Leiden lesen: Bedeutungen von 'compassio' um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im 'Parzival' Wolframs von Eschenbach 9783110201802, 9783110191561

This study is an analysis of the facets of compassion in Wolfram's Parzival, which was written at the beginning of

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German Pages 273 [275] Year 2006

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Inhalt
1 Leiden lesen
2 Compassio
3 Der Landgrafenhof: compassio-Konzepte im höfischen Kontext
4 Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach
5 Verbindungen
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Leiden lesen: Bedeutungen von 'compassio' um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im 'Parzival' Wolframs von Eschenbach
 9783110201802, 9783110191561

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Katharina Mertens Fleury Leiden lesen



Scrinium Friburgense Veröffentlichungen des Mediävistischen Instituts der Universität Freiburg Schweiz

Herausgegeben von Hugo Oscar Bizzarri Christoph Flüeler Peter Kurmann Eckart Conrad Lutz Aldo Menichetti Hans-Joachim Schmidt Jean-Michel Spieser Tiziana Suarez-Nani Band 21

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Katharina Mertens Fleury

Leiden lesen Bedeutungen von compassio um 1200 und die Poetik des Mit-Leidens im ,Parzival‘ Wolframs von Eschenbach

Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-019156-1 ISBN-10: 3-11-019156-3 ISSN 1422-4445 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin

Inhalt Vorwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

1 Leiden lesen

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1

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Zur praktisch-ethischen Grundform von compassio . . . . . Zur affektiven Grundform von compassio . . . . . . . . . Affektive compassio in lyrisch-dramatischer und narrativer Form Varianten affektiver compassio im deutschsprachigen Raum

13 20 28 36

2 Compassio 2.1 2.2 2.3 2.4

3 Der Landgrafenhof: compassio-Konzepte im höfischen Kontext 3.1 Zur Religiosität am Landgrafenhof . . . . . . . . . 3.2 Psalterien für die Landgräfin . . . . . . . . . . . 3.3 Zur Bedeutung der Psalmen . . . . . . . . . . . . 3.4 Der ‹Landgrafenpsalter› . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der ‹Elisabethpsalter› . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Konzepte praktisch-ethischer und affektiver compassio im Kalenderteil . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Facetten von compassio im Hauptteil des Psalters . . 3.5.3 Der Gebetsanhang: Appelle zur höfischen Umsetzung von compassio . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 . . . . .

51 54 61 64 69

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73 84

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4 Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach . . 110 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

Voraussetzungen: Der Prolog . . Die Präsenz des Leidens . . . . Zur Entwicklung der Parzivalfigur Parzivals Leiden . . . . . . . . Sinnfindungen für das Leiden . . Zur Funktion von Empathie . .

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124 130 150 168 177 190

VI

Inhalt

4.7 Berufung und Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4.8 Zur Poetik von Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› . . . . . 194 5 Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Anhang

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Abkürzungsverzeichnis . . Bibliographie . . . . . . . Tabellen . . . . . . . . . Abbildungen . . . . . . .

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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 2005 von der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg/Schweiz als Dissertation angenommen und für die Drucklegung überarbeitet. Dank gebührt an erster Stelle Eckart Conrad Lutz (Freiburg/Schweiz). Wichtige Impulse für diese Arbeit gingen von dem Dialog mit ihm aus. Auch Christian Kiening (Zürich) und Felix Heinzer (Freiburg i. Br.), die beide die Entstehung dieses Buchs mitbegleitet haben und zudem die Korreferate übernahmen, möchte ich danken. Daneben durfte ich auf den Rat von Michael Curschmann (Princeton), Hans-Jochen Schiewer (Freiburg i. Br.), Nigel F. Palmer (Oxford) und Paul Michel (Zürich) zählen. Wichtige Anregungen gingen auch aus den Gesprächen mit dem Kunsthistoriker Harald Wolter-von dem Knesebeck (Kassel) und den Landeshistorikern Matthias Werner (Jena) und Stefan Tebruck (Jena) hervor. Für theologische Hinweise danke ich Barbara Hallensleben (Freiburg/Schweiz) und Sr. Maria Gratia Altoe` (Freiburg/Schweiz). Danken möchte ich zudem Margherita Noto und Agne`s Noyer, die mich beim Korrekturlesen unterstützt haben, und Wolfram Schneider-Lastin (Zürich) für das sorgfältige Einrichten des Satzes. Den Herausgebern sei an dieser Stelle für die Aufnahme des vorliegenden Buchs in die Reihe Scrinium Friburgense gedankt. Die großzügige Förderung durch das Marie Heim-Vöglin-Programm des Schweizerischen Nationalfonds für wissenschaftliche Forschung ermöglichte das rasche Voranschreiten der Forschungsarbeit. In ganz besonderer Weise danke ich meiner Familie, die mich während der Entstehungszeit dieses Buchs sehr unterstützt hat. Ihr soll es deshalb gewidmet sein. Zürich, im Juni 2006

Katharina Mertens Fleury

1 Leiden lesen Das Schreien und Weinen der Gralsgesellschaft auf Munsalvæsche beim Anblick der blutenden Lanze im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach sei compassio.1 Dieser Meinung war in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts Julius Schwietering, der sogar mehrfach auf die hohe Intensität der Leidensdarstellungen bei Wolfram,2 ja eine «Vertiefung des Leidens»3 gegenüber seiner französischen Vorlage, dem ‹Perceval› Chre´tiens de Troyes, hinwies. Seiner Ansicht nach überschreitet die Leidensthematik die reine Handlungsebene, denn «überall greift der Dichter mitfühlend ein, beteuert Teilnahme und Schmerz».4 Er schloss daraus, dass das Leiden «ein besonderes Anliegen des deutschen Dichters»5 sei. Die Umformungen im Vergleich zu Chre´tien situierte Schwietering im Einfluss bernhardinischer Mystik.6 Diese Gleichsetzung wird allerdings weder den Eigenheiten der geistlichen Leidensmystik gerecht, noch jenen des volkssprachigen Romans. Entsprechend blieb Schwieterings Argumentationsgang undifferenziert und vage. Sein geistesgeschichtlich orientierter Versuch der Fixierung des Romans auf eine Strömung und die Einordnung des Romans unter einen ‹Primat des Religiösen›, erwies sich (wie die in ihrer Methode ähnlich gelagerten Ansätze seiner Forschungsepoche) als aporetisch, so dass die Untersuchung geistlicher Konzepte danach weitgehend unterblieb und seither auch ein 1 Vgl. Julius Schwietering, ‹Wolframs Parzival›, in: Philologische Schriften, hg. von Friedrich Ohly und Max Wehrli, München 1969, S. 314–325 (danach zitiert; Wiederabdr. von: ders., ‹Wolframs Parzival›, in: Von deutscher Art in Sprache und Dichtung, Bd. 1–5, hg. von Gerhard Fricke, Stuttgart/Berlin 1941, Bd. 2, S. 235–248). 2 Vgl. Julius Schwietering, Parzivals Schuld, in: ZfdA 81 (1944/46), S. 44–68, hier: 56. 3 Vgl. Schwietering, ‹Wolframs Parzival›, S. 314. 4 Ebd., S. 316. 5 Ebd., S. 318. 6 Ebd., S. 324.

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grundlegender Neuansatz zur compassio im ‹Parzival› fehlt.7 Deshalb scheint es durchaus sinnvoll, Schwieterings Hinweise zur Leidensthematik im ‹Parzival› aufzugreifen und auf seinen Grundlagen zwar nicht methodologisch, aber doch inhaltlich aufzubauen. So wird detaillierter danach zu fragen sein, was der Begriff compassio genau bedeutet und inwiefern er sich zur Beschreibung literarischer Phänomene eignet. Zu untersuchen ist ferner, in welchen Aspekten der Roman tatsächlich Parallelen zur Mystik aufweist, ob und wie der ‹Parzival› compassio integriert und welche Bedeutung ihr innerhalb dieses Romans zukommt. Ziel ist also eine differenzierte Analyse der Poetik des Mit-Leidens im ‹Parzival›. Zur Vorbereitung auf die literaturwissenschaftliche Analyse gehen zwei Teile epistemologischen Charakters voran. Der erste (Kap. 2) hat die Funktion, hochmittelalterliche Formen von compassio inhaltlich, formal und in ihrer Verbreitung zu beschreiben. Der zweite (Kap. 3) weitet die Untersuchung auf einen konkreten deutschsprachigen Kontext aus, nämlich den für die Literaturproduktion um 1200 maßgeblichen Hof Hermanns I. von Thüringen (1190–1217). Dabei stehen materielle Zeugnisse des Landgrafenhofs selbst im Zentrum der Untersuchung: der ‹Elisabethpsalter› und der ‹Landgrafenpsalter›, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts für Hermanns Gemahlin Sophia angefertigt wurden.8 Deren Bildprogramme versprechen «besonders aufschlussreiche Ergebnisse»9 für die Literaturwissenschaft, da beide unmittelbar in diesen Kontext von «herausragender 7 Vgl. dazu den Forschungsbericht zum ‹Parzival› zu Beginn von Kap. 4. 8 Detaillierte Angaben zu den Psalterien, siehe Kap. 3.2. 9 So Felix Heinzer, Über das Wort hinaus lesen? – Der Psalter als Erstlesebuch und die Folgen für das mittelalterliche Verhältnis zum Text, in: WolframStudien 19 (2006), S. 143–164, hier: 155. Vgl. Jürgen Wolf, Psalter und Gebetbuch am Hof. Bindeglieder zwischen klerikal-literaler und laikal-mündlicher Welt, in: Orality and Literacy in the Middle Ages, hg. von Mark Chinca und Christopher Young (Utrecht Studies in Medieval Literacy 12), Turnhout 2005, S. 139–179, hier: 151. Zudem ist deren Existenz deshalb für die Situation um 1200 repräsentativ, weil Psalterien auch an anderen Höfen dieser Zeit vorhanden waren bzw. vermutet werden und der Text der Psalmen an den Höfen als Erstlesetext fungierte. Vgl. zu möglichen Prozessen spätmittelalterlicher, Text und Bild kombinierender, Stundenbuchlektüre den Aufsatz von Sylvia Huot, Polytextual Reading: The Meditative Reading of Real and Metaphorical Books, in: Orality and Literacy in the Middle Ages, hg. von Mark Chinca und Christopher Young (Utrecht Studies in Medieval Literacy 12), Turnhout 2005, S. 203–222.

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Bedeutung für die höfische Kultur und nicht zuletzt auch für die höfische Literatur um 1200 in Deutschland»10 führen.11 Weil diese Handschriften als Teil dieses höfischen Kontexts zu betrachten sind, kann über sie ein Ausschnitt der am weltlichen Hof präsenten geistlichen Konzepte, nämlich von Formen der compassio, erschlossen werden, wobei die historische Eigenart des untersuchten Materials Berücksichtigung finden soll.12 Der analytische Schwerpunkt wird auf dem älteren Psalter, dem ‹Elisabethpsalter›, liegen, in dessen Miniaturenprogramm die hohe Anzahl an Leidensdarstellungen auffällt. Zu untersuchen ist vor allem, ob und wie compassio-Konzepte für dieses spezifische Laienpublikum, für die Benutzer der Handschriften adaptiert wurden. Neben inhaltlichen Fragen stellen sich solche nach den Formen und Verfahren der Konkretisierung dieser geistlichen Modelle, nach ihren Logiken und appellativen Strukturen. Die Analyse des ‹Parzival› erfolgt im dritten Teil (Kap. 4) dieser Arbeit, konzentriert sich auf die konstitutiven Merkmale von compassio wie auch auf die Verfahren ihrer literarischen Einbindung und Verwendung. Aufgrund ihres germanistischen Fluchtpunkts ist diese Arbeit bezüglich der Beobachtung der Grundformen und Konzepte von compassio linear angelegt. Ihr Aufbau bietet jedoch zusätzlich die Vertiefung der genannten drei Teilbereiche. In einem vierten und letzten Teil (Kap. 5) wird es darum gehen, die aus der Analyse hervorgegangenen analogen Beobachtungen zur compassio differenzierter auf ihre Verbindbarkeit hin zu reflektieren. Diese Arbeit trägt den Titel ‹Leiden lesen›. Die anvisierte ‹Leidenslektüre› fokussiert mit der Frage nach compassio den Umgang mit dem Leiden, 10 So Heinzer, Über das Wort, S. 155. 11 Schon Joachim Bumke, Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland (1150–1300), München 1979, S. 159– 168, bes. 161 f., wies auf ihre Bedeutung hin. Er maß an ihrer stilistischen Stellung sogar den Einfluss Hermanns auf die kulturelle Produktion seiner Zeit. Eine detailliertere Auswertung der beiden Psalterien aus germanistischer Perspektive blieb bisher aus. 12 Vgl. dazu auch Christian Kiening, Gewalt und Heiligkeit. Mittelalterliche Literatur in anthropologischer Perspektive, in: ders., Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur, Frankfurt a. M. 2003, S. 35–55, hier: 37–40; vgl. auch Ursula Peters, Text und Kontext: Die Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Vorträge G 365), Wiesbaden 2000, und dies., Zwischen New Historicism und Gender-Forschung. Neue Wege der älteren Germanistik, in: DVjs 71 (1997), S. 363–396.

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berührt theologische, historische bzw. kunsthistorische Aspekte und mündet in eine literaturwissenschaftliche Analyse.13 Dies sind drei verschiedene Zugänge, mit denen unterschiedliche Arten verbunden sind, ‹Leiden› zu lesen. Deshalb möchte ich ein sehr offenes Verständnis von ‹Lesen› voraussetzen: ‹Lesen› bezieht sich hier sowohl auf Texte als auch auf Bilder und schließt auch eine Kunst des Verstehens von Leid und Leiden im Sinn einer Hermeneutik ein. Doch ist eine Ausdiffenzierung notwendig. Ich möchte mich auf eine ‹Lektüre› beschränken, die sich auf das Überlieferte selbst, eben auf Texte und Bilder, und die daraus erschließbaren Konzepte konzentriert.14 Damit berührt diese Arbeit zwar den Bereich möglicher, ideeller Rezeptionsakte, erhebt jedoch nicht den Anspruch, bis zur tatsächlichen, historischen Lektürepraxis durchzudringen. Nicht nur der Prozess des Lesens, sondern auch seine thematische Ausrichtung soll näher definiert werden. Objekte der vorliegenden Lektüre sind ‹Leid› und ‹Leiden›. Ersteres bezeichnet im Folgenden tendenziell eher einen Zustand, letzteres einen Prozess. Beide beziehen sich auf menschliche Grunderfahrungen, das individuelle Erlebnis von Schmerz und Verlust, den zumindest temporären Abschied von erfülltem Leben: von Gesundheit, von Menschen, von Glück, Freude und Hoffnung. Dabei vollzieht sich das menschliche Leiden nicht nur individuell, sondern «im Wechselspiel mit der Umwelt»15 und ist kontext- und zeitbedingten Sinnfindungen und Deutungen unterworfen. Mit der Frage nach compassio wird nur ein Ausschnitt 13 Die Ergebnisse der soeben erschienenen Untersuchung von Elke Koch, Trauer und Identität. Inszenierungen von Emotionen in der deutschen Literatur des Mittelalters (Trends in Medieval Philology 8), Berlin/New York 2006, konnten für diese Arbeit leider nicht mehr berücksichtigt werden. 14 Dies schließt den Bereich der Rezeption aus, wie ihn Peter Dinzelbacher, Religiöses Erleben von bildender Kunst in autobiographischen und biographischen Zeugnissen des Hoch- und Spätmittelalters, in: Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, hg. von Klaus Schreiner in Zusammenarbeit mit Marc Müntz, München 2001, S. 299–330, versteht. Dinzelbacher behandelt in diesem Aufsatz auch compassio als Reaktion auf Passionsdarstellungen. Er führt darin das Beispiel der Odilia von Lüttich (1165–1220) an, die sich in affektiver Betrachtung einer Kreuzesdarstellung in ihrem Psalter in Tränen auflöst und heftige Schmerzen empfindet (320). Vgl. auch die in etwa zeitgleichen Beispiele bei Hans Belting, Das Bild und sein Publikum im Mittelalter. Form und Funktion früher Bildtafeln der Passion, 3. Aufl., Berlin 2000, S. 19 ff. 15 Vgl. Erhard S. Gerstenberger und Wolfgang Schrage, Leiden (KohlhammerTaschenbücher 1004. Biblische Konfrontationen), Stuttgart (u. a.) 1977, S. 10.

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daraus betrachtet. Doch ist auch hier nicht beabsichtigt, mit dieser Untersuchung zu historischen Praktiken vorzudringen. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Analyse medial vermittelter Leidensdeutungen. ‹Leiden lesen› heißt hier deshalb vor allem, Konzepte von compassio innerhalb von bedeutungskonstituierenden Kontexten16 aufzufinden und zu beschreiben.

16 Der Begriff Kontexte ist hier sehr weit gefasst. Er schließt im Folgenden Texte und Textumgebungen, Ko-Texte, Handschriften und soziale Räume ein.

2 Compassio Bevor der Untersuchungsgegenstand weiter präzisiert und beschrieben wird, soll ein erstes hochmittelalterliches, romanbezogenes Beispiel die Problematik des Gegenstands veranschaulichen. Es handelt sich um den Auszug aus einem wohl gegen Ende des 12. Jahrhunderts entstandenen lateinischen Text eher paränetischen Charakters, nämlich einem Bußtraktat,1 aus dem angelsächsischen Raum. Petrus von Blois (ca. 1130/35–1211/12) beschreibt darin die rechte innere Haltung der Buße. Diese setzt er zu der Rezeption von Leidensdarstellungen im höfischen Roman in Kontrast. Dabei kritisiert er, dass das Hören wunderbarer Geschichten von Arthur, Gawan und Tristan Mitleid im Herzen auslöse und zu Tränen rühre, doch einzig die Verehrung Christi heilswirksam sei.2 Petrus bezeichnet diese Teilnahme des Publikums an den literarischen Leidensdarstellungen mit dem Begriff der compassio: Saepe in tragoediis et aliis carminibus poetarum, in joculatorum cantilenis describitur aliquis vir prudens, decorus, fortis, amabilis et per omnia gratiosus. Recitantur etiam pressurae vel injuriae eidem crudeliter irrogatae, sicut de Arturo et Gangano et Tristanno, fabulosa quaedam referunt histriones, quorum 1 Vgl. zum Traktat auch Rolf Koehn, Pierre de Blois, in: Dictionnaire de spiritualite´, asce´tique et mystique: doctrine et histoire 12 (1986), Sp. 1510–1517, hier: 1514. 2 Nulla etiam affectio pia meritoria est ad salutem, nisi ex Christi dilectione procedat. Petrus von Blois, Liber de confessione sacramentali, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 207), Paris 1855, Sp. 1077–1092, hier: 1088. Sehr ähnlich auch der Zisterzienser Ælred von Rievaulx, der in seinem spirituellen Hauptwerk, ‹Speculum Caritatis›, im Dialog mit einem Novizen die Rezeption profaner literarischer Werke, die unangemessen zu Tränen rühren, einer angemessenen religiösen Haltung gegenüberstellt; vgl. Aelredus Rievallensis, Speculum caritatis, in: ders., Opera omnia: Opera ascetica, hg. von A[nselme] Hoste und C[harles] H[ugh] Talbot (CCCM I/1), Turnhout 1971, S. 3–161, hier: 90. Vgl. Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 8. Aufl. (dtv 4442), München 1997, S. 711; Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Bd. 1: Die Grundlegung durch die Kirchenväter und die Mönchstheologie des 12. Jahrhunderts, München 1990, S. 338.

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auditu concutiuntur ad compassionem audientium corda, et usque ad lacrymas compunguntur.3

Der aus Frankreich stammende Weltkleriker wusste, wovon er schrieb, denn er stand in engem Kontakt mit europäischen Adelshöfen. Seine ‹internationale Karriere› führte ihn an die bedeutendsten Höfe seiner Zeit. Er stellte sich als Erzieher des sizilianischen Prinzen Wilhelm II. in den Dienst des Hofs zu Palermo, gelangte nach England, an den geistlichen Hof des Erzbischofs Richard von Canterbury und auch in das gebildete und literaturinteressierte Umfeld des englischen König Heinrichs II. und seiner Gemahlin Eleonore von Aquitanien.4 Sein Urteil über das Hofleben schwankte in seinen berühmt gewordenen Briefen zwischen Kritik und Zustimmung.5 Doch vor allem veranschaulicht sein Weg die Möglichkeiten der Wissensvermittlung zwischen den europäischen Regionen und Höfen, wie auch zwischen Klerus und Adel. Dies spiegelt sich in seinen literarischen Werken, in denen er geistliches Wissen für höfische Kontexte anpasst.6 Petrus’ Verwendung des Begriffs compassio lässt vermuten, dass er hier klerikale Auffassungen auf die Rezeption weltlicher Dichtung überträgt. Ist dies der Fall, dann zeigt sich der geistliche Begriff um 1200 als so offen und flexibel, dass er auch zur Beschreibung von Phänomenen des volkssprachigen höfischen Romans verwendet werden kann. Um den Einfluss und die Geltung von Konzepten des Leidens und Mitleidens im ‹Parzival› genauer beurteilen zu können, gilt es also, eine 3 Hervorhebung d. Verf.; vgl. Petrus von Blois, Liber de confessione, Sp. 1088. Vgl. Bumke, Höfische Kultur, S. 711. 4 Vgl. C. Stephen Jaeger, The Origins of Courtliness. Civilizing Trends and the Formation of Courtly Ideals (939–1210) (The Middle Ages), Philadelphia 1985; dt. Übers.: Die Entstehung höfischer Kultur. Vom höfischen Bischof zum höfischen Ritter (Philologische Studien und Quellen 167), Berlin 2001, hier: 93 ff.; vgl. zur Biographie auch den Forschungsüberblick in: Petri Blesensis Carmina, hg. von Carsten Wollin (CCCM 128), Turnhout 1998, S. 11–15. 5 Vgl. insbesondere Brief 14 und 150 und Jaeger, Entstehung, S. 93 ff. und 124 ff. 6 Dies spiegelt ganz explizit seine Textproduktion wider, denn er verfasste sowohl weltliche als auch geistliche Lieder, sowie die Heinrich II. von England gewidmete Briefsammlung. Zudem schrieb er ein im Prolog gleichfalls an Heinrich adressiertes ‹Compendium in Iob›; vgl. Petrus von Blois, Compendium in Iob, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 207), Paris 1855, Sp. 795–826. Petrus legt in diesem Traktat das Buch Hiob aus und fügt in seine Erklärungen Hofkritik, Tugend- und Lasterlehre, und Fürstenlehre ein. Er aktualisiert in diesem Traktat explizit geistliches Wissen für einen höfischen Kontext. Vgl. dazu auch Kap. 3.5.2.

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klarere Vorstellung von compassio zu erarbeiten. Daher bietet sich eine weiterführende epistemologische Untersuchung an, die sich auf den Zeitraum zwischen 1100 und 1220 und nur auf geistliche Konzepte konzentriert.7 Ein solches Vorgehen ist deshalb notwendig, weil die Forschung bisher keine präzisere Bestimmung des Begriffs8 innerhalb des skizzierten Zeitraums bietet. Sie hat vor allem nach Autoren, Texten und ihren Traditionen gefragt oder theologische Entwicklungen nachgezeichnet. Entsprechend liegen von der Antike bis ins Spätmittelalter reichende ‹Makro›-Analysen zur ‹Passionsfrömmigkeit›9 und umfangreiche Nachschlagewerke zur Mystik vor,10 außerdem Analysen marianischer compassio,11 7 Ich verzichte hier auf die Ableitung von eventuellen Einflüssen antiker (nichtchristlicher) Traditionen. Eine Abwägung der Verbindungen zwischen der compassio bei Bernhard von Clairvaux und dem griechischen – eher negativ besetzten – Mitleidsbegriff des eÍleow bietet Otto Langer, Christliche Mystik im Mittelalter: Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts, Darmstadt 2004, S. 197–200, vgl. ders., Passio und Compassio. Zur Bedeutung der Passionsmystik bei Bernhard von Clairvaux, in: Die dunkle Nacht der Sinne. Leiderfahrung und christliche Mystik, hg. von Gotthard Fuchs, Düsseldorf 1991, S. 41–62, hier: 52. Vgl. auch die Epochen übergreifende Textsammlung: Vom Nutzen und Nachteil des Mitleids (Exkursionen 1), hg. von Ulrich Kronauer, Frankfurt a. M. 1990. 8 ‹Begriff› wird hier im Sinn von Sprachzeichen verwendet. 9 Vgl. Ulrich Köpf, Passionsfrömmigkeit, in: TRE 27 (1997), S. 722–764, und ders., Das Ideal der Nachfolge Christi im abendländischen Mittelalter. Ein Beispiel gelebter Wahrheit, in: Befreiende Wahrheit (FS Eilert Herms), hg. von Wilfried Härle (u. a.) (Marburger theologische Studien 69), Marburg 2000, S. 121–139; ders., Die Passion Christi in der lateinischen religiösen und theologischen Literatur, in: Die Passion Christi in der Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger (Fortuna Vitrea 12), Tübingen 1993, S. 21–41. 10 Vgl. Langer, Christliche Mystik; Ruh, Mystik, und Bernard McGinn, The Presence of God: A History of Western Christian Mysticism, vol. 2: The Growth of Mysticism, New York 1994, im Folgenden zitiert nach der dt. Übers.: Die Mystik im Abendland, Bd. 2: Entfaltung, übers. von Wolfgang Scheuermann, Freiburg i. Br. (u. a.) 1996. 11 Siehe dazu insbesondere Rachel Fulton, From Judgement to Passion. Devotion to Christ and the Virgin Mary, 800–1200, Chichester/New York 2002. Der erste Teil ihrer Studie konzentriert sich auf die Entwicklung des Passionsverständnisses bis ins 11. Jahrhundert, der zweite Teil auf die Marienfrömmigkeit im 12. Jahrhundert. Vgl. auch Andreas Kraß, Stabat mater dolorosa. Lateinische Überlieferung und volkssprachliche Übertragungen im deutschen Mittelalter (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 22), München 1998.

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autor- und werkzentrierte Arbeiten12 und Untersuchungen zu spätmittelalterlicher Leidensmystik.13 Diese Ansätze betreffen die hier interessierende Problematik aber nur partiell und erweisen sich für die vorliegende Fragestellung als methodologisch unbefriedigend. Charakterisiert die Forschung das 12. Jahrhundert als Zeit zahlreicher Umbrüche im Bereich der Theologie,14 so ist anzunehmen, dass dies auch auf den Bereich der Passionsfrömmigkeit und das 12 Vgl. Langer, Passio und Compassio, und Ulrich Köpf, Ein Modell religiöser Erfahrung in der monastischen Theologie: Bernhard von Clairvaux, in: Religiöse Erfahrung: historische Modelle in christlicher Tradition, hg. von Walter Haug und Dietmar Mieth, München 1992, S. 109–123; ders., Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux (Beiträge zur historischen Theologie 61), Tübingen 1980. Vgl. allgemein zu Bernhard: Peter Dinzelbacher, Auswahlbibliographie, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne (Dokumentation der wiss. Studientagung Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, 14.–18. März 1990, Kloster Schöntal), hg. von Dieter R. Bauer und Gotthard Fuchs, Innsbruck/Wien 1996, S. 329–344. 13 Vgl. Otto Langer, Memoria passionis: spirituelle Praktiken und ihre Grenzen. Zu Heinrich Seuses Passionsmystik reiner Innerlichkeit, in: Wahrnehmen und Handeln. Perspektiven einer Literaturanthropologie, hg. von Wolfgang Braungart (u. a.) (Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaft 20), Bielefeld 2004; vgl. insgesamt auch die Beiträge des Sammelbands Die Passion Christi in der Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger (Fortuna Vitrea 12), Tübingen 1993; Alois Maria Haas, Gottleiden – Gottlieben. Zur volkssprachlichen Mystik im Mittelalter, Frankfurt a. M. 1989; vgl. dazu auch die ausführlichen Literaturangaben der Nachschlagewerke von Köpf, Langer, Ruh und McGinn. 14 Vgl. McGinn, Mystik, Bd. 2, S. 233; vgl. zum Wandel zu Beginn des 13. Jahrhunderts auch die Einleitung in: ders., The Presence of God: A History of Western Christian Mysticism, vol. 3: The Flowering of Mysticism. Men and Women in the New Mysticism (1200–1350), New York 1998; dt. Übers.: Die Mystik im Abendland, Bd. 3: Die Blüte. Männer und Frauen der neuen Mystik (1200–1350), Freiburg i. Br. (u. a.) 1999; vgl. auch Giles Constable, The Reformation of the Twelfth Century, Cambridge 1996. Charles Homer Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century, Cambridge 1927, prägte sogar den Begriff einer ‹Renaissance›. Vgl. auch Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Übersicht über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (Historische Studien 267), Berlin 1935. Vgl. auch das Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Bd. 2: Hoch- und Spätmittelalter, hg. und verfasst von Peter Dinzelbacher, mit einem Beitrag von Daniel Krochmalnik, Paderborn (u. a.) 2000, bes. S. 41.

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Verständnis von compassio zutrifft. Epochenübergreifende Darstellungen wie auch autor- und werkzentrierte Studien ermöglichen es kaum, die Bedeutungsnuancen und Bedeutungsvielfalt des compassio-Begriffs innerhalb dieses Zeitraums zu bestimmen. Folglich ist die vorliegende Untersuchung mit ihrer Eingrenzung auf das 12. und beginnende 13. Jahrhundert nicht diachron-entwickelnd, sondern weitgehend synchron-differenzierend angelegt. Auch inhaltlich ist aufgrund des vorliegenden Erkenntnisinteresses an den Vorgaben und Kategorisierungen der Forschung weiterzuarbeiten. Wenn compassio pauschal als zur unio mit Christus und Gott führende Leidensmystik15 aufgefasst wird, dann schließt ein solches Vorverständnis mögliche andere, ‹alltäglichere› und verbreitetere Deutungen aus. Bernhard von Clairvaux (1090/91–1153) beispielsweise bezeichnete die mystische visio bzw. unio als Gipfel- und Ausnahmeerfahrung.16 Sie ist nach hochmittelalterlicher Auffassung somit eher ein Sonderfall.17 Deshalb sind graduelle Unterschiede zwischen Passionsfrömmigkeit und Passionsmystik anzunehmen, was im Folgenden mitberücksichtigt werden muss. Ähnliches gilt für die Beschreibungen von Einzelaspekten, wie Untersuchungen marianischer compassio. Sie kommt zum Ausdruck in Marias Klage unter dem Kreuz und gipfelt in affektiver unio mit Christus. Tatsächlich hat compassio sich innerhalb der Gattung der Marienklage besonders breit entfaltet und nachgewirkt. Dennoch wäre es einengend, in dieser Form das einzige Paradigma für compassio zu sehen. Prekär wäre ebenso eine Einschränkung des Begriffs auf Empathie im Sinn einer durch die Wahrnehmung bzw. das Verständnis des Zustands eines anderen bedingten Angleichung der Affekte.18 Zwar 15 Dabei erweist sich allerdings auch eine präzise Definition von ‹Mystik› als problematisch. Vgl. zur Forschungstradition der Geschichtsschreibung über Mystik Langer, Mystik, S. 37–40; vgl. die Übersichtswerke von Ruh, Mystik, und das ebenfalls mehrbändige Werk von McGinn, Mystik. Vgl. auch den Überblick über die unterschiedlichen Definitionsversuche bei Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, S. 546. 16 Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo, in: ders., Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 1, S. 73–151, hier: 122. Vgl. Köpf, Modell religiöser Erfahrung, S. 109. 17 Vgl. Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 730 f. Vgl. Langer, Passio und Compassio, S. 41. Während Langer zwischen Phänomenen der Frömmigkeit und der Mystik jedoch kaum zu differenzieren scheint, trifft Köpf diese Unterscheidung sogar dezidiert, indem er der Passionsmystik innerhalb seiner Übersicht zur Passionsfrömmigkeit einen eigenen Abschnitt widmet. 18 Vgl. die Empathie-Definition von Nancy Eisenberg, Empathy and Sympathy,

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griffe diese Beschreibung das interaktive Moment von compassio, sie bezöge sich jedoch nur auf interpersonale, affektive Relationen und schlösse religiöse oder ethische Aspekte und Logiken aus.19 Auch mit dem Begriff der Empathie kann compassio deshalb nur partiell erfasst werden. Die aus den genannten Gründen notwendige Neudefinition integriert diese Gesichtspunkte, beabsichtigt dabei allerdings, Grundlagen für die Analyse des höfischen Romans zu schaffen. Weil diese Arbeit kaum dadurch gewönne, dass das Epos auf eine Vorlage, eine Strömung, einen Autor bzw. einen Text zurückgeführt und so auf die damit verbundenen Sinnkonglomerate ‹fixiert› würde, soll eine Methode gewählt werden, die Ausdifferenzierungen ermöglicht. Dazu lehne ich mich einerseits an die Semasiologie an, die Frage nach Bedeutungen (Konzepten) einer sprachlichen Konkretisierung (eines Begriffs), und andererseits an die Onomasiologie, die (umgekehrte) Frage nach den Konkretisierungen von Konzepten. Beide Fragerichtungen werden zugunsten einer differenzierteren Beschreibung von compassio kombiniert.20 Das semasiologische Vorgehen beruht überdies auf der Überlegung, dass eine Übersetzung des lateinischen Wortes und die Suche nach einem entsprechenden mittel-21 oder neuhochdeutschen Wort in: Handbook of Emotions, 2nd ed., ed. by Michael Lewis and Jeanette M. Haviland Jones, New York/London 2000, S. 677–691, hier: 677, als «affective response that stems from the apprehension or comprehension of another’s emotional state or condition, and that is identical or very similar to what the other person is feeling or would be expected to feel». Vgl. die Studie von ders. (u. a.), Critical Issues in the Study of Empathy, in: Empathy and its Development, ed. by Nancy Eisenberg (Cambridge studies in social and emotional development), Cambridge 1987, S. 3–13. Zu compassion als Emotion grundlegend Martha C. Nussbaum, Upheavals of Thought. The Intelligence of Emotions, Cambridge 2001, S. 297–454. Die umfassende Studie mit philosophischer und politischer Ausrichtung geht mehreren Traditionen nach, jedoch nicht den mittelalterlichen. Vgl. auch Perspektivenübernahme und soziales Handeln, hg. von Dieter Geulen, Frankfurt a. M. 1982. 19 ‹Affekt› wird im Folgenden im Sinn von innerem emotionalem oder geistigem Zustand, bzw. Berührt- oder Bewegtsein verwendet. Vgl. das mittellateinische Wortfeld von affectus in: Mittellateinisches Wörterbuch 1 (1967), Sp. 349–354. 20 Kurt Baldinger, Semasiologie und Onomasiologie, in: Semiotik: ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 13/2), Berlin/New York 1998, S. 2118–2145, hier: 2141, sieht beide als ein methodologisches Ganzes. Beide eigenen sich sowohl zur Text- als auch Bildanalyse. 21 Das Wort compassio besitzt keine direkte Übersetzung im Mittelhochdeutschen um 1200. Erst für das 15./16. Jahrhundert ist mede lyden, mit leydun

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bzw. Wortfeld22 zur Klärung kaum ausreicht, weil compassio einen Umgang mit dem Leiden zu bezeichnen vermag, d. h. Interpretationen und Interaktionen einschließt. Somit stellt sich zunächst (Kap. 2.1 und 2.2) die Frage nach der Wortebene übergeordneten, hochmittelalterlichen Konzepten, d. h. nach Erklärungen, Bedeutungen und Logiken von compassio.23 Danach (Kap. 2.3 und 2.4) dominiert die onomasiologisch orientierte Frage nach den kontextspezifischen Konkretisierungen von compassio-Konzepten in geistlichen Texten.24 Dabei erhebt die vorliegende interdisziplinäre, doch letztlich auf den ‹Parzival› abzielende Arbeit nicht den Anspruch auf eine vollständige Erarbeitung und Beschreibung von compassio-Bedeutungen im Hochmittelalter. Vielmehr beschränkt sie sich auf ‹Sondierungen› in der hochmittelalterlichen geistlichen Literatur. Dies wird auf der Basis eines begrenzten, aber gezielt ausgewählten Textmaterials erfolgen. Dabei sollen Formen von compassio innerhalb verschiedener Texte auf ihre stabilen und ihre variierenden Merkmale untersucht werden. Ihre stabilen Merkmale bestätigen die bzw. mitelıˆden nachweisbar; vgl. Uta Störmer-Caysa, Mitleid als ästhetisches Prinzip. Überlegungen zu Romanen Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach, in: Encomia Deutsch. Sonderheft der Deutschen Sektion der ICLS, Berlin 2002, S. 64–93, hier: 76 f. mit Literatur. 22 Vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 1038 f. Artikel in einschlägigen theologischen Lexika, wie beispielsweise dem LThK und TRE fehlen zu diesem Wort. Anders gelagert ist die Arbeit von Joachim Koffler, Mit-Leid: Geschichte und Problematik eines ethischen Grundwortes (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie 34), Würzburg 2001. Entgegen dem Titel konzentriert sich seine Studie nicht auf das Wort, sondern zielt auf eine theologisch-ethische Evaluation des Problems der Euthanasie ab. 23 Unter ‹Konzept› verstehe ich deshalb in Anlehnung an Sebastian Löbner, Semantik. Eine Einführung, Berlin/New York 2003, S. 257 f., ein Modell, das zur Kategorisierung, also Einordnung, von Objekten dient und – auch in komplexer Form – verbalisiert werden kann. Der hier verwendete Begriff besitzt eine große Nähe zur ‹Denkform›, vgl. auch Eckart Conrad Lutz, Zur Synthese klerikaler Denkformen und laikaler Interessen in der höfischen Literatur. Die Bearbeitung einer Chanson von Karl und Roland durch den Pfaffen Konrad, in: Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus? Freiburger Colloquium 1996, hg. von dems. und Ernst Tremp (Scrinium Friburgense 9), Freiburg/Schweiz 1999, S. 57–76, hier: 61 f.; vgl. auch Kiening, Körper und Schrift, S. 42. 24 Vgl. die germanistischen Beiträge in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, hg. von Joachim Bumke und Ursula Peters (ZfdPh, Sonderheft), Berlin 2005.

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Annahme eines grundlegenden, verallgemeinerbaren Schemas, die variierenden weisen auf ihre Flexibilität in ihrer Verwendung hin. Innerhalb dieses ersten Teils soll deshalb compassio auch in ihren formalen Ausprägungen innerhalb verschiedener Textsorten untersucht und anhand von Texten des deutschsprachigen Raums beschrieben werden. Weil diese Analyse als weitgehend synchroner Querschnitt angelegt ist, sind diese Belege in methodologisch konstruierten, nicht aber in historisch-genetischen Reihungen angeordnet. Folglich tritt die Beschreibung historischer Vermittlungen, sozialer Wissenstransfers oder unmittelbarer Abhängigkeiten in den Hintergrund zugunsten von Beobachtungen des Materials, der Ermittlung von bedeutungskonstituierenden konstanten Merkmalen und der sich entfaltenden Vielfalt von Formen und Konzepten sowie der Ableitung literaturanalytisch ergiebiger Kategorien und Logiken.

2.1 Zur praktisch-ethischen Grundform von compassio Obwohl hier keine geschichtsübergreifende Darstellung intendiert ist, soll die angestrebte Bedeutungsbestimmung von compassio mit einem Blick auf ältere, insbesondere biblische Traditionen der Passionsnachfolge beginnen.25 Die Wurzeln einer praktisch-ethischen Christusnachfolge im Leiden gehen nämlich bis auf die Anfänge des Christentums zurück. Anzuführen sind die Aufforderungen der synoptischen Evangelien, nach Christi Vorbild unter Selbstverleugnung und Aufgabe des eigenen Lebens sein Kreuz auf sich zu nehmen: so in Mc 8,34, Mt 16,24, Lc 9,23.26 Ebenfalls biblisch ist die Beschreibung einer imitatio passionis.27 So schildert nämlich die Apostelgeschichte die Steinigung des Stephanus (Act 7) so, dass trotz der deutlich unterschiedenen Todesart Analogien zu Christi Passion nachweisbar sind.28 Denn die Worte des sterbenden Stephanus der Apostelgeschichte (Act 7,58 f.): 25 Vgl. Köpf, Passionsfrömmigkeit. 26 Vgl. Mc 8,34 Et convocata turba cum discipulis suis dixit eis / si quis vult post me sequi deneget se ipsum / et tollat crucem suam et sequatur me; Mt 16,24 Tunc Iesus dixit discipulis suis si quis vult post me venire abneget semet ipsum / et tollat crucem suam et sequatur me; Lc 9,23 Dicebat autem ad omnes si quis vult post me venire abneget se ipsum / et tollat crucem suam cotidie et sequatur me. 27 Vgl. Köpf, Nachfolge, S. 121, und ders., Passionsfrömmigkeit, S. 725; vgl. auch Io 13,37; I Petr 4,13. 28 Vgl. Act 7,59 f.; ausführlicher zu Stephanus im Hochmittelalter, vgl. Teil III.

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Compassio Stephanum invocantem et dicentem / Domine Iesu suscipe spiritum meum / positis autem genibus clamavit voce magna / Domine ne statuas illis hoc peccatum / et cum hoc dixisset obdormivit,

ähneln den letzten Worten Christi: Et clamans voce magna Iesus ait / Pater in manus tuas commendo spiritum meum / et haec dicens exspiravit (Lc 23,46) und Pater dimitte illis non enim sciunt quid faciunt (Lc 23,34). An dieser Analogie lässt sich konkret nachweisen, dass Jesu Leiden schon in dieser Beschreibung zum Vorbild für die Leidensnachfolge in partizipatorischer Angleichung wird.29 Diese Nachfolge verheißt auch die Partizipation an der Auferstehung Christi, das Eingehen in die ewige Herrlichkeit. Eine analoge Leidensdeutung findet sich in den Paulusbriefen. ChristSein bedeutet im Sinn der Paulusbriefe auch eine Leidensgemeinschaft.30 Das Leiden an sich bedeutet dort die das gläubige Subjekt verwandelnde «Teilhabe der Christen am Geschick Christi»,31 welche eine «Gleichgestaltung des Glaubenden mit Christus»32 bewirkt. Dies spiegelt sich auf der semantischen Ebene. So wird die Grundidee einer Angleichung der Gläubigen an Christus und ihrer Partizipation am Schicksal Christi im Römerbrief in einer Häufung verwandter Formulierungen durch syÂn und Komposita mit syÂn-, lateinisch con- oder com-, ausgedrückt.33 So auch in Rm 8,17 f., wo die Leidenspartizipation mit Hilfe des Verbs conpati formuliert wird: si autem filii / et heredes / heredes quidem Dei / coheredes autem Christi / si tamen conpatimur ut et conglorificemur / existimo enim quod non sunt condignae passiones huius temporis ad futuram gloriam / quae revelabitur in nobis.34

29 Vgl. Gerstenberger/Schrage, Leiden, S. 161 f. Vgl. auch Kap. 3.5.1 zu den Martyriumsdarstellungen im ‹Elisabethpsalter›. 30 Vgl. I Cor 12,26. 31 So Udo Schnelle, Transformation und Partizipation als Grundgedanken paulinischer Theologie, in: New Testament Studies 47 (2001), S. 58–75, hier: 64; vgl. Michael Wolter, Leiden III. Neues Testament, in: TRE 20 (1990), S. 677– 688, hier: 680; vgl. Gerstenberger/Schrage, Leiden, S. 155–162, hier: 157, und Langer, Mystik, S. 71–79 mit weiterer Lit. 32 Vgl. Langer, Passio und Compassio, S. 54. 33 Schnelle, Transformation, S. 65. Vgl. Langer, Memoria passionis, S. 61 f. 34 Die biblischen Zitate folgen der Ausgabe Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, hg. von Roger Gryson (u. a.), 4., verb. Aufl., Stuttgart 1994.

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Hier wird somit in konzentrierter Form die paulinische Position deutlich. Sie charakterisiert das Leiden der getauften Christen – der Kinder Gottes als Individuen und Gemeinschaft – als Erbe und stellt es so in einen ‹genetischen› Zusammenhang. Aus dieser Bibelstelle lassen sich zwei Kategorien ableiten: die Partizipation an Christi Passion (participatio) und die Angleichung an sein Leiden (conformatio). Beides zieht die Überwindung der Sünde und des Leidens nach sich, bereitet auf die Teilhabe an der gnadenhaften Erlösung von Schuld vor. Mit-Leiden öffnet somit die Aussicht auf ewigen Lohn35 wenn auch die ertragenen Leiden in dieser Welt nicht allein zur Erlangung des Geschenks künftigen Heils ausreichen. Doch bleibt die aus der Leidensangleichung und Leidenspartizipation erwachsende Herrlichkeit, die aufgrund des Maßes der göttlichen Zuwendung nicht äquivalent sein kann, im Grunde genommen eine ungeschuldete Gabe Gottes. Die zitierte Paulusstelle dient der vorliegenden Untersuchung als Leitfaden. An Texten, die Rm 8,17 kommentieren bzw. verwenden, soll untersucht werden, mit welchen Konzepten diese Stelle verbunden wird. Zwar kann eingewendet werden, dass die paulinische Position bereits ein Vorverständnis beinhaltet, doch wird sich im Folgenden zeigen lassen, dass diese Stelle im Hochmittelalter kommentiert bzw. in Texten wiederverwendet wurde und so verschiedene Bedeutungsnuancen erhielt.36 Eine spezifische Rezeption von Rm 8,17 lässt sich schon im frühen Mönchtum belegen. Die Idee praktisch-ethischer Passionsnachfolge ging in der Spätantike in Anlehnung an Rm 8,17 und I Petr 4,13 in die grundlegenden Mönchsregeln, die Regula Magistri (um 500–530) und die Regula Benedicti (um 530–560) ein.37 Übereinstimmendes Merkmal beider Regeln 35 Nur unter Berücksichtigung obiger Feststellungen möchte ich im Folgenden unter explizitem Ausschluss einer rein pragmatisch-utilitaristischen Semantik aus methodischen Gründen von einer Leid-Lohn-Logik bzw. Leid-LohnKorrelation sprechen. Damit erfolgt diese Begriffsbildung bewusst, ist zwar aus heutiger theologischer Sicht nicht unproblematisch, dient jedoch der Rekonstruktion mittelalterlicher Denkformen und der Ermittlung einer literaturwissenschaftlich sinnvollen und möglichst einfachen Basis. Vgl. zur Entwicklung Martin Winter, Lohn I, in: TRE 21 (1991), S. 447 ff. mit ausführlichen Literaturangaben, und Josef Freitag, Lohn IV. Systematisch-theologisch, in: LThK 6 (1997), Sp. 1037 f. 36 Vgl. Langer, Passio und Compassio, S. 54. 37 Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 725. Er nennt die Prologe der Regula Magistri und der Benediktusregel; vgl. La re`gle du maıˆtre, t. 1–3, intr., texte, trad. et notes de Adalbert de Vogüe´ (Sources Chre´tiennes 105–107), Paris 1964–1965,

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ist ein Verständnis des Mönchtums als soteriologisch gedeutete und an Christus orientierte geduldige Leidenspartizipation und Leidensangleichung, im Sinn eines Ausharrens unter der klösterlichen Regel. Diese Form praktisch-ethischer Passionsnachfolge weist Verbindungen zum erwähnten Martyriumsgedanken auf.38 Dies spiegeln beispielsweise die Werke Gregors des Großen (um 540–604), der in seinen Predigten zu den Evangelien (3,4; 11,3; 35,7) und in seinen Dialogen (3,26,7 ff.; 3,28,4) die Lehre vom spirituellen Martyrium entfaltete. Isidor von Sevilla (um 560–636) fasste solche Deutungen in seinen ‹Etymologiae› zusammen: Duo sunt autem martyrii genera, unum in aperta passione, alterum in occulta animi virtute.39 Beide bedeuten explizit eine Nachfolge Christi nach dem Vorbild des Protomärtyrers Stephanus.40 Das unblutige, innere Martyrium definierte Isidor als ein tugendhaftes Widerstehen gegen fleischliche Begierden. Da die oben erwähnte Regula Benedicti ab dem 9. Jahrhundert «für mehrere Jahrhunderte zur einzig gültigen monastischen Lebensnorm»41 wurde und auf diese Weise das Mönchtum prägte, und auch den Werken Gregors und Isidors eine bedeutende Nachwirkung beschieden war, ist über diese Traditionen auch ein Brückenschlag zum 12. Jahrhundert möglich.42

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Bd. 1, S. 326: [. . .] et in huius doctrina usque ad mortem in monasterio perseverantes, passioni Christi per patientiam mereamur esse participes, ut et regno eius Dominus nos faciat coheredes. Vgl. La re`gle de Saint Benoıˆt, t. 1–6, intr. et notes de Adalbert de Vogüe´, e´d. de Jean Neufville (Sources Chre´tiennes 181– 186), Paris 1971–1977, Bd. 1, S. 424: vt ab ipsivs nvmqvam magisterio discedentes, in eius doctrinam vsque ad mortem in monasterio perseverantes, passionibus Christi per patientiam participemur, vt et regno eivs mereamvr esse consortes. Die Benediktusregel stellt explizit eine Analogie zwischen dem Klosterleben und Christi Passion her. Vgl. Köpf, Nachfolge, S. 121 f. Isidor von Sevilla, Etymologiarvm sive originvm libri XX, Bd. 1–2, hg. von W.M. Lindsay, Oxford 1911 [Nachdr. 1957], hier: Bd. 1, VII,11,4. Ebd., VII,11,3. Vgl. Gudrun Gleba, Klöster und Orden im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 68. Vgl. auch Köpf, Nachfolge, S. 125. Vgl. zu Gregor dem Großen Rene´ Wasselynck, L’influence des Moralia in Job de S. Gre´goire le Grand sur la the´ologie morale entre le VIIe et le XIIe sie`cle, t. 1–3, Lille 1956, hier: Bd. 2, und ders., L’influence de l’exege`se de S. Gre´goire le Grand sur les commentaires bibliques me´die´vaux (VIIe-XIIe s.), in: Recherches de The´ologie ancienne et me´die´vale 32 (1965), S. 121–131, hier: 131, und ders., La pre´sence des Moralia de S. Gre´goire le Grand dans les ouvrages de morale du XIIe sie`cle, in: Recherches de The´ologie ancienne et me´die´vale 35 (1968), S. 197–240, und 36 (1969), S. 31–45.

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Besonders an der hochmittelalterlichen Exegese zu Rm 8,17 lässt sich eine praktisch-ethische Form von compassio belegen.43 Im Rahmen der frühscholastischen Debatten zur christlichen Doktrin dienten die Paulusbriefe gar als «test case»44 zur Entwicklung hermeneutischer Strategien, während ihnen in der monastischen Theologie eher eine Rolle in Meditation und Predigt im Zusammenhang mit der lectio divina zukam. Der Kommentar von Petrus Lombardus (um 1100–1160) verdeutlicht die Christuszentrierung des Leidens.45 Der Exeget und Dogmatiker lehrte Mitte des 12. Jahrhunderts an der Kathedralschule von Notre Dame in Paris und kommentierte neben den Paulusbriefen auch die Psalmen.46 Seine Schriften gehörten zu den «most frequently cited, copied, and studied exegetical works produced in the twelfth century».47 Der Römerbriefkommentar entstand in mehreren Etappen, denn Petrus selbst verbesserte ihn zweimal, in den Jahren 1139–1141 und 1155–1158, und Herbert von Bosham (um 1120–1194) nahm danach eine weitere Bearbeitung vor.48 43 Da die Briefe als kanonische Schriften der Bibel eine Überlieferungskonstanz aufweisen und ihnen innerhalb der Schriften des Neuen Testaments ein besonderes Interesse zukam, liegt auch für den oben skizzierten Zeitraum eine günstige Quellenlage vor. Vgl. Marcia L. Colish, Peter Lombard, v. 1–2 (Brill’s Studies in Intellectual History 41), Leiden (u. a.) 1994, hier: Bd. 1, S. 155, und Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung, Bd. 2: Von der Spätantike bis zum Ausgang des Mittelalters, München 1994, S. 147 f. 44 Vgl. Marcia L. Colish, Peter Lombard as an Exegete of St. Paul, in: Ad litteram. Authorative Texts and Their Medieval Readers, ed. by Mark D. Jordan (Notre Dame Conferences in Medieval Studies 3), Notre Dame (u. a.) 1992, S. 71–92, hier: S. 71. 45 Petrus Lombardus, Collectanea in Epistulae D. Pauli, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 191), Paris 1854, Sp. 1301–1534. Es handelt sich dabei um eine Erweiterung der um 1080–1130 in den exegetischen Schulen von Laon, Paris und Auxerre entstandenen ‹Glossa Ordinaria›, die für die frühscholastische Bibelauslegung bestimmend war. Vgl. Margaret T. Gibson, The place of the Glossa ordinaria in Medieval Exegesis, in: Ad litteram. Authorative Texts and Their Medieval Readers, London 1992, S. 5–27, hier: 5 und 21. Sie nennt als Benutzer u. a. Abaelard, Rupert von Deutz und Hugo von St. Viktor. Vgl. dazu auch H[elmut] Riedlinger, Bibel, Geschichte der Auslegung, in: LexMa 2 (1983), Sp. 47–58, hier: 51. Vgl. auch Reventlow, Epochen, S. 147 f. 46 Eine neuere, ausführliche Biographie bietet Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 15–32. Vgl. Reventlow, Epochen, S. 150 f. Zum hochmittelalterlichen Psalmenverständnis siehe auch Kap. 3.3. 47 Vgl. Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 156. 48 Ebd., S. 23 f.

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Aus Petrus’ Kommentar zu Rm 8,17 gehen deutliche Analogien zwischen den menschlichen Leiden und Christi Passion hervor. Weil nämlich die Christen aufgrund ihrer Gotteskindschaft Miterben Christi sind, können auch die menschliche Leiden in ein Verhältnis der Ähnlichkeit zu Christi Leiden gebracht werden. Sie führen zu Christus hin: Dico quod sumus cohæredes Christi, si tamen compatimur, id est ad ejus similitudinem patimur, quod pertinet ad illud ad similitudinem.49 Diese von Petrus so nachdrücklich dargelegte Analogie im Leiden weist also ihrerseits auf die Ähnlichkeit im Jenseits hin. Das geduldige Mitleiden mit Christus in der Welt führt dann zur Erlangung der ewigen Herrlichkeit: Dico si compatimur, et patiendum est pro gloria habenda.50 Leiden bedeutet – ohne dass der Mensch sich auf ein im Leid gründendes Verdienst berufen darf – einen Grund zur Hoffnung auf die Gnade der Erlösung und des ewigen Lebens.51 Die Anerkennung der Verdienste menschlicher Leiden und die Gnade des Lohns müssen von Gott geschenkt werden. Petrus nimmt jedoch nicht selbst Stellung zur Form compassionaler Umsetzung. Obwohl sein Kommentar die ‹Glossa ordinaria› bedeutend ausweitet, fügt er diesen Vorgaben in diesem Punkt keine grundsätzlich neue Deutung hinzu, sondern übernimmt ihre praktisch-ethischen Formulierungen:52 Mortificare facta carnis, unde vita erit, nemo potest sine molestia cui necessaria est patientia.53 Den Wurzeln der älteren Tradition folgend, kann unter ‹Leiden› das geduldige Ertragen der Widrigkeiten des Lebens, die Abwendung von der Sünde, das Abtöten der passiones, sowie die Enthaltsamkeit und Askese verstanden werden. 49 50 51 52

Petrus Lombardus, Collectanea, Sp. 1441. Ebd. Ebd., Sp. 1441 f. Vgl. den Kommentar der Glossa Ordinaria, in: Walafrid Strabo, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 114), Paris 1852, Sp. 1–752, hier: 496 f. Haeredes. Etsi non decedat Deus, quod dicitur humanis legibus. Vel decedet, ut non videatur per speculum in aenigmate sicut nunc, sed facie ad faciem. Potest etiam dici, quod Christus caput nostrum ad passionem decedens, nobis reliquit pacis ecclesiasticae possessionem, sicut ipse ait: Pacem meam do vobis, pacem meam relinquo vobis. Christus etiam est haereditas nostra. Unde: Dominus pars haereditatis meae, etc. Si tamen compatimur. Mortificare facta carnis, unde vita erit, nemo potest sine molestia, cui necessaria est patientia. 53 Petrus Lombardus, Collectanea, Sp. 1441. Auffällig ist, dass diese Leidensdeutung jener der Regula Benedicti (s. o.) nahe steht. Vgl. dazu auch Rm 8,13: Si enim secundum carnem vixeritis moriemini / si autem Spiritu facta carnis mortificatis vivetis.

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Petrus Abaelard (1090–1142) steht in ähnlichen Traditionszusammenhängen. Er vergleicht in seinem in den Jahren zwischen 1133 und 1137 entstandenen Römerbriefkommentar die praktisch-ethische Form explizit mit dem Martyrium.54 Abaelard, der in Corbeil, Melun und auch mehrfach in Paris lehrte, wurde vor allem durch seine Thesen zur Logik und Ethik bekannt, die er in seinem Werk ‹Ethica seu scito te ipsum› darlegte, wobei er der Ansicht war, dass die moralische Qualität einer Handlung nicht an der Handlung selbst, sondern an der Absicht (intentio) des Handelnden zu messen sei.55 Diese ethische Position fließt auch in seinen Römerbriefkommentar ein. In Auslegung von Rm 8,17 ist das Erbe der Christen die Grundlage zur Erlangung ewiger Seligkeit: beatitudinis possessione perpetua.56 Daran knüpft sich als Bedingung das Mitleiden mit Christus.57 Dieses definiert Abaelard insbesondere als Kampf gegen die Laster, dem eine Heilshoffnung, er bezeichnet sie als Krönung, zukommt (vgl. II Tim 2,3 ff.).58 Dabei muss das Leiden so beschaffen sein, dass es zur Mitverherrlichung mit Christus (conglorificemur) würdig macht. Solch explizite Verbindungen von Martyrium und Kampf gegen die Laster finden im 12. Jahrhundert in Texten des Alanus ab Insulis59 oder Ps.-Richard von St. Viktor Parallelen. Letzterer zählt auch die Abtötung der passiones bzw. den Kampf gegen die Laster, zudem die Feindesliebe oder die compassio mit dem Nächsten zum Martyrium. So kommentiert er, dass auf diese Weise ein jeder den Kelch des Leidens trinkt und täglich sein Kreuz trägt.60 Die Aufforderung zur Übernahme dieses unblutigen Martyriums kann sich deshalb bei Richard wie bei 54 Zu Rm 8,17 vgl. Petrus Abaelard, Expositio in Epistulam ad Romanos. Römerbriefkommentar, lat./dt., Bd. 1–3, übers. und eingel. von Rolf Peppermüller (Fontes Christiani 26), Freiburg i. Br. (u. a.) 2000, Bd. 2, S. 564 ff. und die dort gebotene sehr textnahe Übersetzung. 55 Vgl. Peter Schulthess, Ruedi Imbach, Die Philosophie im lateinischen Mittelalter. Ein Handbuch mit einem bio-bibliographischen Repertorium, 2. Aufl., Düsseldorf/Zürich 2002, S. 111 f. und 117. 56 Ebd., S. 564. 57 Vgl. Abaelard, Expositio, S. 564. 58 Vgl. zur patristischen Tradition, Isidor von Sevilla, Etymologiarvm, VII,11,3 f. 59 Vgl. Alanus ab Insulis, Summa de Arte Praedicatoria, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 210), Paris 1853, Sp. 109–198, hier: 186; vgl. dazu auch Kap. 3.5.1. 60 In hujus afflictione et labore calicem passionis bibit, et quotidie crucem suam tollit, vgl. Ps.-Richard von St. Viktor, Explicatio in Cantica Canticorum, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 196), Paris 1855, Sp. 405–524, hier: 489; vgl. zum Leidenskelch auch Gregor den Großen, Dialogi, 3,26,8.

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Abaelard über die Standesgrenzen hinweg an alle Menschen wenden. Ein solches Verständnis des unblutigen Martyriums öffnet sich dann für eine Aktualisierung, Deutung und Umsetzung in vielfältigen Lebenskontexten.61 Beide, das Martyrium wie auch den Kampf gegen die Laster, sieht Abaelard in der gemeinsamen Grundeinstellung der Liebe als vergleichbar an, weshalb das Verständnis der compassio hier tendenziell eine gesinnungsethische Komponente besitzt. Über solches Mitleiden kann der Mensch Gott zwar entgegengehen, doch die letzte Entfernung vermag nur die Gnade Gottes zu überbrücken. Aus dieser Übereinstimmung mit Petrus ist eine Konstante der hochmittelalterlichen Exegese abzuleiten. Diese (bedingte) Leid-Lohn-Korrelation kehrt auch in den folgenden Beispielen affektiver compassio wieder. Sie kann neben den Kategorien der Partizipation und Angleichung an das Leiden als Teil des schon bei Paulus grundgelegten und in der Folgezeit weitergeführten Schemas betrachtet werden.

2.2 Zur affektiven Grundform von compassio Es blieb jedoch nicht bei dieser praktisch-ethischen Form, denn im Hochmittelalter gelangte auf der Grundlage der bereits in der Patristik formulierten Lehre der beiden Naturen Christi die Menschheit des Gottessohns verstärkt ins Bewusstsein.62 So wurde vermehrt wahrgenommen, dass Christus sich erniedrigt hatte, den Menschen als Mensch begegnet war und sie durch sein menschliches Leiden erlöst hatte. Weil Christi menschliche Erfahrungen in der Welt in den Vordergrund traten, hatte dies Einfluss auf Modelle der Leidenspartizipation und Leidensangleichung, weshalb neue Konzepte von compassio ausgearbeitet wurden. Sie entstanden vornehmlich 61 Als volkssprachiges, monastisches Beispiel kann das St. Trudperter Hohelied angeführt werden. Das St. Trudperter Hohelied. Eine Lehre der liebenden Gotteserkenntnis, hg. von Friedrich Ohly unter Mitarbeit von Nicola Kleine (Bibliothek deutscher Klassiker 155. Bibliothek des Mittelalters 2), Frankfurt a. M. 1999, S. 776 f. Vgl. ebd. (59,9–11), S. 140: nuˆne vorderet nieman daz bluot der / marteraere, er vorderet aber daz kriuze der wil-/ ligen gehoˆrsame unde den degenlichen strıˆt, daˆ / si alle zıˆt ir lıˆp mite toubent, vgl. auch 41,20, S. 104. 62 Vgl. Colish, Exegete, und dies., Peter Lombard, hier: Bd. 1, S. 398; Ewert Cousins, Die menschliche Natur Christi und seine Passion, in: Geschichte der christlichen Spiritualität, Bd. 2: Hochmittelalter und Reformation, hg. von Jill Riatt (u. a.), Würzburg 1995, S. 383–399, bes. 383.

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im Kontext der Klöster, im Bereich der monastischen Theologie.63 Anfänge dazu sind schon ab dem 10./11. Jahrhundert in der Hinwendung zu einer affektiv geprägten Passionsfrömmigkeit vorfindbar, wie sie sich beispielsweise in den Werken des Johannes von Fe´camp (um 990–1078), des Petrus Damiani (1006/07–1072) oder des Anselm von Canterbury (1033–1109) spiegeln.64 Den wirklichen Durchbruch dieses neuen Passionsverständnisses zeigen aber erst die Werke Bernhards von Clairvaux.65 Da diese Entwicklungen in einem weiteren Zusammenhang stehen, wäre es unangemessen, sie nur auf Bernhard von Clairvaux zu reduzieren, doch zeigen sich seine Schriften als besonders innovativ und es war ihnen überdies eine besonders intensive Nachwirkung beschieden.66 Bernhard for63 Vgl. zur ‹monastischen› Theologie Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen. Zur Mönchstheologie im Mittelalter, Düsseldorf 1963, dt. Übers. von ders., L’Amour des lettres et le de´sir de Dieu. Initiation aux auteurs monasˆ ge, Paris 1957. Siehe auch Köpf, Passion Christi, S. 23; tiques du Moyen A ders., Modell religiöser Erfahrung; ders., Religiöse Erfahrung. Diese Veränderungen mögen nun auch in Relation zu den Modifikationen in der Leidenswahrnehmung und der menschlichen Leidensinteraktion gestanden haben. Veränderungen beschreibt auch Georges Duby, Re´flexions sur la Douleur ˆ ge, in: La Douleur. «Au-dela` des Maux», publ. par Physique au Moyen A Genevie`ve Le´vy et Mary de Vachon, Paris/Yverdon 1992, S. 71–79, allerdings sind seine Beobachtungen eher allgemeiner Art. 64 So Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 725; vgl. auch den ersten Teil von Fulton, Judgement. 65 Ebd.; vgl. auch Köpf, Nachfolge, S. 127. Damit vertritt er einen Standpunkt mit langer Tradition, denn bereits Kurt Ruh, Zur Theologie des mittelalterlichen Passionstraktats, in: Theologische Zeitschrift 6 (1950), S. 17–39, hier: 18, bezeichnete Bernhard als «Vater der Passionsliteratur». 66 Vgl. Ulrich Köpf, Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte Bernhards von Clairvaux. Forschungsstand und Forschungsaufgaben, in: Bernhard von Clairvaux: Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. von Kaspar Elm, Wolfenbüttel 1994, S. 5–65, vgl. ders., Passion Christi. Vgl. Langer, Passio und Compassio, S. 54, und ders., Affekt und Ratio in der Mystik Bernhards von Claivaux, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne (Dokumentation der wiss. Studientagung Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, 14.–18. März 1990, Kloster Schöntal), hg. von Dieter R. Bauer und Gotthard Fuchs, Innsbruck/Wien 1996, S. 136–150, und ders., Mystik. Zur weiteren Entwicklung vgl. auch Georg Steer, Die Passion Christi bei den deutschen Bettelorden im 13. Jahrhundert. David von Augsburg, ‹Baumgarten geistlicher Herzen›, Hugo Ripelin von Straßburg, Meister Eckharts ‹Reden der Unterweisung›, in: Die Passion Christi in der Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger

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mulierte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und somit in etwa gleichzeitig mit den Kommentaren des Petrus Lombardus und Abaelards eine Theologie, in deren Zentrum der Gekreuzigte stand: Haec mea subtilior, interior philosophia, scire Iesum, et hunc crucifixum.67 Doch entfaltete Bernhard zudem eine Anthropologie des gläubigen Subjekts, verknüpfte seine Gedanken zur Christologie und der Menschennatur Christi mit Reflexionen zum Menschen an sich. Er betonte den Affekt und verband dabei den ethischen Nachfolgegedanken mit der erinnernden und affektiven Vergegenwärtigung des Leidens Christi. Aus seinen Werken ist daher ein ‹System›68 ableitbar, das nicht an einem einzelnen Text deutlich wird, sondern rekonstruiert werden muss. Dabei kristalliert sich heraus, dass auch Bernhard die paulinische Grundidee des Mitleidens reflektiert. So formuliert er beispielsweise in seinem wohl in den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts entstandenen Traktat von der Gottesliebe ‹De diligendo Deo› in Anlehnung an Rm 8,17 und II Tim 2,11 f.: Hoc est: si compatimini, et conregnabitis.69 Bernhard definiert hier das Mitleiden mit Christus, und in besonderer Weise mit dem Gekreuzigten, als «Unterpfand für die Teilnahme an der Herrlichkeit Christi».70 Wiederholt legt Bernhard dar, dass die «memoria passionis und mit ihr die compassio Stationen eines Weges sind, der zur Teilnahme an Christi Herrschaft»71 führt. In mehreren seiner Schriften spielt die geistige Vergegenwärtigung des Leidens Christi eine wichtige

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(Fortuna Vitrea 12), Tübingen 1993, S. 52–75, sowie ders., Bernhard von Clairvaux als theologische Autorität für Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, in: Bernhard von Clairvaux: Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. von Kaspar Elm, Wolfenbüttel 1994, S. 233– 259. Bernhard von Clairvaux, Sermo super Canticum Canticorum, 43,3, in: Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 6, S. 96–103, hier: 100; vgl. Gal 6,14 und I Cor 2,2. Die Analyse übernimmt z. T. paraphrasierend die in der angegebenen Ausgabe vorgefundene Übersetzung. Vgl. Langer, Mystik, 190 ff. Der Begriff ‹System› soll im Zusammenhang mit Bernhards Schriften nicht mit den systematischen Summen der Scholastik in Verbindung gebracht werden. Vgl. Bernhard, De diligendo Deo, S. 92. So Langer, Passio und Compassio, S. 54. Vgl. Ruh, Mystik, Bd.1, S. 238 mit Anm. 15. Ruh weist an dieser Stelle darauf hin, dass diese Aussage sich sowohl auf ein mystisches Ereignis wie auch auf den heilsgeschichtlichen Ablauf bezieht.

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Rolle, von der eine ethisch-praktische Übertragung ausgehen soll.72 In der vierten Predigt zur Passionswoche weitet er die memoria passionis aus, schließt nicht nur die Ereignisse der Passion Christi im engeren Sinn ein, sondern zählt zusätzlich auch Christi Predigttätigkeit dazu, auch das Wandern, die Versuchungen beim Fasten, die Nachtwachen im Gebet, die Tränen des Mitleids und die Erniedrigungen Christi, nämlich die Lästerworte und den Hohn, das Bespeien und die Schläge ins Gesicht, die er erdulden musste: Proinde memor ero, quamdiu fuero, laborum illorum quos pertulit in praedicando, fatigationum in discurrendo, tentationum in ieiunando, vigiliarum in orando, lacrimarum in compatiendo. Recordabor etiam dolorum eius, conviciorum, sputorum, colaphorum, subsannationum, exprobrationum, clavorum horumque similum, quae per eum et super eum abundantius transierunt.73

Die Rezeption dieser Leidensbilder bedeutet ein Einprägen und Aufrufen (recordor) der Passion und die Erinnerung an den Sinn des Leidens und Mitleidens Christi. Wenn Bernhard die Leiden so sehr ausdifferenziert und auffächert, intensiviert er diese Erinnerung, gleichzeitig öffnet dieser Detailreichtum im Hinblick auf Bernhards individuelle Lebenswelt weitere Bezugsmöglichkeiten. Vergleichbares lässt sich an Bernhards 43. HoheliedPredigt belegen, in der er Ct 1,12 auslegt: Fasciculus murrhae dilectus meus mihi, inter ubera mea commorabitur. Dort wird dieses Myrrhenbüschel zu einer Metapher für die Summe der Leiden Christi. Erneut weitet Bernhard das Passionsverständnis auf die Mühen des Lebens Christi, die Nöte der Kinderjahre, die Predigt, das Wandern und Fasten und die Tränen des Mitleids aus. Das aus diesen Leiden zusammengesetzte Myrrhenbüschel ist Bernhard ganz nah, ruht beständig an seiner Brust, soll zwischen Freude und Leid des Lebens zum maßvollen Geleit werden und repräsentiert den Weg zur Erlösung.74 Denn das Erbarmen, das durch das Leiden Christi bewiesen wird, versöhnt den Menschen mit dem Richter der Welt. Christus wird auf diese Weise zum Mittler zwischen Mensch und Gott, dem selbst für die Hohen der Welt unerreichbaren Richter der Welt, weil er nicht nur 72 Vgl. auch Bernhard, De diligendo Deo, S. 92: qui recolit mortem meam, et exemplo meo mortificat membra sua quae sunt super terram, habet vitam aeternam. 73 Bernhard von Clairvaux, Feria IV Hebdomadae Sanctae. De Passione Domini, in: Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 8, S. 182–203, hier: 198. 74 Bernhard, Canticum Canticorum, 43,3, S. 100.

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versöhnbar ist, sondern erfahrbar und deshalb nachahmbar vor Augen gestellt wird.75 Dadurch öffnen sich Möglichkeiten für multiple Deutungen des menschlichen Leidens als compassio mit Christus und als Zugang zu Gott. Bernhard entfaltet somit ein praktisch-ethisches Konzept von compassio, schließt jedoch bereits ein affektives Moment ein. Konkrete Überlegungen zu affektiv geprägter compassio entfaltet Bernhard im Kontext seines Traktats über die Gottesliebe ‹De diligendo Deo›.76 Er beschreibt darin, wie der Mensch in vier Stufen des Aufstiegs über die Liebe bis zur conformatio mit dem Willen Gottes gelangt.77 Im Aufstiegsschema der Grade der Liebe bedeutet die erste Stufe die Selbstliebe, die zweite Stufe die Hinwendung des Menschen zu Gott, die dritte die reine Gottesliebe und schließlich die vierte die menschliche Selbstliebe um Gottes willen. Die höchste Stufe der Gotteserkenntnis bedeutet eine affektive Angleichung an Gott. Diese vergleicht Bernhard mit der blutigen Leidensnachfolge, in der die Gnade der Einheit mit dem göttlichen Willen zumindest teilweise erlangt werde.78 Eine vollkommene conformatio, die für das Jenseits verheißen ist und im Diesseits nur selten als mystische Erfahrung erreicht wird, bedeutet für Bernhard die affektive unio mit Gott: Sic affici, deificari est.79 Die Affekte erhalten somit eine Schlüsselstellung für den Zugang zu Gott. Bernhard betont in seinen Auslegungen ganz besonders den Erfahrungsbegriff, der zur Grundlage einer Hermeneutik der Passion wird.80 Er weitet die traditionsreiche, in der monastischen lectio divina gründende Idee der Erfahrung als Hermeneutik der Hl. Schrift auf das «Verstehen fremden Lebens überhaupt»81 aus. In seinem Traktat ‹De gradibus humilitatis et superbiae›, mit dem Bernhard sich an seine Mitbrüder wendet, legt er die drei Stufen der Entwicklung zu Gott dar.82 Diese Entwicklung führt von 75 76 77 78 79 80 81 82

Ebd. Vgl. Bernhard, De diligendo Deo, S. 74–151, hier: 74. Ebd., S. 122: Conformet et concordet Auctori. Ebd., S. 124. Ebd., S. 122. Vgl. allgemein Köpf, Theologie und ders., Modell religiöser Erfahrung. So Köpf, Theologie, S. 212 f. Vgl. die Praefatio von Bernhard von Claivaux, De gradibus humilitatis et superbiae, in: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 2, S. 38–135, hier: 44. Vgl. dazu Köpf, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, S. 52 mit Anm. 204 f. Er charakterisiert diese Schrift als eine «Darstellung des monas-

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der Erkenntnis menschlichen Elends über die Erkenntnis der Wahrheit im Anderen zur Wahrheits- und Gotteserkenntnis an sich.83 Bernhards anthropologische Überlegungen finden sich im Kontext der Ausführungen zur zweiten Stufe, innerhalb seiner Erklärungen zur menschlichen Wahrheitsfindung im Anderen über das Mitleiden: Sed ut ob alienam miseriam cor miserum habeas, oportet tuam prius agnoscas, ut proximi mentem in tua invenias, ex te noveris qualiter illi subvenias.84 Gleiches ist durch Gleiches verstehbar, weshalb die eigene Leidenserfahrung das Mitleiden mit dem Anderen ermöglicht. Damit darf der compassio indirekt eine hermeneutische Funktion zugesprochen werden, im Sinn einer ‹Kunst› gegenseitigen, mitfühlenden Verstehens.85 Nur auf dieser Basis ist eine adäquate Leidensinteraktion möglich.86 Und das gilt nicht nur für den Menschen. Vorbild für das Prinzip der affektiven conformatio ist vielmehr Christus selbst, ja sogar die Notwendigkeit der Inkarnation Christi begründet Bernhard damit. Christus musste das menschliche Elend selbst durchleben, um das Mitleiden mit dem Menschen zu lernen: qui pati voluit ut compati sciret.87 Er nahm Menschennatur an, um «das, was er zuvor kraft seiner göttlichen Natur von Ewigkeit her wusste, durch geschichtliche Erfahrung zu lernen».88 Auf diese Weise kann die gemeinsame Leiderfahrung auch zur ‹Brücke› zwischen Christus und den Menschen werden. Diese affektive Form ist nicht an Bernhard und seinen Orden gebunden, sondern findet sich im 12. Jahrhundert wiederholt in Schriften der Regularkanoniker von St. Viktor in Paris.89 Sie lässt sich etwa im sehr breit

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tischen Wegs zu Gott auf der Grundlage der Regula Benedicti», die sogar als Kommentar zur Benediktsregel verwendet wurde. Vgl. Ulrich Köpf, De gradibus humilitatis et superbiae. Über die Stufen der Demut und des Stolzes. Einleitung, in: Bernhard von Clairvaux. Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990– 1999, Bd. 2, S. 30–35, hier: 31 f. Vgl. Langer, Mystik, S. 190 f. Bernhard, De gradibus, S. 54. Vgl. Köpf, Religiöse Erfahrung, S. 203–217; vgl. dazu auch Karl F. Morrison, I am You. The Hermeneutics of Empathy in Western Literature, Theology and Art, Princeton 1988, der als herausragendes Beispiel der Patristik Augustinus und für das Hochmittelalter Gerhoch von Reichersberg nennt. Vgl. Köpf, Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, S. 45 f.; vgl. ders., Religiöse Erfahrung, S. 203–217. So Bernhard, De gradibus, S. 54. Vgl. Köpf, Theologie, S. 214. Er bezeichnet dies als einen «zentralen christologischen Gedanken Bernhards». Vgl. Kraß, Stabat mater, S. 141.

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angelegten Werk Hugos von St. Viktor (geb. Ende des 11. Jahrhunderts, gest. 1141) belegen.90 Der Traktat ‹De triplici compassione› ist in einem ersten Teil den drei Arten der compassio gewidmet, in einem zweiten trifft er die Unterscheidung zwischen passio und compassio. 91 Compassio ist hier ein menschlicher Affekt, dessen Quelle das Laster (ex vitio), die Natur (ex natura) oder die Tugend (ex virtute) sein kann.92 Die erste Art ist ein verwerfliches Mitleiden aus unerlaubter Liebe: aliquo reprehensibili dolore tangitur, ubi illicito prius amore tenebatur.93 Die zweite Art (ex natura) ist das unvermeidbare Mitleiden mit dem Leiden eines Anderen, sooft das Leid gegen das Maß der Gerechtigkeit oder der Menschlichkeit verstößt.94 Die dritte Art bedeutet das Mitleiden mit dem Nächsten wegen Gott (propter

90 Er verfasste mit ‹De sacramentis christianae fidei› eine der ersten Summen in der Theologiegeschichte. Vgl. Stephan Ernst, Gewissheit des Glaubens. Der Glaubenstraktat Hugos von St. Viktor als Zugang zu seiner theologischen Systematik (Beiträge zur Geschichte und Theologie des Mittelalters NF 30), Münster 1987, S. 5. Mit dem ‹Didaskalikon› schrieb Hugo ein Werk, «das zum Studienführer des Jahrhunderts wurde». So Ruh, Mystik, Bd. 1, S. 358. Vgl. auch McGinn, Mystik, Kap. IX. Hugo verfasste neben ‹scholastischen› Werken auch mystische Texte, weshalb sein Werk «in sich alle Möglichkeiten des Zeitalters» vereint. So Kurt Ruh, Mystik, Bd. 1, S. 355. 91 Hugo von St. Viktor, De triplici compassione, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 177), Paris 1854, Sp. 577 ff., Der Traktat ist in PL 177 im ersten Teil der Miscellanea veröffentlicht. Diese gelten «fast vollständig als authentisches Werk Hugos von St. Viktor», vgl. Ernst, Glaubenstraktat, S. 292. Zu genau diesem Traktat liegt bisher allerdings meines Wissens keine Datierung und Zuschreibung vor. Vgl. zu den Miscellanea auch Jean Chatillon, Autour des ‹Miscellanea› attribue´s a` Hugues de Saint-Victor. Note sur la re´daction bre`ve de quelques ouvrages ou opuscules spirituelles du prieur Richard, in: Revue d’asce´tique et de mystique 25 (1949), S. 299–305. 92 Compassio ex vitio est culpabilis; compassio ex natura est irreprehensibilis; compassio ex virtute laudabilis. Prima reprehenditur, tertia laudatur, secunda autem nec culpam habet, quia ex natura est, nec praemium, quia ex virtute non est. So Hugo von St. Viktor, De triplici compassione, Sp. 577. Vgl. auch den sehr wahrscheinlich Hugo zuzuschreibenden Traktat ‹De quatuor voluntatibus in Christo libellus›, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 176), Paris 1854, Sp. 841–846, der Teile von ‹De triplici compassione› enthält. Vgl. zum Affektbegriff innerhalb der theologischen Systematik Hugos von St. Viktor, Ernst, Glaubenstraktat, S. 46–77. 93 Vgl. Hugo von St. Viktor, De triplici compassione, Sp. 577. 94 Ebd. quando ex insito sibi pietatis affectu, animus alienis aerumnis condolet, quoties contra pietatis vel humanitatis mensuram eos opprimi sive affligi videt.

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Deum), das lobens- und lohnenswert ist.95 Somit sind hier Ursprung und Ausrichtung des Affekts für dessen positive oder negative Beurteilung ausschlaggebend. Vor dem Hintergrund dieser Vorgaben ist auch der um 1155–1165 in der Schule der Viktoriner entstandene Römerbriefkommentar zu verstehen, der in der Form von quaestiones verfasst wurde.96 Die Auslegung zu Rm 8,17 f. erklärt den Vollzug des Mitleidens im Sinne der compassio auf beide Arten, die in Christus gründen und sich auf ihn ausrichten. Sie zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass man einerseits seine Schmerzen in Erinnerung ruft und so mit ihm mitleidet und anderseits im Hinblick auf seine Leiden die eigenen erträgt: Duobus modis Christo compatimur, vel ejus dolores, quos pro nobis sustinuit ad memoriam revocando, et sic ei compatiendo condolere, vel ad similitudinem ipsius cum ipso, et propter ipsum tribulationes sustinendo.97

Damit ist einerseits erneut der Aspekt der Vergegenwärtigung der Passion (ad memoriam revocando) genannt und andererseits die Deutung der menschlichen Leiden auf Christus hin im Sinn einer Leidenspartizipation und Leidensangleichung (compatiendo condolere). Diese Parallelisierung der menschlichen Leiden mit der Passion Christi kann als praktisch-ethische Art des Mitleidens aufgefasst werden. Der Kommentar erklärt im Weiteren auch die affektive Form von compassio und schreibt ihr die Eigenschaft eines naturalis affectus zu. Sie gehört dann zu den im Menschen grundgelegten Affekten, die jedem eigen sind. In ihrer zwischenmenschlich-interaktiven Komponente bezieht auch sie sich auf den leidenden Nächsten bzw. auf Christi Passion und vermag es, einen Weg zur Übereinstimmung, zur heilsstiftenden (vgl. Rm 8,18), gnadenvollen conformatio mit Christus zu öffnen.98 Das Gefälle zwischen göttlichem Heil und menschlichem Verdienst ist allerdings so groß, dass erst über die Gnade eine Brücke zwischen göttlichem, gnadenvollem Heil bzw. Lohn (praemiorum) und den durch die compassio erworbenen Verdiensten 95 Ebd. 96 Vgl. Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 200. 97 Hugo von St. Viktor, Quaestiones et decisiones in epistolas D. Pauli, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 175), Paris 1854, Sp. 431–634, hier: 481. 98 Quia Deus ex sua gratia superaddet plus quam meruerunt merita nostra, quod est breviter dicerem nostra merita minima sunt respectu praemiorum. Ebd. Bezüglich der eingangs formulierten Feststellungen zum ‹Lohn› lässt sich hier bemerken, dass hier der Begriff praemium verwendet wird.

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geschlagen wird. Die Konzepte der Viktoriner fassen somit die beiden wichtigsten Grundformen des 12. Jahrhunderts zusammen: einerseits die praktisch-ethische Partizipation an der Passion Christi und andererseits die affektive compassio. Beiden Formen ist gemeinsam, dass sie einen Schritt der bewußten Identifikation und Angleichung an das Leiden des Vorbilds erfordern.

2.3 Affektive compassio in lyrisch-dramatischer und narrativer Form Konzepte der affektiven Form sollen im Folgenden in ihrer literarischen Konkretisierung analysiert werden. Für eine solche Untersuchung eignet sich besonders die Gattung der lateinischen Marienklage, denn in ihr lassen sich verschiedene rhetorische und poetologische Möglichkeiten literarischer Umsetzung verdeutlichen.99 Im Zentrum dieser Texte steht inhaltlich die von Maria miterlebte Passion Christi (vgl. Io 19,25). Ihnen unterliegt das Vorverständnis, dass Maria ihrem Sohn besonders eng verbunden war, denn sie hatte ihn empfangen und getragen, ihn auf seinem Lebensweg seit der Geburt begleitet. Weil sie ihm so nahe stand, berührte sie der Anblick des Leidens und Sterbens Christi in ganz besonderem Maße. Honorius Augustodunensis schätzt ihr intensives seelisches Mitleiden deshalb sogar höher ein als das körperliche der Märtyrer: Unde et plus quam martyr fuit, dum alii in corpore, ipsa vero in anima passa fuit.100 Symbol für ihre compassio, ihre empathische, innere Leidensangleichung und Leidensteilhabe,101 ist das 99 Vgl. Georg Satzinger und Hans-Joachim Ziegeler, Marienklagen und Pieta`, in: Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger (Fortuna Vitrea 12), Tübingen 1993, S. 241–276 mit weiterer Lit., hier: 245. 100 Vgl. Honorius Augustodunensis, Sigillum beatae Mariae, hg. von J[acques]P[aul] Migne (PL 172), Sp. 495–518, hier: 498. 101 Vgl. Fulton, Judgement, S. 468 f., die in ihrem Buch die Entwicklung von «participatory paradigms» beschreibt, deren Kern die Thematisierung und Problematisierung von Empathie darstellt. Diese bedeuten beispielsweise die Identifikation des Exegeten mit einem Textinhalt, die Einheit zwischen Körpern, Menschen, anbetendem Subjekt und angebetetem Objekt und sind schließlich auch in literarischer Form in Aspekten körperlicher und geistiger Angleichung Marias bis hin zur ‹Verschmelzung› und Einheit mit ihrem Sohn (unio) angelegt.

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Motiv des Leidensschwerts, in dem sich die Prophezeiung des Symeon (Lc 2,35) mit dem johanneischen Kreuzigungsbericht (Io 19,25) verbindet.102 Die Tradition der Marienklage beginnt Mitte des 12. Jahrhunderts mit dem ‹Planctus ante nescia› des Gottfried von St. Viktor (ca. 1125– 1194).103 Sie ist in mindestens 17 Handschriften erhalten und damit die im Mittelalter am häufigsten überlieferte lateinische Marienklage.104 Sie weist in ihrer bedeutenden Nachwirkung in verschiedene Kontexte, wurde vielfach neumiert und erreichte als Bestandteil von Passionsspielen vermutlich breitere Kreise der Bevölkerung. In der mit volkssprachigen Einschüben durchsetzten, im 13. Jahrhundert entstandenen Benediktbeurer Sammelhandschrift (Clm 4660) befindet sich der ‹Planctus ante nescia› sogar in einer Art Scharnierstellung zwischen lateinischer und deutscher Sprache.105 Er ist dort 102 Vgl. Kraß, Stabat mater, S. 106. Die Arbeiten von Andreas Kraß und Rachel Fulton orientieren sich thematisch an Maria. Die diachron angelegte Untersuchung, die Andreas Kraß als Exkurs in seine Dissertation zur Stabat-materDichtung eingefügt hat, konzentriert sich, vom Motiv des Leidensschwerts geleitet, auf das Mitleiden Marias mit ihrem Sohn während der Passion. Durch dieses Vorgehen erfasst Kraß vor allem jenen Teil der marianischen compassio-Konzepte, die mit diesem sehr weit verbreiteten Motiv verbunden sind. Vgl. Fulton, Judgement, S. 199, die darauf hinweist, dass dieses Motiv im 12. Jahrhundert wohl das wichtigste Memorialzeichen für das Leiden Marias darstellt. 103 Er wird gelegentlich auch Gottfried von Breteuil zugeschrieben, wie beispielsweise in Kraß, Stabat Mater, S. 121, vgl. dazu Satzinger und Ziegeler, Marienklagen und Pieta`, S. 244; vgl. auch Ursula Hennig, Die lateinische Sequenz ‹Planctus ante nescia› und die deutschen Marienklagen, in: Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100–1500. Regensburger Colloquium 1988, hg. von Nikolaus Henkel und Nigel F. Palmer, Tübingen 1992, S. 164–177, und die Nachweise von Handschriften und Drucken bei Rolf Bergmann, Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele und Marienklagen des Mittelalters, München 1986. Vgl. G[ünter] Bernt, Planctus. Lateinische Tradition, in: Marienlexikon V (1993), S. 247 f.; zu den deutschsprachigen Marienklagen R[olf] Bergmann und Ch[ristoph] Treutwein, Klagen. Deutschsprachige Marienklagen, in: Marienlexikon III (1991), S. 558 f. Zur späteren Tradition Ulrich Mehler, Marienklagen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Deutschland. Textversikel und Melodietypen, Bd. 1–2 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 128), Amsterdam/Atlanta, GA, 1997, vgl. auch den älteren Aufsatz von Walther Lipphardt, Studien zu den Marienklagen. Marienklage und germanische Totenklage, in: PBB 58 (1934), S. 390–444. 104 Vgl. Bernt, Planctus, S. 248. 105 Carmina Burana. Texte und Übersetzungen, hg. von Benedikt Konrad Voll-

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zweimal, als selbstständiger Text (14*) und dann als integrativer Bestandteil des Benediktbeurer Passionsspiels (16*) überliefert.106 Das Beispiel dieser erst Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen Sammelhandschrift belegt allerdings eine spätere Rezeption, Verwendung und Kontextualisierung des Planctus. Der Planctus umfasst in der vollständigen Fassung insgesamt 13 Doppelversikel und eine Schlussstrophe.107 Die Benediktbeurer Handschrift lässt große Teile der in der längeren Version enthaltenen Anklagen gegen die Heiden bzw. Juden aus, auch den das Lied abschließenden Aufruf an das implizite Publikum zur compassio mit Christus und Maria. Die restlichen Strophen stimmen weitgehend miteinander überein, weshalb die kürzere Version im Vordergrund stehen wird, bevor ich auf die Schlussverse der längeren zurückkommen möchte. Maria beklagt den Tod ihres Sohnes, der der Welt und ihr entzogen werde, sein Sterben sei Grund ihres Verlusts von Glück und Freude. Weinend wendet sie sich mit der Bitte um Trost an ihren Sohn und beschreibt angesichts seiner körperlichen Wunden die Tiefe ihrer eigenen, innerlichen (2a–3). Sie erinnert sich nun an die Prophezeiung des Simeon, dass sie das Schmerzensschwert durchdringen werde (4a) und wünscht sich selbst den Tod am Kreuz, um mit ihrem Sohn vereint zu werden (5f.). Isoliert betrachtet, verwendet die Klage einen Eingang in medias res, weshalb den ersten Worten eine gewisse Unbestimmtheit anhaftet.108 Nur sukzessive vereindeutigt sich das lyrische Ich: Maria. Die Klagende vergleicht in der ersten Strophe einst und jetzt, stellt einen Kontrast her zwischen früherer Unkenntnis der Klage und dem nun ermüdenden Übermaß davon. So mündet die erste Halbstrophe in die Feststellung der Erfahrung ihres großen Schmerzes. Planctus ante nescia / Planct[u] lassor, anxia / mann, mit den Miniaturen aus der Hs. und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer (Bibliothek Deutscher Klassiker 16. Bibliothek des Mittelalters 13), Frankfurt a. M. 1989. Die Handschrift repräsentiert durch ihre Zusammenstellung Übergänge zwischen lateinischer und volkssprachiger Tradition, geistlichen und weltlichen Themen. 106 14* vgl. ebd., S. 798–803; 16* vgl. ebd., S. 856. 107 Vgl. Carmina Burana, Nr. 14*, S. 798–802. Zum Fehlen von Versikeln den Kommentar zu 14* auf S. 1276 f. Vgl. die umfassende Version in der Edition der Analecta hymnica medii aevi, Bd. 20, hg. von Guido Maria Dreves, Leipzig 1895, Nr. 199 [Nachdr. New York/London 1961], S. 156 ff. 108 Möglicherweise stellt dies ein Angebot zur Identifikation mit den Inhalten dar.

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Crucior dolore. Das Enjambement zwischen zweitem und drittem Vers verdeutlicht die enge Verklammerung von Klage und Ursache, parallelisiert beides und leitet doch vom einen zum anderen über. Daher werden zu Beginn Gattung, Topos und Inhalt des Gedichts zum Thema. Was sich in den ersten beiden Versen jedoch nur als Vermutung andeutet, wird im dritten Vers in der Beschreibung des Leidens explizit. Das Verb (crucior) verweist nämlich in seiner Semantik auf die Art der miterlebten Folter und des darin gründenden Schmerzes: auf die Kreuzigung und innere MitKreuzigung. Diese vorausdeutenden Verse bezeichnen inhaltlich deshalb auch einen interaktiven Aspekt der Klage: Denn das, was sich außen vollzieht, was die Klagende sieht, nämlich die Kreuzigung, berührt sie in höchstem Maß, spiegelt sich in ihrem Inneren und findet nach außen hin den Ausdruck der Klage und des Weinens. Der innere Zustand der Klagenden, Marias, wird in der vierten Strophe durch die Verwendung der Metapher des Schmerzenschwerts veranschaulicht. Sie erinnert sich nun an die Prophezeiung des Simeon bei der Darbringung Jesu im Tempel, dass sie einst das Schmerzensschwert durchdringen werde: gladium sentio doloris (4a). Jetzt, angesichts ihres sterbenden Sohns, tritt dieser Moment der Kindheit Jesu wieder in Erinnerung, wodurch das Schwert zum Memorialzeichen wird und gleichzeitig zur Metonymie für Marias compassio. Hier wird explizit, wie das Klagen und Weinen zum Ausdruck des inneren Zustands werden: Gemitus, suspira / lacrimeque foris / uulneris indicia / sunt interioris (4b). Die Klage parallelisiert das Geschehen und gipfelt in der abschließenden Strophe in der Bitte um Erbarmen, im Wunsch, an der Stelle ihres Sohnes gekreuzigt oder mit ihm an das Kreuz geheftet zu werden: matrem crucifigite / uel in crucis stipite / nos simul affigite! (6b, 2ff.). Compassio äußert sich in der Sehnsucht nach unio im Leiden und Sterben, nach einer Simultaneität in absoluter Leidenspartizipation und Leidensangleichung: temporal und lokal, körperlich und geistig. In sehr konzentrierter Form wird im Angesicht des Kreuzes deutlich, dass das Leiden beide, Mutter und Sohn, durchdringt, affiziert und eint. Diese Inhalte besitzen Vorbildfunktion. Denn die drei die längere Fassung abschließenden Halbstrophen (Anal. 13 f.), die in der Benediktbeurer Handschrift fehlen, fordern auch das implizite Publikum, die als Töchter Zions angeredeten Gläubigen, zur tränenreichen compassio auf: Flete, Sion filiae (Anal. 13a).109 109 Vgl. Analecta hymnica medii aevi, S. 158.

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Weitere Verfahren der Entfaltung der Grundform affektiver compassio können im ‹Quis dabit-Traktat› beobachtet werden.110 Der eine sehr breite Nachwirkung erlangende Traktat wurde im Mittelalter Bernhard, Anselm, Ambrosius oder Bonaventura zugeschrieben, geht jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine noch vor 1205 gehaltene Predigt des Oglerius von Trino (1136–1214) zurück bzw. wurde im Rahmen dieser Predigt erstmals verwendet.111 Er erfuhr zwar seine größte Verbreitung erst ab der Mitte des 13. Jahrhunderts, weist insofern aus dem bisher betrachteten Untersuchungszeitraum hinaus, ist jedoch in seinem Kern ein Zeugnis zisterziensischen Wirkens um 1200.112 Überdies ging er recht früh, nämlich schon im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, mit Übersetzungen ins Mittelhochdeutsche ein.113 110 Klagen angesichts des Gekreuzigten finden sich schon sehr früh in der mittelhochdeutschen Literatur. Vgl. Satzinger und Ziegeler, Marienklagen; vgl. Die Dichtungen der Frau Ava, hg. von Friedrich Maurer (ATB 66), Tübingen 1966. Vgl. auch die lateinische Homilie De Maria Magdalena, publ. par Franc¸ois Combefis (Bibliotheca Patrum concionatoria 5), Venise 1749; vgl. Urban Küsters, Maria Magdalena und die Legitimität der Trauer. Zu den mittelhochdeutschen Magdalenenklagen, in: Contemplata aliis tradere. Studien zum Verhältnis von Literatur und Spiritualität (FS Alois M. Haas), hg. von Claudia Brinker (u. a.), Bern 1995, S. 175–215, bes. 175 ff. mit Lit. in Anm. 4 f. Magdalenenklagen wurden später als der ‹Quis dabit-Traktat› ins Mittelhochdeutsche übersetzt, nämlich erst ab Ende des 13. Jahrhunderts, vgl. ebd. – Grundsätzlich zur Totenklage Christian Kiening, Totenklage, in: RLW 3 (2003), S. 655–657. Vgl. zur Tradition der Klage auch Urban Küsters, Klagefiguren. Vom höfischen Umgang mit der Trauer, in: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters, hg. von Gert Kaiser (Forschungen zur Geschichte der Älteren Deutschen Literatur 12), München 1991, S. 9–75. 111 Vgl. Thomas H. Bestul, Texts of the Passion. Latin Devotional Literature and Medieval Society, Philadelphia 1996, S. 13, vgl. dort im Anhang S. 165–185, die neuere Edition dieses Traktats, nach der Hs. London, British Library, MS. Cotton Vespasian E.i, S. XIV. Oglerius ist ab 1205 Abt des Zisterzienserklosters S. Maria de Locedio bei Trino im Piemont. Vgl. Kraß, Stabat mater, S. 123 mit Lit. Vgl. die Rekonstruktion von Henri Barre´, Le ‹planctus Mariae› attribue´ a` Saint Bernard, in: Revue d’asce´tique et de mystique 28 (1952), S. 243–266. 112 Vgl. Hans Eggers, ‹Bernhardstraktat›, in: 2VL 1, Sp. 793 f., mit Lit. Der lateinische Text weist in der Überlieferung eine hohe Unfestigkeit auf, vgl. Barre´, Planctus, S. 259; vgl. auch Bestul, Narratives, S. 52 f. 113 Vgl. Eggers, ‹Bernhardstraktat›. Die Übersetzung des in Italien entstandenen Texts belegt überdies den Austausch geistlicher Schriften und damit geistli-

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Der narrative Text selbst führt sukzessive über verschiedene Textebenen zum Kern hin. Ein Prolog und der Dialog zwischen dem Schreibenden und Maria sind der Passionserzählung vorangestellt. Der Hauptteil der Erzählung besteht aus einem auf die Passion zurückblickenden Bericht Marias. Sehr subjektiv aus Marias Perspektive erzählt, ist er von ihren Klagen und ihrem Weinen durchsetzt. Als Leitmotiv des Traktats fungieren somit die Tränen, ein Motiv, das wie erwähnt auch den Abschluss des ‹Planctus ante nescia› bildet.114 Hier nehmen es schon die ersten Worte des Prologs auf: Quis dabit capiti meo aquam et oculis meis ymbrem lacrimarum.115 Das Schreiber-Ich wendet sich nur wenige Zeilen später mit der Aufforderung zum Mitweinen an ein implizites Publikum, das er mit Filiae Jerusalem und sponse dilecte dei anredet.116 Diese Haltung des Weinens entspricht jener Marias und des Lieblingsjüngers Johannes unter dem Kreuz: lacrimas fundere non cessabant [. . .] amabant flere et flebant amare.117 Weinend versetzen sich auch jene in diese Haltung des Mitweinens, Mittrauerns und Mitleidens, die nach der Grablegung Jesu Maria weinen sehen: Plorantes plorabant, multaeque condolebant Mariae. Nam dolor eius multos faciebat dolores. Vix poterat lacrimas continere quicunque videbat eam plorantem.118 Auf den Prolog folgt die Begegnung des Schreibenden mit Maria, die vom Himmel zu ihm herabgestiegen ist. Dieser Dialog beglaubigt die Erzählung durch die Direktheit der Vermittlung und leitet zum eigentlichen

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chen Wissens zu Beginn des 13. Jahrhunderts. In der Folge wären auch direkte Weiterverwendungen von Verfahren oder Konzepten in anderen volkssprachigen Texten denkbar. Vgl. Kraß, Stabat mater, S. 124 f., der die Charakteristika dieses Traktats im Leitmotiv der Tränen, im Unsagbarkeitstopos und in der narrativ-dramatischen Ausgestaltung sieht. Ich zitiere im Folgenden die kritische Edition des Quis dabit-Traktat, in: Gerd Seewald, Die Marienklage im mittellateinischen Schrifttum und in den germanischen Literaturen des Mittelalters (Diss. masch.), Hamburg 1952, im Wiederabdr. von Edgar Büttner, Die Überlieferung von ‹Unser vrouwen klage› und des ‹Spiegel› (Erlanger Studien 74), Erlangen 1987, S. 185–199, hier: § 1, S. 185. O vos filie Ierusalem, sponse dilecte dei, una mecum lacrimas fundite. Bestul vermutet deshalb, dass sich der Traktat an ein Publikum von geistlichen Schwestern richtet, Bestul, Narratives, S. 53. Vgl. Ed. Büttner/Seewald, § 2, S. 185. Ebd., § 23, S. 191. Ebd., § 40, S. 197.

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Passionsbericht über. Auch hier findet sich ein Aufruf zum Mitweinen und Mitleiden, denn der Bitte des Schreibers an Maria, ihr Erleben der Passion Christi zu berichten, will sie nur unter der Bedingung nachkommen, dass ihre Worte mit bzw. unter Tränen niedergeschrieben werden: Tu tamen cum lacrimis scribe ea, que cum magnis doloribus ipsa persensi.119 Maria ‹autorisiert› die Niederschrift ihres Berichts daher nur, wenn der Schreiber sich ihr affektiv angleicht. Konkretisieren sich ihre bei der Passion empfundenen inneren Schmerzen äußerlich in Klage und Weinen, so soll der Schreiber Marias Bericht weinend nachvollziehen, um mit der Niederschrift einen weiteren Schritt der Konkretisierung zu vollziehen. Überdies verweist die beim Schreiben geforderte Haltung auf das mit dem geschriebenen Text verbundene Erfahrungspotential. Denn laut Prolog soll die (schriftliche) Erzählung ja auch das implizite Publikum zu Tränen rühren. In die eigentliche Binnenerzählung von der Verurteilung und Erniedrigung und der Kreuzigung Christi, der Kreuzabnahme und der Grablegung sind die Lamentationen Marias inseriert. In ihnen mischen sich Affekt und dessen tränenreicher Ausdruck in chiastischen Wendungen: Amabant flere, et flebant amare; amare flebant, quia amare dolebant.120 So ‹zerfließt› sie geradezu vor Schmerz angesichts des Leidens, geht seelisch in der Passion Christi auf: Videbam morientem quem diligit anima mea et tota liquefiebam prae doloris angustia.121 Der Affekt und die innere conformatio Marias mit ihrem Sohn sind das, was durch die gesamte Passionsbeschreibung hindurch präsent bleibt, selbst dort, wo das Wort versagt.122 Diese Leidensangleichung und Leidenspartizipation Marias wird durch verschiedene literarische Mittel verdeutlicht, wie beispielsweise auf der Ebene inhaltlicher Korrespondenzen. So ruft Maria in ihrer Furcht, verlassen zu werden: Nunc orbor patre et matre, viduor sponso, desolor prole, omnia perdo.123 Auf ihren Klageruf hin spricht Jesus nämlich seiner Mutter Trost zu, versichert ihr, er werde immer bei ihr sein, noli plangere, speciosissima mater, non te desero, non te derelinquo; tecum sum, tecum ero omni tempore saeculi.124 Doch eben diese Furcht vor der Trennung zeigt Marias 119 120 121 122

Vgl. Ed. Büttner/Seewald, § 7, S. 186. Ebd., § 23, S. 191. Ebd., § 13, S. 188. Ebd., § 12 f., S. 187 f. Tantoque dolore et tristitia vexabar in mente, quanto non posset explicari sermone [. . .] Volebam loqui, sed dolor verba rumpebat. 123 Ebd., § 19, S. 189. 124 Ebd., § 21, S. 190.

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geistige und affektive Angleichung an ihren Sohn, ja ihre Einheit mit Christus, der in seiner Todesstunde selbst einen Schrei der Gottesverlassenheit ausstößt: deus meus, deus meus ut quid me dereliquisti.125 Die Verlassenheitsklage wird hier zum Paradox eines vereinigenden Moments. Marias Angleichung wird zudem auf der symbolischen Ebene explizit. Sie versinkt in das Leiden ihres Sohnes, teilt sein körperliches Leid seelisch, und ihr innerer Schmerz ist so groß, dass sie wünscht, am Kreuz mit Christus zu sterben, mit ihm vereint zu sein und zu bleiben. Sie wird gemeinsam mit Johannes vom Leidensschwert (vgl. Lc 2,35) durchbohrt, das Simeon ihr verheißen hatte, doch ist ihr Schmerz wegen ihrer größeren Liebe zu ihrem Sohn größer als der des Lieblingsjüngers: quo magis amabat, saevior fiebat. Immane mater sentiebat Christi dolores.126 Die Leidenspartizipation und Leidensangleichung wird zudem durch rhetorische Mittel hervorgehoben. Christus und Maria sterben gleichzeitig.127 Er körperlich am Kreuz, sie in der Seele: In carne Christus solvebat debitum mortis quod gravius erat quam mori animae matris.128 Diese Einheit Marias mit ihrem sterbendem Sohn spiegelt sich in Parallelisierungen: Iuxta crucem Christi stabat emortua mater.129 Nach seinem Tod, noch vor der Kreuzabnahme, wird durch den Einsatz des Oxymorons die innerliche Verschmelzung Marias mit ihrem gekreuzigten Sohn deutlich: quasi mortua vivens, vivebat moriens, vivensque moriebatur, nec poterat mori, quia vivens mortua erat.130 Sie erlebt affektiv die Heilstat mit, partizipiert in seelischer Angleichung am Kreuzestod.131 Die eindrückliche Darstellung von Marias compassionaler Anteilnahme am Sterben Christi vermittelt Wege zum angemessenen Verstehen des dargebotenen Leidens, öffnet einen Zugang zu Christus und zum ewigen Leben. Deshalb wendet sich das auktoriale Ich im Epilog auch an das implizite Publikum und ruft es – ähnlich wie in den letzten Versen des Planctus – zu einer tränenreichen Vergegenwärtigung des Leidens Christi auf:132 125 126 127 128 129 130 131

Ebd., § 25, S. 191; vgl. Mt 27,46; Mc 15,34. Ebd., § 23, S. 191. Ebd., § 15, S. 188: et matrem cum filio perime simul. Ebd., § 23, S. 191. Ebd., § 26, S. 192, vgl. Io 19,25. Ebd., § 26, S. 192. Vgl. dazu Fulton, Judgment, S. 428. Sie bezeichnet die Angleichung Marias an Christus als «identity of compassion». 132 Kraß, Stabat Mater, S. 122, bezeichnet diese Aufforderung sogar als «typisch für alle Marienklagen».

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Compassio recolite de morte et passione domini nostri Jesu Christi, et per totum istum venerabilem diem lacrimas fundere non cessetis, ut in die resurrectionis domini ad laudem et honorem illius resurgere valeatis.133

Ein solcher erinnernder und affektiver Nachvollzug des Leidens Christi verheißt, ähnlich wie Rm 8,17, am Tag der Auferstehung des Herrn (in die resurrectionis domini) die Teilhabe an ihr (resurgere valeatis). Die erfahrungsbezogene, durch Tränen ausgedrückte affektive Angleichung an diese Leidensrepräsentation garantiert somit einerseits das Textverständnis und gewährt andererseits bei angemessener Rezeption die Aussicht auf ewige Herrlichkeit. Auffällig ist die Durchdringung der Erzählebenen durch den Affekt: Maria, die Protagonistin und Vermittlerin, verlangt compassio im Sinn einer affektiven Beteiligung unter Tränen, der Schreiber ruft das implizite Publikum zur Partizipation auf, und nicht zuletzt zeigt auch die Handlung die innere Teilhabe Marias an den Schmerzen und der Verlassenheit Christi während der Passion.134 Der Text erzwingt geradezu ein compassionales Mitgehen. Die Ebenen der Erzählung laufen in diesem Punkt der Leidensimpliziertheit zusammen, scheinen zu fusionieren, eine Einheit zu bilden. Damit wird innerhalb der Handlung nicht nur inhaltlich und rhetorisch die unio vermittelt, sondern sie durchdringt die Strukturen des gesamten Texts und wird so zum zentralen Charakteristikum seiner Poetik.

2.4 Varianten affektiver compassio im deutschsprachigen Raum An der Benediktbeurer Handschrift lassen sich Möglichkeiten des Einflusses affektiver compassio auf die mittelhochdeutsche Literaturproduktion des 13. Jahrhunderts andeuten. Ihre Entstehungszeit reicht jedoch weit über den hier relevanten Untersuchungszeitraum hinaus. Einige frühere Beispiele sollen deshalb dazu dienen, Konzepte affektiver compassio in lateinischen Texten im deutschsprachigen Raum zu beschreiben. Da die ausgewählten Texte zudem nicht aus einem einzigen Orden stammen, kann an ihnen auch die übergreifende Verbreitung und Verarbeitung dieser Konzepte beobachtet werden.135 133 Ebd., § 44, S. 199. Vgl. Rm 8,17. 134 Vgl. Bestul, Narratives, S. 53. 135 Die Verbreitung und Nachwirkung der Schriften Bernhards im deutschen

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Beginnen soll die Reihe der Beispiele mit einem Text Gerhochs von Reichersberg (1092/93–1169),136 der ca. 1118 Kanoniker des Augsburger Doms wurde, wenig später in das Stift Rottenbuch eintrat und schließlich 1132 Propst des Augustinerchorherrenstifts Reichersberg wurde.137 Gerhoch schrieb während seiner Reichersberger Zeit zwischen 1144 und 1167/68 sein Hauptwerk, den ‹Commentarius Aureus› bzw. die ‹Tractatus in Psalmos›.138 Er berücksichtigt in diesem Kommentar die patristischen Traditionen, integriert auch Ideen der neuen französischen Autoritäten, wie Bernhards von Clairvaux und Hugos von St. Viktor.139 Gleichzeitig steht Gerhoch als Augustinerchorherr in einem anderen Kontext und als Schüler des Rupert von Deutz in anderen Kommentierungstraditionen.140 Sein Stil ist durch ausführliche Digressionen geprägt, die dem Prinzip der freien Assoziation folgen,141 wodurch er in seinen Psalmenkommentar ein breites Themenspektrum zu integrieren vermag. Seine Exkurse behandeln nämlich unter anderem Probleme der Liturgie, der Ethik, der kirchlichen und monastischen Disziplin, berühren das kanonische Recht und die Geschichte. Gerhoch inseriert zudem Legenden, Anekdoten, aktuelles Geschehen und

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Sprachraum war allerdings bedeutend. Vgl. dazu Jean Leclercq, Der heilige Bernhard und Deutschland, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne (Dokumentation der wiss. Studientagung Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, 14.–18. März 1990, Kloster Schöntal), hg. von Dieter R. Bauer und Gotthard Fuchs, Innsbruck/Wien 1996, S. 316–328, hier: 317–321. Er weist darauf hin, dass die meisten seiner Handschriften in Frankreich und Deutschland aufzufinden sind. Vgl. auch Gerhard B. Winkler, Die Ausbreitung des Zisterzienserordens im 12. und 13. Jahrhundert, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit, hg. von Kaspar Elm, Köln 1981, S. 87–92, hier: 87 f. Im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert erhielt dieser sich sehr stark ausbreitende Orden eine besonders große Unterstützung durch den deutschen Adel. Auch der Wissensaustausch zwischen Zisterziensern und Adel erscheint über diese Kontakte plausibel. Vgl. Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie, mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie, Wiesbaden 1960; vgl. auch Loris Sturlese, Die deutsche Philosophie im Mittelalter. Von Bonifatius bis zu Albert dem Großen (748–1280), München 1993, S. 110–118; Morrison, I am You, S. 193. Vgl. Sturlese, Philosophie, S. 110. Vgl. Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 161. Vgl. Sturlese, Philosophie, S. 111 ff. Ebd. Vgl. Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 161.

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dogmatische Abhandlungen in seinen Kommentar.142 Es erstaunt somit kaum, dass der ‹Commentarius Aureus› zum ausführlichsten Psalmenkommentar seiner Epoche wurde.143 Im Proömium dieses komplexen Hauptwerks präsentiert Gerhoch eine Hermeneutik des Mitfühlens mit Christus.144 Dies ist aufgrund des typologischen Verständnisses der Psalmen möglich, das bereits Aurelius Augustinus (354–430) vertrat. Er hatte die Psalmen als Stimme Christi zum Vater und zu seiner Kirche sowie als Stimme der Kirche zu Christus definiert und schrieb dem affektgeleiteten Psalmgebet große Wirkung zu.145 So sollte die Angleichung des Betenden an die Affekte der Psalmen zur conformatio mit Christus führen und ihn schon im Diesseits zum Mitglied der civitas Dei146 formen. Gerhochs Kommentar ist in der Fortführung dieser patristischen Traditionen kein Einzelfall, denn auch andere hochmittelalterliche Kommentare zeugen von dieser typologischen Deutung der Psalmen.147 Christus ist die materia der Psalmen (integer Christus, id est caput cum omnibus membris).148 Deshalb besteht das Ziel (intentio) der Psalmenlektüre in der An142 Ebd. 143 Ebd., vgl. Michael Curschmann, Imagined Exegesis: Text and Picture in the Exegetical Works of Rupert of Deutz, Honorius Augustodunensis and Gerhoch of Reichersberg, in: Traditio 44 (1988), S. 145–169, hier: 160, der den Kommentar sogar als den längsten Psalmenkommentar bezeichnet, der je geschrieben wurde. 144 Vgl. Morrison, I am You. 145 Vgl. Balthasar Fischer, Die Psalmenfrömmigkeit der Märtyrerkirche, in: ders., Die Psalmen als Stimme der Kirche. Gesammelte Studien zur christlichen Psalmenfrömmigkeit (FS Balthasar Fischer), hg. von Andreas Heinz, Trier 1982, S. 32. Vgl. zur Funktion des Nachvollzugs der Affekte bei Augustinus: Michael Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi. Studien zu Augustinus’ ‹Enarrationes in Psalmos›, Freiburg i. Br. 1997, S. 213–230, bes. 230. Vgl. allgemein zur Hermeneutik der Empathie bei Augustinus, Morrison, I am You, S. 69–97 und 172–190. 146 Vgl. Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi, S. 230. Auszeichnendes Merkmal dieser civitas Dei ist der affectus cordis, ebd., S. 229. 147 Einen ausführlichen, neueren Überblick über die hochmittelalterlichen Psalmenkommentare bietet Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 158–188. 148 Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus in Psalmos et cantica ferialia, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 193/194), Paris 1854/55, Bd. 193, Sp. 619–Bd. 194, Sp. 998, hier: 630. Da dieses Werk sich über zwei Bände der PL hinzieht, werden die Spaltenangaben im Folgenden jeweils mit den entsprechenden Bandnummern zitiert. Vgl. zur Funktion des Nachvollzugs der

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regung (provocari) der Gläubigen und der Kirche (membra) zur Angleichung an Christus, das Haupt der Kirche (capitis).149 Das Mittel dazu ist der innere Nachvollzug jener Affekte, die der Psalmentext zum Ausdruck bringt. Gerhoch zählt in seinem Prolog die in den Psalmen thematisierten Affekte auf, weist jedoch darauf hin, dass diese Aufzählung nicht erschöpfend sein kann (infiniti enim sunt affectus).150 Sie schließt compassio nicht ein, hingegen die Affekte der Freude und der Liebe (affectus Dilectionis) wie auch der Sehnsucht (affectus Zeli) und des Schmerzes (affectus Doloris).151 Dabei betont der Theologe, dass der Betende sich den Affekten und damit dem Inhalt der Psalmen angleichen (conformari) soll, dies jedoch nicht oberflächlich wie ein Schauspieler, sondern in echter Verehrung (vera devotione conformari debemus illorum affectionibus, quorum verba resonamus).152 Das rechte Psalmenverständnis bedeutet somit ein affektives Sich-Hinein-Versetzen in die Person des ‹Sprechers› des jeweiligen Psalms. Dies verlangt jedoch vom Rezipienten einen laufenden Standortwechsel, denn die Affekte gehen oft ineinander über (sed saepe de affectu in affectum transit).153 Dieser empathische Nachvollzug der im Text enthaltenen Affekte bildet den Schlüssel zum Text und deshalb auch zum Kern der Psalmen: Christus. Gerhochs Erläuterungen zu Psalm 40,14 (benedictus Dominus Deus Israhel a saeculo et in saeculum fiat fiat) bieten darüber hinaus eine Theorie affektiver Bildrezeption.154 Als Inhalt dieses Psalms sieht Gerhoch nämlich den Gekreuzigten, was er zum Anlass nimmt, Überlegungen zu einer com-

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Affekte bei Augustinus: Michael Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi. Studien zu Augustinus ‹Enarrationes in Psalmos›, Freiburg i. Br. 1997, S. 213– 230, bes. 230. Vgl. allgemein zur Hermeneutik der Empathie bei Augustinus, Morrison, I am You, S. 69–97 und 172–190. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, Sp. 630: Intentio est: ipsa membra provocari ad conformationem capitis. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, PL 193, Sp. 634. Ebd. Ebd., Sp. 633, ähnlich Sp. 636: Restat ut inter psallendum nos conemur formare animum secundum sensus et affectus psalmorum. Ebd., Sp. 636. Ebd., Sp. 1486. Morrison, I am You, S. 197, und Giles Constable, The Ideal of the Imitation of Christ, in: Three Studies in Medieval Religious and Social Thought: The Interpretation of Mary and Martha – The Ideal of the Imitation of Christ – The Orders of Society, Cambridge 1995, S. 143–248, hier: 199.

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passionalen Bildrezeption einzufügen, wobei verschiedene Stufen der Erkenntnis deutlich werden, die in Betrachtung eines gemalten Bildes (depicta imagine) des armen erbarmungswürdigen Gekreuzigten (in cruce Christum pauperem et egenum) erlangt werden können.155 Ein erster Zugang ist das körperliche Sehen des Bildes. Der Theologe versteht darunter ein literales, sensorisches Sehen. Es folgt dann auf einer höheren Stufe die rationale Erkenntnis Christi in seiner Doppelnatur als Mensch und als Gott. Dann soll in dieser Repräsentation der arme Christus auf spiritueller Ebene erkannt werden und zuletzt auch im Herzen Bild annehmen. Dies ist die höchste Erkenntnisstufe. Diese Erklärungen weisen Analogien zu seiner Auslegung von Ps 72,19 f. auf,156 denn an beiden Stellen bezeichnet Gerhoch die affektive Identifikation mit dem Gekreuzigten, das Sehen im Herzen von Angesicht zu Angesicht, als höchste Stufe.157 Dieses Niveau kann auf der Basis der Liebe erlangt werden, wenn das Individuum, vom Feuer der Liebe entbrannt, in seinem Vorbild aufgeht: amoris igne inflammati erunt conformes imaginis Filii.158 Die affektive innere Vereinung des gläubigen Subjekts mit Christus führt also zur Umbildung und Verähnlichung mit dem Leidensvorbild und schließlich hin zu Gott.159 Die affektive Betrachtung Gottes mit dem Her155 Vgl. Morrison, I am You, S. 197. Ebd., PL 193, Sp. 1486: Et tu videns in cruce Christum pauperem et egenum, confitere te vidisse Dominum, intelligens videlicet supra id quod vides. Intellige, quia nec Deus est, nec homo pendens, quam cernis imago, sed Deus est et homo, quem certa figurat imago. Dum igitur oculis cernis hominis pauperis et egeni pendentis in cruce vivificam imaginem, intellige intus in corde te videre Dominum facie ad faciem, dum sana fide sapis illum esse Deum, quem cernis hominem; esse Dominum divitem, quem cernis egenum et pauperem; esse omnipotentem, cujus in cruce vides infirmitatem; esse vitam mortuorum, quem cernis mortuum; esse Salvatorem, quem cernis vulneratum. Sic videns Dominum facie ad faciem [. . .]; vgl. Ps 40,1. 156 Vgl. Ebd., PL 194, Sp. 350: Nec mirum si tunc inflammabis, quando clare videberis facie ad faciem. Vgl. Morrison, I am You, S. 197. 157 Ebd. 158 Vgl. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, PL 194, Sp. 349. 159 Vgl. ebd., Sp. 350; vgl. Morrison, I Am You, S. 197; vgl. Robert Javelet, Image et ressemblance au douzie`me sie`cle. De Saint Anselme a` Alain de Lille, t. 1: texte, [Strasbourg?] 1967, S. 438 f. Javelet nimmt für Gerhochs Konzept einen zisterziensischen Einfluss an. Vgl. dazu im Kap. 2.2 die ähnlichen Feststellungen zur höchsten Stufe der Gottesliebe bei Bernhard von Clairvaux: sic affici, deificari est, vgl. Bernhard, De diligendo Deo, S. 122.

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zen (intellige intus in corde te videre Dominum facie ad faciem)160 vermag dann punktuell vorwegzunehmen, was sonst nur jenen gegeben ist, die schon in der ewigen Seligkeit weilen, die visio Dei. In Bezug auf das Erkenntnisprinzip, nämlich ein innerlich sehendes Verstehen, bestehen Parallelen zur hermeneutischen Funktion der Affekte, die im Proömium aufgezählt werden. Affektive compassio öffnet im Sinne einer Hermeneutik der Passion tiefere Einsichten und zeigt sich deshalb als privilegierter, heilswirksamer Weg zu Christus und zu Gott. Eine hermeneutische Funktion affektiver compassio geht auch aus einem Pilgerbericht, dem ‹Libellus de locis sanctis› (ca. 1169–1174), des 12. Jahrhunderts hervor. Der Autor ist ein Mönch namens Theodericus, der sich auf eine Pilgerreise nach Jerusalem begab und im Anschluss daran dieses Büchlein verfasste.161 Im Prolog wendet er sich an all jene, denen die Pilgerreise ins Heilige Land vorenthalten ist, an jene, die ihm auf dieser Reise körperlich sequi non possunt und lässt sie über die Rezeption seines Werks auch an den Verdiensten der Pilgerfahrt und dem Nachvollzug des Lebenswegs Christi teilhaben. Er gibt den ‹richtigen› Lektürevorgang vor, sieht die Textrezeption als Ausgangspunkt eines Prozesses, der von der Memoria über die Liebe, das Mitleid und die Sehnsucht und schließlich bis zur Vergebung der Sünden und zur Erlangung der Gnade Gottes führt.162 Die so verstandene Rezeption verheißt den ewigen Lohn, das regnum celeste.163 160 Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, PL 193, Sp. 1486 und PL 194, Sp. 350: quando clare videberis facie ad faciem. 161 Der Autor ist historisch nicht weiter greifbar, seine Pilgerreise wird aufgrund des Textbefunds auf die Jahre 1169–1174 datiert. Eine Rekonstruktion der Provenienz des Autors und des Zeitpunkts der Entstehung des Texts bietet Christine Sauer, Theoderichs ‹Libellus de locis sanctis› (ca. 1169–1174). Architekturbeschreibungen eines Pilgers, in: Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, hg. von Gottfried Kerscher, Berlin 1993, S. 213–231, hier: 215. Theodericus, Libellus de locis sanctis, in: Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus, hg. von R[obert] B. C. Huygens und J[ohn] H. Pryor (CCCM 139), Turnhout 1994, S. 143– 197. 162 Ebd. 163 Ebd. Hoc autem studio idcirco nos desudasse lector omnis agnoscat, ut ex hac ipsa lectione sive narratione Christum in memoria semper discat habere et eum in memoria retinens studeat amare, amando ei, qui pro se passus est, compatiatur, compatiens eius desiderio accendatur, desiderio ipsius accensus a peccatis absolvatur, a peccatis absolutus gratiam ipsius consequatur, gratiam ipsius consecutus regnum celeste adipiscatur.

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Theodericus beschreibt in seinem Büchlein das Aussehen jener Stätten, an denen Christus selbst (corporalem presentiam exhibens) sichtbar gewesen ist.164 Sein Bericht des Wanderns auf den Spuren Christi kann deshalb auch als Schilderung einer konkreten Christus-Nachfolge verstanden werden. Theodericus beschreibt dabei ausführlich die Stadt Jerusalem und ihre Gebäude, ihre Umgebung mit den heiligen Stätten, wobei den Orten der Passion ein besonderes Gewicht zukommt.165 In einem zweiten Teil des Libellus ‹beschreitet› der Erzähler (§ 20–25) den Leidensweg Christi von Bethanien bis Jerusalem. Diesen Abschnitt leitet eine Paraphrase von Rm 8,17 ein. Die Erzählung solle nämlich dem Ablauf der Passion Christi folgen, denn seine Gnade ermögliche es, mitzuleiden, damit wir mitregieren können. Nunc igitur secundum Christi passionis ordinem nostre narrationis nos oportet dirigere sermonem, qui per suam gratiam ita nobis ei donet compati, ut ei possimus conregnare.166

Somit wird der Text durch die Anordnung seiner Inhalte und in seiner Ausrichtung auf Christus zu einer erzählten compassio, und vermittelt überdies einen Appell zum lohnverheißenden compassionalen Nachvollzug. Denn als Sinn und Zweck der Lektüre seiner Beschreibung formuliert Theodericus: sic in hac vita fragili passionibus Christi communicare, ut ei imperpetuum feliciter mereantur conregnare.167 Der Text soll somit dazu anregen, die Leiden Christi in diesem vergänglichen Leben mit Christus zu teilen, um den Verdienst zu erlangen, in Ewigkeit glücklich mitregieren zu können. Die Erzählung wird deshalb zur Mitteilung der Erfahrung compassionalen ‹Mitgehens› und darüber hinaus auch zu einem exemplum. Die Erzählung dieser Pilgerfahrt wird zu einem Wegweiser zum conregnare in Christus. Zusätzlich zu den Auszügen aus dem Psalmenkommentar und dem Libellus lässt sich auch ein Beleg aus einem hofnahen, literaturinteressierten Milieu anführen. Denn der Benediktinermönch Arnold von Lübeck (ca. 1150–1212/13) integrierte das Konzept affektiver compassio Anfang des 13. Jahrhunderts in seine Slawenchronik. Der Kleriker gehörte dem Braunschweiger Benediktinerkloster St. Aegidien an und wurde 1177 erster Abt 164 165 166 167

Theodericus, Libellus, S. 143. Vgl. Sauer, Libellus, S. 217. Theodericus, Libellus, S. 167. Ebd., S. 143.

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des Lübecker Johannisklosters. Seine schriftstellerische Tätigkeit weist in zwei Bereiche. Zum einen verfasste Arnold die bereits genannte Slawenchronik, die er als Fortsetzung der Chronik Helmolds von Bosau konzipierte und etwa um das Jahr 1210 fertig stellte.168 Zum Adressatenkreis dieser Chronik gehörte mit «großer Wahrscheinlichkeit»169 auch der jüngste Sohn Heinrichs des Löwen und Bruder Kaiser Ottos IV., Wilhelm von Lüneburg. Letzterer wird jedenfalls als Auftraggeber des nächsten Werks genannt, der Übersetzung des ‹Gregorius› Hartmanns von Aue aus dem Mittelhochdeutschen ins Lateinische in den Jahren zwischen 1209 und 1213.170 Diese Tätigkeiten zeigen Arnold als Mittler zwischen Kloster und Hof, zwischen Sprachen und literarischen Gattungen. Die Chronik ist in sieben Bücher eingeteilt und deckt den Zeitraum von 1172/73 bis 1210 ab. Sie widmet sich in den ersten fünf Büchern der Geschichte Heinrichs des Löwen, erzählt seine Pilgerfahrt, Regierungszeit und Verbannung, seine Rückkehr nach Braunschweig und schließlich seinen Tod. Daneben behandelt die Chronik auch die Geschichte Norddeutschlands, die Reichsgeschichte, und den Kreuzzug Friedrichs I. ins Heilige Land. Die Bücher 6 und 7 berichten über den Thronstreit und über die Wahl und Kaiserkrönung Ottos IV. 168 Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, hg. von Johann Martin Lappenberg (MGH SS rer. Germ. 14), Hannover 1868 [Neudr. Hannover 1995]; zitiert nach Arnold von Lübeck Chronica Slavorum, hg. von Johann Martin Lappenberg (MGH SS 21), Hannover 1869 [Neudr. Hannover 1978], S. 100– 250. Die Analyse verwendet zum Teil paraphrasierend die veraltete Übersetzung Arnold von Lübeck, Slawenchronik, übers. von Joh. Carl Mauritz Laurent, neu bearb. von Wilhelm Wattenbach, 3. Aufl. (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 71), Leipzig 1940. Vgl. Volker Scior, Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck (Orbis Medievalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 4), Berlin 2002, S. 224, mit ausführlichen Literaturangaben. Zur Datierung siehe Bernd Ulrich Hucker, Die Chronik Arnolds von Lübeck als ‹Historia Regum›, in: DA 44 (1988), S. 98–119. 169 Hucker, Chronik, S. 119, rekonstruiert als Adressaten den Kreis um Otto IV. 170 Vgl. Prefatio der Gesta Gregorii Peccatoris, in: Johannes Schilling, Arnold von Lübeck. Gesta Gregorii Peccatoris. Untersuchungen und Edition, mit einem Beiheft (Palaestra 280), Göttingen 1986, S. 67. Vgl. zur Datierung, Schilling, Arnold von Lübeck, S. 14. Vgl. Dieter Berg und Franz-Josef Worstbrock, ‹Arnold von Lübeck›, in: 2VL 1, Sp. 472–476 mit älterer Lit.; vgl. Jens-Peter Schröder, Arnolds von Lübeck Gesta Gregorii Peccatoris. Eine Interpretation ausgehend von einem Vergleich mit Hartmanns von Aue Gregorius (Hamburger Beiträge zur Germanistik 23), Frankfurt a. M. 1997.

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In Buch 5 inseriert Arnold einen – aus heutiger Sicht die Juden verleumdenden – Wunderbericht, den er in die Zeit des Erzbischofs Philipp von Köln datiert. Er erzählt, wie ein jüdischer Knabe am Ostersonntag aus Neugier die Feier der Taufe angesehen habe. Nach anfänglichem Zweifel am Christentum sei dem Knaben beim Anblick der sakramentalen Handlung eine Vision zuteil geworden, und so habe er gesehen, wie während der Taufhandlung der Heilige Geist in Gestalt einer Taube auf einen Täufling herabgekommen sei. Dieses Erleben habe ihn erschüttert, woraufhin er selbst vom Heiligen Geist erleuchtet worden sei und er begonnen habe, an die christliche Lehre zu glauben. Damit wird der Anfang seiner inneren Konversion geschildert.171 Ein Jahr darauf habe der Knabe während der Feier des jüdischen Rüstfests eine Erscheinung Christi erlebt. Arnold berichtet, es sei die Gewohnheit der Juden, jedes Jahr zur Osterzeit in der Synagoge die Passion Christi blasphemisch nachzuvollziehen. Alles, was von der Passion Christi geschrieben steht, hätten die Juden an einem Wachsbild wiederholt. Als sie schließlich auch mit einer Lanze die Seite des nachgebildeten Gekreuzigten durchstochen hätten, da seien aus der Seite des Wachsbilds Wasser und Blut geflossen.172 Der durch den Geist erleuchtete Knabe habe dies gesehen und geglaubt: Nam idem Iudeus divinitus illuminatus hec vidit et credidit.173 Die gesehenen Handlungen führen nicht nur zu seiner inneren Wandlung, sondern auch zum Übertritt zum christlichen Glauben, denn nach dem Erlebnis in der Synagoge soll sich der jüdische Knabe zum Erzbischof begeben, ihm das Vorgefallene erzählt haben. Am Ostersamstag habe er sich auch taufen lassen. Arnold bekräftigt, dass das Wasser und das Blut, die aus der Seitenwunde des in Wachs nachgebildeten Gekreuzigten geflossen seien, auch Wunder bewirkt hätten: Viele Blinde seien sehend geworden, Lahme seien geheilt, Aussätzige gereinigt und böse Geister ausgetrieben wor-

171 Der jüdische Knabe bewahrte alles dies in Erinnerung und bewegte es in seinem Herzen. Conservabat tamen omnia hec, conferens in corde suo. Arnold von Lübeck, Chron. Slav., S. 190. Arnold charakterisiert diesen Vorgang unter Verwendung des Zitats von Lc 2,20, d. h. die Erinnerung Marias an Christi Geburt. 172 Ebd.: Siquidem Iudeis quedam est / detestabilis consuetudo, ut inplentes mensuram patrum / suorum quovis anno ad contumeliam Salvatoris / ymaginem ceream crucifigant. 173 Ebd.

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den.174 Der Nachvollzug der Passion ruft also Christus und sein Wirken präsent und transformiert: Er vertieft auch den Glauben des bereits erleuchteten jüdischen Knaben, ermöglicht die Erkenntnis des Essentiellen und Hintergründigen und motiviert zum Übertritt zum Christentum. Arnold fährt, an diese Bekehrungsgeschichte anknüpfend, mit einem Analogieschluss fort. Er weist darauf hin, dass die Wirkung des Nachvollzugs der Passion durch die Juden, auch durch die memoria passionis bewirkt werden könne. Er erinnert an die Passion Christi und verbindet damit eine affektive Reaktion: Annon qui devota mente recolit passionis dominice, ita ut ad lacrimas compungatur, non vere compatitur Christo, cuius membrum est [. . .].175 In solcher Erinnerung und der affektiven Leidenspartizipation und Leidensangleichung nimmt der Gläubige an der compassio jener Teil, die Christus in seinem Sterben begleiten: Vere tales, quia flent cum flentibus, gaudebunt cum gaudentibus, quia sicut vere Christo compatimur morienti, sic vere conregnabimus resurgenti.176 Dieses auf der recordatio aufbauende, affektiv geprägte compassio-Konzept nimmt in Abwandlung von Rm 8,17 174 Ebd., S. 191: ubi invenitur, quod de latere eius exivit sanguis et aqua, unde multi ceci fuerant illuminati et claudi curati, leprosi mundati et demones effugati. Dieses Wasser und dieses Blut repräsentieren – in ihrer Analogie zu den biblischen Berichten über das Wirken Christi – somit auch die irdische Präsenz und die Wunderkraft Christi. Die Erzählung weist damit Analogien zur Longinuslegende auf, die auf das Johannesevangelium zurückgeht (vgl. Io 19,34). In ihrer mittelalterlichen Ausgestaltung wird der blinde Lanzenträger Longinus auch als Jude bezeichnet. Er wird nach der Durchbohrung Christi vom ausfließenden Wasser und Blut sehend und zum Bekenner des neuen christlichen Glaubens. Vgl. Stefan Heid, Longinus, in: Lexikon der Heiligen und Heiligenverehrung, Bd. 2, Freiburg i. Br. (u. a.) 2003, Sp. 958 f. 175 Arnold von Lübeck, Chron. Slav., S. 191: Veraciter igitur credamus, quia quod illis ipsorum malitia, nobis faciat fides nostra. Annon qui devota mente recolit passionis dominice, ita ut ad lacrimas compungatur, non vere compatitur Christo, cuius membrum est, cum gloriosissima matre eius Maria, cuius animam doloris pertransivit gladius, et cum pudicissimo filio et ministro suo Iohanne, quamvis ille mortem non viderit, donec placidam sue carnis absolutionem, Domino se visitante, percepit, calicem dominice bibat passionis? annon vere cum mulieribus plorat, que sedentes ad monumentum lamentabantur, flentes Dominum? annon qui in commemoratione talium in omnibus se devotos et compunctuosos exhibent, non vere cum Nychodemo et Ioseph aromatibus eum condiunt et linteo mundo involvunt? Vere tales, quia flent cum flentibus, gaudebunt cum gaudentibus, quia sicut vere Christo compatimur morienti, sic vere conregnabimus resurgenti. 176 Ebd.

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den Lohngedanken auf: wenn wir mitleiden (compatimur), dann werden wir mit dem Auferstandenen mitregieren (conregnabimus).177 Arnolds compassio-Konzept besitzt im Kontext dieser Bekehrungsgeschichte eine transformierende, soteriologische und hermeneutische Funktion. Der Nachvollzug der Passion verheißt mittels affektiver Leidenspartizipation und Leidensangleichung für den Gläubigen den Weg zur Erlangung des ewigen Heils. Aus obigen Belegen lässt sich ein Spektrum von compassio-Konzepten ableiten. Compassio bedeutet im 12. Jahrhundert mehr als den von Petrus von Blois beschriebenen Rezeptionsvorgang. Die vorgefundenen Konzepte können zwei Grundformen zugeordnet werden: einer praktisch-ethischen und einer sich ab dem 12. Jahrhundert breiter entfaltenden affektiven Form. Praktisch-ethische compassio besteht in einer Analogiesetzung der Passion Christi mit dem eigenen Leiden. Die menschlichen Leiden bedeuten die Bewährung im Kampf gegen die Laster, Askese und Abwendung von der Welt und sind in Geduld zu ertragen. Ausgangs- und Orientierungspunkt von compassio soll Christus sein. Affektive compassio vollzieht sich im Inneren, ist eine erinnernde Betrachtung und Versenkung in Christi Leiden und findet ihren äußeren Ausdruck in Klagen und Tränen. Grundlage für diese Form der Leidenspartizipation und Leidensangleichung ist die Erfahrung eigenen Leidens, das zur Erkenntnis des Leidens anderer, des Nächsten und Christi, erst fähig macht. Bernhard von Clairvaux leitete daraus seine Christologie ab, nach der Christus das menschliche Leiden erfahren und Mitleid erlernen musste, um die Welt durch seine Leiden erlösen zu können. So bedeutet in gewisser Weise sogar das menschliche Erlernen von Mitleid mit dem Nächsten noch eine imitatio Christi und einen Zugang zu Gott. Über die soteriologische Funktion hinaus, bietet affektive compassio aufgrund ihrer Erkenntnisfunktion also eine Hermeneutik, im Sinn einer Kunst des Verstehens. Bei dieser Form der compassio besitzt der Lohn sowohl soteriologischen als auch hermeneutischen Charakter. Doch bestätigt sich für beide hochmittelalterlichen Formen von compassio-Konzepten eine Leid-Lohn-Korrelation. Dies drückt sich sprachlich in der Verwendung des Substantivs praemium oder des Verbs mereri (bzw. merere) aus. Über das Mitleiden öffnet sich somit die Aussicht auf ein conregnare, ein Mitherrschen mit Christus in Ewigkeit, also die Teilhabe am regnum celeste. 177 Vgl. Bernhard, De diligendo Deo, S. 92: si compatimini, et conregnabitis.

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Konzepte affektiver compassio konnten auch in ihrer literarischen Entfaltung und geographischen Verbreitung beschrieben werden. Feststellbar ist, dass affektive compassio in verschiedenste Textgattungen integriert wurde, sich das Spektrum vom Bibelkommentar über paränetische Texte bis hin zur Chronik spannt; sie entfaltet sich in der Marienklage sogar in lyrischer, dramatischer und narrativer Form und kann handlungstragende und poetologische Funktionen übernehmen. Die hochmittelalterlichen Konzepte von compassio erweisen sich in ihren grundlegenden Charakteristika als konstant, stellen daher eine feste Denkform dar, zeigen sich jedoch in ihrer Verwendung als vielfältig und flexibel.

3 Der Landgrafenhof: compassio-Konzepte im höfischen Kontext Weil die compassio-Konzepte je nach ihrer kontextuellen Einbindung variieren können, ist es notwendig, ihre Konkretisierungen auch in den geistlichen Zeugnissen1 eines höfischen Umfelds zu untersuchen. Es liegt nahe, dies am Beispiel des Hofs Hermanns I., Pfalzgraf von Sachsen (ab 1181)2 und Landgraf von Thüringen (1190–1217),3 durchzuführen. Denn an diesem Hof verbinden sich auf spezifische Weise geistliche und weltliche Interessen. Er bildet bekanntlich das in dieser Epoche wichtigste Zentrum für 1 Vgl. zum Interesse am Zusammenhang zwischen Christusnachfolge und Herrschaftsauffassung am Hof Heinrichs des Löwen (1129/31–1195) Eckart Conrad Lutz, Herrscherapotheosen. Die Schlüsse von Chrestiens Erec-Roman und Konrads Karls-Legende im Kontext von Herrschaftslegitimation und Heilssicherung, in: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur, hg. von Christoph Huber (u. a.), Tübingen 2000, S. 89–104. Vgl. insbesondere auch Marcus Castelberg, Eschatologische Aspekte im Rolandslied des Pfaffen Konrad. Zu den herrschaftstheologischen Implikationen welfischer Auftragswerke, in: Literatur und Wandmalerei I. Erscheinungsformen höfischer Kultur und ihre Träger im Mittelalter (Freiburger Colloquium 1998), hg. von Eckart Conrad Lutz (u. a.), Tübingen 2002, S. 47–82. 2 Vgl. dazu auch Fred Schwind, Thüringen und Hessen um 1200, in: Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, S. 185–215, hier: 192 [Wiederabdr. in: ders., Burg, Dorf, Kloster, Stadt. Beiträge zur hessischen Landesgeschichte und zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte. Ausgewählte Aufsätze (FS Fred Schwind), hg. von Ursula Braasch-Schwersmann (Untersuchungen und Materialien zur Verfassungs- und Landesgeschichte 17), Marburg 1999, S. 129–160]; vgl. die ältere, doch immer noch für vieles grundlegende, ausführliche Studie von Hans Patze, Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen, I. Teil (Mitteldeutsche Forschungen 22), Köln/Graz 1962, S. 235. 3 1190 urkundete Hermann erstmals als Landgraf von Thüringen und Pfalzgraf von Sachsen. Vgl. Urkundenbuch des Klosters Pforte, 1. Halbbd.: 1132–1300, bearb. von Paul Boehme (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angren-

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die deutschsprachige Literaturproduktion.4 In diesem Umfeld entstand eine vergleichsweise hohe Anzahl von Werken der volkssprachigen Literatur – zu nennen sind insbesondere Heinrichs von Veldeke ‹Eneasroman›, Herborts von Fritslar ‹Trojaroman›, Wolframs von Eschenbach ‹Willehalm›5 und Sangsprüche Walthers von der Vogelweide.6 Gleichzeitig gab Hermann auch zenden Gebiete 33), Halle 1893, Nr. 36, S. 54 f.; Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 1. Hauptteil, Abt. A: Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, Bd. 1–3, hg. von Otto Posse, Leipzig 1882–1898, hier: Bd. I/2, Nr. 562; vgl. Regesta diplomatica necnon epistolaria historiae Thuringiae 500–1288, Bd. 1–4, hg.von Otto Dobenecker, Jena 1876–1939, hier: Bd. 2, Nr. 867; vgl. Stefan Tebruck, Die Reinhardsbrunner Geschichtsschreibung im Hochmittelalter. Klösterliche Traditionsbildung zwischen Fürstenhof, Kirche und Reich (Jenaer Beiträge zur Geschichte 4), Frankfurt a. M. (u. a.) 2001, S. 259, Anm. 33; Sigrid Hauser, Staufische Lehnspolitik am Ende des 12. Jahrhunderts 1180–1197 (Europäische Hochschulschriften. Reihe III/770), Frankfurt a. M. 1998, S. 289 f. mit Anm. 76, dort auch weitere Lit. 4 Vgl. Bumke, Mäzene, S. 159–168, vgl. dazu die Rezensionen der Historiker Johannes Fried, in: Archiv für Kulturgeschichte 64 (1982), S. 227–233, und Peter Johanek, in: GRM 36 (1986), S. 209–218. Weiter die über Bumke hinausgehende Untersuchung von Ursula Peters, Fürstenhof und höfische Dichtung. Der Hof Hermanns von Thüringen als literarisches Zentrum (Konstanzer Universitätsreden 113), Konstanz 1981; siehe auch die neuere Darstellung von L. Peter Johnson, Die höfische Literatur der Blütezeit (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit II/1), Tübingen 1999, bes. S. 30–39, und Sylvia Weigelt, Zur regionalen Ausprägung der volkssprachlichen mittelalterlichen Literatur in Thüringen. Die literarische Interessensbildung am Thüringer Landgrafenhof um 1200, in: Beiträge zur Geschichte der Literatur in Thüringen, hg. von Detlef Ignasiak und Roswitha Jacobsen (Palmbaum-Studien 1), Rudolstadt 1995, S. 14–24. Haiko Wandhoff, Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur (Philologische Studien und Quellen 141), Berlin 1996, S. 125–130, berücksichtigt nur die volkssprachige Literatur am Landgrafenhof. Weniger sachlich erscheinen die Studien von Manfred Lemmer, Die Wartburg – Musensitz unter Landgraf Hermann I.?, in: Deutsche Sprache und Literatur in Mittelalter und früher Neuzeit (FS Heinz Mettke), hg. von Heinz Endermann (u. a.) (Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich Schiller-Universität Jena), Jena 1989, S. 113–129; vgl. ders., ‹Der Dürnge bluome schıˆnet dur den sneˆ›. Thüringen und die deutsche Literatur des hohen Mittelalters, Eisenach 1981. 5 Vgl. auch den Prolog des Hl. Georgs von Reinbot von Durne, V. 34–37, in: Reinbot von Durne, Der Heilige Georg, hg. von Carl von Kraus (Germanische Bibliothek. 3. Abt. Kritische Ausgaben altdeutscher Texte), Heidelberg 1907. 6 In seinen Sangsprüchen beschreibt Walther von der Vogelweide das laute Treiben am Landgrafenhof (9,V,1 ff.; 20,4,1–3) und versteht sich sogar als Mitglied

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geistliche Handschriften in Auftrag. Es sind nämlich zwei reich mit Miniaturen geschmückte Luxuspsalterien erhalten, der ‹Elisabethpsalter› und der ‹Landgrafenpsalter›, die beide für die Nutzung am Hof vorgesehen waren.7 Sie eignen sich dazu, die Untersuchung von compassio-Konzepten gezielt zu vertiefen und zu fragen, wie sie für diesen Hof adaptiert wurden. Trotz der feststellbaren Interessenüberlagerungen an diesem Hof sollen Überlegungen zu eventuellen Verbindungs- und Vergleichsmöglichkeiten zwischen den hier unterschiedenen Bereichen zunächst ausgeklammert und erst im Abschluss-Kapitel erörtert werden. von Hermanns ingesinde (12,XV,1; 35,7,1); vgl. Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche, 14., völlig neubearb. Aufl. d. Ausg. Karl Lachmanns mit Beitr. von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996. Vgl. Peter Strohschneider, Fürst und Sänger. Zur Institutionalisierung höfischer Kunst, anläßlich von Walthers Thüringer Sangspruch 9,V [L. 20,4], in: Literatur und Macht im mittelalterlichen Thüringen, hg. von Ernst Hellgardt (u. a.), Köln/Weimar 2002, S. 85–107, und Joachim Bumke, Die Blutstropfen im Schnee. Über Wahrnehmung und Erkenntnis im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach (Hermaea NF 94), Tübingen 2001, S. 121, und ders., Mäzene, S. 165 f. Zu Hermanns literarischem Nachruhm vgl. auch Der Wartburgkrieg, hg. von Tom Albert Rompelman, Amsterdam 1939, und Burghart Wachinger, Der Wartburgkrieg, in: 2VL 10 (1999), Sp. 740–766; vgl. ders., Sängerkrieg. Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts (MTU 42), München 1973, S. 1–89, und ders., Der Sängerstreit auf der Wartburg. Von der Manesseschen Handschrift bis zu Moritz von Schwind (Wolfgang Stammler Gastprofessur 12), Berlin/New York 2004, mit umfassenden Literaturangaben. 7 Eine vergleichbare Überlieferungssituation fehlt für andere Höfe um 1200. Vgl. Joan Holladay, Hermann of Thuringia as Patron of the Arts: A Case Study, in: Journal of Medieval History 16 (1990), S. 191–216, hier: 212. Weitere kulturelle Zeugnisse liegen vor, auf die auch Bumke, Mäzene, S. 159–163, hingewiesen hat. Zur Bautätigkeit Hermanns grundlegend Gerd Strickhausen, Burgen der Ludowinger in Thüringen, Hessen und dem Rheinland. Studien zur Architektur und Landesherrschaft im Hochmittelalter (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 109), Darmstadt/Marburg 1998, S. 27. Zu Eisenach als landgräflichem Aufenthaltsort und «Schauplatz politischer und zeremonieller Handlungen» vgl. Christine Müller, Landgräfliche Städte in Thüringen. Die Städtepolitik der Ludowinger im 12. und 13. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Thüringen. Kleine Reihe 7), Köln (u. a.) 2003, S. 245, und dies., Ludowingische Städtepolitik in Thüringen und Hessen – ein Vergleich, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 53 (2003), S. 51–69, hier: 57; vgl. auch Michael Gockel, Wartburg und Eisenach, in: Sankt Elisabeth. Fürstin – Dienerin – Heilige, hg. von der Philipps-Universität Marburg in Verb. mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 356–358.

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3.1 Zur Religiosität am Landgrafenhof Da der ‹Elisabethpsalter› und der ‹Landgrafenpsalter› als Produkte der sozialen Vernetzung des Landgrafenhofes zu betrachten sind, soll diese einleitend mitberücksichtigt werden.8 Die Familie Hermanns besaß enge Verbindungen zum hirsauischen Kloster Reinhardsbrunn. Es war von Graf Ludwig dem Springer 1085 im Kernland der Ludowinger in unmittelbarer Nähe der Schauenburg gegründet worden, fungierte bis zu Hermanns Regierungszeit als Hauskloster, Grablege, Ort ludowingischer Memoria und geistiger «Mittelpunkt der Herrschaft».9 In der eigenen klösterlichen Geschichtsschreibung, die in den Jahren der Regierungszeit Hermanns entstand, definierte sich Reinhardsbrunn auch in seiner bis anhin privilegierten Relation zum Landgrafenhof. Doch weist diese Geschichtsschreibung nicht nur eine Ausrichtung auf den Landgrafenhof auf, sondern zeugt darüber hinaus von einem «außerordentlich hohen Kenntnisstand»10 über den Hof, der bis zum Wissen um Inhalte landgräflicher Briefe reicht. Daraus ist zu schließen, dass es zumindest zeitweise einen «intensiven Nachrichtenfluß»11 zwischen dem landgräflichen Hof und dem hochgebildeten Verfasser der Reinhardsbrunner ‹Historien› gegeben hat.12 Im ersten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts werden allerdings Spannungen zwischen dem Hauskloster Reinhardsbrunn und dem Landgrafenhof manifest.13 Hermann intensivierte zugleich die Kontakte zum Orden der Zis8 Vgl. zur Kontextualisierung auch Eckart Conrad Lutz, Literatur der Höfe – Literatur der Führungsgruppen. Zu einer anderen Akzentuierung, in: Mittelalterliche Literatur und Kunst im Spannungsfeld von Hof und Kloster (Ergebnisse der Berliner Tagung, 9.–11. Oktober 1997), hg. von Nigel F. Palmer und Hans-Jochen Schiewer, Tübingen 1999, S. 29–52, hier: S. 31. 9 Vgl. Schwind, Thüringen und Hessen, S. 186. 10 Vgl. Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 321. 11 Ebd., S. 231. 12 Ebd., S. 231–235. 13 Vgl. Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 148. 1209 kam es gar zu einem offenen Konflikt. In dem zum Klosterbesitz gehörenden Ort Friedrichroda war nämlich zugunsten des Klosters Reinhardsbrunn mehrmals Markt abgehalten worden, wobei das Marktrecht verletzt wurde und den Marktorten im unmittelbaren Herrschaftsbereich Hermanns Schaden zugefügt worden war. Hermann beabsichtigte zur Strafe Friedrichroda niederzubrennen und die Einwohner zu vertreiben. Erst gegen die Zahlung der hohen Summe von 40 Mark sah Hermann von dieser Maßnahme ab. Vgl. CDSR I,3, Nr. 137; DOB II, Nr. 1418; vgl. Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 152 f., und Schwind, Thüringen und Hessen, S. 204.

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terzienser, urkundete sehr häufig für das Kloster Walkenried und unterstützte Pforte. Außerdem gründete er in Eisenach an herrschaftszentraler Stelle das Zisterzienserinnenkloster St. Katharinen und verlegte die ludowingische Grablege dorthin.14 Er hatte sich anlässlich dieser Gründung sogar an den Papst gewandt, denn 1208 ernannte Innozenz III. den Abt des Zisterzienserklosters Pforte zum Visitator des Katharinenklosters.15 Überdies bat Hermann im Jahre 1214 das Generalkapitel der Zisterzienser, Nonnen für den Eisenacher Konvent zu schicken.16 Er selbst wurde schließlich 1217 gegen Reinhardsbrunner Widerstand in St. Katharinen beigesetzt, seine rund 15 Jahre jüngere Gemahlin Sophia von Wittelsbach (1170–1238) wählte diesen Ort als Witwensitz.17 Sie trat 1221 in das neue Kloster ein,18 14 Hier wurden der gleichnamige Sohn Hermanns I. († 1216), Hermanns Gemahlin Sophia († 1238), sowie der letzte ludowingische Landgraf und Gegenkönig Heinrich Raspe IV. (1227–1247) bestattet. Vgl. Jürgen Petersohn, Die Ludowinger. Selbstverständnis und Memoria eines hochmittelalterlichen Reichsfürstengeschlechts, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129 (1993), S. 1–39, hier: S. 26 f.; vgl. ders., ‹De ortu principum Thuringie›. Eine Schrift über die Fürstenwürde der Landgrafen von Thüringen aus dem 12. Jahrhundert, in: DA 48 (1992), S. 585–608. 15 Datierung üblicherweise 1208; vgl. UB Pforte I, Nr. 67 [zum 2. März 1209]; DOB II, Nr. 1361. 16 Vgl. Statuta capitulorum generalium ordinis Cisterciensis, t. 1: Ab anno 1116 ad annum 1220, publ. par Joseph-Maria Canivez (Bibliothe`que de la revue d’histoire eccle´siastique 9), Löwen 1933, zum Jahr 1214, S. 427, Nr. 52: Petitio de Landegravi de recipiendis monialibus committitur abbati Morimundi. Vgl. DOB II, Nr. 1596. 17 Cronica Reinhardsbrunnensis, hg. von Oswald Holder-Egger (MGH SS 30/1), Hannover 1896 [Nachdr. Stuttgart 1976], S. 490–656, hier: 588; vgl. zu Tod und Begräbnis Hermanns: Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 347–355. Vgl. zur Rolle Sophias bei der Gründung: Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli. Buchmalerei für den Thüringer Landgrafenhof zu Beginn des 13. Jahrhunderts (Denkmäler Deutscher Kunst), Berlin 2001, S. 58–61. Vgl. auch Schwind, Landgrafschaft, S. 39–41. Zu fragen wäre auch nach der religiösen Rolle der Frau am Hof, ihre spezifischen Fähigkeiten und Bedürfnisse. Bei der Auswahl des Ordens ist nämlich mit einer bewußten Auswahl zu rechnen, da sich in Eisenach bereits das 1189 gestiftete Benediktiner-Nonnenkloster St. Nikolai befand. Vgl. CDSR I,3, Nr. 19; DOB II, Nr. 1040. Peter Johanek, Stadt und Zisterzienserinnenkonvent. Ausblick auf ein Forschungsprogramm, in: Stadtarchiv und Stadtgeschichte: Forschungen und Innovationen (FS Fritz Mayrhofer), hg. von Walter Schuster (Historisches Jahrbuch der Stadt Linz), Linz 2004, S. 217–230, hier: 229. 18 Vgl. Schwind, Thüringen und Hessen, S. 213. DOB II, Nr. 1940 aus dem Jahre

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d. h. im Jahr der Hochzeit zwischen Elisabeth von Ungarn und dem jungen Landgrafen Ludwig IV. Insgesamt lassen sich unter den Gründen für die Förderung der Zisterzienser die religiösen Motivationen kaum von den pragmatischen, d. h. den territorialpolitischen und ökonomischen Interessen abgrenzen.19 Allein aus diesen Konstellationen lässt sich allerdings die Vermittlung geistlicher Konzepte an den Hof nicht rekonstruieren. In ihren Ergebnissen ähnlich vage bleibt die Untersuchung des Hofklerus. Zwar lassen sich anhand ludowingischer Urkunden seit 1168 mehrere Notare belegen, doch möchte ich nur ein Beispiel herausgreifen.20 Der wohl erfolgreichste und deshalb einflussreichste unter ihnen war Eckehard, der sich von 1182 bis 1211 in Urkunden nachweisen lässt und der ab 1200 sogar als protonotarius bezeichnet wird.21 Seine Funktionen beschränkten sich jedoch nicht auf den Hof, denn er hatte weitere Ämter inne. 1197 wird er als Propst des Augustinerchorherrenstifts Abbenrode bei Halberstadt 1221. Zu diesem Zeitpunkt richtete Sophia sich mit einem Schutzgesuch an Papst Honorius III., verpflichtete sich, nicht wieder zu heiraten, wollte mutatu habitu im Zisterzienserinnenkonvent wohnen, aber ihre Eigengüter behalten, denn sie beabsichtigte, damit für die Schuld ihres Gemahls einzustehen und jene zu entschädigen, die durch Hermann Schaden erlitten hatten. Vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 59. 19 Vgl. Helge Wittmann, Landgraf Hermann I. von Thüringen (1190–1217) und die Gründung der Grangie Vehra an der Unstrut. Zur Praxis fürstlich-ludowingischer Herrschaft im frühen 13. Jahrhundert, in: Hochadelige Herrschaft im mitteldeutschen Raum (1200–1600). Formen – Legitimation – Repräsentation, hg. von Jörg Rogge und Uwe Schirmer (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 23), Stuttgart 2003, S. 179–194. Hermanns Förderung lässt sich über die von ihm gezeichneten Urkunden belegen. Im Jahr 1190/ 1194: UB Pforte I, Nr. 36; CDSR I,2, Nr. 562; DOB II, Nr. 867; 1194: UB Pforte I, Nr. 40, CDSR I,2, Nr. 586; DOB II, Nr. 969; 1195: UB Pforte I, Nr. 45; CDSR I,2, Nr. 596; DOB II, Nr. 982; 1200: UB Pforte I, Nr. 54; CDSR I,3, Nr. 50; DOB II, Nr. 1178; 1203: UB Pforte I, Nr. 56; CDSR I,3, Nr. 70; DOB II, Nr. 1247; 1208: UB Pforte I, Nr. 64; CDSR I,3, Nr. 129; DOB II, Nr. 1390; 1211: UB Pforte I, Nr. 72; CDSR I,3, Nr. 161; DOB II, Nr. 1493. Vgl. Holger Kunde, Das Zisterzienserkloster Pforte. Die Urkundenfälschungen und die frühe Geschichte bis 1236 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 4), Köln (u. a.) 2003, S. 261–333, und Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 155, Anm. 128, zu den Urkunden aus Walkenried und Anm. 129 zu den Urkunden aus Pforte. 20 Vgl. Patze, Entstehung, S. 529. 21 Patze, Entstehung, S. 531. Vgl. UB Pforte I, Nr. 54; CDSR I,3, Nr. 50; DOB II, Nr. 1178; UB Pforte I, Nr. 56; CDSR I,3, Nr. 70; DOB II, Nr. 1247.

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genannt,22 ab 1200 als Propst in Goslar, wo er möglicherweise das bedeutende Reichsstift St. Simon und Juda leitete. Es ist denkbar, dass er am Hof Hermanns aufgrund seiner Bildung verschiedene Aufgaben übernahm: in der Erziehung und Seelsorge, als Berater und im Notariat.23 Das Wirken Eckehards am Hof, die genauen Relationen zu Hermann und sein Einfluss in geistlichen Fragen bleibt wie derjenige der Zisterzienser im Dunklen. Mit dem Blick auf die Verbindungen Hermanns mit dem Klerus wird deutlich, dass sich die verschiedenen ‹Welten›, die geistlich-klerikale und die höfische überlagern. Doch sind aus dieser Vernetzung keine für das vorliegende Erkenntnisinteresse auswertbaren Schriften hervorgegangen, außer den genannten Psalterien. Die Überlieferung ermöglicht somit kaum eine Rekonstruktion der Vermittlungswege und der Verwendung von geistlichem Wissen, d. h. hier von Konzepten von compassio, wohl aber deren Untersuchung an sich.

3.2 Psalterien für die Landgräfin Die landgräflichen Psalterien fanden in der älteren Forschung vor allem wegen ihrer wichtigen stilistischen Stellung innerhalb der thüringisch-sächsischen Malerschule besondere Beachtung.24 Aus kunsthistorischer Per22 Vgl. die Urkunde aus dem Jahr 1197, in der Eckehard als Probst zu Abbateroth und Notar des Landgrafen unter den Zeugen aufgeführt wird, CDSR I,3, Nr. 19; DOB II, Nr. 1040; Patze, Entstehung, S. 530, beruft sich auf G[eorg] A[dalbert] von Mülverstedt, Hierographia Halberstadensis, in: Zeitschrift des Harzvereins 12 (1879), S. 539 ff., und nennt Abbenrode ein Zisterzienserinnenkloster. Dann würden sich noch deutlichere Verbindungen zwischen dem landgräflichen Hof und dem Orden der Zisterzienser abzeichnen. Es ist denkbar, dass zisterziensische Tendenzen bereits um 1200 in Abbenrode präsent waren, doch wurde Abbenrode erst 1243 zum Zisterzienserinnenkloster, vgl. dazu Franz J. Felten, Zisterzienserinnen in Deutschland. Beobachtungen und Überlegungen zu Ausbreitung und Ordenszugehörigkeit, in: Unanimite´ et diversite´ cisterciennes, filiations, re´seaux, re´lectures du XIIe au XVIIe sie`cle, publ. par Nicole Bouter, Saint-Etienne 2000, S. 347–400, S. 387. Vgl. UB Pforte I, Nr. 54; CDSR I,3, Nr. 50; DOB II, Nr. 1778. 23 Vgl. z. B. Joachim Bumke, Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme, in: PBB 114 (1992), S. 414–492, hier: 443; damit werden allerdings allgemeine Feststellungen auf den spezifischen Fall des Hofs Hermanns I. übertragen. 24 Grundlegend dafür war Arthur Haseloff, Eine thüringisch-sächsische Maler-

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spektive formulierte Renate Kroos Ende der 70er Jahre das Desiderat einer historischen Kontextualisierung der Handschriften, das in der Folgezeit eingelöst wurde.25 So berücksichtigte der Kommentarband zum Faksimile des ‹Landgrafenpsalters› auch historische und frömmigkeitsgeschichtliche Hintergründe.26 Harald Wolter-von dem Knesebeck legte mit seiner umfassenden Monographie zum ‹Elisabethpsalter› neben einer Neudatierung der Handschrift, neben der kunsthistorischen Analyse der Miniaturen und ihrer möglichen Vorlagen auch eine eingehende Untersuchung des unmittelbaren Nutzungskontextes vor.27 Die folgende Analyse und Interpretation der Handschriften basiert auf dieser günstigen Forschungslage. Der ‹Elisabethpsalter›28 wie der ‹Landgrafenpsalter› müssten eigentlich als ‹Sophien-› oder ‹Landgräfinnenpsalterien› bezeichnet werden, da beide für die zweite Gemahlin Hermanns, Sophia von Wittelsbach, angefertigt wurden.29 Der ‹Elisabethpsalter› erhielt seinen Namen aufgrund der Tatsache, dass er sich später im Besitz der Hl. Elisabeth von Thüringen, der Schwiegertochter Sophias von Wittelsbach, befand.30 Diese Handschrift ge-

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schule des 13. Jahrhunderts (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 9), Straßburg 1897. So Renate Kroos, Sächsische Buchmalerei 1200–1250. Ein Forschungsbericht, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 41 (1978), S. 283–316, hier: 314. Vgl. Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im OriginalFormat der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992. Vgl. im Kommentarbd. insbes. die Beiträge von Schwind, Schreiner und Heinzer. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter. Vgl. dazu auch das Faksimile des ‹Elisabethpsalters›: Salterio di Santa Elisabetta. Facsimile del ms. CXXXVII del Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli, a cura di Claudio Barberi, Trieste 2002. Vgl. Renate Kroos, Zu frühen Schriftund Bildzeugnissen über die heilige Elisabeth als Quellen zur Kunst- und Kulturgeschichte, in: Sankt Elisabeth. Fürstin – Dienerin – Heilige, hg. von der Philipps-Universität Marburg in Verb. mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 180–239, und dies., Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 64, Anm. 8. Zur Provenienzgeschichte des ‹Elisabethpsalters› siehe ausführlich Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 31–39, zu jener des ‹Landgrafenpsalters› vgl. Felix Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, in: Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, S. 1–30.

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langte vermutlich über Elisabeths Onkel Berthold von Andechs-Meranien, Patriarch von Aquilea mit Sitz in Cividale, nach Oberitalien.31 Dort wurde der Psalter nach der Heiligsprechung Elisabeths als Sekundärreliquie aufbewahrt, wodurch sich sein guter Zustand erklärt.32 Die noch mit ihrem Originaleinband33 versehene Handschrift mit 173 Pergamentblättern im Format von 22,5 x 17 cm befindet sich noch heute in Cividale del Friuli, im Museo Archeologico Nazionale (Signatur Ms. CXXXVII ). Der ‹Landgrafenpsalter› wird heute in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart aufbewahrt (Signatur HB II 24). Er wurde im 19. Jahrhundert neu gebunden, zählt nach Blattverlust, Neubindung und starkem Beschnitt heute noch 181 Pergamentblätter im Format von 23,5 x 17 cm.34 Trotz der Neuorientierung Hermanns zugunsten der Zisterzienser hat das Landgrafenpaar sehr wahrscheinlich das Kloster Reinhardsbrunn mit der Anfertigung beider Psalterien beauftragt.35 Die Annahme einer gemeinsamen Werkstatt für beide Handschriften wurde «bislang nie bezweifelt»36 und von Herrad Spilling nach eingehender paläographischer Untersuchung bestätigt.37 Beide wurden nämlich von derselben Haupthand 31 Ebd., S. 37. 32 Ebd., S. 35. 33 Vgl. Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Einband des Elisabethpsalters in Cividale del Friuli. Rheinische ‹Kleinkunst› am Hof der Ludowinger, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 54/55 (2000/01), S. 62– 103. 34 Die Handschrift wurde wohl in den Jahren 1811 und 1816 bei der Neubindung des Codex in der Württembergischen Hofbibliothek stark beschnitten, so Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte, S. 9. Kaum zu datieren ist der Blattverlust zwischen fol. 58 und 59 und möglicherweise auch zwischen fol. 45 und 46, evtl. ging dem Psalmenteil noch ein Miniaturenvorspann zwischen fol. 7 und 8 zur Kindheit Jesu voraus. Siehe dazu ebd., S. 1–3. 35 Die belegbaren Spannungen zwischen Hof und Kloster werden kein Hindernis für die Produktion von Handschriften für den Landgrafenhof gewesen sein, vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 54. Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 161 und 385–392, beschreibt die Streitigkeiten des Klosters mit dem Landgrafenhof wie auch mit dem benachbarten Zisterzienserkloster Georgenthal. 36 Vgl. Renate Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, in: Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, S. 63– 139, hier: 69. 37 Vgl. Herrad Spilling, Der Landgrafenpsalter aus paläographischer Sicht, in:

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geschrieben, wobei es sich um eine kunstvoll ausgeführte gotische Minuskel handelt, die neuen französischen Vorbildern folgt.38 Dennoch bestanden bisher Zweifel an der Lokalisierung des Skriptoriums. Obwohl bereits Karl Löffler das Hauskloster Reinhardsbrunn favorisierte, schloss die Forschung diesen Ort in der folgenden Zeit aus.39 Die Identifizierung des Hirsauer Formulars40 als Vorlage für die Heiligenlitaneien und die Totenoffizien der Handschriften ermöglichte es, die Entstehung der Codices im Kontext eines hirsauischen Reformklosters zu situieren. Aufgrund dieser Resultate, sowie jüngerer paläographischer Untersuchungen und Rekonstuktionen41 tritt Reinhardsbrunn als Entstehungsort erneut in den Vordergrund.42 Diese Annahme ist auch deshalb so überzeugend, weil zumindest zeitweise ein intensiver Nachrichtenfluss zwischen Hof und Kloster vorhanden war. Dann konnte hier eine Konzeption der Handschriften in Ausrichtung auf den künftigen höfischen Benutzungskontext erfolgen.43

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Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, S. 31–52. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. Karl Löffler, Der Landgrafenpsalter. Eine Bilderhandschrift aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts in der Württembergischen Landesbibliothek, Leipzig 1925, S. 14. Vgl. Spilling, Der Landgrafenpsalter aus paläographischer Sicht, S. 31–52. Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 84 ff., bes. 86, bezeichnet Hildesheim als «Arbeitshypothese»; Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 20. Vgl. die aufgrund der Quellenlage wenig plausible, weil indizienarme These von Martin Gosebruch, Die Anfänge der Frühgotik in Niedersachsen, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 14 (1975), S. 9–58, hier: 32 ff.; ders., Von der Verschiedenheit der Vorbilder in der sächsischen Frühgotik, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 16 (1977), S. 9–26, hier: 9; ders., Die Zeichnungen des Wolfenbütteler ‹Musterbuches›: ihre westlichen Beziehungen – ihre byzantinische Vorlage, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 20 (1981), S. 25–59, hier: 54 f. Vgl. Kroos, Sächsische Buchmalerei, S. 301; auch sie bezeichnet Gosebruchs Lokalisierung als «nicht überzeugend». Vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 17 f. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 66–73, und Spilling, Der Landgrafenpsalter aus paläographischer Sicht. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 53 f., S. 286–290. Wenn die gleiche Hand auch auf denselben Entstehungsort hinweist, dann darf die Anfertigung beider Handschriften in Reinhardsbrunn situiert werden. Vgl. dazu Nigel F. Palmer, Rez. zu: Der Landgrafenpsalter: vollständige Fak-

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Überdies waren aufgrund des Bildungsniveaus einzelner Mönche,44 der Bibliothek45 und der Nähe zum Landgrafenhof besonders günstige Möglichkeiten zur (Mit-)Konzeption und Herstellung komplexer und innovativer Handschriften gegeben. Außerdem konnte sich gerade in kritischen Zeiten eine solche Aufgabe dazu anbieten, das Können des Klosters unter Beweis zu stellen und so das Interesse des Fürsten am Kloster zu erhalten. Beide Psalterien wurden nicht nur im selben Skriptorium angefertigt, sondern entstanden auch in zeitlicher Nähe zueinander: der ‹Elisabethpsalter› in den Jahren zwischen 1201 und 1208,46 der ‹Landgrafenpsalter› zwischen 1208 und 1213.47 Somit situieren sich die beiden Psalterien in einer Epoche des Wandels in der Buchherstellung.48 Zwar wurden schon in früh-

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simile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, in: Medium Ævum 64 (1995), S. 305 ff., hier: 306. Exemplarisch kann der Reinhardsbrunner Anonymus genannt werden, der die klösterliche Geschichtsschreibung verfasst hat. Vgl. Tebruck, Geschichtsschreibung, S. 231–235, bes. 235. Der Bestand der Bibliothek wurde im Jahre 1292 durch Brand und 1525 im Bauernkrieg zerstört, allerdings existiert ein Bibliothekskatalog aus dem Jahr 1514; vgl. zur Bibliothek Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 74 f. und Anm. 62 mit weiterer Literatur. Die Zusammenarbeit von Hof, Hofklerus, Skriptorium und Laienmaler ist in ihren Einzelheiten wohl kaum zu rekonstruieren, vgl. ebd., S. 286–290. Zur Datierung des ‹Elisabethpsalters›, vgl. ebd., S. 40–61, zusammenfassend S. 61. Vgl. die zustimmende Rez. von Nigel Palmer, Harald Wolter-von dem Knesebeck, Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli. Buchmalerei für den Thüringer Landgrafenhof zu Beginn des 13. Jahrhunderts, Berlin 2001, in: Medium Ævum 71 (2002), S. 132 f. Siehe ausführlich Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 342–349 (vgl. dort auch die Forschungsdiskussion mit weiterer Literatur). Er schlägt zur Datierung den weitestmöglichen Zeitrahmen vor. Vgl. auch ders., Der Elisabethpsalter in Cividale del Friuli und die niedersächsische Buchmalerei des 13. Jahrhunderts, in: Wartburg-Jahrbuch 2001, S. 25–52, hier: 35 f.; vgl. zur Datierung auch Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 19 f.; Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 71–75; Volkhard Huth, Bildliche Darstellung von Adligen in liturgischen und historiographischen Handschriften des hohen Mittelalters, in: Nobilitas: Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, hg. von Otto Gerhard Oexle und Werner Paravicini (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 133), Göttingen 1997, S. 101–176, hier: 131. Bereits Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 26, wies auf das Phä-

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mittelalterlicher Zeit «Psalterien für hochgestellte Laien, Frauen und Männer»49 hergestellt, doch erst ab 1200 avancierte der reich illuminierte «Prachtpsalter für Laien in Deutschland zur neuen dominierenden Buchaufgabe»50 und überholte auf diesem Sektor an Zahl den Buchtypus des anspruchsvoll ausgestatteten Evangeliars oder Evangelistars. Entsprechend lässt sich für den mitteldeutschen Raum in dieser Frühphase lediglich die Entstehung von zwei vergleichbaren Luxushandschriften belegen: zum einen der nur als Fragment erhaltene ‹Psalter Heinrichs des Löwen›, der auf die Jahre zwischen der Eheschließung Heinrichs und Mathildes 1168 und dem Tod Heinrichs 1189 datiert werden kann, zum anderen der um 1200 im Erfurter Peterskloster angefertigte Psalter.51 Beim Entwurf der beiden Handschriften standen die Konzeptoren somit vor der Aufgabe einer individuellen Anpassung des Vorhandenen für den höfischen Nutzungskontext. Aufgrund der Lokalisierung des Skriptoriums, der Datierung und der komplexen, individuellen Komposition, insbesondere des ‹Elisabethpsalters›, soll der Ausgangspunkt meiner Analysen die Annahme sein, dass aus klerikaler Perspektive angemessene geistliche Konzepte für die Rezeption am Hof ausgewählt wurden.52 Die Handschriften werden im Hinblick auf die künftige Besitzerin, die Landgräfin Sophia konzipiert worden sein. Denn der Psalter war das «Ge-

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nomen der Umbruchssituation in dieser Epoche hin. Vgl. präzisierend Woltervon dem Knesebeck, Elisabethpsalter, v. a. S. 111, 329. Vgl. Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 88. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 22. London, British Library, Lansdowne 381 I. Der Psalter Heinrichs des Löwen wurde im Skriptorium Helmarshausen angefertigt und ist aufgrund der Darstellung des namentlich bezeichneten Herzogspaars während der Ehe von Heinrich und Mathilde entstanden, d. h. zwischen 1168 und 1189. Der Psalter mag nach dem Tod Mathildes in den Besitz der englischen Verwandtschaft gelangt sein. Er ist im Übrigen stilistisch eng verwandt mit dem ebenfalls in Helmarshausen angefertigten Evangeliar Heinrichs des Löwen. Letzterer war jedoch nicht zum Besitz am Hof, sondern zur geistlichen Stiftung bestimmt. Vgl. Janet Backhouse, Der Psalter Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235, Bd. 1: Katalog, hg. von Jochen Luckhardt und Franz Niehoff, München 1995, S. 294 ff., mit Abb. S. 295. Vgl. Erfurter Psalter, Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. in scrin. 84. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 111. Es gibt keine konkreten Hinweise bezüglich der Auftraggeber. Vielleicht geschah dies sogar in Abstimmung mit dem Hof.

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betbuch schlechthin für den Laien, insbesondere für vornehme Frauen»,53 ein «typischer Gebrauchsgegenstand»54 und «typisches Attribut»55 der adligen Dame. Das spiegelt sich in der höfischen Literatur. Im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach heißt es von Parzivals Cousine Sigune, sie truoc ein salter in der hant (438,1), und von Königin Ginover berichtet der Erzähler: an ir venje si den salter las (644,24). Die höfische Dame besaß idealerweise nicht nur das Gebetbuch, sondern sie erwarb auch die Fähigkeit, es zu lesen.56 Diese Annahme ist insofern auf Sophia übertragbar, als sie in beiden Handschriften mit einem aufgeschlagenen Buch, sehr wahrscheinlich einem Psalter,57 abgebildet ist: Im ‹Landgrafenpsalter› präsentiert sie ihn mit ehrfürchtig verhüllten Händen auf fol. 174v (Abb. 1) dem Betrachter.58 Die Seiten des Buchs weisen stilisierte Schriftzeichen auf, deiktisch wird damit auf die Inhalte der gemalten – vermutlich auch der tatsächlichen Handschrift – verwiesen. Auch der ältere ‹Elisabethpsalter› zeigt Sophia auf fol. 171r (Abb. 18) am rechten unteren Bildrand mit einem geöffneten Buch in den Händen. Des weiteren wurden im ‹Landgrafenpsalter› auch die Königinnen von Ungarn auf fol. 175v (Abb. 3) und von Böhmen auf fol. 176r (Abb. 4) mit Büchern, wahrscheinlich Psalterien, in den Händen abgebildet. Dieses gehäufte Auftreten weist darauf hin, dass diesen Handschriften eine höfisch-repräsentative Funktion zugemessen wurde. Die Art und Weise der Darstellungen deutet überdies an, dass auch die Textinhalte wahrgenommen werden sollten. Der konkrete Umgang mit den landgräflichen Psalterien lässt sich zwar kaum rekon53 So Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 20. 54 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 33. 55 Ebd. Ausführliches, weiteres Belegmaterial zur Darstellung von Psalterbesitzerinnen siehe Wolf, Psalter und Gebetbuch. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 284, Anm. 14, nimmt an, dass Sophia lesen konnte und «zumindest etwas Latein» verstand. 56 Vgl. zum Psalter als Erstlesebuch Felix Heinzer, Über das Wort; Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 285; Wolf, Psalter und Gebetbuch, S. 164 f., sieht den Psalter als Schlüssel zur Lesefähigkeit am Hof; vgl. auch Bumke, Höfische Kultur, S. 474. Bezüglich der Lesefähigkeit der Psalterbesitzerinnen vgl. Wolf, Psalter. Zu den spezifischen Rezeptions- und Bildbedürfnissen der Frau vgl. Jeffrey Hamburger, A Liber Precum in Se´lestat and the Development of the Illustrated Prayer Book in Germany, in: The Art Bulletin 73 (1991), S. 209–236. 57 Vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 20. 58 Doch auch die Miniaturen der landgräflichen Psalterien verbildlichen zweifellos ein Ideal.

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struieren, doch lassen die erwähnten Bild- und Textzeugnisse eher auf eine individuelle Lektüre der Psalmen und Gebetstexte wie die Betrachtung der Miniaturen, vielleicht in privater Andacht, schließen.59

3.3 Zur Bedeutung der Psalmen Der ‹Elisabethpsalter› und der ‹Landgrafenpsalter› bestehen jeweils aus drei Teilen: erstens einem Kalendarium, zweitens dem Text der Psalmen und drittens einem Gebetsanhang.60 Letzterer umfasst in beiden Handschriften bei je unterschiedlicher Abfolge kirchliche Gebete, alt- und neutestamentliche Cantica, das Te deum, das Glaubensbekenntnis Quicumque, die Heiligenlitanei und zudem das Totenoffizium.61 Beide enthalten als Haupttext die verbreitete lateinische Version des Psalterium Gallicanum, und zwar non feriatum,62 d. h. sie folgen der biblischen Abfolge der Psalmen und wurden nicht für das liturgische Stundengebet eingerichtet.63 Der Text der 150 Psalmen des Alten Testaments thematisiert 59 Vgl. zur Rekonstruktion der Funktion der Handschrift am Landgrafenhof Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 282–285; vgl. auch Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 138. 60 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 248. Der Gebetsanhang gehört zum Normalbestand hochmittelalterlicher Psalterhandschriften und umfasst vorwiegend liturgische Texte. Zum Inhalt des ‹Landgrafenpsalters› vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 11–18. 61 Ebd. Diesen Abschnitt der Handschrift schätzt Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 125, als den persönlichsten und am häufigsten benutzten ein. Das Totenoffizium ist Bestandteil des ‹Landgrafenpsalters› wie des ‹Elisabethpsalters›. Dessen Integration bildet allerdings eher eine Ausnahme, denn es gehört «nicht eigentlich zu den Standard-Appendices von Psalterhandschriften», so Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 16. 62 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 350, und Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 11. Zum Psalterium Gallicanum als der seit dem Frühmittelalter meist üblichen lateinischen Übersetzung vgl. Rainer Kahsnitz, Der Werdener Psalter in Berlin Ms. theol. lat. fol. 358. Eine Untersuchung zu Problemen mittelalterlicher Psalterillustration (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 24), Düsseldorf 1979, S. 93–101, bes. 94. 63 Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 4, weist darauf hin, dass der ‹Landgrafenpsalter› im (wahrscheinlich späten) 14. Jahrhundert für den liturgischen Gebrauch mit Zusätzen versehen wurde.

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neben dem Gotteslob auch die Leiden des menschlichen Lebens. Sein Gebrauch lässt sich innerhalb des Christentums sehr weit zurückverfolgen.64 So fungierte der David zugeschriebene Psalter von Beginn an als Gebetund Gesangbuch der Christen.65 Er entwickelte sich im Verlauf der Jahrhunderte aufgrund seiner Verwendung innerhalb des kirchlichen Stundengebets zur zentralen monastischen Gebetsgrundlage und avancierte schließlich zum «rituellen Leittext des Mittelalters».66 Seine Bedeutung spiegelt sich in der Reproduktionsquantität. Wurden die Texte der Evangelien im Hochmittelalter in den Schreibstuben am häufigsten kopiert, rangiert der Text der Psalmen gleich an zweiter Stelle.67 Die Psalmenauslegung folgte seit der Patristik einem typologisch-christologischen Verständnis. Eine Grundlage dafür bot das Beispiel der Bibel selbst. So wiederholen Christi letzte Worte am Kreuz die ersten Verse von Psalm 21: Deus meus Deus meus ut quid dereliquisti me (Mt 27,46, idem Mc 15,34).68 Aufgrund dieser offensichtlichen Verbindungen konnte der Psalter als vox Christi interpretiert werden, ja er konnte das Evangelium selbst vertreten und schließlich als «abbreviierte Form des Evangeliums, wenn nicht der ganzen Heiligen Schrift und aller Wissensbestände des christlichen Glaubens» aufgefasst werden.69 So führte Petrus Lombardus in der Prae64 Vgl. Klaus Schreiner, Psalmen in Liturgie, Alltag und Frömmigkeit des Mittelalters, in: Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im Original-Format der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband, hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992, S. 141–183. Vgl. auch Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 86–92. 65 M[ichael] Lattke, Psalm, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. von Siegmar Döpp und Wilhelm Geerlings, 2. Aufl., Freiburg i. Br. (u. a.) 1999, S. 525 f., hier: 525. 66 Vgl. Thomas Lentes, Text des Kanons und Heiliger Text. Der Psalter im Mittelalter, in: Der Psalter in Judentum und Christentum, hg. von Erich Zenger (Herders biblische Studien 18), Freiburg i. Br. (u. a.) 1998, S. 323–354, hier: 326. 67 Vgl. Kahsnitz, Der Werdener Psalter, S. 115. 68 Vgl. Psalm 21: Deus Deus meus respice me: quare me dereliquisti / longe a salute mea verba delictorum meorum; vgl. Mc 15,34: et hora nona exclamavit Iesus voce magna dicens / Heloi Heloi lama sabacthani / quod est interpretatum / Deus meus Deus meus ut quid dereliquisti me. 69 So Lentes, Text des Kanons, S. 332, vgl. ebd. S. 343. Von den Möglichkeiten hochmittelalterlicher Psalmenexegese zeugt auch die bereits erwähnte ausführliche Auslegung des Gerhoch von Reichersberg. Vgl. Kap. 2.4.

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fatio seines in dieser Epoche sehr verbreiteten und wirkungsreichen Psalmenkommentars aus, dass sich die gesamte Theologie in den Psalmen vereine: in hoc libro consummatio est totius theologicae paginae.70 Und diese werde klar und deutlich vermittelt: Was die Propheten verhüllt und wie durch Rätsel (obscure et quasi per aenigmata) von den Geheimnissen berichteten – Petrus nennt beispielsweise die Geburt und Passion Christi –, das habe David am deutlichsten (evidentissime) verkündet.71 Die Materie dieses Buches sei also totus Christus.72 Mit diesen Inhalten verband Petrus auch einen moralischen, lebenspraktischen Bezug, denn die Psalmen sollten zum bene operari anleiten, den Lohn der Guten beschreiben und die Qual der Bösen, die Versuche der Anfänger, das Voranschreiten der Fortgeschrittenen, die Vollendung der Vollkommenen, das aktive Leben und die kontemplative Schau (speculatio).73 Als Ziel des Psalmgebets betrachtete er die Angleichung (conformatio) an Christus: Intentio, homines, in Adam deformatos, Christo novo homini conformare.74 Nach dieser Deutung beinhalten die Psalmen die Forderung, sich auf Christus hin auszurichten und dementsprechend den individuellen Lebensweg anzupassen. Auch in dieser Tradition stehend, sah Honorius Augustodunensis (1. Hälfte 12. Jahrhundert) in den Psalmen den Impuls zur imitatio und conformatio Christi angelegt.75 Diese Horizonte sind bei der folgenden Betrachtung der beiden Psalterien mitzuberücksichtigen.

70 Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 191), Paris 1854, Sp. 55–1296, hier: 57. Vgl. Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 155 f. 71 Petrus Lombardus, Commentarium, Sp. 57. 72 Ebd., Sp. 59. Vgl. auch Colish, Peter Lombard, Bd. 1, S. 171 f. 73 Ebd. Sp. 57; vgl. die Schlussminiatur des ‹Elisabethpsalters› mit ‹Vita contemplativa› und ‹Vita activa› (fol. 173r), die mit diesen lebenspraktischen Deutungen des Psalmengebrauchs in einem Zusammenhang stehen. 74 Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 327. 75 Honorius Augustodunensis, Expositio in Psalmos selectos, hg. von J[acques]P[aul] Migne (PL 172), Paris 1854, Sp. 269–312, hier: 271. Intentio totius libri est nos hortari per imitationem Christo conformari: ut per ipsum redeamus ad summam gloriam, qua per Adam perdita venimus in summam miseriam.

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3.4 Der ‹Landgrafenpsalter› Die beiden Handschriften wurden in allen Teilen – Kalender, Psalter und Gebetsanhang – durchgehend und z. T. in stilistischer Übernahme neuer, westlicher Vorbilder mit Miniaturen und historisierten Initialen in Deckfarben und Goldgrund versehen.76 Doch trotz dieses gleichermaßen hohen Gestaltungsniveaus, des gemeinsamen Skriptoriums, ihrer zeitnahen Entstehung und des vergleichbaren Umfangs und Inhalts weisen sie signifikante Unterschiede auf. Der ‹Landgrafenpsalter› unterscheidet sich vom ‹Elisabethpsalter› durch eine geringere Anzahl von Miniaturen, ein einfacheres ‹Programm› und seine spezifische, im Folgenden noch zu beschreibende, thematische Ausrichtung.77 Die Kalenderseiten dieses Psalters (fol. 1v–7r) sind je gleich aufgebaut.78 Sie besitzen eine klare Zweiteilung, eine Struktur, die durch Arkaden erzielt wird, deren Säulen sich über den gesamten Schriftspiegel erstrecken. Der linke Arkadenbogen ist je mit einer kunstvoll gestalteten, in Blattwerk auslaufenden KL-Ligatur gefüllt, der rechte je mit einer Monatsdarstellung. Im unteren Teil der Seiten ist links der Kalendertext eingefügt, rechts daneben je eine ganzfigurige Aposteldarstellung.79 Die Apostel wurden zwar in ihrer Physiognomie unterschiedlich gestaltet, weisen jedoch keine individuellen Leidensattribute auf. Der Text der Psalmen erhielt an den konventionellen Stellen, den Teilungspsalmen,80 ganzseitige Miniaturen zum Leben Jesu. Maximal acht da76 Vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 328. Eventuelle Vorbilder für den ‹Elisabethpsalter› könnten aus Frankreich oder England stammen. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 245 f., zieht dies aufgrund stilistischer Vergleiche in Betracht und stützt seine Argumentation historisch über Hermanns Kontakte, u. a. nach Frankreich. 77 Siehe Tabellenanhang. 78 Vgl. viel ausführlicher zum Kalender und der Seiteneinteilung die Ausführungen von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 114–124. Ich lehne mich an seine Terminologie weitgehend an. Zusätzlich wurde Christine Jakobi, Buchmalerei: ihre Terminologie in der Kunstgeschichte, Berlin 1991, verwendet. 79 Vgl. ausführlich zu den Miniaturen des Kalenderteils des ‹Landgrafenpsalters› Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 92–97. 80 Vgl. allgemein zum Prinzip der Teilungspsalmen Kahsnitz, Der Werdener Psalter, bes. S. 119–124, und spezifischer Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 200–206, mit Lit.; vgl. auch Alfred Büchler, Zu den Psalmillustrationen der Haseloff-Schule: Die Vita Christi-Gruppe, in: Zeitschrift für

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von werden als ursprünglicher Bestand vermutet, heute sind nach Blattverlust nur noch sechs davon erhalten.81 Die vorhandenen Miniaturen bilden thematisch einen Vita Christi-Zyklus und zeichnen sich formal durch eine große Einheitlichkeit aus.82 Sie besitzen insofern einen kommentierenden Charakter, als in ihnen ein typologisches Verständnis der Psalmen zum Ausdruck kommt. Der Zyklus beginnt auf fol. 31v mit der Taufe Christi zu Ps 26 und setzt sich mit einer Kreuzigung zu Ps 68 fort (fol. 73v), in der Christus im Dreinageltypus dargestellt wurde.83 Zu Ps 80 wurde Christi Höllenfahrt abgebildet (fol. 91v), zu Ps 101 seine Himmelfahrt (fol. 109v) und zu Ps 109 die Ausgießung des Heiligen Geists an Pfingsten. Als letzte Miniatur dieses Teils wurde das Jüngste Gericht zu Ps 119 (fol. 139v) eingefügt. Markant für den ‹Landgrafenpsalter› sind die Herrscherabbildungen des Gebetsanhangs, die sich aus den diplomatischen Beziehungen Hermanns erklären lassen. Die politische Situation war innerhalb des Reichs während der Regierungszeit Hermanns gespannt und durch die Thronstreitigkeiten (1198–1215/17) zwischen Staufern und Welfen gezeichnet. Der Landgraf wechselte zwischen den königlichen Lagern, konstant baute er jedoch die reichsübergreifenden Kontakte aus, praktizierte eine breite über das Reich hinausreichende politische Bündnispolitik und unterstellte sich 1203 offiziell dem Schutz Papst Innozenz’ III. (Lothar von Segni, 1198–1216).84 In

81 82 83 84

Kunstgeschichte 52 (1989), S. 215–238, und ders., Zu den Psalmillustrationen der Haseloff-Schule. II. Psalter mit eklektischen Programmen, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 54 (1991), S. 145–180. Vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 2 f. Vgl. die unten stehende Tabelle. Bereits Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 143–152, bes. 152, wies auf die Neuheit dieses Bildtypus hin. Das Schutzprivileg ist auf den 11. April 1203 datiert, publiziert in: Die Register Innocenz’ III. Bd. 6/6, Pontifikatsjahr 1203/1204, Texte und Indices, bearb. von Othmar Hageneder (u. a.) (Publ. des hist. Inst. beim österr. Kulturinstitut in Rom II 1/6), Wien 1993, Nr. 42, S. 65. Das Privileg sollte Hermann und sein Herrschaftsgebiet vor Exkommunikation und Interdikt bewahren. Siehe dazu Peter Wiegand, ‹Der milte landgraˆve› als ‹Windfahne›? Zum politischen Standort Hermanns I. von Thüringen (1190–1217) zwischen Erbreichsplan und welfisch-staufischem Thronstreit, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 48 (1998), S. 1–53, hier: 17, und Johannes Fried, Zur politischen Funktion des päpstlichen Schutzes für Laienfürsten. Die politische Geschichte des päpstlichen Schutzprivilegs für Laien (11.–13. Jahrhundert) (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Phil.-hist. Kl., 1980/1), Heidelberg 1980, S. 277 f., 307, 321–325.

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den Jahren um 1210/11 avancierte er zu einem der Protagonisten der von Innozenz geförderten und schließlich erfolgreichen Fürstenopposition gegen Otto IV. Dabei unterhielt Hermann Beziehungen zu Otakar I. Prˇemysl von Böhmen, zu Mitgliedern der Familie der Herzöge von AndechsMeranien, zu Philipp II. August von Frankreich und zu Andreas II. von Ungarn.85 Es sind Verbindungen, die durch Heiraten gestärkt werden sollten. Der französische König Philipp II. August wollte eine der Töchter Hermanns ehelichen, falls die bestehende Ehe mit Ingeborg von Dänemark aufgelöst werden könne, was jedoch scheiterte.86 Die Beziehungen zu Ungarn wurden gegen Ende des ersten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts durch das Heiratsversprechen zwischen Hermanns Sohn Ludwig und der ungarischen Königstochter Elisabeth bekräftigt. Die Ende 1207 geborene Elisabeth wurde bereits 1211 an den Landgrafenhof gebracht und dort erzogen,87 die Eheschließung zwischen Elisabeth und Ludwig IV. fand im Jahre 1221 statt.88 Der Reihe der Herrscherabbildungen ist eine ganzseitige Gnadenstuhlminiatur vorangestellt (fol. 172v). Die Seiten dieses Handschriftenabschnitts (fol. 173r–176r; Abb. 1–4) wurden so strukturiert, dass der Text der Litanei und weiterer Fürbitten89 je drei Viertel des Schriftspiegels füllt und durch 85 Vgl. Wiegand, ‹Der milte landgraˆve›, S. 37. 86 Von dieser Heiratsintention zeugt ein Brief, dessen Original als verloren gilt. Von den Abschriften des Briefes wird die früheste auf das 13. Jahrhundert datiert; vgl. Recueil des actes de Philippe Auguste, roi de France, t. 3: Anne´es du re`gne 28 a` 36 (1er novembre 1206 – 31 octobre 1215), publ. par M. J. Monicat et M. J. Boussard (Chartes et diploˆmes relatifs a` l’histoire de France), Paris 1966, Nr. 1152, S. 250 f.: Hec est conventio quam fecimus jurari in animam nostram, quod nos filiam landegrafionis Turingie accipiemus in uxorem, nisi ita esset indecens quod nobis displiceret, si dictus landegrafio procuraret erga dominum papam quod divortium celebraretur inter nos et Ingeburgim reginam, uxorem nostram, vel nisi ei tantum daremus de pecunia nostra quod quitaret nos de hac conventione. Actum Parisius, anno Domini M° CC° X°, mense novembri. 87 Vgl. Schwind, Die Landgrafschaft Thüringen, S. 39. Vgl. Wiegand, ‹Der milte landgraˆve›, S. 38. 88 Vgl. Matthias Werner, Die heilige Elisabeth und Konrad von Marburg, in: Sankt Elisabeth. Fürstin – Dienerin – Heilige, hg. von der Philipps-Universität Marburg in Verb. mit dem Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Sigmaringen 1981, S. 45–69, hier: 48. 89 Korrekter Preces und Collectae, vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 11.

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drei Säulen in zwei gleich große vierzehnzeilige Spalten gegliedert wird. Das obere Viertel erhielt eine Gliederung durch je zwei Arkaden, die auf den Säulen aufruhen. Der Maler fügte die Miniaturen jeweils in die Arkadenbögen ein. Es sind zunächst jene abgebildet, die im Text angerufen werden. So zeigt der Miniaturenzyklus auf fol. 173r Maria und Johannes, auf der folgenden Seite fol. 173v exemplarisch für die Schar der Heiligen zwei Ritterheilige und auf fol. 174r zwei weibliche Märtyrerinnen,90 ab fol. 174v setzt er sich in der Darstellung weltlicher und geistlicher Fürsten fort. Der Text dieser Seiten umfasst auch zwei Hermann einschließende Gebete. Sein Name wurde in ihnen sogar durch Goldversalien hervorgehoben. Das erste der beiden Gebete besitzt Ähnlichkeiten mit dem Wortlaut der «Bitten für den Papst bzw. den Kaiser und andere weltliche Herrscher»,91 was Hermanns königsähnlichen Anspruch verdeutlicht, das zweite entstammt dem Messformular pro amico vivente.92 Beide Aspekte, Politik und Freundschaft, spiegeln sich auch in den Miniaturen dieser Seiten, denn Hermann ist dort in der Reihe seiner königlichen Freunde und Verbündeten abgebildet.93 So ist auf fol. 174v (Abb. 1) links Hermanns Gemahlin SOPHIA von Wittelsbach zu sehen. Sie präsentiert dem Betrachter der Miniatur den Psalter, dessen Seiten stilisierte Schriftzeichen tragen. Neben ihr ist unter dem rechten Arkadenbogen HERMAN LANTGRAVIVS TVRINGIE selbst abgebildet. Auf der gegenüberliegenden Seite blieben die Arkaden unbeschriftet, darunter wurden zwei geistliche Fürsten dargestellt, die in ihrer Mitte ein Medaillon mit dem Agnus Dei tragen (fol. 175r; Abb. 2). Da sie namentlich unbezeichnet bleiben, könnten sie das Sacerdotium repräsentieren.94 Es folgen auf der nächsten Doppelseite (fol. 175v; 90 Diese Motive finden sich auch im ‹Elisabethpsalter›, sind dort nicht nur in der Litanei, sondern auch im Kalenderteil präsent. Vgl. dazu die ausführliche Analyse in Kap. 3.5.1. 91 Ebd., S. 14 f., in Anm. 51 weitere Literaturangaben. 92 Ebd.; vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 348 f. 93 Ebd. Zur Kennzeichnung der Dargestellten enthalten die Arkadenbögen auf diesen Seiten meist eine Beschriftung. 94 Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 74 f., hatte eine Programmänderung erwogen. Für plausibel halte ich die Erklärung Heinzers, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 9: Er fragt «ob die beiden Gestalten nicht vielmehr einfach als Vertreter eines bestimmten Standes der Kirche, eben des Episkopats, zu sehen sind.» Eine mit dieser Doppelseite in vielen inhaltlichen Aspekten vergleichbare Darstellung befindet sich auch im ‹Elisabethpsalter› (fol. 171r). Dort ist das Landgrafenpaar mit Regnum bzw. Imperium, Sacerdotium und dem Agnus Dei zu sehen; vgl. Kap. 3.5.3.

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Abb. 3) links Gertrud († 1213) REGINA VNGARIE mit einem geschlossenen Buch in der rechten Hand und rechts König Andreas II. REX VNGARIE (1205–1235) sowie auf der gegenüberliegenden Seite (fol. 176r; Abb. 4) links Prˇemysl Otakar I. REX BOEMIE (1198/1205–1230) und rechts davon seine Gemahlin Konstanze, REGINA BOEMIE. Wie Sophia hält sie ein aufgeschlagenes Buch in der Hand. Konstanze ist nach rechts gewandt und blickt damit, wie zur umseitigen Miniatur überleitend, aus dem Bild heraus. Auf der Rückseite findet sich ein Paradiesbild (fol. 176v). Dort sitzt Lazarus (Lc 16,19–31) in Abrahams Schoß in ewiger Ruhe und Freude und verteilt ‹himmlischen Lohn›, nämlich Äpfel, an die nebenstehenden Jungfrauen.95 Diese Miniatur führt die Intention der vorangehenden Gebete und Fürbitten vor Augen: den Wunsch nach dem ewigem Leben. Gleichzeitig leitet diese Miniatur bereits den Text des folgenden Totenoffiziums ein. Hermann und Sophia werden in dieser Reihe den Königspaaren vorangestellt und ihnen formal nebengeordnet. In Analogie zum Text, den Fürbitten für Hermann, wird dadurch der Anspruch des Landgrafenpaars auf einen nahezu königsgleichen Rang deutlich. Allerdings bestehen im Vergleich zum ungarischen und böhmischen Königspaar Unterschiede in den Rangauszeichnungen: Sophia trägt statt einer massiven Krone nur eine zierliche Bügelkrone, Hermann statt einer Königskrone einen roten Landgrafenhut,96 auch das Zepter fehlt.97 Der Akzent liegt somit auf dem erlangten Status, den aktuellen Verbindungen Hermanns und Sophias zu den Herrscherpaaren und damit auf dem gemeinsamen Herrschen. Hierarchische oder genealogische98 Aspekte treten demgegenüber in den Hintergrund. Überlegungen zum Kontext, in den dieser Miniaturenzyklus inseriert wurde, ergänzen dieses Bild. Denn wie erwähnt, befindet sich die Reihe dieser Miniaturen innerhalb des Gebetsteils der Handschrift. Sie wurden zwischen Heiligenlitanei und Totenoffizium in den Fürbittenteil eingefügt und stehen somit in einem eschatologischen Kontext. Weil die weltliche Perspektive 95 Vgl. Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 132. Sie sieht in den Äpfeln, wie auch in der Verteilung von Lilien in der oberen Hälfte der Miniatur Verbindungen zu Cant 2,5. 96 Vgl. zu diesem Hut auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 256, in seiner Beschreibung der Gnadenstuhlminiatur des ‹Elisabethpsalters› fol. 167v. 97 Vgl. Huth, Bildliche Darstellung, S. 126. 98 Dieser Aspekt ist in der klösterlichen Geschichtsschreibung Reinhardsbrunns hingegen zentral; vgl. Cron. Reinh., S. 490–656, und Tebruck, Geschichtsschreibung, bes. S. 205–213.

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sich um die jenseitige ergänzt, ist der Miniaturenzyklus auch als Ausdruck der Hoffnung auf ein gemeinsames Herrschen in der Zukunft, auf ein conregnare in Ewigkeit, zu verstehen. Diese Interpretation lässt sich durch die Tatsache stützen, dass dieser Miniaturenzyklus in die beschriebene Paradiesdarstellung (fol. 176v) mündet. Das hohe Gestaltungsniveau dieser repräsentativen Handschrift, in die diese sehr prachtvollen Darstellungen des Landgrafenpaares und der befreundeten Königspaare integriert wurden wie auch die Verfahren bildlicher Umsetzung zeugen vom Anspruch der Auftraggeber auf eine nicht nur politische, sondern auch kulturelle Vorreiterrolle des Hofs. Vor allem jedoch illustriert diese Darstellung der aktuellen politischen und familiären Verbindungen im Rahmen dieser Psalterhandschrift erneut die bereits festgestellte Überlagerung geistlicher und weltlicher Interessen.

3.5 Der ‹Elisabethpsalter› Weil im ‹Landgrafenpsalter› die Aspekte des ‹Leidens› und ‹Mitleidens› hinter der Herrschaftsthematik in den Hintergrund treten, beschränkt sich die von der Frage nach Mitleidenskonzepten geleitete Untersuchung auf den älteren ‹Elisabethpsalter›. Besonderes Interesse gilt dabei dem noch erhaltenen Einband sowie einer Auswahl von Miniaturen des Kalender-, des Psalmen- und des Gebetsteils. Schon der Einband des ‹Elisabethpsalters›99 hebt als ein herausragendes Thema des Psalters das ‹Leiden› hervor (Abb. 5 u. 6). Denn er zeigt auf seiner Vorderseite das für einen Psaltereinband dieser Zeit eher ungewöhnliche100 Motiv einer vielfigurigen Kreuzigung Christi. Überdies stellt er 99 Es handelt sich materiell um den Originaleinband, aber nicht um die ursprüngliche Bindung. Sie wurde in Jahren 1978 bis 1981 in Rom erneuert. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 67. Er datiert die Entstehung der wohl im Rhein-Maas-Raum hergestellten Reliefs aufgrund seiner stilistischer Merkmale auf den Beginn des 13. Jahrhunderts, vgl. ebd., S. 93. Der Buchblock wurde zwischen 1201 und 1217 mit seinem festen Einband verbunden, siehe ebd., S. 102. Zur Beschreibung des heutigen Einbands des ‹Landgrafenpsalters›, siehe Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift. Die folgenden Beschreibungen des ‹Elisabethpsalters› lehnen sich eng – zum Teil sogar paraphrasierend – an die kunsthistorischen Beobachtungen Woltervon dem Knesebecks an, lösen sich davon aufgrund der anderen Fragestellung in der Auswertung der Ergebnisse. 100 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 102 f.

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diese auf seiner Rückseite in Relation zu den Besitzern. Letztere präsentiert innerhalb eines Rahmens mit Blattranken den Löwen und den Greifen und damit Bildmotive, die mit den Familienwappen der Ludowinger und Wittelsbacher übereinstimmen.101 Aufgrund dieser Individualisierung des Einbands durch die Wappentiere und der nachträglichen Bindung, zu einem Zeitpunkt als die Handschrift vielleicht sogar schon am Landgrafenhof in Gebrauch war, kann davon ausgegangen werden, dass das Einbandmotiv dem Inhalt und der Verwendung entsprechend ausgewählt wurde.102 Dann kann ihm nicht nur eine pragmatische oder ästhetische, sondern zusätzlich eine den Inhalt interpretierende Funktion zuerkannt werden. Eine besondere Betrachtung bietet sich deshalb an. Der Einband besitzt sowohl auf der Vorder- wie auf der Rückseite Holzreliefs im Format von 23,7 x 17,5 cm, deren Werkstatt im Rhein-MaasGebiet, evt. in Köln, zu vermuten ist.103 Sie wurden durchbrochen gearbeitet, mit vergoldeten Silberplatten hinterlegt und mit breiten silbernen, niellierten Randleisten gerahmt; letztere erhielten eine Verzierung mit Rankenwerk und sechs vergoldeten Medaillons.104 In die schmalen Holzrahmen des Reliefs der Vorderseite wurden zur Bezeichnung der Bildinhalte außerdem Tituli eingraviert.105 Zentrales Bildelement ist Christus, dessen Kreuz sich über das gesamte Bildfeld erstreckt und somit gemeinsam mit der Rahmung das «symmetrische Grundgerüst»106 des Reliefs bildet. Er wurde im Viernageltypus, tot, mit nach links gesunkenem Kopf, geschlossenen Augen und Seitenwunde dargestellt107 und wird oberhalb des Kreuzesstamms mittels einer Gravur auf dem schmalen Holzrand des Reliefs als FILIUS bezeichnet.108 Somit ist das zentrale Moment des heilsgeschichtlichen und erlösenden Umbruchs, das Opfer Christi am Kreuz zur Erlösung und Befreiung der Menschheit von der Sünde präsent. Auf der durch den Kreuzesstamm akzentuierten vertikalen Hauptachse wurden weitere Elemente angebracht: Oberhalb des Kopfes schwebt der 101 102 103 104 105 106 107 108

Ebd., S. 71 f. Ebd., S. 102 f. Ebd., S. 82 und 93. Vgl. zur folgenden Beschreibung auch ebd., S. 63 f. und 70 f. Ebd. Ebd., S. 77. Vgl. ebd., S. 78. Vgl. zu den Beischriften auf dem Rahmen des Holfzreliefs: ebd., S. 98; zur Deutung des vorderen Einbandreliefs: ebd., S. 98–101.

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durch die Taube symbolisierte Heilige Geist, den die Gravur auf dem oberen Holzrand als SP(IRITU)S S(AN)C(TU)S benennt. Darüber ragt die Hand des Vaters aus dem durch wellenförmige Wolken angedeuteten Himmel und wird durch die Inschrift PATER auf dem schmalen Holzrand des Reliefs bezeichnet. Diese Komposition verdeutlicht das Zusammenwirken der gesamten Trinität in Christi Erlösungstat.109 Die nachgetragenen Gebete im Inneren der Handschrift weisen explizit auf diesen Zusammenhang hin: Christus hat durch den Willen des Vaters und zusammen mit dem Heiligen Geist die Welt durch seinen Tod befreit (fol. 1r): qui ex voluntate patris cooperante spiri/tu s(an)c(t)o mundum p(er) mortem tua(m) liberasti.110 Zu beiden Seiten des Kreuzes sind Maria und Johannes zu sehen.111 Sie wurden durch ihre Größe in ihrer Bedeutung besonders hervorgehoben: So steht zur Rechten des Gekreuzigten MARIA. Sie ist dem Kreuz zugewandt und führt trauernd ihre Hände zum Gesicht, wobei sie die linke Hand unter das Kinn gelegt hat. Durch sie ist in diesem Relief ein Konzept affektiver compassio präsent. Zur Linken Christi steht JOHANNES, der mit dem Buch als Evangelist ausgezeichnet und im Gegensatz zu Maria nicht in Trauerhaltung dargestellt wurde.112 In die vier Ecken des Reliefs wurden die Evangelistensymbole eingefügt, die auf die Hl. Schrift des Neuen Testaments hinweisen: unten links und rechts die Symbole des MARCUS und LUCAS, der Löwe und der Stier, und oben die Evangelisten MATTHIS und JOHANNES.113 Durch die kompositorische Zentrierung der vier Evangelisten auf die Mitte der Darstellung wird der Gekreuzigte als Zentrum der Hl. Schrift ausgezeichnet. Unterstrichen wird dies durch die Wiederholung des Motivs der Evangelisten in 109 Vgl. ebd., S. 78 f. 110 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 352, Gebet Nr. 3. 111 Vgl. Io 19,25 ff. Die folgenden Beschreibungen integrieren, nach eigener Beobachtung des Einbands, paraphrasierend und zusammenfassend die Feststellungen von Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 77 ff. 112 So Gertrud Schiller, Die Passion Jesu Christi (Ikonographie der christlichen Kunst 2), Gütersloh 1968, S. 21, die das Mitfühlen Marias während der Kreuzigung schon bei Anselm von Canterbury (1033/34–1109) belegt. Vgl. auch Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 729. Im Hochmittelalter wird «das Bild der trauernden, weinenden Maria unter dem Kreuz» stärker hervorgehoben, so E[lisabeth] Lucchesi Palli und G[e´za] Ja´szai, Kreuzigung Christi, in: LCI 2, Sp. 606–642, hier: 623. 113 Die oberen zwei Evangelisten-Medaillons erscheinen im Vergleich zu den Randbeischriften vertauscht. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 98.

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vier vergoldeten, gravierten Medaillons auf den silbernen, niellierten Randleisten. Zusätzlich wurde ein Medaillon mit dem das Opfer Christi repräsentierenden Agnus Dei in der Mitte der oberen Leiste des Bildrahmens angebracht. Auf der ihm gegenüberliegenden Seite, am unteren Rahmenrand, wurde ein Medaillon mit dem Motiv der die Gemeinschaft der Christen personifizierenden ECLESIA eingefügt. Sie kniet auch im Relief, am unteren Ende des Kreuzesstamms, zu Füßen Christi,114 trägt in ihrer rechten Hand als Zeichen der ihr von Christus verliehenen Macht Petri Schlüssel,115 auch lehnt die Siegesfahne an ihrer Schulter. Mit beiden Händen hebt sie einen Kelch empor, um darin das Blut aus Christi Fußwunden aufzufangen.116 Sie steht als Hüterin des Leidenskelchs, dem das Heil des Lebens entspringt, in direkter, privilegierter Relation zu Christus. Wenn sie das Blut in ihrem Kelch auffängt und somit am Opfer Christi ihren Anteil hat, deutet dies die Partizipation der Kirche und ihrer Mitglieder am erlösenden Leiden und Tod an. Offen bleibt, ob damit eine eucharistische Symbolik verbunden ist117 und dies auf die sakramentale Teilhabe der Kirche verweist, oder allgemeiner die Leidenspartizipation der Kirche und ihrer Mitglieder, das Mitleiden und Mittragen des Kreuzes und des Leidenskelchs zum Ausdruck kommt.118 Auch das Motiv des Leidenskelchs, der unter die Wunden Christi gehalten wird, wiederholt sich. Denn aus den oberen Bildecken des Reliefs schweben kelchtragende und Weihrauchfässer schwenkende Engel herab, um das aus den Handwunden Christi austretende Blut aufzufangen.119 Sie werden durch die auf den schmalen Holzrand des Reliefs eingekerbte Bildbeischrift als GABRIGEL (rechts) und MICHAHEL (links) bezeichnet. Gegenüber von Ecclesia steht auf der anderen Seite des Kreuzes die überwundene SYNAGOGA, die in der linken Hand einen Bockskopf als Symbol der Unkeuschheit trägt.120 Sie hat sich vom Kreuz abgewandt, hält 114 Vgl. die Relief-Beschreibungen ebd., S. 98 ff., die ich hier zum Teil paraphrasierend übernehme. 115 Ebd. 116 Ebd., S. 98–102. 117 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 98 ff. 118 Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 99 ff., misst dem Relief eine «eucharistisch-eschatologische» Bedeutung bei; vgl. ders., Elisabethpsalter, S. 282. 119 Vgl. zu diesem Motiv Schiller, Passion, S. 119, die das Motiv der Engel, die das Blut auffangen, erst ab dem 13. Jahrhundert belegt. 120 Vgl. W[olfgang] Greisenegger, Synagoge, in: LCI 4 (1972), Sp. 231 f. und ders., Ecclesia und Synagoge, in: LCI 1 (1968), Sp. 569–578, hier: 574.

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den Kopf gesenkt, wobei ihre ‹Blindheit› durch die verbundenen Augen verdeutlicht wird. Ihre Niederlage wird besonders durch die nach unten gesenkte Lanze augenfällig, an deren Ende eine Fahne zu Boden hängt. Beide Personifikationen sind dem Kreuz unter- und einander nebengeordnet. Synagoga und Ecclesia, Verkörperungen des alten und des neuen Bundes, deuten die typologische Dimension des dargestellten Geschehens an. Die Bildthematik der Einbandvorderseite weist insgesamt Ähnlichkeiten mit typischen Evangeliareinbänden auf, sie zeichnet den Psalter als Abbreviatur der Hl. Schrift aus und bildet eine Ausnahme unter den meist David darstellenden Psaltereinbänden.121 Diese Symbolik steht zudem im Gesamtzusammenhang der Kreuzigung Christi und ist auf sie hingeordnet. Denn das Zentrum dieser Bildkomposition bildet eben Christus, dargestellt in seiner Erniedrigung, seinem Leiden und Tod und nicht etwa als Majestas Domini. Insofern kann dieses Relief einen Appell zu affektiver compassio vermitteln. Dies wirft nun die Frage auf, welche Bedeutungen der Passion Christi und den Formen des Mitleidens im Inneren der Handschrift zukommen. 3.5.1 Konzepte praktisch-ethischer und affektiver compassio im Kalenderteil Die zwölf Kalenderseiten (fol. 1v–7r) besitzen einen einheitlichen Aufbau (vgl. Monat Januar, fol. 1v; Abb. 7). Das obere Fünftel der Kalenderseiten ist durch drei Arkaden strukturiert, von denen die mittlere auf zwei kurzen Säulen aufruht. Unter den Arkadenbögen befindet sich je links eine KLLigatur, in der Mitte eine Monatsdarstellung und rechts eine Zodiakusabbildung.122 Darunter wurde in der linken und etwas schmaleren Spalte des Schriftspiegels der eigentliche Kalender angelegt. Die rechte, größere Hälfte nehmen je zwei medaillonartige und über ihre Rahmen miteinander verbundene Festbilder ein.123 Darin wurden Szenen aus dem Leben Jesu auf die Monate März, April und Dezember verteilt, passend zur Karwoche, zu Ostern und zu Weihnachten, den Hauptfesten des Kirchenjahres.124 So ist erneut das Leiden Christi präsent: Die Kalenderseite zum Monat März stellt 121 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Einband, S. 102, vgl. insbes. auch Lentes, Text des Kanons, S. 332. 122 Letztere fehlt auf den Kalenderseiten des ‹Landgrafenpsalters›. 123 Ähnliche Rahmen wiederholen sich in der Heiligenlitanei. 124 Darin besteht eine Analogie zum ‹Proömium›, vgl. Kap. 3.5.2.

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in der Reihe der Festbilder mit den Motiven der Kreuztragung und der Kreuzigung Christi Szenen aus der Passionsgeschichte dar (fol. 2v; Abb. 16). Daneben überwiegen die Heiligendarstellungen.125 Das Bildthema der Leidensnachfolge Christi hat im ‹Elisabethpsalter› mit elf Martyriumsdarstellungen einen bedeutenden Anteil an diesem Zyklus. Dessen Dominanz wirft die Frage nach ihrer Funktion auf, weshalb der eigentlichen Betrachtung der Miniaturen ein Blick auf die Theologie vorangestellt wird. Wie erwähnt, wurde dem blutigen Martyrium das unblutige zur Seite gestellt. Im Hochmittelalter verglichen Abaelard, Alanus ab Insulis und Ps.-Richard von St. Victor das äußere mit dem inneren Martyrium und beschrieben letzteres als praktisch-ethische compassio, als Kampf gegen die Laster, die Feindesliebe und die Abtötung der passiones.126 Solches Wissen wurde jedoch nicht nur innerhalb der lateinkundigen Kreise verbreitet. Die volkssprachige Predigt des 12. Jahrhunderts, die auch ein weniger gebildetes Publikum unmittelbar anzusprechen vermochte, übernimmt vergleichbare Argumentationsmuster. So legt der Priester Konrad dar, dass die Märtyrer die gotes chint127 sind (vgl. Rm 8,17), die das Reich Gottes erben sollen. Sie ertragen ihr Leiden und Sterben im Hinblick auf die Erlangung des ewigen Lebens gelassen und wohlgemut (vil frolich).128 Im Kontrast zu ihnen stehen die Henker. Wie negativ letztere beurteilt werden konnten, lässt sich aus dem Urteil Konrads ablesen, der die Henker als tiufels chint bezeichnet.129 Er überträgt in seiner Predigt das Vorbild der Märtyrer im Sinn eines 125 Vgl. Tabelle 1 im Anhang. 126 Vgl. Kap. 2.1. 127 Vgl. Von den heiligen martereren, in: Volker Mertens, Das Predigtbuch des Priesters Konrad. Überlieferung, Gestalt, Gehalt und Texte (MTU 33), München 1971, S. 266–269, hier: 268. Diese Predigten für Laien werden auf das 12. Jahrhundert datiert, vgl. ebd., S. 5 ff. Ich greife für diesen Teil deshalb punktuell auf Predigten zurück, weil diese sich wie der ‹Elisabethpsalter› an Laien wenden und wie die Kalenderminiaturen des Psalters an die Heiligenfeste und -viten im Jahreslauf erinnern. Vgl. Rm 8,17: si autem filii / et heredes / heredes quidem Dei / coheredes autem Christi / si tamen conpatimur ut et conglorificemur. 128 Ebd., S. 267. 129 Vgl. ebd. Die Henker sind in den Miniaturen des ‹Elisabethpsalters› oft teilweise entblößt dargestellt, was auch als Schamlosigkeit betrachtet werden darf, so Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 125. Doch vor allem unterstreicht das Hochstecken der Kleidung oder Aufkrempeln der Ärmel ihre Beflissenheit, dem grausamen Werk effizient nachkommen zu können. Ihr negativ konnotiertes Handeln wirkt geplant und absichtsvoll.

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Appells auf die Gläubigen. So mahnt Konrad, sie sollen ebenso wohlgemut wie die Märtyrer ihr alltägliches Leiden ertragen, das angesichts der Fülle der Gnaden, die Gott einst geben wird, vergleichsweise leicht ist: Swie getan arbait wir in di*em leib liden, das i*t ein leihtes dinc wider diu gro""en ere, diu vnser herre der almehtige got in *inem riche geit.130 Die wie auch immer beschaffenen eigenen Leiden im diesseitigen Leben sollen also in Hoffnung auf die große Ehre ertragen werden, die Gott in seinem Reich einst verleihen wird. Damit vermittelt das Vorbild der Märtyrer eine praktisch-ethische Sinnfindung für die Leiderfahrungen der Gläubigen. Um diese Gnade ewigen Lebens einst zu erlangen, sollen die Märtyrer und Heiligen auch angerufen werden: Das wir das *elb lon enphahen, des helffen vns die heiligen martrer vnd alle gotes heiligen.131 Den Märtyrern wird in dieser Predigt also eine doppelte Funktion als Vorbilder und Interzessoren zugemessen. Diese Argumentationsmuster sollen bei der Analyse der Festbilder berücksichtigt werden. Die Seite zum Monat Januar (fol. 1v; Abb. 7) zeigt gleich zu Beginn des Kalenderteils zwei Martyrien. Der Zyklus der Festbilder beginnt auf der Januar-Seite (oben) mit der Steinigung des Protomärtyrers Stephanus. Für diese Voranstellung dürfen traditionelle wie konzeptionelle Gründe gesucht werden. Das Fest dieses Heiligen wird eigentlich am 26. Dezember gefeiert. Zu diesem Datum findet sich auch ein Kalendereintrag im Psalter. Wurde die Heiligendarstellung auf den Monat Januar verschoben, so findet sich ein Grund dafür in der Feier der Oktav am 2. Januar, die auch eingetragen ist. Darüber hinaus entspricht Stephanus’ kompositorische Stellung im Festbilderzyklus seiner biblisch-historischen Vorreiterrolle als erster Märtyrer, wie auch seiner Stellung in der Heiligenlitanei (fol. 169r).132 In diesem ersten Festbild (Abb. 7) des Zyklus steht links der Peiniger des Stephanus, der sein Obergewand mit der linken Hand hoch gerafft hat, um in den Falten des Stoffs Steine zu sammeln. Der Henker ist dem Heiligen zugewandt, blickt ihn an und hält in der rechten Hand einen Stein zum Wurf erhoben. Stephanus sinkt bereits unter dem Aufprall der Steine in die Knie, wobei er die Hände zum Gebet erhebt. Auch sein Blick richtet sich in 130 Ebd., S. 269; vgl. Rm 8,18: existimo enim quod non sunt condignae passiones huius temporis ad futuram gloriam / quae revelabitur in nobis. 131 Ebd. 132 So Gerhoch von Reichersberg, De gloria et honore Filii hominis, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 194), Paris 1854, Sp. 1073–1162, hier: 1119. Vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 124.

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der Schau der Herrlichkeit Gottes (Act. 7,55 f.), hier durch die Hand Gottes angedeutet, nach oben. Im biblischen Text wird der Gepeinigte als Nachfolger Christi stilisiert. Denn vor seinem Tod ruft Stephanus betend Christus an, bittet ihn, er möge seinen Geist aufnehmen und seinen Verfolgern ihre Sünde nicht anrechnen (Act. 7,58 f.).133 Theologen des 12. Jahrhunderts kommentierten diese Ähnlichkeit mit Christi Passion. Gerhoch präzisiert, dass Stephanus als imitator Dei sui134 zu gelten habe, und weist auf die Analogie der letzten Worte hin: Similiter [. . .] oravit dicens.135 Honorius Augustodunensis betont diese Analogie sogar rhetorisch in der Gleichförmigkeit der beiden Teilsätze: Exempla, quod Christus oravit pro suis crucifixoribus, et Stephanus pro suis lapidatoribus.136 Und Rupert von Deutz bringt diese Analogie mit dem Mitleid in Verbindung: Exempli gratia, ut protomartyr Stephanus qui magna charitate compatiens, clamavit dicens: Domine, ne statuas illis hoc peccatum.137 Dabei tritt das gemeinsame Moment des mitleidvollen Gebets für die Sünder und somit die conformatio mit Christus neben das individuelle Moment, die Todesursache des Märtyrers. Es wird hier ein Verfahren zur Charakterisierung der Leidensnachfolge deutlich, in dem die Parallelisierung auf eine Eigenschaft Christi, hier das Gebet, begrenzt bleibt. Dies charakterisiert den Weg der Nachfolge in Analogie, wobei das individuelle Moment neben der Angleichung bestehen bleibt. Ziel und Lohn dieses Wegs der Nachfolge Christi im Leiden ist auch die Teilhabe an seiner Auferstehung, der Anteil am ewigen Leben.138 Er weilt bereits unter den Heiligen. 133 Stephanum invocantem et dicentem / Domine Iesu suscipe spiritum meum / positis autem genibus clamavit voce magna / Domine ne statuas illis hoc peccatum / et cum hoc dixisset obdormivit. Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.1. 134 Vgl. Gerhoch von Reichersberg, De gloria et honore Filii hominis, Sp. 1119. 135 Vgl. ders., Commentarius aureus, PL 193, Sp. 1679 f., Jesu Nazarene rex Judaeorum, [. . .] dicens: Pater, ignosce illis, nesciunt enim quid faciunt. Similiter et protomartyr Stephanus oravit dicens: Domine Jesu, ne statuas illis hoc peccatum, quia nesciunt quod faciunt. 136 Honorius Augustodunensis, Expositio in Cantica Canticorum, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 172), Paris 1854, Sp. 347–496, hier: 467. 137 Rupert von Deutz, Commentaria in duodecim prophetas minores, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 168), Paris 1854, Sp. 9–840, hier: 434. 138 Vgl. Petrus Lombardus, Collectanea, Sp. 1441, erläutert zu Rm 8,17: id est ad ejus similitudinem patimur, quod pertinet ad illud ad similitudinem. Vgl. Kap. 2.1.

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Das untere Festbild zum Monat Januar vermittelt mit dem Martyrium des Sebastian ein vergleichbares Konzept der Partizipation an Christi Passion (fol. 1v; Abb. 7). Die vorliegende Miniatur zeigt ihn an eine Marmorsäule gebunden und von zwei Pfeilen durchbohrt. Links von ihm hat ein Schütze bereits den nächsten Pfeil eingelegt und zielt erneut auf ihn.139 Die Miniatur ist insofern ungewöhnlich, als Sebastian in anderen Darstellungen üblicherweise an einen Baum gefesselt ist.140 Durch diese Abweichung von der ikonographischen Tradition gleicht Sebastians Martyrium dem Leiden Christi «an der Geißelsäule».141 Die Säule wird zum verbindenden Element zwischen Sebastians und Christi Leiden, charakterisiert sein Martyrium als imitatio Christi. Auch hier darf von der festgestellten Leidenspartizipation und Leidensangleichung auch auf seine Mitverherrlichung geschlossen werden. Dieses Konzept, das am Beispiel des Martyriums des Stephanus nur über den Bibeltext und seine Exegese erschlossen werden kann, konkretisiert sich hier also in anschaulicher Weise. Über das Beispiel des Sebastian öffnen sich überdies höfische Deutungshorizonte. Denn Alanus ab Insulis (1120/8–1203) zählte in seiner ‹Summa de arte praedicatoria› Sebastian unter die Ritterheiligen und stellte diese als besonders geeignete exempla für die Predigt vor Rittern dar.142 Die Argumentation der Predigt wird im Hinblick auf die Erfahrungshorizonte des potentiellen Zielpublikum entfaltet, das sich mit der Tätigkeit des Heiligen identifizieren soll. Alanus nimmt nämlich die Analogie zwischen den weltlichen Aufgaben des Ritterheiligen und des ritterlichen Publikums zum Ausgangspunkt, auch die Distinktion zwischen körperlichem (corporalem) und spirituellem (spiritualem) Kampf im Dienst Gottes zu erläutern. Alanus ordnet dem Ritter in seinem Argumentationsgang zwei Schwerter zu, das äußere und das innere.143 Während das äußere im Krieg gegen die Feinde zu führen ist, bedeutet das Wort Gottes ad restaurandam proprii pectoris144 das innere Schwert, das dem Kampf gegen die Laster dienen soll. Der christliche 139 140 141 142

Die Wunde, die er verursachen wird, ist bereits sichtbar. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 125 mit Anm. 74. Ebd. Alanus ab Insulis, Summa de Arte Praedicatoria, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 210), Paris 1853, Sp. 109–198, hier: 186: Habeant exemplum vitae suae milites, beatum martyrem Sebastianum militem. Auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 125, weist auf Alanus hin. 143 Ebd., Militia enim exterior figura est interioris militiae, et sine interiori, exterior est inanis et vacua. 144 Alanus ab Insulis, Summa, Sp. 186, ähnlich auch Sp. 187. Vgl. Eph 6,17.

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Ritter soll nach dem Vorbild der Ritterheiligen nicht nur in äußerlichem Ritterdienst für Frieden sorgen, sondern auf den jenseitigen Lohn hoffend auch den inneren Kampf aufnehmen.145 Daraus ist zu schließen, dass sich auch das anvisierte Publikum – nun seinerseits nur partiell – dem Vorbild des Ritterheiligen angleichen soll, womit auch hier ewiges Heil in Aussicht gestellt wird. Damit verbindet Alanus, ähnlich wie der Priester Konrad, mit dem Martyrium eine praktisch-ethische Dimension von compassio.146 Ähnliche Argumentationsmuster können mit der vorliegenden Miniatur und im weiteren Sinn auch mit den anderen Martyriumsdarstellungen in Verbindung gebracht werden. Auch an weiteren Miniaturen lassen sich Konzepte solch partieller Leidensangleichung belegen. Als Bindeglied zwischen dem Martyrium und der Passion Christi kann in einigen Miniaturen das Kreuz betrachtet werden: So zeigt das obere Festbild zum Monat Juni (fol. 4r; Abb. 8) die Kreuzigung Petri. Dabei erscheint der mit einem langem Gewand bekleidete Petrus im Viernageltypus ähnlich wie Christus als Gekreuzigter.147 Petrus wird hier der Tradition folgend mit dem Kopf zuunterst gekreuzigt. Eine ähnlich auf bestehenden Vorbildern beruhende Darstellung einer Passionsanalogie lässt sich auch im unteren Festbild der Novemberseite (fol. 6v; Abb. 9) feststellen, in dem Andreas von zwei Henkern gekreuzigt wird. Der Heilige hängt zwar aufrecht am rechtwinklig gestalteten Kreuz,148 wird aber im Gegensatz zu Christus nicht an dessen Balken genagelt, sondern mit Stricken daran gebunden.149 Mit diesen Passionsanalogien lässt sich keine eigens für diesen Kontext modifizierte Ikonographie nachweisen. Doch erhärtet sich in diesen, der traditionellen Ikonographie folgenden Abbildungen die Annahme, dass Überlieferung wie Bildtradition Konzepte der Leidensangleichung und Leidenspartizipation verwenden. 145 Ebd., Sp. 186 f. 146 Vgl. dazu auch meine Ausführungen zu den Miniaturen der Kalenderseite zum Monat März, Kap. 3.5.1, und zur Schlussminiatur des Psalters, Kap. 3.5.3. Vgl. auch Kap. 2.1. 147 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 136. 148 Dies stellt allerdings keinen Ausnahmefall dar. 149 Diese Darstellungen ad similitudinem Christi mögen ihre Grundlagen in Texttraditionen – Legenden und Heiligenviten – haben. Diese Bemerkung trifft auch für weitere Festbilder zu. Ein entsprechender Vergleich der Darstellung in Text und Bild würde sich daher zur differenzierten Beurteilung der Verfahren anbieten.

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Ähnliches geht aus dem oberen Festbild (fol. 2r; Abb. 10) zum Monat Februar hervor. Es zeigt das Leiden der Agatha, bildet also eine weibliche Passionsnachfolge Christi ab. Die Märtyrerin hängt, nur mit einem hellblauen Lendenschurz150 bekleidet, an einem Gerüst, an dessen Querbalken ihre Handgelenke mit Pflöcken befestigt wurden; weshalb ihre Arme in kreuzförmiger Haltung ausgestreckt sind.151 Es ist in Erwägung zu ziehen, dass Haltung und Lendenschurz noch im weitesten Sinn als eine weibliche Angleichung an die Kreuzigung Christi aufgefasst werden können, wenn ihr Körper auch frei vom Gerüst hängt. Rechts und links der Märtyrerin stehen zwei Henker, die Agathas bereits blutenden Oberkörper mit Rechen zerfleischen.152 Dieses Bildmotiv ist singulär, denn in dieser Epoche war üblicherweise eine spätere Szene der Folterung verbreitet, in der der Heiligen eine Brust abgeschnitten wird.153 Überdies ähnelt die vorliegende Leidensdarstellung jener der Margareta.154 In diesem Abweichen und Oszillieren zwischen verschiedenen Darstellungstypen und Traditionen tendiert Agatha, obwohl namentlich im nebenstehenden Kalender aufgeführt, in ihrer Identität zu einer größeren Unbestimmtheit. Ein vergleichbares Beispiel ist in der Predigt des Priesters Konrad präsent. In einer Aufzählung nennt er nämlich neben anderen Arten des Martyriums auch folgende: Sumelich wurden an den galgen, da *i uf gehangen wurden, mit y*inen crulin gecracet, das man in *i *ach.155 Konrads Schilderung steht im Plural, bleibt auf einer allgemeinen Ebene, ohne eine explizite Nennung bestimmter Heiliger. Der Schilderung wie der Miniatur, beiden haftet in ihrer mehr oder minder großen Unbestimmtheit ein überindividueller, paradigmatischer Charakter an. Ob beabsichtigt oder nicht: In dieser Offenheit regt die Darstellung der Agatha weniger zu ihrer Verehrung oder zur Identifikation mit den spezifischen Eigenschaften dieser Heiligen an, sondern bietet eher 150 Zu bemerken ist, dass Christus in den Kreuzigungsdarstellungen beider Psalterien immer mit einem blauen, jedoch etwas dunkleren Lendentuch dargestellt ist. Die Vergleichsdarstellungen in Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 127, weisen im übrigen kein solches Lendentuch auf. 151 Dies ist in den von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 127, Abb. 37 f., präsentierten Vergleichsdarstellungen nicht der Fall. 152 Vgl. dazu Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 126 f. Er ist der Ansicht, dass bei der Genese der Darstellung eine Verwechslung unterlaufen sei. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Vgl. Mertens, Predigtbuch, S. 267.

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den Anlass für eine allgemeinere Übertragungsleistung.156 Sie konnte Sophia daher in besonderem Maß als weibliches Vorbild für eine ethisch-praktische Deutung der eigenen Mühen des Lebens dienen. Insgesamt lässt sich für die Reihe der Martyriumsdarstellungen feststellen: Obwohl sämtliche Märtyrer in der Leidensnachfolge Christi stehen, ihre Darstellungen in vielen Fällen nicht konzeptionell abgewandelt wurden, sondern ‹nur› auf ikonographischen Konventionen beruhen, lassen sich im ‹Elisabethpsalter› Konzepte der Leidenspartizipation und Leidensangleichung nachweisen. Ihnen kann die Funktion der Anleitung zu einer praktisch-ethischen Aktualisierung zugemessen werden. Zu bemerken ist zudem, dass die Integration dieser hohen Anzahl von Leidensdarstellungen keinesfalls konventionell ist, ja sie fehlen auch im nur wenig später entstandenen ‹Landgrafenpsalter› an vergleichbarer Stelle. Sie sind deshalb als Charakteristikum des ‹Elisabethpsalters› zu bezeichnen. Sehr viel spezifischer als die vorangehenden Miniaturen wurden die Festbilder zum Monat März konzipiert (fol. 2v; Abb. 16). Sie zeigen Szenen aus der Passion Christi, von denen Appelle zu einer compassionalen Übertragung ausgehen. Das obere präsentiert die Kreuztragung Christi, in der interessanterweise zwei Frauen an die Stelle Simons treten.157 Der nach rechts schreitende Christus befindet sich in der Mitte. Er trägt das Kreuz über der Schulter und beugt sich unter dieser schweren Last, doch ist sein Blick nicht nach unten gesenkt, sondern nach ‹oben› gerichtet und bezeichnet somit seine Verbundenheit mit dem himmlischen Vater.158 Zudem kann der Blick Christi als Hinweis auf die Ausrichtung und das Ziel seines – die menschliche Sünde überwindenden – Leidens ‹gelesen› werden, das den Menschen den Weg zu ewiger Erlösung und himmlischer Herrlichkeit vermittelt. Die beiden Frauen tragen in dieser Miniatur das Kreuz mit, um Christus die Last zu erleichtern. Die rechts vorangehende Frau, stützt das untere Ende des Kreuzes. Sie ist nimbiert, weshalb in ihr eine Heilige, sehr wahrscheinlich Maria, gesehen werden kann.159 Die nachfolgende, nicht als 156 Eine ähnliche Offenheit konnte ja bereits in den ersten Versen des ‹Planctus ante nescia› festgestellt werden. Vgl. Kap. 2.3. 157 Vgl. Mt 27,32; Mc 15,21; Lc 23,26. Dort ist es Simon, der beim Tragen des Kreuzes nach Golgotha hilft. 158 Es ist daran zu erinnern, dass Gottvater in der Darstellung des ebenfalls nach oben blickenden Stephanus durch die Hand repräsentiert ist. 159 Vgl. Barbara Wilk, Die Darstellung der Kreuztragung Christi und verwandter Szenen bis um 1300, Phil. Diss. Tübingen 1969, S. 178 f., S. 229; vgl. Gude

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Heilige ausgezeichnete Frau hält mit beiden Händen das obere Stammende.160 Das Kreuz wird dabei zum vermittelnden Objekt zwischen den Frauen und Christus. Durch Christus – dies scheint der Blick anzudeuten – besteht überdies die Verbindung zum Vater. Die Partizipation an diesem Leiden hier und jetzt in der Kreuztragung lässt somit die Teilhabe an dem durch Christus vermittelten Heil erwarten. Die Miniatur scheint spezifisch für diese Handschrift und ihre Nutzung im landgräflichen Kontext konzipiert worden zu sein, denn das Mittragen des Kreuzes durch die Frauen ist einzigartig unter den zeitgenössischen Darstellungen.161 Im Vergleich zur sonst überlieferten «verehrenden Berührung»162 ist hier die Nähe zu Christus «viel stärker betont».163 Singulär ist auch die Anordnung der Frauen vor und hinter dem Kreuz.164 Aufgrund ihrer Konzeption kann diese Miniatur als Aufruf zur Nachfolge aufgefasst werden. Trifft nämlich für diesen Darstellungstyp allgemein die Aufforderung nach Mk 8,34, Lk 9,23, Mt 16,24 zu,165 im Sinn des sequi das Kreuz mitzutragen, so gilt dies im Grunde genommen als Pflicht eines jeden Christen. Werden alle Christen mit dieser Aufforderung angesprochen, dann auch die Betrachter dieser Miniatur. Dies lässt sich jedoch noch ausdifferenzieren, denn nicht nur die Christusnachfolge allgemein wird im Mittragen des Kreuzes thematisiert, sondern es handelt sich hier um die Verbildlichung einer Form weiblicher Nachfolge. Berücksichtigt man zusätzlich die Bewegungsrichtung der Kreuztragenden, so folgt die hintere Frau nicht nur Christus, sondern auch

160 161 162 163 164 165

Suckale-Redlefsen, Zwei Bilderpsalter aus dem frühen 13. Jahrhundert, in: The Illuminated Psalter. Studies in the Content, Purpose and Placement of its Images, ed. by Frank O. Büttner, Turnhout 2005, S. 249–258 (mit Bildanhang), hier: 251. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 128 ff., weist darauf hin, dass sie keine Ordensangehörige darstellt. Vgl. Kroos, Hl. Elisabeth, S. 183, Anm. 49. So die vergleichenden Beobachtungen von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 128 ff. Ebd., S. 130. Ebd. Ebd. Vgl. Kap. 2.1. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 155 f., deutet die Miniatur im Hinblick auf die Kreuzzugsbewegung und die Aufforderung der Frau, das Kreuz ihres Mannes mitzutragen. Dies ist ein wichtiger Hinweis, stellt allerdings eine Einengung auf eine spezifische Form der Leidensnachfolge dar.

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ihrem weiblichen Vorbild nach.166 Die voranschreitende Heilige kann hier deshalb als exemplum aufgefasst werden, das die hintere Frau tatkräftig umsetzt. Letztere birgt, gerade weil sie nicht als Heilige ausgezeichnet wurde, das Angebot, sich mit ihr zu identifizieren und vermittelt den Aufruf, ihre Handlung nachzuvollziehen. Es tritt zu diesen Appellen zur Leidenspartizipation und Leidensangleichung ein weiterer Aspekt hinzu. Die Miniatur kann auch insofern als Appell an die Rezipienten verstanden werden, als der Blick aus dem Bild herausgerichtet ist und jenem des betrachtenden Rezipienten ‹begegnet›.167 Auch dies kann zusammen mit den erwähnten Aspekten als Ermunterung zur compassio verstanden werden. Die Miniatur verrät dann in ihrer Konzeption die Nutzung mehrerer Strategien, eine Aufforderung zur Leidenspartizipation an die Besitzerin und Betrachterin des Psalters zu richten. In diesem appellativen Charakter scheinen auch Parallelen zu den Aufrufen der Marienklagen auf.168 Wie aber soll die Kreuztragung als Vorbild verstanden werden? Der Kontext legt nahe, dass diese Miniatur zu einer Identifikation mit der Kreuztragenden und zu einer übertragenden Nachahmung im individuellen, höfischen Lebenskontext der Rezipientin auffordert. Deren Konkretisierung ist als freudige und geduldige Annahme der wie auch immer gearteten höfischen Leiderfahrungen im Hinblick auf den himmlischen Lohn vorstellbar.169 Von besonderer Bedeutung erscheint in diesem Zusammenhang, dass die handelnde Heilige der oberen Darstellung eine Verbindung zu Maria in der unteren Miniatur besitzt. Beide Festbilder sind nämlich insofern kompositorisch aufeinander bezogen,170 als oben wie 166 Dies entspricht der Relation zwischen Gläubigem und Märtyrer in Konrads Märtyrerpredigt, s. o. 167 So jetzt auch Suckale-Redlefsen, Bilderpsalter, S. 251. 168 Dort ergeht, wie bereits beschrieben, im jeweiligen Schlussteil der Appell zur compassio an das implizite Publikum. Vgl. auch Kraß, Stabat Mater, S. 122. 169 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 156 f. Er deutet dieses Modell als Appell zur weiblichen Unterstützung der Kreuzzüge. Diese Verbindung erscheint mir plausibel, doch bedeutet eine solche Unterstützung wohl nur eine denkbare Form der Leidensnachfolge und Leidenspartizipation. Denn das in der Miniatur der Kreuztragung präsente Konzept eröffnet sicherlich zahlreiche Konkretisierungsmöglichkeiten. 170 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 130. Dieser kompositorische Bezug ist nicht einzigartig: Auch die Darstellungen der Martyrien von Johannes und Paulus auf fol. 3v und 4r, wie die des Laurentius und Bartholomäus (fol. 5r), sind laut Wolter-von dem Knesebeck aufeinander abgestimmt. Ebd., S. 152.

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unten das Kreuz der Passion Christi das Zentrum der jeweiligen Miniatur bildet.171 In der untenstehenden Kreuzigung ist Christus ähnlich wie auf der Einbandvorderseite im Viernageltypus mit zur Seite gesunkenem Kopf, geschlossenen Augen und blutender Seitenwunde als Toter gekennzeichnet.172 Das Kreuz überschneidet, geradezu eine Aufwärtsbewegung suggerierend,173 an seinen oberen drei Enden den die Miniatur begrenzenden blauen Rahmen. Maria und Johannes stehen trauernd zu beiden Seiten des Kreuzes und stützen ihre Wange in die Christus jeweils zugewandte Hand. Der compassionale Gestus beider Assistenzfiguren ähnelt dabei jenem der Miniatur der Kreuzabnahme auf fol. 11r (Abb. 11) im ‹Elisabethpsalter›.174 Da wie erwähnt die Assistenzfiguren und besonders Maria als Vorbilder affektiver Passionspartizipation aufgefasst werden dürfen, kann das untere Festbild der Kalenderseite als Verbildlichung und Vorbild einer spirituell-affektiven Leidensteilhabe am Tod Christi gedeutet werden.175 Maria ist in diesem Bedeutungszusammenhang allerdings ganz besonders dazu geeignet, den Appell zum inneren Mitleiden mit Christus zu vermitteln. Überdies ist es auch möglich, die affektiv in das Leiden Christi Implizierte als Objekt der Verehrung zu betrachten. Über diese beiden Festbilder zum Monat März können dann die beiden Seiten des Menschen, die innere und die äußere, mit dem Kreuz Christi in einen Zusammenhang gebracht werden. Wie Alanus in seiner Predigtvorlage die zwei Schwerter des körperlichen und des spirituellen Kampfs unterscheidet, so kann hier eine Distinktion zwischen äußerer und innerer sowie praktisch-ethischer und affektiver compassio festgestellt werden.176

171 172 173 174

Ebd., S. 130. Ebd. Diese ‹Bewegung› folgt dann dem Blick Christi in der oberen Miniatur. Auch im ‹Landgrafenpsalter› findet sich eine Parallele in der Kreuzigung auf fol. 73v. Dort ist Johannes in ähnlicher Trauerhaltung dargestellt. 175 Zum ‹Planctus ante nescia› und dem ‹Quis dabit-Traktat› vgl. Kap. 2.3. Vgl. Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 730, vgl. Fulton, Judgement. Vgl. dazu Schiller, Passion, S. 21. Vgl. auch Köpf, Passionsfrömmigkeit, S. 729. 176 Ebd.

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3.5.2 Facetten von compassio im Hauptteil des Psalters Dem Psalmenteil wurde zusätzlich ein thematisch in sich abgeschlossener biblischer Miniaturenzyklus zum Leben Jesu vorangestellt, der sich von der eigentlichen Psalterillustration unterscheidet.177 Er wertet diesen Codex in seinem Status noch zusätzlich auf178 und bildet das früheste Beispiel eines solchen thematisch abgeschlossenen Miniaturenzyklus in Handschriften dieser Region.179 Er besteht aus zweiregistrigen Miniaturen, die auf sechs einander gegenüberliegenden Seiten (fol. 8v–13r) angeordnet wurden.180 Die rückwärtigen Doppelseiten blieben aus technischen Gründen zunächst frei,181 doch wurden dort noch vor der endgültigen Bindung des Codex für Sophia weitere Gebetstexte nachgetragen.182 So ergeben sich drei thematisch zusammenhängende Bildkomplexe:183 Der erste reicht von der Verkündigung an Maria bis zur Taufe Christi, dem Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu. Der zweite ist der Passion Christi vom Einzug Jesu in Jerusalem bis zur Grablegung gewidmet und der dritte verbildlicht Auferstehung und Höllenfahrt Christi, Himmelfahrt und Pfingsten. Es entstand so ein Zyklus, der die zentralen Glaubensgrundlagen veranschaulicht und gleichzeitig, wie schon die Festbilder des Kalenderteils 177 Vgl. Philippe Büttner, Bilderzyklen in englischen und französischen Psalterhandschriften des 12. und 13. Jahrhunderts: Visuelle Realisationen persönlich gefärbter Heilsgeschichte?, in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst (FS Beat Brenk), hg. von Hans-Rudolf Meier (u. a.), Berlin 1995, S. 131–154, hier: 131. 178 Vgl. ebd., S. 131. In Frankreich und England war diese Ausstattung nämlich «charakteristisch für Luxuspsalterien, die für den Gebrauch hochgestellter Persönlichkeiten weltlichen und geistlichen Stands bestimmt waren». 179 So Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 158 und 330. Es ist ungewiss, ob auch der ‹Landgrafenpsalter› einen solchen Miniaturenvorspann aufgewiesen hat, der dann vielleicht Motive aus dem Leben Jesu umfasst haben könnte. Vgl. dazu Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart 2,1, beschrieben von Helmut Boese (Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart. 2. Reihe, 2/1), Wiesbaden 1975, S. 27; vgl. Heinzer, Äußeres, Inhalt und Geschichte der Handschrift, S. 3. 180 Er umfasst damit die zweite Lage des Codex. 181 Dadurch wurde ein Durchschlagen der Farben auf die nächste Miniaturenseite verhindert. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 158. 182 Die Inhalte der nachgetragenen Gebete werden hier nur punktuell zur Analyse hinzugezogen. 183 Vgl. die detaillierten Angaben zur Anordnung in Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 158.

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zu den Monaten Dezember, März und April, an die Festzyklen des Kirchenjahres, nämlich an Weihnachten, die Karwoche und die Osterzeit erinnert.184 Darüber hinaus setzt dieser Miniaturenzyklus den christologischen Gehalt der Psalmen ins Bild.185 Dieser Abschnitt besitzt daher innerhalb der Handschrift eine Art Scharnierfunktion zwischen dem vorangehenden Kalender und den nachfolgenden Psalmen. In der zweiregistrigen Miniatur auf fol. 11r (Abb. 11) ist erneut Marias Partizipation am Leiden und Tod Christi präsent. Im oberen Register ist die Kreuzabnahme Christi zu sehen. Zur Rechten Christi steht Maria, die auf Christus blickend ihre Wange trauernd in die linke Hand stützt,186 mit ihrer Rechten jedoch die bereits vom Kreuz abgenommene, herabhängende und durchbohrte rechte Hand Christi ergreift.187 Während seine Füße und seine linke Hand noch an das Kreuz geheftet sind, ist sein Körper Maria zugewandt. Mutter und Sohn stehen auch über die Berührung der Hände in einem direkten Kontakt. Die Komposition deutet daher Marias privilegierte Relation zu Christus und ihre besonders intensive Leidenspartizipation und Leidensangleichung an. Neben ihr umfasst Joseph von Arimathäa Christus an der Taille, um ihn vom Kreuz zu nehmen. Die Heiligkeit des ‹Corpus Christi› andeutend, hat er, ohne ihn direkt zu berühren, einen Teil des mitgebrachten Leinens um den Leib des Gekreuzigten gelegt.188 Auf der anderen Seite des Kreuzes umfasst ein Helfer den linken Arm Christi, um 184 Ebd., S. 199. Vgl. zum Interesse am Leben Jesu auch die sehr früh entstehenden volkssprachigen Bibeldichtungen, wie beispielsweise das ‹Leben Jesu› der Frau Ava, in: Die Dichtungen der Frau Ava; von einem ähnlichen Interesse zeugt auch die Verbindung von Höfischem und Weltlichem im Codex Sangallensis 857, der allerdings erst im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts entstand, und der neben einer Sammlung höfischer Epen, wie dem ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach, dem Nibelungenlied und der Klage sowie Strickers ‹Karl› auch die ‹Kindheit Jesu› Konrads von Fußesbrunnen und ‹Unser vrouwen hinvart› von Konrad von Heimesfurt enthalten hat; dazu insbes. Bernd Schirok, Der Codex St. Gallensis 857. Überlegungen und Beobachtungen zur Frage des Sammelprogramms und der Textabfolge, in: ‹Ist mir getroumet mıˆn leben›. Vom Träumen und vom Anderssein (FS Karl-Ernst Geith), hg. von Andre´ Schnyder (u. a.) (GAG 632), Göppingen 1998, S. 111– 126. 185 Siehe oben Kap. 3.4. 186 Vgl. auch die vornehmlich komparatistische Analyse von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 177–181. 187 Wie meist üblich. 188 Vgl. Mt 27,57–61; Mc 15,42–47; Lc 23,50–56; Io 19,38–42.

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mit einer Zange den Nagel der linken Hand zu entfernen. Er ist auf einen Schemel gestiegen und, vielleicht aufgrund seiner untergeordneten Funktion, kleiner als die anderen Umstehenden dargestellt.189 Daneben steht am rechten Bildrand Johannes – auch er im Trauergestus. Der Prophet in der Rahmenausbuchtung der Miniatur trägt ein Spruchband in der linken Hand, das geschwungen in die Mitte der Miniatur weist: Videbunt in quem transfixeru(n)t.190 Die Miniatur des unteren Registers zeigt die Grablegung Christi. Zwei Männer, Joseph von Arimathäa und Nikodemus, legen den in ein blaues Tuch gehüllten Leichnam Christi in einen Sarkophag.191 Dahinter stehen, leicht nach vorn gebeugt, Maria und Johannes. Beide haben ihre Wangen trauernd in die mit ihren Gewändern verhüllten Hände gelegt. Wie im oberen Register sind hier die Trauer und der Schmerz der Mutter Christi wie auch des Lieblingsjüngers Johannes präsent. Aus Wolken über ihnen schweben zwei Engel, Weihrauchfässer schwenkend, herab. Der Prophet Esayas in der Ausbuchtung des rechten Bildrandes verkündet über das Spruchband: Et erit sepulcru(m) ei(us) gl(ori)osum.192 Mit der Kreuztragung, der Kreuzigung und der Grablegung im Kalenderteil und den Passionsdarstellungen des Miniaturenvorspanns bietet der Psalter insgesamt eine ausführliche Bildfolge zu Christi Passion. Maria ist in vielen Abbildungen als affektiv mit ihrem Sohn Mitleidende präsent, und vermittelt so Konzepte vorbildlichen Mittrauerns und Mitleidens. Ähnliche Aspekte können auch innerhalb des Illuminationsprogramms des eigentlichen Psalmenteils belegt werden. Für diesen Abschnitt wurden bei der Konzeption des Psalters Darstellungen sowohl aus dem Alten wie aus dem Neuen Testament ausgewählt. Formal weichen sie voneinander ab: Der Psalmenteil enthält nämlich insgesamt sechs ganzseitige und drei halbseitige Miniaturen sowie zwei halbseitige historisierte Initialen, womit zusätzlich mehr Variationen in der Form und eine größere Anzahl an Bild189 Vgl. Io 19,39; vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 177 ff., den Helfer als Nikodemus identifiziert. Zu überlegen ist jedoch, ob nicht die geringere Größe des Dargestellten auf seine untergeordnete Stellung als Helfer zurückzuführen ist. Letztere könnte ebenfalls durch die Kleidung angedeutet sein. Vgl. dazu die Armen auf fol. 173r (Abb. 19). 190 Vgl. Io 19,37. 191 Siehe Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 181. 192 Vgl. ebd., S. 341. Der Text folgt genau Is 11,10. Vgl. dazu auch den Abschnitt zum ‹Quis dabit-Traktat›, Kap. 2.3.

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themen als im ‹Landgrafenpsalter› feststellbar sind. So finden sich im ‹Elisabethpsalter› zusätzlich zu Beginn von Ps 113, 136 und 150 Miniaturen.193 Die Miniaturen des Psalmenteils folgen im ‹Elisabethpsalter› meist einem ‹assoziativen› bzw. ‹symbolisch-typologischen›, seltener einem ‹historischen› Verständnis der Psalmeninitien.194 In dieser Umsetzung des Textes erscheinen die zentralen Personen der Miniaturen als Sprecher des Psalms. Sie zeichnen sich in ihrer angemessenen Rede als Auserwählte Gottes aus, denen eine Vorbildfunktion zukommt195 und werden häufig jenen gegenübergestellt, die sich in ihren Verfehlungen von Gott entfernen bzw. Böses tun.196 Die Psalmenillustrationen erhalten durch dieses Verfahren auch eine kommentierende, appellierende Funktion, weshalb sie insofern auch als eine Art ‹Gebetsanweisung› gelten können. Wenn die vorbildlichen, den Psalmtext ‹interpretierenden› Auserwählten dieser Miniaturen zur Identifikation und Nachahmung einladen, dann ist überdies zu überlegen, ob hier nicht Analogien zu den Psalmenkommentaren vorliegen. Zu erinnern ist, dass Augustinus, Petrus Lombardus und Honorius Augustodunensis einen Nachvollzug der Psalmen in einer Haltung der imitatio und conformatio an die Inhalte empfahlen, und Gerhoch in ausführlicher Weise auch die Angleichung an die dort präsenten Affekte forderte.197 Die Rezeption der Psalmen war somit als erfahrungsbezogener Nachvollzug vorgesehen. Es stellt sich also die Frage, inwiefern auch die Miniaturen dieses Erfahrungspotential bezüglich des Leidens spiegeln und vermitteln. Um ihr nachgehen zu können, sind bei der Analyse der das Leiden darstellenden Miniaturen neben den eigentlichen Inhalten auch drei unterschiedliche Arten von Relationen mitzuberücksichtigen: einerseits jene zwischen Text und Bild, zu193 Wolter-von dem Knesebeck vermutet, dass die Anzahl der Miniaturen auch deshalb so hoch ist, weil eine Zäsur in der Ausstattung vermieden werden sollte; vgl. ebd., S. 204 f. 194 Ebd., S. 200; vgl. auch S. 246. Vgl. dazu schon Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 38: Die Voranstellung eines Proömiums vor den Psalmenteil und die Vermeidung von Bildwiederholungen habe den Maler bzw. den Konzeptor «gezwungen, andere Scenen einzufügen, und dass er dieselben mit Bezugnahme auf den Text auswählte, ist nicht wohl zu bezweifeln.» 195 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalters, S. 246 f. 196 Ebd. Vergleichbare Oppositionen sind auch in den bereits beschriebenen Festbildern des Kalenderteils präsent, in denen die Henker den Märtyrern gegenübergestellt werden. 197 Vgl. die Kap. 2.4 und 3.3.

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dem jene zwischen den interagierenden Personen der Darstellungen und schließlich die in den Miniaturen angelegten Beziehungen zwischen Bild und implizitem Publikum. Besondere Aufmerksamkeit gilt denjenigen Miniaturen dieses Teils, die das Leiden thematisieren.198 Ps 26 beginnt mit einem Ruf um innere Erleuchtung, Dominus illuminatio mea / (et) salus mea quem timebo, der in der Miniatur auf fol. 34r (Abb. 12) in einer halbseitigen historisierten Initiale D(ominus) in typologisch-assoziativem Verfahren umgesetzt wurde. In das Innere der aus buntem Flechtwerk geformten Initiale wurde die Heilung des Blindgeborenen (Io 9,1–41) gemalt.199 In der Mitte ist Jesus abgebildet, der in seiner linken Hand eine weiße Schriftrolle trägt.200 Christus neigt sich in der Miniatur nach rechts und berührt mit seinem Zeigefinger heilend das Auge des Blindgeborenen, der noch mit geschlossenen Augen dargestellt ist. Die Text-Bild-Relation zeigt hier, dass dem Blindgeborenen die Worte des Psalms «unmittelbar in den Mund gelegt werden»201 können. Der Blinde ‹interpretiert› somit das Psalminitium und wird gleichzeitig zum exemplum. Letztere Funktion ist bereits im Evangelium vorgebildet, denn dort wird der sündlos Blinde (vgl. Io 9,2 f.) nicht nur zum Werkzeug der Verherrlichung Gottes (Io 9,3), sondern es dient seine Heilung als exemplum zur Erklärung des Gegensatzes von faktischer Blindheit und geistiger Blindheit im Glauben (vgl. Io 9,39 ff.). Wahres Leiden ist dann nicht das weltliche Leiden, sondern die Blindheit vor Gott. Der sich zu Christus bekennende Blindgeborene kann so zum Paradigma für jene werden, die an Christus glauben und ihn ‹sehen› möchten, weshalb ihnen der Weg zur Erlösung offen steht. Die hier präsente Bitte um Erleuchtung hat daher für alle Christen Gültigkeit, weshalb von dieser Text-Bild-Komposition auch ein Appell zum Nachvollzug an den potentiellen Leser und Betrachter ausgeht. Dies bedeutet dann eine vergleichbare individuelle Bitte um Erleuchtung, um Heilung vom Leiden geistiger Blindheit, um die Zuwendung Christi und seines Vaters. 198 Vgl. Tabelle 2 im Anhang. 199 Vgl. ähnlich auch die Beschreibung von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 217–220. Vgl. die Zuschreibung zu dieser Perikope ebd., S. 218. Er argumentiert, dass dies die einzige Blindenheilung des Neuen Testaments sei, bei der Jesus die Augen des Blinden berühre. 200 Es ist kaum zu entscheiden, ob damit ein Bezug zum Wort Christi der Perikope, dem Evangelium im allgemeinen oder dem Psalm hergestellt wird. 201 So Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 200 und Anm. 9.

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Das Thema des Leidens ist auch in der halbseitigen historisierten Initiale D(ixi) auf fol. 47r (Abb. 13) zu Beginn von Ps 38, Dixi custodiam / vias meas ut non delinqua(m) in lingua / mea, präsent. Dargestellt ist Hiob, Paradigma für das geduldig ertragene Leiden. In der Miniatur liegt der Leidende, von Schwären übersät, in der Mitte des Bildes auf einer braunen Unterlage, deren Farbe an den Misthaufen erinnert (sedens in sterquilinio, Iob 2,8).202 Der Text seines Spruchbands gibt den Grund dieses Elends an und ist zugleich ein Aufruf zum Mitleid der Freunde: Miseremini mei. amici mei q(ui)a man(us) d(e)i t(etigit) me (Iob 19,21). Den exemplarischen Frommen hat die Hand Gottes mit Leid geschlagen, um ihn im Glauben zu prüfen. Daher hat Hiob Besitz, Familie und Gesundheit verloren. Links von ihm steht seine Frau, die trauernd ihre linke Hand zur Wange geführt hat. Ihre Worte weichen jedoch von dieser Mitleidshaltung ab. Sie hält nämlich in ihrer rechten Hand ein Spruchband, mit dem sie Hiob zur Absage an Gott ermuntert: benedic deo et morere (Iob 2,9). Doch er reagiert standhaft auf ihre Aufforderung, verharrt in seinem Glauben und versündigt sich nicht in Worten. Die biblische Erzählung vermittelt nämlich: in omnibus his non peccavit Iob labiis suis (Iob 2,10). Dies korrespondiert mit dem unterhalb der Miniatur beginnenden Psalmtext ut non delinqua(m) in lingua / mea. In der Miniatur kehrt Hiob seiner Frau noch das Gesicht zu, doch blickt er abweisend von ihr fort, hin zu den rechts sitzenden drei Freunden, denen die Inschrift seines Spruchbands gilt. Der Leidende ruft die Freunde um Mitleid an, das sie ihm im biblischen Text tatsächlich zunächst erweisen. Denn als sie bei ihm eintreffen, erkennen sie ihn nicht wieder, schreien laut auf, zerreißen ihre Gewänder und streuen Asche auf ihr Haupt. Sieben Tage und Nächte trauern sie schweigend mit Hiob (Iob 2,11 ff.). Doch die falsche Einstellung der Freunde wird deutlich, als sie ihr Schweigen aufgeben und den Dialog mit Hiob aufnehmen. Der Beginn des Dialogs ist auf der rechten Seite der Miniatur präsent, denn die zwei vorn sitzenden Freunde haben die Hand bereits im Redegestus erhoben. Sie werden aufgrund ihrer falschen Reden am Schluss des biblischen Buchs von Gott ins Unrecht gesetzt und gerügt, Hiob hingegen für sein rechtes Reden gelobt.203 Auch ihr Verhalten korrespondiert mit der Problematik des Redens mit dem Beginn von Ps 38.204 Allein der vorbild202 Vgl. zu Vorbildern und Traditionen dieser Miniatur auch die Beschreibung von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 220 f. 203 Neque enim locuti estis ad me recta sicut servus meus Iob (Iob 42,8). 204 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 220 f.

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liche Hiob wahrt in seinem geduldig getragenen Leiden und seiner beständigen Ausrichtung auf Gott nicht nur die rechte Haltung, sondern führt auch die angemessene Rede. Deshalb erhält er am Ende der Erzählung seinen Lohn: Gott mehrt Hiobs weltliches Gut auf das Doppelte dessen, das er vormals besaß. Innerhalb der Miniatur findet der erste Vers des Psalms in der Person Hiobs seine Verbildlichung, weshalb auch diese Miniatur eine Umsetzung des Psalminitiums ist.205 Doch kann diese Miniatur, über ihre Funktion als Illustration des Psalminitiums hinaus, wie angedeutet, auch Konzepte der compassio vermitteln. Denn die Schrift des Spruchbands beinhaltet eine Aufforderung zum Mitleid, das als affektive compassio bezeichnet werden kann. Als ein Beispiel für ein solches Verständnis kann ein Traktat von Petrus von Blois gelten. Er beschrieb in einer dem englischen König Heinrich II. (1133–1189) gewidmeten Hiob-Exegese die Funktion der Freunde als Tröster. Petrus bewertete das Verhalten der Freunde bei ihrer Ankunft positiv, drücken die drei Freunde doch zunächst mit ihrem Schweigen, Weinen und Mitleiden angesichts all dieser Leiden den angemessenen (oportet) Affekt aus (compassionis affectum).206 Fungiert die Miniatur vornehmlich als Vorbild für das ‹Hüten der Zunge›, so steht dies auch innerhalb der Tradition, Hiob als geduldig Leidenden zu charakterisieren. Weil Hiobs Leiden ihren Grund in Gott haben und auf ihn ausgerichtet sind, handelt es sich im weitesten Sinn um eine Form praktisch-ethischer compassio. Ähnlich schließt sich Petrus an solche Traditionen an, wenn er Hiob als exemplum für die Gläubigen deutet. Wie der 205 Vgl. auch Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 389: Monet hic psalmus inter blasphemos et iniquos linguae continentiam servare, certamina et rixas comprimere. 206 Vgl. den Prolog von Petrus Blesensis, Compendium in Iob, Sp. 795. In Sp. 820 erklärt er die Anwesenheit der drei Freunde: Venientes autem ad consolationem amici, elevantes oculos exclamant et plorant, sparguntque pulverem super caput in coelum, et sedentes cum eo septem diebus et septem noctibus non loquuntur ei verbum, exhibentes in omnibus doloris faciem et compassionis affectum. Ad hoc enim, ut consolatio afflictorum dolorem relevet, flere cum flentibus, et dolentibus condolere oportet. Septem diebus continue tacent, postmodum multiloquio affluentes. In quo notatur, quid hi plerumque qui tardius loquuntur, ex quo incipiunt, verbis finem imponere non noverunt. Quia sicut quidam sapiens dicit: «Censura silentii nutritura est verbi.» Quidam per amicos Job, qui eum incitant ad peccandum, intelligere volunt vanas cogitationes nostras, carnis desideria et illecebras hujus mundi.

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Priester Konrad weist er überdies darauf hin, dass die in der Welt zu ertragenden Leiden gering sind gegenüber dem dafür verheißenen ewigen Lohn (vgl. Rm 8,18).207 Petrus folgt in seiner Übertragung weiteren Traditionen, die seit der Patristik relevant waren. Denn spätestens seit Gregor dem Großen konnte Hiob als Präfiguration Christi aufgefasst werden, zudem wurde die Erzählung allegorisch gedeutet.208 Die vorliegende Miniatur bietet vergleichbare typologische Signale. Hier kann das blaue Lendentuch des von Schwären Übersäten als Angleichung an Christus gedeutet werden.209 Auch die Bildsprache deutet in diese Richtung, denn der Mitleidsgestus von Hiobs Frau – nicht ihre Rede – weist Ähnlichkeiten mit den Assistenzfiguren der Passionsdarstellungen auf. Dies sind Anhaltspunkte dafür, dass im hier dargestellten Hiob auch der leidende Christus präsent ist. Das dargestellte Leiden, das zu einer praktisch-ethischen und affektiven 207 Vgl. Petrus von Blois, Compendium in Iob, Sp. 825: Nihil moleste potest sustineri in hac morte vitali, quod coelestibus gaudiis ex aequo respondere sufficiat. Non enim sunt condignae passiones hujus saeculi ad futuram gloriam, quae revelabitur in nobis. 208 Gregor legte mit den ‹Moralia in Iob› einen sehr umfangreichen Kommentar zum Buch Hiob vor, in dem er die Person des Hiob auch typologisch auf Christus hin deutete und die Hiob-Erzählung nach dem allegorischen Schriftsinn erklärte. Vgl. Gregorius Magnus, Moralia in Iob, Bd 1–3, hg. von Marc Adriaen (CCSL 143), hier: Bd. 1, Praefatio 6,13, S. 18 f. Die mittelalterliche Kunst erneuert diese schon in der antiken Kunst präsente typologische Tradition vergleichsweise spät. Typologische Darstellungen Hiobs finden sich ab dem 12. Jahrhundert, wie in der auf 1170–1185 datierten, dem RegensburgPrüfeninger Skriptorium zugewiesenen Handschrift Clm 14159, vgl. Albert Boeckler, Miniaturen aus Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Die Regensburg Prüfeninger Buchmalerei des XII. und XIII. Jahrhunderts, München 1924, Abb. 36 (mit Kommentar), und Elisabeth Klemm, Die romanischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek I, Wiesbaden 1980, S. 37. Hiob erscheint ab dem 13. Jahrhundert auch als spezifische Präfiguration des gegeißelten Christus. So ordnen die Gewölbefresken von St. Maria Lyskirchen, 13. Jahrhundert, Köln, Hiob dem Gegeißelten zu. Vgl. Schiller, Passion, S. 78, und Gerd von der Osten, Job and Christ, in: Warburg Journal 16 (1952/53), S. 153–158, hier: 156 f. Eine neuere übergreifende Gesamtdarstellung zur Hiob-Ikonographie bietet Samuel Terrien, The Iconography of Job through the Centuries. Artists as Biblical Interpreters, Pennsylvania 1996. 209 Es wird kein Zufall sein, dass Christus in sämtlichen Kreuzigungsdarstellungen dieses Psalters wie auch in der Schwesterhandschrift, dem ‹Landgrafenpsalter›, ein gleichfarbiges trägt. Vgl. auch die Darstellung der Agatha im Kalenderteil.

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Angleichung und Partizipation anregen soll, ist dann auch ein Leiden mit Christus. Festzuhalten ist deshalb: Über die Funktion der Miniatur als Initienillustration hinaus, die vorbildhaft das ‹Hüten der Zunge› vorführt, ergeben sich aus der Wahl des Motivs und dessen Ausgestaltung zusätzlich appellative Aspekte von compassio. So scheint in Hiobs Leidenshaltung eine praktisch-ethische Form auf, ergeht über das an die Freunde gerichtete Spruchband auch eine Forderung zu affektiver compassio. Beide Formen können aufgrund der typologischen Signale der Miniatur auf die Passion Christi bezogen werden. Die mit der Hiob-Erzählung verbundene LeidLohn-Korrelation richtet sich nach ‹literaler› Lesart primär auf weltliche Güter und ist – wie aus dem Beispiel des Hiob-Traktats hervorgeht – erst in einer allegorisch-anagogischen Auslegung auch auf den ewigen Lohn beziehbar. Die seitenfüllende, zweiregistrige Miniatur auf fol. 132v (Abb. 14) zeigt das Bildthema des Lazarus von Bethanien und lässt sich auf das Johannesevangelium zurückführen (vgl. Io 11). Sie illustriert210 den ersten Gradualpsalm211 119, der mit den Worten212 Ad D(o)m(i)n(um) cum tribularer clama-/ vi (et) exaudivit me beginnt.213 Die der Miniatur entsprechende Perikope aus dem Johannesevangelium berichtet, wie die Schwestern Maria und Martha Jesus eine Nachricht zukommen lassen, dass sein Freund Lazarus krank sei. Ähnlich wie bei der Blindenheilung antwortet er, dass Lazarus’ Krankheit nicht zum Tod führen, sondern der Verherrlichung Gottes und des Gottessohnes dienen werde: sed pro gloria Dei / ut glorificetur Filius Dei per eam (Io 11,4).214 Jesus bleibt noch zwei Tage an dem Ort, an dem er sich aufhält, und bricht erst dann nach Bethanien auf. Als er dort eintrifft, liegt Lazarus bereits seit vier Tagen im Grab. 210 Der weitere Psalmtext (Ps 119,2–7) scheint keinen Bezug zur Miniatur aufzuweisen. Das entspricht weitgehend dem von Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 38 f., beschriebenen Illustrationsprinzip; vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 200–206. 211 Der Psalm ist in der Handschrift zu Beginn des Psalmtextes als solcher ausgewiesen. 212 Vgl. den Text auf fol. 133r. 213 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 240 f., der diese Miniatur als Vorbild für eine rechte Gebetshaltung deutet. Er bietet auch einen Vergleich mit Vorbildern und dem evt. Zusammenhang mit dem Totenoffizium. Vgl. auch Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 120, und Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 39. 214 Die ähnliche Aussage bei der Blindenheilung (Io 9,3) mag auf die johanneische Konzeption der Wunder Jesu zurückzuführen sein.

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Die Miniatur des Elisabethpsalters stellt zwei Schlüsselszenen aus den Ereignissen in Bethanien dar. Im oberen Register steht Jesus, von zwei Jüngern begleitet, in der Mitte der Miniatur. Er hat seine rechte Hand im Redegestus erhoben, seine linke hält ein Spruchband mit der Inschrift: Ubi posuistis eum? Eamus illuc. (Io 11,34).215 In der Bildmitte haben sich die beiden Schwestern, Maria und Martha (maria et mar/ta sorores216) ihm flehend zu Füßen geworfen.217 Die vordere der beiden Frauen liegt vor Christus auf dem Boden, die hintere kniet, hat ihre Hände im Bittgestus erhoben und berührt mit ihren Händen das Gewand Jesu.218 Am rechten Bildrand sind drei mit spitz zulaufenden Hüten als Juden gekennzeichnete Personen dargestellt. Zwei von ihnen haben die Hand in Richtung Christus ausgestreckt. Ihre Anwesenheit wie auch die Aufschrift des Spruchbands lassen darauf schließen, dass hier jener Teil der biblischen Erzählung abgebildet ist, in der Jesus innerlich berührt ist. Der Anblick der Trauernden lässt ihn erschauern (fremuit spiritu et turbavit se ipsum; Io 11,33 f.) und er weint mit den Weinenden (lacrimatus est Iesus; Io 11,35). Das in der Miniatur des oberen Registers dargestellte Geschehen bietet die Motivation zur unten präsenten Handlung, der Erweckung des Lazarus. Dargestellt ist die Szene, in der Jesus die Augen hebt, betet und seinem Vater dankt, dass er ihn erhört hat.219 Jesus, von dessen linker Hand ein Spruchband ausgeht, ruft dann Lazarus aus seinem Grab: Lazare veni foras. 215 Der zweite Satz des Spruchbandes (Eamus illuc), ohne biblische Vorlage, gibt auch die ‹Leserichtung› vor. Denn er weist auf den Ort hin, der im unteren Register abgebildet ist. Das Spruchband thematisiert nämlich den Weg zu Lazarus’ Begräbnisstätte, die im unteren Register dann präsent ist. Vgl. zu dieser Miniatur auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 241 mit Anm. 224. 216 Ihre Namen werden durch die Beischrift auf dem linken Rand neben der Miniatur auf der Höhe des oberen Registers angegeben. 217 Die gemeinsame vom Bibeltext abweichende Darstellung beider Frauen scheint nicht einzigartig zu sein. Haseloff, Thüringisch-sächsische Malerschule, S. 131 f., verzeichnete bereits mehrere Darstellungen, in denen beide Frauen präsent sind. Das Motiv der Erweckung des Lazarus hat in der thüringisch-sächsischen Malerschule allerdings keine Nachfolger gefunden. Vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 240 f. 218 Die Berührung des Mantels, Geste der Bitte und des Glaubens an Christus, erinnert an den Wunderbericht von der Heilung der blutflüssigen Frau der synoptischen Evangelien; vgl. Mt 9,20 ff.; Mc 5,25–34; Lc 8,43–48. 219 Iesus autem elevatis sursum oculis dixit / Pater gratias agi tibi quoniam audisti me; Io 11,41.

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et p(ro)dig(it) ligat(us) man(ibus) (vgl. Io 11,43). Das Spruchband Jesu wölbt sich über die drei Helfer, die in der rechten Bildhälfte den Deckel des Sarkophags entfernen. Einer hält sich zum Schutz vor dem erwarteten Verwesungsgeruch den Ärmel vor die Nase (vgl. Io 11,39). Der Deckel des aufrecht stehenden Sarkophags220 wurde bereits entfernt, und somit ist der Blick auf den in blaue Leichentücher gewickelten, doch durch die geöffneten Augen als wieder lebend gekennzeichneten Lazarus frei. Das Initium von Ps 119 auf der gegenüberliegenden Seite gibt auch Auskunft über den Affekt des Psalms (cum tribularer). Dieser kann somit am ehesten mit den bittenden Schwestern, die Jesus weinend anflehen, in Verbindung gebracht werden. Doch können auch Bezüge zur Darstellung des unteren Registers hergestellt werden, in der Jesus sich in Erhörung des Anliegens der beiden Schwestern an seinen Vater wendet. Er erweckt, als Mittler zwischen Gott und Mensch fungierend, den toten Lazarus zum Leben. In dieser Verbildlichung der Anrufung Christi kann die Miniatur als Angebot zur Identifikation mit den trauernden und weinenden Schwestern Maria und Martha bezeichnet werden, die sich mit ihrem Weinen und Bitten für den Toten an Christus wenden.221 So könnten die Schwestern als Vorbild für das wirksame, affektiv geprägte Gebet für andere gelten. Fungierte die Erweckung des Lazarus als Präfiguration einstiger Auferstehung der Toten, so liegt insbesondere die Deutung nahe, dass mit den Miniaturen auch ein Appell zur Fürbitte für das Seelenheil der Verstorbenen und ihre einstige ewige Auferstehung zu verbinden ist.222 Doch auf die Miniatur des unteren Registers können die Psalmworte ebenso zutreffen. Denn auch Jesus ruft vom Mitleid innerlich bewegt den Vater an. In seiner empathisch geleiteten Erbarmenshandlung kann auch er als Vorbild für eine affektive compassio interpretiert werden. Die ganzseitige zweiregistrige Miniatur zu Klagepsalm 136 (fol. 139v; Abb. 15) stellt das Babylonische Exil der Israeliten dar, das auch Inhalt der ersten Verse des nebenstehenden Psalmtexts ist.223 Hier liegt allerdings eine 220 Im biblischen Text ist es eine Grabhöhle: Iesus [. . .] venit ad monumentum / erat autem spelunca et lapsis superpositus erat ei; vgl. Io 11,38. 221 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 240. 222 Vgl. ebd. S. 240 f. 223 Vgl. auf fol. 140r: Super flumina Babi-/lonis / illic sedimus et flevim(us) cum / recordaremur sy´on. In salicib(us) / in medio ei(us) suspendim(us) organa / nostra. Beziehungen zu weiteren möglichen biblischen Textvorlagen, vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 242, Anm. 241.

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sehr textnahe ‹historische› Umsetzung vor. So nimmt das obere Register der Miniatur auf die ‹Vorgeschichte› des Psalminhalts Bezug.224 Präsent ist die Gefangennahme der Kinder Israels. Die links abgebildete Gruppe gefangener Kinder Israels ist von ihrem rot gekleideten, eine Krone tragenden König angeführt. Die Gesichtszüge der Gefangenen sind von Trauer gezeichnet. Alle sind von einer Kette225 umschlossen, deren Ende der rechts abgebildete König Nebukadnezar von Babylon festhält.226 Rechts und links hinter ihm stehen zwei Soldaten in Rüstung. Am linken Bildrand auf der Höhe des oberen Registers wurde eine auf den Bildinhalt bezogene Beischrift angebracht: Hie hat nabu-/chodonosor fi-/lios isr(ae)l gevan-/gen. Dieser Beischrift ähnelt die einleitende Erklärung des Petrus Lombardus zu diesem Psalm: Hic autem agitur de captivitate facta a Nabuchodonosor.227 Auch die Miniatur des unteren Registers bietet eine Darstellung tiefster Trauer. Dort sind in Verbildlichung von Vers 1 des Psalms (Super flumina Babi-/lonis / illic sedimus et flevim(us) cum / recordaremur sy´on)228 sechs Kinder Sions mit nach unten gezogenen Augenbrauen innerhalb der Stadtmauern Babylons zu sehen.229 Inmitten der Gefangenen sitzt der König Israels. Er ist mit einer Krone ausgezeichnet, trägt jedoch in Abweichung von der Darstellung des oberen Registers ein blau-goldenes Gewand und stützt in Erinnerung an Sion seine Wange trauernd in die linke Hand. Rechts hinter ihm hat ein anderer den Kopf gesenkt, blickt jedoch auf die Saiteninstrumente, die außerhalb der Stadtmauern von der Weide hängen. Dieser Blick stellt die Verbindung zum nebenstehenden Vers 2 des Psalms 224 Vgl. ebd., S. 242. 225 Ähnlich wie in Weltgerichtsdarstellungen, in denen die Teufel die Verworfenen mit einer Kette mit sich führen. Ein Beispiel dafür ist fol. 139v des ‹Landgrafenpsalters›, vgl. dazu den Hinweis von Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 243. 226 Vgl. auch die Beschreibung von Wolter-von dem Knesebeck, ebd. 227 Vgl. Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 1199. Aus Petrus’ Einleitung wäre die Darstellung der Vorgeschichte erklärlich. Dennoch möchte ich einen Zusammenhang zwischen Miniaturengestaltung und Kommentar offen lassen. Vgl. zu den neumierten Beischriften den Aufsatz von Lucia Boscolo, Un repertorio musicale tra liturgia e devozione, in: Salterio di Santa Elisabetta. Facsimile del ms. CXXXVII del Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli, a cura di Claudio Barberi, Trieste 2002, S. 209– 239. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 241. 228 Vgl. fol. 140r. 229 Vgl. auch die Beschreibung, ebd., S. 242.

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her (in salicib(us) / in medio ei(us) suspendim(us) organa / nostra),230 der zusätzlich am Bildrand neben der Miniatur in deutscher Sprache hervorgehoben wurde: hie hant sie / ir seitspil uffe / dise widen gehangen. Die Gefangenen verweigern sich auf diese Weise den weltlichen Freuden Babylons. Aus der Verwendung der deutschen statt der lateinischen Sprache kann außerdem geschlossen werden, dass besonderer Wert auf das Verstehen dieser Text-Bildkomposition gelegt wurde.231 Die Gemeinschaft der gefangenen Kinder Sions konnte in typologischer Übertragung auf die Christenheit bezogen werden, die Trauer der Kinder Sions als Trauer der Christenheit in der Welt und dem Wunsch nach Befreiung232 in Sehnsucht nach (dem himmlischen) Jerusalem. Damit wäre auch hier ein Angebot zur Identifikation gegeben. Im gemeinsam getragenen geduldigen Leiden sind überdies Aspekte praktisch-ethischer und affektiver compassio präsent, die Sehnsucht der Weinenden und Mitweinen230 Vgl. fol. 140r. 231 Vgl. auch die Miniatur zu Ps 113 (fol. 120v), die auf einer Doppelseite (fol. 120v und 121r) die Überwindung der Gegner und die Befreiung des auserwählten Volks aus Ägypten verbildlicht. Sie bildet Szenen der Gefangenschaft der Kinder Israels in Ägypten ab, zeigt die Plagen, den Auszug aus Ägypten und die Vernichtung der Ägypter im Roten Meer. Vgl. zu diesem Miniaturenkomplex Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 236–240. Auch dort wurden auf fol. 120v am Bildrand neben der zweiregistrigen Miniatur zwei deiktische Beischriften eingetragen: Hie rovibint / filii isr(ae)l egip/tum (fol. 120v, oben) und Hie varint / sie p(er) mare / rubrum (fol. 120v, unten). Doch nehmen diese Beischriften nicht explizit auf die Gebrauchssituation Bezug. Vgl. zu Gebrauchssituationen angebenden Tituli: Lentes, Text des Kanons, S. 341 ff. 232 Parallelen dazu finden sich in der Handschrift selbst. Eine solche Bitte um Befreiung drückt eines der ersten nachgetragenen Gebete aus: Er, der durch den Willen des Vaters, zusammen mit dem Heiligen Geist die Welt durch seinen Tod befreit hat (fol. 1r): qui ex voluntate patris cooperante spiri/tu s(an)c(t)o mundum p(er) mortem tua(m) liberasti, solle auch die Beterin durch seinen Leib und sein Blut befreien: libera me per / corpus et sanguinem tuum. Ebd., S. 352, Nr. 3. Auch ein weiteres Gebet auf fol. 8r ist eine Bitte um Befreiung: Ave / caro (et) sanguis d(omi)ni nostri ih(es)u xr(ist)i. qui redemisti omne gen(us) / humanu(m) redime (et) libera hodie famulu(m) tuu(m). Vgl. ebd., S. 353, Nr. 15. Möglich ist auch, dass diese Darstellungen des auf Rettung hoffenden auserwählten Volkes Gottes, zu dem sich auch das Landgrafenpaar zählen konnte, in einem Zusammenhang mit der Anbetung des Agnus Dei im Gebetsteil (fol. 171r, Abb. 18) zu sehen sind. Dort ist das Landgrafenpaar nämlich als Teil der Auserwählten abgebildet, die sich in eschatologischer Hoffnung zur civitas Dei formieren. Siehe dazu Kap. 3.5.3.

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den zeichnet sie auch als für das Himmlische Jerusalem Auserwählte aus. Die Miniatur fordert dann zu einer entsprechenden Partizipation und Angleichung auf, die für den himmlischen Lohn würdig macht. Analogien dazu finden sich in der Deutung des Petrus Lombardus.233 Er legt die Gefangenschaft in Babylon als körperliche Gefangenschaft in confusione hujus saeculi234 jener aus, die von ihrer inneren Haltung her Bürger Jerusalems sind: de illis qui mente et desiderio sunt cives Jerusalem.235 Er setzt die Gefangenen in Verwendung der ersten Person Pluralis mit der Schar der Gläubigen gleich: Si enim cives sumus de Sion, in atriis Jerusalem stamus spe236 und versteht die Kinder Israels als civitas Dei, die auf das Himmlische Jerusalem hofft. Der Psalm hat insofern Vorbildcharakter, weil er verdeutlicht, dass man sich nicht der Welt angleichen, sondern sich nach dem himmlischen Jerusalem sehnen soll: Monet non conformari Babyloniae, sed in supernam Jerusalem suspirare.237 Auch soll der Gläubige nicht für die Kinder Babylons singen,238 sondern in großer Sehnsucht, süßer Erinnerung und gemeinschaftlicher Trauer und Klage über die Welt und in Buße nach dem Himmlischen Jerusalem streben.239 Die Aspekte des Leidens und Mitleidens bilden einen integrativen Aspekt der Text-Bild-Relationen der ausgewählten Miniaturen, wie in der Lazarusdarstellung und der Abbildung der babylonischen Gefangenschaft. Dient die Hiob-Miniatur vornehmlich zur Illustration der im Psalm thematisierten angemessenen Sprechhaltung, so bilden die Aspekte praktischethischer und affektiver compassio einen thematischen ‹Überschuss›. Fungieren die Miniaturen dieses Handschriftenteils als Gebetsanweisung und Anleitung zum Nachvollzug der nebenstehenden Psalmen, dann ist mit 233 Seine Deutung stellt eine mögliche Konkretisierung der Psalm- und auch der Bildinhalte dar. Die beschriebene Miniatur ist auch auf die Aktualität der Kreuzzüge hin deutbar, auf die Gefangenschaft Jerusalems unter arabischer Herrschaft. Von der Miniatur könnte dann ein Appell zur Befreiung des Hl. Lands ausgehen. Eine solche Deutung darf nicht ausgeschlossen werden, wäre jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten persönlicher Übertragung. 234 Vgl. Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 1200. 235 Ebd. 236 Ebd. 237 Ebd., Sp. 1201. 238 Ebd., Sp. 1202. 239 Ebd., Sp. 1201: In hostili enim terra dulcis est recordatio patriae. Vgl. Woltervon dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 243 mit Anm. 240, der unter Hinzuziehung anderer Quellen zu einem vergleichbaren Schluss kommt.

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ihnen und den compassionalen Bildaspekten auch ein Erfahrungspotential verbunden. 3.5.3 Der Gebetsanhang: Appelle zur höfischen Umsetzung von compassio Wie im ‹Landgrafenpsalter› finden sich im reich illuminierten dritten Abschnitt des ‹Elisabethpsalters› Darstellungen des Landgrafenpaars.240 Ihr Abbild wurde in die Gnadenstuhlminiatur (fol. 167v) und die Anrufung des Agnus Dei (fol. 171r) integriert. Die Schlussminiatur des Psalters (fol. 173r) vermittelt zudem Möglichkeiten der Übertragung von geistlichen Konzepten auf das Leben am Hof. Diesen drei Miniaturen gilt deshalb im Folgenden ein besonders Interesse. Die ganzseitige Gnadenstuhlminiatur findet sich auf fol. 167v (Abb. 17) und folgt somit auf das Glaubensbekenntnis Quicumque.241 Im Zentrum dieser Miniatur befindet sich innerhalb einer Mandorla der Gnadenstuhl: der auf dem Regenbogen thronende Gottvater bietet den Gekreuzigten mit beiden Händen dar. Über beiden schwebt der durch die weiße Taube symbolisierte Heilige Geist. Der Titulus nimmt auf diese Trinitätsdarstellung Bezug: hic pater (et) natus. hic est (et) sp(iritu)s almus.242 Ähnlich wie im 240 Siehe zur Struktur dieses Teils Tabelle 3 im Anhang. 241 Das mit seinem Initium als Quicumque bezeichnete Pseudo-Athanasianum entfaltet im ersten Teil ausführlich das Trinitätsdogma und definiert bereits in den ersten Sätzen: Fides autem catholica haec est, ut unum Deum in Trinitate, et Trinitatem in unitate veneremur. Sein zweiter Teil ist der Inkarnation gewidmet. Vgl. Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, begr. von Heinrich Denzinger, hg. von Peter Hünermann, 39. Aufl., Freiburg i. Br. (u. a.) 2001, Nr. 75. Vgl. Jürgen Werbick, Trinitätslehre, in: Handbuch der Dogmatik, Bd. 2, hg. von Theodor Schneider, 2. Aufl., Düsseldorf 1995, S. 481–576, hier: 499 f. Das Motiv des Gnadenstuhls findet sich ebenfalls im ‹Landgrafenpsalter› (fol. 172v), dort allerdings ohne die Abbildung des als Stifter stilisierten Landgrafenpaars, obgleich die Miniatur strukturell an vergleichbarer Stelle steht. 242 Der Gnadenstuhl in Sakramentarhandschriften kann als Sonderform der Te Igitur-Initiale im Sinn einer Verbildlichung des Heilsmysteriums der Eucharistie aufgefasst werden. So Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 56 f. und S. 57, Anm. 96 mit Literatur, sowie S. 256–259. Vgl. zur Gnadenstuhlikonographie W[olfgang] Braunfels, Dreifaltigkeit, in: LCI 1 (1968), Sp. 525–537, bes. 535 f.

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bereits beschriebenen Einbandrelief, bildet der Gekreuzigte hier den Bildmittelpunkt. Es bestehen weitere Analogien mit dem Kreuzigungsrelief der Einbandvorderseite. So befinden sich im oberen Teil des Bildes Weihrauchfässer schwenkende Engel und in den vier Ecken des Miniaturrahmens Medaillons mit den Symbolen der vier Evangelisten. In den beiden weiteren halbkreisförmigen Ausbuchtungen rechts und links im mittleren Rahmenteil befinden sich zusätzlich zwei zur Mitte hingewandte, nicht näher bezeichnete Propheten, die Spruchbänder halten, links: Q(ua)l(is) pat(er) tal(is) fili(us) und rechts: Gen(er)ationem ei(us) q(ui)s e(narrabit).243 Da auch das Landgrafenpaar abgebildet ist, stellt sich die Frage nach den inhaltlichen Relationen dieser Bildelemente. Das durch Tituli bezeichnete höfische Paar kniet am unteren Bildrand: links Her/man lant/gra/vi(us) und rechts seine Gemahlin So/phi/a.244 Sie tragen erlesene Kleidung, sind dadurch «als Idealentwürfe höfischer Menschen»245 und ebenso als Herrscher im Diesseits dargestellt. Sie halten, wie auf Stifterbildnissen, ein Kirchenbzw. Klostermodell in den Händen, womit die Unterstützung des Klosters symbolisiert wird.246 Auch das Kloster wird näher bezeichnet, denn Sophia trägt nicht nur das Modell mit ihrer linken Hand, sondern weist überdies mit ihrer rechten auf die an den Dächern der Kirchtürme des Klostermodells ‹befestigt› zu sein scheinende, weiß grundierte ‹Tafel›. Deren Inschrift RENhERSBVRNIN bezeichnet das Modell als das landgräfliche Hauskloster.247 Es bildet das direkte Element der Verbindung und Vermittlung zwischen dem Landgrafenpaar und dem Kreuzesstamm Christi. Die vorgeführte Unterstützung ist somit deutbar als symbolisches Mittragen des Opfers Christi und damit als eine Form der Partizipation adliger Laien am heilbringenden und erlösenden Leiden Christi.248 Durch das Hauskloster Reinhardsbrunn 243 Die Inschrift des linken entstammt dem ersten Teil des Quicumque; vgl. Enchiridion symbolorum, Nr. 75. Für das rechte nennt Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 256, als Quelle Is. 53,8; vgl. Act 8,33. 244 Vgl. zur Kleidung ebd., S. 256 ff. 245 So Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 256. 246 Vgl. ebd. auch die Erläuterungen auf S. 54. Das Fehlen des als Stifter stilisierten Landgrafenpaars an vergleichbarer Stelle im ‹Landgrafenpsalter› kann deshalb durch den Bedeutungsverlust von Reinhardsbrunn als Grablege und Hauskloster bedingt sein. 247 Wie bereits erwähnt, stellt Wolter-von dem Knesebeck, ebd., S. 50, fest, dass die Beischrift über dem Klostermodell echt sein muss. 248 Vgl. dazu auch ebd., S. 54–58.

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vermittelt, öffnet sich für das Landgrafenpaar die Hoffnung auf ein Mitherrschen mit Christus in Ewigkeit.249 Diese Interpretation stützt der Kontext, denn bereits auf der gegenüberliegenden Seite beginnt die reich mit Miniaturen geschmückte Heiligenlitanei (fol. 168r–170v), in der jene angerufen werden, die mit und in Christus bereits die ewige Herrschaft angetreten haben.250 Der Text dieser Seiten ist jeweils von einem Miniaturenrahmen umschlossen (fol. 168r–171r): Die Miniaturenreihe beginnt mit Repräsentationen der Deesis und einiger Engelchöre.251 Die folgenden Seiten zeigen einen jeweils ähnlichen Aufbau: die Anrufungen um Fürbitte der jeweiligen Interzessoren wurden mit Darstellungen der Apostel (fol. 168v), Märtyrer (fol. 169r), Bekenner (fol. 169v), Hl. Frauen und Jungfrauen (fol. 170r) gerahmt, den Text auf fol. 170v umgeben Szenen des Kampfs der Engel gegen den apokalyptischen Drachen. Dieser Miniaturenzyklus schließt mit dem in Anbetung des Agnus Dei, ehrfürchtig knienden, prächtig gekleideten Landgrafenpaar herman lantgravi(us) und Sophia (171r; Abb. 18).252 Der Titulus Agne dei miseris, miserere petentib(us) istis greift die in der zentralen Textspalte präsente Anrufung Agne Dei q(ui) tollis / peccata mundi / miserere nobis auf. Dem Text und Titulus entsprechend ist im oberen Teil des Miniaturrahmens zentral das Lamm Gottes als Symbol für Leiden, Tod und Sieg Christi mit der Siegesfahne in einem grün gerahmten Medaillon abgebildet.253 Das aus der Brustwunde schießende Blut wird links des Medaillons wie im Einbandrelief in einem Opferkelch aufgefangen. An die Passion Christi erinnern ferner die Leidenswerkzeuge, die am oberen Bild249 Die Formulierung ‹mitherrschen› scheint hier unter Einbeziehung von Mt 19,21 bzw. Lc 18,21 und II Tim 2,11 f. adäquat. Vgl. wie schon erwähnt Bernhard, De diligendo Deo, S. 92: si compatimini, et conregnabitis; zur Häufigkeit vgl. auch die bisher nicht erwähnten Belege bei Rupert von Deutz, De Sancta Trinitate et operibus eius, hg. von Rhabanus Haacke (CCCM 21–24), Turnhout 1971–1972, S. 1237: sibi compatiamur ut conregnemus, und Innozenz III., Regesta sive epistulae, Ep. CXXIX, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 215), Paris 1855, Sp. 141–145, hier: 142: compatientes ad tempus, ut in aeternum regnanti feliciter conregnemus. 250 Vgl. dazu Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 54–58. 251 Vgl. zur Anlage dieser mit Miniaturen gerahmten Seiten ausführlich ebd., S. 259–269. Zur ersten Seite fol. 168r, vgl. S. 259 f. 252 Zu Bezügen zwischen der Gnadenstuhlminiatur und der Anbetung des Agnus Dei vgl. auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 256 f. 253 Vgl. Lamm Gottes (Red.), LCI 3 (1971), Sp. 7–14, hier: 10.

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rand die zwei dem Lamm zugewandten Engel darbieten:254 Der rechte Engel trägt in seiner linken Hand die Lanze des Longinus und präsentiert mit der anderen drei Kreuzesnägel. Der linke Engel bietet die Dornenkrone mit seiner verhüllten linken Hand dar, in der anderen hält er das Rohr mit dem Essigschwamm.255 Das Landgrafenpaar befindet sich auf der dem Lamm gegenüberliegenden Seite, am unteren Rand der Miniatur in Begleitung von drei prächtig gekleideten Jungfrauen, darunter Lucarth. und Hildegunt., möglicherweise Hofdamen der Landgräfin.256 Rechts und links der Textspalte figurieren in gerahmten Feldern weitere vier Personen: Sie repräsentieren zusammen das Volk Gottes, wobei in den oberen beiden Feldern Imperium und Sacerdotium, in den beiden unteren Personifikationen von Alt und Jung abgebildet sind.257 Gemeinsam mit dem Landgrafenpaar und dessen Hofdamen symbolisieren die das Lamm Anbetenden die Gläubigen in ihrer eschatologischen Hoffnung, einst in das Himmlische Jerusalem einzugehen.258 Die Präsenz von Imperium und Sacerdotium legt eine Interpretation in Verbindung mit Apc 5,9 f. nahe, wonach mit dem Blut des Opferlamms Menschen aus allen Stämmen und Sprachen, aus allen Nationen und Völkern für Gott gewonnen wurden.259 Das Lamm hat diese Menschen für unseren Gott zu Königen und Priestern gemacht; und diese werden auf Erden herrschen. Vor diesem Hintergrund zählt dann das Landgrafenpaar zur Gemeinschaft der zur Herrschaft auf Erden Auserwählten, in Hoffnung auf ein conregnare im Jenseits. Dadurch wird eine Herrschaftsvorstellung deutlich, die sich an vergleichbarer Stelle im ‹Landgrafenpsalter› in den 254 Vgl. auch ausführlich zu dieser Darstellung Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 262–269, zu den Leidenswerkzeugen, vgl. ebd. S. 262 f. 255 Vgl. Mt 27,48, Mc 15,35, Io 19,29. 256 Sie konnten historisch bisher nicht nachgewiesen werden. Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 264 f.; vgl. Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 78. 257 So Wolter- von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 263 f. 258 Plausibel ist, dass die hier Abgebildeten, in Anlehnung an Apc 7 und 19,6–9, bereits als die zum Hochzeitsmahl des Lammes geladenen electi dargestellt sind. Zu den Bezügen zur Apokalypse vgl. ebd., S. 262 f.; vgl. dazu auch Castelberg, Eschatologische Aspekte, S. 61 f. 259 Et cantant novum canticum dicentes dignus es accipere librum et aperire singnacula eius / quoniam occisus es et redemisti nos Deo in sanguine tuo / ex omni tribu et lingua et populo et natione / et fecisti eos Deo nostro regnum et sacerdotes et regnabunt super terram. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 263 f., sieht Bezüge zu Apc 19,6–9 und 14,1–5.

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Fürstendarstellungen – nur dort in viel ‹weltlicherer› Weise – niederschlägt.260 Nach Apc 14,3f. sind überdies allein die Erwählten, die hundertvierundvierzigtausend durch das Lamm Erkauften, die Mitglieder des Volkes Gottes, in der Lage, das Canticum Novum zu erlernen.261 Es sind jene, die dem Lamm folgen. Möglicherweise ist deshalb Sophia mit dem geöffneten Buch, sehr wahrscheinlich dem Psalter, das Lamm anbetend und Gott lobpreisend als Sängerin dargestellt. Denn sie wurde mit offenem gebende – das zugebunden beim Sprechen, Essen und dem Singen hindernd wirkte – dargestellt.262 Möglich ist, dass Sophias buchgestütztes Beten bzw. Singen sich nicht nur auf das hier präsente Gebet Agnus Dei bezieht, sondern in diesem Kontext auch mit dem Singen der Psalmen in Verbindung gebracht werden kann. Denn auch deren Rezitation ist in den nachgetragenen Gebeten als decantare (fol. 9v) gedacht. Auch konnten die Psalmen als Canticum Novum gelten, was sich über die Psalmen selbst263 belegen lässt. Beispiele für diese Auffassung finden sich auch in deren Exegese. Augustinus las sie «im Licht christlicher Eschatologie»264 und maß ihrem Nachvollzug, als typologisch auf Christus bezogenes Canticum Novum, eine den Menschen erneuernde Funktion zu.265 In diesem Nachvollzug sollte sich der Gläubige «mehr und 260 Dort präsentieren auf fol. 175r, in der Reihe weltlicher und geistlicher Fürsten, zwei Bischöfe ein Medaillon mit dem Agnus Dei. 261 Zur Erwähltheit vgl. Innozenz III., Regesta sive epistulae, Sp. 282. Er versteht unter regnum et sacerdotes nach I Petr 2,9 das von Gott erwählte Volk (genus electum), d. h. die Kirche. Vgl. Apc 14,3 f.: Et cantabant quasi canticum novum ante sedem et ante quattuor animalia et seniores / et nemo poterat discere canticum nisi illa centum quadraginta quattuor milia qui empti sunt de terra / hii sunt qui cum mulieribus non sunt coinquinati / virgines enim sunt / hii qui sequuntur agnum quocumque abierit / hii empti sunt ex hominibus primitiae Deo et agno. Diesen Text zieht auch Castelberg, Rolandslied, S. 62, zur Deutung dieser Miniatur hinzu. Er vergleicht den Gehalt der hier vorliegenden Miniatur in seiner eschatologischen Aussage mit der Krönungsseite des Helmarshausener Evangeliars, in der sich diese Aspekte verdichten. 262 Vgl. dazu Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 258. 263 Vgl. Ps 32,3; Ps 39,4; Ps 97,1; Ps 143,9; Ps 149,1. 264 So Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi, S. 419. 265 Vgl. Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi, S. 429. Vgl. zu Ps 32,2: Aurelius Augustinus, Enarrationes in Psalmos, Bd. 1–3, hg. von D. Eligius Dekkers und Iohannes Fraipont (CCSL 38–40), Turnhout 1956, hier: Bd. 1, S. 253: Cantate ei canticum novum. Exuite vetustatem: nostis canticum novum. Novus homo, Novum Testamentum; novum canticum. Non pertinet novum can-

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mehr dem Mysterium Christi»266 angleichen und zugleich «die civitas Dei»267 mitkonstituieren. Auch Petrus Lombardus bezeichnete die Psalmen als Canticum Novum und vertrat in seinem Psalmenkommentar die Ansicht, dass dem Gesang dieses Canticum eine erneuernde Wirkung zukomme.268 Er nannte, wie schon erwähnt, als Ziel der Psalmenrezeption: Intentio, homines, in Adam deformatos, Christo novo homini conformare.269 Seine Aussage steht im Plural und schließt deshalb alle Gläubigen ein. Analoge Denkmuster konnten auch für die Landgräfin Geltung besitzen. Die Miniatur kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass für sie im Gesang der Lieder ihres Gebetbuchs die Hoffnung auf ewiges Leben, die Hoffnung auf das Eingehen in das Himmlische Jerusalem gründen sollte. Damit wäre dann auch eine Funktionsbestimmung des Psalmgesangs innerhalb dieser Miniatur ausgedrückt. Die in diesem Handschriftenabschnitt präsente Verbindung der Motive der Kreuzigung und des Agnus Dei mit der zweimaligen Darstellung des Landgrafenpaars findet ihr Pendant im Einbandrelief. Dort steht die Kreuzigung in Verbindung mit dem Agnus DeiMedaillon auf der Vorderseite und den sehr wahrscheinlich das Landgrafenpaar repräsentierenden Familienwappen auf dem Relief der Rückseite. Diese Wiederholung, Akzentuierung und Nuancierung verdeutlicht in hohem Maß die Verbindung zwischen geistlichen Konzepten und höfischem Kontext.

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ticum ad homines veteres: non illud discunt nisi homines novi, renovati per gratiam ex vetustate, et pertinentes jam ad Testamentum novum, quod est regnum coelorum. Vgl. zu Ps 149,1, ders., Enarrationes in Psalmos (CCL 40), Turnhout 1956, S. 2178. Vgl. Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi, S. 429. Vgl. En. Ps. 32,2, S. 253. Der Begriff des Canticum Novum taucht außer in der Apc 5,9 und 14,3 nur noch in einem Beleg in Jes 42,10, sowie sechsmal in den Psalmen auf. So Ps 32,3; Ps 39,4; Ps 95,1; Ps 97,1; Ps 143,9; Ps 149,1. Vgl. Fiedrowicz, Psalmus vox totius Christi, S. 429. Vgl. Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 327, adaptiert zu Psalm 32,3 die Ausführungen des Augustinus: Hoc est canticum novum, quod novus attulit homo. Novus enim rex, nova lex. Nova ecce facta sunt omnia. Hoc canticum non cantant, nisi homines novi, renovati per gratiam, pertinentes ad Novum Testamentum. Cantate ergo ei canticum novum, et exuite vetustatem et induite novitatem, quia non nisi ad novos pertinet Novum Testamentum. Ebd. Vgl. auch Gerhoch von Reichersberg, der als intentio der Psalmen die Anregung der Gläubigen und der Kirche zur Angleichung an Christus betrachtet. Vgl. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, PL 193, Sp. 630 und Kap. 2.4.

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Die bisher analysierten Miniaturen sollten die Existenz von Konzepten der Leidenspartizipation und Leidensangleichung am Hof demonstrieren. Die Schlussminiatur des ‹Elisabethpsalters› (fol. 173r; Abb. 19) kann als eine weitere Form betrachtet werden, geistliche Konzepte ins Bild zu setzen. Sie führt deren Aktualisierung im Kontext des Hofs vor und fasst überdies bedeutende Aspekte des Psalters zusammen. Die Miniatur zeigt Vita activa und Vita contemplativa im oberen Register und Gregor den Großen beim Diktat im unteren Register. Die höfisch gekleideten Personifikationen der beiden Lebensformen sind im oberen Register innerhalb eines Architekturrahmens abgebildet. Sie befinden sich unter zwei Arkaden, deren Mittelsäule das obere Register in zwei gleich große ‹Räume› teilt. Der Titulus zu dieser Miniaturenseite beschreibt die Ausrichtung der beiden Lebensformen, die im oberen Register abgebildet sind: jene der Vita contemplativa, die in der freien [Gottes-]Schau die mystischen Gaben kostet und jene der Vita activa, die die Hungernden speist270 und die Nackten kleidet: Contemplativa vita. Ista vacans lustrat et mystica munera gustat. Activa vita. Pasc(er)e ieiunos solet hec. vestireq(ue) nudos. Das aus Punkten zusammengesetzte Verweiszeichen am Ende der Zeile findet sein Pendant im Spruchband Gregors und stellt einen eindeutigen Bezug zwischen den Schriften und Miniaturen der beiden Register her. Unten, in der linken Bildhälfte, thront der Kirchenvater im päpstlichen Ornat. Inspiriert durch den Hl. Geist, der durch die nimbierte Taube repräsentiert ist, diktiert er dem rechts sitzenden Schreiber Petrus. In der linken Hand hält der Kirchenvater das Spruchband mit einem Text aus seinen ‹Dialogen›: Bonu(m) q(uo)d q(ui)sq(ue) p(ost) morte(m) sua(m) s(per)at agi p(er) alios. agat du(m) v[ivi]t ipse p(er) se.271 Es ist also besser, das Gute, von dem man hofft, dass es andere nach dem Tod für einen tun, bei Lebzeiten rechtzeitig selbst zu vollbringen. Wenn anzunehmen ist, dass das Spruchband mit dem Titulus in Beziehung steht, dann ist auch anzunehmen, dass die zu Lebzeiten zu leistenden guten Taten im oberen Register abgebildet sind. Die dort dargestellten beiden eher sozial markierten Lebensformen können einerseits als ein deutlich unterschiede270 Die ins Bild gesetzten Gaben bestehen aus Kleidung und Geld. Ähnliche goldfarbene Geldstücke sind auf fol. 120v zu sehen. Brot erscheint in diesem Psalter auf fol. 10v und 103v entweder rund mit einer Mittellinie oder rautenförmig mit einer diagonalen Linie. Es zeichnet sich durch eine weiße Farbe aus. 271 Dialoge, IV,58.

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nes Nacheinander von aktivem Leben am Hof und kontemplativem Leben im Kloster oder andererseits als zwei Möglichkeiten der Begegnung mit Christus aufgefasst werden.272 Für die Analyse der Darstellung des oberen Registers ist die Präsenz Gregors im unteren Register ausschlaggebend. Ihm galt das Ideal einer Vita mixta als vorbildlich,273 die er für die Gläubigen aller Stände als angemessen betrachtete. Nach seiner Vorstellung sollte die Vita activa den Ausgangspunkt für eine Vita contemplativa bilden, und letztere wieder zur Vita activa zurückführen.274 Beide sollten sich verschiedene Erfahrungen der Gottesbegegnung beinhaltend gegenseitig bereichern:275 zum einen die kontemplative Begegnung mit Christus, die in der Miniatur links in der anbetenden Betrachtung des Opferkelchs konkretisiert wurde, und zum anderen die Begegnung mit Christus im bedürftigen Nächsten, die rechts in der Speisung und Kleidung der Armen ihren bildlichen Ausdruck findet (vgl. Mt 22,37–40).276 Die Miniatur erscheint somit als Appell, beide Lebensformen im Sinn einer Vita mixta zu verbinden und schon am Hof zu realisieren. Die materielle Überlieferung stützt diese Interpretation zusätzlich, denn bereits der Wunsch nach einer ‹höfischen› Psalterhandschrift und der Auftrag zur Herstellung des ‹Elisabethpsalters› und später auch des ‹Landgrafenpsalters› belegen ja das deutliche Interesse an Gebetstexten und religiösen Bildern, die eine höfische Form der Vita contemplativa ermöglichten. Die Ausübung der Vita activa im Sinn der Fürsorge für Kranke, Lahme und Hungernde, erscheint ohnehin im höfischen Lebensumfeld umsetzbar.277 Dass diese Miniatur eine Aufforderung zu einer höfischen Umsetzung beider Lebensformen vermittelt, drückt sich überdies in der höfischen Kleidung wie auch im Blickkontakt zwischen den Personifikationen

272 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 277 f. 273 Vgl. Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 277, und Mirjam Schambeck, Actio und Contemplatio – Überlegungen zu einem Modell bei Gregor dem Großen, in: Wissenschaft und Weisheit 62 (1999), S. 27–47, hier: S. 47. 274 Ebd. 275 Ebd. Die Vita contemplativa kann auch als innerer Weg, die Vita activa als äußerer Weg zu Christus charakterisiert werden, worin dann auf einer anderen Ebene Übereinstimmungen mit der Predigt des Alanus ab Insulis bestehen. Letzterer appellierte wie erwähnt an sein höfisches Publikum, sowohl das innere wie auch das äußere Schwert zu üben. 276 Vgl. dazu auch Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 274–278. 277 Es steht dem höfischen Ideal der milte nahe.

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aus.278 Somit wurde in dieser Doppelminiatur nicht nur ein geistliches Konzept für diesen höfischen Kontext aktualisiert, sondern sie ruft gleichzeitig zu dessen Umsetzung am Landgrafenhof auf.279 Beide Personifikationen des oberen Registers können auch in ihrem Bezug auf das Leiden und Mitleiden betrachtet werden, denn der Kelch auf dem Altar kann als Leidenskelch280 aufgefasst werden, und auch im leidenden Nächsten ist der Aspekt des Leidens präsent. Vita contemplativa bedeutet dann die innere Seite der Leidenspartizipation im Sinn einer rechten Haltung im Gebet angesichts des Opfer- und Leidenskelchs.281 Die Vita activa verdeutlicht das angemessene Verhalten angesichts des leidenden Nächsten und ist nach biblischem Vorbild auch eine Begegnung mit Christus. Die Ausübung beider Lebensformen lässt auf ewigen Lohn hoffen. Auf diese Weise darf die Darstellung mit Palmer als eine auf den Hof bezogene praktisch-ethische Anweisung «how to live»282 angesehen werden. Diese Feststellung überlagert sich mit der allgemeinen Funktionsbestimmung der Psalmen in der Einleitung des Kommentars von Petrus Lombardus: Sic liber iste docet bene operari, non pro terrenis sed pro coelestibus, quae sursum sunt.283 Petrus wies darauf hin, dass die Psalmen ja auch das aktive Leben und die kontemplative Schau (speculatio) beinhalten.284 Insofern fasst die Schlussminiatur mehrere Aspekte des Psalters zusammen und aktualisiert sie für den Hof. 278 Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 274, bemerkt die Entsprechung der wertvollen Kleidung «bis in die Gewandfarben hinein». 279 Vgl. auch ebd., S. 278. Wolter-von dem Knesebeck schließt seine Erklärungen mit der Folgerung, die Miniatur thematisiere den Weg zum Heil, und «dies in einer auf die Lebensführung der Besitzerin des Codex zielenden und auf sie zugeschnittenen Form». 280 Vgl. dazu der Kelch, in den das Blut des Agnus Dei fließt (fol. 171r, Abb. 18) und die Kelche des Holzreliefs auf der Einbandvorderseite (Abb. 5). Es sind beides wichtige Darstellungen, da beide in einer engen Relation mit dem Landgrafenpaar stehen. 281 Vgl. zur Leidensnachfolge Christi im Sinne eines unblutigen Martyriums, die in enthaltsamem tugendhaftem Leben, Feindesliebe und Mitleid mit dem Nächsten konkretisiert und als Annahme des Leidenskelchs und Leidenskreuzes bezeichnet werden konnte: Ps.-Richard von St. Viktor, Explicatio in Cantica Canticorum, Sp. 489: In hujus afflictione et labore calicem passionis bibit, et quotidie crucem suam tollit. 282 Vgl. Palmer, Rez., S. 133; vgl. ähnlich bereits Wolter-von dem Knesebeck, Elisabethpsalter, S. 278. 283 Vgl. Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 55. 284 Ebd., Sp. 57.

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Am für die Literaturproduktion um 1200 wichtigsten Hof, am Landgrafenhof Hermanns I. von Thüringen, lassen sich also verschiedene Konzepte von compassio nachweisen. Diese sind vor allem im ‹Elisabethpsalter› vorfindbar, der sich im Vergleich zu seiner Schwesterhandschrift, dem nur wenige Jahre jüngeren ‹Landgrafenpsalter›, durch eine deutlich höhere Anzahl von Leidensdarstellungen auszeichnet. Sie bilden ein Charakteristikum dieses älteren der beiden Psalter. Schon die Einbandvorderseite zeigt das Motiv der Kreuzigung Christi und prägt der Handschrift – in Abweichung von konventionellen Psaltereinbänden – die Passionsthematik auf. Das im Kalenderteil gezeigte Konzept körperlicher Nachfolge im Martyrium kann unter Zuhilfenahme von Argumentationsmustern aus hochmittelalterlichen Predigten und Kommentaren mit der Form praktisch-ethischer compassio verbunden werden. Ableitbar ist somit, dass compassio auch im höfischen Kontext in einer lohnwürdigen Annahme der Mühen des täglichen Lebens besteht. An den Festbildern des Psalters wird überdies ein Verfahren zur Charakterisierung der Nachfolge im Leiden deutlich: Es nimmt auf je eine Eigenschaft Christi Bezug und bezeichnet den Weg der Nachfolge als einen analogen, wobei jedoch das individuelle Moment bestehen bleibt. Die Festbilder der Kalenderseite zum Monat März vermitteln neben einem ethischen auch ein affektives Konzept der Leidensangleichung und Leidenspartizipation. So zeigt das obere Festbild ein körperliches Mittragen des Kreuzes, das einen Appellcharakter trägt. Das untere zeigt Maria, die mit Christus mitleidet. Sie kann somit als Vorbild für eine affektive compassio mit dem Gekreuzigten aufgefasst werden. So erscheint sie auch in den Miniaturen der Kreuzabnahme und Grablegung. Impliziter als in den anderen Teilen der Handschrift sind Konzepte von compassio auch im Psalmenteil vorhanden. Die das Initium von Psalm 26 illustrierende Heilung des Blindgeborenen verbildlicht die Bitte um Erleuchtung, Gnade und Hilfe. Leiden bietet hier einen Ausgangspunkt für eine Begegnung mit Gott und in einem hermeneutischen Sinn ein tieferes Verständnis und damit die Eröffnung eines Wegs hin zu Gott. Die HiobMiniatur zu Beginn von Ps 38 vergegenwärtigt nicht nur das rechte Sprechen vor Gott, sondern verbindet damit sowohl das praktisch-ethische Konzept geduldig ausgehaltener Leiden als auch das affektive, der Begegnung mit dem leidenden Nächsten und mit Christus. Ein Konzept affektiver Haltung im Gebet angesichts von Tod und Trauer präsentiert schließlich die zweiregistrige Lazarus-Miniatur. Sie illustriert den ersten

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Gradualpsalm 119. Die Darstellung des kollektiv ertragenen Exils der Kinder Israels in Babylon zeichnet das Weinen in der Welt als Sehnsucht der Erwählten nach dem Himmlischen Jerusalem aus. Diese Illustration zu Klagepsalm 136 nimmt gleichzeitig auf den affektiven Gehalt des Psalms Bezug. Wenn die Miniaturen die Funktion von ‹Gebetsanweisungen› übernehmen und durch Angebote zur Identifikation mit den dargestellen Personen auch adäquate Haltungen zum Nachvollzug der Psalmen vorgeben, dann wird anhand der Text-Bild-Relationen deutlich, dass dieser Teil auch ein erfahrungsbezogenes Lesen intendiert. Die über die Miniaturen vermittelten compassio-Konzepte integrieren sich insofern in diesen Bedeutungszusammenhang, als das praktisch-ethische eine heilswirksame Deutung eigener Leiderfahrungen fordert, das affektive per se eine Erfahrung im Mitvollzug darstellt. Im die Handschrift abschließenden Gebetsteil wird die Verbindung zwischen geistlichen Konzepten und höfischem Kontext besonders deutlich. Dieser Teil besitzt aufgrund der zweimaligen Darstellung des Landgrafenpaars auch einen besonderen Stellenwert innerhalb der Handschrift. Überdies lässt sich feststellen, dass sich das Landgrafenpaar zwei Mal im Zusammenhang mit der Leidensthematik abbilden ließ, nämlich in der Gnadenstuhlminiatur und in der Miniatur mit dem Agnus Dei. Eine solche Kombination weist auch der Einband auf. In dieser Wiederholung und Ausrichtung auf das Landgrafenpaar gewinnt die Leidensthematik eine spezifische Bedeutung. Allein schon diese Verbindungen lassen sich als Aufforderung zur Übertragung dieser Inhalte im höfischen Kontext deuten. Doch vermittelt die Schlussminiatur mit den beiden Lebensformen noch einen eigentlichen Aufruf zur Übertragung geistlicher Konzepte. Die Vita activa verdeutlicht das angemessene Verhalten angesichts des leidenden Nächsten und deshalb, nach biblischem Vorbild, die Begegnung mit Christus. Die Vita contemplativa spiegelt in der Anbetung des Opferkelchs auf dem Altar die innere Seite der Leidenspartizipation. Diese Miniatur fordert, Funktionen der Psalmrezeption zusammenfassend, eine Übertragung, ja eine Partizipation der Rezipientin an den durch die Miniatur wie die Inhalte des Psalters vermittelten Vorbildern, die Angleichung an sie. Die Miniatur nimmt auf den Kontext Bezug und präsentiert mit der Vita mixta eine Form rechter höfischer Lebensführung. Somit wird dann deutlich, dass die geistlichen Konzepte – darunter auch die praktisch-ethische und affektive compassio – sich nicht nur zur Integration in den höfischen Kontext prinzipiell eignen, sondern sogar Teil der Ontologie höfischer Laien werden sollen.

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So lässt sich festhalten, dass der klerikale und der höfische Lebensbereich sich am thüringischen Hof verbinden und überlagern. Hermann unterhielt Beziehungen zu Klöstern und beschäftigte eigene Hofkleriker. An diesem Ort manifestierte sich ein intensives Interesse an volkssprachiger Literatur, daneben wurden geistliche Handschriften in Auftrag gegeben und auch verwendet. Mit ihnen sind dann auch geistliche Konzepte in diesem Umfeld nachweisbar, die für die Benutzerin adaptiert wurden und überdies Appelle vermitteln, dieses Wissen auch umzusetzen und es zum Teil der höfischen Lebensführung zu machen.

4 Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach Wenn Julius Schwietering Aspekte des ‹Parzival› als compassio beschrieb und sich seine Auffassung in einer differenzierteren Untersuchung des Romans erhärten lässt, dann kann daraus geschlossen werden, dass auch dort geistliche Konzepte für einen höfischen und zwar narrativen Kontext adaptiert wurden. Dann sind im ‹Parzival› möglicherweise Phänomene anzutreffen, die Analogien zu den Ergebnissen der Untersuchung der Psalterien besitzen. Weil er jedoch zu jenen Werken gehört, die Hermann I. von Thüringen nur erwähnen, er kein eigentliches Auftragswerk des Landgrafen ist und lediglich – in kaum abgrenzbaren Teilen – in seiner Entstehung mit diesem Hof in Verbindung gebracht werden darf, sollen die beiden Teile der Untersuchung getrennt werden.1 Die Analyse wird sich daher zunächst allein auf den Roman konzentrieren und unabhängig von den am Beispiel des Landgrafenhofs gewonnenen Ergebnissen durchgeführt werden. Dies bietet eine grössere Präzision in der Beurteilung des Mit-Leidens und deshalb auch eine breitere Basis für Überlegungen zu möglichen Verbindungen mit den am Landgrafenhof präsenten Konzepten. Erstes Ziel dieser Arbeit ist jedoch auch aus dieser Perspektive ein vertieftes Verständnis des MitLeidens im Roman. Grundsätzliche Hinweise für die Analyse der Mitleidensthematik im ‹Parzival› bietet die Forschung der vergangenen Jahrzehnte.2 Die Schwer1 Zum spekulativen Charakter einer Zuordnung des ‹Parzival› zu einem Gönner vgl. Bumke, Wolfram, S. 12–19. 2 Es wird im Folgenden nur jener Ausschnitt aus der Forschung behandelt, der sich für die methodische oder thematische Konzeption dieses Teils als besonders wichtig erwiesen hat. Zur weiteren Forschung vgl. für die Zeit vor 1945 Ulrich Pretzel und Wolfgang Bachofer, Bibliographie zu Wolfram von Eschenbach, 2., erw. Aufl., Berlin 1968; für die Nachkriegszeit bis 1970 vgl. Joachim Bumke, Die Wolfram von Eschenbach Forschung seit 1945. Bericht und Bibliographie, München 1970; und für die neuere Forschung vgl. die Bibliographie von Renate Decke-Cornill, in: Wolfram-Studien (ab Bd. 10 fortlau-

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punkte der Untersuchung der geistlichen Motive lagen vor allem auf der Erhellung der Bedeutung des Grals und auf den Erläuterungen Trevrizents wie auch auf der Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse.3 Die Paradigmenwechsel der Forschung werden an der Diskussion um die Frage nach der Schuld Parzivals und ihren außerliterarischen Entsprechungen besonders klar.4 Schon Julius Schwietering wies in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1944/465 nicht nur erneut auf Parallelen zur Leidensmystik Bernhards von Clairvaux hin,6 sondern er suchte auch die Schuldfrage zu erklären. Schwietering bewertete das Frageversäumnis, das Mitleidsversagen gegenüber Anfortas, als größte Schuld Parzivals.7 Unter dem Vorzeichen des ‹Religiösen Primats› nahm er eine traditionsbezogene, ‹Bernhardische› Deutung des Romans vor.8 Ähnlich bewertete auch Gottfried Weber9 das Frageversäumnis als schwerwiegendste Schuld des Protagonisten, doch glaubte er in Trevrizents Lehre einen Vorgriff auf die Theologie des Thomas von Aquin finden zu können. Walter J. Schröder10 wiederum hielt einen Zusammenhang mit der Mystik der Viktoriner für wahrscheinlicher.

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fend). Thematische Überblicke zur Forschungsliteratur bietet Bumke, Wolfram; einen weiteren Zugang bietet die Stellenbibliographie auf CD-Rom zum ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach (Jahrgänge 1984–1996) von David N. Yeandle, bearb. von Carol Magner, Tübingen 2002. Vgl. den Überblick bei Joachim Bumke, Wolfram von Eschenbach, 8., völlig neu überarb. Aufl. (Sammlung Metzler 36), Stuttgart/Weimar 2004, S. 125–141 und 169–193. Ebd., S. 125–134. Vgl. Julius Schwietering, Parzivals Schuld. Ebd., S. 61, vgl. auch S. 68: «Der Bernhardische Gedanke, daß Versenkung in das Leiden Christi das Herz der heiligenden Gnade innerer Erneuerung offen hält, ist der innerste Nerv der Trevrizenthandlung, deren wundersame Stimmung aus der Verwandlung in rein Dichterisches lebt.» Vgl. Schwietering, Parzivals Schuld, S. 56. Vgl. allgemein zum religiösen ‹Problem›: Bumke, Forschung seit 1945, S. 150–176, hier: 150. Vgl. Schwietering, Parzivals Schuld, S. 54. Die Diskussion um die Bewertung der Schuld Parzivals prägte ein Jahrzehnt altgermanistischer Forschung. Vgl. auch Gottfried Weber, Parzival. Ringen und Vollendung. Eine dichtungs- und religionsgeschichtliche Untersuchung, Oberursel 1948; Wolfgang Mohr, Parzivals ritterliche Schuld, in: Wirkendes Wort 2 (1951/52), S. 148–160. Vgl. Weber, Parzival, S. 13 f. Walter J. Schröder, Der Ritter zwischen Welt und Gott. Idee und Problem des Parzivalromans Wolframs von Eschenbach, Weimar 1952.

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1951 erschien Friedrich Maurers übergreifende Monographie über das Leid in den großen Epen der staufischen Zeit.11 Er konzentrierte sich in seinem ‹Parzival›-Kapitel vor allem auf die Figur des Parzival und versuchte dabei, die Sünde des Protagonisten zu bewerten. Als gravierendste Verfehlung schätzte er den Gotteshass Parzivals ein:12 «Hier liegt die schwere Sünde im tiefen und dogmatischen Sinn des Worts.»13 Sünde und Leid suchte er insbesondere über den augustinischen Leidbegriff, das in Erbsünde und Sünde gründende malum, zu erklären. Damit standen in seiner Analyse Leid und Schuld in einer unlösbaren Verbindung. Peter Wapnewski14 kritisierte Maurer in seinen theologischen Auslegungen, unterstützte jedoch auch die augustinische These und erklärte unter Rückgriff auf die Buß- und Sündenlehre des Augustinus die Verfehlungen Parzivals, wobei er das Leid als Sündenfolge auffasste. Die erste und bedeutsamste Sünde Parzivals sah er in der Verursachung von Herzeloydes Tod. Seine Arbeit fand nachhaltige Beachtung. So lobte noch Bumke 1970 rückblickend Wapnewskis Untersuchung als den «Höhepunkt und Abschluss einer Forschungsperiode».15 Doch wurden auch methodologische Bedenken angeführt. Kritisch widmete Blank16 Anfang der 70er Jahre der Forschung zur Sündenproblematik eine Retrospektive. Er urteilte, dass das Ziel der geistesgeschichtlichen Deutungen die «Bestimmung von Wolframs Position»17 gewesen sei. Doch müsse die Forschung sowohl der Theologie wie auch den Textvorgaben gerecht 11 Friedrich Maurer, Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte, besonders in den großen Epen der staufischen Zeit (Bibliotheca Germanica 1), Bern 1951. In Maurers Buch ist die Erinnerung an eigenes Leid und eigene Trauer eingeschrieben, denn der Text der ersten Seite erinnert an die im letzten Kriegsjahr verstorbenen Familienmitglieder, seine Mutter und seinen Bruder. Ein Jahr zuvor waren seine Ergebnisse des ‹Parzival›-Kapitels dieses Buchs in Form eines Aufsatzes über Parzivals Sünden erschienen. Erwägungen zur Frage nach Parzivals ‹Schuld›, in: DVjs 24 (1950), S. 304–346 [Wiederabdr. in: Wolfram von Eschenbach, hg. von Heinz Rupp (Wege der Forschung 57), Darmstadt 1966, S. 49–103]. 12 Maurer, Leid, S. 162 f. und 165. 13 Ebd., S. 165. 14 Peter Wapnewski, Wolframs ‹Parzival›. Studien zu Religiosität und Form (Germanische Bibliothek 3), Heidelberg 1955, S. 85 f. 15 Vgl. Bumke, Forschungsüberblick, S. 167. 16 Walter Blank, Mittelalterliche Dichtung oder Theologie? Zur Schuld Parzivals, in: ZfdA 100 (1971), S. 133–148. 17 Ebd., S. 134.

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werden.18 Ähnlich hatte sich bereits Max Wehrli geäußert, der sich in seiner Rezension zu Wapnewskis Buch den Zuweisungen der geistesgeschichtlichen Forschung gegenüber skeptisch zeigte, denn lediglich die «vorsichtige Parallelisierung und nur im Blick auf das dichterische Ganze»19 mache überhaupt einen Sinn.20 Die verwendeten hermeneutischen Methoden erwiesen sich also als unzureichend, als zu wenig ausdifferenziert.21 Neue Anstösse gaben die Untersuchungen von Cornelia Schu zur Romanhaftigkeit des ‹Parzival›.22 Sie rollte in ihrer Arbeit unter weitgehend textimmanenter Analyse erneut und sehr kritisch auch das Problemfeld der 18 Ebd., S. 148. 19 So Max Wehrli, Rez. zu Peter Wapnewski, Wolframs ‹Parzival›. Studien zu Religiosität und Form (Germanische Bibliothek 3), Heidelberg 1955, in: AfdA 68 (1955/56), S. 111–119, hier: 111. 20 Dennoch besitzt die Schuldproblematik in der Forschung weiterhin Aktualität; vgl. Bumke, Wolfram, S. 126–134. Er widmete dem Schuldproblem noch in der neuesten Auflage seines Kompendiums zu Wolfram von Eschenbach einen eigenen Abschnitt, gab jedoch zu bedenken, dass es trotz vielfacher Bemühungen nicht gelungen sei, «den theologischen Hintergrund von Trevrizents Sündenlehre zu ermitteln». Diese Aussage setzt voraus, dass das Ziel einer theologisch orientierten Untersuchung eine konkrete Verortung des Textes in der Tradition sei. Ein Kapitel zur Problematik des Leidens und Mitleidens im ‹Parzival› fehlt hingegen in Bumkes Buch, wie auch ein Eintrag im Register zu diesem Stichwort. Vgl. auch Brian Murdoch, Parzival and the Theology of Fallen Man, in: A Companion to Wolfram’s Parzival, ed. by Will Hasty (Studies in German literature, linguistics, and culture), Columbia, SC 1999, S. 143–158; vgl. ders., Adam’s Grace: Fall and Redemption in Medieval Literature, Cambridge 2000. Damit ist festzuhalten, dass die Diskussion um die Schuld im ‹Parzival› fortzuleben scheint. 21 Vgl. auch Peter Wieners, Das Gottes- und Menschenbild Wolframs im ‹Parzival›, Bonn 1973. Er machte den Vorschlag, das Mitleid im ‹Parzival› über den katharsis-Begriff der griechischen Tragödie zu klären und Parzivals Leiden als Erziehung zu betrachten. 22 Cornelia Schu, Vom erzählten Abenteuer zum ‹Abenteuer des Erzählens›. Überlegungen zur Romanhaftigkeit von Wolframs ‹Parzival› (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 2), Frankfurt a. M. 2002. Sie greift darin auch auf den Aufsatz von Michael Curschmann, Das Abenteuer des Erzählens. Über den Erzähler in Wolframs ‹Parzival›, in: DVjs 45 (1971), S. 627–667, zurück. Sie untersucht unter Rückbezug auf Bachtins Romantheorie die im Roman angelegte Mehrdeutigkeit des ‹Parzival›, die auf die Bedingtheit von Weltwahrnehmung aufmerksam mache; vgl. Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 433. Vgl. bereits den methodisch ähnlichen Ansatz von Arthur Groos, Romancing the Grail. Genre, Science, and Quest in Wolfram’s ‹Parzival›, Ithaca, N.Y. (u. a.) 1995.

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Schuldfrage auf. Sie kam dabei zu dem Ergebnis, dass «Parzivals Schuld im Text uneinheitlich bewertet wird»,23 dass damit verschiedene Positionen nebeneinander stehen und deren Bewertung «letztlich eine Frage der Autoritätszuweisung»24 sei, je nachdem, welcher Figur im Roman mehr Plausibilität in ihrer Deutung beigemessen werde. Daher erlaube der Text keine «eindeutige religiöse Interpretation».25 Sie gibt mit dieser Wahrnehmung der Pluralität der Standpunkte der Forschung weiterführende Impulse, doch geraten der Handlungsverlauf, seine narrativen Logiken wie auch die übergreifenden Argumentationsmuster und Konzepte in den Hintergrund. Es bietet sich deshalb an, einen Mittelweg zu suchen. Möchte eine Romananalyse dem sehr komplexen Text auch nur annähernd gerecht werden, muss sie ihn sowohl in seinem Facettenreichtum und seinen Widersprüchlichkeiten als auch in seinen konstanten Mustern wahrnehmen. Die Thematik des Mit-Leidens soll deshalb in ihrer Komplexität und ihrer narrativen Entfaltung beschrieben, gleichzeitig aber auch auf ihre Bedeutung und ihre Relationen zu anderen Bedeutungskomplexen geprüft werden.26 Aufschlüsse über die Bedeutung und die Wertigkeiten von Leiden und Mitleiden innerhalb des Romans boten Wortfeldstudien. Maurer erarbeitete auf diese Weise ein Spektrum von Leidensdeutungen: unreflektiertes Hinnehmen von Leid, christliche Deutungen, «die das Leid als Sünde oder als Sündenstrafe verstehen»,27 Leiden als Schicksal oder als Tragik und die Bejahung des Leids als Teil des Lebens.28 Er bezeichnete «das Leid des Menschen in der Welt»29 als entscheidendes Thema für Wolframs Werke. Im ‹Parzival› sei das Leid in fast allen Gestalten und fast allen Szenen präsent,30 steigere sich ab dem dritten Buch und begegne in der Haupthandlung 23 24 25 26

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Ebd., S. 298. Ebd., S. 299. Ebd., S. 301 f. Die Möglichkeiten des letzteren Verfahrens zeigte bereits Helmut Brackert, ‹der lac an riterschefte toˆt.› Parzival und das Leid der Frauen, in: ‹Ist zwıˆvel herzen naˆchgebuˆr› (FS Günther Schweikle), hg. von Rüdiger Krüger (u. a.) (Helfant Studien S 5), Stuttgart 1989, S. 143–163, der die im ‹Parzival› präsenten Verknüpfungen von Rittertum, Gewalt, Tod und Leid der Frauen untersuchte. Er wies überdies darauf hin, dass die Konstellationen von Kampf und Tod der Ritter und die Trauer der Frauen sich wiederholen. Ebd., S. 2. Ebd. Ebd., S. 115. Vgl. auch ders., Parzivals Sünden, S. 304. Maurer, Leid, S. 116.

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in «allen denkbaren Formen».31 Doch erst im Schlusswort griff Maurer das mittelhochdeutsche Wort erbärmde auf als eine der verschiedenen Bezeichnungen für Mitleid bzw. Mitleiden.32 Dabei sah er zwar Beziehungen zwischen Leiden und Mitleiden, beurteilte letzteres für seine Fragestellung jedoch eher als «Randproblem».33 Im Anschluss an Maurers Untersuchung analysierte sein Schüler Siegfried Grosse das Erbarmen in der mittelhochdeutschen Dichtung des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts.34 Erneut standen Wortfelduntersuchungen im Vordergrund, doch wich Grosse in seiner Methode insofern von Maurer ab, als er die Werke ohne Rückbezüge auf geistesgeschichtliche Hintergründe untersuchte und diese erst in seiner ‹Schlussbetrachtung›35 berücksichtigte. Grosse verfolgte mit seiner Arbeit auch nicht das Ziel einer Gesamtdeutung von Romanen vom Begriff des erbarmen her,36 sondern beabsichtigte vielmehr, «das Wort und seine Ableitungen rein bedeutungsmäßig zu fassen».37 Er bemerkte allerdings auch, das erbarmen nehme im ‹Parzival› «eine wichtige Stellung ein»,38 was insbesondere für die Parzivalhandlung als solche gelte, in der er für das Wort 19 Belegstellen nachwies. Diese Feststellungen regen die Überlegung an, welche Gewichtung der Mitleidensproblematik in der Parzival- und in der Gawanhandlung zukommt. Dazu bietet sich ein Vergleich beider Teilhandlungen an. Auch Alois Wolf hob die Relevanz der Leidensthematik hervor. Auch er war von Wortfeldern, deren Beziehungen und Verflechtungen im Roman ausgegangen und verglich seine Ergebnisse punktuell mit biblischen und poetologischen Traditionen. Er beschrieb auf der Grundlage seines Verfahrens den ‹Parzival› als Meditationsgeflecht und hob dabei mehrfach auch die besondere Relevanz der jaˆmer-Thematik im Roman hervor.39 Im 31 Ebd., S. 117 f. 32 Sein Interesse lag allerdings weniger auf den Konzepten von Leiden und Mitleiden, sondern auf dem Wortverständnis. Ebd., S. 267. 33 Maurer, Leid, S. 266. 34 Siegfried Grosse, Der Gedanke des Erbarmens in den deutschen Dichtungen des 12. und des beginnenden 13. Jahrhunderts (Diss. masch.), Freiburg i. Br. 1952, S. 2. 35 Ebd., S. 253–273. 36 Ebd., S. 1. 37 Ebd., S. 1. 38 Ebd., S. 201. 39 Vgl. Alois Wolf, ‹Ein maere wil ich niuwen, daz saget von groˆzen triuwen›. Vom höfischen Roman Chre´tiens zum Meditationsgeflecht der Dichtung Wolframs, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch i. A. der Görres-Gesell-

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‹Parzival›-Kapitel seines Buchs ‹Deutsche Kultur im Hochmittelalter› bezeichnete er den jaˆmer sogar als ein «Leitwort» des Romans.40 Die genannten Wortfeldstudien maßen der Thematik von Leiden und Mitleiden ein besonderes Gewicht innerhalb des Sinngefüges des ‹Parzival› zu. Es kann vor diesem Hintergrund angenommen werden, dass die Leidens- und Mitleidensthematik einen der zentralen Aspekte des ‹Parzival› bildet. Es schließen sich weitere Überlegungen an: Grosse ging in seiner Untersuchung nämlich auch auf die Ausrichtung von erbarmen ein. Der Hauptbeziehungspunkt dieses Begriffs sei der gebrechliche Gralskönig Anfortas.41 Er lenkte den Blick damit auch auf die relationale Ebene, auf die Leidensinteraktionen innerhalb der Handlung. Die von Grosse erarbeiteten Hinweise regen dann die Frage an, in welcher Beziehung Parzivals Leiden zu jenem des Anfortas steht. Zu überlegen ist dann auch, ob Parzivals Leidensweg nicht auch eine Form des Mit-Leidens ist. Schon Maurer hatte den prozessualen Charakter des Leidens hervorgehoben. So zeige der Roman, wie «Leid den Menschen fördert, ihn zu Erkenntnissen und Einsichten führt, die ihm vor der Leiderfahrung fehlten».42 Maurer lotete diesen Lernprozess jedoch nicht in seinen Interaktionen und Korrelationen mit anderen Figuren des Romans aus. Ingrid Hahn arbeitete an diesen Ideen weiter, wies in einem Exkurs zum kumber in der Parzivalhandlung auf die Problematik der Leidensinteraktion im Roman hin. Sie sah deren Bedingung im Wechselverhältnis von Erfahren und Erkennen begründet.43 Hahn kam nämlich zu dem Schluss, dass dem zwi-

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schaft NF 26 (1985), S. 9–73, hier: 12 f., 27, 41 f., 49 (danach zitiert) [Wiederabdr. in: ders., Erzählkunst des Mittelalters: komparatistische Arbeiten zur französischen und deutschen Literatur, hg. von Martina Backes (u. a.) Tübingen 1999, S. 271–337]. Vgl. dazu ders., Interpretatio christiana der Schöpfung als Exemplum für Wolframs Erzählweise, in: Exempla: Studien zur Bedeutung und Funktion exemplarischen Erzählens, hg. von Bernd Engler und Kurt Müller (Schriften zur Literaturwissenschaft 10), Berlin 1995, S. 21–54, hier: 28 f., 47 ff. Vgl. Alois Wolf, Deutsche Kultur im Hochmittelalter 1150–1250 (Handbuch der Kulturgeschichte I. Zeitalter Deutscher Kultur), Essen 1986, S. 372–375. Doch gibt er zu bedenken, der ‹Parzival› sei «freilich keineswegs nur ein Roman von des herzen jaˆmer», ebd., S. 373. Grosse, Gedanke des Erbarmens, S. 195 f. Vgl. Maurer, Leid, S. 166. Vgl. Ingrid Hahn, Parzivals Schönheit. Zum Problem des Erkennens und Verkennens im Parzival, in: Verbum et signum. Beiträge zur mediävistischen Bedeutungsforschung. Studien zu Semantik und Sinntradition im Mittelalter

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schenmenschlichen Verstehen eine gleiche innere Erfahrung und somit eine Entwicklung vorangehen müsse.44 Folglich erklärte sie das Unvermögen Parzivals, Anfortas durch sein Fragen zu erlösen, aus dem Mangel an eigener Erfahrung. Denn «erst die Erfahrung des eigenen aus Sünde und Leid erwachsenen kumbers» ermögliche das Verstehen des Leidens des Anderen.45 Der kumber werde nach Verlassen der Gralsburg zur Triebkraft für Parzivals Weg. Auch die Erkenntnismöglichkeiten Parzivals gegenüber seiner leidenden Cousine seien erfahrungsbedingt, weisen deshalb zunächst Defizite auf, weshalb der Protagonist in seinen ersten beiden Begegnungen trotz «der Spontaneität seiner triuwe-Haltung nicht in der Lage»46 sei, Sigune richtig zu verstehen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen weisen Berührungspunkte mit dem Phänomen der Empathie und der hermeneutischen Funktion von compassio auf, die es innerhalb der Analyse zu verfolgen gilt.47 Diese Form erfahrungsbedingter Erkenntnis scheint überdies ein Spezifikum des ‹Parzival› zu sein, jedenfalls ist der Roman in der Reihe der von Hahn angeführten deutschsprachigen Werke das früheste, in dem das Phänomen auftritt.48 Die Besonderheit der Mitleidenskonzeption im ‹Parzival› hob auch Uta Störmer-Caysa hervor.49 Sie beschrieb vor dem Hintergrund moderner und

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(FS Friedrich Ohly), Bd. 2, hg. von Hans Fromm (u. a.), München 1975, S. 203–232, hier: 223. In einem weiteren Aufsatz vertiefte sie diese Fragestellung. Vgl. Ingrid Hahn, Zur Theorie der Personenerkenntnis in der deutschen Literatur des 12. bis 14. Jahrhunderts, in: PBB 99 (1977), S. 395–444, hier: 443. Vgl. zur Bedeutung sprachlich vermittelter Erfahrung Volker Mertens, Parzivals doppelte Probe, in: ZfdA 108 (1979), S. 323–339. Hahn, Schönheit, S. 223. Ebd., S. 223 f. Vgl. dazu auch Kap. 2. Vgl. Hahn, Personenerkenntnis. Uta Störmer-Caysa, Mitleid als ästhetisches Prinzip. Überlegungen zu Romanen Hartmanns von Aue und Wolframs von Eschenbach, in: Encomia Deutsch. Sonderheft der Deutschen Sektion der ICLS, Berlin 2002, S. 64–93. Sie kontrastierte in ihrem Aufsatz den modernen Mitleidsbegriff mit den mittelalterlichen Begriffen der misericordia und compassio berücksichtigte dazu einzelne ‹Schulen› des 12. Jahrhunderts, zitierte daneben auch den Kirchenvater Augustinus und blickte mit Thomas von Aquin und Bonaventura sogar bis in das späte 13. Jahrhundert. Ihre eher philosophisch orientierte Abwägung zwischen misericordia und dem Affekt der compassio gab ersterer aufgrund ihrer Handlungswirksamkeit den Vorzug.

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mittelalterlicher Traditionen die Mitleidshandlungen im Artusroman und maß dem ‹Parzival› innerhalb der berücksichtigten Werke eine Sonderstellung zu. Sie vertrat nämlich die Ansicht, Wolfram setze die «Barmherzigkeits-Poetik des Artusromans»50 außer Kraft. Von hier aus wird im Folgenden nach den Eigenheiten der Mitleidensthematik im ‹Parzival› zu fragen sein. Doch nicht nur die Partikularitäten des Mit-Leidens sollen herausgearbeitet werden, sondern auch ihre literarische Funktion wird zu prüfen sein. Hinweise dazu bietet ein Aufsatz von Andreas Kraß. Er analysierte Formen von compassio im höfischen Roman.51 Dabei klammerte er den ‹Parzival› allerdings weitgehend aus, deutete nur einige Forschungsperspektiven an, in denen er auf die Relevanz der Mitleidsproblematik im Roman hinwies.52 Kraß lotete allerdings kaum die konkreten Berührungspunkte zwischen geistlichem Konzept und höfischem Roman und die Vermittlungsmöglichkeiten zwischen beiden Bereichen aus. Seine Untersuchung öffnet für die hier folgende Analyse jedoch insofern eine wichtige Perspektive, als sie nach der Funktion von compassio im höfischen Roman fragt. Kraß schlug vor, sie als Mittel geistlicher Überhöhung zu betrachten, denn er beschrieb die Mitleidsfähigkeit als literarisches Mittel der Stilisierung des jeweiligen Protagonisten als «Erlöserfigur».53 Dies gilt es jedoch noch zu präzisieren. Wenn Konzepte von compassio im ‹Parzival› nachweisbar sind, dann muss über die Eigenheiten ihrer literarischen Umsetzung hinaus auch ihre spezifische Funktion beschrieben werden. Zu vermuten ist, dass eine Funktion auf der Handlungsebene auch im Angebot von Sinnfindungen für das Leiden zu sehen ist. Denn Dennis H. Green vertrat die Ansicht,54 Parzival vollziehe einen «progress from tumpheit to wıˆsheit»55 und beschrieb diesen als einen Fortschritt der Selbster50 Ebd., S. 92. 51 Andreas Kraß, Die Mitleidsfähigkeit des Helden. Zum Motiv der Compassio im höfischen Roman des 12. Jahrhunderts (‹Eneit› – ‹Erec› – ‹Iwein›), in: Wolfram-Studien 16 (2000), S. 282–304. Dieser Aufsatz basiert auf Resultaten der Erforschung der Stabat-mater-Dichtung und bietet einen stark resümierenden Überblick über die Entwicklung dieses Begriffs der compassio im Hochmittelalter. Vgl. seinen Exkurs in: ders., Stabat mater, S. 92–142. 52 Ebd., S. 303 f. 53 Vgl. Kraß, Mitleidsfähigkeit, S. 291. 54 Vgl. Dennis H. Green, The Art of Recognition in Wolfram’s Parzival, Cambridge (u. a.) 1982. 55 Green, Recognition, S. 23. Vgl. dazu auch Alois Maria Haas, Parzivals tumpheit bei Wolfram von Eschenbach (Philologische Studien und Quellen 21), Berlin 1964.

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kenntnis. Teil dieser Entwicklung sei der Erwerb der compassio.56 Ähnlich wie Hahn erklärte er, dass für die Erkenntnis des Leidens anderer das Wissen um den eigenen Zustand wichtig sei: «another’s experience can only be understood on the basis of one’s own, that only one’s own suffering can teach fellow feeling with the suffering of another person».57 Die Erkenntnis des eigenen Leidens, die Selbsterkenntnis in Demut sei dann auch die Grundlage für die mitleidige Erkenntnis anderer und darüber hinaus ein Weg zu Gott.58 Green beschrieb das Leiden insofern als einen Prozess. Von diesen Anregungen ausgehend wird daher im Folgenden zu untersuchen sein, inwiefern die Entwicklung des Mit-Leidens auch Parzivals Gottesbeziehung bestimmt. Es ist jedoch anzunehmen, dass Parzivals Mitleidserwerb sich nicht allein auf den Aspekt einer affektiv geprägten, auf den Menschen bzw. Gott ausgerichteten Erkenntnisleistung und Hermeneutik beschränkt. Dies kann aus einem Aufsatz von Günther Schweikle abgeleitet werden.59 Denn er definierte den Mitleidsbegriff zwar eingangs, verwendete ihn dann jedoch nicht systematisch. Er streifte die Begriffe der compassio und der misericordia, distanzierte sich im Weiteren von diesen beiden Begriffen und bezeichnete das Mitleid als Affekt,60 ging dann jedoch über diese Feststellung hinaus und maß dem Begriff im ‹Parzival› abschließend auch ethische Qualitäten bei. Damit deuten sich innerhalb von Schweikles Untersuchung implizit die beiden Facetten der Mitleidsthematik – eine affektive und eine ethische – an. Beide Aspekte sollen im Folgenden aufge56 Zur Beschreibung des Mitleid(en)s verwendete Green auch den englischen Begriff ‹compassion›. Dieser Ausdruck kann mit Mitleid übersetzt werden und lässt auch an den mittelalterlichen Begriff der compassio denken. Sollte Green letztere Bedeutung ‹mitmeinen›, so wird dies nicht präzisiert. 57 Green, Recognition, S. 293, zog für seine Deutung klerikale Konzepte des 12. Jahrhunderts hinzu – und zitierte neben Bernhard von Clairvaux auch Johannes von Salisbury und Heliand von Froidemont –, interpretierte verschiedene Ebenen der Erkenntnis im ‹Parzival› und maß der Thematik der Selbsterkenntnis im 12. Jahrhundert – wie Bumke – eine zentrale Stellung bei. 58 Green, Recognition, S. 296: «Recognition of oneself in humility leads not merely to a compassionate recognition of others, it is also the means to a recognition of God». Green stützte sich neben anderen Quellen insbesondere auf Bernhards von Clairvaux Traktat ‹De gradibus humilitatis et superbiae›. 59 Vgl. Günther Schweikle, ‹træclıˆche wıˆs›. Ein Versuch zum Mitleid im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach, in: Käte Hamburger, Aufsätze und Gedichte zu ihren Themen und Thesen (FS Käte Hamburger), hg. von Helmut Kreuzer und Jürgen Kühnel, Siegen 1986, S. 73–89. 60 Ebd., S. 73.

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nommen und in ausführlicher Textanalyse beschrieben und ausdifferenziert werden. Gehen die genannten Arbeiten von einer Entwicklungsfähigkeit der Figur des Parzival aus, so widerspricht dem gerade die jüngste Forschung. Joachim Bumke untersuchte in seiner von der Blutstropfenszene ausgehenden Studie61 den Aspekt des Leidens und Mitleidens lediglich am Rand, konzentrierte sich vor allem auf das Phänomen des inneren Menschen.62 Bezüglich der Leidenserkenntnis Parzivals gab er allerdings zu bedenken, der Protagonist verstehe auch ohne moralische Schulung im Innern «die Sprache des Leidens».63 Er war der Ansicht, für die Figur Parzivals gelte, dass wichtige Entscheidungen und Erkenntnisse, wie in der Blutstropfenszene, aus dem Inneren kommen: «Für Parzival erweist sich die Erkenntnis von innen als gut und förderlich, während die Erkenntnis durch die Kraft der ratio zu Fehlverhalten und Versagen führt.»64 Bumke charakterisierte Parzival in seiner Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit65 als statisch und unbelehrbar. Ingrid Kasten gab gegenüber Bumke zu bedenken, dass sich bezüglich der Wahrnehmung auf der Ebene der Emotionalität weiterführende Perspektiven öffnen und Parzivals Mangel an rationaler Erkenntnisfähigkeit nicht bedeute, «dass es keine Hinweise auf eine allmählich sich ausdifferen61 Vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 159. Vgl. Joachim Bumke, Abendvortrag. Wahrnehmung und Erkenntnis im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Kultur 1150–1450. DFG-Symposion 2000, hg. von Ursula Peters (Germanistische Symposien. Berichtsbände 23), Stuttgart/Weimar 2001, S. 355–370, hier: 356. Bumkes ‹Abendvortrag› fasst prägnant die wichtigsten Ergebnisse seiner ausführlichen Studie zusammen. 62 Er beleuchtete den Roman aus der Perspektive der Vorstellungen und Begriffe der zeitgenössischen Philosophie und Psychologie und zog dabei die Erkenntnistheorie des 12. Jahrhunderts heran. Vgl. Kap. I. und II. seiner Studie. 63 Ebd., S. 107. 64 Ebd., S. 363. 65 Bumke (s. o.) ging nicht von einer Wandlung Parzivals im 9. Buch im Gespräch mit Trevrizent aus, schloss sich in dieser Meinung Walter Haug, Parzival ohne Illusionen, DVjs 64 (1990), S. 199–217, hier: 210 (u. ö.) [Wiederabdr. in: ders., Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 125–149], an. Bumke lokalisierte den Höhepunkt der Steuerung von innen in der Blutstropfenszene. Er war der Meinung, Formen einer Sprache des Inneren seien die Gedankenrede wie in der Blutstropfenszene, und das Weinen, das Parzival in Soltane und bei der Erlösung des Anfortas zeige. Vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 106. Offen blieb dabei, inwiefern sich die Steuerung von Innen nun im Verlauf der Handlung ändert.

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zierende Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit des Helden gäbe.»66 Es wird deshalb zu fragen sein, ob sich nicht aus dieser Perspektive doch eine Entwicklung abzeichnet. Bezüglich der Entwicklung und Erkenntnisfähigkeit Parzivals äußerte sich auch Walter Haug sehr kritisch. Auch er suchte die Ursache für die Wahrnehmungsschwäche des Protagonisten.67 Er kam zu dem Schluss, Parzival könne sein Leid nicht verstehen und Lösungen wahrnehmen, weil seine Problematik in der Aporie zwischen Figur und Handlungsschematik angelegt sei.68 Die Folge sei, dass der Held an dieser Diskrepanz leide, «denn es gibt keine Vermittlung zwischen Struktur und Bewusstsein.»69 Dies würde allerdings bedeuten, dass eine Sinnfindung für das Leiden handlungsimmanent nicht nachweisbar ist. Zudem konnte Haug ähnlich wie Bumke ab dem neunten Buch des Romans, der Unterweisung Trevrizents, an der Figur des Parzival keine wirkliche Wende feststellen.70 Ob die Parzivalhandlung im Gegensatz zur Auffassung der älteren Studien tatsächlich 66 So Ingrid Kasten, Wahrnehmung als Kategorie der Kultur- und Literaturwissenschaft, in: Wahrnehmung im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach (Actas do Internacional, 15 e 16 de Novembro de 2002), hg. von John Greenfield, Porto 2004, S. 13–36, hier: 30 f., mit Hinweis auf Klaus Ridder, Parzivals schmerzliche Erinnerung, in: LiLi 29 (1999), S. 21–41. Vgl. dies., Emotionalität und der Prozeß männlicher Sozialisation. Auf den Spuren der Psycho-Logik eines mittelalterlichen Textes, in: Querelles 7 (2002), S. 52–71, hier: S. 54 und 65. Bereits Ende der 90er Jahre wies Morgan Powell, The Mirror and the Woman. Instruction for Religious Women and the Emergence of Vernacular Poetics 1120–1250 (Diss. masch.), Princeton 1997, ebenfalls auf die Rolle der Affekte hin. Er widmete sich einer mittelalterlichen, laikalen Rezeptionsästhetik, die er hinter dem Konzept der ‹Frau› verortete. 67 Walter Haug, Warum versteht Parzival nicht, was er hört und sieht? Erzählen zwischen Handlungsschematik und Figurenperspektive bei Hartmann und Wolfram, in: Wahrnehmung im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach (Actas do Colo´quio Internacional, 15 e 16 de Novembro de 2002), hg. von John Greenfield, Porto 2004, S. 37–65. 68 Damit setzt Haug jedoch zwei verschiedene Ebenen der Erzählung in eine direkte Relation. 69 Ebd., S. 62. 70 Ebd., S. 63. Haug stützt sich hier auf Joachim Bumke, Blutstropfen, S. 88 ff. Haug vertritt diese Position auch in anderen Aufsätzen, vgl. ders., Die neue Poetologie der vulgärsprachlichen Dichtung des 12. Jahrhunderts, in: Wolfram-Studien 16 (2000), S. 70–83, hier: 82 [Wiederabdr. in: ders., Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 125–149], und ders., Parzival ohne Illusionen, S. 210.

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«keinen Weg zu Weisheit»71 darstellt, wird anhand der Leidens- und Mitleidensthematik erneut am Text zu prüfen sein. Zudem sollen die verschiedenen Positionen im Folgenden abgewägt werden. So soll der Versuch unternommen werden, auch auf der Handlungsebene Sinnfindungen für das Leiden zu eruieren, die ihrerseits Aufschlüsse über eine Entwicklung Parzivals bieten. Bereits Schwietering hatte darauf hingewiesen, dass das Phänomen des Mitleids die Ebene der eigentlichen Handlung übersteigt. Neuere Studien belegten dies erneut. Walter Haug schloss aus der Analyse der poetologischen Passagen des ‹Parzival› in seiner ‹Literaturtheorie im deutschen Mittelalter›: Wolfram gründe sein Dichtertum «im liebenden und leidenden Mitgehen mit dem von ihm literarisch gestalteten Schicksal.»72 Haug beschrieb damit eine Relation zwischen Erzähler und Erzähltem, deutete darüber hinaus auch rezeptionsästhetische Perspektiven an. Wenn dem so wäre, dass das Mitgehen mit der Erzählung ein wichtiges Prinzip des Romans darstellt, das sich auf den Ebenen des Erzählers und des impliziten Publikums spiegelt, dann scheint es sich zu lohnen, die verschiedenen Ebenen des Romans zu trennen und auch in ihren Relationen zueinander zu analysieren. Auch hier würden sich also Leidens-‹Interaktionen› abzeichnen, deren Untersuchung einen präziseren Zugang zum Verständnis der im Roman präsenten Konzepte bietet. Das Vorgehen der Untersuchung wird komparatistisch bestimmt sein. Denn bereits Wolf kam in seinem Vergleich mit Chre´tien, ähnlich wie vor ihm Schwietering, zu dem Schluss, dass die Umformungen Wolframs gegenüber der Vorlage das Zeichen einer «Auswertung geistlicher Denkformen und Darstellungsmittel» sei, die nicht der Vorlage entnommen werden konnten und die einen integrativen Charakter besitzen.73 Die Integration neuer Elemente kann also durch einen Vergleich mit den Vorgaben der 71 So Bumke, Blutstropfen, S. 105. Eine Beurteilung, inwiefern ein Weg zur Weisheit dargeboten wird, hängt in hohem Maß davon ab, wie ‹Weisheit› definiert wird. Bumkes Argumentation basiert auf der Analyse der Reflexionen Parzivals und beruht sehr stark auf einer rationalen Vorstellung des Begriffs. Zu seiner Argumentation vgl. ebd., S. 100–105. 72 So Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2., überarb. Aufl., Darmstadt 1992, S. 178. Vgl. auch die ältere Untersuchung von Eberhard Nellmann, Wolframs Erzähltechnik: Untersuchungen zur Funktion des Erzählers, Wiesbaden 1973. 73 So Wolf, ‹maere›, S. 72.

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Hauptquelle74 Wolframs, dem ‹Roman de Perceval› von Chre´tien de Troyes (um 1180–1190), mit dem ‹Parzival› erarbeitet werden.75 So besteht das Ziel in der spezifischen Beschreibung neuer Bedeutungsgebungen im Kontext des Mit-Leidens. So soll gefragt werden, wie diese Thematik im ‹Parzival› aktualisiert wird und worin der möglicherweise andere Umgang mit ihr unter zeitgebundenen und geographisch spezifischen Bedingungen liegt. Einen ersten Zugang bietet die Analyse des Prologs.76 74 Vgl. Bumke, Wolfram, S. 237 ff. Bereits Jean Fourquet, Wolfram d’Eschenbach et le Conte del Graal. Les divergences de la tradition du Conte del Graal de Chre´tien et leur importance pour l’explication du ‹Parzival› (Publications de la Faculte´ des Lettres de l’Universite´ de Strasbourg 87), Paris 1938, hat erarbeitet, dass Wolfram als Hauptquelle Chre´tiens Percevalroman verwendet hat. 75 Die dem Vergleich zu Grunde liegenden Textausgaben sind: Chre´tien de Troyes, Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral, altfrz./dt., übers. und hg. von Felicitas Olef-Krafft (RUB 8649[9]), Stuttgart 1991; auch die Übersetzungen vom Altfranzösischen ins Deutsche folgen weitgehend ihrer Übersetzung. Dieser zweisprachigen und leicht zugänglichen Reclam-Ausgabe liegt die Ausgabe des französischen Texts Chre´tien de Troyes, Le roman de Perceval ou le conte du Graal, publie´ d’apre`s le ms fr. 12576 de la Bibliothe`que nationale, 2e e´d., e´d. par William Roach (Textes litte´raires franc¸ais 71), Genf/Paris 1959, zugrunde. Felicitas Olef-Krafft begründet diese Wahl in ihrer Ausgabe auf S. 519 f. Zu weiteren Textausgaben vgl. Bumke, Wolfram, S. 270 f. Als Grundlage für die Analyse des ‹Parzival› dient Wolfram von Eschenbach, Parzival. Studienausgabe, mhd. Text nach der sechsten Ausg. von Karl Lachmann, Übers. von Peter Knecht, Einf. von Bernd Schirok, Berlin/New York 1998. Ein solches Vorgehen erhebt nicht den Anspruch, dem französischsprachigen Text ‹gerecht› zu werden, sondern sucht vielmehr neu ‹inserierte› Konzepte zu beschreiben. Es bezieht auch nicht die Frage ein, nach welcher konkreten Vorlage Wolfram gearbeitet hat. Dies schränkt die Aussagefähigkeit des Vergleichs sicherlich ein, mindert den Komplexitätsgrad der Untersuchung, doch mögen immerhin Grundlinien deutlich werden. Auch die Berücksichtigung der Handschriftenüberlieferung des ‹Parzival› wäre insofern interessant, als die Untersuchung von Textvarianten zusätzlich Einblick in eventuelle Bedeutungsverschiebungen auf der Mikroebene bieten könnte. 76 Vgl. zu den hier behandelten Textstellen die Kommentare von Eberhard Nellmann, Stellenkommentar, in: Wolfram von Eschenbach, Parzival, nach d. Ausg. Karl Lachmanns rev. und komment. von Eberhard Nellmann, übertr. von Dieter Kühn (Bibliothek deutscher Klassiker 110. Bibliothek des Mittelalters 8/2), Frankfurt a. M. 1994, S. 443–803, und Ernst Martin, Kommentar, in: Wolfram von Eschenbach, Parzival und Titurel, hg. und erklärt von dems., Bd. 2. (Germanistische Handbibliothek 9/2), Halle a.S. 1900–1903; eine Auflistung von Kommentaren zu einzelnen ‹Parzival›-Büchern finden sich bei Bumke, Wolfram, S. 262.

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4.1 Voraussetzungen: Der Prolog Der Prolog des ‹Parzival›, von dem man sich erhofft, dass er einen Schlüssel für das Verständnis des ‹Romans› – und somit auch für die ‹Lektüre› der Leidensthematik – liefere,77 gehört zu den rätselhaftesten und am häufigsten interpretierten Stellen des Romans.78 Dabei wurde bei allem Bemühen um ein Textverständnis immer wieder irritiert die Schwierigkeit des Prologs konstatiert,79 bis hin zur Feststellung, dass er gar «kein zusammenhängendes poetologisches Programm»80 enthalte. So ist mit dem folgenden Versuch auch keine festlegende Neudeutung, sondern nur eine offene Lektüre des Prologs intendiert. Problematisch und verwirrend ist der Prolog tatsächlich, und dies schon in seinen sentenzhaften ersten Worten: Ist zwıˆvel herzen naˆchgebuˆr, / daz muoz der seˆle werden suˆr (1,1 f.). Die Eingangssentenz sollte eigentlich dazu dienen, einen Kontakt und Konsens zwischen Erzähler und Publikum her-

77 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 14; vgl. ders., Das literaturtheoretische Konzept Wolframs. Eine neue Lektüre des ‹Parzival›-Prologs, in: PBB 123 (2001), S. 211–229, hier: 213 [Wiederabdr. in: ders., Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 145–159]. Vgl. zum Prolog auch Hennig Brinkmann, Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung. Bau und Aussage, WW 14 (1964), S. 1–21 [Wiederabdr. in: ders., Studien zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, Bd. 2: Literatur, Düsseldorf 1966, S. 79–105]. Vgl. zur Prologtheorie insbes. den ersten Teil von Eckart Conrad Lutz, Rhetorica divina. Mittelhochdeutsche Prologgebete und die rhetorische Kultur des Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 82), Berlin/New York 1984. 78 Vgl. insbesondere zur Forschung Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 211, Anm. 1, und den Aufsatz mit Forschungsüberblick von Bernd Schirok, ‹Swer mit disen schanzen allen kan, an dem haˆt witze wol getaˆn›. Zu den poetologischen Passagen in Wolframs ‹Parzival›, in: Architectura poetica (FS Johannes Rathofer), hg. von Ulrich Ernst und Bernhard Sowinski, Köln/Wien 1990, S. 119–145, hier: 119–123. Vgl. auch Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 41–64. Zur älteren Forschung vgl. den Forschungsbericht von Klaus Bohnen, Wolframs ‹Parzival›-Prolog. Perspektiven und Aspekte der Forschung, Kopenhagen 1976, und Bumke, Forschung; Nellmann, Stellenkommentar, S. 445, sprach die Befürchtung aus: «Über die Deutung des sehr schwierigen Textes wird sich wohl kaum je Konsens erzielen lassen». 79 Vgl. Schirok, ‹Swer mit disen›, S. 119. 80 So Bumke, Wolfram, S. 203.

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zustellen.81 Doch bilden gerade diese Worte durch die Offenheit ihrer Semantik82 und die daraus resultierende Schwierigkeit einer Fixierung der Bedeutung ein Verständnisproblem. Zwar herrscht inzwischen die Meinung vor, dass zu Beginn ein intertextueller Bezug zum Gregorius-Prolog hergestellt werde,83 doch scheint sich bereits das zweite Wort des Prologs, der zwıˆvel, selbst auf der Grundlage intertextueller Analyse, einer eindeutigen semantischen Definition zu entziehen.84 Vielmehr tut sich ein Spektrum von Bedeutungen auf, das «vom Verlust des Seelenheils bis zu einer korrigierbaren Gefährdung»85 reicht. Und so ließ sich in der Forschung kaum ein Konsens über dessen Bedeutung herstellen.86 Deshalb soll im Folgenden der Versuch einer Prologlektüre unternommen werden, die nicht einzelnen Vers- und Wortbedeutungen nachgeht und einzelne Traditionsbezüge aufzeigt.87 Vielmehr möchte ich fragen, ob nicht in diesen ersten Versen des ‹Parzival› eine eher prozessuale, erfahrungsbezogene Lektüre gefordert wird.88 Denn bereits die nachfolgende Vorstel-

81 Hier soll im Anschluss an Haug, Das literaturtheoretische Konzept, die Verbindung zwischen Prologinhalt und Parzival zunächst unterbleiben – die Forschung hat jedoch meist beides aufeinander bezogen. Vgl. dazu beispielsweise Nellmann, Stellenkommentar, S. 447: die meisten Interpreten finden «in dem elsterfarbigen Mann Parzival charakterisiert». 82 Vgl. Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 218. 83 So bereits Hermann Schneider, ‹Parzival›-Studien (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philos.-hist. Klasse 1944/46, 4), München 1947, S. 11 ff.; vgl. auch Helmut Brall, ‹Diz vliegende bıˆspel›. Zu Programmatik und kommunikativer Funktion des Parzivalprologes, in: Euphorion 77 (1983), S. 1–39, hier: 5 ff. Vgl. Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 214, und ders., Literaturtheorie, S. 160; Christian Kiening, Reflexion – Narration. Wege zum ‹Willehalm› Wolframs von Eschenbach (Hermaea NF 63), Tübingen 1991, S. 37. 84 Zur Ambivalenz des Begriffs vgl. auch Bernd Schirok, Von ‹zusammengereihten Sprüchen› zum ‹literaturtheoretische[n] Konzept›. Wolframs Programm im ‹Parzival›: die späte Entdeckung, die Umsetzung und die Konsequenzen für die Interpretation, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 63–94, hier: 92. 85 Ebd.; vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 159. Letzterer gibt dazu einen Bedeutungsspielraum «von religiöser desperatio bis zu bloßer Unsicherheit» an. 86 Vgl. dazu Bumke, Wolfram, S. 41. 87 Ähnlich Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 218; vgl. auch Kiening, Reflexion – Narration, S. 38. 88 In Anlehnung an Haug, Literaturtheorie, S. 166. Vgl. auch Kiening, Reflexion – Narration, S. 41.

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lung der Menschentypen insistiert auf dem Uneindeutigen,89 präsentiert nicht nur zwei klare Positionen, jene des schwarzen unstaeten und des weißen staeten, sondern richtet sich auf jenen, der agelstern varwe (1,6) hat, der an beidem gleichzeitig partizipiert90 – an im sint beidiu teil / des himels und der helle (1,8 f.) – und sich im breiten Spektrum der dazwischen liegenden Möglichkeiten bewegt. So interpretiert Schirok den Begriff des zwıˆvel ethisch als eine noch unbestimmte Haltung, «die zu Lebzeiten zwar z u r (d. h. in Richtung auf die) Hölle führt, aber noch überwunden werden kann».91 Die ersten beiden Verse besitzen sicherlich ethische und soteriologische Konnotationen, doch führt gleichzeitig der Prolog in seiner semantischen Offenheit auch den zwıˆvel als Merkmal eines angemessenen Verständnisses ein. Dann ist der zum Eingang genannte Begriff auch zu einem aktiven Nachvollzug, zu einer ‹Abbildung› im Rezipienten, freigegeben. Nimmt man dies an, so besteht das «poetische Kalkül»92 der ersten Verse darin, die «Verunsicherung des Rezipienten»93 auszulösen, damit sich der zwıˆvel im Rezipienten spiegelt. Der zwıˆvel kann dann auch seiner Seele bitter und unangenehm werden (1,2). Somit regen diese Verse zur Angleichung des Rezipienten an den Textinhalt und damit zu einer spezifischen Texterfahrung an. Die Annahme einer Forderung zur Angleichung an die Inhalte dieser Verse, d. h. der inneren Abbildung des Präsentierten, ist auch deshalb möglich, weil der Prolog im Folgenden selbst nicht explizit poeto-logisch argumentiert,94 sondern in sprunghaft assoziativer Verkettung überraschende Bilder, nämlich Metaphern der Bewegung und des Ephemeren, reiht. Sie problematisieren zunächst den Akt des Verstehens am Beispiel der tumben. Jenen ist das vliegende bıˆspel – womit eine metonymische Verbindung zum gemischten, elsternfarbenen Menschentyp hergestellt werden kann, der das Spektrum von Möglichkeiten vertritt – zu schnell: es ist in Bewegung, ist nicht zu halten, entzieht sich, entfliegt, wird flüchtig. Diese Thematik setzt sich innerhalb dieser Bilderkette mit weiteren Bildern des Ephemeren im Lauf des Hasen, dem Spiegel und dem Traum des Blinden fort, hält

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Vgl. Schirok, Von ‹zusammengereihten Sprüchen›, S. 74. Vgl. auch Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 222. So Schirok, ‹Swer mit disen›, S. 124. Ebd., S. 219. Ebd. Vgl. auch Haug, Literaturtheorie, S. 162.

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dann im nutzlosen Angriff auf die Handfläche des auktorialen Ichs inne (1,26–30):95 wer roufet mich daˆ nie kein haˆr gewuohs, inne an mıˆner hant? der haˆt vil naˆhe griffe erkant. sprich ich gein den vorhten och, daz glıˆchet mıˆner witze doch.

Der tumbe sucht und begreift am falschen Ort, bleibt an der repräsentierten Körperoberfläche hängen,96 und setzt sich ob dieser Oberflächlichkeit dem Spott des auktorialen Ichs aus.97 Weil sich der ‹Angriff› auf Oberflächlichkeiten beschränkt, nicht in die Tiefe geht, geht er ins Leere. Es ist gerade nicht diese Art des Angriffs, die wirklich ‹berührt› und zur Erschließung der Erzählung führt.98 Dies kann jedoch auch einen Erzähler ankündigen, der ebenso wandelhaft, flüchtig, ungreifbar und flexibel agiert, der mit Rollen und Masken spielt und daher so schwierig ‹begreifbar› scheint wie das maere selbst. Dann wird allerdings auch zu erwarten sein, dass er – wie der Prolog – seine Aufgabe der Vermittlung und Erklärung nicht argumentativ und explizit erfüllen wird, sondern implizit durch vermittelnde ‹Vorführungen› und deiktische ‹Inszenierungen› des Erzählten unter Rekurs auf eine individuelle Erfahrungswelt.99 95 Vgl. Nellmann, Stellenkommentar, S. 447. 96 Womit auch Parallelen zur späteren Sangspruchdichtung und ihrer weisheitlichen Lehre deutlich werden, vgl. beispielsweise Fridankes Bescheidenheit, hg. von H[einrich] E[rnst] Bezzenberger, Halle 1872, vgl. insbes. zur ungreifbaren seˆle: V. 17,7–12 und 18,4–11, S. 82 f. Vielversprechend wäre ein ausführlicher Vergleich des Prologs mit den Traditionen der Weisheitsdichtung. Dabei wären dann nicht nur inhaltliche Aspekte mit dem Prolog zu vergleichen, sondern auch das strukturelle Verfahren freier, offener und assoziativer Reihung von Aussagen. 97 Vgl. Kiening, Körper und Schrift, S. 199 f., der die Stelle auf die Konstruktion einer fingierten Autor-Rolle hin liest. Vgl. auch ders., Der Autor als ‹Leibeigener› der Dame – oder des Textes? Das Erzählsubjekt und sein Körper im ‹Frauendienst› Ulrichs von Liechtenstein, in: Autor und Autorschaft im Mittelalter, hg. von Elizabeth Andersen (u. a.), Tübingen 1998, S. 211–238, hier: 211, wobei Kiening hier ein Oszillieren zwischen metaphorischer (Produktionsakt) und metonymischer (Autor) Bedeutung feststellt. 98 Vgl. auch Kasten, Wahrnehmung, S. 35. Ihrer Deutung eines Bezugs dieser Stelle auf den Wahrnehmungsakt als solchen möchte ich mich anschließen. 99 Wobei ich offen lassen möchte, inwieweit eine solche ‹Inszenierung› auf eine Umsetzung im Rahmen einer Vortragssituation hinweisen soll oder rein im

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Im Prolog setzt sich die Metaphernkette in Beispielen der Suche am falschen Ort fort: triwe ist nicht dort zu finden und zu greifen, wo sie verschwindet wie das Feuer im Brunnen und der Tau in der Sonne. Die Thematik der Beweglichkeit des bıˆspel wird unter Anspielung auf das Jagen und Verfolgen, Entweichen und Umkehren im Turnier erneut aufgenommen.100 Die Verwendung der Turniermetapher für den Verlauf des maere bedeutet nun auch einen Rückbezug auf die ritterliche Erfahrungswelt des potentiell turniererfahrenen höfischen Publikums, denn maere und leˆre (2,10 ff.), beidiu si vliehent unde jagent, / si entwıˆchent unde keˆrent, / sie lasternt unde eˆrent. Diese Beweglichkeit des Dargebotenen wird mit der geforderten Rezeptionshaltung in Verbindung gesetzt (2,13 f.): swer mit disen schanzen allen kan, / an dem haˆt witze wol getaˆn. Daraus lässt sich folgern, dass jene, die diese ‹turnierende› Erzählung nachvollziehen können, die rechte Einsicht und Weisheit besitzen. Mit solcher Weisheit ist hier jedoch vielleicht nicht nur der Verstand, sondern mehr noch eine Erfahrungsweisheit gemeint. Das maere ist dann dem fassbar, der sich an das bewegliche Erzählte – an das parrierte maere, das sich selbst zwischen staete und unstaete bewegt – angleicht (2,15 f.): der sich niht versitzet noch vergeˆt / und sich anders wol versteˆt. Liegt dem jedoch nicht eine ehrliche, treue Gesinnung zugrunde, so droht das Höllenfeuer (2,17 f.): valsch geselleclıˆcher muot / ist zem hellefiure guot. Dass Untreue bestraft wird, verdeutlicht auch das abschreckende Beispiel der untreuen, ungeduldigen Kuh. Sie ist nur noch mit einem kurzen Schwanz bewehrt und damit gegen Bremsenstiche schlecht gewappnet (2,20 ff.).101 So erschließt sich dieses maere vornehmlich dem, der in seinem ‹conformativen› Mitgehen Beharrlichkeit und Geduld (2,20) aufweist. Das bedeutet dann für die hier im Prolog eingeleitete Erzählung vielleicht weniger, das Unfassbare der Erzählung als Thema Raum des Imaginären bleibt. Das würde entgegen Timo Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion. Zur Interdependenz von Erzählerstilisierung, Stoff und Gattung in der Epik des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZfdPh 120 (2001), S. 1–23, hier: 14 f., eben nicht bedeuten, dass der Erzähler den Rezipienten allein lässt, sondern vielmehr alternative Wege der Sinnvermittlung in Kraft treten. 100 Siehe ebd., S. 225; vgl. auch Kiening, Reflexion – Narration, S. 39; vgl. Martin, Kommentar, S. 9. Vgl. auch Schirok, Von ‹zusammengereihten Sprüchen›, S. 75. 101 Zu den Bezügen zur Nigellus-Fabel vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 166, und ders., Das literaturtheoretische Konzept, S. 225 f.

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zu verstehen,102 sondern vielmehr, deren Fassbarkeit prozessual im Akt eines Nachvollzugs, nämlich der in der Erfahrung gründenden, beständigen Partizipation am Text, zu suchen.103 Dann erschließt sich diese nicht-lineare, überraschende und agile Erzählung besonders jenem, der sich aufgrund eigener Erfahrung auf die Erfahrung des Erzählten einlässt. Verbindet man die oben genannten Aspekte, so kann eine solche Lektüre des Prologs schließen lassen, dass der erfahrungsbezogene Nachvollzug von maere und leˆre die Kunst des Verstehens, eine Hermeneutik, darstellt. So öffnen sich gerade aus der Abfolge der Metaphern und dem Hinweis auf den Verlauf der Erzählung erste Perspektiven: der Text entzieht sich festen Definitionen, verlangt in seiner Variabilität, ‹Flüchtigkeit› und Offenheit eine Haltung des Mitgehens.104 Eine solche Haltung sichert das Verständnis der Erzählung, enthüllt Inhalte und macht sie in ihrer Flüchtigkeit ‹greifbar›. Es deutet sich im zweiten Teil des Prologs eine Rezeptionsforderung an, die mit den Kategorien der Partizipation (participatio) und der Angleichung (conformatio) an die Textinhalte in Verbindung gebracht werden kann.105 Dem impliziten Rezipienten wird dabei auch die Beweglichkeit zum Nachvollzug laufender Perspektiven- und Standortwechsel abverlangt106 und damit eine Partizipation an den dargebotenen Inhalten, die dann – je nach Thematik – auch eine affektive Partizipation bedeuten kann. So wird zu fragen sein, welche Rolle ein solcher Appell zur conformatio an das Erzählte spielt und wie sich dieser auf den verschiedenen Ebenen der Erzählung zum repräsentierten Leiden verhält.

102 Vgl. Haug, Das literaturtheoretische Konzept, S. 225. 103 Vgl. ähnlich Kiening, Reflexion – Narration, S. 41. Vgl. auch Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 63, zum Prolog vgl. auch 435 f. 104 Michael Curschmann, Der Erzähler auf dem Weg zur Literatur, in: WolframStudien 18 (2004), S. 11–32, hier: 28, weist für die historische Genese und Rezeption des ‹Parzival› auch auf ein «aktives Publikum, das ‹mitmacht›», hin. 105 Vgl. Teil II. 106 Vgl. Haug, Literaturtheorie, S. 162; Reuvekamp-Felber, Autorschaft, S. 14 f. Ich erinnere an den Prolog des Psalmenkommentars Gerhochs von Reichersberg, der die Variabilität der Affekte beschreibt und ein affektives Mitgehen mit dem Psalmenext empfiehlt: sed saepe de affectu in affectum transit, verbi gratia, in angustiis constitutus. Vgl. Gerhoch, Commentarius Aureus, PL 193, Sp. 636 und Kap. 2.4.

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4.2 Die Präsenz des Leidens Schon der Prolog hat als ein Thema neben der Liebe auch das Leid angekündigt (3,30 f.): die aventiure handelt von liebe und von leide: / fröud und angest vert taˆ bıˆ. Auch in der ‹Frauenpassage› (337) am Ende des 6. Buchs liegt erneut ein Akzent auf dem Leiden der Frauen der Gahmuret- und der Parzivalhandlung. Dort erinnert der Erzähler, um die Gunst der potentiellen Hörerinnen werbend, an den Schmerz der von Gahmuret verlassenen Königin Belakane (337,7), an die trauernde Herzeloyde (337,11), an die Klage der Ginover (337,13), an Jeschute (337,18) und Cunneware (337,19).107 Doch sollen weniger das Leiden an sich und die Gewalt gegen Frauen, ihre enttäuschte Liebe und die Trauer über den Verlust ihrer Geliebten und Ehemänner in ritterlichen Zweikämpfen analysiert werden. Vielmehr liegt der Analyseschwerpunkt auf den Sinngebungen für das Leiden, die in der Interaktion zwischen den Figuren deutlich werden. Diese am Leiden orientierte Analyse wird sich auf die Figur des Parzival konzentrieren, denn der Protagonist dieses Handlungsteils zeichnet sich dadurch aus, dass er seit seiner Geburt mit Kontexten des Leids in Berührung steht und bis zum Schluss der Parzivalhandlung, bis zu seiner Berufung zum Gralskönig, selbst als Leidender charakterisiert wird. Die Formen des Leidens, die sich mit seinem Weg verbinden, weisen ein besonders breites Spektrum auf:108 Parzival begegnet auf seinem Weg dem 107 Elisabeth Lienert, Zur Diskursivität der Gewalt in Wolframs ‹Parzival›, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 223–245, untersucht diese in ihrer Studie ausführlich, der Schwerpunkt ihrer Untersuchung liegt jedoch auf der Gawanhandlung. Vgl. zur Gewalt im ‹Parzival› Brackert, ‹riterschefte›, S. 146, der auf die Wiederholungen der Konstellation von Kampf, Tod der Ritter und Trauer der Frauen im ‹Parzival› hinweist; vgl. zum Thema Gewalt auch Otto Neudeck, Das Stigma des Anfortas. Zum Paradoxon der Gewalt in Wolframs ‹Parzival›, in: IASL 19 (1994), S. 52–75, und Ulrich Ernst, Liebe und Gewalt im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach. Literaturpsychologische Befunde und mentalitätsgeschichtliche Begründungen, in: Chevaliers errants, demoiselles et l’Autre. Höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter (FS Xenja von Ertzdorff), hg. von Trude Ehlert (GAG 644), Göppingen 1998, S. 215–243. Vgl. zur männlichen Sozialisation und Gewalt im ‹Parzival›: Robert Scheuble, ‹mannes manheit, vrouwen meister›. Männliche Sozialisation und Formen der Gewalt gegen Frauen im ‹Nibelungenlied› und in Wolframs von Eschenbach ‹Parzival› (Kultur, Wissenschaft, Literatur. Beiträge zur Mittelalterforschung 6), Frankfurt a. M. (u. a.) 2005. 108 Vgl. Wolf, Deutsche Kultur, S. 372–375, und ders., ‹maere›, S. 12 f., 27, 41 f.,

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Leiden, verursacht und behebt es, leidet selbst unter der Trennung von Frau und Gral und wird schließlich durch die Berufung zum Gral von seinem eigenen Leiden erlöst. Schon seine Geburt steht unter dem Zeichen der Klage seiner Mutter Herzeloyde um Gahmuret. Parzival wächst bei seiner in tiefe Trauer versunkenen Mutter in der waste Soltane auf, die sich dorthin aus Kummer über den Tod ihres Ehemanns zurückgezogen hat. Parzivals Weg zum Rittertum ist von Begegnungen mit dem Leiden gesäumt. Er wird bei seinem Auszug aus Soltane selbst zum Verursacher von Leid, indem er Jeschute mit dem Raub von Kuss, Ring und Brosche in eine Situation des Leidens bringt, durch den Verwandtenmord an Ither seine rote Rüstung erlangt und dabei die Damen des Artushofs in Trauer stürzt. Er begegnet seiner über den Verlust ihres Geliebten Schianatulander trauernden Cousine Sigune. Und sogar seine höfische Erziehung erhält er am Hof des Ritters Gurnemanz, der auch vom Tod seiner Frau und Söhne gezeichnet ist. Und er erneuert an diesem Hof die Trauer, weil er Liaze nicht zur Frau nimmt. So bricht er von dort mit dem Ziel auf, nach der ritterlichen Unterweisung an diesem Hof aventiure zu suchen und ritterliche Erfahrungen zu sammeln. Er findet Condwiramurs – die das Liebeswerben Clamides zurückgewiesen hat – in einer Situation der Belagerung eingeschlossen auf der Burg Pelrapeire vor. Ich möchte diese Szene ausführlicher als das Vorangehende behandeln, da hier nicht nur Parzivals Leidensinteraktionen gut beobachtbar sind, sondern auch die Erzählereingriffe auf das Leiden Bezug nehmen. Das auf Pelrapeire versammelte Heer ist eine jæmerlıˆche schar (184,1), denn die Bevölkerung der Burg leidet unter schwerer Hungersnot. Die Gesichter der Ritter und Soldaten sind fahl, ihre Bäuche eingefallen, denn es fehlt an allem: an Käse, Fleisch und Brot. Jammer herrscht auf der Burg. Doch Parzival vermag es, in dieser Situation einzugreifen. Wie Perceval kämpft er gegen die Belagerer, wird durch ritterliche Taten zum Befreier der Burg und erwirbt die Liebe der Burgherrin. Wolfram folgt bei der Gestaltung dieser Szene weitgehend den Vorgaben Chre´tiens.109 49; vgl. ders., ‹Interpretatio christiana›, S. 28 f., 47 ff. Vgl. auch die Bemerkungen von Maurer, Leid, S. 115–122; vgl. Schwietering, ‹Wolframs Parzival›, S. 318; und auch kritisch Henry Kratz, Wolfram von Eschenbach’s ‹Parzival›. An Attempt at a Total Evaluation, Bern 1973, S. 520 f., der allerdings sehr viel mehr als Wolf daran zweifelt, dass Leiden das entscheidende Thema des Romans sei. 109 Vgl. zu den wichtigen Veränderungen der vorangehenden Szenen, auch zu

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Auffällig sind in dieser Szene allerdings die in der Vorlage fehlenden Erzählereingriffe. Doppelt stellt das auktoriale Ich diese Situation in einen Kontext einer ‹historischen› Erfahrungswelt:110 Zunächst wirft es ein, dass sein Herr, der Graf von Wertheim, dort nicht gerne gedient hätte (184,4 f.), dann bezieht es das Erzählte auf sein eigenes Dasein, verweist auf sein eigenes Hungerleiden daheim, wo selbst die Mäuse selten etwas zu fressen finden könnten: alze dicke daz geschiht / mir Wolfram von Eschenbach, / daz ich dulte alsolch gemach (185,6 ff.).111 Zwar stehen die Vergleiche in einem Verhältnis der Disproportion zur schlimmen Situation auf der fiktiven Burg,112 weisen humorvoll-ironische Züge auf und heben auch den fiktionalen Charakter der Erzählung hervor.113 Doch in dieser vergleichenden Bezugnahme auf seine eigene leidvolle und bemitleidenswerte Situation zeugt der Erzählereingriff auch für eine besondere Nähe zum Erzähl-

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Wolframs Einführung der Elternvorgeschichte, Bumke, Wolfram, S. 61–64 und 271; vgl. Groos, Romancing the Grail, S. 103, vgl. ders., Dialogic Transpositions: The Grail Hero Wins a Wife, in: Chre´tien de Troyes and the German Middle Ages (Arthurian Studies 26. Publications of the Institute of Germanic Studies 53), Cambridge/London 1993, S. 257–276, hier: 263. Die Verszahl variiert nur wenig, Wolfram führt das Motiv keuscher Liebe und der Ehe zwischen Condwiramurs und Parzival ein. Vgl. zu den Veränderungen der Liebesthematik in dieser Szene, insbesondere die Tilgung der ovidischen Liebeskonzeption Adrian Stevens, Heteroglossia and Clerical Narrative: On Wolfram’s Adaptation of Chre´tien, in: Chre´tien de Troyes and the German Middle Ages (Arthurian Studies 26. Publications of the Institute of Germanic Studies 53), Cambridge/London 1993, S. 241–255. Inwiefern sich hier Hinweise auf Auftraggeber des Werks verbergen oder hier Bezüge zur historischen Realität bzw. zur tatsächlichen Situation des Autors zu sehen sind, möchte ich offen lassen. Interessant scheint hier die Verbindung von Leid und Komik. Bumke, Wolfram, S. 226, misst ihr eine Funktion des Kontrasts bei. Dabei sind jedoch die Ebenen der Situation und der Leidensintensität der Handlung, die in diesem Vergleich im Kontrast zum auktorialen Exkurs stehen, und der Thematik, die zwischen Erzähltem und Exkurs eine Übereinstimmung aufweist, zu unterscheiden. Dabei gilt es, beides bei der Analyse mit zu berücksichtigen. So hebt Nellmann, Wolframs Erzähltechnik, S. 138, den Kontrast, die «Disproportion zwischen Durchschnittlichkeit des Erzählers und idealer Welt des Romans» hervor. Vgl. Klaus Ridder, Autorbilder und Werkbewußsein im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien 15 (1998), S. 168–194, hier: 173, und ders., Narrheit und Heiligkeit. Komik im ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 136–156, hier: 155. Vgl. auch Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 130.

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ten.114 Mit diesem Exkurs zum selbst erlebten Hungerleiden im ‹eigenen› Heim demonstriert er eine ‹Interaktion›, sein ‹Mitgehen› mit der Handlung.115 Eine solche Haltung der ‹Angleichung› lässt sich an einer weiteren Erzählerstilisierung des Romans illustrieren. Beobachtbar ist eine weitere Form der Angleichung des auktorialen Ichs an die Inhalte, denn in der ‹Selbstverteidigung› präsentiert es als Ritter – schildes ambet ist mıˆn art (115,11) – die Erzählung.116 Feststellbar ist auch eine Angleichung an das implizite Publikum, denn der ‹ritterliche Laie› vermittelt einem potentiell ritterlichen und im Rittertum erfahrenen Publikum seine ‹Rittererzählung›.117 Wenn sich das auktoriale Ich in seinen Interventionen als durchschnittlich und daher leicht ‹einholbar› und erheiternd auszeichnet,118 dann steht dieses ‹Ich› in einer ironischen Distanz zum erzählten Leid und den Heldentaten des Protagonisten.119 Gleichzeitig bleibt das auktoriale Ich über seine Ontologie wie auch in seinen Rückbezügen auf die eigene Er114 Bumke, Wolfram, S. 217 f., deutet den Jammer des Erzählers als Möglichkeit für das implizite Publikum, «Mitleid mit dem Erzähler zu haben und auf ihn hinunterzusehen.» 115 Die Rekonstruktion des ‹Autors› als solchen mittels der Summe der Charakterisierungen mag die punktuellen Bezüge zur Handlung eher übersehen. Vgl. dazu auch Reuvekamp-Felber, Autorschaft. 116 Das auktoriale Ich grenzt sich zudem vom Minnesang ab (115,13) und stilisiert sich in Absage von der Buchgelehrsamkeit (115,29 f.) dezidiert als Laie. Es sitzt außerdem im Anschluss an die ‹Frauenpassage› selbst im Sattel (337,30). Beurteilt man den Erzähler in der Selbstverteidigung als «Personifizierung der literarischen Gattung», vgl. Curschmann, Abenteuer, S. 658, versteht man seine Funktion als ‹Rolle›, dann darf hier von einer Übereinstimmung zwischen Erzähler und Erzähltem gesprochen werden. Diese Übereinstimmung wirkt allerdings nur als partielle Angleichung, da sie in jenen Szenen gebrochen wird, in denen der Erzähler seine eigene Mittelmäßigkeit mit der Großartigkeit des Erzählten in Beziehung setzt. 117 Vgl. auch die Prolog-Analyse. Ähnlich auch Curschmann, Erzähler, S. 26: «Sein Erzähler agiert als Laie, der für Laien dichtet und deklamiert.» Allerdings steht dies im Rahmen seiner Rekonstruktion der Genese des ‹Parzival› im Gespräch und dessen historischer Vortragssituation. Vgl. auch Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild, Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 54. Letzterer vermutet, dass der Autor sich «mit seinem laikalen Auditorium zu solidarisieren» scheint. 118 Vgl. Nellmann, Erzähltechnik, S. 15: «Jeder Zug ins Große fehlt ihm». 119 Vgl. Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 268; die Darstellung werde immer wieder durch einen Erzähler ironisch gebrochen, der das Geschehen mehrfach als «historisches Subjekt mit individueller Erfahrung kommentiert». Sie bezieht dies auf die Szene auf Munsalvæsche, 227,9–16; 230,12–14.

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fahrung mit dem Erzählten in einer Relation der Ähnlichkeit verbunden. Bezieht sich die Aussage der ‹Selbstverteidigung› jedoch auf die übergeordnete Thematik und Gattung, so verweist der Hunger-Exkurs auf eine spezifische Leid-Erfahrung. Bedeutet dies eine Angleichung an das Erzählte, dann weist dieser Exkurs – als «sich zeigendes Spiel des Erzählens»120 bzw. als ‹Übersetzung› des Erzählten – auf einer exemplarischen Ebene auf den Stellenwert einer erfahrungsbezogenen Umsetzung des Erzählten hin. Diesem erzähltechnischen Verfahren entspricht, dass der Erzähler unmittelbar im Anschluss an den Vergleich der fiktiven und der ‹eigenen› Hungersnot auch das implizite Publikum in die Handlung hineinzieht, wiederholt eine Anteilnahme am erzählten Leid verlangt (185,16–20): nu solde erbarmen iuch ir noˆt [. . .] nu hœrt meˆr von den armen: / die solten iuch erbarmen. Auch diese Aufforderungen fehlen in der französischsprachigen Vorlage.121 Parzival, der auf Pelrapeire helfen soll, scheint in dieser Szene im Kontrast zu dieser Forderung affektiver Anteilnahme zu stehen. Er sitzt, wie auch in der Vorlage (1856), zunächst stumm neben der Königin (188,15– 18), fragt nicht nach der Not auf Pelrapeire und spricht erst, als Condwiramurs ihn begrüßt (189,7). Das Leiden der Belagerten enthüllt sich Perceval wie Parzival erst im nächtlichen Gespräch (194,10–196,1). Condwiramurs erzählt ihm unaufgefordert von der Not (194,10 f.). Parzival zeigt sich sofort hilfsbereit, bietet seine ritterliche Hilfe an (195,27–196,1), und es gelingt ihm, in zweifachem Kampf gegen Kingrun und Clamide, Pelrapeire aus der Umklammerung der feindlichen Heere zu befreien. Durch Gottes Eingreifen erhält das Volk Nahrung und Parzival verteilt diese in weisem Handeln. Er erlöst (vgl. 195,14 f.) Condwiramurs von ihrem Leid und erwirbt sie schließlich als Gemahlin. Doch bricht er bald zu seiner Mutter (223,18 f.) und zu aˆventiure zil (223,23) wieder auf. Die Trennung der Liebenden bedeutet für beide eine Verlusterfahrung (223,9 f.), und der Erzähler zeigt sich erneut innerlich am Erzählten beteiligt, bemitleidet Condwiramurs (223,11): ouch riwet mich daz werde wıˆp. Auch kündigt er nach Parzivals Aufbruch Unheil an, denn Parzival werde nun großes Leid (hoˆhen pıˆn; 224,8) und erst später freude und eˆre erleben. Damit scheint sich abzuzeichnen, dass Parzival jetzt selbst vom Leid affiziert wird. Er befindet sich nach seinem Aufbruch von Pelrapeire auf seinem Weg zur Gralsburg 120 So Ridder, Narrheit und Heiligkeit, S. 155. 121 Nach Bumke, Wolfram, S. 239, ist die Erzählweise Chre´tiens dadurch charakterisiert, dass er «die Zuhörer auf Distanz» hält – dann steht sein Verfahren in einem Gegensatz zu Wolframs Konzeption.

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Munsalvæsche, wo während des festlichen Abends eine neue Leid-Aufgabe auf ihn wartet. Im Vergleich zur französischsprachigen Vorlage wurde die Ereignisfolge in der Fest-Szene umgestellt.122 Bei Chre´tien begrüßt der Fischerkönig Perceval unter ausdrücklichem Hinweis auf sein Leiden, schenkt ihm anschließend ein überaus wertvolles Schwert. Dann werden in feierlicher Prozession die blutende Lanze und der Gral vorgeführt, während Perceval mehrfach überlegt, ob er danach fragen soll. Der Abend schließt mit dem Abschied vom Fischerkönig, der erneut sehr deutlich auf seinen Leidenszustand aufmerksam macht. Wolfram stellt das Schwertgeschenk hingegen an das Ende der Szene, kurz vor den Abschluss des Abends und den Abschied Parzivals vom Gralskönig Anfortas. Auch die Thematisierung des Leidens des Königs erfährt grundlegende Modifikationen. Rahmen bei Chre´tien explizite Hinweise auf das Gebrechen die Fest-Szene, so wird das Leiden des Königs bei Wolfram erst bei der Schwertübergabe verbal angedeutet. Die skizzierten Umstellungen mögen daher Bedeutungsverschiebungen nach sich ziehen. So stellt eine weitere wichtige Veränderung auch die neue Fragerichtung dar: soll Perceval nach den präsentierten Objekten fragen, so richtet sich die von Parzival erwartete Frage auf den Leidenden selbst.123 Diese Verschiebungen sollen im Folgenden detailliert untersucht werden. In Chre´tiens ‹Perceval› wird zu Beginn der Szene explizit der Blick des Protagonisten beschrieben. So sieht er den Fischerkönig gleich bei seinem Eintreten in den Festsaal auf einem Bett sitzen (3085 f.): Ens enmi la sale en un lit / Un bel preudome seoir vit. Der prächtig gekleidete König stützt sich dabei auf den Ellbogen (3092): Apoiez fu desor son coute. Mögen schon die Liegestätte und die Haltung des Königs auf seinen Zustand hinweisen, so finden diese Indizien bereits in den ersten Worten des Königs eine explizite Erklärung. Denn als Perceval von zwei Dienern zum Fischerkönig geleitet wird und vor ihn hintritt, entschuldigt sich der Leidende dafür, dass er sich nicht erheben kann (3107ff.): Et dist: Amis, ne vos soit grief / Se encontre vos ne me lief, / Que je n’en sui mie aesiez. Zwar wird somit sein Leidenszustand nun verbal enthüllt, doch werden die Einzelheiten und die Gründe für sein Gebrechen hier verschwiegen. Erst später wird Perceval im Dialog mit 122 Vgl. zu den Veränderungen dieser Szene auch den Vergleich von Bumke, Wolfram, S. 70 f. 123 Vgl. dazu auch Bumke, Wolfram, S. 70, der feststellt, Parzivals Aufgabe sei schwerer.

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seiner klagenden cousine erfahren, dass die Lage dieses prachtvollen Hauses inmitten der Wildnis durch das Leiden des Königs bedingt ist. Nur hier kann der Gebrechliche dem einzigen ihm möglichen Zeitvertreib nachgehen: dem Fischen. Die Ursache für das Leiden des Fischerkönigs ist die Verwundung des Königs im Kampf. Ein Wurfspieß durchstieß seine beiden Oberschenkel und machte ihn zum Reiten und Jagen wie auch zum Regieren unfähig. Der Fischerkönig selbst bringt bei Percevals Begrüßung kein Wort der Klage über sein Leiden hervor. Auch Perceval reagiert im Gespräch mit dem König nicht affektiv berührt, sondern nur ‹protokollarisch›-verständnisvoll (3110 ff.): Por Dieu, sire, or vos en taisiez, / Fait cil, qu’il ne me grieve point, / Se Diex joie et sante´ me doint.124 Trotz der Antwort Percevals versucht der Fischerkönig vergeblich, den Anforderungen der Höflichkeit zu entsprechen und sich aufzurichten (3113 f.): Li preudom tant por lui se grieve / Que tant que il puet se sozlieve, wodurch die Eingangsaussage über seinen Zustand des Leidens nicht nur bestätigt, sondern durch diese gestuelle Wiederholung zusätzlich betont wird. Doch nicht nur zu Beginn der Szene, sondern auch zu deren Abschluss weist der Fischerkönig explizit auf sein Leiden hin (3342 f.): Jou n’ai nul pooir de mon cors, / Si covenra que on m’en port.125 In der folgenden Begegnung Percevals mit seiner germaine cousine wird deutlich, dass auch der Protagonist das Leiden wahrgenommen hat, denn er erzählt von der Begrüßung und der Entschuldigung des Fischerkönigs. Dabei deutet er an, dass der Anblick des gebrechlichen Königs ihn mit großer Verwunderung (grant merveille) erfüllt hat (3535 ff.): Voirs es[t] che ke dire vos oi, / Qu’ier soir de ce grant merveille oi / Maintenant que devant lui ving. Die Leidenserkenntnis an sich wird hier nicht zum Problem. Bei Wolfram erscheinen die Voraussetzungen für Parzivals Wahrnehmung des Leidens bei der Begrüßung viel ungünstiger. So fehlt der Dialog über das Leiden und es bleibt nur die Aufforderung an Parzival, sich neben Anfortas zu setzen. Hier übernimmt der Erzähler die Charakterisierung des Anfortas als eines Unglücklichen (230,18 f.): ez was worden wette / zwischen im und der vröude, und fährt mit einem Oxymoron fort (230,20): er 124 «Um Gottes Willen, Herr, darüber braucht Ihr doch kein weiteres Wort zu verlieren, ich nehme Euch das keineswegs übel, so wahr mir Gott Glück und Gesundheit schenken möge.» 125 «Ich habe keine Gewalt über meinen Körper; man wird mich daher tragen müssen.»

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lebte niht wan töude. Das Leiden des Anfortas selbst ist bei Wolfram innerhalb dieser Szene vornehmlich über sekundäre Zeichen erkennbar. Dabei hat Wolfram diese Andeutungen vom Dialog auf den Erzähler verlegt. Der Erzähler führt die beeindruckend großen Feuerstellen und die prächtige Kleidung des Anfortas, des Königs jaˆmers rıˆch (230,30), auf die innere Kälte zurück, die durch sein Leiden verursacht wird (231,1 f.): Der wirt het durch siechheit / groˆziu fiur und an im warmiu kleit. Diese innere Kälte ist an ihm selbst nicht erkennbar, wie auch die Wunde durch die reiche Kleidung überdeckt ist. Der Text bleibt so bezüglich der Leidenserkenntnis bis zum Schluss der Szene erheblich vieldeutiger und offener als seine Vorlage.126 Dabei hat Wolfram auch den Hinweisen auf Parzivals Wahrnehmung des Leidens im Vergleich zu seiner Vorlage ihre Eindeutigkeit genommen. Chre´tien weist nämlich mehrfach auf die Wahrnehmung des Präsentierten durch Perceval hin (z. B. 3086, 3202, 3243); in Wolframs Version wird nur dreimal in dieser Szene explizit Parzivals individuelle Sicht wiedergegeben (229,28; 236,13 f.; 239,8), doch nirgends bezieht sich sein Blick auf das Leiden des Anfortas, sondern auf die Ruhebetten im Saal (229,28), auf die Gralsträgerin Repanse de Schoye (236,13 f.) und auf die Pracht und das Wunderbare (239,8 f.): wol gemaˆrcte Parzivaˆl / die rıˆcheit unt daz wunder groˆz. Er scheint vieles zu bemerken, doch kaum das Leiden des Anfortas und das Geheimnis des Grals.127 Die bewusste Wahrnehmung und die Erkenntnis des Leidens als Grundlage einer Leidensinteraktion erweisen sich somit als problematisch. Der Zustand des Anfortas enthüllt sich Parzival erst in den folgenden Begegnungen:128 Sigune erklärt Parzival, dass Anfortas, der Herrscher auf Munsalvæsche (251,16 ff.), lent / der mac gerıˆten noch gegeˆn / noch geligen noch gesteˆn. Er ist mit ungenaˆde beladen, mit Mühsal bzw. Mangel an entgegenkommendem, teilnehmendem und vor allem hilfreichem Wohl126 Vgl. auch Christa-Maria Kordt, Parzival in Munsalvaesche. Kommentar zu Buch V/1 von Wolframs ‹Parzival› (224–248,30), Herne 1997, S. 222 f., die von einer «Mehrdeutigkeit» spricht. 127 Vgl. zur mangelnden Leidenswahrnehmung Marianne Wynn, Wolfram’s Parzival. On the Genesis of its Poetry (Mikrokosmos 9), Frankfurt a. M. (u. a.) 1984, S. 217 ff.; Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 268. 128 Dabei ist die gesamte Gralsfamilie mit Leid beladen, denn Sigune erklärt Parzival nach seinem Versäumnis auf Munsalvæsche, dass Anfortas, wie seine Geschwister, jaˆmer trägt: bıˆ richeit driu in jaˆmer sint: / der vierde hat armuot (251,12 ff.).

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wollen des durch die Gralsinschrift angekündigten fremden Ritters. Ihn prägt das Leiden, in dem er sich schon seit langem befindet, wie auch seine Erlösungsbedürftigkeit. Die Ursachen für das Gebrechen des Anfortas legt Parzivals Cousine im Gegensatz zum französischen Text noch nicht dar. Erst Trevrizent wird Parzival am Karfreitag detailliert erklären, was am Abend auf Munsalvæsche auf dem Spiel stand und was es mit dem Leiden des Gralskönigs auf sich hat. Er teilt Parzival mit, dass Anfortas an den Geschlechtsteilen mit einem vergifteten Speer verletzt wurde, als er in unerlaubtem Minnedienst aventiure suchte (479,5–8).129 Diese Wunde, mit der er heimkehrt, ist mit medizinischen Mitteln nicht heilbar (479,10ff; 480,10–483,18).130 Erst auf das verzweifelte Gebet der Gralsgesellschaft hin verkündet eine Gralsinschrift, dass einst ein Fremder nach Munsalvæsche kommen werde, um Anfortas durch sein Fragen vom Leiden zu erlösen (483,19–484,12).131 Wie sehr das Leiden des Anfortas für Parzival an jenem Abend verhüllt ist, spiegeln seine späteren Aussagen gegenüber Sigune. Unmittelbar nach seinem Aufenthalt auf Munsalvæsche fehlt eine explizite Aussage Parzivals über die Einsicht in das Leiden des Anfortas, bevor Sigune ihm erzählt, was auf dem Spiel stand. Perceval erzählt seiner cousine ganz ausführlich, wie er alles gesehen und dennoch nicht gefragt hat. Parzival berichtet hier hingegen lediglich voller Bewunderung über das ‹Gesehene› (250,14 f.): daz ich gesach nie burc soˆ heˆr / mit aller slahte rıˆchheit und (251,26 f.): grœzlıˆch wunder ich daˆ sach, / unt manege frouwen wol getaˆn. Ihm scheinen vor allem die Pracht und die Uneinnehmbarkeit der Burg (vgl. 226,17–22), die Wunder und die Frauen aufgefallen zu sein.132 Er gibt schließlich zu, nicht gefragt zu haben (255,1). Deutlich wird dabei nicht, ob Parzival in die 129 Der Gralskönig darf nur die Frau ehelichen, die durch eine Inschrift auf dem Gral benannt ist. Anfortas stellt sich jedoch in den Dienst Orgeluses. 130 Vgl. zur Wunde Neudeck, Stigma, S. 56; vgl. Ulrich Ernst, Differentielle Leiblichkeit. Zur Körpersemantik im epischen Werk Wolframs von Eschenbach, in: Wolfram-Studien 17 (2002), S. 182–222, hier: 216–219; vgl. auch Bumke, Blutstropfen, S. 71. 131 Vgl. auch Wolf, ‹Interpretatio christiana›, S. 49. 132 Vgl. aus anderer Perspektive die Bemerkungen von Green, Recognition, S. 109, und Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 273. Wilhelm Deinert, Ritter und Kosmos im Parzival. Eine Untersuchung der Sternkunde Wolframs von Eschenbach (MTU 2), München 1960, S. 27, weist auf die Möglichkeit hin, dass die warme Kleidung und das Feuer auch als Maßnahme gegen das kalte Wetter gedeutet werden.

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‹gesehenen› Wunder auch das Leiden einschließt und es damit auch der Kategorie des Rätselhaften und Befremdlichen zuordnet.133 Weitere Informationen bietet erst der Dialog zwischen Trevrizent und Parzival über den Abend auf Munsalvæsche im neunten Buch. Parzival bezeichnet sich nach den Erläuterungen des Trevrizent in seinem Geständnis über sein Frageversäumnis als Sehenden. Er war derjenige (488,17 f.), der den rehten kumber sach / unt deheine vraˆge sprach. Seine Aussage kann zwar nur als eine Wiederholung dessen gelten, was Trevrizent einige Verse früher über den tumben verlauten ließ, der nach Munsalvæsche kam und nicht fragte (484,24–27):134 unprıˆs der daˆ bejagte, sıˆt er den rehten kumber sach, daz er niht zuo dem wirte sprach ‹heˆrre, wie steˆt iwer noˆt?›

Doch mag sich in diesen Worten auch Parzivals mittlerweile veränderte bzw. sich verändernde Beurteilung der Situation niederschlagen.135 Wenn dem so ist, dann verläuft Parzivals Erkenntnis des Leidens als Prozess, der sich über weite Teile der Erzählung erstreckt.136 Diese Aussagen über das Gesehene werfen allerdings auch die Frage nach dem deutlich wahrnehmbaren kumber auf Munsalvæsche auf, denn auch Cundrie klagt, Anfortas habe Parzival doch das Leiden vorgeführt:137 Er truoc iu für den jaˆmers last (316,1). Wenn nun Anfortas’ körperliches Leiden ihm selbst kaum anzusehen ist,138 in der Begrüßung verbal und gestuell nur 133 Vgl. hingegen Kordt, Kommentar, S. 228, die annimmt, dass Mitleids- und wunder-Aspekt miteinander verbunden sind. 134 Bumke, Blutstropfen, S. 101, betrachtet Parzivals Aussage als Geständnis seiner tumpheit und Trevrizents Aussage als Bestätigung, womit er beide Aussagen invertierend aus dem Textzusammenhang löst. Das erscheint mir jedoch problematisch. 135 Curschmann, Erzähler, S. 23, charakterisiert Parzival in dieser Szene prozessual als «allmählich verstehend». 136 Bei Chre´tien mag sich der Erkenntnisprozess eher auf die Folgen des Versäumnisses und die Gründe des Versagens beziehen. Vgl. dazu Kap. 4.4. 137 Vgl. auch Tomas Tomasek, Kranke Körper in der mittelhochdeutschen höfischen Literatur. Eine Skizze zur Krankheitsmotivik, in: Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur, hg. von Klaus Ridder und Otto Langer (Körper, Zeichen, Kultur 11), Berlin 2002, S. 97–115, hier: 111. 138 Ähnlich auch Green, Recognition, S. 111: «Anfortas’s suffering ist thus not completely invisible to Parzival, but much less easily visible that the narrator

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verhüllt, nur über sekundäre Zeichen zu entschlüsseln ist, so ist zu fragen, ob und in welcher Form das Leiden in dieser Szene so augenfällig ‹vorgetragen› wird. So soll eine Lösung in der Analyse der übergebenen und vorgeführten Objekte gesucht werden. In Chre´tiens Erzählung schließt sich an die Begrüßung und die höflichen Entschuldigungen des gebrechlichen Fischerkönigs die Übergabe eines neuen, höchst prächtigen Schwerts an. Dieser wertvolle Gegenstand fordert geradezu eine Gegengabe in Form der Frage nach den in der Folge präsentierten Gegenständen heraus, doch geht dies nicht explizit aus dieser Szene hervor.139 Das Schwert – hier ein Geschenk der Nichte (3145 ff.) und nicht das Schwert des Fischerkönigs –, wie auch die Lanze und der Gral, die in feierlicher Prozession durch den Raum getragen werden, stehen in keiner direkten Relation zum Leiden des Fischerkönigs.140 Nur in ihrer appellativen Funktion als Auslöser der Frage besteht eine Verbindung zum Leid, denn das Fragen würde die Heilung des Fischerkönigs herbeiführen.141 Zwar bleibt die Erlösungsfunktion der Frage bei Wolfram bestehen, doch verschiebt sich die Bedeutung von Lanze und Schwert, wie sich auch deren Position innerhalb der Handlungsabfolge ändert. An die Begrüßung schließt sich bei Wolfram die Vorführung der blutenden Lanze an. Sie ist bei Chre´tien in die Gralsprozession integriert und findet feierlich und gemessen statt.142 Der Lanzenspitze entquillt dort wie durch Zauber ein dunkelroter Blutstropfen, rinnt über den weißen Schaft bis auf die Hand des Knappen. Alle Anwesenden, einschließlich Percevals, sehen dies (3196): Et tot cil de laiens veoient. Aber nicht nur die Sicht aller wird beschrieben, sondern der

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has made it to the listeners.» Parzivals Aufgabe liege deshalb in der Leidenserkenntnis, die ihm das richtige Handeln ermögliche. Und somit liege Parzivals Fehler in der Demonstration der notwendigen Leidenserkenntnis: «He fails to show the necessary perception.» Vgl. Kordt, Kommentar, S. 143 f. mit Lit., die auf die Verpflichtung hinweist, die mit einem solchen Geschenk verbunden sei. Vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 65. Die Bezeichnung der Frage in den beiden Werken hängt von der Perspektive ab, unter der man sie beurteilt, nämlich ob man sie über den Impuls definiert, der die Frage auslösen soll, Neugier oder Mitleid, oder ob man sie über ihre Funktion und ihr Ziel, die Erlösung, bestimmt. Vgl. zu den verschiedenen Bezeichnungen der Forschung, Bumke, Wolfram, S. 138, und Kordt, Kommentar, S. 227 ff. Diese Erlösungsfunktion der Frage, die das Leiden des Fischerkönigs mit den gezeigten Objekten verbindet, wird in der Szene selbst allerdings nicht erklärt Zum Kontrast zu Chre´tien vgl. auch Nellmann, Stellenkommentar, S. 576.

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Erzähler wiederholt explizit, dass auch Perceval dies sieht (3202): Li valle´s voit cele merveille. Wie die Leidenswahrnehmung scheint auch das Sehen der Objekte hier kein Problem darzustellen. Die Inszenierung der Lanzenpräsentation bei Wolfram weicht von der Chre´tiens deutlich ab. Bereits vor dieser Vorführung zeigt sich, dass das Leid des Anfortas die Gralsgesellschaft mit betrifft. Die Hofgesellschaft auf Munsalvæsche partizipiert – im Gegensatz zur Vorlage – am Leiden des Königs: in was wol herzen jaˆmer kunt (227,16). Dabei besteht allerdings weitgehend ein Bemühen, Parzival diese Trauer zu verbergen: weˆnc er des gein in enkalt (227,17). Nur nach der Herausforderung des redespæhen Mannes, die Parzival zornig stimmt, deuten die anwesenden Ritter an, dass dieser ein Mann sei, der (229,16 f.) schimpfes kraft / tuot swie truˆrc wir anders sıˆn. Mit diesen Worten wird auch die sonst herrschende Trauer der Hofgesellschaft explizit. Es fällt auf, dass im deutschsprachigen Text die Präsentation der Lanze von der Gralsprozession getrennt wird.143 So unterscheidet sie sich von jener des Grals zunächst schon dadurch, dass nun zwei verschiedene Eingänge in den Saal benutzt werden,144 und dann auch durch den anderen Vorführungsmodus. Die Gralsprozession, die Darbietung des Gegenstands und die Bewirtung durch den Gral finden in höfischer Gemessenheit statt, die Damen geˆn (235,8) und der Erzähler betont, dass daˆ mit zuht gedienet wart (232,8). Die vorausgehende Lanzenpräsentation verläuft hingegen in Hast.145 So wird das Objekt in Eile in den Raum gebracht: ein knappe spranc zer tür dar ıˆn (231,17), ringsum durch den Saal getragen: alumb zen vier wenden (231,28) und den Augen der Gralsgesellschaft ebenso schnell wieder entzogen: der knappe spranc hin uˆz derfür (231,30).146 Es handelt sich also um zwei getrennte Vorgänge. Die Präsentation der Lanze stellt eine eigene Inszenierung dar. 143 Vgl. auch Nellmann, Produktive Mißverständnisse, S. 140; vgl. auch Bumke, Wolfram, S. 70. 144 Während die erste Tür nicht näher bezeichnet wird (vgl. 231,17) und offen zu stehen scheint, wird die Tür, durch die der Gral hineingetragen wird, als Stahltür am Ende des Saals bezeichnet, die erst aufgeschlossen wird (vgl. 232,10). 145 Vgl. zur Trennung von Gralsprozession und Lanzenpräsentation aus der Perspektive Parzivals auch Kenneth Northcott, Seeing and Partly Seeing, in: Spectrum Medii Aevi (FS George Fenwick Jones), ed. by William C. McDonald (GAG 362), Göppingen 1983, S. 409–428, hier: 415. 146 Northcott, ebd., geht allerdings von der Annahme aus, dass diese ‹Hast› Parzivals plötzlichen Aufmerksamkeitswechsel widerspiegele, der aus seiner Träumerei aufgeschreckt werde: «In other words, it is not necessarily the page

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Auch die Reaktion der Gralsgesellschaft bei der Vorführung der Lanze bildet einen deutlichen Kontrast zur folgenden Gralsprozession, denn bei ihrem Anblick beginnt die Gralsgesellschaft unvermittelt laut zu klagen (daˆ wart geweinet unt geschrıˆt; 231,23) und so heftig zu weinen, dass die Bevölkerung von dreißig Ländern nicht so viele Tränen vergießen könne (daz volc von drıˆzec landen / möhtz den ougen niht enblanden; 231,25 f.).147 Die Vorführung der Lanze löst somit eine hoch emotionale Reaktion des Mitleids aus. Deutlich ist diese Reaktion an den Gegenstand gebunden, denn das Weinen und Schreien bricht schlagartig ab, als die Lanze wieder hinausgetragen wird. Da das Objekt selbst das Leiden repräsentiert, was sich im Text in einer metonymischen Beziehung – daˆ man jaˆmer für si truoc (231,16) – ausdrückt, darf die Reaktion der Gralsgesellschaft auch als Leidensinteraktion bezeichnet werden. So erhält die Vorführung der Lanze, die ganz von den restlichen Darbietungen des feierlichen Abends abweicht, nicht nur eine Sonderstellung innerhalb der Abfolge der Ereignisse dieses Abends, sondern legt einen Nachdruck auf den Affekt des Mitleidens. Betrachtet man diese Vorführung als Inszenierung, dann kann sie auch als Inszenierung affektiven Mitleidens verstanden werden, die zum Nachvollzug des Vorgeführten aufruft. Die im Palas anwesende Gralsgesellschaft umfasst explizit die prächtigen und wohl auch verstehenden Ritter: daˆ saz manec ritter kluoc (231,15). Wolfram wechselt zusätzlich bei der Beschreibung der Wahrnehmung der Lanze auf die Ebene eines unbestimmt-kollektiven man.148 Die Wahrnehmung Parzivals scheint somit offen zu bleiben. Welcher jaˆmer hinter der who springs in at the door but the lance that springs to Parzival’s attention.» Dies geht allerdings so nicht explizit aus dem Text hervor. 147 Vgl. Danielle Buschinger, Wolframs Parzival und Chre´tiens de Troyes Conte del Graal. Beobachtungen eines Adaptationsprozesses, in: Textallianzen am Schnittpunkt der germanistischen Disziplinen, hg. von Alexander Schwarz und Laure Abplanalp Luscher (Tausch 14), Bern (u. a.) 2001, S. 317–331, hier: 325. Sie nimmt an, dass Vers 231,23 auf einer Fehllektüre bzw. Fehlinterpretation des altfranzösischen Worts crient (3210; das ‹fürchten› bedeutet) basiere. Evt. Fehler weisen jedoch auf ein Vorverständnis hin und sind deshalb interpretierbar. 148 Green, Recognition, S. 107 f., unterscheidet diese Ebenen ebenfalls, schließt allerdings Parzival in dieses unbestimmte man ein. Man deutet jedoch auf einen gemeinschaftlichen Akt eines Vollzugs dieser Handlung hin, dem auch eine integrative und wissensvermittelnde Funktion zugesprochen werden kann.

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Präsentation der Lanze steht, enthüllt sich Parzival auch nicht in dieser Szene, sondern viel später im Verlauf der Erzählung, nämlich im neunten Buch im Dialog mit Trevrizent. Dort verleiht Parzival seinem Unverständnis und seiner Verwirrung über das Geschehen bei der Präsentation der Lanze Ausdruck (492,14–22): ‹[. . .] des palas sach ich des aˆbents jaˆmers vol. wie tet in jaˆmer doˆ soˆ wol? ein knappe aldaˆ zer tür ıˆn spranc, daˆ von der palas jaˆmers klanc. der truoc in sıˆnen henden einen schaft zen vier wenden, dar inne ein sper bluotec roˆt. des kom diu diet in jaˆmers noˆt.›

Parzival erzählt, dass er wohl die Lanze und die Trauer gesehen hat, doch die Bedeutung der Vorführung scheint ihm bis zur Unterweisung des Trevrizent nicht klar zu sein. Erst durch Trevrizents Erläuterungen werden ihm die Zusammenhänge offengelegt, nämlich dass die Lanze zur Behandlung der Wunde des Anfortas diente149 und an jenem Tag nicht nur zur Linderung der Schmerzen auf die Wunde aufgelegt wurde, sondern in sie hinein gestoßen werden musste. Die Lanze gemahnt an das Leiden des Anfortas und repräsentiert insofern sein Leiden. Das vorgeführte Objekt kann daher als Memorialzeichen betrachtet werden,150 da es über die Blutstropfen an die 149 Vgl. Nellmann, Produktive Mißverständnisse, S. 146 f., der ebenfalls von diesem Zusammenhang ausgeht, doch auch Widersprüche zwischen den Aussagen im 5. und 9. Buch findet. 150 Vgl. Wenzel, Hören und Sehen, S. 69. Er vergleicht die Darbietung der Lanze in der Gralsszene mit der Lanze des Longinus, die an die Seitenwunde Christi erinnert. Nimmt man eine solche Parallele an, so ist gerade vor dem Hintergrund der Entwicklungen des 12. Jahrhunderts (vgl. Kap. 2) zu berücksichtigen, dass die Erinnerung an die Passion Christi auch ein affektives Mitleiden, eine affektive Partizipation und Angleichung, auslösen soll. Dann ist mit einer solchen Repräsentation des Leidens nachweislich ein imperativer Nachvollzug des Leidens verbunden. Nimmt man Parallelen an, dann mag hier in der Präsentation der Lanze eine Übertragung des geistlichen Konzepts der compassio auf den höfischen Roman präsent sein. Doch wird diese Analogie zwischen den beiden Lanzen im ‹Parzival› nicht explizit hergestellt. In den französischsprachigen Fortsetzungen des ‹Roman de Perceval› wurde die Lanze allerdings zum Passionswerkzeug; vgl. dazu Bumke, Wolfram, S. 141, und Kordt, Kommentar, S. 79 und Anm. 22.

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Wunde und das Leiden erinnert.151 Doch nicht nur das: Trevrizent parallelisiert den Vorgang der Wundbehandlung mit der Anteilnahme der Gralsgesellschaft. So wird Anfortas die Lanze im Moment seines größten Leidens in die Wunde gestoßen, der durch die Lanze symbolisierte Schmerz des Anfortas bohrt sich den Klagenden in ihr Herz (493,11 f.): daz sper in freude enpfuorte, / daz ir herzen verch sus ruorte. In der übermäßigen Klage partizipiert die Gralsgesellschaft am Leid des Anfortas und gleicht sich dem Leidenden auf der affektiven Ebene an. Die aus Mitleid Mitklagenden, die der Schmerz des Anderen ins Herz trifft (493,12 ff.), werden für ihre Anteilnahme, ihre jaˆmers triuwe, mit der Erneuerung der Taufe belohnt (493,10–14): ‹si enpfiengen jaˆmers soldiment: daz sper in freude enpfuorte, daz ir herzen verch sus ruorte. doˆ machte ir jaˆmers triuwe des toufes leˆre al niuwe.›

Mitleiden im Sinn von jaˆmers triuwe kann also Lohn verheißen.152 Dadurch jedoch, dass diese Informationen erst sehr viel später geliefert werden, erscheint auch diese Erkenntnis als prozessual vermittelt. Im Anschluss an die Präsentation der Lanze fasst der Erzähler die präsentierte Interaktion unter erneuter Verwendung der Metonymie nochmals zusammen. Die Gralsgesellschaft klagt und weint als in der jaˆmer eˆ geboˆt, / des si diu glævin het ermant (232,2f.). Diese Wiederholung hebt den Zusammenhang des Objekts mit dem Leid und den appellativen Charakter der Vorführung dieses Objekts hervor. Das metonymisch das Leiden des Anfortas vertretende Objekt ‹befiehlt› die Mitleidsreaktion der Gralsgesellschaft. Es verpflichtet (geboˆt / het ermant) zu einer affektiven Partizipation am jaˆmer / an der glævin, eine Partizipation, deren Ausdruck und Zeugnis Klage und Tränen sind. Mit der Reaktion auf den Anblick der Lanze wird Parzival ein imperativ auszuführendes Handlungsmodell vor Augen geführt, das ähnlich bei der Schwertübergabe Geltung besitzt. Denn das Schwert, das Parzival erst am Ende des Abends überreicht wird, ist im 151 So belegt auch Bumke, Blutstropfen, S. 71, dass die Blutstropfen die Gralsritter an den Wundschmerz des Königs erinnern. 152 Vgl. zur Armut, die Herzeloyde aus triuwe in ihrer Witwenschaft wählt (116,17–21): swer die durch triwe lıˆdet, / hellefiwer die seˆle mıˆdet. / die dolte ein wıˆp durch triuwe: / des wart ir gaˆbe niuwe / ze himel mit endeloˆser gebe. Vgl. auch Ernst, Differentielle Leiblichkeit, S. 189.

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Unterschied zur französischsprachigen Vorlage das Schwert des Gralskönigs, kann als Herrschaftssymbol und Erbstück gewertet werden, als Besitz, der von Anfortas auf Parzival übergeht, doch auch als Repräsentation seines Leidens.153 Denn die Übergabe des Schwertes ist von Anfortas Worten begleitet, dass er es selbst in Gefahr an manchem Ort geführt hat, bevor ihn Gott am Leib versehrt hat (239,25 ff.): heˆrre, ich praˆhtz in noˆt / in maneger stat, eˆ daz mich got / ame lıˆbe haˆt geletzet.154 Damit steht auch die Schwertübergabe in einer direkten Relation zum Leiden des Anfortas.155 Der anschließende Erzählerkommentar deutet darauf hin, dass mit dieser Übergabe auch eine Handlungsverpflichtung verbunden ist (240,6). Dabei übernimmt er einen Begriff der Lanzenvorführung: ermant (232,3).156 Auch die Schwertübergabe fordert daher eine Reaktion heraus, von der die erwartete Frage ausgehen soll (240,6):157 doˆ was er vraˆgens mit ermant.158 Jetzt wäre Parzival an der Reihe gewesen, zu reagieren.159 153 Vgl. zu diesen Konnotationen mit dem Schwert Kordt, Kommentar, S. 143 ff. mit Lit. 154 Damit deutet Anfortas sein Leiden – im Gegensatz zum französischen Text – zusätzlich als göttliche Fügung, womit es in einen religiösen Kontext rückt. 155 Peter Czerwinski, Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung, Frankfurt a. M./New York 1989, S. 132, sieht diesbezüglich keine Verbindungen, sondern zieht diese Stelle zum Beleg heran, dass es hier nur um dynastische Aspekte geht. Dies möchte ich bestreiten. 156 Vgl. auch dazu Bumke, Blutstropfen, S. 71, der auf die zweimalige Verwendung des Begriffs ermant im Sinn einer Aufforderung hinweist. 157 Stand in der älteren Forschung diese Szene unter dem Zeichen von Schuld und Sünde, so soll hier eine moralische Bewertung des Frageversäumnisses ausgeklammert bleiben, obwohl Diskurse zur Schuld zweifelsohne im Roman präsent sind. Vgl. zu diesem Thema Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 267– 279; Bumke, Blutstropfen, S. 71, urteilt: Die Frage, warum Parzival beim Anblick von Lanze und Gral nicht fragt, sei «in gewissem Sinn die SchlüsselFrage der ‹Parzival›-Interpretation». Die vorliegende Analyse soll nicht den Grund herausarbeiten, sondern es soll ausdifferenziert werden, welche Handlung von Parzival erwartet wird. Damit bleiben sowohl die Frage wie auch das Scheitern im Blick. 158 Was hier eher als Impuls zur Wiederholung der zuvor an der Lanze vorgeführten und über den Gegenstand geforderten affektiven Interaktion und deshalb nicht als ‹Warnen› und Verstoß gegen das Gralsgebot verstanden werden soll; vgl. dagegen Christoph J. Steppich, ‹Hinweisgeben wird euch schaden›. Zu Wolframs ‹Parzival› (483,24–30), in: ZfdA 119 (1990), S. 259–289. 159 Bumke, Wolfram S. 66 f., bezweifelt, ob diese Präsentation dazu bestimmt

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Dass die Repräsentation des Leidens – wie bei der Lanzenvorführung – eine affektive Reaktion, nämlich das erbarmen und damit die Frage nach dem Leiden des Gralskönigs auslösen soll, legen später die Reaktionen von Sigune und der Gralsbotin Cundrie nahe.160 Sigune erklärt (255,17 ff.): iuch solt iur wirt erbarmet haˆn, / an dem got wunder haˆt getaˆn, / und het gevraˆget sıˆner noˆt. Auch Cundrie klagt Parzival des Frageversäumnisses an, verflucht ihn zudem und wirft ihm den Mangel an Erbarmen vor (316,3): sıˆn noˆt iuch solt erbarmet haˆn. Dass die Frage auf die noˆt abzielen soll, formuliert auch Trevrizent im neunten Buch. Ihm zufolge soll die Frage lauten (484,27): heˆrre, wie steˆt iwer noˆt? Zwar vertreten diese drei Figuren verschiedene Positionen in der Beurteilung von Parzivals Handeln, doch besteht in diesem Punkt Übereinstimmung: die in dieser Situation gebotene Frage bezieht sich auf die Person des Anfortas, sein mit medizinischen Mitteln nicht heilbares Leiden und auf seine Not. Sigune und Cundrie sprechen in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit des erbarmen. Auch Trevrizent fordert zum Erbarmen auf, als er vom Leiden des Anfortas bei Parzival erzählt: pfligstu denne triuwe, / so erbarmet dich sıˆn riuwe (477,29 f.).161 Das präsentierte Leid erfordert als Zeichen affektiver Anteilnahme und Identifikation einen affektiven Ausdruck. Letzterer bedeutet dann auch die Teilhabe am Kummer der Gralsgesellschaft, die Möglichkeit des Verstehens und damit die Überwindung von Leid und Trauer. Dies vermittelt an dieser Stelle der Erzähler (240,9): des im [Anfortas] von vraˆgn nu wære raˆt. Damit liegt in dieser Szene eindeutig ein Schwerpunkt auf dem affectus compassionis als Mittel zur Leidüberwindung. Bei aller Ähnlichkeit in der Motivation des Frageversäumnisses,162 erhält auch diese bei Wolfram eine andere Nuance. So verhindert in beiden Werken die höfische Erziehung das Fragen. Der jeweilige Protagonist besinnt sich auf die Regeln seines jeweiligen Lehrers: Perceval erinnert sich mehrfach an die Lehre des Gornemans (3206 f.; 3246 f.; 3294–97), meint, dass sein war, Parzival zu der erhofften Erlösungsfrage zu ermuntern. Tatsache ist jedoch, dass eine enge Verbindung zwischen dem vorgeführten Handlungsmodell und der Frage besteht. 160 Northcott, Seeing, S. 417, gibt zu bedenken, dass die Frage, die Parzival bei seinem ersten Besuch auf Munsalvæsche zu stellen erwägt, nicht die richtige sei. Sie bezieht sich auf die massenıˆe (239,17), nicht auf die Person des Anfortas, und stimmt kaum mit den Formulierungen Sigunes, Cundries und Trevrizents überein. 161 Er wertet das Versagen Parzivals auch als Sünde (501,5). 162 Ähnlich Bumke, Wolfram, S. 71.

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Fragen als unhöfisch aufgefasst werden könne (3210 f.): Et crient, se il le demandast, / Qu’en le tenist a vilonie, und hält sich somit zurück. Der Gral wird sogar wiederholt an ihm vorübergetragen, ja sogar ganz unverhüllt (descovert; 3301) bei jedem Gang, doch vermag Perceval es nicht, danach zu fragen (3292–97): Ne li valle´s ne demanda Del graal cui on en servoit. Por le preudome s’en tenoit, Qui dolcement le chastı¨a De trop parler, et il i a Toz jors son cuer, si l’en sovient.163

Im deutschsprachigen Text heißt es (239,10): durch zuht in vraˆgens doch verdroˆz.164 Auch Parzival denkt an die vermittelte Lehre (239,11 ff.): er daˆhte mir riet Gurnamanz / mit groˆzen triwen aˆne schranz, / ich solte vil gevraˆgen niht.165 Damit kristallisiert sich also heraus, dass sich in dieser Szene je zwei konkurrierende Konzepte gegenüberstehen: Bei Chre´tien ist es zunächst der Konflikt zwischen höfischer Erziehung zum Schweigen und der Neugier, wobei als eigentlicher Grund der Hinderung am Fragen die Sünde angegeben wird (3593; 6393 f.). Bei Wolfram stehen höfische zuht und affektive Leidenspartizipation miteinander in Spannung. 163 «Der Junge fragte nicht danach, wen man mit dem Gral bediene. Wegen dem Edelmann vermied er dies, der ihm freundlich verbot, zu viel zu reden. Daran erinnerte er sich immer in seinem Herzen.» 164 Bumke, Wolfram, S. 68, sieht die zuht als Hinderungsgrund der Frage. Vgl. zur Perspektivenvielfalt der Szene Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 267– 279. Vgl. auch Mertens, Parzivals doppelte Probe, S. 332; Maurer, Leid, S. 134, meint, dass Parzival die Frage unterlasse, «weil er noch nicht reif genug ist zur richtigen Erkenntnis und Entscheidung.» Schweikle, ‹træclıˆche wıˆs›, S. 82, geht hingegen davon aus, dass Parzival aufgrund der Reizüberflutung nicht fragen kann. Es ist wohl die Kombination der verschiedenen Faktoren, wie mangelnde Erfahrenheit, die Erinnerung an die Lehre des Gurnemanz und ‹Reizüberflutung›, die zum Frageversäumnis führt. Vgl. zum Frageversäumnis und zur Entwicklung auch die Übersicht von Kratz, Parzival, S. 497 ff.; vgl. auch Kordt, Kommentar, S. 135–153, bes. 149 f. und 236– 243; Nellmann, Stellenkommentar, S. 583 f. Diese Szene wurde bisher nicht in solcher Nähe am Text untersucht. Daher bieten sich zwar tatsächlich Übereinstimmungen mit der vorliegenden Forschungsliteratur, doch sind diese sehr punktuell. 165 Es ist auch die Lehre des Gurnemanz, die Parzival später, nach der Verfluchung durch Cundrie als Grund für sein Schweigen anführt. Vgl. 330,1–5.

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Doch in den deutschsprachigen Text wird noch ein weiteres Element eingefügt. Parzival schließt an die Überlegungen zur höfischen Lehre zusätzliche Überlegungen an. Er greift nicht nur auf die Worte der Lehre zurück, die er gehört hat, sondern bezieht sich in Gedanken auch auf den Ort ihrer Vermittlung und die Erfahrungen, die er dort gemacht hat. Die Problematik des Hofs, die Trauer um Frau und Söhne ist ihm von Gurnemanz vor seinem Abschied verbal vermittelt worden (177,13–178,26) – ähnlich wurde ihm auch auf Pelrapeire der Leidenszustand der auf der Burg versammelten Menschen erzählt. Auf den Bericht des Gurnemanz – wie später jenen Condwiramurs166 – hin hat Parzival das Leiden wahrgenommen (178,27 f.): der gast nams wirtes jaˆmer war / wand erz im underschiet soˆ gar. Sein Denken ist somit nicht nur wissens-, sondern auch erfahrungsbezogen.167 Während Perceval sich auf der Burg des Fischerkönigs schlicht vornimmt, am nächsten Tag zu fragen, rechnet nämlich Parzival damit, dass seine Neugier – wie schon bei Gurnemanz – verbal gestillt werde (239,14–17): ‹waz op mıˆn wesen hie geschiht die maˆze als dort pıˆ im? aˆne vraˆge ich vernim wiez dirre massenıˆe steˆt.›

Beim Besuch bei Gurnemanz verlässt Parzival allerdings den Trauernden unter dem Hinweis heˆrre, in bin niht wıˆs (178,29). Zudem weist er auf die Notwendigkeit hin, erst im Kampf Erfahrungen zu sammeln, bevor er um die Hand von Liaze anhalten könne. Er lässt Gurnemanz mit dem Versprechen zurück, ihm dann gegen seine Trauer zu helfen, wenn es einst in seiner Macht stehen werde (179,4 ff.) – kehrt in der Erzählung jedoch nicht zu ihm zurück. Der gedankliche Rückbezug auf die Erfahrungen bei Gurnemanz verdeutlicht deshalb auch ein Erfahrungsvakuum im Umgang mit dem Leiden und die Notwendigkeit des Erfahrungserwerbs.168 Signifikant sind auch die Unterschiede bezüglich der Erzählereingriffe. Bei Chre´tien schaltet sich der Erzähler nur zweimal in dieser Szene kom166 Siehe oben; dort vermochte er jedoch, aufgrund seiner ritterlichen Bildung bei Gurnemanz, in das Leiden einzugreifen. 167 Dabei bezieht er sich bezeichnenderweise in Gedanken auf die in Bezug auf das Leiden erfolglose Situation bei Gurnemanz und nicht auf die bezüglich des Leidens erfolgreichen Erlebnisse auf Pelrapeire. 168 Vgl. dazu auch Mertens, Parzivals doppelte Probe, S. 332, der die Ursache des Frageversäumnisses als «unverschuldet mangelnde Erfahrung» bezeichnet.

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mentierend ein. Nach der unterdrückten Frage bei der Präsentation der Lanze und des Grals fürchtet er, das Schweigen könne Perceval schaden. Doch mangelt es in diesem ersten Kommentar an Eindeutigkeit (3248– 3253): Si criem que il n’i ait damage, Por che que j’ai oı¨ retraire qu’ausi se puet on bien trop taire Com trop parler a la foie[e]. Ou biens l’en viegne ou mals l’en chiee, Ne sai le quel, rien n’en demande.169

Der Erzähler weist sentenzhaft auf den rechten Moment des Fragens hin, scheint aber über die Konsequenzen des Fragens zunächst kein sicheres Urteil abgeben zu können. Wenige Verse später jedoch urteilt er ungehalten, dass das Schweigen unangemessen sei (3298): Mais plus se taist qu’il ne covient. Perceval schwieg mehr, als ‹es sich gehört›. Durch sein höfliches, höfisches Schweigen durchbricht er eine unausgesprochene Konvention. Der Erzähler knüpft damit argumentativ an die vorangehende Sentenz an, die das Maß zwischen zu viel Reden und Schweigen abwägt. In dieser rationalen Wertung entspricht sein Kommentar dem Niveau der Handlung, die bei unverhüllter Darstellung des Leidens und der Frageobjekte auf die emotionale Implikation der Anwesenden verzichtet. Der Erzählerkommentar unterstreicht zudem, dass trotz der deutlichen Reminiszenzen an das Leiden in dieser Szene zwar die Einhaltung von Konventionen, doch keine affektive Reaktion abverlangt wird. In Wolframs Version ist der Erzähler in sehr viel höherem Maß präsent. Mehrfach kommentiert und beschreibt er das Leiden des Anfortas, nimmt Anteil am Gesehenen und zeigt sich selbst affektiv von der Handlung berührt. Denn an das Frageversäumnis schließt sich eine Interjektion an (240,3): oˆweˆ daz er niht vraˆgte doˆ! Das auktoriale Ich drückt an dieser Stelle explizit seine Anteilnahme am Unglück des Protagonisten aus (240,4): des pin ich für in noch unvroˆ. Doch kommentiert es ebenso das Unglück des Gralskönigs (240,7 ff.): och riwet mich sıˆn süezer wirt, / den ungenande niht verbirt, / des im von vraˆgn nu wære raˆt. Mit diesem Ausdruck der Anteilnahme vollzieht der Erzähler zudem das Mitleid nach, das in der Szene 169 «Ich fürchte, dies wird ihm schaden, habe ich doch sagen hören, Schweigen und Reden haben jedes seine Zeit. Ich weiß nicht, ob zu seinem Heil oder Unheil, (jedenfalls) stellt er keine einzige Frage.»

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selbst verlangt wurde, partizipiert er am erzählten Leid. Dabei wiederholen sich seine Aussagen der Anteilnahme am Erzählten, denn nur wenige Verse danach deutet er kommendes Leid an (242,16 ff.): nu solt ich schrıˆen waˆfen / umb ir scheiden daz si tuont: / ez wirt groˆz schade in beiden kuont. Erneut bekundet er beim Aufbruch Parzivals von Munsalvæsche (249,3): sıˆn scheiden dan daz riwet mich. Diese im Vergleich zu Chre´tien so signifikant häufigeren, nachdrücklichen und zudem affektiven Erzählereinschübe ‹inszenieren› auf einer weiteren Ebene die Anforderung des Mitleids, heben sie hervor und reflektieren sie. Sie können allerdings auch als Leidenspartizipation bewertet werden und bedeuten dann auch hier eine Angleichung des Erzählers an das in der Handlung Präsentierte.

4.3 Zur Entwicklung der Parzivalfigur Es kann nun eingewendet werden, dass es unverständlich sei, dass Parzival auf Munsalvæsche am Mitleidsaffekt scheitert. Schließlich ist dieser Affekt Teil seines Erbes und Habitus,170 hat Parzival seine Mitleidsfähigkeit ja bereits als unerfahrener Tor in der ersten Begegnung mit Sigune bewiesen,171 wird von ihm daher vor Anfortas gar nichts Neues erwartet, das erst zu entwickeln wäre. Doch wird genau dies erst auszudifferenzieren sein. Die Analyse der Interaktionen Parzivals mit seiner Cousine soll über die Art und die Entwicklung des Mitleids Aufschluss geben,172 wobei wiederum der ‹Roman de Perceval› als Grundlage der Analyse dienen soll. Bei Chre´tien findet sich nur eine Begegnung zwischen Perceval und seiner cousine, die im ‹Parzival› auf vier Begegnungen ausgeweitet wird. Letztere verteilen sich auf die gesamte Parzivalhandlung und stehen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Figur der Sigune.173 Diese Auf170 Vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 106 f. 171 Vgl. Michel Huby, Nochmals zu Parzivals ‹Entwicklung›, in: Studien zu Wolfram von Eschenbach (FS Werner Schröder), hg. von Kurt Gärtner und Joachim Heinzle, Tübingen 1989, S. 257–269, hier: 266. 172 Vgl. auch Wolf, Deutsche Kultur, S. 373. 173 Vgl. Ulrike Draesner, Wege durch erzählte Welten. Intertextuelle Verweise als Mittel der Bedeutungskonstitution in Wolframs ‹Parzival› (Mikrokosmos 36), Frankfurt a. M. 1993, S. 265; vgl. auch Evelyn M. Jacobson, Cundrie and Sigune, in: Seminar 25 (1989), S. 1–11. Wolf, Deutsche Kultur, S. 374, bezeichnet die Begegnungen als «wesentliche Stationen des Weges».

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fächerung und Ausweitung ist einerseits ein Zeichen dafür, dass auf der Figurenkonstellation Parzival-Sigune ein besonderes Gewicht liegt.174 Doch weist Sigunes Liebe und Leiden andererseits auch eine besonders hohe und sich entwickelnde Intensität auf.175 Daher verspricht die Untersuchung die174 Dieses Interesse an der Figur der Sigune selbst wird durch die Tatsache deutlich, dass die Vorgeschichte der Sigune-Handlung im ‹Titurel› eigens ausgestaltet wurde. 175 Da hier die handlungsimmanente Leidensinteraktion im Vordergrund steht, soll an dieser Stelle nur auf einige Beiträge der Forschung zu Traditionen der Sigune-Figur in Text und Bild hingewiesen werden. Einschlägig ist der Aufsatz von Julius Schwietering, Sigune auf der Linde, in ZfdA 57 (1920), S. 140– 143; ders., Mittelalterliche Dichtung und bildende Kunst, in: ZfdA 60 (1923), S. 113–127. Vgl. auch Karl Bertau, Regina Lactans. Versuch über den dichterischen Ursprung der Pieta` bei Wolfram von Eschenbach, in: ders., Neun Versuche über Subjektivität und Ursprünglichkeit in der Geschichte, München 1983, S. 259–284, wobei die aufgezeigten Parallelen zur bildenden Kunst sehr interessant sein mögen, doch methodisch die Verbindungen zwischen Bild und Text zu eng und die Herleitung der Entstehung des Vesperbildes zu konkret gefasst sind. Horst Wenzel, Herzeloyde und Sigune: Mutter und Geliebte. Zur Ikonographie der Liebe im Überschneidungsfeld von Text und Bild, in: Eros – Macht – Askese. Geschlechterspannungen als Dialogstruktur in Kunst und Literatur, hg. von Helga Sciurie und Hans-Jürgen Bachorski (Literatur – Imagination – Realität. Anglistische, germanistische, romanistische Studien 14), Trier 1996, S. 211–234, wählt einen explizit rezeptionsästhetischen Ansatz, analysiert mögliche Parallelen in der bildenden Kunst. Er weist abschließend auf die Pluralität der Positionen und die Notwendigkeit des Ausgleichs der verschiedenen Diskurse hin. Ausgangspunkt dieser interdisziplinären Studien und Vergleiche war ein Aufsatz von Wilhelm Pinder, Die dichterische Wurzel der Pieta`, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 42 (1920), S. 145–163, der auf die Verbindung zwischen der Marienklage und der Pieta` hinwies, vgl. ders., Die Pieta` (Bibliothek der Kunstgeschichte 29), Leipzig 1922, sowie Walther Lipphardt, Studien zu den Marienklagen, in: PBB 96 (1934), S. 390–444. Ute Schwab, Sigune, Kriemhilt, Maria und der geliebte Tote, in: dies., Zwei Frauen vor dem Tode (Verhandelingen van de Koninklijke Academie voor Wetenschappen. Letteren en Schone Kunsten van Belgie¨. Klasse der Letteren 51, 132), Brussel 1989, S. 75–143, nimmt eine Gegenposition zu diesen geistlichen Rekonstruktionen ein und bietet zu Sigune einen interessanten Vergleich mit den Traditionen der Totenklage und Trauergebärden in anderen höfischen Romanen. M. E. ist jedoch gerade die Totenklage in einem breiteren kulturellen Kontext zu verorten, in dem zwischen klerikalem und profanem Bereich Korrelationen bestehen. Solche Verbindungen wären im Einzelfall zu prüfen. Die besondere Intensität von Sigunes Klagen betont Christian Kiening, Aspekte einer Geschichte der Trauer in

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ser Begegnungen, aufgrund ihrer Verteilung auf die gesamte Parzivalhandlung die Möglichkeit, auch einen Wandel in Parzivals Interaktionsfähigkeit angesichts dieser von höchstem Leid gezeichneten Liebenden zu prüfen. Dabei soll insbesondere der Aspekt der Entwicklung der Fähigkeit einer empathischen Reaktion auf das Leiden interessieren.176 Als Perceval am Morgen nach seinem Frageversäumnis auf der Fischerburg der frischen Spur der Gralsritter durch einen Wald folgt, trifft er sehr bald auf ein Fräulein. Sie sitzt unter einer Eiche, schreit und weint, ist elend und vom Schmerz gezeichnet (chaitive dolerouse; 3433). Ihre verzweifelte Klage gründet im Verlust ihres Geliebten, dem im Kampf mit einem anderen Ritter der Kopf abgeschlagen wurde.177 Und so hält sie laut trauernd den Leib ihres Ritters in den Armen. In ihrer lamentatio verflucht sie die Stunde ihrer Zeugung und ihrer Geburt (3435) und wünscht, an der Stelle des Mittelalter und früher Neuzeit, in: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt (Kongressakten des 6. Symposiums des Mediävistenverbandes in Bayreuth 1995), hg. von Peter Segl, Sigmaringen 1997, S. 31–53, hier: 31. 176 Vgl. zum Affekt aus ganz anderer Perspektive Morgan Powell, The Mirror and the Woman. Instruction for Religious Women and the Emergence of Vernacular Poetics 1120–1250 (Diss. masch.), Princeton 1997, S. 466, der auf die Analogie zwischen der Gestaltung der Sigune und der Pieta` hinweist und diese Zusammenhänge über die Hoheliedexegese zu bestimmen sucht. Die Hoheliedexegese ist nach Fulton, Judgement, Teil 2, das Feld, in dem sich die Empathie im 11. und 12. Jahrhundert ausbildet. Vgl. auch Martin Schawe, ‹Fasciculus myrrhae› – Pieta` und Hoheslied, in: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 5/6 (1989–90), S. 161–212, der die Verbindung der Hoheliedauslegung mit der Idee der Pieta` herausarbeitet. Er bietet neben seiner Darlegung einen Forschungsüberblick über das Gebiet der Vesperbildforschung. Schawe belegt die Entwicklung anhand von exegetischen Quellen seit dem 8. Jahrhundert (er zitiert dazu Beda Venerabilis, Rupert von Deutz, Honorius Augustodunensis und Bernard von Clairvaux) und vertritt die These, daß sich die Vorstellung der Pieta` aus Ct 1,12: Fasciculus murrae dilectus meus mihi, inter ubera mea commorabitur entwickelt habe. Vgl. zur Hoheliedexegese Friedrich Ohly, Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200 (Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. Geisteswissenschaftliche Reihe 1), Wiesbaden 1958, und Urban Küsters, Der verschlossene Garten. Volkssprachliche Hohelied-Auslegung und monastische Lebensform im 12. Jahrhundert (Studia humanoira 2), Düsseldorf 1985. 177 Vgl. zur literarischen Tradition der Klage auch Küsters, Klagefiguren.

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Geliebten gestorben zu sein (3441 ff.),178 ja ihm nachzusterben (3450). Ihr so nachdrücklich beklagtes Unglück ist noch ganz neu, denn im Gespräch mit Perceval erzählt sie, dass der Betrauerte am selben Morgen ums Leben gekommen sei. Die vom Schmerz Gezeichnete gibt sich als germaine cousine (3600) zu erkennen, bleibt jedoch namenlos. Perceval erfährt in diesem Gespräch von der Eigenart der Fischerburg und des Gralskönigs und rät intuitiv seinen eigenen Namen (3575). Doch er erhält auch die Nachricht, dass er den Tod seiner Mutter verursacht und sich so versündigt hat (3595). Deshalb habe er auf der Gralsburg nicht fragen können (3593 ff.). Dann vergleicht die Cousine den Schmerz über beides, den Tod der Mutter und das Frageversäumnis, mit ihrer schlimmen Trauer über den Tod ihres Ritters (3604– 3619). Perceval scheint von den Konsequenzen seines Fehlers weniger berührt als vom Tod seiner Mutter. Er ist über die ‹grausame› Nachricht entsetzt: Felon conte m’avez conte´ (3620). Dies bewegt ihn zum Aufbruch und zu einer Wegänderung. Dabei fordert er seine trauernde cousine auf, ihn zu begleiten. Der betrauerte Tote werde keine Hilfe mehr für sie sein, man solle ihn bei den Toten lassen – die Lebenden gehören zu den Lebenden (3629 f.): Qui chi gist mors, jel vos plevis. / Les mors as mors, les vis as vis.179 Ein Verbleiben seiner cousine allein bei ihrem toten Ritter scheint ihm höchst töricht (De vos grant folie me samble, / Qu’isi seule gaitiez ce mort; 3632 f.). Sinnvoll erscheint ihm vielmehr, dem Mörder gemeinsam mit ihr nachzusetzen und am Tod des Geliebten Rache zu nehmen. Doch lässt der große Schmerz in ihrem Herzen (Le grant doel qu’ele a en son cuer; 3639) einen solchen Aufbruch nicht zu. Sie will nicht fortziehen, bevor der Tote nicht begraben ist (3640–3643). Perceval trauert nicht mit, bezeugt keine Anteilnahme an ihrem Leid, verweilt auch nicht, um ihr bei der Beerdigung des Toten beizustehen. Eine affektive Reaktion auf das Leiden der cousine fehlt. 178 Dies mag auf ein traditionsreiches Motiv zurückgehen, vgl. sehr ähnlich die erste Klagerede Hiobs, Iob 3,2 f. Vgl. dazu Küsters, Klagefiguren, S. 54 und S. 73. Seine Analyse der Klagen in der höfischen Literatur ergibt, dass dies der Ort eines reflektierenden Bezugs zum eigenen Leben sei, einer Lebensbilanz und einer scharfsinnigen «Analyse der Gefühle, Erfahrungen und auch der sozialen Bedingungen, mit denen die Figur konfrontiert wurde». Vgl. auch Wolf, ‹maere›, S. 59. 179 Der erste Teil dieser sentenzhaften Wendung ähnelt Mt 8,22, wo sich die Aufforderung auf die Nachfolge Christi bezieht.

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Parzival trifft auf seinem Weg von Soltane zum Artushof zum ersten Mal auf die Trauernde. Er reitet nach seiner Begegnung mit Jeschute, die er mit seinem Raub von Kuss, Ring und Spange vor ihrem eifersüchtigen Ehemann Orilus diskreditiert hat und die in der Folge Leid ertragen muss, einen Abhang hinab. Der törichte knabe (138,9) hört das Klagen schon von weitem, bevor er die Trauernde mit ihrem toten Geliebten sieht. Im Vergleich zu Chre´tien fehlt zum Eingang der Szene die lange lamentatio über das eigene Leid.180 Der verbale Ausdruck des Leidens fällt damit – ähnlich wie in der Szene auf Munsalvæsche – zunächst fort. Auch hier übernimmt der Erzähler bei der Beschreibung des Leidens die ‹Regie›. Er wendet sich zu Beginn der Szene zunächst an das implizite Publikum (nu hœret waz diu frouwe tuo; 138,16), beschreibt den Gestus der Trauernden, die sich ir langen zöpfe bruˆne / vor jaˆmer uˆzer swarten (138,18 f.) reißt. Erst im Anschluss daran wird der Blick Parzivals beschrieben (der knappe begunde warten; 138,20). Und so erblickt er den toten Fürsten Schianatulander im Schoß einer Jungfrau (138,20–23). Parzivals Blick fokussiert den Toten, weniger den Gestus der verzweifelt Trauernden. So reagiert er in dieser ersten Begegnung mit Sigune mit der Feststellung (138,28 f.): ich haˆn hie jæmerlichen funt / in iwerm schoˆze funden. Doch nicht nur sein Blick, auch seine Neugier bezieht sich auf Schianatulander (138,30): wer gap iun ritter wunden? Er hakt nach (139,2): wer haˆt in erschozzen? Parzival interessiert sich primär für die Art und Weise, mit der dieser Ritter ums Leben kam (139,3): geschahez mit eime gabyloˆt?181 Er kommentiert seinen Fund mit der Vermutung, der dort Liegende sei wohl tot, und drängt Sigune, sie solle ihm doch sagen, wer den Ritter erschlagen habe (139,6). Kampflustig greift er zu seinem Köcher mit seinen Waffen, vil scharpfiu gabyloˆt er vant (139,11). Parzival kündigt – wie in der Vorlage Perceval – 180 Vgl. auch Wolf, ‹maere›, S. 59, der bemerkt, dass Wolfram die «konventionelle planctus-descriptio» beseitigt. Er konstatiert bezüglich der Veränderungen in den Sigune-Szenen gegenüber dem französischsprachigen Text, ebd., S. 60, die veränderte Erzählperspektive. 181 Vgl. auch Birgit Eichholz, Kommentar zur Sigune- und Ither-Szene im 3. Buch von Wolframs ‹Parzival› (138,9–161,8) (Helfant Studien S 3), Stuttgart 1987, S. 22, die die Kontaktaufnahme in dieser Szene als problematisch beschreibt. Sie geht nicht auf die Ursachen dieser Problematik ein, sieht allerdings Zusammenhänge mit der Thematik der tumpheit. Die Veränderungen gegenüber Chre´tien «beruhen z. T. auf der Umstellung der Szene, die bei Wolfram einen noch unerfahrenen und naiven Helden verlangt.» Sie begründet dies nicht detailliert.

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Sigune tatendurstig an, dass er gern jenem nachreiten und mit ihm kämpfen wolle, der dies verursacht habe (139,7).182 Doch gelingt die Kontaktaufnahme nicht auf Anhieb. Die Klagende erscheint in «extremer Leidversunkenheit»183 befangen, denn sie reagiert zunächst nicht auf den Inhalt seiner Fragen, scheint Parzival erst langsam wahrzunehmen und ihm ihren Blick zuzuwenden, und erst dann nimmt sie auch auf ihre visuelle Wahrnehmung bei der Aufnahme des Dialogs Bezug. Sie reagiert nämlich zunächst auf seine Schönheit (antlütze minneclıˆch; 139,27) und schließt daraus (139,28): deiswaˆr du wirst noch sælden rıˆch. In Wolframs Text steht zu Beginn der Szene also nicht Sigunes rationale Reflexion des eigenen Leids, des Verlusts und der eigenen Affekte im Vordergrund, sondern die affektive Dimension an sich, der Gestus der Trauer und Klage und der Akt der visuellen Wahrnehmung des Anderen. Dabei scheint Parzival sich auf Schianatulander zu konzentrieren und die extreme Trauer Sigunes weitgehend zu ignorieren. Entsprechend folgert sie aus Parzivals kampfbereiter Reaktion auf den Anblick des Toten: du bist geborn von triuwen, / daz er [Schianatulander] dich sus kan riuwen (140,1 f.).184 So scheint auch ihr deutlich zu sein, dass sich Parzivals riuwen auf den Toten und nicht auf ihre eigene Trauer bezieht. Es spiegelt sich in Parzivals Aktionsbereitschaft somit kaum ein Verständnis dieser absoluten und grenzenlosen Trauer, obgleich sie dennoch als eine Art der Leidenspartizipation gedeutet werden kann. Doch äußert sich seine Anteilnahme an ihrem Leid in Rachelust, der er mit den Waffen, die ihm zur Verfügung stehen, nachgehen möchte.

182 Der Erzähler schaltet hier einen kurzen Rückblick auf die vorangehende Jeschute-Szene ein, in der Parzival selbst zum Verursacher von Leid wird (139,19). Vgl. dazu die eher punktuellen Beobachtungen der Forschung: Maurer, Leid, S. 117 f., bezeichnet Herzeloydes, Jeschutes und Sigunes Leid als «drei Typen des Leids». Dieses Leid – das bereits in der Elternvorgeschichte präsent sei – trete ab dem dritten Buch «in gesteigertem Maß in allen denkbaren Formen» auf. Vgl. auch Eichholz, Kommentar, S. 26. Wolf, ‹Interpretatio christiana›, S. 28 f. Zum ‹Parzival› vgl. auch ebd., S. 47–50. 183 So Wolf, ‹maere›, S. 60. 184 Zum Zweifel an der Echtheit dieser Verse und zu den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten vgl. auch Eichholz, Kommentar, S. 34 f. geborn von triuwen ist demnach im Sinn der Abstammung zu verstehen. Das Problem des Mitleids, das mit dem riuwen in Verbindung gebracht werden kann, bespricht sie an dieser Stelle nicht.

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Aus Sigunes Bewertung von Parzivals Mitleidsreaktion geht ein erster Schritt der Identitätsfindung Parzivals hervor. Hier errät er seinen Namen nicht intuitiv, wie bei Chre´tien, sondern erfährt ihn von Sigune,185 die ihm auch Hinweise auf seine Abstammung und das Leid seiner Familie liefert. So erzählt sie Parzival vom Tod seines Vaters und vom Leid, das die Brüder Orilus und Lähelin über sein ererbtes Land und über Sigune gebracht haben. Denn Orilus ist es auch, der Sigunes Minneritter Schianatulander in der Tjost erschlagen hat. Sigune gesteht Parzival zudem, dass sie nicht nur unter dem Verlust ihres Geliebten leidet, sondern auch unter dem Schuldgefühl, ihm zur rechten Zeit die Liebe versagt und ihn deshalb in den Tod geschickt zu haben. Sein Tod hat eine unüberwindbare Distanz zwischen die Liebenden gelegt und verursacht nun sehnsüchtige jaˆmers noˆt / [. . .] naˆch sıˆner minne (141,18 f.). In ihrer Verzweiflung über seinen Tod hält sie ihn in ihren Armen (141,24): nu minne i’n alsoˆ toˆten. Parzival bekundet nun auch sein Mitleid mit ihr (141,25 f.): niftel, mir ist leit / dıˆn kumber und mıˆn laster breit. Dabei hält er, der gerade erst von seinen geerbten Ländern erfahren hat, der die Verantwortung über diese Länder und die Regierungsfähigkeit noch gar nicht erlangt hat, den Vorfall zugleich für sein laster breit (141,26). Seine Aussage, dass ihr Leid ihm nahe gehe, ist syntaktisch in einer nebenordnenden Konjunktion verbunden. Beide, ihr kumber und sein Ehrverlust (laster), stehen sich so (syntaktisch) scheinbar gleichwertig gegenüber, beide scheinen Parzival gleichermaßen leit zu sein. Wohl ist die Wurzel beider im Tod Schianatulanders zu sehen und insofern vergleichbar – der Grad des Schmerzes ist jedoch unvergleichbar. Daher kann ihre maßlose Trauer mit seinem gerade erst erkannten laster in der Parallelisierung als unangemessen beurteilt werden.186 Parzivals Mitleidsbezeugungen sind auf der Höhe seiner eigenen Entwicklung, die sich äußerlich in seiner Kleidung und seinen Waffen und schließlich in seiner Bereitschaft zur Aktion mit dem unritterlichen Wurfspieß manifestiert. Doch auch seine Art, über das Leiden zu sprechen, und seine Reaktionen auf die erhaltenen Informationen enthüllen seinen Stand der Interaktionsfähigkeit: Parzivals Aufmerksamkeit richtet sich primär und ohne affektive Implikation auf das Objekt der Trauer, bezieht sich damit kaum auf die 185 Vgl. dazu L. Peter Johnson, Parzival erfährt seinen Namen: Une adaptation anticourtoise, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit (FS Brunner), hg. von Dorothea Klein (u. a.), Wiesbaden 2000, S. 181–198, bes. 185 ff. 186 Vgl. Hahn, Parzivals Schönheit, S. 224.

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Trauer Sigunes selbst.187 Sie besteht – wie in der Vorlage – in seiner Bereitschaft zur Rache für das geschehene Unglück (141,27 f.): swenne ich daz mac gerechen, / daz wil ich gerne zechen. Es zieht ihn, und auch das in Übereinstimmung mit Chre´tien, in den Kampf (141,29). Parzival fragt nach der Richtung, in die Orilus geritten sei – Sigune fürchtet, dass auch er im Kampf das Leben verlieren könne und weist ihm den ‹falschen› Weg,188 auf dem Parzival schließlich zum Artushof gelangt.189 Nach seinem Frageversäumnis auf Munsalvæsche trifft Parzival Sigune zum zweiten Mal.190 Nach seinem Aufbruch von Munsalvæsche hat Parzival die Spur der Gralsritter verloren (249,10): daˆ von er herzenoˆt gewan. Parzival ist bereits in einer Stimmung eigener Verlusterfahrung, als er nun Sigune klagen hört und sie mit dem einbalsamierten Toten oben auf der Linde sitzen sieht. Hier schaltet sich der Erzähler kommentierend und verallgemeinernd ein (249,18 ff.): swenz niht wolt erbarmen, / der si soˆ sitzen sæhe, / untriwen ich im jæhe. Die Leidensrepräsentation ist darauf angelegt, Mitleid zu erzeugen. Parzival reagiert auf dieses ‹Leidensbild› und bezieht sich in seinen Worten nicht auf den Toten, sondern explizit auf Sigune (249,27 f.): frouwe, mir ist vil leit / iwer senelıˆchiu arebeit, und dieses Mal mit dem höfischen Angebot, sich in ihren Dienst zu stellen. Dieses Angebot – das sich vom vorangehenden Vorschlag, Rache mit dem Bauernspieß zu üben, unterscheidet – ist als Hinweis auf den inzwischen erlangten ritterlichen Status Parzivals deutbar, der inzwischen seine Rüstung, ritterliche Unterweisung, Frau und Land erworben hat. Parzivals Mitleidsreaktionen spiegeln auch hier den Stand seiner Entwicklung. 187 Die Forschung sieht in dieser Szene das Mitleid angelegt, differenziert dies jedoch nicht aus. Vgl. Wenzel, Herzeloyde und Sigune, S. 226, bezeichnet Parzival in dieser Szene als «mitleidend beteiligten, schmerzlich betroffenen». Er nennt allerdings keine konkrete Textstelle, die bereits hier eine affektive Leidenspartizipation belegen würde. 188 Interessanterweise würde die Verfolgung den Weg zurück zu Jeschute bedeuten. Parzival raubt ihr gewaltsam Kuss, Ring und Spange, während Orilus seine Gewalttat verübt. Es besteht hier bezüglich der Verknüpfung von Gewalt und Leid eine chiastische Verschränkung. 189 Vgl. dazu Walter Blank, Determination oder Ordo? Parzivals Weg durch die Instanzen, in: ‹Ze hove und an der straˆzen›. Die deutsche Literatur des Mittelalters und ihr ‹Sitz im Leben› (FS Volker Schupp), hg. von Anna Keck und Theodor Nolte, Stuttgart/Leipzig 1999, S. 212–232, hier: 215. 190 Diese Szene steht – wie bereits erwähnt – strukturell an einer mit der französischsprachigen Vorlage vergleichbaren Stelle.

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Sigune deutet Parzivals Reaktion erneut als Mitleid und wünscht ihm in Rückbezug auf die erste Begegnung den Gotteslohn dafür (252,18 f.): got loˆn dir daz dich doˆ soˆ rou / mıˆn friwent, der mir zer tjost lac toˆt. Sie fordert Parzival auf, ihr Leid zu betrachten (252,20 ff.): nu prüeve noˆt / die mir got haˆt an im gegebn, / daz er niht langer solde lebn. Parzivals Blick fällt jetzt auf die Trauernde: Sigune hat ihre Schönheit verloren, in ihrer Trauer hat sie sich «dem Toten angeglichen».191 Parzival hat aufgrund ihrer Veränderungen Mühe, sie wiederzuerkennen (252,28): bistuz Siguˆne, diu mir kunt / tet wer ich was, aˆn allen vaˆr? Er klagt über den Verlust ihrer Schönheit, des roten Munds, ihres braunen Haares (252,27; 252,30), und erinnert sich, wie minneclıˆch, doch jaˆmers rıˆch sie vormals war. Er konstatiert, dass ihre varw unde kraft (253,5) verblichen sind. Und dieser Anblick ruft Unbehagen in ihm hervor und bewegt ihn zum Kommentar, dass die Gesellschaft des Toten ihn verdrießen würde. Somit erhält der Diskurs über den angemessenen Umgang mit dem Toten im Vergleich zur Vorlage eine Steigerung. Denn erschien Perceval das Verbleiben der cousine beim Toten lediglich als unvernünftig, so ist es hier vom Kommentar des offensichtlichen Missbehagens Parzivals begleitet. Verlangt Percevals cousine, den Toten vor ihrem Aufbruch zuerst zu begraben, so übernimmt Parzival die Rolle desjenigen, der das Begräbnis vorschlägt. Sigune hat keinen anderen Wunsch, als bei dem einbalsamierten Toten zu verharren, und weint bei dem Vorschlag, sich von ihm trennen zu müssen. So drückt Parzivals negative Bewertung der Präsenz des Toten in den Armen seiner Cousine, begleitet von seinem Willen, diese Situation aufzulösen, auch seine Inkongruenz mit Sigunes Trauer aus.192 Während die erste Begegnung noch erkennbare Elemente von Chre´tien aufnimmt und die zweite über ihre strukturelle Stellung innerhalb der Erzählung vergleichbar ist, weist die dritte sehr viel weniger Parallelen mit der Vorlage auf. Wolfram führt nämlich diese dritte Szene ganz neu ein und fügt 191 So Wenzel, Herzeloyde und Sigune, S. 231. Allerdings mag der Verlust der Schönheit nur insofern als Angleichung an den Toten bewertet werden, als sich die Trauer sukzessive in ihren Körper einzeichnet, ihr die Lebenskraft nimmt. In der vierten Szene wird Sigune zu dem unverwest schönen balsemvar (804,29) Toten in das Grab gelegt. 192 Dies mag an dieser Stelle mit Draesner, Wege, S. 272 f., übereinstimmen, die aufgrund ihrer Untersuchung der intertextuellen Bezüge die Ansicht vertritt, dass Parzival eine innere Haltung fehle, «die Leiden und Leidensbereitschaft als positiven Wert anerkennt».

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sie zwischen das Wiedererscheinen des Protagonisten und die Begegnung mit dem Einsiedler ein. Nachdem Parzival innerhalb der Erzählung weitgehend hinter der Gawanhandlung verschwunden war, folgt vor der Begegnung mit Sigune die Vorausdeutung, dass Gott sich seiner annehmen wolle (435,12): sıˆn wolte got doˆ ruochen. Damit deutet sich für die Begegnungen des neunten Buchs bereits hier eine religiöse Dimension an. Parzival reitet durch aventiur suochen (435,11) durch das unwegsame Gelände, Baumstämme liegen ihm im Weg (436,26), doch schließlich findet er zufällig eine Klause im Wald. Da er die Orientierung verloren hat, beschließt er, dort nach dem Weg zu fragen: doˆ wolter vraˆgen umben walt, / ode war sıˆn reise wære gezalt. (436,29 f.). Sigune hat der Welt und der weltlichen Freude entsagt und sich in dieser Klause einmauern lassen. Hier pflegt sie in Schmerz und Klage das Andenken an ihren toten Geliebten Schianatulander (435,22): ir leben leit uˆf dem sarke noˆt. Ihr Minnedienst wird nun explizit mit religiösen Attributen versehen. Die kloˆsnærinne (435,13) ist mit härenem Untergewand, grauem Überrock (437,24 f.) und Trauergebende (438,9) bekleidet und trägt einen Psalter in der Hand (438,3). Lediglich ihr Ring – Zeichen ihrer Liebesverbindung mit Schianatulander – kann als weltliches Objekt gedeutet werden und weckt deshalb Parzivals Misstrauen gegenüber ihren religiösen Intentionen (439,9–12). Ihr Verhalten, das Verharren über Schianatulanders Grab, wird nun zum Gottesdienst. Zwar hört sie nie die Messe, doch ihr Leben gleicht einem Gebet (435,25): ir leben was doch ein venje gar. Sigunes Trauer unter Verlust ihrer Schönheit (435,26 f.) wird so einem Opfer gleich, das sie hier ‹darbringt›. Dabei erreicht ihr Leiden die höchste Intensität (435,29 f.): ez erleit nie magt soˆ hoˆhen pıˆn: / durch klage si muoz al eine sıˆn. Aufgrund von ihrer Klage um ihren Geliebten erkennt Parzival seine Cousine (440,20 f.): Parzivaˆl verstuont doˆ sich / daz ez Siguˆne wære. Nun geht ihr Kummer ihm nahe: ir kumber was im swære (440,22). Auch Sigune erkundigt sich nach seinem Ergehen. Parzival hat jedoch sein Ziel Munsalvæsche immer noch nicht erreicht und verharrt wie Sigune in seinem Leid (441,5): der graˆl mir sorgen gıˆt genuoc. Sein Weg ist immer noch von der doppelten Sehnsucht nach seiner Gemahlin und dem Gral gezeichnet (441,10–13): ich sen mich naˆch ir kiuschen zuht, naˆch ir minne ich truˆre vil, und meˆr naˆch dem hoˆhen zil, wie ich Munsalvæsche mege gesehn.

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Damit findet hier erstmals ein gleichwertiger Austausch über das jeweilige Leid statt. Die Intensität der Leiderfahrung Parzivals befindet sich inzwischen auf dem Niveau von Sigunes Trauer, obwohl der Grad des eigenen Leidens das Mitklagen mit ihr verunmöglicht (442,5–8): ich solte truˆrn umb dıˆne klage, wan daz ich hœhern kumber trage danne ie man getrüege. mıˆn noˆt ist zungefüege.

Diese Szene zeichnet sich durch das Erkennen des Leidens des Anderen aus (440,20; 441,17). Nicht mehr der Tote steht im Vordergrund, sondern das Leiden beider. Es erfährt in dieser Szene eine Parallelisierung: Sigune wird durch den Hinweis des Erzählers, dass nie eine Frau so großes Leid trug, charakterisiert – Parzival sagt hier selbst von sich, dass er höheres Leid trage, als je ein Mann getragen habe. Parzival ist sich in seinem eigenen Zustand des Leidens des Imperativs des Mittrauerns, der Leidenspartizipation, bewusst (442,5): ich solte truˆrn umb dıˆne klage. Doch er vermag diese Klage nicht auszuführen. Parzival ist in seinem eigenen Leiden so befangen, dass ihm das Mitklagen mit Sigune nicht gelingt, doch gleicht er ihr in ihrer unerfüllten Minne und ihrem Leiden. Aufgrund des eigenen Leidens bittet Parzival darum, dass sie ihm verzeihen möge (441,15 ff.): niftel Siguˆn, du tuost gewalt, / sıˆt du mıˆn kumber manecvalt / erkennest, daz du veˆhest mich. Sein Leiden tilgt ihren Unmut (441,18 ff.): al mıˆn gerich / sol uˆf dich, neve, sıˆn verkorn. / du haˆst doch freuden vil verlorn. Im Klagen beider kann daher auch ein gegenseitiges Verstehen angelegt sein und damit die höchste Stufe ihrer kommunikativen und affektiven Interaktion. Nun scheint hier die bereits vom Erzähler angekündigte neue Gottesbeziehung auf, denn als er sie um Rat bittet, vertraut die selbst Leidenserfahrene ihn jenem Gott an, dem alles Leiden bekannt ist (442,9 f.): nu helfe dir des hant, / dem aller kumber ist bekant. Das Motiv der Hilfe Gottes, als Hilfe des Leidenserfahrenen steht in Verbindung zur wenig später folgenden Karfreitagshandlung, in der das Leiden Parzivals auch als partielle Angleichung an die Passion und Teilhabe an Christi Leiden deutbar ist.193 Sigune möchte Parzival helfen, indem sie ihm rät, die noch frische Spur des Maultiers der Gralsbotin Cundrie zu verfolgen und auf diese Weise zur Gralsburg zu gelangen. Beide hoffen, dass diese Spur ihn durch 193 Vgl. Kap. 4.5.

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den Wald nach Munsalvæsche führen möge. Doch diese Hoffnung wird enttäuscht. Parzival verliert die Spur und damit erneut den Gral (442,30): sus wart aber der graˆl verlorn. Sein Leidensweg führt noch weiter. Wolfram erzählt die Geschichte Sigunes zu Ende, indem er eine vierte Szene einfügt. Parzival begegnet ihr ein letztes Mal, als sein eigenes Leiden beendet ist. Er ist durch die Gralsinschrift nach Munsalvæsche berufen worden, hat Anfortas von seinem Leiden erlöst, wurde Gralskönig und hat seine Gemahlin Condwiramurs am Plimizœl wieder gefunden. Dort erinnert er sich daran, dass er in der Nähe die trauernde Sigune als Klausnerin getroffen hat, weshalb er sich von seinen Begleitern erneut dorthin führen lässt (804,19 f.). Bei seiner zweiten Begegnung mit Sigune hatte Parzival von ihr erfahren, dass ihre einzige Freude noch sein könne, von der Erlösung des Anfortas zu erfahren. Dies wäre nun möglich, doch als er bei Sigune eintrifft, kann er ihr die Botschaft nicht mehr übermitteln. Sie ist im Gebet über dem Sarg des Geliebten gestorben (804,23). Somit hat auch ihr Leid ein Ende gefunden. Jetzt wird die Mauer der Klause, die Sigune in ihrem Leid mit Schianatulander eingeschlossen hat, eingerissen. Die sukzessive physische Distanz und Abschließung der Liebenden von der Welt194 hat ihr Tod vollkommen gemacht, sie kann nun in ihrer Beisetzung vollendet werden. Parzival veranlasst seiner Cousine zuliebe (durch die nifteln sıˆn; 804,26), dass der Sargdeckel entfernt wird. Da öffnet sich der Blick auf den Toten, der aus dem Sarg einbalsamiert und unversehrt in seiner Schönheit ‹strahlt›. Sigune wird ganz nah zu ihm gelegt. Die Liebenden werden im Tod im Grab vereint, bevor der Sarkophag über beiden verschlossen wird. Die Distanz, die der Tod zwischen ihnen bewirkt hat, ist damit auch symbolisch überwunden, der Sigune-Zyklus beendet. In ihrem Leid haben Sigune und Parzival gleichzeitig,195 jeder auf seine Weise, «vor Gott Gnade gefunden».196 Parzival bieten sich in den vier Begegnungen mit Sigune ‹Bilder› der ‹Entweltlichung›. Sie vollzieht in ihrer Trauer, die sich sukzessive an ihrem Äußeren abzeichnet, eine Angleichung an den Toten. Ihr Schönheitsverlust geht mit einem sukzessiven räumlichen Rückzug aus der Welt einher: 194 Auch Draesner, Wege, S. 278 f., beschreibt Sigunes «inneren Weg» als einen Weg räumlichen Rückzugs. Damit ergibt sich hier eine punktuelle Übereinstimmung mit ihrer Studie. 195 Bumke, Wolfram, S. 120, weist auf die Gleichzeitigkeit der Berufung Parzivals zum Gral und Sigunes Tod hin. 196 Vgl. Bumke, Wolfram, S. 120.

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trauert sie in der ersten Begegnung an einem Felsen nahe dem Artushof, so nimmt die Distanz in der zweiten Begegnung mit ihrem Sitz auf der Linde zu. In der dritten Begegnung befindet sie sich inmitten der Waldwildnis nahe Munsalvæsche, gemeinsam mit Schianatulander eingemauert in ihrer Klause. Damit weilt sie bereits in einem abgeschlossenen, von außen unzugänglichen Raum. Letzterer wird in der letzten Szene von außen her geöffnet, ein Zugang wird gebahnt, doch nur um sie mit dem sehnsuchtsvoll begehrten Schianatulander im Grab zu vereinen. Diese Entfernung von der Außenwelt bedeutet jedoch auch eine sukzessive Überwindung der Distanz, die der Tod Schianatulanders zwischen die Liebenden gelegt hatte. Obwohl sämtliche Reaktionen Parzivals auf den Anblick dieser Trauer als Mitleid gedeutet werden können, sind die durch das Mitleid ausgelösten Handlungen jeweils auch für den Stand seiner Fähigkeit, mit dem Leiden umzugehen, signifikant. Und diese entwickelt sich von unhöfischem Bestreben, für den Tod Schianatulanders mit dem gabyloˆt Rache zu nehmen, über das ritterliche Dienstangebot und den Vorschlag, den Toten zu begraben, hin zur affektiv geprägten Klage über das höchste Leid in der dritten Begegnung. Dort scheint sich eine Angleichung der beiden Leidenden in ihrem höchsten Kummer abzuzeichnen, der sich aus der Verbindung von Schmerz und Liebe konstituiert. Ihre Wege trennen sich hier. Denn die vierte Begegnung zeigt beide in der Vollendung ihrer Leid-Aufgaben. Zuletzt sind Sigune und Schianatulander im Tod vereint, Parzival ist Gralskönig und wurde erneut mit Condwiramurs zusammengeführt. In dieser letzten Szene scheint sich auch erzähltechnisch der Bogen der Parzivalhandlung mit ihrer auf der thematischen Ebene verhandelten Herausforderung der Erfahrung von Leid, Mitleid und Mitleiden ‹geschlossen› zu haben. Der Erzähler scheint diesen Abschluss zu reflektieren (805,14 f.): ez ist niht krump alsoˆ der boge, / diz mære ist waˆr unde sleht. Es liegt nahe, dies als einen Rückbezug auf das Bogengleichnis (241,1–30) zu betrachten, das im erzählerischen Kontext der Gralswelt steht und auf das Frageversäumnis Parzivals folgt.197 Es steht demnach am Beginn von Parzivals Leidensweg. An dieser Stelle in der Erzählung waren sämtliche Facetten der Leidens197 Zum Bogengleichnis existiert inzwischen eine umfangreiche Sekundärliteratur. Hier soll es allerdings weniger darum gehen, das Gleichnis, seine Bildlichkeit und seinen poetologischen Gehalt selbst zu diskutieren. Vielmehr soll auf die strukturelle Stellung innerhalb der Erzählung im Zusammenhang mit der Thematik aufmerksam gemacht werden.

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problematik der Parzivalhandlung geöffnet, harrten ihrer Entfaltung und der Lösung innerhalb der Erzählung: Parzival war Sigune kurz nach dem Tod ihres Geliebten erstmals begegnet, er hatte die Liebe Condwiramurs gewonnen und war von ihr aufgebrochen. Vor allem aber hatte er das Fragen versäumt. Diese Problemstellungen sind jetzt gelöst. Der Abschluss des Sigune-Zyklus deutet auf die Parallelität der beiden Leidenswege hin. Dabei zeichnet sich an beiden Figuren eine spezifische Entwicklung ab: Sigunes Rückzug aus der Welt korrespondiert die Leiderfahrung Parzivals in einer Welt ritterlichen Kampfs. Dabei scheinen sich beide Konzepte der Leidbewältigung gleichwertig gegenüber zu stehen, beide führen zum Ziel einer individuellen Erlösung. Dies zeigt auch: Parzivals Mitleidsfähigkeit ist in den Interaktionen mit Sigune keineswegs konstant, sondern durchläuft eine Entwicklung.198 Die Veränderungen im Umgang mit dem Leid Sigunes können auch als Indikatoren einer ‹Schulung› durch eigene Leiderfahrungen betrachtet werden. Diese Art des Wissenserwerbs hebt sich somit von der verbalen Wissensvermittlung ab. Ist eine Entwicklung auf der Ebene der Leidensinteraktion in der Parzivalhandlung bereits deutlich geworden, so ist nun danach zu fragen, inwiefern diese Beobachtungen auch für die Gawanhandlung gelten. Vor allem wird zu fragen sein, inwiefern der Affekt des Mitleids in diesem Handlungsteil zu einem handlungsmotivierenden Moment wird. Die Untersuchung der Stationen der Interaktion zwischen Parzival und Sigune hat sich als aufschlussreich für die Beurteilung des Mit-Leidens erwiesen. Tatsächlich bietet der Gawanteil eine vergleichbare Figurenkonstellation. Auch dort begegnet der Protagonist einer trauernden Jungfrau mit ihrem in der Tjost verletzten Ritter im Schoß. Wiederum finden sich die Vorgaben zu dieser Szene bereits bei Chre´tien. Als Gauvain – zu Beginn des zweiten ihm gewidmeten Handlungsteils – unbestimmte Zeit nach seinem Abenteuer im Turm in Escalavon eine Anhöhe hinauf reitet, geraten sukzessive eine Eiche (6524), an der ein Schild hängt (6526), und ein Speer, der daneben aufrecht im Boden steckt, in seinen Blick, und zu seiner Verwunderung findet Gauvain dort auch einen schwarzen Zelter vor, der zu den Waffen nicht passt (6527–6539). Erst jetzt sieht er ein trauerndes Mädchen, das unter dem Baum sitzt (6541): Et voit seoir une pucele. Ihre Schönheit ist durch Trauer entstellt, denn sie rauft sich die 198 Auf dieser Grundlage ist Bumke, Blutstropfen, S. 106 f., zu widersprechen, der auf dieser Ebene keine Entwicklung annimmt.

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Haare, hat die Finger in ihren Zopf gegraben und trauert um ihren Ritter (6546 f.): Si s’esforc¸oit molt de doel faire / Por un chevalier doel faisoit. Als Gauvain sich ihr nähert, erkennt er, dass der Ritter nicht tot, sondern schwer verletzt ist (6551) und schläft. Seine Gesichtszüge sind unkenntlich (6552), er trägt schwere Wunden plaie [molt] grief (6553) am Kopf und an den Lenden, aus denen in Strömen Blut fließt (6555 f.): Et d’ansdeus pars parmi les flans / Li coroit a grans rais li sans. Die Wunden bringen ihn in Todesgefahr (6565 f.), dennoch will Gauvain sich bei dem Ritter nach dem Land erkundigen, das vor ihm liegt (6567–6570). Er bittet daher das Fräulein, ihn zu wecken. Als sie sich weigert, dies zu tun, stößt Gauvain ihn zweimal sanft an, bis er wach wird. Der Ritter dankt ihm zunächst für diese vorsichtige Behandlung und warnt ihn, in das Land Galvoie weiterzureiten, da keinem Ritter außer ihm bisher die Rückkehr gelungen sei, denn über das Land wache ein überaus kühner und kräftiger Ritter (6609–6612). Gauvain will dennoch dorthin aufbrechen, verspricht, bei seiner Rückkehr nach dem Ritter und dem Fräulein zu sehen, reitet fort und stellt sich in Galvoie in den Dienst des tückischen Fräuleins L’Orgeilleuse de Nogres (8638f.). Mit ihr kehrt er zur Eiche zurück. Gauvain weist sich im Folgenden als ausgezeichneter Arzt aus (6908 f.). Auf seinem Rückweg pflückt er nämlich ein schmerzstillendes Kraut (6910– 15), sucht das Fräulein und ihren verletzten Ritter wie versprochen auf, fühlt dort den Puls des Halbtoten, prüft seinen Atem und verbindet die Wunden mit dem mitgebrachten Heilkraut. Die Wirkung dieser Behandlung zeigt wunderbare Folgen. Es kehrt erneut Leben in den Ritter zurück, ja die schnelle Genesung ermöglicht es ihm sogar, Gauvain um sein Streitross Gringalet zu betrügen, zu reiten und sich als der Mädchenschänder Greoreas zu erkennen zu geben – der zu seiner Strafe einen Monat lang mit den Hunden aus einem Napf fressen musste – und mit seiner Freundin das Weite zu suchen (6973–7140). Gauvain zieht selbst die Moral aus der Geschichte (7100): de bien fait col frait.199 Auch im ‹Parzival› sieht Gawan zunächst nur einen im Kampf durchstoßenen Schild blinken und ein schön gezäumtes Damenpferd, das mit dem Zaum am Ast eines Baumes angebunden ist (504,14). Doch bietet sich ihm dieser Anblick schon von weitem dar. Gawan überlegt im Heranreiten, es 199 «Wie das Gute empfangen, ist der Dank vergangen [ist der Hals gebrochen].» Vgl. Olef-Krafft, Perceval, S. 397. Wie bereits erwähnt, folgen die Übersetzungen zum Teil paraphrasierend bzw. in direkter Übernahme ihrer Textausgabe.

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möge sich hier um eine Kämpferin handeln, die gegen ihn streiten und mit ihm ringen wolle. Er scheint einem Ringen mit dieser Amazone – was durchaus als erotische Anspielung verstanden werden kann200 – nicht abgeneigt zu sein (504,22 ff.): si mac mich nider bringen, / ich erwerbes haz ode gruoz, / sol daˆ ein tjost ergeˆn ze fuoz. Und wäre es die Amazone Kamille selbst,201 so würde er dennoch gern den Kampf mit ihr aufnehmen wollen (504,29 f.). Als er näher reitet, bietet sich ihm jedoch ein Bild großen Leids. Im grünen Klee, bisher hinter dem dicken Stamm der Linde (505,9) verborgen, sitzt an freuden lam (505,10) eine Dame (505,12 f.): der tet groˆz jaˆmer als weˆ, / daz si der freude gar vergaz. Gawan reitet zu ihr und sieht nun, dass sie einen Ritter in den Armen hält (505,15 f.): ir lac ein rıˆter in der schoˆz, / daˆ von ir jaˆmer was soˆ groˆz.202 Gawan zeichnet sich durch sein überlegtes und geplantes Handeln aus. Er steigt vom Pferd und sieht sich den Ritter näher an (505,22 f.): daˆ lac durchstochen ein man: / dem gienc dez bluot in den lıˆp. Dann erkundigt er sich, ob der Ritter noch lebt, was sie bejaht, und er wird sofort als Arzt tätig. Er stellt innere Blutungen fest, formt aus der Rinde der Linde ein Drainagerohr, führt es in die Wunde des Ritters ein und lässt die Dame daran saugen, bis das gestaute Blut aus dem Brustkorb fließt. Er braucht den Verletzten nun nicht aus dem Schlaf zu holen, denn die wirksame Behandlung belebt den Verwundeten. Er kann sofort Gawan danken und erzählt ihm, wie er auf Abenteuerfahrt hergekommen sei und nahe der Burg Logrois von Lishoys Gwelljus in einer Tjost verletzt und besiegt wurde. Schließlich warnt der verletzte Ritter Gawan vor diesem Ort: dar engeˆt niht kinde reise (507,19). Gawan lässt sich nicht beirren, sondern spricht zum Abschied einen Wundsegen, vertraut das Paar Gott an und folgt der blutigen Spur des Verletzten in Richtung des Kampfortes (507,25–29). Am Burgberg trifft er nun die Herrin von Logroys, die überaus schöne Her200 Vgl. Nellmann, Stellenkommentar, S. 705, siehe auch Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 336 f., die die Charakterisierung Gawans in dieser Szene als «ambivalent» bezeichnet. Es entstehe der «Eindruck eines Mannes, der keine Gelegenheit ungenutzt läßt.» Vgl. auch John M. Clifton Everest, KnightsServitor and Rapist Knights. A Contribution to the Parzival/Gawan Question, in: ZfdA 119 (1990), S. 290–317, bes. 302. 201 Vgl. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, mhd./nhd., nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Nhd. übers., mit einem Stellenkomment. und einem Nachw. von Dieter Kartschoke (RUB 8303), Stuttgart 2002, V. 8784–9152. 202 Vgl. die erste Beschreibung von Sigune mit Schianatulander (138,23 ff.): den fürsten toˆt daˆ vander / der juncfrouwen in ir schoˆz. / aller schimphe si verdroˆz.

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zogin Orgeluse (508,26). Von Liebesverlangen entbrannt, stellt er sich als Minneritter in ihren Dienst. Sie fordert allerdings, dass er ihre Liebe erst verdienen möge (510,1), folgt ihm (510,27), sagt ihm jedoch Leid voraus (510,28 ff.): welt ir teilen den gewin, / den ir mit minne an mir bejagt, / mit laster irz daˆ naˆch beklagt.203 Damit verschränken sich auch in diesem Handlungsteil die Aspekte von Minne und Leid. Doch diese scheinen hier ganz anders problematisiert zu werden. Das verdeutlicht auch die Rückkehr Gawans, nunmehr in Begleitung von Orgeluse, zum verwundeten Ritter. Auf seinem Weg findet er nämlich ein Heilkraut, steigt ab und gräbt unter den spöttischen Worten Orgeluses die Wurzel als Medikament für den verwundeten Ritter aus. Sein Handeln ist allerdings nicht affektiv gesteuert, sondern wird aus der Erinnerung an den Ritter heraus motiviert. Denn er begründet dieses damit, dass er den Verletzten heilen möchte (517,7f.): disiu wurz sol in wol ernern / unt al sıˆn unkraft erwern. Bei Gawans Eintreffen bittet der Verletzte ihn um weitere Hilfe. Denn er wünscht, in ein nahe gelegenes Spital reiten zu können, um sich dort auszuruhen. Somit ist hier die religiöse Motivation getilgt, denn im Gegensatz zum französischen Text gibt der Kranke nicht den Wunsch nach priesterlichem Beistand an. Das Resultat ist jedoch das Gleiche: Die Hilfeleistung, die er sich von Gawan erbittet, ist nämlich, gemeinsam mit seiner Freundin in den Sattel des verbliebenen Pferdes gehoben zu werden. Während Gawan zuerst der Dame beim Aufsteigen behilflich ist, springt der Ritter in den Sattel von Gawans Pferd Gringuljete und reitet mit seiner Dame davon. Er kehrt jedoch nochmals zurück, um sich zu versichern, dass es wirklich Gawan ist, dem er das Streitross gestohlen hat (524,10), gibt sich als Urjans zu erkennen und erinnert an die wegen Gawan erlittene Strafe, die er für die Vergewaltigung einer Jungfrau auf sich nehmen musste.204 Wolfram weitet die Szene im Vergleich zu Chre´tien aus: Gawan erzählt nun Orgeluse, wie er Urjans auf frischer Tat ertappt (525,28) und ihn vor den König Artus geführt hat, der ihn richten sollte.205 Urjans drohte nun die Strafe, wegen seines schweren Vergehens gehängt zu werden, doch leistete er Gawan sicherheit (527,25) und rettete so sein Leben. Denn mit der 203 Vgl. auch 511,10: groˆz sorge iuch daˆ naˆch rüeret. 204 Vgl. zur Problematik der Gewalt in dieser Szene Scheuble, ‹mannes manheit›, S. 327–341. 205 Dieser Prozess ist gegenüber der Vorlage neu, vgl. ebd., S. 339. Die Strafmilderung geht zu Lasten der Vergewaltigten, es gehe hier «in erster Linie um die Rettung von Gawans eˆre».

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Bedrohung seines Lebens war nunmehr Gawans Ehre in Gefahr. Gawans Motivation zur Bitte um Strafmilderung entspringt also keinesfalls seinem Mitleid, sondern der Spannung zwischen Minnevergehen, Rechtssprechung und der Furcht vor der Verletzung des höfischen Ehrenkodex. Die Erweiterung Wolframs besteht somit nicht in der Ausgestaltung einer Leidensteilhabe.206 Hier geht es kaum um eine Verarbeitung von Sehnsucht, Leid und Trauer. Präsentiert sich in dieser Szene zu Beginn eine ähnliche Figurenkonstellation wie in den Begegnungen Parzivals mit Sigune, so bestehen in deren Ausgestaltung bedeutende Unterschiede. Der Ritter ist verletzt, nicht tot, die Klagende tritt in den Hintergrund, Leiderkenntnis wird nicht zur Herausforderung, die affektive Leidensinteraktion ist gar kein Thema, und die folgende medizinische Heilung des Schwerverletzten ist rational geleitet. Diese Szene steht in einem Kontext des Liebesverlangens: von Gawans Freude auf einen ‹Kampf› mit einer Amazone, dem Verlangen nach Orgeluse und Urjans Strafe für sein sexuelles Vergehen. So steht auch Gawans rationales Vermögen in seiner ärztlichen Hilfestellung und zügigen Leidüberwindung im Gegensatz zu Parzivals Begegnungen mit Sigune. Diese Konstellation wird von Wolfram in der Gawanhandlung kaum weiterverfolgt. Daraus lässt sich schließen, dass in diesem Handlungsteil das Interesse nicht auf der Leidensinteraktion und den Stadien einer Entwicklung liegt. Vielmehr bezeichnet die Urjans-Szene eine Station auf Gawans Weg.207 Denn in diesem Handlungsteil wird ein ganzes Spektrum von Formen der Minnebeziehung vorgeführt und problematisiert: dies zeigt die Begegnung mit Obilot und Obie, mit Antikonie und Orgeluse. Schließlich ist es die Aufgabe Gawans, den Verödungszauber zu lösen, den der wegen eines Fehltritts entmannte Zauberer Clinschor über die Burg Schastelmarveille verhängt hat. Dieser Zauber führt zu einer Trennung der Geschlechter auf der Burg und von Familienmitgliedern in der Artuswelt. Und so wird es 206 Scheuble hält fest, «daß die anhand der Aussagen Gawans rekonstruierbare Vergewaltigung der Botin durch Urjans nicht nur der generellen Funktion männlichen Gewalthandelns entspricht, sondern als sexualisierte Gewalt eine besonders erniedrigende Form von Gewalt gegen Frauen darstellt.» Ebd., S. 341. 207 Vgl. Haug, Parzival ohne Illusionen, S. 212, der Gawans Weg als einen «Frauenstationenweg» bezeichnet, der verschiedene Frauentypen vorführt. Ich würde diesen Weg jedoch eher als einen Stationenweg unterschiedlicher, mit diesen Frauentypen verbundenen Problemstellungen deuten.

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schließlich Gawans Aufgabe sein, das Leid und die Spannungen in den Gesellschaftskreisen von Schastelmarveille und des Artushofs durch geregelte, höfische Minnebeziehungen zu lösen.208

4.4 Parzivals Leiden Was in dieser Szene der Heilung des Urjans gar nicht problematisiert wird – die Qualität der Leidensinteraktion und Leidenspartizipation – verteilt sich in der Parzivalhandlung als Problematik und Lernprozess auf weite Teile der Erzählung. Dies wurde an der Untersuchung der Sigune-Szenen deutlich. Doch zieht Parzivals Frageversäumnis auf Munsalvæsche auch einen eigenen Leidensweg nach sich.209 Dies deutet sich schon auf Munsalvæsche in seinem Traum (245,1–19) und in den bereits erwähnten Erzählereinschüben an. Parzivals Streben nach einer Rückkehr auf die Gralsburg, um Anfortas von seinem Leiden zu erlösen, wird zu einer sukzessiven Vertiefung in das Leiden, die durch die Reaktionen seiner Umwelt mitbedingt ist. Perceval und Parzival werden nach ihrem Scheitern auf der Gralsburg zunächst in zwei Begegnungen, nämlich mit ihrer Cousine und dem hässlichen Fräulein, mit den Konsequenzen ihres Versäumnisses konfrontiert. In Chre´tiens Roman enthüllt Percevals cousine ihm die Folgen seiner Unterlassung, die sie als schweren Fehler beurteilt, wäre doch der König durch das Fragen von seinem Leiden unverzüglich geheilt worden (3588 f.): Que toz eüst regaaigniez / Ses membres. Kern der Ankündigungen der cousine und der laide damoisele sind die politischen Folgen. So erklärt bereits Percevals germaine cousine, dass mit der Gesundheit dem König die Regierungsfähigkeit zurückgegeben worden wäre (3588f.). Doch nun werde ihm 208 Vgl. zur Minne-Problematik der Gawanhandlung Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 329–343. Sie vertritt die Meinung, dass in beiden Handlungsteilen die Minnerelationen der Protagonisten in einer chiastischen Verbindung zu sehen sind. Gawans Ziel sei die «tiefe, unverbrüchliche Bindung zu einer Frau», d. h. zu Orgeluse, die Parzival mit der Vermählung mit Condwiramurs schon zu Beginn seines Weges erwirbt, vgl. ebd., S. 343 mit Lit. Vgl. zu den gesellschaftlichen Aspekten Neudeck, Stigma, S. 60, der in der Massenhochzeit (729,27–731,1) am Ende des Werks die «Apotheose» des Pazifizierungswerks Gawans sieht. 209 Zur Handlungsmotivation als mögliche Analyseperspektive vgl. Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 439. Aufgrund meines thematischen Zugangs soll dieser, sicherlich wichtige Aspekt hier im Hintergrund stehen.

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und anderen Schaden aus dem Versäumnis entstehen. Auch das hässliche Fräulein, die laide damoisele, die am dritten Tag des Artusfestes erscheint, bezeichnet als Folge des Fragens die Genesung des Fischerkönigs, die Wiederherstellung seiner Regierungsfähigkeit und des Friedens für sein Land. Sie skizziert die negativen Folgen von Percevals Versäumnis: der König verzweifle nun, seine Regierungsunfähigkeit ziehe den Tod von Ehemännern nach sich, Länder würden jetzt verwüstet, Jungfrauen in Not geraten und verwaist zurückbleiben, und viele Ritter müssten nun sterben (4675– 4682). Und sie beschuldigt Perceval, an all diesen Übeln Schuld zu sein: Tot cist mal esteront par toi (4683). Percevals cousine deutet zugleich an, dass auch der Protagonist mit seinem Fragen einen großen Nutzen (grans biens; 3590) hätte erwerben können. Genauer bezeichnet sie allerdings diese Vorteile für Perceval nicht. In der Rede der laide damoisele fehlt eine solche Andeutung. Wolfram gestaltet den Lohngedanken jedoch in bedeutendem Maße aus, da Sigune sogar zweimal auf diesen Lohn hinweist und auch die hässliche Gralsbotin Cundrie den verpassten Gewinn beschreibt.210 Die große Belohnung wird in der Begegnung mit Sigune über höchsten Reichtum, höchste Macht definiert (ze rıˆcheit ist dir wunsch gezilt; 252,8). Der Fragende wird über die Dinge des Grals herrschen, ihm wird die Krone des Heils (sælden kroˆne; 254,24), die höchste Würde (hoˆhe ob den werden; 254,25) zuteil werden, und er erhält die Herrschaft über die Dinge der Erde (254,26 f.). Auch Cundrie betont, dass Parzival das Fragen mehr eingebracht hätte, als selbst bei den Heiden in Tabronite zu holen wäre (316,30). Damit werden die Vorgaben des französischsprachigen Textes um dieses Element höchsten Lohns für das Fragen ergänzt. Es ergibt sich daraus deutlich ein neuer Akzent, der auf der Heilsgewinnung liegt.

210 Vgl. Ingrid Kasten, Häßliche Frauenfiguren in der Literatur des Mittelalters, in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten, hg. von Bea Lundt, München 1991, S. 256–276, hier: 272, die die Hässlichkeit Cundries zunächst als Metapher für das Andere, das Ausgegrenzte sieht, das über den Gegensatz von Innen und Außen aufgehoben werde. Die Strategie der Ausgrenzung werde so in ihr Gegenteil verkehrt und zu einem Verfahren der Integration. Zu Cundrie vgl. auch Klaus Ridder, Gelehrtheit und Häßlichkeit im höfischen Roman, in Körperinszenierungen in mittelalterlicher Literatur, hg. von Klaus Ridder und Otto Langer (Körper, Zeichen, Kultur 11), Berlin 2002, S. 75–95, bes. 84–88.

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In beiden Texten scheint die Erlösung des Gralskönigs nun aufgeschoben, wenn nicht ganz vertan zu sein. Für die Protagonisten verursacht das Versäumnis auch den Verlust der Ehre. Schon die Vorlage bietet eine Entehrung in aller Öffentlichkeit, denn die laide damoisele unterbricht brüsk das gewaltige Freudenfest zu Ehren Percevals. Bei ihrem Auftreten grüßt sie nun alle – außer Perceval (4642 ff.). Sie kommentiert ihr unhöfliches Verhalten damit, dass verflucht sei, wer ihn grüße (4648): Et dehais ait qui te salue. Mit Unheil verheißenden Worten wendet sie sich dann unmittelbar an Perceval, charakterisiert ihn als Unglücklichen (maleüreus; 4662; 4665), da er die rechte Gelegenheit verpasst habe, das Glück (Fortune) zu ergreifen (4646 f.; 4662 ff.). Sein Unglück resultiert aus dem Frageversäumnis: A mal eür tu [te] teüsses (4669).211 Wolfram vertieft die Dimension des Ehrverlusts und des Mangels an sælde schon in der Begegnung mit Sigune. Als Sigune nach Parzivals Aufenthalt auf Munsalvæsche erfährt, dass er nicht gefragt hat, bezeichnet sie ihn als entehrt und verflucht: guneˆrter lıˆp, verfluochet man! (255,13 f.). Sie bezichtigt ihn bitterer Treulosigkeit (255,15 f.): daˆ diu galle in der triuwe / an iu bekleip soˆ niuwe. Sigune bezeichnet den unerlösten Gralskönig als freuden lære (252,1) und sein Leiden als ein Sterben (töun; 253,20). Dabei würde die einzige Freude ihres eigenen, von Trauer gezeichneten Daseins darin bestehen, dass Parzival ihr sagen könnte, dass die Not des Anfortas abgewendet sei (253,20 f.): ob in sıˆn töun / læzet, den vil truˆrgen man. Ihre Worte der Enttäuschung über Parzivals Frageversäumnis stellen seine sælde auf die Stufe des Leidens des Anfortas. Denn Sigune verbindet im Wissen um sein Schweigen auch Parzivals Heil und Glück mit dem Motiv des Todes (255,20): ir lebt, und sıˆt an sælden toˆt. Aus dieser Perspektive erhält Parzivals sælde auf metaphorischer Ebene das gleiche Niveau wie Anfortas’ körperliches Leiden. Insofern scheint Parzival hier in einer Relation der Ähnlichkeit mit Anfortas zu stehen.212 211 Die germaine cousine erklärt das Schweigen über die Schuld am Tod der Mutter. Sein Aufbruch habe ihren Tod verursacht (3593 ff.): Por le pechie´, ce saches tu, / De ta mere t’est avenu, Qu’ele [est] morte del doel de toi. Ähnlich beurteilt auch am Karfreitag der Eremit den Grund für Percevals Schweigen (6393–6402). Dem Fräulein ist auch der Grund für das Versäumnis Percevals bekannt: Por le pechie´, ce saches tu, / De ta mere t’est avenu, / Qu’ele [est] morte del doel de toi. (3593 ff.). Die Schulddiskussion soll hier allerdings nicht weitergeführt werden. 212 Vgl. auch Wolf, ‹Interpretatio christiana›, S. 49.

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Dieser Eindruck der Nähe Parzivals zum Leiden des Anfortas wird durch das Auftreten der Cundrie noch verstärkt, die ein noch härteres Urteil über Parzivals Versagen fällt. Auch die Gralsbotin spricht ihre gewichtigen Anschuldigungen in aller Öffentlichkeit vor dem versammelten Artushof am Plimizœl aus, denn sie bricht mit ihrer Rede in die festliche Gesellschaft ein, in die Parzival soeben als Ritter aufgenommen wurde. Cundries Worte setzen sich jedoch, da auch sie die Folgen des Versäumnisses nicht politisch deutet, von der französischsprachigen Vorlage ab. Es werden bei Wolfram hier besonders ausführlich die Folgen für Parzival selbst dargelegt. Dabei bringt die Rede Cundries auch heilsgeschichtliches Wissen ins Spiel: Sie verflucht Parzival, bezeichnet ihn als der Hölle bestimmt (316,7 ff.) und qualifiziert sein Schweigen als Sünde (316,23 f.): da erwarp iu swıˆgen sünden zil / ir sıˆt der hellehirten spil. Auch ist für Cundrie das Versagen Parzivals auf Munsalvæsche unverständlich (315,28 f.): doˆ der truˆrge vischære / saz aˆne freude und aˆne troˆst, / war umb irn niht siufzens haˆt erloˆst. Anfortas habe Parzival doch die Last des Jammers vorgeführt. Cundrie kann sich seinen Mangel an Anteilnahme nur über seine falsche Einstellung erklären. So bezichtigt auch sie Parzival der Untreue (316,2) – sein Herz sei genauso leer wie sein Mund (316,5 f.) – und legt ihm den größten valsch zur Last (316,18). Die Formulierungen Cundries verurteilen Parzival damit noch schärfer als die Vorlage, denn dort ist er lediglich verhasst (dehais; 4648) und unglücklich (maleüreus; 4665). Bei Chre´tien erfolgt der Umschwung Percevals von Glück zu seinem Unglück in der Begegnung mit Percevals cousine, die ihm – dem sein Name gerade erst bewusst wurde (3575 ff.) – voller Zorn eine Namensänderung (3580 f.) ankündigt: Sein Beiname laute nicht mehr Perceval li Galois (3575), sondern vielmehr Perchevax li chaitis! / Ha! Perchevax maleürous (3582). In dieser Namensänderung kündigt sie ihm seinen Leidensweg an. Bei Wolfram bewirkt das Auftreten der Cundrie für die versammelte Artusgesellschaft (319,16–19), insbesondere aber für Parzival, den Umschwung von Freude zu leit und jaˆmer. Denn die Gralsbotin ist truˆrens urhap, freuden twinc (314,12).213 Sie hinterlässt Parzival mit Leid beladen (319,3): den Waˆleis si beswæret haˆt. Am Ende der Szene am Plimizœl bemerkt der Erzähler, dass (333,2) sıˆn [Parzivals] selbes noˆt erwecket ist. Wie Sigunes Verfluchung treffen auch Cundries Worte – wie die Vorlage und die Rede der Sigune – Parzivals Glück und Ehre: ir heiles pan, ir sælden fluch (316,11). Doch 213 Vgl. auch 312,5; 312,30; 313,15; 319,3; 319,16 ff.

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verbindet sich hier die Ehrlosigkeit mit dem Motiv der Gebrechlichkeit, denn sie bezeichnet seine Ehre und Würde als unheilbar krank (316,14 f.):214 an der werdekeit soˆ siech, / kein arzet mag iuch des ernern. So liegt hier der Gedanke nahe, dass Parzivals Würde sich in ihren Augen nun auf dem Stand des Körpers des leidenden und unerlösten Anfortas befindet.215 Ihre Rede parallelisiert – ähnlich wie in Parzivals Gespräch mit Sigune nach dem Frageversäumnis – Parzival mit Anfortas.216 Parzival wird durch diese Verfluchungen und diese Herabsetzung in das Leiden des Gralskönig öffentlich ‹hineingezogen›, weshalb Parzivals Entehrung implizit als eine Form des Mitleidens mit Anfortas erscheint. Insbesondere zeichnet sich der Auftritt Cundries durch den hohen Grad an emotionaler Betroffenheit aus. So ist zwar das Motiv der Rede im Affekt bereits bei Chre´tien angelegt, denn auch Percevals cousine, die chaitive doulerouse, charakterisiert Perceval als Elenden (Perchevax li chaitis; 3582) und Unglücklichen (maleürous; 3583) und die laide damoisele verflucht Parzival. Doch nirgends ist die Rede dieser Figuren von Tränen begleitet. Cundrie hingegen erscheint im Gegensatz zur Vorlage nicht nur als Klagende, sondern auch als Weinende und Trauernde. Ihr Erscheinen am Hof ist dadurch geprägt, dass sie ihre Affekte nicht zu beherrschen vermag und deshalb die höfischen Umgangsformen (zuht) nicht einhält: ein magt gein triwen wol gelobt, / wan daz ir zuht was vertobt (312,3 f.). Ihr Ausdruck des Mitleids mit Anfortas durchbricht – wie die Klage der Gralsgesellschaft beim Anblick der Lanze – die höfische Konvention von zuht und maˆze. Ihr Auftritt führt auch vor, was bereits die Gralsgesellschaft auf Munsalvæsche demonstriert hat: das Mitleid und Mitleiden im Sinn von affektiver Partizipation am Leiden Anderer.217 Durchdrungen von Leid und Weinen, scheint ihre Rede geradezu vom Affekt ‹autorisiert›: Cundrıˆ was selbe sorgens pfant (318,5). Folglich mündet auch ihre höchst emotional geprägte Klagerede gegen Parzival in einen Tränenstrom. Der Erzähler erklärt, dass die triuwe sie lehrte, ihrem Herzeleid so Ausdruck zu verleihen (318,6–10). Aus ihrer großen Trauer heraus klagt sie noch im Fortreiten über die Unerlöstheit der Gralsgesellschaft 214 Vgl. auch 317,16; 318,1 215 Wobei die vergeblichen Heilungsversuche erst im 9. Buch dargelegt werden. Vgl. 479,10 ff.; 480,10–483,18. 216 Vgl. auch Wolf, ‹Interpretatio christiana›, S. 49. 217 Siehe dazu auch Bumke, Wolfram, S. 76: Cundries Seele sei von «christlichem Mitleid und wahrer triuwe geprägt».

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(318,29 f.): ay Munsalvæsche, jaˆmers zil! / weˆ daz dich niemen trœsten wil! Angesichts der Anschuldigungen Cundries nimmt der Erzähler Parzival in Schutz und unterstreicht dessen lautere Gesinnung (319,8): den rehten valsch het er vermiten. Doch deutet Cundries Auftreten, das Parzival tatsächlich in tiefes Leid stürzt, paradoxerweise einen Grund zur Hoffnung an. Denn dem Mitleid, das sie hier so spektakulär nach außen kehrt, ist auch eine Funktion der Überbrückung und Überwindung äußeren Scheins inhärent: Sie verkündet nämlich, dass ihre Hässlichkeit – die das Andere, Fremde, die Ausgrenzung verkörpert – durch die Schönheit des Innern überboten werde (315, 24 f.): ich dunke iuch ungehiure, und bin gehiurer doch dann ir.218 Cundrie führt eben auch die Überwindung von Verworfenheit und Ausgrenzung an ihrer Person vor. Spricht nämlich ihr Äußeres – das Wolfram als Kompositum tierischer Körperteile konstruiert – von Verfehlung,219 Fremdheit und heidnischem Anderssein, so wird dies durch den inneren Affekt des Mitleids überholt, verdeutlicht sich an ihr die Möglichkeit einer Integration des Anderen in die westliche Heilswelt und die Gralsgesellschaft. Cundries Präsenz bringt dann Parzival – nach gerade erst gewonnener Integration in die Artusrunde – nicht nur seine Ausgrenzung, sondern birgt eine hoffnungsvolle Vorausdeutung, dass die Bildung des Mitleidsaffekts die Überwindung auch seiner gesellschaftlichen Ausgrenzung, seiner Fremdheit bedeuten kann.220 In Cundrie deutet sich somit eine Heilsmöglichkeit an. Zunächst jedoch scheint die Untröstlichkeit Munsalvæsches (318,30) auf die am Plimizœl versammelte Artusrunde überzugehen. Doch kommt zu 218 Vgl. Kasten, Häßliche Frauenfiguren, S. 272. 219 Das Aussehen Cundries und ihres Bruders Malcreatiures liegt an der Abstammung von jenen Töchtern Adams, die ihre Gier nach bestimmten Pflanzen während der Schwangerschaft nicht bezähmen konnten und damit den Warnungen Adams nicht gehorcht haben. Die vererbte Mißgestaltung ist also eine Folge des Ungehorsams und der Gier. Vgl. 518,1–519,1. 220 Unter ‹Bildung› verstehe ich nicht die Genese, sondern eher einen weiterführenden Prozeß der Formung. Die Ausgrenzung bezieht sich nun auf beide Gesellschaftskreise, die Artusrunde und die Gralswelt. Bumke, Wolfram, S. 155, bezeichnet Parzival als konstant isoliert: «Alle Integrationsbemühungen scheitern». Dieses Urteil vernachlässigt die Tatsache, dass Parzival mit seiner Berufung in die Gralswelt eintritt und auch mit seiner Gemahlin Condwiramurs wiedervereinigt wird. Am Schluß wandelt er sich vom allein reitenden Ritter zum Teilhaber an einem Gesellschaftskreis. Er genießt dann erneut die Gemeinschaft mit seiner Frau.

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Cundries Anschuldigungen nun hinzu, dass auch Gawan angegriffen wird: Kingrimursel beschuldigt ihn, den König von Ascalun erschlagen zu haben.221 In der Folge stehen – und dies ist eine Neuerung Wolframs – das Leiden und der Trost im Zentrum der Interaktionen des Artushofs.222 Beide, Parzival und Gawan, haben durch die Anschuldigungen Leid erfahren, an dem die Mitglieder des Hofs partizipieren (326,10): daˆ was truˆren aˆne zal. Die Anteilnahme am Geschick der beiden Ritter entspricht jedoch dem begrenzten Vermögen der höfischen Runde, denn der Erzähler weist darauf hin (326,14): si troˆsten se als si kuonden. Die Reichweite des Trostvermögens der Artusrunde wird sogleich ‹vorgeführt›. So meldet sich nämlich sofort Clamide zu Wort, denn er (326,16 ff.) duht, er hete meˆr verlorn / dan iemen der daˆ möhte sıˆn / unt daz ze scharpf wær sıˆn pıˆn. Sein Grund ist der Verlust der Hoffnung auf Condwiramurs, die Parzival im Sieg gegen Clamide aus der Belagerung befreit und zur Gemahlin gewonnen hat. Nun verzehrt Clamide sich nach Cunneware de Lalant, der Minnedame Parzivals, und bittet um ihre Hand (327,10 f.): daz ir minne ergetze mich / ein teil des ich von iu verloˆs. Da eilen die Heidin von Janfuse, Artus, Ginover, Cunneware und Jeschute, ihn zu trösten (die giengen daˆ durch trœsten zuo; 327,25). Den wirksamsten Trost aber vermag nun Parzival zu spenden, der sich bei Cunneware für ihn einsetzt. Doch spiegelt sich in Clamides Klage und im umgehend gelingenden Trost ein Mangel an staete in Leid und Verlust, seine rasch wiederhergestellte Zufriedenheit lässt Zweifel an diesem ‹höchsten› Kummer aufkommen. Das Interaktionsmodell des Tröstens in solch ‹höchstem› Leid scheint in dieser neu inserierten Szene zunächst humorvoll in nur wenigen Versen ‹durchgespielt› zu werden. Die Eingliederung der Clamide-Szene durch Wolfram kann einerseits als humorvolle Brechung des Ernsts der Lage in der höfischen Runde verstanden werden. Andererseits bildet Clamides Klage eine Kontrastfolie zu Parzivals Leiden, verdeutlicht sie die Tiefe seiner Trauer und seiner staete im Leid, da er nicht zu trösten ist (329,16–22).223 So unternimmt Ekuba, die 221 In der Vorlage ist es die laide damoisele, die der Artusrunde eine Reihe von Abenteuern ankündigt. Nur Perceval wird verflucht. Die Anklage beider Protagonisten bei Wolfram ist ein Hinweis auf eine Parallelisierung beider Wege. 222 Vgl. Nellmann, Stellenkommentar, S. 621. 223 Hinzuweisen ist auch auf die Möglichkeit der Gegenüberstellung des wegen Condwiramurs traurigen, doch letztlich sich mit Cunneware tröstenden Cla-

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rıˆche wıˆse heidenin (329,11), den Versuch, ihm gut zuzureden. Sie erzählt Parzival vom Ruhm seines Bruders Feirefiz. Doch Parzival dankt nur, wünscht ihr den Gotteslohn (329,16 ff.): got loˆne iu, frouwe, daz ir hie / mir gebt soˆ güetlıˆchen troˆst. / ine bin doch truˆrens niht erloˆst. Der Grund dafür liegt darin, dass er mehr Leid erfahren habe, als er sagen kann, weshalb sich mancher an ihm versündige, der seine Klage nicht versteht (329,22 f.). Die Untröstlichkeit und das Unverständnis Anderer werden nun zur eigenen Erfahrung Parzivals. Durch dieses Motiv steht Parzival erneut ganz konkret in einer Beziehung der Ähnlichkeit zur Untröstlichkeit des Anfortas.224 Dies belegen weitere Selbstaussagen Parzivals. Denn nun gelobt Parzival die Gralssuche (329,25–30), drückt auch erstmals seine eigene Klage verbal aus, überlässt sich dem Leid (330,21) und wünscht – wie durch Cundries Tränen ‹angesteckt› –, dass sein Herz den Augen Tränen geben möge (330,21 f.). Damit tritt nun auch die affektive Komponente seiner Leidenspartizipation mit Anfortas in den Vordergrund. Denn als Anstoß für diesen Wunsch nach Tränen und den Verlust der Freude sieht er sein Versagen und die Ferne der Gralswelt (330,23): sıˆt ich uˆf Munsalvæsche liez / daz mich von waˆren freuden stiez. Parzivals Klage über sein Leiden mündet nun seinerseits in die Klage um das Leid des Anderen, in die Mitleids-Klage um Anfortas (330,29 f.): ay helfeloˆser Anfortas, / waz half dich daz ich pıˆ dir was?225 So scheint sich ihm durch die Verfluchungen, durch die implizit formulierte Angleichung an das Leiden des Anfortas, das fremde Leiden sukzessiv zu erschließen. Der Kummer des Protagonisten wird schließlich auch zur Motivation für sein Handeln, dem Aufbruch von der Artusrunde am Plimizœl (331,18): den helt treip von in truˆrens noˆt.226 Hat sich bereits Perceval nach der Verfluchung durch die laide damoisele, zu einer unentwegten Suche nach ritterlichen Aventiuren verpflichtet, bis er die Geheimnisse der blutenden Lanze und des Grals ergründet habe (4727–4740), so bricht nun Parzival in Gedanken an Condwiramurs (333,23) auf und in der Absicht, den Gral mit Rittertaten zu erlangen mide und Parzivals, dessen Kummer durch den Zuspruch der Mitglieder des Artushofes nicht behoben werden kann. 224 Vgl. die bereits zitierten Worte Cundries (318,29 f.): ay Munsalvæsche, jaˆmers zil! / weˆ daz dich niemen trœsten wil. 225 Vgl. auch Bumke, Wolfram, S. 77 f., der den Aufbruch Parzivals durch sein Mitleid mit Anfortas motiviert sieht. 226 Vgl. auch Parzivals Motivation zum Aufbruch von der Artusrunde vor dem Kampf gegen Feirefiz (733,20 und 25).

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(333,27). Ähnlich wie Perceval hat er bei seiner Suche hartnäckig und lebenslang das Ziel des Grals im Blick (329,25 ff.):227 ine wil deheiner freude jehn, / ine müeze alreˆrst den graˆl gesehn, / diu wıˆle sıˆ kurz oder lanc.228 Obwohl ihm bereits Sigune die Ehre abgesprochen hat, wird doch erst in dieser öffentlichen, entehrenden und höchst emotionalen Verfluchung am Plimizœl Parzivals Ausgrenzung aus der Gesellschaft offensichtlich und zugleich der Beginn seines Leidensweges manifest, der von der Sehnsucht nach wıˆp und graˆl geprägt ist.229 Erst hier formuliert er sein Leiden, seine Aufgaben und den Weg zu seinem Ziel. Als Gawan ihn Gott anempfiehlt, wird Parzivals Leiden zum Ausgangspunkt für die Frage: weˆ waz ist got? (332,1). Die Spannung zwischen seinem Gottesverständnis und seiner Erfahrung wird zum Anlass, Gott den Dienst aufzukündigen (332,3–8): wær der gewaldec, sölhen spot het er uns peˆden niht gegebn, kunde got mit kreften leben. ich was im diens undertaˆn, sıˆt ich genaˆden mich versan. nu wil i’m dienst widersagn: haˆt er haz, den wil ich tragn.

Parzivals neue Erfahrung des Leids, die nicht mit ‹höfischen› Mitteln zu überwinden ist, korrespondiert nicht mit den erworbenen Lehren seiner Mutter, auf die seine Frage weˆ waz ist got? (332,1; vgl. 119,17) Bezug nimmt. Seine Mutter hatte ihm vermittelt, dass Gott der ist, dessen triwe der werlde ie helfe boˆt (119,24). Er konstatiert nun, dass der hilfreiche Gott auch sein Leid zulässt. Die Aufsage des Dienstes an Gott,230 den Parzival als ritterlichen Dienst versteht, kann als Reaktion der Enttäuschung oder als

227 Vgl. Christoph J. Steppich, Parzivals Absage an die Freude als Moment der Gralssuche, in: Journal of English and Germanic Philology 98 (1999), S. 40– 77, hier: 56, weist detailliert auf diese Übereinstimmung hin. 228 Ebd., S. 45, vergleicht Parzivals Versprechen mit einem «solange-bis-Gelübde». 229 Wenn auch sein Doppelziel schon in der Blutstropfenszene deutlich wird, vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 98: «in der Blutstropfenszene erkennt er wıˆp und graˆl als das Doppelziel seines Lebens.» 230 Vgl. dazu Nellmann, Stellenkommentar, S. 622 f., der darauf hinweist, dass Parzivals entschiedene Absage an Gott eine «der gravierendsten Änderungen Wolframs gegenüber der Vorlage» sei.

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Sünde gewertet werden.231 Doch drückt sich in dieser Reaktion die Spannung einer Inkongruenz zwischen erworbener Lehre und eigener Erfahrung aus. Aus dieser Spannung ergibt sich eine «Auseinandersetzung»232 mit Gott und die Suche nach dem Sinn des eigenen Leidens, die sich im neunten Buch fortsetzt.

4.5 Sinnfindungen für das Leiden Während die ältere Forschung die Begegnung Parzivals mit Trevrizent als einen bedeutenden Wendepunkt in der Parzivalhandlung bezeichnet hat, besteht heute die Meinung, dass Parzival aus dem Lehrgespräch nichts gelernt habe: Parzival «bleibt sich gleich».233 Bumke führt dazu an, dass Parzival während der Unterweisung wenig reagiere, vor allem jedoch die zentrale Lehre Trevrizents nicht befolge, Demut zu üben und vom Kampf um den Gral abzulassen.234 Haug urteilt gar, dass mit den Lehren des Trevrizent Parzival «offensichtlich nicht zu helfen»235 sei, und so ziehe der Protagonist «weiter wie bisher, als Aventürenritter, der nichts anderes im Sinn hat als auf jeden loszuschlagen, dem er begegnet».236 Beide Argumentationen zielen auf eine statische Ontologie bzw. einen statischen Habitus Parzivals ab, der auch nach der religiösen Unterweisung nichts dazugelernt 231 Vgl. zum ritterlichen Dienst Martin Jones, Parzival’s Fighting and His Election to the Grail, in: Wolfram-Studien 3 (1975), S. 52–71, hier: 62. Vgl. zur Sünde Maurer, Leid, S. 162 f. und S. 165; ähnlich auch neuerdings wieder Murdoch, Parzival, S. 156, und ders., Adams Grace, S. 88. 232 Steppich, Parzivals Absage, S. 74, Anm. 89, bewertet die Absage an Gott als Zeichen dafür, dass er ihn als «Gegenüber» voraussetzt und sich mit ihm «auseinander» setzt. Aus dieser Perspektive kann im Folgenden auch für die Gewinnung eines Gottesverständnisses die Bezeichnung ‹Interaktion› angemessen sein. 233 So Haug, Erzählen, S. 64. Vgl. auch ders., Parzival ohne Illusionen, S. 210; vgl. auch Bumke, Blutstropfen, S. 88 ff. und 94, und ders., Abendvortrag, S. 361; ders., Wolfram, S. 92 f. – Bumke, Blutstropfen, S. 87, bezieht sich in seinem Urteil der Szene auf die Wissensvermittlung und die habituelle Wahrnehmungsschwäche Parzivals. Er analysiert in der Parzivalhandlung vornehmlich die Ebene rationaler Erkenntnis und ‹Psychologie›, vgl. insbes. ebd., S. 104 f. Parzivals ‹Habitus› gewinnt dadurch kaum Konturen und wird als konstant betrachtet, ebd., S. 106. 234 Vgl. Bumke, Blutstropfen, S. 90. 235 So Haug, Parzival ohne Illusionen, S. 210. 236 Ebd.

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habe.237 Doch wird im Weiteren zu fragen sein, ob nicht gerade hier eine Möglichkeit der Ausdifferenzierung besteht. Tatsächlich scheint Parzivals Ontologie sich kaum zu ändern, doch mag sich deren Interpretation, Sinn und Bedeutung verschieben. So soll im Folgenden untersucht werden, ob sich nicht gerade im neunten Buch auf der Ebene der Suche nach dem Sinn des Leidens, der Leidenswahrnehmung und der affektiven Leidenspartizipation Veränderungen abzeichnen, die auch im Hinblick auf seine ritterliche Ontologie Aufschlüsse bieten.238 Dabei werden bei der Analyse dieser Szene, die vom zeitlichen Kontext des Karfreitags geprägt ist, mehr als in den anderen Partien, auch religiöse Traditionen miteinbezogen. Perceval und Parzival brechen nach der Verfluchung durch die Gralsbotin zur Suche nach dem Gral auf, unterziehen sich einer Irrfahrt voller Aventiuren. Beide ‹verschwinden› hinter dem ersten Teil der Gauvain- bzw. Gawanhandlung. Perceval trifft am Karfreitag eine Gruppe von Pilgern, die ihn über die Bedeutung dieses heiligen Tages aufklären. Es sind drei Ritter und an die zehn Damen, die mit Kapuzen verhüllt, in Büßerkleidern und barfuss dahinziehen (vgl. 6242–6246). Sie lehren ihn, dass man an diesem Tag das Kreuz anbeten und seine Sünden beweinen soll (6266 ff.): C’est li venredis aorez, / Li jors que l’en doit aorer / La crois et ses pechiez plorer. Die Pilger vermitteln ihm auch Glaubensgrundlagen. Dabei mögen die Verse 6281 f.: Et qui issi ne le querra, / Ja en la face nel verra, an das Quicumque erinnern und somit einen dogmatisch-lehrhaften Charakter haben.239 Doch erschöpft sich die Lehre der Pilger nicht in diesen Worten, denn sie verbinden diese Glaubensgrundlagen mit der liturgischen Bedeutung des Tages. 237 Implizit scheinen die Beurteilungen Parzivals bezüglich seiner Wandlungslosigkeit erstens von einem moralischen Vorverständnis auszugehen, zweitens von einem rationalen Lernvorgang und drittens von einem Wandel, der die ritterliche Ontologie betrifft und für Parzival – wie an Trevrizent, Kahenis und Sigune im Roman vorgeführt – temporär oder permanent eine Abkehr von der ritterlichen Welt in Reue, Buße, Rückzug aus der Welt bedeuten würde. 238 Wolf, Deutsche Kultur, S. 374, weist bezüglich des Leidens treffend auf die Entwicklung Parzivals hin. Parzival gewinne nach der Verfluchung am Plimizœl immer mehr Anteil am Jammer: «Das Bewußtsein des eigenen Zustandes intensiviert sich von Station zu Station.» Zu überlegen ist hingegen, ob Parzival nicht bereits auf Munsalvæsche direkt im Anschluss an das Frageversäumnis Anteil am Jammer übertragen wird und die Vertiefung und Bewusstwerdung des Leidens sukzessive verläuft. 239 Vgl. Enchiridion symbolorum, Nr. 76.

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Der Karfreitag ist nämlich für all jene, die an Christus glauben, ein Tag der Buße (6297 f.): Tot cil qui en lui ont creance / Doivent estre hui en peneance. Unter letzterem verstehen die Pilger das Bußsakrament (6311): Conseil et confesse i preı¨smes, das sie bereits bei einem Eremiten gesucht und empfangen haben. Sie bezeichnen dies als die wichtigste Aufgabe eines Christen, der das Seelenheil erlangen will (6312 ff.): La plus grant besoigne i feı¨smes / Que nus crestı¨ens puisse faire / Qui weille a Damedieu retraire. Die Szene der Begegnung der Pilger mit Perceval zeigt nun, dass die mündliche Kommunikation problemlos funktioniert. Denn die sich anschließende Unterweisung der Pilger über das Dogma der Inkarnation, den Sinn des Karfreitags und die Bedeutung des Bußsakraments bewegen den Protagonisten umgehend zur Reaktion: Perceval bittet die Pilger darum, ihm den Weg zum Einsiedler zu weisen (6319 f.), und begibt sich unverzüglich und weinend dorthin. In dem Moment, als er die Einsiedelei erreicht, beginnen der Eremit und ein Priester die Karfreitagsliturgie, die feierlichste und ergreifendste Liturgie der Kirche (6345 ff.): Qui comenc¸oient le servise / Le plus haut que en sainte eglise / Puisse estre fais et le plus dols. Perceval zeigt sich in der Tat ergriffen, nimmt an dieser Feier weinend teil, bevor er dem Eremiten seine Sünden beichtet, über seine Sünden, den Tod seiner Mutter, das Frageversäumnis und über ritterliches Verhalten belehrt wird, dann Buße tut und sich das Karfreitagsgeschehen ins Bewusstsein ruft (6509 ff.): Issi Perchevax reconnut / Que Diex el vendredi rechut / Mort et si fu crucefiiez. Die Szene endet mit dem Kommunionsempfang an Ostern molt dignement (6513). Bei Chre´tien schließt die Percevalhandlung an dieser Stelle. In seinem Text ist diese Szene kurz: sie umfasst nur 302 Verse. Wolframs Adaptierung ist mit 2100 Versen rund siebenmal umfangreicher.240 Bumke weist darauf hin, dass Wolfram, obwohl er die Idee der Umkehr Parzivals aus seiner Vorlage übernahm, diese Episode stärker ausund umgestaltet hat «als irgendeine andere Szene».241 Deutlich ergeben sich auch Veränderungen bezüglich der Darstellung der Affekte. So bemerkt Fourquet, dass sich die Darstellung der Gefühle im französischsprachigen Text auf ein Minimum beschränkt.242 Tatsächlich lässt sich feststellen, dass 240 Vgl. auch Bumke, Wolfram, S. 93. Auf dieses Verhältnis wies bereits Fourquet, Wolfram D’Eschenbach, S. 97, hin. 241 Ebd. 242 Vgl. Jean Fourquet, Une adaptation singulie`rement cre´atrice: Le livre IX du ‹Parzival›. Le conte du Graal, œuvre de commande, in: Europäische Litera-

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in dieser Szene die Liturgie und das Bußsakrament im Vordergrund stehen. Hingegen werden die Affekte Percevals nicht beschrieben. Selbst Percevals Weinen auf seinem Weg zur Einsiedelei und während der Karfreitagsliturgie ist nur eine Umsetzung der Lehre der Pilger. Es ist somit weniger eine affektive Reaktion auf das Karfreitagsgeschehen an sich, sondern vielmehr ein konventioneller, situationsangemessener Vollzug christlicher Pflicht. Bereits der Anfang des neunten Buchs deutet – ohne Vorbild bei Chre´tien – das Thema der Orientierungslosigkeit, der Suche nach Hilfe und Erlösungsbedürftigkeit an. Der Erzähler weiß nicht, wie die Geschichte weitergeht. Frau Aventiure, die Einlass in sein Herz begehrt, muss ihn und mit ihm das implizite Publikum (uns; 433,29) über den Gang der Geschichte erst informieren. In einem Rückbezug auf die Ereignisse seit Cundries Verfluchung am Plimizœl (433,9 ff.) wiederholt der Erzähler zentrale inhaltliche Aspekte jener Szene. Als Fragender reiht er sich in die Gemeinschaft der fiktiven Rezipienten (uns; 433,22; 433,27; 433,29; 434,11) ein, die von Frau Aventiure über das inzwischen Vorgefallene und den Fortgang der Geschichte belehrt werden möchten. Und er legt bei Aventiure die Bitte ein, uns troˆst zu schenken, d. h. Nachricht zu geben, ob Anfortas endlich von seinem jaˆmer sıˆ erloˆst (433,27). Die Gruppe der fiktiven Rezipienten bildet damit punktuell eine Leidensgemeinschaft. Sie erscheint in dieser Passage in Abhängigkeit vom Erzählten, von der Erlösung des Anfortas. Damit übernehmen nun auch Erzähler und implizites Publikum jene Haltung des Mitleidens, die Parzival seit seinen Verfluchungen eigen ist und von der in den darauf folgenden Versen erneut die Rede ist. ‹Alle› scheinen nunmehr erlösungsbedürftig, und von einer höheren Instanz, nämlich vom Verlauf der Aventiure bzw. Gott, geradezu schicksalhaft abhängig. Die Abhängigkeit und Unerlöstheit erfasst die Ebenen des Erzählten, des Erzählers und des impliziten Publikums, vereint die verschiedenen Textebenen im gemeinsamen Leid, durchdringt somit den Text und strebt punktuell nach einem Absolutheitsanspruch. Dieser Neueinstieg in die Parzivalhandlung legt also besonderen Nachdruck auf den Aspekt der Empathie, auf affektives Mitleiden. Das weist auf ein Leitmotiv des neunten Buchs hin. Denn hier wird am Beispiel der Figur des Parzival erneut der Aspekt affektiver Leidenspartizipation aufgenommen und weiterentwickelt. Doch dies gilt es nun erst konkret zu beschreiben. turen im Mittelalter (FS Wolfgang Spiewok), hg. von Danielle Buschinger (Wodan. Greifswalder Beiträge zum Mittelalter 30. Serie 3,15), Greifswald 1994, S. 165–175, hier: 175.

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Im neunten Buch des ‹Parzival› scheint sich für Parzival, wie in der Vorlage, eine neue Gottesbeziehung anzudeuten. Denn nach seinem Wiedereintritt in die Erzählung kündigt der Erzähler an, dass Gott sich nun des Protagonisten annimmt: sıˆn wolte got do ruochen (435,12). Parzivals Weg ist in dieser Szene zunächst noch durch seine Zeit- und Orientierungslosigkeit gezeichnet.243 Er reitet durch unwegsames Gelände, muss Sigune nach dem Weg fragen. In dieser dritten Begegnung mit Sigune als Klausnerin,244 empfiehlt sie ihn Gott an (442,9 f.): si sprach nu helfe dir des hant, / dem aller kumber ist bekant. Dabei mögen ihre Worte ein doppeltes Verständnis zulassen und einerseits auf jenen hinweisen, dem als Allwissendem die menschlichen Leiden bekannt sind, doch andererseits auch auf die spezifische Leiderfahrung des Inkarnierten Bezug nehmen. Damit steht nun auch das menschliche Leid in einer Korrelation mit Christi Leiden. Gottes Hilfe ist die Hilfe des ähnlich Leiderfahrenen, erfährt eine Neuinterpretation, die in den Gotteslehren Herzeloydes und Gurnemanz’ ausgespart blieben. Ein solches Gottesverständnis basiert allerdings auf einer eigenen Leiderfahrung und ist verbal kaum vermittelbar. Nach diesem Treffen verliert Parzival erneut die Spur nach Munsalvæsche. Für ihn bedeutet dies eine weitere Leiderfahrung (443,1; 445,30). Er irrt weiterhin umher. Der Erzähler spiegelt diese Orientierungslosigkeit bezüglich Weg und Zeit. Er muss sich nicht nur zu Beginn des neunten Buchs selbst nach dem Gang der Erzählung erkundigen (433,8), sondern weiß auch später nicht genau, wie lange Parzival umhergeirrt ist. Denn bevor Parzival auf die Pilgerschar trifft, meint der Erzähler (446,3 ff.): desn prüeve ich niht der wochen zal, / über wie lanc sider Parzivaˆl / reit durch aˆventiure als eˆ. Dem korrespondiert nun Parzivals Verlust des Zeitbewusstseins im Gespräch mit dem grauen Ritter: Jahreslauf, Wochen oder der Name der Tage (447,24), daz ist mir allez unbekant. Erst Trevrizent wird dem Protagonisten durch die Rekapitulation von Parzivals ‹eigener› Zeit, die zwischen dem ersten und zweiten Besuch in der Eremitage liegt, eine neue Zeitorientierung geben (460,22–27).245 243 Vgl. auch Bumke, Blutstropfen, S. 95. 244 Vgl. Kap. 4.3. 245 Trevrizent rechnet Parzival dies an seinem Psalter nach. Vgl. dazu auch Alfred Büchler, Psalter und Zeitrechnung in Wolframs ‹Parzival›, in: ABäG 50 (1998), S. 95–109. Arthur Groos, Time Reference and the Liturgical Calendar in Wolfram von Eschenbach’s ‹Parzival›, in: DVjs 49 (1975), S. 43–65, hier: 65, bezeichnet den Karfreitag als «turning-point of the liturgical calendar» und

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Im Gespräch mit dem grauen Ritter Kahenis, der mit seiner Familie und seinem Anhang vom Einsiedler Trevrizent zurückkehrt, enthüllt sich Parzival ansatzweise die Bedeutung des Tages. Der Ritter erklärt ihm nämlich (448,7): ez ist hiute der karfrıˆtac. Dabei erinnert er Parzival an das Leiden und das Opfer Christi am Kreuz, der die Welt erlöst hat (448,12): den man durch uns anz kriuze hienc. Auch hier fällt die Doppeldeutigkeit des man durch uns auf. Denn diese Leiden können sowohl kausal die Schuld der Menschen am Kreuzestod Christi bezeichnen, wie auch final die Tat Christi für den Menschen aus seinem Erbarmen heraus.246 Die Tat Christi wird als solche von Kahenis als Loskauf charakterisiert, die Parzival zum jaˆmer bewegen soll (448,14): soˆ jaˆmer iuch des koufes. Der graue Ritter rät ihm daher, den Spuren der Pilgergruppe zu folgen, die zur Eremitage führen (448,21): rıˆtet fürbaz uˆf unser spor. Im Gegensatz zu Perceval im französischsprachigen Roman zögert Parzival jedoch, dieser Aufforderung nachzukommen. Zunächst wendet er sich in eine andere Richtung, denkt dann plötzlich dank seiner triuwe, die er von seiner Mutter geerbt hat, an Gott (451,7–12) und fragt sich, ob Gott nicht auch Rittern helfen könne (451,15– 22).247 Parzival keˆrt sich wider dann er daˆ reit (451,23), überlässt sein Pferd der Führung Gottes (452,9), das ihn zur Einsiedelei bringt (452,10–13). Im Dialog mit dem Eremiten, nachdem Perceval sein Versagen vor dem Fischerkönig gebeichtet hat, gibt er seinem Schmerz in einem einzigen Satz Ausdruck (6381–6386):248 Si ai puis eü si grant doel Que mors eüsse este´ mon wel, Que Damedieu en oblı¨ai, beurteilt daher diesen Tag als «turning-point of Parzival’s career», an dem Parzival auch wieder in Harmonie mit dem liturgischen Kalender gebracht werde. Vgl. auch Bumke, Blutstropfen, S. 95. 246 Durch kann sowohl eine Ursache als auch einen Zweck bezeichnen, vgl. BMZ, Bd. 1, S. 404 f. 247 Vgl. Jones, Parzival’s Fighting, S. 63, der allerdings meint, Parzival sei «far from convinced», also entfernt davon zu glauben, dass Gott dem Ritter helfen mag. Parzival denke immer noch in Kategorien des Dienstverhältnisses. 248 Der Beginn der Begegnung zwischen Parzival und dem Eremiten, die Klage Parzivals, die in beiden Texten präsent ist, eignet sich nun besonders für einen Vergleich. Sie befindet sich in der Erzählstruktur an ähnlicher Stelle und in beiden Texten wird sie in direkter Rede und gleicher Erzählperspektive wiedergegeben. Es ist im Übrigen die einzige Stelle im ‹Roman de Perceval›, die das Leiden des Protagonisten in direkter Rede thematisiert.

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Ne puis merchi ne li crı¨ai Ne fis rien, que je seüsse, Por coi jamais merchi eüsse.249

Perceval leidet also, seit er es versäumt hat, auf der Fischerburg die erlösende Frage zu stellen. Leiden und Versagen stehen daher in einem kausalen Zusammenhang. Und dabei ist Percevals Schmerz so groß, dass dies den Gottesdienst verhindert, dass er darüber Gott vergessen hat und sterben möchte. Sein Leiden trägt den Charakter eines Hindernisses bei der Ausübung seiner Religiosität. Die Klage Parzivals enthält auch das Bekenntnis, den Kirchbesuch versäumt und nur Kampf gesucht zu haben (461,3–8), und schließlich tut er seinen Gotteshass kund (461,9). Doch erhält der Schmerz des Protagonisten in dieser wesentlich umfangreicheren und komplex konstruierten Rede einen anderen Akzent (461,1–26). Vor allem fällt die Verwendung von Metaphern auf, die in der Vorlage sämtlich fehlen. So wird Parzival der Schmerz, sein Leid und seine Reue zu einer schweren Last (461,2): ich trage der riwe swæren soum.250 Im Kontext des Karfreitags lässt diese schwere Last auch Assoziationen zum schweren Kreuz Christi zu, das er während der Passion nach Golgotha tragen musste. Der soum kann aber nicht nur an das Objekt selbst, sondern auch (im übertragenen Sinn) an die schwere Last der Sünden erinnern, die Christus in seinem Leiden für die Menschheit trug. Parzival spricht nun von seinem verletzten männlich-tapferen Herzen (manlıˆch herze wunt; 461,16). Sein Leiden spielt sich in seinem Herzen ab, letzteres kann jedoch gleichzeitig als privilegierter Ort der Gotteswahrnehmung und Gottesbegegnung aufgefasst werden.251 Über die Ähnlichkeit des Leidens des Protagonisten mit Aspekten der Passion Christi, die über die Metaphorik implizit hergestellt wird, kann hier nämlich auch von einer Art 249 «Seit dieser Zeit leide ich quälende Pein: ich wäre lieber tot, denn ich habe über meinem Schmerz Gott vergessen, nachher niemals mehr seine Huld erfleht und meines Wissens nichts getan, sie zu verdienen.» 250 Vgl. zum Wortfeld riuwe im ‹Parzival› Maurer, Leid, S. 141 ff. Vgl. zum Bedeutungsspektrum des Begriffs auch BMZ, Bd. 2, S. 751–754: «riuwe riwe stf. [. . .] verdruss, trauer, kummer sowohl über geschehenes (verlust): betrübniss, schmerz, leid, mitleid, wie über gethanes (vergehen, sünde): reue. die letztere bedeutung ist wohl früher als beim verbum (s. o.) die vorherrschende geworden, zunächst in geistlichen schriften.» 251 Vgl. zu Gerhoch von Reichersberg Kap. 2.4. Das Herz kann demnach über Leidbetrachtung und Passionsmeditation zum Ort der höchsten Gotteserkenntnis werden.

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innerer Angleichung und Leidenspartizipation gesprochen werden. Parzivals inneres Leiden – mit Anfortas und hier auch mit Christus – weist somit eine Ähnlichkeit zur geistlichen affektiven Leidensangleichung und Leidenspartizipation auf und kann als Wende zur eigenen Erlösung betrachtet werden. Parzival definiert sich über das Rittertum,252 über seine Kämpfe, seine Heldentaten und den Ruhm, der daraus hervorgeht.253 Doch dieser so erworbene Ruhm, dessen Verlust durch die Verfluchung am Plimizœl zu einer impliziten leidvollen Angleichung an Anfortas geführt hat, trägt nunmehr einen scharpfen kranz (461,18), der auch als seine Dornenkrone verstanden werden kann.254 Auch hier liegt aufgrund des zeitlichen Kontexts eine Verbindung zur Passion Christi nahe. Wolf, der sich vor allem auf das semantische ‹Geflecht› des Textes konzentriert, hat Parzival in dieser Szene als «unmittelbar umsetzenden Interpreten des Passionsgeschehens»255 gedeutet. Er sieht zu Recht eine Analogie zwischen dem leidenden Herzen des Ritters und dem Leiden des Herrn, wobei Parzival die Passion auf ritterliche Weise erlebe. Dies bedarf jedoch einer weiteren Präzisierung. Zunächst ist es der Schmerz Parzivals, der auf die Passion Christi hinweist. Doch besteht die Angleichung an Christus nur auf der metaphorischen Ebene. Ferner identifiziert Parzival sich nicht explizit mit dem leidenden Christus. Sein Leiden ist kein aktiver und bewusster Mitvollzug der Passion, kein gesuchtes Mitleiden. Wenn nun dennoch eine Ähnlichkeit zwischen dem Schmerz des Ritters und jenem Christi auszumachen ist, dann mag diese Ähnlichkeit auf der Ebene des Affekts, der Berührtheit vom Leiden, zu suchen sein. Parzival ist vom Leid affiziert. Der Zustand des Leids wird an dieser Stelle zum Konvergenzpunkt zwischen dem leidend sich nach Erlösung sehnenden Parzival und dem Inkarnierten. So darf seine Ähnlichkeit im Leiden mit Christus als Mitleiden mit Christus im Sinn eines affectus compassionis mit Christus gedeutet werden. In dieser Erfahrung ist dann der Grund für ein neues Gottesverständnis angelegt. Sie steht folglich komplementär neben Trevrizents folgenden Unterweisungen über Schuld und Sünde, neben seinen wiederholten Mahnungen zur Demut, seinen Gotteslehren und den 252 Vgl. Jones, Parzival’s Fighting, S. 58. 253 Vgl. auch Bumke, Blutstropfen, S. 96. 254 Martin, Kommentar, S. 355, übersetzt scharpfen kranz explizit mit Dornenkrone. Vgl. auch Schwietering, Wolframs Parzival, S. 318. 255 So Wolf, ‹maere›, S. 56 f.

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Informationen über die Welt des Grals. Trevrizents Lehre hebt sich als rationale Form der Wissensvermittlung allerdings von der affektiven Leiderfahrung ab. Auch bei Chre´tien trägt Perceval Leid in seinem Herzen (6263): Tant avoit en son cuer anui. Doch fehlt die Analyse dieses Leids, und es fehlt auch die Ebene der Metaphorik, die über den Text selbst hinausweist und als Bezugnahme auf eine göttliche Instanz gedeutet werden kann. Parzivals Klage endet in seinem Ruf um Hilfe und in der Revolte gegen Gott. Er klagt Gott an, ihn in seinem Leid verlassen zu haben. Parzivals Ruf ist ambivalent: er mag als Hass und Vergehen gegen Gott gedeutet werden,256 doch kann dieser Verlassenheitsruf auch mit biblischen Traditionen in Verbindung gebracht werden, mit den Klagen im Buch Hiob, den Klageliedern Jeremias und den Klagepsalmen. Zu einem Vergleich bietet sich besonders der Beginn von Ps 21 an: Deus Deus meus respice me: quare me dereliquisti longe a salute mea verba delictorum meorum.

Nach hochmittelalterlicher Auffassung handelt dieser Psalm von der Passion Christi. Sowohl Gerhoch von Reichersberg wie auch Petrus Lombardus rufen diese Parallele ins Bewusstsein.257 Die ersten Worte des Psalms sind jene der Passion, der Verlassenheitsruf Christi am Kreuz: Deus meus Deus meus ut quid dereliquisti me (Mt 27,46, idem Mc 15,34).258 Es sind Worte, die den Umbruch der Geschichte für die Christenheit markieren, der Tod Christi bedeutet auch die Vergebung der Sünden und die Versöhnung Gottes mit den Menschen. 256 Nellmann sieht in diesen Versen ausschließlich Parzivals Hass gegen Gott und bringt diesen mit den Sünden in Verbindung. Siehe Nellmann, Stellenkommentar S. 672. Er beruft sich in seinem Kommentar auf Maurer, Parzivals Sünden, S. 304 f. Vgl. zur Sündenproblematik Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 298–307. Vgl. auch Bumke, Wolfram, S. 92 f. 257 Vgl. Petrus Lombardus, Commentarium in Psalmos, Sp. 225: Psalmus iste primus eorum est qui principaliter et late agunt de passione Christi. Vgl. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus, PL 194, Sp. 992: Materia hujus psalmi est passio et resurrectio Domini. 258 Vgl. Mc 15,34: et hora nona exclamavit Iesus voce magna dicens / Heloi Heloi lama sabacthani / quod est interpretatum / Deus meus Deus meus ut quid dereliquisti me.

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Parzivals Worte sind mehrdeutig, denn sicher werden in seiner Klage Hass und Gottesferne deutlich: ouch trage ich hazzes vil gein gote (461,9). Hier, am Karfreitag, ist in Parzivals Verlassenheitsklage jedoch eine Ähnlichkeit mit Christus angelegt. Das bedeutet dann auch eine Annäherung an Christus und durch ihn vermittelt, auch an Gott. Doch schon in der Szene nach Parzivals Verfluchung am Plimizœl war seine menschliche Verlassenheit, Hilf- und Trostlosigkeit präsent. Dies führte schließlich bis zum Hadern mit Gott und zum Aufbruch aus der Artusrunde. Es war deshalb feststellbar, dass die Aufsage des Dienstes an Gott die Spannung einer Inkongruenz zwischen erworbener Lehre und eigener Erfahrung ausdrückte. Vor dem Hintergrund der Charakterisierungen des Leidens am Karfreitag erscheint nun auch die frühere Absage Parzivals in einem anderen Licht. Wurde nämlich in den vorangehenden Analysen eine Erzähltechnik rückwirkender Erklärung von Zusammenhängen und Charakterisierungen beobachtet, so erscheint es möglich, bereits die Klage am Plimizœl in einen Zusammenhang mit der Passion zu bringen. Denn schon dort ähnelt Parzivals Ruf jenem des in Gottesferne leidenden Gekreuzigten in seiner Todesstunde. Dann deutet sich durch diese geistlich-höfischen ‹Überblendungen› bereits bei Parzivals Aufbruch von der Artusrunde an, dass sein Weg implizit als ritterlicher Leidensweg mit und in Christus verstehbar ist. Eine ähnliche religiös konnotierte Angleichung in leidvoller Erfahrung hat bereits Herzeloyde vollzogen. In der Still-Szene stellt sie ihre Situation der Erfahrung von Verlust, Trauer und Leid – doch auch das Glück über die Geburt Parzivals – explizit in einen Kontext des Vergleichs mit Maria und Jesus (vgl. 113,17–26). In der Rede Parzivals am Karfreitag werden diese Relationen hingegen nur implizit angedeutet. Seine Klage resultiert aus seinem Leiden und kann über die Metaphernfolge als Parzivals unbewusste, affektive Angleichung an das Leiden Christi gedeutet werden. Dies kann zum Zeitpunkt der memoria passionis und der Erinnerung an den Umschwung der Heilsgeschichte auch als Zeichen eines Umschwungs in der Parzivalhandlung, nämlich eines ersten Schritts des Protagonisten zu einem neuen, affektiv geleiteten Leidens- und Gottesverständnis bewertet werden. Bereits zu Beginn des neunten Buchs hatte der Erzähler angedeutet, dass Parzival in eine neue Relation zu Gott eintreten werde. Hier findet sie ihre erste Konkretisierung. Trevrizent fügt dem seine Belehrungen über Gott, die Heilsgeschichte und die Gralswelt hinzu.259 Weist nun die neuere For259 Mit dem Aufbruch vom Eremiten bzw. von Trevrizent enden für die Parzivalhandlung die Vergleichsmöglichkeiten mit der Vorlage.

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schung darauf hin, dass Parzival wenig von diesen Lehren mitnehme, dann ist weiter danach zu fragen, auf welche Aspekte der im neunten Buch vermittelten Lehren Parzival eingeht, welches Gottesverständnis seine Reflexionen prägt. So reflektiert der Protagonist die Aussage des Grauen Ritters, Gott gebe stæten loˆn naˆch dienste (449,18). Denn als Parzival nun erstmals wieder an Gott denkt, erwägt er, ob nicht Gott auch Rittern seine Gunst erweise (wart ab er ie ritter holt; 451,15), ihnen Lohn (solt; 451,16) gebe und somit nicht auch der Ritterdienst für die göttliche Hilfe würdig machen könne (451,17 f.): ode mac schilt unde swert / sıˆner helfe sıˆn soˆ wert. Wurde der irdische Lohn bereits im Rahmen der Verfluchungen Parzivals durch Sigune und Cundrie im Zusammenhang mit der im Mitleid gründenden Erlösungsfrage evoziert, so basieren Parzivals Überlegungen weiterhin auf dem Mitleid mit Anfortas,260 stehen jedoch nun in einem ganz neuen Zusammenhang. Er legt nämlich sein ‹asketisches›261 Kämpfertum, das er in Sehnsucht nach Condwiramurs und dem Gral auf sich genommen hat, für seine eigene und damit auch Anfortas’ Erlösung in die Waagschale. Den Lohn für seinen Kampf sieht Parzival explizit in Gottes Eingreifen in seinen Zustand des Leidens. Genau diesen Lohngedanken wiederholt Parzival erfreut in Reaktion auf Trevrizents Lehre von Gott, der nihtes ungeloˆnet laˆt (467,14), wobei er sein eigenes Leid als triwe (467,18) definiert. Damit erfolgt überdies eine weitere implizite Angleichung seines Leidens an jenes des Gekreuzigten, denn Kahenis hatte Christi Passion über die triuwe definiert.262 Damit fasst Parzival selbst sein Leiden weniger als Strafe für begangene Schuld auf, sondern begehrt vielmehr für sein erlittenes ritterliches Leid göttlichen Lohn.263 Sein Ziel und erhoffter Lohn ist die Rückkehr nach 260 Vgl. dazu Bumke, Wolfram, S. 188, der als Motivation für die Gralssuche das Mitleid anführt. 261 Bumke, Blutstropfen, S. 93, bezeichnet den Kampf als «eine Form der selbstgewählten Askese, die Parzival sich auferlegt [. . .] solange der Gralskönig leidet.» Steppich, Parzivals Absage, S. 59, der dieses asketische Rittertum als ein «Werben», als eine «Form des inständigen ‹Bittens um Erhörung›» charakterisiert. 262 Vgl. 448,10 ff.: waˆ wart ie hoˆher triwe schıˆn, / dan die got durch uns begienc, / den man durch uns anz kriuze hienc? 263 Trevrizent bindet in der Aufforderung zur ‹Beichte› das Leid und die Schuld sehr viel enger zusammen, was sich auch syntaktisch in der Verbindung kumbers unde sünde (467,21) ausdrücken mag. Seine Ausführungen sind sehr

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Munsalvæsche. Um dieses Ziel zu erreichen, macht er vor Gott erneut sein Rittertum geltend (472,1–4):264 Mac rıˆterschaft des lıˆbes prıˆs unt doch der seˆle pardıˆs bejagen mit schilt und ouch mit sper, soˆ was ie rıˆterschaft mıˆn ger.

Da er überall beständig gekämpft hat, fühlt er sich wert, zum Gral berufen zu werden und um ihn kämpfen zu können (472,5–11). Trevrizent geht nun auf dieses Begehren nach Lohn nicht ein. Seine Antwort besteht in der Mahnung vor Hochmut und Stolz und leitet damit warnend die Erzählung von Anfortas ein, dessen erbarmungswürdiges (472,24 f.) Leiden dem Hochmut entsprungen sei (472,26). Einzig der Besuch des fremden Ritters war für Anfortas Grund zur Hoffnung. Doch blieb der tumbe angesichts des Leidens stumm (473,19). Trevrizents Erzählung dieser Begegnung mündet in eine vieldeutige Aussage (473,20 f.): er was mit kumber soˆ geladen, / ez enwart nie’rkant soˆ hoˆher pıˆn. Er ist äquivok, trifft auf beide zu und kann sowohl Anfortas als Subjekt der Erzählung bezeichnen, als auch Parzival als Subjekt dieser Erzählsequenz. Möglich ist in dieser Unbestimmtheit, dass Trevrizent den tumben und damit Parzival zumindest implizit mit-charakterisiert und so mit dieser Aussage den Kern seines Leids trifft. Parzival bringt seinerseits ein Verständnis der Übertragung des Leids auf der Gralsburg – und auch von dessen Ähnlichkeit mit dem Leid des Anfortas – zum Ausdruck. Ich bin der unerloˆste / immer meˆr von riuwe (488,12 f.). Trevrizent bietet jedoch kaum konkrete Lösungsvorschläge für Parzivals Leid. Er zieht in Zweifel, dass Parzivals kämpferischer Weg eine Lösung darstelle und der Gral erstritten werden könne (468,12 ff.): jane mac den graˆl nieman bejagn, / wan der ze himel ist soˆ bekant / daz er zem graˆle viel mehr von Sünde und Busse gezeichnet, spiegeln damit eine der Positionen innerhalb des Romans neben den Urteilen von Sigune und Cundrie und auch neben der Beurteilung Parzivals und des Erzählers. Vgl. dazu Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 300 ff., zu Trevrizents mehrschichtigem ‹Charakter› vgl. ebd., S. 307–321. 264 Dabei korrespondieren diese Worte mit der Aussage Cundries nach der Berufung Parzivals, er habe sich den Lohn, der seˆle rouwe und des lıˆbes freude erstrıˆten (782,29 f.). Vgl. hier lıˆbes prıˆs und seˆle pardıˆs (472,1 f.). Cundries Worte mögen auch als Bestätigung gelten, dass Parzivals Deutung entgegen der Kritik des Einsiedlers Gültigkeit besitzt.

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sıˆ benant265 und empfiehlt Parzival, Busse zu tun, um damit das Seelenheil zu erwerben (499,29 f.): daz dir dıˆn arbeit hie erhol / daz dort diu seˆle ruowe dol. Mühsal, arbeit, kann auch nach Trevrizents Ansicht die ewige Erlösung erwerben, doch definiert er diese, anders als Parzival, über die Buße. Damit werden nun in dieser Szene zwei Wege der Sinnfindung für das Leiden vorgeführt. Doch münden beide in eine Kausalität, stimmen darin überein, dass Leiden ein Erlösungsversprechen in sich trägt.266 Diese Korrelation von Leid und Lohn kann im weitesten Sinn mit Rm 8,17 in Verbindung gebracht werden: si tamen conpatimur ut et conglorificemur. Dann ist daran zu erinnern, dass diese Perikope und die hochmittelalterlichen Kommentare zu ihr darauf hinweisen, dass das Leiden allein nicht ausreicht, um den Lohn zu erwerben, sondern dass zusätzlich Gottes Eingreifen notwendig ist. Wenn man nun annimmt, dass diese Logik für den Roman relevant sei, dann erhellt sich trotz aller Ambivalenz ein Aspekt der Kontroverse um die Erkämpfbarkeit des Grals: Parzivals Kampf – obwohl stets mit Gewaltausübung und der Gefahr des Tötens und der Trauer und Klage Dritter verbunden – kann unter diesem Gesichtspunkt tatsächlich auch als ‹belohnenswertes› Leiden betrachtet werden, mag Gottes Hilfe herausfordern und erbitten, genügt jedoch allein nicht zur Erlangung des erstrebten Lohns.267 Zu Parzivals Erlösung ist Gottes Gnade notwendig, das bedeutet hier: die Berufung zum Gral.268 Parzivals Interpretation seines Rittertums und Ritterdiensts integriert dieses religiöse Konzept. 265 Gegen Ende der Erzählung ist der Einsiedler höchst erstaunt (798,2 f.), dass genau dies Parzival dennoch gelungen ist (798,24 ff.): ez was ie ungewohnheit, / daz den graˆl ze keinen zıˆten / iemen möhte erstrıˆten. 266 Vgl. zum Gotteslohn für Herzeloydes ertragenes Leid und Mitleid auch 116,17–21; siehe 487,21 f. zum Lohn für das asketische Mahl bei Trevrizent und 493,10–14 zum Lohn für das Klagen und Weinen der Gralsgesellschaft beim Anblick der Lanze. Vgl. dazu Teil 2. 267 Steppich, Parzivals Absage, S. 58 f., weist auf den Unterschied hin, dass Parzival nach seinem Aufbruch vom Plimizœl seine unterworfenen Gegner nicht mehr zum Artushof schickt, sondern zur Gralssuche verpflichtet. Damit wird sein Kampf auch zu einem Dienst am Gral. Vgl. die Deutung Cundries zu Parzivals Weg (782,29 f.): du haˆst der seˆle ruowe erstrıˆten / und des lıˆbes freude in sorge erbiten. 268 So mag auch Parzivals Formulierung verständlich sein (786,5 ff.): daz den graˆl ze keinen zıˆten / niemen möht erstrıˆten, / wan der von gote ist dar benant. Nur der, der zum Gral berufen ist, vermag es. So werden am Schluss weniger – wie Walter Haug, Autorität und fiktionale Freiheit, in: ders., Die Wahrheit der Fiktion. Studien zur weltlichen und geistlichen Literatur des Mittelalters

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4.6 Zur Funktion von Empathie Wenn es die Erkenntnis einer Leid-Lohn-Korrelation ist, die Parzival aus der Karfreitagserfahrung mitnimmt,269 dann verwundert es kaum, dass er sich bis zu seiner Berufung zum Gral durch Kämpfe auszeichnen will.270 Noch vor dem Kampf gegen seinen Halbbruder Feirefiz, wenig vor seiner Berufung zum Gral, klagt Parzival über sein Leid (732,1–29) und stellt fest (733,8): got wil mıˆner freude niht. Er konstatiert erneut seine Unerlöstheit (733,16): ich pin truˆrens unerloˆst, legt seine Rüstung an (733,21–24) und verlässt die freudenvolle Artusrunde. Seine Sinnfindung für sein Leid steht in einer Spannung von Erlösungswillen und Gewalt, denn in seiner ‹Blindheit› riskiert er auch nach der Unterweisung durch Trevrizent weitere Verwandtenmorde wie zu Beginn seines Wegs an Ither.271 Parzivals Kämpfe mögen sich daher durch ihre Ambivalenz auszeichnen, doch scheint in den Kämpfen mit Gawan und Feirefiz auch ein neuer Umgang mit dem befreundeten oder verwandten Gegner auf. und der frühen Neuzeit, Tübingen 2003, S. 115–127, hier: 124 [Wiederabdr., von: ders., Wege der Befreiung von Autorität: Von der fingierten Quelle zur göttlichen Inspiration, in: The Construction of Textual Authority in German Literature of the Medieval and Early Modern Periods, ed. by James Poag (University of North Carolina Studies in the Germanic Languages and Literatures 123), Chapel Hill (u. a.) 2001, S. 31–48], meint – künstlich «die Linien zusammengebogen», sondern es liegt dem eine Leid-Lohn-Kausalität zugrunde, die auch Teil der hochmittelalterlichen Theologie gewesen ist. Diese Kausalität unterscheidet sich allerdings von einem direkten Lohnverhältnis im Sinne einer Vassalität insofern, als der Dienst bloß eine Bitte um Erhörung und Gnade an Gott darstellt und Gott nicht zu verpflichten vermag. 269 Diese erfahrungsbezogene Lehre ‹erhält› Parzival zusätzlich zu den Informationen über den Gral und zum dogmatischen Wissen – auf das er nicht explizit reagiert. Aufgrund des Mangels an Reaktionen wird nicht deutlich, wie weit sein Verständnis für das von Trevrizent vermittelte Wissen geht. 270 Betrachtet Parzival tatsächlich den Kampf als Form des ‹Gottesdienstes›, mag die das bisherige Versmaß durchbrechende Nennung der von ihm besiegten Feinde vor Feirefiz – im Anschluss an die Aufzählung seines Bruders (770) – auch als seine ‹Litanei› gelten (772). Der Reihung dieser ‹exotischen› und außergewöhnlichen Namen mag allerdings eine vorwiegend komische Funktion zukommen. Diese öffentliche Aufzählung der Ruhmestaten vor der Artusrunde steht in der Erzählung unmittelbar vor der Berufung zum Gral am darauf folgenden Tag. 271 Vgl. auch 475,21 ff.

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Als Parzival nach erneuter ‹Abwesenheit› aus der Erzählung wieder auftaucht, wird er in den Kampf mit einem unbekannten Ritter verwickelt. Dieser Zweikampf wird kurz vor Parzivals Sieg beendet, weil Boten des Artushofs erscheinen und Parzivals Gegner mit Gawans Namen anrufen (688,18). Parzival bricht den Kampf ab, wirft sein Schwert weit weg, verurteilt sich weinend (unsælec unde unwert / bin ich, sprach der weinde gast; 688,22 f.) und charakterisiert sein Handeln als Schuld (688,28). Er deutet den Ausgang des Kampfs, er habe gegen sich selbst gesiegt (ich haˆn mich selben überstriten; 689,5). Reue, Affekt und Identifikation mit dem Gegner fließen an dieser Stelle zusammen. Gawan bestätigt diese Sicht, als Parzival sich zu erkennen gibt (689,27 ff.): hie haˆnt zwei herzen einvalt / mit hazze erzeiget ir gewalt. / dıˆn hant uns beˆde überstreit. Beide Herzen sind eines, sind über die Freundschaft und den Affekt verbunden. Parzival hat sich dann selbst besiegt, wenn er in seinem Herzen Treue hat (690,1 f.). Beide sind sich als Verwandte gleich, sind eine Person.272 Auch der zweite Kampf gegen einen Unbekannten endet in einer vergleichbaren Beteuerung. Als beide Ritter, ohne sich zu erkennen, aufeinander zustürmen und den Kampf aufnehmen, gibt der Erzähler zu verstehen, dass in beiden Herzen Jammer und Freude nahe beieinander liegen und jeder das Herz des anderen trug, jedem das Fremde ganz vertraut sei (738,6– 10). Denn es stellt sich heraus, dass Parzival gegen seinen Halbbruder Feirefiz angetreten ist. Zwei Werte scheinen hier konfrontiert zu sein: jener des ritterlichen Ringens um Erlösung und jener verwandtschaftlicher Empathie. Die Aporie dieser Wertekonfrontation wird erst durch das Zerbrechen des im Verwandtenmord erworbenen Itherschwerts gelöst. Der überlegene Feirefiz gebietet nun eine Friedenspause, in der sich die verwandtschaftliche Beziehung erhellt. Nun erklärt auch Feirefiz, dass beide gegen sich selbst gestritten hätten (752,15–19): mit dir selben haˆstu hie gestritn. gein mir selbn ich kom uˆf strıˆt geritn, mich selben het ich gern erslagn: 272 Vgl. zum Thema ‹Verwandtschaft› im ‹Parzival› Bumke, Wolfram, S. 112–117, 169–176 mit Lit. zum Freundes- und Verwandtenkampf; siehe auch Wolfgang Harms, Der Kampf mit dem Freund oder Verwandten in der deutschen Literatur bis um 1300 (Medium Aevum 1), München 1963. Zum Motiv der Herzenseinheit vgl. Burkhard Hasebrink, Ein einic ein. Zur Darstellbarkeit der Liebeseinheit in mittelhochdeutscher Literatur, in: PBB 124 (2002), S. 442–465.

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Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› done kundestu des niht verzagn, dune wertest mir mıˆn selbes lıˆp.

Subjekt und Objekt werden chiastisch verschränkt, Getrenntes wird verklammert, Du und Ich fallen ineinander. Der Affekt besiegelt diese Aussage in den ‹christlichen› Tränen des Heiden (752,24–30). Die verwandtschaftliche Verbundenheit der beiden Kämpfer geht in ein Bewusstsein empathischer Einheit über. Der Erzähler ist in dieser Szene erneut sehr präsent. Er interferiert mehrfach empathisch in dieser Kampf-Szene: noch vor dem Kampf kündigt er an, er müsste sich nun um Parzival fürchten, wenn er nicht dafür gesorgt hätte, dass die Kraft von Gral und Liebe ihm beistehen könnten (737,24–27). Parzival gerät in diesem Kampf in höchste Not (740,22): er ist in der grœsten noˆt dier ie gewan. Der Erzähler feuert in an und beschwört ihn inständig, er möge sich doch an seine Gemahlin Condwiramurs (742,27–30) und auch an den Gral (743,13) erinnern. Zuletzt greift der «involvierte Erzähler»273 sogar in der Handlung voraus und mahnt den über seine Vaterschaft noch gar nicht informierten Protagonisten, er solle dafür sorgen, dass seine beiden Söhne nicht Waisen werden (743,18). Mitleidig wirft er ein (743,9 ff.): mich müet daz der getoufte / an strıˆte und an loufte / sus müedet unde an starken slegen. Die hohe Präsenz des Erzählers ist vergleichbar mit den Eingriffen in die Szene auf Pelrapeire und jene des Frageversäumnisses auf Munsalvæsche. Dies weist auf eine enge Korrelation zwischen Darstellung von Leid bzw. Gefahr und empathischen Erzählereingriffen hin.274 Deren Funktion liegt sicher auch in der Spannungssteigerung. Zusätzlich lässt diese Verbindung aber die Annahme zu, dass an solchen Stellen auch die Unumgehbarkeit einer Mitleids-‹Reaktion› vorgeführt wird.

4.7 Berufung und Erlösung Parzivals Sehnsucht nach dem Gral und seiner Gemahlin findet in der Berufung zum Gralskönig ein Ende. Cundrie erscheint vor der Artusrunde, in die Parzival mit seinem Bruder Feirefiz in Frieden und Eintracht eingekehrt ist, und verkündet die neue Botschaft. Parzival, die kroˆne menschen 273 So die Terminologie von Curschmann, Abenteuer, S. 641. 274 Vgl. zur gesteigerten Präsenz des Erzählers in Szenen der Not Nellmann, Erzähltechnik, S. 148.

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heiles (781,14), solle der neue Gralsherr werden (781,16), Condwiramurs und sein Sohn Loherangrin seien mit ihm nach Munsalvæsche berufen (781,17 ff.), sein zweiter Sohn Kardeiz solle in Broˆbarz regieren (781,20 ff.). Parzival werde großes Glück zuteil, und er werde über alles herrschen, was der Lauf der Planeten umschließt (782,1–21). Cundrie schließt ihre Botschaft mit einem Rückbezug auf Parzivals Leid, das er in jungen Jahren tragen musste. Und so hat er sich um beides verdient gemacht (782,29 f.): du haˆst der seˆle ruowe erstriten / und des lıˆbes freude in sorge erbiten. Ihre Deutung von Parzivals Lebensweg schließt explizit ein, dass das Leid mit weltlichem und ewigem Lohn gekrönt werden kann. Parzivals Erlösung wird auch zur Erlösung des Anfortas, der eben noch vor Qual um die Gnade bat, sterben zu dürfen (787,4). Die Gralsgesellschaft leidet immer noch mit, partizipiert affektiv an seinem Leid und seiner Unerlöstheit. Ihre Gleichheit im Leiden und ihre Anteilnahme drückt Wolfram hier in der Einheit des Herzens aus (792,7 f.): Anfortas, der ir herze truoc: / sıˆme volke er jaˆmers gap genuoc. Parzival steht also nun erneut vor der Aufgabe, die gesamte Gesellschaft vom Leiden und Mitleiden zu erlösen. Und so fließen in der Szene vor Parzivals Onkel Anfortas sämtliche Facetten seiner Aufgaben zusammen:275 der auf die Person gerichtete Affekt des Mitleids, die Gotteserkenntnis, die empathische Verwandtschaftsbeziehung. Parzival ist affektiv berührt, weint (795,20), lässt sich den Ort der Aufbewahrung des Grals angeben, wendet sich der Trinität (795,25) zu, kniet zu ihren Ehren nieder und bittet um Rat und Hilfe für das Herzeleid seines Onkels. Danach richtet er sich auf, wendet sich Anfortas zu, und in der Frage, die er nun an ihn richtet, wird nun auch das verwandtschaftliche Verhältnis deutlich, das beide verbindet (795,29 f.): œheim, waz wirret dier? Nun geschieht das Wunder, das mit der Erweckung des Stiers durch den Hl. Silvester (795,30), ja mit jenem, das Jesus selbst unter Tränen an Lazarus vollzog (796,1 f.), verglichen wird: Anfortas wird gesund, wird von neuem Leben und sogar von allerhöchster Schönheit (796,14) durchdrungen. Parzival erreicht somit seine ersehnten Ziele, wird mit seiner Gemahlin zusammengeführt, trifft wiederum Trevrizent und setzt Sigune bei. In seinem Halbbruder Feirefiz scheinen in der festlichen Gral-Szene noch einmal die Problematik der Wahrnehmung und in seinem Liebesleid erneut die Qual 275 Haug, Parzival ohne Illusionen, S. 215, bemerkt, «wie beiläufig Wolfram nun diesen Erlösungsakt abhandelt.» Doch scheinen vielmehr in dieser Szene die vorher breit ausgeführten Problemstellungen in konzentrierter Form zu konvergieren.

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der Sehnsucht auf. Beides findet eine Lösung in der burlesken Taufe und der Vermählung mit der Gralsträgerin Repanse de Schoye. Neue Aufgaben und Problemstellungen zeichnen sich unmittelbar in der nächsten Generation ab. Der Spannungsbogen von Leid und von Hoffnung auf Lohn und Erlösung könnte sich erneut auftun, verliert sich jedoch im offenen Ende der Loherangrinerzählung.276

4.8 Zur Poetik von Leiden und Mitleiden im ‹Parzival› Die Darstellung des Leidens ist in den beiden Gralsromanen grundsätzlich verschieden: so wird bei Chre´tien bereits in der Szene des Frageversäumnisses das Leiden des zu erlösenden Fischerkönigs klar vorgeführt. Die Leidenserkenntnis Percevals wird daher nicht zu einer problematischen Aufgabe. Es befinden sich in dieser Szene vielmehr Konzepte angemessenen Sprechens in einem Spannungsverhältnis. Als Ursache für das Versagen steht die Sünde im Hintergrund. So bezöge sich auch die erwartete Frage auf der Fischerburg nicht auf die Person, sondern auf die Wunderobjekte, die wundersam blutende Lanze und den geheimnisvollen Gral. Das Leiden an sich scheint keine handlungstragende Funktion zu besitzen, die Leidenserkenntnis wird somit nicht prozessual entfaltet, ein affektives Leidensverständnis fehlt. Zudem weist das durch die Verfluchungen ausgelöste Leiden des Protagonisten deutlich negative Konnotationen auf. Dieses Leiden wirkt sich schlussendlich sogar hindernd auf Percevals Religiosität aus. Der Fragment gebliebene Roman Chre´tiens zeigt zwar Percevals religiöse Überwindung des Leids am Karfreitag unter Tränen in der Liturgie, im Sakrament der Beichte und im Gespräch mit dem Eremiten – wobei der Erzähler zum Abschluss der Szene darauf hinweist, dass Perceval die Bedeutung des Leidens Christi nun kenne. Die Problematisierung einer affektiven Partizipation und Angleichung an die Passion Christi fehlt hier allerdings. Zwar bietet sich eine religiöse Lösung für Percevals Leiden, doch deutet der Text keine weltliche positive Sinnfindung für das Leiden an. 276 Joachim Bumke, Parzival und Feirefiz – Priester Johannes – Loherangrin. Der offene Schluß des ‹Parzival› von Wolfram von Eschenbach, in: DVjs 65 (1991), S. 236–264, hier: 264, weist darauf hin, dass «zuletzt neue Motive auftauchen, die nicht auf einen Abschluß hin angelegt sind, sondern über das erzählte Ende hinausweisen.» Vgl. auch Schu, Vom erzählten Abenteuer, S. 430, und Karl Bertau, Über Literaturgeschichte. Literarischer Kunstcharakter und Geschichte der höfischen Epik um 1200, München 1983, S. 70 und 73.

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Wolfram konzipiert die Leidensthematik unter bedeutender Umakzentuierung. Die Frage, die Parzival auf Munsalvæsche stellen soll, zielt hier auf die Person des Anfortas und das Leiden ab. Dieses Leiden wird in der ersten Fest-Szene auf Munsalvæsche durch die vorgeführte Lanze wie auch das Schwert repräsentiert. Beide tragen einen imperativen Anstoß zum affectus compassionis in sich, und stehen damit in einem Spannungsverhältnis zum höfischen Gebot maßvollen Schweigens. Der mit der Leidenserfahrung verbundene Weg Parzivals ermöglicht die Integration eines ritterlich-höfischen Selbstverständnisses und der Anforderung einer – vom Ziel her – lohnenden Leidenspartizipation. Damit jedoch erhält die Leidensthematik an sich im Unterschied zum französischsprachigen Text auch positive Konnotationen. Zwar wird Anfortas’ Leiden immer negativ als Sündenfolge charakterisiert, aber Wolfram reichert die Thematik von Sünde und Leid in der Entwicklung Parzivals um ein weiteres Sinnangebot an. Denn an der Figur des Protagonisten wird nicht nur die Sündhaftigkeit des Menschen demonstriert, sondern es zeigt sich an ihm auch, dass mit Leiden als Mit-Leiden eine prozessuale und positive Sinnfindung verbunden sein kann. So entwickelt Parzival nach dem Frageversäumnis sukzessive einen leid- und personenbezogenen affectus compassionis, eine Form partieller Angleichung und Leidenspartizipation, die auf das Leiden des Anfortas und Christi Passion ausgerichtet ist, sich jedoch auch in seiner Entwicklung in der Interaktion mit Sigune als eine sukzessive verstehende Annäherung Parzivals an die Leidende andeutet. So hat Parzival in der dritten Begegnung in seinem Leid das Niveau Sigunes erreicht. Parzivals Angleichung an das Leiden des Anfortas und – implizit und nur punktuell – das Leiden Christi gründet im Frageversäumnis und im Verlust der Ehre, der zum Aufbruch von der Artusrunde und zur einsamen Suche nach dem Gral führt. Doch ist dieser Weg auch ein Weg, auf dem er seine ritterliche Ontologie und die Sinnfindung für das eigene Leiden zur Deckung bringen kann. Die Karfreitagsszene bildet einen bedeutenden Schritt innerhalb eines Sinnfindungsprozesses, in dem Leiden sehr ähnlich wie in Rm 8,17 mit einem handlungsspezifischen Lohngedanken, dem Wunsch nach individueller Lösung vom Leid, verbunden wird. Parzivals Weg kann deshalb in doppelter Hinsicht zu Konzepten der compassio in Beziehung gebracht werden: in affektivem wie auch in praktisch-ethischem Sinn. Dabei überlagern sich diese beiden geistlichen Formen der compassio mit Parzivals ritterlichem Selbstverständnis als Kämpfer. Die Berufung zum Gralskönig führt vor, dass dieser Weg gelingen und

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durch göttliche Intervention mit geistlichem wie weltlichem Lohn gekrönt werden kann. Aus der Erlangung nicht nur geistlichen, sondern auch weltlichen Lohns ergibt sich allerdings auch ein erster inhaltlicher Aspekt des literarischen Umgangs mit der compassio. Wolframs Modell steht nämlich in der Gestaltung der Parzivalfigur insofern in einem Kontrast zu geistlichen compassio-Konzepten, als diese eine weltliche Lösung und damit weltlichen Lohn primär nicht vorsehen. Lohn in der Welt liegt nach geistlicher Tradition in der Annäherung an Christus selbst und in der sich dadurch abzeichnenden Gottesbeziehung – nicht im Erwerb von Gütern oder Macht. Auch scheint Parzival sein ritterliches Leid nicht willentlich zu suchen, sondern eher darin auszuharren bis sein Schwert zerbricht und er zum Gral berufen wird. Compassio scheint somit der Parzivalhandlung inhärent zu sein, ist jedoch ähnlich wie in den Miniaturen des ‹Elisabethpsalters› vornehmlich implizit präsent. Parzival schafft damit das Leiden nicht grundsätzlich aus der Romanwelt, doch wird an dieser Figur das integrative, distanzüberwindende und sinnbildende Potential des Mitleidaffekts entwickelt und demonstriert. Zu beobachten ist, dass bei Wolfram – im Gegensatz zu Chre´tien – der Gedanke einer empathischen Angleichung auch weitere Textebenen betrifft. Der Erzähler nimmt zum Erzählten in humorvoller Übertragung des Repräsentierten auf seine ‹eigene Erfahrung› Bezug, klagt über das repräsentierte Leiden, erzählt von seinem eigenen Missgeschick und leidet mit den Figuren des Romans mit. Die Angleichung des Erzählers an das in der Handlung repräsentierte Leid kann neben anderen Textfunktionen – wie beispielsweise im Hunger-Exkurs der Pelrapeire-Szene – in der Diskrepanz zwischen der Mittelmäßigkeit des auktorialen Ichs und dem Extrem der Leidenssituation auch eine humorvolle Durchbrechung des Erzählten bieten, führt jedoch auch ein Handlungsmodell des Erfahrungsbezugs vor, das er auch auf das implizite Publikum ausweitet, da er dieses auch zum Mitleiden mit den Figuren auffordert. Das Verfahren rückwirkender Erklärung von Zusammenhängen zieht das implizite Publikum überdies in den leidvollen Erkenntnisprozess des Protagonisten hinein. Im Dialog zwischen dem Erzähler und Frau Aventiure scheinen schließlich alle Ebenen des Textes zu fusionieren, denn im affektiven Nachvollzug des Leids, der Unerlöstheit und der Orientierungslosigkeit verschwimmen die Grenzen zwischen Erzähler, implizitem Publikum und Protagonisten. Als Einstieg in das neunte Buch führt dieser Dialog – auch hier durch die komische Figur eines nunmehr hoffnungslos orientierungslosen Erzählers von Humor durch-

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setzt – einen bedeutenden Aspekt der darauf folgenden Handlung vor. Damit durchdringen Konzepte von Leiden und Mitleiden die verschiedenen Ebenen der Parzivalhandlung und werden zu einem Charakteristikum dieses Teils. Leiden und Mitleiden stehen in einer engen Beziehung zur Gewalt, einem «von Wolframs Leitthemen».277 So leiden besonders die Frauen unter den Auswirkungen ritterlicher Auseinandersetzungen, wie auch die ‹Frauenpassage› zusammenfassend rekapituliert. Ihr Leiden führt in der Gahmuretund Parzivalhandlung sogar bis in den Tod:278 Herzeloyde verliert Gahmuret in ritterlichem Kampf, deutet ihre Situation des Leidens in Ähnlichkeit mit Maria und Jesus, überträgt die Liebe zu ihrem Gemahl auf Parzival und stirbt beim Aufbruch ihres Sohnes aus Soltane aus lauter Schmerz. Auch Sigunes Leid und ihre Sehnsucht nach ihrem verlorenen Geliebten Schianatulander gründet in Gewalt. Ihr Leid beruht auf ihrer überhöhten Forderung nach Minnedienst, der ihren Geliebten in eine Tjost und damit in den Tod treibt. So leidet sie höchstes Leid aus unermesslicher und unerfüllter Liebe zu Schianatulander, so dass sich ihr Leid auch äußerlich an ihr abzeichnet, sie ihr minneclıˆches Aussehen verliert, sich von der Welt abwendet und sich schließlich als Klausnerin mit ihrem Geliebten einmauern lässt. Ihre unermessliche Trauer und Klage erhält im neunten Buch somit explizite religiöse Konnotationen. Ihr Leiden und Leben wird sukzessive zur Angleichung an den Toten und vollendet sich in der Vereinigung mit ihrem Geliebten im Grab. Parzivals Leidensweg wird über seine Sinnbildung – das Erringen bzw. ‹Erbitten› seiner Erlösung und jener des Anfortas durch Kampf – sogar zu einer beständigen Gewaltausübung, die stets den Tod der überwundenen Gegner riskiert und damit auch das Leid der jeweiligen Familie. Sein Leidenskonzept gelangt folglich in dem Moment in eine Aporie, als er gegen Freunde und Verwandte – und damit gegen sich selbst kämpft. Der Gawan- und der Feirefizkampf enden in der Beteuerung, dass die Gegner in Wirklichkeit ein Herz sind. In solcher Gnade herausfordernden Spannung zerbricht letztlich durch göttliches Eingreifen Parzivals Ither277 So Lienert, Gewalt, S. 223. 278 Hier sollen nur zwei erwähnt werden, doch findet sich eine weitere, ähnliche Konstellation in Belacane, die über den Verlust Gahmurets stirbt. Orgeluse wendet aufgrund des Verlusts ihres Gemahls Cidegast ihren Hass gegen die Männer und verursacht ihrerseits das Leid des Anfortas und einen Teil des Leidenswegs Gawans.

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schwert.279 Dies ermöglicht Frieden und empathische Einheit mit seinem ‹Feind› und Bruder Feirefiz. Empathie – zu der auch affektives Mitleid gezählt werden kann – scheint sich nun als eine Möglichkeit zum gegenseitigen Verstehen und auch zur Überwindung von Gewalt zu präsentieren. Sie hebt dann auch Distanzen auf, indem sie trotz äußerlicher Blindheit in der Herzenseinheit die Kluft zwischen Personen zu überbrücken vermag. Leiden, Klagen, Trauern sind für die Parzivalhandlung zentral, aber nicht ihr alleiniges Thema. Affektives Mitleiden stellt ein Konzept der Überwindung des Leidens dar, ein neues Lösungskonzept, das dem Leiden auch eine positive Seite abgewinnt, es jedoch nicht beschönigt. Mitleiden bietet eine Hermeneutik des Leidens, als Möglichkeit zu partieller oder vollkommener Einheit mit dem Leidenden. Es bietet eine Grundlage des Leidensverständnisses, eine Möglichkeit der Sinnfindung und der Überwindung von Spannungen zwischen Menschen wie zwischen Mensch und Gott. Das im Prolog geforderte Mitgehen mit der Erzählung verlangt nach einer erfahrungsbezogenen affektiven Angleichung und Partizipation des impliziten Publikums und damit nach zeit- und kontextbezogenen Deutungen. Erst in solchem Nachvollzug lassen sich dann die präsentierten Konzepte von Leiden und Mitleiden aktualisieren und lohnend erschließen. Affektive compassio ist eine Kunst, das Leiden zu verstehen. Eine solche Hermeneutik ist zwar keinesfalls der Willkür unterworfen, doch – weil erfahrungsbezogen – wie der Schluss des ‹Parzival› grundsätzlich offen.

279 Vgl. Neudeck, Stigma, S. 74, nur durch die «Transzendierung des Gewaltproblems» lasse sich ein Paradoxon überwinden, «bei dem eine Kanalisierung versagen muss». Doch mag eine Kanalisierungsmöglichkeit in der Empathie liegen. Dies würde auch mit dem Befund von Andrea Sieber, Zwischen Norm und Transgression. Gefühle der Feindschaft in Homers ‹Illias› und Herborts von Fritzlar ‹Liet von Troye›, in: LiLi 138 (2005), S. 70–91, hier: 91, zum Trojaroman übereinstimmen. Sie kommt zu dem Schluss, dass Empathie einen akzeptablen «Ausstieg aus der Gewaltspirale» ermögliche.

5 Verbindungen Am Beispiel des Bußtraktats des Petrus von Blois konnte bereits eine affektive Rezeption von Leidensdarstellungen in höfischen Erzählungen belegt werden, die mit compassio bezeichnet wurden. Dies zeigt, dass der Begriff sich aus historischer Perspektive grundsätzlich für die Anwendung auf literarische Phänomene eignet. Daher folgte eine Vertiefung. Die weitgehend synchron angelegten Sondierungen zur compassio in lateinischen Texten aus dem 12. und beginnenden 13. Jahrhundert, die Betrachtung der Psalterien des Landgrafenhofs Hermanns I. von Thüringen und der Durchgang durch den ‹Parzival› Wolframs von Eschenbach standen unter dem Titel ‹Leiden lesen›. Ohne direkte historische Abhängigkeiten zwischen diesen Gegenständen rekonstruieren zu wollen, gingen diese verschiedenen ‹Lektüren› den Formen von compassio und den mit ihnen verbundenen Konzepten nach, weshalb erst hier eine Zusammenführung vorgenommen wird. Die ersten beiden Teile beschrieben mit dem Begriff der compassio verbundene Konzepte bzw. deren Umsetzungen in Texten und Bildern. Als Leitfaden diente der Untersuchung Rm 8,17, als Untersuchungskriterien boten sich die Leidensteilhabe (participatio) und die Leidensangleichung (conformatio) an die Passion Christi und das Leiden des Nächsten an. In ihrer Grundform kann compassio als Leidensinteraktion verstanden werden, sie bedeutet im paulinischen Sinn eine Partizipation an der Überwindung der Sünde und des Leidens durch Christus, an der Erlösung der Menschheit und am ewigen Leben und integriert insofern eine Leid-Lohn-Logik. Neben einer praktisch-ethischen Form der compassio zeichnete sich eine affektive ab. Letztere konnte im 12. Jahrhundert zunächst in Texten Bernhards von Clairvaux und etwas später auch in Werken der Viktoriner belegt werden. Diese Form lässt sich im Kern als affektiver Zugang zum als Mensch leidenden Christus beschreiben. Auf dieser Grundlage wird ihr eine erkenntnis- und heilsfördernde Qualität beigemessen. Sie kann jedoch auch allgemeiner verstanden werden, nämlich als empathisch geleitetes Interaktionsmodell zwischen Leidendem und Mitleidendem. Diese Aspekte

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affektiver compassio verdichten sich in lyrisch-dramatischer Form im ‹Planctus ante nescia› und werden narrativ zu Beginn des 13. Jahrhunderts im ‹Quis dabit-Traktat› entfaltet. In diesen Texten ist das Konzept einer literarischen Umsetzung der affektiven compassio Marias während der Passion Christi präsent. Im ‹Quis dabit-Traktat› erzählt Maria selbst ihr Mitleiden mit Christus, fordert zur Niederschrift des Textes unter Tränen auf. Das auktoriale Ich beschreibt die tränenreichen Reaktionen auf das Leiden innerhalb der Handlung und fordert schließlich auch das implizite Publikum zum Mitweinen und Mitleiden auf. Der Text ist von der Idee der Leidenspartizipation und der Leidensangleichung durchdrungen, und auch die verschiedenen Textebenen fusionieren und bilden, auf diese Weise die Handlung spiegelnd, auch rhetorisch eine unio im Leiden, Weinen und Sterben ab. Das Konzept affektiver compassio wirkt jedoch nicht nur innerhalb des Ordens der Zisterzienser oder in der Schule der Viktoriner weiter. Als affektive Anteilnahme am Leiden Christi bzw. des Nächsten oder an Repräsentationen des Leidens Christi in Text und Bild findet es sich in verschiedenen Textgattungen und bei unterschiedlichen Autoren, auch im deutschsprachigen Raum: in Gerhochs von Reichersberg Psalmenkommentar, im Pilgerbericht des Mönchs Theodericus und nicht zuletzt, zu Beginn des 13. Jahrhunderts, in hofnahem Milieu in der Chronik Arnolds von Lübeck. Auch in diesen Texten ist festzustellen, dass das Konzept affektiver compassio nicht nur aktualisierend wiederholt, sondern in dieser Wiederholung innerhalb der verschiedenen Textgattungen vielfältig nuanciert und funktionalisiert werden kann. Gerhoch nimmt Ps 40 zum Anlass, die Schilderung einer affektiven und heilsfördernden Kontemplation des Gekreuzigten in seine Auslegungen zu integrieren. Auch der niederrheinische Mönch Theodericus integriert affektive compassio in seine Beschreibung des Pilgerwegs nach Jerusalem. Sie wird dort zu einer Anleitung des Nachvollzugs des Erzählten umgeformt. Bei Arnold bildet sie den Abschluss und Glaubenssatz einer Erzählung von der conversio eines jüdischen Knaben zum Christentum. Es ist also evident, dass compassio in verschiedenen Textgattungen und in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen aktualisiert werden kann. Im Verlauf der Untersuchungen ist somit deutlich geworden, dass compassio nicht nur einen Rezeptionsvorgang bezeichnet, sondern ein Spektrum von Bedeutungen besitzen kann, in ihren Grundkonstituenten stabil ist, jedoch eine kontextspezifische Bedeutungsvarianz aufweist. Wenn sich

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compassio so flexibel zeigt, lohnt es sich, ihre Anwendung auf höfische Texte im Sinn Petrus’ von Blois ernst zu nehmen und den weltlichen Hof in die Untersuchung miteinzubeziehen. Dafür eignet sich besonders das für die höfische Literaturproduktion um 1200 bedeutendste Umfeld: der Hof des Landgrafen Hermanns I. von Thüringen. Seine politische und kulturelle Führungsstellung erklären die Entstehung zweier Handschriften, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts sehr wahrscheinlich in Reinhardsbrunn hergestellt wurden und am Hof gelesen und betrachtet wurden: der ‹Elisabethpsalter› und der ‹Landgrafenpsalter›. Bei der Untersuchung dieser beiden Psalterien ergab sich, dass vor allem der ‹Elisabethpsalter› durch seine große Anzahl von Miniaturen mit Leidensdarstellungen auffällt, von denen einzelne mit Konzepten der compassio in Verbindung gebracht werden können. Schon der Einband, in dessen Zentrum die Kreuzigung Christi steht, prägt diesem Psalter die Leidensthematik auf. Und so führt der ‹Elisabethpsalter› auch im Inneren, auf den Handschriftenseiten, Modelle körperlicher, ethischer oder affektiver Leidensangleichung und Leidenspartizipation vor. Darin weicht er von seiner Schwesterhandschrift, dem ‹Landgrafenpsalter›, deutlich ab. So können beispielsweise die Miniaturen des Kalenderteils, die zahlreiche Martyrien zeigen, als Appell an die Betrachter zu einer ethischen Übertragung auf den höfischen Kontext aufgefasst werden. Insbesondere das Beispiel des Hl. Sebastian kann mit dem Aufruf in Verbindung gebracht werden, nicht nur ein äußerliches Rittertum zu üben, sondern auch innerlich die Nachfolge Christi im Tugendkampf zu vollziehen. Besonders die Partizipation der Frauen an der Kreuztragung besitzt appellativen Charakter und ruft zu einer Übertragung in die Lebenswelt auf. Als Ergebnis der Untersuchung lässt sich somit nicht nur festhalten, dass geistliche Konzepte von compassio an diesem Hof präsent waren, sondern auch, dass diese auf ihren Nutzungskontext abgestimmt wurden. Dieses Bemühen verleiht diesen Konzepten einen besonderen Nachdruck. Zusätzlich ist bei der Auswertung der höfischen Psalterien zu berücksichtigen, dass allein schon der im 12. Jahrhundert christologisch gedeutete Text der Psalmen einen Appell zur heilsfördernden affektiven Angleichung vermitteln kann. Die Lektüre des Psalters und das Betrachten der Miniaturen können dann beide nicht nur einen rationalen Nachvollzug, sondern überdies ein affektives ‹Mitgehen› mit dem Text bzw. Bild fordern. Eine solche Lektüre wird sich nicht nur für ein klerikales bzw. monastisches, sondern insbesondere auch für ein nicht theologisch gebildetes Laien-

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publikum angeboten haben. Diese Rezeptionshaltung verlangt eine Angleichung – Gerhoch betrachtet sie wie bereits Augustinus als affektive Angleichung – an die verschiedenen Sprechhaltungen und Affekte, die im Text präsent sind und fordert daher einen laufenden Standortwechsel. Sie kann im konkreten Fall des ‹Elisabethpsalters› durch die in einzelnen Miniaturen präsenten Affekte angeregt oder unterstützt werden: Diese werden nämlich gerade im Psalmenteil, in der Hiob-Miniatur zu Beginn von Psalm 38 (fol. 47r; Abb. 13), in den Darstellungen der Erweckung des Lazarus zu Gradualpsalm 119 (fol. 132v; Abb. 14) und in der Gefangenschaft der Kinder Jerusalems in Babylon zu Klagepsalm 136 (fol. 139v; Abb. 15), thematisiert. Daher lassen diese Miniaturen Facetten der compassio erkennen. Der Inhalt des Haupttexts dieser Codices, der Psalmen, sollte nach den Psalmenkommentaren eine Anleitung zum rechten Leben (bene operari) vermitteln. Eine angleichende Lektüre der Psalmen bietet – als Lohn – das Verständnis des Kerns der Psalmen, die Annäherung an Christus und deshalb einen Weg zu Gott und zu ewiger Erlösung. Diese Lebens- und Rezeptionsanweisung schließt auch Konzepte des Umgangs mit dem Leiden ein. Dies spiegelt sich im ‹Elisabethpsalter› nicht nur in den beschriebenen Miniaturen des Psalmenteils, sondern ganz besonders in der Schlussminiatur mit der Vita activa und der Vita contemplativa im oberen Register. Diese Miniatur fasst grundlegende Aspekte des Psalters zusammen. Sie zeigt ganz konkret ein klerikales Konzept in höfischem ‹Kleid› und stellt so eine Lebensanweisung für den Hof dar. Doch kann der Bildinhalt auch über die beiden Konzepte von compassio definiert werden: das praktisch-ethische Konzept einer interpretativen Deutung des menschlichen, leidvollen Lebens auf Christus hin und das affektive Konzept eines erinnernden, emotionalen Nachvollzugs des Leidens Christi. Diese Miniatur nimmt dann, wie bereits weitere, vorangehende Miniaturen des Psalters, die beiden Haupt-Konzepte von compassio in dieser Epoche auf. Damit kann sie als Appell betrachtet werden, diese im Rahmen des höfischen Lebens umzusetzen. Aufgrund der beobachteten Vielseitigkeit und Flexibilität der compassio-Konzepte ist nämlich im Kontext eines solchen an geistlicher wie höfischer Literatur interessierten Hofs das Potential für einen ‹Sprung› in die volkssprachige höfische Literatur prinzipiell gegeben. Doch bleibt im Dunklen, welchen konkreten historischen Bedingungen die Gestaltung des ‹Parzival› unterliegt. Die vorliegende Untersuchung zielte daher ohne solche Vorannahmen auf eine differenzierte Analyse der Poetik des Mit-Leidens im ‹Parzival› ab.

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Innerhalb der Handlung lässt sich beobachten, dass Forderungen zur Leidensangleichung und Leidenspartizipation im Parzivalteil von Wolframs Roman sehr viel mehr als im ‹Perceval› Chre´tiens de Troyes zu einem handlungstragenden Aspekt werden. Wolfram hat also Konzepte von compassio in seinen Roman integriert. So konnte gezeigt werden, dass Parzivals Frageversäumnis als ein Versäumnis empathischer Teilnahme am Leiden des Anfortas dargestellt wird. Denn Parzival versagt im Nachvollzug eines mitmenschlichen affectus compassionis angesichts des leidenden Gralskönigs. So besteht sein Weg einer Annäherung an die Gralswelt in eigener Leiderfahrung und somit in Leidensangleichung und Leidenspartizipation. Eine geistliche Vertiefung dieser Problematik erfolgt überdies im neunten Buch am Karfreitag im Treffen Parzivals mit Kahenis und Trevrizent. Die Ebene einer geistlichen affektiven compassio wird hier zwar nur implizit über die Metaphorik vermittelt, wird jedoch ein Indiz für einen inneren, religiösen Wandel sein. Überdies lassen sich in den Erzählereinschüben ein compassionales Mitgehen mit den Leidensdarstellungen des Erzählten feststellen wie auch Aufforderungen an das implizite Publikum, an dem erzählten Leiden affektiv teilzunehmen. Zu Beginn von Buch neun zeigt sich ein ähnliches rhetorisches Verfahren wie im ‹Quis dabit-Traktat›: Die verschiedenen Erzählebenen laufen zusammen, sie fusionieren. Dabei ist nicht von Intertextualität auszugehen, sondern es lässt sich hier die Verbreitung eines rhetorischen Verfahrens belegen, das auch im höfischen Roman gezielt eingesetzt werden kann. Compassio wird im ‹Parzival› auf diese Weise rhetorisch und inhaltlich integriert. Ihre Konzepte erstrecken sich über die gesamte Parzivalhandlung. Dabei wird zum einen das Konzept affektiver compassio an der Figur des Parzival prozessual problematisiert, zum anderen wird es in der Erzählung punktuell, ebenenübergreifend verdichtet. Durch dieses Verfahren wird die Präsenz des erzählten Leidens besonders hervorgehoben. Charakteristikum dieser compassio ist jedoch, dass sie nicht lehrhaft vermittelt wird, sondern an Erfahrung gebunden und stets eng mit einem ritterlichen Selbstverständnis verknüpft ist. Der Roman präsentiert somit besonders eindringlich und vielschichtig die Aufgaben einer ritterlich-höfischen, erfahrungsbezogenen Aktualisierung des Konzepts. Aufgrund der Ergebnisse zum ‹Parzival› lassen sich weitere Verbindungslinien zwischen den untersuchten Bereichen ziehen. Analogien werden über die Verwendung der compassio in verschiedensten Zusammenhängen deutlich, wobei die Konzepte kontextspezifische Umformungen erfahren.

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Bereits der ‹Parzival›-Prolog kündigt eine nicht-lineare und agile Erzählung an, der nur in flexiblem und beharrlichem ‹Mitgehen› zu folgen ist. Deren Inhalte sollen sich in ritterlicher conformatio erschließen. Auf dieser Ebene bestehen Analogien zu Aspekten des ‹Quis dabit-Traktats›, des ‹Libellus de locis sanctis› und den Psalmenkommentaren. Auch in diesen geistlichen Texten ergeht an den impliziten Rezipienten dieselbe Aufforderung. Zwar kann der Prolog des ‹Parzival› kaum auf eine dieser Traditionen bzw. Textgattungen fixiert werden, doch darf angenommen werden, dass hier ein vergleichbares geistliches Konzept übernommen wurde. Hat der ParzivalProlog die Funktion, einleitend auf poetologische Verfahren aufmerksam zu machen, und integriert er zugleich das geistliche Konzept des Appells zur Partizipation am Erzählten und zur Angleichung an die Inhalte, dann kann dies als Hinweis darauf gedeutet werden, dass auch im Haupttext mit einer vergleichbaren Amalgamierung höfischer und geistlicher Konzepte zu rechnen ist. Deshalb lassen sich Analogien zwischen dem Roman und den Psalterien, insbesondere dem ‹Elisabethpsalter› feststellen. Auch die Psalterien am Hof sind an sich bereits Objekte der Integration geistlichen Wissens in den höfischen Kontext. Die darin präsenten Konzepte beinhalten den Appell zu einer Umsetzung im höfischen Kontext. Davon zeugt insbesondere die Schlussminiatur des ‹Elisabethpsalters›. So öffnet sich über die Psalterlektüre und die Betrachtung der Miniaturen ähnlich wie über die Parzivalhandlung eine im weitesten Sinn vergleichbare Perspektive der Anleitung zum rechten Handeln und Leben, die den Umgang mit dem Leiden mitumfasst. Während jedoch die Psalterlektüre in ihren Übertragungs- und Aktualisierungsmöglichkeiten recht offen bleibt, die Schlussminiatur ihre Lebensanleitung auf die kontemplative Betrachtung des Leidenskelchs und die barmherzige Versorgung der Armen bezieht und damit Möglichkeiten der Konkretisierung exemplarisch vorführt, präsentiert und problematisiert der Roman an der Figur des Parzival eine Umsetzung, nämlich einen fiktionalen Lebensweg, der eine Integration geistlicher Konzepte impliziert. Im Unterschied zu den Figuren der Sigune und des Trevrizent, die ihre Formen der Religiosität, der Buße und des Gebets, weltabgewandt und im Wechsel ihrer Lebensform vollziehen, führt Wolfram an Parzival einen integrativen ‹Zwischenweg› vor. Eine Integration erfolgt insofern, als der Protagonist dieses Handlungsteils seine ritterliche Ontologie punktuell mit religiösen Konzepten ethischer und affektiver compassio und mit der Hoffnung auf Lohn für sein Leiden verbindet. Seine Auffassung findet roman-

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intern eine Bestätigung. Denn Parzivals ritterliches Leiden, das ein Leiden aufgrund der Trennung von Condwiramurs und der Gralswelt ist, das gleichzeitig eine Leidensangleichung an und Leidenspartizipation mit Anfortas bedeutet und, am Karfreitag, auch die Qualität einer affektiven partiellen conformatio mit Christus erreicht, erfährt in der Berufung zum Gral letztendlich weltlichen und geistlichen Lohn. Dieser Konkretisierung im Roman kann allerdings nur dann eine exemplarische Funktion zugemessen werden, wenn die erzählimmanenten Appelle zum Mitgehen des impliziten Publikums mitberücksichtigt werden. Aufgrund der Forderungen des Prologs, der umsetzenden Erzählereinschübe und der Appelle zur erfahrungsbezogenen Rezeption des literarischen Werks, kann festgehalten werden, dass auch der ‹Parzival› Anlass zu einer interpretierenden, erfahrungsbezogenen Übertragung auf die konkrete Lebenswelt der Rezipienten geben soll. Punktuell führt sogar das auktoriale Ich solche Übertragungen humorvoll vor und verbindet dies mit Aufrufen zur Anteilnahme. Abschließend soll auch die Relation der compassio zur Schuldfrage kurz gestreift werden. Parzival kann sowohl als unschuldig wie auch als schuldig bezeichnet werden. Die Schuldzuschreibungen im Roman entziehen sich aufgrund der im Roman divergierenden Diskurse einer eindeutigen Definition. Doch wie immer die Schuld Parzivals gelagert sein mag, muss das Leiden nicht notwendigerweise auf seine Ursache zurückgeführt, sondern kann in Richtung auf sein Ziel im Hinblick auf den Lohn und die Erlösung interpretiert werden. Mit-Leiden öffnet auch im Roman Heilsperspektiven. Für Parzival bedeutet es den Weg zur Teilhabe am Gralskönigtum, zur Teilhabe an weltlicher und ewiger saelde. Parzivals Leidensteilhabe kann somit mittels Analogieschluss prozessual als Weg der Schuldüberwindung und zur Erlangung individuellen Heils gelesen werden. In seinem Weg bestehen daher Analogien zur Leid und Lohn-Korrelation von Konzepten der compassio, diese werden jedoch romanspezifisch adaptiert und aktualisiert. Weil Lohn im Roman sich auch auf den Erwerb weltlicher Güter und irdischer Macht bezieht, kann von einer literarischen Anreicherung des Konzepts gesprochen werden. Diese besitzt allerdings eher Parallelen zur biblischen1 Hiob-Tradition, wie sie im Zusammenhang mit dem ‹Elisabethpsalter› angedeutet werden konnte. 1 Diese ist hier explizit von den allegorischen mittelalterlichen Hiobauslegungen zu unterscheiden.

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Von Prolog und Handlung aus lässt sich auch auf die poetologische Ebene schließen: hier geht es nicht darum, den Artus- und Gralsroman oder Figuren des Romans mit einem umfassenden geistlichen Konzept zu überhöhen, sondern vielmehr um eine literarische Möglichkeit der Integration und Vermittlung geistlicher Konzepte. Insgesamt kann deshalb aus den Beobachtungen geschlossen werden: Die Konzepte des Mit-Leids im ‹Parzival› lassen sich als höfische Aktualisierungen von compassio lesen. Es lässt sich daraus weiter folgern: Die Lektüre der Leidensthematik im Psalter am Hof und im höfischen Roman, dem ‹Parzival›, verlangt ein Mitgehen, eine Leidenspartizipation und Leidensangleichung. Unterschiede bleiben bestehen, denn der Nachvollzug geistlicher compassio bietet ewigen Lohn, die affektiv geleitete Romanlektüre primär den Lohn der Erschließung des Sinns des Leidens über den Roman.

Anhang

Abkürzungsverzeichnis ABäG AfdA Archiv ATB BMZ CC CM SL CDSR Chron. Slav. Cron. Reinh. DA dtv DOB DVjs FS GAG GRM IASL ICLS LCI LexMa LiLi LThK MGH SS SS rer. Germ. MTU RLW RUB PBB

Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Altdeutsche Textbibliothek Mittelhochdeutsches Wörterbuch, hg. von Georg Friedrich Benecke, Wilhelm Müller, Friedrich Zarncke Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis Series Latina Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae Chronica Slavorum Cronica Reinhardsbrunnensis Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Deutscher Taschenbuchverlag Regesta diplomatica necnon epistularia historiae Thuringiae Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Festschrift Göppinger Arbeiten zur Germanistik Germanisch-romanische Monatsschrift Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur International Courtly Literature Society Lexikon der christlichen Ikonographie Lexikon des Mittelalters Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Lexikon für Theologie und Kirche Monumenta Germaniae Historica Scriptores Scriptores rerum Germanicarum Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Reclams Universal-Bibliothek Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur

210 PL TRE UB Pforte 2 VL WW ZfdA ZfdPh

Abkürzungsverzeichnis Patrologia Latina Cursus Completus1 Theologische Realenzyklopädie Urkundenbuch des Klosters Pforte Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, 2., völlig neu bearb. Aufl. Wirkendes Wort Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie

1 Zum Teil folgen die lat. Zitate bei gleicher Zitierweise der text- und seitengleichen Datenbank-Version.

Bibliographie1 Besprochene und erwähnte Handschriften2 Elisabethpsalter, Cividale del Friuli, Museo Archeologico, Ms CXXXVII . Faksimile: Salterio di Santa Elisabetta. Facsimile del ms. CXXXVII del Museo Archeologico Nazionale di Cividale del Friuli a cura di Claudio Barberi, Trieste 2002. Landgrafenpsalter, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB II 24. Faksimile: Der Landgrafenpsalter: vollständige Faksimile-Ausgabe im OriginalFormat der Handschrift HB II 24 der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Kommentarband hg. von Felix Heinzer (Codices selecti 93), Graz 1992. Erfurter Psalter, Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. in scrin. 84. Psalter Heinrichs des Löwen, London, British Library, Lansdowne 381 I.

Hilfsmittel und Nachschlagewerke Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon, Bd. 1–11, begr. von Wolfgang Stammler; fortgef. von Karl Langosch, hg. von Kurt Ruh (u. a.). 2., völlig neu bearb. Aufl., Berlin/New York 1978–2004. Dictionnaire de spiritualite´ asce´tique et mystique: Doctrine et histoire, 17 tomes, fonde´ par Marc Villier, publ. par Andre´ Rayez (u. a.), Paris 1932–1995. Christine Jakobi, Buchmalerei: ihre Terminologie in der Kunstgeschichte, Berlin 1991. Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Bd. 2: Hoch- und Spätmittelalter, hg. und verfasst von Peter Dinzelbacher, mit einem Beitrag von Daniel Krochmalnik, Paderborn (u. a.) 2000. Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1–8, hg. von Wolfgang Braunfels (u. a.), Rom (u. a.) 1968–1976. Lexikon des Mittelalters, Bd. 1–10, hg. von Robert-Henri Bautier (u. a.), München 1980–1999. 1 Die vorliegende Bibliographie verzeichnet die bei der Konzeption der Arbeit benutzte und die im Text zitierte Literatur. 2 Hier werden nur die wichtigsten konsultierten Handschriften aufgeführt. Vgl. zudem die Angaben im Haupttext und in den Anmerkungen.

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Bibliographie

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Lateinische Quellen Aelredus Rievallensis, Speculum caritatis, in: ders., Opera omnia: Opera ascetica, hg. von A[nselme] Hoste und C[harles] H[ugh] Talbot (CCCM I/1), Turnhout 1971, S. 3–161. Alanus de Insulis, Summa de Arte Praedicatoria, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 210), Paris 1853, Sp. 109–198. Analecta hymnica medii aevi, Bd. 20, hg. von Guido Maria Dreves, Leipzig 1895. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, hg. von Johann Martin Lappenberg (MGH SS rer. Germ. 14), Hannover 1868 [Neudr. Hannover 1995]; zitiert nach Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, hg. von Johann Martin Lappenberg (MGH SS 21), Hannover 1869 [Neudr. Hannover 1978], S. 100–250. Arnold von Lübeck, Slawenchronik, übers. von Joh. Carl Mauritz Laurent, 3. Aufl., neu bearb. von Wilhelm Wattenbach (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 71), Leipzig 1940. Aurelius Augustinus, Enarrationes in Psalmos, Bd. 1–3, hg. von D. Eligius Dekkers und Iohannes Fraipont (CCSL 38–40), Turnhout 1956. Bernhard von Clairvaux, De diligendo Deo, in: ders., Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 1, S. 73–151. Bernhard von Clairvaux, Sermo super Canticum Canticorum 43, in: ders., Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 6, S. 96–103.

Bibliographie

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Bernhard von Clairvaux, Feria IV Hebdomadae Sanctae. De Passione Domini, in: ders., Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990–1999, Bd. 8, S. 182–203. Bernhard von Clairvaux, De gradibus humilitatis et superbiae, in: ders., Sämtliche Werke, lat./dt., Bd. 1–10, hg. von Gerhard B. Winkler (u. a.), Innsbruck 1990– 1999, Bd. 2, S. 37–135. Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, 4., verb. Aufl., hg. von Roger Gryson (u. a.), Stuttgart 1994. Carmina Burana. Texte und Übersetzungen, hg. von Benedikt Konrad Vollmann, mit den Miniaturen aus der Hs. und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer (Bibliothek Deutscher Klassiker 16. Bibliothek des Mittelalters 13), Frankfurt a. M. 1989. Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae, 1. Hauptteil, Abt. A: Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen, Bd. 1–3, hg. von Otto Posse, Leipzig 1882–1898. Cronica Reinhardsbrunnensis, hg. von Oswald Holder-Egger (MGH SS 30/1), Hannover 1896 [Nachdr. Stuttgart 1976], S. 490–656. Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, begr. von Heinrich Denzinger, hg. von Peter Hünermann, 39. Aufl., Freiburg i. Br. (u. a.) 2001. Gerhoch von Reichersberg, De gloria et honore Filii hominis, hg. von J[acques]P[aul] Migne (PL 194), Paris 1854, Sp. 1073–1162. Gerhoch von Reichersberg, Commentarius aureus in Psalmos et cantica ferialia, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 193/194), Paris 1854/55, Bd. 193, Sp. 619– Bd. 194, Sp. 998. Glossa ordinaria, in: Walafrid Strabo, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 114), Paris 1852, Sp. 1–752. Gregorius Magnus, Moralia in Iob, Bd. 1–3, hg. von Marc Adriaen (CCSL 143). Honorius Augustodunensis, Expositio in Cantica Canticorum, hg. von J[acques]P[aul] Migne (PL 172), Paris 1854, Sp. 347–496. Honorius Augustodunensis, Expositio in Psalmos selectos, hg. von J[acques]P[aul] Migne (PL 172), Paris 1854, Sp. 269–312. Honorius Augustodunensis, Sigillum beatae Mariae, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 172), Sp. 495–518. Hugo von St. Viktor, Didascalicon de studio legendi. Studienbuch, lat./dt., übers. und eingel. von Thilo Offergeld (Fontes Christiani 27), Freiburg i. Br. (u. a.) 1997. Hugo von St. Viktor, Quaestiones et decisiones in epistolas D. Pauli, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 175), Paris 1854, Sp. 431–634. Hugo von St. Viktor, De triplici compassione, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 177), Paris 1854, Sp. 577 ff. Hugo von St. Viktor, De quatuor voluntatibus in Christo libellus, hg. von J[acques]-P[aul] Migne (PL 176), Paris 1854, Sp. 841–846.

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Statuta capitulorum generalium ordinis Cisterciensis, t. 1: Ab anno 1116 ad annum 1220, publ. par Joseph-Maria Canivez (Bibliothe`que de la revue d’histoire eccle´siastique 9), Löwen 1933. Theodericus, Libellus de locis sanctis, in: Peregrinationes tres. Saewulf, John of Würzburg, Theodericus, hg. von R[obert] B. C. Huygens und J[ohn] H. Pryor (CCCM 139), Turnhout 1994, S. 143–197. Urkundenbuch des Klosters Pforte, 1. Halbbd.: 1132–1300, bearb. von Paul Boehme (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzenden Gebiete 33), Halle 1893.

Volkssprachige Werke Albrecht von Halberstadt und Ovid im Mittelalter, hg. von Karl Bartsch (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 38), Quedlinburg/Leipzig 1861 [Nachdr. Amsterdam 1965]. Chre´tien de Troyes, Le Roman de Perceval ou Le Conte du Graal. Der Percevalroman oder Die Erzählung vom Gral, altfrz./dt., übers. und hg. von Felicitas Olef-Krafft (RUB 8649[9]), Stuttgart 1991. Die Dichtungen der Frau Ava, hg. von Friedrich Maurer (ATB 66), Tübingen 1966. Fridankes Bescheidenheit, hg. von H[einrich] E[rnst] Bezzenberger, Halle 1872. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, mhd./nhd., nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Nhd. übers., mit einem Stellenkomment. und einem Nachw. von Dieter Kartschoke (RUB 8303), Stuttgart 2002. Herborts von Fritslaˆr Liet von Troye, hg. von Karl Frommann (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 5), Quedlinburg/Leipzig 1837 [Nachdr. 1966]. Reinbot von Durne, Der Heilige Georg, hg. von Carl von Kraus (Germanische Bibliothek. 3. Abt. Kritische Ausgaben altdeutscher Texte), Heidelberg 1907. Das St. Trudperter Hohelied. Eine Lehre der liebenden Gotteserkenntnis, hg. von Friedrich Ohly unter Mitarbeit von Nicola Kleine (Bibliothek deutscher Klassiker 155. Bibliothek des Mittelalters 2), Frankfurt a. M. 1999. Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche, 14., völlig neubearb. Aufl. d. Ausg. Karl Lachmanns, mit Beitr. von Thomas Bein und Horst Brunner, hg. von Christoph Cormeau, Berlin/New York 1996. Der Wartburgkrieg, krit. hg. von Tom Albert Rompelman, Amsterdam 1939. Wolfram von Eschenbach, Parzival. Studienausgabe, mhd. Text nach der sechsten Ausg. von Karl Lachmann, Übers. von Peter Knecht, Einf. von Bernd Schirok, Berlin/New York 1998. Wolfram von Eschenbach, Titurel, hg., übers. und mit einem Stellenkommentar sowie einer Einf. versehen von Helmut Brackert und Stephan Fuchs-Jolie, Berlin/New York 2003. Wolfram von Eschenbach, Willehalm, mhd./nhd. Text der Ausg. von Werner Schröder, völlig neubearb. Übers., Vorw. und Reg. von Dieter Kartschoke, Berlin/New York 1989.

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Tabellen Tabelle 1: Vergleich der Festbilder des Kalenderteils Monat

Elisabethpsalter

Landgrafenpsalter1

Januar

fol. 1v, Steinigung des Stephanus (oben) Pfeilmarter des Sebastianus (unten)

fol.1v, Apostel Paulus

Februar

fol. 2r, Agatha (oben) Schlüsselübergabe an Petrus (unten)

fol.2r, Matthias

März

fol. 2v, Kreuztragung Christi (oben) Kreuzigung Christi (unten)

fol.2v, Johannes

April

fol. 3r, Noli me tangere (oben) Thomaszweifel (unten)

fol.3r, vermutl. Philippus

Mai

fol. 3v, Walburga, Philippus und Jakobus minor (oben) Johannes in siedendem Öl (unten)

fol.3v, vermutl. Jacobus minor

Juni

fol. 4r, Kreuzigung Petri (oben) Enthauptung Pauli (unten)

fol.4r, Petrus

Juli

fol. 4v, Margareta bezwingt den Teufel (oben) Enthauptung des Jakobus maior (unten)

fol.4v, Jacobus maior

August

fol. 5r, Martyrium des Laurentius (oben) Schindung des Bartholomäus (unten)

fol.5r, Bartholomäus

September fol. 5v, Heraklius mit dem Kreuz Christi (oben) Michaels Drachenkampf (unten) Oktober

fol.5v, Matthäus

fol. 6r, Dionysius trägt sein Cranium zum Altar (oben) fol. 6r, vermutl. Simon Selbstbestattung des Severus (unten)

November fol. 6v, Martin teilt seinen Mantel (oben) Kreuzigung des Andreas (unten)

fol.6v, Andreas

Dezember fol. 7r, Nikolaus und die drei Scholaren (oben) Nativität (unten)

fol.7r, Thomas

1 Die namentliche Identifizierung der Apostel folgt den Rekonstruktionen von Kroos, Der Landgrafenpsalter – kunsthistorisch betrachtet, S. 92–97.

244

Tabellen

Tabelle 2: Vergleich der Illuminationsprogramme des Psalmenteils Psalm Elisabethpsalter 1

Ganzseitige Initiale ‹B(eatus)› (fol.14v)

Landgrafenpsalter Ganzseitige Initiale ‹B(eatus)› (fol.8v)

26

Halbseitige Initiale ‹D(ominus)›: Heilung des Ganzseitige Miniatur: Taufe Christi (fol. 31v) Elfzeilige Initiale ‹D(ominus)› (fol. 32r) Blindgeborenen (fol.34r)

38

Halbseitige Initiale ‹D(ixi)› mit Hiob, von sei- [Blattverlust mit Miniatur?] Zwölfzeilige ner Frau verspottet, mit drei Freunden Initiale ‹D(ixi)› (fol.46r) (fol. 47r)

51

Ganzseitige Miniatur: thronende Madonna [Ganzseitige Miniatur fehlt: Blattverlust zwischen fol. 58 und 59, mit Textverlust] mit Christuskind (fol.59v) Ganzseitige Initiale ‹Q(uid)› mit Kampfszenen Zwölfzeilige Initiale ‹Q(uid)› (fol.59r) r (fol. 60 )

52

Siebenzeilige Initiale ‹D(ixit)› (fol.61r)

68

Halbseitige Miniatur mit Christus am See Ti- Ganzseitige Miniatur: Kreuzigung (fol. 73v) berias über achtzeiliger Initiale ‹S(alvum)› Zwölfzeilige Initiale ‹S(alvum)› (fol.74r) (fol. 73r)

Sechszeilige Initiale ‹D(ixit)› (fol. 60r)

80

Halbseitige Miniatur, rechts mit Jakob, der Ganzseitige Miniatur: Höllenfahrt (fol.91v) Joseph zu seinen Brüdern schickt, links den Zwölfzeilige Initiale ‹E(xultate)› (fol.92r) Brüdern, die Joseph sein Gewand rauben, über siebenzeiliger Initiale ‹E(xultate)› (fol. 88r)

97

Sechszeilige Initiale ‹C(antate)› auf quadrati- Sechszeilige Initiale ‹C(antate)› (fol. 107r) schem Grund (fol. 101r)

101

Ganzseitige Miniatur, mit Christus im Haus Ganzseitige Miniatur: Himmelfahrt (fol. 109v) des Pharisäers (oben), und dem Gleichnis vom Zwölfzeilige Initiale ‹D(omine)› (fol.110r) Pharisäer und dem Zöllner (unten) (fol.103v) Ganzseitige Initiale ‹D(omine)› (fol. 104r)

109

Ganzseitige Miniatur mit der Marienkrönung Ganzseitige Miniatur: Pfingsten (fol.124v) (oben) und dem Marientod (unten) (fol.117v) Zwölfzeilige Initiale ‹D(ixit)› (fol.125r) Ganzseitige Initiale ‹D(ixit)› (fol.118r)

113

Ganzseitige Miniatur mit den Juden, die von den Ägyptern Geschenke erhalten (oben) und dem Untergang des Pharao und seines Heeres im roten Meer (unten) (fol.120v) Initiale ‹I(n)› als Teil des den Text umgebenden Rahmens mit Fronarbeiten der Juden, dem Auftrag Gottes an Moses und Aaron, der Frosch- und der Heuschreckenplage (fol.121r)

119

Ganzseitige Miniatur mit Maria und Martha Ganzseitige Miniatur: Jüngstes Gericht vor Christus (oben) und der Auferweckung (fol.139v) Sechszeilige Initiale ‹A(d)› (fol. 140r) des Lazarus (unten) (fol.132v)

136

Ganzseitige Miniatur mit der Fortführung der gefangenen Juden (oben) und deren Babylonisches Exil (unten) (fol. 139v)

150

Halbseitige Miniatur mit König David und seinen Musikanten (fol. 149r)

245

Tabellen

Tabelle 3: Vergleich der Illuminationsprogramme des Gebetsanhangs Seite

Elisabethpsalter

Seite

Landgrafenpsalter

fol.158r Halbseitige Miniatur zum Canticum Dn 3,57–88: Die drei Jünglinge im Feuerofen



fol.159r Halbseitige Miniatur zum Te deum: Taufe des Augustinus



fol.160v Ganzseitige, zweiregistrige Miniatur zum Totenoffizium: Jüngstes Gericht mit Deesis (oben), Jüngstes Gericht mit den Verdammten und Seligen

[zum Totenoffizium siehe unten, fol.176v: Paradiesdarstellung]

fol.165r Halbseitige Miniatur zum Symbolum Quicumque: Papst Sylvesters Disputation mit den Juden und die Erweckung des Stiers



fol.167v Ganzseitige Miniatur mit dem Gnadenstuhl und der Abbildung des Landgrafenpaars

fol.172v Ganzseitige Miniatur mit dem Gnadenstuhl

fol.168r Beginn der Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit Deesis und Engelschören

fol.173r Beginn der Allerheiligenlitanei: Maria und Johannes

fol.168v Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit 12 Aposteln

fol.173v Allerheiligenlitanei: Zwei Ritterheilige

fol.169r Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit Märtyrern

fol.174r Allerheiligenlitanei: Zwei Märtyrerinnen

fol.169v Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit Bekennern

fol.174v Fürbitten: Hermann I. von Thüringen und seine Gemahlin Sophia

fol.170r Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit Jungfrauen

fol.175r Fürbitten: Zwei geistliche Fürsten mit dem Agnus Dei

fol.170v Allerheiligenlitanei: Miniaturenrahmen mit dem Kampf der Engel gegen den Drachen der Apokalypse und seine Anhänger

fol.175v Fürbitten: König Andreas II. von Ungarn und seine Gemahlin Gertrud

fol.171r Agnus Dei: Miniaturenrahmen mit dem Agnus Dei und jenen, die es anbeten: Kleriker, Adlige und am unteren Bildrand das Landgrafenpaar

fol.176r Fürbitten: König Otakar I. von Böhmen und seine Gemahlin Konstanze

fol.172v Zwei Drittel der Seite einnehmende Miniatur zum Canticum des Simeon ‹Nunc dimittis› (Lc 5,29–32): Darbringung im Tempel

fol.176v Ganzseitige Miniatur zu Beginn des Totenoffiziums: Paradiesdarstellung mit Lazarus in Abrahams Schoß

fol.173r Ganzseitige zweiregistrige Miniatur mit Vita activa und Vita contemplativa (oben) und Gregor dem Großen und seinem Schreiber (unten)



Abbildungen Verzeichnis

1. Landgrafenpsalter, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB II 24, Sophia und Hermann I. von Thüringen, Landgrafenpsalter, fol. 174v. 2. Zwei geistliche Fürsten, Landgrafenpsalter, fol. 175r. 3. Gertrud und Andreas II. von Ungarn, Landgrafenpsalter, fol. 175v. 4. Otakar von Böhmen und Konstanze, Landgrafenpsalter, fol. 176r. 5. Elisabethpsalter, Cividale del Friuli, Museo archeologico nazionale, Ms CXXXVII , Einband: Vorderseite mit Kreuzigung. 6. Einband des Elisabethpsalters: Rückseite mit Löwe und Greif. 7. Monat Januar, Elisabethpsalter, fol. 1v. 8. Monat Juni, Elisabethpsalter, fol. 4r. 9. Monat November, Elisabethpsalter, fol. 6v. 10. Monat Februar, Elisabethpsalter, fol. 2r. 11. Kreuzabnahme und Grablegung, Elisabethpsalter, fol. 11r. 12. Blindenheilung, Elisabethpsalter, fol. 34r. 13. Hiob, Elisabethpsalter, fol. 47r. 14. Lazarus von Bethanien, Elisabethpsalter, fol. 132v. 15. Babylonisches Exil, Elisabethpsalter, fol. 139v. 16. Monat März, Elisabethpsalter, fol. 2v. 17. Gnadenstuhl, Elisabethpsalter, fol. 167v. 18. Anbetung des Agnus Dei, Elisabethpsalter, fol. 171r. 19. Vita activa und Vita contemplativa mit Gregor dem Großen, Elisabethpsalter, fol. 173r.

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