele für berühmte Heiden gibt (z. B. Adam, Enoch, Noah, Hiob), die zweifellos Gottes Auserwählte und vor ihm gerechtfertigt waren (vgl.
Skepsis und Resignation
Differenziertes Heidenbild
gotes hantgetat
Verwandtschaft der Religionen
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Widersprüchliche Schöpfungsordnung
Ansätze für einen Religionsfrieden?
Zwei Großfamilien
Zentraler Konfliktherd
V. 306,29–307,15). Alle Religionen taufen, wenn auch im Christentum (Wassertaufe) und in Islam und Judentum (Beschneidung) mit unterschiedlichem Ritual, d. h., es gibt eine Verwandtschaft der Religionen. Es ist in der Forschung umstritten, wie viel religiöse Toleranz man Wolfram zugestehen kann. Sein Erzähler bekennt am Ende des Epos großherzig, dass alle 72 Völker der Erde gleichermaßen Gottes Werk und Wille sind (vgl. V. 450,19 f.). Klar ist jedoch, dass Wolfram sich von der martialischen Kreuzzugsideologie des „Rolandsliedes“ verabschiedet hat. Mehr noch: Sein Konzept einer über den Religionen stehenden universalen Verwandtschaft aller Menschen, die schon im „Parzival“ beschworen wird, stand eindeutig im Widerspruch zur offiziellen kirchlichen Lehre (vgl. Heinzle 1991, 1025). Religion ist im „Willehalm“ der Anlass des Krieges und der Zerstörung verwandtschaftlicher Bande. Zugleich ist sie aber der existenziell entscheidende Lebensgrund sowohl der Christen wie der Heiden, und sie ist ein Stimulus im Kampf. Sie hat gleichzeitig negative und positive Wirkungen. In Gyburcs ,Dogmatik‘ sind es vor allem die universale Schöpfungsmacht des dreieinigen Gottes und seine Barmherzigkeit mit Adames geslehte (V. 218,17), die sie zur Christin hat werden lassen und der sie auch ihr eigenes Dasein verdankt (vgl. V. 215,10–217,8). Die Treue zum Schöpfer stellt sie über verwandtschaftliche Loyalität. Doch was sie mit Freude erfüllt, nämlich unter der Gnade des Christengottes zu stehen, fordert in Alischanz Tausende von Leben. Die Schöpfungsordnung umfasst beides und lässt beides zu. Dennoch und gerade deshalb stimmt Gyburc – wie der Erzähler im Prolog (vgl. V. 1,29–2,18) – in größter Bedrängnis ein Loblied auf die Schönheit der Schöpfung an. „Die Schönheit des Kosmos ist Zeugnis dafür, dass Gott die Schöpfung geheiligt hat“ (Haug 1992, 194). Gyburc vertraut darauf, dass „die göttliche Gnade am Ende das Leid und die Schuld aufheben wird, der Weg dahin führt jedenfalls durch eine Welt hindurch, in der der Mensch hilflos zwischen der göttlichen Heilsversicherung und der Ausweglosigkeit von Tod und Rache steht“ (ebd., 195; vgl. Knapp 2011, 697). Ob Willehalms großmütige Geste am Ende des Epos, die pietätvolle Einbalsamierung und Überführung der gefallenen Heidenkönige (vgl. V. 462,10–463,10), und sein Wunsch, eines Tages Terramers genade und hulde (V. 466,8) zu gewinnen, als erster Vorschein einer möglichen Abstellung dieses Leid- und Schuldautomatismus’ und als Wirkung der friedensstiftenden göttlichen Gnade gelesen werden kann, muss offen bleiben. Verwandtschaft Wie im „Parzival“ ist im „Willehalm“ das Netz der Verwandtschaftsbeziehungen eng geknüpft und strukturell von zentraler Bedeutung (vgl. Przybilski 2000). Es gibt verschiedene Grade der Verwandtschaft: durch Herkunft, durch Verschwägerung und durch Taufpatenschaft (vgl. Bumke 2004, 345). Die Christen gehören zum großen Sippenverband Heimrichs, des Schwiegervaters des Königs, die Heiden wiederum zur Sippe Terramers. Vielen Rittern beider Seiten verleiht Wolfram einen weit gespannten Verwandtschaftshintergrund. Zum einen illustrieren die Sippenbindungen den Grundgedanken einer alle Menschen einenden Verwandtschaft (vgl. Heinzle 2011a, 670 f.). Zum anderen stiften sie ein erhebliches Konfliktpotenzial: Gyburc steht als Toch-
5. Aspekte der Interpretation
ter Terramers und Ehefrau Willehalms zwischen beiden Familien. Die daraus resultierenden Kampfkonstellationen sind vor allem verwandtschaftsbedingt: Terramer zieht aus Solidarität mit seinem Schwiegersohn Tybalt ins Feld (vgl. V. 217,19–25). Er verlangt von Gyburc, dass auch sie sich zu ihrem geslehte (V. 217,29) bekennen soll. Die Loyalität zur Familie ist es auch, die Willehalms Eltern und Brüder, schließlich aber auch seine zunächst abweisende Schwester, die Königin, dazu bringt, in den Kampf zu ziehen. Dadurch ziehen Verwandte gegeneinander in die Schlacht, denn die verfeindeten Sippenverbände sind durch die Ehe Willehalms mit Gyburc miteinander verschwägert. Dies treibt nicht nur Gyburc in ausweglose Situationen, sondern z. B. auch ihren Sohn Ehmereiz, der an der Belagerung von Orange, die seiner Mutter gilt, nicht teilnimmt (vgl. V. 266,10–18). Willehalm wiederum verschont Ehmereiz in der ersten Alischanz-Schlacht (vgl. V. 74,26–75,29), weil er ihn als seinen stiefsun (V. 206,29) betrachtet. Rennewart steht in der Schlacht plötzlich seinem Vater Terramer gegenüber, erschlägt aber nicht ihn, sondern fünf heidnische Könige an seiner Seite (vgl. V. 413,8–414,6). Immer wieder kommt es beinahe zum Brudermord, z. B. zwischen Willehalm und Arnalt. Um ein Haar hätte Willehalm am Königshof seine Schwester getötet. Durch den Krieg ist im „Willehalm“ die Verwandtensolidarität und -liebe überall schwer gestört. Diese Störung zeigt sich gleich zu Beginn der Erzählung, als Heimrich Willehalm und seine Brüder enterbt. Dies ist ein schroffer „Willkür-Akt“ (Bumke 2004, 346), der nicht weiter begründet wird, aber zu einer anhaltenden Entfremdung zwischen Heimrich und seinem Sohn führt. Im „Willehalm“ ist das Verwandtschaftsmotiv anders als im „Parzival“, wo die sukzessive Aufdeckung von Verwandtschaftsverhältnissen zur Identitätsbildung des Helden und zur Konfliktlösung in der Gesellschaft beiträgt, untrennbar mit Gewalt und Entfremdung verknüpft. Verwandtschaft bedeutet hier vor allem „kriegerischen Beistand und Kampfgenossenschaft“ (Schwietering 1941, 176). Im Zentrum steht dabei der ungelöste Konflikt zwischen der Terramer-Sippe und Gyburc. Terramer wurde ausgesandt, seine eigene Tochter zu töten (vgl. V. 217,24 f.). Ihr Sohn Ehmereiz hasst seine Mutter wegen ihres Verrats an ihrer Familie und ihrer Religion (vgl. V. 75,17). Auch Rennewart ist – zu Unrecht (vgl. V. 285,5 f.) – voller Wut auf seine Familie, die ihm nicht zu Hilfe gekommen war, als er als Kind geraubt und von Sklavenhändlern an den französischen König verkauft wurde (vgl. V. 282,29–285,22; 292,10–26). Diese tief sitzende Wut ist einer seiner Hauptantriebe im Kampf gegen Terramers Truppen, und das heißt: seine Verwandten. Wie die anderen gestörten Familienstrukturen zeigt auch sein Fall: „An den verwandtschaftlichen Beziehungen wird das beiderseitige Leid am grausamsten sichtbar, an ihnen müsste es zugleich bewältigt oder verhindert werden“ (Kiening 1993, 222). Wie der Glaubenskrieg durch den Gedanken der universalen Gotteskindschaft, wie er im „Vaterunser“ zum Ausdruck kommt (vgl. V. 1,16–22), beendet werden könnte, so könnten auch die zerrütteten Familienverhältnisse in beiden Großfamilien durch die im Text latent vorhandene Utopie einer universalen Menschenfamilie geheilt werden. Ob diese Perspektive in den nicht mehr ausgeführten Partien des Epos weitergeführt werden sollte, bleibt im Dunkeln.
Verwandtschaft und Gewalt
Utopie einer universalen Menschenfamilie
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VI. Helden- und Kreuzzugsepos: Willehalm
Krieg als Minnedienst
Ethische und geistliche Dimension
Liebesszenen
Minne-Krieg
Liebe Der „Willehalm“ ist auch ein Minneroman. Wie im Artusroman sind Rittertum und Frauendienst eng verbunden. In beiden Schlachten kämpfen Christen wie Heiden als Minneritter durh gote und durh diu wip (V. 338,2 f.). In diesem zentralen Motiv der höfischen Kultur unterscheiden sie sich nicht. Insbesondere die Heiden treibt der Dienst für ihre Damen an, sie bilden der minnen her (V. 26,9) und erscheinen in prächtigen Rüstungen, die ihnen von ihren Frauen geschenkt wurden. Der Erzähler betont immer wieder, dass die Soldaten der Sarazenen gewissermaßen von ihren Minnedamen nach Alischanz geschickt werden (vgl. z. B. 55,7–11). Sie sind der eigentliche Motor ihrer Kampfeswut. Wie im „Parzival“ bringt der Tod des Geliebten im Kampf den Frauen großes Leid (vgl. V. 15,12–18), d. h., über dieser Art Minnedienst hängt immer der Schatten des Todes. Aufseiten der Christen ist der Minnedienst stärker mit dem Gottesdienst verbunden. Sie kämpfen durh der zweir slahte minne: / Uf erde hie durh wibe lon / und ze himel durh der engel don (V. 16,30–17,2). Im Zentrum stehen Willehalm und Gyburc, deren Liebe ebenfalls Minnedienst ist: Gott selber hat es so eingerichtet, dass erfüllte Liebe tapferen Dienst voraussetzt (vgl. V. 456,9–21). Wenn Willehalm sich von der Liebe auf das Schlachtfeld schicken lässt (vgl. V. 88,14), kämpft er allerdings nicht bloß um die Gunst Gyburcs, sondern um ein höheres Ziel: um ihr Leben und ihre Ehe. „Die Verbundenheit von Willehalm und Gyburc, die der Grund für den großen Krieg und das große Leid ist, hat eine ethische und geistliche Dimension, die die Bedeutung der üblichen Dienstminne weit übersteigt“ (Heinzle 2011a, 660 f.). Ihnen gelten die einzigen wirklichen Liebeszenen des Epos: Nach der ersten Schlacht verarztet Gyburc ihren Mann, und sie kommen sich näher: si vielen sanfte an allen haz / von palmat uf ein matraz (V. 100,9 f.). Willehalm schläft an ihrer Brust ein (vgl. V. 100,24 f.). Unbeschwert ist dieses Beisammensein dennoch nicht: Die Metaphorik bleibt dem Bereich des Krieges verhaftet, und die Feinde sind gedanklich noch immer präsent (mit Terramers kinde / wart lihte ein schimpfen da bezalt, / swie zornic er und Tybalt / dort uze ietweder wære; V. 100,14–17). Den schlafenden Geliebten in ihren Armen, bittet Gyburc Gott wegen der furchtbaren Verluste, sterben zu dürfen. Die Flut ihrer Tränen weckt Willehalm auf (vgl. V. 100,26–102,25). Nach der Befreiung von Orange finden sie erneut zärtlich zueinander: an sinem arm ein swankel ris / uz der süezen minne reblüete (V. 279,30 f.). Aber anstatt das Liebesglück auszumalen, wie er es im „Parzival“ öfters macht, unterbricht Wolfram die intime Szene mit einer abstrakten Reflexion über die Unbeständigeit des Lebens, die Freude und Leid im Wechsel bringt: wan jamer ist unser urhap, / mit jamer kom wir in daz grap (V. 280,17 f.). Willehalms und Gyburcs Liebe steht selbst in diesem Moment kurzzeitiger Ruhe noch unter dem Vorbehalt vergangenen und kommenden Leides. Es ist Liebe in Zeiten des Krieges, und dieser Krieg ist nicht nur ein Glaubens-, sondern von Anfang an auch ein Minne-Krieg (vgl. Heinzle 2011a, 661 f.). Auf Gyburcs und Willehalms Liebe liegt die furchtbare Last, einerseits die einzige zwischenmenschliche Brücke zwischen der christlichen und der heidnischen Sphäre zu sein, andererseits aber gerade deshalb der Auslöser von Tod und Verderben.
6. Rezeptionszeugnisse
6. Rezeptionszeugnisse Anders als dem „Parzival“ war dem „Willehalm“ in der Neuzeit jenseits der philologischen Forschung keine nennenswerte Rezeption beschieden. Dass das Epos 1968 zum ersten Mal übersetzt wurde (von Dieter Kartschoke), also 135 Jahre nach Lachmanns Edition, spricht für sich. Im Gegensatz zum großen, an den illustrierten Prachthandschriften und der außergewöhnlichen Zahl überlieferter Textzeugen ablesbaren Interesse des literarisch gebildeten mittelalterlichen Publikums haben sich Schriftsteller und Künstler späterer Jahrhunderte des christlich-heroischen Stoffes nicht angenommen. Eine Ausnahme stellt das Eschenbacher Wolfram-Museum dar, in dem es einen düster-feierlichen „Willehalm“-Raum gibt, in dem mithilfe von Schilden, Waffen und Grabzeichen die Grausamkeit des Glaubenskrieges eindrucksvoll inszeniert wird (vgl. http://www.wolframs-eschenbach.de; Abb. in Brunner/ Schrenk 2010, 57). Viele auf Wolfram folgende Dichter haben sich auf den „Willehalm“ bezogen oder in ihren Werken auf seine Figuren angespielt, z. B. Ottokar von Steiermark („Österreichische Reimchronik“, ca. 1301/19) und der Stricker in seinem „Karl“, einer Bearbeitung des „Rolandsliedes“ (ca. 1220), mit der der „Willehalm“ in der St. Galler Handschrift G und der Hamburger Handschrift Ha zusammen überliefert wird. Für die literaturhistorische Kontextualisierung des Epos relevant ist auch die Überlieferung der „Weltchronik“ Heinrichs von München (ca. 1350): Drei Handschriften des umfangreichen Werkes enthalten im Anschluss an eine Partie über Karl den Großen Auszüge sowohl aus dem „Willehalm“ als auch aus den Fortsetzungen Ulrichs von Türheim und Ulrichs von dem Türlin und ordnen Wolframs Text damit ebenfalls der deutschen Karls-Dichtung zu (vgl. Hennings 2011, 584–586). Eine eigene Rezeptionsgeschichte hat der berühmte Gebetseingang des Epos: Er wurde bereits im 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt (60 Hexameter, paarweise gereimt), „wohl ein Versuch, eine sprachliche Übung“, die „das Interesse der Geistlichen an der Legendendichtung der […] höfischen Epiker“ beweist (Ehrismann 1927, 286; vgl. Gerhardt 2011, 627–629). Wolframs Prolog hat andere Autoren bei der Gestaltung ihrer Vorreden nachhaltig beeinflusst, u. a. Rudolf von Ems („Willehalm von Orlens“, ca. 1235/40) und den Verfasser des „Jüngeren Titurel“ (Albrecht, spätes 13. Jh.). Aus dem 15. Jahrhundert ist eine Prosabearbeitung des Zyklus der drei mittelhochdeutschen Wilhelmsepen erhalten („Prosa-Willehalm“). Im Zusammenhang mit der Neuentdeckung des ,deutschen Altertums‘ schuf Johann Jacob Bodmer 1774 seine epische Dichtung „Wilhelm von Oranse“ (vgl. Bumke 2004, 395–401).
Primär wissenschaftliche Rezeption
Deutsche KarlsTradition
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VII. Tage- und Minnelieder 1. Gattungstradition Neun Lieder Tagelieder
Werbelieder
Es sind neun Lieder unter Wolframs Namen bzw. im Kontext seiner Epen überliefert: fünf Tagelieder und vier Werbelieder. Das Tagelied (tageliet, tagewîse) ist eine Gattung der mittelhochdeutschen Lyrik, die verwandt ist mit der provenc˛alischen Alba und der altfranzösischen Aube. Es thematisiert den Trennungsschmerz der Liebenden, meistens eines Ritters und einer Dame, am frühen Morgen nach heimlich verbrachter Liebesnacht. Als dritte Figur kann der Wächter hinzutreten, der den Ritter bei Tagesanbruch zum Aufbruch drängt. Das Sujet lebt zum einen von der im Vergleich zum Minnesang relativ offen inszenierten Sexualität, zum anderen von der stets über dem Geschehen schwebenden Gefahr des Entdecktwerdens. Typische Strukturelemente sind die Schilderung des Tagesanbruchs, das Erwachen bzw. der Weckruf, (in unterschiedlichen Rollenverteilungen) die Abschiedsklage und der – oft mit einer letzten Vereinigung des Paares einhergehende – Aufbruch des Ritters (urloup). Wichtige Vertreter der Gattung neben Wolfram sind u. a. Dietmar von Aist, Heinrich von Morungen, Friedrich von Hausen, Walther von der Vogelweide, Otto von Botenlouben, Ulrich von Lichtenstein und – im Spätmittelalter mit zunehmendem Zug zur Parodie – Oswald von Wolkenstein (vgl. Müller 1984). Wolfram ist für die Gattungsgeschichte deshalb so bedeutend, weil er den Typus des Wächtertageliedes (vgl. bes. Lied II u. V) kunstvoll variiert und weiterentwickelt hat und das deutsche Tagelied durch ihn einen „ersten Höhepunkt“ erreicht (Holznagel 2011, 95). Das in Wolframs Œuvre quantitativ und qualitativ weniger bedeutende Werbelied gehört in die Tradition des höfischen Minnesangs. In dessen Zentrum steht der Frauendienst. Die Grundsituation basiert auf einem fiktiven Dienstverhältnis des männlichen Sprechers zu einer adeligen Dame, die er umwirbt, die aber in ihrer Idealität so weit über ihm steht, dass eine Erfüllung seines Liebesverlangens unmöglich ist. Topische Elemente der Werbung sind der Frauenpreis, das Dienstversprechen oder auch die (verhüllte) Formulierung sexueller Wünsche. Dessen ungeachtet leistet der Mann weiter entsagungsvollen Minnedienst, durch den er ethisch und gesellschaftlich reift. Einen Höhepunkt erreichte die Gattung in Deutschland um 1200 mit den Liebesliedern Reinmars, Heinrichs von Morungen und Walthers von der Vogelweide, der mit seinem Konzept der ,niederen Minne‘ die artifizielle Stilisierung der Frau wieder zurücknimmt und in seinen Mädchenliedern stattdessen eine partnerschaftliche Liebe propagiert, die die sexuelle Erfüllung einschließt (vgl. Hübner 2008, 5–31). Die Dichter haben in ihren Liedern auf vielfältige Weise aufeinander reagiert und im Medium der Lyrik u. a. Debatten über Literatur- und Minnekonzepte ausgetragen, so dass stets mit intertextuellen Bezügen gerechnet werden muss (vgl. Holznagel 2011, 90).
2. Inhaltsübersicht
Wolframs Lieder I, II, III, VI, VIII und IX folgen dem Schema der von den meisten Minnesängern bevorzugten dreiteiligen Kanzonenstrophe, die anderen Gedichte (IV, V, VII) stellen in Bezug auf Reimstruktur und Metrum Sonderformen dar (vgl. ebd., 96 f.).
Kanzonenstrophe
2. Inhaltsübersicht Eingehende Interpretationen (und Bibliographien mit Spezialliteratur) zu jedem einzelnen Lied finden sich bei Wapnewski (1972) und Holznagel (2011). I „Den morgenblic“ (Tagelied; 3 Strophen; Rollen: Frau, Sprecher; MF, 436 f.) Die Frau erwacht bei Tagesanbruch und spricht voller Trauer über den bevorstehenden Abschied des Geliebten den Tag an, den sie als Feind empfindet: ôwÞ tac! / Wilde und zam daz vrewet sich dîn / und siht dich gern, wan ich eine. wie sol iz mir ergÞn! (V. 1,6–8). Geradezu gewalttätig fällt der Tag mit seinem Licht ungeachtet aller Fenster und Riegel ins Zimmer ein (vgl. V. 2,1–3). Die Dame umarmt den Geliebten, als wollte sie ihn für immer festhalten, und beschwört ihrer beider Einheit: Zwei herze und ein lîp hân wir. / gar ungescheiden unser triuwe mit ein ander vert (V. 2,7 f.). Der Abschied wird hinausgezögert, indem sie sich noch ein letztes Mal dem Liebesspiel hingeben (sus kunden sî dô vlehten / ir munde, ir bruste, ir arme, ir blankiu bein; V. 3,5 f.). Der Erzähler betont, dass die Innigkeit der Vereinigung kaum von einem Maler wiedergegeben werden könnte (vgl. V. 3,7 f.). Die gattungskonforme Trennung findet – trotz der Aussage Der trûric man nam urloup balde alsus (V. 3,1) – quasi nicht statt; sie wird in der gegenseitigen Hingabe der Liebenden aufgehoben. Vier Leitmotive durchziehen das Tagelied: Das Tag-, Vereinigungs-, Tränen- und Sorge-Motiv (vgl. Wapnewski 1972, 38). Besonders eindrucksvoll gestaltet Wolfram den stufenweise voranschreitenden Tagesanbruch (vgl. Holznagel 2011 99–101): Ist es in der ersten Strophe nur ein schwacher Lichtstrahl, so erobert der Tag in der zweiten brutal die Kemenate; in der dritten ist er dann vollständig da (swie der tac erschein; V. 3,3).
Lied I
II „Sîne klâwen“ (Tagelied; 5 Strophen; Rollen: Wächter, Frau; MF, 437–439) Dies ist wegen seiner Bildlichkeit eines der eindrucksvollsten Gedichte der mittelalterlichen Literatur und ein Höhepunkt der Gattung ,Tagelied‘, u. a. durch den Ausbau der Wächter-Figur, die eine wichtige dramaturgische Funktion erhält. Das Gedicht bildet die Diskussion zwischen dem Wächter und der Dame ab, die verhindern will, dass der Morgenruf des Wächters den Geliebten forttreibt. Das Lied beginnt mit dem eindrucksvollen Bild des Tages als eines gefährlichen Raubtieres, das seine Klauen durch die Wolken schlägt (vgl. V. 1,1 f.). Wieder ist das Tageslicht der gnadenlose Feind der Liebenden. Der Wächter ist ein Verbündeter des Mannes, hat ihn heimlich eingelassen und muss ihn nun unbemerkt wieder wegführen, damit er von der Hofgesellschaft nicht entdeckt wird (vgl. V. 1,8–10; 3,7 f.). Es geht darum,
Lied II
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VII. Tage- und Minnelieder
Þre unde den lîp des Liebhabers zu schützen (V. 3,6). Die Frau fleht den Wächter an, zu schweigen (vgl. V. 2,7), und wirft ihm vor, er täusche sich jedes Mal: Schließlich sei es noch gar nicht Tag (vgl. V. 4,4–8). Mit dieser Schutzbehauptung rebelliert sie gegen die „Welt des Schemas und der Schemen, der etablierten Konventionen und Gesetze und präsentiert ihre Gegenwelt, der sogar Zeit und Raum und Kausalität als läppische Erfindungen steriler männlicher Vernunft erscheinen wollen“ (Wapnewski 1972, 108 f.). Die beiden ,Feinde‘, den Wächter und den Tag, wehrt sie am Ende dadurch ab, dass sie sich erneut an den Geliebten schmiegt. Wieder fließen Abschied und Liebesspiel – sprachlich vermittelt über eine „scheinbar paradoxe Koppelung von Entfernung […] und Nähe“ (ebd., 106) – ineinander (vgl. V. 5,6–10). Lied III
III „Ein wîp mac wol“ (Werbelied; 3 Strophen; Rollen: Ich-Sprecher; MF, 440) In der ersten Strophe dieses Minneliedes wünscht sich der Sprecher, dass eine Dame ihm erlauben möge, sie zu betrachten. Er vergleicht sich mit einer Eule, weil sein Herz die Umworbene auch im Dunkeln zu sehen vermag (vgl. V. 1,5 f.). In der zweiten Strophe bekräftigt der Sprecher, dass er sich unverbrüchlich in den Dienst der Dame stellt, um dereinst die Chance für eine wohlwollende Erwiderung und Begegnung zu erhalten: Daz man mir muoz vröiden jehen. / noch groezer wunder ist geschehen (V. 2,5 f.). Mit diesem Ziel vor Augen verpflichtet sich der Sprecher in der dritten Strophe, sich künftig ausschließlich um die Steigerung seiner zühte (V. 3,6) zu kümmern. Wie die Saat den Storch nicht zu fürchten habe, sei auch er für Frauen ganz harmlos (vgl. V. 3,1 f.); dass es nur eine gebe, die ihm übel mitgespielt habe, lasse er jetzt außen vor (vgl. V. 3,4 f.). Das Gedicht arbeitet raffiniert mit Jagdmetaphorik (Jagdfalke) und – in Anspielung auf den „ganzen Schlag der Minne-Nachtigallen“ (Wapnewski 1972, 190) – mit Bildern aus der Vogelwelt (Eule, Storch) und wird von der neueren Forschung daher als Parodie auf Lieder Walthers und Reinmars wie überhaupt auf den klassischen Minnesang interpretiert: „Der konventionelle Minnesang wird entlarvt und der tötenden Lächerlichkeit preisgegeben“ (ebd., 191; vgl. Kasten 1995, 1058 f.). Doch das intertextuelle Spiel dürfte noch weiter gehen: Die ,eine Untreue‘ korrespondiert auffällig mit der Aussage der sog. „Selbstverteidigung“ im „Parzival“, mit der Wolfram einer Dame wegen ihrer missetât ewigen zorn schwört und feststellt, dass ihn – anders als im Lied III – deshalb nun auch alle anderen Frauen ablehnen (vgl. Parzival 114,8–28). Kann man diese Korrespondenz vielleicht doch biographisch fruchtbar machen und z. B. auf einen Konflikt mit der Gönnerin Wolframs schließen (so Nellmann 1994, 515)? Naheliegender dürfte auch hier der Ansatz sein, in beiden Fällen erneut von einer „Absage an den Minnesang und an das Konzept des Frauendienstes“ auszugehen (Kasten 1995, 1059; vgl. Holznagel 2011, 122 f.).
Lied IV
IV „Der helden minne“ (Tagelied; Rollen: Sprecher, 2. Strophe: Wächter/Dame?; MF, 441) Dieses Lied wird heute als Tagelied-Parodie verstanden. Denn der Text inszeniert keine Kemenatenszene bei Tagesanbruch, sondern der (nicht eindeutig
2. Inhaltsübersicht
bestimmbare) Sprecher befiehlt einem imaginären Wächter aufzuhören, von heimlicher Liebe und morgendlichem Trennungsschmerz zu singen. Illegitime Liebe, die unentwegt Leid auf Glück folgen lasse und bei der der Ritter sich im Morgengrauen heimlich davonstehlen müsse, sei keine rechte Liebe: swaz dû dô riete in beiden, / dô ûf gienc / Der morgensterne, wahtaere, swîc, / dâ von niht […] sinc (V. 1,7–10). Das Ideal sei stattdessen die legitime, öffentlich praktizierbare eheliche Liebe: Ein offeniu süeze wirtes wîp / kan sölhe minne geben (V. 2,9 f.). Die ältere Forschung hat diese beiden Strophen als Abschied vom Tagelied gelesen und glaubte, hier den wirklichen Wolfram sprechen zu hören, der ja u. a. im „Parzival“ und im „Willehalm“ die eheliche triuwe verherrlicht. Die Unwürdigkeit und Unsittlichkeit der klassischen Tagelied-Situation werde hier abschließend zurückgewiesen (vgl. den Forschungsbericht bei Wapnewski 1972, 156–159). Die neuere Forschung hält dies für eine Fehldeutung und unterstellt eher eine parodistische Absicht im Kontext eines experimentellen Tagelied-Variationenzyklus’, „der es sich in bezeichnender Wolfram-Manier nicht versagen kann, auch das dialektische Moment seiner eigenen Infragestellung mit hineinzunehmen, d. h. ein Lied zu komponieren, das seinen Gegenstand (und damit […] sich selbst) dementiert. Ummontage, Umbau der Versatzstücke zu neuer, kontradiktorischer, antinomischer Konfiguration“ (ebd., 167). Offenbar spielt das Lied mit Tagelied-Bausteinen eine neue literarische Konstellation durch und ist nicht biographisch, sondern eher poetologisch zu lesen (vgl. Holznagel 2011, 118–120). V „Von der zinnen“ (Tagelied; 3 Strophen; Rollen: Wächter, Mann; MF, 442 f.) Dieses Wächterlied stellt die Wächterfigur ganz in den Mittelpunkt. Der Nachtwächter singt warnend durch wolken dringet / tagender glast. / hüete dîn, wache, süezer gast! (V. 2,13–15) und verlässt den Burgturm, denn der Morgen ist da (vgl. V. 1,1–3). Er ist zwar ein Verbündeter der Liebenden, sorgt sich nun aber um deren lîp und Þre (V. 1,9). Daher fordert er den Ritter auf, rasch aufzubrechen (vgl. V. 1,15). Das tut er aus Loyalität und aufgrund seines Berufsethos (vgl. V. 2,1–3). Der Mann beklagt nur kurz seinen Abschiedsschmerz, und dann geht die ratsame Trennung – wider alle vom Wächter repräsentierte Vernunft – im erneuten Liebesspiel unter (vgl. V. 3,11–15). Das Spezifikum dieses Liedes besteht in der Rollenverschiebung, die den Ritter von Wohlwollen und Geschick des (eigentlich untergebenen) Wächters abhängig macht. Wolfram macht den Wächter zwar „zum unangefochtenen Konspiranten“, legt in das Gedicht aber eine „Struktur des Paradoxen“ hinein „in dem Sinne, als hier das gänzliche, die Grenze des Würdelosen streifende Angewiesensein, ja Ausgeliefertsein des Herrn an den Knecht demonstriert wird“ (Wapnewski 1972, 138).
Lied V
VI „Ursprinc bluomen“ (Werbelied; 5 Strophen; Rollen: Ich-Sprecher; MF, 444 f.) Lied VI ist eines der konventionellsten Gedichte Wolframs und versammelt verschiedene bekannte Topoi des Minnesangs. Strophe 1 beginnt mit dem klassischen Frühlings und Natureingang. Der Sprecher betont, dass er anders
Lied VI
113
114
VII. Tage- und Minnelieder
als andere Sänger nicht nur im milden Mai, sondern auch im kalten Winter im Dienst seiner Dame niuwez singen (V. 1,3) anstimmen kann. Strophe 2 häuft verschiedene klassische Sujets (Blumen, Tau, Vogelgesang, Mai, Nachtigall). In der dritten und vierten Strophe folgen die übliche Bitte an die Umworbene um genâde (V. 3,1) und die Hoffnung des Sängers, dass sein trûren (V. 4,3) bald ein Ende habe. In der fünften Strophe wird dieses Motiv erweitert um die Sehnsucht des Sprechers auf ein helflîchez wort (V. 5,4). Das alles sind Versatzstücke des klassischen Minneliedes mit seinem traditionellen Dienst-Lohn-Schema. In ihrer Häufung wirken sie fast wie eine „Montage“ (Wapnewski 1972, 224). Ob eine parodistische Absicht zugrunde liegt, wie die ältere Forschung angenommen hat, ist zweifelhaft (vgl. ebd., 216 f.). Insgesamt wirkt das Lied sehr „formelhaft“ und verlässt die „herkömmlichen Bahnen des Werbelieds“ nicht (Kasten 1995, 1068). Lied VII
VII „Ez ist nu tac“ (Tagelied; 4 Strophen; Rollen: Mann, Frau, Sprecher; MF, 445–447) In diesem Lied sprechen Mann und Frau im Wechsel. Zuerst kündigt der Mann seinen Aufbruch an (vgl. V. 1 f.), dann drückt die Frau ihren Schmerz und ihre Sorge über sein unbemerktes Fortkommen aus (biblische Bildlichkeit aufrufend, will sie den Geliebten in ihren Augen verstecken; vgl. V. 1,8 f.), schließlich beklagt auch er seinen Trennungsschmerz und die Kürze der Nacht und hofft auf ein baldiges Wiedersehen (vgl. V. 2,6–12). Die dritte und vierte Strophe oszillieren zwischen Aufbruch und neuer Liebesvereinigung und inszenieren das Quälende und Ambivalente des drohenden Abschieds dadurch umso eindrucksvoller. Die Liebenden verfluchen den Tag (vgl. V. 3,2) und drängen sich noch einmal so eng zusammen, dass – so das hyperbolische Bild Wolframs – kein Lichtstrahl zwischen ihnen hindurchdränge, ob der sunnen drî mit blicke waeren (V. 3,8). Das Paar versucht, das leidbringende Licht gewissermaßen mit einer Vereinigung ihrer beider Körper abzuwehren und die Trennung so zu verhindern. Klagend und weinend müssen sie sich schließlich doch voneinander verabschieden (vgl. V. 4,1–12). Ein dominantes Thema ist die Sorge sowohl der Frau (vgl. V. 1,11 f.; 4,11 f.) als auch des Ritters (vgl. V. 3,10–12), dass ihm während der Zeit der Trennung nichts zustößt und er eines Tages unbeschadet zu ihr zurückkehren kann. Das Lied stilisiert die Liebe zur religiösen, existenziellen Kategorie (hât minne an saelden teil; V. 2,11), was die Forschung zu der These geführt hat, dass die „Verschmelzung biblisch-religiöser Termini, insbesondere solcher, die im Psalter als Leitworte auftreten […] mit den Termini des Liebesund Minnesangs […] den geschilderten Vorgang in einen unnahbaren, in einen nicht mehr dem Zugriff von Konvention und Denunziation zugänglichen Bereich“ entrücke (Wapnewski 1972, 82; vgl. Holznagel 2011, 117).
Lied VIII
VIII „Guot wîp, ich bitte dich minne“ (Werbelied; 6 Strophen; Rollen: Ich-Sprecher; MF, 447–450) Hier liegt wieder ein klassisches Minnelied vor, das alle gängigen Topoi aufbietet: Bitte um die Gunst der Dame, Lob der Schönheit der Umworbenen, Liebesqual, vreude beim Anblick der Geliebten usw. Interessant sind lediglich einzelne Vergleiche, z. B. des flüchtigen Wohlwollens der Dame mit
3. Überlieferung und Editionsgeschichte
einem davonlaufenden Reh (vgl. V. 1,7 f.), ihres Oberkörpers mit der geschwungenen Brust eines jungen Falken (vgl. V. 2,4–6) oder ihrer Unnachgiebigkeit mit einem Meteorstein, der eher zu erweichen wäre (vgl. V. 3,8–11). Von Wolframs Originalität und Sprachwitz findet sich ansonsten keine Spur. Besonders die drei letzten Strophen sind nicht mehr als ein „Stück banaler Imitation“ von Liedern Reinmars und Heinrichs von Morungen (Wapnewski 1972, 240). Die Forschung hat daher diskutiert, ob es sich überhaupt um ein ,echtes‘, d. h. von Wolfram stammendes Gedicht handelt (vgl. Holznagel 2011, 126 f.). IX „Maniger klaget“ (Werbelied; Rollen: Ich-Sprecher; MF, 450 f.) Ebenso klassisch ist das letzte unter Wolframs Namen überlieferte Lied, das inhaltlich ganz den Grundthemen des Minnesangs (sendez trûren; V. 1,6) und der traditionellen Relation manlîch dienst, wîplîch lôn (V. 3,7), verhaftet bleibt. Wegen seiner Konventionalität stand es ebenfalls im Verdacht, ,unecht‘ zu sein (vgl. Holznagel 2011, 127 f.).
Lied IX
3. Überlieferung und Editionsgeschichte Die erhaltenen neun Lieder Wolframs sind in vier verschiedenen Handschriften überliefert (vgl. die Abbildungen bei Wapnewski 1972, Tafeln 1–5). Die große Münchner Wolfram-Handschrift Cgm 19 (G) enthält die Lieder I („Den morgenblic“) und II („Sîne klâwen“), beide ohne Namensnennung. In der „Kleinen Heidelberger Liederhandschrift“ Cpg 357 (A), einer Lyrik-Sammelhandschrift aus dem späten 13. Jahrhundert, findet sich unter dem Namen Wolframs Lied VII („Ez ist nu tac“). Die berühmte „Große Heidelberger Liederhandschrift“, der „Codex Manesse“ Cpg 848 (C), überliefert unter dem Namen her wolfran von Eschilbach und unter Beigabe der bekannten Miniatur (vgl. Abb. 1) die Lieder III bis IX („Ein wîp mac wol“, „Der helden minne“, „Von der zinnen“, „Ursprinc bluomen“, „Ez ist nu tac“, „Guot wîp, ich bitte dich minne“, „Maniger klaget“). In die „Weingartner Liederhandschrift“ B (heute Stuttgart, Cod. HB XIII 1) schließlich wurden Anfang des 14. Jahrhunderts die Lieder III bis V („Ein wîp mac wol“, „Der helden minne“, „Von der zinnen“) aufgenommen, ebenfalls ohne Autornennung (vgl. Holznagel 2011, 83–86). Eine eigene Sammlung der Lieder Wolframs scheint es im 13. Jahrhundert nicht gegeben zu haben. Dennoch sagt das weder etwas über das ursprüngliche Textkorpus noch über die Intensität der mittelalterlichen Rezeption aus, denn dass die „trümmerhafte Überlieferung ein repräsentatives Bild von der lyrischen Produktion Wolframs abgibt, ist mehr als fraglich“ (ebd., 87). Die Forschung geht daher davon aus, dass Wolfram mehr Lieder verfasst hat, als heute erhalten sind. Dafür spräche – wenn Wolfram sich dabei auf ein nennenswertes Korpus eigener Gedichte bezöge – auch die Aussage in der sog. „Selbstverteidigung“ im zweiten Buch des „Parzival“, in der er vorgibt, ein teil mit sange zu können (V. 114,13), d. h. nicht nur Epiker, sondern auch Liederdichter zu sein.
Vier Handschriften
„Trümmerhafte Überlieferung“
115
116
VII. Tage- und Minnelieder Ausgaben und Übersetzungen
Die kritische Erstedition stammt von Karl Lachmann (1833). Die maßgeblichen modernen Editionen wurden von Peter Wapnewski (1972; mit minutiösem Kommentar, Übersetzung und Interpretation) sowie von Hugo Moser und Helmut Tervooren (in „Des Minnesangs Frühling“ 381988, 436–451) herausgegeben. Sehr gute Übersetzungen haben außerdem Wolfgang Mohr (1978) und Margherita Kuhn (in Kasten 1995) vorgelegt.
Zeittafel 745–812
Hl. Wilhelm von Aquitanien
um 1080
„Annolied“
1096–1099
1. Kreuzzug
1098–1179
Hildegard von Bingen (Mystikerin, Ordensgründerin)
1099
Errichtung des Königreichs Jerusalem unter Gottfried von Bouillon
1099
Gründung des Johanniterordens (Ordo Hospitalis sancti Johannis Ierosolimitani)
um 1100
„Chanson de Roland“ (frz.)
1115–1153
Abt Bernhard von Clairvaux
1118
Gründung des Templerordens (Pauperes commilitones Christi templique Salomonici Ierosolimitanis)
1122–1151
Abt Suger von St. Denis
ca. 1138
Geoffrey of Monmouth: „Historia regum Britanniae“ (lat.)
1138–1152
Kaiser Konrad III.
1140/50
„Kaiserchronik“
1147–1149
2. Kreuzzug unter Führung Kaiser Konrads III. und König Ludwigs VII. von Frankreich
ca. 1147–1212
Poppo I. Graf von Wertheim
ca. 1150 (?)–1197 Ruprecht I. von Durne 1152–1190
Kaiser Friedrich I. (Barbarossa)
1154–1189
Heinrich II. (Plantagenet) König von England
1155
Kaiserkrönung Barbarossas
1155
Wace: „Roman de Brut“ (frz.)
1159–1181
Papst Alexander III.
um 1160
„Roman de Thèbes“ (frz.)
um 1160/70
„Herzog Ernst A“
um 1160/80
Dietmar von Aist: Lyrik
1165
Karl der Große in Aachen heiliggesprochen
1165–1176
Chrétien de Troyes: „Cligès“, „Lancelot“, „Yvain“, „Erec“ (frz.)
um 1170 (?)
Geburt Wolframs von Eschenbach
um 1170
„Straßburger Alexander“
um 1170
„Chanson de Guillaume“ (frz.)
118
Zeittafel 1170/80
Robert de Boron: „Roman de saint graal“ (frz.)
1170/80
Chrétien de Troyes: „Perceval“ (frz.)
um 1170/85
Heinrich von Veldeke: „Eneasroman“
um 1170–1190
Friedrich von Hausen: Lyrik
ca. 1170 (?)–1238 Poppo II. Graf von Wertheim 1171–1193
Saladin Sultan von Ägypten
1172/80
Pfaffe Konrad: „Rolandslied“
1172–1183
Friedrich II. Graf von Abenberg
ca. 1175/80
Eilhart von Oberg: „Tristrant“
ca. 1177–1245
Otto von Botenlouben: Lyrik
um 1180/1200
Hartmann von Aue: „Erec“, „Iwein“, „Klage“, „Armer Heinrich“, „Gregorius“, Lyrik
1184
Hoftag zu Mainz (Schwertleite von Barbarossas Söhnen)
um 1185/90
Renaut de Beaujeu: „Le Bel Inconnu“ (frz.)
1187
Sultan Saladin erobert Jerusalem, Papst Gregor VIII. ruft zum 3. Kreuzzug auf
1189–1192
3. Kreuzzug unter Führung Friedrich Barbarossas, Philipps II. von Frankreich und Richard Löwenherz’ von England
1189–1199
König Richard I. Löwenherz von England
ab 1190 (?)
Beginn der Schaffenszeit Wolframs von Eschenbach
um 1190
„Lucidarius“
um 1190/1210
Reinmar der Alte: Lyrik
um 1190/1210
Albrecht von Halberstadt: „Metamorphosen“
um 1190/1220
Heinrich von Morungen: Lyrik
1190
Tod Barbarossas auf dem Kreuzzug
1190
Gründung des Deutschen Ordens (Ordo domus Sanctae Mariae Theutonicorum)
nach 1190
Herbort von Fritzlar: „Liet von Troye“
1190–1197
Kaiser Heinrich VI.
1190–1217
Landgraf Hermann I. von Thüringen
1191–1204
Wolfger von Erla Bischof von Passau
1194/1203
Ulrich von Zatzikhoven: „Lanzelet“
1195
Tod Heinrichs des Löwen
1197
,Deutscher Kreuzzug‘; Tod Kaiser Heinrichs VI.
1198
Doppelwahl und Machtkampf zwischen Welfen (Otto IV. von Braunschweig) und Staufern (Philipp von Schwaben) um die Vorherrschaft im Reich
1198–1208
Philipp von Schwaben
Zeittafel 1198–1215
Otto IV.
1198–1216
Papst Innozenz III.
um 1198–1227
Walther von der Vogelweide: Lyrik
1199–1216
König Johann I. Ohneland von England
vor 1200 (?)
Wolfram von Eschenbach: Lyrik (Tage- und Werbelieder)
um 1200
„Aliscans“ (frz.)
nach 1200 (?)
Otte: „Eraclius“
ca. 1200–1275
Ulrich von Lichtensten („Frauendienst“, „Frauenbuch“)
1202–1204
4. Kreuzzug
nach 1203
Wolfram von Eschenbach: „Parzival“
1203/04
Eroberung und Plünderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, Errichtung eines lat. Kaisertums
vor 1204
„Nibelungenlied“ und „Klage“
1204–1218
Wolfger von Erla Patriarch von Aquileia
1205/10
Gottfried von Straßburg: „Tristan“
1206
Guiot de Provins: „Bible“
1208
Ermordung Philipps von Schwaben
1209
Kaiserkrönung Ottos IV.
1209–1229
Albigenserkriege
1210
Bestätigung des Ordens der Minderen Brüder (OFM = Ordo fratres minores, ,Franziskaner‘) des Hl. Franz von Assisi durch Papst Innozenz III.
um 1210/20
Wolfram von Eschenbach: „Willehalm“
1210/20
Wirnt von Grafenberg: „Wigalois“
um 1210/40
Neidhart (von Reuental): Lyrik
1212–1250
Kaiser Friedrich II.
1216
Ordensgründung des Hl. Dominikus (OP = Ordo fratrum Praedicatorum, ,Dominikaner‘)
um 1217/20
Wolfram von Eschenbach: „Titurel“
1218
Tod Bertholds IV. von Zähringen und Kaiser Ottos IV.
1219
Eroberung Damiettes durch die Kreuzfahrer
um 1220 (?)
Tod Wolframs von Eschenbach
um 1220/1250
Der Stricker: „Karl“, „Daniel von dem Blühenden Tal“
nach 1225
Heinrich von dem Türlin: „Diu Crône“
um 1230
„Prosa-Lancelot“ (frz. Vulgata-Version)
um 1235/40
Rudolf von Ems: „Willehalm von Orlens“
um 1240
„Kudrun“
nach 1243
Ulrich von Türheim: „Rennewart“
119
120
Zeittafel vor 1250
Prosa-Lancelot“ (dt.)
ca. 1250
„Walewein“ (ndl.)
1261/69
Ulrich von dem Türlin: „Arabel“
vor 1272/1294 (?) Albrecht: „Jüngerer Titurel“ ca. 1300
„Moriaen“ (ndl.)
um 1301/1319
Ottokar von Steiermark: „Reimchronik“
1331–1336
Claus Wisse/Philipp Colin: „Der Nüwe Parzefal“
vor 1350 (?)
Heinrich von München: „Weltchronik“
1377–1445
Oswald von Wolkenstein: Lyrik
um 1390
„Sir Gawain and the Green Knight“ (engl.)
1470
Thomas Malory: „Le Morte Darthur“ (engl.)
1473–1481
Ulrich Fuetrer: „Buch der Abenteuer“
1477
Druck des „Parzival“ bei Johannes Mentelin in Straßburg
1753
Johann Jakob Bodmer: „Der Parcival, ein Gedicht in Wolframs von Eschilbach Denkart, eines Poeten aus den Zeiten Kaiser Heinrichs IV.“
1774
Johann Jakob Bodmer: „Wilhelm von Oranse“
1784
Christoph Heinrich Myller: „Sammlung deutscher Gedichte aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert“
1833
Erste kritische Ausgabe der Werke Wolframs durch Karl Lachmann
1882
Uraufführung von Richard Wagners Oper „Parsifal“
1994
Eröffnung des Wolfram-Museums in Wolframs-Eschenbach
Bibliographie In die Auswahlbibliographie wurden alle Publikationen aufgenommen, die innerhalb des Buches genannt werden, darüber hinaus einführende Darstellungen, die leicht erhältlich sind, und forschungsgeschichtlich besonders relevante Arbeiten. OnlineRessourcen (u. a. Handschriftenfaksimiles) sind leicht über die Seiten des Handschriftencensus (http:// www.handschriftencensus.de) und des Mittelalterportals mediaevum (http://www.mediaevum.de) erreichbar und werden daher nicht eigens aufgeführt. Kurzangaben wie BARTSCH/MARTI (1927) u. a. in der Rubrik „Kommentare“ beziehen sich stets auf das vorangehende Verzeichnis der „Ausgaben und Übersetzungen“ des jeweiligen Wolfram-Textes. Wolframs Werke werden im Text zitiert nach den Studienausgaben von LACHMANN/SCHIROK 2003 („Parzival“), BRACKERT/FUCHS-JOLIE 2003 („Titurel“), SCHRÖDER/KARTSCHOKE 2003 („Willehalm“) und MF (= „Des Minnesangs Frühling“; Lieder).
1. Wolfram-Bibliographie JOACHIM HEINZLE/DECKE-CORNILL (2011) = Joachim Heinzle, unter Mitwirkung von Renate Decke-Cornill: Bibliographie zu Wolfram von Eschenbach (1748–2008/2011). In: Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch. Hg. v. Joachim Heinzle. 2 Bde. Berlin, Boston 2011, Bd. 2, S. 1003–1346.
2. Handbücher und Lexika BUMKE (1999) = Joachim Bumke: Wolfram von Eschenbach. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hg. v. Burghart Wachinger. 14 Bde. Berlin, New York 1977–2008, Bd. 10 (1999), Sp. 1376–1418. HEINZLE (1993) = Das Mittelalter in Daten. Literatur, Kunst, Geschichte 750–1520. Unter Mitwirkung v. Hartmut Beckers u. a. hg. v. Joachim Heinzle. München 1993. HEINZLE (1998) = Joachim Heinzle: Wolfram von Eschenbach. In: Lexikon des Mittelalters [LMA]. 9 Bde. München 1980–1999, Bd. 9 (1998), Sp. 310–313. HEINZLE (2011) = Wolfram von Eschenbach. Ein
Handbuch. Hg. v. Joachim Heinzle. 2 Bde. Berlin, Boston 2011. HEINZLE (2014) = Wolfram von Eschenbach. Ein Handbuch. Studienausgabe. Hg. v. Joachim Heinzle. Berlin, Boston 2014. KIENING (2011) = Christian Kiening: Wolfram von Eschenbach. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. 2. vollständig überarb. Aufl. Hg. v. Wilhelm Kühlmann. 13 Bde. Berlin, New York 2008–2012, Bd. 12 (2011), S. 554–561.
3. Literaturgeschichten BERTAU (1973) = Karl Bertau: Deutsche Literatur im europäischen Mittelalter. 2 Bde. München 1972/ 73. BRÄUER (1990) = Der helden minne, triuwe und Þre. Literaturgeschichte der mittelhochdeutschen Blütezeit. Von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Rolf Bräuer. Berlin 1990. BRUNNER (2013) = Horst Brunner: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters im Überblick. Erw. u. bibliograph. aktualisierte Ausg. Stuttgart 2013. BUMKE (1990) = Joachim Bumke: Geschichte der deutschen Literatur im hohen Mittelalter. München 1990. EHRISMANN (1927) = Gustav Ehrismann: Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Bd. II.1. Die mittelhochdeutsche Literatur der Blütezeit. München 1927. GOLTHER (1922) = Wolfgang Golther: Die deutsche Dichtung im Mittelalter. 800 bis 1500. 2. Aufl. Stuttgart 1922. HAHN (2012) = Reinhard Hahn: Geschichte der mittelalterlichen deutschen Literatur Thüringens. Köln, Weimar, Wien 2012. JOHNSON (1999) = Leslie Peter Johnson: Die höfische Literatur der Blütezeit (1160/70–1220/30). Geschichte der dt. Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Bd. II.1. Tübingen 1999. WEHRLI (1997) = Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. 3. bibliograph. erneuerte Aufl. Stuttgart 1997.
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Sachregister Alba 10, 110 Anakoluth 14, 61 Analphabetismus 15 Annominatio 14 Artusroman 11, 56, 63, 77, 108 Astronomie 22 Autorbegriff 28 Beglaubigung 14, 23, 28, 65, 102 Berufsdichter 31 f. Bilderhandschrift 51, 86 f. Bildung 11, 15, 20–22, 29, 33, 36–39 blutende Lanze 44 Blutstropfen-Episode 45, 48 Bogengleichnis 57 f., 61, 64 Brackenseil 73–76, 79 f. Bucheinteilung 52 f. Burg 8–11, 32 Chanson de geste 10, 88, 90 Chronistik 38 comic relief 66, 97, 103 Constructio apokoinu 14, 61 Dekonstruktion 66, 97 deutsches Altertum 18, 109 Didaxe 9 doppelter Cursus 63 Dreißiger-Abschnitte 17, 53 f., 92 dunkler Stil 56, 75, 78, 95
Glaubenskrieg 84, 90–94, 100, 107, 109 Gönner 8, 16, 29, 32–36, 112 Gotteskindschaft 27, 104, 107 Gral 24 f., 68 Gralsgesellschaft 45 f., 48, 69 Gralskönig 24 f., 35, 43–49, 58, 63, 68 f., 73 Gralsroman 7, 10, 23, 40, 62, 67, 70 Großinitialen 53, 91 f. hakenschlagendes Erzählen 26, 57–59 Handwerksmetapher 96 Heidenbild 27, 39, 90, 105 Heiligenlegende 86, 104 Heilsgeschichte 22, 38, 55 Heldenepik 10, 13, 15, 70, 77, 80, 90, 99 historisch-kritische Methode 17 f., 55, 71, 76, 115 Hof 7–11, 16, 32 f. Hoffest 9, 11, 16, 33 höfisch 7–12 höfische Dichtersprache 12–15 Hostie 24, 68 Humor 14, 56, 65 f., 80, 97, 103 Hyperbel 39, 93 illitteratus 37 Jagdmetapher 96
Ellipse 14, 61 Elsterngleichnis 26 Entwicklungsroman 7, 65 Epilog 32, 49, 53, 57, 69 Erbsünde 25 Erfurter Weinberge 40 Erzählerfigur 30, 65 Erzähltechnik 7, 22, 24, 57, 62–64, 70, 76, 81 Erzähltheorie 57, 59, 102
Kanzonenstrophe 111 Karfreitag 24, 46, 59, 68 Karfunkel 38 Karls-Epen 90 Kinderliebe 78 f. kiusche 14, 62, 67, 79 Komik 65 f., 97 f. Kommentierung 7, 65 Kontraktionsform 17, 54 Kreuzzug 11 f., 21, 27, 39, 56, 84, 90, 100, 105 Kreuzzugsideologie 21, 27, 86, 106 Kyot-Fiktion 20–26, 49, 55, 58
Fehde-Theorie 26 Französisch 9 f., 23, 38, 60 f., 103 Frauendienst 12, 21, 108–112 Frauenverachtung 12 Frömmigkeit 20 f.
Laiendichtung 20, 95 Latein 38 Legendenschema 104 litteratus 39 locus amoenus 98
Geste de Guillaume 88
Märchenmotivik 70
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Sachregister mâze 13, 62 Mäzen 8, 30–36 Medizin 22, 37 Metapher 7, 40, 65–67, 78, 93–96 milte 33 Minneklage 79 Minnekrankheit 66, 74 Minneroman 40, 104, 108 Minnesang 10, 31, 41, 70, 79 f., 98, 110–116 Mitleidsfrage 21, 24, 44 f., 58, 68, 73 Mittelhochdeutsch 12 f. Mittelniederländisch 10, 13 f. Multiperspektivität 26, 63, 94, 100, 105 Mystik 21 f.
Residenzbildung 8 Rhetorik 14, 37, 39 Ritterorden 11, 68 Rittertum 12, 21, 63, 108
Nekrolog 28 Neologismus 61, 78 Niederdeutsch 12 Normalisierung 54
Tafelrunde 44–48 Tagelied 7, 10, 17, 31, 40, 75, 110–114 Tagelied-Parodie 110, 112 Totalität 67 triuwe 13 f., 25, 37, 61 f., 68 f., 74, 80, 92, 111, 113 Turnier 8 f., 11, 14, 35, 43, 60
Oberdeutsch 13, 29, 51 offener Schluss 69 orale Kultur 15 Orient 42 f., 48, 68, 74, 78, 80, 91 Parenthese 14, 61, 78 Pars-pro-Toto-Formulierung 14 Periphrase 14, 62, 98 f. Personifikation 67 Perspektivität 26, 67, 100, 102 Phasengliederung 53, 92 Poetik 22, 56–59, 77, 81, 91, 102, 104 Polytheismus 27 Prolog 26, 32 f., 38, 42, 52, 57, 59, 60, 62, 64, 82, 91 f., 101–106, 109 provenzalische Literatur 10, 110 Quellenberufung 23 f., 28 Reimpaarvers 15, 38, 60, 76 f., 91 Reimtechnik 60 Repetition 63 f.
Schachspiel 40, 59, 66 Schonungsgebot 27, 83 f. Schöpfungsordnung 106 Schwanritter-Sage 49 Selbstverteidigung 31, 40, 53, 57 f., 112–114 Sippenbindung 106 staete 58, 62, 79 f. Strophenform 77 Syntax 14, 61
Unfähigkeitsformel 94 Universalität 67 Utopie 12, 49, 68, 107 Verstechnik 14 f. Verwandtschaft 7, 22, 63, 67, 89, 105–107 Vorausdeutung 93, 99 f. Wachstafel 16, 92 Wappen 9, 11, 29, 31, 42, 84 f., 90, 99 Werbelied 110–115 Wilhelms-Epen 10, 88, 109 Wolfram-Museum 29, 109 Wortschatz 13, 60 Wundersäule 47 f. Würfelspiel 66, 95, 97 Zauberschloss 45 f. zwîvel 58, 62
Namen- und Werkregister Albrecht: Jüngerer Titurel 22, 56, 71, 76 f., 81, 109 Altdorfer, Albrecht 93 Ambraser Heldenbuch 76 Bataille d’Aliscans 10, 89, 105 Bernhard von Brubant 90 Bernhard von Clairvaux 21 Bliocadran-Prolog 55 Bodmer, Johann Jakob 17, 71, 109 – Gamuret 17 – Wilhelm von Oranse 17, 109 Chanson de Guillaume 88 f. Chrétien de Troyes 10, 23–25, 35 f., 39–42, 49, 55 f., 67 f., 77, 102 – Cligès 39, 55 – Erec et Enide 39, 55 – Lancelot 39, 55 – Perceval / Conte du Graal 10, 24, 39 f., 55, 67 f., 77 Codex Manesse 31, 115 Colin, Philipp: Der Nüwe Parzefal 49 Dietmar von Aist 10, 110 Dorst, Tankred 71 Eilhart von Oberg: Tristrant 39, 55 Friedrich I. (Kaiser) 34 Friedrich II. von Abenberg 35 Friedrich von Hausen 110 Füetrer, Ulrich: Buch der Abenteuer 56, 70
Hauptmann, Gerhard 71 Heinrich II. von Hessen 86 Heinrich VI. (Kaiser) 34 f. Heinrich der Löwe 8, 33 Heinrich von Morungen 31, 110 Heinrich von München 86, 109 Heinrich von dem Türlin: Diu Crône 56 Heinrich von Veldeke 7, 14 f., 33, 39, 55 f., 60, 95 – Eneasroman 33, 39, 55 Heliand 28 Herbort von Fritzlar: Trojanerkrieg 33 Hermann I. von Thüringen (Landgraf) 9, 23, 29 f., 33 f., 40 f., 90 Heyse, Paul 72 Kaiserchronik 39, 55 Karl der Große 88 Kleine Heidelberger Liederhandschrift 40 Klopstock, Friedrich Gottlieb 17 Konrad, Pfaffe: Rolandslied 27, 33, 39, 55, 60, 90, 99, 104, 106, 109 Knecht, Peter 18, 71 Kühn, Dieter 18, 71 Lachmann, Karl 12, 17 f., 20, 22, 50, 52–55, 71, 76, 88, 91 f., 109, 115 Lancelot propre 56 Lauber, Diebold 51, 71 Le Bel Inconnu 10 Le Mort Darthur 10 Lohengrin 70 Lucidarius 33, 39, 55 Ludwig der Fromme 88 f.
Gauvain-Fortsetzung 55 George, Stefan 71 Gerhard von Cremona 38 Göttweiger Trojanerkrieg 70 Gottfried von Straßburg 7, 14, 23, 26, 37, 61 – Tristan 23, 26 Grimm, Jacob 13, 81 Große Heidelberger Liederhandschrift 40, 115 Guillaume d’Orange 88 Guiot de Provins 23
Marbod von Rennes: De lapidibus 38, 56 Malory, Thomas 10 Manesse (Züricher Patriziergeschlecht) 31 Mentelin, Johann 49, 71 Moriaen 10 Mort Artu 56 Motte-Fouqué, Friedrich de la 71 Muschg, Adolf 7, 71 Myller, Christoph Heinrich 17, 71
Hartmann von Aue 7, 10, 12, 14 f., 26, 31, 36 f., 39, 42, 55 f., 58, 60, 63, 95 – Erec 10, 39, 56 – Iwein 10, 39, 55 f.
Neidhart 39 Nibelungenlied 17, 28, 39, 49, 55, 60, 77, 86, 90, 99 f. Neunkirch, Walter von 71
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Namen- und Werkregister Österreichische Reimchronik 109 Otte: Eraclius 39 Otto IV. (Kaiser) 40 Otto von Botenlouben 110 Ottokar II. (König) 33 Ottokar von Steiermark 109 Oswald von Wolkenstein 41, 110 Paul, Jean 31 Philipp von Flandern 36 Philipp von Schwaben 29 Poppo I. von Wertheim 35 Poppo II. von Wertheim 35 Queste del Saint Graal 56 Renaud de Beaujeu 10 Robert de Boron: Roman de l’estoire du Graal 10, 56 Roman de Brut 39 Roman de Thèbes 39, 55 Rudolf von Ems: Willehalm von Orlens 109 Rupert I. von Durne 34–36 Schlegel, August Wilhelm 81 Sir Gawain and the Green Knight 10
Straßburger Alexander 39, 55 Stucken, Eduard 71 Syberberg, Hans-Jürgen 7 Tannhäuser 41 Thomas von Britannien 23 Ulrich von dem Türlin: Arabel 89 Ulrich von Türheim: Rennewart 29, 89 Ulrich von Lichtenstein 111 Ulrich von Zatzikhoven: Lanzelet 23 Vollmoeller, Karl 71 Wace 39 Wagner, Richard: Parsifal 7, 41, 71 Walewein 10 Walther von der Vogelweide 33 f., 39, 97, 110 Wenzel IV. (König von Böhmen) 86 Wilhelm der Heilige 88 Wilhelm von Tudela 23 Wilhelm von Tyrus 56 Willehalm von Provence 40 Wirnt von Grafenberg: Wigalois 29, 51, 70 Wisse, Claus: Der Nüwe Parzefal 49, 71 Wolfdietrich D 70
Abbildungsnachweis akg-images: Abb. 1 Bayerische Staatsbibliothek München, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00012911-3: Abb. 5 Heiko Hartmann: Abb. 2, 4 Universitätsbibliothek Heidelberg: Abb. 3