Eine Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht mit besonderen Bezügen zum Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft [1 ed.] 9783428588268, 9783428188260

Die Arbeit untersucht das Verhältnis von Demokratie und Kartellrecht und fragt nach dessen Potenzial, die Demokratie zu

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German Pages 214 [215] Year 2023

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Eine Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht mit besonderen Bezügen zum Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft [1 ed.]
 9783428588268, 9783428188260

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Internetrecht und Digitale Gesellschaft Band 46

Eine Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht mit besonderen Bezügen zum Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft

Von

Miriam Stall

Duncker & Humblot · Berlin

MIRIAM STALL

Eine Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht mit besonderen Bezügen zum Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft

Internetrecht und Digitale Gesellschaft Herausgegeben von

Dirk Heckmann

Band 46

Eine Untersuchung des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht mit besonderen Bezügen zum Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft

Von

Miriam Stall

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 2363-5479 ISBN 978-3-428-18826-0 (Print) ISBN 978-3-428-58826-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Als externe Doktorandin habe ich sie zu einem großen Teil von Düsseldorf aus verfasst. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Fabian Wittreck, danke ich herzlich für seine Aufgeschlossenheit gegenüber meinem Forschungsthema und für seine wissenschaftliche Offenheit bei der Betreuung meiner Arbeit. Frau Prof. Pohlmann danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Mein Dank gilt ebenfalls Herrn Prof. Dirk Heckmann für die Aufnahme des Werkes in diese Schriftenreihe. Ich danke auch Frau Petra Fentner. Meinen Eltern Ursula Stall und Ulrich Blotevogel danke ich von Herzen dafür, dass sie mich immer und in jeder Hinsicht unterstützt und auch dieses Projekt von Beginn an begrüßt haben. Ohne ihre Unterstützung hätte ich diese Arbeit weder begonnen, noch die Zeit des Schreibens – trotz aller ­Herausforderungen – als so schön und bereichernd empfunden, wie ich es durfte. Ausdrücklich möchte ich ihnen für ihr vieles Zuhören danken. Ihnen ist die Arbeit gewidmet. Mein großer Dank gilt Moritz Wiechmann. Er hat meine Freude an diesem Projekt auch während der Zeit der Fertigstellung der Arbeit stets aufrecht­ erhalten. Düsseldorf, im Januar 2023

Miriam Stall

Inhaltsverzeichnis

Einleitung 

17

A. Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Gang der Untersuchung/Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Erstes Kapitel

Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht 

19

A. Wettbewerbsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Der Wettbewerb ist als solcher geschützt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Wettbewerbsschutz als politische Entscheidung oder als Vorgabe durch das Grundgesetz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes . . . . . . . . . . II. Wirtschafts- und wettbewerbsrelevante Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundgesetzlicher Institutsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Demokratieprinzip und Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfordert das Demokratieprinzip – im ersten Zugriff – einen wettbewerblichen Markt/ein bestimmtes Wirtschaftssystem? . . . . . . . . . . 2. Das Sozialstaatsprinzip und das Wirtschaftssystem . . . . . . . . . . . . . . IV. Weiterer Kartellrechtsbezug des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verankerung des EU-Kartellrechts im Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Weiterer Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 23 25 26 27 28 28 30 31 31 32 33

C. Die Ziele des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Wohlfahrtsorientierung im ökonomischen Sinne als sogenanntes ökonomisches Ziel des Kartellrechts generell und des § 19 GWB speziell . 35 II. Der more economic approach als Wegbereiter für ökonomische Wohlfahrtsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Weitere „ökonomische“ Ziele des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 IV. Schutz des Wettbewerbs als solchem/Institution/Prozess . . . . . . . . . . . . 40 1. Die Verwirklichung von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Konsumentenwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

8 Inhaltsverzeichnis 3. Entmachtungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 D. These: Demokratieschutz als Grund/Ziel des Kartellrechts/des Schutzes vor privater Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Zweites Kapitel

Ordoliberalismus, Freiburger Schule und soziale Marktwirtschaft 

A. Demokratiebezüge als Anhaltspunkte für die Ergiebigkeit der These . . . . . . . I. Die Literatur des Ordoliberalismus enthält Bezüge zur Demokratie . . . 1. Keine Vereinbarkeit von Demokratie und Planwirtschaft . . . . . . . . . 2. Unvereinbarkeit von Demokratie und privater Macht im Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Gesetzesbegründung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält Bezüge zur Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einordnung der Stellungnahme der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Freiburger Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der wirtschaftsgeschichtliche Kontext der Freiburger Schule . . . . . . . . 1. Staatliche Macht greift nach der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Private Macht in der Weimarer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein unmittelbarer Einfluss von Kartellen/privaten Machtkonzen­ trationen auf die Machtergreifung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Möglichkeit des mittelbaren Einflusses von Kartellen/privaten Machtkonzentrationen auf die Machtergreifung  . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nachkriegszeit: der Kontext von Entflechtung und Dekartellisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 45 45 46 47 49 51 52 53 53 55 55 57 57 58 59 61 62

C. Die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 D. Wiederentdeckung der Wurzeln des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Amerikanisches Antitrust-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aktuelle Debatte auch in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Empirische Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64 64 65 67

E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 F. Exkurs: Biographisches zu Eucken und Böhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Walter Eucken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 II. Franz Böhm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Inhaltsverzeichnis9 Drittes Kapitel

Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit 

71

A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts . . . . . . . . . 71 I. Wettbewerb als Mittel zu einem höheren Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Trennung in ökonomische und außerökonomische Mittel mit Blick auf die Verwirklichung einer freiheitlichen Demokratie . . . . . . . . . . . . . 73 III. Inkurs: Ökonomische Vorteile als Mittel der gesellschaftlichen und politischen Stabilität und der Akzeptanz des Wirtschaftssystems . . . . . 74 IV. Wettbewerb als Instrument und Freiheit als Ziel beziehungsweise Wert der Wettbewerbspolitik und des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Internationale Relevanz der Wettbewerbsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Die Freiheit des Wettbewerbs: Unterschiedlicher Blick verschiedener Disziplinen auf die Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Rechtspolitische Ziele und Rechtsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4. Die Wettbewerbsfreiheit in Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Die Ursprünge der Wettbewerbsfreiheit: Die Freiheit in der klassischen Nationalökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Früher Ordoliberalismus − Das „Programm der Freiheit“ . . . . . . 82 aa) Freiheit von privater Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Die wirtschaftliche Freiheit als Teil einer übergreifenden Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Wettbewerbsfreiheit als bedeutendes Element im Denken v. Hayeks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 d) Die Lehre von der Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 V. Konsumentenwahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 VI. Die zentrale Rolle der Freiheit in der „Sozialen Marktwirtschaft“ . . . . 90 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 VIII. Fortdauernde Relevanz des gesellschaftspolitischen Hintergrundes der Wettbewerbsfreiheit heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IX. Gesellschaftspolitischer Hintergrund des § 19 GWB . . . . . . . . . . . . . . . 95 X. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 B. „Die“ Freiheit als mögliches verbindendes Element von Wettbewerb und Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Viertes Kapitel

Demokratie 

98

A. Demokratiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 I. Annäherung an den Demokratiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 II. Wortbedeutung – Demokratie ist Volksherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

10 Inhaltsverzeichnis III. Konturierung des Demokratiebegriffes – Demokratie im Grundgesetz . 100 1. Rückführbarkeit staatlicher Gewalt auf das Volk durch den Wahlakt  100 2. Demokratische Repräsentation und der Volkswille . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Die Möglichkeit zur Teilhabe am Prozess der politischen Willens- und Meinungsbildung in der Gesellschaft als Bestandteil der freiheitlichen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5. Gestalt des Prozesses der politischen Meinungs- und Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 7. Die bedeutende Rolle der Kommunikationsfreiheiten für den Prozess der Meinungsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Demokratie und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Die Demokratievorstellung des Grundgesetzes – Demokratiebegründung und die Wertebasis der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Die grundsätzliche Offenheit und Freiheit der demokratischen Willensbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Die Grenzen der demokratischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Demokratiebegründung – Wertebasis von Demokratie . . . . . . . . . . . 110 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Gleiche Freiheit der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 7. Das Individuum als Ausgangspunkt der Demokratie . . . . . . . . . . . . . 113 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Die freiheitliche Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Wertebasis von Demokratie: (individuelle) Freiheit als gemeinsame Wurzel von Demokratie und Liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 IV. Fazit/Zusammenschau: Unterscheidung und Zusammenspiel verschiedener Freiheiten mit Demokratierelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 V. Exkurs: Volkssouveränität und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 C. Demokratie als Instrument zur Verwirklichung von gleicher Freiheit als Parallele zum Wettbewerb als Verwirklichung von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . 119 D. Zwischenergebnis und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Fünftes Kapitel Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb (Zusammenführung) 

123

A. Aspekte der Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb . . . . . . 123 I. Kategorisierung von Ansätzen zum Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerbsschutz anhand des frühen Ordoliberalismus . . . . . . . . 124

Inhaltsverzeichnis11

II.

1. Kein Antidemokratismus bei Eucken beziehungsweise im Ordo­ liberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Dimensionen des Verhältnisses von Demokratie und Wettbewerbsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Die Verbindung der privaten Macht mit dem Staat beziehungsweise mit der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

B. Private Macht und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 I. Private Macht als direkte Gefahr für die Freiheit beziehungsweise die Selbstbestimmung des einzelnen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Parallelen von wettbewerbsbasiertem Marktgeschehen und demokratischem Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Die Ähnlichkeit von politischen Wahlen und Abstimmungen und der „Konsumentensouveränität“/„Konsumentenwahlfreiheit“  128 b) Konsumentensouveränität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Ähnlichkeit mit dem Prozess der Meinungsbildung – Die Entscheidungsfindung auf Basis von Marktinformationen . . . . . 131 2. Die Strukturähnlichkeiten als (bloße) Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . 133 II. Die Freiheit von Macht – die Selbstbestimmung des Individuums in verschiedenen Sphären (privat-wirtschaftlich und politisch-gesellschaftliche Sphäre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Die Privatrechtsgesellschaft, die Vertragsfreiheit und der Wettbewerbsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Vertragsfreiheit und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Die Privatrechtsgesellschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Der Schutz vor privater Macht in der Privatrechtsgesellschaft  . 141 d) Die demokratiespezifische Seite der Gefahr privater Macht in der Privatrechtsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Das verbindende Element: Die individuelle Freiheit des Menschen als Daseinsgrund der Demokratie und als Daseinsgrund des Wettbewerbsmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Aspekt der Freiheit als „Voraussetzung“ von Demokratie . . . . . . . . 150 III. Die Freiheit des Individuums von Macht – die Konsumentenwahlfreiheit und das Ob und Wie der Kaufentscheidung als Ausübung individueller Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Hintergrund der Strukturähnlichkeiten zwischen den demokratischen Vorgängen und den Marktvorgängen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Die Idee der Konsumentenwahlfreiheit/-souveränität und die Verwirklichung individueller Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 4. „Meinungs“bildung am Markt und individuelle Freiheit . . . . . . . . . . 155 IV. Abgrenzung zum Begriff der „Wirtschaftsdemokratie“ . . . . . . . . . . . . . 156 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

12 Inhaltsverzeichnis Sechstes Kapitel

Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft 

158

A. (Wie) spiegeln sich die vorausgegangenen Überlegungen in aktuellen Entwicklungen/Entscheidungen zum Marktmachtmissbrauch im Online-Sektor? . 158 I. Überleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Die Plattformwirtschaft als besonders geeignetes Referenzgebiet für die Ermittlung der rechtspraktischen Relevanz des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Nähere Untersuchung einiger Aspekte der Facebook-Entscheidung (BGH KVR 69/19) und jüngerer Überlegungen aus dem Kontext der Digitalwirtschaft/der Online-Plattformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Hintergrund des Facebook-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Gründe für die Beleuchtung des Facebook-Verfahrens . . . . . . . . . . . 163 II. Das gegenständliche Geschäftsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Der Missbrauch von Marktmacht und die Wahlmöglichkeit des Nutzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 IV. Weitere Aspekte der Argumentation des Bundesgerichtshofs  . . . . . . . . 166 1. Die Wettbewerbsschädlichkeit der Leistungsaufdrängung und die Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 V. Weitere Analyse von Aspekten der Facebook-Entscheidung . . . . . . . . . 168 1. Die Gegenleistung als Stein des Anstoßes bei der fehlenden Wahlmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Die Wahlmöglichkeit in der Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität/ -wahlfreiheit – Bezug zum Hintergrund des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Facebook-Fall als Erscheinungsform eines um sich greifenden Geschäftsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Sammeln und Analysieren von Daten als Quelle massiver finanzieller Gewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verkauf von „Vorhersageprodukte[n]“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Einschränkung der Wahlfreiheit widerspricht der Idee, mit Hilfe des Wettbewerbsmarkts die Freiheit von privater Macht zu verwirk­ lichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Einschränkung der Wahlfreiheit auf erster Stufe und zweiter Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einschränkung der Wahlfreiheit zwischen der Produktnutzung mit und ohne eine intensive Datenverarbeitung als „erste Stufe“ des Geschäftsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

170 170 171 172 174 176 176

Inhaltsverzeichnis13 2. Die Wahlfreiheit hinsichtlich der Datenintensität gehört zur subjektiven Seite des Ob und des Wie der Entscheidung des Marktteilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Hinausdenken über den Facebook-Fall – die „zweite Stufe“ des Geschäftsmodells: Wiederbegegnung mit den analysierten Daten und erneute Einschränkung der Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Das „Entgegentreten“ von Verhaltensdaten als Begegnung mit personalisierter Werbung mit Blick auf den Marktmechanismus auf weiteren Märkten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Beeinträchtigung der Freiheit des individuellen Marktteilnehmers auch auf der zweiten Stufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5. Wahlfreiheit am Markt und Demokratiezusammenhang im Bereich der Plattformökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6. Ausblick auf eine weitere mögliche Ausgestaltung des Entgegentretens – der digitale Assistent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7. Exkurs: das Entgegentreten von Inhalten mit (direkter) Relevanz für die politische Meinungsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 IV. Fazit: Das Kartellrecht als geeignetes Rechtsgebiet zur Eindämmung datenintensiver Geschäftsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 V. Die zehnte GWB Novelle mit Blick auf die Wahlfreiheit der Marktteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Schlussbetrachtung/Schluss/Ergebnisse im Überblick 

191

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht ABIDA Assessing Big Data ABl. Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz ACCC Australian Competition & Consumer Commission AcP Archiv für die civilistische Praxis AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Artt. Artikel (plural) Aufl. Auflage BB Betriebs-Berater Bd. Band BEUC Bureau Européen des Unions de Consommateurs BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BKartA Bundeskartellamt BRD Bundesrepublik Deutschland BT Bundestag BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands d. h. das heißt ders. derselbe dies. dieselben DÖV Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt e. V. eingetragener Verein ebd. ebenda EG Europäische Gemeinschaft Einl. Einleitung

Abkürzungsverzeichnis15 etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EWIR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f. folgende(r) fdGO

freiheitlich demokratische Grundordnung

ff. folgende FIW

Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V.

Fn. Fußnote gem. gemäß grds. grundsätzlich GG Grundgesetz GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR-Prax

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

h. L.

herrschende Lehre

Halbbd. Halbband Hon. Honourable Hrsg. Herausgeber HStR

Handbuch des Staatsrechts

i. d. S.

in dem Sinne

i. S. d.

im Sinne des/der

i. V. m.

in Verbindung mit

insb. insbesondere JUS

Juristische Schulung

JZ Juristenzeitung KJ

Kritische Justiz

Kommission

Europäische Kommission

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

lit. littera m. w. N.

mit weiteren Nachweisen, mit weiterem Nachweis

MA Massachusetts NF

neue Folge

NJOZ

Neue Juristische Online-Zeitschrift

No. Number

16 Abkürzungsverzeichnis NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZKart Neue Zeitschrift für Kartellrecht OECD Organisation of Economic Cooperation and Development OLG Oberlandesgericht P2B Platform to Business RegE Regierungsentwurf RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rn. Randnummer(n) RW Rechtswissenschaftliche Zeitschrift für rechtswissenschaftliche Forschung S. Seite s. siehe s. o. siehe oben s. u. siehe unten SJZ Süddeutsche Juristenzeitung sog. sogenannte(r) SRP Sozialistische Reichspartei u. a. und andere, unter anderem USA United States of America usw. und so weiter UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. von, vom v. a. vor allem vgl. vergleiche Vorb. Vorbemerkung(en) VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer WuW Wirtschaft und Wettbewerb z. B. zum Beispiel ZfP Zeitschrift für Politik ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Einleitung A. Forschungsfrage Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Demokratie und Kartellrecht geht mit der Vorstellung Hand in Hand, die Existenz des Wettbewerbs könne die Demokratie fördern oder zumindest mit der Demokratie in Beziehung stehen und auf sie Einfluss nehmen. Für die hier gestellte Frage der Auswirkung des Phänomens Wettbewerb auf die Demokratie beziehungsweise des Zusammenhanges beider ist demnach auf den Wettbewerb „als solchen“ abzustellen. Thema dieser Arbeit sind aus diesem Grunde die Auswirkungen des – durch das Kartellrecht – vor „Beschränkungen“ geschützten Wettbewerbs (namensgebend für das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen [„GWB“]) auf die Demokratie. Die Idee des Wettbewerbsschutzes basiert auf der zweiseitigen Annahme, dass der Mechanismus des Wettbewerbs sich einerseits ungestört entfalten soll, man sich das Walten des Wettbewerbs auf der anderen Seite aber auch zu Nutzen machen möchte. Anhand der Worte von Franz Böhm, „daß Wettbewerb und Wettbewerb verschiedene Dinge sind“1, nämlich je nachdem, ob er in modifizierender Weise oder als hauptsächliche Kraft in Erscheinung tritt2, kann man sich verdeutlichen, dass unser Untersuchungsobjekt der Wettbewerb ist, der als hauptsächliche Kraft und Grundprinzip3 in Erscheinung tritt.

B. Gang der Untersuchung/Methode Erste Station ist eine kurze Untersuchung der Beziehung zwischen Grundgesetz und Kartellrecht; dies erfolgt zum Einstieg um eine Vorstellung von 1  F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf. Eine Untersuchung zur Frage des wirtschaftlichen Kampfrechts und zur Frage der rechtlichen Struktur der geltenden Wirtschaftsordnung, 1933, Nachdruck, E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), 2010, S. 117. 2  So Böhm, Wettbewerb (Fn. 1), S. 117. 3  Grundlegend zum Wettbewerb als Grundprinzip z.  B. F. Böhm/W. Eucken/ H. Großmann-Doerth, Unsere Aufgabe, 1936, wiederabgedruckt in: N. Goldschmidt/ M. Wohlgemuth (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. (27) 36.

18 Einleitung

etwaigen verfassungsrechtlichen Implikationen zu gewinnen. An zweiter Stelle sollen die Ziele und Wurzeln des Kartellrechts untersucht werden, dies erfolgt stets im Hinblick auf eine mögliche Demokratierelevanz. Im Anschluss wird die Idee der Demokratie auf ihren grundlegenden Aussagegehalt überprüft, insbesondere daraufhin, ob sie über das Erfordernis eines demokratischen Wahlverfahrens hinausgeht. Hierbei wird besonders auf ein „wertebezogenes“ Demokratieverständnis eingegangen. Zum Abschluss der Arbeit wird untersucht, ob sich die Befunde in aktuellen kartellrechtlichen Entwicklungen beziehungsweise Entscheidungen zum Marktmachtmissbrauch spiegeln. Dem Tatbestand des Marktmachtmissbrauchs wird in dieser Arbeit deshalb besondere Aufmerksamkeit zuteil, weil ein Zusammenhang zur Demokratie hier im ersten Zugriff naheliegender ist als bei anderen Tatbeständen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

Erstes Kapitel Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht A. Wettbewerbsschutz I. Der Wettbewerb ist als solcher geschützt Regelmäßig wird im kartellrechtlichen Kontext die Schwierigkeit einer gelungenen Definition des Wettbewerbsbegriffes thematisiert4. Für die Zwecke der folgenden Untersuchung genügt es, Wettbewerb als einen Prozess zu verstehen, bei dem der Erfolg eines Teilnehmers vom Erfolg mit ihm rivalisierender anderer Teilnehmer (Wettbewerber) beeinflusst wird5. Für die Untersuchung der Frage, wie sich der Schutz des wirtschaftlichen Wettbewerbs durch das Kartellrecht im Hinblick auf das Demokratieprinzip verhält, muss eine Annäherung daran erfolgen, worauf das Kartellrecht derzeit mit dem Wettbewerbsschutz abzielt beziehungsweise worauf es abzielen sollte. Wichtig ist es vorab, dass der zu Grunde liegende Gedanke des Schutzes des Wettbewerbs6 von dem Bild einer Einhegung des Wettbewerbs getrennt 4  Siehe beispielhaft. V. Emmerich/K. W. Lange, Kartellrecht, 15. Aufl., 2021, S. 1; I. Schmidt/J. Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 10. Auflage, 2013, S. 3. 5  A. Suchanek, Wettbewerb, in: W. Heun/M. Honecker u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon. Neuausgabe 2006, S. 2697 (2697): „W. [Wettbewerb, Anmerkung der Verfasserin, M.S.] stellt eine grundlegende gesellschaftliche Interaktionssituation dar, in der zwei oder mehr Akteure um die Erlangung von Ressourcen, Positionen, Aufträgen […] rivalisieren. Beispiele lassen sich in allen Bereichen finden: […] Unternehmen [konkurrieren] um Marktanteile“; aus ökonomischer Perspektive: N. G.  Man­ kiw/M. P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 8. Aufl. 2021, S. 64: „Wettbewerb existiert, wenn zwei oder mehr Unternehmen um Konsumenten rivalisieren“; siehe auch die Darstellung bei Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 4), S.  3 f., die für den wirtschaftlichen Bereich die „Existenz von Märkten mit […] mindestens zwei Anbietern oder Nachfragern, […] die sich antagonistisch […] verhalten, d. h., […] ihren Zielerreichungsgrad zu Lasten anderer Wirtschaftssubjekte verbessern wollen“ für maßgeblich halten. 6  Z. B. J. Busche, in: J. Busche/A. Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Bd. I, 2017, §§ 1–34a, § 19 Rn. 4.

20 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

werden muss7, um eine im ersten Zugriff mögliche Verwechselungsgefahr hier von vornherein zu vermeiden. Es geht nicht darum, ein Ausufern des Wettbewerbs im Sinne eines „Zuviels“ an Wettbewerb zu verhindern, sondern eben um den Erhalt des Wettbewerbs – in Gestalt des sogenannten Leistungswettbewerbs8. Sein Gegenstück findet dieser im Nichtleistungswettbewerb. Letzterer ist aber kein Schutzgut, sondern beschreibt vielmehr den Gegenstand, vor dem Schutz geboten werden soll. Trotz obiger Unterscheidung gibt es einen Grund für die gemeinsame Endung der Begriffe: Dem Wettbewerb wohnt eine Tendenz zum Nichtleistungswettbewerb inne9, da die Teilnehmer den Wettbewerb in der Regel als anstrengend10 empfinden. Lieber würden sie umfassenden Gebrauch von ihrer Machtposition machen oder sich dem (Leistungs-)Wettbewerb durch Absprachen entziehen. Mit Blick darauf hat auch die Wendung des Schutzes des Wettbewerbs „vor sich selbst“11 ihre Berechtigung12. Markt und Wettbewerb sind keine Synonyme: Die Existenz eines Marktes ist auch ohne Wettbewerb möglich, denn er definiert sich dadurch, dass Angebot und Nachfrage zu einem bestimmten Preis13 führen. Aus diesem 7  Ein solcher Gedanke basiert auf einer grundlegend anderen Vorstellung von Wettbewerb, nämlich einer Vorstellung, nach welcher nicht der Wettbewerb das Schutzobjekt ist, sondern nach welcher der Staat vor dem Wettbewerb geschützt wird, dazu: E.-J. Mestmäcker, Der verwaltete Wettbewerb, 1984, S. 81; ebenfalls ausführlich dazu und kritisch zu Krügers Staatstheorie: E.-J. Mestmäcker, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, in: H. Sauermann/ders. (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung. Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag, 1975, S. 383 (394 ff., insb. S. 396). 8  Siehe zum Begriff T. Käseberg, in: H.-J. Bunte (Hrsg.), Kartellrecht. Kommentar. Bd. I, Deutsches Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, Einl. Rn. 166: „mit den Mitteln der eigenen Leistung“. 9  Weil dies für sich entziehende Wettbewerber vorteilig sein kann, so auch J.  H. Klement, Wettbewerbsfreiheit. Bausteine einer europäischen Grundrechtstheorie, 2015, S. 79. 10  Von einer „Abneigung gegen den Wettbewerb“ spricht F. A. v. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, S. 15. 11  So formuliert treffend Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 79, der den Aspekt hervorhebt, dass der Wettbewerb vor Veränderung statt vor Abschaffung geschützt wird. 12  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), 2015, S. 80: Wettbewerb sei „nicht in dem Sinne schädlich für sich selbst, dass er sich selbst beenden könnte. Er kann lediglich in neue unerwünschte Formen des Wettbewerbs hinüberführen“; E.-J. Mestmäcker, Wettbewerb (Fn. 7), S. 7: „Wettbewerb [lässt sich] nicht völlig ausschließen“. 13  N. G.  Mankiw/M. P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 6.  Aufl., 2016, S. 57: „Angebot und Nachfrage swind die Triebkräfte für das Funktionieren einer Marktwirtschaft. Sie bestimmen die produzierte Menge eines jeden Gutes und den Marktpreis. […] Ein Markt besteht aus Gruppen potentieller Käufer und Verkäufer“ (Hervorhebung im Original, M.S.).



A. Wettbewerbsschutz21

Grunde ist z. B. ein Markt mit einem Monopolisten zwar ein Markt, auf dem ein Preis mittels des Marktmechanismus zustande kommt, aber er ist kein Markt, auf dem Wettbewerb herrscht14. Beide Mechanismen sind eng verknüpft und der Wettbewerb ist als Steuerrad der Marktwirtschaft vorgesehen15, weshalb die Begriffe Marktwirtschaft16 und Wettbewerb häufig im selben Atemzug17 genannt werden. In dieser Arbeit soll der Fokus auf dem Verhältnis des Demokratieprinzips zum Schutz des Wettbewerbs vor „privater Macht“18 liegen. Das Verhältnis zwischen dem Schutz des Wettbewerbs vor staatlicher Planung und dem Demokratieprinzip ist kein Gegenstand beziehungsweise kein Schwerpunkt dieser Arbeit19.

II. Wettbewerbsschutz als politische Entscheidung oder als Vorgabe durch das Grundgesetz? Vor der Annäherung an den Kern der Forschungsfrage soll der Umkreis der Untersuchung breiter ausgeleuchtet werden und in einer kurzen Darstellung versucht werden, die generellen Schnittstellen von Grundgesetz und Kartellrecht aufzuzeigen – schließlich handelt es sich bei dem Demokratieprinzip um ein Verfassungsprinzip. Es wird vorausgeschickt, dass in diesem Rahmen höchstens angerissen werden kann, ob der Gesetzgeber eine 14  Siehe dazu Mankiw/Taylor, Volkswirtschaftslehre, 2016 (Fn. 13), S. 59: „Einige Märkte haben nur einen einzigen Anbieter“; ausführlich F. Böhm, Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main (Hrsg.), Kartelle und Monopole im modernen Recht, 1961, S. 1 (3 f.). 15  R. Bechtold/W. Bosch, GWB. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. §§ 1–96, 185, 186. Kommentar, 10. Aufl. 2021, Einführung, Rn. 54: „Steuerungsfunktion“. 16  Siehe Fn. 33 zur sozialen Marktwirtschaft. 17  Z. B. wenn C. Kersting/R. Podszun, Die 9. GWB-Novelle. Kartellschadensersatz – Digitale Ökonomie – Fusionskontrolle – Bußgeldrecht – Verbraucherschutz, 2017, Vorwort, den Wettbewerb bildhaft als „Schrittmacher der Marktwirtschaft“ bezeichnen. 18  Der Ausdruck „private Macht“ erhielt durch die Freiburger Schule (s. u. Abschnitt B.I Freiburger Schule) seine Prägung und betrifft den wirtschaftlichen Kontext eher als den genuin privaten Kontext, „private Macht“ ist in Abgrenzung zur staat­ lichen Macht zu verstehen, repräsentativ für den Begriffsgebrauch: F. Böhm, Das Problem der privaten Macht. Ein Beitrag zur Monopolfrage (1928), in: E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Franz Böhm. Reden und Schriften, 1960, S. 25 (44). 19  Der Schutz des Wettbewerbs vor staatlicher Planung wird in dieser Arbeit nur angesprochen soweit dies die Untersuchung des Verhältnisses von privater Macht und Demokratieprinzip erleichtert, siehe Zweites Kapitel A.I.1.; siehe auch Fn. 562.

22 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

Entscheidung für den Schutz des Leistungswettbewerbs aus verfassungsrechtlichen Gründen treffen musste. Gleiches gilt für die Frage, ob beziehungsweise wie sich die grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit mit der kartellrechtlichen Wettbewerbsfreiheit deckt20. In der Tat ist die Beschäftigung mit dem Verhältnis von Grundgesetz und Kartellrecht ein weites Feld, und schon Rupp stellt fest, dass man sich als Verfassungsrechtler hierbei inmitten eines „Strudel[s] grundsätzlicher Kontroversen“21 befindet. Für die Frage des Zusammenhangs von Demokratie und Kartellrecht – im Rahmen dieser Arbeit vor allem in Gestalt des kartellrechtlichen Marktmachtmissbrauchsverbots – wird zunächst untersucht, ob die Entscheidung für das Prinzip Wettbewerb, in Form des Leistungswettbewerbs, sich bereits aus dem Grundgesetz, eventuell gerade mit Blick auf das Demokratieprinzip, ergibt. Andernfalls wäre es denkbar, dass der Gesetzgeber und die Politik ein Wirtschaftssystem aus dem Spektrum möglicher Systeme auswählen beziehungsweise entwickeln, welches nicht auf dem Prinzip des Leistungswettbewerbs basiert. Es wird hier nicht der Versuch vorgenommen, diese aufgeworfene Frage abschließend zu beantworten, dennoch ist sie auf dem Weg zur Untersuchung eines Demokratiekonnexes22 des Kartellrechts fruchtbar, namentlich hinsichtlich der später untersuchten Wertebasis von Demokratie (siehe Viertes Kapitel).

B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB)in Deutschland Der Begriff der Wirtschaftsverfassung wird einerseits ohne konkreten Bezug zum Verfassungsrecht im Sinne einer Basis für das Wirtschaftsleben, für das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verwendet23, häufig aber 20  Hierzu führt die umfassende Untersuchung Klements weiter, der zwar das Hauptaugenmerk auf eine „europäische Grundrechtstheorie“ legt, Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 301 f.; teilweise aber auch die nationale grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit in seine Untersuchung aufnimmt, Klement, Wettbewerbsfreiheit, ebd., S.  203 ff. 21  H. H. Rupp, Verfassungsrecht und Kartelle, in: E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerb als Aufgabe, 1968, S. 187 (189), er benennt einzelne Problemkreise dort auch näher, z. B. die „Drittwirkung der Grundrechte“. 22  Formulierung in Anlehnung an E. Deutscher/S. Makris, Exploring the Ordoliberal Paradigm: The Competition-Democracy Nexus, Competition Law Review 11 (2016), S. 181 (186). 23  Die weite Verbreitung dieser Bezeichnung für das GWB wird beispielhaft deutlich bei: Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), Einl. Rn. 122: „GG der sozialen Marktwirtschaft ist das GWB“ (Hervorhebung im Original, M.S.); Kersting/Podszun, 9. GWB-Novelle (Fn. 17), Vorwort: sie befürworten die Bezeichnung des GWB als



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 23

auch im Sinne einer Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes24 als „Sammelname für die Verfassungsnormen, die für die Ordnung und den Ablauf des wirtschaftlichen Prozesses wesentlich und dauerhaft maßgebend sind“25. Es kann demnach grundsätzlich eine Verwendung des Begriffes im grundgesetzlichen Kontext von einer Verwendung ohne konkreten Grundgesetzbezug unterschieden werden26.

I. Keine wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes Prominentes Schlagwort mit Blick auf das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung ist jenes der sogenannten wirtschaftspolitischen Neu­ tralität27 des Grundgesetzes. Der schlagwortartige Gebrauch des Ausdrucks seit seinem Auftauchen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Investitionshilfegesetz ist aber nicht treffend28. So geht denn auch die „Grundgesetz der Marktwirtschaft“; zur Begriffsverwendung in der Nationalökonomie siehe E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I, 2. Aufl. 1953, S. 21; beispielhaft wohl W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. 1990, S. 254; siehe zum Begriff auch Mestmäcker, Wirtschaftsordnung (Fn. 7), S. 419, der betont, dass bei Böhm „mit dem Begriff der Wirtschaftsverfassung kein Verfassungsrang für einfache Gesetze terminologisch erschlichen wird“; ergänzend zum Konfliktpotential allein der Fragestellung des Verhältnisses von Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung: Mestmäcker, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 385. 24  In diesem Zusammenhang taucht der Begriff auf, bei: U. Di Fabio, in: R. ­Herzog/ R. Scholz/M. Herdegen/H. H. Klein (Hrsg.), Dürig/Herzog/Scholz. Grundgesetz. Kom­ mentar, Art. 2 I (2001) Rn. 76; eingehend zur Verwendung des Begriffes K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 1. Halbbd., 1988, S. 880 ff., § 68 VII 3. 25  So erklärt den Begriff: P. Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, S. 10, er bietet zudem eine verschärfte Definition des Begriffes an, im Sinne einer „prinzipielle[n] Entscheidung [des Grundgesetzes, Anmerkung der Verfasserin, M.S.] über die verfassungsrechtlich gebotene Wirtschaftsordnung“. Dieser Version ordnet er Nipperdey als Vertreter zu, weil dieser die These vertrete, „das Grundgesetz [habe] die ‚soziale Marktwirtschaft‘ verfassungsrechtlich institutionalisiert“; für die Verwendung des Begriffes „Wirtschaftsverfassung“ im grundgesetz­ lichen Sinne durch Nipperdey, siehe beispielhaft H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 2. Aufl. 1961, S. 14. 26  Siehe auch C. Tsiliotis, Der verfassungsrechtliche Schutz der Wettbewerbsfreiheit und seine Einwirkung auf die privatrechtlichen Beziehungen, 2000, S. 32 f., der für diese Unterscheidung die Begriffe Wirtschaftsverfassung im engeren Sinne und im weiteren Sinne verwendet; siehe auch E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I (Fn. 23), S. 27 f., der zwischen Wirtschaftsverfassung im formellen Sinne und im materiellen Sinne unterscheidet. 27  BVerfGE 4, 7 (17 f.) – Investitionshilfegesetz. 28  Ähnlich R. Zippelius/T. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018, S. 369, welche die Formulierung für „mißverständlich“ halten und betonen, dass in wirtschaftlicher Hinsicht natürlich kein „verfassungsfreier Raum“ vorliegt.

24 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

Bedeutung des Grundgesetzes für die Wirtschaftspolitik aus der Entscheidung deutlich hervor; es folgt ein Zitat aus der Entscheidung zum Investi­ tionshilfegesetz: „Die ‚wirtschaftspolitische Neutralität‘ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber [sic] die ihm jeweils sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grund­ gesetz beachtet.“29

Die Bedeutung des Grundgesetzes für die Wirtschaftspolitik wird auch im Apothekenurteil30 und im Mitbestimmungsurteil31 des Bundesverfassungsgerichts wiederaufgegriffen. Zur Veranschaulichung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde später statt von der wirtschaftspolitischen Neutralität vermehrt von einer „Offenheit“32 des Grundgesetzes gesprochen. Mit Blick auf das bisher Gesagte wird heute demnach zwar nicht davon ausgegangen, dass das Grundgesetz „die“ soziale Marktwirtschaft33 vor29  BVerfGE 4, 7 (17 f.) – Investitionshilfegesetz (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 30  BVerfGE, 7, 377 (400) – Apotheken: „Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch in dem Sinn neutral, daß der Gesetzgeber jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte, beachtet (BVerfGE 4, 7 [17 f.]).“; dazu schon Nipperdey, Marktwirtschaft (Fn. 25), S. 15, der dem letzten Satzteil als „den Vordersatz […] para­ lysierende[n] Einschränkung“ (Hervorhebung im Original, M.S.) besonderes Gewicht zuschreibt. 31  BVerfGE 50, 290 (338) – Mitbestimmung: „Allerdings darf die Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht zu einer Verkürzung dessen führen, was die Verfassung in allem Wandel unverändert gewährleisten will, namentlich nicht zu einer Verkürzung der in den Einzelgrundrechten garantierten individuellen Freiheiten, ohne die nach der Konzeption des Grundgesetzes ein Leben in menschlicher Würde nicht möglich ist. Die Aufgabe besteht infolgedessen darin, die grundsätzliche Freiheit wirtschafts- und sozialpolitischer Gestaltung, die dem Gesetzgeber gewahrt bleiben muß, mit dem Freiheitsschutz zu vereinen, auf den der einzelne Bürger gerade auch dem Gesetzgeber gegenüber einen verfassungsrechtlichen Anspruch hat (BVerfGE 7, 377 [400]).“ 32  Der Ausdruck der „relativen Offenheit“ geht ebenfalls zurück auf: BVerfGE, 50, 290 (338) – Mitbestimmung: „das Element relativer Offenheit der Verfassungsordnung ist notwendig, um einerseits dem geschichtlichen Wandel Rechnung zu tragen, der im besonderen Maße das wirtschaftliche Leben kennzeichnet, andererseits die normierende Kraft der Verfassung nicht auf [sic] Spiel zu setzen“; siehe auch Tsiliotis, Schutz (Fn. 26), S. 38, der die Idee der relativen Offenheit als h. L. bezeichnet; siehe exemplarisch die ähnliche Formulierung bei Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76: „wirtschaftliche […] Offenheit des Grundgesetzes“. 33  Ausführlich zur sozialen Marktwirtschaft: R. Blum, Soziale Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitik zwischen Neoliberalismus und Ordoliberalismus, 1969, S. 94 ff.; siehe näher zur sozialen Marktwirtschaft auch Drittes Kapitel.



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 25

schreibt34, andererseits aber auch nicht davon, dass es sich neutral35 zu politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Wirtschaftssystems verhält36.

II. Wirtschafts- und wettbewerbsrelevante Grundrechte Obwohl das Grundgesetz kein bestimmtes Wirtschaftssystem explizit vorschreibt37 (s. o.), wird davon ausgegangen, dass weder eine „reine“ Marktwirtschaft noch eine „reine“ Planwirtschaft38 grundgesetzkonform sind39. Aufgrund dieser Erkenntnis kann die Frage aufkommen, der hier kurz nachgegangen werden soll, ob die Grundrechte das Spektrum möglicher Wirtschaftssysteme auf ein (leistungs-)wettbewerbsbasiertes marktwirtschaft­ liches System verengen. Dass eine sogenannte „reine Planwirtschaft“40 nicht grundgesetzkonform ist, wird mit den Grundrechten, allen voran Art. 2 I GG41 und Artt. 9, 12, 14 GG begründet42. 34  Siehe als prominenten Vertreter dieser These Nipperdey, Marktwirtschaft (Fn. 25), S. 14: die „im Grundgesetz, namentlich in den Grundrechten, wirtschaftsverfassungsrechtliche[n] Grundprinzipien […] [ergeben] ein bestimmtes Wirtschaftssystem, nämlich das der sozialen Marktwirtschaft“. 35  So aber vertreten von H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVBl, 1951, S. 361 (367), der den Schluss zieht: „Die Entscheidung des GG. [sic] über die Wirtschaftsverfassung ist eine grundsätzliche Nicht-Entscheidung. Hieraus ergab [sic] sich, daß wirtschaftspolitische Maßnahmen nicht als Verwirklichung einer bestimmten Wirtschaftstheorie […] erfolgen dürfen.“ 36  Zur Debatte um die Wirtschaftsverfassung siehe Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn.  76, m. w. N.; Stern, Staatsrecht III, 1 (Fn. 24), S. 880 ff., § 68 VII 3. 37  Dazu z. B. Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76, m. w. N.; Käseberg, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 8), Einl., Rn. 121; dazu bildhaft schon Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. I (Fn. 23), S. 30: „Bekanntlich ist das Bonner Grundgesetz durch eine eigentümliche Enthaltsamkeit in den Fragen des Wirtschaftsverfassungsrechts gekennzeichnet.“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 38  Diese Begrifflichkeiten können variieren, Käseberg, Bunte, Kartellrecht  I (Fn. 8), Einl. Rn. 121, verwendet im hiesigen Kontext z. B. das Gegensatzpaar: „ ‚reine‘ Marktwirtschaft […] ‚reine‘ Zentralverwaltungswirtschaft“; bzw. Käseberg, Bunte, Kartellrecht I, ebd., Einl. Rn. 119: „rein individualistische wie […] rein kollektivistische Wirtschaftsordnung“; in dieser Arbeit sollen sie als Außenflanken im Spektrum denkbarer Wirtschaftssysteme verstanden werden; siehe auch G. Lautner, Die freiheitliche demokratische Grundordnung, 1982, S. 66, der hier die Begriffe „ ‚laisser[sic]-faire‘-Marktwirtschaft“ und „Zentralverwaltungswirtschaft“ benutzt. 39  Als unstreitig bezeichnet dies: Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76, m. w. N. 40  Die „Zentralplanwirtschaft“ wird von F. Böhm, Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Recht der Ordnung der Wirtschaft (1957), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 18), 1960, S. 158 (172) dahingehend beschrieben, dass ein „oberste[r] Wille[ns]“ herrscht. 41  Dass Art. 2 I GG grds. für die Rechtmäßigkeit von Marktordnungen Relevanz zukommt, ergibt sich schon aus BVerfGE 18, 315 (327) – Marktordnung; siehe auch

26 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

1. Die Wettbewerbsfreiheit Dass „die Wettbewerbsfreiheit“ ein Grundrecht darstellt ist Konsens43. Schwieriger gestaltet sich allerdings deren Charakter und Verortung. Die Wettbewerbsfreiheit ist ein unbenanntes Freiheitsrecht44. Teilweise wird angenommen, dass deren Schutzbereich auf mehrere Grundrechte (namentlich Artt. 5, 9, 12, 14 GG45) verteilt ist46. Die wirtschaftliche Handlungsfreiheit ist Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 I GG47. Auch die Wettbewerbsfreiheit wird grundsätzlich hier verortet48. Nach den Umständen des Einzelfalles bzw. bei „berufsregeln-

H. D. Jarass, in: ders./M. Kment, Jarass/Pieroth. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Kommentar, 16. Aufl. 2020, Art. 2 Rn. 25; siehe auch K.-H. Fezer, Homo Constitutionis – Über das Verhältnis von Wirtschaft und Verfassung, in: JuS 1991, S. 889 (892), der die Wettbewerbsfreiheit als „Erscheinungsweise[n] des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ansieht. 42  Statt vieler Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), Einl. Rn. 121, der als wirtschaftsrelevante Grundrechte zudem noch Artt. 11 und 15 GG nennt und auch auf wirtschaftlich relevante grundgesetzliche Bestimmungen abseits der Grundrechte eingeht, z.  B. Art. 74 I Nr. 16 GG (Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung); Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76, der feststellt, dass „wegen der grundlegenden Freiheitsidee des Art. 2 Abs. 1 GG insbesondere im Zusammenspiel mit der Berufsfreiheits- und Eigentumsgarantie eine staatliche Kommandowirtschaft sozialistischer oder national-autarkistischer Provinienz mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre.“ 43  Z. B. H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 2 I Rn. 36: „Als nicht immer überschneidungsfrei definierbare Teilgehalte der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit gelten die Unternehmerfreiheit […] sowie die Wettbewerbsfreiheit (als Freiheit zur ‚Teilhabe am Wettbewerb nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen‘ [BVerfGE 105, 252 (265), Anmerkung der Verfasserin, M.S.])“, m. w. N. (Hervorhebungen im Original, M.S.). 44  Zur Einordnung der Wettbewerbsfreiheit als Innominatfreiheitsrecht, Dreier (Fn. 43), Art. 2 I Rn. 50. 45  Deutlich zur Bedeutung von Art. 14 GG z.  B. O. Depenheuer/J. Froese, in: P. M. Huber/A. Voßkuhle (Hrsg.), v. Mangoldt/Klein/Starck. Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 7. Aufl. 2018, Art. 14 Rn. 9, die in den „Gewährleistungen des unternehmerisch genutzten Eigentums […] Grundfesten einer Wirtschaftsordnung […], die einen staatsunabhängigen Marktmechanismus mit – freiem – Wettbewerb konstituieren und garantieren“, sehen (Hervorhebungen im Original, M.S.), m. w. N. 46  Tsiliotis, Schutz (Fn. 26), S. 119 f.; zur Anwendbarkeit des Art. 2 I GG, Tsiliotis, Schutz, ebd., S. 120 ff. 47  S. Rixen, in: M.  Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 9.  Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 54; Tsiliotis, Schutz (Fn. 26), S. 34. 48  So Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 Rn. 116, welcher der weitgehenden Auffassung ist: „Freier Markt und Leistungswettbewerb sind als Institution durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.).



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 27

der Tendenz“ erfolgt allerdings häufig eine Zuordnung der Wettbewerbsfreiheit zu Art. 12 GG als lex specialis49. Während Di Fabio weitreichend der Auffassung ist, dass Art. 2 I GG für „die Freiheit der Menschen […] ohne grundsätzlich freiheitliche Wirtschaftsordnung Makulatur [wäre]“50, ist Dreier zurückhaltender. So begründet er den Vorteil einer spezialgesetzlichen Verortung der Wettbewerbsfreiheit damit, keine „dem Grundgesetz fremde Vermutung für ein bestimmtes Wirt­ schaftssystem“51 aus Art. 2 I GG entnehmen zu wollen52. Zumindest wegen der Existenz der Berufsfreiheit, der eine „grundsätzliche[n] Freiheitsvermutung“53 entnommen werden kann, wird die Auffassung vertreten: „[a]uch ohne explizite Garantie der Wettbewerbsordnung […] vermittelt im Kranz der wirtschaftl. relevanten Grundrechte namentlich Art. 12 durch Freiheitsschutz […] funktionstypische Elemente einer marktorientierten und wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnung.“54 2. Grundgesetzlicher Institutsschutz Die weiterreichende Frage, ob der Leistungswettbewerb als Institut grundrechtlich geschützt ist oder letztlich nur mittelbar durch die grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit, kann im Rahmen dieser Arbeit offenbleiben55. 49  Siehe beispielhaft BVerfG 32, 311 (317) – Steinmetz: „Die bestehende Wirtschaftsverfassung enthält den grundsätzlich freien Wettbewerb der als Anbieter und Nachfrager auf dem Markt auftretenden Unternehmer als eines ihrer Grundprinzipien. Das Verhalten der Unternehmer in diesem Wettbewerb ist Bestandteil ihrer Berufsausübung“; D. Murswiek/S. Rixen (Fn. 47), Art. 2 Rn. 54; zu den Einzelfällen der Einordnung der Wettbewerbsfreiheit zu Art. 2 I GG oder Art. 12 GG siehe Dreier, (Fn. 43), Art. 2 I Rn. 36, der eine Tendenz zu einer Verortung bei Art. 12 I GG erkennen lässt; siehe auch Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 116, der aufgeschlossener hinsichtlich einer Verortung bei Art. 2 I GG ist. 50  Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76. 51  Dreier (Fn. 43), Art. 2 I Rn. 36. 52  Dreier (Fn. 43), Art. 2 I Rn. 36, Dreier kritisiert hier zwar explizit Di Fabios Ansatz aus Art. 2 I GG, „ein feingesponnenes System von Vorgaben für das Wirtschaftsrecht zu gewinnen“, er bezieht sich dabei aber auf: Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 76 ff. und damit wohl auf dessen konkretere Folgerungen, nicht aber auf Di Fabios allgemeinere Aussage zur grundrechtlichen Verortung der Wettbewerbsfreiheit: Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 116 ff. (auf diese Stelle verweist Dreier sogar explizit). 53  BVerfGE 63, 266 (286). 54  T. Mann, in: Sachs, GG (Fn. 47), Art. 12 Rn. 22 (Hervorhebung im Original, M.S.), m. w. N. 55  Siehe dazu näher die Ausführungen bei Di Fabio (Fn. 24), Art. 2 I Rn. 116: „Freier Markt und Leistungswettbewerb sind als Institution durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.), dies werde dadurch klar, dass der

28 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

Nach dem sogenannten institutionellen56 Verständnis der Grundrechte in der rechtswissenschaftlichen Theorie haben die Grundrechte neben einer individuellen auch eine institutionelle Seite57. Das Grundgesetz enthält Aussagen zum Wirtschaftssystem auch in der Institutsgarantie des Art. 14 GG58; dass der Leistungswettbewerb selbst ein Institut darstellt, lässt sich daraus aber noch nicht entnehmen. Zu trennen ist diese grundrechtsorientierte Vorstellung von der kartellrechtlichen Verwendung des Begriffs des Schutzes des Wettbewerbs als In­ stitution59.

III. Demokratieprinzip und Sozialstaatsprinzip 1. Erfordert das Demokratieprinzip – im ersten Zugriff – einen wettbewerblichen Markt/ein bestimmtes Wirtschaftssystem? Im ersten Zugriff erfordert das Demokratieprinzip kein bestimmtes Wirtschaftssystem. Dass gem. Art. 20 II 1 GG alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, lässt sich denken, ohne dass damit ein Wirtschaftssystem Hand in Hand gehen muss, in welchem ein Schutz des Wettbewerbs vor privater Macht besteht. Das gilt jedenfalls, solange man nur ein Wahlverfahren vor Augen hat, in dem alle staatliche Gewalt auf die Wähler zurückgeführt werden kann, um dem Demokratieprinzip Genüge zu tun. Es wird jedoch bereits hier auf das vierte Kapitel verwiesen, in dem untersucht wird, inwiefern das Demokratieverständnis über diesen Aspekt weit hinausreichen kann. Es kann ein Demokratieverständnis geben, bei dem ein „Verbraucher unter Umständen einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG beanstanden [kann]“; siehe auch Tsiliotis, Schutz (Fn. 26), S. 47. 56  Siehe zum institutionellen Grundrechtsverständnis, das Institutsgarantien und institutionelle Garantien umfasst, I. v. Münch, in: P. Kunig (Hrsg.), v. Münch/Kunig. Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. 2000, Vorb. Art. 1–19 Rn. 23, m. w. N.; sowie I. v. Münch/P. Kunig, in: P. Kunig (Hrsg.), v. Münch/Kunig. Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 6. Aufl. 2012, Vorb. Art. 1–19 Rn. 24. 57  v. Münch (Fn. 56), Vorb. Art. 1–19, Rn. 24, m. w. N. auch zum Begriff des Instituts, auch aus soziologischer Sicht. 58  Von Stern als unstreitig bezeichnet: Stern, Staatsrecht III, 1 (Fn. 24), S. 883, § 68 VII 3. 59  Z. B. Busche (Fn. 6), § 19 Rn. 4: „Schutzobjekt ist insoweit der Wettbewerb als Institution“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); siehe auch J. Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I, 2022 (Fn. 8), § 19 Rn. 11, der das Kartellrecht bzw. namentlich das Missbrauchsverbot als „an der Freiheit von privater Fremdbestimmung orientierten staatlichen Ordnungsrahmen[s]“ beschreibt; zur Institution Wettbewerb als Schutzgut des Kartellrechts siehe näher Fn. 108.



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 29

Augenmerk auf dem Schutz beziehungsweise auf der Verwirklichung freiheitlicher Werte liegt60. Ein solches weitreichenderes Verständnis deutet sich bereits in der Formulierung „freiheitliche demokratische Grundordnung“ in Artt. 18, 21 II GG an. An dieser Stelle sei lediglich darauf verwiesen, dass Lautner in seiner Untersuchung der vom Bundesverfassungsgericht aufgeführten Elemente der freiheitlich-demokratischen Grundordnung61 auf der einen Seite aus diesen Elementen zwar keine unmittelbaren Anhaltspunkte dafür sehen will, „daß die freiheitliche demokratische Grundordnung auf eine konkrete Wirtschaftsordnung hin ausgerichtet ist.“62 Andererseits schließen seiner Ansicht nach die Elemente der freiheitlichdemokratischen Grundordnung aber sowohl eine „Zentralverwaltungswirtschaft“ als auch eine „laissez-faire Marktwirtschaft“ aus63. Unterstellt man dies hier zunächst als zutreffend, schlägt er folgerichtig die folgende Abwandlung des Investitionshilfeurteils (s. o.) zur Verdeutlichung vor, um das Verhältnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bei der politischen Entscheidung für ein Wirtschaftssystem zu beschreiben: „ ‚Die wirtschaftspolitische Neutralität‘ des Grundgesetzes besteht lediglich darin, daß sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber [sic] die ihm jeweils sachgerecht erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen,“64 dann folgt die Abwandlung Lautners: „soweit er (der Gesetzgeber) die Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beachtet.“65

Vereinzelt wird in der verfassungsrechtlichen Literatur ausdrücklich der „Verfassungsgrunds[atz] […] der Demokratie“ zu den „Rahmenbedingungen, 60  Siehe dagegen zur zumindest denkbaren Möglichkeit eines unfreiheitlichen, totalitären Demokratieverständnisses: E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 156; Hoppmann selbst sieht eine „unbeschränkte“ Mehrheitsherrschaft als unvereinbar mit einer freiheitlichen Ordnung bzw. inkompatibel mit dem Begriff der freiheitlich-demokratischen Ordnung an, Hoppmann, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 155. 61  Lautner, Grundordnung (Fn. 38), S. 17  ff., insbesondere S. 33: Betonung der Menschenwürde für die freiheitlich demokratische Grundordnung. 62  Lautner, Grundordnung (Fn. 38), S. 66. 63  Lautner, Grundordnung (Fn. 38), S. 66: eine laissez-faire Marktwirtschaft sieht er aufgrund der Ausrichtung staatlichen Handelns in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung an der Menschenwürde i. V. m. mit dem Sozialstaatsprinzip ohne nähere Begründung als ausgeschlossen an. 64  Bis zu dieser Stelle: BVerfGE 4, 7 (17 f.) – Investitionshilfe. 65  Satzende abgewandelt durch: Lautner, Grundordnung (Fn. 38), S. 66 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.).

30 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

die das Grundgesetz für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung setzt“66, gezählt. 2. Das Sozialstaatsprinzip und das Wirtschaftssystem Eher als das Demokratieprinzip findet allerdings das Sozialstaatsprinzip im Zusammenhang mit der Ordnung der Wirtschaft Erwähnung67. Beispielhaft erfolgt dies bei Fezer, wenn er seine Ablehnung der „Formel von der wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes“68 damit begründet, Vertragsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit seien erforderlich, um – neben den Grundrechten – dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip Rechnung zu tragen69. Auch in dem Zusammenhang, dass eine sogenannte reine Marktwirtschaft als mit dem Grundgesetz inkompatibel angesehen wird (siehe oben), findet teilweise das Sozialstaatsprinzip explizit Erwähnung. Der Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips soll offenbar die Rolle zukommen, die Kluft zwischen dem Grundgesetz und der „reinen“ Marktwirtschaft zu schließen70. Schon der Ansatz Nipperdeys bietet aber einen ersten Anhaltspunkt dafür, ein immanent „soziales“ Element im Prinzip des wettbewerblichen Marktes selbst zu sehen und enthält damit einen grundsätzlich anderen Gedanken: „Die sozial verpflichtete Marktwirtschaftsverfassung begründet die Verpflichtung des Staates, die Wettbewerbsfreiheit und das Funktionieren der Marktwirtschaft gegenüber Kartellen und auch gegenüber sonstigen wirtschaftlichen Machtzusammenballungen […] zu schützen“71.

66  Beide Zitate Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht (Fn. 28), S. 369, § 35 Rn. 2 (Hervorhebung im Original, M.S.). 67  Exemplarisch bei Badura, Wirtschaftsverfassung (Fn. 25), S. 10, A II 2, Rn. 14, der in diesem Zusammenhang das Sozialstaatsprinzip hervorhebt, ohne das Demokratieprinzip explizit anzusprechen. 68  Fezer, Homo Constitutionis (Fn. 41), S. 892. 69  Fezer, Homo Constitutionis (Fn. 41), S. 892, allerdings erwähnt er hier eben auch das Rechtsstaatsprinzip, siehe zur engen Verflochtenheit des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips Kapitel 4, insb. Fn. 490. 70  In diese Richtung lässt sich z.  B. die folgende Argumentation verstehen: T. Ackermann, Kartellrecht und Verbraucherschutzrecht. Zur Notwendigkeit eines gemeinsamen Verbraucherleitbildes, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V. (Hrsg.), Herausforderungen für die Wettbewerbsordnung, 2013, S. 73 (75): „Unbestreitbar schützen zwar die Freiheitsgrundrechte […] wettbewerb­ liches Handeln […] doch stehen dieser Absicherung des Wettbewerbsprinzips […] Gewährleistungen gegenüber, namentlich das Sozialstaatsgebot (Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und die […] Schutzpflichtdimension der Grundrechte“. 71  Nipperdey, Marktwirtschaft (Fn. 25), S. 44 (Hervorhebung im Original, M.S.).



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 31

IV. Weiterer Kartellrechtsbezug des Grundgesetzes Das Grundgesetz enthält zudem mit der Gesetzgebungskompetenz zur Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung (Art. 74 I Nr. 16 GG) eine der „Kompetenzbestimmungen, […] denen eine Wertung inne­ wohnt“72. Zudem kann Art. 109 II GG mit dem Ziel eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine grundsätzliche Relevanz für das Kartellrecht beigemessen werden73.

V. Verankerung des EU-Kartellrechts im Primärrecht Im Gegensatz zur Verortung des Kartellrechts als sog. Wirtschaftsverfassung im GWB und der damit einhergehenden Qualifikation als einfaches Recht findet das EU-Kartellrecht im Primärrecht seine Verankerung (Artt. 101 ff. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [„AEUV“]). Zur Einordnung soll ein kurzer Blick ins EU-Kartellrecht erfolgen, da die europäische Perspektive im Kontext des Kartellrechts immer von hoher Relevanz ist74. Das EU-Kartellrecht ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und damit im Primärrecht verankert. Das Prinzip unverfälschten Wettbewerbs ergibt sich allerdings aus dem Protokoll Nr. 27 über den Binnenmarkt und den Wettbewerb75. Zuvor war dieses Prinzip in Art. 3 I lit. g EG genannt, heute findet sich in Art. 3 EUV nur noch das Binnenmarktziel76. Damit ist die EU-Wirtschaftsverfassung77 grundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichtet und der Wettbewerb als Institution und Prozess geschützt78. 72  F. Wittreck, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 74 Rn. 73, die Wertung besteht darin, „daß der Gesetzgeber schon auf eine schiere wirtschaftliche Machtstellung reagieren und nicht erst ab Überschreiten der Mißbrauchsschwelle tätig werden darf“. 73  Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), Einl. Rn. 121. 74  Wittreck (Fn. 72), Art. 74 Rn. 74: „Das Kartellrecht ist ein geradezu sinnfälliges Beispiel für ein Rechtsgebiet, das auf der Grundlage der nationalen Normen nicht mehr sachgerecht erfaßt werden kann.“ 75  Zu den Folgen: T. Käseberg, in: H.‑J. Bunte (Hrsg.), Kartellrecht. Kommentar, Bd. II, Europäisches Kartellrecht, Vergaberecht (GWB) und Sonderbereiche, 14. Aufl. 2022, Einl. Rn. 39. 76  Daraus kann noch „keine Abwertung des Wettbewerbsgedankens“ gefolgert werden: Käseberg, Bunte, Kartellrecht II (Fn. 75), Einl. Rn. 39. 77  So bezeichnet bei Käseberg, Bunte, Kartellrecht II, (Fn. 75), Einl. Rn. 39. 78  Käseberg, Bunte, Kartellrecht II (Fn. 75), Einl. Rn. 40 f.; siehe dort auch weiterführend zu den Bestrebungen der Europäischen Kommission, Konsumentenwohlfahrt

32 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

Bezüglich des Verhältnisses von Wettbewerbsfreiheit und (europäischen) Grundrechten sei auf die umfangreiche Arbeit Klements hingewiesen, die auch Bezüge zur Wettbewerbsfreiheit im deutschen Kartellrecht enthält79. Letztlich sieht er keine Möglichkeit, einen EU-kartellrechtlichen (Wettbewerbs‑)freiheitsbegriff mit einem (europäisch-)grundrechtlichen Freiheitsbegriff in Deckung zu bringen. Er sieht die Rolle der europäischen Grundrechte eher als die eines „Korrektiv[s]“80. Für die Ausrichtung der vorliegenden Arbeit ist eine weiterreichende Beschäftigung mit dem Charakter der grundrechtlichen Wettbewerbsfreiheit aber weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene zielführend. Die Arbeit beschäftigt sich stattdessen eingehend mit dem Demokratieprinzip und leuchtet eventuelle Berührungspunkte der demokratischen Freiheitsidee mit der kartellrechtlichen Freiheitsidee aus. Hierfür kann die Untersuchung im Grundsatz auf die nationale Ebene beschränkt werden, und es wird nur bei Bedarf auf die europäische Situation eingegangen.

VI. Zwischenergebnis Es lässt sich nach der Untersuchung der grundrechtlichen Bezüge jedenfalls festhalten, dass die Entscheidung für einen Markt, welcher durch das System Wettbewerb bestimmt ist, im Grundgesetz angelegt ist und die Grundrechte im Grundsatz in die Richtung einer Wettbewerbswirtschaft zeigen. Eine grundsätzlich freie und damit naturgemäß auch wettbewerbsbasierte Marktwirtschaft81 ist daher vom Grundgesetz „in unbestimmter Form ange­ nommen“82, wie sich auch an der Rechtsprechung zeigt83. Aus der Existenz

und Verbraucherschutz in den Mittelpunkt zu rücken, siehe zum more economic approach Abschnitt C.II. 79  Weiterführend Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 49 f.; das europäische Kartellrecht war starken Einflüssen durch das deutsche Kartellrecht ausgesetzt, siehe zum ordoliberalen „Gedankengut“ auf europäischer Ebene: Käseberg, Bunte, Kartellrecht II (Fn. 75), Einl., Rn. 39. 80  Siehe dazu Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 6. 81  Tsiliotis, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 26), S. 47 will der Entscheidung BVerfGE 18, 315 (327) – Marktordnung, die „Marktwirtschaft“ als Grenze für die Gestaltungsfreiheit entnehmen. 82  So zutreffend die Einordnung Tsiliotis, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 26), S. 47; das wird letztlich wohl auch von kritischeren Betrachtern nicht grundsätzlich anders gesehen, z. B. erkennbar anhand der Ausführungen von Ackermann, Kartellrecht ­ (Fn. 70), S. 75: „Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht stets eine verfassungsrechtliche Festlegung auf eine wettbewerblich-marktwirtschaftliche Systement-



B. Das Verhältnis von Verfassung und Wirtschaftsverfassung (GWB) 33

einer grundsätzlich freien Marktwirtschaft lässt sich aber noch nicht zwingend eine Notwendigkeit des Schutzes des Wettbewerbs vor Wettbewerbsbeschränkungen durch private Macht folgern. Wie sich gezeigt hat, kommt zwar dem unbenannten Freiheitsrecht der Wettbewerbsfreiheit eine mittelbare Bedeutung zu, auch hinsichtlich der Breite des Spektrums möglicher Wirtschaftssysteme. Die Wettbewerbsfreiheit wird jedoch grundgesetzlich nicht im Umfeld des Demokratieprinzips, sondern in Art. 12 GG bzw. in Art. 2 GG verortet. Eine Demokratierelevanz des Schutzes des Wettbewerbs ergibt sich weder unmittelbar aus dem Grundgesetz noch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Fragen wirtschaftlicher Ordnung. Anhaltspunkte für das Erfordernis eines wettbewerblichen Marktes können ferner aus Art. 14 GG extrahiert werden. Ein vertiefter Einstieg kann an dieser Stelle nicht erfolgen, für unsere Zwecke genügt dieser Blick aus großer Höhe. Es kann festgehalten werden, dass das Grundgesetz sich nicht explizit auf ein auf Leistungswettbewerb basierendes Wirtschaftssystem festlegt. Trotzdem ist eine grundsätzlich freie Wirtschaft, die auch Wettbewerb mit sich bringt, aufgrund der Grundrechte, insbesondere Art. 12 GG bzw. Art. 2 I GG, implizit durch das Grundgesetz vorgesehen. Zudem bietet die Rezeption des Begriffes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Rahmen für die Wirtschaft zumindest Anlass um in der hiesigen Untersuchung im späteren Verlauf das Wesen84 der Demokratie zu erhellen.

VII. Weiterer Gang der Untersuchung Trotz aller Sinnhaftigkeit und Attraktivität, die einem Einstieg in das Thema über das Grundgesetz für eine erste Einordnung zukommt, gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass die grundrechtliche Wettbewerbsfreiheit von der spezifisch kartellrechtlichen Wettbewerbsfreiheit in der Tradition des Ordoli-

scheidung vermieden“; anschließend dann aber: „[u]nbestreitbar schützen […] die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes wettbewerbliches Handeln“. 83  So prüft das BVerfG z. B. die Möglichkeit einer Marktordnung des Milchmarktes mit Augenmerk auf Art. 2 I GG: BVerfGE 18, 315 (327) – Marktordnung: „Im System einer grundsätzlich freien Wirtschaft stellt eine Marktordnung für bestimmte Produkte allerdings einen Fremdkörper dar.“ 84  Formulierung in Anlehnung an den Titel des Werkes von H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929.

34 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

beralismus (s. u.) getrennt betrachtet werden muss85, auch wenn beide miteinander verwoben sind. Das Verhältnis der grundrechtlichen Wettbewerbsfreiheit zum Kartellrecht ist hiernach ein solches, in dem den Normen des GWB die Rolle zukommt, auf Ebene des Privatrechts den Schutzzweck der Wettbewerbsfreiheit zu verwirklichen86. Für das Verständnis eines etwaigen Zusammenhanges von Demokratie und Kartellrecht ist der Hintergrund des Kartellrechts beziehungsweise der kartellrechtlichen Wettbewerbsfreiheit zu beleuchten, der sich nicht zwangsläufig allein durch die Ermittlung des Charakters und des Umfanges einer grundrechtlichen Freiheit, bzw. durch einen Zugang über die Sphäre des Grundgesetzes offenbart. Wichtig ist, sich vor Augen zu halten, dass die Wettbewerbsfreiheit des Kartellrechts eben nicht vorrangig ein gegen den Staat gerichtetes Abwehrfreiheitsrecht ist, sondern Teil des einfachgesetzlichen kartellrechtlichen Ordnungssystems87, für das der Gesetzgeber sich entschieden hat88. Das Kartellrecht soll vor der Macht privater Unternehmen schützen, nicht vor staatlicher Macht. In diesen Zusammenhang lässt sich durchaus auch die Vorstellung des Wettbewerbs als Institution einordnen. Zu bedenken ist, dass der Schutz des Marktes vor privater Macht zwar in gewisser Weise auch „einfach“ erfolgt, um einen Leerlauf der grundrechtlichen Eigentums- oder der Berufsfreiheit zu verhindern. Im weiteren Verlauf soll der Fokus darauf liegen zu untersuchen, ob der Hintergrund des Schutzes des Wettbewerbs ein 85  Etwaige Zusammenhänge zwischen grundrechtlicher Wettbewerbsfreiheit und kartellrechtlicher Wettbewerbsfreiheit können hier nicht näher untersucht werden, weiterführend Fn. 79. 86  Zum Verhältnis von grundrechtlicher Wettbewerbsfreiheit in Gestalt von Berufsund Gewerbefreiheit zu den privatrechtlichen Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen: E.‑J. Mestmäcker, Wettbewerbsfreiheit und unternehmerische Effizienz. Eine Erwiderung auf Schmidtchen, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 59 (2008), S. 185 (195 f.). 87  E.-J. Mestmäcker, Wettbewerbsfreiheit und Wohlfahrt. Ein ideengeschichtlicher Beitrag zum Verhältnis von Ökonomie und Recht, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 63 (2012), S. 429 (434): „In Deutschland waren es die […] Ordoliberalen, welche Wettbewerbs- und Gewerbefreiheit nicht nur als gegen staatliche Eingriffe geschützte Rechtspositionen, sondern als ein durch Normen gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu gewährleistendes Ordnungsprinzip begründeten“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); siehe auch Nothdurft, in: Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 11, der das „dreipolige[n] Verhältnis“ bzw. das Ordnungsprinzip beschreibt. 88  Für eine nähere Befassung des Verhältnisses des GWB zu den Grundrechten wird auf Tsiliotis, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 26), S. 555 verwiesen; auch der Komplex einer Drittwirkung von Grundrechten wurde bereits von Rupp, Verfassungsrecht (Fn. 21), S. 189 den „grundsätzliche[n] Kontroversen“ zugeordnet; diese Arbeit kann nicht der Ort für einen tieferen Einstieg sein.



C. Die Ziele des Kartellrechts35

darüber hinausreichender sein kann und ob er mit einer Vorstellung von Demokratieschutz verwoben sein kann89. Das Demokratieprinzip bzw. die Idee der Demokratie (siehe näher im Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel) wird erst im späteren Verlauf genauer auf ihr Verhältnis zum wettbewerblichen Markt untersucht. Die Verfasserin setzt sich dort mit den ideengeschichtlichen Hintergründen des Kartellrechts auseinander und untersucht deren Bezüge zur Demokratie.

C. Die Ziele des Kartellrechts Der Frage nach dem Verhältnis von Demokratieprinzip und Marktmacht wird sich die Arbeit durch eine kurze Untersuchung der üblicherweise benannten Ziele des Kartellrechts mit Blick darauf nähern, ob diese Ziele einen „höheren Sinn“ oder sogar bereits im ersten Zugriff eine Demokratierelevanz erkennen lassen. Die Zieldiskussion im Kartellrecht ist schillernd. Deshalb erfolgt hier zunächst ein Aufriss der potentiellen Ziele – stets vor allem im Hinblick auf den Missbrauch von Marktmacht, als dem in dieser Arbeit hauptsächlich in den Blick genommenen Tatbestand des Kartellrechts. Erst später werden einige der Ziele genauer auf ihren Hintergrund hin untersucht (siehe Drittes Kapitel A.), wobei versucht wird Zusammenhänge zum Demokratieprinzip zu ermitteln.

I. Wohlfahrtsorientierung im ökonomischen Sinne als sogenanntes ökonomisches90 Ziel des Kartellrechts generell und des § 19 GWB speziell Als ein mögliches Ziel des Kartellrechts wird häufig das sogenannte Wohlfahrtsziel benannt91. Der Wohlfahrtsgedanke wird in der Regel im Sinne ei89  Siehe

auch die These in Abschnitt D. vorläufige Benennung erfolgt deshalb, weil erst später versucht werden soll zu ermitteln, ob und inwiefern die Trennung in ökonomische und nichtökonomische Ziele sinnvoll ist. 91  Für das amerikanische Antitrust-Recht prominent vertreten durch R. H. Bork, The Antitrust Paradox: A Policy at with Itself, 1978, Neuauflage New York 1993, S. 51: „The only legitimate goal of American antitrust law is the maximization of consumer welfare“; siehe dazu auch H. Hovenkamp, Implementing Antitrust’s Welfare Goals, in: Fordham Law Review 81 (2013), S. 2471 (2474 ff.); mit Augenmerk auf das deutsche bzw. europäische Recht repräsentativ vertreten durch D. Schmidtchen, Zum Verhältnis von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik: Eine Erwiderung auf Mestmäcker, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und 90  Die

36 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

ner wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit verstanden92. Bei einer Ermittlung der Gesamtwohlfahrt wird neben der Konsumentenwohlfahrt auch die Produzentenwohlfahrt mitberücksichtigt93. Auch das deutsche Kartellrecht und damit ebenfalls der § 19 GWB, dem als Marktmachtmissbrauchsverbot hier besondere Aufmerksamkeit zukommt, haben eine „volkswirtschaftliche[n] Optimierung“94 im Blick. Für eine im Rahmen der Wohlfahrtsorientierung durchführbare Effizienzanalyse sind die Auswirkungen des Wettbewerbs beziehungsweise die „Ergebnisse“ des Wettbewerbs maßgeblich95.

II. Der more economic approach als Wegbereiter für ökonomische Wohlfahrtsziele Im Kontext der Wohlfahrtsorientierung muss der sog. more economic approach Erwähnung finden, da er eine Debatte, die schlagwortartig mit „Wettbewerbsfreiheit oder Effizienz“96 bezeichnet werden kann und damit Teil der Gesellschaft 60 (2009), S. 153 (158); für die EU: s. u. Abschnitt C.II. zum more economic approach der Europäischen Kommission, der generell von einem Wohlfahrtsziel ausgeht; dazu auch E.-J. Mestmäcker/H. Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2014, S. 79, § 3 Rn. 43. 92  Im kartellrechtlichen Kontext wird ein ökonomisches Verständnis des Wohlfahrtsbegriffes i. d. R. vorausgesetzt, was aber nicht zwingend ist, siehe dazu L. Parret, The multiple personalities of EU competition law: time for a comprehensive debate on its objectives, in: D. Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, Cheltenham/Northampton [MA] 2012, S. 61 (81), die den Aspekt berücksichtigt, dass „consumer welfare“ gedanklich oft mit dem more economic approach in Verbindung gebracht wird; zu diesem sogleich näher. 93  Vgl. dazu m. w. N.: L. Kaplow, On the choice of welfare standards in competition law, in: D. Zimmer, (Hrsg.), The Goals of Competition Law, Cheltenham/Northampton [MA] 2012, S. 3 (3); Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 91), S. 74, § 3 Rn. 24; im Rahmen dieser Arbeit ist eine differenzierte Darstellung des Wohlfahrtsansatzes zu weitreichend. 94  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 4; siehe auch die Begründung zum RegE eines GWB: BT-Drucksache II/1158, 22.1.1955, S. 21 f., welche den Gedanken der Wohlstandsförderung enthält; dazu C. Grave/J. Nyberg, in: U. Loewen­ heim/‌K. M. Meessen/A. Riesenkampff u. a. (Hrsg.), Kartellrecht. Kommentar zum Deutschen und Europäischen Recht, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 1–3 GWB Rn. 24. 95  Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 91), S. 79 f., § 3 Rn. 44. 96  Die Kontroverse wird unter diesen Schlagworten geführt, die auch titelgebend sind für die umfassende Dissertation von A. Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, 2008, der sich mit dem Grundlagen des more economic approach im Kontext des Europäischen und Schweizerischen Rechts befasst; exemplarisch lassen sich der Debatte auf der Effizienzseite zuordnen: D. Schmidtchen, Wettbewerbsfreiheit oder Effizienz? Zur Zweisamkeit von Recht und Ökonomie im Bereich der Wettbewerbs-



C. Die Ziele des Kartellrechts37

Zieldiskussion ist, maßgeblich befeuert. Der more economic approach steht für eine „Ökonomisierung des Kartellrechts“97 beziehungsweise für eine Orientierung an wirtschaftlicher Effizienz98. Der Begriff more economic approach wird inzwischen99 als „Sammelbegriff für verschiedene Ansätze zu einer stärkeren Einbeziehung ökonomischer Theorien und Methoden in die wettbewerbsrechtliche Praxis“100 genutzt. Die Europäische Kommission verfolgt den more economic approach auch hinsichtlich Art. 102 AEUV101, dem Äquivalent zu § 19 GWB. Im Rahmen einer Wohlfahrtsorientierung erlangt der Effizienzbegriff Relevanz, weil hier die Auswirkungen des Wettbewerbs beziehungsweise die „Ergebnisse“ des Wettbewerbs letztlich maßgeblich sind102. Diese Effektorientierung lässt sich von der Beurteilung eines Verhaltens aufgrund seiner Auswirkungen auf den Wettbewerbsprozess abgrenzen103. politik, ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 59 (2008), S. 143 (144 ff.) und auf Seiten der Wettbewerbsfreiheit Mestmäcker, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 86), S.  186 ff. 97  Den Ausdruck verwenden: statt vieler R. Podszun, in: J. Busche/A. Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Bd. I, §§ 1–34a GWB, 2017, Vor § 32 GWB Rn. 14; Künzler, Effizienz (Fn. 96), S. 5. 98  D. Zimmer, Law and Economics im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, in: Studienvereinigung Kartellrecht e. V. (Hrsg.), Festschrift für Cornelius Canenbley zum 70. Geburtstag, 2012, S. 525 (526); die Hinwendung zum Ökonomischen wird von Künzler, Effizienz (Fn. 96), S. 5 f. auch zusammengedacht mit der derzeitigen weitreichenden Erfassung verschiedener Rechtsgebiete durch die „Ökonomische Analyse des Rechts“. 99  Der Begriff wurde durch die Europäische Kommission ursprünglich im Kontext des Weißbuches „Über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Art. 85 und 86 EG-Vertrag“ (ABl. 1999 C 132/1 [S. 21]) zur Ankündigung eines ökonomischeren politischen Ansatzes für Art. 85 EG (heute Art. 101 AEUV) verwendet, in der englischen Fassung: more economic approach; siehe dazu detailreich und m. w. N. Bechtold/Bosch, GWB (Fn. 15), Einführung Rn. 77 ff. 100  Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 91), S. 80, § 3 Rn. 45; Zimmer, Law (Fn. 98), S.  525 ff. 101  Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. 2009 – C45/7 (S. 7 ff.); siehe dazu Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 GWB Rn. 51 f., der darauf hinweist, dass diesen sog. Durchsetzungsprioritäten keine Bindungswirkung für natio­ nales Recht zukommt; zudem ist unbedingt zu beachten, dass der EuGH „die Gefolgschaft [verweigerte]“, Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 52. 102  Dazu Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 91), S. 80, § 3 Rn. 44. 103  Siehe Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 91), S. 80, § 3 Rn. 44.

38 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

Im deutschen Recht und ebenfalls im von diesem maßgeblich geprägten europäischen Recht (siehe oben) kann es aber keine Reduktion auf das Wohlfahrts- bzw. Effizienzziel geben104. Im Gegenteil, es wird oft betont, dass eine Reduktion auf ökonomische Ziele nicht dem Sinn und Zweck des Kartellrechts entspricht105. Weiterführend wird vielmehr verbreitet vertreten, dass dem Schutz der Wettbewerbsprozesse auch eine „gesellschaftspolitische Funktion“106 zukommt. Zu den „nichtökonomischen“ – potentiellen – Zielen kann besonders die kartellrechtliche Wettbewerbsfreiheit gezählt werden, die häufig als Gegenpol zu Wohlfahrtserwägungen in Stellung gebracht wird107. Mit der Vorstellung von Wettbewerbsfreiheit eng verbunden ist der Gedanke des Schutzes des Wettbewerbs als Prozess bzw. als Institution108. Eine 104  Siehe nur Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19, Rn. 4; Käseberg, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 8), Einl. Rn. 126: „Die Wettbewerbsfreiheit ist Folge und zugleich Ziel von Wettbewerb“ (Hervorhebung im Original, M.S.); grundlegend E.‑J. Mestmäcker, 50 Jahre GWB: Die Erfolgsgeschichte eines unvollkommenen Gesetzes, in: WuW 2008, S. 6 (13), der die Wohlfahrtsförderung als „Produkt“ versteht; a. A. wohl Schmidtchen, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 96) S. 160, welcher der Auffassung ist, dass die (Wettbewerbs-)Freiheit nicht als Rechtsprinzip tauge, und Effizienz als Kriterium berücksichtigt wissen möchte; allerdings findet Schmidtchens Kritik letztlich wohl auf Ebene der Rechtsanwendung statt, und ein Bedürfnis für eine freie und wettbewerbliche Wirtschaftsordnung als Selbstzweck bzw. im Hinblick auf eine im hiesigen Kontext durchaus interessierende grundsätzliche gesellschaftliche Relevanz der Norm  − wenn auch nicht als rechtliches Kriterium  – scheint wohl auch für ihn nicht ausgeschlossen, auch wenn diese Stelle recht dunkel formuliert ist, siehe dazu: Schmidtchen, Verhältnis (Fn. 91) S. 158: „die Unbrauchbarkeit von Freiheit als Rechtsprinzip […] abgeleitet. Aus dem aufzeigen [sic] von Freiheit als Rechtsprinzip folgt weder die Ablehnung einer freiheitlichen Handelnsordnung [sic] noch deren Unmöglichkeit. Vielmehr wird die Entscheidung für eine freiheitliche Handelnsordnung [sic] als Ausgangspunkt der Analyse akzeptiert.“ 105  Im Rahmen des § 19 GWB: Busche (Fn. 6), § 19 Rn. 5: „Mit dem Schutz des Wettbewerbs als Institution verträgt sich kein Wettbewerbsverständnis, das einseitig auf Konsumentenwohlfahrt oder eine vorrangige ökonomische Orientierung des Missbrauchsverbots fixiert ist“ (Hervorhebungen im Original); Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 8), § 19 Rn. 4; im Rahmen des § 1 GWB: Nordemann (Fn. 94), § 1 GWB Rn. 7: „Der Schutzzweck des GWB hat […] auch eine gesellschaftspolitische Funktion“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 106  Differenziertere Darstellung siehe nur G. Wiedemann, in: ders. (Hrsg.), Handbuch des Kartellrechts, 4. Aufl. 2020, S. 3, § 1 Rn. 2. 107  Vielfach als Gegenspieler in Stellung gebracht, vgl. dazu allein die Kontroverse um „Freiheit vs. Effizienz“, siehe dazu Fn. 96 dieser Arbeit. 108  Zum Schutz der Institution Wettbewerb statt vieler: A. Fuchs, in: Körber, Torsten/Schweitzer, Heike/Zimmer, Daniel (Hrsg.), Immenga/Mestmäcker. Wettbewerbsrecht, Bd. II, GWB. Kommentar zum Deutschen Kartellrecht, §§ 1–34a, 44–96,



C. Die Ziele des Kartellrechts39

klare Zuordnung der Idee des Institutsschutzes (und der damit einhergehenden Bezeichnung des Wettbewerbsschutzes als Ziel an sich) als „ökonomisches“ oder „nichtökonomisches“ Ziel macht hier Schwierigkeiten, weil sich der Wert des Institutionenschutzes sowohl auf eine etwaige Verwirklichung von Freiheiten durch die Institution zurückführen lassen kann109, andererseits aber auch die Institution als Mittel zur Erreichung von Wohlfahrt und Produktvielfalt verstanden werden kann110. Auch im Rahmen von Wohlfahrtstheorien besteht die zumindest theoretische Möglichkeit, dass subjektive Rechte (z. B. die Wettbewerbsfreiheit) befürwortet werden, allerdings können dann „[s]ubjektive Rechte […] als Reflex eines objektiven Rechts behan­ delt“111 werden. Diese Schwierigkeit kann bereits als ein Schatten der Interdependenz der Wirtschaftsordnung und der Gesellschaftsordnung (siehe unten, Fünftes Kapitel) verstanden werden, weshalb die detaillierte Differenzierung in ökonomische und nicht ökonomische Ziele sich an dieser Stelle verbietet112.

III. Weitere „ökonomische“ Ziele des Wettbewerbs Außer dem Wohlfahrtsgedanken lässt sich eine sogenannte gute Marktversorgung – auch, aber nicht nur – den ökonomischen Zielen beziehungsweise 185–186, 6. Aufl., 2020, § 19 Rn. 21; Busche (Fn. 6), § 19 GWB Rn. 5: „Mit dem Schutz des Wettbewerbs als Institution verträgt sich kein Wettbewerbsverständnis, das einseitig auf Konsumentenwohlfahrt oder eine vorrangige ökonomische Orientierung des Missbrauchsverbots fixiert ist. Selbstverständlich ist es nicht ausgeschlossen, derartige Gesichtspunkte bei der Auslegung von § 19 GWB zu berücksichtigen“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); Nordemann (Fn. 94), § 1 GWB Rn. 7. 109  Nordemann (Fn. 94), § 1 GWB Rn. 7: „Der Wettbewerb als Institution ist nichts weiter als die Summe der wettbewerblichen Handlungsfreiheiten der Marktbeteiligten“; dieses Verständnis liegt wohl auch zugrunde, wenn Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 2, die Betätigung freiheitlicher „Grundrechtspositionen“ im Wettbewerb betont; den Individualschutz neben dem Schutz der Institution nennt Fuchs (Fn. 108), § 19 Rn. 21, jedenfalls ohne ausdrückliche Einschränkung dahingehend, den Individualschutz als bloßen Reflex (s. u. Fn. 110) zu behandeln. 110  In die Richtung eines Institutionsschutzes, der nicht das Ergebnis von Freiheiten ist, lässt sich wohl interpretieren: Busche (Fn. 6), § 19 Rn. 4, der durch § 19 GWB vorrangig den „Wettbewerb als Institution“ geschützt sieht und „individuellen Schutz der Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer“ nur als „reflexiv“ ansieht. 111  Weiterführend und detailliert hierzu, mit Bezug auf Benthams Utilitarismus, Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht (Fn. 90), S. 85 ff., § 3 Rn. 61 ff. 112  Interessant D. Gerber, The goals of european competition law: some distortions – comment on Parret, in: D. Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, Cheltenham/Northampton [MA] 2012, S. 85 (93), der Wert darauf legt, ökonomische Ziele als eigene Kategorie zu sehen.

40 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

den gesamtwirtschaftlichen Vorteilen113 zuordnen. Von Effizienz114- bzw. Wohlfahrtsgesichtspunkten kann die Marktversorgung aber differenziert werden115.

IV. Schutz des Wettbewerbs als solchem/Institution/Prozess Schon Franz Böhm betrachtete den Wettbewerb als eine privatrechtliche Institution116, und es war umstritten117, ob das Kartellrecht die Institution „Wettbewerb“ oder überdies auch die individuelle Wettbewerbsfreiheit schützt. Inzwischen ist aber eine Dualität der Schutzgüter anerkannt118. 113  Den

Ausdruck verwendet Nordemann (Fn. 94), § 1 GWB Rn. 6. Mindeststandard von materieller Sorglosigkeit kann eine gesellschaftspolitische Funktion erfüllen und muss damit kein Selbstzweck sein; siehe H. Laufer, Die demokratische Ordnung. Eine Einführung, 2. Aufl. 1971, S. 48, der betont, dass eine Demokratie kaum Bestand haben wird, wenn die Bürger unter dem Existenzminimum leben; allerdings dürfte die im kartellrechtlichen Kontext diskutierte Effizienz- bzw. Wohlfahrtsmaximierung mehr als diesen Mindeststandard vor Augen haben, weshalb das Effizienzziel wohl als „Ziel an sich“ bezeichnet werden kann. 115  J. Lux, Der Tatbestand der allgemeinen Marktbehinderung, 2006, S. 15 ordnet die Marktversorgung zwar den ökonomischen „Funktionen“ zu, ohne jedoch zwischen Zielen und Funktionen zu unterscheiden; daran dass er neben den ökonomischen Funktionen allerdings eine gesellschaftspolitische Aufgabe durch den Wettbewerb erfüllt sieht (durch die Ermöglichung von „Handlungs- und Wahlfreiheiten“ für Unternehmer wie Verbraucher), lässt sich erkennen, dass die gute Marktversorgung eine zweiseitige Medaille ist und ihr eben auch eine gesellschaftspolitische Funktion zukommt; anders: M. Hüther, Wettbewerbspolitik vor einer Zeitenwende, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft, 2010, S. 39 (39), da er eine Trennung vornimmt zwischen „gute[r] Marktversorgung“ und „Freiheitsspielräume[n]“ diverser Marktteilnehmer; dazu passend auch die Einordnung der „Entwicklung neuer Produkte“ bei J. Drexl, Ronald Dworkin, ökonomische Effizienz und das Kartellrecht, in: FIW, Wettbewerbspolitik, ebd., 2010, S. 175 (184) als „dynamische Effizienz“. 116  Böhm, Wettbewerb (Fn. 1), S. 187; dazu sein Schüler Mestmäcker, Wettbewerb (Fn. 7), S. 79. 117  So noch bei Mestmäcker, Wettbewerb (Fn. 7), S. 81. 118  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 128: „Die zivilistisch geprägte Auseinandersetzung, ob das Schutzgut des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen die ‚Institution Wettbewerb‘ oder die individuelle Freiheit sei, endete mit einem Friedensschluss […]. Fast einhellig heißt es heute, Institutionenschutz und Individualschutz seien in Wahrheit keine Gegensätze, sondern Erscheinungsformen ein und derselben Sache“, m. w. N.; zudem hält Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 9), S. 129, die Diskussion in Bezug auf das Schutzgut der kartellrechtlichen Wettbewerbsfreiheit für weitgehend fruchtlos geendet; Tsiliotis, Schutz (Fn. 26), S. 65; z. B. sieht Nordemann (Fn. 94), § 1 GWB Rn. 7: sieht „§ 1 GWB nicht nur auf den Schutz der Institution Wettbewerb gerichtet, sondern […] parallel laufenden Individualschutz bezweckt“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 114  Ein



C. Die Ziele des Kartellrechts41

1. Die Verwirklichung von Freiheit Besonders Kartellrechtler, die durch den Freiburger Ordoliberalismus (siehe Zweites Kapitel B.I.) ihre Prägung erfahren haben, sehen in einer Ökonomisierung des Rechts Gefahren für das „Freiheitsparadigma“119. Es wird betont, dass es sich bei dem Kartellrecht eben um Recht handelt und eine Verengung auf eine wirtschaftliche Perspektive mit der Verankerung im Rechtssystem inkompatibel ist120. Die kartellrechtliche Wettbewerbsfreiheit lässt sich vorerst mit Mestmäcker als Recht zur „Teilnahme am Wettbewerb“ definieren121. Der Charakter der Wettbewerbsfreiheit bzw. deren Verständnis als Ziel in sich oder Mittel zum Zweck wird näher im Dritten Kapitel untersucht. 2. Konsumentenwahlfreiheit Teilweise wird betont, dass die durch das Kartellrecht geschützte Freiheit nicht nur eine Freiheit der Wettbewerber sein sollte, sondern auch die Wahlfreiheit der Konsumenten, was sich allerdings auch gegenseitig bedingt122. Die Konsumentenwahl(freiheit)123 ist der Konsumentenwohlfahrt zwar dem Begriffe nach ähnlich, aber nicht der Bedeutung nach. Die Konsumentenwohlfahrt wird im Kontext der Effizienz relevant, die Konsumentenwahlfreiheit wird als Teil der ordoliberalen Tradition begriffen124.

119  So

Drexl, Dworkin (Fn. 115), S.  176 f. Dworkin (Fn. 115), S. 176 f.; siehe auch E.-J. Mestmäcker, A Legal Theory without Law. Posner v. Hayek on Economic Analysis of Law, 2007, S. 40, der auf Unterschiede eines funktionalistischen (Posner) und eines gestaltenden Verständnisses des Kartellrechts (v. Hayek) hinweist; siehe zudem oben, Abschnitt C.II. zum more economic approach. 121  Mestmäcker, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 86), S. 194. 122  Siehe zu diesem Ansatz z. B. P. Behrens, The „Consumer Choice“ Paradigm in German Ordoliberalism and its Impact upon EU Competition Law, Europa-Kolleg Hamburg, Institute for European Integration, Discussion Paper No 1/14, S. 22 f., https://europa-kolleg-hamburg.de/wp-content//2014/09/Discussionpaper_Behrens_ 01_14.pdf (8.7.2021). 123  Siehe maßgeblich N. W. Averitt/R. H. Lande, Using the ‚Consumer Choice‘ Approach to Antitrust Law, in: Antitrust Law Journal 74 (2007) S. 175 (175). 124  Behrens, Consumer Choice (Fn. 122), S. 22 f.; siehe näher unten Abschnitt C. IV.2. zur Konsumentenwahlfreiheit. 120  Drexl,

42 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

3. Entmachtungsfunktion Im Kontext der Wettbewerbsfreiheit erlangt auch die sog. Entmachtungsfunktion125 des Kartellrechts Relevanz. Die Entmachtungsfunktion war Ursprung des deutschen Kartellrechts und gehört weiterhin jedenfalls zu seinen Leitgedanken126. Die Ausübung wirtschaftlicher Macht soll durch das Kartellrecht und insbesondere durch § 19 GWB, dem Missbrauchsverbot, in Grenzen gehalten werden127, wie sich bereits aus der Begründung zum Regierungsentwurf eines GWB128 ergibt. In der Ausnutzung von Macht wird dort eine Gefahr für die Rechtsordnung gesehen. Eine Gefahr für die Rechtsordnung wird teilweise damit begründet, dass die „Akzeptanz der Rechts- und Wirtschaftsordnung […] darauf gründet, dass diese in einem weitgehenden gesellschaftlichen Konsens als gerecht und freiheitswahrend empfunden werden.“129 4. Verbraucherschutz Teilweise wird auch der Schutz der Marktgegenseite als besondere Funktion des Kartellrechts benannt130. Auf der Marktgegenseite finden sich zwar nicht notwendig Verbraucher. Es ist trotzdem interessant, dass gerade die Diskussion, ob das Kartellrecht auch den Verbraucher schützt, derzeit z. B. durch die Facebook-Entscheidung 125  H. Schweitzer, Wettbewerbsrecht und das Problem privater Macht, in: F. Möslein (Hrsg.), Private Macht, 2016, S. 447 (472): „Die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs bleibt ein Leitgedanke des Wettbewerbsrechts“; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts (Fn. 106), S. 3, § 1 Rn. 2: „gleichmäßige[n] Machtverteilung in Wirtschaft und Gesellschaft“; Schwierigkeiten bei der Einordnung von Wettbewerbswirkungen (als Ziel oder als Funktion), werden umgangen, wenn man von „Zielfunktionen“ spricht, wie z. B. Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 2; hiervon spricht z. B. auch schon E. Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: C.‑A. Andreae/E. Heuß/E. Hoppmann u. a. (Hrsg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik, S. 9 (19). 126  Schweitzer, Wettbewerbsrecht (Fn. 125), S. 472: „Die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs bleibt ein Leitgedanke des Wettbewerbsrechts.“ 127  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 3. 128  BT-Drucksache II/1158, 22.1.1955, S. 22. 129  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), § 19 Rn. 3, der diese Aussage speziell für die Rechts- und Wirtschaftsordnung in Demokratien trifft. 130  Prägnant formuliert durch D. Zimmer, The basic goal of competition law: to protect the opposite side of the market, in: ders. (Hrsg.), The goals of Competition Law, Cheltenham/Northampton [MA] 2012, S. 486 (496).



D. These: Demokratieschutz als Grund/Ziel des Kartellrechts 43

des Bundeskartellamts aus dem Jahr 2019131 Aufwind bekommt, die als unmittelbar132 verbraucherschützend gilt und auf die im sechsten Kapitel näher eingegangen wird. Eine verbraucherschützende Wirkung wird dem Kartellrecht jedenfalls schon dadurch zugesprochen, dass der Schutz des Wettbewerbs „mittelbar“ auch den Verbraucher schützt133. Interessanterweise wird die – hier sei dahingestellt, ob mittelbar oder unmittelbar – verbraucherschützende Komponente des Missbrauchsverbots von Nothdurft auch als Dienerin der volkswirtschaftlichen Optimierung angesehen, da sie die Marktteilnahme fördere134.

D. These: Demokratieschutz als Grund/Ziel des Kartellrechts/des Schutzes vor privater Macht In dieser Arbeit soll die These untersucht werden, dass ein Grund für das Kartellrecht135, und damit gewissermaßen auch ein Ziel des Kartellrechts in der Demokratieförderung gesehen werden kann. Die Arbeit untersucht, ob der Schutz vor privater Macht dem Demokratieschutz dient und ob sich dieser Gedanke in aktuellen kartellrechtlichen Entwicklungen beziehungsweise Entscheidungen spiegelt. Es soll bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass durch die Verfasserin eine Gefahr gesehen wurde, die eine solche Untersuchung auf „zwei Ebenen“ birgt136. Namentlich sind dies hier einmal die Ebene der Entscheidungen, auf der eine Anknüpfung an einen konkreten Tatbestand erfolgt und damit an das geltende Recht und einmal eine Ebene der ideengeschichtlichen Ursprünge und Hintergründe des Kartellrechts137. Es wird versucht, der Gefahr Rech131  Bundeskartellamt B6-22/16, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Ent scheidung//Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht/2019/B6-22-16.pdf?__blob=publica tionFile&v=8 (24.9.2021). 132  A. Mundt, Verbraucherschutz im Bundeskartellamt – Neue Befugnisse, Praxis und Agenda –, in: WuW 2019, S. 181 (182). 133  Mundt, Verbraucherschutz (Fn. 132), S. 182; interessant auch Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 8), Einl., Rn. 126. 134  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I, 2022 (Fn. 8), § 19 Rn. 5. 135  In dieser Arbeit vorrangig untersucht im Hinblick auf Art. 19 GWB. 136  Ähnlicher Gedanke in anderem Kontext – ohne Demokratiebezug – bei Drexl, Dworkin (Fn. 115), S. 190. 137  In diese Richtung geht auch der folgende Gedanke: Schweitzer, Wettbewerbsrecht (Fn. 125), S. 453: „Von der Anerkennung der Interdependenz der Ordnungen zu unterscheiden ist die Frage, ob die Freiheit der demokratischen Ordnung von wirtschaftlichen Machtpositionen unmittelbarer Schutzzweck des Wettbewerbsrechts sein

44 Erstes Kapitel: Grundlagen des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht

nung zu tragen und es soll vermieden werden, aus den Hintergründen und Wurzeln konkrete Aussagen für die Anknüpfung auf Tatbestandsebene zu folgern. Dies würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Der Beitrag, der hier geleistet werden soll, liegt im Schlagen eines grundsätzlichen Bogens, der, soweit vorhanden, Zusammenhänge aufzeigen soll. Die Frage, ob das Kartellrecht das Rechtsgebiet ist, in welchem demokratische Probleme im Zusammenhang mit marktmächtigen Unternehmen im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten am besten behandelt werden können, wird hier nicht gesondert behandelt. Interessant ist auch, dass teilweise im Kontext des Einflusses von Digitalgiganten auf die Anzeige von Inhalten im Internet (als Schlagworte eignen sich an dieser Stelle „Ranking“ und „Gatekeeping“; siehe differenzierter zum Online-Sektor im sechsten Kapitel) eine Demokratieschädlichkeit assoziiert wird. Soweit eine solche Assoziation allerdings im Hinblick auf Inhalte geschieht, deren Relevanz für die politische Meinungsbildung offenkundig ist138, soll dies in dieser Arbeit nicht im Vordergrund stehen. Vielmehr erscheint es sinnvoll, sich einem etwaigen Zusammenhang zwischen Demokratie und Kartellrecht grundsätzlicher zu nähern und nicht mit einem Spezialfall zu beginnen, bei dem offenkundig Aspekte der Meinungsbildung i. S. d. Art.  5 GG und damit ein für die freiheitliche Demokratie „konstituierend[es]“139 Grundrecht berührt ist.

kann. Weder das amerikanische noch das europäische oder deutsche Wettbewerbsrecht erkennen einen solchen Schutzzweck an.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 138  Weiterführend C. Pentzold/L. Fölsche, Die öffentliche Verhandlung von Big Data in politischen Kampagnen, Abida Gutachten 2018, https://www.abida.de/sites/ default/files/%20Gutachten%20Digitaler%20Demos.pdf (20.4.2021), S. 49 ff., Abida, S.  49 ff. 139  BVerfGE 7, 198 (208) – Lüth.

Zweites Kapitel Ordoliberalismus, Freiburger Schule und soziale Marktwirtschaft A. Demokratiebezüge als Anhaltspunkte für die Ergiebigkeit der These Im Folgenden soll nachvollziehbar werden, welches Zusammenspiel von Faktoren die Verfasserin veranlasst hat, eine Ergiebigkeit der These zu erwarten140. Vorweg soll Folgendes betont werden: Ziele, die in der Vergangenheit als Ziele oder Gründe für die Gesetzgebung benannt worden sind, müssen trotz dieses Hintergrunds heute nicht zwingend als Ziele des Kartellrechts weiterleben. Dennoch kann man sich durch die Berücksichtigung der Wurzeln des Gesetzes zu einem Verständnis der heutigen Situation verhelfen141.

I. Die Literatur des Ordoliberalismus enthält Bezüge zur Demokratie Insbesondere aus der Entstehungszeit des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bietet die ordoliberale142 Literatur mannigfaltige und starke Indizien für die Fruchtbarkeit der These. An dieser Stelle der Arbeit erfolgt ein kurzer Aufriss bzw. eine Sichtung solcher Textstellen, in denen explizit eine Nähe von Demokratie und dem Wettbewerbsschutz (bzw. dem Schutz vor privater Macht, der mit dem Schutz des Wettbewerbs Hand in Hand geht) hergestellt wurde. Eine differenziertere Analyse der Äußerungen und eine Einordnung in den Kontext der demokratischen bzw. „liberalen Idee“ erfolgt im fünften Kapitel.

140  Ausgewählte

Punkte werden später vertieft. gute Analyse hierzu mit aktuellen Bezügen zur Diskussion um den more ecomomic approach liefert: D. J. Gerber, The goals of European competition law: some distortions in the literature – comment on Parret, in: D. Zimmer (Hrsg.), The Goals of Competition Law, Cheltenham/Northampton [MA] 2012, S. 85 (86 ff.). 142  Zum Begriff: Abschnitt Freiburger Schule B.I. 141  Eine

46 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

1. Keine Vereinbarkeit von Demokratie und Planwirtschaft Bei Böhm findet sich die Einstufung der „Wettbewerbsordnung als ein[es] geradezu ideale[n] soziale[n] Unterbau[s] für eine demokratische Staatsord­ nung“143. Böhm nimmt in diesem Abschnitt argumentativ in erster Linie eine Abgrenzung zur Planwirtschaft144 vor. Im Rahmen einer solchen Abgrenzung stellt auch Röpke explizit auf „die Marktwirtschaft als […] die notwendige wirtschaftliche Bedingung einer politisch-kulturell liberalen und demokratischen Gesellschaft“145 ab. Repräsentativ für die Vorstellung, dass eine zentral geplante Wirtschaft nicht mit einer Demokratie vereinbar ist, ist auch von Hayek146 mit seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“147. Laut Rüstow soll nur „die Wirtschaftsfreiheit mit möglichst gleichmäßiger Verteilung der Chancen die Grundlage der Demokratie bilden k[önnen]“148. Die Weichen gegen die Planwirtschaft wurden allerdings bereits 1948 gestellt149 und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen setzt die Existenz 143  F. Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung (1950), in: E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Franz Böhm. Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, 1980, S. 53 (87). – Auf diese Stelle nimmt auch Rauhut Bezug, der im Rahmen seiner Kritik an der Interdependenzthese (zur Idee der Interdependenz siehe Fünftes Kapitel) eine Zusammenstellung von Textstellen ordoliberaler Autoren zum Thema Demokratie und Soziale Marktwirtschaft vornimmt; S. Rauhut, Soziale Marktwirtschaft und parlamentarische Demokratie, 2000, S. 73. 144  Bei Bestehen eines Zentralplans hält Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 143), S. 85, Demokratie wohl für ausgeschlossen. 145  W. Röpke, Civitas Humana. Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform, 3. Aufl. 1949, S. 51 (erste Hervorhebung im Original, zweite durch die Verfasserin, M.S.), die Aussage erfolgt in Abgrenzung vom „Kollektivismus“, dem Röpke die „Kommandowirtschaft“ zuordnet: Röpke, Civitas, ebd., S. 47. 146  Die Einordnung von Hayeks als Vertreter des Ordoliberalismus erfolgt z. B. durch E.‑J. Mestmäcker, A Legal Theory without Law. Posner v. Hayek on Economic Analysis of Law, 2007, S. 24; siehe differenzierter auch Fn. 181 und Fn. 333. 147  F. A. v.  Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 3.  Aufl. 1952, insb. S. 119 ff.; v. Hayek bezeichnet hier (v. Hayek, Knechtschaft, ebd., S. 134) die wirtschaftliche Freiheit als „Vorbedingung“ für die politische Freiheit; zudem betont v. Hayek (Hayek, Knechtschaft, ebd., S. 98), dass: „nur im Rahmen eines solchen Systems [,welches auf Wettbewerb und Privateigentum beruht‘] die Demokratie möglich ist“. 148  A. Rüstow, Wir fordern von Regierung und Bundestag … die Fundierung der Demokratie durch die Wirtschaftsordnung, in: J. Lang/A. Rüstow u. a., Wir fordern von Regierung und Bundestag die Vollendung der Sozialen Marktwirtschaft, 1954, S. 16. 149  Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geld­ reform. Vom 24. Juni 1948 („Leitsätzegesetz“), in: Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, 1948, S. 59 ff., siehe Art. 1 des



A. Demokratiebezüge als Anhaltspunkte für die Ergiebigkeit der These 47

einer Marktwirtschaft voraus – es regelt deren Erscheinungsform. So hat das im Rahmen der Arbeit mit besonderem Augenmerk bedachte Marktmachtmissbrauchsverbot zum Ziel, dass private Macht150 den Wettbewerb als Ordnungsform151 nicht verzerrt. Vor diesem Hintergrund eignen sich Erwägungen aus dem Kontext der Abgrenzung zur Planwirtschaft höchstens für die weitere Analyse, soweit sich Parallelen zwischen den Auswirkungen von Planwirtschaft und Auswirkungen privater Macht ziehen lassen. 2. Unvereinbarkeit von Demokratie und privater Macht im Wettbewerb Wenden wir uns nun solchen Äußerungen zu, die explizit einen Zusammenhang zwischen Demokratie und privater Macht betreffen, da diese größeren Anhalt für die Fruchtbarkeit des Gegenstandes dieser Arbeit bieten. Erneut wird man bereits bei den Autoren der Freiburger Schule fündig152. Böhm ist in seinem weitsichtigen Aufsatz „Demokratie und Ökonomische Macht“ der Auffassung, private Macht passe nicht in eine „rechtsstaat­liche

Gesetzes i. V. m. Anlage I Nr. 1, II Nr. 1, III; W. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, 2. Aufl. 2011, S. 188 f., sieht das Gesetz als Einleitung der Neuordnung der Wirtschaft und Gesellschaft; wenig später, in den Düsseldorfer Leitsätzen über Wirtschaftspolitik, Landwirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Wohnungsbau vom 15.7.1949 entschied sich die CDU, die (Soziale) Marktwirtschaft in ihr Wahlprogramm aufzunehmen; näher dazu Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, ebd., S. 187; schon 1953 bezeichnete Rüstow, Regierung (Fn. 148), S. 16, die „Frontstellung“ gegen die Planwirtschaft als unwichtig, weil diese fast nur noch von „den Kommunisten“ vertreten werde, aktuell und darum wichtiger erscheint ihm der Kampf zwischen sozialer und „herkömmlicher“ Marktwirtschaft. 150  F. Böhm, Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main in Verbindung mit Institute for International and Foreign Trade Law of the Georgetown University of Law Center. Washington, D.C. (Hrsg.), Kartelle und Monopole im modernen Recht, 1961, S. 1 (12): „ökonomische Macht ist gleichbedeutend mit dem Problem der privaten Macht“. – Dieser Gedanke ist noch immer akzeptiert, siehe z. B. E.‑J. Mestmäcker, Private Macht – Grundsatzfragen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, in: F. Möslein (Hrsg.), Private Macht, 2016, S. 25 (35): „Private Macht ist […] zuerst als wirtschaftliche Macht in das allgemeine Bewusstsein getreten“; grundlegend für die Definition von Macht ist M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 1. Halbbd., 5. Aufl. 1976, S. 28: „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. 151  Zum Wettbewerb als „Ordnungs“system ohne staatliche Lenkung des Verhaltens oder konkreter Ergebnisse nach dem Verständnis der Freiburger Schule; siehe E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 68 f. 152  Zum ordoliberalen Demokratieverständnis siehe unten Fünftes Kapitel A.I.1.

48 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

[…] Demokratie“153. Noch drastischer meint Böhm zudem: „nicht der Monopolbesitz, sondern der Krieg ums Monopol bringt unsere bürgerliche Ordnung aus den Fugen und droht unser demokratisches Verfassungsleben zu korrumpieren.“154 Als Lösung bietet er den Wettbewerb an, als „das großartigste […] Entmachtungsinstrument der Geschichte. Man braucht es nur beschwören, alle weitere Arbeit leistet es von allein. Um mit Hilfe des Wettbewerbs die ökonomische Macht zurückzudrängen, […] genügt jeder Wettbewerb, der für den Inhaber ökonomischer Macht überhaupt fühlbar wird.“155 Interessant ist auch, dass Rüstow seine Ablehnung einer sich selbst überlassenen freien Wirtschaft156 in einem Vortrag im Rahmen der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft maßgeblich darauf stützt, dass nur die soziale Marktwirtschaft – nicht aber die Marktwirtschaft als solche – als Fundament der Demokratie dienen kann157. Als Gefahrenquelle erscheinen Rüstow die Kartelle und Konzentrationen jedenfalls wegen eines etwaigen mittelbaren Einflusses auf politische Entscheidungen158. Ob ihm darüber hinaus hier die direkten Wirkungen auf weitere Marktteilnehmer vor Augen stehen, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, dafür spricht aber, dass er die Gefährdung der Grundlage des Unternehmertums verhindern möchte159 und der einzelne Unternehmer letztlich ebenso durch politische Maßnahmen zu 153  Böhm, Demokratie (Fn. 150), S. 12; W. Oswalt, Die falschen Freunde der offenen Gesellschaft, in: Walter-Eucken-Archiv (Hrsg.), Wirtschaftsmacht und Wirtschaftsordnung. Londoner Vorträge zur Wirtschaftspolitik und zwei Beiträge zur Antimonopolpolitik, S. 87 (98), hält wirtschaftliche Macht, die „immer zugleich auch politische Macht“ sei, für „illegitim, weil sie nicht demokratisch begründet ist“; grundlegend W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Auflage 1990, S. 334, der diese Situation als eine „neufeudale Autoritätsminderung des Staates“ beschreibt. 154  Böhm, Demokratie (Fn. 150), S. 18; diese Äußerung Böhms wird in einer näheren Analyse in Kapitel Fünf aufgeschlüsselt. 155  Böhm, Demokratie (Fn. 150), S. 22. 156  Zur Kritik der Freiburger an der „laissez-faire“ Marktwirtschaft, F. Holzwarth, Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb. Entwicklung der Ideen der Freiburger Schule, 1985, S. 32 f. 157  Rüstow, Regierung (Fn. 148), S. 16, Rüstow geht auf den Unterschied zwischen der – von ihm als „herkömmlich[en]“ betitelten Marktwirtschaft und der sozialen Marktwirtschaft ein, nur letztere identifiziert er als Grundlage der Demokratie; dass Rüstow, Regierung, ebd., S. 18, eine Immanenz privater Machtkonzentrationen bzw. Kartellstrukturen in der „herkömmlichen“ Marktwirtschaft annimmt, ist ein Indiz dafür, dass er hier auch den Ansatzpunkt für die Demokratiegefahr sieht und nicht in anderen dem herkömmlichen Wirtschaftssystem fehlenden sozialen Modifikationen. 158  Rüstow, Regierung (Fn. 148), S. 18: er sieht die „herkömmliche[n] Marktwirtschaft […] angefressen durch Monopole, Protektionen und Subventionen zu Gunsten von Produzentengruppen“. 159  Rüstow, Regierung (Fn. 148), S. 19, identifiziert als Hauptargument gegen den Gebrauch von privater Macht, dass davon eine Wirkung ausgeht, „die den ganzen



A. Demokratiebezüge als Anhaltspunkte für die Ergiebigkeit der These 49

Gunsten anderer, als auch durch das Marktverhalten der Akteure mit privater Macht in seiner Existenz bedroht werden kann.

II. Die Gesetzesbegründung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthält Bezüge zur Demokratie Das erste Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen trat am 1. Januar 1958 in Kraft. Dieses war einerseits ordoliberal geprägt160, anderseits stand es unter dem Einfluss der grundlegenden Gedanken des US-Antitrustrechts und der praktischen Erfahrung mit diesem161. Es fällt auf, dass die Motivation des GWB-Gesetzgebers sich gerade nicht auf die ökonomische Sphäre beziehungsweise die Implementierung eines Wirtschaftssystems zur Schaffung möglichst „effizienter“ Ergebnisse (im Sinne einer Wohlstandsmehrung) beschränkte162. Die Vorstellung, das Gesetz werde auch in gesellschaftlicher Hinsicht Wirkung entfalten, leuchtete durch die Gesetzesbegründung. Interessanterweise kommt mehrfach163 eine Nähe zwischen der Demokratie und dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zum Ausdruck. Boden wegzieht, auf dem die Tätigkeit eines freien Unternehmers überhaupt möglich ist“. 160  Böhm gehörte der Gruppe um P. Josten an, die einen Entwurf für das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen erarbeitete, dieser „Josten-Entwurf“ wurde jedoch bis zum Inkrafttreten des Gesetztes erheblich „verwässert“ − M. Schmoeckel, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, 2008, S. 469 f. 161  Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik über den Entwurf eines GWB, 1953, in: Anlage zur BT-Drucksache 3644, Wahlperiode II, S. 10: „nicht unwesentlich beeinflußt“; I. Schmidt/J. Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 10. Auflage, 2013, S. 212. 162  Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 212, verwenden in diesem Kontext den Ausdruck der „doppelte[n] Zielsetzung“; dazu auch W. Möschel, Das Wirtschaftsrecht der Banken. Die währungs-, bankaufsicht- [sic], kartell- und EWGrechtliche Sonderstellung der Kreditinstitute, 1972, S. 350, welcher der Freiheit gegenüber der Effizienz ein hohes Gewicht zuschreibt, wenn er formuliert, dass „die Freiheitsordnung, die das GWB vor ihrer endogenen Pervertierung schütze wollte, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers grundsätzlich auch die ökonomisch effizienteste Wirtschaftsordnung darstellt“. Der Gesetzgeber ging laut Möschel davon aus, dass Zielkonflikte zwischen ökonomischer Effizienz und Wettbewerbsfreiheit möglich sind, Möschel macht dies an der Existenz von Möglichkeiten zur Durchbrechung des Kartellverbots fest – näher dazu Möschel, Wirtschaftsrecht, ebd., S. 350 f.; siehe dagegen zur These Hoppmanns, dass es nicht zu Zielkonflikten kommen kann (kein „Dilemma“), Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 20. 163  Hervorhebungen in den hier folgenden Zitaten aus den Bundestags-Drucksachen durch die Verfasserin, M.S.

50 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

Bereits 1955 heißt es in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung: „Eine derart geordnete Wirtschaftsverfassung164 bildet das wirtschaftspolitische Gegenstück zur politischen Demokratie. Während deren Inhalt als das politische Mitbestimmungsrecht jedes Staatsbürgers anzusehen ist, stellt die Wettbewerbsordnung die wirtschaftlichen ‚Grundrechte‘ der Freiheit der Arbeit und der Verbrauchswahl165 sicher.“166

Eingangs findet sich in der Begründung bereits die folgende Formulierung: „Das Gesetz geht von der durch die wirtschaftswissenschaftliche Forschung er­ härteten wirtschaftspolitischen Erfahrung aus, daß die Wettbewerbswirtschaft die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung ist und daß der Staat nur insoweit in den Marktablauf lenkend eingreifen soll, wie dies zur Aufrechterhaltung des Marktmechanismus oder zur Überwachung derjenigen Märkte erforderlich ist, auf denen die Marktform des vollständigen Wettbewerbs nicht erreichbar ist.“167

Während die beiden vorstehenden Aussagen sich noch als Abgrenzung zur staatlichen Planwirtschaft und deren Inkompatibilität mit einer Demokratie deuten168 ließen169, gilt das nicht für die folgende Stellungnahme der Bun164  Zum

Begriff siehe bereits oben Abschnitt B. hierzu auch: Drittes Kapitel Abschnitt A.V. zur Konsumentenwahlfrei-

165  Siehe

heit.

166  BT-Drucksache

II/1158, 22.1.1955, S. 22 (Hervorhebung durch die Verfasserin,

167  BT-Drucksache

II/1158, 22.1.1995, S. 21 (Hervorhebung durch die Verfasserin,

M.S.). M.S.).

168  Welcher Art der Zusammenhang ist, der den beiden Aussagen als Annahme zu Grunde liegt, ist nicht so augenfällig, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, die Deutung von J.  Nothdurft, in: H.-J. Bunte (Hrsg.), Kartellrecht. Kommentar, Bd. I, Deutsches Kartellrecht, 14. Aufl. 2022, § 19 Rn. 3, sieht die Stelle (BT-Drucksache II/1158, 22.1.1955, S. 22) darauf gestützt, dass „in der Demokratie die Akzeptanz der Rechts- und Wirtschaftsordnung wesentlich darauf gründet, dass diese […] als gerecht und freiheitswahrend empfunden werden“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); der Akzeptanzaspekt, auf den Nothdurft hier abstellt, ist aber nicht die einzige Möglichkeit zur Interpretation dieser Stelle, dafür spricht bereits die Interpretation durch Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 213, welche – sogar unter Bezugnahme auf beide auch in dieser Arbeit zitierten Stellen (Fn. 165, Fn. 166) – bloß den Gegenstückcharakter aufgreifen, ohne auf einen weiterreichenden Akzeptanzaspekt einzugehen: die „gesellschaftspolitische […] Motivation (Gewährleistung der wirtschaftlichen Handlungs- und Entschließungsfreiheit […] als ökonomisches Pendant zur parlamentarisch-demokratischen Grundordnung)“ (beide Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.); zum Gegenstückcharakter von Markt und Wahl siehe detailliert Fünftes Kapitel. 169  Es kommt diesen Textstellen daher hier als Indiz für die Ergiebigkeit der These nur eine subsidiäre Bedeutung zu; zur Parallelerscheinung im Rahmen der ordoliberalen Literatur: einerseits a) keine Vereinbarkeit der Demokratie mit einer Planwirt-



A. Demokratiebezüge als Anhaltspunkte für die Ergiebigkeit der These 51

desregierung zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes für 1969. Hierin nimmt die Nähe von Demokratie und Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen weiter Gestalt an. Es wird darauf abgestellt, dass Machtkonzentrationen nicht nur die Wirtschaft, sondern die freiheitliche Ordnung und die politische Demokratie berührten: „Für die Erhaltung und Weiterentwicklung einer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hat die Wettbewerbspolitik zentrale Bedeutung. Die marktwirtschaftliche Ordnung, der Wettbewerb der Anbieter und Nachfrager, verspricht nicht nur ein möglichst gutes ökonomisches Ergebnis; sie verschafft darüber hinaus Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit.“170

Wenig später heißt es: „In gesellschaftspolitischer Sicht zerstören übermäßige Ballungen wirtschaftlicher Macht die Grundlage unserer freiheitlichen Ordnung. Politische Demokratie und Marktwirtschaft sind ohne Dezentralisierung der Macht nicht denkbar. Zusammenschlußkontrolle ist kein Dirigismus. In der Marktwirtschaft gilt der Vorrang der unternehmerischen Dispositionsfreiheit nur so lange, als der Gebrauch dieser Freiheit nicht zur Vermachtung der Märkte und damit zur Beseitigung des Wettbewerbs und der Freiheit anderer führt.“171

1. Einordnung der Stellungnahme der Bundesregierung Die Bundesregierung rückt die Ballung wirtschaftlicher bzw. privater Macht172 in einen Zusammenhang mit der Demokratie. Sie hatte offenbar negative Auswirkungen privater Macht auf die Demokratie vor Augen (insbesondere bei der letzten Formulierung). Der Wortlaut der vorstehenden Stellungnahme lässt verschiedene Arten von Zusammenhängen zu, die im Hintergrund der Aussagen stehen könnten. Einerseits kann der Gedanke eine Rolle gespielt haben, dass wirtschaft­ liche Macht in politische Macht umschlagen könnte173. schaft, andererseits b) private Macht selbst als Problem für die Demokratie, siehe bereits Abschnitt A.I. 170  BT-Drucksache VI/950, 11.6.1970, S. 2 (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.). 171  BT-Drucksache VI/950, 11.6.1970, S. 3 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 172  Mit der Bezeichnung von wirtschaftlicher als privater Macht schließt sich die Verfasserin dem Begriffsgebrauch bei Böhm an; Böhm grenzt diese Art der Macht durch die Wahl des Ausdrucks in erster Linie von staatlicher (politischer) Macht ab, siehe dazu z. B. den hellsichtigen Aufsatz Böhm, Demokratie (Fn. 150), S. 3, 12. 173  Der Gedanke taucht immer wieder auf, repräsentativ E.-J. Mestmäcker, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, in: H. Sauermann/ders. (Hrsg.), Wirtschaftsord-

52 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

Die zitierten Stellen174 lassen daneben die Vermutung zu, dass die Bundesregierung noch weitere Aspekte vor Augen hatte. In der Bezugnahme auf eine grundlegende Freiheit der Menschen, die – bereits – durch „bloße“ private Machtausübungen und Kartelle Einbußen erleiden kann, kommt hier ein Gedanke zum Tragen, der in seiner rudimentärsten Form besagt, dass die private Macht als solche – ohne (notwendig) die Zwischenstufe politischer Einflussnahme zu betreten – die Freiheit der anderen Menschen einschränken kann. Ausgehend von dieser Formel ist es eine kurze Strecke dahin, Parallelen zwischen politischem Beherrschtsein und wirtschaftlichem Beherrschtsein zu ziehen, wie es schon US-Senator J. Sherman tat: „If we will not endure a king as a political power we should not endure a king over the production, transportation, and sale of any of the necessaries of life.175“

Im ersten Zugriff lässt sich hier jedenfalls an die Wahlfreiheit in einer Demokratie denken und eine strukturelle Parallele176 zwischen der Freiheit von politischer Macht und der Freiheit von wirtschaftlicher Macht ziehen. 2. Fazit Gesetzesbegründung und Stellungnahme weisen auf einen Zusammenhang zwischen Wirtschaftssystem und Demokratie hin, der eine Wurzel des Kartellrechts bilden könnte. Genauere Ausführungen zur Beschaffenheit dieses Konnexes werden dort nicht vorgenommen.

nung und Staatsverfassung. Festschrift für Franz Böhm zum 80. Geburtstag, 1975, S. 383 (414), demzufolge: „wirtschaftliche Macht die Tendenz hat, in politische Macht umzuschlagen“; M. E. Streit, Die Interdependenz der Ordnungen – Eine Botschaft und ihre aktuelle Bedeutung, in: Ordnung in Freiheit, 1992, S. 5 (16): „ergeben sich für die Mächtigen Chancen, ihren Willen nicht nur anderen Bürgern, sondern auch politisch Handelnden aufzunötigen“, er meint, dass Eucken und Böhm dies aus der „Vermachtung“ der Wirtschaft zwischen den Weltkriegen erkannt hätten; grundlegend schon W. Eucken, Das ordnungspolitische Problem, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 1 (1948), S. 56 (69): „wirtschaftliche Macht äußert sich auch politisch. Denn die Machtgruppen treiben auch politisch Strategie“. 174  BT-Drucksache VI, 950, 11.6.1970, S. 2 f. 175  Vielzitierte Passage einer Rede von J. Sherman, Trusts. Speech of Hon. John Sherman, of Ohio. Delivered in the Senate of the United States, Friday, March 21, 1890, S. 8, https://.hathitrust.org/cgi/pt?id=wu.89098552482&view=1up&seq=12 (28.8.2019). 176  Siehe Fünftes Kapitel.



B. Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen53

B. Der Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Bei der Suche nach den gesellschaftspolitischen Überlegungen hinter dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen hilft es, einen Blick auf den Kontext der Gesetzesentstehung zu werfen. Bei der Entstehung spielten die Überlegungen der Mitglieder der Freiburger Schule eine wichtige Rolle, auch wenn das Gesetz vom 27.7.1957 (in Kraft: 1.1.1958) ihren Vorstellungen nicht gänzlich Rechnung trug – der ursprüngliche „Josten-Entwurf“, benannt nach P. Josten, der die Expertengruppe leitete in der auch Böhm mitwirkte, musste langwierig modifiziert werden, da er auf den zähen Widerstand der Wirtschaft stieß177.

I. Freiburger Schule Unter der Freiburger Schule wird in dieser Arbeit die „Forschungs- und Lehrgemeinschaft“178 um die Freiburger Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth und den Ökonomen Walter Eucken verstanden, die in Freiburg in den 1930iger und 1940iger Jahren bestand179. Davon lässt sich „in theoriegeschichtlicher Perspektive ein[en] Ordoliberalismus i. w. S.“180 abgrenzen, zu dem beispielsweise Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard gezählt werden181. 177  Der Josten-Entwurf erregte erbitterten Widerstand des Bundes der Industrie, zu den Details: Schmoeckel, Rechtsgeschichte (Fn. 160), S. 469 f.; siehe bereits Fn. 160. 178  Eine Zuordnung der Mitglieder nimmt selbst vor: F. Böhm, Die Forschungsund Lehrgemeinschaft zwischen Juristen und Volkswirten an der Universität Freiburg in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Recht der Ordnung der Wirtschaft (1957), in: E.-J. Mestmäcker (Hrsg.), Franz Böhm. Reden und Schriften, 1960, S. 158 (158), der ein „rundes Dutzend Freiburger Universitätslehrer“ zu der Forschungs- und Lehrgemeinschaft zählt, neben sich selbst, „Eucken, GroßmannDörth [sic – die Schreibweise des Namens variiert], Lampe, von Dietze, Lutz, Pfister, Johns, Miksch, Hensel, Karl Friedrich Maier, Fritz Meyer“. 179  Dies folgt der Verwendung des Begriffs „Freiburger Schule“ durch N.  Goldschmidt/M. Wohlgemuth, Entstehung und Vermächtnis der Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, in: dies. (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. 1 (1 f.), die dafür auch den Begriff des „Ordoliberalismus i. e. S.“ verwenden. 180  Die Unterscheidung folgt Goldschmidt/Wohlgemuth, Entstehung (Fn.  179), S. 1 f. (Hervorhebung im Original, M.S.). 181  Goldschmidt/Wohlgemuth, Entstehung (Fn. 179), S. 2, die zudem eine Gruppe von Vertretern einer Freiburger Lehrstuhltradition ausmachen, die sich – wie Eucken – mit Fragen der „Wirtschaftsverfassung“ beschäftigt, hierzu zählen sie:

54 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

Die Freiburger Schule befasste sich mit der „Frage der privaten Macht in einer freien Gesellschaft“182. Diese grundlegende Frage führte aus Böhms Sicht „notwendig […] zu der Frage, wie die Ordnung einer freien Wirtschaft beschaffen ist.“183 Nach Böhms eigenen Worten lag diese wissenschaftliche Fragestellung zu dieser Zeit derartig „in der Luft“184, dass sie ihm, sowie Eucken und Großmann-Doerth zunächst unabhängig voneinander gekommen war und sie dies feststellten, als ein Zufall sie 1932 und 1933 an der Freiburger Universität zusammenführte185. Im Grundsatz bezeichnet das namensgebende „Ordo“ eine auf Freiheit und Menschenwürde basierende Ordnung der Wirtschaft, zu deren Verwirklichung man das Wettbewerbsprinzip nutzen wollte186. Der Freiheitsgedanke wurde den Freiburgen bei der Entwicklung ihrer ordoliberalen Idee immer wichtiger – dies gipfelt in der Bezeichnung ihrer Forschungsergebnisse als „Programm der Freiheit“187. Da der Ansatz der Freiburger teilweise mit deren Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird188, wird der wirtschaftshistorische Kontext kurz aufgezeigt: F. A. v. Hayek, E. Hoppmann, M. E. Streit und V. Vanberg; die feine Unterscheidung in Schule und Tradition macht aber z. B. nicht: Mestmäcker, Legal Theory (Fn. 146), S. 24, der v. Hayek der Freiburger Schule zuordnet: „Hayek […] was part of […] the so-called Freiburg School.“ – Zu den Unterschieden zwischen Böhm/Eucken und (dem späten) v. Hayek siehe: M. Wohlgemuth, Zur Einführung: Friedrich August von Hayek (1899–1992), in: N. Goldschmidt/ders. (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. 615 (619 f.), m. w. N. 182  Böhm, Forschungs- und Lehrgemeinschaft (Fn. 178), S. 162, beschreibt so den Kern der Forschungen der Freiburger Schule. 183  Böhm, Forschungs- und Lehrgemeinschaft (Fn. 178), S. 162. 184  Böhm, Forschungs- und Lehrgemeinschaft (Fn. 178), S. 161; Böhm selbst stellt den Zusammenhang zwischen dem, was in der Luft lag, und der „heraufziehende[n] schwerste[n] Gefahr für unser eigenes Land“, Böhm, ebd., S. 175, her. 185  Böhm, Forschungs- und Lehrgemeinschaft (Fn. 178), S. 161. 186  F. Böhm, Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens. Dem Freunde und Mitherausgeber zum Gedächtnis (1950), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 143), S. 11 (11 f.); siehe in die Richtung auch F. W. Meyer/H. O. Lenel, Vorwort, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 1 (1948), S. VII (VII); siehe auch Möschel, Wirtschaftsrecht (Fn. 162), S. 348, der hervorhebt, dass die „Neoklassiker“ (die Bezeichnung betont das Verhältnis zu den liberalen Klassikern, Repräsentant ist A. Smith) Menschenwürde und Freiheit durch Machtgleichheit erreichen wollten. 187  Eucken, Grundsätze (Fn. 153), S. 370; zu dieser Entwicklung Goldschmidt/ Wohlgemuth, Entstehung (Fn. 179), S. 5. 188  Goldschmidt/Wohlgemuth, Entstehung (Fn. 179), S. 5, führen die Entwicklung zum „Programm der Freiheit“ (s. o.) auch darauf zurück, dass der Nationalsozialismus die Freiheit in der Universität und der Gesellschaft zerstörte; siehe z. B. auch Eucken,



B. Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen55

II. Der wirtschaftsgeschichtliche Kontext der Freiburger Schule Vor und während der Weimarer Zeit war Deutschland das „Land der Kar­ telle“189. Man war lange der Ansicht, Kartelle unterfielen der Vertragsfreiheit, und die Gewerbefreiheit sollte nur eine Freiheit vom Staat, nicht aber eine Freiheit von privater Macht ermöglichen190. 1. Staatliche Macht greift nach der Wirtschaft Die Zeit des Nationalsozialismus ist ein historisches Beispiel für die Gefahr, dass staatliche Macht sich bestehende wirtschaftliche Konzentrationen Grundsätze (Fn. 153), S. 58 ff., wo er u. a. auf die zentral geplante Wirtschaft zwischen 1938 und 1948 Bezug nimmt; die öffentliche Ablehnung des Nationalsozialismus durch die Freiburger Professoren um Eucken kann zu dieser Einschätzung beigetragen haben, siehe dazu N. Goldschmidt, Die Entstehung der Freiburger Kreise, in: Historisch-Politische Mitteilungen: Archiv für Christlich-Demokratische Politik 4 (1997), S. 1 (6); repräsentativ: Hayek, Knechtschaft (Fn. 156), S. 21 ff., insb. S. 27, der auf Gemeinsamkeiten von Sozialismus (zum Fokus auf der „Methode“ beim Begriffsgebrauch durch ihn selbst: v. Hayek, Knechtschaft, ebd., S. 54 ff.) und Nationalsozialismus abstellt, um Gefahrbewusstsein gegenüber einer Planwirtschaft (zum Begriff der Planung, v. Hayek, Knechtschaft, ebd. S. 57 f., S. 66) zu wecken, siehe auch S.  52, 87 ff.; Böhm, Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft (Fn. 178), S. 161, bringt das in der Luft-Liegen der Fragestellung selber mit der bevorstehen Machtergreifung in Verbindung, ohne eine nähere Erklärung dieser Assoziation: „So hatten auch in den Jahren vor der Machtübernahme Hitlers ein Nationalökonom und zwei Juristen ohne Kenntnis voneinander die gleiche Frage zum Gegenstand ihres Nachdenkens gemacht“. 189  Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 211; zum frühen Beginn der Kartellisierung in Deutschland: G. Stolper, Die deutsche Wirklichkeit, 1949, S. 225; H. A. Turner (Jr.), Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, 1985, S. 23, beschreibt sogar ein Anspruchsdenken der Großunternehmer in der Kaiserzeit, sich zu Kartellen zusammenschließen zu dürfen; mit weiteren Details Turner, Großunternehmer, ebd., S. 15; weiterhin sieht Turner, Großunternehmer, ebd., S. 52, die Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2.11.1923 („Kartellverordnung“), als weitgehend wirkungslos an, vielmehr beschreibt er die Weimarer Zeit als solche „florier[ender]“ Kartelle: „Mit dem Segen des [Wirtschafts-]Ministeriums entstanden neben […] Kartellen riesige Trusts, die die Schlüsselindustrien horizontal beherrschten. Die bekanntesten waren der 1925 gegründete IG-Farben-Konzern und die Vereinigten Stahlwerke“; beachte aber zum Sinn der Kartellverordnung, K. W. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S. 62, der betont, dass das Ziel der Verordnung nicht die Verhinderung der Kartellbildung selbst, sondern die Verhinderung bestimmter Verhaltensweisen war. 190  Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 211; berühmt geworden ist hierzu die Entscheidung RGZ 38, 155 (158) von 1897 zum Sächsischen Holzschutzkartell; eine Analyse der vorgenannten Entscheidung findet sich bei Eucken, Grundsätze (Fn. 153), S 170 ff., der dem Reichsgericht aber eine mangelnde Berücksichtigung „des Machtproblems“ bescheinigt.

56 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

und Kartelle für politische Zwecke nutzbar macht, indem sie die bestehenden wirtschaftlichen Strukturen kapert191. Stolper stellt diese Situation wie folgt dar: „Deutschland war auf dem Weg zu einem Wirtschaftssystem weit fortgeschritten, in dem freie Konkurrenz auf einem offenen Markt durch ein System konzentrierter wirtschaftlicher Machtpositionen ersetzt wäre [sic] […]. Dieses System hatte sich als willkommene und brauchbare Handhabe für Hitler erwiesen. Es half ihm, rasch mit seiner Gleichschaltung voranzukommen.“192

Stolper sieht diese Handhabe im Austausch von Leitungspersonal durch die Nationalsozialisten, und es war ihm zufolge damit ein kleiner Schritt von „durchgreifende[r] Kartellisierung zur Sozialisierung [à la Nazi] [sic]“193. Trotz der staatlichen Einflussnahme auf die Großunternehmen in der Zeit des Nationalsozialismus muss an dieser Stelle der Hinweis erfolgen, dass es durchaus zu partnerschaftlichem Verhalten kam194. 191  Mestmäcker, Legal Theory (Fn. 146), S. 40: „Nazi and Facist corporate planning systems have shown the ease of […] transformation of these organisations [(c)artels and privately owned monopolistic infrastructures] into instruments of regulation and planning“; siehe insbesondere zu „Zwangskartellen“ auch C. Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus, 1974, S. 92 ff.; zu den Eingriffen in die Wirtschaft während des Dritten Reiches vom Zwangskartellgesetz von 1933 bis zum Kartellbereinigungserlass siehe Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S.  211 f., zur verstärkten Entwicklung der Kartelle zu staatlichen Lenkungsinstrumenten ab 1933 und der Entwicklung bis zur Zwangswirtschaft; dazu auch T. Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 168), Einl. Rn. 4; zu den Gefahren der Übernahme privater Machtkonzen­ trationen durch den Staat sowohl durch Verstaatlichung als auch „unter Aufrechterhaltung des Privateigentums“ siehe auch Eucken, Grundsätze (Fn. 153), S.  173 ff. 192  Stolper, Wirklichkeit (Fn. 189), S. 225 f.; interessant auch der historische Bezug bei E.  M. Fox, The Symbiosis of Democracy and Markets, background material for Session I at the 16th OECD Global Forum on Competition on 7–8 December 2017, DAF/COMP/GF(2017)5, Competition and Democracy, 2018, S. 4, https://one. oecd.org/document/DAF//GF(2017)5/en/pdf (30.9.2019). 193  Stolper, Wirklichkeit (Fn. 189), S. 226; nach diesem war ab 1936 die „Planwirtschaft auf ein einziges Ziel ausgerichtet: schnellste Aufrüstung“, was v. a. der Großindustrie Vorteile verschaffte; beachte hierzu, dass in neuerer Zeit auch die Auffassung vertreten wird, dass die Aufrüstung bereits seit der Machtergreifung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Regierung stand, A. Tooze, The German National Economy in an Era of Crisis and War, 1917–1945 in: H. W. Smith (Hrsg.), The ­Oxford Handbook of Modern German History, 2011, S. 400 (411); siehe G. Stolper/ K. Häuser/K. Borchardt, Deutsche Wirtschaft seit 1870, 2. Aufl. 1966, S. 123 dazu, dass, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise, bereits die Regierung Brüning Gesetze für eine staatliche Senkung der Kartellpreise schuf; hierzu detaillierter und zu dem Aspekt, dass hier eine Trennung zwischen Preisüberwachung und Kartellrecht erfolgte Schmoeckel, Rechtsgeschichte (Fn. 160), S.  261 m. w. N. 194  Aus jüngerer Zeit Tooze, German National Economy (Fn. 193), S.  423 (m. w. N.): „common pattern […] was […] a productive and profitable partnership“.



B. Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen57

2. Private Macht in der Weimarer Zeit Das theoretische Gegenstück zum Griff der Politik nach der Wirtschaft liegt in der Idee einer Beeinflussung der Politik durch die Inhaber wirtschaftlicher Macht. Dies ist eine weitere Möglichkeit, den regelmäßig benannten Einfluss der Weimarer Zeit auf die Freiburger zu erklären. Vorstellbar sind hier vor allem Bestrebungen, den eigenen Unternehmungen über den politischen Umweg bessere Bedingungen zu verschaffen. Derartige Vorgänge fanden in Form von Lobbyismus und Organisation in Verbänden in der Weimarer Zeit durchaus statt195. Hieraus ergibt sich wohl der regelmäßig beschworene – inverse – Einfluss der Weimarer Zeit auf die Freiburger196. So blickt beispielsweise Eucken hinsichtlich der Entwicklung der Lage ab 1929 auch auf ein durch die „Bildung monopolistischer Marktformen erstarrte[s] […] Preissystem“197. 3. Kein unmittelbarer Einfluss von Kartellen/ privaten Machtkonzentrationen auf die Machtergreifung Es muss aber eine Warnung davor ausgesprochen werden, den Einfluss konzentrierter wirtschaftlicher Macht auf die Politik ganz unmittelbar zu denken. Das betrifft besonders die Überlegung, ob Kartellen bzw. Machtkonzentrationen beim Aufstieg des Nationalsozialismus und der Machtergreifung Hitlers eine Rolle zukam. So weist Turner in seinem umfassend recherchierten Werk darauf hin, dass die Mehrheit der Großunternehmer Hitler keineswegs auf eine Weise unter195  Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 53, stellt besonders auf die guten Beziehungen des Reichsverbands der Deutschen Industrie ins Parlament ab, durch den die Großindustrie Lobbyarbeit betrieb; außerdem traten Industrielle auch als Politiker in Erscheinung, Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 39 f. und stellten Parteien Geld für bestimmte politische Zwecke zur Verfügung, Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S.  41 f. 196  „Having witnessed the use of private economic power to destroy political and social institutions during the Weimar period, the ordoliberals emphasized the need to protect society from the misuse of such power“, D. J. Gerber, Law and Competition in Twentieth Century Europe. Protecting Prometheus, 2001, S. 240; er bezieht sich auf die grundlegende Analyse von Eucken, Grundsätze (Fn. 153), S. 169 ff., siehe dort insbesondere zur Situation nach Einführung der Kartellverordnung von 1923, die Kartelle erlaubte, sie aber unter Aufsicht stellte: „die Machtkörper gewinnen […] ihrerseits einen großen politischen Einfluß in einem Staat, […] [d]er Staat wird dadurch selbst unfähig, die Monopolkontrolle wirksam durchzuführen“ (Eucken, Grundsätze, ebd., S. 172). 197  Eucken, Grundsätze (Fn. 153), S. 310; siehe auch Fn. 204 zur Weltwirtschaftskrise.

58 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

stützte, die eine Kurzformel der Machtergreifung rechtfertigen könnte, die etwa lautete, dass die wirtschaftlich konzentrierte Macht der kartellbildenden Großunternehmer198 sich entschied, „Hitler ins Kanzleramt zu hieven“199 und den Nationalsozialismus zu befördern200. Mit der Vorstellung der Prägung der Freiburger durch ihre Erfahrungen in der Weimarer Zeit und dem Aufstieg der Nationalsozialisten darf sich demnach nicht die irrige Vorstellung einschleichen, es sei ein unmittelbar sichtbares Umschlagen von wirtschaftlicher in politische Macht erfolgt201. 4. Möglichkeit des mittelbaren Einflusses von Kartellen/ privaten Machtkonzentrationen auf die Machtergreifung Ein Zusammenhang dergestalt, dass kartellartige Strukturen und Kooperationen durch private Macht zum Erfolg des Nationalsozialismus in der Gesellschaft mittelbar beigetragen haben, bleibt dennoch denkbar:

198  Die Großindustrie war laut Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 408 f. der Schwerpunkt der Konzentrationen und Kartelle, während die kleinen und mittleren Unternehmen dagegen eher unter solchen Kooperationen litten. 199  Grundlegend Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 411, siehe auch Turner, Großunternehmer, ebd., S. 75 f.; zu dieser Betonung sieht Turner sich veranlasst, da diese Theorie durch die Geschichte spukt, näher dazu Turner, Großunternehmer, ebd., S. 417 ff.; interessant dazu auch R. Neebe, Die Verantwortung der Großindustrie für das Dritte Reich. Anmerkungen zu H. A. Turners Buch „Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers“, in: Historische Zeitschrift 244 (1987), S. 353 (361); Turners Sichtweise wird durch die jüngere Literatur gestützt, z. B. H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. 1914–1949, 2003, S. 292. 200  Näher Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 411 f.: „Erstens existierten die Zuwendungen, der Großindustrie in Millionenhöhe, die angeblich den nationalsozialistischen Moloch nährten, nur in der Phantasie bestimmter zeitgenössischer Beobachter und später in den Köpfen einiger Historiker“; bzgl. des zugewendeten Geldes sieht er zudem oftmals eher defensive Gründe, Turner, Großunternehmer (Fn. 188), S. 412; bereits Stolper, Wirklichkeit (Fn. 189), S. 209 ff. sieht diesbezüglich keine gesteigerte Verantwortung der Großindustriellen; Wehler, Gesellschaftsgeschichte (Fn. 199), S. 293, unterstützt diesen Aspekt, betont, aber, dass die Großunternehmer durch Ihre Haltung zur Weimarer Republik dennoch ihren Anteil zu deren Scheitern beitrugen; ähnlich auch Neebe, Verantwortung (Fn. 199), S. 361. 201  Hierzu Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 411, der betont, dass viele Versuche der Wirtschaft, Einfluss auf die Politik geltend zu machen, keinen Erfolg gehabt hätten, er stellt insbesondere auf eine Warnung des Reichsverbands der Deutschen Industrie vor einer Machtposition Hitlers 1933 ab; siehe generell zur Zweit­ rangigkeit der Industrielleninteressen bei Kollision mit der Regierungspolitik in der Weimarer Zeit: Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 52.



B. Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen59

Die Weimarer Zeit war eine wirtschaftlich instabile Phase; um 1923 herrschte Hyperinflation und Arbeitslosigkeit202. Deren Auswirkungen wurden durch das Verhalten der Kartelle und Machtkonzentrationen noch verschlimmert, die hohe Preise an Abnehmer und Konsumenten weitergaben203. Mit H. Mommsen lässt sich hier ein „Strukturproblem“ erkennen, im durch „Kartellierung und Monopolbildung eingeschränkten oder verzerrten Wettbewerb, der mittelständische Betriebe benachteiligte. Die Kartellpreis­ politik der Schwerindustrie führte zu einer indirekten Erhöhung der Lebenshaltungskosten, welche auf die Löhne zurückwirkte.“204 Besonders die unter der privaten Macht leidenden kleinen und mittelständischen Unternehmer (s. o.), waren dem Versprechen einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage zugänglich und wünschten sich einen Politikwechsel205.

III. Zwischenergebnis Die Annahme, die Geschehnisse vor und während des Nationalsozialismus hätten einen Einfluss auf die ordoliberale Idee gehabt, speist sich aus mehreren Quellen.

202  Schmoeckel, Rechtsgeschichte (Fn. 160), S. 255; H. Mommsen, Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar. 1918–1933, 2. Aufl. 2001, S. 383 stellt auch auf die Kriegslasten ab. 203  Schmoeckel, Rechtsgeschichte (Fn. 160), S.  256 f. 204  Mommsen, Aufstieg (Fn. 202), S. 284; zu keiner anderen Bewertung führt auch die Berücksichtigung der Kartellnotverordnung, die im Jahr 1930 aufgrund der globalen Weltwirtschaftskrise im Jahr 1930 erlassenen wurde und mit deren Hilfe die Regierung Absprachen, die zu überhöhten Preisen führten, aufheben konnte − ein wettbewerblich zustande gekommenes Preisniveau ließ trotzdem auf sich warten. In der Folge kam es zur Schaffung eines (kartellunabhängigen) Preisüberwachungsrechts, siehe zu dieser Entwicklung, Schmoeckel, Rechtsgeschichte (Fn. 160), S. 259 ff.; siehe zum Charakter der Kartellnotverordnung als bloßes Krisenbewältigungsinstrument, eindrücklich Nörr, Leiden (Fn. 189), S. 78. 205  Näher hierzu D. J. Gerber, Constitutionalizing the Economy: German NeoLiberalism, Competition Law and the „New“ Europe, in: The American Journal of Comparative Law 42 (1994), S. 25 (28): „National socialist promises of economic improvement, social solidarity and a return to political stability proved irresistible“; Turner, Großunternehmer (Fn. 189), S. 409: „Die nationalsozialistischen Pläne […] versprachen ihnen eine stärkere Vertretung ihrer Interessen […]. Es waren diese kleinen und mittleren Unternehmer und nicht die Großkapitalisten, bei denen den Nationalsozialisten während ihres Aufstiegs zur Macht ein tiefer Einbruch gelang“; zu den ökonomisch geschwächten Mittelständlern und deren Mitarbeitern als Wähler der NSDAP: Mommsen, Aufstieg (Fn. 202), S.  425 f.

60 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

Der Einfluss kann zunächst im Griff der Politik nach den bereits bestehenden Kartellen und Konzentrationen gesehen werden. Da dies jedoch geschah, während der Weg in Richtung Zwangswirtschaft beschritten wurde (insbesondere um die Kriegsproduktion zu ermöglichen), muss man sich vor Augen halten, dass es vermutlich auch ohne die bestehenden Strukturen zur Zwangswirtschaft gekommen wäre. Der Existenz dieser Strukturen kommt daher wohl die Rolle eines erleichternden Umstandes zu. Ein anderer Aspekt, dem der Charakter eines historischen Ursprungs des deutschen Kartellrechts zukommen kann, ist der Einfluss, den die Kartelle und privaten Machtkonzentrationen in der Weimarer Zeit auf die Politik hatten und den sie nutzten, um die Gesetzesdurchsetzung (insbesondere die Kartellverordnung) zu untergraben (s. o.). Trotz der richtigen Vorstellung eines starken Einflusses der Wirtschaft auf die Politik während der Weimarer Zeit sollte man nur maßvoll Schlüsse da­ raus ziehen. So würde man mit der Vorstellung über das Ziel hinaus schießen, die Großunternehmer, die in der Kartellbildung führend waren, hätten auch Hitler als Kanzler ausersehen und ins Amt gebracht. Allerdings ist ein mittelbarer Einfluss der Konzentrationen und Kartelle auf die erfolgreiche Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht völlig von der Hand zu weisen. Bei den Inhabern kleiner und mittlerer Unternehmen sowie bei den Beschäftigten aller Unternehmen wurde die ohnehin ungünstige wirtschaftliche Lage noch verschlechtert durch das Verhalten der Vielzahl von Kartellen und Machtzusammenballungen. Mittelbar fand also durch diese ein Angriff auf die finanzielle Lage und die daraus resultierende Zufriedenheit einer Vielzahl von Menschen mit der eigenen Lebenssituation statt. Diesem Angriff kommt allerdings die Rolle eines Faktors unter vielen zu, welche die Wirtschaft schwächten und damit die Akzeptanz des bestehenden wirtschaftlichen Systems in der Gesellschaft untergruben. Durch die wirtschaftliche Gesamtsituation wurde die Bereitschaft der Bevölkerung, einen – radikalen – Politikwechsel zu mitzutragen erhöht und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Weimarer Demokratie geschwächt. Bei der vorstehenden Erwägung kommt ein monetärer Aspekt zum Tragen, der sich auf die Formel bringen lässt, dass eine finanzielle Lage, die einen gewissen Lebensstandard gewährleistet, erforderlich ist, damit die Menschen überhaupt in der Lage sind, die Staatsform der Demokratie wertzuschätzen206. An diesen Gedanken lässt sich der folgende Abschnitt anknüpfen. 206  So scheint auch in der Rede des Stellvertretenden Militärgouverneurs Generalleutnant Robertson in der ersten Sitzung des Zonenbeirats der britisch besetzten Zone zumindest der Gedanke durch, dass eine funktionierende Wirtschaft Nährstoff für eine Demokratie ist. „Germany should eventually attain an economy […] which shall give her people a standard of life under which democracy and self-respect can exist“,



B. Kontext der Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen61

1. Die Nachkriegszeit: der Kontext von Entflechtung und Dekartellisierung Groben Anhalt für einen Zusammenhang zwischen Dekartellisierung beziehungsweise Entflechtung und Demokratisierung bietet auch die Nachkriegspolitik der Amerikaner. Die Alliierten verfolgten nach dem zweiten Weltkrieg besonders die Ziele der Demilitarisierung und der Demokratisierung Deutschlands, wie sich bereits aus dem Potsdamer Abkommen von 1945 ergibt207. Auch die Dezentralisierung der Wirtschaft wurde in Teil III B Ziff. 12 des Potsdamer Abkommens208 vereinbart. In dem Abkommen ist dennoch keine ausdrücklich erkennbare Vorstellung einer Demokratieförderung durch Dekartellierungen und Entflechtungen enthalten209. Allerdings wird im Gesetz Nr. 56 der amerikanischen Militärregierung Deutschlands210, das aufgrund der vorgenannten Ziff. 12 des Potsdamer Abkommens erlassen wurde, in der Präambel prominent − neben dem Ziel, Deutschlands Fähigkeit, Krieg zu führen zu zerstören − der Grund genannt, die Grundlage für den Aufbau einer gesunden und demokratischen Wirtschaft zu schaffen211. B. H. Robertson, Rede des Stellvertretenden Militärgouverneurs Generalleutnant Robertson zur Eröffnung des Zonenbeirats, Protokoll der ersten Sitzung des Zonenbeirats der britisch besetzten Zone (Auszug), 6.3.1946, in: H.‑D. Kreikamp (Hrsg.), Quellen zur staatlichen Neuordnung Deutschlands. 1945–1949, 1994, S. 83 (86). 207  Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin vom 2.8.1945 („Potsdamer Abkommen“): zur Entmilitarisierung insbesondere Teil II A Ziff. 3, zur Demokratisierung insbesondere Teil III A Ziff. 7 des Abkommens; dazu R. Blum, Soziale Marktwirtschaft. Wirtschaftspolitik zwischen Neoliberalismus und Ordoliberalismus, 1969, S. 149. 208  „[D]as deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“ 209  Jedenfalls kommt ein Zusammenhang nicht explizit zum Ausdruck, die Elemente sind vielmehr in unterschiedlichen Bereichen des Abkommens verortet: die angestrebte Demokratisierung findet sich in Teil III A, insbesondere Ziff. 7, die Dezentralisierung der Wirtschaft dagegen unter Teil III B des Abkommens. 210  Gesetz Nr. 56 (Verbot der übermäßigen Konzentration deutscher Wirtschaftskraft) der Militärregierung Deutschlands, amerikanische Zone und Land Bremen, 1947 („Gesetz Nr. 56“), veröffentlicht im Amtsblatt C der amerikanischen Militär­ regierung (bestätigt am 28.1.1947), http://deposit.d-nb.de/online/vdr/rechtsq.htm (1.10.2019). 211  Präambel des Gesetzes Nr.  56 (Fn.  210); trotzdem sind Stolper/Häuser/ Borchardt, Deutsche Wirtschaft (Fn. 193), S. 291, der Auffassung, dass der „amerikanische Antitrust-Gedanke, daß der Wettbewerb geschützt werden müsse, um die Marktwirtschaft zu stärken, […] zunächst kaum sichtbaren Ausdruck [fand]“; und das, obwohl Stolper, Wirklichkeit (Fn. 189), S. 224, das Gesetz als „eine deutsche Fassung der Sherman-Anti-Trust-Akte“ ansieht; interessant auch F. Böhm, Die Aufga-

62 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

In den USA setzte sich bald die Sichtweise durch, dass Deutschland wirtschaftlich gestärkt werden müsse, um es zu einem Partner Amerikas zu machen212. Der Dezentralisierungsgedanke beziehungsweise die ablehnende Haltung gegenüber Kartellen und Machtzusammenballungen wurde offenbar auch und gerade vor diesem Hintergrund für vielversprechend gehalten und beibehalten213. 2. Fazit Die Idee des grundlegenden Zusammenhanges zwischen Wirtschaft und Gesellschaft214 taucht hier also bereits in der konkreten Gestalt auf, dass eine dezentralisierte Wirtschaft in Deutschland einen Beitrag dazu leisten kann, das Land und die Gesellschaft auf Seiten des Westens zu halten und die Anfälligkeit für den Kommunismus zu reduzieren.

ben der freien Marktwirtschaft. (Ungelöste Fragen, insbesondere das Monopolpro­ blem), 1951, S. 44, der in Bezug auf die Zerschlagung von Monopolunternehmen und dem Wettbewerbsbeschränkungsverbot grundsätzlich keine Intention der Amerikaner sieht, der deutschen Wirtschaft zu schaden, dies begründet er damit, dass die Amerikaner dieselben Maßnahmen auch in ihrem „eigenen Lande für richtig und segensreich halten“; auch Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 168), Einl. Rn. 5, nimmt als ein Ziel des Gesetzes Nr. 56 (Fn. 210) bereits die Integration Deutschlands in das westliche Marktwirtschaftssystem an. 212  Siehe zu dieser Entwicklung im Kontext des Marshall-Plans detailliert W. Mausbach, Zwischen Morgenthau und Marshall. Das wirtschaftspolitische Deutschlandkonzept der USA 1944–1947, 1996, S. 340 ff.; insbesondere S. 346: „Der Marshall-Plan sollte mit ökonomischen Mitteln das politische Ziel einer Stabilisierung und Strukturierung […] auf liberaldemokratischer Grundlage erreichen“; in diese Richtung auch Blum, Soziale Marktwirtschaft (Fn. 207), S. 190: „Ein wirtschaftlich wieder erstarktes Europa erscheint deshalb als ein Bollwerk gegen den Kommunismus.“ 213  Die Direktive vom 15.7.1947, die für die amerikanische Militärregierung erlassen wurde, sah in Ziff. 21 weiterhin eine Dezentralisierung der Wirtschaft vor (deutsche Übersetzung dieser Direktive abgedruckt in: Stolper, Deutsche Wirklichkeit [Fn. 189], Anlage F, S. 348 ff.); diese Direktive ordnet als Grundlage für den „ökonomischen Kampf gegen den Kommunismus“ ein: Blum, Soziale Marktwirtschaft (Fn. 207), S. 202; zu einem Ende der Bewirtschaftung und einem Anfang der Marktwirtschaft kam es erst mit dem Leitsätzegesetz von 1948; siehe dazu M. v. Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, 2006, S. 67, der das Leitsätzegesetz als Beginn der Marktwirtschaft einstuft (näher dazu Fn. 215). 214  Grundlegend Weber, Wirtschaft (Fn. 150), S.  199 f.



C. Die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft63

C. Die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft Bereits 1948 erfolgte eine Weichenstellung215 gegen die Bewirtschaftung. Die CDU entschloss sich 1949 zur Aufnahme der „sozialen Marktwirtschaft“216 in ihr erfolgreiches Wahlprogramm, die sogenannten Düsseldorfer Leitsätze. In diesem Dokument findet sich die Passage: „So kam es in der freien Wirtschaft alten Stils oft zu wirtschaftlicher Ausbeutung der Schwachen durch die Mächtigen und zu wirtschaftlichem Gewalt- und Schädigungskrieg. Die Leidtragenden waren die wirtschaftlich und sozial Schwachen, insbesondere die Verbraucher. Weil wir die unsozialen Auswüchse einer solchen ‚freien‘ Wirtschaft vermeiden wollen, weil wir in ihr eine verfälschte Marktwirtschaft sehen, fordern wir neben dem Leistungswettbewerb die Monopolkontrolle. Erst eine wirksame Monopolkontrolle verhindert, daß Privatpersonen und private Verbände Lenkungsaufgaben in der Wirtschaft übernehmen können. Erst die Monopolkontrolle führt dazu, daß der Verbraucher mittelbar Art und Umfang der Produktion bestimmt und damit zum Herrn der Wirtschaft wird. Dadurch führt die von uns geforderte Wirtschaftsordnung neben den im Ahlener Programm genannten Mitteln zu wahrer Wirtschaftsdemokratie und deshalb nennen wir sie die ‚soziale Marktwirtschaft‘.“217

In dieser Passage wird deutlich, dass der sozialen Marktwirtschaft eine Beziehung zur Demokratie zugeschrieben wird, die ihren Ursprung weniger in einem sozialen „Zusatz“ beziehungsweise in sozialen Modifikationen der Ergebnisse einer Marktwirtschaft hat, vielmehr kommt eine Immanenz zum Ausdruck. Lenkungsaufgaben sollen letztlich dem Verbraucher zukommen. Wird der Verbraucher – wie hier – als (mittelbarer) „Herr der Wirtschaft“ gesehen, entspricht diese Vorstellung letztlich der Vorstellung des Verbrau-

215  Die Weichenstellung erfolgte durch das Leitsätzegesetz, siehe dort insbesondere II Nr. 1 der Anlage zum Gesetz, in welcher der freien Preisbildung der Vorzug gegeben wird; gleichsinnig Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte (Fn. 149), S.  188 f., der in dem Gesetz eine Neuordnung der Wirtschaft und Gesellschaft sieht; die Überlieferung, dass Erhard diese Weichenstellung im Alleingang durchgeführt habe, wird von U. Fuhrmann, Die Entstehung der „Sozialen Marktwirtschaft“ 1948/49, 2017, S. 122, als „Mythos“ bezeichnet, m. w. N.; jedenfalls General Clay stand hinter ihm: L. Erhard, Wohlstand für Alle (1957), Neuausgabe 1997, S. 23; zur Entstehung des Leitsätzegesetzes und der Mitarbeit Mikschs, siehe detailliert Fuhrmann, Entstehung, ebd., S.  145 ff. 216  Prägung erhielt der Begriff durch A. Müller-Armack, siehe dazu Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte (Fn. 149), S. 93. 217  Düsseldorfer Leitsätze über Wirtschaftspolitik, Landwirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Wohnungsbau vom 15. Juli 1949, S. 31, https://www.kas.de/c/document_ library/_file?uuid=e96 f38a1-b923-a79e-c5a3-11569de3 f64e&groupId=252038 (9.9.2019).

64 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

chers als Wähler, der mit seiner Konsumwahl Entscheidungen trifft, nach denen sich die Wirtschaft mit ihrem Angebot richten muss218.

D. Wiederentdeckung der Wurzeln des Kartellrechts I. Amerikanisches Antitrust-Recht Bei der Entstehung des deutschen Kartellrechts kam es zu der bereits erwähnten Orientierung am Recht der USA. Dieses war in seinen Anfängen – wenigstens auch – gesellschaftspolitisch veranlasst219. So benennt Schweitzer es als einen wichtigen Grund für den Erlass des Sherman Act von 1890, „d[er] Sorge um die Auswirkungen wirtschaftlicher Machtkonzentration (Big Business) auf Gesellschaft und Demokratie“220 zu entgegnen. Wie das deutsche GWB heute vielerorts als Grundgesetz der Wirtschaft bezeichnet wird (s. o.), lässt sich die ähnliche anschauliche Beschreibung des Sherman Act als „wirtschaftliche Magna Carta des amerikanischen Volkes“221 finden. Hovenkamp beschreibt eine allgemeine „anti-bigness“ Haltung in der Gesellschaft, welche für die Gesetzesentstehung entscheidend war: Leistung und nicht Größe sollte den Erfolg bestimmen222. Nachdem das Antitrustrecht lange Zeit Dienerin der ökonomischen Effizienz war223, lässt sich in jüngerer Zeit 218  Die Idee, die Verbraucher als Wähler zu beschreiben findet sich beispielhaft bei: C. D. Edwards, Big business and the policy of competition, Westport [Connecticut], 1980, S. 4: „the expenditures of consumers are often described as votes determining what shall be produced“; zum Bild des Verbrauchers als Wähler siehe näher Fünftes Kapitel. 219  Laut Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik (Fn. 161), S. 277, ging es hauptsächlich um die „demokratische […] Kontrolle wirtschaftlicher Macht“; siehe in diesem Kontext das Zitat aus der Rede Shermans (s. o.). 220  H. Schweitzer, Wettbewerbsrecht und das Problem privater Macht, in: Möslein, Private Macht (Fn. 150), S. 447 (452; Hervorhebung im Original, M.S.). 221  F. Haussmann, Der Antitrustgedanke im Wirtschaftssystem,1950, S. 9, der noch auf die deutsche Kartellverordnung von 1923 abstellt um aufzuzeigen, dass in Deutschland eine solche „Charakterisierung“ derselben ausgeblieben ist. 222  H. Hovenkamp, Federal Antitrust Policy. The Law of Competition and its Practise, St. Paul [Minnesota], 4. Aufl. 2011, S. 61. 223  Dafür steht die Chicago-School of Antitrust, siehe nur V. Emmerich/K. W. Lange, Kartellrecht, 15. Aufl. 2021, S. 3 f.; K. W. Lange, in: ders. (Hrsg.), Handbuch zum deutschen und europäischen Kartellrecht, 2. Aufl. 2006, § 1 (S. 4) Rn. 8; aktuell kommt verstärkt Kritik auf, dazu S. Weber Waller, Antitrust and Democracy, in: Florida State University Law Review 46 (2019), S. 807 (812): „The debate over the goals of competition law has continued and strengthened in contemporary times. Scholars both old and new argue for more than a thin diet of efficiency, defined as wealth maximization, as the animating principle of competition law“, m. w. N.



D. Wiederentdeckung der Wurzeln des Kartellrechts65

eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des Rechtsgebietes feststellen, die sich besonders gegen Monopole richtet224.

II. Aktuelle Debatte auch in Europa Eine vergleichbare225 Debatte, befeuert durch das Verhalten der großen Internetunternehmen, wird auch in Europa geführt226. Aufgrund der ordolibe224  Anlass für diese Renaissance waren Machtzusammenballungen in Gestalt von Online-Plattformen; wegbereitend L. M. Khan, Amazon’s Antitrust Paradox, in: Yale Law Journal, Yale 126 (2017), S. 710 (710 ff.), hier besonders S. 737: „the undue focus on consumer welfare is misguided. It betrays legislative history, which reveals that Congress passed antitrust laws to promote a host of political economic ends – including our interests as workers, producers, entrepreneurs, and citizens.“; zu politischen Auswirkungen, Khan, Amazon’s, ebd., S. 743; siehe zu der Öffentlichkeitswirkung der Denkrichtung, die inzwischen als New Brandeis School bezeichnet wird: L. M. Khan, The New Brandeis Movement: America’s Antimonopoly Debate, in: Journal of European Competition Law & Practice 9 (2018), S. 131 (131 f.); dem ging bereits mit vielen Bezügen zur Demokratie voraus: Z. Teachout/L. Khan, Market Structure and Political Law: A Taxonomy of Power, in: Duke Journal of Constitutional Law & Public Policy 9 (2014), S. 37 (40), die insbesondere die verschiedenen Arten von Einfluss auf die Politik darstellen: Teachout/Khan, ebd., S. 43 ff., exemplarisch zu Zwangswirkungen auf die Politik durch die Fallgruppe „Too Big to Fail“, S. 52; der neuen Denkrichtung schlägt auch viel Gegenwind ent­ gegen, näher dazu S. Marco Colino, The antitrust „F“ word: fairness considerations in competition law, in: Journal of Business Law 5 (2019), S. 329 (334) m. w. N.; der Gedanke eines „Demokratiedefizits“ des Kartellrechts findet sich schon bei H. First/S. Weber Waller, Antitrust’s Democracy Deficit, in: Fordham Law Review 81 (2013), S. 2543 ff. (siehe hier besonders S. 2544), wo sie einen Zusammenhang zwi­ schen demokratischen Werten and freien Märken annehmen, sowie demokratische Ziele des Kartellrechts erwähnen („democratic […] goals of the antitrust laws“); der Fokus ihres Aufsatzes liegt aber auf nicht auf diesen selbst, sondern ist eher ein Auf­ ruf, insbesondere das US-Kartellrecht der Technokratie zu entreißen (First/Weber Waller, Antitrust’s Democracy Deficit, ebd. S. 2574) und eine größere demokratische Kontrolle zu ermöglichen (First/Weber Waller, Antitrust’s Democracy Deficit, ebd. S. 2562, S. 2574); sie betonen: „antitrust is also public law designed to serve public ends“, First/Weber Waller, Antitrust’s Democracy Deficit, ebd. 2544; siehe auch die deutliche Positionierung zur Demokratieförderung als Ziel des US-Kartellrechts durch Weber Waller, Antitrust and Democracy (Fn. 223), S. 816: „the promotion of democracy should be an express value of competition law“, er beschäftigt sich in diesem Aufsatz im Übrigen aber v. a. mit der Durchsetzung des Kartellrechts bzw. mit Verfahrensaspekten. 225  Auf die teilweise deutlichen Eigenheiten des amerikanischen Antitrustrechts im Vergleich zum deutschen und europäischen Recht kann hier nicht eingegangen werden, der Blick in die USA dient in dieser Arbeit lediglich dazu, die Aktualität des Themas aufzuzeigen. 226  A. Ezrachi/M. E. Stucke, The fight over antitrust’s soul, in: Journal of European Competition Law & Practice 9 (2018), S. 1 (1 f.), nehmen zur New Brandeis School Stellung; A. Ezrachi, EU Competition Law Goals and the Digital Economy. Oxford

66 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

ralen Wurzeln, die auch das europäische Rechtsdenken geprägt haben227, hat die Debatte trotz des neuen Anwendungsfeldes (Digitalwirtschaft) eher den Charakter der Wiederentdeckung eines Begründungszusammenhangs, als den einer revolutionären Umsteuerung. Besonders bemerkenswert für diese Arbeit, wenngleich auch ohne besonders auf die Entwicklungen im Bereich der Online-Wirtschaft zu rekurrieren, ist der Ansatz von S. Makris und E. Deutscher, die auf Basis des Ordoliberalismus einen Demokratiekonnex des Kartellrechts identifizieren und in diesem Potential zum Verständnis neuerer EU-kartellrechtlicher Entscheidungen erblicken228. Sie sehen die Chance, dass auf Basis des Demokratiekonnexes eine umfassendere Denkrichtung begründet werden könnte und bringen diese als Gegenspielerin zum more economic approach in Stellung229. Makris/ Deutscher sind der Auffassung, der Ordoliberalismus nehme neben einem negativen Zusammenhang (dergestalt, dass die Demokratie durch das Wirtschaftssystem untergraben werden kann), auch einen positiven Zusammenhang (in dem Sinne einer Demokratieförderung durch das Kartellrecht) an230. Die Autoren untersuchen die von ihnen herangezogenen aktuellen Entscheidungen auf die dort vorgenommene Gewichtung von Werten, die sie wiederum der Input- oder Output-Legitimität zuordnen231. Ihnen zufolge ist die Balance zwischen Input- und Output- orientierten Zielen entscheidend um zu gewährleisten, dass „Wettbewerb“ eine demokratisch legitimierte Institution Legal Studies Research Paper No. 17/2018, S. 18 (gezählt), https://papers.ssrn.com// papers.cfm?abstract_id=3191766 (30.9.2019), geht auf „demokratische Werte“ ein: „In the context of the digital economy, the value of plurality, democratic values and freedoms may support intervention in case where firms distort markets, information flows, and subsequently impact on consumers’ freedom“ (Hervorhebung im Original, M.S.); siehe auch A. Reyna, Why Competition Law Must Protect Democracy – A European Perspective; Contribution from the BEUC (European Consumer Organization) to the OECD Global Forum on Competition on 7–8 December 2017, DAF/ COMP/GF/WD(2017)36, S. 3, https://one.oecd.org/document/DAF/COMP/GF/(2017) 36/en/pdf (1.4.2021), zur limitierten Möglichkeit der Internetnutzer sich Google, Face­book, Amazon oder deren Töchtern zu entziehen. 227  Detailliert Gerber, Law (Fn. 196), S. 263 ff.; das gilt trotz des „more economic approach“ der Kommission. 228  E. Deutscher/S. Makris, Exploring the Ordoliberal Paradigm: The CompetitionDemocracy Nexus, Competition Law Review 11 (2016), S. 181 (195 ff.). 229  Trotz des Gegenspielercharakters sehen sie die Möglichkeit der Kompatibilität beider Ansätze; zum Ganzen Deutscher/Makris, Ordoliberal Paradigm (Fn. 228), S. 184, 196. 230  Deutscher/Makris, Paradigm (Fn.  228), S. 188  ff.; sie sehen den positiven Zusammenhang verkörpert durch „welfare-maximisation, economic freedom and procedural justice“ (Makris/Deutscher, Paradigm, ebd., S. 188). 231  Zur Verwendung der Begriffe der Input- und Outputlegitimität bei Scharpf siehe näher Viertes Kapitel.



E. Zusammenfassung67

ist232. Sie identifizieren den von ihnen beschriebenen Konnex als Grundgedanken, finden ihn aber nicht in der Weise, dass er − aus einer wörtlichen Formulierung ersichtlich − einem Gericht klar vor Augen gestanden hätte233.

III. Empirische Untersuchungen Verschiedentlich werden Zusammenhänge zwischen Demokratie und wirtschaftlichen Faktoren empirisch untersucht234. Insbesondere ist die Untersuchung Petersens interessant, in der er sich speziell damit beschäftigt, ob das Kartellrecht positiven Einfluss auf die Qualität einer Demokratie nehmen kann235.

E. Zusammenfassung Die Gesetzesbegründung und die Stellungnahme der Bundesregierung deuten darauf hin, dass sich mindestens zwei Facetten destillieren lassen, die Hintergrund der dortigen Äußerungen sind. Eine mögliche Facette ist die des Umschlagens privater Macht in politische Macht. Eine andere Facette ist ein freiheitsbeschränkender Einfluss privater Macht allein. Möglicherweise kann private Macht sich (höchstens) wie staatliche Macht auswirken236. Für beide Aspekte kann eine Nähe zur Demokratie hergestellt werden. Seit dem Inkrafttreten des GWB wurden wirtschaftspolitisch viele Entwicklungen durchlaufen. Trotzdem lässt die Deutlichkeit dieser frühen Aussagen erwarten, dass sich eine Betrachtung des dort vorausgesetzten Zusammenhanges auch heute noch lohnt.

Paradigm (Fn. 228), S. 209, 199. Paradigm (Fn. 228), S. 214. 234  Siehe dazu den Überblick bei N. Petersen, Antitrust Law and the Promotion of Democracy and Economic Growth, in: Journal of Competition Law & Economics 9 (2013), S. 593 (597 ff.); siehe auch T.-C. Ma, Antitrust and Democracy: Perspectives from Efficiency and Equity, in: Journal of Competition Law & Economics 12 (2016), S. 233 (233 f., 251, 257); siehe auch Drittes Kapitel A.III. 235  Die empirische Untersuchung von Petersen, Antitrust Law (Fn. 234), S.  617 ff. liefert kein signifikantes Ergebnis, Petersen vermutet als Grund die derzeitige Ausgestaltung des Kartellrechts, Petersen, Antitrust Law (Fn. 234), S. 619; kritisch zu Petersens Untersuchung: Ma, Antitrust (Fn. 234), S. 234; sowie Schweitzer, Wettbewerbsrecht (Fn. 220), S. 453. 236  Vergleichbar ist der Gedanke bei F. Möslein, Private Macht als Forschungsgegenstand der Privatrechtswissenschaft, in: ders., Private Macht (Fn. 150), S. 1 (5 f.), der u. a. Plattformen ähnliche Wirkungen wie sonst staatlichen Institutionen unterstellt, m. w. N. 232  Deutscher/Makris, 233  Deutscher/Makris,

68 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

Die ordoliberale Schule thematisiert die Demokratie prominent im Zusammenhang mit der Wirtschaftsordnung. Einige Autoren haben dies in jüngerer Zeit aufgegriffen – Makris/Deutscher237 sehen hierbei sogar explizit ein Poten­tial für einen grundlegenden Ansatz im Kartellrecht, der sich in der Rechts­praxis auswirken kann und mit dem more ecomic approach in Konflikt geraten kann. Bereits mehrfach kam eine Nähe von Freiheit und Demokratie zum Ausdruck (Stichwort: „die freiheitliche Demokratie“). Inwiefern Demokratie und Freiheit zusammenhängen, wird im Vierten Kapitel untersucht.

F. Exkurs: Biographisches zu Eucken und Böhm Neben dem historischen Kontext der Freiburger Schule (siehe oben, Abschnitt B.) ist ein Blick auf die Persönlichkeiten Walter Eucken und Franz Böhm interessant.

I. Walter Eucken Walter Eucken wird 1891 in Jena geboren, als Kind der Künstlerin Irene Eucken und des Philosophen Rudolf Eucken, der später den Literaturnobelpreis erhält. In Euckens Elternhaus verkehren häufig bekannte Künstler als Gäste238. Nach seiner Promotion 1913 in Bonn nimmt Eucken als Frontoffizier am ersten Weltkrieg teil239. 1921 wird er in Berlin habilitiert240. Eucken arbeitet 237  Siehe

bereits oben Fn. 229. Ganzen z. B. M. Haarmann, Wirtschaft – Macht – Bürgerbewusstsein. Walter Euckens Beitrag zur sozioökonomischen Bildung, 2015, S. 185 ff.; siehe auch W. v. Klinckowstroem, Walter Eucken: Eine biographische Skizze, in: L. Gerken (Hrsg.), Walter Eucken und sein Werk, 2000, S. 53 (53 ff.); weiterführend zur „geistigen Orientierung“ des Elternhauses, Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 185 ff.; insbesondere der Philosophie seines Vaters wird ein Einfluss auf das Werk Euckens zugemessen, z. B. Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S.  192 m. w. N. 239  L. Gerken, Walter Eucken: Curriculum vitae, in: ders. (Hrsg.), Walter Eucken und sein Werk, 2000, S. 49 (50); Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 195; Haarmann bezeichnet Euckens Einstellung nach dem ersten Weltkrieg zunächst als „nationalkonservativ“ Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 199, 196 und beschreibt einen Wandel Euckens zum Liberalismus, Haarmann, Wirtschaft, ebd., S. 201 ff.; interessant auch U. Dathe, Walter Euckens Weg zum Liberalismus (1918–1934), Freiburger Diskus­ sionspapiere zur Ordnungsökonomik 9/10, S. 6 ff., https://.econstor.eu//10419/36455/ 1/618587608.pdf (6.5.2021). 240  v. Klinckowstroem, Walter Eucken (Fn. 238), S. 68. 238  Zum



F. Exkurs: Biographisches zu Eucken und Böhm69

eine Zeitlang für den Reichsverband der Deutschen Industrie, was ihn wohl gegenüber privater Macht sensibilisiert241. Während der nationalsozialistischen Zeit ist Eucken dem Regime gegenüber „unangepasst“242. Er beteiligt sich an den „Freiburger Kreisen“243 und wird als Gegenpol244 zu M. Heideggers Rektorat in Freiburg angesehen; auch verhält er sich in seinen Lehrveranstaltungen oppositionell245. In dieser Zeit – und im wissenschaftlichen Umfeld der „Freiburger Schule“246 – entwickelt Eucken die Grundlagen seiner Ordnungsidee247. Eucken stirbt bereits 1950 in London248.

II. Franz Böhm Franz Böhm (geboren 16.2.1895 in Konstanz) nimmt 1919 das Studium der Rechtswissenschaft in Freiburg auf, nachdem er sich zuvor am ersten Weltkrieg beteiligte249. Böhm arbeitet von 1925 bis 1931 in der Kartellabteilung des Reichswirtschaftsministeriums250. 1932 wird Böhm mit seiner Dissertation „Der Kampf des Monopolisten gegen den Außenseiter als wettbewerbsrechtliches Problem“ in Freiburg promoviert; es folgt seine Habilitationsschrift „Wettbewerb und Monopolkampf“, 241  Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S.  203, m. w. N.; Dathe, Walter Euckens Weg (Fn. 239), S.  13 ff., m. w. N. 242  Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 252. 243  Z. B. Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 252; siehe auch unten Fn. 246. 244  Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 253, m.  w. N.; siehe auch v. Klinckow­ stroem, Walter Eucken (Fn. 238), S.  85 ff., m. w. N.; z. B. auch W. Oswalt, Zur Einführung: Walter Eucken (1891–1950), in: N. Goldschmidt/M. Wohlgemuth, Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. 119 (119 f.). 245  Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S.  255 f.; v. Klinckowstroem, Walter Eucken (Fn. 238), S. 77. 246  Böhm, Eucken und Großmann-Doerth halten zusammen in Freiburg 1934 ein Seminar ab, dass als Gründungsseminar der Freiburger Schule gilt Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S.  261 f., v. Klinckowstroem, Walter Eucken (Fn. 238), S. 78 (siehe oben B.I. zur Freiburger Schule); interessant Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S. 274 ff., der auf das Verhältnis „zwischen ‚Freiburger Schule‘ und den ‚oppositionellen Freiburger Kreisen‘ “ eingeht, m. w. N. 247  Siehe z. B. nur Haarmann, Wirtschaft (Fn. 238), S.  251 f. 248  v. Klinckowstroem, Walter Eucken (Fn. 238), S. 107. 249  A. Hollerbach, Wissenschaft und Politik: Streiflichter zu Leben und Werk Franz Böhms (1895–1977), D. Schwab/D. Giesen u. a. (Hrsg.), Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat, 1989, S. 283 (284); Lebenslauf Böhms, bei T. Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, 2003, S. 227. 250  Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 284.

70 Zweites Kapitel: Ordoliberalismus, Freiburger Schule, soziale Marktwirtschaft

die er 1933 in Freiburg einreicht251. Böhm lehrt zunächst in Freiburg252 und ab 1936 als Lehrstuhlvertreter in Jena253. Böhm äußert sich kritisch gegenüber dem Nationalsozialismus254, weshalb ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wird255. Im Zusammenhang hiermit wird ihm die Lehrerlaubnis entzogen256. Ab 1945 lehrt Böhm wieder in Freiburg257. Böhm engagiert sich zudem politisch; insbesondere beteiligt er sich zusammen mit P. Josten am Entwurf eines deutschen Kartellgesetzes (siehe zum Josten-Entwurf bereits oben Fn. 177)258. Von 1953 bis 1965 gehört Böhm dem Bundestag für die Christlich Demokratische Union an259. Er beschäftigt sich insbesondere mit der Kartellgesetzgebung260 und der „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischer Verbrechen261. Böhm stirbt 1977 in Rockenberg bei Frankfurt262.

251  Zieschang, Staatsbild (Fn. 249), S. 227; Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S.  285 f. 252  Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 287. 253  Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S.  289 f. 254  Bereits in Freiburg hatten einige Studenten Böhms (und überdies u. a. auch Euckens) Tod gefordert, ausführlicher Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S.  287 f., m. w. N. 255  Detailliert Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 289 ff. Er weist auch darauf hin, dass den Anstoß zu dem Verfahren insbesondere Äußerungen gaben, die Böhm und dessen Schwiegermutter Ricarda Huch im privaten Rahmen tätigten, Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 289; siehe auch V. J. Vanberg, Zur Einführung: Franz Böhm (1895–1977), in: N. Goldschmidt/M. Wohlgemuth (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. 43 (43 f.). 256  Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 291; Vanberg, Einführung (Fn. 255), S. 44. 257  Hollerbach, Wissenschaft (Fn. 238), S. 293 f.; 1946 nimmt Böhm einen Ruf an die Universität Frankfurt an, Hollerbach, Wissenschaft, ebd., S. 296 f. 258  Vanberg, Einführung (Fn. 255), S. 44; siehe dort auch dazu, dass Böhms strenge Haltung gegenüber Kartellen „nur mit deutlichen Abstrichen“ Eingang in das Gesetz von 1957 fand. 259  Zieschang, Staatsbild (Fn. 249), S.  227 f. 260  Vanberg, Einführung (Fn. 255), S. 44. 261  Vanberg, Einführung (Fn. 255), S.  44 f.; Zieschang, Staatsbild (Fn. 249), S.  227 f. 262  Zieschang, Staatsbild (Fn. 249), S.  227 f.

Drittes Kapitel Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts Um sich der Frage zu nähern, wie ein Zusammenhang zwischen dem Kartellrecht und der Demokratie beschaffen sein könnte, sollen die Ziele263 des Kartellrechts beziehungsweise der Wettbewerbspolitik genauer untersucht werden. Hierbei soll besonders versucht werden, der „Freiheit“ des Wettbewerbs als Ziel beziehungsweise Wert der Wettbewerbspolitik stärkere Konturen zu geben. Insbesondere die Annäherung an das ordoliberale „Freiheitsparadig­ ma“264 des deutschen Kartellrechts dient dem Verständnis des Hintergrundes des Rechtsgebiets. Grund dieser Fokussierung auf die Wettbewerbsfreiheit ist zudem, dass Freiheit für die Idee der Demokratie eine wichtige Rolle zukommt265 (siehe ausführlich Viertes Kapitel). Im späteren Verlauf der Arbeit wird die Freiheit des Wettbewerbs mit Blick auf einen „Demokratiekonnex“266 des Kartellrechts als verbindendes Element267 untersucht werden.

263  Überblicksartig

zu den Zielen bereits oben, Erstes Kapitel C. an den Ausdruck bei J. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 114. 265  Beispielhaft H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, S.  3 f. 266  Begriff in Anlehnung an E. Deutscher/S. Makris, Exploring the Ordoliberal Paradigm: The Competition-Democracy Nexus, in: The Competition Law Review 11 (2016), S. 181 (183). 267  Ähnlich Deutscher/Makris, Paradigm (Fn. 266), S. 189 ff.; welche die Rolle der wirtschaftlichen Freiheit, die nach ordoliberaler Vorstellung auf andere Freiheiten einwirkt (siehe detailliert Fünftes Kapitel), im Kontext des „Demokratiekonnexes“ betonen. 264  Angelehnt

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

I. Wettbewerb als Mittel zu einem höheren Zweck Zunächst soll klargestellt werden, dass die Befürwortung des Schutzes des Wettbewerbsprozesses268 die Möglichkeit lässt, Wettbewerb auch als Mittel zu einem Zweck zu betrachten − als solcher Zweck gilt einhellig269 die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile. Von besonderem Interesse für diese Arbeit ist dagegen folgender Aspekt: wenn teilweise270 der Schutz des Wettbewerbsprozesses als Ziel in sich beschrieben wird, soll dies mitnichten heißen, dass der Wettbewerbsprozess einen Selbstzweck darstellt271. Vielmehr wird der Wettbewerb „wegen bestimmter Eigenschaften, die er aufweist“272 gewünscht. Der Wettbewerbsschutz bezweckt also die Entfaltung dieser Eigenschaften – zu ihnen zählt an vorderster Front, dass sich im Wettbewerb die Freiheit des Individuums verwirklicht273. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Wettbewerb als 268  Die Unvorhersehbarkeit und Unplanbarkeit ist der Grund für den Schutz des prozesshaften Mechanismus Wettbewerb; diese einhellige Meinung kommt beispielhaft zum Ausdruck bei L. Maritzen, in: J. Busche/A. Röhling (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Kartellrecht, Bd. I, §§ 1–34a, 2017, § 1, Rn. 37: „Der Institutionenschutz schirmt den freien Wettbewerb vor einer ‚Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung‘ ab“; Maritzen, ebd., § 1 GWB Rn. 37, betont das Prozesshafte des Wettbewerbs, wenn er für eine Beschreibung des „Phänomen[s] ‚Wettbewerb‘ als Entdeckungsverfahren“ (Hervorhebung im Original, M.S.) plädiert und sich damit an v. Hayek anlehnt; siehe näher F.  A. v. Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit. Band 3: Die Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen, 1981, S. 100 ff.; siehe auch Erstes Kapitel C.IV. 269  So gilt selbst innerhalb der Theorie Hoppmanns (neben der Wettbewerbsfreiheit) die ökonomische Vorteilhaftigkeit als wichtiger Grund für den Schutz des Wettbewerbs; deutlich bei E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 184 ff., wenn er hervorhebt, dass man sich Wettbewerb (neben seinen sonstigen positiven Eigenschaften) als „Instrument“ zur Erreichung ökonomischer Vorteile wünschen kann: „Hier ist er nur Hilfsziel“ (Hoppmann, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 185 f.); genauer zu Hoppmanns Konzept C. W. Neumann, Historische Entwicklung und heutiger Stand der Wettbewerbstheorie, 1982, S. 268 f. 270  Abgesehen von dieser Sichtweise existiert eine wohlfahrtsökonomische Betrachtung, bei der die „Freiheit des Wettbewerbs […] ausgeklammert [wird]“, siehe A. Künzler, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit?, 2008, S. 53. 271  T. Käseberg, in: H.‑J. Bunte (Hrsg.), Deutsches Kartellrecht, Bd. I, 14. Aufl., Einl. Rn. 126, sieht Wettbewerb als „nicht um seiner selbst willen geschützt“; auch E. Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, in: H. K. Schneider (Hrsg.), Grundlagen der Wettbewerbspolitik, 1968, S. 9 (13): „[man sagt] Wettbewerb sei ein ‚Ziel in sich selbst‘, er werde ‚um seiner selbst willen‘ gewünscht. Diese Auffassung wird jedoch in reiner Form nicht vertreten.“ 272  So explizit bei Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 184. 273  Beispielhaft E. Tuchtfeldt, Soziale Marktwirtschaft und Globalsteuerung (1973), in: W. Stützel/C. Watrin/H. Willgerodt u. a. (Hrsg.), Grundtexte zur Sozialen



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts73

Ziel in sich aufgefasst werden kann, weil er dem Zweck der Freiheitsverwirklichung dient274. Diese Erkenntnisse helfen dabei, einen Blick auf den Wettbewerb zu entwickeln, der diesen als Instrument sieht, ohne den instrumentellen Charakter mit einer Dienerschaft an ökonomischen Vorteilen zu begründen.

II. Trennung in ökonomische und außerökonomische Mittel mit Blick auf die Verwirklichung einer freiheitlichen Demokratie Eine sprachliche Differenzierung in ökonomische Mittel und außerökonomische Mittel, welche der Verwirklichung einer freiheitlichen Demokratie zuträglich sein könnten275, birgt für diese Untersuchung einen kleinen Gewinn. Zwar könnten beide Arten von Mitteln gleichermaßen auf ihren Beitrag zur Verwirklichung einer freiheitlichen Demokratie untersucht werden. Durch die Trennung der Begriffe kann dennoch gut verdeutlicht werden, dass der Marktwirtschaft. Zeugnisse aus zweihundert Jahren ordnungspolitischer Diskussion, 1981, S. 83 (86): „die Freiheit des Individuums [manifestiert sich] […] auf dem Markte im Wettbewerb“; Käseberg, in: Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 271), Einl. Rn. 126, stellt darauf ab, dass „die individuelle Freiheit des Einzelnen, am Wettbewerb […] teilzunehmen, tragender Gedanke des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen ist“; Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 185: „Im Wettbewerb äußert sich Freiheit zur Initiative, zum Experiment“. – Hier wird auch bereits das Bedürfnis des Freiheitsverständnisses Hoppmanns nach Machtminimierung sichtbar, wenn Hoppmann, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 185, hinzufügt: „Erweiterung des Wettbewerbs ist identisch mit Einengung wirtschaftlicher Marktmacht“; siehe auch Drittes Kapitel A.IV.4.b)aa). 274  Überaus interessant für diese Arbeit ist, dass Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 185 darüber hinaus im Kontext seiner Äußerung: „Insofern sagt man, Wettbewerb sei ein Ziel in sich selbst“ explizit einen Zusammenhang zur Demokratie herstellt, indem er auf Edwards verweist. – Die relevante Stelle bei C. D. Edwards, Big business and the policy of competition, Westport [Connecticut], 1980, S. 4, lautet: „competition is valued for its own sake, as the economic equivalent of political democracy by averting dangerous extensions of the power of private organizations and governments.“ 275  Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 186, bezeichnet in diesem Kontext jegliche Wirtschaftspolitik als „Zweck-Mittel-Kette“ und meint, dass „wirtschaftliche Freiheit […] selbst wieder Mittel [ist], um einen noch allgemeineren Zweck zu verwirklichen“; interessanterweise für diese Arbeit sieht Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 186 „[w]irtschaftliche Freiheit“ als einen „Aspekt der individuellen Freiheit im gesamten gesellschaftlichen Bereich“ und zieht deshalb den Schluss: „[w]irtschaftliche Freiheit ist also Mittel zur Verwirklichung einer freien, demokratischen Gesellschaft als einem ‚ultimate social goal‘ “ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.).

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Fokus dieser Arbeit darauf liegt, das genuin „außerökonomische“ Mittel der Freiheit des Wettbewerbs276 auf seinen Hilfsmittelcharakter für die Erreichung und Erhaltung von Demokratie zu überprüfen. Dagegen ist es ein hier nicht weiter verfolgter Weg, die genuin ökonomischen (Hilfs-)Mittel auf ihr Potential zu überprüfen, zur Demokratie beizutragen. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, soll dieser Nebenweg in einem Inkurs nur so kurz aufgezeigt werden, dass sein Unterschied zum hier gewählten Ansatz deutlich wird:

III. Inkurs: Ökonomische Vorteile als Mittel der gesellschaftlichen und politischen Stabilität und der Akzeptanz des Wirtschaftssystems Die Bildung des Marktpreises mittels eines Wettbewerbs, der möglichst unverzerrt durch private Machtausübungen ist, und die hierdurch – unterstellt277 − erreichten ökonomischen Vorteile, können möglicherweise eine demokratiefördernde Wirkung entfalten278. Wohlstand kann zur Akzeptanz eines wirtschaftlichen Systems beitragen, darum ist es denkbar, dass Wohlstandssteigerungen mittelbar279 auch zur Zu276  Dagegen wird Freiheit in den wohlfahrtsökonomischen Theorien nur als Leerbegriff gebraucht; die Freiheit lässt sich in diesen Theorien mit J. H. Klement, Wettbewerbsfreiheit, 2015, S. 183 als bloßer „Reflex eines ökonomisch richtigen, weil die richtigen Ergebnisse zeitigenden Regeldesigns“ einordnen; ähnlich Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 53. 277  Im Rahmen dieser Arbeit kann keine Untersuchung erfolgen, welche Vorteile ökonomischer Art tatsächlich auf die Existenz des Kartellrechts rückführbar sind. 278  Ein erster guter Überblick über Faktoren, für die eine demokratiefördernde Wirkung diskutiert wird (z. B. wirtschaftliche Entwicklung, Verteilung von Macht, Verteilung von Wohlstand) findet sich in der empirischen Untersuchung N. Petersen, Antitrust Law and the Promotion of Democracy and Economic Growth, in: Journal of Competition Law & Economics 9 (2013), S. 593 (597 ff.) m. w. N. 279  Es sollte aber beachtet werden, dass Effizienz nicht nur als eigenständiges Ziel, sondern auch als „Mittel zum Zweck“ hinterfragt werden muss, weiterführend J. Drexl, Ronald Dworkin, ökonomische Effizienz und das Kartellrecht, in: FIW (Hrsg.), Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft, 2010, S. 175 (S. 175 ff.), der eine ausführliche Übertragung der Kritik Dworkins am Effizienzkriterium im Allgemeinen auf das europäische Kartellrecht liefert und resümiert (Drexl, Dworkin, ebd., S. 184), dass Effizienz als „eigenständiges normatives Ziel […] keinen eigenständigen Gerechtigkeitsgehalt aufweist“ und der zudem auch darauf hinweist, dass „das Effizienzkriterium […] zum anderen funktional als Mittel zum Zweck zu hinterfragen [ist]“; Letzterem steht er aber aufgeschlossener gegenüber.



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts75

friedenheit mit dem politischen System beziehungsweise, bei Bestehen eines demokratischen Systems, zur Zufriedenheit mit diesem beitragen können280. Die rar gesäten empirischen Untersuchungen zu den Auswirkungen des Kartellrechts auf die Demokratie beschäftigen sich in erster Linie mit den ökonomischen Aspekten eines möglichen Zusammenhanges281. Anders lagert der Gedanke der Akzeptanz eines Systems aufgrund der Verwirklichung von Freiheit in der Sphäre der Wirtschaftsordnung282.

280  Allgemein akzeptiert ist wohl die Vorstellung, dass Wohlstand zur Zufriedenheit der Gesellschaft mit ihrem Wirtschaftssystem und ihrem politischen System beiträgt; speziell mit Bezug zur Stabilisierung der Demokratie siehe C. C. v. Weizsäcker, Ökonomisierung als Folge der lebendigen Demokratie in: FIW, Wettbewerbspolitik (Fn. 279), S. 107 (111): „Der Bürger erwartet ‚Fortschritt‘. Wirtschaftlich gesprochen heißt dies ‚Wachstum‘. So ist es bis heute nicht ausgemacht, ob die Demokratie ohne wirtschaftliches Wachstum stabilisiert werden kann“; allgemeiner G. Wegner, Ökonomischer Liberalismus als politische Theorie, 2012, S. 87, Wegner wählt den Ausdruck der „Gemeinschaft der Wohlstandsinteressenten“, die in der Demokratie „mit dem Souverän der Gesetzgebung identisch [ist]“ und betont: „eine Verfehlung des Wohlstandsinteresses der Gesellschaft − oder auch nur großer Gruppen in der Gesellschaft  − ist folgenreich für den demokratischen Entscheidungsprozess und für den Wettbewerb um politische Macht“ (Wegner, Liberalismus, ebd. S. 88); grundlegend zu Korrelationen von „wealth“ und Demokratie S. M. Lipset, Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy, in: The American Political Science Review 53 (1959), S. 69 (75 ff.); siehe zu den Weiterentwicklungen von Lipsets Ansatz M. G. Schmidt, Demokratietheorien, 6. Aufl. 2019, S. 373 f. 281  Siehe bereits Zweites Kapitel D.III.; beispielhaft T.-C. Ma, Antitrust and Democracy: Perspectives from Effiency and Equity, in: Journal of Competition Law & Economics 12 (2016), S. 233 (251): „although improving income distribution by protecting consumers and small businesses is the channel through which antitrust safeguards political democracy, its effect is very small“; allerdings wird in der bereits erwähnten empirischen Untersuchung von Petersen, Antitrust Law (Fn. 278), S. 620, in der kein Zusammenhang zwischen vorteilhafter ökonomischer Entwicklung auf­ grund des Kartellrechts und Demokratie nachgewiesen werden kann, als mögliche Ursache hierfür diskutiert, dass das derzeitige Kartellrecht in der Regel nicht gegen ökonomische Machtausübung an sich wirkt, sondern sich auf Einzelmärkte konzen­ triert. – Diese Erwägung impliziert einen Zusammenhang zwischen Demokratie und Kartellrecht, der eben nicht ausschließlich über ökonomische Vorteile vermittelt wird. 282  In diese Richtung geht die empirische Untersuchung von C. M. Hindermann, The Impact of Economic Freedom on State Legitimacy. An Empirical Investigation, 2018, der den Einfluss wirtschaftlicher Freiheit auf die Legitimität des Staates untersucht. – Unter wirtschaftlicher Freiheit versteht er mehr als ökonomische Vorteile/ Wohlstand, ersichtlich z. B. daran, dass er in Anlehnung an v. Hayek die Möglichkeit zu Eigenverantwortung und Planung betont, Hindermann, Impact, ebd., S. 143 ff.; hierzu passt auch, dass J. Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 271), § 19 Rn. 3, die Akzeptanz von Rechts- und Wirtschaftsordnung in einer Demokratie darauf gründen sieht, „dass diese in einem weitgehenden gesellschaftlichen Konsens als gerecht und freiheitswahrend empfunden werden“; siehe bereits Fn. 129.

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Dem freiheitswahrenden Charakter einer Wirtschaftsordnung, die eine eigenverantwortliche Teilnahme der Wirtschaftenden ermöglicht, wird demnach eine Bedeutung für die Demokratie zugemessen. Diese ist von rein finanziellen Aspekten zu unterscheiden283. Dem Ansatz, einen Zusammenhang zwischen (Wettbewerbs-)Freiheit und Demokratie zu ermitteln, soll nun näher nachgegangen werden. Dafür wendet sich die Verfasserin zunächst detailliert der Idee der Wettbewerbsfreiheit zu, um im weiteren Verlauf deren etwaige Relevanz für die Demokratie ergründen zu können.

IV. Wettbewerb als Instrument und Freiheit als Ziel beziehungsweise Wert der Wettbewerbspolitik und des Kartellrechts Ist Wettbewerb als Instrument der (Wettbewerbs-)Freiheit zu verstehen, kann im Sinne der These weiter gefragt werden, ob diese Freiheit zum „Schutz“ von Demokratie beiträgt, beziehungsweise wie das Verhältnis der Wettbewerbsfreiheit zur Demokratie aussieht. 1. Internationale Relevanz der Wettbewerbsfreiheit Das ordnungspolitische Denken in Freiburger Tradition prägt neben dem deutschen Kartellrecht auch die Entwicklung des europäischen Kartellrechts maßgeblich284. Trotzdem beobachtet Drexl mit Blick auf den europäischen Diskurs eine schwache Position jedweder Argumentation, die auf das „Freiheitsparadigma“ des Ordoliberalismus baut285. Insbesondere stellt er fest, 283  Das Erfordernis der Trennung der Aspekte Freiheit und finanzielle Vorteile im hiesigen Sinne macht die Perspektive, dass Geld letztlich auch „gemünzte Freiheit“ (F. M. Dostojewski, Aufzeichnungen aus einem Totenhaus, 9. Aufl. 1996, S. 33 [Übersetzung durch E. K. Rahsin]) ist nicht weniger wahr: mit diesem gedanklichem Bild ausgestattet, fällt es sogar leichter, die Aspekte Freiheit und Wohlstand zusammenzudenken, die beide auf ihren Hilfszielcharakter für die Demokratie untersucht werden können. Betrachtet man diese als zwei Seiten einer Medaille, wird deutlich, dass ein sehr hohes Maß an (wirtschaftlicher) Unfreiheit auf der einen Seite der Medaille, eine „monetär generierte Freiheit“ auf der anderen Seite derselben Medaille durchaus beeinträchtigen kann. 284  Drexl, Dworkin (Fn. 279), S. 175; siehe auch zum Einfluss des frühen Ordoliberalismus auf deutsches und europäisches Kartellrecht M. Hellwig, Wirtschaftspolitik als Rechtsanwendung: Zum Verhältnis von Jurisprudenz und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik, 2007, S. 33, http://homepage.coll.mpg.de/pdf_dat/2007_19online. pdf (4.11.2019). 285  Drexl, Dworkin (Fn. 279), S. 175; passenderweise ermittelt P. Akman, The role of „freedom“ in EU competition law, in: Legal Studies 34 (2014), S. 183 (213) in



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts77

dass die Beschäftigung mit der „Effizienz vs. Freiheit“-Debatte (siehe oben), die im Kontext des more economic approach geführt wird, international als „ ‚deutsches Problem‘ abgetan“ wird286. Bemerkenswert ist allerdings, dass Drexl Grundzüge dieser Debatte durchaus in der Kritik internationaler Forscher am Effizienzkriterium wiedererkennt, die sprachlich jedoch kaum um das Freiheitsparadigma kreist, sondern eher eine generelle Werte- und Gerechtigkeitsdimension hat287. 2. Die Freiheit des Wettbewerbs: Unterschiedlicher Blick verschiedener Disziplinen auf die Freiheit Versucht man, sich ein Bild von der Wettbewerbsfreiheit zu machen, stößt man auf ein typisches Phänomen für ein Thema mit interdisziplinärer Relevanz: Es existieren unterschiedliche Begriffsverständnisse und Perspektiven, auch wenn die Wörter sich gleichen. Die Frage, was unter der Freiheit des Wettbewerbs zu verstehen ist, oder ob eine ebensolche Freiheit als „Ziel“ oder „Wert“ des Kartellrechts infrage kommt, ist für eine Mehrzahl von Disziplinen von Interesse, und mit der Zugehörigkeit zu einer Disziplin ist meist auch ein bestimmtes Begriffsverständnis verbunden. Als hilfreich erweist sich die Trennung zweier Perspektiven, die Klement als „die Außen- und die Innenperspektive“288 bezeichnet; seine Überlegungen werden im Folgenden detaillierter aufgegriffen. Die Warte der Außenperspektive sieht Klement oft durch Ökonomen eingenommen, den Blick aus der Innenperspektive ordnet er dagegen Juristen zu. Aus beiden Perspektiven heraus wird der Begriff der Wettbewerbsfreiheit beziehungsweise der Freiheit des Wettbewerbs verwendet289. ihrer empirischen Untersuchung, dass der Begriff der Freiheit in einer relativ geringen Zahl europäischer Entscheidungen eine Rolle spielt. 286  Drexl, Dworkin (Fn. 279), S. 176. 287  Drexl, Dworkin (Fn. 279), S. 191; Drexl versucht der Wahrnehmung der Freiheit- vs. Effizienzdebatte als „deutsches Problem“ (s. o.) entgegenzuwirken, indem er sie an einen Diskurs zwischen R. Dworkin, G. Calabresi und R. A. Posner international anknüpft (Drexl, Dworkin, ebd., S. 176 ff. m. w. N.). Ins Zentrum stellt er den Aufsatz R. M. Dworkin, Is Wealth a Value?, in: The Journal of Legal Studies 9 (1980), S. 191 (191 ff.), in welchem Dworkin das Effizienzkriterium kritisiert und aufzeigt, dass Wohlfahrtssteigerungen keinen gesellschaftlichen Mehrwert haben müssen (insb. Dworkin, Wealth, ebd., S. 199 ff., insb. S. 201); siehe dazu die detaillierte Rezeption von Drexl, Dworkin (Fn. 279), S. 179, der Selbiges überdies für die Konsumentenwohlfahrt vertritt (Drexl, Dworkin, ebd., S. 186 ff.). 288  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 39, der eine Außen- und Innenper­ spektive gerade mit Blick auf die Wettbewerbsfreiheit identifiziert. 289  Siehe Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S.  39 f.

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Für die Außenperspektive ist der „Zweck des Rechts ein empirisch feststellbarer Sachverhalt, der von Rechtsnormen […] gefördert oder gefährdet werden kann“290. So unterscheidet die Institutionen- bzw. Konstitutionenökonomik zwischen einer konstitutionellen Ebene („Wahl der Spielregeln“) und einer sub-konstitutionellen Ebene („Wahl der Strategien oder Spielzüge“)291. Auf beiden Ebenen kann nach dem normativen Gehalt der Wettbewerbsfreiheit gefragt werden292. Wie genau die Umsetzung eines auf der konstitutionellen Ebene erwünschten Freiheitsziels im Recht erfolgt, ist aber aus der Außenperspektive nicht von Interesse293, das rechtliche Gebäude wird nicht betreten – ihm fällt nur die Aufgabe zu, das passende Ergebnis zu erzeugen. Deutlichen Ausdruck findet dies darin, dass die Außenperspektive beim Blick auf die sub-konstitutionelle Ebene die Wettbewerbsfreiheit mit der Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gleichsetzt, die nach Anwendung der rechtlichen Regeln, insbesondere des Kartellrechts, übrigbleibt294. Dagegen ruht der Blick eines Juristen, der die Innenperspektive einnimmt, wie durch eine Lupe auf den Details der Rechts„anwendung“ – bei der er allerdings auch eine Rechtsfindung beziehungsweise Normerzeugung durchführt295. Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 39. Zitate V. J. Vanberg, Wettbewerbsfreiheit und ökonomische Effizienz: Die ordnungsökonomische Perspektive, in: ders. (Hrsg.), Evolution und freiheitlicher Wettbewerb. Erich Hoppmann und die aktuelle Diskussion, 2009, S. 105 (108); dazu Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 40. 292  Vanberg, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 291), S. 113. 293  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 39. 294  Diesen Hinweis gibt Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 39 f.; beispielhaft zur Wettbewerbsfreiheit auf der sub-konstitutionellen Ebene Vanberg, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 291), S.  113 f. 295  Die Rechts„anwendung“ lässt sich nicht klar von der Rechtswahl trennen, siehe näher Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 40: die „klare Trennlinie […] zwischen Regelwahl und Regelanwendung […], gibt es für die Rechtswissenschaft nicht“; siehe weiterführend O. Lepsius, Themen einer Rechtswissenschaftstheorie, in: M. Jestaedt/O. Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 1 (35), der die „Vorstellung einer klaren institutionellen Trennung von Rechtssetzung und Rechtsanwendung“ für unterkomplex hält − er identifiziert „Rechtserzeugungsakteure“ neben „dem“ Gesetzgeber; eindrücklich auch Lepsius, Themen, ebd., S. 34: „Die Anwendung des Rechts auf Sachverhalte erfolgt durch individuelle Akte der Rechtserzeugung. Wer Recht im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt konkretisiert, übt […] einen individuellen Gestaltungsspielraum des Rechts‚anwenders‘ aus“, m. w. N.; hierzu bereits H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 171; den Subsumtionsvorgang bezeichnet Lepsius, Themen, ebd., S. 35, als „individuelle[n] Akt der Rechtserzeugung“; grundlegend zur Rechtserzeugung H. Kelsen, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl. 1960, S. 241 ff. 290  Klement, 291  Beide



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts79

Aspekte der Wettbewerbsfreiheit können für diese Normerzeugung durch den Rechtsanwender eine Rolle spielen296. Wer nach der Wettbewerbsfreiheit als Rechtsbegriff fragt, dem kann mit einem Verständnis der Wettbewerbsfreiheit als Freiheitsüberbleibsel nach Abzug rechtlicher Regeln (s. o.) nicht sinnhaft geantwortet werden297. 3. Rechtspolitische Ziele und Rechtsdogmatik Für diese Arbeit von Bedeutung ist auch die Unterscheidung zwischen Wettbewerbsfreiheit als Begriff beziehungsweise Ziel der Rechtspolitik und Wettbewerbsfreiheit als Begriff der Rechtsdogmatik298. Rechtspolitische Ziele werden nicht unmittelbar zu Gesetzeszwecken299 – vielmehr ist die Ermittlung des Gesetzeszweckes Aufgabe der Juristen300. 4. Die Wettbewerbsfreiheit in Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik Mit derartig geschärftem Blick wenden wir uns der Wettbewerbsfreiheit in Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik zu.

296  Weiterführend

Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S.  41 f. Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 42, der u. a. darauf abhebt, dass nur ein Teil dessen, was die Außenperspektive unter dem Begriff Wettbewerbsfreiheit versteht, auch in der Rechtsdogmatik unter diesem Namen auftritt; ähnlich E.‑J. Mestmäcker, Die Interdependenz von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik, in: Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik, 2005, S. 19 (28), der den rechtlichen Zweck und den ökonomischen Zweck von Normen trennt. 298  Siehe dazu Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 42. 299  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 42; siehe auch Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 248, zum „mehr oder weniger dichte[n] ‚Schleier des Nichtwissens‘ “. Den Ausdruck „Schleier des Nichtwissens“ übernimmt er wohl von Rawls, J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, z. B. S. 29. 300  P. Pohlmann, Verfahrensrecht für ein ökonomisiertes Kartellrecht. Der Beurteilungsspielraum der Kommission, in: S. Bechtold/J. Kickeli/M. Rohe (Hrsg.), Recht, Ordnung und Wettbewerb. Festschrift zum 70. Geburtstag von Wernhard Möschel, 2011, S. 471 (472); interessant ist auch, dass Pohlmann hier im Kontext der Zieldebatte des Kartellrechts herausarbeitet, dass der Gesetzgeber auf die „normative Ökonomie“ schaut, um die Ziele zu bestimmen, die er verfolgen will, und auch der Rechtsanwender bei der teleologischen Auslegung die Hilfe der normativen Ökonomie sucht, um die „auslegungsrelevanten Regelungsziele zu erkennen und zu verstehen“. 297  Detailliert

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Die Freiheit des Wettbewerbs verkörpert in verschiedenen wettbewerbstheoretischen301 Konzepten das zentrale Ziel der Wettbewerbspolitik302. Grundsätzlich können wettbewerbstheoretische Konzepte, welche sich an der Wettbewerbsfreiheit orientieren (oft als systemtheoretischer Ansatz zusammengefasst303), solchen Konzepten gegenüber gestellt werden, welche sich nur an Wohlfahrtsgesichtspunkten orientieren, beziehungsweise in denen der Freiheit der Marktteilnehmer im Wettbewerb jedenfalls kein Eigenwert zukommt304. Im Folgenden wird versucht, ein erstes Bild der Wettbewerbsfreiheit aus den verschiedenen Varianten des systemtheoretischen Ansatzes entstehen zu lassen305. a) Die Ursprünge der Wettbewerbsfreiheit: Die Freiheit in der klassischen Nationalökonomie Bereits der Vater der englischen Nationalökonomie Adam Smith beschreibt ein „System natürlicher Freiheit“306. In Smiths marktwirtschaftlichem Modell folgt jeder seinem Eigeninteresse307. Nach Smith ist das selbstbezogene Handeln der Markteilnehmer für die Gemeinschaft nützlich − der Einzelne muss die Nützlichkeit aber bei seiner Handlung im Eigeninteresse nicht vor 301  Als Wettbewerbstheorie bezeichnet man die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit „den Bedingungen, den Gesetzmäßigkeiten und den Ergebnissen von Wettbewerbsprozessen“ beschäftigt, V. Emmerich/K. W. Lange, Kartellrecht, 15. Aufl. 2021, S. 3. 302  Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 53. 303  Zum Begriff siehe C. Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 157; M. Ruffner, Neue Wettbewerbstheorie und schweizerisches Kartellrecht, 1990, S. 48 f. 304  Die Unterscheidung nach systemtheoretischem Ansatz und wohlfahrtsökonomischem Ansatz trifft in jüngerer Zeit beispielhaft Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 40; zu der Unterscheidung bereits Neumann, Entwicklung (Fn. 269), S. 126; R. Olten, Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, 1995, S. 95 f.; obwohl diese Einteilung in ihrer Absolutheit infrage gestellt werden muss, behält Künzler die Unterscheidung bei, um den more economic approach den zentral an der Wohlfahrt orientierten Ansätzen zuordnen zu können, siehe dazu Künzler, Effizienz, ebd., S. 60, m. w. N. 305  Wohlfahrtsökonomische Ansätze sind für diese Arbeit nicht relevant, weil in ihnen die Wettbewerbsfreiheit nicht um ihrer selbst willen geschützt ist, so Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 183; ähnlich Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 53. 306  A. Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Vollständige Ausgabe nach der 5. Aufl. London 1789, 1978, S. 582, dazu H. C. Recktenwald, Adam Smith. Sein Leben und sein Werk, 1976, S. 10. 307  Smith, Wohlstand (Fn. 306), S. 371; H. C. Recktenwald, Adam Smith (1723– 1790), in: J. Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens. Erster Band. Von Platon bis John Stuart Mill, 1989, S. 134 (140).



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts81

Augen haben oder berücksichtigen308. Die Wirtschaft koordiniert sich selbst mittels des Preismechanismus aufgrund von Angebot und Nachfrage im Wett­bewerb309. Smith beschäftigt sich vorrangig mit einer Freiheit von staatlichen Eingriffen310. Dennoch wird in seinem freiheitlichen System der Staat durchaus zur Sicherung der Freiheit gebraucht311. Genau an dieser Stelle sieht Recktenwald den Ansatz Smiths durch W. Eucken „weiterentwickelt und ergänzt (etwa durch die Forderung nach einer aktiven Wettbewerbs-[Kartell-]politik des Staates)“312.

308  Smith, Wohlstand (Fn. 306), S. 371; Recktenwald, Adam Smith (1723–1790) (Fn. 307), S. 134 (140); zu beachten ist aber der Hinweis Recktenwalds (Recktenwald, Adam Smith. Sein Leben [Fn. 306] S. 284), dass Smiths Ansatz nicht auf das Schlagwort Eigeninteresse reduziert werden darf; so erläutert Recktenwald insbesondere, dass das Eigeninteresse nach Smith durch Selbstdisziplin beschränkt sein sollte, eine solche disziplinierende Funktion könne auch dem „echten Wettbewerb“ und der Rechtsordnung zukommen; dieser Aspekt ist laut Recktenwald durch die Freiburger Schule aufgegriffen und weiterentwickelt worden, welche „die zusätzliche Pflicht des Staates betont, […] für einen echten Wettbewerb am Markte zu sorgen“ (Hervorhebung im Original, M.S.); weiterführend zur Selbstdisziplin bei Smith siehe A. Smith, Theorie der ethischen Gefühle (1790), 2. Aufl. 1977, S. 215 ff. 309  H. C. Recktenwald, Würdigung des Werkes, in: A. Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, Vollständige Ausgabe nach der 5. Aufl., London 1789, 1978, S. XV (LVI). 310  Ruffner, Wettbewerbstheorie (Fn. 303), S. 14; siehe auch Neumann, Wettbewerbstheorie (Fn. 269), S. 109, der den Freiheitsbegriff der Klassiker „eindimensional in der Relation Staat-Bürger angelegt“ sieht, weil die Klassiker von einem „Machtgleichgewicht der Wirtschafter untereinander“ ausgingen. 311  Dazu Recktenwald, Adam Smith (1723–1790) (Fn. 307), S. 150 f., Recktenwald betont, dass Smith vom Staat die Erfüllung von Aufgaben fordert, damit die Marktwirtschaft funktionieren kann; sowie Recktenwald, Würdigung (Fn. 309), S.  LXII f., LXV, LXXVI dazu, dass Smith einen Unterschied zwischen Eingriffen in den Markt/ Wirtschaftsablauf durch den Staat machte, die er ablehnte und der sonstigen Wahrnehmung von Staatsaufgaben, die er durchaus befürwortete; siehe auch E. Hoppmann, Zum Schutzobjekt des GWB. Die sogenannten volkswirtschaftlichen Erkenntnisse und ihre Bedeutung für die Schutzobjektdiskussion, in: E.‑J. Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerb als Aufgabe, 1968, S. 61 (83), der betont, dass die Klassiker durchaus bereits der Auffassung waren, „daß eine Rahmenordnung geschaffen werden müsse, damit der freie Wettbewerb erhalten bleibt. Als eine der wichtigsten Aufgaben sahen sie es an, Gleichheit und Freiheit aller Bürger zu sichern und aufrechtzuerhalten. Dieses Ordnungsprinzip wurde als Rule of Law bekannt“; näher F. Holzwarth, Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb, 1985, S. 34, der es als „Mißverständnnis [sic] der Freiburger, bezeichnet, dass die Klassiker die Gestaltung der Wirtschaftsordnung“ nicht als Staatsaufgabe angesehen hätten. 312  Recktenwald, Würdigung (Fn. 309), S. LXII (Hervorhebung im Original, M.S.).

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

b) Früher Ordoliberalismus − Das „Programm der Freiheit“313 Im frühen Ordoliberalismus nimmt die Freiheit als Schutzgut des Wettbewerbs einen herausragenden Stellenwert ein (Stichwort: „Programm der Freiheit“314, siehe oben). Wettbewerbsschutz wird als das Mittel verstanden, mit dem sich eine Wohlstandssteigerung erreichen lässt315 und – im Vergleich zu einer Zentralplanwirtschaft und auch einer laissez-faire-Wirtschaft – mit den geringsten Einbußen an Freiheit zu rechnen ist316. aa) Freiheit von privater Macht Die Freiheit, welcher die frühen Ordoliberalen Relevanz zumaßen, zeichnet sich besonders durch zwei Eigenarten aus. Einmal wird die Freiheit, die durch eine Teilnahme an einem geschützten Wettbewerb verwirklicht werden soll, grundsätzlich als eine „Freiheit von“ etwas beschrieben – als Freiheit von staatlicher und privater Macht317. Dem Wettbewerb wird die Erfüllung einer Entmachtungsfunktion zugedacht318. 313  W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Auflage 1990, S. 370, verwendet diese Wendung bereits selbst. 314  Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 370: „Daß der Totalitarismus ein Programm hat, wissen die Menschen. Daß es demgegenüber ein Programm der Freiheit gibt – die Wettbewerbsordnung – wissen sie nicht oder nicht genug“; zudem Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 179: „Alles spitzt sich damit auf die Frage zu: Welche Ordnungsformen gewähren Freiheit?“; sowie dazu, dass Ordnung und Freiheit sich gegenseitig bedingen: Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 179. 315  Zur Bedeutung der Wohlstandssteigerung als grundsätzliches wirtschaftspolitisches Ziel, A. Freytag, Die ordnende Potenz des Staates, in: I. Pies/M. Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, 2002, S. 113 (114). 316  I. Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik − Der Beitrag Walter Euckens, in: ders./Leschke, Walter Euckens Ordnungspolitik (Fn. 315), S. 1 (23), zudem zur Qualität von Euckens Argumentation für die Wettbewerbsordnung, nach welcher der Wert der Freiheit nicht auf Kosten anderer Werte erreicht werden soll, sondern dass „mehr Freiheit, aber auch mehr Sicherheit und Gerechtigkeit zur Geltung“ kommen, wenn die Wahl auf die Wettbewerbsordnung fällt, anstatt auf die laissez-faire Marktwirtschaft oder auf die Zentralverwaltungswirtschaft: „alle der vermeintlich konkurrierenden Werte [lassen sich] vergleichsweise besser zur Geltung bringen“ (Pies, Grundlagen, ebd., S. 23, Hervorhebung im Original, M.S.). 317  Exemplarisch für die Idee der „Freiheit von“ privater Macht sei Euckens Kritik an Smith angeführt, die Freiheit und Macht in einen Denkzusammenhang stellt und Freiheit hier (jedenfalls auch) als Freiheit von Macht enthüllt; Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 53: „Es erwies sich, daß die Gewährung von Freiheit eine Gefahr für die Freiheit werden kann, wenn sie die Bildung privater Macht ermöglicht“. Beispielhaft auch Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 175 ff., insbesondere S. 177, zur: „Bedrohung der Freiheit durch private Macht der Markt-Gegenseite, durch das Kollektiv und



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts83

Dass der Schutz der Freiheit der Marktteilnehmer im Ordoliberalismus nicht nur vor dem Staat erfolgen soll, sondern auch vor privater Macht319, wird regelmäßig als wichtiger Unterschied zum klassischem Liberalismus benannt320. bb) Die wirtschaftliche Freiheit als Teil einer übergreifenden Freiheit Die „Freiheit von privater Macht“ betrifft auf den ersten Blick die wirtschaftliche Seite der Freiheit. Die frühen Ordoliberalen waren aber davon überzeugt, dass über diese Sphäre hinaus auch die „Freiheit der Person“321 durch den Staat, der sich mit privaten Machtkörpern verbindet“ (Hervorhebung im Original, M.S.); dass durch Wettbewerb eine Freiheit von privater Macht erzeugt werden soll, drückt H. Schweitzer, Wettbewerbsrecht und das Problem privater Macht, in: F. Möslein (Hrsg.) Private Macht, 2016, S. 447 (452) mit Blick auf Böhm so aus: „Private Macht wird zum Gegenbegriff der Freiheit, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft verwirklichen soll“; zu Böhms Freiheitsverständnis als „Freiheit von“ etwas siehe T. Roser/W. Oswalt, Die Aktualität liberaler Machtkritik. Nachwort zur Edition von Franz Böhm, in: dies. (Hrsg.), Franz Böhm. Entmachtung durch Wettbewerb, 2007, S. 213 (221 f.). Teilweise wird das Denken Kants und Euckens mit Blick auf die Machtfreiheit auf Parallelen untersucht; siehe J. F. Scherer, Das Verhältnis von Staat und Ökonomie. Walter Euckens Ordoliberalismus im Angesicht der Schwächung des nationalstaatlichen Regulierungsmonopols, 2018, S. 86 ff. 318  Die Entmachtungsfunktion ist heute noch anerkannt; Schweitzer, Wettbewerbsrecht (Fn. 317), S. 472: „Die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs bleibt ein Leitgedanke des Wettbewerbsrechts.“ 319  Der Hintergrund der Ablehnung privater Machtausübung im Ordoliberalismus ist einerseits die Vorstellung, dass der Staat letzten Endes dieser privaten Macht gegenübersteht und auf diese reagieren muss und dadurch letztlich Gefahr läuft, selbst totalitäre Züge anzunehmen oder jedenfalls das Problem der Machtausübung zu „verstärk[en]“ (Eucken, Grundsätze [Fn. 313], S. 174); siehe auch Fn. 191. Andererseits wird private Macht an sich, auch ohne ihren Charakter als Zwischenstufe zur Beeinträchtigung durch staatliche Macht zu sehen, als Bedrohung der persönlichen Freiheit des Menschen angesehen, dies wird z. B. erkennbar bei Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 177, wenn er die Bedrohung der Freiheit durch die „private Macht der Markt-Gegenseite“ von der des „Staat[es], der sich mit privaten Machtkörpern verbindet“, differenziert; ähnliche Richtung M. E. Streit, Die Interdependenz der Ordnungen – Eine Botschaft und ihre aktuelle Bedeutung, in: Ordnung in Freiheit, 1992, S. 5 (16; bereits wörtlich zitiert, siehe Fn. 173). 320  Exemplarisch Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 177; mit Blick auf A. Smith: Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 53: „Es erwies sich, daß die Gewährung von Freiheit eine Gefahr für die Freiheit werden kann, wenn sie die Bildung privater Macht ermöglicht“ (bereits soeben zitiert Fn. 317). Zum Unterschied zwischen ordoliberalem und klassischen Freiheitsbegriff siehe u. a. Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 55; Neumann, Entwicklung (Fn. 269), S.  105 f. 321  Siehe nur W. Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl. 1965, S. 240: „in dieser Ordnung [soll] ein selbstverantwortliches Leben möglich sein“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S.  178 f.,

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

beeinflusst wird. Die Möglichkeit der Beeinflussung rührt aus Euckens Sicht daher, dass die grundsätzlich wirtschaftliche Freiheit im Wettbewerb Teil einer übergreifenden Freiheit322 ist. Darum betrifft die Entscheidung für die Wettbewerbsordnung aus Sicht Euckens „mehr als nur wirtschaftliche Be­ lange“323. Er sieht vielmehr hierin auch Folgen für die gesellschaftliche Sphäre, insbesondere versteht er die Wettbewerbsordnung als Bedingung für eine freiheitliche (im Gegensatz zu einer totalitären) Gesellschaftsordnung324. Zentral für Eucken ist es, die freiheitliche Ordnung sowohl in ihrer wirtschaftlichen Sphäre als auch in ihrer gesellschaftlichen Sphäre325 als Instrument des „freien selbstverantwortlichen Menschen“326 zu begreifen. Eucken strebt mit seinem Konzept nämlich eine „funktionsfähige[n] und menschen­ würdige[n] Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft“327 an.

sieht die „Freiheit der Person“ durch wirtschaftliche Vorgänge betroffen; siehe dazu, dass Eucken in der Wettbewerbsordnung einen Beitrag zum Schutz der „individuelle[n] Freiheit“ sieht Pies, Grundlagen (Fn. 316), S. 16. 322  Die Idee verschiedener Sphären der Freiheit, die aber letztlich zu einer Freiheit zusammengehören und zusammengedacht werden müssen, lässt sich beispielhaft an Euckens Kommentar zu Kants Aufforderung zur Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit erkennen, Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 176: „es [war] die wirtschaftliche Sphäre, der die Freiheit so sehr zustatten kam, aus der die Freiheit zuerst bedroht wurde“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 323  Pies, Grundlagen (Fn. 316), S. 16. 324  Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 371 „die Wettbewerbsordnung ist [zu begreifen]: nicht nur an sich als Ordnung der Wirtschaft, sondern auch als Bedingung für eine Ordnung der Gesellschaft, als großes Gegenbild, das man der totalitären Konzeption entgegensetzen kann“. 325  Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 182 f. unterscheidet u. a. die Wirtschaftsordnung, die Rechtsordnung, die Gesellschaftsordnung, die staatlich-politische Ordnung (er wehrt sich aber gegen ein Verständnis der Wirtschaftsordnung als „Unterbau“, sondern sieht eine „wechselseitige Abhängigkeit, eine ‚Interdependenz der Ordnungen‘ “); eine Art Interdependenz von Recht und Wirtschaft nimmt auch Luhmann in seiner Systemtheorie an, wenn er von einer „strukturellen Kopplung“ von Recht und Wirtschaft ausgeht, N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 443. – Näher zu dieser Ähnlichkeit Euckens/Böhms und Luhmanns siehe E.‑J. Mestmäcker, Private Macht – Grundsatzfragen in Recht, Wirtschaft und Gesellschaft, in: Möslein, Private Macht (Fn. 317), S. 25 (34); detaillierter zur Interdependenz der Ordnungen siehe Fünftes Kapitel. 326  Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 178: „Abstrakte Freiheitsrechte sind wichtig, aber sie sind nicht Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dem freien, selbstverantwort­ lichen Menschen.“ 327  Eucken, Grundsätze (Fn. 313), S. 369 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.).



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts85

Es geht ihm demnach nicht um eine abstrakte328 wirtschaftliche Freiheit, sondern primär um die „Freiheit des Menschen“329. Die wirtschaftliche Freiheit weckt Euckens Interesse letztlich, weil die wirtschaftliche Unfreiheit (gegebenenfalls durch private Macht verursacht), „die persönliche Freiheit […] zumindest partiell auf[hebt]“330. cc) Fazit Es geht im frühen Ordoliberalismus nicht um eine „bloße“ Freiheit im Wettbewerb, sondern mitgemeint ist immer eine Freiheit, die sich der Sphäre der Gesellschaftsordnung zuordnen lässt – sie muss mitgemeint sein, wenn man den im Ordoliberalismus zentralen Gedanken der Interdependenz der Ordnungen331 ernst nimmt. Dieses „Mehr“ zur wirtschaftlichen Freiheit ist insbesondere an Euckens Anspruch erkennbar, den Menschen mit Hilfe der Wettbewerbsordnung eine ganzheitliche Freiheit zu ermöglichen332. c) Wettbewerbsfreiheit als bedeutendes Element im Denken v. Hayeks Das Denken v. Hayeks ist demjenigen Euckens und Böhms verwandt; besonders gut erkennbar ist dies an seiner Aussage: „ ‚Freie Wirtschaft und Wettbewerbsordnung‘ […]. Diese beiden Namen bezeichnen nicht notwendig dasselbe System und es ist das zweite, das wir brauchen. Vielleicht soll ich hier sofort einfügen, daß, was ich unter ‚Wettbewerbsordnung‘ verstehe, fast das Gegenteil vom sogenannten ‚geordneten Wettbewerb‘ ist.“333 328  Siehe

Fn. 305, Fn. 354. Grundsätze (Fn. 313), S. 369. 330  U. Runge, Antinomien des Freiheitsbegriffs im Rechtsbild des Ordoliberalismus, 1971, S. 32, mit Blick auf Eucken und Großmann-Doerth (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 331  Laut Schweitzer, Wettbewerbsrecht (Fn. 317), S. 453, findet die „Interdependenz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung auch heute noch breite Anerkennung“; sie bezeichnet diesen Gesichtspunkt als „Ausgangspunkt“ des Ordoliberalismus. Detaillierter zur Interdependenz der Ordnungen, siehe Fünftes Kapitel. 332  Siehe oben, Fn. 314. 333  F. A. v. Hayek, „Freie Wirtschaft“ und Wettbewerbsordnung (1947), in: N. Goldschmidt/M. Wohlgemuth (Hrsg.), Grundtexte zur Freiburger Tradition der Ordnungsökonomik, 2008, S. 625 (628); diesen Text v. Hayeks schätzt als dessen „ordo-liberalste“ Veröffentlichung ein: M. Wohlgemuth, Zur Einführung: Friedrich August von Hayek (1899–1992), in: Goldschmidt/ders., Grundtexte, ebd., S. 615 (619). Zu Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen v. Hayek und den Freiburgern siehe Wohlgemuth, Einführung, ebd., S. 619 f.; mit dem Argument, dass sich Unterschiede insbesondere daraus ergeben, dass einerseits das „Machtproblem“ („Wettbe329  Eucken,

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Damit ist auch eine Gemeinsamkeit in der Terminologie Hayeks und Euckens identifiziert: für beide sind Wirtschaftsordnung und Wirtschaftslenkung zwei komplett verschiedene Dinge334. v. Hayek beschreibt Wettbewerb prominent als „Entdeckungsverfahren“335. Durch dieses Schlagwort kann allerdings leicht übersehen werden, dass der Freiheit bei v. Hayeks detaillierter Beschäftigung mit der Idee der spontanen Ordnung und der Marktordnung als deren Spezialfall336, eine entscheidende Rolle zukommt337. Ersichtlich wird dies auch in dem folgenden Zitat v. Hayeks: „Es wird der Großen Gesellschaft und ihrer Marktordnung oft zum Vorwurf gemacht, daß es ihr an einer anerkannten Rangordnung von Zielen fehle. Dies ist jedoch in Wahrheit ihr großes Verdienst, das individuelle Freiheit und alle ihre Werte erst ermöglicht.“338

Ähnlich wie Eucken und Böhm339 begreift Hayek Freiheit als einen „Zustand der Menschen, in dem Zwang auf einige von seiten anderer Menschen so weit herabgemindert ist, als dies im Gesellschaftsleben möglich ist.“340 v. Hayeks Forderung nach dem Schutz vor dem Zwang durch andere Marktwerb als Entmachtungsinstrument“ – Eucken/Böhm), andererseits das „Wissensproblem“ („Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ – v. Hayek) als Mittelpunkt der Ordnungsfrage betrachtet worden seien, m. w. N. 334  Schön dazu F. A. v. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 3. Aufl. 1952, S. 65 f. zum Wort „Planung“ im Kontext der Wirtschaft; aus faktischen Gründen des allgemeinen Sprachgebrauchs sieht er sich gezwungen, den „Gegnern ein sehr gutes Wort [zu] überlassen“, denn eine „Planung zum Zwecke des Wettbewerbs“ befürwortet er. 335  Detaillierte Ausführungen zum Wettbewerb als Entdeckungsverfahren finden sich z. B. bei v. Hayek, Recht, III (Fn. 268), S.  100 ff. 336  F. A. v.  Hayek, Recht, Gesetzgebung und Freiheit. Band 2: Die Illusion der sozialen Gerechtigkeit, 1981, S. 151. 337  Weiterführend zu den Verbindungen von spontaner Ordnung und Freiheit: J. N. Gray, Freiheit im Denken Hayeks, 1995, S. 122 ff. 338  v. Hayek, Recht, II (Fn. 336), S. 151; einen Zusammenhang von spontaner Ordnung und Freiheit begründet Gray damit, dass die spontane Ordnung ein Ergebnis des „von Adam Smith verteidigten Systems der natürlichen Freiheit“ ist, Gray, Freiheit (Fn. 337), S. 124; hier erkennt Gray einen „liberalen Charakter“, wenn man das „Zustandekommen [der spontanen Ordnung] an die Bedingung knüpft, daß sie aus freiwilligen, innerhalb eines stabilen Rechtsrahmens stattfindenden Tauschakten hervorgeht“. Siehe zu den Problemen des rechtlichen Schutzes eines Systems der natürlichen Freiheit und v. Hayeks Vorschlägen dazu Gray, Freiheit, ebd., S. 124 ff. 339  Zur Freiheit von privater Macht bei Böhm und Eucken; siehe bereits Abschnitt A.IV.4.b)aa). 340  F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 2. Aufl. 1983, S. 13; zu Hayeks Vorstellung des Zwangsbegriffes, siehe v. Hayek, Verfassung, ebd., S. 161: „Von Zwang sprechen wir, wenn das Handeln eines Menschen dem Willen eines anderen unterworfen wird, und zwar nicht für seine eigenen Zwecke, sondern für die Zwecke des anderen. Es ist nicht so, daß der Gezwungene überhaupt nicht mehr wählt“.



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts87

teilnehmer hängt maßgeblich mit dieser Vorstellung von Freiheit zusammen341. d) Die Lehre von der Wettbewerbsfreiheit Ist die Rede von Freiheit und Wettbewerb, so muss E. Hoppmanns Lehre von der Wettbewerbsfreiheit342 zumindest kurz Beachtung finden. Diese Lehre wird teilweise im Kontext der Freiheit vs. Effizienz-Debatte (s. o.) als repräsentativ für die „Freiheitsseite“ wahrgenommen343. In dieser Lehre wird der Wettbewerb als Prozess angesehen, in dem sich Freiheit verwirklichen kann: „Ziel der Wettbewerbspolitik sind Marktprozesse, die aus der Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer herauswachsen und in denen ihre Freiheiten zugleich erhalten bleiben.“344 In der Lehre Hoppmanns erfasst die Wettbewerbsfreiheit einerseits den „Parallelprozeß“ (die Freiheit der Wettbewerber) und anderseits den „Austauschprozeß“ (die Wahlfreiheit der Marktgegenseite)345. Hoppmann misst sowohl der Freiheit zur Ausführung von Entschlüssen als auch der Freiheit zur Fassung von Entschlüssen Relevanz für die Wettbewerbspolitik zu346. Beide Prozesse sind „Dimensionen ein und desselben Prozesses“347. Die Einschränkung dieser Freiheiten durch Dritte soll nur möglich sein, wenn dies auf deren guter Marktleistung basiert348. 341  Erkennbar wird dies in seiner Äußerung: „[E]in Monopolist [kann] echten Zwang ausüben, wenn es sich etwa um den Besitzer einer Quelle in einer Oase handelt.“ – v. Hayek, Verfassung (Fn. 340), S. 165. 342  Die Lehre von der Wettbewerbsfreiheit hat Hoppmann in ordoliberaler Tradition, insbesondere unter starkem Einfluss durch das Werk v. Hayeks entwickelt, es bestehen aber durchaus Unterschiede zum frühen Ordoliberalismus; weiterführend Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S.  201 ff. 343  So ordnet Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 205, Hoppmanns Lehre von der Wettbewerbsfreiheit als den Gegenpol zum more economic approach ein. 344  Hoppmann, Wirtschaftsordnung, (Fn. 269), S. 242. 345  Beide Zitate Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 266; Hoppmann, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 269 stellt klar, dass die „Freiheit im Austauschprozeß und Freiheit in den Parallelprozessen […] sich gegenseitig [bedingen] […], es sind zwei Dimensionen ein und derselben Freiheit. […] Der wettbewerbliche Parallelprozeß auf einer Marktseite und das Ausmaß der Wahlfreiheit der Marktgegenseite bezeichnen dasselbe Problem“; in diesem Sinne spricht auch Künzler, Effizienz (Fn. 270), S. 56, in Bezug auf Hoppmann von der Wahlfreiheit der Marktgegenseite. 346  Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S.  259 f.; Hoppmann, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 262: „Entschließungs- und Handlungsfreiheit“. 347  Hoppmann, Problem (Fn. 271), S. 42. 348  Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 262: „Kein Marktteilnehmer soll die Freiheit haben, sich ohne entsprechende Marktleistung Macht zu verschaffen, um die Freiheitsbereiche anderer einzuschränken“.

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Das Kriterium des Leistungswettbewerbs findet sich noch heute in der Kartellrechtsdogmatik349 − dennoch ist zu beachten: die „Lehre von der Wett­bewerbsfreiheit [ist] in erster Linie ein Leitbild für die Wettbewerbs­ politik. […] Das Leistungsprinzip in seiner Bedeutung als rechtsdogmatisches Prinzip […] steht nicht im Mittelpunkt.“350 Hoppmanns Vorstellung von Wettbewerbsfreiheit als Freiheit der Konkurrenten und Auswahlfreiheit der Marktgegenseite (siehe oben) wandelte sich durch den Einfluss v. Hayeks später dahin, dass die „Abwesenheit von Zwang“ für ihn zentral wurde351. Auch lässt sich hier eine Ähnlichkeit mit den frühen Freiburgern erkennen, welche die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs in den Vordergrund rücken und Macht und Freiheit von Macht als Gegenpole ansehen (s. o.)352. Demnach spielt die Freiheit bei Hoppmann eine entscheidende Rolle. Die Freiheit im Wettbewerb besitzt in seiner Theorie einen Eigenwert353, sie ist kein bloßer Operand354, deutlich erkennbar in Hoppmanns Aussage: die „im Zielkomplex Wettbewerbsfreiheit enthaltene Wertsetzung fußt […] auf der Überzeugung, daß die Marktteilnehmer, indem sie am Markt teilnehmen, keinen übergeordneten Zweck, sondern lediglich ihre eigenen, frei gesetzten Zwecke verfolgen.“355 Hoppmann und auch v. Hayek sehen Freiheit (nicht aber Effizienz oder wirtschaftliche Nützlichkeit jeglicher Art) als entscheidendes Argument für den Wettbewerb an356.

349  J. Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 271), § 19 Rn. 58, m. w. N. Das Kriterium geht bereits auf Böhm zurück; siehe F. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933, Nachdruck, E. J. Mestmäcker (Hrsg.) 2010, S. 207 ff., der den Begriff bei Nipperdey entlehnt (Böhm, Wettbewerb, ebd., S. 92); detaillierter zur Begriffsentwicklung auch Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S.  211 f. 350  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 218 (Hervorhebungen im Original, M.S.). 351  Mantzavinos, Wettbewerbstheorie (Fn. 303), S. 169; Ruffner, Wettbewerbstheorie (Fn. 303), S. 55, der hier auch auf die Kritik Schmidtchens hieran eingeht und Ruffner, Wettbewerbstheorie, ebd. S. 59. 352  Erkennbar wenn Hoppmann Macht und Freiheit in ein Verhältnis zueinander stellt; Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 242: „[u]nangemessene Marktmacht ist identisch mit einem ‚nicht hinreichenden Ausmaß‘ von Wettbewerbsfreiheit bei den anderen Marktteilnehmern“. 353  Differenzierter zur Zweck-Mittel Analyse Hoppmanns Fn. 633 und Fn. 275. 354  So aber in den wohlfahrtsorientierten Ansätzen, siehe Fn. 305. 355  Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 269), S. 243. 356  Näher Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S.  204 ff.



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts89

Die Weiterentwicklung des Ansatzes Hoppmanns stellt die Wettbewerbsfreiheit weiter in den Mittelpunkt, berücksichtigt aber neben marktverhaltensbedingten auch marktstrukturbedingte Freiheitsgefährdungen357. Wettbewerb lässt sich nach der Lehre von der Wettbewerbsfreiheit (unter anderem) als Instrument zur Verwirklichung von Freiheit begreifen.

V. Konsumentenwahlfreiheit Unter dem Namen „Konsumentenwahlfreiheit“ beziehungsweise dem consumer choice approach wird ein Ansatz verstanden, in dem die Wahlfreiheit der Konsumenten als Schlüssel zum Kartellrecht gesehen wird358. Der Ansatz erfindet das Rad keineswegs neu. Die Idee der Konsumentenwahlfreiheit wird bereits seit dem frühen deutschen Ordoliberalismus als maßgeblich für das Kartellrecht erachtet und wird auch durch jüngere Vertreter des Ordoliberalismus verfolgt359. Stets ist eine Seite der Wettbewerbsfreiheit die Konsumentenwahlfreiheit, welche der Freiheit der Produzenten gegenüber steht360. Teilweise wird der consumer choice approach, der die Überwindung des Effizienzziels in den USA anstrebt361, auch so eingeordnet, dass es in diesem Ansatz letztlich um die Vertragsverhandlungsmacht der Marktgegenseite geht und damit um das Verhältnis von Wettbewerbsfreiheit und Vertragsfreiheit362. 357  Dazu K. Herdzina, Wettbewerbspolitik, 5. Aufl. 1999, S. 114; Künzler, Effi­ zienz (Fn. 270), S. 57. 358  Grundlegend aus US-amerikanischer Perspektive N. W. Averitt/R. H. Lande, Using the „Consumer Choice“ Approach to Antitrust Law, in: Antitrust Law Journal 74 (2007), S. 175 (175 ff.). 359  Überzeugend P. Behrens, The „Consumer Choice“ Paradigm in German Ordoliberalism and its Impact upon EU Competition Law, in: Europa-Kolleg, Diskussionspapier 1/2014, S. 4 ff., insb. 22, http://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2014/ 35538//_Behrens_01_01.pdf (8.7.2021). 360  Behrens, Consumer Choice (Fn. 359), S. 22, legt dar, dass bei allen Weiterentwicklungen des Ordoliberalismus jedenfalls nie die Basis in Form der individuellen Freiheit der Produzenten und der Konsumentenwahlfreiheit angegriffen wurde, die letztlich auch auf Adam Smith zurückgeht (s. o.). 361  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 186. 362  So Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 187, der betont, dass das Verhältnis von Wettbewerbsfreiheit zur Vertragsverhandlungsmacht/bzw. Vertragsfreiheit in Deutschland „in jeder Facette beleuchtet“ worden ist, m. w. N. An dieser Stelle ist auch auf die durch K. W. Nörr, Die Leiden des Privatrechts, 1994, S. 191, m. w. N. als „fundamentale[s] Mißverständnis“ benannte Sicht hinzuweisen, Vertragsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit stünden sich gegenüber: vielmehr stehen beide Freiheiten auf einer Seite und zwar folgendermaßen: „für die Wiederherstellung dieser [Vertrags-] Freiheit und ihre Sicherung sorgt der Wettbewerb, so daß Vertragsfreiheit und Wettbewerbsfreiheit in Wirklichkeit in dieselbe Richtung zielen.“

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Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Dies wird so begründet, dass die Wahl zwischen gleichen Leistungen keinen Mehrwert bietet, vielmehr soll der Wettbewerb genutzt werden, um eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Leistungen zu ermöglichen, von denen eine als besser wahrgenommen wird363. Als neu gesteht Klement dem Ansatz aber zu, dass hierin die tatsächlichen Wirkungen des Kartellrechts (Verbraucherwahlfreiheit), die bislang als „äußerer, rechtspolitischer Zweck dieses Rechtsgebiets gesehen wurde“, erstmals „zu einem normativen Ziel, das auf die Auslegung und Anwendung des Kartellrechts einwirkt“, wird364. Die Betonung der Wahlfreiheit der Verbraucher durch den Konsumentenwahlfreiheitsansatz kann für diese Arbeit unter dem Aspekt interessant werden, dass die Konsumentenwahlfreiheit eine Spielart der Freiheit betont, die der (Wahl-)Freiheit in einer Demokratie zumindest im ersten Zugriff365 ähnelt366.

VI. Die zentrale Rolle der Freiheit in der „Sozialen Marktwirtschaft“ Die Prägung des Begriffs der Sozialen Marktwirtschaft erfolgte durch Müller-Armack367. Mit dem Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ wird die heutige Form der Wirtschaftsordnung ebenso bezeichnet wie jene zu Zeiten

363  In diese Richtung R. Knöpfle, Ist der Nachfragewettbewerb ebenso schutzwürdig wie der Angebotswettbewerb?, in: BB 1987, S. 1960 (1964): „Vielmehr besteht ihre Bedeutung, was die Wahlmöglichkeit der Nachfrager betrifft, darin, daß sie auf den Preis drückt und im Sinne einer Verbesserung der Qualität, des Service und der Bedingungen wirkt“; ähnlich Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 186, der auch auf die Subjektivität der Einstufung als „besser“ abstellt. 364  Klement, Wettbewerbsfreiheit (Fn. 276), S. 187; siehe hierzu weiterführend Klement, Wettbewerbsfreiheit, ebd., S. 194, kritisch dazu, das „Kartellrecht dogmatisch am Ziel der Wahlfreiheit auszurichten“, auch wenn er es als politisches Ziel anerkennt (Hervorhebung im Original, M.S.). 365  Detailliert siehe Viertes und Fünftes Kapitel. 366  Diese Parallele zieht z. B. auch A. Reyna, Why Competition Law Must Protect Democracy – A European Perspective; Contribution from BEUC (European Consumer Organization) to the OECD Global Forum on Competition on 7–8 December 2017, DAF/COMP/GF/WD(2017)36, https://one.oecd.org/document//COMP/GF/WD (2017)36/en/pdf (2.3.2020), S. 2; die Analogie zwischen Entscheidungen der Marktteilnehmer und Entscheidungen bei der politischen Wahl findet sich beispielhaft auch bei M. Erlei/M. Leschke/D. Sauerland, Institutionenökonomik, 3. Aufl. 2016, S. 335. 367  A. Müller-Armack, Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Studien und Konzepte zur Sozialen Marktwirtschaft und zur Europäischen Integration, 2. Aufl. 1976.



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts91

Ludwig Erhards368. Die Soziale Marktwirtschaft „beinhaltet zwar ordnungspolitische Prinzipien, ist jedoch kein für alle Zeiten feststehendes Theoriegebäude oder utopisches Endziel. Sie […] ist ein für neue Herausforderungen offenes Modell einer flexiblen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung“369. Die Soziale Marktwirtschaft wird als Leitbild der Politik verstanden370, sie basiert auf der Wettbewerbswirtschaft als maßgeblichem „Organisations“mittel und wird zudem durch sozialpolitische Maßnahmen ergänzt371. Es irrt aber, wer die sozialen Elemente im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur darin sucht, dass Ergebnisse des Ordnungsprinzips Wettbewerb auf soziale Weise modifiziert beziehungsweise umverteilt werden: Durch den Schutz des Wettbewerbs an sich kann nach dem Verständnis Erhards vielmehr eine Freiheit verwirklicht werden, die „dem Sozialen“ in der Marktwirtschaft ihr Gesicht gibt. In Erhards Brief an Fritz Berg372 vom 10. Juli 1952 kommt durch die Formulierung: „freie[…] und gerade deshalb soziale[…] Marktwirtschaft“373

klar zum Ausdruck, dass er in der verwirklichten Freiheit einen − wenn nicht den – entscheidenden Beitrag zum Sozialen in der neuen Marktwirtschaft sieht. Die überragende Bedeutung, die Erhard der Freiheit zumisst, ergibt sich auch aus der folgenden Passage seines Werkes „Wohlstand für Alle“: 368  Zum Wandel „der“ Sozialen Marktwirtschaft in Vergangenheit und Zukunft, siehe V. Vanberg, Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft zwischen Prinzipien- und Klugheitsfragen. Einige einführende Bemerkungen, in: N. Goldschmidt/M. Wohlgemuth (Hrsg.), Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft. Sozialethische und ordnungsökonomische Grundlagen, 2004, S. 3 (3 ff.). 369  O. Schlecht, Leitbild oder Alibi? Zur Rolle der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in der praktischen Wirtschaftspolitik, in: D. Cassel (Hrsg.), 50 Jahre Soziale Marktwirtschaft, 1998, S. 35 (36). 370  Die Soziale Marktwirtschaft bezeichnet als „ordnungspolitisches Programm“ und aufgrund der Interdisziplinarität der mit ihr befassten Wissenschaftler „immer nur unzureichend beschreibbare Ordnungsidee, ein politischer Stilgedanke oder ein gegenüber neuen Entwicklungen stets offenes Leitbild der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik“, G. Gutmann, Ideengeschichtliche Wurzeln der Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, in: Cassel, Soziale Marktwirtschaft (Fn. 369), S. 49 (50); (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 371  Dazu weiterführend Schlecht, Leitbild (Fn. 369), S.  37 f. 372  Zu diesem Zeitpunkt war Berg Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie. 373  L. Erhard, Professor Erhard zur Kartellfrage. Zehn Thesen zur Verteidigung der Verbotsgesetzgebung, in: WuW 1951/52, S. 733 (733); ähnlich auch L. Erhard, Was mir am meisten am Herzen liegt, in: J. Lang/A. Rüstow u. a., Wir fordern von Regierung und Bundestag die Vollendung der Sozialen Marktwirtschaft, 1954, S. 106 (119).

92

Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Die „Freiheit [ist] ein staatsbürgerliches Recht, das von niemandem außer Kraft gesetzt werden darf. Die von den Kartellfreunden geforderte Freiheit zur Unterbindung oder zur Beseitigung der Freiheit ist nicht der Freiheitsbegriff, den ich im Interesse des Fortbestehens freier Unternehmer als verpflichtend vorangestellt wissen möchte. Wer das Wort Freiheit im Munde führt, muß es damit auch ehrlich meinen. Die Freiheit − ich wiederhole es − ist und bleibt ein Ganzes und Unteilbares. Sie darf nicht nach Zweckmäßigkeitsgründen verteidigt oder verworfen werden.“374

Erhard zielt damit gerade auf die private Macht: „Gegenpol der wirtschaftlichen Freiheit stellt die Ausprägung wirtschaftlicher Macht dar.“375 Die „zentrale Frage“376 des Unterschieds zwischen herkömmlicher und sozialer Marktwirtschaft sieht Erhard in der Art der Freiheit, die in diesen Systemen verwirklicht wird377. Erhards Brief an Berg enthält zudem ein eindrückliches Plädoyer für das geplante Kartellrecht mit einer klaren Aussage hinsichtlich des Sinns der anvisierten Gesetzgebung: „Das Kartellamt will nicht die Freiheit unterbinden, sondern es hat gerade umgekehrt die fast einzige Aufgabe, über die Freiheit zu wachen.“378 Auch heute noch steht dies der Bundesregierung klar vor Augen: „In den positiven Wirkungen des Wettbewerbs liegt auch ein wichtiges soziales Moment der Sozialen Marktwirtschaft – und zwar bevor die Absicherung über die sozialen Sicherungssysteme greift: Sozial sind höhere Beschäftigungschancen, gestiegene Einkommen und Wohlstand, die die Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren erreicht haben. […] Und sozial sind die Freiheiten, die die Soziale Marktwirtschaft jedem Bürger, jeder Bürgerin, jedem Unternehmen bietet, in Form wirtschaftlicher Unabhängigkeit, verbunden mit der Verantwortung für das eigene Handeln.“379 374  L. Erhard, Wohlstand für Alle (1957) Neuausgabe 1997, S. 172 (Hervorhebungen im Original, M.S.); Erhard sieht hier (ähnlich wie Böhm – s. u., Fünftes Kapitel, insb. Fn. 610) „die“ Freiheit als einen unteilbaren Komplex („politische Freiheit, wirtschaftliche und menschliche Freiheit“; Erhard, Wohlstand, ebd., S. 170) an. 375  Erhard, Wohlstand (Fn. 374), S. 172. 376  Erhard, Wohlstand (Fn. 374), S. 171. 377  Erhard, Wohlstand (Fn. 374), S. 171: „ob die von mir so betonte Freiheit […] nicht gerade dadurch zu sehr eingeschränkt wird, daß man dem Unternehmer nicht mehr gestatten möchte, seine Freiheit so zu gebrauchen, wie er es für richtig hält […]. Diese Frage zu stellen und zu beantworten, heißt den eklatanten Unterschied zwischen der sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie in Westdeutschland seit 1948 zu verwirklichen suchen, und der liberalistischen Wirtschaft alter Prägung aufzuzeigen“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). 378  Erhard, Kartellfrage (Fn. 373), S. 735. 379  Stellungnahme der Bundesregierung zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 2011/2012, BT-Drucksache XVII/13675, 29.5.2013, S. II.



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts93

Bereits Eucken sah einen Zusammenhang zwischen der Berücksichtigung sozialer Aspekte in einer Marktwirtschaft und der Freiheit − unabhängig von „der“ Sozialen Marktwirtschaft, die Leitbild der Politik wurde. Eindrücklich beschreibt er es als „Anliegen der Wettbewerbsordnung, die soziale Frage im Geiste der Freiheit zu lösen und dadurch die Freiheit überhaupt zu retten“380. Eine Verbindung zwischen der Charakterisierung eines marktwirtschaftlichen Systems als sozial und dem Freiheitsschutz in diesem System findet auch Ausdruck in Euckens Formulierung: „Kernpunkt der sozialen Frage [ist]: die Freiheit“, „[o]hne Freiheit der Person die soziale Frage zu lösen, ist unmög­ lich“381. Die Väter der Sozialen Marktwirtschaft verfolgten im Detail unterschied­ liche Ansätze, aber die Freiheit spielt in der Sozialen Marktwirtschaft eine bedeutende Rolle und gehört damals wie heute zu ihren Grundprinzipen382.

VII. Fazit Die Soziale Marktwirtschaft ist zu einem bedeutenden Teil auch eine freiheitliche Marktwirtschaft383. Die Ausgestaltung dieser Freiheit wird teilweise als entscheidend angesehen, um eine Marktwirtschaft als „sozial“ charakterisieren zu können384.

VIII. Fortdauernde Relevanz des gesellschaftspolitischen Hintergrundes der Wettbewerbsfreiheit heute Im Rahmen dieser Arbeit ist interessant, dass die ideengeschichtlichen Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft unter anderem bei Eucken, Böhm und Grundsätze (Fn. 313), S. 370. Grundsätze (Fn. 313), S. 126; zu beachten ist aber, dass die soziale Frage bei Eucken „nicht identisch mit Sozialpolitik“ ist (Schlecht, Leitbild [Fn. 369], S. 37). 382  Detaillierter Schlecht, Leitbild (Fn. 369), S. 37; auch Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), Einl. Rn. 125: „Die Wettbewerbsfreiheit ist ein Grundprinzip der in der BRD bestehenden Wirtschaftsordnung einer sozialen Marktwirtschaft“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). 383  H. O. Lenel, Haben wir noch eine soziale Marktwirtschaft?, in: ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 22 (1971), S. 29 (29): „Viele von uns haben längst vergessen, […] daß bei den Befürwortern ihrer [der Sozialen Marktwirtschaft, Anmerkung der Verfasserin, M.S.] Einführung das Freiheitsziel besonderen Rang hatte“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 384  Zur Vermischung der Begriffe freiheitlich und sozial bei der Interpretation des Leitbildes durch politische Akteure siehe Gutmann, Wurzeln (Fn. 370), S. 51. 380  Eucken, 381  Eucken,

94

Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

v. Hayek liegen385. Aus der „ordoliberalen Note“ der Sozialen Marktwirtschaft darf einerseits keine Gleichsetzung der Konzepte Böhms oder Euckens mit der „Sozialen Marktwirtschaft“ folgen, da diese als politischer Begriff eine eigene Existenz hat – deutlich machen dies Roser/Oswalt: „Die Ordoliberalen verfolgten eine andere Wirtschaftsordnung als die, welche unter dem Titel Soziale Marktwirtschaft popularisiert wurde. […] Franz Böhm ging es um einen gesellschaftspolitischen Entwurf, der auf grundlegenden Vorstellungen von Freiheit, Machtverhinderung und Gerechtigkeit beruht.“386

Die Soziale Marktwirtschaft hat sich zum „Fundament der Bundesrepu­ blik“ entwickelt387. Das weitergehende Theoriegebäude (s. o.) der Freiburger hinsichtlich eines großen gesellschaftspolitischen Entwurfes hielt jedoch weder Einzug in Gesetzesbegründungen388, noch wurde es politisches Programm. Dennoch setzt die Soziale Marktwirtschaft grundsätzlich argumentativ durchaus auf das Konzept der Freiburger auf – dies gilt insbesondere mit Blick auf die Art der Freiheit, die durch die Wettbewerbsordnung verwirklicht werden soll. Es handelt sich auch bei der wirtschaftlichen Freiheit, die mittels der Sozialen Marktwirtschaft verwirklicht werden soll, offenbar um einen Aspekt einer unteilbaren Freiheit des Menschen389. Beispielhaft wird dies erkennbar im Vorwort zum Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts für das Jahr 1958: „Wettbewerb ist als Daseinselement eine gestaltende Kraft der Gesellschaftsordnung und seinem Wesen nach adäquater Bestandteil einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wettbewerb und Gesellschaftsordnung sind abhängig von der Einstellung des Menschen zur individuellen Freiheit: Wer die individuelle Freiheit als unantastbares menschliches Gut ansieht, wird eine Ordnung der Gesellschaft anstreben, die es dem Menschen erlaubt, als freies Individuum zu leben; im Bereich des Ökonomischen muß er den Wettbewerb bejahen, und zwar konsequenterweise auch dann, wenn ihm persönlich der freie Wettbewerb materielle Nach­ teile und der beschränkte Wettbewerb materielle Vorteile bringen würde.“390

Wurzeln (Fn. 370), S. 50. Aktualität (Fn. 317), S. 242; Runge, Antinomien (Fn. 330), S. 1, kritisiert die Vermengung des Begriffes der Sozialen Marktwirtschaft (von ihm als „politisch-propagandistische[r] Sammelbegriff“ bezeichnet) mit dem „theoretische[n] Gebäude“ des Ordoliberalismus (Schlecht, Leitbild [Fn. 369], S.  38 f.). 387  Schlecht, Leitbild (Fn. 369), S. 38. 388  Die interessante Frage, inwieweit ein Theoriegebäude wie jenes der Freiburger generell als Leitbild für die Rechtsanwendung in Frage kommen kann, bzw. inwieweit dafür Anklang im Gesetzgeberwillen gefunden werden muss, kann hier nicht ausführlich untersucht werden. 389  Siehe Fn. 329. 390  BT-Drucksache III/1000, 15.4.1959, S. 7. 385  Gutmann,

386  Roser/Oswalt,



A. Fokus auf die Freiheit des Wettbewerbs als Ziel des Kartellrechts95

In demselben Bericht heißt es: die „Wettbewerbswirtschaft […] sichert einen optimalen Freiheitsbereich für den einzelnen am Wirtschaftsprozeß Beteiligten“391. Käseberg betont, dass sich „[a]n der Gültigkeit dieser Aussagen […] auch nach annähernd 60 Jahren […] nichts geändert [hat]. Die grundlegende Regelung der Wettbewerbsordnung – im Blick auf den Bestand der Wettbewerbsfreiheit – findet sich im GWB. Die Wettbewerbsfreiheit ist ein Grundprinzip der in der BRD bestehenden Wirtschaftsordnung einer sozialen Marktwirtschaft.“392 Bei dem Versuch, den gesellschaftspolitischen Hintergrund393 des heutigen Kartellrechts und der heutigen Wettbewerbspolitik besser zu verstehen, ist es darum auch heute noch sinnvoll, auf das gesellschaftspolitische Konzept der Werke insbesondere/auch Euckens und Böhms zu blicken.

IX. Gesellschaftspolitischer Hintergrund des § 19 GWB Mit § 19 bis § 21 GWB „löst der Gesetzgeber das der Kompetenznorm des Art. 74 I Nr. 16 GG394 wie auch den Wirtschaftsgrundrechten implizite Schutzversprechen ein, Regelungen zur ‚Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung‘ zu treffen“395. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen im allgemeinen und § 19 GWB im speziellen soll neben den Wohlfahrtsaspekten die gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs schützen396.

391  BT-Drucksache 392  Käseberg,

III/1000, 15.4.1959, S. 8 f. Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), Einl. Rn. 125 (Hervorhebungen im

Original, M.S.). 393  Käseberg, Bunte, Kartellrecht I, (Fn. 271), Einl. Rn. 126 deutlich: „Die gesellschaftspolitischen Wirkungen des Wettbewerbs […] können nicht als Ziel des GWB verleugnet werden.“ 394  Siehe dazu bereits Erstes Kapitel B.IV. 395  Nothdurft, in: Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), § 19 Rn. 1. 396  „Das GWB will […] die wirtschaftliche Handlungs- und Betätigungsfreiheit gewährleisten (sog. gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs)“, Käseberg, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), Einl. Zum GWB Rn. 126 (Hervorhebung im Original, M.S.); Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), § 19 Rn. 1 sieht die §§ 19 GWB ff. „im Dienste der gesellschaftspolitischen Funktion des Kartellrechts insgesamt“ stehen; allgemeiner V. Emmerich/K. W. Lange, Kartellrecht, 14. Auflage, 2018, S. 3, welche „aus rechtlicher Sicht“ den gesellschaftspolitischen Funktionen des Wettbewerbs gegenüber den wirtschaftspolitischen Funktionen keine geringere Bedeutung zumessen.

96

Drittes Kapitel: Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit

Insbesondere die Formel der „auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes“397, trägt zur Verwirklichung eines Ordnungsrahmens bei, der sich an der „Freiheit von privater Fremdbestimmung“ orientiert398. Nothdurft weist darauf hin, dass die „Weite“ des „Zielkanons“ beziehungsweise die „verfassungsrechtliche[n] und historische[n] Radizierung der deutschen Missbrauchsverbote“ deren Eingreifen dort fordert, wo im Einzelfall ausreichender „Markt- und Machtbezug“ vorliegt399. Zur Sichtbarkeit des gesellschaftspolitischen Hintergrundes der Norm in der Rechtspraxis siehe auch Sechstes Kapitel.

X. Zwischenergebnis Die Verwirklichung von Freiheit ist mehr als bloß ein Ziel unter vielen Zielen des Kartellrechts und der Wettbewerbspolitik. Dies steht dem ersten Eindruck entgegen, den man aufgrund der Vielgestaltigkeit der Zieldiskussion (s. o.)400 bekommen könnte. Vielmehr ist die Freiheit des Wettbewerbs aus gesellschaftspolitischer Sicht ein zentraler Grund für die Wahl des Organisationsmittels Wettbewerb. Dieser rechtspolitische Hintergrund ist auch bei der Rechtsanwendung zu beachten, insbesondere im Rahmen des § 19 GWB.

B. „Die“ Freiheit als mögliches verbindendes Element von Wettbewerb und Demokratie? In der Wettbewerbstheorie und -politik existiert die Vorstellung, dass der geschützte Wettbewerb durch die Verwirklichung der wirtschaftlichen Freiheit auch positiven Einfluss auf die Freiheit des Individuums ausübt beziehungsweise diese unmittelbar betrifft (s. o.). Akzeptiert man diese Überlegung, stellt sich einerseits die Frage, welche Relevanz Theorie und Politik für die Rechtsanwendung haben können401.

397  Diese Formel (im Rahmen des § 19 GWB in ständiger Rechtsprechung gebraucht, z. B. BGH KZR 30/14 Rn. 48 – Net Cologne), leuchtet über den Interessenabwägungen „als Leitstern“ (Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I [Fn. 271], § 19 Rn. 11). 398  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), § 19 Rn. 11. 399  Nothdurft, Bunte, Kartellrecht I (Fn. 271), § 19 Rn. 10. 400  Zur Variationsbreite mit Blick auf das europäische Kartellrecht; Akman, role (Fn. 285), S. 3: „still no consensus“. 401  Siehe dazu bereits A.IV.2. und A.IV.3.

B. „Die“ Freiheit als verbindendes Element von Wettbewerb und Demokratie? 97

Auf der anderen Seite lässt sich aufgrund der Erkenntnis, dass Wettbewerb als Mittel zur Verwirklichung einer (mehr als nur wirtschaftlichen) Freiheit aufgefasst werden kann, die These dieser Arbeit konkretisieren. Die These wandelt sich von ihrer „Grobform“ (sprich der Vorstellung, dass der Wettbewerbsschutz einen Beitrag zur Förderung/zum Schutz der Demokratie leisten kann), dahin, anzunehmen, dass die Freiheit als das verbindende Element von Kartellrecht und Demokratie gesehen werden kann. Der Grund dafür ist, dass eine bestimmte (näher zu untersuchende) Freiheit auch im Kontext der Demokratie eine herausragende Rolle spielt402. Um dies zu untersuchen, wendet sich die Arbeit im nächsten Kapitel dem Demokratieprinzip zu. Hierbei wird der Blick insbesondere auf dessen Freiheitsbezug gerichtet.

402  Siehe

nur Kelsen, Wesen (Fn. 265), S. 3 f.; näher Sechstes Kapitel.

Viertes Kapitel Demokratie Zunächst erfolgt eine Annäherung an den Demokratiebegriff. Hierbei orientiert sich die Arbeit an der Demokratievorstellung des Grundgesetzes. In diesem Kontext werden insbesondere die Gründe der Entscheidung für die Demokratie untersucht und auf die elementaren Bestandteile von Demokratie eingegangen. Diesem Fokus liegt die Überlegung zu Grunde, dass eine etwaige Verknüpfung der Demokratie mit der Wettbewerbsordnung – wenn sie mehr als nur den Charakter einer bloßen Analogie403 oder Parallelität hat – aufgrund ihrer grundsätzlichen Natur eher in den Gründen für die Demokratie und deren prägenden Elementen ankern kann, als in den variierbaren Einzelheiten ihrer Ausgestaltung.

A. Demokratiebegriff I. Annäherung an den Demokratiebegriff Der Demokratiebegriff gilt als „konturenlos“404. Dazu trägt maßgeblich bei, dass er im allgemeinen Sprachgebrauch häufig verwendet wird, eine lange Geschichte405 hat und außerdem ein Bezugspunkt für eine Vielzahl von Disziplinen ist406. 403  Siehe

dazu näher Fünftes Kapitel. H. Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: ders., Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, 2014, S. 159 (159); S. Marschall, Demokratie, 2014, S. 12 sieht eine „Tendenz, zum ‚catch all‘-Begriff zu werden“; passenderweise leitet G. Sartori, Demokratietheorie, 3. Aufl. 2006, S. 11 sein Werk mit der Frage ein: „Kann Demokratie einfach alles und jedes sein?“ 405  Vielsagend der Begriff der „Hauptströmung“ der Demokratietheorie, den Sartori wählt, er sieht diese bis zu Platon und Aristoteles zurück gehen; Sartori, Demokratietheorie (Fn. 404), S. 11; J. Bleicken, Die athenische Demokratie, 4. Aufl. 1995, S. 13 bezeichnet die attische Demokratie als „erste[n] Demokratie der Weltgeschichte“; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Demokratie), Rn. 1 hält dies bei allen Unterschieden zu den jüngeren Formen von Demokratie „im Kern“ für berechtigt; ähnlich M. G.  Schmidt, Demokratietheorien, 6. Aufl. 2019, S. 29 f. 404  Siehe



A. Demokratiebegriff99

Sartori bezeichnet den Begriff als „diffus und vielseitig“407. Dreier weist eindrücklich darauf hin, dass der Begriff kaum prägnant zu fassen ist408. Er identifiziert als Hauptgrund für diese Schwierigkeit, dass Demokratie nicht nur eine „juristische Kategorie“, sondern auch ein „politisches Ideal […] und – niemals vollständig erfüllbares – Staatsziel bzw. Verfassungsprinzip ist“409. Diese Arbeit richtet den Blick auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes410. Die weitere Konturierung des Begriffes erfolgt hier darum stets mit Blick auf die Demokratievorstellung des Grundgesetzes und − damit einhergehend − auf Demokratie als „Staats- und Regierungsform“411.

II. Wortbedeutung – Demokratie ist Volksherrschaft Der Demokratiebegriff setzt sich aus den griechischen Wörtern dēmos (Volk) und kratía (Herrschaft/Macht) zusammen. Der Grundgedanke der Volkssouveränität zeigt sich in Art. 20 II 1 des Grundgesetzes412: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ 406  Dreier, Demokratieprinzip (Fn. 404), S. 159 f. gibt eine weiterführende Übersicht zu einzelnen Disziplinen, m. w. N. 407  Sartori, Demokratietheorie (Fn. 404), S. 11 führt dies u. a. darauf zurück, dass „ ‚Demokratie‘ heute weitgehend zu einer Bezeichnung […] für das (bisherige) politische Endprodukt der westlichen Zivilisation [geworden ist]“. 408  Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 60: „Der Demokratiebegriff ist durch seine notorische Unschärfe gekennzeichnet und entzieht sich daher wie kaum ein zweiter der kompakten Definition.“ 409  Beide Zitate Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 60, m. w. N. (Hervorhebung im Original, M.S.). 410  Zum Verhältnis des Demokratieprinzips des Grundgesetzes zur Vielfalt des Demokratiebegriffs Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 60 (zu dieser Vielfalt weiterführend Dreier [Fn. 405], Art. 20 [Demokratie], Rn. 1 ff.); sowie K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, § 5 Rn. 127. 411  E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 8 f. zur Demokratie als „Staats- und Regierungsform“; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, HStR II, ebd., § 24 Rn. 8 sieht dies im Unterschied „zur Demokratie als Lebensform, […] zur ‚Demokratisierung der Gesellschaft‘ “ (m. w. N.). Wohl in ähnlichem Sinne betont O. Lepsius, Kelsens Demokratietheorie, in: T. Ehs (Hrsg.), Hans Kelsen. Eine politikwissenschaftliche Einführung, 2009, S. 67 (69), dass nur die Ausübung öffentlicher Gewalt verfassungsrechtlich ein Problem demokratischer Legitimation ist, nicht aber die „Herrschaftsausübung als solche“. 412  Es besteht Einigkeit in der Literatur, hier die Niederlegung des Grundsatzes der Volkssouveränität zu verorten; H. Dreier, Das Problem der Volkssouveränität, in: P. Stekeler-Weithofer/B. Zabel (Hrsg.), Philosophie der Republik, 2018, S. 37 (37);

100

Viertes Kapitel: Demokratie

Die Idee der Volksherrschaft beinhaltet den „Gedanke[n] politischer Selbstbestimmung eines politischen Verbandes“413. Bei dem Versuch, die Bedeutung der Wortkombination mit Blick auf ihren Wortursprung greifbarer zu machen, wird oft ein Zitat Abraham Lincolns aus dessen Gettysburger Ansprache von 1863 herangezogen: „government of the people, by the people, for the people“414. Die Langlebigkeit dieser Formulierung415 beruht wohl darauf, dass sie der Komplexität von Demokratie eine Gestalt gibt416.

III. Konturierung des Demokratiebegriffes – Demokratie im Grundgesetz 1. Rückführbarkeit staatlicher Gewalt auf das Volk durch den Wahlakt Die „Idee politische[r] Freiheit in Gestalt der Selbstregierung bzw. Selbstgesetzgebung“417 fordert die Rückführbarkeit der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes418. Zur demokratischen Legitimation der Staatsgewalt ist also ein „Zurechnungszusammenhang“ zum Volk erforderlich419. exemplarisch H. Meyer, Repräsentation und Demokratie, in: H. Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlüsselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit. Symposion für Hasso Hofmann zum 70. Geburtstag, 2005, S. 99 (104): „Schöner und zugleich einfacher als mit dem Satz ‚Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus‘ (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) kann man das Prinzip der Volkssouveränität nicht ausdrücken.“ 413  Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 61. 414  A. Lincoln, Gettysburg Address (1863), in: R. P. Basler (Hrsg.), The Collected Works of Abraham Lincoln, Bd. VII, New Brunswick [New Jersey] 1953, S. 22 (23); näher K. Jünemann, Government of, by, for the people – Zur Archäologie eines klassischen Zitats, in: JZ 2013, S. 1128 (1128 ff.). 415  Sartori, Demokratietheorie (Fn. 404), S. 44 bezeichnet sie als die „denkwürdigste aller Kennzeichnungen der Demokratie“. 416  Marschall, Demokratie (Fn. 404), S. 16 f.; beispielhaft zeigen anhand dieser Formel „Dimensionen des Demokratieprinzips“ auf G. Sydow, Demokratie, in: ders./ F. Wittreck, Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht I. Prinzipien, Institutionen, Verfahren, 2. Aufl. 2020, S. 95 ff. Die Formel bringt als Illustration Gewinn, für sich genommen hat sie eine begrenzte Aussagekraft; dies wird schön aufgezeigt durch eine „Interpretationsübung“ Sartoris, in der er sich am Wortlaut der Lincoln-Formel orientiert Sartori, Demokratietheorie (Fn. 404), S.  44 f. 417  Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 61 (Hervorhebung im Original, M.S.). 418  Zum Beispiel Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 83; H. Hofmann, Über Volkssouveränität: Eine begriffliche Sondierung, in: JZ 2014, S. 861 (863 f.). 419  Vom „Zurechnungszusammenhang“ spricht in diesem Kontext z. B. P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof, HStR II (Fn. 411), § 25 Rn.  30 ff.; ähnlich Hofmann, Volkssouveränität (Fn. 418), S. 863 f., der den Begriff



A. Demokratiebegriff101

Die Rückführbarkeit ergibt sich in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes insbesondere durch die Wahl von Repräsentanten für das Parlament: Art. 20 II 2 GG sieht vor, dass die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen420 und durch besondere Organe […] ausgeübt wird“. Das Wahlrecht ist die „einzige Form der direkten Ausübung von Staatsgewalt durch das Volk“421 in der Demokratie des Grundgesetzes422: Die Wahl steht damit im „Zentrum“423 der Volksherrschaft durch Repräsentation. Das Bundesverfassungsgericht fasst dies in die Worte: „Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gestaltet den Grundsatz der Volkssouveränität aus. Er legt fest, daß das Volk die Staatsgewalt, deren Träger es ist, außer durch Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausübt. Das setzt voraus, daß das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat. Deren Akte müssen sich daher auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortet werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird vor allem durch die Wahl des Parlaments, […] hergestellt. […] Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau.“424

der Zurechnung verwendet. Weiterführend zu den Formen demokratischer Legitimation von Staatsgewalt siehe z. B. Böckenförde (Fn. 411), § 24 Rn. 14 ff. 420  Der Ausdruck Abstimmungen bezieht sich auf Sachentscheidungen; Wahlen beziehen sich dagegen auf Personen, siehe z. B. B. Grzeszick, in: R. Herzog/R. Scholz/ M. Herdegen/‌ H. H. Klein (Hrsg.), Dürig/Herzog/Scholz. Grundgesetz. Kommentar, Art. 20 II (2010) Rn. 108. 421  Dreier, Problem (Fn. 412), S.  38 f. 422  Deutlich auch Dreier, Problem (Fn. 412) S. 44: „Die Wahl knüpft das (einzige) Band, welches das Staatsvolk mit der Vertretungskörperschaft im Rechtssinne verbindet.“ – Obwohl sowohl Wahlen als auch Abstimmungen im Grundgesetz erwähnt werden, sieht das Grundgesetz keinen Fall vor, in dem Abstimmungen „an die Stelle parlamentarischer Gesetzgebung treten“, H. Dreier/F.  Wittreck, Repräsentative und direkte Demokratie im Grundgesetz, in: L. P. Feld/P. M. Huber u. a. (Hrsg.), Jahrbuch für direkte Demokratie 2009, S. 11 (19); näher Dreier/Wittreck, Demokratie, ebd., S.  16 ff., insb. S.  19 f. 423  Dreier, Problem (Fn. 412), S. 44; auch N. Petersen, Demokratie als teleologisches Prinzip, 2009, S. 31 sieht den „Kern“ des Demokratiebegriffs in der „Legitimierung von Staatsgewalt durch Wahlen“. 424  BVerfGE 83, 60 (71 f.) – Ausländerwahlrecht II.

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Viertes Kapitel: Demokratie

2. Demokratische Repräsentation und der Volkswille Das Staatsorgan Volk ist zu unterscheiden von dem „pluralistische[n] Sozial­gebilde“425 Volk, einer „soziale[n] Vielheit“426 von Individuen mit Interessen und Meinungen427. Die Entscheidungen des Parlaments werden dem Staatsorgan Volk als dessen Wille (nur) zugerechnet428. Dies verdeutlicht die zentrale Rolle429 des Parlaments für die Demokratie als Ort der Repräsentation des Volkes. Zum Verständnis des heutigen Konzepts der demokratischen Repräsentation muss dringend jedwede Vorstellung der Existenz eines einheitlichen Volkswillens verworfen werden, für die der Name Carl Schmitt maßgeblich steht – es gibt keinen einheitlichen Volkswillen430. Dahingehende Vorstellun425  M. Jestaedt/O. Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen − Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Verteidigung der Demokratie. Abhandlungen zur Demokratietheorie, 2006, S. VII (XX), differenzieren im Sinne Kelsens zwischen „Staatsorgan“ Volk und „Sozialgebilde“ Volk, weil das Volk nach Kelsen nur durch die Rechtsordnung als Einheit begründet wird; siehe dazu Fn. 431. 426  Jestaedt/Lepsius, Demokratietheoretiker (Fn. 425), S. XX. 427  Siehe nur C. Gusy, Demokratische Repräsentation, in: ZfP, NF 36 (1989), S. 264 (268); D. Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, in: JZ 1995, S. 581 (587). 428  Zum Beispiel Dreier/Wittreck, Demokratie (Fn. 422), S. 13 mit Blick auf die repräsentative Demokratie: „Der Vorgang der Aggregation eines Volkswillens aus den vielen Einzelwillen erfolgt in diesem Modell zuvörderst durch periodische Wahlen, in denen das Volk Vertreter bestimmt, die ihrerseits weitere Amtsträger kreieren und Sachentscheidungen insbesondere in Form von Gesetzen treffen, die den Bürgern als Urhebern zugerechnet werden“. – Um das Konstrukt des „Volkswillens“ greifbar zu machen, hilft der Rekurs auf Hans Kelsen, siehe Jestaedt/Lepsius, Demokratietheoretiker (Fn. 425), S. XX: „Der Organwille des Parlaments wird dem Staatsorgan Volk nur zugerechnet: nicht als tatsächlicher Wille des Volkes, sondern als Fiktion, weil ohne Organ überhaupt kein Wille gebildet werden kann. Diesen Organwillen bildet das Parlament als eigenen Willen in Vertretung des Volkes.“ (Hervorhebung im Original, M.S.); grundlegend H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 310 ff. 429  Zum Beispiel aussagekräftig als „Zentralorgan“ bezeichnet im Titel des Beitrags von M. Morlok/C. Hientzsch, Das Parlament als Zentralorgan der Demokratie, in: JuS 2011, S. 1 ff. 430  Siehe nur Gusy, Repräsentation (Fn. 427), S. 268 ff.; insb. S. 268: „Regelmäßig sind die Anschauungen im Volk zu einzelnen Fragestellungen verschieden und in sich heterogen. Praktisch bedeutet dies: Ist das Volk pluralistisch, so ist es auch der Volkswille. Eine solche Vielfalt von Meinungen und Anschauungen ist so lange durchaus sinnvoll und unschädlich, wie von den Trägern derartiger Anschauungen keine einheitliche Meinungsbildung erwartet werden muß. Eben dies ist hinsichtlich des Volkes der Fall.“ (Hervorhebung im Original, M.S.). Insbesondere betont Gusy, Repräsentation, ebd., S. 270, dass „der Repräsentierte“ das Volk ist – und nicht etwa „der“ Volkswille, den es in dieser Form nicht gibt; siehe auch Dreier, Problem (Fn. 412), S. 42, 50, m. w. N.; sowie M. Kloepfer, Verfassungsrecht Bd. I, Grundlagen, Staatsorganisationsrecht, Bezüge zum Völker- und Europarecht, 2011, § 7 Rn. 15.



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gen basieren auf der verfehlten Orientierung an einer Homogenität des Volkes431. Die Demokratie des Grundgesetzes bekämpft Vielfalt nicht, sondern findet darin ihre Basis432. Im Parlament werden gerade Kompromisse zwischen verschiedenen Ansichten angestrebt433. 3. Fazit Die Rückführbarkeit der Staatsgewalt auf die Bürger basiert in der repräsentativen Demokratie des Grundgesetzes maßgeblich auf der Wahl der Re-

431  Die Vorstellung der Existenz eines einheitlichen Volkswillens korreliert mit einer Vorstellung des „Sozialgebildes“ (s. o.) Volk, die vom verfehlten Gedanken der Homogenität des Volkes getragen wird; siehe dazu Dreier, Problem (Fn. 412), S. 40 ff., insb. S. 42, 50; zur „substantiellen Gleichheit“ des Volkes C. Schmitt, Verfassungslehre, 11. Aufl. 2017, S. 234 ff. Dem kann eine Sichtweise gegenübergestellt werden, die das Individuum zum Ausgangspunkt der Demokratie macht, diese Richtung klingt z. B. in der Formulierung Hofmanns an, wenn er darauf abhebt, dass Volkssouveränität die Rückführbarkeit auf den Willen der „zum Staatsvolk vereinigten Individuen“ erfordert (Hofmann, Volkssouveränität [Fn. 418], S. 863 [Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.]); ähnlich Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 83. Zum Individuum als Ausgangspunkt der demokratischen Herrschaft bereits bei Kelsen siehe O. Lepsius, Hans Kelsen: Allgemeine Staatslehre (1925), in: JZ 2004, S. 34 (35): „Gerade die soziale Vielfalt schließt es aus, von einem einheitlichen Volkswillen auszugehen. Kelsens Demokratietheorie ist eine frühe Pluralismustheorie, die zudem von freien Individuen ausgeht. Wäre der Volkswille als Seinsgröße vorgegeben, müßte der Einzelne unfrei sein.“ (Hervorhebung im Original, M.S.); ausführlich R. C. van Ooyen, Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie, 2. Aufl. 2020, S. 47 ff., insb. S. 49, wo er Kelsen und Schmitt gegenüberstellt. Bei Kelsen sind die Individuen (nur) durch das Recht zum Volk verbunden, siehe Kelsen, Staatslehre (Fn. 428), S. 149: „So wie die Einheit des Gebietes ist die Einheit des Volkes nur durch die Einheit der Rechtsordnung begründet. Nur insofern ein und dieselbe Rechtsordnung für eine Vielheit von Menschen gilt, bilden diese eine Einheit“ (Hervorhebungen im Original als Sperrung, M.S.; siehe dazu van Ooyen, Staat [Fn. 431], S. 47; Lepsius, Demokratietheorie [Fn. 411], S. 79). 432  Dreier, Problem (Fn. 412), S.  41 ff., es lohnt der Blick auf das Konzept der Federalists, um die Vielfalt als Basis der demokratischen Repräsentation greifbar zu machen, siehe dazu H. Dreier, Demokratische Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille: Die Theorie der amerikanischen Federalists im Vergleich mit der Staatsphilosophie Kants, in: AöR 113 (1988), S. 450 (461 ff.). 433  Gusy, Repräsentation (Fn. 427), S. 268 ff., insb. S. 269 zum mehrheitsfähigen Kompromiss m. w. N.; Dreier, Problem (Fn. 412), S. 54 hebt hervor, dass das freie Mandat des Abgeordneten gerade ermöglicht, eine bestimmte Ansicht im Meinungskampf im Parlament zu vertreten, woraufhin dort Kompromisse gefunden werden können, m. w. N.; schließlich repräsentiert das Parlament als Ganzes das Volk (und nicht etwa jeder einzelne Abgeordnete; auf dieses gängige Missverständnis weist hin: Dreier, Problem [Fn. 412], S.  51 f. m. w. N.).

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präsentanten. Die Entscheidungen des Parlaments werden als Volkswille dem Staatsorgan Volk zugerechnet. 4. Die Möglichkeit zur Teilhabe am Prozess der politischen Willens- und Meinungsbildung in der Gesellschaft als Bestandteil der freiheitlichen Demokratie Die Möglichkeit der Bürger zur Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung wird vom Bundesverfassungsgericht als „[u]nverzichtbar“434 für das Vorliegen von Demokratie erklärt: „Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).“435

Es wäre irrig, aufgrund der großen Bedeutung der Wahl für die repräsentative Willensbildung im Parlament zu schließen, die Teilhabe der Bürger am Prozess der politischen Willensbildung beschränke sich auf den Wahlakt436. Die Wahl ist zwar Teil dieses Prozesses der politischen Willensbildung, aber sie steht keineswegs isoliert – so heißt es auch in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Parteienfinanzierung I deutlich: „Das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, der Bildung der ‚öffent­ lichen Meinung‘ “.437

Die Mitwirkung an der politischen Meinungs- und Willensbildung in der Gesellschaft ist eine der Wahl ebenbürtige438 Teilhabeform in der Demokratie. Sie ist ein der Wahl vor- und nachgelagerter Prozess439. Im BrokdorfBeschluss des Bundesverfassungsgerichts wird die Bedeutung der Versamm434  BVerfGE

144, 20 (208) – NPD-Verbotsverfahren. 144, 20 (208) – NPD-Verbotsverfahren. 436  Detailliert BVerfGE 20, 56 (98 f.) – Parteienfinanzierung I; BVerfGE 69, 315 (345 f.) – Brokdorf; detailliert Dreier, Problem (Fn. 412), S. 49 f.; bereits H. Hofmann/ H. Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: H.-P. Schnei­ der/W. Zeh (Hrsg.) Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, 1989, S. 165 (173 f.), § 5 Rn. 18. 437  BVerfGE 20, 56 (98) – Parteienfinanzierung I; ähnlich zum Beispiel auch BVerfGE 69, 315 (346) – Brokdorf. 438  Dreier, Problem (Fn. 412), S. 50. 439  Zum Beispiel Dreier, Problem (Fn. 412), S. 46 m. w. N.; ähnlich U. Volkmann, Parlamentarische Demokratie und politische Parteien, in: M. Morlok/U. Schliesky/ D. Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, 2016, § 4 Rn. 11; M. Morlok, Volksvertretung als Grundaufgabe, ebd., § 3 Rn. 16. 435  BVerfGE



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lungsfreiheit für den Prozess der Meinungsbildung sogar direkt mit dem Begriff der Volkssouveränität in Verbindung gebracht440. 5. Gestalt des Prozesses der politischen Meinungsund Willensbildung Die Mitwirkung am Prozess der politischen Willens- und Meinungsbildung ermöglicht es den Bürgern, sich untereinander zu beeinflussen und auch von den Repräsentanten gehört441 zu werden. Eine bedeutsame Rolle kommt hierbei auch Verbänden beziehungsweise Vereinigungen442 zu, weil diese Einzelinteressen und Meinungen eine „Vorprägung, Organisation und Kana­ lisierung“443 geben und diese so Sichtbarkeit in der Vielfalt gewinnen. Eine Sonderrolle spielen die Parteien. Sie wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit444. Dabei geben sie den wahrgenommenen Inte­ ressen und Meinungen Struktur und wählbare Form445.

440  BVerfGE 69, 315 (343 f., m. w. N.), der Zusammenhang zum Begriff der Volkssouveränität wird in der Entscheidung – allerdings nur – durch den Hinweis auf den anglo-amerikanischen Rechtskreis hergestellt, in welchem die „Versammlungsfreiheit schon früh als Ausdruck der Volkssouveränität und demgemäß als demokratisches Bürgerrecht zur aktiven Teilnahme am politischen Prozeß verstanden worden [war]“; dazu Dreier, Problem (Fn. 412), S. 49. 441  Zur „Responsivität“ ausführlich H. Pünder, Wahlrecht und Parlamentsrecht als Gelingensbedingungen repräsentativer Demokratie, in: VVDStRL 72 (2013), S. 191 (198 ff., m. w. N.). 442  Zum Beispiel U. Scheuner, Konsens und Pluralismus als verfassungsrecht­ liches Problem (1976), in: J. Listl/W. Rüfner (Hrsg.), Ulrich Scheuner. Staatstheorie und Staatsrecht. Gesammelte Schriften, 1978, S. 135 (145 ff.); D. Grimm, Verbände, in: E. Benda/‌ W. Maihofer/H.‑J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 15 Rn. 4 f. (S. 659 f.); H.-D. Horn, Verbände, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2005, § 41 Rn. 47 f. 443  Dreier, Problem (Fn. 412), S. 47; bereits H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl. 1929, S. 20 sah die Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen, um Einfluss gewinnen zu können. 444  Art. 21 I 1 GG; § 1 I, II PartG. 445  E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, 3.  Aufl. 2015, S. 67, zum „Transformationsprozeß […], der die wegen ihrer Zersplitterung politisch aktionsunfähigen Gruppenwillen in politisch aktionsfähige Organisationswillen umzuwandeln hat. Indem die Parteien sich bemühen, die widerstreitenden Interessen der Gruppen auszugleichen und zwischen ihnen einen Kompromiß zustande zu bringen, betätigen sie sich als soziale und politische Katalysatoren. […] Die Parteien […] integrieren die gestreuten Gruppenwillen, sie wirken dadurch bei der Bildung des Volks- und Staatswillens mit, daß sie sich in den Dienst der Aufgabe stellen, das Gemeinwohl im Wege eines dialektischen Prozesses zu verwirklichen“; Volkmann, Demokratie (Fn. 439), § 4 Rn. 4 ff., insb. Rn. 8, m. w. N. Die Parteien sollen zudem

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Der Meinungs- und Willensbildungsprozess in der Gesellschaft mit seinen vielfältigen Interaktionen und „Rückkopplungsprozesse[n]“446 zwischen Bürgern und Repräsentanten fußt auf den Interessen und Meinungen der Individuen (s. o. zur „Vielfalt als Basis“). Im Prozess der Willensbildung in einer repräsentativen Demokratie durchlaufen die einzelnen Sichtweisen aber Reflexionsprozesse und verlieren so an Schärfe und gewinnen an Kompromissfähigkeit447. 6. Fazit Der Meinungs- und Willensbildungsprozess in der Gesellschaft mit seinen vielfältigen Interaktionen und Rückkopplungen prägt die freiheitliche Demokratie. 7. Die bedeutende Rolle der Kommunikationsfreiheiten für den Prozess der Meinungsbildung Die einzelnen Menschen haben ihre eigenen Sichtweisen und Interessen und bilden durch die Kenntnisnahme der Interessen und Perspektiven anderer eine politische Meinung, die sie im Prozess der Meinungsbildung und in Interaktion mit den Repräsentanten weiterentwickeln können. Für die Meinungsäußerungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht prägnant ihre „schlechthin konstituierend[e]“448 Rolle für die Demokratie festgestellt. Die Bürger können ihre Meinung nur in den Meinungsbildungsprozess in der Gesellschaft hineintragen und weiterentwickeln, wenn sie diese frei bilden können beziehungsweise sich auch frei informieren449 können. Einzelnen auch „nichtorganisierten oder nichtorganisierbaren Interessen Raum […] geben“; darauf weist hin Dreier, Problem (Fn. 412), S. 48. 446  Zum Beispiel Dreier, Problem (Fn. 412), S.  49 f.; Morlok, Volksvertretung (Fn. 439), Rn. 16. 447  Ähnlich z. B. Dreier, Repräsentation (Fn. 432), S. 461, mit Blick auf die Federalists zum „integrative[n] […] Prozeß der Entscheidungsfindung durch Vertretungsorgane“. 448  Grundlegend für das Grundrecht der freien Meinungsäußerung BVerfGE 7, 198 (208) – Lüth: „Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend“. 449  Die Bedeutung der Informationsfreiheit für die Demokratie wird explizit betont in: BVerfGE 27, 71 (81) – Leipziger Volkszeitung; zur Rolle der Versammlungsfreiheit BVerfGE 69, 315 (345 f.) – Brokdorf; weiterführend zur demokratischen Dimension der Grundrechte H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, S. 38 ff.; Böckenförde (Fn. 411), § 24  Rn. 37; W.  Schmitt Glaeser, Die grundrechtliche Freiheit



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muss der Zugang zu Informationen ermöglicht werden, auf welche sie ihre Meinungsbildung stützen können. 8. Fazit Es gehört zur Essenz der freiheitlichen Demokratie, dass der einzelne Bürger sich informieren, seine Meinung bilden und sich in den Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung der Gesellschaft einbringen kann, ebenso wie er auch durch den Wahlakt diesen Prozess beeinflusst. Wir wenden uns nun dem Hintergrund dieser Mitbestimmungsmöglichkeit zu.

B. Demokratie und Freiheit I. Die Demokratievorstellung des Grundgesetzes – Demokratiebegründung und die Wertebasis der Demokratie 1. Die grundsätzliche Offenheit und Freiheit der demokratischen Willensbildung450 Demokratie beziehungsweise die Volkssouveränität fordert an sich keine bestimmten Ergebnisse des politischen Prozesses, sie ist grundsätzlich offen gegenüber den Inhalten dieses Prozesses451. Demokratie ist ein Mittel, mit dessen Hilfe sich die Idee der Selbstbestimmung der Bürger verwirklichen lässt – Kelsen formuliert es so: „Demokratie ist […] an sich nur ein formales Prinzip, das der jeweiligen Anschauung der Mehrheit die Herrschaft verschafft, ohne daß damit die Gewähr gegeben ist, daß gerade diese Mehrheit das absolut Gute, Richtige erreicht“452. des Bürgers zur Mitwirkung an der Willensbildung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 3. Aufl. 2005, § 38 Rn. 13 ff. 450  Hier verstanden im Sinne einer grundsätzlichen Aufgeschlossenheit gegenüber den Inhalten des politischen Willensbildungsprozesses; gute Darstellung der „Freiheit und Offenheit des politischen Prozesses“ bei Hesse, Grundzüge (Fn. 410), § 5 Rn.  159 ff. 451  Deutlich wird dies z. B. bei Sydow, Demokratie (Fn. 416), S. 100 Rn. 18: „Die demokratische Entscheidung ermöglicht Selbstbestimmung der Rechtsunterworfenen. Dabei sind im Hinblick auf die Volkssouveränität die sachliche Richtigkeit oder die für alle gerechteste Lösung keine notwendigen Merkmale der Entscheidung, sondern nur die mehrheitliche Zustimmung zu ihr.“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 452  H. Kelsen, Sozialismus und Staat. Eine Untersuchung der politischen Theorie des Marxismus, 3. Aufl. 1965, S. 161; siehe z. B. auch H. Kelsen, Foundations of

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2. Die Grenzen der demokratischen Freiheit453 Die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der Demokratie gegenüber dem Inhalt des Willensbildungsprozesses und seiner Ergebnisse darf aber nicht zu der Annahme führen, bei entsprechenden Mehrheiten (im Parlament beziehungsweise in der Bevölkerung) dürften Entscheidungen jeden Inhalts getroffen werden454: Dreier weist treffend darauf hin, dass „zwischen dem Mechanismus eines in Freiheit getroffenen Mehrheitsbeschlusses als der Methode demokratischer Entscheidungsfindung und dem geistigen Grund der Demokratie als politischer Ordnung zu unterscheiden“455 ist. Grenzen sind den Mehrheitsentscheidungen verschiedentlich gesetzt: Zum einen setzen die Grundrechte Einzelner den Entscheidungen der Mehrheit Grenzen456. Zudem werden grundlegende Teile der Verfassung vor den Entscheidungen des Gesetzgebers geschützt; hier wird insbesondere die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG relevant. Die Ewigkeitsklausel verhindert unter anderem die Abschaffung des Demokratieprinzips durch die Repräsentanten457.

Democracy, in: Ethics. An international journal of social, political, and legal philosophy 66 (1955), S. 1 (84): „The primary criterion of democracy is that the power of government is with the people“; siehe dazu auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl. 1990, S. 251, der die Demokratietheorie Kelsens analysiert: „im Vordergrund steht […] ganz das formale, a priori keinen bestimmten Inhalt voraussetzende Prinzip der Beteiligung der Beherrschten an der Ausübung der Herrschaft.“ 453  Angelehnt an den Titel des Beitrags von H. Dreier, Grenzen demokratischer Freiheit im Verfassungsstaat, in: JZ 1994, S. 741 (S. 741 ff.). 454  Dass die Mehrheit etwas befürwortet, ist kein Qualitätskriterium; schon A. de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. Erster Teil (1835), 1959, S. 289 f. fragt unter der Überschrift: „Tyrannei der Mehrheit“ danach, ob die Mehrheit nicht ebenso wie ein Einzelner seine Macht missbrauchen kann; für die hiesigen Zwecke genügt es, die freiheitliche Demokratie und die unbeschränkte Demokratie als Gegensatzpaar zu sehen; siehe z. B. F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 2. Aufl. 1983, S. 142. 455  Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 751 (Hervorhebungen im Original, M.S.); näher zum Verhältnis des Mehrheitsprinzips als „Methode“ der Demokratie und der „Idee“ der Demokratie mit Blick auf Kelsen siehe H. Boldt, Demokratietheorie zwischen Rousseau und Schumpeter. Bemerkungen zu Hans Kelsens „Vom Wesen und Wert der Demokratie“, in: Max Kaase (Hrsg.), Politische Wissenschaft und politische Ordnung. Analysen zu Theorie und Empirie demokratischer Regierungsweise. Festschrift zum 65. Geburtstag von Rudolf Wildenmann, 1986, S. 217 (227 f.). 456  Dem Mehrheitsprinzip sind Grenzen gesetzt, insbesondere durch die Grundrechte; z. B. Sydow, Demokratie (Fn. 416), S.  101 f., Rn.  24 ff. 457  Dazu z. B. Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 751.



B. Demokratie und Freiheit109

Desweiteren existiert der Bereich der „wehrhaften“ (auch „streitbaren“) Demokratie: Die grundgesetzlichen Regelungen, die zum Konzept der wehrhaften Demokratie gezählt werden, haben die freiheitlich demokratische Grundordnung458 als Schutzgut459. Die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der Demokratie gegenüber verschiedensten Inhalten darf nicht dazu genutzt werden, die Demokratie abzuschaffen – diese „Wehrhaftigkeit“ bezieht sich auf den Prozess der politischen Willensbildung in der Gesellschaft460. Das Bundesverfassungsgericht vertritt in der Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren (BVerfGE, 144, 20) die Ansicht, dass die „Unzulässigkeit der Änderung zentraler Bestimmungen der Verfassung und die Begrenzung demokratischer Mitwirkungsrechte, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, […] nicht nur als von außen gesetzte Schranken zu verstehen [sind], sondern vielmehr auch als Ausdruck einer dem Demokratieprinzip eigenen Selbstbeschränkung, indem sie eine dauerhafte Demokratie gewährleisten sollen“461. Als Argument dafür, dass es sich bei den Normen, die zum Konzept der wehrhaften Demokratie gehören, um demokratieimmanente Schranken handelt und nicht um äußere Schranken, wird von Dreier explizit der Seinsgrund462 von Demokratie ins Feld geführt: Demokratie kann sich nicht gegen ihren Daseinsgrund, die individuelle Freiheit beziehungsweise die Selbstbestimmung wenden463 (siehe unten näher zur individuellen Freiheit als Wurzel der Demokratie/als Demokratiebegründung). 458  Zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zählen nur solche Elemente, die für einen freiheitlich (demokratischen) Verfassungsstaat unverzichtbar sind (mit Blick auf das Demokratieprinzip: insbesondere der Grundsatz der Volkssouveränität und der Prozess der politischen Willensbildung in der Gesellschaft); s. u. näher zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, Abschnitt B.II. 459  Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 750, m. w. N.; auch insgesamt weiterführend zum Konzept der wehrhaften Demokratie, Dreier, ebd., S. 750 f. 460  Dreier, Grenzen (Fn. 453), S.  750 f. m. w. N. 461  BVerfGE, 144, 20 (196) – NPD-Verbotsverfahren (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); siehe bereits Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 751, zur „Selbstbeschränkung […] als Bestandteil des Demokratieprinzips, nicht als sein Korrektiv“ mit Fokus auf der streitbaren Demokratie; siehe dort auch zu anderen Sichtweisen. 462  Dreier rekurriert hier auf den „Geltungsgrund“ und das „Sinnprinzip“ (beide Zitate Dreier, Grenzen [Fn. 453], S. 751) von Demokratie; dies zeigt, dass den Gründen für Demokratie eine Relevanz zukommen kann, die durchaus über das Aufzeigen ideengeschichtlicher Zusammenhänge hinausreicht. 463  Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 751; ähnlich bereits Boldt, Demokratietheorie (Fn. 455), S. 226 ff., insb. S. 227 f.; zur individuellen Freiheit bzw. Selbstbestimmung als Daseinsgrund der Demokratie grundlegend Kelsen, Wesen (Fn. 443), S. 3 ff.; dazu detailliert, Dreier, Rechtslehre (Fn. 452), S. 251 ff. Kelsen beschreibt verschiedene Stufen einer „Metamorphose“ (Kelsen, Wesen [Fn. 443], S. 8) des Freiheitsgedan-

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Wenden wir uns nun diesen Gründen für die Wahl des Demokratieprinzips zu. 3. Demokratiebegründung – Wertebasis von Demokratie Jenseits der grundsätzlichen Offenheit von Demokratie mit Blick auf den Inhalt der Entscheidungen (s. o.) hat Demokratie jedenfalls durch ihre Begründung464 einen starken Wertbezug: demokratische Herrschaft ist legitime Herrschaft, weil sich in ihr bestimmte Werte verwirklichen: Freiheit und Gleichheit. Diese Basis soll im Folgenden näher betrachtet werden. Hans Kelsen, dessen Werk „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ wegweisend für die Frage ist, wie sich Demokratie legitimiert und welches von Boldt als „eine der großen Demokratiebegründungsschriften überhaupt“465 bezeichnet wird, zeigt die Freiheit als Daseinsgrund466 von Demokratie auf. Kelsen zeigt auf: „[d]ie Idee der Demokratie ist die Idee der Freiheit als der politischen Selbstbestimmung“467. Hierin wird der Wertbezug von Kelsens Demokratietheorie deutlich: „Basiswert“468 der Demokratie ist nach Kelsen die Freiheit469, ersichtlich wird dies auch in folgendem Zitat aus „Foundations of Democracy“: kens: Kelsen, Wesen (Fn. 443), S. 5 ff.; ähnlich (auch begrifflich [„Metamorphose“]) Böckenförde (Fn. 411), § 24 Rn. 37 ff. 464  Siehe zur Unterscheidung von Methode und Begründung von Demokratie bereits Fn. 455; Boldt, Demokratietheorie (Fn. 455), S. 227 f. unterscheidet im Sinne Kelsens zwischen der Methode der Demokratie und ihrer „Idee, der individuellen Freiheit“. 465  Boldt, Demokratietheorie (Fn. 455) S. 217, er bezieht sich auf die zweite Auflage des Werkes von 1929. Gründe dafür, dass das Werk „zum festen Bestandteil jeder eingehenden Analyse des Demokratieprinzips geworden ist“, nennt H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie: Grundlegung, Strukturelemente, Probleme, in: M. Jestaedt/ S. L. Paulson (Hrsg.), Horst Dreier. Kelsen im Kontext, 2019, S. 67 (68) und weist auch auf Kelsens weniger bekannte, in Teilen modifizierte Demokratietheorie „Foundations of Democracy“ (Fn. 452) hin. 466  Siehe bereits oben für die individuelle Freiheit Fn. 463, 464. 467  H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, 1933, S. 10. 468  Dreier, Rechtslehre (Fn. 452), S. 252. 469  Kelsen, Wesen (Fn. 443), S. 9; hier erläutert Kelsen, warum das Mehrheitsprinzip richtigerweise nicht allein aus der Idee der Gleichheit, sondern gerade aus der Idee der Freiheit hergeleitet wird; siehe auch H. Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932), in: Jestaedt/Lepsius, Hans Kelsen (Fn. 425) S. 229 (231): „die richtig verstandene Demokratie [will] nicht so sehr das Prinzip der Gleichheit, als vielmehr das der Freiheit, der politischen Selbstbestimmung, verwirklichen“ (Hervorhebung im Original, M.S.); Boldt, Demokratietheorie (Fn. 455), S. 225: „Kelsen [hat] bei seiner Bestimmung der Demokratie als einer ‚Methode‘ (der Volksherrschaft durch Majoritäts-



B. Demokratie und Freiheit111 „The problem of democracy is not the problem of the most effective government; others may be more effective. It is the problem of a government guaranteeing the greatest possible amount of individual freedom.“470

Angesichts dieses Fokus auf der Freiheit ist bemerkenswert, dass Kelsen durchaus explizit Freiheit und Gleichheit Hand in Hand gehen sieht: „Aus der Idee der Freiheit allein kann jedoch das Wesen der Demokratie nicht ganz verstanden werden. Die Idee der Freiheit an sich kann überhaupt keine soziale Ordnung begründen, deren wesentlicher Sinn die Bindung ist […]. Es ist der tiefste Sinn des demokratischen Prinzipes, daß das politische Subjekt die Freiheit, auf die es abzielt, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen, daß das Ich die Freiheit auch für das Du will: Weil das Ich das Du als wesensgleich empfindet. So muß die Idee der Gleichheit zu der Idee der Freiheit […] hinzutreten, damit der Gedanke einer demokratischen Gesellschaftsform zustande kommen kann.“471

Die Aktualität dieser Gedanken Kelsens zur Demokratiebegründung ist ungebrochen. Die Demokratie des Grundgesetzes fußt auf der „Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger“472. Auch in dieser Wendung des Bundesverfassungsgerichts scheinen als zentrale Elemente der Demokratiebegründung durch: die Freiheit der Bürger und die Gleichheit der Bürger. 4. Fazit Die demokratische Organisation von Herrschaft soll die Werte Freiheit und Gleichheit zur Geltung bringen473.

beschluß) aber auch an ihrem Wertbezug (der Verwirklichung individueller Freiheit) festgehalten.“ 470  Kelsen, Foundations (Fn. 452), S. 32; zu dieser Stelle bei Kelsen, siehe Dreier, Rechtslehre (Fn. 452), S. 252: „die Demokratie ist bei all ihrer Formalität und Wertneutralität als Veranstaltung zur Erhaltung der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen zu begreifen“. 471  Kelsen, Staatsform (Fn. 467), S. 11. 472  BVerfGE 44, 125 (142) – Öffentlichkeitsarbeit (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); siehe beispielhaft auch Dreier, Demokratieprinzip (Fn. 404), S. 162; Dreier nennt Demokratie den „Inbegriff kollektiver Selbstbestimmung einer Gesellschaft Freier und Gleicher“. 473  Dreier, Demokratieprinzip (Fn. 404), S. 162: „das freiheitliche Element der Demokratie liegt also nicht in der Abwesenheit staatlicher Herrschaft, sondern in der besonderen Organisation derselben“; wohl in diesem Sinne sieht K. F. Gärditz, Strafbegründung und Demokratieprinzip, in: Der Staat 49 (2010), S. 331 (345) den „Eigenwert“ der Demokratie „prozedural in Erscheinung“ treten; ähnlich R. Rhinow, Grundprobleme der schweizerischen Demokratie, 1984, S. 156.

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5. Gleiche Freiheit der Menschen Lebt der Mensch in der Gesellschaft anderer, ist aufgrund der gleichen Freiheit474 aller Menschen eine „freiheitliche Organisation von Herrschaft“475 erstrebenswert. Für eine solche Herrschaftsform kann der Begriff der „freiheitlichen Demokratie“476 verwendet werden. Die individuelle Freiheit der Einzelnen durchläuft einen Prozess477, wenn sie auf die gleiche individuelle Freiheit anderer trifft. Freiheit nimmt dabei als „Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung“478 Gestalt an. Die individuelle Freiheit wandelt sich also in die Erscheinungsform: „politische Selbstbestimmung des Bürgers, als Mitwirkung an der Bildung des herrschenden Willens im Staate“479. Die Verbindung zwischen Mitwirkung und Freiheit ergibt sich aus dem Gedanken, dass „[p]olitisch frei ist, wer zwar untertan, aber nur seinem eigenen, keinem fremden Willen untertan ist“480. 6. Fazit Die individuelle Freiheit des Menschen ist der Ursprung der Demokratie – wie auch die Formulierung Dreiers auf den Punkt bringt: „Die Freiheit

Demokratietheorie (Fn. 465), S. 69; siehe auch Fn. 472, Fn. 482. Wahl, Art. Demokratie, Demokratieprinzip, in: M. Schröder (Hrsg.), Ergänzbares Lexikon des Rechts. Ordner 2, Gruppe 5, Staats- und Verfassungsrecht, Gruppe6a, Steuer und Finanzrecht, 2005, LdR Nr. 5/170 (1990), S. 1 (1) weist hier darauf hin, dass Demokratie „nach dem Grundgesetz nicht die Negierung oder Auflösung von Herrschaft meint oder verspricht, sondern eine besondere, nämlich freiheitliche Organisation von Herrschaft“; explizit zur „Organisation […] einer menschenwürdigen Herrschaft“ mit Hilfe der Demokratie Rhinow, Grundprobleme (Fn. 473), S. 156 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); siehe dazu auch Dreier, Demokratieprinzip (Fn. 404), S. 162. 476  Im Sinne der Begriffsverwendung in BVerfGE 144, 20 (203) – NPD-Verbotsverfahren, der Begriff der freiheitlichen Demokratie wird auf eine recht weite Art verwendet, so können „konstitutionelle Monarchien […] dem Leitbild einer freiheitlichen Demokratie entsprechen“ (BVerfGE 144, 20 [206], m. w. N.); zu den „obersten Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie“, detailliert BVerfGE 144, 20 (208 ff.). 477  Siehe dazu Fn. 463. 478  Dreier, Demokratietheorie (Fn. 465), S. 72: „Freiheit [meint] für Kelsen im Kern Autonomie, also Selbstbestimmung und Selbstgesetzgebung“. 479  Kelsen, Wesen (Fn. 443), S. 5 von Kelsen als erste Stufe des „Wandlungsprozesses“ beschrieben. 480  Kelsen, Wesen (Fn. 443), S. 4; ähnlicher Gedanke z. B. bei F. Böhm, Die vier Säulen der Freiheit, in: A. Rüstow/W. Röpke/G. Gather/ders. u. a., Was muß die freie Welt tun?, 1959, S. 40 (47): „Herrschaft des Volkes über sich selbst, besser: über seinen eigenen Machtapparat“. 474  Dreier, 475  R.



B. Demokratie und Freiheit113

des Einzelnen […] [bildet] die gedankliche Wurzel der modernen Demokra­ tie“481. 7. Das Individuum als Ausgangspunkt der Demokratie Aus dem Gesagten ergibt sich als Ausgangspunkt von Demokratie der einzelne Mensch, das Individuum482 mit seiner Freiheit und Menschenwür­ de483. Die Bedeutung des Individuums als Ausgangspunkt der Legitimation im demokratischen Verfassungsstaat spiegelt sich in der Rolle des Einzelnen im Prozess der Meinungs- und Willensbildung (siehe oben). So wird zum Beispiel im Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1985 das Individuum als Ausgangspunkt demokratischer Legitimation und einer „pluralistischen“ Öffentlichkeit anschaulich, wenn das Bundesverfassungsgericht gerade auf den einzelnen Bürger abstellt, der sich in diesem Prozess nicht „ohnmächtig“484 erleben soll − weshalb es wichtig ist, dass er sich unmittelbarer485 äußern kann:

481  Dreier

M.S.).

(Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 66 (Hervorhebung im Original,

482  Ausführlich zum Individuum als Ausgangspunkt demokratischer Legitimation S. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 252 ff., insb. S. 253 f. m. w. N.; ähnlich Dreier, Demokratietheorie (Fn. 465), S. 69: „Den zentralen Basiswert der Demokratie bildet nun in der Analyse Kelsens die Freiheit, und zwar im Kern die Freiheit des Einzelnen (nicht eines Kollektivs), und zweitens die gleiche Freiheit aller“; siehe auch Dreier, Rechtslehre (Fn. 452), S.  252, m. w. N. 483  Zum Menschenwürdebezug der Demokratie zum Beispiel BVerfGE 144, 20 (208) – NPD‑Verbotsverfahren: „Das Grundgesetz geht insoweit vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus und verbürgt im Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, zugleich den menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips“, m. w. N.; P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee/Kirchhof, HStR II (Fn. 411), § 22 Rn. 61 ff., insb. Rn. 63; hier beschreibt Häberle, dass die als Bezugspunkt der „Herrschaftsableitung[en]“ der Volksherrschaft gedanklich vorgelagert ist, sowie Rn. 65: „In der Menschenwürde hat Volkssouveränität ihren ‚letzten‘ und ersten (!) Grund.“; siehe auch Unger, Verfassungsprinzip (Fn. 482), S. 252 ff., insb. S. 254, m. w. N.; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 1 I Rn. 166, m. w. N. – Interessant zum philosophischen beziehungsweise geschichtlichen Hintergrund H. Hofmann, Menschenrechte und Demokratie: oder: Was man von Chrysipp lernen kann, in: JZ 2001, S. 1 ff. 484  BVerfGE 69, 315 (346) – Brokdorf, siehe Fn. 486 im Kontext. 485  Siehe dazu C. Wöhst, Hüter der Demokratie. Die angewandte Demokratietheorie des Bundesverfassungsgerichts, 2016, S. 102.

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Viertes Kapitel: Demokratie

„An diesem Prozeß sind die Bürger in unterschiedlichem Maße beteiligt. Große Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien können beträchtliche Einflüsse ausüben, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt. In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen.“486

8. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gleiche Freiheit der einzelnen Menschen der ideelle Ausgangspunkt für die Demokratie ist. Die Freiheit der Bürger verwirklicht sich als Selbstbestimmung durch die Möglichkeit zur Teilnahme am Prozess der politischen Meinungsbildung sowie durch die Wahlmöglichkeit. Die individuelle Freiheit realisiert sich nicht absolut, sondern – aufgrund der gleichen Freiheit der anderen – als Möglichkeit zur Mitwirkung. Durch die Möglichkeit der Individuen, zu wählen und am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben, wird ein Legitimationszusammenhang zum Staatsorgan Volk geschaffen. Eine selbstbestimmte Meinungs- und Willensbildung des Einzelnen erfordert die Möglichkeit zur freien Kommunikation und Information.

II. Die freiheitliche Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung Weil in den Kontext der Demokratievorstellung des Grundgesetzes die Formel der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehört, soll deren Bedeutung hier kurz angerissen werden. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist nach dem Bundesverfassungsgericht „eine Ordnung […], die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.“487 486  BVerfGE

69, 315 (346). BVerfGE 2, 1 (12 f.) – SRP; siehe auch BVerfGE 144, 20 (203) – NPD-Verbotsverfahren: „Freiheitliche demokratische Grundordnung und verfassungsmäßige Ordnung sind […] zu unterscheiden. Die freiheitliche demokratische Grundordnung beschränkt sich auf diejenigen Prinzipien, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der 487  Grundlegend



B. Demokratie und Freiheit115

Die freiheitlich demokratische Grundordnung erfasst die „zentrale[n] Grundprinzipien“488 eines freiheitlichen Verfassungsstaates489 – zu diesen gehören die „[u]nverzichtbar[en]“ Elemente eines „demokratische[n] Sys­ tem[s]“490. Für die Ermittlung dieser unverzichtbaren Elemente wird der Menschenwürdebezug des Demokratieprinzips relevant491.

III. Wertebasis von Demokratie: (individuelle) Freiheit als gemeinsame Wurzel von Demokratie und Liberalismus Wer Demokratie als Mittel beziehungsweise Organisationsform der Herrschaft in einer Gesellschaft Freier und Gleicher ansieht492, für den stellen sich Fragen nach etwaigen Gemeinsamkeiten von Demokratie und Liberalismus. Da die ordoliberale Sicht als Basis des Kartellrechts Bedeutung für diese Arbeit hat, wird auf diesen Aspekt kurz eingegangen. Beim Blick auf das Verhältnis von Demokratie und Liberalismus wird häufig auf die Unterschiede beider Ideale verwiesen493. Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit gewährleisten“; zum Inhalt der Wendung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, die das Bundesverfassungsgericht in der KPD-Entscheidung und der SRP-Entscheidung bestimmt hat, siehe auch F. Wittreck, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 18 Rn. 44. 488  BVerfGE 144, 20 (205 f.). 489  Zum Begriff des freiheitlichen Verfassungsstaats, siehe z. B. H. Dreier, Der freiheitliche Verfassungsstaat als riskante Ordnung, in: RW 1 (2010), S. 11 ff., insb. S. 13: „Den freiheitlichen Verfassungsstaat zeichnet neben demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien vor allem anderen die Gewährung bestimmter Freiheitsund Gleichheitsrechte aus“. 490  BVerfGE 144, 20 (208); zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehört auch das Rechtsstaatsprinzip: BVerfGE 144, 20 (210). 491  BVerfGE 144, 20 (206): „Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG).“; siehe bereits Fn. 483 zum Menschenwürdebezug der Demokratie; detailliert BVerfGE 144, 20 (202 ff.), insb. S. 203; hier verweist das Bundesverfassungsgericht auf die im „freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze“ und sieht hierbei „das Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) im Vordergrund […], das durch die Grundsätze der Demokratie […] und der Rechtsstaatlichkeit […] näher ausgestaltet wird“; siehe auch G. Warg, Nur der Kern des demokratischen Rechtsstaats – die Neujustierung der fdGO im NPD-Verbotsurteil vom 17.1.2017, in: NVwZ-Beilage 36 (2017), S. 42 (43). 492  Siehe oben, Fn. 475. 493  Demokratie und Liberalismus werden von den jeweiligen Vertretern oft im Spannungsverhältnis gesehen; einige solche Autoren nennt V. J. Vanberg, Liberalis-

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Viertes Kapitel: Demokratie

Jedenfalls die freiheitliche Demokratie494, sprich der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat (siehe oben), ist aber Ausdruck einer gemeinsamen Zielrichtung von Demokratie und Liberalismus. Sichtbar wird diese Verbindung zum Beispiel bei Schneider, wenn er die Grundrechte, welche ein „Reservat ungestörter Privatheit“495 vor dem Staat abschirmen, auch mit der Privatheit als „Lebensbereich realer Selbstbestimmung“ zusammendenkt, der „wenigstens die Chance autonomer Mitwirkung am öffentlichen Gesamtgeschehen“496 ermöglicht. Interessanterweise wurden Gemeinsamkeiten von Demokratie und Liberalismus im Ansatz schon durch v. Hayek behandelt: „Gleichheit vor dem Gesetz führt zu der Forderung, daß auch alle Menschen gleichermaßen an der Gesetzgebung beteiligt seien. Hier treffen der traditionelle Liberalismus und die demokratische Bewegung zusammen.“497 mus und Demokratie: Zu einer vernachlässigten Seite der liberalen Denktradition, in: Freiburger Diskussionspapiere zur Ordnungsökonomik, 14/04, 2014, S. 1 f., https:// www.eucken.de/content/uploads/Discussionspapier_1404.pdf (1.4.2021). 494  Siehe zur „engen Verflechtung des L. [Liberalismus, Anmerkung der Verfasserin, M.S.] mit der demokratischen Regierungsform“, nachdem dieser vorher „an die Monarchie angelehnt“ war M. Anderheiden, Liberalismus, in: W. Heun/M. Honecker u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe 2006, S. 1447 (1451); interessant der Blick auf die Entwicklung der Beziehung der Begriffe Demokratie und Liberalismus in Ideengeschichte und historischem Kontext durch Sartori, Demokratietheorie (Fn. 404), S. 359 ff., insb. S. 361 f. 495  H.-P. Schneider, Eigenart und Funktionen der Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: J. Perels (Hrsg.), Grundrechte als Fundament der Demokratie, 1979, S. 11 (43). 496  Beide Zitate Schneider, Eigenart (Fn. 495), S. 43 (Hervorhebung im Original, M.S.); entscheidend ist, dass er in dieser Selbstbestimmung eine „Triebkraft […] des Citoyen“ (Schneider, ebd., S. 43) erblickt; zur wichtigen Rolle des Privaten für die Pluralismus und Demokratie, C. Gusy, Privatheit und Demokratie, in: KritV 98 (2015), S. 430 ff. (insb. S. 447 ff., 451, 453); ähnlich auch Dreier, Demokratieprinzip (Fn. 404), S. 181: „die Garantie eines freien Meinungsbildungsprozesses qua unverstellter öffentlicher Diskussion auf der Grundlage einer geschützten Privatsphäre [ist] unentbehrlich“. 497  v. Hayek, Verfassung (Fn. 454), S. 125, der allerdings unmittelbar anschließt: „Ihre Hauptanliegen sind jedoch verschieden.“ – Siehe detaillierter zu dieser Stelle in v. Hayeks Werk, Vanberg, Liberalismus (Fn. 493), S. 12 f.; es liegt nahe, dass v. Hayek auf die Verschiedenheit von Liberalismus und Demokratie abhebt, weil er sich nicht ausschließlich die freiheitliche Demokratie vorstellt, sondern ihm auch der „dogmatische Demokrat“ (v. Hayek, Verfassung [Fn. 454], S. 125) vor Augen steht und er die Möglichkeit der totalitären Demokratie mitbedenkt; erkennbar wird dies auch an v. Hayeks Ausführungen v. Hayek, Verfassung (Fn. 454), S. 126 hier stellt er dem liberalen Ideal eine Vorstellung von Demokratie gegenüber, nach der „[f]ür den doktrinären Demokraten […] die Tatsache, daß die Mehrheit etwas will, einen ausreichenden Grund [bildet], es auch für gut zu halten“. Diese Gegenüberstellung durch



B. Demokratie und Freiheit117

Bereits von Hayek steht der freiheitlichen Demokratie positiv gegenüber und sieht Gemeinsamkeiten zwischen Liberalismus und freiheitlicher Demokratie darin, dass beide die Freiheit erhalten wollen – der Liberale kann ihm so explizit als Freund der Demokratie erscheinen: „Die Demokratie ist ein Mittel zur Erhaltung der Freiheit, aber die individuelle Freiheit ist nicht weniger eine wesentliche Bedingung für das Funktionieren der Demokratie. Obwohl die Demokratie die beste Form einer beschränkten Regierung sein mag, wird sie zur Absurdität, wenn sie eine unbeschränkte Herrschaft wird. Jene, die glauben, daß eine demokratische Regierung für alles zuständig ist, und die jede Forderung der Mehrheit in irgend einem Augenblick unterstützen, bereiten ihren Untergang vor. Der alte Liberale ist tatsächlich ein wahrerer Freund der Demokratie als der dogmatische Demokrat, denn er bemüht sich um die Erhaltung der Voraussetzungen, unter denen Demokratie praktikabel ist. Es ist nicht ‚antidemokratisch‘, zu versuchen, die Mehrheit davon zu überzeugen, daß es Grenzen gibt, jenseits derer ihre Gewalt aufhört, wohltätig zu wirken, und daß sie Grundsätze befolgen muß, die sie nicht selbst geschaffen hat.“498

Die Vorstellung von Demokratie als Organisationsmittel der Herrschaft im Sinne der Verwirklichung der Freiheit des Individuums (s. o.) ist mit der liberalen Freiheitsidee verknüpft499 – sie teilen den Wert der individuellen Freiheit und suchen diesen zu verwirklichen500.

v. Hayek bezeichnet Vanberg, Liberalismus (Fn. 493), S. 13 bildhaft als „asymmetrischen Vergleich“. 498  v. Hayek, Verfassung (Fn. 454), S. 142. 499  Vanberg, Liberalismus (Fn. 493), S. 3, untersucht eine „intrinsische[n] Verbindung“ zwischen Demokratie und Liberalismus; den Ausdruck entlehnt er bei M. F. Plattner, Liberalism and Democracy – Can’t Have One Without the Other, in: Foreign Affairs 77 (1998), S. 171 (173): „intrinsic links“; Vanberg, Liberalismus (Fn. 493), S. 3, stellt fest, dass Liberalismus und Demokratie „gleichermaßen von einem normativen Individualismus als Wertprämisse ausgehen und deshalb nicht nur miteinander vereinbar, sondern inhärent miteinander verknüpft sind.“ 500  Vanberg, Liberalismus (Fn.  493), S.  14 f.; Vanberg weist auch auf J. M. Buchanans Perspektive hin, der einen Liberalismus für konsequent hält, in welchem „das Ideal individueller Autonomie oder Souveränität nicht nur im Sinne individueller Freiheit im Rahmen einer gegebenen Privatrechtsordnung“ verstanden wird, sondern auch als „die Freiheit der Einzelnen, im Einvernehmen mit anderen die Regelordnung zu wählen, unter der sie leben wollen“, m. w. N.; in die Richtung z. B. J. M. Buchanan, The Foundations for Normative Individualism, in: The Collected Works of James M. Buchanan. Volume 1. The Logical Foundations of Constitutional Liberty, 1999, Nachdruck Indianapolis 2001, S. 281 (288); ähnlich Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 741: „Nun ist das Prinzip personaler Freiheit nicht auf die lediglich staatsabwehrende, subjektiv-defensive Seite beschränkt, sondern umfaßt auch die in der Volkssouveränität begründete kollektive Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung durch die Staatsbürger. Neben die private, liberale Freiheit vom Staat tritt die demokratische Freiheit zum Staat“ (Hervorhebungen im Original, M.S.).

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Viertes Kapitel: Demokratie

IV. Fazit/Zusammenschau: Unterscheidung und Zusammenspiel verschiedener Freiheiten mit Demokratierelevanz Die klare Differenzierung verschiedener Freiheiten mit Relevanz für die Demokratie hilft uns dabei, deren Verhältnis zueinander zu klären. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung durch Mitwirkung am Prozess der politischen Willensbildung501 („politische Freiheit“) lässt sich von der Idee der individuellen Freiheit des Menschen als „geistige[m] Grund“502 für diese politische Freiheit beziehungsweise die Demokratie unterscheiden503. Für eine freie und selbstbestimmte Mitwirkung des Einzelnen (als Wähler, wie auch als Teilnehmer an sonstigen Vorgängen des Prozesses der Willensbildung in der Gesellschaft) ist zudem die Freiheit der Meinungsbildung unabdingbar.

V. Exkurs: Volkssouveränität und Repräsentation Die Ausgestaltungsform als repräsentative Demokratie ist grundsätzlich nicht die einzige Möglichkeit, den Grundsatz der Volkssouveränität zu verwirklichen504. Im Wege direkter Demokratie lässt sich Volkssouveränität ebenfalls grundsätzlich umsetzen505.

501  Die Freiheit zur Mitwirkung am Prozess der politischen Willensbildung ist mehr als die bloße Möglichkeit, den Wahlakt auszuüben. Zum einen kann eine „echte ‚Auswahl‘  “ nur gewährleistet sein bei der Erfüllung weiterer Anforderungen: C. Starck, Grundrechtliche und demokratische Freiheitsidee, in: Isensee/Kirchhof, HStR III (Fn. 449), § 33 Rn. 32, zum anderen geht die politische Freiheit als Teilhabe am Prozess der Willens- und Meinungsbildung (s. o.) über eine – auch über eine weit verstandene – Wahlfreiheit hinaus. 502  Dreier, Grenzen (Fn. 453), S. 751 (Hervorhebung im Original, M.S.); siehe dazu oben, Fn. 455, 463. 503  Sie stellt trotz ihrer gewandelten Erscheinungsform noch eine Art Ausprägung der individuellen Freiheit dar. – Siehe oben zur „Metamorphose“ des Freiheitsgedankens, Fn. 463. 504  Zum Beispiel in diesem Sinne BVerfGE 144, 20 (209) – NPD-Verbotsverfahren: „die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, [vermag] den Vorwurf der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu begründen“; weiterführend BVerfGE 20, 144 (209 f., 283). 505  Weiterführend zur direkten Demokratie z.  B. Dreier/Wittreck, Demokratie (Fn. 422), S.  13 f.



C. Demokratie als Instrument zur Verwirklichung von gleicher Freiheit119

Dennoch wird das Repräsentativsystem praktisch als unentbehrlich angesehen, um die Volkssouveränität umsetzen zu können – die Kombination mit direktdemokratischen Elementen ist dabei grundsätzlich denkbar506.

C. Demokratie als Instrument zur Verwirklichung von gleicher Freiheit als Parallele zum Wettbewerb als Verwirklichung von Freiheit Die demokratische Methode der Entscheidungsfindung (sowohl bei repräsentativ getroffenen wie auch bei direkt getroffenen Entscheidungen) ist kein Selbstzweck507. Demokratie als „Ziel in sich“ zu bezeichnen, lässt sich nur vertreten, wenn man den Blick auf ihren freiheits- und gleichheitsverwirklichenden Charakter richtet. Dieser zeigt sich prozedural508 beziehungsweise in den demokratisch erzielten Ergebnissen509. Demokratie lässt sich darum eher als Instrument zur Verwirklichung von Freiheit verstehen denn als Selbstzweck. Letztere Bezeichnung lässt sich nur vertreten, wenn man darauf abstellt, dass sich im demokratischen Prozess bestimmte Werte verwirklichen. Dieser Gedanke zeigt sich auch in der Einstufung der Demokratievorstellung des Grundgesetzes als grundsätzlich input-orientiert: In der Demokratie des Grundgesetzes kann Herrschaft also nicht ausschließlich aus „guten“ Ergebnissen510 beziehungsweise über ihren output511 legitimiert werden512. 506  Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 104: „In modernen Großflächenstaaten mit hohem Normierungsbedarf kommt direkte Demokratie stets nur als punktuelle Ergänzung, niemals als Substitution des Repräsentativsystems in Betracht“, m. w. N. (Hervorhebung im Original, M.S.). Dreier wählt auch die Wendung von der „Repräsentationsbedürftigkeit“ der Volkssouveränität, Dreier, Problem (Fn. 412), S. 43; interessant hierzu ist die durch Dreier/Wittreck ausgesprochene Erinnerung daran, „daß auch Instrumente der direkten Demokratie nicht ohne ein hohes Maß an Repräsentation auskommen, das die kategoriale Unterscheidung von unmittelbarer und mittelbarer Demokratie verschwimmen läßt und in die Nähe einer bloß graduellen Differenz rückt.“ (Dreier/Wittreck, Demokratie [Fn. 422], S. 38). 507  Schon F. A. v. Hayek, Der Weg zur Knechtschaft, 3. Aufl. 1952, S. 99 f. stellt heraus, dass Demokratie ein Mittel zum Zweck ist bzw. sein sollte, um letztlich Freiheit und Frieden zu erreichen. 508  Siehe oben (Fn. 473). 509  Weil diese das Resultat des Bemühens um die Verwirklichung der Selbstbestimmung (Aller) sind. 510  Damit ist noch nichts zu der Frage gesagt, was unter „guten“ Ergebnissen von Politik und dem „Gemeinwohl“ zu verstehen ist. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und es kann nur angedeutet werden: das Gemeinwohl ist keine „prä-

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Viertes Kapitel: Demokratie

Fritz W. Scharpf untersucht Demokratiekonzepte auf ihren Charakter und kategorisiert sie513 danach, ob sie das „politische System primär von seinen inputs oder von seinen outputs her zu rationalisieren versuchen“514. Werden politische Entscheidungen dadurch legitimiert, dass sie auf das Volk zurückgeführt werden können – wie in der Demokratie des Grundgesetzes – handelt es sich dabei um eine input-orientierte Argumentation. Dagegen blickt output-orientierte Argumentation auf die Ergebnisse von Politik beziehungsweise den Inhalt politischer Entscheidungen515. Dies darf nicht den Blick darauf verstellen, dass der Inhalt politischer Entscheidungen in einer Demokratie eine – wenn nicht die – überragende Rolle spielt: die Suche nach einem (im Parlament) mehrheitsfähigen Kompromiss existente Göße“ (K. F. Gärditz, Die Verwaltungsdimension des Lissabon-Vertrags, in: DÖV 2010, S. 453 [457]) bzw. „kein fixes Datum […], sondern Resultat aus dem Miteinander und Gegeneinander divergenter politischer, ökonomischer, kultureller, ideologischer und sonstiger sozialer Kräfte“ (Dreier, Repräsentation [Fn. 432], S. 466 f.). Weiterführend zum Gemeinwohl auch J. Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 38 ff. m. w. N.; sowie C. Engel, Offene Gemeinwohldefinitionen, in: Rechtstheorie 32 (2001), S. 23 (25 ff.); G. F. Schuppert, Gemeinwohldefinition im kooperativen Staat, in: H. Münkler/ K. Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 2002, S. 67 (74 f.) m. w. N.; H. H. v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, 1977, insb. S. 43 ff.; H. Hofmann, Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: Münkler/Fischer, ebd., insb. S. 25, 29 ff.; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 2. Aufl. 2006, insb. S. 17 ff. Es sei zudem angemerkt, dass bei aller Subjektivität bei der Bewertung der Qualität einer politischen Entscheidung jedenfalls nicht unterstellt werden darf, dass Bürger hier in erster Linie eigennützige Erwägungen anstellen; ähnlich im Kontext der – überschätzten – Gefahr des „Distanzverlust[es]“ bei direktdemokratischen Entscheidungen, Dreier/Wittreck, Demokratie (Fn. 422), S.  32 ff. 511  In Richtung des Lincoln’schen „government of the people“ – diese „Dimension“ der Formel stuft als output-Legitimation ein Sydow, Demokratie (Fn. 416), S. 96. 512  So weist Dreier darauf hin, dass die bloße Akzeptanz der Ergebnisse von Herrschaft durch die Bürger nicht ausreicht, um demokratische Legitimation zu verleihen, wenn es an der Rückführbarkeit auf das Volk fehlt – Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn.  83 m. w. N.; A. Voßkuhle/G. Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, in: JZ 2002, S. 673 (676) meinen, dass neben einem „Mindestmaß an originär demokratischer Legitimation“ aber weitere Legitimationskomponenten in Betracht kommen, m. w. N. 513  Grundlegend F. W. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1975, S. 21 ff.; siehe auch F. W. Scharpf, Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch?, 1999, S. 16 ff. 514  Scharpf, Demokratietheorie (Fn.  513) S. 21 (Hervorhebungen im Original, M.S.). 515  Zum Ganzen weiterführend z.  B. Dreier (Fn. 405), Art. 20  (Demokratie), Rn.  83, m. w. N.



D. Zwischenergebnis und Ausblick121

im Wege der demokratischen Willensbildung wird von dem Anspruch geleitet, mit Hilfe dieses Prozesses auch bestmögliche516 Lösungen zu finden517. Dass eine objektiv gute oder richtige Entscheidung als Resultat/Kompromiss im Wege des Willensbildungsprozesses gefunden wird, ist nicht garantiert518. Die Perspektive der input-Orientierung der Demokratie eröffnet den Blick auf eine interessante Parallele von Demokratie und Wettbewerbsmarkt519: Die einzelnen Marktvorgänge können von den Marktteilnehmern frei durchgeführt werden, was dem Marktgeschehen eine Art prozeduralen Wert ähnlich dem Wert demokratischer Prozesse520 gibt. Dieser Wert besteht zunächst unabhängig von den Ergebnissen des gesamten ökonomischen Prozesses, weshalb der Wettbewerbsmarkt gewissermaßen als „input-orientiert“ bezeichnet werden kann521. Die Parallele von Demokratie und Wettbewerbsmarkt mit Blick auf die Verwirklichung von Werten wird im Fünften Kapitel näher beleuchtet.

D. Zwischenergebnis und Ausblick Demokratie und Freiheit sind nach der Demokratievorstellung des Grundgesetzes miteinander verwoben. Die Demokratie basiert auf der Idee der in516  Siehe oben zu den Schwierigkeit der Bestimmung dessen, was ein gutes Ergebnis ist (Fn. 510). 517  In diese Richtung BVerfGE 5, 85 (135) – KPD, siehe dazu z. B. v. Arnim, Gemeinwohl (Fn. 510), S.  45 f. m. w. N. 518  Eindrücklich ist der Hinweis von Dreier/Wittreck, Demokratie (Fn. 422), S. 35 dass „eine Demokratie nun einmal über keine Instanz verfügt, die von einer höheren Warte aus über besser oder schlechter, falsch oder richtig entscheidet – man hat nichts mehr als den Mehrheitswillen des Volkes und/oder seiner Vertreter“. Schöne Darstellung zum „relativistische[n] Grundcharakter“ von Demokratie bei O. Lepsius, Rechtswissenschaft in der Demokratie, in: Der Staat 52 (2013), S. 157 (170): „Wir können die Mehrheitsentscheidung akzeptieren, gerade weil wir sie nicht für richtig halten müssen und wissen, daß wir sie ändern können. Das heißt aber auch: In der Demokratie darf man weder Richtigkeit noch Letztbegründung erwarten“; ähnlich Dreier (Fn. 405), Art. 20 (Demokratie), Rn. 61: „Die Herrschaftslegitimation gründet sich nicht auf vermeintlich objektive Wahrheiten […], sondern auf prozedurale Garantien“. 519  Siehe die detaillierten Ausführungen im Dritten Kapitel dazu, dass Wettbewerb kein Selbstzweck ist und nicht (nur) mit den mit seiner Hilfe erzielten Ergebnissen begründet wird, sondern aus den durch ihn verwirklichten Werten. 520  S. o. für die Demokratie (Fn. 473). 521  Ähnlich ziehen diese Parallele auch E. Deutscher/S. Makris, Exploring the Ordoliberal Paradigm: The Competition-Democracy Nexus, in: The Competition Law Review 11 (2016), S. 181 (191); siehe bereits Fn. 232.

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Viertes Kapitel: Demokratie

dividuellen Freiheit und Würde des einzelnen Menschen. In der Gesellschaft anderer wandelt sich diese Freiheit zur Möglichkeit der Mitwirkung am Prozess der Willensbildung in der Gesellschaft. Diese Möglichkeit ist unverzichtbarer Bestandteil von Demokratie. Für die Teilnahme an diesem Prozess ist es notwendig, sich frei informieren zu können und die eigene Meinung frei bilden zu können. Unter der „demokratischen Mitwirkungsfreiheit“ versteht man „das Recht und die Freiheit, an der Festlegung der gemeinsamen Ordnung, der man unterworfen ist, mitzuwirken“522. Eine Reduzierung auf bestimmte Themen oder Lebensbereiche als Gegenstand der Mitwirkungsfreiheit ist damit nicht verbunden. Der Prozess der politischen Willensbildung streckt seine Äste weit aus: erfasst ist jede Teilnahme am „politisch-sozialen Gestaltungsprozeß“523. Der Meinungsbildungsfreiheit beziehungsweise Informationsfreiheit kommt auch im Hinblick auf „private“ Gegenstände ihre konstituierende Wirkung für die Demokratie524 zu, denn: „Im Zentrum des demokratischen Gemeinschaftsideals steht der mündige Bürger, der selbstverantwortliche Mensch.“525 Dessen Möglichkeit zur individuellen, privaten Willensbildung ist die Basis des gesellschaftlichen Pluralismus und der Demokratie (s. o.). Die Bedeutung privater Meinungsbildung wird im Fünften Kapitel (Abschnitt B.I.1.c)) wieder aufgegriffen.

(Fn. 411), § 24 Rn. 37. Demokratietheorie (Fn. 465), S. 74. 524  Meinungen zu „privaten“ Gegenständen sind genauso geschützt wie zu „politischen“ Themen, siehe z. B. R. Wendt, in: J. A. Kämmerer/M. Kotzur (Hrsg.), v. Münch/Kunig. Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 24, m. w. N.; W. Schmitt Glaeser, Die Meinungsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 113 (1988), S. 52 (71 f.). 525  M. U. Rapold, Demokratie und Wirtschaftsordnung, 1959, S. 75 f. 522  Böckenförde 523  Dreier,

Fünftes Kapitel Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb (Zusammenführung) Das Verhältnis zwischen der demokratischen Idee und dem Wettbewerb soll im Folgenden näher untersucht werden. Hierbei rückt eine etwaige Verbindung zwischen der Teilnahme am ökonomischen Prozess bei funktionierendem Wettbewerb und der Möglichkeit zur Mitwirkung am politischen Prozess in den Mittelpunkt. Hierbei wird der Gedanke der Interdependenz von Wirtschaft, Gesellschaft und Recht relevant. Um diesen Gedanken greifbar zu machen, wird insbesondere Böhms Idee der „Privatrechtsgesellschaft“ beleuchtet526. Hierbei rückt die Wettbewerbsfreiheit in den Fokus. Es wird versucht, diese in ihrem Verhältnis zur demokratischen Freiheit zu sehen.

A. Aspekte der Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb Unter den vielfältigen möglichen Ansatzpunkten für eine Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb konzen­ triert sich diese Arbeit nur auf Ansätze, deren Kern die Freiheitsverwirklichung durch den Wettbewerbsschutz ist (zur Freiheit als Ziel des Kartellrechts siehe bereits im Dritten Kapitel). Dementsprechend bleiben insbesondere solche Überlegungen unberücksichtigt, welche sich im Kern mit dem Zugang zu finanziellen Mitteln beschäftigen527.

526  Siehe

unten Abschnitt B.II. solchen Ansätzen m. w. N. siehe bereits oben Erstes Kapitel; zu dieser Richtung lassen sich Ansätze zählen, die z. B. eine Erhöhung des pro Person verfügbaren Einkommens, beziehungsweise der generellen Verteilung von wirtschaftlichem Vermögen in den Blick nehmen. 527  Zu

124 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

I. Kategorisierung von Ansätzen zum Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerbsschutz anhand des frühen Ordoliberalismus Innerhalb dieses (freiheitsbezogenen) Spektrums verbleibt Raum für eine Auffächerung verschiedener Ansätze zum Verhältnis von Demokratie und Wettbewerbsschutz. Im Rahmen einer Kategorisierung solcher Ansätze anhand des frühen Ordoliberalismus wird auch kurz aufgezeigt, inwieweit ähnliche Überlegungen jeweils noch heute auffindbar sind. Der Ansatz der direkten Gefahr durch private Macht für die Demokratie wird in diesem Rahmen vertieft. 1. Kein Antidemokratismus bei Eucken beziehungsweise im Ordoliberalismus Da im Folgenden ordoliberale Ansätze zum Verhältnis von Demokratie und Wettbewerb aufgegriffen werden, besteht Anlass für die Anmerkung, dass sich ein teilweise gegenüber Eucken beziehungsweise „den“ Ordoliberalen geäußerter Vorwurf des Antidemokratismus528 nicht halten lässt529. 528  Beispielhaft für den Vorwurf mit Blick auf Eucken: T. Fischer, Staat, Recht und Verfassung im Denken von Walter Eucken, 1993, S. 130 ff., insb. S. 132 f.; z. B. auch (mit Blick auf die „Ordnungstheorie“ generell), G. Kirchgässner, Wirtschaftspolitik und Politiksystem: Zur Kritik der traditionellen Ordnungstheorie aus Sicht der Neuen Politischen Ökonomie, in: D. Cassel/B.‑T. Ramp/H. J. Thieme (Hrsg.), Ordnungspolitik, 1988, S. 53 (65 ff., 58 ff.); zu den Varianten der Kritik, die sich insbesondere an den Überlegungen zur „Implementierung“ der Wettbewerbsordnung entzündet bzw. teilweise auch an Euckens und Böhms Einsatz für den „starke[n] Staat“: M. Leschke, Walter Euckens Demokratieanschauung: das Ideologieproblem und die Theorie des Rent seeking, in: I. Pies/M. Leschke (Hrsg.), Walter Euckens Ordnungspolitik, 2002, S. 77 (78) m. w. N. 529  Leschke, Demokratieanschauung (Fn. 528), S. 78, 91, 95 f.; siehe auch I. Pies, Theoretische Grundlagen demokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – Der Beitrag Walter Euckens, in: ders./Leschke, Ordnungspolitik (Fn. 528) S. 1 (25 f.); Pies betont, dass den „starken Staat“ Euckens auszeichnet, dass dieser nicht in Interventionismus verfällt, weshalb er sich dem Einfluss von Interessengruppen entzieht; interessanter Aspekt auch bei T. Apolte, Walter Euckens Demokratieproblem, in: Pies/ Lesch­ke, Ordnungspolitik, ebd., S. 98 (100), der den Vorwurf des Antidemokratismus aus einem bestimmten Lager auf eine „in den 1970er Jahren populäre[r]“ Vorstellung von Demokratie zurückführt, siehe dort überdies auch die Einordnung des Vorwurfes aus der Richtung der Public-choice-Ökonomie (insbesondere durch Kirchgässner) durch Apolte als „nicht haltbar“; siehe auch M. E. Streit/M. Wohlgemuth, Walter Eucken und Friedrich A. von Hayek: Initiatoren der Ordnungsökonomik, in: ­ B. Külp/V. Vanberg (Hrsg.), Freiheit und wettbewerbliche Ordnung. Gedenkband zur Erinnerung an Walter Eucken, 2000, S. 461 (466 f.); insb. auf die Forderung nach



A. Aspekte der Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb125

Aus diesem Grund lässt sich der frühe Ordoliberalismus grundsätzlich auch heute heranziehen, um das Verhältnis von Demokratie und Kartellrecht/ Wettbewerb zu erhellen. Dies gilt dort, wo Konzepte zum Verhältnis von Demokratie und Kartellrecht mit einem Demokratieverständnis kompatibel sind, das sich auf die Freiheit und Gleichheit der Menschen gründet, beziehungsweise welches den Prozess der Meinungs- und Willensbildung in der Gesellschaft als wesentlichen Bestandteil anerkennt530. 2. Dimensionen des Verhältnisses von Demokratie und Wettbewerbsordnung Mit der Idee der Interdependenz der Ordnungen liegt dem Ordoliberalismus die Annahme eines Zusammenhanges zwischen wirtschaftlicher Ordnung und politischer/gesellschaftlicher Ordnung zu Grunde. Diese Interdependenzidee wird bei Eucken nicht detailliert ausgearbeitet531. Nimmt man die Werke Böhms zum Verhältnis von Wettbewerbsordnung und Demokratie532 hinzu, entsteht ein klareres Bild533. dem „starken Staat“ durch Eucken bezogen siehe auch I. Pies, Eucken und Hayek im Vergleich, 2001, S. 86 ff. 530  Zu diesen beiden Aspekten, siehe Viertes Kapitel. 531  H.-G. Krüsselberg, Zur Interdependenz von Wirtschaftsordnung und Gesellschaftsordnung: Euckens umfassendes Plädoyer für ein Denken in Ordnungen, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 40 (1989), S. 223 (225) stellt fest, dass in Euckens Ausführungen „vielfach lediglich Kürzel oder einleitende Notizen“ zum Zusammenhang von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu finden sind. Ähnlich M. E. Streit, Die Interdependenz der Ordnungen – Eine Botschaft und ihre aktuelle Bedeutung, in: Ordnung in Freiheit, 1992, S. 5 (6), der feststellt, dass Eucken die Interdependenz keiner „systematischen Analyse“ unterzieht, sondern sich ihr an Beispielen nähert. – Exemplarisch W. Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl. 1990, S. 14, 275; insb. der Abschnitt zur „Interdependenz der Wirtschaftsordnung und Staatsordnung“ (Eucken, Grundsätze, ebd., S. 332 ff.). 532  Beispielhaft F. Böhm, Demokratie und ökonomische Macht, in: Institut für ausländisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt am Main in Verbindung mit Institute for International and Foreign Trade Law of the Georgetown University of Law Center. Washington, D.C. (Hrsg.), Kartelle und Monopole im modernen Recht, 1961, S. 3 ff., insb. S. 13 ff. 533  Für eine Gesamtbetrachtung Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 6 f., mit Blick auf Eucken: „Die Interdependenz der Ordnungen wird nicht einer systematischen Analyse unterzogen […]. Werden jedoch z. B. die Arbeiten Böhms mit hinzugezogen, so lassen sich bei Eucken Anknüpfungspunkte für die Nachbardisziplin identifizieren, deren Analyse weiteren Aufschluß über das Interdependenzproblem liefert. Sie finden sich an Stellen, an denen Eucken seine Analyse mit dem Blick auf engere ökonomische Fragestellungen begrenzt: So sind seine konstituierenden Prinzipien für eine marktwirtschaftliche Ordnung Anknüpfungspunkte für eine juristische Analyse, die

126 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

II. Die Verbindung der privaten Macht mit dem Staat beziehungsweise mit der Politik Ein erster Konnex zwischen Demokratie und Wettbewerbsschutz lässt sich als Verbindung von privater Macht und staatlicher Macht zusammenfassen. Die Darstellung dieses Bereiches dient hier vor allem der Abgrenzung zu dem Konnex der direkten Gefahr durch private Macht534 − weshalb Auffächerungen innerhalb dieses ersteren Gebiets hier nur angerissen werden: Zum Bereich der Verbindung von privater Macht mit politischer Macht lässt sich die Sorge vor einer direkten Einflussnahme privater Macht auf die Meinungs- und Willensbildung der verantwortlichen Politiker zählen535. Faktische Zwangswirkungen auf die Politik lassen sich ebenfalls der Gruppe der Verbindung von privater und staatlicher Macht zuordnen. Dass […] zu Böhms ‚Privatrechtsgesellschaft‘ führt.“ Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 6 f. spricht vom „Forschungsprogramm“ der Interdependenz der Ordnungen, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Zu den Autoren zählt er z. B. Böhm und v. Hayek. Dieses „Forschungsprogramm“ sieht Streit durch Eucken maßgeblich vorangetrieben – und weist darauf hin, dass vor Eucken z. B. bereits Max Weber die Interdependenz der Ordnungen thematisierte (von dem Eucken geprägt ist); zum „Versäumnis“ Euckens die „Beziehung seiner Arbeiten zum Werk von Max Weber“ klarzustellen: Krüsselberg, Interdependenz (Fn. 531), S. 225 f., der meint, dass Webers „Einstieg […] in die Interdependenz-Diskussion von Eucken uneingeschränkt akzeptiert wurde“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); zur zentralen Rolle Böhms bei der Herausarbeitung der „Interdependenz von ‚Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft‘  “, F. Holzwarth, Ordnung der Wirtschaft durch Wettbewerb. Entwicklung der Ideen der Freiburger Schule, 1985, S. 185; weitere Beiträge zur Interdependenz der Ordnungen nennt auch H. Leipold, Interdependenz von wirtschaftlicher und politischer Ordnung, in: C. Herrmann-Pillath/O. Schlecht/H. F. Wünsche (Hrsg.), Marktwirtschaft als Aufgabe, 1994, S. 723 (723). 534  Zur Abgrenzung der Verbindung staatlicher/politischer und privater Macht von der direkten Gefahr durch private Macht siehe bereits im Zweiten Kapitel, insb. Abschnitt A.I. 535  In diese Richtung z. B. Eucken, Grundsätze (Fn. 531), S. 173 zu Machtkörpern, die im Falle der Existenz zentraler Planungsstellen auf diese einwirken können; auch unabhängig von der Existenz zentraler Planungsstellen kann der Einfluss Privater auf Politiker Interventionen zu Gunsten einzelner privatwirtschaftlicher Gruppen beziehungsweise Unternehmen(svereinigungen) bewirken; diesen Aspekt bedenkt z. B. Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 14, wenn er auf „ökonomisch mächtige[n] Privatrechtssubjekte“, blickt, die sich „politischen Einfluß auf die staatliche Willensbildung verschaffen“; siehe aus jüngerer Zeit T.  Zieschang, Das Staatsbild Franz Böhms, 2003, S. 141 ff. – In den weiteren Kontext gehört auch die Sorge vor einem exzessiven Lobbyismus, in diesem Sinne stellt Zieschang, Staatsbild, ebd., S. 141 ff. die Einflussnahme von Interessengruppen auf die Politik mit dem Einfluss wirtschaftlicher Macht auf eine Stufe: sie untersucht private Macht in „der Erscheinungsform ökonomischer Macht oder in Gestalt von organisierten Interessengruppen“ mit Blick auf deren Streben nach der Erlangung von politischem Einfluss bzw. Vorteilen.



A. Aspekte der Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb127

die unter dem Begriff „Too-Big-To-Fail (TBTF)“536 Bekanntheit erlangten Abläufe inzwischen auch im Kontext des Kartellrechts diskutiert werden537, ist ein aktuelles Beispiel für diese Kategorie. Die Fallgruppe der Verbindung privater und staatlicher Macht kann auch „umgekehrt“ relevant werden, wenn staatliche Stellen auf Unternehmensentscheidungen einwirken oder der Staat auf privat aufgebaute Strukturen zurückgreift538. Privater Macht kann in der Demokratie eine Relevanz zukommen – auf welche Weise dies denkbar ist, lässt bereits der hier angeschnittene Aspekt der Verbindung von privater Macht mit staatlicher Macht erahnen. Der Fokus dieser Arbeit liegt dagegen auf den Auswirkungen privater Macht, die nicht unmittelbar mit staatlicher Macht verwoben ist. Im Ordoliberalismus wird private Macht nicht auf ihre Eigenschaft als potenzielle Durchgangsstufe zu einer Verquickung mit staatlicher Macht reduziert, sondern das Phänomen der privaten Macht als solches wird mit Blick auf seine demokratischen Implikationen untersucht539. Dies wird im Folgenden näher betrachtet.

536  Z. B. A. Ayal, The market for bigness: economic power and competition agencies’ duty to curtail it, in: Journal of Antitrust Enforcement 1 (2013), S. 221 (221); siehe dazu auch Ayal, bigness, ebd., S. 237: „no ‚individual‘ private actor should hold power to keep the state at bay. […] Economic power, as exemplified by TBTF firms, thwarts these ideals, as some firms become so important that the state cannot function without them.“ 537  V. a. mit Blick auf das US-amerikanische Kartellrecht Ayal, bigness (Fn. 536), S. 222; interessant ist insb., dass er sich auch zur Demokratierelevanz der too-big-tofail-Fallgruppe äußert, Ayal, bigness, ebd., S. 231 f. 538  Private Machtzusammenballungen können ein leichteres Ziel für staatliche Kaperung bieten (siehe auch Fn. 191); derartige Szenarien werden auch heute noch als hoch bedenklich eingestuft; zur Verschmelzung von staatlicher Macht und „instrumentärer Macht“, deren Entstehen private Unternehmen durch Schaffung digitaler Strukturen erst ermöglichen, eindrückliche Darstellung bei S. Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, 2018, S. 437 ff., insb. S. 448 ff.; ähnlich zur Sorge vor der Nutzung der bestehenden „Big Data“-Infrastruktur zur Überwachung durch den Staat z. B. A. Grunwald, Der unterlegene Mensch, 2019, S. 186. Einen ersten Einstieg in die Diskussion um Marktmacht durch Daten als Machtfaktor im Kartellrecht gibt z. B. T. Körber, „Ist Wissen Marktmacht?“ Überlegungen zum Verhältnis von Datenschutz, „Datenmacht“ und Kartellrecht, in: NZKart 2016, S. 303 (305 f.). 539  Beispielhaft Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 14; näher Fn. 570.

128 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

B. Private Macht und Demokratie I. Private Macht als direkte Gefahr für die Freiheit beziehungsweise die Selbstbestimmung des einzelnen Menschen Zur Untersuchung des Problems der privaten Macht540 in einem Marktgeschehen, das innerhalb eines demokratischen Staates541 stattfindet, erfolgt eine Annäherung an die Zusammenhänge zwischen Demokratie und Wettbewerb zunächst anhand deren augenfälliger „Ähnlichkeiten“. 1. Parallelen von wettbewerbsbasiertem Marktgeschehen und demokratischem Prozess a) Die Ähnlichkeit von politischen Wahlen und Abstimmungen und der „Konsumentensouveränität“/„Konsumentenwahlfreiheit“ Die augenfällige Parallele zwischen der Entscheidung eines Konsumenten und einer politischen Wahlentscheidung beziehungsweise demokratischen Abläufen wird regelmäßig gezogen: Die Kaufentscheidung wird als „Abstimmung“ beschrieben und der Markt wird als „plebiszitäre Demokratie“542 beschrieben. Dieses Bild identifiziert eine Ähnlichkeit der Struktur der demokratischen Entscheidungsfindung und der Vorgänge am Wettbewerbsmarkt. Aufschluss über die genaue Vorstellung dieser Parallele geben die Worte Böhms: „Jeden Tag begeben sich Millionen von Hausfrauen und Verbrauchern auf den Markt, ausgerüstet mit Wahlzetteln in Form von Geldscheinen, orientieren sich anhand von Preisen und Augenschein über die dargebotenen Güter und treffen die Wahl in Gestalt von Kaufentscheidungen nach Maßgabe ihres Urteils und ihrer Bedürfnisskala. Obwohl sie dabei nicht das Gefühl haben, einen Einfluß auf den Aufbau der Wirtschaft und die Richtung der Produktion auszuüben – denn sie wählen ja nur unter Gütern aus, die bereits produziert sind, und zwar produziert von dem Wirtschaftsapparat, der bereits aufgebaut ist –, so betätigen sie nichtsdestoweniger diesen Einfluß doch, und zwar in sehr entscheidender Weise. Die Ge540  Wendung entlehnt bei F. Böhm, Das Problem der privaten Macht. Ein Beitrag zur Monopolfrage (1928), in: E.‑J. Mestmäcker (Hrsg.), Franz Böhm. Reden und Schriften, 1960, S. 25 (25 ff.). 541  Der Demokratiebegriff wird stets im Sinne der „Staats- und Regierungsform“ verwendet; siehe oben Fn. 411. 542  Beide Zitate: F. Böhm, Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung (1950), in: E.‑J. Mestmäcker (Hrsg.), Franz Böhm. Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft, 1980, S.  88 f.



B. Private Macht und Demokratie129 samtheit ihrer täglichen Kaufentscheidungen spiegelt sich in Preisen wieder [sic], an denen dann die Produzenten ihre ferneren Wirtschaftspläne ausrichten. Die tägliche Abstimmung bedeutet für die Produzenten Gewinn oder Verlust; sie müssen Verbraucherwünschen Rechnung tragen, wenn sie als Unternehmer fernerhin bestehen wollen. Und dieser Prozeß der Abstimmung pflanzt sich nach obenhin fort und beeinflußt in den höheren Lagen die Entscheidungen der Produzenten über die Einführung oder Nichteinführung neuer Verfahren, neuer Techniken, neuer Vertriebsmethoden, neuer Unternehmensformen. […] Für unseren Zusammenhang genügt es zu wissen, daß der vom Verbraucher ausgehende Prozeß täglichen Wählens und Abstimmens über alle Zweige und Stufen des Wirtschaftsaufbaus sämtliche Wirtschaftsentscheidungen und Wirtschaftspläne beeinflußt und bestimmt. Die sogenannten Marktgesetze sind also bei Lichte gesehen nichts anderes als eine aufs Äußerste getriebene, technisch aufs Raffinierteste vervollkommnete tägliche und stündliche plebiszitäre Demokratie, ein das ganze Jahr hindurch vom Morgen bis in die Nacht währendes Volksreferendum, die technisch idealste Erscheinungsform von Demokratie, die überhaupt existiert.“543

In Böhms Bild bestimmen die Konsumenten durch ihr Verhalten insbesondere die Produktion und das Angebot in der Marktwirtschaft. Die „Wahlzettel[n] in Form von Geldscheinen“544 fließen in Böhms Bild den Produkten/Leistungen zu, welche die Konsumenten bevorzugen und frei wählen. Am wichtigsten für diese Idee des „souveränen“ Konsumenten ist in erster Linie, dass der „souveräne“ Konsument seine Wirtschaftspläne selbstbestimmt545 aufstellt und verfolgt546. 543  Böhm,

M.S.).

Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 88 f. (Hervorhebungen im Original,

Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 88 (soeben zitiert Fn. 543). beinhaltet die Möglichkeit selbst zu entscheiden, welche Faktoren als wichtiger oder weniger wichtig gewertet werden; zur Subjektivität der Konsumentenentscheidung siehe S. Binder, Die Idee der Konsumentensouveränität in der Wettbewerbstheorie, 1996, S. 288 ff.; zu beachten ist hierbei, dass sich die Verwendung des Begriffes der Konsumentensouveränität in wohlfahrtsökonomisch orientierten Ansätzen von den hier untersuchten freiheitsbezogenen Ansätzen unterscheidet; weiterführend und detailliert zu unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs der Konsumentensouveränität, Binder, Konsumentensouveränität, ebd., S. 146 ff., 273 ff., 193; für die wohlfahrtsökomischen Ansätze spielt die „Rationalität“ der Entscheidung eine Rolle. 546  Beispielhaft spricht Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn.  542), S. 58, von den „souverän[en]“ „Wirtschaftssubjekte[n]“, die ihre „Wirtschaftspläne“ eigenständig aufstellen und umsetzen; zum Gedanken der Konsumentensouveränität siehe auch P. Behrens, The „Consumer Choice“ Paradigm in German Ordoliberalism and its Impact upon EU Competition Law, in: Europa-Kolleg, Diskussionspapier 1/2014, S. 4 ff., insb. 22, http://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2014/35538/pdf/Discussion paper_Behrens_01_01.pdf (8.7.2021), S. 5 ff.; insb. dazu, dass die in jüngerer Zeit verstärkt in den Blick geratene Konsumentensouveränität (grundlegend N. W. Averitt/ 544  Böhm, 545  Dies

130 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Das Bild des „Souveräns“ komplettiert sich durch die Erweiterung der Perspektive auf den Konsumenten als „Herrscher“ über die Gesamtwirtschaft547. b) Konsumentensouveränität Der Gedanke der „Konsumentensouveränität“ ist eng mit der Vorstellung einer „echten“ Wahlfreiheit der Konsumenten verknüpft: diese kann nur angenommen werden, wenn dem Konsumenten tatsächlich Verschiedenes zu Auswahl steht und die Varianten Ausdruck des Versuchs sind, die Wünsche des Verbrauchers zu treffen548. Der Wettbewerb soll die Wahl zwischen tatR. H. Lande, Using the „Consumer Choice“ Approach to Antitrust Law, in: Antitrust Law Journal 74 [2007], S. 175 ff.), bereits im Werk A. Smiths wurzelt und den Ordoliberalismus von Beginn an prägt. 547  In die Richtung geht es z. B., wenn Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 90, den Konsumenten „am Manual der Wirtschaftsorgel“ (s. o.) sitzen sieht; siehe dazu J. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 224. – Kritisch gerade zu diesem Bild P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 303 f. Ähnlich wie Böhm z. B. auch: L. v. Mises, Human Action. A Treatise on Economics. The Scholar’s Edition, 1998, S. 270, wenn er den Konsumenten als „captain“ bezeichnet, der entscheidet, was produziert wird; ähnlich C. D. Edwards, Big business and the policy of competition, Westport [Connecticut], 1980, S. 4: „the expenditures of consumers are often described as votes determining what shall be produced“. Zu beachten ist aber, dass die Vorstellung der Lenkung der Wirtschaft durch die Konsumenten nicht ausdrückt oder erfordert, dass Konsumenten auch bewusste Entscheidungen über die Entwicklung der Gesamtwirtschaft bzw. Produktion treffen, sondern diese Vorstellung fußt bereits allein auf deren selbstständiger Planung ihrer eigenen Angelegenheiten im Einzelfall; in diesem Sinne auch Binder, Konsumentensouveränität (Fn. 545), S. 276. So erklärt sich, dass Böhm trotz der herausgehobenen Rolle, in der er den Konsumenten sieht, auch von einem „automatischen Charakter“ der Steuerung in einem „sich selbst steuernde[n] Geschehen“ sprechen kann: F. Böhm, Freiheit und Ordnung in der Marktwirtschaft (1971), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 542), S. 195 (201). Weiterführend zu den Ursprüngen der Idee der Konsumentensouveränität Binder, Konsumentensouveränität (Fn. 545), S. 273 ff., insb. S. 276 f.; interessant insb. bereits W. H. Hutt, Economists and the Public. A Study of Competition and Opinion (1936), Wiederabdruck New Brunswick [New Jersey]/London 1990, S.  249 ff., insb. S.  260 f. 548  Deutlich bei Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 178: „The consumer choice approach is fundamentally superior to the price and efficiency paradigms because it asks the right question. It recognizes that consumers do not just want competitive prices – they want options“ – und in der dazugehörigen Fußnote: „Consumers want books that reflect their interests, not just cheap books; and they want pharmaceuticals that will cure their illness, not just cheap pharmaceuticals.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); in diese Richtung auch Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 192: „Consumers are able to satisfy their desires more closely to the extent the market contains different types, prices, locations, and qualities of products and services. […] This does not mean simply that more choices are better“.



B. Private Macht und Demokratie131

sächlich verschiedenen Leistungen ermöglichen, damit der Konsum zu einem gewissen Grade Ausdruck eines Konsumentenwunsches sein kann, jedenfalls kein bloßer Kauf aus Mangel echter Alternativen549. So sind Averitt/Lande der Ansicht: „Antitrust should protect any type of choice that is of practical importance to consumers.“550 Hierzu zählen sie ausdrücklich auch Wahlmöglichkeiten, die nicht auf den Preis bezogen sind551. Die Forderung nach einem solchen „materiellen“ Gehalt der Konsumentenwahlfreiheit – der über eine formelle Wahlmöglichkeit hinausgeht – zeigt sich auch in den Begriffen, wenn die Konsumentenwahlfreiheit mit der Konsumentensouveränität gleichgesetzt552 wird. c) Ähnlichkeit mit dem Prozess der Meinungsbildung – Die Entscheidungsfindung auf Basis von Marktinformationen Zum Teil wird auch die weitere Parallele gezogen zwischen dem Prozess der Meinungsbildung zu Fragen mit politischer Bedeutung553 und dem Prozess der Entscheidungsfindung der Marktteilnehmer über das eigene Vorgehen am Markt554. Diese Ähnlichkeit besteht mit Blick auf die Konsumenten, ebenso wie auf die Wettbewerber: 549  „Die […] Wahlmöglichkeit ist nicht Selbstzweck“ – R. Knöpfle, Ist der Nachfragewettbewerb ebenso schutzwürdig wie der Angebotswettbewerb?, in: BB 1987, S. 1960 (1964); auch J.  H. Klement, Wettbewerbsfreiheit. Bausteine einer europäischen Grundrechtstheorie, 2015, S. 186, der betont, dass es auf die subjektive Einschätzung ankommt, eine „bessere“ Leistung zu bekommen (siehe bereits Fn. 363); zu beachten ist, dass der bloße Kauf eines Produktes nicht auf eine große Zufriedenheit mit dem Kaufobjekt schließen lässt, sondern der Kauf durch die Konsumenten kann ebensogut daraus resultieren, dass „keine bessere Alternative ihre Aufmerksamkeit erregen konnte“ (Binder, Konsumentensouveränität [Fn. 545], S. 336). 550  Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 183. 551  Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 184 erkennen den Preis als wichtiges Kriterium für den Kauf an, betonen aber die steigende Relevanz nichtpreisbezogener Kriterien. 552  Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 181 verwenden die Begriffe „Consumer Choice“ und „Consumer Sovereignty“ als Synonyme; ähnlich bereits N. W. Averitt/R. H. Lande, Consumer Sovereignty: A Unified Theory of Antitrust and Consumer Protection Law, in: Antitrust Law Journal 65 (1997), S. 713 (716); in dem sie die Wahlfreiheit als Teilbereich (und gerade als Kern) der Souveränität ansehen: „The essence of consumer sovereignty is the exercise of choice. It is by choosing some goods or some options over others that consumers satisfy their own wants and send their signals to the economy. It is, therefore, critical that the exercise of consumer choice be protected.“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.). 553  Zur essenziellen Bedeutung dieses Prozesses für eine Demokratie siehe Viertes Kapitel. 554  Diese Parallele zieht explizit Gröner, wenn er eine „Meinungsbildung“ aufgrund von Marktinformationen, insbesondere Preisen, beschreibt H. Gröner, Mei-

132 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Der Prozess der (politischen) Meinungs- und Willensbildung ähnelt strukturell der Entscheidung des Konsumenten über das „Ob“ und das „Wie“ einer Entscheidung über das Marktverhalten, insbesondere einer Kaufentscheidung. Die Ähnlichkeit fußt darauf, dass (politische) Meinungen/Willen, ähnlich wie die Entscheidung über das Verhalten als Marktteilnehmer, von jedem Individuum stets prozesshaft und auf Basis von Informationen gebildet werden555. Bei dieser Meinungsbildung bzw. Entscheidungsfindung der Konsumenten spielt die Orientierung an den Marktpreisen eine wichtige Rolle. Ihre Funktion ist aber (nur) die eines „Wegweiser[s]“556. Es verbleibt damit für jeden nungsfreiheit und Wettbewerb, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 30 (1979), S. 229 ff., 232; dies tut er insbesondere mit Blick auf die Wettbewerber: Gröner, ebd., S. 233. 555  Im Bereich der Meinungsfreiheit kommt der Informationsfreiheit als Basis jeglicher Meinungsbildung eine wichtige Rolle zu, diese zeigt sich auch darin, dass die Bedeutung der Informationsfreiheit für die Demokratie regelmäßig explizit betont wird (siehe bereits Fn. 449). Der Entscheidungsprozess der Wirtschaftsteilnehmer über ihr Vorgehen am Markt ist diesem Prozess der Meinungsbildung ähnlich und stellt selbst eine Art Meinungsbildung dar. Hier muss nicht näher thematisiert werden, inwieweit Aspekte dieses Prozesses als Meinungsbildung i. S. d. Art. 5 GG qualifiziert werden können. Eine nähere Erörterung kann hier insbesondere unterbleiben, weil die weitere Untersuchung nicht versucht, allein aus ihrem „Meinungs“charakter – unter Verweis auf die konstituierende Rolle der Meinungsfreiheit für die Demokratie – eine Demokratierelevanz der Entscheidungsmöglichkeit/-freiheit am Markt herzuleiten. Entscheidend kommt es hier vielmehr darauf an, die Gemeinsamkeit des freien Überlegens und Abwägens auf Basis von entscheidungsrelevanten Aspekten in beiden Prozessen zu erkennen. Mit Blick auf den gemeinsamen Auftritt von Informationen über den Preis, die „physisch-technische Qualität“ (E. Streißler, Die gesamtwirtschaftlichen Funktionen der Werbung, in: Zeitschrift für Nationalökonomie/Journal of Economics 25 [1965], S. 243 [247]) und weitere Aspekte, die in den Entscheidungsprozess über den Kauf einfließen, kann für die Zwecke dieser Arbeit von einer „Meinungs“bildung über das Ob und das Wie der Kaufentscheidung gesprochen werden, um die Gemeinsamkeit mit den Prozessen der politischen Meinungsbildung im Individuum zu verdeutlichen. Näher zur Meinungsfreiheit i. S. d. Art. 5 GG und im hiesigen Kontext interessant gerade mit Blick auf Wirtschaftswerbung z. B. R. Wendt, in: v. Münch/Kunig. GG I, 7. Aufl. 2021, Art. 5 Rn. 30 ff. 556  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 60 f.: „sie [orientieren] sich bei der Aufstellung, Durchführung und Korrektur ihrer souveränen Wirtschaftspläne […] an etwas […], das allen gemeinsam erkennbar ist, nämlich an den Preisen. Der Konsument z. B. befragt zuerst seine Gelüste […]. Danach unterrichtet er sich, was alle diese Dinge kosten. Und sodann schaut er in seinen Geldbeutel. Da er feststellt, daß er knapp bei Kasse ist, trifft er seine Entscheidung darüber, auf was er verzichten will. […] Das Preissystem stellt sozusagen ein System von Wegweisern dar, das einen jeden Beteiligten in die Lage versetzt, sich darüber zu orientieren, welche Pläne ihm zur Auswahl stehen und auf welche er verzichten muß. Die Preise sind es, die das



B. Private Macht und Demokratie133

Marktteilnehmer die Möglichkeit, die Faktoren des Vertragsschlusses557 subjektiv zu bewerten und dies zum Maßstab seiner Entscheidung zu machen558. In den Entscheidungsprozessen der Wettbewerber über ihr eigenes Verhalten am Markt tritt diese Parallele der Entscheidung/Meinungsbildungsprozesse noch deutlicher hervor559. 2. Die Strukturähnlichkeiten als (bloße) Analogien Es handelt sich bei diesen beiden Ähnlichkeiten (1) Wahl/Abstimmung, sowie 2) Meinungsbildung) zunächst einmal (nur) um Analogien560 in Bezug auf die Struktur der Prozesse im Wettbewerbsmarkt und wesentlicher VorGeschäft besorgen, die autonomen individuellen Wirtschaftspläne einander zu koordinieren.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). 557  Näher zum Verhältnis von Tausch/Vertrag und Wettbewerbsmarkt, siehe unten, Abschnitt B.II.1. 558  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 61: „Jeder Wirtschafter kann sich an den Preisen orientieren, braucht es aber nicht“ – so geht Böhm auf die Möglichkeit des „wegweiserwidrig[en]“ Verhaltens ein (Hervorhebungen im Original, M.S.); weiterführend insb. zu den „individuelle[n] Wertmaßstäbe[n]“, die zur Zufriedenheit mit einem Vertrag führen E.‑J. Mestmäcker, Die Interdependenz von Recht und Ökonomie in der Wettbewerbspolitik, in: Zukunftsperspektiven der Wettbewerbspolitik, 2005, S. 19 (S. 27) m. w. N. Interessant hinsichtlich der Entscheidungsfindung über den Konsum ist auch die Rolle von Werbung, siehe weiterführend z. B. Streißler, Funktionen (Fn. 555), insb. S.  246 f., m. w. N. 559  Siehe insb. den interessanten Versuch Gröners, Meinungsfreiheit (Fn. 554), S. 233 das (als Meinungsbildung begriffene) wache Agieren eines Menschen am Markt mit seinen Gewohnheiten auch im Bereich der politischen Meinungsbildung in Zusammenhang zu bringen. 560  Für Wahlen/Abstimmungen am Markt legt es so teilweise wohl auch Böhm selbst nahe, indem er sich relativierend ausdrückt: Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 88, der „Abstimmungs- und Wahlvorgänge[n]“ beschreibt, „auf welche die Menschen in ganz ähnlicher Weise reagieren wie etwa auf eine politische Wahl“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); und auch F. Böhm, Die Verbesserung des Unternehmerbildes durch bessere Geschäftsmethoden, in: G. Schmölders (Hrsg.), Der Unternehmer im Ansehen der Welt, 1971, S. 186 (188): „plebiszitähnlicher Dauervorgang“ (Hervorhebung im Original, M.S.). Siehe z. B. auch Holzwarth, Ordnung (Fn. 533), S. 190 f., der Böhm eine (bloße) „Analogie“ zwischen „einem plebiszitären Moment des Marktes und dem Plebiszit im demokratischen Verfahren“ ziehen sieht; die Analogie wird von Holzwarth mit Blick auf die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Teilnehmer am Markt kritisiert. – Kritik mit dieser Stoßrichtung findet sich häufiger, beispielhaft H. F. Zacher, Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: H. Coing/H. Kronstein/E. J. Mestmäcker (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Rechtsordnung. Festschrift zum 70. Geburtstag von Franz Böhm am 16. Februar 1965, 1965, S. 63 (92 f.), Zacher sieht zwar „einige Züge des Bildes trügen“ und weist dabei u. a. auch treffend darauf hin, dass Demokratie und Plebiszit nicht gleichgesetzt werden dürfen – „schon gar nicht unter dem Grundgesetz“ (siehe zum Demokratieprinzip des

134 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

gänge in der Demokratie. Eine tiefergreifende Verbindung dieser Gegenstücke ist damit (vorerst) noch nicht hergestellt. In der Idee der Konsumentensouveränität, im Zuge derer „echte“ Auswahlmöglichkeiten für eine freie Entscheidung des individuellen Marktteilnehmers gefordert werden und keine bloß formelle Wahlentscheidung (s. o.) – deutet sich aber bereits an, dass der Hintergrund beider Strukturähnlichkeiten weiter reichen könnte561. Im Rahmen der Untersuchung der Freiheit auf ihr Potential als verbindendes Element von Demokratie und Wettbewerb werden beide Ähnlichkeiten wieder aufgegriffen (siehe Fünftes Kapitel).

II. Die Freiheit von Macht – die Selbstbestimmung des Individuums in verschiedenen Sphären (privat-wirtschaftlich und politisch-gesellschaftliche Sphäre) Aufgrund der Bedeutung der individuellen Freiheit sowohl für die Wettbewerbsordnung als auch für die Demokratie (siehe oben), wird diese indivi­ duelle Freiheit nun auf ihr Potential untersucht, den Charakter eines Verbindungselements zwischen Wettbewerbsordnung und Demokratie zu haben. Wie erläutert wurde, wird besonders im Zusammenhang mit der Ablehnung der Zentralplanwirtschaft auf die Kompatibilität von Demokratie und Wettbewerbsordnung hingewiesen562. Der Grund für die Annahme dieser Kompatibilität liegt in der „Freiheit von“ umfassender staatlicher Planung der Wirtschaft: es wird davon ausgegangen, dass eine Unterordnung unter eine solche Planung die Freiheit des einzelnen Marktteilnehmers bis zur Unkenntlichkeit einengt563. Grundgesetzes Viertes Kapitel); dennoch begrüßt Zacher, dass Böhm den „Vergleich artikuliert und zum Gegenstand wissenschaftlicher Kritik erhoben“ hat. 561  Dies scheint z. B. durch bei P. Häberle, Soziale Marktwirtschaft als „Dritter Weg“: Ein Vorschlag für die Einbringung der sozialen Marktwirtschaft in das Grundgesetz – Sieben Thesen zu einer Verfassungstheorie des Marktes, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 1993, S. 383 (387), weil er das Verhältnis von Marktwirtschaft und Demokratie nicht auf eine bloße Analogie ihrer Prozesse reduziert; vielmehr verlangt Häberle der Marktwirtschaft eine Qualifikation ab, um analogiefähig zu sein: Häberle, ebd., S. 387: „Nur die soziale Marktwirtschaft kann Gegenstand einer begrenzten Analogie zur pluralistischen Demokratie sein“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); eine ähnliche Richtung hat es auch, wenn Häberle, Soziale Marktwirtschaft, ebd, S. 387, meint: „Die offene Gesellschaft besitzt ihr Pendant in der Offenheit und Freiheit der Märkte sowie korrelativer Staatsaufgaben.“ 562  Siehe Zweites Kapitel A.I.1. 563  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 56 f. vermisst auf der Ebene des Planvollzugs das „demokratische Element“, das er bei der Planaufstellung zumindest für



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Böhm sieht es ausdrücklich als entscheidende Wendung zum Positiven an, wenn der Einzelne sich bei seiner Planung (nur) durch den „anonymen“ Markt und durch die dortigen Preisänderungen einem „Zwang“564 ausgesetzt sieht565 (beziehungsweise einen Weg sehr deutlich gewiesen566 sieht) – der einzelne Marktteilnehmer aber gerade nicht durch einen fremden „Planungs­ willen“567 bestimmt ist. Die Orientierung an Preisen, an deren Entstehen jeder Marktteilnehmer mit seinen individuellen Entscheidungen beteiligt ist – die aber nicht vom Willen einzelner abhängen – verleiht diesen aus Sicht Böhms schicksalhaften568 Chamöglich hält. Zur Begründung führt er an, dass die Marktteilnehmer in einer Zentralplanwirtschaft bei der Umsetzung des Wirtschaftsplanes höchstens einen „Ermessensspielraum [haben]; dieser Ermessenspielraum ist dann aber seiner Natur nach keine echte Autonomie, sondern nur eine Freiheit zu sinngemäßem Gehorsam. Der Ausführende muß auf jeden Fall plangerecht handeln; er darf sich keinen anderen Plan machen“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). Böhm, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 57 sieht „das Verhältnis zwischen Leitung und ausführenden Stellen und Menschen“ als ein „rein autoritatives, ein reines Subordinationsverhältnis“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); bildlich Böhm, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 87 zum nur „beamten­ mäßige[n] Ermessensspielraum“ in der Zentralverwaltungswirtschaft. 564  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 6: „aber dieser Zwang geht von einem Ereignis aus, das der manipulierenden Willkür vereinzelter Beteiligter völlig unzugänglich war“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 565  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 86 wendet sich hier („Welch ein Irrtum!“) insbesondere gegen die Gegenansicht, dass eine „Abhängigkeit von anonymen Marktgesetzen des Menschen unwürdig“ ist. 566  Siehe bereits oben zu Preisen als „Wegweiser“ Fn. 556, Fn. 558. 567  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 57 sieht „nahezu alle Staatsbürger als die Objekte des Planungswillens oder besser: als die Vollzugsorgane des Planes“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); interessanterweise fehlt aus Sicht Böhms auch bei einer etwaigen (demokratischen) Beteiligung an der Planaufstellung in der Folgesituation der (bloßen) Unterordnung unter den Plan ohne wesentliche verbleibende Entscheidungsfreiheit das „demokratische Element“ (Böhm, Wirtschaftsordnung, ebd., S. 57). – Da Böhm hier insbesondere das Freiheitsdefizit moniert (siehe bereits Fn. 563), liegt die Annahme nahe, dass er demokratische Vorgänge (Abstimmungen etc) nicht als Selbstzweck ansieht, sondern als Mittel zur Verwirklichung von Freiheit. Führt eine „demokratische“ Entscheidung zu einem hohen Maß an Freiheitsaufgabe, wird die Verwirklichung konterkariert. Beachte die Ähnlichkeit dieses Gedankens zu demjenigen, dass es der Demokratiebegründung widerspricht, mittels Mehrheitsentscheidungen die Demokratie abzuschaffen. – Siehe bereits oben Viertes Kapitel, m. w. N. 568  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 62 f. „Jeder nimmt den Preis, wie man sich ausgedrückt hat, aus dem Markt, nimmt ihn als datum, als Schicksal hin. Der Preis ist hier das Ergebnis eines Einpendelungsverfahrens. In ihn gehen Hunderte und Tausende von Wirtschaftsplänen der Marktbeteiligten ein, ja, im Grunde die Wirtschaftspläne aller Wirtschaftenden überhaupt.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); interessant hierzu auch eine Äußerung Böhms, die durch ihre Terminologie Assozia­ tionen zur Demokratie weckt: Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 7 f.: „Nach der Verfassung freier Staaten aber haben nur solche Subjekte das Recht, soziale Gegebenheiten

136 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

rakter und macht sie zu einer akzeptablen Entscheidungsbasis bei der Aufstellung und Verwirklichung der Wirtschaftspläne der Einzelnen569. An dieser Stelle setzt auch der Gedanke der Inkompatibilität von privater Macht und Demokratie570 an: Die Gefahr der Fremdbestimmung besteht insbesondere571, wenn der Wille eines Privaten die Aufstellung der Wirtschaftspläne der Individuen beziehungsweise deren Entscheidungen am Markt bestimmt572. zu manipulieren, die ausdrücklich dazu legitimiert sind, volonté générale zu bilden oder […] zu vollziehen. Das aber sind nur die verfassungsmäßig vorgesehenen politischen Gewalten […]. Im übrigen aber haben nur solche gesellschaftlichen Gegebenheiten Anspruch darauf, als Schicksal respektiert zu werden, die ihr Zustandekommen einem Vorgang verdanken, […] der in dem Zusammenfließen vieler von einander unabhängigen Individualwillen besteht, vorausgesetzt, daß es nicht möglich ist, das Ergebnis dieses Zusammenfließens einzelnen dieser mitwirkenden individuellen Willensakte eindeutig zuzurechnen.“ 569  F. Böhm, Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft (1966), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 542), S. 105 (115 f.): mit Blick auf „die Sprache, das Privatrecht und das Marktpreissystem“: „Was […] die Wirkungsweise angeht, so besteht ihre Besonderheit darin, daß den Menschen das Verhalten […] nicht vorgeschrieben wird. Es wird ihnen vielmehr bloß anheimgestellt. […] Der Zwang geht hier von einer Situation, nicht von einer politischen Autorität aus. Wer […] das Recht besitzt, autonom zu planen und zu handeln, dieses Recht jedoch in einer Gesellschaft von Menschen ausüben muß, die ebenso autonom sind, wie er selbst, muß die freien Reaktionen freier Mitmenschen auf sein eigenes freies Handeln in Rechnung stellen: die gleiche Freiheit aller übrigen setzt der Freiheit eines jeden eine immanente Grenze“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). 570  Siehe nur Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 5 ff.; Böhm konstatiert, dass „private Macht in die Ordnungskonzeption einer rechtsstaatlichen Demokratie schlechterdings nicht hineinpaßt“ – weil private Macht in der „Gesellschaftsordnung einer rechtsstaatlichen Demokratie“ keinen Platz hat (Böhm, Demokratie [Fn. 532], S. 12 [Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.]). – Dass Böhm hierbei auf die Gesellschaftsordnung innerhalb einer Demokratie, verstanden „als Staats- und Regierungsform“ (s. o., Fn. 411) abhebt, wird erkennbar bei Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 13 f., insb. S. 14, wenn er „dem demokratischen Staat die Privatrechtsgesellschaft als die staatstragende Gesellschaft zugeordnet“ beschreibt (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); ähnlich F. Böhm, Die vier Säulen der Freiheit, in: A. Rüstow/W. Röpke/G. Gather/ ders. u. a., Was muß die freie Welt tun?, 1959, S. 40 (46); vehementer Böhm, Säulen, ebd., S. 54: „Die Gesellschaft, die zum demokratischen Rechtsstaat gehört, ist die Privatrechtsgesellschaft und nur die Privatrechtsgesellschaft.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); näher zur Privatrechtsgesellschaft s. u. 571  Hier fehlt sogar die – bei staatlicher Planung zumindest theoretische – Möglichkeit, dass die Aufstellung des Planes demokratischen Abläufen folgt (s. o.). 572  Eindrücklich Böhm, Demokratie (Fn. 532), insb. S. 7: „Hier ist es nicht […] das von niemanden zu verantwortende Schicksal, das an unsere Pforte pocht, sondern hier handelt ein Mensch, der sich anmaßt, uns gegenüber Schicksal zu spielen und uns einen Felsblock vor die Füße zu wälzen“. Die Freiheitseinbuße aufgrund der Fremdbestimmung durch einen identifizierbaren Privaten gewinnt Sichtbarkeit, wenn



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Die Fremdbestimmung durch „Mitbürger[n]“573 steht – wie die Fremdbestimmung durch einen politischen Herrscher – im Widerspruch zur demokratischen Idee der Selbstorganisation Freier und Gleicher. Die Freiheit des einen zu selbständiger Planung soll erst dort enden, wo die Freiheit des anderen zu der auf ihn bezogenen selbständigen Planung beginnt. Eine Ausdehnung des Kreises der autonomen Planung bis hin zur gezielten Bestimmung über die Pläne anderer574 ist darin gerade nicht enthalten. In die Richtung geht es auch, wenn Böhm sich zur „Freiheit im demokratischen Sinn“ äußert und diese als „Freiheit von zwangs-, befehls- und ermessensmäßigem Dreinreden fremder Menschen in Betätigungssphären, die bei einer guten und vernünftigen Sozialordnung meiner selbstverantwort­ lichen Entscheidung überlassen werden können“575, identifiziert. Dies führt Böhm zwar zunächst im Kontext einer Abgrenzung von der Zentralplanwirtschaft aus, dies dürfte allerdings – auch im Sinne Böhms – auf die private Macht übertragbar sein, wie im Anschluss erkennbar wird. Böhm richtet nun den Blick auf die „Machtbildung auf den Märkten“ selbst und konstatiert: „[s]o ist denn auch der Kampf gegen die private und politische Vermachtung von Märkten nicht nur ein wirtschaftliches Postulat, sondern auch eine staatspolitische, sozialpolitische und kulturpolitische Lebensfrage“576. In diesem Sinne erkennt Böhm im Kampf um private Macht eine Störung der Privatrechtsordnung577 und der Privatrechtsgesellschaft, die er der demokratischen Idee entgegen stehen sieht: man sie im Kontrast zur „bloßen“ Abhängigkeit autonom Planender von den Marktfakten betrachtet: Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 6 f. die „Preisänderung[,] wird […] von jedem Marktbeteiligten als Schicksal […] hingenommen, dem sich zu unterwerfen und anzupassen dem Selbstbewußtsein freier Menschen keinen Abbruch tut.“ 573  F. Böhm, Wettbewerbsfreiheit und Kartellfreiheit (1958), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 542), S. 233 (257; im Kontext zitiert: Fn. 594); hierauf zielt die Frage bei Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 11: „sollen wir als Bürger eines demokratischen Staatswesens und als Mitglieder einer auf Freiheit gegründeten Privatrechtsgesellschaft einem Teil unserer Mitbürger eine solche Macht in die Hand geben?“ 574  In diese Richtung wohl F. Böhm, Die Idee des Ordo im Denken Walter Euckens. Dem Freunde und Mitherausgeber zum Gedächtnis, in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 542), S. 11 (11): „Niemand kann gezwungen werden, sich einem fremden Wirtschaftsplan unterzuordnen.“ 575  Beide Zitate Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 87. 576  Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 88 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 577  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 18: „Den hauptsächlichen Anprall der zerstörerischen Kräfte muß sich unsere Privatrechtsordnung gefallen lassen. Denn es sind die hauptsächlichen […] Zivilrechte, […] es ist die Privatautonomie und die Vertragsfreiheit unseres Schuldrechts, […] die in fraudem legis mehr oder weniger heillos korrumpiert werden, sobald sie von Inhabern ökonomischer Macht dazu gebraucht

138 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb „Nicht der materielle Genuß, die Nutznießung einer ökonomischen Macht, sondern erst der Kampf um ihren Aufbau, ihre Behauptung, Zementierung und Erweiterung ist es, der die Störung der Privatrechtsgesellschaft den Charakter einer gesellschafts- und demokratiebedrohenden tiefgreifenden Denaturierung der Privatrechtsgesellschaft annehmen läßt. Existierende ökonomische Macht erweist sich immer auch als ein Mittel im Dienst der Machtverteidigung und Machterweiterung. Es findet also ein doppelter Vorgang des Denaturierens statt: Einmal denaturiert schon der nutznießende Gebrauch ökonomischer Macht die Privatrechtsordnung, und zum andern wird die Privatrechtsordnung bewußt denaturiert und korrumpiert, damit ökonomische Macht entstehen, sich behaupten und konsolidieren kann. […] Das ist nun aber gewiß ein Vorgang, dessen Wirkungen nicht auf den Bereich der Privatrechtsordnung beschränkt bleiben, sondern der auch die demokratische Staatsaufassung in Mitleidenschaft zieht.“578

Die durch Böhm benannte Gefahr für die Demokratie wurzelt also in der „Denaturierung der Privatrechtsgesellschaft“579. Da Böhms Idee der Privatrechtsgesellschaft eine Schlüsselrolle für das Verhältnis von privater Macht und Demokratie zukommt, wird diese nun näher in den Blick genommen. 1. Die Privatrechtsgesellschaft, die Vertragsfreiheit und der Wettbewerbsmarkt Einem Wettbewerbsmarkt ist die Möglichkeit der Marktteilnehmer, Verträge miteinander schließen zu können, immanent – hieraus ergibt sich auch ein Zusammenhang des Wettbewerbsmarkts mit den privatrechtlichen Vorschriften zum Vertragsschluss580. a) Vertragsfreiheit und Wettbewerb Die „Korrelationen zwischen Vertragsfreiheit und Wettbewerbsordnung“581 bezeichnet Habersack als vielschichtig, er beschreibt die „gegenseitige Abhängigkeit“582 wie folgt: werden, solche Macht zu begründen, auszuweiten, zu verteidigen und zu stabilisieren“; siehe auch unten Fn. 605. 578  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 21 (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.). 579  Siehe soeben (Fn. 578). 580  Zur Schlüsselrolle des Vertrages/Tauschgeschäfts bzw. der Privatrechtsordnung für die Marktwirtschaft siehe z. B. Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 121; z. B. auch E. J.  Mestmäcker, Über das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, in: AcP 168 (1968), S. 235 (235). 581  M. Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, 1992, S. 45; diese Korrelationen hält er für „heute auch über den Kreis der neo- und ordoliberalen Lehre hinaus anerkannt“; grundlegend Eucken, Grundsätze (Fn. 531), S. 275 ff., der die Vertrags-



B. Private Macht und Demokratie139 „Einerseits bedarf die Vertragsfreiheit des Wettbewerbs, um Auswahlmöglichkeiten und dadurch beiderseitige Selbstbestimmung der Vertragspartner bzw. die Richtigkeitsgewähr des Vertrags, also die oben angeführten Vertragsfunktionen, zu ermöglichen; insoweit geht es somit um die ‚Entmachtungswirkung‘ […] und damit um die gesellschaftspolitische Funktion des Wettbewerbs zum Schutz der Vertragsordnung. Andererseits bedarf der Wettbewerb zur Erfüllung der ihm zugedachten – [sic] ökonomischen – Ansporn-, Steuerungs- und Verteilungsfunktionen einer Ver­ tragsordnung“583

Die Vertragsfreiheit ist ein Ausdruck von Selbstbestimmung584. Habersack verbindet hiermit interessanterweise ausdrücklich auch die Möglichkeit zur Auswahl (s. o.). Der Wettbewerb soll diese Selbstbestimmung ermöglichen. In diesem Zusammenhang der Wechselseitigkeit von Markt und Privatautonomie/Vertragsfreiheit geht Riesenhuber ebenfalls explizit auf den Schutz des Wettbewerbs als Möglichkeit ein, die Wahlfreiheit der Individuen im Moment des Vertragsschlusses zu erhöhen: „Privatautonomie setzt das Bestehen eines Marktes voraus und führt zum Wettbewerb; der Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschungen sichert den Bestand des Marktes und damit der Wahlfreiheit der Interessenten.“585

Deutlich wird diese Verknüpfung zwischen dem einzelnen Vertrag und der dezentralen, möglichst freiheitsbewahrenden Koordination der selbstbestimmt gefassten Pläne der Marktteilnehmer586 mittels eines Wettbewerbssystems auch bei Mestmäcker, der feststellt: freiheit zu den „konstituierenden Prinzipien“ (Eucken, Grundsätze [Fn. 531], S.  254 f.) der Wettbewerbsordnung zählt. 582  Habersack, Vertragsfreiheit (Fn. 581), S. 46; die Herausarbeitung eines „funktionalen Zusammenhang[es]“ zwischen Vertragsfreiheit und Wettbewerbsordnung, stuft als „Verdienst“ des Ordoliberalismus ein: Habersack, Vertragsfreiheit, ebd., S. 45. Grundlegend Eucken, Grundsätze (Fn. 531), S. 254 ff., insb. 275 ff.; siehe auch z. B. F. Böhm, Verstößt ein gesetzliches Kartellverbot gegen das Grundgesetz?, in: WuW 1956, S. 173 (178). 583  Habersack, Vertragsfreiheit (Fn. 581), S. 46 (Hervorhebungen im Original, M.S.). 584  Z. B. auch H.-P. Mansel, in: R. Stürner (Hrsg.), Jauernig. Bürgerliches Gesetzbuch mit Rom-I-VO, Rom-II-VO, Rom-III-VO. EG-UnthVO/HUntProt und EuErbVO. Kommentar, 18. Aufl. 2021, Vor § 145 Rn. 8, m. w. N.; Habersack, Vertragsfreiheit (Fn. 581), S.  41 f.; Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 19, spricht vom Vertrag als „Verknüpfung freier und autonomer Menschen“. 585  K. Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft: Leistungsfähigkeit und Wirkkraft im deutschen und Europäischen Recht. Entwicklung, Stand und Verfassung des Privatrechts, in: ders. (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft, 2009, S. 1 (13 f.), im Kontext des europäischen Binnenmarktes. 586  Siehe z. B. J. Mohr, Sicherung der Vertragsfreiheit durch Wettbewerbs- und Regulierungsrecht, 2015, S. 391, zur Erkenntnis des „freiheitsverbürgenden Wert[es] der Kombination von Marktwirtschaft und Privatautonomie“ durch Böhm.

140 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb „Das Privatrecht, das Vertragsrecht zumal, ist das wichtigste Medium der Kooperation selbständig planender Bürger. Dieses System dezentraler, nämlich privatrechtlich organisierter Kooperation setzt ein Informationssystem voraus, an dem sich die individuellen Pläne orientieren können und das zugleich zu einer im öffentlichen Interesse gebotenen, jedenfalls damit zu vereinbarenden Allokation wirtschaftlicher Ressourcen beiträgt. Dieses Informationssystem ist der Wettbewerb auf Märkten, auf denen sich Preise nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage bilden können. Spätestens an dieser Stelle wird der Bezug der Privatrechtsgesellschaft zur Ökonomie relevant.“587

b) Die Privatrechtsgesellschaft Vor diesem Hintergrund der Verbindung von Wettbewerbsordnung und Vertragsfreiheit/Privatautonomie ist die von Böhm geprägte Idee der „Privatrechtsgesellschaft“588 zu sehen: Wesentlich für die Privatrechtsgesellschaft sind „die Gleichberechtigung aller Mitglieder der Gesellschaft, die Gewährleistung des Eigentums, die Privatautonomie und die Vertragsfrei­ heit“589. Die Privatrechtsgesellschaft wird von Böhm als Gegenentwurf zur Privilegiengesellschaft gesehen590. 587  E.-J. Mestmäcker, Franz Böhm und die Lehre von der Privatrechtsgesellschaft, in: Riesenhuber (Hrsg.), Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 35 (45); zum Zusammenhang von Vertrag, Privatautonomie und Wettbewerb als Instrument zur Geringhaltung der Macht siehe z. B. auch E.‑J. Mestmäcker, Über die normative Kraft privatrechtlicher Verträge, in: JZ 1964, S. 441 (443). 588  Grundlegend zur Privatrechtsgesellschaft Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 105 ff.; insb. S. 113; zur Lehre von der Privatrechtsgesellschaft aus jüngerer Zeit auch Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 3 ff.; siehe dort (Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, ebd., S. 5) auch zu jüngeren Ansätzen, welche die Lehre von der Privatrechtsgesellschaft aufgreifen und sie teils über den Horizont von Privatautonomie und Wettbewerb denken; zum Begriff z. B. auch W. Zöllner, Privatrecht und Gesellschaft, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft, ebd., S. 53 (58 f., siehe auch 61 f.); weiterführend auch K. Mayer/J. Scheinpflug, Privatrechtsgesellschaft und die Europäische Union, 1996, insb. S. 13 ff. 589  Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 4; zum Kern der Privatrechtsgesellschaft siehe auch Zöllner, Privatrecht (Fn. 588), S. 70, der die „weitgehende Selbstregelung der zwischenbürgerlichen Angelegenheiten im Weg der Privatautonomie“ als das „Wesentliche an der Privatrechtsgesellschaft“ beschreibt. 590  Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 113 stellt die „reine“ Privatrechtsgesellschaft der Privilegien- bzw. Feudalgesellschaft (inklusive Privatrecht) gegenüber; Böhm, Privatrechtsgesellschaft, ebd., S. 114: „seit der Abschaffung der Feudalgesellschaft [ist] dem Staat die Privatrechtsgesellschaft zugeordnet“ (Hervorhebung im Original, M.S.); Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 109: „Der Entschluß, alle Standesvorrechte und Privilegien abzuschaffen, war begründet mit der Devise: es soll künftig im Bereich der Gesellschaft nur noch einen einzigen, für alle gleichen rechtlichen Status, nur eine einzige, für alle gleiche Zuständigkeit des Planens und Handelns geben, nämlich die Privatautonomie. Eine Zuständigkeit, die völlig frei von



B. Private Macht und Demokratie141

Böhm misst dem Marktpreis591 eine wichtige Rolle zu, um eine solche Privatrechtsgesellschaft zu verwirklichen: das „Signalsystem“592 der Marktpreise sieht Böhm als Mittel an, die Pläne der autonomen Individuen mit den Plänen der anderen autonomen Individuen kompatibel zu machen beziehungsweise zu koordinieren593. c) Der Schutz vor privater Macht in der Privatrechtsgesellschaft Der Schutz des Wettbewerbs trägt zum Funktionieren des Marktpreismechanismus als solchem bei (siehe oben) – die Wettbewerbsordnung leistet ihren Beitrag zum Schutz der Privatrechtsgesellschaft also bereits, indem sie deren Koordinationsinstrument erhält. Interessant ist hierbei vor allem, dass der Erhalt des Marktpreismechanismus als Ausprägung einer weiterreichenden Aufgabe des Wettbewerbs verstanden werden kann: der Aufgabe des Schutzes vor privater Macht in der Privatrechtsgesellschaft – dies findet Ausdruck in den Worten Böhms: allen Herrschafts- und Repräsentationsbefugnissen ist.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). In diesem Kontext interessant ist auch die Analyse Streits zur Normativität des Privatrechts: Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 18 f.: „Die Normativität des für eine Marktwirtschaft erforderlichen Regelsystems beginnt sich zu erschließen, wenn berücksichtigt wird, daß im Geltungsbereich des Privatrechts die Rechtssubjekte grundsätzlich gleichgeordnet sind. […] Auf diese Weise finden die Handlungsmöglichkeiten des einzelnen dort ihre Grenzen, wo deren Wahrnehmung die Freiheit anderer beschränken würde. Die Normativität des Privatrechts besteht also darin, daß es eine für alle gleiche Freiheit gewährleisten soll.“ – Siehe dazu auch E.-J. Mestmäcker, Wettbewerbsfreiheit und unternehmerische Effizienz. Eine Erwiderung auf Schmidtchen, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 59 (2008), S. 185 (189), der darauf hinweist, dass Niklas Luhmann „diese gegenseitige Öffnung der Systeme Recht und Wirtschaft in seine Theorie aufgenommen hat“; weiterführend N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 440 ff., insb. S. 443 zur „strukturelle[n] Kopplung“ des „Rechtssystem[s] mit dem politischen System und dem Wirtschaftssystem durch […] Verfassung, Eigentum, Vertrag“; zur Nähe von Böhms Privatrechtsgesellschaft und dem Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft“ im Sinne Hegels siehe W. Zöllner, Die Privatrechtsgesellschaft im Gesetzes- und Rich­ terstaat, 1996, S. 22. 591  Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 115  f. zur Koordinierung freier Menschen mittels des Marktpreissystems. 592  Zum Beispiel Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 118; er ordnet nicht nur das Marktpreissystem, sondern auch die Sprache und das Privatrecht als „Signalsysteme“ ein. 593  Beispielsweise Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 121; siehe zur Koordination der autonom Planenden auch Eucken, Grundsätze (Fn. 531), S. 22; W. Eucken, Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl. 1965, S. 141 f.; siehe z. B. auch V. Vanberg, Privatrechtsgesellschaft und Ökonomische Theorie, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 131 (153): zur „Koordinationsleistung“ von „Privatrechtsgesellschaft und Marktwirtschaft“.

142 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb „Kommt kein Wettbewerb oder kein ausreichender Wettbewerb zustande, dann wird die […] Lenkungskraft der Marktpreise beeinträchtigt. Güterproduktion und Verteilung werden in eine nicht gewollte Richtung dirigiert. Aber diese Fehllenkung […] ist noch nicht einmal das Entscheidende. Noch schwerer wiegt die Störung des sozialen Gerechtigkeitsgehalts der [sic] freien marktwirtschaftlichen Systems. Es entsteht in den Händen von Privatpersonen Macht, die sie dazu instand setzt, ja geradezu dazu zwingt, Marktstrategie zu treiben, d. h. in die freie Wirtschaft hineinzuintervenieren, also etwas zu tun, was seinem Wesen nach Wirtschaftspolitik, Regierungsfunktion ist, nicht bloß privatwirtschaftliches Disponieren. Diese Macht hat die Natur eines feudalmäßigen Besitzstandes; freie Bürger werden der Botmäßigkeit anderer freier Bürger ausgesetzt und müssen sich von diesen ihren Mitbürgern zwangsmäßige Eingriffe in ihr berufliches und konsumtives Schicksal gefallen lassen, die sie von seiten ihrer Regierung nicht hinnehmen müßten, es sei denn, es existiere ein Gesetz, das die Regierung eindeutig und unmißverständlich zu diesem Eingriff ermächtigt. Außerdem würde die Regierung ihre gesetzmäßigen Interventionen politisch verantworten müssen, während die privaten Inhaber von Marktmacht eine solche Verantwortung nicht tragen, vielmehr das Recht für sich in Anspruch nehmen, sich bei der Wahl ihrer Interventionen ausschließlich von ihrem privaten Interesse leiten zu lassen.“594

An dieser Stelle wird deutlich, dass es Böhm in der Privatrechtsgesellschaft ganz grundsätzlich um die Selbstbestimmung beziehungsweise den Schutz vor Fremdbestimmung durch private Macht geht. Mit Hilfe des Wettbewerbs will Böhm der Sorge vor einer „Refeudalisierung einer freien Gesellschaft“595 durch private Macht begegnen. Dass sich Böhm derart grundsätzlich gegen die Gefahr der Fremdbestimmung durch andere Private wendet, lässt es zu, die Preisbeeinflussung als (nur) eine Ausprägung der Fremdbestimmung durch private Macht zu begreifen. Die Gefahr für die Privatrechtsgesellschaft lässt sich nicht auf preisbezogene Wirkungen reduzieren, weil auch andere Erscheinungsformen privater Machtausübung Fremdbestimmung bewirken können596.

594  Böhm, Wettbewerbsfreiheit und Kartellfreiheit (Fn. 573), S. 257 (Hervorhebungen im Original, M.S.). 595  Böhm, Wettbewerbsfreiheit und Kartellfreiheit (Fn. 573), S. 258 (Hervorhebung im Original, M.S.). 596  Deutlich erkennbar, wenn F. Böhm, Kartellauflösung und Konzernentflechtung. Spezialistenaufgabe oder Schicksalsfrage?, in: SJZ 2 (1947), S. 495 (501 f.) einerseits auf die Preisbildung blickt: „Damit nistet sich ein Element von Willkür und Unberechenbarkeit in den Prozeß der Preisbildung ein“ − neben diesem „Zwang“ benennt er als Anschauungsmaterial aber auch Allgemeine Geschäftsbedingungen. In diese Richtung geht es wohl auch, wenn Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 19 bildhaft den „Monopolkrieg“ beschreibt, und – ohne explizit preisbezogen zu argumentieren – den Vertrag im „Monopolkrieg“ in ein Mittel der „Menschenbeherrschung“ verwandelt sieht.



B. Private Macht und Demokratie143

Der Schutz des „friedliche[n]“597 Wettbewerbs soll zur Verwirklichung der Privatrechtsgesellschaft beitragen598. Die Bedeutung der Freiheit599 von Macht für das Konzept der Privatrechtsgesellschaft wird hier ebenso deutlich wie der Eigenwert dieser Freiheit600. d) Die demokratiespezifische Seite der Gefahr privater Macht in der Privatrechtsgesellschaft Den Bogen zur Demokratie schlägt Böhm, indem er untersucht, „ob die Freiheitsverschiebungen, die infolge des Zunehmens ökonomischer Machtpositionen innerhalb der Privatrechtsgesellschaft stattgefunden haben, so stark sind, daß man von einem die Demokratie ernsthaft bedrohenden Feudalisierungsvorgang sprechen kann“601

– er bezweifelt dies mit Blick auf den „Gebrauch einmal entstandener ökonomischer Macht zum Zweck der Erzielung maximaler Monopolgewinne“602. Solchen „Situationsnutzen“ sieht Böhm nicht als ernstzunehmende Gefahr für die „bürgerlichen und politischen Freiheiten“603 und „die privatrechtliche und politische Ordnung der Demokratie“604. Demokratie (Fn. 532), S. 19. Interdependenz (Fn. 531), S. 16 fasst präzise zusammen, dass Böhm und Eucken die Kontrolle wirtschaftlicher Macht als „zur gesellschaftlichen Legitimation der Privatautonomie unabdingbar“ ansehen; siehe explizit mit Bezug auf die Interdependenz der Ordnungen und das Privateigentum Eucken, Grundsätze (Fn. 531), S. 275: „Nur die Wettbewerbsordnung macht […] das Privateigentum auf die Dauer erträglich. Aber das Privateigentum ist wiederum eine Voraussetzung für eine freie Staats- und Gesellschaftsordnung.“ 599  E. Picker, Die Privatrechtsgesellschaft und ihr Privatrecht. Zur wachsenden Freiheitsbedrohung im Recht und durch Recht, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 207 (210 f.), benennt die Freiheit „vor allen anderen Charakteristika“ als „konstitutives Merkmal“ der Privatrechtsgesellschaft. 600  Siehe Picker, der auf den Eigenwert der Freiheit im Konzept der Privatrechtsgesellschaft abhebt – Picker, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 599), S. 211: „Den Endzweck und damit das Charakteristikum der Privatrechtsgesellschaft als des Gegenstücks zu einer Ordnung der Abhängigkeit und Gelenktheit kann die Freiheit des Individuums nur unter der Voraussetzung bilden, dass sie nicht ihrerseits wieder einem höheren Wert zu- und nachgeordnet und damit zu dessen Gunsten instrumentalisiert wird“; weiterführend zur Frage, ob (sogar) bei Böhm selbst Anklänge eines funktionelleren Verständnisses von ökonomischer Freiheit erkennbar sind, siehe näher Picker, Privatrechtsgesellschaft, ebd., S. 211 ff., insb. S. 212, m. w. N. 601  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 16. 602  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 16. 603  Differenziert zur Freiheitsterminologie Böhms, siehe unten, Fn. 610. 604  Alle Zitate Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 17. 597  Böhm, 598  Streit,

144 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Explizit benennt Böhm aber eine Gefahr für die Demokratie durch den Kampf um die Erlangung privater Macht: „der Krieg ums Monopol bringt unsere bürgerliche Ordnung aus den Fugen und droht unser demokratisches Verfassungsleben zu korrumpieren“605. Böhm sieht durch den Kampf um private Macht also eine Störung der Privatrechtsordnung beziehungsweise der Privatrechtsgesellschaft, die der demokratischen Idee entgegen steht606. Dies wurzelt darin, dass Böhm „dem demokratischen Staat die Privatrechtsgesellschaft als die staatstragende Gesellschaft zugeordnet“607 ansieht – eine Formulierung, mit der seiner Sicht auf das Verhältnis von Demokratie und Privatrechtsgesellschaft Ausdruck verliehen wird608.

605  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 18; Böhm macht einen Unterschied zwischen der Existenz privater Macht inklusive dem geldwerten Genuß dieser Machtstellung und dem Kampf um die Erlangung privater Macht. – Erst im Rahmen dieses Kampfes sieht er die Mittel der Privatrechtsordnung ausgehöhlt und die Privatrechtsgesellschaft „denaturiert“ (s. o., Fn. 578); eindrücklich zu den Auswirkung im Bereich der Privatrechtsordnung Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 19; interessanterweise vertritt Böhm dies trotz seiner zu diesem Zeitpunkt bereits milderen Sicht auf private Macht; siehe detailliert zu diesem Wandel beim „ ‚späten‘ Böhm“: W.‑H. Roth, Kartell- und Wettbewerbsrecht, in: Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 175 (193 ff.); ähnlich Mohr, Vertragsfreiheit (Fn. 586), S. 386, der die mildere Sicht auf private Macht mit dem „Abschied […] vom Konzept der perfekten Konkurrenz“ verbindet – er bezieht sich gerade auf Böhms Festvortrag bei der internationalen Kartellrechtskonferenz 1960 (siehe dort: Böhm, Demokratie [Fn. 532], insb. S. 3 f.). 606  Bei Böhm wird deutlich, dass er die Privatrechtsgesellschaft mit der Demokratie auf eine Weise zusammenhängen sieht, die dazu führt, dass Schäden in der Privatrechtsgesellschaft zugleich die demokratische Idee bedrohen können – Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 21 (bereits wörtlich zitiert, siehe oben Fn. 578); Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 13, plädiert dafür, die „Prinzipien der politischen Verfassung und die Prinzipien, die unsere Privatrechtsgesellschaft konstituieren, nebeneinander und in ihrer Verzahnung zu sehen und die Abläufe in Staat und Gesellschaft als eine umfassende funktionale Einheit zu begreifen“ (siehe dazu auch unten Fn. 617). Der Versuch eine solche „Verzahnung“ von Demokratie und Privatrechtsgesellschaft zu fassen, ist es wohl auch, wenn Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 148 meint: „Der Daseinsvollzug in der Privatrechtsgesellschaft, die mit einem demokratisch verfaßten Rechtsstaat kombiniert ist, begünstigt die Verwirklichung einer Gesellschaftsstruktur, die den Versuch sozialer Gruppen, andere soziale Gruppen auszubeuten, zu einem immer aussichtsloseren, für die Urheber selbst gefährlicheren Unterfangen macht und den Tendenzen, in Staat und Gesellschaft, Ausbeutungsversuche nicht zu dulden, starke Ermutigung zuteil werden läßt“; Vanberg, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 593), S. 153, sieht Privatrechtsgesellschaft und demokratischen Staat bei Böhm im „komplementären Verhältnis“. 607  Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 14, siehe auch Fn. 570. 608  Die Verknüpfung wird auch deutlich, wenn Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 14 die „Herrschaft des Volks im Staat, [die] Herrschaft des Privatrechts in der Gesell-



B. Private Macht und Demokratie145

Die demokratiespezifische Seite der Gefahr durch private Macht lässt sich wie folgt greifen: die Fremdbestimmung durch Private, die nicht nur für sich planen, sondern auch für andere planen609, stört die Freiheit der Menschen (von Macht)610. Gefährdet private Macht die Verwirklichung individueller beziehungsweise bürgerlicher Freiheit611 in der Gesellschaft, dann gefährdet private Macht zugleich den Daseinsgrund der Demokratie. schaft und [die] rechtsstaatliche Verknüpfung von Gesellschaft und Staat“ als die maßgeblichen Bestandteile moderner Demokratie benennt. 609  Siehe oben Fn. 574. 610  Interessant ist in diesem Kontext Böhms Freiheitsterminologie: Böhm differenziert zwar in die politische Freiheit, die bürgerliche Freiheit (als Synonym zur Privatautonomie) und die rechtsstaatliche Freiheit, siehe F. Böhm, Das wirtschaftliche Mitbestimmungsrecht der Arbeiter im Betrieb, in: ORDO. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 4 (1951), S. 21 (86 f.); er betont aber das Zusammenspiel dieser Freiheiten zu einer Freiheit; siehe Böhm, Säulen (Fn. 570), S. 43: „die Freiheit, die in einer Demokratie verwirklicht werden sollte, [ist] kein einzelliges, sondern ein zusammengesetztes Gebilde […]. Man kann geradezu von mehreren Freiheiten sprechen, von denen jede ihre besonderen Verfassungsinstitutionen, Schutzeinrichtungen und Sicherungen hervorgebracht hat, von denen eine jede die anderen in eigentüm­ licher Weise stützt. Staatstheoretiker sprechen z. B. von der rechtsstaatlichen Freiheit, von der demokratischen Freiheit, von der zivilrechtlichen Freiheit“ (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.). Die „marktwirtschaftliche Freiheit“ sieht Böhm von der „bürgerlich-zivilrechtlichen Freiheit […] umfaßt“ – Böhm, Säulen, ebd., S. 46. Als Ausdruck dieser Vorstellung einer Freiheit des Menschen, die verschiedene Komponenten enthält, ist es wohl auch zu verstehen, wenn Böhm, Säulen, ebd., S. 46 die Wendung der „Unteilbarkeit der Freiheit“ nutzt und wenn Böhm, Säulen, ebd. S. 44 „(v)on den mehreren Freiheiten, aus denen sich die Freiheit in einem demokratischen Gesellschaftssystem zusammensetzt“ spricht. Weiterführend zum Verhältnis der Freiheiten: Böhm, Säulen, ebd., S. 44 ff.; siehe dazu auch Zieschang, Staatsbild (Fn. 535), S. 121, die explizit mit Blick auf die politische Freiheit feststellt, dass diese nach Böhm „noch keine umfassende Freiheit [garantiert], neben sie muß vielmehr die rechtsstaatliche Freiheit treten, […]. […] die rechtsstaatliche Freiheit [schafft] den notwendigen Raum für das privatautonome Handeln der Bürger in der Gesellschaft, also für die bürgerliche Freiheit“. Eine ähnliche Perspektive wie jene Böhms kommt wohl zum Ausdruck bei E. Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 186, wenn er die wirtschaftliche Freiheit als „Aspekt der individuellen Freiheit“ sieht. Ausdrücklich stellt er fest: „Wirtschaftliche Freiheit ist also Mittel zur Verwirklichung einer freien, demokratischen Gesellschaft als einem ‚ultimate social goal‘.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 611  Zur Terminologie der Freiheit bei Böhm siehe bereits Fn. 610; z. B. Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 8: „Wenn es sich nun zuträgt, daß sich […] Machtstellungen […] in den Händen von Personen bilden, die nicht zu den verfassungsmäßigen politischen Willensträgern gehören, […] und wenn diese Macht von ihren Inhabern ohne Bindung an den Willen des Volkes im Dienst beliebiger Zwecke, vor allem aber zum ausschließlichen materiellen Vorteil dieser Inhaber gebraucht wird, […] dann entsteht eine Situation, die von jedem einsichtigen Bürger als eine Bedrohung der sozialen

146 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Hierin zeigt sich ein grundlegendes Verständnis des Zusammenhanges von Demokratie und Privatrechtsgesellschaft/Wettbewerb. Es wird versucht, dieses im Folgenden vertieft zu illustrieren. 2. Das verbindende Element: Die individuelle Freiheit des Menschen als Daseinsgrund der Demokratie und als Daseinsgrund des Wettbewerbsmarktes Die Privatrechtsgesellschaft der „Gleichberechtigten und Gleichfreien“612 ist demnach (nicht nur terminologisch) eng mit dem freiheitlichen demokratischen Staat der Freien und Gleichen verbunden613: Durch das Organisationsmittel614 der Demokratie sollen die Menschen vor Fremdbestimmung geschützt werden, die ihre individuelle Freiheit aus der politisch-gesellschaftlichen Sphäre bedroht (siehe Viertes Kapitel). Sie sollen keinem politischen Herrscher untertan sein. Auf wirtschaftlicher Ebene bedient sich der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat zum Schutz der Freiheit seiner Bürger (auch) des Mittels der Wettbewerbsordnung615. So können die Bürger ihre Wirtschaftspläne selbstbestimmt beziehungsweise frei von privater Macht aufstellen und umsetzen (siehe oben).

Gerechtigkeit und als eine Bedrohung der bürgerlichen Freiheit empfunden werden darf und empfunden werden muß.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 612  Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 140. 613  Siehe Viertes Kapitel zu den demokratiebegründenden Werten, an die Böhms „Privatrechtsgesellschaft“ interessanterweise bereits durch ihre Terminologie erinnert. 614  Siehe Fn. 475. 615  Hierzu passt, dass Mestmäcker, Verhältnis (Fn. 580), S. 238 f. mit Blick auf Böhm von der „wirtschaftlichen Macht als einer verfassungspolitischen Herausforderung an die Privatrechtsordnung“ spricht; erkennbar auch bei Mestmäcker, Verhältnis, ebd., S. 240 f.: „das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen konkretisiert die Wertmaßstäbe der Verfassung und es sichert die Funktionsfähigkeit der privatrechtlichen Institutionen. Geht man von der Wechselwirkung zwischen Verfassung, Privatrecht und Recht der Wettbewerbsbeschränkungen aus, dann bleibt für eine sogen. verfassungskonforme Auslegung des GWB oder des UWG im einzelnen kaum Raum. Entscheidend wird vielmehr die Ermittlung des institutionellen Gehaltes der Normen anhand ihrer gesellschaftlichen Funktionen und der ihnen zugrunde liegenden Ordnungselemente“; siehe auch Böhm, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 569), S. 109: „Dieses Postulat, daß alle Mitglieder der Gesellschaft den nämlichen Status haben sollten, ist nun freilich kein privatrechtliches, sondern ein politisches, verfassungsrechtliches Postulat.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); auch Riesenhuber, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 585), S. 5 stellt auf den „verfassungsrechtlichen Bezug“ von Böhms Privatrechtsgesellschaft ab.



B. Private Macht und Demokratie147

Das Kartellrecht soll vor solcher Macht schützen, welche der individuellen Freiheit (in Gestalt selbstbestimmter Planung der Individuen) entgegentritt und aus der wirtschaftlichen Sphäre hervorgeht616. Demokratie und Wettbewerbswirtschaft ergänzen sich demnach insofern, dass beide Prinzipien die individuelle Freiheit verwirklichen617. Diese Verbindung von Demokratie und Wettbewerbswirtschaft ermöglicht also einen umfassenden Schutz der Selbstbestimmung618, indem für jede Sphäre das zugeschnittene Ordnungsinstrument gewählt wird. 616  Die „Aufgabenteilung“ zwischen dem Organisationsmittel Wettbewerb und dem Organisationsmittel Demokratie zur Verwirklichung individueller Freiheit beruht darauf, dass gegen Bedrohungen durch Macht aus der wirtschaftlichen Sphäre andere Schutzmittel wirken als gegen Bedrohungen durch Macht aus der politischen Sphäre; ein interessanter Gedanke in diese Richtung findet sich bei Rapold, der die Idee der Demokratie mit der Forderung nach einer „Humanisierung“ der Wirtschaft verbindet – in Abgrenzung zu einer bloßen „Demokratisierung“ der Wirtschaft – M. U. Rapold, Demokratie und Wirtschaftsordnung, 1959, S. 123, m. w. N., siehe auch S. 128. Ein Wettbewerbsbezug bzw. Marktmacht ist notwendig, damit das Kartellrecht greifen kann, so weist H. Schweitzer, Wettbewerbsrecht und das Problem privater Macht, in: F. Möslein (Hrsg.) Private Macht, 2016, S. 447 (453), darauf hin, dass: „die politische und gesellschaftliche Macht […], die aus […] Größe und Finanzkraft resultieren kann, […] im Wettbewerbsrecht kein Aufgreifkriterium [ist]“. 617  Grundlegend plädiert Böhm, Demokratie (Fn. 532), S. 13 f., insb. S. 13 dafür, die „Prinzipien der politischen Verfassung und die Prinzipien, die unsere Privatrechtsgesellschaft konstituieren, nebeneinander und in ihrer Verzahnung zu sehen und die Abläufe in Staat und Gesellschaft als eine umfassende funktionale Einheit zu begreifen“ (bereits oben zitiert, Fn. 606 – diese „funktionale Einheit“ Böhms lässt sich als verschränkt durch die Verwirklichung individueller Freiheit begreifen). Siehe dazu auch die Interpretation durch Vanberg, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 593), S. 154: „diese ‚funktionale Einheit‘ [kann] darin gesehen werden, dass beide das Prinzip der individuellen Autonomie zur Geltung bringen, als Privatautonomie im Rahmen der Privatrechtsordnung und als konstitutionelle Autonomie im öffentlich-rechtlichen Bereich staatlichen Handelns“ (Hervorhebungen im Original, M.S.; zum Begriff der „konstitutionelle[n] Autonomie“ weiterführend Vanberg, Privatrechtsgesellschaft [Fn. 593], S.  150 ff. m. w. N.); ähnlich Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 22, wenn er die Freiheit als „normative Klammer“ von „Wettbewerbsordnung als Teil der Privatrechtsgesellschaft und rechtsstaatlicher Demokratie“ identifiziert (siehe dazu näher Fn. 620, Fn. 629) und mit Blick auf die Soziale Marktwirtschaft meint, Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 26: „Freiheit im hier relevanten Sinne ist eine Freiheit von der Willkür anderer, einschließlich der Repräsentanten des Staates.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 618  Dies wird insbesondere deutlich, wenn Böhm, Säulen (Fn. 570), S. 43 ff. das Zusammenspiel der politischen Freiheit mit der bürgerlichen Freiheit/Privatautonomie beschreibt (siehe oben Fn. 610); im ersten Zugriff könnte es hierzu widersprüchlich erscheinen, wenn Böhm meint, dass es sich bei der politischen bzw. demokratischen Freiheit „nicht eigentlich“ um Freiheit handelt (Böhm, Säulen [Fn. 570], S. 46). Allerdings zeigt Böhms Begründung hierfür bereits an, warum er mit gutem Grund am Freiheitsbegriff festhält: er verweist (nur) darauf, dass es sich eher um Mitbestim-

148 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Die Wahl des jeweiligen Ordnungsinstruments fußt auf dem gleichen Grund619: der Verwirklichung der (gleichen) individuellen Freiheit der Menschen620. 3. Fazit Sowohl die Demokratie als auch der Wettbewerbsschutz sind damit Mittel zum Schutz der Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen und zur Vermung als um Selbstbestimmung handelt (Böhm, Säulen [Fn. 570], S. 46). – Hier lässt sich anknüpfen, dass es sich bei der politischen bzw. demokratischen „Freiheit“ gerade um eine gewandelte Form der individuellen Freiheit handelt, die aber zu deren Verwirklichung beitragen soll: Freiheit wird zunächst als Selbstbestimmung (bzw. Freiheit von Fremdbestimmung) gedacht und dann als Mitbestimmung; siehe zu dieser „Metamorphose“ Fn. 463, m. w. N. 619  Siehe Drittes Kapitel zur Wettbewerbsfreiheit sowie die Ausführungen zur Privatrechtsgesellschaft/Wettbewerbsordnung im hiesigen Kapitel, nochmals eindrücklich z. B. Böhm, Idee des Ordo (Fn. 574), S. 12: „Trotz dieser Abhängigkeit eines jeden vom Planen aller ist keiner abhängig von bestimmten individuellen Nächsten, und eben hierin besteht die Freiheit bei dieser Ordnung: niemand hat das Recht, zu befehlen. So ist die Wettbewerbswirtschaft die bestregierte Wirtschaft, zugleich diejenige Wirtschaft, in der so gut wie gar nicht regiert wird“. Böhm behält dabei aber durchaus einen kritischen Blick auf die Abhängigkeit vom Markt, siehe Böhm, Säulen (Fn. 570), S. 44 wo er in klarer Sprache den „elementaren Zwang“ des Marktes und dessen „Unbarmherzigkeit“ beschreibt: „Ja man wäre beinahe versucht zu sagen, unsere Freiheit beschränkt sich hier darauf, daß der Zügel, an dem wir tanzen, nicht von einer Hand aus Fleisch und Blut gehalten wird, sondern von einer unsichtbaren Hand, die frei von Willkür, Haß, Liebe, Rachsucht, Anmaßung und Begünstigung ist“; er betont, dass das „Gefühl, ein selbstverantwortlicher Mensch zu sein“ trotzdem besteht. – Zur Freiheit als Grund der Demokratie siehe Viertes Kapitel. 620  Wohl in diesem Sinne stellt Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 22 mit Blick auf die Interdependenz fest, dass „zur gegenseitigen Bedingtheit von Wettbewerbsordnung als Teil der Privatrechtsgesellschaft und rechtstaatlicher Demokratie eine normative Klammer gehört: die formale Freiheit“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). Eine ähnliche Sicht ist wohl auch der Hintergrund der Äußerung Häberles: „Die politische (und das heißt demokratische) Freiheit und die wirtschaftliche sind – auch als Ausdruck der einen Würde des Menschen – gewiß ‚unteilbar‘, insofern gehören soziale Marktwirtschaft und freiheitliche Demokratie im Verfassungsstaat unteilbar zusammen“ − Häberle, Soziale Marktwirtschaft (Fn. 561), S. 387 (Hervorhebungen im Original, M.S.); interessanterweise rückt Picker, Privatrechtsgesellschaft (Fn. 599), S. 211, die individuelle Freiheit, welche durch die Privatrechtsgesellschaft verwirklicht wird, in die Nähe der demokratischen Freiheitsidee, indem er konstatiert, dass die Freiheit in der Privatrechtsgesellschaft einen Eigenwert hat (s. o.) und „selbst aufgrund des ‚Willens des Volkes‘, mithin selbst in der Demokratie nur durch die gleiche Freiheit aller anderen begrenzt werden darf“; hierbei weist er aber nicht explizit darauf hin, dass die individuelle Freiheit sowohl Demokratiegrund als auch Grund des Wettbewerbsmarktes ist und die Freiheit des Menschen sich als verbindendes Element bzw. Daseinsgrund für die konkrete Form unserer Wirtschaftsordnung und der Demokratie verstehen lässt.



B. Private Macht und Demokratie149

meidung von Fremdbestimmung durch den Willen Einzelner. Ein Beherrschtwerden durch Andere – unabhängig davon, ob diese als politische Herrscher ohne hinreichende demokratische Legitimation über die Individuen Macht ausüben oder als wirtschaftlich Mächtige über Individuen bestimmen – widerspricht der Freiheit des Individuums. Der Befund, dass die „Bedrohung“ aus unterschiedlichen Sphären heraus an die Menschen herantritt − und sie ihr mal „als Bürger“ mal „als Marktteilnehmer“ (Konsumenten, Wettbewerber) entgegen sehen − darf nicht den Blick darauf verstellen, dass sie in beiden Fällen die Freiheit des Menschen beeinträchtigen kann. Die Begrenzung auf Handlungsspielräume durch den nicht unlauter beeinflussten Markt kann keinem menschlichem Willen zugeordnet werden (s. o.) und stellt darum auch keine Beherrschung durch andere Menschen dar621. In der individuellen Freiheit des Menschen sowohl als Daseinsgrund der Demokratie sowie als Daseinsgrund der Wettbewerbsordnung, zeigt sich ein Aspekt des Zusammenhangs zwischen Demokratie und Wettbewerb. Um die individuelle Freiheit bestmöglich zu verwirklichen, wird zum einen die politische Freiheit in Gestalt der Selbstbestimmung durch die Mitwirkungsmöglich621  Siehe oben; beachte die Ähnlichkeit zur Demokratie (in deren Rahmen eine „Beherrschung“ akzeptiert ist, gerade wegen der Teilhabemöglichkeiten der Individuen [siehe Viertes Kapitel]); bei aller Parallelität ist es zu empfehlen, sich einen (gewichtigen) Unterschied zum Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung als Vorläufer der manifestierten politischen Entscheidung ins Bewusstsein zu rufen: die Ergebnisse des Marktes sind zwar Ergebnisse der Ausübung von Freiheiten und freien Willensbetätigungen in Bezug auf einzelne Marktvorgänge, sie werden aber nicht durch menschliches Nachdenken über eine übergeordnete (wirtschaftliche [Produktions-]) Situation kanalisiert – was aber bei der politischen Meinungs- und Willensbildung geschieht (siehe zu diesem Prozess Viertes Kapitel A.III.5.). Diese Überlegung ähnelt entfernt der Gegenüberstellung bei Zacher, Aufgaben (Fn. 560), S. 92, in der er – allerdings nur – auf das Plebiszit abstellt und feststellt: „die ‚Stimmabgabe‘ des ökonomischen Nachfragers [mündet] in einen amorphen, keinem Willen zurechenbaren Prozeß ein, während das Plebiszit die Entscheidungen Einzelner zu einem bestimmten Gesamtakt zusammenfaßt“. Bei Böhm selbst wird erkennbar, dass er Marktergebnisse nicht als „Wille“ sieht: Böhm, Kartellauflösung (Fn. 596), S. 501: „[H]inter diesem Zwang [steht] kein Einzelwille, aber auch kein bewußter Kollektivwille. Die Zwangswirkung ist das Resultat des von niemandem beabsichtigten Zusammentreffens zahlloser gleichartiger, freier, spontaner Reaktionen. Es ist ein Zwang ohne Zwangsherrn […]. Infolgedessen tangiert diese Art von Zwang die politische, soziale und rechtliche Freiheit des Betroffenen überhaupt nicht.“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). Gerade weil die Ergebnisse des Wettbewerbs nicht durch Menschen geplant sind, sind die Marktteilnehmer keinem fremden Willen untergeordnet, sondern frei. Aus diesem Grunde ist es – im Gegensatz zur politischen Entscheidungsfindung – auch nicht „nötig“ eine Zurechnung der Marktergebnisse zum Willen der Marktteilnehmer zu konstruieren, denn die Selbstbestimmung findet unmittelbar durch die Möglichkeit statt, die eigenen Wirtschaftspläne zu verfolgen.

150 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

keit in politischen Fragen gewährleistet („Freiheit von politischer Fremdbestimmung“). Für eine bestmögliche Verwirklichung der individuellen Freiheit tritt daneben aber auch die Ebene der Privatrechtsgesellschaft inklusive der Freiheit zum selbstbestimmten Vertragsschluss, die ihre Grenze in der Privatautonomie anderer findet („Freiheit von privater Macht“). Der Wettbewerbsschutz ist ein Mittel, um die Freiheit von privater Macht zu erreichen. Teilweise wird auch ein Aspekt aufgegriffen, welcher mit der individuellen Freiheit als Daseinsgrund sowohl von Demokratie als auch von Kartellrecht verknüpft ist: 4. Aspekt der Freiheit als „Voraussetzung“ von Demokratie „Die“ Freiheit wird teilweise auch als Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie bezeichnet622. Dahinter steht die Vorstellung, dass auch Abstimmungen und Wahlen beziehungsweise Mitbestimmung durch demokratische Abläufe keine vollständige Verwirklichung der Freiheit (von der Macht anderer Menschen) erzeugen können, solange die Freiheit auf anderem Wege – wie durch private Macht – beschädigt wird623. 622  Z. B. gerade im Kontext des Kartellrechts E. Deutscher/S. Makris, Exploring the Ordoliberal Paradigm: The Competition-Democracy Nexus, in: The Competition Law Review 11 (2016), S. 181 (189): „Economic freedom constitutes, pursuant to the ordoliberal idea of interdependence between the economic, social and political order, the precondition and counterpart of other fundamental and political rights such as the freedom of speech, the freedom of assembly, as well as the right to vote.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.; siehe zu der Perspektive Freiheit als Voraussetzung von Demokratie zu betrachten mit Blick auf die Plattformökonomie auch Sechstes Kapitel C.III.6.); diese Richtung hat z. B. auch die Formulierung bei M.  Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 9. Aufl. 2021, Art. 20 Rn. 16: „Demokratie baut auf Freiheit und Gleichheit der Bürger auf. Zwar können die Einzelnen nicht nur nach ihrem individuellen Willen leben; dieser geht jedoch auf der Basis gleicher Mitwirkungsrechte […] in die Mehrheitsentscheidungen […] ein.“ (Hervorhebung im Original, M.S.); wenn Sachs damit auf den individuellen Willen der Einzelnen abstellt, der in die Mehrheitsentscheidungen eingeht, setzt das voraus, dass eine „freie“ Willensbildung überhaupt „vorgelagert“ geschieht – unabhängig vom Problemkreis der Möglichkeit der Bildung eines „freien“ Willens des Menschen aus psychologischer und philosophischer Perspektive und der Möglichkeit, diesen im Verhalten widerzuspiegeln (auf die hier nicht eingegangen werden kann), kann festgehalten werden, dass die Möglichkeit zur Demokratie auf der Vorstellung fußt, dass die Menschen überhaupt frei eigene Willen bilden können und diese in ihren Handlungen ausdrücken können. – Nimmt man diese Perspektive ein, sollen die Menschen in der Demokratie in ihrem „Denken und Handeln“ (E. W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J. Isensee/P. Kirchhof [Hrsg.], HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 35) frei von der Fremdbestimmung durch andere Menschen sein beziehungsweise bleiben. 623  Hier sei erneut auf die Idee der „Unteilbarkeit“ der Freiheit verwiesen (Böhm, Säulen [Fn. 570], S. 46, s. o. Fn. 610); eine ähnliche Richtung hat es auch, wenn



B. Private Macht und Demokratie151

Daraus ergibt sich die Perspektive, dass diese Aushöhlung des Wertes, welcher durch die Demokratie verwirklicht werden soll – und der zugleich Voraussetzung für die Demokratie ist – nicht nur aus der politischen, sondern auch aus der wirtschaftlichen Sphäre hervorgehen kann: Wenn die Freiheit des Individuums (verstanden als Freiheit von der Macht anderer Menschen) durch private Macht in der Privatrechtsgesellschaft gestört wird, dann steht sie demnach auch nicht mehr zur Verwirklichung im demokratischen Prozess zur Verfügung624 – offenbar sah auch Böhm genau hierin eine Gefahr für die Demokratie: „Wenn es sich aber derart verhält, daß dem demokratischen Staat die Privatrechtsgesellschaft als die staatstragende Gesellschaft zugeordnet ist und daß die Freiheit des Staatsbürgers, die ihn instand setzt, sein Wahlrecht und die übrigen politischen Mitbestimmungsrechte im demokratischen Staat auszuüben, zur Hauptsache aus der Freiheitswelt der Privatrechtsgesellschaft stammt, dann wird deutlich, daß die Demokratie von innen her vornehmlich durch zwei Gefahren bedroht wird, nämlich einmal von der Gefahr, daß der demokratische Gesetzgeber und die demokratische Regierung ihre Aufgaben und Zuständigkeiten mit der Zeit allzu sehr auf Kosten der Privatrechtsgesellschaft ausdehnen, und zum anderen von der Gefahr, F. Böhm, Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung (1946), in: Mestmäcker, Franz Böhm (Fn. 540), S. 46 (46) den Ansatz Arndts (A. Arndt, Das Problem der Wirtschaftsdemokratie in den Verfassungsentwürfen, in: SJZ 1946, S. 137 [137 ff.]) zusammenfasst und mit seinen Gedanken dahingehend anreichert, dass es Menschen, die „sich im wirtschaftlichen Alltag dem Machtwillen von Privatpersonen, Privatgesellschaften und Privatverbänden beugen müssen, […] nicht viel nützt, wenn sie als Wähler oder Gewählte an der Staatsgewalt teilnehmen dürfen […]. Arndt verlangt deshalb eine Ordnung der Wirtschaft […], damit wir vom Ökonomischen her überhaupt erst einmal instand gesetzt werden, politisch freie Menschen zu sein.“ (Hervorhebung im Original, M.S.). An Arndts Plädoyer für eine „Planwirtschaft“ entzündet sich dann aber Böhms Kritik (Böhm, Bedeutung, ebd., S. 47 ff.). 624  Der Gedanke, dass mit demokratischen Prozessen die individuelle Freiheit nicht zur Geltung gebracht werden kann, weil sie (auf anderem Wege) beschädigt wird, lässt sich zudem auch dahingehend weiterdenken, dass eine Fremdbestimmung des Verhaltens durch andere Private langfristig auch zu einer eine Art Beeinflussung der Willens-/Meinungsbildung der Menschen kommen kann. – In diese Richtung geht es m. E., wenn U. Schliesky, Digitalisierung – Herausforderung für den demokratischen Verfassungsstaat. Ein Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Grundgesetzes am Vorabend des 70. Geburtstags, in: NVwZ 2019, S. 693 (697) den Einsatz von Verhaltenspsychologie durch Digitalunternehmen kritisiert: Schliesky meint, dass der Einsatz von Verhaltenspsychologie auf digitalen Wegen „massiv die Willensfreiheit [beeinflusst], die […] demokratietheoretische Voraussetzung für die Wahrnehmung demokratischer Rechte [ist]“; ähnliche Richtung Zuboff, Zeitalter (Fn. 538), S.  443 f., welche die Demokratie durch „instrumentäre Macht“ (siehe dazu bereits Fn. 538), untergraben sieht, weil diese „die Freiheit des Einzelnen durch das Wissen anderer […] ersetzt“ und „die Fähigkeiten des Menschen ebenso aus[höhlt] wie sein Selbstverständnis und damit die Voraussetzungen für ein demokratisches Leben“. – Auf die Sicht Zuboffs wird im Sechsten Kapitel näher eingegangen.

152 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb daß sich innerhalb der Privatrechtsgesellschaft Entwicklungen anbahnen, die den Freiheitsspielraum ganzer Gruppen von Privatrechtssubjekten fühlbar einengen und typische Dauerabhängigkeiten erzeugen.“625

III. Die Freiheit des Individuums von Macht – die Konsumentenwahlfreiheit und das Ob und Wie der Kaufentscheidung als Ausübung individueller Freiheit Im Folgenden wird versucht, die aufgezeigten Ähnlichkeiten der Konsumentenwahlfreiheit/Konsumentensouveränität, sowie der „Meinungs“bildung zum Ob und Wie der Kaufentscheidung (siehe oben) mit demokratischen Vorgängen, kurz explizit in Bezug zur individuellen Freiheit des Menschen zu setzen. 1. Hintergrund der Strukturähnlichkeiten zwischen den demokratischen Vorgängen und den Marktvorgängen Die identifizierten Ähnlichkeiten lassen sich als ein Resultat der Wechselwirkung zwischen den Sphären begreifen, die wiederum auf dem verbindendem Element der Freiheit beruht. Die Ähnlichkeiten ergeben sich daraus, dass der Schutz der individuellen Freiheit des Menschen vor Macht in beiden Sphären ähnliche Erfordernisse und Erscheinungsformen mit sich bringt. Wohl in diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Streit die Machtkontrolle aufgrund der „wechselseitige[n] Gefährdung der Wirtschaftsordnung und der politischen Ordnung“ durch Macht als Grund für die Strukturähnlichkeit in Stellung bringt626. Streit hebt darauf ab, dass die Machtkontrolle in der Demokratie sowie in der Marktwirtschaft zur „charakteristischen strukturellen Entsprechung von politischer Verfassung und Wirtschaftsverfassung“627 führt: 625  Böhm,

M.S.).

Demokratie (Fn. 532), S. 14 (Hervorhebungen durch die Verfasserin,

Interdependenz (Fn. 531), S. 15. Interdependenz (Fn. 531), S. 15; ähnlich benennt Leipold, Interdependenz (Fn. 533), S. 731 eine „Analogie zwischen der marktwirtschaftlichen und der demokratischen Kontrolle“. Er stellt fest: „[i]ndem die Anbieter von Gütern […] die Gunst der Nachfrage konkurrieren, unterliegen sie der Kontrolle durch die Konsumenten und […] durch die Mitkonkurrenten. Diese Kontrolle ist durch eine aktive staatliche Antimonopolpolitik zu ergänzen. Analog dazu wird die politische Macht der Parlamente und Regierungen durch freie Wahlen kontrolliert […]. Allein aufgrund der analogen Konstruktionsprinzipien drängt sich die Folgerung auf, dass Demokratie und Marktwirtschaft Kuppelprodukte sind.“; der Begriff des Kuppelprodukts findet sich bereits bei C.-A. Andreae, Demokratie und Marktwirtschaft – ein Kuppelpro626  Streit, 627  Streit,



B. Private Macht und Demokratie153 „Im Rahmen des Euckenschen Forschungsprogramms hatte die Beschäftigung mit dem Machtproblem zur Folge, daß die davon ausgehende wechselseitige Gefährdung der Wirtschaftsordnung und der politischen Ordnung erkannt wurde. Machtkontrolle wurde deshalb in beiden Teilordnungen zur ordnungspolitischen Aufgabe. Zugleich stellt sie das zentrale Element der ‚Entsprechungszusammenhänge zwischen Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung‘628 […] dar. Im Falle der Ordnungsregeln für eine Kombination von Marktwirtschaft und Demokratie führt der Lösungsversuch des Machtproblems zu einer charakteristischen strukturellen Entsprechung von politischer Verfassung und Wirtschaftsverfassung. Im Kern besteht sie darin, daß mit den Regeln der politischen Verfassung die Machtausübung durch staatliche Organe unter das Recht gestellt und ihre Kontrolle ermöglicht werden soll. Kongruent dazu sollen mit den Regeln der Wirtschaftsverfassung rechtliche Vorkehrungen für die Ausübung und Kontrolle wirtschaftlicher und damit privater Macht getroffen werden. Es ist somit Aufgabe des Rechts, den Schutz des Bürgers vor staatlicher und privater Willkür zu ermöglichen.“629

Auch wenn die Demokratieanalogie Böhms nicht vollständig trägt630, bestehen Parallelen, welche in der Verwirklichung der Freiheit von der Macht anderer Menschen gründen. 2. Die Idee der Konsumentenwahlfreiheit/-souveränität und die Verwirklichung individueller Freiheit Zwischen der individuellen Freiheit des Menschen und der Idee der Konsumentenwahlfreiheit/-souveränität besteht eine tieferliegende Verbindung, die über eine bloße Analogie hinausgeht. Die Wahlfreiheit kann als dukt?, in: ders. (Hrsg.), Demokratie und Marktwirtschaft – Ein Kuppelprodukt?, 1989, S. 11 (11 ff.). 628  Die Wendung findet sich bereits bei Böhm, Wirtschaftsordnung (Fn. 542), S. 54: „Die Frage, die wir untersuchen wollen, lautet also dahin: Gibt es gewisse Entsprechungszusammenhänge zwischen Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung?“ 629  Streit, Interdependenz (Fn. 531), S. 15 (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.; zwar hebt Streit hier nicht explizit auf die Freiheit als verbindendes Element ab; die Lösung des Machtproblems lässt sich aber wohl als Freiheit von Macht verstehen; dafür spricht insbesondere, dass Streit, Interdependenz [Fn. 531], S. 22, die Freiheit als „normative Klammer“ von „Wettbewerbsordnung als Teil der Privatrechtsgesellschaft und rechtsstaatlicher Demokratie“ begreift [siehe dazu bereits oben Fn. 617, Fn. 620]). 630  Siehe Fn. 560; Schwächen in der Analogie betreffen nicht den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Demokratie und Wettbewerb, den Böhm zu fassen versucht. Die Analogie stellt er nicht isoliert in den Raum, sondern sie ist vielmehr als bildhafte Unterstützung im Kontext von Böhms Konzept der Privatrechtsgesellschaft als „staatstragende“ Gesellschaft (s.  o. Fn. 570) zu sehen. – Ähnliche Richtung Zieschang, Staatsbild (Fn. 535), S. 211 f., wenn sie die grundsätzlichen Parallelen von Demokratie und Marktwirtschaft von der Kritik an der Analogie unberührt bleiben sieht.

154 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

„Erscheinungsform“ von Selbstbestimmung auf Basis individueller Freiheit verstanden werden. Die „Wahlmöglichkeit“ ist im Falle der marktbezogenen „Wahlmöglichkeit“ wie auch im Falle der politischen Wahlmöglichkeit mit der Idee der Selbstbestimmung verbunden. Dies findet insbesondere darin Ausdruck, dass die Wahl jeweils kein Selbstzweck ist, sondern tatsächlich verschiedene Optionen bestehen müssen, die auch indirekt und langfristig durch den „Wähler“willen beeinflussbar sein müssen, um überhaupt von Wahlfreiheit zu sprechen. Die Freiheit, zwischen verschiedenen Produkten – die in die Marktsituation und den damit einhergehenden Zwängen eingebettet sind – grundsätzlich wählen zu können, ist eng gekoppelt an die Verwirklichung persönlicher Freiheit: Jedem Individuum ist es möglich, auf Basis seiner eigenen Erwägungen zu entscheiden. Hierbei können nicht (nur) finanziell vernünftige oder weniger vernünftige Entscheidungen frei getroffen werden. Darüber hinaus besteht ein Spielraum für das Individuum, diejenige Konsumentscheidung zu treffen, die den eigenen (subjektiven und selbst bestimmten631) Vorstellungen und – unter den gegebenen, vom anonymen Markt erzeugten Bedingungen/Zwängen632 am meisten entspricht. Die Wahlmöglichkeit lässt sich damit als Form wirtschaftlicher Selbstbestimmung ansehen, die aber durchaus auch für die Freiheit „als Mensch“ Bedeutung erlangt633. Wichtig ist dabei, sich vor Augen zu halten, dass ein knappes Angebot aufgrund fehlender Ressourcen oder normaler Marktentwicklung hierbei als „Schicksal“ (s. o.) hingenommen werden muss, ohne von einer Einschränkung der Wahlfreiheit und Selbstbestimmung zu sprechen. Diese ist jedoch beschränkt, wenn der Wille eines oder mehrerer Privater die Wahlmöglichkeiten verkleinert634. 631  Zum subjektiven Charakter der Entscheidungen im Hinblick auf die Konsumentensouveränität weiterführend Binder, Konsumentensouveränität (Fn.  545), S.  286 ff., m. w. N. 632  Siehe oben (Fn. 564 f.) zu den anonymen Marktzwängen. 633  Deutlich auch bei Hoppmann, Wirtschaftsordnung (Fn. 610), S. 186, der explizit die Wahlmöglichkeit der Marktteilnehmer als Voraussetzung wirtschaftlicher Freiheit/ Selbstbestimmung benennt – welche er wiederum als „Aspekt der individuellen Freiheit“ sieht (siehe dazu bereits Fn. 275); Binder, Konsumentensouveränität (Fn. 545), S. 273 ff., insb. 278; ähnlich Hutt, Economists (Fn. 547), S. 252 f., 256, 273; ähnlich stellt auch Behrens (hier mit Blick auf v. Mises) individuelle Freiheit und Wahlfreiheit in einen Zusammenhang: Behrens, Consumer Choice (Fn. 546), S. 10. 634  Siehe insbesondere Averitt/Lande, Consumer Choice (Fn. 546), S. 184, die hier auf die Wahlfreiheit der Konsumenten i. d. S. abstellen, dass die Konsumenten sich



B. Private Macht und Demokratie155

3. Fazit Die Möglichkeit, am Markt ungezwungen von privater Macht konkreter Dritter zwischen verschiedenen Produkten wählen zu können bewirkt, dass der Einzelne seine Bewertungen, Pläne, Vorlieben etc als Individuum umsetzen kann. Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass dabei Wünsche unerfüllt bleiben. Entscheidend ist, dass ein hinreichender Handlungsspielraum und Auswahlspielraum besteht, der nicht durch den Willen eines anderen Privaten bestimmt wird. 4. „Meinungs“bildung am Markt und individuelle Freiheit Ähnliches gilt für die Kaufentscheidung (oder anderer Entscheidungen über das Vorgehen am Markt) sowohl durch die Konsumenten als auch durch die Wettbewerber. Die Ähnlichkeit dieses Entscheidungsprozesses mit dem Prozess der Meinungs- und Willensbildung in der Gesellschaft kann ebenfalls darauf zurückgeführt werden, dass es sich bei den Wirtschaftenden um frei planende Individuen handelt. Sie richten ihre wirtschaftlichen Entscheidungen und Pläne nicht an den Willen einzelner anderer Privater aus, sondern bestimmen diese – unter Berücksichtigung von Marktsignalen − selbst. Entscheidend ist auch hier (wie schon bei der Konsumentensouveränität/ -wahlfreiheit), dass keine andere Person über den einzelnen Marktteilnehmer bestimmt: Freiheit von privater Macht drückt sich auch in der Möglichkeit einer „Meinungsbildung“635 beziehungsweise einer Entscheidungsfindung aus, die auf Basis entscheidungsrelevanter Aspekte erfolgt − der Willensbildungsprozess sowie das daraus resultierende Verhalten sollen nicht durch konkrete andere Private fremdbestimmt werden. Im Angesicht der Interdependenzidee könnte man weitreichend annehmen, dass ein Individuum, welches sich „als Marktteilnehmer“ eine „Meinung“ über das wirtschaftliche Vorgehen bildet, auch „als Bürger“ nicht gewillt ist, sich politische Meinungen aufzwingen zu lassen636, sondern bereit zur Mitgestaltung ist. Diese interessante Vorstellung kann hier nicht untersucht werden; einen solchen Zusammenhang als Kausalität oder auch nur Korrelation anzunehmen, dürfte aber in jedem Fall zu weit in den Bereich der Spekulation führen.

nicht für Produkte entscheiden müssen, nur weil durch das Verhalten des (oder der) Anbieter die Wahlmöglichkeiten reduziert werden. 635  Siehe bereits oben (Fn. 555). 636  In diese Richtung Gröner, Meinungsfreiheit (Fn. 554), S. 233.

156 Fünftes Kapitel: Der Zusammenhang von Demokratie und Wettbewerb

Möglichkeiten zum Nachdenken über das Verhältnis von Demokratie und Wettbewerb eröffnen sich dennoch aus dem Blickwinkel, welcher die Entscheidungsfindung über das Marktverhalten in die Nähe der Meinungsbildung rückt. Dem Menschen als Marktteilnehmer (wie auch als Bürger in „politischen“ Fragen) die Freiheit von der Macht anderer zu geben, erfordert es zu einem gewissen Grad auch, ihm Faktoren zugänglich zu machen, welche die Basis für seine freie Entscheidung bilden sollen. So kann es problematisch sein, wenn private Macht darüber entscheidet, welche entscheidungsrelevanten Umstände einem Markteilnehmer wann und wo zugänglich sein sollten und welche nicht637.

IV. Abgrenzung zum Begriff der „Wirtschaftsdemokratie“ Die vorstehenden Ausführungen können vom Begriff der „Wirtschaftsdemokratie“ unterschieden werden. Im Sinne Böhms lässt sich hierunter eine „überbetriebliche Willensbildung“ verstehen, an der die „Wirtschaftsbeteiligten […] nur in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ teilnehmen638. Darum soll der Begriff der Wirtschaftsdemokratie nicht als Ausdruck für die Phänomene benutzt werden, mit denen die vorliegende Arbeit sich beschäftigt. Dies gilt auch in Anbetracht eines gewissen Spielraums in der Begriffsverwendung639.

C. Zusammenfassung Wie herausgearbeitet wurde, ist Wettbewerb kein Selbstzweck, sondern kann als Mittel zur Verwirklichung individueller Freiheit betrachtet werden. Selbiges gilt für die Demokratie. Es konnte ermittelt werden, dass die Strukturähnlichkeiten von Demokratie und Wettbewerbsschutz auf tieferliegende Zusammenhänge hinweisen. 637  Zu denken ist hier insb. an „Rankings“/Produktlistungen; siehe dazu auch Sechstes Kapitel. 638  Beide Zitate Böhm, Mitbestimmungsrecht (Fn. 610), S. 96; da die Wirtschaftsbeteiligten „als Konsumenten“ hierbei nicht berücksichtigt werden (Böhm, Mitbestimmungsrecht, ebd., S. 96); weiterführend zum Begriff der Wirtschaftsdemokratie Böhm, Mitbestimmungsrecht, ebd., S. 96 ff.; Böhm, Bedeutung (Fn. 623), S. 52, Böhm hält hier den Begriff der „ ‚Selbstverwaltung‘ der Wirtschaft“ für passender als den der Wirtschaftsdemokratie. 639  Interessant z. B. der Versuch Arndts, den Begriff mit neuem Inhalt zu füllen durch Arndt, Wirtschaftsdemokratie (Fn. 623), S.  137 ff.; A. Arndt, Planwirtschaft: Erwiderung auf den Aufsatz von Prof. Dr. Franz Böhm über „Die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die politische Verfassung“, in: SJZ 1 (1946), S. 169 (169).



C. Zusammenfassung157

Als verbindendes Element und Basis der Strukturähnlichkeiten konnte die (gleiche) Freiheit des Individuums (verstanden als eine Freiheit von der Macht anderer Menschen) in Gestalt der Selbstbestimmung ermittelt werden. Diese Freiheit ist durch Machtausübung gefährdet – unabhängig von der Sphäre, aus der diese Gefahr entspringt. Sowohl eine Machtausübung in Gestalt politischer Herrschaft (aus der politisch/gesellschaftlichen Sphäre) als auch eine Machtausübung durch private Macht aus der wirtschaftlichen Sphäre spielt eine Rolle für die Freiheit des selbstbestimmten Individuums. Eine grundsätzliche Spezialisierung des jeweiliges Instruments (Demokratie beziehungsweise Wettbewerb) auf seine jeweilige Sphäre ergibt sich da­ raus, dass verschiedenen Machtphänomene unterschiedlicher Schutzinstrumente bedürfen. Die Spezialisierung darf nicht den Blick darauf verstellen, dass die (gleiche) Freiheit der Menschen von Macht der Ausgangspunkt ist und Wettbewerb und Demokratie Mittel sind, diese gleiche Freiheit in den verschiedenen Sphären zu schützen. Damit lässt sich auch die These eines Zusammenhanges von Demokratie und Wettbewerb bestätigen. Der Zusammenhang wird vermittelt durch das verbindende Element, die individuelle Freiheit. Im Folgenden wird untersucht, ob sich diese Erkenntnisse in aktuellen Entscheidungen aus dem Bereich der Digitalwirtschaft spiegeln.

Sechstes Kapitel Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch in der Digitalwirtschaft A. (Wie) spiegeln sich die vorausgegangenen Überlegungen in aktuellen Entwicklungen/Entscheidungen zum Marktmachtmissbrauch im Online-Sektor? I. Überleitung Die dargestellte Verflochtenheit der Idee der Privatrechtsgesellschaft, der Wettbewerbsmarktwirtschaft und der demokratischen Staatsform rückt die individuelle Freiheit als verbindendes Element von Demokratieprinzip und Wettbewerbswirtschaft in den Mittelpunkt (siehe Fünftes Kapitel). Begreift man die individuelle Freiheit des Menschen als Daseinsgrund sowohl der Demokratie als auch des Wettbewerbsmarktes, stellt diese Freiheit ein verbindendes Element zwischen der wirtschaftlichen Sphäre und der gesellschaftlich-politischen Ordnung/Sphäre dar. Zugleich eröffnet sich die Perspektive, dass dieses Verbindungsstück unabhängig davon bedroht sein kann, aus welcher Sphäre die Macht entspringt, die ihr entgegen tritt. Die individuelle Freiheit kann als Daseinsgrund beider Ordnungen sowohl durch Macht aus der Sphäre der Wirtschaft als auch durch staatliche/politische Herrschaftsmacht berührt werden640. Im Folgenden wird versucht, diesen gemeinsamen Daseinsgrund von Demokratie und Wettbewerbsschutz in aktuellen kartellrechtspraktischen Überlegungen und Entscheidungen sichtbar zu machen. Hierfür wird versucht, exemplarisch zu ermitteln, ob sich der Gedanke erkennbar niederschlägt, dass mit dem Wettbewerb mehr als eine „entleerte“/ „rein wirtschaftliche“ Freiheitsdimension, geschützt werden soll. Für diese Untersuchung werden jüngere Entwicklungen aus dem Bereich der Digitalwirtschaft beziehungsweise der Plattformökonomie betrachtet. Dieses Referenzgebiet wird aus den folgenden Gründen gewählt: 640  Siehe zum Ganzen – zur Privatrechtsgesellschaft bzw. zur Interdependenz als „Abhängigkeit zwischen allen Teilordnungen einer Gesellschaft“ (M. E. Streit, Die Interdependenz der Ordnungen – Eine Botschaft und ihre aktuelle Bedeutung, in: Ordnung in Freiheit, 1992, S. 5 [5]) voneinander: Fünftes Kapitel.



A. Spiegelung der Überlegungen in aktuelle Entwicklungen159

II. Die Plattformwirtschaft als besonders geeignetes Referenzgebiet für die Ermittlung der rechtspraktischen Relevanz des Verhältnisses von Demokratie und Kartellrecht Durch die Entwicklung des Internets beziehungsweise des Digitalen sind neuartige Geschäftsmodelle möglich geworden, welche die gesamte Wirtschaft tiefgreifend verändern: Giganten der Digitalwirtschaft wie Amazon, Google641, Facebook und Apple nutzen „Online-Plattformen als ihr zentrales Geschäftsmodell“642. Die Nutzung von Daten spielt hierbei eine Schlüsselrolle643 (siehe dazu näher unten Abschnitt C.I.). Im Bereich der Digitalwirtschaft ballt sich der Einfluss bei einigen wenigen Unternehmen644 – das Ausmaß, in dem von hier aus sowohl die restliche Digitalwirtschaft als auch die eher „analogen“ Wirtschaftsbereiche645 beeinflusst werden, lässt sich kaum überschätzen646. 641  Für die Zwecke dieser Arbeit wird der Begriff Google auch für deren Muttergesellschaft Alphabet Inc. verwendet, wie es dem gängigen Sprachgebrauch entspricht. Diese Begriffsverwendung findet sich zum Beispiel auch bei A. Ezrachi/ M. E. Stucke, How Digital Assistants can harm our economy, privacy, and democracy, in: Berkeley Technology Law Journal 32 (2017), S. 1239 (1241). 642  R. Hoffer/L. A. Lehr, Onlineplattformen und Big Data auf dem Prüfstand – Gemeinsame Betrachtung der Fälle Amazon, Google und Facebook, in: NZKart 2019, S. 10 (11; Hervorhebungen im Original, M.S.). 643  Siehe z. B. nur R. Podszun/C. Kersting, Modernisierung des Wettbewerbsrechts und Digitalisierung, in: NJOZ 2019, S. 321 (321), welche die „Digitalisierung der Wirtschaft“ durch die „Nutzung von Daten, den Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz sowie den Aufstieg von Plattformen [geprägt]“ sehen und darauf hinweisen, dass viele Bereiche dadurch „einem umfassenden Strukturwandel unterliegen“; sowie Podszun/Kersting, Modernisierung, ebd., S. 321: „datengetriebene Geschäftsmodelle [haben], etwa bei Facebook oder Google, im Bereich der zielgruppenspezifischen Werbung (‚targeted advertising‘) oder bei der Zusammenführung von Anbietern und Nachfragern bestimmter Güter […] eine überragende Bedeutung gewonnen“. 644  Siehe zum Beispiel J. Furman u. a., Unlocking digital competition. Report of the Digital Competition Expert Panel, March 2019 („Furman Report“), S. 22 nennt Google, Facebook, Amazon und Microsoft; ähnlich z. B. B. Kolany‑Raiser/S. Uphues/ V. Vogt, Onlinemedien und digitale Plattformen, in: B. Kolany-Raiser/R. Heil u. a. (Hrsg.), Big Data. Gesellschaftliche Herausforderungen und rechtliche Lösungen, 2019, S. 167 (168); sie nennen hier Google, Apple, Facebook und Amazon. 645  Exemplarisch zum Kräftemessen zwischen Amazon und Walmart, A. Ezrachi/ M. E. Stucke, Virtual Competition. The promise and perils of the algorithm-driven economy, Cambridge [MA]/London 2016, S. 11 ff. 646  Deutlich A. Ezrachi/M. E. Stucke, Competition Overdose. How Free Market Mythology Transformed Us from Citizen Kings to Market Servants, New York 2020, S. 192 ff., welche insbesondere Google und Facebook (aber auch andere, wie Ama-

160 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Interessant für diese Arbeit ist, dass die Diskussion um die Herausforderungen, vor welche die großen Unternehmen der Digitalwirtschaft und die von ihnen betriebenen „datengetriebene[n] ‚Ökosysteme‘ “647 den Staat und die Gesellschaft stellen, eine weitere Ebene hat: Allenthalben werden – neben den Auswirkungen auf die Wirtschaft – gerade auch die Auswirkungen auf die Bürger beziehungsweise auf die Gesellschaft skeptisch beäugt; die neuartigen Phänomene werden interessanterweise gerade mit einem sorgenvollen Blick auf die Demokratie diskutiert648. Die Beleuchtung jüngerer kartellrechtlicher Entwicklungen im Wirtschaftsfeld der Plattformökonomie dient hier dazu, die Rolle des Kartellrechts in den Kontext dieser gesellschaftspolitischen Diskussion649 einzuordnen. In zon – siehe Ezrachi/Stucke, ebd., S. 220) aussagestark als „Gamemaker“ bezeichnen und ihnen attestieren (Ezrachi/Stucke, Overdose, ebd., S. 193): „Their vast wealth, power, and sophistication elevate them to the level of Gamemakers – architects of their own competitive environment“; A. De Franceschi/R. Schulze, Digital Revolution – New Challenges for Law: Introduction, in: dies. u. a. (Hrsg.), Digital Revolution – New Challenges for Law, 2019, S. 1 (5) bescheinigen allgemeiner: „online platform business models […] have a disruptive effect on the traditional market models.“ 647  H. Schweitzer/J. Haucap/W. Kerber/R. Welker, Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen. Endbericht, 2018, S. 17 f., https://www.bmwi. de/Redaktion/DE//Wirtschaft/modernisierung-der-missbrauchsaufsicht-fuer-markt maechtige-unternehmen.pdf?__blob=publicationFile&v=15 (1.4.2021); der Ausdruck wird hier für „in komplexe Wertschöpfungsnetze“ integrierte Produkte und Dienste verwendet; beispielhaft für eine ähnliche Begriffsverwendung („ecosystem“): Furman u. a., competition (Fn. 644), S. 40, 32; Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1263. 648  Weiterführend C. Pentzold/L. Fölsche, Die öffentliche Verhandlung von Big Data in politischen Kampagnen, Abida Gutachten 2018, https://www.abida.de/sites/ default/files/ %20Gutachten %20Digitaler %20Demos.pdf (20.4.2021), S. 49  ff.; die Diskussion bezieht sich insb. auf die individuelle Ansprache Einzelner mittels Inhalten mit offensichtlicher Relevanz für die politische Meinungsbildung der Individuen; siehe Pentzold/Fölsche, Verhandlung, ebd., S. 52: „Unbewusste Manipulation und eine dadurch entstehende Untergrabung [sic] demokratischer Willensbildung werden insgesamt am häufigsten als Gefahr von Big-Data-Anwendungen angeführt“. Siehe zudem zum Diskussionstand mit Blick auf die Aktivierung bzw. Deaktivierung von bestimmten Wählergruppen Pentzold/Fölsche, Verhandlung, ebd., S. 53 ff. Interessant und weiterführend zur „Big-Data-gestützte[n] Verhaltensbeeinflussung“ (M. v. Grafenstein/J. Hölzel/F. Irgmaier/J. Pohle, Nudging. Regulierung durch Big Data und Verhaltenswissenschaften, ABIDA Gutachten, 2018, S. 11), v.  Grafenstein/Hölzel/Irgmaier/Pohle, Nudging, ebd., S. 38 ff., 58 f., m. w. N., https://www.abida.de//default/ files/ABIDA-Gutachten_Nudging.pdf (1.4.2021). 649  Interessanterweise wird beim Blick auf Machtballungen bei den Internetriesen im Kontext der in den USA eingeleiteten Antitrust-Verfahren ein Zusammenhang von Demokratie und Kartellrecht teilweise explizit angemerkt; hierbei wird insbesondere auf den Standard Oil Fall (weiterführend Standard Oil Co. of New Jersey v United States, 221 U.S. 1 [1911], https://supreme.justia.com/cases/federal/us/221/1/) rekurriert, beispielhaft S. Miller, A US antitrust suit might break up Google. Good – it’s the



B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs161

den Fokus gerät dabei die Aufgabe des Kartellrechts, die Freiheit des Individuums vor Macht zu schützen, die in der Sphäre der Wirtschaft entsteht und welche aus dieser heraus an den Menschen herantritt (s. o.). Besonderen Anlass für die Annahme der Ergiebigkeit des Referenzgebietes der Plattformwirtschaft gibt die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs650. Dass der Bundesgerichtshof hier die Wahlfreiheit des Nutzers zum Dreh- und Angelpunkt werden lässt651, macht die Entscheidung vor dem Hintergrund der hiesigen Ausführungen zur Konsumentenwahlfreiheit/-souveränität besonders interessant.

B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs I. Nähere Untersuchung einiger Aspekte der Facebook-Entscheidung (BGH KVR 69/19) und jüngerer Überlegungen aus dem Kontext der Digitalwirtschaft/ der Online-Plattformen Im Folgenden werden Aspekte der Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH KVR 69/19) herausgegriffen beziehungsweise es wird versucht, die dort geschützte (Wahl-)Freiheit in den Kontext des in dieser Arbeit herausgearbeiteten Zusammenhanges von Demokratie und Kartellrecht einzuordnen652. 1. Hintergrund des Facebook-Verfahrens Im Fall Facebook hebt der Bundesgerichtshof im Eilverfahren mit Beschluss vom 23. Juni 2020653 einen Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf654 auf. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte die aufschiebende Standard Oil of our day, in: The Guardian, 2020, https://www.theguardian.com/ commentisfree/2020/oct/21/google-antitrust-monopoly-power-us-politics (26.2.2021); M. Stoller/S. Sussman, The US government wants to break up Facebook. Good – it’s long overdue, in: The Guardian, 2020, https://www.theguardian.com//2020/dec/11/ us-government-break-up-facebook-long-overdue (26.2.2021). 650  Die Entscheidung BGH KVR 69/19, http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin// document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=d16d94bc6377642fb683bc574f0c8d7b&nr= 109506&pos=0&anz=1 (22.9.2021) wird im Folgenden detaillierter aufgegriffen. 651  BGH KVR 69/19 Rn. 123. 652  Siehe insbesondere Fünftes Kapitel. 653  BGH KVR 69/19, S. 2 – Facebook. 654  Siehe OLG Düsseldorf VI-Kart 1/19 (V), https://www.olg-duesseldorf.nrw.de/// archiv/Pressemitteilungen_aus_2019/20190826_PM_Facebook/20190826-BeschlussVI-Kart-1-19-_V_.pdf (24.9.2021).

162 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Wirkung einer Beschwerde Facebooks gegen eine Entscheidung des Bundeskartellamts im Kartellverwaltungsverfahren gegen Facebook vom 6. Februar 2019655 angeordnet. Das Bundeskartellamt hatte die Nutzungsbedingungen Facebooks angegriffen, in welchen das Unternehmen die Zusammenführung von Daten, die auf facebook.com656 gesammelt werden, mit Daten, die außerhalb von facebook.com gesammelt werden, vorsieht657. Der Bundesgerichtshof lehnt den Antrag Facebooks auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die Verfügung des Bundeskartellamts ab658. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird als „spektakulär“ rezipiert659. Bereits die Entscheidung des Bundeskartellamts wird als Vorreiter angesehen, wenn es darum geht, mit den Mitteln des (Kartell-)Rechts die neuartigen Herausforderungen durch die Digitalwirtschaft anzugehen – von ihr geht eine Impulswirkung für die kartellrechtliche Beschäftigung mit den Herausforderungen auf internationaler Ebene aus660. 655  Bundeskartellamt B6-22/16, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Ent scheidung//Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht/2019/B6-22-16.pdf?__blob=publica tionFile&v=8 (24.9.2021). 656  Mit „facebook.com“ werden hier die Internetseiten facebook.com und facebook.de sowie die Facebook-App begrifflich zusammengefasst (die Zusammenfassung unter einen Begriff entspricht: Bundeskartellamt B6-22/16, S. 2). 657  Detaillierter s. u., Abschnitt B.II. 658  BGH KVR 69/19, S. 2; siehe zu weiteren Entwicklungen in dem Verfahren z. B. H.‑J. Bunte, Facebook im Eilverfahren II – Entgegnung auf Rainer Bechtold, in: NZKart 2021, S. 74 (74 ff.); das OLG Düsseldorf verhandelte am 24.3.2021, es wird seine Entscheidung aber erst nach Vorlage an den EuGH hinsichtlich der Frage treffen ob ein Verstoß gegen die DSGVO auch einen Marktmachtmissbrauch begründet; die Argumentation des BGH, die in der vorliegenden Arbeit analysiert wird und nach der es auf den DSGVO Verstoß nicht entscheidend ankommt (siehe Fn. 663), sieht das OLG Düsseldorf kritisch; siehe Pressemitteilung OLG Düsseldorf, Nr. 9/2021, 24.3.2021, Facebook gegen Bundeskartellamt: Ergebnisse des Verhandlungstermins, https://www.olg‑duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/Presse_aktuell/‌_PM_Facebook 2/.php (20.4.2021). 659  Siehe nur H.‑J. Bunte, Zum Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauch durch Facebook („Facebook II“), in: EWiR 2020, S. 669 (670); T. Schubert, Marktmachtmissbrauch durch Facebook wegen Beschränkung der Wahlfreiheit seiner Nutzer hinsichtlich der Datenverarbeitung, in: GRUR-Prax 2020, S. 463 (463), ordnet die Entscheidungen des Bundeskartellamts, des OLG Düsseldorf sowie des BGH als spektakulär ein; plastisch wird die große Bedeutung der BGH‑Entscheidung in der Analyse R. Podszuns, Der Verbraucher als Marktakteur: Kartellrecht und Datenschutz in der „Facebook“-Entscheidung des BGH, in: GRUR 2020, S. 1268 (1268, 1272). 660  Die Entscheidung basiert zwar auf deutschem Recht, sie findet aber internationale Beachtung; eindrücklich z.  B. Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S. 222: „if Facebook is ordered to offer the benefits of its services in Germany, without its creepy exploitation, then why can’t it do so elsewhere?“; sowie A. Ezrachi/



B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs163

2. Gründe für die Beleuchtung des Facebook-Verfahrens Der Facebook-Fall wird hier auch aus dem Grunde in den Blick genommen, weil er sichtbar macht, wie stark noch darum gerungen wird, in welchen Fällen und mit welcher Begründung der „Datenhunger“ in der digitalen Wirtschaft überhaupt als „Fall für das Kartellrecht“ greifbar werden kann661: Das Bundeskartellamt bejaht die Kartellrechtsrelevanz des gegenständlichen Verhaltens, das Oberlandesgericht Düsseldorf lehnt die Entscheidung des Bundeskartellamts in deutlichem Ton ab662. Der Bundesgerichtshof stützt die Entscheidung des Bundeskartellamts und bejaht den Marktmachtmissbrauch mit einer rechtlichen Begründung, die sich von der Argumentation des Bundeskartellamts etwas unterscheidet – die Wahlfreiheit des Nutzers steht im Mittelpunkt663. Diese Begründung ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders interessant, weil die enge Verbindung zwischen der Konsumentenwahlfreiheit und der individuellen Freiheit des Menschen, in der auch die Idee der Demokratie wurzelt, bereits herausgearbeitet wurde664. Der Aspekt der Wahlfreiheit des Nutzers in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird im Folgenden

V. H. S. E.  Robertson, Competition, Market Power and Third‑Party Tracking, in: World Competition: Law and Economics Review 42 (2019), S. 5 (14), die ausdrücklich das Potential des Facebook-Verfahrens sehen, andere Wettbewerbsbehörden zu beeinflussen; das Verfahren wird z. B. auch erwähnt in: Furman u. a., competition (Fn. 644), S. 43, S. 124; Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1268, attestiert dem Verfahren: „Wohl noch nie hat ein kartellrechtliches Verfahren des BKartA für derart viel Aufsehen in aller Welt gesorgt.“ 661  Ezrachi/Robertson, Competition (Fn. 660), S. 12 identifizieren die Frage „Is privacy a competition problem?“ als Gegenstand einer engagierten Debatte, m. w. N.; u. a. erwähnen sie die Position des Bundeskartellamts im Facebook-Fall für die befürwortende Seite; Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1275, sieht die Debatte um die Frage, „inwiefern Datenschutz ein Thema des Kartellrechts ist“ durch die genuin kartellrechtliche Argumentation des BGH für das Facebook-Verfahren an Relevanz verlieren. 662  OLG Düsseldorf VI-Kart 1/19 (V), S. 7. 663  BGH KVR 69/19 Rn. 123; zu der Abweichung explizit BGH KVR 69/19 Rn. 131, der BGH weist hier darauf hin, dass das Bundeskartellamt seine Entscheidung zwar „vorrangig mit dem Verstoß der untersagten Nutzungsbedingungen gegen datenschutzrechtliche Wertungen begründet hat“, sich aber daraus „ein entscheidungserheblicher Begründungsmangel der angefochtenen Verfügung nicht herleiten [lässt]. Denn auch auf Grundlage der datenschutzrechtlichen Wertungen hat das Bundeskartellamt den Kern des Missbrauchs darin gesehen, dass dem Betroffenen keine ‚echte oder freie Wahl‘ bleibt, die Einwilligung in die Nutzung der ‚Off-Facebook‘-Daten zu verweigern oder zurückzuziehen“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); dazu auch Bunte, Facebook (Fn. 658), S. 75. 664  S. o. Fünftes Kapitel.

164 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

herausgegriffen665 und näher beleuchtet, um den Fall mit dem theoretischen Hintergrund zusammenzudenken.

II. Das gegenständliche Geschäftsverhalten Die Entscheidung betrifft die Nutzungsbedingungen, denen bei der Einrichtung eines Facebook-Kontos zugestimmt werden muss, um das „soziale Netzwerk“ Facebook nutzen zu können666. In den Nutzungsbedingungen ist vorgesehen, dass Facebook solche Daten, die auf facebook.com generiert werden, mit solchen Daten zusammenführen darf, „die sich aus der Nutzung anderer konzerneigener Dienste, sowie aus sonstigen Internetaktivitäten [sic] des Nutzers außerhalb von facebook.com ergeben“667: „die private Nutzung des Netzwerks [wird] von der Befugnis Facebooks abhängig gemacht […], ohne weitere Einwilligung der Nutzer außerhalb von facebook.com generierte nutzer- und nutzergerätebezogene Daten (im Folgenden: ‚Off-Facebook‘Daten‘) mit den personenbezogenen Daten zu verknüpfen, die aus der FacebookNutzung selbst entstehen, und solche verknüpften Daten zu verarbeiten.“668

Diese zusammengeführten Daten können auf verschiedene Arten genutzt werden: einmal um das digitale Umfeld auf facebook.com als „[p]ersonalisiertes Nutzererlebnis“669 mit Blick auf „Personen, Gruppen und Inhalte“670, welche dem Nutzer auf der Facebook-Plattform angezeigt werden, zu individualisieren. Zum anderen wird mit den zusammengeführten Daten den Werbekunden von Facebook ermöglicht, Werbung zu schalten, welche in einem deutlich 665  Die Facebook-Entscheidung soll hier nicht umfassend untersucht werden. Sie wird beleuchtet, um einen Anknüpfungspunkt für die praktische Relevanz der vorausgegangen Überlegungen zum Hintergrund der Konsumentenwahlfreiheit beziehungsweise der Freiheit von privater Macht/Fremdbestimmung zu ermitteln. 666  BGH KVR 69/19 Rn. 4. 667  BGH KVR 69/19 Rn. 4 (Hervorhebung im Original, M.S.); siehe auch BGH KVR 69/19 Rn. 6; hier fasst der BGH die Entscheidung des Bundeskartellamts zusammen; stark verkürzt gesagt, ist der Schlüssel für die Erhebung von Daten auf unternehmensfremden Internetseiten, Apps usw., dass Facebook den Betreibern solcher Internetseiten sogenannte Facebook Business Tools (siehe Bundeskartellamt B622/16, 6.2.2019, S. 2) zur Verfügung stellt (siehe detailliert zu den Business Tools, Bundeskartellamt B6-22/16, 6.2.2019, Rn. 50 ff. [insb. Rn. 50 dazu, dass die Bereitstellung ohne „monetäres Entgelt“ erfolgt], 100). 668  BGH KVR 69/19 Rn. 53 (Hervorhebungen im Original, M.S.). 669  Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 690 f.; siehe auch BGH KVR 69/19 Rn. 24, 58 ff. 670  Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 691.



B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs165

höheren Grade personalisiert ist, als wenn der analysierte Datensatz kleiner wäre – durch die Zusammenführung mit den Off-Facebook-Daten steigen die Erkenntnismöglichkeiten671 und auch die Preise, die im Auktionsverfahren für Werbung erzielbar sind672. Diese personalisierte Werbung kann den Nutzern sowohl auf facebook.com selbst wie auch andernorts begegnen – zum Beispiel ebenso auf dem zu Facebook gehörenden Instagram wie über das „Facebook Audience Network“ auch auf Internetseiten beziehungsweise Apps anderer Betreiber673.

III. Der Missbrauch von Marktmacht und die Wahlmöglichkeit des Nutzers Der Bundesgerichtshof sieht einen Verstoß gegen das Marktmachtmissbrauchsverbot des § 19 I GWB durch die in den Nutzungsbedingungen vorgesehene Datenzusammenführung674. Facebook ist auf dem nationalen Markt für „soziale Netzwerke“ marktbeherrschend675. Den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung sieht der Bundesgerichtshof im Kern in dem Aufdrängen einer Leistungserweiterung676 und der damit einhergehenden Verwehrung der Wahlfreiheit des Nutzers677. 671  BGH KVR 69/19 Rn. 62: „Der Wert und die Erkenntnismöglichkeiten aus jedem einzelnen Datenelement erhöhen sich mit der Zunahme der Menge an den zur Verfügung stehenden anderen Daten“. 672  BGH KVR 69/19 Rn. 62; die Schaltung solcher Werbung ist auktionsbasiert – explizit Bundeskartellamt Facebook, B6-22/16 Rn. 42; siehe generell zum Geschäftsmodell in Bezug auf Werbung, die auf Basis von Verhaltensdaten personalisiert wird: Abschnitt C.I.2., dort insb. zur Höhe der Gebote Fn. 716. 673  Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 37 ff., insb. 37: „Facebook finanziert sein soziales Netzwerk durch Online-Werbung, die gegenwärtig auf Facebook.com, Facebook Messenger, Instagram sowie auf über Schnittstellen (das sog. Audience Network SDK) verbundenen Drittwebseiten, [sic] dem Werbenetzwerk von Facebook, dem ‚Facebook Audience Network‘, angehören, geschaltet werden kann“; Autorité de la concurrence opinion 18 A 03 of 6 March 2018 on Data Processing in the online ­advertising sector, https://www.autoritedelaconcurrence.fr////integral_texts/2019-10/ avis18a03_en_.pdf (1.4.2021), S. 54 f.; z. B. auch ACCC (Australian Competition & Consumer Commission), Digital Platforms Inquiry, Final Report, 2019, https://.accc. gov.au//digital-platforms-inquiry-final-report (20.4.2021), S. 124; siehe zu den Werbenetzen insbesondere von Google und Facebook auch Fn. 702, Fn. 714. 674  BGH KVR 69/19 Rn. 55 f. 675  BGH KVR 69/19 Rn. 14; siehe bereits Bundeskartellamt B6‑22/16 Rn. 165 und OLG Düsseldorf VI-Kart 1/19 (V), S. 7. 676  Siehe BGH KVR 69/19 Rn. 59; siehe auch Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1270; der hervorhebt, dass es sich bei der „aufgedrängten Leistungserweiterung“

166 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

IV. Weitere Aspekte der Argumentation des Bundesgerichtshofs 1. Die Wettbewerbsschädlichkeit der Leistungsaufdrängung und die Kausalität Neben dem Aufdrängen der Leistung/dem Entzug der Wahlfreiheit ist eine Wettbewerbsschädlichkeit für das Vorliegen eines Missbrauchs erforderlich: der Bundesgerichtshof thematisiert hier zum einen a) die Ausbeutung der Nutzer und zum anderen b) eine Behinderung des Wettbewerbs und sieht beides als gegeben an678. Als Begründung für die Ausbeutung der Marktteilnehmer führt der Bundesgerichtshof an, dass die gegenständlichen Konditionen zu einem wettbewerbswidrigen Marktergebnis führen679. Der Bundesgerichtshof führt ins Feld, dass sich 46 % der Nutzer ein soziales Netzwerk wünschen, das weniger Datenpreisgabe fordert680 und kommt demnach zu dem Schluss: „Es wäre zu erwarten, dass bei funktionierendem Wettbewerb, […] auf dem Markt für soziale Netzwerke ein Angebot verfügbar wäre, das Nutzerpräferenzen für eine stärkere Autonomie bei der Gestattung des Zugriffs auf Daten, die ihre Internetnutzung in ihrer Gesamtheit weitgehend abbilden, Rechnung trüge und den Nutzern die Wahl ließe, ob sie das Netzwerk mit einer intensiveren Personalisierung des Nutzungserlebnisses verwenden wollen, wie sie mit der Verarbeitung von ‚OffFacebook‘-Daten einhergeht, oder ob sie sich nur mit einer Personalisierung einverstanden erklären wollen, die auf Daten beruht, die sie bei Nutzung des Angebots (BGH KVR 69/19 Rn. 59) um eine vom BGH in dieser Entscheidung neu konstruierte Fallgruppe des § 19 I GWB handelt. 677  BGH KVR 69/19 Rn. 58: „Die kartellrechtliche Relevanz […] ergibt sich daraus, dass die privaten Nachfrager […] eine für sie unverzichtbare Leistung nur zusammen mit einer […] unerwünschten Leistung erhalten […]. Ihnen wird keine Wahlmöglichkeit gelassen, ob sie das Netzwerk mit einer intensiveren ‚Personalisierung des Nutzungserlebnisses‘ verwenden wollen, die mit einem potentiell unbeschränkten Zugriff auf Charakteristika auch ihrer ‚Off-Facebook‘-Internetnutzung durch Facebook verbunden ist, oder ob sie sich nur mit einer Personalisierung einverstanden erklären wollen, die auf den Daten beruht, die sie auf facebook.com selbst preisgeben.“ (erste Hervorhebung durch die Verfasserin, zweite Hervorhebung im Original, M.S.). 678  BGH KVR 69/19 Rn. 64, die Details der Argumentation können hier nicht beleuchtet werden; weiterführend zum Beispiel die gute Analyse der Argumentation des BGH bei Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S.  1270 ff. 679  BGH KVR 69/19 Rn. 84 ff. 680  Zum Hintergrund: „46 % der Facebook-Nutzer haben erklärt, in ‚weniger preisgegebenen Daten‘ einen Grund zu sehen, um statt Facebook einen anderen Dienst verstärkt zu nutzen […]. 38,5 % der Nutzer haben sogar ihre Bereitschaft bekundet, als Ausgleich für den Verzicht auf die Datenerhebung ein Entgelt für die Nutzung des sozialen Netzwerks zu bezahlen.“ – BGH KVR 69/19 Rn. 85 (Hervorhebungen im Original, M.S.).



B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs167 des Plattformbetreibers preisgeben. Eine solche uneingeschränkte Wahlmöglichkeit bietet Facebook nicht an.“681

Der Bundesgerichtshof identifiziert das Fehlen der Wahlmöglichkeit für eine Facebook-Version, welche mit außerhalb von facebook.com erhobenen Daten personalisiert wird, als „nicht (zumindest auch) […] durch Nachfragepräferenzen gesteuert“682. Zwar wird auch bei funktionierendem Wettbewerb nicht immer „sämt­ liche[n] Nachfragepräferenzen Rechnung [ge]tragen“683. Im vorliegenden Fall ist der Bundesgerichtshof aber der Ansicht, dass die Präferenz der privaten Nutzer für die datenreduzierte Nutzungsmöglichkeit bei funktionierendem Wettbewerb Berücksichtigung fände (siehe oben Fn. 681)684. Zudem geht der Bundesgerichtshof zur Begründung der Wettbewerbsschädlichkeit auch noch auf eine Behinderung des Wettbewerbs durch die Nutzungsbedingungen ein und bejaht diese685. Aus Sicht des Bundesgerichtshofs geht die Verwendung der optionslos gestalteten Nutzungsbedingungen auch kausal686 auf die marktbeherrschende Stellung zurück687.

681  BGH

KVR 69/19 Rn. 86 (Hervorhebungen durch die Verfasserin, M.S.). KVR 69/19 Rn. 87. 683  BGH KVR 69/19 Rn. 87. 684  Detaillierter BGH KVR 69/19 Rn. 87 zu Nachfragepräferenzen als Wettbewerbsfaktor (m. w. N.); insb. dazu, dass es hier im Interesse des Netzwerkbetreibers ist, die private Nutzer zu erreichen, weil hierdurch die Attraktivität gegenüber Werbekunden erhöht wird – hier liegt ein sogenannter zweiseitiger Markt (z. B. BGH KVR 69/19 Rn. 62, 79) vor, bei dem auf einer Marktseite die Werbekundengruppe steht und auf der anderen Seite die Gruppe der privaten Nutzer; siehe auch Bundeskartellamt B6-22/16, Rn. 214 ff. 685  BGH KVR 69/19 Rn. 92 ff.; der BGH thematisiert dies mit Blick auf den Markt für soziale Netzwerke sowie den Markt für Online-Werbung; interessant zudem Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1271 der die besondere Bedeutung dieses Aspekts für die kartellrechtliche Erfassung mehrseitiger Märkte betont. 686  Auf den – gerade im Fall Facebook diskutierten – Streitstand zu der Frage der Kausalität im Falle eines Konditionenmissbrauchs geht der BGH ein: KVR 69/19 Rn. 65 ff., m. w. N.; siehe hier (BGH KVR 69/19 Rn. 65 ff., insb. 72 ff.) auch detailliert zur Erfüllung der Anforderungen an die Kausalität im vorliegenden Fall; anders OLG Düsseldorf VI‑Kart 1/19 (V), S. 19; weiterführend zum Kausalitätserfordernis im Kontext der Facebook-Entscheidung z. B. Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S.  1271 f. 687  BGH KVR 69/19 Rn. 72; nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann die Kausalität jedenfalls „nicht verneint werden“, wenn (wie hier, siehe oben Fn. 676) eine „aufgedrängte Leistungserweiterung zu einem Marktergebnis zu Lasten der Nachfrager, das bei funktionierendem Wettbewerb nicht zu erwarten wäre, und gleichzeitig zu einer Behinderung des Wettbewerbs führt“ (BGH KVR 69/19 Rn. 65). 682  BGH

168 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

2. Fazit Die Wahlmöglichkeit des Nutzers bildet das Kernargument der Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Das Gericht argumentiert, dass die privaten Nutzer bei funktionierendem Wettbewerb die Option hätten, sich für die Nutzung eines sozialen Netzwerks in einer (weniger personalisierten) Version zu entscheiden, für welche die Daten zur Individualisierung nicht mit außerhalb des Angebots des Plattformbetreibers erhobenen Daten kombiniert werden.

V. Weitere Analyse von Aspekten der Facebook-Entscheidung 1. Die Gegenleistung als Stein des Anstoßes bei der fehlenden Wahlmöglichkeit Eine Facebook-Version, welche auch unter Verwendung von Off-Facebook-Daten individuell zugeschnitten wird, ist aus Sicht des Bundesgerichtshofs eine „aufgedrängte erweiterte Leistung“688 (siehe oben) – für welche die Zusammenführung mit außerhalb von Facebook generierten Daten als „Ge­ genleistung“689 verstanden wird: „kartellrechtliche Bedenken [ergeben sich] – vorbehaltlich einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls […] – daraus, dass durch das Aufdrängen einer unerwünschten Leistung die Gegenleistung für die erwünschte Leistung (nämlich die Nutzung des sozialen Netzwerks) in Gestalt der Zurverfügungstellung personenbezogener Nutzerdaten, die einen wesentlichen Wettbewerbsparameter für die weitere Marktseite darstellen, erhöht wird“690.

Zum Stein des Anstoßes bei der fehlenden Möglichkeit, die Leistung den eigenen Wünschen entsprechend auszuwählen, wird damit gerade auch die mit der aufgedrängten Leistung verbundene Gegenleistung691.

688  BGH

KVR 69/19 Rn. 97. BGH KVR 69/19 Rn. 97, 59, 62. 690  BGH KVR 69/19 Rn. 59 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 691  Dies wird auch deutlich, wenn der BGH gerade kritisiert, dass die „Nutzer einen Zugriff von Facebook auf ihre ‚Off-Facebook‘-Daten unabhängig davon hinnehmen müssen, ob ihnen der erweiterte Leistungsumfang diese Gegenleistung wert ist.“; BGH KVR 69/19 Rn. 97 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). 689  Siehe



B. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs169

2. Die Wahlmöglichkeit in der Interessenabwägung Der Bundesgerichtshof räumt dem Interesse der Nutzer an dieser konkreten Auswahlmöglichkeit692 in der Interessenabwägung693 – hier unter Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung694 – ein höheres Gewicht ein, als dem Interesse Facebooks an der Gestaltung der Nutzungsbedingungen nach „eigenen Vorstellungen“695 beziehungsweise Facebooks Interes­se an der Zusammenführung der Daten zum finanziellen Vorteil696. Da bei funktionierendem Wettbewerb die Möglichkeit einer Nutzung ohne eine Zusammenführung der Daten zur Wahl stünde (siehe oben), soll diese Wahlmöglichkeit den Nutzern nunmehr auf Basis des § 19 I GWB ermöglicht werden: „Die Wahlfreiheit der Verbraucher wird typischerweise durch den wettbewerblichen Prozess und seine Funktion, Angebot und Nachfrage zu koordinieren, gewährleistet. Ist diese Koordinierungsfunktion […] erheblich beeinträchtigt und ist […] nicht zu erwarten, dass der bestehende oder mögliche Restwettbewerb den Präferenzen der Nachfrager absehbar zur Durchsetzung verhilft, kann das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 1 GWB in Abhängigkeit von der Bedeutung der betroffenen Interessen dem marktbeherrschenden Unternehmen besondere Pflichten auferlegen, die den im wettbewerblichen Prozess erwartbaren Wahlmöglichkeiten697 der Abnehmer Rechnung tragen“698. 692  Ein soziales Netzwerk/eine Version eines sozialen Netzwerks wählen zu können, das mit weniger Datenpreisgabe verbunden ist; siehe oben Fn. 677; explizit benennt der BGH in der Interessenabwägung (BGH KVR 69/19 Rn. 121) das „Interesse der Nutzer […], die Verarbeitung ihrer Daten auf das für die Nutzung des sozialen Netzwerks erforderliche Maß beschränken zu können“. 693  BGH KVR 69/19 Rn. 98 ff.; eine detaillierte Analyse der Interessenabwägung in dieser Entscheidung findet sich bei Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S.  1272 f. 694  BGH KVR 69/19 Rn. 104; zur Berücksichtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bzw. zur Auslegung der Generalklausel mit Blick auf dieses Recht § 19 I GWB siehe näher BGH KVR 69/19 Rn. 103 ff.; insb. Rn. 109 zur Rolle der DSGVO im Verhältnis zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 695  BGH KVR 69/19 Rn. 121. 696  BGH KVR 69/19 Rn. 121, 110; insbesondere argumentiert der BGH, dass die Datenverarbeitung „über das für die Benutzung des sozialen Netzwerks erforderliche Maß hinaus“ reicht, siehe dazu auch BGH KVR 69/19 Rn. 58, 100. 697  Der BGH verweist mit Blick auf die Wahlfreiheit als Schutzzweck des Wettbewerbsrechts auf J. Crémer/Y.-A. de Montjoye/H. Schweitzer, Competition Policy for the digital era. Final report, 2019, Europäische Kommission, Generaldirektion Wettbewerb (Hrsg.), S.  77, https://ec.europa.eu/competition/publications/reports/kd041 9345enn.pdf (1.4.2021) – der Bezug erfolgt wohl auf die Stelle: „Competition law […] can have the effect to protect and promote the individuals’ choice also with a view to privacy policies“; siehe dort zur Wahlfreiheit zudem Crémer/de Montjoye/ Schweitzer, Competition Policy, ebd., S. 73, 64. 698  BGH KVR 69/19 Rn. 123 (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.).

170 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

3. Fazit Die Schaffung einer bestimmten Auswahlmöglichkeit mit Hilfe des § 19 I GWB basiert hier darauf, dass auch ein funktionierender Wettbewerb eine solche Option hervorgebracht hätte. Auch wenn es im hiesigen Fall gerade um die Wahlmöglichkeit speziell für eine „datenreduzierte“ Leistung (beziehungsweise Gegenleistung) geht, sprich eine Option gegen die Zusammenführung von Daten, korrigiert der Bundesgerichtshof hier mit Hilfe des Kartellrechts in erster Linie das Fehlen der Wahlmöglichkeit – was grundsätzlich auch in Fällen ohne Bezug zur Datenverarbeitung denkbar ist.

C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität/-wahlfreiheit – Bezug zum Hintergrund des Kartellrechts Das gegenständliche Verhalten Facebooks wird im Folgenden im ersten Schritt als Ausprägung eines weitreichenden und erfolgreichen Geschäftsmodells im digitalen Raum eingeordnet. Die Entscheidung des Marktteilnehmers für oder gegen die Gegenleistung – im Facebook-Fall in Gestalt der Zusammenführung/Preisgabe von Daten – wird als Teil der subjektiv/individuellen Seite der Marktentscheidung (siehe dazu bereits oben, Kapitel Fünf) eingeordnet. Die Teilnahme an dem Geschäftsmodell wird zudem kurz hinsichtlich deren Folgen für die Wahlfreiheit in anderen Marktsituationen betrachtet.

I. Der Facebook-Fall als Erscheinungsform eines um sich greifenden Geschäftsmodells Das beschriebene Verhalten Facebooks lässt sich als eine Erscheinungsform eines von S. Zuboff behandelten Phänomens699 einordnen700. Dieses Phänomen wird im Folgenden kurz umrissen. 699  S. Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, 2018, S. 27 beschreibt die jüngeren Entwicklungen in der Digitalwirtschaft als: „das Beispiellose“; sie identifiziert ein Phänomen, das auf dem Sammeln und Analysieren von Daten beruht und das von ihr als „Überwachungskapitalismus“ bezeichnet wird, siehe Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 22 ff.; etwas detaillierter s. u., Abschnitt C.I.2. 700  Auch Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S. 194 f. ordnen den Facebook-Fall in den Kontext von Zuboffs Überwachungskapitalismus ein; eine ähnliche Richtung hat es, wenn Mörsdorf – zwar ohne Bezug auf Zuboff – die „weit über den konkreten Fall hinausgehende Bedeutung“ der Facebook-Entscheidung des BGH hervorhebt und „mit dem Vorwurf des Marktbeherrschungsmissbrauchs letztlich das die gesamte



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität171

1. Das Sammeln und Analysieren von Daten als Quelle massiver finanzieller Gewinne Das Sammeln und die Analyse701 von Daten ist wichtiger Teil des Geschäftsmodells der Internetgiganten. Dies gilt unabhängig von der betriebenen Plattformart – und damit beispielsweise gleichermaßen für Plattformen, die als Suchmaschine (wie Google), als soziales Netzwerk (wie Facebook) oder als Verkaufsplattform (wie Amazon) ausgestaltet sind702. Der Begründungsversuch der Unternehmen für die Wünschbarkeit des Datensammelns und Analysierens lautet insbesondere, dass den Nutzern mit Hilfe von „Big Data“ und „Big Analytics“703 ein immer attraktiveres Umfeld geboten werden kann, das auf die ausgesprochen genau ermittelten Wünsche und Interessen der Nutzer abgestimmt ist: das Stichwort ist hier die Personalisierung der digitalen Umgebung704. Plattformökonomie prägende Geschäftsmodell ‚Leistung gegen Daten‘ auf dem Prüfstand“ stehen sieht (O. Mörsdorf, Im Bermudadreieck zwischen Datenschutz und Kartellrecht – Das Geschäftsmodell der digitalen Plattformökonomie auf dem Prüfstand, in: ZIP 2020, S. 2259 [S. 2261]). 701  Die Analyse der Daten ist so entscheidend, dass Ezrachi/Stucke, Virtual Competition (Fn. 645), S. 11 ff., die Wendung „Big Data“ inzwischen regelmäßig durch „Big Analytics“ ergänzen (beispielhaft Ezrachi/Stucke, Virtual Competition [Fn. 645], S.  15 f.). 702  So stammen insbesondere die Umsatzerlöse von Google und Facebook zum größten Teil aus deren Betätigung im Bereich personalisierter Werbung; siehe Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S. 210 m. w. N.; sie erwähnen hier auch, dass Amazon beim Betrieb eines Werbenetzes der nächste Wettbewerber von Google und Facebook ist. Eindrücklich zu Googles und Facebooks Rolle im Bereich der Online-Werbung Autorité de la concurrence opinion 18-A-03 (Fn. 673), S. 4 ff., dazu auch S. 39 m. w. N.; zu den Dimensionen des Werbegeschäfts bei Google im Verhältnis zu anderen Geschäftsbereichen siehe Form 10-K, Annual Report pursuant to section 13 or 15(d) of the Securities Exchange Act of 1934. For the fiscal year ended December 31, 2020, Alphabet Inc., S. 33, https://abc.xyz/investor/static/pdf/‌_alphabet_10K.pdf?=d (5.4.2021); sowie bei Facebook Form 10-K, Annual Report pursuant to section 13 or 15(d) of the securities exchange act of 1934, Form 10-K. For the fiscal year ended December 31, 2020, Facebook, Inc., S.  52: https://d18rn0p25nwr6d.cloudfront. net//7 fa7 f-1a51-4ed9-b9df-7 f42cc3321eb.pdf (5.4.2021). 703  Siehe oben (Fn. 701). 704  Siehe beispielhaft zur Argumentation für die Nutzung von „Google Now“ (einem digitalen Assistenten) Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 294 f. m. w. N. Die Personalisierung kann unterschiedliche Aspekte haben – so kann sie z. B. darüber entscheiden, ob und in welcher Reihenfolge Inhalte wie Nachrichten, Werbung oder Suchvorschläge auf einer Internetseite angezeigt werden; siehe z. B. Kolany-Raiser/Uphues/ Vogt, Onlinemedien (Fn. 644), S. 180; eindrücklicher Überblick zur Personalisierung insb. persönlicher „Assistenten“ Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 293 ff.; eindrücklich zum Ausmaß der Personalisierung auf Basis von Verhaltensdaten auch Ezrachi/Robertson, Competition (Fn. 660), S. 5 ff. (Ezrachi/Robertson, Competition [Fn. 660],

172 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

2. Verkauf von „Vorhersageprodukte[n]“705 Zuboff identifiziert das Modell, mit dem insbesondere Google und Facebook, aber auch weitere Unternehmen massive Gewinne generieren706; es lässt sich verkürzt wie folgt skizzieren: Beim Besuch von Internetseiten und dem Gebrauch von Geräten, welche mit dem Internet verbunden sind, können Daten über das Verhalten der Nutzer gesammelt werden707. Diese können mit dem Ziel gebündelt werden, das Verhalten des Indivi­ duums708 sehr genau zu analysieren. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse kann versucht werden, Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Verhaltens des Nutzers in bestimmten Situationen zu treffen: Es geht darum, möglichst genau – auch auf den Zeitpunkt bezogen – „vorhersagen“ zu können, wie eine Person sich verhalten wird, wenn sie einer bestimmten Situation ausgesetzt sein wird709.

S. 5: „Targeted ads, targeted news, targeted goods and services. ‚Targeted everything‘ is the new norm“). Zu beachten ist jedoch: auch wenn Inhalte wirklich den Interessen einer Nutzerin entsprechen, möchte sie entsprechende Inhalte unter Umständen trotzdem nicht vorrangig angezeigt bekommen – mit Blick auf personalisierte Werbung explizit Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 221: „die ganz überwiegende Mehrheit der befragten Nutzer [sieht] zielgerichtete Werbung als negativ oder jedenfalls als neutral an[sieht]“; andere Sicht Facebooks: B6-22/16 Rn. 691. 705  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 119. 706  Das von Zuboff identifizierte Geschäftsmodell wurde von Google erfunden – Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 85; andere folgten nach, „der Überwachungskapitalismus [wurde] rasch zum Standardmodell des Informationskapitalismus im Web“ – Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 116 m. w. N.; explizit zu Facebook, S.  115 f. 707  Es lässt sich eine Tendenz beobachten, Alltagsgegenstände mit Sensoren auszustatten; eindrücklich Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 271 ff. die Dimensionen reichen von „intelligenten“ Thermostaten über Staubsauger und Matratzen (S. 272 ff.) etc.; interessant zu Fitness Trackern z. B. R. Reichert, Die Vermessung des Selbst. SelfTracking in der digitalen Kontrollgesellschaft, in: M. Friedewald/J. Lamla/A. Roßnagel (Hrsg.), Informationelle Selbstbestimmung im digitalen Wandel, 2017, S. 91 (91 ff.). Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 283 weist auf darauf hin, dass das Bestreben, internetfähige Sensoren in Alltagsgegenstände zu integrieren, um Daten zu sammeln, Google sogar bereits dazu gebracht hat „internetfähige Gewebe“ zu entwickeln, damit Sensoren in Kleidung eingearbeitet werden können, m. w. N. 708  Zur Ausrichtung der Analysen auf das Individuum siehe z. B. Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S.  204 f.; D. Geradin/D. Katsifis, An EU competition law analysis of online display advertising in the programmatic age, in: European Competition Journal 15 (2019), S. 55 (62); Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S.  117 ff. 709  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 119 f. (hier mit Blick auf Google): „Maschinenintelligenz verarbeitet Verhaltensüberschuss zu Vorhersageprodukten, was wir jetzt, bald und irgendwann fühlen, denken und tun“ (Hervorhebung im Original, M.S.).



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität173

Andere Unternehmen haben naturgemäß ein großes Interesse an diesen Aussagen über wahrscheinliches Verhalten des Individuums: sie möchten im richtigen Moment bei der richtigen Person in Erscheinung treten – in Form personalisierter, auf Verhaltensdaten basierender Werbung – Werbung lohnt sich mehr, wenn der Adressat mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Käufer wird710. Unternehmen, welche für sich werben möchten, streben also nach dem Wissen derjenigen Unternehmen, welche die Daten sammeln, bündeln, analysieren und daraus „Vorhersageprodukte“711 produzieren und diese verkaufen (im Folgenden als „Wissensunternehmen“ bezeichnet). Zuboff beschreibt einen Markt für „Vorhersageprodukte“, auf dem die Kunden der Wissensunternehmen deren Aussagen über die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens kaufen712. Die Kunden der Wissensunternehmen geben hier Gebote auf Werbeplätze ab, so dass im passenden Moment bei der richtigen Person ihre Werbung geschaltet wird713. Es ist möglich, dass die Werbung auf den Seiten/Anwendungen des Wissensunternehmens selbst erscheint, sie kann aber auch an Werbeplätzen andernorts (zum Beispiel auf Drittwebseiten) angezeigt werden, wenn diese Plätze einem Werbenetz zugehörig sind, welches von einem Wissensunternehmen betrieben wird714. 710  Zum Beispiel Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 120; Werbung, deren Anzeige auf Verhalten des Adressaten der Werbung im Vorfeld basiert, wird in der Werbesprache als „behavioral advertising“ bezeichnet: Ezrachi/Stucke, Competition Overdose (Fn. 646), S. 194. 711  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S.  119 f.; s. o. 712  Zum Beispiel Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 120. 713  Ezrachi/Stucke, Competition Overdose (Fn. 646), S. 208: „To target us with bevioral ads, the advertisers bid against each other on the Gamemaker’s advanced real-time automated bidding platform“ m. w. N.; weiterführend zur Funktionsweise des „real-time bidding“ siehe Autorité de la concurrence opinion 18 A 03 6 (Fn. 673), S. 22 f.; interessant v. a. mit Blick auf Googles Rolle auch Geradin/Katsifis, EU competition law analysis (Fn. 708), S. 63 ff.; beachtenswert der Hinweis von Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 120 darauf, dass diese „Verhaltensterminkontrakte[n]“ im Moment zwar in erster Linie mit Blick auf Werbung gehandelt werden, sie aber einen Trend dahingehend ausmacht, dass „jeder Akteur mit einem Interesse am Ankauf probabilistischer Informationen über unser Verhalten und/oder dessen Beeinflussung diese auch kaufen kann“. 714  Siehe zu Facebook bereits Fn. 673; siehe auch Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 37 ff., insb. Rn. 40; die größten Werbenetze werden von Google und Facebook betrieben, dazu z. B. Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S. 208; Google erreicht nach eigenen Angaben mit dem Google Display Network 90 % der Internetnutzer – Google Ads Displaynetzwerk-Kampagnen: https://ads.google.com/intl/_de/home/ campaigns/display-ads/ (2.3.2021); weiterführend insb. Autorité de la concurrence opinion 18 A 03 6 (Fn. 673), S. 6, 9, 18, 53 f.

174 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Die Aussagen über das Verhalten in bestimmten Situationen werden natürlich treffgenauer715, je mehr Daten dem Wissensunternehmen für die Analyse zur Verfügung stehen716. Für das Verständnis der Dimension, die Zuboff dem Phänomen des „Überwachungskapitalismus“ beimisst, ist es wichtig, dass sie dieses Phänomen als deutlich weitergehende Entwicklung begreift, die darauf zielt, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen – gerade um die Treffgenauigkeit (und damit die Lukrativität [siehe oben]) der Aussagen über künftiges Verhalten zu erhöhen. Insbesondere befürchtet sie, verkürzt gesagt, dass Menschen zum Zwecke finanzieller Gewinnsteigerung in einen Kontext versetzt werden, in welchem es sich leichter vorhersehen lässt, dass bestimmte Reize mit hoher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Verhalten auslösen werden717.

II. Die Einschränkung der Wahlfreiheit widerspricht der Idee, mit Hilfe des Wettbewerbsmarkts die Freiheit von privater Macht zu verwirklichen Das vehemente Sammeln von Daten – möglichst viel und möglichst überall – steigert die Präzision der Aussagen über künftiges Verhalten und ist 715  BGH KVR 69/19 Rn. 94: „Je mehr Daten Facebook zur Verfügung stehen, umso genauer ist die Vorhersehbarkeit des Nutzerverhaltens.“ 716  Unternehmen, die Werbung schalten möchten, sind bereit, höhere Gebote abzugeben, je mehr und je aussagekräftigere Daten berücksichtigt wurden Geradin/Katsifis, EU competition law analysis, (Fn. 708), S. 62; dazu auch Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S.  208 f.; Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 120: „je vorhersagekräftiger das Produkt, desto geringer ist das Risiko für den Käufer und desto größer der Absatz“. 717  Weiterführend Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 335 ff.; die verschiedene Beispiele für diese Tendenz gibt. Sie bezieht sich z. B. auf das Spiel Pokémon Go (Zuboff, Zeitalter [Fn. 699], S. 352 ff.) und auf Praktiken des Sportbekleidungsunternehmens Under Armour (Zuboff, Zeitalter [Fn. 699], S. 363 ff.); interessant ist auch, dass Zuboff hier sogar so weit geht und die Entwicklungen vor dem Hintergrund der operanten Konditionierung nach B. F. Skinner betrachtet; weiterführend dazu Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 374 ff.; hier erwähnt sie auch, dass die Idee der Nutzung behavioristischer Verhaltensmodifikationsmittel durch den Staat, auf Ablehnung im gesellschaftlichen Diskurs der USA der 1970er Jahren stieß und zieht eine Parallele zu den Entwicklungen in der Digitalwirtschaft – nur dass dieses Mal die Gefahr von Privaten ausgeht (Zuboff, Zeitalter [Fn. 699], S. 381); Zuboff malt das Szenario aus, dass (zum Beispiel Kauf-)Entscheidungen auf Basis von individuellen Überlegungen abgelöst werden könnten, durch Handeln, das von Reizen ausgelöst ist; in diese Richtung Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 373 f.; siehe auch Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S.  385 ff., wo sie auf den Kontrast zum selbstbestimmten Individuum eingeht (insb. S. 387); Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 439 attestiert im Kontext behavioristischer Methoden eine „Vernachlässigung des menschlichen Verstands“.



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität175

damit auch der Schlüssel zum finanziellen Erfolg der Digitalgiganten im Geschäft mit Online-Werbung (s. o.). Interessant ist, dass das Sammeln, Zusammenführen und Analysieren von Daten aus verschiedensten Quellen auch gegen die Präferenz der Konsumenten zum erfolgreichen Geschäft taugt, wenn die Zusammenführung der Daten an die Nutzung eines marktbeherrschenden Produkts/Dienstes geknüpft ist718. Diese Möglichkeit einzelner Privater, sich über den Willen der Marktteilnehmer hinwegzusetzen, lässt Sorgen in Bezug auf das Wettbewerbsprinzip als Basis unseres Wirtschaftssystems aufkommen: Wie herausgearbeitet wurde, wird der Konsument als Souverän719 des Wettbewerbssystems verstanden. Die Zwangswirkung auf die Individuen durch den Marktmechanismus wird als vertretbar angesehen, weil jedenfalls eine Fremdbestimmung durch den Willen eines anderen konkreten Privaten auf diesem Wege unterbleiben kann720. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Zuboff den Begriff des Überwachungs„kapitalismus“ wählt – so bringt sie zum Ausdruck, dass sie hier kein Geschäftsmodell unter vielen beschreibt, sondern die Kraft des Phänomens für geeignet hält, das Wirtschaftssystem tiefgreifend umzustrukturieren721. 718  Siehe bereits Fn. 681 dazu, dass der Markt bei funktionierendem Wettbewerb solche Angebote generieren würde, die der Präferenz der Nutzer entsprechend weniger datenintensiv sind; den Marktteilnehmern wird verwehrt, ihre subjektiven Erwägungen, ob ihnen die Teilnahme am sozialen Netzwerk die intensive Datenverarbeitung wert ist, maßgeblich in ihre Entscheidung am Markt einfließen zu lassen. Dies kann für jede Leistung bzw. jedes Produkt relevant werden, dessen Verwendung mit einer Zustimmung zur Datenverknüpfung einhergeht. 719  Zum privaten Nutzer als Souverän auch auf dem Markt für soziale Netzwerke ist interessant, dass das Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 246 private Nutzer explizit in der Rolle der Nachfrager sieht: „Der Umstand, dass die Nutzer für die private Nutzung von Facebook.com kein monetäres Entgelt zahlen, ändert nichts an der Tatsache, dass […] die Nutzer […] ökonomisch die Funktion der Nachfrager des Produktes innehaben. […] Der Nutzer bleibt daher der Kunde und Nachfrager auch eines unentgeltlichen Dienstes. […] [D]ie Hingabe von Daten […] kann als Gegenleistung angesehen werden.“ 720  Zum Ganzen detailliert das Fünfte Kapitel. 721  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 227: „ein ungezügelter Überwachungskapitalismus [stellt] eine Bedrohung dar[stellt] – für die Gesellschaft nicht weniger als für den Kapitalismus selbst“; Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 37 kommt zu dem Ergebnis, dass „der Überwachungskapitalismus […] abweicht von der Geschichte des Marktkapitalismus, insofern er sowohl die uneingeschränkte Freiheit als auch das totale Wissen fordert“ (Hervorhebungen im Original, M.S.); Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 36, thematisiert: „die Verwandlung des Markts in ein Projekt totaler Gewissheit“; ähnliche Richtung auch Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 592: „Eine Dritte Moderne, die unsere

176 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Der Einfluss des Geschäftsmodells auf die Grundpfeiler des wettbewerb­ lichen Wirtschaftssystems wird im Folgenden näher ausbuchstabiert:

III. Die Einschränkung der Wahlfreiheit auf erster Stufe und zweiter Stufe Es erscheint hilfreich, die Situation beim Geschäft mit Online-Werbung722 in „zwei Stufen“ zu denken: 1. Die Einschränkung der Wahlfreiheit zwischen der Produktnutzung mit und ohne eine intensive Datenverarbeitung als „erste Stufe“ des Geschäftsmodells Als „erste Stufe“ soll hier eine Ebene bezeichnet werden, auf der es um die Wahl einer Leistung geht, die im Zusammenhang mit der Preisgabe von Daten steht. Auf dieser Stufe lässt sich zum Beispiel die Frage ansiedeln, ob der Marktteilnehmer eine Version von Facebook „wählen“ möchte, die nicht nur mit Hilfe von Daten, die auf facebook.com gesammelt wurden, sondern auch mit Hilfe der hiermit zusammengeführten, außerhalb von facebook.com generierten Daten personalisiert wird. 2. Die Wahlfreiheit hinsichtlich der Datenintensität gehört zur subjektiven Seite des Ob und des Wie der Entscheidung des Marktteilnehmers Diese Auswahl der Leistung723 ist mit individuellen Wertungen, Sichtweisen et cetera verbunden. Hier ist daran zu erinnern, dass gerade die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer über ihr eigenes Verhalten am Markt durch den Wettbewerb gewährleistet werden soll: unabhängig davon, was für subjektive Gründe Probleme zum Preis der menschlichen Zukunft löst, ist eine grausame Pervertierung des Kapitalismus.“ 722  Diese Stufenbildung lässt sich für andere Zwecke des Verkaufs von „Verhaltensvorhersagen“ (Zuboff) entsprechend denken (siehe bereits dazu, dass Verhaltensvorhersagen nicht nur für Werbezwecke genutzt werden können, sondern auch anderweitig, Fn. 713, 736). 723  Beziehungsweise die Bereitschaft, eine bestimmte Gegenleistung (hier: die Zusammenführung dieser Daten) mit einer Leistung zu verbinden; zur Gegenleistung als Stein des Anstoßes s. o.; Abschnitt B.V.1.



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität177

hinter einer Entscheidung stehen – die Gewährleistung eines Spielraums für persönliche Wertungen etc prägt die Idee der Konsumentensouveränität724. „Erzwingt“ ein Unternehmen die Gegenleistung mit Hilfe einer aufgedrängten Leistung725, raubt es dem Marktteilnehmer die Möglichkeit, das Ergebnis seiner Erwägungen in eine Marktentscheidung umzusetzen – zum Beispiel, wenn er aufgrund seiner subjektiven Wertungen nicht bereit ist, den intensiven „Einblick“726 (als Gegenleistung) zu geben, den die Datenzusammenführung bewirkt. Bei funktionierendem Wettbewerb zwischen den Anbietern sozialer Netzwerke würde der Spielraum für die Gegenleistung des Nutzers durch den Marktmechanismus bestimmt – auch den individuellen Erwägungen/subjektiven Wertungen etc. des Marktteilnehmers sind dann „nur“ durch den „anonymen“ Marktmechanismus Grenzen gesetzt727 – sie wären aber in der konkreten Situation nicht dem Willen eines Privaten ausgeliefert, der sich umfassend Daten beschaffen möchte728. Wie bereits dargelegt wurde, kann von einer Freiheit des Individuums am Markt gesprochen werden, wenn Freiheit von der Fremdbestimmung durch konkrete Private gegeben ist – die Situation, welcher die Individuen im Face­book-Fall ausgesetzt sind, ist beispielhaft für eine solche Fremdbestimmung/einen solchen Zwang729. Die Ermöglichung der Konsumentenwahlfreiheit/-souveränität ist ein entscheidender Punkt für die Existenz des Kartellrechts – es handelt sich somit 724  Die Möglichkeit, persönliche Gründe/Wertungen für oder gegen ein Marktverhalten den Ausschlag geben zu lassen, ist wichtiger Bestandteil der Idee der Konsumentensouveränität (siehe zum Ganzen ausführlich Fünftes Kapitel, m. w. N.). 725  Siehe oben (Fn. 689 f.). 726  Plastisch wird die Intensität des Einblicks, welche durch die Zusammenführung von Daten möglich wird z. B. bei Ezrachi/Stucke, Overdose (Fn. 646), S.  204 ff. 727  Siehe Fünftes Kapitel (insb. Fn. 564 f.) zur Freiheit von privater Macht bei „bloßem“ Zwang/Einschränkung durch den „anonymen“ Marktmechanismus aus Sicht Böhms, der sich als Zusammenspiel von vielen einzelnen (freien) Marktentscheidungen ergibt. In dem Konzept Böhms macht es einen fundamentalen Unterschied, ob Zwang durch den Markt ausgeübt wird oder durch einen identifizierbaren Privaten; eine ähnliche Richtung hat es, wenn es für den BGH für die Schaffung einer Option mit Hilfe des § 19 GWB ausschlaggebend ist, ob funktionierender Wettbewerb diese Option geschaffen hätte (siehe oben Fn. 681). 728  Die Datenverknüpfung erfolgt hier vor allem mit dem Ziel, Geschäfte mit Verhaltensvorhersagen zu machen (bzw. Online-Werbemaßnahmen erfolgreicher zu machen); siehe dazu oben Abschnitt C.I.2. 729  Die Zwangssituation ergibt sich daraus, dass ein marktbeherrschender Privater hier über die Ablehnung der intensiven Datenverarbeitung durch eine erhebliche Nutzergruppe (siehe oben Fn. 680, 46 % der Nutzer lehnen eine solche intensive Datenzusammenführung ab; BGH KVR 69/19 Rn. 85) hinwegsetzt.

178 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

um eine genuin kartellrechtliche Argumentation, wenn der Bundesgerichtshof die „Bedeutung der Wahlfreiheit als Schutzzweck des Wettbewerbsrechts“730 anspricht und nicht (beziehungsweise zumindest nicht vorrangig)731 daten­ (schutz)spezifisch argumentiert. Der Intensität der Datenverarbeitung, welche mit einer Leistung verbunden ist, fällt so die Rolle eines Kriteriums zu, welches die individuellen Marktteilnehmer bei deren732 Auswahlentscheidung am Markt berücksichtigen733. Hier scheint durch, dass die Wahlfreiheit des individuellen Marktteilnehmers aufgrund ihrer Bedeutung für das Individuum geschützt wird und nicht (nur) aufgrund positiver Folgen für die Effektivität des Marktgeschehens734.

730  BGH KVR 69/19 Rn. 123; siehe auch bereits Fünftes Kapitel B.I.1.b) zur Konsumentensouveränität; auch Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1273 f. assoziiert die Idee der Konsumentensouveränität bzw. auch der consumer choice theory (siehe Fünftes Kapitel B.I.1.b)); (die er explizit als Kontrast zu einer bloß an einer Effizienz orientierten Marktwirtschaft einordnet) im Kontext der Wahlfreiheit der FacebookEntscheidung des BGH; er sieht durch das Verhalten Facebooks explizit den „Zentralwert“ der Marktwirtschaft, die „freie[n] Entscheidung des Individuums“ berührt (Podszun, Verbraucher [Fn. 659], S. 1274). 731  Siehe bereits oben Fn. 663, siehe auch Abschnitt B.V.2. zur datenspezifischen Argumentation in der Interessenabwägung. 732  Die individuelle Seite einer Entscheidung für oder gegen die Preisgabe von Daten wird auch in der Entscheidung des OLG Düsseldorf deutlich (auch wenn die Entscheidung im Ergebnis anders ausfällt): OLG Düsseldorf VI Kart 1/19 (V), S. 28: „In die Entscheidung für oder gegen Facebook wird in erster Linie die erwartete Qualität und der erhoffte persönliche Nutzen des Netzwerks sowie die persönliche Auffassung von der Bedeutung und Wichtigkeit einer Geheimhaltung der abverlangten personenbezogenen Daten sowie die eigene Bereitschaft, Facebook die streitbefangene Verarbeitung und Nutzung der Mehrdaten zu erlauben, um das soziale Netzwerk unentgeltlich, aber werbefinanziert nutzen zu können, einfließen. Es handelt sich stets um eine höchstpersönliche Abwägung auf der Grundlage ausschließlich eigener Präferenzen und Wünsche“ (Hervorhebungen im Original, M.S.). Interessant Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1273, zum bemerkenswerten Gewicht, das dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in der Facebook-Entscheidung des BGH im Angesicht ihrer kartellrechtlichen Natur zukommt. 733  Eine ähnliche Richtung hat es, die Umstände der Datenverarbeitung/-verknüpfung bzw. das Privatsphärelevel als Qualitätskriterium eines Produkts/einer Dienstleistung zu verstehen; weiterführend hierzu Ezrachi/Robertson, Competition (Fn. 660), S.  13 f. m. w. N. 734  Hierzu passt, dass Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1275 als „zugrunde liegende[s] Thema dieser Entscheidung: Die Souveränität des Verbrauchers als Marktakteur“ identifiziert; zu der er auch die „persönlichkeitsrechtliche Komponente, dass dieser […] zuständig für die Entscheidung bleibt, ob, wie und von wem seine personenbezogenen Daten genutzt werden dürfen“, zählt.



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität179

3. Hinausdenken735 über den Facebook-Fall – die „zweite Stufe“ des Geschäftsmodells: Wiederbegegnung mit den analysierten Daten und erneute Einschränkung der Wahlfreiheit Eine weitere Dimension des Geschäftsmodells soll hier als weitere Ebene verstanden und als „zweite Stufe“ bezeichnet werden: das Entgegentreten der gebündelten und analysierten (Verhaltens-)Daten. Mit der aufgezwängten Teilnahme am Geschäftsmodell auf der ersten Stufe ist bereits das Ziel verbunden, dem Marktteilnehmer die kombinierten und analysierten (Verhaltens-)Daten wieder „entgegentreten“ zu lassen – insbesondere736 in Form der Anzeige von Online-Werbung737. 735  Auf die Argumentation des BGH im Facebook-Fall wurde zuvor v. a. deshalb näher eingegangen, um Anknüpfungspunkte greifbar zu machen, in denen die Idee der individuellen Freiheit des Menschen Schutz vor Macht aus der wirtschaftlicher Sphäre zu bieten, sich konkret in der Rechtspraxis entfalten kann; das Kriterium der fehlenden Wahlfreiheit hinsichtlich der Leistung und der Gegenleistung im Falle einer aufgedrängten Leistung macht die Konsumentensouveränität greifbar. Die Wahlfreiheit lässt sich damit auch als Ansatzpunkt für die Rechtspraxis identifizieren, in dem sich das Verhältnis von Demokratie und Kartellrecht spiegelt; Podszun, Verbraucher (Fn. 659), S. 1273 konstatiert die BGH Entscheidung „konturiert“ den „Verbraucher als Akteur, gar als Entscheider“. 736  Neben einem „Entgegentreten“ der preisgegebenen Daten auf einer solchen zweiten Stufe in Gestalt von Online-Werbung, die auf den analysierten Daten beruht, ist ein solches „Entgegentreten“ von analysierten Daten auch außerhalb von Werbung denkbar (siehe oben bereits dazu, dass Analysen auch zu anderen Zwecken als Werbezwecken denkbar sind, Fn. 713); insb. in Form von Produktauflistungen, bei denen bestimmte Produkte auf Basis der Datenanalyse oben platziert werden, weil die Daten nahe legen, dass das anvisierte Individuum bestimmte Angebote akzeptiert (dazu z. B. Ezrachi/Stucke, Overdose [Fn. 646], S. 204 f.); bzw. auch in Form der Nennung durch digitale Assistenten. – Siehe zum Zuschnitt der digitalen Assistenten auf der Basis von gesammelten Daten z. B. Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1251 (detaillierter zu digitalen Assistenten s. u., Abschnitt C.III.6.). Es sei daran erinnert, dass das Entgegentreten vielerorts erfolgen kann (siehe oben Fn. 714) und nicht auf den unmittelbaren Kontext beschränkt ist, den der Marktteilnehmer mit dem Wissensunternehmen assoziiert. 737  Selbst wenn z. B. der Nutzer im Facebook-Fall die Anzeige der personalisierten Werbung auf Basis von „Partnerdaten“, d. h. „die über Facebook Business Tools und von Dritt-Datenanbietern erfassten Informationen“ (Bundeskartellamt B6-22/16 Rn. 105) abwählen kann, lässt sich das Datensammeln und Analysieren selbst bzw. „die Erfassung von Daten aus Facebook Business Tools“ und „ihre Verknüpfung mit dem Facebook-Konto“ nicht abschalten (Bundeskartellamt B6‑22/16 Rn. 654). Überdies stehen etwaige Möglichkeiten, Personalisierungen abzustellen oder zu reduzieren in Anbetracht der Tatsache, dass die Möglichkeit, den Nutzer einer personalisierten digitalen Umgebung auszusetzen, das Ziel der Datenverarbeitung ist, einer Berücksichtigung der Situation auf der „zweiten Stufe“ nicht entgegen. – Eher ist die Berücksichtigung geboten, weil die „zweite Stufe“ in der „ersten Stufe“ gewissermaßen bereits angelegt ist.

180 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Diese hochgradig auf das Individuum zugeschnittene Werbung soll mit Hilfe des Wissens des Wissensunternehmens/eines Privaten im richtigen Moment bei genau der richtigen Person geschaltet werden (s. o.) – und stellt so die Freiheit des Marktteilnehmers von Fremdbestimmung durch konkrete Private auch auf dieser zweiten Stufe vor Herausforderungen: Zuboff sieht die Gefahr, dass Freiheit durch Gewissheit abgelöst wird738. Auf ähnliche Art benennen Ezrachi und Stucke eine Entwicklung in Richtung einer „ ‚planned economy‘, albeit one planned by dominant firms“, was sie als Bedrohung für das Wirtschaftssystem einordnen739. Die Sorgen dieser Art lassen sich insbesondere auf der Stufe des „Entgegentretens“ verorten. Eine Erschütterung des wettbewerbswirtschaftlichen Systems berührt (auch auf der zweiten Stufe) sowohl den Marktmechanismus, als auch die damit Hand in Hand gehende Freiheit des Individuums740. Dies wird im Folgenden näher ausbuchstabiert. 738  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 569 sieht die Tendenz, dass der Markt sich Richtung Gewissheit bewegt: „Totale Information tendiert zur Gewissheit und zum Versprechen auf garantierte Ergebnisse“. Sie sieht einen Widerspruch zu Smith und Hayek darin, dass das „klassische Quidproquo von Freiheit für Unwissenheit in Frage“ gestellt wird (Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 569) – durch den Versuch, das Verhalten der Menschen zu modifizieren (Zuboff, Zeitalter [Fn. 699], S. 569, 692); Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 571 zieht den Schluss: „dass die […] Herrschaft über die Wissensteilung in der Gesellschaft […] mit den alten Rechtfertigungen einer unsichtbaren Hand und der sich daraus ergebenden moralischen Ansprüche bricht“. Deutlich auch Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 597: „Freiheit von der Ungewissheit ist keine Freiheit“, siehe auch unten, Fn. 753. Zuboff sieht eine „Pervertierung des Kapitalismus“ (Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 592) und bringt damit letztlich zum Ausdruck, dass der freiheitliche Marktmechanismus als Grundprinzip ausgehebelt wird bzw. von einer Wettbewerbsmarktwirtschaft nicht mehr gesprochen werden kann. – In diesen Kontext passt es, dass Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 22 f., beschreibt, dass „die aussagekräftigsten Verhaltensdaten überhaupt durch den aktiven Eingriff in den Stand der Dinge“ erlangt werden können, „indem man Verhalten anstößt, herauskitzelt, tunt und […] in Richtung profitabler Ergebnisse treibt“; sie diagnostiziert, dass „automatisierte Maschinenprozesse unser Verhalten nicht nur kennen, sondern auch in einer wirtschaftlichen Größenordnung auszuformen vermögen“ (Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 23; Hervorhebungen im Original, M.S.). 739  Ezrachi/Stucke, Virtual Competition (Fn. 645), S. 204; näher Ezrachi/Stucke, Virtual Competition (Fn. 645), S. 205 ff.; insbesondere stellen Ezrachi/Stucke, Virtual Competition (Fn. 645), S. 212 die „digitalized hand“ in den Kontrast zum Wettbewerbsmechanismus. 740  Siehe oben im Hinblick auf die erste Stufe; sowie Fünftes Kapitel zum Hand in Hand Gehen der Idee der Konsumentensouveränität mit dem Marktmechanismus; dazu, dass die freien Entscheidungen der Marktteilnehmer an Relevanz für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen verlieren, deutlich Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 572: „Überwachungskapitalisten [sind] nicht mehr von Menschen als Konsumenten abhängig“; stattdessen sind sie auf Geschäfte ausgerichtet, welche „die Vorhersage des Verhaltens von Populationen, Gruppen und Individuen“ betreffen.



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität181

a) Das „Entgegentreten“ von Verhaltensdaten als Begegnung mit personalisierter Werbung mit Blick auf den Marktmechanismus auf weiteren Märkten Das Entgegentreten von Verhaltensdaten in Gestalt personalisierter Werbung kann den Marktteilnehmer gewissermaßen durch eine Brille, die ihm vom Wissensunternehmen aufgesetzt wird, auf Produktmärkte741 blicken lassen, das Wissensunternehmen bestimmt so letztlich auf Basis seiner Analyse742, welchem Marktteilnehmer eine Werbung angezeigt wird beziehungsweise welche Werbung ihm nicht angezeigt wird743. In diesem Kontext (und auf dieser Ebene) ist das Risiko zu verorten, dass Entscheidungen am Markt zunehmend in einer „verengten“ Situation stattfinden könnten – diese Sorge kann sich keineswegs nur auf Online-Werbung beziehen, sondern wird für jede Art von Umgebung relevant, die auf Basis von analysierten Verhaltensdaten personalisiert ist. Beispielsweise besteht auch bei individuellen Produktlistungen (Ranking) beziehungsweise digitaler Assistenz ein solches Potential744. 741  Diese Märkte müssen keineswegs vom Wissensunternehmen selbst mit Produkten bedient werden. 742  Dazu, dass Menschen von Werbetreibenden ohne die Nutzung der Angebote der Wissensunternehmen kaum individuell angesprochen werden können, Ezrachi/ Stucke, Competition Overdose (Fn. 646), S.  214 f. 743  Wenn sich bei der Analyse für das Wissensunternehmen z. B. herausstellt, dass eine größere Wahrscheinlichkeit für das Interesse des Markteilnehmers an Produkt x besteht als an Produkt y, dann wird der Werbeplatz eher von dem Anbieter von Produkt x in Anspruch genommen werden und der Marktteilnehmer „sieht“ Produkt y gar nicht erst. – Die Werbetreibenden verlassen sich auf die Analysen der Wissensunternehmen und auf die finale Platzierung der Werbung durch diese; siehe nur Ezrachi/ Stucke, Competition Overdose (Fn. 646), S. 215. 744  Weiterführend speziell zur Personalisierung digitaler Assistenten auf Basis von Verhaltensdaten Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1239 ff., insb. 1287 f.; sowie S. 1297 (siehe auch Fn. 755); in die Zukunft gerichtet geben Ezrachi/Stucke, Competition Overdose (Fn. 646), S. 219 zu bedenken: „The Gamemaker (zur Begriffsverwendung bei Ezrachi/Stucke, siehe oben Fn. 646, Anmerkung durch die Verfasserin, M.S.), with the dominant digital personal assistant can […] control what choices we see“; weiterführend zur Relevanz von (auf Basis von Verhaltensdaten) personalisierten Preisen auf Ezrachi/Stucke, Virtual competition (Fn. 645), S. 96. In diesen Kontext passt auch der Blick auf die oben diskutierte „Meinungs“bildung (Fünftes Kapitel Abschnitt B.I.1.c)) über das Verhalten am Markt. Dass das Sichtfeld einer Person hier auf Basis einer Analyse des vorausgegangenen Verhaltens des Individuums kontrolliert wird, kann noch von der Situation unterschieden werden, dass bestimmte Angebote aus anderen Gründen vorrangig angezeigt werden, z. B. weil ein Angebot dem Auflistenden zugeordnet werden kann; interessant in diesem Kontext ist die GoogleSearch (Shopping-)Entscheidung AT.39740 – 27.6.2017 der Europäischen Kommission, in der die (Selbst-)Begünstigung des Suchdienstes Google Shopping als Verstoß

182 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Mit diesem Blick wird das Potential des Geschäftsmodells sichtbar, auch weitere Märkte745 und den Marktmachtmechanismus dort zu beeinträchtigen. b) Beeinträchtigung der Freiheit des individuellen Marktteilnehmers auch auf der zweiten Stufe Diese Sicht eröffnet auch auf der zweiten Stufe, der Ebene der Begegnung mit den „Folgen“ der Datenverknüpfung und -analysen, den Blick auf das Individuum. Auch hier746 besteht das Risiko einer Unterwanderung der Entscheidungsfreiheit auf weiteren Märkten, d. h. über den Markt hinaus, zu dem das Produkt/die Leistung gehört, durch deren Nutzung der Marktteilnehmer zur Datenpreisgabe verleitet wird. Ist die Wahlfreiheit auf dieser zweiten Ebene betroffen, dann muss es hier nicht um die Wahl zwischen datenintensiveren oder weniger datenintensiven Produkten gehen (so aber auf der ersten Stufe), sondern das Ob und das Wie der Kaufentscheidung kann auch hinsichtlich vieler weiterer Aspekte, inklusive subjektiver Erwägungen betroffen sein747. 4. Fazit Wird der Facebook-Fall im Kontext des Kerngeschäftsmodells der Digitalwirtschaft eingebettet betrachtet, erscheint es hilfreich, eine Ebene des Datenerhebens, -zusammenführens, sowie -analysierens von einer zweiten Ebene getrennt zu betrachten, auf der mit Hilfe der analysierten Verhaltensdaten ein personalisiertes Umfeld geschaffen wird, in dem sich der Marktteilnehmer fortan bewegt.

gegen das europäische kartellrechtliche Marktmachtmissbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) eingestuft wird; weiterführend interessant zur Transparenz von Rankingmechanismen ist auch die „Platform to Business Verordnung“; dazu z. B. C. Busch, Towards Fairness and Transparency in the Platform Economy? A first look at the P2B Regulation, in: A. De Franceschi/R. Schulze u. a. (Hrsg.), Digital Revolution – New Challenges for Law, 2019, S. 57 (57 ff.); zum Verhältnis der Verordnung zum Kartellrecht, siehe z. B. Busch, Fairness, ebd., S. 59 f.; sowie Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy (Fn. 697), S. 64; die explizit betonen: „transparency can be a competition policy issue“. 745  Also nicht nur den Markt zu dem das marktbeherrschende Produkt/die Leistung gehört, dessen/deren Nutzungsbedingungen der Nutzer zustimmen muss (z. B. der Markt für soziale Netzwerke). 746  Entsprechend zur ersten Stufe s. o. 747  Siehe dazu die entsprechenden Ausführungen zur ersten Stufe (s. o.); hier können jedwede Produkte betroffen sein; keineswegs nur Produkte mit digitalem Bezug.



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität183

Wenn die Vorauswahl beziehungsweise die Sichtbarkeit der Produkte für den Konsumenten durch die Hand eines einzigen oder weniger Unternehmen läuft, besteht ein Risiko einer Verengung des Entscheidungsspielraums am Markt durch diese/s Unternehmen auf Basis von dessen/deren Datenverarbeitung und Analysen. Damit geht ein Risiko für das individuelle, subjektive Erwägen und die Verwirklichung dieser Erwägungen als wichtiger Teil einer Kaufentscheidung, einher. Auch auf der Stufe des Entgegentretens kann es gewissermaßen zu Auswirkungen auf die Wahlfreiheit kommen. Die anvisierten Ziele der Datenverarbeitung haben damit auch eine Relevanz für den Schutzzweck des Kartellrechts, die Bewahrung der individuellen Freiheit vor privater Macht. Wenn hier Einschränkungen der Selbstbestimmung und der Wahlfreiheit auf zweiter Stufe in den Blick genommen werden (welche qua Geschäftsmodell in der ersten Stufe zu einem gewissen Grad mitangelegt sind), geht damit kein Begründungsversuch für eine kartellrechtspraktische Etablierung einer Wahlmöglichkeit auf der ersten Stufe einher748 – es soll hier lediglich deutlich werden, dass solchen späteren Folgen – gerade wenn sie ein Ziel der Datenverarbeitung sind – das Potential innewohnen kann, der ersten Stufe ein zusätzliches Gewicht749 beizufügen, und zwar ein Gewicht, dass durchaus auch selbst den Schutzzweck des Kartellrechts berührt. 5. Wahlfreiheit am Markt und Demokratiezusammenhang im Bereich der Plattformökonomie Aus dem Vorhergehenden wird ersichtlich, dass bei der betroffenen Entscheidung über das Ob und Wie einer Kaufentscheidung im Kontext des Geschäftsmodells (auf beiden Stufen) Aspekte enthalten sind, die keiner „entleerten“ wirtschaftlichen Freiheit zugehörig sind, sondern welche für die Menschen bedeutend sind.

748  Ob die Notwendigkeit besteht, eine Wahlmöglichkeit auf der ersten Stufe zu schaffen, kann durchaus unabhängig von dem Aspekt des Entgegentretens der Daten beurteilt werden (siehe oben zur Argumentation des BGH in der Facebook-Entscheidung [BGH KVR 69/19]). 749  Wenn das Bundeskartellamt grob in diese Richtung die Undurchschaubarkeit der „Tragweite eine[r] Einwilligung in die Datenverarbeitung“, Bundeskartellamt B622/16 Rn. 384 f., 571 bemängelt, beschäftigt es sich hierdurch nicht ersichtlich mit der weiteren Ebene, auf der dem Marktteilnehmer bestimmte Inhalte aufgrund der gesammelten und analysierten Daten entgegentreten.

184 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Interessanterweise wird im Kontext des hier erläuterten datenbasierten Geschäftsmodells mit Blick auf die beschriebenen marktbezogenen Gefahren für die individuelle (Entscheidungs-)Freiheit der einzelnen Marktteilnehmer eine Sorge um die Demokratie assoziiert: Gerade die individuelle Freiheit des Menschen, welche durch das wettbewerbliche Wirtschaftssystem bewahrt werden soll, wird zum Bezugspunkt dieser Sorge um die Demokratie750. Dies entspricht der Perspektive – diesmal explizit durch die Datenverarbeitung751 – die Freiheit des Menschen beeinträchtigt zu sehen, die den Ausgangspunkt für Demokratie bildet752. Interessant ist hier insbesondere der Aspekt, eine Gefahr für die „Wissensteilung in der Gesellschaft“753 zu sehen – in diesem Sinne wird angenommen, dass mit zunehmendem Wissen über eine Person auch die Kontrolle über diese Person einfacher wird und dies der Idee von Demokratie entgegensteht754. 750  Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 75 sieht Herausforderungen für die Rechte des Individuums, die auf dem „Anspruch auf individuelles Handeln und persönliche[r] Autonomie als grundlegende Voraussetzung des freien Willens und dem Konzept demokratischer Ordnung an sich“ basieren (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 592, sieht in den Entwicklungen in der Digitalwirtschaft „ein[en] inakzeptable[n] Affront gegen die Demokratie“. 751  Interessanterweise wird bereits im Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1 (43) im Kontext der Datenverarbeitung in der Selbstbestimmung eine „Funktionsbedingung eines […] freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens“ gesehen (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); siehe bereits oben generell zu der Perspektive Freiheit als Voraussetzung von Demokratie anzusehen B.II.4. 752  Zu dieser Perspektive siehe bereits Fünftes Kapitel B.II.4.; Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 592 spricht von der „Unterminierung des selbstbestimmten Individuums als Dreh- und Angelpunkt demokratischen Lebens“; wenn sie auf die Gefahr der Verhaltensmodifikation auf Basis von Daten eingeht (siehe oben bereits dazu, dass Zuboff dies recht weitreichend annimmt Fn. 717). – Zuboff hat trotz des hier etwas nebulösen Bezugs auf das „demokratische[n] Leben“ die Demokratie als Staats- und Regierungsform vor Augen; dies ergibt sich aus Zuboff, Zeitalter, ebd., S. 590 ff.: hier nimmt sie auf die westlichen Demokratien und die „demokratischen Ideale“ Bezug und stellt diese im Kontrast zu „nichtdemokratische[n] Alternativen“ dar. 753  Siehe oben (Fn. 738; Fn. 721); siehe auch Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S.  223 ff. m. w. N. (insb. auf Schwartz, dazu sogleich Fn. 754); insb. meint sie: „die beispiellose Konzentration von Wissen sorgt für eine […] beispiellose Konzentration von Macht – für Asymmetrien, die als unautorisierte Privatisierung der Wissensteilung in der Gesellschaft zu verstehen sind“ (Hervorhebung im Original, M.S.). 754  Hellsichtig bereits P. Schwartz, The Computer in German and American Constitutional Law. Towards an American Right of Informational Self-Determination, in: The American Journal of Comparative Law 37 (1989), S. 675 (676): „The danger that the computer poses is to human autonomy. The more that is known about a person, the easier it is to control him. Insuring the liberty that nourishes democracy requires



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität185

6. Ausblick auf eine weitere mögliche Ausgestaltung des Entgegentretens – der digitale Assistent Es lohnt an dieser Stelle kurz auf eine besondere Möglichkeit des Entgegentretens (im obigen Sinne) von gesammelten Verhaltensdaten einzugehen – die personalisierten digitalen Assistenten. Die Assistenz liegt oft insbesondere darin, dass der Assistent den Nutzer gewissermaßen von der Auswahlentscheidung am Markt entlastet755. Die führenden Online-Plattformen treiben das Geschäft mit digitalen Assistenten intensiv voran756. Käme es zu einer Situation, in der ein digitaler Assistent vorherrschend wird757, wäre es zumindest für Nutzer des digitalen Assistenten auch erschwert, sich des von ihm geschaffenen Kontextes – sprich der Vorauswahl, die ein solcher Assistent trifft – zu entziehen. Selbst wenn der Assistent die Vorauswahl auf Basis der analysierten Verhaltensdaten des Konsumenten trifft und versucht, dessen Wünsche zu treffen758, kommt es hierbei zu einer neuen Dimension einer personalisierten Umgebung. Die „Meinungsbildung“ über das Ob und das Wie einer Kaufentscheidung findet zunehmend in einer Umgebung statt, die durch ein privates a structuring of societal use of information and even permitting some concealment of information“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.) – dort auch unter Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Deutlich bereits S. Simitis, Selbstbestimmung: Illusorisches Projekt oder reale Chance?, in: KJ 21 (1988), S. 32 (42): er sieht im „Verzicht auf eine demokratisch konstituierte […] Gesellschaft“ den Preis für die „Abkehr von der Selbstbestimmung“; wohl auf diese Stelle bei Simitis bezieht sich auch Schwartz, Computer, ebd., S. 683 f.; zum Ganzen Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S.  223 f. 755  Die Assistenzleistung verbessert sich gerade durch den umfangreichen Zugang dieser Assistenten zu Verhaltensdaten: Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1287; dazu, dass die Assistenz darauf ausgerichtet ist, den Entscheidungsprozess zu vereinfachen und Vorauswahlen zu treffen, siehe nur Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1268. 756  Stucke/Ezrachi, Assistants (Fn. 641), S. 1241: „These helpers are being developed by the leading online platforms: Google Assistant, Apple’s Siri, Facebook’s M, and Amazon’s Alexa-powered Echo. These super-platforms are heavily investing to improve their digital assistant offerings“, m.  w.  N.; Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1243, m. w. N. meinen, dass digitale Assistenten wahrscheinlich die Hauptpforte zum Internet werden. 757  Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1256 ff. malen ein Szenario aus, in dem ein bis zwei digitale Assistenten dominieren; sie erläutern, warum sie davon ausgehen, dass ein führender Assistent wahrscheinlich von Google (Alphabet), Apple, Face­book oder Amazon sein wird Ezrachi/Stucke, Assistants, ebd., S. 1287 ff. 758  Im Gegensatz zu den Interessen des Betreibers des Assistenten, dazu z. B. Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1274 m. w. N., 1287; sowie Ezrachi/Stucke, Assistants, ebd., S. 1243: „As they occupy a critical gatekeeper position in a multi-sided market, the assistants may not always operate with consumer interests in mind“.

186 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

Unternehmen geschaffen ist. Hier besteht die Gefahr eines verengten Spielraums für eigene Entscheidungen des Marktteilnehmers759. 7. Exkurs: das Entgegentreten von Inhalten mit (direkter) Relevanz für die politische Meinungsbildung Die Datenverarbeitung kann nicht isoliert vom weiteren Schicksal der analysierten Daten betrachtet werden. Nach der Analyse der Daten begegnet der Marktteilnehmer ihnen gewissermaßen dadurch wieder, dass er sich in einem durch sie geschaffenen personalisierten Umfeld bewegt. Eine Konfrontation mit den preisgegeben Daten auf der „zweiten“ Stufe kann zum einen den Erwerb von Produkten auf weiteren Märkten berühren (siehe dazu soeben). Interessanterweise ist es ebenfalls die Analyse von Verhaltensdaten760 und das mit Hilfe der preisgegebenen Daten entstandene Umfeld die auch zu der oft mit Sorge betrachteten „Scheinöffentlichkeit“761 führen kann. In diesen 759  Ein durch ein privates Unternehmen verengter Entscheidungsspielraum ist – ab einer gewissen Größenordnung – kritisch zu sehen; insb. wenn das für die Verbraucher erkennbare Marktumfeld durch das private Unternehmen gestaltet wird. Eine freie Entscheidung am Markt durch den Konsumenten wird so erschwert; siehe dazu auch Fn. 744. Speziell mit Blick auf digitale Assistenten siehe Ezrachi/Stucke, die Autonomie beim Konsumenten belassen möchten Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1297: „For instance, basic measures would ensure that users retain autonomy, are made aware of outside options and can switch with limited or no costs. One could require digital assistants to indicate clearly, either in a pop-up window or voice warning when their suggestions are ‚sponsored‘ or when they offer service through their own platform network while excluding others. Users may be able to opt out of personalized ads or sponsored products“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.). Interessant ist, dass sie im selben Atemzug mit der Personalisierung der Umgebung durch Verhaltensanalysen (personalisierte Werbung) die Anzeige von „eigenen“ Angeboten ansprechen, dies verdeutlicht, dass beidem gemein ist, dass der Nutzer einer verengten Situation ausgesetzt ist (siehe zur Unterscheidung bereits Fn. 744); Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1256 merken hier zwar einen Bezug zur Demokratie an, den sie hier aber mit Blick darauf herstellen, dass Inhalte mit offensichtlicher Relevanz für die politische Meinungsbildung mit Hilfe eines Assistenten abgerufen werden können (nicht dagegen direkt über die Souveränität des Konsumenten, Ezrachi/Stucke, Assistants [Fn. 641], S. 1271 ff. – zu diesem Aspekt sogleich [Abschnitt C. III.7.]). 760  Dass es sich bei der Verhaltensanalyse zum Zweck der Personalisierung unmittelbar marktbezogener Inhalte um genau den gleichen Mechanismus handelt wie jener zur Anzeige sonstiger persönlich/politisch ansprechender Inhalte, wird von Zuboff, Zeitalter (Fn. 699), S. 322 überzeugend herausgearbeitet, die dies als geänderte „Schussrichtung“ des gleichen Modells bezeichnet; in einer solchen verzerrten Öffentlichkeit gedeiht das Phänomen der „Filterblase“ (Begriff geprägt von E. Pariser, The filter bubble, New York 2011). 761  M. Winter, Demokratietheoretische Implikationen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, in: M. Friedewald/J. Lamla/A. Roßnagel (Hrsg.), Informa­



C. Die Facebook-Entscheidung im Kontext der Konsumentensouveränität187

Kontext gehört auch eine auf vorausgegangenen Verhaltensanalysen basierende Anzeige von Inhalten wie beispielsweise Nachrichten auf Plattformen762. Weil diese Situation Inhalte betrifft, deren Relevanz für die politische Meinungsbildung auf der Hand liegt, wird die Situation als Gefahr für den demokratischen Meinungsbildungsprozess thematisiert – insbesondere mit dem Argument, dass die Gefahr besteht, dass der selbstbestimmte Erkenntnisprozess der Individuen beeinträchtigt wird763.

IV. Fazit: Das Kartellrecht als geeignetes Rechtsgebiet zur Eindämmung datenintensiver Geschäftsmodelle Jüngere Entwicklungen im Kartellrecht zeigen deutlich auf, dass gerade764 dieses Rechtsgebiet eine Rolle bei der Eindämmung datenintensiver Geschäftsmodelle in der Plattformwirtschaft spielen kann. Zu diesen Entwicklungen zählen insbesondere die Facebook-Entscheidungen des Bundeskartellamts und des Bundesgerichtshofs (siehe oben765), sowie die zehnte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen766. Geschäftsmodelle auf Basis von Datenverarbeitung sind auch Gegenstand vieler rechtswissenschaftlicher Überlegungen und gesetzgeberischer Entwicklungen, die keine kartellrechtliche Natur haben. An erster Stelle ist hier wohl die Datenschutzgrundverordnung zu nennen. Ein Ansatzpunkt für das Kartellrecht bietet sich jedenfalls, wenn marktmächtige Unternehmen den Marktteilnehmern die Teilnahme an ihrem Getionelle Selbstbestimmung im digitalen Wandel, 2017, S. 37 (46); interessant ist auch, dass er für eine Stärkung des „demokratietheoretischen Begründungsstrang[s] des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung“ plädiert (Winter, Implikationen, ebd., S. 45). 762  Beispielhaft zu dieser Sorge um den „marketplace of ideas“ Ezrachi/Stucke, Assistants (Fn. 641), S. 1271 f.; ähnlich B. Sandfuchs, Privatheit wider Willen?, 2015, S.  27 f. 763  Siehe nur Sandfuchs, Privatheit (Fn. 762), S. 44 f. m. w. N.; weiterführend insb. Sandfuchs, Privatheit, ebd., S. 46 f., 68 m. w. N.; hierbei geht sie insb. auf die „Erkenntnismöglichkeit“ und „Selbstbestimmtheit“ ein, die sie als Basis der selbstbestimmten politischen Teilhabe in einer Demokratie benennt und die sie durch einen „Verlust informationeller Privatheit“ in Gefahr sieht (Sandfuchs, Privatheit, ebd., S. 46). 764  Die herausgehobene Bedeutung des Kartellrechts bei der Einhegung daten­ getriebener Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie klingt beispielhaft an bei Busch, Fairness (Fn. 744), S. 59. 765  Bundeskartellamt B6-22/16 und BGH KVR 69/19 – Facebook. 766  Zur 10. GWB Novelle sogleich näher.

188 Sechstes Kapitel: Anwendung der Ergebnisse auf den Marktmachtmissbrauch

schäftsmodell faktisch aufzwingen: zum Anknüpfungspunkt für die Rechts­ praxis kann dann ein genuin kartellrechtlicher Grund werden: die Wahlfreiheit des Konsumenten (siehe oben, Fünftes Kapitel B.I.1.b)).

V. Die zehnte GWB Novelle mit Blick auf die Wahlfreiheit der Marktteilnehmer Die zehnte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (in Kraft seit Januar 2021) dient insbesondere dazu, Machtausübungen im digitalen Raum besser zu erfassen. Interessant im hiesigen Kontext ist zum einen, dass die Bundesregierung in ihrer Begründung auf das „Gesetzesziel des Schutzes vor Fremdbestimmung“ eingeht767, und zudem explizit die Wahlfreiheit der Verbraucher als Gesetzeszweck nennt768. Zum anderen ist der neu eingeführte § 19a GWB interessant. Als „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ im Sinne des § 19a GWB kommen vor allem Google, Amazon, Facebook und Apple in Betracht769. Die Regelung schafft zusätzliche Möglichkeiten für das Bundeskartellamt, die nicht an die konkrete Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung gebunden sind770. Auf Basis des § 19a II Nr. 4a GWB kann das Bundeskartellamt Unternehmen, deren überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb nach § 19a I GWB festgestellt worden ist, untersagen, „die Nutzung von Diensten davon abhängig zu machen, dass der Nutzer der Verarbeitung von 767  BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 71; bzw. den „Schutz[es] vor machtbedingter Fremdbestimmung“ (BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 71) – hier mit Bezug auf BGH KZR 6/15 Rn. 55–57 – Pechstein, http://juris.bundesgerichtshof. de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=75021&pos=0& anz=1 (24.9.2021). 768  BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 71, Gesetzentwurf der Bundesregierung; unter Bezugnahme auf BGH KVR 69/19 Rn. 123 – Facebook. 769  Siehe BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 74 dazu, dass „die Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb nur für wenige Unternehmen getroffen werden wird“; dass hier Google, Apple, Facebook und Amazon in den Fokus geraten werden klingt z. B. durch bei Drucksache 19/25868, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss), S. 110; das Bundeskartellamt hat inzwischen Verfahren nach § 19a GWB gegen die vier Unternehmen eingeleitet, siehe Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 21.6.2021, https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Meldung/DE/ Pressemitteilungen/‌/‌_06_2021_Apple.html;jsessionid=D26A52BB9215EA122FA09B D42F1DFB09.2_cid387 (24.4.2021). 770  BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 73 ff.



D. Zusammenfassung189

Daten aus anderen Diensten des Unternehmens oder eines Drittanbieters zustimmt, ohne den Nutzern eine ausreichende Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Umstands, des Zwecks und der Art der Verarbeitung einzuräumen“771. Diese Situation entspricht dem Sachverhalt der Facebook-Entscheidung (siehe oben)772.

D. Zusammenfassung Im Wahlfreiheitskriterium, dem im Facebook-Fall eine prominente Rolle zukommt, wird das Verhältnis von Demokratie und Kartellrecht sichtbar. Die Entscheidung dreht sich um die individuelle Freiheit des Menschen und damit um das verbindende Element von Demokratie und Wettbewerbsschutz. In dem Fall wird gut erkennbar, dass private Macht, die aus der wirtschaftlichen Sphäre stammt, ebenso geeignet sein kann, die individuelle Freiheit zu beeinträchtigen, wie Macht, die aus der staatlich/politischen Sphäre entstammt. Der Bundesgerichtshof stellt für die Schaffung einer Wahlmöglichkeit mit Hilfe des Kartellrechts entscheidend darauf ab, dass funktionierender Wett­ bewerb der erkennbaren Verbraucherpräferenz (für weniger datenintensive Versionen von sozialen Netzwerken) Rechnung getragen hätte. Es geht es hier demnach darum, eine Option zur Wahl zur stellen, die bestünde, wenn funktionierender Wettbewerb existieren würde. Dass es somit hier nicht darum geht, von den Ergebnissen funktionierenden Wettbewerbs losgelöst, generelle Auswahlwahlmöglichkeiten zu etablieren – auch nicht speziell bezogen auf Auswahlmöglichkeiten mit Blick auf die Intensität der Datenverarbeitung/die Datenzusammenführung – erklärt sich mit Blick auf den Grund für die Entscheidung für den Marktmechanismus: er wird als Instrument zur Verwirklichung persönlicher Freiheit (von privater Macht) genutzt. Zum Stein des Anstoßes wird in der Entscheidung, dass die Freiheit des Konsumenten durch den Willen eines Privaten eingeschränkt werden kann. Der Private übergeht den Willen des Konsumenten mit Blick auf dessen Vor771  Hervorhebung

durch die Verfasserin, M.S. Blick auf die Zusammenführung von Daten ist § 19a GWB als Ergänzung zum § 19 GWB anzusehen; deutlich BT-Drucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 76: „Auch wenn Ausbeutungs- und Behinderungspraktiken durch die Sammlung, Zusammenführung und Nutzung von Daten grundsätzlich ebenfalls unter § 19 kartellrechtlich greifbar sind, ist die zusätzliche Möglichkeit, ein solches Verbot speziell gegenüber Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung auszusprechen, gerechtfertigt.“ (Hervorhebung durch die Verfasserin, M.S.); Anmerkung: in BTDrucksache 19/23492, 19.10.2020, S. 76 erfolgt noch der Bezug auf § 19a II Nr. 3 GWB, in der finalen Fassung des Gesetzes ist dies § 19a II Nr. 4 GWB. 772  Mit

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stellungen von Leistung (und insbesondere Gegenleistung) und nimmt eine Fremdbestimmung vor – der Konsument erfährt die Einschränkung demnach hier eben nicht „nur“ durch den Marktmechanismus – was akzeptabel wäre, weil sich dieser aus den Willen der einzelnen Konsumenten zusammensetzt. Die individuelle Freiheit des Menschen als Schutzgut des Kartellrechts gewinnt durch die Betrachtung der Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs an Greifbarkeit. So scheint in der Entscheidung durch, dass gerade die subjektiven Erwägungen des Individuums bei einer Marktentscheidung maßgebliches Schutzgut sind. Hier wird keine entleerte/entkoppelte, „reinwirtschaftliche“ Freiheit geschützt. Hier wird gerade die Möglichkeit geschützt, die individuellen Erwägungen/den Willen zu verwirklichen, die (weitgehende) Preisgabe von Daten nicht als Gegenleistung erbringen zu wollen. Auch in der Literatur zur Datenökonomie wird die Bedrohung der Freiheit des Individuums durch Macht, die aus der wirtschaftlichen Sphäre entstammt, teilweise mit der Sorge um die Demokratie in Verbindung gebracht. Diese Verbindung wird darin gesehen, dass eine Beeinträchtigung der individuellen Freiheit des Menschen auch die Demokratie untergräbt. Dabei wird zum Teil auf die Anzeige von Inhalten mit offensichtlicher Relevanz für die politische Meinungsbildung abgestellt, zum Teil wird die Unterwanderung der individuellen Freiheit beziehungsweise der Demokratie aber auch explizit an der Beeinträchtigung der individuellen Freiheit der Menschen bei ihren Aktio­nen am Markt festgemacht. Hilfreich für die Handhabbarkeit von Analysen in diesem Kontext erscheint eine Trennung zwischen einer Stufe des Datenerhebens, -verknüpfens und -analysierens und einer Stufe der Begegnung mit Angeboten und sonstigen Inhalten, die individuell auf Basis der analysierten Verhaltensdaten zugeschnitten werden.

Schlussbetrachtung/Schluss/Ergebnisse im Überblick Die These dieser Arbeit, dass ein Grund für das Kartellrecht und damit gewissermaßen auch ein Ziel des Kartellrechts in der Demokratieförderung gesehen werden kann, ließ sich in der verfeinerten Form, die individuelle Freiheit des Menschen als das Verbindungsstück von Kartellrecht und Demokratie zu sehen, bestätigen. Die Strukturähnlichkeiten von Demokratie und Wettbewerbsschutz weisen auf tieferliegende Zusammenhänge hin. Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern die Verwirklichung der individuellen Freiheit des Menschen ist der zentrale Grund für die Wahl des Organisationsmittels Wettbewerb. Der Schutz der menschlichen Freiheit vor Macht aus der wirtschaftlichen Sphäre ist Ziel des Wettbewerbsschutzes beziehungsweise des Kartellrechts. Der Wettbewerb soll die Individualität und Subjektivität menschlicher Erwägungen vor privater Macht schützen, die der wirtschaftlichen Sphäre entstammt. Können Private ihren Willen an die Stelle des Marktmechanismus setzen, beeinträchtigt dies die Freiheit des Einzelnen. Auch die Demokratie ist kein Selbstzweck: die Verwirklichung individueller Freiheit ist der Grund für die Wahl des Organisationsmittels der freiheitlichen Demokratie. Das Individuum mit seiner Freiheit und Menschenwürde ist der Ausgangspunkt des demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses in einer freiheitlichen Demokratie. Wenn die Freiheit des Individuums durch Macht aus der wirtschaftlichen Sphäre beeinträchtigt ist, untergräbt diese Macht zugleich auch den Daseinsgrund von Demokratie. Ein Gefahrenpotential liegt in den Geschäftspraktiken einiger großer Unternehmen der Digitalwirtschaft. Die Facebook-Entscheidung des Bundesgerichtshofs weist die fehlende Wahlfreiheit beziehungsweise die aufgedrängte Leistung (und die damit einhergehende Gegenleistung) als Ansatzpunkt für die kartellrechtliche Praxis aus, mit dem mit der Hilfe des Kartellrechts die Freiheit des Individuums vor Macht aus der wirtschaftlichen Sphäre geschützt werden kann. In der Entscheidung wird mit der Möglichkeit des Individuums, sich gegen eine datenintensive Leistung (und vor allem eine datenintensive Gegenleistung) zu entscheiden, gerade eine persönliche Komponente der Entscheidung des Marktteilnehmers geschützt, die über Fragen des bloßen Konsums hinausreicht.

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Stichwortverzeichnis Amazon  65 f., 159, 171, 185, 188 behavioristische Methoden  174 Big Data  127, 160, 171 Böhm, Franz  17, 40, 46 ff., 53 ff., 69 f., 83 ff., 88, 93 ff., 112, 124 ff., 132 ff., 156, 177 Demokratie  35, 42, 47 ff., 60, 68, 98 ff., 107 ff., 119 ff., 138, 158, 160, 183 f. –– Daseinsgrund  109 f., 145 f., 148 ff. –– Demokratiebegriff  98 ff. –– Demokratiebegründung  107, 109 ff., 135 –– Demokratieförderung  43, 61, 65 f., 191 –– Demokratieprinzip  19, 21 f., 28, 30, 32 f., 35, 97, 99, 108 ff., 115, 158 –– Demokratieschutz  35, 43 –– Wertebasis  22, 107, 110, 115 Demokratie und Kartellrecht/Wettbewerb –– Ähnlichkeiten  128, 133 f., 152, 156 f., 191 –– Demokratiekonnex  22, 52, 66, 71 –– verbindendes Element  71, 96 f.,134, 146, 153, 158 –– Zusammenhang  71, 123 ff., 146 ff., 149, 161, 183 Digitalwirtschaft  66, 157, 158 f., 160 f., 162, 170, 182, 191 Effizienz  36, 37 f., 40 f., 64, 77 f., 87 f., 89 Erhard, Ludwig  53, 63, 91 f. Eucken, Walter  43, 54, 57, 68 f., 84 ff., 93 f., 95, 124 f., 125 f. Facebook  42, 159, 161 ff., 176 ff., 182

Freiburger Schule  21, 43, 47, 53 f., 55, 68 f., 81 Freiheit, individuelle  40, 73, 86, 94, 109 f., S. 112, 114 f., 117, 134, 146 ff., 151, 154 f., 157 f., 184, 189 ff. Freiheitlich demokratische Grundordnung  29, 33, 94, 109, 114 f. Fremdbestimmung  28, 96, 136 f., 142, 145 f., 148 f., 150 f., 164, 175, 177, 180, 188, 190 Google  159, 165, 171 ff., 181, 185, 188 Hayek, Friedrich A. von  46, 85 f., 88, 94, 116 f. Instrument  73, 76, 84, 86, 89, 119, 140 f., 147 f. Interdependenz  39, 43, 46, 52, 84 f., 123, 125 f., 143, 148, 155 Konsumentensouveränität  128, 130 f., 134, 152, 155, 170, 177 Konsumentenwahlfreiheit  41, 89 f., 128, 131, 152 f., 161, 163, 177 Machtergreifung  55 ff., 60 Macht, private/wirtschaftliche  47 ff., 52, 57 f., 64, 74, 82 f., 85, 92, 124, 126 f., 136, 142, 144 f., 150 f., 156 f., 189 Machtkonzentration  48, 51, 56 ff., 59 f. Marktmachtmissbrauch  18, 22, 36, 47, 158, 162 f., 165, 182 Menschenwürde  29, 54, 113, 115, 191 Ordoliberalismus  41, 45 f., 53, 66, 76, 82 f., 85, 89, 124 f., 127, 130, 139 Parallele/n  47, 52, 119, 121, 128, 131 ff., 153

214 Stichwortverzeichnis

Selbstbestimmung  128, 147 f., 183 ff. Smith, Adam  54, 80 f., 83, 86, 89, 130, 180 Sozialstaatsprinzip  28, 30 Stufe/n  176,179 f., 182 f., 186, 190

Wahlfreiheit  41, 52, 87, 88, 89 f., 118, 130 f., 139, 153 f., 161 f., 163, 165, 166, 169, 170, 174, 176, 177 ff., 182 f., 188 f., 191 Weber, Max  47, 62, 126 Willensbildung  104 ff., 113 f., 118, 121 f., 125 f., 132, 149 f., 155 f., 160, 191 Wirtschaftsdemokratie  156 Wissensunternehmen  173 f., 179 f., 181

Vertragsfreiheit  30, 55, 89, 137 ff.

Zuboff, Shoshana  170 ff.

Privatautonomie  139 f., 143, 145, 147, 150 Privatrechtsgesellschaft  123, 126, 136 ff.